»Neben, mit Undt bey Catholischen«; .: Jüdische Lebenswelten in der Markgrafschaft Baden-Baden 1648-1771. Diss. 9783412207397, 341220739X

Die vorliegende Studie widmet sich den Lebensmöglichkeiten von Juden und Jüdinnen in der katholisch geprägten Markgrafsc

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German Pages 698 [716] Year 2011

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»Neben, mit Undt bey Catholischen«; .: Jüdische Lebenswelten in der Markgrafschaft Baden-Baden 1648-1771. Diss.
 9783412207397, 341220739X

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Günther Mohr

»Neben, mit undt bey Catholischen« Jüdische Lebenswelten in der Markgrafschaft Baden-Baden 1648–1771

2011 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Stiftung Irène Bollag-Herzheimer sowie der Stadt Bühl, der Volksbank Bühl und der Sparkasse Bühl

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlagabbildung: Peter de Mont, Brautgürtel aus Kuppenheim, 1658–1678 (X22738, Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung durch das historische museum frankfurt). Motiv entnommen aus: Gleiche Rechte für alle? Zweihundert Jahre jüdische Religionsgemeinschaft in Baden 1809–2009, hg. vom Landesarchiv Baden-Württemberg 2009, S. 38.

© 2011 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Satz.: Peter Kniesche Mediendesign, Weeze Druck und Bindung: Strauss GmbH, Mörlenbach Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-412-20739-7

Inhalt Vorwort....................................................................................................... 1 Voraussetzungen und Zugänge für die Erforschung der Juden in der Markgrafschaft Baden-Baden................................................................ 1.1 Der Stand der Forschung über die Markgrafschaft Baden-Baden von 1648 bis 1771............................................... 1.2 Der Stand der Forschung über die ländlichen Juden in der Markgrafschaft Baden-Baden bis 1771...................................... 1.3 Zeit und Raum der Untersuchung............................................. 1.4 Fragestellungen und historiographische Wege der Untersuchung............................................................................ 1.4.1 Landjuden.................................................................... 1.4.2 Zugänge zur Erforschung des Landjudentums.............. 1.5 Reflexivität................................................................................ 2

Hayum Flörsheim: Judenschultheiß, Lieferant von Juwelen, Admodiator.......................................................................................... 2.1 Der Aufstieg.............................................................................. 2.2 Hayum Flörsheim und der Stiftspropst Reinhard von Flosdorf.... 2.3 Vertrauen und Misstrauen......................................................... 2.4 Der Admodiator Hayum Flörsheim........................................... 2.5 Der Bruch zwischen der Regierung und Flörsheim.................... 2.6 Aspekte jüdischen Lebens..........................................................

3 Die Schutzaufnahmen in der Markgrafschaft........................................ 3.1 Der Blick auf die Schutzaufnahmen – ein Blick auf Vorstellungen und Praktiken der Beteiligten.............................. 3.2 Das Verfahren der Schutzaufnahmen im Spiegel der Regierungsprotokolle................................................................. 3.3 Ein „Vergleich“ über die Schutzaufnahmen 1650...................... 3.4 Schutzaufnahmen bis zur „Judenordnung“ von 1714................ 3.4.1 Strategien und Entscheidungsfaktoren.......................... 3.4.2 Einzelne Schutzaufnahmen........................................... 3.4.3 Die Auseinandersetzungen über die Anzahl der Schutzjuden.................................................................. 3.4.4 Nützlichkeit und Schädlichkeit der Juden in der katholisch-konfessionellen Perspektive der . Markgrafschaft bis 1714...............................................

XV 1 1 5 8 10 10 14 17 19 19 23 27 29 33 35 38 38 39 41 43 43 47 51 53

VI 

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Inhalt

3.5 Schutzaufnahmen von der „Judenordnung“ 1714 bis zum Ende der Regentschaft der Markgräfin Sibylla Augusta 1727....... 3.5.1 Verschärfte Voraussetzungen bei Schutzaufnahmen...... 3.5.2 Einzelne Schutzaufnahmen........................................... 3.5.3 Schutzbewerbungen, wenn die Juden „aus dem Land gejagt werden“?............................................................. 3.6 Schutzaufnahmen unter Markgraf Ludwig Georg von 1727 bis 1746.................................................................................... 3.6.1 „Normalisierung“ der Schutzaufnahmen unter Markgraf Ludwig Georg?.............................................. 3.6.2 Einzelne Schutzaufnahmen........................................... 3.6.3 Gegendruck aus der Bevölkerung................................. 3.6.4 Die Regierung: eine Neuorientierung........................... 3.6.5 Der Rahmen – eine veränderte Einstellung allgemein..... 3.6.6 Widersprüchliche Tendenzen........................................ 3.6.7 Löw Bodenheimer, der Neffe des Oberschultheißen: zwischen der Gnade des Markgrafen und dem . Widerstand der Gemeinde Bühl................................... 3.7 Ein Ende der Schutzaufnahmen – die „Ausrottung“ der Schutzjuden?............................................................................. 3.7.1 Der „alte Löwel Koppel“„im mit Juden genugsamb übersetzten Malsch“..................................................... 3.7.2 Nicht mehr, sondern weniger Schutzjuden................... 3.7.3 Ein Ensemble von Stereotypen..................................... 3.7.4 Der alte Löwel Koppel – zurück nach Friesenheim?...... 3.7.5 Die „eliminirung deren Juden“?.................................... 3.7.6 Weitere Schutzaufnahmen oder „das Landt von dergleichen Blutiglen“ säubern?.................................... 3.7.7 Vom lokalen Konflikt zum Diskurs über das Lebensrecht von Schutzjuden in der Markgrafschaft: . Zusammenhänge und Hintergründe der . „Eliminieruung“........................................................... 3.7.8 „Eliminierung“ als Vertreibung nicht aller, aber der schädlichen Juden......................................................... 3.8 Die Schutzaufnahmen 1747 bis 1771........................................ 3.8.1 Die Weiterführung der Schutzaufnahmen nach 1747.................................................................... 3.8.2 Einzelne Schutzaufnahmen: Schutzbewerbungen für mehrere Söhne, immer wieder supplizieren............. 3.8.3 Familiäre Ordnung und Bewerbung um den Schutz: eine Familie an der Hauptstraße, eine in der . „Schwanengasse“..........................................................

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Inhalt 

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VII

3.8.4 Widerstände in der Bevölkerung – Kontinuitäten......... 3.8.5 Kontinuitäten und Veränderungen bei der Regierung........................................................................ 3.9 Gescheiterte Schutzaufnahmen.................................................. 3.9.1 Das Vorgehen der Petenten und ihr Scheitern............... 3.9.2 Einzelne gescheiterte Schutzbewerbungen.................... 3.10 Die Auseinandersetzung über die Schutzaufnahmen: die wichtigsten Ergebnisse für das christlich-jüdische Verhältnis........

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4 Juden im Wirtschaftsleben.................................................................... 4.1 Im Kreditwesen......................................................................... 4.1.1 Kredite in bar – mit vielen Möglichkeiten zur Abzahlung: „auf den Herbst“, zum Abwohnen, mit . einem Nachlass............................................................. 4.1.2 Warenkredite................................................................ 4.1.3 Kredite für Bedienstete am Hof, für Offiziere und Beamte.................................................................. 4.1.4 Geldverleih in Vielfalt und Flexibilität, im .Nahbereich, in einer Marktlücke, in einem unbestimmbaren . Umfang........................................................................ 4.1.5 Juden in einem begrenzten Segment des Kreditbereichs.............................................................. 4.1.6 Kapitalanlage bei Schutzjuden...................................... 4.1.7 Schuldverflechtungen................................................... 4.1.8 „Der Juden arge Wucher griff“: eine Gefahr? Für wen?....................................................................... 4.2 Joseph Jacob: Handel mit Vieh, im Ladengeschäft, Geldverleih und eine Heulieferung für die kaiserliche Armee....... 4.2.1 Ein weiter Radius......................................................... 4.2.2 Selbstbewusstsein.......................................................... 4.2.3 Eine „Heuprätension“................................................... 4.2.4 Das Ende der Auseinandersetzung................................ 4.2.5 Ein Geschäft über Grenzen hinweg, zu schwierig selbst für Joseph Jacob.................................................. 4.3 In der Nähe des Hofes............................................................... 4.3.1 Persönliche Nähe: „Samuel Jud von Heidelberg“ – Samuel Oppenheimer................................................... 4.3.2 Joseph Oberländer: Eisen und „Frauenschmuck“.......... 4.3.3 Hofjuden...................................................................... 4.3.4 Pferde für den Hof und vom Hof................................. 4.3.5 Heu, Getreide und Tuch für den Hof...........................

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VIII 

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Inhalt

4.3.6 Leistungen für den Hof – Aufstieg in der Judenschaft: Raphael Jacob........................................... 4.3.7 Admodiatoren.............................................................. 4.3.8 Chancen und Schwierigkeiten – strukturelle Probleme für jüdische und nichtjüdische . Admodiatoren.............................................................. 4.4 Im Ladengeschäft...................................................................... 4.4.1 Moyses: von Ettlingen nach Rastatt und Bühl.............. 4.4.2 Schmaul: ein Ladenbesitzer mit Kredit in Frankfurt...................................................................... 4.4.3 Ein langes Scheitern: Löw Bodenheimer....................... 4.4.4 An der Schwelle zur Protoindustrie: Joshua Uffenheimer................................................................. 4.4.5 Verschuldung im Handel.............................................. 4.4.6 Der Laden als Ausweg aus der Armut........................... 4.4.7 Ansprüche auf Gleichheit mit den christlichen Krämern? Dürfen Juden mit Spezereien handeln?......... 4.4.8 Die Krämer: keine Veränderungen – die Regierung: keine klare Linie........................................................... 4.5 Im kleinen Handel.................................................................... 4.5.1 Hanf und Branntwein, Häute und Felle, Honig und Wachs und ...: im kleinen Handel......................... 4.5.2 Arme Schutzjuden im kleinen Handel: „...sie leben so miserabel“................................................................ 4.5.3 Arme, schädliche, gefährliche Juden.............................. 4.5.4 Hausierhandel – ja und nein......................................... 4.5.5 Wein als Zahlungsmittel, im Ausschank und im Handel......................................................................... 4.5.6 Viehhandel: gütliche Einigung, betrügerische Juden, Zufriedenheit und Vertrauen............................. 4.6 Ein Ochsenhandel: Normales und Außernormales.................... 4.7 „Man ist auf dem Landt daß Spazierengehen nicht gewohnt, Sondern es muß ein jedes Nach Seinem Stand arbeiten.“ – . Jüdinnen im Wirtschaftsleben................................................... 4.8 Die Weide................................................................................. 4.9 Auf dem Markt – willkommen und abgelehnt........................... 4.10 Segregation: nicht nur eine Frage der Ökonomie....................... 4.11 Vom Handel im Abseits auf die Märkte des Alltags und in die Nähe des Hofes – und zum Anspruch auf Gleichheit...........

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5 Häuser.................................................................................................. 296 5.1 „...jene in dem Kauf den Vorzug haben sollen“.......................... 296

Inhalt 

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5.2 „Neben, mit Undt bey Catholischen“ – das Haus Joseph Jacobs, 1696.............................................................................. 5.3 Ettlingen – „Am vornehmbsten Ort der statt ein Jud“............... 5.4 Das Haus Joseph Jacobs in Bühl 1705....................................... 5.5 Das Haus eines Juden bei Markt und Kirche – eine Statuskrise für die christliche Gemeinde.................................... 5.6 Häuser zwischen Juden und Christen........................................ 5.6.1 Abseits der Hauptstraße: das Haus von Joseph Jacob, Götschel Aron, Hayum Mayer, Abraham Mayer, . Gottlieb Süßel und Friedrich Buhl................................ 5.7 In der Hauptstraße.................................................................... 5.7.1 Kauf unter „besonderen Umständen“ und ruhiger Besitz, 1742.................................................................. 5.7.2 In „schmahle, und dunkle gaßen“ oder Häuser „in allen Straßen, sogar auf den Haupt Plätzen“?................ 5.7.3 Hausbesitz und Strategie familiärer Entwicklung.......... 5.8 Juden als Mieter in Häusern von Christen................................. 6 Die Besteuerung................................................................................... 6.1 Das Geleit................................................................................. 6.2 Das „Pflastergeld“: die Steuer für „eine schönere Residenz“?......... 6.2.1 Ein später Blick auf das „Pflastergeld“........................... 6.2.2 Für eine schöne Residenz, zur Repräsentation und zur Ausbeutung der Schutzjuden.................................. 6.2.3 Die Schutzjuden in „ihrer bekannten Unvermögenheit“......................................................... 6.2.4 Weiter supplizieren oder das Land verlassen?................ 6.2.5 Ein Intermezzo: ein Vorschlag zum Verzicht auf das „Pflastergeld“ der Juden................................................ 6.2.6 Wiederbeginn der Pflasterarbeiten – Festlegung auf 6 Prozent des Vermögens........................................ 6.2.7 Die Pflastersteuer – die Markgräfin Sibylla Augusta in einer anderen Perspektive......................................... 6.3 Das „Abzugsgeld“, eine Steuer für „unerlaubten Wucher“.......... 6.3.1 „Gleichstellung“ der Juden mit den Christen?............... 6.3.2 Immer wieder: Schutzjuden gegen die Abzugssteuer........

IX

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7 Die Vermögensentwicklung bei den Schutzjuden im Kerngebiet der Markgrafschaft................................................................................ 365 8 Delinquenz........................................................................................... 372

X 

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Inhalt

8.1 8.2 8.3 8.4 8.5

Samuel von Rastatt, der eine „Christin Zur unzucht habe nötigen wollen“......................................................................... „Genau acht haben“.................................................................. „Nichts nutz“, und immer wieder: Verdacht auf Hehlerei.......... Tortur und Taufe – der Vorsänger Elias Asher............................ Der Christ verschwiegen, der Jude bestraft – Strafverfolgung in der katholischen Markgrafschaft............................................

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9 Gewalt . ................................................................................................ 383 9.1 Draußen auf der Landstraße, drinnen im Ort. Gewalt gegen Juden, Gewalt durch Juden.............................................. 383 9.2 Gewalt und Ehre....................................................................... 385 10 Zwischen Juden und Christen: eine „Schaidwandt“ aus Stereotypen........................................................................................... 10.1 Um 1700: unter dem Einfluss des kirchlichen Antijudaismus........................................................................... 10.2 In der Mitte des Jahrhunderts: Ökonomisierung und Säkularisierung.......................................................................... 10.3 Veränderlichkeit oder Resistenz?................................................

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11 Landjudenschaft und Judenoberschultheißen........................................ 11.1 Auf dem Weg zu einer Landjudenschaft..................................... 11.1.1 Das Amt der Judenschultheißen................................... 11.1.2 Umstrittene Wahlen, umstrittene Schultheißen............ 11.1.3 Die Landjudenschaft: Staatsorgan oder autonome jüdische Institution?..................................................... 11.1.4 Anwälde....................................................................... 11.1.5 Aspekte des Selbstverständnisses – Schwächung oder Öffnung des jüdischen Lebensbereichs?........................ 11.2 Isaac Bodenheimer.................................................................... 11.3 Samson Schweitzer: „allezeit Juden schultz, judenschulz Vom Morgen bis zur nacht“....................................................... 11.4 Raphael Jacob............................................................................ 11.5 Anwälde – oder doch ein Judenoberschultheiß?......................... 11.6 Die Vermählungssteuer: die „reichesten am leichtesten“?........... 11.7 Probleme für die Landjudenschaft?............................................

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12

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Religion................................................................................................ 12.1 Das Schächten........................................................................... 12.2 Koscherer Wein?........................................................................ 12.3 Die Nachlassregelung – staatliches oder religiöses Recht?...........

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Inhalt 

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XI

12.4 Religiöse Bildung....................................................................... 12.5 Wertschätzung der Rabbiner...................................................... 12.6 Synagogen und die „öffentliche Schul“...................................... 12.6.1 Synagogen in der Markgrafschaft.................................. 12.6.2 Die Synagoge in der Residenz: eine „öffentliche Schul“?......................................................................... 12.6.3 Auch in der Synagoge: Ehre.......................................... 12.6.4 Kippenheim: ein Haus für die Judenschaft und Bauholz aus dem Gemeindewald? Örtliche . Judenschaften auf dem Weg in den . öffentlichen Raum........................................................ 12.7 Solidarität: „kein Vieh, sondern Menschen“.............................. 12.8 Jüdisch-religiöses oder staatlich-weltliches Recht....................... 12.8.1 Inventuren: Recht der Herrschaft – Recht der Juden............................................................................ 12.8.2 Anwälde und Schultheißen in der innerjüdischen Gerichtsbarkeit............................................................. 12.8.3 Das Recht in der Beschwerde der Judenanwälde 1757...................................................... 12.8.4 Kein Diskurs über die Grundlage des Rechts................ 12.8.5 Elias Schmaule und seine Frau – sie wollten „ruhig belassen“ sein von den anderen Juden................ 12.8.6 Konsolidierung im religiösen Lebensbereich.................

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13 Joseph und Löw Elias: drei Kapitalien................................................... 13.1 Ausweitung des Handels............................................................ 13.2 „Herr“ seiner selbst und Teil der jüdischen Elite........................ 13.3 Ein Habitus?.............................................................................. 14 Kein sicherer Ort: die Magd Rüfel, der Rabbiner Isaac Israel, der Witwer Jäckel Löwel und die Witwe Catarina Maria Hasler............ 14.1 Rüfel: Sie „gehe dennoch nach Baaden, wo ihr Kindt wäre“...... 14.2 Isaac Israel................................................................................. 14.2.1 Ein Rabbiner, ein meineidiger Hehler?......................... 14.2.2 Schutzerteilung und „Zurücktreibung“......................... 14.2.3 „Isaac von uns zu lassen“............................................... 14.2.4 Die Orte wechseln, die Vorwürfe folgen nach............... 14.2.5 Bleiben und supplizieren.............................................. 14.3 Die Witwe Catharina Maria Hasler und der Witwer Jacob Löwel...............................................................................

510 510 512 516

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15 Konversionen........................................................................................ 541 15.1 Ungewissheiten.......................................................................... 541

XII 

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Inhalt

15.2 Konversion als Ausweg in der Not? Chaye Schweitzer, Cheyle Schweitzer – Ludwig Georg Gottlob, seine Frau............ 15.3 Drei Frauen – Konversion im familiären Spannungsfeld............ 15.4 Eine Taufe unter dem Galgen?................................................... 15.5 Die Taufe: Triumph der Kirche über das Judentum? Oder eine Form der Selbstdarstellung?................................................ 15.6 Gnaden und Grenzen im „Nachher“.......................................... 15.7 Aus dem Judentum zum Rand der christlichen Gesellschaft?........ 15.7.1 Ein fremdes Mädchen: Taufe – aber woandershin......... 15.7.2 Ein Konvertierter als Bürger......................................... 15.7.3 Johannes Baptista Glückseelig, ein gelehrter Reitknecht.................................................................... 15.7.4 „Der verdächtige Jacob Bühler“.................................... 15.8 Veränderte Reaktionen in der christlichen Gesellschaft?............. 15.9 „Weder hier noch dort“............................................................. 16 Die „Haimsche Tochter“, Maria Josepha, die Reilingin......................... 16.1 Wer ist schuld?.......................................................................... 16.2 „Kein rechter Christ, noch guter Judt“....................................... 16.3 Rückkehr „zu den ihrigen“ oder „ein anderer Stand“?................ 16.4 Gegen den Wunsch nach Freiheit das Zuchthaus für Männer....... 16.5 Markgraf Ludwig Georg: Ob ein „wahres Christentum in ihrem gemüth und Hertzen befindliche sei“?............................. 16.6 „Obsicht guter, frommer, und rechtschaffener leuth“................. 16.7 Gegen den „boshaften Judt Hayumb“....................................... 16.8 Ein Ende von „Jugendt und unverstandt“.................................. 16.9 Um „ihr Stückhel Brodt einiger maßen selbsten zu verdienen“................................................................................. 16.10 Erst ein Perückenmacher, dann ein Schneider............................ 16.11 In ihrer „hohen Schwangerschaft und Verlassenheit“................. 16.12 Eine Reise nach Ungarn?........................................................... 16.13 Heilig oder im Bund mit dem Teufel? Probleme auf dem Weg zwischen den Welten......................................................... 16.14 Eine Selbstfindung zwischen den Gesellschaften?....................... 16.15 Die Ambivalenz der christlichen Gesellschaft.............................

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17 Jüdische Lebenswelten in der Markgrafschaft Baden-Baden – Zusammenfassung und Ergebnisse........................................................ 599 18 Anhang I............................................................................................... 615 18.1 Nebentexte?............................................................................... 615

Inhalt 

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18.2 Schutzaufnahmen: Neuorientierungen unter den Markgrafen Ludwig Georg und August Georg?......................... 18.2.1 Klare Rechtsverhältnisse zugunsten einzelner Schutzjuden.................................................................. 18.2.2 Dissens in der Regierung bei den Schutzaufnahmen: Schutzaufnahme auch für arme Bewerber?.................... 18.2.3 Expektanzen: Schutzzusagen für die Zukunft............... 18.3 Juden aus benachbarten Territorien beim kleinen Handel in der Markgrafschaft................................................................ 18.4 „Judenpack, so das Land paßirt“: Delinquenz und Bestrafung fremder Juden............................................................................ 18.5 Das „Pflastergeld“ der christlichen Einwohner – Fronen für die Residenz.............................................................................. 18.6 Akziseverträge oder nicht? Ein Problem der wirtschaftlichen Entwicklung für Juden und Christen......................................... 18.7 Der Admodiator Johannes Bruzetto........................................... 18.7.1 Eine Karriere................................................................ 18.7.2 Weder „Haus, Hof, Güther und Viehe“........................ 19 Anhang II............................................................................................. 19.1 Erläuterung zu den Nachweisen................................................. 19.2 Verzeichnis der Siglen für die Protokolle der Hofgremien.......... 19.3 Quellen..................................................................................... 19.3.1 Ungedruckte Quellen................................................... 19.3.2 Gedruckte Quelle:........................................................ 19.4 Literaturverzeichnis................................................................... 19.4.1 Lexika und Wörterbücher............................................. 19.4.2 Literatur....................................................................... 19.5 Verzeichnis der Tabellen............................................................ 19.6 Glossar...................................................................................... 19.7 Namenregister........................................................................... 19.8 Ortsregister................................................................................

XIII

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Vorwort Die folgende Darstellung der Lebenswelten jüdischer Menschen in der Markgrafschaft Baden-Baden geht auf die Dissertation zurück, die ich im Frühjahr 2009 an der Universität Basel vorgelegt habe. Für ihre Veröffentlichung hat die Stiftung Irene Bollag-Herzheimer in Basel in großzügiger Weise die Grundlage geschaffen. Prof. Heiko Haumann übernahm die Betreuung meiner Dissertation kurz vor dem Antritt seiner Professur an der Universität Basel. Kurz vor seiner Emeritierung war sie beendet. Das sei nicht erwähnt, um die Dauer der Arbeit zu unterstreichen. Der Hinweis kann aber die Geduld und Intensität der Beratung andeuten, die ich durch Prof. Haumann erfuhr. Sie und seine Ermunterungen waren für mich Zeichen einer bewundernswerten Pädagogik. Prof. Jacques Picard übernahm das Zweitgutachten für diese Dissertation und gab wie Prof. Haumann hilfreiche Anstöße für ihre verbesserte, jetzt veröffentlichte Fassung. Frau Hanna Meyer-Moses in Bremgarten (Schweiz), geboren in Karlsruhe, vertrieben aus Baden und aus der Vorhölle von Gurs gerettet, bekräftigte mich mit den Hinweisen auf Julius und Mina Roos und ihre Kinder Elisabeth und Helma auf dem Weg, Spuren ihrer ermordeten Verwandten und der jüdischen Gemeinde in Bühl nachzugehen; so entstand eine Arbeit fürs Leben. Sie wies mich auch auf Dr. Ehud Loeb in Jerusalem hin, der, 1934 in Bühl geboren, den Holocaust überlebte. Seine Mutter Julchen aus der Familie Schweitzer, die 250 Jahre in Bühl zuhause war, sein Vater Hugo Odenheimer, seine meisten Verwandten wurden ermordet – er begleitete mich über zwanzig Jahren nicht nur bei meiner Arbeit. An ihn, an seine Familie in Bühl und an seine Familie in Israel gingen in dieser Zeit viele Gedanken. Was entstand, lässt sich vielleicht als Herzlichkeit und freundschaftliche Zuneigung umschreiben. Ohne die übliche familiäre Rollenverteilung bei der Entstehung eines Buches auch nur anzudeuten zu wollen, nenne ich an erster Stelle Maria-Dorothee, die den Text so oft und gründlich korrigierend gelesen hat. Die Register des Buches entstanden durch ihre Mitarbeit. Ihr Verständnis und ihre Hilfe reichten weit über diese Beiträge hinaus. Christine korrigierte Teile der Arbeit, und Klaus Ulrich bewältigte immer wieder meine Fehler am PC. Zu denen, die mit freundschaftlichem Interesse meine Arbeit begleiten: Das bedeutete manche Aufmunterung. Ihnen und den namentlich Genannten gilt mein Dank, ebenso denen, die noch so sehr in der Gegenwart leben und dem oft Bedrückenden der Geschichte auf ihre besondere Weise Lebensfreude entgegenhalten. Vielleicht kann dieses Buch zu ihrer guten Zukunft beitragen – für Paula, Johannes, Lina und Juliane. Bühl, im Frühjahr 2011

Günther Mohr

1  Voraussetzungen und Zugänge für die Erforschung der Juden in der Markgrafschaft Baden-Baden 1.1  Der Stand der Forschung über die Markgrafschaft Baden-Baden von 1648 bis 1771 August Georg Simpert, Markgraf von Baden-Baden, starb am 21. Oktober 1771. Sein Land fiel, dem 1765 abgeschlossenen Erbvertrag folgend, an das Haus BadenDurlach – das Ende „einer verdämmernden Dynastie“.1 Die Markgrafschaft BadenBaden war wirtschaftlich rückständig gewesen, in der Verwaltung wenig effektiv, in politischer Hinsicht spätabsolutistisch, auf die Prachtentfaltung des Hofes orientiert, Baden-Durlach dagegen ökonomisch reformbetont, auf das Wohlergehen des Landes und der Bevölkerung ausgerichtet, das eine Land katholisch-konfessionell bestimmt, der Nachbar tolerant und aufgeklärt.2 Mit diesen Einschätzungen mag der Stand der historischen Forschung zusammenhängen: Sie widmete der Markgrafschaft Baden-Baden, von Markgraf Ludwig Wilhelm abgesehen, für die Jahre nach 1648 nur wenig Aufmerksamkeit. Die geringe Intensität, mit der sich die Forschung der Markgrafschaft in ihrer Spätzeit zuwandte, spiegelt sich in meist schmalen Darstellungen von Angehörigen der Dynastie des Landes. Von 1648 bis 1771 regierten vier Markgrafen und eine Markgräfin, die Regentin Sibylla Augusta. Markgraf Wilhelm herrschte bis 1677; eine vor mehr als dreißig Jahren erschienene Studie geht den konfessionellen Veränderungen in Teilgebieten des baden-badischen Besitzes während seiner Regierungszeit nach.3 Markgraf Ludwig Wilhelm, sein Enkel und Nachfolger, fand immer wieder Beachtung, ganz überwiegend wegen seiner militärischen Erfolge im kaiserlichen Dienst bei der Verteidigung des Reiches gegen die Osmanen und gegen Frankreich.4 „Distanz zum eigenen Land“, zur baden-badischen 1 Hansmartin Schwarzmaier, Baden, in: Meinrad Schaab und Hansmartin Schwarzmaier in Verbindung mit Dieter Mertens und Volker Press (Hg.), Handbuch der baden-württembergischen Geschichte, Bd. 2, Die Territorien im Alten Reich. Stuttgart 1995, S. 164–264, hierzu S. 233. 2 Hansmartin Schwarzmaier, Baden. Dynastie – Land – Staat. Stuttgart 2005, S. 153–161. 3 Hans-Joachim Köhler, Obrigkeitliche Konfessionsänderungen in Kondominaten. Eine Fallstudie über ihre Bedingungen und Methoden am Beispiel der baden-badischen Religionspolitik unter der Regierung Markgraf Wilhelms 1622–1777 (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte 110). Münster 1974. 4 Diese Aspekte stehen auch entschieden im Mittelpunkt bei Uwe A. Oster, Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden, Der „Türkenlouis“. Feldherr im Schatten von Prinz Eugen. Bergisch Gladbach 2001.

2 

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Voraussetzungen und Zugänge

Markgrafschaft, kennzeichnete jedoch die andere Seite seiner Herrschaft.5 Einzelne Aspekte seiner Regierung wurden zur Wiederkehr seines 300. Todesjahres untersucht und in einer knappen Überblicksdarstellung mit dem Titel „Ein badisches Intermezzo“ dargestellt.6 Wieder anderen Themen seiner Herrschaft ist eine weitere, gleichzeitig zu seinem 350. Geburtstag und zur Erinnerung an die Gründung der Residenz Rastatt erschiene Publikation gewidmet.7 Schließlich erschien zu einer Sonderausstellung in Rastatt anlässlich dieses Geburtstags ein Katalogband mit Beiträgen, die Markgraf Ludwig Wilhelms Jugend, seine Landesherrschaft und seine Wahrnehmung im 19. und 20. Jahrhundert thematisierten; die Verhältnisse in der Markgrafschaft selbst bleiben jedoch eher im Hintergrund dieser Darstellungen.8 Schlechte Lebensbedingungen für die Bevölkerung, eine schwere Belastung mit Steuern und keine Berücksichtigung ihrer politischen Interessen, so lässt sich nach einer neueren Übersicht über die badische Geschichte die Situation der Bevölkerung in der Markgrafschaft kennzeichnen.9 Markgräfin Sibylla Augusta, die Witwe des Markgrafen Ludwig Wilhelm, folgte ihm als Regentin nach. Ihr Leben wurde 1983 und zuletzt 2007 beschrieben.10 Zu ihrem 275. Todestag wurde ihr eine Ausstellung gewidmet mit einem Begleitband, in dem ihre Religiosität und ihre Einstellung zu den markgräflichen Juden wenigstens kurz thematisiert sind.11 Sie rettete das Land durch die Wirren des Spanischen Erbfolgekrieges. Deshalb und wegen ihrer sparsamen Regierungs 5 Armin Kohnle, Kleine Geschichte der Markgrafschaft Baden. Karlsruhe 2007, S. 138. 6 Rainer Brüning und Clemens Rehm (Hg.), Ein badisches Intermezzo? Die Markgrafschaft Baden-Baden im 18. Jahrhundert. Festgabe für Hertwig John. Karlsruhe 2005. 7 Stadt Rastatt (Hg.), Forum Geschichte 2005. 350. Geburtstag des Markgrafen Ludwig Wilhelm. 300 Jahre Residenzstadt Rastatt (Stadt Rastatt, Stadtgeschichtliche Reihe 9). Heidelberg 2005. 8 Christian Greiner, Die Jugend des „Türkenlouis“ (1655–1679). Erziehung, Bildung, Erfahrungen, in: Daniel Hohrat und Christoph Rehm (Hg.), Zwischen Sonne und Halbmond. Der „Türkenlouis“ als Barockfürst und Feldherr: Begleitband der Sonderausstellung zum 350. Geburtstag des Markgrafen Ludwig Wilhelm von Baden im Wehrgeschichtlichen Museum Rastatt vom 8. April bis 25. September 2005. Rastatt 2005, S. 12–21. Ders., Der „Türkenlouis“ als Landesherr, ebd. S. 42–55, und Christoph Rehm, Das Bild des Markgrafen im 19. und 20. Jahrhundert, ebd. S. 126–137. 9 Kohnle, Armin, Markgrafschaft Baden, S. 153. 10 Hans-Georg Kaack, Markgräfin Sibylla Augusta. Die große badische Fürstin der Barockzeit. Konstanz 1983, und Gerlinde Vetter, Zwischen Glanz und Frömmigkeit. Der Hof der badischen Markgräfin Sibylla Augusta. Gernsbach 2007. 11 Staatliche Schlösser und Gärten Baden-Württemberg (Hg.), Extra schön. Markgräfin Sibylla Augusta und ihre Residenz. Eine Ausstellung anlässlich des 275. Todestages der Markgräfin Sibylla Augusta von Baden-Baden. (Petersberg) 2008. Zur Religiosität und Einstellung zu den Juden Markus Zepf, Markgräfin Sibylla Augusta als Regentin, ebd., S. 26–41, hierzu S. 31f.

Der Stand der Forschung über die Markgrafschaft 

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weise gilt sie unbestritten als beeindruckende Herrscherin, obwohl auch ihre intolerante religiöse Haltung wahrgenommen wird.12 Die Markgrafen Ludwig Georg Simpert und sein Bruder und Nachfolger August Georg Simpert regierten zusammen immerhin 44 Jahre. Beide blieben fast unbeachtet; jeden erwähnt das Handbuch der baden-württembergischen Geschichte gerade ein Mal.13 Nur vereint mit den Markgrafen aus Baden-Durlach scheinen die baden-badischen Fürsten – mit dem Blick auf die Frühe Neuzeit – ein Ensemble zu bilden, das in den zwei zurückliegenden Jahrzehnten eine Betrachtung verdiente.14 Die beiden letzten Markgrafen aus der baden-badischen Linie stehen dabei am Rande: Für die Markgrafschaft unter ihrer Regierung – stellte Volker Press fest – „zeichnete sich unverkennbar das Ende ab.“15 Der eine von ihnen trat als „Jägerlouis“ hervor, der andere gilt deshalb als bedeutend, weil er kinderlos starb und damit die Vereinigung von Baden-Baden mit der Markgrafschaft Baden-Durlach ermöglichte.16 In der Überblicksdarstellung „Kleine Geschichte der Markgrafschaft Baden“ von Armin Kohnle wird Baden-Baden in der Zeit zwischen 1648 und 1771 sicher angemessen dargestellt, eben auf der nicht gerade sehr stabilen Basis der bisherigen Forschung. Auch die wirtschaftliche Situation des Landes wird nur nebenbei betrachtet. Ein Aufsatz von 2005 geht der Frage nach, wie sich das Konzept des Merkantilismus in Baden auswirkte; die Antworten beziehen sich im Wesentlichen auf Baden-Durlach.17 Auf dieser Basis ergibt sich das folgende Bild des Landes: Der Dreißigjährige Krieg hatte den Menschen in Baden wie im gesamten Oberrheingebiet fürchterliche Erfahrungen gebracht. Der Bevölkerungsverlust war so groß, dass erst um 1800 der Vorkriegstand wieder endgültig erreicht war. Zerstörungen und Ausplünderung hatten die Not alltäglich spürbar gemacht. Einer kurzen Phase des Wiederaufbaus folgten neue Kriege, die vom Gegensatz zwischen dem Reich und seinem westlichen Nachbarn bestimmt waren. Die Markgrafschaft trug schwer daran, dass Frankreich sich ausdehnte bis zum Rhein, sie war Frontstaat geworden war, und so hatte die Bevölkerung immer neu die Last der furagierenden Soldaten, der verwüsteten Felder, der Zerstörung von Dörfern und Städten zu tragen, zuerst im Pfälzischen, dann im Spanischen Erbfolgekrieg. Erst der Friede von Rastatt 1714 leitete eine Zeit ruhigerer Konsolidierung ein, allerdings wie12 Kohnle, Markgrafschaft Baden, S. 155f. 13 Schwarzmaier, Baden, in: Schaab und Schwarzmaier (Hg.), Handbuch der baden-württembergischen Geschichte, Bd. 2, S. 133 zu Ludwig Georg Simpert und S. 242 zu August Georg Simpert. 14 Volker Press, Die badischen Markgrafen im Reich der frühen Neuzeit, in: ZGO 142 (1994), S. 19–57. 15 Ebd., S. 46. 16 Kohnle, Markgrafschaft Baden, S. 156–159. 17 Heike Knortz, Baden im Zeitalter des Merkantilismus, in: ZGO 153 (2005), S. 481–516.

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Voraussetzungen und Zugänge

derholt beeinträchtigt vom Durchzug französischer und kaiserlicher Truppen, die das Land versorgen musste. Seit 1648 war die Markgrafschaft Baden-Baden „entschieden katholisch“, in einem allerdings abnehmenden Gegensatz zum protestantischen Baden-Durlach. Dies war eine der Voraussetzungen, dass das Land eines jener Territorien wurde, die in den „Sog des mächtig emporstrebenden Wiener Hofes“ gerieten, zumal es in seiner gegenüber Frankreich exponierten Lage auf den habsburgischen Rückhalt angewiesen war. Markgraf Leopold Wilhelm, ganz besonders Ludwig Wilhelm, dann seine Witwe und seine Söhne orientierten sich in ihrer Politik im Reich an Wien, allerdings nur mit wenigen Erfolgen, was territoriale Ausdehnung und Zunahme an politischem Gewicht betraf.18 Die wirtschaftliche Entwicklung litt darunter, dass in der baden-badischen Markgrafschaft energische Versuche zum Ausbau des Landes, im Gegensatz zu Baden-Durlach, unterblieben.19 Die Landwirtschaft – die Markgrafschaft blieb weitgehend ein Agrarstaat – hielt in ihrem Wachstum mit dem der Bevölkerung nicht mit. Diese litt unter dem Aufwand, der mit der repräsentativen Hofhaltung, Folge der politischen Ansprüche seit Markgraf Ludwig Wilhelm, und vor allem mit dem Bau der Residenz Rastatt einherging.20 All das, die vielen Kriegsjahre und der Mangel an wirtschaftlichen und finanziellen Ressourcen machte das Land am Ende zu einem „überschuldeten Kleinstaat“.21 Nach dem Urteil Friedrich von Weechs, einem wichtigen badischen Geschichtsschreiber am Ende des 19. Jahrhunderts, war dieser Teil Badens bei der Vereinigung mit Baden-Durlach „ein ziemlich verwahrlostes Land“.22 Wenn auch die kulturell-religiöse Entwicklung der Markgrafschaft kaum und erst recht nicht systematisch erforscht ist, so muss sie gerade im Zusammenhang mit dem thematischen Aspekt „Juden und Christen“ zumindest skizziert werden. Ohne Zweifel lässt sich die Markgrafschaft jenen Ländern zuordnen, die durch eine besondere katholische Barockkultur geprägt wurden, wie sie Peter Hersche dargestellt hat.23 Dies gilt vor allem für die Zeit der Regentschaft von Markgräfin Sibylla Augusta. Für sie lassen sich viele Kennzeichen der katholischen barocken Kultur erkennen, so die „Bauwut“ im sakralen Bereich. Der Sakralisierung des öffentlichen Raums lässt sich die Errichtung einer „Heiligen Stiege“ in der Schlosskirche zuordnen oder die Verwendung von besonders theatralischen Elementen bei der Kreuzprozession in Rastatt 1720, die der „Segneri-Methode“ entsprachen, benannt nach zwei italieni18 19 20 21

Press, Die badischen Markgrafen, in: ZGO 142 (1994), S. 45f. Ebd., S. 49. Knortz, Baden im Zeitalter des Merkantilismus, in: ZGO 153 (205), S. 514f. Schwarzmaier, Baden, in: Schaab und Schwarzmaier (Hg.), Handbuch der baden-württembergischen Geschichte, Bd. 2, S. 233. 22 Friedrich von Weech, zitiert nach Kohnle, Markgrafschaft Baden, S. 159. 23 Peter Hersche, Muße und Verschwendung. Europäische Gesellschaft und Kultur im Barockzeitalter. 2 Bände, Freiburg 2006.

Der Stand der Forschung über die ländlichen Juden 

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schen Patres, die sie einführten.24 Insgesamt löste die Markgräfin die relativ tolerante Haltung ihres Ehemannes ab und wandte sich einer religiösen Praxis zu, deren „bigotte Züge“ unverkennbar sind.25 Mit ihrer religiösen Einstellung scheint sie zumindest ihren Sohn Ludwig Georg geprägt zu haben, der „in der Frömmigkeitstradition seiner Mutter“ verblieb.26 Wieweit dadurch die Bevölkerung beeinflusst wurde, ist unklar. Die religiöse Orientierung der Markgräfin hatte jedenfalls, wie sich zeigen wird, Auswirkungen auf die Situation der Juden in der Markgrafschaft.

1.2  Der Stand der Forschung über die ländlichen Juden in der Markgrafschaft Baden-Baden bis 1771 In den eher summarischen und auf einen Überblick ausgerichteten Darstellungen der Markgrafschaft Baden-Baden und ihrer Dynastie bleiben Juden und Jüdinnen und ihr Zusammenleben mit den Christen weitgehend ausgespart. Wer sich der ländlichen jüdischen Bevölkerung in der Markgrafschaft zwischen 1648 und 1771 nähert, findet damit eine ähnliche Situation vor wie in der Forschung allgemein. „Die systematische Erforschung der Landjuden, ihrer Sozial- und Wirtschaftsgeschichte wie ihrer Kulturgeschichte, steht noch am Anfang.“27 Auf diese Forschungslage reagiert die vorliegende Untersuchung, die sich Fragen einer ländlichen Gesellschaft und Kultur in Südwestdeutschland zwischen 1648 und 1771 zuwendet. 24 Hersche, Muße und Verschwendung, Teilband I. Freiburg 2006, S. 532ff. zum Zusammenhang zwischen der von ihm beschriebenen Mentalität und dem Bauboom der Barockzeit; zum Teilaspekt „Heilige Stiege“ S. 564ff., zu den Patres Segneri S. 542ff. Zur Verwendung von Elementen der Segneri-Methode in Rastatt 1720 Sabine Hund, Politik, Andacht und Kunst. Die Reisen der Markgräfin Sibylla Augusta von Baden-Baden, in: Staatliche Schlösser und Gärten Baden-Württemberg (Hg.): Extra schön. Markgräfin Sibylla Augusta und ihre Residenz. Eine Ausstellung anlässlich des 275. Todestages der Markgräfin Sibylla Augusta von Baden-Baden. (Petersberg) 2008, S. 43–57, hierzu S. 57, Anmerkung 169. Zu den Sakralbauten in Rastatt und Umgebung Sigrid Gensichen, Die böhmische Heimat, in: Ebd., S. 11–25, hierzu S. 23–25, zur Heiligen Stiege dieselbe, Die Heilige Stiege und die Schosskirche zum Heiligen Kreuz an der Rastatter Residenz, in: Ebd., S. 75–89. 25 Zepf, Markus, Markgräfin Sibylla Augusta als Regentin, in: Staatliche Schlösser und Gärten Baden-Württemberg (Hg.), Extra schön. Markgräfin Sibylla Augusta und ihre Residenz. Eine Ausstellung anlässlich des 275. Todestages der Markgräfin Sibylla Augusta von Baden-Baden. (Petersberg) 2008, S. 26–41, hierzu S. 31. 26 Press, Die badischen Markgrafen, in: ZGO 142 (1994), S. 46. 27 Monika Richarz, Ländliches Judentum als Problem der Forschung, in: Monika Richarz und Reinhard Rürup (Hg.), Jüdisches Leben auf dem Lande. Studien zur deutsch-jüdischen Geschichte (Schriftenreihe wissenschaftlicher Abhandlungen des Leo Baeck Instituts 56). Tübingen 1997, S. 1–8, hierzu S. 7.

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Voraussetzungen und Zugänge

Lange war der umfassende Aufsatz „Zur Geschichte der Juden in der Markgrafschaft Baden-Baden“ von Johann Anton Zehnter28 aus dem Jahre 1896 die wichtigste Grundlage für die Geschichte der baden-badischen Juden, was die Zeit vor 1771 betrifft. Diese Untersuchung bezeichnete Uri Kaufmann mehr als 100 Jahren nach ihrer Veröffentlichung als „immer noch verwendbar“29 – ein Hinweis darauf, wie wenig sich Kenntnisstand und Forschungslage änderten. Die „Geschichte der badischen Juden seit der Regierung Karl Friedrichs (1738–1909)“ von Adolf Lewin30 und Berthold Rosenthals „Heimatgeschichte der badischen Juden“ (1927)31 widmeten sich den Jahren vor 1771 nur kursorisch; die Darstellung Rosenthals gilt noch immer als grundlegend32 – erneut ein Indiz für eine herausfordernde Forschungslage. Nach der Ermordung der Juden in Europa waren die Voraussetzungen für die Erforschung der jüdischen Geschichte in Baden – wie in den ersten zwei Jahrzehnten der Bundesrepublik insgesamt – nicht günstig. Viele Historiker an den Universitäten und ihr Publikum waren zumindest vor 1945 sozialisiert, wenn nicht sogar durch die Nähe zum Nationalsozialismus belastet und blieben so den Themen der jüdischen oder deutsch-jüdischen Geschichte gegenüber reserviert.33 Der Ost-West-Konflikt führte zu einer Aufwertung der beiden deutschen Staaten; auch das hemmte eine belastende Konfrontation mit dem Holocaust und wohl mit der ganzen jüdischen Geschichte in Deutschland.34 Zu den Veränderungen seit den späten sechziger Jahren, vor allem mit der Auseinandersetzung zwischen der jungen Generation und der vorhergehenden, gehörte eine Öffentlichkeit, die auf die jüdische Geschichte vor Ort aufmerksam wurde. Dazu trugen Reaktionen auf Selbstzeugnisse wie das Tagebuch von Anne Frank bei, auf Prozesse gegen die am Massenmord Beteiligten und auf Filme über die Verfolgung am Beispiel von einzelnen jüdischen Menschen oder Familien.35 28 J(ohann) A(nton) Zehnter, Zur Geschichte der Juden in der Markgrafschaft Baden-Baden, in: ZGO 50, NF 11 (1896), S. 337–441. 29 Uri R. Kaufmann, Zur Historiographie über die badischen Juden 1830 bis 1998, in: Manfred Bosch (Hg.), Alemannisches Judentum. Spuren einer verlorenen Kultur. Eggingen 2001, S. 549–557, hierzu S. 550. 30 Adolf Lewin, Geschichte der badischen Juden seit der Regierung Karl Friedrichs (1738– 1909). Karlsruhe 1909. 31 Berthold Rosenthal, Heimatkunde der badischen Juden seit ihrem geschichtlichen Auftreten bis zur Gegenwart. Bühl 1927 (ND Magstadt/Stuttgart 1981). 32 Ulrich Baumann, Zerstörte Nachbarschaften: Christen und Juden in badischen Landgemeinden 1862–1940 (Studien zur jüdischen Geschichte 7). Hamburg 2000, S. 252, Anm. 1. 33 Zum universitären Bereich in Baden Kaufmann, Zur Historiographie über die badischen Juden, in: Bosch (Hg.), Alemannisches Judentum, S. 552f. 34 Zu den Auswirkungen des Ost-West-Konfliktes auf die Einstellungen zum Holocaust Peter Novick, Nach dem Holocaust. Der Umgang mit dem Massenmord. Stuttgart 2001, S. 123–135. 35 Zur Entwicklung der Geschichtsschreibung über das Judentum in Deutschland Stefan Rohrbacher, Jüdische Geschichte, in: Michael Brenner und Stefan Rohrbacher (Hg.), Wis-

Der Stand der Forschung über die ländlichen Juden 

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Das hatte auch Folgen für die Geschichtsschreibung in Baden. Darstellungen der jüdischen Einwohnerschaft in einzelnen Orten des baden-badischen Kerngebietes gewannen für das 19. oder 20. Jahrhundert an Umfang und Qualität. Für die südlichsten Orte unter der Regierung der baden-badischen Markgrafen, für Friesenheim und Kippenheim36 in der Herrschaft Mahlberg, legte 1988 Jürgen Stude eine Übersicht vor, die in Anlehnung an den Aufsatz von Zehnter auch Fragen der Frühen Neuzeit berücksichtigte.37 Für Bühl wertete Michael Rumpf in einer kurzen Darstellung über die jüdischen Einwohner vom 16. bis zum 18. Jahrhundert ebenfalls die Quellen weiter aus, die der Veröffentlichung Zehnters zugrunde liegen.38 In ihrer Darstellung der jüdischen Einwohner und Gäste in Baden-Baden vor allem im 20. Jahrhundert weist Angelika Schindler auf die wenigen Schutzjuden hin, die sich um 1700 in der Residenz aufhielten.39 Im Zusammenhang mit seiner Ortsgeschichte von Kuppenheim widmete Gerhart Friedrich Linder der dortigen jüdischen Gemeinde einen besonderen Band;40 auch ihm diente die Untersuchung von Zehnter für die Zeit bis 1771 als wesentliche Grundlage. Für die ehemalige Residenz Rastatt gibt es keine neuere Beschreibung der Existenz jüdischer Einwohner während der Zeit um 1700. Die Geschichte Ettlingens von Rüdiger Stenzel geht auf die jüdischen Einwohner in diesem Zeitraum ein, ohne sie in einem systematischen Zusammenhang darzustellen.41 Jüdische Einwohner lebten auch in noch kleineren Orten unter der markgräflichen Herrschaft wie beispielsweise Stollhofen,42 ohne dass über sie für das 17. und 18. Jahrhundert viele Informationen vorlägen.43

36 37 38 39 40 41 42 43

senschaft vom Judentum. Annäherungen nach dem Holocaust. Göttingen 2000, S. 164– 176, hierzu besonders S. 166–170. Friesenheim und Kippenheim: Ortenaukreis. Jürgen Stude, Geschichte der jüdischen Gemeinde Kippenheim, in: Historischer Verein für Mittelbaden (Hg.), Schicksal und Geschichte der jüdischen Gemeinden. Ettenheim 1988, S. 322–362, hierzu S. 322. Michael Rumpf, Juden in Bühl während des 16., 17. und 18. Jahrhunderts, in: Stadt Bühl, Stadtgeschichtliches Institut (Hg.), Jüdisches Leben. Auf den Spuren der israelitischen Gemeinde in Bühl (Bühler Heimatgeschichte 15). Bühl 2001, S. 29–36. Angelika Schindler, Der verbrannte Traum. Jüdische Bürger und Gäste in Baden-Baden. Bühl 1992, hierzu S. 16f. Gerhard Friedrich Linder, Die jüdische Gemeinde in Kuppenheim, hg. von der Stadt Kuppenheim. Ubstadt-Weiher 1999, hierzu S. 24–29. Rüdiger Stenzel, Ettlingen vom 14.–17. Jahrhundert (Geschichte der Stadt Ettlingen 2), Ettlingen 1985 (Selbstverlag). Ders., Ettlingen von 1689–1815 (Geschichte der Stadt Ettlingen Bd. 3). Ubstadt-Weiher 1997. Stollhofen: Ortsteil von Rheinmünster, Landkreis Rastatt. Zu Stollhofen Franz Hundsnurscher und Gerhard Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart. Stuttgart 1968, S. 264.

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Voraussetzungen und Zugänge

Im überörtlichen Bereich bildeten sich für die Erforschung des Judentums regionale Schwerpunkte im Umkreis von Universitäten und Hochschulen, in Freiburg, Mannheim und Heidelberg.44 Für das Gebiet der ehemaligen Markgrafschaft Baden-Baden gilt aber noch immer, was für die historiographische Situation – mit dem Blick auf die Geschichte der jüdischen Einwohner – festgestellt wurde: Die „kurzen Impressionen“45 überwiegen. Weiterführende Fragen nach Entwicklungen und Zusammenhängen für dieses Gebiet in der Zeit von 1648 bis 1771 wurden nicht gestellt. Somit bietet die Forschungslage zu den baden-badischen Juden dieser Zeit eher das Bild kleiner und kleinster, miteinander nicht verbundener Inseln, deren Bewohner vor allem gezählt wurden und deren Lebensverhältnisse noch kaum sichtbar sind. Vielleicht kann die knappe Übersicht über die Geschichte der badischen Juden von Uri Kaufmann das Interesse an den Menschen jüdischen Glaubens im regionalen Zusammenhang verstärken; in die Welt der baden-badischen Juden vor 1771 speziell eröffnet sie nur wenige Einblicke.46

1.3  Zeit und Raum der Untersuchung Die territoriale und zeitliche Begrenztheit der Markgrafschaft Baden-Baden könnte es erleichtern, die Lebenswelten der jüdischen Bevölkerung zu rekonstruieren und zu untersuchen. Mit dem Jahr 1648 zu beginnen, liegt nahe. Hier soll nicht auf die allgemeine Frage eingegangen werden, inwiefern auch für die Markgrafschaft Baden-Baden der Westfälische Frieden den Anfang einer neuen Epoche bedeutete. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass nach 1648 die Quellenlage eine neue Dimension aufweist und damit eine Untersuchung dieser Zeit ermöglicht. Vor allem die Protokolle der baden-badischen Regierung bieten nach 1648 eine sich ständig verbreiternde Grundlage, von der aus auf die jüdischen Menschen und ihr Zusammenleben mit Christen geblickt werden kann. Das lässt sich an den Protokollen des Hofrats verdeutlichen. Der erste hier relevante Band beginnt mit Einträgen des Monats April 1648. Er endet mit dem Juli 1650.47 Bis 1679 folgen drei Bände mit nur teilweise überlieferten Protokollen. Erst der anschließende Band für das Jahr 1680 umfasst ein ganzes Jahr.48 Für 1769, dem letzten Jahr, für das die Protokolle des Hofrats vollständig überliefert sind, existieren drei Bände erheblich größeren Umfangs als die aus dem vorhergehenden 44 Kaufmann, Zur Historiographie über die badischen Juden, in: Bosch (Hg.), Alemannisches Judentum, S. 555. 45 Ebd., S. 557. 46 Uri R. Kaufmann, Kleine Geschichte der Juden in Baden. Karlsruhe 2007. Zu den badenbadischen Juden vor 1771 im Einzelnen S. 39–45. 47 GLAK 61/120 für die Jahre 1648–1650. 48 GLAK 61/125 HR für das Jahr 1680.

Zeit und Raum der Untersuchung 

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Jahrhundert.49 Zu den Protokollen des Hofrats und der Hofkammer kommen im 18. Jahrhundert, seit 1733 kontinuierlich erhalten, diejenigen des Geheimen Rats hinzu, teilweise bis auf vier Bände im Jahr anwachsend. Nochmals erweitert ist der Bestand der Protokolle mit den Gratialprotokollen ab 1754, in denen sich die Anliegen der Untertanen, auch der jüdischen, und die Reaktionen der Regierung niederschlugen. Wer gehört zu den Juden in der Markgrafschaft Baden-Baden? Die Antwort auf diese Frage hängt zunächst von der territorialen Grundlage der markgräflichen Herrschaft ab. Deren Gebiete zu bestimmen bereitet Schwierigkeiten. Einmal gilt, dass das baden-badische Territorium – wie auch das von Baden-Durlach – als „allzu zerrissen und viel zu klein“ angesehen wird.50 Die in dieser Kennzeichnung als positiv vorausgesetzte Geschlossenheit wies das baden-badische Gebiet nur dort auf, wo die als Kerngebiet oder Hauptterritorium51 geltenden Teile lagen – heute das mittelbadische Gebiet zwischen Ettlingen und der südlichen Grenze des Landkreises Rastatt. Nach 1648 ergaben sich noch territoriale Veränderungen, denen hier nicht im Einzelnen nachgegangen werden muss. Wesentlich ist, dass um 1700 zusätzlich zum Kerngebiet die Herrschaften Mahlberg und Staufenberg, die Grafschaft Eberstein und die Herrschaft Windeck von den baden-badischen Residenzen aus regiert wurden, ebenso als österreichische Lehen die Reichsfestung Kehl und die Landvogtei Ortenau. Mit dem Ende des Kondominats über die Vordere Grafschaft Sponheim 1707 wurden die Ämter Kirchberg, Koppenstein, Naumburg und Sprendlingen ganz badisch, während das Amt Kreuznach verloren ging.52 Die Stadt Gernsbach und deren Nachbarorte Scheuern und Staufenberg wurden bis 1660 von den baden-badischen Markgrafen und den Grafen von Eberstein, Lehnsträger des Hochstifts Speyer, als Kondominat regiert. Dann fiel an Speyer der ebersteinische Anteil zurück; als die zwanzigjährige Verpfändung des badenbadischen Anteils an die Markgrafschaft Baden-Durlach 1708 endete, standen diese Orte erneut unter dem Kondominat von Baden-Baden und Speyer.53 Die 49 GLAK 61/ 212, GLAK 61/213 und GLAK 61/214 für das Jahr 1769. Die Hofratsprotokolle für 1770 sind unvollständig überliefert. 50 Kurt Andermann, Zu Stand, Aufgaben und Problemen der Landesgeschichte in Baden, in: Werner Buchholz (Hg.), Landesgeschichte in Deutschland. Bestandsaufnahme – Analyse – Perspektiven. Paderborn 1998, S. 257–268, hierzu S. 257, mit der Wiedergabe einer Einschätzung durch Volker Press. 51 Von den baden-durlachischen und baden-badischen „Hauptterritorien“ spricht Volker Press, Die badischen Markgrafen, in: ZGO 142 (1994), S. 21. 52 Joachim Fischer, Territorialentwicklung Badens bis 1796, in: Historischer Atlas von Baden-Württemberg, hg. von der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden Württemberg. Stuttgart 1972–1988, Erläuterungen I, VI,1, S. 1–7; hierzu S. 4–6. 53 Hennl, Rainer, Gernsbach. Geschichte der Stadtteile bis zum Ende des Alten Reiches, in: Landesarchivdirektion Baden-Württemberg in Verbindung mit dem Landkreis Rastatt und

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Voraussetzungen und Zugänge

Herrschaften Lobositz und Schlackenwerth in Böhmen, das Erbe von Markgräfin Sibylla Augusta,54 gelangten ebenfalls in den Besitz des markgräflichen Hauses. Das elsässische Amt Beinheim blieb baden-badisch, geriet aber in den Jahrzehnten um 1700 immer eindeutiger unter die Oberherrschaft der französischen Krone. Aus forschungsökonomischen Gründen haben im Folgenden diejenigen Teile der markgräflichen Territorien zentrale Bedeutung, die heute zu Baden-Württemberg gehören; so liegt der Fokus der Untersuchung auf der Vorgeschichte dieses Landes. Jüdische Menschen oder Ereignisse in anderen baden-badischen Gebieten werden nur insofern beachtet, als für die markgräfliche Politik und für die auf ihrem Gebiet lebenden Menschen Wesentliches zu erkennen ist. Die Schutzjuden im Kerngebiet der Markgrafschaft bildeten vor allem für die Regierung eine Einheit. Ob und wie sie sich miteinander und mit anderen Juden verbunden sahen, muss die folgende Untersuchung klären. Eine andere Gruppe von Juden hielt sich nur zeitweise in der Markgrafschaft auf, im geschäftlichen Kontakt mit der Bevölkerung und mit dem Hof. Wieder andere Juden gehörten zu den „Betteljuden“,55 die sich ohne Schutzverhältnis auf der Suche nach irgendeinem Auskommen in der Markgrafschaft nur kurz aufhielten und zum raschen Weiterziehen gezwungen waren. Auch diese Gruppen werden in die Untersuchung einbezogen, z. B. unter der Fragestellung, wie sich die baden-badischen Juden zu ihnen verhielten.

1.4  Fragestellungen und historiographische Wege der Untersuchung 1.4.1  Landjuden In erster Linie geht es in der folgenden Untersuchung um Menschen, denen sich die historische Forschung mit der Bezeichnung „Landjuden“ oder „ländliches Judentum“ annähert. Den Juden in Deutschland, die lange in Städten lebten, brachte das späte Mittelalter mit der Vertreibung aus den Städten einen Bruch mit dieser Lebensweise. Das Land – Kleinstädte, Marktflecken, Dörfer, sogar dem Landesmedienzentrum Baden-Württemberg, Bd. 2. Stuttgart 2002, S. 95–126, hierzu S. 97. 54 Zu den durch die Heirat Markgraf Ludwig Wilhelms mit Sibylla Augusta erworbenen böhmischen Gebieten Sigrid Gensichen, Die böhmische Heimat, in: Staatliche Schlösser und Gärten Baden-Württemberg (Hg.), Extra schön, S. 13f. und S. 16. 55 „Betteljuden“: Arme, meistens schutzlose und umherziehende Juden und Jüdinnen. Der Ausdruck wird im Darstellungsteil in der Folge um der Kürze willen unkommentiert verwendet, obwohl er archivalisch pejorativ gebraucht ist.

Fragestellungen und historiographische Wege 

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Einzelsiedlungen – wurden zu Lebensorten von Juden; im Süden und Westen Deutschlands wurde dieses Milieu für die meisten jüdischen Menschen bis ins 17. Jahrhundert zu der ihr Leben prägenden „Existenznische“.56 Eine einfache Bestimmung, wer zu den „Landjuden“ zählt, existiert nicht. Monika Richarz, die seit langem die Erforschung der ländlichen Judenschaft vorantreibt, plädiert für einen offenen Gebrauch der Bezeichnung: Landjuden lebten da, wo Dörfer und kleine Städte agrarisch strukturiert waren, sogar in Orten mit bis zu 5000 Einwohnern.57 Entsprechen die Lebensorte der jüdischen Menschen in der Markgrafschaft Baden-Baden diesen Kriterien, sind sie Lebensorte von „Landjuden“? In allgemeiner Form bejaht Monika Richarz diese Frage, indem sie Baden generell zu den „klassischen Bereiche(n) jüdischer Siedlung auf dem Lande“ zählt.58 Baden-badische Schutzjuden lebten, wie aus der Tabelle I zu den Orten mit einem jüdischen Bevölkerungsteil (S. 12f.) zu sehen ist, allerdings in ganz unterschiedlichen Siedlungsformen: in den Residenzstädten Baden-Baden und Rastatt, in der „Handwerkerstadt“ Ettlingen, in Orten mit Stadtrecht und Markt, aber landwirtschaftlicher Prägung wie Kuppenheim, und in agrarisch bestimmten Dörfern wie etwa Malsch. Rastatt hatte am Ende des Untersuchungszeitraums am meisten Einwohner, ungefähr 2500. In Gernsbach und in Friesenheim lebten neben Katholiken auch Protestanten in größerer Zahl; genauere Analysen über die sozioökonomische Entwicklung dieser Orte liegen nicht vor. So bleibt nur die Feststellung: Die Schutzjuden lebten in Dörfern, Marktflecken und kleinen Städten, in Orten verschiedener Größe und sozioökonomischer Verhältnisse, mit Bauern, Ackerbürgern, Handwerkern, Handelsleuten, Beamten und Angehörigen der höfischen Gesellschaft. Über die in der folgenden Tabelle (S. 12f., Tabelle I) ausgewiesenen Orte hinaus gab es weitere wie Unzhurst oder Waldsteg, in denen vorübergehend jüdische Einwohner lebten. 1771 dürfte es im baden-badischen Gebiet zwischen Ettlingen und Friesenheim ungefähr 60 jüdische Haushaltungen gegeben haben; die Bevölkerungszahl belief sich hier auf erheblich weniger als 100  000 Einwohner, wenn die linksrheinischen Gebiete unberücksichtigt bleiben. Bei einer Zahl von 5 oder 6 Personen in einem Haushalt betrug der Anteil der jüdischen Bevölkerung einiges unter 1 Prozent, wenn er nicht sogar eher bei einem halben Prozent lag.59 56 Stefan Rohrbacher, Stadt und Land: Zur „inneren Situation“ der süd- und westdeutschen Juden in der Frühneuzeit, in: Richarz und Rürup (Hg.), Jüdisches Leben auf dem Lande, S. 37–58, hierzu S. 37f., Zitat S. 37. 57 Monika Richarz, Ländliches Judentum als Problem der Forschung, in Richarz und Rürup (Hg.), Jüdisches Leben auf dem Lande, S. 5. 58 Ebd. 59 Kohnle, Markgrafschaft Baden, S. 187, gibt für das 1771 vereinigte Baden 257 000 Einwohner an, eingeschlossen 27 000 linksrheinische; Schwarzmaier, Baden, in: Schaab und

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Voraussetzungen und Zugänge

Tabelle I: Orte mit einem jüdischen Bevölkerungsanteil in einem längeren   Zeitraum, 175560 Ort

Einwohner Zahl (Jahr)61

Rechtliche und wirtschaftlich-soziale Besonderheiten

Baden-Baden

2100 (1772)62

Rastatt

2500 (1771)64

Ettlingen

400 (1689)67

Stadtrecht, Residenz bis 1705, Markt, Gastgewerbe und Badebetrieb, Handwerk und Gewerbe Stadtrecht 1700,65 Residenz seit 1705;66 Markt, verstärkt Gewerbe und Handel Residenz v. a. von Markgräfin Sibylla Augusta ab 1727, Stadtrecht, Markt, zeitweise „Handwerkerstadt“,68 auch Landwirtschaft

Zahl der Schutzjuden oder -witwen –63 6 2

61,62,63,64,65,66,67,68,

60 61 62 63

64

65 66 67 68

Schwarzmaier (Hg.), Handbuch der baden-württembergischen Geschichte, Bd. 2, S. 242, gibt 174 000 Einwohner an. Der Mittelwert beträgt 205.500 Einwohner. Für die Markgrafschaft Baden-Baden, einschließlich der linksrheinischen Teile, gibt Julia Maurer zu 1771 ungefähr 100 000 Einwohner an (Julia Maurer, Baden, in: Karl Härter und Michael Stolleis, (Hg.), Repertorium der Policeyordnungen der frühen Neuzeit, Bd. 4, Baden und Württemberg, hg. von Achim Landwehr und Thomas Simon (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 139). Frankfurt/M 2001, S. 1–35, hierzu S. 5f. Die Angabe der Zahl der Schutzjuden nach GLAK 74/7272, „Designation Über die in nachbemelten Ämteren sich befindtlichen Judten und deren Vermögen, 1755“, o. D. Wie alle Bevölkerungsangaben in der vorstatistischen Zeit handelt es sich bei den Einwohnerzahlen der einzelnen Orte um ungefähre Angaben. Kurt Andermann, Geschichte der Stadt Baden-Baden bis 1806, in: Landesarchivdirektion Baden-Württemberg in Verbindung mit der Stadt Baden-Baden (Hg.), Der Stadtkreis Baden-Baden. Sigmaringen 1995, S. 104–138, hierzu S. 128. Für Baden-Baden sind spätestens ab 1681 jüdische Einwohner nachweisbar (Schindler, Der verbrannte Traum, S. 16); nach dem Tod des zeitweiligen Judenoberschultheiß Samson Schweitzer gab es dort keine jüdischen Einwohner mehr. Zu Samson Schweitzer als Judenschultheiß siehe S. 269ff. Hank, Peter, Stadtgründer: Markgraf Ludwig Wilhelm und die „zweite Gründung“ Rastatts, in: Stadt Rastatt (Hg.), Forum Geschichte 2005: 350. Geburtstag des Markgrafen Ludwig Wilhelm. 300 Jahre Residenzstadt Rastatt (Stadtgeschichtliche Reihe 9). Heidelberg 2005, S. 91–109, hierzu S. 94. Gerhard Friedrich Linder, Chronik einer Stadt, hg. von der Stadt Kuppenheim. Ubstadt-Weiher 1999, S. 195 (bei der Hochrechnung von 96 Familien mit angenommenen 5 Personen je Familie). Ebd., S. 104. Ebd., S. 106. Stenzel, Ettlingen von 1689–1815, S. 30. Ebd., S. 15.

Fragestellungen und historiographische Wege  Ort

Einwohner Zahl (Jahr)61

Rechtliche und wirtschaftlich-soziale Besonderheiten

Gernsbach

986 (1721)69

1

Kuppenheim

480 (1701)70

Stadtrecht, Markt, Handwerk, Landwirtschaft und Holzhandel Stadtrecht, Markt, Landwirtschaft

Stollhofen

430 (1768)71

1

Bühl

1000 (1765)72

Stadtrecht, Markt, Landwirtschaft, ansatzweise Handel und anderes Gewerbe Markt, Landwirtschaft und Gewerbe

Durbach



Landwirtschaft

2

Friesenheim



Landwirtschaft

7

Hörden

120 (1683)74

Landwirtschaft, Holzhandel

1

Kippenheim

886 (1720)

75

Markt, Landwirtschaft

Malsch

200 (1689)

76

Landwirtschaft

6

Muggensturm

400 (1683)77

Landwirtschaft

3

73

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13

Zahl der Schutzjuden oder -witwen

8

15

10

69, 70,71,72,73,74,75,76,77

69 Rainer Hennl, Gernsbach im Murgtal: Strukturen und Entwicklung bis zum Ende des badisch-ebersteinischen Kondominats im Jahre 1660, Stuttgart 2006 (Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg: Veröffentlichungen der Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg 165), S. 268. 70 Gerhard Friedrich Linder, Chronik einer Stadt, hg. von der Stadt Kuppenheim. UbstadtWeiher 1999, S. 195 (bei der Hochrechnung von 96 Familien mit angenommenen 5 Personen je Familie). 71 Kurt Andermann, Rheinmünster. Geschichte der Gemeindeteile bis zum Ende des Alten Reiches, in: Landesarchivdirektion Baden-Württemberg in Verbindung mit dem Landkreis Rastatt und dem Landesmedienzentrum Stuttgart (Hg.), Der Landkreis Rastatt, Bd.  2. Stuttgart 2002, S. 440–458, hierzu S. 457. 72 Suso Gartner, Bühl. Geschichte der Stadtteile bis zum Ende des Alten Reiches, in: Landesarchivdirektion Baden-Württemberg in Verbindung mit dem Landkreis Rastatt und dem Landesmedienzentrum Stuttgart (Hg.), Der Landkreis Rastatt, Bd. 1. Stuttgart 2002, S. 401–440, hierzu S. 414. 73 Zu Durbach und Friesenheim scheinen keine entsprechenden Bevölkerungszahlen vorzuliegen. 74 Kurt Andermann, Gaggenau. Geschichte der Stadtteile bis zum Ende des Alten Reiches, in: Landesarchivdirektion Baden-Württemberg in Verbindung mit dem Landkreis Rastatt und dem Landesmedienzentrum Stuttgart (Hg.), Der Landkreis Rastatt, Bd. 2. Stuttgart 2002, S. 25–49, hierzu S. 34. 75 Erich Hentschke, Aus der Geschichte der evangelischen Pfarrgemeinde Kippenheim, in: Albert Köberle, Klaus Siefert und Hans Scheer (Hg.), Ortssippenbuch Kippenheim, Ortenaukreis. Grafenhausen 1779 (Selbstverlag), S. 38–44, hierzu S. 42. 76 Lore Ernst, Die Geschichte des Dorfes Malsch. Malsch 1954, S. 139. 77 Clemens Rehm, Muggensturm. Geschichte bis zum Ende des Alten Reiches, in: Landesarchivdirektion Baden-Württemberg in Verbindung mit dem Landkreis Rastatt und dem

14 

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Voraussetzungen und Zugänge

1.4.2  Zugänge zur Erforschung des Landjudentums Was über den Zustand der Forschung über die baden-badischen Juden gesagt wurde, gilt nicht für alle Gebiete, in denen im Alten Reich jüdische Menschen lebten. Zwar gilt sicher noch die Klage dem „nach wie vor dürftig bearbeiteten. Forschungsfeld“ jüdischer Existenz in der Frühen Neuzeit.78 Dennoch: Veröffentlichungen über „die bisher unterbelichtete Epoche der Frühen Neuzeit“ nehmen zu, auch solche, welche die Existenz der Juden auf dem Lande in den Blick der Forschung rücken. Zwei unter ihnen sind für die folgende Untersuchung richtungsweisend, „Shulamit und Margarete“ von Claudia Ulbrich aus dem Jahre 1998 und Sabine Ullmanns „Nachbarschaft und Konkurrenz“ von 1999. Claudia Ulbrich untersuchte Lebenswelten in Steinbiedersdorf (Pontpierre) südöstlich von Metz, im Grenzgebiet zwischen Deutschland und Frankreich. Sie rekonstruierte das Leben jüdischer Frauen, um den Zusammenhang von „Macht, Geschlecht, Religion“ zu analysieren, mit Zugängen der Mentalitätengeschichte und der Sozialgeschichte und einem mikrohistorischen Vorgehen. Dem dörflichen Leben von Juden und Jüdinnen ging Sabine Ullmann nach, dabei die rechtlichen und innerjüdischen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen integrierend wie auch das Verhältnis zwischen der jüdischen und christlichen Gesellschaft. Dem Verhältnis der beiden Gesellschaften näherte sie sich für die historische Markgrafschaft Burgau, einer Region zwischen Ulm und Augsburg, ebenfalls auf der Basis neuerer historiographischer Entwicklungen, etwa der Randgruppenforschung, der Alltagsgeschichte, der Historischen Anthropologie und der modernen Kulturgeschichte.79 In beiden Darstellungen geht es um die Perspektive auf konkrete Lebensverhältnisse jüdischer Menschen in der Endphase des Alten Reiches. Die Untersuchung des Lebens der Juden in der Markgrafschaft Baden-Baden zwischen 1648 und 1771 bezieht sich wie die über die Juden in der Markgrafschaft Burgau auf eine Region und nähert sich dabei individuellen Schicksalen wie die Untersuchung über die jüdischen Frauen in Steinbiedersdorf. In der Vorgehensweise folgt sie dem Konzept der Lebenswelten, das an der Universität Basel unter der Leitung von Heiko Haumann theoretisch begründet wird und das zu Landesmedienzentrum Stuttgart (Hg.), Der Landkreis Rastatt, Bd. 2. Stuttgart 2002, S. 275–279, hierzu S. 278. 78 Rotraud Ries, Hofjuden – Funktionsträger des absolutistischen Territorialstaates und Teil der jüdischen Gesellschaft. Eine einführende Positionsbestimmung, in: Rotraud Ries und J. Friedrich Battenberg (Hg.): Hofjuden – Ökonomie und Interkulturalität. Die jüdische Wirtschaftselite im 18. Jahrhundert (Hamburger Beiträge zur Geschichte der deutschen Juden 25). Hamburg 2002, S.11–39, hierzu S. 12. 79 Sabine Ullmann, Nachbarschaft und Konkurrenz. Juden und Christen in Dörfern der Markgrafschaft Burgau 1650 bis 1750 (Veröffentlichungen des Max-Plank-Instituts für Geschichte 151). Göttingen 1999, hierzu S. 19–21.

Fragestellungen und historiographische Wege 

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einer Reihe von Darstellungen zur jüdischen Geschichte in Osteuropa und in der Region um Basel geführt hat. Der Begriff der Lebenswelt zielt dabei auf die „Schnittstelle“, an der sich das Leben der Individuen und die überpersönlichen Strukturen, die auf sie einwirken und doch auch wieder durch die einzelnen Akteure beeinflusst werden, miteinander verbinden. Dabei stehen die Perspektiven der einzelnen Akteure im Vordergrund, der Individuen, die sich mit den Strukturen oder Systemen auseinandersetzen und mit denjenigen, die in den Systemen handeln. So werden die Einstellungen, Werte und Normen, die Deutungsmuster rekonstruiert, die den Individuen eigen sind. Wer diese wahrnimmt, kann ein Gespräch, eine Auseinandersetzung führen mit den Menschen, deren Leben auf diese Weise in Erinnerung gebracht wird. Die Fortführung dieses Gesprächs in die Gegenwart kann damit auch das zeitgenössische Verhältnis zwischen den Einzelnen und den strukturellen Ordnungen in Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und in den kulturellen Bereichen insgesamt beeinflussen.80 Bei dieser Zielsetzung für eine Untersuchung über die jüdischen Menschen in der Markgrafschaft Baden-Baden muss zunächst einmal geklärt werden, welche jüdischen Einwohner es in ihr überhaupt gab. Das geschieht im Kapitel über die Schutzaufnahmen. In den folgenden Kapiteln geht es dann um ihre wirtschaftlichen Aktivitäten, um die Beziehungen zur christlichen Mehrheit, um Kooperation und Konflikte, um das Recht und die Religion, aber auch um die staatlichen Voraussetzungen des Lebens von Juden und Jüdinnen. Immer sollen, soweit möglich, die subjektiven Perspektiven, Mentalitäten und Verhaltensweisen rekonstruiert werden. Was Juden z. B. auf ökonomischem Gebiet bewirkten, wirkte auf ihre sozialen Verhältnisse und auf ihr Verhalten zurück: Innerhalb der jüdischen Minderheit, aber auch in ihren Beziehungen zu den christlichen Einwohnern waren so die Verhältnisse in dauernder Veränderung. Diese Prozesse waren stark von der Regierung beeinflusst, eingeschlossen die Landesherrschaft in der Person des jeweiligen Markgrafen und der Markgräfin Sibylla Augusta und die Spitze der Hofgremien. Um die Veränderungsprozesse übersichtlich darzustellen und weil sie stark durch die Individuen an der Spitze des frühneuzeitlichen Staates bestimmt wurden, folgt die Untersuchung in manchen Teilen ihren Herrschaftszeiten. 80 Zum lebensweltlichen Zugang zur Geschichte Heiko Haumann, Lebensweltlich orientierte Geschichtsschreibung in den Jüdischen Studien: Das Basler Beispiel, in: Klaus Hödl (Hg.), Jüdische Studien. Reflexionen zu Theorie und Praxis eines wissenschaftlichen Feldes (Schriften des Centrums für Jüdische Studien 4). Innsbruck 2003, S. 105–122, hierzu vor allem S. 114–118, und ders., Geschichte, Lebenswelt, Sinn. Über die Interpretation von Selbstzeugnissen, in: Brigitte Hilmer, Georg Lohmann und Tilo Wesche (Hg.), Anfang und Grenzen des Sinns. Für Emil Angehrn. Weilerswist 2006, S. 42–54, vor allem S. 48–54.

16 

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Voraussetzungen und Zugänge

Für die Ziele der folgenden Untersuchung hat die Auswertung der Regierungsprotokolle eine besondere Bedeutung. Der Blick auf die Landesherrschaft, der den jüdischen Einwohner eigen war, und ihre Versuche, die Landesherrschaft zu beeinflussen, lassen sich gerade mit diesen Protokollen rekonstruieren, die im Geheimen Rat, im Hofrat und in der Hofkammer entstanden. Dies gilt auch für die Beziehung zwischen der christlichen Bevölkerung und ihrer Regierung und zwischen Christen und Juden: In zahlreichen Suppliken, die ihren Niederschlag in den Protokollen fanden, werden diese Beziehungen, Vorstellungen und Mentalitäten erkennbar. Akten, die auf der Ebene der Regierung, der Ämter und der ländlichen Städte, Marktflecken und Ortschaften entstanden sind, gingen zum Teil und in resümierender Weise in die Regierungsprotokolle ein, blieben zum Teil auch in selbständiger Überlieferung erhalten. Soweit möglich, werden diese Überlieferungsstränge miteinander verknüpft. Der frühneuzeitliche Staat bot jüdischen Menschen Lebenschancen, wenn auch nur in einem eingeschränkten Rahmen. Wie verhandelten Christen und Juden über diese Chancen? Der Staat räumte sie ein, um sich selbst einen Nutzen zu verschaffen, einem Land, das die Entwicklung dringend brauchte. Damit mündet die Frage nach den Lebenschancen in einen umfassenderen Zusammenhang ein. Wie wurde in den Prozess der Entwicklung die jüdische Minderheit wenigstens soweit integriert, dass sie Nutzen bringen konnte? Oder noch genauer mit Blick auf die Mentalitäten formuliert: Welche mentalen Dispositionen bei der Mehrheitsbevölkerung und bei der Minderheit lassen sich feststellen, die zur Entwicklung beitrugen oder sie erschwerten, vielleicht sogar verhinderten? Oder allgemeiner: Wie kann das Nebeneinander oder Miteinander von Mehrheit und Minderheit zu einer Ressource für ein Land werden? Indem sie diesen Fragen nachgeht, folgt die vorliegende Untersuchung Impulsen, die von der Gegenwart im vereinigten Deutschland und im sich neu gestaltenden Europa ausgehen.81 Welche historiographischen Richtungen oder welche Quellen auch immer verwendet werden, um das Leben der jüdischen Menschen im konfliktreichen Zusammenleben mit der nichtjüdischen Mehrheit zu erhellen, das Leben einzelner Menschen gerade aus den „unteren“ Bevölkerungsteilen steht im Vordergrund der folgenden Untersuchung. Insofern geht es um die „kleinen Lebenswelten“ und die „kleinen Bereiche“ und ihre Menschen, welche die Mikro-Geschichte und die Alltagsgeschichte bevorzugen.82 81 Zu neuen Fragestellungen der Geschichtswissenschaft in diesen Zusammenhängen Winfried Schulze, Einleitung, in: Ders. (Hg.), Sozialgeschichte, Alltagsgeschichte, Mikro-Historie. Eine Diskussion. Göttingen 1994, S. 6–18, hierzu S. 14. 82 Hans Medick, Mikro-Historie, in: Winfried Schulze (Hg.), Sozialgeschichte, Alltagsgeschichte, Mikro-Historie. Eine Diskussion. Göttingen 1994, S. 40–53, hierzu S. 43.

Fragestellungen und historiographische Wege 

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1.5  Reflexivität Dass gerade die Markgrafschaft Baden-Baden zum regionalen und staatlichen Rahmen dieser Untersuchung wurde, hängt mit der dargestellten forschungsgeschichtlichen Situation zusammen, mit den Lücken in unseren Kenntnissen über dieses Gebiet. Eine selbstreflexive Forschung bedenkt aber auch lebensgeschichtliche Umstände der Forschenden mit.83 Für mich und die Entstehung der folgenden Untersuchung gilt, was Uri Kaufmann allgemein über die Forschungsentwicklung in Baden ausführte, nämlich dass lange von den Universitäten wenige Anstöße zum Kontakt mit der jüdischen Geschichte ausgingen.84 1972 kam ich nach Bühl. Hier, in einem Ort der ehemaligen Markgrafschaft Baden-Baden, hatte über Jahrhunderte hinweg eine jüdische Gemeinde existiert. Noch lag 1972 das Grundstück der ehemaligen Synagoge brach. Die naive Annahme, dass die wissenschaftliche Forschung sich der jüdischen Geschichte in der Region oder in einem Ort wie Bühl bereits angenähert hätte, stellte sich als Irrtum heraus. Im Jahr 1988, 50 Jahre nach dem Pogrom von 1938, richtete sich das öffentliche Interesse verstärkt auf lokales Geschehen, wie anderswo so auch in Bühl. Drei Schülerinnen und ich als Lehrender – wir stellten uns die Frage, was mit Schülern und Schülerinnen unserer eigenen Schule und an unserem Lebensort geschehen war; für die Schülerinnen war es ein Blick auf Kinder und Jugendliche in ihrem Alter, die so alt waren wie 1988 meine Kinder. Die erste Suche nach Akten führte auf das Rathaus in Bühl und zur Aufforderung, das „alte Zeug“ doch im Keller des Rathausturms, dem Turm der ehemaligen christlichen Kirche, liegen zu lassen. Die Geschichte jüdischer Kinder85 führte zur Hilfe Heiko Haumanns, der zu dieser Zeit von Freiburg aus die regionale Forschung anregte.

83 Ute Daniel, Quo vadis, Sozialgeschichte? Kleines Plädoyer für eine hermeneutische Wende, in: Winfried Schulze (Hg.), Sozialgeschichte, Alltagsgeschichte, Mikro-Historie. Eine Diskussion. Göttingen 1994, S. 54–64, hierzu S. 57, Gert Dressel, Historische Anthropologie. Mit einem Vorwort von Michael Mitterauer. Eine Einführung. Wien 1996, S. 179 und Haumann, Geschichte, Lebenswelt, Sinn, in: Hilmer u. a. (Hg.), Anfang und Grenzen des Sinns, S. 51f. 84 Kaufmann, Zur Historiographie über die badischen Juden, in: Bosch (Hg.), Alemannisches Judentum, S. 554. 85 Günther Mohr und Schülerinnen des Windeck-Gymnasiums Bühl, „Helma Roos starb in Auschwitz“. „Martin L. musste seine Heimat verlassen“. „Der Volkszorn gibt ein Schauspiel. Die Reichskristallnacht in Bühl“, in: „Acher und Bühler Bote“. Bühl, 9.11.1988, S. 14–15.

18 

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Voraussetzungen und Zugänge

Aus dem Schicksal des letzten jüdischen Kindes, das in Bühl zur Welt kam,86 entwickelte sich die Erzählung von dessen Familie, die fast dreihundert Jahre hier gelebt hatte.87 Diese Geschichte und das Projekt einer Gesamtdarstellung der jüdischen Menschen in ihrem Zusammenleben mit den christlichen Einwohnern in Bühl stieß auf die zunächst rätselhaften Verhältnisse der Markgrafschaft BadenBaden. Der lokalgeschichtliche Ansatz erforderte die Erweiterung des Blickes in die Regional- und Landesgeschichte, von der das Verständnis der Vorgänge des Ortes abhängt.88 Der Reiz einer historisch kaum erschlossenen frühneuzeitlichen Region und Herrschaft verführte zum Projekt „Jüdische Lebenswelten in der Markgrafschaft Baden-Baden“. Währenddessen lässt die Geschichte der Beziehungen zwischen den jüdischen und christlichen Einwohnern in Bühl auf sich warten. Tausende Nachlassakten, in denen sich die Beziehungen zwischen Juden und Christen in der Region um Bühl spiegeln, warten auf die Darstellung ihrer Inhalte. Ebenso das Leben des Hoffaktors Marum Wolf aus Bühl und die Leistungen seiner Erben für die kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung ihres Lebensortes und die Darstellung dessen, was sie zur Emanzipation der badischen Juden beitrugen. Geschichte als wissenschaftliche Annäherung an Vergangenes lässt sich umschreiben als Gegenteil von Erinnerung, bewirkt die Distanz des Historikers. Geschichte als Form der Erinnerung zielt auf das Eigene in der Vergangenheit, kann so auch Nähe begründen.89 Wo ich lebe, nahe von Haus und Garten, liegen Trümmer der Bühler Synagoge seit 1938 vergraben. Zu den Menschen, die zu ihr gehörten, kann die Wissenschaft Distanz erhalten, Nähe will sie in Erinnerung bewahren.

86 Günther Mohr, „Deportation in Bühl. Ein jüdischer Bürger fehlt auf der Liste. Herbert Odenheimer sagt bitter: „Ich existiere nicht“, in: „Acher und Bühler Bote“. Bühl, 19./20.11.1991, S. 23. 87 Günther Mohr, Die Kinder des „Jud Schweitzer“. Eine Familiengeschichte, in: Stadt Bühl (Hg.), Geschichte der Stadt Bühl, Bd. 2, 1848 –1973. Bühl 1993, S. 389–428. 88 Ludwig Holzfurtner, Landesgeschichte, in: Michael Maurer (Hg.), Aufriß der Historischen Wissenschaften, Bd. 2: Räume. Stuttgart 2001, S. 348–414, hierzu S. 350. 89 Jan Assmann, Geschichte und Gedächtnis. Moderne Theorien und alte Ursprünge, in: Michael Brenner und David N. Myers (Hg.), Jüdische Geschichtsschreibung heute. Themen, Positionen, Kontroversen; ein Schloss Elmau-Symposion. München 2002, S. 95–104, hierzu S. 96f.

2  Hayum Flörsheim: Judenschultheiß, Lieferant von Juwelen, Admodiator 2.1  Der Aufstieg „Dochtermann“ des zeitweiligen jüdischen Schultheißen Mathias Schweitzer1 wurde er 1706 genannt, bei seinem wohl ersten Eintrag in die baden-badischen Akten.2 Seinen Namen „Haimb“3 verzeichneten dann 1709 zwei Kammerräte, als sie feststellten, dass er Spezereien4 an den Hof in Rastatt geliefert hatte, im Auftrag seines Schwiegervaters.5 Wie vorher sein Schwiegervater und später sein Schwager Samson Schweitzer6 gelangte Hayum Flörsheim in eine Führungsposition unter den markgräflichen Schutzjuden. 1711 kam es zur Wahl ihrer drei Schultheißen;7 einer von ihnen war Hayum.8 Im Juli des gleichen Jahres wurde der Judenschultheiß Hayum zum ersten Mal auch mit seinem zweiten Namen Flörsheim genannt.9 Sein Aufstieg unter den baden-badischen Juden und seine wirtschaftlichen Beziehungen zum Hof endeten 1729, als er aus der Markgrafschaft floh.10 Bis dahin sah es aus, als ob er sich, integriert in die jüdische Gesellschaft, mit der christlichen Gesellschaft in einer Vielzahl von – sicher fragilen – Beziehungen befunden hätte. Dies legt nahe, mit ihm die Lebensabrisse jüdischer Menschen zu 1 Zu Matz Schweitzer siehe besonders S. 179ff. 2 GLAK 74/3711, Amtsschreiber Baumeister an die Hofkammer, 6.7.1706. 3 Bei Hayum Flörsheim und im Folgenden bei den anderen Juden und Jüdinnen sind hier diejenigen Namen verwendet, die in den Archivalien am häufigsten verwendet werden. Namen in der Darstellung und in den Quellen können sich deshalb unterscheiden. Namensvarianten sind angegeben, wenn sie stark von der häufig verwendeten Form abweichen. Um der Einheitlichkeit willen wurden die jüdischen Namen nicht in der hebräischen Form rekonstruiert, auch wo das möglich gewesen wäre. Bei manchen Familien existierten schon früh feste zweite Namen, gleichzeitig wurde bei anderen Familien wie im Hebräischen der zweite Namen, der Vatername, in der nächsten Generation wieder als erster Name des (ältesten) Sohnes verwendet. 4 Spezereien: meistens eingeführte Waren wie Gewürze, Kaffe u. a. 5 GLAK 74/6982, Kammerräte Johann Dyhlin und Frantz Reinhard Wenger, 6.3.1709, Bl. 15r–v. 6 Zu Samson Schweitzer als Judenoberschultheiß siehe S. 431ff. 7 GLAK 61/139 HR 24.3.1711. 8 GLAK 61/139 HR 30.6.1711. 9 GLAK 61/139 HR 23.7.1711. 10 Zur wirtschaftlichen Verbindung Hayum Flörsheims mit dem Hof siehe S. 22f. und S. 29ff., zu seinem Bruch mit der Regierung und seiner Flucht siehe S. 33ff.

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Hayum Flörsheim

beginnen, deren Chancen im Spannungsfeld zwischen christlicher Mehrheitsgesellschaft und jüdischer Gesellschaft untersucht werden sollen. Seine Tochter11 gab die Verbindung zu ihrer Herkunftsgesellschaft auf. Sie scheiterte jedoch beim Versuch, einen festen Platz in der christlichen Gesellschaft einzunehmen. Um 1752 verließ sie, 23 Jahre nach ihrer Konversion, die Markgrafschaft, als Ziel Ungarn angebend, woher ihr Vater gekommen war. Die Frage nach den Möglichkeiten eines Lebens im Wechsel zwischen den Gesellschaften, in Abhängigkeiten und in Versuchen von Selbstbewahrung, werden an „Hayumbs Tochter“ besonders deutlich. In dieser Frage erhält die Erzählung über ihr Leben und das der anderen, um die es hier geht, ihren „Gesichtspunkt“,12 ihre einheitliche Perspektive. Ihr Weg mit seinen vielen Hindernissen wird am Schluss dargestellt – als ein Weg, der in der Endzeit der Markgrafschaft Ausblicke darauf eröffnet, wie die Alternative zum jüdischen Leben verlief und wie weit noch Menschen jüdischer Herkunft von einer Integration in die Mehrheitsgesellschaft entfernt waren. Hayum Flörsheim wurde in Kormorn an der Donau (Kormárom, Ungarn, Komárno, Slowakei) im Norden des damaligen Ungarn geboren.13 1706 lebte er in Rastatt: Ein Amtsbericht aus diesem Jahr führte nach Mathias Schweitzer mit seiner Frau Riffka und seinem Sohn einen „Dochtermann“ auf, zusammen mit seiner Frau, zwei Söhnen und einem weiteren „Kindt“, dazu einer Magd. Der Schwiegersohn von Mathias Schweitzer, so informierte der Amtsschreiber die Regierung,14 „führt, so Viel wüssendt, zuer Zeit, weilen Er erst anhero kommen, kein gewörb, od(er) aigene Hanthirung [hier: Handel]“.15 Auf sein Leben vor der Heirat mit Fromet oder Chrona,16 der Tochter von Mathias Schweitzer, scheint es keine Hinweise zu geben. Sie brachte Hayum die beträchtliche Mitgift von 1500 Gulden in die Ehe mit,17 in der Höhe wohl seinem eigenen Vermögen entsprechend. Seinem Leben in der Markgrafschaft boten sich damit gute Chancen. 11 Zur Tochter von Hayum Flörsheim siehe S. 569ff. 12 Frank Rudolf Ankersmit nennt die Perspektive, unter der die Fakten einer historischen Erzählung gesehen werden, „Gesichtspunkt“, nach Chris Lorenz, Konstruktion der Vergangenheit. Eine Einführung in die Geschichtstheorie (Beiträge zur Geschichtskultur 13). Köln 1997, S. 136f. 13 Schmitt, Heinz, unter Mitwirkung von Ernst Otto Bräunche und Manfred Koch (Hg.), Juden in Karlsruhe, Beiträge zu ihrer Geschichte bis zur nationalsozialistischen Machtergreifung. (Veröffentlichungen des Karlsruher Stadtarchivs 8). Karlsruhe 1988, Dokumente, Nr. 2, S. 514–521, hierzu S. 518, mit der Namensvariante Hajum Floersheim. Kormorn liegt an der heutigen Grenze von Ungarn und der Slowakei. 14 Regierung: in den Quellen für Hofrat, in der Darstellung für den Hofrat und auch für den Landesfürsten und die Landesfürstin mit ihren Hofkollegien. 15 GLAK 74/3711, Amtsschreiber Baumeister an die Hofkammer, 6.7.1706. 16 Schmitt (Hg.), Juden in Karlsruhe, Dokumente, Nr. 2, S. 518. 17 GLAK 61/165 HR 18.6.1736 Nr. 12.

Der Aufstieg 

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21

1711 wurde er nicht nur als „Judenschulz“,18 sondern auch als „Juden Oberschultheiß“19 genannt. Welche Aufgaben er mit diesen Ämtern übernahm, lässt sich nicht sehr konkret beschreiben. Anfang 1712 vertrat er die Judenschaft bei der Regierung in der Frage, inwieweit bei Kontributionszahlungen der Schutzjuden ihr Hausbesitz als Bemessungsgrundlage dienen sollte.20 Aus der Sicht der Regierung waren Judenschultheißen ihre Vertreter bei den jüdischen Einwohnern; sie wurden in den obrigkeitlichen Schreiben selten als „Gemeindevorsteher“ bezeichnet, dem üblichen Titel für einen Barness oder Parnoss.21 Im Februar des Jahres 1712 deutete sich eine Krise im Aufstieg von Hayum Flörsheim an. Der Hofrat scheint dazu geneigt zu haben, bei der „erwehlung des Judenschultheißen“ „anstatt des Hajums [...] einen ander(en) ahnsetzen [einsetzen]“ zu lassen.22 Zu dieser Zeit könnten für Hayum Flörsheim und die zwei weiteren Judenschultheißen Schwierigkeiten in ihrem Verhältnis zu den anderen Schutzjuden bestanden haben, denn Flörsheim bat den Hofrat, die neuen Schultheißen Salomon und Moyses Schweitzer „zu konfirmiren [bestätigen]“ und die übrigen Juden zur „parition [zu Gehorsam]“ anzuhalten; auch wollte er Hilfe in einer Forderungssache von 100 Gulden gegen die Judenschaft.23 Mit den Vertretern der örtlichen Judenschaften gab es ebenfalls Schwierigkeiten. Hayum Flörsheim bat am Ende des Jahres 1712 die Hofkammer um ihr Eingreifen, damit „die Juden Schultheißen zue Rastatt und Bühl dero gefallen nach nicht strafen, sondern es [wenn eine Strafe verhängt werden sollte] seiner behördte [ihm, seinem „Amt“] anzaigeten“.24 Hayum Flörsheim blieb jedenfalls in seinem Amt, denn im folgenden Jahr 1713 erhob er, wieder als Vertreter der Judenschaft, beim Hofrat Klage darüber, dass der Friedhof der markgräflichen Juden in Kuppenheim „von den unterthanen Muthwillig [auf böse Weise, mit der Absicht zu schaden] verstört“,25 durch Christen verwüstet wurde. Die Regierung unterstützte Flörsheim auch außerhalb seiner Tätigkeit als Judenschultheiß. Im April 1712 erfuhr der Hofrat, dass er in Durlach im Arrest saß. Die Karlsruher Regierung warf ihm vor, Juwelen unverzollt durch die Mark18 GLAK 61/139 HR 23.7.1711. 19 GLAK 61/248 HK 29.12.1711. Den Titel eines Oberschultheißen für Hayum Flörsheim erwähnt J(ohann) A(nton) Zehnter, Zur Geschichte der Juden in der Markgrafschaft BadenBaden, in: ZGO 50, (1896), S. 397, ohne auf die Führung des Amtes durch Hayum Flörsheims einzugehen. 20 GLAK 61/248 HK 12.1.1712. 21 Zur Bezeichnung des Amtes Kaufmann, Juden in Baden, S. 40. Parnoss und Barnos: örtlicher oder regionaler Vertreter der Judenschaft, auch Vorsteher. 22 GLAK 61/140 HR 16.2.1712. Zu den Auseinandersetzungen über die Wahl der Schultheißen zu dieser Zeit siehe S. 412f. 23 GLAK 61/140 HR 6.3.1712. 24 GLAK 61/248 HK 29.12.1712. 25 GLAK 61/141 HR 20.4.1713.

22 

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Hayum Flörsheim

grafschaft Baden-Durlach geführt zu haben. Seine „Freunde“, seine angeheirateten Verwandten, bat Flörsheim, sollten für ihn eine Kaution stellen. Der Hofrat verwendete sich ohne Zögern bei der Regierung in Karlsruhe für ihn26 und half erneut, indem er sich auf Flörsheims Bitte im Juni 1712 für eine Beschleunigung des Prozesses einsetzte.27 Die Karlsruher Regierung entließ ihn darauf gegen eine Kaution aus der Haft, aber er durfte die Stadt Durlach nicht verlassen. Der Hofrat war noch nicht zufrieden. Er bat erneut um ein rasches Verfahren, denn Flörsheims Kreditwürdigkeit auf der bevorstehenden Frankfurter Messe scheine gefährdet, wenn er noch länger festgehalten würde und auf die Entscheidung warten müsse.28 Mathias Schweitzer in Rastatt erklärte sich bereit, für seinen Schwiegersohn zu bürgen; als Kaution setzte er „Haus, Haab, und guth“ ein.29 Im Dezember des nächsten Jahres 1713 bat Hayum Flörsheim mit Erfolg darum, das Amt des Schultheißen niederlegen zu dürfen, nachdem er es drei Jahre ausgeübt habe. Eine letzte Aufforderung des Hofrats: Er solle wie die zwei anderen Judenschultheißen die „Strafrechnung“ vorlegen,30 also über die mit der Bestrafung von Schutzjuden zusammenhängenden Einnahmen der Regierung Rechenschaft ablegen. Seine geschäftlichen Beziehungen zur Regierung dauerten an: 1714 erhielt Hayum Flörsheim von ihr den Befehl, die Verpflegung von Dragonerpferden zu übernehmen – die Hofkammer begründete dies damit, dass keine Christen diesen Auftrag übernehmen wollten.31 1716 bat Flörsheim den Hofrat um Hilfe gegen die Regierung in Baden-Durlach, um einen ihm vorenthaltenen wertvollen Ring zurückzubekommen;32 der Handel mit Schmuck gehörte also zu dieser Zeit wie später zu seinem Gewerbe.33 Aber auch für den Pferdehandel kam er wieder in Betracht, zumindest zwangsweise: Die Hofkammer ordnete 1717 an, dass er ein Dragonerpferd aus dem staatlichen Besitz übernehmen müsse, wenn es nicht mehr gebraucht würde.34 Diese Linie, Flörsheim zur Übernahme von Aufträgen zu verpflichten, verfolgte die Regierung weiter. 1720 hatte das Spital in BadenBaden Probleme mit Kapitalien, die angelegt werden sollten. Notfalls, so wies die Hofkammer den Verwalter des Spitals an, solle Flörsheim diese Kapitalien

26 27 28 29 30 31 32 33 34

GLAK 61/140 HR 4.8.1712. GLAK 61/141 HR 22.6.1712. GLAK 61/140 HR 30.8.1712. GLAK 61/140 HR 13.12.1712. GLAK 61/141 HR 19.12.1713. GLAK 61/250 HK 5.3.1715. GLAK 61/144 HR 13.2.1716. Zum Handel Hayum Flörsheims mit Schmuck siehe S. 27f. GLAK 61/252 HK 12.1.1717.

Flörsheim und der Stiftspropst Reinhard von Flosdorf 

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übernehmen;35 die Kammer ging offensichtlich davon aus, dass er das Geld verleihen könne.

2.2  Hayum Flörsheim und der Stiftspropst Reinhard von Flosdorf Auch von Privatleuten übernahm Hayum Flörsheim Aufträge, wie aus der Untersuchung einer Hinterlassenschaft hervorgeht, in die er 1722 verwickelt wurde. Im Dezember dieses Jahres war in Baden-Baden der Stiftspropst Reinhard von Flosdorf gestorben. Bei der amtlichen Inventur, der Vermögensaufnahme, stellte sich aus der Sicht der Regierung heraus, dass unerwartet wenig Bargeld in der Wohnung des Gestorbenen gefunden wurde. Der Geheime Rat bestimmte darauf das weitere Vorgehen. In der Erwartung, ein Geldversteck herauszufinden oder zu klären, wem der Propst sein Geld in Verwahrung gegeben hätte, sollten sein Dienstpersonal und alle befragt werden, die zu ihm ins Haus gekommen waren, „in sonderheit aber der Jud Hayum“.36 Als Erste verhörte Amtmann Andreas Nötzel am 22. Dezember 1722 Catharina Kahm. Sie hatte dem Propst vier Jahre als Magd gedient, das letzte Jahr als einzige Bedienstete. Hayum Flörsheim, so ihre Aussage, sei in diesem Jahr nur einmal zu ihrem Herrn gekommen, als er nämlich „gewürtz von F(rank)furth gebracht, sey er aber so gleich wieder gangen, massen [weil] H(er)r Propst seel(ig) mit ihme nicht Reden wollen.“ Eine Freundin der Magd und die Frau eines Schuhmachers, bei dem die Magd Schuhe reparieren ließ, konnten ebenfalls nichts über das Bargeld des Propstes aussagen: Sie berichteten nur über sein wiederholtes lautes Jammern, das man von der Straße aus hörte. Catharina Steinlin, die Frau eines Mehlhändlers, hatte im dritten Jahr vor dem Tod des Propstes bei ihm gedient. Sie bot eine Erklärung für dessen Jammern an: Ihrer Vermutung nach hatte der Propst einen großen Teil seines Geldes verliehen und dann gefürchtet, es nicht wieder zu bekommen. Nach Hayum Flörsheims Besuchen gefragt, antwortete sie: Sie habe ihn zweimal holen müssen. Einmal verkaufte ihm der Propst Tuch und Hafer. Flörsheim habe sofort mit barem Geld bezahlt. Ein anderes Mal wollte der Propst schwarzes Tuch für einen Talar bei Hayum Flörsheim kaufen. Dann ließ er aber lieber das Tuch eines alten Mantels für die Anfertigung des Talars verwenden und habe dazu erklärt, „es würde Einer doch nur mit denen Juden betrogen, wollte, daß er niehmal mit ihm Haium Etwas zu thuen gehabt.“37

35 GLAK 61/256 HK 17.1.1720. 36 GLAK 195/352, Geheimer Rat an Amtmann Andreas Peter Nötzel, 19.12.1722. 37 GLAK 195/352, Vernehmungsprotokoll des Amtmanns Andreas Peter Nötzel, 29.12.1722.

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Hayum Flörsheim

Am 30. Dezember wurde zunächst Anna Clara Bach vernommen. Sie hatte bei Propst von Flosdorf sechs Jahre gedient, nachdem er von Wien nach BadenBaden gekommen war. Ob sie sagen könne, wie viel Geld der Propst von Wien mitgebracht habe, fragte sie der Amtmann. Dass müsse, antwortete sie, Hayum Flörsheim wissen, „der solches anhero gebracht“ habe. Ob sie etwas von dem Geld wisse, das vermisst werde, erkundigte sich anschließend der Amtmann. Die Antwort: „Wisse sie nicht, der Jud Haium hatte 4 Jahre lang mit ihrem Herrn seel(ig) gehandelt, Undt wan dieselbe gelt miteinander gezehlet, habe ihr Herr seel(ig) die Thür, mit Einem darzu gemachten Bohrer [wohl ein Stück Eisen oder Holz] zu geschlossen undt niemand herein gelassen.“ Sie habe, erklärte Anna Clara Bach auf die Frage, woher sie das mit dem Geldzählen wisse, „dann undt wan zum Schlüssel loch Hinein gesehen, das sie gelt, undt zwarn pures Golt gezehlet hätten.“ Anschließend verhörte Amtmann Nötzel Hayum Flörsheim selbst. Wie viel Geld er dem Propst übergeben habe, und in welchen Sorten? Hayum legte eine Quittung vom 6. Oktober 1715 vor: Er habe in Frankfurt mit zwei Wechseln Geld für den Propst „erhoben“, vor allem „Edict Geld“. Was das für Geld sei? „Hart geldt, nembl(ich) Goldinars38 undt gantze Thaler“, die er in Frankfurt in französische Louisdor39 umgetauscht und so nach Baden-Baden gebracht habe. Zwei weitere Vorgänge stellte Hayum Flörsheim ähnlich dar: In Wien zugunsten von Flosdorf ausgestellte Wechselbriefe löste er in Frankfurt und Mainz ein und brachte das Geld in Louisdors zu seinem Besitzer. Im September 1722 seien es Louisdors im Wert von 3500 Gulden40 gewesen, die er überbracht habe. Ob er von dem Verstorbenen Geld zum Zählen oder in Verwahrung erhalten hätte? „Nein“, und: „sein Leben lang nichts“, betonte Hayum Flörsheim. Er wurde weiter befragt: Warum er so oft beim Propst gewesen sei und worin sein Handel mit ihm bestanden habe? Die Antwort: Er habe „weiters keinen Handel mit ihm gehabt. Er [Propst von Flosdorf ] habe aber gerne gesehen, dass er bald alle Wochen Ein bis 2 mahl zu Ihme kommen, mit ihme zue discuriren[;] dann undt wan, Habe er Ihme gewürtz, von F(rank)furt bringen müssen“.

Auch habe er, so Hayum Flörsheim, dem Propst zu einem späteren Zeitpunkt auf sein Verlangen schwarzes Tuch für ein Kamisol (eine Unterjacke, ein kurzes Kleidungsstück) geliefert. Einmal seien ihm vom Propst auch zwei Louisdor-Stücke vorgelegt worden, die dieser von einer Frau aus Baden-Baden erhalten habe, neue Stücke aus Straßburg, deren Wert er angeben sollte. Von fehlendem Geld aber wisse er nichts, betonte Hayum Flörsheim. Am 30. Januar, am Nachmittag des folgenden Tages, führte Amtmann Nötzel das Verhör weiter. Der Amtmann wusste von einer Äußerung Hayum Flörsheims, 38 Golddinar: Denar, als Münze in Frankreich unter der Bezeichnung Denier verbreitet. 39 Louisdor: französische Münze, meist mit 12 Gulden umgerechnet. 40 Gulden: Florin (fl), Münze im Wert von 60 Kreuzer.

Flörsheim und der Stiftspropst Reinhard von Flosdorf 

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die dieser gegenüber dem Stiftsdekan Fortenbach acht Tage zuvor fallen ließ: Hayum Flörsheim habe doch einmal einen Beutel mit 1000 Dukaten bei dem Propst gesehen. Das sah Nötzel als einen Widerspruch zu einer anderen Aussage, niemals dem Propst Dukaten gebracht zu haben. „Ob er geständtig dises Herrn Decano [Dekan] Fordenbach also gesagt zu haben, auch ob er geständtig, fahls dises in disem besagten schwartzen beuthel befundene gelt selbsten gesehen, Undt Etwa einmahls gezehlet habe, Undt wissentlich wisse das es lauther Ducaten gewen.“

Die Antwort Hayum Flörsheims: Seine Äußerung gegenüber Fortenbach räume er ein. Im Jahr 1717 habe er beim Propst einen Beutel gesehen, in dem sich mindestens 1000 Dukaten befanden. Er habe sich die Summe aber nur gedacht, das Geld jedoch gar nicht gesehen. Die nächste Frage: Habe er, Flörsheim, Geld vom Propst erhalten, zur Verwahrung, in Kommission oder zur Weitergabe? „Sein Leben lang dergleichen nicht“, beteuerte Hayum Flörsheim. Zuletzt wollte der Amtmann wissen, ob der Propst ihm jemals Geld „verzünslich hingeliehen und zwar in Golt“? Das sei mehrmals geschehen, antwortete Hayum Flörsheim. Einmal sei es eine Summe von 30, ein andermal von 20 Louisdor gewesen, manchmal höhere, manchmal niedrigere Summen. Er habe dabei Louisdor-Stücke als Pfand gegeben und das geliehene Geld mit fünf Prozent verzinst.41 Aus den Antworten Hayum Flörsheims im Verhör durch den Amtmann geht die Vielfalt der Aktivitäten hervor, wie sie für viele jüdische Handelsleute um 1700 und in den folgenden Jahrzehnten feststellbar ist. Kauf und Verkauf von Stoff und Getreide und von Gewürzen aus Frankfurt bildeten selbstverständliche Teile des Gewerbes von Flörsheim. Er war auch die Bank des Propstes: Flörsheim löste auf den Propst ausgestellte Wechselbriefe in Frankfurt ein, tauschte das Geld in die benötigten Geldsorten um und transportierte es nach Baden-Baden. Für den Propst prüfte und zählte er Geld, wie der Blick durch das Schlüsselloch feststellte. Dass Hayum Flörsheim kleinere Beträge gegen Zinsen von Flosdorf lieh und dabei Pfänder gab, kehrt zwar auf den ersten Blick die gewohnten Verhältnisse um. Dass Juden von Christen Geld liehen, lässt sich aber auch sonst nachweisen.42 Mit zahlreichen Dienstleistungen stand also Hayum Flörsheim in der Zeit, als der Propst gerade nach Baden-Baden gekommen war, in einem engen Kontakt zu von Flosdorf. Im letzten Jahr ihres Dienstes, im Jahr 1722, so die Aussage der Magd Catharina Cahm, sei Flörsheim nur einmal zu ihrem Herrn gekommen, und der Propst habe nicht weiter mit ihm gesprochen. Ihr fiel wohl die Verän-

41 GLAK 195/352, Vernehmungsprotokoll des Amtmanns Andreas Peter Nötzel, 30.12.1722. 42 Zum Verleih eines Kapitals an einen Schutzjuden durch einen Handwerker siehe S. 155.

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Hayum Flörsheim

derung auf, die während der vier Jahre stattgefunden hatte, in denen sie bei von Flosdorf diente. Eine Erklärung dafür gab sie nicht. Anders verhielt es sich nach der Erinnerung von Hayum Flörsheim selbst. Er hob hervor, dass er nicht allein eine Rolle als wirtschaftlicher Partner ausgefüllt habe. Er sprach vom „Discuriren“, auf das der Propst Wert gelegt hatte, und nur manchmal habe er auch Geschäftliches erledigt. Flörsheim stellte sich also als Partner des Propstes dar, in einer Kommunikation, die über das Geschäftliche hinausging. Aber diese Seite in der Beziehung zwischen von Flosdorf und Flörsheim griff Amtmann Nötzel nicht auf. Für ihn war Hayum Flörsheim nur als derjenige interessant, der Geld des Propstes in Verwahrung hatte und dies verheimlichte. Er wollte klären, ob Flörsheim dieses Geld zu unterschlagen versuchte: Hayum Flörsheim war ein verdächtiger Jude. Wann und warum es zu einer Veränderung im Umgang des Propstes mit Flörsheim kam, dazu äußerte sich niemand unter den Beteiligten. Catharina Steinlin, die 1719 ein Jahr lang bei von Flosdorf diente, gab an, der Propst habe schon während dieser Zeit seinen Umgang mit Flörsheim verwünscht und habe geäußert, dass man von Juden betrogen würde. Möglicherweise hatte sich der Propst zu dieser Zeit an eine allgemeine Stimmungsänderung angepasst: Markgräfin Sibylla Augusta hatte 1714 die erste „Judenordnung“ in der Markgrafschaft erlassen,43 wohl ein Ausdruck einer sich verschärfenden Haltung gegenüber den Juden,44 wie sie sich auch in vielen anderen Teilen des Alten Reichs zu dieser Zeit durchsetzte.45 Wenn Propst von Flosdorf die negative Einstellung seiner christlichen Umgebung in Baden-Baden übernahm, dann wäre deutlich, wie in diesem Fall eine Beziehung endete, die nicht nur in wirtschaftlichen Bezügen bestand. Nicht auszuschließen ist, dass es sich bei Flosdorf um jenen Johann Reinhard Vloßdorf handelte, der Lehrer des Prinzen Ludwig Wilhelm war46 – und der spä-

43 Zur „Judenordnung“ von 1714 Zehnter, Juden in der Markgrafschaft Baden-Baden, in: ZGO 50, (1896), S. 388–390. 44 Zur Verschärfung in der Haltung von Markgräfin Sibylla Augusta siehe S. 59ff. 45 Breuer, Mordechai: Frühe Neuzeit und Beginn der Moderne, in: Mordechai Breuer und Michael Graetz (Hg.), Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. 1: Tradition und Aufklärung 1600–1780. (Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, hg. im Auftrag des Leo Baeck Instituts von Michael A. Meyer unter Mitwirkung von Michael Brenner). München 1996, S. 85–247, hierzu S. 142. 46 Gerlinde Vetter, „...waß einem firsten gebirth zu lernen“. Kindheit und Jugend des Markgrafen Ludwig Wilhelm, in: Wolfgang Froese und Martin Walter (Hg.), Der Türkenlouis: Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden und seine Zeit. Gernsbach 2005, S. 9–20, hierzu S. 13.

Vertrauen und Misstrauen 

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tere Markgraf hatte nicht die gleiche ablehnende Haltung zu Juden wie seine Witwe.47

2.3  Vertrauen und Misstrauen 1720 wurde Hayum Flörsheim erneut zum „Schultheißen“ gewählt; allerdings verweigerte er die Übernahme des Amtes. Der Rastatter Schutzjude Moyses Schweitzer, sein Schwager, berichtete dem Hofrat über die Wahl und bat dabei die Regierung, Flörsheim das Amt „aufzutragen“: Dieser sei, so strich Moyses Schweitzer die Fähigkeit seines Verwandten heraus, „zu solchem officium [Amt], deme er überzustehen, am capablesten [fähigsten].“48 Um diese Zeit gehörte Hayum Flörsheim zu den wohlhabenden Schutzjuden in der Markgrafschaft. Amtmann Andreas Nötzel in Baden-Baden hatte 1721 angegeben, dass Flörsheim mit „bekanter massen Etwas Jubelen und Silber“ handle, Waren, die er auf Bestellung aus Frankfurt und Augsburg beziehe.49 Die Hofkammer gab 1725 an, er handle „mit vielen kostbaren Sachen“.50 Auf die Art dieser Waren gibt Flörsheims Bitte um Hilfe an den Hofrat im Jahr 1725 einen Hinweis: Es ging um seine Ansprüche auf Smaragde und Brillianten, die er aus Frankfurt bezog.51 Wenn auch sein absolutes Vermögen nicht anzugeben ist, erlaubt ein Verzeichnis aus dem Jahr 1724 zumindest seine relative Positionierung unter den 33 Schutzjuden in den Ämtern Ettlingen, Rastatt, Baden-Baden und Bühl. Er gehörte zu den acht Schutzjuden, die vierteljährlich 7 Gulden oder etwas mehr Schutzgeld zahlen mussten; wie Mayer Malsch in Ettlingen zahlte Hayum Flörsheim mit 7 Gulden und 32 Kreuzer den höchsten Betrag.52 Für die Hofkammer waren die Geschäfte Flörsheims ein Objekt des Misstrauens; sie ermahnte ihn, für seine Handelsware ja richtig Zoll und Steuer abzuführen.53 1726 kam es zu einer Anklage gegen Flörsheim wegen der Unterlassung von Zahlungen der Akzise, der Warensteuer.54 Er aber legte zu seiner Entlastung die Akzisezeichen vor, den Beweis dafür, dass er die Steuer bezahlt hatte.55 Im

47 Zur Einstellung des Markgrafen Ludwig Wilhelm siehe S. 174f., zu der seiner Witwe S. 59ff. 48 GLAK 61/148 HR 29.2.1720. 49 GLAK 74/3711, Amtmann Andreas Peter Nötzel an die Hofkammer, 9.2.1721. 50 GLAK 61/261 HK 9.1.1725. 51 GLAK 61/153 HR 5.10.1725. 52 GLAK 61/260 HK 6.7.1724. 53 GLAK 61/261 HK 9.1.1725. 54 GLAK 61/154 HR 4.4.1726. 55 GLAK 61/154 HR 12.9.1726 und 31.10.1726.

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Hayum Flörsheim

folgenden Jahr erstattete ein Zollbereiter56 eine Anzeige: Silber und Juwelen, die Flörsheim mit der Landkutsche57 von Frankfurt nach Baden-Baden bringen ließ, seien nicht korrekt verzollt worden.58 Wohl um weitere Schwierigkeiten zu vermeiden, verhandelte Flörsheim mit der Hofkammer über einen Vertrag, in dem eine Pauschale über Zoll und Akzise vereinbart werden sollte.59 Die Kammer ließ berechnen, auf welche Summe sich die Abgaben Flörsheims für seinen Handel jährlich beliefen. Sie seien nicht genau errechenbar, war das Ergebnis; abgesehen von seiner Admodiation60 für Essig, Tabak und Branntwein61 erbrachten seine Geschäfte mit Getreide, Wein und Vieh 75 Gulden.62 Im November 1727 kam es zu einem entsprechenden Abschluss.63 Aber schon im folgenden Jahr war der „Zoll- und Akzisjud“ erneut Ziel amtlicher Untersuchungen. Der Hofrat prüfte die Tätigkeit des Baden-Badener Zollers64 Warth; es wurde festgestellt, dass er vermutlich Päckchen und Schachteln, in denen Schmuckstücke ins Land gebracht wurden, zu spät und zu oberflächlich kontrolliert hatte. Die Rede war, dass so „der Jud“ Juwelen und Silberschmuck zu gering verzollt oder beim Verkauf zu wenig Akzise bezahlt habe. Wer „der Jud“ war, wurde nur spät und beiläufig genannt, im Hofrat wusste man, dass es um Hayum Flörsheim ging. Doch noch war man vorsichtig: Der unter Betrugsverdacht stehende Flörsheim sollte die Essig-, Tabak- und Branntweinadmodiation, die er innehatte, weiterführen können. Der Hofrat befürchtete, dass nicht so leicht ein anderer dieses Monopol übernehmen würde.65

56 Zollbereiter: Beauftragter der Regierung, der speziell den Warenverkehr an der Grenze eines Territoriums zu kontrollieren hatte. 57 Landkutsche: regelmäßig verkehrende Kutsche, meist zum Transport von Waren. 58 GLAK 61/155 HR 12.8.1727. 59 GLAK 61/263 HK 22./23.9.1727. 60 Hier wie im Folgenden werden die Begriffe Admodiation und Admodiator im Anschluss an die Archivalien verwendet. Im Unterschied zum Begriff Monopolinhaber gibt er eindeutig an, dass der Admodiator seine Aufgabe (im Handel und bei der Erhebung von Zöllen und Gebühren) durch die Regierung, meistens die Hofkammer, erhielt; dazu Krünitz, Oekonomische Encyklopädie, Stichwort „Admodiation“. Die Regierung vergab Admodiationen jahrweise oder für wenige Jahre in der Form einer Versteigerung. Manchmal erscheint auch statt Admodiation der Ausdruck Bestand. Ursprünglich bedeutete in Frankreich „amodiation“ Pacht, „amodiateur“ Verpächter von Grundstücken. 61 Zur Admodiation von Hayum Flörsheim S. 29ff. 62 GLAK 61/263 HK 22.10.1727. 63 GLAK 61/263 HK 3./4.11.1727. 64 Zoller: Einnehmer von Zöllen oder anderen Gebühren. 65 GLAK 74/6995, Hofratsbericht, 22.8.1728.

Der Admodiator Hayum Flörsheim 

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2.4  Der Admodiator Hayum Flörsheim Das Monopol, mit Essig, Tabak und Branntwein zu handeln, besaß Hayum Flörsheim seit 1725. Die Attraktivität dieser Admodiation hatte in den Jahren zuvor abgenommen. Bis 1722 brachte sie, bezogen auf das Amt Bühl, der Regierung 40 Gulden ein. Der Amtmann meldete allerdings in diesem Jahr der Hofkammer, dass die Krämer66 in Bühl nicht mehr daran interessiert waren, die Admodiation für diesen Preis zu erwerben.67 Der Adlerwirt Schwärtzer übernahm sie dann für 35 Gulden.68 Eigentlich wollte die Hofkammer Juden diese Admodiation gar nicht überlassen. Als sich nämlich 1715 die Schutzjuden in Kuppenheim für sie interessierten, bemerkte die Kammer, dass „denen mit dergleichen zu handeln nicht gebühret.“ Sie war sogar bereit, christliche Bewerber unter Verzicht auf Einnahmen vorzuziehen: Sie reduzierte den Preis dieses Monopols für das Amt Kuppenheim bzw. Rastatt von 18 Gulden, welche die jüdischen Interessenten anboten, auf 16 Gulden bei den christlichen Bewerbern.69 1725 erhielt Hayum Flörsheim, als einziger Interessent, die Admodiation für die ganze Markgrafschaft. Die Regierung erwartete aus ihr Einnahmen von 288 Gulden, zusätzlich sollte Flörsheim für Zölle und Wegegeld, eventuell auch für die Akzise, eine Pauschale bezahlen, so dass er insgesamt 630 Gulden für die Admodiation aufzubringen hatte.70 Zunächst tauchte das Problem auf, dass Flörsheim auf dem Gebiet des Klosters Schwarzach nicht als Admodiator akzeptiert wurde.71 Kurz darauf beschwerte er sich, dass die Krämer, die ihm ihren restlichen Tabak überlassen sollten, in den meisten Fällen überhöhte Preise forderten; so komme eine Übernahme der Ware für ihn nicht in Frage, und die Krämer behielten den Tabak – ein Hinweis darauf, dass Hayum Flörsheim den weiteren Tabakverkauf durch die Krämer befürchtete. Noch weitere Schwierigkeiten: Die Tabakbauern waren verpflichtet, ihre Ernte an den Admodiator zu verkaufen, allerdings nicht den Teil, den sie als Eigenbedarf angaben.72 Und noch eine Klage Flörsheims: Die Küfer, die Schnaps brannten, würden ihm keinen verkaufen. Die Hofkammer ließ daraufhin nochmals den Übergang des Bestandes auf Flörsheim verkünden, zusammen mit einer Drohung: Wer gegen die Admodiation verstoße, riskiere eine Strafe von 10 Reichstalern (15 Gul66 67 68 69 70 71 72

Händler, meistens im Einzelhandel. GLAK 61/258 HK 26.2.1722. GLAK 61/258 HK 5.5.1722. GLAK 61/251 HK 15.5.1715. GLAK 61/261 HK 1.6.1725. GLAK 61/261 HK 7.8.1725. GLAK 61/261 HK 17.9.1725.

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Hayum Flörsheim

den). Außerdem sollten alle Vorräte bei „morosen [zahlungsunfähigen] oder halsstarkhen [störrischen]“ versiegelt werden,73 also bei denen, die das Monopol Flörsheims widerspenstig missachteten. Im November 1725 erneuerte Flörsheims seine Beschwerde bei der Regierung: Vor allem im Amt Bühl und in der Gegend um Waldsteg würden Brenner hausieren und „allerhandt Taback träger [Leute, die mit Tabak hausierten]“ ihre Ware verkaufen; er würde deshalb kaum etwas verdienen. Die Hofkammer versuchte zu helfen. Alle Brenner, so schärfte sie mit einer Verordnung ein, dürften nur an Flörsheim Branntwein verkaufen, und die Tabakausträger stellte sie unter die besondere Beobachtung der Zollbereiter.74 Der Admodiator hatte aber auch mit der Regierung Probleme. Er bezog einen Teil des Branntweins von der herrschaftlichen Wirtschaftsverwaltung. Hayum Flörsheim wies die Hofkammer darauf hin, dass in Straßburg der Branntwein unter dem Preis verkauft werde, den die Regierung verlange. Einen Nachlass räumte die Kammer jedoch nicht ein.75 Weitere Schwierigkeiten ergaben sich am Ende des ersten Jahres der Admodiation, im August 1726. Hayum Flörsheim hatte mit einzelnen Küfern Verträge abgeschlossen, nach denen diese Branntwein ausschenken konnten, ihm dafür aber eine Zahlung leisteten. Doch als das erste Jahr seiner Admodiation auslief, beschwerte sich Flörsheim bei der Hofkammer: Die Küfer hätten noch nichts bezahlt,76 und die von ihnen vertraglich zugesagten 13 Gulden habe er nicht bekommen.77 Auch mit den Einwohnern im Amt Staufenberg hatte Flörsheim sich auf eine Zahlung geeinigt, die ihnen den freien Kauf- und Verkauf des Branntweins gestatte, jedoch auch hier hatte Flörsheim nichts erhalten.78 Im Januar 1727 legte er der Hofkammer dar, dass das „starke Hausieren“ mit seinen Waren einen Schaden für die Herrschaft brächte; er schlug vor, diejenigen, die einen Hausierer anzeigten, mit einem Teil von dessen konfiszierten Waren zu belohnen.79 Im Februar des Jahres zeigte er selbst an, dass durch „Überrheiner“, also Elsässer, ein „ganzer Karch [Karren]“ Tabak nach Baden-Baden gebracht worden sei.80 Trotz aller Klagen und Schwierigkeiten bewarb sich Hayum Flörsheim im folgenden Jahr erneut um das von ihm geführte Monopol, das er auch für 420 Gulden auf zwei Jahre erhielt.81 Das rief christliche Interessenten auf den Plan. Die Handelsleute aus den Ämtern Bühl und Steinbach trugen als Sprecher aller mark73 74 75 76 77 78 79 80 81

GLAK 61/261 HK 13.8.1725. GLAK 61/261 HK 17.10.1725. GLAK 61/262 HK 24.1.1726. GLAK 61/262 HK 2.9.1726. GLAK 61/262 HK 21.10.1726. GLAK 61/262 HK 30.9.1726. GLAK 61/263 HK 22./23.1.1727. GLAK 61/263 HK 27.2.1727. GLAK 61/263 HK 4./5.8.1727 Nr. 4.

Der Admodiator Hayum Flörsheim 

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gräflichen – christlichen – Krämer ihre Einwände in einem Memorial82 an den Fürsten vor. Die Versteigerung der Admodiation solle nicht mehr für die ganze Markgrafschaft, sondern amtsweise stattfinden, wie in der Zeit vor Hayum Flörsheims Admodiation. Zudem, brachten sie vor, seien sie bereit, den gleichen Betrag wie Flörsheim zu zahlen. Darauf stoppte die Hofkammer die Verkündigung des Vertrags mit Hayum Flörsheim.83 Die Kammer äußerte Bedenken: Von christlichen Admodiatoren erwarte sie keine so pünktliche Bezahlung des Admodiationspreises; außerdem übernehme Hayum Flörsheim sämtlichen Branntwein aus der markgräflichen Oberkellerei in Baden-Baden, was für Kaufleute in größerer Entfernung schwierig sei.84 Die Entscheidung fiel zugunsten Hayum Flörsheims.85 Wie um die Argumente der Hofkammer zu seinen Gunsten zu bestätigen, erkundigte sich Flörsheim bereits zehn Tage nach der Entscheidung bei der Kammer, ob er aus der Kellerei in Baden-Baden Branntwein beziehen könne.86 Die Klagen Hayum Flörsheims über Schwierigkeiten bei seiner Admodiation endeten nicht. Die Küfer kümmerten sich nicht um seine Admodiation; ihnen wurde nochmals das Hausieren mit Branntwein untersagt.87 Wieder einigte sich Flörsheim mit einigen von ihnen auf eine Geldzahlung.88 Dennoch, vor allem aus dem Oberamt Mahlberg unterblieben die Einkünfte.89 Schon 1728 hatte Hayum Flörsheim mit dem Hinweis auf seine Geschäfte das Gesuch begründet, zusammen mit seiner Dienerschaft in Rastatt wohnen zu dürfen. Er wolle dort, wie er in seinem Gesuch ausführte, bei einem Christen wohnen, bis er selbst ein Haus bauen oder kaufen würde. Die Hofkammer wies darauf hin, dass Flörsheim damit die Verordnung der Markgräfin Sibylla Augusta verletze, die „Judenordnung“, die gerade dies verboten hatte.90 Allerdings, so gab die Kammer zu bedenken, halte sich Flörsheim auch jetzt schon, wenn er in Rastatt sei, bei Christen auf. Das Gesuch könne im Hinblick darauf bewilligt werden – jedoch unter der Auflage, dass Flörsheim in einer bestimmten Frist ein Haus erwerbe.91 Der Hofrat entschied: Er müsse binnen eines Monats den Kauf „einer separaten wohnung“ bewerkstelligen oder eine Vierteljahresfrist zu „einer dergleichen erbauung“ erhalten.92 Im Juni erneuerte Flörsheim seine Bitte; wieder 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92

Memorial: Bittschrift, wie Supplik. GLAK 61/263 HK 14.8.1727. Ebd. GLAK 61/263 HK 3./4.11.1727. GLAK 61/263 HK 13./14.11.1727. GLAK 61/265 HK 3.1.1729. GLAK 61/264 HK 10.1.1728. GLAK 61/157 HK 9.5.1729. Zum entsprechenden Verbot des Zusammenlebens in der „Judenordnung“ siehe S. 330f. GLAK 61/264 HK 11./12.5.1728. GLAK 61/156 HR 20.5.1728.

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Hayum Flörsheim

wurde er auf die „Judenordnung“ verwiesen, die einzuhalten sei – eine Wohnung bei einem Christen blieb ihm untersagt.93 Hayum Flörsheim beschränkte sich nicht auf seine Admodiation. Er handelte – nach einer Feststellung von 1728 – auch mit Wein, Vieh und Getreide,94 worin nach den Angaben der Hofkammer bis dahin im Wesentlichen seine Einnahmequelle bestanden hatte.95 Im Januar 1729 rechnete die Kammer mit einer Lieferung Hayum Flörsheims für die Ausrüstung der Hofgarde.96 1741 supplizierte er bei der Regierung in Rastatt um Hilfe für Schulden, die der kaiserliche Proviantadmodiator Johann Christoph Mohr von Mohrenfeld, der ehemalige Spitalschaffner in Ettlingen, bei ihm hatte; nach Hayum Flörsheims Angabe beliefen sie sich auf 20 000 Reichstaler, während die Regierung nur 270 Gulden als berechtigt anerkannte.97 Worin sein geschäftlicher Kontakt zu Mohrenfeld bestanden hatte, blieb unerwähnt. Noch im Frühjahr 1729 verhandelte er darüber, wie der Ertrag seiner Admodiation gesteigert werden könne: Er bat die Regierung, Maßnahmen gegen Unterschleife zu ergreifen; offensichtlich wurde noch immer viel Branntwein, Essig oder Tabak heimlich und an ihm vorbei verkauft. Zuerst wollte der Hofrat von Hayum Flörsheim erfahren, wer die Verkäufer waren – es sei schließlich „Stil und Herkommen“, bei solchen Vorwürfen Namen zu nennen.98 Schließlich kam ihm der Rat entgegen: Die Anweisung erging an alle Ämter, die „Übertreter“, die zum Schaden Hayum Flörsheims Waren verkauften, zu bestrafen.99 Trotz dieser Versuche, seine Situation zu verbessern, scheint Hayum Flörsheim nicht mehr bereit gewesen zu sein, die Admodiation beizubehalten. Im Mai erschien er in der Hofkammer und kündigte seinen Vertrag auf, der im August auslief.100 Beim Versuch der Regierung, die Admodiation neu zu vergeben, zeigten sich die Gründe dafür, dass Hayum Flörsheim nicht mehr an diesem Geschäft interessiert war. Ein „Generaladmodiatior“ für die gesamte Markgrafschaft fand sich nicht. Darauf ordnete die Kammer an, die Admodiation für die einzelnen Ämter zu vergeben,101 um wenigstens so viel Einnahmen zu erzielen wie bis-

93 GLAK 61/156 HR 8.6.1728. 94 GLAK 61/264 HK 16.2.1728. 95 GLAK 61/263 HK 22.10.1727. 96 GLAK 61/265 HK 5.1.1729. 97 Rüdiger Stenzel, Ein Hochstapler der Barockzeit. Vom Ettlinger Spitalschaffner zum Edelmann, in: ZGO 142 (1994), S. 423–429, hierzu S. 428. 98 GLAK 61/157 HR 15.3.1729. 99 GLAK 61/157 HR 5.4.1729. 100 GLAK 61/265 HK 9.5.1729. 101 GLAK 61/265 HK 17./18.6.1729.

Der Bruch zwischen Regierung und Flörsheim 

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her.102 Jetzt fanden sich Interessenten. In den Ämtern Baden-Baden,103 Bühl104 und Ettlingen105 lagen die Gebote allerdings unter den Erwartungen der Regierung, damit wohl auch unter dem, was Hayum Flörsheim anteilmäßig bezahlt hatte. Deutlich wird dies für das Oberamt Mahlberg. Flörsheim hatte hier die Admodiation für 50  Gulden erworben. Es sei nun eigentlich überhaupt kein Interesse vorhanden, berichtete das Amt; nur bei einem Preis von 40 Gulden könnte sich dies ändern.106 Damit zeigte sich vom Ende der Admodiation her, dass neben der dauernden Verletzung des Monopols ihr Preis eine wesentliche Schwierigkeit bot. 1729 gab es niemanden, der riskierte, für das ganze Gebiet der Markgrafschaft einen Vertrag abzuschließen. Die Admodiation war wohl auch in ihrem Umfang für Hayum Flörsheim ungünstig gewesen. Zumindest in Rastatt waren 1729 mehrere Bewerber vorhanden, die sich für die Essig-, Tabak- und Branntweinadmodiation interessierten. Hier war es der Bürgermeister Nagel, der sie für 100 Gulden erwarb.107 Ein Monopol wurde auch für Muggensturm vergeben. Der dortige Schutzjude Abraham bot wie ein christlicher Krämer zuerst nur 2 Gulden und 30 Kreuzer,108 dann 4 Gulden und 30  Kreuzer.109 Zu diesem Preis empfahl die Hofkammer die Übertragung des Monopols an die beiden Bewerber; die Höhe des Ertrags läge damit, so ihre Begründung, „um sehr weniges“ unter dem Ertrag während der Zeit Hayum Flörsheims.110

2.5  Der Bruch zwischen der Regierung und Flörsheim Im Herbst 1729, nach dem Ende der Admodiation, folgte der Bruch zwischen der Regierung und Hayum Flörsheim: Das Amt Baden-Baden verlangte von ihm zuerst eine „Real-Kaution“, eine dingliche Sicherheit in Höhe von 4000  Gulden zugunsten seiner Tochter. Der Hofrat entschied sich dann für eine Kaution über sein ganzes Vermögen, und nur nebenbei erfolgte ein Hinweis, in welchem Zusammenhang sie gefordert wurde – die Tochter des ehemaligen Judenschult-

102 GLAK 61/265 HK 8./9.8.1729. 103 GLAK 61/265 HK 11.8.1729. 104 GLAK 61/265 HK 12./13.8.1729. 105 GLAK 61/265 HK 26./27.8.1729. 106 GLAK 61/265 HK 30./31.8.1729. 107 GLAK 61/265 HK 26./27.8.1729. 108 GLAK 61/265 HK 26./27.8.1729. 109 GLAK 61/265 HK 5./6.9.1729. 110 GLAK 61/265 HK 12./13.9.1729.

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Hayum Flörsheim

heißen war getauft worden.111 Noch blieb der eigentliche Verwendungszweck der Kaution unerwähnt. Flörsheim, wohl schon in Karlsruhe, teilte mit, dass er den Schutz aufkündige und sich in die „protection“ der Markgrafschaft Baden-Durlach begebe.112 Der Hofrat verlangte von der dortigen Regierung die Verhaftung Hayum Flörsheims; diese stellte allerdings fest, dass sie „Kein Verbrechen finden könne, warum dieser Judt arretirt werden sollte.“113 Markgraf Ludwig Georg und der Geheime Rat drängten darauf, die Vermögensverhältnisse Hayum Flörsheims zu klären; es wurde angenommen, dass so der Unterhalt für seine Tochter über ein „dos“, eine Ausstattung entsprechend dem Heiratsgut, gesichert werden könne. Im Haus des Rastatter Schneidermeisters Martin Gotthardt hatte Hayum Flörsheim gewohnt, wenn er sich in Rastatt aufhielt; sein dort befindlicher Besitz wurde verzeichnet.114 Das Hab und Gut in seinem Baden-Badener Haus ließ die Regierung durch zwei Wachen beaufsichtigen, dann ins Rathaus bringen. Gegen die Regierung in Karlsruhe klagte der Hofrat beim Reichsgericht in Wien auf die Auslieferung Flörsheims.115 Im Dezember protokollierte der Hofrat, was alles anstand: die Vorladung Flörsheims, eine Untersuchung wegen Akzisebetrugs, die Aufstellung eines Vermögensverzeichnisses, die Korrespondenz mit der Regierung in Karlsruhe und die Benachrichtigung der eigenen Vertreter bei den Reichsgerichten in Wetzlar und Wien.116 Die Versteigerung der Fahrnis wurde auf den 23. Februar 1730 angesetzt.117 Hayum Flörsheim selbst akzeptierte das Vorgehen der markgräflichen Regierung keineswegs und legte eine Beschwerde beim Hofrat ein,118 ebenso beim Reichshofsrat in Wien.119 Für die Regierung in Rastatt gab es kein Abrücken von ihrem Urteil über den „flüchtigen und Schutzbrüchig gewordenen Juden Hayumb Flörsheim“;120 das Amt in Baden-Baden ließ, als es seinen zurückgelassenen Besitz versteigerte, keinen Zweifel am Urteil über ihn: Er sei „ohnehin voller Betrug“, und was er äußere, seien „lauther ohnwahrheiten“.121 Hayum Flörsheim lebte bis 1745 im baden-durlachischen Schutz in Karlsruhe. Er soll „leichtgläubigen Leuthen“ als Unterpfand für hohe Darlehen Juwe111 GLAK 61/157 HR 6.9.1729. 112 GLAK 61/157 HR 9.9.1729. 113 GLAK 61/157 HR 15.9.1729. 114 GLAK 61/157 HR 9.9.1729. 115 GLAK 61/157 HR 15.11.1729. 116 GLAK 61/157 HR 15.12.1729. 117 GLAK 61/158 HR 31.1.1730. 118 GLAK 61/158 HR 7.3.1730. 119 GLAK 61/158 HR 13.4.1730. 120 GLAK 61/158 HR 31.1.1730. 121 GLAK 61/161 HR 5.5.1733 Nr. 15.

Aspekte jüdischen Lebens 

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len gegeben und sie dann nicht mehr ausgelöst haben.122 Für die Regierung in Stuttgart beteiligte er sich an nicht genauer angegebenen Plänen zur Förderung des Handels.123 1745 erwähnte das Protokoll des Hofrats in Rastatt den „verstorbenen Jud Hayum Flörsheim“124 – an der stereotypen Vorstellung, dass er ein betrügerischer und lügenhafter Jude war, dürfte sich bei der Regierung nichts geändert haben.

2.6  Aspekte jüdischen Lebens Einheirat in die Familie von Mathias Schweitzer, deren Unterstützung und wohl auch sein dieser Familie entsprechendes Vermögen bildeten wesentliche Grundlagen für die wirtschaftliche Existenz von Hayum Flörsheim. Über seinen Schwiegervater knüpfte er früh Verbindungen zum Hof, der ihm Aufträge gab und seine Interessen im Rahmen des Schutzverhältnisses unterstützte. Seine geschäftlichen Kontakte gingen über die Markgrafschaft hinaus, bis nach Frankfurt und Augsburg. Sein breit gefächerter Handel umfasste landwirtschaftliche Produkte und Schmuck, auch für die Markgräfin.125 Mit den christlichen Einwohnern unterhielt er zahlreiche Verbindungen: Mit dem Hof, an dem er die Bedingungen seiner Admodiation und anderer Geschäfte aushandelte, mit den Kunden beim Verkauf von Essig und Tabak, mit den Küfern, bei denen er Branntwein kaufte, Vereinbarungen traf und von denen er Gebühren forderte. Über den wirtschaftlichen Bereich hinaus ging sein Kontakt mit dem Stiftspropst von Flosdorf. Seine Nähe zur christlichen Gesellschaft betonte Hayum Flörsheim mit seinem Kontakt zu einem hohen Kleriker und dadurch, dass er in der Residenz Rastatt nicht bei jüdischen Einwohnern, sondern bei einem Christen wohnte, in einem so engen Zusammenleben, dass es der „Judenordnung“ von 1714 eindeutig widersprach. Hayum Flörsheim richtete sich wie ein Hofjude „an der Grenze zwischen jüdischer und christlicher Gesellschaft“126 ein, zumindest im Ansatz als ein „Pendler“ 122 Zehnter, J(ohann) A(nton), Zur Geschichte der Juden in der Markgrafschaft Baden-Durlach, in: in: ZGO 51 NF 12 (1997), S. 385–436, und ZGO 54 NF 15 (1900), S. 29–65 und S. 547–610, hierzu S. 43f., Anm. 1. 123 Heinrich Schnee, Die Hoffinanz und der moderne Staat. Geschichte und System der Hoffaktoren an deutschen Fürstenhöfen im Zeitalter des Absolutismus. Bd. 4, Hoffaktoren an süddeutschen Fürstenhöfen nebst Studien zur Geschichte des Hoffaktorentums in Deutschland. Berlin 1963, S. 108. 124 GLAK 61/174 HR 23.3.1745 Nr. 6. 125 Zu den Schulden der Markgräfin Maria Anna aus einem Kauf von Schmuck bei Hayum Flörsheim siehe S. 581f. 126 Britta Waßmuth, Im Spannungsfeld zwischen Hof, Stadt und Judengemeinde. Soziale Beziehungen und Mentalitätswandel der Hofjuden in der kurpfälzischen Residenzstadt

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Hayum Flörsheim

zwischen der jüdischen und nichtjüdischen Welt. Dieses Verhalten unterstrich er mit einer Art Geste durch sein zeitweiliges Wohnen bei einem Christen, wenn er in die Residenz kam, was bei der Nähe zwischen seinem Wohnsitz in BadenBaden und Rastatt nicht unbedingt erforderlich war. Auch wenn er nicht den Titel „Hoffaktor“ oder „Hofagent“ trug, näherte er sich dem Status von Hofjuden an, derjenigen Juden, die sich „in einem auf Kontinuität angelegten Dienstleistungsverhältnis“ zu einem Hof befanden.127 Seine Annäherung an den Hof und die christliche Gesellschaft wird auch in der Konversion seiner Tochter sichtbar, die nach der Darstellung der Jesuiten sich früh zu Christen hingezogen fühlte; wie manche andere Nachfahren, auch gerade Töchter, von Hofjuden verlor sie vielleicht durch die Kontakte der vorhergehenden Generation mit der christlichen Gesellschaft die Sicherheit über ihre kulturelle Identität.128 Mit seiner Admodiation riskierte Hayum Flörsheim den Einstieg in einen Geschäftsbereich, den Christen zeitweilig vernachlässigten, wohl aus wirtschaftlichen Gründen. Für die Regierung war er zunächst ein Gewinn versprechender Admodiator. Deswegen stellte sie Bedenken wegen der Angemessenheit, dass Juden mit Lebensmitteln handelten, zurück.129 Die Gründe für die Aufgabe der Admodiation liegen zumindest teilweise in den Schwierigkeiten, die seitens der christlichen Geschäftspartner – Lieferanten und Abnehmer – entstanden, aber auch in der Preisforderung der Regierung. Teile der Einwohnerschaft akzeptierten den jüdischen Admodiator nicht und missachteten sein Monopol. Damit stellten sie sich nicht nur gegen Hayum Flörsheim, sondern auch gegen die Regierung, die es vergeben hatte und ohne großen Erfolg auf seine Einhaltung drängte. Nach dem Bruch mit der Regierung nutzte Flörsheim den baden-durlachischen Schutz, darin anderen Schutzjuden ähnlich, die vor und nach ihm von Karlsruhe aus ihre Interessen im Baden-Badischen wahrten.130 Die Regierung versah Hayum Flörsheim mit vielen Aufträgen. Dies bot ihm Chancen zu wirtschaftlichem Erfolg. Sie blickte auch mit Misstrauen auf ihn: Dass er Geld des Stiftspropstes, Zoll und Steuern unterschlagen könnte, dieser Verdacht vor dem Hintergrund des Stereotyps eines betrügerischen Juden haftete ihm an. Hayum Flörsheim ist sicher nicht repräsentativ für die Schutzjuden insgesamt, allein schon durch seinen sozialen Rang und seine wirtschaftlichen AktiviMannheim am Ausgang des Ancien Régime (Sonderveröffentlichungen des Stadtarchivs Mannheim – Institut für Stadtgeschichte 32). Ludwigshafen 2005, S. 16. 127 Rotraud Ries, Hofjuden – Funktionsträger, in: Ries und Battenberg (Hg.): Hofjuden, S. 15f. 128 Ebd., S. 24. 129 Zum Verdacht der Warenverfälschung durch Juden siehe S. 267 u. ö. 130 Zur Verfolgung ihrer Interessen in der Markgrafschaft durch ehemalige baden-badische Schutzjuden, die nach Karlsruhe-Durlach gezogen waren, siehe S. 152 u. ö.

Aspekte jüdischen Lebens 

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täten. Sein Leben weist aber eine Reihe von Aspekten auf, um die es im Folgenden geht. Er war integriert in der jüdischen Gesellschaft, in der markgräflichen Judenschaft, deren institutioneller Zusammenhang auch in seiner Person sichtbar wird. Mit seiner Nähe zum Hof, zu einem der höheren Kleriker im Land und zu christlichen „Partnern“ in seiner Admodiation verfügte er über zahlreiche Kontakte zur Mehrheitsgesellschaft; ein bemerkenswertes Selbstverständnis und Selbstbewusstsein deutet sich an. In seiner Beziehung zum Dompropst Flösdorf zeigt sich Vertrauen und ein Überschreiten des Wirtschaftlichen; die Regierung „gebrauchte“ ihn, entfaltete aber auch Misstrauen. Diese Aspekte jüdischen Lebens, der Zusammenhalt der jüdischen Gesellschaft, die wirtschaftlichen Aktivitäten, Nähe und Distanz zur christlichen Gesellschaft, Vertrauen und Misstrauen im Leben der Juden in der Markgrafschaft bilden im Folgenden die thematischen Schwerpunkte auch dann, wenn es nicht um sozial hervorgehobene Menschen wie Hayum Flörsheim geht.

3  Die Schutzaufnahmen in der Markgrafschaft 3.1  Der Blick auf die Schutzaufnahmen – ein Blick auf Vorstellungen und Praktiken der Beteiligten Wer waren die Menschen, die als Juden in der Markgrafschaft lebten? Die Untersuchung der Schutzaufnahmen ermöglicht, diese Frage zumindest für einen erheblichen Teil der Judenschaft zu beantworten. Erschließbar sind als Haushaltsvorstände die Schutzjuden oder ihre Witwen, ihre Söhne, wenn sie an deren Stelle in den Schutz aufgenommen wurden, in manchen Fällen auch die Namen von Geschwistern, Bräuten oder Ehefrauen. Dabei geht es nicht nur darum, wer sich um den Schutz bewarb und wer ihn erhielt. Schutzaufnahmen führten zu einem Geflecht von Reaktionen – bei den direkt Beteiligten wie bei der Bevölkerung.1 Das eröffnet einen Blick auf die Vorstellungen und Praktiken der Bewerber, der Vertreter der Regierung und der Bevölkerung, und zwar für eine Zeit von über 120 Jahre in einer überschaubaren kleineren Landesherrschaft.2 Ein anderer Aspekt: Die Schutzaufnahmen sind fast alle nur als verkürzte Einträge in den Protokollen der Hofgremien überliefert. Gerade die Verkürzungen und das Repetitive der Einträge in diesen Protokollen müssten ermöglichen, die Wahrnehmungsmuster und „Darstellungshaltung“ der Beteiligten3 im Bezug auf sich selbst und die anderen. Die Schutzaufnahmen und die mit ihnen verbundenen Einstellungen und Verhaltensweisen lassen sich in deutlich unterscheidbare Phasen einteilen. Die erste Phase wurde beendet, als unter der Regentschaft der Markgräfin Sibylla Augusta die „Judenordnung“ von 1714 den Zugang zum Schutzrecht erschwerte. Für die folgenden Jahre ist ein restriktives Vorgehen bei den Schutzerteilungen feststellbar. Dann setzte sich mit der Regierung von Markgraf Ludwig Georg die dritte Phase durch, die bis zum Ende der Markgrafschaft wieder mehr Aufnah1 André Holenstein, Bitten um den Schutz: Staatliche Judenpolitik und Lebensführung von Juden im Lichte von Schutzsupplikationen aus der Markgrafschaft Baden(-Durlach) im 18. Jahrhundert, in: Rolf Kießling und Sabine Ullmann (Hg.), Landjudentum im deutschen Südwesten während der Frühen Neuzeit (Institut für Europäische Kulturgeschichte der Universität Augsburg. Colloquia Augustana 10). Berlin 1999, S. 97–156, hierzu S. 99– 103. 2 Zu einer neueren Charakterisierung der Markgrafschaft Baden-Baden als Kleinstaat oder „Ländchen“ Hansmartin Schwarzmaier: Baden. Dynastie – Land – Staat, S. 148 und S. 150. 3 Landwehr, Achim, Geschichte des Sagbaren. Einführung in die Historische Diskursanalyse (Historische Einführungen 8). Tübingen 2001, S. 113f. (Neuauflage unter dem Titel: Historische Diskursanalyse. Frankfurt/M. 2008).

Im Spiegel der Regierungsprotokolle 

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men brachte. Sie wurde unterbrochen durch eine kurze Zeit, in der ein Stopp für die Aufnahmen überlegt wurde. Davon wendete sich die Regierung wieder ab, und unter Markgraf August Georg wurde die Linie seines Bruders fortgeführt. Es sind damit drei Phasen, die im baden-badischen Fürstenstaat wesentlich durch die jeweiligen Vertreter der Dynastie geprägt wurden. Die Eigenheiten dieser Phasen wirkten auf die Lebenswelten der Schutzjuden ein, und deshalb werden die Schutzaufnahmen nach „Regierungszeiten“ untersucht. Nur die Jahre zwischen dem Tod von Markgraf Ludwig Wilhelm 1707 und der „Judenordnung“ lassen sich nicht eindeutig diesen Phasen zuordnen.

3.2  Das Verfahren der Schutzaufnahmen im Spiegel der Regierungsprotokolle Das Verfahren bei den Schutzerteilungen lässt sich im Zuge einer Auseinandersetzung über das Schutzrecht von Itzig in Kuppenheim erkennen. 1740 entstanden Zweifel, ob sein Schutzverhältnis rechtmäßig entstanden war. In diesem Zusammenhang berichtete die Hofkammer, wie zur Zeit des Markgrafen Ludwig Wilhelm – in dessen Regierungszeit sich Itzig in Kuppenheim niedergelassen hatte – bei einer Aufnahme verfahren wurde. Eine neue Schutzaufnahme sei dann erfolgt, wenn die Zahl der Schutzjuden unter der von Markgraf Ludwig Wilhelm bestimmten Höchstzahl von 42 Haushaltungen lag. Nach dem Beschluss über eine Schutzerteilung habe der Landschreiber4 die Aufgenommenen „enroullirt“, in eine Liste eingetragen. Für im Land geborene Juden, bei „Landtskindern“, sei kein Schutzbrief ausgestellt worden. Als um 1710 Unklarheiten über die Bezahlung des Aufnahmegelds entstanden, einer einmaligen Gebühr bei der Schutzerteilung, sei das Verfahren neu geregelt worden. Von da an stellte generell sie selbst, so die Hofkammer, einen Schutzbrief aus, und der zuständige Amtmann erhielt dann den Befehl zum Einzug des Aufnahme- und des jährlichen Schutzgelds.5 Die Aussage der Hofkammer über ihre Funktion bei der Schutzerteilung stimmt mit dem aus der Tabelle II über die Schutzaufnahmen 1648 bis 1714 (S. 43ff.) ermittelten Befund für die Zeit bis 1714 überein. Die Aufnahme wurde 4 Landschreiber: Beamter an der Spitze der Landschreiberei, die für die Verrechnung der Finanzen des Landes zuständig war. 5 GLAK 61/277 HK 3.9.1740. Für die erste Zeit nach 1714 lässt sich nachweisen, dass auch einige Juden, die in den vorhergehenden Jahren den Schutz erworben hatten, einen Schutzbrief erhielten: Hayum Flörsheim und die beiden Söhne von Matz Schweitzer, Moyses und Samson Schweitzer, verlangten und erhielten 1715 von der Hofkammer einen Schutzbrief (GLAK 61/251 HK 29.5.1715).

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Die Schutzaufnahmen in der Markgrafschaft

in 13 von 22 Fällen bei der Hofkammer allein protokolliert,6 zweimal vom Hofrat.7 Bis 1681 war die Hofkammer für die Angelegenheiten, die mit den Schutzjuden zusammenhingen, allein und umfassend zuständig. Dann bestimmte Markgraf Ludwig Wilhelm, dass die Juden nicht mehr zur Kammer, „was die Jurisdictionalia [Rechtsprechung] belanget,“ „ganz nicht, sonderen vor Unseren HofRhat gehörig“ seien.8 Die Zuständigkeit der Hofkammer wurde 1681 also im Bereich der Rechtsprechung auf den Hofrat übertragen. Dass die Kammer um 1710 für die Ausstellung des Schutzbriefs zuständig wurde, bestätigt indirekt, dass vorher das Verfahren der Schutzaufnahme nicht eindeutig geklärt war; einen Bezug auf eine schriftlich formulierte Norm enthält der Bericht von 1740 nicht und möglicherweise existierte sie gar nicht. Auch machte die Kammer keine Aussage dazu, wieweit sie oder eines der beiden anderen Regierungskollegien, vom Recht des Landesfürsten abgesehen, wirklich die entscheidende Instanz bei den Schutzaufnahmen war. Der eigentliche Weg zum Entschluss bei einer Schutzaufnahme lässt sich an der Aufnahme Salomons (II.19) in Bühl im Jahr 1711 in den wesentlichen Zügen erkennen; über die Beteiligung aller drei Regierungskollegien liegen Informationen vor. Der Schutzjude Löwel Gans supplizierte 1711 für seinen Schwiegersohn Salomon. Die Hofkammer prüfte darauf die Voraussetzung einer Schutzerteilung und schlug die Höhe des Aufnahme- und Schutzgeldes vor. Ihrem Gutachten schloss sich der Hofrat an.9 Darauf protokollierte der Geheime Rat unter Bezug auf das Gutachten der Hofkammer deren Vorschläge als Beschluss und gab das „Fiat“,10 die endgültige Anweisung zur Schutzaufnahme. Der Geheime Rat sprach also nicht nur zeitlich das letzte Wort, sondern entschied abschließend über die Schutzaufnahme. Die persönliche Beteiligung der Markgrafen und der Regentin Sibylla Augusta lässt sich in einzelnen Fällen erkennen, aber nicht in allen. Die Rolle des Geheimen Rats, der seit 1655 den anderen Hofgremien übergeordnet war,11 lässt sich allerdings weiter nicht überprüfen; das verhindern die Lücken in der Überlieferung – nur ein einziger Band mit Protokollen des Geheimen Rats steht für die Zeit bis 1714 zur Verfügung.12 6 Zur Protokollierung allein durch die Hofkammer siehe S. 43ff., Tabelle II, die Nummern II.1, II.6, II.8, II.10, II. 11, II.12, II.13, II.17, II.18, II.19, II.20, II.21 und II.22 in den Protokollen des Hofrats. Da die Protokollbände des Geheimen Rats nicht vollständig überliefert sind, machen die Angaben nur eine Tendenz deutlich. 7 Zur Protokollierung durch den Hofrat siehe S. 43ff., Tabelle II, die Nummern II.2, II.14. 8 GLAK 74/1380, Markgraf Ludwig Wilhelm an die Hofkammer, 30.8.1681. 9 GLAK 61/139 HR 28.2.1711. 10 GLAK 61/25 GR 28.2.1711. 11 Zum Aufbau der Regierung und Verwaltung zuletzt Kohnle, Markgrafschaft Baden, S. 153–155. 12 GLAK 61/25 GR für die Jahre 1701 bis 1711.

Ein „Vergleich“ über die Schutzaufnahmen 1650 

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Die „Judenordnung“ von 1714 ging auf das Verfahren der Schutzaufnahme nicht ein. Sie enthielt in ihrem vierten Artikel nur die Voraussetzungen für die Aufnahme in ein Schutzverhältnis: In materieller Hinsicht setzte sie ein Mindestvermögen von 1000 Gulden und weitere Mittel in unbestimmter Höhe fest, die zum Bau eines Hauses dienen sollten. Die moralische und rechtliche Voraussetzung eines „redlichen Wandels und Verhaltens“13 war nicht weiter qualifiziert. Diese Kriterien – Vermögen und „Wandel“ – blieben in ihrer Unbestimmtheit die rechtliche Norm bis zum Ende der Markgrafschaft Baden-Baden im Jahr 1771.

3.3  Ein „Vergleich“ über die Schutzaufnahmen 1650 Eine besondere Regelung des Schutzverhältnisses hielt der Hofrat am 10. Juli 1650 so fest: „Mit der im landt anweßenden Judenschaft, deren vermög Specification [nach dem beigefügten Verzeichnis] 15 Haußhaltungen sinndt, ist heut dato verglichen worden, dass dieselben samenthaft [zusammen] von heute angehend für ein Jahr lang […] dreyhundert g(u)lden Schirmgelt /: welches auß des Hirzels Zue Stolhoven und Baruchs Zue Etlingen Handen gelifert werden solle:/ Zur F(ü)rstl(ichen) Landschr(ey) berey erlegen […] auch von Jedem Hausgesaß [Hausinsasse, Hausbesitzer, hier wohl Haushaltsvorstand] ein Schirmbbrief von Ihr F(ü)r(st)l(ichen) G(na)den abgeholt werden solle, mit dem Zumalig(en) anhang, dass Jetztgemelte Juden, ohne F(ü)r(s) tl(iche) Spezialbewilligung, keine andere Juden, es seyen Praeceptores [Lehrer] oder wie sie genant werden mögen, Zue sich nemmen, oder in widrigem [...]14 annderster nichts, dann außer landt schafens Zue gewarthen haben sollen.“15

Diese Regelung war – wie die Formulierung „verglichen“ zeigt – ein Vertrag oder eine Vereinbarung16 wohl zwischen dem Hofrat und den Schutzjuden: Sie beendete die Zeitspanne ab 1614, als alle Juden der Markgrafschaft ausgewiesen wurden.17

13 Der Wortlauf der „Judenordnung“ von 1714 bei Zehnter, Juden in der Markgrafschaft Baden-Baden, in: ZGO 50, (1896), S. 427–430, Zitat S. 428. 14 Schriftverlust oder Beschädigung des Blattes nach „widrigem“. 15 GLAK 61/120 HR 10.7.1651. 16 Vergleich: Vertrag, nach Zedlers Universallexicon, Bd. 25, Sp. 114. 17 Breuer, Frühe Neuzeit und Beginn der Moderne, in: Breuer und Graetz (Hg.), Deutschjüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. 1, S. 90.

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Die Schutzaufnahmen in der Markgrafschaft

Mit diesem Generalgeleit18 oder Generalschutzbrief19 erhielten die „Hausgesaßen“, die Vorstände der jüdischen Familien, die zu dieser Zeit im Land lebten, gegen die Bezahlung des Schutzgeldes ihre Schutzbriefe und damit die rechtliche Grundlage ihres Aufenthalts in der Markgrafschaft.20 Durch den Dreißigjährigen Krieg war die Markgrafschaft schwer getroffen. Allein der Bevölkerungsrückgang wird für das badische Gebiet insgesamt fast auf die Hälfte geschätzt,21 und auf Steuereinnahmen war noch lange nicht zu hoffen.22 Die Wiederaufnahme von Juden in den markgräflichen Schutz unter Markgraf Wilhelm23 ging vermutlich wie in vielen Teilen des Reiches und vor allem im Südwesten auf die Hoffnung zurück, so die erforderliche „Peuplierung“ und den wirtschaftlichen Aufschwung zu fördern.24 Stabile Verhältnisse garantierte die Rechtsgrundlage von 1650 den Schutzjuden nicht. Schon 1656 klagten die christlichen Einwohner von Ettlingen über die Juden in der Stadt; sie würden „allerhandt ungelegenheiten undt schädlichkeiten“ verursachen. Die Hofkammer setzte darauf fest, die Juden müssten bis zum 24. Juni, dem Festtag von Johannes dem Täufer, die Stadt verlassen und an anderen Orten unterkommen.25 Die Erwähnung eines „Abraham von Ettlingen“ im Jahr 166426 zeigt allerdings, dass diese Ausweisung nicht auf Dauer galt.

18 Ein solches, allerdings umfangreicheres und detaillierteres Generalgeleit weist Dina von Faassen für das Hochstift Paderborn zum Jahre 1704 nach, das die Nennung der einzelnen Schutzjuden nicht enthält. (Dina von Faassen, „Das Geleit ist kündbar“. Quellen und Aufsätze zum jüdischen Leben im Hochstift Paderborn von der Mitte des 17. Jahrhunderts bis 1802 (Historische Schriften des Kreismuseums Wewelsburg 3). Essen 1999, S. 45–48. Das im Zusammenhang mit dem Vertrag 1651 aufgestellte Verzeichnis wohl mit den Namen der einzelnen Schutzjuden scheint nicht überliefert zu sein. 19 Breuer, Frühe Neuzeit und Beginn der Moderne, in: Breuer und Graetz (Hg.), Deutschjüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. 1, S. 134. 20 Die Feststellung von 1740, dass vor 1711 nur außerhalb der Markgrafschaft geborene Juden einen Schutzbrief erhielten, scheint hier nicht zuzutreffen, außer man nähme an, dass 1650 alle 15 markgräflichen Schutzjuden nicht in der Markgrafschaft geboren waren. Die Abweichung könnte darin begründet sein, dass sich erst nach 1650 die 1740 beschriebene Verfahrensweise ausbildete. 21 Schwarzmaier, Baden. Dynastie – Land – Staat, S. 137 und zuletzt Kohnle, Markgrafschaft Baden, S. 127f. 22 Ebd. 23 Markgraf Wilhelm von Baden-Baden: 1593–1677. 24 Zur Wiederansiedlung von Juden nach dem Dreißigjährigen Krieg zusammenfassend Friedrich J. Battenberg, Die Juden in Deutschland vom 16. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts (Enzyklopädie deutscher Geschichte 60). München 2001, S. 32–36, Zitate S. 33. 25 GLAK 61/220 HK 19.1.1656. Stenzel, Ettlingen vom 14.–17. Jahrhundert, S. 151 gibt den Vorgang ohne Nachweis wieder. 26 Stenzel, Ettlingen vom 14.–17. Jahrhundert, S. 151.

Schutzaufnahmen bis zur „Judenordnung“ von 1714 

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3.4  Schutzaufnahmen bis zur „Judenordnung“ von 1714 3.4.1  Strategien und Entscheidungsfaktoren Statt einer kollektiven Schutzerteilung erfolgten nach 1650 nur noch individuelle Aufnahmen. Bis 1714, als mit der „Judenordnung“ auch die Schutzaufnahme neu geregelt wurde, erhielten 22 Juden den Schutz. Sie sind in der Tabelle II über die Schutzaufnahmen bis 1714 (S. 43ff.) verzeichnet. Mindestens elf der Bewerber kamen aus der Markgrafschaft,27 zwei stammten von außerhalb des Landes,28 wohl auch Israel in Gernsbach und ein Vetter bzw. ein Neffe.29,30,31,32,33 Tabelle II:  Schutzaufnahmen 1648 bis zur „Judenordnung“ Nummer Schutzort

Jahr der Schutzaufnahme

a. Name des neuen Schutzjuden, Angaben zur Person (Verwandtschaft, Herkunfts- oder Wohnort, Herrschaftsgebiet u. ä.) b. Name und Wohnort des/der Supplizierenden

II.1 Kippenheim

1666

a. Abraham, Kippenheim29

II.2 Bühl

1671

II.3 Kuppenheim

1677

II.4 Gernsbach Hörden I.5 Malsch

1676/83 1685

b. a. b. a.

– Schwiegersohn der Witwe von Moyses Witwe des Moyses, Bühl30 „alter Judd von Cronweissenburg“31 (Weissenburg/Wissenbourg, Elsass, Bas-Rhin) b. – a. Israel32 b. – a. Sohn von Marum Götschel, Kuppenheim33 b. –

27 Siehe S. 43ff., Tabelle II, sind dies die Neuaufgenommenen mit den Nummern II.1, I.4, II.6, II.9, II.11, II.12, II.15, II.16, II,17, II.20 und II.21. 28 Siehe die Nummern II.3 und II.18. 29 GLAK 61/221 HK 14.1.1666 Bl. 145r–v. 30 GLAK 61/124 HR 13.11.1671 Bl. 5r. 31 GLAK 74/6968 Extrakte aus dem Protokoll des Geheimen Rats, 3.6.1678, mit der Angabe, dieser namentlich nicht genannte Jude halte sich seit eineinhalb Jahre in Kuppenheim im Schutz auf. 32 GLAK 61/223 HK 2.4.1680. 33 GLAK 61/226 HK 9.8.1685.

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Die Schutzaufnahmen in der Markgrafschaft

Nummer Schutzort

Jahr der Schutzaufnahme

II.6 Ettlingen

1690

II.7 Bühl

1692

II.8 Gernsbach

1692

II.9 Malsch

1696

II.10 Rastatt

1696

II.11 Ettlingen

1697

II.12 1698 Muggensturm II.13 Rastatt (?)

1699

II.14 Friesenheim

1701

a. Name des neuen Schutzjuden, Angaben zur Person (Verwandtschaft, Herkunfts- oder Wohnort, Herrschaftsgebiet u. ä.) b. Name und Wohnort des/der Supplizierenden a. Jost, Ettlingen34 b. – a. Knecht der Witwe Arons b. Witwe Arons, Bühl35 a. Abraham, Bühl36 b. – a. Meyer Levi, Schwiegersohn von b. Jost, Ettlingen37 a. Cassel, Sohn von Zacharias, Rastatt38 b. – a. verheirateter Sohn von Isaac, Ettlingen b. Isaac, Ettlingen39 a. Joseph, Vetter Israels von Gernsbach b. Israel, Gernsbach40 a. Israel, Neffe von b. Israel von Gernsbach41 a. Nathan, Friesenheim42 b. –

, , , , , , , ,

34 35 36 37 38 39 40 41 42

34 Amtmann Olisiy erwähnt 1691 Isaac und Jost als die beiden Schutzjuden in Ettlingen und führt an, dass Jost wegen seines zu hoch angesetzten Schutzgeldes bereits „vor dem Brandt supplicando eingekommen“ sei, also vor der Zerstörung Ettlingens 1689 suppliziert habe (GLAK 74/3710, Amtmann Olisiy Markgraf an Markgraf Ludwig Wilhelm, 13.5.1691). 1691 dürfte damit das späteste Jahr sein, in dem das Schutzverhältnis von Jost geregelt wurde. 35 GLAK 61/230 HK 12.2.1692 Bl. 27r. 36 GLAK 37/114, „Ich, Abrahamb bekenne […]“, 1.7.1692. Zu Abraham siehe Anmerkung S. 48, Anmerkung 71. 37 GLAK 61/232 HK 30.4.1696 Bl. 51v. Meyer Levi erhielt das Recht zum Aufenthalt in Malsch vorläufig; ob es einen weiteren Vorgang gab, der zur förmlichen Schutzaufnahme führte, ist fraglich. Meyer Levi ist wohl identisch mit dem später als Meyer Malsch genannten Schutzjuden. 38 GLAK 61/232 HK 12.2.1697 Bl. 19r-v. Der Eintrag weist darauf hin, dass Cassel Weihnachten 1696 den Schutz erhalten hatte. 39 GLAK 61/232 HK 17.6.1697 Bl. 52v. 40 GLAK 61/232 HK 5.6.1698 Bl. 91r. 41 GLAK 74/6973, Hofrat Hinderer, 15.5.1699 mit der Befürwortung der Aufnahme; siehe auch S. 48f. 42 GLAK 61/131 HR 8.3.1701 Bl. 246v.

Schutzaufnahmen bis zur „Judenordnung“ von 1714 

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Nummer Schutzort

Jahr der Schutzaufnahme

a. Name des neuen Schutzjuden, Angaben zur Person (Verwandtschaft, Herkunfts- oder Wohnort, Herrschaftsgebiet u. ä.) b. Name und Wohnort des/der Supplizierenden

II.15 Kuppenheim

1702–04

II.16 Stollhofen

1706

II.17 Kippenheim

1708

II.18 Bühl

1711

II.19 Bühl

1712

II.20 Rastatt

1713

II.21 Gernsbach

171250

a. b. a. b. a. b. a. b. a. b. a. b. a. b.

, , , , , , , , ,

43 44 45 46 47 48 49 50 51 52

Itzig, Kuppenheim, in der Markgrafschaft geboren43 – Moyses, Sohn von Mathias Schweitzer, Rastatt44 – Lazarus Weil, Kippenheim,45 Stühlingen46 – Salomon, Schwiegersohn von Löwel Gans, Bühl47 Elias Koppel, Bühl48 – Daniel, Rastatt49 – Isaac Lazarus51 Eva Israel, Witwe des Isaac, Gernsbach, für ihren „Vetter“52

Jeweils einmal supplizierte ein Vater für seinen Sohn,53 eine Schutzjudenwitwe für ihren Schwiegersohn54 und eine Witwe für ihren Neffen.55 Zwei Schutzjuden erhielten den Schutz für ihre Schwiegersöhne;56 und als Petent für einen Neffen 43 GLAK 61/ 277 HK 3.9.1740 mit der Aussage, Itzig sei vor 36 bis 38 Jahren in den Schutz aufgenommen worden. 44 GLAK 61/243 HK 26.1.1706. Dass Moyses der Sohn von Matz Schweitzer ist, geht aus späteren Angaben hervor, z. B. bei der Verwicklung in einen Streit mit einem anderen Juden 1711 (GLAK 61/139 HR 15.1.1711). 45 GLAK 61/244 HK 16.6.1708. 46 Zur Herkunft der Familie Weil und zu dieser Familie insgesamt zuletzt Uwe Schellinger, Der Kippenheimer Höfer-Fund: Quellen zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte des Ortenauer Landjudentums im 19. Jahrhundert, in: Die Ortenau 87 (2007), S. 463–480, hierzu S. 463f. 47 GLAK 61/25 GR 28.2.1711. 48 GLAK 61/248 HK 28.12.1712. 49 GLAK 61/249 HK 22.6.1713. 50 Erschlossen aus der Supplik wegen der Schutzaufnahme. 51 GLAK 61/248 HK 12.12.1712. 52 GLAK 61/248 HK 29.11.1712. 53 Siehe S. 43ff., Tabelle II, Nr. II.11. 54 Ebd., Nr. II.2. 55 Ebd., Nr. II.21. 56 Ebd., Nr. II.9 und Nr. II.18.

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Die Schutzaufnahmen in der Markgrafschaft

setzte sich zweimal Israel in Gernsbach ein.57 Damit ergeben sich sieben Bewerbungen, bei denen ein anderer als der künftige Schutzjude selbst supplizierte, und bei insgesamt 21 Bewerbern waren es 14, die den Schutz ohne die Unterstützung anderer Supplizierender erhielten. Ähnlich vielfältig verhält es sich mit der Verwandtschaft. Drei Bewerber stammten direkt von einem Schutzjuden ab.58 Dreimal spielt die künftige Verwandtschaft als Schwiegersohn eine Rolle,59 zweimal ist der Bewerber ein Neffe eines Schutzjuden60 und einmal der „Vetter“ einer Schutzjudenwitwe.61 Die Verwandtschaft wurde nicht ausdrücklich als Entscheidungsfaktor thematisiert, aber bei der Protokollierung der Schutzerteilungen oft wie selbstverständlich genannt, wohl nicht nur zur Identifizierung der einzelnen Bewerber. Es ist nicht erkennbar, ob sie ihre Bedeutung durch die Regierung oder die Bewerber um den Schutz erhielt. Bei zwölf von ihnen, bei der leicht überwiegenden Zahl, lässt sich keine Verwandtschaft feststellen, die etwas über die Herkunft aussagen würde. Damit erweist sich das Gewicht der Väter bei der Bewerbung, überhaupt der direkten Herkunft aus einer Schutzjudenfamilie als nicht allein entscheidend, wenn nicht eine ausgesprochen zufällige Überlieferung vorliegt. Viele Bewerber nahmen die Chance wahr, ohne Verwandtschaft und ohne Befürworter den Schutz zu erhalten; beides galt zumindest nicht als so relevant, dass es in die Regierungsprotokolle einging. Zur Strategie des Aufnahmegesuches gehörte die Wahl des Ortes, für den der Schutz angestrebt wurde. Kam der Wohnort des Vaters oder eines anderen verwandten Schutzjuden nicht in Frage, spielte die Nähe zu diesem eine Rolle.62 In den Fällen, in denen es um einen anderen Schutzort als den des Vaters oder anderer Verwandter ging, handelt es sich um den Wechsel zu einem peripheren Ort.63 Die Schutzbewerber wichen auf das Umland aus, vermutlich deshalb, weil die Zahl der Juden am Wohnort der vorhergehenden Generation nicht erhöht werden sollte. Wie bei der Verwandtschaft berücksichtigten auch hier die Bewerber ein Kriterium, die Zahl der Schutzjuden an einem Ort, das sie als wichtig für die Regierung ansahen. Zumindest zeitweise hatte die Regierung eine kritische Sicht auf die Juden, die eine Lebenschance in der Markgrafschaft suchten. 1710 versuchte die Hofkam57 Ebd., Nr. II.12 und Nr. II.13.

58 59 60 61 62 63

Ebd., Nr. II.5, Nr. II.10 und Nr. II.16. Ebd., Nr. II.2, Nr. II.9 und Nr. II.18. Ebd., Nr. II.12 und I Nr. I.13. Ebd., Nr. II.21. Ebd., Nr. II.5, Nr. II.12, Nr. II.13 und Nr. II.16. Ebd., Nr. II.4 (Malsch anstelle von Kuppenheim); Nr. II.9 (Malsch anstelle von Ettlingen); Nr. II.16 (Stollhofen anstelle von Rastatt) und Nr. II.16 (Muggensturm anstelle von Gernsbach).

Schutzaufnahmen bis zur „Judenordnung“ von 1714 

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mer noch nicht bezahlte Aufnahmegelder einzuziehen und schrieb an die Ämter: Sie habe „missfällig wahrnemmen müssen, dass Ein- und andere Juden under dem praetext [Vorwand] alls Juden Söhn auf dem Landt, oder deren [der Juden] Tochtermänner ohne erhaltene Erlaubnus von gn(ä)d(ig)ster Herrschaft in die Marggrafschaft sich hauslich Einlassen, und freyen Handel [einen Handel ohne Genehmigung der Regierung] treiben.“64

Zwei Monate später fasste die Kammer ihren Eindruck bereits in einer stereotypen Formulierung: Es hätten sich gerade bei den „annoch führwehrenden [andauernden] Kriegsläuften Ein- und andere Juden Eingeschlichen.“65 3.4.2  Einzelne Schutzaufnahmen Für die Zeit vor 1714 lassen sich die Strategien der Bewerber um den Schutz und die Entscheidungsfaktoren der Regierung vor allem bei der Schutzerteilung für Israel und dessen Neffen überprüfen. Nach der Aufnahme Israels selbst, wohl schon 1677 bewilligt,66 beschwerten sich die christlichen Untertanen in Gernsbach bei der Regierung. Diese verständigte sich wohl zunächst mit der Speyerer Regierung, ihrem Partner im Kondominat. Dann legte die Kammer Markgraf Ludwig Wilhelm dar, dass er ohne Weiteres auf Grund des Judenregals67 das Recht habe, „einige Juden nacher ged(achtem) Gernsbach aufzunehmen oder nicht.“ Die Entscheidung bestand in einem Kompromiss. Die Regierung kam der Bevölkerung entgegen mit der Begründung, dass es zu ihrem „Besten“ sei – die Aufnahme Israels wäre, so konzedierte es die Regierung, zu ihrem „Schlechten“ gewesen. Deshalb erteilte Markgraf Ludwig Wilhelm Israel nicht den Schutz für die Stadt Gernsbach, Israel durfte sich aber „entweder zu Hörden, oder einem anderen ordt der Grafschaft Eberstein, oder der Markgrafschaft“ „in den Schirm“ begeben.68 Im Jahr 1683 erschien im Protokoll des Hofrats Israel allerdings als „Gemeinschaftliche(r) Schirmsverwandte(r) Jud zu Gernsbach“.69 Er war der erste jüdische Einwohner, der durch das Hochstift Speyer und die Markgrafschaft Baden-Baden zusammen als „Gemeinschaftsjude“, so die später meistens verwendete Bezeich64 GLAK 74/3711, Hofkammer an die Ämter Bühl, Rastatt und Ettlingen, 15.7.1710. 65 GLAK 74/3711, Hofkammer an die Ämter Rastatt, Malsch, Ettlingen und Bühl, 7.9.1710 (Tagesangabe unsicher). 66 Die Hofkammer hielt 1792 fest, Israel habe schon 15 Jahre den Schutz (GLAK 61/230 HK 3.11.1692 Bl. 158r.) Er selbst schrieb 1698 in einer Supplik er habe den Schutz schon über 20 Jahre (GLAK 74/6973, Israel an Markgraf Ludwig Wilhelm, 1699, o. D.) 67 Zum Judenregal Battenberg, Juden in Deutschland, S. 14–16. 68 GLAK 61/125 HR 16.6.1680 Bl. 172v. 69 GLAK 61/128 HR 23.12.1683.

48 

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Die Schutzaufnahmen in der Markgrafschaft

nung, den Schutz erhielt. Israel blieb bis zu seinem Tod 171170 der einzige Schutzjude in Gernsbach; der dortige Aufenthalt des von Bühl gekommenen Abraham blieb auf wenige Jahre beschränkt.71 Eine Reaktion auf seinen Aufenthalt in der Bevölkerung ist nicht überliefert. Unter den Bewerbungen um den Schutz bis 1714 ist die von Israel in Gernsbach für seinen Neffen im Wortlaut erhalten, teilweise auch die Reaktion der Regierung. Israel von Gernsbach supplizierte für seinen Neffen Israel so: „Dieweilen under Ewer Hochfürstl(ichen) D(urc)hl(auch)t g(nädig)sten Schuz und Schirm nun über 20 Jahr Zugebracht, und aber Einiges72 Kindt nicht erziehlet, danenhero in meiner Schwester Kindt nahmens Israel, annoch ledigen Standts, als welcher nach erfolgendem Einstigem absterben meine Verlassenschaft Erben würdt, im Land etwa Zu Bühl oder Rastatt under dero g(nä)d(i)gstem Schutz und Schirmb aufgenommen sehen möchte; Als habe Ewer Hochfürstl(iche) D(urc)hl(auch)t hiermit undterthänigst und angelegenst Bitten wollen, in ansehung oberzehlter Motiven ged(ac) hter meiner Schwester Kindt ein Ein aus obigen beeden ohrten gegen abstättung des von anderen daselbst wohnenden Juden Jährlich raichendes Schirmbgeldts g(nä)d(ig) st anzunehmen, Sintemahlen [insbesonders da] auch der selbe zimblich wohl bemitelt, und dafern [sofern] Er die G(nä)d(i)gste aufnahmb nacher Rastatt erhalten würde, sich des Bawwesens halber gleich die bereits allda wohnende Juden angehalten werden, anzustellen.“73

Israel argumentierte für die Schutzaufnahme unter verschiedenen Gesichtspunkten. Er warb mit seiner eigenen langjährigen Existenz als Schutzjude; vor allem benutzte Israel sein Vermögen, das er seinem Neffen vermachen würde, um dessen Eignung als Schutzjude nachzuweisen. Als Schutzort für den Sohn seiner Schwester wünschte sich Israel nicht Gernsbach selbst, was nahe gelegen hätte; vielleicht berücksichtigte er hierbei eine Re70 GLAK 61/247 HK 15.9.1711. 71 Gernsbach war von 1688 bis 1708 als Teil der Grafschaft Eberstein an die Markgrafschaft Baden-Durlach verpfändet (Hennl, Gernsbach, in: Landesarchivdirektion BadenWürttemberg (Hg.), Der Landkreis Rastatt, Bd. 2, S. 97). In dieser Zeit erteilte Markgraf Friedrich Magnus von Karlsruhe-Durlach wohl nur einmal den Schutz, nämlich 1692: Er nahm Abraham (II.9) „von Biel [Bühl]“ in Gernsbach für die Dauer des Krieges auf (GLAK 37/114, „Ich, Abrahamb bekenne […]“, 2.5.1693. Anzeichen für eine Reaktion in der Gernsbacher Bevölkerung wie bei der Aufnahme Israels um 1680 sind nicht überliefert. Abraham blieb nicht in Gernsbach: In einem Verzeichnis der markgräflichen Schutzjuden von 1700 ist für das Amt Bühl nur ein Schutzjude mit einer Herkunftsangabe verzeichnet, nämlich „Aaron von Gernsbach“ (GLAK 74/3711, „Im Amt Bühl“, o. D., (1700). Dieser Aron dürfte mit Abraham oder mit seinem Sohn identisch sein; für Gernsbach selbst lässt sich die Anwesenheit eines Juden namens Abraham in der Zeit nach 1692 nicht nachweisen. 72 „Einiges Kindt“: wohl Verschreibung von „Eigenes Kindt“ oder „Einziges kindt“. 73 GLAK 74/6973, Israel an Markgraf Ludwig Wilhelm, 1699, o. D.

Schutzaufnahmen bis zur „Judenordnung“ von 1714 

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aktion in der Gernsbacher Bevölkerung, wie er sie selbst erfahren hatte. Nicht jeder beliebige Ort kam als Schutzort aus der Sicht Israels für seinen Neffen in Frage, aber er legte sich doch fest auf die Alternative Bühl oder Rastatt. Zugleich ging die Bittschrift auf die aktuelle Situation in Rastatt ein. Israel erklärte nämlich die Bereitschaft und finanzielle Möglichkeit seines Neffen, sofort ein modellmäßiges Haus zu bauen. Mit dem Bau des dortigen Schlosses als markgräfliche Residenz seit 1697/98 verstärkte sich die Entwicklung Rastatts. Für neue Häuser galt die Schatzungsfreiheit, wenn im Zentrum einzelner Orte ein modellmäßiges zweistöckiges Haus gebaut wurde, wie die Regierung bestimmt hatte.74 Verwandtschaft mit einem Schutzjuden, besonders die Vater-Sohn-Linie, war bei den Aufnahmen bis 1714 als ein Entscheidungsfaktor feststellbar.75 Jedenfalls ging Israel auf die Verwandtschaft als Kriterium für eine Aufnahme ein: Da er keinen Sohn hatte, setzte er dieses Argument für seinen Neffen ein, wohl voraussetzend, damit bei der Regierung eine positive Wirkung erreichen zu können. Neben Herkunft aus der Markgrafschaft, neben Verwandtschaft und Vermögen lässt sich bei der Schutzaufnahme von Israels Neffen ein weiteres Kriterium für eine Aufnahme erkennen. Die Ratskollegien achteten auch auf das nicht näher bestimmte „Wohlverhalten“. Auf diese Vorstellung ging Hofratsdirektor Hinderer in seinem Gutachten ein, das er zur Aufnahme des jungen Israel (II.13), des Neffen von Israel in Gernsbach, 1699 abstattete: Die Bürgerschaft von Rastatt beschwere sich, schrieb er, gegen dessen Aufnahme, „indeme Erstl(ich) nit ohne geringen dero [der Bürgerschaft] Last Bereits vier Jüdische Haushaltungen sich alda Befinden, Zum anderen ermelter Jud eben der Jenige sein solle, so vor 4 oder 5 Jahren Begangenen Diebstahlß halber mit ruthen ausgestrichen und des Landts verwiesen worden; So halte ich jedoch ohnmaßgeblichen darvor, dass dafern [sofern] Er Jud Ein Haus nach dem model Zu Besagtem Rastatt auf Zuerbauen und darmit gleich den anfang Zue machen sich obligiren [verpflichten] würdte, man dem selben den Schutz und Schirmb gleichwohlen gedeyen lassen widrigenfalls aber Ihme sein petitum [Verlangen] abschlagen solte, gestalten man von dergleichen liederlich und mittelloßem gesindtel mehrer Beschwehrnus als nutzen hat.“76

74 Modellmäßig: entsprechend einem Modellhaus. Zum Ausbau Rastatts mit Modell-Häusern Martin Walter, Rastatt soll Residenz werden, in: Froese und Walter (Hg.), Der Türkenlouis: Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden und seine Zeit. Gernsbach, 2005, S. 61– 74, hierzu S. 62–64. Zur Konzeption des „modellmäßigen“ Bauens in der Markgrafschaft Froese, Herr über Land und Leute, in: Ebd., S. 81–94, zur Markgrafschaft und darüber hinaus auch Ulrich Coenen, Von Aquae bis Baden-Baden. Die Baugeschichte der Stadt und ihr Beitrag zur Entwicklung der Kurarchitektur, Aachen 2008, S. 157–160. 75 Zur Verwandtschaft als Faktor bei der Schutzaufnahme siehe S. 46. 76 GLAK 74/6973, Hofratsdirektor Hinderer, 15.5.1699.

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Die Schutzaufnahmen in der Markgrafschaft

Im Vergleich zu den meisten anderen Orten existierten in Gernsbach zwei besondere Voraussetzungen innerhalb der christlichen Einwohnerschaft. Sie war in großer Mehrheit evangelisch; im Jahr 1683 gab es unter den 200 Familien der Stadt gerade 25 katholische.77 In Gernsbach ging es um die erstmalige Schutzaufnahme; eine lokale Tradition der Anwesenheit von Juden existierte nicht. Trotz dieser Unterschiede folgte auch in Gernsbach eine Beschwerde gegen die Schutzerteilung – stereotype Vorstellungen wie die Schädlichkeit von Juden existierten bereits, bevor sie an einem Ort wohnten.78 Die konfessionell unterschiedliche Zusammensetzung der Einwohnerschaft etwa im Vergleich mit dem katholischen Ettlingen79 wirkte sich auf die Ablehnung von Juden nicht aus. Die Gernsbacher Bevölkerung wollte mit einer Beschwerde den Zuzug Israels in ihre Stadt verhindern. Wie es trotzdem zu seiner endgültigen Niederlassung kam, dazu scheinen keine direkten Informationen vorzuliegen. Die Regierung verhielt sich ähnlich wie auf die Beschwerde aus Ettlingen, indem sie zunächst den Vorstellungen der Bevölkerung nachgab. Dann revidierte sie nach kurzer Zeit ihre Entscheidung. Auf Dauer konnten beide Gemeinden die Anwesenheit von Schutzjuden nicht verhindern – die Regierung behielt die Oberhand. Die Juden als Belastung für eine Gemeinde, ihre große Zahl und ein Diebstahlsvorwurf dienten den christlichen Einwohnern in Rastatt als Argument gegen den Neffen Israels. Eigentlich stimmte Hofratsdirektor Hinderer mit ihnen überein. Auf Juden blickte er mit Geringschätzung: Wenn sie keinen Nutzen boten, waren sie für ihn „liederlich“, moralisch verwerflich und arm, eben „Gesindel“ und damit ein Grund von „Beschwehrnus“. Aber: Für die Aufnahme Israels sprach die Chance, einen Einwohner für Rastatt zu gewinnen, der sofort zum Bau eines Hauses imstande war und damit für den Ausbau der neuen Residenz. Deshalb sah er keine Bedenken, den Einwand der Rastatter Bürgerschaft wegen des fehlenden „Wohlverhaltens“ von Israels Neffen zu übergehen. Der wirtschaftliche Nutzen, die Nutzbarkeit allgemein war für den Hofratsdirektor entscheidend. Damit bestätigte er die Strategie, die Israel in Gernsbach verwendete, und die Entscheidung fiel wohl positiv für die Bewerbung aus.80 77 Hennl, Gernsbach, in: Landesarchivdirektion Baden-Württemberg (Hg.), Der Landkreis Rastatt, Bd. 2, S. 104 und Hennl, Gernsbach im Murgtal, S. 268. 78 Zur Ablehnung von Schutzbewerbern durch die Bevölkerung in Orten, in denen keine Juden lebten, siehe S. 83f. zu Iffezheim und S. 527f. zu Steinbach. 79 Zur Einstellung der Ettlinger Bevölkerung zu der Anwesenheit von Juden siehe S. 84. 80 Im Jahr 1701 befasste sich der Hofrat mit einem Konflikt zwischen dem Bühler Schutzjude Joseph Jacob gegen einen Israel. Dabei bezeichnete er Israel als „des Israels zu Gernsbach Bruders Sohn auch Israel genant“. Der Rat befahl dem Amtmann in Rastatt, dass er sich von diesem „fals er sich in Rastatt einfinden sollte, die concession sich in dieses Landt Wiederum zu setzen Vorzeigen“ lasse (GLAK 61/131 HR 5.7.1701 Bl. 327r.). Die Regierung schloss also nicht aus, dass Isaac die Erlaubnis für die Niederlassung hatte, wenn nicht sogar den Schutz.

Schutzaufnahmen bis zur „Judenordnung“ von 1714 

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Ähnlich entscheidend war der wirtschaftliche Nutzen bei Hirtz, vielleicht mit Hirtz in Bühl81 identisch. 1699 befahl der Hofrat dem Ettlinger Amtmann, „sich über des schutz suchenden Jud Hirtzen Vermögen zu informiren und worin solches bestehe“ zu berichten; für den Fall, dass Hirtz genügend Besitz habe und bereit sei, „Ein Haus zue Rastatt zu bauen“, solle ihm der Amtmann die Schutzaufnahme in Aussicht stellen und die Erlaubnis, mit „Krahmer wahr“ zu handeln.82 In diesem Fall kam als aktueller Entscheidungsfaktor die Aussicht auf ein modellmäßiges Haus in Rastatt hinzu. 3.4.3  Die Auseinandersetzungen über die Anzahl der Schutzjuden Nach der Schutzaufnahme von Salomon, dem Schwiegersohn von Löwel Gans in Bühl (II.18), reichte die dortige Bürgerschaft 1712 bei der Hofkammer eine Beschwerde ein. Sie beklagte sich, so gab es die Kammer wieder, über die „daselbst alzuviel eingeschlichenen Judten, vorgebend, dass vor 30, 40 und mehr Jahren mehrere nicht dann zwey Haushaltungen gelitten“, nun gebe es mehr als zwölf Haushaltungen der Juden. Vor allem die „allzu große Anzahl“ der Juden mit ihrer Benutzung der Gemeindeweide bringe vielen Schaden: Ihr Vieh werde zwar auf „ein absonderliches Stückh waidgang angewiesen“, auf einen besonderen Teil der Weide, und dadurch vom Vieh der Christen getrennt. Dennoch, den christlichen Einwohnern schade das kranke Vieh der Juden und überhaupt deren Mitnutzung der Weide. Deshalb müsse die Anzahl von Schutzjuden verringert werden, und die Regierung solle Juden aus Bühl anderen Gemeinden zuweisen. Die Hofkammer reagierte verhalten: Einerseits stellte sie fest, dass Juden in Bühl zu einem hohen Preis Häuser gekauft hätten, und zwar mit der Zustimmung der Regierung. Sie hätten auch Aufnahmegeld bezahlt, und manche seien schon sehr alt. Andererseits sei das Anliegen der Gemeinde berechtigt. Die Regierung beschloss einen Kompromiss: Zu einer Verringerung der Anzahl von Schutzjuden äußerte sie sich nicht, teilte aber der Gemeinde mit, kein weiterer werde nach Bühl aufgenommen, bevor nicht einer der dortigen Schutzjuden sterbe. Sie betonte auch, dass ein Bewerber 500 Gulden als Vermögen aufweisen müsse, wohl als ein Hinweis darauf, dass die Schutzaufnahme nicht einfach sei. Hinsichtlich der Weide bestimmte die Kammer, es solle bei einer Regelung bleiben, die vierzig Jahre zuvor ergangen sei.83 Die Zahl der Schutzjuden beschäftigte die Regierung auch im Jahr 1713, als eine neue Bewerbung vorlag. Markgräfin Sibylla Augusta verlangte einen Bericht 81 Zu Hirtz in Bühl GLAK 61/129 HR 7.2.1699. Seine endgültige Aufnahme scheint nicht nachweisbar zu sein. 82 GLAK 61/129 HR 9.2.1699. 83 GLAK 61/248 HK 6.7.1712. Die erwähnte Regelung scheint nicht erhalten zu sein.

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Die Schutzaufnahmen in der Markgrafschaft

darüber, wie viele Juden den Schutz erhalten sollten oder könnten. Die Hofkammer wies darauf hin, dass sie „schon mehremalen underthänigst berichtet“ hätte, die Höchstzahl der Schutzjuden betrage 42; diese Zahl bekräftige die Kammer damit, dass sie von Markgraf Ludwig Wilhelm 1698 festgesetzt worden sei. Der Bericht schloss: „Bey welcher Disposition mann, wie billich bis anhero verplieben, und weilen die Zahl der 42 Juden annoch complet ist, so stellen [wir] zue E(uer) H(och)fürstl(ichen) D(urc)hl(auch)t gn(ä)d(ig)stem Belieben dem Supplicanten in seinem begehren zue willfahren und da der selbigen hierin gratifizirt werden sollte [die Gnade erhalten sollte], würdten diesem noch andere bald volgen und die Zahl der Juden wogegen von underschiedlichen Krämern und Handelsleuthen schon gravamina [Beschwerden] vorkommen, zu groß und übersetzet [überbesetzt, zu hoch] werden.“84

Das Recht der Markgräfin zur Aufnahme weiterer Schutzjuden wurde bestätigt, jedoch davor gewarnt, die Zahl von 42 Haushaltungen zu überschreiten. Dass sich dann weitere Juden um die Schutzannahme bemühen würden, setzten die Räte voraus; deren Interesse war für sie keine Überlegung wert. Auch die Erhöhung der staatlichen Einnahmen durch das Schutzgeld, den wirtschaftliche Nutzen von Juden allgemein erwähnten sie nicht. Allerdings erweiterte die Regierung ihre Perspektive doch. Im Juni 1713 bewilligte Markgräfin Augusta Sibylla die Aufnahme von Daniel in Rastatt. Die Schutzerteilung erfolgte so, dass Daniel den Schutz erhielt, aber, „ohne consequenzen“.85 Die Hofkammer protokollierte ihren Beschluss so: Es sei „deme [Daniel] 30. fl(orin) Vor d(a)s aufnahmbgelt, und 20 fl(orin) Jährliches Schutzgelt, bis Einer von denen 42 geordneten86 Juden abstirbet, Und Er alsdann under der gemeinen Judenschaft [dem Zusammenschluss der Schutzjuden] das Seinige beytraget, Vor Jezo angesezt – dass Nöthige ahn das ambt Rastatt überschriben – und Ihme Juden der Schutzbrief gefertigt worden.“87

Der Eintrag im Protokoll des Hofrates nahm ausdrücklich auf die Zahl der 42 Schutzjuden Bezug: Erst wenn beim Tod eines Juden die festgelegte Höchstzahl unterschritten war, würde Daniels Schutzgeld mit der Gesamtsumme des Schutzgelds von 600 Gulden verrechnet werden. Bis dahin, bis also eine „freie Stelle“ vorhanden war, zahlte Daniel sein Schutzgeld, „das Seinige“, gesondert, und seine 84 GLAK 61/3711, Schreiben der Hofkammer oder des Hofrates an Markgräfin Sibylla Augusta, 9.2.1713. 85 Zur Bedeutung von „ohne consequenzen“ siehe S. 52f. 86 Zu „geordneten Juden“: nach der Verordnung von 1698 festgesetzten Zahl von 42 Schutzjuden; zur Festlegung der Zahl durch Markgraf Ludwig Wilhelm Zehnter, Juden in der Markgrafschaft Baden-Baden, in: ZGO 50, (1896), S. 377. 87 GLAK 61/249 HK 22.6.1713. Die Ausstellung eines Schutzbriefes 1713 bestätigt die Veränderung, welche der Bericht der Hofkammer für die Zeit um 1710 anführte.

Schutzaufnahmen bis zur „Judenordnung“ von 1714 

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Schutzaufnahme sollte „ohne consequenzen“ bleiben: Die ausdrücklich erwähnte Höchstzahl von 42 jüdischen Haushaltungen wurde so nicht als überschritten angesehen, andere Bewerber um den Schutz konnten sich nicht auf „consequenzen“, auf die Durchbrechung dieser Norm berufen. Die Regierung respektierte diese Norm also weiter und schützte sich damit vor einer weiteren Beschwerde über zunehmende jüdische Haushalte wie der aus Rastatt. Aber sie hatte dennoch auch die staatlichen Einnahmen in ihre Perspektive gerückt. Die Regelung, das Schutzgeld gesondert zu verrechnen, galt nicht nur für Daniel. Im Haushalt seines Bruders Isaac Bodenheimer in Bühl lebte Mayer Bodenheimer; er bezahlte, wie für das Jahr 1725 belegt ist, „sein Schutzgeld a parte [in gesonderter Weise, getrennt von den anderen] und nicht mit der gemeinen Judenschaft“.88 3.4.4  Nützlichkeit und Schädlichkeit der Juden in der katholischkonfessionellen Perspektive der Markgrafschaft bis 1714 Mit dem Festhalten an der Zahl von 42 Schutzjuden berücksichtigte die Regierung die antijüdische Haltung in der Bevölkerung, vor allem das Stereotyp des „schädlichen Juden“. Ihr Verhalten lässt sich aber noch mit anderen Zusammenhängen erklären. Dazu gehört ihre generelle Einstellung zur Religionszugehörigkeit von Untertanen. 1666 stellte die Regierung für Baden-Baden eine zu geringe Einwohnerzahl und einen „Mangel an Wohnung und Häusern“ fest, ein Defizit in der Entwicklung als Residenz. Sie publizierte deshalb ein „Patent“, eine Verordnung mit der Zusage, dass sich „Bürger oder fremde aus unseren Landen oder nicht“ in Baden-Baden niederlassen könnten; sie versprach Holz zum Bau von Häusern und die Befreiung von Abgaben. Die einzige Beschränkung, was den Kreis der Zuwanderer betraf, bestand in der Forderung nach der katholischen Konfession.89 Die Selbstkonzeption als katholisches Land erwies sich damit als Hindernis für eine weitergehende Entwicklung, wirtschaftliche Gesichtspunkte waren den religiösen untergeordnet. Ihr Ziel der Ressourcenvermehrung stellte die Regierung zurück. Schärfer ausgedrückt: Eigenen finanziellen Gewinn, die Entwicklung des Landes und die Existenzmöglichkeit von Juden opferte sie den antijüdischen Einstellungen der Bevölkerung, nach denen Juden schädlich waren, und dem Selbstverständnis als katholische Markgrafschaft. In den folgenden Jahren lebten jedoch einige Schutzjuden in der Residenz,90 in der es bis zu dieser Zeit keine jüdischen Einwohner gegeben hatte. Damit lockerte die Regierung ihre restriktive Haltung in der Hoffnung auf wirtschaftliche und finanzielle Ressourcen der Schutzjuden. 88 GLAK 74/3711, „Zu Bühl sollen sich [...]“, 2.3.1725. 89 GLAK 61/221 HK 20.1.1666. 90 Zu den jüdischen Einwohnern in Baden-Baden Schindler, Der verbrannte Traum, S. 16f.

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Die Schutzaufnahmen in der Markgrafschaft

Entsprechend verhielt sie sich zeitweise bei den Schutzaufnahmen. Hatte sich der Protest gegen Juden gelegt, erlaubte die Regierung deren Ansiedlung oder ihre Rückkehr wie im Falle von Ettlingen. Sie verfolgte also ihre wirtschaftlichen Ziele im Bewusstsein, die Einstellung in der Bevölkerung nicht einfach übergehen zu können – ein Beispiel der Grenzen, welche die Herrschaftsträger im Absolutismus anerkannten, wenn sie bei Gemeinden und Städten Widerstand fanden.91 Dann aber schwenkte die Regierung wieder auf die Linie ein, ihre ökonomischen Interessen zu verfolgen. Diese Widersprüche versuchte Markgraf Ludwig Wilhelm in einem Kompromiss auszutarieren: Einerseits stieg unter ihm die Zahl der Schutzjuden, die sich 1650 noch auf 15 Haushaltungen belief, auf 42 im Jahr 1698.92 Andererseits setzte er diese Anzahl im Jahr 1698 als Höchstzahl jüdischer Haushaltungen fest. An dieser Norm orientierte sich zunächst auch seine Witwe. In der Regierung gab es auch über ihre Rücksicht auf die Bevölkerung hinaus Misstrauen gegenüber Juden. Als 1650 der Hofrat das Schutzverhältnis von 15 jüdischen Einwohnern kollektiv regelte, drohte er den Schutzjuden mit der Ausweisung, falls sie weitere Juden unter irgendeinem Vorwand in ihren Haushalt aufnähmen.93 Dieses Misstrauen gab es auch später, es entsprach einer stereotypen Vorstellung: Schutzjuden versuchten betrügerisch weiteren Juden die Möglichkeit zum Leben in der Markgrafschaft zu verschaffen. Hier stimmte die Regierung mit der Bevölkerung überein, die – wie beispielsweise in Bühl – von den Juden behaupteten, dass sie sich unerlaubt „einschlichen“ und sich dadurch ihre Zahl zum Schaden der Christen erhöhte.94 Von der allgemeinen antijüdischen Einstellung wich Amtmann Johannes Weiss in Baden-Baden zumindest teilweise ab. Nachdem die Residenz während des Pfälzischen Krieges 1689 zerstört worden war, machte er 1691 dem Markgrafen Ludwig Wilhelm einen umfassenden Vorschlag zu ihrem Wiederaufbau. In diesem Zusammenhang befürwortete er auch die Ansiedlung von Juden.95 Sie bezeichnete er dabei als „denen herrschaften sehr dienstfällige Leute, zuemalen auch teils burgersleut in der handtierung [hier: Gewerbe], die sonst dem lue91 Zu den Konflikten zwischen den nach Absolutismus strebenden Herrschaftsträgern und den Untertanen und zu den Grenzen der absolutistischen Herrschaft zusammenfassend Günter Vogler, Absolutistische Herrschaft und ständische Gesellschaft. Reich und Territorien von 1648–1790, Stuttgart 1996, S. 97–102. 92 Zur Einstellung und zum Verhalten Markgraf Ludwigs zu Juden siehe S. 174f. 93 Zum Verbot der heimlichen Aufnahme weiterer Juden in den Haushalten der Schutzjuden siehe S. 41. 94 GLAK 61/248 HK 6.7.1712. 95 Zur baulichen Situation Baden-Badens und zur Denkschrift von Johannes Weiss Ulrich Coenen, Von Aquae bis Baden-Baden, S. 153–157. Zum Vorschlag der Ansiedlung von Juden Hans Rott, Baden-Baden im 16. und 17. Jahrhundert und ein Aufbauprojekt nach dem grossen Brand von 1689, in: ZGO NF 41 (1927), S. 38–86, hierzu S. 84.

Schutzaufnahmen bis zur „Judenordnung“ von 1714 

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der [Luder, von: den ganzen Tag herumludern, nichts tun] nachgingen,96 fleißig machen.“ Johannes Weiss setzte nicht nur auf die Bereitschaft der Schutzjuden, den Interessen der Herrschaft zu genügen, sondern sah in ihnen auch einen Ansporn für die christlichen Untertanen zu einer gesteigerten wirtschaftlichen Aktivität. Allerdings sah er auch die Widerstände in der Bürgerschaft und unter den Handwerkern speziell. Sie würden, so Weiss, den Juden „das brot vom Maul abschneiden.“ In ihrem Bestreben, die Juden aus einem Ort fernzuhalten, würden die christlichen Einwohner selbst so weit gehen, ersatzweise Zahlungen in der Höhe des Schutzgeldes zu übernehmen. An ein gleichberechtigtes Aufgehen der Juden in der Bevölkerung dachte auch Weiss nicht. Er schlug vor, die Juden in einer eigenen Gasse anzusiedeln und sie zu verpflichten, neben dem Handel auch „gemeine gewerbschaft“ zu treiben, also auch wie Christen handwerkliche Berufe auszuüben. Mit seinen Vorschlägen nahm Johannes Weiss einen Standpunkt ein, von dem aus er den Unterschied zwischen Juden und Christen zugunsten der Ersteren hervorhob, vor allem ihren wirtschaftlichen Nutzen. Über die Rezeption der Vorstellungen von Weiss ist nichts bekannt, und ein Einfluss auf die Haltung der Regierung oder des Markgrafen lässt sich nicht nachweisen. Die Stereotype der Schädlichkeit der Juden und ihrer zu großen Zahl verloren nichts von ihrer Wirksamkeit. Zu einflussreich war die gedankliche Konstruktion, die Markgrafschaft sei ein katholisches Land oder müsse es verstärkt werden. Auf die Rigorosität dieser Vorstellung – und hier ging es um einen Protestanten und nicht um einen Juden – weist die Affäre hin, die sich in den letzten Tagen des Markgrafen Ludwig Wilhelm abspielte: Weil er seinen evangelischen Leibarzt Christian Ludwig Göckel nicht aus der Residenz ausgeschlossen hatte, verweigerte ihm ein Franziskanerpater zunächst die Absolution.97 Und eine solche rigorose Einstellung war nicht auf die Geistlichkeit beschränkt. 1712 wurde in der Hofkammer warnend auf Gerüchte hingewiesen: In Baden-Baden drohe Gewalt von Untertanen gegen das Haus von Dr. Christian Ludwig Göckel, in dem er lutherischen Gottesdienst abhalten ließ.98 Es existierte hier, was allgemein für katholische Territorien festgestellt wurde, ein „ausgeprägt konfessionelles Bewusstsein“.99

96 Ludern: wohl im Sinne von „den ganzen Tag herum liegen“ nach Krünitz, Oekonomische Enzyklopädie, Stichwort „ludern“, Bd. 81, Sp. 243. http://www.kruenitz1.uni-trier.de/ (16.9.2008). 97 Tatjana Lemke, Pflichtbewusst bis zuletzt. Die späten Jahre des Türkenlouis, in: Wolfgang Froese und Martin Walter (Hg.), Der Türkenlouis: Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden und seine Zeit. Gernsbach 2005, S. 95–101, hierzu S. 101. 98 GLAK 61/248 HK 5.4.1712. 99 Hersche, Muße und Verschwendung, Teilband I, S. 237.

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Die Schutzaufnahmen in der Markgrafschaft

Damit erweist sich die konfessionelle Ausrichtung der Markgrafschaft als entscheidendes Element, das erklärt, warum Schutzaufnahmen und allgemein eine positive Einstellung zu Juden auf Schwierigkeiten stießen. Zwar erhöhte sich die Anzahl der Juden im Land und es gab Ansätze zu ihrer positiven Einschätzung. Aber angesichts der begrenzten Durchsetzungsfähigkeit der Regierung gegenüber der Bevölkerung verloren die schon schwachen Impulse zu einer Neuorientierung an Kraft.

3.5  Schutzaufnahmen von der „Judenordnung“ 1714 bis zum Ende der Regentschaft der Markgräfin Sibylla Augusta 1727 3.5.1  Verschärfte Voraussetzungen bei Schutzaufnahmen Nach der neuen „Judenordnung“ von 1714 erfolgten bis 1727, dem Ende der Regentschaft von Sibylla Augusta, nach der Tabelle III über die Schutzaufnahmen in diesem Zeitraum (S. 56f.) nur acht Schutzaufnahmen, von denen zwei unsicher sind,100 da Informationen über die neu Aufgenommenen für die Folgezeit fehlen. Weder die Regierungsprotokolle noch andere Archivalien gehen ausführlich auf die Schutzerteilungen ein. Nur bei Abraham Meyer (III.5) von Bühl lässt sich sein Vater als Supplikant erkennen.101,102,103,104 Tabelle III:  Schutzaufnahmen 1714 bis 1727 Nummer Schutzort

Jahr der a. Name des neuen Schutzjuden, Angaben zur Person (VerwandtSupplik(en)/ der schaft, Herkunfts- oder Wohnort, Herrschaftsgebiet u. ä.) Schutzaufnahme b. Name und Wohnort des/der Supplizierenden, wenn nicht identisch mit dem Bewerber

III.1 Beinheim

1714

III.2 Malsch

1714

III.3 Durbach

1715

III.4 Durbach

1715

a. Joseph Michael, Beinheim101 b. a. b. a. b. a. b.

– Salomon, Malsch102 – Daniel Heilbronn, Renchen103 (Hochstift Straßburg) – Löw Wertheimer104 –

100 Siehe S. 56f., Tabelle III, mit zwei unsicheren Aufnahmen (III.6 und III.7). 101 GLAK 61/250 HK 14.8.1714. 102 GLAK 61/250 HK 29.8.1714. 103 GLAK 61/250 HK 28.2.1715. 104 Ebd.

Schutzaufnahmen 1714 bis 1727 

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Nummer Schutzort

Jahr der a. Name des neuen Schutzjuden, Angaben zur Person (VerwandtSupplik(en)/ der schaft, Herkunfts- oder Wohnort, Herrschaftsgebiet u. ä.) Schutzaufnahme b. Name und Wohnort des/der Supplizierenden, wenn nicht identisch mit dem Bewerber

III.5 Bühl

1716

III.6 Durbach

1716

III.7 Durbach

1716

III.8 Ettlingen

1720

a. Abraham Meyer, Bühl, Sohn von b. a. b. a. b. a.

Meyer, Bühl105 Joseph, Wertheim (Herkunft und Aufnahme unsicher)106 – Mandel, Wertheim (Herkunft und Aufnahme unsicher)107 – Moyses, Ettlingen108, ein Schwiegersohn von Seligmann in Ettlingen b. –

, , , Nur drei Schutzaufnahmen betrafen das baden-badische Kerngebiet um die Residenz, nämlich Ettlingen, Bühl und Malsch, und vier Durbach. Die insgesamt für knapp 14 Jahre geringe Anzahl hängt wohl mit der von Markgräfin Sibylla Augusta erlassenen „Judenordnung“ vom 1. August 1714 zusammen. In ihr wurde unter den Voraussetzungen für eine Schutzerteilung – dem Vermögen, ausreichenden Mitteln für den Bau eines Hauses und dem Nachweis eines „redlichen Wandels und Verhaltens“ – das Kriterium Vermögen verschärft, mit einer Verdoppelung der bis dahin geforderten 500 Gulden.109 Andere Faktoren wie die verschärfte Haltung der Regierung zu Juden generell dürften hinzukommen.110 105 106 107 108

3.5.2  Einzelne Schutzaufnahmen An der Aufnahme Daniel Heilbronns (III.3) aus dem straßburgischen Renchen von 1715 sind mehrere Aspekte interessant. Sein erster dokumentierter Kontakt mit der markgräflichen Regierung: Die Hofkammer erlaubte ihm 1705, in der Landvogtei Ortenau und in Durbach, in der baden-badischen Herrschaft Stau105 GLAK 61/251 HK 4.7.1715. 106 GLAK 61/144 HR 20.8.1716 nennt die beiden Petenten als „Joseph und Mandel zu wärtheimb“, damit Wertheim als Herkunftsort. Allerdings gab es in Kippenheim und Friesenheim, in der Nähe von Durbach, Schutzjuden, die später den Namen Wertheimer trugen. Möglicherweise liegt im Hofratsprotokoll von 1716 ein Fehler vor. 107 GLAK 61/144 HR 20.8.1716. 108 GLAK 61/256 HK 9.7.1720. 109 Zu den Normen für die Schutzerteilung in der „Judenordnung“ siehe S. 41. Bis dahin galten, zumindest seit 1698, 500 Gulden als Vermögensnorm (Zehnter, Juden in der Markgrafschaft Baden-Baden, in: ZGO 50, (1896), S. 377). 110 Zu diesen Faktoren siehe S. 61ff.

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Die Schutzaufnahmen in der Markgrafschaft

fenberg, Handel zu treiben.111 Zusammen mit anderen Juden aus Renchen schloss er drei Jahre später mit der Regierung einen Vertrag über das Geleit ab, das sie beim Handel in der Markgrafschaft zahlen mussten;112 dieser Vertrag wurde wohl 1710 verlängert.113 Fünf Jahre später erhielt Daniel Heilbronn zusammen mit Löw Wertheimer (III.4) die Aufnahme für Durbach gegen die Bezahlung von 30 Gulden Aufnahmegebühr und 30 Gulden Schutzgeld.114 Der Schutzerteilung für Daniel Heilbronn ging eine Vorgeschichte von zehn Jahren voraus. In diesem Zeitraum stellte er, als „fremder“ Jude mit einer Genehmigung zum Handel, eine kontinuierliche Beziehung zur markgräflichen Regierung her. Aus der Sicht Heilbronns und der anderen Renchener Juden hatte ihr Handel wohl so zugenommen, dass ihnen ein fester Betrag für das Geleit günstiger erschien als Einzelzahlungen, wenn sie die Markgrafschaft betraten. In diesem Fall war wohl der ökonomische Sog der Markgrafschaft für einen bischöflich-straßburgischen Schutzjuden wie Heilbronn entscheidend für seine Schutzbewerbung geworden. An seinem neuen Wohnort Durbach im Amt Staufenberg blieb er in der Nähe des straßburgischen Gebiets, konnte aber auch leicht in der Ortenau Handel treiben. Zwischen 1714 und 1727 wurde für Durbach die Hälfte der Schutzerteilungen vergeben. Möglicherweise spielte bei diesem Ort die Nähe zum straßburgischen Gebiet oder zur Ortenau eine Rolle. Ein Handel von Durbach aus in diese Gebiete konnte der Regierung Geld ins Land bringen. Die Fähigkeit Daniel Heilbronns, Steuern und – mit 30 Gulden – ein relativ hohes Schutzgeld zu zahlen, dürfte eine Voraussetzung für seine Aufnahme gewesen sein. Bei ihr lässt sich möglicherweise auch eine immaterielle Komponente feststellen. Nach zehn Jahren der Beziehungen zwischen Heilbronn und der Regierung in Rastatt war offenbar genügend Vertrauen bei den Hofgremien vorhanden, um die Schutzerteilung problemlos zu befürworten. Daniel Heilbronn war nicht in der Markgrafschaft geboren. Es lässt sich auch generell für die Schutzaufnahmen nach 1714 keine Präferenz für „Landskinder“ oder Verwandte von baden-badischen Schutzjuden feststellen. Nur für Abraham Meyer von Bühl (III.5) ist die Herkunft aus einem Ort der Markgrafschaft ausdrücklich genannt, nur in zwei Fällen, bei Abraham Meyer und bei Seligmann (III.8), wird die Verwandtschaft erwähnt. Der Fall Heilbronns zeigt, dass auf dem Feld von Schutzbewerbung und Schutzaufnahme nicht einzelne als isolierte Akteure in ihrer Gesellschaft handelten. 1716, als er seinen Wechsel in den baden-durlachischen Schutz ankündigte, wandten sich Joseph (III.6) und Mandel (III.7) – ihre Herkunft ist nicht weiter 111 GLAK 61/243 HK 25.9.1705. 112 GLAK 61/245 HK 12.11.1708. Zum Geleit siehe S. 333ff. 113 GLAK 61/138 HR 28.1.1710. 114 GLAK 61/250 HK 28.2.1715.

Schutzaufnahmen 1714 bis 1727 

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prüfbar – an die Regierung in Rastatt: Sie baten um den Schutz für Durbach ausdrücklich unter Hinweis darauf, dass Heilbronn wegziehen wolle.115 Ihr Vorgehen zeigt zwei Bewerber um den Schutz, die nicht auf eine „freie Stelle“ warteten, sondern bereits aktiv wurden, wenn sich ein Hinweis auf eine Veränderung der Zahl von Schutzjuden ergab. 3.5.3  Schutzbewerbungen, wenn die Juden „aus dem Land gejagt werden“? 1720 wurde, auf die Supplik seines Schwiegervaters Seligmann, Moyses in Ettlingen aufgenommen (III.8). Bei ihm als einem „wohlbemittelten“ Bewerber schlug die Kammer 30 Gulden Aufnahmegeld vor,116 der Geheime Rat setzte 40 Gulden fest.117 Danach lässt sich nur noch ein Interessent für den Schutz feststellen. 1724 starb in Malsch der dortige Schutzjude Jäckel. Das Amt berichtete, dass er arm gewesen sei und drei oder vier Kinder hinterlasse. Sein ältester Sohn wolle nun den Schutz erhalten und mit seinen Geschwistern in Kuppenheim bleiben. Die Hofkammer bestimmte, dieser Sohn müsse einen Schutzbrief vorweisen oder mit einer Supplik wegen des Schutzes einkommen, sonst werde er ausgewiesen.118 Eine entsprechende Supplik scheint der Sohn Jäckels nicht eingereicht zu haben. Im zeitlichen Zusammenhang mit der Entstehung der „Judenordnung“ beklagten sich die Bühler Juden im März 1714: Die christlichen Einwohner würden immer wieder das Gerücht verbreiten, dass die Juden „aus dem Land gejagt werden“.119 Im gleichen Jahr sollten mehrere Juden das Land verlassen, wegen der Anklage von „Verbrechen“, weil sie ihr Schutzgeld nicht bezahlt hatten oder nicht über den Schutz verfügten.120 Im folgenden Jahr kamen die Ettlinger Bürger bei der Hofkammer mit dem Gesuch ein, die Juden aus der Stadt, wenn nicht aus der Markgrafschaft auszuweisen.121 Bald darauf forderte die Gemeinde Kuppenheim die „abschaffung“ von Jonas und Itzig aus der Stadt.122 Noch im selben Jahr drängte Hofrat Aegidius Guilio Beaurieux auf die „ausrottung des sich in das Land widerumb einschleichenden Lumpen- und herrenlosen gesindels, auch 115 GLAK 61/144 HR 20.8.1716. 116 GLAK 61/256 HK 5.7.1720. 117 GLAK 61/256 HK 9.7.1720. 118 GLAK 61/260 HK 18.7.1724. 119 GLAK 61/142 HK 13.3.1714. 120 GLAK 61/250 HK 10.4.1714 und Zehnter, Juden in der Markgrafschaft Baden-Baden, in: ZGO 50, (1896), S. 388. „Verbrechen“ kann hier auch leichtere Vergehen wie Akziseunterschlagung bezeichnen. 121 GLAK 61/250 HK 11.3.1715. 122 GLAK 61/143 HR 11.7.1715.

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Die Schutzaufnahmen in der Markgrafschaft

vieler betteljuden im Land“, als die Regierung über die Befürchtung sprach, dass sich von Böhmen aus eine Krankheit ausbreiten könne.123 Für die ansässigen Juden und die möglichen Bewerber um den Schutz musste die Situation im badenbadischen Gebiet eher als instabil erscheinen. Das alles könnte zu einer Abnahme der Schutzbewerbungen geführt haben. Schließlich brachte das Jahr 1721 eine neue Steuer für die Juden, das „Pflastergeld“.124 Wer diese Steuer von sechs Prozent seines Vermögens nicht zahlte, riskierte die Ausweisung.125 Die Pflastersteuer brachte Daniel Heilbronn in Durbach in Konflikt mit der Regierung: Sie konnte die Zahlung des „Pflastergelds“ bei ihm nicht durchsetzen, denn er legte 1722 eine Bestätigung vor, dass er sich schon im Vorjahr im baden-durlachischen Emmendingen niedergelassen habe.126 Dann kündigte er selbst den Schutz auf; das Protokoll der Hofkammer bezeichnete ihn dabei als „Daniel Heylbronn Jud von Emmendingen“.127 Offenbar hatte ihm der Aufenthalt in der Markgrafschaft kein befriedigendes Ergebnis gebracht, denn schon 1716 hatte er die Regierung um Erlaubnis gebeten, in die Markgrafschaft Baden-Durlach wechseln zu dürfen;128 er blieb aber dann doch noch bis 1722 im baden-badischen Schutz.129 Die Markgrafschaft hatte gerade für wohlhabende Juden an Attraktivität verloren. Als die Schutzjuden insgesamt keine Senkung der Pflastersteuer erreichten,130 wehrten sie sich individuell: Die Söhne Isaacs in Ettlingen, die ersten, von denen das „Pflastergeld“ gefordert wurde, gingen in den Schutz der Markgrafschaft Baden-Durlach;131 dort waren für die Entwicklung der neu gegründeten Stadt Karlsruhe „vermögende Juden willkommen“.132 123 GLAK 61/143 HR 24.9.1715. 124 „Pflastergeld“: Steuer, die den Schutzjuden auferlegt wurde zur Pflasterung der Straßen in Rastatt. Zum „Pflastergeld“ bzw. zur Pflastersteuer siehe S. 340ff. 125 GLAK 61/258 HK 24.12.1722. 126 GLAK 61/258 HK 18.2.1722. 127 GLAK 61/258 HK 21.2.1722. 128 GLAK 61/144 HR 13.8.1716. 129 Heilbronn dürfte identisch sein mit jenem Daniel Heilbronn, der in den Anfangsjahren der jüdischen Gemeinde in Emmendingen dort als Gemeindevorsteher lebte, bis er nach Eichstetten am Kaiserstuhl zog. Zu Daniel Heilbronn in Emmendingen Michaela Schmölz-Häberlein, Zwischen Integration und Ausgrenzung: Juden in der oberrheinischen Kleinstadt Emmendingen 1680–1800, in: Rolf Kießling und Sabine Ullmann (Hg.), Landjudentum im deutschen Südwesten während der Frühen Neuzeit (Institut für Europäische Kulturgeschichte der Universität Augsburg. Colloquia Augustana 10). Berlin 1999, S. 363–398, hierzu S. 374. 130 Zu den gemeinschaftlichen Suppliken der Schutzjuden in der Frage der Pflastersteuer siehe S. 348. 131 Zum Wechsel von Abraham und Seligmann Isaac in die Markgrafschaft Baden-Durlach siehe S. 359f. 132 Kaufmann, Juden in Baden, S. 38.

Schutzaufnahmen 1714 bis 1727 

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In einem Fall wie bei Jäckel in Malsch zeigte sich, dass Markgräfin Sibylla Augusta und ihre Regierung von Schutzjuden nichts wissen wollten, die nicht wirtschaftlich leistungsfähig waren. Hier wurde die Linie fortgesetzt, die seit 1714 mit der „Judenordnung“ galt, die für eine Schutzerteilung das Kriterium Vermögen verschärfte. In der Praxis wurde diese Norm jedoch nicht konsequent eingehalten. Abraham Meyer (III.5) dürfte schon bei seiner Aufnahme arm gewesen sein. Er besaß zwar zusammen mit Lemmle Meyer, wohl einem Verwandten, eine Haushälfte im Wert von 150 Gulden, aber beide waren auch verschuldet. Der Bühler Amtmann schrieb über sie 1721: „Ihr Handel ist auch in nichts alß in Liederlichen und nichtsnutzigen sach(e)n als alten Pferden etc. Wie dann auch, wann sie Ettwas gestohlenes Kaufen können, Sie sich nicht sperren.“133 Er bezweifelte also, trotz des ursprünglich günstigen Amtsberichts von 1715,134 das ausreichende Vermögen und Abraham Meyers „Wandel“, den er vor allem durch den Vorwurf der Hehlerei beeinträchtigt sah. Aber nicht allein die Frage des Vermögens bestimmte die Haltung der Markgräfin und der Regierung. Sibylla Augusta und der Geheime Rat bestimmten im März 1725, dass „von nun an alle zwischen Christen und Juden oder unter denen Juden selbst verfallende Händel“ in erster Instanz vor dem Amt entschieden werden sollten; zugleich wurde den Schutzjuden verboten, Prozesse mit einem Streitwert von unter 100 Reichstalern vor den Hofrat als nächste Instanz zu bringen.135 Noch im gleichen Monat ließ der Geheime Rat dem Hofrat im März eine Zusammenstellung der Verordnungen überreichen, die in der Zeit der Regentschaft „zur abwendung des alhier sehr frequentierten Jüdischen Überlaufs in das Land“ ergangen waren. Ausdrücklich erging die Anweisung, diese Verordnungen künftig einzuhalten.136 Die innerjüdische Streitregelung wurde so in Frage gestellt,137 der „Überlauf“ durch die Juden, ein Überhäufen des Hofrats mit Prozessen, sollte bekämpft werden, und überhaupt ging es um ein schärferes Vorgehen gegen die Juden auf der Grundlage schon bestehender Verordnungen. Auch hier war es wohl die Regentin selbst, die verschärfte Maßnahmen einforderte. Ihre persönliche Abneigung gegen Juden überhaupt wird spätestens für die Zeit eindeutig sichtbar, als sie sich nach dem Ende der Regentschaft nach Ettlingen zurückgezogen hatte.138 133 GLAK 74/3711, Amtmann Johann Heinrich von Harrandt an die Hofkammer, 8.2.1721. Der Zeitpunkt der Nobilitierung des Amtmanns von Harrandt ist unsicher. 134 GLAK 61/251 HK 4.7.1715. 135 GLAK 74/3736, Geheimer Rat an den Hofrat, 10.3.1725. 136 GLAK 61/153 HR 20.3.1725. 137 Zur innerjüdischen Konfliktregelung und zum jüdischen Recht allgemein siehe den Teil 12.8, „Jüdisch-religiöses oder weltlich-staatliches Recht“, S. 492ff. 138 Zu den Bedenken wegen der Ablehnung von Schutzjuden in Ettlingen durch Markgräfin Sibylla Augusta siehe S. 86f.

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Die Schutzaufnahmen in der Markgrafschaft

Wann diese Abneigung und unter welchen Umständen sie sich herausbildete, lässt sich nur spekulativ erklären. Die „streng gläubige Katholikin“ musste 1722 in ihrem Vorgehen gegen protestantische Untertanen durch Kaiser Karl VI. gezügelt werden;139 ein Vorgang, der ihre intolerante Religiosität beleuchtet. Seit 1720 stand sie unter dem Einfluss des speyrischen Bischofs Damian Hugo von Schönborn, schon vorher unter dem ihres jesuitischen Beichtvaters.140 Eine noch größere Antipathie als gegenüber Protestanten empfand sie gegenüber Juden.141 Hier fehlt für die Biographie der Markgräfin eine Untersuchung, welche die Wirkung dieser Einflüsse oder Abhängigkeiten auf ihre Einstellung zu den Juden klären würde. Im Zusammenhang mit dieser harten Linie steht auch eine Äußerung des Bühler Amtmanns Johann Heinrich von Harrandt. Als er 1721 über die 17 jüdischen Familien in seinem Amt berichtete, schilderte er die Lebensumstände und das Verhalten der Schutzjuden als sehr schlecht. Er äußerte die Befürchtung, dass bei ihnen eine auch die Christen ansteckende Krankheit ausbrechen könnte. Deshalb gab er zu bedenken, ob nicht am besten wäre, „wenn mann unter ihnen eine Musterung halten, und was so gar nicht nutz, und sich nit nähren könne, wegweißen thäte.“142 Sein Gedanke einer „Ausweisung“, einer Vertreibung von Juden aus der Markgrafschaft nicht in ihrer Gesamtheit, aber doch in einer beträchtlichen Zahl, stimmte wohl mit den Vorstellungen der Regentin und der Regierung überein – er äußerte das, was an der Spitze des Landes erwartet wurde. Der Widerspruch – materielle Ausbeutung der Juden und zugleich Verringerung ihrer Zahl – wurde allerdings erkannt. Bevor im März 1725 die Verordnungen gegen die Juden gesammelt und dem Hofrat übergeben wurden, hatten Markgräfin Sibylla Augusta und der Geheime Rat nach der Zahl der Schutzjuden im Land gefragt. Die Hofkammer antwortete knapp, aber deutlich: Es gebe derzeit 31 jüdische Familien; wenn ihre Zahl wieder auf 42 ansteigen würde, könnte „wohl ein mehreres bey andern einrichtung [bei einem anderen Vorgehen] zu haben seyn.“143 Die Zahl der jüdischen Familien in der engeren Markgrafschaft – im Gebiet um die Residenz – war also seit 1713 um ein Viertel gesunken; die von der Bevölkerung geforderte „Reduktion“ hatte stattgefunden. Aber wirtschaftlich, das 139 Gerlinde Vetter, Zwischen Glanz und Frömmigkeit, S. 22, Zitat S. 20. 140 Gerlinde Vetter, Eine barocke Fürstin, in: Wolfgang Froese und Martin Walter (Hg.), Der Türkenlouis: Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden und seine Zeit, Gernsbach 2005, S. 103–114, hierzu S. 112f. Zepf, Markgräfin Sibylla Augusta als Regentin, S. 30, setzt den Beginn des Einflusses von Fürstbischof Damian Hugo von Schönborn schon mit dem Jahr 1715 an. 141 Zepf, Markgräfin Sibylla Augusta als Regentin, in: Staatliche Schlösser und Gärten BadenWürttemberg (Hg.), Extra schön, S. 32. 142 GLAK 74/3711, Amtmann Johann Heinrich von Harrandt an die Hofkammer, 8.2.1721. 143 GLAK 61/261 HK 6.3.1725.

Schutzaufnahmen 1714 bis 1727 

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machte die Hofkammer klar, wäre es sinnvoller, wenn wieder mehr Schutzjuden in der Markgrafschaft lebten. Zu unmittelbaren Folgen scheint der Hinweis nicht geführt zu haben. Konsequent blieb Sibylla Augusta dabei, die Anzahl der Schutzjuden zu reduzieren oder zumindest nicht zu erhöhen. Im Januar 1726 kam Jonas von Kuppenheim mit der Supplik ein, ihn von der Zahlung des Schutzgeldes zu befreien. Der Amtsbericht bestätigte, dass Jonas alt und arm sei und sein Schutzgeld bei anderen Juden erbetteln müsse. Die Hofkammer befürwortete angesichts dieser Lebensumstände den Nachlass dieser Abgabe.144 Die Markgräfin und der Geheime Rat schrieben an die Kammer zurück: Wenn Jonas nicht zahlen könne, so müsse er die Markgrafschaft verlassen; sie wollten „keine Betteljuden darinnen haben.“145 Auch die Einzelreaktion eines Schutzjuden weist auf die rigorose Einstellung der Markgräfin Sibylla Augusta hin. Schmaul war um 1720 Judenschultheiß in Bühl.146 In seinem Bericht über die dortigen Juden erwähnte 1721 der Amtmann Johann Heinrich von Harrandt, dass in Schmauls Haushalt auch sein Sohn Joseph lebte; dieser sei zwar bereits „Einige Jahre Verheyrathet“, habe aber keinen Schutz.147 Möglicherweise signalisierte der Amtmann damit, dass hier ein Handlungsbedarf vorhanden sei und die Frage des Aufenthalts von Joseph Schmaul geklärt werden solle. Schmaul wurde im Mai des folgenden Jahres beschuldigt, zusammen mit dem Rastatter Schultheiß Cassel die Aufnahme seines Sohnes Joseph „eigenmächtig“ erreicht zu haben. Der Hofrat entzog Schmaul und Cassel ihre Ämter; sie sollten nach dem Willen Sibylla Augustas ausgewiesen werden.148 Die Bestrafung Schmauls mit der hohen Summe von 800 Gulden wurde durch den Geheimen Rat kontrolliert, der sich den Amtsbericht über den Besitz Schmauls vorlegen ließ.149 Die Protokolle des Hofrats und der Hofkammer enthalten keine weiteren Angaben über dieses Verfahren, so dass sich sein weiterer Ablauf nicht verfolgen lässt. Mit dem späteren Auftreten Schmauls und Cassels zeigt sich allerdings, dass beide den Schutz in der Markgrafschaft nicht endgültig verloren hatten150 – sie gehörten schließlich zu den wirtschaftlich leistungsfähigen Juden. Und in den Anfangsjahren der Regierung des Markgrafen Ludwig Georg konnte Schmaul auch für seinen Sohn Joseph den Schutz bewirken.151 144 GLAK 61/262 HK 25.6.1726. 145 GLAK 61/262 HK 18.7.1726. 146 Zum Amt des Judenschultheißen und seinen Trägern siehe S. 406ff. 147 GLAK 74/3711, Amtmann Johann Heinrich Harrandt an die Hofkammer, 8.2.1721. 148 GLAK 61/258 HK 30.5.1722. 149 GLAK 61/258 HK 15.6.1722. 150 Zur Gültigkeit des Schutzes trotz der Strafe der Ausweisung bei Cassel und Schmaul siehe S. 195f., S. 85 und S. 483. 151 Zum Schutz für Joseph Elias (Joseph Schmaul) siehe S. 85.

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Die Schutzaufnahmen in der Markgrafschaft

3.6  Schutzaufnahmen unter Markgraf Ludwig Georg von 1727 bis 1746 3.6.1  „Normalisierung“ der Schutzaufnahmen unter Markgraf Ludwig Georg? Mit der Regierungsübernahme von Markgraf Ludwig Georg 1727 begann eine Zeit vermehrter Schutzaufnahmen. Sie endete 1746, als sich, wie später noch dargelegt wird,152 ein Bruch in der Einstellung zu Juden abzeichnete. Bis dahin erfolgten in nicht ganz zwanzig Jahren 46 Schutzaufnahmen, die in der Tabelle IV, Schutzaufnahmen 1727 bis 1746, aufgeführt sind. Markgräfin Sibylla Augusta hatte in 21 Jahren nur 13 Bewerbern den Schutz erteilt. 153,154,155,156,157,158,159 Tabelle IV:  Schutzaufnahmen 1727 bis 1746 Nummer Schutzort

Jahr der Supplik/ Schutzaufnahme

a. Name des neuen Schutzjuden, Angaben zur Person (Verwandtschaft, Herkunfts- oder Wohnort, Herrschaftsgebiet u. ä.) b. Name und Wohnort des/der Supplizierenden, wenn nicht identisch mit dem Schutzbewerber c. Voraussetzungen der Schutzaufnahme

IV.1 Durbach

1727

a. Hayum Moyses Bodenheimer, Bühl, Schwiegersohn von b. Löw Wertheimer, Durbach153 c.

IV.2 1728/31 Beinheim (1728) Kuppenheim (1731) IV.3 1729 Bühl IV.4 Gernsbach

1729

künftiger Schwiegersohn eines Schutzjuden, Bruder eines Schutzjuden a. Abraham Samust,154 Hagenbach (Kurpfalz)155 b. – c. Vermögensangabe: 700 G156 a. b. c. a. b. c.

Götschel, Bühl, Sohn von Maron, Bühl157 – Sohn eines Schutzjuden anstelle seines Vaters Herz Lazarus, Bruder des Isaac, Gernsbach158 – Bruder eines Schutzjuden nach dem Tod seines Bruders 1729159

152 Zu diesem Bruch in der Einstellung zu Juden siehe S. 91ff. 153 GLAK 61/263 HK 20.11.1727. 154 Namensvariante: Samaß 155 GLAK 61/264 HK 5.6.1728. 156 GLAK 61/264 HK 14./15.5.1728. 157 GLAK 61/265 HK 20./21.7.1729. 158 GLAK 61/266 HK 1.2.1730. 159 Zur Aufnahme von Herz Lazarus nach dem Tod seines Bruders siehe S. 617ff.

Schutzaufnahmen 1727 bis 1746 

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65

Nummer Schutzort

Jahr der Supplik/ Schutzaufnahme

a. Name des neuen Schutzjuden, Angaben zur Person (Verwandtschaft, Herkunfts- oder Wohnort, Herrschaftsgebiet u. ä.) b. Name und Wohnort des/der Supplizierenden, wenn nicht identisch mit dem Schutzbewerber c. Voraussetzungen der Schutzaufnahme

IV.5 Malsch

1730

a. Joseph Samuel, Sohn von b. Schmaul, Bühl160 c.

IV.6 Bühl

1730

IV.7 Waldsteg

1730

IV.8 Bühl

1731

IV.9 Unzhurst

1731

IV.10 Beinheim

1731

a. b. c. a. b. c. a. b. c. a. b. c. a. b. c.

Sohn eines Schutzjuden Schutzaufnahme trotz der Bestrafung seines Vaters161 Süßel (Moyses), Waldsteg162 – – Löw, Schwiegersohn von Schmaul, Bühl163 künftiger Schwiegersohn eines Schutzjuden, Schutzaufnahme nach der Übersiedlung von Moyses Süßel nach Bühl164 Jacob Äscher, Vorsänger, Bühl Berle, Witwe von Abraham Moyses, Bühl165 anstelle des 1. Mannes einer Witwe (Witwe Abrahams, Bühl166) Löw Jacob, Malsch167 – – Jacob Salomon, Niederlauterbach im Elsass (Hochstift Speyer)168 – Vermögen: wohl „ein ziembl(ich) bemittelter Handelsjud“, den seine Herkunftsgemeinde wegen seines makellosen Verhaltens nicht verlieren möchte169

, , , , , , , , ,

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

160 GLAK 61/266 HK 18.2.1730. 161 Zur Bestrafung von Schmaul siehe S. 63. 162 GLAK 61/266 HK 5.10.1730. 163 GLAK 61/266 HK 12.10.1730. 164 Ebd. 165 GLAK 61/267 HK 5.1.1731. 166 Ebd. 167 GLAK 61/267 HK 13./14.4.1731. 168 GLAK 61/267 HK 16./17.5.1731. 169 GLAK 61/267 HK 7./8.5.1731.

66 

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Die Schutzaufnahmen in der Markgrafschaft

Nummer Schutzort

Jahr der Supplik/ Schutzaufnahme

a. Name des neuen Schutzjuden, Angaben zur Person (Verwandtschaft, Herkunfts- oder Wohnort, Herrschaftsgebiet u. ä.) b. Name und Wohnort des/der Supplizierenden, wenn nicht identisch mit dem Schutzbewerber c. Voraussetzungen der Schutzaufnahme

IV.11 Bühl

1732

IV.12 Kippenheim

1732

IV.13 Beinheim

1733

IV.14 Rastatt

1733

IV.15 Gernsbach

1733

a. Joseph Jacob, Bühl, Knecht des Judenoberschultheißen Isaac Bodenheimer, Bühl170 b. anstelle des 2. Mannes einer Witwe (Witwe Abrahams, Bühl) c. keine Erhöhung der Zahl, sondern Eintritt in freie Stelle171 a. Emmanuel Weil, Kippenheim, Sohn von b. Marx Weil, Kippenheim c. Sohn eines Schutzjuden „unfehlbares Verhalten“ des Vaters; sein Vater sei „einer der vermöglichsten im Landt“ und habe zwei Kinder bereits außerhalb des Landes verheiratet.172 a. Baruch Salomon, Sohn von Jacob Salomon, Beinheim173 b. – c. Sohn eines Schutzjuden174 a. Jesaias Schweitzer, Sohn des gestorbenen Moyses Schweitzer b. – c. Sohn eines gestorbenen Schutzjuden175 Bitte um Schutz „in consideratione [im Hinblick auf] seiner 5 ohnerzogenen geschwistrig“ Vorfahren im Schutz, ohne Schulden zu hinterlassen176 Großvater und Vater: „jederzeit schutzmäßig“177 a. David Kaufmann, Untergrombach (Hochstift Speyer) b. Maria Anna, Tochter von Isaac Lazarus, Gernsbach178 c. Bräutigam einer Tochter eines gestorbenen Schutzjuden179

, , , , , , , , ,

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

170 GLAK 61/268 HK 1./2.9.1732. 171 GLAK 61/268 HK 18.8.1732. 172 GLAK 61/268 HK 1./2.9.1732. 173 GLAK 61/269 HK 9.2.1733. 174 Ebd. 175 GLAK 61/269 HK 24.3.1733. Spätere Nennungen erfolgten unter dem Namen Chaye Schweitzer. 176 GLAK 61/26 GR 18.3.1733 Nr. 13. 177 GLAK 61/267 HK 3./4.12.1731. Die Schutzaufnahme erfolgte erst 1733. 178 GLAK 61/26 GR 7.5.1733 Nr. 25. 179 GLAK 61/26 GR 7.5.1733 Nr. 25.

Schutzaufnahmen 1727 bis 1746 

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67

Nummer Schutzort

Jahr der Supplik/ Schutzaufnahme

a. Name des neuen Schutzjuden, Angaben zur Person (Verwandtschaft, Herkunfts- oder Wohnort, Herrschaftsgebiet u. ä.) b. Name und Wohnort des/der Supplizierenden, wenn nicht identisch mit dem Schutzbewerber c. Voraussetzungen der Schutzaufnahme

IV.16 Ettlingen

1733

IV.17 Rastatt

1733

IV.18 Bühl

1734

IV.19 Bühl

1735

IV.20 Malsch

1735

a. Jacob Herz, Ettlingen, Sohn von b. Herz Jost, Ettlingen180 c. Sohn eines Schutzjuden Bedingung des gemeinsamen Haushalts mit seinem Vater, gleicher Handel Unschädlichkeit für die Ettlinger Kaufleute181 a. Abraham Salomon Lauer, Rastatt, Sohn eines Schutzjuden aus Lobositz, Böhmen (Lovosice, CSR)182 b. – c. Sohn eines Schutzjuden Bedingung: Wohnung in der Vorstadt oder Bau eines Hauses183 a. Isaac Israel, Sohn von Isaac, Ettlingen b. – c. Sohn eines Schutzjuden erneute Aufnahme nach Schutzverlust184 a. Benjamin Löw, Bühl185 b. – c. – a. Schäumann,186 Lichtenau (Grafschaft Hanau-Lichtenberg), künftiger Schwiegersohn von Abraham, Malsch b. Abraham und Löwel, Malsch (gemeinsame Supplik) c. künftiger Schwiegersohn eines Schutzjuden187 Heiratsabsicht Vermögensangabe: 1000 G188

, , , , , , ,,

1 2 3 4 5 6 7 8 9

180 GLAK 61/269 HK 23.9.1733, GLAK 61/26 GR 26.8.1733 Nr. 10 und 16.9.1733 Nr. 15. 181 GLAK 61/269 HK 23.9.1733. 182 GLAK 61/161 HK 20.10.1733 Nr. 2. 183 GLAK 61/269 HK 4.9.1733 und GLAK 61/161 HR 10.9.1733 Nr. 16. 184 Zur erneuten Schutzerteilung für Isaac Israel siehe S. 526. 185 GLAK 61/272 HK 14.3.1735. 186 Namensvariante: Heumann. 187 GLAK 61/272 HK 20.6.1735. 188 GLAK 61/164 HR 20.5.1735 Nr. 13 mit der Angabe, dass beider Supplikanten Vermögen 2000 Gulden erreiche.

68 

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Die Schutzaufnahmen in der Markgrafschaft

Nummer Schutzort

Jahr der Supplik/ Schutzaufnahme

IV.21 Malsch

1735

IV.22 Rastatt

1735

IV.23 Friesenheim

1735

IV.24 Kippenheim

1735

IV.25 Kuppenheim

1735

IV.26 Bühl

1736

a. Name des neuen Schutzjuden, Angaben zur Person (Verwandtschaft, Herkunfts- oder Wohnort, Herrschaftsgebiet u. ä.) b. Name und Wohnort des/der Supplizierenden, wenn nicht identisch mit dem Schutzbewerber c. Voraussetzungen der Schutzaufnahme a. Sohn Löwels, Malsch, künftiger Schwiegersohn von Süßel, Bühl b. Abraham und Löwel, Malsch (gemeinsame Supplik)189 c. Sohn eines Schutzjuden190 Heiratsabsicht Vermögensangabe: 1000 G191 a. Zacharias, Rastatt, Sohn von b. Daniel Cassel, Rastatt c. Sohn eines Schutzjuden Aufnahme in den gemeinsamen Handel Schwierigkeiten für den Vater und dessen Bruder wegen des Alters gutes Verhalten des Vaters seit über 30 Jahren freie Stelle nach Tod oder Wegzug von Schutzjuden192 a. Mayer Lazarus, Friesenheim, Sohn von b. Lazarus Kallmann, Friesenheim193 c. Sohn eines Schutzjuden a. Hirschel Weil, Kippenheim, Sohn von b. Lazarus Weil, Kippenheim194 c. Sohn eines Schutzjuden a. Liebermann, Kuppenheim, Sohn von b. Jonas, Kuppenheim195 c. Schutzaufnahme trotz Zweifel am Vermögen und trotz Erhöhung der Zahl196 a. Lemmle Abraham, Bühl, Sohn von b. Löwel Abraham, Bühl197 c. Sohn eines Schutzjuden Verzicht des Vaters auf den Handel Rücksicht auf die Heiratsabsicht des Bewerbers198

, , , , , , , , ,

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

189 GLAK 61/272 HK 20.6.1735. 190 Ebd. 191 GLAK 61/164 HR 20.5.1735 Nr. 13. 192 GLAK 61/272 HK 16.6.1735. 193 GLAK 61/164 HR 18.10.1735 Nr. 2; Namensvarianten: Kohlmann und Lasch Callmus. 194 Ebd. 195 GLAK 61/164 HR 20.9.1735. Nr. 9. 196 GLAK 61/164 HR 9.11.1735 Nr. 21. 197 GLAK 61/165 HK 27.11.1736 Nr. 9. 198 Ebd.

Schutzaufnahmen 1727 bis 1746  Nummer Schutzort

Jahr der Supplik/ Schutzaufnahme

IV.27 Bühl

1736

IV.28 Malsch

1737

IV.29 Bühl

1738

IV.30 Hörden

1738

IV.31 Stollhofen

1738

IV.32 Kippenheim

1738

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69

a. Name des neuen Schutzjuden, Angaben zur Person (Verwandtschaft, Herkunfts- oder Wohnort, Herrschaftsgebiet u. ä.) b. Name und Wohnort des/der Supplizierenden, wenn nicht identisch mit dem Schutzbewerber c. Voraussetzungen der Schutzaufnahme a. Hayum Mathias,199 Hzgt. Württemberg, Bräutigam der b. Witwe von Isaac Bodenheimer, Bühl200 c. anstelle des 1. Mannes einer Witwe keine Erhöhung der Zahl, deshalb Unschädlichkeit der Schutzaufnahme201 gutes Verhalten, Vermögensangabe: 500 G Berücksichtigung der Verdienste des Isaac Bodenheimer als Judenoberschultheiß202 a. Abraham b. Witwe von Joseph Löble, Kuppenheim c. anstelle des 1. Mannes einer Witwe203 a. Maron Aron, Bühl, Sohn des „Gernsbacher“, Bühl b. – c. Sohn eines gestorbenen Schutzjuden204 a. Marx Moyses, Sohn von b. Salomon Moyses, Hörden205 c. Sohn eines Schutzjuden Bedingung: gemeinsamer Handel mit seinem Vater206 a. Samson Mathias,207 künftiger Schwiegersohn von b. Elias Schweitzer, Bühl c. künftiger Schwiegersohn eines Schutzjuden208 a. ohne Namensangabe, künftiger Schwiegersohn von b. Marx Weil, Kippenheim c. künftiger Schwiegersohn eines Schutzjuden209

, , , , , , , , , ,

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

199 Namensvariante: Haym Mathiß 200 GLAK 61/30 GR 2.4.1737 Nr. 11. 201 GLAK 61/30 GR 16.4.1737 Nr. 8. 202 GLAK 61/166 HR 9.4.1737 Nr. 25. 203 GLAK 61/274 HK 5.12.1737. 204 GLAK 61/38 GR 22.1.1738 Nr. 19. 205 GLAK 61/275 HK 2.5.1738. 206 GLAK 61/33 GR 24.4.1738 Nr. 7. 207 Namensvariante: Samson Hayum. 208 GLAK 61/275 HK 3.11.1738. 209 GLA61/33 GR 27.8.1738 Nr. 11.

70 

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Die Schutzaufnahmen in der Markgrafschaft

Nummer Schutzort

Jahr der Supplik/ Schutzaufnahme

IV.33 Kuppenheim

1739

IV.34 Kippenheim

1739

IV.35 Bühl

1740

IV.36 Bühl

1740/41

IV.37 Müllenbach (1742) Bühl (1743)

1742/43

a. Name des neuen Schutzjuden, Angaben zur Person (Verwandtschaft, Herkunfts- oder Wohnort, Herrschaftsgebiet u. ä.) b. Name und Wohnort des/der Supplizierenden, wenn nicht identisch mit dem Schutzbewerber c. Voraussetzungen der Schutzaufnahme a. Meyer Löwel, Sohn des gestorbenen Löbel, Kuppenheim b. – c. Sohn eines gestorbenen Schutzjuden Bedingung: Aufnahme seiner Mutter in seinen Haushalt210 a. Hirschel Wertheimer, Kippenheim, Sohn des b. Joseph Wertheimer, Kippenheim211 c. Sohn eines Schutzjuden Erhöhung der Zahl, dennoch Schutzaufnahme wegen des gemeinsamen Haushalts mit dem Vater bei dessen Tod keine weitere Aufnahme an seiner Stelle212 a. Abraham Isaac, Sohn von b. Isaac Israel, Bühl213 c. Sohn eines Schutzjuden a. Löw Bodenheimer, Neffe von Isaac Bodenheimer und Mayer Bodenheimer, Bühl b. Mayer Bodenheimer, Bühl214 c. Neffe eines Schutzjuden Schutzaufnahme unter Verzicht auf das Aufnahmegeld215 Vermögensangabe: 600 G216 (berechnet aus dem Pflastergeld) a. Moyses Süßel,217 Bühl, Sohn von b. Süßel, Bühl218 c. Sohn eines Schutzjuden

, , , , , , ,,

1 2 3 4 5 6 7 8 9

210 GLAK 61/276 HK 17.4.1739. 211 GLAK 61/168 HR 22.12.1739. Nr. 6. 212 GLAK 61/276 HK 18.11.1739. 213 Zur Schutzaufnahme von Abraham Isaac siehe S. 526ff. 214 GLAK 61/169 HR 3.11.1740 Nr. 3. Die Supplik Mayer Bodenheimers ist archivalisch nicht nachgewiesen, ist aber aus der Intervention Mayer Bodenheimers wegen des Verzichts auf das Aufnahmegeld für seinen Neffen erschließbar. 215 GLAK 61/42 GR 21.6.1741 Nr. 41. Die Zusage des Schutzes für Löw Bodenheimer war bereits vorher ausgesprochen worden (GLAK 61/169 HR 3.11.1740 Nr. 3). 216 GLAK 61/48 GR 17.7.1743 Nr. 38. 217 Namensvariante: Moyses Israel. 218 GLAK 61/42 GR 17.6.1741 Nr. 28.

Schutzaufnahmen 1727 bis 1746  Nummer Schutzort

Jahr der Supplik/ Schutzaufnahme

IV.38 Bühl

1742

IV.39 Malsch

1743

IV.40 Bühl

1743

IV.41 Durbach

1743

IV.42 Kuppenheim

1744

IV.43 Malsch

1744

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71

a. Name des neuen Schutzjuden, Angaben zur Person (Verwandtschaft, Herkunfts- oder Wohnort, Herrschaftsgebiet u. ä.) b. Name und Wohnort des/der Supplizierenden, wenn nicht identisch mit dem Schutzbewerber c. Voraussetzungen der Schutzaufnahme a. Aron Götschel, Bühl219 b. – c. anstelle eines weggezogenen Schutzjuden a. Mändel, Schwiegersohn von b. Mayer Malsch, Malsch c. Schwiegersohn eines Schutzjuden anstelle seines Schwiegervaters (Schutzverzicht)220 a. Kaufmann Elias, Bühl, Sohn von b. Elias Koppel, Bühl221 c. Sohn eines Schutzjuden anstelle eines weggezogenen Schutzjuden und Übernahme dessen Schutzgeldanteils222 a. Elias Wertheimer, Durbach, Sohn von b. Löw Wertheimer, Durbach c. Sohn eines Schutzjuden Übertragung des Schutzes des Vaters Hälfte des Schutzgeldes bei dessen Lebzeiten223 in Durbach geboren224 a. Salomon Moyses, Kuppenheim, Sohn von b. Regina Moyses, Kuppenheim225 c. Sohn eines Schutzjuden Eisenhandel seit 15 Jahren Besitz eines Hauses Ehefrau so alt, dass sie nicht mehr umziehen könne226 a. Götschel Löwel, Malsch, Sohn von b. Löwel Koppel, Malsch227 c. Sohn eines Schutzjuden

, , , , , , , ,

1 2 3 4 5 6 7 8 9

219 GLAK 61/46 GR 19.9.1742 Nr. 8. 220 GLAK 61/280 HK 13.3.1743. 221 GLAK 61/47 GR 30.3.1743 Nr. 17. 222 GLAK 61/280 HK 8.4.1743. 223 GLAK 61/280 HK 12.7.1743. 224 GLAK 61/48 GR 12.6.1743 Nr. 16. 225 GLAK 61/50 GR 8.1.1744 Nr. 51. 226 GLAK 61/48 GR 12.6.1743 Nr. 16. 227 GLAK 61/50 GR 1.2.1744 Nr. 38 und 22.2.1744 Nr. 51.

72 

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Die Schutzaufnahmen in der Markgrafschaft

Nummer Schutzort

Jahr der Supplik/ Schutzaufnahme

IV.44 Kippenheim

1744

IV.45 Bühl

1744

IV.46 Malsch

1744

, , , , ,

a. Name des neuen Schutzjuden, Angaben zur Person (Verwandtschaft, Herkunfts- oder Wohnort, Herrschaftsgebiet u. ä.) b. Name und Wohnort des/der Supplizierenden, wenn nicht identisch mit dem Schutzbewerber c. Voraussetzungen der Schutzaufnahme a. Marx Weil, Kippenheim, Sohn von Lazarus Weil b. – c. Sohn eines Schutzjuden vakante Stelle nach dem Tod eines Schutzjuden gute wirtschaftliche Verhältnisse228 a. Salomon Straßburger, Bühl, Knecht eines Schutzjuden229 b. – c. – a. Joseph Salomon, Sohn von b. Salomon, Malsch230 c. Sohn eines Schutzjuden Übernahme der Schutzgeldzahlung seiner Mutter231

,

160 161 162 163 164 165,166 167

Von diesen 46 Aufnahmen erfolgten 27 für den Sohn eines Schutzjuden;232 andere Verwandtschaftsverhältnisse existierten in neun Fällen.233 Darunter befinden sich sieben Aufnahmen für den Schwiegersohn eines Schutzjuden bzw. den Bräutigam einer Schutzjudentochter. In vier Fällen heiratete der Bewerber eine Schutzjudenwitwe.234 Je einmal wurde der Neffe bzw. der Bruder eines Schutzjuden aufgenommen.235 Verwandtschaft zeigt sich damit als die am häufigsten vorhandene Qualität eines neuen Schutzjuden, nämlich bei 40 von 46 Aufnahmen. Weitere verwandtschaftliche Beziehungen lassen sich vermuten, z.  B. zwischen Maron Aron (IV.29) und Aron Götschel (IV.38).

228 GLAK 61/50 GR 8.2.1744 Nr. 11. 229 GLAK 61/281 HK 19.7.1744. 230 GLAK 61/51 GR 15.7.1744 Nr. 11. 231 GLAK 61/281 HK 21.7.1744. 232 Siehe dazu die Schutzaufnahmen S. 64ff. in der Tabelle IV die Nummern IV.3, IV.5, IV.12, IV.13, IV.14, IV.16, IV, 17. IV.18, IV.21, IV.22, IV.23, IV.24, IV 25, IV.26, IV.29, IV.30, IV.33, IV.34, IV.35, IV.37, IV.40, IV.41, IV.42, IV.43, IV.44 und IV.46. 233 Siehe dazu die Nummern IV.1, IV.4, IV.7, IV.15, IV.20, IV.31, IV.32, IV.36 und IV.39. 234 Siehe dazu die Nummern IV.8, IV.11, IV.27 und IV.28. 235 Siehe dazu die Nummern IV.4 bzw. IV.36. Hayum Moyses Bodenheimer, ein Neffe der Brüder Bodenheimer in Bühl, wurde wegen seiner Heirat mit der Tochter eines Schutzjuden unter die Schwiegersöhne eines Schutzjuden gerechnet.

Schutzaufnahmen 1727 bis 1746 

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73

Für die Zeit vor 1727 war bereits Verwandtschaft bei fast der Hälfte der Aufnahmen feststellbar. Jetzt, nach 1727, wurde sie in den Regierungsprotokollen in einem noch höheren Anteil verzeichnet: Sie wurde tendenziell zur Norm unter den Voraussetzungen für eine Schutzaufnahme. Auch andere Tendenzen zeigen auf „Normalität“ hin. Sie ist vorhanden, wenn in relativ kurzer Zeit und ohne erhebliche Probleme positiv über eine Aufnahme entschieden wurde. Dies trifft zum Beispiel für Emmanuel Weil (IV.12) zu, für den sein Vater Marx Weil 1732 supplizierte. Der Bericht des Oberamtes Mahlberg stellte das fehlerlose Verhalten des Vaters heraus, auch dass er bereits zwei Kinder außerhalb der Markgrafschaft verheiratet habe. Zudem sei er unter den Juden „einer der vermöglichsten im Landt“. Die Hofkammer befürwortete darauf die Schutzerteilung.236 Anfang September stimmten ihr Markgraf und Geheimer Rat zu.237 Bei dieser Schutzaufnahme erweisen sich die in der „Judenordnung“ von 1714 vorgeschriebenen Kriterien als erfüllt – das Verhalten und ein Mindestvermögen von 1000 Gulden.238 Auch Notsituationen wie die Versorgung jüngerer Geschwister (IV.14), das für den Handel zu hohe Alter des Vaters (IV.22), das zu hohe Alter der Frau (IV.42) bei einem erforderlichen Wegzug aus dem Land brachten Bewerber um den Schutz zugunsten ihrer Aufnahme vor. Ausdrücklich auf die bevorstehende Heirat wurde in drei Fällen hingewiesen (IV.20, IV.21 und IV.26); bei vielen anderen Bewerbungen war der Zusammenhang zwischen Heirat und Bewerbung um den Schutz selbstverständlich, wenn es um die Aufnahme für einen künftigen Schwiegersohn ging. Juden und Jüdinnen sahen es als legitim an, zugunsten der Schutzerteilung ihre individuelle Lebenssituation als Argument vorzubringen. Zahlreiche Schutzaufnahmen weichen allerdings von der Vermögensnorm der „Judenordnung“ ab. Bei Jacob Äscher (IV.8), dem Vorsänger in Bühl, und Joseph Jacob (IV.11), dem „Knecht“ und Bühler „Judenwirt“, kann kein großes Vermögen bei seiner Heirat mit der Witwe Berle angenommen werden; Joseph Jacob erhielt wegen seiner Bedürftigkeit schon 1735 einen Nachlass des „Ohmgelds“,239 das er als Wirt zahlen musste.240 Die Versorgung einer Witwe durch eine neue Heirat war hier wohl entscheidend. Bei Liebermann (IV.25), dem Sohn von Jonas in Kuppenheim, zweifelten das Amt und der Hofrat an einem ausreichenden Vermögen, und es wurde auch festgestellt, dass durch ihn die Zahl der Schutzjuden

236 GLAK 61/268 HK 18.8.1732. 237 GLAK 61/268 HK 1./2.9.1732. 238 Zu den wirtschaftlichen Voraussetzungen einer Schutzaufnahme in der „Judenordnung“ siehe S. 41. 239 Ohmgeld: auch Ungeld, eine Steuer auf Bier und Wein. 240 Zu Joseph Jacob, dem Wirt, siehe S. 90.

74 

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Die Schutzaufnahmen in der Markgrafschaft

in Malsch vermehrt würde241 – dennoch wurde er aufgenommen.242 Bewerber um den Schutz ohne das Mindestvermögen akzeptierte die Regierung dann, wenn sie als Sohn oder Schwiegersohn anstelle ihrer Vorläufer in den Schutz eintraten. Als ein „Juden Knecht“ wird auch Salomon Straßburger (V.45) in Bühl bezeichnet, als er 1744 den Schutz erhielt;243 einen Hinweis auf ein bemerkenswertes Vermögen gibt es nicht. Insgesamt zeigt sich, dass Vermögen nur eine eingeschränkte Bedeutung für die Schutzerteilungen hatte. Zwar sollte die Verschärfung der Vermögensnorm 1714 die Anwesenheit „nichtnutziger“ Schutzjuden verhindern, in der Praxis vernachlässigte die Regierung seit 1727 diese Regelung. Für die Aufnahme existierte als Kriterium neben dem Vermögen das schutzwürdige Verhalten oder sonstige „Verdienste“; auf dieses wurde in vier Fällen244 Bezug genommen – mit Blick auf den Aufzunehmenden oder seine Vorfahren. Bei diesen Aufnahmen lässt sich allerdings feststellen, dass sie mehrheitlich „prominente“ Schutzjuden betrafen: Bei Jesaias Schweitzer (IV.14) wurde die „jederzeit schutzmäßige“ Aufführung des Vaters und des Großvaters Moyses und Mathias Schweitzer direkt hervorgehoben,245 indirekt, als der Amtsbericht auf die Vorfahren als Schutzjuden hinwies und deren Schuldenfreiheit betonte.246 Daniel Cassel, der Vater von Zacharias Cassel (IV.22), nahm als Schultheiß und wohl auch als Anwald der Gemeinde in Rastatt und in seiner wirtschaftlichen Beziehung zum Hof eine hervorgehobene Stellung ein.247 Bei Marx Weil in Kippenheim, ebenfalls einem Anwald, wurde bei der Aufnahme seines Sohnes Emanuel (IV.12) gleichzeitig mit dem Verhalten auch das Vermögen betont.248 Die Angabe des Wohlverhaltens erfolgte zusätzlich, stellte nicht die eigentliche Basis für eine Aufnahme dar. Die Frage nach dem Verhalten bezog sich auch nicht in erster Linie auf den Bewerber selbst, sondern auf seine Verwandtschaft, auf den Vater, Großvater oder Schwiegervater. Deren Verhalten wurde bei einer Schutzaufnahme positiv sanktioniert; möglicherweise erklärt dieser Zusammenhang, dass so viele Schutzaufnahmen von Bewerbern gelangen, deren Väter oder Schwiegerväter bereits den Schutz hatten. Es gab auch Schutzerteilungen, bei denen die Verwandtschaft keine Bedeutung hatte – wenn die Bewerber wie Abra-

241 GLAK 61/164 HR 27.9.1735 Nr. 12. 242 GLAK 61/164 HR.9.11.1735 Nr. 21. 243 GLAK 61/281 HK 19.7.1744. 244 Siehe dazu S. 64ff., Tabelle IV, die Nummern IV.10, IV.12, IV.14 und IV.27. 245 GLAK 61/267 HK 3./4.12.1731. 246 GLAK 61/26 GR 18.3.1733 Nr. 13. 247 Zu Cassel als Schultheiß siehe S. 413, zu seiner wirtschaftlichen Beziehung zum Hof S. 195f. und 208f. 248 GLAK 61/272 HK 16.6.1735 bzw. 61/268 HK 18.8.1732.

Schutzaufnahmen 1727 bis 1746 

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ham Samust (IV.2) und Jacob Salomon (IV.10) von außerhalb der Markgrafschaft kamen. In beiden Fällen ging es um die Schutzaufnahme in Beinheim im Elsass, wobei die „Normalität“ dieser Aufnahmen schon mit dem besonderen Verhältnis der Regierung zur französischen Krone beeinträchtigt war. In zehn Fällen wurde ausdrücklich verzeichnet, dass es sich um die Schutzerteilung „anstelle“ eines bisherigen Schutzjuden oder bei einer vakanten Stelle handelte,249 in zwei Fällen, dass die Aufnahme nicht zu einer erhöhten Anzahl von Schutzjuden führe.250 Es zielte auf dasselbe Ergebnis, wenn ein gemeinsamer Haushalt mit dem Vater oder dessen Verzicht auf den Handel festgehalten wurde.251 Dies alles verdeutlicht das Interesse der Regierung an einer konstanten Anzahl von Schutzjuden: Bei mindestens 17 von 46 Aufnahmen erfolgte der Hinweis darauf, dass die Aufnahme nicht zu einer höheren Zahl von Handel treibenden Schutzjuden führte. Deutlich ist die Vorstellung zu erkennen, dass die Zahl um die Norm von 42 „Stellen“ pegeln sollte. Hier hat sich bei Markgraf Ludwig Georg im Vergleich zu seiner Mutter Sibylla Augusta die Vorstellung so geändert: Schutzjuden sollen nicht mehr in ihrer Anzahl „reduziert“, sondern die von Markgraf Ludwig Wilhelm festgesetzte Zahl von 42 Familien eingehalten werden, selbst wenn der Schutz armen Bewerbern zukam. 3.6.2  Einzelne Schutzaufnahmen Abraham Samust – Schutz, wo immer er wolle

Markgraf Ludwig Georg nahm bei seiner zweiten Schutzerteilung Abraham Samust (IV.2) im Jahr 1728 nach Beinheim auf.252 Dieser kam aus Hagenbach, einer kurpfälzischen Stadt an der Grenze zwischen der heutigen Pfalz und dem nördlichen Elsass; nach ihrem Vermögensnachweis besaß Abraham Samust 700 Gulden.253 Er beschwerte sich schon im folgenden Monat über Pfarrer Gilg in Beinheim: Dieser verhindere, dass er eine Wohnung bekäme. Dabei habe er, Samust, eine Wohnung bei einer nichtjüdischen Frau mieten wollen, deren Krankheit jeden Christen am Einzug hindern würde. Die Kammer sicherte Samust Hilfe zu. Er

249 Siehe dazu die Schutzaufnahmen S. 64ff., Tabelle IV, die Nummern IV.3, IV.4, IV.8, IV.11, IV.22, IV.27, IV.28, IV.38, IV.40 und IV.41. Bei Hirschel Wertheimer (V.34) wurde längerfristig die Erhöhung der Zahl ebenfalls vermieden. 250 Siehe dazu die Nummern IV.11 und IV.27. 251 Siehe dazu die Nummern IV.16, IV.22, IV.26, IV.30 und IV.33. 252 GLAK 61/264 HK 5.6.1728. 253 GLAK 61/264 HK 14./15.5.1728.

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Die Schutzaufnahmen in der Markgrafschaft

solle, wenn nötig, Unterkunft in „Einem anderen Separirten Quartier“ [in einer abgetrennten Wohnung] erhalten; jedenfalls habe ihn das Amt „nach dessen Schutzbrief zu alle weeg manuteniren [im Schutz zu erhalten, zu unterstützen]“.254 Im August 1728 beschwerte sich Abraham Samust wieder. Er könne in der Wohnung, die er gemietet habe, „gantz Separat“ wohnen. Dennoch mache ihm der Ortsgeistliche Schwierigkeiten und behaupte, er, der Pfarrer, wolle das fragliche Haus selbst kaufen. Die Hofkammer ließ prüfen, ob diese Absicht wirklich vorhanden sei, und schloss nicht aus, dass es nur darum ging, Abraham Samusts Niederlassung in Beinheim zu verhindern; schließlich bot die Kammer ihm das Schäferhaus, wohl im markgräflichen Besitz, an. Auch könne er, wenn er wolle, sich einen anderen Wohnort in der Markgrafschaft auswählen.255 Bis 1731 blieb Abraham Samust noch in Beinheim. Der dortige Ortsgeistliche erhob aber erneut Einwände gegen seine Anwesenheit. Von ihnen sprach die Hofkammer als „anmaßlichen wiederrechtl(ichen) Contradictionen [Einwänden]“ und erwog die Möglichkeit, sich über sie hinwegzusetzen, falls noch andere Juden den Schutz nach Beinheim erhalten wollten. Samust aber zog nach Kuppenheim.256 Löw Jacob

1731 bat der in Malsch geborene Löw Jacob (IV.9) um den Schutz für Unzhurst im Amt Bühl; bis dahin lebten an diesem Ort keine Juden. Die Hofkammer schlug vor, dass Löw Jacob wie der „Waldsteger Jude“257 15 Gulden Schutzgeld und außerdem 4 Gulden Rekognationsgeld zahlen solle, damit er im Bühler Amt Handel treiben könne. Der Amtmann hatte ein Verbot für Löw Jacob angeregt, einen Bruder als Knecht zu beschäftigen; auch wollte er ihn auf den Viehhandel beschränken lassen. Dieser widersprach: Durch solche Einschränkungen würde er in seinem „durchbringen“ und vor allem angesichts all der Abgaben, die er zu leisten habe, „gesperret werden“. Die Kammer hielt fest, dass sie die Einwände Löw Jacobs „nicht ohnbillichen könnte“, erkannte also seine Argumentation an und schlug ein Entgegenkommen vor.258 Markgraf und Geheimer Rat bewilligten dann Mitte April 1731 die Aufnahme.259 1745 supplizierte Löw Jacob wegen des Schutzes für Müllenbach bei Bühl. Amtmann Johann Jacob Hoffmann berichtete im November 1745 von den Schwierigkeiten, die Löw Jacob an seinem bisherigen Wohnort gehabt hatte. Ihm sei „die Wohnung aufgekündigt“ worden, und er werde dort wohl auch keine 254 GLAK 61/264 HK 23./24.7.1728. 255 GLAK 61/156 HR 17.8.1728 und GLAK 61/156 HK 31.8.1728. 256 GLAK 61/267 HK 4.4.1731. 257 „Waldsteger Jude“: Gemeint ist Süßel, der zu dieser Zeit den Schutz für Waldsteg bei Bühl besaß. 258 GLAK 61/267 HK 16.3.1731. 259 GLAK 61/267 HK 13./14.4.1731.

Schutzaufnahmen 1727 bis 1746 

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neue finden. Außerdem könne Löw Jacob das Brennholz, das er benötige, nur schwer bekommen. Deshalb wolle sich Löw Jacob um den Schutz für Bühl bewerben. Bis da eine Stelle frei würde, solle es ihm erlaubt werden, nach Müllenbach zu ziehen. Der Amtmann wies auch darauf hin, dass das Verhalten Löw Jacobs immer gut gewesen sei und er sein Schutzgeld bezahlt habe. Der Geheime Rat schlug allerdings die Übertragung des Schutzes auf Müllenbach ab.260 Löw Jacob supplizierte im April 1746 nochmals wegen der Aufnahme in Müllenbach; wieder legte er dabei eine Bestätigung für sein „wohl Verhalten“ vor.261 Das Amt Steinbach äußerte sich positiv; er müsse sich nur mit der Gemeinde Müllenbach darüber einigen, was er an Hintersassengeld (Forderung einer Gemeinde an die Einwohner ohne Bürgerrecht) zu zahlen habe. Der Geheime Rat ordnete an, nach diesem Vorschlag zu verfahren.262 Jetzt reagierte der Steinbacher Pfarrer Friedrich Joseph Kapfer, in dessen Sprengel Müllenbach lag. Er bat den Geheimen Rat, dass „der sich in Müllenbach eingedrungene Judt wiederum aus seiner Pfarrey fortgeschafft werden möchte.“263 In diesem Zusammenhang berichtete der Steinbacher Amtmann: Die Fenster der Wohnung Löw Jacobs seien eingeworfen worden und er habe als Urheber der Gewalt „einige leedige Bursch und Bürger in Verdacht.“ Nach seinem Vorschlag ließ der Geheime Rat den Bürgern der Gemeinde Eisental, zu der Müllenbach gehörte, verkünden: Ihnen drohe Kostenersatz und eine Strafe von 150 Gulden, falls sie die Täter nicht angeben würden – Löw Jacob aber könne bleiben, ordnete der Geheime Rat an.264 Jacob Salomon

Ungewöhnlich begann das Verfahren, in dem Jacob Salomon (IV.10) den Schutz anstrebte. Er lebte bis dahin in Niederlauterbach, das zum Gebiet des Hochstifts Speyer gehörte und als elsässische Gemeinde unter der Oberhoheit Frankreichs stand. Der Beinheimer Amtmann Boucher schickte Jacob Salomon selbst mit der Bitte um die Schutzaufnahme zur Hofkammer. Dieser sei, so stellte der Amtmann fest, „Ein ziembl(ich) bemittelter Handelsjud“; die Gemeinde Niederlauterbach, aus der er komme, wolle ihn angesichts seiner untadeligen Aufführung eigentlich gar nicht wegziehen lassen. Für die Hofkammer war wichtig, dass sie keine Schwierigkeiten mit Speyer zu befürchten hatte. Jacob Salomon versicherte allerdings mehrmals, dass seiner Entlassung aus dem dortigen Schutz nichts entgegen stehe. Und wenn Speyer wider Erwarten ihm den Wegzug nicht erlaube, fügte 260 GLAK 61/55 GR 17.11.1745 Nr. 31. 261 GLAK 61/56 GR 2.4.1746 Nr. 1. 262 GLAK 61/57 GR 14.5.1746 Nr. 14. 263 GLAK 61/57 GR 6.7.1746 Nr. 16. 264 GLAK 61/57 GR 28.7.1746 Nr. 13.

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Die Schutzaufnahmen in der Markgrafschaft

er hinzu, dann bitte er um den Schutz für seinen Sohn Baruch. Die Kammer stimmte sofort zu, unter Bezug auf ein Reskript des Markgrafen: Je nach Sachlage könne Jacob Salomon oder sein Sohn einen Schutzbrief erhalten.265 Wie Jacob Salomon beruhigte auch der Beinheimer Amtmann: Unter der französischen Herrschaft gelte „die Eingeführte Gewohnheit“, dass Juden ohne weiteres „nach Eigner Convenienz [nach eigenem Belieben]“ den Ort wechseln und selbst ohne Entlassung aus ihrem bisherigen Schutz ein neues Schutzverhältnis eingehen könnten; sie bräuchten daher auch kein besonderes Entlassungsschreiben vorlegen. Jacob Salomon schaltete sich wieder selbst ein. Er verwies auf ein Schreiben zu seinen Gunsten: Es sei „Von einem H(och)f(ü)rst(lichen) Hofrath ein dorthin Exhibirtes [Schreiben] von Anwaldt und Gericht266 zu Nieder Lauterbach mit Ihrem Dorfinsigil Corrobirtes Ertheiltes Attestatum [mit dem Dorfsiegel bestätigtes Zeugnis] Sein Juden Wohlverhalten anhero Co(mit)irt [geschickt] worden“. Auf die Vorlage dieses Zeugnisses beriet sich die Kammer sofort mit dem Hofrat. Dieser billigte die Aufnahme Jacob Salomons unmittelbar, wie die Fortsetzung des Protokolleintrags vom 16./17. Mai zeigt: Jacob Salomon müsse nur selbst verantworten, dass die Aussage über die französische Regelung der Schutzaufgabe zutreffe. Jacob Salomon war einverstanden. Die Hofkammer sicherte nun ihre Entscheidung nochmals ab. Sie berief sich darauf, dass die Verfügung des Markgrafen vom 30. März des Jahres vorläge, weiteren Juden den Schutz nach Beinheim zu erteilen. Sie stellte klar, dass sie die Richtigkeit des Berichtes von Amtmann Boucher über die Regelungen in Frankreich voraussetze und die Speyrer Regierung keine Einwände gegen die Aufnahme in den markgräflichen Schutz vorbringe. Auch diesem Beschluss der Kammer stimmte der Hofrat zu. Darauf erhielt Amtmann Boucher den abschließenden Befehl: Er solle „bey sein Juden aufzug [wenn Jacob Salomon den Schutz antrete] in den Herrschaftl(ichen) Schutz“ die üblichen 25 Gulden Aufnahmegebühr und das jährliche Schutzgeld von 15 Gulden einziehen.267 Im Januar 1732 äußerte sich der Amtmann in Beinheim noch einmal zur Vorstellung, es sei das Recht des Markgrafen, noch mehr Juden in seinem Amt, an den Amtsort und nach Leutenheim, aufzunehmen, und zwar so: Es „seye darbey zu observiren [beachten] daß es schwehr seyn würdte, einen frembden Judten zu introduziren [einzuführen, in den Schutz aufzunehmen], der nicht bereiths in der Provinz sesshaft gewesen, theils weilen mann nit gern siehet, daß sich deren anzahl, die ohne dem groß, vermehr, theils wegen eines ordre [Befehl] von dem gou265 GLAK 61/267 HK 7./8.5.1731 und GLAK 61/267 HK 16./17.5.1731. 266 Gericht: kommunale Vertretung als Organ der Selbstverwaltung; auch Bezeichnung für das einzelne Mitglied. 267 GLAK 61/267 HK 16./17.5.1731.

Schutzaufnahmen 1727 bis 1746 

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verneur dieser provinz, durch welch allen fremdten Judten verbotten länger als drey Täg in der provinz zu verbleiben.“268

Die Warnung des Beinheimer Amtmanns war zwar sehr allgemein gehalten, wies aber auf Schwierigkeiten mit der französischen Regierung hin, wenn noch mehr Juden, vor allem fremde, in Beinheim aufgenommen würden; vielleicht dachte er auch an die Bevölkerung, wenn er schrieb, dass „man nit gern“ noch mehr Schutzjuden wahrnehmen würde. Abraham und Löwel für ihre Söhne

Die gemeinsame Supplik von Abraham und Löwel, zweier verschwägerter Schutzjuden in Malsch, zielte auf die Annahme Schäumanns (IV.20) aus Lichtenau in der Grafschaft Hanau-Lichtenberg und eines Sohnes (IV.21) von Löwel, der nicht namentlich genannt wurde. Schäumann stand vor der Heirat mit einer Tochter Abrahams, Löwels Sohn wollte eine Tochter Süßels in Bühl heiraten. Beide Aufnahmen bewilligte 1735 Markgraf Ludwig Georg von Böhmen aus.269 In ihrer Bittschrift hatten die Supplikanten geschrieben: „Euer Hochfürstlichl(ichen) D(ur)chl(aucht) erlauben gnädigst, daß wür beyde Schwäger Abraham undt Löwel Schutzjuden, vor Unsere Erstgeburth, welche sich zue verheirathen gedencken, undt wür selbst270 gern bey uns seheten, umb den Schutz zu Malsch, in aller Untherthänigkeit ahnhalten, undt zwar stehet mein, des Abrahams Tochter, mit Jud Schäumann von Lichtenau, und mein, des Löwels Sohn, mit Jud Sißels von Bühl Tochter, Euer Hochfürstl(ichen) D(ur)chl(aucht) Landtskindt, in Eheverlöbnus, welche sie zue vollzihen willns, so balden Euern Hochfürstl(ichen) D(ur)chl(aucht) Schutz zue Malsch höchst mildest verstatten werden, dessen wür unterthänigste Supplicanthen, uns umb so mehrers getrösten, als wür Eines theils bereiths in die 30 Jahr, ohne Jemandts widerredt, uns als getreuiste Redtliche und Ehrliche Juden aufgeführet haben, andern theils der beeden sich Verehlichenden Vermögen, sich zusammen in bahrem gelt ad [auf ] 2000 fl belaufendt Dergestalten beschaffen ist, daß sie sich wohl davon ernähren können, auch glauben wür, Eure Hochfürstl(iche) D(ur)chl(aucht) werden der ursachen nicht ohngeneiget sein, g(nä)d(ig)st zue willfahren, alß durch sothane häußliche Niderlassung, in deme zu Malsch zwey Juden, nemlichen Jäkhel und Koppel abgängig, die ahnzahl der Juden über die vorige nicht vermehret wirdt, undt alß weder Christen noch Juden ahndurch eine Beschwehrnuß zuefallet; Solche Hochfürstl(iche) Gnadt, werden Wür samt unseren Kinderen jederzeith erkennen, undt fernershin denen Malscheren, bey jezigen geltklammen Zeithen, wie bis dato gethan, beyzuspringen trachten, in tifesten Respect verbleibende Euer Hochfürstl(iche) D(ur)chl(aucht) Unt(ertäni)gst gehorsamsten Abraham undt Löwel Hochfürstl(iche) Schutzverwandte Juden zu Malsch“271

268 GLAK 61/160 HR 24.1.1732. 269 GLAK 61/272 HK 20.6.1735. 270 Alternative Lesung: „solche“. 271 GLAK 74/6998, Abraham und Löwel an Markgraf Ludwig Georg, 18.5.1735, Bl. 718r–v.

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Die Schutzaufnahmen in der Markgrafschaft

Die Supplik stellte zunächst die Erfüllung der Normen heraus, die für die Schutzerteilung galten: Die Bewerber, beide die ältesten Söhne, verfügten zusammen mit ihren Bräuten über das geforderte Mindestvermögen. Dazu kam die nicht vorgeschriebene, doch als opportun angesehene Herkunft der Frauen: Sie seien Landeskinder. Die Supplikanten gingen auch auf die Bedenken ein, die sich auf eine Vermehrung der jüdischen Familien in Malsch gründen konnten: Mit der Aufnahme bleibe es bei der bisherigen Zahl, da zwei Schutzjuden gestorben oder weggezogen seien. Vor allem aber stellte die Supplik heraus, wie vorteilhaft das Verhalten der beiden supplizierenden Väter für die christlichen Einwohner in Malsch bisher war, und die zwei Schutzjuden betonten die lange Zeit, die sie in Malsch lebten, ohne dass Konflikte mit den Mitbewohnern auftraten. Damit waren die Supplikanten auf alle Kriterien eingegangen, die bei der Schutzaufnahme galten: Verhalten, Zahl und Vermögen. Zusätzlich kennzeichneten Abraham und Löwel sich selbst als Menschen, die in einer Zeit mit großem Mangel an barem Geld den anderen Einwohnern in Malsch mit Darlehen aushalfen. Der Amtskeller von Malsch befürwortete die Supplik: Er bestätigte, dass die beiden Supplikanten – so hatten sie sich selbst dargestellt – „Ehrlich, getreu undt redtlich“ gelebt hätten, auch dass sie „denen ettwa in der noth steckhenden armen bürgern mit ihren mittlen an die Handt zu gehen pflegen,“272 also Geld geliehen hatten. Das Vorgehen der Bewerber: Erfahrungen mit Schwierigkeiten und   Umwegen, ihr Selbstbewusstsein, Neuerungen

Löw Jacob (IV.9) hatte in Unzhurst Schwierigkeiten, eine neue Wohnung zu erhalten und Brennholz zu bekommen, in Müllenbach mit der Gewalt gegen seine Wohnung, wenn nicht gegen ihn selbst und seine Familie.273 Mit einem ähnlichen Problem, eine Wohnung zu finden, musste auch Jesaias Schweitzer (IV.14) rechnen, als es um seine Aufnahme nach Iffezheim oder Stollhofen ging.274 Trotz der zu erwartenden Schwierigkeiten versuchten Löw Jacob (IV.9), Jesaias Schweitzer (IV.14), Moyses Süßel (IV.37), auch Isaac Israel und sein Sohn Abraham Isaac (IV.35) aus Bühl,275 den Schutz zu erhalten an Orten, an denen vorher keine Juden gelebt hatten. Damit gingen sie dem Problem aus dem Weg, dass ihnen an den traditionellen Schutzorten die für „festgelegt“ angesehene Zahl der Juden hätte bereiten können. 272 GLAK 74/6998, Amtkeller Yhlin, 24.5.1735. 273 Zu Löw Jacob siehe S. 76f. 274 Zu Jesaisas Schweitzers Schutzaufnahme siehe S. 74. 275 Zum Versuch von Isaac Israel und Abraham Isaac für Steinbach den Schutz zu erhalten siehe S. 526ff.

Schutzaufnahmen 1727 bis 1746 

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Bei Löw Jacob lässt sich beobachten, wie er seine wirtschaftlichen Interessen verteidigte. Er wehrte sich erfolgreich gegen die Beschränkung seines Handels, die das Amt Bühl vorschlug.276 Ähnlich verhielt sich Lazarus Weil in Kippenheim, als es 1742 um den Schutz für seinen Sohn Marx (IV.44) ging. Die geforderte Einstellung seines Handels lehnte er ab, mit der Begründung, für diesen brauche er ja gerade seinen Sohn; Marx Weil erhielt die Schutzaufnahme zwei Jahre später ohne Bedingungen.277 Offensichtlich hatten diese Bewerber um den Schutz genügend Selbstbewusstsein, nicht um jeden Preis den Schutz anzustreben. Als Isaac Israel und sein Sohn 1740 von Bühl aus den Schutz für Steinbach erhalten wollten,278 fanden sie wie Löw Jacob die Bereitschaft der Amtmänner, ihnen zu einem „neuen“ Schutzort zu verhelfen. Die Erfahrung Abraham Isaacs mit dem Widerstand des Steinbacher Pfarrers Kapfer dürfte Löw Jacob gekannt haben, als es um den Schutz für Müllenbach ging. Er und Jesaias Schweitzer nahmen Schwierigkeiten in Kauf, wohl aus der Not heraus, überhaupt in ein Schutzverhältnis zu kommen oder einen anderen Schutzort zu erhalten. Süßel Moyses handelte aus Erfahrung. Er war über Waldsteg nach Bühl gekommen und versuchte eine Wiederholung eines solchen Umwegs, als er für seinen Sohn Moyses Süßel den Schutz erhalten wollte. Als Abraham und Löwel in Malsch den Schutz für Schäumann und den Sohn Abrahams erbaten, wiesen die beiden Supplikanten nicht allein auf die in der „Judenordnung“ enthaltenen Qualifikationen wie Vermögen und ein den Gesetzen entsprechendes Verhalten hin. Sie betonten darüber hinaus, wie nützlich sie für ihre Mitbewohner waren und bestritten dabei im Vorgriff das Argument, Juden brächten eine „Beschwehrnus“, eine Belastung der christlichen Einwohnerschaft. Dem stellten Abraham und Löwel nämlich gerade ihren Anspruch, dass sie Jahrzehnte in aller Ehre und Redlichkeit mit der christlichen Bevölkerung zusammengelebt hatten, und dass so die christliche Bevölkerung über sie keine Klagen erhoben hätte – sie argumentierten hierbei ähnlich wie schon 1696 Joseph Jacob in Bühl.279 Die beiden Schutzjuden, unterstützt vom Amtskeller, entwarfen ein Gegenbild zum betrügerischen und schädlichen jüdischen Einwohner: das von Juden, die den christlichen Einwohnern Hilfe in der Not leisteten. Die Supplikanten betonten so ihre positive wirtschaftliche und soziale Funktion und stellten sich als Mitbewohner dar, die sich in die örtliche Solidargemeinschaft integrierten.280 Voller Selbstbewusstsein begründeten sie mit ihrem eigenen Verhalten den Anspruch, dass auch ihre Kinder den Schutz erhielten. – Jetzt argumentierten 276 Zum Vorschlag einer Handelsbeschränkung für Löw Jacob siehe S. 74. 277 GLAK 61/44 GR 27.1.1742 Nr. 7, 21.2.1742 Nr. 29, 17.3.1742 Nr. 25, 4.4.1742 Nr. 26, GLAK 61/46 GR 21.11.1742 Nr. 26 und GLAK 61/50 GR 8.2.1744 Nr. 11. 278 Zu Isaac Israel siehe vor allem S. 523ff. 279 Zu Joseph Jacobs Argumentation beim Konflikt über sein Haus siehe S. 297ff. 280 Zum Selbstbild von Löwel und Abraham in Malsch siehe S. 79f.

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Die Schutzaufnahmen in der Markgrafschaft

die beiden Juden in Malsch völlig verschieden als zwei andere Juden in Malsch fast drei Jahrzehnte zuvor: Sie hatten sich auch dagegen gewehrt, eine Last für die christlichen Einwohner des Ortes zu sein, aber gerade damit, dass sie ihren Handel auswärts, sogar außerhalb des Landes ausübten; eine positive Leistung für die Malscher Einwohner führten sie nicht an.281 Im Lichte der Argumentation von Abraham und Löwel wird auch die Vorstellung von Jacob Salomon nochmals deutlicher. Er hatte sich so dargestellt, dass ihn seine christliche Herkunftsgemeinde eigentlich gar nicht wegziehen lassen wollte. Damit berief sich er wie Abraham Samust und später Abraham und Löwel in Kuppenheim auf den Eigenwert eines Juden im Zusammenleben mit den Christen auf der lokalen Ebene, und er setzte wohl voraus, dass dies auf eine entsprechende Erwartung bei der Regierung traf und so zu seiner Aufnahme beitrug. Neu ist das Vorgehen, das 1732 bei der Aufnahme von David Simon aus Untergrombach, für den sich dann der Name David Kaufmann (IV.15) durchsetzte. Maria Anna, die Tochter eines Schutzjuden, supplizierte für seine Aufnahme. Ihr Vater Isaac Lazarus in Gernsbach war im Januar 1728 gestorben;282 ihre Mutter Blumin oder Blümle verließ darauf die Stadt im folgenden Jahr.283 Möglicherweise blieb Maria Anna bei Herz Lazarus, dem Bruder ihres Vaters, während eine Schwester sich Anfang 1730 außerhalb der Markgrafschaft verheiratete284 und ein Sohn von Isaac Lazarus später in Karlsruhe nachweisbar ist.285 Sie sah wohl gerade in ihrer Situation, als einziges Kind von Isaac Lazarus, das noch in Gernsbach lebte, eine besondere Chance, an die Milde des Herrschers zu appellieren. Einheimische Interessenten am Schutz bewarben sich seit Markgraf Ludwig Georg auch dann, wenn sie eigentlich wegen ihres Vermögens keine Chancen hatten. Für sie scheint oft die Abstammung von Schutzjuden ein genügendes Gewicht zu haben bei einer Schutzbewerbung, und auch sie dürften oft auf Erfahrungen aus vorhergehenden Aufnahmen zurückgegriffen haben. Jacob Salomon (IV.10) kompensierte die fehlende Verwandtschaft, vielleicht auch die Abstammung von einem baden-badischen Schutzjuden ohne Probleme mit seinem Vermögen oder mit seinem Ansehen in der (christlichen) Herkunftsgemeinde. Ähnlich wichtig war das Vermögen bei Abraham Samust (IV.2) aus 281 Zur Argumentation des Jahres 1716 siehe S. 92. 282 GLAK 61/156 HR 13.1.1728. 283 GLAK 61/157 HR 15.3.1729. 284 GLAK 74/68 Verzeichnus deren Schutzjuden im Land, welche gn(ä)d(ig)ster Herrschaft den abzug restiren, 1732. 285 Ein Aaron Lazarus mit dem Alter von 30 Jahren (1740) ist mit seiner Schutzaufnahme in Karlsruhe unter dem Datum 8.7.1734 verzeichnet. Als Geburtsort wird Gerspach angegeben, eine manchmal vorkommende Schreibung für Gernsbach, in Schmitt (Hg.), Juden in Karlsruhe, Dokumente, Nr. 2, S. 514–521, hierzu S. 518. Der Ort Gersbach, Ortsteil von Schopfheim im Südschwarzwald, dürfte nicht als Geburtsort in Frage kommen.

Schutzaufnahmen 1727 bis 1746 

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Hagenbach, der 1727 ebenfalls nach Beinheim und später nach Kuppenheim aufgenommen wurde.286 Der „Gemeinschaftsjude“ Herz Lazarus (IV.4) und der Judenoberschultheiß Isaac Bodenheimer,287 der für seinen Neffen Löw Bodenheimer (IV.36) supplizierte, verfügten über einen persönlichen Zugang zum Markgrafen oder zum Geheimen Rat, Jacob Salomon (IV.10) zur Hofkammer. Herz Lazarus konnte so selbst eine massive Konfrontation mit Hofräten – soweit sichtbar – unbeschadet überstehen, und Jacob Salomon beschleunigte mit seinen persönlichen Interventionen den Abschluss seiner Aufnahme. Besondere Konstellationen der Regierung im Verhältnis zu Speyer und Frankreich nutzten Abraham Samust (IV.2) und Jacob Salomon (IV.10) für ihre Aufnahme nach Beinheim. Der Erste erhielt die einzigartige Zusicherung, seinen Aufenthaltsort frei wählen zu können, Letzterer die Möglichkeit, sich alternativ für die Aufnahme seines Sohnes zu entscheiden. Die dargestellten Schutzbewerbungen weisen aus, wie die künftigen Schutzjuden oder diejenigen, die für sie supplizierten, informiert über mögliche Widerstände waren, wie flexibel sie sich verhielten in der Wahl ihres Schutzortes und wie sie gegebenenfalls auch Umwege in Kauf nahmen. Sie verfügten über Erfahrungen, an denen sie sich beim wichtigen Übergang in das schutzrechtliche Verhältnis orientierten. Schwierigkeiten riskierten sie, zu weitgehende wirtschaftliche Einschränkungen akzeptierten sie nicht. Interessenten am Schutz setzten auch differenziert ihre persönliche Situation für die Bewerbung ein. Unverkennbar sind Äußerungen von Selbstbewusstsein bei Juden in „normalen“ ländlichen Lebensverhältnissen häufiger feststellbar als in den vorhergehenden Jahrzehnten. Abraham und Löwel in Malsch stellten unübersehbar dar, welchen Eigenwert sie für sich im Kontext des lokalen Zusammenlebens und im Verhältnis zur Regierung beanspruchten. In ihrer Gesamtheit weisen die Schutzaufnahmen nach 1727 Züge einer Normalisierung auf, in der Bedeutung der Verwandtschaft, in häufiger problemloser Schutzerteilung, im widersprüchlichen Verhalten der Regierung in der Frage der Vermögensnorm und in der Orientierung auf die Anzahl von 42 jüdischen Familien im Kerngebiet der Markgrafschaft, die Markgraf Ludwig Wilhelm vorgegeben hatte. 3.6.3  Gegendruck aus der Bevölkerung Unübersehbar ist allerdings auch der Druck, der gegen Schutzaufnahmen in der nichtjüdischen Bevölkerung entstand. Als Abraham Samust 1728 nach Beinheim 286 Zu Abraham Samust siehe S. 75f. 287 Zu Herz Lazarus siehe S. 617ff., zu Isaac Bodenheimer siehe S. 424ff., zu Löw Bodenheimer siehe S. 229ff. u. ö.

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Die Schutzaufnahmen in der Markgrafschaft

aufgenommen war, begannen die Probleme mit dem dortigen Ortsgeistlichen, der seine Niederlassung offensichtlich verhindern wollte. Allerdings lässt sich nicht erkennen, ob der Pfarrer in der Bevölkerung Unterstützung fand. Gegen den Aufenthalt Löw Jacobs (IV.9) in Müllenbach wurde der zuständige Gemeindepfarrer in Steinbach aktiv. Später intervenierte derselbe Geistliche gegen die Niederlassung Isaac Israels und seines Sohnes Abraham Isaac (IV.35).288 Sein Eingreifen in Müllenbach verband sich mit dem Vorgehen von Teilen der Bevölkerung, die das Amt als junge Leute bezeichnete. Beschädigungen an der Wohnung Löw Jacobs, so drückten sie ihre Gegnerschaft aus.289 Als Moyses Schweitzer für seinen Sohn Jesaias den Schutz für Iffezheim erbat, warnte der zuständige Amtmann: Dort hätten bis jetzt keine Schutzjuden gelebt, und die Gemeinde würde vermutlich verhindern, dass Jesaias Schweitzer eine Wohnung bekäme.290 1736 supplizierten die Einwohner von Ettlingen und baten, keinen Schutz über die festgesetzte Anzahl hinaus zu erteilen noch „viel weniger“ Juden zu erlauben, „Christliche Häuser an sich zu Erkaufen“.291 Sie fürchteten also, dass Juden hohe Summen für Häuser ausgeben könnten und christliche Bürger als Käufer benachteiligt würden. Dem kam der Markgraf ein Stück entgegen: Er beabsichtige derzeit nicht, für die Stadt neue Schutzerteilungen zu genehmigen.292 Im gleichen Jahr kam es auch in Bühl zu einer Reaktion auf erfolgte oder befürchtete Schutzaufnahmen, als es um die Aufnahme des Neffen von Isaac Bodenheimer (IV.36) ging. Im September 1736 antwortete die Hofkammer auf eine Beschwerde der Gemeinde. Juden waren, und in diesem Punkt schloss sich der Hofrat wohl der Beschwerde an, eine Belastung, ein Schaden für die Gemeinde.293 Es gab Ortsgeistliche, von denen Aktionen gegen Schutzbewerber ausgingen. Manchmal sind auch Gruppen der Bevölkerung sichtbar, von denen Schwierigkeiten erwartet wurden oder die wirklich aktiv wurden, um eine Niederlassung eines Juden zu verhindern. Löw Jacob sollte zunächst auf den Viehhandel beschränkt werden,294 eine Maßnahme, die den Krämern wohl im nahen Bühl entgegenkam. Ausdrücklich ließ die Hofkammer protokollieren, dass Löw Jacob nur so viel schächten dürfe, wie er selbst verbrauchen könne.295 So nahm die Kammer die Interessen der Metzger in den Blick. 288 Zu Isaac Israel und seinem Sohn Abraham beim Versuch, den Schutz für Steinbach zu erhalten, siehe S. 526ff. 289 Zur Gewalt gegen Löw Jacob durch junge Leute siehe S. 84. 290 GLAK 61/267 HK 3./4.12.1731. 291 GLAK 61/29 GR 1.2.1736 Nr. 2. 292 Ebd. 293 Zur Aufnahme von Löw Bodenheimer siehe S. 89ff. 294 Zu diesem Versuch, den Handel Löw Jacobs zu beschränken, siehe S. 76f. 295 GLAK 61/267 HK 13./14.4.1731.

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3.6.4  Die Regierung: eine Neuorientierung Für Löw Jacob (IV.9) erlaubte die Regierung 1731 offensichtlich problemlos die Niederlassung in einem Ort, an dem bis dahin keine Schutzjuden gelebt hatten. Folgte die Regierung dem „Modell Süßel“296 in Waldsteg? Zumindest bei der Festlegung des Schutzgelds für Löw Jacob war sich die Hofkammer der Parallele bewusst. Vielleicht wegen dieser Aufnahme an einem „neuen“ Schutzort agierte der Amtmann zunächst vorsichtig, mit dem Versuch, die wirtschaftliche Aktivität Löw Jacobs einzuschränken, wohl mit Blick auf die Reaktion aus der christlichen Bevölkerung. Erstaunlicher Weise folgte ihm die Regierung dabei nicht – sie setzte auf die „Normalität“ des Schutzes von Löw Jacob. Noch 1731, bei Jesaias Schweitzer, hatte die Regierung noch Bedenken, für einen Ort den Schutz zu erteilen, an dem sich bis dahin noch keine Schutzjuden niedergelassen hatten.297 Bei Herz Lazarus (IV.4) stellte die Regierung die Gültigkeit seines Schutzes fest, die angezweifelt worden war; über sein vorhergehendes Rechtsverhältnis war sich die Regierung selbst unklar gewesen. Bei Süßel (IV.6) klärte die Regierung in den ersten Jahren des Markgrafen Ludwig Georg dessen rechtlichen Status endgültig, indem sie ihn, den „fremden“ Juden, zu einem „normalen“ markgräflichen Schutzjuden machte, der sich in Bühl niederlassen konnte.298 Für die Rechtspraxis, vielleicht auch für das Rechtsverständnis der neuen Regierung ist die Aufnahme von Joseph Schmaul (IV.5) besonders relevant. Trotz der Anschuldigung einer betrügerischen Schutzaufnahme und der Verurteilung zu einer hohen Strafe billigte die Regierung 1730 die Schutzerteilung für Schmauls Sohn. Dies lässt sich aus seinem relativen Reichtum erklären. 1722 hatte der Bühler Amtmann sein Vermögen – sein Haus und seine Handelswaren ohne seine Außenstände – mit 3829 Gulden angegeben.299 Die Aufnahme von Joseph Elias (Joseph Schmaul) stand auch im Zusammenhang mit der Klärung rechtlich problematischer Verhältnisse wie bei Herz Lazarus (IV.4) und Süßel Moyses (IV.6); jedenfalls galt 1730 die Ausweisung Schmauls nicht mehr oder hatte schon vorher keine Rechtskraft erhalten – sein „Wandel“, sein schutzmäßiges Verhalten spielte 1730 keine Rolle. Damit wich die Regierung unter Ludwig Georg zumindest bei Joseph Elias (Joseph Schmaul) und seinem Vater vom Kriterium des „Wohlverhaltens“ ab. Es war bei anderen Bewerbungen wie bei der von Marx Weil für seinen Sohn allerdings wieder wichtig: Das unfehlbare Verhalten des Vaters „verdiente“ bei Marx Weil die Aufnahme seines Sohnes Emanuel (IV.12). Bei Jesaias Schweitzer (IV.14) hatte 1731 sein Vater Moyses Schweitzer, der Sohn des Hofjuden Mathias Schweitzer, um den Schutz gebeten. Die Hofkammer 296 Zu Moyses Süßel siehe S. 615ff. 297 Zum Verhalten der Regierung bei Jesaias Schweitzer siehe S. 85f. 298 Zur Übersiedlung von Moyses Süßel nach Bühl S. 617. 299 GLAK 61/258 HK 9.6.1722 und GLAK 61/258 HK 15.6.1722.

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Die Schutzaufnahmen in der Markgrafschaft

befürwortete die Aufnahme, mit dem Hinweis, dass er ein „dahier im Landt geborenes Juden Kind“ sei und der Großvater Mathias Schweitzer wie der Vater „sich Jederzeit schutzmäßig aufgeführet“ hätten.300 Als Moyses Schweitzer gestorben war, supplizierte sein Sohn selbst. Nochmals wurden, jetzt vom Amt, der Großvaters und Vater positiv dargestellt. Beide seien schon Schutzjuden gewesen, und beide seien sie ohne Schulden gestorben.301 Diese Stellungnahme ging gar nicht auf den sonstigen Vermögensstand des Bewerbers ein. Hier bestätigt sich, was bei der Analyse der Tabelle IV, Schutzaufnahmen 1727 bis 1746, festgestellt wurde: Die Regierung wendete das Vermögenskriterium flexibel an und vernachlässigte es in einer Reihe von Fällen, so wie sie bei Jesaias Schweitzer das Verhalten der Vorfahren und deren Schuldenfreiheit für wichtiger ansah als seine eigene wirtschaftliche Situation. Selbst ein indirekter Hinweis auf seine ungünstige Situation beeinträchtigte die Wirkung seiner Supplik nicht. Jesaias Schweitzer wies nämlich auf die ihn belastende Verpflichtung hin, die Sorge für fünf jüngere Geschwister, um seine Aufnahme günstig zu beeinflussen. Damit wird auch die Grundlage seines Appells deutlich: Er setzte damit bei der Regierung Verständnis für seine soziale Situation und die seiner Familie voraus, mit Erfolg.302 Sorgsam war die Regierung darauf bedacht, ihren Handlungsspielraum zu bewahren. Auf die Beschwerde aus Ettlingen 1736 gab der Geheime Rat vor, der Gemeinde gegenüber auf die Bindung an die gegebene Anzahl hinzuweisen. Der Hofrat pflichtete dem bei, schlug aber vor, diesen Beschluss nur mündlich mitzuteilen. Damit werde eine endgültige Festlegung verhindert.303 Die Schutzerteilungen in den ersten Jahren der Regierung Ludwig Georgs können als Teil einer Neuorientierung verstanden werden. Die Zeit einer restriktiven Vorgehensweise unter der Markgräfin Sibylla Augusta endete. Zunächst bewilligte Markgraf Ludwig Georg bei Hayum Moyses Bodenheimer (IV.1) für Durbach und bei Abraham Samust (IV.2) für Beinheim Aufnahmen, für Orte, die außerhalb des Kerngebietes der Markgrafschaft mit ihrer festgelegten Zahl von 42 Schutzjuden lagen. Dann aber eröffnete die Aufnahme Joseph Schmauls nach Malsch für dieses Gebiet eine Reihe von Schutzerteilungen. Möglicherweise setzte sich jetzt, nach dem Thronwechsel, die Vorstellung durch, welche die Hofkammer 1725 gegenüber Markgräfin Sibylla Augusta formuliert hatte: Eine größere Anzahl von Schutzjuden bringe finanzielle Vorteile.304 Die Veränderung zeigte sich am deutlichsten bei einer Bittschrift des Ettlinger Schutzjuden Herz Jost wegen der Aufnahme seines Sohnes Jacob Herz (IV.16). 300 GLAK 61/267 HK 3./4.12.1731. 301 GLAK 61/26 GR 18.3.1733 Nr. 13. 302 Ebd. 303 GLAK 61/29 GR 1.2.1736 Nr. 2 und GLAK 61/165 HR 4.2.1736 Nr. 1. 304 Zum Hinweis der Hofkammer auf den finanziellen Gewinn aus Schutzaufnahmen siehe S. 62f.

Schutzaufnahmen 1727 bis 1746 

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Der Rat stellte fest, dass es „Ser(enissi)mae viduae [der Fürstin-Witwe] Zu gn(ä) d(ig)sten gefallen gereichen solle, wann ferners kein Jud nacher Ettlingen als Höchstderselben Jetzige Residenz orth angenommen würde“.305 Die Witwe von Markgraf Ludwig Wilhelm solle deshalb erst um ihre Meinung zur Aufnahme gefragt werden.306 Im Juli 1733 starb Sibylla Augusta. Im September beschloss der Geheime Rat die Schutzerteilung unter der Bedingung, dass Jacob Herz weiterhin bei seinem Vater wohne und keinem anderen Gewerbe als dieser nachging.307 Während der Zeit, in der ein Beschluss über diese Schutzerteilung ausstand, blieb eine Entscheidung unerwähnt, auf die sich die Bürger und insbesondere die Kaufleute in Ettlingen später beriefen. Sie wiesen nämlich 1735 und 1736 Markgraf Ludwig Georg auf eine Bestimmung hin, die er und seine Regierung am 3. Mai 1730 erlassen hatte: In Ettlingen solle die Zahl der Schutzjuden nicht erhöht werden.308 Das Verhalten zu dieser Bestimmung macht den Unterschied zwischen Markgräfin Sibylla Augusta und ihrem Sohn deutlich: Ihre restriktive Linie verhinderte zunächst Schutzaufnahmen, vor allem an ihrem Witwensitz Ettlingen. Ihr Sohn befürwortete 1730 den Status quo für Ettlingen, brach dann aber mit ihrer Linie und war zu mehr Schutzaufnahmen bereit. 3.6.5  Der Rahmen – eine veränderte Einstellung allgemein Die Neuorientierung bei den Schutzerteilungen war ein Element einer allgemeinen Veränderung im Verhalten zu den Juden. Dies lässt sich daran verdeutlichen, wie die Regierung ab 1730 mit dem Amt des Judenoberschultheißen umging. Isaac Bodenheimer erhielt zu Beginn seiner Amtszeit eine „Instruction“, eine schriftliche Anweisung zur Erfüllung seiner Aufgaben309 – eine Neuerung in der rechtlichen und praktischen Ausgestaltung seines Amtes, die sicher auch auf eine intensivere Kontrolle der Juden hinauslief. Die neue Einstellung zu den Schutzjuden spiegelte sich in deren Erwartungen, vielleicht auch in denen einzelner Beamter wider. 1736 supplizierte Fradel, eine Schutzjüdin von Lichtenstadt (Hroznětin, CSR) in der Herrschaft Schlackenwerth, die eine Konzession für das Brennen von Branntwein hatte. Sie bat um die Befreiung der Gebühr für diese Konzession. Das zuständige Amt erinnerte daran, dass es sich um die Jüdin handelte, die mit ihrem Mann „bey gn[ä]d[ig] 305 GLAK 61/268 HK 18.8.1732. 306 GLAK 61/160 HR 19.8.1732 und 19.8.1732. 307 GLAK 61/26 GR 16.9.1733 Nr. 15. 308 GLAK 61/272 HK 8.7.1735 und GLAK 61/29 GR 1.2.1736 Nr. 15. 309 Zu Isaac Bodenheimer als Judenoberschultheiß siehe S. 424ff.

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Die Schutzaufnahmen in der Markgrafschaft

ster Herrschaft alhier gehaltenem hohe Beylagers310 auf gn[ä]d[ig]sten Befehl die Hochzeith Jüdischer arth alhier nachgehalten habe“; ihr Mann habe sich von ihr getrennt und sie befinde sich nun in Not.311 Lässt sich auch kaum unterscheiden, was 1721 in Krumau (Cesky Krumlov, CSR) in Böhmen bei der befohlenen „Mitfeier“ der „Hochzeith Jüdischer arth“ Unterhaltung für die Hofgesellschaft oder eine Auszeichnung für das jüdische Paar war, 1736 verband sich mit der Erinnerung daran die Hoffnung auf die Hilfe des Markgrafen. Solche Erwartungen äußerten auch Schutzjuden auf baden-badischem Gebiet. Löw Wertheimer in Durbach supplizierte ebenfalls 1736 wegen einer Hilfe, nachdem französische Truppen 1734 oder 1735 sein Haus verbrannt hatten. Ihm ging es um die kostenlose Überlassung von Holz für den Wiederaufbau seines Hauses und um die Befreiung von der Gebühr für die Tabakadmodiation, die er innehatte.312 Er wollte dabei keine besondere Gunst des Markgrafen, sondern die Gleichbehandlung mit christlichen Einwohner von Durbach, die für den Wiederaufbau ihrer zerstörten Häuser Holz aus staatlichem Besitz erhalten hatten, und die Hofkammer sprach sich für die Gleichbehandlung Wertheimers aus.313 In beiden Suppliken äußerte sich eine Wahrnehmung des Markgrafen, die seine Bereitschaft zur Hilfe in Not voraussetzte. 3.6.6  Widersprüchliche Tendenzen Damit verfolgte die Regierung seit dem Wiederbeginn der Schutzerteilungen 1727 zwei widersprüchliche Tendenzen. Sie orientierte sich auf weitere Aufnahmen, berücksichtigte aber auch die ablehnende Haltung in der Bevölkerung. Die Regierung experimentierte mit neuen Schutzorten, obwohl sie mit Widerstand rechnete. Dieser Zusammenhang erklärt vielleicht auch, warum es an den neuen Schutzorten bei der Aufnahme von nur einem Schutzjuden blieb. Mit deren isolierter Existenz zog sich die Regierung allerdings das Problem zu, dass diese Juden doch wieder wegen des Schutzes an tradierten Lebensorten mit mehreren Schutzjuden supplizierten. Ähnlich doppelte Rücksichten existierten dann, wenn Witwen von Schutzjuden wieder heiraten. In diesen Fällen erhielten die künftigen Männer den Schutz: in Bühl der Vorsänger Äscher (IV.8), dann der Knecht Joseph Jacob (IV.11), später der zweite Mann von Isaac Bodenheimers Witwe (IV.27), und in Kuppenheim der Bräutigam von Joseph Löwels Witwe (IV.28). In diesen Fällen blieb das 310 Feierlicher symbolischer Vollzug der Ehe bei Personen hohen Standes mit dem Ersteigen eines Ehebettes, auf dem sich die Braut niedergelassen hat, meist durch einen Vertreter des Hochzeiters. 311 GLAK 61/29 GR 5.1.1736 Nr. 8. 312 GLAK 61/29 GR 8.2.1736 Nr. 13. 313 GLAK 61/273 HK 6.1.1736.

Schutzaufnahmen 1727 bis 1746 

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Vermögen bei der Schutzaufnahme unerwähnt. Die Versorgung der Witwen war das Entscheidende. Zugleich vermied die Heirat eines Schutzbewerbers mit einer Witwe ein Überschreiten der festgelegten Zahl von 42 Familien, damit neue Auseinandersetzungen mit der christlichen Bevölkerung. Nicht zuletzt bot sich ein Vorteil für die Regierung selbst: Aus dem halben Schutzgeld, das Witwen zahlten, wurde bei der neuen Heirat wieder der volle Betrag. Die Gebiete außerhalb des markgräflichen Kerngebietes spielten bei den Aufnahmen eine besondere Rolle. Eine festgelegte Höchstzahl von Schutzjuden für das Amt Beinheim existierte nicht, auch nicht für die Ämter Mahlberg und Staufenberg. Damit konnten die dortigen Gemeinden nicht auf das Argument der Observanz, des tradierten Rechts oder der Gewohnheit, zurückgreifen oder sich auf eine Regel berufen wie die Gemeinden Ettlingen, Bühl und später Malsch.314 Insofern ist es nicht zufällig, dass gerade in diesen Gebieten die Schutzaufnahmen nach der Unterbrechung durch Markgräfin Sibylla Augusta wieder einsetzten. Allerdings hatte die Neuorientierung der Regierung ihre Grenzen. Bei Jacob Salomon (IV.10) wurden Kammer und Rat über die positive Einstellung der elsässischen Herkunftsgemeinde zu einem Juden informiert. Dessen Akzeptanz in der christlichen Bevölkerung war der antijüdischen Einstellung in der eigenen Bevölkerung entgegengesetzt. Den Gedanken, dass sich christliche Untertanen gegenüber den Schutzjuden wohlwollend verhielten, nahmen weder Hofrat noch Hofkammer in ihre Vorstellungen auf. Wie bei den Überlegungen des Amtmanns Johannes Weiss im Jahr 1691315 sind bei der Regierung keine Spuren dafür sichtbar, dass sie solche für Juden positive Einstellungen unmittelbar rezipierte. Der vielleicht wichtigste Widerspruch bei der Regierung bestand wohl darin: Noch immer akzeptierte sie die Auffassung und teilte sie wohl auch, Juden seien eine Last für die nichtjüdische Bevölkerung. Dieses Stereotyp – wie wohl andere auch – verlor, vor allem erkennbar bei den Schutzaufnahmen, an Bedeutung im praktischen Verhalten, blieb aber im Denken der Regierung erhalten und konnte doch wieder neue Bedeutung gewinnen. 3.6.7  Löw Bodenheimer, der Neffe des Oberschultheißen: zwischen der Gnade des Markgrafen und dem Widerstand der Gemeinde Bühl 1734 und 1735, das waren keine guten Jahre für die Markgrafschaft. Im Polnischen Erbfolgekrieg, einem Konflikt zwischen Österreich und Russland einerseits, Frankreich andererseits um die Thronfolge und um die europäischen Mächteverhältnisse, standen französische Truppen drohend am Rhein, besetzten 314 Zur Haltung der Krämer bei Schutzaufnahmen in Ettlingen siehe S. 135, zu der bei der Bevölkerung in Bühl S. 51 und zur Haltung der Bevölkerung in Malsch siehe S. 93ff. 315 Zu Johannes Weiss siehe S. 54f.

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Die Schutzaufnahmen in der Markgrafschaft

schon Kehl, das als Reichslehen unter der Herrschaft der Markgrafen stand. Von dort aus brandschatzten sie auch das baden-badische Gebiet im Amt Staufenberg. Markgraf Ludwig Georg zog sich nach Schlackenwerth (Ostrov, CSR) in Böhmen zurück, auf den dortigen Sitz des baden-badischen Hauses. Zuvor, im Jahr 1734, war Isaac Bodenheimer aus Bühl, der damalige Oberschultheiß der baden-badischen Judenschaft,316 bei Markgraf Ludwig Georg gewesen. Darauf kam er 1735 zurück, als er eine Supplik an den Markgrafen schickte, der noch immer in Böhmen residierte. Dafür war jetzt die Zeit günstig. Während das Land Kontributionen aufbringen musste, kam die Regierung der Bevölkerung entgegen, auch den Schutzjuden. In Bühl genehmigte sie dem Wirt der jüdischen Herberge einen Nachlass des Ohmgeldes, der Steuer für Wein, von 15 auf 10 Gulden,317 weil kaum noch Fremde durch das Land zogen und so sein Verdienst immer mehr zurückging. Dem Oberschultheißen ging es in seiner Supplik, im Februar 1735, um Löw, den Sohn seines verstorbenen Bruders in Pforzheim. Isaac Bodenheimer hatte keine eigenen Kinder. Seinen Neffen Löw hatte er, wie er nun schrieb, schon „viele Jahr bey sich auferzogen und an Kindes statt angenohmen“, nun wolle dieser heiraten. Zusammen mit seiner Braut habe er, betonte Bodenheimer, 1000 Gulden, die Summe, die für eine Schutzaufnahme vorgeschrieben war. Um sie bat der Oberjudenschultheiß. Die Schutzaufnahme von Löw Bodenheimer habe doch „die gnäd(igste) Herrschaft versprochen, als [sie] nach Böhmen abreiste, als er [der Markgraf ] ihmo [Bodenheimer] eine Pistol über den Kopf geschossen und die peruque verbrennet.“318 Das war nicht die erste Bitte, mit der sich der Isaac Bodenheimer an den Markgraf wandte. 1733 supplizierte er, um sich während des Krieges zusammen mit seinem Bruder (und wohl auch mit seinem Neffen Löw) an einem Ort mit größerer Sicherheit als in Bühl aufhalten zu dürfen. Ohne Probleme wurde ihm dies erlaubt.319 Im folgenden Jahr stimmten Markgraf und Geheimer Rat zu, als Isaac Bodenheimer und Cassel in Rastatt „wegen der üblen Zeitläuften“ darum baten, ihre Weinsteinadmodiation aufgeben zu dürfen.320 Isaac Bodenheimer starb fast ein Jahr später, in der Nacht zum Sonntag, dem 29. Januar 1736.321 Seine Bitte war noch nicht erfüllt. Die Chancen für Löw Bodenheimer standen nicht gut. Noch im gleichen Jahr supplizierten die christlichen Einwohner in Bühl, um eine weitere Schutzbewilligung für ihren Ort zu verhindern, um damit von einer zusätzlichen Last verschont zu werden. Die Regierung bewilligte der Gemeinde ihre Bitte: Für die Gemeinde seien höchstens 15 316 Zu Isaac Bodenheimer siehe S. 424ff. u. ö. 317 GLAK 61/164 HR 20.1.1735 Nr. 19. 318 GLAK 61/28 GR 19.2.1735 Nr. 10. 319 GLAK 61/26 GR 17.12.1733 Nr. 17. 320 GLAK 61/270 HK 14.1.1734 und 4.2.1734. 321 GLAK 74/3731, Samson Schweitzer an Markgraf Ludwig Georg, 1.2.1736.

Ein Ende der Schutzaufnahmen 

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Schutzjudenfamilien erträglich und auf keinen Fall noch mehr „zum Last dahsiger Innwohnern zu toleriren.“322 Vier Jahre später übernahm Mayer Bodenheimer, der Bruder Isaac Bodenheimers, mit dem zusammen der Oberschultheiß in ihrem gemeinsamen Haus seinen Handel geführt hatte, die Rolle des Bittstellers. Löw Bodenheimers Hochzeit, die der Oberjudenschultheiß 1735 erwähnte, hatte wohl nicht stattgefunden, da der Bräutigam den Schutz nicht erhalten hatte. 1740 lag die Schutzerteilung für Löw Bodenheimer endlich vor. Jetzt bat Mayer Bodenheimer mit dem Hinweis auf die bevorstehende Heirat seines Neffen für diesen um den Schutz „gratis“, ohne Aufnahmegeld, und um ein nicht zu hohes Schutzgeld. Der Geheime Rat ging darauf ein: Das Aufnahmegeld solle nicht erhoben werden, über das Schutzgeld die Hofkammer entscheiden.323 Im September 1740 beriet der Hofrat erneut über eine Supplik der Gemeinde Bühl: Wieder verlangte sie, dass keine weiteren Juden mehr aufgenommen würden, jetzt, nach der Schutzerteilung für Löw Bodenheimer. Der Markgraf und der Geheime Rat legten fest: Das Dekret zugunsten von Löw Bodenheimer sollte in Kraft bleiben, wegen der Zahl der Schutzjuden in Bühl müsse der Hofrat entscheiden.324 Dieser bekräftigte die Höchstzahl von 15 Schutzjuden, die für Bühl galt: Nach der Schutzbewilligung für Löw Bodenheimers dürfe auch dann keine neue Aufnahme erfolgen, wenn ein Schutzjude gestorben war.325 Der Markgraf hatte also doch noch das Versprechen eingelöst, das er dem Oberjudenschultheißen Isaac Bodenheimer gegeben hatte, und seinem Neffen den Schutz erteilt. Aber die Regierung kam auch den christlichen Einwohnern in Bühl entgegen, die sich gegen eine weitere „Last“ mit einem zusätzlichen Schutzjuden in ihrer Gemeinde wehrten.

3.7   Ein Ende der Schutzaufnahmen – die „Ausrottung“ der Schutzjuden? 3.7.1   Der „alte Löwel Koppel“ „im mit Juden genugsamb übersetzten Malsch“ Am 1. Februar 1744 lag dem Geheimen Rat die Supplik des Malscher Schutzjuden Löwel Koppel vor, der um die Aufnahme für seinen Sohn Götschel Löwel (IV.43) bat.326 Manchmal wurde Löwel Koppel auch der „alte Löwel Koppel“ 322 GLAK 61/165 HR 15.9.1736 Nr. 4 und 13.10.1736 Nr. 4. 323 GLAK 61/42 GR 21.6.1741 Nr. 41. 324 GLAK 61/169 HR 13.9.1740 Nr. 5. 325 GLAK 61/169 HR 22.9.1740 Nr. 8. 326 GLAK 61/50 GR 1.2.1744 Nr. 38.

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Die Schutzaufnahmen in der Markgrafschaft

genannt; er ist wohl identisch mit jenem Koppel von Malsch, der 1735, schon im Alter von 85 oder 86 Jahren, vom Hofrat einen Schutzgeldnachlass erhielt mit dem Hinweis, dass er bereits über 60 Jahre im Schutz sei und nie Klagen gegen ihn erhoben wurden.327 Die Schutzaufnahme von Götschel Löwel bewilligte der Geheime Rat am 5. Februar 1744.328 Sie entfachte eine intensive Auseinandersetzung über die Existenz der Schutzjuden in der Markgrafschaft. Schon Löwel Koppels eigene Existenzberechtigung in Malsch war fast 30 Jahre zuvor umstritten gewesen. 1716 forderten nämlich die dortigen christlichen Einwohner: Zwei Juden, Löwel und Lazarus, sollten zur Rückkehr nach Friesenheim angewiesen werden, an ihren früheren Schutzort. Sie dürften „in dem mit Juden ohne das genugsamb übersetzten Malsch ohne der unterthanen große beschwärnuß nicht geduldet werden.“ Der Hofrat fragte bei der Kammer nach einem anderen Ort, an dem Löwel und Lazarus leben könnten; er begründete dies damit, dass Friesenheim bereits „mit zweyen anderen besetzt seye.“329 Die Hofkammer antwortete: Überall, wo Juden lebten, seien es zu viele. Ein Ort, an dem bisher noch keine Juden lebten, käme auch nicht in Frage: Bei Schutzerteilungen folgten immer Beschwerden. Deshalb griff die Kammer die Lösung auf, welche die Malscher Einwohner ins Gespräch gebracht hatten: Löwel und Lazarus könnten ins Amt Mahlberg geschickt werden, wo es nicht viele Juden gebe; dies sei auch deshalb vorteilhaft, weil Mahlberg gar nicht zur eigentlichen Markgrafschaft gehöre, andere rechtliche Voraussetzungen existierten.330 Es dauerte bis zum Juni 1716, bis der Hofrat entschied: Der Ettlinger Amtmann solle dafür sorgen, dass die beiden Juden Malsch verließen; falls sie nach Mahlberg wollten, bekämen sie ein entsprechendes Dekret an den dortigen Amtmann.331 Löwel und Lazarus supplizierten: Sie seien in Malsch für „niemand überlästig“; ihren Handel würden sie in den Nachbarorten und sogar außerhalb der Markgrafschaft treiben. Wie ihnen der Hofrat empfahl,332 supplizierten sie dann direkt beim Geheimen Rat und baten um eine vorläufige Duldung in Malsch, bis die Regentin nach ihrer Rückkehr endgültig entscheiden würde.333 Lazarus floh 1717, als ihm der Diebstahl eines Pferdes vorgeworfen wurde. Löwel Koppel, so wurde er später genannt, blieb in Malsch; sein Leben als dortiger Einwohner war, so scheint es, von da an bis 1744 unangefochten.

327 GLAK 61/164 HR 16.3.1735 Nr. 7. 328 GLAK 61/50 GR 22.2.1744 Nr. 51. 329 GLAK 61/144 HR 28.1.1716. 330 GLAK 61/251 HK 31.1.1716. Die Herrschaft Mahlberg war 1629 nach der Auflösung als Kondominat endgültig zur Markgrafschaft gekommen. 331 GLAK 61/144 HR 23.6.1716. 332 GLAK 61/144 HR 16.7.1716. 333 GLAK 61/144 HR 28.7.1716.

Ein Ende der Schutzaufnahmen 

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3.7.2  Nicht mehr, sondern weniger Schutzjuden Nach der Schutzerteilung für Götschel Löwel beschwerten sich die christlichen Einwohner von Malsch im Februar 1744. Ihr Schreiben wurde mit der Adressierung „Ad manus Serenissimi Clementissimas unterthänigste Bitt-Schrift sammtlicher Bürgerschaft von Malsch p(un)cto der ahnwachsenten Judenschaft“ in der Hofkammer am 4. März 1744 vorgelegt – es war direkt an den Markgrafen gerichtet. Die „gemeindtschaft Malsch“ habe erfahren, so beginnt das Schreiben, dass „abermahlen einem Juden nahmens Götschel der schutz undt erlaubnus sich bey uns häuslich niederzulassen gnädig ertheilet werdte.“ Dazu äußerten sich die christlichen Einwohner so: „Nun wissen wir zwahr wohl, daß solches [die Anwesenheit von Schutzjuden] von Euer Hoch fürstl(ichen) Durchleücht gnädigster willkühr [freier Entscheidung] dependiret [abhängt], wir seyndt aber von dero Hochfürstl(icher) gnadt, Clemens [Milde] undt liebe vor dero treue unterthanen so vollkommen überwiesen daß wir keine zweifel tragen Euer Hoch fürstl(iche) Durchleücht werdten die vermehrung der Juden in unserem Flecken keines weegs gestatten, sofern Höchst dieselben gnädigst wißen undt vermercken werdten, daß solche denen hiesigen Christlichen Einwohnern nachtheylich seye.“334

Die Bürgerschaft von Malsch erkannte damit das Recht des Markgrafen an, eine Aufnahme zu bewilligen. Nach dem Appell an die „gnadt Clemens und liebe“ für seine Untertanen äußerte die Gemeinde jedoch ihre Überzeugung, dass er einer erhöhten Zahl von Schutzjuden in Malsch nicht zustimme, wenn er sich auf ihre Darlegungen hin deren nachteiligen Folgen bewusst werde. Dann kamen sie zu den Gründen ihrer Forderung. Früher, so erklärten sie, sei für die Ämter Rastatt und Ettlingen gar kein Jude in den Schutz aufgenommen worden, danach höchstens zwei bis drei. 1740 habe dann der Markgraf zugesichert, dass in Malsch kein weiterer Jude den Schutz erhalten würde. Darauf prangerten sie das Verhalten der Juden an. Sie hätten sich in Malsch mit sieben „eingerichtet“, und so würde „der armb unterthan in seiner kleinen handirung [Handel, Gewerbe] nicht nur verkürtzet, sondern auch allerhandt von denen Juden bekannter maßen ahn den christen ausübenden practiquen ein entsetzlichen abbruch leydten, indem obgedachte 7 Juden familien sogar verschiedene Häuser und wohnung zu größtem praejudiz [zur größten Benachteiligung] unseres gemeintsleuthen ahn sich gebracht“

hätten. Die einfachen Untertanen würden, das meinten die christlichen Einwohner von Malsch, in ihrem Lebensunterhalt geschmälert, auf entsetzliche Weise durch deren „practiquen“ Schaden erleiden, vor allem dadurch, dass die jüdischen Familien Häuser und Wohnungen „an sich gebracht“ hätten. 334 GLAK 229/63684, Gemeinde Muggensturm an Markgraf Ludwig Georg, 4.3.1744.

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Die Schutzaufnahmen in der Markgrafschaft

Dann kamen sie auf Löwel zu sprechen. Er habe schon einen Sohn im Schutz, und überhaupt, sein eigener Schutz für Malsch sei ungültig, da er ihn nur für Friesenheim erhalten habe. Während der Kriegsjahre sei er von dort nach Malsch gekommen. Gleich, ob bald einer der Juden sterbe, ein kleiner Ort wie Malsch sei jedenfalls durch sieben Juden „überlastet“. Die Nachteile, die deren „wucherische335 Händell [wucherische Handelsgeschäfte]“ für sie brächten, würden beweisen, dass ihre Bitten gerechtfertigt seien. Löwel und seine ganze Familie müsse nach Friesenheim zurück, und die Anzahl der Juden in Malsch müsse verringert werden, zur Sicherung ihrer, der christlichen Untertanen, eigenen Existenz.336 3.7.3  Ein Ensemble von Stereotypen Hier werden mehrere antijüdische Stereotype sichtbar: Das der sich „einnistenden“ Juden, die auf unrechtmäßige Weise den Vorteil eines Schutzverhältnisses „erschleichen“. Sie bringen mit ihrem „Wucher“ eine „Verkürzung“ der „armen Christen“ in ihrem kleinen Gewerbe, so dass deren Existenz auf dem Spiele steht. Dabei verwenden die Juden bestimmte, bekannte „Praktiken“ wie ihren Wucherhandel. Zum Schaden der Christen bringen sie Häuser und Wohnungen in ihren Besitz. Alle die Nachteile und Gefahren für die Christen werden verstärkt durch die Vermehrung der Juden, einer zu großen Last für die Gemeinde. Auch ein Selbstbild entwerfen die christlichen Einwohner: Sie stellen sich dar als notleidend, als nach und nach um ihren Besitz gebracht und in ihrer Existenz höchst gefährdet – fast machtlos gegenüber den Juden, und sie beharren auf dem alten und guten Recht und wollen nichts als ihre Existenz sichern. Ihre Vorwürfe gegen die Juden erhielten keine weitere Konkretisierung, weder die Schwierigkeiten christlicher Einwohner, ein Haus zu erwerben, noch die anderen Nachteile aus der Existenz der Juden. Es waren diejenigen Vorstellungen, die schon in den Jahrzehnten zuvor in Bühl und Ettlingen337 verwendet wurden, und einen konkreten Bezug zur Situation in Malsch stellten sie jedenfalls nicht her. Insgesamt konstruierte die christliche Einwohnerschaft ein Ensemble von Vorstellungen als ein Gegenbild zu dem, das die Malscher Schutzjuden Abraham und Löwel 1735 entwickelt hatten. Dem ehrlichen Juden stellen die Christen den betrügerischen, das Recht verletzenden Juden entgegen. Statt des hilfsbereiten Juden sahen die Christen einen die Armut ausnützenden „Wucherjuden“, der ihnen 335 Wucherisch: von Wucher, Handel oder Gewinn, im Kontext antijüdischer Vorstellungen (wie hier) ausbeutender Gewinn aus Handel und Krediten. Zur Stereotype des wucherischen Juden Stefan Rohrbacher und Michael Schmidt, Judenbilder, Kulturgeschichte antijüdischer Mythen und antisemitischer Vorurteile. Hamburg 1991, S. 79–109. 336 GLAK 229/63684, 29.2.1744. 337 Zu den Angriffen gegen die Juden in Bühl siehe S. 297ff., zu denen in Ettlingen S. 303ff.

Ein Ende der Schutzaufnahmen 

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mit seinem Handel schadete, dem sich integrierenden Juden hielten sie das Bild des auszugrenzenden und nicht nach Malsch gehörenden fremden Juden entgegen. Den Gegensatz spitzten die christlichen Einwohner in Malsch wie früher in Bühl338 dramatisch zu: Es gehe um ihre Existenz. 3.7.4  Der alte Löwel Koppel – zurück nach Friesenheim? Die Formulierung, mit welcher der Geheime Rat die Malscher Supplik protokollierte, macht sein Verständnis des Vorgangs deutlich. Es gehe in der Bittschrift darum, dass „die allda sich befindliche Judenschaft in Hinkunft nicht mehr vermehrt, sondern vielmehr vermindert werden möge.“ Der Geheime Rat überließ der Hofkammer die Entscheidung: Wenn sie es für richtig halte, könne sie „den Juden“ in das Oberamt Mahlberg zurückverweisen.339 Die Kammer berichtete darauf: Sie habe geprüft, ob Löwel Koppels Schutz für Friesenheim oder „immediate [unmittelbar] auf Malsch“ gelte. Das Ergebnis: Für Löwel Koppel sei überhaupt kein Schutzbrief ausgestellt worden340 und er habe auch kein Aufnahmegeld bezahlt. Nach seiner Flucht von Malsch nach Friesenheim 1708 sei er dort schutzgeldpflichtig gewesen, bis zu seiner Rückkehr 1711. Aus diesen Feststellungen folgerte die Kammer, Löwel Koppel könne bis zu seinem Tod in Malsch bleiben – sie ging also davon aus, sein Schutz gelte für diesen Ort. Aber auch der supplizierenden Gemeinde kam die Kammer entgegen: Es gebe zutreffende Gründe für ihre Beschwerde. Deshalb solle sie zur „einstweiligen beruhigung“ informiert werden, dass künftig „zu ihrem wohl gönnenden Soulagement [Erleichterung] die anzahl daselbstiger judenschaft über 6 Haushaltungen nicht mehr vermehret werden möge.“341 Der Hofrat, zur weiteren Prüfung aufgefordert,342 plädierte für den Einzug des Aufnahmegeldes, das Löwel Koppel nicht entrichtet habe. Mit einem Aktenauszug belegte der Rat, dass bereits vor 1715 sechs Haushaltungen von Schutzjuden in Malsch existierten. Durch die Rückkehr von Mayer (Mayer Malsch) von Ettlingen habe sich die Zahl auf sieben erhöht. Im Gegensatz zur Kammer trat der Hofrat dafür ein, Löwel Koppel als Wohnort Friesenheim anzuweisen; für diesen Ort habe er den Schutz erhalten.

338 Zur entsprechenden Äußerung in Bühl siehe S. 308f. 339 GLAK 61/50 GR 4.3.1744 Nr. 8. 340 Zur Praxis der „Enroullierung“ ohne Ausstellung eines Schutzbriefes siehe S. 39. 341 GLAK 229/63684, Hofkammer an Markgräfin Sibylla Augusta, 14.3.1714. 342 GLAK 229/63684, Geheimer Rat Tschammerhell an den Hofrat, 18.3.1744.

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Die Schutzaufnahmen in der Markgrafschaft

3.7.5  Die „eliminirung deren Juden“? Dann ging der Hofrat allerdings weit über die Frage hinaus, was mit Löwel Koppel geschehen solle. Er schlug vor, dass „so forth in Hinkunft keinem Juden einigen Schutz Brief mehr ertheilet, sondern wann die in würckl(ichen) Schutz stehende nach, und nach absterben, das Land von dergleichen BlutIglen,343 welche nur die unterthanen aussaugen, und dem Fürstl(ichen) aerario [Kasse] ein geringes eintragen, gereiniget werden könnte.“344

Das Stereotyp des schädlichen Juden hatte der Hofrat jetzt zu „Blutigel“ oder „Blutegel“ verschärft, aber auch den Streit über die Schutzjuden überhaupt. Es ging nun um ihre Existenz in der Markgrafschaft. Am 2. Mai 1744 lag dem Geheimen Rat der Hofratsbericht zur Beratung vor. Dessen Votum folgend entschied der Geheime Rat gegen den Vorschlag des Hofrats und für das Votum der Kammer: Wegen seines Alters solle Löwel Koppel in Malsch bleiben dürfen. Auch zum Vorschlag des Hofrats, wie gegen die Juden generell vorzugehen sein, vertrat der Geheime Rat eine eigene Auffassung: Eine solche „ausweisung“ betrachte er als „eine Sache von größtern überlegung“,345 regte also weitere Beratungen an. Markgraf Ludwig Georg entschied am 6. Mai 1744. Er betonte, wie ausführlich und wiederholt er sich über das Gutachten des Hofrats berichten ließ. Dann teilte er seinen Beschluss mit, der mit dem des Geheimen Rats übereinstimmte: Er erlaubte Löwel Koppel wegen „seines bereiths genossenem 30 Jährigen und ohnklagbahren aufenthalts“ den Verbleib in Malsch; er müsse allerdings das Aufnahmegeld nachzahlen. Zugleich bestimmte der Markgraf, dass die Anzahl der jüdischen Familien in Malsch nicht mehr erhöht werden dürfe; es solle – wie früher verordnet – bei sechs bleiben.346 Dann ließ der Markgraf den Hofrat wissen: „So viel aber eueren weithern unterth(än)igsten Vorschlag wegen gäntzlicher eliminirung deren Juden aus Unseren Fürstl(ichen) Landen anbelanget, wäre solches eine Sach, welche eine fernere und mehrere überlegung meritiret [verdient], Solchem nach fügen Es Euch stat unserer g(nä)d(i)gsten Endtschließung mit dem auftrag hirmit 343 Die Form «Iglen» statt Igel in «BlutIglen» für Blutegel dürfte sprachlich auf eine Metathese zurückgehen, eine Umdrehung von Lauten, wie sie auch für «mittlen» statt «Mittel» überliefert ist. Zu «mittlen» S. 51. Dr. Suso Gartner danke ich für den Hinweis auf die sprachliche Form der Metathese. 344 GLAK 229/63684, Hofrat an Markgraf Ludwig Georg, 30.4.1744 und GLAK 61/173 HR 30.4.1744 Nr. 16. 345 GLAK 61/51 GR 2.5.1744 Nr. 19. 346 Zur Bittschrift der christlichen Einwohner in Malsch und zu der Reaktion der Regierung bzw. des Geheimen Rats Zehnter, Juden in der Markgrafschaft Baden-Baden, in: ZGO 50 (1896), S. 385.

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g(nä)d(i)gst an, damit Ihr hirnach pro via co(muni)catio(n)e [für die Beratung] mit Unserer Fürstl(ichen) Cammer das nöthige weitheres bewegen, [...] sollet [...]“347

Statt einer endgültigen Entscheidung über die Existenz jüdischer Einwohner unter seiner Herrschaft ordnete so Markgraf Ludwig Georg weitere Beratungen an. Darauf berichtete die Kammer über ihre Meinung zur „Eliminirung samtlicher Judenschaft in den Landen“: Es sei einzig und allein das Recht des Hofrats zu beschließen, „ob diese Judenschaft bey deren Schutzmäßigen Aufführung außer durch des eintund anderen schutzmässigen Juden absterben ohne einem dergleichen mehr Einen Schutz zu verstatten und respect(ive) [beziehungsweise] dessen platz zu ersetzen blatterdings ausgetrieben werden könne.“348

Diese Äußerung macht sehr deutlich, dass die Kammer sich eines Dilemmas bewusst war. Es ging nicht um die Bestrafung von Schutzjuden, die gegen Gesetze verstoßen hätten. Es ging gerade um diejenigen, die in einer „Schutzmäßigen Aufführung“ lebten, also die Normen des Schutzrechts erfüllten. Konnten sie „ausgetrieben“ werden? Oder konnte eine Markgrafschaft ohne Juden nur so erreicht werden, dass es in Zukunft keine Schutzerteilungen mehr gab? Darüber, so die Kammer, könne nur der Hofrat beschließen. 3.7.6  Weitere Schutzaufnahmen oder „das Landt von dergleichen Blutiglen“ säubern? Welche Folgen hatte diese Auseinandersetzung über die „Austreibung“ der badenbadischen Juden? Im Juli 1744 erfolgten weitere Schutzaufnahmen, zuerst für Salomon Straßburger in Bühl (V.45), dann für Joseph Salomon (V.46) in Malsch. Negativ verlief die Bemühung Simons von Kuppenheim, der sich schon im Vorjahr vergebens um den Schutz beworben hatte und jetzt erneut in weiteren Suppliken um den Schutz bat.349 Die „Austreibung“ oder „Eliminierung“ spielte bei diesen Bewilligungen oder Ablehnungen des Schutzes keine Rolle. Es scheint auch, als ob wegen der „Eliminierung“ nicht weiter beraten wurde. Erst als Abraham von Malsch wegen der Schutzaufnahme seines Sohnes im Februar 1745 supplizierte, befasste sich der Hofrat wieder mit dieser Frage. Die Hofkammer hatte nämlich vorgeschlagen, dem Markgrafen die Aufnahme zu empfehlen; es handle sich nicht um eine Erhöhung der Anzahl jüdischer Familien in Malsch, 347 GLAK 229/63684, Markgraf Ludwig Georg an den Hofrat, 6.5.1744 (Zitat), und GLAK 61/173 HR 12.5.1744 Nr. 6. 348 GLAK 61/281 HK 2.6.1744. 349 GLAK 61/51 GR 23.5.1744 Nr. 38.

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sondern nur um einen „Ersatz“ – Abraham selbst sei schon sehr alt, und sein Sohn würde an seine Stelle treten. Der Hofrat fragte nach: Ob die Hofkammer sich nicht einverstanden erkläre mit dem auf die Supplik der Gemeinde Malsch erfolgten Resolutionsantrag an den Markgrafen „wegen Successiver gänzlicher Eliminirung der Juden [wegen schrittweiser Eliminierung aller Juden]“?350 Nachdem der Hofrat so an das vorjährige Votum für ein Ende der Schutzaufnahmen erinnert hatte, änderte die Kammer ihre Argumentation, ohne ausdrücklich auf den Sohn Abrahams einzugehen: Sie habe keine Einwände, antwortete die Kammer, dass die Juden langsam aussterben sollten und „das Land von denen Juden wohl gesäubert werden könnte.“351 Am Tag darauf notierte der Hofrat diese Zustimmung. Sein eigener Beschluss folgte: Dieser Vorschlag – über die „Eliminierung“ der Juden – sollte nun dem Markgrafen vorgelegt werden zusammen mit der negativen Entscheidung über die Annahme von Abrahams Sohn; der Rat verwies dabei auf seinen Antrag vom 30. April des Vorjahres auf „Eliminierung“ – nun solle mit dem Sohn Abrahams dessen Verwirklichung beginnen.352 Der Geheime Rat schloss sich an: Der Hofrat habe sich dafür ausgesprochen, „das Landt von dergl(eichen) BlutIglen“ zu säubern; er, der Geheime Rat, billige dies und plädiere für den Zusatz, „dass man in Hinkunft die Famillien [der Juden] abschaffen solle.“353 Damit waren sich alle drei Gremien über den Vorschlag an den Markgrafen einig: Die Markgrafschaft solle zu einem Land ohne Schutzjuden werden. Die Zustimmung des Markgrafen verzeichnete der Hofrat am 25. Februar 1745 so: Das Gesuch Abrahams von Malsch wegen der Aufnahme seines Sohnes sei abzuschlagen. Was die „Eliminirung“ betreffe, so habe Ludwig Georg die Verordnung beschlossen, beim Aussterben von jüdischen Familien keinem anderen Juden den Schutz zu gewähren. Die Ämter hätten also „dergleichen Judenfamilien völlig abgehen zu lassen“, und sie dürften „bey dergleichen Fällen auf die recipirung [Aufnahme] eines oder des anderen Judens nicht mehr antragen.“ Damit war allerdings der Hofrat nicht zufrieden. Er beschloss eine „Vorstellung“ an den Markgrafen, „dass die g(nä)d(i)gste intention solcher gestalten, da die dermahligen im landt angeseßenen Juden Familien in vielen Jahren nicht völlig absterben, sondern sich noch mehr propagiren [ausbreiten] dörften, in ein- oder anderem Saeculo [Jahrhundert] nicht würde erfüllet werden, und dahero die weitere g(nä)d(i)gste erleuterung in unterthänigkeit auszubitten, ob ahn statt deren in würckl(ichem) Schutz stehende Juden auch ihre Söhne, oder wenigstens derselben Enckhel, und weitere generation nicht mehr in

350 GLAK 61/174 HR 10.2.1745 Nr. 4. 351 GLAK 61/282 HK 17.2.1745. 352 GLAK 61/174 HR 18.2.1745 Nr. 13. 353 GLAK 61/53 GR 20.2.1745 Nr. 25.

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Schutz aufzunehmen – oder aber viel mehr weder fremdten, noch inheimischen, wie man unterth(äni)gst angetragen, den Schutz pro futoro [künftig] zu gestatten seye?“354

Worum ging es dem Hofrat? Er verstand die Anordnung des Markgrafen als ungeeignet, das Konzept eines Landes ohne Juden rasch zu verwirklichen. Es solle nicht nur dann kein weiterer Bewerber aufgenommen werden, wenn eine Schutzjudenfamilie ausstarb. Dieser Fall – das Aussterben einer Familie – würde zu selten vorkommen und durch die Nachkommenschaft anderer Familien ausgeglichen. Der Markgraf müsse also klären, ob er nicht doch zustimme, dass weder Nachkommen von Schutzjuden noch andere inländische oder fremde Juden den Schutz erhielten. Was das Reskript des Markgrafen auf diese Nachfrage des Hofrats enthielt, ließ dieser am 9. April 1745 protokollieren. Die „Succesive ausrottung [Ausrottung nach und nach]“ der Schutzjuden sei „eine Sach, worüber Höchstdieselbe [der Markgraf ] ein besonderes bedenckhen haben, mithin über sich allein zu nehmen nicht gemeint seye, man solche also noch weiters reyflich überlegen, und was dieser Juden halber in Hinkunft zu thuen, und zu Statuiren [bestimmen] seye? mittelst einsehung derer bey ersterer introducirung [Einführung, Ansiedlung] deren Juden erlaßenen Herrschaftl(ichen) Verordnungen das positiv und standhafte [belastbare und abgesicherte] rechtl(iche) gutachten zur sicherstellung der gewißens gehorsamst abstatten solle.“

Der Hofrat ließ nach entsprechenden Verordnungen suchen; beim Markgrafen stellte er den Antrag, das Vorgehen mit einem Gutachten einer theologischen und einer juristischen Fakultät klären zu lassen.355 Die Suche im Archiv ergab wenig; es enthielt „keine eigentliche nachricht, wann, und auf was arth die Juden in dißeitig fürstl(ichen) Landen den schutz erhalten.“ Die erste Aufnahme von Schutzjuden war nicht archivalisch belegt; nur eine Generalverordnung aus dem Jahre 1687 war vorhanden mit dem Inhalt, dass Schutzjuden ihre Kinder nach deren Heirat nur dann bei sich im eigenen Haus behalten dürften, wenn diese selbst bereits den Schutz hätten.356 Für den Markgrafen interpretierte der Hofrat diese Bestimmung so: Das Schutzverhältnis der Väter bedeute keinen Anspruch der Söhne auf eine Übernahme in den Schutz. Dieser sei ein „merum privilegium personale“, „ultra personam ad haeredes nicht zu extendiren, mithin die Kinder durch den Schutz ihrer Eltern nicht das geringste recht erlangen.“ Einen rechtlichen Anspruch, als Sohn den Schutz des Vaters zu übernehmen, verneinte der Rat; der Schutz sei nur 354 GLAK 61/174 HR 25.2.1745 Nr. 5. 355 GLAK 61/174 HR 9.3.1745 Nr. 1. 356 Zum Inhalt der Verordnung Zehnter, Juden in der Markgrafschaft Baden-Baden, in: ZGO 50 (1896), S. 381. Die erwähnte Verordnung ist verzeichnet bei Härter und Stolleis (Hg.), Repertorium, Bd. 4, S. 491, Nr. 185.

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ein auf die individuelle Person bezogenes Recht, das nicht auf die Nachfahren übergehe. Deshalb sehe er sich bestätigt, wegen der „eliminirung“ der Juden bei seinem Antrag zu bleiben. Nochmals wies der Rat darauf hin, dass bei irgendwelchen Unsicherheiten Gutachten über die rechtliche Seite des Vorgehens eingeholt werden könnten.357 3.7.7  Vom lokalen Konflikt zum Diskurs über das Lebensrecht von Schutzjuden in der Markgrafschaft: Zusammenhänge und   Hintergründe der „Eliminieruung“ Über eine Generation hinweg hatte sich in Malsch die Erinnerung erhalten, dass die Anwesenheit von Löwel Koppel einmal umstritten gewesen war. Was der Gemeinde bei ihm als Einzelnem nicht gelungen war, versuchte sie wieder nach der Aufnahme seines Sohnes, nämlich sich von der „Last“ der Juden zu befreien. Das Ergebnis: Die Frage der Rechtmäßigkeit eines Schutzverhältnisses in Malsch griff die Regierung auf. Sie überführte diese Frage in eine grundsätzliche Auseinandersetzung über die Schutzaufnahmen und damit über die Existenz von Juden im Land. Der Hofrat wird dabei als die Kraft sichtbar, die den Konflikt zuspitzte, zuerst 1744, dann nach einer Phase des Stillstandes erneut 1745. Die Hofkammer und der Geheime Rat hemmten zunächst kaum das Vorgehen des Hofrats in Richtung einer „Ausrottung“ oder „Eliminierung“ der Juden. Allerdings verzögerten diese beiden Gremien und Markgraf Ludwig Georg selbst den endgültigen Beschluss. Ein auffallendes Merkmal der Auseinandersetzung besteht in der Unsicherheit über die rechtlichen Grundlagen der Schutzaufnahmen und ihrer Beendigung. Die Regierung verfügte über keine klaren Verordnungen, welche die Schutzerteilung grundsätzlich regelten. Die „Judenordnung“ von 1714 enthielt Kriterien für die Aufnahme, aber nichts darüber, ob eine Beendigung der Schutzaufnahmen möglich war oder nicht. Daraus zog die Regierung keine Konsequenz, außer dass sie nicht handelte. Zu einer rechtlichen Klärung oder zu einer Klärung in der Praxis mit einem Bezug zu der abgelaufenen Auseinandersetzung kam es nicht. Einen Zusammenhang der „Eliminierungsfrage“ mit der Beschwerde aus Malsch stellten die Hofgremien nicht ausdrücklich her. Andere Auseinandersetzungen mit jüdischen Einwohnern existierten um 1744: Der Hofrat und der Geheime Rat betrieben Verfahren wegen der Beziehung zwischen dem Kuppenheimer Schutzjuden Löwel und Catharina Maria Hasler, einer christlichen Einwohnerin von Oberndorf bei Rastatt. Jonas von Kuppenheim, der in einen Kirchendiebstahl verwickelt war, wurde bis nach Paris verfolgt, und die innerjüdischen Konflikte in Rastatt über den Einfluss in der Gemeinde und die Frage, 357 GLAK 61/174 HR 18.3.1745 Nr. 7.

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ob dort eine öffentliche Synagoge errichtet werden konnte, beanspruchten die Regierung in der Mitte der vierziger Jahre.358 Wie zu der Beschwerde aus Malsch wurde auch zu diesen Konflikten kein Zusammenhang hergestellt, als es um die Existenz von Schutzjuden in der Markgrafschaft ging. Hatte die ganze Auseinandersetzung überhaupt etwas mit der Situation der Juden in der Markgrafschaft zu tun? War die Frage der „Eliminierung“ eine Frage des Einflusses der Hofgremien auf den Markgrafen? Weder über die Persönlichkeit des Markgrafen Ludwig Georg noch über seine Regierungsweise oder die Hofkollegien liegen Untersuchungen vor. Der Markgraf missbilligte vielleicht das Verhalten der Hofkollegien; darauf weist hin, dass er im März 1747 die Direktorien des Geheimen Rats und des Hofrats neu besetzte.359 Die Zuspitzung des Konflikts könnte mit einer sich verschärfenden Auseinandersetzung über die Juden im Hofrat von Baden-Durlach360 zusammenhängen, aber auch mit einem weit entfernten, die Markgrafschaft allerdings doch betreffenden Vorgang. 1744 beschloss die Königin Maria Theresia, die erst ab dem folgenden Jahr den Titel einer Kaiserin trug, die Vertreibung der Judenschaft Prags. Mit der Königin war die baden-badische Regierung durch ihre böhmischen Gebiete verbunden, die der Souveränität Maria Theresias unterstellt waren.361 Im Dezember 1744 erließ diese das Vertreibungsdekret, im März 1745 mussten die Juden Prags die Stadt verlassen,362 und kurz danach erging auch der Ausweisungsbefehl für die anderen Juden in Böhmen und Mähren.363 Die Ereignisse in Böhmen könnten die Wiederaufnahme des Eliminierungsgedankens im Hofrat Anfang Februar 1745 beeinflusst haben. Immerhin stießen bereits im Frühjahr 1744 – im Verlauf des Erbfolgekrieges – österreichische Truppen ins Elsass vor, damit in die Nähe der Markgrafschaft;364 im Verlaufe des Jahres 358 Zur Witwe Maria Haslerin und Löwel S. 536ff., zur Suche nach Jonas S. 550 und zum Konflikt wegen der Synagoge in Rastatt S. 482ff. 359 GLAK 61/176 HR 17.3.1747 Nr. 20 . 360 Zu dieser Auseinandersetzung in Baden-Durlach J(ohann) A(nton) Zehnter, Juden in der Markgrafschaft Baden-Durlach, in: ZGO 51 (1897), hierzu S. 550. Zur Verschärfung der dortigen „Judenordnung“ im Jahr 1745 Holenstein, Bitten um den Schutz, in: Kießling und Ullmann (Hg.), Landjudentum im deutschen Südwesten, S. 138. 361 Froese, Herr über Land und Leute, in: Froese und Walter (Hg.), Der Türkenlouis, S. 90. 362 Breuer, Frühe Neuzeit und Beginn der Moderne, in: Breuer und Graetz (Hg.), Deutschjüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. 1, S. 148f. 363 Rotraud Ries, Politische Kommunikation und Schtadlanut, in: Rolf Kießling, Peter Rauscher, Stefan Rohrbacher und Barbara Staudinger (Hg.), Räume und Wege. Jüdische Geschichte im Alten Reich 1300–1800 (Colloquia Augustana 25). Berlin 2007, S. 169–189, hierzu S. 184. 364 Walter Dehmel, Europäische Geschichte des 18. Jahrhunderts. Ständische Gesellschaft und europäisches Mächtesystem im beschleunigten Wandel (1689/1700–1789/1800). Stuttgart 2000, S. 245.

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belasteten der Durchzug französischer Truppen, erzwungene Furagelieferungen und Angst vor Plünderungen365 das Verhältnis zu Frankreich. Ein gutes Einvernehmen mit Habsburg konnte auch mit der Konformität im Verhalten gegenüber den Schutzjuden betont werden. In dieser Zeit stellte Abraham von Malsch das Gesuch wegen der Aufnahme seines Sohnes, worauf der Hofrat die Überlegungen über diese Aufnahme hin zur „Eliminierung“ der Juden ausweitete. Für das Jahr 1745 lässt sich eine direkte Verwicklung des markgräflichen Hauses in die Vorgänge in Böhmen beobachten. Aus Lobositz (Lovosice, CSR) berichtete Hofrat Stöhr, dass „die Emigration und völlige Landes räumung der gesamben Judenschaft bis ultima Juny [bis zum Ende des Monats Juni] nunmehro Vest gestellet seye.“ Stöhr ging über die bloße Mitteilung dieses Befehls der Kaiserin hinaus. Im Protokoll des Geheimen Rats heißt es, „fraget sich derselbe unterthänigst an, ob Serenisssimus nicht vor 2 bis 3. Juden Familien, welche alle alldorten gebohren Undt erzogen, undt Von guter aufführung undt redlichen wandels seyen, die gnad haben möchten, selbe in dero Souveräine Reichs Lande g(nä)d(i)gst aufzunehmen.“

Auf diesen Vorschlag, böhmischen Juden die Niederlassung in der Markgrafschaft zu erlauben, verzeichnete der Geheime Rat nur, dass „wegen der Juden rescribatur in negativam“ – die Antwort solle in einem Nein bestehen.366 Als die Frist für die jüdischen Einwohner in Lobositz kurz vor Juni 1745 auslief, berichtete Hofrat Stöhr nochmals. Die dortigen Juden hätten suppliziert, um die Hilfe des Markgrafen zu erhalten. Der Geheime Rat antwortete rasch: Die Verwaltung in Böhmen habe sich strikt nach der Verordnung Maria Theresias zu richten.367 Für ein Eingreifen zugunsten der Schutzjuden in der Herrschaft Lobositz war also die Regierung in Rastatt keinesfalls zu gewinnen – sie stand ja selbst vor der Entscheidung, eine wenn auch vielleicht längerfristige „Vertreibung“ mit einem Ende aller Schutzaufnahmen anzuordnen. Vielleicht nicht grundlos verstummte die Auseinandersetzung über die „Eliminierung“ der baden-badischen Juden, nachdem sich im Frühjahr 1745 die Situation für das Haus Habsburg entspannte, Friedensverhandlungen wenigstens mit dem bis dahin antiösterreichischen Bayern begannen368 und damit die Notwendigkeit einer Parteinahme für die Markgrafschaft Baden-Baden nicht mehr zu befürchten war – und schließlich

365 GLAK 61/52 GR 9.9.1744 Nr. 7 und GR 9.9.1744 Nr. 24. Fourage/Furage: Lebens- und Futtermittel für militärische Einheiten. 366 GLAK 61/53 GR 24.3.1745 Nr. 17. 367 GLAK 61/54 GR 19.5.1745 Nr. 15. 368 Zur sich verbessernden Situation Habsburgs Heinz Schilling, Höfe und Allianzen. Deutschland 1648–1763 (Das Reich und die Deutschen) (Siedler Deutsche Geschichte). Berlin, 1989, S. 293–295.

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das Vertreibungsedikt für Böhmen und Mähren im Mai des Jahres aufgehoben wurde.369 Möglich ist aber auch eine andere Erklärung für das Ende der Auseinandersetzung. Im Mai 1745 befasste sich die baden-badische Regierung mit der „Judenordnung“, die für Baden-Durlach erlassen worden war. Markgraf Ludwig Georg ließ prüfen, ob nicht auch in seinem Land eine entsprechende Regelung nützlich wäre.370 Hofrat und Hofkammer empfahlen die Übernahme, ergänzt mit Teilen der baden-badischen „Judenordnung“ von 1714.371 Am 19. Juli 1745 beschloss der Hofrat auf Befehl des Markgrafen eine entsprechende Verordnung zu erlassen.372 Beide „Judenordnungen“ zielten nicht auf ein Ende der Aufnahmen, sondern gingen von der weiteren Existenz von Schutzjuden in den Markgrafschaften aus. Noch etwas anderes war vielleicht schon von Anfang an vorhanden gewesen: Die Bedenken, die der Markgraf und der Geheime Rat angesichts einer „Eliminierung“ geäußert hatten, konnten sich zwar nicht auf reichsrechtliche Voraussetzungen beziehen: Das Recht von Landesherrschaften auf die Vertreibung von Judenschaften war nach der Territorialisierung des kaiserlichen Judenregals unstrittig.373 Aber auf die von Maria Theresia 1744 angekündigte Vertreibung von Juden aus Prag, dann auch aus Böhmen und Mähren reagierten viele jüdische Gemeinden mit diplomatischer Aktivität, um ihren Glaubensgenossen zu Hilfe zu kommen, und viele Herrscher intervenierten in der Folge gegen das als nicht mehr angemessen betrachtete Vorgehen der Königin in Wien.374 Für das vorsichtige Taktieren der Regierung in Rastatt dürfte diese Reaktion eine Rolle gespielt haben – wie sie andererseits auch erst dann wieder im Kerngebiet der Markgrafschaft den Schutz bewilligte, als auch die Prager Judenschaft in ihre Stadt zurückkehren konnte.375

369 Zu den Vorgängen in Prag sowie Böhmen und Mähren insgesamt Ries, Politische Kommunikation, in: Kießling u. a. (Hg.), Räume, S. 184. 370 GLAK 61/174 HR 4.5.1745 Nr. 2. Zur Mitteilung der baden-durlachischen „Judenordnung“ an die baden-badische Regierung Zehnter, Juden in der Markgrafschaft BadenBaden, in: ZGO 50 (1896), S. 391, ebenso zu den entsprechenden Änderungen an der baden-badischen „Judenordnung“. 371 GLAK 61/174 HR 8.7.1745 Nr. 18. 372 GLAK 61/174 HR 19.7.1745 Nr. 7. 373 Zum Übergang des Judenregals auf die Landesherren und ihr Recht auf Vertreibung Battenberg, Die Juden in Deutschland, S. 14. 374 Zur Intervention gegen das Vorgehen Maria Theresias Ries, Politische Kommunikation, in: Kießling u. a. (Hg.), Räume, S. 184. 375 Zur Rückkehr der Prager Juden ebd.

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Die Schutzaufnahmen in der Markgrafschaft

3.7.8  „Eliminierung“ als Vertreibung nicht aller, aber der schädlichen Juden Das Problem der „Ausrottung“ oder „Eliminierung“ griff der Hofrat im September und Oktober 1747 nochmals auf. Die christlichen Einwohner im badischen Amt Naumburg – in der Vorderen Grafschaft Sponheim – hatten eine Beschwerde gegen gerade erfolgte Schutzerteilungen eingereicht. Als Hofrat Fortenbach im Ratskollegium darüber berichtete, stellte er den Zusammenhang her mit der „eliminirung dasiger Juden“, der Juden im Amt Naumburg. Er wies dabei auf die Verordnung des Markgrafen vom 20. Februar 1745 hin, in der es um das Aussterben von jüdischen Familien gegangen sei, ebenso auf die „Judenordnung“ vom 15. Februar 1746. Es gelte nun, entsprechend diesen Verordnungen, „die schädliche Überzahl deren Schirmbs verwandten Juden im Amt Naumburg“ zu verringern, eine Schutzerteilung gegebenenfalls „wegen übermäßigen Wuchers“ abzulehnen und so „den allzu großen, und Landt schädlichen wucher, und betrugerey“ einzudämmen, damit schließlich „das Land von dießem gehässigen Volkh gesäubert werden könnte.“ Der Hofrat präzisierte in seinem Gutachten für den Markgrafen seine Haltung. Er stimme Fortenbachs Auffassung zu, betone aber, dass er „auf die Vollständige Succeßsive eliminirung [Eliminierung nach und nach] deren Schutzverwandten Juden, wohin auch die allegirte [angeführte] letztere Verordnung vom 15. Febr(uar) a(nni) p(raesentis) [des laufenden Jahres] sich nicht erstrecket, keinesweegs, weniger daß Höchstdieselbe [der Markgraf ] sich des Hohen rechts der aufnahmb der Juden auch zum nachtheil des fürstl(ichen) aerarij [Staatskasse] begeben solle, antrage, sondern der unterth(äni)gst ohnvorgreiflichl(ichen) meinung seye, gestalten allein pro futuro [künftig] der bedacht dahin zu nehmen, damit die gemeinden mit dergleichen Juden Volckh nicht übersetzet, und die Jenige Juden, welche sich nicht schutzmäßig aufführen, od(er) sonsten verfehlen, nach gestalt des Verbrechens empfindtlich gestraft, und allenfalls gar eliminirt werden mögen.“376

Unter den Beamten – wie bei Hofrat Fortenbach sichtbar – existierten weiterhin antijüdische Vorstellungen. Das Hofratskollegium als Ganzes war allerdings nicht mehr für eine „Eliminierung“ mit dem Ziel, die Existenz von Juden in der Markgrafschaft zu beenden; es betonte gerade, dass die Verordnung von 1745 nicht die vollständige Vertreibung als Ziel habe, und diese lasse sich nicht aus der „Judenordnung“ von 1746 begründen. Den Klagen über die Juden müsse auf andere Weise abgeholfen werden: Schutzerteilungen dürften nicht dazu führen, dass eine Gemeinde mit einer zu großen Zahl von Juden „übersetzt“ wurde. Diejenigen Juden aber, die gegen die „Judenordnung“ verstießen oder gegen andere Gesetze, müssten bestraft und gegebenenfalls durch die Ausweisung „eliminiert“ 376 GLAK 61/176 HR 3.10.1747 Nr. 19.

Die Schutzaufnahmen 1747 bis 1771 

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werden.377 Der Hofrat dachte also an ein differenziertes Vorgehen: Die schädlichen Juden, die Nachteile brachten, sollten „eliminiert“, die anderen, wohl diejenigen, die finanzielle Vorteile brachten, auch weiterhin akzeptiert werden. Damit zeigte sich erneut das Dilemma der Regierung. Finanzielle Gründe sprachen wohl für die Schutzaufnahmen, die eigene Einstellung dem „gehässigen Volkh“ gegenüber und die der christlichen Bevölkerung in den Gemeinden sprachen dagegen. Aus diesem Dilemma hatte der Konflikt über die Eliminierung nicht herausgeführt. Zu den Vorstellungen bei Beamten gehörte weiterhin das Land ohne Juden, aber auch eine andere. Dass Schutzjuden durch ihr gutes Verhalten gegenüber den Christen, vor allem durch ihren finanziellen Nutzen eine Existenzberechtigung hatten, diese Vorstellung existierte ebenfalls bei den Hofräten, vielleicht unter dem Eindruck, wie Schutzjuden ihre Ansprüche begründeten: mit ihrem Leben in Ehrlichkeit, Redlichkeit und zum Nutzen für die christlichen Einwohner.

3.8  Die Schutzaufnahmen 1747 bis 1771 3.8.1  Die Weiterführung der Schutzaufnahmen nach 1747 1747 setzten die Schutzerteilungen wieder ein. Bis 1771 folgten in jedem Jahr mindestens eine, wenn nicht mehrere Aufnahmen, wie aus der Tabelle V, Schutzaufnahmen 1747 bis 1771, ersichtlich ist (S. 105ff.). Die Regierung unter Markgraf August Georg, im Amt seit 1761, brachte keinen Wechsel bei den Aufnahmen. 378 379 380 , , Tabelle V:  Schutzaufnahmen 1747 bis 1771 Nummer Schutzort

V.1 Kippenheim

Jahr der Supplik/ der Schutzaufnahme 1747

a. Name des neuen Schutzjuden, Angaben zur Person (Verwandtschaft, Herkunfts- oder Wohnort, Herrschaftsgebiet u. ä.) b. Name und Wohnort des/der Supplizierenden, wenn nicht identisch mit dem Schutzbewerber c. Voraussetzungen der Schutzaufnahme a. Josua Uffenheimer, Hohenems,378 (Grafschaft Hohenems, Habsburg), künftiger Schwiegersohn von Marx Weil, Kippenheim379 b. – c. Vermögensangabe: mindestens 1500 G380 (berechnet aus Pflastersteuer)

377 Ebd. 378 Zur Herkunft von Josua Uffenheimer Werner L. Frank, The early Uffenheimer family, S. 1, in: home.pacbell.net/wlfrank/earlyuffenheimer.pdf (24.9.2008). 379 GLAK 61/284 HK 15.6.1747. 380 GLAK 61/287 HK 27.6.1750.

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Nummer Schutzort

Die Schutzaufnahmen in der Markgrafschaft Jahr der Supplik/ der Schutzaufnahme

a. Name des neuen Schutzjuden, Angaben zur Person (Verwandtschaft, Herkunfts- oder Wohnort, Herrschaftsgebiet u. ä.)

V.2 Durbach

1747

V.3 Malsch

1748

a. Löw Wertheimer, Kippenheim, Sohn von Joseph Wertheimer, Kippenheim381 b. – c. – a. Löw Gimpel382 b. – c. – a. Lazarus Kallmann, Friesenheim, Sohn von b. Meyer Kallmann, Friesenheim383 c. Vermögensangabe: 500 G384 Aussicht auf eine Heirat, durch die „ein ziemliches Vermögen ins Landt“ käme385 a. Joseph Elias, Bühl, mittlerer Sohn von b. Elias Schmaul, Bühl c. Vermögensangabe: 1800 G386 (berechnet aus Pflastersteuer) solange sein Vater lebt: 12 G Schutzgeld muss bei seinem Vater leben Verbot einer „neuen Judenhaushaltung“387 a. Feist Isaac, Kuppenheim, Sohn von Itzig, Kuppenheim b. – c. Vermögensangabe: 250 G388 (berechnet aus Pflastersteuer) keine Erhöhung der Zahl der Schutzjuden389 a. Götschel Cassel, Rastatt, Sohn von Daniel Cassel, Rastatt b. – c. Vermögensangabe: mindestens 720 G390 (berechnet aus Pflastersteuer)

V.4 1748 Friesenheim

V.5 Bühl

1748

V.6 1749 Kuppenheim

V.7 Rastatt

381 382 383 384 385 386

1749

b. Name und Wohnort des/der Supplizierenden, wenn nicht identisch mit dem Schutzbewerber c. Voraussetzungen der Schutzaufnahme

GLAK 61/284 HK15.6.1747. GLAK 61/285 HK 8.2.1748 und 17.2.1748. GLAK 61/177 HR 16.7.1748 Nr. 10. GLAK 61/287 HK 27.7.1750. GLAK 61/285 HK 30.7.1748. GLAK 74/3723, Hofkammerrat Goldmann an Markgraf Karl Friedrich, 26.8.1774, Bl. 61r62v, besonders Bl. 61v. 387 GLAK 61/285 HK 29.10.1748. 388 GLAK 61/289 HK 17.4.1752. 389 GLAK 61/286 HK 12.3.1749. 390 GLAK 61/289 HK 17.4.1752.

Die Schutzaufnahmen 1747 bis 1771  Nummer Schutzort

Jahr der Supplik/ der Schutzaufnahme

V.8 1750 Kuppenheim

V.9 Bühl

1750

V.10 Rastatt

1752

V.11 Malsch

1752

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107

a. Name des neuen Schutzjuden, Angaben zur Person (Verwandtschaft, Herkunfts- oder Wohnort, Herrschaftsgebiet u. ä.) b. Name und Wohnort des/der Supplizierenden, wenn nicht identisch mit dem Schutzbewerber c. Voraussetzungen der Schutzaufnahme a. Moyses, Kuppenheim, ältester Sohn des gestorbenen Jäckel, Kuppenheim b. – c. keine Erhöhung der Zahl der Schutzjuden391 a. Hayum Lemmle, Bühl, Sohn eines gestorbenen Schutzjuden, vermutlich von Lemmle Mayer, Bühl392 b. – c. Vermögensangabe: 200 G393 (berechnet aus Pflastersteuer) Übernahme der „Stelle“ seines Vaters keine Erhöhung der Zahl der Schutzjuden394 a. Lazarus Raphael, Rastatt, ältester Sohn des gestorbenen Raphael Jacob b. Michele, Witwe von Raphael Jacob, Rastatt395 c. Vermögensangabe: 2000 G396 (berechnet aus Pflastersteuer) a. Nathan Marx, Obergrombach (Hochstift Speyer) künftiger Schwiegersohn von b. Abraham, Malsch397 c. Vermögensangabe: 1100 G398

391 GLAK 61/287 HK 12.3.1750. 392 Der Vater von Hayum Lemmle wird bei der Schutzerteilung nicht namentlich genannt. Er dürfte mit Lemmle Mayer identisch sein, für dessen hinterlassenes Vermögen im Juni 1750 die Inventur durchgeführt wurde (GLAK 61/179 HR 16.6.1750). Lemmle Mayer von Bühl starb also spätestens Juni 1750. 393 GLAK 74/3723, Rechnungsrat Posspissyl, Extrakt, 20.4.1762, Bl. 56r. 394 GLAK 61/287 HK 29.7.1750. 395 GLAK 61/289 HK 21.6.1752. Den Namen der Witwe gibt z. B. GLAK 61/73 GR 29.3.1752 Nr. 23 an. 396 GLAK 61/311 GRATP 27.7.1754 Kammerberichte Nr. 3. 397 GLAK 61/289 HK 24.7.1752. 398 GLAK 61/290 HK 18.5.1753 Nr. 17.

108 

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Die Schutzaufnahmen in der Markgrafschaft

Nummer Schutzort

Jahr der Supplik/ der Schutzaufnahme

V.12 1753 Kuppenheim

V.13 Kippenheim

1753

V.14 Bühl

1753

V.15 Malsch

1754

V.16 Bühl

1754

a. Name des neuen Schutzjuden, Angaben zur Person (Verwandtschaft, Herkunfts- oder Wohnort, Herrschaftsgebiet u. ä.) b. Name und Wohnort des/der Supplizierenden, wenn nicht identisch mit dem Schutzbewerber c. Voraussetzungen der Schutzaufnahme a. Feist Löw, „Juden Waise“, Kuppenheim,399 Bräutigam der Witwe von Isaac, Rastatt b. – Vermögensangabe (1759): 116 G400 a. Lippmann Weil, Kippenheim, Sohn von Emanuel Weil, Kippenheim b. – c. Vermögensangabe: 1000 G und die Hälfte eines Hauses401 Enkel eines Schutzjuden a. Löw Elias, Bühl, jüngster Sohn von Elias Schmaul, Bühl402 b. – c. Vermögensangabe: 1400 G403 a. Salomon Mayer, Malsch, Sohn des gestorbenen Salomon Joseph, Malsch404 b. – c. Vermögensangabe: 400 G405 zwei Familien „abgegangen“406 a. Abraham Meyer, Bühl, Sohn eines Schutzjuden, Bräutigam der Witwe von Aron Götschel, Bühl407 b. – c. Vermögensangabe: 300 G408 (berechnet aus Pflastersteuer)

399 GLAK 61/290 HK 13.3.1753 Nr. 1, GLAK 74/3711, „Besag ausgeferttigten Judten Schutz Briefen“, o. D., und Gerhard Friedrich Linder, Die jüdische Gemeinde in Kuppenheim, S. 28. Nach dem Verzeichnis der baden-badischen Schutzjuden, das der Judenoberschultheiß Samson Schweitzer 1743 anfertigte, lebte in diesem Jahr in Kuppenheim „Witfrau Löbel“ (GLAK 117/1102, Oberjudenschultheiß Samson Schweitzer, „Specification“, 8.1.1743). Eine Zuordnung von Faist Löw als deren Sohn ist nicht eindeutig möglich. Allerdings supplizierte 1736 der Kuppenheimer Schutzjude Jacob Faist wegen des Schutzes für seinen ältesten Sohn Löw Jacob in Durbach (GLAK 61/273 HK 22.3.1736); auch hier wäre eine Verwandtschaft möglich. 400 GLAK 61/296 HK 18.9.1759 Nr. 20. 401 GLAK 61/290 HK 22.5.1753 Nr. 12. 402 GLAK 61/290 HK 9.8.1753 Nr. 28. 403 GLAK 61/291 HK 12.7.1754 Nr. 13. 404 GLAK 61/311 GRATP 2.3.1754 Communia Nr. 11 und GLAK 61/291 HK 8.3.1754 Nr. 9, auch GLAK 74/3711, „Besag ausgefertigtten Judten Schutz Briefen“, o. D. 405 GLAK 61/291 HK 26.4.1754 Nr. 21. 406 GLAK 61/311 GRATP 2.3.1754 Communia Nr. 11. 407 GLAK 61/311 GRATP 1.6.1754 Communia Nr. 3. 408 GLAK 74/3723, Rechnungsrat Posspissyl, Extrakt, 20.4.1762, Bl. 56r.

Die Schutzaufnahmen 1747 bis 1771  Nummer Schutzort

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109

Jahr der Supplik/ der Schutzaufnahme

a. Name des neuen Schutzjuden, Angaben zur Person (Verwandtschaft, Herkunfts- oder Wohnort, Herrschaftsgebiet u. ä.)

V.17 Bühl

1755

V.18 Bühl

1756

V.19 Rastatt

1757

a. Simon Schweitzer, Bühl, Sohn des gestorbenen Elias Schweitzer, Bühl b. – c. Vermögensangabe: 225 G409 keine Erhöhung der Zahl der Schutzjuden410 a. Meyer Susmann, von Karlsruhe, Bräutigam bzw. Ehemann von b. Händle, Witwe von Kaufmann Schweitzer, Bühl411 c. – a. Herz Cassel, Rastatt, jüngster Sohn von b. Daniel Cassel, Rastatt412 c. keine Erhöhung der Zahl der Schutzjuden anstelle des Vaters Übergabe des Handels und Vermögens an den Sohn413 Wohnung in einem anderen Haus als dem des Vaters414 a. Kallmann Meyer, Sohn der Witwe b. Brinle Meyer,415 Witwe von Kallmann Meyer, Friesenheim416 c. Vermögensangabe: zusammen mit seiner Braut über 1000 G417 „ein ziemliches Vermögen“ Übertragung des Schutzes des Vaters und Übergabe des Handels an den Sohn418, obwohl bereits der ältere Sohn an die Stelle seines Vaters aufgenommen419

V.20 1757 Friesenheim

b. Name und Wohnort des/der Supplizierenden, wenn nicht identisch mit dem Schutzbewerber c. Voraussetzungen der Schutzaufnahme

409 GLAK 61/312 GRATP 22.3.1755 Communicanda Nr. 3, GLAK 61/292 HK 4.4.1755 Nr.  6, GLAK 61/312 GRATP 9.4.1755 Kammerberichte Nr. 1, GLAK 61/292 HK 16.4.1755 Nr. 1 und 28.5.1755 Nr. 7. 410 GLAK 61/312 GRATP 9.4.1755 Kammerberichte Nr. 1. 411 GLAK 61/314 GRATP 6.11.1756 Communicanda Nr. 2 und 22.12.1756 Regiminalberichte Nr. 2. 412 GLAK 61/186 HR 17.2.1757 Nr. 1, GLAK 61/315 GRATP 25.6.1757 Regiminalberichte Nr. 1. 413 GLAK 61/315 GRATP 12.2.1757 Regiminalberichte Nr. 1. 414 GLAK 61/315 GRATP 25.6.1757, Regiminalberichte Nr. 1 und GLAK 61/186 HR 14.7.1757 Nr. 3. 415 GLAK 61/295 HK 31.1.1758 Nr. 21. 416 GLAK 61/294 HK 19.7.1757 Nr. 4. 417 GLAK 61/293 HK 10.3.1756 Nr. 9. 418 GLAK 61/315 GRATP 19.2.1757 Communicanda Nr. 2. 419 GLAK 61/315 GRATP 9.7.1757 Communia Nr. 1.

110 

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Nummer Schutzort

Die Schutzaufnahmen in der Markgrafschaft Jahr der Supplik/ der Schutzaufnahme

V.21 1757 Friesenheim

V.22 Bühl

1757

V.23 Hörden

1758

V.24 Muggensturm

1759

a. Name des neuen Schutzjuden, Angaben zur Person (Verwandtschaft, Herkunfts- oder Wohnort, Herrschaftsgebiet u. ä.) b. Name und Wohnort des/der Supplizierenden, wenn nicht identisch mit dem Schutzbewerber c. Voraussetzungen der Schutzaufnahme a. Kallmann Lazarus, Friesenheim, jüngster420 Sohn von b. Lazarus Kallmann, Friesenheim421 c. Billigung wegen besonderer Umstände Aufgabe des Handels durch den Vater422 a. Samuel Herz, Bühl, Sohn von b. Samuel Hertz, Bühl c. Vermögensangabe: 500 G423 freie Stelle,424 „in den platz eines Schutzjuden eingestanden“425 a. Gabriel Moyses, Hörden, wohl Sohn bzw. Bruder eines Schutzjuden426 b. – c. Vermögensangabe: 400 G427 bzw. 400 G428 als zweiter Schutzjude in Hörden429 a. Elias Schmaule, Muggensturm, Sohn von b. Joseph Schmaule, Muggensturm c. Vermögensangabe: für seinen Vater 150 G und für Elias Schmaule 200 G, für seine Braut 300 G einziger Sohn, könne sich „glück(lich) verheiraten“430 Verzicht des Vaters auf seinen Handel431

420 GLAK 74/3711, „Besag ausgefertigten Juden Schutzbriefen“, o. D. 421 GLAK 61/315 GRATP 20.9.1757 Communicanda Nr. 2. 422 GLAK 61/315 2.12.1757 Communia Nr. 3. 423 GLAK 61/294 HK 17.8.1757 Nr. 18. 424 GLAK 61/294 HK 5.8.1757 Nr. 9. 425 GLAK 61/296 HK 25.3.1759 Nr. 2. 426 Ein Salomon Moyses bat als Schutzjude in Hörden um die Schutzaufnahme für seinen ältesten Sohn Marx Moyses (GLAK 61/275 HK 2.5.1738). 427 GLAK 61/ 317 GRATP 22.2.1759 Communicanda Nr. 5. 428 GLAK 61/188 HR 4.2.1758 Nr. 10. 429 GLAK 61/186 HR 20.12.1757 Nr. 6, GLAK 61/295 HK 5.1.1758 Nr. 15 und 21.2.1758 Nr. 2. 430 GLAK 61/296 HK 25.1.1759 Nr. 6. 431 GLAK 61/317 GRATP 19.5.1759 Kammerberichte Nr. 1 und GLAK 61/296 HK 29.5.1759 Nr. 7.

Die Schutzaufnahmen 1747 bis 1771  Nummer Schutzort

Jahr der Supplik/ der Schutzaufnahme

V.25 Bühl

1759

V.26 Muggensturm

1759

V.27 Ettlingen

1759

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111

a. Name des neuen Schutzjuden, Angaben zur Person (Verwandtschaft, Herkunfts- oder Wohnort, Herrschaftsgebiet u. ä.) b. Name und Wohnort des/der Supplizierenden, wenn nicht identisch mit dem Schutzbewerber c. Voraussetzungen der Schutzaufnahme a. Lemmle Moyes, Bühl b. – c. trotz eines geringen Vermögens und Erhöhung der Zahl432 Aussicht auf eine „guthe parthie“433 a. Isaac Abraham, Muggensturm, Sohn von Abraham Joseph, Muggensturm434 b. – c. Vermögensangabe: unter 1000 G nach dem Expektanz-Dekret435 von 1747436 keine Aufnahme seiner Kinder437 bzw. seiner Brüder438 a. Meyer Jacob, Ettlingen, Sohn von Meyer Jacob, Ettlingen,439 Enkel von b. Herz Jost, Ettlingen c. Vermögensangabe (1765): 1500 G zusammen mit seiner Frau440 Schutzübertragung vom Großvater auf den Enkel Hinweis auf den „durch viele Jahre genossenen Herrsch(aftlichen) Schutz“ des Großvaters Herz Jost soll Schutzgeld zahlen bis zur Heirat des Enkels441

432 GLAK 61/317 GRATP 30.6.1759 Communia Nr. 3 und GLAK 61/296 HK 4.7.1759 Nr. 29. 433 GLAK 61/317 GRATP 12.5.1759 Communia Nr. 1. 434 GLAK 61/284 HK 17.8.1747 mit der Supplik des Schutzjuden Abraham Joseph von Muggensturm wegen der Schutzaufnahme seines Sohnes und der Beschlussvorlage, den Sohn erst nach dem Tod des Vaters in den Schutz aufzunehmen, und GLAK 61/296 HK 29.12.1759 Nr. 1. 435 Zu den Expektanzen, den Zusagen auf eine künftige Aufnahme, siehe S. 620ff. 436 GLAK 61/284 HK 17.8.1747. 437 GLAK 61/296 HK 29.12.1759 Nr. 1. 438 GLAK 61/317 GRATP 15.12.1759 Kammerberichte Nr. 2. 439 GLAK 61/303 HK 15.2.1765 Nr. 46. 440 Ebd. 441 GLAK 61/317 GRATP 15.12.1759 Communia Nr. 3 und GLAK 61/296 HK 20.12.1759 Nr. 13.

112 

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Die Schutzaufnahmen in der Markgrafschaft

Nummer Schutzort

Jahr der Supplik/ der Schutzaufnahme

a. Name des neuen Schutzjuden, Angaben zur Person (Verwandtschaft, Herkunfts- oder Wohnort, Herrschaftsgebiet u. ä.)

V.28 Kippenheim

1760

V.29 Kippenheim

1760

V.30 Ettlingen

1760

V.31 Gernsbach

1762

V.32 Beinheim

1763

V.33 Bühl

1763

a. Löb Auerbacher, Kippenheim, Pflegesohn von Emanuel Marx Weil, Kippenheim442 b. – c. Vermögensangabe: 3000 G443 „ein lehrer platz vorhanden“444 a. Mencke Levi, Kippenheim, künftiger Schwiegersohn von Marum Weil,445 Kippenheim446 b. – c. Vermögensangabe: 3300 G447 a. Feist Jost, Karlsruhe, Sohn des gestorbenen Herz Jost, Ettlingen448 b. – c. – a. Isaac Kaufmann, Gernsbach, ältester Sohn von b. David Kaufmann, Gernsbach449 c. – a. Samuel Salomon, Beinheim, Sohn von b. Baruch Salomon, Beinheim450 c. Übertragung des väterlichen Schutzes451 a. Liwer Lemmle, Bühl, ledig452 b. – c. Vermögensangabe: 350 G habe „einen guten Heuraths-Contract zu treffen Hoffnung“453

b. Name und Wohnort des/der Supplizierenden, wenn nicht identisch mit dem Schutzbewerber c. Voraussetzungen der Schutzaufnahme

442 GLAK 61/318 GRATP 14.5.1760 Communicanda Nr. 1. 443 GLAK 61/297 HK 11.6.1760 Nr. 2. 444 GLAK 61/318 GRATP 19.4.1760 Communicanda Nr. 1 und GLAK 61/297 HK 30.5.1760 Nr. 4. 445 Namensvariante: Marum Marx Weil. 446 GLAK 61/297 HK 10.12.1760 Nr. 6. 447 GLAK 61/318 GRATP 3.12.1760 Communia Nr. 1. 448 GLAK 61/297 HK 23.12.1760 Nr. 3. Feist Jost, der Sohn von Herz Jost, ist identisch mit Feist Herz, der 1735 und 1737 mit seiner Schutzaufnahme gescheitert war. Siehe dazu S. 135f. 449 GLAK 61/298 HK 28.7.1761 Nr. 3 und GLAK 61/300 HK 28.7.1762 Nr. 3. 450 GLAK 61/299 HK 16.11.1762 Nr. 14, GLAK 61/301 HK 25.2.1763 Nr. 23 und 15.4.1763 Nr. 15. 451 GLAK 61/299 HK 16.11.1762 Nr. 14. 452 GLAK 61/321 GRATP 18.6.1763 Communia Nr. 5, Bl. 339v und 19.7.1763 Nr. 5. 453 GLAK 61/321 GRATP 13.7.1763 Communia Nr. 3, Bl. 383r-v.

Die Schutzaufnahmen 1747 bis 1771  Nummer Schutzort

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113

Jahr der Supplik/ der Schutzaufnahme

a. Name des neuen Schutzjuden, Angaben zur Person (Verwandtschaft, Herkunfts- oder Wohnort, Herrschaftsgebiet u. ä.)

V.34 Muggensturm

1764

V.35 Muggensturm

1764

V.36 Malsch

1764

V.37 Kippenheim

1765

a. Joseph Moyses,454 Malsch,455 geboren in Rastatt,456 wohl Sohn von Marum Moyses457 b. – c. „gute Aufführung“458 a. Simon Wolf, „Judenknecht“, geboren in Jöhlingen ( Hochstift Speyer),459 künftiger Schwiegersohn von b. Bräunle Abraham,460 Witwe eines Schutzjuden, Muggensturm461 c. – a. Simon Jäckel (Säckel, wohl Verschreibung), Malsch,462 Sohn eines Schutzjuden in Malsch463 b. – c. Vermögensangabe: 800 G464 Beschluss unter Annahme, dass „anstatt seines vatters kein anderer schon den Schutz“465 habe gutes Verhalten „würklich schon vermöglich, theils aber vermittels künftiger Heurath noch vermöglicher“466 a. Salomon Auerbacher467 b. – c. –

454 455 456 457 458 459

b. Name und Wohnort des/der Supplizierenden, wenn nicht identisch mit dem Schutzbewerber c. Voraussetzungen der Schutzaufnahme

Namensvariante: Joseph Meyer. GLAK 61/299 HK 1.9.1762 Nr. 6. GLAK 61/302 HK 31.1.1764 Nr. 3. GLAK 61/320 GRATP 25.8.1762 Communicanda Nr. 3. GLAK 61/299 HK 1.9.1762 Nr. 6. GLAK 61/322 GRATP 1.12.1764 Communia Nr. 4. Der Ort in der Nähe von Karlsruhe erscheint in den baden-badischen Quellen als Jehlingen. 460 GLAK 61/322 GRATP 17.10.1764 Communia Nr. 6. 461 GLAK 61/322 GRATP 22.9.1764 Communicanda Nr. 5. 462 GLAK 61/322 GRATP 5.12.1764 Communia Nr. 3. 463 Da Simon Jäckel „anstatt seines vatters“ den Schutz erhielt, ist als dessen Wohnort Malsch anzunehmen. 464 GLAK 61/303 HK 15.2.1765 Nr. 47. 465 GLAK 61/322 GRATP 24.11.1764 Communia Nr. 5. 466 Ebd. 467 GLAK 61/323 GRATP 2.3.1765 Communicanda Nr. 2; 8.5.1765 Kammerberichte Nr. 2, 20.4.1765 Kammerberichte Nr. 8, 20.4.1765 und GLAK 61/303 HK 17.5.1765 Nr. 18.

114 

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Die Schutzaufnahmen in der Markgrafschaft

Nummer Schutzort

Jahr der Supplik/ der Schutzaufnahme

a. Name des neuen Schutzjuden, Angaben zur Person (Verwandtschaft, Herkunfts- oder Wohnort, Herrschaftsgebiet u. ä.)

V.38 Rastatt

1765

V.39 Gernsbach

1765

V.40 Kippenheim

1766

V.41 Ettlingen

1767

V.42 Rastatt

1768

a. Salomon Israel, aus Rastatt,468 Knecht bei Abraham Isaac, Bühl469 b. – c. Vermögensangabe: „ein geringes“470, zusammen mit seiner Braut 1050 G471 gutes Verhalten und Vermögen472 a. Simon Kaufmann, zweitältester Sohn von b. David Kaufmann, Gernsbach c. unter der Bedingung, dass sein älterer Bruder, der „wahnsinnig“ sei, mit dem Handel aufhört und den Schutzbrief zurückgibt473 später Verzicht auf die Rückgabe474 a. Salomon Weil 475 b. – c. – a. Jonas Herz, Ettlingen, einziger Sohn von Feist Herz, Ettlingen476 b. – c. Vermögen: zusammen mit seiner Braut 1500 G477 a. Isaac Cassel, Altdorf, Sohn von Isaac Cassel, Rastatt478 b. – c. Wohnung in einer Vorstadt Rastatts

468 469 470 471 472 473

b. Name und Wohnort des/der Supplizierenden, wenn nicht identisch mit dem Schutzbewerber c. Voraussetzungen der Schutzaufnahme

GLAK 61/303 HK 3.4.1765 Nr. 6. GLAK 61/323 GRATP 18.3.1765 Communicanda Nr. 4. GLAK 61/303 HK 3.4.1765 Nr. 61. GLAK 61/323 GRATP 5.10.1765 Communia Nr. 4. GLAK 61/323 GRATP 18.3.1765 Communicanda Nr. 4. GLAK 61/323 GRATP 20.4.1765 Communia Nr. 3 und GLAK 61/303 HK 26.4.1765 Nr. 25. 474 GLAK 61/323 GRATP 17.8.1765 Communicanda Nr. 4. 475 GLAK 61/ 324 GRATP 30.4.1766 Communia Nr. 2 und GLAK 61/304 HK 3.5.1766 Nr. 1386. 476 GLAK 61/326 GRATP 29.7.1767 Communia Nr. 699. 477 GLAK 61/303 HK 15.2.1765 Nr. 46. 478 GLAK 61/327 GRATP 20.1.1768 Communicanda Nr. 76, GLAK 61/327 27.1.1768 Communia Nr. 105 und GLAK 61/327 GRATP 24.2.1768 Communia Nr. 194. Eine Nummerierung der einzelnen Einträge in GLAK 61/327 GRATP besteht nur anfangs.

Die Schutzaufnahmen 1747 bis 1771  Nummer Schutzort

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115

Jahr der Supplik/ der Schutzaufnahme

a. Name des neuen Schutzjuden, Angaben zur Person (Verwandtschaft, Herkunfts- oder Wohnort, Herrschaftsgebiet u. ä.)

V.43 Kippenheim

1770

V.44 Bühl

1770

V.45 Gernsbach

1771

V.46 Malsch

1771

a. Gimpel Weil, ältester Sohn von b. Hirschel Weil, Kippenheim479 c. großes Vermögen in Aussicht Zahl der Schutzstellen nicht festgelegt480 Vermögen der Braut: 100 Louisdor (1200 G) will im Haus seines Vaters bleiben481 nach dem Tod des Vaters keine weitere Aufnahme482 a. Koppel Schweitzer, Sohn des gestorbenen Elias Kaufmann, Bühl483, Bräutigam der Witwe von Gottlieb Süßel484 b. – c. Vermögensangabe: 200 G485 (berechnet aus Pflastersteuer) Vorfahren über drei Generationen im Schutz486 a. Salomon Kaufmann, Gernsbach, Sohn von b. David Kaufmann, Gernsbach c. Vermögensangabe: 2066 G487 (berechnet aus Pflastersteuer) Übertragung des väterlichen Schutzes488 a. Löw Simon, Schwiegersohn des gestorbenen Abraham, Malsch489 b. – c. frühere Bewilligung für den Fall des Todes seines Schwiegervaters nach dem Tod des Schwiegervaters keine weitere Aufnahme490

479 480 481 482 483 484 485 486 487 488 489 490

b. Name und Wohnort des/der Supplizierenden, wenn nicht identisch mit dem Schutzbewerber c. Voraussetzungen der Schutzaufnahme

GLAK HK 22.1.1770 Nr. 223. GLAK 61/327 GRATP 6.7.1768 Communia. GLAK 61/328 GRATP 8.11.1769 Kammerberichte. GLAK 61/308 HK 22.1.1770 Nr. 223. GLAK 236/19713, „Geschehen Diersburg“, 21.6.1829. GLAK 61/308 HK 22.1.1770 Nr. 247. GLAK 61/308 HK 3.2.1770 Nr. 339. GLAK 61/329 GRATP 13.1.1770 Communia und GLAK 61/329 GRATP 20.1.1770 Communia. GLAK 61/309 HK 26.8.1771 Nr. 2502. Ebd. GLAK 61/309 HK 19.9.1771 Nr. 2768 (Nennung Löw Simons als den „neu angenommenen Juden Löw Simon“). Löw Simon war die Schutzaufnahme versprochen auf den Tod seines Schwiegervaters (GLAK 61/309 HK 16.9.1771 Nr. 2722). GLAK 61/331 GRATP 7.8.1771 Regierungsberichte.

116 

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Die Schutzaufnahmen in der Markgrafschaft

Bei 33 von 46 Schutzerteilungen lässt sich der Aufgenommene eindeutig als Sohn (bzw. Pflegesohn oder Enkel) eines Schutzjuden erkennen,491 bei fünf als Schwiegersohn.492 Bei Salomon Weil (V.40), der den Schutz für Kippenheim erhielt, liegt die Zugehörigkeit zur dortigen Familie Weil nahe – nur sie trug diesen Namen unter den baden-badischen Schutzjuden. Salomon Israel (V.38) von Rastatt wurde bei seiner Bewerbung als Knecht von Israel Abraham in Bühl bezeichnet.493 Israel Abraham selbst war mit seinem Vater Isaac Israel, dem „Rabbiner“, von Rastatt nach Bühl gekommen. Auch hier liegt eine Verwandtschaft nahe: In Rastatt lebte vor 1740 ein Sohn von Isaac Israel,494 dessen Nachkomme Salomon Israel sein könnte. Bei mindestens 38 Aufnahmen ist damit Verwandtschaft gegeben. Angaben über das Vermögen existieren bei 27 Schutzerteilungen. Darunter sind mehrere in allgemeiner Form gehalten: Einmal wird das Vermögen als „geringes“ bezeichnet (V.25), einmal als ein großes Vermögen, das der Bewerber um den Schutz als Erbe erwarten könne (V.43); einmal wird es mit „unter 1000“ Gulden angegeben (V.26). Vergleicht man die in der „Judenordnung“ seit 1714 angesetzte Mindesthöhe von 1000 Gulden mit den zahlenmäßigen Angaben in 26 Fällen, so sind es mindestens 15 Aufnahmen, die trotz der Unterschreitung dieser Norm erfolgten.495 Das durchschnittliche Vermögen bei ihnen – soweit in Zahlen angegeben – liegt mit 375 Gulden und 48 Kreuzer erheblich unter der 1000-Gulden-Norm, die sich damit nur als eine sehr vage Richtlinie abzeichnet. Fünf Aufnahmen erfolgten bei der Verehelichung mit der Witwe eines Schutzjuden.496 Bei Feist Löw oder Löwel (V.12) belief sich das Vermögen auf 116 Gulden, bei den anderen Aufnahmen betrug es zwischen 200 und 300 Gulden, soweit angegeben.497 Wie schon vor 1747 war das Vermögen für die Schutzerteilung weitgehend irrelevant. Für die Regierung stand die Erhöhung des Schutzgelds auf den vollen Betrag im Vordergrund und vermutlich wie für die Witwen selbst deren Versorgung. Im Zusammenhang mit der Wiederheirat einer Witwe wurde ein weiteres Kriterium deutlich, das wohl von Bedeutung war. 1770 bat Koppel Schweitzer 491 Sie dazu S. 105ff., Tabelle V, Schutzaufnahmen 1747 bis 1771, die Nummern V.2, V.4, V.5, V.6, V.7, V.8, V.9, V.10, V.12, V.13, V.14, V.15, V.16, V.17, V.18, V.19, V.20, V.21, V.22, V.23, V.24, V.26, V.27, V.28, V.30, V.31, V.36, V.39, V.41, V.42, V.43, V.44 und V.45. 492 Ebd., die Nummern V.1, V.11, V.29, V.35 und V.46. 493 GLAK 61/323 GRATP 18.3.1765 Communicanda Nr. 4. 494 Zu Isaac Israels Wechsel von Rastatt nach Bühl und zur Erwähnung seines Sohnes in Rastatt siehe S. 526f. 495 Siehe dazu S. 105ff., Tabelle V, die Nummern V.4, V.6, V7, V.9, V.12, V.15, V.16, V.17, V.22, V.23, V.24, V.26, V.27, V.33 und V.44. 496 Ebd., die Nummern V.12; V.16; V.18, V.29 und V.44. 497 Ebd., die Nummern V.16, V.18 und V.44.

Die Schutzaufnahmen 1747 bis 1771 

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(V.44) um die Erlaubnis, die Witwe des Schutzjuden Gottlieb Süßel heiraten zu dürfen, und um das Recht, sich in Bühl niederzulassen. Der Geheime Rat verlangte vom Amt eine Auskunft darüber, ob der Vater des Bewerbers den Schutz in Bühl innehatte und diesen auch nicht verlor, indem er den Ort verließ.498 Auf die Mitteilung, dass „Koppel Schweitzers Vatter-, Groß- und Urgroß-Vatter in dasigem Schutz verstorben seye“, wurde die Aufnahme bewilligt.499 Erst danach forderte der Geheime Rat einen Bericht über das Vermögen Schweitzers an.500 Dieser sei, berichtete das Amt, von der Witwe Süßels mit einem Vorbehalt von 150 Gulden zu ihrem Erben eingesetzt worden und müsse 12 Gulden „Pflastergeld“ bezahlen.501 Koppel Schweitzer besaß also offenbar nichts, Gottlieb Süßels Witwe dagegen 200 Gulden.502 Seine Abstammung von baden-badischen Schutzjuden trug offenbar dazu bei, dass er den Schutz erhielt. Zehn Aufnahmen waren an eine „freie Stelle“ gebunden.503 Viermal wurde der Schutz des Vaters oder Großvaters übertragen.504 In vier Fällen wurde der Handel des Vaters und des Neuaufgenommenen gemeinsam geführt oder der des Vaters bzw. Bruders beendet.505 Die Erhöhung der Anzahl von Schutzjuden wurde auch bei den vier Heiraten mit der Witwe eines Schutzjuden umgangen.506 Insgesamt sind es 23 Aufnahmen, bei denen ausdrücklich festgehalten wurde, dass die Zahl der Schutzjuden gleich blieb. Neunzehn Mal befand sich der Vater oder Großvater noch im Schutz, als ein Nachkomme aufgenommen wurde.507 In acht dieser Fälle bestand ein hohes Ver498 GLAK 61/329 GRATP 13.1.1770 Communia. 499 GLAK 61/329 GRATP 20.1.1770 Communia. 500 GLAK 61/308 HK 23.1.1770 Nr. 247. 501 GLAK 61/308 HK 3.2.1770 Nr. 339. 502 Koppel Kaufmann bzw. Koppel Schweitzer dürften identisch sein. Im Zuge einer Erbauseinandersetzung wurde 1798 die Ehefrau Koppel Kaufmanns bzw. dessen Witwe mit dem Namen Miriam Koppel, als „Witwe des Schutzjuden Koppel Kaufmann“ bezeichnet. Sie vermachte Teile ihres Vermögens an einen Sohn von Gottlieb Moyses und dessen Braut und an zwei Töchter von Simon Schweitzer, Schutzjuden in Bühl (GLAK 236/19713, Landrabbiner Thias Weil und Anwald Joseph Elias, 7.11.1798, Bl. 1–11). 503 Siehe dazu S. 105ff., Tabelle V, Schutzaufnahmen 1747 bis 1771, die Nummern V.6, V.8, V.9, V.15, V.17, V.19, V.22, V.28, V.43 und V.46, wobei in den beiden letzten Fällen nur vorübergehend die Zahl erhöht wurde. Als inhaltliche Alternativen zur Formulierung „freie Stelle“ kommen vor und sind hier einberechnet die Angaben, dass sich die Zahl der Schutzstellen nicht erhöht, ein freier „platz“ existiere, dass keine weiteren Aufnahmen erfolgen nach dem Tod des Vaters oder Schwiegervaters, dass eine Familie „abgegangen“ oder weggezogen sei oder eine Aufnahme „anstelle“ des Vaters erfolgt. 504 Ebd., Tabelle V, die Nummern V.20, V.27, V.32 und V.45. 505 Ebd., die Nummern V.19, V.21, V.24 und V.39. 506 Ebd., die Nummern V.12, V.16, V.17 und V.35. 507 Ebd., die Nummern V.2, V.4, V.5, V.6, V.7, V.19, V.21, V.22, V.24, V.26, V.27, V.28, V.31, V.32, V.39, V.41, V.42, V.43 und V.45. In einigen Fällen ist angenommen, dass

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Die Schutzaufnahmen in der Markgrafschaft

mögen über 1000 Gulden;508 in einigen anderen Fällen wurde die Verbesserung der Vermögenssituation erwartet.509 3.8.2  Einzelne Schutzaufnahmen: Schutzbewerbungen für mehrere Söhne, immer wieder supplizieren In Gernsbach besaß Isaac Kaufmann (V.31), der älteste Sohn David Kaufmanns, schon den Schutz. Dennoch betrieb David Kaufmann 1765 die Aufnahme seines zweiten Sohnes Simon (V.45), die durch das Amt und den Geheimen Rat befürwortet wurde.510 Markgraf August Georg und der Geheime Rat stimmten der Schutzerteilung zu, unter der Voraussetzung, dass Isaac Kaufmann, der als geisteskrank galt,511 nicht mehr Handel treiben könne und seinen Schutzbrief zurückgebe.512 David Kaufmann supplizierte erneut: Sein ältester Sohn solle den Schutzbrief behalten können, damit im Schutzverhältnis bleiben. Gleichzeitig bat er noch einmal um die Annahme des jüngeren Sohnes.513 Nach einem positiven Amtsbericht fiel die Entscheidung zugunsten Simon Kaufmanns.514 Im Januar 1770 supplizierte David Kaufmann wegen des Schutzes für seinen Sohn Salomon David (V.46), wurde abgewiesen515 und erneuerte sein Gesuch im September. Ihre Ablehnung begründete die Regierung damit, der Markgraf wolle nur einen Sohn aufnehmen. Eine einzige Ausnahme gebe es dann, wenn ein Bewerber über „besondere Künste [Fähigkeiten]“ verfüge.516 Im folgenden Jahr wiederholten sich die Vorgänge: Supplik und Ablehnung des dritten Sohnes,517 darauf die erneute Supplik im März 1771. Nun erhielt Kaufmann die Antwort, sein Sohn müsse den Tod seines Vaters abwarten.518 David Kaufmann supplizierte der Vater noch lebt, weil die Angabe seines Namens ohne Zusatz erfolgt, dass der Vater gestorben sei. 508 Ebd., die Nummern V.5, V.11, V.19, V.27, V.31, V.39, V.43 und V.45. Die Vermögenssituation bei den Aufnahmen der ersten zwei Söhne von David Kaufmann (V.31 und V.39) erhellt sich bei seinem dritten Sohn (V.46). 509 Ebd., die Nummern V.4, V.24, V.25, V.33, V.36 und V.43. 510 GLAK 61/323 GRATP 20.4.1765 Communia Nr. 3. 511 Zehnter, Juden in der Markgrafschaft Baden-Baden, in: ZGO 50 (1896), S. 387, gibt als Ursache der Erkrankung eine ungerechtfertigte Festnahme Isaac Kaufmanns an. 512 GLAK 61/303 HK 26.4.1765 Nr. 25. 513 GLAK 61/323 GRATP 1765 17.8.1765 Communicanda Nr.1. 514 GLAK 61/323 GRATP 11.10.1765 Communia Nr. 4. 515 GLAK 61/329 GRATP 14.2.1770 Communicanda. 516 GLAK 61/329 GRATP 12.9.1770 Communicanda. 517 GLAK 61/330 GRATP 19.1.1771 Communicanda. 518 GLAK 61/330 GRATP 16.3.1771 Communia.

Die Schutzaufnahmen 1747 bis 1771 

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zum fünften Mal.519 Das Vermögen Salomon Davids, der inzwischen Salomon Kaufmann genannt wurde,520 bestand nach dem Amtsbericht aus 1000 Gulden und der Hälfte eines Hauses; seine Braut bringe 150 Louisdor [1800 Gulden] in die Ehe mit.521 Mit dem Vermögensnachweis war die Aufnahme Salomon Kaufmanns noch nicht entschieden. Offensichtlich lag ein Memorial der Gemeindevertreter in Gernsbach gegen die Schutzerteilung vor. Als sich herausstellte, dass nur zwei Gemeindevertreter an diesem Schreiben beteiligt waren, entschieden Markgraf August Georg und der Geheime Rat zugunsten Salomon Kaufmanns, allerdings nur, wenn sein Vater den Schutz auf ihn übertrage.522 Schließlich erhielt Salomon Kaufmann doch den Schutz.523 Simon Kaufmann, sein älterer Bruder, war allerdings zu dieser Zeit schon gestorben.524 Bei den Bewerbungen David Kaufmanns für seine Söhne versuchte die Regierung den Schutz an eine Regelung des Handels zu koppeln. Das war bei der Übertragung des väterlichen Schutzes auf einen Sohn üblich; dabei ging die Schutzübertragung oft mit der Einstellung des Handels durch den Vater einher. Als es um seinen zweiten Sohn Simon (V.39) ging, beharrte David Kaufmann auf der weiteren Gültigkeit des Schutzes für seinen kranken Sohn. Den Schutz nahm David Kaufmann als eine an die Person gebundene Qualität wahr, nicht als ein an den Handel gebundenes Recht. Aus Fürsorge für seinen Sohn war David Kaufmann auch bereit, dessen Schutzgeld zu zahlen. Am Ende setzte er seine Vorstellung durch. Damit hatten zwei Söhne den Schutz, auch der älteste Sohn Isaac. Der Schutzaufnahme seines dritten Sohnes Salomon (V.45) gingen innerhalb von 20 Monaten fünf Suppliken David Kaufmanns voraus. Seine persönliche Hartnäckigkeit führte hier gegen den Widerstand aus der Gernsbacher Bevölkerung und gegen das Widerstreben der Regierung zu einem Ergebnis, mit dem David Kaufmann seine und die Existenz seiner Söhne absichern konnte. Wie David Kaufmann hatte schon vorher Joseph Elias in Bühl erfolgreich um die Annahme eines zweiten Sohnes gebeten (V.5 und V.14); für die Zeit ab 1735 waren unter den gescheiterten Schutzbewerbungen sechs, bei denen bereits ein Bruder den Schutz hatte.525 Die Beschränkung auf die Aufnahme eines einzigen Sohnes war unter den Juden nicht mehr selbstverständlich. In Baden-Durlach 519 GLAK 61/309 HK 6.7.1771 Nr. 1929. 520 GLAK 61/309 HK 19.7.1771 Nr. 2063. 521 GLAK 61/309 HK 25.7.1771 Nr. 2117; die Angabe des Vermögens in Louisdors legt nahe, dass die Braut aus einer elsässischen Familie stammte. 522 GLAK 61/309 HK 12.8.1771 Nr. 2291 und GLAK 61/309 HK 19.8.1771 Nr. 2399. 523 GLAK 61/309 HK 27.8.1771 Nr. 2502. 524 GLAK 61/309 HK 1.8.1771 Nr. 2194 und GLAK 61/331 GRATP 7.8.1771 Kammerberichte und GLAK 61/331 GRATP 24.8.1771 Kammerberichte. 525 Siehe S. 105ff., Tabelle V, die Nummern V.3, V.5, V.6., V.7, V.15 und V.18.

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Die Schutzaufnahmen in der Markgrafschaft

hatten die Judenschultheißen nach dem Tod von Markgraf Karl Wilhelm 1738 um die Aufhebung dieser Beschränkung gebeten.526 Baden-badische Juden praktizierten ein Vorgehen, das auf eine Abweichung von der Norm abzielte, welche die Schutzaufnahme nur für einen Nachkommen ermöglichte. 3.8.3  Familiäre Ordnung und Bewerbung um den Schutz: eine Familie an der Hauptstraße, eine in der „Schwanengasse“ Sechzehn Aufnahmen in den Schutz fielen mit der Heirat zusammen, wenn alle Hinweise auf eine bevorstehende Hochzeit berücksichtigt werden.527 Für beides, für die Schutzbewerbung noch mehr als für die Existenzsicherung der neuen Familie, war ein Vermögen erforderlich. In einzelnen Fällen lassen sich Planungen erkennen, die über die innerfamiliäre Ordnung Voraussetzungen für die Schutzaufnahme schufen. Elias Samuels mittlerer Sohn Joseph Elias (V.5) erhielt 1748 den Schutz nach Bühl.528 Im Oktober 1750 erschienen Elias Samuel und sein Sohn Joseph Elias zusammen mit Löbel Levi aus Ingweiler (Ingwiller, Bas-Rhin) im Elsass, dessen Schwiegervater, auf dem Amt in Bühl. Sie ließen einen Teil der Bestimmungen des Heiratsvertrags zwischen Joseph Elias und der Tochter von Löbel Levi in das Amtsprotokoll eintragen, um sie auf diese Weise abzusichern. Im Heiratsvertrag hatte Joseph Elias die Hälfte des väterlichen Hauses an der Hauptstraße, des Vorder- und Hinterhauses, erhalten. Darin – im Vorderhaus – befand sich der Laden von Elias Samuel. Dieser ließ sich von seinem Sohn das Wohnrecht auf Lebenszeit bestätigen und zugleich das Recht, seinen jüngeren Sohn Löw nach dessen Heirat in seiner eigenen Haushälfte wohnen zu lassen; wenn der Vater seinen Handel aufgeben würde, sollten sich die beiden Söhne über den Laden im Vorderhaus einigen. Dem älteren Sohn sicherte Elias Samuel für den Erbfall die Gleichbehandlung mit seinem Bruder Löw zu. Damit waren die Voraussetzungen geschaffen, dass Löw Elias (V.14) 1753 den Schutz erhielt und heiratete. Sein Vermögen betrug dabei 1400 Gulden, 526 Holenstein, Bitten um den Schutz, in: Kießling und Ullmann (Hg.), Landjudentum im deutschen Südwesten, S. 112f. mit dem Hinweis, dass auch in Baden-Durlach Suppliken wegen der Aufnahme eines zweiten Sohnes eingebracht wurden. 527 Siehe S. 105ff., Tabelle V, die Nummern V.1; VI.4, V.12; V.17;V.20, V.24, V.27, V.29, V.33; V.36; V.37; V.38; V.41; V.43; V.44 und V.46. Als Hinweise auf eine Heirat werden angesehen die Erwähnung der Braut, die Nennung des Bewerbers als (künftiger) Schwiegersohn u. ä. 528 Bei der Aufnahme von Joseph Elias liegen keine direkten Hinweise auf seine Heirat vor, weshalb er nicht unter die Aufnahmen in Verbindung mit einer Heirat aufgenommen ist. Wann genau er heiratete, ist nicht zu erkennen; der zeitliche Zusammenhang zwischen der Schutzaufnahme und der Heirat bzw. der Abfassung des Ehevertrags ist unverkennbar.

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bei seinem Bruder waren 1800 Gulden angegeben worden.529 Die 1750 amtlich abgesicherte Regelung zielte also darauf, für die Heirat und wohl auch für die Aufnahme den erforderlichen Vermögensnachweis durch den Besitz einer Haushälfte vorzubereiten, für beide Söhne von Elias Samuel. Gleichzeitig ging es um die Sicherung des Wohnrechts für den Vater, gerade auch für die Zeit nach der Beendigung seines Handels. Mit Blick auf die Übernahme des Ladens und des Erbes allgemein sollte ein Konflikt zwischen den beiden Söhnen verhindert, der familiäre Frieden gesichert werden. Im Vergleich mit der Familie Elias Samuels verfügte die Familie Schweitzer in Bühl über ein geringes Vermögen. Elias Schweitzer besaß bereits die Hälfte eines Hauses in der zur Bühler Hauptstraße führenden Schwanenstraße oder Schwanengasse, als er und seine Frau Zosam 1751 von Löw Bodenheimer auch die zweite Hälfte für 90 Gulden kauften.530 Spätestens im Juni 1754 war Elias Schweitzer gestorben, denn in diesem Monat klärte dessen Witwe ihre wirtschaftlichen Verhältnisse; damit stellte sie zusammen mit ihrer Familie die Voraussetzungen her für die Schutzaufnahme von Simon Schweitzer (V.17), dem Sohn von Elias und Zosam Schweitzer. Zosam Schweitzer besaß zu dieser Zeit noch ein Viertel des Hauses in der Schwanenstraße, drei Viertel gehörten Händle Schweitzer, der Witwe ihres Sohnes Kaufmann Schweitzer. Simon Schweitzer und die beiden Frauen trafen folgende Vereinbarungen. „Ein Theil“, wohl ein Viertel des Hauses, ging aus dem Besitz von Hendel Schweitzer auf ihren Schwager Simon über, und dessen Mutter übergab ihm ihr Viertel. Dafür übernahm ihr Sohn die Kapitalschulden, die in Höhe von 161 Gulden auf dem Haus lasteten, und die Hälfte der bis dahin aufgelaufenen Zinsen. Bedingung für die Übergabe war, dass Simon Schweitzer seiner Mutter das lebenslange Wohnrecht zusicherte und die Versorgung mit „Kost und Kleidung“ und „Holz und Licht“. Eine weitere Zusage galt seiner Schwägerin – auch hier wurde eine Absichtserklärung festgeschrieben: Mit ihr werde er, Simon Schweitzer, sich nach dem Tod seiner Mutter über die Aufteilung der Wohnungen innerhalb des Hauses einigen.531 Als sich Simon Schweitzer 1755 um den Schutz bewarb, belief sich sein Vermögen gerade auf 225 Gulden; dazu trug erheblich sein Hausanteil bei. Der Ver529 Zur Vermögenssituation der Brüder Löw und Elias Joseph siehe S. 510f.; dass Löw Elias im Zusammenhang mit seiner Schutzaufnahme heiratete, geht aus GLAK 61/291 HK 12.7.1754 Nr. 13 hervor. 530 GLAK 61/13698, Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, 19.2.1751, Bl. 151r. Zum Verkauf des Hauses durch Löw Bodenheimer siehe S. 140. Die Bezeichnungen für die Kontraktenprotokolle im Amt Bühl (mit dem ursprünglich selbstständigen Amt Groschweyer südlich von Bühl) variieren vielfältig und wurden deshalb hier vereinheitlicht. 531 GLAK 61/13698, Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, 17.6.1754, Bl. 521r–522r.

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Die Schutzaufnahmen in der Markgrafschaft

trag von 1754 diente also Simon Schweitzer als Nachweis seines Vermögens bei der Schutzaufnahme, ebenso zum familiären Auskommen. Seine Mutter erhielt Sicherheiten für ihr Alter: Wohnung, Kleidung und Verköstigung. Dafür trug sie bei zur finanziellen Voraussetzung seiner Aufnahme. Sie kündigte zugleich die bevorstehende Aufgabe ihres eigenen Handels an: Die vertraglichen Bestimmungen seien zur „Beförderung Ihrer nahrung und sich allgemach in ruhe zu setzen allerdings gemeinet.“532 Im Sinne der Regierung hatte sie für ihren Sohn eine „Stelle“ freigemacht, für seine Schutzaufnahme möglichst viele Ablehnungsgründe ausgeräumt. Selbst für Händle, die Witwe Kaufmann Schweitzers, zielte der Vertrag in die Zukunft. Sie konnte mit ihm Vermögen nachweisen, eine Voraussetzung für die Aufnahme ihres Mannes, als sie 1756 wieder heiratete.533 Beide Familien regelten die soziale Sicherung der noch lebenden Elternteile, des Vaters in der Familie von Elias Samuel und der Mutter in der Familie Schweitzer, in der Ersteren auch das Wohnrecht des jüngeren Sohnes. Bei der ärmeren Familie Schweitzer wurde speziell, anders als bei Elias Samuel, auch die Grundversorgung der Mutter mit Brennholz, Kleidung und Essen abgesichert. In beiden Familien wurden die daran Interessierten in die Lage versetzt, für den Erhalt des Schutzes die erforderlichen Vermögensnachweise zu führen. In der reicheren Familie von Elias Samuel wurde auch die gleichberechtigte Erbfolge für beide Söhne festgelegt. Die Schutzbewerbungen waren also Kristallisationspunkte für eine umfassende rechtliche Klärung innerfamiliärer Verhältnisse. Darüber hinaus wurden Regelungen festgehalten, die auf Konfliktvermeidung oder -verminderung innerhalb der Familien hinausliefen. Die Lebensmöglichkeiten weiterer Mitglieder, nicht nur die der aktuellen Schutzbewerber, wurden in beiden Familien berücksichtigt. Der Haus- und Ladenbesitzer in der Bühler Hauptstraße, Elias Samuel, nahm wohl schon zum Zeitpunkt der Bewerbung seines Sohnes Joseph Elias die Aufnahme eines weiteren Sohnes in seine Perspektive auf. Die Familie Schweitzer in der Bühler Seitenstraße ließ sich wohl nicht durch die Vorstellung leiten, dass gleichzeitig mehrere Familienmitglieder den Schutz haben konnten. In einer armen Familie war eine weitere Aufnahme denkbar, wenn der ältere Bruder oder der Vater starb. Dennoch, auch hier plante die Familie so, dass die Versorgung der Witwe Kaufmann Schweitzers durch eine Wiederverheiratung möglich erschien, und setzte dabei auf eine Vereinbarung unter den Familienmitgliedern, wie das auch in der Familie von Elias Samuel der Fall gewesen war.

532 Ebd. 533 Zur Aufnahme ihres Mannes Meyer Susmann und zur Wiederverheiratung von Händle Schweitzer siehe S. 109.

Die Schutzaufnahmen 1747 bis 1771 

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3.8.4  Widerstände in der Bevölkerung – Kontinuitäten Die Gegnerschaft in den Gemeinden bei Schutzaufnahmen oder allgemein gegen Juden drückte sich auch weiterhin in indirekten Aktionen aus. Gabriel Moyses befand sich seit 1758 in Hörden im Schutz.534 Er bekam wohl Schwierigkeiten in der Gemeinde: 1767 reichte er eine Supplik ein, um von ihr einen genügend großen Bauplatz für einen unparteiisch eingeschätzten Preis zu erhalten. Der Geheime Rat gab die Linie vor, die zu verfolgen sei: Das Bedürfnis von Gabriel Moyses müsse berücksichtigt werden.535 Entsprechend legte der Hofrat fest, dass ihm die Gemeinde ein Stück Allmende zu einem angemessenen Preis verkaufen müsse.536 Die Gemeinde benutzte hier, wie andere schon früher,537 das Mittel, die Wohnungsmöglichkeiten für Schutzjuden zu erschweren. Gegen die Aufnahme von Feist Jost (V.30), der sich wohl längere Zeit in Karlsruhe aufgehalten hatte, wehrten sich in Ettlingen 1760 die christlichen Kaufleute. Wie schon 1736538 beriefen sie sich auf die festgelegte Zahl von Juden, die mit Feist Jost überschritten würde. Zudem forderten sie, das „etwa von dem Juden Feist zu Carlsruhe erschlichen werdende Aufnahms Decret zu cassiren [aufzuheben] oder wenigstens solchen dahin einzuschrenken, daß derselbe keinen Kramladen halte.“539 Ihre Erwähnung des Handels in einem Ladengeschäft zeigte erneut, dass nicht die Zahl, sondern die Konkurrenz der entscheidende Punkt für ihre Gegnerschaft gegen die Aufnahme Feist Josts war. Wie groß die Gegnerschaft zu Schutzaufnahmen in Gernsbach war, zeigte sich im Jahr 1759. Unter anderen Klagen über David Kaufmann wurde vorgebracht, er wolle für seine Söhne den Schutz in der Stadt erhalten. Hofrat Knoodt kommentierte dies, es sei „plus tempore angebracht“ – eine Entscheidung darüber müsse auf später verschoben werden;540 offenbar waren die Söhne David Kaufmanns noch zu jung, um für eine Aufnahme in Betracht zu kommen. In der Tat entstand der Konflikt erst elf Jahre später neu, als David Kaufmann für seinen Sohn Salomon wegen des Schutzes supplizierte.541 Das Memorial aus Gernsbach mit den Einwänden gegen die Schutzerteilung wurde als Intervention der Gemeindevertretung insgesamt vorgelegt. Das war unzutreffend, wie sich heraus-

534 GLAK 61/295 HK 21.2.1758 Nr. 2. 535 GLAK 61/326 GRATP 13.11.1767 Communicanda Nr. 1047. 536 GLAK 61/208 HR 20.11.1767 Rescripta Nr. 2117. 537 Zu den Schwierigkeiten beim Wohnen siehe S. 75f. 538 Zum Widerstand in Ettlingen gegen eine Aufnahme im Jahr 1736 siehe S. 84. 539 GLAK 61/319 GRATP 10.7.1761 Communicanda Nr. 1. 540 GLAK 61/190 HR 30.10.1759 541 Zur Aufnahme von Salomon Kaufmann siehe S. 118f.

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Die Schutzaufnahmen in der Markgrafschaft

stellte, und stammte nur von zwei Vertretern der Gemeinde,542 die es fälschlicher Weise im Namen der Gemeinde eingereicht hatten und dafür bestraft wurden.543 3.8.5  Kontinuitäten und Veränderungen bei der Regierung Nach dem Erlass der „Judenordnung“ 1714 war, wie dargestellt, als erste Aufnahme die von Joseph Michael nach Beinheim bewilligt worden,544 und 1715 folgten zwei Aufnahmen nach Durbach.545 Auch 1747 war es ein Ort außerhalb des markgräflichen Kerngebiets, für den die Schutzerteilungen mit der für Joshua Uffenheimer (V.1) und Joseph Wertheimer (V.2) nach Kippenheim wieder einsetzten. Beide lagen mit ihrem Vermögen 1755 mit fast 5000 bzw. 1300 Gulden546 erheblich über dem Schnitt der markgräflichen Juden.547 Vor allem gab es für beide Orte, wie dargestellt, keine zahlenmäßige Begrenzung für jüdische Familien;548 die Juden im Amt Staufenberg und im Oberamt Mahlberg fielen nicht unter die Zahl der 42 markgräflichen Schutzjudenfamilien. Die markgräfliche Verwaltung – das zeigt diese Kontinuität – hielt sich an eine unausgesprochene Strategie, dort mit Schutzaufnahmen einzusetzen, wo offene Verhältnisse anstatt einer klaren Regelung existierten. Damit entlastete sie sich von Auseinandersetzungen mit den christlichen Einwohnern in Orten, in denen Widerstand gegen Schutzaufnahmen zu erwarten war. Nicht anders als in den Jahrzehnten vorher verwendete die Regierung bei der Erteilung des Schutzes Normen wie ein ausreichendes Vermögen, die Abstammung von Schutzjuden, ein angemessenes Verhalten, besondere, meist nicht genau angegebene „Verdienste“, die Versorgung von Witwen und anderes mehr. Diese vielfältigen Begründungen für ihr Vorgehen führten allerdings in den letzten Jahrzehnten der Markgrafschaft zu Problemen. 1759 supplizierte Joseph Schmaule in Muggensturm im Amt Gernsbach wegen der Übertragung seines Schutzes auf seinen Sohn Elias (V.24). Er habe nur einen Sohn, so begründete er seine Bitte, und diesem eröffne sich eine Chance zu einer vorteilhaften Heirat, wenn er den Schutz bekäme.549 542 GLAK 61/309 HK 12.8.1771 Nr. 2291 und 19.8.1771 Nr. 2399. 543 GLAK 61/331 GRATP 21.8.1771 Kammerberichte. 544 Zur Aufnahme Joseph Michaels siehe S. 56. 545 Zu den Aufnahmen 1715 nach Durbach siehe S. 56. 546 GLAK 74/7271, „Commissions Protocollum“, 17., 18. und 19.12.1755. 547 Zum Vermögensdurchschnitt der markgräflichen Schutzjuden 1755 ohne die aus den Ämtern Mahlberg und Staufenberg siehe S. 365ff. 548 GLAK 61/177 HR 10.9.1748 Nr. 5. Zur Wiederaufnahme der Schutzaufnahmen im Oberamt Mahlberg siehe S. 105ff., Tabelle V, Schutzaufnahmen 1747 bis 1771, die Nummern V.1 und V.2. 549 GLAK 61/296 HK 10.1.1759 Nr. 11.

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Allerdings berichtete das Amt ungünstig über das Vermögen des Bewerbers: Er selbst besitze aus einer Erbschaft in Ettenheim 200 Gulden; seine Braut könne mit 300 Gulden Heiratsgut rechnen und sein Vater besitze nur 100 Gulden. Die Hofkammer berief sich bei ihrer Stellungnahme auf die „Judenordnung“: Elias Schmaule verfüge weder über die geforderten 1000 Gulden, noch über die Mittel zu einem Hausbau. Deshalb beantragte die Kammer, ihm den Schutz zu verweigern, es seien „ohnedem viel Betteljuden im Land.“550 Dieser Beschlussvorlage entsprachen Markgraf und Geheimer Rat.551 Als darauf Joseph Schmaule nochmals supplizierte,552 ging der Gernsbacher Vogt553 Karl Wilhelm Lassolaye ganz offen auf die bisherige Praxis der Schutzerteilung ein, um Joseph und Elias Schmaule zu helfen: Es sei „bishero noch niemahlen 1000 fl(orin) Vermögen zu einer aufnahm erfordert worden, auch erst voriges Jahr Gabriel Moyses von Hördten mit nur 300 fl(orin) Vermögen in Schutz genohmen worden.“554 Markgraf und Geheimer Rat reagierten: Wenn sich die Zahl der Juden in Muggensturm nicht erhöhe, solle Elias Schmaule den Schutz erhalten. Jetzt widersprach die Hofkammer: Mit der Aufnahme würde sich die Zahl der Haushalte erhöhen, und sie brachte nochmals vor, dass Vater und Sohn doch „Betteljuden“ seien.555 Aber eine Möglichkeit ließ sie offen: Zu klären sei, ob Elias Schmaule einen selbstständigen Handel führen wolle oder nicht. Dann nahm sie allerdings wieder, wie schon vorher, gegen den Bewerber Stellung. Dennoch, eine glatte Ablehnung unterblieb. Das Amt solle nochmals über das Vermögen der Braut Elias Schmaules berichten und den Vater anweisen, seinen Handel einzustellen.556 Dafür, drängte der Hofrat, solle Joseph Schmaule eine schriftliche Bestätigung vorlegen.557 Schließlich bewilligte der Markgraf Ende Mai 1759 die Schutzaufnahme.558 Ähnlich kontrovers verliefen die Schutzaufnahmen bei Lemmle Moyses (V.25) in Bühl und bei Salomon Israel (V.38) in Rastatt.559 Gerade die schlechte Vermögenssituation von Bewerbern wie den beiden Genannten war bedenklich, wurde dann aber doch vernachlässigt, aus Gründen, die nicht offengelegt wurden. 550 GLAK 61/296 HK 25.1.1759 Nr. 6 und GLAK 61/317 GRATP 31.1.1759 Kammerberichte Nr. 3. 551 GLAK 61/296 HK 9.2.1759 Nr. 5. 552 GLAK 61/317 GRATP 17.2.1759 Communicanda Nr. 5. 553 Hier: Titel des Beamten in Gernsbach, entsprechend zu Amtmann. 554 GLAK 61/317 GRATP 22.2.1759 Communicanda Nr. 5. 555 GLAK 61/296 HK 1.3.1759 Nr. 24. 556 GLAK 61/317 GRATP 10.3.1759 Kammerberichte Nr. 1 und GLAK 61/317 GRATP 28.4.1759 Kammerberichte Nr. 1. 557 GLAK 61/296 HK 5.5.1759 Nr. 6 558 GLAK 61/296 HK 29.5.1759 Nr. 7. 559 Zu den Aufnahmen von Lemmle Moyses und Salomon Israel siehe S. 619f.

126 

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Die Schutzaufnahmen in der Markgrafschaft

In der Auseinandersetzung über die Aufnahme von Elias Schmaule zeigte sich ein verändertes Bewusstsein: Der Widerspruch zwischen der Norm der „Judenordnung“ und der bisherigen Praxis wurde innerhalb der Verwaltung nicht mehr fraglos akzeptiert. Die Regierung – so viel dürfte den Beteiligten auch vorher klar gewesen sein – verwendete die Kriterien für die Schutzerteilung, vor allem das Vermögen, keineswegs konsequent. Jetzt wurde die Praxis gegen die Rechtsnorm der „Judenordnung“ ausgespielt, zumindest durch den Oberamtmann Leopold Wilhelm Lassolaye und durch die Regierungsmitglieder, die seiner Argumentation folgten. Die Einsicht in die Widersprüchlichkeit bei den Schutzerteilungen allgemein und in der Vermögensfrage insbesondere scheint zugenommen zu haben. Das hängt vielleicht mit einer verstärkten Wahrnehmung auch von Juden als „Landeskinder“ zusammen. Sie offenbarte sich bei dem Bühler Amtmann Johann Jacob Hoffman 1743 so, als er sich gegen einen künftigen Schwiegersohn von Lemmle Löwel (VI.4) aussprach: Es gebe noch drei oder vier erwachsene Söhne von Juden in Bühl, die Vorrang hätten: Ihnen sei „als einheimischen ehender dann [eher als] fremden mittellosen Judten der Schutz zu erteilen.“560 Hier wie bei den Expektanzen, den Zusagen einer Aufnahme für die Zukunft,561 scheint die Rigorosität in der Ablehnungen von Schutzerteilungen abgenommen zu haben, und die individuelle Entscheidung im Einzelfall war wohl wichtiger geworden. Das muss nicht heißen, dass es der Regierung in erster Linie um das Wohl des einzelnen Juden ging. Wenn sie wie bei Löw Jacob bei seiner Bewerbung um den Schutz für Durbach die Konkurrenz unter den jüdischen Händlern am Ort verhindern wollte,562 sah sie nicht nur deren Ruin als Gefahr. Gerade in der Grenzlage, und diese existierte in der kleinen Markgrafschaft oft, bedrohte der Handel von außerhalb die kameralistisch-finanziellen Interessen des Landes. Bevor beim Handel das Geld der Untertanen in die Gebiete jenseits der Grenze ging, sollte lieber ein einheimischer jüdischer Händler seine Geschäfte machen und so das Geld in der Markgrafschaft bleiben.

560 GLAK 61/47 GR 2.1.1743 Nr. 29. 561 Zu den Expektanzen siehe S. 620ff. 562 Zur Ablehnung der Schutzaufnahme für Löw Jacob in Durbach siehe S. 128 und S. 134f.

Gescheiterte Schutzaufnahmen 

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3.9  Gescheiterte Schutzaufnahmen 3.9.1  Das Vorgehen der Petenten und ihr Scheitern Erfolglose Bewerbungen, wie sie die folgende Tabelle VI, Gescheiterte Schutzaufnahmen, enthält, wurden erst in der Zeit Markgraf Ludwig Georgs in die Protokolle der Hofgremien eingetragen, wohl die Folge einer genaueren Führung der Protokolle. Die Einträge über diese Bewerbungen, die endgültig scheiterten563 oder auf einen längeren Zeitraum nur vorläufig,564 ermöglichen wie die erfolgreichen Aufnahmen Rückschlüsse auf die Verhaltensmuster und Motive, die dem Vorgehen der Beteiligten zugrunde lagen. 565,566 Tabelle VI:  Gescheiterte Schutzaufnahmen Nummer der abgelehnten Schutzaufnahme/ geplanter Schutzort

Jahr der Ablehnung

a. Name des Bewerbers, Angaben zur Person (Verwandtschaft, Herkunfts- oder Wohnort, Herrschaftsgebiet u. ä.) b. Name und Wohnort des/der Supplizierenden, wenn nicht identisch mit dem Schutzbewerber c. Voraussetzungen der Schutzaufnahme d. Begründungen für die Ablehnung

VI.1 Ettlingen

1735/ 1737

a. Feist Herz, Ettlingen, zweiter Sohn von b. Herz Jost, Ettlingen c. gutes Verhalten des Vaters in Ettlingen als Sohn eines Schutzjuden geboren „schönes vermögen“ und Interesse der Regierung an wohlhabenden Juden keine Vermehrung der Haushaltungen in Ettlingen über die traditionelle Zahl565 d. Beschluss des Markgrafen von 1730, keinen Schutz nach Ettlingen zu bewilligen auf erneute Supplik aus „bewägenden Gründen“ Möglichkeit einer neuen Bewerbung nach dem Tod des Vaters566

563 Zum Beispiel die Nummern VII.11 und VII.16. 564 Zuletzt die Nummern VII.14, VII.15, VII.18, VII.19. 565 GLAK 61/274 HK 8.7.1737. Zum ersten Versuch wegen der Schutzaufnahme des Sohnes von Herz Jost siehe GLAK 61/HR 164 16.8.1735 Nr. 15. 566 GLAK 61/31 GR 13.7.1737 Nr. 35.

128 

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Die Schutzaufnahmen in der Markgrafschaft

Nummer der abgelehnten Schutzaufnahme/ geplanter Schutzort

Jahr der Ablehnung

a. Name des Bewerbers, Angaben zur Person (Verwandtschaft, Herkunfts- oder Wohnort, Herrschaftsgebiet u. ä.) b. Name und Wohnort des/der Supplizierenden, wenn nicht identisch mit dem Schutzbewerber c. Voraussetzungen der Schutzaufnahme d. Begründungen für die Ablehnung

VI.2 Durbach später Nesselried

1736/ 1738

VI.3 Kippenheim

1742

VI.4 Bühl

1743

VI.5

1744

a. Löw Jacob, Durbach, Knecht bei Löw Wertheimer und Hayum Moyses Bodenheimer, Sohn von b. Jacob Faist, Kuppenheim c. Aufnahme in den Handel von Löw Wertheimer und Hayum Moyses Bodenheimer567 d. falsche Angaben von Löw Jacob wirtschaftliche Belastung der beiden Durbacher Juden568 zu viele Juden im Amt Gefahr für Weide und Vieh der Christen569 a. Marx Weil, Kippenheim, zweiter Sohn von Lazarus Weil b. Lazarus Weil, Kippenheim c. – d. Vermehrung der Haushaltungen Weigerung von Lazarus Weil, seinen eigenen Handel aufzugeben570 a. künftiger Schwiegersohn von b. Lemmle Löwel, Bühl571 c. ungefähr 300 G572 d. zu viele Haushaltungen im Amt zu geringes Vermögen bis zu 4 in Bühl geborene mögliche Bewerber; Schutz besser den „einheimischen ehender dann fremden mittellosen Judten“573 a. Löw Lazarus, Friesenheim, Sohn von b. Lazarus Kallmann574 c. – d. bereits ältester Sohn im Schutz keine freie Stelle575

567 GLAK 61/273 HK 22.3.1736. 568 GLAK 61/29 GR 29.3.1736 Nr. 25. 569 GLAK 61/275 HK 17.5.1738. 570 GLAK 61/44 GR 4.4.1742 Nr. 26. 571 GLAK 61/47 GR 2.1.1743 Nr. 29. 572 Ebd. 573 Ebd. 574 GLAK 61/50 GR 21.1.1744 Nr. 16. 575 GLAK 61/50 GR 26.2.1744 Nr. 31.

Gescheiterte Schutzaufnahmen 

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Nummer der abgelehnten Schutzaufnahme/ geplanter Schutzort

Jahr der Ablehnung

a. Name des Bewerbers, Angaben zur Person (Verwandtschaft, Herkunfts- oder Wohnort, Herrschaftsgebiet u. ä.) b. Name und Wohnort des/der Supplizierenden, wenn nicht identisch mit dem Schutzbewerber c. Voraussetzungen der Schutzaufnahme d. Begründungen für die Ablehnung

VI.6 Kuppenheim

1744

VI.7 Kuppen heim

1744

a. b. c. d. a. b. c. d.

Bischweier oder Muggensturm (vorübergehend) VI.8 Malsch

1745

VI.9 Kuppenheim

1754

a. b. c. d. a. b. c. d.

Löwel, Sohn von Witwe Lewin – bereits ein Sohn im Schutz576 Simon Jonas, Kuppenheim, Sohn von Jonas, Kuppenheim (ausgewiesen) – – bereits ein Bruder oder Sohn des ausgewiesenen Jonas im Schutz577 auf Bitte um Zusage einer „Anwartschaft“ bei einer freien Stelle erneute Ablehnung ohne Begründung578 auf Bitte um vorübergehenden Schutz in Bischweier oder Muggensturm erneute Ablehnung ohne Begründung579 Isaac, Sohn von Abraham, Malsch580 Abraham, Malsch581 – „Eliminierung der Juden“582 David Jacob, ältester Sohn des gestorbenen Jäckel, Kuppenheim583 – – keine freie Stelle „Beschwernus“ für die Einwohner Möglichkeit zur erneuten Bewerbung bei einer freien Stelle584

576 Ebd. 577 GLAK 61/50 GR 22.4.1744 Nr. 32. 578 GLAK 61/51 GR 23.7.1744 Nr. 26. 579 GLAK 61/52 GR 24.11.1744 Nr. 28. 580 GLAK 61/174 HR 5.2.1745 Nr. 2. 581 Ebd. 582 GLAK 61/174 HR 18.2.1745 Nr. 13. 550 GLAK 61/311 GRATP 19.1.1754 Communicanda Nr. 1. 584 GLAK 61/311 GRATP 16.2.1754 Communia Nr. 4.

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Die Schutzaufnahmen in der Markgrafschaft

Nummer der abgelehnten Schutzaufnahme/ geplanter Schutzort

Jahr der Ablehnung

VI.10 Rastatt

1754

VI.11 ohne Ortsangabe

1756

VI.12 Malsch

1762/ 1763

VI.13 Durbach

1766

VI.14 Friesenheim

1766

585 586 587 588

a. Name des Bewerbers, Angaben zur Person (Verwandtschaft, Herkunfts- oder Wohnort, Herrschaftsgebiet u. ä.) b. Name und Wohnort des/der Supplizierenden, wenn nicht identisch mit dem Schutzbewerber c. Voraussetzungen der Schutzaufnahme d. Begründungen für die Ablehnung a. Manus Löb Model, „Handlanger“ von Hoffaktor Salomon Meyer, Karlsruhe585 b. – c. – d. keine freie Stelle Möglichkeit zur erneuten Bewerbung bei einer freien Stelle586 a. Sarah Schweitzer, Nichte des ehemaligen Judenoberschultheißen Samson Schweitzer b. Samson Schweitzer, Baden-Baden, für sein verwaistes „Bruderkind“587 c. – d. „ein ungewöhnlich- und ungereimtes begehren“588 a. Joseph Moyses, Malsch b. – c. „gute Aufführung“589 d. keine Begründung590 a. Hirschel Bodenheimer, Durbach, ältester Sohn der b. Witwe von Hayum Moyses Bodenheimer c. – d. ohne Begründung591 a. Sohn von Meyer Lazarus, Friesenheim b. Meyer Lazarus c. – d. wegen eines „zur Zeit noch geringen Vermögens“ Möglichkeit zur neuen Bewerbung nach dem Tod seines Vaters592

GLAK 61/311 GRATP 28.6.1754 Communicanda Nr. 3. Ebd. GLAK 61/293 GRATP 17.9.1756 Nr. 20. GLAK 61/314 GRATP 25.9.1756 Kammerberichte Nr. 1 und GLAK 61/293 HK 8.10.1756 Nr. 4. 589 GLAK 61/299 HK 1.9.1762 Nr. 6. 590 GLAK 61/321 GRATP 18.5.1763 Communicanda Nr. 5, Bl. 279v. 591 GLAK 61/324 GRATP 1766 5.4.1766 Communia Nr. 5. 592 GLAK 61/325 GRATP 21.10.1766 Communia Nr. 423.

Gescheiterte Schutzaufnahmen  Nummer der abgelehnten Schutzaufnahme/ geplanter Schutzort

Jahr der Ablehnung

VI.15 Hörden

1766/ 1768

VI.16 Beinheim

1768

VI.17 Kuppenheim

1766/ 1768

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a. Name des Bewerbers, Angaben zur Person (Verwandtschaft, Herkunfts- oder Wohnort, Herrschaftsgebiet u. ä.) b. Name und Wohnort des/der Supplizierenden, wenn nicht identisch mit dem Schutzbewerber c. Voraussetzungen der Schutzaufnahme d. Begründungen für die Ablehnung a. Nathan Moyses, Hörden, Sohn bzw. Bruder eines Schutzjuden b. Jacob Picker593 und die Braut oder Frau Beylin594 c. – d. wegen der Zahl in Hörden595 auf erneute Supplik ohne Begründung Möglichkeit der Aufnahme, wenn sein Bruder den Schutz aufgebe596 auf wiederholte Bitte ohne Begründung „ein für allemal ab“597 a. Israel Löw, Bergzabern, Hzgt. Pfalz-Zweibrücken598 b. – c. – d. ohne Begründung599 a. David Nathan, Diedelsheim, Amt Bretten (Kurpfalz), künftiger Schwiegersohn von b. Joseph Schweitzer,600 Kuppenheim,601 dann die Braut Judith Joseph602 c. Vermögensangabe: 400 G603 d. keine freie Stelle vermögen von 400 G noch nicht beigebracht604 auf erneute Supplik Berufung auf vorhergehende Ablehnung von „Betteljude(n)“, „keine neue oder dringende“ Gründe für den Schutz605

593 GLAK 61/325 GRATP. 13.12.1766 Kammerberichte Nr. 578. 594 GLAK 61/326 GRATP 7.10.1767 Communia Nr. 905. 595 GLAK 61/325 GRATP 13.12.1766 Kammerberichte Nr. 578. 596 GLAK 61/326 GRATP 9.9.1767 Communia Nr. 809. 597 GLAK 61/327 GRATP 17.3.1768 Communia Nr. 299. 598 GLAK 61/327 GRATP 2.3.1768 Communicanda Nr. 241. 599 GLAK 61/327 GRATP 16.4.1768 Communia. 600 Namensvariante: Joseph Jonas. 601 GLAK 61/325 GRATP 20.8.1766 Communia Nr. 265. 602 GLAK 61/325 GRATP 6.11.1766 Communia Nr. 448. 603 GLAK 61/325 GRATP 20.8.1766 Communia Nr. 265. 604 Ebd. 605 GLAK 61/325 GRATP 6.11.1766 Communia Nr. 448.

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Die Schutzaufnahmen in der Markgrafschaft

Nummer der abgelehnten Schutzaufnahme/ geplanter Schutzort

Jahr der Ablehnung

VI.18 Bühl, später Kuppenheim

1768/ 1769

VI.19 Stollhofen Affental (heute Bühl) später Stollhofen

1768/ 1771

a. Name des Bewerbers, Angaben zur Person (Verwandtschaft, Herkunfts- oder Wohnort, Herrschaftsgebiet u. ä.) b. Name und Wohnort des/der Supplizierenden, wenn nicht identisch mit dem Schutzbewerber c. Voraussetzungen der Schutzaufnahme d. Begründungen für die Ablehnung a. Samuel Herz, Bühl, zweiter Sohn606, von b. Herz Samuel,607 dann gemeinsame Supplik von Herz Samuel und Salomon Schweitzer, Kuppenheim608 c. – d. bereits ein Sohn im Schutz609 Unklarheit über freie Stelle610 Bedenken wegen der Nachteile für die Rastatter Kaufleute und einer möglichen Beschwerde der Tuchhändler611 a. Aron Löw, Sohn von Löw Jacob, Affental b. – c. – d. ohne Begründung612 auf wiederholte Supplik Bedenken wegen der Zahl der Juden in Stollhofen und des Handels von Aron Löw613 auf nochmalige Supplik ohne Begründung614

, , , , , , , , , , ,

567 568 569 570 571 572 573 574 575 576 577 578

Bei den gescheiterten Schutzaufnahmen lassen sich Supplikanten erkennen, die ihre Eingabe in kurzem oder längerem Abstand wiederholten; sechs Mal supplizierte Nathan Moyses (VI.15), fast ebenso oft supplizierten Joseph Schweitzer bzw. seine Tochter Judith für David Nathan (VI.17).615 Oft ging es um die Aufnahme eines zweiten Sohnes eines Schutzjuden616 und oft erfolgte das Gesuch um Aufnahme bei einem, aus der Sicht der Regierung, zu geringem Vermögen617 oder 606 GLAK 61/328 GRATP 9.8.1769 Communia. 607 GLAK 61/328 GRATP 1.8.1769 Communicanda. 608 GLAK 61/328 GRATP 9.8.1769 Communia. 609 GLAK 61/327 GRATP 16.7.1768 Communia. 610 GLAK 61/328 GRATP 1.8.1769 Communicanda. 611 GLAK 61/307 HK 11.9.1769 Nr. 2569. 612 GLAK 61/327 GRATP 24.2.1768 Kammerberichte Nr. 191 und GLAK 61/306 HK 29.2.1768 Nr. 645. Affental war wie Müllenbach ein Teil von Eisental, heute zu Bühl gehörend. 613 GLAK 61/328 GRATP 22.2.1769 Communia . und 2.9.1769 Communia. 614 GLAK 61/330 GRATP 19.1.1771 Communicanda. 615 Nathan Moyses: 7 Suppliken, David Nathan: 6 Suppliken. 616 Siehe dazu S. 127ff., Tabelle VI, die Nummern VI.1, VI.3, VI.5, VI.6, VI.15 und VI.18. 617 Ebd., die Nummern VI.4, VI.14 und VI.19.

Gescheiterte Schutzaufnahmen 

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bei einer, für Regierung und Bevölkerung, zu hohen Zahl von Schutzjuden an einem Ort.618 Die Bittsteller erhofften hier trotz einer ungünstigen Ausgangssituation, zum Teil mit Erfolg, die Aufnahme.619 Die Wiederholungsstrategie überschnitt sich mit anderen Vorgehensweisen. Bei David Nathan (VI.17) wechselten sich der künftige Schwiegervater bzw. die Braut mit ihren Gesuchen ab. Herz Samuel versuchte nach seinem ersten Scheitern die Chancen für seinen Sohn (VI.18) zu erhöhen, indem er um einen anderen Ort als Schutzort bat und die neue Bittschrift gemeinsam mit dem künftigen Schwiegervater seines Sohnes einreichte. Den Wechsel des angestrebten Schutzortes praktizierte auch Aron Löw (VI.19). Nathan Moyses (VI.15) verband seine Supplik mit der Unterstützung des Hagenauer Pferdehändlers Jacob Picker, nach der Fürsprache des Hoffaktors Salomon Meyer für Feist Jacob von Kuppenheim (VI.3)620 das zweite Mal, dass ein landesfremder Jude bei einer Schutzaufnahme intervenierte. Die Begründung für die Ablehnung einer Schutzbewerbung ist in vier Fällen nicht ausgesprochen.621 Acht Mal ist die zu hohe Zahl von Schutzjuden angegeben,622 sieben Mal der Umstand, dass bereits ein Bruder des eigentlichen Bewerbers den Schutz hatte.623 Vier Mal ist ein zu geringes Vermögen als Grund genannt.624 Da die Begründung mit der Anzahl der Schutzjuden und der Hinweis auf einen Bruder, der bereits im Schutz war, einander entsprechen, ist ein eindeutiger Schwerpunkt bei den Begründungen erkennbar. Die Regierung verblieb bei der Haltung, die auch in der Bevölkerung weit verbreitet war, dass nämlich die Vermehrung jüdischer Familien verhindert werden müsse. Das verweist auf die eigentliche Vorstellung, die den Ablehnungen zugrunde lag: Die Anwesenheit von Juden war schädlich und eine Belastung für die christliche Bevölkerung, was ausdrücklich nur in zwei Fällen angeführt wurde.625 Die Ablehnung fremder Juden626 lässt sich mit einer Einstellung erklären, wie sie der Bühler Amtmann Johann Jacob Hoffmann äußerte. Gegen den Schutz für den künftigen Schwiegersohn (VI.4) von Lemmle Löwel sprach er sich 1743 so aus: „ohnehin [sei] das Amt Bühl mit judten familien überhäufet“; das Vermögen

618 Ebd., die Nummern VI.1, VI.2, VI.3 VI.4, VI.5, VI.9, VI.10, VI.15 und VI.19. 619 Erfolgreiche Bewerbungen siehe S. 105ff., Tabelle V, die Nummern V.5, V.15 und V.21. 620 Zur Supplik von Salomon Meyer für Feist Jacob siehe S. 139f. 621 Siehe dazu S. 127ff., Tabelle VI, die Nummern VI.12, VI.13, VI.16 und VI.19. 622 Ebd., die Nummern VI.2, VI.3, VI.4, VI.6, VI.10, VI.15, VI.17, VI.18 und VI.19. 623 Ebd., die Nummern VI.1, VI.3, VI.5, VI.6, VI.7, VI.15 und VI.18. 624 Ebd., die Nummern VI.4, VI.14, VI.17 und VI.18. 625 Ebd., die Nummern VI.2 und VI.9. 626 Ebd., die Nummern VI.4, VI.10 und VI.16.

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Die Schutzaufnahmen in der Markgrafschaft

des Bewerbers könne auch nicht mehr als 300 Gulden betragen, da er als Knecht gearbeitet habe. Schließlich verwies er auf die Söhne von Juden in Bühl, die Vorrang vor fremden Juden hätten.“627 Möglicherweise enthält die Verhaltensweise der Petenten mit der Wiederholung ihrer Suppliken und deren Variation die Annahme, dass die Begründungen der Regierung an Schlagkraft verloren hatten. Jedenfalls akzeptierten die Supplikanten die vorgebrachten Begründungen nicht ohne Weiteres und wehrten sich gegen die traditionelle Vorstellung, eine Last für die nichtjüdische Bevölkerung zu sein. 3.9.2  Einzelne gescheiterte Schutzbewerbungen Löw Jacob – innerjüdische Konkurrenz

Der Kuppenheimer Schutzjude Jacob Feist erbat im März 1736 für seinen ältesten Sohn Löw Jacob (VI.2) den Schutz nach Durbach. Dieser hielt sich dort als Knecht bei Löw Wertheimer und dessen Schwiegersohn Hayum Moyses Bodenheimer auf. Er würde, so sein vager Hinweis, in die „Handlungscompagnie“, das gemeinsame Handelsgeschäft der beiden Durbacher Schutzjuden eintreten. Die Hofkammer befürwortete dieses Gesuch.628 Noch im März supplizierten die zwei Durbacher Juden gegen die Aufnahme ihres Knechts: Sie würde zu ihrem Ruin führen. Löw Jacob habe zudem „nichts in vermögen, und [sei] ein armer bettler.“ Der Staufenberger Amtmann nahm entschieden Partei: Die Darstellung der beiden Schutzjuden treffe zu, während der Bewerber „mit lauther unwahrheith berichtet, sich also nicht würdig gemachet, diese gnad [der Schutzaufnahme] zu Erhalten.“ Für Löw Wertheimer und Hayum Moyses Bodenheimer spreche auch, dass ihnen die Kriegsjahre 1734/35 schwere Einbußen gebracht hätten; einer von ihnen habe sogar sein Haus durch einen Brand verloren. So scheiterte Löw Jacob.629 Er bat zwei Jahre später um die Aufnahme nach Nesselried im Amt Staufenberg, einem Nachbarort von Durbach.630 Trotz einer Befürwortung des Amtes631 lehnte Markgraf Ludwig Georg die Schutzerteilung ab. Er wolle [im Amt Staufenberg, zu dem Durbach und Nesselried gehörten] die „dasigen Unterthanen mit Juden nicht übersetzen“, zumal diese mit ihrem Vieh die örtliche Weide überlasten würden, außerdem Seuchen ausbreiten könnten. Nochmals folgte der Hinweis, dass die zwei Durbacher Juden nicht neue Schwierigkeiten bekommen 627 GLAK 61/47 GR 2.1.1743 Nr. 29. 628 GLAK 61/273 HK 22.3.1736. 629 GLAK 61/29 GR 29.3.1736 Nr. 25. 630 GLAK 61/33 GR 29.3.1738 Nr. 7. 631 GLAK 61/33 GR 10.5.1738 Nr. 4.

Gescheiterte Schutzaufnahmen 

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135

dürften: Mit ihrem geringfügigen Handel hätten sie Mühe, ihr Schutzgeld aufzubringen.632 Löw Jacob (VI.2) von Kuppenheim wurde von den beiden Durbacher Schutzjuden als arm, sogar als ein Betteljude dargestellt. Trifft diese Einschätzung zu, war Löw Jacob einen Weg für Juden ohne Vermögen gegangen: Er verdingte sich als „Knecht“. Sein für ihn supplizierender Vater Jacob Feist machte offensichtlich keine genaue Angabe zum Vermögen seines Sohnes. Vielmehr betonte er dessen Aussichten für die Zukunft und sein gutes Auskommen mit Löw Wertheimer und dessen Schwiegersohn, deren Teilhaber sein Sohn werden würde. In aller Deutlichkeit gingen jedoch die beiden Durbacher Schutzjuden gegen einen Konkurrenten vor. Als seine Bewerbung scheiterte, schlug Löw Jacob in der nächsten Supplik einen anderen Schutzort im Amt Durbach vor; er betonte so die räumliche Distanz zu den beiden dortigen Schutzjuden, suchte aber auch die Nähe zu seinem bisherigen Tätigkeitsort, wohl auch um bisherige Geschäftskontakte zu bewahren. Feist Herz

Raphael Jacob, damals noch überwiegend Vohla genannt, supplizierte 1735 wegen der Übertragung seines Schutzes von Rastatt nach Ettlingen. Dagegen wehrten sich die dortigen Krämer in einem Memorial; sie forderten ein Ende der Aufnahmen nach Ettlingen überhaupt. In einer weiteren Supplik bat auch Herz Jost in Ettlingen, die Schutzübertragung abzulehnen und gleichzeitig um die Aufnahme seines eigenen Sohnes Feist Herz (VI.1). Die Kammer sprach sich gegen beide Supplikanten aus: Nur das entspreche dem Entschluss des Markgrafen von 1730, nach Ettlingen keine Juden mehr aufzunehmen.633 Die Ablehnung durch den Markgrafen und den Geheimen Rat folgte.634 Anfang Juli 1737 erneuerte Herz Jost seine Supplik für Feist Herz, der dabei als „mittlerer Sohn“ bezeichnet wurde.635 Die Kammer ging zunächst auf das Verhalten von Herz Jost ein. Er habe sich „mit den Seinigen bisherhin ruhig, wohl und ohne Klag aufgeführt, mithin [sei] solches ebenmäßig von dessen Sohn anzuhoffen.“ Dieser sei auch „ein in Ettlingen von einem Schutzverwandten Juden erzeugter, einheimbischer Jud.“ Zudem ergebe sich „durch Seine vorhabende verehelichung ein schönes vermögen“, und es sei doch so, dass die Regierung „Jederzeit auf bemittelte Schutz oder Schirmbsjuden mehreres zu reflectiren [interessiert zu sein] pflege.“ Deren Anzahl in Ettlingen stelle kein Problem dar – dort hätten früher sechs Familien gelebt und mit einer neuen Aufnahme steige jetzt ihre Zahl nur auf drei Haushaltungen. Aus diesen Gründen befürwortete die Kammer den 632 GLAK 61/275 HK 17.5.1738. 633 GLAK 61/272 HK 8.7.1735. 634 GLAK 61/164 HR 7.9.1735. Nr. 8. 635 GLAK 61/31 GR 3.7.1737 Nr. 23.

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Die Schutzaufnahmen in der Markgrafschaft

Schutz für Feist Herz; sie schlug wegen seines Vermögens eine Aufnahmegebühr von 30 Gulden statt der üblichen 20 Gulden vor und als Schutzgeld 20 Gulden.636 Der Geheime Rat protokollierte die für ihn entscheidenden Aspekte: Die Zahl der Schutzjuden überschreite mit Feist Herz nicht die Norm und ein erhöhtes Aufnahmegeld könne erhoben werden. Dann nahm er die Bedingung des Hofrats für die Schutzerteilung zu Protokoll: Nach dem Tod von Herz Jost dürfe weder einer seiner anderen Söhne noch ein „fremder Jude“ in Ettlingen aufgenommen werden. Zunächst hielt der Geheime Rat auch fest, Feist Herz oder Feist Jost müsste 100 Dukaten zahlen. Diesen Eintrag jedoch ließ der Rat streichen. Ohne weitere Erklärung folgte die Ablehnung aus „bewägenden Ursachen“ – jedoch wieder mit einem Entgegenkommen: Beim Tod seines Vaters könne Feist Herz um die Aufnahme bitten.637 David Nathan

David Nathan (VI.17) stammte aus dem kurpfälzischen Diedelsheim bei Bretten.638 Wegen seiner Aufnahme supplizierte Joseph Schweitzer, ein Schutzjude in Kuppenheim; David Nathan war der Bräutigam seiner Tochter Judith. Das Oberamt Rastatt legte dem Geheimen Rat zwei Möglichkeiten dar: Das Gesuch jetzt zu bewilligen oder abzuwarten, bis eine Schutzstelle frei werde und David Nathan auch wirklich sein Vermögen von 400 Gulden ins Land bringe. Der Geheime Rat lehnte jedoch die Schutzerteilung ab.639 Von Oktober bis Dezember 1766 supplizierten Joseph Schweitzer und seine Tochter Judith Joseph mindestens dreimal im Wechsel.640 Das Amt äußerte auf die Intervention der Tochter Skepsis: Bereits das Gesuch des Vaters sei ja abgelehnt worden und „neue oder dringende Bewegursachen“ bringe auch sie nicht vor.641 „Ein für allemal abzuschlagen“, beschloss der Geheime Rat am Ende des Jahres.642 Aber die „Jüdin Judith“ bat 1767 „wiederholter um sich an David Nathan von Bretten verehelichen zu dürfen.“ Sie „Hette sich, insobald das dorflein wieder angelegt seyn, wieder zu melden, u(nd) könnte S(erimissi)mus geschehen laßen, das er heurate, jedoch soll Sie sich alsdan in ihres Manns heymat zu verfügen“,643 636 GLAK 61/274 HK 8.7.1737. 637 GLAK 61/31 GR 13.7.1737 Nr. 35. 638 GLAK 61/325 GRATP 13.12.1766 Communia Nr. 579. 639 GLAK 61/325 GRATP 20.8.1766 Communia Nr. 234. 640 GRATP 61/325 GRATP 20.8.1766 Communia Nr. 234 (Joseph Schweitzer), 6.11.1766 Communia Nr. 448 (Judith Schweitzer) und 13.12.1744 Communia Nr. 579 (Joseph Schweitzer). 641 GLAK 61/325 GRATP 6.11.1766 Communia Nr. 448. 642 GLAK GRATP 13.12.1766 Communia Nr. 579. 643 GLAK 61/326 GRATP 24.12.1767 Communicanda Nr. 1268.

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antwortete der Geheime Rat. Im Satzbau eigenwillig, im Inhalt nicht alles klärend macht der Eintrag dennoch die Haltung des Geheimen Rats deutlich. Wenn das Kollegium von David Nathan mit „er“ sprach, der heiraten könne, dann ging es davon aus, dass Nathan neben Judith Schweitzer der Bittsteller war. Er könne heiraten, dann aber soll „sie“, die Braut oder Ehefrau, die Markgrafschaft verlassen und mit ihrem Mann in das kurpfälzische Diedelsheim [wohl „das dorflein“] ziehen, woher ihr Mann stammte. Die letzte Bittschrift Judith Josephs lag im Februar 1768 vor; auch sie schlug fehl.644 Während die Bittschriften von Schutzjudenwitwen für ihre Söhne (VI.6 und VI.13) der Tradition entsprachen, übernahmen Schutzjudentöchter eine neue Rolle. In zeitlicher Nähe zueinander gingen Beylin,645 die Braut oder Frau von Nathan Moyses (VI.15), und Judith Schweitzer (VI.17) vor, um die Annahme ihres Bräutigams oder Mannes zu unterstützen, sei es als Mitsupplikantin oder selbstständig wie Judith Schweitzer. Samson Schweitzer für seine Nichte Sarah

Im Jahr 1756 reichte Samson Schweitzer, zu dieser Zeit nicht mehr Judenoberschultheiß,646 eine Bittschrift ein. Ihm ging es um den Schutz für seine Nichte Sarah (VI.11), eine Waise, die er als seine Tochter angenommen hatte.647 Die Hofkammer äußerte sich befremdet. Sie bezeichnete die Bitte Schweitzers „als ein ungewöhnlich- und ungereimtes begehren“,648 und die Ablehnung erfolgte ohne Verzug.649 Der ehemalige Judenschultheiß hatte aber möglicherweise eine Veränderung in der Sicht jüdischer Frauen wahrgenommen, auf die er reagierte – diese Veränderung wurde auch bei den Bewerbungen deutlich, bei denen die Argumentation auf die Heirats- und Lebenschance von Schutzjudentöchtern zielte.650 Im ersten Jahrzehnt der vereinigten Markgrafschaft führte Abraham Isaac von Bühl diese Entwicklung konsequent weiter: Er bat 1772 um den Schutz für seine Tochter Esther; Bezug auf eine Heirat nahm er dabei nicht. Die Regierung in Karlsruhe forderte ohne jede weitere Reaktion einen Bericht der Gemeinde Bühl und des dortigen Amtes an.651 Vor diesem Hintergrund lässt sich – mit der Supplik Samson Schweitzers – in der Markgrafschaft Baden-Baden schon früh eine neue Vorstellung

644 GLAK 61/327 GRATP 18.2.1768 Communia Nr. 186. 645 Zur Supplik von Beylin für Nathan Moyses siehe S. 138f. 646 Zur Absetzung von Samson Schweitzer als Oberschultheiß siehe S. 443ff. 647 GLAK 61/314 GRATP 13.9.1756 Communicanda Nr. 2. 648 GLAK 61/314 GRATP 25.9.1756 Kammerberichte Nr. 1. 649 GLAK 61/293 HK 17.9.1756 Nr. 20 und GLAK 61/293 HK 8.10.1756 Nr. 4. 650 Zur Intervention von Judith Schweitzer siehe oben, zu der von Beylin siehe S. 138. 651 GLAK 61/1938 HR 7.3.1772 Nr. 1453.

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erkennen: Jüdinnen, Töchter von Schutzjuden, wurden als berechtigt angesehen, den Schutz zu beanspruchen. Für die Markgrafschaft Baden-Durlach, zumindest für ihre südlichen Teile, lässt sich Ähnliches – für 1786 – nachweisen.652 Nathan Moyses

Im Sommer 1766 hatte Nathan Moyses (VII.15) aus Hörden, wohl zum zweiten Mal, eine Supplik eingereicht, unterstützt von einem für ihn günstigen Amtsbericht. Der Markgraf sei dagegen, die Zahl der Schutzstellen zu erhöhen, ließ der Geheime Rat protokollieren.653 Danach ging Nathan Moyses im November 1766 anders vor: Er ließ sich mit einer Bittschrift von Jacob Picker654 aus Hagenau (Bas-Rhin) unterstützen, der mit seinem Pferdehandel in Verbindung zum Rastatter Hof stand.655 Gegen das Votum der Kammer beharrte der Geheime Rat auf der Ablehnung – wieder wegen der Zahl der Schutzjuden.656 Als im Dezember erneut über eine Supplik Jacob Pickers beraten wurde, verzeichnete der Geheime Rat weitere Einzelheiten: Jacob Picker setze sich für seinen „Vetter“ Nathan ein; dieser wolle seine „Baaß“ aus Ettlingen heiraten. „Ein für allemahl abzuschlagen“,657 entschied der Rat. Auf die nächste Supplik von Nathan Moyses zeigte die Regierung im September 1767 Entgegenkommen: Wenn sein Bruder den Schutz aufgebe, „So Seye S(erenissi)mus ihne aufzunehmen nit abgeneigt.“658 Damit gab sich Nathan Moyses wohl nicht zufrieden; eine Supplik, die er zusammen mit der „Jüdin Beylin“, wohl seiner Braut oder Frau, vorgelegt hatte, lehnte die Regierung nochmals „ein für allemal“ ab.659 Im März 1768 schlug eine weitere Supplik fehl.660 Das Amt Gernsbach berichtete im Juli des Jahres, in Hörden sei ein jüdischer Haushalt „in Erledigung gekommen“; deshalb frage es an, ob jetzt nicht doch Nathan Moyses den Schutz erhalten könne. Auch so ließ sich der Geheime Rat nicht umstimmen.661 Samuel Herz

Die zunächst gescheiterte Schutzbewerbung von Samuel Herz (VI.18) kennzeichnen Flexibilität und ökonomische Fundierung. Sein Vater wechselte bei 652 Holenstein, Bitten um den Schutz, in: Kießling und Ullmann (Hg.), Landjuden, S. 146f. und S. 113, Anm. 56. 653 GLAK 61/325 GRATP. 30.8.1766 Communia Nr. 265. 654 Namensvarianten: Igger, Bücker und Bickerd. 655 GLAK 61/305 HK 2.1.1767 Nr. 33. 656 GLAK 61/325 GRAP 13.12.1766 Kammerberichte Nr. 578. 657 GLAK 61/325 GRATP 20.12.1766 Communia Nr. 608. 658 GLAK 61/326 GRATP 9.9.1767 Communia Nr. 809. 659 GLAK 61/326 GRATP 7.10.1767 Communia Nr. 905. 660 GLAK 61/327 GRATP 17.3.1768 Communia Nr. 299. 661 GLAK 61/328 GRATP 1.7.1769 Communia.

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dem nachgesuchten Schutzort für seinen Sohn von Bühl nach Kuppenheim. Das verband er mit einer Akzentuierung, als er dessen Gewerbe angab: Es bestehe nicht nur aus dem bei vielen Juden üblichen Handel mit einem weit gefächerten Warenangebot, sondern hebe sich durch den Tuchhandel hervor. Amt und Hofkammer folgten dieser von Herz Samuel gezeichneten Linie – gerade die Kammer griff zunächst befürwortend auf den Tuchhandel zurück, auch wenn sie später der ablehnenden Haltung des Geheimen Rats und des Hofrats beitrat. Die von Herz Samuel entworfene Vorstellung über seinen Sohn war wenigstens bei einem Teil der Regierung konsensfähig: Ein Schutzjude, der zur wirtschaftlichen Entwicklung und zum finanziellen Vorteil der Markgrafschaft beitrug. Den Schutz für den Sohn von Herz Samuel verweigerte der Geheime Rat, wegen möglicher Nachteile für die Rastatter Kaufleute, speziell die Tuchhändler, vielleicht auch nur wegen einer möglichen Beschwerde. An der überlieferten Haltung, die Händler oder Kaufleute eines Ortes gegen von außen kommende Konkurrenz zu schützen, hatte sich auf den ersten Blick nichts geändert. Die Einstellung in der Regierung insgesamt war jedoch aufgebrochen. Zumindest vorübergehend ließen sich Amt und Hofkammer durch die Argumentation von Herz Samuel überzeugen. Hinzu kommt eine weitere Entwicklung nach dem Zusammenschluss der Markgrafschaften. Am Ende war Samuel Herz nämlich doch erfolgreich. Im April 1772, ein halbes Jahr nach der Wiedervereinigung der beiden badischen Markgrafschaften, erhielt er den Schutz für Kuppenheim.662 Im gleichen Jahr heiratete er die Tochter Salomon Schweitzers663 und lebte danach als führendes Mitglied der jüdischen Gemeinde in Kuppenheim.664 Die Regierung des wiedervereinigten Baden brach also mit der Praxis der Rastatter Regierung. Damit machte sie nachträglich deutlich, dass die Rücksicht auf die Rastatter Kaufleute überholt gewesen war, und die Regierung in Karlsruhe brauchte weniger Rücksicht auf die partikularen Interessen der Krämer in Rastatt zu nehmen als die dortige Regierung vor 1771. Feist Jacob: Verzicht auf eine Gnade

Eine neue Verhaltens- und Denkweise zeigte sich auch bei Feist Jacob (VI.2) aus Muggensturm. Nach einem Misserfolg von 1755665 wiederholte er 1756 sein Aufnahmegesuch. Dazu legte der Karlsruher Hoffaktor Salomon Meyer eine Fürbitte vor. Feist Jacob, so Salomon Meyer, wolle die Tochter eines Muggensturmer Schutzjuden heiraten.666 Es war das erste Mal, dass ein Supplikant von außerhalb der Markgrafschaft für einen baden-badischen Juden supplizierte. Nicht zufäl662 GLAK 61/1942 HR 8.4.1772 Nr. 2861 und GLAK 61/1942 HR 8.4.1772 Nr. 3138. 663 Gerhard Friedrich Linder, Die jüdische Gemeinde in Kuppenheim, S. 27. 664 Ebd., S. 28. 665 GLAK 61/292 HK 26.8.1755 Nr. 3 und GLAK 61/292 HK 24.10.1755 Nr. 13. 666 GLAK 61/314 GRATP. 4.2.1756 Communicanda Nr. 3.

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Die Schutzaufnahmen in der Markgrafschaft

lig war der Supplikant der Karlsruher Hoffaktor Salomon Meyer: Er stand, wie schon erwähnt, mit der Regierung in Rastatt in einer intensiven Geschäftsverbindung.667 Die Ablehnung erfolgte in der Form einer „Expectanz“,668 und es folgte eine ungewöhnliche Reaktion. Der Rastatter Amtmann Louis Hornus berichtete, dass Feist Jacob „bei noch anzu gegebener 14tägigen Bedenkhzeit das Ihme Ertheilte Expectanz Decret auf einen Judten Schutz nicht einmal annehmen wolle, mithin die Vilipendirung sothaner Fürstl(ichen) Gnade allerdings verofenbare, dahero Er Amtmann, solches unterg(e)b(en)st antrage, womit Er Judt dieser Gnadt vor allezeith verlustiget werden solle.“669

Die „Vilipendirung“ des Expektanz-Dekrets, die Missachtung der in Aussicht gestellten Aufnahme, wollte der Amtmann mit einer Ablehnung für immer bestraft sehen. Hofkammer und Hofrat ihrerseits reagierten auf die selbstbewusste Reaktion von Feist Jacob verhalten. Seinen Bericht ließen sie zur Registratur geben, ohne einen weiteren Beschluss zu fassen.670 Feist Jacobs Rückhalt war wohl seine Verbindung zu Salomon Meyer; auf diesen nahm die Regierung vermutlich in ihrer Reaktion Rücksicht, wohl auch indirekt auf dessen Regierung in Karlsruhe.

3.10  Die Auseinandersetzung über die Schutzaufnahmen: die wichtigsten Ergebnisse für das christlich-jüdische   Verhältnis Die Bewerber um den Schutz wie die für sie Interzedierenden setzten sich auf diesem Feld der christlich-jüdischen Beziehung in erster Linie mit der Regierung auseinander. Sie bestimmte über die Bedingungen für die Schutzerteilung, damit über die Chance von Juden auf eine relativ stabile Lebensmöglichkeit. In den einzelnen Phasen der Schutzerteilungen wird die starke Prägung durch die jeweils Herrschenden sichtbar. Unter Markgraf Ludwig Georg konnten mehr Juden den Schutz erhalten, unter Markgräfin Sibylla Augusta verlief die Kurve der Schutzaufnahmen schnell nach unten, um dann bei Markgraf Ludwig Georg wieder auf die von seinem Vater vorgegebene Linie anzusteigen. Bei Markgräfin Sibylla Augusta überspielte ihre Religiosität in Verbindung mit ihrer Abneigung gegen Juden wirtschaftliche Gesichtspunkte, die für die Aufnahme sprachen. 667 Zur geschäftlichen Beziehung von Salomon Meyer zur Regierung siehe S. 185f. 668 GLAK 61/314 GRATP 14.2.1756 Communia Nr. 6. Zu den Expektanzen siehe S. 620ff. 669 GLAK 61/314 GRATP 7.4.1756 Communia Nr. 6. 670 GLAK 61314 GRATP 7.4.1756 Communicanda Nr. 6.

Gescheiterte Schutzaufnahmen 

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Supplizierende gingen bei den Schutzbewerbungen auf die Vorgaben der Regierung flexibel ein und berücksichtigten bei ihrer Kommunikation mit der Regierung deren jeweilige Kriterien wie den wirtschaftlichen Nutzen, die Vermeidung einer zu hohen Anzahl von Juden an einem Ort, Wohlverhalten, Verwandtschaft mit baden-badischen Schutzjuden und andere mehr. Sie nutzten auch den Gegensatz zwischen Norm und Praxis, den sie als Chance wahrnahmen für eine Aufnahme, auch wenn sie eigentlich nicht die Voraussetzungen für eine Schutzaufnahme hatten. Einzelne schlugen neue Wege ein, wenn sie um die Aufnahme für neue Schutzorte baten oder wie Samson Schweitzer für eine Frau wegen des Schutzes supplizierten. In der Bevölkerung existierten Vorstellungen , dass die Juden eine „Last“ waren und eine Bedrohung für die Lebensmöglichkeit der christlichen Untertanen. Die Religion war im Feld der Schutzaufnahmen wohl für die Geistlichen entscheidend; für die übrige Bevölkerung, die ihre Einstellung oft in Erschwerungen für das Leben der Juden äußerte, lässt sich ihr Gewicht kaum abwägen. Das immer wieder verwendete Argument der wachsenden Zahl der Schutzjuden verbarg nur notdürftig wirtschaftliches Interesse wie die Verhinderung von Konkurrenz. In Beamtenschaft und Regierung wurde diese Argumentation zeitweise übernommen, wenn nicht von vornherein geteilt. Gerade in der Anzahl der Schutzjuden kam die Regierung der Bevölkerung entgegen, um Schwierigkeiten zu vermeiden; diese wurden jedoch nicht endgültig gelöst, und somit hielten die Konflikte über die Schutzaufnahmen die Spannung zwischen Christen und Juden am Leben. Gegen die judenfeindlichen Äußerungen bei strittigen Aufnahmen erhoben Juden selbstbewusst den Anspruch, gerade mit ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit für Christen vorteilhaft zu sein. Zugunsten jüdischer Bewerber um den Schutz wirkten in Einzelfällen Rücksichten auf andere Staaten, besonders auf Frankreich, soweit das badische Amt Beinheim unter französischer Souveränität betroffen war. Die Erörterung der Frage, ob die Schutzaufnahmen gestoppt werden sollten, um die Markgrafschaft zu einem Land ohne Juden zu machen, zeigt eine andere Abhängigkeit. Hier ging es um die Orientierung an der Politik vielleicht des Nachbarn Baden-Durlach, wohl noch mehr des Hauses Habsburg. Bis in die Jahre um 1700 war für Regierung und Juden die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der entscheidende Aspekt. Für die Zeit unter Markgraf Ludwig Georg ist die Verwandtschaft als Faktor erkenntlich, der immer mehr Bedeutung erhielt. Neu wurde die Frage relevant, ob ein Bewerber im Land geboren, ein „Landeskind“ war. Moyses Schweitzer argumentierte für seinen Sohn Jesaias damit, er sei ein „im Landt geborenes Juden Kind“. Löwel in Malsch betonte, dass sein Sohn Löwel vor der Heirat mit Süßels Tochter, einem „Landskind“, stehe. Es waren zunächst die jüdischen Beteiligten bei den Bewerbungen, die diesen Aspekt hervorhoben; später folgten Äußerungen von Beamten wie Johann Jacob

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Die Schutzaufnahmen in der Markgrafschaft

Hoffmann, dem Bühler Amtmann, der auf die einheimischen Bewerber hinwies, denen der Vorrang vor fremden Juden gebühre. Die Geburt in der Markgrafschaft, mit der Abstammung von einem Schutzjuden zusammengedacht, relativierte die Kriterien, die bis dahin wichtig gewesen waren und vermittelte einen Anspruch, der die „Gnade“ des Herrschenden bei der Erteilung des Schutzrechtes in ihrer Bedeutung einschränkte. Eine Nähe zu menschenrechtlichen Vorstellungen ist unverkennbar. Dass im rechtlichen Bereich Veränderungen stattfanden, darauf weist auch die Kritik des Amtmanns in Rastatt hin, der mit dem Widerspruch zwischen der Vermögensnorm und der Praxis von Schutzerteilungen haderte und ihn zugunsten eines Bewerbers auflösen wollte. Vielleicht äußerte sich so eine Tendenz zur Vereinfachung und Rationalisierung des Rechts. Die Neuorientierung im Verhältnis zu den Juden unter Markgraf Ludwig Georg spricht für diese Tendenz, wohl auch der vorsichtige Umgang mit der Möglichkeit, die Markgrafschaft zu einem Land ohne Juden zu machen. Auch in der Markgrafschaft setzte sich die Erkenntnis durch, dass Juden „neue Chancen des Rechtsschutzes“ mit Hilfe der Reichsgerichte und des Kaisers hatten.671 Insofern zeigen die Schutzaufnahmen eine Stabilisierung der jüdischen Existenz, trotz der weiter bestehenden Konflikte auf dem Feld der christlich-jüdischen Beziehungen.

671 Zum verstärkten reichsrechtlichen Schutz der Juden Battenberg, Die Juden in Deutschland, S. 16.

4  Juden im Wirtschaftsleben 4.1  Im Kreditwesen 4.1.1  Kredite in bar – mit vielen Möglichkeiten zur Abzahlung: „auf den Herbst“, zum Abwohnen, mit einem Nachlass Mit der Frühen Neuzeit endete für die Juden im Wirtschaftsleben das Übergewicht des Geldverleihs; sie vollzogen die Hinwendung zum Handel in vielfältigen Formen.1 Dennoch, wie insgesamt blieben viele markgräfliche Juden im Kreditwesen tätig. Die Kontraktenprotokolle, die für das Amt Bühl erhalten sind, ermöglichen für die Jahre um 1700 einen Blick auf die Kreditgeschäfte, die in amtlicher und deshalb schriftlicher Form überliefert sind. So stellten im Januar 1694 der Kappelwindecker Bürger Hanns Seyler und seine Frau Maria eine Obligation über 37 Gulden für Mathias Schweitzer aus und sicherten die Bezahlung mit Wein im Herbst des Jahres zu.2 Ein paar Tage danach lieh Schweitzer der Witwe des ehemaligen herrschaftlichen Rebmanns Hanns Schneider im gleichen Ort 54 Gulden, die auch sie im Herbst mit Wein bezahlen sollte.34Ähnliche Kredite, die mit

1 Robert Liberles, An der Schwelle zur Moderne 1618–1780, in: Marion Kaplan (Hg.), Geschichte des jüdischen Alltags in Deutschland. Vom 17. Jahrhundert bis 1945. München 2003, S. 19–122, hierzu S. 77. 2 GLAK 61/5446, Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, 27.1.1694, Bl. 236v. 3 GLAK 61/5446, Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, o. D., nach 1.2.1694 Bl. 237v–238r. 4 (Aufruf siehe Folgeseite) Joseph Jacob verlieh 1698 50 Gulden, 5 Schilling und 4 Kreuzer an einen Bürger in Kappelwindeck und sagte dabei noch weiteren Kredit zu. (GLAK 61/5447 Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, 1.12.1698 Bl. 98v–99v.) Um diese Zeit war auch ein Einwohner aus Altschweier bei ihm verschuldet, der den Kredit „nach und nach auf den Herbst mit Wein“ zu tilgen versprach. Weil ihm das nicht gelang, ließ Joseph Jacob im Januar 1700 eine Obligation in das Kontraktenprotokoll eintragen, nach der er noch 45 Gulden zu erhalten hatte; den Kredit, versprach auch diesmal der Schuldner, werde er im Herbst mit Wein tilgen (GLAK 61/5447, Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, 17.1.1700 Bl. 153v–154r).

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Juden im Wirtschaftsleben

Wein zurückbezahlt werden sollten, sind im Bereich von Bühl für Joseph Jacob,4 Soilshel, wohl Süßel,5 für Meyer6 und für Löwel überliefert. Die Tilgung mit Wein wurde zu dieser Zeit auch praktiziert, ohne dass Juden daran beteiligt waren. Der Hof hatte zum Beispiel 1686 über den Baden-Badener Kaufmann Johann Jacob Hofmann aus Frankfurt Spezereien bezogen7 Zur Bezahlung wies ihm die Regierung Wein an.8 1714 lieh der Kaufmann Johannes Bruzetto9 an Hans Erhart Schremb und seine Frau 12 Gulden zur Bewältigung ihrer „Nothurft“. Auch er vereinbarte die Bezahlung „auf kommenden herbst mit Wein“.10 Auch andere Formen der Abzahlung sind überliefert. 1716 lieh Abraham Lö11 wel dem Adlerwirt Franz Heinrich Heusler, einem Mitglied des Ortsgerichts in Bühl, 150 Gulden. Zwei Vereinbarungen ergänzten die Schuldverpflichtung Heuslers. Der Kredit sollte zur Instandsetzung des „Adlers“ dienen; Abraham Löwel erhielt die Möglichkeit, unter Umständen das Wirtshaus zu beziehen, ohne Miete zu zahlen.12 Vier Monate später borgte Löwel Heusler nochmals 60 Gulden.13 5 Maria Falk, die Witwe eines weiteren Kappelwindecker Bürgers, stellte im November 1698 für „Soilshel schirmsverwandten Juden zue Bühl“ eine Schuldverschreibung über 36 Gulden und 36 Kreuzer aus. Sie gab dem Gläubiger, möglicherweise mit dem später öfter als Süßel genannten Bühler Schutzjuden identisch, zwei Weinberge als Unterpfand; auch Maria Falk sollte den Kredit im Herbst mit Wein tilgen. Löwel, als „Löbel, der Judt zue Bühl“ bezeichnet, verkaufte 1704 zwei Rebstücke, die er beim „Falliment“, beim Bankrott von Hans Jacob Falk, wohl dem gestorbenen Mann von Maria Falk, für eine Schuld erhalten hatte. Offensichtlich ging also der Schuldanspruch Soishels oder Süßels von 1698 auf Löwel über (GLAK 61/5448, Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, 19.3.1704, Bl. 61v– 62r). 6 Von „Meyer dem Juden zue Bühl“ erhielt die Witwe eines Bürgers in Altschweier „nach und nach auf den Herbst“ Geld. Für die auf 50 Gulden angewachsene Schuld erhielt Mayer 1699 eine Absicherung mit drei Weinbergen (GLAK 61/5447 Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, 11.2.1699 Bl. 117r–v). 7 GLAK 61/227 HK 22.9.1686. 8 GLAK 61/227 HK 8.1.1686. 9 Zu Johannes Bruzetto siehe v. a. S. 634ff. 10 GLAK 61/5769, Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, 23.4.1714, Bl. 116r–v. 11 Die Identität Löwels (Löbels) und Abraham Löwels lässt sich nicht nachweisen. Beide sind in Bühl sowohl 1706 wie 1721 verzeichnet (GLAK 74/3711, Amtmann Johann Heinrich Harrandt an die Hofkammer, 12.6.1706 und GLAK 74/3711, Amtmann Johann Heinrich von Harrandt an die Hofkammer, 8.2.1721, hier mit der Angabe „Abraham Löwels Sohn“. 12 GLAK 61/5448, Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, 5.3.1716, Bl. 283v–285r. 13 GLAK 61/5448, Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, 1.7.1716, Bl. 317r–v.

Im Kreditwesen 

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Das Kreditverhältnis zwischen Abraham Löwel und Heusler komplizierte sich im folgenden Jahr. Ende Oktober 1717 stand die Rückzahlung der Schuld Heuslers an; sie belief sich inzwischen auf 274 Gulden und 6 Schilling. Löwel ließ vor dem Amt protokollieren, dass er seine Forderung bei Heusler an Schmaul14 abtrete; er müsse dies, weil er bei Schmaul für Waren und Geld verschuldet sei, aber keine Mittel zur Tilgung habe.15 Einen Kredit kombinierte Mayer Kallmann in Friesenheim mit einem Bezug von Waren, die verrechnet werden sollten. Er schloss 1735 mit dem Scharfrichter und Abdecker Johann Philipp Großholz in Griesheim bei Offenburg einen Vertrag, in dem dieser die Lieferung von Häuten zusagte. Allerdings wollte Großholz diesen Vertrag – aus ungenannten Gründen – nicht einhalten.16 Kallmann hatte ihm jedoch schon ca. 270 Gulden vorgestreckt, die der Schuldner darauf zurückzahlte, allerdings ohne die von Mayer Kallmann geforderten Zinsen.17 Die Vielfalt der Schuldverhältnisse lässt sich mit weiteren Beispielen veranschaulichen. Im Jahr 1740 schloss der Durbacher Schutzjude Hayum Bodenheimer einen Vergleich mit Adam Diener von Nesselried und dessen Frau Barbara über Schulden in Höhe von 180 Gulden. Wegen der Armut des Paares war Hayum Bodenheimer mit einer Zurückzahlung von nur 144 Gulden und 49 Kreuzer einverstanden. Dafür überließen ihm Diener und seine Frau Ansprüche bei ihren Schuldnern und sagten die Zahlung von 100 Gulden zu. Zusätzlich verzichtete Hayum Bodenheimer auf Zinsen für die Restsumme und übernahm allein die Kosten für den Eintrag des Vergleichs in das Kontraktenprotokoll.18 Er beendete also diese Kreditbeziehung mit einem Verlust von mehr als 40 Gulden, um überhaupt noch einen Teil seines Geldes zu erhalten. Am 30. Oktober 1744 bestätigten Joseph Krechter und seine Frau Elisabetha von Altschweier auf dem Amt in Bühl, dass ihnen Mayer Bodenheimer „nach und nach“ 76 Gulden gegeben hatte; Bodenheimer erklärte sich bereit, die Schuldsumme noch im laufenden Jahr auf 100 Gulden zu erhöhen.19 Hier bestand schon längere Zeit eine Schuldbeziehung, und Mayer Bodenheimer sicherte eine Art von Kreditrahmen zu. Johann Georg Zapf von Altschweier bei Bühl supplizierte im Juni 1769 wegen einer Frist bis zum Herbst, die er für die Rückzahlung einer Schuld bei Löw Elias in Bühl brauchte. Da es sich um einen Betrag in der Höhe von 816 Gulden 7 ½ Kreuzer handelte, dürfte es um eine Kapitalschuld gegangen sein. Das Amt be14 15 16 17 18 19

Zu Schmaul siehe S. 228f. u. ö. GLAK 61/5448, Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, 27.10.1717. GLAK 61/163 HR 26.8.1735 Nr. 5. GLAK 61/163 HR 10.12.1735 Nr. 8. mit der Angabe des Namens Lazarus Kallmann. GLAK 61/14111, Amt Staufenberg, Kontraktenprotokoll, 21.6.1740, Bl. 77r–79r. GLAK 61/13697, Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, 30.12.1740, Bl. 545r.

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richtete der Regierung, Zapf habe „auch in guten Jahren die Zinsen auf schwellen lassen“; jetzt drohe ihm, weil er seinen ganzen Besitz an Löw Elias versetzt hatte, die Versteigerung und der Ruin. Die Regierung befürwortete einen Zahlungsaufschub, zumal es nur um eine kurze Frist gehe.20 Selten vergaben Schutzjuden Kredite im Bereich des Gewerbes. Um einen hohen Betrag ging es bei einer Forderung von Herz Lazarus in Gernsbach an den Glasermeister Samuel Schmidt, den Betreiber der Glashütte in Herrenwies. 1735 sicherte Schmid einen Kredit von Herz Lazarus mit seinen Werkstätten ab. Sie waren auch an weitere Gläubiger versetzt; weil Schmidt die Schuld nicht tilgte, erhielt Herz Lazarus 1741 vom Hofrat die Genehmigung, die Werkstätten auf sich übertragen zu lassen und die anderen Gläubiger auszuzahlen, vorausgesetzt, dass er sie wieder an christliche Interessenten verkaufte.21 Als die Glashütte 1743 in den Besitz des Hofglasers Anton Dürr überging, wurde die Höhe des Kredits protokolliert: 600 Gulden, die Herz Lazarus nun von Anton Dürr erhalten sollte.22 Eine Art von Zwischenkredit, bei dem sie eine hohe Summe einsetzten, gewährten die Bühler Schutzjuden Joseph und Löw Elias im Jahr 1767. Der Basler Rat und Kaufmann Johann Jacob Brenner hatte das Bühlertaler Eisenwerk23 an Johann Jacob Mühlschlegel von Straßburg verkauft, für 6000 Gulden, die in mehreren Raten bezahlt werden sollten; zu Ostern 1767 waren die ersten 1000 Gulden fällig gewesen. Im September des Jahres trat Brenner seine Ansprüche gegen den Käufer Mühlschlegel und weitere Beteiligte an die Brüder Joseph und Löw Elias ab. Sie gaben Brenner für die noch nicht abgetragenen 5000 Gulden und entsprechende Zinsen 4300 Gulden in französischer Währung; er erhielt dazu einen Stock, einen Knopf aus Gold und eine silberne Tabatière. Mühlschlegel und seine Teilhaber waren verpflichtet, in den nächsten vier Jahren jeweils zu Ostern 1000 Gulden an die Brüder Elias zu zahlen.24 Zwei besondere Kredite sind im Oberamt Mahlberg für 1746 erkennbar. Lazarus Kallmann forderte im August des Jahres von der dortigen Gemeinde 102 Gulden zurück und aufgelaufene Zinsen; das Kapital hatte er seiner ausdrücklichen Feststellung nach der Gemeinde „vorgeschossen“.25 Zur gleichen Zeit war 20 GLAK 61/213 HR 9.6.1769 Amtsberichte ohne Nummerierung. 21 GLAK 61/170 HR 25.5.1741 Nr. 16. 22 StgI Bühl, BH (alt), Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll 1741 bis 1747, 14.1.1743, Bogen mit drei beschriebenen Seiten, eingeklebt, ohne Blattzählung, zwischen Bl. 172v und 173r. 23 Die Bezeichnung „Bergwerk“ wird in den Archivalien synonym mit Eisenwerk oder Hammerschmiede verwendet. An der Gemarkungsgrenze zwischen Altschweier bzw. Bühlertal befanden sich eine Eisenschmelze und eine Hammerschmiede, die wechselnd nach dem einen oder dem anderen Ort bezeichnet wurde. 24 GLAK 61/13700, Bühler und Groschweyerer Kontraktenprotokoll, 23.9.1768, Bl. 222v– 223v; Joseph und Löw Elias wurden als Joseph und Löw Schmaul eingetragen. 25 GLAK 61/175 HR 9.8.1746 Nr. 12.

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auch Kippenheim bei den Schutzjuden am Ort verschuldet: mit etwas mehr als 629 Gulden, welche die Gemeinde für Kontributionslieferungen hatte aufbringen müssen, für den Kauf von Heu und Hafer.26 Selten wurde direkte Kritik an einem jüdischen Kreditgeber wegen der Höhe der Zinsen schriftlich festgehalten. Israel von Gernsbach27 hatte nach dem Bericht des Vogtes Johann Friedrich Sartorius 1699 an Joseph Rübel in Muggensturm 50 Gulden verliehen; es sei dabei ein wöchentlicher Zins von 30 Kreuzer festgelegt worden und der ganze Vertrag wurde, so Sartorius, ohne Information oder Zustimmung des Amtes abgeschlossen. Der Vogt bewertete diesen Vertrag als einen „wucherlichen Contract“, durch den „der arme Unterthan ins Verderben gerathete.“ Zu einer Auseinandersetzung zwischen Israel und Rübel sei es gekommen, weil dieser sich weigerte, den vereinbarten Zins zu zahlen und einen Nachlass der bis dahin aufgelaufenen Zinsen verlangte. Zudem wolle Rübel den Kredit vorzeitig tilgen. Israel seinerseits erklärte sich – nach dem Bericht von Sartorius – darauf bereit, die frühzeitige Tilgung der Schuld zu akzeptieren und einen Kompromiss in der Frage des Zinses einzugehen; sein Entgegenkommen führte der Vogt auf Angst vor einer Bestrafung zurück.28 4.1.2  Warenkredite Schulden bei Juden entstanden wohl oft beim Kauf von Waren. In Bühl ließen 1716 Schmaul und Agatha Eberhardt, die Witwe eines Barbiers, eine Schuldverschreibung in das Kontraktenprotokoll eintragen. Agatha Eberhardt bestätigte, dass sie Schmaul 27 Gulden und 8 Schilling „vor zue Ihres Sohns Kleydung bey ihme abgeholten wahren“ schuldig sei. Sie sollte diese Schuld zinslos in zwei Terminen bis Ostern 1717 begleichen.29 1719 sicherten Simon Miller, ein Bühler Rotgerber, und seine Frau Anna Maria Schmaul zu, ihm bis Fasnacht 1720 in zwei Terminen 131 Gulden zu zahlen. Schmaul hatte Miller „Häute“ auf Kredit geliefert30 und weder Zins noch eine dingliche Absicherung dieser Schuld verlangt. Dafür enthält der Vertrag einen besonderen Passus, in dem Miller und seine Frau die Zahlung „bey Ihrem Treu- und Ehren Hiermit versprechen, darwider Sie nichts freyen schützen oder schirmen [dass davon sie nichts bewahren und schützen] solle, weder gayst(liches) noch welt26 27 28 29

GLAK 61/175 HR 9.8.1746 Nr. 11. Zu Israel von Gernsbach siehe S. 47ff., S. 206 u. ö. GLAK 61/129 HR 30.3.1699. GLAK 61/5448, Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, 14.8.1716, Bl. 327r–v. 30 Zum Verkauf von Häuten auf Kredit durch Schmaul siehe S. 259.

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liches Recht, alles Getreulichen sonder gefährde [ehrlich, ohne Machenschaften].“31 Schmaul verließ sich also darauf, dass seine Gläubiger ihm Treue und Ehre als Unterpfand einsetzten und ging davon aus, dass diese Werte für seine Schuldner in ihrer Beziehung zu ihm galten. Schmaul hatte schon 1716 im Bühler Kontraktenprotokoll zusammen mit dem Bühler Hirschwirt Christoph Kleiber eine weitere Abmachung amtlich bestätigen lassen, in der es um Waren und Bargeld ging. Zunächst erklärte Christoph Kleiber, dass er Schmaul „von verschiedenen Jahren hero“ für Waren und Bargeld 50 Gulden und 4 Schilling schuldig sei. Davon habe er Schmaul für die letzten 20 Gulden ein Goldstück versetzt, das „aber nit so viel wehrt“ gewesen sei. Dieses „goldt stückhlein“ habe er von einem Vetter erhalten, es aber in der Zwischenzeit zurückgegeben. Nun sicherte Christoph Kleiber zu, von seiner Schuld auf nächste Weihnachten 26 Gulden und an Ostern den Rest zu bezahlen.32 Möglicherweise gingen auf den Bezug von Waren auch kleine Schuldbeträge zurück, die bei Erbregelungen verzeichnet wurden. So sind bei Magdalena Dresel, der Witwe eines Einwohners von Bühlertal, unter anderen Gläubigern auch Löwel und Mayer, beide von Bühl, eingetragen: Dem Ersten schuldete die Witwe 2 Gulden, 2 Schilling und 6 Kreuzer, dem Zweiten 1 Gulden und 5 Schilling.33 Kredite für Waren und kleine Barkredite gingen Hand in Hand, waren wohl oft nur mit einer Schuldverschreibung zwischen dem Kreditgeber und dem Schuldner abgesichert, also ohne amtliche Protokollierung. Auch beim Viehhandel räumten Juden Kredit ein. In Bühl verkaufte 1739 der Schutzjude Süßel dem Metzger Johannes Fentsch „Eine Kuhe p(er) 12 fl(orin)und Ein Ohmen Wein bis negste Michaelis [St. Michaels-Tag, meistens am 29. September] entweder in Wein od(er) gelt zu zahlen“.34 Johannes Fentsch war knapp an barem Geld. Er lieh sich vor 1741 kleinere Beträge bei einem christlichen Ehepaar in Altschweier, einem Nachbarort von Bühl. Fentsch und seine Frau und seine Gläubiger ließen in einer Schuldanerkennung vor dem Amt eintragen, „dass ihnen Letzgemelte [die Gläubiger] nach und nach, so sie Denselben [den Schuldigern] auf den Herbst gelehnt, baar schuldig worden Siebzehen gulden, auch

31 GLAK 61/5448, Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, 31.3.1719, Bl. 84r. Zur Formel „freien und schützen“ im Sinne von „befreien, schützen“ Deutsches Rechtswörterbuch, Stichwort „freien“, in: http://drw-www.adw.uni-heidelberg.de/drw/ (2.3.2009), zu „sonder gefährde“ ebd., Stichwort „Gefährde“. 32 GLAK 61/5448, Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, 13.8.1716, Bl. 372v–378r. 33 GLAK 61/5448, Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, 1.6.1706, Bl. 246r–247r. 34 GLAK 61/13697, Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, loses Blatt mit dem Datum 26.6.1739.

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Ihm [Fentsch] ferner mit gelt forthhelfen wollte(n); wann Derselbe ihnen Eine unterpfändl(ich)e Versicherung geben thäte.“35

Fentsch hatte also von den Gläubigern in kleinen Beträgen 12 Gulden erhalten, die er im Herbst zurückzahlen sollte, was ihm aber nicht gelang. Die Gläubiger erklärten sich gegen ein Unterpfand zu weiteren Krediten an ihn bereit. 4.1.3  Kredite für Bedienstete am Hof, für Offiziere und Beamte Der Oberschultheiß Isaac Bodenheimer supplizierte 1734 bei der Regierung. Er habe, so schrieb er, an die 2000 Gulden „bei herrsch(aftlichen) Bediensteten“ zu fordern. Dabei schlug er vor, dass die Hofkasse die Schulden der einzelnen Hofbediensteten aus deren Besoldung ratenweise an ihn abzahlen solle. Wenn er dieses Geld nicht bekomme, würde er „an den Bettelstab gerathen.“36 Gegen die Witwe des Baden-Badener Amtmanns Schweinhuber lief 1745 ein Konkursverfahren.37 Der Bühler Schutzjude Herz, wohl Herz Samuel, hatte bei ihr noch eine Forderung ausstehen, 9 Gulden, die er der Witwe geliehen hatte.38 Der Oberjudenschultheiß Samson Schweitzer in Baden-Baden musste 1748 gegen den Mahlberger Amtmann Dyhlin klagen, um eine Kapitalforderung, also ebenfalls bar geliehenes Geld, in der Höhe von 12 Gulden 40 Kreuzer zu erhalten.39 Daniel Cassel bemühte sich 1750 darum, eine Forderung von 185 Gulden und ½ Kreuzer gegen den Hofsattler Stampfer in Rastatt durchzusetzen. Wie bei den Forderungen von Bodenheimer an den „Ingenieur“ Johann Michael Sock, einen im Dienst des Hofes stehenden Baumeister,40 sollte diese Summe vom Lohn einbehalten werden.41 Auf den Bericht des Oberstallmeisters, dem der Hofsattler unterstellt war, wurde er zur Zahlung aufgefordert.42 Aber auch damit kam Cassel nicht viel weiter. Im Oktober des Jahres supplizierte er wenigstens wegen einer 35 StgI Bühl, BH (alt), Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll 1741 bis 1749, 8.5.1741, Bl. 28v. 36 GLAK 61/27 GR 29.3.1734 Nr. 29. 37 GLAK 61/174 HR 11.2.1745 Nr. 17. 38 GLAK 61/174 HR 4.3.1745 Nr. 14. 39 GLAK 61/177 HR 10.9.1748 Nr. 24. 40 Zur Forderung von Bodenheimer an Sock siehe S. 231. Sock wird auch als «Zeichner» genannt, von dem eine Darstellung des Schlosses Schlackenwerth überliefert ist. Dazu Volker Rödel, Schloss Schlackenwerth als Ausweichresidenz in Böhmen, in: Brüning, Rainer und Rehm, Clemens: Ein badisches Intermezzo? Die Markgrafschaft Baden-Baden im 18. Jahrhundert, Karlsruhe 2005, S. 48f., hierzu 48. 41 GLAK 61/67 GR 21.2.1750 Nr. 19. 42 GLAK 61/67 GR 11.3.1750 Nr. 29.

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Teilzahlung Stampfers. Die Anweisung des Geheimen Rats kam ihm entgegen, blieb aber auch unbestimmt: Die Abschlagszahlung sollte „nach thunlichkeit“ erfolgen.43 Als der baden-badische Werbeoffizier von Eich 1750 Rastatt verlassen wollte, konfrontierten ihn mehrere Gläubiger mit Forderungen. Als Erster erhob Oberjudenschultheiß Raphael Jacob seinen Anspruch: 334 Gulden 33 Kreuzer.44 Dann machte Salomon Meyer, der Vorsteher der Karlsruher Judenschaft und Hoffaktor, eine Schuld von 58 Gulden und 17 Kreuzer geltend.45 Einen noch geringeren Betrag, 17 Gulden und 10 Kreuzer, beanspruchte die Witwe eines Rastatter Hofsattlers, Maria Eva Geilerin.46 Vielleicht ist dieser Offizier identisch mit jenem Korporal der Rastatter Schlossgarde von Aich, der schon 1731 bei Cassel von Rastatt verschuldet war.47 Kammerrat und Oberamtmann Joseph Anton Dyhlin hatte zu verschiedenen Zeitpunkten von Joshua Uffenheimer „Waar und baar Geld“ bekommen; 1768 bat Uffenheimer das Hofratskollegium um Hilfe für seine Forderung in der Höhe von 1530 Gulden.48 Im gleichen Jahr hatte Emanuel Marx Weil wegen einer Bürgschaft und einer Forderung von 1300 Gulden an den Grafen von Schauenburg um Hilfe gebeten;49 in beiden Angelegenheiten folgten, so scheint es, keine weiteren Einträge mehr im Protokoll des Hofrats. 4.1.4  Geldverleih in Vielfalt und Flexibilität, im Nahbereich, in einer Marktlücke, in einem unbestimmbaren Umfang Kleine Geldbeträge, Vieh, „auf den Herbst“ zu bezahlen – solche Kredite vergaben Schutzjuden um 1700. Sie gingen erhöhte Risiken ein bei den Kreditnehmern, die bereits verschuldet und arm waren. Im ländlichen Bereich, so lässt sich ein Teil der Schuldverhältnisse charakterisieren, gaben Schutzjuden Kredite in der Nachbarschaft, sei es als bares Geld oder in Waren. Wenn die Schuldner Reben anbauten wie in der Bühler Gegend, konnten sie die Kredite mit Wein tilgen; auch Raten waren möglich. Abraham Löwel in Bühl akzeptierte auch, dass ihm der Kreditnehmer das „Abwohnen“ des Kredits überließ. Wenn „nach und nach“ Geld geliehen wurde, existierte eine Kreditbeziehung über längere Zeit; manchmal erhöhten sich die Kreditsummen allmählich, bis – wie bei Hans Georg Höll 43 44 45 46 47 48 49

GLAK 61/69 GR 21.10.1750 Nr. 14. GLAK 61/69 GR 7.9.1750 Nr. 40. GLAK 61/69 GR 14.10.1750 Nr. 32. GLAK 61/69 GR 17.10.1750 Nr. 20. GLAK 61/159 HK 1731 25.10.1731. GLAK 61/210 HR 7.6.1768 Protocollum judicii aulis Nr. 388. GLAK 61/209 HR 9.2.1768 Protocollum judicii aulis Nr. 74.

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– der Schuldner noch bei anderen Geldgebern Kredite aufnehmen musste, um seine Schulden zu zahlen. Oft handelte es sich um Darlehen bis zur ungefähren Summe von 50 Gulden, die teils ohne dingliche Sicherung gewährt wurden. Es ging um eine flexible, meist kurzfristige Einräumung eines Kredits für den alltäglichen Bedarf unter ländlich-agrarischen Verhältnissen. Es gab viele Formen der Kredite, ohne dass eine den Vorrang gehabt hätte, und die jüdischen Gläubiger räumten vielerlei Formen ein, in denen die Schuld abbezahlt werden konnte. Im Verlauf des 18. Jahrhunderts erweiterte sich das Spektrum der Kredite sowohl in ihrem Volumen wie hinsichtlich der Schuldner: Die Höhe der Kredite bei einzelnen jüdischen Gläubigern nahm zu, bei Johann Georg Zapf, beim Glaser Samuel Schmid und schließlich bei der Finanzierung des Bergwerkkaufs durch Joseph und Löw Elias. Hier galt der Kredit einer Investition im gewerblichen Bereich. Gemeinden und Hofbedienstete waren neue Kunden – sie galten Schutzjuden vielleicht als sichere Schuldner, vielleicht die Beamten als Möglichkeit, Einfluss auf Entscheidungsmöglichkeiten zu erhalten, was nicht Bestechlichkeit bedeuten musste. Christen und Juden waren miteinander und mit Dritten in Ketten oder Verflechtungen von Krediten verbunden, mit Risiken und mit Chancen. In der Kombination von Handel und Krediten, weitgehend ohne dingliche Sicherheiten, dürfte die Marktlücke für Schutzjuden bestanden haben: Sie boten damit eine einfache und rasche Antwort auf die Nachfrage der christlichen Kreditnehmer. In dieser Hinsicht entspricht der Geldhandel von Juden dem, wie er für die jüdischen Gemeinden in der Markgrafschaft Burgau beschrieben wurde.50 Flexibilität bei der Kreditvergabe erwiesen aber auch nichtjüdische Einwohner, die wie der Handelsmann Bruzetto bei kleinen Beträgen auf eine hypothekarische Absicherung verzichteten und die Abzahlung mit Wein akzeptierten.51 Insofern unterschieden sich jüdische Geldgeber nicht von manchen nichtjüdischen. Die Zurückhaltung bei reinen Barkrediten lässt vermuten, dass Schutzjuden ihre Wettbewerbsvorteile im Warenhandel sahen. Hier war ihr Angebot zumindest aus der Sicht der Regierung dem ihrer christlichen Konkurrenten überlegen: Abraham und Seligmann Isaac verkauften nach einer Feststellung der Hofkammer aus dem Jahre 1720 „viel wohl feiler“ als die christlichen Krämer.52 Möglicherweise reagierten die Schutzjuden mit ihrer Zurückhaltung im Geldverleih darauf, dass zumindest um 1720 ein Überschuss an Kreditmöglichkeiten existierte. Zumindest für Baden-Baden trifft dies zu. 1720 ordnete die Hofkammer dem Schaffner des dortigen Spitals an, Kapitalien, wenn sie nicht anders verliehen werden könnten, bei Hayum Flörsheim „anzubringen“.53 50 51 52 53

Ullmann, Nachbarschaft und Konkurrenz, S. 298–300. Zum Geldverleih Bruzettos gegen die Lieferung von Wein siehe S. 144. GLAK 61/256 HK 11.7.1720. GLAK 61/256 HK 17.1.1720. Zu diesem Vorgang siehe S. 22f.

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Das Volumen der Kredite, die Juden im Nahbereich und meist in relativ kleinen Beträgen gaben, lässt sich allerdings kaum bestimmen. Viele Kredite sind wohl nur deshalb erkennbar, weil Schwierigkeiten bei der Rückzahlung entstanden, die zu einer schriftlichen Überlieferung führten. So wandten sich Seligmann Isaac und sein Bruder Abraham Isaac von Ettlingen an den Hofrat, nachdem sie bereits nach Karlsruhe gezogen waren; sie baten um Unterstützung bei ihren Versuchen, Ettlinger Bürger zur Bezahlung von Schulden zu bringen.54 Ein Beispiel aus dem handwerklichen Milieu zeigt genauer, wie begrenzt ein Kredit abgesichert war und es damit zum Konflikt kam, so dass schließlich der Kredit in die amtliche Überlieferung einging. 1749 und 1750 lieferte Emanuel Marx Weil55 von Kippenheim an Hans Kaufmann in Elgersweier bei Offenburg Leder im Wert von 282 Gulden und 4 Kreuzer. 1758 waren von dieser Schuld etwas mehr als 140 Gulden offen, über die eine Auseinandersetzung vor dem Amt der Landvogtei Ortenau stattfand. Die Abschlagszahlung war auf einem „ZedelsConto“, einer Verrechnung auf einem einzelnen Blatt, festgehalten worden. Emanuel Weil sagte aus, dass nicht er, sondern seine Frau in seiner Abwesenheit auf diesem Blatt „die Ziffer so ungeschicktt gesetzet“, dass nach einer Anzahlung von 72 ½ Gulden die Zahl zu 272 Gulden gefälscht werden konnte. Der Betrag war auch in Worten auf das „Zedels-Conto“ gesetzt worden. Sein Knecht habe ihm allerdings berichtet, „dass in einem Conto Gribs Grabs gemacht und etwas ausgelöscht worden seye“, worauf er, Weil, sofort zum Amt ging.56 Dieser Konflikt setzte voraus, dass eine amtliche Protokollierung der Schuld unterblieben war, was eine Fälschung, wenn Emanuel Marx Weil im Recht war, erleichterte. Der Ausgang des Verfahrens scheint allerdings nicht überliefert zu sein. 4.1.5  Juden in einem begrenzten Segment des Kreditbereichs Im Bühler Kauf- und Kontraktenprotokoll für den Zeitraum von 1717 bis 1724, das der Tabelle VII (S. 153) zugrunde liegt, sind wenige Privatpersonen als Kreditgeber erkennbar. Ganz überwiegend wickelten kirchliche Institutionen wie Armenhausstiftungen, vor allem aber die Vermögensverwaltungen einzelner Kirchen oder Gemeinden Kreditgeschäfte ab.57 Jüdische Geldverleiher sind nicht

54 55 56 57

GLAK 61/155 HR 27.3.1727. Bei Emanuel Marx Weil erscheint auch der Name Emanuel Weil. GLAK 61/8620 Ortenau. Oberamtsprotokoll 1758–1763, 16.1.1758. Dazu S. 153, Tabelle VII, Geldverleih von kirchlichen und weltlichen Kooperationen im Kontraktenprotokoll des Amtes Bühl für die Jahre 1717 bis 23.7.1724. Das Amtskontraktenprotokoll von 1714 bis zum 23.7.1724 ist bis zu Blatt 50 durch Tintenfraß beschädigt und auf den entsprechenden Seiten kaum lesbar. Ein Register zu den einzelnen Einträgen

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verzeichnet, nur ein einziger Schutzjude mit einem Verkauf auf Kredit, der Bühler Schutzjude Schmaul oder Schmul.58 Tabelle VII:  Geldverleih von kirchlichen und weltlichen Institutionen im   Kauf- und Kontraktenprotokoll des Amtes Bühl für die Jahre   1717 bis Juli 172459 60 Kreditgebende Institution Baden-Badener Almosen ( auch Gutleuthaus und Armenhaus) Bühler Almosen Jesuitenkolleg Baden-Baden Kirche St. Cyriak, Unzhurst Kirche Kappelwindeck (auch: Kappelwindecker Heiliger, Kirchenfabrik Kappelwindeck60) Kirche St. Martin, Groschweier (Großweier) Kirche St. Peter und Paul, Bühl Kirche Stollhofen (auch Stollhofener Heiliger) Landkapitel Ottersweier Lindenkapelle, Ottersweier St. Michaeliskapelle, Bühlertal Sinzheimer Almosen Söllinger Heiliger Spital Baden-Baden Spital Bühl Stadtpfarrei Baden-Baden Waldsteger Almosen (auch Waldsteger Heiliger)

Zahl der Kredite 8 54 1 6 20 6 4 4 2 4 4 1 1 1 7 1 15

Dieser Ausschnitt aus dem Kreditbereich, beschränkt auf Einwohner des Amtes Bühl, bestätigt die Beobachtung an den Einzelbeispielen der jüdischen Geldverleiher,61 dass Geldverleih nahe am Ort des Kreditgebers abgewickelt wurde; allein der Baden-Badener Almosen griff etwas weiter über die Ortsgrenze hinaus. Hier überwiegen wie bei den jüdischen Kreditgebern um 1700 die kleinen Darlehen zwischen 10 und 50 Gulden. Die institutionellen Kreditgeber ließen sich, anders als die Schutzjuden, Grundstücke und Hausbesitz als Unterpfänder

58 59 60 61

existiert nicht. Trotz dieser Beeinträchtigungen sind die aus der Tabelle ersichtlichen Ergebnisse deutlich. Zu diesem Warenkredit Schmauls siehe S. 147f. GLAK 61/5449, Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, ohne Einzelnachweise. Heiligenfonds, auch Heiliger und Kirchenfabrik: Einrichtung zur Verwaltung kirchlicher Vermögen. Zu den Krediten im Nahbereich siehe S. 143ff. und S. 150ff.

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eintragen. Der Schutzjude Elias Schweitzer, der vom Bühler Almosen 10 Gulden lieh, musste dafür sein Haus als Sicherheit verschreiben.62 Trotz einzelner Kredite in einer Höhe, wie sie Schutzjuden erst in den Jahren nach 1750 gaben, darf ihre Bedeutung im Kreditwesen insgesamt nicht überschätzt werden. Als 1767 die Forderungen des Bühler Spital- und Gutleuthausfonds neu verzeichnet wurden, schlugen sich 1000 Gulden ausgegebener Kapitalkredite allein auf den ersten 15 Blättern des Lagerbuches nieder. In diesem Jahr beliefen sich die von diesem Fonds ausgegebenen Kapitalien auf 4500 Gulden.63 Die Bedeutung der kirchlichen Kapitalgeber war noch immer größer als die der jüdischen. Für die Schutzjuden war das Kreditwesen ein Bereich von Chancen, aber auch von Risiken. Nicht ohne Grund teilten sie ihre Forderungen ein: Es gab „richtig liquide“, aber auch die „mittelmäßigen“ und „schlechten“,64 auf deren Rückzahlung sie nicht mehr hofften. Insgesamt scheint das Kreditgeschäft überwiegend eine Sache von kirchlichen Institutionen gewesen zu sein, vor allem die höheren Kredite. Franz Bacheberle, ein Einwohner von Bühl, hatte 1711 beim Kollegiatstift Baden-Baden 1000 Gulden Schulden.65 In ihrer geringen Bedeutung im Bereich der höheren Barkredite ähneln die markgräflichen Schutzjuden zumindest für die Zeit bis 1727 den Juden in Offenburg. Für die Zeit im 17. und 18. Jahrhundert, in der Juden in der Reichsstadt ansässig waren, gilt ihre Bedeutung im Geldverleih als nicht sehr groß.66 Allerdings muss dabei berücksichtigt werden, dass im Alltag, bei Warenkrediten und bei kleinen kurzfristigen Barkrediten viele der Schuldverhältnisse nicht überliefert sein dürften, und gerade diese Kredite für die einzelnen Schuldner im alltäglichen Leben oft sehr wichtig waren. Dennoch, auffallend in den relativ gut dokumentierten Kreditverhältnissen des Amtes Bühl ist das Fehlen von Kreditbeziehungen zwischen Juden und einem bemerkenswerten Anteil von Mitgliedern des Handwerks oder Gewerbes in einem Marktflecken wie Bühl; nichts weist darauf hin, dass dies in anderen Teilen der Markgrafschaft anders gewesen wäre. Die Vermutung liegt nahe, dass Juden 62 GLAK 61/5449, Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, 6. 7. Juli 1720, Bl. 192v (Tagesangabe unsicher). 63 StgI Bühl, BH (alt) Lagerbuch: Erneuerung über die Bühler Spital- und Gutleuthauskapitalzinsen, 1767, Bl. 1r–15v. Eine genauere Analyse der ausgegebenen Kredite ist hier nicht möglich, da im 1767 fertig gestellten Lagerbuch z. B. die Kredite nicht nach Jahren, sondern die dinglichen Absicherungen nur bei der Neuvergabe zurückbezahlter Kredite verzeichnet wurden. 64 GLAK 74/7272, Amtsschreiber Dürfeld, 17.12.1755, Bl. 3v. 65 GLAK 61/139 HR 24.3.1711. 66 Irmgard Schwanke, Fremde in Offenburg. Religiöse Minderheiten und Zuwanderer in der Frühen Neuzeit (Konflikte und Kultur – Historische Perspektiven 11). Konstanz 2005, S. 63 mit dem Hinweis auf ähnliche Beobachtungen für weitere Territorien im süddeutschen Raum.

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im Kreditwesen keine besondere Bedeutung für die gesellschaftliche „Mitte“ der Dörfer, Marktflecken oder Städte des Landes hatten. 4.1.6  Kapitalanlage bei Schutzjuden Schon bei Mathias Schweitzer lässt sich für das Jahr 1701 annehmen, dass bei ihm Christen Geld anlegten. In diesem Jahr klagte nämlich eine gewisse Anna Maria Mockhin gegen Schweitzer, er wolle ihr die 18 Dukaten nicht herausgeben, die sie ihm „um zu Verzinsen“ gegeben habe.67 Der Rastatter Zeltenmeister68 Andreas Hüppner und seine zwei Schwiegersöhne supplizierten 1732 in einer Forderungssache gegen Cassel von Rastatt. Die Hofkammer protokollierte ausdrücklich, dass es um eine Kapitalforderung ging, um 2000 Gulden.69 Damit wird deutlich, dass der Zeltenmeister Geld „angelegt“ hatte – wie schon Dompropst von Flosdorf an Hayum Flörsheim kleinere Summen gegen Zins gab.70 An den Judenoberschultheißen Salomon Schweitzer verliehen mehrere Christen Geld gegen Zinsen.71 Der Heiligenfonds in Kappelwindeck, die Stiftungsverwaltung der Kirchengemeinde, hatte an Elias Schweitzer in Bühl 1754 45 Gulden verliehen, die mit dessen Haus abgesichert waren, und zudem war eine weitere Schuld zugunsten eines Sinzheimer72 Bürgers in Höhe von 121 Gulden und 8 Kreuzer auf dieses Haus eingetragen.73 Als Joseph Jacob und seine Frau Berle in Bühl 1750 ihr Haus im Wert von 160 Gulden verkauften, war es mit 50 Gulden belastet, einem Kredit ebenfalls des Kappelwindecker Heiligenfonds.74 Von diesem hatte noch ein weiterer Bühler Schutzjude Geld geliehen: Maron Aron ersteigerte 1753 das Haus von Salomon Abraham. Dabei übernahm er eine darauf liegende Kapitalschuld von 45 Gulden und die fälligen Zinsen beim „Kappler Heiligen“.75 Hier ging es um offensichtlich langfristige Darlehen, die Schutzjuden beim Kauf von Häusern von einem kirchlichen Fonds erhalten hatten. An kurzfristigen, manchmal sehr 67 GLAK 61/131 HR 14.7.1701. 1 Dukat wird oft mit 4 Gulden umgerechnet. 68 „Zeltenmeister“ ist die Bezeichnung für einen Hofbediensteten im Bereich des Marschallamts, zuständig für die Militär- und Jagdzelte. 69 GLAK 61/160 HK 4.11.1732. 70 Zur Anlage kleiner Summen durch den Dompropst bei Hayum Flörsheim siehe S. 25. 71 Zu den Schuldverflechtungen siehe S. 156ff. 72 Sinzheim: Ort zwischen Bühl und Baden-Baden, Landkreis Rastatt. 73 GLAK 61/13698, Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, 17.6.1754, Bl.  521r–522r. Zur Schuld von Elias Schweitzer beim Kappelwindecker Heiligen 1720 siehe S. 94f. 74 Ebd., 12.3.1750, Bl. 61v–62r. 75 Ebd., 18.2.1753, Bl. 377v–378r.

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kleinen Krediten ohne dingliche Absicherung waren die kirchlichen Institutionen nicht interessiert; hier hatten Juden ihre Marktlücke,76 ebenso wie in der Möglichkeit für Christen, ihr Geld gegen Zins anzulegen – was trotz der überlieferten Konflikte in der Regel Vertrauen in die Juden voraussetzte. 4.1.7  Schuldverflechtungen In der folgenden Kreditbeziehung eines Schutzjuden ist die Verflechtung mit christlichen Kreditgebern zu erkennen, die wohl keine Besonderheit war. Im Dezember 1712 hatte Hans Georg Höll von Kappelwindeck von einem Küfer in Bühl 36 Gulden zur Bezahlung von Schulden geliehen, im Februar des folgenden Jahres 30 Gulden von Joseph Schäffer, einem Mitglied des Ortsgerichts in Kappelwindeck; bei ihm war Höll bereits verschuldet.77 1717 ließen Höll und Löwel gemeinsam auf dem Bühler Amt ein Schuldbekenntnis protokollieren, in dem Höll 135 Gulden und 5 Kreuzer als Schuld bei Löwel angab. Er erklärte, dass er dieses Geld im Verlaufe von 10 Jahren „nach und nach“ geliehen hatte, zur Bezahlung von Steuern.78 Schäffer wie Löwel akzeptierten als Zahlungsmittel Wein.79 Samson Schweitzer verlieh 1738, als er bereits Judenoberschultheiß war, an den Zollbereiter Ansalone 460 Gulden. Allerdings bestritt Ansalone seine Zahlungsverpflichtung, und erst 1744, als Schweitzer Klage erhoben hatte,80 erkannte er seine Schuld an.81 Er dürfte versucht haben, seinen Gläubiger um den Kredit zu betrügen, wie es für andere Gebiete häufig überliefert ist, oft mit einem geringen Schuldgefühl gegenüber den Juden verbunden, denen Misstrauen und Feindschaft entgegengebracht wurde.82 Wie nötig es für den Oberschultheiß war, an sein Geld zu kommen, zeigte sich im folgenden Jahr. Jacob Frietschi, ein Ratsmitglied in Baden-Baden, forderte von Samson Schweitzer die Zahlung von

76 Zur Marktlücke der Schutzjuden in der Kombination von Handel und Geldverleih siehe S. 150f. 77 GLAK 61/5769, Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, 6.2.1713 Bl. 50r. 78 Ebd., 17.11.1717, ohne Blattzählung. 79 Ebd. und GLAK 61/5769, Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, 6.2.1713, Bl. 50r. 80 GLAK 61/173 HR 14.1.1744 Nr. 30. 81 GLAK 61/173 HR 16.4.1744 Nr. 12 und 11.10.1746 Nr. 27. 82 Zu den Betrugsversuchen von Christen an jüdischen Gläubigern Jörg Deventer, Das Abseits als sicherer Ort? Jüdische Minderheit und christliche Gesellschaft im Alten Reich am Beispiel der Fürstabtei Corvey (1550–1807) (Forschungen zur Regionalgeschichte 21). Paderborn 1996, S. 124.

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200  Gulden und entsprechenden Zinsen.83 Zur Sicherung dieses Kredits hatte Schweitzer an Frietschi Faustpfänder versetzt;84 sein Haus war bereits mit einer Hypothek von 200 Gulden belastet, als Sicherung für ein Kapital, das ihm der Baden-Badener Bürgermeister Johannes Weiss geliehen hatte.85 In dieser Situation nützte ihm selbst die Zahlungsverpflichtung des Zollbereiters wenig. Diesem wurden 1746 zum teilweisen Ausgleich seiner Schuld bei Salomon Schweitzer 20 Gulden von seiner Besoldung abgezogen, aber dann an die Witwe des Kammerrats von Harrandt weitergeleitet, die ihrerseits eine Forderung an den Oberschultheißen hatte.86 Durch das Urteil eines Rabbiners erreichte Samson Schweitzer 1746, dass ein jüdischer Schuldner, Wolf in Leimen, zur Zahlung von 20 Speziesdukaten [110 Gulden] verpflichtet wurde, die er Schweitzer schuldete. Gegen den ehemaligen baden-badischen Hof- und Geheimrat Freiherr Franz von Leonrodt ging Samson Schweitzer im gleichen Jahr mit einer Forderung von 1000 Gulden vor.87 Gegen Leonroth machte gleichzeitig Daniel Cassel eine Wechselforderung in Höhe von 619 Gulden geltend; die Regierung setzte sich für ihn deswegen mit einem Schreiben an die kurpfälzische Regierung ein, bei der Leonrodt zu dieser Zeit im Dienst stand.88 Die Kreditbeziehungen, in denen sich Samson Schweitzer und Daniel Cassel befanden, verdeutlichen die Kompliziertheit der Schuldenketten, in die sich Gläubiger und Schuldner einließen. Zahlungsunfähigkeit oder -unwilligkeit eines Beteiligten konnte andere Beteiligte in diesem Geflecht drastisch in Not bringen. Samson Schweitzer etwa befand sich seit Ende 1742 unter dem Druck, eine Forderung der Krämerin Bettendorf in Baden-Baden aus einem Warenkauf auszugleichen.89 Eine weitere Forderung stellte der Akziser Braun in der Höhe von 65 Gulden; der Hofrat drohte Samson Schweitzer im Februar 1742 bereits mit der Exekution dieser Summe, mit dem Zwangseinzug durch das Amt.90 Der Judenoberschultheiß hatte schon im Januar des Jahres um ein zweijähriges Schuldenmoratorium gebeten.91 Der Hofrat lehnte dies ab, befürwortete aber längere Zahlungsfristen für Samson Schweitzer. Die Begründung: Er habe selbst viele ausstehende Forderungen, jedoch keine Aussicht auf deren Erfüllung.92 Als 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92

GLAK 61/174 HR 5.1.1745 Nr. 15. GLAK 61/174 HR 9.3.1745 Nr. 21. GLAK 61/174 HR 11.2.1745 Nr. 16. GLAK 61/175 HR 28.9.1746 Nr. 9. GLAK 61/175 HR 1.3.1746 Nr. 27. GLAK 61/175 HR 11.10.1746 Nr. 27. GLAK 61/171 HR 18.12.1742 Nr. 28 und GLAK 61/172 HR 8.1.1743 Nr. 13. GLAK 61/172 HR 14.2.1742 Nr. 29. GLAK 61/172 HR 5.4.1742 Nr. 3. GLAK 61/172 HR 15.1.1743 Nr. 50.

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die Krämerin Bettendorf weiter drängte und der Hofrat seine Androhung der Exekution wiederholte,93 erklärte Samson Schweitzer, dass seine „dermahlige ohnvermögenheit“ jede Zahlung unmöglich mache.94 Wie christliche versuchten auch jüdische Gläubiger Kreditverflechtungen zu ihren Gunsten zu nutzen. David Kaufmann in Gernsbach bat die Hofkammer 1764 um Hilfe bei der Eintreibung von 517 Gulden, die der Engelwirt in BadenBaden ihm schuldete. Kaufmann schlug vor, die Hofkasse solle ihm diese Summe auszahlen, denn sein Schuldner habe entsprechende Ansprüche an die Regierung. Diese Auszahlung sei nicht möglich, reagierte die Hofkammer.95 Juden waren in einer schlechten Position, wenn gegen ihre Schuldner auch die Regierung Ansprüche erhob. 1729 ließ der Amtskeller Joseph Nopper in Kehl bei Isaac Bodenheimer 75 Gulden aus einem Kleidungskauf offen, worauf Bodenheimer sich an den Hofrat wandte.96 Die Regierung entschied so: Bodenheimer solle aus dem Vermögen Noppers sein Geld erhalten, aber erst, wenn dessen Schulden bei der Regierung bezahlt seien und dann noch etwas übrig bleibe.97 Diese Einstellung wirkte sich nicht nur für den jüdischen Gläubiger nachteilig aus. In Kehl erhob auch eine Witwe namens Danner an Nopper eine Forderung aus einem Verkauf von Waren und für Schneiderarbeiten. Auch gegen sie entschied die Regierung zugunsten des eigenen Interesses.98 In einem Kreditgeflecht zwischen christlichen und jüdischen Gläubigern und Schuldnern befand sich auch Prinz August Georg, der Bruder und spätere Nachfolger von Markgraf Ludwig Georg. August Georg hatte 1737 auch bei Schutzjuden der Markgrafschaft Schulden: bei Cassel in Rastatt 24 Gulden, bei Isaac Bodenheimer, dem Oberschultheißen in Bühl, 130 Gulden,99 vielleicht Schulden, die bei Warenkäufen entstanden waren. Zehn Jahre später wird das Geflecht, in das Prinz August Georg eingebunden war, noch deutlicher. 1747 forderten die Hanau-Lichtenberger Schutzjuden Marx und Herz Kaufmann aus Lichtenau vom Bühler Kaufmann Peter Stolz die Bezahlung einer Wechselschuld in Höhe von 600 Gulden.100 Peter Stolz machte zugleich eine Forderung in der Höhe von 600 Gulden an Prinz August Georg geltend, an den er Spezereiwaren geliefert hatte.101 Darauf erhielt er in seiner Auseinandersetzung mit den beiden Lichtenauer Schutzjuden von der Regierung „aus besonderen Erwägungen“ – wohl eine An93 GLAK 61/172 HR 27.8.1743 Nr. 15. 94 GLAK 61/172 HR 5.9.1743 Nr. 13. 95 GLAK 61/302 HK 6.4.1764 Nr. 2. 96 GLAK 61/157 HR 15.2.1729. 97 GLAK 61/157 HR 3.3.1729. 98 GLAK 61/157 HR 5.4.1729. 99 GLAK 74/8643, „Extractij“, o. D. (1735). 100 GLAK 61/176 HR 6.7.1747 Nr. 12 und 3.8.1747 Nr. 9. 101 GLAK 61/176 HR 3.8.1747 Nr. 10.

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spielung auf die Verwicklung des Prinzen August Georg – eine Fristverlängerung für seine Zahlung.102 Peter Stolz befand sich selbst in schwierigen finanziellen Verhältnissen. Er war 1747 bei seinem Schwiegervater, dem Bühler Bürgermeister Ignatius Fentsch, mit 10 300 Gulden verschuldet.103 4.1.8  „Der Juden arge Wucher griff“: eine Gefahr? Für wen? Mit Waren- und Barkrediten, mit vielfältigen Formen der Schuldenzahlung, mit Krediten für Gemeinden, über Schuldverflechtungen und über Warenbezug auf Kredit bei Großkaufleuten und über Geldleihe bei kirchlichen Institutionen bildeten sich dichte Beziehungen zwischen Juden und Christen, auf der örtlichen, der regionalen und der überregionalen Ebene. Allerdings, Zahl und Volumen der Kredite insgesamt lässt sich nicht bestimmen. Eine Dominanz der jüdischen Beteiligten gab es jedenfalls nicht. Kirchlichen Institutionen stand erheblich mehr Geld für die Kreditvergabe zur Verfügung als den Schutzjuden, unter denen nur wenige höhere Summen verleihen konnten. Entstanden Abhängigkeiten, wurden sie manchmal in Kompromissen austariert. In den Berichten der Ämter über die wirtschaftlichen Verhältnisse der Juden wurde der Geldverleih nicht erwähnt, sei es, weil er selbstverständlich war, sei es, weil er keine besonderen Probleme schuf. Die Schwierigkeit in den Kreditbeziehungen bestand in der Tilgung, nicht in der Höhe der Zinsen. Kritik an deren Höhe schlug sich in den amtlichen Texten kaum nieder. Das Stereotyp des Wucherjuden104 hatte mit den Realitäten im Kreditbereich offensichtlich nichts zu tun. Viele Juden standen selbst unter dem Druck von Schulden, bei Juden, bei Christen oder kirchlichen Institutionen. In vielen Fällen – wie bei Hayum Bodenheimer in Durbach – gingen die jüdischen Kreditgeber hohe Risiken ein. Ihre Bereitschaft dazu war wohl gerade ein Mittel, um sich in dem mit dem Kreditwesen verbundenen Handel zu behaupten, kaum ein Mittel, um sich über Zinsen zu bereichern. Vielleicht gab es indirekte Einflüsse auf die Beziehungen zwischen der christlichen Mehrheit und der jüdischen Minderheit, die mit dem Kreditwesen zusammenhingen, und zwar über die Anleihen, welche das markgräfliche Haus eingegangen war. Auf dessen finanzielle Schwierigkeiten, Verschuldung und Versuche, die Finanzen des Landes in Ordnung zu bringen, kann hier nicht eingegangen werden. Jedoch werfen Vorgänge in den Jahren 1711 und 1715 Licht auf diesen Zusammenhang und mögliche Auswirkungen auf die Einstellung zu Juden, die in der Zeit der Regentschaft Sibylla Augustas an der Spitze des Staates existierten. 102 GLAK 61/176 HR 22.8.1747 Nr. 19. 103 StgI Bühl BH (alt), Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll 1741– 1749, 7.10.1747, Bl. 419v–421v. 104 Zu Stereotypen in Verbindung mit „Wucher“ siehe S. 94.

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Markgraf Ludwig Wilhelm hatte bei Samuel Oppenheimer einen Kredit aufgenommen, der sich ursprünglich auf rund 100 000 Gulden belief und für den keine Zinsen gezahlt wurden. 1711 bat Emanuel Oppenheimer, der Sohn des 1703 gestorbenen Samuel Oppenheimer, die Markgräfin Sibylla Augusta um eine Zahlung. Er sei selbst in finanziellen Schwierigkeiten, teilte er mit, und müsse hohe Zinsen aufbringen, während seitens der Markgrafschaft weder das Kapital noch die Zinsen abgetragen würden. Er müsse daher wohl die „meubles“105 veräußern, die ihm als Sicherheit dienten, wenn keine Zahlung erfolge.106 Die Markgräfin Sibylla Augusta war dadurch mit einer merkwürdigen Situation konfrontiert. In ihrer Rastatter Residenz befand sich ein Gewölbe, zu dem nur Emanuel Oppenheimer Zutritt hatte. Darin befanden sich die Pfandstücke, die Ludwig Wilhelm bei Samuel Oppenheimer versetzt hatte und auf die dessen Sohn mit dem Ausdruck „meubles“ anspielte. Darunter waren auch Schmuckstücke der Markgräfin selbst, die, wie es im Hofrat hieß, wohl irrtümlich unter die Pfänder geraten waren. 1715 forderte Emanuel Oppenheimer eine „ordentl(iche) Obligation“, eine rechtlich einwandfreie Anerkennung der Schuld, über die der Hofrat nicht richtig Bescheid wusste. Die Hofkammer bestätigte die Schuld und initiierte den Weg, mit dem dieser Kredit abgelöst wurde, nämlich mit einer Verrechnung von Forderungen an den Kaiser, die 1721 erfolgte.107 Die judenfeindliche Politik der Markgräfin verstärkte sich gerade in den Jahren, als die Konfrontation wegen dieses Kredits aktuell war. Wenn dieser Zusammenhang zutrifft, dann brachten nicht die Juden mit ihrem Verhalten im Kreditwesen eine Schärfe in das Verhältnis zu den Christen, sondern die Spitze des Staates verschärfte die Spannungen vor dem Hintergrund ihrer desolaten Finanzen. Einem anderen Schuldner konnte die Regierung, so stellte sie es dar, beim besten Willen nicht helfen. 1711 drängte Aron Beer108 in Frankfurt auf die Bezahlung einer nicht weiter erläuterten Schuld. Er verwies darauf, dass er durch den Brand in der Frankfurter Judengasse im gleichen Jahr in große Not gekommen sei. Sein 105 Krünitz, Oeconomische Encyclopädie, verweist unter dem Stichwort „Mobilien“ für Fahrnis auf das französische „Meubles“ im Sinne von „Fahrnis“ und „bewegliche“ Güter. 106 GLAK 46/4077, Emanuel Oppenheimer an Markgräfin Sibylla Augusta, 3.10.1711. 107 Zu diesen Kapitalschulden im Jahr 1715 GLAK 61/143 HR 26.11.1715 und 28.11.1715 sowie Zepf, Markgräfin Sibylla Augusta als Regentin, S. 34f. Zepf gibt die Höhe des Kredits, dessen Übernahme durch den Kaiser 1721 Markgräfin Sibylla Augusta selbst erreichte, mit 400 000 Gulden an. Bei einer ursprünglichen Höhe von rund 100 000 Gulden und bei der Annahme eines Zinses von 5 Prozent ist er wohl von rund 100 000 Gulden durch die Zinsen in diese Höhe aufgelaufen. Unter diesen Voraussetzungen dürfte dieser Kredit aus dem Jahr 1693 stammen, bei einem höheren Zins jedenfalls aus den Jahren um 1690. 108 Aron Beer (auch Behr) dürfte mit dem kurpfälzischen Hofjuden Aron Beer Oppenheimer in Frankfurt identisch sein. Zu ihm Waßmuth, Im Spannungsfeld zwischen Hof, Stadt und Judengemeinde, S. 92f.

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erstes Schreiben blieb unbeantwortet. Auf seine Nachfrage antwortete die Hofkammer: Dass man wegen der „Fewersbrunst /: welche der allerhöchste anderorths ersetzen wolle:/ ein mitleiden habe, undt wünsche, dass es nicht beschehen wäre.“ An eine Zahlung der Schulden sei aber nicht zu denken; denn man sei selbst durch die von Frankreich verlangten Kontributionen in höchster Not.109 Die Schulden aus einem Juwelenkauf, die Markgräfin Maria Anna, die Frau des Markgrafen Ludwig Georg, bei Hayum Flörsheim hatte, lassen sich in ihrer Entstehung zeitlich nicht genau einordnen,110 ähnlich ist es bei Prinz August Georg, der Schulden bei Juden, auch bei einheimischen, machte.111 Markgraf Ludwig Georg übernahm sie 1735; an einen namentlich nicht genannten „Juden zu Krießhaber“ erging die Zusage, ihm würden 1737 und 1738 1150 bzw. 1495 Gulden angewiesen werden.112 Das Protokoll der Hofkammer hielt im Juli 1737 fest, dass Aron Levi, der burgauische Schutzjude, 2300 Gulden Kapital und 345 Gulden Zins erhalten sollte113 – der „Judt zu Grieshaber“, Kriegshaber in der Markgrafschaft Burgau, und Aron Levi114 waren identisch, wie die Übereinstimmung der Schuldsummen in Höhe von 2645 Gulden zeigt. Ihre Überlegungen über einen Kredit bei Moyses Joseph oder Moyses Joseph Sulzbacher, dem kurpfälzischen und Sulzbacher Hoffaktor, stoppte, wie noch darzulegen ist, die Regierung nach kurzer Zeit;115 von ihm erhoffte sie auch die Übernahme einer Forderung an die Kurpfalz, worüber sie später mit dem Karlsruher Hoffaktor Salomon Meyer verhandelte.116 Bei Moyses Plien aus dem Elsass nahm sie 5000 Gulden für einen Kauf von Hafer auf.117 Bei baden-badischen Juden beanspruchte sie Kredit bei Warenlieferungen, lieh jedoch sonst von ihnen kein Geld.118 Es gab keine baden-badischen Juden, die genügend Mittel für den hohen staatlichen Kreditbedarf zur Verfügung gehabt hätten. Insgesamt, so scheint es, hatten die Schulden des markgräflichen Hauses bei Juden spätestens nach der Regierung von Markgräfin Sibylla Augusta keine große Bedeutung mehr.

109 GLAK 61/247 HK 6.2.1711. 110 Zum Verkauf von Juwelen an die Markgräfin siehe S. 581f. 111 Zu den Schulden von Prinz August Georg siehe S. 158f. 112 GLAK 74/8643, Hofkammer, 6.12.1735. 113 GLAK 61/274 HK 12.7.1735. 114 Zu Aron Levi aus Kriegshaber in der Markgrafschaft Burgau Ulmann, Nachbarschaft, S. 286, S. 352 und S. 446. 115 Zu Moyses Joseph Sulzbacher siehe S. 183ff. 116 Zur Überlegung über die Kreditübertragung auf Salomon Meyer siehe S. 185. 117 Zur Kreditaufnahme der Regierung bei Moyses Plin siehe S. 200f. 118 Ein Beispiel für den Bezug von Waren auf Kredit stellt die Haferlieferung Raphael Jacobs im Jahr 1749 dar; siehe dazu S. 200.

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4.2  Joseph Jacob: Handel mit Vieh, im Ladengeschäft, Geldverleih und eine Heulieferung für die   kaiserliche Armee 4.2.1  Ein weiter Radius Seit 1683, als er die obere Hälfte eines Hauses in Bühl kaufte, lässt sich Joseph Jacob dort nachweisen.119 Er dürfte mit jenem Bühler Schutzjuden Joseph identisch sein, der im Mai 1691 – nach der weitgehenden Zerstörung Bühls – in Gernsbach lebte.120 Im November 1692 hielt sich Joseph Jacob wieder in Bühl auf und zahlte wie drei weitere dortige Juden mit 20 Gulden121 das zu dieser Zeit höchste Schutzgeld im Kerngebiet der Markgrafschaft. Die erste Angabe über seine wirtschaftliche Tätigkeit ist für das Jahr 1695 überliefert. Er stritt sich mit der Regierung über Kosten, die er nach einem Kauf von Pferden für den Kommandanten der nahen französischen Festung Fort-Louis geltend machte122 – vermutlich eine Kontributionsleistung der Markgrafschaft. 1696 setzte er sich wegen eines Verkaufs von Pferden mit einem jüdischen Handelspartner auseinander.123 Schon zu dieser Zeit zeigte sich der Horizont für die Aktivität Joseph Jacobs: Die Pferde für den Kommandanten in Fort-Louis kaufte er in Frankfurt ein.124 Noch weiter erstreckte sich sein geschäftlicher Radius bei einem anderen Handel im Jahr 1700. Der Vogt im württembergischen Dornstetten erkundigte sich damals bei der Hofkammer über Joseph Jacob. Er sei Anfang Mai mit mehr als 30 Pferden durch Besenfeld, einen Ort seines Amtsbereichs, gezogen; dabei sei geprüft worden, ob er für die Pferde Zoll gezahlt habe. Joseph Jacob konnte eine Bescheinigung der baden-badischen Kanzlei vorweisen, in der ihm Zollfreiheit zugesichert war. Bereits kurz zuvor habe er schon in Calw Pferde gekauft. Wie es sich mit all dem verhalte, darauf zielte die Anfrage des Vogts. Die Hofkammer lud Joseph Jacob vor und befragte ihn. Sie wusste, dass er im Auftrag des Landkommissars125 und Bühler Amtmanns Johann Bernhard Weißbach126 unterwegs gewesen war, um Pferde für die Dragoner des Schwäbischen Kreises zu besorgen. Um wie viele es sich gehandelt habe und wie es mit ihrer Zollbefreiung bestellt war? 119 Zum Haus Joseph Jacobs am Markt siehe S. 296ff. 120 GLAK 61/230 HK 17.5.1691 Bl. 123r–124r. 121 GLAK 61/230 HK 30.11.1792 Bl. 203v–204r. 122 GLAK 61/232 HK 18.5.1695 Bl. 67v–68r. 123 GLAK 61/232 HK 12.7.1696 Bl. 83r–v. 124 GLAK 61/232 HK 18.5.1695 Bl. 67v–68r. 125 Landkommissar: von der Regierung eingesetzter Beamter mit besonderen Aufgaben. 126 Namensvariante: Weißenbach.

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Joseph Jacob bestätigte, dass er im Auftrag Weißbachs 34 Pferde in die Markgrafschaft Baden-Baden bringen wollte. Er sei allerdings mit 36 Pferden durch Besenfeld gekommen. Darunter seien aber vier „Reitklepper“ gewesen; zwei hätten er und seine Leute ins Württembergische geritten, als sie dort Pferde kauften. Für zwei, die sie außerhalb des württembergischen Territoriums erwarben, eines davon in Eberbach, hätten sie Zoll bezahlt. Alle übrigen Pferde seien im Allgäu gekauft, in der Nähe von Kempten und Memmingen, in – wie Joseph Jacob sie bezeichnete – „Kaiserlichen und dem Fürsten von Hechingen gehörenden“ Orten, in denen er mit seinem „Pass“, seiner Bescheinigung, zollfrei einkaufen konnte. Diesen „Pass“ habe er bei seiner Rückkehr wieder bei Weißbach abgeliefert. Die zweite Frage der Hofkammer zielte auf die schon vorher in Calw erworbenen Pferde. Wie viele er da gekauft habe? Fünf seien es gewesen. Dies könne der Vogt in Calw bestätigen, und aus den Zollbüchern dort müsse sich ergeben, dass er auch sie verzollt habe. Er könne auch die Calwer Zollzeichen vom 4. Mai zeigen. Und es seien aus den Ämtern Bühl, Rastatt und Ettlingen Leute auf dem Markt gewesen, diese könnten alles bezeugen. Damit war die Kammer zufrieden, und sie schickte diese Aussagen mit einer Bestätigung an den Vogt in Dornstetten.127 Wenn auch der Weg, den Joseph Jacob zurücklegte, aufgrund seiner Aussagen nur grob sichtbar wird, werden doch die Räume deutlich, die er und seine Leute aufsuchten: Nach Nordosten zogen sie über Württemberg hinaus in das Gebiet um Eberbach, dann nach Süden ins Allgäu bis Memmingen und Kempten. 4.2.2  Selbstbewusstsein Das Auffallende an der Aussage Joseph Jacobs: Nicht nur der „Pass“, die Zollzeichen und Zollbücher dienten ihm zur Bekräftigung seiner Aussagen. Er dachte nicht nur an diejenigen, die ihn von Amts wegen in Erinnerung haben müssten. Leute, Marktbesucher in Calw aus dem Baden-Badischen, nahmen ihn nach seiner Aussage wahr und konnten für ihn zeugen. Auch in der Fremde – so seine Vorstellung – war er für Einwohner der Markgrafschaft erkennbar, sogar wenn sie nicht aus Bühl kamen. Seinem Selbstbewusstsein entsprach das Bild, das Amtmann Harrandt in Bühl 1706 von seinem Haushalt entwarf: Darin lebten mit dem Judenschultheiß seine Frau Rachel, zwei Söhne und zwei Töchter, der „Ladendiener“ Salomon und Kaufmann, „sein Schulmeister“, dazu ein Knecht und eine Magd. Seine vier – den Lehrer einbegriffen – zusätzlichen Arbeitskräfte weisen Joseph Jacobs besondere wirtschaftliche Aktivitäten aus. In seinem „Kramladen“ führte er „Kaufmanns127 GLAK 61/240 HK 17.6.1701 Bl. 46r–48r.

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wahren, In Silber, Zinn, Messkupfer“; er handelte mit „Pferden, SV [Salva Venia, bitte um Entschuldigung] Vieh und waß sie Juden sonsten pfleegen zue traficiren [kaufen und verkaufen].“ Vom üblichen Geschäft der jüdischen Kleinhändler unterschied sich das von Joseph Jacob nach der Darstellung des Amtmanns durch die „Kaufmannswahren“ – wie sie auch christliche Krämer führten. Zum Schluss betonte Harrandt: „Und dann ist zue wisßen, dass Er Jud eine behausung vornen im fleckhen hat.“128 Die Lage des Hauses nahe an der Hauptstraße hob den Judenschultheißen nochmals hervor, ebenso die Angabe über sein Vermögen im Jahr 1709: Es belief sich auf 3000 Gulden; unter den Schutzjuden im Kerngebiet der Markgrafschaft besaß nur Mathias Schweitzer, sein Schwiegersohn, ein so großes Vermögen.129 Sein Selbstbewusstsein zeigte sich in seinem Verhalten zur Regierung und ihren Beamten. Seit 1701 stritt sich Joseph Jacob mit dem Staufenberger Amtmann Grünlinger. Er weigerte sich, diesem Waren auszuliefern – die Regierung versuchte den Konflikt zu lösen.130 Fünf Jahre später stritt er sich wieder oder noch immer mit Grünlinger; als Streitpunkt wurde jetzt ein „Pferdehandel“ angegeben.131 Joseph Jacob beschwerte sich über ein Urteil des Bühler Amtmanns: Dieser würde „ohnrechtlich verfahren als auch sonsten die Juden aus paßsion [in einem besonderen Eifer gegen die Juden] mit harter Straf“ verfolgen; die Regierung warf ihm darauf vor, mit unbegründeten Rechtsmitteln „mutwillig“ Kosten zu verursachen. Für ihn galt aus ihrer Sicht wohl auch, was sie insgesamt über einige Juden in Bühl äußerte: Sie würden sich „ohne gebührenden respect“ „höheren orths ohngegründet“ beschweren.132 Als er 1708 in Ettlingen lebte, warf er der Gemeinde vor, ungerechtfertigt hohe Abgaben zu verlangen und zu verhindern, dass er eine Wohnung bekomme. Gegen den dortigen Amtmann Schweinhuber und den Amtsschreiber Mahler klagte er: Sie würden seinen Stiefsohn, der „ein Feuer Muttermahl ahn einem Backhen habe“, mit 20 Reichstalern Strafe bedrohen, falls er sich nochmals in der Öffentlichkeit zeige. Darin gab der Hofrat Joseph Jacob sofort Recht und wies das Amt an, seinen Sohn frei „handeln und wandlen [zu] lassen.“133 Wenige Tage später beschwerte sich Joseph Jacob wieder: Das Amt habe seinem Stiefsohn befohlen, „das Haus zu hüten“; er durfte das Haus nicht verlassen.134 Den habe, so die dritte Beschwerde, der Amtmann gegen das Dekret der Regierung ins Gefängnis

128 GLAK 74/3711, Amtmann Johann Heinrich Harrandt an die Hofkammer, 12.6.1706. 129 74/7139, Hofkammer an den Hofrat, 5.4.1735, Anhang „Ausrechnung“, o. D. 130 GLAK 61/131 HR 22.3.1701 Bl. 254v. 131 GLAK 61/134 HR 26.8.1706. 132 GLAK 61/134 HR 23.9.1706. 133 GLAK 61/136 HR 20.9.1708. 134 GLAK 61/136 HR 27.9.1708.

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bringen lassen.135 Die Angst vor dem „Feuer Muttermal“ entsprang einer magischen Vorstellung. Inwiefern sich solches Denken hier mit einer antijüdischen Einstellung verband, einem jüdischen Träger eines solchen Mals Schadens-Magie zuwies,136 muss offen bleiben. 4.2.3  Eine „Heuprätension“ Von 1705 an stand Joseph Jacob im Zentrum von Auseinandersetzungen, die erst 1720 beendet waren. Es ging dabei um eine „Heuprätension“, um die Ansprüche und die Abrechnung für Heu, das er im Auftrag der Regierung an die Truppen des Fränkischen und Schwäbischen Reichskreises lieferte, die sich 1705 bei Lauterburg (Lauterbourg, Bas-Rhin) im Elsass aufhielten.137 Den Preis des Heus gab die Hofkammer 1711 mit 18 000 Gulden an.138 Bei diesem Handel befand sich Abraham Heilbronn aus Bühl „in Societät“ mit Joseph Jacob,139 ebenso der Bühler Zollbereiter Hans Martin Crembs und weitere, nicht immer gleich namentlich genannte „Konsorten [Beteiligte, Teilhaber]“.140 Spätestens seit März 1706 war Joseph Jacob „beim Sollicitieren“, beim Versuch, von den beiden Reichskreisen die ausstehenden Gelder zu erhalten141 – vergebens. Drei Jahre später fing Abraham Heilbronn, sein Bühler Nachbar und Mitlieferant, gegen Joseph Jacob an zu prozessieren, der noch immer die Abrechnung über ihr gemeinsames Geschäft verweigerte.142 Weder über den Hofrat143 noch mit Hilfe des Landrabbiners aus Hagenau,144 auch nicht mit Hilfe eines Vergleichs, bei dem jeder der Kontrahenten einen Rabbiner zu Hilfe nahm,145 kam Heilbronn weiter. Er stand zu dieser Zeit selbst unter finanziellem Druck; gegen ihn klagten Frankfurter Kaufleute auf Bezahlung von Waren.146 135 GLAK 61/136 HR 4.10.1708. 136 Zur schadensstiftenden schwarzen Magie im Zusammenhang mit der Religion dieser Zeit Hersche, Muße und Verschwendung, Teilband II, S. 873–879, v. a. S. 875. 137 GLAK 61/247 HK 6.3.1711. 138 GLAK 61/247 HK 2.11.1711. 139 GLAK 61/137 HR 29.1.1709. 140 GLAK 61/249 HK 22.4.1713. Zollbereiter: ein von der Regierung eingesetzter Kontrolleur über die Einhaltung der Gesetze, vor allem auch über die Einnahmen der Regierung. 141 GLAK 61/243 HK 20.3.1706. 142 GLAK 61/137 HR 29.1.1709. 143 GLAK 61/137 HR 1.8.1709. 144 GLAK 74/3771, Rabbiner Benjamin Wolf Hochfelden, „Gehorsambster Bericht“, 5.7.1709. 145 GLAK 61/137 HR 7.11.1709. 146 GLAK 61/137 HR 20.8.1709.

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Am Ende des Jahres 1709 drängte auch Hans Martin Crembs beim Hofrat auf Hilfe für die Abrechnung mit Joseph Jacob. Er verlieh seiner Forderung Nachdruck: Joseph Jacob, informierte er, wolle in den Schutz der Markgrafschaft Baden-Durlach.147 Einige Monate später supplizierte auch dieser: Das wolle er wirklich, zugleich aber den von Baden-Baden behalten. Ein solch zweifaches Schutzverhältnis war dem Hofrat nicht geheuer, und prompt erfolgte die Ablehnung.148 Nur – Joseph Jacob und sein Schwiegersohn hatten bereits die Zusage für die Aufnahme nach Durlach.149 Im Sommer 1710 kamen Joseph Jacob und Hans Martin Crembs zusammen zum Hofrat, auch Abraham Heilbronn wurde erwartet, erschien aber bei zwei Terminen nicht.150 Jetzt ging es zwischen Joseph Jacob und Hans Martin Crembs darum, ob beide Parteien alle Schriftstücke herausgegeben hätten, die zur Entscheidung nötig waren, oder ob Joseph Jacob versuche, Zeit zu gewinnen. Vor allem war umstritten, ob es eine schriftliche Übereinkunft zwischen den Kontrahenten gebe, die bisher zurückgehalten worden sei – eine Behauptung Joseph Jacobs, der sein Gegner widersprach.151 Dann – im Oktober 1710 – klagte wieder Abraham Heilbronn gegen Joseph Jacob; er verzögere das Verfahren.152 Im April 1711 drängte Heilbronn noch immer auf eine Entscheidung.153 Joseph Jacob versuchte inzwischen selbst an Geld aus eigenen Außenständen zu kommen.154 Gegenforderungen eines Kaufmanns namens Louis Dufour aus Fort-Louis trafen beim Hofrat ein,155 Einwohner aus den Gerichten Achern und Ottersweier156 in der Landgrafschaft Ortenau klagten auf Bezahlung;157 sie hatten wohl an die Lieferanten Heu verkauft. Anfang 1711 erhob auch der Bühler Bürger Franz Bacheberle, gegen den Joseph Jacob im Jahr zuvor wegen einer Schuld prozessiert hatte, seinerseits eine Forderung.158 Jetzt schaltete sich die Hofkammer ein. Im April 1711 warf sie Joseph Jacob vor, entgegen seiner Zusage keine Abrechnungen über das Geld vorzulegen, das er schon bei der Heulieferung erhalten habe. Zudem lasse er Waren aus seinem Laden nach Durlach bringen, wolle sich so einem Zugriff auf sein Vermögen 147 GLAK 61/137 HR 24.12.1709. 148 GLAK 61/138 HR 8.5.1710. 149 GLAK 74/3712, Geheimer Rat (?) an den Geheimen Rat von Mentzingen, 24.12.1709 und GLAK 74/3712, Geheimer Rat (?) an den Geheimen Rat von Mentzingen 30.12.1709. 150 GLAK 61/138 HR 17.6.1710. 151 GLAK 61/138 HR 2.9.1710. 152 GLAK 61/138 HR 23.10.1710. 153 GLAK 61/139 HR 28.4.1711. 154 GLAK 61/138 HR 16.1.1710 und GLAK 61/138 HR 31.7.1710. 155 GLAK 61/138 HR 6.2.1710 und GLAK 61/138 HR 1.9.1710. 156 Gerichte Achern und Ottersweier: Gerichtsgebiete um die genannten Orte. 157 GLAK 61/138 HR 13.5.1710 und GLAK 61/138 HR 27.5.1710. 158 GLAK 61/139 HR 13.1.1711.

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entziehen. Die Beschlagnahme seines Besitzes in Ettlingen folgte.159 Joseph Jacob beschwerte sich über die Versiegelung seines Ladens durch das Amt und die Bewachung durch Ettlinger Bürger; dadurch werde „sein Kredit geschwächt“. Er beantragte die Öffnung seines Ladens, versprach nichts daraus zu entfernen, kündigte an, sein Schwiegersohn Salomon Moyses werde für ihn eine Kaution stellen. Der Amtmann rechtfertigte sich: Joseph Jacob habe schon „Sachen“ bei einem Bürger deponiert und lasse sie wegbringen, und auch der Zugriff auf Einnahmen aus dem Laden drohe schwierig zu werden. Hofrat und Hofkammer kamen Joseph Jacob entgegen: Zwei Wagenladungen mit Waren aus Frankfurt und sein Haus in Bühl würden als Kaution ausreichen, die Maßnahmen gegen ihn gemildert werden.160 Eine zweite Beschwerde Joseph Jacobs richtete sich gegen die Beschlagnahme seines Mobiliars.161 Sein Bruder Moyses Jacob in Mannheim, sein Schwiegersohn Salomon Moyses und Mathias Schweitzer sagten schriftlich eine Kaution für ihn zu, und sie nahmen dabei auf einen weiteren Heulieferanten Bezug, auf Kaufel aus dem kurpfälzischen Ort Weingarten. Wenn er komme, versicherten sie, werde „das in Gemeinschaft eingenommene Heugeld ordentlich berechnet und liquidiert“, die Ansprüche der Beteiligten erfüllt. Joseph Jacob erhielt von der Hofkammer wieder „freie Handlung“ in seinem Laden in Ettlingen. Auch seiner Frau kam sie entgegen. Wegen der vielen in Ettlingen einquartierten Soldaten sei es besser, wenn sie nach Durlach gehe – dorthin könne sie nun den nötigen Hausrat bringen lassen.162 Doch die Hofkammer klagte auch: Viele vernünftige Angebote habe sie Joseph Jacob gemacht, viele seiner Einwände berücksichtigt, aber auf nichts habe er sich eingelassen.163 Nachdem Joseph Jacob seit 1712 in Durlach lebte, damit wohl auch wirklich den Schutz in der Markgrafschaft Baden-Durlach angetreten hatte, kam die Regierung in Rastatt ihm wieder entgegen und bestellte ihn und Hans Martin Crembs Anfang 1713 nochmals ein.164 Um zu einer Einigung zu kommen, schlug sie Joseph Jacob vor, den Wert der Heulieferung auf 6000 Gulden zu reduzieren, also erheblich weniger zu fordern. Darauf ließ er sich nur bedingt ein. Er müsse, so äußerte er sich, darüber mit seinen Geschäftspartnern sprechen.165 159 GLAK 61/247 HK 9.5.1711. 160 GLAK 61/247 HK 13.5.1711. 161 GLAK 61/139 HR 21.5.1711. 162 GLAK 61/247 HK 2.6.1711. 163 GLAK 61/247 HK 2.11.1711. 164 GLAK 61/249 HK 7.1.1713. 165 GLAK 61/249 HK 12.1.1713. Nach Selma Stern konnten zu dieser Zeit Heereslieferanten ihre Preise manchmal fast nach Belieben gestalten (Selma Stern, Der Hofjude im Zeitalter des Absolutismus. Ein Beitrag zur europäischen Geschichte im 17. und 18. Jahrhundert (Schriftenreihe wissenschaftlicher Abhandlungen des Leo Baeck Instituts Bd. 64), hg.

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Crembs drängte auf Fortschritte, auf energisches Vorgehen beim Schwäbischen Kreis.166 Joseph Jacob versprach: „Allen Ernstes“ werde er bei dessen nächster Tagung in Ulm seine Forderungen vertreten und bat, wie um seine Entschlossenheit zu untermauern, um die Hilfe des dortigen markgräflichen Gesandten.167 Aber dann scheint er doch nicht so entschlossen wie versprochen vorgegangen zu sein. Als er im Juni 1714 mit der Kammer in Baden-Baden verhandelte, schaltete sich der Hofrat ein: Seine Forderungen würde er überhaupt nicht mehr vertreten und auch keine Quittungen, Empfangsbestätigungen für das gelieferte Heu, vorlegen und herausgeben. Er solle deshalb festgehalten werden, bis er sich dazu bereit erkläre, „seine und des landts“ Interessen weiter zu verfolgen.168 Joseph Jacob beschwerte sich beim Hofrat über die Kammer: Sie habe einen „personal arrest angelegt [eine Art von Festnahme]“, den er im Wirtshaus „Zum Baldreit“ verbringen musste.169 Joseph Jacob erklärte, warum er keine Quittungen vorzeigen könne. Sie lägen in Düsseldorf, dem derzeitigen Sitz der kurpfälzischen Regierung. Auf deren Hilfe setze er Hoffnung.170 Auch er ging nun auf die Regierung zu, erkundigte sich bei der Kammer, was er angesichts der bevorstehenden Versammlung des Schwäbischen Kreises unternehmen könne, um seine Interessen zu wahren. Er solle, empfahl die Kammer, selbst seine Forderung durchsetzen, und man werde ihn unterstützen.171 Drei Tage später ging die entsprechende Aufforderung an die Gesandtschaft nach Ulm, dass die Regierung „diese Forderung bestens wollte recommodirt [empfohlen] haben.“172 Januar 1716 war die Forderung Abraham Heilbronns an Joseph Jacob noch immer offen: Sie wurde nun mit 5000 Gulden angegeben, Joseph Jacob galt aber als „illiquid“,173 konnte nicht zahlen. Seine Situation war wohl belastet durch Konkurs und Tod seines Schwiegersohns Salomon Moyses, mit dem er einen gemeinsamen Handel betrieben hatte.174 Wenigstens zu einem Teil seines Geldes kam Abraham Heilbronn: Die Regierung ließ im folgenden Jahr das Haus Joseph Jacobs in Bühl an den dortigen Bürger Johann Lichtenauer verkaufen. 300 Gulden, die der Käufer noch zurückgehalten hatte, erhielt Abraham Heilbronn.175 von Marina Sassenberg. Tübingen 2001, S. 32f.); dies könnte den Vorschlag der Preisreduzierung auf ein Drittel erklären. 166 GLAK 61/249 HK 22.4.1713. 167 GLAK 61/249 HR 28.4.1713. 168 GLAK 61/250 HK 22.6.1714. 169 GLAK 61/142 HR 26.6.1714. 170 GLAK 61/250 HK 13.7.1714. 171 GLAK 61/250 HK 26.10.1714. 172 GLAK 61/250 HK 29.10.1714. 173 GLAK 61/144 HR 30.1.1716. 174 GLAK 61/144 HR 26.3.1716. 175 GLAK 61/145 HR 17.6.1717.

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4.2.4  Das Ende der Auseinandersetzung 1715 hatte Moyses Jacob von der Regierung freies Geleit für seinen Bruder verlangt;176 zumindest in ihren Protokollen erscheint dieser aber nicht mehr. Der Ettlinger Kronenwirt Franz Anton Meyer verlangte von Moyses Jacob im Juni 1717 einen Hauszins, den ihm die Witwe von Salomon Moyses noch schuldete, des Schwiegersohnes von Joseph Jacob.177 Er, Joseph Jacob selbst, wurde nicht mehr erwähnt. Der Konflikt über die Heulieferung, den er über ein Jahrzehnt geführt hatte, fand 1720 ein Ende. Im Juli des Jahres informierte die Regierung Kaufel von Weingarten und weitere, namentlich nicht genannte „Konsorten“, sie habe an den Schwäbischen Kreis ein Schreiben gerichtet, das die „Heuprätension“ betraf, die Forderung aus der Heulieferung – „damit die Geldter zu Hand“ kämen.178 Fünf Tage danach wurden Zollbereiter Crembs und die Wirthischen Erben von Bühl zur Hofkammer zitiert; über ihre Forderungen an Joseph Jacob sollte endgültig entschieden werden.179 Kurz darauf teilte Moyses Schweitzer mit, er habe die „Heuprätension“ für 2000 Gulden gekauft, und zwar im Auftrag Kaufels.180 Dieser übergab drei Wochen später der Hofkammer die angekündigte Summe.181 Wer die Ansprüche aus dem Heuhandel an Kaufel verkaufte, wurde nicht angegeben; es waren wohl die Erben Joseph Jacobs und seines Schwiegersohns, vermutlich vor allem Moyses Jacob. Kaufel hatte zu dieser Zeit ein Interesse an einer guten Beziehung mit der Regierung: Nachdem er sich mit ihr „verglichen“, sich mit ihr geeinigt und ihr die Kaufsumme übergeben hatte, versuchte er in den folgenden Monaten bei der Regierung als Lieferant von Hafer ins Geschäft zu kommen. Am 24. Dezember 1720 erhielt er einen größeren Auftrag.182 Mit den 2000 Gulden, die sie von Kaufel erhalten hatte, glich die Regierung noch offene Forderungen derjenigen aus, von denen Joseph Jacob Heu bezogen hatte. 1400 Gulden gingen an Privatleute, 600 Gulden an fünf markgräfliche Ämter.183 Im Oktober wurde ein endgültiger Vergleich geschlossen.184

176 GLAK 61/143 HR 12.11.1715. 177 GLAK 61/145 HR 12.6.1717. 178 GLAK 61/256 HK 18.7.1720. 179 GLAK 61/256 HK 23.7.1720. 180 GLAK 61/256 HK 29.7.1720. 181 GLAK 61/256 HK 21.8.1720. 182 GLAK 61/256 HK 31.10. 1720, 2.12.1720, 5.12.170, 18.12.1720 und 23.12.1720. 183 GLAK 61/256 HK 21.8.1720. 184 GLAK 61/256 HK 7.10.1720.

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4.2.5  Ein Geschäft über Grenzen hinweg, zu schwierig selbst für Joseph Jacob Nicht alle Einzelschritte in dieser Auseinandersetzung lassen sich gut erkennen. Unter seiner Führung hatten Joseph Jacob und seine Partner im Auftrag der Markgrafschaft Heu an die Truppen des Schwäbischen und Fränkischen Reichskreises geliefert.185 Einen Teil des Verkaufspreises erhielt Joseph Jacob; die Abrechnung mit den Partnern unterließ er. Hofrat und Hofkammer klagten allerdings Joseph Jacob nicht einmal eines Vergehens an. Sie warfen ihm nur vor, dass die Ansprüche der anderen Beteiligten ungeklärt blieben. Eine rasche Lösung des Konflikts konnten die Räte nicht durchsetzen; offenbar brauchten sie die Mitwirkung Joseph Jacobs und nahmen vor allem Rücksicht, nachdem er 1709 den Schutz von Karlsruhe-Durlach erhalten hatte. Wie behutsam der Hofrat in Rastatt vorging, wenn Interessen anderer Regierungen berührt waren, zeigte sich gerade bei seinem Bruder Moyses Jacob. Er, der kurpfälzische Schutzjude, war durch das Vorgehen der markgräflichen Regierung in Schwierigkeiten gekommen, als der Laden Joseph Jacobs in Ettlingen beschlagnahmt wurde, dabei auch Waren, die Moyses Jacob als seine reklamierte. Die kurpfälzische Regierung setzte sich für ihn in Rastatt ein. Der Hofrat ließ Moyses Jacob die Freigabe seiner Waren ankündigen, wenn weitere Verwicklungen geklärt seien. Als sich dann Moyses Jacob nochmals an die Regierung wandte, erlaubte sie ihm endlich den Zugriff auf sein Eigentum. Ausdrücklich protokollierte der Hofrat, dies geschehe, damit die pfälzische Regierung sich nicht „über nicht gemachte Rücksicht auf derenselben [ihre] für ihne Juden eingelegte intercessionabilis [Verwendung]“ beschweren könne.186 Warum wollte oder konnte Joseph Jacob den Konflikt wegen des Heuhandels nicht rascher lösen? Die Heulieferung wurde nur zu einem Teil sofort bezahlt. Die Lieferanten, in erster Linie wohl Joseph Jacob selbst, hatten ihrerseits das Heu auf Kredit erhalten. Dafür sprechen die vielen Forderungen, die an Joseph Jacob nach 1705 gestellt wurden. Als dann seine Krise offenbar wurde, erhoben weitere Gläubiger wie Louis Dufour187 Ansprüche aus anderen Geschäften. Auch weil seine Schuldner nicht zahlten, konnte Joseph Jacob diese Forderungen nicht erfüllen. Dazu kam, dass sein Schwiegersohn und Teilhaber an seinem Kramladen in Ettlingen kurz vor seinem Tod bankrottierte;188 auch hierdurch wurde der Kredit Joseph Jacobs geschwächt. Seine Möglichkeiten, ohne ausreichendes Kapital einen großen Handel durchzuziehen, hatte er bei diesem Geschäft überfordert. Seine Risikobereitschaft, die Zahlungsmoral seiner Schuldner und die 185 GLAK 61/246 HK 14.2.1709. 186 GLAK 61/145 HR 1.6.1717. 187 Zur Forderung Dufours siehe S. 166. 188 Zum Bankrott von Salomon Moyses siehe S. 168.

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Schwierigkeiten der juristischen Auseinandersetzungen scheinen seinen Erfolg als Heereslieferant gestoppt zu haben. Eine Schwierigkeit bei der ganzen Auseinandersetzung bestand im Fehlen ausreichender schriftlicher Beweise. So wenig Joseph Jacob Quittungen und Abrechnungen vorlegte, so wenig belegten die Regierung und die Partner Joseph Jacobs ihre Ansprüche schriftlich. Die Konflikte zwischen den jüdischen Teilnehmern konnten auch nicht über jüdisches Recht beigelegt werden: Zwischen Abraham Heilbronn und Joseph Jacob sollte mit Hilfe von Rabbinern189 eine Lösung gefunden werden, ohne Erfolg – die Kontrahenten entzogen sich dem Urteil oder wandten sich an das staatliche Gericht. Der „Heuhandel“ zeigt noch eine weitere Dimension des Lebens von Joseph Jacob. Er führte dieses Geschäft mit jüdischen, aber auch mit einem christlichen Partner durch. Überhaupt galt er wohl bei den nichtjüdischen Zulieferern von Heu als kreditwürdig. Er war auch jemand, der einem Christen aushalf: 1706 übernahm der Bühler Bürger Bacheberle eine Admodiation und wurde dabei von Joseph Jacob „creditirt“, bekam von diesem eine Bürgschaft. Und auch für die Regierung war er wichtig: Im Juni 1705 drohten schon hohe Offiziere von fremden Truppen mit Gewalt, wenn nicht Heu geliefert würde. Diese Situation entschärfte Joseph Jacob, indem er die erforderlichen Mengen Heu organisierte.190 Auch wenn sich die Beziehung zum Zollreiter Hans Martin Crembs wegen der ausbleibenden Abrechnung verschlechterte wie auch die zwischen Joseph Jacob und Abraham Heilbronn, der jüdische Schultheiß hatte nicht nur Kontakt zu den christlichen Anbietern von Heu, zur Regierung und zu den Truppen des Fränkischen und Schwäbischen Kreises. Für ihn wie für seine jüdischen Partner einerseits und den Zollbereiter Crembs andererseits war der Heuhandel zumindest den Versuch wert, über die jüdisch-christliche Grenze hinweg gemeinsam ein geschäftliches Projekt anzugehen. Der Versuch endete im Zerwürfnis – zwischen Juden und Christen wie auf der jüdischen Seite. Bis dahin jedenfalls war Joseph Jacob in ein Netz von Wirtschaftsbeziehungen eingebunden, das jüdische und nichtjüdische Teilnehmer miteinander verwob. Auch das könnte eine Voraussetzung seines Selbstbewusstseins gewesen sein. Anders als Hayum Flörsheim war Joseph Jacob stark in der ländlichen Lebenswelt verhaftet: Kredite in der dörflichen Nachbarschaft, Handel mit Heu und mit Pferden – das waren Aktivitäten im agrarischen Bereich der Gesellschaft. Allerdings trat auch Joseph Jacob in Kontakt mit dem Hof, und im Wechsel aus der ländlichen Welt in die Stadt, zunächst nach Ettlingen, zeigen sich doch auch Parallelen zu Hayum Flörsheim. Beide verließen sie schließlich die Markgrafschaft und suchten den Schutz in Baden-Durlach. 189 Zum jüdischen Recht siehe S. 492ff. 190 GLAK 61/243 HK 7.6.1705 und 9.10.1705.

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4.3  In der Nähe des Hofes 4.3.1  Persönliche Nähe: „Samuel Jud von Heidelberg“ – Samuel Oppenheimer Zunächst wurde er, bei seinen ersten Kontakten zum Hof, in den Protokollen der Regierung oft nur „Samuel Jud von Heidelberg“ genannt. Als Samuel Oppenheimer wurde er später in Wien im Dienste des Kaisers zum „bedeutendsten Hoffaktor seiner Zeit“.191 Der markgräfliche Keller in Trarbach192 solle ihm, so der Befehl der Hofkammer im August 1665, drei Fuder Wein, ungefähr 3500 Liter, aus dem Besitz der Herrschaft ausliefern, dann auch berichten, welchen Preis Oppenheimer beim Verkauf dieses Weins erzielen könne.193 Im gleichen Jahr hielten sich er und sein Schwager „hien und wieder“ in der Markgrafschaft auf, vor allem im Amt Ettlingen. Gegen beide wurden Vorwürfe erhoben. Sie hätten „verschiedene wucher194 an sich erhandelt und dan wiederum verkauft“, also mit nicht näher genannten Waren gehandelt, und dabei „weder Zoll noch andere schuldighkeit“ entrichtet.195 Aus dem Hofratsprotokoll von 1674 geht eine verwandtschaftliche Verbindung Oppenheimers in die Markgrafschaft hervor. Der baden-badische Schutzjude Isaac in Ettlingen hatte eine Bittschrift eingereicht, um beschlagnahmte 30 Gulden wieder zu erhalten. Der Hofrat entschied, er solle dieses Geld bekommen, wenn sein „Schwager Samuel zu Heidelberg“ die Forderung eines Maurergesellen beglichen habe.196 Isaac von Ettlingen und Samuel Oppenheimer galten somit für den Hofrat als verwandt197 und waren vielleicht schon zusammen 1765 bei ihrem Aufenthalt in der Gegend von Ettlingen genannt worden. Im März 1670 bezog Samuel Oppenheimer Eichenholz aus herrschaftlichem Besitz, aus Wald im elsässischen Amt Beinheim;198 ein weiterer Kauf folgte im August des Jahres.199 Danach lieferte Samuel Oppenheimer Leder für 90 Reichstaler 191 Britta Waßmuth, Im Spannungsfeld zwischen Hof, Stadt und Judengemeinde, S. 90. 192 Trabach, Traben-Trarbach: Teil des Kondominats Vordere Grafschaft Sponheim. 193 GLAK 61/221 HK 17.8.1765 Bl. 122v. 194 Die Bedeutung von Wucher in diesem Kontext ist nicht klar. Gemeint waren wohl Handelswaren, wie aus dem Bezug auf den Zoll schließbar ist. 195 GLAK 61/221 HK 16.12.1665. Zur Klage eines Einwohners in Durlach gegen Samuel Oppenheimer im Jahr 1674 Zehnter, Juden in der Markgrafschaft Baden-Baden, in: ZGO 50 (1896), S. 375. 196 GLAK 61/124 HR 14.9.1674 Bl. 237r. 197 Möglicherweise wurde „Schwager“ in dieser verwandtschaftlichen Beziehung in einer weiteren Bedeutung verwendet; eine Verwandtschaft über verheiratete Geschwister lässt sich für Samuel Oppenheimer und Israel in Ettlingen nicht nachweisen. 198 GLAK 61/222 HK 29.3.1670. 199 GLAK 61/222 HK 29.8.1670.

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an den Hof.200 1672 war er in Baden-Baden; er versuchte bei dieser Gelegenheit, eine Schuldforderung an die Familie des Amtmanns Johann Dietrich Bademer von Rohrburg in Bühl durchzusetzen, dem er Silberbecher und Tuch auf Kredit geliefert hatte. Dessen Witwe verweigerte die Zahlung, worauf sich Oppenheimer an den Hofrat wandte; sie verteidigte sich damit, diese Gegenstände seien ihr geschenkt worden. Der Rat wies sie an, ihre Behauptung zu beweisen oder die Forderung Oppenheimers zu erfüllen.201 Ebenfalls 1672 klagten Einwohner der Markgrafschaft gegen ihn beim Hofrat, er habe Speisen und Unterkunft nicht bezahlt; der Rat drohte ihm darauf mit einer Beschlagnahme seines noch nicht ausgelieferten Holzes, falls er die Schulden nicht begleiche.202 Sein Kontakt zur Regierung dauerte an. Im April 1681 schloss sie mit „dem Juden zu Heydelberg“ einen Vertrag wegen der „Münzung“, also im Zusammenhang mit der Herstellung von Münzen. Als der Hofrat diesen Vertrag beriet, gab es Bedenken. Reichsrechtliche Bestimmungen könnten Probleme bereiten, auch Rechte anderer, die im Besitz des Münzrechts seien.203 Dennoch hielt die Regierung die Verbindung mit Samuel Oppenheimer bzw. seinem Sohn in der Frage des Münzens aufrecht; der Hofrat ließ, ohne dass die Hintergründe genauer sichtbar würden, „Samuelen Oppenheimers des Judens zu Heydelberg Sohn“ beauftragen, für die Herstellung von Münzen zwei Zentner Silber bereit zu halten, damit die Regierung es bei Bedarf rasch abrufen könne.204 Zur Herstellung von Münzen scheint es allerdings zumindest zu dieser Zeit nicht gekommen zu sein.205 1682 wandte sich Samuel Oppenheimer wieder an den Hofrat. Er habe noch immer nicht die 96 Reichstaler erhalten, die er dem Amtmann Bademer Jahre zuvor als Kredit für den Kauf von einigen Bechern eingeräumt hatte. Gleichzeitig kam er auf andere Forderungen zu sprechen. Vor längerer Zeit habe er vier Metzgern in Ettlingen 100 Reichstaler geliehen.206 Diese hätten ihm versichert, als Zurückzahlung Häute zu liefern. Er habe aber überhaupt nichts erhalten. Und weiter: Der Scharfrichter in Baden-Baden schulde ihm 200 Reichstaler, aber bisher erhielt er – so Oppenheimer – nur 80 Taler, die er „Gerstel dem Juden zu Hagenaw [Hagenau, Bas-Rhin] ahngewiesen“ habe.207 200 GLAK 61/222 HK 16.2.1672. 201 GLAK 61/124 HR 7.1.1672 Bl. 18r, 18.2.1672 Bl. 28v und 19.2.1672 Bl. 29r. 202 GLAK 61/124 HR 7.1.1672 Bl. 18r. 203 GLAK 61/126 HR 5.4.1681 Bl. 99r. 204 GLAK 61/126 HR 2.5.1681 Bl. 130v–131r. 205 Herbert Rittmann, Münz- und Geldgeschichte der Barockzeit im Südwesten des Heiligen Römischen Reiches, in: Badisches Landesmuseum Karlsruhe (Hg.), Barock in BadenWürttemberg. Vom Ende des Dreißigjährigen Krieges bis zur Französischen Revolution. Karlsruhe 1981, S. 497–505, hierzu S. 500. 206 GLAK 61/127 HR 3.8.1682 Bl. 238v–239r. 207 Ebd.

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Schulden bei Oppenheimer hatte auch die Regierung. Wie es zu ihnen gekommen war, gab die Hofkammer nicht an, als sie sich 1683 um deren Bezahlung kümmerte. Dabei ging es um eine Restschuld; den Landschreiber in Kreuznach208 wies die Kammer an, alle anderen Zahlungsverpflichtungen zurückzustellen, um ja erst die Forderung Oppenheimers zu erfüllen. Dazu sollte Getreide aus staatlichem Besitz verkauft und Geld aus laufenden Einnahmen verwendet werden.209 Im folgenden Monat äußerte die Hofkammer ihre Hoffnung, dass auf diese Weise wirklich die Schulden bei Oppenheimer wenigstens größtenteils abgetragen seien.210 Die Regierung und Privatleute waren Oppenheimers Partner im Handel, der oft auf Kredit erfolgte. Seinen zeitweiligen Aufenthalt und seine Geschäfte in der Markgrafschaft registrierte die Regierung als normales Geschehen. Er schien bekannt zu sein bei ihr und der Verwaltung: Die Kammer schrieb einfach „der Jude“, wenn sie ihn nannte.211 Aber weder seine Kontakte zu den Einwohnern noch zur Regierung selbst kommentierte der Hofrat, auch dann nicht, wenn wegen der Forderungen von oder an Oppenheimer Konflikte entstanden. Allerdings zeigte der Hofrat zumindest anfänglich Misstrauen; dafür spricht die Anweisung an den Keller in Trarbach, sich über die Preise zu erkundigen, die Oppenheimer beim Verkauf des herrschaftlichen Weins erzielte – er könnte ihr, so überlegte wohl die Regierung, zu wenig bezahlt haben. Die Bemühung der Regierung, ihre Schulden bei ihm abzutragen, macht die besondere Bedeutung Oppenheimers am badischen Hof sichtbar: Die Kontakte zu ihm sollten reibungslos verlaufen. Dass er als möglicher Silberlieferant für die Münzprägung angesehen wurde, war nicht außergewöhnlich. Für diesen Zweck verlangte schon 1665 Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg-Preußen von Juden die Lieferung von Silber.212 Die geschäftlichen Aktivitäten Samuel Oppenheimers in der Markgrafschaft scheinen begrenzt gewesen zu sein. Dafür wurde er für Markgraf Ludwig Wilhelm in einer anderen Hinsicht wichtig. Das Verhältnis zwischen dem Markgrafen und dem kaiserlichen Hoffaktor wurde schon von Selma Stern beschrieben: Am Hof in Wien empfahl ihn der Markgraf, wenn es um die Versorgung des Heeres im Krieg gegen die Osmanen ging. Seine Verwendung für Oppenheimer ging so weit, dass der Markgraf mit der Niederlegung seines Oberbefehls über das kaiserliche Heer drohte, falls die Gegner Oppenheimers ihn aus seiner Funktion als Heereslieferant verdrängen würden. Für die Ausrüstung der Truppen, die 208 Kreuznach: wie Trarbach Teil des Kondominats Vordere Grafschaft Sponheim, heute Bad Kreuznach. 209 GLAK 61/224 HK 14.1.1683. 210 GLAK 61/224 HK 19.2.1683. 211 Ebd. 212 Breuer, Frühe Neuzeit und Beginn der Moderne, in: Breuer und Graetz (Hg.), Deutschjüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. 1, S. 127.

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Markgraf Ludwig Wilhelm ab 1693 am Oberrhein befehligte, wurde Oppenheimer unverzichtbar. Schließlich ging das Vertrauen des Markgrafen so weit, dass er Samuel Oppenheimer seine Freundschaft anbot.213 Vor diesem Hintergrund ist verständlich, dass Markgraf Ludwig Wilhelm um 1696 in Bühl intervenierte, als der jesuitische Ortsgeistliche in einer oder mehreren Predigten gegen Juden allgemein oder gegen die örtliche Judenschaft Stellung nahm.214 Die Zunahme der baden-badischen Schutzjuden in der Markgrafschaft bis 1700 könnte im Zusammenhang mit dem persönlichen Verhältnis des Markgrafen zu Samuel Oppenheimer gesehen werden, als Folge einer offeneren Einstellung zu Juden. Diese ging wohl nicht allein auf den militärischen Nutzen Oppenheimers zurück, sondern auch auf den Einfluss von Markgraf Hermann. Für ihn, den Onkel und in mancher Hinsicht „Ersatzvater“ Ludwig Wilhelms, wurde eine tolerante Haltung in Religionsfragen festgestellt. Als kaiserlicher General und Präsident im Hofgerichtsrat trat er für Samuel Oppenheimer ein, den er als „einen ehrlichen Mann“ bezeichnete.215 4.3.2  Joseph Oberländer: Eisen und „Frauenschmuck“ Ab 1680 verkaufte „Joseph der Jude zu Durlach“ Waren an den Hof, bezahlbar wie bei Oppenheimer aus laufenden Einnahmen. Die Kammer bestimmte, dass Abgaben wie das Ohmgeld aus dem Amt Ettlingen solange an Joseph abgeführt werden solle, bis die Summe von 1000 Gulden erreicht sei.216 Joseph ist mit Joseph Oberländer identisch, den die Hofkollegien immer wieder „Judt von Durlach“ nannten. Diese Bezeichnung legt nahe, dass er jener Durlacher Schutzjude und Hofagent war, der 1676 den Handel mit Branntwein in der Markgrafschaft Baden-Durlach in Pacht übernommen hatte;217 den dortigen Handel mit Eisen hatte er bis 1683 inne.218 Auch 213 Stern, Der Hofjude im Zeitalter des Absolutismus, S. 24f. 214 Zum Eingreifen Markgraf Ludwig Wilhelms oder der Regierung in Bühl siehe S. 191. 215 Zu Markgraf Hermanns Haltung in Religionsfragen und zu seinem Verhältnis zu Samuel Oppenheimer Christian Beese, Markgraf Hermann von Baden (1628–1691). General, Diplomat und Minister Leopolds I. (Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, Reihe B, Forschungen, Bd. 121). Stuttgart 1991, S. 24f., S. 269 mit der Bezeichnung als „Ersatzvater“ und S. 312–314. 216 GLAK 61/223 HK 1.3.1680. 217 Schnee, Die Hoffinanz und der moderne Staat, Bd. 4, S. 44. 218 Susanne Asche, Geschichte der Juden in Durlach bis 1715, in: Heinz Schmitt unter Mitwirkung von Ernst Otto Bräunche und Manfred Koch (Hg.), Juden in Karlsruhe. Beiträge zu ihrer Geschichte bis zur nationalsozialistischen Machtergreifung. Karlsruhe 1988 (Veröffentlichungen des Karlsruher Stadtarchivs 8). Karlsruhe 1988, S. 21–40, hierzu S. 27f.

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die Regierung in Baden-Baden nannte ihn 1686 Oberländer, als sie zu seinen Gunsten abrechnen ließ.219 Die Regierung vergab 1681 in Bühlertal oder Altschweier und in Gaggenau die Konzession zur Gründung eines „Bergwerks“ und einer Eisenschmelze, auch „Hammerschmiede“ genannt, für die Produktion von Eisen.220 Oberländer wurde 1684 Teilhaber eines Hauptmanns Adam Ernst von Dekh oder Dekhen, der im Begriff war, die markgräflichen Bergwerke und Eisenschmelzen zu pachten. Im Februar 1685 schlossen beide, Dekh und Oberländer, einen gemeinsamen Vertrag mit der Hofkammer ab, mit dem sie Admodiatoren in Bühlertal und Gaggenau wurden. Der Vertrag sollte fünf Jahre gelten.221 Die Pächter setzten einen neuen Faktor, einen Betriebsleiter ein,222 erzielten aber keinen Erfolg beim Wiederaufbau der beiden Eisenschmieden, und es kam zu Auseinandersetzungen zwischen dem markgräflichen Bergrat Glaser und Oberländer.223 Auch die Einwohner in Altschweier klagten: Sie befürchteten den Ausbruch eines Brandes, weil das Feuer aus der Schmiede auf ein benachbartes strohgedecktes Haus überspringen könne.224 Die Hofkammer wies den Bühler Amtmann, er solle „genaue achtung haben, damit durch die von Joseph Oberländer abgeschafften Holzmacher, im waldt, durch brandt kein schaden geschehe, Ingleichen besorget Er, Judt selbst, undter seinigen, einige gefahr, dahero Er Amtmann befelcht [befohlen habe], ihme Oberländter sowohl als die seinige, zu schützen, undt denen Unterthanen zue verkündigen, das bey hoher Herrschaftl(icher) Straf sich keiner unterstehen soll, ihm Juden einige unbilligkeit zuezufügen.“225

219 GLAK 61/227 HK 14.2.1786 und 22.1.1686. 220 Die Lage des im Folgenden nach Bühlertal genannten Eisenwerks wird in den Archivalien mit Bühlertal oder mit Altschweier angegeben, erklärbar durch seine Lage an der Grenze zwischen den beiden Ortsgemarkungen. Heute hat sich die Angabe Bühlertal durchgesetzt. Zum Eisenwerk in Bühlertal Clemens Rehm, Das Eisenwerk in Bühlertal, in: Rainer Brüning und Clemens Rehm (Hg.), Ein badisches Intermezzo? Die Markgrafschaft Baden-Baden im 18. Jahrhundert. Festgabe für Herwig John. Karlsruhe 2005, S. 33. Zur Hammerschmiede in Gaggenau Kurt Andermann, Gaggenau, in: Landesarchivdirektion Baden-Württemberg in Verbindung mit dem Landkreis Rastatt und dem Landesmedienzentrum Stuttgart (Hg.), Der Landkreis Rastatt, Bd. 2. Stuttgart 2002, S. 25–49, hierzu S. 31. 221 GLAK 61/226 HK 2.2.1685 und 20.12.1685. Danach schloss Hauptmann Adam Ernst von der Decken, wie er verzeichnet wurde, am 9.8.1684 einen Vertrag mit der Regierung, am 6.12.1684 trat Oberländer als Kompagnon dem Vertrag bei. Am 2.2.1685 nahmen beide die Werke auf 5 Jahre in Bestand. Oberländer kündigte den Vertrag am 24. 9.1685. 222 GLAK 61/226 HK 22.3.1785 und 3.3.1785. 223 GLAK 61/226 HK 1.6.1785. 224 GLAK 61/226 HK 2.6.1785. 225 GLAK 61/226 HK 5.6.1785.

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Joseph Oberländer hatte wohl Holzmacher entlassen; er fühlte sich bedroht und befürchtete Übergriffe durch Bewohner der Umgebung. Es war wohl Gewalt, mit der gerechnet wurde. Bereits 1683 hatte nämlich der Bergrat Glaser sich über Schlägereien beschwert, die zwischen Einwohnern von Bühl und den „Bergleuten“ stattgefunden hatten; dabei habe der Bühler Amtmann Niclaus Heinrich von der Schluchtern „mit entblößtem Degen“ eingreifen müssen.226 Es dürfte dabei um Gewalt gegangen sein, die sich gegen die „Bergleute“ richtete – nur so ist die Klage seitens des Bergrats zu verstehen, der für den reibungslosen Arbeitsablauf in der Eisenschmelze zu sorgen hatte. Dass es sich bei der Gewalt, die Oberländer und die Regierung zu fürchten schienen, um antijüdische Gewalt handelte, ist aus den archivalischen Unterlagen nicht sicher zu klären; auch nicht, ob „die seinen“ jüdische Arbeitskräfte waren, wie sie 1738 die damaligen Aschenadmodiatoren einsetzten.227 Allerdings gab es um 1685 und in den Jahrzehnte danach im Amt Bühl antijüdische Gewalt.228 1683 begann die Regierung zusätzlich zur Eisenschmelze in Bühlertal ein Hammerwerk errichten zu lassen,229 dafür wurde weiteres Kapital nötig. Oberländer und von Dekh hatten zugesagt, so viel Eisen zu produzieren, dass der heimische Bedarf, aber auch ausländische Nachfrage gedeckt werden könnte. Allerdings beendete Oberländer seine Tätigkeit in Bühlertal bereits im Laufe des Jahres 1685.230 Möglicherweise war die Regierung von ihm abgerückt. Als er eine Matte am Eisenwerk und den Fischfang in der Bühlot, die am Werk vorbeifloss, pachten wollte, kam ihm die Regierung nicht entgegen.231 Im Eisenwerk selbst brach der Schmelzofen zusammen; Oberländer sah sich konfrontiert mit Forderungen der Regierung nach weiterem Kapital für die Reparaturen.232 Aber auch die Hofkammer hegte Befürchtungen. Im August 1685 verlangte sie von beiden Admodiatoren einen besseren Betrieb der Anlagen in Bühlertal und Gaggenau und machte auf die Gefahr aufmerksam, dass „das Land Eisenlos“ werden könnte.233 Im September resümierte die Hofkammer die Entwicklung: Als die Admodiation vergeben worden sei, habe man große Erwartungen auf die neuen Beständer gesetzt. Nun aber liefere das Eisenwerk seit einem Monat kein einziges Pfund Eisen mehr.

226 GLAK 61/128 HR 15.3.1683 Bl. 87r–v. 227 Zu den jüdischen Arbeitskräften in der Aschenadmodiation siehe S. 370. 228 Zur Gewalt gegen Juden und ihren Besitz in Bühl siehe S. 383. 229 GLAK 61/224 HK 18.1.1683. 230 GLAK 61/226 HK 20.12.1685. 231 GLAK 61/226 HK 25.5.1685. 232 GLAK 61/226 HK 4.6.1685. 233 GLAK 61/226 HK 1.9.1685.

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Die Kammer empfahl deshalb dem Geheimen Rat, nach anderen Admodiatoren zu suchen.234 Im Oktober kündigte Oberländer die Admodiation auf.235 Die Funktion, die Joseph Oberländer zu erfüllen hatte, bestand anfangs in der Lieferung von Waren auf Kredit. Dann sollte er das Land mit Eisen versorgen und nach Möglichkeit einen Überschuss produzieren für den Verkauf in benachbarte Territorien; dazu wurde sein Kapital benötigt, wohl auch seine Erfahrung im Eisenhandel. Die Gewalt, die gegen seine Person befürchtet wurde, verdeutlicht, womit ein jüdischer Unternehmer auf dem Land rechnen musste – jedenfalls mit der Vorstellung in Teilen der Bevölkerung, dass ein Jude das Ziel von Gewalt sein könne. Dies scheint die Regierung erkannt zu haben. Entsprechend wies sie auf die Notwendigkeit hin, Oberländer zu schützen. Beim Auftreten Joseph Oberländers lässt sich der Unterschied festmachen in den Vorstellungen, die bei der Regierung und in der Bevölkerung existierten. Während die Regierung ihn mit seinen Aktivitäten und Krediten als Stütze beim Wiederaufbau der baden-badischen Wirtschaft ansah, befürchtete sie Gewalt gegen ihn aus der Bevölkerung. Vor allem aus ihr kamen gegen ihn wie bei Samuel Oppenheimer Klagen, nur andeutungsweise auch von Beamten. 4.3.3  Hofjuden Samuel Ulman und Lewin Meyer

Wenige Informationen liegen zur Rolle von Samuel Ulman und Levin Meyer im Umkreis von Markgraf Ludwig Wilhelm vor. Samuel Ulmann gehörte zu einer Hofjudenfamilie aus Pfersee in der Markgrafschaft Burgau. Er belieferte während des Spanischen Erbfolgekrieges die Truppen der süd- und westdeutschen Reichskreise, die Ludwig Wilhelm als Reichsfeldmarschall befehligte; ausdrücklich nannte ihn der Markgraf seinen „Hofjudt Samuel Ulman“.236 Der baden-badische Hof hielt sich, nach den Zerstörungen in der Markgrafschaft um 1690, ab 1692 für sechs Jahre in Günzburg auf, in der Markgrafschaft Burgau, die Kaiser Leopold I. Markgraf Ludwig Wilhelm für diese Zeit übergeben hatte;237 möglicherweise hängt die Benennung Samuel Ulmans als Hofjude damit zusammen. Dafür, dass er wirtschaftliche Aktivitäten in der Markgrafschaft entfaltete, scheinen keine Hinweise vorzuliegen. 234 GLAK 61/226 HK 11.9.1685. 235 GLAK 61/226 HK 20.12.1685 (Datum des Eintrags: 11.10.1685). 236 Ullmann, Nachbarschaft und Konkurrenz, S. 330f. 237 Greiner, Der Türkenlouis als Landesherr, in: Hohrat und Rehm (Hg.), Zwischen Sonne und Halbmond, S. 46.

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Levin Meyer erhielt auf seine Supplik im Juli 1708 eine Bestätigung, dass er sich vier Jahre lang in Rastatt aufgehalten habe. Dabei wurde er „gewester HofJudt“ genannt.238 Auf seine Tätigkeit deutet vielleicht ein Streit hin, den der Hofrat 1702 kurz erwähnte: Er und Mathias Schweitzer in Baden-Baden prozessierten gegeneinander „wegen eines Rings mit Diamant und Rubin“.239 Dass er gerade nach dem Tod des Markgrafen Ludwig Wilhelm und beim Beginn der vormundschaftlichen Regierung von Sibylla Augusta den badischen Hof verlassen hatte, könnte auf den Versuch der Markgräfin-Witwe zurückgehen, die Kontakte mit Juden überhaupt zu reduzieren – ein weiteres Indiz für ihre negative Einstellung zu Juden.240 „Hochfirstlicher Margrefisher Padisher Hof Jud“: Mathias Schweitzer

„Matz dem Juden dahier“ sollte der Verwalter des Bergwerks in Bühlertal Eisen ausliefern, hielt die Hofkammer im Sommer 1684 fest241 – bei der ersten Nennung Mathias Schweitzers242 in ihrem Protokoll. 1691 notierte sie ihn mit einer Supplik: Er halte sich, so teilte er der Kammer mit, oft im Amt Oberkirch auf und treibe dort seinen Handel. Deshalb bitte er um eine schriftliche Bestätigung dafür, dass er den baden-badischen Schutz habe. Damit wolle er anderen Händlern gleichgestellt werden, die als Einwohner der Markgrafschaft die Geleit- und Zollfreiheit in das Amt Oberkirch nutzten.243 Im Mai des Jahres listete die Hofkammer ihn bei der Verzeichnung der ausstehenden Schutzgelder als Einwohner in Baden-Baden auf.244 Ab 1694 ist Mathias Schweitzer in Bühl nachweisbar. Ihm, dem „Juden zue Bühl“, stellten zwei Bürger im nahen Kappelwindeck Obligationen zur Sicherung geliehenen Geldes aus.245 Als er 1697 in Bühl in der Nähe der so genannten Eich beim heutigen Johannesplatz einen „Hausplatz samt einem Stückhel Ahm Haus“ kaufte, wurde er als Besitzer eines Nachbargrundstücks bzw. -hauses genannt.246 1699 befand er sich wieder in Baden-Baden; das Hofratsprotokoll bezeichnete 238 GLAK 61/ 136 HR 19.7.1708. 239 GLAK 61/132 HR 24.7.1702 Bl. 566v. 240 Zur Einstellung von Markgräfin Sibylla Augusta zu den Juden siehe S. 61f. 241 GLAK 61/225 HK 21.7.1684. 242 Matz, Mathis und Matheus Schweitzer kommen als Namensvarianten vor. 243 GLAK 61/230 HK 23.2.1691 Bl. 41v–42r. Das Amt Oberkirch war zwischen 1689 und 1697 im Besitz von Markgraf Ludwig Wilhelm (Hans-Martin Pillin, Oberkirch. Die Geschichte der Stadt von den Anfängen bis zum Jahre 1803, hg. von der Stadt Oberkirch. Lahr 1975, S. 87). 244 GLAK 61/230 HK 17.5.1691 Bl. 123r–124r. 245 Zum Geldverleih siehe S. 143ff. 246 GLAK 61/5447, Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, 28.8.1697 Bl. 59r–v.

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ihn in diesem Jahr als „Jued Zue Baaden Matz Schweitzer“.247 Zu dieser Zeit war er neben Isaac in Ettlingen und Joseph Jacob in Bühl Judenschultheiß;248 er hatte dieses Amt noch 1704 inne, als er bereits in Rastatt lebte.249 1706 berichtete der Amtmann in Bühl über den dort lebenden Isaac, „des Matzen zu Rastatt Ladendiener“, der mit seinem Bruder Mayer des „gemeldten Matz Schweitzers zue Rastatt Kramladen In Bühl underhand“ hätte.250 Die letztere Angabe spricht dafür, dass dieser Matz Schweitzer identisch ist mit jenem, der zuvor in Bühl lebte. Auch dass seine Frau Reffka oder Rebecca die Tochter des dortigen Schultheißen Joseph Jacob gewesen sein könnte,251 spricht für diese Identität; einen Hinweis auf die Existenz eines anderen Matz, Mathes oder Mattheus Schweitzer scheint es nicht zu geben. Im Mai 1699 übernahm Mathias Schweitzer die Admodiation des Eisenhandels, allerdings nur für zwei Monate, bis ihn ein christlicher Konkurrent verdrängte.252 Dennoch blieb er in Verbindung mit dem Hof. Zunächst erwog die Kammer einen Vertrag mit ihm über die Einfuhr von Eisen,253 das er dann kurz darauf aus dem elsässischen Besitz des Grafen Friedrich Jacob von Fleckenstein lieferte.254 1703 sah ihn die Hofkammer als einen möglichen Bewerber um die Admodiation des Tabakhandels an.255 Nach einer Abrechnung mit der Hofkammer aus dem Jahre 1709 lieferte bis dahin Mathias Schweitzer bzw. in seinem Namen und auf seine Rechnung dessen Schwiegersohn Hayum Flörsheim Spezereiwaren für die Hofhaltung im Wert von über 2653 Gulden, auch Kleidung und Stoff für 1100 Gulden, und zum Bau des Schlosses in Rastatt nicht weiter spezifizierte „baumaterialien“ im Wert von 2466 Gulden und 25 Kreuzer.256 Schon 1702 hatte er aus Frankfurt – ebenfalls nicht genauer angegebene – Waren für das Schloss in Baden-Baden besorgt.257 Als er sich im gleichen Jahr in Frankfurt aufhielt, beauftragte ihn die 247 GLAK 61/129 HR 1.7.1699. 248 GLAK 74/3725, Die drei Judenschultheißen Isaac, Joseph und Matz an den Hofrat oder die Hofkammer o. D. (1699), Bl. 1–2, abgedruckt bei Cohen, Daniel J. (Hg.), Die Landjudenschaften in Deutschland als Organe jüdischer Selbstverwaltung von der frühen Neuzeit bis ins neunzehnte Jahrhundert. Eine Quellensammlung. Bd. 3, Jerusalem 2001, S. 1444f. 249 GLAK 61/243 HK 19.8.1704. 250 GLAK 74/3711, Amtmann Johann Heinrich Harrandt an die Hofkammer, 12.6.1706. 251 Angelika Schindler, Der verbrannte Traum, S. 17, mit der Angabe, Reffka sei die Tochter des Bühler Rabbiners Joseph. 252 Zu Matz Schweitzer und seinem Konkurrenten siehe S. 212ff. 253 GLAK 61/239 HK 23.2.1701. 254 GLAK 61/239 HK 8.3.1701. 255 GLAK 61/242 HK 14.11.1703. 256 GLAK 74/6982, Kammerräte Johann Dyhlin und Frantz Reinhard Wenger, 6.3.1709, Bl. 15r–v. 257 GLAK 61/239 HK 10.4.1702.

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Kammer damit, dort einen Kontakt herzustellen mit einem Kaufmann, der die Markgrafschaft jährlich mit bis zu 100 Zentner Tabak versorgen könne.258 Kurz darauf brachte er fast 500 Pfund Tabak aus Frankfurt mit, die für die Landvogtei Ortenau bestimmt waren.259 Insgesamt scheint es, dass er bis zum Jahre 1709 erfolgreich wirtschaftete. Als in diesem Jahr das Vermögen der Schutzjuden im baden-badischen Kernland verzeichnet wurde, belief sich seines auf 3000 Gulden; nur Joseph Jacob in Bühl erreichte diese Summe.260 Zwar rechnete der Hof auf sein Drängen mit ihm ab, doch Geld erhielt er nicht. So musste er 1716 wieder um fast 3100 Gulden bitten, die ihm zustanden. Die Kammer wies er darauf hin, ihm sei „JederZeit äußerst obgelegen [immer eine wichtige Verpflichtung] gewesen, dem Hochf(fürstlichen) Haus Baaden, durch Jederweilige anschaffung so ein als anders, auch sogar mit Hindansezung meiner selbstiger Bedürftigkeit“ zu dienen. Nun, im Jahr 1716, habe er das Geld dringend nötig. Er sei nämlich dabei, ein modellmäßiges Haus261 in Rastatt zu bauen; das belaste ihn sehr und habe ihn schon ganz mittellos gemacht. Dennoch und trotz seines Alters plane er, eine „geringe Handelsschaft anzufangen, Und ein Kramlädelein“ zu eröffnen. Falls die Herrschaft ihre Schuld nicht ganz zahlen könne, sei er auch bereit, eine entsprechende Lieferung von Wein anzunehmen.262 Im Februar 1717 kam Mathias Schweitzer nochmals nach Bühl. Er regelte dabei den Besitz seines Hauses am heutigen Johannesplatz. Isaac, dem Schwiegersohn seines Bruders, schenkte er als Heiratsgut „aus güet gegen gedacht seinen Bruder getragener affectiven [Gefühlen]“ – aus Zuneigung für seinen erwähnten Bruder – ein Viertel dieses Hauses und den Garten, ein weiteres Viertel verkaufte er Isaac. Die andere Hälfte erhielt Elias, der Sohn seines Bruders Koppel, unter der Bedingung, dass diesem darin das Wohnrecht bis zu seinem Lebensende eingeräumt wurde. Bei diesen Regelungen wurde Mathias Schweitzer im Bühler Kontraktenprotokoll als „Hofjud“ bezeichnet, auf einer Steintafel an einem Rastatter Haus mit einem Text in deutscher und hebräischer Schrift als „Hochfirstlicher Margrefisher Padisher Hof Jud 1703“.263 258 GLAK 61/239 HK 21.6.1702 (Verschreibung „Juny“ statt „July“). 259 GLAK 61/239 HK 6.7.1702. 260 GLAK 74/7139, Oberamtmann Holl an die Hofkammer, Anlage A, „Designation“, 5.7.1709. 261 Zum „modellmäßigen“ Bauen siehe S. 49. 262 GLAK 74/6982, Matz Schweitzer an Markgräfin Sibylla Augusta, 5.3.1716. 263 GLAK 61/5769, Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, 23.2.1717, Bl. 369r–v. Zur Steintafel siehe Hermann Translateur, Die neuentdeckte deutsch-hebräische Gedenktafel in Rastatt, in: Rastatter Tageblatt, Nr. 115, 17.5.1930, S. 7. Abgedruckt in: Anna-Ruth Löwenbrück und Angelika Schindler, Jüdisches Leben in Rastatt – Eine Spurensuche. Materialsammlung zur Ausstellung im Stadtarchiv/Stadtmuseum Rastatt. (Rastatt) o. J. (Vervielfältigung), S. 29.

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Die Supplik von 1716 wegen der Forderung an die Regierung war ohne Erfolg geblieben. Ende August oder Anfang September 1717 wandte sich seine Frau Reffka an die Markgräfin. Sie bezeichnete sich dabei als die Witwe Schweitzers; er sei, so gab sie an, kurz zuvor gestorben. Sie drängte erneut auf die Auszahlung des Guthabens bei der Regierung, auch im Namen der übrigen Erben. Als Anlass ihres Schreibens gab sie an, dass die Gläubiger ihres Mannes sie mit Forderungen bedrängten, und sie wolle diese wenigstens „in etwas“ zufrieden stellen. Reffka Schweitzer entschuldigte sich sogar bei der Markgräfin. Aus „respect“ vor ihr hätten sie und ihre Kinder bis dahin nicht gewagt, an ihre Forderung zu erinnern. Sie würde aber von den „Creditoribus so starckh angehalten“, von den Gläubigern so stark unter Druck gesetzt, dass ihr nichts anderes übrig bleibe, als auf die ausstehende Bezahlung zurückzukommen.264 Im Frühjahr 1731 starb in Baden-Baden Reffka, die Witwe von Mathias Schweitzer. Nur „weniges Vermögen“ konnte der Amtmann Anton Schweinhuber in das Inventar ihrer Hinterlassenschaft aufnehmen. Er berichtete, dass Reffka Schweitzer ihm selbst 60 Gulden und zusätzlich die Zinsen schuldig geblieben sei; auch die Herrschaft habe noch eine Forderung von 16 Gulden 53 Kreuzer.265 Im Namen der Erben bestritt Moyses Schweitzer, der Sohn von Matz und Reffka Schweitzer, die Forderung des Amtmanns.266 Am Ende des Jahres machte Samson Schweitzer, ein weiterer Sohn, eine Gegenrechnung auf: Die Hofkammer schulde noch die Auszahlung von 834 Gulden und 46 ½ Kreuzer, die zum Vermögen seines Vaters gehörten; er selbst habe einen Anspruch daran von über 402 Gulden.267 Mathias Schweitzer handelte zuerst als Inhaber eines Kramladens in Bühl mit Privatleuten. Dann ging er den Weg zum Hof. Für ihn übernahm er Geschäfte über die Grenzen der Markgrafschaft hinweg, über den Handel in kleinräumigen Verhältnissen hinaus. So nahm er an einer für das 17. und 18. Jahrhundert elementaren wirtschaftlichen Entwicklung teil.268 Von Bühl, dem ländlichen Marktflecken aus, eröffnete sich Mathias Schweitzer einen wirtschaftlichen Horizont, der bis nach Frankfurt reichte. Entsprechend selbstbewusst stellte sich Mathias Schweitzer im Dienste des Markgrafen dar. Dass er für seine Aktivität im Umkreis des Markgrafen und der Regierung als Hofjude bezeichnet wurde, ist ohne deren Einverständnis nicht 264 GLAK 74/6982, Reffka Schweitzer an Markgräfin Sibylla Augusta, o. D. Der Bericht der Hofkammer an die Markgräfin wegen des Schreibens von Reffka Schweitzer stammt vom 9.8.1717. 265 GLAK 61/159 HR 3.4.1731. 266 GLAK 61/159 HR 10.5.1731. 267 GLAK 51/159 HR 13.12.1731. 268 Katrin Keller, Wirtschafts-/Sozialgeschichte: Alte Themen, Neue Akzente, in: Anette Völker-Rasor (Hg.): Frühe Neuzeit 2. Aufl. München 2006, (Oldenbourg Geschichte Lehrbuch), S. 145–166, hierzu S. 154.

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denkbar. Aber auch der Preis für seine Karriere wird sichtbar. Der Hof als säumiger Zahler behinderte die Möglichkeit Schweitzers zu weiteren Investitionen; der Aufwand für den von der Regierung erwünschten Bau eines Hauses in der neuen Residenz, wohl für ihn eine Sache des Ansehens und der Ehre wie für Seligmann Isaac und Mayer Malsch,269 entzog seiner wirtschaftlichen Entwicklung das erforderliche Kapital. Moyses Joseph, ein fremder Hofjude ohne Erfolg in Rastatt

Moyses Joseph Sulzbacher hielt sich seit März 1737 für einige Wochen in Rastatt auf. Mit dem kurpfälzischen Hof war Moyses Joseph durch die Lieferungen für die vom Staat betriebene Tabakmanufaktur verbunden;270 damit hingen auch seine Verhandlungen mit dem Geheimen Rat in Rastatt zusammen. Diesem schlug er nämlich vor, „zum H(och)fürstlichen Interesse“ [Vorteil] in Rastatt eine Tabakniederlage zu gründen.271 Er bat auch darum, als „Hoffactor oder Hof Lieferant“ angenommen zu werden.272 Ein weiterer Vorschlag: In einer „Münzstatt“ wolle er die Herstellung von Münzen übernehmen. Mit dem Karlsruher „Münzverwalter“ Schneider trat allerdings unmittelbar danach ein Konkurrent auf.273 Über den Plan einer Tabakniederlage berichteten dem Geheimen Rat die beiden Hof- und Kammerräte Hossner und Badawin.274 Von der Admodiation in der Hand Moyses Josephs würden sie eine Verteuerung der Ware erwarten, vor allem zulasten der einheimischen Krämer. Schaden würden auch die derzeitigen Inhaber der Amodiation davontragen. Der Geheime Rat beschloss, Moyses Joseph könne eine Tabakniederlage errichten, aber auch der freie Handel solle erlaubt sein.275 Noch einmal kam Moyses Joseph auf sein Angebot zurück, Spezereien zu liefern. Man solle ihm eine Liste der Preise erstellen, die derzeit der Hof bezahlen müsse. Dann würde er ein günstigeres Angebot machen, gegebenenfalls auch Kredit einräumen.276 Die Hofkammer hielt es jedoch für besser, wie bisher die Spezereiwaren von Frankfurter Handelshäusern zu beziehen; eine Lieferung durch Moyses Joseph sei „nicht allerdings nützlich“. Dem schloss sich der Geheime Rat sofort an.277 Aber kurz darauf erörterte die Hofkammer nochmals das Angebot von Nahrungsmitteln. Einerseits habe Moyses Joseph in der Vergangenheit Mobiliar und 269 Zu den Häusern von Seligmann Isaac und Mayer Malsch siehe S. 344. 270 Britta Waßmuth, Im Spannungsfeld zwischen Hof, Stadt und Judengemeinde, S. 96. 271 GLAK 61/30 GR 27.3.1737 Nr. 32. 272 GLAK 61/30 GR 30.3.1737 Nr. 39. 273 GLAK 61/30 GR 3.4.1737 Nr. 4. 274 Namensvariante: Padavin. 275 GLAK 61/30 GR 3.4.1737 Nr. 21. 276 GLAK 61/30 GR 3.4.1737 Nr. 22. 277 GLAK 61/30 GR 10.4.1737 Nr. 35.

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Livreen zu günstigen Preisen geliefert. Die bisher von den Kaufleuten Domenico Brentano und Söhnen bezogenen Nahrungsmittel, insbesondere Spezereien, seien aber von guter Qualität gewesen. Man müsse bedenken, dass diese „ohnehin nicht so leicht bey einem H(och)fürstl(ichen) Hof Einem Juden zu liefern gern überlassen undt anvertrauet würden.“ Noch eine weitere Schwierigkeit: Die benötigten Mengen könne Moyses Joseph wohl auch nicht liefern, ohne einen Geschäftspartner hinzuzuziehen. Und noch ein Problem gebe es: Er würde vermutlich zunächst seine Waren billig verkaufen, um dann anschließend „in andern uns bekannter Jüdischen praxi [...] seinen doppelten profit“ zu machen,278 in den der Kammer bekannten jüdischen Verhaltensweisen doppelten Gewinn zu erzielen. Markgraf Ludwig Georg und der Geheime Rat neigten dazu, mit Moyses Joseph wenigstens über einen Kredit für die anstehende Beamtenbesoldung verhandeln zu lassen. Die Kammer riet ab: Es scheine im Allgemeinen „allezeit besser zu Seyn mit Christen als Juden zu thuen zu haben.“ Die Kammerräte sahen dennoch eine Verwendung für Moyses Joseph. Sie nahmen dabei Bezug auf finanzielle Ansprüche, die gegen die Kurpfalz bestanden: Vielleicht könne er die entsprechende Forderung übernehmen und sie mit einem Kredit an die Markgrafschaft verrechnen.279 Zwei Tage darauf lag der Beschluss des Markgrafen und des Geheimen Rats vor. Die Kammer erhielt die Anweisung, über einen Kredit von 24 000 Gulden zu verhandeln. Moyses Joseph werde benachrichtigt, und sie, die Kammer, nehme auch an, dass er den Kredit zu günstigen Bedingungen gewähre, hielt das Protokoll fest.280 Aber die Antwort widersprach den Erwartungen; missbilligend nannte sie die Kammer einen „Ausschweif“, eine Ausrede. Moyses Joseph hatte vorgeschlagen, die verlangte Summe über einen Dritten zu besorgen, was die Kammer als „Ser(imissi)mo nicht anständig“ bezeichnete, zumal auf diesem Weg die Kreditbedingungen ungünstig ausfallen könnten.281 Auch in der Frage der Tabakadmodiation fiel die Entscheidung gegen Moyses Joseph. Zwar registrierte die Kammer, dass er diese im Auftrag des pfälzischen Kurfürsten Carl Philipp abschließen wolle; sie riet aber von einer Entscheidung ab, da die Verträge mit den derzeitigen Admodiatoren noch ein Jahr in Kraft seien.282 Unter Berufung darauf ließ der Geheime Rat die Verhandlungen mit Moyses Joseph beenden.283 Dennoch war aus der Sicht des Geheimen Rats die Beziehung zu Moyses Joseph nicht endgültig abgebrochen. Er werde, vermutete der Rat, bald wieder nach Rastatt kommen, um über die Lieferung von Waren 278 GLAK 61/274 HK 8.4.1737. 279 GLAK 61/274 HK 11.4.1737. 280 GLAK 61/274 HK 15.4.1737. 281 GLAK 61/274 HK 24.4.1737. 282 GLAK 61/274 HK 26.4.1737. 283 GLAK 61/31 GR 6.5.1737 Nr. 30.

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zu verhandeln. Bis dahin könnten auch in anderen Angelegenheiten, die mit ihm zu klären seien, endgültige Beschlüsse aufgeschoben werden.284 Moyses Joseph scheint an diesen Geschäften kein weiteres Interesse gezeigt zu haben – zwei Jahre später verhandelte der Karlsruher Hoffaktor Salomon Meyer über den Ankauf des „Curpfälzischen Kapitals“.285 Als Lieferanten bevorzugte die Regierung zu dieser Zeit wohl christliche Handelsleute aus Rastatt. Der dortige Kaufmann Mößner bat 1748 darum, ihm ungefähr 4000 Gulden für Waren auszubezahlen.286 Ein Hofjude in Baden-Durlach und Baden-Baden: Salomon Meyer

Spätestens ab 1752 ist das Interesse des Karlsruher Hoffaktors und Judenschultheißen Salomon Meyer287 am Handel in der Markgrafschaft nachweisbar. Er bot der Hofkammer für die Befreiung vom Jahresgeleit, von Zoll und Akzise eine jährliche Gebühr an288 und wurde dabei von seiner Regierung unterstützt,289 ohne dass ein Erfolg sichtbar wäre. Da er auf den Besuch von Jahrmärkten verzichtete,290 handelte er nicht mit Alltagswaren und hatte wohl einen stabilen Kundenstamm. 1755 bat Salomon Meyer um die Erlaubnis, 500 Malter Hafer aus der Markgrafschaft Baden-Baden auszuführen.291 Er verfolgte ein weiteres Ziel: In Kehl wollte er Tabak in einem Laden verkaufen. Salomon Meyer wies auf die von ihm an den Hof gelieferten Waren hin und auf seine „Correspondenz und Vermögenheith“, auf seine zahlreichen Verbindungen und sein Vermögen; schließlich setzte er sich gegen einen Konkurrenten durch und erhielt die Genehmigung.292 Wie andere Lieferanten räumte er dem Hof Kredit ein. 1756 standen 1037 Gulden und 36 ½ Kreuzer aus, um deren Ausgleich er bat.293 Die Kammer beschied: Es gebe Gläubiger mit höheren Forderungen.294 Dennoch intensivierte er 1762 nochmals seine Beziehung zum Hof. Erfolgreich stellte er das Gesuch, ihn als „alleinigen Hoflifferanten“ anzunehmen; es wurde bewilligt, „in der zu Vorsicht [Zuversicht], dass derselbe jederzeit eine avantageußeste Condition 284 GLAK 61/31 GR 31.8.1737 Nr. 25. 285 GLAK 61/36 GR 27.6.1739 Nr. 1. 286 GLAK 61/33 GR 20.9.1738 Nr. 16. 287 Zu Salomon Meyer Otto Ernst Bräunche, Die Familie Meyer-Model, in: Schmitt, Heinz, unter Mitwirkung von Ernst Otto Bräunche und Manfred Koch (Hg.), Juden in Karlsruhe, Beiträge zu ihrer Geschichte bis zur nationalsozialistischen Machtergreifung (Veröffentlichungen des Karlsruher Stadtarchivs 8). Karlsruhe 1988, S. 451–464, hierzu S. 452f. 288 GLAK 61/289 HK 9.9.1752, GLAK 61/290 HK 1.6.1753 Nr. 3, GLAK 61/290 HK 19.6.1753 Nr. 10 und 20.7.1753 Nr. 6. 289 GLAK 61/182 HR 19.7.1753 Nr. 13 und GLAK 61/290 HK 31.7.1753 Nr. 4. 290 GLAK 61/290 HK 9.8.1753 Nr. 24 und 25.8.1753 Nr. 3. 291 GLAK 61/292 HK 14.1.1755 Nr. 14. 292 GLAK 61/312 GRATP 13.8.1755 Communicanda Nr. 5 und Nr. 6. 293 GLAK 61/314 GRATP 21.8.1756 Communicanda Nr. 2. 294 GLAK 61/314 GRATP 16.9.1756 Kammerberichte Nr. 5.

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[eine vorteilhafteste Bedingung] beschaffen werde.“295 So schuf er vielleicht die Grundlage dafür, dass seine Bezeichnung als „f(ü)rstl(icher) Cabinettsfactor“296 auch auf eine entsprechende Rolle in Rastatt bezogen war, nicht nur auf seine Funktion als Hoffaktor in Karlsruhe. Seine Forderungen beliefen sich bald – 1763 – auf 6000 Gulden.297 Im folgenden Jahr bewies sich seine Konkurrenzfähigkeit erneut bei einer Lieferung von Livreen.298 Die Kammer ließ ihre Überlegungen ins Protokoll eintragen: Die vorhergehende Tuchlieferung durch einen christlichen Kaufmann sei nicht zufriedenstellend gewesen, deshalb könne Meyer zum Zuge kommen.299 Diese Vorgänge spiegeln wider, wie vor allem Salomon Meyer initiativ wurde und wie beide Seiten über viele Jahre ihre Kontakte intensivierten. Für die Regierung waren die Verwendung des Hofes in Karlsruhe und die Bereitschaft von Salomon Meyer zur Lieferung auf Kredit wichtige Gesichtspunkte, ihn zum Hoflieferanten zu machen. Salomon Meyer stützte sich wie Moyses Joseph Sulzbacher auf eine Empfehlung seiner Regierung, als er in Rastatt ins Geschäft kommen wollte; auch er bot Lieferungen auf Kredit an. Bei Sulzbacher spielte die Zufriedenheit des Hofes mit den bisherigen Lieferanten eine Rolle, wenn sie nicht als Vorwand einzuschätzen ist. Bei ihm brachte die Kammer antijüdische Vorstellungen in die Überlegungen ein: die Erwartung höherer Preise nach den ersten Lieferungen und des „doppelten profit(s)“ entsprechend den „jüdischen Praktiken“, dann die Unangemessenheit des Bezugs von Lebensmitteln durch jüdischer Lieferanten für einen fürstlichen Hof überhaupt. Bei Salomon Meyer verwendete die Regierung solche Vorstellungen nicht. Die Haltung der Regierung lässt sich also nicht auf einen Nenner bringen: Sie äußerte antijüdische Stereotype, zeigte aber auch die Bereitschaft zur Kooperation mit jüdischen Hoffaktoren. 4.3.4  Pferde für den Hof und vom Hof Die Lieferung von Pferden an die Regierung, für Aron, Isaac und Joseph Jacob vor 1700 nachweisbar,300 war im 18. Jahrhundert nur noch von geringer Bedeu-

295 GLAK 61/320 GRATP 26.6.1762 Communicanda Nr. 4. 296 GLAK 61/301 HK 22.12.1763 Nr. 54. Daniel J. Cohen setzt die Ernennung zum Kabinettsfaktor auf das Jahr 1767 an (Daniel J. Cohen, Die Landjudenschaften, Bd.  3, S. 1415, Anmerkung 8). 297 GLAK 61/301 HK 22.12.1763 Nr. 54. 298 GLAK 61/302 HK 6.2.1764 Nr. 12. 299 GLAK 61/302 HK 10.4.1764 Nr. 10. 300 Zum Handel mit Pferden von Aron und Isaac siehe S. 204f., von Joseph Jacob S. 162f.

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tung, obwohl noch 1706 die Hofkammer mit Abraham Heilbronn in Bühl einen Vertrag abschloss über den Kauf von 18 Dragonerpferden.301 Dann trat der Abkauf von Pferden, die am Hof nicht mehr gebraucht wurden, in den Vordergrund. In Rastatt kaufte der Schutzjude Salomon 1704 dem Hof ein Pferd ab,302 1717 musste Hayum Flörsheim dem Hof ein Dragonerpferd abnehmen.303 Für 1729 und 1732 ist nachweisbar, wie die ganze „Judenschaft“ zum Kauf von Pferden aus dem Besitz des Hofes gezwungen wurde.304 1732 ging es um 10 Pferde. Die Schutzjuden waren auf den 24. März nach Rastatt einbestellt, wo ihnen die Pferde vorgeführt wurden. Zuerst, so hob die Hofkammer in ihrem Protokoll hervor, sei der geforderte Preis „ziemlich hoch“ gewesen. Dann aber sei es im Hinblick auf die schlechte Qualität der Pferde doch zu einer Einigung über den Preis gekommen, nämlich auf 100 Gulden, bezahlbar innerhalb von sechs Wochen. In diesem Bericht fallen die relativ detaillierten Angaben auf: Die Pferde seien lahm und „verritten“ gewesen, und zwischen den Anbietern und Juden sei es wegen dieser Mängel zu einem langen „Hine und Wieder“ gekommen.305 Die Hofkammer gab die Vertreter der Regierung bei diesem Handel nicht an, führte also wohl selbst die Verhandlungen. Dann hätte es einen Sinn, wenn sie die anfänglich hohe Preisforderung hervorhob, aber auch das lange Feilschen. So stellte sie ihre Hartnäckigkeit heraus, den Gewinn der Regierung zu erhöhen. Gleichzeitig betonte sie die Hartnäckigkeit ihrer Partner ohne negative Wertung: In dieser Hinsicht waren die jüdischen Käufer als Gegenspieler auf gleicher Ebene anerkannt. Wie um das hervorzuheben, charakterisierte die Hofkammer am Ende den Abschluss als eine Einigung.306 Jedoch schließt dies einen besonderen Blick des Hofs auf die jüdischen Pferdekäufer nicht aus. Das zeigt sich in einem Brief des Geheimen Rats an den Haushofmeister aus dem Jahre 1734, in dem es um den Verkauf von Fohlen und Hengsten ging. Die Regierung schrieb zunächst, diese sollten an „einen Roßkamm [Pferdehändler] oder Juden, so guth möglich, angebracht – und verkauft werden“; dann fuhr sie aber weiter, dass bei den Tieren „ein und anders sich darunter befindet, welches nit am besten ist mithin wir nicht gemeinet seynd [wir nicht die Absicht haben], einen Christen darunter anzuführen [zu hintergehen].“307 Die Regierung war sich also bewusst, dass einige der Pferde Mängel aufwiesen; sie scheute sich,

301 GLAK 61/243 HK 24.12.1705. 302 GLAK 61/243 HK 2.9.1704. 303 Zur Abnahme eines Dragonerpferdes durch Hayum Flörsheim siehe S. 22. 304 Zur Abnahme von Pferden durch die Judenschaft insgesamt im Jahr 1729 GLAK 61/265 HK 23.2.1729 und 3.3.1729. 305 GLAK 61/268 HK 24.3.1732. 306 Ebd. 307 GLAK 46/4236, Markgraf Ludwig Georg an den Haushofmeister Hofer, 14.6.1734.

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mit ihrem Verkauf einen Christen zu übervorteilen, hatte aber bei den zum Kauf gezwungenen Juden keine Bedenken. Im Juni 1753 mussten die Schutzjuden wieder Pferde des Marstalls kaufen, zusätzlich noch eine „Chaise“, eine Kutsche.308 Sie baten um eine Ermäßigung des Preises für die 14 Pferde, die, in der Formulierung des Kammerprotokolls, „ihnen aufgedrungen worden seyn sollenden.“309 Im folgenden Monat wurde die Einstellung der Judenschaft bei diesem Geschäft noch deutlicher. Sie verkaufte die Pferde, legte dann aber eine Beschwerde dagegen ein, dass sie die Pferde zu einem überhöhten Preis hatte abnehmen müssen. Aber auch das Misstrauen der Regierung zeigte sich: Sie gab der Judenschaft den Befehl, „daß sie authentice und glaubhaftig attestata [authentische und glaubhafte Bestätigungen] darthun solle, nichts weitheres als sie vorgegeben aus diesen Pferden Erlöset zu haben.“310 Anders als zwei Jahrzehnte zuvor machten die Juden ihre Situation deutlich und benannten sie: Dass ihnen der Kauf aufgezwungen worden war, sprachen sie jetzt offen aus, und die Festsetzung des Kaufpreises durch die Regierung sahen sie als einen Grund für eine Beschwerde an. Bei der Versorgung des Hofes mit Pferden traten anstelle baden-badischer Juden Lieferanten von außerhalb der Markgrafschaft auf. 1738 lieferte der churpfälzische Schutzjude Falck Wackenheimer Pferde,311 ebenso 1741312 und 1743. Hierbei war er zusammen mit dem Rastatter Schutzjuden Raphael Jacob oder Vohla Partner der Regierung. Im Januar des Jahres schlossen sie mit der Hofkammer in Beisein des Hofmarschalls Truchsess von Wolfegg einen Vertrag ab über die Lieferung von 20 Pferden für ein Kavallerie-Kontingent;313 die Kammer ließ in diesem Fall die Kaufsumme von 490 Gulden sofort nach der Lieferung auszahlen.314 Im folgenden Jahr ersteigerte Raphael Jacob in Rastatt von der Regierung ein unbrauchbar gewordenes Kavalleriepferd für 56 Gulden und 30 Kreuzer.315 Er übernahm hierbei „vor Ort“ einen Teil des Geschäfts, der weniger Kapital erforderte, nämlich den Abkauf eines einzelnen Pferdes. Aber nur zusammen mit Falck Wackenheimer war er in der Lage, für den Hof die Pferde in großer Zahl zu liefern. Vielleicht lässt sich aus diesem Zusammenhang, der Partnerschaft von Falck Wackenheimer und Raphael Jacob, das Übergewicht von Juden erklären, die von 308 GLAK 61/290 HK 9.8.1753 Nr. 3. 309 GLAK 61/290 HK 22.6.1753 Nr. 7. 310 GLAK 61/290 HK 13.7.1753 Nr. 5. 311 GLAK 61/275 HK 28.11.1738. 312 GLAK 61/278 HK 20.5.1741. 313 GLAK 61/281 HK 2.1.1744. 314 GLAK 61/281 HK 5.3.1744. 315 GLAK 61/281 HK 1.2.1744.

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außerhalb der Markgrafschaft Pferde lieferten. Zu dieser Zeit waren wohl die markgräflichen Schutzjuden insgesamt wie Raphael Jacob nicht mehr in der Lage, eine größere Zahl von Pferden vorzufinanzieren oder zogen andere Geschäftsbereiche vor. Arme Schutzjuden handelten mit „Bauernpferden“, nicht mit Pferden für den Hof. 4.3.5  Heu, Getreide und Tuch für den Hof Heu und Getreide, darunter auch Futterhafer, gehörten zum beständigen Bedarf des Hofes; beides wurde in Kriegszeiten für den Bedarf von Reichstruppen wie französischer Truppenteile vom Hof angefordert. Bei entsprechend umfangreichen archivalischen Unterlagen können im Folgenden nur wenige Fälle untersucht werden, um wenigstens Tendenzen im Verhalten und in den Vorstellungen der Beteiligten zu beschreiben. Die Heulieferung von 1705 durch Joseph Jacob wurde bereits dargestellt. Wie er besorgten 1709 Abraham Heilbronn in Bühl316 und Samson Schweitzer317 im Auftrag des Hofrats zum Teil von außerhalb der Markgrafschaft 800 Zentner Heu, das für Reichstruppen bestimmt war. Die Regierung konnte nicht sofort in vollem Umfang bezahlen.318 Mayer von Ettlingen, später Mayer Malsch genannt, übernahm 1717 die Versorgung des Hofes mit Braugerste. Sie sollte er im speyrischen Gebiet und in der Markgrafschaft Karlsruhe-Durlach kaufen.319 Die beiden Brüder Seligmann und Abraham Isaac in Ettlingen und Samson Schweitzer setzten sich im gleichen Jahr gegen Mayer und zwei christliche Konkurrenten bei der Lieferung von Hafer für den Marstall durch. Ihr Angebot von 2000 Maltern war günstiger als das der Konkurrenz.320 Jedoch zeigte die Hofkammer Misstrauen. Nur „Kaufmannsguth“ sollte akzeptiert werden, und ein „getreuer Messer“ musste den Hafer bei der Übergabe in Ettlingen prüfen.321 Auch seitens der Markgräfin oder des Geheimen Rats gab es Bedenken. Der Hofrat ließ notieren: „Weilen sonsten Ihro D(ur)chl(auch)t deme mit denen Ettlinger Juden verwichener Tage [in den letzten Tagen] geschlossene Haberaccord [Vertrag über die Lieferung von Hafer] zu ratificiren anstand gemacht [Bedenken äußerte], als wurde Hochstged(achter) Deroselben, wie man keine Christen, so sich die Lieferung ohne 316 Zu Abraham Heilbronn siehe S. 165 u. ö. 317 Zu Samson Schweitzer als Judenoberschultheiß siehe S. 431ff. 318 GLAK 61/246 HK 19.12.1709. 319 GLAK 61/252 HK 20.1.1717. 320 GLAK 61/253 HK 8.3.1718. 321 GLAK 61/253 HK 17.3.1718.

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paaren Vorschuß auf die getrofene conditiones unter ziehen wollen, in der Gegend in Erfahrung bringen können, durch unterth(äni)gsten Bericht vorgestellt.“322

Die Bedenken wurden ausgeräumt mit dem Hinweis auf die Vorteile, die in diesem Fall, vielleicht auch sonst, jüdische Handelspartner boten. Sie waren billiger und verzichteten auf einen Vorschuss,323 akzeptierten auch die Bezahlung erst nach der Frankfurter Ostermesse mit Einnahmen aus der Vorderen Grafschaft Sponheim.324 Als besonders dringend stellte die Hofkammer 1721 eine Haferlieferung mit dem Hinweis dar, dass Futter für die Pferde erforderlich sei, wenn „die Herrschaft“ zusammen mit fürstlichen Gästen ankäme, wohl bei den Feiern zur Hochzeit des Prinzen Ludwig Georg. Ein Angebot des Königsbacher325 Schultheißen Johann Conrad Feller erschien der Kammer zu teuer. Kaufel von Weingarten, Seligmann Isaac von Ettlingen und dessen Sohn, auch Mayer Malsch bewarben sich um den Auftrag. Mit jedem Interessenten verhandelte die Kammer vor der Steigerung einzeln über seine Preisvorstellung. Am Ende setzte sich Mayer Malsch durch. Innerhalb von drei bis vier Wochen musste er 500 Malter Hafer liefern, nach zwei Monaten weitere 500, die er in Baden-Durlach und in Württemberg bezog. Eine sofortige Anzahlung von 200 Gulden wurde vereinbart.326 Anfang 1722 stand wieder ein Kauf von Hafer an, 1800 Malter für den Marstall. Die Hofkammer lud sämtliche Juden im Ettlinger Amt, „bemittelte Christen“, Juden und Getreidehändler in den angrenzenden Territorien zur Versteigerung ein.327 Wieder erhielt Mayer Malsch für sein Angebot zum Preis von 1 Gulden und 24 Kreuzer pro Malter den Zuschlag.328 Er musste allerdings bei der Zahlungsweise entgegenkommen. Weder nach einer Teillieferung noch bar sollte bezahlt werden, sondern „nach Gelegenheidt und der Cassae beschaffenheit“. Diesmal bezog Mayer Malsch den Hafer zumindest teilweise – 300 Malter – aus Lauterburg (Lauterbourg, Bas-Rhin) im Elsass.329 Im Januar 1728 ließ die Hofkammer neben anderen möglichen Anbietern den kurpfälzischen Getreidehändler Johannes Andreas Gaum in Bretten benachrichtigen, um sein Interesse an einer Lieferung zu wecken; der Marstall benötigte 1500 Malter Hafer.330 Die Kammer erwähnte, als sie sein Angebot protokollierte, 322 Ebd. 323 Ebd. 324 GLAK 61/253 HK 21.4.1718. 325 Königsbach, Teil von Königsbach-Stein. Ein Teil von Königsbach gehörte zur Markgrafschaft Baden-Durlach, der andere gehörte den Edlen von Venningen. 326 GLAK 61/257 HK 3.10.1721. 327 GLAK 61/258 HK 13.1.1722. 328 GLAK 61/258 HK 17.1.1722. 329 GLAK 61/258 HK 28.1.1722 und 22.1.1722. 330 GLAK 61/264 HK 26./27.1.1728.

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nicht allein Gaum, sondern hielt fest, dass „mit ihme in Compagnie [zusammen mit, in einem gemeinsam geführten Geschäft] Lemmle der Jud von dar [von Bretten] samt Jud Mayer von Ettlingen [Mayer Malsch]“ die Lieferung übernehmen wollten. Die Hofkammer vertrat die Auffassung, dass keine bessere Offerte als die von Gaum und seinen „Konsorten“ zu erwarten sei. Die Anbieter selbst drängten. Eine rasche Entscheidung sei nötig, da sie bereits Hafer gekauft hätten; käme der Vertrag nicht bald zustande, würden sie in Karlsruhe einen Abnehmer suchen.331 Darauf vergab die Regierung den Auftrag an Gaum, unter der Bedingung einer möglichst späten Bezahlung.332 Im folgenden Jahr bewarben sich Gaum, Lemmle Liebmann und Mayer Malsch wieder als Lieferanten von Hafer; hier lässt sich der Weg zum Abschluss eines Vertrages detailliert rekonstruieren. Im Januar des Jahres 1729, am 17. oder 18.  des Monats, kamen Liebmann und Mayer Malsch, dazu noch der Ettlinger Lammwirt Christoph Buhl zur Hofkammer. Gaum ließ sich vertreten, wohl durch Liebmann, wie aus dessen späterem Verhalten hervorgeht. Es ging um einen Auftrag von 2000 Maltern Hafer für den Marstall. Jeder Bewerber musste sein Angebot einzeln abgeben. Zunächst lagen die Preisvorstellungen der Anbieter zwischen 2 Gulden 28 Kreuzer und 2 Gulden 45 Kreuzer. Die Kammer aber beharrte auf einem Preis zu höchstens 2 Gulden 20 Kreuzer pro Malter. Lemmle Liebmann erklärte darauf für sich und Gaum, sie würden bei einem Preis von 2 Gulden und 22 Kreuzer liefern. Damit war die Entscheidung gefallen. Spätestens zur Frankfurter Ostermesse solle der Hafer geliefert sein, dann würde die Hofkammer auch die Zahlung von 4733 Gulden und 20 Kreuzer veranlassen. Die Kammer ließ außerdem ins Protokoll aufnehmen, dass Lemmle Liebmann auf einen raschen Beschluss gedrängt hatte, da er gleich bei seiner Heimkehr nach Bretten eine Entscheidung zu treffen habe: Er müsse nämlich wegen „so Viel als bestellten 5 bis 600 M(a)lt(er) das Wort von sich geben“, eine schon vorläufig bestellte Menge des Hafers endgültig in Auftrag geben. Kurz darauf trug Hofrat Hossner die Reaktion des Markgrafen oder des Geheimen Rats in der Kammer vor: Diese ließen nämlich wissen, dass nach Informationen der Markgräfin Sibylla Augusta in Württemberg der Hafer zum Preis von nur 2 Gulden das Malter erhältlich sei. Das wurde Lemmle Liebmann und Mayer Malsch in der Kammerkanzlei mitgeteilt. Sie erhoben Einwände: Nur weil sie weitere Aufträge erhofften, seien sie von ihrer ursprünglichen Preisvorstellung heruntergegangen; noch billiger könnten sie keinesfalls liefern.333 Zur nächsten Sitzung der Kammer lag die Entscheidung vor: Der Vertrag wurde mit Lemmle Liebmann abgeschlossen, der in der Zwischenzeit die Liefe331 GLAK 61/264 HK 11./12.2.1728. 332 GLAK 61/264 HK 6.2.1728. 333 GLAK 61/265 HK 17./18.1.1729.

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rung zu den von der Kammer verlangten 2 Gulden 20 Kreuzer zugesagt hatte. Die Hofkammer ordnete nun die Ausfertigung der Verträge an: Beide Seiten unterschrieben eine Abschrift, die dann „gegen Einander ausgewechselt“ wurde. Lemmle Liebmann trug noch eine Bitte vor: Bei der Ablieferung des Hafers in Ettlingen sollten die Kontrollen zügig durchgeführt werden; müssten die Fuhrleute lange warten, würden sie wegen des zusätzlichen Zeitaufwands eine höhere Bezahlung verlangen.334 Bereits im Februar trafen die ersten Lieferungen ein. Der „Futtermeister“ in Ettlingen berichtete der Hofkammer, dass auch schlechter Hafer angefahren wurde; er erhielt die Anweisung, nur gute Ware zu akzeptieren, und der Ettlinger Amtmann sollte von nun an bei jeder Anlieferung eine Kontrolle vornehmen.335 Im August 1729 bot Mayer Malsch an, die Verpflegung der Pferde des markgräflichen Dragonerregiments in Ettlingen zu übernehmen. Dabei ließ er mitteilen, dass er versuchen würde, das erforderliche Heu billiger einzukaufen als der vorherige Lieferant Caspar Übelhör.336 Dieser wurde zwar durch die Hofkammer zu einem Angebot aufgefordert, jedoch unterbot Mayer Malsch den bisherigen Preis tatsächlich; deshalb schloss die Kammer schließlich mit ihm einen Vertrag ab.337 In diesem Jahr traten noch andere Heulieferanten auf: Einwohner aus Baden-Baden machten ein Angebot,338 der Bühler Wirt Ludwig Jäger lieferte zusammen mit weiteren Teilhabern 1000 Zentner Heu.339 1730 setzte sich Mayer Malsch gegen Christoph Buhl in Ettlingen und Baron Schilling von Canstatt bei der Lieferung von Getreide für den Hof durch. Schillings Angebot wurde nach einer Qualitätsprüfung durch den Mundkoch als schlechter beurteilt als die der ersten beiden Anbieter. Buhl schied aus, weil Mayer ihn unterbot. Von 300 Maltern insgesamt sollte Mayer Malsch zuerst 100 Malter liefern, dann dafür 218 Gulden und 20 Kreuzer erhalten. Der Rest der Kaufsumme sollte ihm je nach Lieferung bezahlt werden.340 Als der Geheime Rat das billigte, ließ die Hofkammer ins Protokoll aufnehmen, nach welchem Prinzip entschieden werden müsse: Das Getreide sei „von Jenigen zu Erkaufen, bey welchen solche in qualitate am besten und wohlfailsten [der Qualität nach am besten und zugleich am billigsten] zu bekommen.“341 Bei der Versteigerung einer Haferlieferung für den Marstall traten 1737 sieben Interessenten auf: Mayer Malsch, Lemmle Lieber von Bretten, Raphael Jacob von 334 GLAK 61/265 HK 20./21.1.1729. 335 GLAK 61/265 HK 23.2.1729. 336 GLAK 61/265 HK 8.8.1729. 337 GLAK 61/265 HK 6.10.1729. 338 GLAK 61/265 HK 4.1.1729. 339 GLAK 61/265 HK 13.1.1729. 340 GLAK 61/266 HK 3./4.2.1730. 341 GLAK 61/266 HK 22.2.1730.

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Rastatt, der Gernsbacher David Kaufmann, dann drei nichtjüdische Anbieter, nämlich ein Heinrich Müller aus Grötzingen, der Rastatter Postmeister Kahr und der dortige Ochsenwirt Mößner. Das Protokoll wies ausdrücklich darauf hin, dass Raphael Jacob der Stiefsohn von Mayer Malsch war und Lemmle Lieber dessen Schwiegersohn;342 die Hofkammer rechnete wohl mit Absprachen der miteinander verwandten Bieter. Schließlich kamen David Kaufmann und Lemmle Lieber zum Zuge, die sich die Lieferung aufteilten.343 Im Oktober 1750 verkündeten wie üblich alle Ämter den bevorstehenden Auftrag für die Lieferung von Hafer. Dennoch musste der Geheime Rat zunächst feststellen, dass sich nur Juden aus Ettlingen, Karlsruhe und dem kurpfälzischen Bretten für diesen Auftrag interessierten. Erst „auf wiederholte citation“ [Aufforderung] meldeten sich dann zwei christliche Getreidehändler aus dem speyrischen Ubstadt; sie wurden deshalb zum Mitsteigern aufgefordert, weil die Preise der jüdischen Anbieter zu hoch erschienen. Dann erklärten sich diese aber offenbar, um die Konkurrenz aus dem Wettbewerb zu drängen, „auf vieles Zureden“ zu einer günstigeren Lieferung bereit: Statt 2 Gulden und 45 Kreuzer bzw. 2 Gulden und 36 Kreuzer forderten sie nur noch 2 Gulden 20 Kreuzer pro Malter – ihrerseits konnten die Anbieter durchsetzen, frischen Hafer statt den begehrteren alten zu liefern.344 An diesen Getreidelieferungen ist auffallend, dass sich die Familienmitglieder und Verwandten von Mayer Malsch 1729 mit dem Getreidehändler Gaum zusammenschlossen. Dieser lebte wie Lieber Lemmle in Bretten. Hier zeigten sich beide Seiten bereit, die jüdische und nichtjüdische, zum eigenen Vorteil Aufträge gemeinsam durchzuführen, die sonst schwerlich zu bewältigen gewesen wären. Unter den jüdischen Lieferanten gab es die Tendenz, wie bei der Beteiligung von Mayer Malsch, seinem Stiefsohn Raphael Jacob und dessen Schwager Lemmle Lieber, dass Verwandte miteinander Lieferungen übernahmen. Dieses Netz ermöglichte wohl Absprachen und rasche Liefermöglichkeiten. Es begünstigte auch die Verhandlungschancen: Lemmle Lieber – als er sich 1737 um die Haferlieferung bewarb – instruierte Raphael Jacob in Rastatt brieflich, so dass dieser schnell mit der Kammer Kontakt aufnehmen konnte.345 Für die Lieferanten war das gemeinsame Vorgehen auch eine Absicherung. Wenn sie einen Auftrag erhielten, mussten sie zunächst Kapital oder Kredit haben, um Getreide zu kaufen. Dazu kam, dass die Regierung nicht immer in der Lage war, sofort zu bezahlen. Bei vielen Schutzjuden dürfte das fehlende Kapital 342 GLAK 61/274 HK 22.11.1737. In einem Eintrag aus dem folgenden Monat Dezember werden Raphael Jacob und Lemmle Lieber als Schwäger bezeichnet (GLAK 61/274 HK 10.12.1737). 343 GLAK 61/274 HK 7.12.1737 und GLAK 61/274 HK 10.12.1737. 344 GLAK 61/69 GR 8.10.1750 Nr. 26. 345 GLAK 61/274 HK 7.12.1737.

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oder mangelnder Kredit der Grund dafür gewesen sein, dass sie nicht am Handel mit der Regierung teilnehmen konnten. Wie in anderen Geschäftsbereichen nutzte die Regierung die Konkurrenz, vor allem zwischen Juden und Christen, um günstige Bedingungen zu erreichen. Stoffe für den Hof hatte schon Mathias Schweitzer geliefert, und zwar, wie die Hofkammer 1709 schrieb, zur „Fürstl(ichen) drauer“,346 also wohl anlässlich des Todes von Markgraf Ludwig Wilhelm. Anzeichen für solche Lieferungen während der Regentschaft von Markgräfin Sibylla Augusta scheint es nicht zu geben, und erst mit der Regierungsübernahme durch Markgraf Ludwig Georg setzten sie wieder ein. Marx Schlesinger,347 als dessen Herkunftsort Frankfurt angegeben wurde, geriet 1729 nach der Lieferung von Hüten für Hofbedienstete und von Tuch für Livreen in Schwierigkeiten. Im Januar des Jahres musste er vor der Kammer Unstimmigkeiten klären.348 Zunächst wurde ihm ein Reskript des Markgrafen und des Geheimen Rats vorgelesen, zu dem er sich mündlich äußerte.349 Dann legte er eine schriftliche Abrechnung vor. Mögliche „Verstöße“ gegen die Bestimmungen des „Livrée accords“ sollten nicht ihm angelastet werden, forderte er dabei, sondern dem Umstand, dass er die Rechnung nicht auf Deutsch hatte verfassen können, sondern einen Übersetzer brauchte.350 Die Kammer legte ihre „Gegenrechnung“ vor; einen Teil der Waren akzeptierte sie nicht. Schlesinger erklärte sich darauf bereit, einen Nachlass von 400 bis 500 Gulden einzuräumen, falls er die entsprechenden Waren nicht zurücknehmen müsse.351 Die Kammer ließ Rastatter Handelsleute die Lieferung begutachten. Danach erklärte sie sich bereit, einen Teil davon zu einem ermäßigten Preis anzunehmen; den anderen Teil sollte Schlesinger wieder abholen.352 Er seinerseits bot an, die von ihm gelieferten Hüte zu dem durch die Rastatter Kaufleute geschätzten Preis abzugeben. Alle Waren insgesamt, darauf lief die Einigung hinaus, wurden mit 4872 Gulden und 9 Kreuzer berechnet.353 Den entsprechenden Vertrag ergänzte die Kammer mit einer Zusage, die Lieferung während der Ostermesse in Frankfurt zu bezahlen. Die Vereinbarung musste Schlesinger mit seiner Unterschrift bestätigen – wie das Protokoll der Hofkammer festhielt, zur Sicherung, dass er seine Verpflichtungen einhalte. Zur Frage, ob Marx Schlesinger mit dem gleichnamigen, 1754 in Wien gestorbenen 346 GLAK 74/6982, Hofkammer, 6.3.1709. 347 Namensvariationen: Schlössinger und Schlößinger. 348 GLAK 61/265 HK 5.1.1729. 349 GLAK 61/265 HK 7.1.1729. 350 GLAK 61/265 HK 12.1.1729. 351 GLAK 61/265 HK 15.1.1729. 352 GLAK 61/265 HK 31.1./2.1729. 353 GLAK 61/265 HK 3.2.1729.

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kaiserlichen Hofagenten354 identisch sein könnte, gibt das Kammerprotokoll keine Hinweise. Spätestens 1729 stand Cassel im wirtschaftlichen Kontakt zum Hof. 1724 galten er und sein Bruder als die jüdischen Einwohner Rastatts mit dem größten Vermögen nach Moyses Schweitzer.355 Beide Brüder betrieben zusammen „Einen Tuchladen mith andteren derley wahren wie bekannth“, ein Ladengeschäft, in dem sie Stoffe und Kramwaren verkauften.356 1729 hatte die Kammer die „Ingesessenen Krämer und Juden als auch von Frankfurt“, also Krämer und Juden in der Markgrafschaft wie in Frankfurt zur Vorlage von Mustern und Angabe von Preisen aufgefordert, als es um Stoffe für die Herstellung von Uniformen ging. Sie ließ Rastatter Schneider die vorgelegten Probestücke prüfen; ausdrücklich hielt die Kammer fest, dass diese sich für das Angebot von Cassel aussprachen, ohne zu wissen, von wem es stamme.357 Beim endgültigen Abschluss des Vertrags wurde Cassel „aber nochmahls Ernstlich anerinnert, Versprochener massen nach denen rückbehaltenen Mustern“ zu liefern, vor allem im Blick auf die Qualität des Stoffes und seiner Farbe. Cassel beteuerte, er werde sich selbst nach Frankfurt begeben, um für eine „guthe Lieferung“ zu sorgen.358 Anfang August meldete Cassel, dass die Tücher eingetroffen seien. Nochmals äußerte die Hofkammer ihre Vorsicht oder ihr Misstrauen: Sie verglich die Tücher im Beisein von Schneidern mit dem vorliegenden Muster. Erst als diese keine Einwände erhoben, wurde die Verarbeitung angeordnet. Die Kammer kam allerdings ihrerseits mit der Vertragserfüllung in Schwierigkeiten. Die vereinbarte rasche Bezahlung des Tuches unterblieb: Die Landkasse war leer; als dann eine Extraordinaristeuer [eine außerordentliche Steuer] erhoben wurde, bekam Cassel wenigstens teilweise sein Geld.359 Er aber wartete im Oktober noch immer auf die 500 Gulden, die ihm vertragsgemäß die Frankfurter Kaufleuten Schwarz und Huiller im Auftrag der Regierung hätten auszahlen sollen.360 1731 erhielten Cassel und sein Bruder nochmals einen Auftrag zur Lieferung von Stoffen für „Monturen“, für Uniformen oder Dienstkleidungen. Damit sie 354 Zu ihm zuletzt Rainer Gömmel, Hofjuden und Wirtschaft im Merkantilismus, in: Rotraud Ries und J. Friedrich Battenberg (Hg.), Hofjuden – Ökonomie und Interkulturalität. Die jüdische Wirtschaftselite im 18. Jahrhundert (Hamburger Beiträge zur Geschichte der deutschen Juden 25). Hamburg 2002, S. 59–65, und Martina Strehlen, Realität der Erinnerung? Zu Grabinschriften und Memorbucheinträgen für Hofjuden, ebd., S. 177–190, hierzu S. 177. 355 GLAK 74/3711, „Specification“, o. D. 1724. 356 GLAK 74/3711, Oberamtmann Leopold Wilhelm Lassolaye an die Hofkammer, 1.2.1721. 357 GLAK 61/265 HK 4.6.1729 und 14./15.6.1729. 358 GLAK 61/265 HK 21./22.6.1729. 359 GLAK 61/265 HK 4.8.1729. 360 GLAK 61/265 HK 10.10.1729.

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zum Zuge kamen, stimmten sie einer besonderen Zahlungsweise zu. Offensichtlich befanden sich in der Landkasse ungültig gewordene Münzen. Cassel und sein Bruder verpflichteten sich zur „annemmung deren Verrufenen [für ungültig erklärten] bey der Landcasssa sich befindlichen Creutzern für voll,“ wollten sie also in ihrem ursprünglichen Wert und ohne jeden Abzug verrechnen. Wie schon 1729 erklärten sie, was sie zur beschleunigten Erfüllung des Vertrages unternehmen würden: Einer von ihnen werde mit der Postkutsche nach Frankfurt fahren und dabei, um die Frachtkosten für die minderwertigen Kreuzer zu sparen, das Geld mitnehmen; dazu brauche er aber eine amtliche Bestätigung, dass es aus der Hofkasse komme.361 Wie sonst nie dokumentierte die Hofkammer ihre akribische Vorgehensweise bei der Lieferung von Tuch 1729. Das kann mehrere Gründe haben. Cassel war 1721 wegen seiner Verwicklung in eine aus der Sicht der Regierung betrügerische Schutzaufnahme bestraft worden.362 Es ging bei ihm um den ersten Auftrag für einen Juden, mit dem die Regierung schon ein solches Problem gehabt hatte. Kurz vor dem Tuchhandel mit ihm hatte die Kammer Schwierigkeiten mit einer Lieferung von Marx Schlesinger, ebenfalls von Stoffen.363 Mit seinem Angebot verdrängte Cassel die Rastatter Kaufleute Nagel und Klehr364 – auch dies machte vielleicht eine genaue Dokumentation des Geschäftes nötig. Cassel und sein Bruder ihrerseits zeigten sich bereit, zusätzliche Dienste für die Regierung zu übernehmen wie den Transport der schlechten Münzen. So kümmerten sie sich darum, dass der Hof sie als nützlich und vertrauenswürdig ansah. Die meisten markgräflichen Juden kamen nicht für die Aufträge des Hofes in Frage. Offensichtlich bildete sich ein kleiner Kreis von Lieferanten, die im Unterschied zu den meisten Schutzjuden über finanzielle Mittel oder den entsprechenden Kredit verfügten, sowohl um die geforderte Ware erwerben zu können wie der Regierung eine längere Zahlungsfrist einzuräumen. Sie verfügten über verwandtschaftliche Beziehungen über die Markgrafschaft hinaus, was ihnen die Erfüllung ihrer Aufträge ermöglichte und erleichterte. Im Verhältnis zu christlichen Lieferanten lässt sich neben Konkurrenz auch Kooperation feststellen, die offensichtlich bei größeren Aufträgen hilfreich war. Bei den agrarischen Produkten wie beim Tuch fällt auf, dass die Nachfrage nicht aus der Markgrafschaft befriedigt werden konnte. Insofern gehörten Schutzjuden und Juden überhaupt zu den Handeltreibenden, welche dem Hof die Befriedigung wesentlicher Bedürfnisse gewährleisteten.

361 GLAK 61/268 HK 2./3.1.1732. 362 Zur aus der Sicht der Regierung betrügerischen Schutzaufnahme von Samuels Sohn siehe S. 63. 363 Zur Lieferung von Marx Schlesinger siehe S. 194. 364 GLAK 61/225 HK 14./15.6.1729.

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Bei Viehfutter und bei Getreide für den Bedarf des Hofes selbst scheint es keine Vorurteile oder Bedenken gegen die jüdischen Lieferanten gegeben zu haben, anders als bei Tuchen oder Spezereien. In diesen beiden Bereichen des höfischen Verbrauchs spielte die Einschätzung der Juden als nicht adäquate, für die eigene Stellung unangemessene Lieferanten zumindest zeitweise eine Rolle, die allerdings in der Mitte des 18. Jahrhunderts an Gewicht verlor. Symptomatisch für die Veränderung ist die Akzeptanz von Salomon Meyer als Hoflieferant oder die veränderte Einstellung zu Juden als Anbieter von Spezereien.365 4.3.6  Leistungen für den Hof – Aufstieg in der Judenschaft: Raphael Jacob Über Raphael Jacobs Schutzaufnahme liegen keine Informationen vor. Im Verzeichnis der baden-badischen Schutzjuden von 1724 ist sein Name nicht enthalten.366 Zu dieser Zeit erteilte die Markgräfin Sibylla Augusta keinen Schutz mehr;367 deshalb ist anzunehmen, dass seine Aufnahme zwischen 1727, dem Regierungsantritt des Markgrafen Ludwig Georg, und 1731 erfolgte. In diesem Jahr wurde er zum ersten Mal als Schutzjude in Rastatt genannt, als er sich um die Genehmigung für den Weinausschank an auswärtige Juden bewarb.368 Später protokollierte ihn der Hofrat einfach als „Vola“, als es um einen Anspruch auf das Haus seines Großvaters Jost Herz in Ettlingen ging, eine Benennung, die immer wieder, als „Vola“ oder „Vohla“, alternativ zu Raphael Jacob vorkommt. Zur Herkunft Raphael Jacobs existieren Hinweise, die 1744 der Judenoberschultheiß Samson Schweitzer gab, im Zusammenhang von Abzugsgeldern,369 über die er der Regierung zu berichten hatte. Samson Schweitzer gab dabei an, dass Herz Jost in Ettlingen 250 Gulden geerbt habe von einem „gestorbenen Bruder Sohn Vola Jacob zu Rastatt“, aus dem Erbteil seines Großvaters. Weiter schrieb Samson Schweitzer, dass „der Vola“, nämlich Raphael Jacob, ein Viertel eines Hauses von seinem Großvater erbe oder geerbt habe, das dann Herz Jost von Ettlingen übernahm.370 Nach diesen Angaben ist Vola oder Raphael Jacob der Sohn eines Bruders – Vola Jacob – von Herz Jost in Ettlingen. Seine Mutter

365 Hierzu siehe S. 185ff. und S. 243ff. 366 GLAK 61/260 HK 6.7.1724. 367 Zu den verringerten Schutzaufnahmen unter Markgräfin Sibylla Augusta siehe S. 61f. 368 GLAK 61/267 HK 7.12.1731. 369 Abzugsgeld oder Abzugssteuer: Eine Steuer, die beim Verlassen eines Territoriums erhoben wurde. Zu ihr siehe v. a. S. 357ff. 370 GLAK 74/68, Samson Schweitzer, „Specification“, 11.8.1744.

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heiratete, wohl nach dem Tod von Vola Jacob, Mayer Malsch, der als Stiefvater von Raphael Jacob bezeichnet wurde.371 Eine wirtschaftliche Verbindung Raphael Jacobs zum Hof ist erstmals für Oktober 1741 feststellbar, als die Hofkammer die Lieferung von 2500 Maltern Hafer versteigern ließ. Ihr Interesse zeigten dabei Franz Joseph Sperl aus Ettlingen, ein früherer „Verwalter“ des kaiserlichen Proviantadmodiators von Mohrenfeld, und Raphael Jacob. Die Kammer ließ die beiden vor einem „complot“ warnen, fürchtete wohl eine Preisabsprache. Sperl verabredete sich mit Raphael Jacob und weiteren Interessenten. Er ließ die Kammer wissen, dass er diesen, Raphael Herz aus Bretten und den Schwager Raphael Jacobs, Lemmle Liebmann aus Bretten, „in Compagnie“ habe372 und zusammen mit ihnen die Lieferung übernehmen wolle. Ohne Schwierigkeiten kam es zum Vertragsabschluss; unter Sperls Führung sollte Hafer in Württemberg, Baden-Durlach, der Kurpfalz und im speyrischen Territorium gekauft werden.373 1743 arbeitete Raphael Jacob nochmals mit Sperl zusammen. Im Oktober des Jahres schloss die Regierung mit beiden einen Vertrag ab: Sie sollten innerhalb von acht Tagen an die kaiserlichen, in Ettlingen stationierten Truppen 1000 Malter Spelz und 553 Scheffel Hafer liefern.374 Für weitere Haferlieferungen ließ die Hofkammer 1747 bei Sperl und Hertz in Ettlingen, bei Meyer Hertz und Raphael (vermutlich Raphael Herz) in Bretten und bei weiteren Juden in der Kurpfalz und in Baden-Durlach Erkundigungen anstellen.375 Sperl bot darauf 2500 Malter Hafer an für 2 Gulden und 2 Kreuzer das Malter. Diesen Preis unterbot Raphael Jacob mit 2 Gulden, wenn die Vergabe des Auftrags nicht über eine Versteigerung erfolgen würde.376 Darauf ermäßigte auch Sperl sein Gebot auf 2 Gulden. Am Ende kamen beide zum Zug, indem sie sich den Auftrag teilen mussten.377 Im März und April 1742 lieferte Raphael Jacob dem Hof Unschlitt (Talg), das für die Herstellung von Kerzen bestimmt war. Dabei arbeitete er mit dem elsässischen Heereslieferanten Moyses Plien378 zusammen: Wie dieser versorgte er 371 Zur Bezeichnung von Raphael Jacob als Stiefsohn von Mayer Malsch siehe S. 193. 372 GLAK 61/278 HK 9.10.1741. 373 Ebd. 374 GLAK 61/280 HK 2.10.1743. Scheffel: Maßeinheit für Schüttgut wie Getreide, ca. 2,2 Hektoliter. 375 GLAK 61/284 HK 13.9.1747. 376 GLAK 61/284 HK 18.11.1747. 377 GLAK 61/284 HK 21.11.1747. 378 Moyses Plien ist mit Moïse Blien aus Hoenheim im Unterelsass identisch, der sowohl für französischen Truppen Lieferungen ausführte und beträchtliche Summen Geld verlieh, nach André-Marc Haarscher, Les Juifs du comté de Hanau-Lichtenberg entre le XVe siècle et la fin de l’ancien régime. (Publications de la Société savante d’ Alsace). Strasbourg 1997, S. 84. Zu Moyses Plien bzw. Moïse Blien Jean Daltroff, Le prêt d’argent des juifs

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französische Truppen, welche die Markgrafschaft passierten oder im Elsass standen, mit Ochsen; ca. 30 Zentner Unschlitt, das die Truppen nicht verbrauchten, erhielt Raphael Jacob zum Verkauf an den Hof.379 Als er der Kammer im Mai den Durchmarsch von weiteren französischen Truppen ankündigte, beauftragte sie ihn erneut mit der Besorgung der Furage, die der Markgrafschaft als Kontribution aufgelegt wurde.380 In diesem Zusammenhang entstand im November 1742 der Verdacht, dass es zu einem Betrug gekommen sei; eine „Spendage [hier wohl: verdächtige Zahlung]“ durch Offiziere wurde vermutet – Raphael Jacob sollte unter Eid aussagen, alles unter größter Geheimhaltung. Schon bald erklärte der Geheime Rat, dass doch alles rechtmäßig abgelaufen sei.381 1744 half Raphael Jacob die Ansprüche französischer Kavallerie zu erfüllen, die beim Durchzug durch die Markgrafschaft Heu forderte. Nach dem Vorschlag der Hofkammer erhielt er zusammen mit „Consorten“ den Auftrag zur Lieferung, da niemand anders zur Verfügung stand, der in der Eile ein billigeres Angebot abgeben konnte.382 In diesem Jahr bot Raphael Jacob der Hofkammer auch wieder Unschlitt an, diesmal 60 Zentner. Die Kammer entschied sich für ihn mit der Begründung, dass die Metzger für das Pfund ¼ Kreuzer mehr als er forderten und er zudem bessere Qualität versprach.383 Wie sorgfältig der Hof die Beziehung zu Raphael Jacob pflegte, ist für 1747 erkennbar. In diesem Jahr übertrug die Hofkammer die Verpflegung des badenbadischen Truppenkontingents dem Stuttgarter Proviantkommissar Schneidmann, nicht aus eigenem Antrieb, sondern auf Initiative des Schwäbischen Reichskreises. Die Regierung war zu dieser Zeit bereits mit Raphael Jacob einen Vertrag eingegangen; nun versuchte sie, den Wechsel zu Schneidmann so zu gestalten, dass Raphael Jacobs Interessen möglichst gewahrt blieben. Die Hofkammer bestellte ihn ein und hörte ihn an. Raphael Jacob äußerte seine Bedenken und Probleme; er hatte bereits Einkäufe getätigt. Schließlich kam eine Einigung zustande, welche für ihn die Erstattung von Unkosten brachte und ihm weitere Nachteile ersparte.384

de Basse-Alsace d’après les régistres de notaires royaux strasbourgeois (1750–1791). (Publications de la Société savante d’ Alsace et des région de l’Est. Collection „recherches et documents“). Strasbourg, 1993, S. 87–95. 379 GLAK 61/44 GR 3.3.1742 Nr. 27, GLAK 61/279 HK 5.3.1742, 20.3.1742 und 24.4.1742. 380 GLAK 61/279 HK 25.5.1742. 381 GLAK 61/171 HR 20.11.1742 Nr. 2 und GLAK 61/46 GR 11.12.1742 Nr. 23. 382 GLAK 61/281 HK 9.9.1744. 383 GLAK 61/281 HK 6.6.1744. 384 GLAK 61/284 HK 16.2.1747.

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Raphael Jacob stoppte im August 1747 zugesagte Lieferungen von Stroh für Truppen, die im Amt Schwarzach lagen, und der dortige Amtmann warnte davor, dass dadurch den Untertanen Schaden entstehen könne;385 vermutlich befürchtete er gewaltsame Übergriffe der Soldaten. Wenige Tage später übernahm Raphael Jacob doch wieder die Lieferung von Brot, von Hafer und Heu für kaiserliche Truppen, die an Ettlingen vorbeizogen.386 1749 versuchte die Hofkammer zuerst Hafer aus Württemberg zu kaufen. Dann meldete sich Raphael Jacob: Er könne 1600 Malter Hafer aus Lothringen, dann weitere 1400 Malter Hafer von guter Qualität liefern. Als Zahlungstermin gab er die Frankfurter Ostermesse 1750 an; für den der Regierung eingeräumten Kredit von 3000 Gulden forderte Raphael Jacob auf die Dauer von einem halben Jahr einen Zins von 75 Gulden, also 5 Prozent. Eine weitere Bedingung: Nach der Lieferung von 1000 Maltern wolle er eine mit dem Kammersiegel bestätigte Zusage, dass ihm die 3000 Gulden auch wirklich zur Ostermesse bezahlt würden; er begründete dies damit, dass er das Geld leihen müsse und dafür eine Sicherheit brauche.387 Bei der Genehmigung dieses Vorgehens äußerte der Hofrat jedoch einen Vorbehalt: Die Kammer müsse versichern, dass es nicht günstiger sei, über eine Versteigerung vorzugehen. Darauf räumte die Hofkammer auch dieses Problem aus dem Weg. Sie versicherte, eine Versteigerung laufe auf eine Verteuerung hinaus und Raphael Jacob biete wirklich guten Hafer an; außerdem liefen Nachrichten ein, dass französische Interessenten Hafer diesseits der Grenze kaufen wollten. Schließlich sei Raphael Jacob doch nach eindringlichem „zureden“ der Kammer von seiner Forderung nach Verzinsung der 3000 Gulden abgerückt.388 Im November 1748 stand Raphael Jacob vor der Übernahme einer Haferlieferung. Da erklärte er der Hofkammer, wie sie diesen Kauf finanzieren könne: Moyses Plien, der elsässische Heereslieferant, sei bereit dafür 5000 Gulden vorzustrecken.389 Als der Vertragsabschluss zu scheitern drohte, erklärte Raphael Jacob: Er „habe sich der Sollicitur [Herbeischaffung] des geldts, sowohl alß der Haaber beschaffung ohne einige nebens absichten und profit unterwundten [ohne Nebenabsichten und Gedanken an den eigenen Nutzen übernommen], alten oder vom Jährigen [einjährigen] Haabers unter den Ihme zu erkauffen comittierten [beauftragten] 2500 M(a)lt(e)r aufzubringen“.390

385 GLAK 61/284 HK 22.8.1747. 386 GLAK 61/284 HK 30.8.1747. 387 GLAK 61/286 HK 22.8.1749. 388 GLAK 61/286 HK 28.8.1749. 389 GLAK 61/285 HK 28.11.1748. 390 Ebd.

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Die Hofkammer akzeptierte offensichtlich seine Darstellung, er habe bei diesem Geschäft auf Gewinn verzichtet und aus eigenen Stücken begehrten älteren Hafer seiner Lieferung beigemischt, und bestätigte dies gegenüber dem Geheimen Rat.391 Darauf ging die Regierung auch auf seinen Vorschlag über die Finanzierung ein. Am 5. Dezember 1748 ersuchte die Hofkammer Plien um den Kredit von 5000 Gulden;392 am 14. Dezember berichtete sie dem Geheimen Rat: Plien habe diese Summe „gantz willfährig und würkl(ich) bahr bezahlet.“ Der Geheime Rat bestätigte das Vorgehen: Alles „Seye recht geschehen“, und die Kammer habe sorgfältig auf die Bezahlung der Wechsel zu achten.393 In der positiven Einschätzung der Geschäfte, in die Raphael Jacob verwickelt war, liegt wohl eine Voraussetzung seines Erfolgs. Wie Cassel nutzte er den Vorteil von direkten Kontakten zum Hof in Rastatt. Cassel konnte bei seinen Beziehungen zum Hof auf seinen Tuchhandel aufbauen, Raphael Jacob auf seinen Anspruch auf zumindest einen Teil des Hauses von Herz Jost in Ettlingen, auf das Erbe dieses wohlhabenden Schutzjuden.394 Einen Kramladen scheint Raphael Jacob allerdings nicht geführt zu haben; erst einer seiner Söhne supplizierte wegen der Eröffnung eines Ladens in Rastatt.395 Nachdem Raphael Jacob sein großväterliches Erbe angetreten hatte, stieg er rasch ein in die Versorgung des Hofes mit Getreide und Unschlitt, ebenso, mit der Regierung zusammenarbeitend, in die Versorgung von kaiserlichen und französischen Truppen mit Proviant. Dabei investierte er hohe Beträge. Bei seinen Getreidelieferungen arbeitete Raphael Jacob mit einem christlichen Lieferanten zusammen, ähnlich wie vor ihm Joseph Jacob bei seiner Heulieferung von 1705;396 wie dieser nutzte Raphael Jacob Verwandtschaftsbeziehungen in die Kurpfalz, nach Bretten. Der Weg Raphael Jacobs heraus nicht aus Armut, aber aus wohl bescheidenen Vermögensverhältnissen lief also nicht über das Ladengeschäft, sondern über Proviantlieferungen an Truppen. Sein Kontakt zu Moyses Plien verdeutlicht seine soziale Position: Moyses Plien war nicht nur Heereslieferant und ein wichtiger Geldverleiher im unteren Elsass, sondern gehörte zur Führungsgruppe der dortigen Judenschaft und wurde 1746 Landesvorsteher aller Juden im Elsass.397 Wenn Raphael Jacob zum Verbindungsnetz dieses elsässischen Juden gehörte, dürfte dies eine weitere Voraussetzung seines Aufstiegs bedeutet haben. 391 GLAK 61/64 GR 2.12.1748 Nr. 10. 392 GLAK 61/285 HK 6.12.1748. 393 GLAK 61/64 GR 14.12.1748 Nr. 20. 394 Zum Erbanspruch Raphael Jacobs auf einen Hausanteil in Ettlingen siehe S. 197. 395 Zum Gesuch von Lazarus Raphael wegen eines Ladens siehe S. 244. 396 Zur Zusammenarbeit (und den Konflikten) Joseph Jacobs mit dem Bühler Zollbereiter Hans Martin Crembs siehe S. 145 u. ö. 397 Jean Daltroff, Le prêt d’argent des juifs de Basse-Alsace, S. 88.

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Wie Hayum Flörsheim und schon vor diesem die Judenschultheißen Aron und Isaac398 oder Mathias Schweitzer richtete sich Raphael Jacob in seinen wirtschaftlichen Aktivitäten auf die Bedürfnisse des Hofes aus. Schließlich wurde er wie diese Judenoberschultheiß der baden-badischen Juden399 und erreichte damit die Stellung in der Judenschaft, die Plien unter den elsässischen Juden einnahm. In der Perspektive auf die Entwicklung der Markgrafschaft selbst macht sein Aufstieg noch mehr deutlich: Joseph Oberländer, Aron und Isaac und andere Admodiatoren im Bereich des Gewerbes brachten Leistungen für den Hof, die auch die Entwicklung der wirtschaftlichen Ressourcen des Landes fördern konnten. Bei Raphael Jacob war die Versorgung des Hofes entscheidend und die Erfüllung der Anforderungen, die sich für die Regierung aus der Anwesenheit französischer und kaiserlicher Truppen ergaben. Hof und Regierung waren in diesem Sinne auf sich selbst konzentriert, und in die wirtschaftliche Entwicklung des Landes war ein Jude wie Raphael Jacob zumindest nicht in direkter Weise integriert. 4.3.7  Admodiatoren Aron: Vom Hof gebraucht, von Misstrauen begleitet

Aron, zuerst als „Aron von Bühl“ bezeichnet, machte im April 1672 – wie Samuel Oppenheimer schon im Februar des Jahres400 – bei der Witwe des Amtmanns Bademer eine Forderung geltend; im September des Jahres war diese Schuld noch immer nicht beglichen, nicht einmal anerkannt.401 Zusammen mit Isaac in Ettlingen handelte er um 1680 mit Getreide.402 1682 klagte er gegen einen christlichen Einwohner, der gegen Pfand von ihm Geld geliehen hatte, die Pfänder jedoch nicht mehr einlösen wollte.403 Noch 1675 bezeichnete ihn das Hofratsprotokoll als „Juden zue Bühl“.404 1680 allerdings nannte ihn das Ratsprotokoll als „Aron Judt Schutzverwandter alhier“, er lebte also in Baden-Baden, wo er in den folgenden Jahren nachweisbar ist.405 Die Verlegung seines Lebensortes in die Residenz spiegelt wider, wie Aron einen neuen Schwerpunkt seiner wirtschaftlichen Aktivität setzte: Jetzt waren geschäftliche Kontakte zum Hof wichtig. Gemeinsam mit Isaac von Ettlingen 398 Zu den Schultheißen Aron und Isaac in ihren wirtschaftlichen Beziehungen zum Hof siehe S. 202ff. 399 Zu Raphael Jacob als Oberjudenschultheiß siehe S. 449ff. 400 Zu dieser Forderung Oppenheimers siehe S. 173. 401 GLAK 61/124 HR 11.9.1672. 402 GLAK 61/125 HR 12.3.1680 Bl. 79v und 2.4.1680 Bl. 98. 403 GLAK 61/127 HR 28.2.1682 Bl. 87r–v. 404 GLAK 61/124 HR 12.2.1675 Bl. 303v. 405 Schindler, Der verbrannte Traum, S. 16f.

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und Simon von Pforzheim, einem baden-durlachischen Schutzjuden, schloss er 1680 einen Vertrag mit der Regierung: Darin wurden die Einfuhr von Wolle und ihr Verkauf durch die drei jüdischen Vertragspartner festgelegt. Für das nächste halbe Jahr wurde die Lieferung von 20 Zentner vereinbart; pro Zentner Wolle mussten die Lieferanten 2 Gulden und 15 Kreuzer an die Herrschaft abgeben, und sie verpflichteten sich, nur Ware guter Qualität, „Kaufmanns guth“, zu liefern, damit die „Underthanen darahn im geringsten nit zue clagen“ hätten. Die Wolle war für Hosenstricker und Weber bestimmt, die sie verarbeiteten, für die sogenannten „Wüllenweber“. Für die Verteilung der Ware hatten die Importeure in Rastatt und Ettlingen Niederlassungen einzurichten. Allen Handwerkern, die Wolle verarbeiteten, wurde Anfang 1681 befohlen, nur bei den drei Importeuren ihren Rohstoff zu beziehen.406 Damit machte die Regierung die Versorgung dieser Handwerker zu einem Monopol der drei jüdischen Geschäftspartner; sie waren Admodiatoren im Wollhandel geworden. Ihr Misstrauen äußerte die Kammer nicht nur mit Blick auf die Qualität der Wolle. Simon von Pforzheim und seinen Knecht befreite sie von der Zahlung der Geleitgebühr, wenn sie in der Markgrafschaft wegen der Lieferung von Wolle unterwegs waren. Aber ausdrücklich drohte sie Simon eine Strafe an, falls er mit weiteren Waren handelte.407 Ebenfalls 1780 bezogen Aron und Isaac Tierhäute, die der Hof in BadenBaden verkaufte.408 In diesem Jahr wies die Hofkammer Aron die noch nicht eingezogenen Schutzgelder als Schuldenzahlung an,409 ebenso 1686, als er diese Abgabe aus fünf Ämtern erhielt.410 Offensichtlich hatte er Waren an den Hof geliefert, die er auf der Frankfurter Messe einkaufte, und er konnte die Steuern, die auf ihnen lagen, mit seinen Forderungen verrechnen.411 Eine Ausweitung seines Geschäftsbereichs ergab sich, als er – wieder mit Isaac – 1683 den Eisenhandel als Beständer oder Admodiator erwarb, damit das Monopol im Eisenhandel innehatte. Die beiden Admodiatoren übernahmen Aufgaben im Zusammenhang mit dem Bühlertaler „Bergwerk“. Nachdem dort 1683 Schmelzofen und Hammerschmiede erneuert waren,412 lieferten Aron und Isaac altes Eisen, das zu neuem aufgearbeitet wurde.413 Dieses nahmen sie wieder ab und sorgten für seinen Verkauf.414 406 GLAK 61/223 HK 7.1.1681. 407 GLAK 61/223 HK 19.9.1680. 408 Ebd. 409 GLAK 61/223 HK 30.12.1680. 410 GLAK 61/227 HK 21.2.1686. 411 GLAK 61/224 HK 5.5.1683. 412 GLAK 61/224 HK 18.1.1683. 413 GLAK 61/224 HK 5.5.1683. 414 Zu Isaac und Aron als Admodiatoren siehe S. 210ff.

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Aron konnte mit seinen Besuchen der Frankfurter Messe415 den Kontakt der markgräflichen Regierung mit Aron Beer festigen, der Nägel und Blech aus der Markgrafschaft beziehen sollte.416 Aron wurde auch mit der Auszahlung von 2000 Gulden an Aron Beer aus einem anderen Vertrag beauftragt,417 ebenso mit dem Verkauf von Branntwein aus der markgräflichen Schaffnerei auf der Messe in Frankfurt.418 Er belieferte die Hofschmiede, als sie für eine neue Kutsche Blech und Stahl brauchte.419 1687 nahm er dem Hof ein „Stutlein“ ab für 40 Gulden.420 In die Versorgung der Stadt Ettlingen mit Salz war Aron schon 1685 eingeschaltet, zusammen mit Isaac und wohl auch Simon von Pforzheim.421 Mit ihnen hatte Aron bereits 1683 die Ausstattung von Truppen übernommen, welche die Markgrafschaft für den Schwäbischen Reichskreis stellte: Sie lieferten Pferde, Kleidung und Waffen – Pistolen, Degen und anderes Zubehör – für 18 Reiter und eine größere Anzahl von Fußsoldaten. Der Wert ihrer Lieferung erreichte, ohne die Pferde, 1988 Gulden und 40 Kreuzer. Zusammenfassend wurde nach der detaillierten Beschreibung der Waren bekräftigt: „Ist in allem guethe Wahr begehrt, undt auch zue lieferen versprochen worden, widerigenfalls man ein undt andres nicht anzuenemmen schuldig.“422 Details des Vertrages zeigen das Misstrauen zwischen den Parteien und gleichzeitig ihren Wunsch, zu einem Geschäftsabschluss zu kommen. Als grundlegende Norm legte der Vertrag den drei jüdischen Partnern auf, Pferde ohne jede Mängel zu liefern. Die Hofkammer wollte sie zuerst prüfen und dann entscheiden, welche Pferde sie nahm, und schließlich über den Preis verhandeln.423 Die Prüfung des Angebots durch Beauftragte der Regierung gehörte sicher zu den üblichen Verfahren bei einem solchen Geschäft, ebenso die Aushandlung des Preises nach der Besichtigung. Jedoch, das Misstrauen gegen die jüdischen Lieferanten zeigte sich wieder. Ausdrücklich wurde ihnen verboten, unter die zollfrei zu liefernden Waren andere „unter- oder eingemischt“ und somit unverzollt einzuführen. Die drei Lieferanten äußerten Bedenken über die reibungslose Bezahlung. Deshalb wurde in den Vertrag aufgenommen, den Kammerrat und Baden-Badener Amtmann Johannes Weiss einzuschalten. Er sollte die Annahme und Bezahlung der Lieferung übernehmen und hatte „dafür zu stehen, womit 415 GLAK 61/224 HK 15.10.1683. 416 GLAK 61/225 HK 17.8.1684 und 14.12.1684. Zu Aron Beer (wohl Aron Beer Oppenheimer) siehe auch S. 160f. 417 GLAK 61/226 HK 28.5.1685. 418 GLAK 61/226 HK 3.4.1685. 419 GLAK 61/225 HK 16.10. und 31.10.1684. 420 GLAK 61/228 HK 3.2.1687. 421 GLAK 61/226 HK 13.1.1685. 422 GLAK 61/224 HK 30.7.1683. 423 Ebd.

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die Juden dann auch zuefrieden wahren.“ Aber auch untereinander sicherten sich die jüdischen Partner ab: Ausdrücklich wurde festgehalten, dass auf ihr eigenes Verlangen bei jeder Zahlung alle drei Vertragspartner anwesend sein mussten.424 Zu dieser Zeit waren, wohl auf der Grundlage ihrer wirtschaftlichen Aktivitäten, Aron wie Isaac Judenschultheißen.425 Entsprechend dem Dekret von 1681 über dieses Amt waren die beiden aus der Sicht der Regierung vor allem für die Strafen bei Zeremonialverstößen zuständig.426 Für 1680 ist überliefert, dass Aron die Schutzgelder einziehen musste, die ihm die Regierung zum Ausgleich von Schulden überließ;427 er wurde auch wiederholt beauftragt, die Martinsgänse – eine zusätzliche Abgabe der Schutzjuden im baden-badischen Kerngebiet – an den Hof zu überstellen.428 Aron nahm auch Interessen von fremden Juden wahr: 1684 wurden zwei Juden in Stollhofen festgenommen, weil sie die Zahlung eines besonderen Leibzolls zusätzlich zum Geleit verweigerten. Gegen diesen Leibzoll legte Aron als Schultheiß Beschwerde ein, da dieser nur im Amt Stollhofen, nicht aber im übrigen Land erhoben würde; für die beiden Festgenommenen stellte er eine Kaution.429 Ob Aron wirtschaftlichen Erfolg hatte? Darauf könnte hinweisen, dass er 1690 in Bühl zwei Häuser besaß. Allerdings waren sie zeitweise nicht bewohnt oder auch nach der Verwüstung des Ortes 1689 noch „ruiniert“, wie Aron angab, um ihre Besteuerung zu vermeiden.430 Spätestens 1691 starb er; in diesem Jahr wurde für „Aaron des Juden Wittib“ das Schutzgeld berechnet.431 Im Salzhandel

Dass Aron und Isaac 1685 wohl zusammen mit Simon von Pforzheim die Versorgung der Stadt Ettlingen mit Salz übernommen hatten, wurde bereits erwähnt.432 Einige Jahre später, 1691, trat ein speyrischer Schutzjude als Interessent am Salzhandel auf, und zwar für das badisch-speyrische Kondominium: Hertz aus Bruchsal. Er, so stellte er sich dar, beliefere das gesamte speyrische Gebiet, und nun bewerbe er sich um den Salzhandel auch in Gernsbach und der Grafschaft Eberstein. Für eine Admodiation würde er 500 Gulden bar bezahlen, wenn er die

424 Ebd. 425 Zu Isaac und Aron als Schultheißen siehe S. 410f. 426 Zehnter, Juden in der Markgrafschaft Baden-Baden, in: ZGO 50 (1896), S. 382. 427 GLAK 61/223 HK 30.12.1680. 428 GLAK 61/226 HK 20.11.1685 und GLAK 61/227 HK 14.1.1686. 429 GLAK 61/225 HK 22.4.1684. 430 GLAK 61/229 HK 3.6.1690. 431 GLAK 61/230 HK 17.5.1691 Bl. 123r–124r. 432 GLAK 61/226 HK 13.1.1685.

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derzeitigen Basler Pächter des Salzhandels ablösen könne.433 Eine Reaktion der Hofkammer scheint nicht überliefert zu sein. In den Jahren vor 1705 scheint die Hofkammer überwiegend selbst die Versorgung der Bevölkerung mit Salz übernommen zu haben. In diesem Jahr schloss sie einen Vertrag mit Israel in Gernsbach: Er sollte in Köln Salz einkaufen, es in die Markgrafschaft einführen und den Verkauf organisieren. Dazu richtete Israel „Salzstätten“ ein, Verkaufsstellen, an denen sich die Bevölkerung mit Salz versorgen konnte,434 wohl bei einem „Salzfaktor“, wie 1706 ein Israel in Rastatt bezeichnet wurde.435 Auch dieser Handel war als Monopol geregelt. 1708 übertrug ihn nämlich die Hofkammer, nachdem „des Juden Admodiation ausgegangen“ war, auf einen Ettlinger Einwohner.436 Israel von Gernsbach behielt oder übernahm zu dieser Zeit den Salzhandel in der Grafschaft Eberstein. Dabei wies die Hofkammer darauf hin, dass christlichen Einwohnern der Handel angeboten wurde, sie ihn jedoch ausschlugen.437 Im Verlaufe des Jahres 1708 wurde Israel allerdings wieder als Admodiator der ganzen Markgrafschaft genannt.438 Er führte zu dieser Zeit das Salz aus Lothringen ein.439 Christliche Einwohner im Amt Gernsbach beschwerten sich, es sei nicht sauber, was die Hofkammer bezweifelte. Unklar ist, ob sie mit ihrer Forderung nach einem freien Salzhandel das Ende der Admodiation Israels erreichten.440 Die Äbtissin des Klosters Frauenalb hatte Anfang 1717 den Salzhandel auf ihrem Gebiet auf Mathias Schweitzer und einen namentlich nicht genannten Mitgesellschafter übertragen. Schweitzer starb aber 1718.441 In diesem Jahr hatte Isaac Lazarus, der Sohn von Israel in Gernsbach, den Salzhandel im Gebiet des Klosters inne;442 er war wohl der Gesellschafter von Mathias Schweitzer gewesen. Der Gernsbacher Vogt Sartorius nannte zu dieser Zeit Moyses Schweitzer von Rastatt als „Consorten von der fourniture [Mitlieferanten]“ des Salzes für Frauenalb;443 der Sohn von Mathias Schweitzer war also anstelle seines Vaters Mitlieferant geworden. Hinter Moyses Schweitzer lagen schwierige Jahre. 1714 sah er sich „durch die H(erren) Officiers undt anderes Unglück“ hoch verschuldet, wohl durch Warenlieferungen auf Kredit, und bat den Hofrat um ein Moratorium für die Tilgung 433 GLAK 61/234 HK 3.8.1699. 434 GLAK 61/243 HK 26.6.1705. 435 GLAK 61/244 HK 17.5.1706. 436 GLAK 61/244 HK 6.1.1707. 437 GLAK 61/245 HK 6.11.1708. 438 GLAK 61/245 HK 12.12.1708. 439 GLAK 61/245 HK 21.11.1708. 440 GLAK 61/245 HK 7.1.1709. 441 GLAK 88/863, Hofkammer an den Hofrat, 28.8.1718. 442 GLAK 61/253 HK 5.10.1718. 443 GLAK 61/253 HK 16.11.1718.

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seiner Schulden, ohne Erfolg; ihm drohten sogar Pranger und Ausweisung wegen seiner Zahlungsunfähigkeit.444 Spätestens 1715 drängte sein wohl wichtigster Gläubiger: Löw Flörsheim aus Frankfurt wurde in Rastatt vorstellig, damit zu seinen Gunsten die Vergandung von Moyses Schweitzer durchgeführt werde.445 Wie Löw Flörsheim machten Meyer und Amschel Cassel aus Frankfurt Druck, um ihn zur Zahlung von Schulden zu bringen.446 Mit ihnen konnte Moyses Schweitzer eine Einigung herbeiführen.447 Dagegen zerstritt er sich mit Isaac Lazarus, als bereits die Salzadmodiation im Gebiet des Klosters Frauenalb beendet war,448 wohl wegen der Abrechnung über das gemeinsame Unternehmen. Auf einen von beiden – wohl auf Isaac Lazarus in Gernsbach – beziehen sich die Aussagen über einen Vorgang im Jahr 1718, die Details des Salzhandels an der Grenze zwischen der Stadt Gernsbach und dem Frauenalbischen erkennen lassen. 1718 brachten nämlich drei Bürger aus Gaggenau einen sogenannten „Salzträger“ zur Hofkammer. Dieser – als seinen Namen gab er Joseph an – lebte in Sulzbach auf dem Gebiet des Klosters Frauenalb. Auf Fragen der Kammer bekannte er, Knecht bei der Witwe des Sulzbacher Bürgers Thomas Eysele zu sein. Für sie sei er bereits sieben Mal außerhalb des Territoriums von Frauenalb, auf dem markgräflichen Gebiet, mit Salz hausieren gegangen, und zwar in Rotenfels, Bischweier und Oberndorf. „Der Jud“ – einer der beiden Admodiatoren – gebe seiner Herrin das Salz. Bezahlen müsse sie es erst, wenn er, Joseph, dieses Salz verkauft habe. Dann müsse sie pro Sester Salz 14 Batzen449 an den Lieferanten zahlen, sie selbst behalte zwei Batzen ein;450 das Salz wurde also für 16 Batzen pro Sester verkauft. Isaac Lazarus (vielleicht auch Moyses Schweitzer) ließ hier also Salz über christliche Zwischenhändler an die Verbraucher verkaufen, außerhalb des Admodiationsgebiets. Möglicherweise war er gerade deshalb für die Witwe Eysele als Geschäftspartner interessant, weil sie das Salz, das sie von ihm bezog, erst nach Verkauf bezahlen musste – auch sie trieb so Handel auf Kredit. Im August 1718 stellte die Kammer fest, dass noch immer Einwohner der Grafschaft Eberstein das billige Salz aus dem Gebiet von Frauenalb kauften.451 Sie bemühte sich, die Hintergründe zu klären; dazu wollte sie den Vertrag von Isaac Lazarus mit der Äbtissin des Klosters Frauenalb einsehen.452 Über Moyses Schweitzer erfuhr sie nur, dass der Erlös aus der Admodiation für die Äbtissin 444 GLAK 61/142 HR 3.5.1714. 445 GLAK 61/143 HR 14.3.1715. 446 GLAK 61/148 HR 18.9.1720. 447 GLAK 61/148 HR 23.7.1720. 448 GLAK 61/149 HR 9.1.1721. Frauenalb: Kloster im heutigen Landkreis Karlsruhe. 449 Sester: ungefähr 15 Liter Getreide, Batzen: Münze im Wert von 4 Kreuzer. 450 GLAK 61/253 HK 5.2.1718. 451 GLAK 61/253 HK 26.8.1718. 452 GLAK 61/253 HK 5.11.1718.

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300 Gulden brachte. Der Hofrat sollte über weitere Maßnahmen entscheiden:453 Selbst an Blechmarken als Nachweis für den Salzkauf wurde gedacht, um die markgräflichen Untertanen zu kontrollieren.454 Die Hofkammer versuchte also nicht, gegen einen der Salzadmodiatoren oder die Zwischenhändlerin direkt vorzugehen; der verbotene Bezug des Salzes sollte offenbar über ein Vorgehen gegen die Endabnehmer gestoppt werden. Die „Salzträger“ verkörperten nur eine Art dieses verbotenen Handels. 1726 lieferten Isaac und Herz Lazarus Salz an Angehörige der Herrschaft von Knebel in Neuweier, die von markgräflichem Gebiet umgeben war. Von ihnen bezogen Einwohner der benachbarten Ämter Bühl und Steinbach Salz.455 Ein solcher Kauf war nur dann sinnvoll, wenn entweder der Preis oder die Qualität des Salzes besser war als bei dem, das zu dieser Zeit auf dem markgräflichen Territorium zu bekommen war. Das Salz der Admodiatoren auf fremdem Territorium fragte die Bevölkerung also nach und kaufte es trotz des Verbots heimlich. Doch ihre Reaktion war widersprüchlich: Verbraucher beklagten sich auch über das unreine Salz der Admodiatoren und forderten den freien Salzhandel. Der Vorwurf des unreinen Salzes sollte die jüdischen Admodiatoren treffen; die Warenverfälschung, speziell von Lebensmitteln, war ein antijüdisches Stereotyp.456 Es wirkte hier so stark, dass es den eigenen Vorteil der christlichen Bevölkerung – den Bezug von billigem Salz – in Frage stellte. Nach 1730 ordnete die Regierung diesen Handel im Kerngebiet der Markgrafschaft einschließlich der Grafschaft Eberstein neu. Am Anfang des Jahres 1730 plante sie zunächst, einen „Generaladmodiator“ zu bestellen, den Salzhandel also wieder in einer Admodiation zu vergeben. Als Interessenten meldeten sich die Rastatter Schutzjuden Cassel und Daniel. Sie hätten erfahren, dass der Straßburger Bankier Sommer als „Debit“, als Bezahlung für die Admodiation, pro Zentner Salz 2 Gulden und 40 Kreuzer angeboten habe. So viel würden sie auch zahlen, und sie „verdienten als Landtsinsassen diese admodiation vor frembden umso ehester, als sie dahier gesessen und sifficienter cavieren [ausreichend Bürgschaft stellen] könnten.“457 Cassel und Daniel argumentierten also einerseits wirtschaftlich mit ihrer Fähigkeit zur Leistung der Admodiationsgebühr und der entsprechenden Bürgschaft. Als ihren eigentlichen Trumpf spielten sie ihren Status als Landesbewohner aus. Bei ihnen, das war damit verbunden, würde der Profit aus der Admodiation nicht außerhalb der Markgrafschaft landen. Indem sie sich so von dem „fremden“ Mitbewerber abgrenzten, verwendeten Daniel und Cassel eine Qualifikation, die sonst die Christen gegen die Schutzjuden anwende453 GLAK 61/253 HK 16.11.1718. 454 GLAK 61/253 HK 24.11.1718. 455 GLAK 61/262 HK 31.7.1726. 456 Zu der Vorstellung, dass Juden Lebensmittel verfälschten, siehe S. 267 u. ö. 457 GLAK 61/266 HK 12.1.1730.

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ten – sie stellten sich wie die Christen als einheimische Untertanen dar, auf deren Wohl Markgraf und Regierung vorrangig verpflichtet seien. Forderten Cassel und Daniel eine – partielle – Gleichstellung mit den Christen, spielte die Regierung aus Gründen der Einnahmesteigerung die Differenz aus. Noch im Januar ließ der Geheime Rat die Hofkammer aktiv werden: In allen Ämtern wurden christliche Untertanen aufgefordert, sich um die Salzlieferung zu bewerben. Die Begründung: Auf diese Weise solle noch jemand gefunden werden, der für die Admodiation mehr zahlen würde als die jüdischen Interessenten.458 Zwei Rastatter Bürger und Kaufleute, Bürgermeister Johannes Nagel und Nicolas Klehr459 meldeten sich, auch einige Schultheißen aus anderen Ämtern kamen zur Hofkammer. Sie hielt fest, welche Möglichkeiten nun bestanden. Erhielten die Ämter einzeln den Salzhandel, ausgenommen das Amt Rastatt, könnten dafür wie 1728 8600 Gulden erzielt werden. Bei einer Admodiation für das Kerngebiet der Markgrafschaft lägen die Angebote Klehrs und der Rastatter Juden Cassel und Daniel vor; Klehr böte pro Zentner Salz eine Abgabe von 2 Gulden und 40 Kreuzer, die Gebrüder Cassel und Daniel 4 Kreuzer mehr. Anzunehmen sei ein Verkauf von 3800 Zentner Salz. Die zwei Möglichkeiten – amtsweise den Salzverkauf zu vergeben oder einen Generaladmodiator zu bestellen – legte die Kammer dem Geheimen Rat und dem Markgrafen zur Entscheidung vor. Sie fiel zugunsten des Verkaufs durch die Ämter. Das diene, so hielt es die Kammer fest, dem Nutzen des Fürsten und der Untertanen.460 Warum die Angebote von Klehr oder Cassel und Daniel abgelehnt wurden, ist nicht dokumentiert; eigentlich hätte die Regierung über ihre Angebote zwischen 200 und 300 Gulden mehr an Gewinn erzielt. Eine Entscheidung gegen einen jüdischen Anbieter fiel 1730 auch für das Amt Beinheim. Dort hatte in der Zeit zuvor Löw Kahn aus Fort-Louis das Salz geliefert. Der Beinheimer Amtmann Boucher wies ausdrücklich darauf hin, dass er Löw Kahn beauftragt hatte, als Salzmangel herrschte. Nun konkurrierte allerdings ein Rastatter Bürger namens Hans Georg Trautmann mit Löw Kahn. Trautmann erhielt schließlich den Auftrag; die Bedingungen für diese Admodiation und die Begründung für diese Entscheidung wurden nicht protokolliert.461 Als 1737 wieder über eine Salzadmodiation für die Markgrafschaft und die Grafschaft Eberstein verhandelt wurde, meldeten sich keine jüdischen Interessenten mehr. Es waren überwiegend Handelsleute aus Straßburg und Bürger aus Bühl, Steinbach und Schwarzach, die zur Übernahme der Admodiation bereit waren. 458 GLAK 61/158 HR 31.1.1730. 459 Namensvariante: Klee. 460 GLAK 61/266 HK 2./3./4.3.1730 und 30./31.3.1730. 461 GLAK 61/266 HK 22./23.12.1730.

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Dass der Salzhandel in der Form einer Admodiation gerade ab 1705 eine Sache von Juden wurde, könnte mit der Situation des Landes in dieser Zeit zusammenhängen: Es litt erneut an den Auswirkungen des Spanischen Erbfolgekrieges, zudem starb 1707 Markgraf Ludwig Wilhelm. Offensichtlich konnten die jüdischen Lieferanten unter diesen Verhältnissen das Land sicherer mit Salz versorgen und verfügten über ausreichende Ressourcen; nichtjüdische Interessenten am Salzhandel gab es zu dieser Zeit nicht. Sie scheinen sich in den späteren Jahren, in einer Phase der Konsolidierung, durchgesetzt zu haben, während Juden dann nicht mehr zum Zuge kamen und schließlich sich nicht mehr um den Salzhandel bewarben. Allein Joshua Uffenheimer, wohl begünstigt durch sein familiäres Netz, konnte im Salzhandel eine Rolle spielen.462 Im Eisenhandel Neuorganisation des Eisenhandels: Aron und Isaac

Ab 1680 erschienen immer wieder zwei Namen im Zusammenhang mit dem Eisenhandel: Isaac in Ettlingen und Aron in Baden-Baden.463 Isaacs Tätigkeit lässt sich für 1680 nachweisen, als er in das Land Eisenwaren einführte, deren Qualität kritisiert wurde – sie seien kein „Kaufmannsguth“. Die Hofkammer beauftragte deshalb den Ettlinger Amtmann, seine Waren gleich bei der Ankunft zu prüfen und sie gegebenenfalls konfiszieren zu lassen.464 1683 ging die Regierung daran, das Bühlertaler „Bergwerk“ und das Hammerwerk in Gaggenau in Schwung zu bringen.465 Den Handel mit dem dort produzierten Eisen ordnete die Regierung neu, mit der Begründung, es seien „Unrichtigkeiten und Fehler“ vorgekommen. Sie forderte Interessenten für den Eisenhandel auf, sich mit der Hofkammer in Verbindung zu setzen.466 Schon vier Tage danach schloss die Kammer mit Isaac und Aron einen Vertrag, mit dem sie „Eisenbeständer“ wurden, also ein Monopol erhielten. Sie sollten das Eisen abnehmen, das in den markgräflichen Werken produziert wurde, konnten das Metall allerdings auch in die Markgrafschaft einführen. Bezogen sie es von der Regierung, hatten sie sofort Abgaben zu leisten – ungefähr 5 Gulden pro Zentner. In sieben „Niederlagen“ der beiden Monopolinhaber, darunter eine in Bühl,467 mussten die Einwohner das von ihnen benötigte Eisen kaufen;468 es

462 Zum Salzhandel von Joshua Uffenheimer siehe 233f. 463 Zu Arons Wechsel nach Baden-Baden siehe S. 202. 464 GLAK 61/223 HK 13.3.1680. 465 GLAK 61/224 HK 7.1.1683 und 18.1.1683. 466 GLAK 61/224 HK 5.5.1683. 467 GLAK 61/224 HK 10.5.1683. 468 GLAK 179/161, Hofkammer an das Amt Staufenberg, 10.5.1683.

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scheinen keine Informationen darüber vorzuliegen, wie diese Verteilungsstellen im Einzelnen organisiert waren. Zu den Rechten der Beständer gehörte es, als einzige Eisenwaren in der Markgrafschaft zu verkaufen, etwa Sensen und Öfen. Offensichtlich ließen sie in ihren Niederlagen auch Eisen verarbeiten. So ordnete 1684 die Hofkammer mehrmals an, dass für Aron aus der Hammerschmiede im Bühlertal Eisen nach Bühl geliefert wurde, wo er zwei „Ambosse“ unterhielt.469 Im Mai 1684 bezog Aron etwas mehr als zwölf Zentner.470 Unzufriedenheit äußerte sich bald. Zunächst gab es Konkurrenten, die anstelle von Isaac und Aron in den Vertrag eintreten wollten: Zwei Bürger und Handelsleute von Baden-Baden und ein Ettlinger Handelsmann wurden deshalb, offensichtlich ohne Erfolg, beim Hofrat vorstellig.471 Bürger in Ettlingen brachten Klagen vor, dass Isaac Eisen von schlechter Qualität und zu überhöhten Preisen verkaufe, und sie verlangten eine Strafe für ihn.472 Auch in Bühl äußerte sich Unzufriedenheit, und zwar wegen des Handels mit Nägeln. Der dortige Amtmann meldete noch im Monat des Vertragsabschlusses über die Admodiation nicht näher erläuterte „Differentien [Streitigkeiten]“ zwischen „Christen undt Juden“ wegen dieses Handels, die er auf Befehl der Hofkammer „zu vereinbahren“, zu schlichten hatte. Die Vermittlung gelang wohl, indem die Kammer den Christen – den Nagelschmieden – entgegenkam: Sie durften nun Nägel, die sie herstellten, außerhalb der Markgrafschaft verkaufen; innerhalb des Landes galt wie bisher das Monopol von Isaac und Aron.473 Aron übernahm weitere Aufgaben für den Hof. Im Januar 1684 beauftragte ihn die Kammer, 300 Gulden dem für das Hammerwerk in Bühlertal zuständigen Bergrat Glaser zu geben. Damit konnten die „Laboranten“, die Arbeitskräfte im Hammerwerk, bezahlt werden. Diesen Vorschuss sollte Aron mit dem an ihn gelieferten Eisen verrechnen.474 Im gleichen Monat sollte er „gleich balden Einen Centner Alt Zinn“ in Frankfurt besorgen und an den Hof liefern.475 Im März 1684 wurden auf Klagen aus der Bevölkerung alle Monopole aufgehoben; für die Verbraucher galt jedoch weiterhin, dass sie Eisen aus den herrschaftlichen Werken beziehen sollten.476 Aron blieb dennoch mit der Regierung in Verbindung. Er kaufte Alteisen auf, in den Ämtern Baden-Baden, Bühl und

469 GLAK 61/225 HK 19.1.1684, 28.5.1684, 11.9.1684 und 4.12.1684. 470 GLAK 61/225 HK 28.5.1684. 471 GLAK 61/128 HR 13.5.1683 Bl. 146r. 472 GLAK 61/128 HR 4.6.1683 Bl. 165r. 473 GLAK 61/224 HK 21.5.1683. 474 GLAK 61/225 HK 2.1.1684. 475 GLAK 61/225 HK 14.1.1684. 476 GLAK 61/225 HK 18.3.1684.

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Rastatt, lieferte es an das Hammerwerk und bezog auch von da neues Eisen.477 Die Hofkammer verwendete diese Geschäftsbeziehung noch weiter: Aron musste einem Kristallmacher in Ettlingen und Handwerkern in Altschweier, an dessen Gemarkungsgrenze das „Bergwerk“ lag, Waren und Bargeld geben und dies mit dem „Eisengeld“, seinen Schulden aus dem Bezug von Eisen, verrechnen.478 Admodiator mit christlichen Konkurrenten: Mathias Schweitzer

Das Monopol, das 1683 und 1684 Isaac und Aron innehatten, übernahm Mathias Schweitzer im Mai 1699. Wieder wurden alle Krämer und Schmiede verpflichtet, nur bei dem neuen Admodiator Eisen und Eisenwaren zu beziehen.479 Allerdings erwies sich bald, wie prekär die Lage eines Admodiators war. Bereits nach einem Monat erschien Andreas Brenta aus Fort-Louis mit dem Angebot, billigeres Eisen aus Frankreich zu besorgen; zugleich bot er 100 Gulden mehr für die Admodiation als Mathias Schweitzer. Rasch schloss die Regierung mit ihm einen Vertrag.480 Im folgenden Monat versuchte ein lothringischer Jude seinerseits an die Stelle Brentas zu kommen, ein Versuch, den die Regierung mit Interesse zur Kenntnis nahm; doch reiste der neue Bewerber wohl rasch weiter, ohne wirklich ins Geschäft gekommen zu sein.481 Während der Zeit Brentas als Admodiator blieb Mathias Schweitzer im Gespräch, wenn es um die Versorgung der Hammerschmiede in Gaggenau mit Eisen ging: Die Regierung verhandelte mit ihm 1701, weil sie von ihm besseres Eisen zu erhalten hoffte.482 Wenig später lieferte er Eisen aus dem „Fleckensteinischen“, also aus dem Elsass.483 Brenta warf einen argwöhnischen und missgünstigen Blick auf seinen Vorgänger und versuchte, diese Sichtweise auf die Hofkammer zu übertragen. Er schrieb an sie, dass Mathias Schweitzer die Admodiation zu erheblichem Gewinn genutzt und dann ihm, seinem Nachfolger, Schaden zugefügt habe, indem er noch viel Eisen verkaufte, das er nicht von ihm, Brenta, bezog. Er äußerte seine Befürchtung, dass mehrere Juden sich bereit machten, die Eisenadmodiation zu übernehmen, die zu dieser Zeit nur jahrweise vergeben wurde. Diese, so qualifizierte er seine möglichen Konkurrenten ab, könnten jedoch „die Sach nicht also in gang“ bringen wie er selbst.484 Der Selbstdarstellung Brentas widersprachen die vielen Klagen von Handwerkern, die von ihm geliefertes Eisen verarbeiteten. Aus einigen Ämtern wurden 477 GLAK 61/225 HK 6.6.1684 und 11.7.1684. 478 GLAK 61/225 HK 24.10.1784. 479 GLAK 61/234 HK 6.5.1699. 480 GLAK 61/234 HK 18.7.1699. 481 GLAK 61/234 HK 19.8.1699. 482 GLAK 61/239 HK 23.2.1701. 483 GLAK 61/239 HK 8.3.1701. 484 GLAK 61/236 HK 26.3.1700. Brief ohne Datum, eingefügt beim 26.6.1700.

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Vorwürfe laut, er liefere zu unterschiedlichen Preisen und habe manchmal gar kein Eisen.485 Die Schmiede in Bühl klagten, das Eisen sei so schlecht, dass viele ihrer Kunden „im Österreichischen“, in der Landvogtei Ortenau, arbeiten ließen; das gefährde ihre eigene Existenz.486 Speziell die Nagelschmiede in Bühl beklagten sich immer mehr darüber, dass Eisen fehlte.487 Schon 1700 musste sich Brenta mit dem Ettlinger Waffenschmied Hans Michael Übelhör, gleichzeitig auch mit dem Bühler Kaufmann Peter Stolz auseinandersetzen. Beiden warf er vor, aus Frankfurt Eisen bezogen und weiterverkauft zu haben. Stolz verteidigte sich damit, dass das fragliche Eisen einem Einwohner von Ottersweier gehöre, also einem Bewohner der Landvogtei Ortenau. Übelhör stellte in Aussicht, dass er sich mit Brenta gütlich einigen werde.488 Im Juni 1701 wurde die Eisenadmodiation neu versteigert. Die Hofkammer erklärte sich bereit, Brenta weiter als Beständer zu akzeptieren, wenn er das Höchstgebot bei der Versteigerung bezahle. Verschiedene Schmiede der Markgrafschaft erhöhten jedoch ihr gemeinsames Angebot auf 300 Gulden; Brenta hatte im Jahr zuvor nur 245 bezahlt.489 Jetzt verlor Brenta das Interesse an der Admodiation, und die Schmiede übernahmen für einzelne Ämter getrennt den Handel. Ein weiterer Admodiator wurde wieder Isaac von Ettlingen;490 zu den neuen Beständern gehörte auch Hans Michael Übelhör, der Ettlinger Waffenschmied.491 Die Hofkammer stellte 1702 fest, dass Israel von Gernsbach492 zu dieser Zeit Produkte aus Eisen von Frankfurt aus in die Markgrafschaft eingeführt hatte, darunter auch Nägel, die für die Wiederherstellung der Stiftskirche in Baden-Baden erforderlich waren.493 1704 übernahm Hans Michael Übelhör zunächst für ein Jahr den Handel in der ganzen Markgrafschaft.494 1706 versuchte die Regierung erneut, den Preis für die Admodiation zu erhöhen. Alle Interessenten, besonders die Schmiede, wurden aufgefordert, sich in der Kammerkanzlei einzufinden; sie könnten den Bestand sowohl für die ganze Markgrafschaft wie für die einzelnen Ämter übernehmen.495 Zwar kamen Schmiede, jedoch war ihnen der geforderte Preis zu

485 GLAK 61/236 HK 13.2.1700. 486 GLAK 61/239 HK 28.1.1701. 487 GLAK 61/236 HK 15.10.1700. 488 GLAK 61/236 HK 14.5.1700. 489 GLAK 61/240 HK 25.6.1701 Bl. 52v–53r. 490 Zu Isaac als Admodiator siehe S. 210f. 491 GLAK 61/240 HK 14.7.1701 Bl. 69v. 492 Zur Aufnahme Isaacs von Gernsbach siehe S. 47f., zu seinem Salzhandel S. 206. 493 GLAK 74/3350, Hofkammer an Zoller Anton Danner, 17.10.1702. 494 GLAK 61/243 HK 20.5.1704. 495 GLAK 61/244 HK 21.5.1706.

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hoch. Die Hofkammer überließ darauf dem bisherigen Beständer Übelhör das Monopol für 240 Gulden.496 Nach einem weiteren Jahr aber, im Mai 1707, wurde die Admodiation abgeschafft.497 Das galt nicht für das Oberamt Mahlberg. Dort erhielt sie der Schutzjude Marx Weil für 20 Gulden, allerdings nur für die Dauer des Krieges.498 Aber 1720 versuchte er, die Gebühr der Admodiation von 50 auf 25 Gulden zu drücken,499 hatte sie also zu dieser Zeit noch inne. Doch auch die neue Regelung im Kerngebiet der Markgrafschaft, der freie Handel, dauerte nur kurz. 1709 übernahm Israel in Gernsbach auf zwei Jahre die Eisenadmodiation in der ganzen Markgrafschaft – wohl ohne die Herrschaft Mahlberg – für jährlich 400 Gulden.500 Beim Vertragsabschluss bezeichnete ihn die Hofkammer nur als den „Juden von Gernsbach“; dass damit Israel gemeint war, geht aus einer späteren Anfrage wegen des Zolls für eingeführtes Eisen hervor.501 Auch Seligmann Isaac: Willkommen und abgelehnt

Im November 1725 reichte der Ettlinger Schutzjude Seligmann Isaac ein Memorial ein, in dem er um das Monopol im Eisenhandel bat.502 Er war ein Sohn von Isaac, der mit Aron nach 1680 dieses Monopol innehatte.503 Zuerst verwies er darauf, dass es früher eine Admodiation im Eisenhandel gegeben habe; weil sich die Kaufleute nicht mehr für sie interessierten, sei sie aufgegeben worden. Dann führte er an, dass eine Wiedereinführung für die Regierung vorteilhaft sei; er konkretisierte dies mit dem Angebot, die Bestandsgebühr halbjährig zu zahlen, wenn er einen Vertrag über drei oder vier Jahre bekäme.504 Die Hofkammer ging sofort auf das Memorial Seligmann Isaacs ein, vor allem auf die zu erwartende Gebühr für die Admodiation. Sie läge mit 300 Gulden jährlich erheblich höher als die Akzise für eingeführtes Eisen von etwas mehr als 178 Gulden.505 Die Kammer befürwortete also eindeutig Seligmann Isaac als Admodiator, der auch bereit sei, seinen Handel auf das Rohmaterial zu beschränken und auf eine Preiserhöhung zu verzichten. Die christlichen Krämer könnten überdies weiterhin die Fertigprodukte aus Eisen verkaufen. 496 GLAK 61/244 HK 26.5.1706. 497 GLAK 61/244 HK 25.9.1707. 498 GLAK 61/244 HK 13.7.1707. 499 GLAK 61/256 HK 6.7.1720. 500 GLAK 61/245 HK 5.6.1709. 501 GLAK 61/245 HK 6.11.1709. 502 GLAK 61/261 HK 7.11.1725. 503 Zu Isaac und Aron als Admodiatoren im Eisenhandel siehe 210f. 504 GLAK 74/6983, Seligmann Isaac an die Markgräfin, o. D., im Anhang zum Schreiben der Hofkammer an die Markgräfin, 9.11.1725. 505 GLAK 74/6983, Hofkammer an die Markgräfin, 9.11.1725.

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Auffallend ist, wie sorgfältig die Hofkammer ihre Stellungnahme begründete: Sie habe sich die nötigen Informationen bereits verschafft und könne auf ihr Verzeichnis über die bisherigen Steuereinnahmen hinweisen. Von vornherein versuchte sie die Interessen der christlichen Kaufleute und der Konsumenten als unbeeinträchtigt darzustellen.506 Es scheint so, als ob sich die Kammer auf keine günstige Reaktion der Markgräfin eingestellt hätte. Deren Antwort fiel jedenfalls negativ für Seligmann Isaac aus: Die Regentin schrieb: „Auch wisset ihr daß wir mit Juden ungern zu thun haben undt befehlen Euch dahero wegen der Eysen admodiation die Sach also nuhn einzurichten, daß nur in iedem amt der Krämer Zunft (ohne iedoch den Preys des Eysens zu Schaden der unterthanen im geringsten zu erhöhen) per Steigerung angebothen werden könne, worüber wir uns die ratification [Genehmigung] bevor behalten, und nicht zweifeln, daß die unterthanen um den Juden als haubtadmodiatoren daraus zu halten, ihr möglichstes thun werden.“507

Auf die Argumente der Kammer reagierte die Markgräfin mit dem Hinweis auf ihre Abneigung gegen die Juden, die sie als bekannt voraussetzte. Darüber hinaus – um auch die wirtschaftliche Seite nicht zu vernachlässigen – ordnete sie eine doppelte Konkurrenz an: Einmal sollte das Monopol amtsweise versteigert werden, zum anderen forderte sie dazu auf, die christlichen Krämer bzw. ihre Zünfte dahin zu bringen, das Angebot Seligmann Isaacs zu überbieten. Diese, davon ging die Regentin aus, würden auf jeden Fall einen Juden als Admodiator verhindern, und sie verließ sich auf deren antijüdische Haltung. Unverkennbar waren jüdische Interessenten an einer Admodiation in der Zeit, in der Markgräfin Sibylla Augusta die Regentschaft führte, in einer schwierigen Situation. Eigentlich lehnte die Markgräfin sie ab; diese Haltung war in der Regierung insgesamt bekannt. Die Hofkammer konnte sich dagegen mit ihrer wirtschaftlichen Sicht, mit der Orientierung an den staatlichen Einnahmen, nicht durchsetzen. Admodiatoren der Hammerschmiede: Moyses Schweitzer, Herz Lazarus und Daniel Cassel

Spätestens 1725 hatte Moyses Schweitzer die Hammerschmiede in Gaggenau als Beständer übernommen.508 Über den Geschäftsverlauf dieses Werkes zur Produktion von Eisen unter seiner Leitung scheinen keine Informationen vorzuliegen. Im Mai 1728 ließ die Hofkammer die Versteigerung erneut ausschreiben.509 Außer Moyses Schweitzer trat nur ein Bewerber namens Ludwig Grimm auf,510 wohl 506 Ebd. 507 GLAK 74/6983, Markgräfin Augusta Sibylla an die Hofkammer, 13.11.1725. 508 GLAK 61/261 HK 17.5.1725. 509 GLAK 61/264 HK 31.5.1728. 510 GLAK 61/264 HK 1./3.7.1728.

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aus der Familie von Christoph Grimm oder Grimb, der schon 1683 Verwalter des Werkes in Gaggenau war.511 Im nächsten Jahr scheinen Moyses Schweitzer und der gerade in den baden-badischen Schutz aufgenommene Abraham Samust von Beinheim bzw. Kuppenheim512 zunächst das größte Interesse gezeigt zu haben.513 Dann aber kam Ludwig Grimm mit dem jährlichen Bestandsgeld von 199 Gulden zum Zuge.514 Schweitzer, der bis dahin nur 165 Gulden bezahlte, hatte schon vorher auf seine Bewerbung verzichtet, wohl unter dem Eindruck von für ihn ungünstigen Konditionen.515 Am 15. September 1729 billigte der Markgraf den Vertrag mit Grimm endgültig.516 Bereits 1731 lösten Herz Lazarus in Gernsbach und Daniel Cassel in Rastatt Ludwig Grimm ab.517 Sie zahlten als jährliche Admodiationsgebühr 90 Gulden,518 also erheblich weniger als ihre Vorgänger – ein Hinweis darauf, dass mit wenig Gewinn aus dem Werk zu rechnen war. Drei Jahre später supplizierten sie wegen einer Veränderung ihres Vertrags: Sie hätten das Hammerwerk gerne gekauft,519 blieben jedoch ohne Erfolg. 1735 verhandelten die beiden Admodiatoren mit der Regierung über die Möglichkeit, das Werk in seiner Bausubstanz zu verbessern; die Hofkammer brach diese Verhandlungen ab mit dem Hinweis, man müsse auf „andere Zeiten“ warten520 – noch dauerte die Krise an, die der Polnische Erbfolgekrieg mit zeitweiligen Einfällen französischer Truppen ins markgräfliche Gebiet brachte.521 Seit 1734 hatten die beiden Admodiatoren Schwierigkeiten: Der Geheime Rat verlangte einen höheren Preis für das Holz, aus dem die Kohle für den Betrieb des Werkes hergestellt wurde.522 Der bauliche Zustand der Hammerschmiede und der Holzbedarf war eine der Schwierigkeiten; eine andere bestand in der Notwendigkeit, altes Eisen in die Markgrafschaft einzuführen,523 damit in Gaggenau überhaupt Eisen verarbeitet werden konnte. 511 GLAK 61/224 HK 9.1.1683. 512 Zum Wechsel Abraham Samusts von Beinheim nach Kuppenheim siehe S. 76. 513 GLAK 61/265 HK 18.8.1729. 514 GLAK 61/265 HK 26./27.8.1729 und 15.9.1729. Bestandsgeld: Gebühr, die für einen Bestand, eine Admodiation bezahlt werden musste. 515 GLAK 61/265 HK 22./23.8.1729. 516 GLAK 61/265 HK 15.9.1729. 517 GLAK 61/267 HK 27./28.8.1731. 518 GLAK 61/272 HK 15.6.1735. 519 GLAK 61/27 GR 17.3.1734 Nr. 33. 520 GLAK 61/272 HK 28.3.1735. 521 Stievermann, Absolutismus und Aufklärung (1648–1806), in: Meinrad Schaab und Hansmartin Schwarzmaier in Verbindung mit Dieter Mertens und Volker Press (Hg.), Handbuch der baden-württembergischen Geschichte, Bd. 2, Die Territorien im Alten Reich. Stuttgart 1995, Bd. 1, 2. Teil, S. 380–382. 522 GLAK 61/272 HK 1.2.1735 und 13.3.1735. 523 GLAK 61/276 HK 21.7.1739.

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Im Juni 1742 supplizierte Herz Lazarus wegen der Erlaubnis, seine Hälfte an der Hammerschmiede an einen Pforzheimer Interessenten namens Johann Jacob Vollmer abzugeben.524 Kurz darauf baten er und Daniel Cassel um einen Nachlass des Bestandsgeldes, das sie schon für zwei Jahre nicht bezahlt hatten. Weil die Kammer die finanziellen Nöte von Herz Lazarus anerkannte, befürwortete sie, ihm die Übertragung seines Anteils auf Vollmer zu erlauben.525 Im folgenden Jahr sollte nach der Vorstellung der Hofkammer die Hammerschmiede in den Bestand des Handelsmanns Johann Heinrich Stupanus aus Basel übergehen,526 der sich schon länger in der Markgrafschaft Karlsruhe-Durlach aufhielt.527 Die Rentabilität der baden-badischen Eisenproduktion war – wie sich am Beispiel der Anlagen in Bühlertal nachweisen lässt – durch verschiedene Faktoren beeinträchtigt, durch die geringen Eisenvorkommen ebenso wie den hohen Holzverbrauch bei der Verhüttung. Auf Dauer blieb der Erfolg aus.528 Jedenfalls ist die Funktion von Juden im Bereich der Herstellung von Eisen und des Handels deutlich zu erkennen: Während der Staat unter Markgraf Ludwig Wilhelm die Gründung des Bergwerks initiierte, sollten die jüdischen wie die christlichen Beteiligten das erforderliche Geld für Investitionen einbringen und vor Ort für den Erfolg des Unternehmens sorgen. Es scheint aber, dass alle jüdischen Pächter der Eisenwerke immer wieder an der Rentabilität der Eisenproduktion zweifelten und sich deshalb zurückzogen. In der regionalen Geschichtsüberlieferung blieb ihre Rolle in der Entstehungsphase dieser protoindustriellen Unternehmen allerdings unerwähnt. Im Handel mit Eisen, solange es Admodiationen gab, hatten jüdische Interessenten immer wieder dieses Monopol inne, waren dabei allerdings dem Wettbewerb nichtjüdischer Konkurrenten ausgesetzt. Juden blieben auch im kleinen Handel mit Eisen und Eisenwaren. Hier bildete sich offenbar eine Kontinuität heraus. Wolf Netter, einer der Nachfahren des Anwalds Joseph Elias, gründete nicht zufällig in Bühl – in der unmittelbaren Nähe zu Bühlertal – im 19. Jahrhundert einen erfolgreichen Eisengroßhandel, der schließlich zu einer bedeutenden industriellen Metallproduktion führte.529

524 GLAK 61/45 GR 23.5.1742 Nr. 36. 525 GLAK 61/171 HR 29.5.1742 Nr. 15. 526 GLAK 61/280 HK 27.5.1743. 527 Über Johann Heinrich Stupanus liegen Aktenfaszikel im GLAK vor, die seine Anwesenheit dokumentieren (GLAK 223/86 und 223/360). 528 Zu den Schwierigkeiten der Eisenproduktion in Bühlertal Clemens Rehm, Das Eisenwerk in Bühlertal, in: Brüning und Rehm (Hg.), Ein badisches Intermezzo?, S. 33. 529 Zur Geschichte der Wolf Netter & Jacobi-Werke Heiner Raulff, Die Wolf Netter & Jacobi-Werke, in: Die Ortenau, 62 (1982), S. 175–189.

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Im Handel mit Unschlitt und Kerzen

1664 befahl die Hofkammer den Beamten in Bühl, Rastatt und Steinbach, jeder von ihnen solle zwei Zentner Unschlitt kaufen und zur Herstellung von Kerzen an den Hof liefern, ersatzweise die entsprechenden Beträge in Geld.530 Mit Moyses in Baden-Baden lässt sich für das Jahr 1680 zum ersten Mal ein Schutzjude feststellen, der im Bereich des Kerzenhandels aktiv war: Ihn nannte die Hofkammer als „Lichterjud dahier“, als sie mit ihm einen Vertrag über den Verkauf von Kerzen abschloss.531 Spätestens 1681 war dieser Verkauf in der Form einer Admodiation vergeben; namentlich ungenannte Juden hatten zu dieser Zeit den „Lichterhandel“ in sechs Ämtern in Bestand. Ihnen wurde erlaubt, Kerzen außerhalb der Markgrafschaft abzusetzen, wenn dadurch im Land selbst kein Mangel auftrat.532 Für die gemeinsam verwalteten Ämter Bühl und Groschweier erhielten kurz nach der entsprechenden Verordnung vom Januar 1681 die vier Bühler Metzger Georg Mitzel, Hans Martin Gerber, Georg Herbst und Andreas Götz das Monopol des Kerzenhandels. Für sie galten dieselben Bedingungen, wie sie vorher „der Judt“, wohl Moyses, gehabt hatte, vor allem mussten sie wie er 150 Gulden Bestandszins zahlen.533 Zwei Jahre später war es nur noch Georg Herbst, der das Monopol allein und nur noch für 100 Gulden übernahm.534 Das Ausscheiden der jüdischen Beständer und der Rückgang des Admodiationsgelds könnte darauf hinweisen, dass sich der Handel in diesem Bereich nicht mehr lohnte – die Fixierung des Preises auf eine Höchstgrenze von 11 Kreuzer für ein Pfund Kerzen (im Jahr 1682)535 könnte dabei eine Rolle gespielt haben. Weder Kerzen noch Unschlitt zu deren Herstellung standen immer zur Verfügung. Im Januar 1683 befahl die Kammer dem damaligen Baden-Badener „Lichterbeständer“ Johannes Mauerer an die Herrschaft Kerzen zu liefern. Weil es im Amt Baden-Baden kein Unschlitt gab, konnte er den Auftrag nicht erfüllen. Darauf erhielt der Bühler Amtmann Niclaus Heinrich von der Schluchtern den Befehl, bei dem „Lichterbeständer“ in seinem Amt oder bei den dortigen Metzgern zwei Zentner Unschlitt zu bestellen und an den Hof bringen zu lassen.536 Kurz danach drohte die Kammer dem namentlich nicht genannten Beständer in Bühl eine Strafe an, falls er kein Unschlitt liefere; der Mangel scheint groß gewesen zu sein, denn die Metzger in Baden-Baden weigerten sich, an Johannes Mauerer Unschlitt zu verkaufen.537 530 GLAK 61/221 HK 13.8.1664 Bl. 55r. 531 GLAK 61/223 HK 2.10.1680. 532 GLAK 61/223 HK 7.1.1681. 533 GLAK 61/223 HK 18.2.1681. 534 GLAK 61/223 HK 23.7.1683. 535 GLAK 61/223 HK 18.2.1682. 536 GLAK 61/224 HK 9.1.1683. 537 GLAK 61/224 HK 18.2.1683.

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Zur gleichen Zeit, im Februar 1683, berichtete das Amt Rastatt und Kuppenheim über Probleme mit dem Rohstoff für die Kerzen. Darauf führte die Kammer aus, sie habe dem „Juden“, wohl Moyses, den Kauf von Unschlitt im Ausland erlaubt, und er müsse auf jeden Fall für genügend Kerzen sorgen.538 Für 1700 ist Georg Herbst aus Bühl nochmals als Beständer des Kerzenhandels nachweisbar. Er erhielt auf ein Jahr für 30 Gulden das Monopol in den Ämtern Rastatt, Kuppenheim und Stollhofen. Die Hofkammer war misstrauisch und beauftragte die Zoller darauf zu achten, dass er nicht auch andere Waren transportierte, die er verzollen müsse. „Metzger und Juden“ waren zu dieser Zeit die Zulieferer des Unschlitts für Herbst. Ihnen wurde wiederholt befohlen, nur an diesen Beständer das Unschlitt zu liefern,539 ein Hinweis darauf, wie brüchig das Monopol war. Wohl in vielen Haushalten wurden Kerzen hergestellt, vielleicht für den eigenen Gebrauch, vielleicht auch für einen kleinen Handel. In den Jahren um 1707 wurde die Kerzenadmodiation amtsweise vergeben, und zwar jetzt in Verbindung mit dem Monopol für den Handel mit Tabak und Essig – auch das ein Zeichen dafür, dass der Kerzenhandel nur eine geringe Bedeutung hatte. Im Amt Baden-Baden erwarb dieses Monopol 1708 der Kaufmann Peter Maria Querra für 63 Gulden.540 Jetzt klagten die Metzger, dass sie Unschlitt nicht los würden: Die Gerber würden das, was sie bräuchten, auswärts kaufen, und es gebe viele Leute, die Kerzen ohne Beachtung der Admodiation herstellten.541 1711 und 1712 versuchte die Hofkammer noch einmal, Christen und Juden in der Frage des Kerzenhandels gegeneinander auszuspielen. Zuerst berichtete aus Bühl Johann Heinrich Harrandt, dass in seinem Amt nicht mehr als 30 Gulden für das Monopol zu bekommen seien; die Hofkammer erlaubte darauf den Abschluss eines Vertrages mit dieser Gebühr.542 Im September 1712 berichtete der Amtmann erneut: Die Bühler Metzger hätten sich darauf geeinigt, nicht mehr als 20 Gulden zu zahlen. Jetzt befahl die Hofkammer dem Amtmann, auf folgende Weise zu verfahren: Er solle den Bestand Juden anbieten, und zwar für 30 Gulden und mit der Zusage, dass ihnen die Metzger das Unschlitt zu einem niedrigen Preis verkaufen müssten.543 Im Oktober 1712 übernahm dann der Bühler Metzger Franz Fritz das Monopol für 26 Gulden.544 Das Verfahren scheint also 538 GLAK 61/224 HK 6.2.1683. 539 GLAK 61/236 HK 22.3.1700 und 4.5.1700. 540 GLAK 61/244 HK 1.2.1708. Peter Maria Querra ist vermutlich identisch mit Peter Maria Guerra. Zur Familie Guerra in Rastatt und Offenburg Schwanke, Fremde in Offenburg, S. 128ff. u. ö. 541 GLAK 61/244 HK 16.5.1708. 542 GLAK 61/247 HK 23.7.1711. 543 GLAK 61/248 HK 13.9.1712. 544 GLAK 61/248 HK 31.10.1712.

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zu einem – aus der Sicht der Hofkammer – besseren Ergebnis geführt zu haben, als es nach der Preisabsprache der Metzger ausgesehen hatte. Die Drohung, dass jüdische Einwohner den Kerzenhandel bekämen und die Metzger ihnen zu einem festgesetzten Preis das Unschlitt abliefern müssten, brachte zumindest einen der Bühler Metzger zu einem höheren Angebot. 1718 verschlechterte sich die Versorgung mit Kerzen unter den Metzgern als Admodiatoren immer mehr.545 Die Gerber, die viel Unschlitt verbrauchten, beklagten sich über zu hohe Preise und wiesen auf die besseren Verhältnisse in anderen Regionen hin.546 Darauf gab die Kammer den Handel mit Kerzen frei.547 Dabei blieb es allerdings nicht für immer. 1743 übernahm im Amt Bühl der Krämer Peter Stolz den Kerzen-Bestand auf die Dauer von sechs Jahren und zahlte dafür jährlich 24 Gulden.548 Im Handel mit Unschlitt und mit Kerzen bestand wie im Handel mit Salz und Eisen immer Konkurrenz von Juden und Christen. Diese Konkurrenz könnte damit zusammenhängen, dass die Admodiationsgebühren wohl gering waren und die Bewerber keine hohen Beträge in diesen Handel investieren mussten. Eine weitere Parallele: Auch im Handel mit Kerzen waren Schutzjuden Admodiatoren, als ein Mangel dieser Ware bestand. Vor allem lässt sich an diesem kleinen Handel mit einem leicht herstellbaren Gut erkennen, wie brüchig diese und ähnliche Admodiationen gewesen sein mussten. Weitere Aspekte im Bereich des Handels mit Kerzen und Unschlitt: Wie bei den Admodiationen für Salz oder Eisen war dieser Bestand schon früh eine Sache, in der Juden aktiv wurden. Das mag mit ihrer Rolle im Viehhandel zusammenhängen, durch die sie über bei Schlachtungen anfallendes Unschlitt informiert waren. Zugleich war es ein Bereich, in dem sie, wie die christlichen Konkurrenten, ohne große Geldbeträge einsteigen konnten, und sie waren auch nicht auf Verbindungen über die Markgrafschaft hinaus angewiesen. Man könnte diesen Handel als „Starter“-Monopol bezeichnen gerade für diejenigen markgräflichen Juden vor 1700, die noch über wenig Kapital verfügten, in der Parallele zum kleinen Handel mit Eisen oder mit Essig und Branntwein.549 Zu großen Konflikten scheint dieser Handel nicht geführt zu haben. Anders als bei Essig und Branntwein oder bei Spezereien entstanden keine Vorbehalte gegen Juden oder Auseinandersetzungen mit ihnen, obwohl gerade die Metzger wegen des Schächtens oder dem Handel mit Fleisch Juden oft Schwierigkeiten bereiteten.550 545 GLAK 61/253 HK 12.5.1718. 546 GLAK 61/253 HK 17.11.1718. 547 GLAK 61/253 HK 18.9.1718. 548 GLAK 61/280 HK 19.10.1743. 549 Zum Beteiligung im kleinen Handel mit Eisen oder Essig und Branntwein siehe S. 259ff. 550 Zu den Konflikten zwischen Juden und christlichen Metzgern siehe S. 463ff.

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„Nicht thunlich und dem publico nicht convenabel“: die Essig-, Tabak- und Branntweinadmodiation

Nach Hayum Flörsheim551 hatten sowohl Schutzjuden wie Christen die Essig-, Tabak- und Branntweinadmodiation inne. 1732 übernahm sie Abraham von Malsch wohl für seinen Wohnort, in Bühl ein christlicher Einwohner, der Adlerwirt Johann Andreas Schwärzer.552 Dieser supplizierte 1735 wegen eines Nachlasses seiner Gebühr von 70 Gulden auf ungefähr 50 Gulden553 – wie bei der Admodiation der Gaggenauer Hammerschmiede eine Auswirkung des Polnischen Erbfolgekriegs. Für Gernsbach bestand 1735 eine Admodiation, die in diesem Jahr auslief. Herz Lazarus bot als Bestandsgebühr 24 Gulden,554 allerdings äußerte die Hofkammer Bedenken in einem Schreiben an den Gernsbacher Vogt Krieg, nämlich „dass man nicht thunlich und dem publico nicht convenabel [angemessen] zu sein befände, daß den judten dergleichen verkaufen gestattet werde, so denen leuthen zum genuß geraiche, allermaßen der angebohrene jüdtische Hass und Neyd gegen die Christen hiernfalls verspühret werden dürfte. Hätt dahero Er Vogt sich zu Beeyffern, in jedem orth jemanden zu bekommen, welcher tabac, Essig, Brandtwein gegen billigen Ertrag verkaufe.“555

Der Gernsbacher Vogt schrieb darauf die Admodiation für die einzelnen Orte seines Amtsbereiches aus; er berichtete allerdings, dass niemand reagiere und überhaupt niemand in der Lage sei, diese Admodiation erfolgreich zu führen. Der Vogt kam auf Herz Lazarus zurück: Mit ihm könne ein Vertrag abgeschlossen werde.556 Bei diesem Vorgang lässt sich der Rückgriff auf die Vorstellung von einem „angeborene(n) jüdtische(n) Hass und Neyd“ aus der Situation zumindest teilweise erklären. Zwei Tage, bevor sie protokolliert wurde, hatte die Hofkammer einen Entschluss über Herz Lazarus und David Kaufmann gefasst. Diese verweigerten einen Beitrag zur Kriegssteuer während des Polnischen Erbfolgekrieges, welchen die markgräflichen Juden übernehmen mussten. Sie beriefen sich dabei auf die Speyrer Regierung, die ihnen jede Zahlung untersagt habe. Die Hofkammer beschloss darauf, Herz Lazarus und David Kaufmann „zur Raison zu bringen“; sie drohte ihnen, für jedes Überschreiten der Grenze zwischen der Grafschaft Eberstein und den anderen baden-badischen Territorien ein „Passier- und Handelsgeleit“ zu erheben.557 Mit der Ablehnung von Herz Lazarus als Admodiator übte die Kammer möglicherweise weiter Druck auf ihn aus. Das Stereotyp 551 Zu Hayum Flörsheim als Admodiator siehe S. 29ff. 552 GLAK 61/268 HK 19.8.1732; Nennung als Adlerwirt GLAK 61/272 HK 13.3.1735. 553 GLAK 61/164 HR 23.3.1735 Nr. 15. 554 GLAK 61/272 HK 22.10.1735. 555 GLAK 61/272 HK 12.10.1735. 556 GLAK 61/272 HK 22.10.1735. 557 GLAK 61/272 HK 10.10.1735.

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des Juden, der aus Hass und Neid die Speisen der Christen und andere Waren des Konsums verderben könnte, entsprach vielleicht dem Denken der Kammer – sie verwendete es aber auch als ein Mittel, um ihre Entscheidung zu begründen oder zu rechtfertigen. Bei Hayum Flörsheim hatten solche Vorstellungen keine große Rolle gespielt, wie sie dann auch wieder „desaktiviert“ wurden, als niemand außer Herz Lazarus die Admodiation übernahm. 1766 vertrat die Regierung, und zwar der Hofrat, wieder eine andere Position. Als Bewerber um die Admodiation trat David Kaufmann von Gernsbach auf. Das Amt vertrat die Auffassung, dass sie „dem herkommen nach“ an Juden vergeben werden könne. Der Hofrat ließ zu Protokoll nehmen, mit Essig, Tabak und Branntwein zu handeln sei für Juden „nicht unschickl(ich)“, da schon „in Vorigen Zeiten es den juden zugestanden; da man nun den Juden nicht so leicht davon ausscheiden könne, als(o) halte man darfür, dass die Steigerung zum besten des Herrschaftl(ichen) inte(ress)e(s) nochmahls Vorgenommen und der Judt zu admittiren [zuzulassen] seye.“558 Während ein Abschluss mit David Kaufmann nicht feststellbar ist, hatte im Oberamt Mahlberg spätestens seit 1767 Lazarus Mayer in Friesenheim die Admodiation für Branntwein inne.559 Überhaupt scheinen in den letzten Jahren der Markgrafschaft Baden-Baden bei der Regierung, bei Schutzjuden und Christen die Admodiationen neues Interesse geweckt zu haben. So vergab die Hofkammer 1766 im Oberamt Mahlberg die Judengeleite an Löw Lazarus als Admodiation, für die er jährlich 371 Gulden zu zahlen hatte. Die Hofkammer wies das Amt dabei an, dafür zu sorgen, dass „der admodiator die Juden nicht übernehme“, die Juden nicht zu seinen Gunsten ausnutze.560 Der Geheime Rat legte nach: Es bestehe die Gefahr, dass beim Einzug der Geleitgelder „Unterschleife“ vorkämen. Der Admodiator und die geleitpflichtigen Juden wurden verdächtigt, betrügerisch vorzugehen. Die Hofkammer befahl darauf den Zollbereitern eine sorgfältige Kontrolle.561 Im gleichen Jahr reichte Löw Wertheimer von Durbach bei der Hofkammer das Gesuch ein, ihm das Monopol für den Handel mit verschiedenen Ölsorten im Oberamt Mahlberg einzuräumen,562 allerdings erfolglos.563 Gleichzeitig war die Tabakadmodiation in Ettlingen an einen dortigen christlichen Einwohner versteigert worden.564

558 GLAK 61/191 HR 4.2.1766. 559 GLAK 61/305 HK 16.3.1767 Nr. 727. 560 GLAK 61/304 HK 15.1.1766 Nr. 178. 561 GLAK 61/304 HK 19.11.1766 Nr. 3080. 562 GLAK 61/304 HK 8.4.1766 Nr. 1060. 563 GLAK 61/304 HK 12.5.1766 Nr. 1461. 564 GLAK 61/304 HK 18.4.1766 Nr. 1184.

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4.3.8  Chancen und Schwierigkeiten – strukturelle Probleme für jüdische und nichtjüdische Admodiatoren Für die jüdischen Beständer boten die Admodiationen weiterführende Chancen. Sie handelten mit Waren des Alltags, wenn sie Produkte aus Eisen wie Sicheln oder Salz verkauften oder von Bauern und Metzgern Unschlitt bezogen,565 und sie konnten entsprechend zahlreiche Kontakte aufbauen oder intensivieren. Das erleichterte den Handel mit Waren außerhalb einer Admodiation. Der Aufbau von Verbindungen zu Christen fand zunächst auf der Linie von Anbietern und Nachfragern statt. Die Käufer schätzten offensichtlich das billige Angebot der Admodiatoren, wie sich im Salzhandel zeigte. Die Verbindungen weiteten sich in Bereiche aus, in denen Kooperation zwischen Juden und Christen erforderlich war, etwa zu Schmieden bei dem Betrieb von „Ambossen“, die Aron in Bühl hatte. Auch eine Frau wie die Witwe Eysele in Sulzbach erhielt eine Chance. Sie konnte beim Bezug des Salzes bei Isaac Lazarus ohne Kapitalaufwand ins Geschäft kommen. Die wirtschaftlichen Verbindungslinien verliefen so nicht nur zwischen Anbietern und Nachfragern, sondern auch zwischen Juden und Nichtjuden in Formen der Kooperation. Juden traten da als Admodiatoren auf, wo es wie beim Eisen und Salz oder bei Essig und Branntwein um Handel ging. Verständlich – die Hinwendung zum Handel war eine entscheidende Tendenz im wirtschaftlichen Verhalten der Juden während der Frühen Neuzeit. Sie erschlossen sich jedoch auch Tätigkeitsfelder, die in die gewerbliche Produktion übergingen wie bei den Hammerwerken. In diesen Bereichen gab es beständig Konkurrenten aus der christlichen Bevölkerung; sie kamen aus dem Handwerk wie der Ettlinger Waffenschmied Übelhör, andere wohl auch aus dem Handel. Diese Konkurrenzbeziehungen erforderten einen beständigen Blick auf die Mitkonkurrenten; auch damit entstand eine Verdichtung des Verhältnisses zwischen jüdischen und nichtjüdischen Wettbewerbern. Voraussetzung oder Folge dieser Verdichtung waren die Parallelen zwischen christlichen und jüdischen Admodiatoren. Der aus Fort-Louis stammende Eisenadmodiator Brenta nutzte seine Beziehungen im Elsass, um wie Mathias Schweitzer von dort Erz bzw. Eisen zu beziehen. Wie die jüdischen Admodiatoren waren auch die christlichen nicht nur am Handel mit Eisen interessiert. Andreas Brenta scheint nach der Eisenadmodiation in den Salzhandel gewechselt zu haben; er wurde 1707 als Salzfaktor in Rastatt erwähnt, der im Auftrag eines dortigen christlichen Admodiators aktiv war.566 Der Waffenschmied Übelhör suchte wie jüdische Händler den Zugang zum Heuhandel. Bei Nagelschmieden in Bühl, mit denen er als Eisenlieferant in Verbindung stand, ließ er Heu stapeln, um es weiter 565 Zur „Lichteradmodiation“ von Moyses und seinem Bezug von Unschlitt siehe S. 218f. 566 GLAK 61/244 HK 20.9.1707. Ein Salzfaktor verkaufte im lokalen Bereich Salz im Auftrag eines Admodiators oder anderen Salzhändlers.

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zu verkaufen; die Regierung verbot ihm das, weil sie selbst am Kauf des Heus interessiert war.567 Der rasche Wechsel von einer Handelssparte in eine andere war allen Admodiatoren eigen. Sie standen unter dem Druck der Regierung, die einen höheren Gewinn aus der Admodiation ziehen wollte und keine kontinuierliche Entwicklung zuließ. Im Fall von Johannes Bruzetto in Bühl lassen sich Parallelen und Gemeinsamkeiten zwischen jüdischen und christlichen Admodiatoren deutlich machen.568 Er stammte aus der Familie des ortenauischen Handelsmanns und Kaminfegers Jacob Bruzetto, einer ursprünglich italienischen Familie, kam also wie die jüdischen Admodiatoren aus dem Handel, wobei eine Nähe zum Handwerk bestand. Johannes Bruzetto lebte seit ungefähr 1712 in Bühl, zunächst als Krämer mit einem Haus am Markt. Er wurde Mitglied im Ortsgericht und Obermeister der Bühler Krämerzunft; schon früh hatte er gemeinsam mit anderen die Essig-, Tabak- und Branntweinadmodiation inne und war insofern ein Vorgänger von Hayum Flörsheim. 1724 übernahm er, knapp unter sechzig Jahre alt, die Kaminfegeradmodiation für die gesamte Markgrafschaft, hatte also für die Reinigung der Kamine, selbst derer im Rastatter Schloss, zu sorgen. Aus seiner Verschuldung, in die er bereits als Handelsmann geraten war, kam er allerdings nicht heraus, so dass er schließlich als Admodiator scheiterte und in großer Armut endete. In vielem verliefen die Wege der jüdischen Admodiatoren parallel zu den Wegen von Johannes Bruzetto. Joseph Jacob in Bühl oder Isaac in Ettlingen, Mathias Schweitzer oder später Isaac Bodenheimer und Mayer Malsch kamen wie er aus dem Handel, kauften ein repräsentatives, durch seine Lage hervorgehobenes Haus, fanden den Kontakt zur Regierung und ließen sich auf deren hohe, wohl zu hohe Gebührenforderung ein, wenn es um eine Admodiation ging. Hayum Flörsheim kämpfte wie Bruzetto damit, dass eine Admodiation in der Bevölkerung oft auf Widerstand stieß: Bei Johannes Bruzetto ließen viele die Kamine ihrer Häuser einfach nicht reinigen, andere verweigerten die Bezahlung; bei Hayum Flörsheim verkauften viele Branntweinbrenner ihre Schnäpse selbst. Den Admodiatoren machte es zu schaffen, dass die Monopole nicht durchsetzbar waren. Es waren strukturelle Probleme, an denen jüdische und nichtjüdische Admodiatoren scheiterten, und nicht Zugehörigkeit zur jüdischen Minderheit oder zur christlichen Mehrheit oder damit verbundene Verhaltensweisen entschieden über Erfolg oder Misserfolg. – Bei Johannes Bruzetto war die gesellschaftliche Integration kein Problem, nachdem er als Fremder nach Bühl gekommen war. Für die jüdischen Admodiatoren war eine solche Integration unmöglich, auch wenn sie viele geschäftliche, wie Hayum Flörsheim auch nichtgeschäftliche Kontakte zu Christen hatte. Der vielleicht entscheidende Unterschied zu den christlichen Admodiatoren bestand für die jüdischen wohl darin: Sie mussten immer damit rechnen, dass 567 GLAK 61/244 HK 3.8.1706. 568 Zu Bruzetto siehe S. 634ff.

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ihnen, wie besonders unter Markgräfin Sibylla Augusta, antijüdische Vorstellungen zusätzliche Schwierigkeiten bereiteten. Wenn christliche Kunden am Eisen oder am Salz, das Juden lieferten, Mängel feststellten, lässt sich das Gewicht dieser Klagen schwer einschätzen; sie kritisierten auch die christlichen Admodiatoren. Ein Teil der Einwände dürfte auch dazu gedient haben, Konkurrenten schlecht zu machen und sie so zu verdrängen. Die Einstellungen der christlichen Untertanen dürften auch dann negative Züge erhalten haben, wenn sie wie bei Isaac und Aron mit Fronfuhren – beim Transport von Eisen aus dem herrschaftlichen Bergwerk in Gaggenau 1783569 – zu Leistungen gezwungen waren, aus denen sie keinen Nutzen zogen. Die Schwierigkeiten mit dem Monopol im Eisenhandel dürften zu einem erheblichen Teil mit den Vorgaben über die Produktpreise zusammenhängen. Das Eisen in der Form von Stabeisen, das noch weiter verarbeitet werden musste, und die aus Eisen hergestellten Produkte bis hin zu den Schuh- und Schindelnägeln durften nur zu festen, von der Regierung bestimmten Preisen verkauft werden.570 Solche Höchstpreise führten wohl zum Angebot schlechteren Eisens oder zum verbotenen, aber kaum zu verhindernden Kauf in den benachbarten Territorien, unter Umständen aber auch zum Mangel an Eisen, wenn der Erlös Produktionsund Handelskosten nicht mehr deckte. Die vielleicht gravierendste Erschwernis für Admodiationen war der Wechsel zwischen der Monopolisierung des Handels und seiner Freigabe – alle Beständer wurden so an einer kontinuierlichen Entwicklung ihres Handels gehindert, nicht nur dadurch, dass ein rascher, manchmal jährlicher Wechsel in der Admodiation möglich war. Die Regierung setzte die Admodiatoren zusätzlich unter Druck, indem sie die Konkurrenz zur Erhöhung der Bestandsgebühr nutzte. All das waren Probleme, die über den Einzelfall hinaus mit der Struktur der Admodiationen zusammenhingen. Zu den konkreten Chancen und Problemen der Admodiatoren kommen allgemeine hinzu. Chancen erhielten Juden vor allem in der Phase, in welcher für die Regierung die Reorganisation des Landes nach 1648 und während der Kriege bis 1714 Vorrang hatte. Wie vielen jüdischen Unternehmern kamen ihnen in dieser Zeit ihre Verbindungen, wie bei Isaac und Aron, bei Joseph Jacob, Mathias Schweitzer und Hayum Flörsheim, nach außerhalb der Markgrafschaft zugute, wohl überhaupt auch ihre verfügbaren finanziellen Mittel. In einer agrarischen Gesellschaft investierten viele vorwiegend in den für Juden verbotenen agrarischen Grundbesitz; darin unterschieden sich die Juden von den christlichen Gewerbetreibenden, die auch Landwirtschaft betreiben konnten. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts gehörten Vorstellungen, wie Profit aus der Gegenwart von Juden zu schlagen war, zum „Inventar adliger Bildung“. Das bezog sich in erster Linie auf die Ausbeutung von Schutzjuden über die von 569 GLAK 61/224 HK 20.5.1683. 570 GLAK 61/240 HK 25.6.1701 Bl. 52v–53v.

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ihnen geforderten Abgaben.571 Sicher war das auch für die markgräfliche Regierung bei der Aufnahme von Juden in den Schutz wichtig, bestimmte aber wohl auch die Einstellung zu den Juden, die für die Entwicklung des Landes profitabel erschienen. Juden von außerhalb wie Samuel Oppenheimer oder Schutzjuden wie Aron vermarkteten die agrarischen Produkte des Landes über die Grenzen hinweg. Einige Juden erfüllten die Aufgaben von Heereslieferanten. Fremde und einheimische Juden importierten gewerbliche Güter, Luxusgüter und erfüllten, wie beim Getreide, die Nachfrage, wenn die Markgrafschaft selbst sie nicht befriedigen konnte. In ihrer Funktion und ihrer Konzentration auf den Hof waren sie Hofjuden „en miniature“, auch wenn sie keinen Titel trugen. Mit der Feindschaft von Markgräfin Sibylla Augusta gegenüber Juden erhielten die Vorstellungen über den „Nutzen“ der Juden, manchmal im Kontrast zu denen in Teilen der Regierung, einen Bruch. So sehr auch die persönliche Abneigung der Markgräfin gegen Juden zur Einschränkung ihrer wirtschaftlichen Möglichkeiten beitrug, langfristige Einstellungen waren wohl noch wichtiger. Die Markgrafschaft war im 18. Jahrhundert noch immer ein agrarwirtschaftlich orientiertes Land. Wenn es unter Sibylla Augusta (und ihren Söhnen) Versuche zur wirtschaftlichen Reorganisation des Landes gab, dann galten sie eher dem Handwerk, dessen zünftige Struktur gestärkt wurde;572 ans Handwerk angeschlossen war auch die Zunft der Kaufleute. Für die Einschätzung der wirtschaftlichen Mentalität in der Markgrafschaft helfen die Ergebnisse weiter, die Peter Hersche über den Einfluss der Religion auf Katholiken vorlegte: Katholiken waren in ihrem Denken eher agrarisch orientiert und investierten, wo von der Geographie her möglich, viel Kapital in Weinbau. Regierungen und Bevölkerung legten großen Wert auf die bauliche Umgestaltung des Landes in eine „Sakrallandschaft“,573 in die Sicherung des Seelenheils mit Seelenmessen und in geistliche Einrichtungen im weitesten Sinne; das entsprechende Kapital fehlte für die gewerblichen oder protoindustriellen Entwicklungen. Selbst der Handel hatte nicht den Stellenwert wie in nichtkatholischen Gebieten.574 Der Rückzug von Juden aus Unternehmen, die 571 Rohrbacher und Schmidt, Judenbilder, S. 53. 572 Als Indiz für die eigentliche wirtschaftliche Reorganisation unter Markgräfin Sibylla Augusta werden die neuen Zunftordnungen angeführt bei Zepf, Markgräfin Sibylla Augusta als Regentin, in: Staatliche Schlösser und Gärten Baden-Württemberg (Hg.), Extra schön. Markgräfin Sibylla Augusta und ihre Residenz, S. 37. Sowohl bei Markgräfin Sibylla Augusta wie bei ihren Söhnen fehlten andere Konzepte für eine wirtschaftliche Entwicklung des Landes. 573 Zur Ausgestaltung der Residenz und ihrer Umgebung mit Sakralbauten durch Markgräfin Sibylla Augusta Gensichen, Die böhmische Heimat, in: Extra schön. Markgräfin Sibylla Augusta und ihre Residenz, v. a. S. 22–24. 574 Herrsche, Muße und Verschwendung, Teilband I, S. 442– 666, im Detail v. a. S. 456ff. (katholische Wirtschaftsmentalität allgemein), S. 481ff. (Indifferenz gegenüber dem Handel), S. 505ff. (Kapitaltransfer in Stiftungen) und S. 514ff. (Seelenmessen).

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über den Handel hinausgingen, wie aus der Produktion von Eisen und später von Pottasche, dürfte auch mit der mentalen Distanz zu diesen Produktionsbereichen vor allem bei den Regierungen zusammenhängen. Hier bot die katholische Markgrafschaft für den Übergang zu produktionsorientierten Unternehmungen Juden wenige Chancen. Nicht zufällig wandte sich Josua Uffenheimer beim Übergang in die Protoindustrie nicht dem markgräflichen Gebiet zu, sondern fand günstigere Voraussetzungen im südlichen Teil der Markgrafschaft Baden-Durlach, der eher industrielle Ansätze aufwies als das baden-badische Territorium.575

4.4  Im Ladengeschäft 4.4.1  Moyses: von Ettlingen nach Rastatt und Bühl Ein Moyses, dessen Aufenthaltsort als Ettlingen angegeben wurde, bat Ende 1678 den Geheimen Rat um den Schutz für Rastatt; dort wolle er, so seine Begründung für den Ortswechsel, einen Kramladen eröffnen.576 Vielleicht ist er mit dem Moyses identisch, der 1681 einen „offenen Cramladen“ in Baden-Baden plante. Der Hofrat verlangte dazu einen Bericht des Amts über die Stellungnahme der Krämer.577 Sie erklärten, dass die Juden ihnen gegenüber Vorteile hätten und sie selbst sich beschweren würden, wenn die Regierung Moyses wirklich einen Kramladen genehmige.578 Dieser teilte im Mai 1683 dem Hofrat mit, er wolle nach Bühl ziehen, da die Hälfte eines Hauses kaufen und einen „offenen Laden“ betreiben. Der Rat verlangte darauf von der dortigen Bürgerschaft eine Stellungnahme.579 Die Kammer berichtete zwei Monate später, dass es keine Einwände gäbe, und Moyses konnte sich darauf in Bühl niederlassen. Ein Moyses lebte jedenfalls 1688 in Bühl.580 Dass er 1689 beim Kauf eines Hauses in Bühl als „Lichterjud“ bezeichnet wurde, spricht für seine Identität mit Moyses von Baden-Baden, der mit Kerzen handelte.581 Moyses steuerte die Auswahl seines Lebensortes, auch wenn er dabei von der Zustimmung der Regierung und der Haltung der Konkurrenz oder Bürgerschaft 575 Zu Joshua Uffenheimer siehe S. 232ff. 576 GLAK 74/6968 Extrakte aus dem Protokoll des Geheimen Rats, 7.6.1678. 577 GLAK 61/126 HR 18.12.1681 Bl. 332v. Dabei ist die Rede vom Laden des „Moyses des älteren“. Hinweise darauf, dass dieser nicht identisch ist mit dem vorher genannten Moyses, gibt es nicht. 578 GLAK 61/127 HR 28.1.1682 Bl. 49v–50r. 579 GLAK 61/128 HR 13.5.1683 Bl. 151r. 580 GLAK 74/3710, Amtmann Johann Adam Zettwoch an die Hofkammer, o. D. (1691). 581 Zu Moyses, dem „Lichterjuden“, siehe S. 218.

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abhängig war. Auf die Möglichkeit zu einem erneuten Ortswechsel legte er Wert, als er von seiner Absicht berichtete, nach Bühl zu ziehen; er wollte von vornherein die Erlaubnis, „bey sich ereignenden Kriegs-Unruhen“ nach Baden-Baden zurückzukehren und dort seinen Handel wieder aufzunehmen.582 In den Jahrzehnten vor 1700 ging es offensichtlich bei der Errichtung eines Kramladens um die Wahl eines geeigneten Ortes; nicht nur die Regierung, auch Konkurrenten, Bürgerschaft und Zeitumstände beeinflussten diese Wahl. Anders als nach 1700, bei der Familie von Schmaul (Samuel) in Bühl oder von Cassel in Rastatt, war der Laden von Moyses noch nicht fest etabliert, wohl auch eine Folge davon, dass räumliche Ausstattung, Warenangebot und Zahl der Kunden nicht sehr bedeutend waren. 4.4.2  Schmaul: ein Ladenbesitzer mit Kredit in Frankfurt Ein „Schmuel“ steht in der Liste der Bühler Schutzjuden von 1700 an zweiter Stelle, hinter dem Schultheißen Joseph Jacob.583 1706 verzeichnete das Amt Bühl „Schmaul“ mit einem Handel „mit allerhand wahren, waß die Juden Im brauch haben.“ Wie der Schultheiß unterschied sich Schmaul, wie er von da an meistens genannt wurde, von den übrigen Bühler Juden. Zu seinem Haushalt zählten außer den zwei Söhnen ein Lehrer, ein Knecht und eine Magd – nur Joseph Jacob beschäftigte noch eine Arbeitskraft mehr, den „Ladendiener“ Salomon.584 Als Schutzgeld zahlte Schmaul im Vierteljahr 4 Gulden und 30 Kreuzer, wie fünf weitere Bühler Juden, Joseph Jacob den etwas höheren Betrag von 4 Gulden und 37 ½ Kreuzer.585 1721 lebten im Haushalt Schmauls noch immer zwei Söhne: Elias und Joseph, der erste bereits im Schutz, der zweite schon mehrere Jahre verheiratet, aber noch ohne Schutzverhältnis. Schmaul und seine Söhne verkauften in ihrem Laden Tuch, handelten aber auch mit Vieh. Nur dem Vernehmen nach konnte Amtmann Harrandt angeben, dass Schmaul und seine Söhne in Frankfurt „Credit“ hätten, also dort als kreditwürdig angesehen wurden und auf Kredit Waren bezogen. Daraus schloss der Amtmann, dass es Schmaul und seinen Söhnen „nicht Übel stehet.“586 Schmaul reiste auch persönlich nach Frankfurt, wie ein Verzeichnis der Juden zeigt, die auf dem Weg dorthin die Markgrafschaft Baden-Durlach passierten.587 Dass er seinen Aktionsradius ausweitete und einen Laden besaß, 582 GLAK 61/128 HR 13.5.1685 Bl. 151r. 583 GLAK 74/3711, „Im Amt Bühl“, o. D. (1700). 584 GLAK 74/3711, Amtmann Johann Heinrich Harrandt an die Hofkammer, 12.6.1706. 585 GLAK 74/3711, „Im Amt Bühl“, o. D. (1700). 586 GLAK 74/3711, Amtmann Johann Heinrich Harrandt an die Hofkammer, 8.2.1721. 587 GLAK 74/2534, „Specification”, 6.6.1724.

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bedeutete jedoch nicht, dass er auf andere Formen des Handels verzichtete: Seine Waren verkaufte Schmaul auch mit Hausieren in der Umgebung von Bühl.588 Eine genauere Angabe zu seiner wirtschaftlichen Situation ist für 1722 möglich, als sein Vermögen auf 3829 Gulden geschätzt wurde.589 So besaß er die finanzielle Grundlage, um als zeitweiliger Mitbesitzer eines Hauses mit einem Synagogenraum,590 als „Unterschultheiß“ und Schultheiß Funktionen in der jüdischen Gemeinde auf lokaler und überlokaler Ebene übernehmen zu können.591 Anders als Salomon Moyses, der in Frankfurt „bankrottierte“,592 erhielt sich Samuel seine Kreditwürdigkeit. Er war ein Ladenbesitzer in einem Marktflecken, der erfolgreich für die ländliche Bevölkerung Handelsgüter aus der Ferne erreichbar machte und es zu einem beachtlichen Vermögen und zu sozialem Gewicht innerhalb der Judenschaft brachte. Ihm war die Kombination von kleinem Handel an seinem Wohnort und in dessen Umgebung mit einem Ladenhandel gelungen, den er besonders auf den Verkauf von Stoffen ausrichtete. 4.4.3  Ein langes Scheitern: Löw Bodenheimer Für seinen Neffen Löw Herz oder Löw Bodenheimer hatte der Judenoberschultheiß Isaac Bodenheimer schon 1734 vergeblich um den Schutz suppliziert.593 Nach seinem Tod erhielt sein Bruder Mayer Bodenheimer die Zusage für die Aufnahme von Löw Bodenheimer, und er erreichte sogar, dass sein Neffe kein Aufnahmegeld zahlen musste.594 Im Sommer 1743 supplizierte Mayer Bodenheimer nochmals für seinen Neffen: Jetzt ging es um einen Nachlass des „Pflastergelds“ von 42 Gulden. Die Hofkammer schlug einen Aufschub der Zahlung vor. Löw Bodenheimer habe noch kein eigenes Vermögen; erst wenn er in die Handlung Mayer Bodenheimers eintrete oder nach dessen Tod – wenn also Löw Bodenheimer seinen Onkel beerbt oder dessen Handel übernommen habe – solle die Steuer fällig werden.595 Im Januar 1749 bat Löw Bodenheimer den Hofrat um ein Schuldenmoratorium auf sechs Jahre, und zwar für Forderungen von außerhalb der Markgraf588 Zum Hausieren Schmauls (Samuels) siehe S. 228f. 589 Zur Angabe des Vermögens von Schmaul für 1722 ebd. 590 Zum Miteigentum Schmauls an den Synagogenräumen in Bühl siehe S. 424f. 591 Zu Schmaul als Schultheiß siehe S. ebd. 592 Zum Bankrott von Salomon Moyses siehe S. 170. 593 Zur Bitte Isaac Bodenheimers zugunsten der Aufnahme seines Neffen in den Schutz siehe S. 89ff. 594 Zur Schutzaufnahme Löw Bodenheimers ohne Forderung des Aufnahmegeldes siehe S. 91. 595 GLAK 61/280 HK 17.7.1743.

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schaft.596 Es ging um Schulden, die er als Erbe seines Onkels Mayer Bodenheimer übernommen hatte.597 Der Bühler Amtmann Hoffmann schlug vor, „ohne Aufsehen“ ein Vermögensverzeichnis aufzustellen mit allen Schulden und Forderungen von Mayer und Löw Bodenheimer.598 Um bei den ausländischen Gläubigern keine Unruhe zu erzeugen, schlug das Kollegium folgendes Verfahren vor: Das Moratorium solle nicht nur für die fremden Gläubiger, sondern auch für die inländischen gelten, und zwar auf vier Jahre. Heimlich könne dann aber der Bühler Amtmann bei der Schuldentilgung vor allem für die baden-badischen Gläubiger sorgen.599 Diese Regelung wurde schließlich beschlossen.600 Forderungen gegen Löw Bodenheimer erhob 1749 auch der Pforzheimer Judenschultheiß David Bodenheimer, ein Onkel von Löw Bodenheimer.601 Er handelte zugunsten der Kinder seines gestorbenen Bruders Jacob Moyses Bodenheimer.602 Für sie erhob er als Vormund Ansprüche aus der Erbschaft Mayer Bodenheimers, die teilweise sein Neffe in Bühl angetreten hatte.603 Seine schlechten finanziellen Verhältnisse brachten Löw Bodenheimer wohl dazu, einen Teil seines Hauses zu verkaufen. Noch immer gehörten ihm und seiner Frau Brunle das Haus mit der Synagoge, das Isaac Bodenheimer erworben hatten.604 Die zwei Räume, in denen die Synagoge eingerichtet war, behielt Bodenheimer, die übrigen Teile verkaufte er 1751 dem Bühler Schutzjuden Elias Schweitzer und dessen Frau Zozam für 60 Gulden.605 Um seine Situation zu verbessern, machte Löw Bodenheimer seinerseits Forderungen geltend. Zu seinen Schuldnern gehörte Joseph Mürb in Affental. Als dessen Haus 1751 versteigert wurde, erhob Löw Bodenheimer Ansprüche.606 Der Geheime Rat schränkte sie ein: Bodenheimer solle sich mit 273 Gulden und 8 Kreuzer begnügen, auf seine zu hohe Zinsforderung müsse er verzichten.607 Im April 1753 supplizierte Löw Bodenheimer wieder wegen eines Schuldenmoratoriums. Der Hofrat befürwortete es beim Markgrafen: Löw Bodenheimer 596 GLAK 61/178 HR 14.1.1749 Nr. 12. 597 GLAK 61/66 GR 11.1.1749 Nr. 27. 598 GLAK 61/178 HR 20.2.1749 Nr. 23. 599 GLAK 61/178 HR 6.3.1749 Nr. 8. 600 GLAK 61/66 GR 8.3.1749 Nr. 26 und GLAK 61/178 HR 11.3.1749 Nr. 7. 601 GLAK 61/178 HR 7.8.1749 Nr. 7. David Bodenheimer ist erwähnt als David Levi Bodenheimer in Bräunche, Die Familie Meyer-Model, in: Schmitt (Hg.), Juden in Karlsruhe, S. 454. 602 GLAK 61/65 GR 31.12.1749 Nr. 14. 603 GLAK 61/179 HR 3.1.1750. 604 Zum Kauf des Hauses mit den Synagogenräumen durch Isaac Bodenheimer siehe S. 424f. 605 GLAK 61/13698 Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, 19.2.1751 Bl. 151r. 606 GLAK 61/180 HR 5.10.1751 Nr. 7. 607 GLAK 61/72 GR 8.10.1751 Nr. 32.

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habe einen Teil seiner Verbindlichkeiten bezahlt und sei (nach dem Tod seiner Frau Brunle) im Begriff, mit einer Heirat sich „zu helfen“,608 ein Hinweis auf das Heiratsgut der Braut. Kurz darauf billigten der Markgraf und der Geheime Rat das Gesuch Bodenheimers.609 Das Moratorium scheint 1755 abgelaufen zu sein; nach den Angaben von Löw Bodenheimer war wenigstens ein Teil seiner Schulden zurückbezahlt.610 Eine Forderung aus einer Obligation erhob Bodenheimer 1757 auch gegen den im Dienst des Hofes stehenden Baumeisters Sock.611 Der Hofrat sicherte ihm zu, dass sein Anspruch gegebenenfalls aus dessen Bezügen befriedigt würde.612 Sock lehnte die Zahlung zunächst ab. Im folgenden Jahr, als Bodenheimer wieder gegen ihn klagte, entschied der Hofrat, die Forderung Bodenheimers mit einem Anteil an der Besoldung Socks verrechnen zu lassen. Dieser machte eine Gegenforderung geltend: Er brachte „eine vor den juden verfertigte Arbeit in Gegenrechnung.“613 Im Juli entschied der Hofrat endgültig: Die Forderung Bodenheimers – 21 Gulden – müsse nun erfüllt werden; die Gegenforderung Socks sei unberechtigt.614 1759 drängten die Gebrüder Mahlen, zwei Frankfurter Kaufleute, auf die Bezahlung von Schulden. Der Hofrat wies das Bühler Amt an, ein Verfahren gegen Bodenheimer zu beginnen, mit dem ausdrücklichen Hinweis, die zwei Moratorien für ihn seien ausgelaufen.615 Die wirtschaftlichen Verhältnisse Löw Bodenheimers verschlechterten sich immer mehr. Im Juni des Jahres 1760 bat er um eine Reduktion seines Schutzgeldes. Nach dem Amtsbericht und dem Vorschlag der Hofkammer616 wurde es auf 12 Gulden ermäßigt.617 Das Amt Bühl hatte seinen Vorschlag damit begründet, dass der Bühler „Anwald“ und „Schreiber“618 nur ein sehr kleines Vermögen besitze und keinen Handel treibe.619

608 GLAK 61/182 HR 22.3.1753 Nr. 21. 609 GLAK 61/182 HR 5.4.1753 Nr. 1. 610 GLAK 61/184 HR 20.2.1755 Nr. 18. 611 Zu Sock siehe S. 213. 612 GLAK 61/186 HR 5.7.1757 Nr. 39. 613 GLAK 61/188 HR 1.4.1758 ohne Nummerierung. 614 GLAK 61/188 HR 13.7.1758 Nr. 12. 615 GLAK 61/189 HR 16.6.1759 Nr. 29. 616 GLAK 61/297 HK 17.6.1760 Nr. 21. 617 GLAK 61/297 HK 26.6.1760 Nr. 13. 618 Bei „Schreiber“ ist hier wohl wie unter „Judenschreiberei“ an die Verfertigung von Schriftstücken wie Heiratsverträgen zu denken, die in hebräischer Sprache verfasst waren. 619 GLAK 61/318 GRATP 21.6.1760 Kammerberichte Nr. 2.

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1763 zog Löw Bodenheimer mit der Genehmigung der Regierung nach Rastatt.620 Dort betrieb er bis 1770621 eine Wirtschaft für Juden.622 Gelegentlich handelte er wohl auch mit Kleinigkeiten, wie 1768, als er die Uhr einer Schauspielerin kaufte.623 Im gleichen Jahr lieferte er für den markgräflichen Marstall 1500 Malter Hafer, den er aus Württemberg besorgte.624 Im Jahr darauf bat er um die Erlaubnis, eine „Lichter fabrique“ errichten zu dürfen,625 wollte also Kerzen herstellen. Er erhielt gegen eine Bestandszahlung den Auftrag, Kerzen für den Hof zu liefern; über die Bezahlung dieser Gebühr entstand allerdings ein Konflikt mit der Regierung,626 und vergeblich bat Bodenheimer um einen Nachlass.627 Der wirtschaftliche Erfolg blieb aus. 1776 wurde die Vergandung Löw Bodenheimers erwähnt. Zu dieser Zeit scheint er vor allem von „Juden Schreiberei“ gelebt zu haben,628 vom Verfassen von Texten für den innerjüdischen Gebrauch, etwa von Heiratsverträgen in hebräischer Sprache. Löw Bodenheimer erhielt wiederholt von der Regierung Vergünstigungen, die wohl auf die Verdienste seines Onkels Isaac Bodenheimer als Judenoberschultheiß zurückgingen. Wenn es richtig ist, dass ihm Mayer Bodenheimer Schulden hinterließ, könnte dies die schlechte Ausgangsposition für seinen Erben ausgemacht haben. Mit dem Wechsel in die Residenz, als Wirt, zuletzt auch in gewerblicher Produktion von Kerzen versuchte Bodenheimer seine finanziellen Verhältnisse zu verbessern, allerdings ohne dauerhaften Erfolg. 4.4.4  An der Schwelle zur Protoindustrie: Joshua Uffenheimer Als er 1747 den Schutz erhielt, wurde Joshua Uffenheimer im Hofkammerprotokoll als der künftige Schwiegersohn des Kippenheimer Anwalds Marx Weil bezeichnet,629 1751 als sein Erbe630 und als Schwager von dessen Sohn Emanuel Weil.631 Mit seiner Einheirat in die Familie von Max Weil gehörte er zu einer der wohlhabenden Fami-

620 GLAK 61/321 GRATP 29.1.1763 Kammerberichte Nr. 6 Bl. 60r. 621 GLAK 61/308 HK 7.9.1770 Nr. 2505. 622 Zur Bezeichnung Löw Bodenheimers als jüdischer Wirt siehe S. 464. 623 GLAK 61/209 HR 25.1.1768 Protocollum regiminis Nr. 182. 624 GLAK 61/306 HK 14.3.1768 Nr. 875. 625 GLAK 61/328 GRATP 12.8.1769 Communicanda. 626 GLAK 61/308 HK 6.4.1770 Nr. 1026. 627 GLAK 61/309 HK 18.4.1771 Nr. 1209. 628 GLAK 61/3786 Rentkammer 2.4.1776 Nr. 385. 629 GLAK 61/284 HK 15.6.1747. 630 GLAK 61/288 HK 16.4.1751. 631 GLAK 61/288 HK 15.4.1751.

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lien in der markgräflichen Judenschaft;632 sein eigenes Vermögen dürfte, der Familie seiner Frau entsprechend, ebenfalls beträchtlich gewesen sein. Spätestens 1754 führte Joshua Uffenheimer in Kippenheim einen Kramladen.633 Schon im Spätjahr 1750 hatte er mit der Hofkammer über die Umwandlung seiner Warensteuer, der Akzise, in eine Pauschale verhandelt. Der Mahlberger Oberamtmann berichtete, dass wegen der Akzise sich bis dahin kein Kaufmann634 in seinem Amt niedergelassen habe, während in den benachbarten Orten Lahr und Ettenheim, also außerhalb der Markgrafschaft, die Kaufleute diese Steuer nicht zahlen müssten. Uffenheimer, der zu einer jährlichen Pauschale von 20 Gulden bereit war, sei ein „Reicher Judt“; von ihm könne ein Aufschwung des Handels im Amt Mahlberg erwartet werden, zudem gehe mit seinem Handel kein Geld an die Kaufleute im benachbarten Ausland verloren. Die Hofkammer zeigte sich überzeugt: Sie beschloss, dem Markgrafen und dem Geheimen Rat die Zustimmung zum Angebot Uffenheimers zu empfehlen, selbst wenn dieser statt der anvisierten 30 Gulden nur 20 zu zahlen bereit sei.635 Auch Joshua Uffenheimer erwies Entgegenkommen. Man könne doch später über eine Erhöhung verhandeln, wenn sich seine Geschäfte in drei oder vier Jahren entwickelt hätten. Das führte zum Abschluss des Vertrags.636 Kurz danach bot Uffenheimer eine weitere Abmachung an: Für die Salzadmodiation im Oberamt Mahlberg würde er 150 Gulden bezahlen. Allerdings überlegte die Hofkammer, ob der freie Salzhandel für die Einwohner nicht günstiger sei.637 Oberamtmann Dyhlin, der über diese Frage berichten sollte, verhandelte mit dem bisherigen Salzbeständer und meldete dann der Kammer die Bereitschaft Uffenheimers, 100 Reichstaler zu zahlen; ein weiterer Interessent namens Deimling aus Lahr bot noch 10 Taler mehr. In seinem Bericht gab Dyhlin zu bedenken, dass doch die Entscheidung davon abhänge, ob Uffenheimer die gleiche Summe biete wie Deimling; die einheimischen Anbieter, in diesem Falle Uffenheimer, sollten prinzipiell den Vorzug bekommen vor denen, die nicht Untertanen der Markgrafschaft seien.638 Die Hofkammer beschloss: Mit Uffenheimer solle wirklich der einheimische Bewerber den Zuschlag bekommen, falls er ebenfalls 110 Reichstaler zahle. Zugleich empfahl sie, den Untertanen den freien Einkauf von Salz zu erlauben. So 632 Zur Einschätzung des Vermögens der Familie Weil siehe S. 66, Tabelle IV, Nr. IV.12. 633 GLAK 61/291 HK 26.4.1754 Nr. 6. 634 Mit Kaufleuten waren hier wohl christliche Kaufleute gemeint; im Amtsbericht vom 26.4.1754 werden nämlich neben dem Kramladen von Uffenheimer noch diejenigen von Hirschel Levi und Marx Weil, vermutlich Emanuel Marx Weil, angeführt (GLAK 61/291 HK 26.4.1754 Nr. 6). 635 GLAK 61/287 HK 18.12.1750. 636 GLAK 61/288 HK 20.1.1751. 637 GLAK 61/288 HK 26.2.1751. 638 GLAK 61/288 HK 15.4.1751.

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kam sie zu einem Kompromiss: Uffenheimer würde das Recht bekommen, als einziger Salz in das Oberamt einzuführen. Die Einwohner könnten auch weiterhin den Verkäufer aussuchen, wohl im Amt selbst wie außerhalb. Nur die einzelnen Detailhändler müssten ihre Ware von Uffenheimer beziehen.639 Drei Wochen später fiel die Entscheidung. Oberamtmann Dyhlin betonte, dass Deimling nur über ein geringes Vermögen und nur über wenig Kredit verfüge; das spreche für den „wohl vermögliche(n) Judt Uffenheimer“. In diesem Sinne entschieden sich die Kammer, Geheimer Rat und der Markgraf für Joshua Uffenheimer.640 Als seine Admodiation 1754 auslief, bat Uffenheimer um ihre Verlängerung auf weitere sechs Jahre. Wieder versuchte die Regierung den Ertrag zu steigern. Sie ließ prüfen, ob nicht auch Salzhändler aus Straßburg an der Admodiation interessiert seien,641 wohl ohne Erfolg. 1758 zog Uffenheimer das Misstrauen des Oberamts Mahlberg und der Hofkammer auf sich. Das Amt legte dar, wie leicht Schutzjuden die Akzise unterschlagen könnten. Uffenheimer solle – so der Vorschlag des Amtes – zunächst ein Vierteljahr lang alle Unterlagen aufheben, die Rückschlüsse auf den Erlös aus seinem Handel zuließen.642 Das Ergebnis lag im Januar 1759 vor. Vom 10. Juli 1758 bis zum Jahresende hatte Uffenheimer Krämerwaren im Wert von 1494 Gulden und 34 Kreuzer verkauft; eine Hochrechnung auf das Jahr insgesamt ergab eine Einnahme aus verkauften Waren in der Höhe von 3037 Gulden und 7 Kreuzer. Damit belief sich die Akzisezahlung Uffenheimers auf etwas mehr als 101 Gulden.643 Joshua Uffenheimers Vermögen bestand 1756 in mindestens 4862 Gulden und 48 Kreuzer.644 Er war 1773, zwei Jahre nach der Vereinigung der beiden badischen Markgrafschaften, in der Lage, die Breisacher „Florettseidenfabrik“645 zu einer Baumwollmanufaktur mit einer Zweigniederlassung in Schuttern auszubauen;646 er war damit einer der ersten vorindustriellen Fabrikanten im Südwesten. In seinem Ladengeschäft, wohl mit Tuchwaren und Wäsche, als Salzad639 Ebd. 640 GLAK 61/288 HK 6.5.1751 und 11.5.1751. 641 GLAK 61/291 10.5.1754 Nr. 13. 642 GLAK 61/295 HK 22.8.1758 Nr. 16. 643 GLAK 61/296 HK 22.1.1759 Nr. 2. 644 GLAK 74/7272, Commißsions Protocollum über die Renovation der Juden Schazung …, Beilage Nr. 3 Copia. Actum Mahlberg, den 16. Februar 1756. Die Angabe enthält nicht alle Posten des Vermögens, z. B. nicht den Wert des Hausbesitzes. 645 Fabrik, in der Florett- oder Schappeseide hergestellt wird, ein Nebenprodukt bei der Herstellung von Maulbeerseide. 646 Jürgen Stude, „Fabriquewesen-Entrepreneur“ Josua Uffenheimer aus Kippenheim, in: Historischer Verein für Mittelbaden (Hg.), Schicksal und Geschichte der jüdischen Gemeinden Ettenheim, Altdorf, Kippenheim, Schmieheim, Rust, Orschweier. 1938–1988. Ein Gedenkbuch. Ettenheim 1988, S. 362–364, hierzu S. 363f.

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modiator, als Lieferant von Schuhen an markgräfliche Truppen,647 mit dem Kauf von Forderungen an die kaiserliche Armee648 war es ihm gelungen, für diesen Weg die Voraussetzungen zu schaffen – jedenfalls brachte er schon 1754 genügend Geld auf, um die erwähnten Ansprüche an die kaiserliche Kriegskasse in Höhe von 4100 Gulden zu übernehmen.649 Eine der Voraussetzungen war Uffenheimers familiäres Netz, das nicht nur durch die Familie Weil gebildet war; zusammen mit seinem Bruder Gabriel besaß er eine Zeitlang ein Salzmonopol in Tirol,650 wohl auch ein Fundament für seine Salzadmodiation im Oberamt Mahlberg. 4.4.5  Verschuldung im Handel Schutzjuden, die sich im Handel verschuldet hatten, lassen sich aufgrund der Quellenlage in den ersten drei Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts vor allem für Bühl für die Jahre 1709 bis 1725651 feststellen. Dabei ergeben sich Schuldverhältnisse, wie sie die Tabelle VIII über die Verschuldung aus Warenbezügen (S. 236f.) wiedergibt. Tabelle VIII:  Verschuldung von Schutzjuden in Bühl aus Warenbezügen 1709 bis 1725 652,653,654,655,656 Jahr

Name des Schuldners

Name des Gläubigers

1709 1710 1717 1719 1719

Abraham Heilbronn Löw Löwel Löwle Elias Schweitzer

Schott und Schädel, Frankfurt652 ein Kaufmann in Frankfurt653 Schmaul (Samuel), Bühl654 Kaufleute Adami und Mals, Offenburg655 Kaufleute Adami und Mals, Offenburg656

647 GLAK 61//295 HK 25.2.1758 Nr. 22. 648 Stude, „Fabriquewesen-Entrepreneur“ Josua Uffenheimer, in: Historischer Verein für Mittelbaden (Hg.), Schicksal und Geschichte, S. 363. 649 Ebd. 650 Ebd. 651 Warum sich Schutzjuden gerade zwischen 1709 und 1725 häufig verschuldeten, ist ohne weitere Untersuchungen nicht zu erklären. 652 GLAK 61/137 HR 20.8.1709. 653 GLAK 61/138 HR 1.4.1710. 654 Zur Verschuldung Löwels bei Schmaul siehe S. 145. 655 GLAK 61/147 HR 18.4.1719. Löwle ist wohl der Sohn von Abraham Löwel (61/147 HR 19.10.1719). Adami ist eventuell eine Variante zu Adam (Paul oder Johann Adam), der zu dieser Zeit mit einem Kompagnon in Offenburg mit einem Großhandel nachweisbar ist, nach Schwanke, Fremde in Offenburg, S. 178, und ebd., Anm. 340. 656 GLAK 61/147 HR 18.4.1719.

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Juden im Wirtschaftsleben

Jahr

Name des Schuldners

Name des Gläubigers

1719 1719 1719 1720 1720 1720 1721 1721 1725 1725 1725 1725 1725

Elias Koppel Abraham Meyer Aron Meyer Aron Meyer Salomon Marx Aron Gernsbach Löwel Aron Gernsbacher Salomon Marx Witwe Aron Meyers Witwe Aron Meyers Elias Lämmle Salomon Marx

ein Kaufmann in Offenburg657 ein Kaufmann in Offenburg658 ein Kaufmann in Offenburg659 Salomon Dreifuß, Frankfurt660 Salomon Dreifuß, Frankfurt661 Moyses Amsel und Cassel, Frankfurt662 Kaufmann Mals, Offenburg663 Kaufmann Amsel Cassel, Frankfurt664 Kaufleute Adami und Mals, Offenburg665 Beifuß, Frankfurt666 Kaufleute Adami und Mals, Offenburg667 Kaufleute Adami und Mals, Offenburg668 Kaufleute Adami und Mals, Offenburg669

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,

657 658 659 660 661 662 663 664 665 666 667 668 669

Die meisten dieser Schuldverhältnisse wurden dann in den Regierungsprotokollen aufgezeichnet, wenn den Schuldnern eine Exekution drohte oder sie um ein Zahlungsmoratorium baten. Der Geschäftsvorgang, der zugrunde lag, wurde dabei meist nicht angegeben, dennoch dürfte der Zusammenhang klar sein: Bei Löwel war ein Schutzjude am gleichen Ort der Gläubiger, von dem er Waren und Bargeld erhalten hatte. Die anderen bezogen aus Frankfurt oder Offenburg zumindest einen Teil ihrer Waren gegen Kredit, den sie oft nicht tilgen konnten. Die Schuldverhältnisse machen deutlich, dass die jüdischen Handelsleute mit der Orientierung nach Offenburg in regionalen, mit der nach Frankfurt in überregionalen Beziehungen standen und sowohl mit jüdischen wie mit nichtjüdischen Lieferanten und Gläubigern verbunden waren. Die auswärtigen Großkaufleute lieferten den jüdischen Handelsleuten in der Markgrafschaft Waren offensichtlich in einem großen Kreditrahmen: Löw Wertheimer hatte 1729 immerhin Rech657 GLAK 61/147 HR 19.10.1719. Elias Koppel und Elias Schweitzer sind wohl identisch. 658 Ebd. 659 Ebd. 660 GLAK 61/148 HR 16.7.1720. 661 Ebd. 662 GLAK 61/148 HR 10.9.1720. 663 GLAK 74/3711, Amtmann Johann Heinrich von Harrandt an die Hofkammer, 8.2.1721 mit der Angabe von über 300 Reichstaler. 664 GLAK 61/149 HR 4.3.1721. 665 GLAK 61/5459 1.7.1725 Bl. 40r mit der Angabe von 67 Gulden Schulden. 666 GLAK 61/153 HR 5.7.1725. 667 Ebd. 668 GLAK 61/153 HR 26.6.1725. 669 GLAK 61/153 HR 5.7.1725 mit der Angabe der Schulden von 313 Gulden.

Im Ladengeschäft 

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nungen offen von über 1700 Gulden.670 Gerade die Beziehungen nach Frankfurt waren besonders wichtig. „Credit“ zu haben bei dortigen Kaufleuten, das zeichnete in der Sicht des Bühler Amtmanns 1721 einen jüdischen Handelsmann positiv aus.671 Die Gründe für die Verschuldung lassen sich nur hypothetisch angeben. Bei denen, die „Credit“ hatten, scheint der Warenbezug ohne sofortige Zahlung eine normale Praktik gewesen zu sein. Gerade Schutzjuden mit einem geringen Handel konnten dann in Schwierigkeiten geraten, wenn sie selbst, wie üblich, Waren auf Kredit verkauften und die Gläubiger ihre Schulden nicht bezahlten. Bei einem dieser verschuldeten Handelsleute, bei Salomon Marx, lassen sich die Vermögensverhältnisse genauer angeben. Über ihn führte der Amtmann von Harrandt 1721 aus, dass er „megelt“, er gab ihn als „Mäkler“ vor allem mit minderwertigem Vieh und Alteisen an. Zwar besaß Salomon Marx eine Haushälfte im Wert von 150 Gulden, aber der Amtmann hob hervor, dass er bei verschiedenen Kaufleuten erhebliche Schulden habe, die sein Vermögen überstiegen.672 Schließlich floh Salomon Marx wegen seiner Verschuldung nach Trimbach (BasRhin) im Elsass.673 Von dort aus wandte er sich 1723 an den Hofrat mit der Bitte, die Versteigerung seines Hauses in Bühl zu verhindern. Er begründete dies damit, dass er vorher versuchen wolle, seine Schuldner in den Ämtern Bühl und Steinbach zur Zahlung seiner Forderungen zu bewegen; dann könne er selbst seine Schulden tilgen. Unter der Voraussetzung, dies treffe zu, gab der Hofrat eine entsprechende Anweisung und forderte gleichzeitig die betroffenen Amtmänner auf, Salomon Marx bei der Eintreibung seiner Guthaben zu helfen.674 1725 wurde dann seine Haushälfte doch versteigert. Aus diesem Anlass vermerkte das Bühler Amtsprotokoll, dass Salomon Marx den Offenburger Handelsleuten Adami und Mals 83 Gulden schuldig sei.675 Die Verschuldung von Schutzjuden kann als Folge einer neuen Verhaltensweise angesehen werden. Sie weiteten ihren Handel insofern aus, als sie Waren über große Distanz bezogen. Kredit erhielten sie dabei von christlichen und jüdischen Kaufleuten, z. T. in beträchtlicher Höhe. Über einen der Bühler Schutzjuden, über Löwel, „Sammels Sohn“, berichtete Amtmann von Harrandt 1721, dass ihm von einem Handel nichts bekannt sei. Seine Schulden gab er allerdings an: Löwel habe kein Vermögen mehr, weil „er durch Joseph Jacobs Bruder Von 670 Zu den Schulden von Löw Wertheimer siehe S. 238f. 671 Zur Darstellung Schmauls als ein Handelsmann mit Kredit siehe S. 228f. 672 GLAK 74/3711, Amtmann Johann Heinrich von Harrandt an die Hofkammer, 8.2.1721. 673 GLAK 61/5450, Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll,1.7.1725, Bl. 40r. 674 GLAK 61/151 HR 7.10.1723. 675 GLAK 61/5459Bl. 40r 1.7.1725. Die Schreibung der Namen dieser beiden Kaufleute variiert vielfältig.

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Juden im Wirtschaftsleben

Mannheim676 Völlig ruinirt worden, hingegen ist er dem Meixner [Tuchhändler, nach der Stadt Meißen] Malsen allein über 300 R(eic)h(sta)l(er)“, also 450 Gulden schuldig.677 Sowohl Kreditnehmer wie Kreditgeber gingen also hohe Risiken ein, und eine ruinöse Verschuldung entstand möglicherweise auch in innerjüdischen Geschäftsbeziehungen. Ein anderer Grund wurde 1699 bei dem Bühler Schutzjuden Hirz deutlich. Ihn setzten seine nicht näher angegebenen Gläubiger unter Druck. Er selbst konnte, wie er sich äußerte, eigene Außenstände bei Schuldnern wegen einer Missernte „und sonsten bedrängter Zeiten“ nicht eintreiben.678 Missernten und Kriegszeiten dürften bei vielen Schuldnern von Juden dazu geführt haben, dass sie zahlungsunfähig wurden; darunter litten dann auch ihre Gläubiger. Löw Wertheimer unterhielt in Durbach einen „Kramel“, einen kleinen Handel. 1729 befand er sich wegen seiner Verschuldung in Schwierigkeiten. Seine Gläubiger waren die Kaufleute Rheinboldt und Schubart;679 im Staufenberger Kontraktenprotokoll ist die Rede von Gottfried Schubart und seinen Mitgesellschaftern Rheinbold und Schubart (und ihrer „Compagnie“).680 Als Sitz der Handelsgesellschaft wird Offenburg angegeben,681 aber auch Kehl.682 Das Verhältnis zwischen Gottfried Schubart und seinem Gegenüber Löw Wertheimer war jedenfalls aus der Sicht des amtlichen Schreibers eindeutig. Bei ihrem Zusammentreffen vor dem Amt Staufenberg 1729 wurde Schubart als „Vornehmer Kaufmann“, Löb Wertheimer nur mit seinem Namen verzeichnet.683 Seine Schulden entstanden im Lauf der Zeit durch den Bezug von Waren; schließlich waren es 1733 Gulden.684 Über die vom Amt Staufenberg verhängte Zahlungsfrist beschwerte er sich: Sie sei zu kurz. Der Hofrat kam ihm entgegen. Wenn er seine Schulden auf einmal zahlen müsse, sei er ruiniert; deshalb solle ihm das Amt beim Einzug seiner eigenen Forderungen helfen, falls er, wie er behauptete, wirklich Außenstände habe.685 676 Der genannte Bruder von Joseph Jacob dürfte mit Moyses Jacob identisch sein. Zu ihm siehe S. 167, S. 169 u. ö. 677 GLAK 74/3711, Amtmann Johann Heinrich von Harrandt an die Hofkammer, 8.2.1721. 678 GLAK 61/129 HR 7.2.1699. 679 GLAK 61/157 HR 5.5.1729. 680 GLAK 61/5556, Amt Staufenberg, Durbach, Kontraktenprotokoll 1727 bis 1749, 31.3.1729, S. 44–48. Schwanke, Fremde in Offenburg, S. 178 Anm. 341 spricht von Kaufmann Reinhold Schubart und seiner Kompanie. 681 GLAK 61/157 HR 5.5.1729. Offenburg gibt auch Schwanke, Fremde in Offenburg, S. 178 Anm. 341, an. 682 GLAK 61/5556, Amt Staufenberg, Durbach, Kontraktenprotokoll 1727 bis 1749, 31.3.1729, S. 44–48. 683 Ebd. 684 Ebd. 685 GLAK 61/157 HR 5.5.1729.

Im Ladengeschäft 

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Löw Wertheimer erkannte seine Schulden an und versprach die Rückzahlung, wenn er akzeptable Termine erhalte. Zuerst forderten die Gläubiger drei Raten von 100 Reichstalern jährlich, reduzierten sie dann aber auf 70. Für den Fall, dass er weiterhin von den Gläubigern Waren beziehen wolle, müsse er die Bezahlung innerhalb von sechs Monaten und die Verzinsung zusichern. Löw Wertheimer bezahlte einen Teil seiner Verpflichtungen mit Wein, und er erklärte sich bereit, sein Haus und seinen ganzen Besitz zu verpfänden, um dem Konkurs zu entgehen. Die Abzahlung seiner Schulden fiel ihm schwer. 1732 bat er wieder um einen Aufschub der Zahlung, da er sonst seinen Handel nicht mehr weiterführen könne.686 Der Krieg kam hinzu. 1736 supplizierte Wertheimer wegen einer Hilfe beim Wiederaufbau seines Hauses, das französische Truppen 1734 oder 1735 in Brand gesteckt hatten; zugleich bat er um einen Nachlass der Admodiationsgebühr, die er für den Tabakverkauf bezahlen musste. Die Hofkammer empfahl ein Entgegenkommen. „Untertanen“, wohl christliche, hätten Holz aus dem staatlichen Besitz erhalten für den Bau ihrer Häuser.687 Der Geheime Rat folgte dem Vorschlag des Hofrats, unterschied aber auch: Die Gebühr für den Tabakhandel könne um die Hälfte auf 5 Gulden gesenkt werden, Holz solle Löw Wertheimer aber nicht bekommen, „wegen der üblen folg [vermutlich: weil andere Gesuche um Hilfe folgen würden], und da ohnehin kein Holz vorhanden.“688 Lazarus Mayer von Friesenheim, unterstützt vom Amt, supplizierte 1768, um einen „Anstandsbrief“ zu erhalten, ein Moratorium für die Bezahlung seiner Schulden. Die Regierung legte daraufhin ihre Auffassung dar: Das Amt solle sich bei den Gläubigern Mayers für eine längere Zahlungsfrist einsetzen; es könne dabei auf die schlechte Ernte des Vorjahres als einen Grund für seine Schwierigkeiten hinweisen. Es müsse zudem darauf achten, dass der „Landskredit“, die Verschuldung bei Gläubigern aus der Markgrafschaft, besonders berücksichtigt würde.689 Ähnlich wie bei Löw Bodenheimer690 bemühte sich die Regierung so um Hilfe für einen verschuldeten Schutzjuden. Das zielte, wenn der Konkurs abwendbar erschien, auf die Wahrung der Interessen von Gläubigern, vor allem derer in der Markgrafschaft. Die Verschuldung vieler Juden im Handel zeigt, dass dieser Wirtschaftsbereich für arme Schutzjuden keine Erfolgsgarantie bedeutete. Selbst wenn wie bei Löw Bodenheimer ein Laden oder ein Handel in einer Familie über Jahrzehnte existierte, gelang der der Ausgang aus der Verschuldung oft nicht. 686 GLAK 61/160 HR 22.1.1732. 687 GLAK 61/273 HK 6.1.1736. 688 GLAK 61/29 GR 8.2.1736 Nr. 13. 689 GLAK 61/210 HR 2.5.1768 Nr. 789 . 690 Zum Verhalten der Regierung bei der Verschuldung Löw Bodenheimers siehe S. 230f.

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Juden im Wirtschaftsleben

4.4.6  Der Laden als Ausweg aus der Armut Nicht immer war es klar gewesen, dass ein Schutzjude einen Laden betreiben konnte. 1685 bat „Jonas Jud von Kuppenheim“ um die Erlaubnis, „Kaufmannschaft“ zu betreiben. Die Hofkammer schlug ihm dies „aus gewissen ursachen“ ab,691 ohne die Gründe genauer anzugeben. Wenn Jonas die Erlaubnis zur „Kaufmannschaft“ haben wollte, ging es ihm um mehr als eine Handelserlaubnis, die er mit dem Schutz bereits hatte. Er wollte wohl einen Laden errichten – seinen Plan könnte Rücksicht der Regierung auf die Interessen der christlichen Krämer zunichte gemacht haben, wie es anfangs bei Moyses gewesen war mit seiner Absicht, in Rastatt einen Laden zu betreiben.692 Der Bühler Judenschultheiß Joseph Jacob hatte nach dem Bericht des Amtmanns von 1706 „einen Kramladen“ und führte „Kaufmannswahren“, und der Amtmann hob auch hervor, wie sich Joseph von anderen Bühler Schutzjuden unterschied: Er führe neben dem, „was die Juden sonsten pfleegen zue traficiren [Handel zu treiben]“, auch „Silber, Zinn, mesKupfer“. In Bühl besaß um 1700 auch Mathias Schweitzer ein Ladengeschäft, das sein „Ladendiener“ führte.693 Er selbst lebte zu dieser Zeit in Rastatt; 1706 hatte er in seinem Haushalt ebenfalls einen „Ladendiener“, betrieb also auch hier einen Kramladen.694 Salomon Moyses, der Neffe und Schwiegersohn von Joseph Jacob und zuerst sein „Ladendiener“, besaß – für 1715 nachweisbar – zusammen mit seinem Schwiegervater in Ettlingen einen Laden, und er hatte ebenfalls einen „Kramdiener“.695 1721 berichtete das Amt Ettlingen von Seligmann Isaac, der „einen schönen Tuch und Zeugkrahm“ besaß;696 nach dem Bericht des Malscher Amtskellers vom gleichen Jahr hatte Abraham „einen kleinen Kram“, also wohl einen kleinen Kramladen.697 Ladenbesitzer oder -betreiber zu sein, sagte also nicht unbedingt etwas über den sozialen Status aus; in der Mehrzahl der genannten Fälle besaßen die Ladenbesitzer jedoch ein größeres Vermögen und besetzten Ämter innerhalb der örtlichen oder regionalen Judenschaft. Moyses war in der Lage, in Bühl ein Haus zu kaufen, ähnlich andere wie Joseph Jacob.698 Dieser, Mathias Schweitzer und Salomon Moyses waren zeitweise Schultheißen.699

691 GLAK 61/226 HK 4.1.1685. 692 Zu Moyses Wechsel nach Bühl siehe S. 227. 693 GLAK 74/3711, Amtmann Harrandt an die Hofkammer, 12.6.1706. 694 GLAK 74/3711, Amtsschreiber Baumeister an die Hofkammer, 6.7.1706. 695 GLAK 61/143 HR 6.6.1715. 696 GLAK 74/3711, Amtmann Schweinhuber an die Hofkammer, 4.2.1721. 697 GLAK 74/3711, Amtskeller Campanus an die Hofkammer, 6.2.1721. 698 Zum Hauskauf von Moyses siehe S. 227 und S. 296, zu Joseph Jacob S. 297ff. u. ö. 699 Zu Joseph Jacob, Matz Schweitzer und Salomon Moyses als Schultheißen siehe S. 406ff.

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Einzelne Güter, die Schutzjuden in ihren Kramläden anboten, werden erkennbar, wenn Konflikte darüber entstanden, welche Waren Schutzjuden verkaufen dürften. Löw Wertheimer in Durbach supplizierte im Sommer 1721 wegen der Erlaubnis für den Verkauf von Tabak und Nägeln in seinem Kramladen, was ihm zunächst untersagt worden war.700 Als er wegen seiner Schulden in Schwierigkeiten kam, wurde bei ihm Wein beschlagnahmt;701 dass er in einer Gegend mit vielen Rebbauern Wein als Entgelt für seine Kramwaren annahm, ist wahrscheinlich. Was manche arme Juden in ihrem „Kram“ anboten, galt als „Lumpenware“, als Ware ohne Wert und als Waren von Betrügern, wie die der Juden in Kuppenheim. Einen Kramladen zu führen, lohnte sich eher an einem größeren Ort. In seinem Bericht von 1721 sprach der Ettlinger Amtmann von einem „Meyer Jud“. Dieser handle mit Vieh, habe auch „darbey Einen Kleinen Krahm, sonstiges gutes Vermögen und zu Malsch Ein schönes Haus und garten und allhier Ein großen Hausplatz den er per 1400 fl(orin) angenommen.“702 Meyer war Mayer Malsch, der um 1721 zahlreiche Lieferungen für den Hof übernahm.703 Wie Mathias Schweitzer von Bühl nach Baden-Baden, dann nach Rastatt zog, wie Joseph Jacob von Bühl für eine Zeitlang nach Ettlingen wechselte und dort einen Laden führte, verlegte auch Mayer seinen Lebens- und Arbeitsort von Malsch nach Ettlingen, in einen städtischen Ort. In den Angaben des Ettlinger Amtmanns Schweinhuber schwingt Anerkennung mit: Der Garten, das ansehnliche Haus im dörflichen Malsch und der teure Hausplatz in der Nähe des Schlosses in Ettlingen sind wohl Indizien für einen gehobenen sozialen Status; darin und in seiner ökonomischen Situation unterschied sich Mayer Malsch (und die anderen Ettlinger Juden) deutlich von den Schutzjuden etwa in Kuppenheim. Bei Joseph Jacob und Mayer Malsch führte dieser Weg über den Handel mit Ladenwaren hinaus: Beide übernahmen Lieferungen an oder für den Hof, anders als Mathias Schweitzer vor ihnen mit landwirtschaftlichen Produkten. Im Februar 1721 beschrieb der Bühler Amtmann Johann Heinrich von Harrandt die wirtschaftlichen Verhältnisse der Brüder Isaac und Mayer Bodenheimer so: Sie hätten, „Wie Bekannt, Einen Krahm Laden“, mit „Tuch – Zeug und Dergleichen“,704 einen spezialisierten Handel. 15 Jahre zuvor hatte der Amtmann Isaac und Mayer, damals noch nicht mit einem zweiten Namen genannt, als Betreiber des Ladens von Mathias Schweitzer angeführt.705 Für Isaac Bodenheimer ging der Weg weiter bis zum Oberschultheiß der markgräflichen Schutzjuden; 700 GLAK 61/149 HR 9.9.1721. 701 GLAK 61/157 HR 5.5.1729. 702 GLAK 74/3711, Amtmann Schweinhuber an die Hofkammer, 4.2.1721. 703 Zu Mayer Malsch als Hoflieferant siehe S. 169ff. 704 GLAK 74/3711, Amtmann Johann Heinrich Harrandt an die Hofkammer, 8.2.1721. 705 GLAK 74/3711, Amtmann Johann Heinrich Harrandt an die Hofkammer, 12.6.1706.

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Juden im Wirtschaftsleben

sein Handel entwickelte sich so, dass er als Basis für den Aufstieg an die Spitze der Landjudenschaft ausreichte.706 Abraham Seligmann in Ettlingen war ebenfalls erfolgreich. Der Amtmann Anton Schweinhuber gab 1721 seinen Vieh- und Eisenhandel an, nannte aber an erster Stelle seinen „schönen Tuch und Zeug-Krahm“ und verwies resümierend auf ein „gutes Vermögen und schönes Haus“.707 Als Abraham Seligmann 1723 mit der Regierung in einen Konflikt geriet über die Bezahlung von Akzise für Waren, die er von Frankfurt bezog, beschloss er den Schutz aufzugeben und nach Karlsruhe zu ziehen.708 Ähnlich verhielt sich der Ladenbesitzer Seligmann Isaac. Als er mit dem Plan der Eisenadmodiation scheiterte, zog er ebenfalls nach Karlsruhe.709 Der „offene Laden“ in der Markgrafschaft war, soweit die Archivalien einen Blick in ihn hinein zulassen, zunächst ein Ort des kleinen Handels, mit wenigen Waren, oft eher geringen Werts und am Rand einer ländlichen Existenzmöglichkeit wie bei Jonas in Kuppenheim oder Löw Wertheimer in Durbach. Das Geschäft entwickelte sich in manchen Fällen mit einer Anreicherung oder Spezialisierung der Waren, etwa im Tuchhandel, eher an einem größeren Ort, einem Marktflecken oder in einer Kleinstadt. Dort setzten sich jüdische Krämer neben den nichtjüdischen Konkurrenten durch. Einige Kramladenbesitzer wie Schmaul handelten weiter mit Vieh und agrarischen Produkten; zu diesem Handel gehörte das Hausieren. Der Laden wurde manchmal zum Ausgangsort für Lieferungen an den Hof (oder für solche in seinem Auftrag) und für die Admodiationen, den ländlichen Monopolhandel. Das brachte Mobilität mit sich, bis zum Besuch der Messestadt Frankfurt, manchmal auch die Verlegung des Wohnsitzes in eine nahe Stadt wie bei Mayer Malsch. Manchmal, bei häufiger Abwesenheit, wurde der „Ladendiener“ nötig, ein Zeichen für zunehmenden Erfolg. Der Sohn, der Schwiegersohn oder der Bruder konnten diese Rolle übernehmen. Manchmal bekam der „Ladendiener“ die Chance, Nachfolger zu werden. Unter diesem Aspekt, mit Blick auf die räumliche und soziale Mobilität des erfolgreichen Ladenbesitzers, auch die vom Rand ins Zentrum des Lebensorts,710 und mit Blick auf die Erfolgschancen wurde der Laden bisweilen zum Ausgangsort aus der ländlichen Armut, ein Ort, an dem der Handel über Jahrzehnte hinweg Dynamik gewann. Abraham Seligmann und Seligmann Isaac überwanden Einschränkungen, indem sie die ländliche Kleinstadt als Lebensort aufgaben und die nahe Residenzstadt 706 Zum Aufstieg Isaac Bodenheimers zum Oberjudenschultheiß siehe S. 424ff. 707 GLAK 74/3711, Amtmann Schweinhuber an die Hofkammer, 4.2.1721. 708 GLAK 61/259 HK 5.11.1723. 709 Zu Seligmann Isaac siehe S. 214 (Eisenhandel), S. 242 (Wechsel nach Karlsruhe) u. ö. 710 Zum innerörtlichen Wechsel in die Nähe des Zentrums siehe die Beispiele von Isaac in Ettlingen sowie Joseph Jacob und Isaac Bodenheimer in Bühl, zu Isaac S. 303f., zu Joseph Jacob S. 297ff. und S. 426 zu Isaac Bodenheimer.

Im Ladengeschäft 

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von Baden-Durlach vorzogen. Neben dem Erfolg gab es jedoch auch, wie in der Familie Bodenheimer in Bühl, ein Auf und Ab und wirtschaftliches Scheitern. Die zunehmende Dynamik im Handel ist ein Ergebnis der Entwicklung auf den Märkten.711 Produzenten und Verbraucher brauchten immer mehr den Handel, gerade für Waren, die nicht „vor Ort“ hergestellt wurden. Joseph Jacob, aber auch die anderen jüdischen Handelsleute, erkannten diese Veränderung. Weg vom Geldverleih, an dem Joseph Jacob noch in geringem Umfang teilnahm, weg vom Trödelhandel, hin zum Ladengeschäft und zum Handel und den Admodiationen in der Nähe des Hofes – so reagierten die Schutzjuden, die einigermaßen solvent waren und über Kredit verfügten. Joshua Uffenheimer und andeutungsweise auch Löw Bodenheimer schickten sich an, aus dem Handel heraus den Schritt zur Protoindustrie zu tun. 4.4.7  Ansprüche auf Gleichheit mit den christlichen Krämern? Dürfen Juden mit Spezereien handeln? 1746 supplizierten mehrere Schutzjuden kurz nacheinander wegen der Erlaubnis, an Sonn- und Feiertagen ihre Kramläden zu öffnen, wie es auch Christen taten. Zuerst lag dem Hofrat die Einzelsupplik Abrahams von Malsch vor,712 drei Tage später eine gemeinsame Supplik von Mayer Bodenheimer, Elias Schmaul und Herz Samuel in Bühl.713 Der Rat legte darauf fest, dass die „Judenordnung“ mit dem Handelsverbot an Sonn- und Feiertagen nicht für solche Produkte gelten solle, deren Kauf dringend nötig war; ausgenommen blieben die Waren, die „mit der Elle gemessen“ wurden, also vor allem Stoffe.714 Diese Anordnung galt für Juden und Christen; beide Gruppen von Krämern erhielten die Anweisung, den Verkauf zur Zeit des Gottesdienstes möglichst zu vermeiden.715 Auf die Supplik der jüdischen Krämer aus Bühl hob der Rat hervor, dass die Schutzjuden hier, beim Verkauf an den Sonntagen, mit den christlichen Krämern gleichgestellt werden wollten – die Regierung nahm also wahr, dass die Schutzjuden auf mehr Gleichheit oder Gleichbehandlung aus waren. Was im Detail der Öffnungszeiten gelang, die Gleichstellung mit den christlichen Krämern, führte im Bereich des Handels mit Spezereien zu einer langen und verwickelten Auseinandersetzung. In diesem Handel mit Waren wie Kaffee, 711 Zur Entwicklung des Handels einschließlich des Hausierhandels Robert Liberles, An der Schwelle zur Moderne 1618–1780, in: Kaplan (Hg.), Geschichte des jüdischen Alltags, S. 83–86. 712 GLAK 61/175 HR 23.8.1746 Nr. 26. 713 GLAK 61/175 HR 26.8.1746 Nr. 32. 714 Ebd. 715 GLAK 61/175 HR 23.8.1746 Nr. 26.

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Juden im Wirtschaftsleben

Tee und Gewürzen lassen sich Kontinuitäten und Brüche über mehr als fünfzig Jahre verfolgen. Eine der ersten erkennbaren wirtschaftlichen Aktivitäten Hayum Flörsheims bestand darin, dass er nicht näher angegebene Spezereien an den Hof in Rastatt lieferte.716 Der Hofjude Mathias Schweitzer hob seine Lieferungen hervor, als er 1716 die Markgräfin um die Bezahlung seiner Forderungen bat: „Lange Jahr hindurch“ habe er an die Hofküche Spezereien verkauft.717 Auch andere Schutzjuden wie Salomon in Bühl handelten mit diesen Waren, allerdings wohl im Hausierhandel.718 Lazarus Raphael, der Sohn des 1750 gestorbenen Oberschultheißen Raphael Jacob, supplizierte Ende Januar 1754 wegen der Erlaubnis, in Rastatt einen Laden für Tuch, Kleider und auch Spezereien einzurichten.719 Der Bericht, den Amtmann Louis Hornus vorlegte, kam ihm nur ein Stück weit entgegen: Lazarus Raphael könne „mit Tuch, Cardon, und kurtzen Waaren“720 handeln, aber gegen den Verkauf von Spezereien sprach sich das Amt aus. Entsprechend entschied die Regierung.721 Ob es die Supplik von Lazarus Raphael war, die zu einer weiteren Reaktion der Regierung führte, lässt sich nicht eindeutig feststellen. Vielleicht hatte sie ihre Haltung schon vorher verändert, und zwar für das vom baden-badischen Kernland weit entfernte Amt Sprendlingen. Dort supplizierten die Schutzjuden nämlich im Januar 1753 wegen der Erlaubnis für den Verkauf von Spezereien.722 Die Regierung genehmigte diesen Handel.723 Wie zu erwarten versuchten die christlichen Krämer ihr Privileg zu verteidigten; der Geheime Rat aber ließ sie „zur ruhe verweisen.“724 Jedenfalls verlangte die Regierung 1754, schon einen Monat nach der Entscheidung über die Bittschrift von Lazarus Raphael, Informationen der Ämter darüber, in welcher wirtschaftlichen Situation sich die Schutzjuden mit Ladengeschäften befanden und wie sie besteuert wurden. Amtsvorstand Johann Jacob Hoffmann in Bühl stellte Umfang und Bedeutung des Handels der dortigen Juden als nicht sehr wesentlich dar. Zu ihrer Besteuerung führte er aus, dass sie das Aufnahme- und Schutzgeld entrichteten, aber sonst im Handel nicht mehr als die normale Akzise von 2 Kreuzer pro Gulden des Warenwertes. Darauf verlangte 716 Zur Lieferung von Spezereien durch Hayum Flörsheim an den Hof siehe S. 19. 717 GLAK 74/6982, Matz Schweitzer an Markgräfin Sibylla Augusta, 6.3.1716. 718 Zum Konflikt wegen des Verkaufs von Spezereien durch Salomon siehe S. 267. 719 GLAK 61/311 GRATP 1.2.1754 Communicanda Nr. 3. 720 „Kurze“ Waren: Im Unterschied zu den „langen“ Waren wie Stoffe, die „gemessen“ wurden, „kleine“, gewogene oder gezählte Waren, z. B. Knöpfe. 721 GLAK 61/311 GRATP 13.2.1754 Communia Nr. 1. 722 GLAK 61/182 HR 9.1.1753 Nr. 24. 723 GLAK 61/182 HR 22.3.1753 Nr. 1. 724 GLAK 61/182 HR 4.5.1753 Nr. 13.

Im Ladengeschäft 

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die Hofkammer von den Ämtern Vorschläge, wie Juden mit Ladengeschäften im Vergleich mit christlichen Ladeninhabern steuerlich behandelt werden sollten.725 Amtmann Louis Hornus in Rastatt schlug für sie die gleiche Besteuerung wie für die Christen vor. Er ging noch weiter: Da die Juden keine Fron leisteten, könnten sie eigentlich mit einer weiteren Steuer belegt werden, entsprechend ihrem Vermögen.726 Amtskeller Holtzing berichtete aus Malsch, dass dort die Witwe des alten Abraham „einen kleinen Krahm Laden von etwas Flor [dünnes Gewebe, Tuch], Bändel, ½ Pfund zimber [Zimt] und pfeffer, ad höchstens 9  fl(orin) werth“ [mit einem Warenwert von höchstens 9 Gulden] betreibe;727 er sah wohl kaum die Möglichkeit zu einer weiteren Besteuerung. Das Oberamt Mahlberg gab an, dass dort drei Schutzjuden einen Laden führten: Josua Uffenheimer, Marx Weil und Hirschel Levi. Sie könnten aber kaum mit einer neuen Steuer belastet werden, weil sie „von dasigen unterthanen schier gar nichts erlösen, Ersterer auch statt des accises [statt der Akzise, der Warensteuer,] annuel [jährlich] 30 fl(orin) pro Recognitione [als Gebühr zur „Anerkennung“] nicht allein abrichte, sondern auch durch dessen ein- und wieder verführende Comißsiongüther [durch Ein- und Ausfuhr von Gütern im Auftrag anderer] den Zoll zimbl(ich) vermehrete.“728

Die beiden Berichte aus den Oberämtern Rastatt und Mahlberg enthielten also gegensätzliche Vorstellungen über die fiskalische Nutzbarkeit der Schutzjuden. Während Louis Hornus die Juden als weiter belastbar ansah, auch zu ihrem Nachteil, damit eine – aus seiner Sicht – Art von Gleichbehandlung mit den christlichen Einwohnern zu überlegen gab, sah das Oberamt Mahlberg eine zusätzliche Belastung der Ladeninhaber als nicht gerechtfertigt an. Sie würden ihre eigentlichen Gewinne nicht bei Kunden aus dem Amt machen, sondern bei Kunden von außerhalb der Markgrafschaft, und zumindest Uffenheimer bringe dem Land durch seine Akzisepauschale und durch Zoll einigen Gewinn. Vielleicht waren es solche gegensätzlichen Vorstellungen, die weitere Pläne über eine neue Steuer verhinderten. Die Frage des Ladenhandels durch die Schutzjuden wurde 1757 wieder aktuell. Im März des Jahres legten sie eine Reihe von Beschwerdepunkten, vertreten durch ihre vier Anwälde, beim Hofrat vor. Eine Kommission zur Untersuchung der Beschwerden wurde eingesetzt, zu deren Leiter am 13. April 1757 Hofrat Johann Jacob Knoodt bestimmt.729 725 GLAK 61/291 HK 15.3.1754 Nr. 14. 726 GLAK 61/291 HK 29.3.1754 Nr. 23. 727 GLAK 61/291 HK 19.4.1754 Nr. 38. 728 GLAK 61/291 HK 26.4.1754 Nr. 6. 729 GLAK 61/186 HR 24.3.1757 Nr. 28 und GLAK 61/186 HR 14.4.1757 Nr. 17. Zur Beschwerde der baden-badischen Judenschaft und zum Gutachten des Hofrats Knoodt Zehnter, Juden in der Markgrafschaft Baden-Baden, in: ZGO 50 (1896), S. 394–396.

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Eine der Beschwerden bezog sich auf Behinderungen beim Handel mit Spezereien, und zwar in Bühl und Ettlingen: Dort würde den Schutzjuden der Verkauf dieser Waren erschwert, sogar untersagt, weil sie keine ausdrückliche Erlaubnis dazu hätten. Dieser Handel sei ihnen aber durch die „Judenordnung“ nicht verboten. Dabei gingen die Schutzjuden auch auf die Gründe für ihre Schwierigkeiten ein. Sie schrieben: „Dieses Anmaßen [das Verbot des Spezereihandels wohl durch die Ämter] entstehe aus denen aigen Nützigen Absichten derer in selben neben örthern wohnenden Crähmeren, welche sothane waaren um ein merkliches übersetzte(n) [überteuerten] weilen Sie nicht gestatteten, dass ein anderer solche führte. Wann ihnen Juden in diesem ihnen von g(nä)d(i)gster Herrschaft unverbottenem Handel von selben leuthen keine unstatthaften Hindernuß in Zukunft gemacht würde, könnte man oben besagte waaren an dergl(eichen) orthen in wahren und billigen [zum wirklich angemessenen und billigen] Preis kaufen, und g(nä)d(i)gster Herrschaft würde auch einen größeren accis ziehen, der ihr aber anjetzo entgehe. Sie bitten also unt(ert)hänigst g(nä)d(i)gster befehl zu erlassen, dass ihnen hinführo bey Verkaufung derer Specereyen von denen land Krähmeren keine unbefugte Hindernus gemacht werde, und besonderlich die Ämter Bühl, und Ettlingen g(nä)d(i)gst anzuweißen, das Sie ihnen wider derley anmasliche Verbiethung den Herrschaftlichen g(nä)d(i)gsten Schutz widerfahren lassen sollten.“730

Ihre Beschwerde richteten die Schutzjuden gegen die „Landkrämer“ in der Nachbarschaft von Bühl und Ettlingen, die sie, die Schutzjuden, im Handel mit Spezereien behinderten, um so Konkurrenz fernzuhalten. Den Verbrauchern würden damit aber niedrige Preise, der Regierung höhere Steuern entgehen. Deshalb sollte die Regierung die Ämter anweisen, keine weitere Behinderung vorzunehmen oder zuzulassen. Die Beschlussvorlage der Kommission unter Leitung von Hofrat Knoodt lag dem Ratskollegium am 3. November 1757 vor. Ihr Passus über den Handel mit Spezereien lautete: „Daß ad 16. [zum 16. Beschwerdepunkt] ihnen [den Schutzjuden] zu Bühl und Ettlingen verbotten werden wolle, ohne Special gn(ä)d(i)gsten consens [ohne besondere Einwilligung des Markgrafen bzw. der Regierung] Specereien als Caffe, the, Zucker, Zimmet etc zu verkaufen, dieses finde in keiner Verordnung, auch sonsten keine Ursach, weswegen ihnen dieser Handel nicht gestattet werden solte. Denen Ämtern stehet allzeit [...] frei, diese Waaren bei Juden und Christen, wann sich ein Verdacht wegen deren Ächte oder Unächte [wegen einer Verfälschung der Waren] wider jemand äuseren solte, zu visitiren [besehen, prüfen], um die fehl-gefundene(n) zu strafen [um die zu bestrafen, die mit verfälschten Waren handeln].“731

730 GLAK 74/3741, „Actum Rastatt“, 3.5.1757, Fortsetzung vom 5.5.1757. 731 GLAK 74/3741, „Votum“, Präsentationsvermerk vom 3.11.1757, § 67.

Im Ladengeschäft 

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Zwei Aspekte in dieser Äußerung Knoodts sind auffallend. Die Anwälde hatten das Eigeninteresse der christlichen Krämer als Grund für ihre Schwierigkeiten betont. Darauf ging Knoodt nicht ein. Er stellte anderes heraus: Es gebe keine rechtliche Norm, die den Schutzjuden den Verkauf von Spezereien verbiete, aber auch keinen anderen Grund. Die Möglichkeit der betrügerischen Verfälschung dieser Waren hielt er bei Christen und Juden für denkbar, aber dagegen gebe es staatliche Kontrollen und Sanktionen. Knoodt und die ihm folgenden anderen Kommissionsmitglieder vollzogen damit eine Art moralischer Gleichstellung von Juden und Christen: Beide Gruppen kamen in Betracht, Spezereien zu „verfälschen“. Entsprechend eindeutig fiel die Entscheidung aus: Der Hofrat befahl den Ämtern Bühl und Ettlingen über ein eventuell ergangenes Verbot des Spezereihandels zu berichten und darüber, ob alle Juden gleichermaßen die Erlaubnis hätten, einen Kramladen zu führen.732 Aus Ettlingen antwortete Amtmann Dürfeld, dass er von einem Verbot nichts wisse. Er unterstrich sogar seine für die Juden günstige Haltung: Diejenigen, die Handel trieben, müssten Schutzgeld und zusätzlich die Warenakzise zahlen. Gerade deshalb befürworte er für die jüdischen Krämer die Erlaubnis, auch Spezereien zu verkaufen. Zur Notwendigkeit, für einen Kramladen eine besondere Erlaubnis des Markgrafen einzuholen, äußerte Dürfeld, dass er darüber keine Informationen habe. Das komme daher, dass in seinem Amt keiner der Schutzjuden einen Laden betreibe; sie würden „mit anderer Handelsschaft sich ernähren.“733 Ausführlicher antwortete einen Tag später der Bühler Amtmann. Er teilte zunächst mit, wie es sich mit dem Gesuch um Genehmigung des Handels mit Spezereien verhalte, nämlich „daß Einer von hiesigen Schutz Juden, Löwel, schon vor geraumer Zeith mir zu Erkennen gegeben, wie Er gesinnet wäre, Ein Specerey Laden auf zu richten, worauf ich demselben gemeldet, daß sich dergleichen Laden zu führen für Einen Juden nicht schicken würde, auch dehm nach niemahl beschehen wäre, und dieses ist alles, waß mir von der Juden gesuch bekannd ist.“

Zunächst klärte der Amtmann also, was er Löw Elias gegenüber zu dessen Vorhaben geäußert habe, nämlich dass die „Schicklichkeit“ und deren gewohnheitsrechtliche Beachtung, die Observanz, einem Handel mit Spezereien für Juden widersprächen. Dann erweiterte er seine Vorbehalte. Hierbei ging es zunächst um die Lebensmittel, die christliche Verbraucher bei Juden nicht kaufen sollten, etwa Stockfische und andere Lebensmittel in kleinen Mengen, aber auch speziell Gewürze. Für diese Produkte sah Hoffmann die Gefahr der „Verfälschung“ bei jüdischen Krämern, zumal Gewürze meistens gemahlen gekauft würden. Dann sprach er von den Interessen der christlichen Handelsleute: Sie litten unter der 732 GLAK 74/3741, Hofrat an die Ämter Bühl und Ettlingen, 3.11.1757. 733 GLAK 74/3741, Amtmann Dürfeld an Markgraf Ludwig Georg, 8.11.1757.

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Konkurrenz jüdischer Krämer deshalb, weil sie anders als diese nicht auch noch neben Spezereien und „kurtzen wahren“ Stoffe verkauften. Jüdische Handelsleute seien dazu, nach der Argumentation Hoffmanns, steuerlich weniger belastet als die christlichen Krämer. Diese müssten der Zunft eine Aufnahmegebühr zahlen und würden bei den Steuern einschließlich der Sondersteuern mit ihren Läden einbezogen, die jüdischen Krämer nicht.734 Die Argumentation Hoffmanns bestand also in „Schicklichkeit“ und Observanz, vor allem in der stereotypen „Schädlichkeit“ der Juden durch „Warenverfälschung“. Sein Plädoyer für die christlichen Krämer verbarg deren Interessen keineswegs: Ihre ökonomischen Interessen wurden deutlich ausgesprochen. Was sich in der Frage des Verkaufs von Spezereien durch Juden verändert hatte, wird deutlich, wenn man die vorhergehenden Auseinandersetzungen über den Handel mit Spezereien hinzuzieht. Moyses Schweitzer und Hayum Flörsheim waren mit der Lieferung von Spezereien an den Hof auf keine Schwierigkeiten gestoßen, möglicherweise deshalb, weil ihre Lieferungen die übrigen Krämer nicht beeinträchtigten. Salomon in Bühl verkaufte Spezereien auf dem Markt oder beim Hausieren; gegen ihn wurde die Observanz angeführt und die Gefahr der Warenverfälschung. 1737 berief sich die Hofkammer auf die „Schicklichkeit“, als sie die Lieferungen von Spezereien für den Hof durch Moyses Joseph Sulzbacher prüfte, auch die Furcht vor einer Übervorteilung kam ins Gespräch.735 Jetzt, im Jahr 1757, reichte diese Argumentation allein nicht mehr, um den Spezereihandel von Schutzjuden zu diskreditieren. Die Kommission unter der Leitung Hofrat Knoodts und anschließend das Hofratsgremium selbst wollten von einer Einschränkung des Handels nichts mehr wissen. Für sie existierte keine gesetzliche Norm; und „Schicklichkeit“, Observanz und „Schädlichkeit“ der Juden genügten jetzt nicht mehr. Diese Vorstellungen waren in der Zeit um 1711 und noch in den 30er Jahren verwendet worden, im Zuge der verstärkten antijüdischen Haltung am Hof. Daran hatte sich der Bühler Amtmann orientiert, aber damit eine Linie vertreten, die jetzt nicht mehr die der Regierung war. Seine Position entsprach einer gedanklichen Nachhut aus einer judenfeindlichen Vergangenheit, die den Kontakt zur Gegenwart und ihrer Argumentationsweise verloren hatte. Die neue Argumentation entsprach der von Hofrat Knoodt. Dieser Jurist war nach einem Praktikum am Kammergericht Wetzlar und als Regierungsadvokat bei der kurtrierischen Regierung in Koblenz736 1756 zum Hofrat berufen worden.737 Seine Stellungnahmen weisen aus, dass er die rechtlichen Verhältnisse zugunsten der Schutzjuden entwickeln wollte: Sowohl in der Frage der Nach734 GLAK 74/3741, Amtmann Johann Jacob Hoffmann an Markgraf Ludwig Wilhelm, 9.11.1757. 735 Zu den Verhandlungen mit Moyses Joseph Sulzbacher siehe S. 183f. 736 GLAK 76/4336, Hofrat Knoodt an Markgraf Ludwig Georg, 28.8.1755. 737 GLAK 76/4337, Markgraf Ludwig Georg an den Hofrat, 29.5.1756.

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lassregelungen wie der innerjüdischen Konfliktregelung plädierte er dafür, den Schutzjuden entgegenzukommen.738 Allerdings endete seine Tätigkeit als Hofrat 1761, als er Syndikus der Stadt Köln wurde.739 An ihm ist sichtbar, wie sich nun die markgräfliche Regierung und Teile der Verwaltung selbst wahrnahmen, nämlich in einer Lösung von Vorurteilen und in der Annäherung an die Ideen der Aufklärung: Ausdrücklich führten Knoodt und die übrigen Hofräte an, dass Juden „bei aufgeklärten Zeiten“ „mit mehrerer Menschlichkeit begegnet“ würde.740 Das Ratskollegium ging im Folgenden auf die Frage einer zusätzlichen Besteuerung ein. Am 15. November 1757 lag ihm die Information des Amtes Bühl vor, „dass die daselbige Juden“ bereits Spezereien verkauften, einschließlich Gewürze; eine besondere Gebühr würden sie dafür nicht entrichten.741 Am gleichen Tag richtete der Hofrat an die Kammer die Frage, ob der Schutzbrief allein schon die Berechtigung einschließe, mit Spezereien zu handeln oder ob dafür nicht eine besondere Rekognitionsgebühr zu erheben sei.742 Die Kammer sprach sich gegen Löw Elias aus: Eine Erlaubnis für den Handel mit Spezereien oder anderen Lebensmittel habe es für Juden nie gegeben; sie sei „contra decorem et consuetudinem [gegen Anstand, Ehre und Überlieferung]“ und würde in den Schutzbriefen in keiner Weise erwähnt.743 Damit brachte auch die Kammer „Schicklichkeit“ und Observanz in die Argumentation und vertrat so die Linie, die der Bühler Amtmann eingeschlagen hatte. Der Hofrat sah allerdings die Sachlage noch immer nicht als endgültig geklärt an, sondern verlangte vom Oberamt Mahlberg einen zusätzlichen Bericht, allerdings mit dem Hinweis, dass die „Judenordnung“ kein Verbot für den Spezereihandel für jüdische Krämer enthalte.744 Oberamtmann Dyhlin hielt sich kurz: Vor langer Zeit habe es einmal ein Verbot für Juden gegeben, Christen Lebensmittel zu verkaufen. Jedoch: „Von diesem Verbott ist aber längstens abgegangen worden und davon under dem Volkh nichts mehr bekandt. An ein Verbott das(s) Juden keinen Thée, Cafée, Zucker, Zimmt etc. verkaufen sollen(,) kan(n) in hiesigem Oberamt so weniger gedacht werden, als darinnen kein einziger Christen Crämer anseßig ist, und mann dortig Specereyen, wenn solche nicht in der Nachbahrschaft oder sonst auswärthig kaufet, nirgends anderswo als bey denen in der Herrschaft angesessenen Juden findet.“745

738 Zu den Stellungnahmen Knoodts siehe S. 495ff. 739 GLAK 76/4336, Hofrat Knoodt an Markgraf Ludwig Georg, 25.2.1761. 740 GLAK 74/3741, „Votum“, Präsentationsvermerk vom 3.11.1757, § 1. 741 GLAK 61/186 HR 15.11.1757 Nr. 25. 742 GLAK 74/3741, Hofrat an die Hofkammer, 15.11.1757. 743 GLAK 74/3741, Hofkammer an den Hofrat, 22.11.1757. 744 GLAK 74/3741, Hofrat an das Oberamt Mahlberg, 28.11.1757. 745 GLAK 74/3741, Oberamtmann Dyhlin an Markgraf Ludwig Georg, 6.12.1757.

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Juden im Wirtschaftsleben

Dyhlin ging davon aus, dass einmal ein Verbot existierte, es sich aber durch die Entwicklung überlebt habe. Weder sei es noch im allgemeinen Bewusstsein vorhanden, noch sei es im Oberamt Mahlberg aus praktischen und fiskalischen Erwägungen sinnvoll. Der Oberamtmann setzte sich damit über alle Bedenken wegen der „Schicklichkeit“ und Observanz hinweg. Möglicherweise verfolgte er auch die Linie, die sein Amt bereits 1754 verfolgt hatte: Die jüdischen Krämer seien bereits genügend belastet, und ihr Beitrag zum Steueraufkommen rechtfertige es, ihnen entgegen zu kommen.746 In seinem Beschlussvorschlag für den Markgrafen und den Geheimen Rat ließ der Hofrat protokollieren: „Erlauben wir [Markgraf Ludwig Georg] unseren Schuzverwandten Juden g(nä)d(i)gst, Specereien, als Caffé, the, Zucker, Zimmet etc in ihren Läden zu füren und zu verkaufen.“747 Diese Bestimmung fand auch als Artikel 10 Eingang in die Ergänzung zur „Judenordnung“ vom 11. März 1758. Die Schutzjuden, so bestimmte dieser Artikel, waren im Handel mit Krämerwaren „denen Christen gleich“ zu halten.748 „Schicklichkeit“ und Observanz, aber auch die „Schädlichkeit“ galten nicht mehr als Vorstellungen, die ein Verbot des Spezereienverkaufs durch Juden begründeten. Insofern hatten der Plan und die Praxis von Löw Elias, Spezereiwaren zu verkaufen, zu einer veränderten Haltung der Regierung beigetragen. Nach mehr als einem Jahrzehnt stand der Handel mit Spezereien wieder auf der Tagesordnung. Im Juli 1767 reagierte die Regierung auf einen Bericht des Amtes Sprendlingen: Die Schutzjuden hatten dort seit 1753 die Erlaubnis, mit Spezereiwaren zu handeln. Dies, so die Regierung, lasse sich kaum noch rückgängig machen, könne vielleicht nur noch bei Schutzerteilungen als eine Beschränkung auf das „Jüdische Commerce“, den Handel der Juden, durchgesetzt werden.749 Eine klare Anweisung in diesem Sinne an das Amt in Sprendlingen aber unterließ die Regierung. Der Markgraf und der Geheime Rat gaben im August 1767, also in zeitlicher Nähe zur Beratung über den Handel der Sprendlinger Juden, die Richtlinie aus, dass Unterschiede zwischen den Handelsleuten bleiben müssten.750 Was sie damit meinten, lässt sich aus einem Eintrag des Gratialprotokolls vom gleichen Monat erkennen. Als es Gesuche wegen Ladenkonzessionen in Rastatt gab, äußerte sich Hofrat Dyhlin so: Die geplante Unterscheidung zwischen Tuchkrämer und Spe-

746 Zur Haltung des Oberamts Mahlberg siehe S. 245. 747 GLAK 74/3741, Votum, Präsentationsvermerk vom 11.3.1758, § 1. 748 Zitat nach Zehnter, Juden in der Markgrafschaft Baden-Baden, in: ZGO 50 (1896), S. 438. 749 GLAK 61/207 HR 14.7.1767 Diversa Nr. 1319. 750 GLAK 61/208 HR 1.9.1767 Regierungsprotokolle Nr. 1541.

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zereikrämer lasse sich nicht durchführen. Aber der Geheime Rat habe bestimmt, dass doch zwischen den Krämern Unterschiede gemacht werden müssten.751 Ein Jahr später beriet die Regierung erneut über den Handel, als ein Reskript des Markgrafen vorlag. Danach sollten auf Dörfern keine Kramläden erlaubt werden, nur in Ausnahmefällen im grenznahen Bereich als Konkurrenz zu einer Stadt oder einem Handelsort unter fremder Herrschaft oder unter anderen besonderen Umständen. In diesen Fällen müssten aber die Handelswaren je nach Notwendigkeit festgelegt werden. Die zweite Bestimmung zielte auf die Unterscheidung zwischen Tuch- und Spezereikrämer. Die Tuchkrämer sollten nicht mit Spezereiwaren, insbesondere nicht mit Öl, Essig und Branntwein handeln, auch nicht mit Bettzeug, dafür die Spezereikrämer nicht mit Tuchwaren oder den Waren, die generell zur Anfertigung von Kleidung dienen könnten. Alles, was von dieser Unterscheidung nicht geregelt sei, könnten dann alle Krämer anbieten.752 Darauf brach der Konflikt 1769 erneut aus. Das gerade neu eingerichtete „Polizei Amt“ in Rastatt, eine selbstständige Behörde für die Verwaltung der Residenz,753 schrieb an das Amt Bühl: „Bei H(och)fürstlichem Polizei Amt ist zu vernohmen gekommen: daß die beiden Juden Joseph u(nd) Löw Elias zu Bühl eine beträchtliche Quantität Spezereiwaren sich angeschafft haben sollen; da nun S(erinissi)mus noch unterm 12. August a. pr. [anni praesentis oder anni praeteriti, d. h. im gegenwärtigen oder im vergangenen Jahr]754 zu verordnet geruhet, daß auf dem Lande keine Kramläden errichtet werden sollen, es wäre dann Sache: daß im Dorf nahe bei einer auswärtigen Stadt oder Handelsort gelegen; oder besondere Beweggs-Gründe eine Ausnahme erforderten, auch welchem Fall jedoch die Gattung der zu haltenden Waaren blos nach der Nothdurft [Notwendigkeit] zu bestimmen u(nd) hierüber die Bestättigung bei Höchst(fürstlichen) Ser(enissimo) selben einzuholen sey, worüber man zu halten habe – und nun aber bei H(öchst)fürstl(ichem) Polizei Amt von einer diesen beiden Juden von höchsten Orts ertheilt worden seyn sollenden gnädigste Erlaubnis nicht bekannt, vielmehr dagegen geklagt worden ist, u(nd) von S(ere)n(issim)o Regnante [vom regierenden Fürsten] die Bestättigung der Juden-Ordnung vom 11. März 1758 noch nicht nachgesucht worden ist, worauf (sich) die Juden allenfalls berufen dürften. Also beschiehet dem 751 GLAK 61/326 GRATP 26.8.1767 Regierungsberichte Nr. 755. 752 GLAK 61/210 HR 19.8.1768 Rescripta Serenissimi Nr. 1424. 753 Stiefel, Baden 1648–1952, Bd. 1, S. 163. Die Polizeikommission, die auch als „Polizeiamt“ bezeichnet wurde (GLAK 61/212 HR 4.2.1769 Protocollum conferentiale Nr. 94.), war nach Stiefel ein unter Markgraf August Georg 1769 errichtetes Verwaltungsamt für die Residenzstadt und wurde nach der Vereinigung der beiden badischen Markgrafschaften wieder aufgelöst. 754 Härter und Stolleis (Hg.), Repertorium der Polizeiordnungen, Bd. 4, Baden und Württemberg, S. 539–548, verzeichnen keine spezielle entsprechende Verordnung für die Jahre 1768 oder 1769.

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Juden im Wirtschaftsleben

Amtmann zu Bühl Xaver Fabert der Auftrag, gedachten Juden, wenn sie nicht in continenti [sofort] mit einer jenigen gnädigsten Concession sich legitimieren können [...], die Ausgab u(nd) debitierung [den Verkauf ] der beschriebenen Specereiwaren bei willkührl(icher) Strafe, in so lang bis nicht die gnädigste Erlaubnis Ihnen ertheilt worden seyn wird, zu untersagen u(nd) zu bedeuten, daß sie in Zeit [von] 2 Tagen getreulich Specification [ein Verzeichnis] der beschriebenen Specerei-waren Uns einreichen.“755

Aus dem Schreiben des Polizeiamts lässt sich entnehmen, dass die beiden Bühler Schutzjuden den Verkauf von Spezereien nun vorbereiteten oder schon angefangen hatten. Dagegen wurde Beschwerde erhoben, so das Schreiben, ohne die Beschwerdeführer zu nennen. Das Polizeiamt selbst berief sich auf die Verordnung, nach der ein Kramladen nur unter bestimmten Bedingungen außerhalb der Städte erlaubt und für die Waren eine besondere Erlaubnis erforderlich war. Es folgte die Anweisung an den Bühler Amtmann, Joseph und Löw Elias den Verkauf von Spezereien zu verbieten, wenn sie nicht eine besondere Erlaubnis der Regierung vorweisen könnten. Damit war der Handel zumindest für einen Teil der Schutzjuden wie der übrigen Krämer erschwert und von der besonderen Genehmigung der Regierung abhängig. Joseph und Elias Löw, die im „Flecken“ Bühl und nicht in einer Stadt lebten, waren dadurch als erste betroffen. Bereits am 31. August 1769 hatten Joseph und Löw Elias mit einer Beschwerde Erfolg: Die Regierung wies das Amt Bühl unter Berufung auf die Ergänzung der „Judenordnung“ von 1758 an, das Verbot des Handels mit Spezereien aufzuheben. Dagegen, und jetzt wurden die eigentlichen Initiatoren des neuen Konflikts benannt, hatten die Krämer aus Bühl und Steinbach geklagt. Sie beriefen sich darauf, dass Juden nie eine Erlaubnis zu diesem Handel erhalten hätten und sie, die christlichen Krämer, im Unterschied zu den jüdischen hohe Abgaben leisten müssten. Es folgte die Anweisung an das Amt, die Waren von Joseph und Löw Elias zu kontrollieren; nichts wurde beanstandet. Darauf schlug das Amt Bühl vor, Joseph und Löw Elias den Handel mit Spezereien wieder zu erlauben. Am 30. Januar 1770 fiel die Entscheidung: Wegen „besondern Umständen“ gab ihnen die Regierung die endgültige Genehmigung für den Handel sowohl mit Tuch wie mit Spezereien, eine Genehmigung, die allerdings nicht für alle Juden des Amtes galt. Der letzte Schritt in dieser Auseinandersetzung: Die Regierung ließ das Amt verkünden, dass alle jüdischen Ladenbesitzer „sofort gleich den Christen“ zur Steuer veranlagt werden sollten.756 Blickt man auf den Handel in den Jahrzehnten vor 1771, so war vielleicht das Folgende am wichtigsten. Immer mehr wurden Ladengeschäfte auch in den Dör755 GLAK 74/3746, Auszug aus dem Schreiben des Polizeiamtes Rastatt, 26.8.1769, im Gutachten von Hofrat Philipp Holzmann, 20.1.1803. 756 GLAK 74/3746, Darstellung und Zitate nach der auf den entsprechenden Akten basierenden Wiedergabe dieser Auseinandersetzung durch Philipp Holzmann, 20.1.1803.

Im Ladengeschäft 

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fern errichtet, und ihre Zahl in den größeren Orten nahm zu. Schutzjuden wie Joseph und Löw Elias in Bühl weiteten wie christliche Krämer ihr Sortiment aus, drängten in den Handel mit Spezereien, sei es um sich gegen verschärfte Konkurrenz überhaupt zu behaupten, sei es, um ihre Gewinnchancen zu erhöhen. Das führte zu Beschwerden der christlichen Krämer gegen die jüdischen, auch zu Einschränkungen ohne geregelten Rahmen. Die Schutzjuden insgesamt gingen ihrerseits dagegen vor mit ihren Beschwerden über Schwierigkeiten im Handel. Sie erreichen 1758 zunächst eine rechtliche Verbesserung. Die Regierung scheint aber diese Regelung wieder entwertet zu haben, indem sie eine Unterscheidung zwischen Tuch- und Spezereiwarenkrämern einführte. Auch den nichtjüdischen Handelsleuten kam der Hofrat entgegen, im Rückgriff auf eine Forderung, die schon 1754 erhoben worden war: Von nun an mussten die jüdischen Krämer die Schatzung wie die christlichen Handelsleute entrichten, ein Mittel, ihre Konkurrenzfähigkeit zu verringern. Die Genehmigung zum Ladenhandel galt auch nur für Joseph und Löw Elias, nicht generell für alle Schutzjuden im Amt Bühl. Joseph und Löw Elias, das zeigt sich hier, waren vor dem Hintergrund ihrer wirtschaftlichen Situation, ihrer sozialen Position unter den Schutzjuden und ihres Selbstverständnisses willens und in der Lage, gegen die Verfügung des Rastatter Polizeiamtes von 1769 mit rechtlichen Mitteln vorzugehen und mehr Lebenschancen wenigstens für sich durchzusetzen. 4.4.8  Die Krämer: keine Veränderungen – die Regierung: keine klare Linie Im Verlauf des 18. Jahrhunderts drängten immer mehr Menschen in den Bereich des Handels – einer der Gründe dafür bestand wohl darin, dass die Bevölkerung zunahm und sich so für den Handel größere Chancen boten.757 Die Krämer in der Markgrafschaft, die sich schon in den Jahren um 1700 gegen neue Konkurrenten gewehrt hatten, blieben auch in den folgenden Jahrzehnten mit zahlreichen Suppliken auf dieser Linie, allein seit der Regierungsübernahme durch Markgraf Ludwig Georg 1727 bis 1770 mit mindestens 25 Beschwerden. Diese Interventionen sind in der nachfolgenden Tabelle IX (S. 254f.) zusammengestellt.

757 Zur zunehmenden Händlerdichte bei der Bevölkerungszunahme im 18. Jahrhundert Rainer Gömmel, Die Entwicklung der Wirtschaft im Zeitalter des Merkantilismus 1620– 1800 (Enzyklopädie deutscher Geschichte 64). München 1998, S. 28.

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Juden im Wirtschaftsleben

Tabelle IX:  Interventionen der Krämer gegen Konkurrenten seit der Regierungsübernahme von Markgraf Ludwig Georg, 1727

, , ,

,,

758 759 760 761

762 763

, , , , ,

764 765 766 767 768 769

Nummer Intervenierende und ihre Gegner

Jahr

Ort des Konflikts

IX.1

1727758

Bühl759

1727

Bühl760

1729

Bühl761

1731

Bühl762

1736

Ettlingen763

1738

Baden-Baden764

1739

Steinbach765

1739

Bühl766

1740

Rastatt767

1741 1742

Rastatt768 Markgrafschaft769

IX.2 IX.3 IX.4 IX.5 IX.6 IX.7 IX.8 IX.9 IX.10 IX.11

Bühler Krämer gegen Händler, die Waren aus Straßburg nach Bühl bringen Bühler Krämer gegen Hutmacher Hans Georg Weiß, Bühl, wegen Konkurrenz im Handel Bühler und Steinbacher Krämer gegen Krämerkonzession für Weißgerber Benedict Rheinboldt, Bühl Zunftmeister Jacob Rheinboldt im Namen der Bühler und Steinbacher Krämer gegen Krämerkonzession für Küfermeister Jäckel, Altschweier Ettlinger Krämer gegen Krämer und Schneidermeister Johann Martin Bürgel, Ettlingen, wegen Weiterarbeit als Schneider Baden-Badener Krämer gegen Hausieren der Juden, besonders gegen Samuel Herz, Bühl, auf den Dörfern und im Beuermer Tal (bei Baden-Baden) Steinbacher Krämer gegen Hans Michael Schertel, Steinbach, wegen Betreiben der Krämerei Bühler Krämer gegen Hirschwirt Johann Kaltenbach, wegen Einführung von Spezereiwaren Rastatter Krämer gegen Hausieren von Karlsruher Schutzjuden Rastatter Krämer gegen Hausieren von Moyses Reutlinger Rotgerberzünfte in der Markgrafschaft gegen Handel und Hausieren der Juden

,

758 1727 wurde für diese Übersicht als Ausgangspunkt genommen, weil in diesem Jahr Markgraf Ludwig Georg seine Mutter in der Regierung ablöste und manches dafür spricht, dass sich zunächst eine Neuorientierung des Verhältnisses zu den Juden abzeichnete. Zu den Interventionen in der vorhergehenden Zeit gegen den Hausierhandel siehe S. 266ff. 759 GLAK 61/155 HR 1.7.1727. 760 GLAK 61/155 HR 10.7.1727. 761 GLAK 61/157 HR 17.6.1729. 762 GLAK 61/159 HR 3.3.1731. 763 GLAK 61/165 HR.12.1.1736. Nr. 9. Johann Martin Bürgel war wohl zuerst als Schneider tätig und wechselte dann in den Handel. 764 GLAK 61/167 HR 13.11.1738 Nr. 15. 765 GLAK 61/35 GR 10.1.1739 Nr. 16. 766 GLAK 61/168 HR 3.3.1739. Nr. 20. 767 GLAK 61/40 GR 22.10.1740 Nr. 17. 768 GLAK 61/41 GR 8.2.1741 Nr. 24. 769 GLAK 61/171 HR 25.1.1742 Nr. 11.

Im Ladengeschäft 

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255

Nummer Intervenierende und ihre Gegner

Jahr

Ort des Konflikts

IX.12

1742

Rastatt770

1746 1746

Baden-Baden771 Rastatt772

1746

Steinbach773

1746

Steinbach774

1746 1746 1748 1752 1753

Ettlingen775 Rastatt776 Bühl777 Bühl778 Baden-Baden779

1758

Rastatt780

1762

Sinzheim781

1763 1770

Bühl782 Bühl783

IX.13 IX.14 IX.15 IX.16 IX.17 IX.18 IX.19 IX.20 IX.21 IX.22 IX.23 IX.24 IX.25

Rastatter Krämer gegen Krämerkonzession für Hofknopfmacher Birnenstiel, Rastatt Krämer in Baden-Baden gegen weitere Krämerkonzessionen Rastatter Krämer gegen Hausieren und Verlag von Waren in Wirtshäusern durch fremde Krämer Bühler und Steinbacher Krämer gegen Krämer Bernhard Arzter, Steinbach, wegen des Weiterarbeitens als Maurer und Steinhauer Bühler und Steinbacher Krämer gegen Krämerkonzession für Schuhmacher Joseph Schentz, Steinbach Ettlinger Krämer gegen Krämerkonzession für Jacob Praga Rastatter Krämer gegen Handel fremder Krämer Bühler Krämer gegen Marktbesuch fremder Krämer Bühler Krämer gegen Hausieren und Handel fremder Krämer Baden-Badener Krämer gegen Krämerkonzession für Schneider Christian Hermann, Baden-Baden Rastatter Krämer gegen fremde Krämer mit der Auslage von Waren in Wirtshäusern Sinzheimer Krämer Rheinboldt und Arger gegen weitere Krämerkonzessionen im Stab Sinzheim Bühler Krämer gegen weitere Krämerkonzessionen Bühler Krämer gegen Handel von Bühler Juden mit Spezereiwaren

, , , , , , , , , , , , ,

770 771 772 773 774 775 776 777 778 779 780 781 782 783

770 GLAK 61/171 HR 8.2.1742 Nr. 27. 771 GLAK 61/56 GR 19.1.1746 Nr. 20. 772 GLAK 61/57 GR 14.5.1746 Nr. 21. 773 GLAK 61/57 GR 28.5.1746 Nr. 46. 774 GLAK 61/58 GR 9.11.1746 Nr. 10. 775 GLAK 61/58 GR 22.10.1746 Nr. 19. 776 GLAK 61/175 HR 23.5.1746 Nr. 18. 777 GLAK 61/62 GR 13.1.1748 Nr. 17 und GLAK 61/177 HR 23.3.1748 Nr. 7. 778 GLAK 61/181 HR 13.4.1752 Nr. 11. 779 GLAK 61/182 HR 29.12.1753 Nr. 5. 780 GLAK 61/187 HR 2.9.1758 Nr. 5. 781 GLAK 61/194 HR 7.1.1762 Nr. 6. 782 GLAK 61/321 GRATP 6.8.1763 Communia Nr. 18, Bl. 428r-v. 783 GLAK 61/108 GR 24.1.1770 Communicanda Nr. 256.

256 

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Juden im Wirtschaftsleben

Die Tabelle IX mit den Interventionen der Krämer gegen Konkurrenten weist mit mindestens acht Suppliken aus, dass wie schon um 1700 Angehörige des Handwerks ihre Chance im Handel sahen.784 Es lässt sich hier nicht unterscheiden, ob die Attraktivität des Handels oder die Not im Handwerk dafür entscheidend war. Bei mindestens zehn Interventionen ging es darum, das Hausieren, den Handel oder eine dauernde Niederlassung von „fremden“ Handelsleuten zu verhindern.785 Nur fünfmal sind Juden von den Interventionen der christlichen Krämer betroffen.786 Die einheimischen christlichen Kaufleute versuchten einheimische wie fremde Konkurrenten vom Markt fernzuhalten, gleich ob es Hausierer waren, Händler, die nur die Märkte besuchten oder Krämer, die einen Laden eröffnen wollten. Insgesamt war der Handel in der Markgrafschaft – der Handel mit Krämerwaren – nur zum Teil von der Auseinandersetzung zwischen jüdischen und nichtjüdischen Konkurrenten bestimmt. Auch wenn keine Untersuchungen vorliegen, in denen die heimische Krämerschaft in ihrer Homogenität oder Differenzierung zu erkennen wäre, ging es doch wohl um die Abschottung der etablierten Krämer „nach unten“, um den Positionserhalt für Handelsleute, die nicht nur kleinen Handel trieben, sondern lokal oder regional wichtige Funktionen in der Versorgung mit Waren einnahmen. Auf die Ablehnung der Regierung oder den Einspruch von Krämern stießen auch italienische Kaufleute. „July Zanoletti aus Italien“, so berichtete der Amtmann Ende Februar 1746 dem Geheimen Rat, wolle sich in Bühl als Handelsmann niederlassen. Er, Johann Jacob Hoffmann, rate aber von einer Genehmigung ab. Dieser Empfehlung schloss sich der Geheime Rat an.787 In diesem Falle ist keine Intervention der örtlichen Krämer erkennbar, anders als beim italienischen Krämer Jacob Praga, der sich, von Liedolsheim788 kommend, in Ettlingen niederlassen wollte und dort das Bürgerrecht beantragte.789 Während die Krämer jede Konkurrenz verhindern wollten, machten sich einige unter ihnen daran, ihre Aktivitäten in neuen, ihnen bisher verschlossenen Handelssparten zu ergänzen oder wurden zumindest verdächtigt, dies zu tun. 1734 beschwerten sich die Strumpfstrickermeister der gesamten Markgrafschaft über „Krämer und Juden“, namentlich gegen Ignaz Hänel von Bühl und Joseph Rammelmeyer von Steinbach, zwei christliche Handelsleute. Diese würden „Wa784 Siehe dazu S. 254f., Tabelle IX, die Nummern IX.2, IX.3, IX.4, IX.5, IX.12, IX.15, IX.16 und IX.21. 785 Siehe dazu ebd. die Nummern Nr. IX.6, IX.9, IX.10, IX.11, IX.14, IX.18, IX.19, IX.20, IX.22 und IX.25. 786 Siehe dazu ebd. die Nummern IX.6, IX.9, IX.10, IX.11 und IX.25. 787 GLAK 61/56 GR 26.2.1746 Nr. 38. 788 Praga ist S. 255 in der Tabelle IX, Interventionen der Krämer gegen Konkurrenten, unter der Nummer IX.17 aufgeführt. 789 GLAK 61/175 HR 18.10.1746 Nr. 2.

Im Ladengeschäft 

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ren“, wohl gestrickte Produkte, einführen und damit in die Rechte der Strumpfstricker eingreifen. Wie die Vertreter dieses Handwerks beantragt hatten, verfügte der Hofrat die Beschlagnahme der strittigen Handelsgüter,790 entschied also gegen die Krämer. Dass es in diesem Fall die christlichen Krämer waren, die zu Recht verdächtigt wurden, stellte sich 1735 heraus. Die Klage der Strumpfstricker hatte zu einer Hausdurchsuchung in Bühl geführt, bei den Strickern, bei Krämern und bei Juden. Strümpfe wurden gefunden; aber nicht bei einem jüdischen Einwohner, sondern bei Hans Georg Schreiber,791 dem Vorstand der Bühler Krämerzunft.792 Die Voraussetzung aller Versuche, weitere Krämer an der Niederlassung zu hindern, dürfte unausgesprochen die Annahme oder Behauptung gewesen sein, dass es schon genügend oder zu viele Krämer gab. Einmal wurde diese Begründung auch geäußert, als nämlich der Hofknopfmacher Birnenstil in Rastatt in den Handel wechseln wollte.793 Vielleicht waren die Verhältnisse auch wirklich problematisch; jedenfalls verhielt sich die Regierung nicht eindeutig. Teilweise unterstützte sie die einheimischen Krämer gegen „fremde“ Marktbesucher, so 1743, als es um die Krämer aus dem straßburgischen Amt Oberkirch auf dem Markt in Bühl ging. Diesen Krämern stand der Zugang zum Bühler Markt eigentlich offen. Dennoch wies der Hofrat den Amtmann zu einer behutsamen „Austreibung“ dieser Kaufleute an.794 Mit ihrem Gesuch von 1748, den Zugang von „fremden Krämern“ auf den Markt zu stoppen,795 zielten die Bühler Krämer wieder auf Konkurrenten aus dem bischöflich-straßburgischen Amt Oberkirch und der Landvogtei Ortenau. Die Hofkammer sah dieses Mal ein Zugangsverbot als schlecht an: Akzise, Zoll und Ohmgeld der Wirte würden für die Regierung verloren gehen, aber auch für die anderen Einwohner sei es schädlich. Zudem herrsche das Observanz-Prinzip: Den freien Zugang zum Bühler Markt für die Krämer aus dem Amt Oberkirch, aus der Ortenau (wie umgekehrt der Zugang der Bühler Kaufleute zu den Märkten in diesen Gebieten) gebe es „seit unendlichen Zeiten“; all diese Gründe verlangten ein Nein für das Gesuch der Bühler Krämer. Aber: Man könne ja versuchen, die

790 GLAK 61/162 HR 23.12.1734 Nr. 14. 791 GLAK 61/163 HR 11.1.1735. Nr. 11. 792 Marco Müller, „...eine Jahrhunderte alte Einrichtung, die zum Wohl und Segen einer ganzen Gegend gedient hat“ – Zur Geschichte des Bühler Markts, in: Stadt Bühl, Stadtgeschichtliches Institut (Hg.), Bühler Heimatgeschichte 17 (2004), S. 9–46 hierzu S. 19. 793 GLAK 61/171 HR 27.2.1743 Nr. 12. 794 GLAK 61/172 HR 2.5.1743 Nr. 11. 795 GLAK 61/177 HR 26.3.1748 Nr. 7.

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Juden im Wirtschaftsleben

auswärtigen Marktbesucher dazu zu bringen, ihre Präsens und ihren Verkauf auf dem Markt selbst etwas einzuschränken.796 Wieder anders reagierte die Regierung im Jahr 1744, als auswärtige Händler in Rastatt Lebensmittel verkauften, darunter auch holländischen Käse. Der Verkauf dieser Waren sei, so das Hofratsprotokoll, von den einheimischen Krämern ohne Berechtigung „an sich gezogen worden, umb einen unerlaubten profit daran zu haben.“797 Das Protokoll des Hofrats deutet auch an, wie die einheimischen Krämer vorgegangen waren. Sie hätten mit Zwang erreicht, dass ihnen die fremden Händler ihre Ware zum Weiterverkauf überließen. Dabei hätten sie aber die Waren verteuert, zum Schaden der Käufer. Dieses Vorgehen verbot die Regierung, damit „bey diesen ohne dem [ohnehin] nothvollen Zeithen dem publico eine mehrere Subsistenz und wohlfeyle verschaffet werden möge.“798 Sie griff ein, um für die Allgemeinheit eine bessere Sicherung des Lebensunterhalts und eine preiswertere Versorgung zu ermöglichen. Hier stellte sich die Regierung eindeutig gegen die Interessen der lokalen Handelsleute und auf die Seite der fremden Krämer und der Käufer. Die einheimischen Krämer waren geprägt von der Vorstellung, die frühere Ordnung aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen; zumindest verwendeten sie diese Vorstellung als Argumentationsmuster, nach dem jede Vermehrung der Krämerstellen unterbleiben sollte. Genauere Untersuchungen der Einstellungen im Handel in der Markgrafschaft liegen nicht vor. Berechtigtes Eigeninteresse, Egoismus und traditionales Verhalten kamen wohl zusammen, um die Ablehnung von Konkurrenz zu motivieren. Die Krämer in der Markgrafschaft waren, und das könnte ihre Vorstellungen und Haltungen erklären, insgesamt als Zünfte organisiert – daher auch der Name „Krämerzunft“ auf der lokalen Ebene in Bühl. Die Einstellungen der Handelsleute entsprachen zum Teil zünftigen Traditionen: Konkurrenz, vor allem die von Fremden, sollte eingedämmt sein.799 Andererseits sah die Regierung bei den einheimischen Krämern in Rastatt „unerlaubten profit“, den diese zulasten der übrigen Bevölkerung machten, und wollte diesen Gewinn mit Blick auf die Subsistenzsicherung der Untertanen einschränken.

796 GLAK 61/177 HR 13.4.1747 Nr. 3. 797 GLAK 61/173 HR 13.2.1744 Nr. 12. 798 Ebd. 799 Zu den Beschränkungen der Konkurrenz unter den Handelsleuten Richard van Dülmen, Kultur und Alltag in der Frühen Neuzeit, Bd. 2. Dorf und Stadt 16.–18. Jahrhundert. München 1992, S. 88.

Im kleinen Handel 

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4.5  Im kleinen Handel 4.5.1  Hanf und Branntwein, Häute und Felle, Honig und Wachs und ... : im kleinen Handel 1654 lieferte Hirzel, wohl identisch mit Hirzel von Stollhofen,800 den dortigen Seilern Hanf.801 Ohne Namensangabe wurde 1680 von einem „Juden zu Büehl“ berichtet, der Branntwein bei Ulm im Gebiet des Klosters Schwarzach verkaufte.802 Anders als Hanf blieb in den folgenden Jahrzehnten Branntwein als eine Ware erkennbar, die Juden kauften oder verkauften, vor allem der Admodiator Hayum Flörsheim.803 1686 erwarb ein namentlich nicht genannter Jude beim Scharfrichter – in seiner Eigenschaft als Abdecker – „Rosshäute“ von Pferden aus dem Besitz des Hofes.804 „100 Häute“ waren 1702 bei Joseph, einem Schutzjuden in Rastatt, beschlagnahmt worden.805 Jonas von Kuppenheim stritt 1705 mit mehreren Metzgern in Baden-Baden, von denen er Häute bezogen hatte.806 Das Rohmaterial für Leder wurde zumindest zum Teil wieder in der Markgrafschaft verkauft; so erwarben Bühler Einwohner Häute, die ihnen Juden angeboten hatten.807 1719 lieferte in Bühl Schmaul dem Rotgerber Simon Miller Tierhäute für 130 Gulden, die in zwei Terminen bis Fasnacht 1720 zu zahlen waren.808 Gerber wie Simon Miller dürften oft die Kunden von Juden gewesen sein. Manche Schutzjuden kauften oder verkauften wohl einfach Häute, wenn sich eine Gelegenheit bot. Gegen David Kaufmann in Gernsbach lief 1763 eine Untersuchung mit dem Verdacht, dass er von einem Wilderer Häute gekauft hatte.809 Vielleicht wollte sich Kaufmann damit vor neuen Beschuldigungen wehren, als er im folgenden Jahr seinerseits angab, dass ein Weißgerber aus Calw in der Nähe von Gernsbach fünf oder sechs „Wildhäute“ gekauft habe.810 1698 ging die Hofkammer gegen Juden vor, die Honig und Bienenwachs kauften und ausführten. Angeblich, dies war der eigentliche Vorwurf, kauften sie 800 GLAK 61/121 HR 3.2.1754. 801 GLAK 61/121 HR 23.2.1754. 802 GLAK 61/223 HK 31.1.1680. 803 Zum Handel von Hayum Flörsheim mit Branntwein siehe S. 29ff. 804 GLAK 61/227 HK 6.6.1686. 805 GLAK 61/132 HR 24.10.1702, Bl. 648r–v. 806 GLAK 61/133 HR 28.7.1705. 807 GLAK 61/245 HK 23.10.1709. 808 GLAK 61/5449, Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, 31.3.1719, Bl. 84r. 809 GLAK 61/195 HR 1.2.1763 Correspondenzen Nr. 1. 810 GLAK 61/198 HR 27.3.1764 Consilium Aulis et Regiminis Nr. 17.

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Juden im Wirtschaftsleben

auch Bienen und töteten sie, und der Markgrafschaft entstehe dadurch erheblicher Schaden. Die Einwohner wurden angewiesen, Bienen zuerst der Herrschaft anzubieten, dann anderen, christlichen Käufern811 – eine Bestimmung, welche die Form eines Generalreskripts erhielt und die Juden von diesem Handel ausschloss.812 Die Anstellung eines „Immenverwalters“813 könnte ein Hinweis darauf sein, dass die Imkerei zuvor schon beeinträchtigt war und dass der Vorwurf gegen die Juden, Bienen zu vernichten, eine Erklärung dieses Niedergangs bildete, aber nicht unbedingt eine, die der Realität entsprach. Es war das Stereotyp des „schädlichen Juden“, das hier verwendet wurde. Zum kleinen Handel814 gehörte auch der Handel mit Metall. Ein Kippenheimer Jude namens Abraham supplizierte 1666 um einen „freien Siz“ für ein Jahr, wohl um die zeitweise Befreiung vom Schutzgeld. Die Hofkammer bewilligte seine Bittschrift gegen die Lieferung von einem halben Zentner Metall;815 sie setzte bei ihm einen entsprechenden Handel voraus. Auch die Muggensturmer Juden handelten mit Eisen,816 ebenso die in Kuppenheim, auch unter zweifelhaften Umständen. 1708, während des Spanischen Erbfolgekriegs, hatten französische Soldaten Eisen geraubt, wohl im Gaggenauer Eisenwerk. Der dortige Faktor Ludwig Christoph Grimb klagte nämlich über die „Marodeure“ und reichte bei der Hofkammer eine Aufstellung seines Schadens ein. Dabei teilte er mit, er habe erfahren, dass „die Juden, Schmidt [Schmiede], acciser [Steuereinnehmer] in Rastatt und [in] Cuppenheim Löw“ das geraubte Eisen gekauft hätten.817 Auch christliche Einwohner wie der Steuereinnehmer in Rastatt nahmen die Gelegenheit wahr, an Eisen zweifelhafter Herkunft zu kommen. In Gernsbach war 1768, nach dem Bericht des Amtsschreibers an die Hofkammer, im evangelischen Pfarrhaus ein Ofen unbrauchbar geworden. Der Amtsschreiber schlug vor, diesen Ofen als Alteisen zu verkaufen. Er habe bereits, so schrieb er, mit dem Juden in Gernsbach – mit David Kaufmann – gesprochen; dieser sei bereit, den alten Ofen für einen Aufpreis von 5 Gulden gegen einen 811 GLAK 61/232 HK 3.2.1698 Bl. 59v und Zehnter, Juden in der Markgrafschaft BadenBaden, in: ZGO 50 (1896), S. 382f. 812 Härter und Stolleis (Hg.), Repertorium, Bd. 4, S. 492, mit der knappen Wiedergabe des Inhalts von GLAK 74/3736. 813 GLAK 61/232 HK 8.11.1698. 814 Der Begriff „kleiner Handel“ wird hier verwendet, um ihn vom „Kleinhandel“ abzugrenzen. Kleinhandel wurde, wie im Folgenden erläutert, auch von Juden praktiziert, die vergleichsweise eher wohlhabend waren. Kleiner Handel wird hier als ein Handel verstanden, den „kleine“, „gewöhnliche“, oft namenlose Juden betrieben, deren alltägliche Form der Existenzsicherung ausmachte. Die Unterscheidung wird, wie oft, nicht immer möglich sein: Auch im Ladenhandel oder auf dem Markt etwa ging es oft um einen kleinen Handel und Kleinhandel zugleich. 815 GLAK 61/221 HK 14.1.1666 Bl. 145r–v. 816 GLAK 61/247 HK 12.9.1711 und 23.9.1711. 817 GLAK 61/244 HK 19.9.1707.

Im kleinen Handel 

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neuen auszutauschen. Die Kammer stimmte diesem Vorschlag sofort zu.818 Auch wenn diese Art des Geschäfts nicht oft dokumentiert zu sein scheint, kann sie einen Vorteil der jüdischen Handelsleute sichtbar machen. Wenn sie, in langer Tradition, Alteisen kauften, konnten sie dabei den Kunden auch neue Waren verkaufen – ein Vorteil für sie selbst und für ihre Geschäftspartner. 4.5.2  Arme Schutzjuden im kleinen Handel: „...sie leben so miserabel“ Die Vorstände aller 42 jüdischen Familien im Kerngebiet der Markgrafschaft besaßen 1709 ein durchschnittliches Vermögen von knapp unter 810 Gulden, wenn man die bei Mittellosen fiktiv angesetzten 100 Gulden819 bei 11 Schutzjuden mitrechnet. Weitere 11 Schutzjuden weisen ein Vermögen von 150 oder 200 Gulden auf. Sie lassen sich sicher als arme Juden bezeichnen, hatten allerdings wenigstens noch einen ganz kleinen Handel. Mit was sie handelten, enthält die folgende Tabelle X zum Handel von armen Juden.820 821,822, 823,824 Tabelle X:  Handel von armen Juden, 1706/17 Ort Jahr

Name

Angaben zum Handel821

Vermögen822

Bühl 1706

Samuel

Alteisen, Kupfer, gebrauchte Kleidung Viehhandel Viehhandel Viehhandel alte Kleider, „Krämplerwahren“823 Viehhandel –824 Vieh, Silber –

200

Aron der Blindte Löwel Maron Coppel Moyses Lämmel Abraham Löwel

100 400 100 100 200 200 200

818 GLAK 61/306 HK 30.3.1768 Nr. 2668. 819 Zur Ansetzung von 100 Gulden Vermögen auch bei mittellosen Juden siehe S. 262. 820 Vermögensangaben nach GLAK 74/7139, Oberamtmann Holl an die Hofkammer, Anlage A „Designation“, 5.7.1709. 821 Angaben zum Handel für Bühl nach GLAK 74/3711, Amtmann Johann Heinrich Harrandt an die Hofkammer, 12.6.1706, für Rastatt und Kuppenheim Amtsschreiber Baumeister an die Hofkammer, 6.7.1706, für Malsch (im Jahr 1721) Amtskeller Campanus an die Hofkammer, 6.2.1721. 822 Vermögensangaben nach GLAK 74/7139 Hofrat an die Hofkammer, 5.4.1735, Anhang „Außsrechnung“, o. D. 823 Krämplerwaren: Trödelwaren. 824 Moyses: ohne weitere Angabe.

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Juden im Wirtschaftsleben

Ort Jahr Rastatt 1706

Kuppenheim 1706

Malsch 1721 Muggensturm 1706

Name

Angaben zum Handel

Vermögen

Elias Joseph Isaac Löwel Moyses Samuel Jonas der alte Itzig Jonas, Itzigs Schwiegersohn Jäckhel Itzig, Sohn des alten Jonas Calmel Coppel Jäckhel Joseph

– Pferde Hausieren – – – Leder, Hausieren – – Vieh, Felle, Häute Bauernpferde – Alteisen, Häute – –

100 200 200 150 100 150 100 100 100 100 100 100 200 150 150

Mit Vieh, mit Häuten und Leder, mit Altmetall und gebrauchter Kleidung, damit handelten arme Juden, wohl auch mit anderen Produkten geringen Werts. Viele von ihnen standen am Rand des Existenzminimums. Dies lässt sich für 1709 erkennen, als die Schutzjuden – in den Kerngebieten der Markgrafschaft, ohne die Herrschaften Mahlberg und Staufenberg – untereinander ihre Beiträge zu den Kontributionszahlungen an Frankreich regulierten.825 Das Vermögensverzeichnis weist einige der Schutzjuden mit einem Vermögen von 100 oder 200 Gulden aus. Bei allen sechs Schutzjuden von Kuppenheim waren als Vermögen 100 Gulden angegeben. Eine Marginalie erläuterte: Die Kuppenheimer Juden seien „Bettler“. Es sei aber in der Judenschaft üblich, dass auch bei ihnen 100 Gulden angesetzt würden und sie auf dieser Grundlage einen Anteil an den Umlagen übernehmen müssten.826 In Malsch gehörte Jäckel zu den armen Juden. 1721 berichtete der dortige Amtskeller Campanus, er habe „wenig im Vermögen, Undt sehr viel schulden“, und sein Gewerbe bestehe im Handel mit Vieh, Fellen, Häuten und „dergleichen“. Jäckel starb 1724; er wurde, als sein Sohn um den Schutz bat, als „arm“ bezeichnet.827 Campanus berichtete von zwei weiteren armen Juden unter den fünf Malscher Schutzjuden des Jahres 1721. Koppel und Löwel handelten mit altem Eisen, mit Häuten „und dergleichen“; Vermögen hatten sie, soweit der 825 GLAK 74/7139, Oberamtmann Holl an die Hofkammer. 826 GLAK 74/7139, Oberamtmann Holl an die Hofkammer, Anlage A „Designation“, 5.7.1709. 827 GLAK 61/260 HK 18.7.1724.

Im kleinen Handel 

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Amtskeller angeben konnte, keines.828 Für einen anderen Schutzjuden in Malsch, für Lazar oder Lazarus, existiert zu 1718 eine Vermögensangabe; er war geflohen, als gegen ihn wegen eines Pferdediebstahls ermittelt wurde. Was er besaß, hielt der Ettlinger Amtmann fest: einige Kleinigkeiten im Wert von 18 Gulden und 28 Kreuzer.829 In seinem Bericht von 1721 machte Amtmann von Harrandt in Bühl Angaben über Vermögen und Handel der Juden. Als völlig vermögenslos bezeichnete er Löbel Gans und einen Sohn von Lemmle Löbel, obwohl dieser Handel trieb. Etwas besser stand sich Abraham, der Sohn von Löbel Gans; zu ihm gab der Amtmann an, dass er „keinen Kram mehr“ hatte und nur damit handle, „was Er Ettwa Von andern Zum Verkauf“ erhalte.830 Diese Art des Handels, eine Art von Kommissionshandel, konnte auch ohne Kapital praktiziert werden. Abraham handelte außerdem mit minderwertigem Vieh, besaß wenigstens etwas, das aber den Wert seiner Schulden nicht übertraf. Samuel der Alte sei selten in der Markgrafschaft – er „bettelt sein brodt“, schrieb der Amtmann. Ein anderer sei von einem Mannheimer Juden, dem Bruder von Joseph Jacob, ruiniert worden und besitze nichts mehr außer Schulden. Er gehe keinem Handel nach, und er, der Amtmann, wisse nicht, wie er sich ernähre. 13 der 17 Bühler Schutzjuden besaßen, so das Fazit des Amtmanns, „Nicht 100 fl(orin) über ihre schulden“ als Vermögen; und er beschrieb zusammenfassend ihr Dasein so: „[...] sie leben so miserabel, dass ja ihre Weiber und Kinder gleichsam herumber [herum] gehen Wie die gaißter, Und ist nur zu Besorgen, dass vermittels ihrer noch beständig anwachsender Noth und Armuth in der vielen Judenschaft so all hier eine Krankheit Entstehe und darmit die Christen auch angesteckth werden.“

Gegen diese Gefahr schlug der Amtmann am Ende seines Berichts vor: Am besten wäre es, wenn man unter den Schutzjuden „eine Musterung halten, und was so gar nichts nutz, und sich nit nähren kann, wegweisen thäte.“ 831 Zu den armen Schutzjuden gehörte Jonas von Kuppenheim, der 1726 wegen eines Nachlasses an seinem Schutzgeld supplizierte. Nach dem Bericht des Oberamts Rastatt war er alt und musste sein Schutzgeld bei anderen Juden erbetteln. Das Amt befürwortete deshalb seine Bitte.832 Die Reaktion der Regierung macht sichtbar, unter welcher Drohung ein so armer Schutzjude lebte: Er müsse, wenn 828 GLAK 74/3711, Amtskeller Campanus an die Hofkammer, 6.2.1721. 829 GLAK 61/146 HR 4.1.1718. 830 Ebd. 831 GLAK 61/3711, Amtmann Johann Heinrich von Harrandt an die Hofkammer, 8.2.1721. Dazu auch Rumpf, Juden in Bühl, in: Stadt Bühl, Stadtgeschichtliches Institut (Hg.), Jüdisches Leben, S. 34. 832 GLAK 61/262 HK 25.6.1726.

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Juden im Wirtschaftsleben

er nicht zahlen könne, eben die Markgrafschaft verlassen, und ausdrücklich erging die Anweisung, ihm dies mitzuteilen und ihn „behörig zu observieren“.833 Sein Beispiel verdeutlicht, wie arme Juden im kleinen Handel nicht nur ökonomisch am Rande des Existenzminimums lebten, sondern auch in der Gefahr, das Schutzrecht zu verlieren, damit wirklich in die Existenz eines vagierenden Betteljuden abzusinken. Der Handel, in dem die Juden während der Frühen Neuzeit Fuß fassten, war eine Chance, aber für viele brachte er keinen Ausweg aus der Armut. 4.5.3  Arme, schädliche, gefährliche Juden Insgesamt ist der „kleine Handel“ von Schutzjuden nur wenig dokumentiert. Handel mit Gegenständen des täglichen Bedarfs und von geringem Wert, wohl oft eine Sache der Gelegenheit, führte kaum zu Konflikten, die vor Gericht ausgetragen wurden und damit vielleicht in die Überlieferung eingingen. Dennoch, auch dieser kleine Handel führte zu Angriffen gegen Juden. 1708 erhielt die Hofkammer Informationen, dass von „Juden und anderen“ Eisen aufgekauft wurde, das französische Soldaten „Untertanen“ abgenommen hätten.834 Mit den Bezeichnungen „Untertanen“ und „Juden und andere(n)“ verkürzte die Hofkammer die Information generell. Dass sie allerdings die Nennung der Juden nicht wegließ, macht ihren besonderen Blick auf sie deutlich. Juden standen bei vielen Gelegenheiten im Verdacht der Hehlerei. Insofern wurden gerade sie als Käufer geraubten Eisens konsequent hervorgehoben, während die christlichen Käufer mit dem Ausdruck „andere“ weitgehend anonymisiert wurden. Die Einstellung zu den Juden im kleinen Handel legte der Rastatter Oberamtmann Leopold Wilhelm Lassolaye 1721 offen dar, als er über die fünf Schutzjuden in Kuppenheim berichtete: „Löwel, Jonas der alt, Jäckhl, Isac der Jung, undt Jonas der Jung alle von Cuppenh(eim) sindt lauter lumben undt [hätten] längsten den galgen verdient, glaube auch nicht, daß über 10 R(eichs)th(aler) in Vermögen, außer Jonas der Jung, hatt Ein schlechtes [schlichtes, einfaches] Häusel Etwanen 100 fl(orin) werth, undt führet Einen Cram von schwebelHölzlen [Schwefelhölzchen] und dergleichen lumben wahr, undt ist dieser Endlich undt(er) den andteren lumben der beste, weillen keine schulden im Landt machet, die übrigen aber schier alle weg [fast immer] von den Undterthanen der schulden und betrug angeklagt werdten, undt wäre nicht(s) besser daß Cuppenh(eim) rein davon wäre.“835 833 GLAK 61/262 HK 18.7.1726. 834 GLAK 61/244 HK 24.9.1707. 835 GLAK 74/3711, Oberamtmann Leopold Wilhelm Lassolaye an die Hofkammer, 1.2.1721. Linder, Kuppenheim, S. 26f. mit im Detail anderer Lesung.

Im kleinen Handel 

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Jonas der Junge war – so der Oberamtmann – der einzige, der nicht verschuldet war. Dennoch: Was er anbot in seinem „Kram“, vielleicht einem kleinen Laden, war für den Beamten „Lumben wahr“, Güter schlechter Qualität, das Angebot eines Betrügers, zu nichts nutz. Und eigentlich waren für den Rastatter Oberamtmann Jonas wie die anderen Juden in Kuppenheim „lumben“, eben doch betrügerische Juden, die an den Galgen gehörten. Das Stereotyp des schädlichen Juden bestimmte auch diese Vorstellung. Arme Juden waren gefährlich, in die Nähe zur Kriminalität gerückt. Deshalb müssten sie nach der Meinung des Oberamtmanns wie des Bühler Beamten836 eigentlich die Markgrafschaft verlassen, das Land von dem Übel der Juden gereinigt werden. Wie die armen jüdischen Untertanen kamen auch arme Juden aus der Nachbarschaft ins Blickfeld der Beamten. 1763 hatte der Bühler Anwald Löw Bodenheimer in einer Supplik darum gebeten, das Geleit nicht zu erhöhen, das die Bühler Juden beim Handel in der Ortenau entrichten mussten. Es ging auch darum, die Gültigkeit des Geleits auf acht Tage zu verlängern. Das Amt Ortenau schlug vor, das verlängerte Geleit nur den baden-badischen Schutzjuden zu gewähren. Nicht zugutekommen solle es den „in Thiersburgl(ichen) [Diersburg] und anderen Ritterschaft(lichen) Orten häufig sitzenden“ Juden, die, unter der Last ihrer Armut und zu einem hohen Schutzgeld verpflichtet, die „einfältigen“ Landbewohner übervorteilen würden.837 Auch diese Juden schadeten also aus der Perspektive der Beamten mit ihrem Handel den christlichen Untertanen. Die Beurteilung von Untertanen als nützlich oder unnütz und schädlich war allerdings nicht auf Juden beschränkt. 1708 lag dem Geheimen Rat ein Gesuch von Jacob Gros vor, der in Bühl geboren war. Er hatte in Breisach das Bürgerrecht erworben und supplizierte wegen der Befreiung aus der Leibeigenschaft. Seine Entlassung gestand der Geheime Rat ohne Schwierigkeiten zu. Ausdrücklich begründete er dies damit, dass „dergleichen leuth, welche nichts im Vermögen haben und weder dem Landt noch der Herrschaft was nutz seiendt, dimitirt [entlassen] werden könten.“838 Juden, die mühsam im kleinen Handel ihr Leben fristeten, waren in ihrer Armut und Bereitschaft zum Betrug für die christlichen Untertanen eine Gefahr, so das säkularisierte Stereotyp des für das Christentum gefährlichen Juden. Deshalb wollten die Beamten und die Regierung sie am liebsten vom Land fernhalten oder die eigenen Schutzjuden, wenn sich die Gelegenheit bot, aus dem Land weisen, das Land von ihnen „reinigen“. Bei christlichen Armen bestand diese Möglichkeit nur, wenn sie aus freiem Willen auswanderten; am Galgen wollte sie niemand sehen. 836 Zur Vorstellung des Bühler Beamten siehe S. 62. 837 GLAK 61/195 HR (Datum unklar), vor 24.1.1763, Amtsberichte Nr. 3. 838 GLAK 61/25 GR 3.3.1708.

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Die Stereotype gegen Juden im kleinen Handel wurden, soweit sichtbar, nicht von den Konkurrenten geäußert, sondern von Amtspersonen. Vielleicht kamen die armen Juden im kleinen Handel den christlichen Untertanen nicht so gefährlich vor, dass sie in besonderer Weise angegriffen wurden, vielleicht fanden aber auch die Vorurteile der Beamten am ehesten den Weg in die schriftliche Überlieferung. 4.5.4  Hausierhandel – ja und nein Das Hausieren war offensichtlich lange keiner Regelung unterworfen. Als Isaac von Gernsbach, im Bereich des speyrisch-badischen Kondominiums, 1692 der Marktbesuch in Rastatt erlaubt wurde, durfte er auch auf dem Gebiet der Markgrafschaft hausieren.839 1710 wurde diese Form des Handels verboten. Wie wenig das Verbot beachtet wurde, verdeutlicht die Dichte der Beschwerden im folgenden Jahrzehnt (Tabelle XI, Beschwerden von christlichen Krämern gegen das Hausieren, 1710 bis 1720, S. 266); solche Interventionen gegen das Hausieren wiederholten sich auch in der Zeit danach. Tabelle XI:  Beschwerden von christlichen Krämern gegen das Hausieren,   1710 bis 1720 840,841,842,843,844,845,846,847 Jahr

Beschwerdeführer

Die Gegner der Beschwerdeführer

1710 1714 1716 1717 1718 1720

christliche Krämer Krämer des Amts Bühl alle Krämer der Markgrafschaft christliche Krämer Ettlinger Krämer Krämer von Steinbach und Bühl

1720

alle Krämer der Markgrafschaft

Juden und Savoyarden840 „einheimische“ Juden und Savoyarden841 Juden und Savoyarden842 Juden843 jüdische und nichtjüdische Hausierer844 jüdische und nichtjüdische Hausierer, besonders die „Schweizer“845 mit Verkauf von Käse846 fremde Krämer847

839 GLAK 61/230 HK 5.3.1692 Bl. 28v–29r. 840 GLAK 61/138 HR 7.1.1710. 841 GLAK 61/142 HR 2.1.1714. 842 GLAK 61/144 HR 13.8.1716. 843 GLAK 61/145 HR 8.4.1717. 844 GLAK 61/146 HR 21.6.1718. 845 Die Bezeichnung „Schweizer“ scheint hier verwendet zu sein als Bezeichnung für Viehhalter, die „Schweizer“ Kühe statt der tradierten Rindvieharten halten, vielleicht auch für diejenigen Viehhalter, die im Wesentlichen Milch und Käse ihrer Kühe vermarkten; in: Krünitz, Oekonomische Encyklopädie, Stichwort „Schweitzerei“, Bd. 151, Sp. 244. 846 GLAK 61/256 HK 18.11.1720. 847 GLAK 61/148 HR 20.8.1720.

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Die Tabelle zeigt, dass die einheimischen christlichen Krämer im Kampf gegen den Hausierhandel initiativ waren. Sie zeigt ebenfalls, dass es nichtjüdische Hausierer gab, gegen die sich die Krämer ebenso wehrten wie gegen die jüdischen – die Konfliktlinie verlief also nicht an der Grenze zwischen Christen und Juden. Das wird auch durch Klagen gegen einzelne Hausierer bestätigt. 1710 beschwerte sich der Bühler Kupferschmied Franz Carl Schwab über den Hausierhandel von Spenglern.848 Es gab also auch Handwerker, die ihre Produkte als Hausierer vertrieben. 1711 ging die Krämerzunft der Markgrafschaft gegen Salomon in Bühl vor. Sie verlangte von der Hofkammer, ihm das Hausieren mit Gewürzen und Spezereien zu verbieten – es sei gegen die Observanz. Amtmann Harrandt berichtete darauf der Kammer, dass die Preise der christlichen Krämer für Gewürze um ein Drittel über denen von Salomon lägen; allerdings bestehe bei ihm die Gefahr, dass er seine Waren verfälsche. Ein Verbot sei möglich, unter der Bedingung, die christlichen Krämer würden zum gleichen Preis wie bisher Salomon verkaufen, und eigentlich sollte ihnen der Vorzug vor den Juden geben werden.849 Die Zunftmeister der Bühler und Baden-Badener Krämer wehrten sich und beharrten auf einem Verbot mit der Begründung, die Aussage des Amtmanns über ihre Preise treffe nicht zu. Darauf entschied die Kammer für die christlichen Krämer und gegen Salomon – im Anschluss an den Amtmann – mit der Begründung, dass „diesem aber jene als Christen vorzuziehen“ seien und Salomon ja auch Waren verfälschen könnte;850 hinzu komme, dass sie, die Hofkammer, auch die „Verkauffung Ihnen [den christlichen Krämern] lieber alls den Juden gönnete.“851 Im Jahr 1717 folgte eine Supplik der Krämer von Baden-Baden gegen Schmaul: Der Hofrat solle ihn bestrafen, da er gegen das Hausierverbot verstoße. Der Rat entschied zu seinen Gunsten: Was er getan habe, berühre das Verbot des Hausierens nicht, weil er nur innerhalb eines Hauses versucht habe, Waren zu verkaufen,852 wohl auf Anforderung eines Kunden. Als sich 1720 die Krämer der Markgrafschaft über fremde Handelsleute beschwerten, die im Land umherzögen, erließ der Hofrat ein Verbot, legte aber zugleich Ausnahmen fest. Für Italiener und andere Ausländer gelte es nicht, wenn sie Waren anböten, die sonst nicht zu bekommen seien.853 Die Regierung untersagte 1721 dem damaligen Bühler Judenschultheißen Isaac Bodenheimer den Hausierhandel in Rastatt und drohte ihm 100 Gulden 848 GLAK 61/139 HR 20.1.1711. 849 GLAK 61/247 HK 10.6.1711. 850 GLAK 141 HK 17.6.1711. 851 GLAK 61/247 HK 17.6.1711. 852 GLAK 61/145 HR 8.6.1717. 853 GLAK 61/148 HR 20.8.1720.

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Strafe und die Konfiszierung seiner Waren an. Zugleich schwächte sie das Verbot ab. Bodenheimer könne Hofbediensteten auf ihr Verlangen etwas verkaufen.854 Kurz darauf klagten die Krämer in Rastatt, jetzt zusammen mit den dortigen Juden, gegen Bodenheimer. Der Hofrat verdoppelte die angedrohte Strafe, beließ ihm aber wie Schmaul die Möglichkeit, Waren auf Bestellung zu liefern.855 Während die christlichen Handelsleute auf der Einschränkung des Hausierens beharrten, ging die Regierung nicht konsequent vor. Zwar kam sie den Beschwerden der Krämer nach, berücksichtigte aber auch das Interesse der Bevölkerung an einem Angebot der Hausierer. Das wird besonders bei den Bediensteten des Hofes in Rastatt deutlich, denen Isaac Bodenheimer „anhandlen“ durfte. Der stereotype Verdacht der Warenverfälschung bei Salomon in Bühl und die Bevorzugung der christlichen Händler wurde wie selbstverständlich geäußert. Beide Einstellungen wurden nicht weiter begründet; sie blieben auch in den folgenden Jahre erhalten. Juden ließen sich wie andere Hausierer durch das Verbot ihres Handels nicht abschrecken; offensichtlich erkannten sie, dass es die Regierung nicht durchsetzen konnte. Unter den Schutzjuden waren es die vermögenderen wie Schmaul und Isaac Bodenheimer, die mit ihrem Hausieren die christlichen Krämer auf den Plan riefen. Sie handelten auch von Läden aus – in ihnen und nicht in den armen Juden sahen offensichtlich die christlichen Krämer eine gefährliche Konkurrenz. Mit dem gemeinsamen Vorgehen der jüdischen Handelsleute in Rastatt mit den christlichen Krämern im Jahr 1721 zeigte sich wie im Tuch-, Getreide- und Heuhandel eine begrenzte Kooperation. Die Klagen über das Hausieren trafen neben Juden auch nichtjüdische Händler und Handwerker. Die stereotypen Vorstellungen wie der Verdacht der Warenverfälschung und damit des Betrugs trafen allerdings nur die Juden. Der Nutzen des Hausierhandels generell, dass Waren zu den Kunden gebracht wurden, fand keine Erwähnung; der Vorteil für die Verbraucher aus dem Hausierhandel der Schutzjuden, nämlich ein billigeres Angebot, wurde erwähnt, jedoch auch mit stereotypen Vorstellungen – der Warenverfälschung und des Betrugs – als unwesentlich übergangen. 4.5.5  Wein als Zahlungsmittel, im Ausschank und im Handel Weinausschank war über das Ohmgeld besteuert. Im September 1718 berichtete das Oberamt Rastatt, dass in Kuppenheim und Oberweier neuer Wein in kleinen Mengen zum direkten Konsum verkauft würde, zum Schaden der Ohmgeldein-

854 GLAK 61/149 HR 15.7.1721. 855 GLAK 61/149 HR 21.7.1721.

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nahme.856 In Muggensturm war selbst der Ortsgeistliche an diesem Verkauf beteiligt, indem er „an die jungen Pursch“ Wein abgab.857 Im August 1728 wurde gegen Cassel von Rastatt ein Verfahren eingeleitet, da ihm der verbotene Weinausschank in kleinen Mengen vorgeworfen wurde. Ihm drohte eine Strafe von 100 Reichstalern.858 Der Rechtsbeistand Cassels beantragte die Niederschlagung des Verfahrens.859 Er bezweifelte, dass Cassel überhaupt wissen konnte, dass er den Wein nicht viertel- oder maßweise860 verkaufen dürfe oder wie er gegebenenfalls bestraft würde. Der Rastatter Oberamtmann Lassolaye musste berichten, ob er Cassel das Verbot wirklich „förmlich publiciret“ habe; auch der Akziser in Rastatt sollte darüber informieren, ob er Cassel auf das Verbot hingewiesen hatte, als dieser die Steuer für verkauften Wein bezahlte.861 Der Oberamtmann entlastete Cassel. Diesem sei das Verbot, Wein in kleinen Mengen zu verkaufen, gar nicht mitgeteilt worden; gewöhnlich, so entschuldigte sich der Beamte, würden solche Informationen den Juden durch ihren Schultheiß mitgeteilt. Lassolaye führte noch einen Grund zugunsten von Milde an: Auch der Hofsattler würde wie Cassel Wein ausschenken bzw. verkaufen. Darauf stellte der Hofrat das Verfahren ein.862 Cassel, der als Tuchlieferant und später als Admodiator wirtschaftlich mit dem Hof verbunden war,863 nahm 1724 seinem Schutzgeldanteil nach den vierten Platz unter 33 Schutzjuden ein;864 das deutet auf seine guten wirtschaftlichen Verhältnisse hin. Trotzdem betrieb er den Weinausschank – als eine eher unbedeutende Einnahmequelle. Dass Juden Wein als Zahlungsmittel akzeptierten, wurde schon im Zusammenhang mit der Kreditvergabe sichtbar.865 Auf diese Weise könnte auch Cassel Wein erhalten haben, den er dann in kleinen Mengen verkaufte. Vielleicht nahm er auch Wein als Zahlungsmittel im Handel, wie es bei Süßel in Bühl nachweisbar ist. Dieser verkaufte 1739 dem Metzger Johannes Fentsch eine Kuh für 12 Gulden und 1 Ohm Wein. Fentsch, so ihre Abmachung vor dem Amt, konnte die

856 GLAK 61/253 HK 12.9.1718. 857 GLAK 61/253 HK 20.7.1718. 858 GLAK 61/156 HR 27.8.1728. 859 GLAK 61/156 HR 2.9.1728. 860 Maßweise: von Maß im Sinne eines Weinmaßes mit verschiedenen Mengen, hier vielleicht in der Menge eines „Schoppen“, eines Glases mit unter einem Viertel Liter Inhalt. 861 GLAK 61/156 HR 14.10.1728. 862 GLAK 61/156 HR 19.10.1728. 863 Zu Cassels wirtschaftlichen Beziehungen zum Hof siehe S. 195f. 864 GLAK 61/260 HK 6.7.1724. 865 Zu den Krediten, die mit Wein bezahlt werden konnten, siehe S. 143f.

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Kaufsumme bar oder in Wein bis Michaelis [Michaels-Tag, meistens am 29. September] bezahlen.866 Juden scheinen Trauben auch direkt bei der Lese gekauft zu haben. Im Herbst 1744 erhielt die Hofkammer die Information, dass in Muggensturm und Waldprechtsweier „durch die Juden Eine Menge Trauben aus denen Rebbergen und Trotten zum abbruch [zum Nachteil] der Herrschaftl(ichen) Zehntgebühren und Trotten hinweggeschlept wurden.“ „Hinwegschleppen“ bedeutete wohl, da von einer unerlaubten Wegnahme nicht die Rede war, Kauf von Trauben direkt bei und nach der Lese. Die Kammer wies darauf die örtlichen Verwaltungen an, solche Geschäfte zu verbieten.867 Wenn diese Form des Kaufs verbreitet war, weist sie auf eine gut funktionierende Zusammenarbeit von Rebleuten und Juden hin. Dass dabei eine Abgabe in der Form des „Trottweins“ zugunsten der Herrschaft wegfiel, war der Grund für die staatlichen Eingriffe. Die Hinweise auf den Weinausschank durch Vertreter der christlichen Bevölkerungsgruppe zeigen, dass sich die Geschäftsbereiche oder -praktiken zwischen Juden und Christen auch hier überschnitten. Ob dadurch ein Konkurrenzverhältnis entstand, muss offen bleiben. Es gab allerdings auch in diesem Detailgeschäft Kooperation. 1747 wurde in Steinbach ein Küfer namens Johannes Oser bestraft. Er hatte gegen die Ohmgeldverordnung verstoßen, indem er Wein „maßweis“ ausschenkte. Dabei ging die Hofkammer davon aus, dass er dies „für Jud Herz“ von Bühl machte, also vermutlich Wein verkaufte, der diesem gehörte.868 Der Handel mit Wein spielte für die markgräflichen Schutzjuden eine in seiner Bedeutung kaum bestimmbare Rolle. Arme Juden wie Süßel in Bühl oder Löw Wertheimer in Durbach bezogen Wein wohl zur Bezahlung im Handel oder bei Krediten, ähnlich auch reichere wie Daniel Cassel in Rastatt. Beim Weinverkauf „über die Straße“ entstanden wohl zahlreiche Kontakte zwischen dem Weinverkäufer und christlichen Nachbarn, Ansatzpunkte für weitere geschäftliche Beziehungen. Anders war es beim Oberschultheißen Samson Schweitzer. Ihm bot die Regierung 1725 an, dass er Wein anstelle von Bargeld erhalten könne, als es um die Bezahlung herrschaftlicher Schulden ging.869 Bei ihm wurde vorausgesetzt, dass er für diesen Wein in einer größeren Menge Abnehmer finden würde. Handel mit Wein war also eine Sache von armen Juden im kleinen Handel, jedoch auch von Juden, die größere Mengen absetzten. Wie im Kreditwesen brachte das Zahlungsmittel Wein der ländlichen Bevölkerung eine Erleichterung, da sie damit nicht auf Bargeld angewiesen war.

866 GLAK 61/13697, Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, 26.6.1739, (loses Blatt). 867 GLAK 61/281 HK 5.10.1744. 868 GLAK 61/284 HK 15.3.1747. 869 GLAK 61/161 HK 5.3.1725.

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4.5.6  Viehhandel: gütliche Einigung, betrügerische Juden, Zufriedenheit und Vertrauen Im Februar 1651 wurde Götschel von Kuppenheim durch Jacob Weber aus Ettlingenweier beim Hofrat angeklagt.870 Es ging, so verzeichnete es der Hofrat, um den Kauf bzw. Verkauf eines Pferdes. Beide Beteiligten scheuten den weiteren gerichtlichen Weg; sie teilten dem Hofrat mit, sie wollten sich gütlich einigen.871 1681 berichtete der Rastatter Amtmann Hans Theodor Oberlin dem Hofrat über das Verhalten von Juden beim Viehhandel. Er gab zu bedenken, dass sie mit „arglüst“ die Bauern beim Verkauf von Pferden betrügen würden, indem sie krankes Vieh so behandeln, dass es zunächst keine Symptome der „Dämpfigkeit“, einer Pferdekrankheit, aufweist. Damit entstehe den Käufern ein großer Schaden.872 Der Hofrat war zunächst unsicher. Er beschied den Amtmann, erst müssten Informationen eingeholt werden. Einen Monat später gab er die verlangte Anweisung an alle Ämter: Die Juden müssten die an der „Dämpfigkeit“ erkrankten Pferde zurücknehmen. Die Regierung wies die Ämter an, „Ihnen Juden dergleichen betrügereyen keines wegs nachzugeben, sondern alles fleisses daran zu sein, dass die Untertanen gegen all dergleichen Vervortheilungen geschützet werden, welches sie Ihnen den Unterthanen zue Nachricht zu verkünden“ hätten;873 die Ämter sollten also energisch die Bevölkerung vor Betrügereien der Juden schützen. Auffallend ist bei diesem Vorgang, dass weder der Amtmann noch der Hofrat einen konkreten Konflikt zwischen einem jüdischen Viehhändler und einem Käufer als Anlass für die Beratung angaben. Oberlin stand wohl vor einer für ihn neuen Situation, in der er in allgemeiner Form um eine Anweisung bat, wie er bei entsprechenden Problemen verfahren solle. Amtmann wie Hofrat orientierten sich an der stereotypen Vorstellung über die jüdischen Viehhändler, welche die Landbevölkerung betrügen würden. Aus Bühl berichtete Amtmann von Harrandt 1721 über den Viehhandel der Juden. Der Sohn von Abraham Löbel874 handelte mit „alten s. V. [Salva venia, mit der Bitte um Verzeihung] Kühen“ und „Nichts nutzigen rossen“; bei Salomon Marx schrieb Harrandt von „liederlichen rossen und Kühen“, ähnlich bei Aron 870 GLAK 61/121 HR 15.2.1652. Namensvariante: Götz. 871 GLAK 61/121 HR 16.4.1652. 872 GLAK 74/3736, Amtmann Theodor Oberlin an den Hofrat, 16.2.1681 und GLAK 61/126 HR 27.3.1681 Bl. 91v–92r. 873 GLAK 61/126 HR 25.4.1681 Bl. 127r. Das entsprechende Generaldekret befindet sich in GLAK 74/3736, Hofrat an die Ämter, 25.4.1681. Zum Bericht des Amtes Rastatt und der Reaktion des Hofrats Zehnter, Juden in der Markgrafschaft Baden-Baden, in: ZGO 50 (1896), S. 381. 874 Möglich ist auch die Lesart Abraham, der Sohn Löbels.

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Meyer von „Liederlichen alten pferden“; die Pferde von Elias Schweitzer bezeichnete er als „Bauern pferdlein“. Auch der Bühler Amtmann unterstellte also den meisten Händlern Betrug beim Verkauf von Pferden und Kühen, die eigentlich nichts wert waren. Nur beim Ladenbesitzer Schmaul, der auch mit Vieh handelte, qualifizierte er das Vieh nicht.875 Juden aus anderen Territorien betrieben in der Markgrafschaft ebenfalls Viehhandel.876 Unter ihnen befanden sich Schutzjuden aus Ettenheim auf dem Gebiet des Hochstifts Straßburg, gegen die 1684 zusammen mit den baden-badischen Juden aus Kippenheim Vorwürfe erhoben wurden. Die Letzteren, hielt die Hofkammer fest, zahlten beim Handel mit Pferden weder Zoll noch Wegegeld, weder wenn sie Pferde ins Land brächten noch wenn sie diese in angrenzenden Territorien verkauften. Die Ettenheimer (und andere nichtmarkgräfliche) Juden würden, so der Vorwurf, eine Gebühr als Ablösung der einzelnen Geleitzahlungen vereinbaren. Dann aber missbrauchten sie diese Vereinbarung: Sie würden sie auch für ihre „Kinder“ und ihre Knechte beanspruchen, indem sie „Knecht und Jungen“ auf den Pferden reiten ließen, die sie über die Grenze brächten. Die vereinbarte Zahlung gelte aber nur für die „Principalen“, für die Haushaltsvorstände oder die Verantwortlichen.877 Deutlich ist die Steigerung erkennbar, die in den Anschuldigungen vollzogen wurde. Der Vorwurf gegen die „fremden“ Juden ging über den gegen die Kippenheimer Juden hinaus: Sie schlossen erst einen „Vergleich“, eine Abmachung mit der Regierung, und anschließend missbrauchten sie das auf sie gesetzte Vertrauen. Diese Juden betrügen, darauf zielte die Anklage, nicht einfach mit einem heimlichen Übertritt über die Grenze, mit einer Unterlassung der fälligen Zahlungen, sondern mit einem bewusst irreführenden Vorgehen, das Wortlaut und Sinn einer ihnen entgegenkommenden Regelung verfälschte. Die Kammerprotokolle von 1731 und 1733 erwähnen mehrmals französische Schutzjuden aus Fort-Louis. 1731 bemühten sich Veith Louis und ein weiterer Jude von dort um einen Geleitakkord; ihnen ging es um den Kauf von alten Kühen und Pferden. Die Hofkammer empfahl den Abschluss eines Vertrags. Wenn die beiden Juden nicht auf das markgräfliche Gebiet kämen, würden die Untertanen einfach ihr altes Vieh heimlich über den Rhein zum Verkauf nach Fort-Louis bringen: Damit gingen Zoll und Akzise verloren.878 1733 baten auch Löwel Kahn und Elias Aron aus Fort-Louis um einen Geleitakkord. Die Hofkammer äußerte sich erneut positiv: Die Einwohner der Markgrafschaft, mit denen sie zu 875 GLAK 74/3711, Johann Heinrich von Harrandt an die Hofkammer, 8.2.1721. 876 Zum Handel von Juden aus benachbarten Territorien siehe S. 624f. 877 GLAK 61/225 HK 4.7.1684. 878 GLAK 61/267 HK 20./21.4.1731.

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tun hatten, seien „mit diesen Juden wohl zufrieden, dieselbst sich auch bis anhero wohl aufgeführet.“879 Im ersten Fall, für Veith Louis und seinen Mitinteressenten, wird ihre Funktion als Käufer von Vieh minderer Qualität sichtbar. Offensichtlich bezahlten sie mehr als die Viehhändler auf der badischen Seite des Rheins. Löwel Kahn und Elias Aron wurden von den Einwohnern des baden-badischen Gebietes geschätzt, vielleicht wegen ihrer Preise, jedenfalls insgesamt wegen ihres Verhaltens. Dieses und die Einnahmen aus Zoll, Akzise und Geleitgeld waren für die Hofkammer wichtige Aspekte für eine wohlwollende Haltung zugunsten der genannten elsässischen Viehhändler. Allerdings könnte auch die Rücksicht auf die französische Regierung das Verhalten zu den Schutzjuden aus Fort-Louis beeinflusst haben. Nur wenige Konflikte im Bereich des Viehhandels sind erkennbar, vielleicht eine Folge der Quellenlage und der Zuständigkeit des Hofrats: Die entsprechenden gerichtlichen Auseinandersetzungen wurden selten vor dieses Gremium als die zweite Instanz gebracht wie im Fall eines Sohnes von Elias Samuel oder Schmaul in Bühl, bei einem strittigen Pferdeverkauf.880 Elias Schmaul selbst setzte sich seit 1749 wegen des Tauschs eines Pferdes mit Bernhard Rheinboldt, einem Bürger und Wirt in Steinbach, auseinander.881 Diese Streitsache wurde schließlich vor dem Hofrat mit einem Vergleich beendet,882 wie schon ein Konflikt bei einem Pferdehandel Götschels von Rastatt im Jahr 1651. Wenn es möglich war, versuchte der Hofrat einen Vergleich noch auf der Ebene des Amtes: 1765 stritten sich Joseph Elias und ein Bürger von Steinbach wegen des Kaufs bzw. Verkaufs zweier Ochsen. Der Hofrat entschied: Das Amt solle mit einem Gutachten für eine Einigung sorgen, um den Beteiligten unnötige Kosten zu ersparen.883 Der Vergleich erhielt den Vorzug wohl nicht nur um der Kostenersparnis willen – im Viehhandel, bei Erkrankungen der Tiere, dürfte es viel Unwägbares und Uneindeutiges gegeben haben, das sich einer Beurteilung entzog und die Beteiligten zu Kompromissen bewegte. Trotz der stereotypen Vorstellungen bei Regierung und Beamten über jüdische Viehhändler – gerade die Unwägbarkeiten im Viehhandel setzten Vertrauen in die Händler voraus, und davon brachte die markgräfliche Bevölkerung jenen in Fort-Louis mehr entgegen als den einheimischen. In diesem Falle setzte sich sogar die Nützlichkeit der jüdischen Händler für die Bevölkerung durch, anders als zuvor im Hausierhandel.

879 GLAK 61/269 HK 10.1.1733. 880 GLAK 61/173 HR 15.5.1744 Nr. 27 und 18.6.1744 Nr. 27. 881 GLAK 61/178 HR 13.2.1749 Nr. 17 und 13.5.1749 Nr. 14 u. ö. 882 GLAK 61/179 HR 18.6.1750 Nr. 18 und 23.6.1750 Nr. 16. 883 GLAK 61/201 HR 21.5.1765 Protocollum judicii aulis Nr. 4.

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Juden im Wirtschaftsleben

4.6  Ein Ochsenhandel: Normales und Außernormales 1739 oder 1740 kam Jäckel von Kuppenheim zu Mathias Rieger, einem Bürger in Gaggenau. Er „mäkelte“, vermittelte also diesem einen Käufer für zwei Ochsen, nämlich Salomon Baruch aus Beinheim.884 Jäckel bürgte auch für die Bezahlung der 82 Gulden, die Salomon Baruch als Preis zugesagt hatte.885 Die Ochsen wurden nach Beinheim überführt, dann kam es zum Streit. Rieger behauptete, kein Geld bekommen zu haben. Vor Amtmann Boucher in Beinheim legte Salomon Baruch jedoch eine Quittung vor, in der Rieger mit seiner Unterschrift den Erhalt des Geldes bestätigte.886 Vor dem Oberamtmann Lassolaye in Rastatt äußerte sich Rieger sehr vage: Ja, er sei einmal im Elsass bei einem Juden im Haus gewesen – nicht in Beinheim, sondern nicht weit davon, in Schirrheim (Schirrhein, BasRhin), bestimmt habe er aber die fragliche Quittung nicht unterschrieben.887 Der Streit entwickelte sich offenbar zugunsten von Rieger. Jäckel, als Bürge in die Pflicht genommen, hatte kein Vermögen,888 konnte damit den Kaufpreis nicht aufbringen. Er war noch ledig und lebte bei seiner Mutter Bräunle, einer Witwe. Deshalb versuchte Mathias Rieger seine Ansprüche bei ihr durchzusetzen.889 Oberamtmann Lassolaye berichtete über sie und ihren Sohn: Die Aussagen Bräunles enthielten „lauter unwahrheiten“, und er habe ihren Sohn einsperrt; dieser sei aber durch die Mauer des Gefängnisses ausgebrochen und habe „sich unsichtbar gemacht“, war also nicht auffindbar.890 Die Regierung gab dem Amtmann darauf neue Anweisungen: Er müsse klären, ob Jäckel mit seiner Mutter und seinem Bruder Götschel einen gemeinsamen Handel führe; unter dieser Voraussetzung hatte Rieger wohl seine Ansprüche an Bräunle erhoben. Gleichzeitig erhielt der Judenoberschultheiß Samson Schweitzer einen Befehl der Regierung: Die „Judenschaft“ müsse Jäckel innerhalb von vier Wochen herbeischaffen, falls nicht, müsse sie den Schaden gutmachen, den Jäckel „boshaft und betrüglicher weis“ verursacht habe.891 Mathias Rieger wurde beim Hofrat vorstellig: Er habe seine Aussage beim Amt Rastatt ergänzt. Der Kuppenheimer Stabhalter sei nämlich bei dem Verkauf dabei gewesen und könne bezeugen, dass Jäckel für den Kaufpreis gebürgt habe, deshalb müsse er nun zahlen.892 Jäckel selbst war inzwischen in Abwesenheit we884 GLAK 61/169 HR 18.10.1740 Nr. 5. 885 GLAK 61/170 HR 17.8.1741 Nr. 18. 886 GLAK 61/170 HR 14.3.1741 Nr. 23. 887 GLAK 61/170 HR 21.3.1741 Nr. 9. 888 GLAK 61/170 HR 28.2.1741 Nr. 24. 889 GLAK 61/170 HR 17.8.1741 Nr. 18. 890 GLAK 61/170 HR 6.9.1741 Nr. 21. 891 GLAK 61/170 HR 3.10.1741 Nr. 17. 892 GLAK 61/170 HR 1.12.1741 Nr. 8.

Ein Ochsenhandel 

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gen seiner Flucht mit einer Geldstrafe von 10 Reichstalern belegt worden; seine Mutter bat darum, wegen seiner Armut diese Summe in eine körperliche Bestrafung umzuwandeln.893 Über Baruch Salomon berichtete das Amt Beinheim im Februar 1742, auch er habe kein Vermögen, dafür aber schon vor Rieger andere „betrogen“. Sein Schutzgeld müsse „mit größter Mühe von ihme erpreßt werden.“894 Jäckel selbst war möglicherweise in der Zwischenzeit nach Kuppenheim zurückgekehrt: Jetzt, im Mai 1742, wurde sein Name mit Jacob Löwel angegeben, als er um eine Ermäßigung der Strafe bat, die er für seine Flucht erhalten hatte.895 Überhaupt, die Sache scheint sich zu seinen Gunsten entwickelt zu haben. Ein Jahr nach dem Gesuch Jäckels oder Jacob Löwels verlangte Mathias Rieger endlich eine Entscheidung: Der Hofrat solle Jäckel dazu verurteilen, seine Bürgschaft einzulösen, da Salomon Baruch die Zahlung verweigere. Der Rat entschied jedoch gegen Rieger: Die Angelegenheit sei schon gerichtlich, also vor dem Amt, geklärt.896 Als Rieger erneut vorstellig wurde, drohte ihm der Hofrat: Bei einer weiteren Supplik müsse er mit einer Strafe rechnen.897 – Wenn auch unklar bleibt, warum sich Jäckel durchsetzte, ist so viel deutlich: Rieger erhielt kein Geld, wohl weil Baruch Salomon die Ochsen doch schon bezahlt hatte und die von Rieger ausgestellte Quittung anerkannt wurde. Möglicherweise war Riegers Vorgehen gegen Jäckel gar nicht direkt im Handel mit den Ochsen begründet. Jäckel nämlich supplizierte im Mai 1742 seinerseits gegen Rieger: Der Hofrat solle ihn dazu verurteilen, ihm, Jäckel, das Geld zurückzuzahlen, das er Rieger geliehen habe. Hier entschied der Hofrat rasch und eindeutig: Er beauftragte den Oberamtmann Lassolaye, Jäckel zu seinem Geld zu verhelfen.898 So war das Vorgehen von Mathias Rieger vielleicht der Versuch eines Schuldners, seinen Gläubiger unter Druck zu setzen. Sicher ist jedenfalls, dass es bei diesem Konflikt zu einer Vorverurteilung kam: Jäckels Schuld wurde rasch angenommen, er selbst als ein boshafter und betrügerischer Mensch bezeichnet. Auch Baruch Salomons Position sollte mit Hinweisen auf früheres Verhalten geschwächt werden. Dann aber wurde das Urteil gegen Jäckel und Baruch Salomon zumindest in rechtlicher Hinsicht revidiert. Worin bestand die Normalität dieses Viehhandels? Ein armer Jude wie Jäckel ging dem Viehmäkeln nach, dem Vermitteln eines Handels. Er kam dabei auf den Hof, in den Stall des Verkäufers. Anfänglich vertraute Mathias Rieger auf Jäckel, akzeptierte ihn als Bürge, und damit wurde der Handel abgeschlossen 893 GLAK 61/170 HR 5.12.1741 Nr. 12. 894 GLAK 61/171 HR 8.2.1742 Nr. 28. 895 GLAK 61/45 GR 19.5.1742 Nr. 27. 896 GLAK 61/172 HR 24.5.1743 Nr. 22. 897 GLAK 61/172 HR 8.10.1743 Nr. 18. 898 GLAK 61/171 HR 10.5.1742 Nr. 13.

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und die Ochsen zu Baruch Salomon gebracht. Dieser Viehhandel entsprach der Erwartung der markgräflichen Untertanen, bei den Viehhändlern aus dem Elsass gute Preise zu erhalten.899 Doch die Einstellung von Mathias Rieger sowohl zu Jäckel wie zu Baruch Salomon kippte, ohne dass der Grund deutlich erkennbar wäre. Vielleicht wollte Mathias Rieger nur Jäckel heimzahlen, dass er, Rieger, bei einem Juden verschuldet war, die normale Überlegenheit des Christen damit in Frage stand. Jedenfalls: Jetzt erfolgte der Rückgriff auf das Stereotyp des betrügerischen und lügnerischen Juden. Jäckel nutzte wohl das nahe Elsass, um sich gegen die Vorverurteilung zu wehren und sich vor dem Zugriff der baden-badischen Regierung zu retten. Das deutet auf eine Antwort auf die Frage hin, warum auch auf der Seite der Regierung die Einstellung kippte. Ihre Bereitschaft zur Revision der Vorverurteilung könnte damit zusammenhängen, dass sie es bei diesem Konflikt mit einem Schutzjuden unter französischer Oberhoheit zu tun hatte und deshalb Rücksicht auf die Regierung in Frankreich angebracht erschien. Indem am Ende der arme Jude Recht erhielt und nicht der Christ, waren „normale“ stereotype Vorstellungen durchbrochen. Die Verschuldung Riegers bei einem armen Juden durchkreuzte das gewöhnlich asymmetrische Verhältnis zwischen Christen und Juden. Das normale Ausspielen des Stereotyps eines betrügerischen Juden, dessen Vorverurteilung, dann aber doch sein Erfolg vor Gericht, vielleicht mit Blick nach Paris – so existierten Normales und Außergewöhnliches900 beim Ochsenhandel von Gaggenau nebeneinander und gleichzeitig. In diesem Fall wurde die Grenze des Vorurteils zugunsten eines Juden durchbrochen.

4.7  „Man ist auf dem Landt daß Spazierengehen nicht gewohnt, Sondern es muß ein jedes Nach Seinem   Stand arbeiten.“ – Jüdinnen im Wirtschaftsleben Staatliche Stellen produzierten Überlieferungen über jüdische Frauen, etwa wenn es um die Bestrafung von unehelicher Schwangerschaft ging oder um Erbauseinandersetzungen. Sonst kamen Jüdinnen selten in den Blick der Verwaltung. Ihre Rolle im wirtschaftlichen Leben lässt sich daher nur in wenigen Zügen umreißen. 1784, schon nach der Vereinigung der badischen Markgrafschaften, erließ die Regierung in Karlsruhe ein Dekret über die Ausbildung der jüdischen Kinder und Jugendlichen; sie stellte eine erleichterte Schutzaufnahme in Aussicht, falls die 899 Zur Einstellung zu den elsässischen Viehhändlern siehe S. 272f. 900 Zu den Kategorien des Normalen und des Außergewöhnlichen im mikrohistorischen Zugang zur Geschichte Otto Ulbricht, Mikrogeschichte. Menschen und Konflikte in der Frühen Neuzeit. Frankfurt 2009, S. 21f.

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Eltern für eine aus der Sicht der Regierung verbesserte Ausbildung außerhalb des Handels sorgten. Die Judenschaft sollte, so der Bühler Anwald Joseph Elias 1785, „ausßer dem deutsch Schreiben, Leeßen und Rechnen, auch daß wollen Stricken und Schlumpfen [Wolle zur Weiterverarbeitung vorbereiten, Wolle reinigen901] in gleichen [ebenso] daß Flachs Hanfwolle und Baum wolle Spinnen, oder was sonst für Eine in zünftige gewerbe nicht eingreifende Arbeit von denen Juden Vorgeschlagen werden wollen [was sonst von den Juden an beruflichen Tätigkeiten vorgeschlagen werden sollte, die nicht in das zünftige Gewerbe fielen], Ihre Kinder fertig Lernen zu Lasßen.“

Dazu bezog Joseph Elias, als Anwald der „gemein(en) Judtenschaft“ in Bühl, im folgenden Jahr mit einem Schreiben an das Amt Stellung. Es sei unter den Juden immer, im Rahmen ihrer Möglichkeiten, Wert gelegt worden auf „deutsch Schreiben, Rechnen und Leesßen Lernen Lasßen, auch die weibs Persohnen, Nehen Stricken Auch Hanf und Flachs Spinen.“ Sollte es eine genauere Prüfung geben, würde man „wenig, oder Vielleicht gahr keine, Von weiblichen Geschlecht andrefen, die solches nicht kunte [die solche Fertigkeiten nicht hätten], dan [denn] Man ist auf dem Landt daß Spazierengehen nicht gewohnt, Sondern es muß ein jedes Nach Seinem Stand arbeiten, was Es zur Nahrung bey tragen kann.“

Für Männer schloss er eine Ausbildung in diesen Fertigkeiten kategorisch aus: Mit nichts könne sich ein Mann „in dem Ehestandt Ernähren, viel weniger glücklich machen, ausßer durch Stutia [Studien], oder Handlung“; deshalb seien die Väter dazu verpflichtet, ihre Söhne entsprechend ausbilden zu lassen, zumal Juden keine zünftigen Berufe offen ständen. „Stricken, Schlumpfen und Spinnen“ seien aber „hier zu Landt daß Letzte Mittel, wo sich die Bettel Leuthen damit suchen Zu Ernähren“, und sie müssten „Zum Theill noch wochentlich mit dem Bettel hausen [wöchentlich betteln gehen], weill sie Sich von dießem allein nicht Ernähren könen.“902 Mädchen oder heranwachsende Frauen sollten also Nähen, Stricken und Spinnen lernen; für männliche Jugendliche lehnte dies Joseph Elias ab. Dass diese Tätigkeiten von Frauen für den außerhäuslichen Bedarf ausgeübt wurden, lässt sich nicht direkt feststellen, auch nicht für das Ziehen von Kerzen. Wenn etwa gegen Ende des 17. Jahrhunderts der „Lichterjud“ Moyses in Bühl903 Kerzen produzieren ließ, dann könnte dies eine Tätigkeit sein, die in jüdischen Haushalten 901 Schlumpen: Wolle kämmen, Wolle reinigen und zur Verarbeitung vorbereiten (Pfälzisches Wörterbuch, begründet von Ernst Christmann, fortgeführt von Julius Krämer, bearbeitet von Rudolf Post unter Mitarbeit von Josef Schwing und Sigrid Bingenheimer, 6 Bände. Wiesbaden 1965–1997, in: http://germazope.uni-trier.de/Projects/WBB/woerterbuecher/ pfwb (20.7.2010). 902 GLAK 74/3689, Joseph Elias an das Amt Bühl, 7.2.1785. 903 Zum Verkauf von Kerzen durch Moyses siehe S. 218.

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von Frauen oder Heranwachsenden ausgeübt wurde. Die wohlhabenden Juden beschäftigten Mägde, zu deren Arbeit gehörte wohl auch das Nähen oder Spinnen. Mithilfe der Ehefrauen beim Handel ihrer Männer ist nachweisbar. So kam die Frau von Raphael Jacob, während dieser einige Zeit nicht in Rastatt war, in den Verdacht, Diebesgut gekauft zu haben.904 Es scheint auch nichts Außergewöhnliches gewesen zu sein, dass Frauen geschäftliche Belege ausfüllten wie die Ehefrau von Emmanuel Weil 1750.905 Hier kam ihnen zugute, dass auch sie, wie Joseph Elias berichtete, Schreiben auf Deutsch und Rechnen gelernt hatten. Ob diese Tätigkeiten zu einer rechtlichen Beteiligung der Frauen an den Geschäften ihrer Männer führten, ist ungewiss, wie es auch der Regierung im Jahr 1719 als zweifelhaft erschien. Nach dem Tod von Abraham Heilbronn in Bühl verlangte dessen Frau die Übergabe des „dos“, ihres Heiratsgutes. Sie fürchtete, dass es den Gläubigern ihres Mannes ausgeliefert werden könne. Der Hofrat entschied zu ihren Gunsten: Der Bühler Amtmann solle ihr das Heiratsgut übergeben, wenn auch bei den Christen so verfahren werde. Es hänge allerdings davon ab, dass die Witwe „nicht zusammen mit ihrem Mann die Schulden eingegangen“ sei.906 Es ging also um das rechtliche Problem der Haftung einer Ehefrau für die Schulden ihres Mannes; wäre die Witwe Heilbronns an den Schulden beteiligt gewesen, hätte sie als Teilhaberin an den Geschäften ihres Mannes gegolten. Bei christlichen Ehefrauen gab es diese Stellung der Ehefrau nicht, bei jüdischen wurde sie als Möglichkeit angenommen.907 Rößel, die Witwe eines Schutzjuden in Kuppenheim, hatte ihren Schutz wohl zugunsten ihres Sohnes aufgegeben; 1741 erhielt sie, weil sich die Beziehung zu ihm verschlechtert hatte, wieder das Recht, Handel zu treiben gegen die Bezahlung des bei Witwen üblichen halben Schutzgeldes.908 Bei Zosam Schweitzer, der Witwe von Elias Schweitzer, wurde 1754 im Zusammenhang mit der Regelung der familiären Vermögensverhältnisse angegeben, dass sie mit ihrem Handel aufhören würde.909 Bei der Witwe von Marx Weil in Kippenheim wurde das Schutzgeld mit der ausdrücklichen Forderung halbiert, dass sie ja keinen Handel mehr treibe.910 Die Witwe von Abraham „des alten“ in Malsch bat 1753 erfolgreich um die Befreiung von der Zahlung des Schutzgeldes. Das zuständige Amt Ettlingen berichtete dazu, dass sie 70 Jahre alt sei und nun nicht mehr „ihrer nahrung

904 GLAK 61/174 HR 26.10.1745 Nr. 1 und GLAK 61/175 HR 7.1.1745 Nr. 8. 905 Dazu siehe S. 152. 906 GLAK 61/147 HR 14.2.1719 und 19.3.1719. 907 Zur Frage des „dos“ und der rechtlichen Stellung der Ehefrauen Battenberg, Juden in Deutschland, S. 121f. 908 GLAK 61/170 HR 12.1.1741 Nr. 21 und GLAK 61/170 HR 19.1.1741 Nr. 10. 909 Zur Vermögensregelung in der Familie Schweitzer siehe S. 121f. 910 GLAK 61/288 HK 17.3.1751.

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nachkommen“,911 ihren Lebensunterhalt nicht mehr selbst verdienen könne. Sie hatte, nach einem Bericht des Amtskeller in Malsch aus dem folgenden Jahr, in ihrem „kleinen Krahmladen“ einen kaum nennenswerten Handel geführt.912 Die Witwe von Jäckel in Kuppenheim sollte 1744 für die Alimentation des Kindes ihres Sohnes Jacob Löwel und der Witwe Catharina Hasler aufkommen.913 Sie wehrte sich: Ihr gehöre nur ein Haus, auf das sie angewiesen sei; nur so könne sie als Siebzigjährige „sich sauerlich [mühsam] ernähren“. Stabhalter und Bürgermeister von Kuppenheim, dazu noch der Judenoberschultheiß Samson Schweitzer bestätigten nach ihrem Tod, dass sie „in gutem Vermögen gestanden, und Zinn, Kupfer, und betwerckh [Zubehör eines Bettes wie Decken und Bezüge] gehabt habe.“914 Das alles deutet darauf hin, dass die Witwe Jäckels Handel trieb. Dabei scheint sie sich zumindest mit dem „Bettwerckh“ in dem Sinne spezialisiert zu haben, dass ihr Angebot besonders für Frauen interessant war, ähnlich wie die Stoffe, die Bändel und Gewürze der Witwe von Abraham in Malsch. Dass Frauen von Schutzjuden nach dem Tod ihres Mannes seinen Handel weiterführten, war eine Praxis, die in der Mitte des 18. Jahrhunderts nichts Ungewöhnliches war. Sie ist auch für andere Regionen nachgewiesen.915 Diese Verhaltensweise setzt aber wie bei der Stellvertretung ihres Mannes bei seiner Abwesenheit voraus, dass Frauen, noch während ihre Männer lebten, über deren Geschäfte auf dem Laufenden waren,916 Kenntnisse erwarben und Erfahrungen im Handel machten. Damit holten sie nach, was, wenn Joseph Elias die Verhältnisse zutreffend beschrieb, ihnen als intendierte Ausbildung nicht zugutekam. Seine Darstellung, wie Söhne und Töchter in jüdischen Familien ihre Ausbildung erhielten, ist noch unter einem anderen Aspekt aufschlussreich. Joseph Elias wies die Fertigkeiten, die vermittelt wurden, eindeutig zu: Frauen sollten über handarbeitliches Geschick verfügen, Männer zu Kenntnissen und Fertigkeiten im Handel oder über „Stutia“ zu wohl vor allem religiösem Wissen kommen. Die Praxis in der einen oder anderen jüdischen Familie könnte eine Korrektur seiner Darstellung erfordern. Als nämlich die Tochter Hayum Flörsheims, allerdings ein halbes Jahrhundert vorher, nach ihrer Taufe befähigt werden sollte, selbstständig 911 GLAK 61/290 HK 18.5.1753 Nr. 18. 912 GLAK 61/291 HK 19.4.1754 Nr. 38. 913 Zu Jacob Löwel und Catharina Hasler siehe S. 536ff. 914 GLAK 61/173 HR 1.12.1744 Nr. 9 und 61/174 HR 3.8.1745 Nr. 18. 915 So bei Natalie Zemon Davis, Drei Frauenleben. Glikl, Marie de l’Incarnation., Maria Sibylla Merian. Berlin o. J. (1996), S. 22f. Monika Preuß, ...aber die Krone des guten Namens überragt sie. Jüdische Ehrenvorstellungen im 18. Jahrhundert im Kraichgau (Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, Reihe B, Forschungen 160), Stuttgart 2005, S. 65, Anmerkung 233, schätzt die Fortführung des Geschäftes durch eine Witwe eher als Einzelfall ein. 916 Zur Stellvertretung der abwesenden Männer durch die Ehefrauen Ulbrich, Shulamit und Margarete, S. 211.

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für sich zu sorgen, erhielt sie zeitweise eine Ausbildung, „zum nähen, hauben stickhen, waschen, bögeln [bügeln] und d(e)rgl(eichen) zu lehrnen.“917 Wenn sie das vor ihrer Taufe, im Haus des Judenschultheißen, nicht gelernt hatte – was dann? Vielleicht doch besser und mehr lesen und schreiben als andere? Andererseits: Das Stricken, in der Form des Strumpfstrickens, war unter den Christen ein Handwerk, das zünftig ausgeübt wurde, von Männern. Möglicherweise wies Joseph Elias Fertigkeiten geschlechtsspezifischer zu, als sie im Alltag praktiziert wurden. Für ihn ging es darum, die Regierung von einer beruflichen Orientierung der Juden abzuhalten, von der er eine weitere Verarmung befürchtete: Eine solche Orientierung wäre, schrieb er, „vielfältig Zu unsren größten schaden.“918

4.8  Die Weide Für das Vieh, mit dem sie handelten, brauchten die Schutzjuden eine Weidemöglichkeit, wenn sich Kauf und Verkauf nicht direkt und im Nahbereich abspielte. Schon 1684 hinderte die Gemeinde Kippenheim die Juden, ihr Vieh auf die Weide der Gemeinde zu bringen.919 In Bühl führte 1697 die Benutzung der Weide zu einem deutlicher erkennbaren Konflikt; der beträchtliche Gemeinbesitz, die Allmende, bestand aus dem Gewann „Elet“ im Nordwesten des Marktfleckens mit Wald und Weideflächen.920 Über die Benutzung der öffentlichen Weide durch jüdische Einwohner beschwerten sich im Sommer 1697 beim Amt Bürgermeister Ludwig Heusler „der Alt“, das Ortsgerichtsmitglied Michael Würth und drei weitere Bürger im Auftrag der Gemeinde: Die Juden würden damit gegen Recht und Tradition verstoßen, gegen „recht und alte[s] Herkhommen“. Sie brächten viele Tiere, auch aus Orten mit Viehseuchen, nach Bühl. Dadurch würde die Weide zu sehr beansprucht, und die Gefahr bestehe, dass eine Seuche das Vieh der Christen vernichte, zum „unErsötzlichen schaden“ der Bürger. Deshalb forderten die Vertreter der Gemeinde, dass die Juden nur einen ihnen schon früher eingeräumten Weidebezirk, den „von alters hero Ihnen Assionirten [wohl Verschreibung für assignirten, angewiesenen] platz, neblichen [Verschreibung für nemlichen, nämlich] durch den Ehlet weeg hinab bis ahn die S: V: Schwein [bis zur Weidefläche für die Schweine]“ benutzen dürften. Dafür sollte jeder jüdische Haushaltsvorstand jährlich 2 Gulden bezahlen.921 917 GLAK 61/165 HR 6.11.1736 Nr. 7. 918 GLAK 74/3689, Joseph Elias an das Amt Bühl, 7.2.1785. 919 Zehnter, Juden in der Markgrafschaft Baden-Baden, in: ZGO 50 (1896), S. 378. 920 Reinfried, Kurzgefaßte Geschichte der Stadtgemeinde Bühl im Großherzogthum Baden, Freiburg 1877 (Neudruck Bühl 1981), S. 22. 921 GLAK 229/15159, „Extractus Bühler Ambts Prothocolli de dato 16ter Aug(us)tij 1697“, (16.8.1697).

Die Weide 

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Die Juden verteidigten sich: An anderen Orten wie Baden-Baden und Rastatt könnten die jüdischen Einwohner ungehindert die Weide benutzen; das müsse auch für Bühl gelten, zumal sie – im Unterschied zu Schutzjuden anderswo – die Kontributionen und weiteren Belastungen der Ortsbürger „mit den Christen“ tragen würden. Jedenfalls sei ihnen bisher der Zugang zur Weide nicht verwehrt und ein besonderes „waidtgelt“ nie verlangt worden.922 Der Amtmann Johann Adam Zettwoch argumentierte so: Ein Bürger hätte jeweils höchstens vier Pferde oder vier Ochsen auf der Weide, die Juden ein, höchstens zwei Pferde. Er stellte also die Nutzung der Weide durch die Juden als geringfügig dar. Dass sie in der Vergangenheit 2 Gulden „Waidgelt“ gezahlt hätten, fuhr er fort, gehe aus den Gemeinderechnungen hervor. Allerdings fügte er auch hinzu, dass die jüdischen Einwohner früher nicht so zahlreich gewesen seien wie jetzt. Dann entschied der Amtmann: Juden sollten nicht mehr Vieh als die Christen, also höchstens vier Pferde und einige andere Tiere, auf die Weide stellen können. Sollte einer – für den Handel – mehr Vieh haben, dann müsse er es im eigenen Stall halten und füttern. Über die gemeinsame Nutzung der Weide durch Christen und Juden äußerte sich der Amtmann nicht eindeutig: Die Juden sollten ihr Vieh, um die Ausbreitung von Krankheiten zu verhindern, getrennt von dem der Christen halten. Zugleich gab er den Einwand der jüdischen Einwohner wieder: Eine Trennung der Tiere sei unmöglich. Schließlich verzichtete er auf die Anordnung zweier getrennter Weidebereiche, drohte aber eine Strafe an, falls es zu einer Ansteckung von Vieh der Christen käme.923 Beide Seiten argumentierten mit der Vergangenheit. Die Christen damit, dass sie sich auf die alten Verhältnisse als Maßstab für ihr Recht beriefen. Das machten auch die jüdischen Einwohner. Sie beharrten darauf, nie etwas für die Nutzung der Weide bezahlt zu haben. Für die Christen war es wichtig, dass die jüdischen Einwohner mit ihrem Vieh wie bisher in dem ihnen angewiesenen Weidebereich blieben, wo in der Nachbarschaft die Schweine ihre Weide hatten. Die Juden beanspruchten die Mitbenutzung der „Allgemeinen waydt“. Deutlich unterschieden sich die beiden Seiten im Horizont ihres Denkens. Der Ort Bühl war für die christlichen Einwohner der selbstverständliche Bezugsrahmen ihrer Argumentation, eine Folge ihres kommunal geprägten Denkens. Die Schutzjuden gingen über den kommunalen Raum hinaus und verwiesen auf andere Orte, in denen jüdische Viehhändler die für alle zugängliche Gemeindeweide benutzen konnten. Da die Bürger mit der Entscheidung des Amtmanns unzufrieden waren, erweiterten sie in ihrem folgenden Memorial an die Regierung ihre Argumentation. Zuerst erklärten sie, warum sie nicht früher Klage erhoben hätten. Sie hofften, so 922 Ebd. 923 Ebd.; zum Konflikt über die Weide in Bühl 1697 Zehnter, Juden in der Markgrafschaft Baden-Baden, in: ZGO 50 (1896), S. 379–381.

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schrieben sie, während des andauernden Krieges924 auf eine Verbesserung ihrer Situation im Frieden. Nun aber, angesichts des Verhaltens der Juden und des drohenden Ruins, könnten sie nicht länger warten. Ihre eigentliche Argumentation begannen sie mit einem Rückblick auf die vorausgegangenen Jahrzehnte. Anfangs hätten die Juden vom Handel mit „Krämer wahren“ gelebt. Mit ihrer größeren Anzahl habe sich dann der Viehhandel verstärkt. Die Bürgerschaft erlaubte trotzdem den Juden „gutwilliglichen“, bis zu vier Pferde auf ihre besondere Weide zu treiben. Dann zerstörte der Krieg die bis dahin herrschende Ordnung. Das nutzten die Juden aus, indem sie die den Christen zustehende Gemeindeweide mitverwendeten, für mehr als 50 Stück Vieh, ohne um Erlaubnis zu fragen und das vereinbarte Weidegeld zu zahlen. Dem geringen Betrag, den die Juden für die Benutzung der Weide eigentlich zahlen müssten, stellten die Christen ihre Belastungen gegenüber. Sie allein hätten die Steuern aufzubringen, den Aufwand für die Entwässerung der Wiesen und weitere hohe Kosten. Dazu verlangten sie jedoch nichts von den Juden; diese könnten aber auch keinen Anspruch auf die Weide erheben, wenn sie nichts zu den Lasten beitrügen. Darauf führten die christlichen Einwohner die Überweidung an. Durch die große Menge Vieh der Juden bleibe ihnen selbst kaum noch ein Nutzen übrig. Das gelte besonders für einen armen Einwohner, der mit einer kleinen Kuh seine Kinder ernähren wolle. Wenn er schon einmal ein Jungvieh hätte, müsse er es doch „denen Juden zum vorteyl undt Ihren Wucher [ihren wucherischen Geschäften] überlassen.“ Die Zunahme ihres Viehs „von Tag zu Tag“ würde dazu führen, dass die Christen ihre Pferde wegen der fehlenden Weidemöglichkeiten aufgeben müssten; das schade auch der Herrschaft, da ihre Ansprüche auf Fronarbeiten mit Pferden und andere Leistungen nicht mehr erfüllbar seien. Die Gefahr durch krankes Vieh untermauerten sie damit, dass im Vorjahr eine Seuche, von den Tieren der Juden ausgehend, sich verbreitet habe. Überhaupt: Die Juden würden gegen das geltende Recht keine Nachweise für die Gesundheit des Viehs vorlegen, das sie nach Bühl brächten. Aus diesen Gründen müsse die Gleichbehandlung der Juden mit den Christen verhindert und ihr Anspruch auf deren Besitz zurückgewiesen werden. Deshalb hätten die Christen beim Amt Klage erhoben. Das Urteil fiel jedoch – so die Gemeinde – zugunsten der Juden aus. Nun sei deren Anspruch rechtlich bestärkt worden, indem jeder von ihnen bis zu vier Pferden auf die Weide bringen könne.925 Die Vorstellungen der christlichen Einwohner lassen sich so zusammenfassen: Das Verhalten der Juden sei ein Verstoß gegen Recht und Herkommen. Die 924 Die Bürgerschaft in Bühl bezog sich auf den Pfälzer Erbfolgekrieg, der kurz nach ihren Suppliken mit dem Frieden von Rijswijk (September/Oktober 1697) beendet wurde. 925 GLAK 229/15159, Gemeinde Bühl an Markgraf Ludwig Wilhelm, o. D., Kopie des Schreibens mit dem Abgangsvermerk vom 24.8.1697.

Die Weide 

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Schädlichkeit der Juden wurde behauptet; das eigene Vieh würde angesteckt und die Möglichkeit, es zu weiden, so weit eingeschränkt, dass der Ruin der Bürgerschaft drohe. Vor allem die Armen kämen so in Not. Die Forderungen daraus: Die Juden sollten auf ihren „alten“, abgetrennten Weidebezirk eingegrenzt werden und für seine Nutzung eine Gebühr zahlen. Auch bei diesen Vorwürfen äußerten die christlichen Einwohner stereotype Vorstellungen: Die Juden haben sich erst einzeln niedergelassen, dann sich rasch vermehrt; sie brachen Recht und Ordnung, schadeten den Bürgern bis zum Ruin, würden Seuchen ausbreiten und gerade die Notlage von Armen ausnutzen, und sie müssten von den Christen getrennt werden. Die Auseinandersetzung um die Weide im christlich-jüdischen Spannungsfeld wird von Sabine Ullmann als Kampf um die Existenzmittel angesehen, die der ländlichen Bevölkerung zur Verfügung standen.926 Dies gilt auch für Bühl, wo in der Folgezeit selbst in der christlichen Bevölkerung Konflikte über die Weide ausgetragen wurden. Hier ging es allerdings noch um mehr, gerade im Zusammenhang mit dem fast gleichzeitigen Konflikt über das Haus Joseph Jacobs am Markt. Die Gemeinde betonte nicht zufällig in ihren Beschwerden wegen der Weide ihren Status: Bis dahin hatte sie den jüdischen Einwohnern einen gesonderten Bezirk angewiesen, sie mit der Anweisung eines Platzes bei den Schweinen zusätzlich demütigend.927 Die Trennung der Juden von den Christen, zuerst innerörtlich bei Markt und Kirche praktiziert, wurde auf die offene Flur ausgeweitet. Das bestätigt die Reaktion der Bühler Juden: Sie beharrten – und auch hier ist an das Selbstbewusstsein ihres Schultheißen Joseph Jacob zu denken – auf der Nutzung der Gemeindeweide.928 Dabei waren sie sich des Zusammenhangs zwischen der Übernahme von allgemeinen Lasten und den Rechten an der Allmende, dem Gemeinbesitz des Marktfleckens, bewusst: Sie trugen, ihrer Aussage nach, diese Lasten mit, also waren ihre Ansprüche legitim. Damit stellten auch in Bühl die ländlichen Juden – für die Nutzung der Weide – ihren Status als rechtlich benachteiligte Minderheit in Frage.929 Indem die Christen auf der Trennung zwischen sich und den Juden beharrten, stärkten sie ihr eigenes Selbstverständnis. Sie sahen sich als die eigentlichen Träger 926 Sabine Ullmann, Der Streit um die Weide. Ein Ressourcenkonflikt zwischen Christen und Juden in den Dorfgemeinden der Markgrafschaft Burgau, in: Mark Häberlein (Hg.), Devianz, Widerstand und Herrschaftspraxis in der Vormoderne. Studien zu Konflikten im südwestdeutschen Raum (15.–18.Jahrhundert). Konstanz 1999, S. 99–136, hierzu S. 99. 927 Zur Verknüpfung des Schweins mit Juden in der Darstellung der „Judensau“ Rohrbacher und Schmidt, Judenbilder, S. 16–18. 928 Zu Jacobs Selbstbewusstsein siehe S. 163ff. 929 Zur Haltung der Juden in den Weidekonflikten siehe Liberles, An der Schwelle zur Moderne, in: Kaplan, Geschichte des jüdischen Alltags, S. 120.

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der örtlichen Belastungen, als die Wahrer des „gemeinen Wesens“ und als Anhänger von Recht und Herkommen. Obwohl sie in ihrem Besitz angegriffen seien, räumten sie den Juden großzügig dessen Mitnutzung ein. Die Sorge für die Armen in der Gemeinde gehört zu diesem Selbstverständnis und wird wie Geduld, Achtung von Recht und Herkommen und Großzügigkeit als Motiv des eigenen Handelns vorausgesetzt. Die Christen hoben gegenüber den negativen Zügen der Juden die eigenen, entgegengesetzten Eigenschaften hervor: Die Stereotype für – genauer gegen – die Anderen waren nicht nur Instrumente im Kampf um die Weide, sondern führten auch zur Konstruktion und Stabilisierung positiver Stereotypen über sich selbst.930 Diese beiden Aspekte des Gebrauchs von Stereotypen, die wirtschaftliche Funktion und ihr Beitrag zum Selbstverständnis, zur Identität der Christen, wurde im Zusammenhang mit Konflikten über die Weide in ähnlicher Weise schon für Monheim und Harburg festgestellt, kleine Städte im Übergangsbereich von Schwäbischer und Fränkischer Alb in der Grafschaft Öttingen und im Herzogtum Pfalz-Neuburg. Gerade in Monheim, das maßgeblich durch Jesuiten gegenreformatorisch geprägt wurde, konstruierten die katholischen Bürger im Konflikt über die Weide ein betont christliches Selbstbild.931 In Bühl spielte das in der Auseinandersetzung um die Weide 1697, anders als in den Konflikten um die Häuser am Markt, keine Rolle. Auf indirekte Weise äußerten sich die christlichen Einwohner hier zur Frage, warum sie gerade jetzt gegen die jüdischen Einwohner vorgingen. Während der Kriegsjahre hätten sie auf eine Verbesserung im Frieden gehofft, schrieben sie. Im August 1697, als sie ihre Beschwerde vorbrachten, stand das Ende des Pfälzischen Krieges mit dem Frieden von Rijswijk unmittelbar bevor. Und die Beschwerde enthält noch einen Hinweis. Die alte Ordnung habe der Krieg zerstört – nun ging es den christlichen Einwohnern um eine „wiederhergestellte“ Ordnung, in der die jüdischen Ortsbewohner weniger Rechte haben sollten, als sie derzeit hatten. Mit anderen Worten, denen der modernen Forschung in der Formulierung von J. Friedrich Battenberg, es ging darum, die „Gleichrangigkeit“ der beiden Bevölkerungsgruppen in Bühl zu bestreiten: „Die christliche Gemeinde war übergeordnet, hatte die Regelungskompetenz innerhalb des von der Obrigkeit abgesteck930 Zu dieser Funktion von Stereotypen im Anschluss an Hermann Bausinger siehe Jochen Konrad, Flexible Stereotypengeflechte, in: Rheinisch-westfälische Zeitschrift für Volkskunde 52 (2007), S. 215–231, hierzu S. 229. 931 Zu den Konflikten in Monheim und Harburg Jacob, Konflikt und Stereotyp. Die Beschwerden von Rat und Bürgerschaft in Harburg und Monheim über die jüdischen Mitbewohner (1671–1741), in: André Holenstein und Sabine Ullmann (Hg.), Nachbarn, Gemeindegenossen und die anderen. Minderheiten und Sondergruppen im Südwesten des Reiches während der Frühen Neuzeit (Oberschwaben – Geschichte und Kultur 12). Epfendorf 2004, S. 325–356, hierzu S. 325f., S. 343f. und S. 351.

Auf dem Markt 

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ten Rahmens.“932 Gerade deshalb betonten die christlichen Bürger 1697, dass sie es waren, die den Juden die Benutzung der Weide zugestanden hätten, und sie grenzten damit ihre Regelungskompetenz vor den Eingriffen der Regierung ab. Diese Ordnung sollte nun gelten oder wieder gelten: Die Überordnung der christlichen Bürger in der Gemeinde, in möglichst weitgehender Unabhängigkeit von herrschaftlichen Einflüssen.

4.9  Auf dem Markt – willkommen und abgelehnt Im Jahr 1692 supplizierte Israel von Gernsbach wegen der Erlaubnis, in Bühl auf dem Markt – er fand auf der Hauptstraße statt – seine Waren zu verkaufen, darunter wohl auch Stoffe. Das dortige Amt referierte in seinem Bericht an die Hofkammer die Stellungnahme der Gemeindevertreter zugunsten von Israel: Einmal sei er schon 15 Jahre im Schutz und habe immer sein Schutzgeld bezahlt. Durch seinen Verkauf auf dem Markt in Gernsbach sei er über diese Stadt hinaus bekannt und könne deshalb nicht als „fremder Jud“ angesehen werden. In Bühl sei der Markt „frei“, der Zugang nicht eingeschränkt, und außerdem gebe es keine „Wollenweber“, keine Weber, die Tuch herstellten. Die Kammer genehmigte darauf Israel den Marktbesuch gegen eine Gebühr auf zwei Jahre.933 Israel schien also mit seinem Stand auf dem Markt aus der Perspektive der Gemeindevertreter Vorteile zu bringen, und ihre Argumentation reichte als Grundlage für die Entscheidung der Hofkammer. Anders verhielt es sich im gleichen Jahr in Rastatt. Hier gingen die Tuchweber und der Schutzjude Zacharias gegen Israel vor. Sie erhoben Einspruch gegen seine Absicht, den Markt zu besuchen, zugleich auch gegen einen in Rotenfels wohnenden Juden aus Frankfurt. Die Hofkammer genehmigte allerdings Israel den Zugang nach Rastatt, während sie dem Rotenfelser Juden den Handel verbot, solange er nicht den Schutz habe.9341693 beschwerten sich die Tuchweber und Zacharias über die Juden von Bühl: Sie würden als Anbieter auf dem Rastatter Wochenmarkt ihren Handel beeinträchtigen.935 Ablehnung und Befürwortung eines Juden auf dem Markt hingen also von der lokalen Situation ab. Als der Handelsmann David Marckhardt936 im Januar 1698 wegen der Erlaubnis zum Tuchverkauf auf dem Bühler Markt supplizierte, bewilligte die Hof932 Battenberg, Die Juden in Deutschland, S. 99. 933 GLAK 61/230 HK 3.11.1692 Bl. 158r. 934 GLAK 61/230 HK 5.3.1692 Bl. 28v–29r. 935 GLAK 61/231 HK 2.1.1693 Bl. 1r–v. 936 In seiner Supplik gibt Marckhardt als seinen Herkunftsort Reichenbach an; in Frage kommen in erster Linie die heutigen Ortsteile dieses Namens in Lahr und Gengenbach im Ortenaukreis.

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kammer sein Gesuch ohne Probleme.937 Darauf beschwerten sich die christlichen Handelsleute von Baden-Baden sowie die dortigen und Bühler Juden.938 Ihnen kam die Regierung entgegen: Marckhardt erhielt die Auflage, nur Stoff zum Preis von über 1 Gulden pro Elle zu verkaufen.939 Auf diese Weise sollte das Geschäft mit billigeren Stoffen für die anderen Tuchhändler geschützt werden. Darauf legte Marckhardt in einer neuen Supplik seine Sicht dar. Seine Niederlassung in Bühl stimme mit dem Vorgehen des Fürsten überein, das Land nach der Kriegszeit wieder zu entwickeln, und für ihn spreche auch, dass bereits seine Vorfahren 30 bis 40 Jahre Handel in der Markgrafschaft getrieben hätten. Von den „Bademer Krähmer [den Krämern in Baden-Baden], doch mehren Theyls denen Juden“ sei jedoch eine Beschwerde über seinen Marktbesuch eingereicht worden, worauf die Regierung seinen Verkauf stark einschränkte. Unter diesen Bedingungen könne er aber nicht mehr das „Schirmgelt“ von 43 Gulden bezahlen, das „ja 2 Juden nit geben, und doch alles, wie Sie wollen, ohne unterscheid verkaufen dörften“; eigentlich könne er deshalb nicht im Land bleiben. Auch andere Handelsleute, die sich wie er in der Markgrafschaft niederlassen wollten, würden das unterlassen, „zue vortheyl der Juden: aber grösten nachtheyl der Unterthanen, die alsdann gezwungen schlechte wahren umb deüres gelt zue unumgänglicher nothurf940 bey Ihnen Juden Einzuekaufen“. Und noch einmal bezog sich Marckhardt auf die Schutzjuden. Er bat, mit der Verkaufserlaubnis für seine Ware „Ja wenigst denen Juden gleich gehalten zue werden.“ Zusätzlich erklärte er sich bereit, seine Konzessionsgebühr auf 50 Gulden „doppelt gegen einem Juden“ zu erhöhen,941 den doppelten Betrag mancher Schutzgelder zu zahlen. In seinen Verweisen auf die jüdischen Konkurrenten setzte Marckhardt voraus, dass er im Vergleich zu ihnen benachteiligt sei: Er wolle wenigstens so viel Rechte wie die Schutzjuden erhalten. Andererseits zeichnete er von den Schutzjuden das Bild der Nutznießer, wenn er und andere Kaufleute das Land meiden würden. Sie, die Schutzjuden, würden dann schlechte Waren teuer verkaufen können. Entsprechend argumentierten auch die christlichen Einwohner in Bühl, die sich zugunsten Marckhardts und weiterer fremder Kaufleute mit einem Memorial einsetzten: Der Handel erhöhe die Einnahmen des Staates, nämlich über die ihm zustehenden Anteile am Weg- und Waaggeld. Die Gemeinden erhielten mit dem Markt durch das Standgeld einen wesentlichen Teil der Mittel, die sie für die 937 GLAK 61/232 HK 20.1.1698 Bl. 46r. und GLAK 229/15252, Hofkammer an das Amt Bühl, 25.1.1698 . 938 GLAK 229/15252, David Marckhardt an Markgraf Ludwig Wilhelm, o. D. 939 GLAK 61/232 HK 27.2.1698 Bl. 25v und GLAK 229/15252, David Marckhardt an Markgraf Ludwig Wilhelms, o. D. 940 „zue unumgänglicher nothurf“: „weil es nicht anders ging“, vielleicht auch: „zur unausweichlichen Not“ 941 GLAK 229/15252, David Marckhardt an Markgraf Ludwig Wilhelm, o. D.

Auf dem Markt 

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Erfüllung ihrer Aufgaben bräuchten, um die vielen Kriegsschäden zu beheben. Deshalb versuche die Gemeinde Bühl den Markt zu fördern. Der Aufschwung, vom Frieden erhofft, wäre möglich, „wann ein solches nicht die In der Menge hier sich Eingeschlichenen der Burgerschaft ohnbeschreiblich schädliche Juden, durch Ihr bekandt ausgesonnenen falsche Practiquen, um den gemeinen Mann in kaufen, und verkaufen, under ihren Handen und glauen nach aigenem Belieben alleinig zu behalten, nicht Zimblichen maßen verhinderen theten, weswegen dann ermelt hiesiger Fleckhen zue dessen Conservation sich unumbgänglich gezwungen befunden, Euer Hochf(ü)rstl(icher D(urc)hl(auch)t vermittelst gegenwärtig und(er)t(häni)gsten Memorialis [Memorial] inständig: gehorsamst zu imploriren [bitten].“942

Nun aber bedrohten die Juden den Aufschwung, so stellten es die christlichen Einwohner dar, indem sie ihre als bekannt vorausgesetzten „Practiquen“ zum Schaden der Untertanen anwendeten. Sie hielten „den gemeinen Mann“ in den „Handen und glauen“, ein metaphorischer Ausdruck, in dem die Hände der Juden zu Klauen von Tieren wurden.943 Untertanen und Juden waren einander konfrontiert, die einen als Bedrohte und Ausgebeutete, die anderen als tierhafte Schädlinge. Alles werde durch die Juden abgeblockt: Sie haben sich in großer Zahl „eingeschlichen“ und verhindern die positive Entwicklung. Damit betonten die christlichen Einwohner einen zweiten Gegensatz: Die Juden drangen in die Gemeinde ein, die bis dahin nach außen abgeschlossen war. Einen weiteren Gegensatz konstruierte das Memorial auch für den zeitlichen Verlauf der Entwicklung: Diese sollte wieder zum „Früher“ geführt werden, in den Zustand vor der Kriegszeit, als den Gemeindelasten ausreichende Einnahmen aus Verkehr und Handel, aus dem Weg- und Standgeld, entsprachen. Von sich selbst zeichneten die Bühler Einwohner ein Bild mit vielen Kontrasten zu den Juden: Sie halten sich an die Observanz, das zum Recht gewordene Herkommen, und als gehorsame Untertanen verteidigen sie das berechtigte Interesse der Herrschaft wie das eigene. Und im Verhältnis zwischen sich und den Juden verschärften die christlichen Einwohner nochmals die Konturen: Sie müssten zur „Conservation“ ihrer Existenz gegen die Schädlinge vorgehen – die Konfrontation ist zu einer Frage des Überlebens geworden. Um die Vorstellungen von der Schädlichkeit der Juden und ihrer eigenen Gefährdung zu untermauern, wechselten die christlichen Einwohner von Bühl auf einen anderen Bereich über, der mit dem Handel nichts zu tun hatte. Sie betonten, welchen Schaden die Juden verursachten, „absonder [besonders] aber

942 GLAK 229/15252, Die Einwohner in Bühl an Markgraf Ludwig Wilhelm, o. D. 943 Zur Vorstellung der Juden als Wesen mit „Klauen“ Rohrbacher und Schmidt, Judenbilder, S. 156f. und S. 160 (Abbildung).

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mit abfretzung [Abweiden944] der wayd, so doch niemals gewesen, durch ihr beständig in der Menge haltende allerhand Liederlich, ja oft gefährlich angesteckten pferden und S: V [Sit Venia, mit Verlaub ] anderem Vieh, wesswegen öfters Ein gantze Burgerschaft [...] in den ruin kommen könnte.“945 Mit der „Abfretzen“, dem übermäßigen Abweiden, spitzten die christlichen Einwohner in Bühl ihre Vorstellung nochmals zu. Sie gingen auch hier auf das Früher zurück – das Verhalten der Juden war neu, enthielt ein bis dahin „niemals“ Gewesenes. Noch wichtiger scheint aber die wiederholte Parallelisierung zu sein: Das Vieh, mit dem die Juden handeln, ist „in der Menge“ vorhanden – die Juden sind in großer Anzahl in die Gemeinde eingedrungen. Die Krankheiten des Viehs sind gefährlich für das Vieh der Christen – wie die Juden eine Gefahr für den wirtschaftlichen Aufschwung der Gemeinde darstellen. Die Weide wird „abgefretzt“, so dass für die Tiere der Christen nichts mehr übrig bleibt – wie der Handel durch die Juden allein besetzt ist. Schließlich berge das Vieh der Juden auf der Weide die Gefahr des Ruins für die christliche Gemeinde, wie die „ohnbeschreiblich schädlichen Juden“ die Gemeinde mit dem Ruin bedrohten. David Marckhardt und die Bühler Bürger erzielten wohl keinen Erfolg.946 Ein neuer Streit über den Tuchhandel brach 1703 aus, als vier namentlich genannte, aber sonst nicht genauer identifizierbare „Meixner“ wegen des Verkaufs von Stoffen supplizierten. Diese Tuchhändler stammten, wie sich im Verlauf der Auseinandersetzung zeigte, nicht aus der Markgrafschaft selbst. Während ihr Schreiben nicht erhalten zu sein scheint, liegt die Supplik vor, die sich gegen diese Meixner richtete. Sie wollten, das lässt sich der Gegensupplik entnehmen, Tuch unter dem Preis von 1 Gulden pro Elle auf den Märkten verkaufen, und zu ihren Gunsten gaben sie an, dass es in der Markgrafschaft nur wenige Tuchhersteller – „Wullenweber“ – gebe; dadurch würden sie niemanden beeinträchtigten. Gegen ihr Vorhaben wandten sich 24 Kaufleute. Im Wesentlichen beriefen sie sich auf das frühere Verbot für fremde Händler, auf dem Markt Tuch unter dem Preis von 1 Gulden pro Elle zu verkaufen, auf den Schaden, den sie selbst durch die Konkurrenz hätten, und darauf, dass sie zu denselben Preisen verkaufen würden wie die Meixner. Nicht die Argumentation der einheimischen Tuchhändler ist bei diesem Vorgang besonders auffallend, sondern ihr Vorgehen. Ihre Supplik führt die zwei Vertreter der betroffenen „Krämer und Underthanen“ auf: „Philipp Jacob Lummel nahmens der mitintereßsierten Christen. Mathias Schweitzer nahmens der 944 abfretzen: abweiden, in: Glossar, zusammengestellt von Regina Keyler, Stichwort „abfretzen“, in: Serielle Quellen in südwestdeutschen Archiven. Eine Handreichung für die Benutzerinnen und Benutzer südwestdeutscher Archive, hrsg. von Christian Keitel und Regina Keyler, Stand März 2005. http://www.uni-tuebingen.de/IfGL/veroeff/digital/ serquell/seriellequellen.htm. (16.9.2008). 945 Ebd. 946 GLAK 229/15251, Hofrat an Amtmann Johann Adam Zettwoch, 8.4.1698.

Auf dem Markt 

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Juden“.947 Hier gingen christliche und jüdische Handelsleute zusammen gegen Tuchhändler von außerhalb der Markgrafschaft vor. Kammerrat Bernhard Weißbach, bis ins Vorjahr Amtmann in Bühl, begutachtete den Zugang der Tuchhändler zum Bühler Markt und den Märkten überhaupt. Die Bühler Juden hätten immer versucht, auswärtige Konkurrenten vom Markt fernzuhalten, um so ihren Gewinn zu sichern. Sie würden den fremden Meixnern Stoffe für 1 Gulden oder weniger pro Elle ab- und an die Untertanen weiterverkaufen, die keine anderen Bezugsquellen hätten, zum Preis von 1 Gulden und 30 Kreuzer. Er sprach sich deshalb dafür aus, für Tuchhändler den Zugang zu den Märkten ohne Einschränkung zu erlauben.948 Auch sein Nachfolger im Amt Bühl, der Amtsverweser Carl Friedrich Hoffmann, sprach sich zugunsten der Meixner aus: Ihr Verkauf auf dem Markt sei für die Bevölkerung vorteilhaft.949 Bernhard Weißbach beurteilte den Tuchhandel der jüdischen Handelsleute kritisch: Deren Gewinnstreben stellte er negativ dar, ihren Handel als Ausnutzung einer Notlage der Untertanen. Zwar verwendete Weißbach das Wort „Fürkauf“ nicht; für die Zeitgenossen war der Zusammenhang zwischen seinem Vorwurf und dem des „Fürkaufs“ und damit des Wuchers selbstverständlich. Juden, so Weißbach, betrieben den Fürkauf, den wucherischen Aufkauf von Waren, um sich am Zwischenhandel zu bereichern.950 Damit ist deutlich zu sehen, wie sich die Perspektive auf die jüdischen Tuchhändler verengte: Sie waren es, die den fremden Meixnern Schwierigkeiten bereiteten; die Beteiligung der christlichen Handelsleute am Widerspruch gegen die fremden Tuchkrämer wurde nicht thematisiert. Der Steinbacher Amtmann Hinderer, ebenfalls zum Bericht aufgefordert, vertrat eine ähnliche Auffassung wie die anderen Beamten: Zumindest für die Kriegszeit sei es sinnvoll, den fremden Tuchhändlern den Marktbesuch zu erlauben: Es diene „zum Besten des gemein(en) Manns“,951 derjenigen, die nicht zu den im weitesten Sinne privilegierten Menschen gehörten.952 Eine andere Form der Kooperation zwischen jüdischen und christlichen Handelsleuten – außerhalb des Tuchhandels – fand 1721 statt. Beim Passieren einer Zollstelle bei Mühlburg in der Markgrafschaft Baden-Durlach hatten die Zoller bei Schmaul von Bühl Geld beschlagnahmt, als er sich auf dem Weg zur Messe in Frankfurt befand. Alle Krämer der Markgrafschaft baten um die Unterstützung 947 GLAK 74/3244, Philipp Jacob Lummel und Matz Schweitzer im Namen der Krämer und Schutzjuden an Markgraf Ludwig Wilhelm, o. D., Präsentationsvermerk 22.11.1703. 948 GLAK 74/3244, Kammerrat Weißbach an den Hofrat, 20.10.1703. 949 GLAK 74/3244, Amtsverweser Carl Friedrich Hoffmann an den Hofrat, 20.11.1703. 950 Zu Fürkauf in Verbindung mit Wucher Frühneuhochdeutsches Glossar, S. 92. 951 GLAK 74/3244, Amtmann Hinderer an Markgraf Ludwig Wilhelm, 2.11.1703. 952 In welcher Bedeutung Hinderer hier „gemeiner Mann“ verwendet, lässt sich nicht angeben. Ursprünglich bezog sich der Begriff auf diejenigen, die nicht zum Adel und Klerus gehörten; die Zugehörigkeit von Mitgliedern randständischer Gruppen ist umstritten.

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der Regierung für Schmaul und ihr gemeinsames Interesse. Sie sahen eine Gefahr für die freie Mitnahme von Geld zur Frankfurter Messe und befürchteten, dass sie von nun an nicht nur für Waren, sondern auch für Geld Zoll zahlen müssten. Die Regierung beschloss, sich in einem Schreiben an die Regierung in Karlsruhe nach dem Vorgang und seiner Rechtsgrundlage zu erkundigen, für die „Krämer so wohl als andere hiesige unterthanen“.953 Bei Johann Adam Zettwoch in Bühl deutet sich der Hintergrund für die Spannung zwischen den etablierten Handelsleuten und ihren Konkurrenten an. Zettwoch, ein Schneider, bat im Oktober 1711 um die Erlaubnis für einen „kleinen Krämel“, mit der Begründung, sein Handwerk bringe zu wenig ein.954 Die Krämerzunft sprach sich gegen ihn aus; die Hofkammer berief sich auf ein Dekret aus dem Jahre 1708, das die Zahl der Krämer in der Markgrafschaft auf 60 festgesetzt hatte.955 Eine rechtliche Veränderung dieser Obergrenze scheint es in den folgenden Jahren nicht gegeben zu haben. Darüber, wie groß die Zahl der Handelsleute sein sollte und wer sich in einem Ort als Krämer niederlassen konnte, entstanden immer wieder Konflikte.956 Der Handel auf der lokalen Ebene war der Bereich, in den Handwerker drängten, die in ihrem Beruf nicht mehr genügend verdienten. Gleichzeitig versuchten Handelsleute wie David Marckhardt ihre Existenz auszubauen. Die Abwehr neuer Konkurrenten konzentrierte sich gegen die „Fremden“. Im Falle von David Marckhardt waren Juden „Fremde“, in bestimmten lokalen Situationen wie in Rastatt und in der Abwehr fremder „Meixner“ verbanden sich die jüdischen Handelsleute mit den christlichen gegen „Fremde“, selbst wenn damit baden-badische Schutzjuden in diese Kategorie eingeordnet wurden. Das Denken und Verhalten der beteiligten christlichen Einwohner und jüdischer Handelsleute war dabei durch die Vorstellung der Dominanz eigener Interessen geprägt und durch die der Observanz, die Veränderungen – der Öffnung des Marktes – entgegenstand.

4.10  Segregation: nicht nur eine Frage der Ökonomie „Das gesellschaftliche Ideal war das der Segregation“, schreibt Eva Grabherr über die Beziehungen zwischen Juden und Christen in einer Untersuchung über 953 GLAK 61/149 HR 10.7.1721. 954 GLAK 61/247 HK 21.10.1711. 955 GLAK 61/241 HK 4.11.1711. Der Band 241 der Protokollbücher besteht aus Einzelbögen und scheint aus einem Rapular zu bestehen, dessen Inhalt nur teilweise identisch ist mit dem von 61/247 HK 1711. 956 Zu den Konflikten im Zusammenhang mit der weiteren Niederlassung von Krämern siehe S. 253ff.

Segregation 

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ländliche Hofjuden.957 Um Segregation ging es immer wieder bei den Auseinandersetzungen über den Zugang zu den Märkten. Allerdings, die Vorstellung der Segregation infiltrierte nicht nur die Beziehungen zwischen Christen und Juden, sondern auch die innerchristlichen und die innerjüdischen Beziehungen, wenn es um die Abgrenzung „fremder“ Konkurrenten ging. Und Segregation wurde dann durchbrochen, wenn gerade bei dieser Abgrenzung die Kooperation von Juden und Christen vorteilhaft schien. Die Absonderung auf dem Markt, um die es in Bühl ging, galt aus der Perspektive der christlichen Handelsleute für jüdische, aber auch für „fremde“ christliche Handelsleute; sie galt aus der Perspektive der jüdischen Handelsleute gegen Juden von außerhalb, wie die Vorgänge in Rastatt zeigen. „Fremde“ christliche und jüdische Händler wurden unter Umständen von einheimischen Juden und Christen gemeinsam bekämpft; die Konkurrenzsituation überdeckte in einem solchen Fall die innerörtliche Grenze zwischen Juden und Christen. In der Interessenperspektive der Kunden auf dem Markt konnten, wie in Bühl bei Israel aus Gernsbach, Juden von außerhalb auch willkommen sein. Nach fast zwei Jahrzehnten sah es aber wieder anders aus, und zwar mit dem Blick auf die „eigenen“ Juden am Ort. In den Jahrzehnten der Kriege, in vierzig Jahren, hatte die Praxis des Marktzugangs, die Positionierung auf dem Markt, die Trennung zwischen christlichen und jüdischen Anbietern aufgehoben. Jetzt – 1710 und 1711 – sollte die Praxis wieder in Übereinstimmung mit dem gewünschten Ideal gebracht werden. Ein auffallendes Merkmal der Auseinandersetzung auf dem Markt in Bühl besteht in ihrem zeitlichen Hintergrund. Amtmann Harrandt verteidigte es 1710, dass sich der Marktstand Schmauls zwischen den Ständen der Christen befand – das sei schon seit 30 Jahren so.958 Warum drängten diese gerade jetzt auf die räumliche Trennung zwischen sich und Schmaul? Vielleicht spielte die Wahrnehmung des Kriegsverlaufs eine Rolle. Seit 1709 gab es Vorverhandlungen über ein Ende des Spanischen Erbfolgekrieges,959 die zum Frieden von Rastatt im Jahr 1714 führten. 1710 begann Markgräfin Sibylla Augusta mit dem Bau des Schlosses Favorit – zusammen mit dem Ausbau der inneren Verwaltung960 ein Ausdruck verstärkter Hoffnung auf friedlichere Zeiten und Wiederaufbau, wie sie wohl schon um 1700 entstanden war. Die Krämer und Hosenstricker hatten möglicherweise den Eindruck, dass jetzt auch Zeit und Gelegenheit war, zur Rekonstruktion 957 Eva Grabherr, Hofjuden auf dem Lande und das Projekt der Moderne, in: Hofjuden – Ökonomie und Interkulturalität. Die jüdische Wirtschaftselite im 18. Jahrhundert (Hamburger Beiträge zur Geschichte der deutschen Juden 25, hg. von Rotraud Ries und J. Friedrich Battenberg). Hamburg 2002, S. 209–229, hierzu S. 209. 958 GLAK 61/138 HR 16.7.1710. 959 Dehmel, Europäische Geschichte des 18. Jahrhunderts, S. 231. 960 Vetter, Eine barocke Fürstin, S. 106.

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Juden im Wirtschaftsleben

des Verhältnisses zwischen Christen und Juden nach der alten Vorstellung von Segregation beizutragen. Die ökonomisch motivierte Segregation, wenn Juden ihr Ziel waren, ging hier aus der Perspektive der Christen zusammen mit einer Segregation auch aus Gründen der Kohärenzverstärkung in der Mehrheitsgesellschaft, mit einer Funktion also, die über das Wirtschaftliche hinausging und die gesellschaftliche, religiöse und damit die kulturellen Verhältnisse betraf. Wie ihre Stände auf dem Markt nicht durch die Stände der Juden voneinander getrennt werden sollten, sollte es auch nichts geben, was die Kohärenz der Christen untereinander stören könnte. Trotz der Ausweitung ihrer wirtschaftlichen Möglichkeiten, trotz der vielen Kontakte mit der christlichen Mehrheitsbevölkerung, trotz der Nähe zum Hof einiger Schutzjuden ging es immer wieder um die Segregation der jüdischen Bevölkerung. Die Konkurrenzsituation überdeckte bisweilen die innerörtliche Grenze zwischen Juden und Christen. Auf lokaler Ebene war in dieser Hinsicht ein – sicher relatives und begrenztes – gemeinsames Vorgehen von Juden und Christen möglich. Bei der ökonomischen Segregation konnten auch Juden jüdische Konkurrenten bekämpfen, bei der sozialen waren sie es insgesamt, die abgewehrt wurden.

4.11  Vom Handel im Abseits auf die Märkte des Alltags und in die Nähe des Hofes – und zum Anspruch auf Gleichheit Geht man von der Mikroebene des Marktlebens und des Dorfes, des Marktfleckens oder der ländlichen kleinen Stadt um 1700 weg und blickt man hin auf die umfassenderen zeitlichen und kulturellen Prozesse, so lässt sich Folgendes erkennen. In den „kleinen“ Vorgängen spiegelt sich, was über sie hinaus Geltung beansprucht. In seiner Untersuchung der dörflichen Lebenswelten vor allem während des 18. Jahrhunderts verwendet Rainer Beck eine kleine tabellarische Übersicht über die wichtigsten „Artikel des häuslichen und persönlichen Bedarfs“, die um 1720 nicht in autarken dörflichen Haushaltungen hergestellt, sondern im Handel erworben wurden.961 Überträgt man die 17 Warengruppen aus dieser Liste in die Verhältnisse der Markgrafschaft, so lässt sich feststellen, dass die meisten dieser Artikel im Handel auch durch Juden auf den Markt kamen. In direkter Form betraf das Branntwein, Salz, Essig, Tabak und Kerzen über die Admodiationen, Gewürze im Handel mit Spezereien, Schwefelhölzer im Kramladen, Gegenstände aus Eisen wie Pfannen und Kessel im Eisenhandel, indirekt Seife über die Sammlung von Pottasche, und Kleidung oder Tuche sind in dieser Übersicht gar nicht 961 Rainer Beck, Unterfinning. Ländliche Welt vor Anbruch der Moderne. München 1993, S. 299.

Handel: Anspruch auf Gleichheit 

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enthalten. So brachten, lässt sich daraus folgern, die Hausierer und Ladenbesitzer in einem nicht quantifizierbaren und in wechselndem Umfang einen beträchtlichen Teil der Handelsgüter des Alltags auf den Markt, in den Verhältnissen in der Markgrafschaft Baden-Baden wie anderswo auch. In diesen Handel waren diejenigen Schutzjuden eingeschlossen, die mit ihren geringen wirtschaftlichen Möglichkeiten im Abseits blieben. Ihr Handel mit Vieh von geringem Wert, mit Häuten, mit Unschlitt und mit Kerzen, mit Alteisen, mit gebrauchten Gegenständen wie alten Pfannen und mit gebrauchter Kleidung zog sie ein in den Warenaustausch, der Beziehungen zur christlichen Gesellschaft und eine Öffentlichkeit schuf, im kleinen oder kleinsten Laden, auf den Wegen der Hausierer, den Straßen der Viehhändler und auf den Märkten. An diesen Prozessen beteiligten sich Juden, markgräfliche wie solche von außerhalb, seit dem 17. Jahrhundert. Manche der baden-badischen Juden handelten auch mit Gütern gehobenen Wertes, auch über die Landesgrenzen hinweg. Soweit sie Vermögen besaßen oder erwarben, investierten sie es im Handel allgemein, speziell als Ladenbesitzer, im Kreditwesen, in Admodiationen und in Unternehmen bei der Produktion etwa von Eisen. Wenn mancher dabei eine Rolle als „wirtschaftlicher Katalysator“962 übernahm, lässt sich in dieser Hinsicht seine Bedeutung für die Markgrafschaft kaum bestimmen. Schon Juden von außerhalb der Markgrafschaft wie Samuel Oppenheimer kamen bei und mit ihrem Handel in die Nähe des Hofes. Baden-badische Schutzjuden eröffneten sich vor allem im Handel viele Kontakte mit der christlichen Gesellschaft. Sicher gehörten um 1700 noch kleine Kreditgeschäfte und Handel mit Vieh, wie bei Joseph Jacob in Bühl beschrieben, neben dem Kramladen zu den Voraussetzungen von wirtschaftlichem Erfolg. Dieser führte bei manchen Schutzjuden aus einem Kramladen bis in die Nähe des Hofes, in die Nähe der Herrschaft. Das ist bei Mathias Schweitzer deutlich zu erkennen. Aus seinem Haus mit einem Laden abseits der Hauptstraße im Marktflecken Bühl wechselte er in ein Haus in der Residenzstadt, nahe beim Schloss;963 er ging, so stellte er es dar, mit den Aufwendungen für dieses Haus an die Grenzen seiner Möglichkeiten. Gleich ob die steinerne Tafel mit seinem Namen und Titel an einem Rastatter Gebäude964 auf seine Initiative zurückging oder erst später durch Juden in der Residenz angebracht wurde, sie ist wie das Haus, das er baute, als eine Visualisierung zu verstehen, die der Öffentlichkeit seine Nähe zum Hof und das Heraustreten der Judenschaft allgemein aus dem Abseits der Gesellschaft vermitteln sollte. Dies

962 Jacob Katz, Tradition und Krise. Der Weg der jüdischen Gesellschaft in die Moderne. Aus dem Englischen von Christian Wiese. Mit einem Vorwort von Michael Brenner. München 2002, S. 54ff., Zitat S. 58. 963 Zur Position des Hauses von Mathias Schweitzer Schindler, Der verbrannte Traum, S. 17. 964 Zu der Tafel mit der Erwähnung von Mathias Schweitzer siehe oben S. 181 und Abb. 7.

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Juden im Wirtschaftsleben

geschah nicht nur in den Schriftzeichen der deutschen Sprache, sondern auch der hebräischen, und darin zeigte sich, trotz der Differenz, nochmals der Anspruch auf ein Nebeneinander in einer gemeinsamen gesellschaftlich-kulturellen Öffentlichkeit. Indem Mayer Malsch in Ettlingen, der späteren Witwenresidenz von Markgräfin Sibylla Augusta, ein Haus beim (noch in Trümmer liegenden) Schloss erwarb oder errichtete,965 folgte er diesem Muster, selbst unter den erschwerten Bedingungen für Juden während der Regentschaft der Markgräfin. Isaac Bodenheimer konnte sein Haus in Bühl in einer Seitengasse nur mit einem Haus in der Hauptstraße eintauschen,966 führte diesen Weg aus dem Abseits jedoch weiter in die Nähe des Hofes, indem er die Funktion des Oberjudenschultheißen übernahm und sich damit den persönlichen Zugang zur Regierung und zu Markgraf Ludwig Georg eröffnete. Selbst sein Neffe Löw Bodenheimer verlegte seinen Wohnsitz in die Residenzstadt und suchte in der Nähe zum Hof einen Ausweg aus dem wirtschaftlichen Scheitern.967 Für die Zeit ab 1700 lässt sich somit feststellen: In auffallender Weise gab es bei Schutzjuden mit einer ökonomisch hervorgehobenen Position und in innerjüdischen Ämtern die Tendenz zur Herrschaftsnähe und zur Vermittlung dieser Nähe in der Öffentlichkeit, gerade auch mit Hilfe der räumlichen Nähe. In ihrem Weg zum Hof und mit ihren begrenzten Mitteln verhielten sich diese Schutzjuden, gerade auch mit Lieferungen von agrarischen Massenprodukten, wie die Juden von außerhalb, auch wie die, welche bereits bis in die Jahre um 1700 am Hof und für den Hof einer Rolle gespielt hatten. Manche agierten dabei in Kooperation mit Christen und Juden, darunter auch von außerhalb des Landes, oft in Konkurrenz. Diese Nähe zum Hof spielte auch in den letzten zwei oder drei Jahrzehnten der Markgrafschaft eine Rolle, wie vor allem bei Raphael Jacob erkennbar ist. Nähe zum Hof, bei ihm über den Handel und andere Leistungen hergestellt, ließ sich „ummünzen“ zu einer Führungsposition in der Judenschaft. Die ländlichen Schutzjuden in der Markgrafschaft hatten seit 1648 den Übergang vom bloßen Kreditbereich, auf den sie über Jahrhunderte hinweg beschränkt waren, hin zum Handel vollzogen. Wer dabei erfolgreich war, zeigte sein Selbstbewusstsein in der christlichen Umwelt und verband es mit Ansprüchen auf eine Gleichstellung im Handel, wie die Auseinandersetzung über den Verkauf von Spezereien zeigte, die aber auch über die ökonomischen Dimension jüdischen Lebens hinausgingen. Noch konnte es sein, dass in der christlichen Perspektive ein ländlicher jüdischer Kleinkrämer wie Löw Wertheimer 1729 nur mit seinem Namen, der ihn als Juden auswies, dem Gläubiger gegenübergestellt wurde. Gott965 Zur Haltung der Regierung beim Erwerb eines Bauplatzes in Ettlingen durch Mayer Malsch siehe S. 296f. 966 Zu Isaac Bodenheimers Hausbesitz v. a. S. 310 und S. 637f. 967 Zu Löw Bodenheimers Aktivitäten nach der Übersiedelung nach Rastatt siehe S. 232.

Handel: Anspruch auf Gleichheit 

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fried Schubart dagegen präsentierte sich in der amtlichen Darstellung mit der Rolle, die sie ihm als angemessen zuordnete, als „Herr“, als „Handelsmann“ und „Vornehmer Kaufmann“.968 1762 stellte sich der Handelsmann und Ladenbesitzer Löw Elias vor Gericht und Amt so auf: Seinem Kontrahenten sprach er die Berechtigung ab, über ihn, Löw Elias, „Herr“ zu sein, und beanspruchte in dieser Situation Gleichrangigkeit. Sein Gegenüber war nicht nur ein Christ, sondern hieß auch so – vielleicht trug auch das zur Reaktion von Löw Elias bei.969 Das Ideal der Segregation war damit noch nicht überwunden, erhielt sogar immer wieder einen schützenden Firnis, in der Praxis des Alltags aber auch manche Zeichen des Bruches.

968 GLAK 61/5556, Amt Staufenberg, Durbach, Kontraktenprotokoll 1727 bis 1749, S. 44– 48, 31.3.1729. 969 Zu dieser Auseinandersetzung siehe S. 512f.

5  Häuser 5.1  „...jene in dem Kauf den Vorzug haben sollen“ Eine besondere rechtliche Grundlage für den Erwerb eines Hauses durch einen Schutzjuden existierte offenbar zunächst nicht. So konnten 1652 in Stollhofen Hirzel und sein Schwiegersohn ungehindert Häuser von Christen kaufen. Ein Konflikt entstand nur, weil sich die beiden dagegen wehrten, bei einer außerordentlichen Steuer für diese Häuser – wie die christlichen Hausbesitzer – mit veranlagt zu werden.1 Als Moyses 1683 nach Bühl ziehen wollte und dort ein Haus suchte, bat er den Hofrat um einen Befehl an den Amtmann, ihm den Erwerb einer Haushälfte zu erlauben.2 Das deutet auf Schwierigkeiten hin, die er mit diesem Kauf hatte; später befand sich allerdings ein Haus in seinem Besitz.3 In Rastatt beschwerten sich 1693 die christlichen Einwohner über die Absicht der Schutzjuden Samuel und Löwel, ein Haus zu bauen; sie erreichten damit ein Verbot der Hofkammer.4 Als 1699 die Pläne für den Wiederaufbau Rastatts Gestalt annahmen,5 supplizierten Israel, der Neffe von Israel in Gernsbach, und Matz Schweitzer wegen der Erlaubnis zum Bau eines Hauses; allerdings wollten sie ihre Häuser nicht modellmäßig errichten. Deshalb sollte ihnen – auf Befehl der Regierung – der für den Wiederaufbau Rastatts und später für den Schlossbau zuständige Architekt Domenico Egidio Rossi einen geeigneten Platz anweisen.6 Die „Judenordnung“ von 1714 schrieb für den Bau eines Hauses eine angemessene Entfernung von Kirche und Friedhof vor. Über das entsprechende Grundstück sollte – zumindest nach dem Vorschlag der Hofkammer – das zuständige Amt bestimmen. Den Kauf eines Hauses musste die Regierung genehmigen, vor allem mit seiner Lage einverstanden sein.7 Diese Normen schufen die Voraussetzung für viele Eingriffe. 1719 kam es zu einem Konkursverfahren gegen den überschuldeten kaiserlichen Proviantverwalter Johann Christoph Mohr von Mohrenfeld. Dieser besaß 1 2 3 4 5

GLAK 61/121 HR 6.8.1652. GLAK 61/128 HR 20.5.1683 Bl. 151r. Zum Erwerb eines Hauses von Moyses in Bühl siehe S. 227. GLAK 61/231 HK 31.1.1693. Zu den Aufbauplänen für Rastatt und zu dem zuständigen Architekten Domenico Egidio Rossi Walter, Rastatt soll Residenz werden, in: Wolfgang Froese und Martin Walter (Hg.), Der Türkenlouis, v. a. S. 62f. 6 GLAK 61/129 HR 2.10.1699. 7 Zehnter, Juden in der Markgrafschaft Baden-Baden, in: ZGO 50 (1896), S. 389 und S. 427.

„Neben, mit Undt bey Catholischen“ 

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in Ettlingen einen Bauplatz, der versteigert werden sollte. Drei Bürger der Stadt und Mayer Malsch boten an, ihre Schuldforderungen an von Mohrenfeld mit dem Erlös des Platzes zu verrechnen, wenn sie ihn auslösen, d. h. zum Preis des Höchstgebotes kaufen könnten. Der Hofrat gab dem Amtmann in Ettlingen eine ganz klare Linie vor: „[...] wann die Christen so viel als der Jud anerbiethen, jene in dem Kauf den Vorzug haben sollen.“8 Andererseits griff die Regierung auch zugunsten von Juden ein, wenn es ihrem eigenen Interesse entsprach. So begünstigte sie Isaac Bodenheimer in Bühl beim Kauf des Hauses von Johannes Bruzetto, des bei ihr verschuldeten Admodiators für die Kaminfegerei. Sie wollte über den Kaufpreis, den Isaac Bodenheimer für das Haus in der Nähe der Kirche zu zahlen bereit war, für den Ausgleich ihrer Forderungen an Bruzetto sorgen.9

5.2  „Neben, mit Undt bey Catholischen“ – das Haus Joseph Jacobs, 1696 1696 entstand in Bühl ein Konflikt zwischen einem Juden und den Christen, in dem es um ein Haus am Markt und bei der Kirche ging.10 Es stand zwischen Häusern christlicher Nachbarn,11 „Vornen an der Straße nechst undt geradt gegen dem Kirchen-Chor“,12 also gegenüber der Kirche auf der anderen Seite der Hauptstraße. Das Erdgeschoss besaß der Barbier Franz Oser, den oberen Stock der Judenschultheiß Joseph Jacob und seine Frau Regina; ihnen gehörten auch eine Stube, mehrere Kammern auf dem vorderen Speicher und Anteile an Scheuer und Ställen.13 Das Gericht, die Vertretung der Gemeinde, trat dafür ein, Joseph Jacob seinen Anteil wegzunehmen und auf Franz Oser zu übertragen. Als Grund gab es an, dass dieser, ein Bürgersohn, sich sein ganzes Leben und vor allem seit dem Antritt des Bürgerrechts „fromb, aufrecht und ohne Klag [gegen ihn] verhalten“ habe. 8 GLAK 61/147 HR 5.1.1719. 9 Zum Haustausch zwischen Bruzetto und Bodenheimer siehe S. 426 und S. 637f. 10 Zum Konflikt über das Haus Joseph Jacobs 1696 Günther Mohr, Gebraucht und geduldet – Lebenschancen der ländlichen Judenschaft in Baden. Das Beispiel Bühl im 18. Jahrhundert, in: Stadt Bühl, Stadtgeschichtliches Institut (Hg.), Jüdisches Leben. Auf den Spuren der israelischen Gemeinde in Bühl (Bühler Heimatgeschichte 15). Bühl 2001, S. 37–57, hierzu S. 44–47. 11 GLAK 61/5447, Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, 28.7.1696 Bl. 39v–40r. 12 GLAK 229/15142, Pater Bartholomeus Bollmeyer an Markgraf Ludwig Wilhelm, o. D. 13 GLAK 61/5447, Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, 28.7.1696 Bl. 39v–40r.

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Zur Förderung seines Gewerbes brauche er eine Erweiterung seiner gerade erworbenen Haushälfte, sonst würde er „den größten schaden“ erleiden und müsse diese wieder verkaufen. Seine Stube könne nur in Richtung des Hausgangs erweitert werde. Dort aber befinde sich die Treppe zur Wohnung Joseph Jacobs im oberen Stock. Die einfachste Lösung sei es, wenn Joseph Jacob „hinweeg geschafft würde“, was schon lange alle Bürger wünschten.14 Dem integrierten Bürger setzte also das Ortsgericht den zu separierenden Einwohner entgegen, dem Christen den Juden; das wirtschaftliche Interesse des Bürgers und den Gegensatz von Integration und Separation stellte die Ortsvertretung als so entscheidend dar, dass die Frage des Rechts von Joseph Jacob überhaupt nicht aufkam. Bartholomeus Bollmeyer, der Leiter des Rektorats der Jesuiten in Ottersweier und für die Seelsorge in Bühl verantwortlich,15 mischte sich mit einem Schreiben ein. Auf die rechtliche Seite des Konflikts bezog er sich nur kurz. Er stellte den Erwerb des Hauses als einen der Öffentlichkeit und der Vertretung der Gemeinde verheimlichten „Wucherkauff“ dar, bei dem das Verbot für Juden, Liegenschaften zu kaufen, umgangen wurde und ebenso das Losungsrecht der Christen;16 nach diesem Recht konnten Christen ein Jahr lang ein Haus zum Preis erwerben, den ein jüdische Käufer bezahlt hatte. Viel ausführlicher inszenierte er die Auseinandersetzung, die sich zwischen dem Haus Joseph Jacobs und der Kirche abspielte. Zunächst führte er allgemein vor Augen, was geschah: Der „jüdische Mutwillen [Willen und Fertigkeit, Böses durchzuführen]“ führte ein ungehindertes Nebeneinander von Christen und Juden herbei („Eine gar zu freye, familiare Beywohnung“), errichtete einen „Sitz“ für „Bosheit“ und „Hass“ des Juden gegen das Christentum und ein „Wachthaus“, von dem aus die Juden den Gottesdienst verspotteten und Christus verfluchten. Bollmeyer personifizierte so eine – aus seiner Sicht – jüdische Eigenschaft, den „Mutwillen“, den er mit Affekten wie Heimtücke, „Bosheit“ und „Hass“ verband. Diese „Person“ griff dann das Christentum an. In metaphorischen Ausdrücken aus der Architektur stellte Bollmeyer den Angriff verschärft dar: Dieser „Sitz“, 14 GLAK 229/15142, Stabhalter Johann Georg Bernhardt, „Auf gebürhendt beschehnes ansuchen“, Juli 1696 (unleserliche Tagesangabe). 15 Zur Betreuung der Pfarrei Bühl durch Jesuiten aus dem Kolleg des Ordens in BadenBaden Ferdinand Strobel, Die Jesuiten und die Barockkultur in Baden-Württemberg, in: Badisches Landesmuseum Karlsruhe (Hg.), Barock in Baden-Württemberg. Vom Ende des Dreißigjährigen Krieges bis zur Französischen Revolution. Ausstellung des Landes BadenWürttemberg unter der Schirmherrschaft von Ministerpräsident Lothar Späth, Bd. 2, Karlsruhe 1981, S. 383–398, hierzu S. 394. Zu Bollmeyer Kast, Mittelbadische Chronik für die Jahre 1622–1770. Bühl 1934, S. 269. 16 Ein absolutes Verbot für den Kauf eines Hauses bestand in der Markgrafschaft nicht. Möglicherweise bezog sich Bollmeyer auf eine Regelung, die den Erwerb von der Zustimmung der Regierung abhängig machte, die allerdings für diese Zeit noch nicht überliefert ist.

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dieses „Wachthaus“ wurde als „teufflische Synagoge“ „gegen die Kirchen Christi“ errichtet. Dann erst ging Bollmeyer auf die Juden in Bühl ein: Er erzählte in einem knappen Ausbreitungsmythos, wie die „roß und Stallbuben“ der „alten Juden“ Familien gründeten und fast „auf hundert Köpff“ anwuchsen – ein in Armut und Schulden „dem gemeinen Wesen beschwerlicheß und sehr muttwilliges Lumpengesindtlein“. Darauf stellte er dar, wie sich diese Juden verhielten: Wie sie sich am Sabbat, an den Sonn- und Feiertagen am und im Haus Joseph Jacobs versammelten („zusammenrotten“), sich der Öffentlichkeit zeigten („praesentiren sie sich“) und wie sie auf vielfältige Weise die christlichen Zeremonien verspotteten und beschimpften und Christus verfluchten. Nachdem Bollmeyer nochmals betont hatte, wie ungesetzlich Joseph Jacob beim Kauf des Hauses vorgegangen war, appellierte er an den Markgrafen: Er habe doch mit „in der gantzen Welth Höchst-rühmlich erschallenen Eifferen“ „die Ehr Gottes undt Splendor [Ruhm] deß Christentumbß, ahn denen Gotteslästerigen Mahometanern so vielmahlen glorios [voller Ruhm und Ehre] gerechert [gerächt]“– jetzt werde er auch seine Untertanen, ihre Frauen und Kinder aus der Gefahr erretten, ihre Ehre im nahen Zusammenleben mit den Juden zu verlieren. Noch weniger werde er dulden, dass die Juden weiter Gott lästern und die Kirche angreifen, „dass der Juden muttwillige Bosheit ihren alzunahen Sitz ahn der Kirchen undt Gotteshause befestige, allwo sie ihre Gotteslästrige Zungen täglich mit ... [unleserlich] scherpften, undt so viel tausendt Hohn undt Spottpfeil gegen unseren gecreutzigten Heylandt, und Gottlobende Kirchen Versamblung abschießen.“

Nochmals forderte er den Markgrafen zur „conservirung der Ehr der Kirchen undt Gottesdienstes im Flecken Bühl“ auf und dann zur „manuterigung [vermutlich Verschreibung zu manutenirung, Erhaltung] der armen Bürgern daselbsten, so durch der Juden arge Wucher griff von dem ihrigen, oder von dem ienigen, worzu sie recht haben, listig abgetrieben wurden.“ Schließlich bat er um den Befehl, Joseph Jacob aus der Nähe zur Kirche zu vertreiben und sein Haus den Bürgern zum Erwerb zu überlassen.17 In seiner gegensätzlichen Darstellung von Christen und Juden griff Bollmeyer auf zahlreiche stereotype Vorstellungen des wucherischen und heimlichen Vorgehens der Juden und ihres christenfeindliches Verhaltens zurück und implantierte den tradierten Ecclesia – Synagoge – Gegensatz in die Verhältnisse vor Ort. Sein Vorgehen, ein Bedrohungsszenario zu entwerfen, korrespondierte dabei mit Erfahrungen und Vorstellungen der Bühler Einwohner in der Zeit um 1696. Eine dieser Erfahrungen dürfte mit der Zerstörung Bühls im Jahr 1689, überhaupt mit den verheerenden Kriegsfolgen zusammenhängen. Noch im 19. Jahr17 GLAK 229/15142, Pater Bartholomeus Bollmeyer an Markgraf Ludwig Wilhelm, o. D.

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hundert wurde hervorgehoben, dass nur drei Häuser diese Zerstörung überdauert hätten; der „Volksmund“, schreibt der Lokalhistoriker Karl Reinfried, könne sie (um 1880) noch angeben.18 Auf den Marktflecken übertrug Bollmeyer noch ein weiteres Element der Bedrohung, mit dem er die Ängste der christlichen Einwohner ansprach: Wie das islamische osmanische Reich Europa bedrohte, so bedrohten die Juden die Religion, den Besitz und die Existenz der Einwohner in Bühl, die sie schon im „Wuchergriff“ hatten. Wie Markgraf Ludwig Wilhelm die Heere des osmanischen Reiches besiegte, so sollte er jetzt die Juden in Bühl besiegen. Die Hofkammer gewichtete eindeutig, ging auf das Schreiben der Gemeindevertretung überhaupt nicht ein und nahm nur die Beschwerde des Jesuitenpaters in ihr Protokoll auf. Seine Klagen über „Zusammenkünfte“ der Juden und ihr angebliches „Gespött“ über die religiösen Zeremonien, über ihre Feindschaft zu den Christen reichten als Grund für die Anordnung, dass Joseph Jacob seine Haushälfte aufgeben müsse.19 Joseph Jacob reagierte auf die Angriffe prompt mit einem Schreiben an die Regierung. Er stritt nicht nur die Verhöhnung der Christen ab, sondern betonte, er habe 16 Jahre lang in seinem Haus „Neben, mit Undt bey Catholischen gewohnt“, ohne dass Klagen laut wurden, und dabei sich und seine Familie „in Ehren“ erhalten. In der Vorstellung von Ehre – so sein Anspruch – sah er sich mit den Christen verbunden. Er erklärte auch das Vorgehen des Jesuitenpaters: „Pur lauthere feindschafft“ leite ihn, und er gehe auch sonst gegen die jüdischen Einwohner vor. Er predige auf der Kanzel gegen sie, und er habe auch schon einen Juden anhalten und mit Pferd und Waren zu sich bringen lassen. Am Ende seines Schreibens bat Joseph Jacob darum, eine „Gott wohlgefällige Justiz“ walten zu lassen und ihn im Besitz seines Hauses zu bestätigen.20 Im Vorgehen Joseph Jacobs fällt auf, dass er gar nicht auf die Argumentation des Ortsgerichts einging. Er sah als zentralen Gegner den Geistlichen. Dieser griff die Juden als Feinde der Christen an, also griff Joseph Jacob ihn als Feind der Juden an, der nicht nur sein Haus bedrohte, sondern die Juden allgemein und ihr Zusammenleben mit den Christen. Sich selbst stellte er dabei gerade als Beweis dafür dar, dass Juden die Ehre besaßen, die Pater Bollmeyer bei den Christen gefährdet sah. Dann aber schritt er zur Lösung des Konflikts, wohl unter dem Eindruck, dass er seine Haushälfte doch nicht behalten könne. Rasch fand er einen Käufer, den Krämer Antoni Gotthardt, der ihm für seine Haushälfte 500 Gulden gab.21 Die Bittschrift, in der Joseph Jacob den Besitz seines Hauses verteidigte, enthält 18 19 20 21

Reinfried, Stadtgemeinde Bühl, S.74. GLAK 61/232 HK 4.7.1696 Bl. 79v. GLAK 229/15142, Joseph Jacob an den Hofrat, 10.7.1696. GLAK 229/15142, Amtmann Johann Adam Zettwoch an den Hofrat, 23.7.1696.

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dazu einen Hinweis. Joseph Jacob bezeichnete nämlich sein Haus mit der Angabe „auf dem Markt zu Bihl [Bühl]“.22 Damit gab er an, was seiner Ansicht nach wichtig war, nicht die Nähe zur Kirche, sondern zum Markt, und das dürfte auch für den Käufer entscheidend gewesen sein. So zeigte sich auch, wie irrelevant die Interessen Franz Osers waren. Er war wohl von vornherein gar nicht in der Lage gewesen, den Anteil Joseph Jacobs zu kaufen. Nach dem Bericht des Amtmanns Johann Adam Zettwoch suchten Joseph Jacob und Antoni Gotthardt Pater Bartholomeus Bollmeyer in Ottersweier auf, in der dortigen Niederlassung der Jesuiten, und teilten ihm den Verkauf mit. Dieser habe, so der Amtmann, „ihnen beiden glückhs gewünscht“ und sich „Vergnügst bezeiget“, vor allem noch wegen einer weiteren Mitteilung: Joseph Jacob habe von ihm, dem Amtmann verlangt, den anderen Juden unter Androhung einer Strafe zu befehlen, sich an Sonn-, Feier- und Prozessionstagen von dem Haus fernzuhalten, das ernun erwarb.23 Dass er den Besitzerwechsel des Hauses bei der Kirche und am Markt Bollmeyer mitteilte, betont die Sorge Joseph Jacobs, Vorwürfe wegen des Verhaltens der Juden zu verhindern, und hebt die Bedeutung hervor, die er dem Jesuitenpater als Konfliktgegner zumaß. Joseph Jacobs Reaktion bestand also darin: Dem Bild der antichristlichen Juden, der Angriffswaffe des Jesuitenpaters, setzte der Judenschultheiß sein Bild von sich und den Juden allgemein entgegen: Juden zeigten ein Verhalten, das ein friedliches Auskommen mit Christen ohne jede Beeinträchtigung ihrer Religion einschloss. Unter der Oberfläche des Konflikts um Besitz und Nähe eines Hauses zur Kirche ging es um den Zusammenstoß der Vorstellungen, die Christen und Juden voneinander hatten. Joseph Jacob erwarb nun ein anderes Haus. Beim Eintrag des Kaufes im Bühler Amtsprotokoll wurde hervorgehoben, dass es „nicht so zu nahe“ bei der Kirche stand als sein vorheriges Haus. Es befand sich dem „Hirschen“ gegenüber, neben einem Haus von Johann Lichtenauer, dem Hirschwirt, und neben dem von Christoph Lion.24 Zu diesem Haus existiert eine frühere, genauere Angabe: Es stand an der Hauptstraße zwischen dem Haus Joseph Jacobs, das er 1696 aufgeben musste, und der Adlergasse,25 also an der Einmündung der heutigen Postgasse in die Hauptstraße, nicht an der Kirche, aber noch mit Blick auf sie, zugleich in der Nähe des Marktes. Die Funktionen von Fremd- und Selbstbild im Zusammenleben von Juden und Christen in Bühl werden im Streit um das Haus am Markt deutlich 22 GLAK 229/15142, Joseph Jacob an den Hofrat, 10.7.1696 23 GLAK 229/15142, Amtmann Johann Adam Zettwoch an den Hofrat, 23.7.1696. 24 GLAK 61/5447, Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, 20.7.1696, Bl. 36v–37v. 25 GLAK 61/5447, Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, 28.7.1696, Bl. 39r–40v.

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erkennbar. Die Gemeindevertreter verbargen unter dem Bild des sozial und religiös integrierten Bürgers und dem des „fortzuschaffenden“ Juden Joseph Jacob wirtschaftliche Interessen, stärkten zugleich die Vorstellung einer fest integrierten Bürgergemeinde. Der Jesuitenpater betonte den religiösen Gegensatz, die Angriffe auf das Christentum und zielte auf dessen Verteidigung gegen große Gefahren. Die Krise der Jahre vor 1700, die Kriege, Zerstörungen und materiellen Verluste, in Bühl dazu der Wechsel der Herrschaft,26 all das steigerte „Verunsicherung, Unbehagen, Orientierungslosigkeit, wenn nicht archaische Ängste“. Die Projektion aller negativen Erfahrungen und Befürchtungen auf die Juden27 konnte hier „die Reihen“ der Christen schließen. Integration und Kohärenz unter den Christen sollte durch Segregation, durch die Entfernung und Fernhaltung der Minderheit aus der Mehrheitsgesellschaft, zumindest durch die Festigung eines Feindbildes gelingen, ein Zustand, der vielleicht als früherer Zustand wiederhergestellt werden sollte oder der auch neu konstruiert wurde. Die Gemeindevertretung hatte die soziale Ehre des Christen betont, der Jesuitenpater stellte die „Ehre“ Gottes, der Kirche und der christlichen Einwohner Bühls als durch das jüdische „Lumpengesindtlein“ gefährdet dar. Joseph Jacob griff diese Vorstellungen auf und entwarf sein Selbstbild, indem er seine eigene Konzeption von Ehre darlegte. Sie korrespondierte mit dem Bild eines Juden, der kein „Lumpengesindlein“ war und für das er als Fundament eigene Erfahrung, eigene Lebenspraxis beanspruchte: die eines Juden, der „Neben, mit Undt bey Catholischen“ leben könne, ohne Klagen zu verursachen. Damit verwendete er die Vorstellung, die auch die Gemeindevertretung gebraucht hatte, die des Bürgers, der keine Klagen verursacht und damit die Einheit und Integrität der örtlichen Gesellschaft bewahrt. Joseph Jacob stellte so – im Bereich der Ehre – die Juden auf die gleiche Ebene, wie sie die Christen beanspruchten. Er und die anderen Juden in Bühl lebten „neben“ und „bei“ den Christen, aber auch „mit“ ihnen und nicht gegen sie. So beanspruchte der Judenschultheiß, den Status der jüdischen Minderheit als Teil der örtlichen Gesellschaft durchzusetzen oder zu erhalten. 26 Bühl war 1688, als Teil der Herrschaft Windeck, als Ganzes baden-badisch geworden, nachdem vorher nur ein Teil des Ortes der markgräflichen Herrschaft unterworfen war (Schwarzmaier, Baden, in: Schaab und Schwarzmaier (Hg.), Handbuch der badenwürttembergischen Geschichte, Bd. 2, S. 229. 27 Zur psychischen Dimension des Verhaltens beim Zusammentreffen mit „den anderen“, den „Fremden“ allgemein und zur Funktion des Eigenbildes und des Bildes des Fremden Bedrich Loewenstein, Wir und die anderen, in: Alexander Demandt (Hg.), Mit Fremden leben. Eine Kulturgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart. München 1995, S. 9–23, hierzu besonders S. 15–17, Zitat S. 17. Zur integrierenden Funktion der Polarisierung zwischen Christen und Juden für die Mehrheitsgesellschaft Rainer Erb, Ritualmord, in: Julius H. Schoeps und Joachim Schlör (Hg.), Antisemitismus. Vorurteile und Mythen. München 1995, S. 74–79, hierzu S. 77f.

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Bollmeyers Überordnungsanspruch mit dem Recht zur Segregation erkannte er zunächst nicht an.28 Wie sehr die Auseinandersetzung sowohl um das Haus bei der Kirche ging wie um den Status der Juden in der Öffentlichkeit des Marktfleckens, wird an ihrem Ende sichtbar: Bartholomäus Bollmeyer beglückwünschte Joseph Jacob, als dieser das Haus verkaufte, und noch mehr, als sich abzeichnete, dass die Juden im neuen Haus des Schultheißen keinen Versammlungsort mehr haben würden. Entfernung aus der Nähe zur Kirche, aber auch Entfernung der Anderen als Gruppe aus der Öffentlichkeit – damit zeigte sich der Jesuitenpater zufrieden. Für Joseph Jacob selbst beweist auch die Auseinandersetzung um sein Haus, wie er als ein Vertreter des ländlichen Judentums an dem Selbstbewusstsein teilnahm, das allgemein an der Schwelle zum 18. Jahrhundert feststellbar ist.29 Für die Landjuden in Süddeutschland wurde solches Selbstbewusstsein bereits bei einer Auseinandersetzung um Gemeinderechte in Harburg in der Grafschaft Öttingen festgestellt.30 Der Judenschultheiß Joseph Jacob scheint dieses Bewusstsein bereits 42 Jahre zuvor in der Auseinandersetzung über seinen Hausbesitz demonstriert zu haben.

5.3  Ettlingen – „Am vornehmbsten Ort der statt ein Jud“ Das Haus Isaacs in Ettlingen stand am Markt, „mitten auf dem Marckt“, „gleich gegen der Pfarrkirchen“.31 Eigentlich bestand es nur aus einem behelfsmäßigen Bau, einer Hütte32 als Ersatz für das Haus, das Isaac vor der Zerstörung der Stadt 1689 erworben hatte. Der Vorbesitzer Hans Jacob Kohm, ein Baden-Badener Bürger, und er hatten ihre Häuser getauscht; Isaacs vorheriges Haus stand „an

28 Zu den Aspekten Kohärenz und Segregation siehe S. 290ff. 29 Breuer, Frühe Neuzeit und Beginn der Moderne, in: Breuer und Graetz (Hg.), Deutschjüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. 1, S. 159. Zum Selbstbewusstsein von Joseph Jacob siehe S. 164ff. 30 Das Selbstbewusstsein der jüdischen Einwohner von Harburg in der Grafschaft Öttingen (um 1740) betont Johannes Mordstein, Ein Jahr Streit um drei Klafter Holz. Der Konflikt zwischen Bürgerschaft und Judengemeinde im schwäbischen Harburg um die Teilhabe der Juden an den Gemeinderechten 1739/40, in: André Holenstein und Sabine Ullmann (Hg.), Nachbarn, Gemeindegenossen und die anderen. Minderheiten und Sondergruppen im Südwesten des Reiches während der Frühen Neuzeit (Oberschwaben – Geschichte und Kultur 12). Epfendorf 2004, S. 301–324, hierzu S. 319–321. 31 GLAK 74/6975, Hofrat Schwartz an Markgraf Ludwig Wilhelm, 28.12.1699. 32 GLAK 74/6975, Stadtschreiber Franz Casper Hornus an Markgraf Ludwig Wilhelm, 3.12.1699.

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der bach, Jenseits des wassers ahne dem so genannten baadstuebensteeg“,33 vom Zentrum aus jenseits der Alb. 1699 hatte Isaac mit dem Wiederaufbau seines Hauses angefangen. Darauf supplizierte Hofrat Schwartz, ein Stiefsohn Kohms. Sein Ziel war, so Schwartz, den Häusertausch rückgängig zu machen. Dazu bestritt er die Rechtsgültigkeit des Erwerbs durch Isaac: Das Haus habe ihm und seinen Geschwistern gehört, und sein Stiefvater hätte es verkauft, ohne dass er, Schwartz, davon Kenntnis erhielt; er habe nämlich damals nicht in der Markgrafschaft gelebt. Das sei gegen „alles Recht und billigkeit“ geschehen. Dann argumentierte Schwartz mit der Verschönerung Ettlingens. Es sei „Pro decoro Urbis und Zire [zur Verschönerung und Zierde der Stadt]“, wenn entsprechend den Absichten des Markgrafen die Stadt mit „modell mäßigen Häusern“ wieder aufgebaut werde. Das führte der Hofrat weiter aus: Isaac könne nämlich an der Stelle, an der sein erstes Haus stehe, auf einem ausreichend großen Gelände „modell mäßig zu bauen ahngewiesen werden.“ Somit sei es ihm, Schwartz, ebenfalls möglich, auf dem Gelände am Markt, auf dem das Haus seines Großvaters gestanden habe, ein modellmäßiges Haus zu errichten.34 In einem dritten Ansatz sprach Schwartz die Nähe zur Kirche an. Dabei berief er sich auf die Geistlichen und Bürger Ettlingens. Diese würden sich über Isaac und seine Mitbewohner beschweren, über ihr Verhalten, das sie bei den Gottesdiensten und anderen kirchlichen Zeremonien, bei den Prozessionen um die Kirche an den Tag legten. Die Juden würden das Haus am Markt dazu nutzen, den bei diesen Zeremonien in der Gestalt des Brotes gezeigten Christus „aus allen fensteren und Läden mit denen abscheulichsten blasphemien und grausamnisten muthwillen [aus freien Stücken gewählte böse Handlungen oder die Fertigkeit zu diesen]“ gantz ohnvermerckhter dingen [heimlich] zue Verspotten, zue Verlachen und allen ohnchristlichen freyen muthwillen“

zu erweisen. Es sei skandalös, einem Juden oder dem „Judengesindel“ in seinem Haus „das freye einsehen in christliche Kirchen“ zu ermöglichen. Ein viertes Argument deutete Schwartz nur an: Wenn Isaac in sein Haus „an der bach“ zurückkehre, dann würde er in einer Straße zusammen mit anderen Juden wohnen. Dort würden „alle die übrigen Juden zu Ettlingen würchliche in einer rey“ leben. Und wenn Isaac dann modellmäßig bauen würde, könnte „selbige gantze seithen längs der bach etwa innerhalb Jahresfrist gleichmäßig zur Völligen perfection gelangen.“

33 GLAK 74/6975, Hofrat Schwartz an Markgraf Ludwig Wilhelm, 28.12.1699 (alle Zitate). 34 Zu den Bauvorschriften in Ettlingen Peter Hank, Stadtgründer: Markgraf Ludwig Wilhelm, in: Stadt Rastatt (Hg.), Forum, S. 97f.; zum „modellmäßigen“ Bauen siehe oben in der Darstellung S. 49.

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Der Stadtschreiber Franz Caspar Hornus unterstützte als Vertreter des Ettlinger Amtmanns den Hofrat. Wie Schwartz sprach er vom „decoro Urbis“ und der Absicht des Markgrafen zur Verschönerung der Stadt. Auch er ging auf die Nähe zur Kirche ein: Isaac wohne „so nah an der Kirchen, das er allen christen aus- undt Eingang in die Kirche, alle Processionen, und Creis gang [Umgänge um die Kirche] sihet, sondern [besonders] die Predig, hohe Messen und Kirchengesänge höret.“ Das sei „der Ehr Gottes imidiate [direkt] zuwider“, wenn Isaac „mit seinem viel und sehr muttwilligen habenden gesindel [Gesinde, hier auch Lumpenpack] ein lauter gespott undt gelächter darauf machet.“ Nochmals griff Hornus auf ein Argument von Schwartz zurück: Mit der Rückkehr Isaacs zu seinem früheren Platz würden die Juden in Ettlingen „wie die Juden gleich an anderen orthen bey einander in einer Gaß und reyen“ leben.35 Auch ein Schreiben von Pater Laurentius Flucke, dem Leiter des Ettlinger Jesuitenkollegs und Stadtpfarrer,36 legte das Amt der Supplik von Hofrat Schwarz bei. Er schrieb, „Daß nit allein die beschehene Vertauschung der Heuser unt darauß entstehende völlige abtreibung [Vertreibung, von Hofrat Schwartz], von einem durch seine Eltern ererbten platzes seye in grave praejudicium eines erbens [zum schweren Unrecht an einem Erben], alß der keinen Consens oder bewilligung darzu geben, sondern auch contra honestatem publicam [gegen die allgemeine Ehre] und übliche Policey ordtnung [Zustand der guten Ordnung], daß am vornembsten orth der statt ein Jud wohne, Ja auch, daß sothane Behausung, in betrachtung der schlimmen gewohnheiten der Juden, nit könne abgehen ohne große Verachtung unßerer Christlichen Religion unt nahmens, ohne Verspottung unserer Christlichen Caeremonien, umbgängen, Proceßsionen, gesängen undt gebräuchen.“37

Pater Laurentius Flucke kritisierte nicht nur die Unrechtmäßigkeit des Haustauschs. Dass ein Jude „am vornemsten orth“ Ettlingens wohnte, betrachtete er als einen Verstoß gegen die Ehre der Stadt und die tradierte „Polizey“, den guten Zustand des Gemeinwesens und das angemessene Regierungshandeln, vor allem durch die andauernden Beleidigungen der christlichen Religion. Diesen widmete Flucke zwei Drittel seines Schreibens. Spott, Verachtung, Verlachung, Beleidigungen und Blasphemien sah er wirksam, den „schlimmen gewohnheiten der Juden“ entspringend. In auffallender Weise nannte Flucke in diesem Zusammenhang nicht den Namen Isaacs. Nicht einem einzelnen, sondern allen Juden galten seine Vorwürfe. 35 GLAK 74/6975, Stadtschreiber Franz Casper Hornus an Markgraf Ludwig Wilhelm, 31.12.1699. 36 Kast, Jahresberichte des Ettlinger Jesuitenkollegs 1661–1769. Karlsruhe 1934 (Selbstverlag), S. 64. 37 GLAK 74/6975, Laurentius Flucke, Attestat, 29.12.1699.

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Bürgermeister, Gericht und Rat der Stadt Ettlingen bestätigten, wie Isaac in „lauther gespött und gelächter“ die religiösen Zeremonien verächtlich mache. In zwei Punkten gingen die Vertreter der Bürgerschaft über die religiöse Dimension hinaus. Im Sommer müsse man wegen des Gestanks beim Haus Isaacs einen Umweg nehmen, um in die Kirche zu kommen. Dann klagten sie über die Ruhestörung: Samstags fänden „synagog und zusammenkunfthe“ im Haus Isaacs statt; das „geschrey“ störe die Nachtruhe aller Anwohner. Die „ehr gottes“ und das Ansehen der Stadt, so endeten die Stadtvertreter, würden verlangen, Isaac wieder in sein Haus am Bach zurückzuweisen.38 Die Parallelität zwischen den beiden Auseinandersetzungen über die Häuser in Bühl und Ettlingen ist nicht zu übersehen: Beide Häuser standen am Markt und bei der Kirche. Die Rechtmäßigkeit des Erwerbs durch einen Juden wurde in beiden Fällen verneint. Beide Besitzer waren Judenschultheißen. Die Geheimhaltung wurde als Element beim Vorgehen Joseph Jacobs behauptet wie beim Haustausch in Ettlingen, der in der Abwesenheit und ohne Wissen eines Erbberechtigten ablief. Die Nennungen der Zeremonien, die angeblich behindert und verspottet würden, und die Bezeichnungen für das Verhalten der Juden wie „muthwillen“ stimmen in erheblichem Maße überein. Hofrat Schwartz selbst wies auf die Parallele zur Auseinandersetzung um das Haus Joseph Jacobs hin: Die Gründe für das Dekret, das der Hofrat 1696 (im Streit über das Haus Joseph Jacobs) erlassen hatte, würden auch für Ettlingen gelten.39 Auch in Zügen des Verfahrens entsprachen sich die Konflikte. Wie die Gemeindevertretung in Bühl wurde auch in Ettlingen der Rat der Stadt aktiv. In beiden Fällen intervenierte ein jesuitischer Pater, der als Ortsgeistlicher zuständig war. Die Ehrvorstellung, bezogen auf die Stadt, spielte in Ettlingen eine noch größere Rolle: Laurentius Flucke wies darauf hin, dass ein Hausplatz an der Kirche zu den „vornehmsten“ der Gemeinde gehöre, und er positionierte das Haus in den Zusammenhang der Ehre Gottes und der Ehre der christlichen Mehrheitsgesellschaft. Die Parallelität der Argumente hatte für den Kontext der Beziehungen von Juden und Christen eine besondere Funktion: Was in Bühl Wirkung gezeigt hatte, wurde jetzt wiederholt. Eine Wiederholung war nur dann sinnvoll, wenn sie als erfolgreich erschien, verbreiteten Vorstellungen entsprach. Wiederholung verstärkte auch die Vorstellungen, gab den Stereotypen der christenfeindlichen Juden und ihrer in der Verborgenheit betriebenen Rechtsbrüche Stabilität und Dauer. Wohl auch das Selbstbild der Christen verstärkte sich: Zuerst wurde Hofrat Schwartz aus seinem Besitz vertrieben, jetzt waren, wegen des durch einen Juden begangenen Unrechts, die Christen berechtigt zur Vertreibung des Juden 38 GLAK 74/6975, Bürgermeister, Gericht und Rat im Namen der Bürgerschaft, Attestat, 31.12.1699. 39 GLAK 74/6975, Hofrat Schwarz Markgraf Ludwig Wilhelm, 28.12.1699.

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Isaac aus der Mitte der Stadt in die Straße der Juden jenseits der Alb. Auch hier wurde gedanklich die Segregation vollzogen, zur Ehre der Stadt und zur Ehre Gottes. Das Hofratskollegium entschied „gegen billige abschetzung“ des Hauses von Isaac die Rückgabe an Hofrat Schwartz.40 Zur Reaktion Isaacs enthält das Protokoll der Hofkammer für das Jahr 1700 einen Hinweis: Er bat die Kammer, ihm Holz für den Bau eines „modellmäßigen Hauses“ zu überlassen.41 Das lässt sich als Zeichen dafür verstehen, dass er mit dem Wiederaufbau seines Hauses fortfuhr – es sollte noch 20 Jahre dauern, bis er es endgültig verlor.42 So knapp der Hinweis ist, so deutet er doch auf den Versuch Isaacs hin, weitere Probleme wegen eines Hauses zu vermeiden, indem er modellmäßig baute. Er entsprach damit nicht nur den Erwartungen über eine das Stadtbild schmückende Bauweise, die Hofrat Schwartz erwähnt hatte. Isaac entsprach – wie Hofrat Schwartz – damit auch einer Verordnung des Markgrafen Ludwig Wilhelm über den Bau von Häusern in den Städten aus dem Jahre 1698, den Vorschriften über das modellmäßige Bauen; er stellte sich damit als Einwohner dar, der zu einem entsprechenden Bau willens und in der Lage war. Für sein Selbstverständnis enthält seine Supplik noch einen weiteren Anspruch: Die Überlassung von Bauholz sollte nach der Verordnung von 1698 ohne Bezahlung erfolgen.43 Indem Isaac den kostenlosen Bezug des Holzes verlangte, beanspruchte er wie Joseph Jacob in Bühl Gleichbehandlung: Er sah sich zumindest hier als einen Untertan wie die christlichen Untertanen. Wie Joseph Jacob blieb auch er dabei erfolglos: Die Hofkammer bestand darauf, ihm nur gegen Bezahlung Bauholz zu überlassen.44 Die Jesuiten indessen vergaßen nicht. Im November 1721 hielt sich Markgräfin Sibylla Augusta in Ettlingen auf. Für die Zeit vor ihrer Rückkehr nach Rastatt berichtete das Kolleg der Jesuiten folgendes Geschehen: „Bevor die Markgräfin [...] von hier nach Rastatt übersiedelte, ließ sie uns folgende Gnade auf demütige Bitte hin zuteil werden; es wohnte neben der Pfarrkirche nicht ohne Aergernis und Nachteil ein Jude; es war ihm schon früher befohlen worden, das Haus aufzugeben; er hatte es aber nicht getan; nun befahl sie [die Markgräfin Sibylla Augusta] dem Amtmann, er solle den Widerspenstigen noch vor ihrem Weggange vertreiben; das geschah auch so, so dass die Gunst und die geheimen Machenschaften gewisser Räte ihm, anders wie bisher, nichts mehr nützen konnten.“45

Nach dem Protokoll des Hofrats ereignete sich dieser Vorgang allerdings bereits am Jahreswechsel 1720 auf 1721; bereits im Januar 1721 hatte sich Isaac über die 40 41 42 43 44 45

GLAK 61/130 HR 12.1.1700 Bl. 41r. GLAK 61/237 HK 10.9.1700. Zum endgültigen Verlust des Hauses siehe S. 307f. Froese, Herr über Land und Leute, in: Froese und Walter (Hg.), Der Türkenlouis, S. 93. GLAK 61/237 HK 10.9.1700. Kast, Jahresberichte des Ettlinger Jesuitenkollegs, S. 101.

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Versteigerung seines Hauses beschwert, die mit der Begründung erfolgt war, es stehe zu nahe bei der Kirche.46 Jedenfalls beanspruchten die Ettlinger Jesuiten für sich, einen Beitrag dazu geleistet zu haben, dass Isaac nicht mehr in der Nähe der Kirche blieb. Ihm war es allerdings gelungen, bis dahin, über zwanzig Jahre lang nach dem ersten Konflikt, sein Haus für sich zu behaupten – dafür denunzierten ihn die Jesuiten mit der stereotypen Bezeichnung eines widerspenstigen Juden.

5.4  Das Haus Joseph Jacobs in Bühl 1705 Zu einem neuen Konflikt über ein Haus von Joseph Jacob kam es im März 1705, als er für 900 Gulden das Wirtshaus „Zum Adler“ in Bühl ersteigerte, das den Erben des gestorbenen markgräflichen Amtsschreibers Michael Baumeister gehörte. Dabei war er der einzige Interessent für dieses „durch die soldaten sehr ruiniert(e)“ Gebäude in der Adlergasse, unweit von Hauptstraße und Ortsmitte.47 Über diesen Kauf beschwerte sich der Bürger Franz Heinrich Heusler, ein Nachbar. In seinem Schreiben an den Markgrafen führte er an, was alles gegen den Erwerb des Hauses durch Joseph Jacob spreche. Ein jüdischer Einwohner dürfe kein Haus erwerben ohne Erlaubnis der Herrschaft. Auch sei bei der Versteigerung eines Hauses, das einem Christen gehöre, ein Jude gar nicht zugelassen. Überdies habe eine richtige Versteigerung gar nicht stattgefunden, da keine weiteren Bewerber als Joseph Jacob mitgeboten hätten; der Mindestpreis von 900 Gulden sei dafür „etwas zu hoch“ gewesen. Eigentlich handle es sich um einen verdeckten, heimlichen Kauf: Mit der Steigerung sollte nur das Losungsrecht umgangen werden. Nach dem unrechtmäßigen Erwerb sei dann Joseph Jacob ohne Zustimmung der Regierung in das Haus „eingedrungen“, das er jetzt „mit Gewalt“ behalten wolle. Neben den rechtlichen Gründen sah Heusler weitere Argumente. Als Jude würde Joseph Jacob keine Wirtschaft betreiben. Damit würde der Herrschaft das Ohmgelt in Höhe von 80 Gulden jährlich entgehen. Auch erlitten die christlichen Untertanen Schaden: Sie müssten die Belastungen wie Einquartierung und Abgaben, die auf diesem Haus lagen, anstelle Joseph Jacobs übernehmen, während die Juden sich auf die Belastung durch das Schutzgeld beriefen und alles Weitere verweigerten. Er selbst, Heusler, würde eine Erwerbsquelle verlieren und müsse außer Land gehen, um weiter existieren zu können, falls er das Wirtshaus

46 GLAK 61/149 HR 27.1.1721. 47 GLAK 61/5448, Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, 22.3.1705, Bl. 152v–153v.

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nicht erhalte – Joseph Jacob sei indessen schon im Besitz von zwei Häusern48 und benötige ein drittes gar nicht. Das Adlerwirtshaus habe, fuhr Heusler fort, nach der Zerstörung der Bühler Schule im Krieg 1689 zum Unterrichten der Kinder gedient. Mit dem Kauf sei diese Nutzung nicht mehr möglich, während die Gemeinde nicht in der Lage sei, ihr Schulgebäude wieder aufzubauen. Nachdem er so eigentlich gegen die Übernahme des Wirtshauses durch ihn selbst argumentiert hatte, sprang sein Gedankengang auf etwas anderes über – der Erwerb durch Joseph Jacob führe „zum höchsten Schimpf [Spott, Unehre] undt gegen Gott unverandtwortlicher Nachtheil der Christlichen Catholischen Religion“, denn die Juden seien daran interessiert, in diesem Gebäude eine Synagoge einzurichten.49 Wieder wurde der Vorwurf erhoben, der Hauserwerb sei unrechtmäßig abgelaufen. War 1696 die wirtschaftliche Existenz des Barbiers Oser bedroht,50 so würde – nach der Äußerung Heuslers – 1705 der Hauskauf Joseph Jacobs ihn ins Elend stürzen. Wie schon 1696 wurde auch jetzt die Beleidigung und Gefährdung des Christentums, vor allem durch die Einrichtung einer Synagoge, hervorgehoben, damit das Stereotyp des schädlichen und christenfeindlichen Juden mobilisiert. Unverkennbar sind dabei auch die intertextuellen Bezüge zwischen den Schreiben der Jahre 1696, 1700 (im Konflikt um das Haus Isaacs) und 1705, wenn etwa Heusler den „Schimpf“ anführt, die Verletzung der Ehre, mit der Bollmeyer und Flucke argumentiert hatten. Auch hier scheint die Entscheidung gegen Joseph Jacob ausgefallen zu sein. Er kaufte im März 1706 von Hans Haungs, einem Küfer, für 250 Gulden ein „Häuslein“ in der Bühler Adlergasse,51 in der Nähe des „Adlers“. Auch das lag nicht weit von der Hauptstraße entfernt. Joseph Jacob ging nicht davon ab: Er verwirklichte seinen Anspruch auf ein Haus in der Nähe des örtlichen Zentrums, in die Nähe der Hauptstraße und des Marktes.

5.5  Das Haus eines Juden bei Markt und Kirche – eine Statuskrise für die christliche Gemeinde Im Wesentlichen bestanden die Vorstellungen der Christen in den Konflikten über die Häuser darin: Die Juden brechen das Recht, gefährden die wirtschaftliche Situ48 Außer den in der Darstellung erwähnten Häusern Joseph Jacobs lässt sich kein weiteres nachweisen, was jedoch auch auf die Unvollständigkeit der Amts- oder Kontraktenbücher für das Amt Bühl zurückgehen könnte. 49 GLAK 229/15143, Frantz Heinrich Heusler an Markgraf Ludwig Wilhelm, 7.5.1705. 50 Zur Auseinandersetzung zwischen Joseph Jacob und Franz Oser siehe S. 297ff. 51 GLAK 61/5448, Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, 9.3.1706, Bl. 229v.

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ation der Christen und verspotten und bedrohen die christliche Religion; ein Haus beim Markt und bei der Kirche kann zu einer Synagoge werden, die „teufflisch“ ist. Selbst in sprachlichen Einzelheiten kommt die Bedrohung zum Ausdruck: Die Juden gehen „heimlich“ vor, „dringen ein“ und verwenden „Gewalt“. Die Besitzer der umstrittenen Häuser waren führende Vertreter der Judenschaft, in wirtschaftlicher Hinsicht wie als Repräsentanten der Schutzjuden, als Judenschultheißen. Für sie waren ihre Häuser zunächst ein wirtschaftliches Kapital. Zugleich vermittelten diese Häuser einen nichtmateriellen Zugewinn: Mit ihrer exponierten Lage war die Funktion verbunden, soziales Kapital führender Schutzjuden zu demonstrieren: Sie beanspruchten nun ständig teilzunehmen am Leben in dem örtlichen Raum, der hervorgehoben war als Raum von Ansehen und Ehre. Der Judenschultheiß Isaac Bodenheimer bestätigte diesen Anspruch auf Ehre über den Besitz eines Hauses im zentralen Ortsbereich, als er und sein Bruder das Haus des Handelsmanns und Admodiators Johannes Bruzetto erworben hatten. Beim Tausch der Häuser zwischen ihnen und Johannes Bruzetto wurde zunächst nur Isaac Bodenheimer als neuer Eigentümer des Hauses an der Hauptstraße eingetragen. Der Name seines Bruders Mayer wurde ergänzt, in einem Nachtrag von 1729 unter dem Tauschbriefeintrag von 1726: Amtmann von Mohr bestätigte später, als Isaac Bodenheimer schon tot war, die Richtigkeit dieser Korrektur auf einem besonderen, ins Kontraktenprotokoll eingelegten Blatt. Er schrieb: „Indeme mir selbst bekannt, ich auch öfters von dem Verstorbenen Isaac gehört habe, gestalten [demnach] Er, und sein bruder das Prozettische Haus miteinander Erkauft, Er aber ex vana gloria es nicht angegeben.“52 Die „nichtige Ruhmsucht“, die Isaac Bodenheimer – in den Worten des Amtmanns - einräumte, belegt die Bedeutung, die ein Haus an der Hauptstraße dem Eigentümer einbrachte: Das Haus diente auch jüdischen Einwohnern als Symbol ihres sozialen Kapitals. Aus der Sicht der Christen überschritten Joseph Jacob und Isaac in Ettlingen die Grenze zu einem besonderen lokalen Raum. In diesem Raum waren wirtschaftliche Interessen, religiöse Vorstellungen und die von Ehre gebündelt, mit dem Eindringen der Juden als beeinträchtigt und gefährdet dargestellt. Vor allem der religiöse Gegensatz zu den Juden wurde dabei radikalisiert: Das Eindringen von Juden in den Raum, in dem das Gotteshaus stand, gefährde die Ehre Gottes, und die christlichen Einwohner würden sie verteidigen, und sie erwarteten das auch von der Regierung. Diese reagierte im Wesentlichen auf die Vorstellungen religiöser Herkunft und bestärkte so die christlichen Einwohner, die Konflikte auf dieser Ebene auszutragen. Für Monheim und Harburg, um 1700 Kleinstädte im Herzogtum Pfalz-Neuburg und in der Grafschaft Öttingen, untersuchte Reinhard Jacob für das frühe 18. Jahrhundert den Hausbesitz im christlich-jüdischen Spannungsfeld. Er kam 52 GLAK 61/5450, Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, 7.7.1726, Bl. 177v–178v und loses Blatt.

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zum Ergebnis, dass die Konflikte nur vordergründig durch das knappe Gut Wohnung oder Haus konstituiert wurden. Vielmehr ging es vor allem im Feld von „Status, Macht und Ansehen“ um die Häuser, die durch ihre Nähe zum lokalen Zentrum religiöse, politische und wirtschaftliche Bedeutung hatten und damit soziales Kapital vermittelten. Ihr Standort diente gleichzeitig dazu, die Zugehörigkeit und Stellung innerhalb der örtlichen Gesellschaft sichtbar zu machen. Die christlichen Bürger wehrten den Erwerb solcher Häuser durch Juden ab, um zwei Ziele zu erreichen: Die Überlegenheit ihrer Gruppe über die Juden sollte gewahrt bleiben, ebenso die religiöse Integrität der christlichen Gemeinde.53 Dass dieser Konflikt gerade um 1700 in der Markgrafschaft Baden-Baden seine radikale Ausformung erhielt, dürfte mit den Erfahrungen der Einwohner zusammenhängen, die sie in den Jahren zuvor gemacht hatten. Kriege und Zerstörungen, besonders den Verlust ihrer Häuser, Verlust an Menschenleben und die Niederlassung von „Fremden“ aus der Schweiz oder aus Italien mussten die christlichen Einwohner wahrnehmen. Jetzt, um 1700, schienen sich die Verhältnisse zu konsolidieren. Markgraf Ludwig Wilhelm hatte auf der Ebene des Reiches in den Kriegen auf dem Balkan für stabile Verhältnisse und sichere Grenzen nach Osten gesorgt. Jetzt schien er sich der zerstörten Markgrafschaft zuzuwenden, sichtbar vor allem im Aufbau einer neuen Residenz, seines „Hauses“, und in den Gemeinden mit dem programmatischen Wiederaufbau der im Krieg zerstörten Häuser. Die Übertragung dieser Wahrnehmungen auf die örtliche Ebene legte es nahe, vom Fürsten und seiner Regierung zu erwarten, ihren Teil beizutragen zur Überwindung der Krisensituation. Sie bestand nicht nur aus der Beeinträchtigung wirtschaftlicher Verhältnisse. Es ging mit zunehmender Hoffnung auf den Frieden auch in den Auseinandersetzungen über Häuser darum, die gemeindliche, innerchristliche Integration und Kohärenz zu stärken,54 sie nach einem vielleicht imaginierten Muster der zerstörten Ordnung wieder herzustellen, in der die „fremden“ Juden noch nicht in den zentralen Raum der Gemeinde eingedrungen waren. Die Judenschultheißen Isaac in Ettlingen und Joseph Jacob in Bühl stellten die tradierten Vorstellungen und Verhaltensweisen bei den christlichen Einwohnern in Frage. Sie beanspruchten mit ihrer Praxis des Erwerbs von Häusern den gleichen Zugang zum Zentrum ihres Lebensortes wie die Christen, Joseph Jacob auch in der rechtlichen und rhetorischen Verteidigung seiner Position. Dabei praktizierten die ländlich-kleinstädtischen Vertreter der Judenschaft zeitgleich

53 Jacob, Konflikt und Stereotyp, in: Holenstein und Ullmann (Hg.), Nachbarn, Gemeindegenossen und die anderen, S. 325–356, hierzu S. 339–343, Zitat S. 340. 54 Zur Frage der Kohärenz siehe S. 291f.

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das, was Juden in größeren Städten nicht früher versuchten, nämlich „die Muster, welche die jüdische Wohnsituation beherrschten, zu durchbrechen.“55 Mit Blick auf die Äußerungen über die Ehre in Bühl und Ettlingen lässt sich die Bedeutung der sozialen und kulturellen Vorstellungen betonen: Es ging um den Anspruch auf Überlegenheit, um das Gefühl der Bedrohung und um Kohärenz, um die Abwertung der Anderen und die Stärkung des Selbstbildes, um den gesicherten Status der Mehrheit gegenüber der Minderheit, um deren Segregation. Unverkennbar ist ferner, dass in den Auseinandersetzungen um die Häuser gerade die Vertreter des Jesuitenordens eine führende Rolle spielten; nicht zufällig entstanden die Konflikte da, wo sie vor Ort die kirchliche Leitung innehatten. Unbeabsichtigt bestätigt der Jahresbericht der Jesuiten zu 1699 diesen Zusammenhang. In Bühl, wo bis dahin die Jesuiten für die Pfarrei verantwortlich waren, habe der Markgraf, heißt es darin bedauernd, den Kaplan seiner Leibwache als Pfarrer eingesetzt; möglicherweise sei es dazu gekommen „durch eine feurige, aber weniger kluge Predigt eines der Unsrigen, in welcher er gegen die Juden und gegen die Tänze Stellung genommen hatte.“56 Es war Joseph Jacob selbst, der eine solche Vermittlung judenfeindlicher Vorstellungen ansprach, als er Bartholomäus Bollmeyer als den „Feind“ bezeichnete, der von der Kanzel aus die Juden angriff.57 Der Jesuitenorden war mit der Unterstützung der gegenreformatorischen Ziele groß geworden.58 Als sich seine Ortsgeistlichen parallel in Bühl und Ettlingen in die Konflikte über Häuser bei der Kirche einschalteten, handelten sie im Zusammenhang mit dem, was in der Barockforschung als „ständig erneuerte Inbesitznahme des öffentlichen Raums durch den Katholizismus“ bezeichnet wurde. Prozessionen außerhalb der Kirche spielten dabei eine besondere Rolle, vermittelten „draußen“ die Dominanz des Katholizismus.59 Die beiden Jesuiten betonten deren Bedeutung und die Störung durch die Juden. Über Prozessionen kam es in gemischtkonfessionellen Gebieten oft zu Konflikten, wenn Katholiken von Protestanten Ehrbezeigungen vor dem Sakrament des Altars verlangten und diese die öffentliche Glaubensdemonstration der Katholiken „verspotteten, sie störten oder parodierten.“60 In Bühl und Ettlingen lebten um 1700 keine Protestanten; Jesuiten warfen den Juden bis ins Einzelne hinein deren Verhalten vor und wiesen den Juden damit ersatzweise die Rolle als Gegner zu – ein Beitrag zur innerkatholischen Einheitsstiftung, vielleicht auch zur Festigung der Position der Jesuiten selbst. 55 Liberles, An der Schwelle zur Moderne, in: Kaplan, Geschichte des jüdischen Alltags, S. 30f, Zitat S. 31. 56 Kast, Mittelbadische Chronik, S. 273. 57 Zur Darstellung Bollmeyers durch Joseph Jacob siehe S. 300. 58 Strobel, Die Jesuiten und die Barockkultur, in: Badisches Landesmuseum Karlsruhe (Hg.), Barock in Baden-Württemberg, S. 384. 59 Hersche, Muße und Verschwendung, Teilband II, S. 903. 60 Ebd.

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Diese, die kommunalen Repräsentanten und die Vertreter der Regierung verbanden die zentrale Lage der umstrittenen Häuser mit den Werten der „Vornehmheit“ und Ehre. Sie befanden sich in bester Gesellschaft: 1704 beschwerten sich in Berlin die Vertreter der Stadt darüber, dass ein jüdischer Einwohner ein sehr schönes Haus in einer vornehmen Straße erworben habe – ein solches Haus stände nur den königlichen Ministern zu, und eigentlich genüge dem jüdischen Käufer ein Haus „an einem schlechten Ort der Stadt“.61 Das wirft ein Licht auf Joseph Jacob, Isaac und andere Schutzjuden. Sie handelten nach Vorstellungen, die um 1700 weit verbreitet waren, und standen damit als Juden im ländlichen Raum denen in den Städten nicht nach. Mit ihnen und mit Christen teilten sie das gleiche kulturelle Konstrukt, nach dem die Lage eines Hauses seinem Besitzer einen sozialen Wert vermittelte. Die Juden in der Markgrafschaft hielten an diesem Anspruch fest und konnten ihn wohl auch teilweise durchsetzen. 1721 musste zwar Isaac in Ettlingen auf sein Haus verzichten. Aber schon gleichzeitig gibt es Hinweise darauf, dass sich die Vorstellung durchgesetzt hatte: Der Besitz eines Hauses vermittle Ansehen und Ehre. Der Amtmann in Ettlingen berichtete 1721 anerkennend, dass Mayer Malsch in Malsch, Jost, Seligmann Isaac und Abraham Isaac in Ettlingen, die Söhne von Isaac, ein „schönes Haus“ besaßen.62 Diese relativ wohlhabenden Schutzjuden demonstrierten mit ihren Häusern ihre wirtschaftliche Leistungskraft, vermutlich zugleich auch den Anspruch auf Ebenbürtigkeit mit Christen zumindest im Besitz eines Hauses.

5.6  Häuser zwischen Juden und Christen In Rastatt hatte der Bürger und Hofglaser Anton Dürr ein modellmäßiges Haus gebaut. Hinter diesem neuen Gebäude stand sein altes Haus, ein „kleine(s) Häusel“. Dürr bat 1737 den Geheimen Rat, es an Raphael Jacob verkaufen zu dürfen. Der Hofrat forderte den Rastatter Oberamtmann Lassolaye auf, die Möglichkeit zur Versteigerung des Hauses zu prüfen.63 Offensichtlich hatte Raphael Jacob nicht mehr vor, seinen Wohnsitz in Ettlingen zu nehmen.64 Der Bericht des Oberamtmanns sprach sich mit zwei Argumenten für den Verkauf an Raphael Jacob aus. Einmal stände das Haus „in einem winkhel“ – es schien also ungünstig, vielleicht etwas versteckt zu liegen und schwer verkaufbar zu sein. Raphael Jacob würde einen so hohen Preis zahlen wie kein christlicher 61 Liberles, An der Schwelle zur Moderne, in: Kaplan, Geschichte des jüdischen Alltags, S. 26f, Zitat S. 27. 62 GLAK 74/3711, Amtmann Schweinhuber an die Hofkammer, 4.2.1721. 63 GLAK 61/32 GR 7.12.1737 Nr. 20. 64 Zu Raphael Jacobs Versuch, sich in Ettlingen niederlassen, siehe S. 135.

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Einwohner, wodurch Dürr die Chance bekäme, seine Schulden abzutragen. Darauf bewilligte der Geheime Rat den Verkauf an Raphael Jacob unter zwei Bedingungen: „Er Jud [müsse] ein(e) Mauer umb das Häusel ziehen, auch solches gegen die Gassen hinaus modellmäßig erbauen.“65 Was die Hofkammer 1712 für Bühl festgestellt hatte,66 traf in der Sicht des Oberamtmanns 1737 noch immer zu: Jüdische Käufer zahlten für Häuser mehr als christliche Interessenten. Das war gut für den Hofglaser, aber auch für die Herrschaft: Sie kam weiter auf dem Weg zu einer Residenz mit modellmäßigen Häusern – das alte Haus Anton Dürrs würde nun zumindest zur Straße hin entsprechend umgebaut werden. Mögliche Bedenken über das Aussehen des alten Hauses, das Raphael Jacob kaufen wollte, konnten durch den Umbau und durch die Mauer vor oder am Haus überwunden werden. Zugleich wurde jedoch eine Trennung deutlich gemacht: Das Haus erhielt trotz der modellmäßigen Anpassung an seine Umgebung mit der Mauer eine auch symbolische Abgrenzung: Haus und jüdische Bewohner wurden so im realen und übertragenen Sinn dem Blick entzogen, ihre öffentliche Wahrnehmung zumindest erschwert. 1740 scheiterte die Schutzübertragung für Isaac Israel von Bühl nach Steinbach und die Schutzaufnahme seines Sohnes Abraham Isaac für diesen Ort am Widerstand der Bürger; das Haus, das Isaac Israel dort gekauft hatte, lösten zwei Christen aus. Sie waren allerdings nicht an diesem Haus interessiert, sondern daran, die Ansiedlung eines Juden in ihrem Ort zu verhindern.67 Isaac Israel kaufte darauf im Januar 1741 in Bühl von einem Zimmermann ein Haus, und zwar „eine halbe Behausung somit [mit] einem halben Keller und Platz, oben am Bach, einseith Joseph Meyer, and(erer)s(eits) und oben die Allmendt, unten der Bach“.68 Dagegen supplizierte die Gemeinde Bühl. Sie berief sich ausdrücklich auf die „Judenordnung“ von 1714 und die „Polizey“, die gültige Ordnung, gegen die der Kauf verstoße. Der Hofrat entschied: Das Amt müsse den Verkauf für ungültig erklären, „der Jud aber sich um ein anderes Haus umbsehen und bewerben.“69 Sechs Wochen später erwarb Isaac Israel ein anderes Haus, „den unteren Theil sambt halben Keller und oben unterem Dach 2 Cammern ahn dem Fahrweeg sambt dem halben Hof, ein(erseits) Jos(eph) Meyer and(erer)s(eits) oben und un-

65 GLAK 61/32 GR 14.12.1737 Nr. 19. 66 GLAK 61/248 HK 6.7.1712. 67 Zur Schutzaufnahme von Abraham Isaac in Steinbach und zur Auseinandersetzung über den Kauf eines Hauses in diesem Ort siehe S. 526ff. 68 Bühl, BH (alt), Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll 1741–1749, 16.1.1741, Bl. 2r–v. 69 GLAK 61/170 HR 7.2.1741 Nr. 14.

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ten die Allmendt.“70 Auch dieses Haus grenzte an das Grundstück von Joseph Meyer und an den Gemeindebesitz, die „Allmende“ – stand also sicher nicht an der Hauptstraße, sondern am östlichen Rand der Bebauungsfläche, am Rande des Hänferdorfs. Die so erkennbare Lage des zuerst gekauften Hauses in unmittelbarer Nähe des zweiten, rechtsgültig erworbenen Hauses weist darauf hin, worauf die Bühler Bürgerschaft in ihrer Supplik gegen den ersten Kauf zurückgriffen hatte. Nicht die Lage in der Hauptstraße oder in der Nähe der Kirche konnte sie als Argument gebrauchen, sondern die Bestimmung der „Judenordnung“, dass ein Zusammenleben zwischen Juden und Christen in einem Haus ohne strikte Abtrennung der Wohnungen verboten war. Der Gemeinde ging es wohl nicht in erster Linie um die Einhaltung der „Judenordnung“. Sie hatte sich gegen den Aufenthalt von Isaac Israel in Bühl erklärt71 und versuchte ihn am Kauf eines Hauses zu hindern. Löw Bodenheimer, der Bühler Anwald, supplizierte 1763, in Rastatt das Haus eines Christen kaufen zu dürfen, das des Säcklermeisters Franz Joseph Edler.72 Seine Bittschrift lehnte der Geheime Rat ab: Das Haus sollte an einen Christen verkauft werden; eine Begründung für diese Entscheidung erfolgte nicht. Löw Bodenheimer versuchte nochmals ein Haus zu kaufen, diesmal aus dem Besitz eines Juden: Er kam mit einer Supplik beim Hofrat ein, das Haus Raphael Jacobs nicht öffentlich versteigern und das Auslösungsrecht nicht gelten zu lassen.73 Offensichtlich versuchte er so, Konkurrenten auszuschalten; das Auslösungsrecht begünstigte die christlichen Bürger, deren Eingreifen Löw Bodenheimer wohl besonders fürchtete. Aber die Schwierigkeit kam von einer vielleicht nicht erwarteten Seite. Baruch Raphael und Jost Raphael, Bruder und Sohn des gestorbenen Oberschultheißen, reichten am selben Tag wie Löw Bodenheimer ebenfalls ein Bittschrift ein: Sie baten gerade um die öffentliche Versteigerung,74 wohl in der Hoffnung auf einen höheren Erlös. Das Oberamt Rastatt schlug vor, ihnen entgegenzukommen. Wenn innerhalb von drei Wochen kein Verkauf möglich sei, solle die Versteigerung stattfinden.75 Unklar ist, ob Löw Bodenheimer dieses Haus erwerben konnte. 70 StgI Bühl, BH (alt), Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll 1741– 1749, 6.3.1741, Bl. 11r. Ob dieses Haus identisch war mit dem, das Isaac Israel zuerst kaufen wollte, war nicht zu klären. 71 Zur Stellungnahme der Einwohner in Bühl gegen Isaac Israel und Abraham Isaac siehe S. 529ff. 72 GLAK 61/321 GRATP 16.4.1763 Communicanda Nr. 7, Bl. 218v und 30.4.1763 Communia Nr. 14, Bl. 247v. 73 GLAK 61/198 HR 28.2.1764 Protocollum consilii aulis Nr. 6. 74 GLAK 61/198 HR 28.2.1764 Protocollum consilii aulis Nr. 7. 75 GLAK 61/198 HR 15.3.1764 Consilium aulis et regiminis Nr. 12.

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In Kippenheim bat Salomon Auerbacher 1765 die Regierung, das Haus von Lazarus Weil versteigern zu lassen,76 wohl im Zusammenhang mit Forderungen an dessen Erbmasse. Hofkammer und Geheimer Rat bewilligten seine Supplik.77 Die Gemeinde Kippenheim jedoch versuchte jüdische Interessenten von der Versteigerung auszuschließen.78 Deren Beschwerde war erfolgreich: Die Kippenheimer Juden, so die Regierung, hätten wie die Schutzjuden insgesamt „alle bürgerlichen Rechte“79 inne, wenn keine Ausnahmeregelung bestehe. Das gelte auch beim Kauf eines Hauses, gerade wenn dies wie hier vorher einer jüdischen Familie gehört hatte.80 Salomon Auerbacher kam trotz der für ihn günstigen Entscheidung 1765 wohl nicht zum Zuge. Er supplizierte September 1767 wegen der Genehmigung, das „Häuslein“ eines Christen kaufen zu dürfen. Das Oberamt Mahlberg sprach sich für die Bewilligung aus, unter dem Vorbehalt, dass das Losungsrecht der christlichen Einwohner berücksichtigt werde.81 Auf Anweisung des Geheimen Rats beschloss der Hofrat, die Supplik auf der Grundlage der „Judenordnung“ zu prüfen.82 Auerbacher hatte vor, im Haus des Bürgers Jacob Preschle einen Kramladen einzurichten. Er kam der Regierung und wohl auch den christlichen Einwohnern in Kippenheim entgegen und sagte Folgendes zu: Einmal sei er bereit, das Losungsrecht der christlichen Einwohner auf 14 Tage zuzugestehen. Die andere Konzession: Für den Fall, dass sein Handel in dem Haus, das er kaufen wollte, auf kürzere oder längere Sicht sich nicht gut entwickeln oder er sterben würde, dann solle das Haus „unter denen Christen“ versteigert werden. Unter diesen Bedingungen stimmte der Geheime Rat dem Kauf Salomon Auerbachers zu.83 Wie beim Haus von Lazarus Weil, das 1765 versteigert werden sollte, scheinen auch in diesem Fall keine Informationen darüber vorzuliegen, wo das „Häuslein“ Jacob Preschles stand. Die „Judenordnung“ von 1746 hatte festgelegt, dass ein jüdischer Käufer eines Hauses die Genehmigung der Regierung einholen musste. Achtete das Oberamt Mahlberg auf diese Vorschrift und ließ Auerbacher deshalb supplizieren? Es ging wohl um ein Haus, das für den Handel vorteilhaft war und in einer „Hauptgas“ stand. Besondere Verhältnisse lassen sich beim Kauf eines Hauses in Bühl 1753 erkennen. Hier war 1751 Salomon Abraham nach der Verdächtigung als Dieb geflohen. Sein Haus sollte auf das Drängen von Gläubigern sofort versteigert 76 77 78 79 80 81 82 83

GLAK 61/303 HK 26.4.1765 Nr. 30. GLAK 61/303 HK 17.5.1765 Nr. 18. GLAK 61/303 HK 14.6.1765 Nr. 41. GLAK 61/303 HK 9.7.1765 Nr. 20. Ebd. GLAK 61/326 GRATP 29.8.1767 Communia ohne Nummerierung. GLAK 61/208 HR 1.9.1767 Regierungsprotokolle Nr. 1585. GLAK 61/326 GRATP 4.11.1767 Regierungsberichte Nr. 974.

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werden, was aber erst 1753 gelang. Das „Häuslein samt gärthel“ grenzte an den Besitz von Joseph Birenbreyer, einem christlichen Bürger. Dieser und der Bühler Schutzjude Maron Aron ersteigerten es für 230 Gulden. Danach einigten sie sich so, dass Birenbreyer „den halben platz und garthen“ für 57 ½ Gulden erhielt, den anderen Teil Maron Aron. Dieser übernahm eine auf dem Haus lastende Kapitalschuld in Höhe von 45 Gulden, konnte den Kauf aber nicht sofort finanzieren und musste deshalb ein „Unterpfand“ beibringen. Birenbreyer sagte zu, auch seinen Anteil am gesamten Grundstück als „Unterpfand“ Maron Arons auf drei Jahre zur Verfügung zu stellen. Dazu übernahm er noch für Maron Aron gegen Verzinsung für ein Jahr die fällige Rate des Kaufpreises in Höhe von 25 Gulden.84 So erhielt Joseph Birenbreyer durch das gemeinsame Vorgehen mit Maron Aron seine Anteile an Haus und Grundstück; insofern handelte er in erster Linie für seinen eigenen Vorteil. Er half jedoch auch einem Schutzbürger beim Kauf eines Hauses. So lässt sich die Zusammenarbeit des christlichen Bürgers und des Schutzjuden erkennen, die Nachbarn wurden. Joseph Birenbreyer und Maron Aron wohnten am „Bach“, an der Bühlot, „im oberen Flecken“,85 also am Rande der Ortsbebauung; das Haus von Salomon Abraham war zwei Jahre zum Verkauf gestanden, ohne einen Käufer gefunden zu haben. Die geringe Attraktivität des Hauses oder seiner Lage scheint die Kooperation eher ermöglicht zu haben als eine Lage an der Hauptstraße mit der Konkurrenzsituation von christlichen und jüdischen Handelsleuten und ihren Prestigeansprüchen. Der Regierung war für Rastatt daran gelegen, dass Schutzjuden ein Haus kauften – zur Entwicklung und Verschönerung der Residenz mit modellmäßigen Gebäuden. Das war bei Hayum Flörsheim, bei Abraham Lauer und bei Raphael Jacob der Fall gewesen. Die Schutzjuden ihrerseits gingen auf diese Vorstellung ein und stellten sich als fähig und willens dar, der Erwartung der Regierung zu entsprechen; dies war eine Möglichkeit, die Bewilligung der Schutzaufnahme oder eines Ortswechsels zu fördern. Für die christlichen Einwohner ging es seit den Auseinandersetzungen um die Häuser von Joseph Jacob immer wieder darum, Juden am Kauf eines Hauses zu hindern. Das schloss nicht aus, dass es auch im Zusammenhang mit Häusern Kooperation zwischen Juden und Christen gab. Immerhin scheint der Einsatz von antijüdischen Stereotypen gerade im Bereich des Hauseigentums im Verlauf des 18. Jahrhunderts abgenommen zu haben.

84 GLAK 61/13698, Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, 18.2.1753, Bl. 377v–378r. 85 Ebd.

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5.6.1  Abseits der Hauptstraße: das Haus von Joseph Jacob, Götschel Aron, Hayum Mayer, Abraham Mayer, Gottlieb Süßel   und Friedrich Buhl Die Lage eines Hauses in Bühl wurde – 1760 – mit „oben im Flecken“, mit „vornen die Gaß“ und mit der Nennung der Anlieger Joseph Lang und „hinten Ferdinand Eckerle“ angegeben.86 Als sich 1759 und 1760 die Besitzverhältnisse dieses Hauses änderten, wurden die Eigentümer festgehalten: jüdische und christliche Einwohner, die das Haus bewohnten, das in „Viertel“ aufgeteilt war. Als einer der Eigentümer bewohnte bis 1759 Joseph Jacob mit seiner Frau die „ohngeteilte Behausung“; er war der mit Armut kämpfende Betreiber des jüdischen Wirtshauses.87 Einen Teil seines Hauses hatte er 1750 an den Schutzjuden Götschel Aron und dessen Frau Malge für 160 Gulden und eine kleine Menge Getreide verkauft; beide Juden planten einen gemeinsamen Pferdehandel.88 Jedoch blieb Joseph Jacob arm. 1756 reduzierte die Hofkammer sein Schutzgeld von 15 auf 10 Gulden – „aus bekannter seiner Ohnvermögenheit“ hatte dies der Amtmann befürwortet.89 Joseph Jacob und seine Frau bewohnten den unteren Stock mit einer „Stuben, Stuben Cammer [Kammer an der Stube], Kuchel, auf der oberen Bühnde [oberste Boden, Raum unter dem Dach] das Theil wo das Camin stehet“, dazu besaßen sie „den hinteren Teil“ des Kellers. Ein Stück des Gartens beim Haus gehörte zu diesem Anteil und grenzte an das Grundstück eines christlichen Nachbarn. Ein Stall befand sich „hinten ahm Haus“. „Hof und Einfahrt“ standen den derzeitigen Besitzern der Haushälfte, Joseph Jacob und dem Schutzjuden Abraham Mayer, zusammen zur Verfügung. Zu den Familienverhältnissen Abraham Mayers um 1760 gibt es keine Hinweise; erst später wurde seine Frau Feihle erwähnt.90 Als Joseph Jacob 1759 starb, setzte das Amt eine Versteigerung seines Hauses an, damit die Forderungen seiner Gläubiger bezahlt werden konnten. Dabei wurden Bedingungen für die künftige Nutzung des Hauses festgesetzt. Die Haustüre diente weiterhin als gemeinsamer Eingang zu den zwei Wohnungen, zu der des künftigen Eigentümers und der Abraham Mayers im Obergeschoss. Der Besitzer des oberen Stocks dürfe in der Küche im unteren Stock „bauchen und backhen“, Wäsche kochen und backen, dazu ein „Bauchöfele“ und den Backofen benutzen. 86 GLAK 61/13699, Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, 6.1.1760, Bl. 79r. 87 Zu Joseph Jacob, dem Bühler „Judenwirt“, siehe S. 73 u. ö. 88 GLAK 61/13698, Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, 12.3.1750, Bl. 62r. 89 GLAK 61/272 HK 5.3.1735. Mit der Namensnennung Joseph Isaac; als er einen Nachlass des Ohmgelds erhielt (GLAK 61/272 HK 19.1.1735), ist der Bezug auf ihn sicher. 90 Zum Namen der Frau Abraham Mayers siehe S. 318.

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Er bekam eine weitere Erlaubnis zur Nutzung der Küche, nämlich „ahm Sabbath den durchgang durch die Kuch um seinen Trunck hohlen zu können.“ Ein Backofen im Hof, wohl ein Backhäuschen, stand beiden Parteien zur Verfügung. Der Bewohner des oberen Stockes erhielt das Durchgangsrecht zu seinem hinteren Gartenanteil zugesichert, musste aber auf dem Weg dorthin darauf achten, dass er nichts von den Pflanzen im vorderen Teil beschädigte. Den Anteil Joseph Jacobs, ein Viertel des Hauses, ersteigerte der Schutzjude Gottlieb Süßel für 150 Gulden.91 Ein gutes Jahr später verkauften Süßel und seine Frau Maria Anna ihr Hausviertel wieder, und auch diesmal war es mit Mayer Lemmle ein Schutzjude, der in Süßels Rechte und Pflichten eintrat.92 Die Verhältnisse im Hof brauchten ebenfalls eine Klärung. Joseph Jacob und Abraham Mayer und seine Frau hatten ja nur eine Haushälfte als Eigentum. Die andere Hälfte gehörte zu diesem Zeitpunkt dem Weißgerber Friedrich Buhl. Allen drei Besitzern stand der Hof ungeteilt zur Verfügung. Friedrich Buhl erhielt das Recht, drei Staffeln zur Tür seines Hausteils anzulegen. Das dürfe aber nicht so ausgelegt werden, wie wenn der dazu erforderliche Grund und Boden ihm oder seinen Rechtsnachfolgern als Eigentum zustände – er blieb Teil des gemeinsamen Eigentums am Hof. Vor Friedrich Buhl besaß der Schutzjude Hayum Mayer, wohl ein Verwandter von Abraham Mayer, die zweite Haushälfte. Wie Joseph Jacobs Hausteil ließ das Amt Bühl Anfang 1760 auch diesen Anteil versteigern: eine „halbe Behausung, sambt Garthen Stallung und Halben Keller, wie solches schon voraus mit denen Inhabern des anderen halben Hauses Gottlieb Süßel und Abraham Mayer durch einen Schaidwandt welche gemeinschaftlich zu erstellen verabtheilet.“93 Zu diesem Zeitpunkt waren also, im Vorgriff auf die Versteigerung, der Keller des Hauses in zwei Teile getrennt worden. Die Kosten für die Wand aus „Latten oder Brettern“ mit den erforderlichen weiteren Teilen wie einer Tür mussten Abraham Mayer und Gottlieb Süßel übernehmen. Ihnen wurde der Zugang zum Keller zugesichert, indem sie die „Gerechtigkeit [das Recht] haben sollen ohngehindert durch den Hof in den Keller zu gehen und Ihre habende sachen dahin führen zu Lassen.“ Der Nachbesitzer von Hayum Mayers Hausanteil, der Weißgerber Friedrich Buhl, erhielt das Recht, im Garten eine Abtrennung zu errichten, nämlich 91 GLAK 61/13699, Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, 29.5.1750, Bl.104v. 92 GLAK 61/13699, Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, 1.7.1760, Bl. 104v–105r. 93 GLAK 61/11699, 6.1.1760, Bl. 79r. Man muss wohl davon ausgehen, dass Gottlieb Süßel und Abraham Mayer bereits vor der Versteigerung oder vor der Protokollierung sich über die Abteilung des Kellers abgesprochen haben. Nicht auszuschließen ist eine falsche Datierung eines Steigerungsprotokolls bzw. seines Eintrags in das Kontraktenprotokollbuch oder eine Lücke im Kontraktenbuch. In dieses sind die Kauf- und Steigerungsprotokolle nicht chronologisch eingetragen.

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„Von der Kuchelthür an bis an den Garten“.94 Damit hatte das Haus jedenfalls wieder drei Besitzer, nämlich die Schutzjuden Abraham Mayer, Gottlieb Süßel (nach ihm bald Hayum Lemmle) und den Weißgerber Friedrich Buhl und dessen Frau Anna Maria. Neben Friedrich Buhl war noch ein weiterer christlicher Nachbar bei der Versteigerung zu berücksichtigen. Den Gebäudeteil mit der Wohnung Joseph Jacobs, die verkauft werden sollte, trennte ein „Zwischen-Gässel“ von einem Nachbarhaus. Der Weg zur Scheuer von Jacob Fentsch führte durch dieses „ZwischenGässel“. Hier hatten Joseph Jacob und Abraham Mayer einen Anbau errichtet, in dem sich das „Secret“ befand, also eine Abortanlage. Darüber hatte sich Fentsch beschwert. Bei einem Augenschein durch das Amt vereinbarten die Beteiligten, das „Secret“ zu beseitigen; in Zukunft dürfe kein Anbau mehr im „ZwischenGässel“ errichtet werden. Im Gegenzug verpflichtete sich Jacob Fentsch, durch dieses kein Vieh mehr zu seiner Scheune zu treiben. Er hatte allerdings noch eine Beschwerde, dass nämlich „der Jud allerley ohnsauberkeithen von seinem Haus in gedachtes Gässel herunter schüttet. So solle solches dem Juden für Hinkunft bey straf untersagt, demselben Jedoch ohnbenohmen seyn, das nicht benöthigte Wasser sonnsten aber nichts herunter zu schütten noch Scherben und dergleichen in das Gässel zu tragen.“95

Am 13. Juli 1768 verkauften Abraham Mayer und seine Frau Feihle ihren Hausanteil, „den oberen stockh im oberen Flecken“. Käufer waren Mayer Lemmle, der Bruder bzw. Schwager von Abraham Mayer und seiner Frau, und dessen Frau Zärle. Der Kauf Mayer Lemmles misslang jedoch. Die Nachbarn und Mitbesitzer des Wohngebäudes, der Weißgerber Friedrich Buhl und seine Frau Maria Anna, machten von ihrem Losungsrecht für den Anteil Abraham Mayers Gebrauch.96 Dieser und seine Frau kauften noch im gleichen Monat ein Haus, das bis dahin dem Weißgerber Simon Öchsle und dessen Frau Elisabetha gehört hatte. Allerdings wurde dieser Kauf ebenfalls nicht gültig. Jetzt verwendete ein Sohn von Elisabetha Öchsel aus erster Ehe das Losungsrecht.97 Im Dezember des Jahres erwarben Abraham Mayer und seine Frau Feihle ein Haus bzw. eine untere Haushälfte im Bühler Hänferdorf. Christian Mayer, ein Hänfer, löste zusammen mit seiner Frau Juliane zunächst dieses Haus aus, sie verzichten aber schließlich auf

94 GLAK 61/13699, Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, 6.1.1760, Bl. 79r. 95 Ebd., 29.5.1759, Bl. 103v–104r. 96 GLAK 61/13700, Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, 13.7.1768, Bl. 203v–204r. 97 Ebd., 26.7.1768, Bl. 206v.

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den Kauf, so dass Abraham und Feihle Mayer doch im Besitz ihres gerade erworbenen Hausanteils blieben.98 Diese Regelungen von Besitz und Verhalten verweisen auf die Enge der Verhältnisse. Ganz dicht war das tägliche Leben von Joseph Jacob und Götschel Aron, von Abraham Mayer und Gottlieb Süßel miteinander verbunden. Gemeinsam war die Benutzung der Küche. Joseph Jacob und seine Miteigentümer konnten die Wohnungen gar nicht vollkommen voneinander trennen: Wenn dieselbe Haustür zu beiden Wohnungen führte, gab es keinen separaten Aufgang in den oberen Stock. Am Sabbat, wenn in der Küche nicht gewaschen oder gekocht wurde, gingen die Bewohner des oberen Stockes durch sie hindurch, zum Brunnen, für einen Schluck Wasser; die Rücksicht auf das Verhalten am Sabbat wurde rechtlich fixiert. Für den Backofen im Hof, wohl zum Brotbacken, für den Hof und den Stall war die gemeinschaftliche Benutzung festgelegt. Auffallend ist auch die Verschränkung mit dem Leben der christlichen Nachbarn. Die engen Verhältnisse im Hof ließen wohl eine Abtrennung nicht zu: Die jüdischen Einwohner kamen ihrem Nachbarn Friedrich Buhl entgegen, indem sie ihn „zur besserer seiner Bequemlichkeit“ eine Treppe zu seiner Haustür anlegen ließen,99 aber behielten sich ihr Miteigentum am Grund und Boden unter den Staffeln vor. Auch der Keller des Hauses wurde, als Friedrich Buhl eine Haushälfte erwarb, in zwei Teile getrennt. Hier war eine „Schaidwandt“ zu errichten, entsprechend der „Judenordnung“ mit ihrer Trennung der Wohnbereiche von Juden und Christen.100 Aber es gab nur einen Eingang, und die hölzernen Bretter oder Latten schlossen die Kellerteile nur notdürftig voneinander ab. Die vorgeschriebene Trennung, ihrer Intention nach eine Grenze zwischen dem christlichen und jüdischen Lebensbereich, war nicht vollständig durchzuführen; wieweit sie realisiert wurde oder realisierbar war, lässt sich nicht feststellen. Die „Schaidwandt“ aus Latten oder Brettern, der „unterschlag“ von Buhl im Zugang zum Garten, die Lücken und Zwischenräume dieser Trennelemente konnten in der Realität nur Markierungen für die Eigentumsverhältnisse bedeuten, vielleicht eine Trennung für die Augen des zuständigen Amtes oder der Regierung, aber keine reale Absperrung der Lebensbereiche. Garten und Hof blieben für Blick und Zusammentreffen offen. Wenn Abraham Mayer durch Küche oder Stube des unteren Stockwerkes ging und das Haus verließ, um seinen „Trunkh“ zu holen, ging er über den gemeinsamen Hof der Hausbewohner. Dort arbeitete oft der Weißgerber, dort gingen die jüdischen Bewohner ein und aus.

98 GLAK 61/13700, Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, 6.12.1768, Bl. 237r–v. 99 GLAK 61/13699, Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, 29.5.1759, Bl. 104r. 100 Zur Trennung der Wohnbereiche in der „Judenordnung“ siehe S. 330f.

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So war hier vor und nach 1760 eine durchlässige Trennung zwischen Juden und Christen vorhanden. Als der Weißgerber Buhl und seine Frau die Haushälfte Hayum Mayers für 300 Gulden ersteigerten, war ihnen bewusst, von nun an mit jüdischen Nachbarn unter einem Dach und in zahlreichen Kontakten im Freien zu leben. Von einer „Weigerung“ eines Christen, in ein vorher von einem Juden bewohntes Haus zu ziehen101 oder überhaupt von Scheu vor jüdischen Nachbarn kann hier keine Rede sein. Die Abtrennung der Räume zwischen Juden und Christen, die im selben Haus wohnten, war gesetzliche Bedingung für das Nebeneinander. Beim Haus „oben im Flecken“ existierte für das Auskommen im Nebeneinander noch eine informelle Voraussetzung, die beim Wirt Joseph Jacob schon im Jahr 1735 sichtbar wurde: Damals berichtete das Amt Bühl, das Zeugnis von „benachbarten Christen und Juden“ spreche dafür, ihm bei seiner Bitte um Nachlass des Ohmgelds entgegenzukommen.102 Er, ein armer Jude, galt auch bei den Christen als ein Nachbar, dem man durch die eigene Aussage zu helfen bereit war. Alltägliche nachbarschaftliche Streitanlässe waren in die Steigerungsbedingungen eingetragen: Wasser auszuschütten wurde Abraham Mayer erlaubt, aber sonst nichts Flüssiges; das verwies auf den Brauch der Entleerung des Nachttopfes durch das Fenster oder über das Dach. Jacob Fentsch befürchtete, „der Jud“ verunreinige Dach, Gässel und Luft mit den nicht weiter angegebenen „Ohnsauberkeiten“. Die möglichen oder wirklichen Streitpunkte zwischen Jacob Fentsch und den beiden jüdischen Nachbarn galten ebenso wie zwischen diesen und Friedrich Buhl durch Konzessionen beider Seiten als entschärft, auf längere Dauer als beherrschbar. Die Schwierigkeiten von Mayer Lemmle beim Kauf eines Hauses zeigen, dass es neben dem einverträglichen Nebeneinander und der guten Nachbarschaft auch Konkurrenz beim Erwerb von Wohnungen oder Hausanteilen gab, nicht nur an der Hauptstraße, sondern auch am Rand des Ortsetters. Diese Konkurrenz konnte Ausdruck oder Folge eines Wettbewerbs auf dem Häusermarkt sein oder ein Taktieren der christlichen Interessenten: Wenn die Preisbildung bei Verkauf oder Steigerung abgeschlossen war, konnten sie ohne Bedenken vor einem weiteren Preisanstieg vom Losungsrecht Gebrauch machen.

101 Der Annahme einer solchen Haltung widerspricht bereits Robert Liberles, An der Schwelle zur Moderne, in: Kaplan, Geschichte des jüdischen Alltags, S. 30. 102 GLAK 61/164 HR 10.2.1735 Nr. 7.

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5.7  In der Hauptstraße 5.7.1  Kauf unter „besonderen Umständen“ und ruhiger Besitz, 1742 Die „Judenordnung“ mit ihrer Ergänzung von 1715 schränkte den Kauf eines Hauses an der Hauptstraße mehrfach ein. Er war an die Zustimmung der Regierung gebunden, das Haus musste in ausreichender Entfernung zur Kirche stehen und sollte nach dem Tod des Besitzers versteigert werden.103 Entsprechend bestimmte der Geheime Rat 1733, dass der Schutzjude Abraham Lauer zwar ein Haus in Rastatt, wie er angeboten hatte, kaufen könne, es dürfe aber nicht an der Hauptstraße stehen.104 1742 ging es in Bühl um den Kauf eines Hauses an der Hauptstraße durch den Schutzjuden Herz Samuel. Das Amt hatte wegen der Überschuldung des Hutmachers und Krämers Georg Weiß eine Versteigerung angesetzt und berichtete dem Hofrat, Herz Samuel biete 725 Gulden und drei Ellen Tuch, zusätzlich die Übernahme der Versteigerungskosten – er, der Amtmann, habe Herz Samuel das Haus schon vorläufig überlassen. Es gebe, so der Amtmann, in diesem Fall gute Gründe, von der „Judenordnung“ abzuweichen, die einem Schutzjuden den Kauf eines Hauses an der Hauptstraße eigentlich untersage. Der Hofrat hielt die Gründe, die Johann Jacob Hoffmann vortrug – sie wurden nicht in das Protokoll eingetragen – für überzeugend und empfahl dem Geheimen Rat die Zustimmung.105 Dieser gab sein Einverständnis zum Kauf mit Rücksicht auf die „besonderen Umständen“, die allerdings auch er nicht protokollieren ließ.106 1747 ging es in Bühl um das Haus an der Hauptstraße, das Isaac und Mayer Bodenheimer von Johannes Bruzetto eingetauscht hatten.107 Nachdem auch Mayer Bodenheimer gestorben war, gehörte es seiner Witwe und, wie sie schrieb, ihrem Vetter Löb Herz Bodenheimer, dem Neffen und einem der Erben der Brüder Bodenheimer. Beide baten 1747 den Geheimen Rat, sie „beim ruhigen Besitz Ihres Hauses zu belassen.“ Welche Schwierigkeiten zu ihrer Supplik geführt hatten, wurde im Protokoll des Rats nicht verzeichnet. Der Geheime Rat billigte den Amtsbericht zugunsten der Witwe Mayer Bodenheimers und ihres Neffen, hob aber zugleich hervor, dass dies „jedoch ohne abbruch der Verordnung“ geschehe,108 die „Judenordnung“ also damit nicht beeinträchtigt würde. 103 Zum Text der Judenordnung und ihrer Ergänzungen Zehnter, Juden in der Markgrafschaft Baden-Baden, in: ZGO 50 (1896), S. 427ff., hierzu S. 431. 104 GLAK 61/26 GR 26.8.1733 Nr. 8. 105 GLAK 61/171 HR 16.10.1742 Nr. 29. 106 GLAK 61/46 GR 20.10.1742 Nr. 19. 107 Zum Tausch des Hauses von Bruzetto mit dem von Isaac Bodenheimer siehe S. 426 und S. 637f. 108 GLAK 61/59 GR 18.2.1747 Nr. 50.

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Ähnlich war es mit dem Haus, das 1749 Marx Weil in Kippenheim hinterlassen hatte; sein Sohn Emanuel und sein Schwiegersohn Joshua Uffenheimer supplizierten wegen der „Beibelassung ihres Vaterhauses“. Der Hofrat beschloss zu prüfen, ob sich nicht ein christlicher Käufer fände, der dieses Haus zum Handel oder für ein Gewerbe benützen könne – oder ob von der „Verordtnung“ abzugehen sei.109 Der Geheime Rat entschied: Die Regelung der „Judenordnung“ von 1746 solle angewendet und damit das Haus an einen Christen versteigert werden.110 Darauf versuchte Joshua Uffenheimer doch noch, das Haus für sich zu erhalten. Er argumentierte, auch anderen Juden sei es erlaubt, ein Haus an der Hauptstraße zu besitzen. Der Rat reagierte vage: Bis zum nächsten Sommer müsse ein Käufer gefunden werden.111 Über den weiteren Verlauf des Konflikts scheint es keine Informationen zu geben. Was die „Judenordnung“ 1714 gebracht hatte, hielt die Regierung nicht konsequent durch. Zugunsten der finanziellen Ansprüche von Gläubigern kam Herz Samuel zum Zuge, wie es der Amtmann favorisiert hatte, der ihm das Haus schon vor der endgültigen Entscheidung überließ. Bei den Erben von Isaac Bodenheimer konnte die Erinnerung an den Judenoberschultheißen eine Rolle spielen, aber auch, dass Löw Bodenheimer für die Schulden, die er übernahm,112 aufkommen musste. Die von Joshua Uffenheimer geforderte Gleichbehandlung von Juden im Besitz von Häusern an der Hauptstraße räumte die Regierung nicht ein, kam ihm aber mit einer Frist entgegen, wenn sie überhaupt den Verkauf endgültig einforderte. Die betroffenen Schutzjuden nutzten die Chance, mit Suppliken ihre Situation zu verbessern. 5.7.2  In „schmahle, und dunkle gaßen“ oder Häuser „in allen Straßen, sogar auf den Haupt Plätzen“? Die Störung der Ruhe, vor allem an jüdischen oder christlichen Feiertagen, hatte bereits 1696 in Bühl der dortige Ortsgeistliche beklagt, um so gegen den Hausbesitz Joseph Jacobs in der Nähe der Kirche und des Marktes vorzugehen. In Ettlingen gab es 1699 die Beschwerden, dass durch die Zusammenkünfte der jüdischen Einwohner in Isaacs Haus bei der Kirche und am Markt die Gottesdienste gestört würden. In Rastatt sei, so der Hofrat 1741, die öffentliche Ruhe durch den Gottesdienst im Hause Daniel Cassels und durch die lauten Auseinandersetzungen zwischen den jüdischen Einwohnern gestört worden, weshalb 109 GLAK 61/178 HR 11.8.1749 Nr. 10. 110 GLAK 61/178 HR 6.11.1749 Nr. 4. 111 GLAK 61/65 GR 10.12.1749 Nr. 22. 112 Zur Übernahme von Schulden seines Onkels Mayer Bodenheimer, des Bruders von Isaac Bodenheimer, durch Löw Bodenheimer siehe S. 229f.

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der Gottesdienst in einem abgelegeneren Gebäude gehalten werden sollte.113 Die angegriffenen Schutzjuden wehrten sich in diesen Konflikten individuell und nur teilweise mit Erfolg. 1757 wurden die baden-badischen Schutzjuden insgesamt bei der Regierung mit einer Beschwerde in der Frage des Hausbesitzes vorstellig.114 Dabei gingen sie auch auf die Schwierigkeiten ein, die ihnen die „Judenordnung“ von 1746 beim Kauf von Häusern in der Hauptstraße bereitete: die besondere Genehmigung der Regierung, der Abstand zur Kirche, der Zwang zum Verkauf zu Lebzeiten und die amtliche Versteigerung nach dem Tod.115 In ihrer Beschwerde setzten die Schutzjuden voraus, dass es um ein Problem wohlhabender Handelsleute ging, die mit ihren Läden in abgelegenen Straßen geschäftlich nicht existieren konnten und noch dazu der Gefahr von Einbrüchen ausgesetzt seien. Das bringe auch Schaden für den Staat, da unter solchen Umständen die Wohlhabenden unter ihnen verarmen und sich dann ihre Abgaben und Steuern verringern würden. Sicher sei auch, dass wohlhabende Juden ihre Häuser an der Hauptstraße so wie ihre christlichen Nachbarn gestalteten; so würde der Eindruck der Straße nicht vernachlässigt werden. Auch wenn sie in ihren Häusern an der Hauptstraße „Cermeryien“ abhielten, käme es zu keinen Störungen der öffentlichen Ruhe. Aus diesen Gründen baten die Schutzjuden um ein Abänderung der „Judenordnung“: Ihr Besitz von Häusern sollte ihnen zugesichert werden, auch im Erbfall, und sie wollten das Recht haben, für ihre Kinder an zentralen Lagen ihrer Wohnorte ein Haus zu kaufen oder zu mieten, wenn diese den Schutz erhalten hätten.116 Mit ihrer Argumentation reagierten die Schutzjuden auf eine Beeinträchtigung der Handelsleute unter ihnen; deren Interessen sollten gefördert werden. Die Juden beharrten in diesem Punkt auf dem für sie günstigen Aspekt des Schutzverhältnisses: Der Landesherr sei verpflichtet, sie vor Kriminalität zu schützen und ihre wirtschaftlichen Interessen zu wahren; nur so könnte auch sein Vorteil, die Einnahmen aus ihrer Existenz erhalten bleiben. Die Übereinstimmung ihres Interesses mit dem des Landesherrn hoben die Schutzjuden und ihre Anwälde auch dadurch hervor, dass sie auf eine mögliche Entwicklung verwiesen: Die weitere Verarmung gerade der noch reichen Juden würde die Zahl der Betteljuden erhöhen. Es ist auffallend, wie die Judenschaft im Unterschied zu der Zeit um 1700 die allgemeinen Interessen, vor allem die wirtschaftlichen, in den Mittelpunkt 113 Zu den Konflikten wegen der Synagoge in Bühl siehe S. 292f., in Ettlingen S. 303ff. und in Rastatt S. 482ff. 114 Zur Beschwerde von 1757 siehe S. 500ff. 115 Zu den Bestimmungen der „Judenordnung“ Zehnter, Juden in der Markgrafschaft BadenBaden, in: ZGO 50 (1896), Anhang Nr. 9, S. 432–35, hierzu S. 433. 116 GLAK 74/3741, „Actum Rastatt“, 3.5.1757, Beschwerdepunkt 7.

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ihrer Argumentation stellte – das schien ihr erfolgversprechend zu sein, wohl in der Annahme, dass die Regierung für diese Argumentation empfänglich war. Was den äußeren Eindruck ihrer Häuser betraf, dürfte den Schutzjuden bewusst gewesen sein, dass bei der Regierung in der Vergangenheit die Erwartung modellmäßiger Häuser in der Residenz und in Ettlingen vorhanden war.117 Gegen Isaacs Haus am Markt in Ettlingen hatten 1699 seine Gegner damit argumentiert, dass die Verbesserung des Stadtbildes nötig sei. Beim Kauf eines Hauses durch Raphael Jacob in Rastatt im Jahr 1737 hatte die Regierung darauf bestanden, dass wenigstens die Front seines älteren Hauses modellmäßig verbessert würde.118 Jetzt, 1757, griff die Judenschaft dies selbstbewusst auf: Sie würden mit ihren Häusern wie die Christen zu einem guten Eindruck der Hauptstraßen, zu einem angemessenen Bild ihrer Lebensorte beitragen, und ihr Kultus würde keineswegs die Öffentlichkeit beeinträchtigen. Die Schutzjuden waren sich, wie ihre Warnung vor Verarmung zeigt, auch dessen bewusst, dass die Regierung mit ihrem restriktiven Vorgehen gerade wohlhabende Schutzjuden außer Land drängte und damit dem eigenen Nutzen schadete; als leistungsfähige wirtschaftliche Akteure und Steuerzahler hatte die Markgrafschaft in der vorhergehenden Generation zum Beispiel Söhne von Isaac in Ettlingen verloren, die sich in Karlsruhe niederließen, ebenso Hayum Flörsheim.119 Auf die Attraktivität von Territorien mit günstigeren Verhältnissen wiesen die Schutzjuden jedenfalls deutlich hin: In Mannheim, der Hauptstadt der Kurpfalz, im Bistum Speyer und in der Markgrafschaft Baden-Durlach, in benachbarten Territorien also, gab es, so hielten die baden-badischen Schutzjuden der Regierung vor, keine rechtlichen Einschränkungen für Schutzjuden, die Lage ihrer Wohnungen oder Häuser frei auszuwählen.120 Ihre Erfahrungen über Jahrzehnte und ihre Kenntnisse über die Situation in den angrenzenden Territorien setzten sie so ein, um eine Verbesserung zu erreichen. Das ist, nimmt man andere Anzeichen für ein gesteigertes Selbstbewusstsein wie den Antrag Uffenheimers auf Bezug von Holz für sich und die jüdische Gemeinde oder den Einsatz von Joseph 117 Zu den Erwartungen der Regierung in der Frage des „modellmäßigen“ Bauens z. B. bei Isaac, dem Neffen von Isaac in Gernsbach, siehe S. 50, zur Erwartung des Kaufs eines Hauses in Rastatt durch Abraham Lauer S. 67. 118 Zu den Erwartungen einer „modellmäßigen“ Umgestaltung seines Hauses bei Raphael Jacob siehe S. 192. 119 Zum Wegzug der Söhne von Isaac in Ettlingen siehe S. 242 und S. 359, zum Wechsel Hayum Flörsheims nach Karlsruhe S. 34. 120 GLAK 74/3741, „Actum Rastatt“, 3.5.1757, Beschwerdepunkt 7. Zumindest für Mannheim ist allerdings deutlich, dass die Judenschaft auf die dortigen älteren Judenkonzessionen von 1717 und 1727 zurückgriff, die für Juden keine Einschränkung beim Kauf von Häusern vorsahen. Die Judenkonzession von 1744 bestimmte allerdings, dass künftig Schutzjuden sich nicht mehr Häuser in der Hauptstraße kaufen konnten (Waßmuth, Im Spannungsfeld zwischen Hof, Stadt und Judengemeinde, S. 56–59).

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und Löw Elias für ihren Handel mit Spezereien hinzu,121 nicht unbedingt ein Ausdruck von gesteigerter Not, sondern eher von mehr Selbstbewusstsein: Die Schutzjuden erinnerten an die Alternativen zu den sie bedrängenden Verhältnissen in der Markgrafschaft. 5.7.3  Hausbesitz und Strategie familiärer Entwicklung In Bühl besaßen der zeitweilige Schultheiß Samuel Elias, auch Schmaul genannt, und seine Frau Rachel ein Haus an der Hauptstraße, bei der Einmündung der „Edel Gass“ oder Adlergasse.122 Je eine Hälfte dieses Hauses hatten Samuel Elias und seine Frau schon vor 1741 ihren Söhnen Joseph Samuel und Elias Samuel als Heiratsgut übergeben unter dem Vorbehalt ihres Wohnrechts. Nach dem Bühler Amtsbericht aus dem Jahre 1721 hatte Elias Samuel bereits den Schutz, nicht aber sein Bruder Joseph, obwohl er „schon Einige Jahre Verheiratet“ war.123 Seine Schutzaufnahme erhielt er dann 1730 für Muggensturm.124 Jetzt, 1741, klärten die Eltern und ihre Söhne die Eigentumsverhältnisse am Bühler Haus noch ein Stück weiter. Joseph Samuel entschloss sich, „zu befürderung seines auswärthlichen Nutzens“ seine Haushälfte an Elias Samuel zu verkaufen. Da Samuel Elias und seine Frau Rachel „alters halber“ nicht mehr in die Amtsräume kommen konnten, wurden zwei Vertreter des Ortsgerichts zu ihnen geschickt. Ihnen gegenüber erklärten die Eltern ihr Einverständnis mit dem geplanten Verkauf unter Vorbehalt ihrer Nutzungsrechte und bestimmten, dass Ansprüche auf das Haus seitens ihrer anderen, namentlich nicht genannten Kinder ausgeschlossen sein sollten. Die Bezahlung wurde so geregelt: 220 Gulden hatte Joseph Samuel von seinem Bruder bereits bar erhalten. Dieser verpflichtete sich, jetzt 150 Gulden zu zahlen, die sein Bruder seiner Tochter als Aussteuer geben wollte. Auf Weihnachten 1742 musste Elias Samuel 30 Gulden, bei der nächsten Aussteuerung eines Kindes von Joseph Samuel den Rest von 100 Gulden zahlen. Diese blieben allerdings so lange unverzinst. Elias Samuel versprach, die Rechte seiner Eltern nicht zu beeinträchtigen. Zum Abschluss hielt der Kaufvertrag fest, es hätten „beede gebrüder zur Festhaltung alles dieses einander die Hände gegeben.“ Am 15. Juni 1745 schließlich trug der Bühler Amtsschreiber unter den Kaufvertrag ein, was an diesem Tage Joseph Schmaul, also Joseph Samuel, vor dem 121 Zum Gesuch Uffenheimers um Holz für die jüdische Gemeinde siehe S. 485, zum Erwerb des Rechts zum Handel mit Spezereien durch Joseph und Löw Elias siehe S. 351ff. 122 StgI Bühl, BH (alt), Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll 1741– 1749, 25.4.1741, Bl. 26r–27 (loser Bogen mit vier beschriebenen Seiten). 123 GLAK 74/3711, Amtmann Johann Heinrich von Harrandt an die Hofkammer, 8.2.1721. 124 Zur Schutzerteilung für Joseph Samuel (Joseph Elias) siehe S. 65, Tabelle IV, Nr. IV.5.

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Amt erklärte: Alle Verpflichtungen von Elias Samuel seien erfüllt und er, Joseph Samuel, habe keinerlei Forderungen mehr.125 Die Eigentumsverhältnisse an dem Haus, das nun Elias Samuel gehörte, wurden 1750 erneut verändert; diesmal mit der Angabe, dass es eigentlich aus einem Vorder- und einem Hinterhaus bestand. Elias Samuel überließ seinem Sohn Joseph Elias eine Haushälfte. Er begründete dies damit, dass sein Sohn die Tochter von Löbel Levi heirate, eines Schutzjuden in Ingweiler (Ingwiller) im Elsass. Mit diesem zusammen habe er deshalb in Hagenau vor dem Rabbiner einen Heiratskontrakt abgeschlossen. Zur Sicherheit wolle er, Elias Samuel, dass auch das Amt Bühl die im Hagenauer Kontrakt festgelegte Überschreibung registriere. Wie seine Eltern sich das Wohnrecht hatten bestätigen lassen, als Elias Samuel das Haus übernahm, behielt auch er sich diese Nutzung vor, und zwar für den Anteil direkt an der Hauptstraße. Darin befand sich der Laden. Auch darüber wurde eine Regelung getroffen. Falls Elias Samuel den Laden und den Handel insgesamt aufgebe und sein jüngerer Sohn Löw heirate, könne er diesen zu sich nehmen. Davor aber würde er sich wegen des Ladens mit seinem Sohn Joseph Elias einigen. Dieser, versicherte Elias Samuel, solle im Erbfall genau wie die anderen Kinder berücksichtigt werden. Sein Sohn Joseph versprach diese Abmachungen „getreulich zu halten“. Der Eintrag in das Kontraktenbuch endete mit einem Hinweis: Der Vertrag sei amtlich genehmigt; nach der „Judenordnung“ von 1746 sollte das Haus eigentlich verkauft werden, dann aber der Sohn die Hälfte des Erlöses erhalten. Es könne aber auch sein, dass dieses Haus aus „Gnad“ des Markgrafen nicht verkauft werden müsse.126 1754 überschrieb Elias Samuel die zweite Haushälfte seinem Sohn Löw Elias. Schließlich verkauften Löw Elias und seine Frau Schönle diese Haushälfte 1772 an Joseph Elias und seine Frau Magdalena, und zwar für 1400 Gulden.127 Das Haus von Elias Samuel und seinen Söhnen stand, wie die Häuser von anderen Juden, nicht nur im Blick der Regierung mit ihrer restriktiven, auf Segregation zielenden „Häuserpolitik“, sondern es war auch ein Teil der innerfamiliären Lebensplanung und -gestaltung. Es bot durch seine Lage an der Hauptstraße eine günstige Voraussetzung für ein Ladengeschäft, gerade weil dort der Markt stattfand.128 Die Überschreibung von Hausanteilen, hier an die beiden Söhne, diente dem Nachweis eines Vermögens, der Voraussetzung der Schutzaufnahme und ei125 StgI Bühl, BH (alt), Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll 1741– 1749, 25.4.1741, Bl. 26r–27v (loser Bogen mit vier beschriebenen Seiten). 126 GLAK 61/13698, Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, 28.10.1750, Bl. 99r–100v. 127 GLAK 61/13700, Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, 1.4.1772, Bl. 600r–v. 128 Müller, „...eine Jahrhunderte alte Einrichtung“, S. 16f.

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ner adäquaten Heiratsverbindung. Ein zusätzlicher Vorteil: Seiner Tochter, die er außerhalb der Markgrafschaft verheiratet hatte, gab Elias Samuel 750 Gulden Aussteuer;129 solange seine Söhne im Haushalt des Vaters blieben, musste zumindest kein weiteres Geld als Ausstattung für die Heirat oder Schutzaufnahme aus dem Vermögen des Vaters oder dem Geschäftskapital entnommen werden. Dies könnte erklären, warum Elias und Joseph Samuel lange Jahre im väterlichen Haus blieben, auch als sie schon eine eigene Familie hatten: Elias Samuel, der wohl älteste Sohn von Samuel Elias (Schmaul), über 20 Jahre, von „einige Jahre“ vor 1721 bis spätestens zur Hausübergabe von 1741. Einigkeit zwischen den Söhnen war dabei wichtig; sie wurde deshalb am Ende des Kauf- bzw. Verkaufsvertrages hervorgehoben, als die beiden den Vertrag mit dem Handschlag symbolisch bekräftigten.130 Auch bei der Familie Isaac Israels in Bühl ist erkennbar, dass der Besitz eines Hauses – in diesem Fall abseits der Hauptstraße – ein wichtiger Schritt bei der Planung familiärer Verhältnisse war. Er und seine zweite Frau Krönel änderten 1743, bereits zwei Jahre nach dem Kauf ihres Hauses, die Eigentumsverhältnisse. Ausdrücklich ließen sie im Kontraktenprotokoll eintragen, dass sie zugunsten seiner Heirat ihrem Sohn Abraham Isaac, der 1740 den Schutz erhalten hatte, die Hälfte ihres Hauses überschrieben. Ihr Sohn wurde von einer Verpflichtung befreit, seiner Stiefmutter Krönel oder anderen Kindern seiner Eltern etwas zu zahlen als Ausgleich für die Verschreibung dieses Hausanteils.131 Der Hausbesitz diente hier zur Ausstattung des Sohnes für die bevorstehende Heirat, als Nachweis eines Vermögens. Obwohl Abraham Isaac von Verpflichtungen gegenüber seiner Mutter, wohl seiner Stiefmutter, und gegenüber seinen Geschwistern befreit wurde, lässt sich bei ihm doch auch die Sorge für seine Familienangehörigen erkennen. 1760 heiratete seine Schwester Matel den elsässischen Schutzjuden Elizer Libman, der nicht weiter als mit „fils de Joseph“ bezeichnet wurde, als das Notariat in Buchsweiler (Bouxwiller; Bas-Rhin) den Ehevertrag registrierte. Abraham Isaac gab zu dieser Hochzeit seiner Schwester 500 Gulden; für seine Mutter „Krinlé“ wurde gesorgt, indem der Bräutigam sich zu ihrem lebenslänglichen Unterhalt verpflichtete.132 129 GLAK 74/68, „Verzeichnus“, o. D., mit der Nennung von Elias Samuel als „Schmuhle“. 130 Als formelhafte Wendung scheint der Ausdruck des Händereichens nicht gebraucht zu sein, zumindest kommt er in anderen Verträgen nicht vor. Möglicherweise handelte es sich beim Handschlag um den „Mantelgriff“, der als Zeichen der Bekräftigung bei Verträgen unter Juden für Bühl nachweisbar ist. 131 StgI Bühl, BH (alt), Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll 1741– 1749, 30.1.1743 Bl. 175v–176v. Abraham Isaac heiratete die Tochter Löw Wertheimers in Durbach. 132 André Aaron Fraenckel, Mémoire juive en Alsace. Contrats des mariage au XVIIIe siècle. Strasbourg 1997, S. 19.

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Häuser

5.8  Juden als Mieter in Häusern von Christen 1699 wandte sich in Bühl Hans Adam Wirth, der Besitzer des „Ochsen“, an den Hofrat. Ihm gehörte zusammen mit seinem Schwiegersohn und einem weiteren Einwohner ein Haus, das ganz oder teilweise an einen namentlich nicht genannten Juden vermietet war. Dagegen erhob nach der Aussage Wirths der Ortsgeistliche133 Einwände. Wirth wehrte sich. Er wies darauf hin, dass die Steuern Hausbesitz sehr belasteten und sich kein Christ für das Haus interessiere. Deshalb bat er, den Juden weiterhin als Mieter behalten zu dürfen. Die Regierung ordnete jedoch an, dass dieser eine andere Wohnung suchen müsse.134 Der Hofrat protokollierte weder die Lage des Hauses oder einen sonstigen Grund, den der Ortsgeistliche gegen den Juden als Mieter angeführt hätte. Es scheint, als ob Pater Bollmeyers Kampf gegen ein engeres Zusammenleben von Christen und Juden auch nach seinem Tod135 fortgesetzt wurde, zumindest gegen einen jüdischen Mieter im Haus eines Christen. Isaac von Ettlingen supplizierte 1708 oder 1709 wegen einer Wohnung für einen seiner Söhne, der bereits verheiratet war und Kinder hatte. Isaac ging es um die Möglichkeit, dass sein Sohn „in einem andern Haus ohne es zu kaufen wohne“, es also mietete. Für seinen Sohn, darauf berief sich Isaac, wolle er nur das, was „anderen Juden im Landt“ gewährt würde. Gegen eine Gebühr von 20 Gulden wurde die Bitte bewilligt.136 Die Schwierigkeiten von Isaacs Sohn lassen sich vielleicht aus einer Äußerung Joseph Jacobs aus dem Jahre 1708 klären. Er beschwerte sich beim Hofrat darüber, dass man in Ettlingen, wohin er ziehen wollte, „ihne schier nirgents“ wohnen lassen wolle.137 Wenn seine Klage begründet war, dann ging es den christlichen Einwohnern darum, einen Schutzjuden von der Stadt fernzuhalten. Beim Sohn von Isaac könnte das ebenso gewesen sein. Im Zeitraum eines Jahrzehnts lassen sich widersprüchliche Verhältnisse feststellen. In Bühl setzte sich der Vermieter – zum eigenen Vorteil – für den jüdischen Einwohner ein, in Ettlingen machten die Hausbesitzer jüdischen Interessenten das Mieten schwer. Bei der Vorbereitung der „Judenordnung“ beriet die Hofkammer auch über Probleme, die durch Schutzjuden als Mieter in Häusern von Christen aufkommen könnten. In ihrem Gutachten machte die Kammer im April 1714 Vorschläge, wie Schwierigkeiten zu verhindern seien. Sie schlug vor, in Bühl sechs 133 Reinfried gibt als Ortsgeistlichen in Bühl für 1696 bis 1699 Pater Urban Futterer an, für April 1699 bis Oktober 1701 Pater Franz Roth, nach Reinfried, Stadtgemeinde Bühl, S. 92. 134 GLAK 61/129 HR 6.10.1699. 135 Bollmeyer starb 1697, nach Kast, Mittelbadische Chronik, S. 269. 136 GLAK 61/245 HK 18.1.1709. 137 GLAK 61/136 HR 23.9.1708.

In der Hauptstraße 

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jüdische Familien, die in „Christenhäusern“ wohnten, daraus „wegzuschaffen“. Sie dürften auch, wenn sie ein Haus bauen wollten, keinen Bauplatz „unter den Christen“ erhalten, und sie sollten verpflichtet werden, innerhalb von sechs Monaten ein Haus zu bauen.138 Als die „Judenordnung“ im August 1714 in Kraft trat, erlaubte sie den Kauf oder das Mieten eines Hauses von einem christlichen Einwohner, verbot jedoch das Zusammenleben von Christen und Juden in ein und demselben Haus.139 Die jüdischen Schultheißen intervenierten sofort beim Hofrat gegen dieses Verbot. Der Krieg, so argumentierten sie, habe den meisten unter ihnen derart geschadet, dass sie weder ein Haus bauen noch ein ganzes Haus mieten könnten. Der Hofrat beschloss, dieses Problem zu regeln.140 Es folgte wohl die Anordnung, dass die Wohnungen durch eine „Scheidwand“ voneinander getrennt werden müssten, eine Regelung, die dann Eingang in die Ergänzungen der „Judenordnung“ von 1715 fand.141 Im März 1715 beschwerte sich die Judenschaft beim Hofrat gegen einige Beamte. Diese verlangten offensichtlich unter Berufung auf die „Judenordnung“, dass ein Haus mit Christen und Juden unter einem Dach „mit einer Scheidswand durchschlagen“, die Wohnungen also völlig voneinander getrennt werden müssten. Die Regierung legte die „Judenordnung“ aus: Der Zweck der Bestimmung sei es, dass in ausreichend großen Häusern „Eines Jeden wohnung von der anderen abgesondert undt die Zusammenkunft nicht zu besorgen seye“;142 auf das Problem der Trennwand ging sie damit nicht ein. Im gleichen Jahr wollte Gabriel Gabler, ein Bürger und Bäcker in Ettlingen, den Schutzjuden Mayer Malsch als Mieter in sein Haus aufnehmen. Die Regierung beauftragte das Amt mit der Prüfung, ob „communication“ zwischen Christen und Juden in diesem Haus möglich sei.143 Das Amt räumte Bedenken aus: Der jüdische Mieter könne bei Gabler „Separiter [von christlichen Bewohnern des Hauses getrennt] wohnen.“ Die Regierung aber beharrte auf weiteren Untersuchungen. Es solle geklärt werden, ob Gabler die Wohnungen auch wirklich voneinander trenne, dann aber auch, ob er den Keller seines Hauses ganz an Mayer Malsch vermieten wolle – man sah also selbst hier das Problem möglicher

138 GLAK 74/3679, „Unmasgebliches Kammergutachten“, 12.10.1714. 139 GLAK 74/3681, Verordnung vom 1.8.1714; Kopie vom 21.8.1714, Bl. 1r–5r, abgedruckt bei Zehnter, Juden in der Markgrafschaft Baden-Baden, in: ZGO 50 (1896), S. 427–430, hierzu S. 427. 140 GLAK 61/142 HR 8.8.1714. 141 Zehnter, Juden in der Markgrafschaft Baden-Baden, in: ZGO 50 (1896), S. 389f. und S. 430–432. 142 GLAK 61/143 HR 28.3.1715. 143 GLAK 61/143 HR 16.7.1715.

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Häuser

Kontakte.144 Weil Gabler die Wohnungen doch nicht völlig voneinander abtrennen konnte, verbot die Regierung die Vermietung an Mayer Malsch.145 Unverkennbar gab es Christen, die interessiert waren am Vermieten einer Wohnung an einen Juden, allerdings auch diejenigen, die eine Wohnungssuche als Gelegenheit nutzen, Juden die Niederlassung zu erschweren. In Bühl, ebenso in Beinheim bei der Wohnungssuche von Abraham Samust und in Müllenbach bei Löw Jacob, initiierten dabei die Ortsgeistlichen Schwierigkeiten. Bei Löw Jacob übten Jugendliche sogar Gewalt aus.146 Die Regierung ordnete die wirtschaftlichen Interessen christlicher Vermieter der Tendenz zur Separierung unter: Was zuvor bei den Auseinandersetzungen über die Häuser am Markt und bei der Kirche eine Rolle gespielt hatte, die Nähe zur Kirche, war jetzt als Nähe zwischen Juden und Christen im Visier der Regierung. Sie versuchte Juden und Christen nicht nur im öffentlichen Raum um die Kirche, sondern auch im Innern der Häuser voneinander zu trennen – eine der Einengungen, die mit denen Markgräfin Sibylla Augusta das Leben der Juden erschwerte. Die rechtlichen Voraussetzungen für die Wohnverhältnisse von Schutzjuden änderte Markgraf Ludwig Georg nicht. Damit galt die „Judenordnung“ von 1714 zusammen mit ihrer Ergänzung von 1715 weiter: Die „Judenordnung“ von 1746 integrierte die Ergänzungen von 1715 unmittelbar in ihren ersten Paragraphen.147 Möglicherweise verlor in den Jahren danach das Mieten von Wohnungen bei Christen seine Problematik – Konflikte in diesem Bereich scheinen nicht mehr aufgetaucht zu sein.

144 GLAK 61/143 HR 23.7.1715. 145 GLAK 61/143 HR 8.8.1715. 146 Zu den Schwierigkeiten für Abraham Samust siehe S. 75f., zu Löw Jacob in Müllenbach S. 84. 147 Zum entsprechenden Teil der „Judenordnung“ von 1746 siehe ihren Text bei Zehnter, Juden in der Markgrafschaft Baden-Baden, in: ZGO 50 (1896), S. 432–435, hierzu S. 433.

6  Die Besteuerung 6.1  Das Geleit Nach der Vereinigung der beiden badischen Markgrafschaften berichtete der Bühler Amtmann Franz Xaver Fabert 1772 der Regierung in Karlsruhe über das Geleit,1 das fremde Juden in der Markgrafschaft Baden-Baden zahlen mussten. Nach seinem Bericht und den von ihm eingeschickten Formularen aus der Zeit des Markgrafen August Georg gab es zwei Arten dieser Gebühr. Das Handelsgeleit, die Berechtigung zum Handel, galt für zwei Tage Aufenthalt in der Markgrafschaft, das „Passier-Geleit“ nur für die Durchreise, allerdings für den Zeitraum von acht Tagen. Für beides waren jeweils 24 Kreuzer fällig.2 Das Handelsgeleit wurde im hier untersuchten Zeitraum schon früh erhoben. 1671 verpflichtete die Regierung die baden-durlachischen Schutzjuden, wie alle anderen in der Markgrafschaft reisenden und Handel treibenden fremden Juden das Geleit zu zahlen.3 Es sollte zum Beispiel 1686 200 Gulden einbringen, das Schutzgeld 350 Gulden,4 bedeutete also eine beträchtliche Einnahme. Regelmäßige Angaben über den Ertrag des Geleits existieren jedoch nicht. Auch für außerhalb der Markgrafschaft Gestorbene, die auf dem Begräbnisort in Kuppenheim bestattet werden sollten, wurde ein Geleit verlangt. 1708 war ein Jude bei Windschläg getötet worden.5 Die Hofkammer ging davon aus, dass er auf dem jüdischen Friedhof in Kuppenheim begraben wurde und forderte beim Amt Steinbach einen Bericht an: Ob das Geleit oder der „Zoll“ bezahlt worden sei oder ob Juden den Leichnam „in der Stille bey der nacht vorbei geführt“ hätten?6 Der Amtmann bestätigte die Zahlung von 3 Gulden.7 Selbst beim Tod eines Kindes beharrte die Regierung auf dem Leibzoll. Herz Lazarus, der „Gemeinschaftsjude“ in Gernsbach, brachte 1737 ein totes Kind wohl von seinem Wohnort nach Kuppenheim zum Friedhof, überschritt damit die Grenze zwischen dem Kondominium Gernsbach und der Markgrafschaft. Er wurde deshalb mit 10 Gulden bestraft, weil er die Gebühr von eineinhalb Gulden 1 Geleit ist in den markgräflichen (baden-badischen) Archivalien der Begriff für den beim Betreten der Markgrafschaft erhobenen Geldbetrag. Der Ausdruck Leibzoll wurde dafür weniger verwendet. Geleit ist für die Markgrafschaft Baden-Baden nicht identisch mit den oft üblichen Begriffen „Schutz“, „Schirm“ oder „Schutzgeleit“. 2 GLAK 74/2545, Amtmann Franz an Xaver Fabert Markgraf Karl Friedrich, 20.9.1772. 3 GLAK 61/222 HK 2.1.1771. 4 GLAK 61/227 HK 13.7.1686. 5 GLAK 61/245 HK 14.11.1708. 6 GLAK 61/245 HK 6.11.1708. 7 GLAK 61/245 HK 14.11.1708.

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Die Besteuerung

nicht bezahlt hatte.8 Am Leibzoll hielt die Regierung, das war die eine Linie ihres Verhaltens, mit aller Härte fest. Als Isaac von Ettlingen9 1684 die Hochzeit eines Sohnes vorbereitete, bat er für mehr als 20 Juden um die Befreiung vom Geleit. Das befürwortete die Regierung: Isaac werde öfter in geschäftlichen Angelegenheiten von der Regierung gebraucht. Auch sein Schwiegervater aus Metz, dessen Namen nicht genannt wurde, könne einmal nützlich werden. Beim Abschluss des nächsten Geschäfts mit Isaac sei es möglich, auf die Befreiung seiner Gäste vom Geleit zurückzukommen und den erlittenen Verlust wieder hereinzuholen.10 Der Geheime Rat bewilligte darauf das Gesuch Isaacs.11 Der punktuelle Verzicht auf das Geleit, die andere Linie, war, wie sich hier zeigte, ein Mittel zur Steuerung des Verhaltens von Juden. Indirekt lässt sich hier noch ein weiterer Aspekt des Geleits und des Vorgehens zumindest von Isaac erschließen. Das Geleit galt als „Leibzoll“ für Juden wie ein Zoll für Handelswaren oder Handelsvieh. Diese über eine wirtschaftliche Belastung hinausgehende Diskriminierung brachte die jüdischen Reisenden fast alltäglich in die „beschämendsten Situationen“,12 sei es bei der Bezahlung der Gebühr, sei es beim Vorzeigen des Geleitpasses. Isaac, der Schultheiß der markgräflichen Judenschaft und Geschäftspartner der Regierung, war wohl imstande, das Vorgehen der Regierung richtig einzuschätzen, und war sich vermutlich klar darüber, dass ihm die Regierung kein Geschenk bereiten wollte. Ihm kam es vermutlich nicht in erster Linie darauf an, seinen Gästen für das Passieren der Grenze zur Markgrafschaft die Geleitgebühr zu ersparen. Ihnen sollte, so lässt sich annehmen, eine Situation der Diskriminierung und damit eine Verletzung ihrer Ehre erspart werden, wenn sie zur Hochzeit seines Sohnes kamen. Zugleich konnten sie so seine Nähe zum Hof und die damit verbundenen Möglichkeiten, die zu seiner Ehre beitrugen, wahrnehmen. Als die Regierung 1717 über das Geleit für die Landvogtei Ortenau beriet, unterschied die Hofkammer die Gebühren so: Für einen Juden „zu Fueß“ setzte sie 15 Kreuzer an. Wenn er Handel trieb, sollte ein Jude auf einem Pferd 1 Gulden, einer zu Fuß 30 Kreuzer zahlen, ein Betteljude beim Betreten der Landvogtei 6 Kreuzer. Im Verzeichnis dieser Beträge folgen auf die Angabe bei einem Betteljuden drei weitere Zeilen: Für ein Kalb, das über die Grenze gebracht wurde, setzte die Kammer 1 Kreuzer an, für einen Zentner Unschlitt ebenfalls, und für einen Zentner Wolle 4 Kreuzer.13 Das war ein Leibzoll, der Juden mit Vieh, Talg 8 9 10 11 12

GLAK 61/32 GR 30.10.1737 Nr. 62. Zu Isaac in Ettlingen zu dieser Zeit siehe S. 292ff. GLAK 61/225 HK 17.6.1684. GLAK 61/225 HK 28.6.1684. Breuer, Frühe Neuzeit und Beginn der Moderne, in: Breuer und Graetz (Hg.), Deutschjüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. 1, S. 136. 13 GLAK 74/6981, Hofkammer an den Geheimen Rat, Anlage A, 1.7.1717.

Das Geleit 

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und Wolle in eine Reihe stellte, sie auf gleiche Weise wie diese Handelsgüter zu Objekten der Besteuerung machte. Statt der Bezahlung des Geleits an der jeweiligen Zollstelle war auch die Vereinbarung einer jährlichen Gebühr, eines „Jahresgeleits“ möglich. Kaufmann in Lichtenau, ein Hanau-Lichtenberger Schutzjude, vereinbarte im Dezember 1721 mit der Regierung eine jährliche Zahlung von 9 Gulden für sich und seinen Knecht Göckel;14 so konnte er zu seinem Viehhandel nach Belieben das markgräfliche Gebiet betreten, für ihn wohl eine Verringerung seiner Kosten, vielleicht auch eine Frage seiner Ehre. Die Regierung ihrerseits machte sich mit einer solchen Regelung davon unabhängig, ob sie den Handel von fremden Juden auf ihrem Territorium auch wirklich kontrollieren konnte. Allerdings stoppte die Regierung diese Möglichkeit 1722. Im Zusammenhang mit der Forderung des „Pflastergelds“15 von Daniel Heilbronn und dessen Schutzaufkündigung16 beschloss sie, künftig weder mit diesem noch mit anderen Juden einen „Geleiths accord“ abzuschließen, gleichzeitig erklärte sie alle entsprechenden Abmachungen für unwirksam. Von nun an sollten alle ausländischen Juden einen Reichstaler entrichten und sie sollten nur einen Tag im Land bleiben dürfen.17 Die Regierung sah also die Vorteile eines Jahresgeleits als nicht mehr entscheidend an. Wie bei der Erhebung der Pflastersteuer und anderen Vorgehensweisen wird auch hier die verstärkte antijüdische Einstellung unter der Regentschaft von Markgräfin Sibylla Augusta sichtbar. Im folgenden Jahrzehnt, 1737, wurden offenbar die Juden von Bühl in der Frage des Geleits aktiv. Für sie galt eine Geleitpflicht für die Landvogtei Ortenau, die sich bis Ottersweier erstreckte, wenige Kilometer südlich ihres Wohnorts. Für ein Passiergeleit zahlten sie bis dahin auf dem Weg nach Süden 15 Kreuzer, für ein Handelsgeleit 30 Kreuzer; waren sie zu Pferd unterwegs, den doppelten Betrag.18 Im Februar 1737 beriet die Hofkammer über dieses Geleit. Es ging darum, dass der Judenoberschultheiß Samson Schweitzer beantragt hatte, mit ihm den Leibzoll der Bühler Juden für die Landvogtei zu „veraccordiren“,19 einen Vertrag abzuschließen, nach dem er den Einzug der Gebühr übernehmen sollte. Über seine Gründe enthält das Hofkammerprotokoll nichts; aus einer im Mai 1737 durch Samson Schweitzer übergebenen Bittschrift der Bühler Juden geht hervor, dass sie diese Regelung befürworteten,20 und 1741 bezeichnete die Hofkammer Samson 14 GLAK 61/257 HK 12.12.1721. 15 Zur Pflastersteuer siehe S. 340ff. 16 Zur Schutzaufnahme von Daniel Heilbronn siehe S. 57ff., zur Pflastersteuerforderung an ihn siehe S. 349, zu seinem Wechsel des Schutzes siehe S. 60. 17 GLAK 61/258 HK 27.5.1722. 18 GLAK 61/278 HK 20.10.1741 und GLAK 61/303 HK 9.12. 1765 Nr. 393. 19 GLAK 61/274 HK 21.2.1737. 20 GLAK 61/31 GR 18.5.1737 Nr. 19.

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Die Besteuerung

Schweitzer rückblickend als deren „Bevollmächtigten“.21 Das weist darauf hin, dass sie diese Admodiation mittrugen, wenn nicht sogar initiiert hatten. Die Beratungen im Geheimen Rat und in der Hofkammer im Jahr 1737 lassen das Interesse der Regierung deutlicher werden. Sie ging von der vorjährigen Einnahme in Höhe von 36 Gulden und 48 Kreuzer aus. Nun waren Schweitzer bzw. die Bühler Juden bereit, 75 Gulden zu zahlen. Dieses Angebot akzeptierte der Geheime Rat.22 Darauf schloss die Hofkammer eine entsprechende Übereinkunft mit dem Oberschultheißen ab.23 Die neue Regelung hatte nur kurzen Bestand. Im Oktober 1741 supplizierten die Bühler Schutzjuden wieder wegen des Geleits. Sie wollten eine Ermäßigung des vereinbarten Betrags auf 40 Gulden oder die Rückkehr zur vorherigen Regelung. Sie begründeten dies damit, dass die straßburgische Regierung bei Sasbach, nahe beim ortenauischen Ottersweier, eine neue Zollstätte errichtet habe, wodurch sie auf dem Weg in die südliche Ortenau zweimal Zoll zahlen mussten.24 Der Geheime Rat setzte die alte Regelung zum 1. Juli 1742 wieder in Kraft.25 Die Bühler Juden gingen 1742 noch anders gegen die doppelte Belastung durch den baden-badischen Leib- und Straßburger Warenzoll vor: Jetzt supplizierten in ihrem Namen Samson Schweitzer und ihr Anwald Mayer Bodenheimer26 dagegen, dass überhaupt bei Sasbach, das auf straßburgischem Gebiet den Weg in die Landvogtei unterbrach, ein Zoll erhoben wurde.27 Die Kammer sah vor allem den Marktbesuch in Achern durch die christlichen Untertanen und die Schutzjuden in Bühl erschwert.28 Der Hofrat beschloss darauf, bei der Straßburger Regierung gegen diesen Zoll für die „Landts unterthanen undt Schutzverwandten Juden“ zu protestieren29 – ein Erfolg ist nicht zu erkennen. Das finanzielle Interesse der Bühler Juden spielte beim Geleit für die Ortenau ganz deutlich eine Rolle. Vielleicht zielten sie aber mit der neuen Form der Geleitzahlung auch darauf, die Diskriminierung durch den Leibzoll abzuschwächen. Dafür spricht ihre Bereitschaft, einen sehr hohen Betrag als Admodiationsgebühr aufzubringen, der ihnen nach drei Jahren nicht mehr als angemessen erschien. Es ist also nicht auszuschließen, dass die Judenschaft hier als Kollektiv das zu erreichen versuchte, was Isaac in Ettlingen 1684 für seine Gäste als einzelner erreicht hatte. 21 22 23 24 25 26 27 28 29

GLAK 61/278 HK 20.10.1741. GLAK 61/31 GR 18.5.1737 Nr. 19. GLAK 61/274 HK 21.5.1737. GLAK 61/278 HK 20.10.1741. GLAK 61/43 GR 25.10.1741 Nr. 18. GLAK 61/279 HK 15.6.1742. GLAK 61/171 HR 12.6.1742 Nr. 10. GLAK 61/279 HK 15.6.1742. GLAK 61/171 HR 28.6.1742 Nr. 1.

Das Geleit 

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Im Oktober 1765 ließ die Hofkammer das Oberamt Mahlberg „unter der Hand“ Informationen über Interessenten an einer Geleitadmodiation einholen.30 Kurz zuvor hatte Manus Löw Model31 aus Karlsruhe einen Vorschlag eingereicht, um zu einem Vertrag, zu einer Admodiation des Judengeleits zu kommen.32 Er interessierte sich nicht nur für das Oberamt Mahlberg, sondern für alle Ämter von Ettlingen bis Kehl und das Amt Rodalben; er bot 500 Gulden, allerdings unter mehreren Voraussetzungen, z. B. dass er sich im Falle einer Versteigerung nicht an diese Summe halten müsse.33 Einen Monat später berichtete das Oberamt Mahlberg über mögliche Bewerber in seinem Bereich, nämlich über Joshua Uffenheimer und Löw Auerbacher. Von Letzterem lag eine Äußerung vor, dass er 225 Gulden bieten wolle. Uffenheimer würde, so der Amtsbericht, wenn er von einem Aufenthalt in Freiburg zurück sei, vermutlich noch über diese Summe hinausgehen, und es sei auch anzunehmen, dass dann auch „der Auerbacher und sein Cameradt der Wertheimer“ nochmals ihr Angebot erhöhen würden.34 Das Oberamt Mahlberg setzte also ein Interesse von Schutzjuden an dieser Admodiation voraus. Es nahm an, dass die Bewerber sich gegenseitig überbieten und damit den Erlös für die markgräfliche Kasse steigern würden. Gegen eine Admodiation äußerte sich allerdings das Landvogteiamt Ortenau. Sie brächte „mehrere Juden zum Nachstand [Nachteil] deren Unterthanen ins Land“, schade also den Einwohnern, weil mehr Juden in die Markgrafschaft kommen würden. Die Kammer wiegelte ab: Es sei bekannt, dass Juden durch die Landvogtei reisten und dabei auch Handel trieben. Das Amt solle sich jedenfalls darum kümmern, eine möglichst hohe Gebühr zu erreichen.35 Im Januar 1766 wurden schließlich die Geleite für die Herrschaft Mahlberg versteigert. Anders als das Oberamt angenommen hatte, beteiligten sich weder Uffenheimer noch Auerbacher. Löw Lazarus in Friesenheim erhielt die Admodiation für 371 Gulden; die Hofkammer warnte jedoch: Das Amt habe „fürsorge zu treffen, dass der admodiator die Juden nicht übernehme.“36 30 GKA 74/2541, Hofkammer an das Oberamt und Landschreiber und das Amt Rodalben, 24.10.1766. 31 Zur Manus Löw Models gescheiterten Schutzaufnahme siehe S. 130, Tabelle VI, Nr. VI.10. 32 GLAK 74/2541, Manus Löw Model, „Nachdem ich [...], 16.10.1766. 33 GLAK 74/2541, „Aufsatz“, o. D., vermutlich vom 15.10.1765 (zum Datum Manus Löw Model in GLAK 74/2541, „Nachdem ich [...], 16.10.1765). 34 GLAK 74/2541, Graf von Heunin an Markgraf August Georg, 30.10.1765. Dass Löw Auerbacher und nicht Salomon Auerbacher an der Geleitadmodiation interessiert war, geht aus einem Eintrag ins Protokoll der Hofkammer hervor. Danach berichtete entsprechend das Oberamt Mahlberg im November 1765 von einem Angebot Löw Auerbachers (GLAK 61/303 HK 15.11.1765 Nr. 219). 35 GLAK 61/303 HK 2.12.1765 Nr. 341. 36 GLAK 61/304 HK 15.1.1766 Nr. 178.

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Die Besteuerung

Im Oktober 1766 ging es um die Geleite für die Ämter Rastatt, Baden, Ettlingen, Steinbach, Bühl, Stollhofen und die Grafschaft Gernsbach. Manus Löw Model bot 300 Gulden, wieder unter der Bedingung, dass es keine Versteigerung gebe. Diese fand dennoch statt; seinen Konkurrenten Löw Bodenheimer von Rastatt überbot Manus Löw Model mit der Summe von 255 Gulden.37 Der Geheime Rat genehmigte diese Admodiation nicht, sondern drängte darauf, dass Manus Löw Model die vor der Versteigerung angebotenen 300 Gulden bezahlte.38 Dieser erklärte sich dazu nur bereit, wenn er nach dem Vorbild des Kurfürstentums Mainz und der Kurpfalz Jahresgeleite ausgeben könne. Davon riet aber wieder die Hofkammer ab. Sie nahm an, dass unter dieser Bedingung Model die am Geleit interessierten Juden „über die billigkeit und proportion [über das angebrachte Maß hinaus] anziehen und bedrücken [für sich ausnutzen]“ würde.39 Das aber, befürchtete der Geheime Rat, würde zu Klagen der Betroffenen führen, und schloss sich dem Gutachten der Hofkammer an.40 Im Jahr 1766 gab es offenbar Überlegungen, auch bei fremden christlichen Kaufleuten ein Geleit zu erheben, wenn sie die Markgrafschaft oder die Landvogtei Ortenau passieren wollten. Der Geheime Rat entschied jedoch sehr rasch gegen eine solche Besteuerung. Stattdessen beschloss der Hofrat, „die Juden Geleite allenthalben in bessere Ordnung zu bringen“ und den Gewinn für die Herrschaft so zu vermehren.41 In der Frage des Geleits, das zeigte sich jedenfalls immer wieder, bestand neben der kontinuierlichen Suche nach Einnahmen und neben der Diskriminierung der Juden auch die Tendenz zu Brüchen. So wurde 1766 für das Geleit in der Landvogtei Ortenau überlegt, ob nicht wenigstens „arme Juden“ befreit werden sollten.42 Oberamtmann Dyhlin in der Herrschaft Mahlberg, zugleich Hofkammerrat, fragte 1763 an, ob diejenigen Juden, welche die Postkutsche benutzten, vom Leibzoll befreit seien. Darauf ließ sich die Regierung zwar nicht ein,43 aber zumindest hatte sich gezeigt, dass für einen Vertreter der Verwaltung und Regierung wenigsten bei wohlhabenden Juden, um die es hier ging, die Aufhebung des Leibzolls vorstellbar war. Die Bühler Juden experimentierten mit einer Pauschalzahlung, die einem verstärkten Handel in der Landvogtei Ortenau entsprochen hätte. Auf ihre Interessen ging die Regierung ein, indem sie die Rückkehr zu der früheren Regelung erlaubte, als sich die neue nicht bewährte. Auch bei der Zollbelastung auf dem 37 38 39 40 41 42 43

GLAK 74/2542, Versteigerungsprotokoll, 1.10.1766 und 2.10.1766. GLAK 74/2542, Hofkammer an Markgraf August Georg, 8.10.1766. GLAK 74/2542, Hofkammer an Markgraf August Georg, 25.10.1766. GLAK 74/2542, Geheimer Rat an die Hofkammer, 5.11.1766. GLAK 61/204 HR 2.5.1766 Diversa Nr. 831. GLAK 74/2541, 18.4.1766. GLAK 61/301 HK 26.4.1763 Nr. 34.

Das Geleit 

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Weg in die Ortenau versuchten die Bühler Schutzjuden ihre Interessen durchzusetzen. Einzelne Juden wie Isaac in Ettlingen für seine Gäste, Juden aus der Nachbarschaft und der Hoffaktor Salomon Meyer aus Karlsruhe,44 zeitweise auch die Juden in Bühl konnten die Diskriminierung mit der Erhebung des Geleits abschwächen. Wenn in der Frage nach der Leibzollbefreiung für die Benutzer der Postkutsche oder in der möglichen Besteuerung fremder christlicher Kaufleute eine Tendenz zu mehr Gleichbehandlung von christlichen und jüdischen Handelsleuten enthalten war, so stoppte bei beidem der Diskurs in kürzester Zeit. Eine Veränderung sah die Regierung wohl doch nicht als möglich an. Eine weitere, vielleicht sogar die entscheidende Schicht im Verhalten der Regierung lässt sich bei der Geleitforderung aufdecken, als 1734 der Leichnam von Friedrich Kandler durch die Markgrafschaft transportiert wurde. Er stammte aus Reichenbach,45 war Lehrer in Helmlingen gewesen, das zur Grafschaft HanauLichtenberg gehörte, und war wie die Bevölkerungsmehrheit dort ein Protestant. Auf dem Wege nach Reichenbach war er in Altschweier bei Bühl gestorben. Das Amt Bühl fragte bei der Regierung an: Solle es den „Sterbfall“ und „Zoll“ fordern? Den „Sterbfall“, eine Gebühr beim Tod eines Fremden auf dem badenbadischen Territorium, sollte das Amt wie gewohnt erheben, in der Höhe von 1 Reichstaler, „von dem Zoll aber vom todten Körper bey Jedter passierenden Zollstatt 1 G(ulden) abzuführen laßen.“46 Diese Regelung zielte unverhohlen auf fiskalischen Gewinn. Alle Fremden wurden jedoch auch diskriminiert, Juden und nichtkatholische Christen zusätzlich. Die Botschaft für sie und die eigene katholische Bevölkerung war klar: Fremde Evangelische und die Juden, die auch als Schutzjuden mit „fremd“ kategorisiert wurden, galten in der katholischen Markgrafschaft im Vergleich zu Katholiken noch nach ihrem Tod weniger als Mensch, mehr als Sache – eine Art von „damnatio memoriae“, eine Verurteilung nach dem Tod für ein Leben als Nichtkatholik, indirekt ein Lob für das Leben als katholischer Untertan. Auch hier bestimmte, jenseits des Feldes der christlichjüdischen Beziehungen, Segregation das Verhalten der Regierung.

44 Zur Verhandlung Salomon Meyers über die Umwandlung des Geleits und anderer Abgaben in eine jährliche Gebühr siehe S. 185. 45 Im heutigen Baden-Württemberg gibt es mehrere Orte oder heutige Ortsteile namens Reichenbach; der Herkunftsort Friedrich Krandlers war hier nicht zu bestimmen. 46 GLAK 61/162 HR 32.12.1734 Nr. 7.

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Die Besteuerung

6.2  Das „Pflastergeld“: die Steuer für „eine schönere Residenz“? 6.2.1  Ein später Blick auf das „Pflastergeld“ 1812 forderte die badische Regierung von Raphael Weil in Bühl das „Pflastergeld“, eine Steuer, die im ehemaligen baden-badischen Landesteil bei der Schutzaufnahme erhoben wurde. Raphael Weil verweigerte die Zahlung. Den so entstandenen Konflikt legte der Oberrat, die oberste Behörde für die badische Judenschaft und zugleich deren Vertretung, dem Innenministerium zur Prüfung vor.47 Nach elf Monaten erstattete der Sekretär des Oberrats, Regierungsrat von Müßig, einen Bericht über diese Steuer – wie er betonte, auf der Grundlage nur weniger auffindbarer Aktenstücke. Markgräfin Sibylla Augusta wollte, so von Müßig, die Straßen in Rastatt pflastern lassen und damit ihrem Sohn Ludwig Georg „eine schönere Residenz verschaffen.“ Weil weder die Regierung noch die „damals geringe Bürgerschaft“ in Rastatt zur Finanzierung bereit waren, sei am 24. April 1721 die Verordnung ergangen, dass die „Kosten von der gesammten Judenschaft des Landes herbeigeschafft werden sollten.“ 6000 Gulden wurden, berichtete von Müßig weiter, auf die einzelnen Juden nach der Höhe ihres Schutzgelds verteilt und waren bis 1742 zusammengebracht – „aber die Stadt doch nicht ganz gepflästert.“ Darauf ließ der Geheime Rat die weiteren Kosten wieder auf die Juden umlegen, jetzt auf diejenigen, die nach 1721 den Schutz erhalten hatten. Von 1742 an musste jeder Jude bei der Aufnahme in den Schutz sechs Prozent seines Vermögens zahlen. Die so entstandene Steuer hielt von Müßig wie die „Strenge, mit der sie ausgeführt wurde“, für eine „um so schreiendere Ungerechtigkeit, welche bei den Reichsgerichten auf die Klage der Juden eine sehr schnelle Abhülfe haben würde“, und er fuhr weiter: Diese Steuer „erscheint in ihrer Fortsetzung ohne gesetzliche Authorisation, und nur auf das Stillschweigen der an jeden Druck bereits gewöhnten Judenschaft und das Herkommen gegründet.“48 Der späte Blick auf das „Pflastergeld“, der zu seiner Abschaffung führte, sah die Juden im baden-badischen Landesteil durch eine Tradition der Unterwerfung überwältigt und unfähig, sich gegen offensichtliches Unrecht zu wehren. Trifft diese Charakterisierung einer in langer Zeit angenommenen Haltung zu? Wenn es so wäre, könnte das Folgende ein bloßer Zufall sein: Raphael Weil verweigerte nicht nur als Erster die Zahlung dieser Steuer; sein Leben verlief im dauernden Aufruhr gegen den Staat und zugleich gegen seine eigene Herkunftsgesellschaft, die badische Judenschaft. Sein Sohn, der ebenfalls Raphael Weil hieß, wurde 47 GLAK 229/15158, Ministerium des Innern, 4.11.1812. 48 GLAK 229/15158, Regierungsrat von Müßig an das Innenministerium, 10.10.1813.

Das Pflastergeld 

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schließlich in der Revolution 1848/49 als „Bürger Raphael Weil“ zum ersten jüdischen Volksvertreter in einem frei gewählten Parlament in Baden.49 6.2.2  Für eine schöne Residenz, zur Repräsentation und zur Ausbeutung der Schutzjuden Wie spiegelt sich die Einführung des „Pflastergelds“ in den Regierungsprotokollen und anderen archivalischen Unterlagen wider? Ohne weitere Angaben über die Beweggründe der Markgräfin Sibylla Augusta hielt das Protokoll der Hofkammer vom 24. April 1721 ihren Entschluss zur Pflasterung fest. Die Kammer selbst schlug zur Finanzierung vor, jeder Rastatter Bürger habe die Straße „ 3 bis 4 Schuhe [ca. 1,2 Meter] breit [in die Straße hinein] vor seinem Haus auf seine Cösten zu Pflastern.“50 Das Schreiben der drei Kammerräte Dyhlin, Lassolaye und Sartorius an die Markgräfin vom gleichen Tag, verfasst auf der Grundlage des Kammerbeschlusses, gibt über die Anfänge dieses Projekts weitere Auskünfte. Es war die Markgräfin, welche die Hofkammer zu Überlegungen über die Pflasterarbeiten aufgefordert hatte. Als eine der ersten konkreten Maßnahmen schlug die Kammer darauf vor, bis zu 400 Klafter51 Pflastersteine – Wacken – durch die Ämter bereitstellen zu lassen. In Fronarbeit sollten sie und der benötigte Sand angeliefert werden. Zu dieser Zeit hatte die Kammer bereits die Baumeister Johann Michael Sock52 und Michael Ludwig Rohrer53 mit einem Plan für die Arbeiten und einen Mainzer Pflastermeister mit der Durchführung beauftragt. Zur Finanzierung äußerte 49 Zum „Bürger Raphael Weil“ Günther Mohr, Bürger Raphael Weil, in: Geschichte der Stadt Bühl, Bd. 2, 1848 –1973. Bühl 1993, S. 52–56. 50 GLAK 61/257 HK 24.4.1721 und 74/6982, Kammerräte Dyhlin, Lassolaye und Sartorius an Markgräfin Sibylla Augusta, 24.4.1721, Bl. 87r–88r.; hierzu und zum Folgenden die Darstellung bei Zehnter, Juden in der Markgrafschaft Baden-Baden, in: ZGO 50 (1896), S. 409–411. Zur neuesten, knappen Darstellung der Einführung des „Pflastergelds“ Vetter, Zwischen Glanz und Frömmigkeit, S. 155–158. 51 Klafter: urspr. Raummaß für Holz, ungefähr 3,5 Kubikmeter. 52 Der Vorname von Baumeister Sock fehlt in der archivalischen Grundlage. Sock dürfte identisch sein mit Johann Michael Sock, der sich um diese Zeit in Rastatt aufhielt und von dem eine Zeichnung des Schlosses Schlackenwerth überliefert ist. Dazu Volker Rödel, Schloss Schlackenwerth als Ausweichresidenz in Böhmen, in: Brüning, Rainer und Rehm, Clemens: Ein badisches Intermezzo? Die Markgrafschaft Baden-Baden im 18. Jahrhundert, Karlsruhe 2005, S. 48f. 53 Zu Sock und Rohrer zuletzt Gensichen, Die böhmische Heimat, in: Staatliche Schlösser und Gärten Baden-Württemberg (Hg.): Extra schön. Markgräfin Sibylla Augusta und ihre Residenz. Eine Ausstellung anlässlich des 275. Todestages der Markgräfin Sibylla Augusta von Baden-Baden. (Petersberg) 2008, S. 11–25, hierzu S. 18f.

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Die Besteuerung

sich die Kammer nur vorsichtig: Die Untertanen seien mit Fronen belastet, die Rastatter Bürger hätten den Anteil vor ihrem Haus zu übernehmen; im Übrigen brauche es weitere Überlegungen, und zuerst müssten die beiden Baumeister die Gesamtkosten berechnen.54 Noch am gleichen Tag äußerte sich die Markgräfin von Schloss Favorit aus: Die Anlieger – hier verschärfte sie den Vorschlag der Hofkammer – hätten das Pflaster vor ihren Häusern auf „sechs Schuh“, auf ungefähr 1,8 Meter in die Straße hinein zu finanzieren, und die anderen Bürger müssten in einem Umlageverfahren zu den Arbeiten beitragen. Alle anderen Kosten, die über den Anteil der Anlieger und Bürger insgesamt hinausgehe und auch den Schlosshof beträfen, müssten, so befahl die Markgräfin, die markgräfliche Judenschaft und die der Vorderen Grafschaft Sponheim übernehmen. In ihrem Schreiben erklärte die Markgräfin auch, warum sie die Pflasterung wollte: Sie sei „so nöthig als nüzlich“ und diene „zu mehrerer Aufnahm und ansehen“ der Residenzstadt; gleichzeitig ordnete sie an, die Bürger in Rastatt müssten ihre Häuser, soweit noch nicht geschehen und erforderlich, endlich „verbuzen und ehist [schnellstens] nach des Baumeisters Rohrers angeben sämbtl(ichen) renoviren lassen.“55 Damit stellte die Markgräfin ihr Vorhaben in einen größeren Zusammenhang: Es ging um die Verschönerung der Residenz, aber auch um ihre Entwicklung, zu einer besseren „Aufnahm“ im Sinne einer größeren Bereitschaft zur Niederlassung in der Stadt – und um ihr Ansehen. Ein Jahr vor dem Beschluss zur „Pflasterung“ Rastatts, 1720, hatte der Speyrer Fürstbischof Damian Hugo von Schönborn seine Residenz Bruchsal in besseren „Stand und Flor [Blüte]“ bringen lassen.56 Sein Einfluss – er gilt als wichtigster Berater der Markgräfin zu dieser Zeit57 – könnte zur Vorstellung beigetragen haben, dass Rastatt weiter entwickelt werden müsse. Aber es gab wohl auch eine andere Erwägung. Am 18. März 1721 war die Hochzeit des Erbprinzen Ludwig Georg in Krummau in Böhmen gefeiert worden, die Feierlichkeiten der „Heimführung“ der Braut wurden für den November des Jahres geplant.58 In diesem Zusammenhang ging es ohne Zweifel um die repräsentative Darstellung der Residenz und des markgräflichen Hauses. 54 GLAK 74/6982, Kammerräte Dyhlin, Lassolaye und Sartorius an die Markgräfin, 24.4.1721, Bl. 87r–88r. 55 Ebd. 56 Uta Hassler, Die Gesetzgebung Damian Hugo von Schönborns für bürgerliche Bauvorhaben, in: Badisches Landesmuseum Karlsruhe (Hg.), Barock in Baden-Württemberg. Vom Ende des Dreißigjährigen Krieges bis zur Französischen Revolution, Bd. 2, Aufsätze. Karlsruhe 1981, S. 167–181, hierzu S. 167, Zitat ebd. 57 Vetter, Zwischen Glanz und Frömmigkeit, S. 23. 58 Zur Feier der Hochzeit Ludwig Georgs mit Maria Anna von Schwarzenberg Gerlinde Vetter, Eine barocke Fürstin, in: Froese und Walter (Hg.): Der Türkenlouis, S. 103–114 und S. 135–146.

Das Pflastergeld 

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Markgräfin Sibylla Augusta ließ die Hofkammer den Vertretern der Schutzjuden mitteilen, warum gerade diese den größten Teil der Kosten übernehmen sollten: Sie seien, wie allgemein bekannt, bei vielen steuerlichen Belastungen besser behandelt worden als die christlichen Untertanen.59 Die Schutzjuden wurden so als privilegierte Einwohner des Landes dargestellt, die weder die früheren Kriegssteuern, Abzugsteuern60 und andere Lasten tragen mussten. Zuerst, am 30. April 1721, informierte die Hofkammer die Vertreter der Stadt, nämlich Stabhalter, Bürgermeister und fünf Mitglieder des Gerichts, und den Rastatter Amtmann.61 Am 12. Mai sollte die Delegation der Juden über die „Extraordinari Collectation“, die außergewöhnliche Steuer, benachrichtigt werden.62 Selbst in ihrem Vorgehen machte die Hofkammer deutlich, wie sie den Rang der Beteiligten sah: Die christlichen Bürger zuerst, danach die Juden, denen durch das Pflasterprojekt die stärkste Belastung drohte. 6.2.3  Die Schutzjuden in „ihrer bekannten Unvermögenheit“ Die Delegation der Schutzjuden, die am 12. Mai 1721 informiert wurde,63 bestand aus Vertretern der Ämter mit einer größeren Anzahl von Juden. Die Bedeutung dieser Zusammenkunft unterstrich die sonst nie nachweisbare Anwesenheit eines Vertreters aus dem Amt Kirchberg in der Vorderen Grafschaft Sponheim, des „alten Löw“, der zusammen mit den anderen Delegierten auftrat: Moyses Schweitzer und Cassel von Rastatt, Isaac Bodenheimer und Schmaul von Bühl, Hayum Flörsheim aus Baden-Baden, zwei Juden aus Ettlingen, Marx Weil von Kippenheim und der dortige Anwald sowie Löw Wertheimer von Durbach.64 Am folgenden Tag nahmen die Delegierten Stellung: Die markgräflichen Juden könnten „ihrer bekannten uunvermögenheit halber“ keine achttausend Gulden aufbringen; sie baten „umb eine ihrem armen Zustandt proportionirte modera(t)ion“, eine ihrer Armut angemessene Ermäßigung, oder um einen mehrjährigen Nachlass ihres Schutzgelds.65 Am Tag darauf beriet die Hofkammer über den Voranschlag des Baumeisters Michael Ludwig Rohrer. Er hatte Gesamtkosten von 11637 Gulden und 30 Kreuzer ausgerechnet;66 die Judenschaft sollte also wirklich den Großteil des nötigen Geldes aufbringen. 59 60 61 62 63 64 65 66

GLAK 61/6982, Markgräfin an die Hofkammer, 24.4.1721. Zur Abzugssteuer siehe S. 357ff. u. ö. GLAK 51/257 HK 30.4.1771. Ebd. GLAK 61/257 HK 12.5.1721. GLAK 220/1097, Hofkammer, Generalia an die Juden, 30.4.1721. GLAK 220/1097, Hofkammerräte Dyhlin, Wenger und Lassolaye, 13.5.1721. GLAK 220/1097, Michael Ludwig Rohrer an die Hofkammer, 28.4.1721.

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Die Besteuerung

In welcher wirtschaftlichen Situation traf das „Pflastergeld“ die Schutzjuden? Am 1. Februar 1721 hatte die Hofkammer Berichte über die Juden in den einzelnen Ämtern angefordert,67 vielleicht schon mit Blick auf eine neue Steuer. Noch am gleichen Tag verfasste Oberamtmann Lassolaye in Rastatt seinen Bericht über die Juden in der Residenz und in Kuppenheim: Moyses und Aron aus Rastatt bettelten außerhalb der Markgrafschaft. Isaac „der Jung“ lebe nicht in Rastatt, sondern in Weissenburg (Wissembourg, Bas-Rhin) im Elsass, habe aber noch ein Haus in Rastatt, sonst aber kein Vermögen. Judenschultheiß Cassel treibe seinen Handel zusammen mit Daniel, seinem blinden Bruder. Moyses Schweitzer habe seit einigen Jahren seinen Handel eingestellt. Mehr über das Vermögen der Rastatter Juden wisse er nicht, fügte Lassolaye an. Noch eindeutiger äußerte er sich über die Kuppenheimer Schutzjuden. Nur einer der fünf habe ein Vermögen über 20 Gulden: Jonas „der Jung“ besitze ein Haus im Wert von 100 Gulden68 und würde wenigstens keine Schulden machen.69 Amtmann Joseph Schweinhuber in Ettlingen machte folgende Angaben: Jost habe ein mittelmäßiges Vermögen und ein „schönes Haus“, Mayer „einen großen Hausplatz“ in Ettlingen70 im Wert von 1400 Gulden, ein „schönes Haus mit Garten“ in Malsch und ein „gutes Vermögen“. Seligmann Isaac verfüge über „ein gutes Vermögen und schönes Haus“, Abraham Isaac über das „beste Vermögen“, habe zudem Geld verliehen und „ein schönes Haus“. Hertzel, der Sohn von Jost, besitze am wenigsten; ein namentlich nicht genannter Schwiegersohn von Jost habe gerade seinen Handel angefangen und besitze deshalb noch gar nichts.71 Das „schöne Haus“, viermal formelhaft verwendet, ermöglichte die knappe Information darüber, dass die genannten Juden über Wohlstand verfügten, den sie auch zeigten. Die Situation der fünf Malscher Juden stellte der dortige Amtskeller Campanus so dar: Zu Koppels Vermögen, erklärte er, könne er nichts angeben, „außer daß es dem äußerlichen augenschein nach, gahr in nichts bestehet.“ Das Gleiche gelte für Löbel. Jäckel habe „wenig in Vermögen“ und sei hoch verschuldet; Abraham und Salomon ständen „etwas beßer im Vermögen“ als die ersten drei.72 Zu Löbel Gans und seinem Sohn, zu Lemmle Löbel, Salomon Marx, Lemmle und Abraham Meyer stellte Amtmann von Harrandt in Bühl fest, dass sie entwe67 GLAK 61/257 HK 1.2.1721. 68 Zur innerjüdischen Vermögensangabe bei armen Schutzjuden in der Höhe von 100 Gulden siehe S. 262. 69 GLAK 74/3711, Oberamtmann Leopold Wilhelm Lassolaye an die Hofkammer, 1.2.1721. 70 Mayer Malsch, um den es sich hier handelt, hatte später ein Haus in der Nähe des Schlosses; möglicherweise handelt es sich beim hier erwähnten „Hausplatz“ um das entsprechende Grundstück. 71 GLAK 74/3711, Amtmann Schweinhuber an die Hofkammer, 4.2.1721. 72 GLAK 74/3711, Amtskeller Campanus an die Hofkammer, 6.2.1721.

Das Pflastergeld 

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der kein Vermögen besaßen oder hohe Schulden hatten. Sammel „der alt“ bettle; Löbel, Sammels Sohn, war überschuldet, ebenso Aron Meyer. Unter den Genannten hätten Salomon Marx eine Haushälfte im Wert von ungefähr 150 Gulden, Lemmle und Abraham Meyer zusammen eine Haushälfte im gleichen Wert. Ein weiterer Hausbesitzer, nämlich Aron Meyer; habe indessen dreimal so viel Schulden, als sein Haus wert sei. Bei Elias Schweitzer vermutete er über das Vermögen, es werde „nichts sein“ wie bei den übrigen; bei Kaufmann Schweitzer und Aron machte er Angaben über ihren Handel, ohne auf ihr Vermögen einzugehen. Bei Isaac und Mayer Bodenheimer erwähnte von Harrandt ihren Kramladen, machte aber keine Angabe zu ihrem Besitz; das Vermögen von Schmaul und seinen Söhnen bezeichnete er als „nicht übel“. Zusammenfassend meinte er, dass die Bühler Juden mit Ausnahmen von vier – damit wies er wohl auf die Brüder Bodenheimer sowie auf Schmaul und seine Söhne hin – in „Noth, und Armuth“ lebten.73 Noch ungenauer fielen die Angaben des Amtmanns Nötzel über Hayum Flörsheim und Samson Schweitzer aus, die zwei einzigen Juden in Baden-Baden. Samson Schweitzer74 würde nur gelegentlich Handel treiben, Hayum Flörsheim besorge auf Bestellung Juwelen und Silber – über beide wisse er sonst nichts.75 Für die meisten Schutzjuden, so lassen sich die Berichte zusammenfassen, galt Armut und Vermögenslosigkeit: bei zehn der vierzehn Bühler, bei allen fünf Kuppenheimer Juden, bei zwei oder drei der fünf Rastatter und bei drei der fünf Malscher Juden. Stimmen diese Angaben, kann man sie mit der Gesamtzahl der Haushaltungen in Beziehung setzen: 1721 wurden 42 Schutzjuden für die Ämter des Kerngebietes und für die Grafschaft Eberstein angegeben, die Schutzgeld zahlten.76 Etwa die Hälfte von ihnen – ohne die Juden in den Herrschaften Mahlberg und Staufenberg – wurden von den Beamten als arm und vermögenslos dargestellt. Die neue Steuer drohte jedem im Schnitt mit rund 87 Gulden.77 Die Vermögensverhältnisse der Juden wurden durch die Ämter zwei Monate vor der Einführung der neuen Steuer der Hofkammer mitgeteilt. Eine Wirkung dieser Informationen auf die Regierung lässt sich nicht erkennen. Jedenfalls war ihr klar: Die Juden lebten mehrheitlich in Armut, und das „Pflastergeld“ würde sie noch mehr belasten.

73 74 75 76 77

GLAK 74/3711, Amtmann Johann Heinrich von Harrandt an die Hofkammer, 8.2.1721. Zu Samson Schweitzer, dem späteren Oberjudenschultheiß, siehe S. 431ff. GLAK 74/3711, Amtmann Andreas Peter Nötzel an die Hofkammer, 9.2.1721. GLAK 220/1097, ohne Angabe des Verfassers, „Repartition“, 24.5.1721. Diese Zahl ergibt sich aus der Summe, die von den Schutzjuden in den Kerngebieten gefordert werden sollte, nämlich 3634 Gulden. Dazu siehe S. 346f., Tabelle XIII.

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Die Besteuerung

Tabelle XII:  Verteilung der Pflastersteuer auf die einzelnen Gebiete der   Markgrafschaft, 172178 Gebiet

Höhe des Anteils an der Pflastersteuer in Gulden

Kerngebiet der Markgrafschaft einschließlich der Grafschaft Eberstein, ohne Herrschaft Mahlberg und Staufenberg Herrschaft Mahlberg Staufenberg Kirchberg Sprendlingen

3634 864 100 520 900

Die Regierung legte die Steuer zuerst auf die einzelnen Gebiete der Markgrafschaft um, wie die vorstehende Tabelle XII (S. 346) zeigt. Zur Verteilung der Steuer auf die einzelnen Juden im Kerngebiet der Markgrafschaft ohne Mahlberg und Staufenberg orientierte sie sich dabei am jeweiligen Anteil an der Gesamtsumme des Schutzgeldes von 700 Gulden79 und kam dabei auf die Beträge in Tabelle XIII (S. 346f.). Tabelle XIII:  Verteilung der Pflastersteuer auf die einzelnen Schutzjuden in der Markgrafschaft einschließlich der Grafschaft Eberstein und der Herrschaften Mahlberg und Staufenberg, 172180 81 Ort/Herrschaft

Name81

Baden-Baden

Hayum Flörsheim Samson Schweitzer Cassel Moyses Schweitzer Daniel Cassel

Rastatt

Pflastersteuer Gulden/Kreuzer 155 124 30 124 30 124 30 93 30

Schutzgeld 30 24 24 24 18

78 GLAK 220/1097, ohne Angabe des Verfassers, „Zur Pflaster- und aplanirung der Fürstl(ichen) Residenz Rastatt“, 19.5.1721. 79 Die Summe der in der Tabelle angegebenen Schutzgelder entspricht nicht 700 Gulden für die Gebiete ohne Mahlberg und Staufenberg. Der Grund dürfte in Ermäßigungen des Schutzgeldes liegen, die zu Beträgen wie 8 Gulden führten. Es ist auch unklar, ob das Schutzgeld aus der Grafschaft Eberstein (Hörden) und speziell aus Gernsbach (badischspeyrisches Kondominat) in die Summe von 700 Gulden einzuberechnen ist. 80 Die Angaben nach GLAK 220/1097, ohne Angabe des Verfassers, „Repartition“, 24.5.1721. 81 Die Namen werden in der Schreibung des Originals wiedergegeben. Diesem entspricht auch die Reihenfolge mit ihren Zuweisungen, die im Einzelfall problematisch sind, z. B. die Verzeichnung von Isaac (des Rabbiners) unter Kuppenheim.

Das Pflastergeld  Ort/Herrschaft Kuppenheim

Name81

Jonas der Jung Isaac der Jung Jäckhel Löbel Isaac Rabbiner Jonas der Alt Malsch Koppel Jäckhel Abraham Salomon Löbel Ettlingen Meyer (Mayer Malsch) Jost Seligmann Abraham Hertz Moyses Abraham Bühl Schmaul Isaac Bodenheimer Elias Samuel (Schmaul) Joseph, Schmauls Sohn Mayer Bodenheimer Aaron Meyer Lemmle Meyer Abraham Meyer Elias Koppel Kaufmann Koppel Maaron Löb Samuel Abraham Löb Lemmlin Löb Samuel der Alt Löb der Alt Salomon Muggensturm Abraham Hörden (Gft. Eberstein) Moyses Gernsbach (Gft. Eberstein) „der Gernsbacher“ (Isaac Lazarus)

Pflastersteuer Gulden/Kreuzer 77 30 72 30 41 50 51 30 51 30 41 55 41 55 77 30 93 30 93 30 51 30 124 30 103 30 155 55 155 55 119 55 119 55 124 30 124 30 124 30 124 30 109 20 93 30 62 30 93 30 64 30 51 30 41 55 77 30 93 30 51 30 39 40 41 55 103 30 77 30 1582 55 4084 55

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Schutzgeld

, ,

82 83 84

82 GLAK 61/257 HK 26.6.1721. 83 Zu Moyses und anderen Schutzjuden enthält das Verzeichnis keine Angaben. 84 Zur ermäßigten Pflastersteuer bei Isaac Lazarus siehe S. 349.

15 14 8 10 10 8 8 15 18 18 10 24 20 30 30 23 23 24 24 24 24 21 18 12 18 13 10 8 15 18 10 6 8 20 18 –83 –

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Die Besteuerung

6.2.4  Weiter supplizieren oder das Land verlassen? Die Schutzjuden reagierten am 21. Mai nochmals mit einer Bittschrift, die von der „gesammten Judenschaft der sämtlichen Markgrafschaft Baaden und Landen“85 unterzeichnet war. Darin bezogen sie sich zunächst auf ihre erste Supplik. Sie hätten voller „Zuversicht“ erwartet, dass die Regentin ihnen auf ihre Bitte „wenigstens noch in etwas“ entgegenkäme, um ihnen die „ohnerschwingliche Last noch in Fürstlicher Barmherzigkeit einiger Maßen zu erleichtern.“ Nun hätten sie aber erfahren, dass es keinerlei Nachlass gebe. Diese Entscheidung würden sie akzeptieren und „mit äußerster Darstreckung“ ihrer materiellen Mittel die Steuer aufzubringen versuchen, dabei auch der von der Hofkammer vorgelegten Verteilung Folge leisten. Aber dennoch würden sie nochmals an das Erbarmen der Fürstin appellieren: Für die zwei Jahre, in denen sie die 6000 Gulden aufbringen sollten, baten sie erneut um eine Befreiung vom Schutzgeld.86 Die Schutzjuden argumentierten doppelgleisig. Einerseits appellierten sie an die „Barmherzigkeit“ der Fürstin. Sie machten damit deutlich, dass sie ein positives Bild der Markgräfin hätten. Andererseits stellten sie sich selbst als Untertanen dar, welche die neue Belastung zu tragen bereit waren. Sie hofften allerdings, drückten sie in ihrer zweiten Bittschrift aus, dass ihr Bild der barmherzigen Fürstin berechtigt sei und die Markgräfin ihnen gerade wegen ihrer Unterwerfung unter die neue Steuerpflicht entgegenkäme. Die Markgräfin ging auch auf diese Bittschrift nicht ein – der Einzug der Steuer begann. Allerdings meldete der Bühler Amtmann, dass nur einige Schutzjuden zum ersten Termin gezahlt hätten. Was er in dieser Situation tun solle, fragte er an. Er habe, so die Hofkammer, ihrer Anweisung zu folgen und das Geld einzuziehen – schließlich gehe es um einen „Befehl“ der Regentin.87 Möglicherweise spricht aus dem zögernden Verhalten des Amtmanns ein Vorbehalt, die ausstehenden Zahlungen sofort einzuziehen; vielleicht ein ähnlicher Vorbehalt aus dem Hinweis der Hofkammer, dass sie den „Befehl“ der Fürstin befolge. Im Juni 1721 stellte der Beamte im Amt Gernsbach, Vogt Sartorius, eine ähnliche Frage wie der Bühler Amtmann: Wie solle er sich bei „dem bettelarmen Stand der Juden in Hörden“ verhalten? Die Antwort der Hofkammer zeigt die Höhe der neuen Steuer bei armen Juden, aber auch die verschärfte Belastung: Moyses von Hörden müsse die ihm auferlegten 15 Gulden zahlen, aber auch sein noch fälliges Schutzgeld von 20 Gulden.88 85 Da in der Supplik die Rede von 6000 Gulden ist, schließt die Formulierung von der „gesammten Judenschaft“ alle Juden der Gebiete ein, auf die 6000 Gulden verteilt worden waren, also auch Kirchberg und Sprendlingen. 86 GLAK 74/6982, Judenschaft an Markgräfin Sibylla Augusta, 21.5.1721, Bl. 95r–97r. 87 GLAK 61/257 HK 18.6.1721. 88 GLAK 61/257 HK 26.6.1721.

Das Pflastergeld 

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Im folgenden Jahr wandte sich der Amtmann in Bühl nochmals an die Regierung: Was er machen solle, wenn mittellose Juden das „Pflastergeld“ nicht aufbringen könnten? Die Kammer unterschied nicht: Diejenigen, die nicht zahlen könnten oder wollten, würden den Schutz verlieren und müssten das Land verlassen.89 Nicht nur arme Schutzjuden machten Schwierigkeiten. In Friesenheim im Oberamt Mahlberg beschwerte sich die Witwe von Abraham Levi: Sie argumentierte, dass die anderen Juden des Ortes kein Vermögen hätten – nach ihrer Sicht werde dafür sie unzumutbar belastet. Außerdem müsse sie 109 Gulden bezahlen, das falle ihr als Witwe schwer. Die Hofkammer rechtfertigte sich: Man habe nicht gewusst, dass ihr Mann gestorben sei; ihr Anteil als Witwe werde auf 59 Gulden reduziert, die anderen Schutzjuden in Friesenheim müssten die restlichen 50 Gulden übernehmen.90 In einer günstigen Situation befand sich Herz Lazarus in Gernsbach als ein „Gemeinschaftsjude“ der Markgrafschaft und des Bistums Speyer. Von ihm wurden 114 Gulden und 30 Kreuzer verlangt.91 Er spielte dagegen seinen Status als „Gemeinschaftsjude“ aus und wies die Kammer darauf hin, dass die Speyrer Regierung ihm die Zahlung verboten habe, dennoch, bei einem Nachlass sei er zu einem Beitrag bereit. Darauf ermäßigte die Kammer den Betrag um fast zwei Drittel auf 40 Gulden.92 Der Durbacher Schutzjude Daniel Heilbronn93 meldete sich im Februar 1722 mit einem Bittschreiben bei der Hofkammer aus dem baden-durlachischen Emmendingen: Er kündigte das Schutzverhältnis auf und bat darum, ihm das 1721 auferlegte „Pflastergeld“ nachzulassen. Die Hofkammer entließ ihn aus dem Schutz und schlug, wie Heilbronn es gefordert hatte, einen Verzicht auf die Pflastersteuer vor – er habe sich ja zwei Jahre zuvor für dauernd in Emmendingen niedergelassen. Schutzgeld habe er nur bezahlt, weil er noch im Amt Staufenberg, in Fernach bei Oberkirch, einen Kramladen besitze.94 Das „Pflastergeld“ betreffe aber nur Juden, die in der Markgrafschaft Baden-Baden lebten.95 Die Markgräfin – oder der Geheime Rat – folgte der Empfehlung der Kammer nicht. Heilbronn, so die Entscheidung, müsse wenigstens mit einem reduzierten Teil, mit 33 Gulden 20 Kreuzer, zur Steuer beitragen.96

89 90 91 92 93

GLAK 61/258 HK 7.7.1722. GLAK 61/257 HK 26.6.1721. Siehe dazu S. 346f., Tabelle Nr. XIII und GLAK 61/257 HK 26.6.1721. GLAK 61/257 HK 28.8.1721. In GLAK 220/1097, ohne Angabe des Verfassers, „Repartition“, 24.5.1721, wurde Heilbronn nicht aufgeführt. 94 GLAK 220/1097, Hofkammer an Markgräfin Sibylla Augusta, 13.5.1722. 95 GLAK 61/258 HK 21.2.1722. 96 GLAK 61/258 HK 27.5.1722.

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Die Besteuerung

Die Schutzbürger zahlten die Pflastersteuer jedenfalls nur zögernd. Im November 1722 standen noch 2678 Gulden aus; da die Frist zur Zahlung bereits überzogen war, ordnete die Hofkammer den Einzug des Geldes durch die Ämter an.97 Der Bühler Amtmann fragte nochmals zurück, was er nun mit denen machen solle, die noch nicht gezahlt hätten. Er müsse alle, die säumig blieben, „ohne weitere Anfrag fortschaffen.“98 Abraham Seligmann, den Amtmann Joseph Schweinhuber 1721 als den reichsten Juden in Ettlingen bezeichnet hatte, erklärte 1723, er wolle den Schutz aufgeben und nach Karlsruhe wechseln.99 Zwar gab er keine Gründe dafür an, dennoch könnte die neue Steuer für ihn eine Rolle gespielt haben. Die Drohung mit der Aufgabe des Schutzes gerade durch wohlhabende Juden lag im Bereich des Möglichen. Im Amt Sprendlingen, südwestlich von Mainz, sollten die sieben Schutzjuden 900 Gulden übernehmen. Einer von ihnen namens Meyer verwahrte sich bei der Hofkammer gegen die 376 Gulden, die von ihm gefordert wurden; er drohte, er werde eher den Schutz aufgeben als den geforderten Betrag zahlen. Darauf ermäßigte die Kammer ihre Forderung auf 300 Gulden.100 1723 reagierten die baden-badischen Juden wieder in ihrer Gesamtheit. Dabei griffen sie auf ihre Vorstellung aus dem Jahre 1721 zurück, auf die Reduzierung des Schutzgelds als Kompensation für die Pflastersteuer. Sie hätten, so schrieben sie an die Markgräfin, bis in das vergangene Jahr hinein das 1714 erhöhte Schutzgeld von 700 Gulden bezahlt. Nun sei die Situation aber anders: Vorher sei diese Summe auf die 42 Schutzjuden101 umgelegt worden, die in der Markgrafschaft lebten; jetzt, 1723, gebe es nur noch 32 Familien. Zehn seien ausgestorben, aus dem Land weggezogen oder mussten es verlassen, weil sie das „Pflastergeld“ nicht bezahlten. Der Schluss, den die Schutzjuden zogen: Die Fürstin, so hofften sie, würde „höchst erleucht zu erkennen gnädigst geruhen“, dass die 32 Juden 700 Gulden Schutzgeld nicht aufbringen könnten. Der Geheime Rat aber lehnte jedes Entgegenkommen ab.102 Die Kammer hielt fest, wie viel Schutzgeld noch ausstand: 330 Gulden.103

97 GLAK 61/258 HK 9.11.1722. 98 GLAK 61/258 HK 24.12.1722. 99 GLAK 61/259 HK 5.11.1723. 100 GLAK 61/257 HK 18.6.1721. 101 Auf die Anzahl von 42 Schutzjuden kommt man nach S. 346f., Tabelle XIII, Verteilung der Pflastersteuer auf die einzelnen Schutzjuden in der Markgrafschaft einschließlich der Grafschaft Eberstein und der Herrschaften Mahlberg und Staufenberg, 17211, wenn Herz Lazarus in Gernsbach mitgezählt wird. 102 GLAK 74/3711, Geheimer Rat, 6.9.1723. 103 GLAK 61/259 HK 20.9.1723.

Das Pflastergeld 

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Die Reaktion der Judenschaft auf die neue Steuer bestand darin, dass sie auf die Schwierigkeiten hinwies, die sie schon mit dem Schutzgeld hatte: Das „Pflastergeld“ führte, so der Gedankengang, zu einer Überbelastung. Manche, das erkannten die Supplikanten, verließen die Markgrafschaft wegen der neuen Steuer. Wenn auch sie nur einer der Faktoren war, die zum Wegzug führten – zumindest einige Schutzjuden zogen diese Konsequenz, während die Judenschaft als Ganzes argumentativ mit Suppliken auf eine Verbesserung ihrer Situation hinarbeitete. Einzelne Juden verweigerten weiter die Pflastersteuer. Zu ihnen gehörte Lazarus in Muggensturm, der im Oktober 1723 noch nichts gezahlt hatte. Die Kammer drängte: Entweder er zahle oder er werde ausgewiesen.104 In den folgenden Jahren versuchten Gruppen von Schutzjuden erneut einen Nachlass zu erhalten. Im August 1724 lag der Regierung ein Memorial von acht armen Juden aus Bühl vor. Sie wiesen darauf hin, dass sie von ihren schuldigen 530 Gulden Schutzgeld und anderen Abgaben 400 Gulden bezahlt hätten und baten um einen Nachlass der Pflastersteuer – derzeit würden sie mit ihrem Handel nur wenig verdienen und könnten sich kaum ernähren.105 Der Amtmann bestätigte ihre große Armut. Er schrieb, dass er sich „sehr verwundere, wie sie nur das Leben mit den ihrigen durchbringen“, und fuhr fort: [...] wenn ich dieselbe auch umb das noch schuldige Pflaster Geldt exequiren [das Pflastergeld zwangsweise einziehen] lassen will, so finde in eines manchen Haus nit vor 4 fl(orin) werth, und ist nur zu besorgen, dass sie durch leithafte(n) [leidvollen] so großen Lebensmangel wie es die Erfahrenheith gibedt, ofters da und dort geschehen, Erkrancken, und Endtlichen auch die Christen anstecken, und also bei solcher Gelegenheith, ohne unterthänigste Masgab, besser weer, dass solche bettel Juden weiters gingen.“106

Bei der großen Not dieser armen Juden konnte sich der Amtmann eine Zwangseintreibung des „Pflastergelds“ nicht vorstellen. Seine Überlegung, die er schon 1721 vorgetragen hatte: Ihre Armut könnte zum Ausbruch von Krankheiten führen, die auch die christlichen Untertanen anstecken könnten; am besten wäre es, die Betteljuden verließen das Land. Den Kuppenheimer Schutzjuden drohte im September 1725 schon unmittelbar der Zwangseinzug. Sie baten darum, den Exekutionsbeschluss aufzuheben; ihre Feiertage107 hätten bereits begonnen und sie könnten deshalb nicht mehr Schulden einziehen, um selbst zahlungsfähig zu werden. Damit erreichten sie bei der Hofkammer wenigstens einen dreiwöchigen Aufschub.108 104 GLAK 61/259 HK 16.10.1723. 105 GLAK 220/1097, Abraham Löwel u. a. an Markgräfin Sibylla Augusta, 1.8.1724. 106 GLAK 220/1097, Amtmann Johann Heinrich von Harrandt an Markgräfin Sibylla Augusta, 9.8.1724. 107 Feiertage: Jahresbeginn/Rosch ha-Schana. 108 GLAK 61/260 HK 25.9.1724.

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Die Besteuerung

6.2.5  Ein Intermezzo: ein Vorschlag zum Verzicht auf das Pflastergeld der Juden Im Sommer 1730 brachte Amtmann Joseph Anton Dyhlin das Problem des „Pflastergelds“ bei der Hofkammer vor: In Bühl hätten Schutzjuden ihre „dermahlige Ohnvermögenheit vorgeschützet“ und einen Aufschub der Zahlung wenigstens bis Weihnachten erbeten. Der sofortige Einzug sei nicht erforderlich, entschied die Hofkammer; es sei bereits zu spät im Jahr, als dass man noch mit der Arbeit am Rastatter Pflaster anfangen könne.109 1735 kam aus der Verwaltung ein neuer Vorschlag zur Pflastersteuer. Der Rastatter Amtmann Leopold Wilhelm Lassolaye, selbst Mitglied der Hofkammer, berichtete dem Kollegium, die Straßen in der Residenz müssten ausgebessert werden. Zugleich wies er jedoch darauf hin, dass man die neuen Ausgaben nicht „Land und Judenschaft zumuthen“ könne. Sie sollten, empfahl die Kammer, der Residenzstadt selbst auferlegt werden – sie habe schließlich auch den Nutzen.110 Diese Haltung setzte sich allerdings nicht durch. Die Regierung kam doch wieder auf die Schutzjuden zurück. 286 Gulden und 51 Kreuzer an „Pflastergeld“ standen noch aus; die Kammer wies die Beamten an, dieses Geld einzuziehen und „zum Rastatter Pflaster anzuwenden.“111 Die Juden in Bühl, bei denen 49 Gulden und 25 Kreuzer fällig waren, erklärten sich zur Zahlung innerhalb von zwei Wochen bereit, beriefen sich dann aber auf die „dermaligen harten Kriegszeiten“ und baten darum, in zwei Raten zahlen zu dürfen.112 Andere Zahlungen scheinen nicht erfolgt zu sein. 6.2.6  Wiederbeginn der Pflasterarbeiten – Festlegung auf 6 Prozent des Vermögens Erst im Mai 1742 befasste sich die Regierung wieder mit den Straßen der Residenz: Die gesundheitlichen Risiken, die „Morast- und Sumpflöcher“ müssten beseitigt werden: Entwässerung, Auffüllung der sumpfigen Stellen und Pflasterung der Straßen seien nötig; jetzt müsse die Finanzierung geklärt werden.113 Als seit 1724 noch ausstehendes „Pflastergeld“ gab die Kammer 292 Gulden und 25 Kreuzer an. Zur Möglichkeit, dieses Geld einzunehmen, äußerte sich die

109 GLAK 61/266 HK 27.7.1730. 110 GLAK 61/272 HK 28.5.1735. 111 GLAK 61/272 HK 30.6.1735. 112 GLAK 61/272 HK 8.7.1735. 113 GLAK 61/279 HK 10.5.1742.

Das Pflastergeld 

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Regierung jedoch skeptisch. Wie die Schutzjuden 1723 argumentiert hatten,114 wies sie jetzt selbst darauf hin, dass nach der Einführung der Steuer einige Schutzjuden „Verdorben“, wirtschaftlich zugrunde gerichtet, andere „gestorben, theils auch hinweggezogen“ seien. Deshalb könne man nur mit einem Teil der Einnahmen rechnen. Die Anordnung an die Ämter folgte, nach den gegebenen Möglichkeiten die ausstehenden Beträge einzuziehen.115 Markgraf und Geheimer Rat drängten auf den Fortschritt der Pflasterarbeiten.116 Die Kammer berechnete einen noch offenen Betrag von 165 Gulden und 54 ½ Kreuzer; vom eingezogenen „Pflastergeld“ insgesamt seien noch 22 Gulden 59 Kreuzer bar vorhanden. Sie schlug auch noch das Geld aus der „Pflasterkasse“ hinzu, das unter Markgräfin Sibylla Augusta für Kupfergeschirr der Hofküche verwendet worden war;117 damit ergaben sich 385 Gulden und 59 ½ Kreuzer für die bevorstehenden Arbeiten.118 Amtmann Johann Jacob Hoffmann hatte Anfang August 1742 aus Bühl berichtet: Die dortige Judenschaft habe seit 1721 79 Gulden 5 Kreuzer entrichtet, 42 Gulden und 51 ½ Kreuzer ständen noch aus.119 Die Kammer trieb ihn an und befahl ihm mit einem Eilboten, das noch fällige „Pflastergeld“ einzuschicken. Dringend brauchte die markgräfliche Verwaltung zu dieser Zeit Geld. Landkommissar Koch, der Verwalter der Landkasse, meldete: Nicht einmal das Brot für den Hof könne bezahlt werden.120 Der Hofrat schlug vor, nochmals die Schutzjuden zu belasten. Gerade waren der Oberschultheiß Samson Schweitzer und die Judenschaft als Ganzes in der Folge eines Konfliktes, den sie untereinander austrugen, mit jeweils 100 Reichstalern bestraft worden.121 Der Hofrat empfahl: Der Geheime Rat müsse entscheiden, ob dieses Geld für das Pflaster in Rastatt verwendet werden solle.122 Schon am folgenden Tag ließ dieser die 197 Gulden, die für das Kupfergeschirr verwendet worden waren, wieder der „Pflasterkasse“ anweisen. Dann musste der Oberschultheiß Samson Schweitzer die „Pflastergelder“ der nach 1721 aufgenommenen Schutzjuden berechnen.123 Das Strafgeld von 200 Reichstalern für die Pflasterarbeiten zu verwenden, lehnte der Geheime Rat jedoch ab.124 Es blieb 114 Zur Argumentation der Schutzjuden 1723 gegen ihre Belastung durch die Pflastersteuer siehe S. 350. 115 GLAK 61/279 HK 21.7.1742. 116 GLAK 61/171 HR 7.8.1742 Nr. 2. 117 Zur Bezahlung von Kupfergeschirr aus der Pflastersteuer siehe S. 356. 118 GLAK 61/279 HK 20.8.1742. 119 GLAK 61/279 HK 8.8.1742. 120 GLAK 61/279 HK 4.10.1742. 121 Zur Strafe für Samsons Schweitzer und die Judenschaft siehe S. 436. 122 GLAK 61/171 HR 9.10.1742 Nr. 16. 123 GLAK 61/46 GR 10.10.1742 Nr. 20. 124 GLAK 61/46 GR 13.10.1742 Nr. 3.

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Die Besteuerung

dabei: Wie früher sollten die Juden die Kosten tragen. Wie viel, blieb offen, in jedem Fall „ein ergiebiges“.125 Erst im Juni 1743 wurde die Hofkammer wieder aktiv: Sie ließ die Bestimmung aus dem Vorjahr ins Protokoll aufnehmen, dass alle in den letzten 20 Jahren neu aufgenommenen Schutzjuden einen Beitrag nach ihrem Vermögen leisten mussten, das gelte auch für die Grafschaft Sponheim. Wenn die Zahlungen erfolgten, sollten die Arbeiten wieder beginnen.126 Einzelne Schutzjuden – aus Bühl – reagierten im Juni des Jahres mit Suppliken wegen eines Nachlasses ihrer Beiträge.127 Im Juli 1743 reagierten die Schutzjuden in der „mittleren“ Markgrafschaft128 als Ganzes mit einer Supplik an den Geheimen Rat: Sie baten um die Aufhebung, wenigstens um eine Reduzierung der erneuerten Pflastersteuer, die auf 1500 Gulden angesetzt war.129 Die Regierung beschloss, darauf nicht einzugehen; die Finanzierung der Pflasterarbeiten mache die Einnahmen unbedingt erforderlich, und schon die „Vorfahrer“ der jetzt betroffenen Schutzjuden seien zu dieser Steuer verpflichtet gewesen.130 Offensichtlich machten inzwischen die Arbeiten Fortschritte. Pflastersteine waren nötig; die Ämter um die Residenz mussten sie herbeiführen lassen.131 Erst 1747 erscheint das „Pflastergeld“ wieder in den Protokollen der Hofkollegien. Herz Lazarus und David Kaufmann in Gernsbach wehrten sich gegen diese Steuer; aus Rücksicht auf ihren Status als „Gemeinschaftsjuden“ strich sie die Hofkammer aus der Liste der rückständigen Zahler.132 Seit 1753 scheint die Regierung versucht zu haben, das „Pflastergeld“ gleich bei der Schutzaufnahme, meistens in Verbindung mit der Heirat, zu berechnen. Noch im März des Jahres legte die Hofkammer das Aufnahmegeld und das jährliche Schutzgeld fest, ohne das „Pflastergeld“ zu erwähnen.133 Zwei Monate später berechnete sie es bei einer anderen Aufnahme sofort.134 So verfuhr sie auch bei Lippman Weil, dem Sohn von Emmanuel Weil in Kippenheim. Bei ihm wurden als Vermögen außer einer Haushälfte 1000 Gulden angesetzt, die ihm sein Vater 125 GLAK 61/171 HR 16.10.1742 Nr. 3. 126 GLAK 61/280 HK 20.6.1743 und 23.6.1743. 127 Moyses Süßel und sein Sohn (GLAK 61/48 GR 6.7.1743 Nr. 9), Herz Samuel wegen des Beitrags seines Vaters (GLAK 61/280 HK 13.12.1743) und Mayer Bodenheimer für seinen Neffen Löw Bodenheimer (GLAK 61/48 GR 17.7.1743 Nr. 38 und 20.7.1743 Nr. 25). 128 GLAK 61/48 GR 20.7.1743 Nr. 22. 129 GLAK 61/48 GR 13.7.1743 Nr. 34. 130 GLAK 61/280 HK 19.7.1743, GLAK 61/48 GR 20.7.1743 Nr. 22 und GLAK 61/280 HK 23.7.1743. 131 GLAK 61/280 HK 26.8.1743. 132 GLAK 61/284 HK 13.5.1747. 133 GLAK 61/290 HK 13.3.1753 Nr. 1. 134 GLAK 61/290 HK 18.5.1753 Nr. 17.

Das Pflastergeld 

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als Aussteuer gegeben hatte. Von dieser Summe habe sie bereits, so die Hofkammer, 60 Gulden „Pflastergeld“ berechnet.135 Es gibt allerdings auch Aufnahmen, bei denen die Pflastersteuer erst bei der Heirat erhoben wurde, auch wenn sie lange nach der Schutzerteilung erfolgte. Meyer Jacob z. B. wurde 1759 „mit dem Schutz begnädiget.“ Bei ihm erfolgte die Berechnung des „Pflastergelds“ erst nach seiner Heirat Anfang 1765.136 Bis 1752 waren die Beträge der einzelnen Juden nach der Umlage, wie sie die Schutzjuden untereinander festlegten, berechnet worden.137 Spätestens zu dieser Zeit machte die Regierung, wie bei Lippmann Weil, die Höhe der Beiträge von der traditionellen Berechnung der Steuer unabhängig: Die Hofkammer legte von nun an als Pflastersteuer 6 Prozent des individuellen Vermögens fest. 1765 kam die Regierung auf den Gedanken, die Pflastersteuer noch zu verschärfen. Sie prüfte, „ob es herkömlich, mithin die Beamten angewiesen seyen, nicht nur das von den Juden würklichen einbringende, sondern auch das zu erhoffen habende Elterliche Vermögen zur Regulierung der aufnahm recognation undt Pflastergeldts würklich von beeden anzusetzen.“138 Aufnahmegeld und Pflastersteuer sollten also schon mit Blick auf das künftige Erbe berechnet werden, nicht nur auf der Grundlage des bei der Aufnahme vorhandenen Vermögens – ein Gedanke, der jedoch nicht weiter verfolgt wurde. 6.2.7  Die Pflastersteuer – die Markgräfin Sibylla Augusta in einer anderen Perspektive Die Entstehung der neuen Steuer lässt sich vom Zeitpunkt ihrer Einführung her erklären. Der repräsentative Ausbau von Rastatt, die Hochzeit des Erbprinzen und die entsprechenden Feiern mit auswärtigen Gästen gaben den Rahmen vor, in dem die „Verschönerung“ der Residenz angezeigt war. Sie konnte mit der neuen Steuer auf den Weg gebracht werden. Ihre Beurteilung aber – oder derjenigen, die sie einführten – ist davon abhängig, dass angesichts der Berichte aus den Ämtern die Markgräfin und die Regierung wussten, wie arm viele Schutzjuden waren. Die neue Belastung verschärfte ihre Lage. Der Bühler Amtmann sprach aus, was wohl auch die Regierung dachte: Arme Juden, Betteljuden sollten am besten das Land verlassen. Diese Einstellung spiegelte sich in den wiederholten Drohungen wieder, zahlungsunfähige Schutzjuden auszuweisen. Gab es eine Strategie, wenigstens arme Schutzjuden loszuwerden, wenn nicht sogar alle? Das Verhalten der 135 GLAK 61/290 HK 22.5.1753 Nr. 12. 136 GLAK 61/303 HK 15.2.1765 Nr. 46. 137 GLAK 61/289 HK 17.4.1752. 138 GLAK 61/303 HK 9.8.1765 Nr. 16.

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Die Besteuerung

Markgräfin in einer anderen Hinsicht spricht dafür: Ab 1721 bewilligte sie keine weiteren Schutzaufnahmen mehr.139 So wie Sibylla Augusta 1723 gegen die Protestanten in der Vorderen Grafschaft Sponheim mit einer großen, vom Kaiser gerügten Härte vorging,140 behandelte sie auch die Schutzjuden. Sie sollten das Pflaster für Rastatt bezahlen, aber die Schutzaufnahmen waren erschwert worden und die Zahl der jüdischen Familien nahm ab, auch wegen neuer Belastungen wie der Pflastersteuer oder des Abzugs.141 In der Nähe der Markgräfin sollten die Juden nicht leben, wie die Bedenken zur Aufnahme von Schutzjuden in Ettlingen nach 1727142 zeigten. „Die fromme katholische Fürstin“,143 als die sie gelten kann, sah in der „Verschönerung“ der Residenz ein Geschenk an ihren Sohn oder eine für ihr Haus nötige Erhöhung des Ansehens; gegenüber den Schutzjuden erwies sie – wohl gerade wegen ihrer rigiden Religiosität – eine unbarmherzige Härte, zur Entlastung der Staatskasse und der Rastatter Bürger, wohl aber auch aus tiefer Abneigung gegen die Juden. Episodenhaft ist für 1722 noch eine andere Verwendung des „Pflastergelds“ sichtbar. Als nämlich der Straßburger Kupferschmied Lorenz Leytel oder Leyzel für gelieferte Waren – Kupfergeschirr für die Hofküche144 – 197 Gulden und 6 Kreuzer forderte, beschloss die Hofkammer, diese Schuld, sicher wegen der Feierlichkeiten des vorhergehenden Jahres entstanden, aus der „Pflastersteuer“ zu bezahlen.145 Die Schutzjuden selbst supplizierten, beschwerten sich und schlugen Kompromisse vor – ohne Erfolg. Arme und reiche Schutzjuden wehrten sich einzeln, in Gruppen und gemeinsam. Die Pflastersteuer konnten die einen nicht zahlen, die anderen wollten es nicht und verließen die Markgrafschaft. Ihr Verhalten lässt sich nicht als ein stummes Erdulden, als bloße Unterwerfung unter den Druck der Regierung charakterisieren. Im Rahmen ihrer Existenzbedingungen gingen die Schutzjuden gegen die neue Belastung vor, wie sich auch Raphael Weil und sein Sohn im folgenden Jahrhundert mit ihren Möglichkeiten gegen die Regierung zur Wehr setzten. In der eigenen Verwaltung kamen wie beim Rastatter Oberamtmann Lassolaye Bedenken über die Angemessenheit dieser Steuer auf, die sich jedoch nicht durchsetzten. Der Diskurs über die Pflastersteuer als eine gerechte oder unge139 Zum Rückgang der Schutzaufnahmen unter Markgräfin Sibylla Augusta nach 1714 siehe S. 56f. 140 Vetter, Eine barocke Fürstin, in: Froese und Walter, Der Türkenlouis, S. 112. 141 Zum „Abzug“ siehe S. 257ff. u. ö. 142 Zur Einstellung von Markgräfin Sibylla Augusta zu Schutzjuden in Ettlingen siehe S. 86f. 143 Vetter, Eine barocke Fürstin, in: Froese und Walter, Der Türkenlouis, S. 112. 144 Zum Kauf von Kupfergeschirr aus der Pflastersteuer siehe S. 353. 145 GLAK 61/258 HK 4.7.1722.

Das „Abzugsgeld“ 

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rechte Steuer hörte auf, kaum dass er sich auch nur angedeutet hatte. Im Gegenteil: Die Verwaltung führte in der Zahlungsweise schärfere Bedingungen ein und überlegte die Erhöhung der Steuer. In manchen Fällen konnten die Steuerpflichtigen über Jahre den Einzug der Abgabe hinauszögern, vielleicht sogar ganz verhindern. 1735 standen von acht namentlich angegebenen Haushalten das „Pflastergeld“ aus, und bei den Bühler und Sprendlinger Juden wurde die Gesamtheit der lokalen Judenschaft als säumige Steuerschuldner angegeben. Bei manchem armen Juden konnte die Steuer wohl gar nicht erhoben werden. Die Schutzjuden verteidigten sich wie direkt nach 1721 auch 1743 gegen die Pflastersteuer in ihrer Gesamtheit mit gemeinsamen Suppliken, ohne Erfolg. Nachdem diese Steuer endgültig durchgesetzt war, verlor sie nach den frühen vierziger Jahren ihre Zweckbindung und wurde eine Mittel zur Bestreitung allgemeiner Ausgaben. Am Beginn des 19. Jahrhunderts war ein Bild der Juden dargestellt worden, dessen Hauptzug in einer an jeden Druck gewöhnten Judenschaft bestand, die dulden musste, was ihr an ungerechter Belastung auferlegt wurde. Sicher gab es im Jahrhundert zuvor gegen die Ungerechtigkeit der Pflastersteuer kein Aufbegehren wie das juristische oder praktisch-revolutionäre nach 1800 in der Familie Weil in Bühl, dennoch, die baden-badischen Juden des 18. Jahrhunderts gingen auf ihre Weise gegen die neue Steuer vor, wenn auch ohne großen Erfolg.

6.3  Das „Abzugsgeld“, eine Steuer für „unerlaubten Wucher“ 6.3.1  „Gleichstellung“ der Juden mit den Christen? Das „Pflastergeld“ war nicht die einzige neue Last, die Markgräfin Sibylla Augusta den Schutzjuden auflud. Die Abzugsteuer146 belief sich auf zehn Prozent des Vermögens, wenn christliche Einwohner die Markgrafschaft verließen oder wenn ein Nachlass Erben außerhalb des Landes zufiel. Sie galt auch für Heiratsgut, das ein Sohn oder eine Tochter erhielt und an einen Wohnort außerhalb der Markgrafschaft mitnahm. Die Steuer galt nicht immer. So gab es zwischen den Markgrafschaften Baden-Baden und Baden-Durlach die „Abzugsfreiheit“. Die christlichen Untertanen im Amt Bühl waren seit 1701, also seit dem Gewinn der

146 Der Abzug, oft auch als Nachsteuer bezeichnet, war eine reichsrechtlich begründete, aber durch Verträge der einzelnen Territorien untereinander oft aufgehobene Steuer. Zur Übersicht für das 18. Jahrhundert Krünitz, Oekonomische Encyklopädie, Stichwort „Abzug“, Bd. 1, Sp. 91 und vor allem „Nachsteuer“, Bd. 100, Sp. 20, in: http://www.kruenitz1. uni-trier.de/ (25.9.2008).

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Die Besteuerung

Landvogtei Ortenau für die Markgrafschaft, vom Abzug befreit, wenn sie in die Ortenau zogen.147 Die Regierung prüfte 1720 die Möglichkeit, die jüdischen Einwohner dieser Besteuerung zu unterwerfen. Die Initiative ergriff dabei der Geheime Rat, der von der Hofkammer geklärt haben wollte, ob der Abzug bisher mit dem Schutzgeld beglichen war. Offensichtlich gab den Anstoß dazu die Nachlassregelung bei Isaac, dem langjährigen Schultheiß in Ettlingen;148 bei seinem Tod lebten Erben außerhalb des Landes oder wollten aus der Markgrafschaft wegziehen. Die Kammer antwortete zunächst, dass es bisher ihres Wissens noch nie ein so großes Erbe wie das von Isaac gegeben habe. Im Prinzip habe sie, die Kammer, keine Bedenken gehabt, alle Juden „frey zu entlassen“, ohne ihnen eine Abgabe aufzulegen. Einige Juden wie Joseph Jacob waren, so die Kammer, sogar hoch verschuldet weggezogen.149 Über das Abzugsgeld sei wohl auch nichts vereinbart worden, als 1698 die Abgaben der Juden festgelegt wurden.150 Fast scheint es, als ob sich die Kammer verteidigen müsste, bis dahin in dieser Sache nichts unternommen zu haben.151 Im folgenden Monat, im September 1720, gab sie eine neue Stellungnahme für den Hofrat ab. Eigentlich hätten, wie sich Kammerrat Dyhlin noch erinnere, 1698 unter Markgraf Ludwig Wilhelm die Juden bei der Abzugssteuer „gleich gestellt werden“ sollen. Sie, die Kammer, habe deshalb zunächst angenommen, dass auch die Erben Isaacs die Steuer zahlen müssten, gerade weil „ihr Vatter ganz ohnbemittelt ins Land kommen und in disseitigem Schutz das Seinige [seinen Besitz] erworben habe, welches doch sonsten der juden ihr haubtmotion [wichtigste Begründung], daß sie keinen abzug schuldig, indeme sie ansehnliche Summen Gelts bey ihrem Einzug ins Land gebracht zu haben vorschüzen [vorgeben].“

Dann aber habe sich aus den Akten ergeben, dass schon verschiedene Schutzjuden das Land verlassen hätten, ohne den Abzug zu zahlen. Auch werde diese Steuer in benachbarten Staaten von Juden nicht erhoben. Um Klarheit zu schaffen, schlug die Kammer vor, die Verpflichtung zu dieser Steuer bei der Schutzaufnahme zu regeln.“152 Da aber nach 1720 vorerst keine Schutzaufnahmen mehr erfolgten, wurde dieser Vorschlag hinfällig.

147 GLAK 61/278 HK 6.3.1741. Zum Abzug in Baden kursorisch Stiefel, Baden, Bd.  2, S. 1239. 148 Zu Isaac als Schultheiß siehe S. 410. 149 Zu Joseph Jacobs Wechsel in den Schutz von Karlsruhe-Durlach siehe S. 166. 150 GLAK 61/256 HK 17.8.1720. 151 GLAK 61/256 HK 17.8.1720. 152 GLAK 74/68, Hofkammer an den Hofrat, 10.9.1720.

Das „Abzugsgeld“ 

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Von einem der Söhne Isaacs, von Abraham Isaac, wurde 1723 bekannt, dass er in die Markgrafschaft Baden-Durlach ziehen wolle.153 Darauf brachte die Markgräfin oder der Geheime Rat den Abzug für Juden wieder ins Gespräch. Es sei, wurde der Kammer mitgeteilt, nicht einsichtig, wenn bei dieser Steuer Juden sich besser ständen als Christen. Dies sei umso weniger gerechtfertigt, als „Vermögliche [Juden], welche das ihrige bey denen Untertanen öfters durch unerlaubten Wucher zusammen gescharrt“ hätten, die Abzugsteuer nicht zahlen müssten. Die Kammer schlug eine Abgabe von zwanzig Prozent vor und wollte sie auch sofort bei Abraham Isaac erheben lassen – von seinem auf 5730 Gulden geschätzten Vermögen 1146 Gulden.154 Die Schutzbürger in der Abzugssteuer den Christen so „gleichzustellen“, lief auf eine weitere Belastung der jüdischen Einwohner hinaus. Sie wurden nicht gleich behandelt, sondern ihre Unterprivilegierung wurde verstärkt: Zum Schutzgeld und zu rechtlichen Einschränkungen sollte eine Steuer hinzukommen, die christliche Untertanen oft, gerade beim Wechsel nach Karlsruhe-Durlach, nicht betraf und doppelt so hoch war wie bei Christen. Nachdem sich diese Steuer 1720 weder als Observanz noch aus den Akten herleiten ließ, noch aus der Praxis in benachbarten Staaten, spitzte die Regierung 1724 die Argumentation zu: Der Abzug wurde als berechtigte Reaktion auf das Verhalten der Juden legitimiert. Die Stereotypenfolge des „Wucherjuden“, der arm ins Land kam, sich mit ungesetzlichen Zinsen und hohen Gewinnen beim Handel auf Kosten der christlichen Untertanen bereicherte, dann noch vorgab, viel Geld ins Land gebracht zu haben und danach mit seinem Reichtum die Markgrafschaft wieder verließ, all das sollte die neue Steuer rechtfertigen. Bei Abraham Isaac reduzierte offensichtlich die Hofkammer ihre Forderung nach dem Abzug auf zehn Prozent; er verweigerte aber auch die Bezahlung von nur 573 Gulden.155 Deshalb ließ die Regierung seine Tuchwaren beschlagnahmen und verkaufen.156 Abraham Isaac ließ sich keinesfalls daran hindern, die Markgrafschaft zu verlassen; ab 1726 bezeichnete ihn der Hofrat als Karlsruher Juden.157 Auch sein Bruder Seligmann Isaac verließ Ettlingen. Er wurde noch in den Jahren 1725158 und 1726159 als dortiger Schutzjude genannt, dann aber im März 1727 als Einwohner von Karlsruhe.160 153 GLAK 61/259 HK 5.11.1723. Zum Selbstbewusstsein von Abraham Isaac in Ettlingen siehe S. 359. 154 GLAK 61/260 HK 21.11.1724 und 12.12.1724. 155 GLAK 61/153 HR 11.5.1725. 156 GLAK 61/261 HK 24.5.1725 157 GLAK 61/154 HR 24.1.1726. 158 GLAK 61/153 HR 5.4.1725. 159 GLAK 61/154 HR 2.5.1726. 160 GLAK 61/155 HR 27.3.1727.

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Die Besteuerung

Beiden Söhnen von Isaac stand als wohlhabenden Juden die Möglichkeit offen, das Land zu verlassen und anderswo den Schutz zu erwerben. Sie erkannten, dass ihnen die baden-durlachischen Verhältnisse bessere Lebenschancen boten und nahmen sie wahr. Diese Möglichkeit hatten arme Juden nicht, die an den Vermögensanforderungen beim Wechsel des Schutzes gescheitert wären. Einen Versuch der Judenschaft insgesamt, sich über die Abzugssteuer zumindest zu beschweren, gab es nicht – nur Einzelne waren betroffen. Die Reaktion auf den Abzug zeigt wie die auf die Pflastersteuer die Unterschiede zwischen den armen und reichen Schutzjuden. Wer arm war, blieb eher „Landjude“. 6.3.2  Immer wieder: Schutzjuden gegen die Abzugssteuer Unter der Regierung von Markgraf Ludwig Georg tauchten 1729 neue Probleme auf. Im März dieses Jahres wollte Blümle, die Witwe von Isaac Lazarus, von Gernsbach und aus der Markgrafschaft wegziehen. Sie klagte gegen die Gemeinschaftsverwaltung der Markgrafschaft und des Hochstifts Speyer. Diese fordere zu Unrecht die Abzugsteuer von ihrem Heiratsgut. Der baden-badische Beamte in Gernsbach rechtfertigte sich damit, dass auch bei den christlichen Untertanen vom Heiratsgut das Abzugsgeld verlangt werde,161 und die Regierung billigte diese Auffassung.162 Zwei Monate später supplizierte der Bühler Schutzjude Lämmle Löw oder Löwel. Der Amtmann verlange von ihm ein zu hohes Abzugsgeld, nachdem er seine Tochter außerhalb des Landes verheiratet hatte. Er selbst sei arm, und das Heiratsgut habe seine Tochter zum Teil als Magd verdient; das Übrige sei „erbetteltes Geldt“.163 Der Amtmann bestätigte, dass sie „viele Jahre in der Fremde gedienet“ habe, auch dass ihr Vater wirklich ein armer Mann sei und von ihm, dem Amtmann, zur „Erbettelung des Brauthschatzes einen bettel brief“ erhalten habe. Er könne allerdings, so gab er an, den genauen Anteil von Liedlohn und erbetteltem Geld nicht angeben. Da Lämmle Löwel nicht völlig vom Abzug befreit werden sollte, schlug der Amtmann vor, wenigstens 5 Gulden und 15 Kreuzer zu verlangen, ein Viertel der ursprünglichen Forderung. Auch hier schloss sich die Regierung, wie vorher bei Blümle, dem Gutachten des Amtmanns an.164 Gegen die Abzugsteuer gingen die Schutzjuden 1732 wieder mit einer Supplik vor. Ein Reskript an die Ämter legte aber fest, dass „die Juden in dergleichen

161 GLAK 61/157 HR 5.4.1729. 162 GLAK 61/157 HR 3.5.1729. 163 GLAK 61/157 HR 7.7.1729. 164 GLAK 61/157 HR 2.8.1729 und 26.8.1729.

Das „Abzugsgeld“ 

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Fällen [des Abzugs] denen übrigen Bürgerlichen Inwohnern aequiparirt [gleich gemacht] und gleich gehalten werden sollen.“165 Im September des Jahres supplizierte Mayer Malsch. Er legte dar, dass seine jüngste Tochter in Bergzabern166 verheiratet sei; bei ihrem Wegzug habe die Hofkammer 1000 Gulden als Heiratsgut berechnet, von dem er aber erst die Hälfte an den Ehemann ausbezahlt habe. Er bat um einen Aufschub für den zweiten Teil des Abzugs, bis er die ganze Zahlung geleistet hätte, wenn ihm dieser Teil nicht erlassen werden könne.167 Am Ende des Monats befasste sich die Hofkammer mit einer anderen Steuerfrage, als wohl schon eine Verordnung über den Abzug der Juden vorbereitet wurde. Die Kammer fragte beim Geheimen Rat wegen des „Landschaftsgeldes“ nach, einer Ablösung für Wachtpflichten von bürgerlichen Untertanen in der Höhe von zwei Prozent des Vermögens. Ob es bei der Auswanderung entsprechend dem Abzug bei den Schutzjuden wie bei den Christen erhoben werden solle, um so die Gleichbehandlung herzustellen?168 Diese Besteuerung unterblieb wohl für die Schutzjuden. Am 10. November des Jahres wurde der Abzug dann endgültig mit 10 Prozent des ausgeführten Vermögens festgesetzt.169 Die Regierung ging bei der Einführung dieser Steuer für die Schutzjuden in zwei Schritten vor. Zuerst setzte sie den Abzug bei der Auswanderung Ettlinger Juden durch.170 Damit bestand noch keine Klarheit, wie die Besteuerung allgemein durchgeführt werden solle. Als der Gernsbacher Vogt Krieg wegen Blümle in Gernsbach befragt wurde, rechtfertigte er sich mit dem Hinweis, diese Steuer gelte für Christen und er habe daraus geschlossen, dass er sie auch bei Blümle erheben solle. Der zweite Schritt erfolgte mit der Besteuerung des Heiratsgutes für Söhne oder Töchter, die sich außerhalb der Markgrafschaft niederließen.171 Bei beiden Schritten berief sich die Regierung auf die Gleichbehandlung der Schutzjuden mit den Christen. Bis dahin scheint die Vorstellung geherrscht zu haben, das Schutzgeld sei ein ausreichendes Äquivalent für den Abzug und andere Steuern, die die christlichen Untertanen tragen mussten. Jetzt, 1732, hatte sich die Vorstellung endgültig verändert. Der Abzug für Juden wurde als Element der Gleichheit in der Steuerbelastung für Juden und Christen gerechtfertigt. Eine Reflexion, die 165 GLAK 61/268 HK 18./19.6.1732. 166 Bergzabern (Bad Bergzabern) im Landkreis Südliche Weinstraße (Rheinland-Pfalz), gehörte 1732 zur Kurpfalz. 167 GLAK 61/160 HR 4.9.1732. 168 GLAK 61/268 HK 26./27.9.1732. 169 Härter und Stolleis (Hg.), Repertorium, Bd. 4, S. 510, Nr. 380. 170 Zum Abzug bei den Söhnen Isaacs siehe S. 358f. 171 Wie aus der Forderung des Abzugs bei der Tochter Löwels hervor geht, galt auch bei der Heirat nach Durbach, in die Herrschaft Staufenberg, keine Abzugsfreiheit.

362 

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Die Besteuerung

der Gesamtsituation der Schutzjuden entsprochen hätte, fand nicht statt. Die Regierung setzte sich auch darüber hinweg, dass die christlichen Einwohner der Markgrafschaft selbst unterschiedlich behandelt wurden: Mit einigen benachbarten Territorien existierten Abmachungen über einen gegenseitigen Verzicht auf eine Abzugsgebühr. Zu den weiteren Widersprüchen gehörte, dass die Schutzbürger anders als die christlichen Untertanen selbst dann besteuert wurden, wenn sie von den Kerngebieten etwa in das Amt Staufenberg, nach Durbach, wechselten wie die Tochter Lämmle Löwels.172 Gegen das Heiratsgut als Bemessungsgrundlage beim Abzug gingen die Schutzjuden zuerst individuell vor, indem sie sich auf seine Zusammensetzung beriefen: Es bestehe nicht immer nur aus väterlichem Vermögen. Damit erhielten sie im Einzelfall eine Ermäßigung des Abzugs. Dann supplizierten die Schutzjuden als „Judenschaft“, allerdings ohne Erfolg. In manchen Fällen bedeutete die Abzugsteuer für die Schutzjuden und ihre Familien eine erhebliche Belastung – für die Regierung einen beträchtlichen Gewinn. Nach dem Tod des Oberschultheißen Isaac Bodenheimer 1737 stellte die Hofkammer fest, dass aus seiner Hinterlassenschaft Teile „hinauf“ nach Durbach im Amt Staufenberg und nach Pforzheim vererbt würden. Nur die Hälfte des Erbes – 575 Gulden – blieb unbesteuert in der Markgrafschaft, indem sie auf Mayer Bodenheimer und Löw Bodenheimer in Bühl überging. Die übrigen zwei Viertel waren der Steuer unterworfen, sowohl beim Übergang an Hayum Bodenheimer in Durbach, in der Herrschaft Staufenberg, wie an die Kinder von Jacob Bodenheimer in Pforzheim. Die Summe des außer Lands bzw. in die Herrschaft Staufenberg gehenden Vermögens belief sich hierbei auf 1725 Gulden, von denen 172 Gulden und 30 Kreuzer Abzugsgeld erhoben wurden.173 1736 musste auch Mayer Malsch für das Hochzeitsgut seiner Enkelin Abzugsgeld zahlen; ihm misstraute offensichtlich die Regierung hinsichtlich des Anteils am Heiratsgut, den er beitrug. Der Hofrat ließ Mayer Malsch durch den Judenschultheißen Samson Schweitzer im Beisein von Anwald Mayer Bodenheimer und von Isaac Israel zunächst dazu verhören, wie die Aussteuer zu Stande gekommen sei. Mayer Malsch antwortete, dass er selbst seiner Enkelin, einer Waise, nur 445 Gulden versprochen habe; Jäckel in Bretten, sein Bruder, gebe ihr 280 Gulden, „die freundschaft“, Verwandte also, 520 Gulden. Darauf ordnete der Rat an, Mayer Malsch müsse vor dem Rabbiner und dem Schultheißen der Juden diese Angaben beschwören.174 Nur unter der Bedingung, dass Mayer Malsch seine Aussagen beeiden würde, erklärte sich der Hofrat bereit, seine Darstellung zu akzeptieren und die geforderte Summe auf ein Zehntel von den 445 Gulden 172 GLAK 61/157 HR 2.8.1729. 173 GLAK 74/68, Landrabbiner, Oberschultheiß Samson Schweitzer und Anwald Daniel Cassel an die Regierung, 26.6.1736. 174 GLAK 74/68, „Verhörprotokoll, 17.4.1736.

Das „Abzugsgeld“ 

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zu reduzieren, die Mayer Malsch seiner Enkelin gab.175 Bei ihm beharrte die Hofkammer auch auf dem Abzugsgeld, als er bei einer neuen Heirat einer verwitweten Tochter 1740 um den Nachlass der Abgabe bat.176 Selbst kleine Summen wurden eingezogen. Im Falle einer namentlich nicht genannten „Judenmagd“ in Malsch meldete 1748 der dortige Amtskeller, ihre Mutter, eine „arme Frau“, könne ihrer Tochter nur ein geringes Heiratsgut von 50 Gulden mitgeben. Allerdings würden noch 100 Gulden dazukommen, welche die Braut als Magd verdient habe oder die ihr geschenkt wurden. Die Hofkammer entschied sich auch hier dafür, nur die 50 Gulden mütterliches Heiratsgut zu besteuern.177 Bei einer Tochter des Muggensturmer Schutzjuden Abraham Joseph wurde 1751 20 Gulden Abzugsgeld gefordert, wogegen er Beschwerde erhob. Er berief sich darauf, dass das Heiratsgut seiner Tochter – 200 Gulden – Liedlohn sei und von ihr sogar außerhalb des Landes verdient wurde. Die Hofkammer räumte ein, dass diese Argumente grundsätzlich stichhaltig seien, und verlangte vom zuständigen Oberamtmann Lassolaye nähere Informationen.178 Die Frage, ob Abzugsgeld von einem aus Liedlohn herstammenden Heiratsgut berechtigt sei, war also 1751 noch immer nicht endgültig geklärt. Die Bedeutung der Abzugsteuer im einzelnen Falle anzugeben, ist sicher schwierig. Die Erben Isaac Bodenheimers verloren eine Summe, die dem Wert eines kleinen Hauses entsprach. Schutzjuden, die mehrere Töchter und noch eine Enkelin ausstatteten wie Mayer Malsch, trugen mehrfach die Belastung durch diese Steuer. In vielen Fällen, in denen der Abzug umstritten war, gestand die Regierung – meistens wird dabei der Markgraf selbst genannt – eine Reduktion zu. So auch im Fall des Hanau-Lichtenberger Schutzjuden Mayer Mannheimer aus dem elsässischen Buchsweiler (Bouxwiller), der 1768 für seine Tochter supplizierte.179 Sie war in Ettlingen mit dem dortigen Schutzjuden Feist Jonas verheiratet gewesen, der drei Monate nach der Heirat starb. Nun kehrte sie zu ihrem Vater nach Buchsweiler zurück. Die Regierung aber forderte von ihrem Vermögen Abzugsgeld.180 Die Kammer verschob das Problem auf die Frage des „Pflastergelds“. Sie informierte den Hofrat darüber, dass Feist Jonas nur drei Monate den Schutz innehatte; sie schlug vor, jedenfalls die Pflastersteuer in der Höhe von 171 Gulden ganz oder teilweise zu erlassen.181 Noch im folgenden Jahr beschäftigte sich die Hofkammer mit diesem Fall. Sie errechnete, dass die Witwe von Feist Jonas mit ihrer Rückkehr nach Buchsweiler 2485 Gulden außer Landes gebracht hatte. 175 GLAK 61/165 HR 3.5.1736 Nr. 8. 176 GLAK 61/277 HK 12.2.1740. 177 GLAK 61/285 HK 21.11.1748. 178 GLAK 61/288 HK 15.1.1751. Ob eine Klärung erfolgte, ließ sich nicht feststellen. 179 GLAK 61/327 GRAP 28.9.1768 Kammerberichte. 180 GLAK 61/306 HK 17.8.1768 Nr. 2488. 181 GLAK 61/327 GRATP 28.9.1768 Kammerberichte.

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Die Besteuerung

Inzwischen habe der Markgraf einen Nachlass von einem Drittel des geforderten Abzugsgeldes zugestanden, berichtete das Amt Ettlingen – bei dieser Regelung blieb es.182 Einen ähnlichen Nachlass hatte auch Hirschel Weil in Kippenheim für ein „Pflegekind“ erhalten, einen Nachlass von 30 Gulden bei einer Forderung von 160 Gulden, „ex Speciali gratia“, aus einer besonderen Gnade.183 Bei diesem Vorgehen ging es wohl um das Bild der Juden und Jüdinnen, die als Untertanen erscheinen sollten, denen der Fürst mit Gerechtigkeit, Milde und Gnade entgegentrat. Diese Züge im Selbstbild des Markgrafen dürfen nicht verdecken, dass es auch um etwas anderes ging. Die Abzugssteuer berührte immer das Verhältnis der Regierung nach außen, zu benachbarten Fürsten. Gerade im Falle der Grafschaft Hanau-Lichtenberg, schon seit 1680 in ihrem linksrheinischen Teil unter französischer Oberhoheit (und seit 1736 Teil der Landgrafschaft Hessen-Darmstadt) erschien wohl der Regierung in Rastatt, in vielen Belangen von äußeren Mächten abhängig, Entgegenkommen gegenüber den dortigen Juden und vor allem ihrer Regierung durchaus als angemessen.

182 GLAK 61/307 HK 27.5.1769 Nr. 1583. 183 GLAK 61/301 HK 29.3.1763 Nr. 31.

7  Die Vermögensentwicklung bei den Schutzjuden   im Kerngebiet der Markgrafschaft Es lässt sich kaum abschätzen, wie sich die steuerliche Belastung der Schutzjuden auf die Entwicklung ihres Vermögens auswirkte, damit indirekt auf ihre wirtschaftlichen Möglichkeiten. Zu den Jahren 1709 und 1755/56 existieren Angaben über das Vermögen der einzelnen Familienväter, die den zeitlich am weitesten auseinanderliegenden Rahmen bilden, innerhalb dessen sich die Vermögensentwicklung verfolgen lässt. Für 1709 liegen keine Angaben für das Oberamt Mahlberg und das Amt Staufenberg vor; deshalb ist der Vergleich auf die jüdischen Familien im Kerngebiet der Markgrafschaft um die Residenzen beschränkt. Die jeweiligen Angaben geben nicht das gesamte Vermögen wieder. Der Hausbesitz wurde, wie wohl schon 1709, bei der Einschätzung des Vermögens 1755/56 nicht einbezogen, als es um die „Vermählungssteuer“ bei der zweiten Heirat des Markgrafen Ludwig Georg ging. Jeder Schutzjude wurde darüber aufgeklärt, dass er „die Barschaft, das Gold, Silber, Jubelen, Kaufmanns- und andere Handelswaaren, Item Wein [zum Handel], Früchte(n) [Getreide] zum Handel, Viehe, Wechselbrief“ anzugeben hatte; die ausstehenden Forderungen der Schutzjuden wurden unterschiedlich, je nach ihrer Sicherheit, berücksichtigt.1 Bei Witwen wurde „nach Jüdischem gebrauch, und Ceremonien“, nach der Tradition und dem Recht der Juden, nur die Hälfte dessen gerechnet, was sie geerbt hatten.2 Bei mittellosen Schutzjuden wurden 1709 100 Gulden,3 im Jahr 1755 indessen 150 angesetzt, auch wenn kein entsprechendes Vermögen existierte.4 Auch über diejenigen Juden und Jüdinnen, die als Knechte und Mägde lebten, darunter auch Geschwister der Haushaltsvorstände oder andere Verwandte, enthalten die überlieferten Angaben nichts. Die relative Entwicklung der Vermögen in den Familien lässt sich dennoch beobachten; sie ist in der Tabelle XIV, Vermögensentwicklung im Kerngebiet der Markgrafschaft, dargestellt (S. 336ff.).

1 GLAK 74/7272, „Extractus Commissions Protocollj ...“, 17, 18. und 19.12.1755. 2 GLAK 74/7272, „Commissions Protocollum“, 17., 18. und 19.12.1755. 3 GLAK 74/7139, Oberamtmann Holl an die Hofkammer, 5.7.1709, Anlage A, „Designation“, Randbemerkung zu den Schutzjuden von Kuppenheim, die alle als „Betteljuden“ bezeichnet wurden. 4 GLAK 74/7272, „Extractus Commissions Protocollj...“, 17., 18. und 19. 12.1755, Bl. 8v mit der Aussage von Joseph Salomon, dass nach dem jüdischen Recht „der Armbste 150 fl verschazen müsste.“ Entsprechende Aussagen machten weitere arme Schutzjuden.

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Die Vermögensentwicklung bei den Schutzjuden

Tabelle XIV:  Vermögensentwicklung im Kerngebiet der Markgrafschaft5 Ort

Vermögen 1709

Bühl

Isaac Bodenheimer Schmaul

Gulden 800 1000

Aron Gernspach

600

Maron

100

Moyses

200

Lämmel

200

Coppel Abraham

100

Vermögen 1756 Löw Bodenheimer Elias Schmaule

Gulden 150 600

Joseph Elias

3100

Hertz Elias

2100

Löw Elias

1200

Maron Gernsbacher

150

Abraham Lämle

200

Hayum Lämle

150

Abraham Isaac

750

Simon Schweitzer

150

Kaufmann Schweitzer

150

Benjamin

150

Joseph Jacob

150

Moses Siessel

150

Gottlieb Siessel

150

500

Joseph der Schultheiß

3000

Salomon, sein Schwiegersohn

1000

Aron der Blinde

100

Löwel

400

Abraham Löwel

200

Samuel

200

5 Die Reihenfolge orientiert sich an der Liste von 1709 und an den rekonstruierbaren verwandtschaftlichen Beziehungen. Diese sind durch Doppellinie eingerahmt und durch farbige Markierung hervorgehoben. Die Schreibung der Namen entspricht den Archivalien und wurde nicht an die Schreibung in der Darstellung angepasst. Die Nachweise für die Verwandtschaft wurden hier nicht eingearbeitet, können aber aus der Darstellung entnommen werden.

Die Vermögensentwicklung bei den Schutzjuden 

Ort

Vermögen 1709

Gulden

Rastatt

Matz Schweitzer Heyum Moyses Samson Cassel

3000 1800 1000 2500 800

Stollhofen Kuppenheim

Ettlingen

Vermögen 1756

Daniel Cassel Zacharias Cassel Gottschel Cassel Lazarus Raphael Raphael Jacob Witwe

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Gulden

700 600 400 2200 750

Elias Joseph Isaac Löwel Moyses Schmuel Löwel

100 200 200 150 100 150 300

Faist Löwel

150

Jonas Itzig des alten Jonas Sohn

100 100

Raphael Juda Liebermann Joseph Jonas Salomon Jonas

200 150 150 250

Itzig der Alte Jonas des Itzigs Tochtermann Jäckhel Calmel

100 100 100 100 Löb Isaac Faist Isaac Moses Jacob Moses Lewels Witwe Jacobs Witwe

200 250 150 150 150

Itzig Seeligmann, Itzigs Sohn Natan, Itzigs Sohn Abraham, Itzigs Sohn Jost

6000 1200 750 2500 1000

Herz Jost Jacob Herz

7000 1800

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Die Vermögensentwicklung bei den Schutzjuden

Ort

Vermögen 1709

Malsch

Coppel Jäckel Mayer

Muggensturm

Joseph

Gernsbach Hörden Summe Anzahl der Haushalte Durchschnitt der Vermögen (in Gulden)

Israel

Gulden

Vermögen 1756

Gulden

200 150 1200 Nathan Marx Joseph Salomon Götschel Löwel Gumbel Löw Abraham Elias Kahn 200 Abrahams Witwe Joseph Schmaul Nathan 1500 David (1755) Nathan Marx 34000 43 790

700 150 150 150 150 200 150 150 150 400 150 26900 43 629

Die erhebliche Verarmung der baden-badischen Schutzjuden ist unverkennbar: Im Durchschnitt sank ihr Vermögen um 20,44 Prozent. 1706 besaßen 5 Haushaltsvorstände ein Drittel des Vermögens, 1755/56 waren es 6. Das Durchschnittsvermögen fiel von 790 Gulden 41 Kreuzer auf 629 Gulden 19 Kreuzer; die Zahl der sehr Armen (mit höchstens 100 oder 150 Gulden) stieg um mehr als das Doppelte von 11 auf 23. 1709 lagen 27 Schutzjuden unter 800 Gulden, die eigentlich als Mindestvermögen bei der Aufnahme verlangt waren, 1755/56 waren es 37. Die Tendenz zur Kontinuität der Vermögenshöhe in den Familien ist deutlich erkennbar, oder einfacher gesagt: Juden aus Familien mit Vermögen hatten, der Tendenz nach, wieder Vermögen, arme Juden blieben arm: 1709 besaßen 5 Familien die Hälfte des Vermögen, 1756 4 etwas mehr als die Hälfte. Die jüdische Gesellschaft, das zeigt der Vergleich der Diagramme über die Vermögensentwicklung (Abbildung 14, Vermögensverteilung 1709 und 1755/56) überaus deutlich, teilte sich auf in Arm und Reich, vor allem indem die mittleren Vermögen abnahmen, die Zahl der kleinen und kleinsten Vermögen sich aber erhöhte. Dem Vermögen nach etablierten sich am oberen Rand der jüdischen Gesellschaft ländliche Handelsleute und Hoflieferanten, am unteren Rand war ein wesentlicher Teil der Judenschaft einem Verarmungsprozess unterworfen:6 Statt 11 vermögensloser Haushaltsvorstände wie 1709 gab es 1755/56 17 Haus6

Battenberg, Die Juden in Deutschland, S. 32 und S. 45–47.

Die Vermögensentwicklung bei den Schutzjuden 

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halte, die 100 Gulden, meistens wohl gar nichts an Vermögen besaßen. Jedenfalls befand sich, unter dem Aspekt des Vermögens, die „Mitte“ der Judenschaft im Kerngebiet der Markgrafschaft in Auflösung. Die finanziellen Verhältnisse waren für die Mehrheit der Schutzjuden um die Jahrhundertmitte kritisch, wenn man die Ergebnisse einer Untersuchung für Emden im Jahr 1752 als Hintergrund nimmt. Danach bot ein Vermögen von 1200 Gulden gerade noch ausreichend Sicherheit.7 Auch wenn die Übertragung dieser Ergebnisse auf den ländlichen Raum der Markgrafschaft problematisch sein dürfte, waren es nur wenige Haushalte, nämlich sechs im Kerngebiet des Landes, die diese Sicherheit erreicht hatten, und ganz viele Haushalte waren von ihr unüberbrückbar entfernt. Ebenso weit entfernt waren die markgräflichen Schutzjuden von der Aufwärtsentwicklung eines Mittelstandes, wie sie für Berlin bzw. Preußen zur Zeit Friedrichs II. feststellbar ist.8 Die Ursachen dieser Situation waren vielfältig: Wohlhabende wie die Nachfahren Isaacs von Ettlingen zogen nach Karlsruhe,9 die Regierung verschärfte die Steuerlast z. B. durch „Pflastergeld“10 und Abzugssteuer,11 Erbteilungen wie bei der Familie Bodenheimer in Bühl schwächten das Vermögen,12 wirtschaftliche Entwicklungen wie etwa eine Schwächung des Handels oder die Konkurrenz im Handel kamen hinzu. Zu klären bliebe, warum die Entwicklung im Oberamt Mahlberg anders verlief, wo das durchschnittliche Vermögen 1756 bei 1774 Gulden lag und von 17 Schutzjuden 10 über 800 Gulden Vermögen besaßen und nur 2 höchstens 150 Gulden.13 Für die Regierung waren und wurden viele Schutzjuden immer mehr „Bettler“, wie etwa alle Kuppenheimer Juden bezeichnet wurden,14 nicht weil sie unbedingt von Almosen anderer Juden lebten, sondern auf sie in ihrer Armut das Stereotyp des „Betteljuden“ verwendet wurde. Äußerungen der Regierung selbst führen zu Ansätzen, die Probleme zu erklären, die den markgräflichen Schutzjuden den Ausweg aus Armut oder Verarmung erschwerten. 1737 verhandelten Herz Lazarus und David Kaufmann, die beiden Schutzjuden in Gernsbach, mehrere Monate mit der Hofkammer über die Einrichtung einer „Aschenadmodiation“. Für die Herstellung der Pottasche 7 Liberles, An der Schwelle zur Moderne, in: Kaplan, Geschichte des jüdischen Alltags, S. 88. 8 Zur Entwicklung in Preußen Breuer, Frühe Neuzeit und Beginn der Moderne, in: Breuer und Graetz (Hg.), Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. 1, S. 146. 9 Zum Wechsel von Abraham und Seligmann Isaac nach Karlsruhe-Durlach siehe S. 224. 10 Zur Pflastersteuer siehe S. 359ff. 11 Zur Abzugssteuer siehe S. 340ff. 12 Zu den Erbansprüchen nach dem Tod von Isaac Bodenheimer siehe S. 357ff. 13 GLAK 74/7272, „Commissions Protocollum“, 17., 18. und 19.12.1755, „Specificatio“, ohne Einzelnachweise. 14 GLAK 74/7139, Oberamtmann Holl an die Hofkammer, Beilage A, „Designation“, 5.7.1709, Randbemerkung zu den Schutzjuden von Kuppenheim, die alle als „Betteljuden“ bezeichnet wurden.

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Die Vermögensentwicklung bei den Schutzjuden

wollten sie eine Siederei bei Hörden im Amt Gernsbach einrichten. Im Juni des Jahres wurden ihre Pläne konkret: Sie zielten auf ein Monopol für sechs Jahre zum Sammeln, zum Aufkauf der Asche. Diese wollten sie unter der Aufsicht eines Juden bearbeiten lassen, der sich damit auskannte. Für dieses Monopol forderte die Hofkammer jährlich 30 Reichstaler Gebühr.15 Die Kammer prüfte zunächst vor allem, ob es nicht für die Regierung mehr Gewinn brächte, wenn sie die Pottasche selbst herstellen ließe. Sie sah bei jüdischen Admodiatoren einen Vorteil: Für das Einsammeln der Asche könnten sie billigere Arbeitskräfte beschäftigen, denn Juden als Aschensammler würden nicht so viel „Eßwar“ brauchen, und man müsste ihnen auch nicht so viel „Rauchtabacc“ zur Verfügung stellen wie christlichen Arbeitskräften. Unter diesen Voraussetzungen entständen für jüdische Admodiatoren geringere Kosten, und sie könnten deshalb mit geringeren Gewinnen auskommen als christliche.16 Im September 1737 schloss die Hofkammer mit Herz Lazarus und David Kaufmann einen Vertrag über die Admodiation ab; diesem trat der Rastatter Schutzjude Daniel Cassel als dritter Teilhaber bei.17 Allerdings zeigten sich auch bei dieser Admodiation die gewohnten Schwierigkeiten: Daniel Cassel beschwerte sich bald darüber, dass „Unterschleife“ vorkämen und trotz der nun bestehenden Admodiation andere Pottaschensieder weiter ihrem Gewerbe nachgingen.18 Eine Generation später befand sich die Aschenadmodiation für einige Ämter in der Hand nichtjüdischer Unternehmer. Zu ihnen gehörte der Hofglaser Anton Dürr von Rastatt. Auch er beklagte sich 1761 darüber, dass seine Rechte verletzt würden: Fremde kauften zu seinem Nachteil Asche.19 In Ettlingen betrieb 1762 der Handelsmann Tagliasacchi das Sammeln und Sieden der Asche.20 Für die Ämter Baden-Baden und Steinbach supplizierte in diesem Jahr ein Bürger aus Haueneberstein namens Philipp Kraus wegen der Admodiation.21 Jüdische Interessenten an der Admodiation traten zu dieser Zeit nicht mehr auf, ohne dass die Gründe dafür erkenntlich wären. Jüdische Admodiatoren lebten also wie ihre „Knechte“ unter dem Druck der Konkurrenz. Geringe Profite, geringe Löhne – auch das könnte wie andere strukturelle Faktoren die Armut oder Verarmung erklären. Ähnlich verhielt es sich im Handel. Als es 1738 um die Aufnahme von Samson Mathias22 ging, berichtete

15 16 17 18 19 20 21 22

GLAK 61/274 HK 28.6.1737. GLAK 61/274 HK 8.8.1737. GLAK 61/274 HK 19.9.1737. GLAK 61/274 HK 4.11.1737. GLAK 61/300 HK 7.8.1762 Nr. 30. GLAK 61/194 HR 28.1.1762 Nr. 20. GLAK 61/300 HK 27.5.1762 Nr. 28. Zur Aufnahme von Samson Mathias siehe S. 69, Tabelle IV, Nr. IV.31.

Die Vermögensentwicklung bei den Schutzjuden 

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Amtmann Hornus dazu über die Suche nach einem Christen, der dort den Handel treiben könnte: „...es hätte sich aber niemand gemeldet, massen [weil] allda keine solche trafique [Handel] zu führen, von welchem sich ein Christ mit seiner famille, wohl aber ein Judt, wegen seiner menagierter oeconomie subsistiren [wegen seines sparsameren Haushaltens existieren] könnte.“23

Juden könnten also, weil sie sparsamer zu leben bereit waren, ihre Subsistenz sichern, ein Christ sei zu einer so einfachen Lebensweise nicht bereit. Juden übernahmen also, um überhaupt ihre Existenz zu sichern, auch da wirtschaftliche Aktivitäten, wo Christen angesichts mangelnder Erträge nicht mehr tätig sein wollten.

23 GLAK 61/34 GR 25.10.1738 Nr. 45.

8  Delinquenz 8.1  Samuel von Rastatt, der eine „Christin Zur unzucht habe nötigen wollen“ 1713 befasste sich der Hofrat mit dem Verfahren gegen Samuel in Rastatt. Er habe versucht, so die Anklage, eine namentlich nicht genannte christliche Frau sexuell zu „nötigen“. Die Anschuldigung beruhte auf der Aussage eines Zeugen namens Joseph Walter. Aus der Sicht des Hofrats sprach gegen Samuel, dass er einen schlechten Ruf hatte und bereits im Jahr zuvor eines ähnlichen Delikts verdächtigt wurde.1 Dabei ging es wohl um die Schwängerung einer jüdischen Magd in Rastatt namens Rüfel.2 Samuel, so wurde im Hofrat ausgeführt, sei beinahe zu seinem Ziel gekommen, und sein Verhalten entspreche dem vieler Juden; „der gemeinen red nach“, nach dem, was viele Untertanen äußerten, und nach der Aussage des Pfarrers in Kuppenheim würden die Juden, die „schelme“,3 generell „die profession machen, mit Christinnen unzucht zu treiben“, die Unzucht mit Christinnen wie einen Beruf betreiben. Ähnlich äußerte sich ein anderer Hofrat: Die Juden würden, wie er vernehme, „Von dem Stupriren der Christinnen im Landt ein Handtwerckh“ machen, der Unzucht mit christlichen Frauen also gewohnheitsmäßig, wie einem Handwerk nachgehen. Bei so vielen Beschwerden über die Juden, so ein drittes Hofratsmitglied, sei als „exempel“ eine hohe Geldstrafe nötig, und ein weiterer Rat plädierte sowohl für eine Geldstrafe wie für den Landesverweis, um so das „leichtfertige Juden-gesindel“ abzuschrecken. Es sei, so die letzte Äußerung im Rat, der ganz schlechte Ruf Samuels und „die qualitas Judaica“, die „jüdische Art“, die das Verhalten Samuels so schlimm mache. Hofrat Eckhart, der dies sagte, brachte das Verbrechen Samuels auf diese Weise mit einem angeblichen Wesensmerkmal jüdischer Menschen generell in Verbindung: Juden neigten zur Unzucht. Sexuelle Beziehungen zwischen den Angehörigen der christlichen und jüdischen Gesellschaft galten in der Frühen Neuzeit als ein Verbrechen.4 Entsprechend wurde Samuel zu einer Geldstrafe und zum Landesverweis verurteilt, allerdings unter dem Vorbehalt, dass der Zeuge seine Aussage wirklich beeiden 1 GLAK 61/142 HR 12.12.1713. 2 Zu Rüfel siehe S. 519ff. 3 Das Wörterbuch von Grimm führt unter „Schelm“ die hier möglichen Bedeutungen von „Betrüger“ auf, als eine oft für Juden gebrauchte Bezeichnung, daneben auch „Schelm“ als Bezeichnung für eine das Vieh und die Menschen ansteckende Krankheit. 4 Zur Frage der sexuellen Beziehungen unter dem Aspekt des Ehrverlustes für Juden und Jüdinnen Monika Preuß, ...aber die Krone des guten Namens, S. 128f.

„Genau acht haben“ 

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würde.5 Anfang Januar 1714 bat Samuel über seinen Schwiegervater den Hofrat um Entlassung aus dem Gefängnis, in dem er „wegen an einer Christin begangenen Muthwillens [Unzucht, Notzucht] sitzt.“6 Der Rat machte die Freilassung davon abhängig, dass die Kosten des Verfahrens von jüdischer Seite übernommen würden, und überhaupt müsse noch die Vereidigung des Zeugen erfolgen.7 Über den weiteren Verlauf des Verfahrens oder über den Vollzug der Strafe scheinen keine Informationen vorzuliegen. Der Zeugenbeweis als einziger Beweis lässt Zweifel zu, ob der Vorwurf gegen Samuel berechtigt war; ähnlich verhält es sich mit dem „Ruf“ Samuels und seiner Verwicklung in Ereignisse, die mit der jungen Frau Rüfel zusammenhängen.8 Unzweifelhaft aber lässt sich die stereotype Vorstellung des jüdischen Menschen erkennen, dem sexuelles Fehlverhalten eigen ist, besonders des Mannes, der christliche Frauen sexuell bedrängt.

8.2  „Genau acht haben“ Als in Gernsbach 1728 Isaac Lazarus starb, wies der Hofrat den dortigen badischen Vogt Krieg an, die Inventur vorzunehmen. Er solle dabei, befahl der Rat, „In Sonderheit genau acht haben, ob sich in dem Sterbehaus nicht etwan verdächtige Sachen, wie es unter der Hand verlauthen, befindlich seyn mögten.“9 Das Gerücht war entstanden oder laut geworden, dass „verdächtige Sachen“ vorhanden waren: Der Vogt sollte nicht etwas Bestimmtes suchen, sondern nach allem, was einen Verdacht gegen Isaac Lazarus bestätigen könnte. Vier Monate später berichtete Vogt Krieg: Er habe im Vorjahr auf Befehl der Regierung Isaacs Bruder Herz Lazarus die Lieferung von Salz für die Stadt Gernsbach „aufgekündigt“, den Vertrag über den Salzhandel für beendet erklärt. Dann seien keine weiteren Anweisungen mehr erfolgt, und Herz Lazarus habe in der Zwischenzeit weiter Salz geliefert. Das könnten die Einwohner der Stadt aber – mit Vorteilen – direkt von einem Straßburger Salzlieferanten namens Sommer

5 GLAK 61/141 HR 12.12.1713. 6 „Mutwillen“ wie das entsprechende Adjektiv korrespondierte im Zusammenhang mit der Anklage Samuels durchaus mit „Unzucht“, „Notzucht“ und „geil“ in seiner sexuellen Konnotation und stellte wohl keine Abschwächung des Verdachts dar. 7 GLAK 61/142 HR 2.1.1714. 8 Bei seiner Verwicklung in den Fall Rüfels konnte Samuel kein sexueller Kontakt mit der jungen Frau nachgewiesen werden. 1712 spielte der Ruf Samuels noch keine Rolle; es ist anzunehmen, dass sein Ruf bzw. seine Ehre bis dahin nicht beeinträchtigt war und im folgenden Jahr nur die vorhergehenden Verdächtigungen relevant wurden. 9 GLAK 61/156 HR 13.1.1728.

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Delinquenz

beziehen, dieser Überzeugung seien auch alle Vertreter der Stadt. Der Hofrat billigte den Vorschlag.10 Offensichtlich war im Haus von Isaac Lazarus nichts gefunden worden, was auf einen Bruch von Gesetzen hingewiesen hätte. Der Verdacht war nun auf seinen Bruder Herz Lazarus übertragen, auf sein wirtschaftliches Verhalten. Er habe, darin waren sich Vogt und Stadtvertreter einig, den Einwohnern von Gernsbach zu schlechte Bedingungen bei der Lieferung von Salz eingeräumt. Beweisen oder begründen brauchte man diesen Verdacht nicht.

8.3  „Nichts nutz“, und immer wieder: Verdacht auf Hehlerei Kendel, die Witwe eines Rastatter Schutzjuden,11 war mit einer Diebin in Verbindung geraten, mit Catharina Bechtler aus Basel, der die Flucht gelang. Im November 1728 beschloss der Hofrat, Kendel und eine Christin namens Maria Strebler als Käuferinnen der von Catharina Bechtler gestohlenen Gegenstände auszuweisen.12 Kendel bat im Februar 1729 um die Aufrechterhaltung des Schutzes.13 Ende Oktober des Jahres berichtete der Rastatter Oberamtmann Lassolaye, dass er der Witwe, wie ihm aufgetragen worden sei, den Schutz „aufgekündiget“ habe. Lassolaye fügte noch einen Bericht über die zwei Söhne Kendels bei: Sie würden „gleichfals nichts nutz seyen, sondern im Land herum vagiren [herumziehen], schechen allerhandt Viehe undt tragen solches zum Verkaufen in dörfern herum, haben auch keiner weithers keinen schutz.“ Darauf verfügten Markgraf und Geheimer Rat auch ihre Ausweisung.14 Isaac, einer der beiden Söhne Kendels, befand sich zu dieser Zeit in BadenBaden im Gefängnis; seine Mutter supplizierte wegen seiner Freilassung, die darauf gewährt wurde. Nochmals erging die Anweisung: Er und sein Bruder müssten wie andere schutzlose Juden das Land verlassen.15 Erneut bat Kendel für sich um den Erhalt des Schutzes. Am gleichen Tag berichtete der Baden-Badener Amtmann Schweinhuber dem Hofrat über ihren Sohn Isaac. Er habe diesen, einen „Knecht“ Hayum Flörsheims, aus dem Land bringen lassen; eine Forderung an Isaac in der Höhe von 4 Gulden könne eingetrieben werden, wenn das Haus Kendels, wie bereits beschlossen, verkauft würde. 10 11 12 13 14 15

GLAK 61/156 HR 24.5.1728. Namensvarianten: Kändle und Kändtel. GLAK 61/156 HR 16.11.1728. GLAK 61/157 HR 1.2.1729. GLAK 61/157 HR 29.10.1729. GLAK 61/157 HR 3.11.1729.

Verdacht auf Hehlerei 

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Der Hofrat ließ darauf Kendel zur Zahlung dieser Schulden ihres Sohnes auffordern.16 Sie indessen hoffte noch immer auf den Erhalt ihres Schutzes. Im März 1730 supplizierte sie deshalb nochmals, mit der Begründung, sie sei schon sehr alt und sie würde gerne bis zu ihrem Tod in Rastatt bleiben. Wieder lehnte die Regierung ihre Bitte ab.17 Der Blick der Regierung auf Kendel und ihre Söhne war nicht nur auf die Verwicklung der Mutter in einen Diebstahl gerichtet. Sie und ihre Söhne wurden als Menschen angesehen, die für den Staat ohne Nutzen waren. Dazu kam die Verbindung des einen Sohnes mit Hayum Flörsheim, der zu dieser Zeit unter dem Verdacht eines „Verbrechens“, eines Akzisebetrugs, in Misskredit geraten war.18 Beide Söhne wurden des „Vagierens“ verdächtigt, eines Herumziehens, bei dem sie mit ihrem unkontrollierbarem Schächten als Konkurrenten örtlicher Metzger galten. Isaac und sein Bruder existierten nur zeitweise in geregelten Verhältnissen, als „Knecht“ von Flörsheim der eine, sein Bruder auf der Suche nach gelegentlichen Verdienstmöglichkeiten. Wohl nur noch Kendels Schutzverhältnis und Hausbesitz, aber beides stand zur Disposition, unterschied die Mutter und ihre Söhne von Betteljuden. Das reichte aber nicht, sie als jüdische Einwohner zu qualifizieren, für die ein Erhalt des Schutzes oder eine künftige Schutzerteilung in Frage kamen. Kendel ihrerseits reagierte hartnäckig, aber wohl vergebens, um ihren Status als Schutzjüdin zu bewahren. Daniel Cassel, der zeitweilige Schultheiß in Rastatt, geriet 1734 in den Verdacht, wissentlich Diebesgut – Borden – gekauft zu haben. Der Hofrat bestrafte ihn mit dem Verlust des Schutzes und verfügte seine Ausweisung.19 Mit einer Supplik erreichte Cassel den Erlass dieser Strafe „aus purer Gnad“. Der Hofrat warnte ihn: Im Wiederholungsfall könne er nicht mehr mit Milde rechnen.20 Die Hofkammer äußerte sich so: Sie brauche nach der Verwarnung Cassels nichts mehr zu entscheiden, halte aber die Angelegenheit ausdrücklich als Unterlage für eine künftige Befassung im Protokoll fest.21 Dieser Hinweis und die rasche Begnadigung Daniel Cassels sind auffallend. Möglicherweise versuchten die Ratskollegien, besonders die Hofkammer, sich vor späteren Vorwürfen wegen zu großer Milde sichern. Zudem: Anders als Kendel und ihre Söhne war Daniel Cassel ein Schutzbürger mit Vermögen und für die Regierung mit seinen wirtschaftlichen Aktivitäten interessant.22 Das könnte 16 17 18 19 20 21 22

GLAK 61/157 HR 15.11.1729. GLAK 61/158 HR 14.3.1730. Zum Verdacht des Akzisebetrugs gegen Hayum Flörsheim siehe S. 28f. GLAK 61/162 HR 12.1.1734 Nr. 1. GLAK 61/162 HR 28.1.1734 Nr. 1. GLAK 61/270 HK 29./30.1.1734. Zu den wirtschaftlichen Verbindungen Cassels zum Hof siehe S. 195f.

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zum Verzicht auf die Strafe beigetragen haben. Möglicherweise hatte sich auch herausgestellt, dass Cassel bei seinem Kauf nichts von der Herkunft der Borden gewusst hatte. Bei einem ähnlichen Vorgang war kurz zuvor Süßel in Verdacht geraten. In Bühl war der Knecht des Amtmanns Ferdinand Alexander von Mohr entlaufen und hatte Kleidungsstücke seines Herrn mitgenommen. „Bona fide [in gutem Glauben]“ habe sie Süßel erworben, stellte der Hofrat fest, ließ ihn straffrei und verlangte nur die Rückgabe der Kleidungsstücke.23 1742 legte der Hofrat dem Geheimen Rat einen Untersuchungsbericht über einen Diebstahl vor, bei dem wieder Süßel, diesmal zusammen mit seinem Sohn Israel, als Käufer beschuldigt wurde. Als Diebinnen nannte der Hofrat Magdalena Schneider, die Frau des Bühler Schlossers Ignatius Schneider, und ihre Tochter Barbara.24 Sie sollten Tuch gestohlen und es an die Frau Franz Heuslers, eines Bühler Bürgers, und an Süßel und seinen Sohn verkauft haben.25 Magdalena Schneider war zu der Zeit, als es um ihre Bestrafung ging, schwanger. Sie wurde dazu verurteilt, drei Wochen „bei Wasser und Brot“ im Bühler Gefängnisturm zu verbringen; ihrer Tochter drohte – wie Daniel Cassel – die Ausweisung. Schließlich wurden die Käuferin und die Käufer wegen ihrer Armut nicht als in der Lage angesehen, Schadensersatz zu leisten, aber sie sollten zusammen die Verfahrenskosten tragen.26 Nach wiederholten Suppliken erreichten wenigstens Süßel und sein Sohn die Halbierung ihrer Strafe.27 In den Verdacht der Hehlerei gerieten 1745 in Rastatt Raphael Jacob28 und seine Frau. Dabei ging es um Silber, das aus dem Schloss gestohlen worden war. Der Hofrat hatte die Nachricht erhalten, dass in der Abwesenheit Raphael Jacobs seine Frau das Silber gekauft habe.29 Im Januar 1746 berichtete Hofrat Hossner: Die Frau Raphael Jacobs hatte das Silber erworben, aber nicht weiterverkauft; als sie es dann nach seiner Rückkehr ihrem Mann gezeigt hatte, schöpfte Raphael Jacob Verdacht und zeigte die Sache an. Der Dieb, der Raphael Jacob verdächtig machte, sei unglaubhaft: Ihm ging es, vermutete Hofrat Hossner, um Rache an Raphael Jacob, weil dieser ihn angezeigt hatte.30 Sabina Riedel, eine „Kehrfrau“ am Hof in Rastatt, wurde 1746 beschuldigt, Gold und Silber gestohlen zu haben. Hofrat von Winckelmann berichtete, sie sei ertappt worden, als sie im Schloss am „Parade-Beth“ und an „Seßlen“ gol23 GLAK 61/162 HR 19.1.1734 Nr. 5. 24 GLAK 61/45 GR 4.8.1742 Nr. 11. 25 GLAK 61/46 GR 14.11.1742 Nr. 28 und Nr. 29. 26 GLAK 61/46 GR 4.8.1742 Nr. 11; der Name Israel und sein Wohnort werden in GLAK 61/46 GR 14.11.1742 Nr. 29 genannt. 27 GLAK 61/49 GR 17.12.1743 Nr. 64. 28 Zu Raphael Jacobs wirtschaftlichen Aktivitäten siehe S. 197ff. u. ö. 29 GLAK 61/174 HR 26.10.1745 Nr. 1. 30 GLAK 61/175 HR 7.1.1745 Nr. 8.

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dene und silberne aepinen“, Teile von wertvollen Metallstickereien abgeschnitten habe. (Solche Stickereien sind am Paradebett von Markgräfin Sibylla Augusta in Schloss Favorit überliefert.31) Sabina Riedel gestand: Sie habe dies bis zu zehn Mal getan und das Diebesgut – im Wert von 6 Gulden – immer zum Krämer Azone in Rastatt gebracht; dieser, seine Frau und der „Ladendiener“ hätten es ihr abgekauft.32 Der Hofrat vertrat die Auffassung, Azone und seine Frau hätten in gutem Glauben gehandelt, und sie ständen als „Leuthe von stattkündigem guten Laymu(n)th [stadtbekanntem guten Leumund]“ außerhalb jeden Verdachts. Weder müsse das Paar zum Beweis seiner Unschuld vereidigt werden, noch sei an eine Bestrafung zu denken.33 Jedoch wurde auf Sabina Riedel der Druck verschärft, wohl um Hehler ausfindig zu machen. Der Hofrat schlug vor, der Scharfrichter solle ihr mit den Folterwerkzeugen drohen und so ein Geständnis erpressen, dass sie das Diebesgut auch an andere verkauft habe.34 Der Markgraf und der Geheime Rat entschieden, Sabina Riedel mit 25 Stockschlägen zu einem Geständnis bringen zu lassen.35 Auch nach den Stockhieben blieb sie dabei: An niemand als an Azone und dessen Ehefrau habe sie etwas verkauft. Darauf erging die Strafe: „Ausstellung“ am Pranger mit einer Tafel, auf der „Hof Diebin“ stand, dann die Ausweisung aus der Markgrafschaft.36 Krämer Azone und seine Frau – ein Hehlerpaar? Im Hofrat undenkbar. Die Rastatter Juden wurden wohl als Käufer verdächtigt wie in den Jahren zuvor. Anfang 1749 wurden aus der Johannes-Nepomuk-Kapelle, der Hofkapelle in Rastatt, vergoldete und versilberte Herzen gestohlen. An die umliegenden Ämter ging die übliche Anweisung, dass „Christen oder Juden“ auf die gestohlenen Gegenstände zu achten hätten. Falls die auftauchten, sollten sie beschlagnahmt werden.37 Aus Bühl berichtete das Amt: Ein dortiger Jude habe gemeldet, ihm sei ein „Silber vergoldtes Herz“ angeboten worden. Das sei ihm verdächtig vorge31 Saskia Durian-Ress, Zur Rolle der Textilien in Schloss Favorite und in der Schlosskirche, in: Staatliche Schlösser und Gärten Baden-Württemberg (Hg.), Extra schön. Markgräfin Sibylla Augusta und ihre Residenz. Eine Ausstellung anlässlich des 275. Todestages der Markgräfin Sibylla Augusta von Baden-Baden. (Petersberg) 2008, S. 115–121, hierzu S. 118, siehe dazu auch die Abbildung des Paradebetts S. 114. Durian-Ress spricht von „Gold- und Silberstickereien aus Gitterbändern und zarten Blütenstauden“ am Paradebett. Bei „Aepinen“ könnte es sich um stachelförmige Teile dieser Stickereien gehandelt haben, wenn „Aepinen“ als Lehnwort aus dem französischen „épine“, der Dorn, Stachel, verstehbar ist. 32 GLAK 61/175 HR 18.10.1746 Nr. 15. 33 GLAK 61/175 HR 25.10.1746 Nr. 17. 34 GLAK 61/175 HR 25.10.1746 Nr. 2. 35 GLAK 61/175 HR 8.11.1746 Nr. 1. 36 GLAK 61/175 HR 10.11.1746 Nr. 1. 37 GLAK 61/178 HR 5.2.1749 Nr. 2.

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Delinquenz

kommen, und er habe es als Teil des gestohlen Kapellenschmuckes erkannt. Der „fremdte Kerl“ aber, angeblich auf der Rückkehr von Brabant nach Freiburg, sei wieder verschwunden.38 Der nächste Bericht kam vom Oberamt Mahlberg. In Friesenheim habe der dort „sich aufhaltende Juden-Schuhl-Meister“ eines der gestohlenen Herzen für 6 Gulden gekauft, der Dieb sei jedoch schon wieder entkommen.39 Der Hofrat ordnete an: Der Amtmann solle den Lehrer vernehmen, ob er noch andere gestohlene Teile bemerkt habe; wenn eine Konfrontation mit dem Dieb nicht mehr möglich sei, dann solle der Lehrer, zumal er keinen Schutz habe, aus dem Land gewiesen werden.Am 20. Februar 1749 meldete Oberamtmann Dyhlin die Bestrafung des Lehrers.40 1753 untersuchte Amtmann Hornus in Rastatt wieder einen Diebstahl im Schloss, von Gegenständen aus Silber, deren Wert nicht angegeben wurde. Als Täter galt ein Page, als Käufer Daniel Cassel, der Rastatter Schutzjude.41 Dieser musste, auf Befehl des Hofrats, die Gegenstände wieder herausgeben. Die Eltern des Pagen, deren Namen ebenso wenig notiert wurde wie der ihres Sohnes, mussten Cassel für die Summe, die er bezahlt hatte, „den Ersatz in der Stille thun“.42 Der Markgraf und der Geheime Rat entschieden, dass Cassel auf keinen Fall bestraft werden dürfe.43 Die Rücksicht auf den Hofpagen und seine Eltern bestimmte dieses Verfahren. Ob Cassel mit oder ohne Wissen gestohlene Ware gekauft hatte, spielte keine Rolle. Die Person des Täters, der Rang seiner Familie schützte den Käufer des Diebesguts vor der Strafe wie den Dieb selbst. Bei Selzio Aron, einem jüdischen Jungen im Gefängnis in Baden-Baden, war das anders. Er – zum „Judenpack“ von außerhalb der der Markgrafschaft gerechnet – wurde auch eines Diebstahls verdächtigt; das genügte dem Hofrat für das Urteil, ihn „fortzuprügeln“.44 1760 beschwerte sich Zacharias Cassel in Rastatt, ein Sohn des Anwalds Daniel Cassel, über eine Bestrafung. Er war zur Zahlung von 20 Gulden verurteilt worden, weil er gestohlene Leinwand gekauft hatte.45 Er argumentierte, dass die mit ihm zusammen wegen dieses Delikts bestrafte Rastatter Krämerwitwe Azone einen Strafnachlass erhalten habe, er aber nicht, obwohl er deshalb suppliziert hatte.46 Die Regierung folgte seiner Argumentation: Bei ihm und der Witwe 38 39 40 41 42 43 44 45 46

GLAK 61/178 HR 9.2.1749 ohne Nummerierung. GLAK 61/178 HR 12.2.1749 Nr. 2. GLAK 61/178 HR 12.2.1749 Nr. 3 und 20.2.1749 Nr. 2. GLAK 61/182 HR 16.10.1753 Nr. 14. GLAK 61/182 HR 18.10.1753 Nr. 8. GLAK 61/182 HR 10.11.1753 Nr. 1. GLAK 61/182 HR 10.7.1753 Nr. 10, 7.8.1753 Nr. 26 und 20.10.1753 Nr. 1. GLAK 61/192 HR 16.12.1760 Nr. 6. GLAK 61/318 GRATP 6.12.1760 Communicanda Nr. 6.

Tortur und Taufe 

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Azone bestehe „dieselbe Beschaffenheit“; Zacharias Cassel erhielt deshalb ebenfalls einen Nachlass an der Strafe.47 Der gute Leumund hatte 1746 für die Eheleute Azone gesprochen, als sie in Verdacht gerieten, gestohlenes Gut gekauft zu haben.48 Das mochte 1760 noch eine Rolle zugunsten der Witwe Azone spielen. Zacharias Cassel akzeptierte den Vorteil, den die christliche Witwe ihm gegenüber hatte, nicht. Er setzte seinen Anspruch auf rechtliche Gleichbehandlung durch. 1767 sollte in Rastatt ein Tambour „Borsten“ von der zur Uniform gehörenden Mütze eines anderen Tambours an drei Käufer veräußert haben. Der Hofrat differenzierte: Den Namen von einem der Käufer, einem Rastatter Bürger, gab er nicht an, dagegen wurde Benedict Redolato verzeichnet, ein Krämer vermutlich italienischer Herkunft. Ebenfalls genannt wurde Zacharias Cassel. Die Untersuchung des Falles scheint kein richtiges Ergebnis gebracht zu haben. Am Ende wurden die Kosten der Untersuchung Zacharias Cassel aufgeladen. An den Unkosten sollten die anderen Verdächtigen beteiligt werden, wenn es das Oberamt Rastatt beantragte.49

8.4  Tortur und Taufe – der Vorsänger Elias Asher In Bühl wurde bei Felix Burkart, einem Weißgerber und Mitglied des Ortsgerichts, an Fasnacht 1751 ein Diebstahl verübt. Verdächtigt wurde der Vorsänger Elias Asher.50 Er wurde in Heilbronn entdeckt, und dorthin schickte Amtmann Johann Jacob Hoffmann eigens einen Bürger, dem es gelang, Elias Asher und einen „Cammeraden“ in Haft nehmen zu lassen. Der Hofrat empfahl dem Markgrafen und Geheimen Rat aufwendige Maßnahmen: Ein Sergeant und drei Soldaten, ausgestattet mit einem Requisitionspatent (Anordnung zur Nachforschung, hier wohl zur Stellung eines Auslieferungsgesuchs), und der Rastatter Stadtknecht mit Stricken zum Fesseln sollten mit einem Wagen und 30 Gulden für Verpflegung, auch zur Bezahlung der in Heilbronn entstandenen Kosten losgeschickt werden und die beiden Arrestanten abholen. Noch am gleichen Tag sollte die Stadt Heilbronn mit der Post die nötigen Informationen erhalten, am folgenden der Wagen mit der „Escorte“ abfahren. Außerdem wurde an die baden-durlachische Regierung geschrieben: Elias Asher habe den Weg über Karlsruhe genommen und sich bei einem Juden aufgehalten, diesem habe Elias Asher vielleicht 47 GLAK 61/318 GRATP 30.12.1760 Regiminalberichte Nr. 1 und GLAK 61/191 HR 5.1.1760 Nr. 4. 48 Zur Entlastung des Ehepaares Anzone durch ihren Leumund siehe S. 377. 49 GLAK 61/208 HR 10.10.1767 Diversa Nr. 1845. 50 Namensvarianten: Elias Asher, Elias Asher bzw. Ahser.

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Delinquenz

Teile des Diebesguts verkauft – eine Hausdurchsuchung komme in Betracht. Der Hofrat bat, wenn etwas gefunden würde, um die Rückgabe an den Bestohlenen. Nach Aussage des Bühler Schwanenwirts Birenstihl und seines Knechts, der Elias Asher nach Kuppenheim gebracht habe, sei der Verdächtige dort bei einem Juden gewesen. Deshalb erhielt das Rastatter Amt den Befehl für eine Hausdurchsuchung: Der Kuppenheimer Jude sei aufzufordern, alles anzugeben, was er vielleicht von Elias Asher erhalten habe; wenn man bei ihm etwas vom Diebesgut fände, würde er „nach aller Schärfe bestraft werden.“51 All seine Vorschläge hätten Markgraf und Geheimer Rat gebilligt, hielt das Protokolls des Rates am 2. März 1751 fest, und es sei „bereits alles vollzogen.“52 Als Elias Asher nach Rastatt zurückgebracht war, kam die Untersuchung zuerst nicht voran. Um zu einem Geständnis zu kommen, ließ ihm im Januar 1752 der Hofrat die Tortur androhen; der Geheime Rat äußerte die Sorge, dass bei deren Anwendung wirklich alles rechtmäßig ablaufe, je „nach denen sich äußernden umständen mit mehr oder weniger Straichen geschwinder oder langsamer“ vorgegangen werde.53 Nicht nur der Baden-Badener Scharfrichter, auch der Landphysicus, der für das Gesundheitswesen verantwortliche Arzt, wurde nach Rastatt einbestellt, zur Prüfung des körperlichen Zustands von Elias Asher.54 Ohne dass die Anwendung der Folter erwähnt wurde, war der Hofrat schon in der Mitte des Monats Februar 1752 in der Lage, über die Strafe zu verhandeln. Der Rat schlug vor, die Todesstrafe, da die gestohlenen Besitztümer des Bühler Weißgerbers zum größten Teil sichergestellt waren, in eine zwanzigjährige Galeerenstrafe umzuwandeln und Elias Asher für immer zu verbannen.55 Der Markgraf und der Geheime Rat stimmten dem Vorschlag zu, wollten aber noch geprüft haben, ob Juden überhaupt als Sträflinge auf einer Galeere angenommen würden und ob Elias Asher eventuell zu einer „Bekehrung“, zur Konversion bereit sei.56 Im Jahr 1753 legte die Regierung der Kammer die Rechnung für die Kosten vor, die beim ganzen Verfahren entstanden waren: Es ging um die Verhaftung, den Aufenthalt im Gefängnis und die „Bekehrung“.57 Ob Elias Asher konvertierte, lässt sich nicht erkennen.58 Der Aufwand, den die Regierung wegen Elias Asher betrieb, war hoch: die Entsendung eines Bürgers durch das Amt nach Heilbronn, die Einschaltung der Regierung von Karlsruhe-Durlach, die Eskorte nach Heilbronn, die Klärung, ob 51 52 53 54 55 56 57 58

GLAK 61/180 HR 28.2.1751 (nach 27.3.1751) ohne Nummerierung. GLAK 61/180 HR 2.3.1751 Nr. 2. GLAK 61/181 HR 14.1.1752 Nr. 4. GLAK 61/181 HR 18.1.1752 Nr. 11. GLAK 61/181 HR 17.2.1752 Nr. 3. GLAK 61/181 HR 22.2.1752 Nr. 10. GLAK 61/290 HK 10.4.1753 Nr. 9. Zur möglichen Konversion von Elias Asher siehe S. 379ff. Zu ihm siehe auch S. 567.

Der Christ verschwiegen, der Jude bestraft 

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eine Galeerenstrafe möglich war, die Untersuchung des körperlichen Zustandes von Elias Asher und schließlich die genaue Protokollierung der Voten der einzelnen Hofräte, als es um die Strafe ging; am auffallendsten sind die Versuche der Regierung, ihn trotz des Vollzugs der Todesstrafe mit Zugeständnissen oder „Gnaden“ für das Christentum zu gewinnen. Für das minutiöse Vorgehen mit der Absicht, Elias Asher möglichst hart zu bestrafen, war nicht der verursachte Schaden ausschlaggebend, dessen Höhe gar nicht angegeben wurde, sondern zunächst der Umstand, dass er in ein Haus eingebrochen war, damit einen „großen“ Diebstahl begangen hatte. Vor allem ging es um einen Vorsänger; wenn man die Verhältnisse des benachbarten Elsass überträgt, um einen Kenner des Hebräischen und der Liturgie, zuständig für die Vorbereitung der Jungen auf die Bar Mizwa und vielleicht auch als Schächter ausgebildet, jedenfalls ein Repräsentant der örtlichen Judenschaft.59 Der Stand eines Diebes aber konnte durch den Richter – hier den Hofrat – für die Strafbemessung hinzugezogen werden; die Todesstrafe war eine der Strafmöglichkeiten.60 Über das Beharren auf einer Bestrafung hinaus könnte die Position von Elias Asher als Vorsänger eine Rolle gespielt haben – als örtlich „prominenter“ Straffälliger, an dem Abschreckung demonstriert werden sollte wie die moralische Unterlegenheit der Juden insgesamt.

8.5  Der Christ verschwiegen, der Jude bestraft – Strafverfolgung in der katholischen Markgrafschaft Den Verdacht der Hehlerei spielte die Regierung in vielen Variationen gegen Juden aus, sah dabei auch immer wieder den Hof selbst als Ort, der sich durch Diebstahl und Hehlerei in Gefahr befand. Gegen Daniel Cassel verhängte sie zuerst harte Maßnahmen, nahm diese zurück und beließ es bei einer Verwarnung. Straffreiheit erhielt Süßel beim ersten Verdacht, Strafmilderung beim zweiten. Bei Raphael Jacob folgte die Regierung der Denunziation des Diebes, stellte dann aber die Unschuld des späteren Judenoberschultheißen fest. Der Lehrer in Friesenheim wurde ausgewiesen, ohne dass von einer Schuld die Rede war – Schicksal des Fremden ohne Schutz. „In der Stille“ wurde der Diebstahl des Pagen vertuscht und für den Schadensersatz bei Daniel Cassel gesorgt. Sein Sohn Zacharias wehrte sich gegen Ungleichbehandlung mit Erfolg; in der Mitte des Jahrhunderts, 59 Zur Bedeutung des Vorsängers im Elsass Haarscher, Les Juifs du comté de Hanau-Lichtenberg, S. 101f. 60 Elmar Gaus, Mörder, Diebe, Räuber. Historische Betrachtung des deutschen Strafrechts von der Carolina bis zum Reichsstrafgesetzbuch (Spektrum Kulturwissenschaften 6). Berlin 2002, S. 97.

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das deutet sich hier an, akzeptierten Juden im Bereich der Strafbarkeit nicht mehr ohne Weiteres rechtliche Ungleichheit. Diebstahlsdelikte wurden in den Hofratsprotokollen wohl dann thematisiert, wenn es um schweren oder „großen“ Diebstahl ging.61 Über die Häufigkeit dieses Delikts bei Juden im Vergleich zu christlichen Tätern ist keine Aussage möglich. Die Regierung ging mit dem allgegenwärtigen Verdacht der Hehlerei immer wieder gegen Juden vor, zog den Angriff aber oft zurück. Ihr Verhalten war unberechenbar und willkürlich: Juden traf die Strafe, auch wenn keine Schuld festgestellt wurde, Juden wurden geschont, wenn es zum Vorteil von Dritten gereichte. Christen kam auf dem Feld der Hehlerei der Verdacht gegen die Juden zugute: Leumund und Gerücht sprachen gegen die Juden, im Gegensatz dazu für die Christen. Den Pagen, den „Hofdieb“, und seine Eltern behandelte die Regierung mit größtem Entgegenkommen und verzichtete auf jede Strafe, davon profitierte auch ein jüdischer Verdächtiger. Armen Juden, wie der Fall Kendels und ihrer Söhne zeigt, drohte bei der Verwicklung in einen Diebstahl rasch die Ausweisung; reichere Juden wie Cassel in Rastatt kamen dabei besser weg. Waren nichtjüdische „Fremde“ beteiligt, wurden sie ebenso in den Verdacht einbezogen wie einheimische Juden, vielleicht noch mehr: Nichtjüdische Diebe, jüdische Hehler – diese Verbindung suchte die Regierung oft und ging gegen sie vor, drängte so hier auf die Einhaltung der Segregation zwischen Juden und Christen. Jedenfalls scheint auch die baden-badische Justiz jüdische Täter strenger verfolgt und bestraft zu haben als die christlichen.62 Elias Asher traf die ganze Härte, und alle Juden, mit denen er bei seiner Flucht etwas zu tun hatte, bezog die Regierung in den Verdacht der Hehlerei mit ein. Hier ging sie wohl so entschlossen vor, weil Elias Asher als Vorsänger, aus der Sicht der Regierung, das Judentum mehr vertrat als die übrigen Schutzjuden. Die Härte der Strafe konnte auch gegen die lokale, vielleicht sogar gegen die ganze Judenschaft gerichtet sein, wenn sie einem ihrer Repräsentanten galt. Der religiös motivierte Gegensatz zu den Juden brach bei Elias Asher, eben einem dieser Repräsentanten, gerade deshalb besonders weit auf, weil die Regierung ihre Herrschaft als betont katholisch entwarf. Dennoch, in ihrer Praxis der Strafverfolgung scheint die Regierung bei aller antijüdischen Einstellung besonders im Justizwesen63 zumindest nicht mehr immer und mit aller Konsequenz vorgegangen zu sein.

61 Zur Unterscheidung von „kleinem“ und „großem“ Diebstahl Gaus, Mörder, Diebe, Räuber, S. 93–96. 62 Zur härteren Bestrafung von Juden im Vergleich zu Christen Breuer, Frühe Neuzeit und Beginn der Moderne, in: Breuer und Graetz (Hg.), Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. 1, S. 137. 63 Zur Einstellung und zum Vorgehen der Regierungen im Bereich der Strafjustiz generell ebd.

9  Gewalt 9.1  Draußen auf der Landstraße, drinnen im Ort. Gewalt gegen Juden, Gewalt durch Juden Hans Georg Reinboldt und weitere Bürger randalierten 1653 zunächst in Steinbach, ihrem Wohnort. Wohl noch am selben Tag hielten sie sich in Rastatt auf. In der Nähe der „Krone“ begegneten sie Hirzel, vermutlich Hirzel von Stollhofen,1 und seinem Schwiegersohn. Über beide fielen sie auf „gefährliche weiß“ her und wurden dafür durch den Hofrat bestraft.2 1672 ordnete der Rat eine Untersuchung der „Schlaghändel“ an, in die der Rastatter Schutzjude Götsch oder Götschel auf der Landstraße verwickelt worden war. Als Täter wurden zwei Bürger aus Rastatt verdächtigt;3 es ist nicht ersichtlich, ob dieser Vorfall weiterverfolgt wurde. Anders verhielt es sich zwei Jahre später. Der Hofrat verhängte über den jungen Adam Edelmann in Bühl wegen einer Schlägerei „mit denen Juden“ eine Strafe von 40 Gulden, die allerdings um die Hälfte reduziert wurde.4 Im Oktober des gleichen Jahres 1674 beschädigten „einige bursch“, wie der Schultheiß Aron in Bühl in seiner Klage angab, sein Haus; der Schaden, so Aron, belaufe sich auf über 100 Gulden.5 In diesem Fall ist es wieder fraglich, ob eine Untersuchung folgte. Im November des Jahres 1674 wurde ein namentlich nicht genannter Jude „von Eger“, der Truppen begleitete, zwischen Oos und dem südlich davon gelegenen Kartung überfallen.6 Im April 1675 klagte Meyer von Rastatt über zwei Reiter, die ihm ein Pferd abgenommen hatten. Am gleichen Tag wie diese Klage lag dem Hofrat eine Supplik Arons von Bühl vor. Soldaten hätten ihm bei Steinbach nicht näher angegebene „Mobilien“, bewegliche Güter, weggenommen. Der Rat unterstützte Aron, dem ein Hauptmann der Soldaten Schadensersatz zusagte.7 1692 waren es Husaren, die in Bühl einem Juden „geldt und wahr“ raubten.8 Wegen der Schulden eines Hauptmanns von Katzenstein – in der Höhe von 97 Gulden – erhob 1714 Löw „der alte“ in Bühl Klage beim Hofrat. Er trug vor, dass ihn von Katzenstein, der Besitzer des „Bachguts“ bei Bühl, mit Schlägen hatte abspeisen wollen. Über diesen lagen der Regierung bereits Akten vor, in denen es um „Excesse“, um gewaltsame Übergriffe ging, die Katzenstein verübt 1 2 3 4 5 6 7 8

Zu Hirzel als Vorsteher der Judenschaft siehe S. 406ff. GLAK 61/121 HR 30.5.1653. GLAK 61/124 HR 18.8.1672 Bl. 93v. Götsch wurde als Götz protokolliert. GLAK 61/124 HR 3.7.1674 Bl. 207r. GLAK 61/124 HR 4.10.1674 Bl. 241v. GLAK 61/124 HR 16.11.1674 Bl. 255r–256v. GLAK 61/124 HR 26.4.1675 Bl. 255v. GLAK 61/230 HK 4.11.1692. Bl. 159r.

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Gewalt

hatte. Der Hofrat neigte zu einer Festnahme, sobald er sein Gut verlasse, um dann ein Verfahren gegen ihn zu führen. Eine Alternative sei es, die Untersuchung über das Regiment zu initiieren, dem er angehöre, und ein Urteil nach dem Kriegsrecht. Mit diesem Verfahren könne man die Klage von Löw verbinden.9 Bei seinen gewalttätigen Übergriffen unterschied von Katzenstein wohl nicht zwischen Christen und Juden. Benedict Isaac, der Knecht eines Bühler Schutzjuden, klagte 1736 gegen die „Wagenmeister“, die Fuhrleute des kaiserlichen Proviantadmodiators von Mohrenfeld, „wegen übler Tractirung auf der Straßen“. Der Hofrat beschloss, bei nächster Gelegenheit die Wagen Mohrenfelds anhalten zu lassen, um für eine Entschädigung des „mit schlägen übel tractirden“ Benedict Isaacs zu sorgen.10 Im April 1744 reichte Zacharias Cassel eine Klage ein. Er sei von dem Studenten Andreas Schillinger, einem Rastatter Müllersohn, geschlagen worden. Der Hofrat ordnete ein Verfahren an mit der Aufforderung, dass der Oberamtmann „genauest zu untersuchen“ habe.11 Am Ende des Monats berichtete das Amt, was in Rastatt geredet wurde: Dass der Vater des Täters Zacharias Cassel 10 Louisdor (120 Gulden) gegeben habe und dass dem jungen Schillinger als Strafe 50 Prügelschläge „auf öffentlichem Marckt“ drohten, eine Strafe, mit der Andreas Schillinger und sein Vater wohl auch ihre Ehre bedroht sahen. Darauf habe sich Andreas Schillinger „in der Stille über Rhein“ geflüchtet. Der Hofrat ließ den Vater benachrichtigen: Sein Sohn dürfe nicht auf Gerüchte hören, und er solle ihn doch zur Rückkehr bewegen, dann habe er nur mit einer angemessenen Strafe zu rechnen.12 Jacob Hirsch, ein Hanau-Lichtenberger Schutzjude aus Lichtenau, beschwerte sich im September 1746 beim Hofrat über die Gewalt, die ihm ein Einwohner von Niederbühl bei Rastatt zufügte. Bei diesem handelte es sich um „des sogenannten Kiefer Jockhels Sohn“, den Sohn eines Küfers, wohl eher um einen noch jungen Mann oder Jugendlichen. Der Rat verwies Jacob Hirsch an das Oberamt Rastatt, das als zuständige Instanz eine Untersuchung durchführen und Recht sprechen sollte.13 Die Täter aus Steinbach suchten schon an ihrem Heimatort Streit; als sie auswärts zwei Juden trafen, wurden diese ihre Opfer. Ein anderer Grund, als dass sie Juden waren, lag wohl nicht vor. Und wenn Randalierer in der Nähe einer Wirtschaft über Juden herfielen, liegt es nahe, an den Einfluss von Alkohol zu denken. Mit Gewalt gegen das Haus eines Juden konnten Christen die Anwesenheit von Juden am eigenen Lebensort bekämpfen, wie dies beim Aufenthalt von Löw Jacob 9 10 11 12 13

GLAK 61/142 HR 11.10.1714. GLAK 61/165 HR 17.5.1736 Nr. 20. GLAK 61/173 HR 19.5.1744 Nr. 5. GLAK 61/173 HR 28.5.1744 Nr. 27. GLAK 61/175 HR 9.11.1746.

Gewalt gegen Juden, Gewalt durch Juden 

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in Müllenbach ganz deutlich wurde.14 Das war vielleicht schon bei Aron in Bühl der Fall gewesen. Gewalt stand im Zusammenhang mit Raub, gerade dann, wenn die Täter Soldaten waren, in den Kriegsjahren. Möglicherweise unterließ die Regierung eine Untersuchung, wenn sie keine Chance sah, die Täter zu belangen. Unter den Gewalttätern waren Adlige oder Leute in deren Nähe, in ihrem sozialen Status Juden weit überlegen; das könnte die Anwendung von Gewalt erleichtert haben – Juden standen außerhalb der christlichen Gesellschaft, das machte sie leicht zum Ziel von Aggressionen, mit welchem Hintergrund auch immer. Gewalt war nicht nur ein Element in den Beziehungen zwischen den Christen und Juden. Moyses Schweitzer, ein Sohn von Mathias Schweitzer, klagte 1710 beim Hofrat gegen Löw, der als Löw von Stollhofen bezeichnet wurde, allerdings auch als „Löw von Herrstein“ in der Grafschaft Sponheim.15 Die beiden stritten sich über eine Schuld Löws.16 Dieser konterte im gleichen Jahr beim Hofrat gegen Mathias Schweitzer und Joseph Jacob, sie hätten ihn bei der Führung des kaiserlichen Heeres „fälschlich“ denunziert, den französischen Truppen Pferde geliefert zu haben. Bevor der Rat die Klage weiterverfolgte, solle Löw sich als markgräflicher Schutzjude ausweisen, beschloss das Gremium.17 Zwei Wochen später erbat Löw die Hilfe des Hofrats gegen die „Drangsale“, die ihm mehrere Juden zufügten. Der Rat empfahl der Markgräfin und dem Geheimen Rat, Löw zur Abrechnung mit seinen Gläubigern, also auch mit Moyses Schweitzer, eine vierteljährige Frist einzuräumen.18 Verwickelt in die Auseinandersetzung waren auch „Consorten [Mitbeteiligte]“ von Moyses Schweitzer, nämlich Isaac Bodenheimer und Salomon Moyses.19 Schon früh brachten Moyses Schweitzer und Salomon Moyses, der Schwiegersohn von Joseph Jacob, einen Antrag beim Hofrat gegen Löw ein: Er solle „fortgeschafft werden.“ Moyses Schweitzer und seine Mitkläger erreichten zunächst, dass der Hofrat eine Kommission zur Untersuchung der Streitsache einsetzte.20 Löw zögerte das Verfahren hinaus, indem er über den Ort stritt, an dem die Kommission ihre Arbeit aufnehmen solle: Statt Baden-Baden wollte er Ettlingen festgesetzt haben.21 Noch war darüber nicht entschieden, als Löw auch seinerseits klagte, nämlich wegen der körperlichen Angriffe, die ihm Mathias Schweitzer

14 15 16 17 18 19

Zur Gewalt gegen Löw Jacob siehe S. 77. GLAK 61/138 HR 11.4.1710. GLAK 61/138 HR 8.5.1710. GLAK 61/138 HR 6.11.1710. GLAK 61/138 HR 18.11.1710. GLAK 61/139 HR 20.1.1711 und GLAK 61/140 HR 5.4.1712. Zu Isaac Bodenheimer siehe S. 412ff., und zu Salomon Moyses siehe S. 167 u. ö. 20 GLAK 61/139 HR 20.1.1711. 21 GLAK 61/139 HR 29.1.1711.

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Gewalt

und seine Söhne zugefügt hatten.22 Löw verschärfte seine Beschuldigungen: Salomon Moyses stecke hinter einem Angriff französischer Soldaten, die ihn mit einem „üblen tractement [Behandlung, hier Schläge]“ überfallen hätten.23 Der Beschuldigte bestritt, Löw gewaltsam angegriffen zu haben.24 Löw aber erreichte, dass sein Konflikt mit Salomon Moyses nicht weiterverfolgt wurde, bevor nicht über seinen Streit mit Moyses Schweitzer entschieden war.25 Der spätere Oberjudenschultheiß Samson Schweitzer,26 der zweite Sohn von Mathias Schweitzer, war im August 1711 wegen einer Tätlichkeit gegen Löw zu 10 Reichstalern Strafe verurteilt worden.27 Darauf drängte Löw, auch Salomon Moyses wegen der Schläge zu einer Entschädigung zu verurteilen.28 Dieser erreichte im Februar des folgenden Jahres allerdings, dass der Hofrat die Erhebung seiner Strafe, die Entschädigung Löws stoppte.29 Löw wurde im gleichen Jahr auf Betreiben seiner Gläubiger in Arrest genommen.30 Was die Bezahlung seiner Schulden betraf, beschloss der Hofrat: Einer „weitheren schandt“ könne Löw nur entgehen, wenn er 800 bis 900 Gulden aufbringe. Die Antwort Löwels war eindeutig: Keinen Kreuzer werde er bezahlen, weder für die Prozesskosten noch zur Abtragung seiner Schulden. Entsprechend reagierte der Hofrat. Er habe Löw schon vor zwei Jahren angekündigt, dass er nur bis zur Beendigung seines Prozesses in der Markgrafschaft bleiben dürfe. Harte Maßnahmen drohte der Rat ihm an: Innerhalb von drei Tagen müsse er sich äußern. Er, „dieser leichtfertige Vogel“, habe doch seinen Gläubigern „etliche tausend“ Gulden Schaden „muthwilliger weis“, auf böse, verbrecherische Art, zugefügt. Nun habe er erklärt, überhaupt nichts zu zahlen. Er müsse deshalb damit rechnen, dass ihn der Büttel aus der Markgrafschaft verweise und er das Land nie mehr betreten dürfe. Sollte er dann jemals doch wieder einreisen, würden Pranger und Peitsche auf ihn warten.31 Löw reagierte auf seine Weise: Ihm gelang die Flucht.32 Moyses Schweitzer und seinen Mitklägern blieb nichts anderes übrig, als sich mit dem Hofrat darüber auseinanderzusetzen, wer die Kosten des Verfahrens übernehmen müsse.33 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33

GLAK 61/139 HR 5.2.1711. GLAK 61/139 HR 16.4.1711. GLAK 61/139 HR 28.5.1711. GLAK 61/139 HR 9.6.1711. Zu Samson Schweitzer siehe S. 431ff. GLAK 61/139 HR 27.8.1711. GLAK 61/139 HR 1.9.1711. GLAK 61/140 HR 10.2.1712. GLAK 61/140 HR 17.3.1712. GLAK 61/140 HR 12.4.1712 GLAK 61/140 HR 28.4.1712. GLAK 61/142 HR 27.2.1714, 24.5.1714 und 14.6.1714.

Gewalt gegen Juden, Gewalt durch Juden 

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In diesem Streit verlief die Konfliktlinie zwischen Salomon Moyses, Moyses und Samson Schweitzer, den Söhnen des Mathias Schweitzer, und Isaac Bodenheimer einerseits und Löw von Stollhofen andererseits. Isaac Bodenheimer wurde manchmal als Isaac Moyses Bodenheimer genannt – so 1731, als er schon Judenoberschultheiß war.34 Salomon Moyses war der Neffe und Schwiegersohn des zeitweiligen Schultheißen Joseph Jacob. Nach der oft praktizierten Alternation der Namen zwischen Großvater, Vater und Sohn bzw. Enkel könnten Moyses Schweitzer und Salomon Moyses Verwandte gewesen sein, untereinander und Verwandte mit Isaac Moyses Bodenheimer. Alle waren zeitweilig Schultheißen. Gewalt übten sie – wie der Schultheiß Joseph Jacob und Hauptmann von Katzenstein – in einem sozial hervorgehobenen Status aus. Löw von Stollhofen hatte keinen Schutz für das markgräfliche Kerngebiet und befand sich deshalb in einer schwächeren Position. In der Auseinandersetzung mit Löw scheinen sich die Schutzjuden mit „Schlaghändel“ einer Handlungsweise bedient zu haben, mit der sie sich „nach unten“ durchsetzen wollten. Es waren jüngere Mitglieder eines Familienverbandes, die dieses Mittel anwandten. Aber selbst Mathias Schweitzer griff in den Konflikt ein. Er erkundigte sich beim Hofrat im Januar 1711 nach dem Urteil gegen Löw, wurde aber darauf hingewiesen, er solle den Rechtsweg gehen35 – ein Vorwurf, die rechtliche Seite des Verfahrens zu missachten, sich auf informelle Weise einzumischen. Sein Verhalten verstärkt den Eindruck, dass diese Auseinandersetzung auf der einen Seite als eine familiäre Angelegenheit angesehen wurde. Als Hayum Flörsheim 1711 Judenschultheiß war, wurde er wegen nicht weiter erläuterten finanziellen Forderungen in einen Konflikt mit Isaac in Ettlingen verwickelt. Dieser wurde dabei gegen den „Judenschulz“ tätlich und deswegen mit 20 Reichstalern Strafe belegt.36 Isaac war schon viele Jahre Schultheiß und galt auch später als ein möglicher Amtsträger.37 Hier kam es zur Gewalt zwischen Schutzjuden, die beide aus einer führenden Familie kamen; hier wurde auf ein und derselben sozialen Ebene zur Gewalt gegriffen, wieder im Zusammenhang mit finanziellen Interessen. Wenn es auch um sozialen Vorrang, um die Stellung in der Judenschaft ging, diese Seite der Gewaltanwendung wurde zumindest aus der Sicht der Regierung nicht thematisiert. Es kann dennoch um Ehre gegangen sein, die in diesen innerjüdischen Konflikten bewiesen werden sollte.38 Ein besonderer Fall von Gewalt, die einem Juden zugefügt wurde, entstand bei einer Auseinandersetzung zwischen Herz Lazarus in Gernsbach und Itzig von Kuppenheim. Zwei Bauern aus Oberweier (bei Gaggenau) sollten nach dem Pro34 35 36 37 38

GLAK 61/159 HR 2.1.1731. GLAK 61/139 HR 15.1.1711. GLAK 61/139 HR 23.7.1711. Zu Isaac als Schultheiß siehe S. 410f. Zum Aspekt Gewalt und Ehre siehe S. 388ff.

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Gewalt

tokoll des Hofrates 1724 Itzig „hart geschlagen haben“. Dies sei auf die Initiative von Herz Lazarus geschehen, auf sein „Anstiften“. Der Hintergrund, so deutet das Protokoll an, sei ein Diebstahl von Salz gewesen39 – Herz Lazarus handelte mit Salz, Itzig erschien hier, zumindest aus der Sicht seines Kontrahenten und der des Hofrats, als ein Dieb. War über die Gegner Löws von Stollhofen denkbar, dass sie Soldaten anstifteten, um ihrem Widerpart Gewalt zuzufügen, wurde hier von Bauern angenommen, dass sie als Helfer des einen Juden gegen den anderen Gewalt ausübten. In beiden Fällen liegen zu wenig Informationen vor, um zu prüfen, inwiefern hier eine stereotype Vorstellung vorhanden war: Dass Juden Christen zu Gewalt gegen Juden anstifteten.

9.2  Gewalt und Ehre 1699 beschuldigten die markgräflichen Schutzjuden Joseph Jacob von Bühl,40 er – und andere Schultheißen – hätten Abgaben zum eigenen Vorteil und zu Gunsten von Familienangehörigen umgelegt. Er gehe gegen Juden auch „gleich mit Schlägen“ vor, „auf öffentlichen gassen“ und selbst „in der Sinagog“, in der er kurz zuvor einen von ihnen sogar blutig geschlagen habe.41 In diesem Konflikt ging es um mehr als Finanzielles allein. Die Schutzjuden deuteten an, dass für sie die Öffentlichkeit der Gewalt eine besondere Bedeutung hatte: Es ging um Gewalt auf der Straße und in der Synagoge, in einem Synagogenraum – „Schlaghändel“ waren auch Ehrenhändel;42 indem die Schutzjuden die Öffentlichkeit der Straße anführten, in der ihre Ehre verletzt wurde, machten die Schutzjuden deutlich, dass ihre Ehre auch vor den Christen gefährdet war. Indem sie die Ehrverletzung im Synagogenraum ansprachen, sorgten sie sich um 39 GLAK 61/153 HR 20.3.1725. 40 Zu Joseph Jacob siehe S. 162ff. u. ö. 41 GLAK 74/3725, Judenschaft an die Hofkammer, 1709, Bl. 3r–4v; abgedruckt bei Cohen, Landjudenschaften, Bd. 3, S. 1445–1147, dazu Zehnter, Juden in der Markgrafschaft Baden-Baden, in: ZGO 50 (1896), S. 396f. und Michael Rumpf, Juden in Bühl, in: Stadt Bühl, Stadtgeschichtliches Institut (Hg.), Jüdisches Leben. S. 32. Cohen, Landjudenschaften, Bd. 3, S. 1445, geben als Jahresangabe für dieses Schreiben 1712 an. Die Protokolle der Hofgremien enthalten für 1712 keine Hinweise auf einen wesentlichen Konflikt zwischen den Schultheißen und den übrigen Schutzjuden, dafür allerdings für das Jahr 1709: Hier ist die Rede von einem längeren Konflikt über die Repartition, die Verteilung der Beträge auf die einzelnen Schutzjuden, als diese einen Anteil an der Kontribution für Frankreich übernehmen mussten (GLAK 61/245 HK 5.6.1709, GLAK 61/137 HR 17.10.1709 und 5.12.1709 mit der Erwähnung der „Gravamina“, der Beschwerden der Judenschaft gegen die Schultheißen und der Wahl neuer Schultheißen). 42 Richard van Dülmen, Der ehrlose Mensch, Unehrlichkeit und soziale Ausgrenzung in der Frühen Neuzeit. Köln 1999, S. 13.

Gewalt und Ehre 

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ihre Stellung in der innerjüdischen Öffentlichkeit. Die Vorstellung der Ehre war zumindest mit dem Bezug zur Öffentlichkeit und Gewalttätigkeit nicht unterschieden von den Vorstellungen der christlichen Umwelt.43 Als die Schutzjuden ihren Schultheiß Joseph Jacob wegen seiner Gewalttätigkeit angriffen, stellten sie einen wörtlichen Bezug zur Ehre her. Sie schrieben, dass Gewalt der „Ehr eines Schultheißen nit wohl anstehet“ und zogen daraus eine Konsequenz: An seinem Verhalten sehe man, „dass Joseph nit capabel [fähig] das Schulzen Amt Zue versehen, sondern viel besser den Rosshandel, bey welchem Er auferzogen worden.“44 Die meisten der baden-badischen Schutzjuden handelten mit Vieh – von ihrem Vertreter verlangten sie einen Unterschied; sie dachten wohl an eine Qualifikation, die in der Herkunft aus eine Familie bestand, die nicht vom Viehhandel geprägt war. Indirekt sprachen sie eine positive Anforderung aus: Wenn Gewalttätigkeit einen Amtsträger disqualifizierte, erwarteten sie von ihm Friedfertigkeit. Zumindest in einem weiteren Falle, eine Generation später, zwar außerhalb der Markgrafschaft, aber noch in einem regionalen Zusammenhang, wurde gerade für einen Gemeindevorsteher eine entsprechende Erwartung geäußert: In Gemmingen wehrten sich die Juden 1734 gegen einen Parnoss, den örtlichen Vorsteher, mit der Forderung, er müsse eine „Fridtsame persohn“ sein.45 Die markgräflichen Schutzjuden schlugen mit ihrer Beschwerde eine Brücke zur kulturellen Welt der Christen: Gewalttätigkeit, davon gingen sie aus, schließe sich in der jüdischen wie christlichen Welt für einen Amtsträger aus und beeinträchtige seine Ehre. Gut eine Generation nach der innerjüdischen Auseinandersetzung über Joseph Jacob sah ein markgräflicher Jude seine Ehre durch einen Vertreter des Staates gefährdet. 1734, während des Polnischen Krieges, beschwerte sich der Schutzjude Mayer Malsch über den Amtskeller in Malsch. Dieser habe ihn während eines überraschenden Einfalls von (wohl französischen) Husaren vor seinem Haus angetroffen, und er, Mayer Malsch, habe, „aus Angst von ohngefehr“, aus Angst vor den Soldaten und ohne weitere Absicht, „seinen Hut aufgesetzet“. Yhlin, so hieß der Amtskeller, habe ihn darauf einen „alten Schelmen [Betrüger], alten Dieb und dergleichen“ genannt, und nur weil er in sein Haus zurückgegangen sei, entkam er den Schlägen des Kellers. Dies sei, so die Hofkammer, „die Arth nicht, also mit denen Unterthanen umzugehen.“ Sie forderte darauf Yhlin zu „künftiger beßerer Bescheidenheit“ auf,46 verlangte von ihm also, seine Stellung und seinen Rang nicht wieder wie bei Mayer Malsch hervorzuheben – um Ehre ging es auch in diesem Konflikt. 43 Zur Öffentlichkeit bei der Ehrvorstellung von Christen ebd., S. 6. 44 GLAK 74/3725, Judenschaft an die Hofkammer, o. D. (1709), Text nach Cohen, Landjudenschaften, Bd. 3, S. 1446. 45 Preuß, ...aber die Krone des guten Namens, S. 82. 46 GLAK 61/270 HK 12.1.1734.

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Gewalt

Zwischen Mayer Malsch und dem Ettlinger Schaffner47 der Klosters Lichtental48 Franz Nopper gab es um 1744 zwei Streitpunkte. Nopper hatte Mayer Malsch „pro discretione zu ungebühr“ 150 Gulden „abgenommen“,49 eine ungerechtfertigte, sonst nicht weiter erläuterte Belohnung. Der Schaffner, so entschied der Hofrat, müsse das Geld an Malsch zurückgeben.50 Vielleicht gab es eine Verbindung zu einer anderen Auseinandersetzung: Beide stritten sich über Ansprüche, die sie an die Konkursmasse des kaiserlichen Proviantverwalters von Mohrenfeld stellten.51 Im Juni 1744 supplizierte Mayer Malsch wegen eines Verbots an Nopper, der „ihnen [ihn] mit aller Tätlichkeit verschonen solle.“ Der Hofrat verlangte von Franz Nopper eine Rechtfertigung.52 Dieser verteidigte sich: Er habe nie vorgehabt, seinen Kontrahenten tätlich anzugreifen; die Beschuldigung sei unhaltbar.53 Ein Streit, der sich um die Jahreswende von 1740 zu 1741 in der Rastatter Synagoge ereignete hatte, in einem Synagogenraum im Haus Daniel Cassels, wurde für die Regierung als ein wiederholtes „entsetzliches und ärgerliches geschrey und gezanckh“ zum Gegenstand einer Untersuchung. Es habe, so vermutete sie, neben Beschimpfungen auch „schelt- und schläghändel“ gegeben. Bereits vorher war eine Verordnung ergangen, die den Gottesdienst in der Stadt verboten hatte mit der Auflage, ihn in der Vorstadt auszuüben. Dabei sollten „schrankhen und stille“ beachtet werden.54 Nicht nur die verbale und körperliche Form der Auseinandersetzung beschäftigte die Regierung, sondern der Umstand, dass Lärm auf die Straße, in die Öffentlichkeit der Residenzstadt gedrungen war und somit ihre Verordnung nicht beachtet wurde. Die Untersuchung ergab, dass sich die Rastatter Juden Raphael Jacob und Daniel Cassel und ihre Söhne gestritten hatten. Der Hofrat sah als strafverschärfend an, dass es schon einmal eine Schlägerei in der Synagoge gegeben habe und sie niemand gemeldet hatte.55 Löw Berez, als Lehrer eine Zeitlang von der jüdischen Gemeinde in Rastatt beschäftigt,56 klagte 1759 beim Hofrat Zacharias Cassel und die dortige Juden47 Schaffner: hier Verwalter des Besitzes des Klosters Lichtental in Ettlingen. 48 Kloster Lichtental: Zisterzienserinnenabtei (heute) in Baden-Baden, zeitweise Grablege der Markgrafen von Baden. 49 GLAK 61/173 HR 5.3.1744 Nr. 5. 50 GLAK 61/173 HR 30.4.1744 Nr. 14. 51 GLAK 61/173 HR 28.4.1744 Nr. 1. 52 GLAK 61/51 GR 10.6.1744 Nr. 8. 53 GLAK 61/51 GR 20.6.1744 Nr. 6. 54 GLAK 61/170 HR 23.2.1741 Nr. 1. 55 GLAK 61/170 HR 6.4.1741 Nr. 36. Zur ausführlichen Darstellung dieses Konfliktes über den Aspekt der Gewalt hinaus siehe S. 482ff. 56 1759 erhielt der Lehrer Löw Salomon eine Bestätigung über seinen Aufenthalt in Rastatt, die ihm der dortige Oberamtmann, ausstellte (nach Preuß, ... aber die Krone des guten

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schaft an. Zacharias Cassel habe, so Berez, „während dem Morgengebett seiner noch lebenden alten Mutter schlechter ursach halber mit der Faust aufs Hertz gestossen – mithin sich gröblich gegen das Gebott verfehlet.“ Die Rastatter Juden, so die gleichzeitig vorgebrachte Klage, hätten ihn, Löw Berez, gegen „die Jüdische Üblichkeith“, gegen die bei den Juden übliche Verhaltensweise grundlos und vorzeitig aus dem Dienst als Lehrer entlassen.57 Wegen einer „schlechten ursach“ habe Zacharias Cassel seine Mutter geschlagen, brachte Löw Berez vor. Er steigerte damit den Verstoß gegen „das Gebott“, gegen die jüdischen religiösen Gesetze, womit er sich vor allem auf das Ehrfurchtsgebot für die Kinder vor den Eltern und das Gebot bezog, den Frieden in der Familie zu wahren.58 Zacharias Cassel beteuerte, er habe seine Mutter nicht geschlagen.59 Der Hofrat fand im Untersuchungsbericht keine ausreichenden Beweise, warf ihm aber fehlende „Nachgiebigkeit“ eines Kindes seinen Eltern gegenüber vor und forderte ihn auf, mehr von dieser „Nachgiebigkeit“ zu erweisen.60 Die Episode von der Begegnung zwischen Mayer Malsch und dem Amtskeller Yhlin zeigt viel: Die Aufregung, die Angst – die des Amtkellers schlug um in Aggressivität gegen Mayer Malsch, als dieser die Kopfbedeckung, die er offensichtlich zur Begrüßung des Beamten abgezogen hatte, in der Praxis seines religiösen Verhaltens61 wieder aufsetzte. Der Amtskeller beharrte jedoch weiter auf dem Symbol der Unterordnung von Mayer Malsch. Reflexhaft folgten die Schimpfwörter, die Sanktion, die in Gewalt überzugehen drohte. Gegen die seine Ehre berührende Drohung, die auch seine religiöse Vorstellung und Praxis in Frage stellte, setzte Mayer Malsch die Forderung nach einem angemessenen Verhalten des Beamten. Er bestand auf der Selbstkontrolle des Amtskellers, auf der Achtung vor der Ehre des Untertanen. Wenn er sich gegen die Bezeichnung als „Schelm“ zur Wehr setzte, betraf dies nicht nur ihn: Juden und „Schelme“ waren fest miteinander verbundene Bezeichnungen. Mayer Malsch verlangte so auf dem Feld der Ehre die Gleichbehandlung eines Juden generell mit den Christen und die Integration in eine Christen und Juden übergreifende staatliche Ordnung,62 auch wenn das nicht auf umfassende rechtliche oder soziale Gleichheit hinausging.

57 58 59 60 61 62

Namens, S. 29f.) Er dürfte mit Löw Berez identisch sein, obwohl Preuß das Zeugnis auf das Jahr 1769 datiert. GLAK 61/189 HR 30.1.1759 Nr. 32. Ansgar Marx, Familie und Recht im Judentum, http://www-fh-braunschweig.de, S. 5f. (30.9.2007). GLAK 61/189 HR 20.2. 1759. GLAK 61/189 HR 17.5.1759 Nr. 4. Zur Kopfbedeckung im Alltag mit ihren sozialen und im jüdischen Bereich religiösen Konnotationen und zur Gefährdung der Ehre durch Gewalt Preuß, ... aber die Krone des guten Namens, S. 92–94. Zum Bewusstsein von Juden, in die staatliche Ordnung integriert zu sein, Ulbrich, Shulamit und Margarete, S. 288.

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Gewalt

Es lässt sich nicht erkennen, dass die Gewalt der Mohrenfeld’schen Leute eine antijüdische Gewalt war; sie gingen, wie das Amt Steinbach berichtete, auch gegen christliche Einwohner vor.63 Bei Zacharias Cassel wurde Gewalt durch einen einzigen Jugendlichen oder jungen Mann ausgeübt, im Unterschied zur Gewalt, die von gewalttätigen Gruppen ausgegangen war.64 Wie die Leute Mohrenfelds erhob sich der „Student“ über den Juden; seine Ehre stand in Frage als eine Folge der gerüchteweise angenommenen harten, entehrenden Bestrafung. Die Klage eines Juden zielte, wenn seine Ehre durch Gewalt verletzt war, auf die Ebenbürtigkeit zwischen dem Juden und dem Christen – die Juden sahen die Zeit als beendet an, in der Christen von Juden ihr Einverständnis in soziale Unterordnung erwarten konnten. Es liegt nahe, die Beschuldigung von Zacharias Cassel durch den Lehrer in Rastatt als ein Mittel anzusehen, den Sohn des langjährigen Anwalds Daniel Cassel65 zu diskreditieren und gleichzeitig die ganze Judenschaft in eine ungünstige Position zu bringen. Das Interesse des Lehrers, es den Rastatter Schutzjuden für seine Entlassung heimzuzahlen, verdeutlicht dabei, wie gravierend der Vorwurf sein musste, den Berez erhob. Aus der Sicht der Regierung war ungenügende „Nachgiebigkeit“ eines Sohnes wie Gewalt gegen die Eltern etwas, das ihr Eingreifen erforderte. Vielleicht lässt sich gerade das Vorgehen der Regierung in diesem Falle in eine allgemeine Tendenz des Regierungshandelns einordnen: Indem sie gegen zu geringe „Nachgiebigkeit“ vorging und dabei einen Begriff verwendete, der rechtlich nicht relevant war, zeigte sie ihr Bestreben, einen möglichen Konflikt schon früh einzugrenzen, bevor er zu einem rechtlichen wurde. Ob sich die Regierung so speziell gegen jüdische Einwohner verhielt, lässt sich ohne weitere Untersuchungen ihres Umgangs mit Gewalt in Familien nicht feststellen. Ein Unterschied in der Reaktion auf Gewalt von Christen und Juden lässt sich jedoch feststellen. 1725 bestrafte der Hofrat einen Sohn von Antoni Gotthardt66 in Bühl wegen seines „unartigen und sträflichen Lebenswandels“.67 Johann Gotthardt war, manchmal im Rausch, gegen seinen Vater und gegen seine Frau tätlich geworden.68 Seine Strafe bestand in einer „Turmstrafe zu wasser und brod“, und der Pfarrer musste ihn darauf hinweisen, dass sein Verhalten eine

63 GLAK 61/165 HR 18.6.1736 Nr. 4. 64 Zur Gewalt von Gruppen von Christen gegen Juden vor 1727 siehe auch S. 385ff. 65 Der über 70jährige Daniel Cassel wurde 1755 vom Rastatter Amtmann Louis Wilhelm Hornus als der Jude in der Residenz bezeichnet, der am ehesten als Oberschultheiß in Frage käme; Daniel wehrte sich aber unter Berufung auf sein Alters gegen diese Überlegung (GLAK 74/3731, Amtmann Hornus an Markgraf Ludwig Georg, 1.2.1755). 66 Zu Antoni Gotthardt siehe S. 300ff. u. ö. 67 GLAK 61/153 HR 21.6.1725. 68 GLAK 61/153 HR 1.3.1725 und 21.6.1725.

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„übertrettung der gebott der Kirche“ darstellte.69 Obwohl der Lehrer Berez Zacharias Cassel im Kontext religiöser Normen angeklagt hatte, griff die Regierung diesen Bezug, anders als bei Johann Gotthardt, nicht auf. Hier wurde der Rekurs auf die jüdische Religion als unangemessen angesehen, vielleicht ein Zeichen für ihre Geringschätzung, aber vielleicht auch dafür, dass ein religiöses Element im Bereich des Rechts gegen die Mitte des Jahrhunderts an Bedeutung verloren hatte. Das Vorgehen Mayer Malschs gegen den Schaffner Franz Nopper im Jahr 1744 beleuchtet, dass sich in dieser Zeit Juden gegen Gewalt oder ihre Androhung erfolgreich zur Wehr setzten.70 Im Verhalten der Juden untereinander lässt sich eine Konstante feststellen. Wie bei Schultheiß Joseph Jacob71 hatte Gewalt beim Anwald Cassel ihren Ort in der Synagoge, wohl auch bei Zacharias Cassel, der beim „Morgengebet“ seine Mutter schlug. Auffallend ist bei den genannten Schutzjuden, dass es Angehörige der lokalen oder regionalen Führungsgruppe waren, die in die Tätlichkeiten verwickelt waren und der Gewaltausübung beschuldigt wurden. Gewalt unter Juden war, so scheint es, nicht immer, aber doch noch immer ein Mittel zur Klärung von sozialen Positionen in der Judenschaft; insofern entsprach das Verhalten der Juden dem derjenigen Christen, die aus einer sozial übergeordneten Position heraus Gewalt gegen Juden anwendeten. Schon um 1700 beanspruchten die Schutzjuden die Geltung ihrer Ehrvorstellung über den Bereich der jüdischen Öffentlichkeit hinaus. In der nichtjüdischen Öffentlichkeit des Jahres 1744 war die Annahme vorhanden, dass Zacharias Cassel sich mit Geld seine Ehre abkaufen lasse; zugrunde lagen das Stereotyp des geldgierigen und ehrlosen Juden. Während die staatlichen Instanzen die Juden vor Gewalt und damit in ihrer Ehre schützten, grenzte sie die anonyme Öffentlichkeit aus dem Geltungsbereich der Ehre noch immer aus.

69 GLAK 61/153 HR 21.6.1725. 70 Zum Vorgehen von Mayer Malsch gegen Nopper siehe S. 390. 71 Zum Vorwurf der Gewaltanwendung Joseph Jacobs siehe S. 388f.

10  Zwischen Juden und Christen: eine „Schaidwandt“ aus Stereotypen 10.1  Um 1700: unter dem Einfluss des kirchlichen Antijudaismus „Überall, wo sich soziale Gruppen gegenüberstehen, scheinen sich Grenzen und Verwerfungen zu bilden, entlang derer sich Stereotype, die sich konträr gegenüberstehen, entwickeln.“1 Mit Hilfe dieser These soll im Folgenden ein Zugang zu Stereotypen versucht werden, die in den Beziehungen zwischen Juden und Christen in der Markgrafschaft Baden-Baden immer wieder auftauchten. Gerade im spannungsreichen Verhältnis zwischen der christlichen Mehrheitsgesellschaft und den Juden wurden besonders viele dieser stereotypen Vorstellungen verwendet, sei es bei Auseinandersetzungen um die Schutzaufnahme, bei wirtschaftlichen Aktivitäten oder bei Konflikten um die Ehre. Nur einige wesentliche Aspekte beim Gebrauch dieser Stereotype können hier untersucht werden. Stereotype sind „Denkschemata“, Generalisierungen, die für die einzelnen Akteure und Akteurinnen, für ihre Deutung der Welt und die Steuerung ihres Handelns erforderlich erscheinen. Sie sind vielfältige Hilfsmittel zwischen dem „Außen“ der Welt und „deren Repräsentationen“ im Denken.2 Schon die Kategorien „Christ“ und „Jude“ sind Schemata, oft nicht allein denotativ verwendet, sondern mit einer ausdrücklichen und gefühlsbestimmten Wertung verbunden. In der Frühen Neuzeit, spätestens seit dem 17. Jahrhundert, war der Gebrauch von „Jude“ weitgehend negativ konnotiert, ebenso die mit ihm verbundenen Ableitungen und Zusammensetzungen.3 Zu dieser negativen Verwendungsweise griff etwa Ludwig Gottlieb nach seiner Taufe, als er vom „Judenstreich“ des Oberschultheißen Samson Schweitzer sprach. Andere Stereotype hatten eine jahrhundelange Vorgeschichte, darunter die „Blutiglen“ oder „Blutegel“, von denen Hofrat Fortenbach sprach. Dieses Bild von blutsaugenden Tieren geht zurück auf die mittelalterliche Beschuldigung des Ritualmordes, nach der Juden Christen umbrachten, sei es aus Hass oder um ihr Blut für rituelle oder medizinische Zwecke zu verwenden.4 1 Konrad, Flexible Stereotypengeflechte, in: Rheinisch-westfälische Zeitschrift für Volkskunde 52 (2007), S. 225. 2 Ebd. S. 220f, Zitat S. 221. 3 Nicoline Hortzitz, Die Sprache der Judenfeindschaft, in: Julius H. Schoeps und Joachim Schlör (Hg.), Antisemitismus. Vorurteile und Mythen. München 1995, S. 19–40, hierzu S. 34. 4 Ebd. S. 23f. und Stefan Rohrbacher, Ritualmord-Beschuldigungen am Niederrhein. Christlicher Aberglaube und antijüdische Agitation im 19. Jahrhundert, in: Menora. Jahrbuch für deutsch-jüdische Geschichte 1990. München 1990, S. 299–326, hierzu S. 299.

Unter dem Einfluss des kirchlichen Antijudaismus 

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Im Blick auf die judenfeindlichen Stereotype insgesamt fallen, sowohl nach ihrem Umfang wie nach der mit ihnen vollzogenen scharfen Grenzziehung, zunächst die Äußerungen in der Zeit um 1700 am meisten auf. Direkt an den Häusern von Juden in Bühl und Ettlingen Interessierte, Vertreter der Kommunen und der Kirche unterbreiteten dabei der Regierung ein Bündel oder Geflecht von negativen Stereotypen. Der tradierte kirchliche Antijudaismus wirkte dabei noch immer. Exemplarisch vertrat ihn – wie in Ettlingen Pater Laurentius Flucke – der Jesuitenpater Bartholomäus Bollmeyer, um 1700 Ortsgeistlicher in Bühl, mit seinem Angriff auf Joseph Jacob, den dortigen Judenschultheiß. Seine judenfeindliche Predigt, deren Inhalt nicht im Einzelnen überliefert ist, war für die davon berichtenden anderen Vertreter seines Ordens kein Stein des Anstoßes; allein dass der Markgraf dagegen vorging, bedauerten sie.5 Insofern ist deutlich, dass Bollmeyer die Haltung seines Ordens repräsentierte. Bollmeyer verwendete als Invektive die Ausdrücke „Wucherkauf“ und „Wuchergriff“ und schrieb von jüdischen Eigenschaften wie Bosheit, Arglist, Mutwillen (im Sinne von Bereitschaft und Fähigkeit zu bösen Handlungen) und angeborenem Hass gegen das Christentum. Ein wesentlicher Zug in seiner Darstellung der Juden bestand darin, dass sie sich der Unterordnung unter die Christen widersetzen: Sie rotten sich zusammen, zeigen sich ohne Bedenken in der Öffentlichkeit, auch an den christlichen Sonn- und Feiertagen, sie verweigern die angebrachte Ehrerweisung und bedrohen die Ehre der Christen, indem sie heimlich mit Christen vertrauten Umgang suchen und mit ihnen zusammenleben. Es ist die kirchlich begründete und überlieferte Forderung nach der Knechtschaft der Juden unter den Christen, die Bollmeyer damit erhob. Zugleich, vielleicht noch wichtiger, stellte er das Verhalten der Juden als Angriff auf das Christentum dar. Gelächter, Spott und Hohn gießen sie über die Christen, ihre religiöse Zeremonien, über die Sakramente und vor allem über den gekreuzigten Christus aus – wobei Bollmeyer, da es allgemeine Vorstellung war, gar nicht darauf verweisen brauchte, dass die Juden doch schuldig seien an der Kreuzigung. Es ist Gotteslästerung, was sie treiben, und wenn er von der Synagoge des Teufels sprach, die sie errichtet haben, dann erinnerte er daran, dass die Juden die Teufel sind, die sich in der Synagoge versammeln und von dort aus die christliche Kirche angreifen; eine Abhilfe ist nur möglich, wenn diese „Synagoge“, das Haus mit seinem Betraum, den Juden weggenommen wird.6 5 Zur Predigt Bollmeyers siehe S. 312f. 6 Zur Vorstellung der Knechtschaft der Juden Karl-Erich Grötzinger, „Die Gottesmörder“, in: Julius H. Schoeps und Joachim Schlör (Hg.), Antisemitismus. Vorurteile und Mythen. München 1995, S. 57–66, hierzu S. 61f. Zur Vorstellung der Synagoge des Teufels und der Teufelskindschaft der Juden und dem Vorwurf der Verspottung des Christentums Rohrbacher und Schmidt, Judenbilder, S. 151–169.

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Zwischen Juden und Christen: eine „Schaidtwandt“

Wie stark die kirchliche Traditionslinie die Vorstellungen Bollmeyers bestimmte, vielleicht auch ohne dass er sich dieses Zusammenhanges bewusst war, wird in seiner Abhängigkeit von einem Konfliktschema ersichtlich, das sich um das Jahr 600 herausgebildet hatte. Papst Gregor I. musste sich zu dieser Zeit mit einem Angriff auf Juden im mittelitalienischen Terracina befassen. Dort fühlten sich die christlichen Einwohner bei ihrem Gottesdienst durch den Gesang in der Synagoge belästigt und vertrieben deshalb die Juden aus ihrem Versammlungsort. Der Entscheidung des Papstes folgend musste der zuständige Bischof den Juden einen anderen Platz in der Stadt zuweisen.7 Dieses „Großschema“ stattete Bollmeyer mit Einzelzügen aus, mit weiteren Stereotypen, die in den Bühler Verhältnissen zur Verfügung standen, etwa den angeblichen „Wucherkauf“, durch den sich Joseph Jacob widerrechtlich in den Besitz des umstrittenen Hauses gebracht habe. So oder ähnlich wird Bollmeyer, so lässt sich annehmen, auch in der Kirche gepredigt haben, vielleicht in einer derart gesteigerten Aggressivität, dass der Regierung nur eine negative Sanktionierung übrigblieb.8 In indirekter Form lassen sich damit Stereotype auch als Vorstellungen erkennen, die den Kirchenbesuchern, damit weitgehend allen christlichen Einwohnern bekannt waren und wohl auch zu ihren Vorstellungen gehörten. Mit Sicherheit ging es bei ihrem Gebrauch für einige Beteiligte um ihre materiellen Interessen, sei es für Franz Oser, der seine Wohnfläche auf die Kosten Joseph Jacobs erweitern wollte,9 oder für andere, etwa Krämer, die Juden als Hausbesitzer im Zentrum des Ortes und nahe am Markt als Konkurrenten bekämpften. Dieser Antijudaismus wurde um 1700 nun nicht von kirchlicher Seite aktiviert, um primär materielle Interessen einzelner Bürger zu unterstützen, mochte auch ein Vertreter dieser Vorstellungen wie Pater Bollmeyer es so darstellen. Es ging wohl gerade im Zusammenhang mit der besonders von den Jesuiten betriebenen konfessionellen Prägung der Markgrafschaft um die Durchsetzung des kirchlich-katholischen Alleinanspruchs auf den öffentlichen Raum.10 Auch auf der „weltlichen“, der kommunalen Seite mochte der religiöse Aspekt seine Bedeutung haben. Die Gemeinden sahen sich hierbei, im Zeichen der politischwirtschaftlichen Reorganisation der staatlichen Verhältnisse, zugleich in einem politischen Konflikt, in dem sie die Grenze des fürstlichen Einflusses auf die Gemeinde festlegen, den eigenen Einfluss auf die Regierung klären wollten, ab7 Karl Suso Frank, „Adversus Judaeos“ in der Alten Kirche, in: Bernd Martin und Ernst Schulin (Hg.), Die Juden als Minderheit in der Geschichte. München, 2. Aufl. 1982, S. 30–45, hierzu S. 43. 8 Zur missbilligenden Reaktion der Regierung auf die Predigt von Bartholomeus Bollmeyer siehe S. 312. 9 Zum Interesse von Franz Oser siehe S. 297ff. 10 Zur Auseinandersetzung um den öffentlichen Raum in den Kommunen siehe S. 310ff. und S. 397f.

Unter dem Einfluss des kirchlichen Antijudaismus 

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gesichert über die unangreifbare religiöse Flanke. Alle Beteiligten in der Mehrheitsgesellschaft standen wohl unter dem Eindruck krisenhafter Verhältnisse. In Bühl war der größere Teil des Ortes erst 1688 endgültig unter die baden-badische Herrschaft gekommen, wie in Ettlingen hatten lange Kriegszeiten die Lebensbedingungen extrem verschlechtert – das Bewusstsein einer tiefen Krise dürfte sich verfestigt haben. So ging es wohl um die Stärkung der christlich-gemeindlichen Kohärenz durch das Schreckbild der feindlichen Juden.11 Gegen sie wurde eine „Schaidwandt“12 aus Stereotypen errichtet, die unter der Herrschaft von Markgräfin Sibylla Augusta in den Häusern, wo Juden und Christen zusammen wohnen wollten, ihre materielle Form erhielt. Das Selbstbewusstsein, mit dem Joseph Jacob in Bühl auf die antijüdischen Stereotype reagierte, seine Äußerung, ohne Konflikte „Neben, mit Undt bey Catholischen“ gelebt zu haben, repräsentierte wohl nicht einfach eine reale Erfahrung. Er erhob einen Anspruch, der seine Interessen verteidigen sollte und an dem er sich und die Regierung als Adressat zu orientieren versuchte; insofern dürfte diese Äußerung ebenfalls den Zug eines Stereotyps, eines positiven, enthalten. Damit ist seine Reaktion aber nicht nur als Folge der Angriffe Bollmeyers und der Bürgerschaft in Bühl zu verstehen. Sein Selbstbewusstsein, das sich hier und in anderen Situationen zeigte, könnte auch mit der zunehmenden wirtschaftlichen Bedeutung einzelner Juden zusammenhängen, gerade in der Zeit des Markgrafen Ludwig Wilhelm; in den Jahren um 1700 befand sich Mathias Schweitzer auf dem Weg, Hofjude zu werden und dies in der Öffentlichkeit darzustellen. Insofern erhielt der kirchliche Antijudaismus eine bis dahin – auf dem Boden der Markgrafschaft – neue Dimension: Er wurde zu einem, um eine antijüdische Metaphorik für die Synagoge umzuwenden, „Wachthaus“ gegen den Eintritt der Juden in den öffentlichen Raum vor allem der einzelnen Kommunen. Bartholomeus Bollmeyer thematisierte das auf seine Weise. Im Ausbreitungsmythos, den er für die Juden in Bühl entfaltete, sprach er die Wahrnehmung ihres verstärkten Auftretens an. Nachdem Joseph Jacob auf sein Haus verzichtet hatte und sich mit einem anderen in einer weniger zentralen Lage zufrieden gab, konnte auch der Ortsgeistliche seine Zufriedenheit ausdrücken; nach dem Hervortreten eines Juden aus dem Rand in die Mitte des gemeindlichen, als christlich beanspruchten Raums war jetzt der alte Zustand, die Grenze für die Juden bestätigt. Wie stark die lokalen Verhältnisse mit dem Hausbesitz der Juden in der Hauptstraße verunsichert wurden und ebenso das Stereotyp der Unangemessenheit dieses Zustandes, bestätigte sich in den folgenden Jahrzehnten. 1755 erhoben die markgräflichen Schutzjuden den Anspruch auf ein verbrieftes Recht auf Hausbesitz im Zentrum der Gemeinden. Ein halbes Jahrhundert später, nach 1800, erwarb in 11 Zur Verstärkung von Kohärenz im Konflikt um den Handel um 1710 siehe S. 291f. 12 Zur Abtrennung der Wohnungen von Juden und Christen innerhalb eines gemeinsam genutzten Hauses siehe S. 330ff.

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Zwischen Juden und Christen: eine „Schaidtwandt“

Bühl der im dortigen jüdischen Armenhaus aufgewachsene hessisch-hanauische Hofagent und erste jüdische Gemeindebürger Marum Wolf gleich drei Häuser an der Hauptstraße,13 wohl eine Demonstration seiner wirtschaftlichen Möglichkeiten und seiner sozialen Ansprüche. Und 1953 wurde Max Haefelin14 aus der Familie eines Bühler Weinhändlers im 19. Jahrhundert nach seinen Erinnerungen besonders an die Juden in Bühl gefragt. In seiner Antwort erwähnte er den Hauserwerb durch einen jüdischen Einwohner in der Hauptstraße und fuhr dann fort: „In der Oberstadt [dem südlichen Teil der Hauptstraße] gabs überhaupt keine Juden, nur in der Unterstadt [dem nördlichen Teil], aber da war ja jedes andere [jedes zweite] Haus ein Judenhaus.“15 In der trügerischen Erinnerung, dass jedes zweite Haus einem Juden gehörte, war der Eindruck verfestigt, wie gar zu viele Häuser in den Besitz von Juden gekommen waren und sich die Juden in der Hauptstraße ausgebreitet hatten, in der Perspektive der Nichtjuden ein Vorgang der erinnernswerten Anomalität, gefasst in das Stereotyp des „Judenhauses“.

10.2  In der Mitte des Jahrhunderts: Ökonomisierung und Säkularisierung 1744 ging es in einer Supplik der christlichen Einwohner in Malsch darum, dass die Zahl der dortigen Juden reduziert werden sollte. Im Zusammenhang mit diesem Ziel sind in ihrer Supplik stereotype Vorstellungen wie die Vermehrung der Juden, ihre Schädlichkeit etwa durch den Kauf von Häusern verwendet, die auch 1696 eingesetzt worden waren. Was allerdings fehlt, ist der direkte Rekurs auf Stereotype aus dem religiösen Bereich. Ähnliches lässt sich feststellen, als die Regierung, vielleicht im Zusammenhang mit der Beschwerde aus Malsch, 1744 und im folgenden Jahr die Frage eines Endes der Schutzaufnahmen, damit das Ende jüdischen Lebens in der Markgrafschaft überlegte. Die Schädlichkeit der Juden, der ausbleibende Nutzen aus ihrer Anwesenheit für die Regierung waren die Stereotype, mit denen die „Eliminierung“ der Juden befürwortet wurde. Wie bei den Einwohnern in Malsch spielte in direkter Weise die religiöse Grenzziehung keine Rolle. Oder doch. Mit der Bezeichnung als „Blutiglen“, die aus der Markgrafschaft vertrieben werden sollten, war noch immer die Konnotation des Ritualmordes möglich. Seit dem 16. Jahrhundert wurde das Stereotyp „Blutegel“ zur Veranschaulichung der wirtschaftlichen Schädlichkeit aktiviert, die Christen durch Juden erleiden.16 Mit 13 Zu Marum Wolf siehe auch S. 18. 14 Max Haefelin, geboren 6.9.1867 in Bühl, gestorben 30.3.1966 in Bühl. Für die Mitteilung danke ich Dr. Marco Müller, Bühl. 15 Kopie des Briefes von Max Haefelin an eine Einwohnerin in Bühl im Archiv des Verfassers. 16 Hortzitz, Die Sprache der Judenfeindschaft, in: Schoeps und (Hg.), Antisemitismus, S. 23f.

Ökonomisierung und Säkularisierung 

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diesem Stereotyp sollte nun 1745 in der Bildlichkeit des „Blutigels“ den Juden ihre Menschlichkeit abgesprochen und damit ihre „Eliminierung“ als Notwehr gerechtfertigt werden. Das „Absterben“ der jüdischen Familien in der Markgrafschaft wurde dabei nur als zeitlich ferne, noch unsichere Möglichkeit gedacht; trotzdem, hier lässt sich verfolgen, wie ein Denkschema gebraucht und verstärkt wurde, das dann im 19. und 20. Jahrhundert seinen „Tötungsappell“ erhielt.17 In den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts hatten Geistliche in der Markgrafschaft – wie in vielen Gebieten des Alten Reiches allgemein18 – die Interventionen gegen Juden unterstützt, wenn nicht angetrieben, in Bühl, in Ettlingen, in Beinheim, in Steinbach und in Müllenbach. Indem die Jesuiten in Bühl und in Ettlingen besonders hervortraten und auf die judenfeindlichen Vorstellungen in der Bevölkerung zurückgriffen, war dies die andere Seite ihrer „Förderung populärer Formen der Religiosität“.19 In besonderer Weise wird dieses Bemühen auf dem Gebiet der Markgrafschaft mit der Marienwallfahrt nach Bickesheim sichtbar. Sie war durch Markgraf Wilhelm 1632 den Jesuiten anvertraut worden und fand die Unterstützung durch Ludwig Wilhelm, Sibylla Augusta und ihren Sohn Ludwig Georg.20 Manche in der Bevölkerung verbreiteten Erscheinungsformen von Religiosität bekämpften die Jesuiten als Aberglaube, verfolgten aber auch andererseits eine „Anspassungsstrategie“ hinsichtlich der Bedürfnisse in der Bevölkerung. Insofern könnte ihr Vorgehen mit judenfeindlichen Stereotypen ein Mittel zur Sicherung ihres Einflusses gewesen sein.21 Der Einfluss der Jesuiten nahm aber im Verlauf des Jahrhunderts ab, als Folge aufgeklärten Denkens.22 Das gewann in der Mitte des 18. Jahrhunderts selbst in kirchlichen Kreisen an Kraft, auch wenn barocke Frömmigkeit die katholischen Gebiete Süddeutschlands weiter prägte.23 So entstanden Bedingungen, die zumindest innerhalb der Regierung um die Jahrhundertmitte den Rückgriff auf religiös bestimmte Denkschemata erschwerten. Die Auseinandersetzung mit dem „Rückständigkeitsgefühl“24 in katholischen Staaten deutete sich auch im baden17 Ebd. S. 25f. 18 Zur Rolle der Geistlichen bei der Aufrechterhaltung des antijüdischen Hasses allgemein Herzig, Jüdische Geschichte, S. 143f. 19 Herrsche, Muße und Verschwendung, Teilband I, S. 209. 20 Clemens Rehm, Jesuiten in Bickesheim, in: Brüning und Rehm, Ein badisches Intermezzo, S. 44–45, hierzu S. 45. 21 Zur Analyse des Vorgehens der Jesuiten allgemein Hersche, Muße und Verschwendung, Teilband II, S. 210, Zitate ebd. 22 Zu dieser Entwicklung unter Bezug auf die Markgrafschaft Strobel, Die Jesuiten, in: Barock in Baden-Württemberg, Bd. 2, S. 384. Zur allgemeinen Entwicklung hin zum Bedeutungsverlust der Jesuiten im Zusammenhang mit der Aufklärung Herrsche, Muße und Verschwendung, Teilband I, S. 210. 23 Hersche, Muße und Verschwendung, Teilband II, S. 960ff. 24 Ebd., S. 969.

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Zwischen Juden und Christen: eine „Schaidtwandt“

badischen Hofrat an, wenn von „aufgeklärten Zeiten“ die Rede war, in denen Juden anders behandelt werden sollten als zuvor.25 Damit waren in der Regierung Voraussetzungen entstanden, die das antijüdische Stereotypengemenge in der Markgrafschaft – wie auch allgemein feststellbar – neu akzentuierte.26 Zwischen der Zeit um 1700 und der Jahrhundertmitte hatte sich in der Markgrafschaft – zumindest auf der Regierungsebene – im Gebrauch stereotyper Vorstellungen eine Art von Säkularisierung vollzogen. Religiöse Vorstellungen verloren an Bedeutung; eine „Ökonomisierung“ in den Äußerungen von Judenfeindlichkeit hatte stattgefunden oder trat nun stärker hervor: Juden sollten „eliminiert“ werden, weil sie die christlichen Untertanen „aussaugten“. Allerdings setzte sich doch wieder die Auffassung durch, dass Juden zumindest über ihre Schutzgelder dem Staat einen Nutzen brachten. Zugleich spiegelt sich in den Stereotypen wider, wie sich in Teilen der Regierung Vorstellungen verändert hatten. Im 17. Jahrhundert war die Nutzbarkeit der Juden für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes angedacht, unter Markgraf Ludwig Wilhelm in Teilen praktiziert worden. Strukturelle Voraussetzungen – ökonomische Voraussetzungen, auch die Wirtschaftseinstellung in der katholischen Markgrafschaft – und die Judenfeindschaft vor allem unter Markgräfin Sibylla Augusta hatten diesen Weg zu einer anderen Einstellung gegenüber Juden untergraben. Durch eine Hintertür kam gegen die Mitte des 18. Jahrhunderts die wirtschaftlich bestimmte Perspektive zurück; der ausbleibende Aufschwung und die Fortdauer ökonomischer Probleme aktualisierten das Stereotyp der schädlichen Juden. Auf der jüdischen Seite lässt sich 1735 für Malsch eine Vorstellung feststellen, die im Gegensatz zur christlichen stand. Unverkennbar ähnlich wie Joseph Jacob 1696 zeigten Malscher Juden – allerdings nicht direkt auf die Supplik der christlichen Bürger reagierend, sondern schon vorher – ihr Selbstbewusstsein: Ehre, Redlichkeit, ein nützliches Leben in der örtlichen Solidargemeinschaft, das waren die Ansprüche, die Löwel und Abraham für sich erhoben, wie sie schon vorher andere Juden geltend gemacht hatten. Demgegenüber blieben die christlichen Einwohner in Malsch bei ihrer Ablehnung weiterer Schutzaufnahmen und betonten gerade somit die Grenze zwischen sich und den Schutzjuden, die diese Abgrenzung in Frage stellten. Sie nahmen den Anspruch von Juden auf ein Leben in der lokalen Gemeinschaft wahr, und gerade weil sie nicht mehr betont religiöse Stereotype aufgriffen, könnte als Kompensation die Segregation über die „ökonomisierte“ oder „rationalisierte“ Abgrenzung wichtig gewesen sein. Eine ähnliche Verschiebung des Schwerpunktes spielte sich beim Gebrauch der Vorstellung ab, dass Juden Krankheiten verbreiten. Dieses Stereotyp war zu25 Zu dieser Äußerung siehe S. 249. 26 Breuer, Frühe Neuzeit und Beginn der Moderne, in: Breuer und Graetz, Deutsch-jüdische Geschichte, Bd. 1, S. 151.

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erst im späten Mittelalter verwendet worden, anders als bei der „Teufelssynagoge“ ohne jeden religiösen Bezug; es bestand im Vorwurf der „Brunnenvergiftung“, damit der Verbreitung der Pest.27 Johann Adam Zettwoch, der Amtmann in Bühl, sah 1697 eine Gefährdung für das Vieh der christlichen Einwohner durch kranke Tiere, welche die Juden auf die gemeinsame Weide brachten.28 1712 verbanden die christlichen Einwohner in Bühl ihre Bitte um die Verringerung der Zahl der Juden mit der Gefahr, die deren Vieh für das eigene bringe.29 1721 warnte der Amtmann Harrandt vor der Ansteckung von Christen durch Krankheiten der Juden.30 Auch gegen eine Schutzaufnahme, die von Löw Jacob in Durbach oder Nesselried, wurde 1736 bzw. 1738 die Gefährdung des Viehs vorgebracht,31 mit der unausgesprochenen Annahme, Löw Jacob würde mit krankem Vieh handeln. Und um 1770 erschien ein Wiedergänger: Die Regierung verbot den Aufenthalt von „frembden Bettel Juden“ in der Markgrafschaft mit der Begründung, in Polen sei die Pest ausgebrochen; viele Menschen, „besonders aber Juden“, die vor ihr flohen, würden so die Krankheit ausbreiten.32 Immer, wie schon bei der frühen Verwendung dieses Stereotyps, ging es nur an der Oberfläche um den Kampf gegen eine gesundheitliche Gefahr. Es ging im Wesentlichen um die Verringerung der Zahl der Juden, um ihren Ausschluss von der Weide, die Verhinderung einer Schutzaufnahme oder des Aufenthalts von Betteljuden – vielleicht auch um die Dämonisierung der Juden als Sündenböcke im Zuge der jahrhundertealten und andauernden Judenfeindschaft33 oder je nach der Situation um das eigene Selbstbild. Dass es zu viele Juden in einzelnen Orten oder in der ganzen Markgrafschaft gab, das war – den überlieferten Quellen nach – das am meisten gebrauchte Stereotyp. Es wurde allein zwischen 1745 und 1771 bei 23 Schutzaufnahmen verwendet.34 Schon 1650 war es vorhanden, als die Regierung die Schutzjuden davor warnte, ohne Genehmigung weitere Juden aufzunehmen. Bartholomeus Bollmeyer ging darauf ein mit seinem Ausbreitungsmythos über das Anwachsen der Juden. Die Gemeinden verwendeten es, wenn sie eine Aufnahme bekämpf27 František Graus, Judenpogrome im 14. Jahrhundert: Der Schwarze Tod, in: Bernd Martin und Ernst Schulin (Hg.), Die Juden als Minderheit in der Geschichte. München, 2. Aufl. 1982, S. 68–84, hierzu S. 70ff. 28 Zur Bemerkung von Zettwoch siehe S. 281. 29 Zur Äußerung der Einwohner in Bühl S. 51. 30 Zur Äußerung des Amtmanns von Harrandt siehe S. 62. 31 Dazu S. 134. 32 GLAK 74/3705, 10.10.1761. 33 Auf diesen weiten Kontext antijüdischer Stereotypen und Vorgehensweisen weist František Graus, Judenpogrome, in: Martin und Schulin (Hg.), Die Juden als Minderheit in der Geschichte, S. 83, hin. 34 Zu den Hinweisen auf die Zahl der Juden, die nicht erhöht werden sollte, siehe S. 105ff., Tabelle V, ohne Einzelnachweise.

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ten, und die Regierung hielt bei zahlreichen Schutzerteilungen ausdrücklich fest, dass sich die Zahl der Juden nicht erhöhen würde oder dass sie die Schutzaufnahme wegen der Zahl der Juden verweigerte. Einzelne Juden gingen in einem für sie positiven Sinne auf dieses Stereotyp ein, wenn sie betonten, eine Aufnahme würde die Zahl der Schutzjuden nicht erhöhen;35 ihnen war also bewusst, dass sie mit dieser Vorstellung rechnen mussten. Immer, wenn auf dieses Stereotyp Bezug genommen wurde, korrespondierte es mit einem anderen, nämlich der Belastung oder dem Schaden, den die Anwesenheit von Juden mit sich brachte. Seit 1648 stieg die Bevölkerung an; spätestens um 1800 war überall der Stand vor dem Dreißigjährigen Krieg wieder erreicht.36 Seit 1698, nach der Festlegung auf 42 Familien für die Kerngebiete des Landes um die Residenzen, stieg die Zahl der Schutzjuden nicht mehr, ihr relativer Anteil sank. Trotzdem, das Stereotyp der wachsenden Zahl von Juden wurde wohl noch mehr gebraucht. Das könnte mit der Eigenart dieses Stereotyps zusammenhängen. Im Unterschied zu den Vorstellungen mit religiösem Hintergrund konnte es geradezu als „neutral“, als scheinbar objektives Argument erscheinen, enthielt es doch nur einen indirekten Angriff. Insofern ermöglichte das Festhalten an der „Zahl“ auf der christlichen Seite, Zweifel an der Verlässlichkeit der eigenen Positionierung zu verdrängen. So trug diese Vorstellung im neu akzentuierten Geflecht von Stereotypen wohl dazu bei, das christliche Selbstbild zu bekräftigen und die eigene Identität – eine wesentliche Leistung von Stereotypen allgemein37 – in der Auseinandersetzung mit den Juden zu stärken. Dieses Stereotyp der zunehmenden Zahl betonte die „Neutralität“, vernachlässigte scheinbar die religiöse Grenzziehung und stellte Regierungsmitglieder wie Bevölkerung, aus der eigenen wie aus der Perspektive von anderen, auf die „Höhe der Zeit“. Gleichzeitig wurden die Juden in der markgräflichen Verwaltung mit ihrem „albernen gesatz“, ihrer Religion,38 in die Vergangenheit zurückverwiesen. Insofern diente doch auch dieses Stereotyp der Grenzziehung zwischen Christen und Juden.

10.3  Veränderlichkeit oder Resistenz? Im Zusammenhang mit der Veröffentlichung Christian Wilhelm Dohms „Über die bürgerliche Verbesserung der Juden“ 1781 kennzeichnete Moses Mendelssohn 1782 die Veränderung der negativen Stereotypen so: Der Vorwurf einer Feindschaft gegen das Christentum habe seine Wirkung verloren. Jetzt gehe es um Vor35 Zu Abraham und Löwel siehe S. 79ff. 36 Schwarzmaier, Baden. Dynastie – Land – Staat, S. 137. 37 Konrad, Flexible Stereotypengeflechte, in: Rheinisch-westfälische Zeitschrift für Volkskunde 52 (2007), S. 219. 38 Zur Beurteilung der jüdischen Religion als „albernes Gesatz“ siehe S. 496 und S. 504.

Veränderlichkeit oder Resistenz? 

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würfe wie kulturelle Unterlegenheit, fehlende Nützlichkeit, von „Aberglaube und Dumheit“ (sic), mit dem Ziel, Juden den Zugang in die bürgerliche Gesellschaft zu verweigern.39 Von diesem Zitat ausgehend lässt sich die Veränderung der Stereotypen in der Markgrafschaft und vielleicht darüber hinaus so beschreiben: Um die Jahrhundertmitte war die Perspektive, in der Juden Feindschaft gegen die Christen vorgeworfen wurde, durchbrochen und geschwächt, selbst in einem Territorium wie der Markgrafschaft, in dem die Aufklärung mit ihrer rationalistischen Haltung noch wenig Leuchtkraft besaß. Sie wurde durch eine Perspektive ersetzt, die sich auf den wirtschaftlichen Schaden oder Nutzen ausrichtete. Von einer „bürgerlichen“ Gleichstellung der markgräflichen Schutzjuden, ihrer Integration in Gesellschaft zu ihrem und dem Nutzen des Staates wie bei Dohm war in der Regierungselite der Markgrafschaft Baden-Baden noch nicht die Rede. Dennoch, die Schutzjuden versuchten gegen antijüdische Stereotype – in Malsch wie vorher in Bühl – mit ihren Vorstellungen vorzugehen, die sie vor allem an die Regierung richteten. Deren Verhalten sollte beeinflusst werden. Es gibt Anzeichen dafür, dass die Regierung in Rastatt hier weniger zu beeindrucken war als die in Karlsruhe. Marx Weil in Kippenheim supplizierte schon 1732 bei der Regierung in Baden-Durlach wegen der Befreiung vom Geleit, mit dem Hinweis, dass er – nicht weiter beschriebene – Leistungen für den Markgrafen oder die Regierung erbringe. Der Geheime Rat bewilligte die Geleitsbefreiung, wenn Marx Weil bei „Herrschaftlichen Geschäften“ in die Markgrafschaft BadenDurlach komme.40 In der Geleitforderung war eine der stärksten Diskriminierungen der Juden enthalten, die Grenze zwischen ihnen und den Christen an der territorial-staatlichen Grenze am deutlichsten markiert. Als Oberamtmann Dyhlin 1763 eine Befreiung vom Geleit für die Juden in Erwähnung brachte, die eine Postkutsche benutzten, ging die Regierung darauf nicht ein, war also nicht einmal dazu bereit, auf eine Diskriminierung von Juden zu verzichten, die ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit oder Nützlichkeit bewiesen. Die Grenze zwischen der Mehrheit und der Minderheit war, darauf wies der Hoffaktor Salomon Meyer 1770 hin, auch in der Bevölkerung noch intakt: Juden erwarteten in der Not des Alltags keine Hilfe von Christen, und diese seien auch nicht zur Hilfe bereit.41 Eine Generation danach hatte sich in der Einstellung zur Hilfe in Not zumindest auf der jüdischen Seite der Grenze etwas geändert. Miriam Koppel in 39 Michael Graetz, Jüdische Aufklärung, in: Mordechai Breuer und Michael Graetz (Hg.), Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. 1, Tradition und Aufklärung 1600–1780 (Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, hg. im Auftrag des Leo Baeck Instituts von Michael A. Meyer unter Mitwirkung von Michael Brenner). München 1996, S. 251–350, hierzu S. 320f., die Äußerung Mendelssohns ebd. S. 320. 40 GLAK 61/432 GR (Karlsruhe-Durlach) 21.4.1732 Nr. 382 ½. 41 Zur Äußerung Salomon Meyers siehe S. 489.

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Zwischen Juden und Christen: eine „Schaidtwandt“

Bühl, die Witwe von Kaufmann Koppel, starb 1798. In ihrem Testament hatte sie zwei Jahre zuvor zahlreiche Legate für ihre Verwandtschaft und andere Juden und Jüdinnen festgelegt, und ebenso – als erste der Bestimmungen – für „die hiesigen christlichen Haus und anderen Armen“, für „Hausarme [Arme im Gegensatz zu öffentlich bettelnden Armen]“ und andere Christen in Not 30 Gulden.42 Miriam Koppel handelte nicht unvorbereitet: Joseph Jacob, Abraham und Löbel in Malsch bzw. Lichtenau und die armen Juden Moyses Joseph und Eysig in Muggensturm43 hatten das Überschreiten dieser Grenze in Worten eingefordert und damit wie Juden allgemein, wenn sie wirtschaftliche Leistungskraft über ihre Gesellschaft hinaus erwiesen, diese neue Orientierung vorbereitet. Die religionsgesetzlich begründete Zedaka, die Wohltätigkeit, „muß sich in konkretem, alltäglichen Handeln erweisen.“44 Miriam Koppel folgte dieser tradierten Norm, ohne grundsätzlich zwischen Juden und Christen zu unterscheiden. Sie machte damit für die christliche Mehrheitsgesellschaft in ihrem Handeln wahrnehmbar, was zuvor Juden verbal geäußert hatten, wenn sie ihre Nützlichkeit im Zusammenleben mit den Christen betonten. Dass Miriam Koppel dabei die Absicht verfolgte, Stereotype wie die Schädlichkeit der Juden zu widerlegen, lässt sich nicht nachweisen. Aber sie legte auf dem Gebiet der Wohltätigkeit ein Stück der Grenze zwischen Juden und Christen nieder, die noch Salomon Meyer drei Jahrzehnte zuvor als unerschüttert erwähnt hatte, und stellte so mit ihren Mitteln die Voraussetzungen für die Existenz von Stereotypen infrage. Jüdische Menschen stellten also seit 1700, in einer größeren Anzahl als vielleicht im Alltag der ländlichen Judenschaft zu erwarten, das Denken in stereotypen Vorstellungen seit 1700 zur Disposition; selten, wie 1757 bei Hofrat Knoodt und im Hofratskollegium insgesamt, deutete sich das auch auf der christlichen Seite an.45 Vielleicht besteht dabei ein Zusammenhang zwischen den Akteuren der Minderheitsgesellschaft und der Bereitschaft unter Beamten, judenfeindliche Positionen in Ansätzen zu revidieren. Die „antijüdische Grunddisposition“46 wurde dadurch kaum beeinflusst. Existierte in all den Vorgängen auf dem Feld der jüdisch-christlichen Beziehungen, in dem Stereotype verwurzelt waren, eine „Entwicklung“? Stereotype 42 GLAK 236/19713, S. 33, 11.12.1796. 43 Zu Joseph Jacob siehe S. 300, zu Abraham und Löwel S. 79f., zu Joseph Moyses und Eysig S. 488f. 44 Thomas Kollartz, Zum Umgang mit jüdischer Armut im 18. Jahrhundert am Beispiel Friedbergs. Wege der Tradition und Wege der Aufklärung, in: Menora. Jahrbuch für deutsch-jüdische Geschichte 1996. Frankfurt 1996, S. 299–323, Zitat S. 308. 45 Zur Haltung des Hofrats Knoodt und des Hofratskollegiums siehe S. 248f., S. 495ff. und S. 501ff. 46 Friedrich Battenberg, Das europäische Zeitalter der Juden. Zur Entwicklung einer Minderheit in der nichtjüdischen Umwelt Europas, Bd. 2: Von 1650 bis 1945. Darmstadt 2000, 2. Auflage, S. 367.

Veränderlichkeit oder Resistenz? 

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405

sind mit einem starken Faktor von Resistenz ausgestattet, und gerade die religiös bestimmten antijüdischen Vorstellungen waren über Jahrhunderte hinweg fest eingewurzelt. Aber ihre Wirkungsmöglichkeit wurde beeinflusst durch Akteure und Akteurinnen auf beiden Seiten der Grenze, verstärkt in der Zeit ab 1700, in Wechselwirkung wohl auch mit selbstbewussten Reaktionen von Juden. Abhängigkeiten wie die der Regierung, als sie über die „Eliminierung“ der „Blutiglen“ beriet, oder die Verstärkung von Aufklärung und Rationalismus formierten die Konstellationen der Stereotypen mit. Unterschiede sind erkennbar: Um 1700 trugen Einzelne und die Gemeinden die stereotypen Vorstellungen an die Regierung heran, um die Jahrhundertmitte verschärften sich teilweise die Vorstellungen auf der Ebene der Regierung. Allerdings, eine „Entwicklung“ im Sinne eines deutlichen Fortschritts, eines Zurücklassens von Stereotypen blieb aus. Im Geflecht der Stereotypen fanden Verschiebungen statt, aber kein Bruch. Ihn hätte vielleicht eine rasche und grundlegende Neuformierung der Verhältnisse zwischen der christlichen und jüdischen Gesellschaft und der Gesellschaft insgesamt herbeiführen können.47 Stattdessen dauerte es nach dem Ende der Markgrafschaft noch ein ganzes Jahrhundert, bis in Deutschland auch nur die rechtlichen Schranken der Ungleichheit fielen. Ein Ende der antijüdischen Stereotype war so offensichtlich nicht erreichbar; nach 1871, im Zeichen neuer gesellschaftlicher Entwicklungen, kehrte der „Wucherer“ als der jüdische „Kapitalist“ wieder48 – nur ein Beispiel für viele der alten antijüdischen Vorstellungen in einem neuen Kleid. Selbst nach dem Holocaust wurden auf dem Gebiet der ehemaligen Markgrafschaft BadenBaden antijüdische Stereotype weiter benutzt, vielleicht eher unbedacht als mit Überlegung. Der bereits erwähnte Max Haefelin schrieb 1959 eine „Kleine Plauderei über die alten Bühler Judenfamilien“, die in einer Veröffentlichung der Stadt Bühl erschien. Haefelin vermischte Anerkennung und Stereotype: Es gab „nicht nur wohlhabende, sondern auch vornehme Juden“ und Juden im „Viehhandel, der oft nur eine sehr geschickte Tarnung für Geldgeschäfte“ war; dabei „half nun der Jude großzügig mit Darlehen aus, wobei er sicherlich seinen Vorteil zu wahren wußte.“ Selbst das Stereotyp der großen Zahl von Juden erschien wieder, seine Harmlosigkeit scheinbar nochmals steigernd: „Judenfamilien“ habe es in einer „an sich nicht gerade kleinen Zahl“ gegeben.49

47 Reinhard Rürup, Die ›Judenfrage› der bürgerlichen Gesellschaft und die Entstehung des modernen Antisemitismus, in : Ders.: Emanzipation und Antisemitismus. Studien zur ›Judenfrage› der bürgerlichen Gesellschaft. Frankfurt 1987 (Erstausgabe 1975), S. 93–119, hierzu S. 106. 48 Ebd., S. 105 49 Max Haefelin, Kleine Plauderei über die alten Judenfamilien, in: Bühler Blaue Hefte. Heimatgeschichtliche Blätter Nr. 4, 1959, 24–27, Zitate S. 24f.

11  Landjudenschaft und Judenoberschultheißen 11.1  Auf dem Weg zu einer Landjudenschaft 11.1.1  Das Amt der Judenschultheißen Die folgende Übersicht über die Judenschultheißen bis 1728 (Tabelle XV, Judenschultheißen 1649 bis1728, S. 406f.) legt nahe, von der Gleichzeitigkeit mehrerer Träger dieses Amtes auszugehen und es als ein kollektives oder kooperatives Amt zu verstehen. Die Aktivitäten, die für die jeweiligen Amtsträger feststellbar sind, erweisen sich allerdings oft als Tätigkeiten einzelner Schultheißen. Am Ende dieses Zeitraums wurde Isaac Bodenheimer als einziger Schultheiß genannt, nachdem zunächst noch Moyses Schweitzer „Mitschultheiß“ war. 1730 fing mit Isaac Bodenheimer ein „Judenoberschultheiß“ an zu handeln, und andere Schultheißen sind für zwei Jahrzehnte nicht mehr überliefert.1 Die Aufnahme von Hirzel und Baruch in die Liste der Schultheißen ist insofern problematisch, als dadurch vielleicht ein Bruch verdeckt wird. Sie wurden als „Vorsteher“ bezeichnet, also mit der im Deutschen üblichen Bezeichnung für einen Parnoss, den Vorsteher einer Judenschaft, sei es einer lokalen Gemeinde oder einer Landjudenschaft. Die späteren Vertreter der baden-badischen Juden werden in den amtlichen Quellen, und nur sie stehen zur Verfügung, als Schultheißen bezeichnet. Möglicherweise macht dies deutlich, dass nun die Vertreter der Judenschaft vor allem Amtsträger im markgräflichen Staat sein sollten, weniger autonome Vertreter der Judenschaft. Der Mangel an Informationen über ihre Amtszeit verhindert, diesen Übergang genauer zu thematisieren. Tabelle XV:  Judenschultheißen 1649 bis 17282 3,4,5 Name

Ort

Jahr der Angabe

Hirzel Baruch

Stollhofen Ettlingen

1650,3 16524 16505

1 Zu Isaac Bodenheimer als Judenoberschultheiß siehe v. a. S. 424ff. 2 In der Tabelle Nr. XV, Judenschultheißen 1649 bis 1728, S. 406f., sind die Amtsträger so zusammengestellt, dass die jeweiligen „Mitschultheißen“ erkennbar sind. 3 GLAK 61/120 HR 10.7.1651. 4 GLAK 61/121 HR 31.5.1652. 5 GLAK 61/120 HR 10.7.1750.

Auf dem Weg zu einer Landjudenschaft 

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Name

Ort

Jahr der Angabe

Isaac Aron

Ettlingen Baden-Baden

1680,6 1681,7 16848 1681,9 168510, 168611

Isaac Joseph Jacob Mathias Schweitzer

Ettlingen Bühl Baden-Baden

1700,12 170413 1700,14 170415 1700,16 170517

Isaac Joseph Jacob Mathias Schweitzer

Ettlingen Bühl Rastatt

170918 170919 170920

Isaac Hayum Flörsheim

Ettlingen Baden-Baden

Erwähnung der Neuwahl21 171122 171123, 171224

,, , , , , , , , , , , , , , , , ,

6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24

6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18

19 20 21 22 23 24

407

GLAK 61/125 HR 3.6.1680 Bl. 154v–155r. Zehnter, Juden in der Markgrafschaft Baden-Baden, in: ZGO 50 (1896), S. 382. GLAK 61/225 HK 28.6.1684. Zehnter, Juden in der Markgrafschaft Baden-Baden, in: ZGO 50 (1896), S. 382. GLAK 61/226 HK 20.11.1685. GLAK 61/227 HK 14.1.1686. GLAK 74/3725, Die drei Judenschultheißen Isaac, Joseph und Matzel an den Hofrat oder die Hofkammer, o. D. (1699). Das Schreiben der Judenschultheißen ist abgedruckt bei Cohn, Landjudenschaften, Bd. 3, S. 1444f. GLAK 61/243 HK 19.8.1704. GLAK 74/3725, Die drei Judenschultheißen Isaac, Joseph und Matz an den Hofrat oder die Hofkammer, o. D. (1699). GLAK 61/243 HK 19.8.1704 und 20.10.1704. GLAK 74/3725, Die drei Judenschultheißen Isaac, Joseph und Matz an den Hofrat oder die Hofkammer, o. D. (1699). GLAK 61/243 HK 19.8.1704. GLAK 61/137 HR 8.10.1709. Die Schultheißen Israel, Joseph Jacob und Matz Schweitzer wurden in der gegen sie gerichteten Beschwerde der Judenschaft 1709 namentlich genannt. Siehe dazu S. 420f. und GLAK 61/137 HR 8.10.1709. Siehe auch Cohen, Landjudenschaften, Bd. 3, S. 1444-1447, hierzu S. 1444f. GLAK 61/137 HR 8.10.1709. Ebd. GLAK 61/139 HR 24.3.1711. GLAK 61/139 HR 30.6.1711. Ebd. GLAK 61/247 HK 12.1.1712, GLAK 61/140 HR 1.3.1712 und 4.8.1712; „Befreiung“ von seinem Amt spätestens 12.12.1713 (GLAK 61/141 HR 12.12.1713).

408 

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Landjudenschaft und Judenoberschultheißen

Name

Ort

Jahr der Angabe

Moyses Schweitzer Salomon Moyses

Ettlingen Ettlingen

Erwähnung der Neuwahl25 171426 171427

Daniel Cassel

Rastatt

171428

Moyses Schweitzer

Ettlingen

171429

Schmaul

Bühl

1714,30 1716,31 171732

Mathias Schweitzer Schmaul

Rastatt Bühl

Erwähnung der Neuwahl33 171734 171735

Isaac

Ettlingen

171736

Moyses Schweitzer Daniel Cassel

Rastatt Rastatt

Erwähnung der Neuwahl37 172038 172039

Hayum Flörsheim

Baden-Baden

172040

Schmaul

Bühl

172041

, , , , , , , , , , , , , , , ,

25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41

25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41

GLAK 61/142 HR 20.3.1714. GLAK 61/142 HR 8.3.1714. Ebd. GLAK 61/142 HR 6.11.1714. Ebd., mit der Aussage, er sei ein Jahr und drei Monate im Amt), und ebd., 6.11.1714. GLAK 61/142 HR 6.11.1714. GLAK 61/144 HR 10.9.1716 und 14.9.1716. GLAK 61/145 HR 16.2.1717. GLAK 61/145 HR 2.3.1717. Ebd. GLAK 61/145 HR 2.3.1717, mit Matz Schweitzer zusammen als „neu erwählte“ Schultheißen genannt. GLAK 61/145 HR 2.3.1717 mit der Anfrage, ob an Isaacs Stelle, wegen seines Alters, nicht Cassel, Rastatt, zum Schultheißen ernannt werden sollte. GLAK 61/148 HR 29.2.1720. Ebd. Ebd. Ebd. GLAK 61/148 HR 8.6.1720, auf Antrag Cassels zum Schultheiß ernannt.

Auf dem Weg zu einer Landjudenschaft 

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Name

Ort

Jahr der Angabe

Isaac Bodenheimer

Bühl

172042

Rastatt Bühl

Erwähnung der Neuwahl43 172444 172445

Moyses Schweitzer Isaac Bodenheimer

409

, , ,

42 43 44 45

Bereits zwei Generationen vor Hayum Flörsheim nahmen 1650 Hirzel von Stollhofen und Baruch von Ettlingen unter den Schutzjuden eine besondere Stellung ein. In diesem Jahr ordnete der Hofrat die Zahlung des Schutzgeldes: Die Juden mussten es zur Weitergabe an die Landschreiberei46 bei den „Vorstehern“ Hirzel und Baruch abliefern, und ihnen hatten die übrigen Juden den „gebürenden gehorsamb Zu erweisen.“47 Hirzel richtete 1652 „in namen der gesamten Judenschaft“ eine Supplik an den Hofrat, in der die jüdischen Einwohner darum baten, bei ihren Konflikten untereinander „selbst entscheiden“ zu können. Der Hofrat verweigerte dieses Recht und schränkte eine autonome Entscheidung unter den Juden auf „Jüdische Streitigkeiten“ ein, auf den Bereich der religiösen Zeremonien;48 wie weit sich dieser Bereich des jüdischen Rechts erstreckte, war damit nicht geklärt.49 Die Bezeichnung „Schultheiß“ oder „Judenschultheiß“ ist wohl erstmals für 1681 nachweisbar. In diesem Jahr zeigte sich der Hofrat darüber irritiert, dass die Kammer die Schutzjuden nach Baden-Baden einbestellt hatte, um „einen Schultheißen under Ihnen zu machen.“ Dies sei nach einer Bemerkung des Markgrafen Ludwig Wilhelm, so hielt der Rat fest, nicht ihre – der Hofkammer – Sache. Der Hofrat beschloss, er selbst wolle die Juden erneut nach Baden-Baden einberufen, um ihnen Anweisungen zu geben, doch sollte noch eine Anordnung des Markgrafen abgewartet werden. Sie lag schon nachmittags vor. Markgraf Ludwig Wilhelm oder der Geheime Rat würden sich noch genauer informieren, hielt der Hofrat in seinem Protokoll fest; es sei jedoch schon geklärt, dass die Kammer 42 GLAK 61/148 HR 26.9.1720 mit der Ernennung bis zur nächsten Wahl; Bezeichnung als Schultheiß in GLAK 61/148 HR 14.11.1720 zusammen mit Moyses Schweitzer. 43 GLAK 61/151 HR 15.4.1723 (Anordnung an Isaac Bodenheimer zur Durchführung der Wahl). 44 GLAK 61/152 HR 4.4.1724. 45 GLAK 61/260 HK 6.7.1724. 46 Der „Landschreiber“ und seine Amtsstelle, die „Landschreiberei“, waren für den Einzug der herrschaftlichen Einnahmen und für den Zahlungsverkehr zuständig (Rudolf Carlebach, Badische Rechtsgeschichte, Bd. 2, Heidelberg 1909, S. 44). 47 GLAK 61/120 HR 10.7.1650. 48 GLAK 61/121 HR 31.5.1652. 49 Zu den Auseinandersetzungen über das jüdische Recht siehe S. 492ff.

410 

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Landjudenschaft und Judenoberschultheißen

„keinen Schultheißen gesetzet“ habe, sondern die Schutzjuden „sich selbst einen gemacht haben sollen.“50 Jedenfalls wurden Aron von Baden-Baden und Isaac von Ettlingen, so scheint es, in diesem Jahr vom Hofrat „de novo [von neuem] zu Judenschultheißen angenommen.“ Gemeinsam mit dem Durlacher Rabbiner Aron Fränkel hatten sie die Strafen im Bereich des Zeremonials zu verhängen. Ausdrücklich erhielten sie die Anweisung, in allen wichtigeren Angelegenheiten die Hofkammer zu benachrichtigen, die dann selbst entscheiden würde.51 Die Kammer übernahm damit die Aufgabe, die beiden Schultheißen in Teilen ihrer Tätigkeit zu kontrollieren. Das Verfahren, in dem sie ausgewählt und bestimmt wurden, lässt sich aus den vorhandenen Informationen nicht genau erschließen: Die Schutzjuden „machten“ sich Schultheißen, der Hofrat vollzog die „Annahme“, bestätigte sie in ihrem Amt. Für Isaac lässt sich sein Handeln als Vertreter der Juden an einem Memorial zeigen, das er 1680 einreichte. Ihm ging es um die Klärung, ob die Schutzjuden für ihre Häuser und Gärten besteuert werden konnten und für ihren mobilen Besitz, wohl auch ihren Handel. Das legt die Antwort des Hofrats nahe: Dieser entschied, dass nur die Immobilien belastet wurden, nicht aber „mobilien und handlung“.52 Die Kammer befahl 1685 Aron dafür zu sorgen, dass jeder Schutzjude eine Gans, einen Zusatz zum Schutzgeld, an die „Küchenmeisterei“ des Hofes ablieferte.53 Um 1700 wurden Isaac, Joseph Jacob und Mathias Schweitzer von Baden-Baden durch den Hofrat beauftragt, sich um die Einsetzung eines Rabbiners zu kümmern.54 Die aus der Regierungssicht vermutlich wesentlichste Funktion der Schultheißen wurde 1705 wieder deutlich. Schon mehrmals waren die Schutzgelder rückständig geblieben.55 Dann ordnete die Kammer im August 1705 an, dass die Schultheißen Isaac, Joseph Jacob und Mathias Schweitzer in Rastatt zusammenkämen. Sie sollten sich einigen, wer von ihnen für das kommende Jahr die 600 Gulden Schutzgeld bei den einzelnen Haushaltsvorständen erheben würde, um es an die Landschreiberei abzuliefern.56 Am 20. Oktober 1705 befahl die Hofkammer Joseph Jacob – das Treffen der drei Schultheißen hatte wohl stattgefunden – für ein Jahr die Abgaben einzuziehen; ihm wurde für diese Aufgabe die Hilfe der Ämter zugesagt und „das Cammer Insigill [Siegel] Ertheilt“.57 Der 50 51 52 53 54

GLAK 61/126 HR 11.8.1681 Bl. 246r und Bl. 248v. Zehnter, Juden in der Markgrafschaft Baden-Baden, in: ZGO 50 (1896), S. 382. GLAK 61/125 HR 3.6.1680 Bl. 154v–155r. GLAK 61/226 HK 20.11.1685. GLAK 74/3725, Die drei Judenschultheißen Isaac, Joseph und Matz an den Hofrat oder die Hofkammer, o. D. (1699). 55 GLAK 61/242 HK 13.8.1703 und GLAK 61/243 HK 19.8.1704. 56 GLAK 61/243 HK 19.8.1704. 57 GLAK 61/243 HK 20.10.1704.

Auf dem Weg zu einer Landjudenschaft 

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Erfolg blieb jedoch aus. Die Kammer schickte im Dezember 1705 einen Zollbereiter nach Bühl, damit die im Oktober fällig gewesenen 150 Gulden58 durch den Schultheißen „richtig gemacht“, abgeliefert wurden.59 Wenn es um die Abgaben ging, griff die Regierung auch zu außerordentlichen Mitteln. Ende 1712 ernannte sie Schmaul in Bühl und Daniel Cassel in Rastatt zu „Unterschultheißen“. Ausdrücklich hob sie hervor, dies geschehe, damit eine Kontributionszahlung der Juden für französische Truppen rasch erhoben werden könne;60 schon im Januar des Jahres waren dafür 400 Gulden fällig gewesen.61 Zumindest bei Hayum Flörsheim, einem der damaligen Schultheißen, ist erkennbar, warum er nicht aktiv wurde – er kämpfte seit dem Sommer des Jahres um seine Freilassung aus dem Arrest in Durlach, der wegen eines Zollvergehens über ihn verhängt worden war.62 Hayum Flörsheim war im Frühjahr 1711 zum Schultheiß gewählt worden. Wohl im Zuge eines Konflikts der Judenschaft mit ihren Schultheißen bedankten sich nämlich im Februar 1711 die Schutzjuden Jost, Cassel, Israel und Schmaul beim Hofrat für ein Urteil, das eine Neuwahl der Judenschultheißen festlegte, „nach den jüdischen Zeremonien“ und unter Assistenz eines Rabbiners; als Wahlort war Rastatt bestimmt, zum Erscheinen waren alle Schutzjuden verpflichtet.63 Spätestens im März wurden die neuen Schultheißen gewählt. Ohne dass der Hofrat ihre Namen festhielt, verzeichnete er ihre Bitte: Sie wollten die Hilfe der Ämter in Bühl, Ettlingen und Rastatt, damit sie als die „neu bestellten drey einzieher von der anderen Judenschaft dafür respectirt, folglich denenselben bei dem einZug die amtliche hülf gebotten werde“;64 sie wollten als „Einzieher“ amtliche Unterstützung bei der Erhebung von Abgaben. Kurz danach befasste sich der Hofrat mit einer neuen Bitte: Die Schultheißen wollten von der Regierung eine „Ordnung“, eine Anweisung, mit deren Hilfe sie die herrschaftlichen Interessen bei den übrigen Schutzjuden durchsetzen könnten.65 Der Hofrat erließ diese „Ordnung“; Ende Juni des Jahres baten zwei der Schultheißen darum, dass es bei der für sie erlassenen „Instruction“ verbleiben solle. Dabei wurden auch ihre Namen genannt: Isaac (in Ettlingen) und Hayum Flörsheim.66 Im Sommer des Jahres kamen die Schultheißen mit einer Bittschrift bei der Hofkammer ein, in der sie ein Handelsverbot für die Juden aus der Grafschaft Hanau-Lichtenberg 58 59 60 61 62 63 64 65 66

Der Einzug des Schutzgeldes erfolgte vierteljährlich. GLAK 61/243 HK 2.12.1705. GLAK 61/248 HK 15.12.1712. GLAK 61/248 HK 12.1.1712. Zum Arrest der Karlsruher Regierung über Hayum Flörsheim siehe S. 21. GLAK 61/139 HR 26.2.1711. GLAK 61/139 HR 24.3.1711. GLAK 61/139 HR 31.3.1711. GLAK 61/139 HR 30.6.1711.

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Landjudenschaft und Judenoberschultheißen

verlangten, nachdem die Bühler Juden selbst in diesem Territorium nicht mehr hausieren durften.67 11.1.2  Umstrittene Wahlen, umstrittene Schultheißen Ende 1713 bat Hayum Flörsheim, ihn nach drei Jahren Amtsausübung zu entlassen und eine Neuwahl zu erlauben. Der Hofrat stimmte seiner Ablösung zu und befahl dem Amt Ettlingen die Wahl vorzubereiten.68 Kurz darauf beschwerten sich die markgräflichen Juden über Amtmann Schweinhuber. Er habe einen Schultheißen eingesetzt, was in der Verordnung der Regierung von 1710 nicht vorgesehen sei – ihnen stehe die Wahl zu, und das entspreche auch der Observanz. Der Hofrat schloss sich dieser Auffassung an und befahl, der Amtmann solle „die freie Wahl verstatten.“69 Im März 1714 kam es dann zur Schultheißenwahl. Moyses Schweitzer, im Hofratsprotokoll „bestellter Judenschultheiß zu Ettlingen“ genannt, berichtete darüber an die Regierung: Salomon Moyses, sein „Mitschultheiß“ – auch er wurde als „Schutzjude zu Ettlingen“ bezeichnet“70 – habe die Wahl verhindert, indem er seine Beteiligung verweigerte. Der Hofrat ließ darauf den Vorgang prüfen; bei einem schuldhaften Verhalten von Salomon Moyses solle er sein Amt verlieren, und dann sei nochmals eine Wahl erforderlich, und zwar von zwei Schultheißen zugleich.71 Der Ettlinger Amtmann bestätigte ein schuldhaftes Verhalten von Salomon Moyses. Darauf wählten die Schutzjuden, wie angeordnet, nochmals, allerdings nicht zwei, sondern drei Schultheißen und vier „Assistenten“72 zur „Mitbestimmung“. Der Hofrat wies Amtmann Schweinhuber an, diese „Assistenten“ nicht anzuerkennen, aus Bedenken vor „Verwirrungen“ und wegen weiterer Gründe, die allerdings nicht genannt wurden. „Assistenten“ könnte ein Ausdruck für „Beisitzer“ sein. Im Rahmen einer Landjudenschaft waren sie Mitglieder des „kleinen Rats“, eines Leitungsgremiums in der Zeit zwischen den Versammlungen der Landjudenschaft. Sie werden als „Mitarbeiter“ eines Vorstehers oder Obervorstehers angesehen.73 In der Markgrafschaft wären sie also zu dieser Zeit „von unten“ gewählte Mitarbeiter der „Schultheißen“ gewesen. 67 GLAK 61/247 HK 8.7.1711. 68 GLAK 61/141 HR 7.12.1713. 69 GLAK 61/141 HR 12.12.1713. Die erwähnte Verordnung scheint nicht überliefert zu sein. 70 GLAK 61/142 HR 12.4.1714. 71 GLAK 61/142 HR 8.3.1714. 72 GLAK 61/142 HR 20.3.1714. 73 Breuer, Frühe Neuzeit und Beginn der Moderne, in: Breuer und Graetz (Hg.), Deutschjüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. 1, S. 193. In dem allerdings fernen Halberstadt gab

Auf dem Weg zu einer Landjudenschaft 

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Salomon Moyses war mit dem Geschehenen nicht einverstanden und protestierte gegen seine Absetzung als Schultheiß.74 Wer die neu gewählten Schultheißen waren, hielt das Protokoll des Hofrats zunächst nicht fest. Ihre Namen wurden im November 1714 angegeben, als sie sich wegen der Bestrafung von Zeremonialverstößen an die Regierung wandten: neben Moyses Schweitzer, der sein Amt behalten hatte, Daniel Cassel von Rastatt und Schmaul von Bühl.75 Im Februar 1717 berichtete Daniel Cassel, dass sich bei der fälligen Neuwahl die Schutzjuden insgesamt „widerspenstig und halsstarrig“ verhalten hätten. Der Hofrat befahl ihm darauf die Wahl nochmals anzusetzen; notfalls müsse er die Wahlverweigerer mit einer verdoppelten Strafe belegen.76 Das zeigte Wirkung; wenige Tage danach konnten Moyses Schweitzer und Schmaul um die Bestätigung ihrer Wahl bitten; sie baten gleichzeitig darum, den ebenfalls gewählten Isaac von Ettlingen wegen seines Alters durch Daniel Cassel abzulösen.77 1720 wurden Moyses Schweitzer, Daniel Cassel und Hayum Flörsheim gewählt; Moyses Schweitzer teilte allerdings mit, dass Hayum Flörsheim die Annahme des Amtes verweigere.78 Im Juni dieses Jahres bat Daniel Cassel den Hofrat, Schmaul in Bühl durch eine Verordnung im „Mitschultheißenamt“ zu bestätigen. Seine Begründung: Dort seien mehrere für die Regierung bestimmte Abgaben einzuziehen, was nicht ohne Bestätigung Schmauls als Schultheiß gehe. Zugleich forderte er den Hofrat auf, die von Hayum Florsheim geführten Protokolle zu prüfen. Der Rat ordnete darauf beides an.79 Nach der Wahl von 172380 bat Moyses Schweitzer schon im folgenden Jahr um die Entlassung als Schultheiß, blieb dann aber doch noch ein Jahr im Amt.81 Er und Isaac Bodenheimer, seit September 1720 Schultheiß,82 äußerten sich negativ: Sie betonten, wie schwierig es sei, die Schutzgelder einzuziehen; weder erwiesen die Juden „Parition“, noch gab es Übereinstimmung über den Anteil der einzelnen am Schutzgeld. Damit dies überhaupt zusammenkäme, müssten sie – die Schultheißen – immer wieder ihr eigenes Geld opfern.83

74 75 76 77 78 79 80 81 82 83

es neben den drei Vorstehern vier gewählte Beisitzer, die auch als „Assessoren“ bezeichnet wurden, nach Walter Halama, Autonomie oder staatliche Kontrolle – Ansiedlung, Heirat und Hausbesitz von Juden im Fürstentum Halberstadt und in der Grafschaft Hohenstein (1650 –1800), Bochum 2005, S. 87 und S. 146, Anm. 162. GLAK 61/142 HR 12.4.1714. GLAK 61/142 HR 6.11.1714. GLAK 61/145 HR 23.2.1717. GLAK 61/145 HR 2.3.1717. GLAK 61/148 HR 29.2.1720. GLAK 61/148 HR 8.6.1720. GLAK 61/151 HR 15.4.1723. GLAK 61/152 HR 4.4.1724. Zu Isaac Bodenheimer als Anwald und Schultheiß siehe S. 424ff. GLAK 61/260 HK 6.7.1724.

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Landjudenschaft und Judenoberschultheißen

Im folgenden Jahr scheint nur noch Isaac Bodenheimer als Schultheiß aktiv gewesen zu sein; als ein Landauer Jude an die markgräflichen Juden eine Forderung erhob, verwies ihn der Hofrat an Bodenheimer: Der Bühler Amtmann solle sich darum kümmern, denn dort, in Bühl, sei „der Judenschultheiß sesshaft.“84 Die Beziehungen zwischen den Schutzjuden und den Schultheißen waren in diesen Jahren von mehreren Kräften beeinflusst. Einmal, aus der Sicht der Schutzjuden insgesamt, von der Observanz: Sie selbst wählten ihre Schultheißen. Diese vertraten die Interessen der Schutzjuden, wie ihr Eingreifen zugunsten des Handels der baden-badischen Juden zeigt. Zugleich standen die Schultheißen unter dem Druck der Erwartung, dass sie, an ihrem Schutzort, für einen Synagogenraum zu sorgen hatten.85 Sie boten armen durchreisenden Juden, „Betteljuden“, die Gelegenheit zur Übernachtung,86 waren somit einer weiteren Belastung ausgesetzt. Der Observanz folgte auch die Regierung, indem sie die Schultheißen vor allem für den Einzug der Schutz- und Strafgelder und anderer Abgaben verwendete. Die Schultheißen stießen auf Schwierigkeiten seitens der Schutzjuden, wenn diese nicht zahlen konnten oder wollten, wurden auch dann kritisiert, wenn sie wie Joseph Jacob87 aus der Sicht der übrigen Juden kein ihrem Amt angemessenes Verhalten an den Tag legten. Weitere Schwierigkeiten kamen hinzu: Die Wahl der Schultheißen wurde von einzelnen wie Salomon Moyses verhindert, der den internen Wahlvorgang nicht akzeptierte und auch nicht das Vorgehen der Regierung. Zugleich beanspruchte ein Beamter wie der Ettlinger Amtmann das Recht zum Eingreifen: Er sah das als ein im Auftrag der Regierung ausgeübtes Recht an und ging dabei weiter als diese selbst. Die Regierung beanspruchte selbstverständlich ihre Kompetenz zur Regelung der Wahl, vor allem mit ihrem Dekret von 1710. Die Schutzjuden selbst akzeptierten diese Kompetenz, versuchten allerdings ihre Vertretung zu erweitern mit Hilfe von gewählten „Assistenten“. Das unterband die Regierung. Die Besetzung der Schultheißenämter zwischen 1714 und 1720 zeigt mehrere Auffälligkeiten. Noch immer verweigerten einzelne Juden die Teilnahme an der Wahl. Die Regierung drängte allerdings erfolgreich auf die Besetzung der Ämter, wohl vor allem wegen des reibungslosen Einzugs der Abgaben. Für Bühl ernannte sie auf Initiative Daniel Cassels einen Schultheißen, bis die Wahl turnusmäßig durchgeführt würde. Von der Seite der Gewählten gab es ebenfalls Schwierigkeiten; sowohl Moyses Schweitzer wie Isaac Bodenheimer äußerten ihre Abneigung gegen die Übernahme eines Amtes. Schließlich ist die Verwandtschaft zwischen Moyses Schweitzer und Hayum Flörsheim auffallend: Die Verschwägerung stellte 84 GLAK 61/153 HR 26.4.1725. 85 Zu den Besitzverhältnissen der Synagoge und den damit verbundenen Erwartungen siehe S. 417 und S. 425. 86 GLAK 61/146 HR 14.6.1718. 87 Zu den Vorwürfen gegen Joseph Jacob wegen seines Verhaltens siehe S. 388f.

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kein Problem für die Wählenden dar. Die Nachkommen von Mathias Schweitzer waren als wählbar hervorgehoben, ebenso Isaac von Ettlingen, noch im hohen Alter. Daniel Cassel war für Rastatt unumstritten, in Bühl löste Isaac Bodenheimer Schmaul ab. 11.1.3  Die Landjudenschaft: Staatsorgan oder autonome jüdische Institution? „Fast jeder Territorialherr rief eine Landesjudenschaft ins Leben.“88 So charakterisiert Uri R. Kaufmann unter Bezug auf die badischen Markgrafschaften die Entstehung dieses organisatorischen Zusammenschlusses der jüdischen Einwohner. Es scheint so, als ob zuerst die „Vorsteher“ der Judenschaft existiert hätten, die Parnosse, die an der Spitze einer Gemeinde89 standen. Die sie in der Markgrafschaft sah sie als „Schultheißen“ und schaltete sie zwischen sich und die Judenschaft als Vertreter der Obrigkeit ein, zur Erfüllung von Aufgaben für die Regierung. Für kurze Zeit strukturierte die Regierung das Leitungsgremium noch weiter, indem sie „Unterschultheißen“ einsetzte.90 Dass die Regierung die Judenschultheißen, die Unterschultheißen und die Landjudenschaft als Korporation zunächst als Mittel der Besteuerung ansah,91 lässt sich beim Vorsteher Hirz und bei den späteren Schultheißen deutlich nachweisen. Die Juden dagegen sahen in den Schultheißen Vertreter ihrer Interessen. Sie gingen dazu über, mit „Assistenten“ (in der Terminologie der Regierung) ihre Mitwirkung zu stärken. Wenn es sich bei diesen „Assistenten“ um „Beisitzer“ handelte, dann war ihre Wahl vielleicht auch ein Versuch, die Organisation der Landjudenschaft im traditionellen Muster zu erhalten oder ähnlich wie in anderen Territorien zu gestalten.92 Dass sich die Schutzjuden damit nicht durchsetzen konnten, spricht dafür, dass die Regierung nicht nur „Verwirrungen“ befürchtete, sondern die Autonomie, nach der die markgräfliche Landjudenschaft wie andere auch strebte,93 beschränken wollte. Am ehesten lässt sich die Zeit um 1710 als die ansehen, in der sich die Ausbildung einer Landjudenschaft in der Markgrafschaft Baden-Baden abschloss: Die Regierung legte fest, dass Schultheißen gewählt und dann von ihr bestätigt wur88 Kaufmann, Juden in Baden, S. 39. 89 Gemeinde muss in diesem Zusammenhang nicht als örtliche Gemeinde verstanden werden, obwohl auch das vielleicht möglich wäre. 90 Zu den Unterschultheißen siehe S. 411. 91 Breuer, Frühe Neuzeit und Beginn der Moderne, in: Breuer und Graetz (Hg.), Deutschjüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. 1, S. 190. 92 Zur Organisation der Landjudenschaft Breuer, Frühe Neuzeit und Moderne, in: Breuer und Graetz (Hg.), Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. 1, S. 185–197. 93 Ebd., S. 189.

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den. Sie erhielten eine Instruktion, eine Anweisung zur Erfüllung ihrer Aufgaben. Von da an lässt sich die turnusmäßige Neuwahl alle drei Jahre nachweisen,94 wohl als Folge einer erhöhten Kontrolle durch die Regierung. Möglicherweise drückte sich in den Schwierigkeiten der Schultheißen ein Widerstand der Judenschaft aus, der sich gegen den steigenden Einfluss der Regierung auf die Vorsteher richtete. Zu einer Landjudenschaft gehörte auch ein Rabbiner. 1699 berichteten die Schultheißen der Regierung, dass die Judenschaft wieder einen Rabbiner angestellt habe,95 nämlich Benjamin Wolf Hochfelder aus Hagenau im Elsass.96 Von seiner Tätigkeit ist nicht viel bekannt. In ihrer Beschwerde gegen die Schultheißen berichteten die Schutzjuden, dass Benjamin Wolf Hochfelder ihr Vermögen einschätzte und entsprechend die Abgaben und Steuern auf die einzelnen umlegte.97 Joseph Jacob und Abraham Heilbronn zogen ihn in ihrem Konflikt hinzu, um zu einem Urteil zu kommen.98 Hochfelder starb 1720, ohne dass deutlich wurde, ob und wie die baden-badischen Juden darauf einen Nachfolger gefunden hätten. Ohne Hinweis auf einen bestimmten Rabbiner ordnete die Regierung 1723 an, dass die anstehende Wahl der Schultheißen „mit Zuzug eines Rabiners“ erfolgen solle.99 So wenig wie über die Tätigkeit Benjamin Wolf Hochfelders bisher bekannt ist, so aufschlussreich ist doch, wie sich zeigen wird, die Einstellung der baden-badischen Schutzjuden zu ihrem Rabbiner.100 11.1.4  Anwälde Im September 1720 erhob der Rastatter Judenschultheiß Daniel Cassel beim Hofrat eine Beschwerde über den Bühler Schutzjuden Isaac Bodenheimer, der als „Anwald“ die zwei Schutzjuden Lemmle und Meyer „ungebührlich“, also zu 94 Zum dreijährigen Turnus der Wahlen siehe S. 406ff., Tabelle XV, mit den Jahren 1711, 1714, 1717 und 1720. Diesen Turnus gaben schon diejenigen Juden an, die sich 1709 über ihre Schultheißen beschwerten (nach dem Text des Schreibens bei Cohen, Landjudenschaften, Bd. 3, S. 1446). 95 GLAK 74/3725, Die drei Judenschultheißen Isaac, Joseph und Matz an den Hofrat oder die Hofkammer, o. D. (1699); abgedruckt bei Cohen, Landjudenschaften, Bd. 3, S. 1444f., Zitat S. 1444. 96 Cohen, Landjudenschaften, Bd. 3, S. 1445, Anm. 2. 97 Ebd., S. 1446. Ein Schreiben Hochfelders selbst über die Verteilung der Schatzung liegt vor in GLAK 74/7139, Oberamtmann Holl an die Hofkammer, Anlage B, „Repartition“, 5.7.1709. 98 Zur Lösung von Konflikten mit Hilfe von einem oder mehreren Rabbinern siehe S. 165. 99 GLAK 61/151 HR 15.4.1723. 100 Zur Bedeutung des Rabbiners Benjamin Wolf Hochfelder für das Selbstverständnis der baden-badischen Juden siehe S. 422ff. Zur Einstellung der baden-badischen Schutzjuden zu ihrem Rabbiner Nathanael Weil siehe S. 471f.

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Unrecht oder zu schwer, bestraft habe.101 Der Amtmann in Bühl stellte allerdings die Bestrafung mit 3 Gulden als völlig berechtigt dar, sprach von „unter der Judenschaft zu Bühl vorgehenden Unordnungen [Streitigkeiten]“, die der Herrschaft schadeten, und machte zur Abhilfe einen Vorschlag, nämlich „daselbige Judenschultheißstelle wieder zu besetzen und selbst daselbigem Schutz Juden Isaac Bodenheimer bis zur neuen Schultheißenwahl aufzutragen.“ Darauf befahl der Hofrat ohne Zögern dem Amtmann, den Juden in Bühl Isaac Bodenheimer als Schultheiß zu verkünden.102 Er war also zuvor „Anwald“, in seinem Amt oder seiner Funktion nicht identisch mit dem durch die Regierung autorisierten „Schultheißen“. Das spricht dafür, dass die jüdischen Einwohner des Ortes einen eigenen Repräsentanten hatten, einen Vorsteher oder Parnoss für die örtliche Judenschaft. Isaac Bodenheimer hatte 1717 Schmaul (Samuel), der zu dieser Zeit Schultheiß war, die Hälfte des Hauses mit dem Synagogenraum abgekauft und besaß es somit allein,103 damit erfüllte er für die Bühler Juden eine wichtige Funktion – ermöglichte so vor allem den Gottesdienst. Von daher ist es nicht überraschend, dass er unter ihnen eine besondere Position einnahm. Möglicherweise versuchte die Regierung mit der Ernennung dieses Anwalds zum Schultheißen, der in die staatliche Verwaltung eingebunden war, die „Unordnungen“ zu beenden, vielleicht aber auch die innerjüdische Selbstverwaltung zu schwächen. Dafür könnte die Reaktion Isaac Bodenheimers sprechen. Im September eingesetzt, bat er schon im Oktober, weil „Er wegen angefangener Juden Schultzen amt allerhand Vertrüßlichkeiten besorge“, um seine Entlassung. Mit einer Strafandrohung von 50 Reichstalern für den Fall, dass er sich nochmals über das „ihm aufgetragene“ Amt beschwere,104 brachte ihn die Regierung wohl zum Verbleib. Zumindest für zwei weitere Orte lässt sich ein Anwald feststellen: Unter den Delegierten der Judenschaft, die 1721 über die Pflastersteuer informiert wurden, befand sich der namentlich nicht genannte Anwald aus dem Oberamt Mahlberg,105 und das Verzeichnis der Schutzjuden von 1724 enthält neben den zwei Schultheißen Moyses Schweitzer und Isaac Bodenheimer den Anwald Mayer Malsch aus Ettlingen.106 Diese „Anwälde“ regelten, wie sich bei Isaac Bodenheimer zeigte, auf der örtlichen Ebene innerjüdische Konflikte und verhängten Strafen, waren also Richter im Bereich der „Jüdischen Zeremonien“ und „Streitigkei101 GLAK 61/148 HR 10.9.1720. Zur Rechtssprechung und zur Strafgewalt von führenden Laien in den jüdischen Gemeinden Katz, Tradition und Krise, S. 101–103. 102 GLAK 61/148 HR 29.9.1720. 103 Zum Erwerb der zweiten Hälfte des Hauses mit dem Synagogenraum siehe S. 424f. 104 GLAK 61/148 HR 8.10.1720. 105 Zu dieser Delegation der Schutzjuden siehe S. 343f. 106 GLAK 61/260 HK 6.7.1724.

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ten“. Wie tief dieses Amt zumindest in Bühl verankert war, zeigt ein Blick in die Zeit nach 1771, als es keine Schultheißen der baden-badischen Juden mehr gab. Joseph Elias wurde in den amtlichen Listen als „Anwald“ bezeichnet.107 Diesen Titel für den Vorsteher der jüdischen Gemeinde trug im 19. Jahrhundert noch um 1820 „Anwald“ Netter,108 ein Nachfahr von Schmaul, der 100 Jahre zuvor Schultheiß gewesen war.109 11.1.5  Aspekte des Selbstverständnisses – Schwächung oder Öffnung des jüdischen Lebensbereichs? 1721 baten Daniel Cassel in Rastatt und Schmaul in Bühl zusammen den Hofrat, dass sie ihre Auseinandersetzungen mit anderen Juden vor dem Amt austragen könnten statt vor dem Gericht des Judenschultheißen, vor Isaac Bodenheimer. Der Rat entschied so: Die Juden müssten in denjenigen Angelegenheiten, „welche die gemeine Judenschaft [Gesamtheit der Juden, die Judenschaft in ihrem Zusammenschluss] alß nemlich die Zusammenberuffung der Judenschaft undt dergleichen angehen, denen verordneten Juden Schultheißen Zwarn parition undt Gehorsam leisten.“ Aber in „privatstrittigkeiten“ zwischen Juden, die mit den zuerst angeführten Auseinandersetzungen nichts zu tun hätten, sei ihnen erlaubt, „an das Amt Zu provociren [das Amt als Gericht anzurufen] und daselbsten justiz zu suchen“; die Schultheißen dürften ihnen dabei nichts in den Weg legen.110 Einige Juden suchten also den Weg zu den staatlichen Gerichten, und die Regierung nahm an, dass die Schultheißen das verhindern wollten. Was die Versammlungen der „gemeinen Judenschaft“ betraf „und dergleichen“, dafür erklärte die Regierung die Judenschultheißen zuständig. So ungenau diese Formulierung war, so versuchte die Regierung darin wenigstens den Gegensatz zu Konflikten zu fassen, die zwischen einzelnen Juden existierten und aus ihrer, der Regierung Sicht, private Konflikte waren. Diese suchte sie vor ihre Rechtsprechung zu ziehen.

107 StgI Bühl, BH (alt) Ska-Bühl 249 Gemeinde-Rechnungs-Beilagen 1776, SchatzungsRegister 26.6.1776, Bl. 480–482, GLAK 62/1616 (1777) Bl. 95r und StgI Bühl BH (alt) Ska-Bühl 53 Rechnungsbeilagen 1802–1803 Nr. 13 Bl. 27r. 108 StgI Bühl, BH (alt) Nr. 1756, Bevölkerungstabellen (Volkszählung) mit namentlichen Listen, Verzeichnis um 1821 (Jahr erschlossen aus den Altersangaben), ohne Seiten- oder Blattangabe, zu Netter Nr. 346. 109 Bei der Einführung bürgerlicher Namen für die badischen Juden 1809 nahm der Anwald Samuel Joseph den Namen „Noeter“ an. Die Schreibung „Netter“ setzte sich später durch (GLAK 313/1261, Tabelle, 12.6.1809). 110 GLAK 61/149 HR 17.6.1721.

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Das Problem war alt. Als Vertreter der Judenschaft supplizierte Hirzel von Stollhofen schon 1651 darum, dass sie – die Juden – untereinander „selbst entscheiden“ könnten.111 Eine solch weitgehende Autonomie schlug der Hofrat glatt ab. Allein für die nicht weiter geklärten „Jüdischen Streitigkeiten“ bestätigte er der Judenschaft eine uneingeschränkte Zuständigkeit.112 Etwas genauer scheint die Bestimmung zu sein, die 1681 bei der Ernennung Arons und Isaacs zu Judenschultheißen getroffen wurde, mit der sie gemeinsam mit dem Rabbiner Aron Fränkel das Recht zum Verhängen von Strafen im Bereich des Zeremonials erhielten.113 In Fragen von größerer Wichtigkeit – auch das nicht weiter präzisiert – wurden die Schutzjuden auf die Entscheidung des Hofrats verwiesen.114 Jedoch auch hier lässt sich der Begriff des Zeremonials nicht genauer bestimmen. Verstand die Regierung darunter den Bereich, den sie als religiösen von einem zivilrechtlichen unterschied? Die Frage ist offen, wann sich für die Frühe Neuzeit aus der Sicht der Juden ein vom halachischen Recht, dem religiös bestimmten Rechtsbereich, getrenntes Zivilrecht weltlichen Inhalts unterscheiden lässt. Dies hängt damit zusammen, dass erst im Verlauf dieser Periode der langwierige Prozess stattfand, in dem sich der Bereich des Zivilrechts, eine weltliche Rechtssphäre, überhaupt ausbildete.115 Abraham Heilbronn,116 1721 Cassel und Schmaul117 und andere beharrten nicht mehr auf der Existenz eines autonomen jüdischen Rechtsbereichs, wie das die Judenschaft in der Zeit Hirzels getan hatte; sie wandten sich an die Regierung, um so zu einer Entscheidung in ihren innerjüdischen Konflikten zu kommen. Zumindest ein Teil der Schutzjuden hatte die Vorstellung aufgegeben, dass die „Judenschaft“ über eine umfassende Autonomie mit dem Zentrum eines eigenen, religiösen Rechts verfügte. Anders formuliert: Sie verstanden sich nicht mehr als Mitglieder einer Gesellschaft, die sich von der umgebenden Mehrheitsgesellschaft durch ihr Recht unterschied. Indem sie den Hofrat als Gerichtsinstanz anriefen, ermöglichten sie der Regierung, den Bereich ihres weltlichen Rechts auszuweiten auf Kosten desjenigen Bereichs, der bis dahin durch jüdisches – religiöses – Recht konstituiert war. 111 Zur Supplik Hirzels siehe S. 409. 112 GLAK 61/121 HR 31.5.1652. 113 Zur Zuständigkeit im Bereich des Zeremonials im Jahr 1681 siehe S. 205. 114 Zehnter, Juden in der Markgrafschaft Baden-Baden, in: ZGO 50 (1896), Juden in der Markgrafschaft Baden-Baden, in: ZGO 50 (1896), S. 382. 115 Gotzmann, Andreas, Strukturen jüdischer Gerichtsautonomie, in: HZ 267 (1998) S. 313– 356, hierzu S. 319–321. 116 Zum Vorgehen Abraham Heilbronns gegen Joseph Jacob mit Hilfe des Hofrats als Gericht siehe S. 100. 117 Zum Vorgehen Cassels und Schmauls in der Auseinandersetzung mit anderen Schutzjuden siehe S. 418.

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Ein anderer Zugang zum Selbstverständnis der baden-badischen Schutzjuden eröffnet die Frage, mit wem sie sich in einer Landjudenschaft verbunden fühlten. Nichts weist darauf hin, dass die Schutzjuden im Oberamt Mahlberg und im Amt Staufenberg an den Wahlen der Schultheißen schon immer beteiligt waren. Was das Schutzgeld betrifft, bezogen die Schultheißen ihre Aufgabe auf die jüdischen Einwohner in den Ämtern Baden-Baden, Bühl, Ettlingen und Rastatt. Nur deren Abgaben mussten sie einziehen, um jährlich (ab 1698) 600, ab 1714/1715 700 Gulden abzuliefern.118 Als 1721 die Pflastersteuer eingeführt wurde,119 galt sie wie selbstverständlich für alle Schutzjuden in den markgräflichen Kerngebieten, in den Herrschaften Mahlberg und Staufenberg und in den Ämtern Kirchberg und Sprendlingen.120 Allerdings ist aus den Protokollen der Hofkammer nicht ersichtlich, ob die Vertreter der Schutzjuden bei den Verhandlungen über die Pflastersteuer für eine einheitliche „Judenschaft“ auftraten, als ihnen die Kammer die Steuer ankündigte und die „Deputation“ versuchte, einen Nachlass zu erreichen.121 Eine einheitliche „Judenschaft“ bildeten sicher nicht alle Juden unter der markgräflichen Herrschaft. Im Amt Beinheim etwa blieben sie von der Pflastersteuer befreit, schon aus der stillschweigenden Rücksicht auf die Rechte der französischen Krone. Eine engere Integration gab es in den Ämtern, aus denen heraus ab 1710 die Schultheißen gewählt wurden. Sie waren schon im vorhergehenden Jahrhundert durch Hirzel, Baruch, Aron und Isaac vertreten gewesen. Gemeinsame Schultheißen, ein Landrabbiner, auch wenn er von außerhalb der Markgrafschaft kommen musste, ein gemeinsam aufzubringendes Schutzgeld, Versammlungen, ein gemeinsamer Friedhof bei Kuppenheim – all das spricht dafür, dass sich in den Jahrzehnten um 1700 die Juden im Kerngebiet der Markgrafschaft, in den Ämtern um die Residenz als Einheit verstanden. Am deutlichsten wird das Selbstverständnis der Judenschaft, oder zumindest eines Teils der Schutzjuden, unter einem dritten Aspekt. In einem Memorial an die Hofkammer von 1709122 zielte die „Gesambte Judenschaft im Baadischen 118 GLAK 61/260 HK 6.7.1724. Zur Erhöhung der Gesamtsumme des Schutzgeldes von 600 auf 700 Gulden in GLAK 74/6981, Bericht der Hofkammer (Kopie), 12.10.1714, Bl.  22r und GLAK 74/6981 Bericht des Hofrats an die Markgräfin Sibylla Augusta, 5.2.1715, Bl. 21r–v. 119 Zur Pflastersteuer siehe S. 340ff. 120 GLAK 61/257 HK 21.5.1721 und 26.6.1721. 121 Zur Delegation der Judenschaft siehe S. 443. 122 Daniel Cohen, Landjudenschaften, S. 1445, datiert dieses Schreiben auf das Jahr 1712. Die entsprechenden Angaben in den Protokollen der Hofgremien erwähnen allerdings die Kontribution, um die es ging, und den Streit über deren Umlegung, die Anwesenheit des Hagenauer Rabbiners und den Konflikt über die Judenschultheißen alle im Jahr 1709 (GLAK 61/245 HK 4.4.1709 und 26.6.1709 (Kontribution und Rabbiner); GLAK 61/137 HR 8.10.1709, 17.10.1709 und 29.11.1709 (Streit zwischen der Judenschaft und ihren Schultheißen bzw. Forderung nach deren Absetzung).

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Lande“ auf die Absetzung der derzeitigen Schultheißen Isaac, Mathias Schweitzer und Joseph Jacob. Dabei legte sie dar, dass sie mit Zustimmung des Markgrafen ungefähr zwölf Jahre zuvor Benjamin Wolf Hochfelder als „Regenten und Obrigkeith erwählt und ahngenommen“ hätte. Er habe dann das Vermögen der einzelnen Schutzjuden „taxirt“ und darauf aufbauend die Steuern umgelegt. An diese Festlegung hätten sich „die bishero gehabte(n) 3 Schultheißen, Isaac, Matz und Joseph“ nicht gehalten, sondern „ihres aigenen Gefallens die Gelter angesezt“, zu ihrem eigenen Vorteil und zum Nachteil der armen Schutzjuden. So seien die Schultheißen auch bei der letzten Kontribution vorgegangen, bei der sie in einem „großen Betrug“ kaum die Hälfte ihrer eigentlichen Abgabe geleistet hätten. Sie, die Schutzjuden, hätten dies mit Hilfe des Rabbiners festgestellt, den sie wieder „hervorzusuchen“ sich entschlossen hatten. Deshalb forderten sie nun die Absetzung der Schultheißen. Die Neuwahl sollte, so die Schutzjuden, unter Aufsicht des Rabbiners im gewohnten dreijährigen Turnus stattfinden, „wie jüdische Ceremonien undt Gewonheit mit sich bringt.“ Dann lenkten sie nochmals kritisch den Blick auf die Schultheißen: Isaac von Ettlingen, der sei zu alt, und Joseph Jacob schlage die Schutzjuden öffentlich und in der Synagoge, was ein guter Schultheiß nicht dürfe. Abhilfe sei nötig, und deshalb solle der Markgraf zustimmen, dass „unßer wieder neu ahngenohmmener Rabiner“ „durch einen ihme schrifftlich zue stellenden gewalt confirmirt [bestätigt] sein undt Macht haben solle, auff judische Weiß undt Manier uns zue regiren, jedoch, dass gnädigster Herrschafft über unß habende(r) Schirmbsgerechtigkeith hierdurch nicht underbrochen undt ahn dieselbe jederzeit, da wür von dem Rabiner gravirt [unangemessen belastet und behandelt] würden, zue appelliren unß der Wäg offen stehen solle.“123

Die Judenschaft definierte sich, was ihre organisatorische Einheit betraf, in mehrfacher Weise. Sie bestimmt in erster Linie über ihren Rabbiner, gibt sich damit „Regenten und Obrigkeith“. Sie wählt ihre Schultheißen traditionsgemäß alle drei Jahre unter der Leitung des Rabbiners, den sie dafür wieder „neu“ angenommen hat. Beim Einzug ihrer Abgaben und Umlagen müssen sich die Schultheißen an die Festlegung des Rabbiners halten. Sie müssen „capabel“ für ihr Amt sein, von ihrem Alter her wie von ihrer Verhaltensweise, die Betrug und Gewalt ausschließt. Sowohl gegen den Rabbiner wie gegen die Schultheißen beanspruchen die Schutzjuden ein Appellationsrecht an den Markgrafen in den Fällen, in denen sie „gravirt“, ungerecht behandelt würden.124 Unklar ist, wer die hinter diesem Memorial stand. In seinem Schlussteil wurde die „Gesambte Judenschafft“ angegeben, die von der Hofkammer den Auftrag 123 Beschwerdeschrift der markgräflichen baden-badischen Juden, nach Cohen, Landjudenschaften, Bd. 3, S. 1445–1447, Zitat S. 1446f. 124 Ebd.

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an den Ettlinger Amtmann forderte, die drei „under ihme sizende Schultheißen, nebens andern, in seinem Ambt wohnenden Juden“ zum vereinbarten Termin nach Rastatt zu befehlen.125 Die Schultheißen und ihre Söhne, vielleicht auch Schwiegersöhne, dürften kaum hinter dem Ziel des Memorials gestanden haben. Damit fehlte unter den Verantwortlichen für die Bittschrift bereits ein erheblicher Anteil der ungefähr 42 Schutzjuden.126 Vom Ergebnis der Versammlung her, welche die Supplikanten erwähnten, lassen sich ebenfalls Zweifel daran formulieren, dass eine einheitliche Ablehnung der Schultheißen vorhanden war. In seinem Bericht vom Juli 1709 führte der Rastatter Amtmann aus, dass „keine wahl wegen neuer Schultheißen vorgenommen, sondern die alte(n) in Ihren hievorgehabten Schultheußen Dignitäten [Würden] unangegriffen blieben sein“,127 die angegriffenen Schultheißen bestätigt wurden. Auch wenn sich nicht klären lässt, wie geschlossen die Schutzjuden hinter diesem Memorial standen, so lässt sich dennoch etwas Wesentliches für ihr Selbstverständnis erkennen: Eigeninitiative bestimmt das Verhalten der Schutzjuden. Sie suchen sich ihren Rabbiner aus, lassen ihn bestätigen und greifen auf ihn zurück, wenn dies erforderlich ist. Nimmt man die Aussage über ihren „wieder neu ahngenommene(n) Rabiner“ wörtlich, bestimmen sie in einem dringenden Fall wie im Konflikt mit den Schultheißen über dessen Person und Aufgabe, ohne vorher die Regierung hinzuzuziehen. Sie waren auch jetzt, 1709, bereits aktiv: Sie haben den Rabbiner „herübergeholt und angestelt“, also wieder Benjamin Wolf Hochfelder aus dem Elsass, und planen eine Versammlung für Ende Juni, Anfang Juli des Jahres, bei der in Rastatt die „gute Ordnung“ erneuert werden soll, zugunsten der „gnädigster Herrschafft Interesse sowohl, alß auch unßer besßeres Fortkhommen.“128 Wie die supplizierenden Schutzjuden von ihrem Rabbiner dachten, ermöglicht auch, einen weiteren Aspekt ihres Selbstverständnisses zu rekonstruieren. Sie nannten den Rabbiner „Regenten und Obrigkeith“.129 Was diese Formulierung bedeutete, bestimmten sie nicht, sie war zudem eine aus dem Deutschen entlehnte, an die Beamtenschaft adressierte Bezeichnung. Der zeitlich ferne, aber als aus dem mittleren Elsass kommende „nahe“ Rabbi Josef ben Gerschon (Josel von Rosheim) bezeichnete sich als „Regierer“ der Judenschaft, mit dem ins 125 Ebd., S. 1447. 126 Wie die Formulierung „nebens andern, in seinem Ambt wohnenden Juden“ zu verstehen ist, lässt sich kaum eindeutig klären; der Zusammenhang legt nahe, dass die Verfasser an die Juden im Amt, aber auch an die anderen in den Kerngebieten der Markgrafschaft dachten. 127 GLAK 74/7139, Amtmann Holl an den Hofrat, 5.7.1709. 128 Beschwerdeschrift der markgräflichen baden-badischen Juden, nach Cohen, Landjudenschaften, Bd. 3, S. 1445–1447, Zitat S. 1447. 129 Ebd. S. 1445.

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Deutsche übertragenen Titel eines „parnass umanhig“, den ein Vorsteher trug.130 Es lässt sich nicht ausschließen, dass die baden-badischen Schutzjuden 1709 mit „Regenten und Obrigkeith“ eine Konnotation verbanden, in der einem Rabbiner eine Fülle von Aufgaben und Vollmachten zugewiesen wurden, wie sie Josef ben Gerschon erfüllt hatte. Eine solche Konnotation entsprach ja auch ihrem derzeitigen Verhalten: Ihr Rabbiner aus dem Elsass entwarf für sie die Richtschnur, an der sie ihre Schultheißen maßen. Dem entspricht auch ein Konzept des Rabbiners als Landrabbiner, der mit „einer großen Autorität“ als „religiöser Führer der Gemeinschaft und als ihr Richter bei allen innerjüdischen Streitigkeiten und Klagen“ handelte.131 Wenn diese Interpretation des „Regenten und Obrigkeith“ zutrifft, dann sahen sich die Schutzjuden der Markgrafschaft vor allem als Mitglieder einer religiös bestimmten Landjudenschaft und in Opposition zu einer herrschaftlichen Institution – zumindest zu dieser Zeit. Der autonome Bereich des jüdischen Rechts war in ihrer Lebenspraxis nicht mehr primäres Ziel. Aber dafür verfolgten sie ein anderes, neben der Verteidigung ihrer materiellen Interessen. Jetzt verwendeten sie, ohne darüber zu reflektieren, die bestehende Organisation mit ihren Institutionen, vor allem den Rabbiner, als Druckmittel gegen ihre Schultheißen. Waren diese als Amtsträger ein Ergebnis herrschaftlichen Handelns, ihre Funktion von einzelnen wie Isaac Bodenheimer nur widerwillig übernommen, verdankten die Rabbiner ihre Rolle der Initiative der Schutzjuden selbst. In ihrer Praxis, im aktiven Handeln eigneten sich die Schutzjuden die „von oben“ institutionalisierte Landjudenschaft an. Die allerdings selten sich im Land aufhaltenden Rabbiner und die auf der lokalen Ebene präsenten Anwälde waren für die Schutzjuden Bestandteile ihrer Lebenswelten, die sie mit Vorstellungen und Praktiken selbstständig strukturierten, trotz einer nur eingeschränkten Autonomie der Landjudenschaft. „Die institutionellen Formen der Landjudenschaften wuchsen und kristallisierten sich in einem langen und organischen Prozeß“, beeinflusst von der Erfordernis für die Schutzjuden, sich mit dem Druck der absolutistischen Regierungen „zu arrangieren“, schreibt Daniel J. Cohen.132 Mit ihren Institutionen und Einrichtungen und mit allerdings unklaren oder umstrittenen rechtlichen Zuständigkeiten war im Kerngebiet der Markgrafschaft die Entwicklung der Landjudenschaft um 1700 weitgehend abgeschlossen. Das Bild des organischen Wachstums 130 Breuer, Frühe Neuzeit und Beginn der Moderne, in: Breuer und Graetz (Hg.), Deutschjüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. 1, S. 69. 131 Ebd., S. 195f. im Anschluss an Cohen, Die Landjudenschaft in Hessen-Darmstadt bis zur Emanzipation als Organe der jüdischen Selbstverwaltung, in: Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen (Hg.), Neunhundert Jahre Geschichte der Juden in Hessen. Beiträge zum politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben (Schriften der Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen 6). Wiesbaden 1983, S. 153. 132 Cohen, Die Landjudenschaft in Hessen-Darmstadt, S. 151–214, Zitat S. 152.

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Landjudenschaft und Judenoberschultheißen

lässt sich dann aufrecht erhalten, wenn es Gegensätze und Widersprüche zwischen der Judenschaft und ihren Vertretern einschließt. In ihrem Arrangement mit der Regierung bewahrte die ihrer Zahl nach so schwache Judenschaft in der Markgrafschaft Einfluss auf die Gestaltung ihres Lebens und ein religiös bestimmtes Selbstbewusstsein.

11.2  Isaac Bodenheimer Isaac Bodenheimers Aufenthalt in Bühl ist zum ersten Mal für 1700 nachweisbar, als er unter dem Namen Itzig Bodenheimer mit weiteren 13 Schutzjuden des Ortes verzeichnet wurde.133 Nach späteren Hinweisen kamen er und sein Bruder Mayer wohl aus Pforzheim in der Markgrafschaft Baden-Durlach.134 Die beiden Brüder lebten 1706 – zusammen mit einem Knecht namens Süßkind – in einem Haushalt; beide waren zu dieser Zeit unverheiratet. Isaac Bodenheimer, der „Ladendiener“ von Mathias Schweitzer, übernahm dessen Geschäft und führte es zusammen mit seinem Bruder.135 Dieser Laden und der Hausierhandel machten wohl hauptsächlich die wirtschaftlichen Existenz Isaac Bodenheimers aus. Ein Amt unter den Bühler Juden ist für Isaac Bodenheimer erst 1720 feststellbar, als er Anwald136 und Schultheiß137 genannt wurde. Er und ein anderer Bühler Schutzjude, Schmaul (oder Samuel), ebenfalls ein Ladenbesitzer und vor Isaac Bodenheimer Anwald,138 befanden sich zu dieser Zeit in einem Konkurrenzverhältnis. Sie hatten beide zusammen im Jahr zuvor aus der Erbmasse von Abraham Heilbronn dessen Haus gekauft.139 1723 übernahm Bodenheimer die Hälfte Schmauls. In diesem Haus befand sich die „Schuhl“ der Bühler Juden, eine 133 GLAK 74/3711, „Im Ambt Bühl“, o. D. (1700) 134 Bei der Teilung seines Erbes wurden Brüder genannt, die in Pforzheim, also in der Markgrafschaft Baden-Durlach, lebten der oder gelebt hatten (GLAK 74/68, Landrabbiner, Oberschultheiß Samson Schweitzer und Anwald Daniel Cassel an die Regierung, 26.6.1736). 1750 erhob ein David Bodenheimer von Pforzheim als Vormund der Kinder des in Pforzheim gestorbenen Jacob Moyses zu deren Gunsten Ansprüche; es ging um den Nachlass von Mayer Bodenheimer, dem Bruder des Oberjudenschultheißen (GLAK 61/179 HR 3.1.1750). David Bodenheimer ist wohl identisch mit David Joseph Bodenheimer, der 1738 wie Herz Moyses oder Moyses Bodenheimer in Pforzheim nachweisbar ist (Gerhard Brändle, Die jüdischen Mitbürger der Stadt Pforzheim, hg. von der Stadt Pforzheim, Pforzheim, 1985, S. 16). 135 GLAK 74/3711, Amtmann Johann Heinrich von Harrandt an die Hofkammer, 12.6.1706. 136 GLAK 61/148 HR 10.9.1720. 137 GLAK 61/148 HR 8.6.1720. 138 Zu Elias Schmaul siehe S. 228f. 139 GLAK 61/5449, Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, 9.8.1719, Bl. 102v–103v.

Isaac Bodenheimer 

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Synagoge aus zwei Zimmern; ausdrücklich wurde bei der Übernahme vertraglich festgehalten, dass Streitigkeiten zwischen Schmaul und Isaac Bodenheimer beendet und „eine bessere Freundschaft und Einigkeit“ hergestellt werden sollte.140 Für Isaac Bodenheimer wie auch bis dahin für Schmaul oder noch vorher für Joseph Jacob lässt sich erkennen, was ein Anwald oder Schultheiß für die Juden in Bühl und wohl auch anderswo bedeutete: Damit, dass er eine Synagoge zur Verfügung stellte, erbrachte er eine Leistung für das religiöse Leben der Judenschaft; die Synagoge bot der örtlichen Judenschaft und den Juden von auswärts, die sie besuchten, einen Ort für innerjüdische Kommunikation und Soziabilität und sicherte den Zusammenhalt. An diese Leistungsfunktion koppelte sich die Leitungsfunktion an, wie es bei den Bühler Schutzjuden noch lange nachweisbar ist und für Rastatt ebenfalls.141 Die Einsetzung Bodenheimers als Bühler Schultheiß im September 1720 begründete die Regierung so: Die „unter der Judenschaft zu bühl vürgehende Unordnungen und der dem herrschaftlichen Interesse dadurch zugehende Schaden“ sollten verringert werden.142 Bald danach äußerte sich Bodenheimer, wie schon dargestellt,143 negativ über sein Amt: Er erwarte davon „Verdrüßlichkeiten“ und bat um die Entlassung, die der Hofrat jedoch verweigerte. Den Bühler Amtmann forderte der Rat auf, Bodenheimer zu unterstützen: Die Konflikte zwischen den Schutzjuden bezeichnete er als „Zenckereyen“, und der Amtmann solle „die „unruhigen Judten“ gegebenenfalls bestrafen.144 Im folgenden Monat erbaten Bodenheimer und Moyses Schweitzer von Rastatt als „Judenschultheißen“ gemeinsam ein Dekret, das ihnen die Hilfe der Amtmänner verschaffte „zu Eintreiben so wohl Herrschaftl(icher) als anderer Jüdischen Gelder.“145 Schon 1721 wies das Verhalten des Schultheißen Isaac Bodenheimer auf seine spätere Rolle als Oberschultheiß der baden-badischen Juden hin: Als diese um einen Aufschub für die Zahlung des Schutzgeldes baten, reichte Isaac Bodenheimer in ihrem Auftrag die gemeinsame Supplik bei der Hofkammer ein.146 1723, nachdem er drei Jahre das Schultheißenamt versehen hatte, bat Isaac Bodenheimer wieder um seine Ablösung.147 Dann blieb er jedoch in seinem Amt: Er, Mayer Malsch und Moyses Schweitzer wurden 1724 als Schulthei-

140 StgI Bühl, BH (alt), Schatulle I, Nr. 49 (Abschrift aus dem 19. Jahrhundert). 141 Zum Anspruch Daniel Cassels und seiner Familie auf die führende Stellung in der Rastatter Judenschaft siehe S. 482ff. 142 GLAK 61/148 HR 29.9.1720. 143 Siehe hierzu S. 417. 144 GLAK 61/148 HR 8.10.1720. 145 GLAK 61/148 HR 14.11.1720. 146 GLAK 61/257 HK 17.10.1721. 147 GLAK 61/151 HR 15.4.1723.

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ßen ihrer örtlichen Judenschaften genannt.148 In den folgenden Jahren führte Isaac Bodenheimer quartalsweise Gelder an die Herrschaft ab, jährlich ungefähr 174 Gulden,149 was dem Anteil der Bühler Schutzjuden am gesamten Schutzgeld von 700 Gulden nahekam. 1728 hatten die markgräflichen Juden den Befehl erhalten, Pferde aus dem Besitz der Herrschaft zum Preis von 100 Gulden zu kaufen. Die „Subrepartition“, die Verteilung dieser Summe auf die Schutzjuden, reichte Isaac Bodenheimer persönlich bei der Hofkammer ein, bevor sie die Ämter anwies, die jeweiligen Beträge einzuziehen.150 Isaac Bodenheimer spielte für den Hof 1726 und 1727 eine Rolle, die seinen privaten Interessen zugutekam. Dabei ging es um einen Haustausch in Bühl. Als der „Kaminfeger Admodiator“ Johannes Bruzetto sein Bestandsgeld nicht aufbringen konnte, musste er sein Haus verkaufen.151 Isaac Bodenheimer erklärte sich bereit, sein eigenes Haus mit dem von Bruzetto zu tauschen und zusätzlich 500 Gulden zu zahlen.152 Mit der ausdrücklichen Zustimmung der Markgräfin und des Geheimen Rats, die zuerst Bedenken wegen der Nähe des Hauses zur Kirche geäußert hatten, erhielt Isaac Bodenheimer die Erlaubnis zum Tausch, damit ein Haus in der Bühler Hauptstraße – und die Markgräfin bzw. ihre Landschreiberei die 500 Gulden Bestandzins, die Bruzetto schuldete.153 Mit seiner Art zu zahlen stellte sich Isaac Bodenheimer auch der Hofkammer dar – und sie protokollierte das genau: Er kam in eigener Person zu ihr nach Rastatt und teilte mit, dass er die ersten 200 Gulden selbst überbringe.154 Die Kammer verwies Bodenheimer zur Zahlung an die Landschreiberei; die Wiederholung des Protokolleintrags hebt vielleicht hervor, welche Wirkung Bodenheimer mit seinem Auftritt erreichte, vielleicht die Verwunderung des Kollegiums, zumindest des Schreibers. Isaac Bodenheimers Eignung zum Oberschultheiß lässt sich aus mehreren Perspektiven erklären. Für die Schutzjuden war er geeignet, weil er für sie Leistungen erbringen konnte, sei es als ihr Vertreter bei der Regierung, sei es als Besitzer einer Synagoge in Bühl, für deren Ausstattung er sorgte – zu seiner Hinterlassenschaft gehörte auch ein „zehn gebott“, eine Thorarolle, mit „Einem silbernen blech155 und anderer zugehör“. Sein Nachfolger Samson Schweitzer schätzte diese Thora-

148 GLAK 61/260 HK 6.7.1724. 149 GLAK 61/156 HR 12.2.1728. 150 GLAK 61/264 HK 11./12.7.1728. 151 GLAK 61/262 HK 8.3.1726. 152 GLAK 61/262 HK 12.1.1726 und 8.3.1726. 153 GLAK 61/262 HK 4.7.1726 und 18.7.1726. 154 GLAK 61/263 HK 30.7.1727. 155 „blech“: Bezeichnung für Thoraschild.

Isaac Bodenheimer 

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rolle auf einen Wert von 200 Gulden.156 Wie für die Schutzjuden konnte auch für die Regierung seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit attraktiv wirken: Durch den Haustausch mit Johannes Bruzetto verhalf er der Regierung zu Geld, zu dem sie sonst nur schwer gekommen wäre.157 Johann Anton Zehnter stellt die Besetzung dieses Amtes in folgenden Zusammenhang: Bis in die Jahre um 1720 seien mehrere Schultheißen untereinander gleichberechtigt gewesen; danach sei ein Oberschultheiß für die ganze Markgrafschaft eingesetzt worden, zuerst Mathias Schweitzer, dann ab 1730 Isaac Bodenheimer.158 Wie es zur Amtseinsetzung Bodenheimers und zur Vorlage einer Instruktion kam, lässt sich – beim Fehlen der Protokolle des Geheimen Rats zu diesem Jahr – wohl nicht rekonstruieren. Der Hofrat verzeichnete am 1. August 1730 lediglich, dass Markgraf und Geheimer Rat die „projectirte Instruction [die geplante Amtsanweisung] vor den Juden Bodemer als g(nä)di)gst Denominierten [ernannten] Juden Oberschultheißen“ dem Rat mitteilen ließen und von ihm und Hofkammer ein Gutachten verlangten.159 Am ehesten lässt sich ein Zusammenhang mit der veränderten Haltung des Markgrafen Ludwig Georg in der Frage der Schutzerteilungen vermuten. So wie er da von der restriktiven Haltung seiner Mutter abwich, so zielten auch die Ernennung eines Judenoberschultheißen und der Erlass einer Instruktion für dieses Amt auf eine Reorganisation der Beziehung zwischen Regierung und Judenschaft. Die Instruktion bestimmte als Hauptaufgabe Isaac Bodenheimers die Tätigkeit zum „Nutzen und Frommen“ des Landesherrn. Im Einzelnen sollte der Judenoberschultheiß die Regierung über die sie interessierenden, allerdings nicht weiter erläuterten Bereiche des jüdischen Lebens informieren. Bei der Regelung des Abzugsgelds160 musste er auf die angemessene Höhe achten; bei Eheverträgen, bei Erbteilungen und Vermögensübergaben hatte er, unter Aufsicht der markgräflichen Beamten, mitzuwirken. Insofern sollte er einerseits den staatlichen, insbesondere finanziellen Belangen dienen, andererseits für die rechtliche Klärung binnenjüdischer Verhältnisse. Dazu gehörte sein Recht, die Juden zu Versammlungen einzuberufen und auf die Auswahl von Anwälden und Trägern von sonstigen Ämtern in der Judenschaft einzuwirken. Ihm stand auch die Bestrafung

156 GLAK 74/68, Landrabbiner, Oberschultheiß Samson Schweitzer und Anwald Daniel Cassel an die Regierung, 26.6.1736. 157 Zum Haustausch zwischen Johannes Bruzetto und Isaac Bodenheimer siehe S. 426 und S. 637f. 158 Zehnter, Juden in der Markgrafschaft Baden-Baden, in: ZGO 50 (1896), S. 397f. 159 GLAK 61/158 HR 1.8.1730. 160 Zum Abzugsgeld siehe S. 357ff.

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von Vergehen im zeremoniellen Bereich161 und die Erhebung von Umlagen zu162 – weitere Regelungen, die vor allem die Beziehungen der Schutzjuden untereinander betrafen. Unter ihrem Oberschultheißen vertraten die markgräflichen Juden in einer Reihe von Vorgängen ihre Interessen, manchmal ohne, manchmal mit Nennung seines Namens. So war 1731 in Bühl ein als „Betteljud“ bezeichneter ausländischer Jude gestorben; er hatte gerade 7 Kreuzer bei sich. Die Judenschaft befürchtete, für den „Todfall“163 aufkommen zu müssen, eine Zahlung von 3 Reichstalern an die Regierung, und supplizierte deshalb wegen des Nachlasses dieser Abgabe. Der Hofrat entschied zugunsten der Judenschaft: Der fremde Jude habe nichts hinterlassen, so müsse auch nichts besteuert werden.164 Seit Oktober 1731 befand sich in Rastatt ein Jude im Gefängnis, zuerst Herz Lazarus genannt, dann Hertz Nether oder Netter; er stammte aus Niedersultz (Soultz-sous-Forêts, Bas-Rhin) im Elsass. Mit der Begründung, Netter habe bei einem Diebstahl Gewalt angewendet, verurteilte ihn der Hofrat zum Tode. Jedoch sollte die „die gesamte Judenschaft“ die Möglichkeit erhalten, zugunsten von Hertz Netter zu intervenieren. Wenn sie für den entstandenen Schaden – es handelte sich um gestohlenes Geld165 – und die Untersuchungskosten aufkäme, könne der Dieb begnadigt werden. Er würde dann nur „zum Galgen hinausgeführt, ihme als dann die gnad erst angekündet, dennochst aber unter dem galgen 12 mahl mit ruthen gepeitscht“ werden; dann sollte die Ausweisung aus der Markgrafschaft folgen.166 Markgraf Ludwig Georg und der Geheime Rat stimmten diesem Vorschlag zu. Das Hofratskollegium beauftragte den Bühler Amtmann, Hofrat Ferdinand Alexander von Mohr, „den OberJuden schultheißen Bodenheimer darüber mit beobachtung aller behutsamkeit zu vernehmen.“167 Mit ihm und dem Rastatter Anwald Cassel, so von Mohr wenig später, habe er gesprochen; dabei hätten diese „sich dan erbotten zu rettung des Inquisiti [Angeklagten] Lebens 200 Gulden Termin weis [in Raten] herzuschießen.“ Der Hofrat stimmte zu: So könne ver-

161 Zu „Zeremonien“ oder „jüdische Zeremonien“ in rechtlicher Hinsicht siehe S. 492ff. 162 Nach dem Text des Abdrucks der Instruktion bei Zehnter, Juden in der Markgrafschaft Baden-Baden, in: ZGO 50 (1896), S. 440. 163 Der „Todfall“, die alte Abgabe beim Tod, wurde in der Markgrafschaft bei Fremden erhoben, wohl nur in seltenen Fällen, abhängig von den örtlichen Rechtsverhältnissen, von Leibeigenen. 164 GLAK 61/159 HR 27.2.1731. 165 GLAK 61/160 HR 12.2.1732. 166 GLAK 61/160 HR 17.1.1732. 167 GLAK 61/160 HR 12.2.1732.

Isaac Bodenheimer 

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fahren werden, und er legte einen entsprechenden Beschluss dem Markgrafen zur Genehmigung vor, mit dem Vorschlag, Netter brandmarken zu lassen.168 An der Beteiligung des Oberschultheißen fallen zwei Umstände auf. Bodenheimer wurde als Gesprächspartner angesehen, der „mit Behutsamkeit“ angesprochen werden konnte. Zwar wurde nicht erläutert, was diese „Behutsamkeit“ verlangte, der Kontext dieser Anweisung legt jedoch nahe, dass der Eindruck der Rechtlichkeit des Verfahrens nicht beeinträchtigt werden sollte. Der Oberschultheiß erschien dem Hofratskollegium dabei als ein geeigneter Partner. Der zweite Umstand: Zunächst war bei den Verhandlungen die Beteiligung weiterer Vertreter der Judenschaft nicht vorgesehen. Dann aber wurde der Anwald Cassel aus Rastatt hinzugezogen. Bei schwierigen Verhandlungen, das könnte seine Beteiligung erklären, sollte – möglicherweise eher aus der Sicht der Judenschaft als aus der des Hofrats – nicht allein der Oberschultheiß für die Schutzjuden sprechen. Isaac Bodenheimer handelte aber auch wieder allein im Auftrag der Regierung. So erinnerte im November 1733 der Oberamtmann Lassolaye den Hofrat daran, dass aus der Versteigerungsmasse Hayum Flörsheims noch etwas übrig sei, „ein so genanntes Jüdisches Zehn gebott“, eine Thorarolle. Dies führte zur Anordnung für Bodenheimer, einen höheren Preis als die bereits angebotenen 5 Louisdor, ungefähr 60 Gulden, zu erzielen.169 Zwei Vorgänge deuten an, dass Isaac Bodenheimer eine besondere Beziehung zum Hof und zum Markgrafen hatte. Seit Oktober 1733 brachte der Polnische Thronfolgekrieg französische Truppen ins Land. Im Dezember bat Isaac Bodenheimer in einer Supplik um die Erlaubnis, wegen der Kriegsereignisse zusammen mit seinem Bruder Bühl verlassen zu dürfen; sie wollten sich an einem anderen Ort der Markgrafschaft aufhalten, wie bereits in vorhergehenden Kriegen. Der Geheime Rat entsprach sofort dieser Bitte.170 Nur für einen weiteren Schutzjuden lässt sich dieses Verhalten – Wechsel des Aufenthaltsortes nach einer Supplik – erkennen; Mayer Malsch, der zum Hof in wirtschaftlicher Beziehung stand,171 bat 1734 darum, während des Krieges sich statt in Malsch in Ettlingen aufhalten zu dürfen.172 Als Judenoberschultheiß hatte Isaac Bodenheimer den persönlichen Zugang zum Landesherrn. Das geht daraus hervor, wie er im Februar 1735 in einem Schreiben an den Markgrafen auf ein Ereignis aus dem Vorjahr zurückkam: Damals habe er, der Markgraf, ihm die Schutzaufnahme für seinen Neffen versprochen, den er an Kindes statt aufgezogen habe. Bodenheimer skizzierte zur Erinnerung 168 GLAK 61/160 HR 19.2.1732. Zur religiösen Dimension dieser Bereitschaft zur Rettung Hertz Netters siehe S. 428f. und S. 486. 169 GLAK 61/161 HR 17.11.1732 Nr. 9. 170 GLAK 61/26 GR 17.12.1733 Nr. 17. 171 Zur wirtschaftlichen Beziehung Mayer Malschs zum Hof siehe S. 189ff. 172 GLAK 61/27 GR 17.3.1734 Nr. 16.

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nochmals die Szene, die zu diesem Versprechen geführt hatte: Der Markgraf habe die Schutzerteilung zugesagt, kurz bevor er nach Böhmen abreiste, als er „Ihme ein Pistol über den Kopf losgeschossen und die peruquen verbrennet.“173 Erfolg erzielte damit Isaac Bodenheimer zunächst nicht. Über die Schutzaufnahme seines Neffen Löw Bodenheimer, der auch als Löb oder Löw Herz Bodenheimer genannt wurde, war noch nicht entschieden, als der Oberschultheiß Anfang 1736 starb.174 Spätestens 1740 erhielt Löw Bodenheimer die Zusage auf den Schutz.175 Es ist schwierig abzuschätzen, ob Isaac Bodenheimer mit seinem Amt als Oberschultheiß einen wirtschaftlichen Erfolg verbinden konnte. Zusammen mit den Brüdern Cassel und Daniel in Rastatt bewarb er sich 1731 um die Weinsteinadmodiation;176 die Bewerber erhielten darauf für fünf Jahre das Recht, den Weinstein aus den herrschaftlichen Kellern und überhaupt im ganzen Land auf- und wiederzuverkaufen.177 Als wegen der „üblen Zeitläufen“ der Erfolg ausblieb, konnten die Admodiatoren 1734 vom Vertrag zurücktreten – ein Entgegenkommen der Regierung.178 Diese wirtschaftliche Beziehung zum Hof brachte dem Admodiator Isaac Bodenheimer sicher keinen Gewinn. Im Umkreis des Hofes gelangen Bodenheimer Geschäfte, die allerdings auch Schwierigkeiten brachten. 1734 klagte er: Bedienstete der Herrschaft – näher gab er sie nicht an – seien ihm fast 2000 Gulden schuldig, wohl aus dem Kauf von Waren. Der Hof solle, so seine Bitte, einen Teil des Lohnes seiner Schuldner einbehalten und ihm übergeben, so dass er seine Außenstände in Raten erhalten könne. Wenn ihm die Regierung nicht helfe, klagte er, werde er „an den Bettelstab gerathen.“179 Die wirtschaftliche Situation Isaac Bodenheimers am Ende seines Lebens lässt sich aus den Angaben erkennen, die bei der Regelung des Abzugsgelds gemacht wurden. Danach erhielt zuerst die Witwe das Heiratsgut von 1000 Gulden ausbezahlt, das sie in die Ehe eingebracht hatte, und die vier Brüder oder ihre Kinder hatten jeweils 575 Gulden als Erbe zu beanspruchen.180 Damit belief sich seine Hinterlassenschaft, ohne das Heiratsgut der Witwe, auf 2300 Gulden.

173 GLAK 61/28 GR 19.2.1735 Nr. 10. 174 Der Tod von Isaac Bodenheimer ist angegeben in GLAK 61/165 HR 29.5.1736 Nr. 37. 175 GLAK 61/169 HR 3.11.1740. 176 GLAK 61/267 HK 3./4.9.1731 und 5./6.10.1731. 177 GLAK 61/267 HK 5./6.10.1731. 178 GLAK 61/27 GR 7.1.1734 Nr. 17, GLAK 61/270 HK 14.1.1734 und GLAK 61/27 GR 23.1.1734 Nr. 2. 179 GLAK 61/27 GR 29.3.1734 Nr. 29. 180 GLAK 74/68, Landrabbiner, Oberschultheiß Samson Schweitzer und Anwald Daniel Cassel an die Regierung, 26.6.1736.

Samson Schweitzer 

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11.3  Samson Schweitzer: „allezeit Juden schultz, judenschulz Vom Morgen bis zur nacht“ Die Einsetzung

Am „letztvergangenen Samstag in der Nacht“ starb der Judenoberschultheiß Isaac Bodenheimer, teilte in einem Schreiben vom 1. Februar 1736 Samson Schweitzer dem Markgrafen mit.181 Sein eigentliches Anliegen: Er stellte sich als geeigneten Nachfolger dar. Dazu erinnerte er daran, dass er der Sohn von Mathias Schweitzer sei, der viele Jahre als markgräflicher Schutzjude gelebt habe und das Schultheißenamt innehatte, in „Ehrlicher Aufführung, in einem guthen Credit [in ehrenhafter Aufführung und in gutem Ansehen oder Vermögen]“. Für ihn spreche, schrieb er weiter, dass er selbst „keinen sonderbahren [besonders] großen Handel treibe“; so könne er sich auf sein Amt umso mehr konzentrieren. Samson Schweitzer legte auch dar, wie er sich einen Judenoberschultheißen vorstellte: Das wäre einer, der in geschäftlichen Konflikten unter Juden „nach deren Juden Ceremonien [Brauch und Recht], mit zuziehung des Rabiners die Sachen geschlichtet [haben werde], auch bey beschehener Veränderung oder Wegziehen“ von Schutzjuden die fälligen Gebühren – den Abzug – erhebe, und der wie er selbst über das Vermögen der betreffenden Juden am besten Bescheid wisse. Alles für die Regierung Wichtige würde dieser Oberschultheiß besorgen und über alles sorgfältig informieren182 – mit Blick auf den Adressaten und den Zweck des Schreibens stellte Samson Schweitzer den Oberschultheißen als jemanden dar, der allein staatlich-herrschaftliche Aufgaben zu erfüllen hatte. Den Anspruch Samson Schweitzers, „vor anderen“ berücksichtigt zu werden, und den Hinweis, dass sein Vater Mathias Schweitzer „auch diesem dienst lange Jahre hindurch treu und Ehrlich vorgestanden“ habe, verzeichnete der Geheime Rat in seinem Protokoll, jedoch zugleich eine Unsicherheit: Sollte die Stelle eines Oberschultheißen überhaupt wieder besetzt werden?183 Aber schon nach kurzer Zeit war die Entscheidung gefallen. Der Hofrat hatte sich dafür ausgesprochen, dass Bodenheimer einen Nachfolger bekommen solle, vor allem unter dem fiskalischen Gesichtspunkt: So könnten am besten die Strafen eingezogen werden, die bei Konflikten der Schutzjuden untereinander verhängt würden. Allerdings befürwortete der Rat eine einjährige Probezeit: Erst nach deren Ablauf und wenn man sehen könne, wie der Nachfolger sein Amt versehe, solle über den Titel eines Oberjudenschultheißen entschieden wer181 GLAK 74/3731, Samson Schweitzer an Markgraf Ludwig Georg, 1.2.1736. 182 Ebd. 183 GLAK 61/29 GR 8.2.1736 Nr. 3.

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Landjudenschaft und Judenoberschultheißen

den.184 Dieser Bericht und das Schreiben Schweitzers lagen dem Geheimen Rat am 15. Februar vor; am 22. des Monats wurde das Dekret entworfen, mit dem das Amt auf ihn übertragen wurde: Er sollte mit den gleichen Zuständigkeiten und mit der gleichen Instruktion ausgestattet werden wie Isaac Bodenheimer, allerdings nur mit dem Titel eines „Juden Schultheißen“. Noch am selben Tag wies der Geheime Rat den Hofrat an, Samson Schweitzer die Amtsübertragung mitzuteilen.185 Genau ein Jahr später, am 1. Februar des Jahres 1737, erwähnte das Protokoll des Geheimen Rats, dass Samson Schweitzer wegen der Verleihung des Titels „als Oberschultheiß“ supplizierte und wegen der Befreiung vom Schutzgeld.186 Er hatte auch um eine Bezahlung für seine Tätigkeit gebeten, um 40 Gulden im Jahr. Diese könne er, beschloss die Hofkammer, von der „gemeinen Judenschaft“ beanspruchen.187 Der Hofrat befürwortete Ende Februar 1737, ihm das „Prädikat eines juden ober schultheißen“ zu verleihen und die Möglichkeit einer Bezahlung;188 beides billigte der Geheime Rat, aber nicht den Nachlass des Schutzgeldes.189 Tätigkeiten als Judenoberschultheiß: mehr Kontrolle

In der tabellarischen Darstellung der Tätigkeiten des Judenoberschultheißen Samson Schweitzer (Tabelle XVI, Dokumentierte Tätigkeiten des Judenoberschultheißen Samson Schweitzer, S. 433f.) sind seine Aktivitäten mit dem Ziel kategorisiert, Schwerpunkte seiner Amtsführung sichtbar zu machen. Das darf jedoch die Zusammenhänge nicht verdecken. Wenn Samson Schweitzer z. B. für die Regierung ein Gutachten bei einer Schutzaufnahme abstattete, war er auch für Supplikanten und Schutzbewerber, vielleicht die Judenschaft insgesamt tätig, die von einer Schutzaufnahme allein schon wegen der gemeinsam aufzubringenden Abgaben betroffen war.

184 GLAK 74/3731, Hofrat an Markgraf Ludwig Georg, 15.2.1736. 185 GLAK 74/3731, Geheimer Rat an den Hofrat, 22.2.1736. 186 GLAK 61/30 GR 1.2.1737 Nr. 52. 187 GLAK 61/274 HK 9.2.1737. 188 GLAK 74/3731, Geheimratsbeschluss, 21.2.1737. 189 GLAK 61/30 GR 27.2.1737 Nr. 15. Im Widerspruch zur Gewährung einer jährlichen Bezahlung supplizierte Samson Schweitzer später gerade wegen dieser Besoldung. Zu seiner Bitte um eine Besoldung siehe S. 439f.

Samson Schweitzer 

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Tabelle XVI:  Dokumentierte Tätigkeiten des Judenoberschultheißen   Samson Schweitzer 190,191,192,193,194,195,196,197,198,199 Jahr

Nummer Tätigkeiten für die Regierung (I)

Nummer Tätigkeit für Schutzjuden (II)

1736

I.1 Inventur der Hinterlassenschaft von Isaac Bodenheimer (Bühl) und Klärung der Abzugsteuer190 I.2 Klärung der Abzugsteuer bei einer Tochter von Lazarus Callman (Friesenheim)192 I.3 Klärung der Abzugsteuer bei einer Tochter von Abraham (Malsch)194 I.4 Gutachten bei der Schutzerteilung für einen Sohn von Süßel (Bühl)195

II.1 Hilfe bei der Durchsetzung von Kapitalforderungen191

1737

1739 1739

1739

I.3 Supplik wegen der Ermäßigung der Türkensteuer, zusammen mit den Anwälden im Namen der Judenschaft196 I.5 Mitwirkung beim Einzug von Abgaben für die Herrschaft197

1740

1741

II.2 Intervention für die Bühler Juden wegen des Geleits für die Ortenau193

I.4 Klärung der Scheidung von Haium Mathis und Feile, der Witwe Isaac Bodenheimers (Bühl)198 I.6 Stellungnahme bei der Wiedereinsetzung von Rössel (Kuppenheim) in den Schutz199

190 GLAK 61/165 HR 29.5.1736 Nr. 37. 191 GLAK 61/165 HR 14.6.1736 Nr. 11. 192 GLAK 61/166 HR 17.1.1737 Nr. 21 mit der Nennung von Lazarus Kallmann als Lasch Callmus. 193 Zur Intervention wegen eines Geleitakkords für die Juden in Bühl siehe S. 336. 194 GLAK 61/274 HK 14.8.1737. 195 GLAK 61/168 HR 3.7.1739. Nr. 12. 196 GLAK 61/35 GR 12.2.1739 Nr. 13 und GLAK 61/168 HR 14.2.1739 Nr. 10. Die „Türkensteuer“, auch „Gemeiner Pfennig“ genannt, war eine Kopf- und Vermögenssteuer, die zur Unterstützung der Abwehr türkischer Heere an der südosteuropäischen Reichsgrenze erhoben wurde. 197 GLAK 61/168 HR 20.3.1739 Nr. 23. 198 GLAK 61/169 HR 23.8.1740 Nr. 22. 199 GLAK 61/170 HR 12.1.1741 Nr. 21.

434  Jahr 1741 1741

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Landjudenschaft und Judenoberschultheißen Nummer Tätigkeiten für die Regierung (I) I.7 Mitwirkung beim Einzug von Geldern 200 I.8 Aufforderung an die Judenschaft zur Mitwirkung bei der Gefangennahme Jäckels (Kuppenheim) nach dem Verdacht des Kirchendiebstahls201

1742

1742 1745

Nummer Tätigkeit für Schutzjuden (II)

I.5 Supplik wegen des Gottesdienstes in Rastatt, zusammen mit Anwald Daniel Cassel (Rastatt)202 I.9 Bericht bei der Schutzaufnahme des Schwiegersohns von Lemmle Löwel (Bühl)203 I.10 Inventur und Erbteilung bei der Witwe Löwels (Kuppenheim)204

, , , ,

200 201 202 203 204

Auch wenn diese Tabelle nicht alle Tätigkeiten widerspiegelt, wird doch das Übergewicht der Aktivitäten deutlich, die Samson Schweitzer für die Regierung übernahm. Neben den Berichten zur Schutzerteilung, die möglicherweise auch den Bewerbern halfen, vertrat Samson Schweitzer dabei im Wesentlichen die fiskalischen Interessen der Regierung und erst in zweiter Linie die gemeinsamen Anliegen der Schutzjuden.205 Seine Aufgaben für die Judenschaft verlor er jedoch, anders als in seinem Bewerbungsschreiben, in der Praxis seines Amtes nicht aus dem Blick. Die Übersicht zeigt auf jeden Fall im Vergleich zur Amtszeit von Isaac Bodenheimer eine wichtige Veränderung. Wenn man annimmt, dass auch sein Vorgänger Aufgaben wie Inventuren erledigte, dann wird sichtbar, dass die Regierung die Tätigkeit Samson Schweitzers insgesamt genauer festhielt. Die Intensivierung der Kontrolle dessen, was die Judenschaft betraf, ist unverkennbar; es ist nicht festzustellen, ob die Regierung dies anstrebte oder ob der Judenoberschultheiß von sich aus eingehender berichtete.

200 GLAK 61/170 HR 28.11.1741 Nr. 29. 201 GLAK 61/170 HR 3.10.1741 Nr. 17. 202 GLAK 61/43 GR 16.9.1741 Nr. 7. 203 GLAK 61/46 GR 13.10.1742 Nr. 17. 204 GLAK 61/174 HR 14.1.1745 Nr. 8. 205 Siehe S. 433f., Tabelle XVI, Nr. I.1–I.5. I.7 und Nr. II.2, II.3 und II.5.

Samson Schweitzer 

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Die Kontrolle zeigt sich auch im Detail. Im Mai 1736, nach dem Tod von Isaac Bodenheimer, führte Schweitzer die Inventur des Erbes durch. Dazu berichtete er dem Hofrat, wie er selbst, der Rastatter Judenschultheiß Daniel Cassel und ein Rabbiner von Mayer, dem Bruder und Miterben Bodenheimers, einen Eid abgenommen hätten „zur Verhütung einigen unterschleifs“, zur Verhinderung eines Betrugs. Sein Bericht über die Hinterlassenschaftsregelung ging vor allem darauf ein, wie sich die verschiedenen Erbberechtigten miteinander geeinigt hätten. Dem Hofrat reichten diese Informationen nicht; er verlangte eine genauere Auskunft darüber, „was die Pforzheimer Jüdt(ische)n Erben empfangen“ und damit aus der Markgrafschaft gebracht hätten206 – es ging um das Abzugsgeld, das beim Transfer des Nachlasses auf Erbberechtigte im baden-durlachischen Pforzheim fällig war. Auffallend an diesem Vorgang ist die Perspektive der Regierung. Samson selbst betonte, dass er und Cassel jeden Betrug bei der Nachlassregelung verhindern würden. Damit stellte er seine Sorgfalt und Aufmerksamkeit im Dienst heraus. Mit seiner Anweisung zu einem genaueren Bericht Schweitzers drückte der Hofrat wohl sein doppeltes Misstrauen aus: nicht nur gegen die Erben Bodenheimers, sondern auch gegen den neuen Judenoberschultheißen. Die Situation Samson Schweitzers beim Einzug von Steuern war generell schwierig. Im März 1739 bat er den Hofrat um Unterstützung, um einen Befehl an die Beamten in mehreren Ämtern, ihm und den Anwälden beim Einzug von Geldern zu helfen, welche die Judenschaft der Regierung schuldete207 – wohl Beiträge zur „Türkensteuer“, die zu dieser Zeit zwischen der Regierung und den Schutzjuden umstritten waren.208 Um diese ging es vielleicht auch noch 1741, als Samson Schweitzer nicht näher beschriebene „anlagen“, auf die Schutzjuden umgelegte Forderungen, erheben sollte. Dabei bat er um die Erlaubnis, bei Herz Lazarus und David Kaufmann in Gernsbach ihren Anteil zu pfänden. Die Regierung verordnete, dass gegen alle säumigen Zahler vorgegangen werden könne, sobald von „Anwälden“ und „Beisitzern“ der Judenschaft die zu fordernde Summe bestätigt sei.209 Der Judenoberschultheiß war in einer solchen Situation aus der Sicht der Juden zugleich Steuerbeamter und Zwangsvollstrecker für die Regierung – und geriet damit in die direkte Konfrontation mit den Schutzjuden. Die „Hebräische Rechnung“

Anfang 1742 schlugen sich Spannungen zwischen Samson Schweitzer und anderen baden-badischen Juden im Protokoll des Hofrats nieder. Wieder bat der Oberschultheiß den Rat um Unterstützung, um ein Mandat an die Ämter Mahlberg, Gernsbach und Bühl. Er sollte mit einer Strafandrohung von 50 Reichstalern die 206 GLAK 61/165 HR 29.5.1736 Nr. 37. 207 GLAK 61/168 HR 20.3.1739 Nr. 23. 208 GLAK 61/35 GR 12.2.1739 Nr. 13 und GLAK 61/168 HR 14.2.1739 Nr. 10. 209 GLAK 61/170 HR 28.11.1741 Nr. 29.

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Landjudenschaft und Judenoberschultheißen

Juden dazu bringen, an einer Zusammenkunft in Baden-Baden teilzunehmen. Es gehe darum, so Schweitzer, die Schatzungsordnung zu erneuern, also um eine neue Steuerumlage unter der Judenschaft, und es sei die „Rechnung“, seine Führung des Finanzwesens zu prüfen. Er habe, darauf berief sich der Oberschultheiß, die Anweisung, alle drei Jahre eine solche Versammlung zu organisieren.210 Die Versammlung fand am 5. Februar 1742 statt. Allerdings führte sie zu Streitigkeiten, berichtete Samson Schweitzer dem Hofrat, und sie sei daran gescheitert, dass sich die beiden Friesenheimer Schutzjuden Lazarus Weil und Mayer Kallmann entfernten. Um doch noch zu einem Ergebnis zu kommen, drängte Schweitzer den Hofrat, eine neue Zusammenkunft auf den 13. Februar anzusetzen.211 Am 10. des Monats befasste sich auch der Geheime Rat mit der Klage des Judenoberschultheißen wegen „renitenz und ungehorsams“ der Juden im Oberamt Mahlberg und beschloss die Einsetzung einer Untersuchungskommission.212 Im Gegenzug supplizierten auch Lazarus Weil und ein Teil der Rastatter und Malscher Juden beim Geheimen Rat wegen einer Untersuchung gegen den Oberschultheißen; auch sie, beschloss darauf der Rat, solle erfolgen.213 Aus dem Kommissionsbericht vom 20. Februar geht hervor, dass es um die Rechnungsprüfung und um Beschwerden über Samson Schweitzer ging. Einen der Streitpunkte nannte die Kommission noch genauer: die Abrechnung über ein „Geschenk“ der Judenschaft für Prinz August Georg, den Bruder des Markgrafen, vermutlich zu seiner Hochzeit. Die Kommission befürwortete einen Kompromiss, den Vertreter der Schutzjuden erarbeitet hatten: Die Untersuchungskosten und die Diäten [Bezahlung] für den an der Versammlung, wohl auch an der Formulierung des Kompromisses beteiligten, namentlich nicht genannten Rabbiner214 sollten beide Parteien übernehmen. Samson Schweitzer aber, so die Untersuchungskommission, müsse 100 Reichstaler Strafe dafür zahlen, dass er die Einigung nicht akzeptiere. Die Anwälde gingen noch weiter. Sie forderten die Absetzung Samson Schweitzers. Darauf ging der Geheime Rat jedoch nicht ein.215 210 GLAK 61/171 HR 25.1.1742 Nr. 17. 211 GLAK 61/171 HR 8.2.1742 Nr. 38. 212 GLAK 61/44 GR 10.2.1742 Nr. 30. 213 GLAK 61/44 GR 10.2.1742 Nr. 31. 214 Nach einer Anweisung des Hofrates von 1745 war der Rabbiner in Karlsruhe in diesem Jahr für die Markgrafschaft Baden-Baden zuständig. Das dürfte auch schon für 1742 gegolten haben. Zu Nathan Uri Kahn, dem damaligen Rabbiner von Karlsruhe und des nördlichen Teils der Markgrafschaft Baden-Durlach, zuletzt Robert Liberles, A Burial Place for Rabbi Nethanel Weil [»Korban Netanel«]. An 18th Century Dispute between Rural und Urban Jews, in: Marion Kaplan und Beate Meyer (Hg.), Jüdische Welten. Juden in Deutschland vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart (Hamburger Beiträge zur Geschichte der deutschen Juden 27). Göttingen 2005, S. 42–50, hierzu S. 44. 215 GLAK 61/44 GR 17.2.1742 Nr. 18.

Samson Schweitzer 

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Im weiteren Verlauf des Konflikts wurden noch mehr Einzelheiten sichtbar. Schutzjuden zweifelten die Rechnungsführung Samson Schweitzers an. Die Hofkammer wollte darauf geklärt haben, wie viel Geld insgesamt Schweitzer seit 1736 auf die Schutzjuden umgelegt hatte, wie es durch die Anwälde eingezogen und an Schweitzer abgeliefert worden war.216 Innerhalb von acht Tagen musste er ein Verzeichnis dieser Gelder abliefern.217 Anfang Mai erhielt Samson Schweitzer die Anweisung, die „Original Hebräische Rechnung“ der Hofkammer zu übergeben.218 Er drängte selbst auf die Prüfung seiner Rechnungsführung, und zwar durch den Hofrat von Dürheim als Kommissionsmitglied und durch die Hofkammer. Der Geheime Rat entschied: Die Prüfung müsse „in Gegenwarth eines gegentheilligen so wohl als Eines frembden Hebräers“ erfolgen, wohl eines Vertreters der Judenschaft als der „gegentheilligen“ Partei, wie eines geeigneten ausländischen Juden; auch ein zweites Kommissionsmitglied, Hofkammerrat Dyhlin, müsse anwesend sein.219 Einen Monat später hielt die Kammer fest, wie die Prüfung verlaufen sei. Anwesend war aus dem Hofratskollegium Hofrat von Dürheim, von der Kammer die Räte Padavin, Lassolaye, Harrandt und Dyhlin. Als Vertreter der Judenschaft nahmen Daniel Cassel und Raphael Jacob aus Rastatt, aus Bühl Mayer Bodenheimer, Elias Schmaul und Isaac Israel teil. Die Schutzjuden, außer dem „Rabiner“ Isaac Israel, bestätigten die Unterschriften unter dem hebräischen Dokument, die sie früher geleistet hatten, und versicherten, dass es sich um das Original der „Rechnung“ handelte. Die deutsche Fassung, die Schweitzer abgegeben hatte, wies nur geringe Unterschiede auf. Die Kontrolle der Rechungsführung ergab Folgendes: Für die „Presente“ an Prinz August Georg waren 272 Gulden und 50 Kreuzer an den Goldschmied Schwarz in Karlsruhe bezahlt worden. Insgesamt hatte die Judenschaft an den Oberschultheißen 520 Gulden abgeliefert, die er an die Regierungskasse weiterleitete. Einnahmen und Ausgaben wurden verglichen: Nur einen kleinen, in der Höhe gar nicht angegebenen Betrag musste Samson Schweitzer ersetzen.220 Nach dieser Entlastung Schweitzers folgten andere Vorwürfe. Der Oberschultheiß habe von ihnen, so klagten ihn einige Juden an, im Zusammenhang „des ihnen verschafften Schutzes“ Geld angenommen. Die Kläger seien, so reagierte der Hofrat mit Billigung des Geheimen Rats, „mit ihrer muthwilligen [bösen, auf Schaden zielenden], und unbegründeten Klag völlig abzuweisen.“ Sie müssten Samson Schweitzer „öffentl(ich) abbitt“ leisten und ihn für die Verletzung seiner Ehre entschädigen. Sie hätten auch den ausgehandelten Kompromiss gebrochen, 216 GLAK 61/279 HK 13.3.1742. 217 GLAK 61/279 HK 28.3.1742. 218 GLAK 61/279 HK 4.5.1742. 219 GLAK 61/45 GR 19.5.1742 Nr. 9. 220 GLAK 61/279 HK 6.6.1742.

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Landjudenschaft und Judenoberschultheißen

weshalb der Hofrat jetzt auch über sie die Strafe von 100 Reichstalern verhängte, als Alternative die Übernahme der Verfahrenskosten.221 Gegen Ende des Monats legten Samson Schweitzer und die Anwälde ein Papier vor, in dem sie den Konflikt mit der Zustimmung der Regierung beilegten.222 Zur Lösung, die im Einzelnen nicht protokolliert wurde, gehörte die Übernahme der Verfahrenskosten durch die Gegner von Salomon Schweitzer. Nun aber erklärten Daniel Cassel und Lazarus Weil, dass einige Schutzjuden die Beteiligung an diesen Kosten verweigerten, und sie forderten, den Konflikt nach den „jüdischen Zeremonien“, nach jüdischem Recht, mit Hilfe eines Rabbiners beizulegen. Nochmals ordnete darauf der Hofrat eine Versammlung an, um den Streit beizulegen.223 Beide Seiten supplizierten wegen des Nachlasses ihrer Strafe von jeweils 100 Reichstalern.224 Der Geheime Rat beschloss: Es bleibt bei der festgesetzten Strafe.225 Jetzt verweigerten noch andere ihren Beitrag: Herz Lazarus und David Kaufmann in Gernsbach, Joseph in Muggensturm,226 dann auch Simon Nathan und Abraham Elias in Malsch und Jacob Herz in Ettlingen.227 Den drei ersten drohte der Hofrat die Zwangseintreibung an;228 für die Schutzjuden in Malsch und Ettlingen sollte ein Urteil des „LandesRabiners“ in Karlsruhe ergehen.229 Samson Schweitzer erhielt die Erlaubnis, seine Strafe von 100 Reichstalern in vierteljährlichen Raten zu zahlen.230 Die Gegner des Kompromisses unter den Schutzjuden hatten im Oktober des Jahres ihren Anteil noch immer nicht bezahlt; die Anwälde erhielten den Befehl, endlich die 100 Reichstaler bei der Hofkasse abzuliefern – die Hofkammer drängte schon, da die Strafen für die anstehenden Pflasterarbeiten in Rastatt verwendet werden sollten.231 Aber im November mussten die Anwälde ihre Ohnmacht eingestehen: Sie baten in einer Supplik um den Zwangseinzug bei den „renitenten“ Schutzjuden;232 das sei, äußerten sie sich im folgenden Monat, vor allem bei den Juden im Oberamt Mahlberg nötig.233

221 GLAK 61/171 HR 14.6.1742 Nr. 1. 222 GLAK 61/171 HR 28.6.1742 Nr. 4. 223 GLAK 61/171 HR 10.7.1742. 224 GLAK 61/45 GR 30.6.1742 Nr. 14 und 14.7.1742 Nr. 67. 225 GLAK 61/171 HR 17.7.1742 Nr. 2. 226 GLAK 61/171 HR 21.8.1742 Nr. 39. 227 GLAK 61/171 HR 23.8.1742 Nr. 19. 228 GLAK 61/171 HR 21.8.1742 Nr. 39. 229 GLAK 61/171 HR 23.8.1742 Nr. 19. 230 GLAK 61/171 HR 23.8.1742 Nr. 2. 231 GLAK 61/171 HR 16.10.1742 Nr. 3. 232 GLAK 61/171 HR 29.11.1742 Nr. 10. 233 GLAK 61/171 HR 6.12.1742 Nr. 18.

Samson Schweitzer 

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Oberschultheiß der Herrschaft – Oberschultheiß der Juden?

Folgt man der Regierung, dann waren die Vorwürfe gegen Samson Schweitzer wegen seiner Rechnungsführung und wegen der Annahme von Geld bei Schutzaufnahmen haltlos. Was waren dann die Gründe für die Konfliktbereitschaft einiger Schutzjuden? Wenn es richtig ist, dass die Regierung während der ersten Amtsjahre Samson Schweitzers ihre Kontrolle der Schutzjuden intensivierte, könnte dies zu den hartnäckigen Angriffen auf den Oberschultheiß geführt haben: Er verkörperte wohl für die Judenschaft die herrschaftliche Kontrolle ihres Lebens vor allem in finanzieller Hinsicht. Das deutet auf den strukturellen Konflikt hin zwischen der Judenschaft und der Regierung, auf den Kampf um die Autonomie der Schutzjuden vor allem in der Frage der innerjüdischen Finanzen, der Steuerumlegung und der Rechtsprechung. Zugespitzt wurde dieser Konflikt noch zusätzlich: In anderen Landjudenschaften bestimmten die Schutzjuden die Führungsposition des „Vorstehers“ durch eine Wahl.234 Noch mit der Ernennung Isaac Bodenheimers zum Oberschultheißen im Jahr 1730 hatte die Regierung auf einen der Schultheißen zurückgegriffen, die zwar auch sie ernannte, die aber auch durch die Schutzjuden gewählt waren.235 Den Judenoberschultheißen Samson Schweitzer jedoch setzte offensichtlich die Regierung ein, ohne Mitwirkung der Schutzjuden, und ihm fehlte jede Legitimation „von unten“. So wehrten sich die Schutzjuden gegen Samson Schweitzer als einen Oberschultheißen, in dem sie einen Vertreter der Regierung sahen, aber nicht ihren eigenen. Eine rasche Beilegung des Konflikts unterblieb, weil sich die Schutzjuden gegen die von der Regierung verhängten Strafen wehrten. Dabei nutzen sie die Möglichkeit, auf das Verfahren nach „jüdischen Zeremonien“ auszuweichen, auf das jüdische Recht. Die Regierung ließ sich darauf ein, indem sie bei einigen Juden das Urteil des Rabbiners in Karlsruhe erlaubte. Es scheint so, dass sie wie die Schutzjuden sich im Unklaren darüber war, vielleicht auch sein wollte, welche Instanz den Konflikt eigentlich lösen sollte. Das war schließlich auch eine Frage der Kosten: Wenn die Regierung als Alternative zu 200 Reichstalern Strafe die Übernahme der Prozesskosten sah, dann macht das den Aufwand deutlich, den sie vielleicht vermied, wenn es zu einer innerjüdischen Lösung kam.236 Der Judenoberschultheiß hat „kaum das leibel brodt“

1743 supplizierte Samson Schweitzer beim Geheimen Rat wegen einer jährlichen Bezahlung, wegen einer Frist für die Zahlung seiner Strafe und wegen eines Nachlasses an seinem Schutzgeld.237 Der Hofrat erkundigte sich bei der baden234 Breuer, Frühe Neuzeit und Beginn der Moderne, in: Breuer und Graetz (Hg.), Deutschjüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. 1, S. 192. 235 Zu den örtlichen Schultheißen oder Anwälden siehe S. 416ff. 236 Zur Frage des jüdischen Rechts siehe S. 492ff. 237 GLAK 61/48 GR 6.7.1743 Nr. 23 und GLAK 61/172 HR 9.7.1743 Nr. 12.

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Landjudenschaft und Judenoberschultheißen

durlachischen Regierung, wie sie es damit halte, und erhielt eine für Samson Schweitzer ungünstige Antwort: Weder von der Judenschaft noch von der Regierung bekomme der Schultheiß eine feste Bezahlung; sein einziger Nutzen bestehe darin, dass er „sich bloß mit der Ehr, dem ersten Platz bey den Jüdischen Zusammenkünften, und das gebott [das Weisungsrecht] zu haben begnügen müße.“238 Es blieb dabei: Eine Besoldung erhielt Samson Schweitzer nicht, für die Zahlung seiner Strafe gerade noch zwei Monate Zeit.239 Ein regelmäßiges „Salarium240 [eine Bezahlung]“ brauchte Samson Schweitzer zu dieser Zeit umso mehr, als seine finanziellen Schwierigkeiten offenbar wurden. Gläubiger bedrängten ihn.241 Ein Regierungsakzessist, ein Anwärter auf eine Stelle in der Verwaltung, forderte schon 1742 die Rückzahlung eines Kapitals von 215 Gulden. Schweitzer schlug eine Einigung vor: 100 Gulden könne er gleich bezahlen; er würde dann eine neue Schuldverschreibung über den Restbetrag ausstellen und diesen innerhalb von sechs Monaten abbezahlen.242 1743 unterstützte der Hofrat seine Bitte um ein zweijähriges Moratorium für seine Schulden.243 Die Witwe des Baden-Badener Krämers Bettendorf machte Forderungen geltend, die zur Androhung eines Zwangseinzugs führten.244 Der Judenoberschultheiß erklärte darauf seine „dermahlige ohnvermögenheit“.245 Seine Kreditwürdigkeit geriet in Gefahr.246 Eine im Juni des Jahres gestellte Supplik wegen eines Nachlasses seiner Strafe, die er aus dem Konflikt mit der Judenschaft zu zahlen hatte, blieb erfolglos.247 Erst sein „fußfällig wiederhohltes Bitten“ einen Monat später brachte ihm zumindest einen zweimonatigen Aufschub.248 Im September wiederholte er seine Supplik, wurde aber dennoch zur Zahlung angewiesen.249 Dann meldete auch noch der Schneidermeister Johannes Reiling Ansprüche an, im Namen seiner Frau,250 einer Nichte Samson Schweitzers mütterlicherseits, die einen Teil des Erbes von Mathias Schweitzer beanspruchte. Gegen das Ende des Jahres, im November 1743, verlangte Samson Schweitzer eine massive Unterstützung der Regierung. Er brachte beim Hofrat eine Beschwerde ein 238 GLAK 61/172 HR 23.7.1743 Nr. 15. 239 GLAK 61/172 HR 30.7.1743 Nr. 7. 240 GLAK 61/172 HR 23.7.1743 Nr. 15. 241 GLAK 61/47 GR 30.3.1743 Nr. 44. 242 GLAK 61/171 HR 3.4.1742 Nr. 21. 243 GLAK 61/172 HR 5.4.1743 Nr. 3. 244 GLAK 61/172 HR 27.8.1743 Nr. 15. 245 GLAK 61/172 HR 5.9.1743 Nr. 13. 246 GLAK 61/172 HR 28.11.1743 Nr. 14. 247 GLAK 61/48 GR 22.6.1743 Nr. 15. 248 GLAK 61/48 GR 24.7.1743 Nr. 26. 249 GLAK 61/48 GR 30.9.1743 Nr. 25. 250 GLAK 61/172 HR 13.8.1743 Nr. 16. Zur „Hayumbin“ siehe S. 568ff.

Samson Schweitzer 

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„gegen die Judenschaft, daß er weder zu Ehecontracten, übergaben [von Vermögen], Theilungen und dergleichen Jüdischen Handlungen mehr gezogen noch ihme davon die gebühr gereicht wird, wie dann in Specie [im Besonderen] der Jud Hertz zu Ettlingen ohne sein Vorwißen ein Heuraths contract verfertiget hette, und hiesiger [Rastatter] Juden anwald Daniel Caßel einen Theil und außweisungs actum [Teilung eines Erbes und Teilungsbeschluss] mit seines verstorbenen Bruders hinterlassenen Eheweib vornehmen wollte.“251

Auf diese Klage über die Schutzjuden, die ihn nicht mehr zu Eheverträgen, Vermögens- und Erbregelungen hinzuzogen, unterstützte der Hofrat Samson Schweitzer: An die Ämter Mahlberg, Bühl und Rastatt erließ das Kollegium den Befehl, die „Instruction“, die Amtsanweisung für den Judenoberschultheiß, nochmals zu verkünden, und verbot, ohne Mitwirkung des Schultheißen „dergleiche actus [rechtliche Handlungen] aigenmächtig über und vor(zu)nehmen“. Sie, die Schutzjuden, hätten Samson Schweitzer„seine gebühr (zu) raichen, und seinen befehlen parition zu leisten“; wegen Hertz und Cassel ordnete der Rat eine gesonderte Untersuchung an.252 Noch versuchte die Regierung, die Autorität des Oberschultheißen und ihre eigene zu wahren – sie hatte ihn schließlich eingesetzt. Die finanziellen Probleme Samson Schweitzers waren dadurch aber nicht gelöst. Er bat nochmals um den Nachlass seines Schutzgelds. Das habe auch sein Vorgänger gezahlt, damit lehnte der Hofrat dieses Gesuch ab.253 Zugleich kam die Regierung Samson Schweitzer entgegen. Sie bestätigte, dass er 40 Gulden jährlich erhalte als „Besoldung“, die ihm neben den „Diäten“ für seine Beteiligung an Verträgen zustehe und neben den Unkosten, „so er etwas zum besten der gemeinen Judenschaft in corpore [als Korporation, als Ganzes] zu verrichten hete.“ Umlagen dürfe er aber nur unter Mitwirkung der Anwälde festlegen.254 Ein Verzeichnis der Gebühren, die ihm aus seiner amtlichen Tätigkeit zustanden, reichte er im März 1746 ein, worauf die Regierung die Schutzjuden zur Zahlung aufforderte oder zur Erklärung, warum sie diese verweigerten.255 Seit 1745 drohte ihm, wegen seiner Schulden, der Verlust seines Hauses in Baden-Baden.256 Weder hatte Samson Schweitzer Erfolg bei der Durchsetzung seiner Forderungen, z. B. beim markgräflichen Hofrat und Geheimen Sekretär

251 GLAK 61/172 HR 28.11.1743 Nr. 14. „Ausweisung“ ist gebraucht für Beschluss oder Verkündigung im rechtlichen Bereich, nach: Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, Bd. 1, Sp. 1014. 252 GLAK 61/172 HR 28.11.1743 Nr. 14. 253 GLAK 61/173 HR 22.12.1744 Nr. 7. 254 GLAK 61/173 HR 30.4.1744 Nr. 12. 255 GLAK 61/175 HR 31.3.1746 Nr. 25. 256 GLAK 61/174 HR 28.1.1745 Nr. 13.

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Schmid,257 noch konnten seine Gläubiger ihre Forderungen bei ihm eintreiben.258 Selbst seine Nichten Gütel und Sarah, Töchter seines Bruders Moyses Schweitzer, klagten gegen ihn, weil er ihre Ansprüche auf einen Anteil an der Hinterlassenschaft von Mathias Schweitzer, ihrem Großvater, missachte. Zuerst wurden sie durch den Hofrat an das Amt Baden-Baden als zuständige gerichtliche Instanz verwiesen,259 dann erreichte Samson Schweitzer, dass diese Erbauseinandersetzung vor den Karlsruher Rabbiner kam.260 Selbst die Behörden wurden misstrauisch. Er kam Anfang 1746 in Verdacht, Teile seines mobilen Besitzes dem wohl drohenden Zugriff der Gläubiger zu entziehen: Der Baden-Badener Amtmann Förster berichtete dem Hofrat beruhigend, Schweitzer und seine Frau hätten „in einem reys Coffre“ nur Kleidungsstücke und Weißzeug mitgenommen, als sie Baden-Baden verließen; ihr übriges Hab und Gut befinde sich noch in ihrem Haus.261 Samson Schweitzers Situation hatte sich in der Mitte des Jahres 1747 verschlechtert. Wieder bat er um den Nachlass des Schutzgeldes, unterstützt von der Kammer: Der Oberschultheiß sei „bekannther maßen ohne hin bettelarm, mit hin sich kaum das leibel brodt viel weniger aber das Jährl(iche) schutzgeld aufzubringen vermöge.“262 1746 war es nochmals zu einem Versuch gekommen, die Konflikte zwischen Samson Schweitzer und den übrigen Schutzjuden beizulegen und seine Einnahmen als Oberschultheiß zu sichern. Abraham und Elias Malsch, zwei Schutzjuden in Malsch, klagten gegen Samson Schweitzer, weil er ihnen bei ihrer Hochzeit ein „onere“, eine Gebühr, auferlegt hatte. Das Verhältnis zwischen den Schutzjuden und ihrem Schultheißen sei unerträglich, so stellte der Hofrat darauf fest, die Beschwerden gegen den Schultheißen seien endlos, die Schutzjuden würden keine Gelegenheit auslassen, gegen Schweitzer vorstellig zu werden. Sie sollten nun, so der Hofrat, erst einmal ihre Beschwerden sammeln und sie dann der Regierung übergeben. Aber das ändere nichts daran, dass sie zahlen müssten, was sie dem Schultheißen gegebenenfalls für ihre privaten Belange schuldig seien.263 Samson Schweitzer verzeichnete für den Hofrat, wofür er an die einzelnen Schutzjuden Forderungen stelle: für Ehekontrakte, für Inventuren und Erbteilun-

257 GLAK 61/174 HR 29.4.1745 Nr. 16. 258 GLAK 61/174 HR 29.7.1745 Nr. 15. 259 GLAK 61/174 HR 2.9.1745 Nr. 9. 260 GLAK 61/174 HR 14.10.1745 Nr. 22. 261 GLAK 61/175 HR 11.1.1746 Nr. 22. 262 GLAK 61/284 HK 9.6.1747. 263 GLAK 61/175 HR 19.7.1746 Nr. 20.

Samson Schweitzer 

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gen.264 Der Rat legte die Gebühren fest und bestätigte dem Schultheißen: Für die Mitwirkung an diesen Rechtsgeschäften sei ein Anspruch legitim.265 Der badische Vogt in Gernsbach zog im folgenden Monat in Muggensturm und Hörden bei dortigen Schutzjuden 5 Gulden und 30 Kreuzer ein, die für Samson Schweitzer bestimmt waren.266 Im nächsten Jahr standen aber noch immer Gebühren von Juden in Rastatt und Kuppenheim aus. Der Hofrat wies das Amt an, dieses Geld zwangsweise einzutreiben.267 Die Betroffenen, Daniel Cassel in Rastatt und Löw, Meyer und Salomon in Kuppenheim, erhoben Einwände. Darauf klärte der Hofrat nochmals, was sie zu zahlen hatten: für Heiratskontrakte 1 Gulden 30 Kreuzer, für Inventuren 2 Gulden und 30 Kreuzer.268 Es war nicht nur Samson Schweitzer, der sich zu dieser Zeit über die Schutzjuden als schlechte Zahler beschwerte. Auch die Anwälde drängten beim Hofrat auf Hilfe. Sie wollten die Erlaubnis, „ihren sogenannten Heiligengefäll executive [die Beiträge zur Wohltätigkeitseinrichtung269 der Judenschaft zwangsweise] einzuziehen, und mit den morosen debenten [im Verzug befindlichen Zahlungspflichtigen] nach den Jüdischen ceremonien zu verfahren.“ Auch ihnen, den Anwälden, kam der Hofrat entgegen: Sie könnten so vorgehen, wie sie es vorgeschlagen hätten, allerdings bleibe den Betroffenen die Möglichkeit, an die staatlichen Gerichte zu appellieren.270 Samson Schweitzer: Er habe „nicht nach ihren Geigen tanzen wollen“

Im August 1747 traf eine Anzeige ein, dass Samson Schweitzer Gebühren – später wurde sie als Zoll und Akzise bezeichnet – von Rastatter und Kuppenheimer Juden nicht pflichtgemäß an die Regierung weitergeleitet habe.271 Noch ließ ihn der Hofrat trotz dieses Verdachts der Unterschlagung weiter amtieren: Der Ettlinger Amtmann Louis Hornus solle ihn, so der Hofrat, ungehindert „nach jüdischem Brauch“ die Erbteilungen durchführen lassen.272 264 GLAK 61/175 HR 18.8.1746 Nr. 20. 265 GLAK 61/175 HR 20.8.1746 Nr. 20. 266 GLAK 61/175 HR 15.9.1746 Nr. 13. 267 GLAK 61/176 HR 17.8.1747 Nr. 25. 268 GLAK 61/176 HR 25.8.1747 Nr. 16 und 26.8.1747 Nr. 9. 269 „Heiligengefäll“ verweist auf die entsprechende Einrichtung kirchlicher Gemeinden; ob die entsprechende Einrichtung der Judenschaft Chewra Kaddischa, Heilige Bruderschaft, oder Kippe genannt wurde, lässt sich beim Fehlen innerjüdischer Quellen nicht feststellen. Zur den Wohlfahrtseinrichtungen in jüdischen Gemeinden Mordechai Breuer, Frühe Neuzeit und Beginn der Moderne, in: Breuer und Graetz (Hg.), Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. 1, S. 166–170. 270 GLAK 61/176 HR 28.2.1747 Nr. 17. 271 GLAK 61/176 HR 17.8.1747 Nr. 25. 272 GLAK 61/176 HR 25.8.1747 Nr. 14.

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Landjudenschaft und Judenoberschultheißen

Im September 1747 klagten Lazarus und Mayer Kallmann in Friesenheim wegen seiner Amtsführung gegen Samson Schweitzer: Er sei schuld, dass sie ein zu hohes Abzugsgeld für ihre Kinder zahlen mussten; er habe nämlich das Heiratsgut höher veranschlagt, als dies in den Eheverträgen festgesetzt war – er selbst habe dies zugegeben.273 Jetzt verschärfte Samson Schweitzer die Auseinandersetzung. Er gab beim Hofrat an, einige Juden hätten Zoll und Akzise unterschlagen. Zugleich bat er: Die Regierung solle ihn „als Zollbereithern über die Juden setzen.“274 Darauf forderte die Judenschaft seine Amtsenthebung; der Hofrat reagierte, wie vom Geheimen Rat angeordnet,275 mit dem Befehl, den „Zoll- und Akzisefrevel“ Samson Schweitzers zu untersuchen.276 Der Vorwurf bestätigte sich, und der Hofrat zog die Konsequenz: Wegen der Unterschlagung von 19 Gulden und 16 ½ Kreuzer empfahl er, einen neuen Schultheißen einzusetzen.277 Die gegenseitigen „Klag und Anzeigen“ brachten den Hofrat dazu, mit Billigung des Markgrafen eine Kommission zu deren Untersuchung einzusetzen.278 Der Oberschultheiß erhob einen Einwand: Kammerrat Dyhlin, der ihr angehören sollte, sei kein Jurist und dazu ihm gegenüber „abgeneigt“.279 Samson Schweitzer sollte nun die von ihm unterschlagenen Steuern abliefern; wegen seiner Armut schlug der Hofrat vor, dies könne in Raten zu 2 Gulden geschehen.280 Der Geheime Rat griff ein: Er beharrte darauf, dass Schweitzer die Summe auf einmal bezahlen müsse.281 Dieser supplizierte wieder, jetzt mit der Bitte, ihn in seinem Amt zu lassen.282 Die Situation wurde für ihn noch bedrohlicher. Die zwei in der Untersuchungskommission eingesetzten Kammerräte Hossner und Dyhlin bezeichneten das Verhalten Schweitzers als „ohnjustifizirlich“, als ungerechtfertigt. Mehrere Schutzjuden hätten unter Eid ihre Vorwürfe bekräftigt, und schließlich würde auch die eigene Aussage des Oberschultheißen über die Gebühren, die er zugunsten des Staates eingetrieben habe, nicht stimmen.283 Samson Schweitzer bat um Gnade. Der Geheime Rat verweigerte sie.284 273 GLAK 61/284 HK 25.9.1747. 274 GLAK 61/176 HR 3.10.1747 Nr. 18. 275 GLAK 61/61 GR 5.10.1747 Nr. 16. 276 GLAK 61/176 HR 10.10.1747 Nr. 1. 277 GLAK 61/176 HR 29.12.1747 Nr. 13. 278 GLAK 61/177 HR 23.1.1748 Nr. 2. 279 GLAK 61/62 GR 6.3.1748 Nr. 12. 280 GLAK 61/177 HR 2.4.1748 Nr. 14. 281 GLAK 61/177 HR 9.4.1748 Nr. 5. 282 GLAK 61/62 GR 27.4.1748 Nr. 12. 283 GLAK 61/177 HR 9.5.1748 Nr. 12. 284 GLAK 61/63 GR 25.5.1748 Nr. 28.

Samson Schweitzer 

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Nochmals reichte Samson Schweitzer eine Gegendarstellung zu den Klagen der Judenschaft ein.285 Aber der Hofrat empfahl, ohne dass das Protokoll die Gründe verzeichnete, seine Entlassung, schlug aber gleichzeitig vor, für ihn zu „sorgen“: Die Judenschaft hätte „zu künftigem seinen Unterhalt aus einer Mitleydenschaft [aus Mitleid] 50 fl(orin) vorzuschießen. Welche jedoch nicht ihme Judenschultheißen zu behändigen [zu geben], sondern zur Regi(erun)g, um ihme davon nach Erfordernus der Umstände von zeith zu zeith etwas verabfolgen lassen zu können.“

Hofrat Fortenbach schlug eine Nachfolgeregelung vor: Es sei am besten für die Regierung, wenn das Amt des Oberschultheißen einem von „dero landes Juden, welcher wohl vermögl(ich) auch sonsten von einer Ehrl(ichen) Jüd(ischen) aufführung, ohne einigen von denen Juden hierunter abzuwartenden Vorschlag g(nä)d(ig)st wird anvertraut und conferirt werden könnte“286 – die Regierung solle einen wohlhabenden, ehrlichen Juden, dessen Ehre durch nichts beeinträchtigt war, ohne Konsultation der Judenschaft als Oberschultheiß einsetzen. Der Markgraf und der Geheime Rat billigten diesen Vorschlag grundsätzlich, äußerten aber dem Hofrat gegenüber auch Skepsis. Es würde „unter der gantzen Judenschaft kein zu einem künftigen Schultheißen tauglicher Judt vorhanden seye.“ Man müsse deshalb überlegen, ob nicht „in ansehung der Juden mit auser acht-laßung eines Schultheißens, die Sach auf den alten fueß [auf die alte Art und Weise] mittelst wieder Einführung 4 taugl(icher) anwälden unter behörige(r) precaution [Vorsicht] hiewiederum zu setzen und einzurichten“ sei.287 Das Amt des Judenoberschultheißen war wie schon 1736 wieder in Frage gestellt. Was hatte den Oberschultheißen zu Fall gebracht? Eine Summe von etwas mehr als 19 Gulden, Zoll- und Akzisezahlungen, die er nicht an die Staatskasse weiterleitete? Dafür spricht, dass die Untersuchungskommission sehr bald nach dem Zeitpunkt, als sie die Vorwürfe gegen Samson Schweitzer zu prüfen anfing, sein Verhalten als „ohnjustifizirlich“ bezeichnete. Seit 1742 hatten sich die Konflikte zwischen der Judenschaft und ihrem Schultheißen hingezogen. Immer wieder bestritten Schutzjuden ihre Pflicht zur Zahlung von Gebühren oder versuchten, den Oberschultheißen von der Mitwirkung an ihren privaten Verträgen auszuschalten. Eigenmächtigkeit Samson Schweitzers kam hinzu, wenn er ohne die Anwälde eine Umlage für die „gemeine Juden cassa“ beschloss, was ihm die Regierung verbot.288 Unklar war offensichtlich auch, selbst für die Regierung, für welche Leistungen der Oberschultheiß von einzelnen Schutzjuden eine Gebühr verlangen konnte und welche Leistungen er 285 GLAK 61/178 HR 23.1.1749 Nr. 14. 286 GLAK 61/178 HR 30.1.1749 Nr. 15. 287 GLAK 61/178 HR 6.2.1749 Nr. 7. 288 GLAK 61/173 HR 30.4.1744 Nr. 12.

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nicht besonders verrechnen durfte. Und wer hatte Recht mit dem Vorwurf, die andere Seite unterschlage Abgaben an den Staat? Samson Schweitzers finanzielle Probleme spitzten sich zu, je mehr die Konflikte eskalierten. Die Einnahmen aus seinem Amt reichten längst nicht zur Sicherung seiner Existenz, und sein Handel war, wie er schon vor der Übernahme des Amtes gesagt hatte, nicht sehr bedeutend. Auffallend die Vorgehensweise des Hofrats, der Samson Schweitzer eine Versorgung zusprach, ihn aber dabei ganz von sich, der Regierung, abhängig machte: Geld sollte er nur dann erhalten, wenn es der Hofrat für richtig hielt. Es scheint, als ob die Regierung die wirtschaftliche Handlungsfähigkeit des bisherigen Oberschultheißen bezweifelte. In der Judenschaft allgemein gab es die weit verbreitete Vorstellung, dass ihre Ämter nur denen zustanden, die viel zu ihren Lasten beitrugen.289 Dies galt wohl auch für die baden-badischen Schutzjuden, die deshalb Samson Schweitzer, einen Mann am Rande des Bettels,290 nicht mehr akzeptierten. Wenn in der jüdischen Gesellschaft Ehre – in einem umfassenden Sinne – auch vom Reichtum bestimmt wurde,291 hatte Samson Schweitzer sie verloren; auch das machte seine Akzeptanz zunichte. Ihre Haltung drückten die Schutzjuden damit aus, dass sie den Oberschultheißen dauernd kritisierten. Mochte Samson Schweitzer die Judenschaft „in corpore“, als Korporation vertreten, immer wieder brachten die einzelnen Schutzjuden ihr Interesse an einer geringen Belastung vor: Sie waren nicht einverstanden mit der innerjüdischen „Rechnung“, aber auch nicht mit der Belastung durch Gebühren, die den Einzelnen betrafen. Das führte zum Boykott des Amtes durch viele Juden. Vielleicht sahen sie in Samson Schweitzer in erster Linie den Vertreter der Regierung. Diesen Eindruck bestätigte oder verstärkte Samson Schweitzer, indem er sich als „Zollbereiter“, als Zollkontrolleur für die Juden vorschlug. Aber damit präsentierte er sich selbst als Amtsorgan der Regierung zur Kontrolle der Schutzjuden. Das konnte nicht im Interesse der Judenschaft sein. Samson Schweitzer versuchte 1749 nochmals mit einer Supplik, sich in seiner Stellung zu halten. Dabei stellte er es als bekannt dar, dass die „gemeine Judenschaft“, die Juden in ihrem gemeindlichen Zusammenschluss, ihn schon lange „verfolget“ habe. Der einzige Grund dafür: Seine Amtsführung, dass er einzig nach seiner „instruction und obhabenden Pflichten für das Herrschaftliche Interesse so fleißig jeder zeit besorgt gewesen, und Viele tausendt [Gulden] g(nä)d(i)gst(e)r Herrschaft eingetragen“ habe, das habe die Judenschaft gegen ihn aufgebracht. Er habe „nicht nach ihren Geigen tanzen wollen“, deshalb drängten ihn die Schutzjuden aus seinem Amt. So hofften sie, fuhr Samson Schweitzer fort, 289 Katz, Tradition und Krise, S. 113. 290 Zur Armut Samson Schweitzers siehe S. 439. 291 Ulbrich, Shulamit und Margarete, S. 256 unter Berufung auf Natalie Zemon Davis.

Samson Schweitzer 

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dass sie dann „nach ihrem Willen und Wohlgefallen thun, und g(nä)d(i)gst(e)r Herrschaft geben könten, was sie wollen.“ Damit brachte Samson Schweitzer im Rückblick die Schwierigkeiten seiner Amtsführung auf einen einfachen Gegensatz: Er habe sein Amt im Interesse der Regierung ausgeübt, vor allem zu ihrem finanziellen Nutzen, die Schutzjuden aber wollten ihn daran hindern mit dem Ziel, möglichst wenig Steuern und Abgaben aufzubringen; er sei am Nutzen der Herrschaft interessiert, sie nur an ihrem eigenen und an einer möglichst großen Unabhängigkeit. Dies untermauerte Schweitzer mit Angaben zur Moral der Juden: Sie handelten auf „boshafte arth“ und mit Lügen. Für sein zumindest zu diesem Zeitpunkt geltendes Amtsverständnis bedeutet das aber, dass er die Rolle des Judenoberschultheißen eindeutig als Amt im fiskalischen Interesse des Markgrafen und der Regierung verstand und als ein Mittel zur Disziplinierung der Juden in ihrer moralisch verwerflichen Verhaltensweise. Diese Sicht spitzte er noch weiter zu mit dem Hinweis darauf, dass die Schutzjuden „die Sach auch durch ihre Unwahrheit gebracht“ hätten, gegen ihn nur mit Lügen vorgegangen seien: Sie hätten nämlich „das offerirte Jurament Suppletorium vor denen H(errschaft)l(ichen) Commissarijs in beyseyn des Rabiners vorlängst würcklich ohn geacht aller protestation geschworen. Gleichwie aber d[a]s Jüdische Gesatz lauth letzterem prothocoll, worinnen diese(s) angemerckt, in sich haltet, daß, falls ein Mauser, auf theutsch Verrähter, für welchen mich die Juden, weilen ich d(a)s Herrschaftliche Interesse angebe, und zwar auch mit allem rechtem gegen die Gemeine Judenschaft aufstehen solte, dieselbe jenem den Hals, so wies die Juden nennen, abzuschwören zugelassen auch disfals die Strafen des Meineyds nicht zu beförchten hätten.“292

Die Schutzjuden hätten, so Schweitzer, ein „jurament suppletorium“ abgelegt, einen Erfüllungseid, den ein Richter anordnen konnte, wenn die Kläger – hier die Schutzjuden – ihre Aussagen nur zum Teil beweisen konnten. Damit seien sie jedoch meineidig geworden. Das erläuterte Samson Schweitzer noch weiter: Nach ihrer Auffassung könnten Juden einem Verräter und Denunzianten, einem „Mauser“,293 für den sie ihn hielten, „den Hals abschwören“, ihn mit einem Meineid unschädlich machen. Seine Behauptung stützte Samson Schweitzer zweifach ab. Jeder jüdische Gelehrte, der katholisch geworden sei, werde mit einem Eid bestätigen, dass es bei den Juden diese Auffassung über den Umgang mit Verrätern gebe. Das werde der gelehrte, jetzt konvertierte Jude Glückseelig bestätigen, der am Hof als Reitknecht angestellt sei. Dieser solle auch dann unter

292 GLAK 74/3731, Samson Schweitzer an Markgraf Ludwig Georg, 4.3.1749. 293 Die „moser-Gesetze“ referiert Katz, Tradition und Krise, S. 104f., ohne Bezug zur Frage des Eids bzw. Meineids.

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Eid vernommen werden, wenn der Karlsruher Rabbiner die Rechtfertigung eines Meineids bestreiten würde.294 Mit seiner Behauptung, dass Juden zu einem Meineid berechtigt seien, wenn sie damit einen Verräter unschädlich machten, griff Samson Schweitzer auf ein antijüdisches Stereotyp zurück. Er nahm hier die Position eines Christen ein, der ein Stereotyp der christlichen Mehrheit gegen die Juden verwendete, um seine Stellung als Oberschultheiß zu sichern. Im Zusammenhang mit dem Reitknecht Johannes Glückseelig nahm er nochmals diese Perspektive auf: Glückseelig, auf dessen Zeugnis er sich berief, habe „sich von dem Judenthum zu dem wahren allein seeligmachenden catholischen glauben und religion begeben.“295 Gleichzeitig reichte Schweitzer eine zweite Supplik ein, mit der er nochmals seinen Standpunkt vertrat: Die „gemeine Judenschaft“ wolle ihn aus dem Amt drängen, weil er sich für den Nutzen der Herrschaft eingesetzt habe. Wenn sie das erreiche, dann könne sie den Markgrafen „recht betrügen.“ Ihn habe aber der Markgraf zum Judenoberschultheiß gemacht, damit er zur Erfüllung seiner Instruktion tätig sei, und er habe, wiederholte er, dabei „viele 1000 fl(orin) mit rechten eingetrag(en) [der Herrschaft auf rechtmäßige Weise viele tausend Gulden eingebracht]“ und werde das auch künftig machen. Dann aber resignierte er: Er wolle zufrieden sein, wenn die Judenschaft dazu verurteilt werde, ihm jährlich 100 Gulden zu seinem Lebensunterhalt zu geben – dann werde er seine Absetzung akzeptieren, um sich, der Regierung und dem Markgrafen „ruhe selbsten hierdurch zu verschaffen, ohne welches niemahls wird keine beständig segen, sondern allezeit Juden schultz, judenschultz Vom Morgen bis zur nacht [sondern immer nur Gezänk und Geschrei über den Judenschulz].“296 Ein großer Teil der Äußerungen Samson Schweitzers mochte Rhetorik sei, um seinen Lebensunterhalt zu sichern. Dennoch sind drei Ergebnisse festzuhalten: Er stellte sein Amt im Rückblick und in der Hoffnung, es behalten zu können, als Dienst für die Regierung dar: als ein Mittel, ihre finanziellen Interessen zu wahren und die Juden zu disziplinieren. Dabei ging Schweitzer so weit, dass er eine antijüdische Sichtweise der Juden übernahm: Sie waren boshaft, verlogen und meineidig. Dafür scheute er sich auch nicht, gegen die Judenschaft einen zum Christentum konvertierten Juden als Zeugen zu benennen. Nahmen die Schutzjuden auch nur einen Teil dieser Vorstellungen zur Kenntnis, dann war wohl der Bruch mit ihrem Schultheißen endgültig.

294 GLAK 74/3731, Samson Schweitzer an Markgraf Ludwig Georg, 4.3.1749. 295 Ebd. 296 Ebd.

Raphael Jacob 

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11.4  Raphael Jacob Auswahl und Instruktion

Die Überlegung, das Amt des Oberschultheißen überhaupt abzuschaffen, wurde nicht weiter verfolgt. Am 6. Februar 1749 wies die Regierung die Ämter Bühl, Rastatt und Mahlberg an, einen Nachfolger für Samson Schweitzer vorzuschlagen.297 Bereits am 11. Februar lag der Regierung der Name des Kandidaten vor, den der Rastatter Oberamtmann und Hofrat Lassolaye ausgesucht hatte: Raphael Jacob in Rastatt, auch Vohla genannt.298 Aus Bühl traf zwei Tage danach der Bericht des Amtmanns Johann Jacob Hoffmann ein, der sich für Löw Bodenheimer einsetzte,299 den Neffen des Oberschultheißen Bodenheimer, des Vorgängers von Samson Schweitzer. Das Oberamt Mahlberg gab Mayer Kallmann aus Friesenheim als geeignet an.300 Der Muggensturmer Schutzjude Herz Lazarus, der lange in Gernsbach gelebt hatte, brachte sich selbst mit einer Bittschrift an den Hofrat als Kandidat ins Spiel,301 wie dies schon Salomon Schweitzer getan hatte.302 Der Hofrat beriet am 20. Februar. Löw Bodenheimer, so der Beschluss des Rates, komme wegen seiner schlechten finanziellen Lage nicht in Frage, Mayer Kallmann lebe zu weit von der Residenz entfernt; der Rat stellte auch den „Mangel eines guten Personals“ bei einem der Kandidaten fest. Raphael Jacob treibe einen sehr umfangreichen Handel und sei deshalb oft von Rastatt abwesend. Nach seiner, des Hofrats Auffassung, solle geprüft werden, ob nicht Herz Lazarus in Frage komme. Auf jeden Fall gehe die Meinung dahin, dass es am günstigsten für das Interesse der Herrschaft sei, wenn ein Schultheiß ernannt werde; dafür spreche auch das Beispiel der benachbarten Territorien. Eine zunächst auf ein Jahr begrenzte Amtszeit sei ja möglich, dann könne weiter gesehen und auch eventuell an einen eigenen Vorschlag der Judenschaft gedacht werden.303 Markgraf Ludwig Georg und der Geheime Rat folgten insofern dem Hofrat, als sie sich für einen Schultheißen, einen Vertreter der gesamten Judenschaft entschieden und nicht, wie vorher erwogen, für die vier Anwälde. Sie wiesen die Regierung schon zwei Tage später an, aus nicht weiter erläuterten „Bedencklichkeiten“ Herz Lazarus aus dem Kreis der Kandidaten auszuschließen und „von gesambter Judenschaft selbsten“ drei geeignete Kandidaten vorschlagen zu lassen,

297 GLAK 61/178 HR 6.2.1749 Nr. 7. 298 GLAK 61/178 HR 11.2.1749 Nr. 22. Zu Raphael Jacob bis 1749 siehe v. a. S. 197ff. 299 GLAK 61/178 HR 13.2.1749 Nr. 7. 300 GLAK 61/178 HR 20.2.1749 Nr. 20. 301 GLAK 61/178 HR 20.2.1749 Nr. 21. 302 Zum Vorgehen Samson Schweitzers bei seiner Kandidatur um das Amt des Judenschultheißen siehe S. 431. 303 GLAK 61/178 HR 20.2.1749 Nr. 21.

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aus denen der Markgraf und der Geheime Rat dann einen auswählen könnten.304 Damit war die Beteiligung der Judenschaft gestärkt: Entgegen dem Vorschlag des Hofrats sollten die Schutzjuden sofort und nicht vielleicht erst nach einem Jahr bei der Auswahl des Schultheißen mitwirken. Am 18. März 1749 resümierte der Hofrat, was geschehen war: Er habe „der gesamten Judenschaft“ befohlen, drei geeignete Männer vorzuschlagen. Die Versammlung der Judenschaft habe darauf abgestimmt, dann ihre „Vota“ überreicht. Nun fragte der Hofrat an, ob er, nach der entsprechenden Entscheidung des Markgrafen und Geheimen Rats, einen der Vorgeschlagenen – Namen nannte der Rat nicht – auf ein oder zwei Jahre bestätigen solle. Der referierende Hofrat Seitz teilte gleichzeitig mit, dass die Judenschaft eine Bittschrift wegen der Bezahlung des künftigen Schultheißen vorgelegt habe. Er solle keine feste „besoldung“ erhalten, sondern „denen Jüdischen ceremonien und durchgängl(ichen) gewohnheith nach“ seine „auslagen und unkösten für die Judenschaft“ ersetzt bekommen. Der Hofrat räumte ein: Bei den beiden letzten Schultheißen, also Bodenheimer und Schweitzer, sei mit der Besoldung von der „gewohnheith“ abgewichen worden. Unter Berufung auf das Herkommen und darauf, dass die Judenschaft diese Regelung einstimmig vorgeschlagen hatte, befürwortete es der Hofrat, auf eine besondere Bezahlung zu verzichten.305 Markgraf und Geheimer Rat entschieden: Sie hätten Raphael Jacob, „den durch die mehreste Stimmen angetragenen [vorgeschlagenen] dahiesigen Schutzjuden“ zum Schultheißen bestimmt, zunächst für ein Jahr.306 Die Ernennung protokollierte der Hofrat am 1. April, mit der erneuten Angabe, dass Raphael Jacob die meisten Stimmen erhalten hatte.307 Noch im Monat seiner Ernennung supplizierte Raphael Jacob, um offene Fragen zu klären. Als Erstes bat er um den „Charakter eines Ober Juden Schultheißen“, wollte also den gleichen Titel wie seine beiden Vorgänger. Dann ging es ihm um die Kosten, die bei seiner Tätigkeit entstehen würden. Seine dritte Bitte: Er wollte alle „befehl und documenta“ erhalten, die sich noch in den Händen von Samson Schweitzer befanden.308 Schon im Juni klärte die Regierung die Frage der Entschädigung für Raphael Jacob. Für eine Tätigkeit in Rastatt sollte er von den Juden, die ihn brauchten, 2 Gulden Tagesgebühr verlangen, sonst 3 Gulden.309

304 GLAK 74/3731, Geheimer Rat an den Hofrat, 22.2.1749. 305 GLAK 74/3721, Hofrat Seitz an Markgraf Ludwig Georg, 18.3.1749. 306 GLAK 74/3721, Markgraf Ludwig Georg an den Hofrat, 26.3.1749. 307 GLAK 61/178 HR 1.4.1749 Nr. 1. 308 GLAK 61/66 GR 24.4.1749 Nr. 33. 309 GLAK 61/178 HR 10.6.1749 Nr. 9, 17.6.1749 Nr. 6 und GLAK 61/66 GR 14.6.1749 Nr. 30.

Raphael Jacob 

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Die Frage nach einer „Instruction“ für den neuen Schultheißen griff der Hofrat am 5. August 1749 auf. Das Kollegium sprach dabei bereits vom „neuen Ober Judenschultheißen“; zu seiner Zuständigkeit gab es zu bedenken, ob er nicht regelmäßig zu den Schutzaufnahmen hinzugezogen werden sollte. Das Protokoll des Geheimen Rats führte dazu genauer aus: Es gehe darum, „ob nicht derselbe [Raphael Jacob] Verlangtermaßen zum Bericht gezogen werden sollte, Ehe mann im künftig [zukünftig] Einen neuen Juden in Schutz nimmt.“310 Raphael Jacob sollte also bei den Schutzaufnahmen mitwirken, wie es für viele Vorsteher der Landjudenschaften überliefert ist.311 Nach weiteren Beratungen ließ der Geheime Rat die Instruktion am 3. September 1749 fertigstellen;312 sie beruhte auf derjenigen, die schon Samson Schweitzer 1736 erhalten hatte.313 1736 und 1749: Unterschiede

Die Beratungen über den künftigen Schultheißen lassen einige Zusammenhänge erkennen. Konsequenzen aus dem Streit zwischen Samson Schweitzer und der Judenschaft wurden bei der Bezahlung des Oberschultheißen gezogen; sie fiel weg, was der Judenschaft entgegen kam. Die Mitwirkung des Schultheißen bei Schutzaufnahmen, wie sie Samson Schweitzer praktiziert hatte, wurde überlegt. Da sie während der Amtszeit Raphael Jacobs nicht mehr erwähnt wurde, war sie vielleicht doch nicht beschlossen worden; allerdings erfolgten bis zu seinem Tod nur zwei Aufnahmen. Die deutlichste Reaktion auf die Amtszeit Samson Schweitzers bestand wohl im Auswahlverfahren. Die Vorschläge der Ämter führten zu keinem Ergebnis. Darauf wurde die Judenschaft beteiligt und wählte drei Kandidaten aus. Die Regierung war wohl zur Erkenntnis gekommen, dass sie ohne diese Mitwirkung der Judenschaft, ohne deren Akzeptanz des Kandidaten, nur schwer Nutzen aus dem Amt des Oberschultheißen ziehen konnte. Insofern ergab sich aus den Auseinandersetzungen über Samson Schweitzer eine Stärkung der Judenschaft. Schließlich fällt der Unterschied zwischen den Kandidaten Samson Schweitzer und Raphael Jacob auf: 1737 der nur wenig Handel treibende, von Anfang an mit Geldnöten kämpfende Schweitzer, jetzt ein sehr aktiver Lieferant ländlicher Produkte vor allem für den Hof mit guten Kontakten in die benachbarten Staa-

310 GLAK 61/65 GR 9.8.1749 Nr. 11. 311 Zur Mitwirkung der Vorstehern von Landjudenschaften bei den Schutzaufnahmen Breuer, Frühe Neuzeit und Beginn der Moderne, in: Breuer und Graetz (Hg.), Deutschjüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. 1, S. 192. Ob „verlangtermaßen“ auf Raphael Jacob zu beziehen ist oder bedeutet, dass er auf Verlangen der Regierung Bericht erstatten sollte, ist unklar. 312 GLAK 61/66 GR 9.8.1749 Nr. 11 und 3.9.1749 Nr. 9. 313 GLAK 61/178 HR 28.8.1749 Nr. 18.

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ten, auch in das französische Elsass.314 Raphael Jacob war Warenlieferant, Informant über Truppenbewegungen und Vermittler von Krediten; er erfüllte manche Funktionen eines Hofjuden, ohne dessen Rang zu haben. Indem die Wahl auf einen Kandidaten mit ausreichenden finanziellen Mittel fiel, folgten die Schutzjuden und die Regierung einem vorgegebenen Muster – die meisten Vorsteher der Landjudenschaften gehörten zu den reichen Schutzjuden.315 Die Amtszeit von Raphael Jacob

Eine der ersten Aufgaben des neuen Schultheißen galt seinem Vorgänger. Samson Schweitzer sollte nach dem Beschluss des Markgrafen und Geheimen Rates 50 Gulden von der Judenschaft erhalten. Der Hofrat wies Raphael Jacob an, dieses Geld an Schweitzer auszuzahlen.316 Schon bevor die Frage seiner Instruktion aktuell wurde, geriet Raphael Jacob in einen Konflikt über eine seiner Aufgaben. Marx Weil, der Kippenheimer Anwald, war im Sommer 1749 gestorben. Raphael Jacob sollte, so hatte der Hofrat beschlossen, die Inventur des Nachlasses übernehmen, anschließend das Oberamt das Nachlassverzeichnis prüfen.317 Am 27. August lag dem Hofrat die Klage Raphael Jacobs über das Oberamt Mahlberg vor: Der dortige Beamte Joseph Anton Dyhlin verwehre ihm die Durchführung der Inventur. Der Hofrat entschied zu seinen Gunsten, mit der Anweisung, ihn nicht weiter an der Inventur zu hindern.318 Im Spätsommer stand für die Judenschaft ein Steuerproblem an. Sie sollte sich mit 300 Gulden an der so genannten Türkensteuer beteiligen. Raphael Jacob erhielt im August 1749 zusammen mit den Anwälden den Auftrag, die Steuer auf die Schutzjuden umzulegen und sie an die Landkasse abzuliefern.319 Die Bittschrift der Judenschaft wegen eines Nachlasses übergab Raphael Jacob; sie lag am 7. September dem Hofrat vor. Die Regierung begründete ihre Ablehnung damit, dass alle Untertanen beitragspflichtig seien.320 Im Dezember des Jahres erneuerte die Judenschaft ihre Supplik, wieder vorgelegt durch Raphael Jacob.321 Die Hofkammer sah die Schutzjuden im Vergleich zu den christlichen Untertanen „leidentliche gehalten und angesetzet [maßvoll behandelt und veranlagt]“;322 sie 314 Zu den Beziehungen von Raphael Jacob zu Moyses Plien siehe S. 198ff. 315 Breuer, Frühe Neuzeit und Beginn der Moderne, in: Breuer und Graetz (Hg.), Deutschjüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. 1, S. 194. 316 GLAK 61/178 HR 10.6.1749 Nr. 8. 317 GLAK 61/178 HR 23.8.1749 Nr. 1. 318 GLAK 61/178 HR 27.8.1749 Nr. 16. 319 GLAK 61/286 HK 5.8.1749. 320 GLAK 61/286 HK 13.9.1749 und GLAK 61/66 GR 11.10.1749 Nr. 16. 321 GLAK 61/286 HK 16.12.1749. 322 GLAK 61/287 HK 10.1.1750.

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beharrte darauf, gegenüber den Schutzjuden „die billigkeit beobachtet zu haben [gerecht vorgegangen zu sein].“ Dem schloss sich der Hofrat an und befahl den Einzug des Geldes.323 Auch eine weitere Supplik änderte daran nichts.324 Auch wegen der Benutzung der Weide in Kuppenheim übergab Raphael Jacob eine Bittschrift. Die dortige Gemeinde versuchte die jüdischen Einwohner daran zu hindern, ihr Vieh auf die örtliche Weide zu bringen.325 Als die Schutzjuden nochmals supplizierten, entschied der Hofrat mit einem Kompromiss: Das Amt Rastatt solle hin und wieder den Juden einen Bereich der Weide anweisen, in dem ihr Vieh keinen Schaden anrichten könne.326 Im November 1749 informierte Raphael Jacob den Hofrat über den 1747 als Lehrer angestellten, auch als Rabbiner bezeichneten Nathan Levi.327 Über den „gewesenen Rabiner“, der bis dahin in Rastatt gelebt hatte, berichtete der Oberschultheiß, dass dieser sich derzeit in Mannheim aufhalte, während seine Frau und die Kinder noch in Rastatt seien. Der vermutliche Kern dieser Information: Der Oberschultheiß teilte mit, dass weder der „Rabiner“ noch seine Frau sich in einem schutzrechtlichen Verhältnis befänden. Darauf befahl der Rat dem Oberamt in Rastatt, die Frau und die Kinder des bisherigen „Rabiners“ aus der Markgrafschaft auszuweisen.328 In Kippenheim war nach dem Tod von Marx Weil das Amt des Anwalds noch unbesetzt. Deshalb trat Raphael Jacob im Dezember 1749 mit einem Vorschlag an den Hofrat heran.329 In der Folge vertrat Emanuel Weil die Mahlberger Judenschaft.330 Im Februar 1750 war Raphael Jacob mit einer Nachlassregelung in Malsch befasst. Ausdrücklich befahl der Hofrat dem zuständigen Amt Ettlingen, ihn entsprechend seiner Instruktion „alleinig führfahren“ zu lassen.331 Im folgenden Monat informierte Raphael Jacob die Hofkammer darüber, dass eine Tochter des Schutzjuden Abraham von Muggensturm sich außerhalb der Markgrafschaft verheiratet habe und deshalb das Abzugsgeld fällig sei.332 Bei der Inventur des Nachlasses von Lemmle Mayer von Bühl wirkte er ebenfalls mit;333 hier war auch

323 GLAK 61/179 HR 20.3.1750 Nr. 7. 324 GLAK 61/287 HK 2.5.1750. 325 GLAK 61/178 HR 14.8.1749 Nr. 26. 326 GLAK 61/178 GR 16.10.1749 Nr. 15. 327 Zur Anstellung und Tätigkeit Nathan Levis siehe S. 479f. 328 GLAK 61/178 HR 14.11.1749. 329 GLAK 61/178 HR 11.12.1749 Nr. 6. 330 Emanuel Weil trat z. B. 1757 bei der Beschwerde der Judenschaft als Anwald auf (GLAK 74/3741, „Actum Rastatt“, 3.5.1757). 331 GLAK 61/179 HR 13.2.1750 Nr. 2. 332 GLAK 61/287 HK 13.3.1750. 333 GLAK 61/179 HR 16.6.1750 Nr. 7.

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Landjudenschaft und Judenoberschultheißen

das Amt beteiligt, da eine Tochter von Lemmle Mayer Christin geworden war und ihre Erbansprüche gesichert werden sollten.334

11.5  Anwälde – oder doch ein Judenoberschultheiß? Raphael Jacob starb am 4. Dezember 1750. Die Anwälde benachrichtigten die Regierung und setzten hinzu, sie würden vorläufig „das herrschaftliche Interesse sowohl alß auch der gemeinen Judenschaft anliegen nach pflicht und schuldigkeit bestmöglichst“ verfolgen.335 Der Markgraf und der Geheime Rat präzisierten ihren Auftrag: Sie sollten den Nutzen der Herrschaft und der Judenschaft „nach buchstäblicher anweisung der Ihrem verstorbenen Judenoberschultheißen ertheillt und zugestellten Landes Herrschaftl(ichen) Verort- undt anweisung nach ihrer obhabende(n) pflicht und schuldigkeit bestmöglichst“ erfüllen, sich also streng an die Instruktion des Oberschultheißen halten.336 Über die Tätigkeit der vier Anwälde als Vertretung der Judenschaft enthalten die Protokolle der folgenden Jahre nur wenige Informationen. 1753 herrschte Streit zwischen zwei von ihnen und Josua Uffenheimer in Kippenheim über „Diäten“. Vorausgegangen waren eine Auseinandersetzung zwischen den Schwägern Joshua Uffenheimer und Emanuel Weil und das Urteil eines jüdischen Gerichts, gegen das Weil an den Hofrat appellierte. Der aber wies den Konflikt an die Anwälde weiter,337 entschied also zugunsten einer innerjüdischen Konfliktregelung. Die Anwälde erarbeiteten offensichtlich eine Lösung, so dass ihre Gebühren fällig wurden. Als Uffenheimer dies nicht akzeptierte, brachten die Anwälde das Verfahren vor den Hofrat, der ihn zur Zahlung von 136 Gulden und 28 Kreuzer verurteilte;338 die Anwälde erhielten davon zunächst nur 80 Gulden. Oberamtmann Joseph Anton Dyhlin meinte allerdings, dass ihre Forderung zu Recht nicht in voller Höhe erfüllt wurde – das Essen habe ihnen während der Verhandlung Emanuel Weil „gereichet und bezahlet, mithin ihr anbringen ohnwahr seye.“339 Gegen Ende des Jahres 1754 scheint sich bei der Regierung ein Sinneswandel in der Einschätzung der Judenanwälde vollzogen zu haben. Der Hofrat berichtete an den Markgrafen und Geheimen Rat, dass die Anwälde mit Klagen über die anstehende Steuerumlage und andere Angelegenheiten vorstellig wurden, und 334 GLAK 61/179 HR 25.6.1750 Nr. 15. Zur Konversion der Tochter Lemmle Mayers siehe S. 549 u. ö. 335 GLAK 74/3731, Die Judenanwälde Daniel Cassel und Herz Jost an Markgraf Ludwig Georg, 7.12.1750. 336 GLAK 74/3731, Hofrat an die Judenanwälde, 9.12.1750. 337 GLAK 61/182 HR 8.2.1753 Nr. 22. 338 GLAK 61/182 HR 22.3.1753 Nr. 24. 339 GLAK 61/182 HR 21.8.1753 Nr. 26.

Anwälde – oder doch ein Judenoberschultheiß? 

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erwähnte auch, dass der Markgraf nun doch daran dachte, die Stelle eines Judenschultheißen wieder zu besetzen. Die Räte unterstützten diesen Gedanken, weil sie davon ausgingen, dass „andurch die so vielfältig sich ergebende klagen bestens gehoben und abgethan werden möchten.“ Zugleich erklärten sich die Hofräte bereit, einen geeigneten Kandidaten vorzuschlagen.340 Damit griff der Hofrat auf seine schon 1751 vertretene Auffassung zurück, dass die Institution des Schultheißen günstiger sei als vier Anwälde, und glaubte mit ihm viele Klagen und Probleme abstellen zu können. Markgraf Ludwig Georg stimmte der Wiederbesetzung der Schultheißenstelle zu; die Regierung solle allerdings darauf achten, „ein und anderen der tauglichsten und zwarn so viel möglich von denen hiesigen Juden in Vorschlag zu bringen“ und den Einzug der in der Judenschaft verhängten Strafgelder, von denen die Hälfte in die Landeskasse ging, kontrollieren.341 Der Hofrat sollte also zunächst prüfen, ob ein Schutzjude in der Residenz als Schultheiß in Frage käme, und wies Ende Januar 1755 das Oberamt Rastatt an, über mögliche Kandidaten zu berichten. Oberamtmann Louis Wilhelm Hornus teilte allerdings mit, dass unter den fünf Haushaltsvorständen eigentlich keiner geeignet sei – vier von ihnen seien zu jung oder aus anderen Gründen, die er nicht angab, ungeeignet. Höchstens könne der über siebzigjährige Daniel Cassel verpflichtet werden, der wolle allerdings wegen seines Alters dieses Amt nicht übernehmen.342 Darauf wurden die Ämter Bühl und Ettlingen zu einem Bericht aufgefordert.343 Amtmann Johann Jacob Hoffmann sah als einzigen den Bühler Anwald Löw Bodenheimer für geeignet an. Dieser, so seine Begründung, habe „eine rechte gute teutsche Handschrift, Rechnet wohl und schreibt eben so gut Hebreisch! Verstehet die Jüdische gebräuch! ist auch im stand nach erforderung etwas Vorzutragen! Wie dann derselbe in der Mahlberger Herrschaft [im Oberamt Mahlberg] sowohl alß auch sonsten bey Jüdischen Theilungen und anderen der(e)n Händlen gebraucht wird!“

Allerdings gab Hoffmann einen Grund an, der seiner Meinung nach die Ernennung von Löw Bodenheimer zum Schultheißen ausschloss: Dieser habe als Erbe seines Vetters Mayer Bodenheimer so viele Schulden übernommen, dass sein wirtschaftlicher Ruin zu befürchten sei.344

340 GLAK 74/3731, Hofrat an Markgraf Ludwig Georg, 23.12.1754. 341 GLAK 74/3731, Markgraf Ludwig Georg an den Hofrat, 4.1.1755. 342 GLAK 74/3731, Amtmann Louis Hornus an Markgraf Ludwig Georg, 1.2.1755. 343 GLAK 61/184 HR 4.2.1755 Nr. 15. 344 GLAK 74/3731, Amtmann Johann Jacob Hoffmann an Markgraf Ludwig Georg, 14.2.1755.

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Der Ettlinger Amtmann Dürfeld schlug den dortigen Anwald Herz Jost vor; für ihn spreche, dass er „ein Sedater [friedlicher] mann auch zimblich bey mittlen (sei), folglich nicht nöthig hat, die Judtenschaft durch allerhandt machendte chiquanen umbs geldt zu bringen. Soviel kan aber dabey geh(orsamst) meldten, daß selber diese stelle gar nicht affectiret [anstrebt], Sondtern er müste selber allenfalls zu der annehmung von Herrschafts wegs vermögt [gebracht] werden.“345

Im Gutachten für den Markgrafen begründete der Hofrat seinen Vorschlag. Nur Daniel Cassel und Herz Jost kämen in Frage; beide seien ungefähr gleich alt und beide wollten von sich aus das Amt nicht, müssten also dazu verpflichtet werden. Für Cassel allerdings spreche, dass er in Rastatt wohne.346 Hier mischte sich nochmals Samson Schweitzer347 ein. In einer Supplik bewarb er sich erneut um das Amt des Schultheißen. Seine Absetzung fünf Jahre zuvor führte er allein auf „lauter Neid undt mißgunst der Juden“ zurück und darauf, dass er aus ihrer Sicht nur das „Herrschaftliche Interesse befördert“ habe. Er wies auch darauf hin, dass nach seiner Entlassung der Regierung bei den Juden viel Geld verloren gegangen sei. Er sei der Einzige, der „fehig und beflissen sein dörfte“, die Stelle des Schultheißen zu übernehmen, zumal er auch kurz vor seiner wirtschaftlichen Konsolidierung stehe.348 Der Hofrat wies in seinem Gutachten darauf hin, dass Samson Schweitzer ja schon einmal von diesem Amt abgesetzt wurde und dass dieser durch den „abgang deren Mittlen bey der gemeinen Judenschaft wenige Authorität und Ansehen haben dörfte.“349 Die Reaktion von Markgraf Ludwig Georg und Geheimen Rat bestand nicht nur in der Anweisung, den ehemaligen Judenschultheißen „blatterdings [ohne weiteres] ab zu weisen.“ Gleichzeitig erhielt die Regierung die Nachricht, der Markgraf habe sich „entschlossen noch zur Zeith die weitere Versehung sothaner schultheißerey bedienstung denen bereits angestelten 4 anwälten zu überlasen“,350 die Stelle des Schultheißen sollte also doch nicht besetzt werden. Diese erneute Wende blieb unbegründet. Vielleicht besteht ein Zusammenhang mit dem Problem, das gerade wesentlich zu der Suche nach einem Schultheißen geführt hatte. Der Hofrat war ja mit seinem Vorschlag zu dem Zeitpunkt an den Markgrafen herangetreten, als in der Judenschaft „wegen regulirung der Juden Schatzung sich angebende Irrungen [Konflikte] und sonstige Klagden 345 GLAK 74/3731, Amtmann Dürfeld an Markgraf Ludwig Georg, 14.2.1755. 346 GLAK 74/3731, Hofrat an Markgraf Ludwig Georg, 20.2.1755, und GLAK 61/184 HR 20.2.1755 Nr. 20. 347 Zu Samson Schweitzer im Konflikt wegen seiner Amtsenthebung siehe S. 435ff. 348 GLAK 74/3731, Samson Schweitzer an Markgraf Ludwig Georg, 6.2.1755. 349 GLAK 74/3731, Hofrat an Markgraf Ludwig Georg, 25.2.1755. 350 GLAK 74/3731, Markgraf Ludwig Georg an die Regierung, 1.3.1755.

Die Vermählungssteuer 

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nicht minder“351, wegen der Erhebung der Steuer bei den Juden und vieler Konflikte und Klagen, eine Reorganisation an der Spitze der Judenschaft erforderlich schien. Der Markgraf und der Geheime Rat stimmten zu mit dem Hinweis darauf, was ihnen wichtig war: Der Hofrat solle geeignete Kandidaten vorschlagen und dabei beachten, „womit die bey der Judenschaft ausstehenden Strafen, worann uns die Helfte zukommet, ehebaldest eingezogen“ werden könnten.352 Darauf schlug der Hofrat nicht nur Daniel Cassel als Schultheiß vor, sondern fügte sofort an, „zugleich geh(orsams)bst nicht (zu) verhalten, das wir wegen einzug deren strafen das nöthige bereits vorgekehret haben“353 – er, der Rat, habe bereits für den Einzug der Strafen das Erforderliche in Gang gesetzt. So könnte es nicht zufällig sein, wie das Faszikel mit den Akten über die Besetzung der „Schultheißerey“ endet: Markgraf Ludwig Georg und der Geheime Rat sprachen den Hofräten ein Lob aus. Sie teilten nämlich mit, es sei „auch an der von Euch wegen einziehung deren bey der judenschaft annoch ausstehenden strafen erlassene Verfügung gantz wohl geschehen“.354 Die Strafgelder der Juden schienen einzulaufen; das Interesse für eine neue Regelung an der Spitze der Judenschaft war damit erloschen.

11.6  Die Vermählungssteuer: die „reichesten am leichtesten“? In der Zeit der Anwälde als Vertretung der Judenschaft wurde eine neue Besteuerung fällig, die Vermählungssteuer bei der Hochzeit Markgraf Ludwig Georgs mit der bayrischen Prinzessin Maria Josepha. Die Hofkammer legte im Mai 1755 für die christlichen Untertanen die Summe von 64 500 Gulden fest, zahlbar innerhalb von sechs Wochen.355 Für die Schutzjuden wurde zunächst ein Beitrag von 6000 Gulden bestimmt, deren Umlage auf die einzelnen Juden die Ämter klären sollten. Aus Mahlberg berichtete darauf Oberamtmann Dyhlin über die Reaktion der Kippenheimer und Friesenheimer Schutzjuden, die „derselben Concurrenz [Beiziehung] zur Markgrafschaft sich beschwereten, und daß Sie bey besonderer Collection [in getrennter Veranlagung] ein Erbringliches Subsidium [hier: Steuer] herschiesen [beitragen] würden.“356 Die Mahlberger Schutzjuden bestritten also, von einer Steuer für die Markgrafschaft überhaupt betroffen zu sein, und beriefen sich unausgesprochen auf den besonderen Status der Herrschaft Mahlberg im Vergleich mit den alten badischen Gebieten. Die Hofkammer ging auf die Vorstel351 GLAK 74/3731, Hofrat an Markgraf Ludwig Georg, 23.12.1754. 352 GLAK 74/3731, Markgraf Ludwig Georg an den Hofrat, 4.1.1755. 353 GLAK 74/3731, Hofrat an Markgraf Ludwig Georg, 20.2.1755. 354 GLAK 74/3731, Markgraf Ludwig Georg an die Regierung, 1.3.1755. 355 GLAK 61/292 HK 17.5.1755 Nr. 15. 356 GLAK 61/292 HK 10.6.1755 Nr. 17.

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lung aus dem Oberamt Mahlberg ein, einen gesonderten Beitrag zu leisten: Die dortigen Schutzjuden sollten ein Angebot machen; erweise es sich als „raisonabel [vernünftig] wäre ahn d(er) ratification [Genehmigung] nicht zu zweiflen.“357 Gegen die Herausnahme der Mahlberger Schutzjuden aus der gemeinsamen Besteuerung wehrten sich aber die übrigen: Die Anwälde in Bühl, Ettlingen und Rastatt supplizierten, dass die Mahlberger Juden nach Bühl kommen müssten, um an der Steuerumlage teilzunehmen.358 Mit Erfolg. Oberamtmann Dyhlin berichtete Ende Juni, dass die Mahlberger Schutzjuden jetzt die gemeinschaftliche Umlage nicht mehr ablehnten, sich die gesamte Judenschaft vor kurzem in Bühl versammelt hätte, und er reichte ein Protokoll über ihre Beschlüsse ein.359 Auf der Versammlung in Bühl hatte der „Land-Rabiner“ aus Karlsruhe teilgenommen und ein Verzeichnis über die Beiträge der einzelnen Schutzjuden angelegt; auch das erhielt die Hofkammer.360 Dennoch wurde bei den Juden auch Unzufriedenheit laut. Der Gernsbacher Vogt Lassolaye meldete, dass die „armen Juden“ in der Grafschaft Eberstein – die in Muggensturm und Hörden – über die Ungerechtigkeit bei der Steuerumlegung klagten: Dass „die reicheste(n) am leichtesten davon kommeten.“361 Ein anderes Problem griff der Staufenberger Amtmann Fabert auf. Er fragte, wie er überhaupt beim Einzug der Steuer vorgehen solle bei denen, die ohnehin nichts hatten. Dabei sprach er von den „gäntzlichen erarmten mithin gar nichts Vermögende(n) juden Hayum Bodenheimer, und Löw Wertheimer“, die bereits mit ihren Abgaben im Rückstand lagen. Die Hofkammer forderte ihn zu einem harten Vorgehen auf, nämlich dass er „bey diesen Juden all das Jenige angreifen soll, was zu Geld gebracht werden könne, soforth selbige als untüchtig fortweysen“362 müsse, er solle bei beiden ihre Habe versteigern lassen und sie als „untüchtig“ ausweisen. Als die Steuer umgelegt war, supplizierte die Witwe des ehemaligen Judenschultheißen Raphael Jacob. Sie sei krank und habe ihren Kindern die Handlung und ihr ganzes Vermögen außer ihrem Heiratsgut übergeben.363 Aus der Entscheidung der Hofkammer vom September des Jahres geht hervor, dass sie nicht nur wegen des Schutzgelds, sondern auch wegen des „subsidiums extraordinarium“, der Vermählungssteuer als außerordentlicher Steuer, suppliziert hatte.364 Dem Gesuch seiner Mutter folgte Ende August der Einspruch von Lazarus

357 Ebd. 358 GLAK 61/184 HR 3.6.1755 Nr. 25. 359 GLAK 61/292 HK 27.6.1755 Nr. 9. 360 GLAK 61/292 HK 20.6.1755 Nr. 20. 361 GLAK 61/292 HK 14.6.1755 Nr. 3. 362 GLAK 61/292 HK 14.6.1755 Nr. 11. 363 GLAK 61/312 GRATP 9.8.1755 Communicanda Nr. 7. 364 GLAK 61/292 HK 3.9.1755 Nr. 13.

Die Vermählungssteuer 

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Raphael, des Sohnes von Raphael Jacob: Die Judenanwälde hätten sein Vermögen zu hoch eingeschätzt.365 Zwei Tage danach lag dem Hofrat auch die Beschwerde von Lazarus Weil in Kippenheim vor, den das Protokoll – seinen Rang und seinen Informationsgrad betonend – ausdrücklich als „Beisitz“366 bei der Steuerumlegung bezeichnete. Er klagte, es sei zu „Ungleichheith und Disproportion“ bei der Umlegung auf die Mahlberger Juden gekommen, zu einer ungerechten Belastung. Weil schlug vor, wie es zu einer besseren Aufteilung kommen könne: Vor einem Rabbiner und vor dem „Vorsteher“ müsse jeder Schutzjude die Höhe seines Vermögens beschwören; danach solle die Steuer neu umgelegt werden.367 Der Hofrat protokollierte zusammenfassend: Weil habe sich „wegen illegalen Steueransatzes der Judenschaft [wegen der rechtswidrigen Steuerumlegung]“ beschwert. 368 Die vier Anwälde supplizierten gemeinsam: Sie erbaten eine Reduzierung der Steuer und den Einhalt des bereits angeordneten Zwangseinzugs, den der Hofrat auch sofort zugestand.369 Die Schutzjuden könnten, so die Anwälde, die Steuer in Höhe von 6000 Gulden unmöglich aufbringen. Diese Summe, 10 Prozent ihres angesetzten Vermögens, sei deshalb nicht gerechtfertigt, weil sie gewöhnlich bei ihrer internen Steuerumlegung höhere Beträge angeben würden, um so ihre Kreditwürdigkeit zu sichern und ihre erwachsenen Kindern besser „unter zu bringen und zu versorgen“ – wobei sie an deren Heiraten dachten. Es seien auch unter ihren höchstens 57 Haushalten 24, die kaum ihre Existenz fristen könnten. Viele würden durch diese Steuer in den „Bettel“ getrieben. Es seien auch einige Schutzjuden verstorben oder verarmt, und auch deren Anteile müssten die Übrigen übernehmen. Der überall eingeschränkte Handel lasse kaum zu, dass sie neben den gewöhnlichen Abgaben und Steuern noch die Vermählungssteuer in der vorgesehenen Höhe aufbringen könnten. Ihr Vermögen sei im Allgemeinen auch deshalb keine verlässliche Größe, weil dazu viele Forderungen zählten, bei denen sie weder Zinsen erhielten noch mit der Rückzahlung rechnen könnten. Die Anwälde verglichen zudem die Juden mit den Christen: Selbst „aller reichste landtesunterthanen“ müssten höchstens 50 Gulden Vermählungssteuer aufbringen, dagegen „bey uns der mittelmann370 ein gleiches, wo nicht mehreres“; die Judenschaft habe auch nicht „wie andere ortschaften“ Vermögen in „waldtung, weidgang, acker, wissen [wiesen] und ander vielle großerträglich aigenthümer 365 GLAK 61/184 HR 28.8.1755 Nr. 28. 366 Zu den „Beisitzern“ siehe S. 412. 367 GLAK 61/313 GR 27.8.1755 Communicanda Nr. 3, Bl. 171r–v. Der Band 61/313 beinhaltet trotz der abweichenden Nummernzählung das Protokoll des Geheimen Rats und nicht das Gratialprotokoll. 368 GLAK 61/184 HR 30.8.1755 Nr. 42. 369 GLAK 61/184 HR 23.9.1755 Nr. 6. 370 Mittelmann: ein mittelmäßig Begüterter.

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[zahlreiche andere gewinnbringende Besitztümer].“ Aus all diesen Gründen sei es „eine hellclare unmöglichkeit“, 6000 Gulden aufzubringen, und die Anwälde baten um einen Nachlass, eine längere Frist und die Möglichkeit, die Steuer „nach unseren Jüdischen Cermonialien selbster außtheillen“ zu können.371 Seit Anfang September bewegte sich die Regierung bei der Steuerumlegung in der Judenschaft, wohl angestoßen durch die Beschwerden einzelner Juden. Sie legte fest, dass jeder Schutzjude – wie es Lazarus Weil gefordert hatte – einen Eid auf die Höhe seines Vermögens schwören solle.372 Die Vereidigung im Beisein eines Rabbiners sollte Amtmann Hoffmann in Bühl als Kommissar beaufsichtigen. Danach sollten die Beiträge neu festgesetzt werden.373 Die Versammlung der Judenschaft fand vom 17. bis 19. Dezember in Bühl statt; ihr Vermögen, so das Ergebnis, belief sich auf 58208 Gulden und 42 Kreuzer.374 Im März 1756 äußerte sich der Hofrat wieder zur Vermählungssteuer. Er gab dem Markgrafen und dem Geheimen Rat zu bedenken, dass bei dieser Steuer wie bei einer außerordentlichen Besteuerung von Hofbefreiten375 keine allzu hohen Beträge berechtigt seien. Deswegen „und aus übrig obwaltenden ursach“ und im Blick auf die Gerechtigkeit, die der Markgraf überall als Maßstab setze, befürworte das Kollegium die Reduzierung der angesetzten Steuer um ein Drittel; die erste Hälfte sollte sofort bezahlt werden, die zweite Hälfte im Verlaufe des Jahres.376

11.7  Probleme für die Landjudenschaft? Die Zeit der Oberschultheißen war vielleicht am deutlichsten durch den Konflikt zwischen Samson Schweitzer und den Schutzjuden geprägt. Der Nachkomme eines Hofjuden hatte sich in die Nähe des Hofes gedrängt – das Ende war ein Fiasko. Dazu trugen sicherlich die finanziellen Probleme bei, die Armut Samsons Schweitzers; seine Autorität bei den Schutzjuden wurde durch sie untergraben. Er wollte eine Besoldung, die markgräflichen Schutzjuden teilten die Vorstellung unter den Juden allgemein, dass Amtsträger keinen finanziellen Nutzen aus ihrer Funktion ziehen sollten.377 Sie blieben darin der Tradition verhaftet, ihr Oberschultheiß wollte sich 371 GLAK 74/7271, Die Anwälde an Markgraf Ludwig Georg, 16.9.1755, und in anderer Formulierung in GLAK 61/312 GRATP 220.9.1755 Communicanda Nr. 1. 372 GLAK 61/292 HK 3.9.1755 Nr. 5. 373 GLAK 61/184 HR 14.10.1755 Nr. 10 ½. 374 GLAK 74/7272, „Commissions Protocollum“, 17., 18. und 19.12.1755. 375 Hofbefreiter: Angehöriger des Hofes, darunter auch Handwerker, die von bestimmten Lasten befreit waren. 376 GLAK 61/185 HR 20.3.1756 Nr. 8. 377 Zu Vorstellung, Amtsträger sollten keine finanziellen Vorteile aus ihrem Amt ziehen, Katz, Tradition und Krise, S. 127.

Probleme für die Landjudenschaft? 

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von ihr lösen. Das strukturelle Problem bestand im Gegensatz zwischen der hofnahen Amtskonzeption des Oberschultheißen und der Vorstellung der Schutzjuden, möglichst viel von ihrer Autonomie zu bewahren. Sie setzten sich gegen Samson Schweitzer durch, als er sich Fehler zuschulden kommen ließ. Mit dem Übergang zu den Anwälden an der Spitze der Landjudenschaft war die Regierung das Problem der Besoldung eines Judenoberschultheißen losgeworden, nicht aber den Streit über die Umlage von Abgaben und Steuern. Die vier Anwälde ließ sie amtieren, aber bald spielte sie mit dem Gedanken, zur Institution des Oberschultheißen zurückzukehren. Bis ins Detail wird diese Tendenz sichtbar: Ein Judenoberschultheiß in der Residenz – schnell erreichbar und leicht zu kontrollieren – kam ihr als beste Lösung vor. Sie scheiterte am Fehlen eines passenden Kandidaten und erübrigte sich, als Abgaben wie die „Strafgelder“ auf andere Weise gesichert waren. Auf die Suppliken der Schutzjuden bei der Vermählungssteuer reagierte zumindest ein Teil der Regierung und Verwaltung damit, dass die Grenze der Belastbarkeit für die Judenschaft thematisiert und erkannt wurde. Aber selbst die reduzierte Steuersumme von etwas über 4000 Gulden war für die ungefähr 52 Schutzjudenfamilien im Vergleich mit den 64 500 Gulden für die Christen unverhältnismäßig hoch, auch wenn die Regierung mehrmals die Gleichbehandlung betont hatte. Die Vermählungssteuer ließ die Gegensätze in der Judenschaft deutlich werden. Die Mahlberger Juden erhofften zuerst für sich, als den Wohlhabenderen unter den baden-badischen Juden, eine geringere Belastung, das gaben sie auf, ohne dass die genauen Umstände erkennbar wären. Auch dieses strukturelle Problem, das Verhältnis zwischen den Juden in Mahlberg und der übrigen Judenschaft, wurde schon in der Zeit Samson Schweitzers sichtbar, als die Juden im Oberamt Mahlberg zu den „renitenten“ Widersachern gehörten, die sich gegen den Einzug von Strafgeldern wehrten. Im Konflikt über die Vermählungssteuer spitzte sich dieses Problem zu. Die Mahlberger Juden beharrten auf einem besonderen rechtlichen Verhältnis zwischen der Herrschaft Mahlberg und dem Markgrafen und leiteten daraus das Recht ab, den Einbezug in die Umlage der Vermählungssteuer zu verweigern. Auf ihrer Beitragspflicht dagegen beharrten die Juden im Kerngebiet der Markgrafschaft zugunsten ihrer eigenen Entlastung. So war die Einheit der Landjudenschaft in Frage gestellt – das Ende der Markgrafschaft Baden-Baden nutzten die Juden in Kippenheim und Friesenheim prompt mit einem Versuch, ihre Unabhängigkeit von den übrigen baden-badischen Schutzjuden herzustellen.378 Trotz dieser Krisenzeichen erwies sich die innerjüdische Organisation bei der Auseinandersetzung über die Vermählungssteuer insgesamt als funktionsfähig, auch ohne die Spitze eines Oberjudenschultheißen: Den Anwälden gelang die Reduktion einer zusätzlichen steuerlichen Belastung. Die Versammlung aller 378 GLAK 61/1938 HR 7.3.1772 Nr. 1452, 11.3.1772 Nr. 1603 und GLAK 74/3769, Anwald Joseph Elias, Abraham Isaac und Jacob Hertz an Markgraf Karl Friedrich, 5.3.1772.

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Landjudenschaft und Judenoberschultheißen

Schutzjuden in Bühl kam zustande, sicher unter dem Druck der Regierung, obwohl zuerst die Mahlberger Juden nicht daran teilnehmen wollten. Dabei wird in Umrissen deutlich, dass nicht nur die Anwälde ihre Rollen erfüllten; das Beispiel von Lazarus Weil zeigt, dass auch „Beisitzer“ als Vertreter der Judenschaft existierten, die das Verfahren der Steuerumlegung kontrollierten. Die Landjudenschaft zog den Rabbiner Nathanael Weil aus Karlsruhe zu dieser Versammlung hinzu wie um die Jahrhundertwende den elsässischen Rabbiner Benjamin Wolf Hochfelder.379 Die markgräfliche Landjudenschaft war fähig, normale Konflikte untereinander auszutragen wie Judenschaften anderer Territorien.380

379 Zu Benjamin Wolf Hochfelder siehe S. 416 und 421. 380 Zu den innerjüdischen Konflikten wegen der Steuerumlage zusammenfassend Breuer, Frühe Neuzeit und Beginn der Moderne, in: Breuer und Graetz (Hg.), Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. 1, S. 180f.

12  Religion 12.1  Das Schächten Die Juden in Kuppenheim beschwerten sich 1651, sie würden am Schächten gehindert werden und sie müssten nach einer Anweisung des Amtes Fleisch bei den christlichen Metzgern des Ortes kaufen. Der Hofrat entschied zu ihren Gunsten: Das Schächten solle ihnen wie bisher erlaubt sein. Allerdings befahl der Rat dem Amt, die Juden zu kontrollieren. Es müsse verhindern, dass sie unter dem Vorwand von Eigenbedarf mehr schlachteten, als sie wirklich bräuchten, und dadurch den Metzgern schadeten.1 In Ettlingen hatte 1670 Isaac von der Hofkammer die Erlaubnis erhalten, jährlich acht Stück Vieh zu schlachten.2 Vier Jahre später beschwerten sich die Metzger über ihn, und der Hofrat erließ eine neue Verordnung. Isaac aber hielt sich nicht an sie und wurde wegen „über Verbott geschächteten Viehes“ mit 10 Reichstalern bestraft.3 Der Streit brach Anfang 1718 erneut aus. Jetzt klagten die Ettlinger Schutzjuden über den Amtmann, der von ihnen verlange, nur bei den christlichen Metzgern zu schächten – das sei gegen die „Ordnung“. Der Hofrat wies das Amt an, die Juden nicht weiter einzuschränken.4 Aber schon im folgenden Monat verhandelte die Hofkammer wieder über das Problem, nachdem die Schutzjuden nochmals suppliziert hatten: Sie beschwerten sich, die Metzger würden sie nicht ausreichend mit Fleisch versorgen. Die Kammer reagierte. Wegen der vielen Beschwerden und weil die Metzger die Juden nicht wie nötig mit Fleisch versorgten, solle so vorgegangen werden: Der Amtmann und der Judenschultheiß müssten zusammen aushandeln, wie viel Fleisch für die einzelnen Familien entsprechend ihrer Größe erforderlich sei. So viel dürften sie schächten, dann sollten sie aber die Teile, die aus religiösen Vorstellungen nicht verwendbar waren, den christlichen Metzgern „jederzeit zum ersten fail bieten [zuerst den Metzgern zum Kauf anbieten].“5 Der Hofrat bestätigte dieses Verfahren: Damit würde die alte, in der „Judenordnung“ von 1714 übernommene Regelung weitergelten. Ausdrücklich wurde der Ettlinger Amtmann Schweinhuber aufgefordert, sich an die neue Anweisung zu halten.6 Dieser ließ der Kammer alsbald ein „Schecht Reglement“ zukommen, 1 2 3 4 5 6

GLAK 61/121 HR 21.11.1651. GLAK 61/222 HK 14.6.1670. GLAK 61/124 HR 28.3.1674 Bl. 176r. GLAK 61/146 HR 10.2.1718. GLAK 61/253 HR 8.3.1718. GLAK 61/253 HK 29.3.1718.

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Religion

an dem Cassel, der Rastatter Judenschultheiß, mitgearbeitet hatte. Die sieben Haushalte in Ettlingen umfassten jeweils zwischen drei und neun, insgesamt 40 Personen. Nach der Tabelle, die der Regelung zugrunde gelegt wurde, bildeten zweimal die Vater- und Sohnfamilien eine Einheit. Sie durften nun im Vierteljahr drei, die anderen Familien zwei Rinder, entsprechend jeweils sechs Kälber oder „Böckh“ schlachten, zusammen 48 bzw. 120 Stück Vieh. Selbst das Gewicht der Tiere war festgesetzt: für Rinder jeweils zwei Zentner, für das andere Vieh 30 Pfund. Auf Initiative des Schultheißen wurde die Regelung ergänzt: Wurde ein Ochse geschlachtet, war er mit zwei Rindern zu verrechnen.7 Die Kammer bestätigte dieses „Schecht Reglement“ mit einer restriktiven Richtlinie. Das Amt habe „ernstlich daran zu seyn, damit solches [das Schächten in der festgelegten Menge] nicht übertretten werde“.8 In ähnlicher Weise zeigten sich die Spannungen und Konflikte in den folgenden Jahren in Bühl und bei der Schutzaufnahme von Löw Jacob in Unzhurst.9 Auch in Rastatt und Ettlingen kam es noch zu Konflikten – einmal waren es die Schutzjuden, die sich beschwerten, dann wieder die Metzger.10 1741 zeigte in Beinheim ein Metzger den Schutzjuden Jacob Salomon wegen Schächtens an, das nicht der geltenden Regelung entspreche. Auf ein Kammerdekret, berichtete das Amt Beinheim, habe Jacob Salomon so reagiert: „Die Cammer hette ihm nichts zu befehlen.“ Ein Ergebnis hatte die folgende Untersuchung wohl nicht.11 Offensichtlich war sich Jacob Salomon darüber im Klaren, dass die Eingriffsmöglichkeiten der Regierung in dem Amt unter französischer Oberhoheit begrenzt waren. In Rastatt gab es nach dem Bericht des Oberamtmanns Pezelt vom Februar 1761 schon seit einigen Jahren Konflikte zwischen den Metzgern und den Juden über die Menge des Viehs, das geschächtet wurde. Einer gütlichen Einigung unterwarf sich der dortige jüdische Wirt Faist Löwel nicht; er hatte bisher, nach dem Verdacht des Oberamtes, wohl auch die fällige Akzise für geschächtetes Vieh nicht bezahlt.12 Faist Löwel reichte 1763 zusammen mit Löw Bodenheimer, wie er als jüdischer Wirt bezeichnet, nochmals eine Bittschrift ein: Sie boten 15 Gulden pro

7 GLAK 74/3753, Amtmann Schweinhuber, „Reglement“, 8.4.1718. 8 GLAK 61//253 HK 12.4.1718. 9 Zu Bühl GLAK 61/147 HR 26.1.1719 und GLAK 61/151 HR 12.1.1723, dann auch GLAK 61/162 HR 12.10.1734 Nr. 6 und 30.10.1734 Nr. 3; zu Unzhurst GLAK 61/267 HK 13./14.4.1731. 10 Zu Rastatt GLAK 61/150 HR 11.12.1722 und zu Ettlingen GLAK 61/263 HK 20.10.1727. 11 GLAK 61/278 HK 31.1.1741. 12 GLAK 61/298 HK 18.2.1761 Nr. 18.

Das Schächten 

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Jahr, um dafür Vieh nach ihrem Bedarf schlachten zu dürfen.13 Die Hofkammer verlangte darauf allerdings 24 Gulden; zusätzlich sollten Löwel und Bodenheimer den Rastatter Metzgern das nicht koschere Fleisch um einen Kreuzer unter dem normalen Preis verkaufen.14 Die Auseinandersetzung über das Schächten war immer von den Befürchtungen des Missbrauchs besonders bei den christlichen Metzgern bestimmt; sie sahen das Interesse der Schutzjuden nicht oder wollten es nicht sehen und beharrten auf ihrem Vorteil. Ihre Klagen erinnern stark an das Stereotyp des „schädlichen Juden“; offensichtlich sollten sie verhindern, dass Juden die für sie nicht brauchbaren Teile des Schlachtviehs selbst verkauften. Auch die Regierung äußerte immer wieder Misstrauen: Die Juden könnten Fleisch direkt an die christliche Verbraucher verkaufen und damit wohl besser fahren, als wenn sie es an die Metzger gaben. Die Regierung rückte die Kontrolle in den Vordergrund, mit einer genauen Fixierung der Menge des Schlachtviehs, ebenso dadurch, dass die Schutzjuden zeitweise bei den christlichen Metzgern schächten mussten. Indem sie in die „Judenordnung“ von 1714 die Bestimmung aufnahm, das Schächten müsse bei christlichen Metzgern stattfinden, überhaupt mit ihrem genauen Begrenzen des Schächtens, zeigte sich auch hier die Verschärfung im Verhältnis zu den Schutzjuden; allerdings gibt es keine Hinweise, dass die Juden auch wirklich bei nichtjüdischen Metzgern schlachteten. Eine Konfliktvermeidung auf Dauer gelang der Regierung nicht. Andererseits: Die Regierung war bereit, die Menge des Viehs zu erhöhen, welches die Wirte in Rastatt schächten durften, allerdings gegen eine erhöhte Gebühr und mit einem Entgegenkommen für die christlichen Metzger. Die Möglichkeit von Verhandlungen existierte also für die Schutzjuden in Rastatt wie früher in Ettlingen. Keiner der Beteiligten rückte das Schächten, das Schlachten nach rituell-religiösen Vorschriften, in den Kontext der Religion. Im Spannungsfeld zwischen den Metzgern und den Juden gab es auch Zwang zu Kooperation: Die schächtenden Juden lieferten, wenn auch nicht freiwillig, den christlichen Metzgern Teile des Schlachtviehs, die es zu günstigen Bedingungen abnahmen. Eine besondere Form dieser Kooperation, an der Regierung vorbei, ist für 1728 überliefert. Moyses Schweitzer hatte in Rastatt einen Ochsen geschächtet, der sich aber als „unkauscher“ herausstellte. Metzger aus BadenBaden kauften darauf Teile dieses Ochsen und schafften sie in der Nacht auf die Metzig,15 wo geschlachtet und das Fleisch zum Verkauf angeboten wurde;16 die Nacht sollte vielleicht die unterlassene Akzisezahlung verbergen. 13 14 15 16

GLAK 61/301 HR 3.11.1763 Nr. 48. GLAK 61/198 HR 18.2.1764 Cameralsignaturen Nr. 1. GLAK 61/156 HR 20.1.1728. Metzig: auch „Fleischbank“, meist offener Unterstand zum Schlachten und zum Verkauf von Fleisch.

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Religion

12.2  Koscherer Wein? Das Schächten ermöglichte einen direkten Blick auf den „traditionellen religiösen Charakter“17 der Judenschaft. In einem andern Fall lässt sich ihre religiöse Praxis nur indirekt erkennen. Die Juden in Malsch beschwerten sich Ende September 1724 über ein Verbot, die herrschaftlichen Keltern zu benutzen, und hatten damit Erfolg18 – wohl auch im Beharren auf ihrem traditionalen Verhalten. Denn der Handel mit Wein, den Christen hergestellt hatten, war für die Juden ursprünglich verboten, setzte sich aber bei gleichzeitiger Lockerung der halachischen Vorschriften durch, ebenso der Genuss von Wein, den Nichtjuden herstellten.19 Den Malscher Juden ging es 1724 allerdings doch wohl um Wein, an dessen Produktion keine Christen teilnahmen und dessen Genuss ihnen auf jeden Fall unbedenklich erschien.20 Entsprechend hatten Juden – vielleicht aus Bühl – schon um 1673 bei der Benutzung der Kelter in Steinbach darauf gedrungen, dass sie selbst die Trauben mit den Füßen auf dem „Trottbrett“ auspressten, mit der Begründung, nur so sei sichergestellt, dass sie den Wein auch trinken könnten. Für die Christen war das ein Vorwand; die Steinbacher „Polizeyordnung“, die obrigkeitlich mit Rechtsnormen festgesetzte gute Ordnung des Gemeinwesens, verbot das Trotten der Juden, weil sie sich so nur den „Vorlauf und das Böste“, den Saft der Trauben für guten Wein, sichern würden, der restliche „Judenwein“ aber z. B. als Gültwein, als Abgabe für die Herrschaft, genommen würde. Das schade dem Ruf des Weines und hätte „schon bei Eim’ und Andern etwas Widerwillen verursacht.“21 Die Christen verwendeten so stereotype Vorstellungen für das Verhalten der Juden, nämlich dass sie einen Vorwand oder eine Lüge gebrauchten und Schaden verursachten. – Die Juden waren wohl darauf aus, beim Konsum von Wein bei einer tradierten religiös-rechtlichen Verhaltensweise zu bleiben.

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Katz, Tradition und Krise, S. 106. GLAK 61/260 HK 22.9.1724. Katz, Tradition und Krise, S. 32f. und S. 36f. Möglicherweise wurde der koschere Wein auch verkauft, wie das von Juden in der Gegend von Worms überliefert ist (Liberles, An der Schwelle zur Moderne, in: Kaplan (Hg.), Geschichte des jüdischen Alltags, S. 82f.). 21 Karl Hanß, Geschichte der Ortenau in Dokumenten, Bd. 3, Die Städte der Ortenau und ihre heimliche Hauptstadt Straßburg. Offenburg 1998, S. 89, nach dem Text der „Amtspolizeyordnung“ bei Karl Reinfried, Einige Ergänzungen zur Geschichte der Juden in der Markgrafschaft Baden-Baden, in: ZGO 50 (1896), S. 643f.

Die Nachlassregelung 

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12.3  Die Nachlassregelung – staatliches oder religiöses Recht? 1713 starb in Muggensturm ein jüdischer Einwohner, wohl der 1698 in den Schutz aufgenommene Joseph. Das zuständige Amt Gernsbach fragte beim Hofrat an, wie es mit der Obsignation, dem Versiegeln und Verzeichnen des Erbes, verfahren solle. Der Hintergrund: Erbberechtigte oder ein Judenschultheiß hatten sich beschwert, das amtliche Eingreifen verstoße gegen „das gewöhnliche Herkommen“.22 Der Hofrat war sich nicht im Klaren, ob und mit welcher Gebühr die Hinterlassenschaft zu verzeichnen war; er erwarte von der Kammer Pro und Kontra darüber, wie es „ratione des Herrschaftl(ichen) intereßso“, mit Blick auf die Einnahme des Staates, bei der amtlichen Obsignation aussehe.23 Die Antwort: Der Amtmann dürfe nur die einfache Gebühr erheben, nicht, wie sonst bei Juden üblich, die doppelte.24 Die Regierung, so scheint es, ging auf jeden Fall von der Rechtmäßigkeit der Obsignation durch den Staat aus. Als im Oktober 1718 in Bühl Abraham Heilbronn gestorben war, berichtete der Amtmann über einen Konflikt. Zunächst habe der Judenschultheiß – aus seiner, des Amtmanns Sicht – „privative“, also ohne amtlichen Auftrag, die Obsignation durchgeführt und dies mit der Observanz „bei ihnen“, den Juden, begründet, und er wolle zudem dafür sorgen, dass die Witwe ihr Heiratsgut25 zurückerhalte. Der Hofrat missbilligte, dass der Amtmann die Obsignation durch den Judenschultheiß allein zugelassen habe; das Amt musste sie nachträglich nochmals durchführen.26 Darüber beschwerte sich die „gesamte Judenschaft“. Auch sie berief sich auf die Observanz, und die Regelung des Erbes durch das Amt sei in der „Judenordnung“ doch gar nicht vorgesehen.27 In seinem Bericht sprach der Bühler Amtmann von der Obsignation, aber auch davon, dass der Judenschultheiß der Witwe Abraham Heilbronns ihr Heiratsgut übergeben wollte; er verzeichnete also nicht allein die Hinterlassenschaft, sondern führte auch die Erbteilung durch. Dafür spricht, dass in der späteren, 1730 erlassenen Instruktion für den Judenoberschultheiß dieser das Recht erhielt, die Nachlassregelung vorzunehmen, allerdings unter der Aufsicht eines Beamten.28 Die Konflikte bei der Hinterlassenschaftsregelung nach dem Tod von Joseph in Muggensturm und von Abraham Heilbronn hängen somit zusammen: In beiden Fällen war strittig, wer zur Obsignation und zur Erbteilung berechtigt war. 22 23 24 25 26 27 28

GLAK 61/141 HR 7.3.1713. GLAK 61/141 HR 13.3.1713. GLAK 61/141 HR 14.3.1713. Zur Sicherung des Heiratsguts (von Frauen) aus der Sicht des Hofrats siehe S. 278. GLAK 61/146 HR 13.10.1718. GLAK 61/146 HR 3.11.1718. Zum Text der Instruktion Zehnter, Juden in der Markgrafschaft Baden-Baden, in: ZGO 50 (1896), Juden in der Markgrafschaft Baden-Baden, S. 440f.

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Religion

Aus der Sicht der Judenschaft ging es um mehr als nur um die Obsignation, um ein Gewohnheitsrecht oder eine rechtliche Bestimmung. Für sie war das Erbrecht religiöses Recht,29 und damit ging es um ihre Religion. Die Regierung versuchte die Obsignation an sich zu ziehen; für sie war die Regelung des Nachlasses ein staatlich-weltliches Recht. Sie griff damit aus der Sicht der Juden in ihr religiöses Leben ein. Weder die Vertreter der Regierung noch die der Judenschaft sprachen die Differenz in ihren Vorstellungen an. Der Konflikt über die Nachlassregelung, dem widersprüchliche Vorstellungen über das Recht zugrunde lagen, wurde durch Zugeständnisse beider Seiten abgemildert. Die Regierung ließ die Vertreter der Schutzjuden weiterhin die Obsignation durchführen, kontrollierte sie aber. Die Schutzjuden, zumindest eine Reihe von ihnen, akzeptierten ihrerseits die Mitwirkung des Staates. Ein symbolischer Ausdruck dieser gemeinsamen Beteiligung – bei einem Erbfall in Bühl allerdings am Ende des Jahrhunderts – bestand darin, dass bei Obsignationen sowohl der jüdische Schultheiß oder Anwald und der Vertreter des Amtes ihr Siegel auf Fässer mit Wein anbrachten, die zum Erbe gehörten.30

12.4  Religiöse Bildung Unterricht bestand für Juden in der Frühen Neuzeit im Wesentlichen in der Vermittlung und Aneignung religiöser Schriften, vom einfachen Gebetbuch bis zur Thora und zum Talmud, und war damit ein Teil der religiösen Erziehung.31 Dieser Unterricht in den Dörfern, Marktflecken und Kleinstädten der Markgrafschaft Baden-Baden deutet sich nur indirekt an, wenn die Existenz von Lehrern erwähnt wird. Als das Amt in Bühl 1706 über die dortigen Juden berichtete, machte es Angaben über die einzelnen Haushalte. Mit Joseph Jacob und seiner Frau Rachel lebten vier Kinder und ein „Schuelmeister“.32 Schmaul und seine Frau Sprinz hatten zwei Söhne; auch in ihrem Haushalt gab es einen Lehrer.33 Insgesamt führte der Amtmann bei 12 Haushalten 19 Kinder auf, die er als „ohnerzogene“, als „kleine“ oder als nicht „erwachsen“ bezeichnete.34 Die Berichte über die jüdischen Haushalte aus den anderen Ämtern zu 1706 und später erwähnen keine Lehrer, auch 29 Gotzmann, Strukturen jüdischer Gerichtsautonomie, in: HZ Bd. 267 (1998), hierzu S. 320f. 30 Zur gemeinsamen, aber umstrittenen Durchführung der Obsignation siehe S. 403f. 31 Breuer, Frühe Neuzeit und Beginn der Moderne, in: Breuer und Graetz (Hg.), Deutschjüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. 1, S. 178. 32 GLAK 74/3711, Amtmann Johann Heinrich Harrandt an die Hofkammer, 12.6.1706. 33 Zum Lehrer im Haushalt von Schmaul siehe S. 228. 34 GLAK 74/3711, Amtmann Johann Heinrich Harrandt an die Hofkammer, 12.6.1706.

Religiöse Bildung 

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wenn die Kinderzahl der Familien verzeichnet ist. In Ettlingen gab es 1715 einen Lehrer im Haushalt von Salomon Moyses; Jacob Lodemer, so die Angabe seines Namens, war aus Polen gekommen, wohin er nun zurückkehren wollte.35 Salomon Moyses, der Schwiegersohn von Joseph Jacob in Bühl, dieser selbst und Schmaul gehörten zu den wirtschaftlich leistungsstarken Schutzjuden, sie waren zeitweise Schultheißen. In der jüdischen Gesellschaft erfuhr die religiöse Bildung hohe Wertschätzung; möglicherweise steht die Beschäftigung von Lehrern durch Schutzjuden im Zusammenhang mit dem Versuch, über die religiöse Ausbildung ihrer Kinder auch die eigene Position in der Judenschaft zu betonen. Ein Lehrer lässt sich für 1744 in Gernsbach im Haushalt von David Kaufmann und dessen Frau nachweisen.36 In Friesenheim lebte 1749 ein jüdischer Lehrer, der sich allerdings nicht einer der dortigen Familien zuordnen lässt.37 Zumindest der Gernsbacher Lehrer entspricht dem tradierten „Hauslehrer“, da ja in Gernsbach nur in David Kaufmanns Familie Kinder vorhanden waren;38 Kinder von Herz Lazarus sind nicht erwähnt. Im März 1746, nach dem Tod von Isaac Israel,39 supplizierten die Schutzjuden im Bereich zwischen Ettlingen und Bühl: Sie hätten schon lange gewünscht, dass es unter ihnen jemanden gebe, der in den Fragen des Zeremonials, der Religionsvorschriften und des religiös bestimmten Rechts, kompetent sei. Wenn sie jetzt einen geeigneten Juden anstellen dürften, so argumentierten die Schutzjuden, ließen sich Ausgaben vermeiden, die bisher entstanden, wenn sie den Landrabbiner in Karlsruhe einschalteten; dieses Geld würde so in der Markgrafschaft bleiben. Aus all diesen Gründen wolle man „einen Rabbiner in qualitaet eines schuhlmeisters“ anstellen. Die Supplik nannte bereits einen Kandidaten, nämlich den Sohn des Karlsruher Landrabbiners.40 Der Hofrat befürwortete diese Supplik und erwartete die Zahlung eines ermäßigten Schutzgeldes durch den künftigen Lehrer selbst oder durch die Schutzjuden, untersagte aber dem „Rabbiner“ jeden Handel. Als sein Wohnsitz wurde Rastatt – in einer Vorstadt – angegeben.41 Im April 35 36 37 38

GLAK 61/143 HR 29.8.1715. GLAK 61/173 HR 5.3.1744 Nr. 4. GLAK 61/178 HR 12.2.1749 Nr. 2. Zum Nachweis der (männlichen) Kinder aus der Familie David Kaufmanns siehe die Schutzaufnahmen seiner Söhne S. 105ff., Tabelle V, die Nummern V.31, V.39 und V.45. 39 Zu Isaac Israel siehe v. a. S. 523ff. 40 GLAK 220/562, Judenschaft an Markgraf Ludwig Georg, 1.3.1746 und GLAK 61/56 GR 5.3.1746 Nr. 20. Zu Nathan Uri Kahn, dem ersten Rabbiner in Karlsruhe Andreas Gotzmann, Gemeinde als Gemeinschaft, in: San Diner (Hg.), Jahrbuch des Simon-DubnowInstituts 1. Stuttgart 2002, S. 375–456, hierzu S. 412f. 41 GLAK 61/175 HR 8.3.1746 Nr. 6; in seiner Stellungnahme sprach der Hofrat ausdrücklich von einem „Schuhlmeister“, der „keinen weithren Handel und Wandel“ führen dürfe (GLAK 220/561, Hofrat an Markgraf Ludwig Georg, 8.3.1746, GLAK 220/561, Markgraf Ludwig Georg an den Hofrat, 9.3.1746, und GLAK 61/56 GR 9.3.1746 Nr. 22).

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Religion

1746 hatte die Judenschaft ihren Kandidaten Nathan Levi42 bereits angestellt. Sie bat um den Nachlass seines Schutzgeldes und legte eine Bestätigung des Oberamts Karlsruhe vor, dass auch dort ein Lehrer davon befreit war. Dieses Argument verwendete der Hofrat gegenüber dem Geheimen Rat und verwies darauf, dass Nathan Levi kein anderes Einkommen habe als seine Besoldung. Darauf erfolgte die entsprechende Regelung.43 Welche Aufgaben hatte ein „Rabbiner“ „in qualitaet eines Schuhlmeisters“ neben denen eines Lehrers? Die Judenschaft hatte in ihrer Supplik angegeben, dass er für sie Aufgaben eines Rabbiners übernehmen sollte.44 Schon im Juni 1746 wurde Nathan Levi aktiv. Zu dieser Zeit stritten sich Samson Schweitzer und Jonas in Kuppenheim über den gescheiterten Abschluss einer Ehe zwischen Jonas und Gütel, einer Nichte des Oberschultheißen. Zunächst verwies der Hofrat die beiden Kontrahenten vor den Rabbiner in Karlsruhe.45 Darauf supplizierte Jonas, aus Kostengründen solle der kurz zuvor „angenommene Rabiner“ bei der Lösung des Konfliktes mitwirken.46 Auch die Frau von Samson Schweitzer supplizierte entsprechend im Namen ihres abwesenden Mannes.47 Jetzt befahl der Hofrat den Kontrahenten, bei Nathan Levi zu erscheinen, um dessen Entscheidung zu erhalten.48 Er löste den Konflikt mit einem Vergleich.49 Nathan Levi war also nicht allein als Lehrer beschäftigt; er übernahm auch Aufgaben eines Rabbiners, der vor allem für die richtige Anwendung des religiösen Rechts zu sorgen hatte. Seine Besoldung führte zu Problemen. Im Dezember 1746 sprach Daniel Cassel deswegen beim Hofrat vor: In seiner mündlichen Supplik bat er um Hilfe, da ein Teil der Rastatter und Kuppenheimer Schutzjuden noch nichts zur Bezahlung des „Rabbiners“ beigetragen hatten.50 Im Februar des folgenden Jahres supplizierten die Judenanwälde, wohl Löw Bodenheimer von Bühl und Daniel Cassel von Rastatt, wegen des Einzugs von Beiträgen einzelner Schutzjuden für die Besoldung Nathan Levis.51

42 Die Angabe des Namens erfolgte in den Hofkollegien wohl erstmals am 9.8.1746 (GLAK 61/175 HR 9.8.1746 Nr. 24). 43 GLAK 220/561, Judenschaft an den Hofrat, 23.4.1746, GLAK 61/175 HR 28.4.1746 Nr. 17 und GLAK 220/561, Markgraf Ludwig Georg an den Hofrat, 30.4.1746 und GLAK 220/561, Hofrat an das Oberamt Rastatt, 7.5.1746. 44 GLAK 220/562, Judenschaft an Markgraf Ludwig Georg, 1.3.1746. 45 GLAK 61/175 HR 21.6.1746 Nr. 24. 46 GLAK 61/175 HR 7.7.1746 Nr. 20. 47 GLAK 61/175 HR 21.7.1746 Nr. 36. 48 GLAK 61/175 HR 21.7.1746 Nr. 35 und 21.7.1746 Nr. 36. 49 GLAK 61/175 HR 9.8.1746 Nr. 24. 50 GLAK 61/175 HR 13.12.1746 Nr. 12. 51 GLAK 61/176 HR 28.2.1747 Nr. 18.

Wertschätzung der Rabbiner 

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Nach dem Weggang Nathan Levis nach Mannheim spätestens im November 174952 scheinen die Rastatter Schutzjuden wieder einen Lehrer angestellt zu haben. 1755 forderte ein „Judenschulmeister“ Löb in Rastatt die Rückzahlung einer Schuld, die bei dem von der Regierung beschäftigten „Ingenieur“ Johann Michael Sock ausstand.53 Der „Juden Praeceptor“ Löw Berez beschwerte sich 1759 über die Judenschaft in Rastatt, sie habe ihn ohne Grund und „wieder die Jüdische Üblichkeit“ entlassen;54 von ihren Namen her könnten Löb und Löw Berez ein und dieselbe Person sein.55 Für Rastatt erscheint es damit als plausibel, dass zumindest in den Jahren vor 1759 ein Lehrer vorhanden war, den, folgt man der Klage von Löw Berez, die gesamte Rastatter Judenschaft angestellt hatte. Insgesamt variierten die markgräflichen Schutzjuden bei der Anstellung von Lehrern je nach Bedarf und Möglichkeiten: David Kaufmann beschäftigte einen Lehrer nur für seine Familie, während die Rastatter Juden insgesamt für ihre Kinder einen Lehrer anstellten. Er erfüllte zumindest zeitweise auch Aufgaben eines Rabbiners. Die Wertschätzung religiöser Bildung wird bei der Heirat von Samuel Joseph aus der Familie des Bühler Anwalds Joseph Elias besonders deutlich: Dieser stattete seinen Sohn Samuel Joseph für die Heirat mit einer elsässischen Hofagententochter ausdrücklich materiell so aus, dass ihm ein religiöses Studium möglich war. Aus den wenigen baden-badischen Schutzjudenfamilien mit den finanziellen Möglichkeiten von Joseph Elias scheinen keine weiteren Eheverträge vorhanden zu sein, in denen sich ähnliche Vorstellungen finden ließen.56

12.5  Wertschätzung der Rabbiner Die Wertschätzung, die religiöser Bildung entgegengebracht wurde, galt auch den Rabbinern, wie für die letzten Jahrzehnte der Markgrafschaft erkennbar ist. Für die Judenschaft hatte schon seit einem nicht genau feststellbaren Zeitpunkt der jeweilige Rabbiner in Karlsruhe Aufgaben im Bereich des religiösen Rechts übernommen. Mit Nathanael Weil hatte die baden-badische Judenschaft – jedenfalls nach 1750, als er die Anstellung als Rabbiner in Karlsruhe erhielt – einen Vertrag

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Zum Wechsel Nathan Levis nach Mannheim siehe S. 453. GLAK 61/184 HR 13.3.1755 Nr. 36. GLAK 61/189 HR 30.1.1759 Nr. 32. Zu Löw Berez siehe S. 390f. Zu Samuel Joseph und seinem Vater Joseph Elias siehe S. 513f. Eheverträge des 18. Jahrhunderts mit Bezug auf baden-badische Schutzjuden bzw. deren Söhne und Töchter ließen sich vielleicht am ehesten in elsässische Archive finden. Ein Teil dieser Verträge ist aufgeführt bei Fraenckel, Mémoire juive en Alsace.

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Religion

abgeschlossen.57 Er bekam aus dem Erbe von Sarah Weil im Oberamt Mahlberg ein Legat von 100 Gulden;58 Sarah Weil ist mit einiger Sicherheit identisch mit der Witwe von Marx Weil, die 1757 oder 1759 starb.59 Die genauen Umstände dieser Zuwendung scheinen sich nicht klären zu lassen, aber eine Form der Anerkennung für den Rabbiner war sie ohne Zweifel. Nathanael Weil starb am 7. Mai 1769 in Rastatt, wo er an einer Versammlung der baden-badischen Juden teilnahm. Sie supplizierten noch am gleichen Tag wegen der Erlaubnis, ihn auf dem Friedhof in Kuppenheim zu begraben; gleichzeitig reichte auch Salomon Meyer, der Hoffaktor in Karlsruhe und in Rastatt, eine Supplik ein, in der er sich für ein Begräbnis in Karlsruhe einsetzte. Die Regierung schlug vor, Salomon Meyer entgegenzukommen, wenn seine Bitte mit dem Willen des Verstorbenen selbst, seiner Witwe oder seiner Kinder übereinstimme.60 Als sich die Witwe für Karlsruhe entschied, ließ die Regierung den Leichnam Weils „ihro Wittib und der Carlsruher Judenschaft“ übergeben.61 Bei diesem Geschehen habe es sich für die Rastatter Judenschaft nicht um eine Frage der Ehre gehandelt, wurde argumentiert, da sie ihren Rabbiner gar nicht bei sich, sondern auf dem Kuppenheimer Friedhof hätte begraben müssen.62 Allerdings waren es nicht die Rastatter Schutzjuden, sondern nach dem Hofratsprotokoll die der Markgrafschaft Baden-Baden, die Nathanael Weil in Kuppenheim begraben wollten, und für sie befand sich dort ihr Begräbnisort. Die Regierung in Rastatt übergab den Leichnam des Rabbiners ausdrücklich nicht nur der Witwe, sondern auch der Judenschaft in Karlsruhe; für Letztere bot dieser ganze Vorgang eine Möglichkeit, ihrer Verehrung des Rabbiners Ausdruck zu geben. Das spricht dann doch dafür, dass auch der baden-badischen Judenschaft daran lag, ihren Rabbiner bei sich zu begraben und ihn damit zu ehren, wie es die Regierung in Rastatt ihren Vorstellungen nach tat, indem sie den Leichnam Nathanael Weils mit militärischem Geleit nach Karlsruhe überführen ließ.63 Einige Tage nach der Beerdigung beschrieb die „Karlsruher Zeitung“ das Verhältnis der Juden zu ihrem 57 Schreiben von Salomon Meyer an Thias Weil (1769), bei Bertold Rosenthal, Aus den Jugendjahren der jüdischen Gemeinde Karlsruhe, in: Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums, NF 35 (1927), S. 207–220, hierzu S. 212. 58 GLAK 61/190 HR 6.9.1759 Nr. 19. 59 Für die Kosten der Inventur von Sarah Weil stellte Amtsschreiberei Mahlberg ein Kostenverzeichnis unter dem 11. Februar 1757 auf. Darüber beschwerte sich Emanuel Weil, der Sohn von Marx und Sarah Weil, am 27.2.1759 (GLAK 74/3759.) Die Jahresangabe der Amtsschreiberei spricht für das Todesjahr 1757, die Beschwerde Emanuel Weils für das Jahr 1759. 60 GLAK 61/213 HR 7.5.1769 Extrajudicialiter ohne Nummerierung. 61 GLAK 61/213 HR 9.5.1769 Amtsberichte ohne Nummerierung. 62 Robert Liberles, A Burial Place for Rabbi Nethanel Weil, in: Kaplan und Meyer (Hg.), Jüdische Welten, S. 47. 63 Ebd., S. 49f.

Synagogen und die „öffentliche Schul“ 

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Rabbiner: Er sei bei ihnen „wegen seiner hohen Gelehrsamkeit berühmt, geehrt und geliebet“ gewesen.64 Nach dem Tod von Nathanael Weil stellten die baden-badischen Juden seinen Sohn Thias Weil als Rabbiner an. Wie aus einem Schreiben des baden-durlachischen und baden-badischen Hofjuden Salomon Meyer hervorgeht, hatten die Bühler und Mahlberger Schutzjuden Bedenken, mit Thias Weil den gleichen Vertrag abzuschließen wie mit seinem Vater.65 Aus einem Dekret der Regierung in Rastatt geht hervor, worin diese Bedenken bestanden: Die Juden im Oberamt Mahlberg und in Bühl befürworteten die Anstellung von Thias Weil unter der Bedingung, dass er „zur Vermeidung schwehrer Kösten“ nur in besonderen Fällen zu ihnen käme. Sonst sollte, so schrieb die Regierung weiter, Thias Weil für die baden-badischen Schutzjuden an „einen in der Nähe befindlichen Substituten [Vertreter] den auftrag thun, in seinem Nahmen zu untersuchen, zu sprechen [zu urteilen], denen inventuren u(nd) dergl(eichen) beyzuwohnen.“66 Schließlich rückten die Bühler Schutzjuden von ihren Bedenken ab, nachdem sie in den Gebühren für den Rabbiner den baden-durlachischen Juden gleichgestellt worden waren,67 damit wohl für die weite Anreise von Thias Weil zu ihnen nicht entsprechend höhere Gebühren übernehmen mussten. Einen Rabbiner zu haben oder wenigstens einen Vertreter des Rabbiners im eigenen Land, das war trotz der Bedenken wegen der Kosten für die baden-badischen Juden unverzichtbar.

12.6  Synagogen und die „öffentliche Schul“ 12.6.1  Synagogen in der Markgrafschaft 1741 erstattete Hofrat Tschammerhell für die Regierung ein Gutachten, um das Recht der Juden zu klären, in Rastatt eine Synagoge zu errichten.68 Er führte aus, dass

64 Karlsruher Zeitung, 16.5.1789, zitiert nach Ernst Otto Bräunche, Vom Schutzjuden zum Bürger zweiter Klasse, in: Heinz Schmitt unter Mitwirkung von Ernst Otto Bräunche und Manfred Koch (Hg.), Juden in Karlsruhe. Beiträge zu ihrer Geschichte bis zur nationalsozialistischen Machtergreifung (Veröffentlichungen des Karlsruher Stadtarchivs 8). Karlsruhe 1988, S. 41–80, hierzu S. 52. 65 Bertold Rosenthal, Aus den Jugendjahren der jüdischen Gemeinde Karlsruhe, in: Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums, NF 35 (1927), S. 207–220, hierzu, unter Bezug auf ein Schreiben von Salomon Meyer, S. 211ff. 66 Ebd., S. 213. 67 Ebd. 68 Zur Auseinandersetzung über den Gottesdienst Haus von im Daniel Cassel siehe S. 482ff.

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Religion

„dieser ihr cultus undt Ceremoniel so wohl in hiesiger Marggrafschaft zu Malsch, Cuppenheim, bühl, und zu Baaden [Baden-Baden] schon vor dem französ(ischen) brandt [den Zerstörungen durch französische Truppen 1689] bekandter maßen gehalten worden, als auch in denen benachbahrten Churpfälz(ischen) und Durl(achischen) orthen annoch gestattet werde, zumahlen denenselben [den Schutzjuden], wann man ihnen einsmahlen der schutz Zugesaget, den gottesdienst nach ihrem gesatz [nach ihrem Gesetz, ihrer Religion] zu halten, allerdings nicht wohl denegirt [abgeschlagen] werden möge.“69

Es herrschte in der Regierung also ein klares Bewusstsein, dass die Juden mit dem Schutzverhältnis ein Recht auf die Ausübung ihrer Religion hatten und es in Gottesdiensten schon länger als 50 Jahre praktizierten. In welchen Häusern der Gottesdienst vor 1689 stattfand, dazu scheinen keine Informationen vorzuliegen. In Rastatt existierte im Haus von Cassel, so ein Bericht des Oberamts von 1741, ein Synagogenraum, in dem schon 38 Jahre Gottesdienst gehalten wurde – also schon ab 1703.70 Bei den Synagogen in Bühl und Ettlingen71 wird es sich, wie in den anderen erwähnten Orten, um Räume in den Häusern der Schultheißen gehandelt haben. Die Bühler Schutzjuden selbst sprachen von einer Synagoge, als sie sich über Joseph Jacob beschwerten.72 Spätestens in den Jahren um 1720 existierte eine „schuhl“ in einem Haus, das zunächst Schmaul und Isaac Bodenheimer zusammen gehörte, dann Letzterem allein.73 Dafür, dass gerade in Bühl, Ettlingen und Rastatt Synagogenräume in der Zeit um 1700 nachweisbar sind, gibt es zwei Erklärungen. In Bühl existierten 1706 14 jüdische Familien, in Rastatt zusammen mit dem nahen Kuppenheim 13; in Ettlingen gab es nur vier Familien, allerdings mit sechs Söhnen und zwei Knechten, damit waren wohl auch hier in der Regel die zehn erforderlichen Gottesdienstteilnehmer vorhanden. Hinzu kommt, dass es 1700 in Bühl und Ettlingen einen Judenschultheiß gab, spätestens 1712 auch in Rastatt zumindest einen „Unterschultheiß“, nämlich Cassel,74 der kurz darauf auch „Schultheiß“ genannt wurde.75 Von einem Schultheißen wurde, wie schon gesagt, um 1700 erwartet, dass er einen Raum für den Gottesdienst zur Verfügung stellte und ihn ausstatte. Als 1741 die Juden in Rastatt keinen Gottesdienst halten durften,76 berichtete der Oberamtmann Leopold Wilhelm Lassolaye über den Ausweg, den sie gefunden hatten. Sie würden die „Judenschuhl“ in Kuppenheim besuchen, was 69 GLAK 61/170 HR 3.10.1741 Nr. 14. 70 Ebd. 71 Zur Erwähnung der Synagoge, eines Synagogenraums im Haus von Isaac in Ettlingen siehe S. 306. 72 Zu den Beschwerden gegen Joseph Jacob siehe S. 388. 73 Zum Kauf des Hauses mit den Synagogenräumen siehe S. 424. 74 GLAK 61/248 HK 15.12.1712. 75 Zu Daniel Cassel als Schultheiß S. 408 und S. 413. 76 Zum Konflikt über die Synagoge in Rastatt siehe S. 482ff.

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er für zu „beschwehr- und unthunlich“ hielt.77 Im gleichen Jahr und im gleichen Zusammenhang supplizierte Jacob Salomon im nahen Beinheim. Er wollte die Erlaubnis, „eine Juden Schuhl in seinem Haus mit Zuzug von 10 Manns Personen halten zu dürfen“, und bat darum, dass die Juden „das Gebet nach ihrem gesez verrichten“ könnten.78 Der Hofrat beauftragte den Beinheimer Amtmann zu einem Bericht über die bisherige Praxis des Gottesdienstes; es sei aber, nach dem Eintrag im Ratsprotokoll, der Wunsch des Markgrafen und des Geheimen Rats, den Schutzjuden „keine neuen favores“, keine neuen Zugeständnisse einzuräumen.79 In Beinheim, so die Antwort, wisse niemand etwas von einem früher gehaltenen Gottesdienst; aber Juden aus der Nachbarschaft hätten angegeben, dass sie am Sabbat in einem Haus in Beinheim „zu zehnt“80 zusammengekommen seien, also Gottesdienst gehalten hatten. Das Gesuch Jacob Salomons wurde darauf abgelehnt.81 In Ettlingen scheint es 1742 zu einem Versuch gekommen zu sein, einen Synagogenraum einzurichten.82 Selbst in Gernsbach, wo höchstens zwei Schutzjudenfamilien lebten, gab es eine „schul“. Dort ließ der Speyrer Vogt 1748 den Besitz von Herz Lazarus beschlagnahmen, darunter die ihm gehörende Thorarolle. Nach seinem Weggang nach Muggensturm befand sie sich bei David Kaufmann; der badische Vogt Karl Wilhelm Lassolaye bezeichnete sie als „die in die schul gehabte 10 gebott“.83 Die Erben Isaac Bodenheimers, zuerst sein Bruder Mayer und dann sein Neffe Löw Bodenheimer, beide örtliche Anwälde, blieben zunächst im Besitz der Bühler „schuhl“.84 Sie bestand nach einer Angabe aus dem Jahr 1751 aus zwei Räumen, aus „zwey zimmer, darinnen die gemeinsch(aft)l(iche) Juden schuhl halten.“85 Löw Bodenheimer und seine Frau verkauften diese zwei Zimmer 1763 an die Judenschaft in Bühl.86 Acht Jahre nach dem Versuch der Juden in Kippenheim, gemeinschaftlich ein Haus wohl für eine Synagoge oder für eine andere gemeind-

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GLAK 61/43 GR 31.10.1741 Nr. 16. GLAK 61/43 GR 2.9.1741 Nr. 34. GLAK 61/170 HR 6.9.1741 Nr. 6. „Zu zehnt“: Minjahn, die für den Gottesdienst erforderlichen männlichen Anwesenden über 13 Jahren. GLAK 61/170 HR 17.10.1741 Nr. 14 und 2.11.1741 Nr. 8. Stenzel, Ettlingen von 1689–1815, S. 383. GLAK 61/177 HR 1.10.1748 Nr. 11. Zu den früheren Eigentumsverhältnissen an den Synagogenräumen in Bühl siehe S. 260. GLAK 61/13698, Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, 19.2.1751, Bl. 151r. GLAK 61/13699 Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, 11.7.1763, Bl. 362v.

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liche Einrichtung zu kaufen,87 besaß nun die Judenschaft in Bühl als Korporation eine Synagoge. Wenige Informationen gibt es über die Ausstattung der Synagogen. Eine Thorarolle mit „Einem silbernen blech“, einem Thoraschild, befand sich in der Hinterlassenschaft von Isaac Bodenheimer; ihr Wert wurde auf 200 Gulden geschätzt.88 1741 supplizierte Raphael Jacob, der spätere Judenoberschultheiß, wegen der Einrichtung einer neuen „Schuhl“, als er mit Daniel Cassel in Konflikt geriet,89 in dessen Haus bis dahin sich ein Betraum befand. In diesem Zusammenhang bat er auch darum, dass „die zehn gebott und Leichter“ aus dem Haus Daniel Cassels in die neue Synagoge gebracht werden könnten;90 Raphael Jacob ging also davon aus, dass die Thorarollen und Leuchter Eigentum der Judenschaft in Rastatt waren, nicht der Familie Cassel. Diese Kultusgegenstände lassen sich kaum mit der Ausstattung anderer süddeutscher Synagogen vergleichen; dazu müssten mehr Angaben vorliegen.91 Der Wert der Thorarolle im Besitz von Isaac Bodenheimer – 200 Gulden – spricht dafür, dass die Schutzjuden oder einzelne unter ihnen ansehnliche Beträge für ihre Synagogenräume ausgaben. Der bauliche Wert der Beträume in Bühl wurde 1763 mit 50 Gulden92 angegeben, und wohlhabende Schutzjuden wie Isaac und Jost in Ettlingen investierten 400 Gulden beim Bau ihres Hauses um 170093 – gerade doppelt so viel, wie Isaac Bodenheimer für seine Thorarolle aufbrachte. 12.6.2  Die Synagoge in der Residenz: eine „öffentliche Schul“? Markgraf Ludwig Georg und der Geheime Rat leiteten 1741 eine Untersuchung gegen die jüdischen Einwohner in Rastatt ein wegen des Lärms und Streits, der

87 Zu den Vorgängen in Kippenheim siehe S. 485f. 88 Zur Thorarolle im Besitz von Isaac Bodenheimer siehe S. 426f. 89 Zum Konflikt zwischen Daniel Cassel und Raphael Jacob im Zusammenhang mit der Synagoge siehe S. 476ff. 90 GLAK 220/562, Raphael Jacob an Markgraf Ludwig Georg, 17.3.1741. 91 Annette Weber, Jüdische Sachkultur in burgauischen Landgemeinden bis zur Emanzipation, in: Rolf Kießling und Sabine Ullmann (Hg.), Landjudentum im deutschen Südwesten während der Frühen Neuzeit (Colloquia Augustana 10). Berlin 1999, S. 235–273, beschreibt einzelne Kultusgegenstände, die zeitlich parallel im Gebrauch waren. Angaben über den zeitgenössischen Wert dieser Gegenstände scheinen dazu aber nicht vorhanden zu sein. 92 GLAK 61/13699, Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, 11.7.1763, Bl. 362v. 93 Stenzel, Ettlingen von 1689–1815, S. 52.

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im Haus Cassels94 während eines Gottesdienstes entstanden war. Den Juden wurde die Verordnung mitgeteilt, dass sie künftig nur in der Vorstadt95 im Haus eines jüdischen Einwohners Gottesdienst abhalten könnten. Bei Verstößen gegen die für den Gottesdienst „behörigen schrankhen und Stille“ wurden ihnen 100 Reichstaler Strafe angedroht.96 Daniel Cassel versuchte im März 1741 erfolglos mit einer Bittschrift die Regierung zu bewegen, ihm weiter den Gottesdienst in seinem Haus zu erlauben.97 Auch andere Rastatter Juden wurden aktiv. Raphael Jacob, Israel und Moyses Marum wiesen in ihrer Supplik die Schuld an der Auseinandersetzung der Familie Cassels zu; sie schlugen vor, in der Vorstadt eine neue Synagoge zu bauen. Ein geeigneter Platz stehe da zur Verfügung, nämlich bei einem Haus, das einem jüdischen Einwohner gehöre und das zum Verkauf stehe. Da könne man eine Synagoge anbauen.98 Dem widersprach Oberamtmann Leopold Wilhelm Lassolaye. Mit seiner Lage „über der großen Brückh grad am Eckh undt Straßen“ sei dieses Haus für die Juden gar nicht geeignet, denn dort würde ihr „geschrei Viel mehr, als in des Cassels Haus gehört“ werden, zumal sich dort das Synagogengebäude mitten im Wohngebiet der christlichen Bürger befände. Lassolaye argumentierte noch detaillierter. Keiner der drei Petenten sei in der Lage, zu einem Synagogenbau finanziell beizutragen. Es bestände auch die Gefahr, dass bei einer öffentlichen Synagoge viele auswärtige Juden, vor allem Betteljuden, nach Rastatt kämen, um an den Gottesdiensten teilzunehmen. Der Amtmann schlug deshalb vor:

94 Die Lage des Hauses wird als „am südlichen Ende der Hauptstraße“ angegeben (Konrad Krimm, Ein nicht gebautes Stadttor in Rastatt, in: Rainer Brüning und Clemens Rehm (Hg.), Ein badisches Intermezzo? Die Markgrafschaft Baden-Baden im 18. Jahrhundert. Festgabe für Hertwig John. Karlsruhe 2005, S. 27. Das „Ende der Hauptstraße“ dürfte den heutigen Angaben „Ecke Schlosstraße/Murgstraße“ entsprechen (Zepf, Markgräfin Sibylla Augusta als Regentin, in: Staatliche Schlösser und Gärten Baden-Württemberg (Hg.), Extra schön, S. 41f., Anm. 43. 95 Der Ausdruck „Vorstadt“ bezieht sich wahrscheinlich auf die Augustavorstadt; dort sollte nach den Vorstellungen der innerjüdischen Konkurrenten Daniel Cassels eine Synagoge errichtet werden. Das Haus, das für eine Synagoge ins Gespräch kam, stand nach der Aussage des Rastatter Oberamtmanns jenseits der „großen Brückh“, der „Ankerbrücke“. Auch das spricht für die Augustavorstadt. 96 GLAK 61/170 HR 23.2.1741 Nr. 1. Den Konflikt über die Synagoge in Rastatt hat Zehnter im Wesentlichen als Auseinandersetzung zwischen der Regierung und den jüdischen Einwohnern in Rastatt dargestellt in: Zehnter, Juden in der Markgrafschaft Baden-Baden, in: ZGO 50 (1896), S. 406f. 97 GLAK 61/41 GR 4.3.1741 Nr. 14. 98 GLAK 220/562 Raphael Jacob, Israel und Moyses Marum an Markgraf Ludwig Georg, 17.3.1741 und GLAK 61/41 GR 18.3.1741 Nr. 24.

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Jeder Familienvorstand solle „Vor sich in seiner wohnung seine Ceremonien halten.“99 Cassel begründete, warum er nur eine „Synagog“ in seinem Haus als möglich ansah, mit dem Hinweis auf das von Israel100 in der Vorstadt, das viel zu eng und baufällig sei. Er bat um eine zumindest vorläufige Regelung: Am bevorstehenden Karsamstag sei, schrieb er, „unser Oster-Fest“.101 Die Juden müssten an diesem Fest eine Woche lang täglich in der Synagoge sein, und auch deshalb wolle er wenigstens so lange die Erlaubnis zum Gottesdienst für alle jüdischen Einwohner in seinem Haus, bis das Problem einer öffentlichen „Schul“ endgültig geklärt sei.102 Der Geheime Rat blieb dabei: Nur in ihren eigenen Häusern könnten die Schutzjuden „ihre ceremonien halten.“103 Raphael Jacob und seine Anhänger dagegen erneuerten ihren Vorschlag zu einer Synagoge hinter dem Haus von Isaac. Sie betonten, dass es „in der Augusti Vorstatt [Augustavorstadt]“ stehe und einerseits die Murg, nach hinten der Garten (der Allgemeinheit) Schutz vor „Lärm“ biete. In Rastatt sei „so lange Zeith ein freyes andachts Exercitium [eine freie Ausübung des Gottesdienstes] und Versamblung“ möglich gewesen; nur wenn es dabei bleibe, könnten mit einer neuen Synagoge die erforderlichen 10 Männer zusammenkommen.104 Cassel seinerseits präzisierte seine Supplik: Er wolle nur drei weitere jüdische Einwohner zu sich in sein Haus holen dürfen, für die „Ceremonien zur Vollführung ihres Gesetzes“. Wieder schlug der Geheime Rat diese Bitte ab.105 Eine Supplik des Judenoberschultheißen Samson Schweitzer folgte: Der Judenschaft in Rastatt solle genehmigt werden, „eine öffentliche Schul halten zu dörfen.“106 Gemeinsam wiederholten Samson Schweitzer und Cassel diese Bitte im September 1741. In seinem Bericht befürwortete Oberamtmann Lassolaye erneut den Gottesdienst in den Privathäusern, wie es ihn immer gegeben

99 GLAK 220/562, Oberamtmann Leopold Wilhelm Lassolaye an Markgraf Ludwig Georg, 23.3.1741. 100 Israel ist wohl identisch mit Isaac Israel, der in Rastatt gelebt hatte, bevor er nach Bühl ziehen musste. 101 Daniel Cassels Schreiben ist datiert mit dem 23.3.1741. Das Pessach-Fest dieses Jahres begann am 1.4.1741. Wieweit die Formulierung „unser Oster-Fest“ bei badischen Schutzjuden in der Kommunikation mit den Christen üblich war, müsste noch weiter geklärt werden. 102 GLAK 220/562, Daniel Cassel an Markgraf Ludwig Georg, Präsentationszeichen vom 29.3.1741. 103 GLAK 61/41 GR 29.3.1741 Nr. 22. 104 GLAK 220/562, Raphael Jacob, Israel und Moysis Marem an Markgraf Ludwig Georg, 10.4.1741. 105 GLAK 61/41 GR 29.4.1741 Nr. 22. 106 GLAK 61/42 GR 1.7.1741 Nr. 28.

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habe, nie dagegen eine „öffentliche“ Synagoge.107 Ganz entschieden trat er dafür ein, dass in Cassels Haus die „Schuhl“ wie schon 38 Jahre stattfinden könne.108 Als Hofrat Tschammerhell am 28. September 1741 sein Gutachten vortrug, billigte der Rat einstimmig seinen Vorschlag zugunsten Cassels. Dabei wurde betont, dass bisher keine Klagen der christlichen Bürger bekannt geworden seien.109 Doch wenige Tage danach teilten Markgraf und Geheimer Rat ihre Entscheidung mit: Weder die Supplik von Cassel noch die von Raphael Jacob sollten positiv beantwortet werden. Die einzelnen Schutzjuden könnten nur jeweils in ihren eigenen Häusern den Gottesdienst abhalten.110 Im folgenden Jahr supplizierten die Rastatter Juden erneut. Jetzt sprachen sie von zwei Häusern in der Vorstadt, die Juden gehörten und die sich für die Einrichtung einer Synagoge eigneten.111 Das Amt besichtigte die beiden Häuser. Oberamtmann Lassolaye erläuterte darauf, dass sie an einer Hauptstraße lägen, aber auch ein nach hinten, dem Garten zugewandtes Zimmer hätten. Das sei als Synagogenraum geeignet.112 Daniel Cassel seinerseits versuchte nochmals, die Erlaubnis für eine „particular Schul [eine eigene, private Synagoge]“ zu erhalten – der Geheime Rat verfügte ein „Ein für alle mahl ab“.113 Neuer Widerstand gegen einen Synagogenraum in der Vorstadt stellte sich heraus. Hofrat von Trarbach besichtigte den Platz, wo er errichtet werden sollte. Der Baumeister Rohrer verfertigte einen Riss mit der Lage der Häuser, der zusammen mit den Einwänden der Nachbarn Franz Sprater und Michael Spitz dem Markgrafen und dem Geheimen Rat vorgelegt wurde. Sie fürchteten, gaben die Nachbarn an, dass sie „Tag- und nacht vor sothanem Judengeschrey keine Ruhe haben würden, auch ihre Kinder so wohl davon, als ob der Jüdischen Kinder conversation ein übles exempel [Beispiel, Vorbild im negativen Sinne] nehmen undt diesen mehr, dann ihre religion Zuhören dörften.“ Die Stereotype des „Judengeschreys“ und des schlechten Einflusses vor allem der jüdischen Kinder auf die christlichen und deren religiöse Einstellung, im Grunde das Stereotyp der 107 Was in diesem Zusammenhang „öffentlich“ heißen sollte, lässt sich schwer bestimmen. Cassel trat für eine „Synagoge“, für einen Betraum in seinem Haus ein, und spielte mit „öffentlich“ wohl auf die Möglichkeit anderer Juden an, an Gottesdiensten oder Versammlungen teilzunehmen. Für die Beamten stand „öffentlich“ wohl im Gegensatz zu einem Betraum, der allen Juden als Gemeinschaft oder Gemeinde gehörte, 108 GLAK 61/43 GR 16.9.1741 Nr. 7. 109 GLAK 61/170 HR 3.10.1741 Nr. 14. 110 GLAK 61/170 HR 23.11.1741 Nr. 8. 111 GLAK 61/45 GR 30.5.1742 Nr. 33. 112 GLAK 61/45 GR 9.6.1742 Nr. 24. Es war nicht zu klären, ob Lassolaye seine Meinung über die Eignung dieses Hauses geändert hatte oder ob er nun über ein anderes Haus als in seiner vorherigen Stellungnahme sprach. 113 GLAK 61/45 GR 30.6.1742 Nr. 7.

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Schädlichkeit für das Christentum, griff Hofrat von Trarbach nicht weiter auf; sie seien „von keiner erhöblichkeit.“ Fünf Tage später entschied Markgraf Ludwig Georg zugunsten der öffentlichen Synagoge.114 Aber der Konflikt dauerte an. 1744 verzeichnete der Hofrat erneut eine Beschwerde: Wieder waren es die beiden möglichen Nachbarn, die wegen der „nächst ihren Häusern“ geplanten Synagoge vorstellig wurden.115 Über deren endgültigen Bau scheinen keine Dokumente vorzuliegen. Die Auseinandersetzung, die zum Verbot geführt hatte, den Betraum im Haus von Daniel Cassel für mehr Juden als dessen Familienangehörige zu nutzen, klärte der Hofrat nicht völlig auf. Er untersuchte wegen der gegenseitigen Beleidigungen und der Gewaltanwendung, die stattgefunden haben sollten; als Protagonisten galten Daniel Cassel selbst und Raphael Jacob. Das Ergebnis war, dass Cassel zur Zahlung von 58 Gulden und 39 Kreuzer, Raphael Jacob zu 16 Gulden und 40 Kreuzer verurteilt wurde.116 Worum war es gegangen? Für die Schutzjuden um ihr „freyes andachts Exercitium“, um die ungehinderte Ausübung ihrer Religion im Rahmen des Schutzrechts. Im Verlauf der Auseinandersetzung zogen sie, zumindest einige von ihnen, eine Konsequenz: Unter der Leitung von Raphael Jacob brachen sie mit der überlieferten Praxis des privaten Gebetsraums – eine öffentliche Synagoge für alle sollte geschaffen werden, über die nicht mehr einer von ihnen allein verfügte. Damit setzte in der Residenz eine Entwicklung ein, die sich später auch in Kippenheim und Bühl117 vollzog: Die „Schuhl“ mit ihren vielfältigen Funktionen wurde zu einer Institution der örtlichen Juden „vergemeinschaftet“. Statt im privaten Raum sollte nun die „Schuhl“ in einem Synagogenraum oder einem Synagogengebäude der Judenschaft stattfinden, für sie eine Repräsentation im öffentlichen Raum hergestellt werden. Für den Markgrafen und den Geheimen Rat, ebenso für den Hofrat hatte die Frage einer Synagoge eine besondere Bedeutung. Sie stellten sich gegen diejenigen Vertreter der Verwaltung und Regierung, die für die bisherige Praxis des Gottesdienstes eintraten, nämlich für Gottesdienst im Haus Daniel Cassels und mit Beteiligung von Juden, die nicht zu dessen Familie gehörten. Für ihre Haltung ist das Gutachten bemerkenswert, das Hofrat Tschamerhell im September 1741 abgab. Tschamerhell führte die Auffassung von – ungenannten – „Autoren“, sachverständiger Wissenschaftler an, nach der für einen jüdischen Gottesdienst mindestens 10 männliche Juden im Mindestalter von 13 Jahren anwesend sein mussten. Im konkreten Fall war das ein Hinweis darauf, dass im Hause Cassels unter Umständen die Zahl der männlichen Familienmitglieder nicht ausreichte. 114 GLAK 61/171 HR 9.8.1742 Nr. 20 und GLAK 61/171 HR 14.8.1742 Nr. 1. 115 GLAK 61/173 HR 24.3.1744 Nr. 12. 116 GLAK 220/562, Hofratsbeschluss, 20.5.1741. 117 Zu Kippenheim siehe S. 485f., zu Bühl S. 426 u. ö.

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Weiter führte er an, dass in der Markgrafschaft schon lange, nicht erst gegen Ende des vorhergehenden Jahrhunderts, und auch in den benachbarten Territorien der Gottesdienst von Juden unbehindert war. Sein letztes Argument, wohl das wichtigste: Mit der Schutzerteilung erhielten Juden die Genehmigung, „nach ihrem gesetz“ Gottesdienst zu halten, und dieses Recht dürfe nicht angetastet („denegirt“) werden. Der Hofrat schloss sich, wohl im Hinblick auf den rechtlichen Schutz der Juden auf der Ebene des Alten Reiches,118 einstimmig dieser Auffassung an und befürwortete eine Entscheidung zugunsten des Gottesdienstes wie bisher und eine milde Bestrafung, eine Begnadigung der „insolentien [Anmaßungen, Überheblichkeiten]“,119 die sich ereignet hatten. Mit der Ablehnung dieses Votums und dem Beharren des Markgrafen und des Geheimen Rates auf einem Verbot des „öffentlichen“ Gottesdienstes war die Konfrontationslinie klar, auch wenn der Hofrat dann schließlich nicht weiter auf sein eigenes Votum zurückkam. Es ging in der Frage der Synagoge um das Recht der markgräflichen Juden auf ihre überlieferte, auch in anderen Teilen des Alten Reiches praktizierte religiöse Freiheit. Auf der anderen Seite ging es um die Eingriffsmöglichkeit des Markgrafen – aber warum gerade in der Frage des Gottesdienstes im Haus von Daniel Cassel, wenn es hier um eine „insolentia“, um einen vagen Verstoß gegen das Recht ging, den ein Herrscher in seiner Milde vergeben konnte? Das Haus Daniel Cassels stand an der Straße, die von dem durch Markgraf Ludwig Wilhelm errichteten Schloss zur Murg führte. Sie verlängerte die Achse, die durch den Ahnensaal des Schlosses, durch Park und Ehrenplatz führte. Sie verlängerte eine geometrische Gerade, die als „Staatsachse“ den nördlichen Teil des markgräflichen Territoriums durchquerte, die Residenzen Ettlingen und Rastatt miteinander verband und als Ausdruck der umfassenden herrscherlichen Macht angesehen wird. Nicht zuletzt verlief diese Achse nach Südwesten auf das unter Ludwig XIV. errichtete Fort-Louis zu, verwies damit auf Frankreich und seine Rolle für die Markgrafschaft.120 In die Gegenrichtung, mit einer ideell-geographischen Weiterführung nach Nordosten, bezog sich diese Achse möglicherweise sogar auf Schlackenwerth, den Mittelpunkt des böhmischen Besitzes der Markgrafen, und verband dieses Gebiet mit den badischen Herrschaftsgebieten.121 Das Ende dieser „Staatsachse“ auf dem Gebiet der Residenzstadt war (wohl) 1728, im ersten Jahr 118 Zur reichsrechtlichen Absicherung der Judenschaft Battenberg, Die Juden in Deutschland, S. 14–16. 119 GLAK 61/170 HR 3.10.1741 Nr. 14. Zur „Insolentia Iudaeorum“, einer antijüdische Stereotype vor allem bei Abogard von Lyon, Hans Liebeschütz, Synagoge und Ecclesia. Religionsgeschichtliche Studien über die Auseinandersetzung der Kirche mit dem Judentum im Hochmittelalter. Aus dem Nachlass herausgegeben und einer „Bibliographie Hans Liebeschütz“ versehen von Alexander Patshovsky. Heidelberg 1983, S. 81ff. 120 Zur „Staatsachse“ Kurt Andermann, Die Staatsachse des Türkenlouis, in: Brüning und Rehm (Hg.), Ein badisches Intermezzo?, S. 25, hierzu ebd. 121 Zu diesem Aspekt der „Staatsachse“ Hank, Stadtgründer, S. 103f.

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der Regierung von Markgraf Ludwig Georg, in Überlegungen einbezogen worden, Rastatt repräsentativ auszugestalten, nämlich an der „Ankerbrücke“ mit einem Stadttor und einer architektonisch hervorgehoben Umbauung einen repräsentativen Paradeplatz zu schaffen.122 Wenn auch zu klären wäre, wie aktuell 1741 all diese Vorstellungen waren, sie hatten wohl ihren Platz innerhalb der herrschaftlichen Erinnerungskultur. Jetzt kollidierten sie offensichtlich im Konflikt um den jüdischen Gottesdienst im Hause Daniel Cassels, das an der „Staatsachse“ stand, mit den Vorstellungen über die den Schutzjuden gewährte religiöse Freiheit. Insofern scheint der Konflikt um die „öffentliche Synagoge“, die Repräsentation der jüdischen Religion in der Residenz, auf den 1744 ausbrechenden Konflikt über die Anwesenheit von Juden in der Markgrafschaft überhaupt vorauszudeuten.123 Eindeutig jedenfalls äußerten ihre Vorstellung Markgraf Ludwig Georg und der Geheime Rat im folgenden Jahr, im Oktober 1742: Die „Judenschul“, der „Juden Cultus“ dürfe weder im Haus von Daniel Cassel noch in dem von Raphael Jacob ihren Platz haben – auch das Haus von Raphael Jacob stand ja im inneren Bereich der der Residenzstadt.124 Nur „ein Haus ausser der Statt“, in einer der Vorstädte also, käme in Frage.125 Es ging also darum, dass die Repräsentation jüdischer Religion nicht den öffentlichen, repräsentativen Raum in der Residenz beeinträchtigte. Auf dieser Ebene galt somit noch immer, worum es um 1700 in Bühl und Ettlingen ging: um die Anwesenheit von Juden an einem zentralen Platz der christlichen Mehrheit. Allerdings: Der Konflikt war auf die Ebene der höfischen Repräsentation verschoben, und eine christlich-religiöse Dimension wie um 1700 fehlte völlig. Und es war 1741 und 1742 das Bewusstsein vorhanden, dass Juden im Rahmen des Schutzverhältnisses ein Recht auf die Anwesenheit im öffentlichen Raum der Residenz hatten. Diese Vorstellung existierte bei Juden, aber auch bei einem Teil der Regierung. 12.6.3  Auch in der Synagoge: Ehre Der Besitz eines Synagogenraumes und dessen angemessene Ausstattung hoben denjenigen, dem Raum und Inventar gehörten, von den übrigen Juden ab. Als Statussymbol lassen sich auch die „Ständer“, die Pulte in einem Synagogenraum erkennen, die mit ihrer Nähe zum Thora-Schrein Ansehen vermittelten.126 Als 122 Konrad Krimm, Ein nicht gebautes Stadttor in Rastatt, in: Rainer Brüning und Clemens Rehm (Hg.), Ein badisches Intermezzo?, S. 26f., hierzu ebd. 123 Zur Auseinandersetzung über das Ende der Schutzaufnahmen siehe S. 91ff. 124 Zum Haus von Raphael Jacob in Rastatt siehe S. 331f. 125 GLAK 61/171 HR 10.10.1741 Nr. 16. 126 Zur Bedeutung der Pulte in der Synagoge Preuß, ... aber die Krone des guten Namens, S. 113.

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Schmaul in Bühl 1723 seinen Teil eines Hauses mit dem Synagogenraum an Isaac Bodenheimer verkaufte, behielt er sich das Recht auf sechs Pulte vor, für sich und seine Frau, für seine zwei Söhne und deren Frauen, solange das Haus einem Juden gehörte.127 Zum Verhalten der Juden bei den Auseinandersetzungen in der Rastatter „Schuhl“ um 1741 liegt ein Brief von Abraham Landauer aus dem elsässischen Lauterburg vor, den dieser, wie aus dem Inhalt hervorgeht, an den späteren Oberschultheiß Raphael Jacob schrieb, offensichtlich auf seine Bitte. Darin erklärte sich der Schreiber als gegen beide Konfliktparteien unvoreingenommen und beteuerte, er könne seine Aussage auch beeiden. Er selbst sei, so fängt der Hauptteil seines Briefes an, am Wochenfest Schawu’oth, vielleicht im Mai 1740, mit Raphael Jacob in die Synagoge gegangen – „als ihr seydt schuhlen gegangen und ich.“ Den „Ständter“, den Pult Raphael Jacobs, hätten sie „nicht auf seinem behörigen Platz“ vorgefunden. Dann seien Daniel Cassel und seine Söhne gekommen, und auch ihre Pulte befanden sich nicht am gewohnten Platz. Was dann geschah, schilderte Landauer so: Es habe „des Daniels sein Sohn der Zacher [Zacharias] gesagt, wann ich wüßte, waß vor Ein Huren Sohn, als solches gethan hätt, so wollte Ihm den Hals brechen, so hat sein Bruder der Isac gesagt, wer wirdt das gethan haben, als der übelthäter, der Huren Schlepper, der Huren Sohn, der Vola, solches ist geschehen an unßerem größten Fest auf dießen Tag, wie Moyses die Zehen gebott auf dem Berg Sinai gehohlt, und ihr habt sie reden laßen und still geschwiegen, wie aber die schuhl ißt aus geweßen, so habe ich euch gefragt, wie ihr still schweigen könnt auf solche red, wann mir solches geschen wär, so hätte mich ohnmöglich aufhalthen [zurückhalten] können, so habt ihr mir Zur antworth geben, so bald ich nur umb das geringste hätte geantworthet, so hätten sie mich halber umb das Leben gebracht, ursach [denn], wann sie allezeith Händel anfangen, so sagt ihr Vatter Daniel, nemmet den Spitzbuben, und brecht ihm den Halß, auß der ursach hatten wir still geschwiegen.“128

Deutlich wird, dass sich Daniel Cassel und seine Söhne in ihrem Vorrang beeinträchtigt darstellten, nachdem sie die Pulte nicht in der „behörigen“ Ordnung vorfanden. Zacharias, der eine Sohn, gab das Stichwort – den „übelthäter“ hatte Isaac, sein Bruder, ohne Zögern parat: Nur Raphael Jacob konnte das sein, den er dann als „Huren Schlepper“, wohl als einen, der „Huren“ herbei- oder „abschleppt“, und als „Huren Sohn“ beleidigte. Für Abraham Landauer war es unverständlich, dass Raphael Jacob auf eine verbale oder gewaltsame Reaktion verzichtete. Dieser versuchte sein Verhalten zu erklären: Er habe um sein „halbes“ Leben gefürchtet beim Gedanken, dass die Söhne Daniel Cassels über ihn hergefallen wären. 127 StgI Bühl Urkunden Nr. 49, 5.11.1723. 128 GLAK 220/562, Abraham Landauer an Raphael Jacob, 24.3.1741.

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Noch ein Ereignis, das er in der Synagoge miterlebt hatte, führte Abraham Landauer an: Da habe Raphael Jacob „ohngefähr ausgespeyen“, also ohne jede Absicht ausgespuckt. Zacharias habe das auf sich bezogen, worauf Daniel Cassel und seine Söhne mit einem „Laster Los Maul [mit einem lästerlichen losen Maul]“ über Raphael Jacob hergezogen seien. Abraham Landauer schloss: Weder 100  Reichstaler noch irgendeine Strafe hätte ihn zum Verzicht darauf bringen können, eine solche „Schandt“ zu rächen.129 Abraham Landauers Einstellung unterschied sich vermutlich kaum von denen der baden-badischen Juden: Er betonte, dass man in der Art der Söhne Daniel Cassels „nit wohl vor Leuthen reden soll, will geschweigen [erst recht nicht] in der schuhl“;130 eine besondere Norm für das Verhalten in der Synagoge war ihm also deutlich bewusst. Der Betraum war für ihn aber kein Ort des religiösen Kults allein. Wer „schuhlen“ ging, musste auch Ehre und Geltung in der Judenschaft behaupten, begab sich also in einen Raum für die Aushandlung seiner Stellung in der jüdischen Öffentlichkeit. Daran hatte sich seit der Zeit Joseph Jacobs in Bühl nichts geändert.131 Selbstverständliches sprach Abraham Landauer nicht an. Dazu gehörte der Hintergrund für die Auseinandersetzung, die Bedeutung der Pult-Ordnung in der Synagoge. Die Gebetsständer, die käuflich und vererblich waren, brachten mit ihrer Nähe zum Thora-Schrein die Ehrenstellung der Besitzer zum Ausdruck132 – deshalb hatte sich Schmaul in Bühl seine Gebetspulte vorbehalten. Daniel Cassel vertrat 1740, als der Konflikt in der Synagoge ausbrach, als Schultheiß die Rastatter Schutzjuden. Er repräsentierte, wie aus der Untersuchung seiner wirtschaftlichen Aktivitäten hervorgeht, lange die in ökonomischer Hinsicht wichtigste jüdische Familie in der Residenz. Mit der Synagoge in seinem Haus und mit ihrer Ausstattung verband sich der Anspruch auf eine führende Stellung in der Rastatter Judenschaft. Unverkennbar ist, dass die Bedeutung Raphael Jacobs in den vierziger Jahren zunahm, und am Ende dieses Jahrzehnts wurde er Oberschultheiß.133 Die Auseinandersetzungen in der Synagoge und über sie waren für die Schutzjuden mit der Frage verbunden, welche ihrer Familien den Vorrang hatte und einen Führungsanspruch erheben konnte.

129 Ebd. 130 Ebd. 131 Zum Verhalten Joseph Jacobs und der Bühler Schutzjuden unter dem Gesichtspunkt der Ehre siehe S. 181ff. 132 Zur Bedeutung des Platzes der Synagogenständer im Kontext der Ehre Preuß, ... aber die Krone des guten Namens“, S. 112–115. 133 Zum Aufstieg Raphael Jacobs siehe S. 197ff.

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12.6.4  Kippenheim: ein Haus für die Judenschaft und Bauholz aus dem Gemeindewald? Örtliche Judenschaften auf dem Weg in den öffentlichen Raum Anna Catharina Baaderin, eine geborene „Prechtlerin“134 aus Kippenheim, lebte 1755 in Freiburg. Sie supplizierte wegen der Erlaubnis, ihr Haus in Kippenheim zu verkaufen, und zwar an die dortige Judenschaft. Kein Bürger, führte sie aus, wolle dieses Haus kaufen.135 Oberamtmann Dyhlin befürwortete anstelle eines einfachen Verkaufs eine Versteigerung, womit die Regierung einverstanden war.136 Zur Lage des Hauses liegen keine Angaben vor, auch nicht dazu, ob der Kauf gelang. Wurde die Judenschaft die Eigentümerin, dann könnte sie in diesem Haus die Synagoge eingerichtet haben, deren Existenz vor 1793 nur sehr vage dokumentiert ist.137 Vielleicht sollte es auch als Herberge für arme Juden dienen, wie sie für 1770 in Bühl nachweisbar ist.138 Das Wichtige an diesem Vorgang besteht darin, dass hier zum ersten Mal eine lokale Judenschaft mit einem eigenen Gebäude die Grundlage für eine gemeindliche Einrichtung schaffen wollte. Eine Synagoge als Betraum in einem Privathaus schien nicht mehr angemessen zu sein, reichte vielleicht auch nicht mehr für eine größere Anzahl von Nutzern. Das könnte ein Zeichen dafür sein, dass die Juden in Kippenheim das Selbstbewusstsein besaßen, gegenüber der christlichen Umwelt als beständig sichtbare Körperschaft aufzutreten. Dafür spricht, wie die dortige Judenschaft 15 Jahre später in einem anderen Anliegen aktiv wurde: 1770 supplizierte Joshua Uffenheimer im Namen der „Judenschaft“, „ihme dermahlen sowohl als in Hinkunft der Judenschaft das nöthige Bauholz“ aus dem Wald der politischen Gemeinde zur Verfügung zu stellen.139 Nicht auszuschließen ist, dass seine Bitte dem Ziel eines Synagogenbaus diente, eines Neubaus oder einer Renovation. Damit hätte die Judenschaft einen Anspruch auf Hilfe der Regierung erhoben, den bis dahin nur die christlichen Gemeinden für ihre Kirchenbauten geltend machten, sich selbst in dieser Hinsicht mit einer christlichen Kirchengemeinde gleichgestellt. Jedenfalls zielte sie auf eine Beteiligung am Nutzen des Gemeindewaldes, ein Recht, das bis dahin nur den Bürgern, damit christlichen Einwohnern zustand. 134 Namensvariante: Grechtlerin 135 GLAK 61/312 GRATP 5.3.1755 Communicanda Nr. 2. 136 GLAK 61/312 GR 2.4.1755 Communia Nr. 2. 137 Zu den Synagogen in Kippenheim im 18. Jahrhundert Dieter Weiss, Synagogen im früheren Amtsbezirk Ettenheim, in: Historischer Verein für Mittelbaden (Hg.), Schicksal und Geschichte der jüdischen Gemeinden Ettenheim, Altdorf, Kippenheim, Schmieheim, Rust, Orschweier. 1938–1988. Ein Gedenkbuch. Ettenheim 1988, S. 68–156, hierzu S. 111. 138 Zum Unterhalt der Bühler Armenherberge im Kontext religiösen Verhaltens siehe S. 490. 139 GLAK 61/108 GR 13.1.1770 Communicanda Nr. 122.

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Die Vorgänge in Rastatt, Kippenheim und in Bühl, wo eine Herberge für arme Juden ohne Schutz und Wohnsitz bestand, stehen in einer Linie: In der einen örtlichen Judenschaft gab es Streit über die Möglichkeit zu einer „öffentlichen Schul“ als einer Sache der ganzen Judenschaft, nicht einer Familie;140 die andere wollte wohl eine Einrichtung für die örtliche Judenschaft schaffen, welche die dritte mit einer Armenherberge besaß. In allen drei Fällen ging es um die Praxis religiösen Verhaltens. Damit waren die lokalen Judenschaften dabei, für sich als religiös bestimmte Korporationen Institutionen, gerade in der Form von Gebäuden, zu errichten. Mit ihnen traten sie aus dem privaten Raum deutlicher hervor als bis dahin, und sie setzten diese Einrichtungen der öffentlichen Wahrnehmung selbstbewusst aus – mit dem gleichen Bewusstsein, mit dem sie ihre privaten Häuser statt in „Winkeln“ in der Öffentlichkeit der Hauptstraße zeigen wollten.141

12.7  Solidarität: „kein Vieh, sondern Menschen“ Nächstenliebe und Wohltätigkeit, die Hilfe für Menschen in Not, gehört zu den biblisch festgelegten Pflichten jüdischer Menschen und stellten einen Teil ihres religiös geforderten Verhaltens dar.142 Die Verpflichtung zur Nächstenliebe erfüllte die Judenschaft bei der Auslösung Hertz Netters aus der Todesstrafe143 – ein Verhalten, das viele jüdische Gemeinden und auch einzelne Juden zeigten.144 Dass die baden-badischen Schutzjuden gerade den wohnsitz- und schutzlosen Juden gegenüber Wohltätigkeit oder Solidarität erwiesen, wird wiederholt deutlich. Im September 1736 berichtete der Bühler Amtmann von Mohr dem Hofrat über „Betteljuden“. Es hätten „Erst vor ohngefehr 14 täg 40 dergleiche vorgebende bettel und schnurr Juden145 allda sich eingefunden, welche bey keinen Christen, sondern bey denen dahisigen Juden ihrem austheiler nach [ihrer Verteilung nach] sich aufhalten und übernachtet, und haltet dafür gleich es in beeden bisthummeren Bamberg und würzburg auch beschehn, ein 140 Zur „öffentlichen Schul“ siehe S. 476ff. 141 Zum Streit um die Häuser in den Hauptstraßen siehe S. 296ff. 142 Preuß, ... aber die Krone des guten Namens, S. 61f. und Anm. 222. 143 Zum Eingreifen der baden-badischen Judenschaft bei der Rettung Hertz Netters siehe S. 267. 144 Zur Auslösung von Gefangenen und den religiösen Hintergrund Desanka Schwara, Luftmenschen. Ein Leben in Armut, in: Heiko Haumann, Luftmenschen und rebellische Töchter. Zum Wandel ostjüdischer Lebenswelten im 19. Jahrhundert (Lebenswelten osteuropäischer Juden 7). Weimar 2003, S. 155. 145 Bettel- und Schnurrjuden: Hendiadyoin mit der Bedeutung „bettelnde, umherziehende Juden“.

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gescherfdtes poenal mandat [eine verschärfte Strafandrohung] von Regierungs wegen abgefasset und ad publicandum [zur Veröffentlichung] dahin zu schicken wäre, das keiner der daselbstigen 15 Schutzjuden, auch der Judenwirth selbsten, sich mehr unterstehen solle, bey verlust seines von g(nä)d(i)gster Herrschaft erlangten Schutzes einig außwartigen und nirgendts in schutz stehenden Juden, ohne bey amt beschehen(e) anzeig und erhaltene erlaubnus auf zu nehmen.“

Hofrat Ferdinand Alexander von Mohr empfahl die Regelung, wie sie ihm aus den Hochstiften Bamberg und Würzburg bekannt war, nämlich ein rigoroses Vorgehen gegen Betteljuden, und das Ratskollegium entschied sofort: Unter Androhung einer Strafe und des Schutzverlusts ließ sie den Juden in Bühl verbieten, weiterhin fremde Glaubensgenossen ohne Schutzverhältnis bei sich aufzunehmen.146 In jüdischen Gemeinden gab es das Verfahren, dass einer ihrer Vertreter „Pletten“ ausgab, Billette, mit denen die armen fremden Juden den einzelnen Haushalten zur vorübergehenden Versorgung zugewiesen wurden.147 Die Formulierung, die der Amtmann für die Vorgänge in Bühl verwendete, dass die Betteljuden „ihrem [der Bühler Juden] austheiler nach“ untergebracht wurden, geht wohl darauf hinaus, dass die Bühler Haushaltsvorstände bei der Sorge für arme Juden ihrem Steuerbeitrag, dem „austheiler“ nach, beteiligt waren. Der jüdische Wirt war wohl in diese Hilfe einbezogen; seine „Wirtschaft“ diente als Herberge für die armen Juden. Am Anfang seines Berichtes hatte der Amtmann Bezug genommen auf die „Außrottung und künftig hin nit mehr zu gestatten seyender passirung“ [endgültige Verhinderung des Durchzugs und dessen Verbots] von schutzlosen Juden, die sich vom Bettel ernährten.148 Sein Vorschlag zu einer strengen Kontrolle dieser aus seiner Sicht vielleicht angeblichen Betteljuden und ihrer Unterstützung durch die Schutzjuden zeigt, dass eine staatliche Regelung in diesem Bereich bis dahin nicht existierte oder nicht konsequent angewandt wurde. Die Haltung auf staatlicher Seite – von Mohr war ja auch Hofrat – verschärfte sich also deutlich. Wie in anderen Herrschaftsgebieten sollten Durchzug und Aufenthalt wohnsitzloser Juden verhindert werden, zumindest wenn für sie nicht die Erlaubnis zur Beherbergung vorlag. Das Hofratskollegium ließ noch etwas Raum zur Interpretation seiner Bestimmung: Die „Juden beherbergung“ wurde verboten¸ ob jede oder nur die ohne Genehmigung, blieb offen. In der Praxis jedoch akzeptierte die Regierung die Aufnahme von durchreisenden Juden. 1759 brachten Einwohner von Gernsbach mehrere Beschwerde146 GLAK 61/165 HR 11.9.1736 Nr. 11. 147 Breuer, Frühe Neuzeit und Beginn der Moderne, in: Breuer und Graetz (Hg.), Deutschjüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. 1, S. 234. Zu den „Pletten“ oder Billetten in Bühl siehe S. 303. 148 GLAK 61/165 HR 11.9.1736 Nr. 11.

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punkte gegen David Kaufmann vor, darunter auch, dass er „fremden Juden“ eine Unterkunft gebe. Die Regierung verteidigte ihn: Das könne ihm nicht vorgeworfen werden, „in ansehung er da zu in seinem gesez verbunden“ sei.149 Die religiöse Pflicht der Schutzjuden, anderen Juden in Not zu helfen, war der Regierung also bewusst und ihre Erfüllung von ihr akzeptiert; sie beschränkte allerdings in einem solchen Fall „die Beherbergung nur auf eine Nacht“.150 1770 hatte die Regierung, so ihre Darstellung, Informationen über einen Pestausbruch in Polen und über die dadurch ausgelöste Migration vor allem von Juden. Um die Ausbreitung der Seuche in der Markgrafschaft zu verhindern, verbot sie allen Betteljuden den Aufenthalt auf baden-badischem Territorium;151 auch hier wirkte die stereotype Vorstellung mit, dass Juden, vor allem solche in Armut und Not, Krankheiten verbreiten würden und so schädlich für die Christen seien. Der Gernsbacher Vogt Karl Wilhelm Lassolaye berichtete kurz nach dem Erlass dieser Verordnung, dass die Schutzjuden Joseph Moyses und Eisig152 in Muggensturm „zwey frembde Bettel Juden beherberget“ hätten.153 Er schlug eine Bestrafung vor, wies aber darauf hin, dass die beiden überhaupt keinen Besitz hätten – man könne sagen, merkte er an, „dass ein Betteljud bey dem andern übernacht gewesen.“154 Bei der Vernehmung verteidigten sich Joseph Moyses und Eisig: Die beiden fremden Juden seien mit Pässen von Rastatt und Bühl gekommen, also mit einer amtlichen Erlaubnis, und einer von ihnen stamme aus der Nähe von Schlackenwerth; die Muggensturmer Schutzjuden wiesen also darauf hin, dass sie eigentlich keine fremden Juden beherbergt hätten, da diese aus dem markgräflichen Besitz in Böhmen oder zumindest aus dessen Nähe kamen. Vor allem aber beriefen sie sich auf den Schultheiß von Muggensturm, der die Erlaubnis gegeben habe, die zwei Juden über Nacht aufzunehmen: Sie seien „kein Vieh, sondern Menschen“. Dieser allerdings bestritt jede Beteiligung – er sei zur fraglichen Zeit gar nicht zu Hause gewesen.155 Der gelehrte Diskurs über das „Menschenrecht“, der um 1750 in Deutschland einsetzte,156 wurde von Joseph Moyses und Eisig sicher nicht wahrgenommen. 149 GLAK 61/190 HR 30.10.1759. 150 Ebd. 151 GLAK 74/3705, Generaldekret, 10.10.1770. 152 Eisig oder Eisik: Namensvarianten zu Isaac. 153 GLAK 74/3705, Auszug aus dem Amtsprotokoll der Grafschaft Eberstein, 9.11.1770, Bl. 36r–37v, Zitat Bl. 36v. 154 GLAK 74/3705, Vogt Karl Wilhelm Lassolaye an Markgraf August Georg, 11.11.1770. 155 GLAK 74/3705, Auszug aus dem Amtsprotokoll der Grafschaft Eberstein, 9.11.1770, Bl. 36v und Fortsetzung vom 10.11.1770, Bl. 37r. 156 Wolfgang Schmale, Archäologie der Grund- und Menschenrechte in der Frühen Neuzeit. Ein deutsch-französisches Paradigma (Ancien Régime. Aufklärung und Revolution 30). München 1997, S. 248–250 und S. 318–320.

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In ihrem situativen Wissensbestand, in der konkreten Situation, in der sie sich verteidigen mussten,157 teilten sie jedoch die Vorstellung, dass auch Betteljuden (denen sie der Gernsbacher Vogt gleichsetzte) ein Recht hatten auf ein Minimum von „Nahrung“, auf den Erhalt der Lebensmöglichkeit – ein Gedanke, der zu den elementaren Vorstellungen der Frühen Neuzeit gehörte.158 Das Bild, das sie von sich und von Juden überhaupt entwarfen, sollte mit einem allgemeinen Menschenbild identisch sein, zu dem das Recht der Subsistenzsicherung gehörte; so beharrten sie auf einem „Grundrecht“, das im Zusammenhang mit menschenrechtlichen Vorstellungen gesehen werden kann.159 Die Regierung erfuhr auch davon, dass in Bühl „Polnische und Betteljuden“ in der jüdischen Herberge übernachtet hätten. Sie ordnete deshalb an, der Amtmann Franz Xaver Fabert solle „den Bühler Juden Anwald, und jene Juden, welche über diese sogenante Herberg eine Aufsicht haben“, vernehmen.160 Vier Tage darauf schaltete sich der Karlsruher Hoffaktor und baden-badische Kabinettsfaktor Salomon Meyer mit einer Supplik an Markgraf August Georg ein. Ähnlich wie die Muggensturmer Schutzjuden wies er darauf hin, dass die Betteljuden „Menschen, ja höchst unglückseelige Menschen“ seien, und dass Polen und besonders die polnischen Juden schon seit einigen Jahren ein schweres Schicksal zu tragen hätten, „Mord, Brand, Raub, Hunger und Kummer“ erlitten. Wegen wirksamer Maßnahmen an der Grenze Polens und wegen der großen Entfernung bestände keine Gefahr, dass eine Seuche in die Markgrafschaft eingeschleppt würde.161 Über die nicht-polnischen Betteljuden schrieb er, dass sie „nirgends keine bleibende Städte [keinen festen Aufenthaltsort] haben, sondern ihr Stücklein Brod durch das beständige Wandern bei ihren Glaubens-Genoßen suchen müßen, allermaßen [weil] dieselbe nach unseren Gesezen ihre Zuflucht ebenso wenig zu denen Christen nehmen können, als wenig sie solche bey denenselben finden würden.“

Es seien auch Menschen, die durch die allgemeine Verteuerung gezwungen wurden zu betteln. Aus all diesen Gründen bat er, die Verordnung gegen die Beherbergung von Betteljuden aufzuheben.162 157 Zum Begriff „situatives Wissen“ ebd., S. 335. 158 Ebd., S. 284f. 159 Zum Zusammenhang von „Grundrecht“ im Sinne Schmales und „Menschenrecht“ ebd., S. 95f. und S. 456. 160 GLAK 74/3705, Hofrat an das Amt Bühl, 6.9.1770, Bl. 32r. 161 GLAK 74/3705, Salomon Meyer an Markgraf August Georg, 10.11.1770, Bl. 46r–49r, Zitate Bl. 46v–47r. Zur verschlimmerten Situation von Juden in Polen in den Jahren vor 1770 Heiko Haumann, Geschichte der Ostjuden. München 1990 (51999), S. 61–65. 162 GLAK 74/3705, Salomon Meyer an Markgraf August Georg, 10.11.1770, Bl. 46r–49r, Zitat Bl. 48r.

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Auch die Schutzjuden in Bühl wurden aktiv. Zuerst supplizierten sie mit einem von Löw Elias und Abraham Isaac unterzeichneten Schreiben vom 21. November 1770. Sie baten, die durchreisenden Betteljuden für „eine Nacht, oder bey einfallendem Sabbath über denselben [mit Beginn der Dunkelheit und damit vom Beginn des Sabbats an und über diesen hinweg]“ beherbergen zu dürfen. Sie verwiesen darauf, dass die Judenschaft in Bühl ein Armenhaus habe und sagten zu, dass sie nur Juden mit gültigen Pässen (einer schriftlichen Erlaubnis zur Durchreise) und keine aus Polen aufnehmen würden.163 In einer Anlage bestätigte der Bühler Amtsschreiber, dass die Judenschaft „ein besonderes Judenhaus“ für 18 Gulden jährlich gemietet habe.164 Als der Bühler Amtmann ein Protokoll über das Verhör des Anwalds Joseph Elias einschickte, gab er einen weiteren Hinweis darauf, wie die Bühler Judenschaft für fremde Arme sorgten: Sie hätte ein Billettensystem, bei dem sie entsprechend ihrem Vermögen zur Verpflegung armer Fremder verpflichtet seien.165 Als die Bühler Schutzjuden am 13. Dezember 1770 noch keine Antwort erhalten hatten, bat Abraham Isaac nochmals im Auftrag der jüdischen Gemeinde um die Erlaubnis, fremde Juden beherbergen zu dürfen.166 Davor hatte schon der Bühler Amtmann der Regierung mitgeteilt, was er über die Beherbergung von Betteljuden herausgefunden hatte. Nach der Aussage des Anwalds Joseph Elias und anderer Juden seien zwar polnische Bettler angekommen, wurden aber weitergeschickt; vielleicht, so der Anwald, fanden sie dann wie früher schon andere in den benachbarten Orten eine Herberge – in Bühl jedenfalls sei das nicht geschehen.167 Einen Blick auf die vorhandene Institution zur Wohltätigkeit innerhalb der einheimischen Judenschaft ermöglicht eine Eingabe, die drei ihrer Beauftragen, in der nichtjüdischen Terminologie „Heyligen-Pfleger“,168 1747 an den Hofrat schrieben. Daniel Cassel und Raphael Jacob aus Rastatt legten zusammen mit Elias Samuel aus Bühl der Regierung dar, dass sie durch ihren Rabbiner und durch den Judenoberschultheiß in ihr Amt eingesetzt wurden, obwohl sie selbst es gar nicht übernehmen wollten. Sie seien sich zwar bewusst, dass die „HeyligenPflegerey“ eine innerjüdische Angelegenheit sei, bräuchten jetzt aber dennoch die 163 GLAK 74/3705, Löw Elias und Abraham Isaac im Namen der Judenschaft in Bühl, 21.11.1770, Bl. 56r–60r, Zitat Bl. 59r. 164 GLAK 74/3705, Amtsschreiber Dürfeld an Markgraf August Georg, 20.11.1770, Bl. 57r. 165 GLAK 74/3705, Amtmann Franz Xaver Fabert an Markgraf August Georg, 5.12.1770, Bl. 61r–v. 166 GLAK 74/3705, Abraham Isaac „vor und Namens der Juden gemein zu Bühl“ an Markgraf August Georg, 13.12.1770, Bl. 54r–v. 167 GLAK 74/3705, Amtmann Franz Xaver Fabert an Markgraf August Georg, 5.12.1770, Bl. 61r–v. 168 Heiligenpfleger: wie Kirchen- und Heiligenverrechner Verwalter der finanziellen Mittel einer kirchlichen Institution; im jüdischen Bereich Rechner oder Verwalter in der Chewra Kaddischa.

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Hilfe der Regierung: Einige Schutzjuden verweigerten nämlich die Zahlung ihres Beitrags. Deshalb würden sie, die „Heyligen-Pfleger“, um die Erlaubnis bitten, nach den „jüdischen Ceremonien“ die ausstehenden Beträge zu erheben. Würden sich die Betroffenen bei der Regierung beschweren, sollten sie an den Rabbiner und den Judenoberschultheißen verwiesen werden.169 Es ging hier um Beträge zwischen 25 ½ und 50 ½ Kreuzer.170 Die Anwälde nannten ihre Einrichtung für die Armen 1757 „Juden armen casten“; dass sie diese, wie üblich, als Chewra Kaddischa, als „Heilige Bruderschaft“ bezeichneten, ist nicht überliefert. Die drei „Heiligenpfleger“ äußerten ihr Selbstverständnis auf mehrfache Weise. Sie unterstrichen, vielleicht ein Bescheidenheitstopos, dass sie nicht aus eigenem Antrieb ihre Aufgaben übernommen hätten, bestätigten damit ihre Bereitschaft, wohl trotz der befürchteten Belastung, ihr Amt auszuüben. Zugleich wiesen sie darauf hin, dass sie Amtsträger innerhalb jüdischer Strukturen seien: Es gebe den Rabbiner und den Judenoberschultheiß, dem sie unterstellt seien. Die Eigenständigkeit ihres Lebensbereichs hoben sie nochmals hervor: Die Wohltätigkeit sei eine Sache der „jüdischen ceremonien [der religiös-rechtlich festgelegten Verhaltensweisen]“, ebenso das Verfahren, mit dem sie selbst gegen die säumigen Schutzjuden vorgehen wollten. Andererseits wiesen die „Heyligen-Pfleger“ auf einen Mangel hin. Mit ihrem Appell an die staatliche Hilfe machten sie die Begrenztheit der jüdischen Organisation und ihrer Einrichtungen sichtbar: Versagten ihre „ceremonien“, brauchten die jüdischen Amtsträger die Hilfe des staatlichen Rechts. Das sollte jedoch nur in engen Grenzen eingreifen: Wenn sich einzelne Schutzjuden im Konflikt mit der Judenschaft an die staatlichen Institutionen wandten, sollten sie an die jüdischen Amtsträger zurückverwiesen werden. Es lassen sich somit mehrere Aspekte der sozial-religiösen Fürsorge feststellen: auf örtlicher Ebene die Verpflegung fremder Armer und ein Armenhaus, auf der Ebene der Landjudenschaft einen „Juden armen casten“ zur Finanzierung wohltätiger Zwecke. Das schließt nicht aus, wie das Beispiel von Joseph Moyses und Eisig in Muggensturm zeigt, dass auch einzelne Schutzjuden für fremde Bettler sorgten. Für die überörtliche Vernetzung der innerjüdischen Solidarität sogar über die Landesgrenze hinaus sprechen die Aussagen Bühler Schutzjuden, als sie das Amt wegen der Beherbergung vernahm. Sie wiesen darauf hin, dass die fremden Juden von den benachbarten Hanau-Lichtenberger Judenschaften nach Bühl weitergeschickt wurden, nachdem sie vermutlich zunächst dort Hilfe erhalten hatten. Die Hanau-Lichtenberger Juden wussten also, dass fremde Juden auch in Bühl Hilfe fanden. Das Gleiche gilt für die Juden in den Ämtern Stollhofen und Staufenberg: Sie informierte der Bühler Anwald ebenfalls, weil er annahm, dass wie bisher die dortigen Juden fremde Glaubensgenossen nach Bühl schickten. Diese Vernet169 GLAK 220/561, Daniel Cassel, Rafael Jacob und Elias Schmaule an den Hofrat, 14.2.1747. 170 Ebd., 220/561, loses Blatt mit der Unterschrift von Daniel Cassel.

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zung bezweckte vor allem, den vagierenden Juden das „Passieren“, die Durchreise durch das Land zu erleichtern. So wurde ihre Existenz gesichert, gerade wenn die Regierung ihnen nur einen kurzen Aufenthalt an einem Ort erlaubte. Hilfe für arme fremde Juden gehörte also zur vertrauten Praxis, die baden-badische Juden untereinander und mit den Hanau-Lichtenberger Juden verband. Zugleich lässt sich am Eingreifen von Salomon Meyer in Karlsruhe erkennen, dass die lokale Judenschaft mit dem Hof- und Kabinettsfaktor einen „Fürsprecher“171 einschaltete, der ihr Interesse an einer von Strafe unbedrohten Wohltätigkeit und die fremden Juden schützen sollte. Mit ihrer eigenen Intervention bei der Regierung zeigte die Bühler Judenschaft, dass sie ihre Möglichkeit der Solidarität zu erhalten versuchte, trotz der Belastungen, die sie damit übernahm.

12.8  Jüdisch-religiöses oder staatlich-weltliches Recht 12.8.1  Inventuren: Recht der Herrschaft – Recht der Juden 1747 klagte Samson Schweitzer als Judenoberschultheiß gegen Eingriffe des Amtes Ettlingen bei Erbteilungen. Der Hofrat bestätigte seine Rechte: Amtmann Hornus in Ettlingen erhielt die Anweisung, der Observanz zu folgen und so Schweitzer die Teilungen durchführen zu lassen, wie es bei Juden üblich sei.172 In der Praxis, das lässt dieser Vorgang erkennen, hatte sich die Regelung durchgesetzt, die bis 1713 bestanden hatte, als die Obsignation und wohl auch die Inventur zum ersten Mal umstritten gewesen waren.173 Sie wurde offensichtlich mit der Auslegung der Instruktion für den Judenoberschultheißen von 1730 rechtlich gestärkt: Nach der Darstellung der Anwälde aus dem Jahr 1757174 führten der Oberschultheiß, die Schultheißen, Rabbiner oder sie selbst die Inventuren und Erbteilungen durch; Beamte waren dabei nicht anwesend.175 1755 brach der Konflikt wieder aus. Der Gernsbacher Vogt Karl Wilhelm Lassolaye hatte schon zwei Jahre zuvor den Ablauf der Inventur kritisch kom171 Zur Bedeutung, die ein Hofjude als „Fürsprecher“ oder „schetadlan“ für die Judenschaft hatte, Breuer, Frühe Neuzeit und Beginn der Moderne, in: Breuer und Graetz (Hg.), Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. 1, S. 119f., und Ries, Hofjuden – Funktionsträger, in: Ries und Battenberg (Hg.), Hofjuden, S. 14. 172 GLAK 61/176 HR 25.8.1747 Nr. 14. 173 Zur ersten Auseinandersetzung über die Obsignation siehe S. 467f. 174 Zur Beschwerde der Anwälde wegen der Inventuren siehe S. 492ff. 175 Die Instruktion für den Oberschultheißen Isaac Bodenheimer von 1730 sah bei den Teilungen die „Obsicht“ der Beamten vor – eine verschieden interpretierbare Bestimmung. Zum Text der Instruktion Zehnter, Juden in der Markgrafschaft Baden-Baden, in: ZGO 50 (1896), S. 440f, Zitat S. 440.

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mentiert: Bei Nathan von Muggensturm äußerte er, dass ihm dessen Vermögensverhältnisse unklar seien. Nathan hatte die Tochter von Herz Lazarus geheiratet; nach dessen Tod sei die Inventur durch die Judenschultheißen176 durchgeführt worden, und so erhalte „dieses gesindel [die Juden] die beste Gelegenheit wegen aussteurung ihrer Töchter auch im abzug gn(ä)d(ig)ste Herrschaft nach gefallen zu betrügen.“177 1755 berichtete der gleiche Beamte, dass er nach dem Tod von Abraham in Muggensturm die Inventur vornehmen wollte, sich dagegen der Judenschultheiß – die beiden Anwälde Cassel und Hertz gaben sich selbst als Beteiligte an178 – gewehrt habe, und er fragte an, wie er sich verhalten solle.179 Dabei vertrat er die Auffassung, die Inventur und die Erbteilung insgesamt solle der Aufsicht des Amtmanns unterstellt werden,180 obwohl sich der Judenschultheiß auf seine Instruktion berufe und die Erbteilung ohne Beisein eines Beamten vornehmen wolle.181 Vogt Lassolaye begründete seinen Antrag so: Die Vornahme einer Inventur und die Erbteilung müssten als „actus Jurisdictionis“, als Handlung aus dem Herrschaftsrecht, durch einen Vertreter der Regierung vorgenommen werden, nicht durch Schutzjuden; zudem sei, wenn Juden die Inventur vornähmen, mit „allerhandt unterschleif“ zu rechnen.182 Der Hofrat selbst vertrat die Auffassung, dass das Eingreifen Lassolayes „eigentlich gegründet [gerechtfertigt]“ sei, da nach der Instruktion für den Oberschultheiß die Inventur in dessen Zuständigkeit falle oder ersatzweise in die der Anwälde. Andererseits machte sich das Gremium dem Geheimen Rat gegenüber die Auffassung Lassolayes zu eigen – die Teilnahme eines Beamten nütze dem staatlichen Interesse, insbesondere dem finanziellen, und verhindere die „Jüdischen betrügereyen“.183 Der Geheime Rat bestätigte die Auffassung des Hofrats. Markgraf Ludwig Georg hob darauf die entsprechende Regelung in der „Judenordnung“ von 1746

176 Da es 1755 keinen Schultheißen (oder Oberschultheißen) gab, wurde die Bezeichnungen Schultheiß und Anwald durch die Beamten offenbar undifferenziert verwendet. 177 GLAK 220/1099, Vogt Karl Wilhelm Lassolaye an die Hofkammer, 16.5.1753. 178 GLAK 74/3758, Anwälde Cassel und Hertz an den Hofrat, 2.8.1755. 179 GLAK 74/3758, Vogt Karl Wilhelm Lassolaye an Markgraf Ludwig Georg, 1.7.1755, GLAK 61/313 GR 5.7.1755 Communicanda Nr. 3, Bl. 21v und GLAK 61/184 HR 15.12.1755 Nr. 12. Zur Auseinandersetzung wegen der Inventur nach dem Tod von Abraham in Muggensturm kurz Zehnter, Juden in der Markgrafschaft Baden-Baden, in: ZGO 50 (1896), S. 392. 180 Zehnter, Juden in der Markgrafschaft Baden-Baden, in: ZGO 50 (1896), S. 392. 181 GLAK 74/3758, Vogt Karl Wilhelm Lassolaye an Markgraf Ludwig Georg, 1.7.1755. 182 Ebd. 183 GLAK 74/3758, Hofrat an Markgraf Ludwig Georg, 15.7.1755 und GLAK 61/184 HR 15.7.1755 Nr. 13.

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auf.184 Die Anweisung des Hofrats an die Ämter bestimmte dann, dass künftig ein Beamter an der Inventur teilnehmen solle; so wurden auch die Anwälde informiert.185 Deren Beschwerde über das Verbot Lassolayes für sie, die Nachlassregelung in Muggensturm durchzuführen, protokollierte der Hofrat am gleichen Tag; er betrachtete sie durch die Entscheidung des Geheimen Rats und des Markgrafen als erledigt.186 Die Inventuren waren der erste Punkt in der Beschwerde der Judenschaft von 1757.187 Die Anwälde führten dabei aus, dass mit der zwei Jahre zuvor eingeführten Regelung „gantz ongewöhnlich fürgegangen, und denen Juden mehrere besondere, und unherkömliche Unkosten gemacht würden.“ Die Nachlassregelung sei „von jeher“ und „jederzeit von dem Judenschultheiß allein, oder von dem Rabiner, oder auch nach befinden, und geringigkeit der Verlassenschaft nur von dem der orthen [an entsprechenden Orten] wohnenden Judenanwald gefertiget, und auf hebraisch nach jüdischen Ceremonien abgefaßet, die Erbschaft sodann unter Erben vertheilet, und nachhero das Inventarium in das teutsche übersetzet – und dem H(och)f(ü)rstl(ichen) H(errn) Amtmann von dem Verfaßer des Invent(ariums)“

übergeben worden. Jetzt beanspruchten die Beamten die Durchführung der Inventur und die Vermögensverteilung. Dann kamen die Anwälde auf die Kosten zu sprechen. Bei Abraham in Muggensturm seien „der Amtmann, Amtschreiber, ein schreiber; Bürgermeister, schultheiß, gerichtsbott, und Juden Anwaldt“ tätig gewesen, ähnlich viele Personen bei anderen Nachlassregelungen. Dadurch seien die Kosten sehr hoch geworden. Ein weiterer Nachteil bestehe darin, dass „denen Ambtleuthen ohnerkannt, wie die Jüdische Erbschaften nach jüdischen gebräuchen, und rechten vertheilet werden müsten, und hätten Sie des Endts [dafür] ihre Anwäldt, und Rabiner, welche ihrer gebräuchen, und Rechten kundig wären, wovone letztere nur geringe besoldung hätten, also derley aus solchen Vorgebenheiten entstehende accidentien [Gebühren], als einen Theil zu ihrer Besoldung, und nöthigend unterhalts genössen, und diese Letztere müsten denen Amtmännern mit nöthiger Erläuterung an Hand gehen, und ohne selbige könnte ein Amtmann ein Jüdisches Inventarisa(ti)ons und Theilungs geschäft [Erbverzeichnisse und Teilungen] nicht vollenden.“

Zudem sei auch nicht zu befürchten, dass das Interesse der Herrschaft beeinträchtigt würde, da jedes Mal eine Abschrift der Inventur an das Amt übergeben werde. 184 GLAK 74/3758, Markgraf Ludwig Georg an den Hofrat, 6.8.1755, Zehnter, Juden in der Markgrafschaft Baden-Baden, in: ZGO 50 (1896), S. 392. 185 GLAK 61/184 HR 17.8.1755 Nr. 10. 186 GLAK 61/184 HR 17.8.1755 Nr. 33. 187 Zur Beschwerde der Judenschaft von 1757 siehe S. 500ff.

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Das Fazit der Anwälde: Sie baten um die Rückkehr zur alten Regelung, nach der die Juden „die Inventarisa(tion)es und Erbschafts-Theilungen unter sich nach Jüdischen Caeremonien in Beystand des Rabiners, oder Anwaldts, und ohne Zuzug des Amtmanns, Amtschreibers etc.“ durchführen würden.188 Hofrat Knoodt, der die Beschwerden der Juden untersuchen sollte, ging in seinem Gutachten nochmals auf die Begründung ein, die zu der von den Anwälden kritisierten Regelung geführt hatte. Sie habe der Absicht entsprochen, „allen jüdischen Betrügereien“ Einhalt zu gebieten und insbesondere den Abzug zu sichern. Aber dagegen führte er Folgendes aus: Betrügerische Erbteilungen könnten verhindert werden, wenn man einem Vorschlag der Judenanwälde folge. Von ihrem Inventurprotokoll in hebräischer Sprache müsse nämlich nur eine genaue deutsche Übersetzung angefertigt und dem zuständigen Amtmann übergeben werden. Zugleich müsse den Schutzjuden für den Fall eines Betruges angedroht werden, dass nicht nur der Täter, sondern auch die gesamte Judenschaft für den Schaden haftbar sei und sie ihr Recht auf die Inventur verlieren würde. Der Gutachter übernahm ebenso die Argumente der Anwälde in der Frage der Kosten, die bei der Teilnahme von Beamten oder Vertretern der örtlichen Selbstverwaltung entstehen würden. Diese seien auf die Information des Judenschultheißen oder des Rabbiners über die Rechtslage bei den Juden angewiesen, und die so entstehenden Kosten würden gerade das Erbe armer Juden aufbrauchen.189 Aus all diesen Gründen befürwortete Knoodt die Rückkehr zur Regelung aus der Zeit vor 1755: Ein Schaden entstehe für die christlichen Untertanen nicht, und die Vermögen der Juden blieben unbeeinträchtigt.190 Nachdem sich die übrigen Kommissionsmitglieder dem Vorschlag Knoodts angeschlossen hatten,191 übernahm ihn der Hofrat am 3. November 1757,192 und wie die anderen Entschlüsse über die Beschwerden der Judenschaft trat auch diese Regelung am 11. März 1758 in Kraft.193 Mit ihrer Beschwerde stärkten die Schutzjuden ihre Autonomie bei den Erbteilungen. Dadurch konnten sie auch ihre finanziellen Interessen sichern, Unkosten einsparen. Darüber hinaus betonten die Judenanwälde mit ihrer Berufung auf das „Jeher“ und „Jederzeit“ der alten Regelung die Observanz, ihr Gewohnheitsrecht, und hoben die Bedeutung ihres eigenen Rechts hervor: Die Nachlassregelung verlief „nach jüdischen Caeremonien“, „nach jüdischen Gebräuchen, und Rechten“, die den Beamten unbekannt und unverständlich waren. Wie vier

188 GLAK 74/3741, 3.5.1757, Beschwerdepunkt 1. 189 GLAK 74/3741, 3.11.1757, Beschwerdepunkt 1. 190 GLAK 74/3741, „Votum“, Präsentationsvermerk vom 3.11.1757. 191 Ebd. 192 GLAK 61/186 HR 3.11.1757 Nr. 22. 193 Zehnter, Juden in der Markgrafschaft Baden-Baden, in: ZGO 50 (1896), S. 394f.

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Jahrzehnte zuvor beharrten die Vertreter der Judenschaft auf ihrem eigenen, religiösen Recht.194 Für die Vertreter der Judenschaft stand ihre religiöse Eigenständigkeit auf dem Spiel. Warum sie das nicht hervorhoben, ist nicht einfach zu erklären. Möglicherweise spielten die Erfahrungen eine Rolle, die sie mit der Wahrnehmung ihrer Religion durch die Beamtenschaft gemacht hatten. Über sie äußerte sich Kammerrat Joseph Anton Dyhlin vielleicht nicht zufällig bei einem Konflikt über eine Nachlassregelung gegenüber der Regierung so: Die Schutzjuden folgten „ihrem albernen Gesatz“.195 Wohl nicht nur dieser Beamte reagierte in der Begegnung mit dem Anderen und Fremden im jüdischen Leben mit einem Gefühl der Überlegenheit. Das konnte den Schutzjuden den Verzicht darauf nahelegen, ihre eigene, religiös bestimmte Sicht der Nachlassregelung in ihre Argumentation aufzunehmen. Auch das Bewusstsein einer Minderheitssituation196 könnte zur Zurückhaltung in religiösen Fragen geführt haben; die markgräflichen Juden hatten gerade ein Jahrzehnt zuvor den „Schatten der Vertreibung“197 verstärkt wahrgenommen.198 Ihr Schweigen war die eine Seite ihres Verhaltens. Andererseits sprachen sie die Unkenntnis der Beamten im Bereich der „jüdischen Zeremonien“, des jüdischen Rechts an. Mit beidem bestätigten sie die Grenze zwischen sich und den Nichtjuden und ihr Selbstverständnis als eigene, unterschiedene Gruppe in der christlichen Mehrheitsgesellschaft.199 Warum ließ die Regierung eine stärkere Autonomie der Judenschaft zu? Möglicherweise wollte sie die Beschäftigung mit Nachlassstreitigkeiten vermeiden, vor allem wenn es wie bei Abraham von Muggensturm um ein geringes Erbe ging und der Kostenersatz nicht möglich war.200 Zudem vertrauten Hofrat Knoodt und die Regierung auf die Kontrollierbarkeit der jüdischen Nachlassregelung und verließen sich auf abschreckende Strafen.201 Dass die Regierung zugunsten der Schutzjuden Hofrat Knoodt folgte, kann nicht die Begrenztheit dieses Entgegenkommens verdecken. Für Vogt Karl Wilhelm Lassolaye in Gernsbach war die Nachlassregelung ein Vorgang, der eine Gelegenheit bot für die „jüdischen Betrügereien“. Hofrat Knoodt und die Regierung 194 Zur Auseinandersetzung über die „Obsignation“ nach 1713 siehe S. 467f. 195 GLAK 74/3759, Amtmann Anton Dyhlin an Markgraf August Georg, 29.1.1762. 196 Zum Minderheitsbewusstsein im Judentum Katz, Tradition und Krise, S. 24. 197 Ebd. S. 30. 198 Zur Auseinandersetzung über die „Eliminirung“ der Juden in der Markgrafschaft siehe S. 95ff. 199 Zur Konzeption einer den Begriff Identität vermeidenden Begrifflichkeit in der Auseinandersetzung zwischen dem Eigenen und Fremden Yfaat Weiss, Das Fremde in uns selbst, in: Marion Kaplan und Beate Meyer (Hg.), Jüdische Welten. Juden in Deutschland vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart (Hamburger Beiträge zur Geschichte der deutschen Juden 27). Göttingen 2005, S. 371f. 200 Gotzmann, Strukturen, S. 332. 201 GLAK 74/3741, „Votum“, Präsentationsvermerk vom 11.3.1758, §15.

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insgesamt folgten einer Vorstellung über die Juden, die ein breites Spektrum von „falschen“ oder „betrügerischen“ Verhaltensweisen unterstellte. Strafen wurden angedroht für den Fall, dass die an den Inventuren Beteiligten es wagten, sich „freventlicher Weise beigehen (zu) lassen“, „g(nä)d(i)gster Herrschaft zu Schaden etwas zu hinterschlagen, zu verschweigen, nicht getreulich anzumerken, oder das angemerkte nicht getreulich zu übersezen, dem Amtmann nicht deutlich zu erklären, solchen von dem vollkommenen und ganzen Zustand der Verlaßenschaft nicht wahrhaft zu unterrichten, od(er) sonstige Gefärde zu begehen [etwas, das zur Gefahr für das Interesse der Herrschaft führen könnte]“.202

Dieser Negativkatalog zeigt trotz des Entgegenkommens die stereotype Vorstellung einer umfassenden betrügerischen Verhaltensweise bei den Juden. In der Nachlassregelung hatte der frühneuzeitliche Staat sein Recht auf den religiösen Lebensbereich der Juden ausgeweitet. Mit Zugeständnissen beider Seiten war das Nebeneinander zweier verschiedener Vorstellungen ermöglicht worden. Das Grundproblem, die Vereinbarkeit des staatlichen Rechts mit dem jüdischen, war allerdings nicht geklärt. Wie leicht das Auskommen irritiert werden konnte, zeigte sich 1798. Nach dem Tod von Miriam, der Witwe des Bühler Schutzjuden Koppel Kaufmann, wollte das Amt die Inventur vornehmen. Samuel Joseph, der „Anwald mit noch mehreren hiesigen Juden“, widersetzte sich: Das Amt begehe einen „Eingriff in ihre Rechte.“ Darauf wurde beschlossen, die Obsignation gemeinsam durchzuführen. Als im Keller die Weinfässer inspiziert wurden, weigerte sich Samuel Joseph, sein Siegel anzubringen, da der Vertreter des Amtes das staatliche schon angebracht hatte. Der Anwald beanspruchte das Recht, als Erster sein, „der Juden Sigill“, auf die Fässer „aufzudrücken“. Das Amt berichtete über einen der anwesenden Juden: „Raphael Löw jedoch trückte sein Sigill bey“203, wodurch der Konflikt beendet war – durch den Bühler Schutzjuden, der später Raphael Weil hieß.204 Der Vorrang des Judenanwalds bei der Anlegung des Siegels hatte bis zu diesem Zeitpunkt das Auskommen der Judenschaft mit dem Staat bei der Nachlassregelung ermöglicht. Raphael Löw löste nun auf seine Weise den wieder ausgebrochenen Konflikt; zur innerjüdischen Auseinandersetzung darüber und über die Frage, wie es nun mit der Gültigkeit des jüdischen Rechts aussah, ist nichts überliefert.

202 Ebd. 203 GLAK 236/19713, Oberamt Yberg (Bühl), „Actum Bühl“, 10.10.1798. 204 Zu Raphael Weil und sein Verhalten in der Frage des „Pflastergelds“ siehe S. 340f. Zur Namensänderung im Zusammenhang mit der Einführung fester Nachnamen GLAK 313/1261, Tabelle, 12.6.1809.

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12.8.2  Anwälde und Schultheißen in der innerjüdischen Gerichtsbarkeit Nur wenige Vorgänge erlauben einen Blick auf die Rolle der Anwälde oder Schultheißen in der innerjüdischen Gerichtsbarkeit. Im November 1714 beantragten die damaligen Schultheißen Cassel, Moyses Schweitzer und Schmaul bei der Regierung die Bestrafung von Zeremonialverstößen,205 ohne dass sich ein Ergebnis der von der Regierung angeordneten Berichte feststellen ließe. Auch die Auseinandersetzung zwischen Cassel und Isaac Bodenheimer 1720 ging davon aus, dass der Anwald in Bühl zwei Schutzjuden – nach jüdischem Recht – bestrafte.206 Blümel, die Tochter des Abraham aus „Dürkem“ in der Pfalz, also aus Dürkheim, erhob 1715 vor dem Hofrat Klage gegen Isaac von Ettlingen, der ihr 100 Gulden schulde.207 Dagegen verlangte dieser eine Entscheidung „nach Ihren [eigenen] Jüdischen Gesezen“. Seine Begründung deutet darauf hin, dass eine innerjüdische Entscheidung vorausgegangen war. Er wehrte sich nämlich so gegen den Vorwurf, Blümel Geld schuldig zu sein: Die drei Schultheißen Flörsheim, Moyses Schweitzer und Salomon hätten ohne sein Wissen eine Obligation zugunsten Blümels ausgestellt.208 Im gleichen Jahr stritten Isaac Bodenheimer und Moyses Schweitzer über eine Abrechnung; der Hofrat ordnete an, dass nach dem Antrag des Letzteren ein Rabbiner zugezogen werden solle.209 Auch wenn hier wie in den anderen Konflikten kaum Einzelheiten erschließbar sind, wird dennoch deutlich, dass Schutzjuden aus heutiger Sicht zivilrechtliche Auseinandersetzungen in einem innerjüdischen Rechtsbereich austrugen. Die von den Schultheißen zugunsten Blümels getroffene Entscheidung missbilligte der Hofrat nicht prinzipiell; er forderte den Bericht der Schultheißen an, ohne ihre Kompetenz in einer Kreditsache zu bezweifeln. „Jüdische Streitigkeiten“ und „Zeremonial“ schlossen also aus der Sicht der Regierung auch wirtschaftlich-finanzielle Angelegenheiten ein, und das jüdische Recht stellte die Normen zur Verfügung, nach denen die Konflikte geregelt werden konnten. Die Regierung sah hier die Schutzjuden wie selbstverständlich als Teilnehmer eines autonomen Rechtsbereiches; sie selbst sahen sich mit der gleichen Selbstverständlichkeit zur Anwendung ihres Rechts legitimiert. Mit der Einsetzung als Oberschultheiß 1730 erhielt zuerst Isaac Bodenheimer, später auch sein Nachfolger Samson Schweitzer richterliche Funktionen. Die Instruktion für den Oberschultheißen bestimmte, dass zu seinen Aufgaben, da es im Land keinen Rabbiner gab, die „Erörterung aller in die jüdischen Gebräuch und Ceremonien einlaufender Vorfallenheiten“ und entsprechende Strafen gehörten. 205 GLAK 61/142 HR 6.11.1714. 206 Zum Strafrecht der Anwälde oder Schultheißen siehe S. 416f. 207 GLAK 61/143 HR 17.1.1715. 208 GLAK 61/143 HR 29.1.1715. 209 GLAK 61/143 HR 26.2.1715.

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Das galt nicht für „Sachen von grosser Wichtigkeit“, über sie sollten gegebenenfalls mehrere ausländische Rabbiner und der Oberschultheiß zusammen beraten und entscheiden.210 Das Recht zur Bestrafung sprach der Judenoberschultheiß Samson Schweitzer 1748 an. Er teilte der Regierung mit, dass er in „bey sitz“ von Elias Schmaul in Bühl eine Geldstrafe über zwei andere dortige Schutzjuden, über Mayer Bodenheimer und Abraham Isaac, verhängt habe, und zwar mit Wissen des Bühler Amtmanns.211 Die Anwälde, die nach dem Tod von Raphael Jacob die Funktionen des Oberschultheißen erfüllten, supplizierten im Januar 1755: Sie befürchteten Schwierigkeiten bei der innerjüdischen Umlegung der Vermählungssteuer, wurden aber „auch sonsten wegen noch nicht beschehener g(nä)d(i)gster Wieder Ernennung eines Juden-Schultheißen“ vorstellig. Von der Rückkehr zu dieser Institution erhofften sich die Anwälde „die Verhüthung deren sich vielfältig äußernden Klagden, und Beschwehrnussen“. Sie stellten damit ihre Leitungsfunktion in Frage, und dies zugunsten einer Regelung, die eine Reduzierung der Konflikte zwischen den Schutzjuden herbeiführen sollte. Die Regierung scheint diese Perspektive geteilt zu haben. Der Geheime Rat stimmte der Supplik zu und machte dabei sein fiskalisches Interesse deutlich: Ohne jede weitere Erläuterung ordnete er den Einzug der Strafgelder an, welche die Anwälde verhängt hatten.212 Das hatte Folgen, mit denen diese wohl nicht gerechnet hatten. Noch im Januar 1755 wollte der Hofrat von den Anwälden wissen, welcher Beamte sich geweigert habe, die von ihnen verhängten Strafen einzuziehen.213 Im Februar 1755 erkundigte er sich bei den Ämtern Bühl und Rastatt, in denen der Einzug der Strafgelder zu Problemen geführt hatte: Ob denn nun geklärt sei, inwiefern die Anwälde überhaupt berechtigt waren, Geldbußen zu verhängen – „was es überhaubt vor eine Beschaffenheith darmit habe.“214 Als dann die verlangten Berichte vorlagen, entschied der Hofrat: Er verbot den Anwälden, weiterhin Strafen zu verhängen, außer wenn es um Zeremonialstrafen ging.215

210 GLAK 74/3725, „Instruktion“ für den Judenschultheiß Isaac Moyses Bodenheimber“, Bl. 7–10, abgedruckt bei Zehnter, Juden in der Markgrafschaft Baden-Baden, in: ZGO 50 (1896), S. 440f. Zitate S. 441. 211 GLAK 74/7139, Samson Schweitzer, „Unterthänigste Vorstellung“, 16.4.1748. 212 GLAK 61/81 GR 4.1.1755 Regierungsberichte Nr. 4 Bl. 8r–v und GLAK 61/184 HR 14.1.1755 Nr. 3. 213 GLAK 61/184 HR 21.1.1755 Nr. 9. 214 GLAK 61/184 HR 13.2.1755 Nr. 13. 215 GLAK 61/184 HR 5.4.1755 Nr. 17.

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12.8.3  Das Recht in der Beschwerde der Judenanwälde 1757 Der Anwald als „scheidts mann“ und Richter

Die Anwendung jüdischen Rechts war eines der Themen, welche die Anwälde in einer Beschwerde 1757 ansprachen. Sie gingen davon aus, dass „in civil-Sachen“ bei innerjüdischen Konflikten vor einem Rabbiner oder einem Anwald entschieden werden könne. Ausdrücklich betonten die Anwälde, dass sie nicht die Funktion eines Richters, und sie meinten damit wohl die eines staatlichen Gerichts, ausüben wollten, sondern nur die von einem „scheidts mann“. Dessen „gütliche oder rechtl(iche) Entscheidungen“, seine Entscheidungen über einen gütlichen Vergleich oder mit einer Art von Urteil, solle dann angenommen werden. Sie begründeten ihre Forderung damit, dass Anwälde und Rabbiner „der Jüdischen rechten und gebräuchen wißig, und könnten dahero nach Maasgab derselben am besten statuiren [bestimmen], was ein Jud wider den anderen nach ihren rechten zu forderen habe.“ Noch auf einen weiteren Vorteil wiesen die Anwälde hin: In den meisten Fällen seien „güthliche Vergleich(e)“ zu erwarten; das erspare die Kosten weiterer juristischer Auseinandersetzungen. Sollte aber kein Vergleich zustande kommen, sondern eine Entscheidung durch die Anwälde oder den Rabbiner erfolgen, dann bestehe noch immer die Appellationsmöglichkeit beim Hofrat wie in Karlsruhe-Durlach und anderen Nachbarstaaten. Nochmals betonten sie die Kostenersparnis, die auch dem Staat zugutekäme. Für die Anwälde gab es also „civil-Sachen“, die innerjüdisch geregelt werden sollten. Sie gingen dabei von ihrer Funktion und der des Rabbiners aus, die sie ausdrücklich als schiedsrichterliche Funktion von einer juristischen Funktion in einem engen Sinne unterschieden. Wenn ihr Schiedsgericht bzw. das des Rabbiners nicht anerkannt wurde, dann sollte die Überprüfung durch die staatlichen Gerichte folgen. Auf diesem Verfahrensweg, zwischen innerjüdischem Schiedsgericht und staatlichem Appellationsgericht, waren die Anwälde bereit, die innerjüdische autonome Qualität ihres von der Halacha bestimmten Rechts aufzugeben. Das jüdische Recht sprachen die Anwälde nochmals in ihrem nächsten Beschwerdepunkt an. Sie legten dar, dass bisher der Judenschultheiß oder ein Anwald einen Juden bei Verstößen gegen religiös-rechtliche Normen bestrafen konnte. Dazu zählten sie unangemessenes Verhalten in der „schuhl“, Verstöße gegen Religionsgebote und Nichtentrichten von Strafen. In solchen Fällen solle, so forderten die Anwälde, nach der Information durch den Rabbiner oder einen Anwald das Amt die Strafe ohne weitere Anhörung erheben, und nur dann sollte auf eine Appellationsmöglichkeit hingewiesen werden, wenn der Betroffene meine, das Urteil verstoße gegen „die jüdische Gebräuch [überlieferte jüdische Normen]“. Um ihre Forderung zu begründen, wiesen die Anwälde auf die innerjüdischen Verhältnisse hin. Es sei nämlich jetzt soweit gekommen, dass keiner mehr seine

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Strafe bezahle und jeder die verspotte, die ihn traditionsgemäß dazu verurteilen konnten – also auch sie, die Anwälde. Das schade aber finanziell dem Staat und der Judenschaft, die sich bisher die Strafe als Einnahme teilten, auf jüdischer Seite zugunsten des „Juden armen casten“.216 Deshalb verlangten die Anwälde eine Bestätigung ihres Rechtes zu strafen: Wenn ihnen nicht erlaubt würde, wie der Schultheiß, den es derzeit nicht gebe, eine Strafe bis zu 10 Reichstalern zu verhängen, dann müssten sie wenigstens mit bis zu 6 Gulden strafen dürfen. Die Anwälde unterschieden also den Bereich, in dem es ausgesprochene „Zeremonialstrafen“ gab, von „Zivilsachen“; in ihrer Begrifflichkeit folgten dabei die Anwälde wohl dem staatlich-weltlichen Wortgebrauch. Die „Zivilsachen“ bildeten den Bereich, in dem es nicht um die „Zeremonialsachen“, sondern um andere Konflikte ging, die nach jüdischem Recht unter Juden ausgetragen wurden. Dass es sich wirklich um die Anwendung jüdischen Rechts handelte, war für die Anwälde selbstverständlich: Nur sie und ein Rabbiner waren nach ihrer Auffassung dazu in der Lage, dieses Recht angemessen anzuwenden. Auch auf die wohl wichtigsten Streitgegenstände wiesen die Anwälde hin, auf die finanziellen Forderungen zwischen jüdischen Kontrahenten. Zumindest schuld- und handelsrechtliche Angelegenheiten, aus der Sicht der Regierung sicher profane Rechtsfragen, sollten also nach der Vorstellung der Anwälde von ihnen nach „Jüdischen rechten und gebräuchen“ geregelt werden. Dabei gaben sie, obwohl sie von einem besonderen Bereich des Zeremonialrechts ausgingen, die einheitliche Konzeption eines jüdischen Rechts in enger Verbindung zur Religion nicht auf, gingen aber zumindest argumentativ auf ihren staatlichen Ansprechpartner ein. Dadurch aber versuchten sie gleichzeitig in der Lebenspraxis der Schutzjuden die Autonomie des jüdischen Rechts zu erhalten. Anders gesagt: Die Anwälde nahmen die Trennung des Rechts in verschiedene Bereiche in ihre Argumentation auf, zugleich versuchten sie die Autonomie des gesamten jüdischen Rechts, das alle Lebensbereiche umfasste, so gut es ging zu erhalten.217 Die Vorstellungen des Hofrads Knoodt: Anwälde als Schiedsgericht ohne Begrenzung – die Meinung der Mehrheit

Hofrat Knoodt befürwortete in seinem Votum die Funktion der Anwälde als Schiedsgerichte in „civil Händeln“; solche sah er dann als gegeben, wenn es um Streitigkeiten in „geringeren, nur ihr Judenthum angehenden, und in die criminal iurisdiction [Rechtsprechung in Kriminalsachen] oder gemeine Policei-Sachen [normale Angelegenheiten der guten Ordnung] uneinschlägigen Verbrechen 216 Zum „Juden armen casten“ siehe S. 491 und S. 500. 217 Zur Halacha als jüdisches Recht nach einem das ganze Leben umfassenden Konzept in der Zeit vor der Emanzipation Andreas Gotzmann, Jüdisches Recht im kulturellen Prozess: die Wahrnehmung der Halacha in Deutschland im 19. Jahrhundert (Schriftenreihe wissenschaftlicher Abhandlungen des Leo Baeck Instituts 55). Tübingen 1997, S. 23ff.

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[nicht betreffende Verstöße]“. Es gehe dabei um Entscheidungen, wie sie etwa „von einer in Zunftsachen strafenden Zunft“ oder von einem „corrigierenden Pater familias [von einem auf Besserung zielenden Familienoberhaupt“] getroffen würden. Das Recht zu einer Bestrafung hätten die Anwälde bei Verstößen gegen Normen der „caeremonien, Gottesdienste, Gebräuche“, bei Verstößen, welche die Anwälde mit einer „kleinen Strafe“ bis zu 6 Gulden belegen konnten. Ein Appellationsrecht der Parteien sah er dann als sinnvoll an, wenn sie bei einem Anwald die „güte [den gütlichen Vergleich] od(er) richterliche Qualität [die Eigenschaft als Richter]“ nicht akzeptierten. Knoodt grenzte damit die Zuständigkeit der Anwälde ausdrücklich von der „criminal iurisdiction“ ab, von der richterlichen Tätigkeit bei kriminellen Vergehen, und von den gewöhnlichen „Policei-Sachen“, von den durch die Regierung zu erledigenden Angelegenheiten. Diese sollen zu einer guten Ordnung des Staates beitragen – im Gegensatz zu dem Bereich, in dem es allein um das „Judenthum“ gehe, um jüdische Religion und Kultur, und zwar in Dingen von keiner sehr großen Bedeutung. Mit Vergleichen versuchte Hofrat Knoodt zu verdeutlichen, was er meinte: Einen Richter-Anwald sah er wie eine Art selbstgewählten „Obmann“ an, mit der Vollmacht einer Zunft, die in ihren zünftigen Angelegenheiten Strafen verhänge, oder wie einen Familienvorstand, der eine Strafe ausspreche. Alle drei Vergleiche stimmen darin überein, dass eine Autorität vorhanden ist, die Entscheidungen im nichtstaatlichen Bereich über „Güte“-Verfahren, über Einigungen herbeiführt oder bei Verstoß gegen die geltenden Normen eine Strafgewalt hat. Für einen nichtstaatlichen, jüdischen Bereich von Religion und Kultur sah Knoodt die Anwälde bei Konflikten, bei „Spännen und Irrrungen“, als Vermittler-Richter und als Straf-Richter legitimiert. Deren Grundlage bestand für ihn in der legislativen Gewalt des Fürsten: Er habe mit der „Judenordnung“ dem Judenoberschultheißen seine Rolle und Funktion zugewiesen,218 und solange diese Grundlage existiere, dürfe der Hofrat daran nichts ändern. Dem Vorschlag Hofrat Knoodts, die innerjüdische Konfliktregelung zu akzeptieren, folgten die anderen Räte allerdings nicht. Zwar erkannten sie an, dass man bei einer wörtlichen Interpretation der Instruktion für den Judenoberschultheißen die „civil- oder ceremonial-Händel“ als Bereich ansehen könne, den die Schutzjuden selbst regelten. Aber sie erhoben zwei Einwände. Der „unumschranckten gewalt“ einer jüdischen Konfliktregelung stehe die Observanz entgegen, die sich nach dem Tod des letzten Judenoberschultheißen herausgebildet habe. Vor allem hänge die Entscheidung davon ab, ob man die Zuständigkeit der Anwälde als „einen schiedsrichterl(ichen) Gewalt, oder aber eine ordentliche jurisdiction nennen würde.“ Eine Jurisdiktion könne aber den Juden „ohne Anstößigkeit [ohne Unangemessenheit, ohne ungebührlich zu sein]“ nicht zugestanden werden. 218 Hofrat Knoodt sprach vom Judenoberschultheiß, bezog sich dabei jedoch auch auf die Anwälde, da 1757 kein Oberschultheiß existierte.

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Die Mehrheit der Hofräte schlug deshalb die Regelung so vor, wie sie dann im Geheimen Rat beschlossen wurde. Danach sollte in Fragen, die „jüdische Ceremonien und Gebräuche“ betrafen, der eventuell zu ernennende Schultheiß oder der zuständige Anwald ein Strafrecht bis höchstens 6 Gulden erhalten. Ein Appellationsrecht sollte es hier nicht geben. Im Bereich, dem die „civil Streitigkeiten“ zugeordnet wurden, bekamen Schultheiß bzw. Anwälde die Aufgabe, eine gütliche Einigung herbeizuführen. Gelang dies nicht, sollten sie bei einem Streitwert bis 50 Gulden einen „Schiedsspruch“ beschließen, gegen den allerdings die Appellation beim Amt möglich war. War bei einem höheren Streitwert eine „Güte nicht auszulangen“, eine gütliche Einigung nicht möglich, stand auf jeden Fall der Weg zum Amt als Appellationsinstanz offen. 12.8.4  Kein Diskurs über die Grundlage des Rechts Die Regierung schränkte damit die innerjüdische Konfliktregelung ein, einmal mit der Obergrenze des Strafmaßes auch in Zeremonialangelegenheiten, dann vor allem hinsichtlich der zivilrechtlichen Entscheidungen. Diese hob sie klar von dem Bereich des religiösen Rechtes ab: Ihr Bereich war der, in dem es um Streitwerte ging, um Konflikte im Handel, im Schuld- oder Vermögensrecht. Die innerjüdische Zuständigkeit in diesen Fragen lief auf die Möglichkeit hinaus, eine gütliche Einigung vorzuschlagen. Eine endgültige rechtliche Qualität sollte der „Schiedsspruch“ von Schultheiß oder Anwald nicht haben, rechtliche Entscheidungen – wie sie die Regierung verstand – wurden somit dem jüdischen Recht entzogen und dem staatlichen übertragen. Für die benachbarte Markgrafschaft Baden-Durlach lässt sich wie für andere Teile Deutschlands neben der Einschränkung der innerjüdischen Gerichtsbarkeit in der Mitte des Jahrhunderts auch eine gegenläufige und zeitweise Konsolidierung, wenn nicht sogar eine Ausweitung der Gerichtskompetenzen feststellen.219 Für die Markgrafschaft Baden-Baden unterblieb diese Konsolidierung, wie sie sich die Anwälde gewünscht hatten. Dies geschah wohl auch deshalb, weil es für die jüdische Gerichtsbarkeit keine zentrale Instanz in der Form eines Landrabbinats gab; dessen Stärkung hätte im Interesse der Regierung liegen können, vor allem im Hinblick auf die Vermeidung von rechtlichen Konflikten. Auch in die Vorstellungen über das Recht, das für Juden gelten sollte, waren wechselseitige Sichtweisen der Regierung und Schutzjuden eingetragen. Keine der beiden Seiten thematisierte die Grundlagen dieses Rechts; der Zusammenhang des jüdischen Rechts mit der Religion wurde nicht angesprochen. Dies war vielleicht nicht nur ein Problem der Kenntnisse über die andere Seite. Dass die 219 Andreas Gotzmann, Jüdisches Recht, S. 38ff.

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Regierung nicht auf die Religion als Hintergrund und Fundament des jüdischen Rechts einging, könnte auch mit der Einschätzung der jüdischen Religion zusammenhängen. Direkt wertende Äußerungen über die jüdische Religion vermied die Regierung in der Regel. Der Oberamtmann Joseph Anton Dyhlin ging aber, als er sich wie schon erwähnt gegen den Vorwurf von zu hohen Gebührenforderungen bei einer Erbsache von Juden verteidigte, auf das religiöse Verhalten ein: Die Juden, schrieb er, „getrauen sich aber nach ihrem albernen gesatz nicht gegen ihren Vorstehern zu beschwehren, oder wollen doch aus vielerley ursachen die Ersten nicht seyn.“220 Das „gesatz“, die jüdische Religion, ihre Normen und die Unterordnung unter sie und die Anwälde waren als „albern“, als unvernünftig, für den Oberamtmann keine ernsthafte Überlegung wert. Dyhlin war zugleich Mitglied der Hofkammer. Man kann davon ausgehen, dass er sich bei seiner Rechtfertigung mit der Abwertung des Judentums auf die Vorstellungen der Hofräte insgesamt einrichtete und voraussetzte, dass auch sie sein negatives Urteil über die Religion der Juden teilten.221 Gerade weil Oberamtmann und Hofkammerrat Dyhlin bei seiner Äußerung über das jüdische „Gesetz“ offen ließ, auf was er sich im Einzelnen bezog, ist sie wichtig. Sie dürfte durchaus die Konnotation der „Gebräuche“, der hierarchischen Verhältnisse, des Rechts und der Religion in der Judenschaft ermöglicht haben – womit die Distanz von Dyhlin und der Regierung zur Lebenswelt der Schutzjuden deutlich wird. Das Bewusstsein und das Gefühl der Überlegenheit verhinderte bei der Regierung, dass Vorstellungen über Recht und Religion der Juden eingehend thematisiert wurden, die gleiche Wirkung hatte auf der Seite der Schutzjuden wohl der Eindruck, dass die Regierung in ihrer Haltung nicht beeinflussbar war. 12.8.5  Elias Schmaule und seine Frau – sie wollten „ruhig belassen“ sein von den anderen Juden Für die baden-badischen Schutzjuden und die Regierung standen die Anwälde und Schultheißen im Mittelpunkt, wenn es um Fragen der jüdischen Gerichtsbarkeit ging. Einmal geriet auch Nathanael Weil, der Landrabbiner der badendurlachischen und baden-badischen Juden,222 in eine Auseinandersetzung, die sich seit Oktober 1766, spätestens seit Anfang 1767 als ein Konflikt zwischen Elias Schmaule, einem Muggensturmer Schutzjuden, und anderen baden-badischen Juden in den Regierungsprotokollen widerspiegelte. 220 GLAK 74/3759, Amtmann Anton Dyhlin an Markgraf August Georg, 29.1.1762 und Zehnter, Juden in der Markgrafschaft Baden-Baden, in: ZGO 50 (1896), S. 394. 221 Zur Geringschätzung der jüdischen Religion durch Dyhlin siehe S. 496. 222 Zu Nathanael Weil siehe S. 472f.

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Elias Schmaule wurde schon 1755 mit einem Vermögen von höchstens 150  Gulden als arm verzeichnet;223 seit 1766 bezahlte er kein Schutzgeld mehr.224 In diesem Jahr befasste sich der Hofrat mit der „Tollsinnigkeit“ von Elias Schmaule und seiner Frau und ordnete die Untersuchung des Ehepaars durch den „Landphysikus“ an, äußerte sich allerdings vorsichtig: Es solle geprüft werden, woher die Erkrankung komme, „wenn sie in einer Krankheit bestünde.“ Jedenfalls verlangte die Regierung einen Bericht, sobald „etwas Verdächtiges sich zeigen sollte, es mögte um die toll thuende Personen selbst oder andere betreffen.“ Die Regierung war also nicht sicher, dass Elias Schmaule und seine Frau wirklich krank waren, und sie sah die Möglichkeit, dass „andere“, nicht genauer angegebene Personen beim Verhalten des Ehepaares eine Rolle spielten und deshalb beobachtet werden sollten. Im Folgenden wurde die „Tollsinnigkeit“ allerdings gar nicht mehr erwähnt – ein Verhalten war aufgefallen, das vielleicht nur undeutlich oder nur vorübergehend vom normalerweise Erwarteten abwich. Am 30. Januar 1767 hielt der Hofrat einen Teil der Vorgänge fest, in die Elias Schmaule und seine Frau verwickelt waren. Sie supplizierten nämlich, der Hofrat solle Nathanael Weil dazu verurteilen, den über sie verhängten „großen Bann aufzuheben“. Die Supplik zielte noch auf andere Juden, ohne sie weiter anzugeben, von denen die Bittsteller „Trancksaale“, drangsaliert zu werden befürchteten; sie mussten also, nach ihrer Darstellung, großen Druck und äußerste Not befürchten. Die Supplikanten wollten „ruhig belassen“ sein, und sie verlangten, dass ihnen „das schächtfleisch [geschächtetes, nach den religiösen Vorschriften geschlachtetes Fleisch], auch alle andere nach Jüdischer Arth erforderliche Nahrung abgegeben, und Sie in die Juden schuhlen und Sinagog hinwider [wieder] zugelassen werden möchten“.225 Wenn auch nicht im Detail, so doch in den wichtigsten Elementen ist das Geschehene rekonstruierbar, und deutlich wird, wie Elias Schmaule und seine Frau die religiöse Dimension ihrer Not hervorhoben. Nathanael Weil hatte als Landrabbiner über Schmaule und seine Frau den Großen Bann verhängt, sie so mit dem Ausschluss aus dem gemeindlichen Leben bestraft;226 das Paar konnte 223 GLAK 74/7272, „Extractus Commisions Protocollj“, 17., 18. und 19. 12. 1755. 224 GLAK 61/308 HK 30.11.170 Nr. 3398. 225 GLAK 61/205 HR 12.10.1766 Extrajudicialiter Nr. 1923 und GLAK 61/206 HR 30.1.1767 Protocollum judicii aulis Nr. 14. 226 Zur richterlichen Aufgabe des Rabbiners allgemein Breuer, Frühe Neuzeit und Beginn der Moderne, in: Breuer und Graetz (Hg.), Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. 1, S. 164f. Die Bezeichnung „Großer Bann“ wird hier aus den archivalischen Unterlagen übernommen, ohne dass eine genauere Prüfung möglich zu sein scheint, welche Strafe verhängt wurde. Zur Frage des Banns und zu den Schwierigkeiten, die mit diesem Begriff verbundene Bedeutung zu klären, Andreas Gotzmann, Rabbiner und Bann, in: Aschkenas, Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden 4 (1994), S. 99–125, hierzu S. 114.

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die Speisevorschriften nicht mehr einhalten, weder in die Synagoge gehen noch an Gottesdiensten teilnehmen. Elias Schmaule und seine Frau wehrten sich gegen die Verurteilung durch den Landrabbiner, indem sie sich an den Hofrat als Appellationsinstanz wandten. 1768 supplizierte Elias Schmaule erneut, als er und seine Frau noch tiefer in Schwierigkeiten gerieten. Die Judenschaft habe ihm, so klagte er, sein Vermögen entzogen,227 und durch das Amt Gernsbach seien ihm gehörende „Gelder“, wohl Forderungen, beschlagnahmt oder eingezogen worden. Der Hofrat beschloss, die durch die Judenanwälde verhängte Strafe überprüfen zu lassen;228 nach dem Rabbiner hatten also die Anwälde nochmals eine Strafe über Elias Schmaule verhängt hatten, und er sah seine wirtschaftliche Existenz bedroht. Die Entscheidung des Hofrats verzögerte sich. Elias Schmaule supplizierte mehrmals, um ein Urteil zu erhalten. Darauf ließ der Hofrat ins Protokoll aufnehmen: Elias Schmaule befände sich in einem Konflikt mit der Muggensturmer Judenschaft, weil er gegen die Sabbat-Gebote verstoßen habe.229 Der Geheime Rat drohte dem Hofrat eine Geldstrafe an, falls er nicht endlich sein Urteil fälle.230 Im August 1769 bat Elias Schmaule nochmals um die Entscheidung: Jetzt hielt das Protokoll seine Gegner und die seiner Frau so fest: Es seien der Landrabbiner Weil bzw. dessen Erben – Weil war am 7. Mai 1769 gestorben231 – dann auch die beiden Judenanwälde Herz Jacob von Ettlingen und Joseph Elias232 von Bühl und die Mitglieder der „zur Cuppenheimer Begräbnus gehörigen Judenschaft“,233 die Juden, die als Gemeinschaft den jüdischen Friedhof in Kuppenheim benutzten.234 Bereits im April scheint eine Entscheidung gefallen zu sein, deren Inhalt allerdings nicht im Protokoll des Hofrats verzeichnet wurde.235 Im Juni 1769 ver227 Zur Konfiskation von Vermögen im jüdischen Recht, hier wohl das Verbot, das Vermögen zu gebrauchen, Marcus Cohn, Wörterbuch des jüdischen Rechts, Neudruck der im „Jüdischen Lexikon“ (1927–1930) erschienenen Beiträge von Marcus Cohn, in: http://www. juedisches-recht.de/lex_str_konfiskation.php (5.3.2009). 228 GLAK 61/210 HR 28.6.1768 Diversa Nr. 1154. 229 GLAK 61/211 HR 8.11.1768 Rescripta Serenissimi Nr. 1804. 230 GLAK 61/212 HR 14.2.1769 Rescripta Serenissimi ohne Nummerierung. 231 Robert Liberles, A Burial Place for Rabbi Nethanel Weil, in: Kaplan und Meyer (Hg.), Jüdische Welten, S. 42. 232 Joseph Elias wurde als Joseph Schmaule genannt. 233 GLAK 61/213 HR 1.8.1769 Protocollum judicii aulis Nr. 668. 234 Die Schutzjuden im Amt Staufenberg und im Oberamt Mahlberg benutzen den Friedhof in Kuppenheim nicht; sie waren nach dem Wortlauf dieses Protokolleintrags in diesen Konflikt mit Schmaule und seiner Frau nicht einbezogen. Mit der Formulierung der Zugehörigkeit zum Begräbnisort in Kuppenheim war möglicherweise die tradierte Vorstellung verbunden, dass die zugehörigen Schutzjuden in ein- und derselben rechtlichen Ordnung lebten. Zu dieser Vorstellung Preuß, , ...aber die Krone des guten Namens, S. 11f. 235 GLAK 61/212 HR Protocollum judicii aulis 7.4.1769 Nr. 338.

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langte Elias Schmaule eine Entschädigung und die Übernahme von Kosten, wohl von Gerichtskosten, durch die Judenschaft in Kuppenheim: Er supplizierte, damit der Hofrat die „zur Cuppenheimer Synagog gehörigen Juden zur Bezahlung deren Kösten“ verurteilte.236 Auch jetzt zog sich die Entscheidung hin: Im Mai und Juni 1771237 drängte Elias Schmaule noch immer auf das Urteil. Der lange Aufschub der Urteile, vom Geheimen Rat mit einer Sanktionsdrohung missbilligt, deutet auf Schwierigkeiten des Hofrats hin, in dieser innerjüdischen Auseinandersetzung zu entscheiden. 1770 verlangte Elias Schmaule, dass ein „Universitaets-Urthel“ in seinem Konflikt mit der Judenschaft veröffentlicht würde;238 es war also die Entscheidung mit einem Gutachten einer Universität eingeholt worden – offensichtlich zugunsten von Schmaule und seiner Frau. Für die Regierung war das Recht zum Eingreifen in diesen religiösen Konflikt unbestritten: Die bestraften Schutzjuden führten bei einer so wichtigen Frage des religiösen Rechts wie dem Bann den Konflikt aus dem innerjüdischen Rechtsbereich hin vor den Hofrat als der Appellationsinstanz. Diese überprüfte die Urteile der jüdischen Richter. Die Judenschaft versuchte das von ihr als richtig angesehene Verhalten am Sabbat, dem „Höhepunkt jüdischen Lebens“,239 durchzusetzen. Dabei scheiterte sie mit dem Versuch, ihr Recht und ihre Strafmittel anzuwenden. Elias Schmaule und seine Frau reagierten auf die Sanktionierung durch die Judenschaft vielleicht so, dass ihr Verhalten als „Tollsinnigkeit“ erscheinen konnte; ein Ausschluss aus dem rituellen Leben jedoch war für sie nicht akzeptabel. Insofern hielten beide Seiten ungebrochen an der religiösen Verpflichtung fest, auch wenn möglicherweise Elias Schmaule und seine Frau die Vorschriften für den Sabbat nicht eingehalten hatten und die Urteile des Rabbiners und der Judenanwälde nicht anerkannten. 12.8.6  Konsolidierung im religiösen Lebensbereich Gewiss gibt es zur Bestimmung und Analyse der Selbstwahrnehmung, die im Bereich der Religion den Schutzjuden eigen war, nicht viele Selbstzeugnisse. Aus ihrer Lebenspraxis jedoch lassen sich Hinweise auf wesentliche Vorgänge erschließen, die eine zunehmende Konstituierung und Konsolidierung ihres gemeind236 GLAK 61/213 HR 24.5.1769. 237 GLAK 61/216 HR 7.5.1771 Protocollum judicii aulis Nr. 247 und GLAK 61/216 HR 19.6.1771 Protocollum judicii aulis, ohne Nummerierung. 238 GLAK 61/108 GR 14.3.1770 Communicanda Nr. 830. 239 Heiko Haumann, Schlaglicht: Religionsgesetze, jüdischer Alltag und Antisemitismus, in: Acht Jahrhunderte Juden in Basel. 200 Jahr Israelitische Gemeinde Basel, hg. von Heiko Haumann. Basel 2005, S. 130–139, hierzu S. 133.

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lichen Zusammenlebens sichtbar machen. Das gemeindliche Leben, damit die Integration des einzelnen Juden in eine lokale Judenschaft und in die Landjudenschaft als überlokale Körperschaft, hatte sich im 17. Jahrhundert in den Ämtern des Vorstehers, der Schultheißen und der Rabbiner gezeigt. Für die Zeit nach 1700 sind Anwälde und Beisitzer erkennbar, Versammlungen der Landjudenschaft, die Tätigkeit des Oberjudenschultheißen und der Rabbiner. Deutlich ist auch der Zusammenhang als Landjudenschaft mit einem gemeinsamen Begräbnisort (spätesten seit 1689)240 erkennbar, mit einem Ort, der ihre Verbundenheit in ritueller Hinsicht und damit in ihrer Religion räumlich erfahrbar machte. Diese Erfahrung teilten die Juden im südlichen Teil des baden-badischen Territoriums nicht, und für sie stand auch manchmal die Zugehörigkeit zu einer gemeinsamen Judenschaft in Frage. Für die letzten drei Jahrzehnte vor 1771 werden die Selbstwahrnehmung und die Selbstkonzeption der Schutzjuden in ihrem gemeindlichen Leben auf neue Weise deutlich. Seit den 30er Jahren des 18. Jahrhunderts ist zumindest in Bühl ein Vorsänger nachweisbar; zugleich erkannten die mittelbadischen Juden den dort lebenden Isaac Israel als „Rabbiner“ als ihre Autorität im religiös-rechtlichen Bereich an. Für diesen Lebensbereich sorgten sie auch mit der Beschäftigung eines Lehrers „in qualitaet eines Rabbiners“ und in Rastatt mit der Anstellung eines Lehrers. Die Judenschaft als Ganzes und einzelne Juden beharrten auf der Pflicht zur Solidarität, hatten einen „armen casten“ und „Heiligenpfleger“, in einzelnen ihrer Lebensorte wurde der Wechsel von privaten Synagogenräumen zu öffentlichen gefordert und schon praktiziert. Die Judenschaft organisierte mit der Einschaltung des baden-durlachischen Landrabbiners, zuletzt mit dessen vertraglicher Bindung die dauernde Präsens einer religiös-rechtlichen Instanz, und mit seiner Hilfe ging sie gegen Einzelne vor, die ihrer Meinung nach von den religiösen Normen abwichen. Für Bühl ist das Billettensystem nachweisbar und die Einrichtung eines Armenhauses; hier ließ die örtliche Judenschaft 1757 ein Memorbuch anlegen, in das in seinem Anfangsteil Gebete aufgenommen wurden.241 Wenn dieses Memorbuch auch eine Zeitlang nicht weitergeführt wurde, scheint es doch ein Ansatz gewesen zu sein, mit dem das religiöse Leben verfestigt und „kollektive Erinnerung“242 in das örtliche Gemeindeleben integriert wurde. All diese Anzeichen im organisatorisch-institutionellen Bereich sprechen dafür, dass die Judenschaft sich als Körperschaft und als Gemeinde wahrnahm, die ihr reli240 Zum Friedhof in Kuppenheim Zehnter, Juden in der Markgrafschaft Baden-Baden, in: ZGO 50 (1896), S. 383. 241 Ein Inhaltsverzeichnis des Bühler Memorbuchs enthält die Bibliotheca Rosenthaliana, Hs. Ros. 65, Fuks’ Cataloque Nr. 518), Universität Amsterdam, Universitätsbibliothek. 242 Der Hinweis auf das Memorbuch als Medium „kollektiver Erinnerung“ in: Salomon Ludwig Steinheim-Institut, Das Memorbuch zu Bonn, in: http://sti1.uni-duisburg.de/ projekte/memorbuch/index.xml (10.7.2008).

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giös bestimmtes Zusammenleben intensivierte, gegenläufig zum Verarmungsprozess, von dem viele in den letzten Jahrzehnten der Markgrafschaft erfasst wurden. Die baden-badischen Juden nahmen also Teil an der „Konsolidierung jüdischen gemeindlichen Lebens auf dem Lande“, wie sie in Süddeutschland allgemein als Gegenbewegung gegen eine isolierte Existenzweise und gegen Mängel im religiösen Leben mit den Landjudenschaften verbunden war.243

243 Stefan Rohrbacher, Zur „inneren“ Situation der süd- und westdeutschen Juden in der Frühneuzeit, in: Richarz und Rürup (Hg.), Jüdisches Leben auf dem Lande, S. 37–58, Zitat S. 53.

13  Joseph und Löw Elias: drei Kapitalien 13.1  Ausweitung des Handels Joseph und Löw Elias waren Söhne von Elias Schmaul in Bühl und Enkel von Schmaul, der auch Samuel Elias genannt wurde,1 des Ladenbesitzers und zeitweiligen Schultheißen in Bühl.2 1748, bei der Schutzaufnahme von Joseph Elias, blieb seine Pflastersteuer in den Protokollen dieses Jahres unerwähnt,3 allerdings kam es 1774 zu einer irrtümlichen Nachforderung, und in den anschließenden Untersuchungen wurde sein „Pflastergeld“ bei seiner Heirat mit 240 Gulden angegeben.4 Er verfügte also, bei der Berechnung dieser Steuer mit 6 Prozent vom Vermögen, über 4000 Gulden. Als Joseph Elias 1750 eine Tochter von Löbel Levi aus Ingweiler (Ingwiller) im Elsass heiratete, dürfte deren Mitgift seinem Vermögen entsprochen haben.5 Im Heiratsvertrag war die Rede von seinem Bruder Löw; andere Kinder von Elias Schmaul wurden darin nicht erwähnt.6 Da Joseph Elias noch mit einem Anteil aus dem Erbe seines Vaters rechnen konnte, verfügte er über gute Voraussetzungen für seine wirtschaftliche Zukunft. Beides, die Position des Vaters als eines Schultheißen und die materiellen Voraussetzungen, zeigen die hervorgehobene Stellung seiner Herkunftsfamilie. Löw Elias erhielt 1754 den Schutz; dabei wurden ihm auf sein Vermögen von 1400 Gulden 84 Gulden als „Pflastergeld“ berechnet.7 Der Mittelpunkt des Handels von Joseph und Löw Elias dürfte in ihrem Ladengeschäft in Bühl bestanden haben; sie hatten es in den Jahren nach 1750 von ihrem Vater übernommen.8 Ihr Aktionsraum erstreckte sich allerdings über Bühl hinaus. An Hans Bechtel, einen Einwohner von Michelbach in der Landvogtei Ortenau, verlieh Löw Elias 1756 84 Gulden, die innerhalb eines Jahres zurück1 Die spätere Nennung mit dem Namen Elias Samuel z. B. in StgI Bühl, BH (alt), Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll 1741–1749, 25.4.1741, Bl. 26r–27r. 2 Zu Schmaul als Schultheiß siehe S. 411, S. 413 und S. 417. 3 Zur Schutzaufnahme von Joseph Elias siehe S. 106, Tabelle V, Nr. V.5. 4 GLAK 74/3723, Extrakt aus dem Hofratsprotokoll vom 21.1.1775, Bl. 70r–v. 5 Zur Heirat mit der Tochter Löbel Levis siehe S. 120. 6 GLAK 61/13698, Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, 28.10.1750, Bl. 99r–100v. 7 GLAK 61/291 HK 13.7.1754 Nr. 15. 8 Dass er mit seinem Sohn eine Regelung über das Ladengeschäft in seinem Haus treffen werde, wenn er den Handel aufgebe, sagte Elias Samuel oder Schmaule im Ehevertrag für seinen Sohn zu (GLAK 61/13698, Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, 28.10.1750, Bl. 99r–100v). Später führten Joseph und Löw Elias diesen Laden einige Jahre gemeinsam.

Ausweitung des Handels 

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zuzahlen waren.9 Die Schuld blieb jedoch offen, und 1762 bestritt Hans Bechtel seine Zahlungsverpflichtung gegenüber Joseph Elias, an den Löw Elias seine Forderung abgetreten hatte. Vor dem Oberamt der Landvogtei in Offenburg wurde verhandelt; es stellte sich heraus, zumindest nach der Aussage von Joseph Elias, dass Hans Bechtel an seinen Bruder auch kleine Mengen von Getreide verkauft hatte.10 Zur Sprache kam auch, dass Löw Elias oft auf dem Markt in Achern war,11 wohl beim Verkauf der Tuchwaren, die er und sein Bruder in ihrem Laden in Bühl anboten. Zusammen mit Abraham Isaac, dem Sohn von Isaac Israel, kaufte Joseph Elias 1755 in der Landvogtei Ortenau, ebenso in Groschweier (Großweier) und Unzhurst im Amt Bühl Getreide, das sie aus der Markgrafschaft ausführten. Dazu brauchten sie, wegen eines allgemeinen Verbots der Getreideausfuhr, eine besondere Erlaubnis, für die sie eine Gebühr bezahlen mussten; Hofkammer und Geheimer Rat drängten darauf, dass auf die Möglichkeit des „Unterschleifs“, der Unterschlagung der fälligen Gebühr oder des Zolls, geachtet wurde.12 Alle drei, die Brüder Elias und Abraham Isaac, handelten gemeinsam mit „Juwelen, Gold und Silber, auch sonstige(n) geschenckh“.13 Verkauf auf den Märkten der Umgebung, Geldverleih, Handel mit Getreide, mit Edelsteinen und Edelmetall – all das führte über Bühl und das Ladengeschäft hinaus. Joseph Elias und sein Bruder Löw supplizierten im August 1769 wegen einer Pauschale für ihre Handelsakzise;14 die Hofkammer lehnte sie allerdings ab und ließ die Begründung protokollieren: Der Markgraf und der Geheime Rat seien gegen diese Pauschale, „es wäre dann Sache, dass vordersamst christliche Kaufleuthe eine derley admodiaton nachsuchten, und Ser(enissi)mus ihnen solche zu ertheilen den g(nä)d(i)gsten Entschluß fasseten, wohingegen, wenn es denen Supplicanten mit der Waaren Spedition und dem handel en gros ein wahrer Ernst seye, Ser(enissi)mus denenselben hierunter allen Vorschub zu ertheilen geneigt seyen.“15

In der Frage der Akzisepauschale für Joseph und Löw Elias differenzierte die Regierung. Sie lehnte die Pauschale mit der Begründung ab, dass sie einem Juden nur gewährt werden könne, wenn zuvor christliche Kaufleute sie erhalten hätten. Diese Ungleichbehandlung milderte die Regierung ab: Sie würde den Großhandel mit Waren durchaus unterstützen – allerdings nur unter dem Vorbehalt, dieser Handel sei wirklich die Absicht der Brüder Elias. 9 10 11 12 13 14 15

GLAK 61/8620, Ortenau. Oberamtsprotokoll, 12.10.1756. GLAK 61/8620, Ortenau. Oberamtsprotokoll, 1.2.1762. Ebd. GLAK 61/184 HR 1.3.1755 Nr. 1. GLAK 61/308 HK 22.11.1770 Nr. 3300. GLAK 61/307 HK 29.8.1769 Nr. 2445. GLAK 61/307 HK 20.9.1769 Nr. 2697.

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Joseph und Löw Elias

Joseph und Löw Elias versuchten jedenfalls ihren Handel noch auszuweiten; offensichtlich hatten sie die Absicht angegeben, größere Mengen („en gros“) von Waren zu beziehen und an andere Händler weiterzuverkaufen. Sie verfügten zu dieser Zeit über Kapital, das sie nicht nur als Kredit ausgeben wollten, wie sie es 1767 gemacht hatten.16 Ihren Handel erweiterten sie mit dem Verkauf von Spezereiwaren, wie aus einem Bericht des Amtes Yberg17 von 1791 hervorgeht. Bei aller zeitlichen Distanz scheint noch ein Ton von Staunen nachzuklingen: Die beiden Bühler Schutzjuden hätten sich 1769 „eine beträchtliche quantität Spezerei Waaren angeschaft, deren Debit ihnen aber von dem damaligen Landespolizei Amt untersagt wurde, weil ihnen keine besondere Erlaubniß hinzu erteilt worden seye.“18 Das Verbot des Landespolizeiamtes in Rastatt und den Einspruch der christlichen Krämer gegen ihren Handel mit Spezereiwaren – diese Schwierigkeiten beseitigten Joseph und Elias Löw mit einer Beschwerde an die Regierung.19 Um 1770 scheinen Joseph und Löw Elias ihren gemeinsamen Handel aufgelöst zu haben; 1772 nämlich erlaubte die Regierung in Karlsruhe Löw Elias einen Haustausch oder den Kauf eines Hauses in Bühl unter dem ausdrücklichen Hinweis, dass dies „in Ansehung seines starken Handels“ geschehe;20 da Löw Elias die Genehmigung der Regierung brauchte, ging es wohl um ein Haus an der Hauptstraße.

13.2  „Herr“ seiner selbst und Teil der jüdischen Elite Welchen Anspruch Löw Elias in seiner Beziehung zur christlichen Gesellschaft erhob, wird in den Verhandlungen sichtbar, die 1762 vor dem Oberamt der Landgrafschaft Ortenau wegen des Konflikts mit Hans Bechtel von Michelbuch stattfanden. Dieser bestritt seine Schuld bei Löw Elias wiederholt. Er räumte ein, von Joseph Elias einmal 45 Gulden geliehen zu haben, jedoch nicht 84, wie Löw Elias behauptete. Seine Schulden habe allerdings dessen Bruder (wohl für erhaltene Waren) verrechnet, deshalb habe er, Bechtel, auch nichts mehr zu zahlen. Die Schuldverschreibung, auf die sich Löw Elias berief, kommentierte Hans Bechtel so: Er selbst könne weder lesen noch schreiben, und er habe angenommen, der 16 Zur Vergabe eines beträchtlichen Kredits der Brüder Elias siehe S. 146. 17 Amt Yberg: 1791 Bezeichnung für die beiden zusammengelegten Ämter Bühl und Steinbach. 18 GLAK 74/3681, Amtmann August Valentin von Harrandt an Markgraf Karl Friedrich, 9.9.1791. 19 GLAK 61/214 HR 31.10.1769, ohne Rubrik, ohne Nummerierung. Zur Auseinandersetzung über die Erlaubnis zum Handel mit Spezereien siehe S. 243ff. 20 GLAK 61/13700, Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, 18.1.1772 (loses Blatt).

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Betrag belaufe sich auf 45 Gulden; wie die Zahl 84 in die Handschrift gekommen sei, könne er nicht erklären. Auch meine er: „Beede Juden thäten braf zusammen halten umb ihne zu übervort(ei)len.“21 Bechtel berief sich auf einen Bürger in Achern, den er als Zeugen beibrachte. Dieser, ein Strumpfstricker namens Hans Georg Christ, sagte auch wirklich zu seinen Gunsten aus. Löw Elias konterte: Christ sei „nicht sein Herr, daß er ihm sagen müsse, wer ihme schuldig oder wie viel ihme jeder schuldig seye.“22 Hans Bechtel versuchte Joseph und Löw Elias mit dem Stereotyp eines die Christen übervorteilenden Juden zu diskreditieren und mit einem Zeugen seine Aussage zu bekräftigen. Löw Elias wehrte sich dagegen, dass dem christlichen Zeugen ein höherer Rang zugeordnet werden könnte als ihm: Eine Unterordnung im rechtlichen Status akzeptierte er nicht. Das Urteil des Amtes bestätigte seine Befürchtung. Die Klage der beiden Schutzjuden lehnte das Amt ab, einmal wegen der verspäteten Vorlage der Obligation, dann auch deshalb, weil Bechtel bereit war, seine Aussage zu beeiden. Die Erklärung von Löw Elias, dass auch er einen Eid schwören würde, spielte keine Rolle. Selbstverortung und Züge des Selbstbildes von Joseph Elias, die auf die jüdische Gesellschaft hin ausgerichtet waren, lassen sich am Heiratsverhalten in seiner Familie erkennen. Er war verheiratet mit Matel, der Tochter von Löbel Levi. Diese wurde durch ihren Vater mit der gleichen Summe Geld ausgestattet wie Joseph Elias durch seinen Vater, und so besaß das junge Paar bereits bei seiner Hochzeit ein Vermögen von 3000 Gulden.23 Löbel Levi könnte identisch sein mit jenem Löbel Levi im elsässischen Odratzheim (Bas-Rhin), der zwischen 1766 und 1772 insgesamt 3700 livres tournois verleihen konnte,24 ungefähr 1850 Gulden. Seinen achtzehnjährigen25 Sohn verheiratete Joseph Elias mit Eva oder Ella, einer Tochter des „Hessisch Hanauischen Hofagenten Herz Netter“ aus Buchsweiler (Bouxwiller) im Elsass.26 Im Heiratsvertrag versprach Joseph Elias Folgendes: Er gebe seinem Sohn 21 GLAK 61/8620, Ortenau. Oberamtsprotokoll, 29.1.1762. 22 Ebd. 23 Fraenckel, Mémoire juive en Alsace, S. 196. Siehe auch die Angabe zur Höhe das Vermögens bei der Schutzaufnahme oben S. 317. Die unterschiedlichen Angaben gehen wohl darauf zurück, dass der Zeitpunkt der Heirat früher lag als der Antritt des Schutzes, bei dem die Pflastersteuer errechnet wurde. 24 Daltroff, Le prêt d’argent des juifs de Basse-Alsace, S. 160 mit der Schreibung Lowel Levi. 25 Berechnung nach der Altersangabe in GLAK 313/1261, Tabelle, 12.6.1809. 26 GLAK 61/13700, Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, 3.9.1772, Bl. 664r mit der Angabe Eva, GLAK 313/1261, Tabelle, 12.6.1809 mit der Angabe Ella. Zum Hofagenten Hirtzel Netter und seiner Familie Haarscher, Les Juifs du comté de Hanau-Lichtenberg, S. 190 und S. 199–204.

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Joseph und Löw Elias

„Drey Hundert Louis d’or jede(r) nach dem Elsaser valor ad [nach dem Elsässer Wert zu] 12 fl(orin) ingleichen [ebenso] an Bücheren den werth von 400 fl(orin), verspricht zugleich den Jungen Eheleuten zwey Jahre lang die Kost ohnentgeltlich zu geben auch selben die freye wohnung auf 10 Jahre lang a Dato an [hier: vom Tag des Eheschließung an] entweder in dem von ihme dermahlen bewohnenden oder einer anderen zur wohnung bequemen zu verschaffen und repesc(tive) zu gestatten hat undt sich auch anheischig gemacht [verpflichtet] zu fortsezen seines Sohns würckl(ichen) angefangenen studierens des Jüdischen Gesezes demselben 4 Jahr lang ein tauglichen informatoren [Lehrer] sowohl in der Kost wohnung und belohnung zu er- und unterhalten, wie dann auch den Sohn mit ehrbaren hinlängl(ichen) Kleidungen zur versehen, ihme auch die Hochzeith schenkungen so theils von ihme, Vattern, theils von auswertiger dem Sohn zugekomm(en) zu belassen.“27

Der Bühler Anwald verheiratete seinen Sohn Samuel Joseph mit der Tochter eines Vorstehers und Hofagenten, der zu der führenden Gruppe der Juden in der Grafschaft Hanau-Lichtenberg gehörte, zu einer „Elite von Hofagenten und Hoflieferanten“ in diesem Gebiet, mit Heirats- Verwandtschafts- und Geschäftsbeziehungen, die über das eigene Territorium hinausgingen.28 In dieses Netz banden sich Joseph Elias und sein Sohn Samuel Joseph ein. Damit war Joseph Elias in seiner Selbstverortung und in der Perspektive der jüdischen Gesellschaft auf eine soziale Position gekommen, die ihn auf der örtlichen Ebene und darüber hinaus von den meisten anderen Juden abhob. Ihm war es auch möglich, seinen Sohn früh, mit achtzehn Jahren, zu verheiraten – der Vater stattete den Sohn mit einer hohen Mitgift aus, mit mehr als 300 Louisdor, also über 3600 Gulden, und finanzierte ihm und seiner Frau für die ungewöhnlich lange Dauer von zehn Jahren die Wohnung oder ein Haus und für die nächsten zwei Jahre den Unterhalt, zusätzlich die Ausstattung mit einer „ehrbaren hinlängl(ichen) Kleidung“. Es ging nicht nur um die materielle Sicherung des jungen Paares; mit der Kleidung wurde auch hervorgehoben, dass es um die Ehre des Sohnes ging, aber insgesamt auch um die Ehre des Vaters, der die materiellen Grundlagen der Ehre seines Sohnes begründen konnte, und um die Ehre seiner ganzen Familie.29 Dieses Selbstbild von Joseph Elias, im Rahmen des Heiratsvertrags seines Sohnes entworfen, wurde nicht allein im privaten Bereich der beteiligten Familien 27 GLAK 61/13700, Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, 3.9.1772, Bl. 664v–665r. 28 Zu den verwandtschaftlichen Strukturen und zu den Verbindungen der hanau-lichtenbergischen Hofjuden über ihr Territorium hinaus Claudia Ulbrich, Eheschließung und Netzwerkbildung, in: Duhamelle und Schlumbohm (Hg.), Eheschließung im Europa des 18. und 19. Jahrhunderts, Göttingen 2003, S. 315–340, hierzu v. a. S. 318–321. 29 Die Vertragsbestimmung über die Wohnung erinnert daran, dass Isaac in Ettlingen 1708 oder 1709 für seinen Sohn eine Wohnung beschaffte – dieses Verhalten war bei wohlhabenden Juden wohl verbreitet. Siehe dazu S. 330.

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vermittelt, sondern in Anwesenheit von Zeugen, eines Rabbiners, eines Schreibers und von Inhabern von Gemeindeämtern. Insofern wurde es in einer innerjüdischen Öffentlichkeit verbreitet,30 über den Eintrag in das amtliche Kontraktenprotokoll hinaus auch in der christlichen. Schon Schmaul oder Samuel, der Großvater von Joseph und Löw Elias, hatte als Schultheiß ein Amt in der Judenschaft inne und war zeitweise Mitbesitzer des Hauses, in dem sich der Synagogenraum befand.31 Elias Samuel, sein Sohn, trat in den vierziger Jahren wiederholt als einer der führenden Bühler Schutzjuden auf. 1746 bestrafte der damalige Judenoberschultheiß Samson Schweitzer, wie er zwei Jahre später angab, andere Bühler Juden; Schweitzer nannte Elias Schmaul oder Samuel als „beysitz“.32 Ihn gab der Hofrat 1749, auf der Grundlage von Amtsberichten, als einen von vier Schutzjuden an, die als Judenschultheißen in Frage kämen.33 1763 zog der damalige Anwald der Gemeinde, Löw Bodenheimer, nach Rastatt.34 Die Synagoge in Bühl, ein aus zwei Zimmern bestehender Gebetsraum, befand sich zu dieser Zeit noch immer in dem Gebäude am Ende der heutigen Schwanenstraße, das bis 1723 Schmaul und dem späteren Judenoberschultheißen Isaac Bodenheimer gehörte. Dessen Neffe verkaufte sie bei seinem Wegzug an die jüdische Gemeinde; „im Namen der gemeinen Judtenschaft“ unterzeichnete den Kaufvertrag Joseph Elias.35 Er wurde dann wohl bald Anwald der Gemeinde in Bühl, als der er später genannt wurde.36 Auch die Heiratsverbindung von Löw Elias weist auf die besondere soziale Stellung seiner Familie hin. Als sein Schwiegervater wurde 1776 Hayum Levi in Karlsruhe genannt, der sich in einer Schuldsache für Löw Elias einsetzte.37 Hayum Levi, schon vorher einer der führenden Schutzjuden in der Karlsruher Gemeinde, wurde 1784 als Schultheiß in das Amt gewählt, das der Hof- und Kabinettsfaktor

30 Zur Öffentlichkeit der Verlobungsbedingungen und zur Rolle der Eltern bei der Eheschließung Katz, Tradition und Krise, S. 138. 31 Zu Schmauls (Samuels) Ernennung zum „Unterschultheißen“ siehe S. 411, zur Beendigung seines Mitbesitzes am Synagogenraum in Bühl S. 417. 32 GLAK 74/7139, Samson Schweitzer, „Unterthänigste Vorstellung“, 16.4.1748. 33 GLAK 74/3731, Hofrat an Markgraf Ludwig Georg, 20.2.1749. Zu den Kandidaten für die Nachfolge Samson Schweitzers siehe S. 449f. 34 Zum Wechsel von Löw Bodenheimer nach Rastatt siehe S. 232. 35 GLAK 61/13699, Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, 11.7.1763, Bl. 362v. 36 GLAK 61/213 HR 1.8.1769 Protocollum judicii aulis Nr. 668 mit der Nennung von Joseph Elias als Joseph Schmaule. 37 GLAK 61/2126 HR 30.3.1776 Nr. 82.

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Joseph und Löw Elias

Salomon Meyer bis zu seinem Tode 1774 innegehabt hatte;38 Hayum Levi selbst gehörte ebenfalls zu dem Kreis der Karlsruher Hofjuden.39

13.3  Ein Habitus? Seine finanziellen Mittel setzte Joseph Elias nicht nur für die ökonomische Sicherung seines Sohnes, dessen Frau und die Ehre seiner Familie ein. Mit der frühen Verheiratung von Samuel Joseph im Alter von 18 Jahren – die Braut war etwas älter als er40 – betonte Joseph Elias die Übereinstimmung mit der Norm der Frühehe, unter dem Gesichtspunkt, dass so die tradierte Sittlichkeit im Sinne der Sexualmoral41 garantiert wurde. Damit hob zugleich Joseph Elias sich und seine Familie von den Juden ab, denen sich wegen ihrer schlechteren wirtschaftlichen Voraussetzungen erst spät die Chance zur Heirat bot. Der Vater ließ seinen Sohn auch das Studium der Religionsgesetze – vor allem der Thora – auf vier Jahre fortsetzen, mit Hilfe eines Hauslehrers, dessen Unterhalt der Vater übernahm. Damit stellte sich Joseph Elias nicht nur als wirtschaftlich vermögend dar, er unterstrich auch, die tradierte, religiös begründete Hochschätzung des Gelehrten zu teilen und seine religiöse Pflicht zu erfüllen, indem er die Ausbildung seines Sohnes, seine religiösen Studien, ermöglichte.42 Gewiss entwarf Joseph Elias mit dem Heiratsvertrag seines Sohnes ein Programm, dessen Verwirklichung noch ausstand. Es dürfte auch von den Traditionszusammenhängen bestimmt sein, in denen Heiratsvertrag, Vertragsschreiber und sein „Gegenschwäher“, der elsässische Schwiegervater seines Sohnes, standen. Zu diesen Traditionen bekannte sich der ländliche Handelsmann Joseph Elias, zusätzlich zu den Werten wie Vermögen und Ehre im innerjüdischen Bereich. Es 38 Bräunche, Vom Schutzjuden zum Bürger zweiter Klasse, in: Schmitt (Hg.), Juden in Karlsruhe, S. 60–65 u. ö. 39 Marie Salaba, Soziale Lage der Karlsruher Juden im 18. und 19. Jahrhundert, in: Heinz Schmitt unter Mitwirkung von Ernst Otto Bräunche und Manfred Koch (Hg.), Juden in Karlsruhe. Beiträge zu ihrer Geschichte bis zur nationalsozialistischen Machtergreifung. Karlsruhe 1988 (Veröffentlichungen des Karlsruher Stadtarchivs 8). Karlsruhe 1988, S. 273–295, hierzu S. 276. 40 Die Tabelle über die Annahme von festen Familiennamen (1809) gibt als Geburtsdatum für „Ella Hirz“ den 1.7.1653 an, für ihren Mann Samuel Joseph den 15.5.1754 (GLAK 313/1261, Tabelle, 12.6.1809). 41 Zum Thema Frühehe und Sexualmoral zusammenfassend Breuer, Frühe Neuzeit, in: Breuer und Graetz (Hg.), Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. 1, S. 175, und zu Ehe und Familie Katz, Tradition und Krise. S. 137–146. 42 Zur religiösen Pflicht des Vaters für die Bildung der Kinder Katz, Tradition und Krise, S. 187 und 190. Zur Auffassung von Joseph Elias über die „Stutia“ siehe S. 277.

Ein Habitus? 

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waren Werte, die Joseph Elias für sich und seine Familie beanspruchte – zugleich die, welche in seiner ländlichen Umwelt anerkannt waren. Was Joseph Elias für seinen Sohn und mit ihm initiierte, war aber nicht nur konventionelles oder auf Außenwirkung orientiertes Verhalten. Samuel Joseph, der 1809 den Namen Noether oder Netter annahm, war wie sein Vater Anwald in der jüdischen Gemeinde in Bühl. In seiner 1828 verzeichneten Hinterlassenschaft befanden sich der Pentateuch, vier andere hebräische und noch weitere Bücher im Gesamtwert von 120 Gulden. Ihm gehörte auch die Thora in der Bühler Synagoge und eine „kleine Thora im Haus“, beide zusammen 132 Gulden wert.43 Religiöse Bildung – wenn der Schluss vom Sachbesitz auf die Wertschätzung durch den Besitzer erlaubt ist – begleitete den Sohn von Joseph Elias bis zu seinem Tod 1828. Leben und Vorstellungswelt des Anwalds Joseph Elias und seines Bruders Löw waren gekennzeichnet durch die Ausweitung ihrer wirtschaftlichen Ressourcen. Gegen Einschränkungen ihrer wirtschaftlichen Möglichkeiten wehrten sich Joseph und Löw Elias in rechtlichen Verfahren, und sie konnten sich wenigstens teilweise gegen den Widerstand christlicher Konkurrenten durchsetzen. Sie realisierten Möglichkeiten, die sich zumindest der Elite in der ländlichen Judenschaft um 1770 eröffneten. Bei Löw Elias wurde der Anspruch auf Gleichstellung zumindest vor Gericht deutlich, auch wenn er ihn nicht durchsetzen konnte. In der jüdischen Gesellschaft baute Joseph Elias mit der Verbindung zum elsässischen Hofagenten Netter ein soziales Netz aus, das so wichtig war, dass der Name Netter 1809 zu dem der Familie in Bühl wurde. Zur Übernahme einer Leitungsfunktion innerhalb der Gemeinde war Joseph Elias bereit wie schon sein Vater und sein Großvater. So wurde soziales Kapital erhalten und vermehrt. Das Selbstbild von Joseph Elias, das er im Rahmen des Heiratsvertrags für seinen Sohn entwarf, war das eines Vaters, der mit seinen ökonomischen Mitteln die Grundlage für die Ehre seines Sohnes und der eigenen sicherte. Diese Seite in der Existenz von Joseph Elias ist kaum zu trennen von der dritten Dimension seiner Lebenswelt, seiner religiösen Einstellung und Verhaltensweise. Die Erfüllung religiöser Pflichten, vor allem auch die der religiösen Bildung, und der Erhalt tradierter Verhaltensweisen in Religion und Moral werden als Programm und Praxis sichtbar. In seinem Verhalten deutet sich die individuelle Seite der Konsolidierung an, die für den religiösen Lebensbereich in organisatorisch-institutioneller Hinsicht feststellbar ist.44

43 STAF B 13/1 Nr. 1030 4.2.1829 Bl. 8r. 44 Zur organisatorisch-institutionellen Seite der Konsolidierung jüdischen Lebens siehe S. 507ff.

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Joseph und Löw Elias

Den Brüdern Joseph und Elias Löw waren, in der Terminologie Bourdieus,45 verschiedene Kapitalien eigen. Sie verfügten über wirtschaftliche Ressourcen; ein familiäres Netz auf einer besonderen Ebene, und Ämter in der Gemeinde vermittelten soziales, die Bildung und religiöse Pflichterfüllung kulturelles Kapital. Kann man in der Familie Schmauls und seiner Nachfahren einen Habitus feststellen, eine Disposition, die sie erworben und bewahrten und die ihr Verhalten bestimmte? Im Verhalten vor allem von Joseph und Löw Elias, auch vorher schon bei Schmaul und Elias Samuel ist die Dynamik unverkennbar, mit der sie die positiven Möglichkeiten ihrer Lebenswelt wahrnahmen und verwirklichten. Sie orientierten sich dabei am Erhalt einer funktionierenden jüdischen Gesellschaft im ländlichen Bereich, in Teilbereichen ihrer rechtlichen Existenz an einer Gleichstellung mit der Mehrheitsgesellschaft. Insofern erweisen sie sich als Akteure, die zwar die Strukturen ihrer Außenwelt nicht grundsätzlich verändern konnten, aber zumindest ihre religiös-kulturelle Innenwelt bewahrten und stärkten, somit „Außen- und Innenwelt“ erfolgreich bewältigten.46 Die Ausweitung ihrer wirtschaftlichen Möglichkeiten, ihres familiären Netzes und die Sorge für die religiös geprägte Existenz der lokalen Judenschaft legen nahe, hier von einem Habitus in der Familie zu sprechen, der sich über Jahrzehnte hinweg ausbildete und bis ins 20. Jahrhundert fortdauerte: Nachdem die Familie den Namen Netter angenommen hatte, widmete sie sich nach 1800 vor allem dem Eisenhandel und später der industriellen Eisenverarbeitung. In Bühl ließ die Familie mehrere Repräsentationen ihres Selbstbewusstsein errichten: Um 1900 schuf sie mit einer Schenkung die Voraussetzung zur Anlage des heutigen Stadtgartens im Zentrum, sie ließ außerhalb der Stadt zur Ehre des badischen Großherzogs Friedrich einen von weitem wahrnehmbaren eisernen Aussichtsturm errichten,47 der noch heute manchmal als „Judenturm“ bezeichnet wird.48 45 Die Vorstellungen Bourdieus über das ökonomische, soziale und kulturelle Kapital und ihren Beitrag zum Selbstbewusstsein sind zusammengefasst wiedergegeben bei Heinz Abels, Identität: über die Entstehung des Gedankens, dass der Mensch ein Individuum ist, den nicht leicht zu verwirklichenden Anspruch auf Individualität und die Tatsache, dass Identität in Zeiten der Individualisierung von der Hand in den Mund lebt. Wiesbaden 2006, S. 209. 46 Zum Zusammenhang von Außen- und Innenwelt Heiko Haumann, Lebensweltlich orientierte Geschichtsschreibung, in: Hödl (Hg.), Jüdische Studien, S. 105–122, Zitat S. 115. 47 Zur Rolle einzelner Mitglieder der Familie als Stifter, vor allem von Carl Leopold Netter, Marco Müller, Zwischen Vaterlandsliebe und jüdischer Tradition – Die jüdischen Bürger Bühls in der Zeit des Kaiserreiches, in: Stadt Bühl, Stadtgeschichtliches Institut (Hg.), Jüdisches Leben. Auf den Spuren der israelitischen Gemeinde in Bühl . Bühler Heimatgeschichte 15 (2001), S. 73–85, hierzu S. 80–82. 48 Die Information über die in Bühlertal vor kurzem verwendete Bezeichnung dieses Turmes als „Judenturm“ verdanke ich meiner Kollegin Beatrix Herber, nach einer Mitteilung im April 2010.

14  Kein sicherer Ort: die Magd Rüfel, der Rabbiner Isaac Israel, der Witwer Jäckel Löwel und die   Witwe Catharina Maria Hasler 14.1  Rüfel: Sie „gehe dennoch nach Baaden, wo ihr Kindt wäre“ Ende Juni 1712 wurde in Baden-Baden ein „Infans Judea“, ein jüdisches Mädchen, auf den Namen Maria Catharina getauft, als Eltern dabei „Ignati Judaei“, unbekannte Juden angegeben.1 Der zeitliche Zusammenhang lässt die Möglichkeit offen, dass Rüfel, eine junge Frau in Rastatt, die Mutter des Mädchens war; mit ihr setzte sich der Hofrat von Februar bis Juli 1712 auseinander. In seine Protokolle nahm er nichts über ihre Herkunft oder ihre Familie auf, von ihrem ganzen vorherigen Leben nichts, außer dass sie sich eine Zeitlang als Magd in Heidelberg aufgehalten hatte.2 In Rastatt lebte ein „Vetter“ Rüfels namens Samuel.3 Im Februar 1712 verhörte der Rastatter Amtsverweser Leopold Wilhelm Lassolaye sie, dann Daniel Cassel, gegen den Rüfel Klage erhoben hatte, und mehrere Zeugen. Die Ergebnisse des Verhörs reichten dem Hofrat nicht aus. Er forderte eine erneute Vernehmung, diesmal unter einem „geschärften Juden aydt“, einem Eid, dessen Form nicht weiter angegeben wurde. Daniel Cassel drängte: Er wollte eine rasche Entscheidung über die von Rüfel gestellten Forderungen.4 Sie hatte ihn auf die Alimentation ihres Kindes und auf eine Heirat verklagt.5 Der spätere Rastatter Schultheiß gehörte zu den wohlhabenderen Juden. Sein Vermögen war 1709 auf 800 Gulden geschätzt worden; er lag damit zwar unter dem von Mathias Schweitzer und dessen Söhnen, aber erheblich über dem durchschnittlichen Vermögen der anderen Schutzjuden in Rastatt von etwas mehr als 160 Gulden.6 Rüfel kündigte an, sie werde Zeugen zu ihren Gunsten beibringen. Auch diese, ordnete der Hofrat an, solle Lassolaye unter dem Judeneid vernehmen. Im Ratskollegium berichtete mehrmals Hofrat von Gudenus über den Konflikt: Er fand die Akten nicht klar genug und plädierte dafür, bessere Beweise herbeizuschaffen oder Daniel Cassel freizusprechen.7 Darauf ordnete der Hofrat an, 1 2 3 4 5 6

GLAK Q Kirchenbücher Baden-Baden, 29.6.1712. GLAK 61/140 HR 3.5.1712. GLAK 61/140 HR 14.6.1712. GLAK 61/140 HR 23.2.1712. GLAK 61/140 HR 10.5.1712. Berechnung nach GLAK 74/7139, Oberamtmann Holl an dir Hofkammer, Beilage A., „Designation“, 5.7.1709. 7 GLAK 61/140 HR 15.3.1712.

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Kein sicherer Ort

zwei Schutzjuden von Rastatt, Elias und Callmell, wohl die Zeugen Daniel Cassels, dann auch Rüfel und deren Zeugen zum Amt vorzuladen. In Rüfels Anwesenheit sollten Elias und Callmell unter Eid ihre Aussage wiederholen. Der Rat wies auch auf eine andere Spur hin: Rüfel habe sich mit dem Schwiegersohn eines Rastatter Juden „in unzucht eingelassen“; dem sollte Amtsverweser Lassolaye ebenfalls nachgehen.8 Er berichtete Anfang April: Rüfel sei zur Gegenüberstellung mit den Zeugen Elias und Calmell nicht erschienen. Aber er habe genauere Informationen eingeholt. Samuel, ihr „Vetter“, sei schon einige Zeit verdächtigt gewesen, und jetzt habe sich Folgendes herausgestellt: Rüfel habe bald nach der Entbindung eines Nachts über starke Schmerzen in den Gliedern geklagt, daraufhin habe sie Samuel „mit warmen Wein über den gantzen Leib gewaschen.“9 Diese Spur ergab offenbar nichts. Daniel Cassel wurde ungeduldig. Wiederholt betonte er den „affront“, den Rüfel ihm angetan habe,10 und belastete sie seinerseits mit einem Schreiben aus Heidelberg: Als sie sich dort aufhielt, habe sie „gestohlen und sonsten sich liderlich Verhalten.“ Der Hofrat fällte am 10. Mai sein Urteil: Für die Anschuldigungen Rüfels fehlten ausreichende Beweise; Daniel Cassel sei deshalb ihrer „Klag ledig zu sprechen [von den Anschuldigungen und allen Kosten frei zu sprechen].“ Die Klägerin habe wegen des ihm „zugefügten schimpfs [Beschimpfung, Verletzung seiner Ehre], nun öffentl(ich)e abbitt, vor dem amt Rastatt, in beysein etlicher gerichts Persohnen, auch daselbstigen Schirmbs verwandten Judthen zu thun, anbey die gerichts Kösten nach richterlicher ermessung zu erstatten.“11 Daniel Cassels Ehre,12 darauf lief das Urteil hinaus, sollte vor einer Öffentlichkeit aus allen Schutzjuden und Vertretern der nichtjüdischen Gemeinde wieder hergestellt werden. Rüfel leistete die Abbitte nicht. Der Hofrat drohte: Das Urteil müsse sie erfüllen, sonst werde „mann Sie durch hinlängliche mittel dazu schon anzuhalten nicht ermangeln.“13 Das Amt berichtete aber von der erneuten Weigerung Rüfels, ebenso vom Drängen Daniel Cassels. Der Rat verschärfte den Ton: Das „widerspenstige Mensch [Dienstmagd, wohl verächtlich]“ müsse „Innerhalb 24 Stunden der Sentenz pariren [gehorchen] oder sich aus dem Land packhen“,14 das Urteil erfüllen oder die Markgrafschaft verlassen. Lassolaye setzte Rüfel, wie 8 9 10 11 12

GLAK 61/140 HR 17.3.1712. GLAK 61/140 HR 2.4.1712. GLAK 61/140 HR 3.5.1712. GLAK 61/140 HR 10.5.1712. Zur Ehre im Kontext von Beziehungen zwischen Juden und Christen mit der These, dass in diesen Beziehungen auch die Ehre beider Seiten ausgehandelt wurde, Preuß, ... aber die Krone des guten Namens, S. 8f. 13 GLAK 61/140 HR 19.5.1712. 14 GLAK 61/140 HR 24.5.1712.

Rüfel 

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angeordnet, eine Frist von einem Tag, erfolglos. Sie wolle, so berichtete er, „keinesweegs pariren“ und habe sich einfach krank gestellt. Daniel Cassel dagegen drängte auf Vollzug des Urteils. Lassolaye solle Rüfel, so der Hofrat, einen Tag einsperren, im Weigerungsfall wieder einen Tag und so fort, sie dann aber doch wieder entlassen – das Letztere aber dürfe sie nicht wissen.15 Auch dieser Plan scheiterte. Rüfel reagierte ihrerseits. Lassolaye berichtete am 14. Juli: Sie habe „frühe Morgens ihr Kindt vor des Judten Daniel sein Haus geleget, sich flüchtig davon gemacht, undt wenn die leuth das Kindt nicht Zeitl(ich) [früh genug] ersehen hätten, selbes durch die S. V. schwein [Schweine auf der Straße] aufgefressen worden wehre.“16 Daniel Cassel drängte erneut auf die Vollstreckung des Urteils. Er informierte das Amt darüber, dass Rüfel von ihrem Vetter Samuel „abduciret [weggeführt]“ wurde. Der Hofrat bestimmte: Falls sie sich noch in der Nähe, auf baden-badischem Gebiet aufhalte, sollten bewaffnete Leute des Amtes sie holen und einsperren. Wenn sich ihre schuldhafte Flucht bestätige, dann müsse sie eine Viertelstunde am Pranger stehen, Urfehde17 schwören, also auf weitere rechtliche Mittel verzichten, und für immer das Land verlassen. Auch gegen Samuel ging der Hofrat wieder vor: Er sei jetzt noch mehr verdächtig. Amtsverweser Lassolaye erhielt den Auftrag ihn festzunehmen und „sowohl der schwängerung als auch der abducirung [Wegführung] halber nochmahlen“ zu verhören. Schon entwarf der Hofrat die Art der Bestrafung: Entsprechend den Umständen sei Samuel „mit einer nahmhaften geldt straf zu belegen, wobei etwa d(a)s Kindt alimentirt undt dem Amtsverweser etwas an seiner gebühr bezahlt werden dürfe“, seine Geldstrafe könne für den Unterhalt des Kindes oder zur Bestreitung der amtlichen Kosten verwendet werden.18 Binnen einer Woche war Samuel gefasst, auch Rüfel bei Durmersheim aufgegriffen.19 Der Hofrat entschied schnell: Das Kind solle Rüfel weggenommen, nach Baden-Baden gebracht und getauft werden.20 Lassolaye verhörte die Mutter: Wie es mit der „Hinwechlegung des Kindts“ gewesen sei, ob ihr dazu jemand zugeredet habe. Sie habe „aus freyen willen“ gehandelt, wies Rüfel diesen Verdacht zurück. Außerdem: Sie habe gewartet, „bies die Hausthiere [Haustüre], alwo das Kindt gelegen, aufgangen wär.“ Lassolaye resümierte: Rüfel war „in Verhaft gebracht“, Samuel aber entlassen, da sich kein weiterer Verdacht ergeben hatte. 15 GLAK 61/140 HR 31.5.1712. 16 GLAK 61/140 HR 14.6.1712. Eine junge Frau in einer ähnlichen Situation legte dem Bühler Wirt Lichtenauer 1725 ebenfalls ein Kind vor die Tür seines Hauses (GLAK 61/153 HR 21.6.1725). 17 Urfehde: Verzicht auf Rechtsmittel. 18 GLAK 61/140 HR 14.6.1712. 19 GLAK 61/140 HR 21.6.1712. 20 Ebd.

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Kein sicherer Ort

Eigentlich sei das Urteil ergangen, äußerte der Hofrat, Rüfel an den Pranger zu stellen und dann ihre Ausweisung zu vollziehen. Für sie spreche aber, dass sie Schaden für ihr Kind verhüten wollte, als sie es vor dem Haus Daniel Cassels niederlegte; sie habe nämlich gewartet, bis es entdeckt wurde. Ihre Verantwortlichkeit müsse deshalb noch geprüft werden. Aber das würde Unkosten machen, und bei Rüfel könne man nichts eintreiben, da sie nichts besitze. Deshalb solle sie nur dazu verurteilt werden, nach geschworener Urfehde das Land zu verlassen.21 Der nächste Bericht Lassolayes: Rüfel habe Urfehde geschworen, dann wurde sie, in Begleitung des Büttels und zweier Wächter, zur Grenze gebracht. Aber Rüfel kündige an: „Sie könte dießen aydt nicht hallten, gehe dennoch nach Baaden, wo ihr Kindt wäre.“22 Zwei Tage später protokollierte der Hofrat: Rüfel war in Baden-Baden. Der dortige Amtmann erhielt den Befehl, er solle sie „beym Kopf nehmen lasse(n), und [sie] seye über solche Vermessenheit“ zu vernehmen.23 Sie habe „Ihre Vermessenheit dadurch entschuldiget, weillen sie im Sinn habe, eine Christin zu werden“, berichtete das Amt. Darauf ging der Hofrat vor allem auf die Erklärung Rüfels ein, sie wolle konvertieren. Diese Absicht rechtfertige auf keinen Fall, wie sie die Autorität der Regierung mit ihrer Rückkehr verletzte; der Taufwunsch könne auch keine Straflosigkeit bewirken. Überhaupt: Er misstraute Rüfel: Um sich taufen zu lassen, hätte sie nicht zurückkehren müssen, und ihr Eidbruch lasse doch an der Ernsthaftigkeit ihrer Absicht zweifeln. Und: Wenn sie wirklich und aufrichtig eine Christin werden wolle, dann hätte sie nur auf die Alimentation des Kindes, nicht auf die Heirat mit einem Juden als dem angeblichen Vater gedrängt. Die Entscheidung darüber, was mit Rüfel geschehen solle, auch über die Konversion, müsse der Geheime Rat treffen.24 Sein Beschluss scheint nicht überliefert zu sein. Für die unverheiratete Mutter Rüfel waren die eigenen Lebensverhältnisse wie die ihres Kindes unsicher. Aus dieser Situation versuchte sie herauszukommen mit der Forderung an Daniel Cassel, die Vaterschaft für ihr Kind anzuerkennen und sie zu heiraten. Er befand sich in guten wirtschaftlichen Verhältnissen, über ihn strebte sie nach Integration in einen familiären Zusammenhang. Der soziale Abstand zwischen ihr und Daniel Cassel musste kein unüberwindbares Hindernis für ihre Ziele sein: Es gibt Hinweise darauf, dass für eine jüdische Frau in einem solchen Verhältnis die Heirat mit dem Vater ihres Kindes eine realistische Möglichkeit war.25 Das gegen sie ergangene Urteil, Daniel Cassels Ehre in der Öffentlichkeit wiederherzustellen, erfüllte sie nicht. Sie riskierte den Landesverweis, damit das 21 22 23 24 25

GLAK 61/140 HR 23.6.1712. GLAK 61/140 HR 24. 6.1712, 25.6.1712 und 28.6.1712. GLAK 61/140 HR 30.6.1712. GLAK 61/140 HR 5.7.1712. Preuß, ... aber die Krone des guten Namens, S. 136.

Isaac Israel 

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Leben einer Bettlerin und Vagantin. Nach ihrer Rückkehr zu ihrem Kind kündigte sie den Schritt über eine andere Grenze an, die Grenze zur christlichen Gesellschaft. Den Hofrat brachte sie mit ihrer Ankündigung in die Defensive. Rüfel war als Jüdin verdächtig, mit ihrer Taufabsicht betrügen zu wollen. Ging es ihr nicht darum, Vorteile aus der Taufe zu ziehen? Ein Weiteres kam hinzu. Der Hofrat hatte sich bis dahin, zu Recht oder zu Unrecht, auf die Seite Daniel Cassels gestellt. Nach einer Taufe Rüfels setzte sich nicht mehr eine Jüdin mit einem Juden auseinander, sondern eine Christin. Dann müsste, nach den stereotypen Vorstellungen über Juden, Daniel Cassel verdächtig sein, die Christin eher Vertrauen verdienen als er. Vielleicht betonte der Hofrat auch deshalb die vielen Gründe, die gegen die Ernsthaftigkeit der Absicht Rüfels sprachen. Deren Bestrafung wie der Freispruch Daniel Cassels konnten jetzt ins Wanken geraten, wenn der Geheime Rat oder die Markgräfin ihre Gunst Rüfel wegen einer Taufe zuwendeten und sich über die rechtlichen Aspekte des Falles hinwegsetzten. Vor dieser Gemengelage kapitulierte der Hofrat und überließ das Urteil der Markgräfin und dem Geheimen Rat.

14.2  Isaac Israel 14.2.1  Ein Rabbiner, ein meineidiger Hehler? Die Judenschaft im Gebiet um die Residenz supplizierte 1746 bei der Regierung. Weil sie ohne Landrabbiner auskommen müssten, so schrieben die Schutzjuden, hätten sie sich bisher „in jeweilig vorkommenden Fählen und Jüdischen Ceremonien eines zu oberbühl sich aufhaltenen schriftgelehrten Judens bedienet“, diesen also von Fall zu Fall und vor allem in Fragen des Zeremonials oder des jüdischen Rechts zur Klärung hinzugezogen. Dieser sei aber vor drei Wochen gestorben. Sie, das war die Bitte der Judenschaft, wolle nun einen geeigneten „Rabbiner“ für die Juden in Rastatt und Kuppenheim, in Malsch und Bühl anstellen.26 Mit ihrem Schreiben bezogen sich die Schutzjuden auf den immer wieder „Rabbiner“ genannten Isaac Israel; zu dessen wenigen überlieferten Aussagen über sich selbst gehört eine Angabe über sein Alter im Jahr 1734: Er sei 70 Jahre alt,27 er war also 1664 geboren. Sein Sohn Abraham Isaac supplizierte 1735 wegen des Schutzes und bat darum, ihm den Schutz seines Vaters zu übertragen, den 26 GLAK 220/562, Judenschaft an Markgraf Ludwig Georg, 1.3.1746. Dass die Ettlinger Juden hier nicht erwähnt wurden, lag vielleicht an der Nähe Ettlingen zu Karlsruhe. Der dortige Landrabbiner war für sie leichter erreichbar als für die übrigen baden-badischen Schutzjuden. Die Gernsbacher Schutzjuden waren „Gemeinschaftsjuden“, insofern in wieder in einer anderen Situation. 27 GLAK 61/27 GR 6.3.1734 Nr. 16.

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Kein sicherer Ort

dieser 36 Jahr zuvor bekommen habe.28 Danach hatte Isaac Israel kurz vor 1700 den Schutz erhalten. 1697 wurde ein namentlich nicht genannter Sohn des Ettlinger Judenschultheißen Isaac29 bei seiner Aufnahme nach Ettlingen erwähnt.30 Dass damit Isaac Israel gemeint war, dafür spricht, dass beide 1715 zusammen in einen Prozess verwickelt waren; der Hofrat nannte den „jungen Rabiner Itzig“ und den „alten Juden Isaac“ als eine gemeinsame Partei in einem Rechtsstreit.31 Seine Herkunft aus der Familie des Ettlinger Judenschultheißen könnte auch seine Bildung oder Ausbildung zum Gelehrten erklären. Eine Schatzungsliste von 1709 gab nämlich das Vermögen von „Itzig“, womit der Vater von Isaac Israel gemeint war, mit 6000 Gulden an – dem höchsten Betrag bei den Juden im Kerngebiet der Markgrafschaft.32 Mit einem solchen Vermögen war der Judenschultheiß Isaac am ehesten in der Lage, seinem Sohn die Ausbildung zu ermöglichen, die seine spätere Bezeichnung als „Rabbiner“, als „schriftgelehrter Jude“ voraussetzte. Anfang 1714 protokollierte der Hofrat summarisch, dass das Amt in Ettlingen wegen eines Diebstahls bei Isaac Israel gegen ein 13jähriges jüdisches Mädchen und eine Bürgerwitwe ermittelte.33 Nach einem Verfahrensfehler setzte der Rat einen neuen Prozess fest und verfügte zugleich die Entlassung der beschuldigten Christin aus dem Gefängnis; die Kosten für die neue Untersuchung wurden auf Isaac Israel umgelegt.34 Am 30. Januar trug Hofrat Nagler das Ergebnis der Untersuchung vor. Von Margareta Salschütterin, der Bürgerwitwe, gebe es ein Geständnis; aber dazu habe sie das Amt „mit schrecken und gefängnus“ gebracht. Für sie jedoch spreche ihr guter Ruf; das Geld, das bei ihr gefunden worden sei, 10 Gulden, sei nicht das gestohlene Geld in Höhe von 23 Gulden, und zudem hätten zwei Zeugen zu ihren Gunsten ausgesagt. Isaac Israel dagegen könne nicht beschwören, dass es sich bei dem gefundenen Geld um seines handle. Vor allem: Hier „seye der Judt Kläger, undt die Jüdin denuntiantin und zwar wieder (sic) eine Christin“; und schließlich habe das Mädchen, das Margareta Salschütterin als Täterin angegeben hatte, den Diebstahl freiwillig gestanden.

28 GLAK 61/164 HR 9.2.1735 Nr. 13. 29 Zu Isaac von Ettlingen als Judenschultheiß siehe vor allem S. 409f., zu seinen wirtschaftlichen Verbindungen mit dem Hof S. 210f. u. ö. 30 Zur Schutzaufnahme Isaac Israels, des Sohnes von Isaac in Ettlingen, siehe S. 44f., Tabelle II, Nr. II.11. 31 GLAK 61/143 HR 24.12.1715. 32 GLAK 74/7139, Oberamtmann Holl an die Hofkammer, Anlage A, „Designation“, 5.7.1709. 33 GLAK 61/142 HR 16.1.1714. 34 GLAK 61/142 HR 23.1.1714.

Isaac Israel 

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Das Geständnis des dreizehnjährigen jüdischen Dienstmädchens wurde akzeptiert, das der christlichen Witwe Salschütterin nicht. Weil der Kläger ein Jude war und das Mädchen, das die Salschütterin als Diebin angab, eine Jüdin, misstraute ihnen der Hofrat – der Christin war daher zu trauen. Nicht sachliche Beweise gaben den Ausschlag, sondern die Vorstellung, dass Christen eine andere Moral hatten als jüdische Menschen. Ihnen musste man misstrauen. Für Isaac Israel dürfte eine Entscheidung auf der Grundlage dieser Konstellation nicht neu gewesen sein. Im Jahr zuvor hatte sein Vater gegen die „Reisischen“ Erben geklagt, wegen einer Forderung von 150 Gulden.35 Die Witwe Reis erklärte, ihr Mann habe seine Schuld schon bezahlt, und etwas anderes wisse oder glaube sie nicht. Isaac, der Vater von Isaac Israel, besaß allerdings noch die Obligation. Das Urteil erging: Da die Witwe ihre Aussage beeide, erhalte sie Recht, und Isaac müsse die Obligation herausgeben.36 Im Hofrat wurde im August des Jahres 1715 ein „Rabiner dahier“, also in Rastatt, erwähnt,37 im Spätjahr 1715 nannte diesen der Hofrat mit Namen: „Itzig den jungen Rabiner“38 – Isaac in Ettlingen wurde ebenfalls oft Itzig genannt. Auch für das Jahr 1724 ist, im Zusammenhang mit der Pflastersteuer, ein „Isac Rabiner“ in Rastatt aufgelistet.39 Ihm drohte 1734 der Verlust des Schutzes, weil er, so der Vorwurf, Diebesgut gekauft habe.40 Der Hofrat räumte ihm eine Fristverlängerung zum Verlassen der Stadt ein; dabei wurde Isaac erstmals Isaac Israel genannt.41 Nachdem es ihm gelungen war, den Entzug des Schutzes rückgängig zu machen, wurde er 1734 erneut angeklagt: Er und Cassel von Rastatt hätten gestohlene Güter gekauft und „wohlbewusster maßen des Herrschaftl(ichen) Schutzes ipso facto [durch die Tat schon] sich verlustiget gemacht“; Isaac Israel selbst sei „schon einmahl wegen eingekauften bey Hof gestohlenen Sachen der Herrsch(aftliche) Schutz aufgekündiget worden“, und jetzt sei er „wegen dieses boshafter weiß wiederhohlten Verbrechens zur allzuwohlverdienter Bestrafung acht tag lang einzuthürmen.“ Danach müsse er, wie auch Cassel, das Land verlassen.42 Isaac Israel supplizierte, ihm den Schutz wieder zu erteilen. Doch dies lehnte der Geheime Rat ab.43 Isaac Israel änderte seine Bitte: Wenn der Schutz nicht wieder für Rastatt möglich sein, dann vielleicht für einen anderen Ort. Wenigstens 35 36 37 38 39 40 41 42 43

GLAK 61/141 HR 17.1.1713. GLAK 61/141 HR 26.1.1713. GLAK 61/143 HR 20.8.1715. GLAK 61/143 HR 14.11.1715. GLAK 61/260 HK 6.7.1724. GLAK 61/162 HR 12.1.1734 Nr. 1. GLAK 61/155 HR 2.10.1727. GLAK 61/162 HR 12.1.1734 Nr. 1. GLAK 61/27 GR 23.1.1734 Nr. 21.

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solle man ihm eine Frist einräumen, um sein Haus in Rastatt zu verkaufen und sich um den Einzug von Außenständen zu kümmern. Auch das schlug der Geheime Rat ab.44 Isaac Israel supplizierte nochmals: Angesichts seines Alters – er sei über siebzig Jahre – möge man doch auf den Landesverweis verzichten und ihm einen Ort wie Muggensturm und Bühl als Schutzort zuweisen, und er erklärte sich bereit, 50 Gulden als „verdiente Strafe“ zu bezahlen.45 Am 11. März 1734 ließ der Hofrat protokollieren: „Juden Rabiner Isaac Israel“, wegen des Kaufs von Diebesgut für immer aus der Markgrafschaft ausgewiesen, habe eine Bittschrift übergeben, an die ein Dekret des Markgrafen angefügt sei mit der Bestimmung, dass er den Schutz nach Bühl erhalte und 50 Gulden als Strafe zahlen müsse.46 Ein Jahr später supplizierte sein Sohn Abraham Isaac von Bühl aus: Er bat, den Schutz seines Vaters übernehmen zu können. Oberamtmann Lassolaye von Rastatt führte den Meineid des Vaters vor über 20 Jahren auf, den wiederholten Landesverweis wegen des Kaufs von Diebesguts, die Begnadigung gegen eine Strafzahlung, dass er aber Rastatt verlassen musste. Sein Fazit: Wenn der Sohn etwas von seinem Vater übernehmen könne, dann nur die Gewohnheit, mit Diebesgut zu handeln. Deshalb sei er, Lassolaye, gegen die Schutzerteilung an Abraham Isaac.47 Der Amtmann machte nicht nur die Schutzerteilung für den Sohn vom Verhalten des Vaters abhängig. Fast unmerkbar verschärfte er auch die Vorwürfe gegen Isaac Israel selbst. Meineid – der Vorwurf erweist sich im Blick auf die Aussage des Isaac Israels im Jahr 1714 als Stereotyp: In der Auseinandersetzung über das Geld, das ihm gestohlen worden war, hatte Isaac Israel den Eid mit der Begründung verweigert, er könne die bei der verdächtigten Salschütterin gefundenen Geldstücke nicht als seine identifizieren. Dass Lassolaye das Protokoll des Hofrats verwendet hatte, um seinen Bericht zu verfassen, lässt sich wohl nicht nachweisen. Wohl eher gab er wieder, was er vom Hörensagen her erfahren hatte: Dass der Rabbiner Isaac ein meineidiger Hehler war, der sich mit Geld die Wiederaufnahme in den Schutz erkaufte. 14.2.2  Schutzerteilung und „Zurücktreibung“ Isaac Israel bat im März 1736 den Geheimen Rat um die Erlaubnis, nach Rastatt ziehen zu können. Wieder verwies er auf sein Alter, und in Bühl sei er, ohne Frau

44 45 46 47

GLAK 61/27 GR 20.2.1734 Nr. 30. GLAK 61/27 GR 6.3.1734 Nr. 16. GLAK 61/162 HR 11.3.1734 Nr. 21 ½. GLAK 61/164 HR 12.2.1735 Nr. 5.

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und Kinder, allein, während er in Rastatt bei seinem Sohn leben könne. Der Geheime Rat ließ sich auf nichts ein.48 Im Sommer 1740 supplizierte Isaac Israel erneut: Er bat für sich um den Nachlass des Schutzgeldes; an seiner Stelle sollte sein Sohn den Schutz in Bühl erhalten. Wäre das nicht möglich, so bitte er um dessen Aufnahme in Steinbach. In seinem Bericht führte Amtmann Johann Jacob Hoffmann an, dass nach einem Reskript des Markgrafen die Schutzerteilung nach Bühl nicht möglich sei. Zur Aufnahme nach Steinbach, so Hoffmann, „da wüste Er nichts dargegen zu berichten.“49 Der Steinbacher Amtmann Dyonisus Wagner äußerte sich sogar positiv. Er sah in der Schutzerteilung für Abraham Isaac die Chance zur Hebung des „herrschaftlichen Interesses“ und bestritt, dass die Krämer in Steinbach durch ihn beeinträchtigt würden. Der Geheime Rat entschied diesmal zu dessen Gunsten.50 Darauf supplizierten der Stabhalter Martin Meyer, der Bürgermeister Fritz Anton Knaps und zwei Gerichtsleute im Namen der Gemeinde Steinbach. Sie gingen davon aus, dass Israel Isaac den Schutz in ihrer Gemeinde erhalten hatte. Zuerst wiesen sie auf die Strafe des Schutzverlusts hin, die über Isaac Israel verhängt worden war, und dass ihm allein die „fürstl(iche) Gnade“ den Schutz nach Bühl eingeräumt habe, und sie stellten fest, dass der Schutz nach Steinbach nur „intuitu“ gegeben worden sei, im Hinblick auf das Haus, das Isaac Israel dort kaufte. Am ausführlichsten ging die Bittschrift darauf ein, dass nie einem Juden erlaubt war, sich in Steinbach niederzulassen, obwohl sich während der Regentschaft von Markgräfin Sibylla Augusta einige darum bemüht hätten. Zu diesem Punkt präzisierten die Vertreter der Bürgerschaft ihre Auffassung: Es sei bekannt, dass „die juden denen Gemeinden alleZeit schädlich“ seien und aus deren „Verderben ihren Gewinn Zu Suchen pflegen.“ Deshalb, folgerten die Bittsteller, solle der Schutz für Isaac Israel zurückgenommen werden. Wenn dies nicht geschehe, dann würde ein Bürger den Kauf ungültig machen, indem er das Haus selbst (über das Losungsrecht) erwerbe – der Schutz sei ja nur im Blick auf das gekaufte Haus erteilt worden.51 Die Gemeinde pochte auf das Herkommen, dass es in Steinbach nie Schutzjuden gegeben habe. Hierin folgte ihr der Geheime Rat nicht. Eine Einschränkung der Möglichkeit, Schutzjuden ein Niederlassungsrecht an weiteren Orten als den bisherigen zu geben, schien er unausgesprochen abzulehnen – eine Haltung, die 48 GLAK 61/29 GR 7.3.1736 Nr. 15. Von einem namentlich nicht genannten Sohn, der in Rastatt ein Haus besaß, sprach auch Oberamtmann Leopold Wilhelm Lassolaye 1735 (GLAK 61/164 HR 12.2.1735 Nr. 5). Da Abraham Isaac erst 1740 den Schutz erhielt, könnte ein weiterer Sohn Isaac Israels in Rastatt gelebt haben. 49 GLAK 61/39 GR 20.7.1740 Nr. 7. 50 GLAK 61/39 GR 31.8.1740 Nr. 24 und GLAK 61/277 HK 7.9.1740. 51 GLAK 229/100656 Stabhalter Martin Mayer, Franz Anton Knaps und die beiden Gerichtsleute Hans Jörg Braff und Hans Jacob Bether an Markgraf Ludwig Georg, 13.9.1740.

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mit der Praxis der anderen Hofkollegien übereinstimmte.52 Der deutlichste Unterschied liegt wohl in der Begründung, welche die Vertreter Steinbachs als entscheidend für ihre Ablehnung Abraham Isaacs und seines Vaters herausstellten. Für sie war die Schädlichkeit eines Juden überhaupt, das „Verderben“, das er für eine Gemeinde bringe, ein besonderes Argument. Diesem Schaden für die Gemeinde traten sie, deren Vertreter, entgegen. Damit stellten sich die Vertreter der Gemeinde auch dem Amtmann als dem Vertreter der Regierung entgegen. Er hatte den Vorteil für die Herrschaft herausgestellt, den die Aufnahme eines Juden bringen würde. Am 1. Oktober 1740 stellten zwei Einwohner Steinbachs ihre Sicht der Schutzaufnahme Isaac Israels dar, der Krämer Franz Rheinboldt und der Wirt Ignatius Dyhlin. Sie hoben in einem Schreiben an die Regierung hervor, dass der Verkäufer des Hauses, der Schneider Michael Benz, über eine Pfändung in den Besitz dieses Hauses gekommen sei, er habe es dann zu einem um zwei Drittel überhöhten Preis von 156 Gulden an Isaac Israel verkauft. Sie machten diesen Kauf als „Winkhel kauf“, als einen im Verborgenen vollzogenen Vorgang verdächtig; sie erhoben auch deswegen Einspruch, weil der Kauf nicht „vor“, das heißt auf dem Amt in Steinbach abgeschlossen wurde und das Amt nur den Kaufbrief bestätigt habe. Sie forderten, das Haus neu einzuschätzen und es dann der Gemeinde, den christlichen Einwohnern, zum Kauf zu überlassen. Dann kamen sie ebenfalls auf die Person Isaac Israels zu sprechen. Sie betonten, dass er „wegen seinem üblen aufführen“, wegen des Kaufs gestohlener Waren, Rastatt verlassen musste. Das sei dann aber für Bühl zum Schaden geworden, vor allem weil bei jemandem wie ihm „das Diebsgesindel seine Einkehr zu suchen pflegt.“ Sie forderten resümierend, Isaac Israels „erschlichener Schutz“ müsse rückgängig gemacht werden; es seien schließlich auch in der Vergangenheit Gesuche um den Schutz nach Steinbach immer abgeschlagen worden.53 Stabhalter, Bürgermeister und Gerichtsleute in Steinbach hatten in ihrer Bittschrift vor allem auf den Schaden hingewiesen, den der Aufenthalt eines Juden für die Gemeinde bringe. Rheinboldt und Dyhlin dramatisierten noch mehr. Sie nannten die Hehlerei und die Zunahme von Diebstahlsdelikten, die sich um einen Juden ausbreite. Die beiden Supplikanten griffen noch auf andere Stereotype zurück: Den Schutz habe Isaac Israel „erschlichen“ und er lüge, wenn er sich verteidige. Sie selbst aber beanspruchten zu wissen, wie seine Schutzaufnahme abgelaufen sei. Wie angekündigt kam es dazu: Ignatius Dylin und Franz Rheinboldt machten von ihrem Auslösungsrecht Gebrauch und erwarben das von Isaac Israel in 52 Zur Praxis „neuer Schutzorte“ das Beispiel der Schutzorte von Löw Jacob siehe S. 76f. 53 GLAK 229/100656, Ignatius Dylin und Franz Rheinboldt an Markgraf Ludwig Georg, 1.10.1740, GLAK 61/40 5.10.1740 Nr. 18 und GLAK 61/169 HR 8.10.1740 Nr. 2.

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Steinbach gekaufte Haus.54 Auch der Markgraf und der Geheime Rat hatten gegen Israel Isaac entschieden: Mit Rücksicht auf die schwierigen Zeitverhältnisse könne Steinbach nicht mit der Niederlassung eines Juden „beschwert werden“.55 Während die Entscheidung gegen Isaac Israel und Abraham Isaac deren Gegnern wohl noch nicht mitgeteilt war, mischte sich der Ortsgeistliche ein. Pfarrer Kapfer richtete an den Markgrafen die Bitte, dem „sich daselbst niederlassen wollenden judten“ den Schutz wieder zu entziehen.56 14.2.3  „Isaac von uns zu lassen“ Im Jahr 1740 verwirrte sich der Konflikt über das Aufenthaltsrecht Isaac Israels. Schon im Bericht des Steinbacher Amtmanns Dyonisus Wagner vom 6. Oktober 1740 war die Rede davon, dass das von Abraham Isaac gekaufte Haus „ausgelöst“ worden war. Abraham Isaac, so der Hofrat nun, den Namen des Sohnes statt des Vaters gebrauchend, solle sich jetzt wieder in Bühl niederlassen.57 Eine weitere Unsicherheit, was nun zu geschehen habe, entstand beim Steinbacher Amtmann, als Rheinboldt und Dyhlin, die das Haus ausgelöst hatten, den Kaufpreis nicht zahlten. Wie er sich verhalten solle, fragte er bei der Hofkammer nach.58 Jetzt meldete auch die Gemeinde Bühl mit einem Bittschreiben an den Markgrafen ihre Interessen an. Sie hatte durch den Amtmann erfahren, die Regierung habe Abraham Isaac den Schutz für Steinbach entzogen und ihm bzw. seinem Vater die Rückkehr nach Bühl befohlen. Der Stabhalter Christian Gerber und der Bürgermeister Ignatius Fentsch legten im Namen der Gemeinde dar, „wie Consolirt [getröstet] allhiesige [hiesige] gantze gemeind gewesen, als wir vernohmen, daß obgedachter Judt Von hir wiederumb hinweg und nach Steinbach in Schutz komme. Sind anbey in der gäntzl(ichen) Zuversicht gestanden, daß unser schon so vielfältiges Beschehenes [geschehenes] unterthänigstes anklopfen Von Ewer h(och) fürstl(icher) D(ur)chl(auch)t Einstens gehöhret, und künftig nicht mehr allhiesiges dorf mit so vielen nicht allein Menschen, sondern dem Allerhöchsten, und der Gantzen Catholischen Religion misfälligen Judenhaushaltungen zum Untergang der getreuen unterthanen werde belästiget werden. Allein wir müssen Leydter mit Betrübtem Gemüt sehen, wie daß wir uns in Unserer Meinung verfehlet finden, indem dieser Jud wiederum revertiren [zurückkommen] solle; Gelanget solchem nach ahn Euer h(och)fürstl(iche) D(ur)chl(auch)t unser inständiges ohnaufhörliches unterthänigstes 54 GLAK 229/100656, Amtmann Dionys Wagner an den Hofrat, 6.10.1740 und GLAK 61/169 HR 11.10.1740 Nr. 12. 55 GLAK 229/100656, Markgraf Ludwig Georg an den Hofrat, 3.10.1740. 56 GLAK 61/40 GR 8.10.1740 Nr. 16. 57 GLAK 61/169 HK 11.10.1740 Nr. 12. 58 GLAK 61/169 HK 18.10.1740 Nr. 17.

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Bitten, dieselbe geruhe g(nä)d(i)gst in Behertzigung des dadurch bey gott beschehendtes großgefälligen werckh ged(achten) Juden Isac von uns zu lassen und allenfalls, so Euer h(och)fürstl(iche) D(ur)chl(auch)t demselben Eine gnadt Zu thun gesinnet, ohne unterthänigstes masgebliches Vorschreiben wiederum nacher Rastatt, allwo derselbe annoch seine Aigene Behausung stehen hatt Ziehen Zu lassen.“

Damit beendeten die Vertreter der Gemeinde Bühl ihr Schreiben aber noch nicht. Sie kamen auf eine weitere Schutzerteilung zu sprechen, auf die des „Juden Meyers Bodenheimers Bruder Sohn zu Pfortzheimb“. Diese sei, so stellten sie ihre Auffassung dar, „fälschlich erschlichen“, und ihre wiederholte Bitte gehe dahin, dass auch sie widerrufen werde. Schließlich appellierten sie an den Markgrafen, seine Milde, die „angestammte [gewohnte] Clemens“ walten zu lassen, und erhofften von ihm, dass er mehr „Reflexion [Rücksicht] auf dero getreue Chatholische untertanen als Ein so Betrügliches Volckh [der Juden] machen werde, umb welche hohe Gnad der Allerhöchste auf das h(och)fürstl(ich)e Haus um so mehr segnen und Erhalten werde.“59 Der Hofrat reagierte mit einem Kompromiss. Die „Herrn Dyhlin und Rheinbold“ würden sich mit „frivolen praetexten“, mit frechen Vorwänden von der Bezahlung des ausgelösten Hauses zu drücken versuchen.60 Aber dennoch befürwortete er die Rückkehr von Isaac Israel nach Bühl, aber angesichts der vielen Juden, die in Bühl lebten, sollte wenigstens sein Sohn nicht dort den Schutz erhalten, sondern in Steinbach; allerdings sollte diese Schutzerteilung auf ihn beschränkt bleiben. Markgraf Ludwig Georg übernahm diesen Vorschlag, mit der Versicherung für die Bühler Gemeinde, dass die Anzahl der Schutzjuden nicht auf Dauer erhöht werde.61 Der Vorschlag des Bühler Amtmanns Johann Jacob Hoffmann zielte auf ein Entgegenkommen zugunsten von Abraham Isaac: Er brachte nämlich in Erwägung, ob nicht Abraham Isaac nach der Rückkehr seines Vaters nach Bühl „vertröstet werden“ könne auf den Tod seines Vaters oder eines anderen Bühler Schutzjuden, um dann in Bühl die Aufnahme zu erhalten.62 Auch Isaac Israel wurde beim Hofrat vorstellig. Er bat um die Rückgabe seines Schutzbriefes, den ihm das Amt Bühl abgenommen hatte, zugleich um die Erlaubnis, zu seinem Sohn ziehen zu können, sobald dieser seinen Schutz antrete.63 Die Entscheidung, die nun getroffen war, müsse, so der Hofrat, „ad litteram [buchstäblich]“ ausgeführt werden; der Schutzbrief, den die Hofkammer für seinen Sohn ausgestellt hatte, sei auf Bühl umzuschreiben und es sei dann 59 GLAK 229/100656, Stabhalter Christian Gerber und Bürgermeister Ignatius Fentsch an Markgraf Ludwig Georg, 21.10.1740. 60 GLAK 229/100656, Hofrat an Markgraf Ludwig Georg, 25.10.1740. 61 GLAK 229/100656, Markgraf Ludwig Georg an den Hofrat, 20.10.1740 und GLAK 61/40 GR 29.10.1740 Nr. 13. 62 GLAK 61/40 GR 12.11.1740 Nr. 25. 63 GLAK 61/40 GR 3.12.1740 Nr. 11.

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völlig gleichgültig, ob der Sohn bei seinem Vater oder der Vater bei seinem Sohne wohne.64 Am 3. November 1740 entschied der Geheime Rat: Dyhlin und Rheinboldt hatten das Haus, das sie ausgelöst hatten, zu übernehmen, und Abraham Isaac musste nach Bühl zurück. Die dortige Gemeinde erhielt die Zusicherung, dass keine Schutzaufnahme erfolgen würde, wenn einer der Bühler Schutzjuden stürbe, mit Ausnahme der Aufnahme des Neffen von Mayer Bodenheimer – sie sei ihm schon versprochen. Mit dieser Regelung werde die Zahl von fünfzehn Schutzjuden in Bühl nicht überschritten.65 Nach einem Bericht des Steinbacher Amtmanns Wagner weigerten sich Dyhlin und Rheinbolt weiterhin, das ausgelöste Haus zu bezahlen. Nochmals wies der Amtmann darauf hin, warum sie das Haus ausgelöst hätten: Sie wollten „keinen Judten daselbsten [in Steinbach] einkommen lassen.“66 Schließlich kam ihnen der Hofrat entgegen: Einen Nachlass von 50 Gulden stand er ihnen zu, verlangte aber die Zahlung der übrigen Summe.67 Im nächsten Monat supplizierten Dyhlin und Rheinboldt beim Hofrat, um einen Ersatz von Unkosten zu erhalten, die sie in der Auseinandersetzung über das „Bentzische Haus“ übernommen hatten. Die Reaktion des Rats verdeutlicht, wie klar das Gremium verstanden hatte, um was es gegangen war. Der Hofrat schrieb: Es seien Kosten „wegen zurückgetrieben(en) Judens“, „wegen Abhaltung des Judens von der Statt Steinbach“. Diese Kosten müssten Dyhlin und Rheinboldt von der „Bürgerschaft“ in Steinbach verlangen.68 14.2.4  Die Orte wechseln, die Vorwürfe folgen nach Abraham Isaac wäre im Verlauf des Jahres 1740 beinahe noch weiter in Schwierigkeiten gekommen. Ein Hofbediensteter, der „Garde Robe Netter“, meldete der Hofkammer, dass sich im Laden des Bühler Schutzjuden Mayer Bodenheimer eine zum Verkauf bestimmte neue Livree befände. Er selbst könnte, so Netter, wohl als Verantwortlicher für neu angeschaffte Livreen, in Verdacht geraten, mit dieser gestohlenen Livree zu tun zu haben. Er bat deshalb, ihre Herkunft zu klären.69 Der Bühler Amtmann Hoffmann berichtete darauf, dass die Livree nicht bei Bodenheimer, sondern bei Abraham Isaac zum Verkauf angeboten werde. Dieser habe sie nicht von Netter, sondern einem anderen Hofbediensteten erhalten, als er in 64 65 66 67 68 69

GLAK 61/277 HK 3.12.1740 und GLAK 61/169 HR 9.12.1740 Nr. 11. GLAK 61/169 HR 3.11.1740 Nr. 3. GLAK 61/169 HR 1.12.1740 Nr. 14. GLAK 61/170 HR 10.2.1741 Nr. 6. GLAK 61/170 HR 7.3.1741 Nr. 7. GLAK 61/277 HK 6.8.1740.

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Rastatt gebrauchte Kleider aufkaufte. Das Geständnis dieses Hofbediensteten70 führte wohl dazu, dass gegen Abraham Isaac nicht mehr weiter ermittelt wurde. Abraham Isaac hielt sich ab 1740 als Schutzjude in Bühl auf. Sein Vater erhielt 1741 auf sein Supplizieren hin die Befreiung von der Schutzgeldzahlung, da er seinen Handel aufgegeben hatte und im Haushalt seines Sohnes lebte.71 Ihm überschrieben Isaac Israel und Krönel, seine zweite Frau, ihre Haushälfte.72 So konnte Abraham Isaac das Vermögen nachweisen, das ihm die Heirat ermöglichte.73 Sein Leben verlief dann als das eines Handelsjuden wie vieler anderer. Seinem Vater war das nicht gelungen. „Isac der Jung“ – den „jungen Rabiner Itzig“ hatte ihn der Hofrat genannt – lebte 1721 in Rastatt, hatte dort „Ein schlechtes Häusel über der Brückh“, also außerhalb des inneren Stadtbezirks und jenseits der Brücke, wohl der „Ankerbrücke“, und zahlte „alle onera [Lasten, Beiträge] der Judenschaft“, berichtete der Amtmann in Rastatt 1721. Nur einen besonderen Umstand gab er an, ohne ihn zu erklären: Isaac lebte gar nicht in Rastatt, sondern hielt sich in Weissenburg (Wissembourg, Bas-Rhin) im nördlichen Elsass auf.74 Ettlingen, Rastatt, Weissenburg, Bühl, die Versuche nach Rastatt zurückzukehren oder sich in Steinbach niederzulassen, dann wieder Rückverweis nach Bühl – teils gingen diese Stationen auf eigene Vorstellungen Isaac Israels zurück, teils wurden sie ihm aufgezwungen. Einmal scheint aus einer seiner Suppliken eine Empfindung durch: Er wolle, schrieb er, als 71Jähriger in Bühl, nach Rastatt zu seinem Sohn ziehen75 – eine Suche nach einem sicheren Ort und gegen das Alleinsein des Alters. Die Regierung schlug ihm diese Bitte ab.76 Das Leben Isaac Israels wurde, soweit es sich erkennen lässt, vor allem von der Auseinandersetzung mit den Vorwürfen kriminellen Verhaltens, des Meineids und Kaufs von Diebesgut, geprägt. Bereits seine erste Konfrontation mit der Regierung zeigt die Schwierigkeit Isaac Israels: Nach dem Diebstahl in seinem Haus nahm die Regierung Partei gegen ihn; denn für sie war „der Judt Kläger“ gegen eine unschuldige „Christin“. Und gegen eine Verurteilung wegen des Kaufs von Diebesgut konnte er sich kaum wehren: Die „Judenordnung“ von 1714 sah eine Bestrafung bei jedem Kauf von gestohlener Ware vor, unbesehen, ob der Käu70 71 72 73

GLAK 61/277 HK 18.8.1740. GLAK 61/278 HK 27.7.1741 und GLAK 61/42 GR 29.7.1741 Nr. 12. Zu diesem Hauseigentum siehe S. 202. StgI Bühl, BH (alt), Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll 1741– 1749, 13.1.1743, Bl. 175v–176v. 74 GLAK 74/3711, Oberamtmann Leopold Wilhelm Lassolaye an die Hofkammer, 21.2.1721. Von der Identität dieses Isaac des Jungen mit dem Rabbiner Isaac wird hier ausgegangen, wegen seiner Bezeichnung als „der Jung“ bzw. als „junger Rabiner Isaac“, wegen seines Hausbesitzes, der für auch später erwähnt wird und wegen seines Aufenthalts in Rastatt vor seiner Ausweisung und erneuten Schutzzuweisung für Bühl. 75 GLAK 61/29 GR 7.3.1736 Nr. 15. 76 GLAK 61/29 GR 22.3.1736 Nr. 25.

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fer von dem Diebstahl wusste oder nicht.77 In der Aussage des Amtmanns von Rastatt, Abraham Isaac könne von seinem Vater nur die „Erkaufung gestohlener Sachen“ übernehmen,78 verfestigte sich das Stereotyp des Hehlers und drohte, auf den Sohn überzugehen, fand jedoch keine Bestätigung: Seine Verwicklung in einen Diebstahl ließ sich nicht beweisen. Der Widerstand der Steinbacher Einwohner griff auf die frühere Bestrafung Isaac Israels zurück, stellte so seinen Leumund und sein Wohlverhalten in Frage. Vor allem verwendeten sie stereotype Vorstellungen über Juden: die der „Schädlichkeit“, des Hehlers, des Juden als Zentrum, um das sich Diebstahl ausbreitet, und des „sich einschleichenden Juden“. Unterstützt wurde die Gemeinde durch den Steinbacher Ortsgeistlichen, der seine Feindschaft gegen Juden ebenfalls bei der Aufnahme von Löw Jacob in Müllenbach zeigte. Auch die Bühler Gemeinde griff zu stereotypen Wendungen, als sie gegen Isaac Israel Stellung nahm: Juden seien für Gott, Menschen und die katholische Religion „missfällig“, nicht akzeptabel, seien betrügerisch, und für Bühl brächten die jüdischen Haushalte nichts als den Untergang. Und es sei ein gottgefälliges Werk, wenn Isaac Israel aus Bühl entfernt werde. Meineidigkeit, Hehlerei, Neigung zum Betrug waren immer wieder verwendete Stereotype, die gegen Juden verwendet wurden. In der jüdischen Gesellschaft galt es als Norm, die Gesetze des Landes zu achten, in dem man lebte.79 Nichts weist darauf hin, dass Isaac Israel gegen diese Norm verstoßen hätte. Die Vorwürfe des Meineids und Hehlerei dürften aus der Sicht von Juden die Feindlichkeit der nichtjüdischen Umwelt ausgedrückt haben und nichts, was dem Verhalten Isaac Israels entsprochen hätte. Dass die Vorwürfe gerade ihn trafen, war vielleicht eine Reaktion auf das Fremde in der Existenz eines jüdischen Gelehrten; seine Gegner reduzierten den „Rabbiner“ auf den meineidigen Hehler und konstruierten damit eine Vorstellung, nach der das Fremde an ihm als verstanden galt.80 Dieser Sicht des „Rabbiners“ stand die der markgräflichen Juden gegenüber. Für sie blieb Isaac Israel der Schriftgelehrte, auf den sie bei Fragen ihrer Religion und ihres Rechts angewiesen waren;81 nichts spricht dagegen, dass sie ihm nicht mit der „hohen Schätzung der Gelehrsamkeit“ begegneten, die in der Welt der dörflichen Juden existierte.82 77 „Judenordnung“, § 9, abgedruckt bei Zehnter, Juden in der Markgrafschaft Baden-Baden, in: ZGO 50 (1896),S. 427–430, hierzu S. 429. 78 GLAK 61/164 HR 12.2.1735 Nr. 5. 79 Katz, Tradition und Krise, S. 65. 80 Zur kognitiven Entlastungs- und Orientierungsfunktion von Stereotypen Konrad, Flexible Stereotypengeflechte, in: Rheinisch-westfälische Zeitschrift für Volkskunde 52 (2007), S. 219. 81 Zur Rolle Isaac Israels innerhalb der Judenschaft siehe S. 523. 82 Mordechai Breuer, Jüdische Religion in den ländlichen Gemeinden 1600–1800, in: Monika Richarz und Reinhard Rürup (Hg,), Jüdisches Leben auf dem Lande: Studien zur deutsch-jüdischen Geschichte (Schriftenreihe wissenschaftlicher Abhandlungen des Leo Baeck Instituts 56). Tübingen 1997, S. 69–78, hierzu S. 73f.

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Bei den Bühler Bürgern fällt der hohe Grad der Emotionalität auf, von der ihre Supplik gegen Israel Isaac geprägt ist. Einerseits betonten sie die tröstende Aufnahme der Nachricht, dass er Bühl verlassen werde. Das habe ihnen „Zuversicht“ gegeben, dass sich ihre Situation durch eine verringerte Zahl von Juden verbessere und sie von Ruin und Untergang verschont würden. Auf der anderen Seite hoben sie den negativen Gefühlszustand hervor, der durch die Nachricht von der Rückkehr Isaac Israels bewirkt werde: Sie hörten dies mit einem „Betrübtem Gemüt“.83 Sich selbst stellten die Christen in Bühl als Untertanen des Markgrafen und als „Dorf“-Gemeinde in einem eingegrenzten Lebensbereich dar. Dieser begrenzte Raum mit seiner kleinen Gruppe Einwohner stand im Mittelpunkt des Denkens. Das ist der Hintergrund dafür, dass die Bühler vorschlugen, Isaac Israel, eine Bedrohung ihrer Existenz, doch nach Rastatt zu verweisen: Der Gedanke der Separation wurde nur für die eigene, lokale Bezugsgruppe durchgehalten. Die christlichen Einwohner bekräftigten ihre Frömmigkeit und ihre Unterordnung unter den Markgrafen. Dagegen zeichneten sie die jüdischen Einwohner nur negativ. Sie sind ein „betrügliches Volckh“, das sich den Vorteil des Schutzes erschleicht, damit betrügerisch gegen die herrschaftliche Ordnung verstößt. Diese Verhältnisse spitzten die christlichen Einwohner dramatisch zu: Die Juden brächten nicht nur Schaden, sondern auch den „Untergang“ der christlichen Einwohner; ähnlich argumentierten die Einwohner von Steinbach. Kontrastierung und Dramatisierung im Verhältnis zu den Juden, Emotionalisierung und eine Art von Sakralisierung des eigenen Selbst, in diesen Vorgehensweisen stärkte die Mehrheitsgesellschaft ihre Position und zielte auf die Wirkung ihrer Suppliken bei der Regierung. 14.2.5  Bleiben und supplizieren Warum wechselte Isaac Israel nicht in den Schutz von Baden-Durlach wie Seligmann und Abraham Isaac in Ettlingen, seine Brüder? Vielleicht lag das an unterschiedlichen wirtschaftlichen Voraussetzungen. Seine Brüder zahlten nämlich 1724 jeweils 7 Gulden und 32 Kreuzer Schutzgeld im Vierteljahr, Isaac, als „Isaac Rabiner“ in Rastatt aufgelistet, zahlte am wenigsten unter den vier Schutzjuden in Rastatt, nur 4 Gulden, besaß also ein erheblich geringeres Vermögen.84 Noch wichtiger war wohl das Ansehen, das er als Schriftgelehrter bei den baden-badischen Juden hatte. Als der Judenoberschultheiß Samson Schweitzer 1743 eine Liste der Schutzjuden aufstellte, befand sich „Isaac der Rabiner“ an 83 Zur Äußerung der Bühler Einwohner zur Rückkehr Isaac Israels nach Bühl siehe S. 529f. 84 61/260 HK 6.7.1724.

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der dritten Stelle der Bühler Schutzjuden.85 Sein Vermögen dürfte dafür nicht den Ausschlag gegeben haben, sondern seine Eigenschaft eines „Rabbiners“. Die Übernahme von zeremoniellen Handlungen,86 die zu seiner Ehre beitrugen, war aber in der Markgrafschaft Karlsruhe für Isaac Israel unsicher, weil dafür der dortige Landrabbiner zuständig war. Neben dieser Ehrenstellung unter den baden-badischen Schutzjuden zeigt sich das Besondere an der Existenz von Isaac Israel in einer weiteren Hinsicht. Für ihn sind zehn Suppliken zwischen 1727 und 1741 feststellbar und in der Tabelle XVII, Suppliken von Israel Isaac, (S. 535), verzeichnet. Tabelle XVII:  Suppliken von Israel Isaac 87,88,89,90,91,92,93,94,95,96,97 Jahr der Supplik87 1727 1728 1734 1734 1734 1734 1736 1740 1740 1741

Gegenstand der Supplik Frist zum Verlassen Rastatts88 Beibehaltung im Schutz oder erneute Aufnahme89 Wiederaufnahme in den Schutz90 Möglichkeit zum Eintreiben von Forderungen und zur Bezahlung der eigenen Schulden91 Schutzerteilung nach Rastatt oder einen andern Ort92 Verschonung von der Ausweisung und Bitte um Schutz für Bühl oder Muggensturm93 Erlaubnis nach Rastatt zu ziehen zu seinem Sohn94 Schutzübertragung auf seinen Sohn Abraham95 Isaac Rückerhalt seines Schutzbriefes96 Befreiung von der Schutzgeldzahlung97

85 GLAK 117/1102, Oberjudenschultheiß Samson Schweitzer, „Specification“, 8.1.1743, in der Schreibung „Isac Rabiner“. 86 Zur Ausübung zeremonieller Handlungen durch Isaac Israel siehe S. 523f. 87 Der Zeitpunkt der Suppliken lässt sich nicht genau angeben. Die angegebenen Daten beziehen sich auf den Zeitpunkt, an dem die Suppliken in den Regierungsprotokollen behandelt wurden. 88 GLAK 61/155 HR 2.10.1727. 89 GLAK 61/156 HR 29.1.1728. 90 GLAK 61/162 HR 9.2.1734. 91 GLAK 61/27 GR 30.1.1734 Nr. 21. 92 GLAK 61/27 GR 20.2.1734 Nr. 30. 93 GLAK 61/27 GR 6.3 1734 Nr. 18. 94 GLAK 61/29 GR 7.3.1736 Nr. 15. 95 GLAK 61/39 GR 20.7.1740 Nr. 7. 96 GLAK 61/40 GR 3.12.1740 Nr. 11. 97 GLAK 61/278 HK 27.7.1741.

536 

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Kein sicherer Ort

Seine zehn Suppliken verwendete Isaac Israel in erster Linie für den Erhalt seines Schutzverhältnisses. Dass er durch die Regierung bestraft wurde, hinderte ihn nicht daran, ihr Vorschläge für einen Schutzort zu unterbreiten. Auch in anderer Hinsicht zeigte er sich der Möglichkeiten bewusst, sein Leben als Schutzjude zu sichern. Noch im hohen Alter versuchte er für einen bisher nicht von Juden bewohnten Ort den Schutz zu erhalten, sowohl für sich wie für seinen Sohn. Damit erweist sich Isaac Israel als ein Schutzjude, der seine Interessen durchzusetzen versuchte, in stetiger Auseinandersetzung mit der Vorstellung bei der Regierung und den christlichen Einwohnern, er sei meineidig und ein Hehler. Zu Hilfe kam ihm dabei seine Vermögenssituation. Sie war zumindest ausreichend gesichert, um die hohe Strafe von 50 Gulden zur Vermeidung des Landesverweises zu bezahlen und später den Kauf eines Hauses in Steinbach und in Bühl zu planen. Dass gerade bei Isaac Israel der Weg, seine Lebensmöglichkeiten mit Suppliken zu beeinflussen, sich so deutlich abzeichnet, hängt vielleicht gerade mit einer Prägung durch Schriftlichkeit zusammen: Die schriftlichen Suppliken waren für den Gelehrten im religiösen Bereich das naheliegende Mittel zur Sicherung seines Schutzrechts.

14.3  Die Witwe Catharina Maria Hasler und der Witwer Jäckel Löwel Fast im Dunkeln lassen die Protokolle der Jahre 1744 und 1745 die Beziehung zwischen der Witwe Catharina Maria Hasler und Jacob oder Jäckel Löwel. Dieser, ein Witwer, lebte in Kuppenheim und hatte fünf Kinder.98 Catharina Maria Hasler oder die Haslerin, wie sie oft kurz genannt wurde, wohnte nicht weit von Kuppenheim, in Oberndorf. Ihr Mann Jacob Hasler wurde um 1735 von der Regierung verfolgt.99 Sie ließ ihn, „den so genanten welschen Jockhel“, „einen habituirten und inCorrigiblen [gewohnheitsmäßigen und unverbesserlichen] wildterer“, wegen seiner Jagdvergehen100 ins Gefängnis werfen. Jacob Hasler brach aber aus und konnte fliehen,101 worauf sich in den Protokollen der Regierung seine Spur verlor – bis Catharina Maria Hasler 1744 als seine Witwe genannt wurde. Jetzt, 1744, erwartete sie ein Kind, als dessen Vater Jacob Löwel galt.

98 GLAK 61/174 HR 14.1.1745 Nr. 8. 99 GLAK 61/163 HR 18.1.1735 Nr. 9. 100 GLAK 61/163 HR 11.2.1735 Nr. 1. Die Bedeutung von „habituiert und inkorrigibel“: gewohnheitsmäßig und unverbesserlich; die Bezeichnung „welsch“ lässt sich hier nicht näher als eine Herkunftsbezeichnung aus einem romanischen Land bestimmen. 101 GLAK 61/163 HR 26.2.1735 Nr. 11.

Die Witwe Hasler und der Witwer Löwel 

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537

Was die Protokolle über das Verhältnis zwischen Jacob Löwel und Catharina Maria Hasler festhielten, bezeichneten die Räte als „Unzucht“102 oder „Sünde“.103 Eine sexuelle Beziehung zwischen Angehörigen der jüdischen und christlichen Gesellschaft war ein Tabubruch im religiösen und sozialen Bereich;104 die Regierung verfolgte diesen doppelten Normenverstoß als Verbrechen. Der Hofrat wies den Rastatter Oberamtmann Leopold Wilhelm Lassolaye an, er habe „wegen der Inquisitin [der Beschuldigten oder Angeklagten] erforderlichen unterhalts die nöthige vorkehrung zu thun, selbige aber auf dem rathhaus in eine Cammer verwahrlich zu bringen, derselben jemand zu geben – und wann sie in würkhl(ichen) Kindts nöthe kommen sollte, sich also gleich davon die anzeig thun zu laßen – sofort die derselben zur geburth beystehend hebamm dahin anzuweisen, daß sie Ihr in denen würkhl(ichen) Geburths schmerzen, den rechten [richtigen] Vatter ihres Kindts zu öffnen haben, die schärfste und nachtrückhlichste erinnerung thun solle, welches auch durchgehends also beliebt und resolvirt [beschlossen] worden.“105

Die Hebamme sollte also im so genannten Genießverhör Beihilfe zur Feststellung des Vaters leisten, Catharina Maria Hasler unter der Androhung verweigerter Hilfe bei der Geburt den Vater des Kindes angeben, die Vaterschaft Jacob Löwels bestätigen.106 Jacob Löwel wurde ins Rastatter Gefängnis gebracht, konnte jedoch im Spätsommer 1744 fliehen und hielt sich ungefähr eine Woche im nahen Fort-Louis auf. Durch seine Mutter, erwartete der Hofrat, könne der Sohn zur Rückkehr gebracht werden; vielleicht wäre es wenigstens möglich, seinen genauen Aufenthalt in Erfahrung zu bringen.107 Später wurde auch seine Mutter im Elsass vermutet, bei einem Schwiegersohn,108 nachdem der Rat beschlossen hatte, sie müsse für das Kind ihres Sohnes die Unterhaltskosten von 24 Gulden pro Jahr übernehmen.109 Sie aber wehrte sich dagegen: Was sie besitze, reiche kaum zum Leben.110 Darauf ordnete der Hofrat eine Untersuchung über ihr Vermögen an, um zu klären, welches Erbe Löwel von seiner Mutter erwarten könne. Der Oberamtmann Las102 GLAK 61/173 HR 22.9.1744 Nr. 27. 103 GLAK 61/174 HR 14.1.1745 Nr. 8. 104 Preuß, ... aber die Krone des guten Namens, S. 129. 105 GLAK 61/173 HR 25.6.1744 Nr. 14. 106 Zum Genießverhör Claudia Ulbrich, Shulamit und Margarete, Macht, Geschlecht und Religion in einer ländlichen Gesellschaft des 18. Jahrhunderts (Aschkenas. Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden, Beiheft 4). Wien 1999, S. 70, Anm. 262 und S. 71, Anm. 265. Die amtliche Befragung einer Wöchnerin nach dem Vater ihres Kindes wird auch als Genistverhör oder –verfahren bezeichnet, von „Genist“: Niederkunft. 107 GLAK 61/173 HR 22.9.1744 Nr. 17. 108 GLAK 61/173 HR 27.10.1744 Nr. 13. 109 GLAK 61/52 GR 10.10.1744 Nr. 10. 110 GLAK 61/173 HR 1.12.1744 Nr. 8.

538 

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Kein sicherer Ort

solaye schätzte die Rechtslage und die wirtschaftlichen Verhältnisse so ein: Weder könne die Ernährung des Kindes der Mutter Löwels aufgeladen werden, noch reiche ihr Erbe dafür aus.111 Bevor der Oberamtmann den Befehl zur Klärung der Vermögensverhältnisse auch bei Catharina Maria Hasler112 vollzogen hatte, kam das Kind zur Welt. Das Amt fand eine „Warthfrau“, die zur Versorgung des Kindes bereit war – für 25 Gulden im Jahr.113 Der Markgraf und der Geheime Rat mahnten die rasche Bestrafung der „Haslerin“ an.114 Oberamtmann Lassolaye verteidigte sich: Solange die Ernährung des Kindes nicht geregelt war, konnte darüber nicht entschieden werden, und das Kind musste auf jeden Fall in der Markgrafschaft selbst, aber ohne Belastung für die Staatskasse, erzogen werden. Erst jetzt, nach der Klärung dieser Punkte, sei an den Vollzug der Strafe zu denken: Das müsse aber so geschehen, dass Catharina Maria Hasler weiterhin sich und ihr Kind ernähren könne.115 Die schon Oktober 1744 verhängte Ehrenstrafe konnte also jetzt vollzogen werden. Catharina Maria Hasler sollte – wohl in Rastatt – im Halseisen „mit angehengter Ruthen auf eine Stunde lang an einem Markttag öffentlich ausgestellet“, dann ausgewiesen werden.116 Am 14. Januar 1745 meldete Oberamtmann Lassolaye dem Hofrat, dass Jacob Löwel gestorben sei. Deshalb müsse nun die Erbteilung vorgenommen werden, zugunsten seiner fünf Kinder. Mit der Teilung wurde der Oberschultheiß Samson Schweitzer beauftragt.117 Dieser meldete dem Hofrat, dass das Vermögen Löwels selbst nur aus dem bestehe, was er bereits 1744 festgestellt habe: Aus einem „Häusel nebst stallung, undt einem kleinen garthen“ im Wert von 190 Gulden.118 Im Februar 1745 ließ der Hofrat das Haus der Mutter Löwels – auch sie war inzwischen gestorben – zum geschätzten Preis von 230 Gulden verkaufen,119 und zwar an ihre noch lebenden vier Söhne. Oberamtmann Lassolaye schlug vor, vom Anteil Löwels in der Höhe von 75 Gulden die Kosten des Verfahrens gegen ihn abzuziehen, den Rest könne Catharina Maria Hasler für die Erziehung 111 GLAK 61/173 HR 1.12.1744 Nr. 9. 112 GLAK 61/173 HR 22.9.1744 Nr. 27. 113 GLAK 61/173 HR 1.12.1744 Nr. 7. 114 Ebd. 115 GLAK 61/173 HR 1.12.1744 Nr. 9. 116 GLAK 61/173 HR 10.10.1744 Nr. 10 und 10.12.1744 Nr. 1. 117 GLAK 61/174 HR 14.1.1745 Nr. 8. 118 GLAK 61/174 HR 28.1.1745 Nr. 3. 119 Der Verkauf des Hauses anstelle des zu erwartenden Erbgangs könnte mit der Annahme zusammenhängen, dass die „Erben“ für die Kosten der Untersuchungsverfahren aufzukommen hatten; eine Aufteilung des Besitzes nach dem Erbgang hätte nicht den direkten Zugriff auf bare Mittel ermöglicht.

Die Witwe Hasler und der Witwer Löwel 

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ihres Kindes erhalten.120 Am Ende blieb aber nichts übrig: Das Verfahren gegen Catharina Hasler und die Inventur bei Löwel kosteten zusammen 110 Gulden. Oberamtmann Lassolaye gab an, dass „die jüdischen Kinder und Erben“ nach dem Tod ihrer Mutter rechtswidrig die fahrende Habe „hinweggethan und verschleppet hetten.“ Dadurch seien „die Bößwicht“ „strafbar“ geworden.121 Im folgenden Monat berichtete Lassolaye, dass die finanzielle Lage von Löwels Mutter gar nicht so schlecht gewesen sei: Sie hätte für die Freilassung ihres Sohnes Jacob – bevor er floh – 100 Gulden bieten können. Wegen ihres nun „verschleppten“ Besitzes beschloss der Hofrat, die Brüder Löwels sowohl zur Zahlung der Untersuchungskosten wie der für seine Freilassung angebotenen 100 Gulden zu verurteilen.122 Catharina Maria Hasler selbst richtete 1746 eine Bittschrift an den Hofrat, in der Hoffnung, in die Markgrafschaft zurückkehren zu dürfen. Der Geheime Rat schlug diese Bitte, zumindest für diesen Zeitpunkt, ab.123 Dann verlor sich ihre Spur. Über die Beziehung zwischen Jacob Löwel und Catharina Maria Hasler enthalten die Protokolle der Hofgremien nichts, weder über die Dauer noch darüber, ob sich die beiden zu ihr bekannten; allein dass Catharina Maria Hasler den Vater ihres Kindes angab, scheint sicher zu sein.124 Für die Regierung stand die Bestrafung von Jacob Löwel und von Catharina Hasler im Vordergrund, dann auch die Versorgung ihres Kindes und der Ersatz von Kosten, die im Zuge des Untersuchungsverfahrens entstanden waren. Während bei Jacob Löwel die Verwandtschaft in Umrissen auftaucht, bleibt Catharina Maria Hasler von Anfang bis zum Ende ihres sichtbar gewordenen Lebensabschnittes völlig isoliert. Das konnte mit dem Verlust der Ehre zusammenhängen, zu dem ihre Schwangerschaft geführt hatte und den Halseisen, Ruthen, „Ausstellung“ auf dem Markt und der Landesverweis öffentlich machten. Eine Untersuchung, wie die Regierung uneheliche Beziehungen in der christlichen oder in der jüdischen Gesellschaft zu dieser Zeit bestrafte, liegt nicht vor; bei Catharina Maria Haslers Bestrafung war wohl entscheidend gewesen, dass sie und Jacob Löwel mit ihrer sexuellen Beziehung über die Grenze zwischen den Gesellschaften hinweg ein Tabu brachen – gerade im Schweigen der Protokolle über dieses Tabu deutet sich die Schwere dieses Normenverstoßes an.125

120 GLAK 61/174 HR 25.2.1745 Nr. 11. 121 GLAK 61/174 HR 2.7.1745 Nr. 18. 122 GLAK 61/174 HR 3.8.1745 Nr. 18. 123 GLAK 61/175 HR 10.11.1746 Nr. 2. 124 GLAK 61/174 HR 14.1.1745 Nr.8. 125 Zum Tabubruch mit sexuellen Beziehungen zwischen Angehörigen der beiden Gesellschaften Preuß, ... aber die Krone des guten Namens, S. 128f.

540 

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Kein sicherer Ort

Warum diesen Tabubruch gerade eine Frau wie die Witwe des Jacob Hasler beging, könnte mit ihrer Isolierung in der christlichen Gesellschaft zusammenhängen. Ihr Mann hatte als Wilderer seine Integration zumindest in denjenigen Teilen der Bevölkerung aufs Spiel gesetzt, die das Verbot der Wilderei anerkannten.126 In seinem Milieu, damit auch in dem seiner Frau und Witwe, existierte vielleicht die Bereitschaft, das Tabu einer Beziehung zu einem Juden zu brechen.

126 Inwieweit Männer wie Jacob Hasler, vielleicht wegen seiner Herkunft – er wurde auch als der „welsche Jockel“ bezeichnet – und seiner Kriminalisierung durch die Verfolgung als Wilderer wirklich isoliert waren, lässt sich hier nicht genauer prüfen. Ein Wilderer namens Kist aus Neusatz bei Bühl konnte offensichtlich eine Zeitlang trotz der Verfolgung durch die Behörden die Kirche in Kappelwindeck besuchen (GLAK 61/163 HR 7.5.1735 Nr. 10.). Eine Untersuchung, wieweit dem Wildern unter der Regierung des Markgrafen Georg Ludwigs, der „Jägerlouis“ genannt wurde, ein sozialer Aspekt, vielleicht als Ausdruck sozialen Protests eigen ist, liegt nicht vor.

15  Konversionen 15.1  Ungewissheiten Die Zahl der Juden und Jüdinnen, die in der Markgrafschaft zur katholischen Religion übertraten, lässt sich kaum mit Sicherheit bestimmen. Jacob Bühler (XVIII.13), einer der Konvertiten, lebte vielleicht schon lange in Schwarzach, ehe er 1741 in den Verdacht der Hehlerei geriet, und erst dann wurde er als getaufter Jude verzeichnet.1 Sein Leben bis zu diesem Zeitpunkt macht deutlich, dass Konvertiten oder Konvertitinnen unauffällig existieren konnten und deshalb gar nicht ins Blickfeld von Behörden und in deren archivalische Überlieferung gerieten. Andere markgräfliche Juden und Jüdinnen erhielten die Taufe vielleicht außerhalb des Landes. Wie bei Jacob Bühler ist auch bei Johannes Glückseelig (XVIII.12)2 kein Hinweis vorhanden, dass er aus der Markgrafschaft selbst stammte. Wie viele baden-badische Juden und Jüdinnen sich taufen ließen, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Die feststellbaren Konversionen sind in der Tabelle XVIII, Konversionen 1704 bis 1771, aufgelistet (S. 541ff.); ihre Zahl, ein Annäherungswert, lässt sich bei solchen Unsicherheiten nur unter Vorbehalten interpretieren. Tabelle XVIII:  Konversionen 1704 bis 1771 3,4,5,6,7 Nummer

Jahr der frühesten Angabe der Taufe

Name oder sonstige Kennzeichnung

Herkunft oder Wohnort

Soziale Zuordnung

XVIII.1

1704

ein armes und krankes Mädchen3

ohne Angabe, wohl Betteljudentum

XVIII.2 XVIII.3

1711 1711

XVIII.4 XVIII.5

1712 1713

ein alter Mann4 Schwester von Mayer Malsch (Maria Martha)5 Kind der Magd Rüfel6 Tochter von Israel in Gernsbach (Catharina Judaea)7

„Wimpfen“, von außerhalb der Markgrafschaft ohne Angabe Malsch

1 2 3 4 5 6 7

Rastatt Gernsbach

ohne Angabe Schutzjudenfamilie; gute Vermögensverhältnisse von Mayer Malsch arm Schutzjudenfamilie, eher reich

GLAK 61/170 HR 21.3.1741 Nr. 6. Zu Johannes Glückseelig siehe v. a. S. 563f. EDA Freiburg, Taufbuch der katholischen Pfarrei St. Peter und Paul, Bühl, 4.6.1704. Kast, Mittelbadische Chronik, S. 290. GLAK 61/139 HR 7.7.1711 und 14.7.1711. Zu Rüfel und ihrem Kind siehe S. 519ff. GLAK 61/141 HR 20.7.1713.

542 

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Nummer

Konversionen

XVIII.6

Jahr der frühesten Angabe der Taufe 1715

XVIII.7

1716

XVIII.8

1725

XVIII.9

1729

XVIII.10

1732

XVIII.11

1738

XVIII.12 XVIII.13

1740 1741

XVIII.14

1749

XVIII.15

1749/50

XVIII.16

1749/50

,, , , , , , , ,

8 9 10 11 12 13 14 15 16 17

8 9 10 11 12 13 14 15 16 17

Name oder sonstige Kennzeichnung Blümel Abraham (Maria Augusta Blümelin)8 ein sechzehnjähriger Junge9 ein sechzehnjähriger Junge, Sohn von Levi Meyer und dessen Frau Gelle aus Speyer, derzeit in Landau10 Hayums Tochter (Maria Josepha)11

Herkunft oder Wohnort Dürkheim, Gft. Leiningen Muggensturm

Soziale Zuordnung ohne Angabe

Speyer

ohne Angabe

Baden-Baden

ohne Angabe

ein „armes Juden Mägdel“ (Maria Anna Judaea)12 Lemmle Mayers Tochter13 Johannes Glückseelig14 Jacob Bühler15

Eichtersheim

Schutzjudenfamilie, Vater Judenschultheiß, eher reich arm, Betteljudentum

Bühl

Schutzjudenfamilie, arm

keine Angabe Schwarzach

Catharina Christina Jacobin, vielleicht Tochter von Lemmle Mayer Chaye Schweitzer (Ludwig Georg Gottlob und seine Kinder)16 Cheyle Schweitzer (Gottlob), Ehefrau von Chaye Schweitzer17

Bühl

Beschäftigung am Hof kleiner Handel mit Krämerwaren ohne Angabe

Rastatt

Schutzjudenfamilie, verschuldet

Rastatt

Schutzjudenfamilie, verschuldet

GLAK 61/143 HR 17.1.1715, 27.1.1715, 2.4.1715, 16.5.1715 und 18.6.1715. Zum 14Jährigen, der 1716 getauft wurde, siehe S. 556f. GLAK Q Kirchenbücher Baden-Baden, 21.3.1725. Zu Hayums Tochter siehe S. 569ff. GLAK 61/160 HR 21.8.1732 und EDA Freiburg, Taufbuch der katholischen Pfarrei St. Peter und Paul, Bühl, 30.6.1732. GLAK 61/33 GR 3.9.1738 Nr. 10, GLAK 74/3711, „Summa der Juden im Landt“, 1721, GLAK 74/3711, Amtmann Johann Heinrich von Harrandt an die Hofkammer, 8.2.1721 und GLAK 61/160 HR 10.6.1732. Zu Johannes Glückseelig siehe S. 563f. GLAK 61/170 HR 21.3.1741 Nr. 6 und 11.4.1741 Nr. 11 u. ö. Zu Chaye Schweitzer siehe S. 544ff. Zu Cheyle Schweitzer siehe S. ebd.

Ungewissheiten  Nummer XVIII.17

Jahr der frühesten Angabe der Taufe 1750

Name oder sonstige Kennzeichnung Frantz Meyer18

XVIII.18 XVIII.19

1754 1755

XVIII.20

1760

XVIII.21

1770

XVIII.22

1771

Anton Blum19 Tochter von Joseph Jonas20 Hayum Jacob, ein Kuppenheim „Juden Kind“,21 vermutlich ein Sohn der Witwe Jacobs Faistel und seine Rastatt Kinder22 Rastatt August Gottlob,23 vermutlich ein Sohn von Chaye und Cheyle Schweitzer

, , , , ,

18 19 20 21 22 23

Herkunft oder Wohnort Straßburg (Strasbourg) keine Angabe Kuppenheim

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543

Soziale Zuordnung ohne Angabe arm, Handel Schutzjudenfamilie, arm Schutzjudenfamilie, arm

Schutzjudenfamilie Schutzjudenfamilie, arm

Bei 22 Konversionen stammen 10 Getaufte24 mit einiger Sicherheit aus der Markgrafschaft. Eine signifikante Verteilung auf die früheren oder späteren Jahrzehnte der Markgrafschaft ist nicht feststellbar. Es lässt sich also nicht erkennen, dass die Konversionen von markgräflichen Juden zugenommen hätten. 18 Zwischen dem 22.8.1750 (GLAK 61/68 GR 22.8.1750 Nr. 22 und dem 5.5.1751 (GLAK 61/71 GR 5.5.1751 Nr. 15) existieren mehrere Einträge, die Frantz Meyer betreffen. Er hielt sich meistens in Kehl auf und hatte Probleme mit Gläubigern. Die Regierung beschloss seine Ausweisung am 5.5.1751 (GLAK 61/71 GR 5.5.1751 Nr. 15). 19 GLAK 61/183 HR 25.4.1754 Nr. 12 u. ö. Namensvarianten: Andoni Blumer und Antoni Bliner. 20 GLAK 61/292 HK 1.7.1755 Nr. 3, 61/167 HR 2.9.1738 Nr. 17, GLAK 117/1102, Oberjudenschultheiß Samson Schweitzer, „Specification“, 8.1.1743, GLAK 74/7272, „Actum Bühl“, 17.12.1755, Bl. 21r. Den Tod eines Joseph Jonas in Kuppenheim setzt Linder auf ungefähr 1770 an (Linder, Die jüdische Gemeinde in Kuppenheim, Beilage CD-Rom: Bürgerbuch der jüdischen Gemeinde Kuppenheim, Nr. 147). 21 GLAK 61/318 GRAP 16.4.1760 Communia Nr. 11. Die Bezeichnung als «Juden Kind« gibt hier einen Hinweis, dass Hayum Jacob aus einer jüdischen Familie stammte. Im gleichen Monat April 1760 wurde auch Löb Auerbacher als „Juden Kind“ bei seiner Bitte um den Schutz bezeichnet (GLAK 61/318 GRAP 19.4.1760 Communicanda Nr. 1), war also mindestens 25 Jahre alt. 22 GLAK 61/308 HK 25.9.1770 Nr. 2644, 15.10.1770 Nr. 2861, 19.11.1770 Nr. 3243 und 12.1770 Nr. 3453. 23 GLAK 61/309 HK 1.2.1771 Nr. 362 und 15.2.2771 Nr. 506. 24 Siehe dazu S. 541ff., Tabelle XVIII, die Nummern Nr. 3, 5, 9, 11, Nr. 14, Nr. 15, Nr. 16, Nr. 19, Nr. 21 und Nr. 22.

544 

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Konversionen

Die im Folgenden thematisierten Fälle des Wechsels zum Christentum spiegeln sich in kirchlichen und amtlichen Schreiben, nicht in Selbstzeugnissen der Konvertiten und Konvertitinnen. Deren innere Perspektive wird kaum sichtbar, und deren Motive erhellen zu können, da ist die neuere Konversionsforschung skeptisch.25 Stattdessen geht es ihr darum, die sozialen Verhältnisse der Konvertierenden, ihre Verhaltensweise nach dem Glaubenswechsel und die Reaktionen in der „Aufnahmegesellschaft“ zu rekonstruieren.26 Zu diesen Aspekten können die Protokolle der Hofkollegien durchaus Aufschlüsse vermitteln.

15.2  Konversion als Ausweg in der Not? Chaye Schweitzer, Cheyle Schweitzer – Ludwig Georg Gottlob, seine Frau Während bei Chaye27 Schweitzer (XVIII.15) und seiner Frau Cheyle (XVIII.16) die engeren Umstände der Konversion im Dunkeln liegen, zeichnen sich Züge ihrer Vor- und Nachgeschichte deutlich ab. Chaye Schweitzer, der unter dem Namen Jesaias Schweitzer den Schutz erhalten hatte, war der Sohn von Moyses Schweitzer,28 damit ein Enkel von Mathias Schweitzer, dem Hofagenten aus der Zeit kurz nach 1700.29 Noch im Oktober 1749 wurde er als Chaye Schweitzer protokolliert;30 im Mai 1750 aber als Ludwig Georg Gottlob.31 Sein Übertritt zum Christentum muss also zwischen Oktober 1749 und Mai 1750 erfolgt sein. Für die Zeit zwischen seiner Schutzaufnahme 1733 und 1748 existieren wohl keine Informationen über ihn und seine Frau Cheyle. 1748 begannen dann Untersuchungen gegen das Paar wegen der Beteiligung an einem Diebstahl, bei der als Hauptverdächtige Anna Maria Haberin aus Dettingen32 in Württemberg galt, eine in der Residenzstadt beschäftigte „Dienstmagd“. Sie sei allerdings, so die Annahme, durch Chaye Schweitzer und seine Frau zum Diebstahl angestiftet worden. 25 Rotraud Ries, >Missionsgeschichte und was dann?< Plädoyer für eine Ablösung des kirchlichen Blicks, in: Aschkenas, Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden, 15. Jg., Heft 2 (2005, S. 271–301, hierzu S. 295. 26 Zu diesen Ansätzen ebd., hierzu v. a. S. 298–301. 27 Neben der Namensform Chaye kommt auch „Schaye“ vor (GLAK 61/170 HR 9.7.1748 Nr. 25). 28 Zur Schutzaufnahme Chaye Schweitzers, zu dieser Zeit als Jesaias Schweitzer verzeichnet, siehe S. 66, Tabelle IV, Nr. IV.14. 29 Zu den eigenen Angaben von Chayle Schweitzer über seine Herkunftsfamilie GLAK 61/69 GR 18.11.1750 Nr. 29. 30 GLAK 61/178 HR 23.1.1749 Nr. 15 und 23.1.1749 Nr. 20. 31 GLAK 61/68 GR 20.5.1750 Nr. 26. 32 Es gibt mehrere Orte mit dem Namen Dettingen im ehemaligen Württemberg; der genauere Herkunftsort von Anna Maria Haber lässt sich deshalb kaum feststellen.

Ungewissheiten 

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Zunächst wurde gegen Cheyle Schweitzer ermittelt, die nichts gestand. Der Hofrat bestärkte den Oberamtmann Leopold Wilhelm Lassolaye darin, sie nochmals zu verhören: Er solle sie zwei Tage im Gefängnis festhalten, dann, „wann Sie alsdann wiederumb auf ihrer hartnäckhigkeit verbleiben würde, den Scharpfrichter von Baaden anhero beschreiben [befehlen], und selbige realiter terriren [in Wirklichkeit erschrecken], nehmbl(ichen) nach vorgängiger wiederhohlter constituirung [Vernehmung] Sie in ein anderes Zimmer führen, und die Peinlichen Instrumenta [Folterwerkzeuge] unter der bedrohung, dass wann Sie in güte [freiwillig] nicht gestehen wollte, man zu diesen scharpfen mitlen schreiten würde, und Sie es darauf nicht ankömmen lassen möge, vorlegen; jedoch durch den Scharpfrichter nicht würkl(ichen) angreifen [soll man sie nicht wirklich foltern], sondern selbige nach dieser territion [Versetzung in Furcht] widerumb in die gefängnus zurückh führen laßen; demnachst das hierunter weiters abhaltende constitutum [das Ergebnis der Vernehmung] mittels bericht einsenden.“33

Die Verdächtigte, die hartnäckig leugnete, müsse dem Scharfrichter vorgeführt werden, der solle ihr die Folterinstrumente zeigen und ihr mit der Folter drohen. Dabei solle es allerdings, nach einem neuerlichen Verhör, belassen werden. Der Hofrat erhielt am 1. Juni 1748 den Bericht über diese Vernehmung, ohne dass dessen Inhalt protokolliert wurde.34 Cheyle Schweitzer bat in einer Supplik darum, sie straffrei zu lassen und weder ihr Haus noch ihre sonstige Habe zu versteigern. Der Hofrat kam zur folgenden Beschlussvorlage für den den Geheimen Rat: Die Angeklagten hätten „heimbl(ichen) und vertrauten Umgang“ mit der Dienstmagd gehabt, sie zum Diebstahl verleitet und schließlich einen Teil des Diebesguts an sich genommen. Der Vorschlag des Hofrats: Verurteilung zum Ersatz des gestohlenen Gutes im Wert von 28 Gulden und zur Ausweisung. Über die Haberin befand er: Sie sei „einfältig“ und habe das erste Mal einen Diebstahl begangen. Sie solle an den Pranger gestellt, dann ebenfalls ausgewiesen werden.35 Der Geheime Rat ließ im Oktober des Jahres die Verschuldung Chaye Schweitzers klären, über sein Vermögen berichten und über seinen bisherigen Lebenswandel.36 Wenigstens die Höhe der Schulden konnte Oberamtmann Lassolaye angeben: 167 Gulden und 25 Kreuzer.37 Schutzverlust und Ausweisung wurden bestätigt.38 Chaye und Cheyle Schweitzer supplizierten nochmals, baten um den Erhalt des Schutzverhältnisses.39 Inzwischen war Herbst, und der Geheime Rat 33 34 35 36 37 38 39

GLAK 61/177 HR 21.5.1748 Nr. 11. GLAK 61/177 HR 1.6.1748 Nr. 9. GLAK 61/177 HR 18.7.1748 Nr. 3. GLAK 61/177 HR 30.7.1748 Nr. 11. GLAK 61/177 HR 10.10.1748 Nr. 23. GLAK 61/65 GR 22.10.1749 Nr. 11. GLAK 61/177 HR 24.10.1748 Nr. 14.

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legte dem Hofrat ein Entgegenkommen nahe: Jetzt, kurz vor dem Winter, könne geprüft werden, „ob nicht dieselben [Chaye und Cheyle Schweitzer] in ansehung ihrer Kleinen Kinderen anoch diese Zeith hindurch dahir oder anderswerths im Land zu gedulden wären?“ Darauf ließ sich der Hofrat ein: Alles sei abhängig von der „Gnade“ des Fürsten, betonte er, und es sei wohl besser, wenn das Paar sich den Winter über nicht in der Residenz, sondern in Kuppenheim aufhalte; so könnten ihr Haus und ihre geringe Habe versteigert und mit dem Erlös die Gläubiger bezahlt werden.40 Auf dieses Urteil reagierte Chaye Schweitzer sofort mit einer Bittschrift, um doch noch eine Begnadigung zu erhalten.41 Der Geheime Rat entschied wenigstens teilweise zu seinen Gunsten: Er könne den Winter im Hause Samson Schweitzers in Baden-Baden verbringen, müsse aber zur Schuldentilgung binnen vier Wochen für den Verkauf seines eigenen Hauses sorgen.42 Eine erneute Bittschrift: Chaye Schweitzer ging es, so lässt sich aus der Entscheidung des Geheimen Rats schließen, noch immer um die Erhaltung des Schutzes, vorzugsweise für ein Dorf in der Nähe Rastatts. Der Rat zeigte nochmals Entgegenkommen: Er erlaubte Chaye Schweitzer, „aus einer ganz besonderen fürstl(ichen) Gnade und Milde“ innerhalb der ersten Januarwoche sein Haus und seine bewegliche Habe zu verkaufen – jedoch sollte es beim anschließenden Landesverweis bleiben.43 Nach der Konversion versuchte Chaye Schweitzer, jetzt Ludwig Georg Gottlob, seine wirtschaftliche Lage zu konsolidieren, sie wenigstens zu erklären. Zunächst beschuldigte er Samson Schweitzer:44 Dieser habe ihn um das Erbe seines Großvaters Mathias Schweitzer gebracht, indem er seinen – Ludwig Gottlobs45 – Vater Moyses, den eigenen Bruder also, bei der Erbteilung betrog, nach dessen Tod sogar das ganze Erbe auf üble Weise an sich riss: Er sei nämlich ihm, Ludwig Gottlob, für die Beherbergung in seinem Haus in Rastatt 20 Gulden schuldig gewesen. Samson Schweitzer habe diese in fünf Jahren aufgelaufene Schuld bezahlt. Dann habe er ihn „aber auch einen Zettel schreiben lassen, in welchem sothane [solche, die genannten] 20  fl(orin) als eine vollkommene Abfertigung und Auslieferung seines Erb-Rechtes erkannt werden solle; Gleichwie ihme [Ludwig Gottlob] aber niehmal in Sinnen ge-

40 41 42 43

GLAK 61/177 HR 10.12.1748 Nr. 17. GLAK 61/177 HR 10.12.1748 Nr. 18. GLAK 61/177 HR 19.12.1748 Nr. 9. GLAK 61/64 GR 14.12.1748 Nr. 33, 24.12.1748 Nr. 29 und GLAK 61/177 HR 28.12.1748. 44 Zu den finanziellen Auseinandersetzungen Samson Schweitzers mit seinen Verwandten siehe S. 441f. 45 Im Verlauf der Zeit setzte sich bei Ludwig Georg Gottlob der kürzere Namen Ludwig Gottlob durch.

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kommen, daß er von [wegen] 20 fl(orin) dieses sein – wenigstens 400 fl(orin) sich erstreckendes Recht hatte fahren lassen.“

Diesen „verdammlichen Judenstreich“ solle nun, bat Ludwig Gottlob, der Geheime Rat untersuchen und verurteilen lassen, um ihm weitere Nachteile zu ersparen;46 damit verwendete er gegen Samson Schweitzer das Stereotyp des einen „Streich“, eine betrügerische Handlung ausführenden Juden. Einen eindeutigen Erfolg scheint Ludwig Gottlob damit nicht erreicht zu haben. 1751 versuchte Ludwig Gottlob mit einer Supplik die Stelle eines Zollbereiters in Baden-Baden zu erhalten. Die Hofkammer wehrte ab: Da gebe es die entsprechende Stelle gar nicht, und dem Supplikant fehle die nötige Erfahrung im Schreiberdienst. Aber die Kammer verfügte auch, wohl mit der Zustimmung der Regierung, dass Ludwig Gottlob 50 Gulden erhielt, mit der Begründung, damit würden weitere Belastungen für die Staatskasse vermieden.47 Zwei Jahre später bat Gottlob um die Oberaufsicht über Zoller, Akziser und Juden; die Hofkammer bestellte ihn ein, um ihn über den Nutzen dieser Tätigkeit anzuhören.48 Auch hier blieb für Ludwig Gottlob der Erfolg aus. – Wie Samson Schweitzer49 hatte Ludwig Gottlob wohl auf die Vorstellung angespielt, dass gerade er, als ein ehemaliger Jude, besonders geeignet sei, wenn es um die Kontrolle des Handels von Juden ging, denen immer wieder Betrug unterstellt wurde. 1758 supplizierte Ludwig Gottlob erneut: Jetzt ging es ihm um den „aufwarthers dienst bey dem Controllen Tisch“, also um eine Anstellung im Bereich der Hofküche. Im Geheimen Rat, in der Anwesenheit des Markgrafen, erfolgte sofort die Absage: Es gebe generell keine Zusage auf eine künftige Anstellung.50 1761 wollte Ludwig Gottlob die „Tafeldeckerey“ in der „Hofstube“ erhalten, in der die Mehrzahl der Hofangehörigen ihre alltäglichen Speisen einnahm, ohne Erfolg.51 Für seine Tochter Elisabeth supplizierte er wegen einer Stelle in der Hofküche oder in der „Silberkammer“, ebenfalls erfolglos.52 Eine weitere Supplik folgte im August des Jahres. Diesmal ging es um den Posten des Stift- und Spitalschreibers in Ettlingen. Der Hofrat ließ Ludwig Gottlob mitteilen, man werde auf ihn zurückkommen, wenn er ein angemessenes Verhalten zeige und die nötigen Fähigkeiten erwerbe.53 Es scheint, als ob Ludwig Gottlob keine sichere Existenz aufbauen konnte. 1762 supplizierte er nochmals um eine Unterstützung. Es ging ihm wohl darum, 46 47 48 49 50 51 52 53

GLAK 61/69 GR 18.11.1750 Nr. 29. GLAK 61/288 HK 3.9.1751. GLAK 61/290 HK 30.3.1753 Nr. 3. Zur Supplik Samson Schweitzers um die Stelle eines Zollbereiters siehe S. 444. GLAK 61/316 GRATP 4.5.1758. GLAK 61/319 GRATP 5.4.1761 Communicanda Nr. 10. GLAK 61/319 GRATP 14.4.1761 Communia Nr. 6. GLAK 61/193 HR 13.8.1761 Protocollum consilii aulis Nr. 1.

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wie bisher auch künftig monatlich 10 Gulden zu erhalten.54 Die Regierung wollte von der Kammer wissen, wie er „untergebracht [in einem Dienst verwendet] werden könne“, und verwies auf die Einstellung des Markgrafen, der „allerdings geneigt seye, Weilen Er [Ludwig Gottlob] ein Convertierter, etwas zu tun.“55 Die Hofkammer berichtete von einer bereits an Ludwig Gottlob ergangenen Aufforderung, dass er „sich zu einiger arbeith bequemen mögte“; er habe jedoch geantwortet, „dass (er) das arbeithen nicht gewohnt seye“, keine körperliche Arbeit leisten könne. Deshalb sah die Kammer keine Möglichkeit mehr, für Ludwig Gottlob eine Stelle zu finden; sie empfahl, ihm zum letzten Mal 50 Gulden zu geben, ihn aber aufzufordern, „sein glückh anderstwohe zu suchen.“56 Die Regierung schlug eine Alternative vor: Ludwig Gottlob solle auf zwei Jahre monatlich 5 Gulden erhalten, dazu die Erlaubnis, dass „Er frey wie bisher sein Handl treiben“ dürfe.57 Markgraf August Georg und der Geheime Rat verfügten darauf „aus einer besonderen Gnad“ eine monatliche Unterstützung von 5 Gulden, ließen Ludwig Gottlob aber – allerdings ohne genauere Konkretisierung – ermahnen, seine bisherige Lebensweise, „die wegen seinem bishero getriebenen Handel und Wandel genommene Freyheit“ aufzugeben; so könne er seine Existenz besser sichern. Zugleich empfahl der Geheime Rat, Gottlob nochmals den Rat zu erteilen, „daß Er, wie andere seines gleichen [...] durch seinen eigenen Fleiß“ für sich sorgen müsse.58 Bei Chaye Schweitzer und seiner Frau scheint sich der Druck zur Konversion in mehrfacher Weise aufgebaut zu haben. Sie waren verschuldet, ihnen und ihren Kindern drohten Schutzverlust und Ausweisung, damit ein Dasein als umherziehende Betteljuden. Insofern war das Davor ihrer Konversion exemplarisch: Not und Armut herrschten auch bei dem „Juden Mägdel“ (XVIII.10) von 1732, ebenso bei der Tochter von Lemmle Mayer (XVIII.11) in Bühl,59 der Tochter (XVIII.19) von Joseph Jonas60 und bei Hayum Jacob (XVIII.20) in Kuppenheim.61 54 55 56 57 58

GLAK 61/299 HK 23.6.1762 Nr. 2. GLAK 61/320 GRATP 17.3.1762 Communia Nr. 1. GLAK 61/299 HK 9.6.1762 Nr. 6. GLAK 61/320 GRATP 16.6.1762 Kammerberichte Nr. 3. GLAK 61/299 HK 23.6.1762 Nr. 2. 59 Die Armut Lemmle Mayers ist mehrmals bezeugt. 1721 betrug der Anteil des „Lemmel meyer“ an der vierteljährlichen Schutzgeldzahlung 2 Gulden 30 Kreuzer; sieben weitere der 17 Bühler Schutzjuden zahlten ebenfalls diesen niedrigsten Betrag.( GLAK 74/3711, „Summa der Juden im Landt“, 1721). 60 Zur Armut von Joseph Jonas siehe S. 549f. Den Tod eines Joseph Jonas in Kuppenheim setzt Linder auf ungefähr 1770 an (Linder, Die jüdische Gemeinde in Kuppenheim, Beilage CD-Rom: Bürgerbuch der jüdischen Gemeinde Kuppenheim, Nr. 147). 61 Hayum Jacob könnte der Sohn von „Jacobs Witwe“ in Kuppenheim sein, die dort für 1755 mit einem Vermögen von 150 Gulden nachweisbar ist (GLAK 74/7272, „Actum Bühl“, 17.12.1755, Bl. 20v).

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Über die Tochter von Lemmle Mayer berichtete im September 1738 der Bühler Amtmann Johann Jacob Hoffmann dem Geheimen Rat: Das Kind eines Bühler Schutzjuden, gerade 13 oder 14 Jahre alt, stehe kurz vor der Taufe. Das Mädchen sei arm und nicht fähig, seinen Unterhalt selbst zu sichern. Seine, des Amtmanns Anfrage, gehe dahin, ob dem Mädchen „g(nä)d(i)gste Versorgungs Mittel gereicht werden wollten.“62 Dieses Mädchen kam aus einer Familie, deren Armut mehrmals bezeugt ist. 1721 betrug der Anteil von „Lemmel meyer“ an der vierteljährlichen Schutzgeldzahlung 2 Gulden 30 Kreuzer, den niedrigsten Betrag unter den Bühler Juden.63 Er besaß zusammen mit seinem Bruder Abraham eine Haushälfte im Wert von 150 Gulden, berichtete der Amtmann von Harrandt 1721; aber, fügte er hinzu, es seien dauernd Beschwerden zu hören, dass die beiden Brüder ihre Schulden nicht bezahlten, die den Wert ihres halben Hauses vermutlich überstiegen. Über ihre Geschäfte berichtete Harrandt, dass sie mit „liederlichen und nichtnutzigen sachen als alten Pferdten etc.“ und auch mit Diebesgut handelten.64 Als Lemmle Mayer 1732 wegen eines Akzisebetruges angeklagt war, hielt der Bühler Amtmann den Einzug der Strafe von 8 Gulden für aussichtslos, denn Lemmle Mayer habe „nichts als 6 Kinder in Vermögen.“65 1749 befasste sich die Hofkammer vielleicht wieder mit einer Tochter von Lemmle Mayer. Im Januar des Jahres hielt die Regierung fest, dass Catharina Christina Jacobin (XVIII.14), ein „getauftes Judenmädchen“, jährlich 12 Gulden und wöchentlich 1 Gulden als „Kostgeld“ erhielt, so lange, bis sie den Beruf einer Näherin erlernt hätte.66 Ende des Jahres wurde sie als Lemmle Mayers Tochter bezeichnet, als die Hofkammer sie mit Kleidung ausstatten ließ.67 Das Oberamt Rastatt berichtete im Juli 1755 von einer 18jährigen Tochter (XVIII.19) des Kuppenheimer Schutzjuden Joseph Jonas: Sie sei zum Stabhalter gekommen und habe erklärt, sie wolle katholisch werden, „insofern sie nur Gelegenheith darzu haben könne.“ Darauf sei sie zum Pfarrer geschickt worden, der sie nun unterrichte und bei dem sie die Kost erhalte.68 Die Regierung bewilligte dem Geistlichen dafür einen Gulden wöchentlich.69 62 63 64 65 66 67

GLAK 61/33 GR 3.9.1738 Nr. 10. GLAK 74/3711, „Summa der Juden im Landt“, 1721. GLAK 74/3711, Amtmann Johann Heinrich von Harrandt an die Hofkammer, 8.2.1721. GLAK 61/160 HR 10.6.1732. GLAK 61/286 HK 15.1.1749. GLAK 61/286 HK 22.12.1749. Ob die als Catharina Christina Jacobin genannte junge Frau mit dem im Jahr 1738 verzeichneten Mädchen wirklich identisch ist, ließ sich nicht feststellen. Ihre Herkunft aus der Familie Lemmle Meyers scheint sicher zu sein. 68 GLAK 61/312 GRATP 23.6.1755 Communia Nr. 1. Die Tochter von Joseph Jonas erwähnt Linder, Die jüdische Gemeinde in Kuppenheim, S. 28. 69 GLAK 61/292 HK 1.7.1755 Nr. 3.

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Ein Kuppenheimer Schutzjude namens Jonas war 1738 verdächtigt worden, aus einem Diebstahl stammende „Kirchensachen“ gekauft zu haben. Er floh darauf, seine Spur verfolgte die Regierung bis nach Paris.70 In Kuppenheim lebte um 1743 ein weiterer Joseph,71 und für 1755 ist ein Salomon Jonas und ein Joseph Jonas nachweisbar: Der eine besaß ein Vermögen von 250 Gulden, der andere 150 Gulden, ein „schlechtes Vermögen“.72 Vor diesem Hintergrund kam auch die Tochter von Joseph Jonas aus armen Verhältnissen in die Situation der Konversion. Im April 1760 supplizierte Hayum Jacob (XVIII.20) aus Kuppenheim wegen der Hilfe des Markgrafen; ihn bezeichnete das Protokoll des Geheimen Rats als ein „sich taufen lassen wollende(s) Kind“, das für die Zeit des Religionsunterrichts um Unterstützung bat. Der Geheime Rat forderte vom Oberamt Rastatt einen Bericht, wie diese Beihilfe aussehen könne – das Eingehen auf die Bitte stand von vornherein fest.73 Noch im gleichen Monat erklärte sich der Rastatter Bürger Ludwig Keyser bereit, die Verpflegung Hayum Jacobs für monatlich 5 Gulden zu übernehmen.74 Im August des Jahres erhielt Hayum Jacob, dessen Taufe noch bevorstand, auf eine Bittschrift „ein geringes neues Kleid [ein einfaches Kleidungsstück]“. In Kuppenheim lebte um 1755 „Jacobs Witwe“; ihr Vermögen wurde mit 150 Gulden angegeben,75 und sie gehörte damit zu den eigentlich mittellosen Schutzjudenwitwen. Hayum Jacob könnte, wenn sein zweiter Name nach dem seines Vaters lautete, ihr Sohn gewesen sein. Im September 1770 wies der Geheime Rat die Hofkammer an, für einen Juden und für dessen drei Kinder die für die Taufe benötigte Kleidung anzuschaffen.76 Später wurde als sein Name Faistel (XVIII.21) angegeben; möglicherweise war er identisch mit jenem Faist Löwel, der 1764 in Rastatt als Wirt genannt wurde.77 Offensichtlich versuchte er, eine beständige Unterstützung zu erhalten. Der Geheime Rat teilte der Kammer im Oktober 1770 mit, dass Faistel keine „Pfründe“ erwarten könne; er müsse „seine Nahrung durch Arbeit oder sonstigen Handel“ erwerben. Allerdings sollten die Spitalstiftungen in Ettlingen und Baden-Baden die bis dahin für die Versorgung seiner Kinder entstandenen Kosten übernehmen;78 sie beliefen sich auf 54 Gulden und 50 Kreuzer.79 Auf seine Supplik befürwortete die Kammer wenigstens die Fronfreiheit für Faistel.80 Sie schlug 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80

GLAK 61/167 HR 2.9.1738 Nr. 17. GLAK 117/1102, Oberjudenschultheiß Samson Schweitzer, „Specification“, 8.1.1743. GLAK 74/7272, „Actum Bühl“, 17.12.1755, Bl. 21r. GLAK 61/318 GRATP 16.4.1760 Communia Nr. 11. GLAK 61/318 GRATP 25.4.1760 Communia Nr. 8. GLAK 74/7272, „Actum Bühl“, 17.12.1755, Bl. 20v. GLAK 61/308 HK 25.9.1770 Nr. 2644. Zu Faist Löwel als Wirt siehe S. 464f. GLAK 61/308 HK 15.10.1770 Nr. 2861 und 19.11.1770 Nr. 3243. GLAK 61/308 HK 4.12.1770 Nr. 3453. GLAK 61/308 HK 27.11.1770 Nr. 3364.

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auch vor, den ältesten Sohn zu einem Schuster in Baden-Baden in die Lehre zu geben und seine zwei jüngeren Brüder das Strumpfstrickerhandwerk lernen zu lassen.81 Im Februar 1771 verzeichnete das Gratialprotokoll einen August Gottlob (XVIII.22) in kurzem Abstand zweimal, zunächst als „getauften Juden Gottlob“, dann als „Juden August Gottlob“.82 Er, wohl ein Sohn Ludwig Gottlobs, bat 1771 um eine finanzielle Hilfe zugunsten seines ältesten Jungen, den er in die Lehre zu einem Rastatter Schuhmacher geben wollte; es ging um die 150 dafür erforderlichen Gulden. Die Kammer befürwortete die Übernahme;83 ohne dass eine Begründung protokolliert wurde, jedoch erfolgte, zumindest für diesen Zeitpunkt, die Ablehnung.84 Anders als August Gottlob, der wohl als Kind oder Jugendlicher mit seinen Eltern Chaye und Cheyle Schweitzer getauft wurde, verließen Hayum Jacob, Lemmle Mayers Tochter und die Tochter von Joseph Jonas ihre Familien. Sie waren als Kinder und Jugendliche in einer sozialen Übergangsphase, und ihre familiären Verhältnisse waren prekär durch ihre Armut, oder sie lebten ohne Familie, in noch größerer Not.85 Bei Hayum Jacob kam zur Armut ein weiteres Problem hinzu: Sein älterer Bruder David Jacob hatte ohne Erfolg 1754 wegen des Schutzes suppliziert.86 Für Hayum Jacob musste die Aussicht auf die Schutzerteilung sehr gering erscheinen. Auch das könnte zur Konversionsbereitschaft beigetragen haben. Armut gehörte, wie bei Chaye Schweitzer und seiner Frau Cheyle, auch bei Faistel zum Hintergrund der Konversion; nur so erklärt sich, warum die Regierung den Lebensunterhalt für seine Kinder übernahm. Anders als bei Chaye und Cheyle Schweitzer gehörte die Nähe zur Delinquenz87 bei ihm wohl nicht zur Lebenssituation vor der Taufe. Für die Konversionsbereitschaft markgräflicher Juden und Jüdinnen ergibt sich eine klare Feststellung: Armut war oft ein Element ihrer Lebenssituation, aber auch unter den vielen Armen war die Entscheidung für die Taufe selten. Nur dann, wenn Lebensentwürfe vor einem Bruch standen oder wenn in einer Übergangsphase zusätzliche Unsicherheiten hinzukamen, versprach die Konversion ei81 82 83 84 85

GLAK 61/308 HK 10.12.1770 Nr. 3502. GLAK 61/309 HK 1.2.1771 Nr. 362 und 19.2.1771 Nr. 506. GLAK 61/309 HK 19.2.1771 Nr. 506. GLAK 61/309 HK 26.2.1771 Nr. 583. Zur sozialen Situation von Hayum Jacob, unter dem Vorbehalt, dass seine Herkunft nicht sicher erkennbar ist, siehe S. 550. 86 Zum gescheiterten Gesuch David Jacobs wegen der Schutzaufnahme siehe S. 129, Tabelle VI, Nr. VI.9. 87 Zur Untersuchung gegen Chaye Schweitzer und seine Frau wegen der Verwicklung in einen Diebstahl siehe S. 544ff.

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nen Ausweg. Schutzjuden und ihre Angehörigen in stabilen Lebensverhältnissen konvertierten nicht, zumindest nicht innerhalb der Markgrafschaft. Wenn dieses Ergebnis noch weiter abgesichert werden sollte, könnte es nur auf einer überregionalen Ebene geschehen.88

15.4  Drei Frauen – Konversion im familiären Spannungsfeld Bei drei Frauen, die konvertierten, spielte Armut zunächst keine Rolle. 1711 hielt die Hofkammer fest, dass sich die Schwester (XVIII.3) von Mayer Malsch mit ihrem Bruder stritt; sie wurde dabei als „getaufte Jüdin“ bezeichnet. Das Amt Ettlingen hatte ihr einen Anteil am väterlichen Erbe zugesprochen. Mayer Malsch erhob dagegen Einspruch und verhinderte, dass sie mehr als 20 Gulden erhielt.89 1713, zwei Jahre nach dem Tod von Isaac in Gernsbach,90 ging seine Tochter gegen ihren Bruder vor. Der Hofrat nannte sie Catharina Judea (XVIII.5), eine „getaufte Jüdin“, als sie ihn um ein Verzeichnis des väterlichen Erbes bat, das ihr Bruder für sich allein beanspruchte.91 Das Ergebnis der Auseinandersetzung scheint nicht überliefert zu sein. Blümel Abraham (XVIII.6) im pfälzischen Dürkheim befand sich 1715 mit Isaac von Ettlingen in einer gerichtlichen Auseinandersetzung,92 als der Hofrat das Verfahren mit der Begründung unterbrach, sie wolle eine Christin werden.93 Schon nach einem Monat bezeichnete das Ratskollegium sie als „neulich getaufte Jüdin Blümlin“, als es den Ettlinger Amtmann anwies, ihr bei der Forderung gegen Isaac zu helfen.94 Schließlich wurde sie im Hofratsprotokoll als Maria Augusta Blümelin genannt.95 Mit einiger Sicherheit trug der Konflikt, in dem sich Blümel Abraham mit Isaac befand, zur Konversion bei; der zeitliche Zusammenhang, mit der Taufe im Verlauf der zu ihren Gunsten endenden Auseinandersetzung, spricht dafür. Da sich Israel auf das jüdische Recht stützen wollte, könnte die Forderung seiner Gegnerin mit einer Erbsache zusammenhängen, denn nach der Halacha war für 88 Zur Begrenztheit regionaler Untersuchungen für das Problem der Konversionen siehe Jutta Braden, Eine Probe aufs Exempel, in: Aschkenas. Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden (2005), S. 303–335, hierzu S. 335. 89 GLAK 61/139 HR 7.7.1711 und GLAK 61/139 HR 14.7.1711. 90 GLAK 61/247 HK 15.9.1711 mit der Erwähnung einer Todfall-Forderung durch die Regierung von Speyer nach dem Tod Israels. 91 GLAK 61/141 HR 20.7.1713. 92 Zur Auseinandersetzung Blümels mit Isaac siehe S. 498. 93 GLAK 61/143 HK 2.4.1715. 94 GLAK 61/143 HR 16.5.1715. 95 GLAK 61/143 HR 18.6.1715.

Drei Frauen 

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die weibliche Linie der Erbberechtigten eine ungleiche Behandlung möglich.96 Auch die Aushandlung des Kompromisses, dass Blümel Abraham mit der Zustimmung von Verwandten heiraten sollte, spricht für einen Konflikt zumindest unter Verwandten, wenn nicht sogar unter Erbberechtigten. Mit der Taufe fand Blümel eine Lösung, die sowohl ihre materiellen Interessen wie ihre autonome Entscheidung über eine Heirat sicherte. Bei Maria Martha, der Schwester von Mayer Malsch, und bei der Tochter von Isaac in Gernsbach ging es ebenfalls um einen Erbkonflikt; hier lässt sich zumindest nicht ausschließen, dass dies zur Konversion beitrug. In diesen Fällen dürfte Armut höchstens als Furcht vor Verarmung wegen des entzogenen Erbes eine Rolle gespielt haben. Bei allen drei Frauen fällt die Taufe mit einem innerfamiliären Konflikt zusammen – unentscheidbar ist, ob dieser Konflikt bei allen zur Konversion führte oder nicht auch eine Folge der Konversionsabsicht sein könnte. Etwas Weiteres kommt bei den Konvertitinnen hinzu: Insgesamt waren sie mit Ausnahme von Cheyle Schweitzer unverheiratet und wohl auch eher jung. Möglicherweise sahen sie, anders als verheiratete oder alte Frauen, Chancen für eine Integration in der Mehrheitsgesellschaft nach der Taufe, vielleicht gerade durch eine Heirat. 15.3.1  Eine Taufe unter dem Galgen? Die Herkunft Abraham Jacobs97 gibt das Hofratsprotokoll von 1748 mit Amsterdam an,98 die seiner Frau Frattgen oder Frommet mit einem Ort „aus dem Jülcher Landt“,99 der Gegend um Jülich. Gegen beide wurde spätestens seit Mai 1747 wegen eines Kirchendiebstahls im Amt Ettlingen ermittelt.100 Über die Lebensumstände Abraham Jacobs enthält das Protokoll des Hofrates nichts, außer dass er die Zeichen einer Brandmarkung trug; Nachforschungen über die Gründe dafür blieben wohl ohne Ergebnis.101 Im Juni des Jahres befahl die Regierung dem Ettlinger Amtmann Wilhelm Hornus, einen Geistlichen ins Gefängnis zu schicken, damit er Abraham Jacob „seinem Verlangen gemäß“ im katholischen Glauben unterweise. Allerdings sollte

96 Claudia Ulbrich, Shulamit und Margarete, S. 233 Anm. 925. 97 Auf S. 541ff., Tabelle XVIII, Konversionen 1704 bis 1771, wurde Abraham Jacob nicht aufgenommen ist, da seine Konversion nicht nachweisbar ist. 98 GLAK 61/177 HR 30.5.1748 Nr. 10. 99 GLAK 61/177 HR 6.8.1748 Nr. 14. 100 GLAK 61/177 HR 30.5.1748 Nr. 10 und 12.6.1748 Nr. 32. 101 GLAK 61/177 HR 12.6.1748 Nr. 32.

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alles sehr vorsichtig unternommen werden, um Abraham Jacob an der Flucht zu hindern.102 Der Hofrat schlug schließlich folgende Bestrafung vor: Abraham Jacob solle „zwar mit der sonst gewöhnlichen Todts-Straf durch den Strang angesehen – wann jedoch derselbe zu dem Christentumb sich ernstl(ich) bequemen – und dabey beständig Verbleiben sollte, solchernfahls intuitu hujus [mit Blick auf die Bekehrung] zu einigmäßigen dessen Begnadigung derselbe anstatt durch den Strang, mittels des Schwerdts vom Leben zum Tod hingerichtet werden könnte, wobey jedoch die allerdings nöthige praecaution [Vorsicht] zu gebrauchen wäre, dass, wofern Inquisit [der Angeklagte, hier Verurteilte] gegen Verhoffen sich ettwa nur zum Schein taufen lassen und hiernach allenfahls ernegst [dann] auf der Richtstatt zu seinem Judenthum zurückfallen sollte, auf dessen zwahr nicht Vermuthungsfahl alsdann das Todes-Urtel mittels des Strangs ahn demselben zu Vollziehen wäre.“103

Der Vorschlag zielte also darauf ab, Abraham Jacob mit der weniger ehrverletzenden Hinrichtung durch das Schwert zu bestrafen, vorausgesetzt, er war bereit zu konvertieren. Auch eine Scheinkonversion bedachte die Regierung: Der Verurteilte könnte auf dem Weg zur Hinrichtung seine Konversion für ungültig erklären und seine Zugehörigkeit zum Judentum bestätigen. Für diesen Fall sah die Regierung die Anwendung der ursprünglichen Strafe vor, die Hinrichtung mit dem Strang. Der Geheime Rat und der Markgraf stimmten diesem Vorgehen zu.104 Während bei Abraham Jacob noch offen war, ob er sich taufen ließ, stellte sich diese Frage bei seiner Frau Frattgen oder Frommet nicht. Eine Stunde Pranger, Auspeitschung, Urfehde und Ausweisung lautete für sie das Urteil.105 Dass sie beim Judentum blieb, zeigt der Vollzug des Urfehde-Eids: Der Hofrat ließ den Rastatter „Judenschuhlmeister“ Nathan106 nach Ettlingen schicken, um Frattgen nach jüdischem Recht schwören zu lassen.107 Bei Abraham Jacob war der Vollzug des Urteils schwieriger. Amtmann Hornus musste zunächst den morschen Galgen erneuern lassen. Dann berichtete er, der Verurteilte habe noch einmal den Diebstahl „gütlich [freiwillig] eingestanden“, dennoch entschieden auf der Hinrichtung durch den Strang beharrt. Diese ordnete darauf der Hofrat an und gab eine genaue Anweisung: Der Amtmann solle nochmals den Verurteilten auf die „Gnadt“ hinweisen, die ihm für eine Bekehrung zugesichert sei. Der Markgraf wolle ihm, diesem „armen Sünder in casum conversionis, et ejus perseverantia [für den Fall, dass er ein Christ werde und bleibe] eine anderweite gnad dahin angedeyhen lassen, daß, wann 102 GLAK 61/177 HR 18.6.1748 Nr. 18. 103 GLAK 61/177 HR 6.8.1748 Nr. 14. 104 GLAK 61/177 HR 11.8.1748. 105 GLAK 61/177 HR 6.8.1748 Nr. 14. 106 Zu Nathan Levi siehe S. 469f. und S. 543. 107 GLAK 61/177 HR 13.8.1748 Nr. 11 und 22.8.1744 Nr. 11.

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er die Todts Straf des Strangs lieber ausstehen und erwählen wolle, dessen entleibter Cörper zur abends Zeith selbigen tags von dem galgen wieder abgenohmen – und gleich andern armen Sündern auf dem Kirchhof beErdiget werden solle.“108

Noch einmal versprach so die Regierung dem „armen Sünder“109 eine Gnade für den Fall des Glaubenswechsels: Ziehe er den Tod durch den Strang vor, dann würde sein Leichnam noch am Abend der Hinrichtung vom Galgen abgenommen und auf dem christlichen Friedhof begraben werden. Eine Woche nach dem letzten Angebot der Regierung registrierte der Hofrat den Bericht des Ettlinger Amtmanns über die Hinrichtung Abraham Jacobs am Galgen;110 über eine Konversion enthält der Protokolleintrag nichts. Bei dem zum vagierenden Teil der jüdischen Unterschicht gehörenden Abraham Jacob initiierte die Regierung die Konversion oder griff die Möglichkeit dazu rasch auf. Einem zum Tod Verurteilten erließ die Regierung nicht mehr wie 1731 bei Hertz Netter gegen eine Geldzahlung der Judenschaft die Hinrichtung.111 Die Regierung blieb bei der Todesstrafe, hielt sich damit an die Norm bei einem Kirchendiebstahl. Jetzt stellte sie dem Verurteilten Vergünstigungen bei einer Konversion in Aussicht. Hier war wohl neben dem Beweis des eigenen Glaubenseifers, einer autostereotypen Vorstellung, auch das Stereotyp des Juden wirksam, der für Vorteile seine eigene Religion aufgab, und die Regierung sah die Gefahr einer Scheintaufe eines betrügerischen Juden. Dass er, der schon die Hinrichtung mit dem Schwert abgelehnt hatte, auf das Angebot der Taufe und eines christlichen Begräbnisses einging, ist nicht ersichtlich. Wenn er die Konversion verweigerte, dann spräche das, trotz seiner Existenz als Betteljude, für eine stabile Verankerung in seiner Religion.

15.5  Die Taufe: Triumph der Kirche über das Judentum? Oder eine Form der Selbstdarstellung? 1704 verzeichnete der Bühler Ortsgeistliche im Taufbuch eine „filia Judea“ (XVIII.1), ein jüdisches Mädchen aus der Nähe von „Wimfen“,112 ohne jede weitere Angabe, nicht einmal des christlichen Namens. Ihre Taufpaten waren ein 108 GLAK 61/177 HR 14.8.1748 Nr. 21. 109 Zur Bezeichnung des Verurteilten als „armer Sünder“ Richard van Dülmen, Das Schauspiel des Todes. Hinrichtungsrituale in der frühen Neuzeit, in: Ders. und Norbert Schindler (Hg.), Volkskultur. Zur Wiederentdeckung des vergessenen Alltags (16.–20. Jahrhundert), Frankfurt/M. 1984, S. 203–245, hierzu S. 211. 110 GLAK 61/177 HR 20.8.1748 Nr. 19. 111 Zur Verschonung Hertz Netters von der Hinrichtung gegen eine Geldzahlung der Judenschaft siehe S. 428. 112 Wimfen: vielleicht Wimpfen, Bad Wimpfen, Landkreis Heilbronn.

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General von Aubach, Maria von Halonien, eine geborene von Spe, und Maria Klara Harrandt,113 eine Verwandte des damaligen Amtsverwesers in Bühl, alles Paten, die sich mit ihrer sozialen Position auffallend von den übrigen Einwohnern des Ortes abhoben. In knappster Form berichtete das Jesuitenkolleg in Baden-Baden im Jahr 1711 seinem Ordensprovinzial nach Mainz: „Ein alter Jude ließ sich taufen“ (XVIII.2).114 Ausführlicher berichteten die zwei Kammerräte Johann Dyhlin und Johann Carl Sartorius im Oktober 1716 der Markgräfin Sibylla Augusta und dem Geheimen Rat von einem Jungen (XVIII.7) aus einer jüdischen Familie, dessen Taufe bevorstand. Sie schrieben: „Es sindt etwa drey wochen, daß der Schultheiß von Muggensturm auf der Cammer [bei der Hofkammer] erschienen, vorbringend, waßgestalten [wie] sich allda Ein Juden Bub befindte, welcher zu annehmung des Catholischen glaubens sehr inclinire [geneigt sei], und schon einige mahl Zu Ihme gekommen seye umb Ihme darzu verhülflich zu seyn [damit er, der Schultheiß, ihm helfe], und von denen Juden seiner sicherheit halben weg zu schaffen, warauf Wir selben [diesen] in Spithal zu Baaden führen, interim [in der Zwischenzeit] auf Spithals mitlen verpflegen, und den PP Soc. Jesu [Patres Societatis Jesu, Jesuiten-Patres] zur nöthigen unterrichtung recommandiren [empfehlen] laßen, und gleichwie Ermeldter Jung Durch fleißige besorgung in glaubens sachen sehr wohl zu genohmen, und die fähigkeit haben soll, negstens [demnächst] getauftd werdten zu können, als haben Wir dieses Euer Hochfürstl(icher) D(ur)chl(aucht) unterth(änig)st berichten und das weither deroselben g(nä)d(i)gster resolution und willkhür gehorsambst anheimb stellen wollen in tiefster unterwerfung verbleibende Euer Hochfürstl(icher) Durchlaucht Unterthänigste treu u(nd) gehorsambste Diener Rastatt, 18.to aug(u)st 1716 Johann Dyhlin Johann Carl Sartorius.115

Unverkennbar vermittelten die beiden Kammerräte den Eindruck, als ob „der Bub“ aus innerem Antrieb auf die Taufe dränge. Beide nutzten die Situation, ihre Sorge für den Taufwilligen herauszustellen. Ähnlich verfuhren die Jesuitenpatres in Baden-Baden, die über den Taufvorgang berichteten: Der Vierzehnjährige „floh“ von Muggensturm nach Rastatt, verlangte dringend die Taufe; als er von ihnen unterrichtet wurde, erwies er „den gleichen Eifer“ wie sie, so dass er „mit Recht ein Christ genannt und sein durfte.“ 113 EDA Freiburg, Taufbuch der katholischen Pfarrei St. Peter und Paul, Bühl, 4.6.1704. 114 Kast, Mittelbadische Chronik, S. 290. 115 GLAK 74/6981, Kammerräte Johann Dyhlin und Johann Carl Sartorius an Markgräfin Sibylla Augusta, 18.8.1716.

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Für die Taufe in der Kirche des Kollegs116 in Baden-Baden wurde ein „Gerüst“, wohl eine hölzerne „Festarchitektur“, eine Form des ephemeren Barocks117 aufgerichtet. Im Mittelpunkt stand der Täufling – „die ganze Kirche war voller Menschen; so wurde er dann auf dem Gerüste von einem der Unsrigen getauft; von seinem Paten, dem Herrn Kammerrat Dyhlin, bekam er den Namen Johann Wilhelm.“118 Klare Absicht bei dieser Inszenierung: Der Triumph über das Judentum sollte gefeiert werden. Bei einer solchen Perspektive der Beteiligten ist es konsequent, dass mit Kammerrat Dyhlin ein prominenter Vertreter der markgräflichen Regierung die Patenschaft übernahm. So hob er die Bedeutung der Taufe und sich hervor, nachdem er schon zuvor die Sorge für den konversionsbereiten Jungen übernommen hatte und damit auch die Taufe ermöglichte. Dass die Jesuitenpatres ausführlich über diese Konversion berichteten, dürfte an ihrer Mitwirkung liegen; sie machten ihren Missionseifer sichtbar. Das alles war nun ganz anders als bei der Taufe des alten Mannes im Jahr 1711: Jetzt wurde die Taufe hervorgehoben und die dabei helfenden Akteure, der ganze Vorgang nicht nur im wörtlichen Sinne auf einem „Gerüst“ für viele sichtbar gemacht. Reagierte hier die christliche Umwelt mit Triumph, werden in anderen Fällen weitere Perspektiven deutlich. Nach dem Bericht des dortigen Amtes war 1715 bei Ettlingen eine kurz zuvor getaufte Jüdin „auf der straßen von denen Juden gewaltthätig angegriffen und übel zugericht“ worden.119 Wegen der zeitlichen und örtlichen Nähe könnte es sich um Blümel Abraham gehandelt haben, von der die Rede war.120 Der Amtmann ließ gegen zwei Juden von Malsch eine Untersuchung durchführen.121 Alle markgräflichen Juden supplizierten darauf beim Hofrat. Sie erhoben den Vorwurf, es sei ein „leichtfertiges mensch“ [ein „Mensch“ in pejorativem Sinne] gewesen, das die beiden Juden mit ihrer „fälschlichen aussag“ belastet habe; sie baten darum, dass diese Frau ins Gefängnis geworfen und „castigirt [gepeinigt]“ wurde.122 In seinem Bericht verteidigte sich der Ettlinger Amtmann, er habe die beiden gar nicht ins Gefängnis gesteckt, sondern sie nur „examiniren wollen“. Der Hofrat forderte von den klagenden Juden bzw. ihrem Schultheißen einen Beweis dafür, dass die „weibsperson“, welche die beiden Malscher beschul-

116 Zu der im frühen 19. Jahrhundert größtenteils abgetragenen Kirche des Kollegs Coenen, Von Aquae bis Baden-Baden, S. 174ff. 117 Zum ephemeren Barock und den dabei verwendeten „Gerüsten“ in oder um Kirchen Hersche, Muße und Verschwendung, Teilband I, S. 569ff. 118 Kast, Mittelbadische Chronik, S. 311. 119 GLAK 61/143 HR1715 18.5.1715. 120 Zu Blümel siehe S. 542 und S. 558. 121 GLAK 61/143 HR 23.7.1715 mit der Namensnennung Abraham Malsch und Bähr. 122 GLAK 61/143 HR 11.7.1715.

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digt hatte, eine „leichtfertige“ Frau sei.123 Das weitere Verfahren scheint nicht dokumentiert zu sein. Der Ettlinger Amtmann verdächtigte hier, gestützt auf eine zweifelhafte Aussage, Juden, Maria Augusta Blümelin, wie sie als Christin hieß, überfallen zu haben. Schon vor der Taufe äußerten sich 1716 die bei der Konversion beteiligten Hofräte über die Sicherheit des taufbereiten Jungen aus Kuppenheim, ebenso 1732 der Amtmann, der auf die vielen Juden in Bühl hinwies, deretwegen die getaufte Maria Anna Judaea anderswo untergebracht werden sollte.124 Was zunächst als indirekte Widerspiegelung des Verhaltens von Juden erscheint, war wohl eher eine Vorstellung auf der christlichen Seite: Juden würden mit Gewalt auf die Konversion zum Christentum reagieren; besonders bei Maria Augusta Blümelin ist auffallend, dass nur Juden verdächtigt waren, sie überfallen zu haben, und kein Raub oder eine sonstige kriminelle Handlung erwogen wurden. Nur der Zusammenhang zwischen Konversion und Gewalt schien einzuleuchten: Juden mussten an der Apostatin Rache genommen haben. Es ging vielleicht um die andere Seite des stereotypen Triumphs, der sich in der Taufe des Jungen aus Muggensturm im Rahmen barocken Aufwands äußerte; diesem Triumph des Christentums über das Judentum setzten Juden – so die Sicht der Christen – die Verfolgung der Getauften entgegen. Unter dem Eindruck der Frömmigkeit Markgräfin Augusta Sibyllas hatte sich die Einstellung am Hof und bei den Jesuiten geändert. Während die Regentin die Lebensbedingungen für die Juden verschlechterte, erhielten – aus ihrem und dem Blick des Hofes – die Taufen an Gewicht; eine Taufe musste jetzt nicht mehr im Abseits der Kirche eines Marktfleckens stattfinden, sondern fand ihren Platz auf der Bühne des Jesuitenkollegs in Baden-Baden. Taufen gerade von Juden wurde so, wohl im Unterschied zu Taufwilligen aus der protestantischen Kirche,125 zumindest zeitweilig als „öffentliches Ereignis“ inszeniert.126

15.6  Gnaden und Grenzen im „Nachher“ Die Vergünstigungen für Getaufte waren sichtbar: Bei Ludwig Gottlob und seiner Frau wurde die Ausweisung zurückgenommen und sie erhielten auf länger

123 GLAK 61/143 HR 18.7.1715. 124 GLAK 61/160 HR 14.8.1732. 125 Der Jahresbericht zu 1716 stellt im Anschluss an die Taufe des Jungen aus Muggensturm die einer protestantischen jungen Frau dar, nach Kast, Mittelbadische Chronik, S. 311f. Eine Feier mit so großem Aufwand wie bei dem jüdischen Jungen wird nicht erwähnt. 126 Christiane D. Schmidt; Konversion als Lebensmittelpunkt in den Erinnerungen des Paulus Georgi (1745–1826), in: Aschkenas, Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden 15 (2005), S. 371–398, hierzu S. 393 (zu einer Taufe im Jahr 1773).

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eine „Gnade“ in der Form eines jährlichen Geldgeschenks.127 1766 bekam Ludwig Gottlob die Hoffreiheit,128 die ihn aus der normalen Rechtssprechung und Besteuerung herausnahm. Ausdrücklich wurde ihm mitgeteilt, dass der Markgraf ihm entgegenkomme, weil er, Ludwig Gottlob, „ein Convertierter“ sei.129 Anton Blum, ein Handelsmann in Rastatt, erhielt wie Ludwig Gottlob ein regelmäßiges „Gratiale“,130 Faistel die Fronfreiheit und für seine Kinder die Finanzierung ihrer Lehrstellen. Auch bei jüdischen Frauen gewährte die Regierung Hilfe über die Taufe hinaus: Wegen ihrer Armut erhielt die Tochter Lemmle Meyers die Zusage eines jährlichen Almosen in Höhe von 12 Gulden und weitere Hilfen.131 Nach seiner Taufe blieb Ludwig Gottlob zunächst weiter im Handel aktiv; er verkaufte Fleisch wohl im Hausierhandel in den Dörfern entlang des Rheins.132 Er versuchte, wie der konvertierte Reitknecht Johannes Glückseelig, eine Anstellung am Hof zu erhalten, ohne Erfolg, und scheiterte damit auch für seine Tochter. Wie Samson Schweitzer und der gelehrte Jude und getaufte Reitknecht Johannes Glückseelig spekulierte er auf eine Funktion im Bereich des Zollreiterdienstes, auch das vergeblich. Zu dem, was ihm den Zugang zu diesen Tätigkeiten erschwerte, gehörte wohl sein Alter. Er hatte, als Jesaias Schweitzer, den Schutz 1733 erhalten,133 war also zur Zeit seiner Taufe um die fünfzig Jahre alt. Das könnte erklären, dass er weniger körperlich anstrengende, eher kontrollierende Tätigkeiten übernehmen wollte. Hinzu kam, dass er, als die Hofkammer eine Möglichkeit prüfte, ihm eine Anstellung zu verschaffen, seine nur geringe Fähigkeit zu schreiben eingestand; die Kammer sah auch deshalb keine Chance für die Beschäftigung im Rahmen eines „kleinen dienstels“.134 Zu den Auffälligkeiten in seinem Leben gehören die vielen Suppliken, die er und seine Frau einreichten. Trotz seiner prekären Situation versuchte er so seine Lebensbedingungen zu verbessern, mit nur wenig Erfolg. Ein besonderes Zeichen setzte die Regierung bei der Namengebung. Chaye Schweitzer wurde nach Markgraf Ludwig Georg genannt, und August Gottlob, vermutlich sein Sohn, erhielt seinen Vornamen nach Markgraf August Georg. Damit, vielleicht noch mehr als mit materieller Hilfe, stellten sich die Regierung bzw. die Markgrafen als Herrschaft dar, die Juden beim Glaubenswechsel gnädig unterstützten, wohl auch in der Hoffnung, verstärkt zur Konversion zu motivieren.

127 Zum Gratiale für Chaye Schweitzer und seine Frau siehe S. 548. 128 GLAK 61/324 GRATP 8.3.1766 Communia Nr. 5. 129 Zum Entgegenkommen des Markgrafen siehe S. 548. 130 Zum Gratiale für Anton Blum siehe S. 562. 131 Zur Hilfe für die Tochter Lemmle Meyers siehe S. 548f. 132 GLAK 61/185 HR 29.4.1756 Nr. 3. 133 Zur Schutzaufnahme von Jesaias Schweitzer siehe S. 66, Tabelle IV, Nr. 14 und S. 74. 134 GLAK 61/287 HK 27.5.1750.

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Trotz der christlichen Namen gab es immer wieder Benennungen, die auf die Existenz vor der Taufe hinwiesen. Chaye wurde Anfang 1751 im Protokoll des Geheimen Rates als „Jude Chaye, nunmehriger Ludwig Georg“ bezeichnet.135 Im März 1751 nannte ihn das Hofratsprotokoll „den ehemalig relegierten [des Landes verwiesenen] Juden Chaye nunmehrigen Ludwig Gottlob.“136 Mit der stereotypen Bezeichnung als „getaufter Jude“ oder „getaufte Jüdin“ verwies die Regierung auf den Hintergrund ihrer Maßnahmen, wohl auch oft des Verhaltens der Konvertierten. Beides, direkte Bezeichnung als „getaufter Jude“ und Namen wie Gottlob, waren ein für die christliche Gesellschaft wichtiges Signal. Es machte kenntlich, was die neuen Christen noch immer von den anderen Christen unterschied: nicht mehr die Religion, sondern die Herkunft aus dem Judentum. Mit der Erinnerung an die jüdische Herkunft wurde zugleich eine Grenze errichtet, die den Weg zur Integration in der christlichen Gesellschaft erschwerte.137

15.7  Aus dem Judentum zum Rand der christlichen Gesellschaft? 15.7.1  Ein fremdes Mädchen: Taufe – aber woandershin Der Bühler Amtmann Ferdinand von Mohr berichtete im August 1732 dem Hofrat von einer jungen Frau: Sie stamme aus „Eigtersheim [Eichtersheim138] anderthalb Stunden von Heydelberg“ und sei ungefähr 21 Jahre alt – ein „armes Juden Mägdel“ (XVIII.10). Seit ungefähr einem Vierteljahr hielt sie sich in Bühl auf, habe, in der Formulierung des Amtmanns, „eine Christin zu werden sich angegeben“ und lebe im Pfarrhaus, wo sie der Geistliche in der Religion unterrichte. Der Amtmann fragte an: Solle sie getauft werden, und was solle mit ihr nach der Taufe geschehen? Der Hofrat beschloss „wegen Empfängens Heyliger daufes 135 GLAK 61/70 GR 5.1.1751 Nr. 2. 136 GLAK 61/180 HR 13.3.1751 Nr. 10. 137 Der Verweis auf die Herkunft dürfte hier eine ähnliche Funktion erfüllt haben, wie sie bei Konversionen in Spanien festgestellt wurde. Dazu Max Sebástian Hering Torres, Judenhass, Konversion und genealogisches Denken in Spanien, in: Historische Anthropologie. Kultur – Gesellschaft – Alltag 15 (2007), S. 42–63, hierzu S. 62f. 138 Mit Eigtersheim bei Heidelberg ist wohl die Gemeinde Eichtersheim gemeint. Eichtersheim war ein kurpfälzisches Lehen mit einer jüdischen Gemeinde schon im 18. Jahrhundert und ist heute ein Ortsteil von Angelbachtal; dazu Joachim Hahn und Jürgen Krüger, „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...“ Synagogen in Baden-Württemberg, hg. von Rüdiger Schmidt und Meier Schwarz, Teilband 2. Orte und Einrichtungen (Gedenkbuch der Synagogen in Deutschland 4: Baden-Württemberg). Stuttgart 2007 S. 10f.

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ihro [der jungen Frau] bey denen einberichteten Umbständen kein Hindernus zu machen.“ Das „elende Juden Mägdel“ solle getauft und dann, ausgestattet mit drei Dukaten aus der Bühler Amtskasse, „aus diesseitigem Landen forth und zu suchung ihres anderwehrtigen Unterhalts angewiesen“ werden.139 Allerdings war schon vor den Beratungen das „Mägdel“ lebensgefährlich erkrankt, darauf im Haus einer Witwe in Bühl am 30. Juni auf den Namen Anna Maria Judaea getauft worden.140 Mit Distanz und Misstrauen spitzte der Amtmann die Situation der jungen Frau zu: Dass sie eine „elende und presthafte persohn seye, welche zu aller Arbeith absolute ohntauglich, folglich sich selbten [sich selbst] zu ernähren außer stande.“ Er sah Kosten auf Dauer entstehen; das war wohl der Hintergrund für seine Frage, ob die Taufe wirklich vollzogen werden solle. Bei einer Taufe könne die künftige Christin „wegen der vielen Juden und anderen Umbständen halber“ nicht in Bühl bleiben, und sie könne auch nicht „mit den nötigen unterhalts Mittlen“ ausgestattet werden, müsse also woandershin gebracht werden.141 Seine Bedenken: War die Taufe angesichts der Kosten angebracht? Ließ sich die junge Frau vielleicht nur wegen ihrer Versorgung taufen? War nicht eine feindselige Reaktion der örtlichen Judenschaft zu befürchten? Die Hofkammer war weniger misstrauisch. Die „armselige persohn“ könne nach Baden-Baden in das „guthleuth Haus oder Spithal“ eingewiesen werden. Der Hofrat hielt es für besser, die Getaufte zwar „wegen anderer im Landt sich befindenden armen Leuthen“, wohl um weitere Erwartungen auf Hilfe nicht zu bestärken, mit einem „Almosen“ auszustatten, sie dann aber aus der Markgrafschaft auszuweisen.142 Die Haltung in der markgräflichen Verwaltung und Regierung war also nicht einheitlich: Die Verweigerung der Taufe war eine Möglichkeit, die Alternative waren Taufe und Unterstützung. Der Hofrat jedoch beharrte auf einem Unterschied, nämlich dass das Mädchen in Bühl eine Fremde war. Die Reaktionen variierten also zwischen Hilfe zur Taufe, dann aber weitgehender Segregation und der Integration auf einer Ebene, die für Arme und Kranke als angebracht galt. Mit der Entscheidung für die Taufe und eine Unterstützung, aber auch für die folgende Ausweisung vermied die Regierung das Risiko, dauerhaft mit einer Hilfsbedürftigen belastet zu werden.

139 GLAK 61/160 HR 21.8.1732. 140 EDA Freiburg, Taufbuch der katholischen Pfarrei St. Peter und Paul, Bühl, 30.6.1732. 141 GLAK 61/160 HR 14.8.1732. 142 Ebd.

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15.7.2  Ein Konvertierter als Bürger 1754 wies der Hofrat den Rastatter Amtmann Hornus an, Anton Blum (XVIII.18), einen „getauften Juden“ in Rastatt, zu vier Wochen Schanzarbeit zu verurteilen. Er war verwitwet, wie aus der Begründung dieses Urteils hervorgeht, und hatte sich mit einer „frembden ledigen dirne143 verfehlet“ und diese geschwängert.144 Er habe vier kleine, darunter auch behinderte Kinder und lebe in Armut; so begründete er 1756 seine Supplik um den Nachlass von „Herrschaftsgeldern“ und um die Befreiung von Fronden und Wachtdiensten in der Residenz.145 Erfolg erzielte er nicht: Er bekomme, so hielt die Hofkammer fest, bereits ein jährliches „Gratiale“, ein Almosen, und außerdem entsprächen seine Angaben nicht der Wahrheit.146 Ein Hinweis auf die Herkunft Anton Blums aus der Markgrafschaft liegt nicht vor. Spätestens 1766 hatte er das Bürgerrecht in Rastatt. In diesem Jahr wurde er als dortiger Bürger bezeichnet, als er supplizierte, um bei „Licitationen“, bei Versteigerungen, die Waren einschätzen zu dürfen.147 Ebenfalls als Bürger wurde er 1769 aufgeführt, als die Rastatter Krämerzunft, allerdings erfolglos, gegen den Handel vorgingen, den er und die Rastatter Juden trieben.148 Als „Bürger und Handelsmann“ bezeichnete er sich 1773 selbst, als er um eine noch ausstehende Bezahlung bat: Er hatte, im Zusammenhang mit der Auflösung des Hofes in Rastatt, bei der Versteigerung von Pferden, Kutschen und anderen Gerätschaften des Marstalls mitgewirkt.149 Die Lebensverhältnisse Anton Blums sind gekennzeichnet durch die familiäre Situation als Witwer mit vier Kindern: vielleicht die Erklärung für seine Armut. Eine Bestrafung nach seiner Taufe wegen einer unehelichen Beziehung erschwerte wohl seine Existenz. Dennoch gelang es ihm, das Bürgerrecht zu erwerben – es ist bei keinem anderen der in der Markgrafschaft lebenden Konvertierten aus dem Judentum nachweisbar. Anton Blumer lebte – wie Ludwig Gottlob – auch als Christ und Bürger in dem für die Juden fast einzig möglichen Berufszweig, dem Handel. Seine Integration wies Grenzen auf.

143 Dirne: junge unverheiratete Frau aus einfachen Verhältnissen; wohl eher nicht: Hure. 144 GLAK 61/183 HR 25.4.1754 Nr. 12. 145 GLAK 61/314 GRATP 7.4.1756 Communicanda Nr. 2 und GLAK 61/293 HK 13.4.1756 Nr. 7. 146 GLAK 61/293 HK 3.5.1756 Nr. 12. 147 GLAK 61/203 HR 18.3.1766 Regierungsprotokolle Nr. 127. 148 GLAK 61/212 HR 18.2.1769 Protocollum conferentiale Nr. 112 und GLAK 61/106 GR 15.2.1769 Konferenzberichte Nr. 372. 149 GLAK 74/8686, Anton Blum an Markgraf Karl Friedrich, 13.4.1773.

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15.7.3  Johannes Baptista Glückseelig, ein gelehrter Reitknecht Ein Johannes Baptista Glückseelig (XVIII.12), als Stallknecht am Hof und als „ex Judaeo Christianus“, als Christ und ehemaliger Jude bezeichnet, heiratete am 19. Februar 1740 in Rastatt.150 Er ist wohl identisch mit dem Reitknecht Glückseelig, den der 1749 als Oberschultheiß abgesetzte Samson Schweitzer als Zeugen für die Reaktion von Juden auf einen „Verräter“ angab.151 1759 erhielt er die Funktion und Bezeichnung eines „Marstallers oder futter Secretärs“, mit der Livree eines „Sattelknechts“ und einer Zulage von 20 Gulden zu seinem bisherigen Verdienst.152 Im nächsten Jahr bat er um eine Erhöhung seiner Besoldung; er begründete dies damit, dass „sein arbeit dermahl sehr fatigable [ermüdend, anstrengend], seine Besoldung aber sehr gering“ sei.153 Das für ihn zuständige Oberstallmeisteramt unterstützte ihn und trat dafür ein, ihm eine Stelle als „Zollbereiter“ zuzusagen und ihm vorerst eine jährliche Zulage von 10 Gulden zu geben. Das Stallmeisteramt ging dabei zur Begründung nicht auf die Arbeit Glückseeligs ein, sondern auf seine Fähigkeiten: Er habe Rechnen und Schreiben gelernt,154 ein Hinweis darauf, dass Johannes Glückseelig, wie bereits Samson Schweitzer bemerkt hatte,155 über ein besonderes Maß an Bildung verfügte. Im Juli 1760 reichte Glückseelig eine neue Supplik ein, eine Bitte um eine Livree und um ein Paar Stiefel.156 Wieder befürwortete der Oberstallmeister dieses Gesuch. Er fügte auch hinzu, Glückseelig habe schon kurz zuvor die Aussicht auf die Stelle eines Zollbereiters bekommen. Die Regierung bewilligte darauf die Stiefel, aber noch keine neue Livree.157 Im Dezember des Jahres erhielt Glückseelig, wohl auf eine neue Fürsprache des Oberstallmeisters, wenigstens ein neues Kleidungsstück.158 Wegen seiner Anstellung als Zollbereiter fragte er im März 1761 nach, als in Kippenheim dieses Amt nicht besetzt war. Die Regierung verschob aber die Entscheidung.159 Im folgenden Jahr supplizierte er wegen einer „Bereuthers Stelle“, der Anstellung als Bereiter160 im Marstall.161 Die Regierung schloss sich dem Gutachten des Oberstallmeisters an: Glückseelig könne wahrscheinlich eher die Stelle 150 EDA Freiburg, Heiratsbuch der Pfarrei St. Alexander in Rastatt, 1723–1799, 19.2.1740. 151 Zur Berufung Samson Schweitzers auf Johannes Glückseelig siehe S. 447f. 152 GLAK 61/317 GRATP 14.3.1759 Communia Nr. 5. 153 GLAK 61/318 GRATP 9.1.1760 Communicanda Nr. 11. 154 GLAK 61/318 GRATP 30.1.1760 Communia Nr. 8. 155 GLAK 74/3731, Samson Schweitzer an Markgraf Ludwig Georg, 4.3.1749. 156 GLAK 61/318 GRATP 1.7.1760 Communicanda Nr. 1. 157 GLAK 61/318 GRATP 12.7.1760 Communia Nr. 2. 158 GLAK 61/318 GRATP 30.12.1760 Communia Nr. 1. 159 GLAK 61/319 GRATP 7.3.1761 Communia Nr. 3. 160 Bereiter: Jemand, der junge Pferde zureitet. 161 GLAK 61/320 GRATP 31.3.1762 Communicanda Nr. 1.

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eines Zollbereiters erhalten als die eines Bereiters im Marstall.162 Als solcher wurde Glückseelig dann doch genannt, als er 1768 eine „simple einfache Reitkleidung nebst einen ohnbordierten Hut [Hut ohne gemustertes Band]“ erhielt.163 Bei Johannes Glückseelig stellte sein Namen sicher, dass die Erinnerung an seine jüdische Herkunft nicht erlosch. Dennoch ist bei ihm für das „Nachher“ ein hohes Maß an Integration sichtbar, nicht nur an der Ehe mit einer „geborenen“ Christin. Spätestens von 1740 an lebte er im Dienst am Hof. Er versuchte seine wirtschaftliche Situation zu verbessern mit Hilfe von Suppliken und wurde dabei vom Stallmeisteramt, von seinem direkten Vorgesetzten, unterstützt. Seine mehrmals erwähnte Bildung war auffallend; in ihr unterschied er sich von den übrigen Taufwilligen oder Getauften. An ihr deutet sich allerdings auch eine Grenze seiner Integration an: Als Bereiter konnte er seine Bildung kaum nutzen. 15.7.4  „Der verdächtige Jacob Bühler“ Im März 1741 übergab das Kloster Schwarzach dem Amtmann Hornus in Stollhofen einen Einwohner des Ortes Schwarzach namens Jacob Bühler (XVIII.13). Gegen ihn hatte das Kloster eine Untersuchung eingeleitet, in der es um die Verbindung Bühlers mit „Landstrolchen“ ging, um Handel mit Waren, die er ihnen abgekauft und dann weiterverkauft hatte.164 Von da an erfolgte im Hofrat immer wieder die Bezeichnung Jacob Bühlers als eines „getauften Juden“.165 Die Untersuchungen ergaben, dass ein Teil der „Krämerwaren“ von Jacob Bühler aus einem Diebstahl in Durlach stammte. Ein ehemaliger Scharfrichter namens Groß hatte die Taftbändel, um die es sich handelte, an Bühler verkauft. Groß selbst war anscheinend nicht habhaft, dafür eine als „Vagabundin“ bezeichnete Frau, die in Rastatt im Gefängnis saß und der Beteiligung am Diebstahl beschuldigt wurde.166 Der „verdächtige Jacob Bühler“ wurde nach Rastatt ins Gefängnis eingeliefert, brach aber aus und floh ins Kloster der Franziskaner nach Baden-Baden. Ohne die Zustimmung des zuständigen Speyrer Bischofs wagte der Hofrat keinen Zugriff auf Jacob Bühler, solange dieser ein Asyl bei den Mönchen beanspruchte.167 Der Markgraf und Geheime Rat billigten das und ließen gleichzeitig an die Ämter 162 GLAK 61/320 GRATP 17.4.1762 Communia Nr. 11. 163 GLAK 61/306 HK 9.9.1768 Nr. 2730. 164 GLAK 61/170 HR 21.3.1741 Nr. 6. 165 GLAK 61/170 HR 11.4.1741 Nr. 11. 166 GLAK 61/170 HR 23.3.1741 Nr. 13. 167 GLAK 61/170 HR 25.4.1741 Nr. 1.

Veränderte Reaktionen in der christlichen Gesellschaft? 

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in der Nachbarschaft einen Steckbrief Bühlers schicken, zur „wieder beibringung dieses Bösewichts“, wenn er das Kloster verlasse.168 Im Juni erfuhr der Hofrat, dass Barbara, die Frau Jacob Bühlers, mit „Sackel und gelt“ Schwarzach verlassen habe. Im Oktober des Jahres befasste sich der Hofrat mit dem Haus und erneut mit der Frau Bühlers: Man befürchtete, sie könne das Haus verkaufen und mit dem Erlös zu ihrem Mann fliehen. Es sei am besten, man lasse die Frau „des getauften Juden“ in Schwarzach wohnen; falls ihr Mann dann „in der geheim beyschleichen würde“, könne man ihn festnehmen.169 Damit endeten die Einträge über Jacob Bühler in den Hofprotokollen. Jacob Bühler existierte als Christ in einem kleinen Handel wie viele Juden. Trotz seines längeren Lebens in Unauffälligkeit wurde er wie diese rasch verdächtigt, in einen Diebstahl verwickelt zu sein. Ein unauffälliges Leben verhinderte also nicht, doch wieder wie ein Jude gesehen zu werden.

15.8  Veränderte Reaktionen in der christlichen Gesellschaft? Die Haltung in der Verwaltung und Regierung war nicht einheitlich. Der Bühler Amtmann hatte 1732 für die junge Frau aus Eichtersheim die Verweigerung der Taufe als eine Alternative angedeutet, während in der Regierung die Reaktionen variierten zwischen einer weitgehenden Segregation und einer Integration, wie sie armen und kranken Christen zukam. Bei dem zum vagabundierenden Teil der jüdischen Unterschicht gehörenden Abraham Jacob versuchte die Regierung die Konversion zu fördern. Abraham Jacob war, wie Hertz Netter, ein fremder Jude,170 1748 wegen eines Diebstahls zum Tode verurteilt worden. Anders als bei Netter kam es bei Abraham Jacob zu keinem Angebot, gegen Geld auf die Todesstrafe zu verzichten. Die Regierung blieb bei der Norm, die für einen Kirchendiebstahl diese Strafe vorsah; nur die Umwandlung der Todesart kam für sie in Frage. Setzt man voraus, dass die Regierung einen Handlungsspielraum hatte, zielte sie 1748 anstatt auf materiellen Gewinn auf den Religionswechsel. Das musste nicht eine Folge davon sein, dass die Religion an Bedeutung gewonnen hatte. Möglicherweise hatte sich der Eindruck durchgesetzt, dass im Zusammenhang mit einer rechtlichen Entscheidung die Annahme von Geld die Regierung ins Zwielicht bringen konnte. Jacob Bühler stand, wenn die Ergebnisse der Ermittlungen richtig waren, in Verbindung mit Menschen am Rand der christlichen Gesellschaft. Auch gegen einen jüdischen Einwohner des linksrheinischen Amtsortes Beinheim, als „Jud 168 GLAK 61/170 HR 25.5.1741 Nr. 13. 169 GLAK 61/170 HR 19.10.1741 Nr. 7. 170 Zu Hertz Netter siehe ebd.

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Meyer“ bezeichnet, wurde ermittelt, weil er von Jacob Bühler Waren gekauft habe; gegen ihn konnte aber nichts weiter vorgebracht werden.171 Es war also für die Regierung durchaus vorstellbar, dass ein „getaufter Jude“ wieder in Verbindung mit ehemaligen Glaubensgenossen geriet. Es ist auffallend, wie der Hofrat Jacob Bühler kennzeichnete: Er blieb ein „getaufter Jude“ und verdächtig. Offenbar existierten keine Beweise dafür, dass er wissentlich Diebesgut gekauft hatte. Juden wurden immer verdächtigt, mit Diebesgut zu handeln; damit trat die Kennzeichnung als „getaufter Jud“ an die Stelle eines Beweises, und so galt Bühler aus der Sicht des Hofrats mit Recht als „Bösewicht“. Ein anderes Stereotyp verstärkte die Beweiskraft: Der „getaufte Jud“ könnte „heimlich einschleichen“.172 Die Taufe, so die Zusammenfassung der Perspektive, versteckte den Juden, wie er sich im Kloster versteckte. Dass die Bezeichnung als „getaufter Jude“ oder „getaufte Jüdin“ immer wieder stereotyp verwendet wurde, diente nicht nur zur Kennzeichnung des sachlichen Hintergrundes einer Regierungsmaßnahme, wenn es um eine Hilfe für die Getauften ging. Das Stereotyp machte in besonderer Weise kenntlich, was die neuen Christen noch immer von der Mehrheit unterschied: nicht mehr die Religion, sondern die Herkunft aus dem Judentum. Die Erinnerung daran bewahrte die Trennung.173 In einer krisenhaften Situation, in Krankheit, Armut und ohne erkennbare soziale Bezüge zur jüdischen Gesellschaft lebte das junge Mädchen, das 1732 in Bühl getauft wurde. Auf eine soziale Integration hatte sie wohl keine Chance. Hatte sie der arme Anton Blum? Zumindest im Ansatz bot sie sein Status als Bürger, ebenso seine Tätigkeit als Handelsmann. Möglicherweise hatte sich ein Einstellungswandel vollzogen: Wer als Getaufter keine Belastung für den Hof darstellte, dem legte zumindest die Regierung in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts vielleicht nichts mehr in den Weg zur Mehrheitsgesellschaft. Allerdings: Vorbehalte existierten weiter; für die Regierung blieb Blum ein getaufter Jude, und die Krämerzunft artikulierte deutlich, dass sie ihn doch wieder mit den jüdischen Handelsleuten gleichstellte.

171 GLAK 61/170 HR 20.4.1741 Nr. 8. 172 Zur Möglichkeit, dass Jacob Bühler „geheim beyschleichen“ könne, siehe S. 565. 173 Der Verweis auf die Herkunft dürfte hier eine ähnliche Funktion erfüllt haben, wie sie bei Konversionen in Spanien festgestellt wurde. Dazu Max Sebástian Hering Torres, Judenhass, Konversion und genealogisches Denken in Spanien, in: Historische Anthropologie 15 (2007), S. 62f.

„Weder hier noch dort“ 

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15.9  „Weder hier noch dort“ Bei einigen Juden und Jüdinnen lässt sich vor ihrem Glaubenswechsel Armut feststellen, sei es, dass sie sich bei der Konversion in der Übergangsphase zum Erwachsenensein, im Alter oder in einer Krankheit befanden. Die Erfahrung von Verarmung oder die Furcht vor ihr lässt sich gerade bei Chaye und Cheyle Schweitzer feststellen, die sich ihrer Herkunft aus einer Hofjudenfamilie bewusst waren, ebenso der Gefahr des Schutzverlustes und damit des Abstiegs in die Existenz von Betteljuden. Wenn ihre Nähe zu einer Dienstmagd nicht nur eine kurze Phase andauerte, lässt sich vor ihrer Konversion der Aufenthalt in einer christlichjüdischen Kontaktzone erkennen, in der sich oft sehr arme oder sehr reiche Juden befanden, wenngleich dies bisher eher für die Zeit um 1800 festgestellt wurde.174 Dieses Paar führte seinen sozialen Abstieg ausdrücklich auf das Verhalten eines Verwandten, des Judenschultheißen Samson Schweitzer, zurück, gewiss ein Element der Verteidigung. Auch andere taufwillige Jugendliche und Frauen lebten in einer Spannung zu ihrer Familie; das konnte die Bindung an ihre Herkunftsgesellschaft lockern. In einem brüchigen Verhältnis zur Verwandtschaft verfolgten gerade Frauen ihre Interessen über den Weg zur Taufe. Soweit materielle Interessen mitspielten, kann auch bei ihnen die Furcht vor Armut zur Taufentscheidung beigetragen haben. Eine besondere Rolle spielte der Hof. An ihm und seinen Beamten orientierten sich die Taufwilligen als einer Instanz, welche den Eintritt in die christliche Gesellschaft am ehesten eröffnete; seine Beamten und lokale Ämter stellten den Kontakt zum Hof her. Dabei kamen den Taufwilligen die kurzen Distanzen in der kleinen Markgrafschaft zugute. Die Konvertierenden nutzen diese Voraussetzung des Kontaktes wie die Juden, die am Hof ihren wirtschaftlichen Zielen nachgingen. Die Regierung, sowohl Markgräfin Sibylla Augusta wie ihre Söhne und Beamte am Hof, bot Hilfe in materieller Form, erhöhte dabei sich und das Christentum als Sieger über das Judentum – gerade in der Zeit der Markgräfin. Selbst wenn Juden vor einer Bestrafung standen, zielte der Hof auf einen Übertritt zum Christentum. Obwohl es Bedenken über die Motive von Konversionswilligen und die Gefahr einer Scheinbekehrung gab, spielten diese selbst in extremen Situationen wie bei Abraham Jacob oder Elias Asher175 keine Rolle. Die Aussicht auf eine Konversion überdeckte die Zweifel. War hierbei das religiöse Sendungsbewusstsein entscheidend, in Verbindung mit der stereotypen Vorstellung der christlich-katholischen Herrschaft? 174 Michael A. Meyer, Judentum und Christentum, in: Michael Brenner u. a. (Hg.), Deutschjüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. 2, Emanzipation und Akkulturation 1780–1871. München 1996, S. 201. 175 Zu Elias Asher siehe S. 379ff.

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Soweit sich das Leben nach der Konversion verfolgen lässt, verlief die Integration in die christliche Mehrheitsgesellschaft nur mit Schwierigkeiten, in materieller Hinsicht, aber auch gerade im Bewusstsein der „alten“ Christen, dass die „neuen“ Christen und Christinnen doch aus dem Judentum kamen. Bei Faistels Söhnen übernahm die Regierung die Kosten für eine Schuhmacherlehre, bei einem Sohn von August Gottlob befürwortete zumindest die Hofkammer die Übernahme des Lehrgelds;176 die „Produktivierung“177 von Juden, ihre Ausbildung als Handwerker deutete sich an. Darin ging die Regierung einen Weg, der in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts und vor allem im 19. Jahrhundert für Juden als richtig angesehen wurde. Insofern blieben selbst Getaufte in der Perspektive der anderen lange, wenn nicht auf Dauer, jüdisch, trotz der Taufe. Das Bewusstsein der Herkunft erhielt die Trennung aufrecht, die im religiösen Bereich eigentlich überwunden war. „Weder hier noch dort“ – so lässt sich die Existenz der getauften Juden und Jüdinnen nicht nur für das 19. Jahrhundert kennzeichnen.178

176 Zur Bitte August Georgs um eine Unterstützung für seinen Sohn siehe S. 551. 177 Zum Begriff der „Produktivierung“ als Umorientierung der jüdischen Erwerbstätigen auf „handwerkliche und landwirtschaftliche Ausbildungen“ und entsprechende Berufe im Rahmen einer auf Akkulturation hinauslaufenden staatlichen Politik zusammenfassend Stefi Jersch-Wenzel, Bevölkerungsentwicklung und Berufsstruktur, in: Brenner, JerschWenzel und Meyer (Hg.), Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. 2, S. 84f, Zitat S. 84. 178 Mit der Formulierung „weder hier noch dort“ beschreibt Shulamit Volkov die Situation der getauften Juden und Jüdinnen im 19. Jahrhundert (Shulamit Volkov, Die Juden in Deutschland 1780–1918 (Enzyklopädie deutscher Geschichte Bd. 16), München 1994, S. 84f.

16  Die „Haimsche Tochter“, Maria Josepha, die Reilingin 16.1  Wer ist schuld? 1732 lebte im Kloster zum Heiligen Grab in Baden-Baden eine junge Frau namens Maria Josepha. Die Priorin des Klosters bezeichnete sie manchmal als „die zum Christentum getaufte Haimsche Dochter,“1 der Baden-Badener Amtmann Anton Schweinhuber als die „getaufte Jüdin, des Hayumbs Tochter“,2 und Markgraf Ludwig Georg nannte sie in einem Brief an den Speyrer Bischof Damian Hugo von Schönborn die „Jud Heyumbische Christin Tochter“.3 Diese Bezeichnungen machen deutlich, was als wichtig angesehen wurde: ihre jüdische Herkunft, dass sie die Tochter von Hayum war und ihre Taufe. Hayum selbst wurde nicht weiter gekennzeichnet als mit „Jud“. Wer er war, galt als bekannt – Hayum Flörsheim, ein zeitweiliger Schultheiß der markgräflichen Judenschaft.4 Ein Aktenfaszikel mit dem Titel „Das ungebührliche Betragen einer getauften Jüdin im Kloster Zum Heiligen Grab in Baden“5 enthält Briefe über Maria Josepha aus den Monaten um die Jahreswende 1732/1733. Diese Briefe der Priorin des Klosters, des zuständigen Bischofs von Speyer und des Markgrafen Ludwig Georg enthalten kaum Hinweise auf das Leben von Maria Josepha vor ihrem Glaubenswechsel und auf den Taufvorgang selbst. Aber sie geben Aufschlüsse über die Umstände ihrer Konversion, vor allem über Maria Josephas Verhalten während der letzten Phase ihres Aufenthalts im Kloster und über die Reaktionen, die sie damit auslöste. Als Schwester Maria Dieudonné Nivart,6 die Priorin, erstmals wegen Maria Josepha an den Markgrafen Ludwig Georg schrieb, ging sie auf deren Aufnahme bei den Sepulchrinerinnen ein. Sie erinnerte daran, dass die Nonnen auf seine, des Markgrafen „Verordnung und Befehlch die zum Christenthum getretene 1 GLAK 195/1565, Priorin Nivart an Markgraf Ludwig Georg, 7.11.1732. 2 GLAK 195/1595, Amtmann Anton Schweinhuber an den Geheimen Rat, 17.11.1732. 3 GLAK 195/1595, Markgraf Ludwig Georg an Bischof Damian Hugo von Schönborn, 24.11.1732 (Entwurf ). 4 Zu Hayum Flörsheim siehe S. 19ff. 5 GLAK 195/1595, Baden Stadt. Stifte & Klöster. Das ungebührliche Betragen einer getauften Jüdin im Kloster zum Heiligen Grab in Baden. 1732. – Mit „Baden“ im Titel des Archivales ist die bis ins 19. Jahrhundert übliche Bezeichnung für Baden-Baden gemeint. Die enthaltenen Briefe sind als Konzepte oder Abschriften überliefert. 6 Die Angabe des Vornamens und die Schreibung des Nachnamens als Nivart folgt Wolfgang Müller, Das Kloster vom Heiligen Grab in Baden-Baden, in: Ders. (Hg.), Die Klöster der Ortenau. Kehl o. J., S. 545–563, hierzu S. 551. Die Unterschrift der Priorin in ihren Briefen könnte auch als Ninart gelesen werden.

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Die „Haimsche Tochter“

Haimsche Dochter Mariam Josepham schon in das 4te Jahr in der Kost undt Verwahrung [zum Lebensunterhalt und zur Obhut]“ hätten.7 In ihrem Brief vom 4. Dezember 1732 an den zuständigen Diözesanbischof Damian Hugo von Schönborn teilte sie mit, dass Maria Josepha um die Jahresmitte 1728 als „Eine Jüdin, welche zu Rastatt getauft worden“, auf Veranlassung des Markgrafen ihrem Kloster „zur Instruction [Unterrichtung] und Kost“ übergeben worden sei.8 Die Priorin betonte so in beiden Briefen, dass Maria Josepha nicht auf ihre, sondern auf die Veranlassung des Markgrafen in das Kloster aufgenommen wurde. Bischof Damian Hugo von Schönborn äußerte, als ihn Markgraf Ludwig Georg 1732 wegen Maria Josepha angeschrieben hatte, seine Einstellung zu ihrem Glaubenswechsel offen. Er stellte klar, dass er von dieser Konversion „niehe was gehalten“ und sogar vorausgesehen habe, „was als [manchmal] aus dergleichen dingen erwachsen mögte.“ Damit wehrte er jede Schuld an den Schwierigkeiten ab, die durch Maria Josepha entstanden waren. Für diese Probleme machte er allerdings sehr deutlich die Nonnen des Klosters verantwortlich: Sie hätten sich selbst „das ohngemach, so sie bereits erlitten, aufgebührdet.“ Der Bischof wies auch auf seine grundsätzlichen Bedenken gegen ihren Bekehrungseifer hin: Es liege bei Gottes „alleiniger gnadt den glauben zu geben“, und dieser Glaube sei ein „donum Dei“, eine Gabe Gottes allein.9 Damit wird deutlich, was aus der Sicht Damian Hugos geschehen war: Die Nonnen des Klosters hätten sich für die Konversion Maria Josephas eingesetzt und dabei seine Bedenken nicht berücksichtigt. Sie hätten sich dabei die „Ruthe aufgebunden“,10 sich selbst eine Last, eine Strafe oder einen Verlust an Ehre zugefügt. Fast gleichzeitig11 äußerte sich auch die Priorin dem Bischof gegenüber zur Taufe Maria Josephas und zu ihrer Aufnahme ins Kloster. Nochmals stellte sie fest, dass die Probleme mit der „getauften jüdin“ entstanden seien, als der Markgraf die Konvertitin dem Kloster „in die Verpflegung und [zur] besserer Instruction“ anvertraut habe.12 Bischof Damian Hugo antwortete: Er habe sich heftig der Taufe Maria Josephas widersetzt und dem „ohnfertigen Eyfer“ der Nonnen misstraut. Sie aber, die Priorin, habe sich leichtgläubig „bey der naasen führen“ lassen, habe im Ge7 GLAK 195/1565, Priorin Nivart an Markgraf Ludwig Georg, 7.11.1732. 8 GLAK 195/1565, Priorin Nivart an Bischof Damian Hugo von Schönborn, 4.12.1732. 9 GLAK 195/1565, Bischof Damian Hugo von Schönborn an Markgraf Ludwig Georg, 7.12.1732 (Abschrift). 10 Ebd. 11 Das Schreiben des Bischofs ist mit dem 7.12.1732 datiert, das der Priorin mit dem 8.12.1732. 12 GLAK 195/1565, Priorin Nivart an Bischof Damian Hugo von Schönborn, 8.12.1732 (Entwurf ).

Wer ist schuld? 

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gensatz zu ihm an den „wahren beruf“, die innere Berufung Maria Josephas zur Taufe geglaubt und diese überhaupt über alles gepriesen. Ihrem und der anderen Nonnen Drängen, bei ihm, beim Markgrafen und bei der Markgräfin, sei seine Zustimmung zur Taufe zuzuschreiben. Es wäre besser gewesen, resümierte der Bischof, wenn sie, die Nonnen, „immern bey ihrem glosterlichen innerlichen weesen“ geblieben wären und „bekehrungen auswertigen anderen überlaßen“ hätten. Nochmals betonte er, was er auch dem Markgrafen gegenüber geäußert hatte: Sie, die Klosterfrauen, „hätten sich die ruth selbsten aufgebunden [sich selbst eine Last aufgeladen], müßten dahero sich selbsten undt allein allen Vertruß zuschreiben.“13 In diesem Brief an die Priorin des Klosters werden die Vorstellungen des Bischofs noch deutlicher als in seinem Schreiben an den Markgrafen. Die Nonnen hätten versucht, sich der Missionierung zuzuwenden. Damit aber verließen sie, so sah es der Bischof, ihr eigentliches klösterliches Dasein und ihre wirkliche Aufgabe. Über ihren Versuch der Missionierung fällte Damian Hugo von Schönborn ein negatives Urteil. Er machte der Priorin deutlich, wen er für die Unterweisung im christlichen Glauben und in der Erziehung generell für geeignet hielt: Sein Misstrauen in die Fähigkeiten der Nonnen habe ihn nämlich, daran erinnerte er die Priorin, dazu bewogen, Maria Josepha für einige Zeit bei den Jesuiten in Ettlingen unterrichten zu lassen.14 Neben dem negativen Bild der Klosterfrauen enthält der Brief des Bischofs ein ebenso negatives Bild der Getauften. Wenn er die Priorin Nivart und die Nonnen als die Betrogenen darstellt und die innere Berufung der Konvertitin in Zweifel zieht, geht er von einer Jüdin als einer Betrügerin aus, ohne dies näher zu begründen – die Angabe reicht, dass es eine Jüdin sei: Für sie gebraucht der Bischof das Stereotyp des betrügerischen Juden, hier einer Jüdin, die das egoistische, übereifrige und unfähige Vorgehen der Klosterfrauen auszunutzen versteht, aber auch die wohlwollende Nachgiebigkeit des Markgrafen, der Markgräfin und des Bischofs selbst. Die Priorin verteidigte sich. Keinesfalls habe sie die Konvertitin „angezogen“, sie zur Taufe oder zum Leben im Kloster zu bewegen versucht. Sie führte deren Aufnahme auf andere zurück, die sie anfänglich nicht benannte: Diese hätten angegeben, dass die Getaufte auf der Flucht vor ihren Eltern sei; das Kloster sei damit, so stellte es die Priorin dar, ein Ort der „Zuflucht“ für die Tochter Hayum Flörsheims gewesen. Während sie ihre Rolle bei der Konversion und Aufnahme Maria Josephas in das Kloster als unwichtig darstellte, betonte sie die Verwicklung des Markgrafen: Nur diesen habe sie in der Eile des Geschehens benachrichtigen können, nicht aber ihn, den Bischof. Der Markgraf habe dann den Befehl zur 13 GLAK 195/1565, Bischof Damian Hugo von Schönborn an Priorin Nivart, 14.12.1732 (Abschrift). 14 Ebd.

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Die „Haimsche Tochter“

Aufnahme Maria Josephas in das Kloster gegeben und „dieser Person“ seine „Protection“ zugesagt. Auch sei nicht sie allein von der inneren Berufung Maria Josephas zum Christentum überzeugt gewesen. Diese Überzeugung hätten neben Geistlichen auch die Ettlinger Jesuiten geteilt. Sie hätten auch die Taufe und die vorausgehende „Instruction“, die Glaubensunterweisung, übernommen – mit beidem sei sie gar nicht befasst gewesen. Ihr sei deshalb „die schult nit gänzlich bey zu messen.“ Zugleich aber griff sie Maria Josepha selbst an: Die Priorin kennzeichnete sie durch eine verderbliche „Standhaftigkeit“ gegenüber positiven Einflüssen; sie sei geprägt durch „bösen humor [durch eine schlimme Geisteshaltung] und unbendige Sitten“; und „dergleichen Convertiten“ würde sie in Zukunft nicht mehr in ihr Kloster aufnehmen, besonders keine „von Jüdischer Nation, deren Unbestand und Hartneckigkeit genug bekannt“ sei.15 Zum Abschluss der Defensive, welche die Priorin gegen die Angriffe des Bischofs führte, brachte die Priorin somit das wohl ihrer Meinung nach wichtigste Argument vor: Die Schuld an den Schwierigkeiten, mit denen sie zu kämpfen hatte, liege an der Eigenart von Maria Josepha, die wiederum auf ihre Herkunft zurückgehe, an der Eigenart der Juden allgemein.16

16.2  „Kein rechter Christ, noch guter Judt“ Das Verhalten Maria Josephas im Kloster thematisierte die Priorin in einem Schreiben an den Markgrafen vom 7. November 1732. Sie wies zunächst darauf hin, dass er bereits ein Jahr zuvor versprochen habe, für die Entfernung Maria Josephas aus dem Kloster zu sorgen und damit, so die Priorin, das Kloster „Von solchem Last in Gnaden zu Entheben.“ Worin bestand diese „Last“? „Ein bös Exempel“ habe Maria Josepha gegeben und gebe sie noch immer, und zwar für die dem Kloster zur Erziehung anvertrauten Kinder, schrieb die Priorin. Deshalb habe sie Maria Josepha seit langem „abgesondert“, im Bereich der Nonnen untergebracht. Das aber habe für die Nonnen „die geistliche ruhe verstöhrt und große beschwehrnus verursachet.“ Auch den Hintergrund dieser Schwierigkeiten erläuterte die Priorin: Ihr Bemühen, nämlich die Getaufte zu einem christlichen Lebenswandel zu führen und zur Fähigkeit, selbst für ihre Existenz zu sorgen, sei gescheitert. Maria Josepha würde diese Absichten „schmehen“, herabsetzen und ablehnen, und zwar in einer Geisteshaltung, welche die Priorin so beschrieb: Wodurch Maria Josepha be-

15 GLAK 195/1595, Priorin Nivart an Bischof Damian Hugo von Schönborn, o. D.(Entwurf ) 16 Ebd.

„Kein rechter Christ, noch guter Judt“ 

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stimmt werde, sei zunehmend ein „Unruhig Unbeständiger humor [unruhiger und unbeständiger Sinn], so kein rechter Christ, noch guter Judt ist.“17 Mit dieser Kennzeichnung Maria Josephas wiederholte die Priorin die Gedankenfigur der Trennung, die sie bereits vorher verwendet hatte: Wie sie Maria Josepha von den anderen Zöglingen des Klosters separiert hatte, schloss sie Maria Josepha aus dem Kreis der „rechten Christen“ und „guten Juden“ aus. Als Grund dafür stellte die Priorin ein negatives Persönlichkeitsmerkmal Maria Josephas heraus, indem sie ihr mit einer Doppelung des Ausdrucks große Unruhe und Unbeständigkeit zuwies. Während die Priorin das Verhalten Maria Josephas sonst nur in allgemeinen Formulierungen angab, beschrieb sie deren Reaktion auf den Versuch, sie christlich zu erziehen, konkreter: Sie, Maria Josepha, „schmet“18 die Priorin. Hier fühlte sich die Priorin angegriffen. Es ging um das Selbstbild der Priorin, das verletzt war. Um sich zu verteidigen, schrieb sie die Schuld an den Schwierigkeiten Maria Josepha zu, indem sie deren Wesen doppelt widersprüchlich darstellte: Sie war Jüdin, konnte aber, da sie konvertierte, keine gute Jüdin mehr sein. Sie wurde Christin, verhielt sich aber nicht wie eine gute Christin. So isolierte die Priorin Maria Josepha von ihrer Herkunftsgesellschaft und von der christlichen Gesellschaft, in die sie übergewechselt war. In jedem Fall lag die Ursache oder Schuld für das Scheitern der Erziehung nicht bei ihr, der Priorin selbst, sondern bei Maria Josepha. Der Brief der Priorin an den Bischof lässt sich als Bittschrift verstehen, mit der sie und ihr Kloster, über die Hilfe des Markgrafen, die Belastung mit Maria Josepha loswerden wollten. Über diesen unmittelbaren Zweck hinaus ging es um eine weitere Entlastung. Die Priorin stand vor der Frage der Schuld an den Problemen, die mit Maria Josepha entstanden waren. Also relativierte sie ihre Beteiligung an der Taufe und Aufnahme in das Kloster und verwies auf die Mitwirkung anderer. Insofern arbeitete sie an ihrem Selbstbild den Zug einer nur geringen Schuld heraus. Eine weitere Entlastung schuf die Priorin auf einer anderen Ebene, auf der sie ihre Vorstellung von Maria Josepha mitteilte. Hier führt ihre Bemerkung weiter, dass die Tochter Hayum Flörsheims Unbeständigkeit und Hartnäckigkeit zeige, und dies Züge der Juden als „Nation“ seien. Was dies heißen sollte, lässt sich daraus erschließen, wie sie die Lösung der Probleme und Belastungen erwartete. Maria Josepha war in der Perspektive der Priorin weder eine „gute“ Christin, aber auch keine „gute“ Jüdin. Bei der für sie doch wohl entscheidenden Kategorisierung entlang der religiösen Grenze sah die Priorin keinen Platz für Maria Josepha. Damit vollzog sie eine Form der Exklusion oder Segregation, die gerade mit der fehlenden Zuordnungsmöglichkeit verschärft wurde. War Maria Josepha 17 GLAK 195/1595, Priorin Nivart an Markgraf Ludwig Georg, 7.11.1732 (Entwurf ). 18 Ebd.

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Die „Haimsche Tochter“

weder eine Christin noch eine Jüdin, war sie fremder als eine Jüdin. Die Konstruktion dieser Fremdheit Maria Josephas hatte ihre Basis in der Vorstellung von „Jüdischer Nation“, mit einer Vorstellung, die eine negative Andersartigkeit bedeutete.19 Mit der Zuweisung zu dieser Art von Nation vollzog die Priorin die Exklusion Maria Josephas aus dem Kloster, aber auch aus der Gemeinschaft derer, die überhaupt Christen werden konnten. Solchen Menschen gegenübergestellt, konnte von einer Schuld der Priorin keine Rede sein. Wie um die Exklusion nochmals zu steigern, vollzog die Priorin noch eine weitere Kategorisierung. In ihrer sprachlichen Gestaltung des Schreibens verwendete die Priorin zwar zur Bezeichnung Maria Josephas den Ausdruck die „zum Christenthum getretene Haimsche Dochter“;20 als Tochter erkannte sie ihre Weiblichkeit an. Zugleich separierte sie Maria Josepha mit der Formulierung „kein rechter Christ Noch guther Judt“ von ihrer Weiblichkeit: Maria Josepha hatte ihre töchterliche Weiblichkeit verloren und ging über in einen Zustand, den die Priorin nur mit einer grammatikalisch männlichen Form ausdrücken konnte. Dass die Priorin dabei gerade den Versuch Maria Josephas überging, einen eigenen Weg zu ihrer Identität zu suchen, lässt sich am Schreiben des Baden-Badener Amtmanns Joseph Schweinhuber zeigen: Er sah sehr wohl in ihr die junge Frau, die – von ihm missbilligt – Freiheit und wohl auch eine Beziehung zu einem Mann suchte.21

16.3  Rückkehr „zu den ihrigen“ oder „ein anderer Stand“? Die Priorin bedankte sich in ihrem Brief vom 4. Dezember 1732 bei Markgraf Ludwig Georg dafür, dass er sich wegen Maria Josepha an den Speyrer Bischof wenden wolle und ihr ermögliche, diesem ihre Sicht in einem besonderen Schreiben mitzuteilen. Dabei ging sie nochmals auf das Verhalten Maria Josephas ein. Maria Josepha habe sich „gleich anfangs sehr ungebührl(ich) aufgeführt.“ Ihre Trennung von den übrigen „Pensionair(s)“ sei unumgänglich gewesen; die Priorin sprach damit vermutlich die „andere Kintter und Jungfrau(en)“ an, die im Kloster erzogen wurden. Maria Josepha habe dann, weil es keine andere Möglichkeit gab, im „Convent und Cohabitation der geistl(ichen) [im Konventsbereich und da, 19 Zur Funktionalisierung des Begriffes Nation im Sinne der Begründung von Stereotypen und nationaler sowie konfessioneller Grenzen während der Frühen Neuzeit Ute Planert, Nation und Nationalismus in der deutschen Geschichte, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, 20. 9. 2004, S. 11–19, hierzu S. 12f. 20 Ebd. 21 Zur Sicht und Darstellung Maria Josephas, die bei Amtmann Schweinhuber erkennbar ist, siehe S. 576f.

Rückkehr „zu den Ihren“ oder „Ein anderer Stand“? 

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wo die Schwestern zusammenleben]“ und „zur besseren Versicherung“ im „Dorment“, dem Schlafbereich der Nonnen, gelebt. Die Situation habe sich jedoch im Oktober des Jahres verschärft. Über das Verhalten Maria Josephas seit dieser Zeit schrieb die Priorin: „Von Ungefähr (aber) 5 oder 6 Wochen her aber führet sich diese personn der gestalten ohngebührl(lich) auf, das nit mehr zu Erdulten, indem sie kein glaub, noch andacht mehr zeigt, oft mit Zwang in die Kirche muß geführt werden, indem ihr doch weegen Gutter Instruction im Christl(ichen) glauben Nichts abgangen – zu keiner arbeith last sie sich mehr anhalten, Und Müßen wür die Entsetzliche grobheiten Von ihr Erduldten, sindt beständig in gefahr Ein gröseres Unglickh Von ihr zu Erträuthen,22 Menassiret [droht] beständig fortzulaufen zu den ihrigen (und was noch mehren, hat sie die ganze Nacht dies(e) 6 Wochen her kein ruhe, singt, schreyt, klopft, lacht, schwätzt, wie ein Unsinnigß Mensch) also das sie das ganze Dorment [den ganzen Schlafbereich] Unruhig macht, Nimbt kein Corection [Besserung] mehr, weder in bösem Noch guten ahn.“23

Dieses Verhalten, so endet die Priorin, verletze und zerstöre die „regularität“ des Klosters, das den Ordensregeln gemäße Leben. Deshalb sei die Entfernung Maria Josephas aus dem Kloster unbedingt erforderlich. Erneut betonte sie die Dringlichkeit dieser Maßnahme in ihrem Brief an den Bischof. Sie „hoffe Nun Man werde balt Mitel finden Uns dieses ohnerträgl(iche) last zu Entheben, Diese person Continuiret [hört nicht auf ] alle Nacht Ein Entzetzliches getöß und unruhe zu führen also das [sie, die Priorin] weder könne (noch ander gescheidte leuth Entscheiden können), ob Es Ein Narrheit, Ein boßheit, oder Eine Verblendung, von bößen geist seye, dies Nacht hat sie dem bösen [Teufel] öfters gerufen, und gebetten, er solle alle Closter fr(auen), deren Nahmen sie Einen Nach der andren genannt, das Herz aus dem leib reissen.“24

Nochmals äußerte sie ihre Befürchtung: Sie lebe „immer in Gefahr, Von einem größeren Unglück.“25 Die Größe der Gefahr, welche die Priorin sah, führte sie vielleicht dazu, ein Ziel Maria Josephas anzugeben, mit dem sie ihr eigenes Scheitern eingestand: Maria Josepha äußere die Absicht, „zu den ihrigen“ zurückzukehren, zu ihrer Familie und damit wohl auch zum Judentum. Sie sah aber auch noch eine weitere Handlungsoption Maria Josephas: Sie verband nämlich die Angabe des Alters von Maria Josepha – sie sei 24 Jahren alt – mit dem Hinweis darauf, dass Maria Josepha „allerhandt reden sonderl(ichen) bey Nächtlicher Weil 22 Wenn die Lesung „Erträuthen“ zutrifft, muss die Bedeutung des Wortes offen bleiben; das Grimmsche Wörterbuch kennt das Wort nicht, und der Zusammenhang weist in Richtung „erleiden“ oder „erdulden“. 23 GLAK 195/1595, Priorin Nivart an Bischof Damian Hugo von Schönborn, 4.12.1732. 24 Priorin Nivart an einen ungenannten Empfänger, 4.12.1732. 25 Ebd.

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Die „Haimsche Tochter“

führet (so anzeigen, das sie Einen anderen standt suchet und ihr das Closter zu Einsamb)[...].“26 Kaum noch verschlüsselt wies damit die Priorin den Bischof auf das Ziel der jungen Frau hin, eine Heirat.

16.4  Gegen den Wunsch nach Freiheit das Zuchthaus für Männer Der Baden-Badener Amtmann Joseph Schweinhuber berichtete am 17. November 1732 der Regierung über Maria Josepha. Dabei, schrieb er, folge er einer Anweisung des Geheimen Rats Valentin Franz Emmerich:27 Dieser habe die Priorin Nivart zu einem Bericht aufgefordert, wenn es weitere Schwierigkeiten mit Maria Josepha gebe, und diesen Bericht, so der Amtmann, statte er nun im Auftrag der Priorin ab. Das Verhalten Maria Josephas bestimmte der Amtmann ähnlich wie die Priorin zuerst mit allgemeinen Aussagen: Sie habe sich seit langem „ibel aufgeführt“ und „tägl(ich) mehr und mehren bosheit“ geäußert. Wie die Priorin konkretisierte er dann seine Angaben. Maria Josepha wehre sich gegen „Christliche glaubens lehre, sitten und fromheit“, reagiere mit „fluchen, schenden und schmähen“ aller Nonnen, sowohl der Priorin wie der einfachen Schwestern. Maria Josephas Verhalten bestehe in „tumultirn“, aber auch in „gottloseste(n) reden und Entsetzlichste(n) lügen“ und gotteslästerlichen Behauptungen. Insgesamt führe sich Maria Josepha auf wie eine Verrückte: Sie gleiche einem „rasenden Menschen“ und setze die Nonnen, „die sie mit messer und gablen zu Erstechen betrohet“, in große Furcht. Dann ging Schweinhuber auf die Ereignisse des Vortags ein. Maria Josepha habe gedroht: Sie ersteche sich mit einem Messer. Voller „forcht und schreckhen“ hätten die Nonnen deshalb ihn und den Ortsgeistlichen ins Kloster gerufen. In ihrer beider Gegenwart habe sich Maria Josepha „gantz unsinnig“ aufgeführt, auf Ermahnungen nicht reagiert, sie schon gar nicht wahrgenommen. Den Pfarrer habe sie sogar „fortgehen heißen“, und ohne irgendeinen Erfolg hätten er und der Geistliche das Kloster verlassen. Über das Verhalten Maria Josephas in der folgenden Nacht gab der Amtmann weiter, was ihm die Klosterfrauen mitgeteilt hatten: Sie habe „die gantze nacht wider, gleich öfters schon, gerast, bald geschrey geführt, bald gesprungen, bald geklopft.“ Im Auftrag der Nonnen bestätigte der Amtmann die „viele Unruhe“, die Maria Josepha in das Kloster gebracht habe; die Situation sei unerträglich geworden, weil sie den Nonnen gegenüber nur „lauter schmäheworte“ ausstoße und gerade 26 GLAK 195/1595, Priorin Nivart an Bischof Damian Hugo von Schönborn, 4.12.1732. 27 Die Vornamen nach Gerlinde Vetter, Zwischen Glanz und Frömmigkeit, S. 281, dort Schreibung als Emerich.

Markgraf Ludwig Georg 

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der Priorin gegenüber ausgedrückt habe, „daß sie sie nimmer sehen noch hören wolle, und sie solle Ihro nur vom leib bleiben.“ Abschließend kam Schweinhuber zum Kern seiner Einschätzung Maria Josephas. Er meine, „das das maydl des closters mühet seye [müde, überdrüssig sei] und Einige freyheit suche.“ Sein Lösungsvorschlag: Am besten sei für Maria Josepha ein „guthes Zuchthaus bey Mannspersohnen, die sie förchten müste.“28 Wie die Priorin hob der Amtmann die Störung der klösterlichen Ruhe durch Maria Josepha hervor. Auch die Bedrohung, die von ihr ausgehe, betonte er, ebenso ihre Weigerung, sich christlich erziehen zu lassen. Schärfer als die Priorin umriss er Maria Josephas Darstellung in seiner Anklage, sie verletze sowohl die Ehre Gottes wie die der Priorin und der übrigen Nonnen. Auch war es nach Schweinhuber Maria Josepha selbst, die auf Separation drängte: Sie bestand auf der Distanz zwischen sich, den Nonnen und dem Ortsgeistlichen. Auch darin, wie mit Maria Josepha zu verfahren sei, ging der Amtmann deutlich weiter als die Priorin. Er sah zwar im Verlangen nach Freiheit ein Motiv für das Verhalten Maria Josephas. Diesem Wunsch nach Befreiung aus dem Kloster setzte er aber einen erneuten Einschluss entgegen, den in das Zuchthaus. Darin besteht der auffallendste Gedanke des Amtmanns: Die Furcht, wie sie Maria Josepha erweckte, solle sie selbst im Zuchthaus ergreifen. Die Ehre, die sie Gott und den Klosterfrauen absprach, würde ihr durch einen Aufenthalt im Zuchthaus genommen werden. Anders als die Priorin nahm er wohl die Weiblichkeit Maria Josephas wahr. Er nannte sie wiederholt „Maydl [junge Frau]“ – in ihrem Wunsch nach Freiheit außerhalb der Klostermauern deutete auch er den Wunsch nach einer Beziehung zu einem Mann an. Während die Priorin und der Bischof die Realisierung dieses Ziels von Maria Josepha unbestimmt ließen, reagierte Joseph Schweinhuber anders: In aller Radikalität setzte er dem Wunsch einer Frau nach Freiheit die furchterregende Gewalt von Männern im Zuchthaus entgegen, dem individuellen Ausbruch aus der religiös-kulturellen Fremdbestimmung die staatliche Disziplinierung.

16.5  Markgraf Ludwig Georg: Ob ein „wahres Christentum in ihrem gemüth und Hertzen befindliche sei“? Der Hilferuf aus dem Kloster Zum Heiligen Grab veranlasste Markgraf Ludwig Georg zu einem Schreiben an Bischof Damian Hugo von Schönborn. Dabei stellte er ähnlich wie die Priorin Nivart und der Amtmann Joseph Schweinhuber, auf ihre Berichte zurückgreifend, das Verhalten Maria Josephas in allgemeinen moralischen Formulierungen dar. Sie verhalte sich „boshaft und unChristlich“, 28 GLAK 195/1595, Amtmann Anton Schweinhuber an den Geheimen Rat, 17.11.1732.

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Die „Haimsche Tochter“

bleibe unbeeindruckt von „züchtigung“ sowie durch „gütliche anmahnungen und drohungen“ und fahre fort in „böser aufführung“, in „unarthigkeit und Bosheit“. Er teilte die Bedenken über Maria Josepha, ob wirklich ein „wahres Christentumb in Ihrem gemüth und Hertzen befindlich seye.“ Diesen Zweifel bekräftigte Markgraf Ludwig Georg. Maria Josepha sei nämlich „einstmahlen in diese Gotteslästerliche Worth ausgebrochen zu der Priorin sprechend: Sie glaube Ihr so wenig, als dem der da Hange, auf ein Crucifix deuthend, über welche erstaunliche posheit Ich sie in gegenwarth der Priorin zured stellen lassen, auch sie solche endlichen nicht läugnen können.“ So stellte Markgraf Ludwig Georg die Frage des christlichen Glaubens von Maria Josepha in den Mittelpunkt seines Schreibens: Für ihn war Maria Josepha getauft, leugnete aber die Existenz Gottes in Christus. Sie sollte nach seiner Auffassung „zur resipiscenz Wahren Christentum(s) [zur Bewusstwerdung des wahren Christentums] und beßerung“ gebracht werden – sein Anliegen deshalb: Was solle denn nach der Auffassung des Bischofs mit Maria Josepha geschehen, da sie doch nicht mehr im Kloster bleiben könne?29

16.6  „Obsicht guter, frommer, und rechtschaffener leuth“ In seiner Antwort auf den Brief des Markgrafen betonte der Speyrer Bischof, dass es „höchst nötig seye, daß bey solcher der sachen bewandsame [bei einer solchen Lage] diese getaufte jüdin lenger hin bey den closterfrauen und zwar in dem Convent, so ohnedem nicht zu lässich [zulässig], keinesweegs langer lassen, sondern ohne ferneren umstandt solche persohn von dem gloster hinweg, und an ein anders orth gebracht werden müste mit hin höchst nötig seye, daß das Mensch quaestionis [das fragliche „Mensch“] der obsicht guter, frommer, und rechtschaffener leuth wie auch der sorg und instruction [Anleitung] eines exemplarischen priesters anzu vertrauen seye, um zu sehen, ob die selbe sich anderst und wie anlassen werde, und könnte dieses an füglichsten [am besten] geschehen, wann man die selbe zu Baaden oder zu Rastatt zu einem beamten, oder anderen Herrn der eine discrete [verschwiegene, rücksichtsvolle] jedoch ernsthafte frau hat, wo sie forcht haben müste, auch in guter, und falls es nöthich, scharpfer Zucht und zur Arbeit und andacht angehalten würde, in die Kost thun, und beynebst [dazu] einen exemplarischen [beispielhaften] geistlichen bestellen thäte, der ihr mit guter lehr, mahnung, Zusprechen und trost an handen ginge, in welcher gelegenheit sich bald zeigen würde, ob ein resispiscenz [Bewußtwerden, Verbesserung] und besserung zu hoffen wäre.“30 29 GLAK 195/1595, Markgraf Ludwig Georg an Bischof Damian Hugo von Schönborn, 24.11.1732. 30 GLAK 195/1565, Bischof Damian Hugo von Schönborn an Markgraf Ludwig Georg, 7.12.1732 (Abschrift).

Gegen den „boshaften Judt Hayumb“ 

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Der Bischof griff zunächst auf das Kirchenrecht zurück, als er darauf hinwies, dass sich Maria Josepha ohne Ordination nicht im Konventsbereich des Klosters aufhalten könne. Dann sprach er über die für sie nötige Anleitung im Leben außerhalb des Klosters: Dazu waren nach seiner Auffassung Laien, und zwar besonders Hofbeamte fähig. Sie müssten fromm und rechtschaffen sein, aber auch über Durchsetzungskraft verfügen, vor allem die Frau des Beamten. Mit Hilfe von Furcht und „scharfer Zucht“ könne Maria Josepha zu Fleiß und Frömmigkeit erzogen werden. Die christlich-moralische Seite ihrer Erziehung war für den Bischof die Sache eines dafür geeigneten Priesters. Indirekt vermittelte und bestätigte Damian Hugo ein negatives Bild der Nonnen des Klosters Zum Heiligen Grab. Sie, dies impliziert sein Schreiben, waren im Unterschied zu den von ihm vorgeschlagenen Laien unfähig, Maria Josepha zu erziehen. Seinen Lebensentwurf für Maria Josepha beschränkte der Bischof nicht auf die Ziele christliches Leben und Arbeitsamkeit. Er bedachte eine weitere Entwicklung. Würde Maria Josepha, so legte er dem Markgrafen dar, „sich anderst und zum guten anlassen, so würde ein großes gott gefälliges werck geschehen, wan man ein gelegenheit ausmachen thäte, dieselbe an ein bescheidenen Christlichen man anzuheurathen, womit ihr am besten geholfen zu seyn anscheinet.“31 Bischof Damian Hugo setzte mit diesem Vorschlag seine gedankliche Linie fort. Er sah als möglich an, Maria Josepha auf den rechten Weg zu bringen – zum Abschluss stellte er sich eine Heirat vor; ihr Verhalten im Kloster, so scheint es, war für ihn das Indiz für den Wunsch nach einer Ehe, und die Ehe ein Mittel der endgültigen Kontrolle Maria Josephas. In keiner Weise ging Damian Hugo auf die anderen Auffassungen ein, die ihm die Priorin Nivart vorgelegt hatte: Maria Josepha hatte für ihn weder den Verstand verloren, noch war sie einfach böse, erst recht nicht stand sie für ihn mit dem Teufel in Verbindung. Sollte dieser Weg jedoch scheitern, so gebe es noch eine Alternative: „Falls aber auch alsdann bey derselben [bei Maria Josepha] keine Besserung erfolgen würde, so könnte sie in ein scharfes Zuchthaus zur correction gebracht werden.“32 Darin stimmte er mit Amtmann Joseph Schweinhuber überein, auch wenn er als erste Lösung die strenge Erziehung durch einen Beamten und dessen Frau favorisierte.

16.7  Gegen den „boshaften Judt Hayumb“ Als sich 1732 die Krise Maria Josephas zuspitzte, befand sie sich bereits mindestens drei Jahre im Kloster Zum Heiligen Grab.33 Mit dem Bruch zwischen Hayum 31 Ebd. 32 Ebd. 33 Zur zeitlichen Angabe siehe S. 570.

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Die „Haimsche Tochter“

Flörsheim und der Regierung im September 172934 stellte sich das Problem des Unterhalts seiner Tochter. Zuerst supplizierte diese selbst: Sie bat die Regierung um die Übernahme der Kosten für Nahrung und Bekleidung. Als der Amtmann von Baden-Baden deshalb beim Hofrat anfragte, wies er auf die Grundlage dieser Bitte hin: Die Regierung habe Maria Josepha für ihren Anspruch auf eine Mitgift wie für ihren Lebensunterhalt Hilfe zugesicherte.35 Doch fand die Regierung offensichtlich keine Lösung der beiden Probleme. Fast ein Jahr später, im August 1730, supplizierte das Kloster wegen der Versorgung von Maria Josepha.36 Der Markgraf fühlte sich verantwortlich und wies die Regierung an, Maria Josepha, da sie zum Christentum übergetreten sei, nicht zu „vergessen“; die Klosterfrauen würden sie zur Zeit – im Januar 1731 – wegen der ausbleibenden Zahlungen für ihren Unterhalt sehr unter Druck setzen.37 Schließlich wies 1732 der Geheime Rat die Regierung an, den Nonnen für die Zeit ab 1729 300 Gulden als Kostgeld zu geben; diese Summe sei mit dem Vermögen Hayum Flörsheims zu verrechnen, das sich noch auf dem Boden der Markgrafschaft befände.38 Schon im Januar 1730 hatte die Regierung die beweglichen Güter Hayum Flörsheims in Baden-Baden versteigern lassen,39 gegen dessen Protest.40 Auch in der folgenden Zeit hielt sich die Regierung an Hayum Flörsheim, der im badendurlachischen Schutz lebte. Der Hofrat versuchte offenbar, dem Kloster Zum heiligen Grab sein Baden-Badener Haus als Grundlage für den Unterhalt Maria Josephas zu geben, worauf die Priorin allerdings nicht einging.41 Am Ende des Jahres 1731 klagte auch Maria Josepha wegen ihrer Alimentation gegen ihren Vater.42 Beim Reichshofrat und beim Reichskammergericht ließ die Regierung schon 1729 Schritte einleiten zur Auslieferung Hayum Flörsheims durch die Regierung von Baden-Durlach, ohne Ergebnis.43 Seit April 1730 befasste sich der Reichshofrat in Wien mit der Auseinandersetzung zwischen der baden-badischen Regierung und Hayum Flörsheim. Dieser klagte gegen die Regierung in Rastatt.44 Die Gegenschrift des Hofrats wurde vorbereitet.45 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45

Zum Bruch zwischen Hayum Flörsheim und der Regierung siehe S. 33f. GLAK 61/157 HR 6.10.1729. GLAK 61/158 HR 1.8.1730. GLAK 61/159 HR 30.1.1731. GLAK 61/160 HR 21.3.1732. GLAK 61/158 HR 31.1.1730. GLAK 61/158 HR 7.3.1730. GLAK 61/158 HR 3.10.1730. GLAK 61/159 HR 18.12.1731. GLAK 61/157 HR 15.11.1729 und 15.12.1729. GLAK 61/158 HR 13.4.1730. GLAK 61/158 HR 8.8.1730.

Gegen den „boshaften Judt Hayumb“ 

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Über ein Jahr später beantragte die markgräfliche Regierung beim Reichshofrat eine vorläufige Anordnung gegen Hayum Flörsheim, „den flüchtig gewordenen Juden“, „pro dotendo et alimentendo“ von „Maria Josepha conversa“ zu verurteilen, seiner getauften Tochter eine Mitgift zu geben und für ihren Unterhalt zu sorgen.46 Während die Verhandlung mit Wien sich verzögerte,47 versuchte die baden-badische Regierung in Karlsruhe voranzukommen. Die dortige Regierung sollte eine Kaution Hayum Flörsheims bewirken oder zumindest dafür sorgen, dass er Karlsruhe nicht verließ.48 Schließlich verurteilte der Reichshofrat Hayum Flörsheim zur jährlichen Zahlung von 100 Gulden zugunsten seiner Tochter. Aber: Bei der großen Armut Hayum Flörsheims, so die Karlsruher Regierung, bestehe keine Aussicht auf dieses Geld.49 Er sei, berichtete die Regierung später, „durch Bezahlung vieler Schulden völlig Enervirt, also daß er sein geringes Häuslein verhypotheciren müssen.“50 Beim Reichshofrat sollte weiter Druck gemacht werden: Der Vertreter der Markgrafschaft habe dort zu Maria Josepha schon einmal klargestellt, „wie grosse noth und mangel diese cathegumena [die Taufwillige, hier die Neu-Getaufte] ahn Kleidung und weiszeug [aus Leinwand oder weißer Baumwolle Gefertigtes] leyde, Inmittels [während] Ein und anderen deren Baaden-Durlach(ischen) Räthen den booshaften Judt Hayumb zu protegiren und unter Vorschüzung der armuth die Kaiserl(ichen) allerg(nä)d(i)gsten resolutiones zu Illudiren [umgehen] suche.“51

Dass keine Abhilfe geschehen sei, legte der Hofrat also nicht nur Flörsheim zur Last, sondern auch einigen Räten in Karlsruhe, die ihn gegen die Beschlüsse des Reichshofrats mit dem Vorwand der Armut schützen würden. Der Hofrat prüfte eine weitere Geldquelle für den Unterhalt Maria Josephas. Ob man nicht eine Schuldverschreibung der Markgräfin zugunsten von Flörsheim verwenden könne? Sie hatte damit Juwelen bezahlt, die ihr Flörsheim lieferte. Jetzt könne der Markgraf mit seiner Frau klären, ob die Aufwendungen für Maria Josepha über die Einlösung dieser Schuldverschreibung zu finanzieren sei.52 Der Geheime Rat ließ im Februar 1735 bei der Regierung in Karlsruhe dringend nachfragen, ob nicht Hayum Flörsheim ein Verzeichnis der gelieferten Juwelen nach Rastatt schicken könne. Er hätte dann Aussicht auf einen „Überrest“ von Geld, den er für seine Tochter verwenden könne.53 Aus den „Contozetteln“ 46 47 48 49 50 51 52 53

GLAK 61/159 HR 8.6.1731. GLAK 61/159 HR 27.7.1731. GLAK 61/159 HR 4.12.1731. GLAK 61/161 HR 16.10.1733 Nr. 19. GLAK 61/162 HR 2.3.1734 Nr. 5. GLAK 61/162 HR 11.5.1734 Nr. 2. Ebd. GLAK 61/163 HR 5.2.1735 Nr. 1.

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Die „Haimsche Tochter“

Hayum Flörsheims gehe hervor, berichtete darauf die Karlsruher Regierung, dass er der Markgräfin für 1300 Gulden Juwelen geliefert habe.54 Die Hoffnung zerschlug sich mit der Nachricht, Flörsheim habe die Obligation an einen Juden in Frankfurt weitergereicht. Er sei wegen seines Konkurses nicht berechtigt gewesen, empörte sich der Hofrat, diese Schuldforderung „anders wohin listig und boshafter weiß zu verhandlen [weiterzuverkaufen].“55 Für Hayum Flörsheim hatte sich die Lage verschlimmert. Die Witwe des Leibarztes Dr. Sattler klagte vor dem Hofrat, um in den Besitz des Hauses Flörsheims in Baden-Baden zu kommen; auf diese Weise sollten ihre Forderungen befriedigt werden,56 1000 Gulden. Noch war aber nicht geklärt, ob dieser Betrag mit den Schulden der Markgräfin bei Flörsheim verrechnet werden könne.57

16.8  Ein Ende von „Jugendt und unverstandt“ 1734 ließ der Hofrat in Offenburg Erkundigungen einziehen, ob Hayumbs Tochter als Pfründnerin im dortigen Spital St. Andreas untergebracht werden könne.58 Das Ergebnis: Es sei zu teuer.59 Auch Maria Josepha wurde aktiv: Sie bat im März 1734 um ein „anderes Kosthaus“. Wo sie jetzt wohne, so ihre Begründung, fürchte sie sich vor einer ansteckenden Krankheit. Eine zweite Bitte an den Markgrafen: Wenn er – im Polnischen Krieg – das Land verlasse, solle er das Amt in Baden-Baden anweisen, ihr gegebenenfalls Hilfe zu leisten. Das befürwortete der Geheime Rat; zum Wohnungswechsel forderte er einen Amtsbericht an.60 Maria Josepha supplizierte im Mai des Jahres nochmals um „andere Kost“ und bat um Geld für „Kleidung und weisgezeig“.61 Kurz darauf supplizierte Maria Josepha wieder: Ihre Kleidung sei so schlecht, dass sie „aus schamhaftigkeit sich nicht unterstehen können zu hochwürdigem guth zu gehen.“62 Die Begründung, sie könne nicht an der Kommunion teilnehmen, scheint überzeugt zu haben. Ihr solle, ordnete der Geheime Rat im September 1734 an, geholfen werden.63 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63

GLAK 61/163 15.11.1735 Nr. 3. GLAK 61/163 HR 21.5.1735 Nr. 3. GLAK 61/162 HR 12.1.1734 Nr. 4. GLAK 61/162 HR 12.10.1734 Nr. 9. GLAK 61/162 HR 2.3.1734 Nr. 5. GLAK 61/162 HR 22.3.1734 Nr. 14. GLAK 61/27 GR 11.3.1734 Nr. 21. GLAK 61/162 HR 11.5.1734 Nr. 2. GLAK 61/27 GR 14.8.1734 Nr. 4. GLAK 61/162 HR 7.9.1734 Nr. 1.

Um „ihr Stückhel Brodt einiger maßen selbsten zu verdienen“ 

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Noch hatte das Kloster Zum Heiligen Grab nichts für den Aufenthalt Maria Josephas erhalten, auch nicht der Barbier Frietsch, bei dem Maria Josepha eine Zeitlang untergebracht war.64 Sie lebte jetzt, wie der Hofrat vorgeschlagen hatte,65 bei einer Witwe in Rastatt namens Hulfing, die ihre Forderung mit dem Hinweis auf „die theuer Kriegszeithen“ verdoppelte: Ihr wurden 2 Gulden für die Woche zugesagt.66 Für Maria Josepha scheint sich nichts gebessert zu haben. Sie hoffte auf das Haus ihres Vaters in Baden-Baden: Amtmann Schweinhuber, der es bezogen hatte, solle ihr Miete zahlen.67 Er habe, weigerte sich dieser, viel mehr in Umbauten investiert, als die 18 Gulden Hauszins im Jahr ausmachten. Der Hofrat missbilligte sein Vorgehen kaum: Der Amtmann dürfe bei weiteren Umbauten nicht ohne Genehmigung vorgehen.68 Im Mai 1735 trug Maria Josepha eine überraschende Bitte vor. Inständig und unterwürfig flehte sie den Markgrafen in einer Supplik an um seine Empfehlung bei der Priorin und dem ganzen Konvent des Klosters Zum Heiligen Grab: Sie wolle in das Kloster zurückkehren. Sie beteuerte ihre Reue über ihre „fehler“ und bat, sie ihrer „Jugendt und unverstandt“ zuzuschreiben. Dann versprach sie Besserung: Sie wolle sich „mit freuden ohne Halsstarre und ohngehorsamb unterrichten und weisen lassen“ – und den Markgrafen für seine Verwendung in ihr Gebet aufnehmen.69 Ihr Verhalten glich in nichts mehr dem von 1732. Sie betonte jetzt ihr Christentum und ihre Unterwerfung unter die Priorin. Gewiss waren ihre Reue und das Versprechen der Besserung Mittel, um Hilfe zu bekommen. Was einer inneren Wende entsprach, was der Erfahrung von Not und Armut und neuer Hoffnung, lässt sich nicht ausmachen. Die Regierung thematisierte diese Veränderung nicht, und eine Antwort an Maria Josepha blieb wohl aus.

16.9  Um „ihr Stückhel Brodt einiger maßen selbsten zu verdienen“ Im Oktober des Jahres 1735 supplizierte sie wieder wegen ihrer Bekleidung, diesmal für den Winter. Markgraf Ludwig Georg und der Geheime Rat reagierten ungeduldig. Sie seien „dieses so öfteren überlaufs [der Überhäufung mit Suppliken] sehr überdrüßig“, ließ der Hofrat protokollieren, „so wollen jedoch Ihro H(och) 64 65 66 67 68 69

GLAK 61/163 HR 24.3.1735 Nr. 4. GLAK 61/162 HR 22.6.1734 Nr. 13. GLAK 61/163 HR 24.3.1735 Nr. 3. GLAK 61/163 HR 11.3.1735 Nr. 4. GLAK 61/163 HR 18.3.1735 Nr. 11. GLAK 74/6998, Maria Josepha an Markgraf Ludwig Georg, Präsentationsvermerk des Geheimen Rats vom 20.5.1735, Bl. 715r–v.

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Die „Haimsche Tochter“

Fürstl(iche) Durchl(aucht) g(nä)d(i)gst, daß mann der Supplikantin noch für dieses mahl ein schlichtes und starckhes Kleydt machen lassen solle“; auf Dauer jedoch müsse sie selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen.70 Anfang 1736 unterbreitete Maria Josepha dem Markgrafen ihre Vorstellungen über ihre Zukunft. Sie habe, schrieb sie, sich nun schon ein Vierteljahr lang bemüht, das „nähen und stickhen zu Erlernen“, und hoffe, damit in der Zukunft einmal „g(nä)d(i)gster Herrschaft dienste leisten zu können.“ Aber: Sie sei nicht imstande, einen Gulden monatlich für das Lehrgeld aufzubringen.71 Der Hofrat unterstützte die Bittschrift: Maria Josepha könne eine Zeitlang geholfen werden.72 So erhielt eine baden-badische Bürgerstochter, die „Demlerin“, bei der Maria Josepha im Nähen und Stricken unterwiesen wurde, den erbetenen Gulden pro Monat.73 Der Geheime Rat äußerte sich zufrieden: Die Bittstellerin könnte, wenn sie nähen und stricken gelernt habe, wenigstens einen Teil ihres Unterhalts selbst verdienen.74 Auch auf weitere Suppliken folgte Hilfe: Für „eine höchst nöthige schnir brust, strickh rockh und halstuch“ wies der Geheime Rat die Regierung 1736 an, die Bezahlung „für diesmahl noch“ zu übernehmen und die Kosten mit Blick auf den laufenden Prozess gegen Hayum Flörsheim genau festzuhalten.75 Im Herbst des Jahres bat Maria Josepha wieder um Mittel für Winterkleidung, vor allem um die Erlaubnis, bei der Frau eines Trompeters in Rastatt das Stricken noch besser zu lernen.76 Als sie im Januar 1737 wieder wegen einer Hilfe für „Kost und Lehrgeld“ supplizierte, regierte der Hofrat mit der Idee, sie bei der „Herrschaf(tlichen) Hofwäsch“ anzustellen.77 Ausführlicher hielt der Geheime Rats fest, was nun über Maria Josepha verfügt werden könnte. Von ihren „weith ausschweifenden gedanckhen, fernerer erspahrung der auf sie schon gewendeten großen Kösten“ war die Rede, davon, dass sie nun „zur Hofwasch appliciret [verwendet] werden wollte“,

dass sie so „mit denen wasch menscheren [Waschfrauen] ihren gleichen unterhalt haben, undt vom müßiggang abgehalten würde.“ Zu einem Beschluss kam es aber nicht: In Anwesenheit des Markgrafen solle nochmals beraten werden.78 70 71 72 73 74 75 76 77 78

GLAK 61/163 HR 27.10.1735 Nr. 3. GLAK 61/29 GR 5.1.1736 Nr. 5. GLAK 61/165 HR 25.1.1736 Nr. 1. GLAK 61/273 HK 17.2.1736. GLAK 61/29 GR 1.2.1736 Nr. 15. GLAK 61/29 GR 6.4.1736 Nr. 2. GLAK 61/29 GR 31.10.1736 Nr. 14 und GLAK 61/165 HR 6.11.1736 Nr. 7. GLAK 61/166 HR 8.1.1737 Nr. 23. GLAK 61/30 GR 12.1.1737 Nr. 16.

Um „ihr Stückhel Brodt einiger maßen selbsten zu verdienen“ 

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1738 supplizierte „Maria Josepha Hayumin die getaufte Jüdin“ beim Geheimen Rat wegen der Erlaubnis, das Bad in der alten Residenzstadt aufsuchen zu dürfen, und unterstützte ihre Bitte mit einem ärztlichen Attest. Der Rat befürwortete diesen Badeaufenthalt mit dem Hinweis, sie dürfe im „Drachen“ in Baden-Baden Quartier nehmen.79 Der Geheime Rat ließ zugleich nachprüfen: Ob das nötig sei, solle erst der Landphysikus bestätigen.80 Die Regierung hoffte inzwischen auf eine Entscheidung des kaiserlichen Hofrats: Hayum Flörsheim werde demnächst, damit rechneten die Hofkollegien, dazu verurteilt, noch ausstehende 1700 Gulden von insgesamt 2000 in einen Fonds für die Ausstattung seiner Tochter einzubezahlen. Bis dahin, entschied der Geheime Rat, solle Maria Josepha weiter geholfen werden.81 Diese bat im Jahr darauf um eine Hilfe zur Ausbildung als Blumenmacherin. Die Hofkammer reagierte skeptisch. Sie hielt es besser, wenn Maria Josepha „lieber gutt nähen, Scheuern, Kochen etc. und was in Einer Haushaltung nützlich seye, erlernete.“82 Jedenfalls drängte die Kammer darauf, die Kosten für Maria Josepha loszuwerden. Sie könnten eingespart werden, so berichtete die Kammer dem Hofrat, wenn man für sie einen „Dienst“ fände, eine Anstellung als Magd. Das Problem sei aber, dass sie „weder waschen noch kochen“ könne, zu etwas anderem aber kaum geeignet sei. Der Hofrat beschloss darauf, die Unterhaltszahlung am Jahresende einzustellen: Bis dahin müsse Maria Josepha eine Arbeit gefunden habe.83 Sie – der Hofrat nannte sie Josepha Hayumbin – supplizierte darauf wieder wegen der Bezahlung von Schuhen und der Reinigung von Kleidung, hoffte auf „Waschgeld“, wohl auch auf eine Unterstützung für Brennholz. Der Hofrat befürwortete den größten Teil ihrer Wünsche;84 die Kosten seien nur gering. Gleichzeitig aber drängte er darauf, dass Maria Josepha das Nähen und Waschen lernen müsse, um etwas zu verdienen; ihre „Kostfrau“ solle ihr das Nötige beibringen.85 Beide wurden in die Hofkanzlei einbestellt; noch ein halbes Jahr, wurde Maria Joseph verkündet, erhalte sie Hilfe, sie müsse nun dringend im Nähen und Waschen die nötigen Fertigkeiten erhalten.86

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GLAK 61/33 GR 19.4.1738 Nr. 4. GLAK 61/167 HR 24.4.1738 Nr. 16. GLAK 61/33 GR 20.8.1738 Nr. 3. GLAK 61/36 GR 20.6.1739 Nr. 64. GLAK 61/168 HR 18.8.1739 Nr. 23. GLAK 61/276 HK 7.11.1739. GLAK 61/168 HR 17.12.1739 Nr. 13. GLAK 61/168 HR 29.12.1739 Nr. 4.

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Die „Haimsche Tochter“

16.10  Erst ein Perückenmacher, dann ein Schneider Im Dezember 1736 reichte Maria Josepha eine Supplik ein, in der sie dem Markgrafen für seine Hilfe dankte und gleichzeitig eine neue Bitte stellte: Sie, so heißt es im Protokoll des Geheimen Rats, „Erstattet den unt(ertäni)gsten Danckh für Ihr zur Vorhabender verheirathung g(nä)d(i)gst ertheilte Erlaubnis, und bittet unt(er)t(äni)gst, weilen Sie ehe dieses werkh vor sich gehe, gerne wissen mögte, was ihr doch an denen von dem Kayserl(ichen) Reichshofrath ausgeworfenen 2000 fl(orin) nach abzahlung deren vätterlichen schulden an paarem geld übrig bleiben möge.“87

Doch die Heirat mit einem Perückenmacher am Hof zerschlug sich.88 Nun trat der Schneider Johannes Reiling auf. 1736 wurde er in einem Eintrag im Protokoll des Geheimen Rats erwähnt: Bedienstete des Prinzen August Georg, des Bruders von Markgraf Ludwig Georg, hätten ihn ohne jeden Grund geschlagen, und zwar so sehr, dass man ihn für tot ansah. Johannes Reiling überlebte. Er bat den Geheimen Rat um eine Untersuchung des Vorfalls und wollte eine Entschädigung: Ihm sei nämlich bei dem Überfall sein Degen und sein Hut entwendet worden.89 Im Februar 1737 legte der Geheime Rat fest, der Schneidergeselle Reiling erhalte 30 Gulden Schadensersatz, unter anderen von einem Kutscher des Prinzen August Georg.90 Am 29. Februar 1740 heirateten Johannes Reiling91 und Maria Josepha in Rastatt. Reiling stammte, wie dabei in das Heiratsbuch eingetragen wurde, aus Heddinghausen in der hessischen Grafschaft Waldeck. Die Braut wurde als „Maria Josepha Hayum nata olim Judaea“ bezeichnet, als eine geborene Jüdin. 92 Schon vorher hatte sie um eine finanzielle Unterstützung für „Bett- und Schreinerarbeiten“ gebeten; der Geheime Rat bewilligte, in Gegenwart des Markgrafen, 50 Gulden.93 Nach der Hochzeit wieder eine Supplik: Maria Josepha erhob Anspruch auf Geschirr aus Silber, das ihr gehörte und das ihr Amtmann Joseph Schweinhuber gegeben habe, als sie im Kloster Zum Heiligen Grab lebte.94 Eine Bittschrift ihres Mannes folgte: Auch er versuchte, den Anspruch seiner Frau auf dieses Geschirr durchzusetzen.95 Beide Suppliken blieben wohl ohne Erfolg. 87 88 89 90 91 92 93 94 95

GLAK 61/29 GR 15.12.1736 Nr. 3. GLAK 61/30 GR 12.1.1737 Nr. 16. GLAK 61/29 GR 17.7.1736 Nr. 5. GLAK 61/30 GR 1.2.1737 Nr. 35. EDA Freiburg, Heiratsbuch der Pfarrei St. Alexander, Rastatt, 29.2.1740, Bl. 39 lässt die Lesung des Namens als Reling zu. Ebd. GLAK 61/38 GR 11.2.1740 Nr. 17. GLAK 61/169 HR 12.4.1740 Nr. 18. GLAK 61/38 GR 23.3.1740 Nr. 22.

In ihrer „hohen Schwangerschaft und Verlassenheit“ 

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1741 versuchte Maria Josepha 2000 Gulden zu erhalten, die ihr der Reichshofrat als Heiratsgut oder Ausstattung zugesprochen hatte.96 Hofrat Tschammerhell referierte wieder über die Verpflichtung ihres Vaters zu ihrem Unterhalt: Der Reichshofrat habe Hayum Flörsheim vorläufig dazu verurteilt, einen Kapitalstock in einer solchen Höhe bereitzustellen, dass seiner Tochter jährlich 100 Gulden ausbezahlt werden könnten. Flörsheim habe aber beschworen, dass er kein Vermögen habe, und die Regierung unterlasse deshalb den Versuch, die Mitgift einzutreiben. Im Übrigen müsse Maria Josepha das Ergebnis des Konkursverfahrens abwarten, das gegen ihren Vater eingeleitet sei.97 Maria Josepha Reiling war jedoch keineswegs geduldig. Im November des Jahres ermahnte sie der Hofrat nach einer neue Supplik „zur ruhe“,98 ebenso im folgenden Jahr, 1742.99 Zwei Jahre später, 1744, versuchte Maria Josepha erneut ihren Anspruch auf das väterliche Erbe durchzusetzen. Als nämlich das Haus ihres Vaters in Baden-Baden verkauft war, bat sie den Geheimen Rat, ihr den Erlös von 650 Gulden zu übergeben. Der Geheime Rat ließ sie wieder „zur Gedulth“ auffordern.100 Einen anderen Versuch, ihre finanziellen Schwierigkeiten zu verringern, richtete Maria Josepha Reiling auf das Erbe ihres Großvaters Mathias Schweitzer. Ihr Mann klagte zusammen mit Jacob Moyses Schweitzer, einem weiteren Nachfahren des Hofjuden, gegen den Oberschultheißen Samson Schweitzer;101 welche konkreten Ansprüche die beiden dabei verfolgten, ist nicht ersichtlich.

16.11  In ihrer „hohen Schwangerschaft und Verlassenheit“ Im November 1742 beriet der Hofrat über eine Untersuchung gegen Johannes Reiling, gegen Maria Josepha und zwei weitere Beteiligte, die Hofmundschenkin Anna Maria102 Straßburger und den Hofgarderobier Netter; alle vier standen im Verdacht, in einen Diebstahl verwickelt zu sein.103 In der Beratung über die Strafe wurden die Vorwürfe etwas deutlicher. Es ging darum, dass Johannes Reiling und seine Frau „silberne Borden“ gestohlen hatten, welche die Mundschenkin Straßburger verkaufte.104 Der Hofrat schlug vor, Reiling auszuweisen, den Garderobier 96 GLAK 61/170 HR 3.10.1741 Nr. 13. 97 GLAK 61/170 HR 5.10.1741 Nr. 2. 98 GLAK 61/170 HR 23.11.1741 Nr. 16. 99 GLAK 61171 HR10.10.1742 Nr. 13. 100 GLAK 61/50 GR 22.2.1744 Nr. 56. 101 GLAK 61/170 HR 9.3.1741 Nr. 23. Zur Klage von Johannes Reiling siehe S. 440. 102 Der Vorname ist genannt in 61/172 HR 30.4.1743 Nr. 46. 103 GLAK 61/171 HR 13.11.1742 Nr. 23. 104 GLAK 61/172 HR 14.5.1743 Nr. 10.

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aus seinem Amt zu entlassen und die Mundschenkin zur Zahlung von 75 Gulden zu verurteilen.105 Maria Josepha sollte eine halbe Stunde auf dem Rastatter Markt stehen mit einem Schild auf der Brust: „Du sollst nicht stehlen.“106 Im Geheimen Rat gab es Bedenken. Der Markgraf betonte, die Akten selbst gelesen zu haben. Es gebe doch mildernde Umstände, und die „allerdings hart angesetzten Strafen“ sollten abgeschwächt werden. Die Anweisung des Geheimen Rats: Reiling statt zum Landesverweis zu einer vierteljährigen Schanzarbeit verurteilen, Netter zur Zahlung von 25 Gulden, aber nicht zum Verlust seines Amtes. Die Strafe für Maria Josepha hingegen solle, da sie schwanger war, bis nach der Geburt ihres Kindes ausgesetzt werden, dann erst ihre „Ausstellung“ auf dem Markt erfolgen mit der Drohung, bei einem erneuten Diebstahl die Markgrafschaft verlassen zu müssen. Ihre Strafe wurde „aus einer besonderen gnad für dies mahl also gemildert.“107 Wegen ihrer „hohen Schwangerschaft und Verlassenheit“ bat Maria Josepha Reiling um die Entlassung ihres Mannes aus dem Gefängnis.108 Johannes Reiling selbst supplizierte ebenfalls. Er könne nicht für sein Kind sorgen und seinen Lebensunterhalt sichern, wenn er zur Schanzarbeit verurteilt sei.109 Reiling hatte auch darum gebeten, die über ihn verhängte Schanzarbeit in eine Geldstrafe umzuwandeln, die er in Raten abzahlen wollte. Als der Geheime Rat seine Bittschrift an den Hofrat weitergab, legte er schon fest, wie zu verfahren sei: Reiling solle zwar bestraft, aber provisorisch aus dem Gefängnis entlassen werden – und der Hofrat müsse überlegen, ob die Strafe nicht doch nochmals geändert werden könne. Der Hofrat ordnete die Entlassung von Johannes Reiling an; dem Markgrafen gab er aber zu bedenken, dass dieser völlig mittellos, zudem von seinem Hang zum Diebstahl, einem „habituierten [zur Gewohnheit gewordenen] laster“, wohl nicht mehr abzubringen sei.110 Erst im April des folgenden Jahres befasste sich die Regierung wieder mit Johannes Reiling und Maria Josepha. Deren Bestrafung, erinnerte der Hofrat den Geheimen Rat, sei nun fällig, nachdem Maria Josepha Reiling ihr Kind zur Welt gebracht und das Kindbett verlassen habe.111 Der Geheime Rat beharrte auf der Strafe für Reiling und dessen Frau, sowohl bei der vierteljährigen Schanzarbeit wie bei der „Ausstellung“ auf dem Marktplatz. Er bestimmte aber auch eine Straf-

105 GLAK 61/171 HR 22.11.1742 Nr. 1. 106 GLAK 61/172 HR 18.4.1743 Nr. 32. 107 GLAK 61/171 HR 22.11.1742 Nr. 1. 108 GLAK 61/46 GR 21.11.1742 Nr. 31. 109 GLAK 61/46 GR 28.11.1742 Nr. 36. 110 GLAK 61/171 HR 29.11.1742 Nr. 2. 111 GLAK 61/172 HR 18.4.1743 Nr. 32.

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milderung. Reiling solle nämlich bei Arbeiten im Hofgarten eingesetzt werden, mit der Erlaubnis, nach der Arbeit nach Hause zu gehen.112 Der Hofrat legte seine Haltung so dar: Er sei zu prüfen aufgefordert worden, „in wie weith ohne Abbruch der Gott gefälligen Justiz“ der Bittschrift Reilings entsprochen werden könne. Vor allem komme es dem Markgraf darauf an, dass Johannes Reiling „auf seinem Handtwerckh etwas [zu] verdienen, mithin sich, sein Weib und Kindt zu ernähren im Stand seye, das Weib aber zur Ausweichung [Vermeidung] der Ihro zuerkanndten Straf nicht etwa mit sambt ihrem Kindt davon laufe, und die catholische Religion wieder changieren [wechseln, hier: aufgeben] möge.“

Darauf habe er, der Hofrat, die Gründe dargelegt, die gegen eine Milderung der Strafe sprächen: Sie würde den Unterschied zwischen der Bestrafung für Reiling und der Mundschenkin Straßburger verwischen, und vor allem müsse berücksichtigt werden, dass bei den Schneidern Diebstahl zur Gewohnheit geworden sei und es zur Abschreckung bei der Schanzarbeit Reilings bleiben solle, „was hingegen deßen Eheweib bet(ref )f(e), seye ebenfalls die offentliche Ausstellung auf dem Marckht, welche von der Prangerstellung weit unterschieden, derselben ahn ihrer Ehre nicht nachtheilig, undt wann sie in der Cathol(ischen) religion nicht besser fundiret [keine bessere Grundlage habe], als dass selbige umb der wohlverdienten Straf zu entfliehen, solche zu verlassen gedenckhet, wenig daran gelegen ob sie darauf beharre [bei der katholischen Religion bleibe] oder nicht.“ 113

Der Markgraf und der Geheime Rat schlossen mit der Billigung des Hofratsberichts die Beratung ab. Die Eheleute Reiling hätten nun ihre Strafe abzubüßen; Johannes Reiling solle, wenn er einen Teil der Schanzarbeit abgeleistet habe, mit einer Bittschrift wegen der Verkürzung seiner Strafe einkommen.114 Nicht ihm galten aber, so kann man annehmen, die Erleichterungen, sondern seiner Frau, und vielleicht kamen sie auch dem Markgrafen selbst entgegen – eine Bestrafung Maria Josephas, die unter seiner Protektion zum Christentum übergetreten war, und die ihres Mannes konnte sein Ansehen beschädigen, auch wenn sie nicht ihre Ehre verletzte. Schließlich waren auch der Markgraf und seine Frau die Patin des Kindes von Maria Josepha und ihres Mannes.115

112 GLAK 61/172 HR 2.5.1743 Nr. 3. 113 GLAK 61/172 HR 14.5.1743 Nr. 10. 114 GLAK 61/172 HR 21.5.1743 Nr. 4. 115 EDA Freiburg, Taufbuch der Pfarrei St. Alexander, Rastatt, 1.3.1743, (mit Unsicherheit bei der Lesung des Datums).

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16.12  Eine Reise nach Ungarn? Johannes Reiling machte erneut, wohl nach der Ableistung seiner Strafe, gegen Samson Schweitzer den Anspruch seiner Frau auf ihr väterliches oder großväterliches Erbe geltend.116 Seine Frau, nicht er, bekam in den folgenden Jahren von der Hofkammer einige Male Getreide zugewiesen,117 wahrscheinlich eine Hilfe in großer Not. Im Herbst 1748 verlangte Reiling eine Abrechnung über die Gelder, die für seine Frau ausgegeben worden waren und die aus der Versteigerung des Besitzes ihres Vaters herstammten.118 Noch immer war Geld übrig.119 Wegen ihrer „großen armuth“ erhielt Maria Josepha Reiling im Dezember 1748 Brennholz aus dem markgräflichen Holzmagazin.120 Maria Josepha Reiling bestand auf ihren Ansprüchen. Im April 1750 verlangte sie vom Geheimen Rat, er solle bei der Karlsruher Regierung die ihr zugesagten 2000 Gulden Ausstattung durchsetzen.121 Ihr Mann reichte im folgenden Jahr eine Supplik ein, in der er für seine Frau um die Auszahlung von 100 Gulden aus dieser Ausstattung bat.122 Eine Zeitlang beschäftigte er den Schneidergesellen Magnus Wetzel, den Lohn blieb er ihm jedoch schuldig.123 Im März 1752 verzeichnete der Geheime Rat eine gemeinsame Supplik von Johannes und Maria Josepha Reiling. Sie baten um eine Unterstützung für eine Reise nach Ungarn. Dafür wies ihnen der Rat 50 Gulden an, sie mussten allerdings Magnus Wetzel noch 12 Gulden Lohn bezahlen.124 Noch hielten sich Maria Josepha Reiling und ihr Mann in Rastatt auf. Im folgenden Monat verzeichnete das Hofratsprotokoll Johannes Reiling erneut: Amtmann Louis Hornus hatte wegen der „fremdten und Liederlichen Menschen“ berichtet, die sich in Rastatt aufhielten. Deshalb habe der Amtmann „auf den Schneidter röhling auch von amts wegen zu Invigiliren [zu wachen], das er denen verdächtigen Leuthen keinen unterschlaif gebe“,125 keine Betrügereien anfange. Nach fünf Jahren, 1757, erhielt der Hofrat eine Nachricht von der Regierung in Karlsruhe: Johannes Reiling habe sie von Wien aus daran erinnert, dass sie sich doch für Maria Josepha einzusetzen verpflichtet habe. Die Karlsruher Regierung möge doch, so reagierte der Rat, Reiling auffordern, sich um eine Audienz bei der 116 GLAK 61/172 HR 13.8.1743 Nr. 16. 117 GLAK 61/284 HK 22.8.1747 ohne Nummerierung u. ö. 118 GLAK 61/177 HR 3.10.1748 Nr. 23. 119 GLAK 61/177 HR 12.9.1748 Nr. 10. 120 GLAK 61/285 HK 9.12.1748. 121 GLAK 61/67 GR 18.4.1750 Nr. 15. 122 GLAK 61/70 GR 17.4.1751 Nr. 14. 123 GLAK 61/180 HR 22.12.1751 Nr. 23. 124 GLAK 61/73 GR 11.3.1752 Nr. 36. 125 GLAK 61/181 HR 6.4.1752 Nr. 9.

Heilig oder im Bund mit dem Teufel? 

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Karlsruher Regierung bemühen. Dann könne ein Protokoll seiner Vorsprache an die Regierung in Rastatt geschickt werden.126 Es dauerte nochmals vier Jahre, bis sich die Regierung, im März 1761, wieder mit Reiling beschäftigte. Es ging um einen Ehebruch: Franzisca Salinger, eine Rastatter Bürgersfrau, und der Schneider Johannes Reiling sollten bestraft werden, Reiling mit dem Landesverweis. Er besitze kein Vermögen, habe sich auch schon früher „liederlich aufgeführt“, und die Regierung in Karlsruhe habe ihn ebenfalls ausgewiesen.127 Der Geheime Rat stimmte zu.128 Maria Josepha wurde nicht mehr erwähnt.

16.13  Heilig oder im Bund mit dem Teufel? Probleme auf dem Weg zwischen den Welten Das Leben der Tochter Hayum Flörsheims vor ihrem Glaubenswechsel lassen die Briefe des Markgrafen, des Bischofs von Speyer und der Vorsteherin des Klosters Zum Heiligen Grab weitgehend im Dunkel. Ihre familiäre und religiöse Herkunft wird angegeben, dass sie vor ihren Eltern geflohen sei, ins Kloster Zum Heiligen Grab aufgenommen wurde, dass die Jesuiten in Ettlingen sie auf die Taufe vorbereiteten und ihr Markgraf Ludwig Georg Hilfe zusagte. In keinem der Briefe über Maria Joseph ist etwas über ihre Motive zum Glaubenswechsel festgehalten. Die Auseinandersetzung mit ihren Eltern, die erwähnt wurde, muss ja nicht zu ihrem Taufwunsch geführt haben, sondern war vielleicht durch ihn ausgelöst worden. Mit ihrem Schweigen verhielten sich der Markgraf, der Bischof und die Priorin nach einem verbreiteten Muster – auch für andere Konversionen wurde das Fehlen von Aussagen über die religiöse Haltung von Taufwilligen als die „Abwesenheit des Religiösen im Kleinen“ festgestellt,129 allerdings nicht erklärt. Auffallend ist der enge zeitliche Zusammenhang zwischen dem Glaubenswechsel der Tochter und dem Konflikt ihres Vaters mit der Regierung und seinem Wechsel nach Karlsruhe. Brachte dieser Konflikt die Tochter auf den Weg ins Kloster? War ihre Konversion eine Reaktion auf ihre familiären Verhältnisse? Weist der Vorwurf des Speyrer Bischof in diese Richtung: Die Priorin habe sich durch Maria Josepha betrügen lassen? Ging es ihr mehr um das „Weg“ von der Familie als um das „Hin“ zum Christentum? 126 GLAK 61/186 HR 27.9.1756 Nr. 12. 127 GLAK 61/193 HR 17.3.1761 Protocollum consilii aulis et regiminis Nr. 22. 128 GLAK 61/193 HR 31.3.1761 Protocollum consilii aulis et regiminis Nr. 9. 129 Braden, Eine Probe aufs Exempel, S. 323 unter Verwendung eines Zitats von Frauke Volkland.

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Auf den Glaubenswechsel von Hayum Flörsheims Tochter geht noch eine weitere Quelle ein, die Jahresberichte des Jesuitenkollegs in Ettlingen. Sie berichten zum Jahr 1729: „Der durchlauchtigsten Markgräfin-Witwe gefiel es, uns ein jüdisches Mädchen [eine junge, unverheiratete Frau] zu empfehlen, welches vor ihren Eltern in das Kloster in Baden geflohen war; wir sollten es in den Grundsätzen des katholischen Glaubens gewissenhaft unterrichten; dasselbe hatte der Kardinal und Bischof von Speyer von uns dringend verlangt. Wir haben es demgemäß unterrichtet und danach dem Kardinal und der Markgräfin, die es zu uns geschickt hatte, übergeben, damit es in der Hofkirche in Rastatt getauft werde. Wir glaubten, dass die Sache für uns damit glücklich erledigt wäre.“130

Diese Darstellung, zeitlich nahe an der Taufe entstanden, rückte die Markgräfin Sibylla Augusta und den Bischof Damian Hugo von Schönborn in den Vordergrund als diejenigen, auf deren Drängen die Jesuiten in Ettlingen Maria Josepha auf die Taufe vorbereiteten; das Kloster zum Heiligen Grab erwähnten die Jahresberichte nur am Rande, den Markgrafen Ludwig Georg und seine Frau gar nicht. Anders als die Briefe von 1732 gehen die Jahresberichte ausführlich auf das „Davor“, auf das Leben von Hayumbs Tochter vor der Taufe ein: „Nun wurde uns an dem für die Taufe bestimmten Tage ganz unerwartet berichtet, das Mädchen sei schon im zarten Alter von einer katholischen Frau getauft worden. Die Frau hatte sich nämlich eingeredet, es sei doch durchaus ungehörig, dass ein Mädchen mit einem so schönen, lieben Gesichte einmal ohne Taufe elendiglich verloren gehen sollte; sie habe deshalb Wasser genommen, die Taufformel gesprochen und so das Kind regelrecht [nach den Regeln des Kirchenrechts] hier in Ettlingen, wo es geboren ist, getauft. Man schenkte diesem Berichte umso mehr Glauben, weil das Kind, sobald es zum Vernunftgebrauch kam, eine auffallende Liebe gegen die Katholiken und eine ebenso große Abneigung gegen die Juden an den Tag legte; obgleich sie von einer sehr reichen, jüdischen Mutter abstammte, würdigte sie die Juden keines Wortes, während sie gegen Christen sehr freundlich und stets wohltätig war, indessen sie für Juden nichts übrig hatte. Oft mußte sie von den Eltern zurechtgewiesen werden, weil sie den Eltern heimlich Brot und Wein wegnahm und es ins Krankenhaus trug; sie erquickte die Armen, machte ihre Betten und erwies ihnen bereitwillig und heiter jeden Liebesdienst, auch wenn es sich um gemeine, niedrige Dinge handelte; die Eltern suchten sie oft davon abzuschrecken durch Bitten, Drohungen und selbst durch Schläge. Sie wurde also nur bedingungsweise131 getauft und lebt jetzt fröhlich als Christin in dem Kloster, in das sie geflüchtet war.“132

130 Kast, Jahresberichte des Ettlinger Jesuitenkollegs, S. 121. 131 Bedingungsweise: Übersetzung der kirchenrechtlichen Formel „sub conditione“, mit der Bedeutung, dass die Taufe wiederholt wurde für den Fall einer fehlerhaften ersten Taufe. 132 Kast, Jahresberichte des Ettlinger Jesuitenkollegs, S. 121.

Heilig oder im Bund mit dem Teufel? 

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Diese Darstellung besteht aus zwei Teilen. Im ersten steht die Taufe im Mittelpunkt. Sie sei das Werk eine Frau in Ettlingen, die durch die Schönheit und das „Liebe“ im Aussehen des Mädchens angerührt wurde und es aus Furcht um sein Seelenheil getauft habe. Der zweite Teil liefert das „Davor“ als Rechtfertigung der Taufe: Das Mädchen habe sich von Kindheit an zu Christen hingezogen gefühlt, habe ihnen viele Wohltaten erwiesen, sich bereits innerlich von seiner Familie und den anderen jüdischen Menschen getrennt und die Kommunikation mit ihnen unterbrochen. Eine weitere Rechtfertigung: Das Mädchen habe die Taufe durch sein Mitleid mit den Armen und Kranken und durch seine Hilfe für die Notleidenden verdient. Ein Zug dieser Erzählung besteht darin, dass sie den inneren Verdienst der Taufe hervorhebt, der im Wesen des Mädchens angelegt war, in seiner Neigung zu den Katholiken, seiner Abneigung gegenüber Juden und seinem hilfreichen Verhalten. Dieser innere „Katholizismus“ ging der Taufe voraus und legitimierte sie. Selbst im Äußeren der Getauften spiegelte sich die Rechtfertigung: Von Kindheit an wies das Mädchen keine jüdischen Züge auf; sein Aussehen schien der Ettlinger Frau, die es taufte, seine Eigenart als Christin zu signalisieren. In der Parallelität zur Legende von der Heiligen Elisabeth von Thüringen besteht ein weiterer Zug in der Erzählung: Wie jene hilft das Mädchen den Armen heimlich und nimmt dafür schwere Nachteile in Kauf. So wird das Bild eines Mädchens vermittelt, das dem Ideal einer Heiligen entspricht. Zu dieser Mädchen-Heiligen gehört, dass sie sich selbst von ihrer Herkunftsgesellschaft isoliert – wie von alleine, und sich identifiziert mit der christlichen Gesellschaft. Auf diese Weise konstruiert die Erzählung eine Konversion ohne jeden Einfluss von außen, in der Sprache des Speyrer Bischofs ein „donum dei“, ein Geschenk Gottes.133 So sehr überhöht dieser „Bericht“ die Konversion, dass die Bezüge zur sozialen Welt des Christentums bedeutungslos waren: In ihr gab es keine sozialen oder materiellen Anziehungskräfte, die auf die Entscheidung zur Konversion eingewirkt hätten. So sehr die „Jahresberichte“ dem Glaubenswechsel eine zeitliche Tiefendimension vermitteln wollen und den Eindruck persönlicher Tiefe, vor allem der Kontinuität in der Existenz Maria Josephas, so fragwürdig erweist sich diese Sicht in einer längeren Perspektive. Ihren „Prozess der Umorientierung“134 auf die christliche Gesellschaft unterstrichen zwar die Jesuiten, als sie die Getaufte mit dem Ausdruck „fröhlich als Christin“ darstellten. Ganz anders erschien sie dann 1732 mit ihrer Aggressivität gegen andere und gegen sich selbst und in ihrem Bezug auf den Teufel.

133 Zu dieser Formulierung des Speyrer Bischofs Damian Hugo von Schönborn siehe S. 570. 134 Braden, Eine Probe aufs Exempel, S. 307.

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Die „Haimsche Tochter“

16.14  Eine Selbstfindung zwischen den Gesellschaften? Die Krise, die sich bei Maria Josepha 1732 äußerte, reflektierte wohl die vielen Probleme einer Selbstfindung, auf die sie in der Auseinandersetzung mit der jüdischen und der christlichen Gesellschaft gestoßen war. Das führt nochmals zur Frage nach den Voraussetzungen für die Orientierung Maria Josephas auf das Christentum. Immer wieder stellten die staatlichen Stellen die Notwendigkeit heraus, sie müsse einfache häusliche Tätigkeiten lernen wie Wäsche waschen und bügeln. Maria Josepha war also nicht darauf vorbereitet, einen Haushalt zu führen, wie es den tradierten Normen entsprochen hätte.135 Was hatte sie dann gelernt, und was unterschied sie von anderen jüdischen Frauen? Ihr Vater übernahm in mancher Hinsicht die Rolle eines Hofjuden und näherte sich erkennbar der christlichen Gesellschaft,136 unterschied sich darin von den übrigen Schutzjuden. Vielleicht hatte seine Tochter eine Erziehung erhalten, die auf anderes zielte als auf Fertigkeiten im Haushalt, vielleicht eine eher intellektuell ausgerichtete Bildung. Darauf könnte die missbilligende Äußerung des Geheimen Rats hindeuten, der von „weith ausschweifenden gedanckhen“ Maria Josephas sprach – im Gegensatz zu seinen eigenen, sie auf das Haus beschränkenden Vorstellungen: Für sie sah der Geheime Rat die Zukunft einer Magd, vielleicht einer verheirateten Frau, die ihren Haushalt zu führen weiß. In dieser Hinsicht stimmten die Räte mit der Vorstellung in der jüdischen Kultur überein, Mädchen seien auf die „Rolle der Mutter und Erzieherin“ vorzubereiten.137 Maria Josepha aber könnte eine Erziehung erhalten haben, die nicht allein durch die jüdische Kultur geprägt war. Ihre Wohltaten, für die sie als Ausdruck ihrer christlichen Gesinnung gerühmt wurde, entsprachen den Pflichten im Rahmen der jüdischen Religion und Kultur; gerade Frauen in Familien von Hofjuden praktizierten sie in ihrem größer gewordenen Handlungsspielraum.138 Mit der Hinwendung auf Bereiche jenseits des Haushaltes, wenn diese Neuorientierung ein Zug der Tochter Hayum Flörsheims war, überschritt sie nicht unbedingt die Grenze der jüdischen Kultur. Aber wenn sie den Anspruch auf eine weibliche Rolle erhob, die sich nicht auf einfache Tätigkeiten im Haus beschränkte, wenn sie sich zugleich von ihrer Familie abwendete, dann grenzte sie sich doch von der überwiegend ländlichen, traditionalen jüdischen Gesellschaft ab. Ihrer nicht von materiellen Bedürfnissen bestimmten Konversion ging dann 135 Zur Rolle der jüdischen Frauen in der Familie und zur Führung des Hauses durch die Frau Ulbrich, Shulamit und Margarete, S. 211–215. 136 Zur Nähe Hayum Flörsheims zur christlichen Gesellschaft siehe S. 35. 137 Battenberg, Juden in Deutschland, S. 125. 138 Ebd., S. 125.

Die Ambivalenz der christlichen Gesellschaft 

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vielleicht doch eine Art von Offenheit für die Mehrheitsgesellschaft voraus.139 Das könnte ihre Entfremdung vom Judentum vorbereitet haben.

16.15  Die Ambivalenz der christlichen Gesellschaft Die Zugkraft der christlichen Gesellschaft verstärkte bei der Konversion Maria Josephas Markgraf Ludwig Georg selbst mit seiner Zusage von Hilfe. Bei ihm und den Nonnen im Kloster Zum Heiligen Grab könnte dabei wichtig gewesen sein, dass mit der Tochter Hayum Flörsheims eine junge Frau aus einer prominenten Familie für das Christentum gewonnen wurde – selbst die Jahresberichte weisen darauf hin, dass die Mutter der Konvertitin aus einer reichen Familie kam. Die Taufe einer Tochter des zeitweiligen Judenschultheißen Hayum Flörsheim und einer Enkelin des Hofjuden Mathias Schweitzer sollte vielleicht Signalwirkung erhalten, die viel größer war als die des Jungen, für dessen Taufe in der Stiftskirche in Baden-Baden ein Podest errichtet wurde.140 Indem der Markgraf und der Geheime Rat daran erinnerten, dass die versprochene Hilfe auch nach der Taufe geleistet werden solle, mit der vorsichtigen Bestrafung des Ehepaares Reiling und mit der Unterstützung für Maria Josepha in ihrer Armut zeigte sich ein dauerhaftes Gefühl der Verpflichtung.141 Nachdem bereits die Bestrafung wegen ihrer Schwangerschaft ausgesetzt worden war, standen ihr der Markgraf und seine Frau weiterhin symbolisch zur Seite, indem sie für den auf den Namen Ludwig Georg getauften Sohn Maria Josephas die Patenschaft übernahmen.142 Ihr zweites Kind, die Tochter Maria Anna, erhielt den Namen von Maria Anna von Schwarzenberg,143 der Frau von Markgraf Ludwig Georg; diese Namengebung verdeutlichte eine besondere Verbindung zwischen dem Fürstenpaar und der Konvertitin.144 Wenn der Markgraf und die Regierung später auch anderen Konvertiten und Konvertitinnen Hilfe erwiesen, bei Chaye 139 Zur Kontroverse über eine frühe Öffnung der jüdischen Gesellschaft zur Mehrheitskultur und zu ihrem Erziehungsmodell Battenberg, Die Juden in Deutschland, S. 120–123. 140 Zu der Taufe des Jungen in der Stiftskirche Baden-Baden siehe S. 556f. 141 Zur Aufforderung des Markgrafen S. 580, zur Milderung der Strafe S. 588, zur Bereitschaft zur Hilfe S. 580, S. 586 u. ö. 142 EDA Freiburg, Taufbuch der katholischen Gemeinde St. Alexander, Rastatt, 1.3.1743 (mit unsicherer Lesung des Datums), Bl. 111. 143 EDA Freiburg, Taufbuch der katholischen Gemeinde St. Alexander, Rastatt, 30.8.1744, Bl. 155. 144 Allerdings wurde der Name der Markgräfin häufig verwendet – sowohl bei jüdischen Mädchen wie bei christlichen: Das Bühler Taufbuch verzeichnet auf derselben Seite, auf der ein jüdisches Mädchen nach seiner Taufe als Maria Anna genannt wurde, weitere drei Mädchen mit den Namen Maria Anna bzw. Anna Maria. (EDA Freiburg, Taufbuch der katholischen Gemeinde St. Peter und Paul, Bühl, 3.6.1732) Ob ein Zusammenhang zwi-

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Die „Haimsche Tochter“

Schweitzer bzw. Ludwig Gottlob und seiner Familie, bei Glückseelig oder bei den Töchtern aus armen Familien, in der Intensität und Dauer hebt sich jedoch die Hilfe für Maria Josepha hervor, wenn auch sicher die Erwartung mitspielte, dass der Aufwand für sie über die Ansprüche an ihren Vater kompensiert werden würde. Die Ambivalenz im Verhältnis des Hofes zu Maria Josepha ist unverkennbar. Mit der Kombination Maria und Josepha erhielt Hayums Tochter Namen, die mit ihrem Bezug zur Familie Jesu die Bedeutung ihrer „Christianisierung“ unterstrichen. Doch die Benennungen von Maria Josepha enthielten wie bei anderen Getauften eine weitere Dimension. Von der Tochter Hayum Flörsheims145 war die Rede, auch von den Angelegenheiten der „Mariae Josephae Conversae [der konvertierten Maria Josepha]“;146 entsprechend wurde sie auch als „die zum Christenthumb getrettene Judt Hayumbl(iche) Tochter“ bezeichnet.147 All das machte ihre Herkunft aus einer jüdischen Familie und ihre Eigenart als NeuChristin unübersehbar und unterschied sie von anderen Christen und Christinnen.148 Das galt noch bei ihrer Heirat, bei der sie als „Maria Josepha Hayum nata alias Judaea“ in das Ehebuch eingetragen wurde.149 Aber selbst nach ihrer Heirat blieb Maria Josepha die „gebohrene Hayumbin“.150 In den Konnotationen dieser stereotypen Bezeichnungen schwangen noch lange andere Stereotypen mit, vor allem die der schädlichen, für das Christentum gefährlichen Jüdin. Erst allmählich wurde sie nur als die Ehefrau von Johannes Reiling, als „Maria Josepha Rehling“ 151 oder als „Maria Josepha Reulinger“152 verzeichnet. Zumindest in ihrer namentlichen Nennung ging damit das Signal für ihre Herkunft allmählich verloren. Maria Josepha wurde in der Darstellung der Ettlinger Jesuiten zu einer Heiligen stilisiert, in der Sicht der Klosterfrauen in Baden-Baden als Gefahr für das Kloster und seine Menschen, als junge Frau in der Nähe des Teufels. Zwischen diesen Polen ihrer Darstellung standen Markgraf und Regierung mit ihrer Hilfe, aber auch mit Distanz und Misstrauen, wenn sie die Möglichkeit der Rückkehr schen dem Namen der Markgräfin und dieser Namengebung besteht, müsste noch weiter untersucht werden. 145 GLAK 61/159 HR 18.12.1731 und 24.12.1731. 146 GLAK 61/159 HR 8.6.1731. 147 GLAK 61/162 HR 22.3.1734 Nr. 14 u. ö. 148 Zur Praxis der Namensgebung bei jüdischen Konvertiten und Konvertitinnen und zur ambivalenten Haltung in der christlichen Gesellschaft gegenüber jüdischen Taufwilligen Jutta Braden, Eine Probe aufs Exempel, S. 328f. 149 EDA Freiburg, Heiratsbuch der katholischen Kirchengemeinde St. Alexander in Rastatt, 29.2.1742, Bl. 39. Siehe auch S. 365. 150 GLAK 61/41 GR 28.1.1741 Nr. 2. 151 GLAK 61/46 GR 21.11.1742 Nr. 30. 152 GLAK 61/172 HR 30.4.1743 Nr. 46 und Nr. 47.

Die Ambivalenz der christlichen Gesellschaft 

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in ihre Herkunftsfamilie erwogen, ebenso zwischen den Vorstellungen einer paternalistischen Erziehung durch einen Geistlichen und strenge Beamten und der harten Disziplinierung im Zuchthaus. Insgesamt reagierte die christliche Gesellschaft voller Widersprüche. Im scharfen Gegensatz zu ihrer Erhöhung in den „Jahresberichten“ erlebte Maria Josepha die Schwierigkeiten der Existenzsicherung und der Integration in die Mehrheitsgesellschaft, vielleicht schon zuvor die spannungsreiche Situation zwischen der jüdischen und der christlichen Kultur. Insofern zeigen die Blicke auf ihr Leben und das der anderen Taufwilligen, wie schwierig der Weg aus der Herkunftsgesellschaft heraus und zwischen den Kulturen war. Die zwei Welten, denen Konversionbereite verbunden waren, lagen weit auseinander. Aus der jüdischen Gesellschaft aufzubrechen bedeutete keineswegs die gelingende Ankunft in der christlichen. Es scheint sogar, als ob in der Markgrafschaft auf dem Weg in die christliche Gesellschaft Sperren errichtet wurden: Die Tochter des Judenschultheißen, den gelehrten Reitknecht Johannes Gottseelig und Cheye Schweitzer, den Enkel des Hofjuden Mathias Schweitzer, beschränkte die Regierung auf einen niederen sozialen Status; für sie erschien körperliche Arbeit als angemessen, jedoch nichts, was darüber hinausging. Jüdinnen und Juden konnten sich auf den Weg zur Heiligkeit machen, aber: Waren sie nicht noch immer Kinder des Teufels?153 In der Judenschaft war die Bereitschaft zur Taufe gering. Für die meisten baden-badischen Schutzjuden, selbst in ihrer Armut, blieb die Bindung an ihr Judentum unversehrt, trotz vieler Kontakte mit der christlichen Mehrheitsgesellschaft. Die markgräflichen Juden gingen gerade in den Jahren um 1750 daran, mit dem Bau von Synagogen, in der Praxis der Solidarität, mit der Anstellung von Lehrern und mit der Sicherung des jüdischen Rechtsbereichs die Judenschaft in ihrem Zusammenhang zu stärken. In der Regel, und Maria Josepha ist nicht ausgenommen, erfolgte der Bruch zur Herkunftsgesellschaft nur dann, wenn bereits eine soziale Isolierung bestand, wenn eine Übergangssituation und Armut zusammenkamen, wenn sich ein Bruch im Lebensentwurf ergab und vor allem wenn Not bedrängte. Die Kohärenz einzelner Juden und Jüdinnen mit der Judenschaft und mit dem Judentum war auch dann gefährdet, wenn es galt, eine Strafe zu vermeiden oder eine mildere zu erhalten.154 Die widersprüchlichen Haltungen in der christlichen Gesellschaft gegenüber Taufwilligen trugen vielleicht dazu bei, dass die Zahl der Konversionen gering blieb. Schließlich gab es auch Erfahrungen und

153 Zur antijüdischen Stereotype „Kinder des Teufels“ Rohrbacher und Schmidt, Judenbilder, S. 151–157 und oben im Text S. 395. 154 Zu materiellen Motiven für die Taufe und zur Strafvermeidung oder -milderung mit Hilfe der Taufe Cilli Kasper-Holtkotte, Religionswechsel im sozialen Kontext, in: Aschkenas. Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden 15 (2005) S. 337–369, hierzu S. 358f.

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Die „Haimsche Tochter“

Wahrnehmungen: Die Fortschaffung des in Bühl getauften Mädchens155 signalisierte keine besondere Bereitschaft der christlichen Gesellschaft zur Integration von Konvertierten. Hayum Flörsheim musste, nach einer Phase der Annäherung an die christliche Gesellschaft – mit seinen ökonomischen Beziehungen, seinem Verhältnis zum Dompropst in Baden-Baden, seinem Wohnen beim Schneider Gotthardt in Rastatt – aus der Markgrafschaft fliehen. Seine Tochter wurde, so stellten es die Jesuiten dar, schon von Kindheit an zu Christen hingezogen. Aber: Am Ende verließ sie, wohl eine Fremdgebliebene, die christliche Gesellschaft des Landes, in dem sie über Jahrzehnte als Hayumbin, als Maria Josepha, als Maria Josepha Reiling, als Jüdin und als Christin gelebt hatte, und zog die Fremde Ungarns vor.

155 Zur „Fortschaffung“ dieses Mädchens aus Bühl siehe S. 561.

17  Jüdische Lebenswelten in der Markgrafschaft Baden-Baden – Zusammenfassung und Ergebnisse Jüdische Menschen in der Markgrafschaft Baden setzten sich in ihren Lebenswelten mit Strukturen, mit Verhältnissen und Akteuren auseinander, die in den Bereichen der politischen Herrschaft, der Gesellschaft, der Wirtschaft und Religion bestimmend waren. Im Folgenden werden die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit auf Verhaltensweisen, Erfahrungen und Vorstellungen der baden-badischen Schutzjuden bei diesen Auseinandersetzungen fokussiert. Für viele war die Bewerbung um den Schutz ein für die ganze Lebensplanung wichtiger Schritt in den Kontaktraum von Juden und Regierung. Der Schlüssel zu diesem Raum bestand, wie überall, im fiskalischen und wirtschaftlichen Interesse der Regierung an der Anwesenheit von Juden und ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Für die Zeit des Markgrafen Ludwig Wilhelm waren der Wiederaufbau des Landes und seine wohl durch das Verhältnis zu Samuel Oppenheimer beeinflusste positive Einstellung zu Juden besonders wichtig; das eröffnete Chancen für Juden. Seine Witwe, die Markgräfin Sibylla Augusta, drängte auf den Abschluss dieses Kontaktraumes und grenzte die Existenzmöglichkeiten für Juden auch sonst ein. Unter Ludwig Georg und August Georg wurde der Kontakt bei den Schutzbewerbungen über die finanziellen Interessen hinaus dadurch begünstigt, dass die Regierung zur Abweichung von der Vermögensnorm bereit war und sich von verschiedensten Rücksichten leiten ließ, von solchen auf persönliche Verhältnisse oder auf andere Regierungen. Allerdings drohte auch zeitweilig das Ende der Schutzaufnahmen. Den alltäglichen Raum für Kontakte zu Christen bot zunächst die Nachbarschaft. Juden und Christen konstituierten ihn im Innern der gemeinsam genutzten Häuser. Hier drängte die Regierung auf Separation; zumindest in den nachbarschaftlichen Außenräumen gelang ihr das kaum. Juden und Christen teilten sie in ihrer alltäglichen Lebenspraxis miteinander: Höfe, Gärten, Straßen und andere Zwischenräume der Häuser. Hier scheint es kaum Konflikte gegeben zu haben, die aufwendiger Regelungen bedurften. Als wirtschaftliche Akteure kamen Juden gerade im „kleinen“ Handel beim Hausieren in die Häuser der Christen, beim Viehhandel in die Ställe, die christlichen Kunden beim Einkauf in die Ladengeschäfte der Juden oder zu ihren Marktständen. Zur Öffentlichkeit gehörten Einrichtungen wie die Keltern, wo Juden und Christen Trauben pressten, oder die Weinberge, wo Juden Reben direkt bei den Rebleuten kauften. Auch beim Schächten gab es zumindest zeitweise direkte Kontakte, solange es bei den christlichen Metzgern stattfinden musste, und zuweilen kauften diese sogar heimlich nichtkoscheres Fleisch. Die Straße oder die Nachbarschaft ist jedoch auch als Raum zu erkennen, in dem

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Juden und Jüdinnen Beleidigungen und Gewalt durch Christen und auch durch Juden erfuhren. Zunächst waren es vor allem Juden aus anderen Territorien, die im Handel und in der Entwicklung des Gewerbes Chancen auf Kontakt zum Hof wahrnahmen. Baden-badische Juden, im Wesentlichen wohl die wirtschaftlich leistungsstarken, traten ebenfalls in den Umkreis des Hofes, als Admodiatoren und beim Handel. Sie übernahmen die Versorgung von Truppen, gerade bei Kontributionslieferungen in Zusammenarbeit mit der Regierung. In ihrer Orientierung auf den Hof verlegten manche Schutzjuden ihren Wohnort in die Residenzstadt und verstärkten so ihre Nähe zur Regierung. Unter den baden-badischen Schutzjuden führte um 1700 nur bei Mathias Schweitzer sein Kontakt zum Hof zur Bezeichnung „Hofjude“. Nachdem Juden von außerhalb, auch solche mit diesem Titel bei nichtbadischen Höfen, unter Markgraf Ludwig Wilhelm sich kürzer oder länger am Hof aufgehalten hatten, drängten Markgräfin Sibylla Augusta und ihre Söhne, was Hofjuden anging, auf Distanz. Erst kurz vor dem Ende der Markgrafschaft erhielt Salomon Meyer, der Karlsruher Hofjude, für die Markgrafschaft Baden-Baden den Titel eines „Cabinettsfaktors“.1 Nach 1700, vor allem nach Markgräfin Sibylla Augusta, vergrößerte sich die Zahl der Schutzjuden, die im Handel Verbindung zum Hof aufnahmen oder Admodiatoren wurden, besonders im Bereich agrarischer Produkte. Sie kamen zur Hofkammer, um die Bedingungen von Handel oder Gewerbe zu klären, gingen aber auch zu den christlichen Untertanen, mit denen sie zu tun hatten, wie etwa Hayum Flörsheim zu den Küfern. Wenn er der Markgräfin Schmuck verkaufte, lässt sich ein direkter Kontakt annehmen; der persönliche Zugang des Judenschultheißen Bodenheimer zu Markgraf Ludwig Georg ist sicher, ebenso der anderer Schutzjuden zu Ratskollegien oder zum Fürsten selbst. Delegierte der Judenschaft trugen ihre Beschwerden beim Hofrat vor und nahmen dessen Entscheidungen entgegen. Viele dieser Interaktionen zwischen Juden und dem Hof, zum Teil im Kontakt „face to face“, lassen sich als eine spezifische Eigenheit ihrer Lebensverhältnisse verstehen, nicht als besonderes Zugeständnis, sondern als Folge der Kleinräumigkeit im Kerngebiet der Markgrafschaft. Bei Hayum Flörsheim, der in die Wohnung des Dompropstes kam, lässt sich ein Überschreiten des wirtschaftlichen Raums feststellen, hin in einen Bereich des Diskutierens, der Kommunikation über wirtschaftliche Angelegenheiten hinaus, allerdings abgeschirmt vor der Öffentlichkeit. Dieses Überschreiten des wirtschaftlichen Raums und der Grenze zwischen Juden und Christen zeigte sich auch bei seinem Wohnen bei Christen, wenn er sich in Rastatt aufhielt, in der Nähe des Hofes. Die persönliche Beziehung zwischen Markgraf Ludwig Wilhelm und Samuel Oppenheimer, mit dem Angebot der Freundschaft durch den Fürs1 Bräunche, Die Familie Meyer-Model, in: Schmitt (Hg.), Juden in Karlsruhe, S. 452.

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ten, blieb ein besonderer Fall, ebenso die Beziehung zwischen Jacob Löwel und der Witwe Catharina Maria Hasler. Dem Beharren auf Separation oder Segregation standen die räumliche Nähe nachbarschaftlicher Verhältnisse und die damit verbundene Kommunikation und Interaktion entgegen. Juden wurden Mieter in Häusern von Christen, mit christlichen Nachbarn. Sie waren willkommen, wohl wegen der höheren Miete, die sie zahlten, aber es gab auch die Verweigerung von Wohnraum, wenn für Schutzjuden die Niederlassung an einem Ort erschwert wurde. Wie das Wohnen in benachbarten Häusern war für jüdische und christliche Besitzer das Wohnen unter dem Dach eines im Besitz geteilten Hauses vorstellbar; hier reagierten sie wohl auf Erfahrungen und nutzten vertragliche Regelungen, um künftige Konflikte einzudämmen. Das mussten nicht spezifische Erfahrungen aus dem Zusammenleben von Juden und Christen gewesen sein, denn auch Juden, die zusammen ein Haus bewohnten, regelten ihr Miteinander detailliert. Zwischen christlichen und jüdischen Interessenten an einem Haus gab es sogar Kooperation, um den Erwerb zu ermöglichen. Befürchtungen von Christen über den Umgang ihrer Kinder mit jüdischen Kindern maß die Regierung keine Bedeutung bei. Kommunikation gegen Juden verlief oft als Kommunikation über Juden, wenn sie durch Christen Schwierigkeiten erfuhren, sei es bei Schutzbewerbungen, beim Handel oder beim Kauf von Häusern. Die Akteure in dieser antijüdischen Kommunikation mit der Regierung waren christliche Konkurrenten, Beamte, Gemeinden und Ortsgeistliche. Die Regierung errichtete mit der „Judenordnung“ vor allem einen Raum um die Kirche, in dem Hausbesitz von Juden (wie auch bei christlichen Friedhöfen) eingeschränkt und streng kontrolliert war; ähnlich verfuhr sie bei Häusern in der Hauptstraße. Sicher ging es um wirtschaftliche Interessen, aber auch um den symbolischen Ausschluss der Juden aus dem christlich verstandenen Verband der nichtjüdischen Einwohner. Die Ortsgeistlichen, die bei diesen Konflikten aktiv wurden, agierten auf der Kanzel und mit Schreiben an die Regierung. In ihrer Darstellung war die Abwehr von Juden im Raum um die Kirche eine Verteidigung der christlichen Religion. Ihre hypertrophe Ausgestaltung judenfeindlicher Stereotypen war Ausdruck der tradierten, kirchlich bestimmten Judenfeindschaft. Die Stereotype dienten den Geistlichen wohl der Sicherung ihrer Meinungsführerschaft und der Konfessionalisierung auf der lokalen Ebene, gerade bei den jesuitischen Ortsgeistlichen, und dem Erhalt oder der Stärkung der Kohärenz des katholischen Milieus. Für die christlichen Gemeinden und für die kommunalen Eliten speziell erfüllten Stereotype sowohl auf der Ebene der Kommunikation und der Interaktion vielfältige Funktionen: Mit ihnen wurden Schutzaufnahmen bekämpft, die Beteiligung von Juden am Gemeindeeigentum, sie dienten der Stärkung des Selbstbildes in Krisensituationen und insgesamt zum Erhalt der Grenze zwischen Mehrheits- und Minderheitsgesellschaft.

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Einerseits standen die Stereotype in einer ungebrochenen Kontinuität, manche bis ins 20. Jahrhundert hinein. Andererseits gab es, trotz der Resistenz vieler stereotyper Vorstellungen, Verschiebungen in ihrem Gebrauch, die abhängig waren von besonderen situativen Faktoren wie beim Stereotyp der „Blutiglen“ und abhängig von dem Wandel der Vorstellungen allgemein, der Zunahme aufgeklärten Denkens. Eine der Veränderungen bei den Stereotypen lässt sich in der Kommunikation über den Handel von Juden feststellen. In den letzten Jahren der Markgrafschaft gab die Regierung die Vorstellung auf, dass für Juden der Verkauf von Nahrungsmitteln nicht angemessen sei. Die dauernde Kommunikation in diesem Bereich, wohl auch positive Erfahrungen und veränderte Vorstellungen im Zuge aufgeklärten Denkens schufen dafür Voraussetzungen. Aber bis zum Ende der Markgrafschaft blieb es überwiegend bei der indirekten negativen Kommunikation über die Juden. Es gab jedoch auch in der ländlichen Markgrafschaft jüdische Akteure, die in ihren lebensweltlichen Zusammenhängen die Geltung der antijüdischen Vorstellungen mit ihrem positiven Selbstbild bestritten. Ein frühes Beispiel ist hier Joseph Jacob in Bühl, der im Konflikt über sein Haus bei der Kirche die Judenfeindschaft des jesuitischen Ortsgeistlichen benannte und in Begleitung des christlichen Käufers zu ihm ging, um den Verzicht auf sein Haus direkt mitzuteilen. Stereotype Vorstellungen zeigten sich selbst in dem Zusammenhang, in dem ihre antijüdische Zielrichtung eigentlich obsolet war, bei den Taufen und danach. Misstrauen schlug Taufwilligen entgegen. Bei der Konversion unterstrich die Regierung das Autostereotyp der christlichen und gnädigen Herrschaft, zur Selbstbestätigung und zur Bestätigung ihres Bildes vor den Untertanen. Im Nachher der Taufe veränderte sich das Ensemble der Stereotypen: Gewiss traf die Vorstellung der Christenfeindschaft nicht mehr die Getauften. Aber sie blieben „getaufte Juden“, und die Taufe überwand nicht die Resistenz mancher der negativen Vorstellungen, die sie schon als Juden getroffen hatten. Die Schutzjuden in ihrer Gesamtheit vertraten immer wieder ihre Interessen am Hof in direkter Kommunikation und Interaktion; teilweise erzielten sie Erfolge wie 1757 mit ihrer umfassenden Beschwerde. In ihrer Kommunikation verwendeten auch Juden Stereotype, positive Selbstbilder, mit denen sie vor allem die Regierung beeinflussen wollten. Juden von außerhalb der Markgrafschaft kamen oft persönlich an den Hof, um ihre Interessen wirtschaftlicher Art zu vertreten. Bei vielen Schutzaufnahmen und vielen Streitpunkten verwendeten die baden-badischen Schutzjuden die Form der Suppliken als normale Kommunikation und Interaktion, in Einzelfällen auch die des persönlichen Kontakts und der direkten Kommunikation mit dem Hof. Eine zahlenmäßig dichte Kommunikation mit der Regierung entstand bei Admodiatoren, besonders bei denen, die wie Herz Lazarus in mehreren Handelsmonopolen aktiv wurde. Kommunikation und Interaktion mit der Regierung

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beschränkten sich nicht auf den wirtschaftlichen Bereich. Es ging auch um die jüdische Autonomie im Recht und die religiösen Interessen wie bei der Frage des Gottesdienstes. Eine ähnliche Verdichtung der Kontakte, der Kommunikation und Interaktion mit dem Hof gab es auch bei anderen Schutzjuden und besonders den Judenoberschultheißen, teilweise auch für persönliche Anliegen: etwa bei Süßel, der bei der Hofkammer erschien, bei Herz Lazarus, der sich direkt beim Geheimen Rat oder bei Markgraf Ludwig Georg über einzelne Hofräte beschwerte und ein für ihn günstiges Reskript des Markgrafen erhielt, bei Isaac Bodenheimer mit seiner Perücke, die Markgraf Ludwig Georg in Brand schoss. Auch nichtverbale Formen der Kommunikation sind für die Zeit ab etwa 1700 für Juden erkennbar. Die Inschrift am Haus wohl von Mathias Schweitzer führte der Öffentlichkeit seinen Status als Hofjude vor. Nicht nur für ihn und Isaac Bodenheimer dürften Häuser wie bei Christen als Mittel der Selbstdarstellung, als Zeichen des Ansehens und der Ehre gedient haben, und als solche wurden sie auch von Beamten und in der breiten Bevölkerung wahrgenommen. – Auch Rüfel unterstrich mit dem Das-Kind-vor-die-Tür-Legen ihren Anspruch gegenüber dem von ihr angegebenen Vater mit dem Mittel der Geste. Ebenfalls gestisch verwies der Vertreter der Judenschaft bei Nachlassregelungen mit dem Aufsetzen seines Siegels noch vor dem Vertreter des Amts und mit dem Siegel selbst als sichtbarem Symbol auf die Autonomie des jüdischen Rechtsbereichs. Gerade in der nichtverbalen Kommunikation überschnitten sich die kulturellen Praktiken aus den zwei Gesellschaften. In der Reaktion auf Angriffe oder Benachteiligungen diente die Kommunikation den Schutzjuden für die Durchsetzung von Ansprüchen materieller und immaterieller Art, oft zumindest in sozialer Hinsicht, etwa in der Frage der Ehre und einer Platzierung auf einer mit Christen gleichen Ebene. Kommunikation ging in Interaktion über, wenn sie bei Beteiligten Wirkung herbeiführte. Wie in Kontakten bei der Schutzerwerbung waren Juden auch in anderen Belangen in der Lage, Verhaltensweisen der Regierung zu nutzen. Bei der Einführung der Pflastersteuer schuf die Regierung, bei aller Härte, die sie in der Frage der neuen Belastung aufwies, mit deren Ankündigung die Voraussetzung von Kommunikation und Interaktion, indem sie die Vertreter der Schutzjuden wie die der christlichen Bevölkerung in der Residenzstadt, allerdings nach diesen, vorlud; die Schutzjuden reagierten mündlich und später mit Suppliken und erreichten zumindest eine Reduktion der finanziellen Ansprüche. Wohlhabende konnten sich noch entschiedener wehren – sie verließen die Markgrafschaft. Einige Beamte nahmen zumindest im Laufe der Jahre die Ungerechtigkeit und Willkürlichkeit dieser Steuer und andere Diskriminierungen wahr, auch wenn sich daraus nicht immer Konsequenzen ergaben. Bei der Abzugssteuer gelang zwar der Judenschaft keine Erleichterung für ihre Gesamtheit, sie brachte aber die Regierung dazu, verstärkt das Argument der

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Gleichbehandlung mit den übrigen Untertanen zu verwenden. War diese Argumentation auch davon bestimmt, die Vorstellung einer einheitlichen Untertanenschaft zu konstruieren, so stärkte sie zumindest im Ansatz eine andere Vorstellung, dass nämlich Juden im frühneuzeitlichen Staat trotz ihrer Diskriminierung auf lange Sicht Anspruch auf Gleichheit oder Gleichbehandlung erwarten konnten. 1757 nahmen die vier Anwälde die Vorstellung der Gleichbehandlung in ihrem Sinne auf. Für den Besitz von Häusern in der Hauptstraße verlangten sie den gleichen rechtlichen Status wie die Christen, und in der Argumentation gegen die Anordnung, ihre Kontrakte mit Christen beim Handel und bei Kreditvergaben vor dem Amt abzuschließen, forderten sie ausdrücklich „gleiches Recht mit denen Christen“2 – wohl eine der wichtigsten Entwicklungen in der Interaktion zwischen Juden und Christen. In der Frage des jüdischen Rechts weitete die Regierung ihren Einflussbereich aus, und wie beim Synagogenstreit gab es keinen Diskurs über die Voraussetzungen der jüdischen religiösen Lebenswelt, über den Zusammenhang von Recht und Religion. Erfolgreich waren die Schutzjuden bei der Nachlassregelung, sowohl in der Kostenfrage wie bei der Bewahrung von Autonomie. Beim Tod von Nathanael Weil zeigte sich eine besondere Form der Interaktion, die vielleicht eine neue Dimension im Verhältnis zwischen Juden und Regierung ankündigte. Die baden-badischen Schutzjuden supplizierten im innerjüdischen Wettstreit mit denen in Karlsruhe-Durlach bei der Frage, auf welchem Begräbnisort der Rabbiner bestattet werden sollte. Die Regierung nahm ihrerseits wahr, dass es um die Ehrung Nathanael Weils ging, und sie reagierte mit Bedacht auf die emotionale Befindlichkeit der Judenschaft. Zwar ging sie nicht auf deren Bitte ein – in angemessener Rücksicht auf die Hinterbliebenen und die Regierung in Karlsruhe. Aber sie nahm teil an der Ehrung des Verstorbenen und übernahm damit die Vorstellung und Verhaltensweise der so oft geschmähten Juden. Schutzjuden reagierten nicht nur, sondern initiierten auch erfolgreich Interaktion zwischen sich und der Regierung. Das gilt für die Absetzung des Judenoberschultheißen Samson Schweitzer. Bei der Einsetzung von Raphael Jacob als Oberschultheiß waren die Juden nur indirekt über ihre Vorschläge beteiligt, erhielten aber so einen von ihnen akzeptierten Nachfolger. Bei der Vermählungssteuer 1755 erreichten die vier Anwälde eine Ermäßigung um eine Drittel. Mit der umfangreichen Beschwerde der Judenschaft stießen die Vertreter der Judenschaft innerhalb der Beamtenschaft Überlegungen an, die negative stereotype Vorstellungen über Juden in Frage stellten. 1746 wurden die Schutzjuden beim Handel am Sonntag initiativ, mit dem Ergebnis, dass die jüdischen mit den nichtjüdischen Kaufleuten gleichgestellt wurden. Als die Erlaubnis, mit Spezereien zu handeln, 1769 wieder in Frage gestellt wurde, konnten Joseph und Löw Elias in Bühl über den Rechtsweg für sich diesen Handel sichern. Selbst im kleinen Be2 GLAK 74/3741, 3.5.1757, Beschwerdepunkt 10.

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reich des Schächtens traten Schutzjuden als Akteure auf, die neue Bedingungen ihrer ökonomischen und religiös-kulturellen Existenz aushandelten. Interaktion im Alltag war, so scheint es, am ehesten dort von Spannungen unbeeinträchtigt, wo die Notwendigkeit des Überlebens herrschte, in der Nachbarschaft von armen Juden und Christen: Hier konnte ein armer Jude für Christen ein guter Nachbar sein. In der Hauptstraße, wo es um höhere materielle Gewinne und um mehr Prestige ging, setzte die Konkurrenzsituation dem Miteinander zu. Antijüdische Vorstellungen oder überhaupt Spannungen in der Interaktion von Juden mit Einzelnen in der bäuerlichen Bevölkerung sind selten feststellbar; sie äußerten sich wie bei der Ablehnung von Schutzaufnahmen als Vorstellung einer ganzen Gruppe, meist in Marktflecken und Kleinstädten, oder von Gemeinden in ihrer Gesamtheit und führten bei den Schutzjuden nicht selten in einer Gegenbewegung zu Äußerungen ihres Selbstbewusstseins. Gewalt als Form der Kommunikation oder Interaktion diente als Mittel zur Durchsetzung von Forderungen und als Ausdruck von Überlegenheit oder Überordnung und von sozialen Ansprüchen. Sie wurde nicht nur rechtlich, zur Sicherheit vor Gewalt oder zu ihrer Bestrafung, thematisiert. Juden bezogen sie in den Kommunikationszusammenhang mit der Regierung ein, um ihre Vorstellung vom angemessenen Verhalten von Amtsträgern, von jüdischen und von nichtjüdischen, mitzuteilen und sich dadurch ihres sozialen Status zu versichern; auf diese Weise wirkten Schutzjuden an der Disziplinierung von Untertanen, Beamten und der eigenen Amtsträger mit. Die jüdischen Akteure in der Markgrafschaft intensivierten die Interaktion mit der Mehrheitsgesellschaft im Bereich des Kredits und des Handels, zeitweise auch im Gewerbe. Den Geldverleih organisierten Juden in vielfältigen Formen, angepasst gerade an die agrarischen Verhältnisse, indem sie die Abzahlung mit landwirtschaftlichen Produkten ermöglichten. Die Interaktion auf diesem Gebiet war im Wesentlichen auf den agrarischen Nahbereich zentriert, auf die bäuerliche Bevölkerung, ebenso auf Handwerker, denen Juden Produkte aus der Nachbarschaft auf Kredit vermittelten. Hofbedienstete und Beamte, ebenso der Hof selbst nutzten Kredite ebenfalls, gerade beim Warenbezug. Die Beziehungen zur Mehrheitsgesellschaft intensivierten und komplizierten sich da, wo Juden und Christen in Kreditverflechtungen miteinander verbunden und voneinander abhängig waren. Juden gehörten in solchen Verflechtungen auch zu Kreditnehmern, und Christen hatten das Vertrauen, Juden zur Verzinsung Geld zu leihen. Falsch wäre es, angesichts zahlreicher, vor allem kirchlicher Geldgeber das Kreditwesen als von Juden bestimmt anzusehen. Kredite waren im Handel oft die Voraussetzung für den Kauf von Waren bei Juden, in Ladengeschäften und beim Hausierhandel. Die jüdischen Händler ihrerseits bezogen Waren oft von jüdischen und christlichen Großhändlern außerhalb der Markgrafschaft, vor allem aus Frankfurt, und waren bei diesen

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oft verschuldet, von deren Kredit abhängig. Ähnliches gilt auch für christliche Kaufleute. In außerbadischen Gebieten bezogen jüdische Lieferanten oft landwirtschaftliche Produkte für den Hof, für dessen Verbrauch und für Kontributionen. Die wirtschaftliche Interaktion auf dieser Ebene war wie im Ladengeschäft stark von der Fähigkeit der jüdischen Beteiligten abhängig, Kredit zu haben und Kredit an den Hof zu gewähren. Speziell die wenigen Hofjuden, dann Schutzjuden mit Lieferungen an den Hof etablierten ihre Interaktion auf längere Dauer. Das gilt auch für Admodiatoren, die wichtig waren für die Organisation des Handels und des Einzugs von Gebühren; hier wird gerade die Regierung und der frühneuzeitliche Staat insgesamt – neben den jüdischen Admodiatoren selbst – als Gewinner sichtbar. Die wirtschaftlich erfolgreiche Interaktion mit der christlichen Umgebung ging von den Familien aus, in denen es die Bereitschaft gab, Neuerungen im Handel wahrzunehmen und mitzugestalten. Die führenden jüdischen Handelsleute, aber auch die armen Juden mit einem reduzierten Warenangebot nahmen am Übergang vom Kreditwesen zum Handel teil, dem wesentlichsten „Fortschritt im alltäglichen Wirtschaftsleben der Juden in der Frühen Neuzeit“.3 Einige konnten ihren Handel ausweiten und gingen bis an die Schwelle zur Protoindustrie. Manche der jüdischen Akteure nutzten ihre wirtschaftliche Verbindung zum Hof für ihren Aufstieg in der Judenschaft; so wirkte sich ihre wirtschaftliche Leistungskraft auf die innerjüdische Interaktionsverhältnisse aus. In der Versorgung mit Krediten und Waren, in der Übernahme des Absatzes landwirtschaftlicher Produkte waren die jüdischen Handeltreibenden wichtig für die Bevölkerung. Gerade im Viehhandel verfügten Juden über Vertrauenskapital. Wenn sie im Bereich des Gewerbes, etwa in der Eisenproduktion, Aufgaben übernahmen, schufen sie Voraussetzungen für die Produktion im Handwerk und Gewerbe und sicherten damit indirekt die noch schwach entwickelte Wirtschaftskraft des Landes. Ihre Arbeit in diesem Bereich in Kooperation und im Wechsel mit nichtjüdischen Beteiligten, ihre wirtschaftlichen Aktivitäten in dichter Interaktion mit der christlichen Bevölkerung, die damit verbundene Ausrichtung auf deren Bedürfnisse sind insgesamt Leistungen, die nach langen Zeiten des Wahrnehmungsverlustes, vielleicht auch der Verdrängung aus der Erinnerung, gesehen werden sollten. Ehefrauen nahmen an den wirtschaftlichen Interaktionen teil, durch Mithilfe und als Stellvertreterinnen ihrer Männer. Wie kontinuierlich und wie selbstständig diese Aktivitäten abliefen, ob in gemeinsamer Verantwortlichkeit der Männer und der Frauen, muss offen bleiben. Eine Reihe von Witwen führte den Handel ihrer Männer in voller Selbstständigkeit weiter, auch wenn erwachsene Söhne vorhanden waren. Hier nutzten Frauen wirtschaftliche Aktivität als Alternative 3 Liberles, An der Schwelle zur Moderne, in: Kaplan (Hg.), Geschichte des jüdischen Alltags, S. 77.

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zur Wiederheirat. Es deutet sich an, dass ihr Handel auf den häuslichen Bereich zentriert war, im eigenen Haus stattfand und sich auf die häuslich-familiären Bedürfnisse von Frauen orientierte. Interaktion mit Christen, die in Kooperation überging, entstand dann, wenn es zu Handelskonsortien kam wie bei Joseph Jacob in Bühl. Sie wurde auch praktiziert, wenn Juden und Christen gemeinsam gegen Konkurrenten vorgingen oder sich solidarisierten, wenn sie Probleme auf sich zukommen sahen. Beim Wein- und Salzverkauf kooperierten Juden als Auftraggeber und Warenlieferanten mit Christen und Christinnen. Dort, wo Juden Waren von christlichen Kaufleuten bezogen, führte diese Interaktion zur Abhängigkeit der verschuldeten Kleinhändler. Im Handel und dem damit verknüpften Bereich der Kredite lässt sich bei einer Reihe von Schutzjuden eine besondere Verbindung nach Frankfurt feststellen. Dass sie Informationsverbindungen und Handelskontakte in diese Stadt herstellten und dort Kreditwürdigkeit errangen und aufrecht hielten, war ein wesentlicher Faktor für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit gerade der Juden, die mit dem Hof verbunden waren. Auch für diese Schutzjuden in der Markgrafschaft erwies sich Frankfurt als Ort mit einem hohen Grad von Zentralität wie für einen großen Teil der Juden im deutschen Sprachraum insgesamt.4 Bei allen wirtschaftlichen Kontakten und Interaktionen gab es sicher auch Kommunikation über Alltägliches, deren Inhalte nicht überliefert sind. Für den Hoflieferanten Raphael Jacob ist dokumentiert, dass er die Regierung mit Informationen über den Durchmarsch von französischen Truppen versorgte. Einzelne Juden und die Judenschaft als Korporation wandten sich immer wieder mit Suppliken an die Landesherrschaft und die Regierungskollegien, selbst zur Vertretung ihrer Interessen gegen Juden von außerhalb wie 1711 beim Hausieren und bei den Marktbesuchen der Juden aus dem Hochstift Straßburg. Sie standen häufig in Kontakt mit den Ämtern, bei denen sie ihre Suppliken einreichten, rechtliche Regelungen trafen oder bei denen Untersuchungen gegen sie liefen und wenn sie verhört wurden. Unter Umständen kamen bei der Ausstellung von Verträgen, wie bei Christen auch, Beamte mit einer Reihe von nichtjüdischen Zeugen in die Wohnung von Schutzjuden. Die Interaktion der Juden mit der Mehrheitsgesellschaft in den wirtschaftlichen Bereichen ihrer Lebenswelt hatte ihre Grenzen. Versuche, den Handel zu ergänzen mit Übergängen in das Gewerbe, gab es. Aber auch strukturelle, mit 4 Zur Zentralitätsfunktion Frankfurts für Juden im deutschen Sprachraum Rotraud Ries, Die Mitte des Netzes: Zur zentralen Rolle Frankfurts für die Judenschaft im Reich (16.– 18. Jahrhundert), in: Fritz Backhaus, Gisela Engel, Robert Liberles und Margarete Schlüter (Hg.), Die Frankfurter Judengasse. Jüdisches Leben in der Frühen Neuzeit (Schriftenreihe des Jüdischen Museums Frankfurt am Main 9). Frankfurt/M. 2006, S. 118–130, hierzu v. a. S. 124f.

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konfessionell geprägten Mentalitäten verbundene Hindernisse: Die Schwächen der Regierung mit ihren schwankenden Vorgaben für die Wirtschaft wie bei den Admodiationen, die Bevorzugung religiöser Vorstellungen und Gestaltungsmöglichkeiten vor wirtschaftlich-funktionalen, die agrarische Ausrichtung des Landes insgesamt. All das erschwerte Juden die weitergehende Mitwirkung an der Entwicklung der Markgrafschaft. Familien mit Vermögen fanden im benachbarten Karlsruhe-Durlach, einem protestantischen Territorium mit einer beträchtlichen Öffnung zu aufgeklärtem Denken und mit anderen Mentalitäten,5 einen alternativen Handlungsraum. Gerade in der Kommunikation und Interaktion bei den Schutzbewerbungen sind die Vielfalt und das Widersprüchliche auf der Seite der Regierung sichtbar: Manche als leistungsstark eingeschätzte Bewerber um den Schutz waren ausgesprochen willkommen, aber auch arme erhielten ihn. Das Ende der Schutzaufnahmen, eine Markgrafschaft ohne Juden tauchte als Möglichkeit auf. Die Supplizierenden verwendeten viele Variationen des Einflusses auf die Regierung, die sie an deren Erwartungen anpassten und die auch von ihrer Selbstwahrnehmung abhingen und ihre Selbstdarstellung beeinflussten. Als Kristallisationspunkte, als Kerne der Vorstellungen, die sie dabei an die Regierung übermittelten, verwendeten sie die Abstammung, das Vermögen, das gute Verhalten, die Herkunft aus der Markgrafschaft und die Nützlichkeit für die anderen Untertanen. In innerfamiliären Regelungen bereiteten die Juden Schutzbewerbungen vor und sicherten zugleich den familiären Zusammenhalt. Ähnlich vielfältig wie bei den Schutzbewerbungen verhielt sich die Regierung gegenüber Juden von außerhalb, die wie die Schutzjuden die Bedingungen ihrer geschäftlichen Aktivitäten aushandelten. Trotz der dichten Kommunikationsverhältnisse und der zahlreichen Interaktionen, trotz der Nähe in alltäglicher Nachbarschaft existierte Fremdheit zwischen den Schutzjuden und der christlichen Umgebung. Nicht nur bei Isaac Israel – schon beim „jungen Rabiner Itzig“ – war die Regierung geleitet von der Ungleichheit zuungunsten des verdächtigen Juden, von Misstrauen und immer wieder vom Vorwurf der Delinquenz. Die Geringschätzung der jüdischen Religion, deren besonderer Vertreter er mit seiner religiösen Bildung und seinen Funktionen war, kontrastierte zu seiner Wertschätzung in der jüdischen Gesellschaft – hier führte keine Brücke über die weit auseinandergehenden Perspektiven. An Isaac Israel vollzog sich die Segregation der Juden an einem Einzelnen wie allgemein an der jüdischen Gesellschaft: Die Mehrheitsgesellschaft sah ihn als schädlich an; der finanzielle Nutzen, den die Regierung aus seiner Bestrafung zog, verhinderte seine Abschiebung in die räumliche Fremde. Er selbst setzte auf Kommunikation, 5 Zur Charakterisierung der Markgrafschaft und zu ihrer Offenheit, vor allem in Karlsruhe, gegenüber Juden (mit Vermögen) Schwarzmaier, Baden, S. 159f. und Kaufmann, Juden in Baden, S. 36–38.

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um die Regierung mit dem Mittel des Supplizierens zu beeinflussen und so seine Existenz als Schutzjude zu erhalten. Jacob Löwel und Catharina Maria Hasler befanden sich beide am Rand ihrer Gesellschaften, die sie, aus deren Sicht, wohl verließen; zumindest missachteten sie die religiösen und sozialen Grenzen zwischen den Gesellschaften und hoben für sich die wechselseitige Wahrnehmung als Fremde auf. Mit den Mitteln des Rechts versuchte die Regierung die Wahrnehmung des anderen als eines Fremden und die Grenze zwischen den Gesellschaften stabil zu erhalten. Die Abgeschlossenheit der religiösen Lebenswelten verdichtete die Vorstellungen der Fremdheit. Um 1700 versuchten kirchliche Repräsentanten „vor Ort“, die Vorstellungen über die jüdische Religion zu bestimmen, vor allem mit den alten Stereotypen der Teufelssynagoge und der Juden, die Kirche und Christen angriffen. Vier Jahrzehnte später äußerten sich die Vertreter des Staates: Was aus den Synagogenräumen herausdrang, war in ihrer Sicht „geschrei“; „Schrankhen und Stille“ sollten das Öffentlichwerden des Gottesdienstes verhindern. Eine öffentliche Synagoge im Gegensatz zu einem privaten Betraum sei schädlich wie das Verhalten der Juden allgemein und dürfe nicht erlaubt werden. Die Religion, das „Gesetz“ der Juden, die Grundlage ihrer religiösen Praxis, war für die Beamten in ihrem Überlegenheitsgefühl „albern“, und die Juden müssten, meinten manche, in ihrer religiösen Praxis der Disziplinierung unterworfen werden. Vielleicht weil das höfische, auf Repräsentation angelegte Selbstverständnis nicht beeinträchtigt werden sollte, wurde in der Residenzstadt gegen eine bauliche Repräsentation der Judenschaft argumentiert. So hatte sich eine Art von rationalistischer Säkularisierung der antijüdischen Vorstellungen vollzogen. In zahlreichen Fällen brachte die Kommunikation ihrer Anliegen für die Judenschaft Verbesserungen, aber selbst nachdem das Stereotyp der Satanssynagoge ihre Wirksamkeit verloren hatte, provozierte die „Schuhl“ noch immer Judenfeindschaft. Diesen Kern in der Wahrnehmung von Juden als fremde Minderheit ergänzten ihre Gegner mit vielen, von der jeweiligen Konstellation beeinflussten weiteren stereotypen Vorstellungen, von der zu großen Anzahl der Juden bis zu ihrer Qualifizierung als Blutegel. Erst mit der Ehrung des Rabbiners Nathanael Weil scheint sich eine andere Einstellung ergeben zu haben, mit der Ehrung eines Repräsentanten der jüdischen Religion zumindest in der Öffentlichkeit. Nichts lässt allerdings erkennen, dass diese Veränderung auf der Ebene der Regierung eine entsprechende Reaktion in der christlichen Bevölkerung der Markgrafschaft hervorrief. Nähe, Distanz und kaum überwindbare Fremdheit existierten im Verhältnis zu Juden und Jüdinnen, die konvertierten. Die Witwe in Bühl nahm ein „Juden Mägdel“ in seiner Not bei sich auf, ähnlich verhielten sich Ortsgeistliche. Eine Nähe des Markgrafen und seiner Frau zu Maria Josepha, der Tochter Hayum Flörsheims, existierte in ihrer – begrenzten – Hilfe. Die Regierung verhielt sich

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bei Konvertiten von außerhalb der Markgrafschaft lange distanziert, vielleicht aus der verbreiteten Furcht vor Taufbetrug. Bei Delinquenten setzte sie später nicht mehr auf materiellen Gewinn für sich selbst wie bei Hertz Netter aus dem Elsass, sondern auf Vergünstigungen sozialer oder materieller Art für Konversionswillige. Eine weitverbreitete Ambivalenz zeigte sich in der Namengebung: Nähe, wenn bei der Taufe Namen aus dem markgräflichen Haus gegeben wurden, Distanz, wenn Namen oder andere Bezeichnungen auf die nicht-christliche Herkunft verwiesen. Wenn Getaufte Nähe zur christlichen Gesellschaft erreichten, vielleicht sogar Integration, dann war diese doch nichts Selbstverständliches und behielt Züge von Distanz. Sie wurde durch die Haltung der Regierung gefördert, gerade dann, wenn Chancen auf einen sozialen Aufstieg verhindert wurden. Noch gab es keine rassische Konzeption des jüdischen Menschen, aber doch noch die stereotypen Vorstellungen mit der Zuschreibung von negativen Wesenszügen, ein Hindernis für die Integration. Wo zunächst Nähe existierte wie bei Maria Josepha, konnte auch wieder Distanz entstehen. Zuerst wendete sie selbst sich auf unerwartete Weise gegen das Christentum, Distanz entstand aber vor allem mit ihrer Wahrnehmung durch die christliche Umgebung als „Hayums Tochter“. Die Distanzierung erreichte ihren Höhepunkt und ging in Segregation über, als sie und ihr Mann emigrierten, vielleicht auch geleitet von der Erfahrung der Grenze trotz der Taufe. Gewiss gibt es zur Bestimmung und Analyse der Selbstwahrnehmung und Selbstdarstellung, die den Schutzjuden eigen war, nicht viele direkte Selbstzeugnisse. In ihrer Lebenspraxis gibt es jedoch Hinweise auf wesentliche Kontinuitäten und Veränderungen. Immer wieder erwiesen sie ihre Bereitschaft zur horizontalen Mobilität: zum selbstbewussten Wechsel des Schutzortes, zu Umwegen auf der Suche nach einem günstigen Lebensort und zum Verlassen der Markgrafschaft. Kontinuierlich setzten sie dem Stereotyp der Schädlichkeit ihre Nützlichkeit und ihr Wohlverhalten entgegen. Die Selbstdarstellung, ihre Übereinstimmung mit der Selbstwahrnehmung vorausgesetzt, als wirtschaftlich leistungsfähige Untertanen hatte sich um 1700 bei den Schutzaufnahmen als erfolgreich erwiesen. Eine Generation später verwendeten Juden von außerhalb der Markgrafschaft neben ihrem Vermögen positive Zeugnisse ihrer Herkunftskommunen zu ihrer Selbstdarstellung. Ähnlich verfuhren einheimische Juden, wenn sie sich in ihrer wirtschaftlichen und sozialen Nützlichkeit für die christlichen Untertanen „vor Ort“ darstellten und nicht mehr allein in ihrem Nutzen für die Herrschaft – eine Art „Kommunalisierung“ des Bezugsrahmens, vielleicht eine Möglichkeit zu einer konkreten und realitätsnahen Wahrnehmung durch die christliche Gesellschaft. Zu den neuen Zügen der Selbstdarstellung, vielleicht auch der Selbstwahrnehmung, gehörte auch, dass sich Juden darauf beriefen, als „Landtskinder“ einen Anspruch auf den Schutz oder den Vorzug bei wirtschaftlichen Aktivitäten im Vergleich zu fremden Juden zu haben. Da-

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mit trafen sie zuweilen die entsprechende Vorstellung auch in der Beamtenschaft. Dem Erfolg, den Schutzjuden als wirtschaftliche Akteure erzielten, entsprach Selbstbewusstsein in anderen Bereichen. Das drückte sich schon früh bei Joseph Jacob aus, mit dem Pochen auf sein eigenes untadeliges Verhalten zu Christen wie auf das seiner ganzen Familie und mit seiner Selbstdarstellung als jemand, den Christen weit über seinen Wohnort hinaus kannten. Bei Mathias Schweitzer, vielleicht doch von ihm selbst initiiert, vollzog sich mit der Repräsentation seiner Existenz als Hofjude auf einer steinernen Tafel der Schritt in die Öffentlichkeit der Residenz. Hayum Flörsheim zeigte wie andere Admodiatoren sein Selbstbewusstsein in der Bereitschaft, ein Amt in der jüdischen Gesellschaft zu übernehmen. Löw Elias stellte vor Gericht klar, dass kein christlicher Untertan sein „Herr“ sei. Joseph Elias teilte seine Selbsteinschätzung einer christlichen und jüdischen Öffentlichkeit mit, indem er für seinen Sohn die Ehe mit der Tochter eines elsässischen Hofagenten arrangierte und seinen Teil zur Ausstattung des Paares beitrug. In seiner Familie verband sich auf lange Dauer der Habitus des wirtschaftlichen Ausgreifens in neue Möglichkeiten mit dem Streben nach Verantwortung und Führung in der jüdischen Gesellschaft. In der Frage des Hausbesitzes in den Zentren der Schutzorte äußerte sich Selbstbewusstsein, das mit Prestige und Ehre zusammenhing. Nachdem die Häuser wohlhabender Schutzjuden an zentralen Lagen wiederholt Objekte von Versuchen gewesen waren, Juden „zurückzudrängen“, aus Gründen der wirtschaftlichen Konkurrenz, aber auch zur sozialen Abgrenzung und zum Erhalt des Status quo zwischen Christen und Juden, verlangten die Anwälde 1757 einen Rechtszustand, wie er auch für Christen galt. Sie erhoben den Anspruch, mit ihren Häusern gleichwertig wie Christen den öffentlichen Raum – wieder im kommunalen Rahmen – mitzugestalten, wie die Juden allgemein mit dem Wechsel von privaten zu „öffentlichen“ Synagogen als gemeindlichen Einrichtungen. Die Veränderungen bei den Schutzbewerbungen in den letzten Jahrzehnten der Markgrafschaft, die Wiederholungsstrategie, die Intervention von Frauen, auch Bewerbungen für Frauen, spiegeln ein Bewusstsein zunehmender Möglichkeiten wider, die Regierung beeinflussen zu können. Insofern teilten die baden-badischen Juden mit denen in Karlsruhe-Durlach das „Bewusstsein der Eigenberechtigung“.6 Die Regierung entsprach diesen Veränderungen im Ansatz mit Expektanzen und mit Schutzaufnahmen von Juden, deren Vermögen weit unter der Norm lagen. Bei der Konstituierung des gemeindlichen Lebens in der Judenschaft nahmen sich Schutzjuden auf der lokalen Ebene als Akteure wahr, die für die Möglichkeiten religiöser Existenz entsprechend tradierter Normen sorgten und dabei sukzessiv Einrichtungen für lokale Gemeinden schufen, auch hier manchmal in 6 Holenstein, Bitten um den Schutz, in: Kießling und Ullmann (Hg.), Landjuden, S. 153.

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Kommunikation und Interaktion mit der Regierung. Diese Konsolidierung des gemeindlichen Lebens könnte auch der Hintergrund dafür sein, dass bei der zunehmenden Verarmung sich nur dann Bereitschaft zur Aufgabe des Judentums zeigte, wenn zur materiellen Not weitere Faktoren der sozialen Instabilität hinzukamen, etwa Delinquenz. Viele Aspekte der jüdischen Lebenswelten sind aufgrund der Überlieferungslage einer Betrachtung verschlossen, und oft sind vielfältige Not und Scheitern nur zu erahnen. Dennoch lassen sich die ländlichen Juden und Jüdinnen zwischen 1648 und 1771 unter der Perspektive beurteilen, was sie für ihre Gegenwart und Zukunft leisteten. Das führt zum Verdienst der Schutzjuden, im 17. Jahrhundert durch die Praxis des Schutzerwerbs ein Existenzrecht für mehr Juden zu begründen und es danach unter Regierungen zu verfestigen, die zwischen einer beschränkten Akzeptanz von Juden und Tendenzen zur Beendigung ihrer Existenzmöglichkeiten schwankten. Der Judenschaft kam dabei zugute, dass der baden-badische Staat in der Endphase der Frühen Neuzeit zahlreiche Einschränkungen aus eigener Schwäche, wie viele andere Staaten auch, nicht in die Praxis umsetzen konnte. Im Kontakt, in Kommunikation und Interaktion mit der Regierung nahmen Juden und Jüdinnen ihre rechtlichen Mittel und im Rahmen ihrer Voraussetzungen Mittel des Aushandelns wahr, um die Regierungen zu beeinflussen, mit einer Reihe von Erfolgen, auch im Erhalt von Eigenständigkeit trotz der staatlichen Eingriffe in ihre Lebensbereiche. Wie allgemein geriet bis 1771 eine Veränderung ihres sozialen oder rechtlichen Status nur wenig in den Horizont des Bewusstseins, weder bei der Judenschaft noch bei der Regierung. Der Judenschaft als Ganzes gelang es nicht, die Auseinanderentwicklung in arme und reiche Juden zu verhindern, vor allem nicht unter dem Druck immer stärkerer fiskalischer Belastung, den sie nur mildern konnte. Der Habitus von Bereitschaft, wirtschaftliche Chancen rasch wahrzunehmen und damit die Bereitschaft zu verbinden, sich Belangen der eigenen Gesellschaft zuzuwenden, stärkte die Möglichkeiten innerjüdischer Solidarität und die Kohärenz der Judenschaft mit dem Aufbau lokal-gemeindlicher Strukturen. Nur in den kleinen Verhältnissen der Nachbarschaft gelang die Überwindung von Fremdheit, wohl vor allem eine Folge der anhaltenden und immer wieder neu angefachten Feindschaft gegen Juden. Diese Teilnahmen vor allem an der Perspektive der Selbstwahrnehmung, wie sie manchen Schutzjuden eigen war, soll nicht zur Verallgemeinerung, zur Konstruktion einer Kollektivperson „baden-badische Schutzjuden“ führen. Aber vieles spricht dafür, gerade bei den vielen historiographisch weißen Flecken in der Geschichte der Markgrafschaft Baden-Baden, in das Bild der ländlichen Judenschaft die Züge von Vielfalt, Veränderung und Kontinuität, neben ihren Grenzen auch ihre Leistungen für die Sicherung ihrer eigenen, von der Mehrheitsge-

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sellschaft abweichenden Existenzweise aufzunehmen. Umso schärfer ließen sich dann Fragen anschließen nach den Voraussetzungen, welche die Judenschaft für die Emanzipationsbewegung in Baden ins 19. Jahrhundert mitbrachte. Der lebensweltlich orientierte Zugang zu den Verhältnissen in der Markgrafschaft Baden-Baden machte zahlreiche Kontakte zwischen den Akteuren der christlichen und jüdischen Gesellschaft sichtbar, ebenso die Bedeutung von jüdischen Menschen für den Hof wie für die Untertanen; er ließ auch Strukturen erkennen, die über Erfolg und Misserfolg der Akteure mitentschieden. Juden benutzen wie Christen vielfältige Möglichkeiten zur Kommunikation; trotz schwieriger Voraussetzungen struktureller Art, trotz der Betonung der Grenzen zur christlichen Mehrheit gelang ihnen dabei oft der Übergang zur Interaktion und Kooperation mit christlichen Untertanen, mit der Regierung und zu Aussichten auf mehr Gleichheit. Gerade die Auseinandersetzungen der Schutzjuden mit den judenfeindlichen Vorstellungen in der Mehrheitsgesellschaft ermöglichten einen Blick auf die Selbstwahrnehmung, die Selbstdarstellung und das Selbstverständnis der Akteure. Der Nutzen der lebensweltlichen Zugangsweise gilt auch für innerjüdische Beziehungen und für die Situationen, in denen die Grenzen zwischen der Minderheit und der Mehrheit überschritten wurden wie bei Konversionen und in persönlich-individuellen Beziehungen. Als wesentliche Stütze beim Zugang zur Existenz der jüdischen Menschen erwies sich die Verwendung der Regierungsprotokolle, weil sich in ihnen der konfliktreiche Zusammenschluss der Akteure mit Strukturen in den verschiedenen Lebensbereichen widerspiegelt. Diese Quellenart dürfte einen Ansatz dazu bieten, das lebensweltliche Konzept für die Frühe Neuzeit verstärkt zu verwenden, für die Verhältnisse sowohl auf der Mikro- wie auf der Makroebene, für die Verhältnisse der Juden im lokalen Bereich wie in ihrem Verhältnis zur Regierung und für die Verflechtung der verschiedenen Ebenen. Da die Lebenswelten gerade auch durch die Auseinandersetzung der Akteure mit den umfassenderen Strukturen oder Systemen konstituiert sind, bietet der Blick auf sie eine Möglichkeit, auch die systemischen Bereiche genauer zu analysieren.7 Der Zugang über die Lebenswelten bringt aber nicht nur einen Gewinn für die Analyse der jüdischen Existenzweise in der frühneuzeitlichen Vergangenheit, sondern auch für die Gegenwart. Weder die armen Juden in Malsch noch der baden-badische und baden-durlachische Hofjude in Karlsruhe verwendeten die sich im 18. Jahrhundert durchsetzenden Begriffe der Menschenrechte oder Menschenwürde. Aber in ihrer eigenen Perspektive, in ihrer Selbstwahrnehmung war ihnen selbstverständlich, dass sie und die Judenschaft als Ganzes ein für alle Menschen gleich geltendes Lebensrecht beanspruchten. Der Blick auf diese Perspektive und 7 Zum Zusammenhang zwischen den Individuen und Systemen in den Lebenswelten Heiko Haumann, Lebensweltlich orientierte Geschichtsschreibung in den Jüdischen Studien, in Hödl (Hg.), Jüdische Studien, S. 114–116.

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die Teilnahme an ihr, in Berücksichtigung der Wechselwirkungen zwischen den jüdischen Akteuren und der christlichen Mehrheitsgesellschaft, bietet uns für das Zusammenleben mit Minderheiten die Chance zur Reflexion über Vorstellungen, Verhaltensweisen und überindividuelle Strukturen, die der Orientierung an der Menschenwürde angemessen sind.8

8 Zum Zusammenhang der Konzeption von Menschenwürde und Menschen- oder Grundrechten Kurt Seelmann, Vorwort, in: Kurt Seelmann (Hg.), Menschenwürde als Rechtsbegriff. Tagung der internationalen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie (vR), Schweizer Sektion Basel, 25. bis 28. Juni 2003. Stuttgart 2005, S. 7–11. hierzu besonders S. 10.

18  Anhang I 18.1  Nebentexte? Die Aufnahme der folgenden Darstellungsteile in den Anhang erleichtert die Konzentration des Haupttextes auf eine zentrale These: Die Juden in der Markgrafschaft Baden-Baden zwischen 1648 und 1771 lassen sich als Akteure wahrnehmen, die ihre Lebenswelten vielfältig und selbstbewusst mitgestalteten und damit ihre Existenz trotz vieler Widerstände in der christlichen Mehrheitsgesellschaft sichern konnten. Das Kapitel „Schutzaufnahmen: Neuorientierung unter den Markgrafen Ludwig Georg und August Georg?“ zielt auf eine Abstützung der These, dass unter deren Regierung Ansätze zu einer neuen Ausrichtung im Verhältnis zu den Schutzjuden vorhanden waren. Die Kapitel über den kleinen Handel fremder Juden in der Markgrafschaft und über die Delinquenz und Bestrafung fremder Juden und Jüdinnen bieten Einblicke in Vorgänge und Auseinandersetzungen, die aus unserer wie wohl auch aus der Perspektive der baden-badischen Schutzjuden eher am Rand ihrer Gesellschaft abliefen. Die Untersuchung des Konflikts über das „Pflastergeld“ der Christen ermöglicht den Vergleich von Handlungsspielräumen bei Juden und Christen angesichts wirtschaftlicher Belastungen. Mit der Betrachtung der Akziseverträge und des Lebens von Johannes Bruzetto eröffnen sich Einblicke in die strukturell gleichen Schwierigkeiten für Juden und Christen als wirtschaftliche Akteure. Alle diese Nebentexte bieten sich als Ansatzpunkte für weitere Forschungen an. Das betrifft die lokalen Verhältnisse und Beziehungen, vor allem aber überregionale, bei denen die Grenzen der Markgrafschaft überschritten wurden und überregionale Zusammenhänge für die jüdischen Akteure geklärt werden sollten.

18.2  Schutzaufnahmen: Neuorientierungen unter den Markgrafen Ludwig Georg und August Georg? 18.2.1  Klare Rechtsverhältnisse zugunsten einzelner Schutzjuden Süßel – ein „frembder“ Jude wird markgräflicher Schutzjude

Als ein „zu Waldsteeg sich aufhaltender Jud“ wurde der jüdische Einwohner dieses Ortes im Kammerprotokoll 1714 bezeichnet; er sei „in dieser Markgrafschaft unnd der Landtvogtey ortenau als Ein frembder zu consideriren [betrachten]“ und müsse als solcher Geleit bezahlen, wenn er in die Markgrafschaft oder die

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Ortenau komme. Die Kammer befahl dem Bühler Amtmann: Er solle diesen Juden „Intimiren [ihm einschärfen] dass weillen die geleitsErtheilung Ihme doch Einigen Handel nicht gestatte, Er sich dessen zue mesigen oder da Er ja Herein [in die Markgrafschaft herein] zue handlen gedenckhe, der gebühr nach abzuefinden [die entsprechenden Abgaben zu leisten] habe.“9 Der zunächst nicht namentlich Genannte galt also nicht als baden-badischer, sondern als ein „fremder“ Jude. Seine Geleitzahlung berechtigte ihn nur zu einem eingeschränkten Handel oder nur zum zeitweiligen Aufenthalt in der Markgrafschaft; die Kammer ließ ihn auffordern, sich um ein normales Geleit für den Handel zu bewerben oder ihn zu beschränken. Die Grundherrschaft Waldsteg und Neusatzer Tal, an der Grenze zwischen der Markgrafschaft und der Landvogtei Ortenau, hatte 1686 Markgraf Ludwig Wilhelm dem Präsidenten seines Hofrats als Lehen gegeben;10 möglicherweise hatte dieser einem Juden die Niederlassung erlaubt. Am 11. Juli 1714 protokollierte die Kammer, nun unter Verwendung seines Namens, welche Regelung mit Süßel (IV.6)11 getroffen wurde. Ihn schicke Baron von Plittersdorf zur Kammer, wegen der Erlaubnis zum Handel in der Markgrafschaft. Süßel erklärte sich bereit, für dieses Recht jährlich 4 Gulden zu zahlen. Außerdem verpflichtete er sich, alle von ihm eingeführten Waren in Bühl zum Verkauf anzubieten, selbstverständlich auch Zoll und Akzise zu entrichten. Dazu kam eine Regelung seines Verhältnisses zu den markgräflichen Schutzjuden: An für sie fälligen „extraordinarii anlagen“, an außerordentlichen Steuern, müsse er sich angemessen beteiligen. Das Protokoll verzeichnete: Die Kammer habe „applaudirt, zumasen [zumal] man Ein mehreres nicht verlangt gehabt“; der Ausdruck der Billigung wurde mit einem Hinweis verbunden, dass man nicht mehr von Süßel forderte, als er selbst anbot.12 Die einvernehmliche Klärung der Bedingungen für seinen Handel erfolgte im gleichen Jahr, in dem die Markgräfin Sibylla Augusta mit der „Judenordnung“ die Lebensbedingungen für die Juden verschlechterte. Das verdeutlicht die Abhängigkeit eines Juden von der jeweiligen Situation. 1722 kaufte Markgräfin Sibylla

9 GLAK 61/250 HK 26.4.1714. 10 Zur Lehensverleihung Patrick Götz und Michael Rumpf, Geschichte Schloß Waldsteg, in: Stadtgeschichtlichen Institut der Stadt Bühl (Hg.), Schloß Waldsteg. Geschichte und Bestände. Bühl, o. J., S. 15–35, hierzu S. 21. Bei Wolfgang Froese, Herr über Land und Leute, in: Froese und Walter, Der Türkenlouis, S. 84 wird Plittersdorf als Präsident der Hofkammer bezeichnet. 11 Die Nummerierung in Klammer bezieht sich wie im Hauptteil auf die Tabelle IV, Schutzaufnahmen 1727 bis 1746, S. 64ff. – entsprechend auch auf andere Tabellen im Folgenden.. 12 GLAK 61/250 HK 11.7.1714.

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Augusta den Neusatzer Besitz Plittersdorfs;13 in einer Aufstellung der Schutzjuden aus dem Jahre 1724 ist Süßel noch nicht verzeichnet.14 Seinen rechtlichen Status klärte erst Markgraf Ludwig Georg endgültig, als er ihm 1730 erlaubte nach Bühl zu ziehen.15 Von da an galt er als ein baden-badischer Schutzjude. Der „Gemeinschaftsjude“ Herz Lazarus – erst Konfrontation,   dann der Schutz

Herz Lazarus (IV.4) in Gernsbach, im baden-badischen und Speyrer Kondominat, stand 1729 im Verdacht, unerlaubt Handel getrieben zu haben. Die Speyrer Regierung war nicht bereit, bei seiner „Sistirung“, der Festnahme und Vernehmung, zu helfen. Deshalb plante der Hofrat ein anderes Vorgehen: Wenn Herz Lazarus zum Markt nach Rastatt käme, sei er „beym Kopf zu nehmen [zu packen] und gebührend abzustrafen.“16 Ein Eintrag in das Hofratsprotokoll präzisierte den Vorwurf: Herz Lazarus handle, ohne überhaupt den Schutz zu haben. Markgraf Ludwig Georg und der Geheime Rat drängten: Aus rechtlichen Gründen – wegen der Verwicklung Speyers – könne man Lazarus nicht einfach festnehmen, aber eine Klärung sei notwendig. Eine Kommission müsse feststellen, ob er den Schutz von Speyer oder doch vielleicht von Baden-Baden habe und wo er Handel treibe, im Kondominat oder im markgräflichen Gebiet.17 Ein schuldhaftes Verhalten konnte Herz Lazarus wohl nicht bewiesen werden, aber dennoch sollte er die Kosten der Untersuchung übernehmen. Darüber beschwerte er sich. Der Markgraf und der Geheime Rat tadelten darauf den Hofrat, wohl auch besonders die Räte Tschammerhell und von Mohr, die als Kommissare die Untersuchung gegen Herz Lazarus durchgeführt hatten: Es dürfe „in hinkunft niemandt gegen Recht und Billigkeit, unter was für praetext [Vorwand] Es Immer seyn mag“, behandelt werden. Im Ratskollegium äußerte sich Hofrat von Mohr: Es habe „dieser seiner Bosheit halber ohnedies bekannte Judt Ihro H(och)f(ür)stl(iche) D(u)r(ch)l(auch)t mit vielen unwahrheiten zu hintergehen“ versucht, und er wolle ihn, Mohr, „verunglimpfen“; Herz Lazarus habe sich in seiner Frechheit das Reskript des Markgrafen „erschleichen“ können. Er, Mohr, sei bereit, dem Fürsten die Wahrheit zu berichten.18

13 Patrick Götz und Michael Rumpf, Geschichte Schloß Waldsteg, in: Stadtgeschichtliches Institut (Hg.), Schloß Waldsteg, S. 23. 14 GLAK 61/260 HK 6.7.1724. 15 GLAK 61/266 HK 12.10.1730. 16 GLAK 61/157 HR 7.2.1729. 17 GLAK 61/157 HR 3.3.1729. 18 GLAK 61/157 HR 22.6.1729.

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Herz Lazarus aber erklärte sich zu einem Eid bereit, dass er vor seiner Schutzaufnahme keinen Handel auf dem markgräflichen Gebiet getrieben habe.19 Der Hofrat beschloss folgenden Resolutionsvorschlag für den Markgrafen: Auf „vermessene weiß“ habe Herz Lazarus sich zu einem „Juden Eydt“20 bereit erklärt. Keinesfalls solle ihm ein Nachlass an dem festgesetzten Aufnahmegeld zugebilligt werden, um den er gebeten hatte. Auch seine Klage gegen die beiden Hofräte Tschammerhell und Mohr sei völlig unbegründet.21 Eine Lösung in der Frage des Schutzes für Herz Lazarus fand sich trotz des scharfen Tons zwischen ihm und dem Hofrat. Diesem konnte Herz Lazarus im Februar 1730 ein Reskript des Markgrafen vorlegen: Er musste Aufnahme- und Schutzgeld zahlen für die Zeit ab 1720, erhielt aber auch einen Aufschub für die Zahlung. Am 1. Februar 1730 befahl der Hofrat, ihm den Schutzbrief auszustellen.22 Zumindest der Kern dieser Auseinandersetzung wird deutlich: Die Regierung konnte nicht klären, ob Herz Lazarus den Schutz schon erhalten hatte. Die Aufnahme war ihm offensichtlich 1720 zugesagt worden, eine Verrechnung des Aufnahme- und Schutzgelds unterblieb. Herz Lazarus beharrte darauf, dass er nicht gegen das Recht verstoßen habe, und trotz der Gegnerschaft im Hofrat gelang es ihm zweimal, ein günstiges Reskript des Markgrafen zu erhalten. Als Markgraf Ludwig Georg oder der Geheime Rat den Hofräten vorwarf, sich nicht an gesetzliche Normen zu halten, verteidigten sie sich. Dabei versuchte Hofrat von Mohr das negative Stereotyp des boshaften, vermessenen und verlogenen Juden zu vermitteln, ohne allerdings eine erkennbare Wirkung zu erzielen. In der Auseinandersetzung über Herz Lazarus spiegelt sich ein Problem der baden-badischen Verwaltung. 1729 standen Hofrat und Hofkammer in einer auffallenden Kritik durch den Geheimen Rat und den Markgrafen: Sie wurden generell der Vernachlässigung ihrer Aufgaben beschuldigt.23 Wie sich in der Auseinandersetzung über das Schutzverhältnis von Herz Lazarus zeigte, bestand auch Grund für diese Kritik. Beide Gremien konnten offensichtlich keine Nachweise darüber vorlegen, wie es sich mit dem Rechtsverhältnis des Gernsbacher Juden 19 GLAK 61/157 HR 13.10.1729. 20 Welche Form des so genannten Judeneids verlangt wurde, geht aus den Protokollen der Hofgremien nicht hervor. Möglicherweise wurde die Formel verwendet, die die Reichskammergerichtsordnung von 1555 vorsah. Zur Geltung dieses Eids im 18. Jahrhunderts Breuer, Frühe Neuzeit und Beginn der Moderne, in: Breuer und Graetz (Hg.), Deutschjüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. 1, S. 137f.; eine um 1720 im Hochstift Paderborn verwendete Form des Judeneids gibt Dina von Faassen, „Das Geleit ist kündbar“, S. 125–127 wieder. 21 GLAK 61/157 HR 3.11.1729. 22 GLAK 61/266 HK 1.2.1730. Zur Schutzaufnahme von Herz Lazarus Zehnter, Juden in der Markgrafschaft Baden-Baden, in: ZGO 50 (1896), S. 386. 23 GLAK 61/157 HR 3.3.1729.

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verhielt – kein gutes Zeichen für eine Verwaltung, deren Mängel im Falle des „Gemeinschaftsjuden“ nach außen, für die Speyrer Regierung in Bruchsal, sichtbar werden konnte. Markgräfin Sibylla Augusta hatte eine straffere Verwaltung angestrebt, ohne dauernde Erfolge.24 Herz Lazarus war konfrontiert mit dieser Verwaltung, aber es gelang ihm wohl mit Hilfe seines persönlichen Zugangs zum Geheimen Rat und vielleicht zu Markgraf Ludwig Georg, diese Konfrontation unbeschadet zu überstehen. Zu seinen Gunsten, wie vorher schon zugunsten von Süßel, vollzog die Spitze des Hofes eine Distanzierung zu den Verhältnissen unter Markgräfin Sibylla Augusta; rechtliche Unklarheiten wurden beseitigt, im Rahmen einer Neuorientierung des Verhältnisses zur Judenschaft im Land. 18.2.2  Dissens in der Regierung bei den Schutzaufnahmen: Schutzaufnahme auch für arme Bewerber? Die Schutzaufnahme war nicht nur bei Elias Schmaule25 in Muggensturm umstritten. Seit Mai 1759 stand die Entscheidung über die Aufnahme von Lemmle Moyses (V.25) in Bühl an. Amtmann Johann Jacob Hoffmann befürwortete die Aufnahme.26 Er wies darauf hin, dass in Bühl derzeit nur 13 Schutzjuden lebten. Es könnten jedoch „nach der vor Jahren gefaßten g(nä)d(i)gsten Entschließung 15 daselbst eingelassen“ werden. Anerkennend fügte der Amtmann hinzu, dass der „Supplicant selbsten einige 100 fl(orin) verdient und eine guthe parthie treffen zu können Hoffnung hat.“27 Offensichtlich wurde die Schutzerteilung zunächst verweigert, denn Lemmle Moyses supplizierte im Mai oder Juni erneut. Die Regierung wies ausdrücklich darauf hin, dass Lemmle Moyses 1000 Gulden Vermögen besitzen müsse; auch sei darüber zu informieren, ob er „durch eine Heurath schöne Mittel bekömme“ und wie viele seiner Brüder bereits den Schutz hätten.28 Trotz einer Befürwortung durch das Amt entschieden Hofrat und Hofkammer negativ: Das Vermögen liege unter 1000 Gulden, und die Aufnahme erhöhe die Zahl der Schutzstellen. Die Aufnahme sei also nur „auf Gnade“ des Markgrafen möglich. Dieser verfügte dann trotz aller Einwände die Schutzerteilung.29 Salomon Israel (V.38) von Rastatt, der sich im Dienst des Bühler Schutzjuden Israel Abraham befand, bat 1765 um die Aufnahme in der Residenz. Er berief sich dabei auf das Bühler Amt, das ihm „wegen seines bisherigen Wohlverhaltens und 24 25 26 27 28 29

Vetter, Zwischen Glanz und Frömmigkeit, S. 26f., S. 253 und S. 258. Zur Aufnahme von Elias Schmaule siehe S. 124f. GLAK 61/296 HK 4.7.1759 Nr. 29. GLAK 61/317 GRATP 12.5.1759 Communia Nr. 1. GLAK 61/317 GRATP 23.6.1759 Communicanda Nr. 3. GLAK 61/317 GRATP 30.6.1759 Communia Nr. 3.

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Vermögens“ ein günstiges Zeugnis ausgestellt habe.30 Die Hofkammer neigte zur Ablehnung der Aufnahme: Der Markgraf sehe für sie keine „besondere Ursach“.31 Das Amt Rastatt befürwortete eher die Schutzerteilung. Amtmann Petzeld wies zunächst darauf hin, dass er gar nicht wisse, ob für Rastatt eine bestimmte Zahl von jüdischen Haushaltungen als Höchstgrenze existiere. Wenn für die Residenz nur wohlhabende Juden angemessen seien, könne man doch Salomon Israel mit seinem geringen Vermögen den Schutz für eine Ortschaft in der Nähe geben. Die Hofkammer schloss sich diesem Bericht an mit dem Hinweis, dass der Markgraf entscheiden müsse.32 Im Geheimen Rat fiel wohl die Entscheidung zuungunsten von Salomon Israel.33 Dieser brachte weitere Gründe für eine Aufnahme an.34 Das Amt Bühl seinerseits berichtete, dass der Supplikant 500 Gulden Vermögen besitze und seine Braut Silber und Geld im Wert von 530 Gulden. Darauf wurde der Schutz bewilligt.35 Unter Markgraf August Georg, so scheint es, wurde die Ablehnung von Bewerbern ohne ausreichendes, der Norm entsprechendes Vermögen fragwürdig. Zumindest in einigen Fällen kam die Regierung Bewerbern entgegen, wenn diese wenigstens Aussicht auf eine günstige Vermögensentwicklung zu besitzen schienen. 18.2.3  Expektanzen: Schutzzusagen für die Zukunft Die Regierung schlug in den letzten drei Jahrzehnten ihrer Existenz bei manchen Schutzbewerbungen die Aufnahme nicht einfach ab, sondern stellte sie trotz einer Absage für später in Aussicht. Für solche Zusagen verwendete sie den Ausdruck Expektanzen.36 Die sechs mit Sicherheit feststellbaren Expektanzen verzeichnet die folgende Tabelle XIX (S. 621f.).

30 31 32 33 34 35 36

GLAK 61/323 GRATP 18.3.1765 Communicanda Nr. 4. GLAK 61/303 HK 3.4.1765 Nr. 6. GLAK 61/303 HK 3.4.1765 Nr. 61. GLAK 61/323 GRATP 11.5.1765 Kammerberichte Nr. 3. GLAK 61/323 GRATP 28.9.1765 Communicanda Nr. 14. GLAK 61/323 GRATP 5.10.1765 Communia Nr. 4. Der Ausdruck Expektanz oder Exspektanz wurde aus dem Benefizienrecht übernommen, nach Wolfgang Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt. Eine vergleichende Verfassungsgeschichte Europas von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 1999, S. 191.

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Tabelle XIX:  Expektanzen 37,38,39,40,41,42,43 Nummer der Expektanz Schutzort

Jahr der Supplik oder der a. Name des künftigen Schutzjuden, Angaben zur Expektanz Person Jahr der Schutzaufnahme (Verwandtschaft, Herkunfts- oder Wohnort, HerrNummer der Schutzaufschaftsgebiet u. ä.) nahme in Tabelle V b. Name und Wohnort des/der Supplizierenden, wenn nicht identisch mit dem Schutzbewerber c. Gründe für die vorläufige Ablehnung d. Voraussetzungen der späteren Schutzaufnahme

XIX.1 1747/ Muggensturm 1759/ V.26

XIX.2 Kuppenheim

1756 bis 1771 keine Schutzaufnahme feststellbar

XIX.3 Friesenheim

1766 bis 1771 keine Schutzaufnahme feststellbar

XIX.4 Friesenheim

1767 bis 1771 keine Schutzaufnahme feststellbar

XIX.5 Bühl

1769 bis 1771 keine Schutzaufnahme feststellbar

37 38 39 40

a. Isaac Abraham, Muggensturm, Sohn von b. Abraham Joseph, Muggensturm c. Zahl der Schutzjuden eine mögliche Beschwerde der Gemeinde d. Tod des Vaters37 a. Feist Jacob, Muggensturm, Sohn des gestorbenen Jäckel Faist b. Hoffaktor Salomon Meyer, Karlsruhe c. – d. später erneute Supplik38 a. Sohn von b. Meyer Lazarus, Friesenheim c. derzeit noch kein ausreichendes Vermögen d. erneute Supplik nach dem Tod seines Vaters39 a. Kallmann Meyer, Friesenheim, einziger Sohn von b. Meyer Kallmann, Friesenheim40 c. – d. Übertragung des väterlichen Handels auf den Sohn oder Tod seines Vaters und „ferneres wohlverhalten“41 a. Gottlieb Moyses, 26 Jahre, ältester Sohn von b. Moyses Süßel, Bühl c. – d. freie Stelle in Bühl42 beim Tod des Vaters Berücksichtigung eines Sohnes43

GLAK 61/284 HK 17.8.1747. GLAK 61/314 GRATP. 4.2.1756 Communicanda Nr. 3. GLAK 61/325 GRATP 21.10.1766 Communia Nr. 423. GLAK 61/326 GRATP 18.2.1767 Communia Nr. 213 und 2.5.1767 Kammerberichte Nr. 436. 41 GLAK 61/326 GRATP 18.2.1767 Communia Nr. 213. 42 GLAK 61/328 GRATP 11.2.1769 Communicanda. 43 GLAK 61/328 GRATP 22.2.1769 Communicanda.

622 

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Anhang I

Nummer der Expektanz Schutzort

XIX.6 Bühl

,

44 45

Jahr der Supplik oder der a. Name des künftigen Schutzjuden, Angaben zur Expektanz Person Jahr der Schutzaufnahme (Verwandtschaft, Herkunfts- oder Wohnort, HerrNummer der Schutzaufschaftsgebiet u. ä.) nahme in Tabelle V b. Name und Wohnort des/der Supplizierenden, wenn nicht identisch mit dem Schutzbewerber c. Gründe für die vorläufige Ablehnung d. Voraussetzungen der späteren Schutzaufnahme 1769 a. Koßmann Israel bis 1771 keine Schutzauf- b. Händle Benjamin, Bühl44 nahme feststellbar c. – d. beim Tod ihrer Mutter45

Einzelne Expektanzen

Im August 1747 bat Abraham Joseph von Muggensturm um die Übertragung seines Schutzes auf seinen Sohn Isaac Abraham (XIX.1). Er begründete dies damit, dass er nun zu alt sei für den Handel. Die Kammer warnte vor einer zusätzlichen Schutzerteilung; sie berichtete, dass vor Abraham Joseph überhaupt keine Juden in Muggensturm gelebt hätten, dann viele Jahre nur zwei jüdische Familien. Vermutlich, so begründete sie ihre Warnung, würden die Einwohner des Ortes bei einer weiteren Aufnahme „zu einer beschwehrnus anlaß nehmen.“ Deshalb schlug die Kammer vor, Isaac Abraham erst nach dem Tod seines Vaters den Schutz zu geben.46 Im September des Jahres 1759 supplizierte Isaac Abraham selbst. Der Bericht des Amtes Gernsbach unterstützte ihn mit dem Hinweis auf die bereits 1747 gegebenen Zusagen, die „Expectanzen“.47 Die Kammer äußerte sich noch genauer: Der Markgraf habe die „Schutzanwartschaft“ ihm oder seinem Bruder zugesagt. Allerdings verfüge Isaac Abraham nun, 1759, nicht über die erforderlichen 1000 Gulden.48 Auch die Kammer wies auf das „Expectanz-Dekret“ hin, das Isaac Abraham in einer Abschrift seiner Supplik beigelegt hatte, und drängte auf den Hinweis, dass sein Bruder auf keinen Fall den Schutz erhalten solle.49 Darauf bewilligten Markgraf und Geheimer Rat die Schutzerteilung am Ende des Jahres, aber mit der ausdrücklichen Bestimmung, dass Isaac Abrahams „Kinder sich gn(ä)d(ig)sten Schutzes nimmermehr zu erfreuen haben sollen.“50 44 45 46 47 48 49 50

GLAK 61/307 HK 31.10.1769 Nr. 3067. GLAK 61/328 GRATP 8.11.1769 Kammerberichte. GLAK 61/284 HK 17.8.1747 und GLAK 61/317 GRATP 4.9.1759 Communia Nr. 1. GLAK 61/317 GRATP 4.9.1759 Communia Nr. 1. GLAK 61/296 HK 7.12.1759 Nr. 13. GLAK 61/317 GRATP 15.12.1759 Kammerberichte Nr. 2. GLAK 61/296 HK 29.12.1759 Nr. 1.

Schutzaufnahmen: Neuorientierung 

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Am 23. September 1769 lag die Supplik Händle Benjamins vor, der Tochter eines gestorbenen Bühler Schutzjuden; sie bat um die Aufnahme ihres Bräutigams Koßmann Israel (XIX.6) nach Bühl. Ihre Bittschrift hatte sie zusammen mit Abraham Isaac von Bühl vorgelegt, als dessen „Baas [Schwester der Mutter, auch allgemeiner für weibliche Verwandte]“ sie bezeichnet wurde.51 Auf den Amtsbericht hielt das Gratialprotokoll fest: Markgraf August Georg habe der Hofkammer bereits erklärt, dass er „einem und zware von denen Männlichen Schutz ertheilen wolle“; die Kammer müsse daher herausfinden, ob schon ein Bruder des Bräutigams von Händle Benjamin den Schutz habe. Auf den Bericht von Amt und Kammer verfügten Geheimer Rat und Markgraf: Es habe sich herausgestellt, dass der Bräutigam, diesmal er als „Supplikant“ bezeichnet, einen Bruder mit Schutz im Baden-Badischen habe; auch die Mutter von Händle Benjamin lebe noch im Schutz. Wenn sie sterbe, sei ein neuer Beschluss möglich.52 Die Aufnahme Koßmann Israels wurde abgelehnt; Händle Benjamin erhielt die Nachricht, nach dem Tod ihrer Mutter könne sie oder ihr Bruder sich um den Schutz bewerben, und der Markgraf werde dann nach den Umständen entscheiden.53 Allen diesen Ablehnungen ist gemeinsam, dass sie nicht als endgültig aufgefasst werden sollten; in fünf Fällen verwies die Regierung auf den Tod des Vaters oder der Mutter, nach dem die Supplik erneuert werden könne. Für Isaac Abraham stellte die Regierung die Aufnahme in Aussicht; etwas offener ließ sie den Erfolg, als sie den Söhnen von Meyer Lazarus (XIX.3) und Händle Benjamin nahelegte, später erneut zu supplizieren. Wieweit in allen Fällen wirklich eine klare Verbindlichkeit auf eine Aufnahme vorliegt, ist nicht entscheidbar – keine der Expektanzen scheint im Wortlaut erhalten zu sein. Gerade die Expektanzen, welche die Regierung nach dem Diskurs über die „Eliminierung“ der Schutzjuden verstärkt einsetzte, machen eine veränderte Einstellung gegenüber den Schutzbewerbern deutlich. Zumindest einigen von ihnen gab die Regierung trotz einer vorläufigen Ablehnung die Hoffnung auf den Schutz für eine nähere oder fernere Zukunft. Keine Hinweise enthalten die Erwähnungen der Expektanzen darauf, wie und wo die vorläufig Abgelehnten eigentlich leben sollten. War es selbstverständlich, dass sie im Handel des Vaters oder der Mutter arbeiteten? Waren sie auf die Existenz als „Judenknecht“ innerhalb oder außerhalb der Markgrafschaft verwiesen?

51 GLAK 61/307 HK 31.10.1769 Nr. 3067. 52 GLAK 61/328 GRATP 8.11.1769 Kammerberichte. 53 GLAK 61/307 HK 14.11.1769 Nr. 3201.

624 

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Anhang I

18.3  Juden aus benachbarten Territorien beim kleinen Handel in der Markgrafschaft Die folgende Übersicht ermöglicht wohl nur einen unvollständigen Blick auf die Juden, die, von außerhalb des Landes kommend, auf dem Gebiet der Markgrafschaft kleinen Handel trieben. Nicht alle Juden, die ein Geleit lösten, wurden so schriftlich notiert, dass eine Überlieferung in den Quellen entstanden wäre. Vielleicht ließen sich in den Quellen der benachbarten Territorien weitere Hinweise auf Juden im Handel mit dem markgräflichen Gebiet finden; dasselbe gilt auch für die in der Tabelle XX, Der kleine Handel von fremden Juden in der Markgrafschaft, verzeichneten (S. 624f.). Das könnte zur Erkenntnis beitragen, wie die baden-badischen Schutzjuden mit den Juden entlang der Grenze zwischen den Territorien verbunden waren wie etwa Meyer Malsch mit seiner Verwandtschaft im kurpfälzischen Bretten. 54 55 56 57 58 59 60 , , , , , , Tabelle XX:  Der kleine Handel von fremden Juden in der Markgrafschaft Nummer Jahr

Name und Herkunft

Grund der Nennung

XX.1 1674 XX.2 1682 XX.3 1684 XX.4 nach 1700 XX.5 1706

Jude ohne Namensangabe aus Hagenau (Elsass, Bas-Rhin) Juden ohne Namensangabe aus Ettenheim (Hochstift Straßburg) Juden ohne Namensangabe aus Ettenheim (Hochstift Straßburg) Daniel Heilbronn und weitere Juden aus Renchen (Hochstift Straßburg) Kaufel von Grombach und Moyses von Grötzingen, heute Ortsteil von Karlsruhe (Markgrafschaft Baden-Durlach) Nathan von Lichtenau (Grafschaft Hanau-Lichtenberg) Aaron der Jüngere aus Fort-Louis (Elsass, Bas-Rhin)

Handel mit Pferden und Kleidung im Amt Beinheim54 Verhandlung über die Geleitzahlung in der Herrschaft Mahlberg55 Vorwurf des Betrugs bei der Geleitzahlung56 Geleitzahlung57

XX.6 1720 XX.7 1724

54 55 56 57

Geleitzahlung58 Geleitzahlung59 Konflikt über Häute, Verkauf von Häuten60

GLAK 61/124 HR 1.2.1674 Bl. 158r. GLAK 61/127 HR 21.1.1682 Bl. 30r–v. GLAK 61/225 HK 4.7.1684. Zu Daniel Heilbronns Intensivierung seiner Kontakte zur Regierung und zu seiner Schutzaufnahme nach Durbach siehe S. 57f. 58 GLAK 61/244 HK 21.10.1706. 59 GLAK 61/256 HK 21.3.1720. 60 GLAK 61/152 HR 28.9.1724.

Delinquenz und Bestrafung fremder Juden  Nummer Jahr XX.8 1726 XX.9 1732 XX.10 1732 XX.11 1733 XX.12 1762 XX.13 1762 XX.14 1766

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Name und Herkunft

Grund der Nennung

Aaron Moyses, evt. identisch mit Aaron dem Jüngeren, aus Fort-Louis (Elsass, Bas-Rhin) Veith Louis und ein anderer Jude, beide aus FortLouis (Elsass, Bas-Rhin) Tochtermann Schmaules in Bühl, aus Fort- Louis (Elsass, Bas-Rhin) Löwel Kahn und Elias Aron aus Fort-Louis (Elsass, Bas-Rhin) Hirsch Jacob aus Lichtenau (Grafschaft HanauLichtenberg) Israel Schnurrmann und Wolf Meyer aus Schmieheim, heute Ortsteil von Kippenheim (reichsritterschaftliche Grundherrschaft) Israel Schnurrmann und Wolf Meyer aus Schmieheim (reichsritterschaftliche Grundherrschaft)

Handel mit Leder und Häuten in Ettlingen61

, , , , , ,

61 62 63 64 65 66 67

625

Geleitzahlung, Handel mit Vieh62 Geleitzahlung, Handel63 Geleitzahlung, Viehhandel64 Geleitzahlung, Handel65 Geleitzahlung, Handel in der Landvogtei Ortenau66 Handel mit Leder und vermutlich mit Federbetten in der Landvogtei Ortenau67

18.4  „Judenpack, so das Land paßirt“: Delinquenz und Bestrafung fremder Juden Zur Strafe für einen Diebstahl wurde im September 1746 in Rastatt Isaac Samuel aus Sachsen-Anhalt hingerichtet.68 Zusammen mit der Leiche eines weiteren Delinquenten, der als „Zigeuner“ bezeichnet wurde, blieb er über Mitte November hinaus am Galgen hängen. Der Rastatter Amtmann fragte nach, was mit der Leiche „des daran [am Galgen] ebenfalls in ganz veränderter Stellung hangenden Judens Samuel“ geschehen solle. Ihm sei davon nichts bekannt, beschied der Hofrat den Amtmann. 69 Über einen „frembden 16Jährigen Juden nahmens Abraham Jacob“ aus der Gegend von Würzburg berichtete 1748 der Ettlinger Amtmann Louis Wilhelm 61 62 63 64 65 66 67 68 69

GLAK 61/154 HR 3.10.1726. GLAK 61/267 HK 20./21.4.1731. GLAK 61/268 HK 30./31.9.1732. GLAK 61/269 HK 26.3.1733. GLAK 61/299 HK 24.3.1762 Nr. 29 und 17.4.1762 Nr. 9. GLAK 61/299 HK 18.8.1762 Nr. 10. GLAK 61/304 HK 18.1.1766 Nr. 219. GLAK 61/175 HR 26.8.1746 Nr. 3 und GLAK 61/58 GR 28.9.1746 Nr. 20. GLAK 61/175 HR 24.11.1746 Nr. 8.

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Anhang I

Hornus: Bei diesem sei ein Dietrich gefunden worden, er sei „somit allerdings ein gefährlicher Dieb, Von deme wenige beßerung zu hoffen, wann nicht eine scharpfe correction“ erfolge. Das gelte umso mehr, als „auch zeithero dergleichen Juden sich in diesem nemblichen [gleichen] Laster betretten [finden] laßen.“ Angesichts seiner Jugend wurde Abraham Jacob allerdings „moderate“ mit der Peitsche bestraft, eine Stunde an den Pranger gestellt und dann ausgewiesen.70 Der Amtmann in Stollhofen untersuchte seit Juni 1749 gegen Mausche oder Mauschy aus Merzweiler (Merzwiller, Bas-Rhin) wegen des Verdachts eines Diebstahls und der Falschmünzerei.71 Er erhielt zur Strafe „50 derbe Stockh Streich“, musste Urfehde schwören und wurde für immer verbannt.72 Kaufmann Nathan, auch Käufele genannt, saß Anfang 1752 in Rastatt im Gefängnis. Er wurde als Vagabund bezeichnet und verurteilt, weil er Falschgeld in Umlauf gebracht hatte. Seine Strafe bestand in 25 Stockschlägen, auch er wurde ausgewiesen.73 Zu fremden delinquenten Juden enthalten die Protokolle der Regierungsgremien nur oberflächliche Informationen. Person, Tatvorwurf und Beweise bleiben vage, manche jungen Juden sind nicht einmal mit ihrem Namen genannt. Körperstrafen und Landesverweis nahmen den Delinquenten die Ehre;74 das Hängenlassen des Leichnams am Galgen galt als zusätzliche entehrende Strafe, zur gesteigerten Abschreckung. Das Leben eines umherziehenden Juden, so wird oft angenommen, führte häufig zum Bruch der Gesetze.75 Die Zahl der bettelnden Juden ohne Schutz dürfte auch in der Markgrafschaft hoch gewesen sein. So hielten sich 1736 in Bühl bis zu 40 fremde „Betteljuden“ gleichzeitig auf.76 Aber insgesamt scheint die Zahl derjenigen unter ihnen gering gewesen zu sein, deren Fälle, wenn sie delinquent wurden, wegen der Schwere ihres Delikts, etwa eines wiederholten Diebstahls, vor das Gericht des Hofrats kamen. Deshalb lässt sich der Anteil der Delinquenten unter den Betteljuden kaum abschätzen. Bei Dieben, die nicht Juden waren, wurde wohl eher mit Blick auf mildernde Umstände untersucht und gerichtet. 1726 hatte in Au77 bei Rastatt Adam Engelhardt bei einem Nachbarn 230 Gulden gestohlen. Das Ratskollegium stimmte dem als Kommissar berichtenden Hofrat Hornus, dem Amtmann von Rastatt, ohne 70 71 72 73 74 75

GLAK 61/177 HR 9.7.1748 Nr. 21 und 16.7.1748 Nr. 3. GLAK 61/178 HR 5.7.1749 Nr. 4 und GLAK 61/286 HK 3.9.1749. GLAK 61/178 HR 5.7.1749 Nr. 4 und GLAK 61/66 GR 9.7.1749 Nr. 15. GLAK 61/73 GR 23.2.1752 Nr. 20. van Dülmen, Der ehrlose Mensch, S. 75f. Breuer , Frühe Neuzeit und Beginn der Moderne, in: Breuer und Graetz (Hg.), Deutschjüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. 1, S. 236. 76 Zum Aufenthalt von Betteljuden in Bühl siehe S. 486f. 77 Au am Rhein, Landkreis Rastatt.

Das „Pflastergeld“ der christlichen Einwohner 

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weiteres zu: Engelhard habe keine Gewalt angewendet, den Schaden bis auf 30 Gulden ersetzt, die er aber auch noch erstatten wolle; er sei dazu noch minderjährig, habe zudem vom Amt das „Lob eines sonst fleissigen menschens“ erhalten.78 1732 wurde über einen 22jährigen Dieb namens Johann Tischer verhandelt. Hofrat Hossner schlug vor: Tischer habe zwar mehrmals gestohlen, sei aber noch nie bestraft worden. Die „Carolina“ sehe eigentlich für seinen Diebstahl die Todesstrafe vor. Dennoch: Er sei minderjährig und Aussicht auf Besserung bestehe. Deshalb solle Tischer nur ausgepeitscht und dann ausgewiesen werden.79 Auch Johannes Biermann war minderjährig. Er war in Rastatt wegen eines Diebstahls zum Tode durch den Strang verurteilt worden. Dann aber wurde die Hinrichtung doch nicht durchgeführt. Ihm erlaubte der Markgraf auf Vorschlag des Hofrats den weiteren Aufenthalt in Rastatt, damit er sich von seiner Todesangst erholen könne.80 Markgraf Ludwig Georg und der Geheime Rat gingen noch weiter. Johannes Biermann solle nicht einfach aus der Haft entlassen werden. Es habe sich doch der Seilermeister Christoph Schuhrmann gemeldet, der Johannes Biermann, „den armen buben ex opere misericordiae [um ein Werk der Barmherzigkeit zu tun] zu sich zu nehmen, vollends Christlich auferziehen, undt demselben sein Handtwerckh lehren möge [möchte]“.81 Die Regierung sah bei Johannes Biermann und Johann Tischer, den beiden minderjährigen Dieben, die Möglichkeit der Resozialisation. Johann Tischer sollte ausgewiesen, Johannes Biermann christlich erzogen werden – bei ihm schuf das Erbarmen des Seilermeisters Schuhrmann dafür die Voraussetzung. Fremde Juden, so scheint es, liefen bei Diebstahl leicht Gefahr, mit dem Tode bestraft zu werden. Anders als die Jugendlichen unter den jüdischen Delinquenten hatten die christlichen eine Chance auf Integration in die Gesellschaft. Bei jüdischen Vaganten, denen eine Strafe drohte, gab es nur die Alternative zwischen dem Tod und der Prügelstrafe mit anschließender Verbannung aus dem Land.

18.5  Das „Pflastergeld“ der christlichen Einwohner – Fronen für die Residenz Den christlichen Einwohnern der Markgrafschaft drohte mit der „Pflasterung“ Rastatts82 wie den Schutzjuden eine neue Belastung. Am 2. Mai 1721 legte die

78 79 80 81 82

GLAK 61/154 HR 17.9.1726. GLAK 61/171 HR 20.3.1742 Nr. 24. GLAK 61/171 HR 20.3.1742 Nr. 1. GLAK 61/171 HR 3.4.1742 Nr. 2. Zur Pflastersteuer für die Juden siehe S. 340ff.

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Anhang I

Kammer fest, wie viele Pflastersteine die einzelnen Ämter zur Verfügung stellen und nach Rastatt transportieren mussten; für das Amt Bühl waren es 30 Klafter.83 Die Gemeinde Bühl aber berief sich auf ihren Rechtszustand, der bis zum völligen Erwerb des Marktfleckens durch Markgraf Ludwig Wilhelm 1688 gegolten hatte. Bis dahin hätte sie nur die festgelegten Fronpflichten erfüllen müssen. Beim Übergang an die Markgrafschaft sei dieser Rechtszustand ausdrücklich bestätigt worden, betonte die Gemeinde. Der Hofrat schlug ein Entgegenkommen vor. Die Straßenpflasterung in der Residenz sei, so der Hofrat, ein „casus extraordinarius“, ein Sonderfall. Man könne deshalb der Gemeinde zusichern, dass dieser Fronforderung nicht weitere folgen würden.84 Im Juni 1721 rechtfertigte der Hofrat nochmals seine Entscheidung: Die Freizügigen, die Einwohner mit persönlicher Freiheit in Bühl, seien keineswegs neu und ungebührlich belastet, vielmehr müssten sie sich gerade dem bisherigen Recht unterwerfen. Ihr Beitrag für das Pflaster sei „in extraordinario necessitatis casu“ legitimiert, als Leistung in einem dringend erforderlichen Fall. Eine Befreiung von ihren Pflichten komme nicht in Frage, aber sie dürften nur so belastet werden, dass es noch einen Unterschied zu den Fronpflichtigen gebe. Deshalb solle die Hofkammer in Verhandlungen eine Einigung anstreben.85 Gegen die Argumente der Gemeinde setzte die Kammer ihre eigenen. Die Einwohner in Baden-Baden, mit denen die Bühler sich verglichen, seien nicht als Freizügige von den Fronen befreit, sondern wegen eines besonderen, ihnen als den Einwohnern der alten Residenz erteilten Privilegs. Außerdem gebe es in dieser Stadt keine Bauern, die Zugvieh oder Fuhrwerke stellen könnten. Das sei bei den Einwohnern von Bühl anders. Sie besäßen nicht nur Zugvieh, sondern seien bekanntermaßen auch recht wohlhabend.86 Während noch verhandelt wurde, erhöhte die Regierung die Frondienste und die Menge der abzuliefernden Pflastersteine insgesamt.87 In einem neuen Memorial ging die Gemeinde darauf allerdings nicht ein. Stattdessen blieb sie beim Vergleich mit anderen Gemeinden, mit Baden-Baden und Steinbach: Diese müssten keine Pflastersteine liefern. Außerdem würden, dabei blieb die Gemeinde, bei einer Verpflichtung der freien Einwohner die Unterschiede zwischen ihnen und den Leibeigenen verwischt werden. Überhaupt: Das Pflastern der eigenen Hauptstraße mache schon genügend Arbeit, und die Steine nach Rastatt fahren zu lassen, das sei unbezahlbar.88 83 84 85 86 87 88

GLAK 61/257 HK 2.5.1721. 1 GLAK 134/129 Hofrat an Markgräfin Sibylla Augusta, 29.5.6.1721. GLAK 61/149 HR 26.6.1721. GLAK 61/257 HK 28.8.1721. Vetter, Zwischen Glanz und Frömmigkeit, S.157. GLAK 134/129, Hofrat an Markgräfin Sibylla Augusta, 9.12.1721, Anlage, „Beschwernuss-Memorialis“, Kopie, o. D.

Das „Pflastergeld“ der christlichen Einwohner 

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Nach der Einstellung der Arbeiten im November 1721 bereitete im nächsten Februar die Kammer den Wiederbeginn vor. Für das Amt Bühl wurde ausdrücklich festgelegt, dass es 30 von insgesamt 480 Klafter Pflastersteinen „mit zuziehung aller freyzügigen“ zu liefern habe,89 bei den Handfröhnern und Pferden blieb es bei den Zahlen des Vorjahrs.90 Selbst die Einwohner in Baden-Baden und im Amt Steinbach wurden in die Pflicht zur Lieferung von Steinen einbezogen.91 Die Positionen der Beteiligten und ihre Handlungsmöglichkeiten werden nochmals deutlicher, wenn man einen Konflikt einbezieht, der 1721 begann. Im Sommer des Jahres forderte die Hofkammer von den freien Einwohnern in Bühl, auch noch Brennholz für das Schloss in Rastatt zu liefern. Schon zu dieser Zeit warnte die Kammer den Hofrat vor einem Nachgeben und schrieb: Nach einem Befehl der Markgräfin und des Geheimen Rats seien alle Untertanen zu diesen Fronen verpflichtet. Und sie gab an, was sie befürchtete, wenn die Freizügigen befreit würden und nur die Fronpflichtigen ihre Leistung erbringen müssten: Ein solches Nachgeben würde eine allgemeine Ablehnung bewirken.92 Im Januar 1722 erläuterte die Hofkammer die Situation: Bis 1714 seien für das Schloss in Baden-Baden 2000 Klafter Brennholz erforderlich gewesen, für Rastatt brauche man jetzt 6000 Klafter.93 Im Februar 1722 berichtete der Bühler Amtmann Johann Heinrich von Harrandt der Kammer, dass die Freizügigen, die sich gegen die Fronbelastungen wehrten, zum Wegzug aus dem Amt entschlossen seien. Sie und die Fronpflichtigen würden die geforderten Lieferungen verweigern bis zur Entscheidung durch die Markgräfin selbst.94 Im April schrieb er, dass er die Einwohner des Amts, wohl ihre Vertreter, hatte zu sich kommen lassen und sie befragte: Ob sie bereit seien, die Lieferung von Holz durch Geld abzulösen? Darauf hätten „die hiesigen Amtsunterthanen, Wie auch Ehemals wegen des pflaster Stein geldts auch getan, gar keine Antworth gegeben.“ Zu Leistungen außerhalb ihres Amtes fühlten sie sich auf keinen Fall verpflichtet.95 Es blieb nicht beim stummen Protest. Ende April 1722 verweigerten die Bühler noch immer die geforderten Leistungen. Die Markgräfin ließ deshalb der Hofkammer ein Reskript zustellen mit einer neuen Lesart der Rechtsgründe für die Forderung nach Brennholz. Diese würde gar nicht der Fronpflicht entstammen, sondern sei eine „collectation“, also eine Art Besteuerung. Mit ihrer Weigerung würden die Bühler „halsstarr in ungehorsamb Sträflicher Weiß Verharren.“ Der 89 90 91 92 93 94 95

GLAK 61/258 HK 23.2.1722. GLAK 61/258 HK 11.4.1722. GLAK 61/257 HK 11.9.1721. GLAK 134/127, Hofkammer an Hofrat, 30.6.1721. GLAK 61/258 HK 2.1.1722. GLAK 134/129, Amtmann Johann Heinrich von Harrandt an die Hofkammer, 28.2.1722. GLAK 134/129, Amtmann Johann Heinrich von Harrandt an die Hofkammer, 9.4.1722.

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Anhang I

Amtmann solle sie ermahnen, gegebenenfalls zwei oder drei „Radelsführer“ in Baden-Baden in den Turm werfen und alle Mittel anwenden, die anderen in die „Schranken des Gehorsambs zu bringen.“96 Nochmals versuchte der Bühler Amtmann zu vermitteln. Er betonte in seinem Bericht an die Kammer, dass die freien Einwohner keineswegs den Gehorsam verweigern wollten. Ihnen gehe es darum, den Unterschied zu den Leibeigenen aufrechtzuerhalten. Sie seien bereit, „ein Erkleckliches“ der geforderten Leistungen zu erbringen, den anderen Teil müssten allerdings die Leibeigenen übernehmen. Darauf befahl die Kammer dem Amtmann, eine Einigung zwischen den freien und leibeigenen Einwohnern herbeizuführen.97 Kurz danach verfügte der Geheime Rat einen Nachlass der zu liefernden Holzmenge von einem Drittel.98 Der Konflikt war damit wohl gelöst, zumal die Pflasterarbeiten nach 1722 nicht mehr fortgesetzt wurden. Gegenüber den jüdischen Untertanen hatten die christlichen Vorteile. Sie konnten auf frühere Zusicherungen zurückgreifen und sich mit anderen Einwohnern vergleichen. Wozu waren sie, wozu die übrigen Ämter verpflichtet? Wozu die freien und wozu die leibeigenen Untertanen? Im äußersten Fall konnten die „Freizügigen“ sogar mit dem Wegzug drohen, damit zumindest auf drastische Weise ihren Protest zeigen. Für sie ging es auch nicht nur um ihre materiellen Leistungen. Sie beharrten auf ihrem tradierten rechtlichen Status, auf der Differenz zu den fronpflichtigen Leibeigenen. Die Regierung war bei ihnen schließlich auch zu einem Kompromiss bereit. Im Supplizieren standen die Schutzjuden den Christen nicht nach. Einzelne nutzten ihre besondere Situation. Nur hatten sie insgesamt sonst keine Mittel mit rechtlichen Grundlagen wie die Christen. Das radikalste Mittel des Protests und der Gegenwehr, den Wegzug, brauchte die Regierung bei den meisten Schutzjuden nicht befürchten, allerdings wohl auch nicht bei den meisten Christen. Über die Argumente der Schutzjuden konnte sich die Regierung ohne Probleme hinwegsetzen; bei den christlichen Untertanen argumentierte sie auf der rechtlichen Ebene, erwog auch Entgegenkommen und war bereit, den Konflikt mit einem Kompromiss zu beenden. Auf eine geschlossene oder einheitliche Abwehr ihrer Ansprüche stieß die Regierung weder bei Christen noch bei Juden. Diese unterschieden sich in ihrem Vorgehen: Einzelne hatten ihre eigenen Möglichkeiten, die Armen supplizierten zuerst in der Gesamtgruppe der Judenschaft, dann für sich gesondert – vielleicht eine Andeutung unterschiedlicher Interessen.

96 GLAK 61/258 HK 27.4.1722. 97 GLAK 61/258 HK 8.5.1722. 98 GLAK 61/258 HK 27.5.1722.

Das „Pflastergeld“ der christlichen Einwohner 

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Das „Pflastergeld“ der christlichen Untertanen wurde 1742 wieder aktuell. Als die Arbeiten an den Straßen in Rastatt fortgeführt wurden, forderte die Hofkammer auch Fronen christlicher Untertanen zum Transport von Pflastersteinen.99 Die Leibeigenen in Bühl waren dazu, nach dem Bericht des Amtmanns, nicht in der Lage, weil ihnen das erforderliche Zugvieh fehlte. Darauf mussten die Fronpflichtigen aus Groschweier (Großweier) und Unzhurst diese Fuhren übernehmen.100 Wieder stieß die Fronpflicht, wenn nicht in Bühl, so doch im benachbarten Amt Steinbach auf Widerstand: Die Hofkammer sah ihre Erfüllung durch „der Steinbacher gewöhnliche Halsstarrigkeit“ behindert.101 Um 1748 scheint die Regierung ihre Einstellung zu Fronarbeiten verändert zu haben. Für diese Zeit gibt es nämlich einen Vorgang, der Rückschlüsse auf den Stand der Arbeiten zulässt, aber auch auf die Einstellung der Regierung zur Belastung der christlichen Untertanen durch die Pflasterarbeiten. Es ging in Baden-Baden um ein Straßenstück vom „Stadttor bis zur Residenz“. Dafür wären 300 Wagen mit Steinen und 200 Wagen mit Sand erforderlich gewesen, in Fronarbeit aufzubringen. Die Hofkammer schrieb dazu, dass „die unterthanen dermahlen mit so vielfältigem und kaum verrichten könnendten frohndten überhäufet, daß nicht einmahl das schon vor geraumer Zeith nach g(nä)d(i)gst(er) H(och)fürstl(icher) verordnung in standt zu setzende Pflaster in dahißiger H(och)fürstlicher Residenz, wozu jedoch das baar geldt in bereithschaft liege, vorgenohmen werden möge.“102

Geld zur Finanzierung des Straßenbaus, der Pflasterarbeiten, lag also bereit, die erforderlichen Fronarbeiten wollte oder konnte die Hofkammer aus Rücksicht auf die Belastung der Fronpflichtigen nicht anordnen – oder scheute sich davor mit Blick auf zu erwartenden Widerstand. Hier setzte sich offensichtlich die Vorstellung durch, Rücksicht auf die christlichen Untertanen zu nehmen. Das macht die unterschiedliche Sicht auf diese und die Schutzjuden deutlich: Die Ersten galten als überbelastet, die Letzteren jedoch nicht. Bei den christlichen Untertanen wurde „Halsstarrigkeit“ festgestellt, doch schließlich auf die weiteren Pflasterarbeiten verzichtet. Bei den Schutzjuden erfolgte ein solcher Sinneswandel nicht; von ihnen war „Halsstarrigkeit“ angesichts ihrer rechtlichen Voraussetzungen und ihrer geringen Zahl kaum zu erwarten.

99 GLAK 61/280 HK 26.8.1743. 100 GLAK 61/280 HK 28.8.1743. 101 GLAK 61/279 HK 11.9.1742. 102 GLAK 61/285 HK 3.8.1748.

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Anhang I

18.6  Akziseverträge oder nicht? Ein Problem der wirtschaftlichen Entwicklung für Juden und Christen Emanuel Weil, der Kippenheimer Anwald, bot im Mai 1759 der Hofkammer an, für eine Admodiation im Handel mit Leder und Juchten [rotes Rindsleder] 60 Gulden zu zahlen.103 Die Entscheidung zog sich hin. Im November 1759 verlangten Markgraf und Geheimer Rat von der Kammer einen raschen Bericht zu diesem Angebot.104 Schließlich lehnte der Hofrat das Angebot Weils 1760 ab.105 Emanuel Weil bemühte sich 1767 nochmals um eine vertragliche Klärung für seinen Lederhandel. Nun ging es ihm um einen Pauschalbetrag als Ersatz für die Akzise; auch diese Regelung nannte die Hofkammer nun „Admodiation“.106 Der Markgraf gab seine Zustimmung zu einem auf drei Jahre limitierten Vertrag, nach dem Weil 35 Gulden im Jahr zahlte.107 Ähnlich ging im gleichen Jahr Lazarus Mayer von Friesenheim vor. Der Branntweinadmodiator wollte in Friesenheim noch einen „Kramladen“ eröffnen. Er stellte das Gesuch, die Akzise auf seine Krämerwaren „in admodiation zu übernehmen“ und bot dafür 12 Gulden pro Jahr.108 Trotz der Vorteile aus den Admodiationen, vor allem vor Akzisebetrug geschützt zu sein, war die Regierung misstrauisch: Vielleicht war die Admodiationsgebühr doch zu niedrig angesetzt? Bei Lazarus Mayer wurde wohl deshalb die Abmachung zunächst auf ein Jahr begrenzt. Dann sollte das Oberamt Mahlberg einen Bericht über den Geschäftsverlauf Lazarus Mayers abstatten.109 Einen Akzisevertrag für seinen Handel wollte 1763 auch Löw Auerbacher von Kippenheim, gegen die Zahlung von 40 Gulden. Das Amt befürwortete sein Gesuch: Es wies darauf hin, dass schon Josua Uffenheimer einen solchen Vertrag abgeschlossen habe.110 Der Markgraf und der Geheime Rat stimmten zu, mit der ausdrücklichen Bedingung eines wirklich „Nahmhaften Handels“, den Auerbacher zugesagt habe.111 Es scheint, dass ein ausgeprägtes Interesse der Regierung bestand, auch mit Hilfe solcher Steuerpauschalen den Handel zu fördern. Noch im gleichen Jahr supplizierte Emanuel Weil wieder wegen einer Pauschale – für seinen „noch führenden dermahlig geringen Leder-Handel.“112 103 GLAK 61/296 HK 15.5.1759 Nr. 10. 104 GLAK 61/296 HK 21.11.1759 Nr. 16. 105 GLAK 61/191 HR 15.1.1760 Nr. 8 und GLAK 61/297 HK 19.1.1760 Nr. 17. 106 GLAK 61/305 HK 12.2.1767 Nr. 428 und 5.3.1767 Nr. 585. 107 GLAK 61/305 HK 28.3.1767 Nr. 859. 108 GLAK 61/305 HK 16.3.1767 Nr. 727. 109 Ebd. 110 GLAK 61/301 HK 5.7.1763 Nr. 3. Zum Vertrag Joshua Uffenheimers über die Akzise siehe S. 233. 111 GLAK 61/301 HK 15.7.1763 Nr. 3. 112 GLAK 61/301 HK 15.11.1763 Nr. 36.

Akziseverträge oder nicht? 

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In manchen Fällen wird nicht deutlich, ob der Wechsel zu einer Akzisepauschale mit einer Admodiation im Sinne eines monopolisierten Handels verbunden war. 1765 reagierte die Hofkammer auf die Supplik „einiger Juden in Bühl um den von massiv gold und silber entrichtenden jährlichen Zollaccord.“ Dabei ging es um die Verlängerung eines bereits bestehenden Vertrags, bei dem auf 12 Jahre eine jährliche Pauschale von 6 Gulden für den Handel mit Gold und Silberwaren vereinbart war.113 Die beiden Bühler Schutzjuden Joseph und Löw Elias114 versuchten 1769 die Akzisezahlungen mit einer Pauschale abzulösen.115 Auf den Bericht des Kammerrats Dürfeld116 wurde das Gesuch jedoch abgelehnt.117 Die Tendenz, die einzelnen Akzise- und Zollzahlungen durch feste Beträge abzulösen, war keine Sache, die nur Schutzjuden betroffen hätte. Der Rastatter Handelsmann Johann Geiger supplizierte 1762 wegen einer Akzisepauschale, erhielt aber eine Absage.118 Anders verhielt es sich 1763 beim Kehler Kaufmann Ruffier. Er bot einen jährlichen Betrag von 36 Gulden. Dabei wies er darauf hin, dass er im Begriffe sei, die Entwicklung des Handels in Kehl zu fördern. Die Hofkammer bewilligte ihm die gewünschte Regelung sofort auf neun Jahre.119 1767 wurden die Kaufleute Daniel Balthasar Schneider und Samuel Lotzbeck von Lahr aktiv. Um in Kehl Handel treiben zu dürfen, erklärten sie sich bereit, für das Niederlassungsrecht und die Befreiung von Zoll und Akzise 50 Reichstaler jährlich als Gebühr zu zahlen.120 Das Verhalten der Regierung bei Akziseverträgen war widersprüchlich. Ablehnungen und Bewilligungen wechselten, ohne dass die Gründe sichtbar würden. Die Unberechenbarkeit der Regierung bei den Verträgen über die Akzisezahlung machte eine konstante Entwicklung des Handels für Juden, aber auch für Christen kaum möglich. Nur: Christen standen viele Möglichkeiten offen, der Handlungsspielraum der Juden war durch die schutzrechtlichen Verhältnisse eingeschränkt, und Erschwernisse für den Handel trafen sie deshalb besonders. Das musste nicht die Folge einer antijüdischen Einstellung sein; die Akziseverträge wurden durch die Regierung vielleicht einfach ohne klare Konzeption verwendet.

113 GLAK 61/303 HK 8.1.1765 Nr. 6. 114 Zu Joseph und Löw Elias siehe S. 510ff. 115 GLAK 61/307 HK 29.8.1769 Nr. 2445. 116 GLAK 61/307 HK 12.9.1769 Nr. 2594. 117 GLAK 61/307 HK 20.9.1769 Nr. 2697. 118 GLAK 61/300 HK 28.7.1762 Nr. 5. 119 GLAK 61/301 HK 1.3.1763 Nr. 19. 120 GLAK 61/326 GRATP 2.12.1767 Communicanda Nr. 1125.

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18.7  Der Admodiator Johannes Bruzetto 18.7.1  Eine Karriere Wie Johannes Bruzetto bei seinem Handel besteuert werden sollte – damit befasste sich im November 1712 die Hofkammer.121 Vielleicht ist er identisch mit einem als Franz Zetto genannten und als „Italiener“ bezeichneten Krämer, der in Bühl 1712 das Bürgerrecht erhielt.122 In den Protokollen der Regierung erschien sein Name jedenfalls noch 1715 in der italienischen Form als „Procedo“.123 Um diese Zeit war Johannes Bruzetto ungefähr 47 Jahre alt.124 Wahrscheinlich ist er mit dem Kaminfegeradmodiator Bruzetto in der Ortenau verwandt, der 1720 starb;125 auch Johannes Bruzetto übernahm später die Rolle eines solchen Admodiators. Der italienische Schornsteinfeger Madon in Offenburg war bei ihm verschuldet; dies spricht ebenfalls für eine Verbindung in die Ortenau. Nach einem Eintrag aus dem Jahr 1741 im Protokoll der Hofkammer war Bruzetto vor seiner Zeit in Bühl Krämer im pfälzischen Bergzabern gewesen.126 Bereits Ende 1712 mietete er den „Kandten“, die „Kanne“, eine ehemalige Gastwirtschaft an der Bühler Hauptstraße. Einen Teil des Hauses wollte er für den Handel verwenden, nämlich „den laaden unterhalb zur treibung seiner Handirung.“127 Im Februar 1715 bat er um die Erlaubnis, in Kehl einen „Kram“ errichten zu dürfen.128 Wohl schon zu dieser Zeit besaß er ein Haus im Zentrum Bühls, am Markt,129 das einige Jahre zuvor dem Amtmann Johann Heinrich Harrandt gehört hatte; als dieser es kaufte, war es 800 Gulden wert.130 Das Haus an der Hauptstraße und das Laden-Projekt zeigen die Ambitionen des Handelsmannes Bruzetto. Im Oktober des Jahres 1715 erwarb er gemeinsam mit dem aus Italien stammenden, schon über zwanzig Jahre in Bühl lebenden Krämer Antoni Gott121 GLAK 61/248 HK 5.11.1712. 122 GLAK 61/140 HR 14.4.1712 und 21.4.1712. 123 GLAK 61/250 HK 28.2.1715. 124 Zu Bruzettos Angabe seines Alters mit 70 Jahren im Jahr 1733 siehe S. 639. 125 GLAK 61/256 HK 4.8.1720. 126 Schwancke, Fremde, S. 241, mit der Angabe von Niederbühl bei Rastatt als Wohnort von Johannes Bruzetto. Schwancke erwähnt mehrmals Träger des Namens Bruzetto in Offenburg. Zu Bergzabern siehe GLA 61/278 HK 2.3.1741. 127 GLAK 61/5769, Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, 29.11.1712, Bl. 22r–v. 128 GLAK 61/250 HK 28.2.1715. 129 GLAK 61/5769, Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, 30.11.1714 Bl. 148v–149r. 130 GLAK 134/88 „Inventarium“, 1719, Bl. 11r.

Der Admodiator Johannes Bruzetto 

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hardt131 die Essig-, Tabak- und Branntweinadmodiation in den Ämtern Bühl und Groschweier, zunächst für ein Jahr und gegen die Zahlung von 50 Gulden.132 Gotthardt besaß bereits 1711 diese Admodiation, zusammen mit anderen, namentlich nicht genannten „Konsorten“.133 Der Bühler Amtmann Harrandt schlug Bruzetto 1719 als Gerichtsmann in Bühl vor.134 1720 wurde er als „Obermeister“ der Bühler Krämerzunft genannt,135 hatte also eine führende Position in einer örtlich wichtigen Zunft inne. Als sich 1721 die Bühler Einwohner, die nicht Leibeigene waren, bei der Hofkammer gegen die Belastung mit Fronen wehrten, gehörte Bruzetto mit sechs Gerichtsleuten, dem Stabhalter,136 dem Bürgermeister137 und drei weiteren Einwohnern, darunter auch Gotthardt, zu den Unterzeichnern einer Beschwerdeschrift.138 Seine wirtschaftliche Tätigkeit erweiterte er, indem er 1724 die Kaminfegereiadmodiation für die ganze Markgrafschaft übernahm. Am Vertrag zwischen ihm und der Regierung und seiner Umsetzung lassen sich einige der Probleme erkennen, die bei allen Admodiationen bestanden, gleich ob deren Inhaber Christen oder Juden waren. Der Vertrag galt für die Ämter Baden-Baden, Bühl, Ettlingen, Rastatt und Steinbach, für die Grafschaft Eberstein und die Herrschaften Mahlberg und Staufenberg. Bruzetto wurde für drei Jahre als einziger berechtigt, „alle Camin, Schornstein und Rauchhäußer“139 zu reinigen. Er verpflichtete sich, sachkundige Leute anzustellen, deren Arbeit zu keinen Beschwerden oder Schäden führen durfte. Alle Untertanen mussten die Schornsteine ihrer Häuser zweimal jährlich reinigen lassen, dreimal besondere Gewerbetreibende wie die Bäcker. Jede Reinigung kostete 6, bei mehrstöckigen Häusern 8 Kreuzer Gebühr. Selbst Häuser ohne Kamine sollten zweimal jährlich „visitirt [angesehen, geprüft] und so gut möglich gesäubert und für [vor] Brand bewahret“ werden. Zuletzt wurde die Admodiationsgebühr von 604 Gulden festgelegt, zahlbar in vierteljährlichen Raten; 131 Zu Antoni Gotthardt siehe S. 300f. u. ö. 132 GLAK 61/251 HK 15.10.1715. 133 GLAK 61/247 HK 28.12.1711. 134 GLAK 61/147 HR 27.4.1719. Ein Gerichtsmann war ein Mitglied des örtlichen Gerichts, der Träger kommunaler Ämter. 135 StgI Bühl BH (alt) ohne Signatur, Akten zur Bühler Krämerzunft, Z-Handel-8, 11.12.1720. 136 Stabhalter: von der Regierung eingesetzter Gemeindevorstand; Bürgermeister. 137 „Bürgermeister“ ist für dörfliche Gemeinden wie Bühl der Titel eines Gerichts- oder Ratsmitglieds, das meistens für die kommunale Rechnungsführung zuständig war, manchmal auch für die Orts- und Feldpolizei und das Fronwesen. 138 GLAK 134/129, Hofrat an Markgräfin Sibylla Augusta, 9.12.1721, Anlage, „Beschwernuss-Memorialis“, Kopie, o. D. 139 Rauchhäuser: vermutlich Häuser, aus denen der Rauch nicht durch einen Kamin abgeleitet wurde.

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unentgeltlich musste Bruzetto die Kamine im Rastatter Schloss und überhaupt in allen Gebäuden im Besitz der Herrschaft reinigen.140 Die Regierung drängte Bruzetto im September 1724, also schon bald nach der Übernahme der Admodiation, zur höheren Sicherheit gegen einen Großbrand einen zweiten Kaminfegergesellen,141 dann noch einen „Jungen“, einen Gehilfen oder Lehrling, an den Rastatter Hofgebäuden arbeiten zu lassen;142 er hatte sich bei Vertragsabschluss verpflichtet, speziell für diese Gebäude zwei Leute einzustellen.143 Zur Kammer vorgeladen, erschien er bereits nach zwei Tagen: Er habe, so äußerte er sich, am selben Tag einen „Jungen“ angestellt.144 Er seinerseits versuchte bei der Kammer die Möglichkeit zu erhalten, die Admodiationsgebühr statt mit Geld durch Lieferung von Seife zu zahlen.145 Im Oktober 1724 verlangte die Kammer die erste Rate der Gebühr.146 Bruzetto bat um eine Verlängerung der Zahlungsfrist, die er auch erhielt, zusammen mit der Ermahnung, seine Aufgaben sorgfältig zu erfüllen.147 Im Januar 1725 lieferte er 98 Gulden ab.148 Die Markgräfin und der Geheime Rat kamen ihm jedoch nicht mehr entgegen. Sie drohten der Kammer an, die Räte müssten selbst einstehen, wenn Bruzetto nicht zahle. Auch drängten sie darauf, mit dem speyrischen Kaminfegeradmodiator Baroggio Verhandlungen aufzunehmen, falls Bruzetto seine Verpflichtungen nicht einhalte.149 Als er im Januar 1725 das zweite Viertel der Admodiationsgebühr – und einen Rest des ersten – abliefern sollte, legte er eine Liste der säumigen Zahler vor; viele Einwohner weigerten sich einfach, ihre Kamine säubern zu lassen.150 Vielleicht war es kein Zufall, dass das Amt Gernsbach in der Grafschaft Eberstein fast gleichzeitig einen Bericht in dieser Sache vorlegte: In zwei Orten des Amtes mit 245 Kaminen waren 43 noch immer nicht gesäubert.151 Jedenfalls zeigten sich Bruzettos Probleme, die mit dem Verhalten seiner Kunden zusammenhingen: Der Vertrag über die Admodiation sah vor, dass die Kunden Bruzettos bar zahlten. Machten sie das aber nicht – wie sollte dann Bruzetto seine Gebühr entrichten? 140 GLAK 61/260 HK 10.5.1724 und 17.7.1724. 141 GLAK 61/260 HK 9.9.1724. 142 GLAK 61/260 HK 22.9.1724. 143 GLAK 61/260 HK 8.6.1724. 144 GLAK 61/260 HK 25.9.1724. 145 Ebd. 146 GLAK 61/260 HK 23.10.1724. 147 GLAK 61/260 HR 2.11.1724. 148 GLAK 61/261 HK 9.1.1725. 149 GLAK 61/261 HK 22.1.1725. 150 GLAK 61/261 HK 26.1.1725. 151 Ebd.

Der Admodiator Johannes Bruzetto 

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Im folgenden Monat Februar beschäftige sich die Regierung erneut mit Bruzetto. Man müsse auf der Erfüllung des Vertrags beharren, ließ sie die Hofkammer wissen, andererseits müsse man auch bei denen nachhelfen, die die Kaminreinigung nicht bezahlten. Jedenfalls solle Bruzetto, der nochmals eine Fristverlängerung erhielt, die Exekution, der amtliche Einzug seiner Schulden bei der Regierung, angedroht werden.152 Im Mai 1725 waren es schon 416 Gulden und 8 Kreuzer des Admodiationsgelds, die Bruzetto schuldig war.153 Kurz vor der Exekution supplizierte Bruzetto, bat um ihre Aufhebung und um einen Nachlass seiner Zahlungsverpflichtung. Die Kammer äußerte sich skeptisch: „Wie ie länger anstand [Aufschub] diese sach gewinne, ie weniger von Ihme zu erhalten sein werdte.“154 Bruzetto versuchte die Stimmung zu verbessern. Er werde, versprach er der Kammer, alle vierzehn Tage 40 Gulden abliefern, wenn er von der Exekution verschont bleibe. Ein weiteres Mal kam ihm die Kammer entgegen: Sein Angebot solle der Landschreiberei mitgeteilt werden, aber diese müsse sofort die Exekution veranlassen, wenn die Zahlung stockte.155 Bruzetto hatte beim Vertragsabschluss sein Haus als Kaution eingesetzt.156 Jetzt wuchs die Gefahr, es zu verlieren, als er die Admodiationsgebühr nicht aufbringen konnte. Die Exekution war schon angeordnet, als am 29. Dezember 1725 Bruzetto versprach, er werde, um zahlen zu können, sein Haus verkaufen; wieder bat er, die Exekution aufzuheben. Die Hofkammer stoppte sie unter einer Bedingung: Der Bühler Amtmann müsse sicher sein, dass Bruzetto wirklich den Verkauf seines Hauses betreibe.157 Im Januar 1726 erklärte sich Bruzetto genauer: Er müsse, weil er kein bares Geld habe, sein Haus verkaufen; dies käme für ihn günstiger als eine Exekution mit ihren Kosten.158 Schon zu dieser Zeit zeigte sich der Bühler Schutzjude Isaac Bodenheimer am Erwerb des Hauses interessiert.159 Die Verhandlungen zogen sich hin. Wieder drohten die Markgräfin und der Geheime Rat der Hofkammer; diese drängte auf den Verkauf oder auf einen Tausch mit dem Haus von Bodenheimer.160 Im Mai des Jahres 1726 befahl die Kammer dem Bühler Amtmann nochmals, für einen Käufer des Hauses zu sorgen.161 Der Bühler Fronschaffner Christoph Linder bot 800 Gulden, auch wenn das Haus nur 700 Gulden wert sei. Schon verkündete die Kammer, ihm den Zu152 GLAK 61/261 HK 14.2.1725. 153 GLAK 61/261 HK 16.5.1725. 154 GLAK 61/261 HK 21.7.1725. 155 GLAK 61/261 HK 8.8.1725. 156 GLAK 61/260 HK 10.5.1724 und 17.7.1724. 157 GLAK 61/261 HK 29.12.1725. 158 GLAK 61/262 HK 12.1.1726. 159 GLAK 61/262 HK 9.1.1726. 160 GLAK 61/262 HK 8.3.1726. 161 GLAK 61/262 HK 31.5.1726.

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schlag zu geben, wenn Bruzetto nicht noch eine höhere Summe erzielen könne.162 Jetzt erklärte sich Isaac Bodenheimer bereit, in einem Tausch das Haus Bruzettos zu erwerben, 500 Gulden der Admodiationsgebühr zu übernehmen und sie binnen eines Monats zu zahlen.163 18.7.2  Weder „Haus, Hof, Güther und Viehe“ Es dauerte allerdings noch eineinhalb Jahre, bis der Haustausch zwischen Johannes Bruzetto und Isaac Bodenheimer und dessen Bruder Mayer endgültig abgewickelt war. Am 3. Juni 1727 ließen die Beteiligten die neuen Rechtsverhältnisse im amtlichen Kaufprotokoll eintragen: Ihr Vertrag war am 3. Juni 1726 abgeschlossen, am 3. August von der Regierung bestätigt worden. Bruzetto bekam das Haus der Brüder Bodenheimer in der heutigen Schwanenstraße und gab ihnen sein Haus an der Hauptstraße. Zusätzlich erhielt Bruzetto 500 Gulden.164 Dies dürfte, aus seiner Sicht, das eigentliche Ziel des Tausches gewesen sein: bares Geld, um Schulden abzutragen, vor allem die Admodiationsgebühr. Als die Admodiation nach drei Jahren auslief, zeigte sich, wie wenig attraktiv sie war. Außer Johannes Bruzetto trat ein einziger Bewerber auf, ein italienischer Einwohner in Ettlingen namens Antoni Vidutino.165 Bruzetto konnte sich die Admodiation für die nächsten drei Jahre sichern; die Regierung kam ihm entgegen, indem sie die Gebühr auf jährlich 480 Gulden senkte.166 Das half ihm nicht viel. Die Regierung kam nämlich auch den Untertanen entgegen: Die Besitzer der Häuser ohne Kamine wurde aus der Verpflichtung zur Reinigung herausgenommen. Das machte wieder Bruzetto Schwierigkeiten. Er argumentierte, dass die große Zahl dieser Häuser für seine Kalkulation ganz wichtig sei.167 Seine Probleme hörten nicht auf. 1729 tauschte er, in der Zwischenzeit verwitwet, erneut sein Haus, jetzt mit dem Metzger Johannes Fentsch und dessen Frau. Diese Nachbarn besaßen eine Haushälfte neben dem bisherigen Haus Bruzettos. Auch hier erhielt er, was er dringend brauchte, nämlich zusätzlich zu der eingetauschten Haushälfte 200 Gulden.168

162 GLAK 61/262 HK 26.6.1726. 163 GLAK 61/262 HK 4.7.1726. 164 GLAK 61/5450, Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, 1.7.1727, Bl. 177v–178v. 165 GLAK 61/263 HK 18./19.7.1727. 166 GLAK 61/263 HK 4./5.1727 und 2.9.1727. 167 GLAK 61/263 HK 7.8.1727. 168 GLAK 61/5450, Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, 27.6.1729, Bl. 347v–348r.

Der Admodiator Johannes Bruzetto 

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Geld aus der Admodiation bekam Bruzetto zu dieser Zeit wohl nicht mehr. Die Regierung ließ seine Ansprüche, wenn er sich nach getaner Arbeit bei den Hausbesitzern um die Bezahlung bemühte, in die eigene Kasse umleiten und sicherte sich so das Admodiationsgeld.169 Im Sommer 1730 lief der Vertrag ab; die Regierung suchte nach anderen Bewerbern als Nachfolger für Johannes Bruzetto.170 Zuletzt war er wohl nicht mehr in der Lage, seine Beschäftigten zu bezahlen. Als in Bühl der Kaminfeger Johannes Pallas starb, machte seine Witwe beim Amt den rückständigen Lohn in Höhe von 26 Gulden und 48 Kreuzer geltend. Indem sie einen Schuldschein Bruzettos beim Amt vorlegte, konnte sie berücksichtigt werden, als der letzte Besitz des ehemaligen Admodiators verteilt wurde.171 Jetzt ging es nämlich um die Haushälfte, die ihm noch geblieben war. Es waren vor allem Bühler Gläubiger, die ihn bedrängten: Neben der Regierung erhoben der Hirschwirt Joseph Lichtenauer, der Krämer Peter Stolz und Johannes Fentsch, der Nachbar Bruzettos, Forderungen; sie machten beim Amt geltend, der Besitz Bruzettos reiche nicht mehr zur Deckung seiner Schulden aus, und seine Haushälfte verfalle sichtlich. Auch sei unverkennbar, dass Bruzetto nicht mehr in die Lage kommen werde, seine Schulden zu zahlen. Erst nach mehreren Versuchen einer Versteigerung gelang es dem Amt, einen Interessenten zu finden. Für 100 Gulden erwarben der Rotgerber Georg Friedrich Würth und seine Frau Anna Maria die Haushälfte Bruzettos. So erhielten die Gläubiger einen Teil ihrer Forderungen erfüllt; die Kapuziner und Franziskaner in Baden-Baden, denen eine „Baase“ Bruzettos Legate für heilige Messen gestiftet hatte und deren Erbe er war, erhielten 14 Gulden und 3 Schilling172 – auch das war Bruzetto schuldig geblieben. Im folgenden Jahr, 1733, erhielt die Hofkammer eine Bittschrift von Bruzetto, dem „gewesten Krähmer“; es ging ihm um die Befreiung von der Schanzarbeit, die bei Ettlingen angeordnet war. Er, so stellte Bruzetto sich dar, könne sie im Alter von 70 Jahren nicht mehr selbst übernehmen, sie aber auch nicht mit Geld ablösen. Er sei nämlich wegen seiner „gehabter vieler Unglück sehr bedauernswürdig“, habe weder „Haus, Hof, Güther und Viehe.“173 Bruzettos Existenz in Bühl lässt sich so kennzeichnen: Das Bürgerrecht und die Erlaubnis für einen Kramladen erhielt er, ohne dass Probleme sichtbar wurden. Ihm, einem „Fremden“, gelang nicht nur die rechtliche Integration: Zumindest in den Augen des Bühler Amtmanns war er als „Gericht“ für die Teilnahme an der

169 GLAK 61/266 HK 26./27.5.1730. 170 GLAK 61/266 HK 21./22.8.1730. 171 GLAK 61/267 HK 20./21.4.1731. 172 GLAK 61/13697, Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, 1.5.1732, Bl. 26r–27r. Schilling: Münze: 42 Schilling werden als 1 Reichstaler berechnet. 173 GLAK 61/270 HK 11.1.1733.

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örtlichen Selbstverwaltung geeignet; der Aufstieg in der Krämerzunft spricht für seine soziale Integration. Den Wert seines Hauses im Jahr 1726 kann man mit dem Kaufinteressenten Christoph Linder auf 700 bis 800 Gulden ansetzen;174 den Brüdern Bodenheimer war es 500 Gulden zusätzlich zu ihrem Haus wert, das sie für 425 Gulden ersteigert hatten.175 In diesem Besitz dürfte sein eigentliches Kapital bestanden haben. Es stellte wohl die Voraussetzung dar für seine Integration als Bürger, Krämer und Gericht. Schon im Handel verschuldete sich Bruzetto, so lässt sich aus seinen Zahlungsverpflichtungen beim Haustausch im Jahr 1726 vermuten: Der hypothekarisch gesicherte Anspruch eines Frankfurter Kaufmanns und weitere Zahlungsverpflichtungen wurden geregelt.176 Als Bruzetto die Kaminfegerei übernahm, hatte er Mühe, die Kosten für die Admodiation aufzubringen und die Arbeiten aus der Sicht der Regierung zufriedenstellend zu organisieren. Der Ertrag aus der Admodiation scheint dafür nicht ausgereicht zu haben. Seinen Geldmangel äußerte er der Regierung gegenüber offen, vielleicht auch mit dem Ziel, aus der Admodiation entlassen zu werden; das scheiterte an der auf Vertragserfüllung bestehenden Markgräfin und ihrer Regierung. Bemerkenswert ist, wie die Regierung fast ein Jahrzehnt nach dem Ausscheiden Bruzettos aus der Admodiation sein wirtschaftliches Scheitern thematisierte. 1741 konkurrierte nämlich der Mannheimer Kaminfeger Baroggio177 mit dem damaligen baden-badischen Kaminfegeradmodiator Bisone. Die Hofkammer äußerte ihre Zufriedenheit mit Bisone – und stellte heraus, dass dieser eine vierjährige Ausbildung als Kaminfeger in Karlsruhe nachweisen konnte; überdies habe sein Konkurrent aus Mannheim bereits gegen Bruzetto bei dessen Ersteigerung der Admodiation den Preis hinaufgetrieben, dadurch sei dieser, der im Unterschied zu Bisone die Kaminfegerei nicht erlernt hatte und ursprünglich Kaufmann gewesen sei, „verdorben“.178 Die Kammer erklärte zumindest insofern das Scheitern Bruzettos, als sie auf seine Unerfahrenheit oder ungenügende Kenntnisse in seinem neuen Tätigkeitsfeld hinwies und auf den hohen Preis der Admodiation. Bruzetto wie die jüdischen Admodiatoren waren zunächst im Handel aktiv. Während diese aber überwiegend im Handel blieben, sei es mit Branntwein, Eisen, Metallwaren oder Salz, überschritt Bruzetto die Grenze zum Handwerk. An Kapitalmangel litt er wie viele jüdische Krämer; wie sie bezog er seine Waren vor 174 Zur Einschätzung des Hauses durch den Apotheker Linder siehe S. 637. 175 Zum Tausch des Hauses zwischen Bruzetto und den Brüdern Bodenheimer siehe S. 426. 176 GLAK 61/5450, Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, 1.7.1727, Bl. 177v–178v. 177 Baroggio war 1725 noch als speyrischer Kaminfeger bezeichnet worden, siehe S. 636. 178 GLAK 61/278 HK 2.3.1741.

Der Admodiator Johannes Bruzetto 

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allem aus Frankfurt, und auch bei ihm führte das zur Verschuldung bei dortigen Kaufleuten.179 Sowohl jüdische Admodiatoren wie nichtjüdische erfuhren nicht nur die wirtschaftlichen Probleme im engeren Sinne. Gerade die Admodiationen von Hayum Flörsheim und Johannes Bruzetto zeigen die strukturellen Gemeinsamkeiten. Ihre Schwierigkeiten oder ihr Scheitern und das der Admodiatoren allgemein waren wesentlich im wirtschaftlichen Ordnungssystem der Monopole begründet: in den hohen Gebührenforderungen des Staates, im Verhalten der „Kunden“, die oft die Admodiationen unterliefen, und in der Schwäche des frühneuzeitlichen Staates, der die Admodiatoren dagegen nicht schützen konnte. Damit erweist sich nicht die Zugehörigkeit zur christlichen Mehrheit oder jüdischen Minderheit als für Erfolg oder Misserfolg der Admodiatoren entscheidend. Die Differenz zwischen Juden und Christen war hier geringer als zunächst annehmbar.

179 GLAK 61/5450, Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll, 1.7.1727, Bl. 177v–178v.

19  Anhang II 19.1  Erläuterung zu den Nachweisen Bei den Nachweisen, die sich auf die Protokolle der Hofkollegien beziehen, sind bis zu sechs Angaben verwendet: Die laufende Signaturnummer in Bestand 61, die Angabe des Hofkollegiums in Siglen, das Datum und die Nummer des Eintrags, die vorhandene Blattzählung, die vorhandenen Überschriften innerhalb der Sitzungseinträge vor allem bei den Gratialprotokollen. Die über die ersten drei Kategorien hinausgehenden Angaben erleichterten das Auffinden der Einträge, bringen aber auch Schwierigkeiten mit sich. So haben nur wenige Bände eine Blattzählung, viele Bände keine Nummerierung innerhalb der Protokolle der einzelnen Sitzungen; dann bleibt nur der Weg durch alle einzelnen Einträge. Einträge aus Bänden ohne Blattzählung oder Nummerierung sind in den Nachweisen nicht besonders gekennzeichnet. Die Nummerierung selbst ist oft nicht konsequent durchgeführt. Manchmal hört sie auf, selbst innerhalb der Einträge zu einzelnen Sitzungen, manchmal setzt sie innerhalb eines Bandes einmal oder wiederholt neu ein. Bisweilen ist sie durchgehend sitzungsüberschreitend auf die gleichen Abschnitte (mit identischer Überschrift) bezogen, bisweilen durchgehend auf ganze Teile eines Bandes ohne Rücksicht auf einzelne Abschnitte. Auch diese Varietäten unter der Nummerierung wurden nicht gekennzeichnet; die Einträge sind dann mit Hilfe des Datums und der Nummerierung zu finden. Weitere Schwierigkeiten kommen hinzu. Sind lose eingelegte Einzelblätter verwendet, ist dies in den Nachweisen vermerkt. Nicht gekennzeichnet wurden die Protokollbücher, die nicht der chronologischen Reihenfolge nach gebunden, sondern „verheftet“ sind oder nur teilweise gebunden. Einige wenige Bände weichen in der laufenden Nummer von der eigentlichen chronologischen Reihenfolge ab; auch dies ist nicht angemerkt. Für die späteren Jahre gibt es für manchen Sitzungstage zwei Einträge unter dem gleichen Datum, wohl getrennt nach Vormittag und Nachmittag. Auch dies ist in den Nachweisen nicht gekennzeichnet; hier kann die Blattzählung oder die Nummerierung der einzelnen Einträge helfen, soweit vorhanden. Manche Bände enthalten Wasserschäden, in anderen ist die Schrift verblasst. All dies sind Voraussetzungen für Fehler, ebenso der Umfang der einzelnen Bände oder die physiologischen Kapazitäten des Lesenden. – Die Direktoren der Hofgremien ermahnten wiederholt die Schreiber der Protokolle zu einer besseren Schrift. Weder die einen noch die anderen möchte ich tadeln.

Verzeichnis der Siglen für die Protokolle der Hofgremien 

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19.2  Verzeichnis der Siglen für die Protokolle der Hofgremien GR: Protokoll des Geheimen Rats GRATP: Gratialprotokoll des Geheimen Rats HR: Protokoll des Hofrats HK: Protokoll der Hofkammer Verzeichnis der Abschnittsüberschriften innerhalb von Sitzungseinträgen der Protokollbände, vor allem der Gratialprotokolle und der Hofratsprotokolle, in Klammer Erläuterung Amtsberichte Communia Communicanda Correspondenz Conferentialberichte/Konferenzberichte/Protocollum conferentiale Diversa Extrajudicialiter Kammerberichte/Cameralsignaturen Protocollum auli judicii Protocollum consilii aulis et regiminis Protocollum regiminis/ Regierungsprotokoll Publica Rescripta Serenissimi

(Berichte der Ämter) (Gegenstände, die von allgemeinem Interesse sind) (Beschlüsse, die an die anderen Hofgremien oder die Ämter mitgeteilt werden sollen) (Mitteilungen an verschiedene Empfänger) (Berichte über vom Hofrat und der Hofkammer gemeinsam beratenen Gegenstände) (Gegenstände aus verschiedenen Bereichen) (Gegenstände, die außerhalb der Sitzung des Hofrats als Gericht behandelt wurden) (Berichte der Hofkammer) (Gegenstände, die der Hofrat als oberste Gerichtsinstanz behandelt) Protokoll für Angelegenheiten des Hofrats („des Hofrats und der Regierung“) (Protokoll des Hofrats als Regierung) (Beschlüsse, die bekannt gemacht werden sollen) (Reskripte, Entscheide des Markgrafen bzw. des Geheimen Rats)

644 

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Anhang II

19.3  Quellen 19.3.1  Ungedruckte Quellen Amsterdam: Universität Amsterdam, Universitätsbibliothek. Bibliotheca Rosenthaliana, Hs. Ros. 65, Fuks’ Cataloque Nr. 518: In-memoriam-book of the Jewish community of Bühl (Baden, Germany), written in 1757 by Juda Mordekay of Karlsruhe and continued by Simon Darnbacher in 1830. (Memorbuch der jüdischen Gemeinde Bühl (Baden) Bühl: Stadtgeschichtliches Institut Bühl (StgI Bühl) StgI Bühl BH (alt), Schatulle I, Nr. 49 StgI Bühl BH (alt), ohne Signatur, Akten zur Bühler Krämerzunft, Z-Handel-8 StgI Bühl BH (alt), Bühler und Groschweyerer Kauf- und Kontraktenprotokoll 1741 bis 1749 StgI Bühl BH Ska-Bühl 5, Gemeinde-Rechnung 1762 StgI Bühl BH (alt), Lagerbuch: Erneuerung über die Bühler Spital- und Gutleuthauskapitalzinsen, 1767 StgI Bühl BH Ska-Bühl 249 Gemeinde-Rechnungs-Beilagen 1776 StgI Bühl BH Ska-Bühl 53 Rechnungsbeilagen 1802–1803 StgI Bühl BH (alt), Nr.1756, Bevölkerungstabellen (Volkszählung) mit namentlichen Listen Bühl: Privates Archiv des Verfassers Max Haefelin, Brief an Fräulein Serafine, 2 Seiten (masch.), Anrede: „Liebes Fräulein Serafine“ (Nachname unbekannt) Unterschrift (handschr.): Max Haefelin, Datumszeile: Freiburg, 14. Janr. 53 (1953) Freiburg: Erzbischöfliches Diözesanarchiv Freiburg (EDA) Taufbuch der katholischen Pfarrei St. Peter und Paul, Bühl Heiratsbuch der Pfarrei St. Alexander, Rastatt Taufbuch der Pfarrei St. Alexander, Rastatt Freiburg: Staatsarchiv Freiburg (STAF) B 13/1 Nr. 1030 Karlsruhe: Generallandesarchiv Karlsruhe (GLAK) Abt. 37 Baden-Baden 37/114

Quellen 

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Abt. 46 Haus- und Staatsarchiv I. Personalia 46/4236 Abt. 61 Protokolle Geheimer Rat: 61/25-61/75, 61/78-61/84, 61/88, 61/93, 61/105-61/106, 61/108; 61/432 Hofrat: 61/120-61/199, 61/201-216, 61/1938-61/1942, 61/2126 Gratialprotokolle: 61/311-61/331 Hofkammer: 61/220-61/309 Amts-, Kauf- und Kontraktenprotokolle und Eheberedungen: 61/5446-61/5450, 61/5555-61/5557, 61/5768-61/5769, 61/13697-61/13700, 61/8620, 61/14111 Abt. 62 Rechnungen 62/1616 Abt. 74 Baden Generalia 74/68, 74/1380, 74/2534, 74/2541, 74/2542, 74/3244, 74/2545, 74/3350, 74/3679, 74/3681, 74/3705, 74/3710, 74/3711, 74/3712, 74/3721, 74/3723, 74/3725, 74/3731, 74/3736, 74/3741, 74/3746, 74/3753, 74/3758, 74/3759, 74/3769, 74/6968, 74/6973, 74/6975, 74/6981, 74/6982, 74/6983, 74/6995, 74/6998, 74/7139, 74/7271, 74/7272, 74/8643, 74/8686 Abt. 88 Frauenalb 88/863 Abt. 76 Badische Diener-Akten 76/4336, 76/4337 Abt. 105 Schwarzach, Amt und Kloster 105/143 Abt. 117 Lahr-Mahlberg 117/1102 Abt. 134 Bühl, Amt 134/88, 134/127, 134/129, 134/368 Abt. 179 Staufenberg, Amt 179/161 Abt. 195 Baden-Baden, Stadt 195/352, 195/1565 Abt. 199 Ettlingen, Stadt 199/230

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Anhang II

Abt. 220 Rastatt, Stadt 220/561, 220/562, 220/1097, 1099 Abt. 229 Spezialakten der kleineren Ämter und Orte 229/15142, 229/15143, 229/15251, 229/15252, 229/15158, 229/15159, 229/63684, 229/100656 Abt. 236 Badisches Innenministerium 236/19713 Abt. 313 Regierung des Mittelrheinkreises 313/1261 Abt. Q Q/Kirchenbücher Baden-Baden

19.3.2  Gedruckte Quelle Max Haefelin, Kleine Plaudereien über die alten Bühler Judenfamilien, in: Bühler Blaue Hefte. Heimatgeschichtliche Blätter Nr. 4, 1959, 24–27.

19.4  Literaturverzeichnis 19.4.1  Lexika und Wörterbücher Cohn, Marcus, Wörterbuch des jüdischen Rechts, Neudruck 1980 der im „Jüdischen Lexikon“ (1927–1930) erschienenen Beiträge von Marcus Cohn, in: http://www.juedischesrecht.de (16.9.2008). DRW (Deutsches Rechtswörterbuch), in: http://drw-www.adw.uni-heidelberg.de/drw/ (2.3.2009). Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, in: http://germazope.uni-trier. de/Projects/DWB (16.9.2008). Glossar, zusammengestellt von Regina Keyler, in: Christian Keitel und Regina Keyler (Hg.), Serielle Quellen in südwestdeutschen Archiven. Eine Handreichung für die Benutzerinnen und Benutzer südwestdeutscher Archive. Stand März 2005, in: http://www. uni-tuebingen.de/IfGL/veroeff/digital/serquell/seriellequellen.htm (16.9.2008). Pfälzisches Wörterbuch, begründet von Ernst Christmann, fortgeführt von Julius Krämer, bearbeitet von Rudolf Post unter Mitarbeit von Josef Schwing und Sigrid Bingenheimer, 6 Bände. Wiesbaden 1965–1997, in: http://germazope.uni-trier.de/Projects/WBB/woerterbuecher/pfwb (20.7.2010)

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Anhang II

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Literaturverzeichnis 

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Anhang II

19.5 Verzeichnis der Tabellen Tabelle I, Orte mit einem jüdischen Bevölkerungsanteil in einem längeren Zeitraum, 1755............................................................... Tabelle II, Schutzaufnahmen 1648 bis zur „Judenordnung“ von 1714........... Tabelle III, Schutzaufnahmen 1714 bis 1727.................................................. Tabelle IV, Schutzaufnahmen 1727 bis 1746.................................................. Tabelle V, Schutzaufnahmen 1747 bis 1771.................................................. Tabelle VI, Gescheiterte Schutzaufnahmen...................................................... Tabelle VII, Geldverleih von kirchlichen und weltlichen Institutionen im Kauf- und Kontraktenprotokoll des Amtes Bühl für die Jahre 1717 bis Juli 1724......................................................................... Tabelle VIII, Verschuldung von Schutzjuden in Bühl aus Warenbezügen 1709 bis 1725............................................................................... Tabelle IX, Interventionen der Krämer gegen Konkurrenten seit der Regierungsübernahme von Markgraf Ludwig Georg, 1727........... Tabelle X, Handel von armen Juden, 1706/1721........................................... Tabelle XI, Beschwerden von christlichen Krämern gegen das Hausieren, 1710 bis 1720............................................................................... Tabelle XII, Verteilung der Pflastersteuer auf die einzelnen Gebiete der Markgrafschaft, 1721.................................................................... Tabelle XIII, Verteilung der Pflastersteuer auf die einzelnen Schutzjuden in der Markgrafschaft einschließlich der Grafschaft Eberstein und der Herrschaften Mahlberg und Staufenberg, 1721................ Tabelle XIV, Vermögensentwicklung im Kerngebiet der Markgrafschaft............ Tabelle XV, Judenschultheißen 1649 bis 1728................................................. Tabelle XVI, Dokumentierte Tätigkeiten des Judenoberschultheißen Samson Schweitzer........................................................................ Tabelle XVII, Suppliken von Israel Isaac.............................................................. Tabelle XVIII, Konversionen 1704 bis 1771......................................................... Tabelle XIX, Expektanzen.................................................................................. Tabelle XX, Der kleine Handel von fremden Juden in der Markgrafschaft........

12 43 56 64 105 127 153 235 254 261 266 346 346 366 406 433 535 541 621 624

Glossar 

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19.6 Glossar Aufgenommen sind Wörter, die wiederholt vorkommen. Bei nur einmal vorkommenden Wörtern ist die Erklärung oder Erläuterung direkt beigefügt. Ebenfalls aufgenommen sind Währungseinheiten, Maße und Gewichte. abfretzen absonder, absonderlich Abzug, Abzugsgeld und Abzugssteuer Acsis, Akzise Accord ad Admodiation

Admodiator Amt Amtmann Amtskeller oder Keller Auslösung, Auslosungsrecht Batzen Beisitz Billigkeit, billig Bestandsgeld bona fide Bürgermeister capabel Compagnie Diäten Execution, Exekution Exspectanz, Expektanz

abweiden besonders Steuer bei der Abwanderung in einen anderen Herrschaftsbereich, auch beim Transfer von Erbschaften oder bei Schenkungen an Empfänger außerhalb des Territoriums Steuer auf Handelswaren Vertrag zu, bis, auf Vergabe eines monopolartigen Geschäftsbereichs durch die Regierung gegen eine Gebühr und die Betreibung dieses Geschäftsbereichs (im Handel, Gewerbe und im Einzug von Gebühren), eine Art von Monopol Inhaber einer Admodiation Verwaltungseinheit der Markgrafschaft, mit der Spitze eines Beamten, des Amtmanns oder Oberamtmanns Beamter an der Spitze eines Amtes von der Regierung eingesetzter Verwalter von Einnahmen in einem Amt Recht der bürgerlichen Einwohner, beim Verkauf eines Hauses in den Vertrag an die Stelle eines Juden einzutreten kleine Münze, ursprünglich 4, später 2 Kreuzer Mitglied eines Rates in einer Landjudenschaft, eines Führungsgremiums; auch Beteiligter bei der Festlegung von Steuern Gerechtigkeit, gerecht Gebühr, die der „Beständer“, der Inhaber einer Admodiation, an die Regierung bezahlen muss in gutem Glauben Mitglied des örtlichen Gerichts, mit besonderen Aufgaben, z. B. der Führung der Gemeindefinanzen fähig, geeignet gemeinsam geführtes Geschäft, Handelsgesellschaft Bezahlung (für eine Diensttätigkeit amtliche Eintreibung einer Schuld oder Steuer Zusage einer zukünftigen Schutzerteilung anstelle einer sofortigen Aufnahme

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Anhang II

Extraordinaristeuer Faktor Flor Freizügige Geleit

Gemeine Judenschaft Gericht; Ortsgericht Gerichtsbote Gulden (fl) Handtirung Heiligenfond, Heiliger, auch Heiligengefäll Instruktion Inquisit Interesse Judeneid Judenschreiberei Kaufleute Keller Kirchen- und Heiligenverrechner Klafter Konsorte konfirmieren Kontraktenprotokoll Kontribution Krämer Kreuzer Landkommissar

außerordentliche Steuer, die bei besonderen Ereignissen erhoben wurde Verwalter dünnes Gewebe, Tuch Einwohner mit persönlicher Freiheit, im Unterschied zu den Leibeigenen beim Betreten der Markgrafschaft vor allem von fremden Juden geforderter Geldbetrag, entspricht Leibzoll; auch Geleitbrief oder Geleitpass zur Durchreise oder als Erlaubnis zum Handel Judenschaft in ihrem Zusammenschluss, Gemeinde Vertreter der (nichtjüdischen) Gemeinde, nämlich Stabhalter und Gerichtsleute als Organe der lokalen (beschränkten) Selbstverwaltung Beauftragter des Gerichts, der örtlichen Amtsträger Florin, Münze im Wert von 60 Kreuzern Handel, Gewerbe Einrichtung zur Verwaltung von kirchlichen Vermögen Amtsanweisung, Anleitung, Unterrichtung Angeklagter, Verurteilter Interesse, Vorteil besondere Form des Eids, der von Juden und Jüdinnen im Rechtsverkehr mit Nichtjuden verlangt wurde, häufig in diskriminierender Form Tätigkeit eines Schreibers von Schriftstücken für den innerjüdischen Gebrauch wie Heiratsverträge, in hebräischer Schrift Kaufleute mit qualitativ gehobenen Waren oder mit Großhandel, auch im Sinne von Krämer oder Händler ohne Bewertung der Waren siehe Amtskeller Rechner, Rechnungsführender bei einer kirchlichen Institution Maß für Brennholz, ungefähr 3,5 Kubikmeter Kompagnon, auf Dauer oder bei einzelnen Geschäften bestätigen amtlich, vom Amt oder von Gemeinden geführtes Buch mit Einträgen von Verträgen (Eheverträge, Kaufverträge, Testamente usw.) Geld oder Güter wie Getreide, die an eine feindliche Macht bzw. deren Truppen abgeführt werden müssen Handelsleute, meist im Einzelhandel Münze; 60 Kreuzer = 1 Gulden von der Regierung eingesetzter Beamter mit besonderen Aufgaben

Glossar 

Landphysikus Landschreiberei Landschreiber Leibzoll Losungsrecht Louisdor, auch Louisd’or Malter maßweise Meixner Memorial modellmäßig Muthwille, mutwillig Nothdurft, auch nothurf Observanz Ohmgeld Parition Parnoss und Barnos Pflastersteuer, „Pflastergeld“ Policey-Sachen, gemeine Polizeisachen Praetext Regierung Reichstaler

respective Recognition, Rekognition reflectieren Salva venia (Sv, S:v:) Salzfaktor Schelm Schilling

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Arzt, von der Regierung mit der Kontrolle des Gesundheitswesen beauftragt Amt zur Verwaltung der Finanzen der Markgrafschaft, zur Verwaltung von Ein- und Ausgaben Beamter an der Spitze der Landschreiberei in der Markgrafschaft neben Geleit verwendete Bezeichnung siehe Auslosungsrecht französische Münze, meist umgerechnet zu 12 Gulden altes Maß für Schüttgut wie Getreide, ungefähr 150 Liter nach dem „Maß“, einer Mengenangabe für ein Glas Wein Kaufmann und Tuchhändler, nach der Stadt Meißen Bittschrift, gleich Supplik im Bauwesen einem Modellhaus entsprechend böse Handlung, auf Schaden zielend, auch Fertigkeit zu solchem Handeln bzw. böse, absichtlich schadend; rechtssprachlich auch Unzucht, Notzucht Not zu Recht gewordenes Herkommen, Gewohnheitsrecht Ungeld, Steuer auf Wein und Bier Gehorsam örtlicher oder regionaler Vertreter der Judenschaft Steuer, die den Schutzjuden ursprünglich auferlegt wurde zur Pflasterung der Straßen in Rastatt, später auch ohne diese Zweckbindung Angelegenheiten der normalen guten Ordnung Vorwand im engeren Sinne Hofrat, auch für die Gesamtheit der Hofkollegien und für den Landesfürsten bzw. die Landesfürstin verwendet Silbermünze, deren Wert im Heiligen Römischen Reich seit 1566 festgesetzt war; im 17. und 18. Jahrhundert wurden meist 2 Reichstaler mit dem Wert von 3 Gulden gleichgesetzt beziehungsweise Anerkennung, Gebühr zugunsten der Regierung interessieren, Rücksicht nehmen mit der Bitte um Verzeihung Verwalter, Beauftragter eines Admodiators, in dessen Auftrag er Salz verkauft Schimpfwort, oft gerade bei Juden im Sinne von Dieb Münze; 28 Schilling entsprechen 60 Kreuzer

664 

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Anhang II

Schimpf Sester Spezereien Stabhalter Teilung Türkensteuer Unschlitt Urfehde Vergleich Vogt Weiszeug, Weisgezeig Wucher Wucherjuden

Zollbereiter, Zollreiter, Zollbereuter Zoller

Spott, Ehrminderung Hohlmaß: ungefähr 15 Liter Waren wie Gewürze, Kaffe, meist eingeführte Waren der von der Regierung eingesetzte Gemeindevorstand, mit dem Vorsitz im „Gericht“ der Gemeinde, seit ca. 1700 immer mehr anstelle von Schultheiß Erbteilung Reichssteuer zur Unterstützung der Abwehr türkischer Heere an der südosteuropäischen Reichsgrenze Talg Verzicht auf Rechtsmittel und auf Rache Vertrag Verwalter, auch Titel eines Beamten im Range eines Amtmanns aus Leinwand oder weißer Baumwolle Gefertiges Handel oder Gewinn, im Kontext antijüdischer Vorstellungen ausbeutender Gewinn aus Handel und Krediten Juden, die Handel treiben, meist pejorativ mit antijüdischem Hintergrund für Juden, denen ausbeutender Gewinn aus Handel und Kreditgeschäften vorgeworfen wird von der Regierung eingesetzter Kontrolleur über die Einhaltung der Gesetze, vor allem auch über die Einnahmen der Regierung Einnehmer von Zöllen für Waren oder für die Benutzung von Straßen, z. T. auch der Geleite

Namenregister 

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19.7  Namenregister Bei jüdischen Namen sind im Folgenden die Namen durch Komma getrennt, wenn der zweite Namen wie bei Christen als feste Bezeichnung für eine Familien- oder Verwandtschaftszugehörigkeit verwendet ist, vor allem bei Herkunftsnamen (Beispiel: Oppenheimer). Bei jüdischen Frauen sind die Namen entsprechend den Archivalien angegeben, auch wenn kein fester „Familiennamen“ anzunehmen ist. Bisweilen folgt auf den weiblichen Namen eine Zuordnung, soweit möglich. Bei Konvertierten sind, falls bekannt, die jüdischen Namen und die christlichen voneinander unabhängig aufgelistet, aber mit einem Verweis versehen, jedoch nicht bei Maria Josepha. Wurde bei Juden oder Nichtjuden nur ein Name verwendet oder gibt es mehrere Träger des gleichen Namens, folgt in Klammer ein weiterer Zusatz, z. B. der Lebensort (Bühl). Unter Umständen und in der Anlehnung an die Archivalien läßt sich die Identität von Trägern verschiedener Namen nicht eindeutig erkennen. In diesen Fällen sind die verschiedenen Namen getrennt aufgelistet. In anderen Fällen sind verschiedene Namen zusammen aufgelistet, wenn mit einiger Sicherheit die Identität erkennbar ist, auch wenn in den Quellen verschiedene Namen verwendet wurden. Identische Namen am selben Ort sind getrennt aufgeführt, wenn sich die Identität nicht zwingend ergibt. Namen in Listen sind in der Regel unverändert aus den Archivalien übernommen. Eine Vereinheitlichung der Schreibung, z. B. Aron und Aaron Meyer als Aron Meyer, wurde behutsam vorgenommen. Aaron (Gernsbach) 48 Aaron der Jüngere 624–625 Aaron Lazarus 82 Abraham (Bühl) 66 Abraham (Bühl, Sohn von Löbel Gans) 263 Abraham (Bühl, Gernsbach) 44, 48 Abraham (Ettlingen) 42 Abraham (Kippenheim) 43 Abraham (Malsch) 67, 68–69, 79, 80–83, 87, 94, 97–98, 102, 107, 115, 129, 221, 240, 245, 344, 368, 400, 402, 404, 493–494, 496, 557 Abraham (Muggensturm) 33, 347, 435 Abraham (Salomon) Lauer 67, 317, 323, 326 Abraham der Alte (Malsch) 245, 278–279 Abraham Isaac (Bühl) 70–81, 84, 114, 137, 152, 314–315, 329, 344, 366, 490, 499, 511, 523, 526–527, 529–533, 623

Abraham Isaac (Ettlingen) 152, 189, 313, 359, 461, 534 Abraham Jacob (aus Amsterdam) 553–555, 565, 567 Abraham Jacob (aus der Gegend von Würzburg) 625–626 Abraham Joseph 111, 363, 621–622 Abraham Levi 349 Abraham Mayer 318–322 Abraham Moyses 65 Abraham Samust 64, 75–76, 82–83, 86, 216, 332 Abrahams der Alte (Malsch) 278–279 Adami (Offenburg) 235–237 Amsel (Amschel) Cassel 207, 236 Anna Maria Judaea 561 Ansalone (Zollbereiter) 156 Aron (Bühl) 345 Aron (Bühl, Baden-Baden) 44, 186, 202–205, 210–212, 214, 223, 225– 226, 383, 385, 407, 410, 419, 420 Aron (Rastatt) 344

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Anhang II

Aron Beer (Oppenheimer) 160, 204 Aron der Blinde 261, 366 Aron Fränkel 410, 419 Aron Gernsbach 236, 366 Aron Götschel 108 Aron Götschel 71–72, 108 Aron Levi (Burgau) 161 Aron Löw 132–133 Aron Meyer 236, 271f., 345, 347 Arzter, Bernhard 255 Aubach, von (General) 556 Auerbacher, Löw 112, 337, 543, 632 Auerbacher, Salomon 113, 316, 337 August Georg Simpert von Baden-Baden 1, 3, 39, 105, 118–119, 158–159, 161, 251, 333, 337, 436–437, 488–489, 496, 548, 559, 586, 599, 615, 620, 623 Baader, auch Baderin, Anna Catharina 485 Bach, Anna Clara 24 Bacheberle, Franz 154, 166, 171 Badawin, auch Padavin (Kammerrat) 183, 437 Bademer von Rohrburg, Johann Dietrich 173, 202, 206 Bademer von Rohrburg, Witwe 202 Bähr (Malsch) 557 Baroggio (Mannheim) 636, 640 Baruch Raphael 315 Battenberg, J. Friedrich 284 Baumeister, Michael 308 Beaurieux, Aegidius Guilio 59 Bechtel, Hans (Michelbach) 510–513 Bechtler, Catharina 374 Beck, Rainer 292 Beifuß (Frankfurt) 236 Benedict Isaac 384 Benjamin (Bühl) 228 Benjamin Löw 67 Benjamin Wolf Hochfelder 416, 421–422, 462 Benz, Michael 528 Berle, Witwe von Abraham Moyses, verheiratet mit Äscher und dann mit Joseph Jacob 65, 66, 73, 155

Bettendorf (Baden-Baden) 440 Bettendorf (Krämerin, Baden-Baden) 157–158 Beylin, Braut oder Frau von Nathan Moyses 131, 137–138 Biermann, Johannes 627 Birenbreyer, Joseph 317 Birenstihl (Bühl) 380 Birnenstiel (Rastatt) 255 Bisone (Kaminfegeradmodiator) 640 Blum, Anton 543, 559, 562, 566 Blümelin, auch Blümel Abraham ( siehe auch Blümelin, Maria Augusta) 498, 542–553 Blümelin, Maria Augusta (siehe auch Blümelin) 552, 557–558 Blumin oder Blümle, Witwe von Isaac Lazarus 82, 360, 361 Bodenheimer Jacob 362 Bodenheimer, Jacob Moyses 424 Bodenheimer, David (Joseph) oder Bodenheimer, David Levi 230, 424 Bodenheimer, Feile 433 Bodenheimer, Hayum (Moyses) 64, 72, 86, 128, 130, 134, 145, 159, 362, 458 Bodenheimer, Hirschel 130 Bodenheimer, Isaac (Moyses) 53, 66, 69–70, 83–84, 87–88, 90–91, 149, 158, 224, 229–230, 232, 241–243, 267, 268, 294, 297, 310, 323–324, 343, 347, 362–363, 366, 369, 385, 387, 406, 409, 413–418, 423–435, 439, 449, 450, 474–476, 484, 492, 498, 515, 600, 603, 637–638, 640 Bodenheimer, Löb oder Löw (Herz) 70, 83–84, 89–91, 121, 229, 231–232, 239, 243, 265, 294, 297, 315, 323–324, 338, 354, 362, 366, 430, 449, 455, 464–465, 470, 475, 515 Bodenheimer, Mayer (Moyses) 53, 70, 72, 91, 145, 229, 230, 232, 241, 243, 323–324, 336, 345, 347, 354, 362, 369, 424, 435, 437, 455, 499, 530–531, 638, 640 Bodenheimer, Moyses 424

Namenregister 

Bollmeyer, Bartholomeus 298–301, 303, 309, 312, 330, 395–397, 401 Boucher (Beinheim) 77–78, 209, 274 Bourdieu, Pierre 518 Braun (Akziser) 157 Bräunle Abraham 113 Bräunle, (Witwe, Kuppenheim) 274 Brenner, Johann Jacob 146 Brenta, Andreas 212, 213, 223 Brentano, Domenico 184 Brinle Meyer 109 Bruzetto, Jacob 224 Bruzetto, Johannes 144, 151, 224, 297, 310, 323, 426–427, 615, 634–641 Buhl, Anna Maria 320 Buhl, Christoph 191, 192 Buhl, Friedrich 318–322 Bühler, Jacob 541–542, 564–566 Bürgel, Johann Martin 254 Burkart, Felix 379 Calmel (Kuppenheim) 262, 367 Calmell (wohl Rastatt) 520 Campanus (Amtskeller) 262, 344 Cassel (Frankfurt) 236 Cassel, Daniel 63, 68, 74, 90, 106, 109, 149–150, 155, 157–158, 195–196, 201, 207–209, 215–217, 228, 269–270, 343–344, 346, 367, 370, 375–376, 378–379, 381–382, 390, 392, 393, 408, 411, 413, 415– 416, 418–419, 428–430, 434–435, 437–438, 441, 443, 455–457, 464, 470, 476, 481–484, 490–491, 493, 498, 519–523, 525 Cassel, Daniel, Bruder von Daniel Cassel? 196, 208–209, 430 Cassel, Götschel 106, 367 Cassel, Herz 109 Cassel, Isaac (Rastatt, Sohn) 114 Cassel, Isaac (Rastatt, Vater) 114 Cassel, Zacharias 74, 367, 378–379, 384, 390–393 Catharina Judea (Judaea) 552 Christ, Hans Georg 513 Crembs, Hans Martin 165–169, 171, 201

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Danner Anton (Zoller) 213 Danner, Witwe 158 David Jacob (Kuppenheim) 129, 551 David Nathan (Diedelsheim) 131–132, 136–137 David Simon (Untergrombach), identisch mit David Kaufmann 82 Deimling (Lahr) 233–234 Dekh, Adam Ernst von 176–177 Demlerin (Baden-Baden) 364 Diener, Adam 145 Diener, Barbara 145 Dohm, Christian Wilhelm 402–403 Dresel, Magdalena 148 Dufour, Louis 166, 170 Dürfeld (Amtmann) 247, 456 Dürheim, von (Hofrat) 437 Dürr, Anton 146, 313–314, 370 Dyhlin Hofrat 250 Dyhlin Johann Adam 149–150, 233–234, 249–250, 338, 378, 403 Dyhlin, Ignaz 528–531 Dyhlin, Johann (Adam) (Kammerrat) 19, 180, 341, 358, 437, 444, 556–557 Dyhlin, Joseph Anton 352, 452, 454, 457, 458, 485, 496, 504 Eckerle, Ferdinand 318 Edelmann, Adam 383 Edler, Franz Joseph 315 Eich (vielleicht identisch mit Aich, von) 150 Eisig (Muggensturm) 404, 488, 491 Elias (Rastatt) 520 Elias Aron 272–273, 625 Elias Asher 379–382, 567 Elias Kahn 368 Elias Kaufmann 115 Elias Koppel, wohl identisch mit Elias Schweitzer, siehe Schweitzer, Elias Elias Lämmle 236 Elias Malsch 442 Elias Samuel oder Schmaul 106, 108, 273, 499, 510, 515 Elias Schmaule (Muggensturm) 110, 125–126, 366, 504–507, 619

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Anhang II

Elias Schmaule (wohl Elias Schmaul in Bühl) 491 Elisabeth von Thüringen 593 Elizer Libman 329 Engelhardt, Adam 226–227 Erhardt, Agatha 147 Esther, Tochter von Abraham Isaac 137 Eva, Witwe von Israel 45 Eysele, Thomas 207 Eysele Thomas, Witwe 207, 223 Fabert (Staufenberg) 458 Fabert, Franz Xaver 252, 333, 489–490 Faistel (Rastatt?) 543, 550–551, 559 Feihle Mayer 318, 320, 321 Feihle, verheiratet mit Abraham Mayer 318, 320–321 Feist Herz, auch Feist Jost 112, 114, 123, 127, 135, 136 Feist Isaac (Kuppenheim) 106 Feist Jonas (Ettlingen) 363 Feist Jost siehe Feist Herz Feist Löw, auch Löwel 108, 116 Feller, Johann Conrad 190 Fentsch, Ignatius 159, 529 Fentsch, Jacob 320, 322 Fentsch, Johannes 148, 269, 638–639 Fleckenstein, Friedrich Jacob von 180 Flörsheim, Fromet (Chrona) 20 Flörsheim, Hayum 19–37, 155, 161, 171, 180, 187, 202, 221–222, 224–225, 244, 248, 259, 279, 317, 326, 343, 345–346, 374–375, 387, 407–409, 411–414, 429, 498, 569, 571, 573, 580–582, 584–585, 587, 591–592, 594–96, 598, 600, 609, 611, 641 Flörsheim, Löw 207 Flosdorf, Reinhard von 23–26, 35, 37, 155 Flucke, Laurentius 305–306, 309, 395 Förster (Amtmann) 442 Fortenbach (Hofrat) 104, 394, 445 Fortenbach (Stiftsdekan) 25 Fradel (Lichterstadt/Hroznětin, Tschechien) 87 Frank, Anne 6

Frattgen (Frommet), Frau von Abraham Jacob (aus Amsterdam) 553–554 Friedrich Magnus von Baden-Durlach 48 Friedrich Wilhelm von BrandenburgPreußen 174 Frietschi, Jacob 156, 157 Fritz, Franz 219 Gabler, Gabriel 331, 332 Gabriel Moyses (Hörden) 110, 123, 125 Gartner, Suso 96 Gaum, Johannes Andreas 190–191,193 Geiger, Johann 633 Geilerin, Maria Eva 150 Gerber, Christian 529 Gerber, Hans Martin 218 Gernsbacher, auch Gernspach, Aron 236, 366 Gernsbacher, Maron 366 Gilg (Beinheim) 75 Glaser (Bergrat ) 176–177, 211 Glückseelig, Johann Baptista 447–448, 541–542, 559, 563–564, 596 Göckel (Lichtenau) 335 Göckel, Christian Ludwig 55 Götsch, auch Götschel (Bühl) 64 Götsch, auch Götschel (Rastatt) 383 Götschel (Kuppenheim) 271, 274 Götschel (Rastatt) 273 Götschel Aron 318, 321 Götschel Löwel 71, 91–93, 368 Gottardt, Martin 34, 598 Gotthardt, Antoni 300–301, 392–393, 635 Gottlieb Süßel 115, 117, 318–321 Gottlob, August 543, 551, 559, 568 Gottlob, Elisabeth 547 Gottlob, Ludwig (Georg) 542, 544, 546–548, 556, 558–560, 562, 596 Götz, Andreas 218 Grabherr, Eva 290 Grimm, auch Grimb, Christoph 216 Grimm, Ludwig 215–216 Gros, Jacob 265 Groß (Scharfrichter) 564 Großholz, Johann Philipp 145

Namenregister 

Grünlinger (Amtmann) 164 Gudenus, von (Hofrat) 519 Gumbel Löw 368 Haefelin, Max 398, 405 Halonien, Maria von 556 Händle Benjamin 622–623 Händle, auch Hindle, Witwe von Kaufmann Schweitzer 109, 121– 122 Hänel, Ignaz 256 Harrandt, Johann Heinrich, auch Heinrich von 61–63, 157, 163–164, 219, 228, 237, 241, 163, 267, 271, 291, 344–345, 401, 537, 549, 629, 634–635 Harrandt, Maria Klara 556 Hasler, Catharina Maria 100–101, 279, 519, 536–540, 601, 609 Hasler, Jacob 536, 540 Haumann, Heiko 14, 17 Haungs, Hans 309 Hayum Jacob 543, 548, 550–551 Hayum Lemmle 107, 320 Hayum Levi 515–516 Hayum Mathias 69 Hayum Mayer 318–319, 322 Heilbronn, Abraham 165–166, 168, 171, 187, 189, 235, 278, 416, 419, 424, 467 Heilbronn, Daniel 56–60, 335, 349, 624 Herber, Beatrix 518 Herbst, Georg 218–219 Hermann von Baden 175 Hersche, Peter 4, 226 Hertz (Bruchsal) 205 Hertz Netter (Nether, aus Niedersultz (Soultz-sous-Forêts, Bas-Rhin) 420, 429, 486, 555, 610 Hertz Netter, auch Nether und Herz Lazarus ( Soultz-sous-Forêts, BasRhin) 428, 429, 555, 565, 610 Herz Jost 67, 86, 111, 112–127, 135–136, 197, 201, 367, 456 Herz Lazarus 64, 82–85, 146, 208, 215–217, 221–222, 333, 349–350,

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354, 369–370, 373–374, 387–388, 428, 435, 438, 469, 475, 493, 602–603, 617–619 Herz Netter (Buchsweiler/Bouxwiller, Bas-Rhin) 513 Herz Samuel 132–133, 139, 149, 243, 323–324 Heusler, Franz Heinrich 144–145, 308–309, 376 Heusler, Ludwig 280 Hinderer (Amtmann) 289 Hinderer (Hofratspräsident) 49 Hirsch Jacob 625 Hirtz (Bühl) 51 Hirtzel Netter (Buchswiller, Bouxwiller, Bas-Rhin) 513, 517 Hirzel (Stollhofen) 41, 259, 296, 383, 406, 409, 419–420 Hoffmann, Johann Jacob 76, 133, 244, 256, 323, 353, 379, 449–455, 527, 539, 549, 619 Höll, Hans Georg 150, 156 Holtzing (Amtskeller) 245 Hornus (Amtmann, Stollhofen) 370, 564 Hornus (Hofrat) 626 Hornus, Franz Caspar 305 Hornus, Louis, auch Louis Wilhelm (Amtmann in Ettlingen und Rastatt) 140, 244–245, 392, 443, 455, 492, 553, 562, 590, 625 Hossner (Hofrat) 191, 376, 444 Hossner (Kammerrat) 183 Huiller (Frankfurt) 195 Hüppner, Andreas 155 Isaac (Bühl) 180–181 Isaac (Rastatt) 108, 478 Isaac (Sohn Kendels) 374–375 Isaac Abraham (Muggensturm) 111, 621–623 Isaac der Junge 344, 347 Isaac der Junge 347 Isaac Israel 67, 70, 80–81, 84, 116, 314–315, 329, 347, 362, 437, 469, 478, 508, 511, 519, 523–530, 532–536, 608

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Anhang II

Isaac Lazarus 45, 66, 82, 206–208, 223, 347, 360, 373–374 Isaac oder Itzig, auch Isaac der Alte (Ettlingen) 44, 67, 172, 180, 186, 202–205, 210–214, 224–225, 242, 303–308, 310–311, 313, 326, 330, 334, 336, 339, 358, 360, 367, 387, 407–408, 410–411, 413–416, 420–421, 463, 474, 476, 498, 514, 524–525, 552 Isaac Samuel 625 Israel (Gernsbach) 43–44, 46–50, 146–147, 206, 213–214, 285, 291, 296, 326, 368, 552–553, 541 Israel Schnurrmann 625 Israel, Neffe von Israel (Gernsbach) 44, 296, 326 Itzig (der Rabbiner) bzw. Isaac Israel 524–525, 527–536, 608 Itzig (Kuppenheim) 39, 45, 59, 106, 262, 387–388 Itzig der Alte (Kuppenheim) 367 Izig (Kuppenheim, Sohn des alten Jonas) 262, 367 Jäckel (Bretten) 362 Jäckel (Küfermeister, Altschweirer) 254 Jäckel (Kuppenheim) 107, 129, 274–276, 279, 434, 563 Jäckel (Malsch) 59, 61, 107, 262, 279, 344, 368 Jäckel Feist 621 Jacob (Kuppenheim) 367 Jacob Äscher 65, 73, 88 Jacob Herz 67, 86–87, 367, 438 Jacob Hirsch 384 Jacob Löwel, auch Jäckel Löwel 275, 279, 367, 536–539, 601, 609 Jacob Picker 131, 133, 138 Jacob, Reinhard 310 Jacobin, Catharina Christina 542, 549 Jäger, Ludwig 192 Jockhel (Niederbühl, Küfer) 384 Jonas (Kuppenheim) 59, 63, 68, 73, 100–101, 129, 240, 242, 259, 262–263, 367, 470 Jonas der Alte 264, 347, 367

Jonas der Junge 264, 265, 344, 347 Jonas Itzig 367 Joseph (Muggensturm) 368, 438, 467 Joseph (Rastatt) 259 Joseph (Vater von Elizer Libman) 329 Joseph ben Gerschon, auch Josel von Rosheim 422 Joseph Elias 121, 146, 151, 251–253, 326–327, 366, 510–513, 515–518, 604, 611, 633 Joseph Jacob (Judenschultheiß) 50, 81, 143–144, 162–171, 180–181, 186, 189, 201, 224–225, 228, 237–238, 240–243, 263, 283, 293, 297–303, 306–313, 317–322, 324, 330, 358, 602, 607, 611, 385, 387–388, 389, 393, 395–397, 400, 404, 407, 410, 414, 416, 419, 421, 425, 468, 469, 474, 484, 602, 607, 611 Joseph Jacob (Knecht und Wirt) 66, 73, 88, 155, 318, 366 Joseph Jonas (Kuppenheim) 131, 367, 543, 548, 549, 550–551 Joseph Löble, auch Löwel 69, 88 Joseph Meyer 314, 315 Joseph Michael 56, 124 Joseph Moyses (Malsch) 113, 130, 404 Joseph Moyses (Muggensturm) 488, 491 Joseph Salomon 72, 97, 365, 368 Joseph Samuel, auch Joseph Schmaul oder Schmaule 63, 85–86, 110, 124–125, 327, 347, 368, 506, 515 Jost (Ettlingen) 44 Judith Joseph, auch Judith Schweitzer 131, 136–137 Kahm, Catharina 23 Kahr (Rastatt) 193 Kallmann Lazarus (Fries) 110 Kaltenbach, Johann 254 Kandler, Friedrich 339 Kapfer, Friedrich Joseph 77, 81, 529 Karl Friedrich von Baden 6 Karl VI. 62 Katzenstein, Johann Georg von, auch Katzenstein, Johann Georg 383– 384, 387

Namenregister 

Kaufel (Grombach) 624 Kaufel (Weingarten) 167, 168, 190 Kaufmann (Lehrer) 163 Kaufmann (Lichtenau) 335 Kaufmann Elias 71 Kaufmann Koppel 347 Kaufmann Nathan 626 Kaufmann Schweitzer 109, 121–122 Kaufmann, David 66, 82, 112, 114–115, 118–119, 123, 158, 193, 221–222, 259–260, 354, 369–370, 435, 438, 469, 471, 475, 488 Kaufmann, Isaac 112, 118 Kaufmann, Salomon 115, 119, 123 Kaufmann, Simon 114, 118–119 Kaufmann, Uri R. 8, 415 Kendel (Rastatt) 374, 375, 382 Klehr, Nicolas 196, 209 Kleiber, Christoph 148, Knaps, Fritz Anton 527 Knoodt, Johann Jacob 123, 245–249, 404, 495–496, 501–502 Koch (Landkommissar) 353 Kohm, Hans Jacob 303, 304 Koppel (Bühl) 181 Koppel (Malsch) 79, 92, 262, 347 Koppel Kaufmann 404, 497 Koppel Schweitzer 115–117 Koßman Israel 622–623 Kraus, Philipp 370 Krechter, Elisabetha 145 Krechter, Joseph 145 Krieg (Gernsbach) 221, 361, 373 Krönel (Krinlé), verheiratet mit Isaac Israel Israel 329, 532 Lämmel (Bühl) 261, 366 Lämmle Löw, auch Löwel 360, 362 Landauer, Abraham 483–484 Lang, Joseph 318 Lassolaye (Kammerrat) 341, 337 Lassolaye, Karl Wilhelm, auch Karl Wilhelm von 120, 125, 475, 488, 492, 496 Lassolaye, Leopold Wilhelm 264, 269, 274–275, 313, 344, 352, 456, 363,

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671

374, 429, 449, 474, 477–479, 488, 519–520, 522, 526, 537–539, 545 Lazarus (Muggensturm (wohl identisch mit Herz Lazarus) 351 Lazarus Kallmann, auch Callman und Lasch Callus 68, 106, 110, 128, 145–146, 433, 444 Lazarus Mayer 222, 239, 632 Lazarus Raphael 107, 201, 244, 367 Lazarus, auch Lazar (Malsch) 92, 263 Lemmle (Bühl) 416 Lemmle Abraham 68 Lemmle Liebmann, auch Lieber 191– 193, 198 Lemmle Löbel 263, 344 Lemmle Löwel 126, 128, 133, 434 Lemmle (Bretten) 191 Lemmle Mayer, auch Meyer 61, 107, 319, 345, 347, 542, 453–454, 548–549, 551, 559 Lemmle Moyses 111, 125, 619 Leopold I. 178 Levi Meyer 542 Lewin (Kuppenheim) 129 Lewin Meyer 178–179 Lewin, Adolf 6 Leytel, Lorenz 356 Lichtenauer, Johann 168, 301, 521 Lichtenauer, Joseph 639 Liebermann (Kuppenheim) 68, 73, 367 Linder, Christoph 637, 640 Linder, Gerhard Friedrich 7, 543, 548 Lion, Christoph 301 Liwer Lemmle (Bretten, wohl identisch mit Lemmle (Bretten) 193 Liwer Lemmle (Bühl) 112 Löb Isaac 367, Löbel (Kuppenheim) 70, 108, 347 Löbel Levi, auch Levy 120, 328, 510, 513 Löbel, auch Löwel (Malsch) 67–68, 79–81, 83, 94, 141, 262, 400, 402, 404 Löbel, auch Löwel Gans 40, 45, 51, 263, 344 Löwel (Malsch, Sohn von Löwel) 141

672 

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Anhang II

Lodemer, Jacob 469 Lotzbeck, Samuel 633 Löw (Amt Kirchberg) 343 Löw (Bühl, Schwiegersohn von Schmaul) 303 Löw (Bühl, verschuldet in Frankfurt) 235 Löw (Kuppenheim) 260 Löw (Stollhofen, auch Herstein) 385–587 Löw (Waldsteg) 65, 76 Löw Berez 390–293, 471 Löw Elias 108, 120–121, 145–146, 151, 247, 249, 250–253, 295, 327–328, 366, 490, 510–518, 604, 611, 633 Löw Jacob (Kuppenheim, Durbach) 108, 126, 134–135, 401 Löw Jacob (Malsch, Unzhurst, Müllenbach, Affental) 65, 76–77, 80–81, 84–85, 132, 332, 384–385, 464, 528, 533 Löw Kahn 209 Löw Lazarus 128, 222, 337 Löw Simon 115 Löwel (Bühl) 144–145, 148, 156, 235–236, 261, 366 Löwel (Bühl, Sohn von Sammel) 237 Löwel (Kuppenheim) 129, 434 Löwel (Rastatt) 262, 296, 367, 465 Löwel Abraham 68 Löwel Kahn 272, 273, 625 Löwel Koppel, auch Löwel (Malsch) 71, 91–92, 95–96, 100, 141, 262, 400, 402, 404 Löwle (Bühl) 235 Ludwig Georg Simpert von Baden-Baden 3, 5, 34, 38, 63–64, 75, 79, 82, 85– 87, 90, 96–98, 100–101, 103, 127, 134, 140–141, 158, 161, 184, 190, 194, 197, 250, 253–254, 294, 332, 340, 342, 360, 365, 399, 427–428, 449, 455–457, 476, 480, 482, 493, 530, 559, 569–570, 574, 577–578, 583, 586, 591–592, 595, 599–600, 603, 615, 617, 619, 627 Ludwig Wilhelm von Baden-Baden 1–2, 4, 10, 26, 39, 40, 47, 52, 54–55, 75,

83, 87, 160, 174–175, 178, 194, 210, 217, 300, 307, 311, 358, 397, 399–400, 409, 481, 599–600, 616, 628 Lummel, Philipp Jacob 288 Madon (Offenburg) 634 Magdalena, verheiratet mit Joseph Elias 328 Mahlen (Brüder, Kaufleute) 231 Mahler (Amtsschreiber) 164 Malge, verheiratet mit Aron Götschel 318 Mals (Offenburg) 235–237 Mändel (Malsch) 71 Mändel Wertheim 57–58 Mannheimer, Mayer 363 Marckhardt, David 285–286, 288, 290 Maria Anna Judaea 542, 558, 561 Maria Anna von Baden-Baden 161, (siehe auch Maria Anna von Schwarzenberg) Maria Anna von Schwarzenberg 342, 595 Maria Anna, Tochter von Isaac Lazarus 66, 82 Maria Anna, verheiratet mit Süßel Gottlieb Süßel 319 Maria Josepha von Baden-Baden 457 Maria Josepha, auch Josepha Hayumbin, Haimsche Tochter, Hayumbs Tochter, auch Hayum Flörsheims Tochter 20, 457, 440, 542, 569–598, 609, 610 Maria Martha, Schwester von Mayer Malsch 541, 553 Maria Theresia, Königin und Kaiserin 101, 103 Maron (Bühl) 54, 261, 347 Maron (Bühl) 64, 261, 366 Maron Aron 69, 72, 155, 317 Marum Götschel 43 Marum Moyses 113 Marum Wolf 18, 398 Marx Moyses 69, 110 Matel, Schwester von Abraham Isaac, verheiratet mit Lizer Libmann 329 Matel, Tochter von Löbel Levi 513 Mauerer, Johannes 218

Namenregister 

Mausche (Merzweiler, Merzwiller, BasRhin) 626 Mayer Kallmann 145, 436, 444, 449 Mayer Lazarus 68, 632 Mayer Lemmle 319–320, 322 Mayer Malsch 27, 71, 95, 183, 189, 190–193, 198, 224, 241–242, 294, 297, 313, 331–332, 344, 347, 361–363, 389–391, 393, 417, 425, 429, 541, 452–453 Mayer, Christian 320 Mayer, Juliane 320 Mencke Levi 112 Mendelssohn, Moses 402 Meyer (Amt Sprendlingen) 350 Meyer (Beinheim) 566 Meyer (Bühl) 57, 416 Meyer (Kuppenheim) 443 Meyer (Rastatt) 383 Meyer Jacob 111, 355 Meyer Kallmann 106, 621 Meyer Lazarus 130, 621, 623 Meyer Löwel 70 Meyer Susmann 109, 122 Meyer, Franz Anton 169 Meyer, Martin 527 Michele Jacob 107 Miller, Anna Maria 147 Miller, Simon 147, 259 Miriam Koppel 117, 403–404 Mitzel, Georg 218 Mockhin, Anna Maria 155 Model, Manus Löb, auch Löb 130, 337–338 Mohr, Christoph, auch Mohrenfeld, Christoph Mohr von 32, 198, 296–297, 384, 390, 392 Mohr, Ferdinand Alexander von 310, 376, 428, 486–487, 560, 617–618 Moses Jacob 367 Moses Lewel 367 Mößner (Rastatt) 185, 193 (Identität unsicher) Moyses der Ältere 227 Moyses (Baden-Baden) 218–219, 223, 227–228, 240, 277, 296

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Moyses (Bühl) 43, 227–228, 240, 261–262, 277, 366 Moyses (Ettlingen) 227, 240 Moyses (Ettlingen, Schwiegersohn von Seligmann) 57, 59 Moyses (Grötzingen) 624 Moyses (Hörden) 347–348 Moyses (Kuppenheim) 107 Moyses (Moses) Lewel 367 Moyses (Rastatt) 240, 262, 344, 367 Moyses Abraham (Ettlingen) 347 Moyses Amsel 236 Moyses Jacob (Mannheim) 167, 169–170, 238 Moyses Joseph (Muggensturm) 404 Moyses Joseph Sulzbacher 161, 183, 186, 248 Moyses Marum 477 Moyses Regina 71 Moyses Reutlinger 254 Moyses Süßel 65, 70, 80–81, 85, 354, 621 Mühlschlegel, Johann Jacob 146 Müller, Heinrich 193 Müßig, von (Regierungskommissar) 340 Nagel Johannes (Rastatt) 33, 196, 209 Nathan (Friesenheim) 44 Nathan (Lichtenau) 624 Nathan (Muggensturm) 493 Nathan Levi 453, 470–471, 554 Nathan Marx (Hörden) 368 Nathan Marx (Malsch) 368 Nathan Marx (Obergrombach) 107 Nathan Moyses (Hörden) 131–133, 137–138 Nathan Uri Kahn 436, 469 Netter (Anwald, Bühl) 418, 517 Netter (Garderobier) 531, 587–588 Netter, Carl Leopold 518 Netter, Eva, auch Ella verheiratet mit Samuel Joseph 513 Netter, Wolf 217 Nivart, Maria Dieudonné 569, 571, 576–577, 579 Nopper, Franz 390, 303 Nopper, Joseph 158

674 

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Anhang II

Nötzel, Andreas (Peter) 23–27, 345 Oberländer, Joseph 175–178, 202 Oberlin, Hans Theodor 271 Öchsle, Elisabetha 320 Öchsle, Simon 320 Oppenheimer, Samuel 160, 172–175, 178, 202, 226, 293, 599, 600 Oser, Franz 297, 309, 396 Oser, Johannes 270 Pallas, Johannes 639 Pezelt (Oberamtmann) 464 Plien, Moyses 161, 198, 200–201, 452 Plittersdorf, Carl Jacob Ferdinand von 616 Praga, Jacob 255–256 Preschle, Jacob 216 Querra, Peter Maria 219 Rachel, Frau von Samuel Elias (Schmaul) 327 Rachel, Frau von Joseph Jacob 163, 468 Rammelmeyer, Joseph 256 Raphael Jacob 107, 135, 150, 161, 188–189, 192–193, 197–202, 244, 278, 294, 313–315, 317, 326, 367, 376, 381, 390, 437, 449, 450–454, 458–459, 476–480, 482–484, 490, 499, 604, 607 Raphael Juda 367 Redolato, Benedict 379 Regina, Frau von Joseph Jacob, des Judenschultheißen 297 Reiling, auch Reilinger, Johannes 440, 586–591, 595–596 Reiling, Maria Anna 595 Reiling, Maria Josepha siehe Maria Josepha Reinfried, Karl 300, 330 Reis, Witwe (wohl Ettlingen) 525 Rheinboldt (Sinzheim) 255 Rheinboldt, Bernhard 273 Rheinboldt (wohl Offenburg, Kaufmann) 238 Rheinboldt, Benedict 254 Rheinboldt, Franz 528–529, 531 Rheinboldt, Hans Georg 383 Rheinboldt, Jacob 254

Richarz, Monika 11 Riedel, Sabina 376–377 Rieger, Mathias 274–276 Riffka, verheiratet mit Joseph Jacob, dem Judenschultheißen 32 Rohrer, Michael Ludwig 341, 343, 479 Rößel, auch Rössel (Kuppenheim) 278, 433 Rossi, Domenico Egidio 296 Rübel, Joseph 147 Rüfel (Rastatt) 372–373, 519–523, 541, 603 Rumpf, Michael 7 Salinger, Franzisca 591 Salomon (Bühl) 244, 248, 267–268, 344, 347 Salomon (Bühl, Ladendiener) 182, 228 Salomon (Bühl, Schwiegersohn von Löwel Gans) 40, 45, 51 Salomon (Kuppenheim) 443 Salomon (Malsch) 56, 72, 247 Salomon (Rastatt) 187 Salomon Dreifuß 236 Salomon Israel 114, 116, 125, 619–620 Salomon Jonas 367, 550 Salomon Joseph 108 Salomon Marx 236–237, 271, 344–345 Salomon Mayer (Malsch) 108 Salomon Meyer (Karlsruhe) 130, 133, 139–140, 150, 161, 185–186, 197–198, 339, 403–404, 472–473, 489, 492, 516, 600, 621 Salomon Moyses (Hörden) 69, 110 Salomon Moyses (Kuppenheim) 71 Salomon Moyses (Schwiegersohn von Joseph Jacob, dem Schultheißen 167–170, 229, 240, 366, 385–387, 408, 412–414, 469 Salomon, Baruch 66, 112, 274–276 Salomon, Samuel 112 Salomon, Jacob 65, 66, 75, 77, 78, 82–83, 89, 464, 475 Salschütterin, Margareta 524–526 Samson Mathias 69, 370 Samuel (Rastatt) 372, 373, 519, 520, 521

Namenregister 

Samuel Elias siehe Schmaul (Bühl) Samuel Herz (Sohn) 110, 132, 138– 139, 254 Samuel Herz (Vater) 110 Samuel Ulman 178 Sartorius (Vogt in Gernsbach) 206, 348 Sartorius Johann Friedrich 147 Sartorius, Johann Carl (Kammerrat) 341, 556 Sattler, Witwe (Baden-Baden) 582 Schädel (Frankfurt) 235 Schäffer, Joseph 156 Schauenburg, Graf von, wohl Graf Christoph Anton von Schauenburg 150 Schäumann (Malsch) 67, 79, 81 Schentz, Joseph 255 Schertel, Hans Michael 254 Schilling, Baron, wohl Karl Friedrich Schilling von Can(n)statt, Karl Friedrich 192 Schillinger, Andreas 384 Schindler, Angelika 7 Schlesinger, Marx 194, 196 Schlucht(ern), Nic(o)laus Heinrich von der 177, 218 Schmaul, auch Schmul, Samuel (Bühl) und Samuel Elias 63, 65, 145, 147– 148, 153, 228–229, 235, 242, 259, 267–268, 272–273, 289, 290, 327, 343, 345, 347, 366, 408, 411, 413, 415, 417–418, 424–425, 468–469, 474, 483–384, 498, 510, 515, 518 Schmid, Samuel 151 Schneider (Karlsruhe) 183 Schneider, Barbara 376 Schneider, Daniel Balthasar 633 Schneider, Hanns 143 Schneider, Ignatius 376 Schneider, Magdalena 376 Schneidmann (Stuttgart) 199 Schönborn, Damian Hugo von 62, 342, 569–571, 592 Schönle, verheiratet mit Löw Elias 328 Schott (Frankfurt) 235 Schreiber, Hans Georg 257

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Schremb, Hans Erhard 144 Schubart, Gottfried 238, 295 Schuhrmann, Christoph 627 Schwab, Franz Karl 267 Schwär(t)zer, Johann Andreas 29, 221 Schwartz (Hofrat) 304–307 Schwarz (Frankfurt) 195 Schwarz (Karlsruhe, Goldschmied) 437 Schwarzenberg, Maria Anna von 342, 595 Schweinhuber Joseph (Baden-Baden) 574, 576–577, 579, 583, 586 Schweinhuber Joseph (Ettlingen) 350, 412, 463–464 Schweinhuber (Ettlingen) 164, 241– 242, 344 Schweinhuber, Anton (Baden-Baden) 149, 182, 374, 569 Schweitzer, Chaye siehe auch Ludwig Gottlob 66, 542–546, 548, 551, 559–560, 567, 595 Schweitzer, Cheyle 542–546, 551, 553, 567 Schweitzer, Elias 69, 109, 121, 154– 155, 230, 235–236, 272, 278, 345 Schweitzer, Gütel 442, 470 Schweitzer, Jacob Moyses 587 Schweitzer, Jesaias 66, 74, 80–81, 84–86, 141, 544, 559 Schweitzer, Joseph 131–132, 136 Schweitzer, Mathias auch Matz 19–20, 22, 35, 38, 45, 74, 85–86, 143, 155, 164–167, 179–182, 194, 202, 206, 212, 221, 223–225, 240–241, 244, 288, 293, 296, 367, 385–387, 397, 407–408, 410, 415, 421, 424, 427, 431, 440, 442, 497, 519, 544, 546, 587, 595, 597, 600, 603, 611 Schweitzer, Moyses 21, 27, 39, 45, 66, 74, 84–86, 141, 169, 182, 195, 206– 207, 215–216, 248, 343–344, 346, 385–387, 406, 408–409, 412–414, 417, 425, 442, 465, 498, 544, 546 Schweitzer, Riffka, Reffka, auch Rebecca 20, 180, 182

676 

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Anhang II

Schweitzer, Samson 12, 19, 39, 69, 90, 108, 130, 137, 141, 149, 156–158, 182, 189, 197, 270, 274, 279, 335–336, 345–346, 353, 362, 367, 386–387, 394, 424, 426–427, 430–452, 456, 460–461, 470, 478, 492, 498–499, 515, 534–535, 538, 543, 546–547, 550, 559, 563, 567, 587, 590, 604 Schweitzer, Sarah 130, 137, 442 Schweitzer, Simon 109, 117, 121–122, 366 Schweitzer, Zosam 121, 230, 278 Seitz (Hofrat) 450 Seligmann Isaac 57–59, 60, 151, 183, 189–190, 214–215, 240, 242, 313, 344, 347, 359, 367, 369, 534 Seligmann, Itzigs Sohn 59 Selzio Aron 378 Seyler, Hanns 143 Seyler, Maria 143 Sibylla Augusta von Baden-Baden, Markgräfin 1–2, 4–5, 10, 12, 15, 26, 31, 38, 40, 51–52, 56–57, 61–64, 75, 86–89, 95, 140, 160–161, 179, 181–182, 191, 194, 197, 215, 225, 226, 244, 191, 194, 307, 332, 335, 340–341, 343, 353, 355–357, 377, 397, 399–400, 527, 556, 567, 592, 599–600, 616, 619 Simon (Pforzheim) 203, 204, 205 Simon Jäckel 113 Simon Jonas 129 Simon Wolf 113 Sock, Johann Michael 149, 231, 341, 471 Soilshel (Bühl) 144 Sommer (Straßburg) 208 Sperl, Franz Joseph 198 Spitz, Michael 479 Sprater, Franz 479 Sprinz, Frau von Schmaul 468 Stampfer (Rastatt) 149 Steinlin, Catharina 23, 26 Stenzel, Rüdiger 7 Stern, Selma 171, 174

Stolz, Peter 158–159, 213, 220, 639 Straßburger, Anna Maria 587, 589 Straßburger, Salomon 72, 74, 97 Strebler, Maria 374 Stude, Jürgen 7 Stupanus, Johann Heinrich 217 Süßel (Bühl) 68, 70, 76, 85, 148, 169–270, 319, 376, 381, 433, 693, 615–617, 619 Süßel Moyses 65, 70, 80–81, 85, 354, 621 Süßkind (Bühl) 424 Tagliasacchi (Ettlingen) 370 Tischer, Johann 627 Trarbach, von (Hofrat) 479–480 Trautmann, Hans Georg 209 Tschammerhell (Hofrat) 473, 479, 487, 617–618 Übelhör, Caspar 192 Übelhör, Hans Michael 213, 214 Übelhör (Ettlingen) 223 Uffenheimer, Gabriel 235 Uffenheimer, Joshua 124, 150, 210, 227, 232–235, 243, 245, 324, 327, 454, 485, 632 Ulbrich, Claudia 14 Ullmann, Sabine 14, 283 Vidutiono, Antoni 638 Vloßdorf, Johann Reinhard von 26 Vollmer, Johann Jacob 217 Wackenheim, Falck 188 Wagner, Dyonisius 527, 529, 531 Walter, Joseph 373 Warth (Zoller) 28 Weber, Jacob 271 Weil, Emanuel (Marx) 74, 85, 108, 112, 150, 152, 232–324, 453–454, 472, 632 Weil, Gimpel 115 Weil, Hirschel 68, 115, 364 Weil, Lazarus 45, 68, 72, 81, 128, 316, 436, 438, 459–460, 462 Weil, Lippmann 108, 355 Weil, Marx (Marum) 66, 69, 72–74, 81, 85, 105, 112, 128, 214, 232, 245, 278, 324, 343, 403, 452–453, 472

Namenregister 

Weil, Nathanael 416, 462, 471–473, 504–505, 604, 609 Weil, Raphael 340–341, 356, 497 Weil, Salomon 114, 116 Weil, Sarah 472 Weil, Thias 117, 472–473 Weis, (Hans) Georg 254, 323 Weiss, Johannes 54–55, 89, 157, 204 Weißbach, auch Weißenbach, (Johann) Bernhard 163, 289 Wertheim(er), Joseph 70, 106, 124 Wertheimer Hirschel 70, 75 Wertheimer, Elias 71 Wertheimer, Löw 58, 64, 71, 88, 106, 128, 134–135, 222, 236–239, 241–242, 270, 294, 343, 458

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Wetzel, Magnus 590 Wilhelm von Baden 1, 42, 399 Winckelmann, von (Hofrat) 376 Wirth, Hans Adam 330 Wolf (Leimen) 157 Wolf Meyer 625 Wolfegg, Truchsess von 188 Würth, Anna Maria 239 Würth, Georg Friedrich 239 Würth, Michael 280 Yhlin (Amtskeller) 389, 391 Zanoletti, July 256 Zapf, Johann Georg 145–146, 151 Zärle, verheiratet mit Abraham Mayer 320 Zehnter, Johann Anton 6–7

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678 

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Anhang II

Ortsregister Zu der Ortsbezeichnung sind gegebenenfalls hinzugefügt der Name der heutigen Gemeinde, der Landkreis bei Orten außerhalb von Baden-Württemberg, bei außerdeutschen Orten der Ortsname in der Landessprache und das Land, bei Orten im Elsass außerdem das Departement. Achern, Ortenaukreis 166, 336, 511, 513 Affental, Bühl, Ldkr. Rastatt 132, 230 Altschweier, Bühl Ldkr. Rastatt 143– 146, 148, 176, 212, 254, 269, 339 Augsburg 14, 27, 35, 38, 60 Baden-Baden 11–12, 22–28, 30–31, 33–34, 36, 38, 49, 53–55, 130, 149, 151, 155–158, 166, 168, 173, 176, 179–180, 182, 192, 202–203, 210–211, 213, 218, 227–228, 241, 254–255, 259, 267, 281, 286, 298, 343, 345–346, 374, 378, 385, 390, 407–410, 436, 441, 465, 474, 519, 521–522, 542, 546, 547, 550–551, 556–558, 561, 564, 569, 580, 582–583, 585, 587, 595, 598, 617, 628–631, 639 Basel 14–15, 217, 374 Beinheim, Bas-Rhin, Frankreich 56, 64–66, 75–76, 78–79, 83, 86, 112, 124, 131, 216, 274, 332, 399, 464, 475, 565 Bergzabern, Bad Bergzabern, RheinlandPfalz 131, 361, 634 Berlin 313, 369 Besenfeld, Seewald-Besenfeld, Ldkr. Freudenstadt 162–163 Bickesheim, Durmersheim, Ldkr. Rastatt 399 Bischweier, Ldkr. Rastatt 129, 207 Breisach, Ldkr. Breisgau-Hochschwarzwald 265 Bretten, Ldkr. Karlsruhe 136, 190–193, 198, 201, 362, 624 Bruchsal, Ldkr. Karlsruhe 205, 342, 619 Buchsweiler, Bouxwiller, Bas-Rhin, Frankreich 329, 363, 513

Bühl, Ldkr. Rastatt 7, 13, 17–18, 21, 27, 29, 33, 40, 43–45, 48–49, 51, 53–54, 56–58, 63–74, 76–77, 79–81, 84–85, 88–91, 94–95, 97, 106–112, 114–117, 119–121, 125–126, 128, 132, 134, 137, 139, 144–145, 147– 148, 150, 153–156, 158, 162–165, 167–169, 173, 175, 177, 179–182, 187, 189, 202, 205, 209–211, 213, 217–219, 221, 223–224, 227–230, 235, 237, 240–244, 246, 248, 251–259, 261, 263, 265–271, 273, 277–278, 280–291, 293–294, 296–302, 306–308, 311–312, 314– 316, 318, 323–325, 327, 329–330, 332, 335–336, 338–340, 343–344, 347, 349, 351–354, 357, 362, 366, 369, 376–377, 379, 383, 385, 388, 392, 395, 397–399, 401, 403–405, 407–409, 411, 413–415, 417–418, 420, 424–426, 428–429, 433–435, 437, 441, 449, 453, 458, 460, 462, 464, 466–470, 473–476, 478, 480, 482–491, 497–499, 506, 508, 510– 512, 515, 517–518, 523, 526–536, 540, 542, 548, 556, 558, 560–561, 566, 595, 598, 602, 604, 607, 609, 616–617, 619, 621–623, 625–626, 628–629, 631, 633–635, 639 Bühlertal, Ldkr. Rastatt 146, 148, 153, 176–177, 179, 211, 217, 518 Burgau, Bayern 14, 151, 161, 178, 283, 658 Calw, Ldkr. Calw 162–163, 259 Dettingen, Baden-Württemberg (keine weitere Zuordnung ) 544 Diedelsheim, Bretten, Ldkr. Karlsruhe 131, 136–137

Ortsregister 

Dornstetten, Ldkr. Freudenstadt 162–163 Durbach, Ortenaukreis 13, 56–60, 64, 71, 86, 88, 106, 108, 124, 126, 128, 130, 134–135, 159, 222, 238, 241–242, 270, 329, 343, 361–362, 401, 624 Dürkheim, Bad Dürkheim, RheinlandPfalz 498, 542, 552 Durlach. Karlsruhe 21–22, 166–167, 172, 175, 411, 564 Durmersheim, Ldkr. Rastatt 521 Düsseldorf 168 Eberbach, Rhein-Neckarkreis 163 Eger, evt. Cheb, Tschechien 383 Eichstetten am Kaiserstuhl, Ldkr. Breisgau-Hochschwarzwald 60 Eichtersheim, Angelbachtal, Rhein-Neckar-Kreis 542, 560, 565 Eisental, Bühl, Ldkr. Rastatt 77, 132 Elgersweier, Offenburg, Ortenaukreis 152 Emmendingen, Ldkr. Breisgau-Hochschwarzwald 60, 349 Ettenheim, Ldkr. Breisgau-Hochschwarzwald 7, 125, 233–234, 485, 624 Ettlingen, Ldkr. Karlsruhe 7, 9, 11, 27, 32–33, 42, 44, 46–47, 50, 54, 57, 59–61, 67, 84, 86–87, 89, 93–95, 111–112, 114, 123, 127, 135–136, 138, 152, 163–164, 171–173, 175, 180, 189–193, 197–198, 200–205, 210–213, 222, 224, 227, 240–242, 246–247, 254–256, 271, 278, 294, 297, 303–307, 310–313, 324–326, 330–331, 334, 336–339, 343–344, 347, 350, 356, 358–359, 363–364, 367, 369, 370, 385, 387, 390, 395, 397, 399, 406–413, 415, 417, 420– 421, 429, 438, 441, 453, 455, 458, 463–465, 469, 474–476, 481–482, 492, 498, 506, 514, 523–525, 532, 534, 547, 550, 552–554, 557, 571, 591–593, 625, 635, 638–639 Ettlingenweier, Ettlingen Ldkr. Karlsruhe 271

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Fernach, Oberkirch, Ortenaukreis 349 Fort-Louis, Bas-Rhin, Frankreich 162, 166, 209, 212, 223, 272–273, 481, 537, 624–625 Frankfurt/M 24–25, 27–28, 35, 144, 160, 162, 167, 180–182, 194–196, 204, 207, 211, 213, 228–229, 235–237, 242, 276, 285, 289, 404, 582, 605, 607, 641 Freiburg im Breisgau 8, 17, 337, 378, 485 Friesenheim, Ortenaukreis 7, 11, 13, 44, 57, 68, 92, 94, 106, 109–110, 128, 130, 145, 222, 239, 337, 349, 378, 381, 433, 444, 449, 457, 461, 469, 621, 632 Gaggenau, Ldkr. Rastatt 13, 176–177, 207, 210, 212, 215–216, 221, 225, 274, 276, 387 Gemmingen, Ldkr. Heilbronn 389 Gernsbach, Ldkr. Rastatt 9, 11, 13, 43–50, 64, 66, 82, 112, 114–115, 118–119, 123, 146–147, 158, 162, 205–207, 213–214, 216, 221–222, 259–260, 266, 285, 291, 296, 326, 333, 346–347, 349–350, 354, 360–361, 368–369, 373–374, 387, 435, 438, 443, 449, 467, 469, 475, 487, 496, 541, 552–553, 617, Griesheim, Offenburg, Ortenaukreis 145 Groschweier, Großweier, Achern, Ortenaukreis 153, 218, 511, 631, 635 Grötzingen, Karlsruhe 193, 624 Günzburg, Bayern 178 Hagenau, Bas-Rhin, Frankreich 133, 138, 165, 173, 328, 416 Hagenbach, Rheinland-Pfalz 64, 75, 83 Harburg, Bayern 284, 303, 310 Haueneberstein, Baden-Baden 370 Heddinghausen, Nordrhein-Westfalen (keine weitere Zuordnung ) 586 Heidelberg 172, 519–520, 560 Heilbronn 379–380 Helmlingen, Rheinau, Ortenaukreis 339 Herrenwies, Forbach, Ldkr. Rastatt 146

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Anhang II

Herrstein, Rheinland-Pfalz 385 Hohenems, Österreich 105 Hörden, Gaggenau, Ldkr. Rastatt 13, 43, 47, 110, 123, 131, 138, 346–348, 368, 370, 443, 458 Iffezheim, Ldkr. Rastatt 50, 80, 84 Ingweiler, Ingwiller, Bas-Rhin, Frankreich 120, 328, 510 Jöhlingen, Walzbachtal, Ldkr. Karlsruhe 113 Kappelwindeck, Bühl, Ldkr. Rastatt 143, 153, 155–156, 179, 540 Karlsruhe 22, 34, 36, 60, 82, 109, 112, 123, 130, 137, 139–140, 152, 186, 191, 193, 207, 242, 276, 290, 326, 333, 337, 339, 350, 359, 369, 379, 403, 436–439, 458, 462, 469–472, 492, 512, 515, 535, 581, 590, 604, 608, 613, 621, 624, 640 Kartung, Sinzheim, Ldkr. Rastatt 383 Kehl, Ortenaukreis 9, 90, 158, 185, 238, 337, 543, 633–634 Kempten, Bayern 163 Kippenheim, Ortenaukreis 7, 13, 43, 45, 57, 66, 68–70, 72, 74, 81, 105– 106, 108, 112–116, 124, 128, 147, 152, 233–234, 272, 278, 280, 316, 324, 343, 354, 364, 403, 453–454, 459, 461, 475–476, 480, 485–486, 563, 625, 632 Koblenz 248 Köln 206, 249 Kormorn, Kormárom, Ungarn, Komárno, Slowakei 20 Kriegshaber, Augsburg 161 Kuppenheim, Ldkr. Rastatt 7, 11–13, 21, 29, 39, 43, 45–46, 59, 63–64, 68–71, 73, 76, 82–83, 88, 97, 100, 106–108, 128–129, 131–133, 135–136, 139, 216, 219, 240–242, 260–265, 268, 271, 274–275, 278– 279, 333, 344–347, 367, 369, 372, 380, 387, 420, 433–434, 443, 453, 463, 470, 472, 474, 506–508, 523, 536, 543, 546, 548–550, 558, 621 Lahr, Ortenaukreis 233, 285, 633

Landau, Rheinland-Pfalz 542 Lauterburg, Lauterbourg, Bas-Rhin, Frankreich 165, 190, 483 Leimen, Rhein-Neckar-Kreis 157 Lichtenau, Ldkr. Rastatt 67, 79, 158, 335, 384, 404, 624–625 Lichtenstadt, Hroznězin, Tschechien 87 Liedolsheim, Dettenheim, Ldkr. Karlsruhe 256 Lobositz, Lovosice, Tschechien 10, 67, 102 Mainz 24, 338, 350, 556 Malsch, Ldkr. Karlsruhe 11, 13, 43–44, 46–47, 56–57, 59, 61, 65, 67–69, 71–72, 74, 76, 79–81, 83, 86, 89, 91–98, 100–102, 106–108, 113, 115, 129–140, 141, 183, 189, 221, 241, 243, 245, 261–263, 278–279, 344, 347, 363, 368, 389–390, 398, 400, 403–404, 429, 433, 438, 442, 453, 466, 474, 523, 541, 557, 613 Mannheim 8, 167, 238, 326, 453, 471, 640 Memmingen, Bayern 163 Merzweiler, Merzwiller, Bas-Rhin, Frankreich 626 Metz 14, 334 Michelbach, Gamshurst, Ortenaukreis 510 Monheim, Bayern Muggensturm, Ldkr. Rastatt 13, 33, 44, 93, 110–111, 113, 124–125, 129, 139, 147, 260, 262, 269–270, 327, 347, 351, 368, 404, 438, 443, 453, 458, 467, 475, 488, 491, 493–494, 496, 526, 535, 542, 556, 558, 619, 621–622 Mühlburg, Karlsruhe 289 Müllenbach, Bühl, Ldkr. Rastatt 70, 76–77, 80–81, 84, 132, 332, 385, 399, 533 Nesselried, Appenweier, Ortenaukreis 128, 134, 145, 401 Neuweier, Baden-Baden 208 Niederbühl, Rastatt Ldkr. Rastatt 384, 634

Ortsregister 

Niederlauterbach, Bas-Rhin, Frankreich 65, 77 Niedersultz, Soultz-sous-Forêts, Bas-Rhin, Frankreich 428 Obergrombach, Bruchsal, Ldkreis Karlsruhe 107 Oberkirch, Ortenaukreis 179, 257, 349 Oberndorf, Ldkr. Rastatt 100, 207, 536 Odratzheim, Bas-Rhin, Frankreich 513 Offenburg, Ortenaukreis 145, 152, 154, 219, 235–238, 466, 511, 582, 634 Oos, Baden-Baden 383 Ottersweier, Ldkr. Rastatt 153, 166, 213, 298, 301, 335–336 Paris 100, 276, 550 Pfersee, Augsburg 178 Pforzheim 90, 203–205, 362, 424, 435 Prag 101, 103 Rastatt, Ldkr. Rastatt 2–5, 7, 9, 11–12, 19–22, 27, 29, 31–36, 44–45, 48–53, 58–60, 66–68, 74, 90, 93, 100–103, 106–109, 113–114, 116, 125, 130, 135–136, 139–140, 142, 149–150, 155, 158, 163, 167, 170, 176, 179–181, 183–188, 193, 195, 197, 201, 203, 206–207, 209, 212, 216, 218–219, 223–224, 227–228, 232, 240–241, 244–245, 250–251, 254– 255, 257–260, 262–263, 266–270, 273–274, 278, 281, 285, 290–291, 294, 296, 304, 307, 313, 315, 317, 323–326, 338, 340–344, 346–353, 355–356, 364, 367, 370, 372, 375–380, 382–384, 390, 392, 403, 407–411, 413, 415, 418, 420, 422, 425–426, 428–430, 434, 437–438, 441, 443, 449–450, 453, 455–456, 458, 464–465, 469–474, 476–478, 481–482, 486, 488, 490, 499, 508, 512, 515, 519–520, 523, 525–528, 530, 532–535, 538, 541–543, 546, 549–550, 556, 559, 562–564, 570, 578, 580–581, 583–584, 586, 588, 590–592, 598, 600, 617, 619–620, 625–629, 631, 633–635

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681

Reichenbach, Baden-Württemberg (keine weitere Zuordnung) 285, 339 Renchen, Ortenaukreis 56–58, 624 Rijswijk, Niederlande 282 Rosheim, Bas-Rhin, Frankreich 422 Rotenfels, Gaggenau, Ldkr. Rastatt 207, 285 Sasbach, Ortenaukreis 336 Schirrheim, Schirrhin, Bas-Rhin Frankreich 274 Schlackenwerth, Ostrov, Tschechien 10, 87, 90, 149, 341, 481, 488 Schmieheim, Kippenheim, Ortenaukreis 234, 485, 625 Schuttern, Friesenheim, Ortenaukreis 234 Schwarzach, Rheinmünster, Ldkr. Rastatt 29, 200, 209, 259, 541–542, 564–565 Sinzheim, Ldkr. Rastatt 153, 155, 255 Speyer 9, 47, 65–66, 77, 83, 107, 113, 326, 349, 360, 542, 569, 591–592, 617 Staufenberg, Durbach, Ortenaukreis 9, 30, 58, 89–90, 124, 134, 164, 238, 262, 345–346, 349–350, 361–362, 420, 491, 635 Steinbach, Baden-Baden 30, 50, 77, 80–81, 84, 208–209, 218, 237, 252, 254–256, 266, 270, 273, 314, 333, 338, 370, 383–384, 392, 399, 466, 527–532, 534, 536, 628–629, 631, 635 Steinbiedersdorf, Pontpierre, Frankreich 14 Straßburg, Strasbourg 30, 56, 146, 209, 234, 254, 272, 466, 543, 607, 624 Stühlingen, Ldkr. Waldshut 45 Stuttgart 35 Sulzbach, Gaggenau, Ldkr. Rastatt 207, 223 Terracina, Italien 396 Traben-Trarbach, Rheinland-Pfalz 172, 174 Trimbach, Bas-Rhin, Frankreich 237

682 

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Anhang II

Ubstadt, Ubstadt-Weier, Landkreis Karlsruhe 193 Ulm 14, 168 Ulm, Lichtenau, Ldkr. Rastatt 259 Untergrombach, Bruchsal, Landkreis Karlsruhe 66, 82 Unzhurst, Ottersweier, Ldkr. Rastatt 11, 65, 76, 80, 153, 464, 511, 631 Waldprechtsweier, Malsch, Ldkr. Karlsruhe 270 Waldsteg, Bühl, Ldkr. Rastatt 76, 81, 85, 616

Weingarten, Ldkr. Karlsruhe 167, 169, 190 Weissenburg, Wissembourg, Bas-Rhin, Frankreich 43, 344, 532 Wetzlar 34, 248 Wien 4, 24, 34, 104, 172, 174, 194, 580–581, 590 Wimpfen, Bad Wimpfen, Ldkr. Heilbronn 541, 555 Windschläg, Offenburg, Ortenaukreis 333 Würzburg 486–487, 625

Tafelteil

1 Markgrafschaft Baden-Baden bis 1771. Quelle: Wikipedia, Tino Heinicke (Lencer), Creative Commons 3.0

2 Markgrafschaft Baden-Baden im Gebiet um die Residenz Baden-Baden, Ämtereinteilung und einzelne Ortschaften (17. Jahrhundert). Das Amt Staufenberg mit Durbach als Ort mit jüdischen Einwohnern liegt östlich von Offenburg, das Oberamt Mahlberg mit Kippenheim und Friesenheim als Orte mit jüdischen Einwohnern südlich von Offenburg. Siehe dazu auch die Karte Markgrafschaft Baden-Baden bis 1771. Aus: Martin Burkart, Hexen und Hexenprozesse in Baden. Durmersheim 2009, Abb. 10

3 Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden-Baden, 1655–1707. Unbekannter Künstler (Stadtmuseum/Stadtarchiv Baden-Baden)

4 Markgräfin Sibylla Augusta von Baden-Baden, 1675–17033, Regentin 1707–1727. Anton Birckart, Sibylla Augusta in Witwentracht, nach 1717 (Staatliche Kunsthalle Karlsruhe)

5 Erbprinz Ludwig Georg Simpert von Baden-Baden, Markgraf 1727–1761. Frans van Stampart, Ludwig Georg Simpert, 1724 (Landesmedienzentrum Baden-Württemberg)

6 Geleitpass für Daniel Heilbronn, 1722 (GLA Karls­ ruhe, 74/2534)

7 Mathias Schweitzer, Tafelinschrift an einem Haus in Rastatt, 1703/1704 (Stadtarchiv Rastatt) MATHIAS.SCHWEICHER.HOCHFIRSTLICHE R.MARGREFISCHER.Padisher.HOF.JUD.1703 Matias.bar.Mosche. miMischpachat Trifuss.OOO.Riwka Bat.Josef. miRastatt Schnat Taw-Samech-Dalet lefak (=464 nach der kleinen Zählung, d.h. 1703/04) Matias Sohn des Mosche aus der Familie Trifuss OOO Riwka Tochter des Josef K(ohen) Z(edek) aus Rastatt Im Jahr T“Ss“D nach der kleinen Zählung (Übertragung: Uri R. Kaufmann)

8 Formular für einen Geleitpass aus der Zeit von Markgraf Ludwig Georg, 1727–1761 (GLA Karlsruhe 74/2545)

9 Auszug aus einer Liste mit Geleitgebühren und Zöllen (GLA Karlsruhe 74/6981) Zeile 1: Von einem Juden zu Fuß 15 Kreuzer Z. 18: Von einem Betteljuden 6 Kreuzer Z 19: Von einem Kalb 1 Kreuzer Z. 20: Von einem Zentner Unschlitt 1 Kreuzer Z. 21: Von einem Zentner Woll 4 Kreuzer

10 Synagoge in Bühl (Beträume im 2. Haus von links), Aufnahme wohl vor 1927 (Stadtarchiv Bühl). Um 1717 wurde das Haus nachweislich für kultische Zwecke verwendet. Es gehörte zunächst ­einzelnen jüdischen Familien, ab 1763 der jüdischen Gemeinde.

11 Rabbiner Thias Weil, Sohn und Nachfolger von Nathanael (Nethanel) Weil (Aus: Berthold Rosenthal, Heimatkunde der badischen Juden seit ihrem ­geschichtlichen Auftreten bis zur Gegenwart. Bühl 1927, ND Magstadt/ Stuttgart 1981). Thias Weil und sein Vater Nathanael Weil amtierten als ­Rabbiner in Karlsruhe und als Landrabbiner für die Juden in der Markgrafschaft Baden-Durlach und Baden-Baden.

12 Baden-Baden, Kloster zum Hl. Grab, 2. Hälfte des 19. Jahrunderts (Marco Müller). Hier lebte um 1730 Maria Josepha, die getaufte Tochter von Hayum Flörsheim.

13 Baden-Baden, Neues Schloss und Kloster zum Hl. Grab, um 1995 (Roland Seiter). Die Gründung des Klosters 1670 geht auf Markgräfin Maria Franziska zurück, die Frau von Leopold Wilhelm, dem zweiten Sohn von Markgraf Wilhelm. Die räumliche Nähe von Schloss und Kloster macht das enge Verhältnis zwischen dem markgräflichen Haus und der gegenreformatorisch orientierten Kirche sichtbar.

14 Die Vermögensverteilung bei den Schutzjuden in der Markgrafschaft Baden-Baden 1709 und 1755/1756

Zu: Die Vermögensentwicklung bei den Schutzjuden im Kerngebiet der Markgrafschaft, S. 365–371 (Graphik: Klaus Ulrich Mohr)

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LEO PETERS (HG.)

EINE JÜDISCHE KINDHEIT AM NIEDERRHEIN DIE ERINNERUNGEN DES JULIUS GRUNEWALD (1860 BIS 1929)

Die autobiographischen Aufzeichnungen des jüdischen Arztes Dr. Julius Grunewald (1860–1929) aus Kaldenkirchen an der deutsch-niederländischen Grenze führen Kindheit und Jugend eines hellwachen, scharfsichtig beobachtenden und früh schon seine Lebensumstände reflektierenden Jungen vor Augen. Von väterlicher Seite streng jüdisch-orthodox geprägt, von mütterlicher Seite eher liberal und vor allem musisch beeinflusst, beschreibt Grunewald seine Kindheit und Jugend in einer Generation, deren Eltern noch Metzger und Kleinhändler, deren Kinder aber schon Großbürger und wissenschaftlich herausragende Persönlichkeiten waren. Grunewald sieht seine Glaubensgenossen durchaus kritisch, stellt aber die religiöse Inbrunst, die ihn als Jugendlicher in Synagoge und Familie erfasste, detailreich, glaubhaft und nachvollziehbar dar. Viele andere Aspekte – das Verhältnis zur christlichen Bevölkerung, der Besuch konfessioneller Schulen, die politische Orientierung der Juden im Kulturkampf – machen die Lektüre dieser Kindheits- und Jugenderinnerungen zu einer einmaligen Binnensicht jüdischen Alltags zwischen 1860 und 1880. 2009. 183 S. MIT 54 S/W-ABB. GB. 155 X 235 MM. ISBN 978-3-412-20356-6

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JACOB SIMON

EIN JÜDISCHES LEBEN IN THÜRINGEN LEBENSERINNERUNGEN BIS 1930 ( VERÖFFENTLICHUNGEN DER HISTORISCHEN KOMMISSION FÜR THÜRINGEN. GROSSE REIHE, BAND 17)

Jacob Simon (1865–1943) stammte aus einer Familie, die in der jüdischen Gemeinde Hildburghausens über mehrere Generationen Führungspositionen innehatte. Nach dem Jurastudium in München, Leipzig und Jena ließ er sich 1891 als Rechtsanwalt in Meiningen nieder und übernahm 1919 den Vorsitz der dortigen jüdischen Gemeinde. 1933 verlor er die Zulassung als Notar, 1938 die als Rechtsanwalt. Jacob Simon und seine Ehefrau wurden 1942 nach Theresienstadt deportiert, wo beide im Jahr darauf starben. Seine zwischen 1919 und 1930 geschriebenen Erinnerungen, die hier erstmals veröffentlicht werden, zeichnen ein lebendiges Bild des Alltags jüdischen Lebens in Thüringen während der Weimarer Republik. HG. VON JOHANNES MÖTSCH UND KATHARINA WIT TER 2009. VIII, 308 S. 8 S/W-ABB. AUF 6 TAF. GB. 170 X 240 MM. ISBN 978-3-412-20382-5

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Jüdische Lebenswelten im Rheinl and Kommentierte Quellen von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart Be arbeitet von Elfi Pr acht-Jörns

Die Geschichte der jüdischen Minderheit im Rheinland von der Frühen Neuzeit bis heute steht im Mittelpunkt dieser Publikation. In 85 kommentierten Quellen wird ein neuer Blick auf die jüdische Geschichte geworfen. Jüdische Männer und Frauen werden nicht – wie so häufig – in erster Linie als Objekt von Herrschafts- und Behördenhandeln betrachtet, sondern kommen in den meisten Texten selbst zu Wort. Die Vielzahl der Quellengattungen und Perspektiven zeigt den Facettenreichtum jüdischen Lebens vom 16. Jahrhundert bis in die Gegenwart innerhalb der sich wandelnden Mehrheitsgesellschaft. Das Buch richtet sich an alle interessierten Leser, die anhand der aussagekräftigen Texte mit den ausführlichen Einführungen und Kommentaren authentische Einblicke in die jüdischen Lebenswelten im Rheinland gewinnen wollen. Knappe Epochenüberblicke, ein Beitrag zur Quellensituation, eine Zeittafel und ein Glossar sowie eine historisch-thematische Karte runden den Band ab und ermöglichen als Lesebuch eine breite Nutzung in Schulen, Universitäten und sonstigen Bildungseinrichtungen. 2011. XIV, 404 S. Mit 22 s/w-Abb., 1 farbige Karte in Rückentasche. Gb. 240 x 170 mm. ISBN 978-3-412-20674-1

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