Nationsbildung als Übersetzungsprojekt: Giuseppe Mazzinis italienische Translationspolitik 3515126783, 9783515126786

Der translatorische Aspekt bei Giuseppe Mazzini stellt eine bislang nur wenig beachtete Facette in der Forschung zu eine

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German Pages 274 [278] Year 2020

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Table of contents :
INHALTSVERZEICHNIS
VORWORT
1. EINLEITUNG
1.1 THEORETISCHE ANNÄHERUNG UND VERORTUNG
1.1.1 Antoine Berman: Das Übersetzungskonzept der deutschen Romantik
1.1.2 Naoki Sakai: Bordering durch Translation
1.1.3 André Lefevere: Manipulation und das politische Potenzial von Literaturübersetzung
1.1.4 Michael Cronin: Die identitätskonstituierende Rolle von Translation in Irland
1.2 ÜBERSETZUNG ALS PERFORMATIVER POLITISCHER AKT – TRANSLATIONS- UND POLITIKBEGRIFF
1.3 DIE FALLSTUDIE ALS METHODE IN DER TRANSLATIONSWISSENSCHAFT
2. HISTORISCH-KULTURELLER HINTERGRUND
2.1 MAZZINI UND DAS RISORGIMENTO
2.2 ROMANTICISMO IN ITALIEN UND BEI MAZZINI
2.2.1 Romanticismo in Italien: Übersetzung und Literatur im Spannungsfeld zwischen Klassizismus und Romantik
2.2.2 Mazzini und der Romanticismo: Kritik an einer unvollendeten Epoche und engagierte (National-)Literatur
3. MAZZINIS ÜBERSETZUNGSPROJEKT
3.1 ANALYTISCHE VORÜBERLEGUNGEN
3.2 MAZZINIS BIBLIOTECA DRAMMATICA: GRUNDIDEE UND KONZEPT
3.3 FALLSTUDIEN
3.3.1 Mazzini und der „Chatterton“ Alfred de Vignys
3.3.2 Mazzini und der „Angelo“ Victor Hugos
3.3.3 Mazzini und „Der vierundzwanzigste Februar“ Zacharias Werners
3.3.4 Zusammenfassung und Diskussion der Analyseergebnisse
4. FAZIT UND AUSBLICK
LITERATURVERZEICHNIS
PRIMÄRLITERATUR
WEITERE LITERATUR UND QUELLEN
NAMENSREGISTER
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Nationsbildung als Übersetzungsprojekt: Giuseppe Mazzinis italienische Translationspolitik
 3515126783, 9783515126786

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Kathrin Engelskircher

Nationsbildung als Übersetzungsprojekt Giuseppe Mazzinis italienische Translationspolitik

Franz Steiner Verlag

Studien zur Übersetzungsgeschichte

1

Studien zur Übersetzungsgeschichte Herausgegeben von Andreas Gipper, Lavinia Heller und Robert Lukenda Wissenschaftlicher Beirat: Lieven D’Hulst, Larisa Schippel, Michael Schreiber, Michele Sisto Band 1

Nationsbildung als Übersetzungsprojekt Giuseppe Mazzinis italienische Translationspolitik Kathrin Engelskircher

Franz Steiner Verlag

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein.

Umschlagabbildung: Claudius Ptolemaeus: Cosmographia. Lateinische Übersetzung von Jacobus Angeli. Herausgegeben von Nicolaus Germanus. Ulm: Lienhart Holl, 16.VII.1482. Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, 2° Inc 2640 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2020 Dissertation Universität Mainz D77 Druck: Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-12678-6 (Print) ISBN 978-3-515-12683-0 (E-Book)

INHALTSVERZEICHNIS VORWORT .................................. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1 EINLEITUNG ............................... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1.1 1.1.1 1.1.2 1.1.3 1.1.4 1.2 1.3

Theoretische Annäherung und Verortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Antoine Berman: Das Übersetzungskonzept der deutschen Romantik ....... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Naoki Sakai: Bordering durch Translation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . André Lefevere: Manipulation und das politische Potenzial von Literaturübersetzung ...... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Cronin: Die identitätskonstituierende Rolle von Translation in Irland ....... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übersetzung als performativer politischer Akt – Translations- und Politikbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Fallstudie als Methode in der Translationswissenschaft . . . .

21 22 30 35 39 45 52

2 HISTORISCH-KULTURELLER HINTERGRUND . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 2.1 2.2 2.2.1 2.2.2

Mazzini und das Risorgimento . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Romanticismo in Italien und bei Mazzini . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Romanticismo in Italien: Übersetzung und Literatur im Spannungsfeld zwischen Klassizismus und Romantik . . . . . . . . . . Mazzini und der Romanticismo: Kritik an einer unvollendeten Epoche und engagierte (National-)Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3 MAZZINIS ÜBERSETZUNGSPROJEKT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 3.1 3.2 3.3 3.3.1 3.3.1.1 3.3.1.2 3.3.1.3 3.3.1.3.1 3.3.1.3.2 3.3.2

Analytische Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 Mazzinis Biblioteca Drammatica: Grundidee und Konzept . . . . . 104 Fallstudien ........................ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 Mazzini und der „Chatterton“ Alfred de Vignys . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 Literaturkritische Ebene: Der Dichter und die Gesellschaft . . . . 129 Religiöse Ebene: Das Martyrium als Handlungsmodell . . . . . . . . . 133 Politische Ebene: Italien und Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 Zerrissenheit und Einheit Italiens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 Italienische und europäische Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 Mazzini und der „Angelo“ Victor Hugos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159

6

Inhaltsverzeichnis

3.3.2.1 3.3.2.2 3.3.2.3 3.3.2.3.1 3.3.2.3.2 3.3.3 3.3.3.1 3.3.3.2 3.3.3.3 3.3.4

Literaturkritische Ebene: Romantik- und Gesellschaftskritik . . 169 Religiöse Ebene: Die Erlösung der Menschheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 Politische Ebene: Brückenbau und Bordering . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 Mazzinis Literaturkanon ..... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 Italienische und europäische Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 Mazzini und „Der vierundzwanzigste Februar“ Zacharias Werners ............ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 Literaturkritische Ebene: Der Fatalismusdiskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 Religiöse Ebene: Begründung einer Demotheokratie . . . . . . . . . . . . 219 Politische Ebene: Königsmord, Völkerfluch und der Ausweg . . 222 Zusammenfassung und Diskussion der Analyseergebnisse . . . . . 234

4 FAZIT UND AUSBLICK ................ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 LITERATURVERZEICHNIS ........... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 Primärliteratur ............................ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 Weitere Literatur und Quellen .......... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 NAMENSREGISTER .................... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273

VORWORT Der translatorische Aspekt bei Giuseppe Mazzini stellt eine bislang nur wenig beachtete Facette in der Forschung zu einem der Gründungsväter des italienischen Nationalstaats dar. Dabei prägen Idee, Konzept und Umsetzung einer Erneuerung Italiens qua Übersetzung das Denken und Handeln Mazzinis viele Jahre lang. Die Verbindung von Literaturübersetzung und -kritik, Politik sowie gesellschaftlichen und religiösen Fragen manifestiert sich in Mazzinis Biblioteca Drammatica und macht aus dem nation-building Italiens ein per se europäisches Projekt, das zu seiner Zeit als einzigartig zu bezeichnen ist. Der Austausch über Grenzen hinweg bildet in diesem Kontext eine Grundlage für europäisches Denken auch in der heutigen Zeit. Bei diesem Buch handelt es sich um eine geringfügig geänderte Version meiner Dissertation, die am 25.1.2019 am Fachbereich für Translations-, Sprach- und Kulturwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz erfolgreich verteidigt wurde. Lehrjahre sind keine Herrenjahre, und so muss ich sagen, dass auch die Zeit meiner Promotion mich immer wieder vor diverse Herausforderungen gestellt hat, seien sie fachlicher, gesundheitlicher oder auch privater Natur. Deshalb gebührt einigen Personen, die mich in diesen Jahren mit Rat und Tat unterstützt, mich stets ermutigt und mir zur Seite gestanden haben und denen ich mein nun vorliegendes Buch mit Stolz widmen möchte, mein aufrichtiger und herzlicher Dank. Zunächst einmal möchte ich mich bei meinem Betreuer und Erstgutachter Herrn Prof. Dr. Andreas Gipper bedanken, der mich während meiner Studienzeit in Germersheim überhaupt erst auf die Idee zu einer Promotion gebracht hat. Er hat mich nicht nur für mein Thema begeistert, sondern auch stets an mich und die Qualität der Arbeit geglaubt. Aus unseren Gesprächen habe ich stets Kraft und Zuversicht geschöpft, sie haben mich sowohl fachlich als auch menschlich sehr bereichert. In diesem Kontext möchte ich auch meinen beiden weiteren Gutachtern, Frau Prof. Dr. Cornelia Sieber und Herrn Prof. Dr. Michael Schreiber, danken, dass sie sich bereit erklärt haben, die Durchsicht und Bewertung meiner Arbeit mit zu übernehmen. Sowohl Herr Gipper als auch Herr Schreiber waren zudem Mitglieder des vom Gutenberg-Nachwuchskolleg (GNK) geförderten Mini-Graduiertenkollegs „Politik der Translation“, das mir und vier weiteren Stipendiatinnen über drei Jahre weitreichende Forschung, Diskussionsraum und Qualifizierung ermöglichte – eine Erfahrung, die mich durchweg bereichert und vorangebracht hat. Dank gebührt darüber hinaus Frau Liliana Bertuzzi aus der Casa Mazzini in Genua, die meinen Forschungsaufenthalt vor Ort so angenehm gemacht hat, sowie Frau Katharina Stüdemann vom Franz Steiner Verlag, die mir im Hinblick auf

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Vorwort

das nun vorliegende Buch mit Rat und Tat zur Seite gestanden hat. Des Weiteren möchte ich mich bei der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für ihren großzügigen Druckkostenzuschuss bedanken, ohne den ich mein Dissertationsprojekt nicht in dieser Form hätte zu Ende führen können. Last but not least gebührt meiner Familie mein herzlichster Dank, meinen Eltern und meiner Schwester, die mich durch diese nicht immer einfachen Jahre begleitet haben und immer ein offenes Ohr für mich hatten, genauso wie bei meinen wunderbaren Freunden, die all meine Zweifel und meinen Enthusiasmus mit mir durchlebt haben und neben meinem Papa auch als Korrektoren sowie Berater zur Verfügung standen. Ihnen allen verdanke ich dieses Buch – und den damit verbundenen akademischen Grad. Germersheim, im Januar 2020 Kathrin Engelskircher

L’educazione è il pane dell’anima. Come la vita fisica, organica, non può crescere e svolgersi senza alimenti, così la vita morale, intellettuale, ha bisogno, per ampliarsi, e manifestarsi, delle influenze esterne e d’assimilarsi parte almeno delle idee, degli affetti, delle altrui tendenze.1 (Giuseppe Mazzini)

1. EINLEITUNG In the last few decades the „politics of translation“ has emerged as a fundamental topic, even for the more technical debates within translation studies, while the concept of translation itself has been politicized and used as a theoretical tool in discussions of nationality, citizenship, multiculturalism, and globalization.2

Im Rahmen eines wachsenden Interesses an politischen Aspekten von Translation3 ist auch die Rolle von Übersetzung im Hinblick auf Nationenbildungsprozesse seit den 1980er Jahren verstärkt in den Fokus der Translationswissenschaft gerückt. Hierbei wird zunehmend auch der Zusammenhang zwischen Übersetzung und der „Herausbildung von nationalen Literatursprachen und Nationalliteraturen überall auf der Welt“4 betont, wobei „übersetzerische Kulturtransferprozesse historisch als originäre Katalysatoren des ‚nation-building‘ zu begreifen“5 sind. Dies bildet ein Forschungsfeld, das verschiedene Bereiche, wie etwa Translations-, Sprach-, Kultur- oder auch Politik- und Sozialwissenschaften beschäftigt bzw. beschäftigen kann, bisher jedoch kaum interdisziplinär behandelt wurde. 1 2 3

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Mazzini, Giuseppe: „Dei doveri dell’uomo“ (1841–1860), in: Edizione Nazionale degli Scritti di Giuseppe Mazzini. Scritti editi ed inediti (folgend: SEI), Bd. LXIX, Politica XXIV, Imola 1935, S. 3–145, hier S. 81. Sakai, Naoki: „Transnationality and bordering“, in: Trans-Science, Dezember 2012, http://anthro pology.uchicago.edu/docs/Sakai_2.pdf (10.5.2015), S. 1–31, hier S. 3. Vgl. auch Sakai, Naoki: Translation and subjectivity. On Japan and cultural nationalism, Minneapolis 1997. Unter dem Terminus „Translation“ werden sowohl die Tätigkeiten des Übersetzens als auch des Dolmetschens subsumiert. In der vorliegenden Arbeit wird in Bezug auf Mazzinis Projekt hauptsächlich der Terminus „Übersetzung“ verwendet, weil Mazzini sich ausschließlich auf schriftliche Texte bezieht und nicht etwa das Dolmetschen bzw. jedwede Art mündlicher Übertragung miteinbezieht. Gipper, Andreas/Dizdar, Dilek: „Einleitung: Übersetzung als Konstruktionselement nationaler Identität“, in: Dilek Dizdar/Andreas Gipper/Michael Schreiber (Hgg.): Nationenbildung und Übersetzung, Berlin 2015, S. 7–16, hier S. 7. Ebd., hier S. 8. Vgl. auch: Kelletat, Andras F.: „Von (kleinen) Nationen und dem Übersetzen als nation building. Ein Nachtrag zu Herder“, in: Dilek Dizdar/Andreas Gipper/Michael Schreiber (Hgg.): Nationenbildung und Übersetzung, Berlin 2015, S. 43–58.

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Einleitung

Dabei stellt nicht nur der Blick auf den Zusammenhang von Nationbildung und Übersetzung einen neuen Zweig der Translationswissenschaft dar, sondern die Untersuchung des politischen Aspekts von Translation an sich ist Teil eines insgesamt bislang eher vernachlässigten Forschungsfelds in der noch relativ jungen Disziplin der Translationswissenschaft – die selbst unterschiedliche Bereiche umfasst:6 Sie gilt als eine […] multidisciplina di grande profondità e ampiezza, che attinge ispirazione da discipline diverse – la linguistica, la letteratura, gli studi culturali, la storia, l’antropologia, l’etnografia, la pscicologia, la filosofia e la teologia – e abbraccia diversi aspetti, dal puramente teorico al descrittivo e all’applicato.7

Bei der Untersuchung des politischen Potenzials von Translation in politischen, sozialen und kulturellen Kontexten ist oftmals ein performatives Verständnis von Translation festzustellen. In den Fokus des Forschungsinteresses rücken hierbei sowohl Produkte als auch Prozesse translatorischen Handelns.8 Translation wird nicht als neutraler Transfer von Botschaften definiert, sondern als intentionale Tätigkeit. Dabei wird nicht davon ausgegangen, dass Translation per se politisch ist, sondern dass sie in bestimmten Kontexten eine politische Dimension erhalten kann, die entsprechende Wirkung entfaltet. Jeder Text und jede Translation weisen politisches Potenzial auf, das dynamisch und veränderbar die „‚Politischwerdung‘ eines Texts in einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort“9 bedingen kann. Bei jeder Untersuchung von und Reflexion über Translation ist folglich deren Kontext zu beachten; „[t]ranslations are not made in a vacuum. Translators function in a given culture at a given time. The way they understand themselves and their culture is one of the factors that may influence the way in which they translate.“10 Das politische Potenzial einer Translation liegt jedoch nicht allein im Text begründet, sondern wird gerade auch vom Translator – und seinen Rezipienten – generiert, woraus sich wiederum politische Verantwortung ableitet:

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Vgl. Lefevere, André: Translation History Culture. A sourcebook, New York 1992, S. XI; sowie Álvarez, Román/Vidal, M. Carmen-África: „Translating: A political act“, in: Román Álvarez/ M. Carmen-África Vidal (Hgg.): Translation Power Subversion, Clevedon/Bristol/Adelaide 1996, S. 1–9, hier S. 1. Ulrych, Margherita: Tradurre. Un approccio multidisciplinare, Turin 1997, S. XIII. Vgl. auch Mason, Ian: „Research training in Translation Studies“, in: The Interpreter and Translation Trainer, 3 (1/2009), S. 10–25, hier S. 13. Vgl. Holz-Mänttäri, Justa: Translatorisches Handeln. Theorie und Methode (Annales Academiae Scientiarum Fennicae B 226), Helsinki 1984; Vermeer, Hans J.: „Texttheorie und Translatorisches Handeln“, in: Target 2 (1990), S. 219–242, sowie Kapitel 1.2 der vorliegenden Arbeit. Dizdar, Dilek: Translation – Um- und Irrwege, Berlin 2006, S. 333. Lefevere, Translation History Culture, S. 14. Vgl. auch Kelletat, „Von (kleinen) Nationen“, in: Dizdar/Gipper/Schreiber, Nationenbildung und Übersetzung, S. 43–58; Dizdar, Translation, S. 332; sowie Fuchs, Martin: „Soziale Pragmatik des Übersetzens. Strategien der Interkulturalität in Indien“, in: Joachim Renn/Jürgen Straub/Shingo Shimada (Hgg.): Übersetzung als Medium des Kulturverstehens und sozialer Integration, Frankfurt/New York 2002, S. 292–322, hier S. 292.

Einleitung

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In dieser Perspektive, in der die Arbeit mit und an den Sprachen, im Prinzip jede sprachliche Handlung, die andere Kulturen und die ihr Zugehörigen repräsentiert, existenziell aufgeladen, als Gestaltung sozialer Beziehungen aufgefasst und damit moralisiert und politisiert wird, scheint im zu übersetzenden Text das Antlitz von Anderen und Fremden auf – und die Beziehung des Übersetzers zu ihnen. […] Die Performativität […] verwickelt den Übersetzer in ein von Macht und Herrschaft durchzogenes Handlungsfeld, in dem verletzliche Personen miteinander Umgang pflegen, einander dominieren, miteinander kooperieren usw. Der Grad, in dem ein Übersetzer unmittelbar in diese historische Praxis verstrickt ist und eingreift, mag unterschiedlich ausfallen, seine Position und sein Einfluss mögen variieren. Doch selbst der um permanente Perspektivenwechsel, Selbstreflexion und reflexive Relationierungen im Zeichen epistemischer Sorgfalt und normative Ansprüche bemühte Beobachter und Analytiker ist in der einen oder anderen Weise existenziell verstrickt […].11

Translatoren verfügen über eigene Machtkompetenzen, da sie – zumindest bis zu einem gewissen Grad – eine bewusste Entscheidung für oder gegen bestimmte Texte fällen, um sich mit diesen aktiv in die Gestaltung von Gesellschaft einzubringen.12 „Bis zu einem gewissen Grad“ deshalb, weil Translatoren selbst ökonomischen, kulturellen, gesellschaftlichen oder politischen Zwängen unterliegen.13 Translate spiegeln folglich die Bedingungen ihres Kontexts, ihrer historischen, politischen und kulturellen Entstehungsumstände sowie die individuelle Persönlichkeit ihres Translators. Durch verstärkte Globalisierungsprozesse sind Translationstätigkeiten nicht zurückgegangen, sondern deren Notwendigkeit und Umfang im Gegenteil geradezu explodiert. Dies geht jedoch nicht allein auf die Interessen der jeweiligen Auftraggeber zurück.14 Translation transportiert und fördert in einer globalisierten Welt regionale, lokale sowie nationale Spezifika und Identitäten,15 birgt gleichzeitig jedoch auch die Gefahr einer Unterdrückung spezifischer Besonder- und vor allem Minderheiten.16 Als „cultural political practice“17 ist sie 11

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Straub, Jürgen: „Differenz und prekäre Äquivalenz in einer Übersetzungskultur. Ein hermeneutischer Rahmen für die exemplarische psychologische Analyse eines ‚Übersetzungsfehlers‘“, in: Joachim Renn/Jürgen Straub/Shingo Shimada (Hgg.): Übersetzung als Medium des Kulturverstehens und sozialer Integration, Frankfurt/New York 2002, S. 346–389, hier S. 363 f. Vgl. Arrojo, Rosemary: „Writing, interpreting, and the power struggle for the control of meaning: Scenes from Kafka, Borges, and Kosztolányi“, in: Maria Tymoczko/Edwin Gentzler (Hgg.): Translation and Power, Amherst 2002, S. 63–79, hier S. 78. Vgl. Lefevere, André: „Translation and canon formation: Nine decades of drama in the United States“, in: Román Álvarez/M. Carmen-África Vidal (Hgg.): Translation Power Subversion, Clevedon/Bristol/Adelaide 1996, S. 138–155, hier S. 139; Simon, Sherry: „Germaine de Staël and Gayatri Spivak: Culture brokers“, in: Maria Tymoczko/Edwin Gentzler (Hgg.): Translation and Power, Amherst 2002, S. 122–140, hier S. 139; sowie Venuti, Lawrence: „Introduction“, in: Lawrence Venuti (Hg.): Rethinking translation. Discourse Subjectivity Ideology, London 1992, S. 1–17, hier S. 9. Vgl. Cronin, Michael: Translation and Globalization, London/New York 2003, S. 34 ff. Vgl. Renn, Joachim: „Übersetzungskultur – Grenzüberschreitung durch Übersetzung als ein Charakteristikum der Moderne“, in: Sociologia Internationalis 3 (1998), S. 141–169, hier S. 160, sowie Fuchs, „Soziale Pragmatik“, in: Renn/Straub/Shimada, Übersetzung als Medium, hier S. 292. Vgl. Cronin, Michael: Translating Ireland, Cork 1996, S. 69 f. Venuti, Lawrence: The translator’s invisibility. A history of translation, 2. Auflage, London/New York 2008, S. 15.

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Einleitung

wesentlich für das Bild, das Ausgang- und Zielkultur voneinander entwickeln, verantwortlich – wobei sie besonders problematisch wird, wenn Ausgangs- und Zielkultur sich wesentlich voneinander unterscheiden.18 Ein Bewusstsein für das politische Potenzial von Translation ist für Studien im Rahmen des Themenkomplexes „Übersetzung und Nationsbildung“ unabdingbar – so auch für die vorliegende Untersuchung, die sich mit der Rolle, die Übersetzung im Einigungsprozess Italiens im Risorgimento spielt, beschäftigt. Im Fokus der Analyse steht das Übersetzungsprojekt des Demokraten Giuseppe Mazzini (1805–1872), das sich in den „Reigen translatorischer Handlungen mit dem ‚Skopos‘ der Konstruktion nationaler Gemeinschaften“19 im Europa des 19. Jahrhunderts einbetten lässt. Auch wenn Mazzini im Vergleich zu anderen Größen des Risorgimento wie etwa Cavour, Vittorio Emanuele II. oder Garibaldi lange Zeit weniger Aufmerksamkeit zuteil geworden ist,20 gilt der Republikaner und Konspirateur mittlerweile als einer der Gründungsväter der italienischen Nation.21 Bereits Fürst von Metternich (1773–1859) – im 19. Jahrhundert einer der mächtigsten Antagonisten von Mazzinis Idee einer demokratischen, unabhängigen Republik Italien – erkannte dessen Engagement an: Ich hatte gegen die grössten Feldherrn zu kämpfen; es gelang mir Kaiser, Könige, einen Zaren, einen Sultan, einen Papst zu einigen. Aber niemand auf Erden hat mir grössere Schwierigkeiten bereitet als ein Schuft von einem Italiener, mager, blass, zerlumpt, aber beredt wie ein Sturm, glühend wie ein Apostel, abgefeimt wie ein Dieb, frech wie ein Komödiant, unermüdlich wie ein Verliebter, und der hiess Giuseppe Mazzini.22

Mazzinis politisches Handeln und Wirken ist Gegenstand vieler Forschungen, die dessen Einfluss auf den Einigungsprozess Italiens hinreichend belegen sowie seine Vorstellung von Demokratie und Nationbildung aus den verschiedensten Perspektiven aufarbeiten und deuten.23 Mazzinis Hinterlassenschaft an politischen Schriften sowie Aufsätzen und seine geradezu exzessive Korrespondenz geben hierzu umfangreiches Forschungsmaterial an die Hand. Mazzini wurde als „chief inspi18 19 20 21 22 23

Vgl. Fenton, Sabine/Moon, Paul: „The translation of the Treaty of Waitangi: A case of disempowerment“, in: Maria Tymoczko/Edwin Gentzler (Hgg.): Translation and Power, Amherst 2002, S. 25–44, hier S. 41 f.; sowie Dizdar, Translation, S. 335. Kelletat, „Von (kleinen) Nationen“, in Dizdar/Gipper/Schreiber, Nationenbildung und Übersetzung, hier S. 45. Vgl. Mack Smith, Denis: Mazzini, New Haven/London 1994, S. 1 f.; sowie Commissione per l’Edizione Nazionale degli Scritti di Giuseppe Mazzini: „Introduzione“, in: SEI, Bd. I, Letteratura I, Imola 1906, S. VII–XXXIII, hier S. XXIV f. Vgl. Fournier Finocchiaro, Laura: Giuseppe Mazzini. Un intellettuale europeo, Neapel 2013, S. 230. Metternich, Klaus Wenzel Lothar von, zit. nach: Meier, Anton Meinrad: Giuseppe Mazzini – Flüchtling und Revolutionär, Grenchen 2005, S. 1. Vgl. etwa Rowley, David G: „Giuseppe Mazzini and the democratic logic of nationalism“, in: Nations and Nationalism 18 (1/2012), S. 39–56, hier S. 39 f.; Finelli, Michele: L’eredità di Mazzini: l’Edizone Nazionale degli Scritti, http://www.bibliotecaprovinciale.foggia.it/capitanata/2006/ 2006pdf/2006_20_127-138_Finelli.pdf (22.10. 2015), S. 127–138, hier S. 137 f.; sowie Sarti, Roland: Mazzini. A life for the religion of politics, Westport 1997, S. 223 ff.

Einleitung

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rer and leading political agitator of the Italian Risorgimento“24, als „cospiratore rivoluzionario, repubblicano intransigente, socialista, socialdemocratico, riformista umanitario, riformatore spirituale, precursore del nazionalismo, guida morale, modello di onestà politica, anticipatore dell’unita europea“25, als „uno dei pensatori più originali del XIX secolo e il protagonista più importante del Risorgimento italiano“26 interpretiert. Jüngere Studien rücken insbesondere die Verbindung von nationaler Idee und europäischem Denken bei Mazzini in den Fokus, wobei er vornehmlich als „leader della democrazia italiana ed europea“27 gesehen wird. Mazzini jedoch rein auf seine politischen Aktivitäten zu reduzieren, die – wie aufzuzeigen ist – gar nicht von seinen literarischen und übersetzerischen Tätigkeiten zu trennen sind, wird seinem Engagement hinsichtlich einer kulturellen – und daraus folgenden politischen – Erneuerung Italiens nicht gerecht.28 Mazzini konzipiert bereits in jungen Jahren als Anhänger der romantischen Bewegung das Projekt einer Biblioteca Drammatica, einer Sammlung übersetzter und kommentierter Dramen, die literarische Übersetzung zur Grundlage für kulturelle und politische Bildung macht – und damit die Frage nach einer Politik der Translation bzw. einer Politik durch Translation aufwirft. Im Hinblick auf Mazzinis translatorisches Denken und Handeln sowie dessen politische Einordnung liegt bisher noch keine umfassende wissenschaftliche Untersuchung vor, was gerade deshalb überrascht, weil sich in diversen Studien immer wieder Hinweise auf translatorische Schwerpunkte bei Mazzini und die Relevanz sowie Besonderheit seiner Übersetzungskonzeption finden. So hat in der deutschsprachigen Italianistik insbesondere Sabine Schwarze auf Mazzinis übersetzerischen Einfluss verwiesen. In ihrem Aufsatz „‚Il doppio genio, che corre nel tradurre …‘. Die Klassiker-Übersetzung in der französisch-italienischen Sprachdebatte des 18. Jahrhunderts“29 beschäftigt sie sich unter anderem 24

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Recchia, Stefano/Urbinati, Nadia: „Introduction“, in: Stefano Recchia/Nadia Urbinati (Hgg.): A cosmopolitanism of nations: Giuseppe Mazzini’s writings on democracy, nation building, and international relations, Princeton 2009, S. 1–30, hier S. 1. Vgl. auch Fournier Finocchiaro, Giuseppe Mazzini, S. 1. Furiozzi, Gian Biagio: „Sull’attualità di Giuseppe Mazzini“, in: Il Pensiero Mazziniano 2 (2015), S. 44–47, hier S. 44. Vgl. auch Kostka, Edmund: Schiller in Italy. Schiller’s reception in Italy: 19th and 20th centuries, New York 1997, S. 76; sowie Fournier Finocchiaro, Giuseppe Mazzini, S. 1. Dell’Erba, Nunzio: Giuseppe Mazzini. Unità nazionale e critica storica, Padua 2010, S. 7. Vgl. auch Fournier Finocchiaro, Giuseppe Mazzini, S. 1. Della Peruta, Franco: „Giuseppe Mazzini dalla Giovine Italia alla Giovine Europa“, in: Stefania Bonanni (Hg.): Pensiero e Azione: Mazzini nel movimento democratico italiano e internazionale. Atti del LXII Congresso di storia del Risorgimento italiano, Rom 2006, S. 31–45, hier S. 31. Vgl. auch Dell’Erba, Giuseppe Mazzini, S. 7. Vgl. Fournier Finocchiaro, Laura: „Mazzini et le drame historique“, in: Françoise Decroisette (Hg.): L’histoire derrière le rideau. Écritures scéniques du Risorgimento, Rennes 2013, S. 47–59, hier S. 47. Vgl. Schwarze, Sabine: „‚Il doppio genio, che corre nel tradurre …‘. Die Klassiker-Übersetzung in der französisch-italienischen Sprachdebatte des 18. Jahrhunderts“, in: Dilek Dizdar/Andreas Gipper/Michael Schreiber (Hgg.): Nationenbildung und Übersetzung, Berlin 2015, S. 59–76.

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mit dem Gegensatz zwischen Klassizisten und Romantikern in Italien sowie der Forderung letzterer Gruppe nach kultureller Innovation aus dem Ausland. Im Einklang mit den und im Anschluss an die romantischen Conciliatori sowie Mme de Staël propagiere auch Mazzini vehement eine kulturelle Öffnung Italiens vor allem gegenüber zeitgenössischen Texten, insbesondere aus England und Deutschland. Durch eine solche Rezeption via Übersetzung solle die eigene Kultur und Sprache bereichert sowie weiterentwickelt und Anschluss an das moderne Westeuropa hergestellt werden. Schwarze widmet darüber hinaus gemeinsam mit Andreas Bschleipfer in ihrer Darstellung zu Übersetzungstheorie und Übersetzungskritik im Italien des 19. und 20. Jahrhunderts Mazzini und der Übersetzung zur Zeit des Risorgimento ein Unterkapitel.30 Die Autoren verorten Mazzini im kulturellen Spannungsverhältnis zwischen Abschottung und Anschluss an Europa als klaren Verfechter einer Öffnung gegenüber ausländischer Literatur durch Übersetzung. Sein Übersetzungskonzept sei in diesem Rahmen im Anschluss an die Conciliatori auf die Transparenz des Fremden gerichtet. Schwarze beschäftigt sich außerdem in ihrer Untersuchung zu „Sprachreflexion zwischen nationaler Identifikation und Entgrenzung“ mit dem italienischen Übersetzungsdiskurs des 18. und 19. Jahrhunderts, in dessen Dialektik zwischen Bewahrung und Erneuerung durch Sprache sich auch Mazzini verorten lasse.31 In ihrer Studie geht die Autorin auf die Entwicklung der Übersetzungslandschaft und ihrer Methoden sowie Ansätze in Italien ein. Im Kontext von verfremdenden und treuen Übersetzungskonzepten stellt Schwarze fest, dass Mazzini „die erste Phase und notwendige Voraussetzung für die gezielte Entwicklung einer letteratura europea“32 einläutet. Sein Ziel sei hierbei eine Europäisierung der italienischen Kultur, die dieser eine neue Führungsrolle zusichern solle. Dabei stehe Mazzini in der Nachfolge Melchiorre Cesarottis, der gut 50 Jahre zuvor eine „intellektuelle Einheit Europas fokussiert und das Konzept einer gemeinsamen europäischen Kultur entworfen“33 habe. Deshalb müssten die verschiedenen Einzelsprachen auch reformiert werden. Für Mazzini bilde die Entwicklung einer transnationalen Li30

Vgl. Bschleipfer, Andreas/Schwarze, Sabine: „196. Übersetzungstheorie und Übersetzungskritik in Italien im 19. und 20. Jahrhundert“, in: Harald Kittel et al. (Hgg.): Übersetzung – Translation – Traduction. Ein internationales Handbuch zur Übersetzungsforschung / An international encyclopedia of Translation Studies / Encyclopédie internationale de la recherche sur la traduction, 3. Teilband, Berlin 2011, S. 1951–1962. 31 Vgl. Schwarze, Sabine: Sprachreflexion zwischen nationaler Identifikation und Entgrenzung. Der italienische Übersetzungsdiskurs im 18. und 19. Jahrhundert, Münster 2004. 32 Ebd., S. 297. Vgl. auch Vranceanu, Alexandra/Pagliardini, Angelo: „Introduzione“, in: Alexandra Vranceanu/Angelo Pagliardini (Hgg.): Rifondare la letteratura nazionale per un pubblico europeo. Da un’idea di Giuseppe Mazzini, Frankfurt/Main 2015, S. 7–14, hier S. 7; sowie Wolfzettel, Friedrich: „Anstelle einer Einleitung: Literaturgeschichtliche Modelle als mythische Konstruktion im italienischen Risorgimento“, in: Friedrich Wolfzettel/Peter Ihring (Hgg.): Literarische Tradition und nationale Identität. Literaturgeschichtsschreibung im italienischen Risorgimento, Tübingen 1991, S. 1–72, hier S. 66. 33 Schwarze, Sprachreflexion, S. 284.

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teraturdimension die Bedingung für eine neue italienische Literatur und Kultur. In seinem pathetischen Projekt einer Scuola italiana nazionale ed europea insieme, das er 1830/31 in seinem in der Antologia erschienenen Artikel „Il dramma storico“ vorstellt, vereinen sich, so Schwarze, alle „Bemühungen um eine neue, am europäischen Maßstab orientierte italienische Literatur“34. Für deren Herausbildung spiele die Übersetzung, vor allem die auf Transparenz des Fremden hin ausgelegte Prosaübersetzung in Anlehnung an die Conciliatori, eine wesentliche Rolle, da alle Literaturen Europas in ihrer Gesamtheit erschlossen werden sollen. Übersetzung könne entsprechend nicht mehr der Affirmation einer rein italienischen Identität als italianità dienen, da sie nun für die Begründung einer transnationalen Literatur genutzt werden solle. Mit dem eigentlichen Übersetzungsprojekt Mazzinis, der bereits erwähnten Biblioteca Drammatica, beschäftigen sich lediglich wenige Publikationen in ausführlicherer Form. Uberto Limentani veröffentlicht 1949 unter dem Titel „Un’idea prediletta di Mazzini“35 einen zweiteiligen Aufsatz im Pensiero Mazziniano, der Konzept und Historie der Biblioteca Drammatica in groben Zügen unter Einbezug einiger, weniger Briefe nachzeichnet, ohne jedoch auf Details bzw. die komplexe und komplizierte Verwirklichungsgeschichte der Dramenreihe einzugehen. Zudem rekapituliert Limentani Mazzinis Ideen zu einer Rivista della letteratura europea sowie einer Bibliothèque du Proscrit, ohne jedoch deren strukturelle Zusammenhänge mit der Biblioteca Drammatica aufzuzeigen oder explizit auf die Rolle der Übersetzung in Mazzinis Denken und Handeln einzugehen. Dass Limentani Mazzinis zahlreiche Umsetzungsversuche der Dramenreihe am Ende seines Artikels als Einzelprojekte auflistet, zeugt von einem mangelnden Verständnis für das umfassende Gesamtkonzept Mazzinis. Der Autor unterstreicht zwar als „utile insegnamento“36 aus den gescheiterten Projekten Mazzinis, dass diese eine Neuausrichtung der italienischen Nationalliteratur sowie deren Weiterentwicklung gefördert haben. Jedoch fällt sein Urteil hinsichtlich einer tatsächlichen Verwirklichung der Ideen Mazzinis negativ aus – auch wenn er diesem eine Vorreiterrolle zugesteht: Questa, la storia dei molteplici tentativi mazziniani. Come in tante iniziative dell’esule, all’illuminante concezione mancò costantemente il crisma della messa in pratica. Pareva che il destino dovesse negare all’uomo dalle energie instancabili e dalla ferrea volontà la soddisfazione del successo concreto. Pareva che a lui fosse riservato il compito di tracciare ad altri la strada, di preparare il terreno, ma non di raccogliere i frutti.37

34 35 36 37

Ebd., S. 284. Vgl. Limentani, Uberto: „Un’idea prediletta di Mazzini (1)“, in: Il Pensiero Mazziniano 11 (10.11.1949), S. 7; sowie Limentani, Uberto: „Un’idea prediletta di Mazzini (2)“, in: Il Pensiero Mazziniano 12 (10.12.1949), S. 5–6. Ebd., hier S. 6. Ebd., hier S. 6.

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Ein Aufsatz Laura Fournier Finocchiaros aus dem Jahr 2013 beschäftigt sich mit „Mazzini et le drame historique“.38 Wie der Titel bereits nahelegt, geht die Verfasserin insbesondere auf die Entwicklung von Mazzinis Dramenkonzept ein und bespricht folglich auch in aller Kürze die literaturkritischen Aufsätze Mazzinis, die er im Rahmen der Biblioteca Drammatica verfasst – „Del dramma storico“, zum „Chatterton“ Alfred de Vignys, zu Victor Hugos „Angelo, tyran de Padoue“ sowie zu „Der vierundzwanzigste Februar“ Zacharias Werners –, ohne allerdings die Dramenreihe an sich zu thematisieren. Genauso fehlt auch im Falle Fournier Finocchiaros ein konkreter Bezug zur Übersetzung in Mazzinis Konzept. Die Autorin geht vielmehr auf die Verknüpfung zwischen kulturellem sowie politischem Denken bei Mazzini ein und konkludiert, dass […] pour Mazzini l’art n’est pas un simple instrument au service de la politique, c’était au contraire sa première passion que tout au long de sa vie il continue à alimenter par des articles de critique littéraire39.

Ilaria Gabbani widmet in ihrer Dissertation von 2015 über L’Italiano, eine der Zeitschriften Mazzinis, der Biblioteca Drammatica ein Kapitel.40 Sie geht auf das Konzept einer Umsetzung von theoretischen Ideen in die Praxis ein und beschreibt die Historie der Dramensammlung wiederum unter Einbezug auszugsweiser Korrespondenz. Ausführlich erläutert sie hierbei Übersetzung und Kommentierung des „Chatterton“ und bewertet das Werk Vignys als […] un modello di dramma perfetto per Mazzini, per il quale ogni tragedia doveva racchiudere in sé il conflitto tra la legge generale dell’epoca e la legge universale dell’umanità. Letto secondo queste categorie, il Chatterton di Vigny metteva in scena, dunque, la sconfitta della poesia (il principio morale universale) da parte dell’avido mercato editoriale capitalistico, che in quegli anni stava cominciando ad affermarsi (la legge dell’epoca).41

Auch Gabbani thematisiert die Relevanz der Übersetzung für das Mazzinianische Denken und Handeln nicht, ganz zu schweigen von einer Problematisierung derselben. Bei Angiola Ferraris findet die Biblioteca Drammatica eine kurze Erwähnung als die Idee zu einer Dramenreihe, die von der antiken Tragödie bis zu Schiller reichen solle und konzipiert sei als […] corso di letteratura e di critica drammatica, volto essenzialmente all’individuazione delle grandi linee tematico-evolutive della drammaturgia occidentale in vista degli sviluppi futuri della forma drammatica nella nuova epoca storica aperta dalla giovine Europa popolare e rivoluzionaria.42 38 39 40 41 42

Vgl. Fournier Finocchiaro, „Mazzini et le drame historique“, in: Decroisette, L’histoire derrière le rideau, S. 47–59. Ebd., hier S. 59. Vgl. Gabbani, Ilaria: L’Italiano. Un foglio letterario nella Parigi della Monarchia di Luglio, Paris/ Pisa 2015, https://core.ac.uk/download/pdf/79620344.pdf (19.6.2017), S. 73–77. Ebd., S. 75. Das „Gesetz der Epoche“ scheint mir von gänzlich anderer Natur zu sein; vgl. hierzu ausführlich Kapitel 3.2 sowie 3.3 der vorliegenden Arbeit. Ferraris, Angiola: Letteratura e impegno civile nell’Antologia, Padua 1978, S. 212. Vgl. auch Pirodda, Giovanni: Mazzini e gli scrittori democratici, Roma/Bari 1976, S. 22.

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In einer Fußnote merkt die Autorin an, dass die Biblioteca Drammatica aus finanziellen und zensorischen Gründen nicht verwirklicht werden konnte. Lediglich die „Chatterton“-Übersetzung von 1835 mit Mazzinis literaturkritischem Kommentar sowie die Übersetzung von „Der vierundzwanzigste Februar“ Zacharias Werners mit Mazzinis Aufsatz „Della fatalità considerata com’elemento drammatico“, publiziert 1838 in Brüssel, seien realisiert worden.43 Auch bei Ferraris fehlen sowohl jeglicher Hinweis auf eine Verortung von Mazzinis translatorischem Handeln als auch ein Verständnis für den (ursprünglich geplanten) Umfang der Dramensammlung. Die einzige übersetzungskomparatistische Studie im Hinblick auf Mazzinis Schaffen stammt von Annarosa Poli.44 Sie untersucht die Übersetzung des „Chatterton“ Alfred de Vignys, die Mazzini gemeinsam mit den Brüdern Giovanni und Agostino Ruffini im Rahmen der Biblioteca Drammatica anfertigt. Diese stellt eine der wenigen Literaturübersetzungen dar, an denen Mazzini direkt – mit dem Vorwort und dem dritten Akt – beteiligt ist.45 Poli führt Mazzinis Enthusiasmus für Vignys Drama auf die Identifikation des Exilanten und seiner gleichermaßen betroffenen Freunde mit dessen Protagonisten zurück: Anch’essi vivevano in miseria, nascosto sotto falso nome, con la minaccia continua di un arresto o di una fuga […]. Erano esuli non solo dall’Italia, ma anche da un mondo ideale dal quale li allontanava la società materialista contro la quale Chatterton aveva creduto di poter lottare.46

In ihrer Analyse stellt Poli fest, dass gemäß Mazzinis Postulat im Anschluss an die Conciliatori die Brüder Ruffini und er sehr treu übersetzen; nur an manchen Stellen weiche die italienische Version des „Chatterton“ geringfügig vom Original ab.47 Zudem arbeitet die Autorin heraus, dass Mazzini sich des Öfteren von semantischen Nuancen eines Wortes beeinflussen lasse, „fino a raggiungere una decoratività quasi fine a se stessa“48. Dies führe zu einer gewissen „Sperrigkeit“ der Übersetzung und einem Verlust der Unmittelbarkeit des Originals. Poli geht darüber hinaus im Rahmen ihrer Analyse von Mazzinis literaturkritischem Kommentar zum „Chatterton“ auf die Wichtigkeit des dramatischen Genres für Mazzini ein, der ein modernes Gesellschaftsdrama konzipiere, um seine humanitäre Mission propagieren zu können. In ihren Anmerkungen nennt sie fünf Projekte Mazzinis aus den Jahren 1835 bis 1836 – die Übersetzung von 43 44 45

46 47 48

Vgl. Ferraris, Letteratura e impegno civile, S. 211 f., Fußnote 67. Vgl. Poli, Annarosa: „Giuseppe Mazzini e la traduzione del Chatterton di Alfred de Vigny“, in: Centre d’études franco-italien. Universités de Turin e de Savoie (Hg.): Mélanges à la mémoire de Franco Simone. France et Italie dans la culture européenne, Genf 1984, S. 327–344. Wie die Recherchen im Rahmen der vorliegenden Arbeit belegen, lässt Mazzini fast ausschließlich von den Ruffinis oder anderen befreundeten Mitstreitern übersetzen und verfasst selbst Vorworte oder Begleitartikel bzw. übersetzt literarische Werke nur auszugs- oder versweise zur Verwendung in seinen Essays oder seiner Korrespondenz. Vgl. hierzu ausführlich Kapitel 3 dieser Arbeit. Poli, „Chatterton“, in: Centre d’études, Mélanges à la mémoire, hier S. 328. Vgl. ebd., hier S. 333; sowie ausführlich Kapitel 3.3.1 der vorliegenden Arbeit. Poli, „Chatterton“, in: Centre d’études, Mélanges à la mémoire, hier S. 335.

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und den Aufsatz zu „Chatterton“, die Übersetzung von und den Aufsatz zu „Ange“49 mit dem Versuch der Verwirklichung einer Biblioteca Drammatica in Genua, die Idee zu einer Rivista della letteratura europea, für deren Veröffentlichung zunächst Genua und anschließend Lugano vorgesehen ist, das Projekt einer collezione letteraria, die Umsetzung einer Reihe mit Werken deutscher Autoren unter Zusammenarbeit mit dem „Faust“-Übersetzer Giovita Scalvini sowie eine Bibliothèque du Proscrit gemeinsam mit Luigi Amedeo Melegari. Wie an der Aufzählung deutlich wird, stellt auch Poli keinen Zusammenhang zwischen den Projekten her, sondern sieht sie als einzelne Ideen Mazzinis, die widrigen Umständen zum Opfer fallen.50 Die Grundlage für die Analyse der vorliegenden Untersuchung bildet die Edizione Nazionale degli Scritti editi ed inediti di Giuseppe Mazzini, die – unterteilt in die Bereiche politische Schriften, Briefe sowie Literatur – seit dem Jahr 1906 in unregelmäßigen Abständen erscheint und bisher 107 Bände umfasst.51 Der neueste Band stammt aus dem Jahr 2005 und behandelt Mazzinis Schriften zum Thema „Età rivoluzionaria e napoleonica. Noti ed appunti“52. Die Publikation der Gesamtausgabe soll fortgesetzt werden, „as long as writings by Mazzini remain to be discovered“53. Die Beschäftigung mit dem umfangreichen Material der Edizione Nazionale stellt für jeden Mazzini-Forscher eine eigene Herausforderung dar.54 Martin Wight etwa sieht die Schwierigkeiten im Umgang mit Mazzinis Werk zum einen in dessen quantitativem Umfang begründet. Zum anderen erschwere Mazzinis Stil die Auseinandersetzung mit den Texten: „Wherever he is opened on any two pages, all his main ideas, broad simple themes, are indefinitely repeated with a richness of verbiage. One finds high generalities about duty, humanity, sacrifice, providence, improvement […].“55 Man muss Wights zweite Einschätzung nicht teilen, erstere trifft jedoch in jedem Falle zu. Laura Fournier Finocchiaro schätzt das Ausdrucksvermögen Mazzinis dagegen als […] facoltà di esporre concetti profondi in veste luminosa e poetica; fu un autore fecondo di saggi letterari, attraverso i quali promosse le sue idee di nazione e di Europa, un grande grafomane trilingue autore di un denso epistolario e un ideologo capace di sfruttare al meglio la retorica per costruire il suo sistema di pensiero logico, stabile ed articolato.56 49 50 51 52 53 54 55 56

Poli spricht tatsächlich von „Ange“, wobei nur der „Angelo“ Hugos gemeint sein kann. Vgl. ebd., S. 340, Anmerkung 2. Vgl. Sagramola, Giuseppe: Giuseppe Mazzini nel Risorgimento italiano. Pensiero/azione/educazione/politica, Viterbo 2014. S. 139, sowie Finelli, L’eredità di Mazzini, hier S. 127. Vgl. Rossi, Lauro (Hg.): SEI, Nuova Serie, Bd. VI. L’età rivoluzionaria e napoleonica. Note ed appunti, Rom 2005. Sarti, Mazzini, S. IX. Vgl. etwa Monsagrati, Giuseppe: Mazzini, Florenz 1994, S. 118. Wight, Martin: „Four seminal thinkers in international theory: Machiavelli, Grotius, Kant, and Mazzini“, in: Oxford Scholarship Online, Juli 2005, http://www.oxfordscholarship.com/view/10. 1093/0199273677.001.0001/acprof-9780199273676 (14.5.2015), S. 1–16, hier S. 2. Fournier Finocchiaro, Giuseppe Mazzini, S. 1 f.

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Sie verweist ebenfalls auf die Problematik der Erschließung von Mazzinis Werk aufgrund seines Umfangs, der Gliederung der Edizione Nazionale, die nicht chronologisch mit inhaltlichen Verknüpfungen vorgeht, sondern in die drei genannten Themenblöcke unterteilt ist, sowie von Mazzinis Ausdruck, „allo stesso tempo ridondante e contraddittorio“57. Die Aufteilung in die Bereiche Politik, Literatur und Korrespondenz durch die Edizione Nazionale erschwere eine erschöpfende Bearbeitung der Ideen Mazzinis zusätzlich zu dessen komplexem Denken, so auch Leonardo La Puma.58 Folge sei, dass Studien oftmals nur Teile seines Gedankenguts miteinbeziehen (könnten), insbesondere im Falle der Erstellung von Schemata und weiteren Kategorien zu einer quantitativen Einordnung. Hierbei werde die Tatsache vernachlässigt, dass die Schriften Mazzinis fast vollständig Ereignissen seiner Zeit und dem herrschenden kulturellen Diskurs geschuldet seien. So werden Begriffe und Schlagworte Mazzinis, wie etwa Pensiero e Azione oder Dio e Popolo häufig dekontextualisiert untersucht und damit zu kurzgreifend oder gar die ursprüngliche Idee entstellend interpretiert, wie La Puma darlegt.59 Carlotta Sorba sieht ebenfalls eine schwierige Zugänglichkeit zu Mazzinis Schaffen aufgrund seines nicht leserfreundlichen Stils, lobt aber Ausdrucksvermögen und inhaltliche Schärfe der Aufsätze: Although at first readers can be put off by Mazzini’s sometimes repetitive, unrestrained verbosity as well as by his „prescriptions“, it cannot be denied that his work is analytical, lucid, aware of the effective articulation of the artistic life of the times, and sensitive to the complex relation between creative individualities and the specificity of their time.60

Mazzini selbst war sich seines umfangreichen Werks und Schaffens sowie seines teils nachlässigen, teils vorsichtigen Umgangs mit seinen Autografen bewusst.61 Am 1. Januar 1851 schreibt er an eine seiner Übersetzerinnen ins Englische, Emilie A. Hawkes: My life is nothing but one thought and an unceasing activity for it; an activity however, which, a few instances excepted, has consisted of one or two millions of letters, notes, instructions, forgotten, lost, burnt.62

Eine tatsächlich erschöpfende Gesamtausgabe des schriftlichen Schaffens Mazzinis ist deshalb kaum realisierbar, weil dieses zu einem bestimmten Teil bereits von ihm selbst vernichtet worden ist. Vor allem Briefe aus den frühen Jahren sei57 58 59 60 61 62

Ebd., S. 6. Vgl. La Puma, Leonardo: Giuseppe Mazzini. Democratico e riformista europeo, Florenz 2008, S. 22. Vgl. ebd., S. 22. Sorba, Carlotta: „‚Comunicare con il popolo‘: Novel, drama, and music in Mazzini’s work“, in: C. A. Bayly/Eugenio F. Biagini (Hgg.): Giuseppe Mazzini and the globalisation of democratic nationalism 1830–1920, New York 2008, S. 75–92, hier S. 78. Vgl. Mazzini, Giuseppe: „Note autobiografiche“ (1861–66), in: SEI, Bd. LXXVII, Politica XXVI, Imola 1938, S. 1–397, hier S. 3 f. Mazzini, Giuseppe: „Brief an Emilie A. Hawkes, 1.1.1851 (MMMXCV)“, in: SEI, Bd. XLV, Epistolario XXIV, Imola 1926, S. 116–121, hier S. 119.

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ner Tätigkeit bei den Zeitschriften Indicatore Genovese sowie Indicatore Livornese wurden aus Vorsicht wegen deren politischer Brisanz zerstört.63 Auch in seiner ersten Exilzeit in Marseille und in der Schweiz handelt Mazzini entsprechend und gibt in seinen Briefen oftmals Anweisung, diese geheim zu halten.64 Zudem firmiert er seine Korrespondenz mit Freunden oder politischen Mitstreitern bis zu seiner Übersiedelung nach London Anfang 1837 mit „(F.) Strozzi“,65 die Briefe an seine Mutter unterzeichnet er als deren Nichte Emilia und nutzt auch für Freunde sowie Verbündete Decknamen.66 Ebenfalls aus einem Brief Mazzinis an Emilie A. Hawkes wird jedoch deutlich, wie unabdingbar für eine Analyse seiner Ideen die Beschäftigung mit seinen Schriften ist: La mia vita sta tutta quanta ne’ miei scritti e nel pensiero dominatore dell’anima mia d’aiutare a creare una Italia Nazione potente di fede, d’unità, e dell’Idea sociale Europea prenunziata da’ suoi Imperatori, da’ suoi Papi, poi da’ suoi grandi pensatori e da’ suoi martiri.67

Angesichts der beschriebenen Materialfülle ist es umso erstaunlicher, dass ein Band, der sich ausschließlich den Übersetzungen Mazzinis widmet, bisher fehlt – und damit bereits deren Vernachlässigung in der Mazzini-Forschung deutlich macht. Dabei spielt Übersetzung für Mazzini eine ganz wesentliche Rolle gerade auch in seinem politischen Schaffen. Zum einen lässt er während seiner Exilzeit in England eigene Texte für Zeitschriften in die Fremdsprache übersetzen, weil er sein Englisch für nicht gut genug hält, um selbst in dieser Sprache zu schreiben. Zum anderen autorisiert er für seine eigenen Zeitschriften Übersetzungen sowohl aus anderen Sprachen als auch Übersetzungen eigener Aufsätze oder Artikel seiner Mitstreiter, etwa für die zweisprachig erscheinende Jeune Suisse. Im Zuge der Veröffentlichung der Edizione Nazionale wird dies jedoch lediglich erwähnt und nicht weiter problematisiert. Dass gerade Mazzinis eigenes großes Übersetzungsprojekt, die als Bildungsprogramm konzipierte Biblioteca Drammatica, bislang so wenig Aufmerksamkeit erhalten hat und sich kein Band der Gesamtausgabe oder sonstiger Publikationsreihen zu Mazzini einer Zusammenstellung und/oder Analyse der literarischen Über63

64 65 66 67

Vgl. Mack Smith, Mazzini, S. 1 f., S. 150; Spadolini, Giovanni: L’idea d’Europa fra illuminismo e romanticismo. La stagione dell’Antologia di Vieusseux, Florenz 1985, S. 31, Fußnote 32; sowie Codignola, Arturo: „La giovinezza di G. Mazzini, dei Ruffini e dei primi mazziniani liguri“, in: Arturo Codignola (Hg.): I fratelli Ruffini. Lettere di Giovanni e Agostino Ruffini alla madre dall’esilio francese e svizzero. Bd. I (1833–1835), Genua 1925 (folgend: Codignola, I fratelli Ruffini, Bd. I), S. IX–CXXII, hier S. XVII. Vgl. etwa Mazzini, Giuseppe: „Brief an Luigi Amedeo Melegari, März 1833 (LXXXVIII)“, in: SEI, Bd. V, Epistolario I, Imola 1909, S. 257–264, hier S. 264. „Filippo Strozzi“ – zurückgehend auf die florentinische Patrizierfamilie Strozzi im 15./16. Jahrhundert – ist Mazzinis Deckname in der Carboneria, den er im Anschluss auch im Rahmen der Giovine Italia weiter verwendet (vgl. Sarti, Mazzini, S. 52.). Vgl. etwa Mazzini, Giuseppe: „Brief an Luigi Amedeo Melegari, 8.9.1833 (CLXXXII)“, S. 12–16, hier S. 16; sowie „Brief an die Mutter, 11.9.1833 (CLXXXVII)“, S. 22–23, hier S. 23; beide in: SEI, Vol. IX, Epistolario II, Imola 1910. Mazzini, Giuseppe: „Brief an Emilie A. Hawkes, 10.8.1854 (MMMMXII)“, in: SEI, Bd. LIII, Epistolario XXX, Imola 1929, S. 54–55, hier S. 54 f.

Theoretische Annäherung und Verortung

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setzungen bzw. der entsprechenden Fragmente und ihrer Kommentierung widmet, zeigt die umfangreiche Arbeit, die in diesem Bereich noch zu leisten ist. Durch die Beschäftigung mit Mazzinis Biblioteca Drammatica, die Übersetzung und Literaturkritik vereint, berührt die vorliegende Arbeit bereits Bereiche der Translations- und Kultur- bzw. Literaturwissenschaften. Die Überschneidung dieser Felder zusammen mit Aspekten aus den Politik- und Sozial- sowie Religionswissenschaften unterstreicht die interdisziplinäre Ausrichtung meiner Untersuchung, die nicht nur einen innovativen Umgang mit historischem Material für die Translationswissenschaft, sondern auch eine Möglichkeit aufzeigen will, wie die Erkenntnisse einer Case Study unter Einbezug verschiedener Disziplinen Relevanz über die Grenzen eines Forschungsfelds hinaus gewinnen können. Die vorliegende Arbeit versucht in der Folge, das aufgezeigte Forschungsdesiderat zu bearbeiten, eine Lücke in der bisherigen (Wirkungs-)Forschung zu Mazzini zu schließen und weitere Projekte dieser Art anzustoßen.

1.1 THEORETISCHE ANNÄHERUNG UND VERORTUNG Im Rahmen einer vertieften Einführung in den Themenkomplex „Translation und Politik“, vor allem im Hinblick auf Nationsbildung, stellt das folgende Unterkapitel die wesentlichen Ansätze, Theorien und Studien vor, die in der anschließenden Untersuchung zu Mazzinis Übersetzungsprojekt als Analysewerkzeuge wieder aufgegriffen werden. Diese theoretische Auseinandersetzung dient dazu, Schwerpunkte zu setzen, um Mazzinis vielschichtiges, komplexes translatorisches Handeln in seiner ganzen Bandbreite aufzeigen und diskutieren zu können. Da sich die vorliegende Untersuchung– wie beschrieben – an einer Schnittstelle zwischen Translations- und Kulturwissenschaften befindet sowie darüber hinaus sozial- und politikwissenschaftliche Aspekte behandelt, berühren auch die vorgestellten Ansätze verschiedene Bereiche. Erläutert und diskutiert werden im Folgenden Antoine Bermans Untersuchung zum Übersetzungsmodell der deutschen Romantik, Naoki Sakais Bordering-Konzept, die Ideen der Manipulation School und insbesondere André Lefeveres hinsichtlich Literaturübersetzung sowie Michael Cronins Studie „Translating Ireland“ vor allem aus identitätskonstituierender Perspektive. Die als heuristische Kategorien abgeleiteten Aspekte von Übersetzung als Bildungsmoment, Grenzziehung, Manipulation und Identitätsstifter dienen der Strukturierung der sich anschließenden Untersuchung, verleihen ihr einerseits analytische Schärfe und ermöglichen andererseits fundiertere Erkenntnisse. Im diesem Rahmen soll schließlich auch eine Art „close reading“ unter Einbezug von Zitaten aus den einschlägigen Texten den Blick öffnen und weiterreichende Perspektiven aufzeigen.

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1.1.1 Antoine Berman: Das Übersetzungskonzept der deutschen Romantik Antoine Berman hat im Feld der Untersuchungen zur deutschen Romantik und deren Übersetzungskonzept mit seinem Hauptwerk „L’épreuve de l’étranger“68 Maßstäbe gesetzt. Mit seiner positiven Sicht auf diese Epoche in Deutschland folgt er einer Denktradition in Frankreich, die bis auf Mme de Staël zurückgeht,69 und stellt das Übersetzungsmodell der deutschen Romantik als modellhaften Paradeansatz heraus. Damit opponiert er gegen die lange Zeit in seiner Heimat unhinterfragt praktizierte Methode der einbürgernden Übersetzung – und gegen deren Hegemoniestellung. Die verfremdende Übersetzungsmethode im Anschluss an Friedrich Schleiermacher stellt für Berman die einzig richtige dar, da er für eine Öffnung der eigenen Kultur gegenüber dem Fremden plädiert, das via Übersetzung transportiert werden soll. Eines der wesentlichen Untersuchungsziele Bermans in seiner Romantikstudie ist die Herausarbeitung der Übersetzung als Entstehungsmoment der deutschen Bildung.70 Er bezeichnet die Jahre zwischen 1780 und 1830 in Deutschland als das Zeitalter der Übersetzungen71 – auch wenn sein weitgefasster Romantikbegriff bereits die Übersetzung der Bibel durch Luther als konstitutives Moment für die Ausbildung einer spezifischen „Deutschheit“ definiert.72 In diesem Kontext gilt ihm „Bildung“ als „culture et formation“73, als historischer Prozess und dessen Ergebnis, in deren Dienst ein Übersetzungsprogramm entworfen wird, das dem „[auto-] processus [de formation]“74 dient. Die entsprechenden Übersetzungen erfüllen einerseits ein konkretes Bedürfnis nach Bereicherung für Poesie und Theater, tragen andererseits aber auch zur Begründung eines Universalitätsdenkens bei, das sich die Konstituierung einer progressiven Universalpoesie zum Ziel 68 69 70 71

72 73 74

Vgl. Berman, Antoine: L’épreuve de l’étranger: Culture e traduction dans l’Allemagne romantique, Paris 1984. Im Deutschen wird der Titel häufig durch „Die Erfahrung des Fremden“ wiedergegeben; eine „offizielle“ Übersetzung des Werks steht immer noch aus. Vgl. Weissmann, Dirk: „Erfahrung des Fremden oder Einübung des Eigenen? Antoine Berman als Leser Schleiermachers – ein rezeptionsgeschichtlicher Problemaufriss“, in: Weimarer Beiträge 1 (2014), S. 82–98, hier S. 92. Außerdem will Berman zu einer „critique de notre modernité“ (Berman, L’épreuve de l’étranger, S. 37) beitragen, die – wie bereits angedeutet – insbesondere in einer Kritik an der ethnozentrischen Ausrichtung von Gesellschaften besteht. Insbesondere die Shakespeare-Übersetzungen August Wilhelm Schlegels werden in der Romantik als das Original übertreffende Meisterwerke gefeiert. Prägend für das romantische Konzept ist neben der Treue dem Original gegenüber dessen kreative Umformung, um zielsprachliche Erfordernisse erfüllen zu können. Die Übersetzung wird aus dieser Perspektive gesehen zu einer Art Überdichtung (vgl. ebd., S. 20 ff., S. 205 ff.; sowie weiterhin Lambert, José: „Literary translation – research issues“, in: Mona Baker [Hg.]: Routledge Encyclopedia of Translation Studies, London/New York 1998, S. 130–133, hier S. 133). Vgl. Berman, L’épreuve de l’étranger, S. 26. Ebd., S. 29. Ebd., S. 74.

Theoretische Annäherung und Verortung

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setzt.75 Diese ist – weil sie alle poetischen Genres, Formen und Ausdrucksmöglichkeiten umfassen soll – enzyklopädisch konzipiert:76 Cette brève caractérisation schématique de la Bildung montre immédiatement que celle-ci est concernée au plus près par le mouvement de la traduction: car celui-ci part en effet du propre, du même (le connu, le quotidien, le familier), pour aller vers l’étranger, l’autre (l’inconnu, le merveilleux, l’Unheimlich) et, à partir de cette expérience, revenir à son point de départ.77

Damit ist Berman zufolge allerdings gerade nicht eine Annektierung oder Reduzierung des Fremden in das bzw. auf das Eigene gemeint, sondern eine Auseinandersetzung damit und Annäherung daran.78 Genauso wenig intendiere das Konzept der Bildung eine kritiklose Imitation des Fremden unter vollständiger Aufgabe des Eigenen; das Fremde werde nicht willkürlich, sondern mit dem Ziel einer Progression des Eigenen aufgenommen: „La limitation est ce qui distingue l’expérience de la Bildung de la pure aventure errante et chaotique où l’on se perd. Le „grand tour“ ne consiste pas à aller n’importe où, mais là où l’on peut se former, s’éduquer et progresser vers soi-même.“79 Übersetzung im Rahmen der romantischen Bildung dient deshalb gerade auch der kritischen Reflexion über die eigene Literatur und deren Bild,80 womit sie „zu einer Notwendigkeit für die Erneuerung der eigenen Perspektive“81 wird, wie Dizdar es formuliert. Ein Teil der deutschen Romantiker nutzt die Antike als Orientierungsmodell für Übersetzung; die Bereicherung der eigenen Sprache soll insbesondere über die Auseinandersetzung mit der griechischen Metrik erfolgen.82 Goethe ist hierbei einer der vehementesten Verfechter des griechischen Vorbildcharakters sowie des Konzepts der Bildung. Durch ihn macht darüber hinaus die Idee einer Weltliteratur in der Romantik Schule: Cette réflexion s’intègre en effet presque entièrement dans une certaine vision des échanges interculturels et internationaux. La traduction est l’acte sui generis qui incarne, illustre et aussi Vgl. ebd., S. 30 f.; sowie weiterführend Huyssen, Andreas: Die frühromantische Konzeption von Übersetzung und Aneignung. Studien zur frühromantischen Utopie einer deutschen Weltliteratur, Zürich/Freiburg 1969, S. 161. 76 Vgl. Berman, L’épreuve de l’étranger, S. 132 f. 77 Ebd., S. 76 f. 78 Vgl. ebd., S. 16, S. 77 f.; sowie Nietzsche, Friedrich [1882]: Werke. Kritische Gesamtausgabe, hrsg. v. Giorgio Colli/Mazzino Montinari, Berlin 1973, Bd. 5, 2, S. 114 f.: „In der Tat, man eroberte damals, wenn man übersetzte – nicht nur so, daß man das Historische wegließ: nein, man fügte die Anspielung auf das Gegenwärtige hinzu, man strich vor allem den Namen des Dichters hinweg und setzte den eignen an seine Stelle – nicht im Gefühl des Diebstahls, sondern mit dem allerbesten Gewissen des imperium Romanum.“ 79 Berman, L’épreuve de l’étranger, S. 80. 80 Vgl. ebd., S. 105; Lefevere, André: „Interpretation, Übersetzung, Neuschreibung. Ein alternatives Paradigma“, in: Susanne Hagemann (Hg.): Deskriptive Übersetzungsforschung. Eine Auswahl, Berlin 2009, S. 63–91, hier S. 84; sowie Zeller, Bernhard: „Vorwort“ zu: Tgahrt, Reinhard: Weltliteratur. Die Lust am Übersetzen im Jahrhundert Goethes, Marbach 1982, S. 5–8, hier S. 5. 81 Dizdar, Dilek: „Translationswissenschaft  – als Gegenwartswissenschaft“, in: Dieter Lamping (Hg.): Geisteswissenschaft heute. Die Sicht der Fächer, Stuttgart 2015, S. 194–209, hier S. 206. 82 Vgl. Berman, L’épreuve de l’étranger, S. 81 ff. 75

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permet ces échanges, sans en avoir bien entendu le monopole. Il existe une multiplicité d’actes de translation qui assurent la plénitude des interactions vitales et naturelles entre les individus, les peuples et les nations, interactions dans lesquelles ceux-ci construisent leur identité propre et leurs rapports avec l’étranger.83

Berman zufolge trifft Goethe in seiner Definition von Weltliteratur jedoch keine endgültige Entscheidung zugunsten entweder einer Gleichwertigkeit aller Kulturen und deren Übersetzung oder einer privilegierten Stellung der deutschen Sprache und Kultur.84 Durch Übersetzung erschließe sich die deutsche Kultur allerdings weitere Kulturräume und könne so zu derjenigen Sprache werden, „dans laquelle les autres langues peuvent faire retentir la voix propre de leurs œuvres“85. Dass die deutschen Romantiker sich gegen die einbürgernde Übersetzungsmethode des französischen Klassizismus wenden, erklärt Berman mit einem „Mangel“ im Repertoire der deutschen Sprache, der erstens nur treue Übersetzungen ermögliche und zweitens auch nur durch solche zu überwinden sei.86 In diesem Rahmen bezeichnet er Hölderlin als den radikalsten unter den Romantikern, der darüber hinaus als Titelgeber seiner Studie fungiert.87 Durch das Vorgehen des deutschen Dichters bei seiner Übersetzung von Sophokles führe für den Rezipienten kein Weg an der Erfahrung des Fremden vorbei, so Berman: Or, la langue du poète semble s’accorder profondément à cette thématique géographique en ce que, dans son dépouillement même, elle tend à s’incorporer simultanément des éléments linguistiques „grecs“ et „natifs“ […]. Ce renouvellement, totalement conscient chez Hölderlin, consiste à puiser dans le fond linguistique de la langue allemande, à utiliser les mots en leur redonnant dans le poème leur sens, sinon „originaire“, du moins ancien.88

So kehre Hölderlin zu den Bedeutungen seiner Mutter- bzw. Zielsprache zurück, eigne sich aber gleichzeitig die Sprachlichkeit der Fremdsprache an. Was sich auf sprachlicher Ebene vollziehe, gelte ebenso für die Ebene der Erfahrung des Fremden, die mit der Auseinandersetzung mit dem Eigenen untrennbar verknüpft sei.89 Eigenes und Fremdes seien folglich nur über einander überhaupt erfahr- und damit differenzierbar. Double mouvement, donc, où l’allemand doit dire littéralement un grec littéral, doit être comme forcé, violenté, transformé et peut-être fécondé par la langue étrangère. Cette littéralité, on la retrouverait aussi bien au niveau syntactique qu’au niveau lexical, et c’est elle qui donne à la traduction hölderlinienne son archaïsme souverain et violent. Toutefois, insistons-y, cette littéralité serait mal comprise si on ne voyait pas que, pour traduire ce qu’il interprète comme la littéralité du texte original – avoir la couleur de la pourpre, au lieu d’être tourmenté –, Hölderlin remontait aux sources étymologiques de l’allemand, à ce qui, dans cette langue, est littéralité et origine.90 83 84 85 86 87 88 89 90

Ebd., S. 89; vgl. weiterhin ebd., S. 89 ff., S. 102. Vgl. ebd., S. 92. Ebd., S. 94. Vgl. ebd., S. 62 f. Vgl. ebd., S. 251. Ebd., S. 253. Vgl. ebd., S. 258 f. Ebd., S. 268.

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Mit seiner besonderen Art der Übersetzung reagiert Hölderlin nach Bermans Auslegung auf die bis heute andauernde Krise der westlichen Kultur und deren Ethnozentrismus.91 Allerdings nimmt er für seine spezielle Methode auch in Kauf, dass seine Übersetzungen seinen deutschen Zeitgenossen nur sehr schwer zugänglich sind; Lawrence Venuti urteilt: […] in the effort to stage an alien reading experience, his translations [are] so deviated from native literary canons as to seem obscure and even unreadable to his contemporaries.92

Parallel zur Bedeutung des Übersetzens wächst in der Romantik die Bedeutung der Literaturkritik; das „programme romantique“93 fordert „unir philosophie et poésie, faire de la critique une science et de la traduction un art […]“94. Philologie und Kritik entwickeln sich hierbei zu einer philosophischen Praxis, mit den Brüdern Schlegel und Novalis als wichtigsten Vertretern, sodass Literaturkritik für die Romantiker zum Instrument für Veränderung im Rahmen einer (selbst-) reflexiven Praxis wird. Gerade auch durch diese verstärkte theoretische Beschäftigung entsteht die von Berman so positiv bewertete Konzeption von Übersetzung mit ihrer geistigen Treue gegenüber dem Original, die er – wie bereits angedeutet – als einzige der Bildung angemessene Methode ansieht. Hierbei handelt es sich, Berman zufolge, jedoch nicht um Buchstabentreue, sondern um eine spezifische Ethik durch Öffnung zum Fremden hin. Im romantischen Sinn bedeutet dies „ein bewusstes, durch reflektierte Grundsätze gesichertes Können“95. Berman plädiert eindringlich für die Erhaltung sprachlicher und kultureller Vielfalt: […] il s’agit de défendre la langue et les rapports inter-langues contre l’homogénéisation croissante des systèmes de communication. Car s’est tout le règne des appartenances et des différences que ceux-ci mettent en péril. Anéantissement des dialectes, de parlers locaux; banalisation des langues nationales; aplanissement des différences entre celles-ci au profit d’un modèle de nonlangue pour lequel l’anglais a servi de cobaye (et de victime), modèle grâce auquel la traduction automatique deviendrait pensable; […] c’est évidemment lutter contre ce phénomène destructeur, même s’il est d’autres manières de le conjurer.96

Seine eigene ethische Forderung in Bezug auf das Übersetzen in Anlehnung an die Romantik verlangt so auch „eine Arbeit, die jeglichen Hedonismus, jegliche spielerische Freiheit, jegliche eitle, vorschnelle Identifikation untersag[t]“97. Dabei 91 92 93 94 95 96

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Vgl. ebd., S. 275 ff. Venuti, Lawrence: „Strategies of translation“, in: Mona Baker (Hg.): Routledge Encyclopedia of Translation Studies, London/New York 1998, S. 240–244, hier S. 242. Berman, L’épreuve de l’étranger, S. 112. Ebd., S. 112. Kuhn, Irène: Antoine Bermans „produktive“ Übersetzungskritik. Entwurf und Erprobung einer Methode, Tübingen 2007, S. 42. Berman, L’épreuve de l’étranger, S. 288 f. Den Ansatz der deutschen Romantik will Berman in seinen Entwurf einer zeitgemäßen traductologie überführen, die interdisziplinär ausgerichtet sein soll (vgl. hierzu detailliert Berman, L’épreuve de l’étranger, S. 290 ff.; sowie Berman in der Übersetzung von Kuhn, in: Kuhn, Bermans Übersetzungskritik, S. 45 ff.). Ebd., S. 13. Vgl. auch ebd., S. 30; sowie Berman, Antoine: „La traduction et la lettre ou l’auberge du lointain“, in: Antoine Berman/Gérard Granel/Annick Jaulin/Georges Mailhos/Henri

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zeigt Berman sich davon überzeugt, dass jede Kultur trotz eines quasi natürlichen Widerstands gegen Übersetzung diese zur eigenen Bereicherung und Weiterentwicklung braucht:98 Ce que l’on pourrait formuler ainsi: toute culture résiste à la traduction, même si elle a besoin essentiellement de celle-ci. La visée même de la traduction – ouvrir au niveau de l’écrit un certain rapport à l’Autre, féconder le Propre par la médiation de l’Étranger – heurte de front la structure ethnocentrique de toute culture, ou cette espèce de narcissisme qui fait que toute société voudrait être un Tout pur et non mélangé. Dans la traduction, il y a quelque chose de la violence du métissage.99

Nicht nur Dizdar/Gipper sehen Bermans uneingeschränktes Plädoyer für verfremdendes Übersetzen allerdings kritisch.100 Gerade auch bei den „unterschiedlichen Formen der verfremdenden Übersetzung [seien] spezifische Aneignungsstrategien am Werke“101. Die bei Berman so euphorisch betonte innovative Wirkung der verfremdenden Übersetzungsmethode, die von einem ethnozentrischen kulturellen Ansatz abrückt, stellt sich hier als kritisch zu reflektierendes Paradigma dar, das auf die Untersuchung in- und exkludierender Mechanismen bei der Anfertigung verfremdender Übersetzung abzielt. Erklärtes Ziel selbst der deutschen Romantiker war es denn auch, über den kulturellen Import fremder Modelle und eine Konfrontation mit dem Fremden Deutschlands – ethnozentrischen – Anspruch auf eine Konstituierung und Stärkung der eigenen Nation zu verwirklichen. Peter Fawcett konstatiert zum Ursprung des Konzepts von verfremdendem und einbürgerndem Übersetzen, dass Friedrich Schleiermacher die beiden von ihm unterschiedenen Methoden nicht so normativ beschrieben habe, wie sie in der Folge ausgelegt worden seien. Damit trifft er einen in der Translationswissenschaft immer breiteren Konsens, der die Debatte um die Dichotomie der beiden Methoden als zunehmend überholt beurteilt.102 Für Fawcett steht vielmehr Schleiermachers Bestreben im Fokus, den Leser auf kulturelle Verschiedenheit sowie Offenheit einzustellen, Meschonnic (Hgg.): Les tours de Babel, Mauvezin 1985, S. 48–64; Berman, Antoine: „Traduction ethnocentrique et traduction hypertextuelle“, in: L’Écrit du temps 7 (1984), S. 109–123; sowie Lefevere, Translation History Culture, S. 81. 98 Diesen Widerstand einer Nation gegen Übersetzung betont auch André Lefevere im Anschluss an Victor Hugo (vgl. Lefevere, Translation History Culture, S. 2). 99 Berman, L’épreuve de l’étranger, S. 16. 100 Vgl. Weissmann, „Erfahrung des Fremden“, in: Weimarer Beiträge 1 (2014), hier S. 83 ff. 101 Gipper/Dizdar, „Einleitung“, hier S. 13; vgl. auch Kristmannsson, Gauti: „Zur Nation durch Translation“, S. 17–25, beide in: Dilek Dizdar/Andreas Gipper/Michael Schreiber (Hgg.): Nationenbildung und Übersetzung, Berlin 2015. 102 Vgl. Fawcett, Peter: „Ideology and translation“, in: Mona Baker (Hg.): Routledge Encyclopedia of Translation Studies, London/New York 1998, S. 106–111, hier S. 107; weiterhin Gipper, Andreas: „Vom Fremden im Eigenen. Die übersetzerische Aneignung der Antike und die Geburt der (französischen) Nationalkultur“, in: Dilek Dizdar/Andreas Gipper/Michael Schreiber (Hgg.): Nationenbildung und Übersetzung, Berlin 2015, S. 27–42, hier S. 27 f.; sowie Straub, „Differenz und prekäre Äquivalenz“, in: Renn/Straub/Shimada, Übersetzung als Medium, hier S. 351.

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[…] that they would develop an ear for translation from different languages […] and would welcome into their language a linguistic space set aside for translation in which linguistic manipulation impossible elsewhere would be allowed.103

Lawrence Venutis genealogische Untersuchung zu Schleiermachers Übersetzungsansatz interpretiert Bermans Lesart des Plädoyers Schleiermachers, demzufolge der Übersetzer „den Schriftsteller möglichst in Ruhe [lässt], und […] den Leser ihm entgegen [bewegt]“104, dagegen als ethisches und gleichzeitig elitäres Projekt.105 Die Fremdheit eines Texts könne nur von bestimmten Sprachen in Übersetzung nachgebildet werden. Dabei handele es sich um flexible Sprachen, wie das Deutsche zur Zeit der Romantik, die noch nicht so kodifiziert seien wie andere Nationalsprachen und sich erst noch ausbilden müssen. Für diese Entwicklung sei verfremdende Übersetzung ein probates Mittel. Was als Bereicherung diene, lege allerdings nur eine kleine Elite fest: Schleiermacher is enlisting his privileged translation method in a cultural political agenda, wherein an educated elite controls the formation of a national culture by refining its language through foreignizing translations.106

Die deutsche Sprache und Kultur werden zum Speicher des entscheidenden Kanons der Weltliteratur, dessen sprachliche und kulturelle Differenz jedoch durch ein elitäres, deutsches Bürgertum vermittelt werde und damit eurozentrisch sei.107 Das Vorgehen steht weiterhin historisch in Zusammenhang mit der nationalistischen Opposition gegen die in Deutschland, vor allem in Preußen, herrschende französische Übermacht zu dieser Zeit. Nationalismus, der sich als Widerstand gegen diese Übermacht positioniert, rechtfertige hier auch (kulturellen) Imperialismus, so Venuti.108 Trotz dieser ideologischen Implikationen sieht Venuti in Schleiermachers Konzept Potenzial zur Förderung kulturellen Wandels109 – und hält es damit für geeignet, auch zeitgenössische Übersetzungsmethoden und -diskurse zu hinterfragen. Allerdings gelte es, Bermans Ethik eines kulturell Anderen in eine Politik der kulturellen Differenz zu transformieren. Denn das, was als „fremd“ in verfremdenden Übersetzungen wahrgenommen werde, werde durch die gesellschaftlich verorteten, kulturellen Diskurse der Zielkultur bestimmt und erscheine so nie unmittelbar, sondern stets aus ethnozentrischer Perspektive – die bis zu einem gewis103 Fawcett, „Ideology and translation“, in: Baker, Routledge Encyclopedia, hier S. 111. Vgl. auch ebd., hier S. 107. 104 Schleiermacher, Friedrich [1813]: „Ueber die verschiedenen Methoden des Uebersezens“, in: Hans Joachim Störig (Hg.): Das Problem des Übersetzens, Stuttgart 1963, S. 38–69, hier S. 47. 105 Vgl. Venuti, Lawrence: „Genealogies of translation theory: Schleiermacher“, in: TTR: Traduction Terminologie Redaction 4 (2/1991), S. 125–150, hier S. 129. Vgl. auch Venuti, The translator’s invisibility, S. 86. 106 Venuti, „Genealogies“, in: TTR 4 (2/1991), hier S. 131. 107 Vgl. ebd., hier S. 139. 108 Vgl. ebd., hier S. 135 f. 109 Vgl. ebd., hier S. 146.

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sen Grad jedoch unvermeidbar sei. Der Übersetzer könne sich dominanten Werten allerdings auch widersetzen, wobei […] [r]esistance too can be imperialistic abroad, appropriating foreign texts to serve its own cultural political interests; but insofar as it resists values that exclude certain texts, it performs an act of cultural restoration which aims to question and possibly re-form, or simply smash the idea of, canons at home. Unable to avoid some degree of ethnocentrism in translation, we can nonetheless take sides in cultural political divisions to redirect it; we can develop foreignizing discourses that oppose the discourses of domestication in the target language.110

Die verfremdende Übersetzung treffe auf das Einheimische und interagiere mit ihm. So könne sie zu Innovation und Bereicherung in der Zielkultur beitragen, indem sie den Literaturkanon, Standards und ethische Normen in Frage stelle. Übersetzung werde so zu einem Ort kultureller Differenz. Erich Prunč stimmt mit Venutis Schleiermacher-Interpretation dahingehend überein, dass eine Resistenz gegen herrschende Translationspraktiken zwar eine etablierte Kultur unterwandern kann, sich gleichzeitig aber auch wieder an eine intellektuelle Elite wendet, die sich als Gegenmacht inszeniert. Darüber hinaus bestehe die Gefahr, dass über eine Innovation durch das Fremde die etablierte Literatur neue Stärke gewinne, indem sie sich dieses aneigne und für eigene Zwecke verwende. Einen wirklichen Ausweg aus diesem Dilemma scheint es nicht zu geben: Was als Rebellion konzipiert ist, wird in den mächtigen, aufgrund ihrer selbstproduzierten Übersättigung stereotypisierten Literaturen zur literarischen Innovation. Dadurch wird das System nicht untergraben, sondern dynamisiert und so wiederum leistungsfähiger gemacht. Aufgrund der verbesserten Leistungsfähigkeit kann die bereits dominierende Literatur noch mächtiger werden, weil sie nunmehr auch die Insignien des literarischen Fortschritts trägt. Bei näherer Betrachtung ist also ein Verhaltensmuster festzustellen, wie es zu allen Zeiten für Kolonialherren charakteristisch war, nämlich, den Interessen ihrer Eliten durch exotisierenden Kulturimport entgegenzukommen und das eigene System mit neuem Leben aus den Kolonien aufzufrischen. Die Translationsverweigerung scheint uns in diesem Zusammenhang das effizientere Mittel des Widerstandes gegen die Kolonialkultur zu sein. Sie geht jedoch im Endeffekt wiederum auf Kosten der resistenten Kulturen, weil diese noch stärker in marginale Positionen abgedrängt werden. Dies stärkt wiederum die relative Macht der herrschenden Kultur.111

Einen theoretischen Ausweg aus der Problematik einer subversiven Handlung, die für affirmative Zwecke genutzt wird, bietet die Vorstellung von Übersetzung als dialogischem Akt, der sich auf eine Wechsel- bzw. zirkuläre Beziehung zwischen eigener und fremder Kultur stützt. Jurij Lotman behandelt das Machtgefälle, das durch Translation zwischen Kulturen entsteht, aus semiotischer Perspektive. Asymmetrien, die „sich zum einen in einer unterschiedlichen semiotischen Struktur (der Sprache) der Dialogteilnehmer und zum anderen in der wechselnden Richtung der Mitteilungen“112 äußern, beurteilt er nicht normativ. Die fremde 110 Ebd., hier S. 146 f. 111 Prunč, Erich: Einführung in die Translationswissenschaft. Bd. 1, Orientierungsrahmen, Graz 2001, S. 268. Vgl. auch Cronin, Translating Ireland, S. 168. 112 Lotman, Jurij M. [1944]: Die Innenwelt des Denkens. Eine semiotische Theorie der Kultur, hrsg. und mit einem Nachwort v. Susi K. Frank/Cornelia Ruhe/Alexander Schmitz, Berlin 2010, S. 191.

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Kultur gilt ihm nicht als „Hort der Ideen“, an dem sich eine zweite Kultur auf der Suche nach Innovation bereichert, sondern als aktive Macht, die ihre Errungenschaften in die Welt „sendet“. In Opposition hierzu steht eine empfangende Kultur, die ebenfalls nicht passiv agiert. Sie reichert die eigene Kultur mit fremdem Material an, um daraus neue Stärke zu ziehen.113 Als Beispiel führt Lotman Italien an, das ab dem 5. Jahrhundert von Germanen, Hunnen, Goten und Ostgoten, von Byzantinern, Langobarden, Franken, Arabern, Normannen und Magyaren besetzt worden ist. Das Land „schien nur noch als geographischer Begriff zu bestehen und über keinerlei kulturelles Leben mehr zu verfügen,“114 so Lotman in Anlehnung an Metternich. Im Mittelmeerraum, in dem germanische, slawische und arabische Völker um die Vormacht kämpften, entwickelte sich die Zivilisation kulturell aber dennoch weiter, etwa durch die provenzalische Kultur und hierbei insbesondere über die Lyrik, die Troubadour-Dichtung mit ihren Auswirkungen auf das höfische Leben des 11. und 12. Jahrhunderts. Gleichzeitig wurde ganz Europa durch die französische, die griechisch-byzantinische und die spanisch-arabische Kultur beeinflusst. Lotman beschreibt, dass diese verschiedenen Aspekte gemeinsam mit dem antiken Erbe Italien als rezipierender Kultur dazu verhalfen, neues Eigenes zu schaffen mit der Folge, dass es Italien in der Renaissance gelang, zu einem Vorreiter in Europa werden. Das gleiche Vorgehen habe Frankreich in der Aufklärung zur Begründung seiner Hegemonie in Europa genutzt.115 So bestechend Lotmans Ideen im Hinblick auf eine zirkulär verlaufende Entwicklung von Kulturen und damit eine (potenzielle) Umgehung normativer Faktoren auch sein mögen, so ist die semiotische Perspektive nicht in der Lage, realen, geopolitischen Faktoren und daraus resultierenden Machtgefällen – in denen sich auch die Übersetzung positioniert und positionieren muss – gerecht zu werden. Denn hier changieren „sendende“ und „empfangende“ Kulturen nicht prinzipiell gleichberechtigt und mit den gleichen Chancen ausgestattet in einem zirkulären Auf und Ab. Vielmehr haben sich Asymmetrien zwischen „starken“ und „schwachen“ Kulturen über Jahrhunderte hinweg durch Eroberung, Unterdrückung und Ausbeutung sowie die Dominanz westlicher Selbstverständlichkeit entwickelt und gefestigt, sodass weder von einer freiwilligen Sendebereitschaft noch von einem stetig bereichernden Empfangsverhalten gesprochen werden kann. Ein dialogi-

113 Vgl. auch Lefevere, Translation History Culture, S. 8, der auf die Heterogenität innerhalb einer empfangenden Kultur verweist, weswegen nicht von der rezipierenden Kultur gesprochen werden könne. Innerhalb der „eigenen“ Kultur konkurrieren so bereits diverse Gruppen um die Deutungshoheit des Fremden. 114 Lotman, Die Innenwelt des Denkens, S. 193. 115 Vgl. ebd., S. 195 f.; sowie zu Mazzinis ähnlichem Ansatz einer Bereicherung durch europäischen Kulturenkontakt Kapitel 3.3.1.3.2 der vorliegenden Arbeit.

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scher Austausch mit Vorteilen für alle Beteiligten ist – wenn auch wünschenswert – bislang Illusion geblieben.116

1.1.2 Naoki Sakai: Bordering durch Translation Das in der Translationswissenschaft noch relativ junge Bordering-Konzept, das insbesondere von Naoki Sakai befördert wurde und wird,117 betrachtet die lange vorherrschende Meinung von Translation als Möglichkeit zum Brückenbau, als Mittlerin im Dienste einer grenzübergreifenden Kommunikation und Verständigung sehr kritisch. So kann Translation gerade im Hinblick auf nation-buildingProzesse als Instrument der Ausgrenzung, Unterdrückung und Ignoranz fungieren.118 Gipper/Dizdar betonen: [E]thische, kulturelle und sprachliche Grenzziehungsprozesse [sind] weltweit auch Teil eines translatorischen ‚bordering‘ […], mit dessen Hilfe sprachliche Gemeinschaften ihre spezifische Differenz betonen und bestimmte Sprechergruppen aus der nationalen Gemeinschaft ausgrenzen. Übersetzungen schaffen in diesem Sinne oftmals erst die Grenzen, die sie zu überbrücken scheinen oder zu transzendieren vorgeben.119

Translation bewegt sich so in einem stetigen Spannungsfeld, das Sakai beschreibt als […] productive or destructive; it inscribes, erases or redraws borders; it manages separation and encounter; it is a process, political par excellence, which creates social relations and establishes new modes of discrimination. […] Put simply, translation always cuts both ways: at once a mechanism of domination and liberation, clarification and obfuscation, commerce and exploitation, opening up to the „others“ and the appropriation or expropriation of them.120

116 Vgl. zu einer Diskussion der Machtverhältnisse und deren Auswirkungen zwischen „Zentrum“ und „Peripherie“ innerhalb der Translationswissenschaft Susam-Sarajeva, Şebnem: „A ‚multilingual‘ and ‚international‘ Translation Studies?“, in: Theo Hermans (Hg.): Crosscultural transgressions. Research models in Translation Studies II. Historical and ideological issues, Manchester 2002, S. 193–207; sowie zu einer Dynamik im Verhältnis von Mehrheits- zu Minderheitssprachen Cronin, Michael: „Altered states: Translation and minority languages“, in: TTR: Traduction Terminologie Redaction 8 (1/1995), S. 85–103. Er betont: „The majority status of a language is determined by political, economic amd cultural forces that are rarely static and therefore all languages are potentially minority languages“ (ebd., hier S. 87 f.). Insbesondere führt Cronin dies auf die Dominanz des Englischen als internationale lingua franca zurück (vgl. Cronin, Michael: „The cracked looking glass of servants: Translation and minority languages in a global age“, in: The Translator 4 [2/1998], S. 145–162, hier S. 151). 117 Vgl. Gipper/Dizdar, „Einleitung“, in: Dizdar/Gipper/Schreiber, Nationenbildung und Übersetzung, hier S. 9. 118 Vgl. ebd., hier S. 8. 119 Ebd., hier S. 9. 120 Sakai, „Transnationality and bordering“, in: Trans-Science, hier S. 3.

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Stets werde sie begleitet und geprägt von „institutional conditions [which include] the issues of power, incommensurability and discontinuity among linguistic, social and ‚cultural‘ diversity“121. Dabei fungiere Translation im Dienste von Prozessen der Identitätsbegründung, -affirmation oder -ablehnung, die Grenzen nach innen und außen markieren. Über der Translation innewohnende Sprachideologien „werden soziale, ethnische, nationale und andere Zugehörigkeiten konstruiert,“122 wie es Brigitta Busch formuliert. Sakai subsumiert unter seinen Begriff des bordering sowohl die Präsenz von Grenzen jeglicher Art als auch grenzziehende Prozesse und Dynamiken: […] it recognizes the presence of borders, discriminatory regimes, and the paradigms of classification, [… but at the same time] sheds light on the processes of drawing a border, of instituting the terms of distinction in discrimination, and of inscribing a continuous space of the social against which a divide is introduced.123

Darüber hinaus analysiert er die Unterteilung der Welt in nationale sowie internationale Einheiten, in der sich jedoch die westliche Sicht auf herrschende Konstellationen manifestiere. Bestimmte Territorien, etwa Ostasien, seien bis ins späte 19. Jahrhundert nicht Teil der als international und modern bezeichneten Welt gewesen. Dieser Dualismus bewirke die hierarchische Bewertung zwischen dem Westen und dem Rest der Welt. Sprache und sprachliche Differenz spielen eine wesentliche Rolle bei der Betonung einer europäischen Überlegenheit im Rahmen der Nationenbildungsprozesse des 19. Jahrhunderts, die auf der Überzeugung fußt, dass zivilisatorischer Fortschritt allein von Europa ausgeht. Sprache – angesehen als natürlicher, prä-gesellschafter Faktor – wird hier zu einem Konstituierungsmerkmal politisiert, das Sprechern einer bestimmten Gruppe dazu dient, ihr Territorium auch aus politischer Sicht als historisch prädestinierte Nation zu deklarieren. Susan Gal/Judith T. Irvine heben hervor, dass [l]anguage could be central to these arguments because by the mid-nineteenth century language came to be seen as crucially unaffected by human will, individual intent, or the particularities of social life. […] To them, languages were natural objects, consequences of spiritual or even biological differences between populations. […] Moreover, the equation of one language with one culture was endowed with political significance: a linguistically united community („nation“), when tied to a territory, could claim to deserve a state of its own. In effect, exactly because linguistic differences were seen to be independent of human social intention, they could serve as an apparently neutral warrant for political claims to territory and sovereignty.124 121 Ebd., hier S. 2. 122 Busch, Brigitta: Das sprachliche Repertoire oder Niemand ist einsprachig, Vorlesung zum Antritt der Berta-Karlik-Professur an der Universität Wien, Klagenfurt/Celovec 2012, S. 35. Vgl. hierzu auch Newman, David: „Borders and bordering. Towards an interdisciplinary dialogue“, in: European Journal of Social Theory 9 (2/2006), S. 171–186, hier S. 173 ff. 123 Sakai, „Transnationality and bordering“, in: Trans-Science, hier S. 1. 124 Gal, Susan/Irvine, Judith T.: „The boundaries of languages and disciplines: How ideologies construct differences“, in: Social Research 62 (1995), S. 947–1001, zit. nach ProQuest, http://search. proquest.com/docview/209669262?accountid=14570 (31.10.2015), S. 1–17, hier S. 1. Vgl. auch Simon, „Culture brokers“, in: Tymoczko/Gentzler, Translation and Power, hier S. 138 f.; Ander-

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Das westliche System des Nationalstaats wird – so Sakai – zur Voraussetzung für den Eintritt in eine internationale Ordnung, die aus Nationalstaaten besteht, die geprägt sind von 1) the sovereignty of the national state and its self-determination, 2) the legal equality among national states, 3) the reign of international laws among the states, and 4) the non-intervention of one state in the domestic affairs of another.125

Die übrigen Gebiete der Welt und deren Bewohner, in denen diese Prinzipien nicht gelten, werden hierdurch automatisch „subject to colonial violence“126. Der einzige Ausweg aus diesem Zustand bestehe in der Erlangung nationaler Souveränität bzw. der Eingliederung in die internationale Weltordnung – und damit der Errichtung nationaler Grenzen durch ein Hoheitsgebiet, eine Nationalsprache, eine entsprechende Identität, usw.127 Erst Nationen und die ihnen eigenen Sprachen führen jedoch überhaupt erst zu der Notwendigkeit, Verständigung herstellen zu müssen – und bedingen damit translatorisches Handeln, unter das Sakai „the act of translation as well as the new texts produced by such an act“128 fasst. Die translation proper als interlinguale Translation könne nur zwischen zwei oder mehr voneinander abgrenzbaren Nationalsprachen stattfinden, sodass die Vorstellung von einer Einheit der verschiedenen Sprachen und ihrer Zähl- und Bestimmbarkeit zu einem nicht hinterfragten Paradigma werde. Sprachen seien folglich nur in Abgrenzung voneinander erfahrbar.129 Als Teil eines Bordering-Prozesses, der den bloßen Bereich der Sprache überschreitet, markiert Translation zum einen Grenzen auf internationaler Ebene zwischen dem Westen und dem Rest der Welt, zum anderen dient sie auf nationaler Ebene als Abgrenzung nach außen zu anderen Nationalsprachen sowie nach innen zur Begründung gemeinsamer Identität durch Sprache. Sakai entwirft als Konsequenz aus den von ihm kritisierten grenzziehenden Phänomenen ein neues Konzept von Translation, das das konventionelle Verständnis von der Einheit der Sprache(n)

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son, Benedict: Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreiches Konzepts, Frankfurt/ New York 1988, S. 12, S. 20, S. 133; sowie Stichweh, Rudolf: Inklusion und Exklusion. Studien zur Gesellschaftstheorie, Bielefeld 2005, S. 41 ff. Sakai, „Transnationality and bordering“, in: Trans-Science, hier S. 9 f. Vgl. zur Entstehung des Bewusstseins einer internationalen Gemeinschaft durch Nationenbildungsprozesse auch Anderson, Erfindung der Nation, S. 114 ff. Sakai, „Transnationality and bordering“, in: Trans-Science, hier S.  10. Vgl. auch Stenger, Georg: „Übersetzen übersetzen. Zur Phänomenologie des Übersetzens“, S. 93–122, hier S. 117; Renn, Joachim: „Die Übersetzung der modernen Gesellschaft. Das Problem der Einheit der Gesellschaft und die Pragmatik des Übersetzens“, S. 183–214, hier S. 188; Fuchs, „Soziale Pragmatik“, hier S. 301; alle in: Joachim Renn/Jürgen Straub/Shingo Shimada (Hgg.): Übersetzung als Medium des Kulturverstehens und sozialer Integration, Frankfurt/New York 2002; sowie Lefevere, Translation History Culture, S. 70. Vgl. Sakai, „Transnationality and bordering“, in: Trans-Science, hier S. 11; sowie weiterführend Stichweh, Inklusion und Exklusion, S. 84 ff.; und Anderson, Erfindung der Nation, S. 116. Sakai, „Transnationality and bordering“, in: Trans-Science, hier S. 2. Vgl. auch Simon, „Culture brokers“, in: Tymoczko/Gentzler, Translation and Power, hier S. 123. Vgl. Sakai, „Transnationality and bordering“, in: Trans-Science, hier S. 3 f.

Theoretische Annäherung und Verortung

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als regulatives Prinzip im Sinne Immanuel Kants versteht. Das Kantianische Schema gilt dabei der Organisation von Wissen – Einheit als solche ist nicht verifizier- und somit absolute Wahrheit auch nicht erreichbar – und soll es ermöglichen, Sprachen auf andere Art zu erfassen und zu beschreiben. Die Einheit der Sprache als Merkmal einer Nation, die als homogene Sprechergemeinschaft definiert wird, sei wie der Nationalstaat selbst eine relativ neue Konstruktion (des Westens), so Sakai.130 Zu einer Einordnung und Klassifizierung von internationaler Welt und Nation gehöre auch das Verständnis von „translation as a communicative and international transfer of a message between a pair of ethnolinguistic unities“131, der Verständigung zwischen den verschiedenen Nationalsprachen erzielen soll. Doch „translation is not only a border-crossing but also and preliminarily an act of drawing a border, of bordering“132. Das Brückenschlagen – eine beliebte Übersetzungsmetapher – muss immer wieder scheitern, da (unschuldiges) „Übersetzen außerhalb von Machtbeziehungen“133 reine Illusion ist.134 Ein Bewusstsein für und eine Reflexion über mit der Translation einhergehende – auch negative – Phänomene, wie „Missverstehen und Schweigen, Macht und Übersetzungsgefälle, Kulturenkonflikt und praktisches Aushandeln von Differenzen“135, gilt als Voraussetzung dafür, neue Kategorien der Wissensorganisation entwickeln zu können, die weder national noch ethisch begrenzt sind, sondern Translation als soziale Handlung verstehen. Sakai schlägt ein Modell vor, das sich am Feld der Kartografie orientiert, da dieses besser geeignet sei als national begrenzte Strukturen, die Interferenzen und Hy130 Vgl. Sakai, „Transnationality and bordering“, in: Trans-Science, hier S. 22; Sakai, Naoki: „How do we count a language? Translation and discontinuity“, in: Translation Studies 2 (1/2009), S. 71–88; sowie Lambert, José: „Auf der Suche nach literarischen und übersetzerischen Weltkarten“, in: Armin Paul Frank/Kurt-Jürgen Maaß/Fritz Paul/Horst Turk (Hgg.): Übersetzen, verstehen, Brücken bauen. Geisteswissenschaftliches und literarisches Übersetzen im internationalen Kulturaustausch, Berlin 1993, S. 85–105, hier S. 93. 131 Sakai, „Transnationality and bordering“, in: Trans-Science, hier S. 25. 132 Ebd., hier S. 26. 133 Bachmann-Medick, Doris: „Übersetzung im Spannungsfeld von Dialog und Erschütterung“, in: Joachim Renn/Jürgen Straub/Shingo Shimada (Hgg.): Übersetzung als Medium des Kulturverstehens und sozialer Integration, Frankfurt/New York 2002, S. 275–291, hier S. 277. 134 Vgl. Bassnett, Susan: „The meek or the mighty: Reappraising the role of the translator“, S. 10–24, hier S. 21; sowie Alcaraz, Enrique: „Translation and Pragmatics“, S. 99–115, hier S. 105; beide in: Román Álvarez/M. Carmen-África Vidal (Hgg.): Translation Power Subversion, Clevedon/Bristol/Adelaide 1996. Vgl. zur Debatte um eine Förderung friedlicher Koexistenz und Begegnung von Kulturen über Translation Stenger, „Übersetzen übersetzen“, hier S. 118; Loenhoff, Jens: „Kommunikationstheoretische Anmerkungen zum Problem der Übersetzung“, S. 161–179, hier S. 174; beide in: Joachim Renn/Jürgen Straub/Shingo Shimada (Hgg.): Übersetzung als Medium des Kulturverstehens und sozialer Integration, Frankfurt/New York 2002; sowie Lambert, José: „Ethnolinguistic democracy, translation policy and contemporary world (dis)order“, in: Federico Eguíluz et al. (Hgg.): Trasvases culturales: Literatura, cine, traducción, Vitoria 1994, S. 23–33, hier S. 27. 135 Bachmann-Medick, „Übersetzung im Spannungsfeld“, in: Renn/Straub/Shimada, Übersetzung als Medium, hier S. 278; sowie Turk, Horst: „Schlüsselszenarien: Paradigmen im Reflex literarischen und interkulturellen Verstehens“, in: Doris Bachmann-Medick (Hg.): Übersetzung als Repräsentation fremder Kulturen, Berlin 1997, S. 281–307, hier S. 281.

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Einleitung

bridität kultureller Phänomene aufzuzeigen und ihnen gerecht zu werden.136 Hiermit sollen die unauflösbare Verbindung zwischen nationality und internationality, die die (Vorstellung der) Welt bis heute strukturiere, und die dominierende Präsenz sowie Gültigkeit wesentlicher westlicher Denkmuster aufgebrochen werden. Sakai plädiert in diesem Kontext für eine Stärkung des Konzepts einer transnationality.137 Gal/Irvine diskutieren ideologisch bedingte Sprachgrenzen und die damit verbundene sprachliche Differenzierung zudem im Rahmen von Wissenschaft und Forschung. Die Einordnung „typischer“ Personen(-gruppen) und Handlungen geschehe in einem ideologischen Kontext, der sowohl die jeweils involvierte Sprache als auch die beteiligten Wissenschaftler betreffe – und sich nicht nur auf Forschungsergebnisse, sondern auch auf die Ausrichtung der verschiedenen Disziplinen und die Abgrenzung zwischen ihnen auswirke. Gal/Irvine schlagen zur Umgehung dieses Dilemmas eine für grenzziehende Handlungen sensibilisierte Wissenschaft vor. Auch der Zusammenhang sprachlicher und sozialer Praktiken müsse betont und berücksichtigt werden, um die ihnen zugrunde liegenden Ideologien zu identifizieren und zu reflektieren. Eine Loslösung von der Annahme, dass eine Kultur nur eine Sprache besitze, sei ebenso erforderlich wie zu erkennen, dass Grenzziehung zwischen Disziplinen nur eine Konstruktion sei, die überdacht und neu konzipiert werden könne.138 Der Nationalstaatsgedanke mit seinen Varianten der Staatsnation und der Volks- bzw. Kulturnation prägt(e) jedoch nicht nur politisches, wirtschaftliches, soziales und wissenschaftliches Leben, sondern auch den Bereich der Kultur – trotz oder gerade wegen des Diskurses bezüglich einer Weltliteratur.139 Dies wird zum einen, etwa durch Rainer Lotz, zu weiterer Kritik am okzidental-dominanten Denken genutzt: Aus westlicher Sicht entdeckt und schätzt man an den Werken außereuropäischer Autoren vorwiegend die eigenen literarischen Vorbilder und Verfahren. Insbesondere die Funktion der europäischen Literaturen bei der Herausbildung der Nationalstaaten und bei der Kultivierung der Nationalsprachen lenkt die Interpretation.140 136 Vgl. Sakai, „Transnationality and bordering“, in: Trans-Science, hier S. 29; weiterhin Rumford, Chris: „Introduction. Theorizing borders“, in: European Journal of Social Theory 9 (2/2006), S. 155–169, hier S. 162 ff.; Bachmann-Medick, Doris: „Einleitung: Übersetzung als Repräsentation fremder Kulturen“, in: Doris Bachmann-Medick (Hg.): Übersetzung als Repräsentation fremder Kulturen, Berlin 1997, S. 1–18, hier S. 4 f.; Lambert, „Auf der Suche“, in: Frank/Maaß/Paul/ Turk, Übersetzen, verstehen, Brücken bauen, hier S. 94 f.; sowie Cronin, Translation and Globalization, S. 168. 137 Vgl. Sakai, „Transnationality and bordering“, in Trans-Science, hier S. 8 ff., S. 29. 138 Vgl. Gal/Irvine, „The boundaries“, in: ProQuest, hier S. 12 f. 139 Vgl. Turk, Horst: „Einleitung“, in: Armin Paul Frank/Kurt-Jürgen Maaß/Fritz Paul/Horst Turk (Hgg.): Übersetzen, verstehen, Brücken bauen. Geisteswissenschaftliches und literarisches Übersetzen im internationalen Kulturaustausch, Berlin 1993, S. XI–XIX, hier S. XI; sowie Simon, „Culture brokers“, in: Tymoczko/Gentzler, Translation and Power, hier S. 125. 140 Lotz, Rainer: „Schreiben zwischen Kulturen: zur Erzähltechnik von Salman Rushdies Midnight’s Children“, in: Doris Bachmann-Medick (Hg.): Übersetzung als Repräsentation fremder Kulturen, Berlin 1997, S. 162–182, hier S. 169.

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Zum anderen wird argumentiert, dass diese begrenzte, nationale Ausrichtung auf literarischem Feld in Auflösung begriffen sei und zugunsten einer Pluralitätskonzeption abgelöst werde. Horst Turk etwa erläutert, dass die Idee von Nationalliteraturen aufgebrochen worden und mittlerweile von einem „System literarischer Kulturen, das keineswegs nationalsprachig gebunden ist“141, auszugehen sei.

1.1.3 André Lefevere: Manipulation und das politische Potenzial von Literaturübersetzung Insbesondere in der westlichen Kultur herrschte lange Zeit die Vorstellung vor, dass Übersetzungstheorie normativ zu sein habe. Ende des 20. Jahrhunderts wurde dieses Postulat im Rahmen der Entstehung deskriptiver Ansätze verstärkt in Frage gestellt und heftig diskutiert. Jiří Levý und Anton Popovič gelten als Begründer einer deskriptiven Translationswissenschaft, die sich vor allem ab Mitte der 1970er Jahre in den belgischen und niederländischen Descriptive Translation Studies (DTS) sowie mit Itamar Even-Zohar in Israel artikulierte und ihren Höhepunkt in den 1990er Jahren erreichte.142 James S. Holmes forderte 1972 erstmals die Begründung einer neuen Disziplin, die die Übersetzung aus ihrem Sekundärstatus befreien und ihre entscheidende Rolle bei der Entstehung (westlicher) Literaturen würdigen sollte. Ohne Übersetzung sei keine literarische Innovation möglich.143 Die Manipulation School um Theo Hermans, André Lefevere, Susan Bassnett-McGuire und Maria Tymoczko machte es sich ab 1985 zur Aufgabe, ein neues Forschungsparadigma zu begründen. Die Manipulation School beschreibt sich selbst als […] descriptive, target-oriented, functional and systemic; and [with] an interest in the norms and constraints that govern the production and reception of translations, in the relation between translation and other types of text processing, and in the place and role of translations both within a given literature and in the interaction between literatures.144

Die bis zu diesem Zeitpunkt geltende Ausgangstextfixierung und das unverändert hohe Prestige des Originals ergeben sich aus „naively romantic concepts of ‚artistic genius‘, ‚originality‘, ‚creativity‘ and a severely restricted notion of what constitutes a ‚national literature‘“145. Die Manipulation School definiert Literatur dagegen als dynamisches System und propagiert einen zielorientierten Zugang zu 141 Turk, „Einleitung“, in: Frank/Maaß/Paul/Turk, Übersetzen, verstehen, Brücken bauen, hier S. XI. 142 Vgl. Prunč, Einführung, S. 226 f. 143 Vgl. Holmes, James S.: Translated! Papers on literary translation and Translation Studies, Amsterdam 1988, S. 67–80. 144 Hermans, Theo: „Introduction. Translation Studies and a new paradigm“, in: Theo Hermans (Hg.): The manipulation of literature. Studies in literary translation, London/Sydney 1985, S. 7–15, hier S. 10 f. 145 Ebd., hier S. 7.

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Literatur sowie die Verbindung von Theorie und praktischen Fallstudien.146 Die bekannteste These, die diesem Übersetzungs(theoretischen)ansatz ihren Namen gibt, bezieht sich auf den manipulativen Aspekt, der jeder Übersetzung per se innewohne: „From the point of view of the target literature, all translation implies a degree of manipulation of the source text for a certain purpose.“147 Deren Vertreter kritisieren, dass das Manipulationspotenzial von Übersetzung zumeist unterschätzt werde.148 Das Äquivalenzkriterium wird in diesen Ansätzen durch eine zielkulturelle Konventionalität von Übersetzung ersetzt, die berücksichtigt, dass der Übersetzer sich vor allem an bestimmten Normen orientieren muss, die historisch, sprachlich und kulturell bedingt sind.149 Übersetzung gilt wie jede sprachliche Handlung als „matter of communication, i. e. a form of social behaviour which requires a degree of interaction, of cooperation, among those involved“150; der Übersetzer wird als aktiver Akteur in einem transkulturellen Kommunikationsprozess definiert, in dem er sich trotz aller Zwänge positioniert. Kritik an der Manipulation School zielt einerseits auf die Aufweichung des Manipulationsbegriffs. Wenn jede Translation bereits durch den Sprachwechsel als manipuliert gilt und jede Änderung am Ausgangstext als manipulativ bezeichnet wird, dann verliert das Konzept der Manipulation jegliche empirische und analytische Schärfe. In diesem Zusammenhang sei jedoch auf den Zusatz verwiesen, dass „für einen bestimmten Zweck“ manipulativ übersetzt wird.151 Andererseits sieht sich die Manipulation School Kritik ausgesetzt, die den Ansatz in seinen Grundzügen angreift, da sie deren deskriptiven Anspruch hinterfragt. Die Umsetzung eines – theoretisch – als deskriptiv bezeichneten Vorgehens ist in der Praxis kaum zu realisieren. Dieser rein beschreibende Anspruch ist darüber hinaus alleine deshalb schon kritisch zu beleuchten, weil die Beschäftigung mit Translation auch hier von einem Ideal ausgeht:152 146 147 148 149

Vgl. ebd., S. 10. Ebd., S. 11. Vgl. Lambert, „Ethnolinguistic democracy“, in: Eguíluz et al., Trasvases culturales, hier S. 26. Vgl. Prunč, Einführung, S. 232 f.; sowie zu Normen im Rahmen der deskriptiven Translationswissenschaft Toury, Gideon: „A rationale for descriptive Translation Studies“, in: Theo Hermans (Hg.): The manipulation of literature. Studies in literary translation, London/Sydney 1985, S. 16– 41; Toury, Gideon: „The translator as a nonconformist-to-be, or: How to train translators so as to violate translational norms“, in: Sven-Olaf Poulsen/Wolfram Wilss (Hgg.): Angewandte Übersetzungswissenschaft. Internationales übersetzungswissenschaftliches Kolloquium an der Wirtschaftsuniversität Aarhus/Dänemark (19.–21. Juni 1980), Aarhus 1980, S. 180–194; sowie Aixelá, Javier Franco: „Culture-specific items in translation“, in: Román Álvarez/M. Carmen-África Vidal (Hgg.): Translation Power Subversion, Clevedon/Bristol/Adelaide 1996, S. 52–78, hier S. 77. 150 Hermans, Theo: „Translation as institution“, in: Mary Snell-Hornby/Zuzana Jettmarová/Klaus Kaindl (Hgg.): Translation as cultural communication: Selected papers from the EST Congress, Prag 1995, Amsterdam 1997, S. 3–20, hier S. 7. 151 Vgl. zu einer detaillierten Definition der dieser Arbeit zugrundeliegenden Begrifflichkeiten Kapitel 1.2. 152 Vgl. Robinson, Douglas: „Normative model“, in: Mona Baker (Hg.): Routledge Encyclopedia of Translation Studies, London/New York 1998, S. 161–163, hier S. 162.

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But because real translators translate in what is probably an infinite variety of ways, these systems theories perforce proceed through idealization, constructing an ideal model for the process of translation that then becomes the implicit norm, whether because the theorists have accepted past norms for how translation ought to proceed and transformed them into models that only seem descriptive, or because they have introspectively traced how they actually translate themselves and transformed that into ‚the‘ model for all translation.153

Im Rahmen der Manipulation School soll an dieser Stelle ein Vertreter – André Lefevere – detaillierter behandelt werden, weil sich eine intensivere Auseinandersetzung mit dessen Konzept von Übersetzung und deren politischem Potenzial im Hinblick auf die Themenstellung der vorliegenden Untersuchung besonders anbietet. Lefevere konzipiert für den literarischen Kontext eine Kategorie von Neuschreibung, unter die er neben Literaturkritik, -interpretation, -geschichte und Anthologien auch die Übersetzung subsumiert. Jede Art der Neuschreibung könne literarische Innovation sowohl begünstigen als auch unterdrücken:154 Rewriting is manipulation, undertaken in the service of power, and in its positive aspect can help in the evolution of a literature and a society. Rewritings can introduce new concepts, new genres, new devices, and the history of translation is the history also of literary innovation, of the shaping power of one culture upon another. But rewriting can also repress innovation, distort and contain, and in an age of ever increasing manipulation of all kinds, the study of the manipulative processes of literature […] can help us towards a greater awareness of the world in which we live.155

Schreiben und Neuschreiben seien gleichermaßen für die Entwicklung von Literatur verantwortlich, so Lefevere. Ein Paradigmenwechsel könne sich dann ereignen, wenn sich ein neues Modell durchsetze, das besser für die Lösung bestehender Problemstellungen geeignet scheine. Ein Paradigma bestehe bzw. setze sich nicht nur aufgrund rationaler Argumentation durch – oder eben nicht –, sondern gerade auch wegen subjektiver Haltungen, die für dessen Akzeptanz oder Ablehnung verantwortlich seien. Gleichzeitig sei für die Stabilität und Erhaltung eines Modells eine subtile Machtausübung erforderlich. Deshalb […] bringen Menschen, die ihre eigene Machtposition nicht zuletzt ihrer Identifikation mit einem bestimmten Paradigma verdanken, einen Wandel ihrer Einstellungen und einer möglichen Ablösung dieses Paradigmas erheblichen Widerstand entgegen. […] Ein neues Paradigma liegt in der Regel zunächst einige Zeit in einer ganzen Reihe ähnlicher Versionen „in der Luft“ und kristallisiert sich dann zu einer oder mehreren „autorisierten“ Versionen.156

Lefeveres Ansatz geht bei der Produktion von Neuschreibung von vier einschränkenden Faktoren aus, der Patronage, dem poetischen Code, dem „Redeuniver153 Ebd., hier S. 161 f. 154 Vgl. Lefevere, „Translation and canon formation“, in: Álvarez/Vidal, Translation Power Subversion, hier S.  138 f. Vgl. zur Thematik der Neuschreibung im Hinblick auf Übersetzen auch Aixelá, „Culture-specific items“, in: Álvarez/Vidal, Translation Power Subversion, hier S. 52. 155 Lefevere, Translation History Culture, S. XI. Vgl. auch Hermans, „Introduction“, in: ders., Manipulation of literature, hier S. 11. 156 Lefevere, „Neuschreibung“, in: Hagemann, Deskriptive Übersetzungsforschung, hier S. 70.

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sum“ und der Sprache selbst. Das System der Patronage beeinflusst den literarischen Bereich maßgeblich direkt oder indirekt über Institutionen. Der poetische Code soll eine Kommunikation zwischen Autor und Leser ermöglichen und umfasst wiederum zwei Komponenten: einerseits ein innerliterarisches Inventar an prototypischen Elementen, Genres, Motiven, Symbolen, Charakteren, Situationen, andererseits eine außerliterarische Vorstellung von der Funktion, die Literatur in einer Gesellschaft ausübt, die wiederum bestimmte Themen für das literarische Schaffen relevant setzt.157 Als „Redeuniversum“ bezeichnet Lefevere „die Wissensbestände sowie Gegenstände und Praktiken einer bestimmten Zeit, auf die sich ein Autor in seinem Werk beziehen kann“158. Einschränkend wirke auch die Sprache, in der das Werk verfasst sei; außerdem beeinflusse das Original als Referenzpunkt die Neuschreibung, da es konvergierend oder divergierend Ideologie, Poetik, Redeuniversum und Sprache vereine. Dabei sei „[j]ede Neuschreibung von Literatur, ob Interpretation, Kritik, Literaturgeschichte, Anthologiekompilation oder Übersetzung, […] direkt von mindestens einer und indirekt auch von den anderen einschränkenden Bedingungen betroffen“159. Die unterschiedlichen Typen von Neuschreibung treten häufig kombiniert auf. Lefevere hebt hervor, dass Übersetzungen selten ohne eine Interpretation bzw. Einleitung veröffentlicht werden, und dass diese – sind sie erfolgreich – Eingang in Anthologien finden können. Außerdem sei es für Literaturhistoriker unabdingbar, auch auf Übersetzungen zurückzugreifen, wenn sie zu Literaturen in Sprachen forschen, die sie nicht beherrschen. Übersetzung könne darüber hinaus zwar Innovation in eine Zielkultur einführen; für deren Etablierung seien jedoch die anderen Typen der Neuschreibung notwendig.160 Lefevere konstatiert, dass über die Neuschreibung die Aktualisierung eines literarischen Texts stattfindet, der damit in neuen Kontexten und mit neuen Bedeutungen interpretiert wird. Hierdurch erhalten Übersetzungen ein subversives Potenzial, das herrschende Ideologie und Poetik nicht nur im literarischen Bereich verändern kann – weswegen Übersetzung oftmals Gegenstand politischer Maßnahmen wird.161 Dieses Potenzial wird Lefevere zufolge jedoch seltener abgerufen

157 158 159 160

Vgl. ebd., hier S. 77. Ebd., hier S. 80. Ebd., hier S. 81. Vgl. zum Potenzial von Übersetzungs- und Literaturkritik im Hinblick auf eine Einflussnahme auf den Rezipienten und die Problematik um Deskriptivität/Normativität Maier, Carol: „Reviewing and criticism“, in: Mona Baker (Hg.): Routledge Encyclopedia of Translation Studies, London/ New York 1998, S. 205–210, hier S. 205 ff. 161 Vgl. Lefevere, „Neuschreibung“, in: Hagemann, Deskriptive Übersetzungsforschung, hier S. 84 f.; Lefevere, André: „Why waste our time on rewrites? The trouble with interpretation and the role of rewriting in an alternative paradigm“, in: Theo Hermans (Hg.): The manipulation of literature. Studies in literary translation, London/Sydney 1985, S. 215–243, hier S. 225; Gentzler, Edwin: „Poetics of translation“, in: Mona Baker (Hg.): Routledge Encyclopedia of Translation Studies, London/New York 1998, S. 167–170, hier S. 169; sowie Cronin, Translating Ireland, S. 90.

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als die Möglichkeit, Übersetzungen zur Affirmation und Festigung dominanter (kultureller) Werte einzusetzen.162 Auch der literarische Bereich, in dem Übersetzung eine wesentliche Rolle spielt, ist so stets geprägt von einem Kampf um Macht und Vorherrschaft.

1.1.4 Michael Cronin: Die identitätskonstituierende Rolle von Translation in Irland In seiner Studie „Translating Ireland“ untersucht Michael Cronin Translationsaktivitäten163 in Irland in ihrer historischen Entwicklung. In der Geschichte des Landes – von Cronin als „history of encounters“164 und diese wiederum als „peaceful, violent, painful and […] creative“165 bezeichnet – spielt Translation eine entscheidende Rolle und wird etwa als Instrument politischer Propaganda, als Anstoß für sprachliche Reformen oder auch als Katalysator für kulturelle Erneuerung eingesetzt: Without translators […] the emergence and development of different cultures in Ireland would have been literally and metaphorically speaking inconceivable. The dissemination of scientific ideas, the emergence of two national languages, the birth of literatures in English and Irish, the formulation of new ideologies and the spread of religion were crucially dependent on the activities of Irish translators through the ages. Architects of literatures and languages, channels of influence, ambassadors for the Other, they embody at the same time many of the painful dilemmas of Ireland’s troubled history.166

Cronin arbeitet in seiner von ihm als deskriptive „discursive history of translation in Ireland“167 bezeichneten Studie die enge Verbindung von Sprache, Kultur und Identität heraus, die jeweils durch Translation konstituiert, beeinflusst und weiterentwickelt werden. Irland stellt gerade wegen seiner (macht-)geschichtlichen Entwicklung und dem entsprechenden Umgang mit Sprache und Translation einen Sonderfall dar; „[t]he Anglo-Irish relationship, as reflected in language and translation, is a fascinating example of the shifting geometry of power, language and resistance.“168 Im 12. Jahrhundert beginnt die anglonormannische Invasion in Irland, die zwar viele Unruhen und Widerstand nach sich zieht, die englische Sprache – und Kultur – jedoch auf der Insel etabliert. Translation wird in diesem Kontext bereits früh 162 Vgl. Lefevere, „Neuschreibung“, in: Hagemann, Deskriptive Übersetzungsforschung, hier S. 70 ff. 163 Wird in diesem Unterkapitel von „Translation“ gesprochen, sind – wie bereits erwähnt – sowohl das Übersetzen als auch das Dolmetschen gemeint. Bezieht sich Cronins Argumentation auf den schriftlichen Bereich, was insbesondere das Feld der Literatur betrifft, so wird der Terminus „Übersetzung“ verwendet. 164 Cronin, Translating Ireland, S. 1. 165 Ebd., S. 1. 166 Ebd., S. 1. 167 Ebd., S. 2. 168 Ebd., S. 2.

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zu einem Instrument des Widerstands gegen die dominante Sprache sowie Kultur – und berührt damit auch die Problematik der Identität, wie Cronin herausarbeitet.169 Darüber hinaus prägt sie von Anfang an die Beziehung zwischen England und Irland aus rein pragmatischer Perspektive. So benötigt etwa Richard II. im Jahr 1394 nach seinem erfolgreichen Feldzug einen Dolmetscher für seine Ansprache an die irischen Lords, genauso wie Heinrich VIII., ab dem Jahr 1541 König von Irland. Der Translator wird damit zu einer entscheidenden Figur in einem politisch aufgeladenen Spannungsfeld: „The presence of a translator as historical witness and intermediary in moments of historical shift and transformation was an oblique tribute to the importance of the translation enterprise in Ireland in previous centuries.“170 In Bezug auf die Arbeitsweise mittelalterlicher Übersetzer ins Irische konstatiert Cronin in ideologischer, kultureller und stilistischer Hinsicht eine zielkulturelle Ausrichtung – womit die irische Vernakularsprache gefestigt werde.171 Diese Vorgehensweise erinnert zum einen an die zugunsten der Zielsprache durchgeführte „Manipulation“ sowie Lefeveres Kategorie der Neuschreibung: If we consider the different translation strategies of fidelity, expansion, contraction, naturalisation and paraphrase, what is most striking in medieval Irish translation is the prevalence of rewriting. […] The translator’s aim was to make the translation conform to the linguistic and stylistic norms of the target-language literature.172

Hierbei entstehe zwischen Übersetzungen und irischer Literatur ein kreativer Dialog, so Cronin, der die Rolle von Übersetzung bei der Entwicklung von Nationalliteraturen unterstreicht. Gerade der Austausch und Kontakt mit dem Lateinischen und Englischen stärke die irische Literatur und Kultur, in der verschiedene Sprachen – hauptsächlich Latein, Englisch, Französisch und Irisch –, als Zielsprachen nebeneinander existieren.173 Während des 16. und 17. Jahrhunderts wird Translation durch die Ereignisse auf der Insel zunehmend zum Politikum.174 Zwei Drittel des irischen Territoriums wechseln ihren Besitzer; die rigorose Unterdrückung der Katholiken nimmt ihren Anfang, insbesondere durch die Offensiven der Tudors und Cromwells, durch die eine wachsende, ablehnende Haltung von offizieller Seite gegenüber dem Irischen begründet wird. So geht auch die Anzahl an Übersetzungen ins Irische – durch protestantische Translatoren im Land – zurück, sodass diese nun vor allem im Exil angefertigt werden (müssen).175 Im Jahr 1592 wird in Dublin die erste Universität Irlands gegründet, an der hauptsächlich Englisch Verwendung findet. Darüber hinaus ist das Englische die Sprache des neuen Landadels, neu ankommender Siedler sowie der Staatskirche in 169 170 171 172 173 174 175

Vgl. ebd., S. 6. Ebd., S. 8. Vgl. ebd., S. 19. Ebd., S. 21 f.; vgl auch ebd., S. 24. Vgl. ebd., S. 37 ff. Vgl. ebd., S. 48. Vgl. ebd., S. 59.

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Irland.176 Auch wenn das ausgehende 16. sowie das 17. Jahrhundert für die irische Kultur deshalb einen herben Rückschlag bedeuten, erwachse gerade aus dieser vermeintlichen Schwächung ein umso stärkerer Glaube an eine irische Identität, der durch Kulturenkontakt und Translation gefördert werde. Diese Art der Horizonterweiterung durch Öffnung gegenüber dem Fremden hält Cronin für eine der positivsten Eigenschaften von Translation insgesamt: The trauma of the seventeenth century had, in one sense, a curiously liberatory effect. The translations, the contact with other languages on continental Europe and the weakening hold of a bardic orthodoxy on the Irish language would in fact ultimately lead to the birth of modern Irish.177 Translation had a distinct energising effect on the Irish language in the seventeenth century and the presence of other languages, world-views and literatures was in many senses enabling and enriching as it had been in previous centuries. This sense of linguistic possibilty [sic!] and intellectual opportunity has always been translation’s most important gift to world culture.178

Die im 17. Jahrhundert begonnene Entwicklung setzt sich im 18. und 19. Jahrhundert mit Translaten vor allem aus dem Irischen ins Englische fort, was sich zunehmend auf die irische Selbstwahrnehmung auswirkt.179 Englisch bildet weiterhin die dominante Sprache: „The language of the public domain, of power and intellectual influence, was English. In translation terms, this implied that the major target language, the language of public, prestigious and politically effective translation, was English.“180 Die Anzahl der Übersetzungen ins Irische ist dagegen immer noch verschwindend gering. Deshalb tragen einerseits selbst die Verteidiger der irischen Sprache und Kultur paradoxerweise zur Stärkung des Englischen bei, da sie, um gehört zu werden, auf Englisch veröffentlichen müssen.181 Andererseits entstehe wiederum durch die englische Dominanz über Translation ein neues Selbstbewusstsein der irischen Kultur, die – stärker als noch im 17. Jahrhundert – aus einer Abgrenzung zum Englischen auf Englisch neue Stärke für die Konstituierung einer irischen Identität und Nation ziehe, wie Cronin erläutert: Their faith in translation is strong because of an implied belief that an Irish nation can express its own distinctness in the English language. Learning and literature in the Irish language can be carried across the language divide and used as building materials for a new Irish identity.182

Im 19. Jahrhundert spiegeln Translatoren und ihre Arbeit die zerrissene Gesellschaft, als „revolutionaries or conservatives, dangerous subversives or reliable guardians of public morality“183. Gleichzeitig besteht ihr Verdienst in der Verbreitung 176 177 178 179 180 181 182 183

Vgl. ebd., S. 67. Ebd., S. 63. Ebd., S. 66. Vgl. ebd., S. 83 f. Ebd., S. 92. Vgl. ebd., S. 92. Ebd., S. 116 f. Ebd., S. 111. Vgl. hierzu auch Venuti, The translator’s invisibility, S. 84; sowie BachmannMedick, „Übersetzung im Spannungsfeld“, in: Renn/Straub/Shimada, Übersetzung als Medium, hier S. 282.

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der gälischen Kultur, womit Vorurteile abgebaut und Sympathien begründet werden können – womit Cronin erneut die Brückenbau-Metapher nicht nur für den Kontakt zwischen Ländern, sondern auch innerhalb eines (zerrissenen) Landes bemüht: Thus, translation is not only an act of reconciliation between countries but also within a country. Violence and oppression stem from fear, and fear is predicated on ignorance. By disseminating knowledge of Gaelic culture, translation lessens ignorance and therefore robs prejudice of one of its most precious alibis. The cultural ecumenism of translation offers the possibility of a common ground that often proves elusive in a divided society.184

Über Translation werden so einerseits nicht nur Kontakte zu der jeweils anderen Religion, Sprache und Kultur ermöglicht, sondern unter Berücksichtigung der politischen Komponente pädagogische bzw. ökumenische Ziele verfolgt.185 Andererseits beziehen Gegner des Brückenbau- und Verständigungskonzepts sprachrelativistische Positionen, um Translation als Machtinstrument zur Kolonialisierung ins Bewusstsein zu rufen und diese Perspektive auf die Kulturen sowie Identitäten Irlands zu übertragen.186 Interessanterweise beeinflusst auch Mazzini den irischen Nationalismus des 19. Jahrhunderts. In seiner Studie über die Zeitung The Nation stellt Michael Huggins eine Verbindung zwischen den Ideen des Risorgimento, vor allem Mazzinianischen Ursprungs, und dem verstärkten Bestreben zur Begründung einer irischen Nation fest, für die sich auch die Nation in den 1840er Jahren einsetzt.187 Die Zeitung sieht sich in diesem Rahmen als Bildungs- und Förderungsorgan einer (vorgestellten) irischen Kultur sowie Tradition: Thus, it appears that between 1842 and 1848 the Nation was at the forefront of an Irish movement attempting to diffuse, through reading rooms, public banquets, demonstrations, and educational initiatives what can be termed a Mazzinian political culture – that is, one based on a romantic conception of the nation and its liberating mission, in which an apparently intuitive and visceral romantic imagination was projected as political and philosophical insight.188

Dabei betrachtet Mazzini den irischen Nationalismus, bei dem er ein moralisches Ziel sowie eine eigene, fortschrittliche Basis vermisst, durchaus kritisch. Die reine Ausrichtung auf England als Feind stellt darüber hinaus für ihn eine Gefahr für die von ihm konzipierte, friedliche europäische Gemeinschaft dar.189 Dennoch bilden Wunsch und Wille, sich von einer Fremdmacht zu befreien, die große GemeinCronin, Translating Ireland, S. 118. Vgl. ebd., S. 118. Vgl. ebd., S. 124. Vgl. Huggins, Michael: „The Nation and Giuseppe Mazzini, 1842–48“, in: New Hibernia Review 17 (3/2013), S. 15–33; weiterhin Barr, Colin: „Giuseppe Mazzini and Irish nationalism, 1845–70“, in: C. A. Bayly/Eugenio F. Biagini (Hgg.): Giuseppe Mazzini and the globalisation of democratic nationalism 1830–1920, New York 2008, S. 125–144, vor allem S. 126 f.; sowie Eagleton, Terry: Ideologie. Eine Einführung, Stuttgart/Weimar 2000, S. 219 f. 188 Huggins, „The Nation“, in: New Hibernia Review, 17 (3/2013), hier S. 23. 189 Vgl. Wight, „Four seminal thinkers“, in: Oxford Scholarship Online, hier S. 7. 184 185 186 187

Theoretische Annäherung und Verortung

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samkeit zwischen Mazzini und der Organisation des Young Ireland. Im Vergleich zu dem Italiener sind die Iren jedoch weniger bis kaum antiklerikal eingestellt, was sich auch in der Ausrichtung der Nation spiegelt.190 Ende des 19. Jahrhunderts gilt Translation in Irland Cronin zufolge weithin als Katalysator für Erneuerung und kreatives Schaffen, das sich nicht mehr der Vergangenheit zuwenden, sondern auf die Zukunft gerichtet sein soll.191 In dieser Zeit des politischen Wandels wachse ein genuin irisches Selbstbewusstsein.192 Translatoren spielen bei der Auseinandersetzung sowie Reflexion über die irische Identität eine wesentliche Rolle193 und legen den Grundstein für die Entwicklung einer neuen, modernen irischen Literatur, die entscheidend auf den Nationbildungsprozess wirke.194 Der sprachlich-literarische Diskurs diskutiert eine Stärkung des Englischen durch die verschiedenen Formen des Hiberno-Englischen, wohingegen das Irische in dieser von Diglossie geprägten Situation geschwächt, wenn nicht gar zerstört werde.195 Translatoren sollen dafür sensibilisiert werden, dass sie in einem dominant englischsprachigen Umfeld arbeiten. In der Praxis finden die englischen Varianten des Irischen Eingang in neue Prosa sowie ins Theater und werten somit das oft als minderwertig klassifizierte Hiberno-Englisch auf – was wiederum im Rahmen der Begründung einer neuen irischen Literatursprache auf die Übersetzungspraxis zurückwirke, so Cronin: The unwitting translation process that had sustained ridicule in jokes and on the stage was now consciously cultivated as a marker of specificity rather than shunned as a brand of inferiority. Instead of concealing translation, the process was now foregrounded in the public search for a new Irish literary idiom.196

Traditionelle irische Texte sollen in modernes Irisch übersetzt sowie interlinguale Übersetzungen angefertigt und einem breiteren Publikum zugänglich gemacht werden.197 Durch den Sieg der Sinn-Féin-Partei bei den Wahlen 1918 erfahren die irische Kultur und Sprache erneut eine Aufwertung. Amtssprache im neu geschaffenen Parlament in Dublin ist nun Irisch. Der zweisprachigen Realität wird jedoch durch offizielle Translatoren im Parlament und die Veröffentlichung aller Entscheidungen in beiden Sprachen Rechnung getragen. Eine nicht unumstrittene Translationspolitik richtet sich sowohl auf eine Wiederbelebung des Irischen als Vernakularsprache, das Bildungssystem sowie die Literatur als auch auf eine

190 Vgl. Barr, „Mazzini and Irish nationalism“, in: Bayly/Biagini, Mazzini and the globalisation, hier S. 137; sowie Huggins, „The Nation“, in: New Hibernia Review 17 (3/2013), hier S. 30 ff. Vgl. zu Mazzinis Antiklerikalismus auch Kapitel 3.1 der vorliegenden Arbeit. 191 Vgl. Cronin, Translating Ireland, S. 135 f. 192 Vgl. ebd., S. 126. 193 Vgl. ebd., S. 131. 194 Vgl. ebd., S. 139 f. 195 Vgl. ebd., S. 150. 196 Ebd., S. 144. 197 Vgl. ebd., S. 151.

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Einleitung

Standardisierung der irischen Rechtschreibung und Grammatik.198 Gleichzeitig kommt durch diesen Standardisierungsversuch der Vorwurf einer Minderung der dialektalen Vielfalt auf. Dabei werden insbesondere Übersetzungen gefördert, die auf dialektale Quellen zurückgehen; gleichzeitig wird jedoch wegen der angestrebten Quantität auch englische Literatur miteinbezogen, um die Basis für eine eigene Literatur zu legen – wobei Irland mit diesem Vorgehen keine Ausnahmeerscheinung darstellt. Durch die Diglossie-Situation gilt Irland allerdings als Sonderfall. Die größte Anzahl an Übersetzungen wird aus dem Englischen angefertigt – wobei viele Iren wegen ihrer Sprachkompetenz dennoch englische Originale vorziehen. Im 20. Jahrhundert bewegt sich translatorisches Handeln auf einem schmalen Grad im Rahmen einer breit und heftig geführten Debatte zur Zukunft der Kulturen, Sprachen und Identitäten Irlands und deren Beziehung zueinander.199 Diese verschärfe sich, so Cronin, durch eine ab den späten 1950er Jahren einsetzende wirtschaftliche und gesellschaftliche Erneuerung, mit dem EG-Beitritt Irlands 1973 und der Entwicklung des Bewusstseins für eine europäische Dimension der irischen Kultur, aber auch der Eskalation des Konflikts in Nordirland.200 Anfang der 1980er Jahre kommt es – im Zusammenspiel mit den kultur-politischen Maßnahmen der EG – zu einer intensivierten Förderung irischer Kultur in Irland selbst mit einer vermehrten Veröffentlichung zweisprachiger Ausgaben von Literatur bzw. englischen Übersetzungen zeitgenössischer irischer Autoren. In einem weiteren Schritt wird zudem die Förderung irischer Literatur in Übersetzung im Ausland beschlossen, um damit die irische Kultur einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Cronin argumentiert, dass der Anschluss an Europa einerseits ein wachsendes Bewusstsein für das spezifisch Irische und die Bemühungen um dessen Bewahrung begünstige. Andererseits gelinge es Irland, sich so allmählich aus der engen, machtasymmetrischen Verbindung zu England lösen.201 Übersetzungen aus anderen Sprachen helfen dem Land zudem dabei, sich neu auszurichten, in Europa zu positionieren und damit auch die irische Identität zu festigen bzw. in einem größeren Kontext zu erfahren – wozu auch die Anerkennung der irischen Sprache als Amtssprache der EU im Jahr 2007 beiträgt: Firstly, there is the desire to deliver Irish from the fatality of one language pair with its troubled contexts. Secondly, there has been a wish to place Irish in a European rather than an Anglo-Irish context, thus linking up with other minority languages and the older tradition of the Irish language on the European continent. […] Thirdly, translation from other languages is seen as a way of opening up and extending the Irish language [… and] a way of proposing alternative or parallel modes of experience to the speaker of a language.202

198 Vgl. ebd., S. 153 ff. 199 Vgl. ebd., S. 161. 200 Vgl. ebd., S. 168 ff.; weiterführend Renn, „Übersetzungskultur“, in: Sociologia Internationalis, 36 (1998), hier S. 160; sowie Fuchs, „Soziale Pragmatik“, in: Renn/Straub/Shimada, Übersetzung als Medium, hier S. 292. 201 Vgl. Cronin, Translating Ireland, S. 174. 202 Ebd., S. 188 f.

Übersetzung als performativer politischer Akt – Translations- und Politikbegriff

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1.2 ÜBERSETZUNG ALS PERFORMATIVER POLITISCHER AKT – TRANSLATIONS- UND POLITIKBEGRIFF Allen betrachteten Ansätzen gilt Translation als aktive Handlung mit hohem Wirkungspotenzial, als performativer Akt, als „ein historisch in Konventionen gefasstes und dynamisch in neue Konventionen zu fassendes transkulturelles und doch kulturspezifisches Handeln“203, wie Prunč zusammenfasst. Im Kontext dieser Definition umfasst Translation auch „Prozesse des Übersetzens und/oder Dolmetschens, und translatorisches Handeln wird als der weitere Rahmen verstanden, in dem kommunikative Handlung über Sprachgrenzen hinweg stattfindet,“204 um es weiterhin mit Dizdar zu auszudrücken. Neben linguistischen Aspekten verdienen so gerade gesellschaftliche und politische Zusammenhänge besondere Beachtung. Der ursprüngliche, enge Begriff der auf Roman Jakobson zurückgehenden translation proper als „klassische“, interlinguale Übersetzung205 wird in einer solchen dynamischen Definition erweitert um alle an diesem Prozess partizipierenden Faktoren und Personen. Dizdar unterscheidet im Anschluss an Hans J. Vermeer zwischen dem Skopos, den ein Translator seinem Translat zugrundelegt, sowie demjenigen, der von Rezipienten aus diesem gelesen wird, und bezeichnet dies als „eine Öffnung des Translationsprozesses“206. Schon mit dem Terminus „Prozess“ wird die Dynamik von Translation – und damit das ihr inhärente Potenzial einer Politischwerdung – unterstrichen. Es geht nicht nur um die […] konkrete Arbeit am Text selbst, sondern zugleich [… um] eine Vielfalt anderer Tätigkeiten im Umfeld des Übersetzens; und der Prozess erstreckt sich von dem Vorschlag, diesen oder jenen Text zu übersetzen, bis hin zur Rezeption und dem (Nach)Wirken (der ‚Funktion‘) der Texte207.

Dies darf jedoch nicht verwechselt werden mit einer Aufweichung des Translationsbegriffs aufgrund der Öffnung der translation proper hin zum translatorischen Handeln. Der Diskurs um eine potenzielle terminologische Ungenauigkeit ist dabei fester Bestandteil der Translationswissenschaft und bezieht sich insbesondere 203 Prunč, Einführung, S. 7. 204 Dizdar, Dilek: „Auf der Suche nach Trüffelschweinen oder: Übersetzen als Entdecken“, in: Andreas F. Kelletat/Aleksey Tashinskiy (Hgg.): Übersetzer als Entdecker. Ihr Leben und Werk als Gegenstand translationswissenschaftlicher und literaturgeschichtlicher Forschung, Berlin 2014, S. 31– 50, hier S. 35. Vgl. auch Dizdar, „Translationswissenschaft“, in: Lamping, Geisteswissenschaft heute, hier S. 207. 205 Vgl. Jakobson, Roman: „Linguistische Aspekte der Übersetzung“, in: Wolfram Wilss (Hg.): Übersetzungswissenschaft, Darmstadt 1981, S. 189–198, hier S. 190. 206 Dizdar, „Auf der Suche nach Trüffelschweinen“, in: Kelletat/Tashinskiy, Übersetzer als Entdecker, hier S. 36. 207 Ebd., hier S. 36. Vgl. auch Hermans, Theo: „Norms and the determination of translation: A theoretical framework“, in: Román Álvarez/M. Carmen-África Vidal (Hgg.): Translation Power Subversion, Clevedon/Bristol/Adelaide 1996, S. 25–51, hier S. 40.

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auf die Übertragung von Konzepten, Ideen oder ganzen Kulturen. Diese Gefahr zeigen etwa Renn/Straub/Shimada auf: Sobald es einmal als ausgemacht gilt, dass sich die Bedeutung des Übersetzungsbegriffs nicht mehr auf die Übertragung aus einer Sprache in eine andere oder von einem Ausgangstext in einen Zieltext beschränken soll, wird es erforderlich, einer uferlosen Inflation des Übersetzungsbegriffes entgegenzuwirken.208

Straub konstatiert darüber hinaus eine  – zumindest temporäre  – schier unermessliche Verwendung des Translationsbegriffs, die dessen Konturen weitgehend verschwimmen lasse.209 Prunč befürchtet, dass eine Erweiterung des Translationsbegriffs hin zu einer Definition von Translation, die diese als kulturelles Übertragungsphänomen interpretiert, die Translationswissenschaft ihres genuinen Gegenstands berauben und sie zu einer zu weit gefächerten, gar obsoleten Kulturwissenschaft machen könnte: So fruchtbar die Einbeziehung der nicht-sprachlichen Zeichensysteme in den Textbegriff war, so trägt die Ausweitung des Begriffes der Translation auf alle Transformationen von Zeichenkomplexen den Keim der Selbstauflösung der Translationswissenschaft in sich. Ein aufgrund eines solchen Translationsbegriffes konstruierter Objektbereich ist, wenn noch seine historische Dimension einbezogen werden soll, für eine solide Disziplin nicht bewältigbar. Translation ist dann nämlich alles und dadurch nichts. Translationswissenschaft ist dann eine Wissenschaft, die zu allem etwas zu sagen versucht ist und dadurch zu nichts etwas zu sagen hat.210

Diese viel beschriebene und diskutierte „Aufweichung“ des Translationsbegriffs geht insbesondere auf den sogenannten cultural turn zurück, der sich in den 1990er Jahren in der Translationswissenschaft vollzogen hat.211 In diesem Rahmen betonte zunächst vor allem die sich selbst als deskriptiv bezeichnende Translationsforschung,212 dass Übersetzung nicht nur auf sprachlicher Ebene geschehe, sondern als Komponente von Kultur auftrete und folglich auch so untersucht werden solle.213 Seitdem behandeln translationsorientierte Forschungen die Bedingungen von Wissensherstellung in einer Kultur und der Neuverortung sowie 208 Renn, Joachim/Straub, Jürgen/Shimada, Shingo: „Vorwort der Herausgeber“, in: Joachim Renn/ Jürgen Straub/Shingo Shimada (Hgg.): Übersetzung als Medium des Kulturverstehens und sozialer Integration, Frankfurt/New York 2002, S. 7–12, hier S. 10. 209 Vgl. Straub, „Differenz und prekäre Äquivalenz“, in: Renn/Straub/Shimada, Übersetzung als Medium, hier S. 362. 210 Prunč, Einführung, S. 306. Vgl. auch ebd., S. 29, 268 f. Vgl. hierzu auch den interessanten und vielseitigen Band Heller, Lavinia (Hg.): Kultur und Übersetzung. Studien zu einem begrifflichen Verständnis, Bielefeld 2017. 211 Vgl. Gentzler, Edwin/Tymoczko, Maria: „Introduction“, in: Maria Tymoczko/Edwin Gentzler (Hgg.): Translation and Power, Amherst 2002, S. XI–XVIII, hier S. XIV ff.; sowie Wolf, Michaela: „Culture as translation – and beyond. Ethnographic models of representation in Translation Studies“, in: Theo Hermans (Hg.): Crosscultural transgressions. Research models in Translation Studies II. Historical and ideological issues, Manchester 2002, S. 180–192, hier S. 185 ff. 212 Vgl. Kapitel 1.1.3 der vorliegenden Arbeit. 213 Vgl. Kenan, Lin: „Translation as a catalyst for social change in China“, in: Maria Tymoczko/Edwin Gentzler (Hgg.): Translation and Power, Amherst 2002, S. 160–183, hier S. 160.

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-interpretation dieses Wissens in einer anderen Kultur.214 Translation kommt in diesem Kontext eine besondere Rolle zu, da sie eine Generierung von neuem Wissen in einer anderen Kultur oftmals erst ermöglicht.215 Diese Annäherung an und Übersetzung von (Teil-)Kulturen ist auch deshalb nur mit kritischem Bewusstsein zu betrachten, weil das Fremde – trotz aller Reflexion – doch stets durch die eigene Perspektive wahrgenommen wird. Bachmann-Medick beschreibt dies wie folgt: Übersetzung als anthropologische Vermittlung von Wissen über fremde Kulturen besteht eben nicht im Abbilden kultureller Authentizität, sondern ist eher ein Konstrukt, das auf der jeweiligen Darstellungsautorität gründet, auf den damit verbundenen Konventionen der Darstellung […] sowie auf dem Einsatz rhetorischer Erzählstrategien. Kaum lösbar erscheint dabei das Dilemma, im Darstellungsmedium der Texte zu kulturellen Objektivierungen und Verallgemeinerungen kommen zu müssen und doch zugleich den unterschiedlichen Weltsichten der Subjekte selbst Ausdruck zu verleihen.216

Um dem inflationären Gebrauch und einer terminologischen Ungenauigkeit des Begriffs „Translation“ entgegenzuwirken, fordert etwa Prunč eine erneute Konzentration der Translationswissenschaft auf ihren eigentlichen Objektbereich, die translation proper, denn so bestehe die Chance, ihre „ausgefransten Ränder nicht mehr [… als] Vorboten ihrer Selbstauflösung, sondern ihrer interdisziplinären Offenheit“217 positiv umzudeuten. Dies darf jedoch keinesfalls eine Vernachlässigung des Kontexts bedingen, dessen historische, politisch-gesellschaftliche, kulturelle Bedingtheit die Translation, ihre Prozesse, Akteure und Produkte maßgeblich beeinflusst – und deren politisches Potenzial augenscheinlich werden lässt. Dizdar stellt eine Verbindung zwischen dem enggefassten Terminus der translation proper und einer prätendierten Neutralität des Translationsprozesses her. Diese vermeintliche Ungerichtetheit von Translation sei bereits per se politisch: Die ‚eigentliche Translation‘ als ‚Translation im engen Sinn‘ ist […] als symptomatisch für die Engführung des politisch-theologischen Begriffs der translatio zu verstehen, die den machtpolitisch gemeinten und geprägten Begriff der translatio (wie in translatio imperii) in einen vermeintlich neutralen Begriff transformiert und die Translation zu einem unschuldig sein sollenden/wollenden Prozess macht. Diese Transformation, die den Skopos der Translation, ihren grundsätzlich unkontrollierbaren Scopus verschweigt, ist selbst schon als politisch zu betrachten.218

Prunč betrachtet das Paradigma der Neutralität, das dem Diskurs um Translation trotz aller gegenläufigen Meinungen hartnäckig anhaftet, ebenfalls kritisch. Sei214 Vgl. Carbonell, Ovidio: „The exotic space of cultural translation“, in: Román Álvarez/M. Carmen-África Vidal (Hgg.): Translation Power Subversion, Clevedon/Bristol/Adelaide 1996, S. 79– 98, hier S. 79 f. 215 Vgl. Simon, Sherry: „The language of cultural difference: Figures of alterity in Canadian translation“, in: Lawrence Venuti (Hg.): Rethinking translation. Discourse Subjectivity Ideology, London 1992, S. 159–176, hier S. 160. 216 Bachmann-Medick, „Einleitung“, in: dies., Übersetzung als Repräsentation fremder Kulturen, hier S. 6. 217 Prunč, Einführung, S. 306. 218 Dizdar, Translation, S. 334.

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ne Forderung nach einer Translationsethik stützt sich einerseits auf kontextuelle Aspekte und verdeutlicht andererseits nachdrücklich die Verantwortung der Akteure. Die Translation habe […] in diesem wissenschaftlichen Diskurs endgültig ihre Unschuld verloren. Eine Rückkehr zum Postulat einer „objektiven“, außerhalb der Kulturen und Machtinteressen stehenden Transferleistung scheint nicht mehr möglich. […] Wenn es eine objektive Translation gibt, kann ihre Objektivität nicht durch naiv hergestellte Äquivalenzbeziehungen, sondern durch das Bewusstmachen der subjektiven, soziokulturellen und ideologischen Bedingtheit aller Faktoren der Textproduktion und -rezeption im Gesamtprozess der translatorischen Interaktion erreicht werden. Nur in einem komplexen Gefüge von Dispositionen, Macht und Interessen, durch sorgfältiges Ausbalancieren der Mittel und Möglichkeiten zur Durchsetzung dieser Interessen, kann eine Translationsethik, die diesen Namen verdient, konzipiert werden. Ein naives Verbergen der Translatorinnen und Translatoren hinter dem Ausgangstext oder gar hinter seiner Textoberfläche wird in seiner Naivität zur politischen Handlung, die Translatorinnen und Translatoren erst recht zu politischen Handlangern, die sich durch ihre Vogel-Strauß-Taktik der Verantwortung zu entziehen suchen.219

Translatorische Prozesse, ob als reale Praxis oder wissenschaftlicher Gegenstand, verlangen ein Bewusstsein für die „Asymmetrie der Sprachen über die Asymmetrie der Kulturen bis zur Asymmetrie der Macht aller am konkreten Translationsakt und seinem historischen Niederschlag beteiligten Personen und Institutionen,“220 so Prunč weiter. Translate dienten und dienen als Möglichkeiten zur Manipulation – wobei „Manipulation“ in der vorliegenden Arbeit eine Übersetzung aus sowie für einen bestimmten (politischen) Zweck meint und nicht bereits jede Übersetzung aus Gründen des Sprachwechsels als per se manipulativ ansieht. Durch die Fokussierung auf eine Lesart sowie den Versuch der Beeinflussung der Rezipienten und damit der Gesellschaft dient „[l]anguage [… and, therefore, also translation as] a powerful weapon which speakers use to exert power, dominate, appease and manipulate,“221 wie es Bahadir formuliert. Durch die „Aufbereitung“ für eine bestimmte Zielkultur unter bestimmten Blickwinkeln ist das entstehende Bild eines Autors und/oder Werks bzw. einer gesamten Ausgangskultur stets konstruierter Natur und fokussiert dabei bestimmte, relevant gesetzte Aspekte.222 Eine Zielkultur kann sich in diesem Rahmen auf verschiedene Art zu Translation positionieren. Um es mit Cronins Worten auszudrücken: 219 Prunč, Einführung, S. 304 f. Vgl. auch Renn/Straub/Shimada, „Vorwort“, in: dies., Übersetzung als Medium, hier S. 9; Álvarez/Vidal, „Translating: A political act“, hier S. 4; sowie Alcaraz, „Translation and Pragmatics“, hier S. 105; beide in: Álvarez/Vidal, Translation Power Subversion. 220 Prunč, Einführung, S. 305. 221 Bahadir, Şebnem: „The task of the interpreter in the struggle of the other for empowerment. Mythical utopia or sine qua non of professionalism“, in: Translation and Interpreting Studies 5 (1/2010), S. 124–139, hier S. 126. Vgl. auch Dizdar, „Auf der Suche nach Trüffelschweinen“, in: Kelletat/Tashinskiy, Übersetzer als Entdecker, hier S. 49. 222 Vgl. ebd., hier S. 43.

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Translation does not exist in a vacuum, of course. It is part of an interpretive community, a community that will have a greater or lesser degree of openness to foreign literatures and cultures.223

Der Rezipient als aktiver Teil der Zielkultur trägt wiederum seine eigenen Bedürfnisse an einen Texte heran, kann Translate akzeptieren oder ablehnen bzw. eigene Lesarten hineinlegen – und damit die von einem Autor und/oder Übersetzer intendierte Wirkung torpedieren. Dies hängt jedoch auch mit den jeweiligen Lebensumständen aller an einem Translationsprozess beteiligten Akteure zusammen.224 Buzzoni betont: Was der AT-Autor mitteilen wollte, kann sich mit dem nicht decken, was sein Werk eigentlich mitteilte, oder besser noch den verschiedenen Interpreten in verschiedenen Epochen mitteilt. Der Grund liegt einfach darin, daß das Werk in Zusammenhängen steht, die für den AT-Autor gar nicht da waren; darin aber besteht eben der Sinn des zu übersetzenden Werkes. Texte bekommen also unter verschiedenen geschichtlichen und kulturellen Bedingungen einen jeweils verschiedenen Sinn, eine jeweils andere Wirkung.225

Dabei kann ein Translat je nach Epoche, Genre oder auch literarischem, gesellschaftlichem, religiösem oder sonst geartetem Kontext verschiedene Funktionen in der Zielkultur übernehmen. Diese können konservativer bzw. konservierender oder innovativer Natur sein und entsprechend Wirkung entfalten.226 Im Hinblick auf Literaturübersetzung hebt Hermans hervor, dass gerade das literarische Feld „with its relatively weak modalities of normative force and normative control“227 Raum für ambivalente bzw. subversive Übersetzungen biete. In diesem Zusammenhang bezeichnet Gentzler literarische Übersetzer als „producers as well, as makers of their own acts and texts“228 und Translate als „a cultural weapon in a struggle to break down the norms of an established system“229. 223 Cronin, Translation and Globalization, S. 152. Vgl. auch Lefevere, „Neuschreibung“, in: Hagemann, Deskriptive Übersetzungsforschung, hier S. 84. 224 Vgl. Lefevere, Translation History Culture, S. 5. 225 Buzzoni, Marco: „Sprachphilosophische und methodologische Probleme der Übersetzung aus personalistischer Sicht“, in: Armin Paul Frank/Kurt-Jürgen Maaß/Fritz Paul/Horst Turk (Hgg.): Übersetzen, verstehen, Brücken bauen. Geisteswissenschaftliches und literarisches Übersetzen im internationalen Kulturaustausch, Berlin 1993, S. 22–57, hier S. 32 f., S. 37. 226 Vgl. Lambert, José/D’hulst, Lieven/Van Bragt, Katrin: „Translated literature in France, 1800– 1850“, in: Theo Hermans (Hg.): The manipulation of literature. Studies in literary translation, London/Sydney 1985, S. 149–163, hier S. 151; sowie Simon, „The language of cultural difference“, in: Venuti, Rethinking translation, S. 159–176. 227 Hermans, „Norms and the determination“, in: Álvarez/Vidal, Translation Power Subversion, hier S. 43. 228 Gentzler, Edwin: „Translation, counter-culture, and the Fifties in the USA“, in: Román Álvarez/M. Carmen-África Vidal (Hgg.): Translation Power Subversion, Clevedon/Bristol/Adelaide 1996, S. 116–137, hier S. 124. Vgl. auch Levine, Suzanne Jill: „Translation as (sub)version: On translating Infante’s Inferno“, in: Lawrence Venuti (Hg.): Rethinking translation. Discourse Subjectivity Ideology, London 1992, S. 75–85, hier S. 79 ff. 229 Gentzler, „Translation, counter-culture“, in: Álvarez/Vidal, Translation Power Subversion, hier S. 120. Vgl. auch Pagano, Adriana S.: „Translation as testimony: On official histories and subversive pedagogies in Cortázar“, S. 80–98, hier S. 93; Fenton/Moon, „Treaty of Waitangi“, hier S. 39;

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Im Hinblick auf die Übersetzungsmethode ist eine Unterscheidung in Bezug auf die Bereiche des literarischen und Fachübersetzens zu beobachten.230 Das Fachübersetzen akzeptiert fast ausschließlich „einbürgernde“ Übersetzungen für ein zweckorientiertes Funktionieren in der Zielsprache, wohingegen sich das literarische Übersetzen vermehrt auch „verfremdenden“ Strategien öffnet und sich derer im Rahmen einer kreativen, innovativen Umsetzung bedient. Dabei wird die im Rahmen dieser Untersuchung bereits diskutierte Dichotomie zwischen einbürgernder und verfremdender Übersetzungsmethode häufig für eine (vorschnelle) normative Beurteilung herangezogen, der zufolge assimilierendes Übersetzen bereits als kolonialer Akt gilt, die verfremdende Methode dagegen von Respekt und Offenheit zeugt.231 Auch hier spielt jedoch der Kontext eine entscheidende Rolle, wie etwa Dizdar hervorhebt: Je nach Kontext kann diese Haltung als Respekt vor dem Anderen und Vorsicht bezüglich einer möglichen Assimilation des Anderen oder aber als Abgrenzung, Intoleranz und mangelnde Bereitschaft, auf den Anderen zuzugehen, interpretiert und eingesetzt werden.232

Den Unterschied zwischen literarischen sowie fachsprachlichen bzw. wissenschaftlichen Texten und deren Übersetzung macht Rolf Kloepfer bereits 1967 daran fest, dass letztere nach Allgemeinheit streben, wohingegen erstere von einer „Tendenz zum Individuellen, die der Sprachkunst eignet“233, geprägt seien. Deshalb sei die Literaturübersetzung offener gegenüber der jeweiligen Ausgangssprache, ihrem Autor sowie der literarischen und historischen Epoche mit ihren jeweiligen Eigenheiten als Translate mehrheitlich funktioneller Fachtexte. Dabei ist gerade auch die literarische Übersetzung, die sich in einem Spannungsfeld „zwischen verschiedenen kulturellen Kodes und Kodierungsweisen“234 bewegt, aufs Höchste von politischen Implikationen durchsetzt. Für Bachmann-Medick macht dies ein […] Verweis auf die Verzerrungen der Kommunikation durch Machtbeziehungen deutlich, wie sie aus der fundamentalen Asymmetrie und Ungleichheit zwischen Sprachen hervorgehen. Es gibt keine deckungsgleiche Repräsentation durch Übersetzung, sondern nur eine allegorische Form der Übertragung, Darstellung und Vermittlung, bei welcher der ethnologische wie literarische Übersetzer seine eigenen Akzente setzt.235

230

231 232 233 234 235

beide in: Maria Tymoczko/Edwin Gentzler (Hgg.): Translation and Power, Amherst 2002; sowie Venuti, The translator’s invisibility, S. 50. Vgl. etwa ebd., S.  34; Lambert, „Auf der Suche“, hier S.  99; sowie Liang, Yong: „Interkulturelle Kompatibilität in der Übersetzung geisteswissenschaftlicher Texte (Deutsch/Chinesisch)“, S. 172–191, hier S. 172 ff.; beide in: Armin Paul Frank/Kurt-Jürgen Maaß/Fritz Paul/Horst Turk (Hgg.): Übersetzen, verstehen, Brücken bauen. Geisteswissenschaftliches und literarisches Übersetzen im internationalen Kulturaustausch, Berlin 1993. Vgl. Kapitel 1.1.1 der vorliegenden Arbeit. Dizdar, Translation, S. 361. Kloepfer, Rolf: Die Theorie der literarischen Übersetzung. Freiburger Schriften zur romanischen Philologie (Bd. 12), hrsg. v. Hugo Friedrich, München 1967, S. 8 f. Bachmann-Medick, „Einleitung“, in: dies., Übersetzung als Repräsentation fremder Kulturen, hier S. 7. Ebd., hier S. 6.

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Die viel bemühte Metaphorik des Brückenbaus und der Grenzziehung wird so auch im Feld der literarischen Übersetzung relevant. Diese kann einerseits im Dienste der Komparatistik sowie als Innovationsmotor fungieren, andererseits gerade auch zum Zwecke von Abgrenzung, Ablehnung und Verweigerung verwendet werden. Außerdem besteht die Möglichkeit eines wechselseitigen Effekts durch das Kennenlernen fremder Literatur, den Einblick in eine „Perspektive des gegenseitigen Austauschs von Fremd- und Selbstbildern, des Austauschs von Darstellungen und Vorstellungen, in denen die jeweils anderen aufgefordert oder gar gezwungen werden, sich wiedererkennen zu müssen“236. Dass in der Translationswissenschaft in den vergangenen Jahren ein gewachsenes Interesse am Zusammenhang von Übersetzung und Nationsbildung besteht, wurde in dieser Einleitung bereits diskutiert. Gerade die Erkenntnis von der Bedeutung der Übersetzung für die Begründung von Nationalliteraturen sorgt in diesem Rahmen für wesentliche Impulse.237 Der Einfluss fremder Literatur auf die Entwicklung einer eigenen wird hierbei von der Forschung stets besonders betont: If it seems self-evident that no literature exists entirely in isolation from other literary systems (and from artistic, social and other non-literary systems […]), we may assume that no literature can deny the contacts it owes to translation. All literatures, at one stage or another, import texts that have been translated from other literatures.238

Die literarische Übersetzung birgt darüber hinaus jedoch die Möglichkeit, den nationalstaatlichen Kanon durch den Import innovativer Ideen und Konzepte aufzubrechen. Die entsprechenden Übersetzer prägen das Bild von Ausgangs- und Zielkultur mit: By definition, nevertheless, any literary translation breaks the nationalist canon because, however assimilated by the translation and publishing process, it introduces into the reading space of non-readers of the source language a work that would otherwise remain an array of meaningless letters or symbols. As the creator of the new work in the target culture, the literary translator operates at the frontiers of language and culture, where identity is flux […].239

Im Rahmen der vorliegenden Arbeit gehe ich davon aus, dass aus „politisch motivierten Gründen übersetzt [wird], um im Wirkungsfeld der übersetzenden Sprache Einsatz zu finden“240. Politik soll vor allem auf ihrer Prozessebene betrachtet werden, die – entlehnt aus dem angloamerikanischen Sprachraum – unter politics 236 Harbsmeier, Michael: „Hajji Baba in England: zur Wechselwirkung persisch-englischer Fremdund Selbstbilder im 19. Jahrhundert“, in: Doris Bachmann-Medick (Hg.): Übersetzung als Repräsentation fremder Kulturen, Berlin 1997, S. 69–87, hier S. 73. 237 Vgl. Prunč, Einführung, S. 205. 238 Lambert/D’hulst/Van Bragt, „Translated literature“, in: Hermans, Manipulation of literature, hier S. 149. Vgl. auch Gipper/Dizdar, „Einleitung“, in: Dizdar/Gipper/Schreiber, Nationenbildung und Übersetzung, hier S. 7 ff. 239 Bush, Peter: „Literary translation – practices“, in: Mona Baker (Hg.): Routledge Encyclopedia of Translation Studies, London/New York 1998, S. 127–130, hier S. 128. Vgl. auch Pym, Anthony: Method in translation history, London/New York 2014, S. 175 ff. 240 Dizdar, Translation, S. 341.

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die Handlungen bestimmter politischer Akteure versteht. Eine trennscharfe Linie zu den beiden weiteren Bereichen, der institutionellen polity sowie der auf Inhalte konzentrierten policy, ist hierbei – vor allem in der Praxis – schwer zu ziehen, da sich die drei Ebenen oftmals durchmischen, wie auch im Falle Mazzinis, der via politics darüber hinaus die polity seiner Heimat zu reformieren beabsichtigt. Da im Rahmen der Forschung zur vorliegenden Arbeit die ursprüngliche Annahme einer umfassenden literarischen Übersetzungstätigkeit Mazzinis revidiert werden musste, galt es, auch das Korpus entsprechend zu gestalten. Mazzini selbst hat nach gegenwärtigem Kenntnisstand lediglich Teile des „Chatterton“ Alfred de Vignys selbst übersetzt und ansonsten – im Hinblick auf Literatur als Untersuchungsgegenstand meiner Studie – von Freunden sowie Mitstreitern übersetzen lassen bzw. bereits bestehende Übersetzungen verwendet. Daher umfasst das nun zugrundegelegte Korpus Literaturkritiken Mazzinis sowie die wenigen Übersetzungen literarischen Ursprungs, an denen er (im Rahmen der Biblioteca Drammatica) selbst aktiv bzw. passiv beteiligt gewesen ist. Die translation proper dient als Ausgangspunkt für die Untersuchung; neben der Übersetzung selbst umfasst die zugrundeliegende Definition – wie dargelegt – allerdings weitere Neben- und Begleitprodukte der „eigentlichen“ Übersetzung, hier vor allem die Texte, die über Übersetzung und deren Produkte sprechen sowie über sie reflektieren bzw. die Rezeption der Übersetzung zu beeinflussen und zu lenken versuchen. Darüber hinaus wird davon ausgegangen, dass sich auch die translation proper nicht in einem neutralen Raum bewegt, sondern zwangsläufig von kulturellen, historisch und politisch bedingten Übersetzungs- und Verständigungspraktiken begleitet wird.241 All dies soll unter dem Begriff des „translatorischen Handelns“ subsumiert werden. Die folgende Untersuchung, die der Frage nach Mazzinis Politik der Translation bzw. Politik durch Translation nachgeht, versteht Translation als performativen, intendierten, strategischen Akt sowie Literaturübersetzung als subversives Instrument im Dienste der Erneuerung politisch-gesellschaftlicher Zustände.

1.3 DIE FALLSTUDIE ALS METHODE IN DER TRANSLATIONSWISSENSCHAFT Die im Rahmen dieser Arbeit durchgeführte Untersuchung orientiert sich methodisch am Vorgehen der Fallstudie. Für dieses kontextbasierte Analyseinstrument lässt sich auf diverse Einführungs- und Veranschaulichungsliteratur zurückgreifen, die sich jedoch nur in wenigen Fällen konkret auf die Translationswissenschaft als Forschungsfeld konzentriert. Deshalb soll im Folgenden kurz dargestellt wer241 Vgl. Stenger, „Übersetzen übersetzen“, in: Renn/Straub/Shimada, Übersetzung als Medium, hier S. 99 f.

Die Fallstudie als Methode in der Translationswissenschaft

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den, warum sich die Methode der Fallstudie für meine Analyse anbietet und wie diese in deren Kontext theoretisch sowie praktisch zu verorten ist. Die Case Study gilt als primär qualitativ verwendete Forschungsmethode mit langer Tradition und diversen Ausprägungen.242 Wegen ihrer „flexibility in terms of drawing on a wide range of sources of data“243 findet sie disziplinenübergreifend Anwendung. Ihr Ziel ist es, kontextbezogene Daten zu einem bestimmten Phänomen oder Ereignis zu sammeln und zu analysieren.244 Auch in der Translationswissenschaft ist die Fallstudie eine beliebte Methode. Susam-Sarajeva hält sie sogar für „the most common research method taken up by students pursuing a post-graduate degree in translation studies“245. Wie bereits dargelegt, definiert sich die Translationswissenschaft als per se interdisziplinär ausgerichtetes Forschungsfeld, sodass sie trotz oder gerade über Anleihen aus anderen Bereichen eigenen Bedürfnissen angepasste Methoden zu entwickeln in der Lage ist.246 Bill Gillham definiert einen case im Rahmen der sozialwissenschaftlichen Forschung als […] a unit of human activity embedded in the real world; which can only be studied or understood in context; which exists in the here and now; that merges in with its context so that precise boundaries are difficult to draw.247

Robert K. Yin sieht die Fallstudie als […] an empirical inquiry that investigates a contemporary phenomenon (the ‚case‘) in depth and within its real-life context, especially when the boundaries between phenomenon and context may not be clearly evident,248

die insbesondere für die Beantwortung von „Wie“- und „Warum“-Fragen geeignet sei.249 Eine Problematik der Eingrenzung thematisieren beiden Definitionen, sodass gerade diese je nach Fall adäquat definitorisch und praktisch gelöst werden 242 Vgl. Saldanha, Gabriela/O’Brian, Sharon: Research methodologies in Translation Studies, London/New York 2014, S. 209; Yin, Robert K.: Case study research. Design and methods, 5. Auflage, Thousand Oaks 2014, S. 6 ff., S. 19; sowie Gerring, John: Case study research. Principles and practices, New York 2007, S. 10 f., S. 29 ff., S. 69 ff. 243 Saldanha/O’Brian, Research methodologies, S. 206. Vgl. auch Yin, Case study research, S. 72; sowie Gerring, Case study research, S. 33. 244 Vgl. Borja, Anabel/García Izquierdo, Isabel/Montalt, Vincent: „Research methodology in specialized genres for translation purposes“, in: The Interpreter and Translation Trainer 3 (1/2009), S. 79–100, hier S. 86. 245 Susam-Sarajeva, Şebnem: „The case study research method in Translation Studies“, in: The Interpreter and Translator Trainer 3 (1/2009), S. 37–56, hier S. 37. 246 Vgl. Saldanha/O’Brian, Research methodologies, S.  1 ff.; Baker, Mona: „Translation Studies“, in: Mona Baker (Hg.): Routledge Encyclopedia of Translation Studies, London/New York 1998, S. 277–280, hier S. 279; sowie Renn/Straub/Shimada, „Vorwort“, in: dies., Übersetzung als Medium, hier S. 7 f. 247 Gillham, Bill: Case study research methods, London/New York 2000, S. 1. 248 Yin, Case study research, S. 16. Vgl. auch Gerring, Case study research, S. 17 ff. 249 Vgl. Gillham, Case study, S. 10; sowie Susam-Sarajeva, „The case study“, in: The Interpreter and Translator Trainer 3 (1/2009), hier S. 40.

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muss. Dies gilt insbesondere für eine Eingrenzung sozialer, räumlicher und zeitlicher Faktoren, wie etwa die Festlegung einer bestimmten Untersuchungsgruppe oder die Konzentration auf ausgewählte geografische Territorien, die Entscheidung für einzelne Literaturgenres oder Translationstypen sowie die Festlegung eines begrenzten Zeitraums.250 Die Definitionen Gillhams und Yins konzentrieren sich auf gegenwärtige Ereignisse als Forschungsgegenstand, während Susam-Sarajeva auch historische Phänomene als Untersuchungsobjekte kontextorientierter Forschung berücksichtigt; ihre Definition für translationswissenschaftliche Fallstudien klammert so die zeitbasierte Dimension aus. Die Aspekte des real life sowie des Kontexts bleiben dagegen weiter bestehen: […] a case is a unit of translation or interpreting-related activity, product, person, etc. in real life, which can only be studied or understood in the context in which it is embedded.251

Insbesondere vor der Etablierung der Translationswissenschaft als eigener Disziplin untersuchten Fallstudien in den Kultur- und Sozialwissenschaften, aber auch in der Politikwissenschaft, der Anthropologie und der Psychologie im Hinblick auf Translation, wie und warum diese durch Gesellschaft, Politik, Kultur und Ideologie beeinflusst wird. In der Kulturwissenschaft herrsche ein eklektischer Umgang mit Methoden vor, wie Saldanha/O’Brian betonen, sodass gerade auch die Case Study nur eine unter vielen Forschungsansätzen sei. Im spezifischen Rahmen der Cultural Studies sei sie jedoch geprägt von einer „engaged, political nature and [… a] rejection of the ideal that scientific research leads to the creation of objective knowledge of social reality“252 – was auch in der translationswissenschaftlichen Forschung zu beobachten sei. Obwohl die Sozialwissenschaft die kontextorientierte Translationswissenschaft nicht primär durch die Auswahl ihrer Methoden, sondern eher im Hinblick auf „conceptual frameworks and explanatory procedures“253 geprägt habe, nennen die Autorinnen selbst als vielfältige Möglichkeiten der Datenerhebung im Rahmen der Fallstudie allerdings neben der Textanalyse auch Interviews, Feldforschung sowie ergänzende quantitative Verfahren.254 Damit belegen sie auch den Eingang ursprünglich sozialwissenschaftlicher Methoden in die Translationswis250 Vgl. Saldanha/O’Brian, Research methodologies, S. 215 f.; sowie Pym, Method, S. 58 f. 251 Susam-Sarajeva, „The case study“, in: The Interpreter and Translator Trainer 3 (1/2009), hier S. 40. 252 Saldanha/O’Brian, Research methodologies, S. 205. Vgl. auch Köppe, Tilmann/Winko, Simone: Neuere Literaturtheorien. Eine Einführung, Stuttgart/Weimar 2008, S. 242. 253 Saldanha/O’Brian, Research methodologies, S. 206. Vgl. auch Marco, Josep: „Training translation researchers. An approach based on models and best practice“, in: The Interpreter and Translation Trainer 3 (1/2009), S. 26–54, hier S. 46 ff.; sowie Gouanvic, Jean-Marc: „A model of structuralist constructivism in Translation Studies“, in: Theo Hermans (Hg.): Crosscultural transgressions. Research models in Translation Studies II. Historical and ideological issues, Manchester 2002, S. 93– 102. 254 Vgl. Saldanha/O’Brian, Research methodologies, S. 218 ff.; Yin, Case study research, S. 103 ff.; sowie Gerring, Case study research, S. 68 ff.

Die Fallstudie als Methode in der Translationswissenschaft

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senschaft. Die jeweils verwendete Methode richtet sich jedoch zudem nach der Ausrichtung der Forscher/innen. So stellt Halverson fest, dass sich historisch oder kulturwissenschaftlich orientierte Translationswissenschaftler/innen eher qualitativen Verfahren zuwenden – was auch für mich im Falle der vorliegenden Arbeit gilt –, während sprachwissenschaftlich interessierte Translationsforscher/innen tendenziell zu quantitativen Methoden greifen.255 Die Entscheidung zugunsten einer Case Study fällt so ebenfalls zumeist, wenn ein historisches Translationsphänomen untersucht werden soll. Marco unterstreicht, dass die Verwendung kontextorientierter Ansätze in der Translationswissenschaft auf den bereits beschriebenen cultural turn zurückgeht, durch den gesellschaftliche, historische, politische und ideologische Aspekte, die auf Translation wirken, in den Fokus des Interesses auch dieser Disziplin gerückt sind.256 Die Case Study dient in diesem Umfeld der Herausarbeitung der politischen Implikationen sowie der Versuche der Einflussnahme durch Translation, die sowohl durch ihren Kontext bestimmt ist als auch selbst auf diesen zu wirken versucht. Als wesentliche Untersuchungsgegenstände fungieren „[t]exts, and in particular source texts and translations, but also translator’s drafts, paratexts (prefaces, footnotes, blurbs) and metatexts (reviews, academic articles)“257. Die Erforschung von historischem Material stellt sich oftmals als schwieriger dar als die Arbeit mit gegenwartsbezogenen Daten, da das Material bzw. Korpus zumeist über Umwege – etwa durch Archivarbeit – erschlossen werden muss: Researchers working with historical material will not be able to obtain the same type of firsthand experience and will therefore need to resort to alternative ways of sourcing revealing information that allows them to go beyond the superficial aspects recorded in easily accessible historical documents. Archives containing letters, diaries and records of everyday communication can be very useful, but not always available.258

Text- und Kontextanalyse müssen sich in diesem Rahmen ergänzen, da „textual analysis is not enough and has to be complemented by the kind of historical research that brings hidden meanings to the fore,“259 wie Marco erläutert. Gerade im Bereich historischer Translationsphänomene bzw. bei der Untersuchung historischen Primärmaterials wird der Kontext folglich zu einem entscheidenden Indikator für das Verständnis und die Einordnung von Translation,260 sodass die 255 Vgl. Halverson, Sandra: „Elements of doctoral training. The logic of the research process, research design, and the evaluation research quality“, in: The Interpreter and Translation Trainer 3 (1/2009), S. 101–135, hier S. 101. 256 Vgl. Marco, „Training translation researchers“, in: The Interpreter and Translation Trainer 3 (1/2009), hier S. 42 f. 257 Saldanha/O’Brian, Research methodologies, S. 218. Vgl. auch Yin, Case study research, S. 102 ff. 258 Saldanha/O’Brian, Research methodologies, S. 233. 259 Marco, „Training translation researchers“, in: The Interpreter and Translation Trainer 3 (1)/2009, hier S. 44. 260 Vgl. Halverson, „Elements of doctoral training“, in: The Interpreter and Translation Trainer 3 (1/2009), hier S. 114; sowie Tahir-Gürçağlar, Şehnaz: „What texts don’t tell. The uses of paratexts

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historisch ausgerichtete Case Study über ein hohes Erkenntnispotenzial verfügt, wie Pym betont.261 Hierbei werden neben den Translaten selbst die involvierten Akteure in Verbindung mit der Frage nach den Gründen für eine Übersetzung zu einem bestimmten Zeitpunkt und an einem bestimmten Ort relevant.262 Darüber hinaus begründet Pym die Beschäftigung mit historischen Translationsphänomen nicht nur mit einem Interesse an der Vergangenheit, sondern mit Problemstellungen der Gegenwart, die nach einer Lösung streben.263 Kritik an der Case Study zielt oftmals auf die Gefahr der Verallgemeinerung eines Einzelbeispiels ab. Abgeleitete Zusammenhänge würden jedoch nicht ausreichend überprüft und verifiziert.264 Bryman sieht den Anspruch der Fallstudie gerade nicht in der Formulierung generalisierender Rückschlüsse, sondern legt den Fokus besonders auf den theoretischen Hintergrund sowie die Theoriebildung bzw. -erprobung: The central issue of concern is the quality of the theoretical reasoning in which the case study researcher engages. How well do the data support the theoretical arguments that are generated? Is the theoretical analysis incisive?265

Neben der Generierung neuen Wissens ist die Case Study als primär qualitative und flexible Methode dazu geeignet, zur Theoriebildung in dem Forschungsfeld, in dem sie verwendet wird, beizutragen, da sie bestehende Ansätze überprüft und/ oder neue Konzepte sowie Hypothesen entwickelt. Diese können im Anschluss durch weitere Studien erprobt werden und etablieren sich gegebenenfalls als neue Theorien im Forschungsparadigma.266 Für die Analyse von Mazzinis Biblioteca Drammatica, ihrer Akteure und Texte bietet sich die Case Study insbesondere deshalb als Methode an, weil es sich bei dieser Dramensammlung nicht nur um ein – bislang nicht umfassend untersuchtes – Phänomen des real life handelt, sondern gerade ihr Entstehungskontext eine ganz wesentliche Rolle für deren Verständnis und Einordnung spielt. Der entsprechende historisch-politisch-kulturelle Hintergrund von Risorgimento und Romanticismo267 bedingt deren Konzeption und beeinflusst sowohl die hinter der Dramensammlung stehenden Ideen, deren Anspruch, die Wahl der zu übersetzenden

261 262 263 264 265 266 267

in translation research“, in: Theo Hermans (Hg.): Crosscultural transgressions. Research models in Translation Studies II. Historical and ideological issues, Manchester 2002, S. 44–60, hier S. 44. Vgl. Pym, Method, S. VII. Vgl. auch ebd., S. 25 ff. Vgl. ebd., S. VIII f.; Saldanha/O’Brian, Research methodologies, S. 6 f.; sowie Susam-Sarajeva, „The case study“, in: The Interpreter and Translator Trainer 3 (1/2009), hier S. 40 f. Vgl. Pym, Method, S. IX f., S. 29, S. 105 f., S. 116. Vgl. Saldanha/O’Brian, Research methodologies, S. 208. Bryman, Alan: Social Research Methods, 2. Auflage, Oxford 2004, S.  52. Vgl. auch Halverson, „Elements of doctoral training“, in: The Interpreter and Translation Trainer 3 (1/2009), hier S. 114; sowie Yin, Case study research, S. 21. Vgl. Saldanha/O’Brian, Research methodologies, S. 209 ff., S. 228; Halverson, „Elements of doctoral training“, in: The Interpreter and Translation Trainer 3 (1/2009), hier S. 106; Yin, Case study research, S. 40 ff.; sowie Gerring, Case study research, S. 41 ff., S. 117 f. Vgl. Kapitel 2 der vorliegenden Arbeit.

Die Fallstudie als Methode in der Translationswissenschaft

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und kommentierenden literarischen Werke sowie deren praktische Umsetzung – wie ich noch ausführlich aufzeigen und analysieren werde.268 Als Kontext auf der Mikroebene bzw. intra- sowie intertextueller Kontext gilt hier die Biblioteca Drammatica mit ihrer Konzeption und Umsetzung, die einerseits im größeren Kontext von Mazzinis (translatorischem) Denken und Handeln verortet, andererseits vor dem makrostrukturellen bzw. extratextuellen Kontext diskutiert wird, der sich aus dem politisch-historischen Hintergrund sowie dem kulturellen Diskurs des 19. Jahrhunderts zusammensetzt.269 Die übergreifende Fallstudie zur Biblioteca Drammatica wird  – um deren Komplexität gerecht zu werden – unterteilt in drei embedded case studies.270 Diese greifen die Bände der Dramensammlung – als historisches, schriftliches (Archiv-) Material – auf und untersuchen textbasiert – durch die Frage nach der Politik der Translation bzw. der Politik durch Translation geleitet – deren Gemeinsamkeiten sowie Unterschiede. Konkreter formuliert analysiert die vorliegende Arbeit, wie Mazzini Translation nutzt und warum bzw. um welche Zwecke zu erreichen. Die zeitlichen, sozialen und räumlichen Grenzen sind im Fall der in der vorliegenden Arbeit durchgeführten Case Study deutlich gezogen, da es sich bei der Biblioteca Drammatica um ein Projekt handelt, das einerseits einen begrenzten Zeitraum (1829–1838/39) umfasst, sich mit Italien auf ein bestimmtes Territorium richtet – auch wenn es im Ausland konzipiert und verwirklicht wird – und als Akteure eine kleine Gruppe um Mazzini mit ihm als Protagonisten umfasst. Darüber hinaus wird das Korpus bereits durch die wenigen, mehr oder weniger vollständig realisierten Bände der Dramensammlung271 eingeschränkt. Der in der vorliegenden Untersuchung verwendete Ansatz lehnt sich vornehmlich an das Verständnis von Case Study im Rahmen der Cultural Studies an,272 dem zufolge die „Bezüge zwischen dem Text und konkreten politischen, gesellschaftlichen oder sozialgeschichtlichen Fakten“273 untersucht werden. Ich versuche folglich, die politischen Implikationen von Mazzinis translatorischem Handeln 268 Vgl. Kapitel 3 der vorliegenden Arbeit. 269 Vgl. zu den Kategorien von Kontexten Danneberg, Lutz: „Kontext“, in: Harald Fricke et al. (Hgg.): Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, Bd. 2, Berlin/New York 2000, S. 333– 337, hier S. 333; sowie Köppe/Winko, Neuere Literaturtheorien, S. 13. 270 Vgl. Saldanha/O’Brian, Research methodologies, S. 212 f. 271 Vgl. Kapitel 3.3 der vorliegenden Arbeit. 272 Vgl. Nünning, Vera/Nünning, Ansgar: „Wege zum Ziel: Methoden als planvoll und systematisch eingesetzte Problemlösungsstrategien“, S. 1–27, hier S. 18, S. 20 f.; Basseler, Michael: „Methoden des New Historicism und der Kulturpoetik“, S. 225–249, hier S. 226 f.; sowie Huber, Martin: „Methoden sozialgeschichtlicher und gesellschaftstheoretischer Ansätze“ S. 201–223; alle in: Vera Nünning/Ansgar Nünning (Hgg.): Methoden der literatur- und kulturwissenschaftlichen Textanalyse. Ansätze – Grundlagen – Modellanalysen, Stuttgart/Weimar 2010. 273 Ebd., hier S. 208. Vgl. auch ebd., hier S. 211; Hallet, Wolfgang: „Methoden kulturwissenschaftlicher Ansätze: Close Reading und Wide Reading“, in: Vera Nünning/Ansgar Nünning (Hgg.): Methoden der literatur- und kulturwissenschaftlichen Textanalyse. Ansätze – Grundlagen – Modellanalysen, Stuttgart/Weimar 2010, S. 293–315, hier S. 293, S. 295 ff.; sowie Köppe/Winko, Neuere Literaturtheorien, S. 247 f.

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herauszuarbeiten und zu diskutieren. Der Rückgriff auf eine ursprünglich sozialwissenschaftliche Methode mit kulturwissenschaftlicher Ausrichtung ist einmal mehr der Tatsache geschuldet, dass Translation als komplexes Phänomen interdisziplinärer Zugänge bedarf, um sie umfassend analysieren zu können.274 Dabei soll sich die historische Translationswissenschaft nicht als bloßes „Anhängsel“ der Sozialwissenschaft verstehen; dennoch verlangt ihr Gegenstand – als vielfach eingebundenes Objekt – eine Offenheit gegenüber anderen Disziplinen und kann von deren längerer Existenz, Erfahrung und Erprobung verschiedener Methoden profitieren. Wie dargelegt, findet Translation nicht in einem Vakuum statt – weshalb auch deren Untersuchung sich nicht künstlich „abschotten“ sollte.275 Die Translationswissenschaft kann jedoch auch ihrerseits auf die Disziplinen, bei denen sie Anleihen tätigt, zurückwirken276 und sollte diesen – gerade auch methodisch – mit Selbstbewusstsein und einem Bewusstsein dafür begegnen, dass ihre Erkenntnisse und Zugänge für andere Forschungsfelder bereichernd sein können. Daher soll die Flexibilität, die die Case Study ermöglicht, im Falle der vorliegenden Arbeit auch dazu genutzt werden, um mit Hilfe der erarbeiteten Schwerpunkte aus den Theorien deren Anwendbarkeit nicht nur im Hinblick auf Mazzinis translatorisches Handeln zu überprüfen, sondern Grundlagenforschung zu leisten für weitere historisch und theoretisch breit angelegte, interdisziplinäre Studien, die dem Anspruch aktueller wissenschaftlicher Bedürfnisse gerecht werden. So können – wie im vorliegenden Fall – je nach Komplexität des Untersuchungsgegenstands verschiedene theoretische Zugänge kombiniert in einem methodischen Vorgehen zusammengeführt werden.277 Diese knappe Darstellung soll genügen als Erläuterung des methodischen Vorgehens für die in der vorliegenden Arbeit durchgeführte, translations-, aber auch kulturwissenschaftlich ausgelegte Case Study, die einen historischen Gegenstand in seinem Kontext auf Mikro- und Makroebene beleuchtet und mit einem eigens zusammengestellten, theoretischen Instrumentarium untersucht. Die theoretischen und methodischen Grundlagen für das Verständnis und die Analyse von Mazzinis Übersetzungsprojekt und translatorischem Handeln sollten somit gelegt sein.

274 Vgl. Burns, Anne/Kim, Mira/Matthiessen, Christian M. I. M.: „Doctoral work in Translation Studies as an interdisciplinary mutual learning process. How a translator, teacher educator and linguistic typologist worked together“, in: The Interpreter and Translation Trainer 3 (1/2009), S. 137–163, hier S. 144; sowie Crisafulli, Edoardo: „The quest for an eclectic methodology of translation description“, in: Theo Hermans (Hg.): Crosscultural transgressions. Research models in Translation Studies II. Historical and ideological issues, Manchester 2002, S. 26–43, hier S. 36. 275 Vgl. etwa ebd., hier S. 26 ff., S. 37. 276 Vgl. etwa Tymoczko, Maria: „Connecting the two infinite orders. Research methods in Translation Studies“, in: Theo Hermans (Hg.): Crosscultural transgressions. Research models in Translation Studies II. Historical and ideological issues, Manchester 2002, S. 9–25, hier S. 14. 277 Vgl. Saldanha/O’Brian, Research methodologies, S. 209.

2. HISTORISCH-KULTURELLER HINTERGRUND Im Rahmen einer Case Study spielt  – wie dargelegt  – die Verortung des Forschungsgegenstands in seinem Kontext eine entscheidende Rolle. Für die vorliegende Untersuchung zu Mazzinis Übersetzungsprojekt stellen die Einigung Italiens im Risorgimento – eingebettet in die Nationenbildungsprozesse Europas im 19. Jahrhundert – sowie der Romanticismo als politische und kulturelle Bewegung die entscheidenden historischen Phänomene dar, weswegen diese eng miteinander verbundenen Entwicklungen im Folgenden näher beleuchtet werden. Zunächst sollen die wesentlichen Ereignisse des Risorgimento unter Einbezug von Mazzinis Rolle und einigen wesentlichen, biografischen Verweisen dargestellt werden, bevor die italienische Romantik als politisierte Kunstepoche im Fokus steht. Im Anschluss wird Mazzinis Sichtweise auf die Romantik erläutert, wobei erste Aspekte seiner Kritik am Romanticismo aufgezeigt werden, die in den folgenden Fallstudien weiter vertieft werden.

2.1 MAZZINI UND DAS RISORGIMENTO Mazzini rappresenta, nella storia d’Italia, una figura ricca e nobile che sa realizzare grandiose sintesi di pensiero e di azione, di Dio e popolo. Come autentico padre della patria, egli ci lascia una preziosa eredità che è politica, culturale, educativa, ma soprattutto morale. Il suo magistero del dovere, coerentemente vissuto in 41 anni di esilio per amore della patria, è un alto insegnamento che nobilita la vita nella misura in cui sappiamo spenderla per un ideale e per il bene comune. È questo il retaggio più nobile e suggestivo che la figura e l’opera di Giuseppe Mazzini lasciano al nostro tempo e ad ogni tempo.1

Das Risorgimento (1815–1870) gilt allgemein als die Epoche des Unabhängigkeitskampfes und Nationsbildungsprozesses Italiens im 19. Jahrhundert. Unter Autoren des 18.  Jahrhunderts findet der Terminus „Risorgimento“ bereits Verwendung, wird jedoch zumeist als Synonym für „Rinascimento“ (Renaissance) gebraucht. Darüber hinaus ist der Ausdruck zu jener Zeit noch nicht politisch, sondern vorwiegend kulturell oder religiös durch die Bedeutung von „Risurrezione“ (Auferstehung) konnotiert.2 Im Laufe der Napoleonischen Besatzungszeit, dem sogenannten Triennio repubblicano (1796–1799), erhält die Idee eines vereinten 1 2

Sagramola, Mazzini nel Risorgimento italiano, S. 10. Vgl. Lukenda, Robert: Die Erinnerungsorte des Risorgimento. Genese und Entfaltung patriotischer Symbolik im Zeitalter der italienischen Nationalstaatsbildung, Würzburg 2012, S. 41; sowie Banti, Alberto Mario: Il Risorgimento italiano, Rom/Bari 2004, S. VIII.

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Historisch-kultureller Hintergrund

Italien – insbesondere durch die nach französischem Vorbild geschaffene zentralistische Ausrichtung der Tochterrepubliken auf italienischem Boden – jedoch zunehmend politische Implikationen.3 Nach der Niederlage Napoleons und den Verhandlungen des Wiener Kongresses 1814/15 besteht Italien aus sieben Staaten. So wird die Aufteilung des Landes unter den verschiedenen Großmächten Europas aus dem 18. Jahrhundert wiederhergestellt, womit das Gleichgewicht unter eben diesen Mächten erhalten und neuer Krieg verhindert werden soll.4 Jeder Staat in Italien wird reaktionär und absolutistisch regiert. Die Habsburger herrschen in Ober- und Mittelitalien über das Königreich Lombardo-Venetien, das Großherzogtum Toskana sowie die Herzogtümer Parma und Modena, während die spanischen Bourbonen das Königreich beider Sizilien erhalten. Darüber hinaus wird der Kirchenstaat unter der Führung des Papstes wieder etabliert. Das Königreich Sardinien-Piemont, zu dem auch Ligurien und damit Mazzinis Heimatstadt Genua gehören, nimmt eine Sonderrolle ein als einziger, von einer italienischen Herrscherdynastie – dem Haus Savoyen – regierter Staat, der jedoch unter dem Einfluss Frankreichs steht. Der vage, durch die Napoleonische Besatzungszeit begründete Wunsch nach einem geeinten, modernen Italien verstärkt sich durch das repressive Regime der Fremdmächte nach dem Wiener Kongress zunehmend: Il ritorno di tutta la penisola a un assolutismo repressivo porta all’abolizione dell’imponente opera di riforme istituzionali e sociali, che è stata intrapresa sotto il regime napoleonico e a cui la nuova generazione è ormai abituata. […] Nella società italiana, trasformata dai principi democratico-liberali della rivoluzione francese, la dura repressione operata dai sovrani legittimi finisce per stimolare un potente desiderio di rigenerazione civile e politica.5

So kommt es 1820/21, inspiriert durch die erfolgreiche Revolution in Spanien sowie den griechischen Unabhängigkeitskrieg gegen die Osmanen, auch in Italien zu ersten Aufständen, organisiert von der Geheimgesellschaft der Carbonaria.6 Ziel ist es zunächst, regional begrenzt mehr Unabhängigkeit von der Fremdherrschaft zu erlangen und Reformen anzustoßen.7 Diese Aufstände scheitern jedoch ausnahmslos. Viele Teilnehmer werden verfolgt, verhaftet, inhaftiert und/oder ins 3 4 5

6

7

Vgl. ebd., S. VI ff., S. XII; sowie Lukenda, Erinnerungsorte des Risorgimento, S. 40 f. Vgl. Klaehr, Alexander: „Il Risorgimento. Die Entstehung des italienischen Nationalstaates“, in: PerspektivRäume 1 (2/2010), S. 94–130, hier S. 98; sowie Banti, Risorgimento italiano, S. 38 f. Heidler, Manuela: L’interpretazione della storia nella letteratura del Risorgimento, Freiburg/ Breisgau 1976, S. 6 f. Vgl. auch Fournier Finocchiaro, Giuseppe Mazzini, S. 40; Banti, Risorgimento italiano, S. 41; Pirodda, Mazzini e gli scrittori democratici, S. 22; sowie Della Peruta, Franco: Mazzini e i rivoluzionari italiani. Il „partito d’azione“ 1830–1845, Mailand 1974, S. 43 ff. In Abgrenzung zu den politischen Regimen der italienischen Staaten nach 1815 versucht die intellektuelle Elite oftmals, da sie von der politischen Macht ausgeschlossen ist, sich alternativ in Geheimgesellschaften zu organisieren. Ziel ist die Ausarbeitung von Programmen zur Erneuerung von Staat und Gesellschaft. Vgl. Banti, Risorgimento italiano, S. 53 f.; sowie Klaehr, „Il Risorgimento“, in: PerspektivRäume 1 (2/2010), hier S. 101.

Mazzini und das Risorgimento

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Exil gezwungen.8. So setzt allmählich ein Umdenken zugunsten von Erneuerung und Einheit auf nationaler Ebene ein.9 In diesem politischen Klima wächst Giuseppe Mazzini auf, der zum unangefochtenen Anführer der nationaldemokratisch ausgerichteten Einheitsbewegung in Italien wird – und mit seinen Ideen bis heute wirkt. Sagramola etwa beschreibt ihn als […] figura […] complessa, ricca e multiforme e, come tale, ci lascia una enorme eredità che è, allo stesso tempo, politica, sociale, culturale, educativa e morale, con tratti di vera modernità e illuminanti intuizioni precorritrici.10

Geboren am 22. Juni 1805 in Genua, tritt Mazzini 1819 mit 14 Jahren in die Universität seiner Heimatstadt ein, an der er zwei Jahre lang das obligatorische Philosophiestudium absolviert, bevor er wie sein Vater Mediziner werden will, schließlich jedoch zu Jura wechselt. Bereits an der Universität rebelliert Mazzini gegen das herrschende Bildungssystem mit dessen – seiner Ansicht nach – veralteten Unterrichtsmethoden und -inhalten. Mazzini weigert sich etwa, Zeugnis von der Anzahl seiner besuchten Gottesdienste, Beichten und Kommunionen abzulegen, was die Bischöfe damals wegen ihres Rechts zur Oberaufsicht an Universitäten noch verlangen können. In seinen Studienjahren entsteht Mazzinis enge Freundschaft mit den Brüdern Jacopo, Agostino und Giovanni Ruffini, die seine Meinung zum desolaten Zustand Italiens teilen, der auf revolutionärem Weg geändert werden soll.11 Die Aufstände 1820/21 in Italien erlebt Mazzini als 16-Jähriger mit. Sichtlich geprägt durch das Elend der politischen Flüchtlinge reift sein Entschluss, sich politisch für sein Land zu engagieren.12 Im April 1827 erwirbt Mazzini seinen Universitätsabschluss.13 Trotz der Wahl seiner Studienfächer sieht er für sich vorerst noch eine Laufbahn als Literaturkritiker vor. Seine entsprechenden Kenntnisse eignet er sich autodidaktisch an und beschäftigt sich schon in jungen Jahren mit der Philosophie Giovanni Battista Vicos, Condorcets, Jean-Jacques Rousseaus und Johann Gottfried Herders. Darüber hinaus entwickelt er ein Interesse für zeitgenössische Autoren aus Frankreich, England und Deutschland, wie etwa Victor Hugo, Alphonse de Lamartine, Lord Byron, 8 9 10

11 12 13

Vgl. Scirocco, Alfonso: L’Italia del Risorgimento: 1800–1860, Bologna 1990, S. 109, S. 173. Vgl. ebd., S. 108. Dieses Umdenken vollzieht sich innerhalb Italiens, aber auch außerhalb durch die italienischen Exilanten (vgl. ebd., S. 177). Sagramola, Mazzini nel Risorgimento italiano, S. 136 f. Vgl. auch Banti, Risorgimento italiano, S. 62; Scirocco, L’Italia del Risorgimento, S. 181 f., S. 417; Mack Smith, Mazzini, S. 1 f.; Recchia/ Urbinati, „Introduction“, in: dies., Cosmopolitanism of nations, hier S. 1; sowie bereits Montanari, Mario: Die geistigen Grundlagen des Risorgimento, Köln/Opladen 1963, S. 18. Vgl. Meier, Mazzini – Flüchtling und Revolutionär, S. 3 f.; sowie Codignola, „La giovinezza di G. Mazzini“, in: ders., I fratelli Ruffini, Bd. I, hier S. XXV ff. Vgl. Mazzini, „Note autobiografiche“, in: SEI, Bd. LXXVII, Politica XXVI, hier S. 5 ff. Vgl. Gambarotto, Stefano: „Cronologia Mazziniana“, in: Istituto per la storia del Risorgimento italiano (Hg.): Giuseppe Mazzini a duecento anni dalla nascita. Atti del convegno di studi, Treviso 2005, S. 187–203, hier S. 187 f.

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Historisch-kultureller Hintergrund

William Wordsworth oder auch Gotthold Ephraim Lessing, Friedrich Schiller und Johann Wolfgang von Goethe, die ihn prägen und inspirieren. Im Jahr 1827 tritt Mazzini der Carbonaria bei, wird allerdings im November 1830 – wie alle Mitglieder der ligurischen und lombardischen Ableger der Organisation – von einem Mitstreiter verraten und inhaftiert. Drei Monate später wird er zwar freigelassen, jedoch auch vor die Wahl zwischen einer Verbannung innerhalb Italiens und einem Exildasein gestellt. Mazzini verlässt Italien in Richtung Genf und anschließend Korsika. Zwei Aufstände, die – aus dem Ausland organisiert – Savoyen bzw. Mittelitalien befreien sollen, scheitern. Mazzini reist nach Marseille weiter, wo er im Sommer 1831 die Giovine Italia gründet,14 die als erste organisierte politische Partei Italiens gilt.15 Mazzini beabsichtigt, die Erneuerungsund Einheitsbewegung für seine Heimat neu auszurichten, da er für das Scheitern der vorherigen Aufstände deren regionalen Partikularismus verantwortlich macht. Die Giovine Italia wendet sich mit Flugblättern und Broschüren sowie ab März 1832 mit einer gleichnamigen Zeitschrift, die im Geheimen in Italien verbreitet werden, an die italienische Bevölkerung, um eine Revolution von unten anzustoßen sowie durchzuführen – und steht damit im Gegensatz zu den elitär ausgerichteten Geheimbünden.16 Mazzinis Hoffnung ruht dabei – wie der Name seiner Organisation nahelegt – auf der Jugend:17 Poco c’importerebbe distruggere, se non avessimo speranza di fondare il meglio: poco di scrivere doveri e diritti sopra un brano di carta, se non avessimo intento e fiducia di stamparli nell’anime. Questo neglessero i nostri padri; questo dobbiam noi aver sempre davanti la mente. Determinare i diversi Stati d’Italia a insorgere, non basta; si tratta di crear la Nazione. Noi crediamo religiosamente che l’Italia non ha esaurito la propria vita nel mondo, essa è chiamata a introdurre ancora nuovi elementi nello sviluppo progressivo dell’Umanità e a vivere d’una terza vita; noi dobbiamo mirare a iniziarla.18

14 15 16 17 18

Vgl. ebd., hier S. 190; Scirocco, L’Italia del Risorgimento, S. 178; sowie Commissione per l’Edizione Nazionale, „Introduzione“, in: SEI, Bd. I, Letteratura I, hier S. XVIII. Vgl. Recchia/Urbinati, „Introduction“, in: dies., Cosmopolitanism of nations, hier S. 5. Vgl. Banti, Risorgimento italiano, S. 63 ff.; sowie Klaehr, „Il Risorgimento“, in: PerspektivRäume 1 (2/2010), hier S. 102. Vgl. Mazzini, „Note autobiografiche“, in: SEI, Bd. LXXVII, Politica XXVI, hier S. 69 ff.; Mazzini, Giuseppe: „Ai volontari“ (1859), in: SEI, Bd. LXIV, Politica XXII, Imola 1933, S. 123–133, hier S. 123; sowie weiterführend Lukenda, Erinnerungsorte des Risorgimento, S. 221. Mazzini, „Note autobiografiche“, in: SEI, Bd. LXXVII, Politica XXVI, hier S. 79. Ob Mazzini durch seine mangelnde Präsenz vor Ort die Situation in Italien im Hinblick auf die Organisation einer nationalen Revolution falsch einschätzt, gilt als umstritten. Als problematisch wird insbesondere seine Fokussierung auf schriftliche Propaganda gesehen, da die breite Bevölkerung einen hohen Anteil an Analphabeten aufweist (vgl. Banti, Risorgimento italiano, S. VI; Mack Smith, Mazzini, S. 13, S. 88; sowie Klaehr, „Il Risorgimento“, in: PerspektivRäume 1 [2/2010], hier S. 106). In den großen Städten Italiens gelingt jedoch diese publizistische Art der Ideenverbreitung trotz der widrigen Umstände relativ gut, sodass Mazzini Anhänger unter Intellektuellen, Studenten, Handwerkern und auch in der weniger gebildeten Stadtbevölkerung findet (vgl. Sagramola, Mazzini nel Risorgimento italiano, S. 138). Vgl. auch Kapitel 3.2 der vorliegenden Arbeit.

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Mazzinis verstärkte konspirative Tätigkeiten im Rahmen der Giovine Italia bleiben von offizieller Seite nicht unbemerkt. Am 26.10.1832 wird er durch den Consiglio Divisionale di Guerra in Alessandria zum Tode in Abwesenheit verurteilt. Im April 1833 gelangen die Behörden in Italien durch den Verrat einiger Mitglieder an konkrete Informationen zur Giovine Italia, was eine Verhaftungswelle nach sich zieht. Mazzinis enger Freund Jacopo Ruffini begeht im Gefängnis Selbstmord.19 Im Juli 1833 muss Mazzini Marseille verlassen und flieht unter dem Pseudonym „Filippo Strozzi“, unter dem er auch korrespondiert, in die Schweiz. In Genf bereitet er einen Aufstand in Neapel sowie einen Zug nach Savoyen vor,20 der im Februar 1834 scheitert. Die Ableger der Giovine Italia in der Lombardei sowie in der Toskana werden zerschlagen – was nicht nur Mazzinis Organisation erheblich schwächt, sondern auch Anhänger auf Distanz zu ihrem Anführer gehen lässt. Europas Regierungen verlangen von der Schweiz die Ausweisung aller am Aufstand Beteiligten, Mazzini wird zur Fahndung ausgeschrieben. In der Schweiz beginnt für ihn ein Leben auf der ständigen Flucht vor den Behörden.21 Über Lausanne und Biel erreicht Mazzini schließlich Grenchen – wo er mit Mitstreitern das Konzept der Biblioteca Drammatica entwickelt.22 Am 15.4.1834 gründet Mazzini als Vertreter der Giovine Italia gemeinsam mit dem Jungen Deutschland sowie der Młoda Polska in Bern die Giovine Europa, die wiederum als erste transnationale Organisation demokratischen Charakters in Europa gilt.23 Im Juli 1835 wird in Villeneuve die Jeune Suisse ins Leben gerufen, in deren gleichnamiger Zeitschrift, die zweisprachig auf Deutsch und Französisch erscheint, Mazzini zahlreiche Artikel veröffentlicht.24 Bis ins Jahr 1836 intensivieren die Behörden die Suche nach Mazzini. In Grenchen werden er sowie die ihn begleitenden Ruffini-Brüder wegen der vermeintlichen Planung eines Komplotts verhaftet, schließlich aber aus Mangel an Beweisen wieder freigelassen. Die Bürger Grenchens stehen auf der Seite der Verhafteten und verleihen ihnen sogar die Bürgerrechte – was jedoch von offizieller Seite aufgehoben wird. Auf Druck des Vororts und der französischen Botschaft kommt es schließlich zu einem Verbot der Zeitschrift Jeune Suisse, Verhaftungen und Ausweisungen. Mazzini gelangt über Frankreich Anfang des Jahres 1837 nach England, wo er fortan die meiste Zeit seines (Exil-)Lebens in der dortigen Hauptstadt verbringt.25 19 20 21 22 23

24 25

Vgl. Meier, Mazzini – Flüchtling und Revolutionär, S. 9. Vgl. Gambarotto, „Cronologia Mazziniana“, in: Istituto per la storia, Mazzini a duecento anni, hier S. 191 f. Vgl. Meier, Mazzini – Flüchtling und Revolutionär, S. 10; sowie Banti, Risorgimento italiano, S. 66, S. 70. Vgl. ausführlich Kapitel 3 der vorliegenden Arbeit. Vgl. Della Peruta, „Mazzini dalla Giovine Italia“, in: Bonanni, Pensiero e Azione, hier S. 41; sowie Recchia/Urbinati, „Introduction“, in: dies., Cosmopolitanism of nations, hier S. 11 f. Vgl. zu den Zusammenschlüssen von Exilanten in liberalen Ländern außerhalb ihrer Heimat und deren Einfluss Scirocco, L’Italia del Risorgimento, S. 175 ff. Vgl. Meier, Mazzini – Flüchtling und Revolutionär, S. 10 f. Vgl. ebd., S. 13.

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In London gestaltet sich seine finanzielle Lage jedoch prekär. Trotz seiner Mitarbeit an diversen englischen Zeitschriften, wie der London and Westminster Review, der British and Foreign Review, dem Tait’s Edinburgh Magazine oder auch dem Monthly Chronicle,26 bleibt wegen der ohnehin niedrigen Bezahlung und der Kosten für Übersetzer kaum Geld übrig. Zudem endet die Freundschaft mit den Ruffini-Brüdern.27 Erst als Mazzini Thomas Carlyle28 und dessen Familie kennenlernt, verbessern sich seine finanzielle sowie persönliche Lage,29 sodass er sich mit neuer Kraft für sein politisches Erneuerungsprojekt engagiert. Ab 1838 widmet er sich in diesem Rahmen dem Versuch des Wiederaufbaus der Giovine Italia, jedoch nur mit mäßigem Erfolg.30 Anfang des Jahres 1844 beginnt Mazzini mit der Planung eines neuen Aufstands in Italien. Als ein Umsturzversuch der Brüder Attilio und Emilio Bandiera,31 denen Mazzini eng verbunden ist, in Kalabrien im Juli 1844 kläglich und tragisch scheitert,32 fällt dies auch auf Mazzini zurück.33 Die Revolution 1848/49, die auch als der erste (gesamt-)italienische Unabhängigkeitskrieg gilt, wird zum Höhepunkt von Mazzinis politischer Laufbahn. In dieser europäischen Revolution, in der sich gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Spannungen entladen, bildet ein Streben nach Modernisierung sowie nationaler Selbstbestimmung das übergreifende Element.34 Ermöglicht werden die Bewegungen durch den Sturz des herrschenden Regimes in Wien und die Vertreibung Metternichs, womit Österreich durch seine inländischen Probleme nach außen geschwächt wird. Außer in Frankreich, Deutschland, Polen und Ungarn kommt es auch in diversen italienischen Städten, etwa in Venedig, Mailand und Palermo, zu Aufständen. 26 27

28

29 30 31 32 33 34

Vgl. Sarti, Mazzini, S. 100 f. Vgl. ausführlich Codignola, Arturo: „Mazzini alla ricerca di una fede ed il dramma dei Ruffini“, in: Arturo Codignola (Hg.): I fratelli Ruffini. Lettere di Giovanni e Agostino Ruffini alla madre dall’esilio francese e svizzero. Bd. II (1836), Genua 1931 (folgend: Codignola, I fratelli Ruffini, Bd. II), S. VII–CXXIX. Thomas Carlyle (1795–1881) ist ein schottischer Historiker und Essayist, der sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts für die Verbreitung deutscher Literatur in England stark macht. Carlyle verfasst „Life of Schiller“ und übersetzt Goethes „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ (1824), „Wilhelm Meisters Wanderjahre“ (1827) sowie die „Undine“ Friedrich de la Motte-Fouqués ins Englische. Vgl. hierzu Ellis, Roger/Oakley-Brown, Liz: „British tradition“, in: Mona Baker (Hg.): Routledge Encyclopedia of Translation Studies, London/New York 1998, S. 333–347, hier S. 344. Vgl. Gambarotto, „Cronologia Mazziniana“, in: Istituto per la storia, Mazzini a duecento anni, hier S. 193. Vgl. Meier, Mazzini – Flüchtling und Revolutionär, S. 15; sowie Scirocco, L’Italia del Risorgimento, S. 191. Vgl. ebd., S. 191. Vgl. Meier, Mazzini – Flüchtling und Revolutionär, S. 15. Vgl. Gambarotto, „Cronologia Mazziniana“, in: Istituto per la storia, Mazzini a duecento anni, hier S. 194. Vgl. zu einer Einschätzung des Doppelrevolutionsjahr als entscheidender Moment zur Ausprägung eines kollektiven Nationalwillens in Italien Lukenda, Erinnerungsorte des Risorgimento, S. 256 f.

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Mazzini erhält zu Beginn des Jahres 1848 Kenntnis von den Aufständen im Süden Italiens. Er reist zunächst nach Paris, wo er im Frühjahr die Associazione Nazionale Italiana als Nachfolgeorganisation der Giovine Italia gründet. In der Zwischenzeit gelingt es den Aufständischen, während der sogenannten Cinque Giornate di Milano (18.–22. März) unter der Führung Carlo Cattaneos Radetzky und seine österreichischen Truppen aus der Stadt zu vertreiben und eine eigene Regierung einzusetzen. Mazzini kommt im April in Mailand an, wo er begeistert empfangen wird. Allerdings zeigt er sich skeptisch, ob sich die republikanische Idee dort auf Dauer durchsetzen wird, da auch die Monarchisten sehr stark aufgestellt seien: I am in Italy, at Milan. At the frontier the custom house officers knew me; they quoted to me words from my writings. At Como, half-way from Milan, I was surrounded by people, priest and young men with shouts, etc. At Milan, entering the town after nine o’clock in the evening, I heard a voice in the street crying Viva Mazzini! All this is very good: but in this large town, full with nobles and rich people, things are not as I should wish. There is a republican party; but a strong one also for Charles Albert. We shall see.35

Auch Venedig und die Toskana erklären sich unabhängig.36 Sardinien-Piemont eröffnet den Krieg gegen Österreich. Carlo Alberto als sardischer König scheint sich auf die Seite der Aufständischen zu stellen. Als dieser jedoch die Lombardei per Dekret an sein Territorium anschließt, erntet er öffentlichen Protest von Seiten Mazzinis, der sein Misstrauen gegenüber dem sardischen Herrscher – und dessen Sohn und Nachfolger, dem Einheitskönig Vittorio Emanuele II. – auch in den Folgejahren nicht überwindet.37 Der Versuch Carlo Albertos, die patriotische Bewegung für eigene Zwecke, die Ausweitung seines Königreichs Sardinien-Piemont, zu nutzen,38 stellt für Mazzini den Grund für das Scheitern der Revolution 1848/49 dar: A dynastic project substituted for the insurrectionary Republican idea – the egotistical notion of the Monarchical aggrandizement of the house of Savoy taking the place of the great national idea – the poor tactics of a timid and ignorant party gradually supplanting the enthusiasm of a nation – here lies the secret of our defeat.39

In Frankreich und Österreich erobern die konservativen Kräfte ihre Macht – und das österreichische Heer unter Feldmarschall Radetzky in der Schlacht bei Custozza am 25.7.1848 Norditalien – zurück. Mazzinis Hoffnung, mit Garibaldi und weiteren Freiwilligen von Bergamo aus Widerstand leisten zu können, zerschlägt sich. Mazzini flieht erneut in die Schweiz, nach Lugano. Von dort aus versucht er, im Val d’Intelvi einen neuen Aufstand zu organisieren, was jedoch scheitert. Über Marseille und Livorno erreicht Mazzini Florenz, wo die Übergangsregierung mit 35 36 37 38 39

Mazzini, Giuseppe: „Brief an Susannah Tancioni, 7.4.1848 (MMCCCLXXXII)“, in: SEI, Bd. XXXV, Epistolario XIX, Imola 1922, S. 82–86, hier S. 82 f. Vgl. Scirocco, L’Italia del Risorgimento, S. 57. Vgl. Gambarotto, „Cronologia Mazziniana“, in: Istituto per la storia, Mazzini a duecento anni, hier S. 196. Vgl. Mack Smith, Mazzini, S. 61. Mazzini, Giuseppe: „Partiti e affari in Italia  / Parties and affairs in Italy“ (1848/49), in: SEI, Bd. XXXIX, Politica XIV, Imola 1924, S. 3–70, hier S. 29.

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Francesco Domenico Guerrazzi und Giuseppe Montanelli an der Spitze ihn nicht mit offenen Armen empfängt. Als Rom nach der Ermordung des päpstlichen Ministerpräsidenten Pellegrino Rossi und der Flucht Papst Pius’ IX.40 am 9.2.1849 die Republik ausruft, reist Mazzini in den Kirchenstaat: Sono in Roma sano e salvo. Sono stato accolto benissimo. Ho veduto tutti i membri del Governo: e mi sono amicissimi. Oggi vado alla Camera, dove parlerò. Questa sera, il popolo vuol farmi una dimostrazione.41

Zunächst als Volksvertreter in die konstituierende Versammlung der Republik gewählt, wird Mazzini deren Regierung in einem Triumvirat mit Aurelio Saffi und Carlo Armellini übertragen – wobei sich die Macht de facto in seinen Händen konzentriert. Die relativ kurze, aber dafür prägnant formulierte Verfassung der Römischen Republik stellt den fortschrittlichsten Text seiner Art zu dieser Zeit in ganz Europa dar.42 Die katholische Religion verliert darin ihren Rang als Staatskonfession, zivile und politische Rechte werden gestärkt. Neben der Etablierung von Pressefreiheit setzt Mazzini zudem die Abschaffung der Todesstrafe und diverser Schutzzölle sowie eine Reform des Steuersystems durch.43 Seine Umsicht und staatsmännische Sorgfalt bringen ihm viel Bewunderung ein: […] even some critics admitted that, in difficult circumstances, Mazzini governed with wisdom, moderation and unexpected administrative capacity, so increasing Italy’s reputation in the rest of Europe.44

Jedoch wird die Römische Republik nur von den USA anerkannt, was sie früh politisch und diplomatisch isoliert.45 In seinen „Note autobiografiche“ erinnert Mazzini sich an den größten Triumph seiner politischen Laufbahn: 40 41 42

43 44 45

Vgl. zur auf Pio Nono ruhenden Hoffnung und zu seiner symbolischen Bedeutung als nationale Führungsfigur vor 1849 und der entsprechenden Enttäuschung in der Folgezeit Lukenda, Erinnerungsorte des Risorgimento, S. 198 ff. Mazzini, Giuseppe: „Brief an die Mutter, 6.3.1849 (MMDCXVI)“, in: SEI, Bd. XL, Epistolario XXI, Imola 1924, S. 3–5, hier S. 3. Es gilt allerdings als umstritten, ob Mazzini tatsächlich selbst am Verfassungstext mitgewirkt hat. Vgl. Sullam, Simon Levis: „‚Dio e il Popolo‘: la rivoluzione religiosa di Giuseppe Mazzini“, in: Alberto Mario Banti/Paul Ginsborg (Hgg.): Storia d’Italia, Annali 22. Il Risorgimento, Turin 2007, S. 401–422, hier S. 415 f.; sowie Sullam, Simon Levis: „The Moses of Italian unity. Mazzini and nationalism as political religion“, in: C. A. Bayly/Eugenio F. Biagini (Hgg.): Giuseppe Mazzini and the globalisation of democratic nationalism 1830–1920, New York 2008, S. 107–124, hier S. 119, dem zufolge Mazzini erst einen Monat nach der Fertigstellung des Entwurfs nach Rom gekommen sei. Vgl. Mack Smith, Mazzini, S. 68 f.; sowie Brunetta, Ernesto: „Risorgimento deluso“, in: Istituto per la storia del Risorgimento italiano (Hg.): Giuseppe Mazzini a duecento anni dalla nascita. Atti del convegno di studi, Treviso 2005, S. 15–33, hier S. 17. Mack Smith, Mazzini, S. 67. Vgl. auch Scioscioli, Massimo (Hg.): Giuseppe Mazzini. Nel Segno della Democrazia. Lettere inedite agli amici di Scozia e d’Inghilterra, Soveria Mannelli 2011 (folgend: Scioscioli, Lettere inedite), S. 19. Vgl. Fournier Finocchiaro, Giuseppe Mazzini, S. 141 f.; Recchia/Urbinati, „Introduction“. in: dies., Cosmopolitanism of nations, hier S. 5 f.; sowie Ferri, Mauro: „Mazzini, uomo di governo“, in: Stefania Bonanni (Hg.): Pensiero e Azione: Mazzini nel movimento democratico italiano e internazio-

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Roma era il sogno de’ miei giovani anni, l’idea madre nel concetto della mente, la religione dell’ anima; e v’entrai, la sera, a piedi, sui primi del marzo, trepido e quasi adorando. Per me, Roma era – ed è tuttavia malgrado le vergogne dell’oggi – il Tempio dell’umanità; da Roma escirà quando che sia la trasformazione religiosa che darà, per la terza volta, unità morale all’Europa.46

Ab April 1849 gerät die Römische Republik zunehmend unter militärischen Druck. Mazzini mobilisiert zwar alle Kräfte für den Widerstand, jedoch muss sich Rom am 3.7.1849 den französischen und spanischen Truppen unter General Oudinot geschlagen geben – womit der Papst den Kirchenstaat wieder übernimmt. Am 12.7.1849 verlässt Mazzini Rom. Nach kurzen Aufenthalten in Marseille, Genf, Lausanne47 und Paris kehrt er nach London zurück,48 wo er sich nun verstärkt um den Zusammenschluss der europäischen Demokraten bemüht.49 Im Juli 1850 gründet er mit Alexandre Ledru-Rollin als Vertreter der französischen Seite, Arnold Ruge als deutschem Repräsentanten sowie Albert Darasz für Polen das Comitato Centrale Democratico Europeo, dessen Wirken aufgrund interner Uneinigkeit jedoch nur beschränkt bleibt.50 In Italien werden die alten Herrschaftsverhältnisse wieder etabliert und gefestigt. Die Verfolgung politisch Oppositioneller geschieht nun noch rigoroser als zuvor.51 Hierbei stellt Piemont-Sardinien insoweit eine Ausnahme dar, als dort im Gegensatz zu Rom, Neapel und der Toskana die fortschrittliche Verfassung, das Statuto Albertino, von Vittorio Emanuele II., Nachfolger Carlo Albertos, nicht abgeschafft wird.52 Diese gewährt dem König zwar weitreichende Rechte, insbesondere in der Exekutive sowie bei der Ernennung der Mitglieder des Senats, und beschneidet damit die Macht des Parlaments, erfüllt zugleich aber auch liberale Forderungen nach Rechtsstaatlichkeit, individueller Freiheit und einer vom Volk gewählten Abgeordnetenkammer – wobei die Partizipation an dieser Wahl wiederum durch ein strenges Zensuswahlrecht nachhaltig erschwert wird.53

46 47 48 49 50 51 52 53

nale. Atti del LXII Congresso di storia del Risorgimento italiano, Rom 2006, S. 49–83, hier S. 59; sowie Sullam, „The Moses of Italian unity“, in: Bayly/Biagini, Mazzini and the globalisation, hier S. 119. Mazzini, „Note autobiografiche“, in: SEI, Bd. LXXVII, Politica XXVI, hier S. 341. Vgl. auch Mazzini, Giuseppe: „Cenni e documenti intorno all’insurrezione lombarda e alla guerra regia del 1848“ (1849), in: SEI, Bd. XXXIX, Politica XIV, Imola 1924, S. 261–345, hier S. 341. Vgl. Mazzini, Giuseppe: „Brief an Carolina Celesia, 12.8.1849 (MMDCCXL)“, in: SEI, Bd. XL, Epistolario XXI, Imola 1924, S. 263–264, hier S. 263; sowie Banti, Risorgimento italiano, S. 83 ff. Vgl. Mazzini, Giuseppe: „Brief an Giovanni Grilenzoni, 7.7.1849 (MMDCCXII)“, in: SEI, Bd. XL, Epistolario XXI, Imola 1924, S. 200–201, hier S. 200; sowie Gambarotto, „Cronologia Mazziniana“, in: Istituto per la storia, Mazzini a duecento anni, hier S. 197. Vgl. Mazzini, Giuseppe: „Brief an Nicolao Ferrari, 3.8.1853 (MMMDCXXXIX)“, in: SEI, Bd. XLIX, Epistolario XXVII, Imola 1928, S. 290–292, hier S. 290 f. Vgl. Gambarotto, „Cronologia Mazziniana“, in: Istituto per la storia, Mazzini a duecento anni, hier S. 197. Vgl. Mack Smith, Mazzini, S. 81 f. Vgl. ebd., S. 82. Vgl. Lo Statuto Albertino, abgerufen unter https://www.quirinale.it/allegati_statici/costituzione/ Statutoalbertino.pdf (20.10.2017), S. 1–9; sowie Klaehr, „Il Risorgimento“, in: PerspektivRäume 1 (2/2010), hier S. 112 f.

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Noch vor dem zweiten Unabhängigkeitskrieg Italiens ist Mazzini an neuen Aufständen bzw. Aufstandsversuchen beteiligt, etwa im Februar 1853 in Mailand oder im Sommer 1857 an der Spedizione di Sapri unter der Führung Carlo Pisacanes, die ebenso scheitern wie zwei geplante Folgerevolten in Genua und Livorno, für die Mazzini wiederum in Abwesenheit zum Tod verurteilt wird.54 Wegen des Misserfolgs seiner Aufstände sowie einer gewachsenen Heterogenität innerhalb der nationaldemokratischen Bewegung ist es für Mazzini zunehmend schwer, Anhänger hinter sich zu vereinen und zu mobilisieren. Unter den Demokraten gewinnt die Überzeugung Überhand, dass Einheit und Unabhängigkeit Italiens einen höheren Stellenwert haben als die Umsetzung eigener Ideale – weshalb sie für den Kompromiss einer konstitutionellen Monarchie plädieren, was Mazzini weiterhin ablehnt.55 Die gescheiterte Revolution 1848/49 leitet das Kapitel diplomatischen Vorgehens in der italienischen Unabhängigkeitshistorie ein.56 Insbesondere eine Ablehnung Österreichs, angesehen als gemeinsamer Feind, verbindet die oppositionellen Gruppen. Camillo Benso di Cavour als Ministerpräsident Sardinien-Piemonts – zuvor Minister für Landwirtschaft und Handel sowie Finanzminister – wird zur entscheidenden Figur. Durch eine Beteiligung Italiens am Krimkrieg zur Unterstützung von Frankreich und Großbritannien auf Seiten des Osmanischen Reichs und gegen Russland sollen die Großmächte dazu gedrängt werden, Italien in seinem eigenen Kampf gegen Österreich beizustehen. Cavour schließt im Juli 1858 mit Napoleon III. in Plombières-les-Bains einen geheimen Vertrag ab. Ein Kriegseintritt Frankreichs soll durch einen österreichischen Angriff legitimiert werden – wobei dieser durch einen provozierten Aufstand gegen den Fürsten von Modena erfolgen soll. Nach einem Sieg fiele Frankreich Savoyen und Nizza zu, während Piemont das übrige Norditalien erhalten soll. Die Toskana bliebe dem Vertrag zufolge unabhängig, stünde jedoch unter französischer statt österreichischer Kontrolle. Ebenso würde Neapel von Frankreich kontrolliert. Als Napoleon III. ein Vier-Staaten-Bündnis ohne Einbezug des Südens zwischen den italienischen Staaten unter dem Vorsitz des Papsts vorschlägt, stimmt Cavour aus diplomatischen Gründen zu.57 Mazzini stellt sich gegen diese imperialistische Lösung, die Frankreichs Rolle in Europa massiv gestärkt und Norditalien zu einem autoritär regierten Satellitenstaat gemacht hätte.58 Auch wenn sich in Frankreich Gegner eines Kriegseintritts formieren, spricht Napoleon III. am 1.1.1859 vor dem diplomatischen Korps und direkt zum österreichischen Botschafter, um zu betonen, dass sich die Beziehung zwischen den 54 55 56 57 58

Vgl. Gambarotto, „Cronologia Mazziniana“, in: Istituto per la storia, Mazzini a duecento anni, hier S. 198. Vgl. Pirodda, Mazzini e gli scrittori democratici, S. 53; sowie Banti, Risorgimento italiano, S. 102 f. Vgl. Sagramola, Mazzini nel Risorgimento italiano, S. 29; sowie Mack Smith, Mazzini, S. 36. Vgl. Scirocco, L’Italia del Risorgimento, S. 383 f.; sowie Banti, Risorgimento italiano, S. 101 f. Vgl. Mazzini, Giuseppe: „Brief an James Stansfeld, 30.1.1859 (VCCCXII)“, in: SEI, Bd. LXIII, Epistolario XXXVII, Imola 1933, S. 143–148, hier S. 144 f.; sowie Mack Smith, Mazzini, S. 124.

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beiden Staaten abgekühlt habe. Am 10.1.1859 hält Vittorio Emanuele II. zur Eröffnung des Parlaments eine Rede, deren letzter Satz aus der Feder Napoleons III. stammt und die von Cavour beabsichtigte Wirkung nicht verfehlt: Il nostro paese, piccolo per territorio, acquistò credito nei consigli dell’Europa, perché grande per le idee che rappresenta, per le simpatie che esso ispira. Questa condizione non è scevra di pericoli, giacché, nel mentre rispettiamo i trattati, non siamo insensibili al grido di dolore che da tante parti d’Italia si leva verso di noi.59

Im März 1859 beginnt schließlich Italiens Krieg gegen Österreich mit Unterstützung Frankreichs. Jedoch vereinbaren Frankreich und Österreich ohne das Wissen Cavours einen Waffenstillstand mit der Folge, dass Österreich zwar aus der Lombardei vertrieben wird, jedoch weiter Venetien, Julisch-Venetien und das Trentino beherrscht. Der Frieden von Zürich manifestiert nach dem Vorfrieden von Villafranca am 10.11.1859 diese Lösung.60 Mazzini zeigt sich enttäuscht – auch angesichts eines ausbleibenden Aufbegehrens der Bevölkerung: La pace di Villafranca avrebbe dovuto produrre un incendio e non ha prodotto che l’indirizzo placato borghese. Il popolo dovea radunarsi in piazza e votare il suo dico [sic!] al re: „Sire, i nostri non andarono a versare il loro sangue per darvi la Lomb[ardia], ma per fare una l’Italia, con voi o senza voi. Lacerate il trattato di Villafranca, o faremo da noi.“61

Mazzini reist heimlich nach Florenz und versucht, Garibaldi sowie weitere Anführer freiwilliger Kämpfer zu einem Marsch auf Umbrien und die Marken, die Abruzzen und Neapel zu motivieren, muss schließlich aber unverrichteter Dinge nach London zurückkehren.62 Der zweite Unabhängigkeitskrieg ist jedoch noch nicht zu Ende. Spielt Süditalien in den Plänen Cavours, der nach seinem Rücktritt nach den Ereignissen von Villafranca rasch auf den Posten des Ministerpräsidenten zurückgekehrt ist,63 keine Rolle,64 so stößt Garibaldi dennoch im Mai 1860 mit dem sogenannten „Zug der Tausend“ von Genua aus nach Süden vor, um das Königreich der beiden Sizilien zu erobern und von der bourbonischen Herrschaft zu befreien. Cavour sieht sich zum Handeln gezwungen. Der Ministerpräsident Sardinien-Piemonts weiß um die Intention der Demokraten, Rom zur Hauptstadt des vereinten Italien zu machen, und vermutet, dass der Kirchenstaat das eigentliche Ziel von Garibaldis Aktion sei. Rom steht jedoch weiterhin unter dem Einfluss sowie dem Schutz Frankreichs, das einen Angriff auf den Kirchenstaat nicht hätte akzeptieren kön59 60 61 62 63 64

Vittorio Emanuele II., zit. nach Banti, Risorgimento italiano, S. 106. Vgl. auch Scirocco, L’Italia del Risorgimento, S. 384. Vgl. Banti, Risorgimento italiano, S. 108 f.; sowie Klaehr, „Il Risorgimento“, in: PerspektivRäume 1 (2/2010), hier S. 123 f. Mazzini, Giuseppe: „Brief an Carlotta Benettini, 28.7.1859 (VCCCCXI)“, in: SEI, Bd. LXIII, Epistolario XXXVII, Imola 1933, S. 296–297, hier S. 296. Vgl. Gambarotto, „Cronologia Mazziniana“, in: Istituto per la storia, Mazzini a duecento anni, hier S. 199. Vgl. Klaehr, „Il Risorgimento“, in: PerspektivRäume 1 (2/2010), hier S. 124. Vgl. ebd., hier S. 94 ff.; Mack Smith, Mazzini, S. 47; sowie Scirocco, L’Italia del Risorgimento, S. 7.

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Historisch-kultureller Hintergrund

nen. Ein Vordringen Garibaldis zum Festland soll verhindert und eine demokratische Übernahme Neapels unterbunden werden. Mazzini plant derweil, Freiwillige nach Umbrien, die Marken und die Abruzzen zu schicken, um sie dort mit Garibaldis Männern zu vereinen.65 Cavour kommt ihm jedoch zuvor, um einem Marsch auf Rom und den Papst zu verhindern. Garibaldi verzichtet, um einem Bürgerkrieg vorzubeugen, auf einen Marsch gen Rom und ordnet sich der monarchischen Lösung unter.66 Mazzini zeigt sich enttäuscht von Garibaldis Einlenken gegenüber dem König.67 Er reist nach diesen Ereignissen selbst nach Neapel, wo er für zwei Monate bleibt, dann aber schwer krank über Lugano Ende des Jahres 1860 nach London zurückkehrt.68 Vittorio Emanuele II. wird der erste Herrscher des Königreichs Italien mit Turin als Hauptstadt. Dort eröffnet Cavour am 18.2.1861 als erster Ministerpräsidenten des vereinten Landes dessen erstes Parlament. Die alte Verfassung, das Statuto Albertino, bleibt mit einem nochmals verschärften Zensuswahlrecht in Kraft, sodass es weder zu einschneidenden Reformen noch zu Verbesserungen oder mehr (politischen) Rechten für die breite Bevölkerung kommt.69 Der agrarische, als rückständig erachtete Süden wird eher unfreiwillig von den Machthabern um Cavour an den Norden angegliedert, der bereits stark industrialisiert und kapitalisiert ist. Dies führt zu Enttäuschung und Verbitterung bei der Bevölkerung des Südens, die sich als Verlierer des Risorgimento fühlt.70. Eine gesamtitalienische Identität bleibt eine Wunschvorstellung.71 Garibaldi und seine Anhänger wollen weiterhin Rom zur Hauptstadt des vereinten Italien machen. Sein erneuter Versuch einer Einnahme der ewigen Stadt scheitert jedoch im August 1862 bei der Schlacht am Aspromonte, wo er von regulären piemontesischen Truppen unter General Pallavicini geschlagen und schwer verletzt wird. Genauso unterliegt Garibaldi am 3.11.1867 bei Mentana der französisch-päpstlichen Seite. Beide Vorstöße finden von Mazzinis Seite keine Unterstüt65 66 67

68 69 70 71

Vgl. Gambarotto, „Cronologia Mazziniana,“ in: Istituto per la storia, Mazzini a duecento anni, hier S. 199. Vgl. Mack Smith, Mazzini, S. 139 ff.; Banti, Risorgimento italiano, S. 113 ff.; sowie Scirocco, L’Italia del Risorgimento, S. 415. Vgl. Mazzini, Giuseppe: „Brief an Giovanni Grilenzoni, 1.12.1859 (VDXXXVI)“, in: SEI, Bd. LXV, Epistolario XXXVIII, Imola 1933, S. 292–295, hier S. 294; Mazzini, Giuseppe: „Passato, presente e avvenire possibile. La questione italiana e i repubblicani“ (1859–61), in: SEI, Bd. LXIV, Politica XXII, Imola 1933, S. 219–281, hier S. 269; sowie Mazzini, Giuseppe: „Dovere e necessità“ (1860), in: SEI, Bd. LXVI, Politica XXIII, Imola 1933, S. 165–169, hier S. 165. Vgl. Gambarotto, „Cronologia Mazziniana“, in: Istituto per la storia, Mazzini a duecento anni, hier S. 200; sowie Mack Smith, Mazzini, S. 141. Vgl. ebd., S. 178; sowie Banti, Risorgimento italiano, S. 123. Vgl. Janowski, Franca: „Ottocento“, in: Volker Kapp (Hg.): Italienische Literaturgeschichte, 3. Auflage, Stuttgart/Weimar 2007, S. 245–299, hier S. 286. Vgl. Mack Smith, Mazzini, S. 159; kritisch hierzu Lukenda, Erinnerungsorte des Risorgimento, S. 21 f.; sowie Banti, Risorgimento italiano, S. 123 ff., S. 131. Vgl. zu Mazzinis Bemühungen um die Begründung einer gesamtitalienischen Identität vor allem Kapitel 3.3.1.3.2 sowie 3.3.2.3.2 der vorliegenden Arbeit.

Mazzini und das Risorgimento

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zung.72 Als die Gespräche eines seiner Unterhändler mit Vittorio Emanuele II. zur Befreiung Venetiens scheitern, plant Mazzini einen weiteren Aufstand in Friaul, der jedoch nicht umgesetzt werden kann. Enttäuscht zeigt er sich auch angesichts der Convenzione di settembre vom 15.9.1864 zwischen Frankreich und Italien, der zufolge Frankreich innerhalb von zwei Jahren seine Truppen aus Rom abziehen will, wenn Italien sich im Gegenzug verpflichtet, die Grenzen des päpstlichen Territoriums zu akzeptieren.73 Der dritte Unabhängigkeitskrieg Italiens im Jahr 1866 beginnt mit Bismarcks Absicht, Österreich aus dem Deutschen Bund zu drängen. Er bittet Italien um Hilfe, das sich erhofft, zum Dank für die Unterstützung Venetien zu erhalten. In den folgenden kriegerischen Auseinandersetzungen schlägt Österreich Italien zwar militärisch in der zweiten Schlacht bei Custozza am 24.6.1866 sowie im Seekampf von Lissa am 20.7.1866, tritt Venetien aber wegen einer ausgehandelten Neutralität an Frankreich ab, was im Prager Frieden vom 23.8.1866 endgültig besiegelt wird. Frankreich spricht Venetien schließlich Italien zu, dessen Territorialzuwachs der Wiener Frieden am 3.10.1866 vertraglich festlegt. Mazzini wird in den Jahren 1865 und 1866 für diverse Lokalparlamente als Abgeordneter vorgeschlagen und verfehlt trotz einer rigorosen Gegenpropaganda nur knapp die nötigen Stimmen. In Messina wird er zweimal sogar gewählt, sein Mandat jedoch dem Parlament zur Abstimmung vorgelegt, das ihn beide Male ausschließt.74 In Messina wird er auch noch ein drittes Mal gewählt und diesmal auch zugelassen, um Peinlichkeiten zu vermeiden. Allerdings lehnt Mazzini aus Gewissensgründen das Mandat ab, bereitet stattdessen kleinere Aufstände vor, die jedoch scheitern, und engagiert sich weiter für eine Befreiung Roms.75 Den letzten Versuch zu einer Revolte unternimmt Mazzini Anfang des Jahres 1870. Von Sizilien aus soll sich ein Marsch gen Rom in Bewegung setzen. Auf dem Weg nach Palermo im August 1870 wird er jedoch von einem Begleiter verraten, bei seiner Ankunft in Sizilien verhaftet und nach Gaeta gebracht. Dort erfährt er auch von dem Ende der Unabhängigkeitskriege mit der Eroberung Roms am 20.9.1870. Geschwächt durch den deutsch-französischen Krieg zieht Napoleon III. Militärkräfte aus Rom ab, sodass der Papst nicht mehr ausreichend durch Frankreich geschützt ist. Pius IX. protestiert zwar, ist ohne französische Hilfe jedoch chancenlos.76 Mazzini zeigt sich angesichts der Einnahme Roms durch die Monarchie mehr als enttäuscht.77 Im Oktober 72 73 74 75 76 77

Vgl. Gambarotto, „Cronologia Mazziniana“, in: Istituto per la storia, Mazzini a duecento anni, hier S. 200 ff. Vgl. ebd., hier S. 201. Vgl. Mack Smith, Mazzini, S. 174. Vgl. Gambarotto, „Cronologia Mazziniana“, in: Istituto per la storia, Mazzini a duecento anni, hier S. 201 f. Vgl. ebd., hier S. 202; sowie Klaehr, „Il Risorgimento“, in: PerspektivRäume 1 (2/2010), hier S. 128. Vgl. Li Volsi, Rocco: „Giuseppe Mazzini e le ideologie dell’Ottocento“, in: Istituto per la storia del Risorgimento italiano (Hg.): Giuseppe Mazzini a duecento anni dalla nascita. Atti del convegno di studi, Treviso 2005, S. 35–93, hier S. 92; sowie Sellin, Volker: „Abdankung der Geister vor der Macht. Das Verhältnis von Kultur und Politik nach 1870“, in: Arnold Esch/Jens Peter-

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Historisch-kultureller Hintergrund

1870 wird Mazzini Generalamnestie erteilt, aber er lehnt es ab, sich für das „Verbrechen“, ein Patriot zu sein, schuldig zu bekennen. Nach Aufenthalten in Genua und Lugano kehrt er Ende des Jahres 1870 nach London zurück. Im Folgejahr trägt sich Mazzini mit dem Gedanken, den Rest seines Lebens in seiner Heimatstadt zu verbringen, ändert seine Pläne jedoch zugunsten von Pisa, wohin er unter dem Decknamen „George Brown“ übersiedelt. Ab Februar 1872 lebt er – bereits sehr krank – bei der Familie Nathan-Rosselli, in deren Haus er am 10.3.1872 auch stirbt. Sein Leichnam wird nach Genua gebracht, wo er neben seiner Mutter Maria auf dem Friedhof Staglieno beigesetzt wird. Von offizieller Seite erfolgt keine Kondolenzbekundung oder öffentliche Würdigung, wohingegen die Bevölkerung Mazzini in großer Anzahl die letzte Ehre erweist, wie es Biograf Mack Smith schildert: [… s]hops in this city were shut, ships in the bay lowered their flags, thousands of people accompanied the funeral procession. In Rome another mile-long demonstration stopped traffic for an hour as a bust of Mazzini was carried through the main streets to be erected on the Capitol between the figures of Michelangelo and Columbus; but official Italy was represented on neither occasion. […] In death as in his life, ministers refused reconciliation with a lone rebel who had caused them a great deal of trouble, but who more than anyone had taught them to be patriots.78

2.2 ROMANTICISMO IN ITALIEN UND BEI MAZZINI Im Vergleich zur deutschen Romantik gilt der Romanticismo als politisch geprägte Kunstbewegung, die sich revolutionär nicht nur von dem bisher geltenden Konzept des Klassizismus abgrenzt, sondern sich in den Dienst einer nationalen Mission stellt. Hans Mayer definiert diese Art der Freiheitsbewegung, die Politik und Kultur verbindet, als „revolutionäre Romantik“79, hält das Phänomen jedoch nicht für ein Alleinstellungsmerkmal Italiens im Europa des 19. Jahrhunderts. Er nennt Lord Byron, den Russen Alexander Puschkin sowie den Polen Adam Mickiewicz als wesentliche Vertreter, die als Nationaldichter ihres jeweiligen Landes fungieren – mit einer Sonderstellung Byrons sowohl für Griechenland als auch für England. Auch Mazzini versteht Literatur als Mittel zu politischer und gesellschaftlicher Erneuerung,80 als „arte che coglie l’idea della sua epoca e la comunica svolgendo una funzione educatrice sociale,“81 wie Bersa es formuliert. sen (Hgg.): Deutsches Ottocento. Die deutsche Wahrnehmung Italiens im Risorgimento, Tübingen 2000, S. 327–342, hier S. 338. 78 Mack Smith, Mazzini, S. 225. Vgl. auch Banti, Risorgimento italiano, S. 120 f. 79 Mayer, Hans: Weltliteratur. Studien und Versuche, Frankfurt/Main 1989, S. 188. Vgl. weiterhin Scirocco, L’Italia del Risorgimento, S. 73 f.; sowie bereits Vossler, Otto: Mazzinis politisches Denken und Wollen in den geistigen Strömungen seiner Zeit, München/Berlin 1927, S. 13. 80 Vgl. Mazzini, Giuseppe: „Sull’Angelo di V. Hugo“ (1836), in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, Imola 1910, S. 263–280, hier S. 272; sowie zur Rolle der Literatur für das Risorgimento Banti, Risorgimento italiano, S. VI.

Romanticismo in Italien und bei Mazzini

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Im Rahmen dieses Kapitels sollen wesentliche Charakteristika der italienischen Romantik herausgearbeitet werden, wobei der Streit zwischen Klassizisten und Romantikern hinsichtlich des Übersetzens den Fokus bildet, da dieser den Romanticismo maßgeblich prägt. Darüber hinaus werden einige Protagonisten sowie ihr literarisches Programm vorgestellt. Zum anderen beschäftigen sich die folgenden Erläuterungen mit dem Einfluss der Romantik auf Mazzini und beziehen hierbei auch seine Kritik an sowie Weiterentwicklung von romantischen Ideen mit ein. In diesem Rahmen werden seine Einflüsse und die Publikationsorgane seines Kreises referiert sowie sein Konzept einer engagierten Literatur im Dienste der revolutionären Erneuerung Italiens in Vorbereitung auf die Analyse seines translatorischen Handelns erläutert.

2.2.1 Romanticismo in Italien: Übersetzung und Literatur im Spannungsfeld zwischen Klassizismus und Romantik Im 19. Jahrhundert gilt Frankreich als eine der zentralen Mächte in Europa, die nicht nur politisch mit der Französischen Revolution Maßstäbe setzt, sondern auch im kulturellen Bereich und insbesondere im Hinblick auf die Literatur eine Vorrangstellung einnimmt. Französisch wird bereits im 18. Jahrhundert zur europäischen lingua franca.82 Will ein Schriftsteller über seine Landesgrenzen hinaus wahrgenommen werden, verfasst er seine Texte auf Französisch oder lässt diese entsprechend übersetzen.83 Frankreich selbst entwickelt aus dieser Situation heraus ein Überlegenheitsgefühl einhergehend mit einem Universalitäts- und Hegemonieanspruch, der auch das Feld der Übersetzung beeinflusst.84 Vor allem die bereits auf Dominique Bouhours (1628–1702) zurückgehende, teils bis ins 19. Jahrhundert vertretene These, dass durch das jeweilige Original übertreffende Übersetzungen ins Französische, angelehnt an die Methode der belles infidèles, aller „Wissensvorrat der Menschheit“85 in dieser Sprache gespeichert sei und ein 81 Bersa, Gabriele: „Arte e azione nel pensiero di Giuseppe Mazzini. Contesto e etica come ēthos“, in: Il Pensiero Mazziniano 2 (2006), S. 12–19, hier S. 12. Vgl. zu der von Bersa erwähnten, die Epoche prägenden Idee ausführlich Kapitel 3.2 sowie 3.3 der vorliegenden Arbeit. 82 Vgl. Lieber, Maria/Winter, Doerthe: „193. Questione della lingua, Übersetzungstheorie und Übersetzungspraxis von der Renaissance bis zum Ende des 18. Jahrhunderts“, S. 1920–1930; sowie Lieber, Maria: „194. Pluralität sprachlicher Ausdrucksformen: Übersetzung, Binnenübersetzung und Questione della lingua“, S. 1930–1940; beide in: Harald Kittel et al. (Hgg.): Übersetzung – Translation – Traduction. Ein internationales Handbuch zur Übersetzungsforschung / An international encyclopedia of Translation Studies / Encyclopédie internationale de la recherche sur la traduction, 3. Teilband, Berlin 2011. 83 Vgl. Tgahrt, Reinhard: Weltliteratur. Die Lust am Übersetzen im Jahrhundert Goethes, Marbach 1982, S. 10. 84 Vgl. Schwarze, Sprachreflexion, S. 64. 85 Ebd., S. 71.

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Franzose deshalb keine Fremdsprachenkenntnisse benötige, zeigt das Selbstbewusstsein Frankreichs hinsichtlich des Prestiges seiner Kultur.86 Italien wird dagegen bereits zuvor, aber insbesondere im 19. Jahrhundert nach den Napoleonischen Kriegen und dem Wiener Kongress als politisch sowie kulturell rückständig angesehen und fristet lediglich ein Randdasein.87 Österreichs Staatskanzler und Außenminister Metternich bezeichnet das Land sogar nur als rein geografischen Begriff.88 Die Zersplitterung des Landes, Gegenreformation, Inquisition und Zensur bilden politisch-sozial gesehen einen Hintergrund, der sich auch auf die Kultur auswirkt. Der herrschende Klassizismus mit dem Rückbezug auf die großen Zeiten der Antike, die weiterhin als großes und einziges Vorbild gilt, verhindert bzw. „verbietet“ mithin eine Öffnung für kulturelle Innovation aus dem Ausland. Übersetzungen aus modernen Fremdsprachen sind in Italien Mangelware. Wenn eine Übertragung zeitgenössischer Texte ins Italienische stattfindet, müssen häufig Intermediärübersetzungen herangezogen werden, da es an entsprechenden Sprachkennern und Übersetzern in Italien mangelt.89 So transportieren die italienischen Versionen oftmals einen französischen Blick auf zeitgenössische Literatur und deren Interpretation – womit die Begründung einer genuin italienischen Literatur- und Übersetzungskritik (zunächst) unterbunden wird. Im Zuge der europäischen Romantik, die in Italien verspätet einsetzt, erhebt sich gegen Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts zunehmend Widerstand gegen die klassizistische Ausrichtung der italienischen Kultur – die jedoch aufgrund ihrer langen Tradition und tiefen Verwurzelung schwer zu überwinden ist.90 Vor allem eine junge Elite fordert eine Abwendung von antiken Schemata, von den Regeln der aristotelischen Poetik sowie von der Orientierung an der 86 Vgl. Bouhours, Dominique: Les entretiens d’Ariste et d’Eugene, Cinquième Edition, Lyon 1682, S. 54 ff., S. 144 f.; weiterhin Schwarze, Sprachreflexion, S. 71, S. 64, S. 67 ff.; Schwarze, Sabine: „‚Il traduttore a chi legge‘: Übersetzervorreden als ‚Fliegenwedel‘ und Ort theoretischer Reflexion“, in: Giorgio Cusatelli/Maria Lieber/Heinz Thoma/Edoardo Tortarolo (Hgg.): Gelehrsamkeit in Deutschland und Italien im 18. Jahrhundert. Letterati, erudizione e società scientifiche negli spazi italiani e tedeschi del ’700, Tübingen 1999, S. 127–149, hier S. 132; sowie Stackelberg, Jürgen von: „Blüte und Niedergang der ‚Belles Infidèles‘“, in: Harald Kittel (Hg.): Die literarische Übersetzung. Stand und Perspektiven ihrer Erforschung, Berlin 1988, S. 16–29, insbesondere S. 16, S. 22 ff. 87 Vgl. Mazzini, Giuseppe: „Italian literature since 1830“ (1834), in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, Imola 1910, S. 283–343, hier S. 284 f. 88 Vgl. zu Mazzinis Auseinandersetzung mit diesem Thema Mazzini, „Note autobiografiche“, in: SEI, Bd. LXXVII, Politica XXVI, hier S. 75; Mazzini, Giuseppe: „Prefazione all’Orazione per Cosimo Delfante di F. D. Guerrazzi“ (1832), in: SEI, Bd. I, Letteratura I, Imola 1906, S. 333–339, hier S. 337; Mazzini, Giuseppe: „Ai miei fratelli delle Romagne“ (1864), in: SEI, Bd. LXXXIII, Politica XXVII, Imola 1940 XVIII, S. 17–19, hier S. 18; sowie Lukenda, Erinnerungsorte des Risorgimento, S. 21. 89 Vgl. Schwarze, Sprachreflexion, S. 57, S. 135. 90 Vgl. Bschleipfer/Schwarze, „196. Übersetzungstheorie und Übersetzungskritik“, in: Kittel et al., Übersetzung – Translation – Traduction, hier S. 1955; Lukenda, Erinnerungsorte des Risorgimento, S. 48; Janowski, „Ottocento“, in: Kapp, Italienische Literaturgeschichte, hier S. 256 f.; sowie Dell’Aquila, Michele: Primo romanticismo italiano. Testi di poetica e critica, Bari 1976, S. 13 f.

Romanticismo in Italien und bei Mazzini

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griechisch-römischen Mythologie und ihrer Motive. Erklärtes Ziel ist es nun, einer neuen Kunst den Weg zu bereiten, die sich an den konkreten Bedürfnissen der Zeit und der darin lebenden Menschen orientiert.91 Eine Innovation in Literatur und Kultur soll darüber hinaus die Isolation Italiens in Europa beenden.92 Denn gerade in dieser sehen die Romantiker den wesentlichen Grund für die Rückständigkeit ihrer Heimat. In diesem Sinne äußert sich auch Mazzini: […] i letterati, generalmente parlando, dormivano, o addormentavano. Bibliotecari, istitutori, o cortigiani di principi, aggregati ad alcuna delle tante accademie, che incarceravano lo spirito umano, cavillosi e minuziosi per ozio, eruditi per impotenza, senza scintilla di genio, senza impulso di scopo, godevano in pace per diritto di lunga possessione un seggio usurpato, e si sdebitavano degli obblighi del mestiere coi versi pel mecenate, colle canzoncine per nozze, coi sonetti per monacazioni, e con qualche commento, o dissertazione sulla lingua, e su’ classici.93

Im Erneuerungskonzept der Romantiker spielt Übersetzung eine entscheidende Rolle, da es doch gerade erst über diese möglich wird, sich mit zeitgenössischen Texten aus dem Ausland zu beschäftigen, sich diese anzueignen, sich mit diesen auseinanderzusetzen und so (nicht nur) kulturelle Innovation anzustoßen, um schließlich auch das eigene Schaffen zu beleben.94 „Übersetzung [wird] zum Katalysator der speziellen Haltung des Einzelnen in der Debatte um die sprachlich-kulturelle Erneuerung Italiens,“95 so Bschleipfer/Schwarze. Oder wie Massano es formuliert: Il problema della traduzione si pone allora come il banco di prova, o il reagente che rivela e distingue i „romantici“ dai „classicisti“, cioè la cultura nuova più filosofica, ansiosa di aperture e di rinnovamenti, di idee e sentimenti – in una parola: la cultura „engagée“ – dalla cultura dei „retori“, meramente letteraria e accademica, dominata in varia misura da una mentalità ancien régime.96

Maßgeblichen Anstoß im Rahmen dieses Übersetzungsdiskurses gibt der Aufsatz „Sulla maniera e la utilità delle traduzioni“ der Französin Mme de Staël. Der heftig diskutierte Artikel,97 der den Streit zwischen Klassizisten und Romantikern zur Ausrichtung der italienischen Kultur weiter zuspitzt, erscheint im Januar 1816 91 92

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Vgl. Heidler, L’interpretazione della storia, S. 8. Vgl. Pagliardini, Angelo: Mappe interculturali della letteratura italiana nel Risorgimento. Ugo Foscolo, Vincenzo Cuoco, Giuseppe Mazzini, Cristina Trivulzio di Belgiojoso, Giuseppe Gioachino Belli, Frankfurt/Main 2013, S. 37; sowie Bordoni, Carlo: „Byron e il vampiro romantico“, in: Lilla Maria Crisafulli Jones/Annalisa Goldoni/Romolo Runcini (Hgg.): Romanticismo europeo e traduzione. Atti del seminario internazionale (Ischia, 10.–11. April 1992), Ischia 1995, S. 179–185, hier S. 180. Mazzini, Giuseppe: „Saggio sopra alcune tendenze della letteratura europea nel XIX secolo“ (1829), in: SEI, Bd. I, Letteratura I, Imola 1906, S. 225–252, hier S. 231. Vgl. Schwarze, Sprachreflexion, S. 57. Bschleipfer/Schwarze, „196. Übersetzungstheorie und Übersetzungskritik“, in: Kittel et al., Übersetzung – Translation – Traduction, hier S. 1954. Massano, Riccardo: Finalità e carattere del tradurre nel pensiero dei primi romantici italiani, Turin 1960, S. 5. Vgl. Scirocco, L’Italia del Risorgimento, S. 73.

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in der Biblioteca Italiana Giuseppe Acerbis und gilt weithin als eigentlicher Beginn der italienischen Romantik.98 Die Verfasserin fordert Italien nachdrücklich dazu auf, sich kulturell und geistig dem modernen Westeuropa zu öffnen. Mme de Staël appelliert an die italienischen Gelehrten, ihre Verweigerungshaltung gegenüber zeitgenössischer europäischer Literatur aufzugeben sowie die Auseinandersetzung mit deren Werken für eine Erneuerung der eigenen Sprache und Kultur zu nutzen: Havvi oggidì nella Letteratura Italiana una classe di eruditi che vanno continuamente razzolando le antiche ceneri, per trovarvi forse qualche granello d’oro: ed un’altra di scrittori senz’altro capitale che molta fiducia nella lor lingua armoniosa, donde raccozzano suoni vôti d’ogni pensiero, esclamazioni, declamazioni, invocazioni, che stordiscono gli orecchi, e trovan sordi i cuori altrui, perché non esalarono dal cuore dello scrittore.99

Dabei lobt Mme de Staël sogar ausdrücklich die italienische Übersetzungskultur; das Italienische sei dank seiner Klangharmonie und grammatischen Struktur unter den modernen Sprachen am besten geeignet für Übersetzungen aus dem Griechischen. Allerdings gilt ihre positive Einschätzung ausschließlich der Klassiker-Übersetzung. Die klassische Antike könne jedoch für das zeitgenössische Europa kein Orientierungspunkt mehr sein, sondern habe ihre Funktion als vorbildhafter Kanon verloren. Die Rezeption zeitgenössischer Literatur – insbesondere aus Deutschland und England – stelle nun den (einzig entscheidenden) Motor für die Entwicklung einer innovativen italienischen Literatur dar. Diese Rezeption bestehe jedoch nicht in einer einfachen Übernahme und Nachahmung fremder Konzepte, sondern in einer reflektierten, kritischen Aneignung: […] non dico per vestire le fogge straniere, ma per conoscerle; non per diventare imitatori, ma per uscire di quelle usanze viete, le quali durano nella letteratura come nelle compagnie i complimenti, a pregiudizio della naturale schiettezza. Che se le lettere si arricchiscono con le traduzioni de’ poemi, traducendo i drammi si conseguirebbe una molto maggiore utilità; poiché il teatro è come il magistrato della letteratura.100

Mme de Staël lehnt sowohl das Lateinische als Universalsprache als auch das Studium von Fremdsprachen als Alternative für Übersetzungen ab, da erstere Idee nur für eine klassische Elite umsetzbar, letzterer Vorschlag deshalb unzulänglich sei, da ein Sprecher nur in seiner Muttersprache wirkliche kommunikative Kompetenz erreiche. So diene die Übersetzung zum einen dem Einblick in fremde Sprachen sowie Kulturen und halte zum anderen Potenzial zur Bereicherung der eigenen Kultur bereit. Da Isolation zu kultureller Verarmung führe, sei ein Austausch von Ideen unabdingbar:101 Vgl. Dell’Aquila, Primo romanticismo, S. 8; sowie Pagliardini, Mappe interculturali, S. 16 f. Staël-Holstein, Anne Louise Germaine de [1816]: „Sulla maniera e la utilità delle traduzioni“, in: Carlo Calcaterra (Hg.): Manifesti romantici e altri scritti della polemica classico-romantica, neue und ergänzte Auflage, hrsg. v. Mario Scotti, Turin 1979, S. 83–92, hier S. 91. 100 Ebd., hier S 89. 101 Vgl. ebd., hier S. 84 f.; siehe zur Horizontalisierung der Nationalsprachen und zum Verlust der Höherwertigkeit von Latein Anderson, Erfindung der Nation, S. 75; sowie zur Übertragung des 98 99

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Trasportare da una ad altra favella le opere eccellenti dell’umano ingegno è il maggior benefizio che far si possa alle lettere, perché sono sì poche le opere perfette, e la invenzione in qualunque genere è tanto rara, che se ciascuna delle nazioni moderne volesse appagarsi delle ricchezze sue proprie, sarebbe ognor povera: e il commercio de’ pensieri è quello che ha più sicuro profitto.102

Kulturelle „Produkte“ müssen wie Waren auf einem freien Markt zirkulieren können, um diesen Austausch über Landesgrenzen hinweg zu garantieren und allen an diesem Austausch Beteiligten zum Vorteil zu gereichen. Der Liberalismus sei folglich nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für den kulturellen Bereich eine funktionierende Strategie. Öffnet sich Italien nicht einer Erneuerung qua Übersetzung und verharrt in der Position, Prestige aus der Vergangenheit generieren zu wollen, prophezeit die Autorin dem Land eine dunkle Zukunft: „[…] gli italiani dèono acquistar pregio dalle lettere e dalle arti; senza che giacerebbero in un sonno oscuro, d’onde neppur il sole potrebbe svegliarli.“103 Mme de Staël sieht die Abschottungshaltung der Klassizisten darin begründet, dass diese sich „auf die überdimensionierte Rolle der Sprache als identitätsstiftender Faktor und wichtigstes Etikett italienischer Nationalität“104 stützen.105 Einen weiteren Höhepunkt erfährt die Debatte zwischen Klassizisten und Romantikern durch das ebenfalls von Mme de Staël verfasste Werk „De l’Allemagne“ (1810), in dem die Autorin Deutschland als Ideal in Opposition zu Frankreich beschreibt und es auch zum Vorbild einer italienischen Kulturerneuerung erhebt.106 Erwähnung sollen in diesem Rahmen auch die von A. W. Schlegel 1808 in Wien gehaltenen Vorlesungen „Über dramatische Kunst und Literatur“ (veröffentlicht 1809–1811) finden, die 1817 von Giovanni Gherardini ins Italienische übersetzt werden.107 Um dem Publikum romantische Ideen näherzubringen,108 werden in Italien schließlich Übersetzungsansätze entwickelt, die den Leser für das Fremde sensibilisieren sollen. Die daraus hervorgehenden Texte präsentieren sich häufig als Manifeste mit literarischem Anspruch, die übersetzerische und literarische Fragen programmatisch abhandeln. Schwarze verdeutlicht:

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liberalen Konzepts eines freien Markts auf den kulturellen Bereich ausführlich Kapitel 3.3.2.3.1 der vorliegenden Arbeit. Staël, „Sulla maniera e la utilità“, in: Calcaterra, Manifesti romantici, hier S. 83. Ebd., hier S 92. Vgl. auch Simon, „Culture brokers“, in: Tymoczko/Gentzler, Translation and Power, hier S. 125 ff. Schwarze, Sprachreflexion, S. 278. Vgl. Staël, „Sulla maniera e la utilità“, in: Calcaterra, Manifesti romantici, hier S. 92; sowie weiterführend Schwarze, „Il doppio genio …“, in: Dizdar/Gipper/Schreiber, Nationenbildung und Übersetzung, hier S. 75; Cotrone, Renata: Romanticismo italiano. Prospettive critiche e percorsi intellettuali di Breme Visconti Scalvini, Manduria/Bari/Rom 1996, S. 10; Serianni, Luca: Storia della lingua italiana. Il primo Ottocento. Dall’età giacobina all’unità, Bologna 1989, S. 9 f.; sowie bereits Salvatorelli, Luigi: Pensiero e azione nel Risorgimento, Turin 1963, S. 42. Vgl. Staël-Holstein, Anne Louise Germaine de [1813]: „De l’Allemagne“, in: Œuvres complètes de Madame la Baronne de Staël-Holstein, Paris 1844, Bd. II, S. 4–257. Vgl. Kostka, Schiller in Italy, S. 7 ff. Vgl. Janowski, „Ottocento“, in: Kapp, Italienische Literaturgeschichte, hier S. 256.

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Die in diesem Rahmen entstehenden Schriften gehen über eine Übersetzungsdebatte weit hinaus. Es handelt sich vielmehr um programmatische Darstellungen der Dichtungskonzeption des italienischen Romanticismo, in der das Übersetzen aus modernen Sprachen gewissermaßen den Ausgangspunkt für die Erschließung eines innovativen literarischen Terrains bildet.109

Als Beispiel soll Giovanni Berchets Text „Sul ‚Cacciatore feroce‘ e sulla ‚Eleonora‘ di Goffredo Augusto Bürger. Lettera semiseria di Grisostomo al suo figliuolo“ aus dem Jahr 1816 dienen, der als Manifest der romantischen Dichtungs- und Übersetzungskonzeption in Italien gilt.110 Berchet besitzt selbst praktische Übersetzungserfahrung aus dem Englischen, Französischen und Deutschen, wobei er als einer der wenigen Experten auf dem Gebiet der deutschen Sprachlandschaft bezeichnet werden kann. Bei seinem Text handelt es sich um die Einbettung eigener Übersetzungen in theoretische Überlegungen in Briefform, gerichtet an einen fiktiven Sohn, der die neue Literatur und deren Erschließungsmöglichkeiten qua Übersetzung kennenlernen soll. Dabei erläutert Berchet übersetzungsmethodische Entscheidungen sowie die Grundsätze der romantischen Literatur. Der Verfasser führt die Entscheidung für eine Prosa- oder Versübersetzung exemplarisch an den Balladen Bürgers vor – wobei er Versübersetzungen nicht prinzipiell ablehnt, nur weil er sich in seinem Fall für eine Übersetzung in Prosa entscheidet. Maßgebend seien vielmehr die sprachlich-stilistischen Merkmale sowie der poetische Ausdruck des jeweiligen Ausgangstexts. Ziel müsse es stets sein, dessen spezifische Gestaltung und das Fremde darin für die Zielkultur zu bewahren:111 […] non mi resse l’animo di alterare con colori troppo italiani i lineamenti di quel Tedesco: e la traduzione è in prosa […]. Le ragioni che devono muovere il traduttore ad appigliarsi più a l’uno che all’altro partito stanno nel testo, e variano a seconda della diversa indole e della diversa provenienza di quello.112

109 Bschleipfer/Schwarze, „196. Übersetzungstheorie und Übersetzungskritik“, in: Kittel et al., Übersetzung – Translation – Traduction, hier S. 1954. Vgl. auch Schwarze, Sprachreflexion, S. 171 f.; sowie Rossi, Pellegrino: Introduzione. Il Giaurro. Frammento di novella turca scritto da Lord Byron e recato dall’inglese in versi italiani da Pellegrino Rossi, Genf/Paris 1818, S. III–XXIV. 110 Mazzini versucht zeitweilig, Berchet für einen literarischen Text im Dienste seiner nationalen Sache zu gewinnen. Vgl. Mazzini, Giuseppe: „Brief an Giuseppe Giglioli, 25.2.1832 (XIV)“, in: SEI, Bd. V, Epistolario I, Imola 1909, S. 71–77, hier S. 77. 111 Vgl. Schwarze, Sprachreflexion, S. 279; sowie Betti, Franco: „Key aspects of romantic poetics in Italian literature“, in: Italica 74 (2/1997), S. 185–200, hier S. 186 ff. 112 Berchet, Giovanni [1816]: „Sul Cacciatore feroce e sulla Eleonora di Goffredo Augusto Bürger. Lettera semiseria di Grisostomo al suo figliuolo“, in: Carlo Calcaterra (Hg.): Manifesti romantici e altri scritti della polemica classico-romantica, neue und ergänzte Auflage, hrsg. v. Mario Scotti, Turin 1979, S. 423–486, hier S. 423 f. Verwiesen sei an dieser Stelle auch auf den sich noch in der Entstehung befindlichen, zweiten Band dieser Reihe (Studien zur Übersetzungsgeschichte 2) „Politiche della traduzione in Italia dal Risorgimento al fascismo (nel contesto italo-tedesco) / Politiken der Translation in Italien vom Risorgimento bis zum Faschismus (im deutsch-italienischen Kontext)“, entstanden aus Vorträgen bei einer Tagung in der Villa Vigoni vom 16.–19.7.2018. Besonders zu nennen sind in diesem Rahmen Robert Lukendas Beitrag zu „Übersetzungspolitik und Übersetzungstheorie im frühen Risorgimento: Giovanni Berchet“ sowie mein Aufsatz zu „Nationsbildung als Übersetzungsprojekt. Giuseppe Mazzinis italienische Translationspolitik“.

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Berchets Präferenz für eine Prosaübersetzung liegt auch darin begründet, dass er nachdrücklich die Entwicklung eines neuen italienischen Prosastils fordert, eine Prosa, die „robusta, elegante, snella, tenera quanto la francese“113 sein solle – womit er sich von der akademischen Prosa einer Accademia della Crusca distanziert. Der Leser soll sich bewusst darüber sein, dass er eine Übersetzung rezipiert und sich auf den fremden Horizont einlassen, sodass die Übersetzung ihren Anspruch, selbst ein poetischer Text sein zu wollen, zugunsten der Transparenz des Fremden und der authentischen Darstellung des Inhalts zurückzustellen hat. Die verfremdende Methode erhalte vor allem für Übersetzungen mit großer historischer oder sprachlich-kultureller Distanz Bedeutung, so Berchet. Für verwandte Ausgangsund Zielkulturen könne allerdings auch das Konzept einer kongenialen Übersetzung verfolgt werden.114 Berchet gehört zum Kreis der Conciliatori, benannt nach der 1818 in Mailand von ihm und Silvio Pellico gegründeten Zeitschrift, zu dem etwa auch Pietro Borsieri, Ludovico di Breme und Ermes Visconti zählen. Über die Besprechung zeitgenössischer europäischer Literatur erarbeiten die Conciliatori ein genere romantico, das sich wesentlich von der Literatur in klassizistischem Verständnis unterscheidet.115 Dabei gilt zunächst einmal alle Kunst als romantisch, die sich von der Klassik abhebt und aus diesem Grund für modern gehalten wird. Konkreter egangiert sich die Zeitschrift für soziokulturelle und politische Erneuerung in Italien, in deren Dienst sich eine nationale, gesellschaftlich engagierte Literatur zu stellen habe.116 Die neue poesia popolare lehnt sich gegen die Vorrangstellung der Ästhetik in der Kunst auf und entwirft etwa das Bild eines poeta-soldato als Dichter und revolutionärer Kämpfer in Personalunion.117 Der Dichter übernimmt damit eine pädagogische Verantwortung gegenüber dem Volk als seinem Rezipienten; Raimondi beschreibt das Vorgehen als „portando la vita nell’arte e l’arte nella vita, nello strenuo sforzo di combinare forme alte e forme popolari“118. Der Zwist zwischen Klassizisten und Romantikern ist damit nur auf den ersten Blick rein auf Kultur und Literatur gerichtet. Mit ihren unterschiedlichen kulturellen Ansichten positionieren sich die Gegner im Zuge des Risorgimento auch auf politisch-gesellschaftlichem Terrain.119 Durch seine ausgeprägte politische Dimension nimmt der Romanticismo eine Sonderposition im Kontext der romantischen Bewegungen in Europa ein. Die Forderung nach politischer Erneuerung und Unabhängigkeit in Italien durch die Bildung einer eigenen Nation reiht sich Berchet, „Lettera semiseria“, in: Calcaterra, Manifesti romantici, hier S. 426. Vgl. ebd., hier S. 427 ff., S. 476 ff.; sowie weiterhin Schwarze, Sprachreflexion, S. 282. Vgl. Raimondi, Ezio: Romanticismo italiano e romanticismo europeo, Mailand 1997, S. 46. Vgl. ebd., S. 2, S. 115; sowie Dell’Aquila, Primo romanticismo, S. 20. Vgl. Lukenda, Erinnerungsorte des Risorgimento, S. 27, S. 52; sowie Farinelli, Giuseppe/Mazza Tonucci, Antonia/Paccagnini, Ermanno: La letteratura italiana dell’Ottocento, Rom 2002, S. 221. 118 Raimondi, Romanticismo italiano, S. 29 119 Vgl. Dell’Aquila, Primo romanticismo, S. 57; sowie Cotrone, Romanticismo italiano, S. 15. 113 114 115 116 117

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hierbei nicht nur in die europäischen Nationenbildungsprozesse im Europa des 19. Jahrhunderts ein, sondern gewinnt dadurch Brisanz, dass Italien ein zersplittertes, von Fremdmächten beherrschtes Land ist.120 Mit seiner Unabhängigkeit würde sich das gesamte Machtgefüge in Europa verschieben. Gerade wegen der Unterdrückung aller Reform- und Freiheitsbestrebungen im post-napoleonischen Italien gewinnen die Literatur und deren Kritik zunehmend an Bedeutung, da das kulturelle Feld zunächst als einzig probates Mittel zur Artikulation subversiver oppositioneller Ideen zur Verfügung steht und von literarischen Größen, wie etwa Ugo Foscolo, Vincenzo Cuoco oder Vincenzo Monti, erfolgreich genutzt wird.121 Literatur wird damit zu einem wesentlichen Element im Einheitsprozess122 und versucht, die öffentliche Meinung zugunsten bestimmter politischer Anliegen zu beeinflussen. Heidler erläutert: […] i legami fra l’arte e la realtà si fanno sempre più stretti, tanto che la letteratura è sentita spesso dagli scrittori come un modo di influenzare direttamente l’opinione pubblica, quasi un surrogato dell’azione politica. La letteratura diviene il mezzo di diffusione delle più importanti correnti del pensiero politico dell’Ottocento; essa assume il compito di indicare possibili soluzioni del problema italiano e di preparare così il terreno al risorgimento nazionale.123

Zur Umgehung der Zensur spielen insbesondere historische Sujets und Charaktere in der Literatur eine entscheidende Rolle, die für eine Kritik an der Gegenwart herangezogen werden. Der historische Roman, aber auch das Historiendrama werden zu wesentlichen Genres,124 die sich „gemäß der Methode von storia ed invenzione nicht die ‚faktische‘, sondern die ‚erinnerte‘ und damit ‚mythische‘ Geschichte“125 aneignen, um aktuellen Bedürfnissen und Interessen gerecht zu werden. Das Mittelalter dient den italienischen Romantikern als Vorbild für Freiheit und politische Unabhängigkeit,126 artikuliert etwa in Tommaso Grossis „Marco Visconti“ (1834) oder Massimo d’Azeglios „Ettore Fieramosca o La disfida di Barletta“ (1833). Allerdings greifen Autoren auch auf die für Italien weniger erfolgreiche, neuere Geschichte zurück, um für das Land eine Kontinuität als (potenzielle) Nation zu konstruieren.127 In Anlehnung an die deutsche Romantik erhält Literatur einen politischen Bildungsauftrag im Dienste des Nationsbildungsprojekts.128 Nach den Misserfolgen der ersten Aufstände in den Jahren 1820/21, 1831 sowie der gescheiterten Revolution 1848/49 stellt sich jedoch rasch eine Entmuti120 Vgl. Kapitel 2.1 der vorliegenden Arbeit. 121 Vgl. Pirodda, Mazzini e gli scrittori democratici, S. 8; Lukenda, Erinnerungsorte des Risorgimento, S. 42; sowie Janowski, „Ottocento“, in: Kapp, Italienische Literaturgeschichte, hier S. 245. 122 Vgl. Heidler, L’interpretazione della storia, S. 1. 123 Ebd., S. 3. 124 Vgl. ebd., S. 2; sowie Janowski, „Ottocento“, in: Kapp, Italienische Literaturgeschichte, hier S. 276. 125 Lukenda, Erinnerungsorte des Risorgimento, S. 27. Vgl. auch ebd., S. 56 ff. 126 Vgl. ebd., S. 62; sowie Janowski, „Ottocento“, in: Kapp, Italienische Literaturgeschichte, hier S. 278. 127 Vgl. Heidler, L’interpretazione della storia, S. 12; sowie ausführlich Lukenda, Erinnerungsorte des Risorgimento, S. 39, S. 64, S. 73. 128 Vgl. Heidler, L’interpretazione della storia, S. 9 f.

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gung und Enttäuschung ein, die den Rückzug der sogenannten „arte romantica impegnata“129 begründet.130 Das (literarische) Programm der italienischen Frühromantiker entwickelt sich weiter131 – wobei Skeptizismus, Pessimismus und Resignation den vorherigen Enthusiasmus und Aktionismus verdrängen. Romantisches Schaffen in Italien nach 1830 unterscheidet Dell’Aquila in radikale Formen säkularer Art, zu denen er unter anderem Mazzini, Carlo Pisacane und Giovanni Battista Niccolini zählt, rationalistisch-materialistische Ideen etwa eines Giacomo Leopardi, patriotisches Denken eines Berchets sowie sentimentale Einflüsse durch Grossi oder den frühen Gioacchino Prati. Dabei betont er das den Romanticismo nun prägende Paradox, durch die Hinwendung zum mystifizierenden Katholizismus, zu Mythen des Mittelalters und des Germanentums der ursprünglich angestrebten Modernisierung der Gesellschaft entgegenzuwirken und damit Gefahr zu laufen, einer reaktionären Politik in die Hände zu spielen.132 Dennoch kann die katalytische Wirkung des Romanticismo auf die italienische Einigung kaum unterschätzt werden, wie etwa Janowski betont: Im Unterschied zum deutschen und zum französischen Bürgertum, das mit Reformation und Revolution auf eine stolze emanzipatorische Tradition zurückblicken konnte, besaß die italienische Gesellschaft eine schmale, ängstliche und vorsichtige bürgerliche Elite, die niemals ernsthaft an den Privilegien von Adel und Klerus gerüttelt hatte. Das neue schöpferische Element, das den geistigen und politischen Durchbruch des Risorgimento ermöglichte, war die Romantik.133

Mazzini selbst schließt ein Jahrzehnt später an die Übersetzungs- und Literaturkonzeption der Conciliatori an. In sein Quaderno V notiert er in jungen Jahren bereits: „La letteratura dei Classicisti è come la torre di Pisa; e minaccia rovina.“134 Bschleipfer/Schwarze heben hervor, dass Mazzini derjenige sei, […] der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts besonders vehement nicht nur für die europäische Öffnung Italiens eintritt und die Übersetzung nachdrücklich dafür instrumentalisiert, sondern darüber hinaus den Gedanken einer transnationalen Kultur und Literatur (im Sinne von Goethes Konzept der Weltliteratur) propagiert […].135 129 Ebd., S. 12. 130 Vgl. zum Ende des Historienromans und damit einhergehend der „Entzauberung nationaler Mythen“ Lukenda, Erinnerungsorte des Risorgimento, S. 242 f. 131 Vgl. Dell’Aquila, Primo romanticismo, S. 76. 132 Vgl. ebd., S. 77 f. 133 Janowski, „Ottocento“, in: Kapp, Italienische Literaturgeschichte, hier S. 255. 134 Mazzini, Giuseppe: „Quaderno V“, in: Arturo Codignola/Maria Luisa Trebiliani/Lucrezia Zappia (Hgg.): SEI, Nuova Serie, Bd. III, Zibaldone Giovanile, Bd. III, Imola 1981 (folgend: SEI, Zibaldone Giovanile, Bd. III), S. 273. 135 Bschleipfer/Schwarze, „196. Übersetzungstheorie und Übersetzungskritik“, in: Kittel et al., Übersetzung – Translation – Traduction, hier S. 1954. Goethe erfährt 1818 durch Gaetano Cattaneo von dem in Italien zwischen Klassizisten und Romantikern geführten Streit und dem Interesse der dortigen Romantiker an der Entwicklung in Deutschland, was er wie folgt kommentiert: „Da bei uns der Streit, wenn es irgend einer ist, mehr praktisch als theoretisch geführt wird, da unsere romantischen Dichter und Schriftsteller die Mitwelt für sich haben und es ihnen weder an Verlegern noch Lesern fehlt, da wir über die ersten Schwankungen des Gegensatzes längst hinaus sind und beide Theile sich schon zu verständigen anfangen, so können wir mit Beruhigung

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Im Hinblick auf die transnationale Ausrichtung von Mazzinis Übersetzungsprojekt betonen die beiden Autoren nicht nur den Anspruch kultureller Erneuerung durch Übersetzung, sondern gerade auch die politische Dimension derselben, „denn Freiheit und Unabhängigkeit Italiens sind für Mazzini aufs Engste gekoppelt an den kulturellen Austausch und die politisch-gesellschaftliche Emanzipation aller europäischen Nationen“136.

2.2.2 Mazzini und der Romanticismo: Kritik an einer unvollendeten Epoche und engagierte (National-)Literatur Auch wenn Mazzini sich ab Mitte der 1830er Jahre vermehrt auf seine politischen Aktivitäten konzentriert,137 sodass seine (eigenen) literarischen bzw. literaturkritischen Ambitionen, die er seit früher Jugend auch mit Blick auf seine angestrebte Berufslaufbahn hegt,138 in den Hintergrund rücken, ist der Einfluss von Literatur auf die Ausbildung seiner politischen Ideen nicht von der Hand zu weisen.139 Mazzini erprobt sich sogar selbst in dem Entwurf eines literarischen Werks zum Streit zwischen Klassizisten und Romantikern, alten, rückwärtsgewandten Akademikern und enthusiastischer, fortschrittsorientierter Jugend. Die „Due adunanze degli accademici pitagorici“ bleiben jedoch Fragment.140 Mazzini selbst bedauert die fast vollständige Aufgabe seiner literaturkritischen Tätigkeit, die sich hauptsächlich auf die Besprechung ausländischer Werke konzentriert, und bezeichnet diese als erstes Opfer für sein Vaterland.141 Den-

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zusehen, wenn das Feuer, das wir entzündet, nun über die Alpen zu lodern anfängt.“ (Goethe, Johann Wolfgang von: Goethes Werke (Weimarer Ausgabe), hrsg. im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen, Abt. 1–4, Weimar 1887–1919, hier: Abt. 1, Bd. 41, S. 133 f.) Zugleich macht Goethe den Unterschied zwischen den beiden romantischen Strömungen darin aus, dass die Italiener sich auf zeitgenössische Dichter und deren Werke konzentrieren. Bschleipfer/Schwarze, „196. Übersetzungstheorie und Übersetzungskritik“, in: Kittel et al., Übersetzung – Translation – Traduction, hier S. 1955. Vgl. Sorba, „Comunicare con il popolo“, in: Bayly/Biagini, Mazzini and the globalisation, hier S. 76; sowie Scattolin, Francesco: „Mazzini, letteratura e impegno civile“, in: Istituto per la storia del Risorgimento italiano (Hg.): Giuseppe Mazzini a duecento anni dalla nascita. Atti del convegno di studi, Treviso 2005, S. 94–106, hier S. 103. Vgl. Kapitel 2.1 der vorliegenden Arbeit. Vgl. Pirodda, Mazzini e gli scrittori democratici, S. 22; sowie Li Volsi, „Mazzini e le ideologie“, in: Istituto per la storia, Mazzini a duecento anni, hier S. 38, Fußnote 8. Li Volsi geht davon aus, dass Mazzini – wenn er sich weiterhin auf seine Kritikertätigkeiten konzentriert hätte – eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung der Literaturgeschichtsschreibung in Italien hätte spielen können. Vgl. Mazzini, Giuseppe: „Frammento d’un libro inedito intitolato Due adunanze degli accademici pitagorici“ (1839), in: SEI, Bd. XVI, Letteratura III, Imola 1913, S. 403–424. Das Fragment wird 1839 im Subalpino veröffentlicht und danach in der Italia del Popolo erneut publiziert. Vgl. Mazzini, Giuseppe: „Brief an Antonio Gabrini, 7.9.1846 (1090)“, in: SEI, Appendice, Epistolario VI, Imola 1943, S. 498–501, hier S. 499, Fußnote 1. Vgl. Mazzini, „Note autobiografiche“, in: SEI, Bd. LXXVII, Politica XXVI, hier S. 11.

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noch entsteht die Idee zur Biblioteca Drammatica als Bildungsprogramm durch Übersetzung im frühen Exil in der Schweiz und wird auch in London fortgeführt, wo Mazzini sich zudem der Publikation diverser, noch unveröffentlichter – teils fragmentarischer – Schriften Foscolos widmet.142 Außerdem zeigt er sich stets informiert im Hinblick auf literarische Entwicklungen in Europa, wie seine Korrespondenz, etwa mit seiner Mutter oder seiner englischen Übersetzerin Emilie A. Venturi (zuvor Hawkes), belegt. Es sei die Eile, in der er stets schreiben müsse, die eigenen Ambitionen entgegenstehe, verlange die Produktion herausragender literarischer Texte doch eine gewisse Ruhe.143 Dennoch zeigt sich Mazzinis poetisch-rhetorischer Anspruch auch in seinen politischen Schriften; „[…l]a sua brillante e prolifica penna diventa strumento di divulgazione, propaganda, educazione, cospirazione,“144 so Sagramola. In seiner Jugend sieht Mazzini sich als Romantiker und wird wesentlich von den Ideen der Bewegung geprägt, die er einerseits verteidigt, andererseits bereits früh kritisch betrachtet.145 Da konkrete politische Aktion im besetzten Italien schwer zu organisieren und umzusetzen ist, greifen er und seine Mitstreiter – wie auch ihre Vorgänger des Conciliatore – zunächst auf Literaturkritik zum Ausdruck ihrer revolutionären Ideen zurück.146 Mazzini selbst äußert sich hierzu wie folgt:

142 Vgl. ausführlich Scotti, Aureliana (Hg.): SEI, Nuova Serie, Bd. V, Zibaldone Mazzini e Foscolo, Imola 1997. Hierbei handelt es sich zum einem um die „Scritti politici inediti“ (1844), zum anderen um einen unvollendeten Kommentar Foscolos zu Dantes „Divina Commedia“. 1825 veröffentlicht Foscolo seinen „Discorso sul testo della Commedia di Dante“, muss jedoch die Arbeit daran wegen gesundheitlicher Probleme und anderweitiger Verpflichtungen aufgeben. Mazzini vervollständigt den Kommentar aus Notizen und Konzeptblättern nach dem Tod des Dichters, sodass zwischen 1842 und 1843 bei Rolandi vier Bände der „Commedia di Dante Alighieri illustrata da Ugo Foscolo“ erscheinen. Mazzini steckt viel Engagement und Mühe in den Erwerb verschiedener Manuskripte bei dem Londoner Buchhändler Pickering und anderen Verwandten sowie Freunden Foscolos in und außerhalb Italiens. Dennoch erntet er viel Kritik für seine Vervollständigung von Foscolos Dante-Kommentar (vgl. Capponi, Gino: „Brief an Rolandi, 1.2.1841“, in: Alessandro Carraresi [Hg.]: Lettere di Gino Capponi e di altri a lui, 1792–1876, Florenz 1887, Bd. 5, S. 65 f.; Bocchi, Andrea: „Mazzini e il commento foscoliano alla ‚Commedia‘“, in: Belfagor 5 [2007], S. 505–526, hier S. 519; sowie Federici, Gabriele: „L’edizione foscoliana della Commedia: Mazzini e Rolandi“, in: Otto/Novecento 3 [2008], S. 107–116, hier S. 114 f.). Zu Mazzinis Beschäftigung mit Foscolo in seinen Jugendjahren vgl. Mazzini, „Quaderno V“, in: SEI, Zibaldone Giovanile, Bd. III, hier S. 218 ff., S. 267 ff.; Sagramola, Mazzini nel Risorgimento italiano, S. 128 f.; sowie Nencioni, Enrico [1884]: Gli scritti letterari di Giuseppe Mazzini, https://www. liberliber.it/mediateca/libri/n/nencioni/gli_scritti_letterari/pdf/nencioni_gli_ scritti _letterari. pdf [29.3.2017], S. 1–34, hier S. 5, der bereits 1884 moniert, dass Mazzini zu sehr als Politiker und zu wenig als Literaturkritiker gesehen werde. 143 Vgl. Mazzini, Giuseppe: „Briefe an die Mutter, 10.12.1834 (DXVII)“, S. 241–244, hier S. 243; sowie „23.12.1834 (DXXII)“, S. 254–255, hier S. 254 f.; beide in: SEI, Bd. X, Epistolario III, Imola 1911. 144 Sagramola, Mazzini nel Risorgimento italiano, S. 44. 145 Vgl. Fournier Finocchiaro, Giuseppe Mazzini, S. 9. 146 Vgl. ebd., S. 10; sowie ausführlich Kapitel 3 der vorliegenden Arbeit.

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La via dell’azione a ogni modo era chiusa; e la questione letteraria mi parve campo ad aprirmela quando che fosse. […] Per noi l’indipendenza in fatto di Letteratura non era se non il primo passo a ben altra indipendenza: una chiamata ai giovani perché ispirassero la loro alla vita segreta che fermentava giù giù nelle viscere dell’Italia. Sapevamo che tra quelle due vite essi avrebbero incontrato la doppia tirannide straniera e domestica e si sarebbero ribellati dall’una e dall’altra.147

Zeitschriften fungieren wiederum als Sprachrohr der jungen Erneuerer. Die Wahl der Gruppe um Mazzini und die Brüder Ruffini in Genua fällt auf den Indicatore Genovese Luigi Pontheniers, ein bis dato eher konservatives Handelsblatt mit einem Anhang zu Buchneuerscheinungen und Theaterkritiken.148. Dort publiziert Mazzini bereits im Jahr 1828 15 Artikel im Dienste romantischer Polemik gegen den Klassizismus.149 Seine dort nur mit „G. M.“ signierten oder auch anonym veröffentlichten Artikel wecken das Interesse Giovan Pietro Vieusseux’ als Herausgeber der Antologia, der in Erfahrung zu bringen versucht, wer sich hinter dem Pseudonym verbirgt. Besonders beeindruckt zeigt sich Vieusseux von Mazzinis Aufsatz zur Romantikkritik Carlo Bottas150, den er nach dessen Erscheinen im Juli 1828 nachdruckt.151 Bereits in diesem frühen Artikel zur Verteidigung des Romanticismo legt Mazzini dar, dass Genie nicht länderspezifisch, sondern europäisch sei. Zudem begegnet er hier dem Vorwurf eines Vaterlandsverrats, den Klassizisten häufig gegenüber Romantikern äußern, da diese sich gegen die Traditionen ihrer Heimat auflehnen und sie damit ihrer Identität berauben würden:152

147 Mazzini, „Note autobiografiche“, in: SEI, Bd. LXXVII, Politica XXVI, hier S. 11 f. Vgl. auch Mastellone, Salvo: La democrazia etica di Mazzini (1837–1847), Rom 2000, S. 133 ff. 148 Vgl. Scirocco, L’Italia del Risorgimento, S. 177; sowie Della Peruta, Mazzini e i rivoluzionari italiani, S. 12 f. 149 Vgl. Sagramola, Mazzini nel Risorgimento italiano, S. 46; Scattolin, „Mazzini, letteratura“, in: Istituto per la storia, Mazzini a duecento anni, hier S. 94; sowie Fournier Finocchiaro, Giuseppe Mazzini, S. 14. 150 Vgl. Mazzini, Giuseppe: „Carlo Botta, e i romantici“ (1828), in: SEI, Bd. I, Letteratura I, Imola 1906, S. 63–66; sowie Armani, Giuseppe: „A proposito di una polemica tra Giovanni Paradisi e Carlo Botta sulla ‚Storia d’Italia dal 1789 al 1814‘“, in: Istituto per la storia del Risorgimento italiano (Hg.): Mazzini e i repubblicani italiani. Studi in onore di Terenzio Grandi nel suo 92° compleanno, Turin 1976, S. 3–13, hier S. 11 ff. 151 Vgl. Ferraris, Letteratura e impegno civile, S. 166 ff. 152 Vgl. Schwarze, „Il doppio genio …“, in: Dizdar/Gipper/Schreiber, Nationenbildung und Übersetzung, hier S. 75. Wegen der Zersplitterung des Landes und der Fremdherrschaft in den einzelnen Staaten spielt das Neuitalienische als Sprache eine wesentliche Rolle als identitätsbildender Faktor. Die neue ästhetische Ausrichtung mit einer Öffnung für moderne Fremdsprachen beinhaltet für die Klassizisten die Gefahr einer Instabilität und damit einer Schwächung der italienischen Sprache. Die Romantiker argumentieren dagegen, dass die Verbreitung des Italienischen insbesondere durch neue Literatur gefestigt werden könne. Gerade die Auseinandersetzung mit dem Fremden bewirke hier auch eine Rückbesinnung auf eigene Traditionen und neue Anschlussmöglichkeiten an diese, sodass Innovationen durch das Fremde durchaus auch das Eigene stabilisieren und das Nationalgefühl stärken könnten (vgl. Cotrone, Romanticismo italiano, S. 10; Serianni, Storia della lingua italiana, S. 9 f.; Salvatorelli, Pensiero e azione, S. 42; sowie das Einleitungskapitel der vorliegenden Arbeit, vor allem Abschnitt 1.1.1).

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[…] allora profusero ingiurie, e chiamarono i Romantici traditori della patria, ragazzacci, e mostri del Nord, finché, esausto il dizionario delle loro gentilezze, si tacquero, e, giova sperarlo, per sempre.153

Und weiter an anderer Stelle: […] gli uomini a’ quali il vero è fine, la natura, ed il cuore son mezzi; che trasportano il genio per vie non corrotte della imitazione, non guaste dalle servilità de’ precetti; […] questi uomini non tradiscon la patria; non sono vili schiavi delle idee forestiere. Essi vogliono dare all’Italia una letteratura originale, nazionale, una letteratura, che non sia un suono di musica fuggitivo, che ti molce l’orecchio, e trapassa; ma una interprete eloquente degli affetti, delle idee, dei bisogni, e del movimento sociale.154

Vieusseux’ enger Vertrauter und Mitarbeiter Niccolò Tommaseo zeigt sich angetan ob des vermeintlich unbekannten Autors und greift in seiner eigenen Rezension zu „La battaglia di Benevento“ Francesco Domenico Guerrazzis im August 1828 Mazzinis bereits im Indicatore Genovese anonym erschienene Besprechung des Werks als Anhang auf. Im Jahr 1829 veröffentlicht die Antologia schließlich Mazzinis Aufsatz „D’una letteratura europea“.155 Von diesem Zeitpunkt an besteht eine enge Verbindung zwischen Mazzini und der Florentiner Zeitschrift bis zu deren Schließung im Jahr 1833.156 Mazzinis Literaturkritiken werden stets schärfer und kritischer in Ton sowie Inhalt und ziehen so die verstärkte Aufmerksamkeit der Zensurbehörden auf sich. Auf diese geht schließlich auch das Verbot des Indicatore Genovese zurück. Als Mazzini und seine Mitstreiter Ende 1828 die Zeitschrift zu einer rein literaturkritischen Publikation umzugestalten beabsichtigen, erhalten sie als negative Antwort „un decreto di soppressione del periodico“157. Nach dem Verbot des Indicatore Genovese im Dezember 1828 publiziert Mazzini im Folgenden im Indicatore Livornese Guerrazzis, den dieser seit Anfang 1829 gemeinsam mit Carlo Bini herausgibt.158 Mazzini ist nicht nur im literarischen Kontext publizistisch tätig, sondern gründet im Laufe seines Lebens zudem zahlreiche politisch orientierte Zeitschriften, die unter anderem an seine politischen Organisationen, wie die Giovine Italia oder auch die Jeune Suisse, angegliedert sind, aber stets nach nur kurzer Erscheinungsdauer wieder eingestellt werden (müssen).159 153 Mazzini, „Saggio sopra alcune tendenze“, in: SEI, Bd. I, Letteratura I, hier S. 238. 154 Mazzini, „Carlo Botta“, in: SEI, Bd. I, Letteratura I, hier S. 65. Vgl. auch Mazzini, Giuseppe: „Prose di Salvatore Betti. Biblioteca scelta d’opere italiane, ecc.“ (1828), in: SEI, Bd. I, Letteratura I, Imola 1906, S. 89–103. 155 Vgl. hierzu ausführlich Kapitel 3.3.1.3.2 der vorliegenden Arbeit. 156 Vgl. Spadolini, L’idea d’Europa, S. 15 ff. 157 Sagramola, Mazzini nel Risorgimento italiano, S. 46 f. 158 Vgl. Fournier Finocchiaro, Giuseppe Mazzini, S. 21; sowie Pirodda, Mazzini e gli scrittori democratici, S. 10. 159 Da sich die vorliegende Arbeit vornehmlich auf Mazzinis Umgang mit Literatur und Übersetzung konzentriert, sei auf diese Zeitschriften nur verwiesen. Vgl. etwa Mazzini, Giuseppe: „Bollettino del Comitato Centrale della Giovine Europa al Comitato Centrale della Giovine Svizzera /

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Nach seiner pro-romantischen Phase in jungen Jahren gelangt Mazzini zu der Überzeugung, dass die Romantik ihrem Erneuerungsanspruch nicht genügt hat.160 Seine Einstellung ist nun nur noch insoweit romantisch, als er für eine Loslösung von Traditionen, antiken Formen und Regeln plädiert.161 Der Romanticismo nach 1830 markiere kulturell betrachtet – wie die Französische Revolution aus politischer Perspektive – nicht den Beginn eines neuen Zeitalters, sondern sei letzter Ausläufer einer vergangenen Epoche, so Mazzini:162 Le mouvement romantique n’a été qu’une tentative d’émancipation, rien de plus. On a détruit bien plutôt que fondé. L’originalité, l’inspiration nationale, l’inspiration européenne, protestèrent contre la légitimité des règles d’Aristote: mais quand elles eurent brisé leurs chaînes, elles se trouvèrent dans le vide.163

Mazzini erkennt in der Romantik zwar erste positive Entwicklungen in die von ihm intendierte Richtung einer politisch engagierten, sozialen, innovativen Literatur.164 Es sei nach einer ersten belebenden Phase jedoch nicht gelungen, angestoßene Neuerungen bis zum Ende durchzusetzen und eine neue italienische Nationalliteratur zu begründen. Nach anfänglichem Enthusiasmus seien literarische Werke nun von Pessimismus sowie Resignation geprägt – und können damit nicht als Vorbild für eine neue (Dichter-)Generation in Italien fungieren.165 Deshalb stellt die Entwicklung einer neuen Literatur eine noch immer drängende Aufgabe dar – was nicht nur für Italien gilt: Di terra in terra, da un termine all’altro d’Europa, il rivolgimento romantico si diffuse, s’ordinò pe’ giornali, invase i teatri, s’aiutò di traduzioni, armeggiò ad epigrammi, si compose a più solenne disfida ne’ libri de’ condottieri. Ma il guanto non fu raccolto […]. La letteratura servile de’ classicisti è spenta, spenta irrevocabilmente e dovunque. Ma dov’è la nuova? La letteratura promessa? Dov’è la potenza di creazione che dovea sopravvivere a que’ Grandi e diffondersi da’ loro sepolcri a benedire d’ispirazioni e d’affetti la crescente generazione? […] La dottrina romantica è dottrina d’individualità: quindi, potente a distruggere le vecchie tirannidi letterarie, impotente a fondare una nuova letteratura.166

Wie bereits aus diesem Zitat ersichtlich, wirft Mazzini dem Romanticismo – neben der mangelnden Durchsetzung seines Erneuerungsanspruchs – vor, indivi-

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Bulletin du Comité Central de la Jeune Europe au Comité Central de la Jeune Suisse“ (1834), in: SEI, Bd. IV, Politica III, Imola 1908, S. 185–206; sowie Scirocco, L’Italia del Risorgimento, S. 180. Vgl. Mazzini, „Due adunanze“, in: SEI, Bd. XVI, Letteratura III, hier S. 416. Vgl. Mazzini, Giuseppe: „Potenze intellettuali contemporanee. Vittore Hugo“ (1836), in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, Imola 1910, S. 239–259, hier S. 252; sowie Bersa, „Arte e azione“, in: Il Pensiero Mazziniano 2 (2006), hier S. 12. Vgl. Mazzini, Giuseppe: „Prefazione di un periodico letterario (L’Italiano)“ (1836), in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, Imola 1910, S. 81–104, hier S. 94 ff.; sowie Pirodda, Mazzini e gli scrittori democratici, S. 26. Mazzini, Giuseppe: „Poesia – Arte / Poésie – Art“ (1837), in: SEI, Bd. XXI, Letteratura IV, Imola 1915, S. 19–30, hier S. 20 f. Vgl. Mazzini, „Prefazione di un periodico letterario“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 21. Vgl. Mazzini, „Saggio sopra alcune tendenze“, in: SEI, Bd. I, Letteratura I, hier S. 236. Mazzini, „Prefazione di un periodico letterario“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 90 ff.

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dualistisch und materialistisch ausgerichtet geblieben zu sein.167 Es mangele den Werken durch ihre partikularistische Fokussierung an Weit- und Überblick, sodass die Romantik die Begründung einer wirklich neuen Literatur verfehle, da sie nicht auf die Menschheit als Kollektiv bzw. als Gemeinschaft, sondern das Individuum konzentriert sei.168 Eine engagierte Literatur im Dienste kulturell-politischer Erneuerung, geschaffen durch den poeta engagée169, muss eine Verbindung zwischen Kunst und sozialpolitischer Realität herstellen. Dass Kunst nur den Eliten vorbehalten ist, stellt einen der größten Kritikpunkte Mazzinis am klassizistischen Modell dar.170 Kunst erfüllt in seiner Konzeption die Aufgabe, to create an emotional flux of shared sentiments and passions that would in turn inspire Italian patriots and bind them with one another, creating in their souls a ‚redoubling of energy‘, and helping them to fight the wickedness of the world,171

wie Sorba zusammenfasst. Die Vereinigung Europas bzw. der Menschheit bildet hierbei das finale Ziel humanitärer Entwicklung, das sich als transnationale Idee eines zukünftigen Zeitalters in allen Nationalliteraturen artikuliere und folglich auf eine europäische Tendenz hinweise.172 Die neue Art von Nationaldichtung befreie sich, so Mazzini, von alten Modellen, Normen sowie Formen und sei innovativer Ausdruck von Volkes Wille, in dessen Dienst der Dichter stehe. Dieser spüre diesen Willen und verleihe damit den Bedürfnissen sowie Gefühlen des Volks Ausdruck: La poesia nazionale, – e per nazionale intendo quella che non è inceppata da forme prestabilite, guasta e inservilita dall’imitazione esclusiva d’una scuola, e dall’arti poetiche coniate da un uomo, 167 Li Volsi bezeichnet die Romantik als Epoche, in der „l’individuo perde il proprio primato a vantaggio del popolo, della stirpe, della razza e di quell’infinito che sente dentro di sé“ (Li Volsi, „Mazzini e le ideologie“, in: Istituto per la storia, Mazzini a duecento anni, hier S. 41). So macht er etwa einen Einfluss Fichtes, Kants und Hegels auf Mazzini aus (vgl. ebd., hier S. 41 ff.). Vgl. zur Romantikkritik Mazzinis, die ihm insbesondere als Mittel der Abgrenzung gegenüber Frankreich dient, ausführlich 3.3.2.1 der vorliegenden Arbeit. 168 Vgl. Mazzini, Giuseppe: „Brief an Charles Didier, November 1832 (LXVII)“, in: SEI, Bd.  V, Epistolario I, Imola 1909, S. 192–197, hier S. 195; sowie Mazzini, „Italian Literature“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 314. Siehe zum „Assoziationsideal“ des politischen Messianismus im 19. Jahrhundert in Abgrenzung zum Individualismus des 18. Jahrhunderts Talmon, Jacob L.: Die Geschichte der totalitären Demokratie. Bd. II, Politischer Messianismus: Die romantische Phase, Göttingen/Bristol (USA) 2013, S. 21 ff. 169 Vgl. Ossani, Anna T.: Letteratura e politica in Giuseppe Mazzini, Urbino 1973, S. 128: „L’affermazione della socialità dell’arte se vuole essere un superamento delle posizioni romantiche è, anche e soprattutto, la scoperta della necessità di un collegamento tra l’arte e la vita politica, da cui nascerà la figura del poeta engagée.“ 170 Vgl. Mazzini, Giuseppe: „Storia letteraria“ (1836), in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, Imola 1910, S. 107–116, hier S. 108. 171 Sorba, „Comunicare con il popolo“, in: Bayly/Biagini, Mazzini and the globalisation, hier S. 87. 172 Vgl. Mazzini, Giuseppe: „Pensieri. Ai poeti del secolo XIX“ (1832), in: SEI, Bd. I, Letteratura I, Imola 1906, S. 349–374, hier S. 353. Mazzini verwendet die Termini „Menschheit“ und „Europa“ meist als Synonyme. Vgl. hierzu auch Kapitel 3.3.2.3.2 der vorliegenden Arbeit.

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o da un’accademia a perpetuo codice degl’ingegni avvenire, ma sgorga libera e ingenua dalle viscere della nazione, – è alito del popolo, lo specchio in cui si riflette, più che altrove, il pensiero, l’idea che quel popolo è chiamato a svolgere e rappresentare nella storia dell’Umanità; perché il poeta, dove non è l’eletto del principe, dove la cortigianeria non gli profana la musa, è l’eletto del popolo, il figlio del popolo; e v’è un eco nell’anima sua per le gioie, pei dolori, e per gli affetti dei milioni; egli è un uomo cacciato a interprete dei voti, delle impressioni, delle credenze che vivono nel cuore delle generazioni e non passano inosservate se non perché agli altri manca la potenza d’espressioni, e d’immagini che a lui fu data.173

Die wirkungsvollste Form von Literatur im Zuge kulturell-politischer Erneuerung stellt für die Gruppe um Mazzini, wie zuvor bereits etwa für Friedrich Schiller, Mme de Staël und die Conciliatori,174 das Drama als Genre „più perfetto e utile alla pubblica educazione“175 dar. Diese Idee zu einer Bildung der Bevölkerung über Literatur beeinflusst die jungen Revolutionäre nicht nur wegen ihrer Originalität, sondern gerade auch wegen ihres über den Bereich der Literatur hinausreichenden politischen Potenzials.176 Die Kritik, die Mazzini an der romantischen Literatur übt, trifft jedoch nicht nur seine Heimat. Er setzt sich in diversen literaturkommentierenden Aufsätzen darüber hinaus mit verschiedenen Werken und Autoren aus dem Ausland auseinander.177 Vor allem die französische Literatur und deren Hauptrepräsentanten gelten Mazzini als Anschauungsmaterial für seine romantikkritischen Thesen – womit er sich von der Übermacht Frankreichs abzugrenzen versucht.178 Neben Victor Hugo wirft Mazzini etwa auch Alphonse de Lamartine Verharrung im Individualismus und Verkennung einer kollektiven Mission vor:179 „Neither the one 173 Mazzini, Giuseppe: „Cheskian Anthology, ecc. Letteratura poetica della Boemia. Opera di Giovanni Bowring, Londra 1832“ (1833), in: SEI, Bd. I, Letteratura I, Imola 1906, S. 377–381, hier S. 378. Vgl. zudem Pirodda, Mazzini e gli scrittori democratici, S. 24. 174 Vgl. Raimondi, Romanticismo italiano, S. 47. 175 Staël, „Sulla maniera e la utilità“, in: Calcaterra, Manifesti romantici, hier S. 91. 176 Vgl. Pirodda, Mazzini e gli scrittori democratici, S. 14. 177 Vgl. Mazzini, „Italian Literature“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 293. Die Kritik in Bezug auf Partikularismus, Fragmentarismus und ein fehlendes übergreifendes, verbindendes Konzept übt Mazzini auch im Hinblick auf historische Persönlichkeiten. Vgl. hierzu etwa Mazzini, Giuseppe: „Paolo Sarpi“ (1838), in: SEI, Bd. XVI, Letteratura III, Imola 1913. S. 97–247. 178 Vgl. Mazzini, „Potenze intellettuali“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 240 ff. 179 Vgl. Mazzini, Giuseppe: „La chute d’un ange; Episode (The fall of an angel, an Episode). Par M. Alphonse de Lamartine. Paris: 1838“ (1839), in: SEI, Bd. XVI, Letteratura III, Imola 1913, S. 293– 400. Auch George Sand, trotz ihrer sozialistischen Gesinnung Vertraute und politische Austauschpartnerin für Mazzini, erhält zwar Lob für die poetische Schönheit ihrer Werke, wird aber in Bezug auf den Bildungs- und Missionsaspekt von Literatur scharf von Mazzini kritisiert (vgl. Mazzini, Giuseppe: „Giorgio Sand/George Sand“ [1839], in: SEI, Bd. XXI, Letteratura IV, Imola 1915, S. 33–124, hier vor allem S. 38 ff., S. 85 f., S. 124). Auch das Werk über die Französische Revolution seines Freundes Thomas Carlyle kritisiert Mazzini, weil es sich nicht an die breite Bevölkerung richte und damit seinen Bildungsauftrag vernachlässige. Damit missachte Carlyle zudem die Idee der Kollektivität als wesentliches Merkmal einer zukünftigen Epoche und bleibe ebenfalls dem Individualismus der Vergangenheit verhaftet (vgl. Mazzini, Giuseppe: „Storia della rivoluzione francese. Di T. Carlyle / The French Revolution. A History. By Thomas Carlyle“ [1840], in: SEI, Bd. XXI, Letteratura IV, Imola 1915, S. 127–183, hier v. a. S. 127, S. 141).

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nor the other is, as a religious-educator-poet, the poet of the future.“180 Napoleon für den politischen und Lord Byron für den poetischen Bereich gelten Mazzini als prototypische Vertreter des individualistischen Zeitalters. Diese müssen zwar als Größen der Vergangenheit geschätzt, ihnen darf allerdings nicht nachgeeifert werden. Angesichts Byrons Verdienst und seinem Tod im Freiheitskampf Griechenlands (1824) mag Mazzinis Urteil überraschen, scheint Byron doch einen politisch engagierten Dichter nach seinem Geschmack darzustellen. Byrons zwar mutige Helden sind allerdings stets einsame Figuren, eine Isolation, die Mazzini kritisch sieht, da nur das Individuum und gerade nicht ein Kollektiv im Fokus stehe, das jedoch das neue Zeitalter präge(n müsse).181 Mazzini folgert: „Napoleone cadde: Byron cadde. – Con Napoleone sfumò l’individualismo politico: con Byron l’individualismo poetico.“182 Für die Begründung einer neuen Literatur verweist Mazzini dagegen auf den polnischen Dichter Adam Mickiewicz sowie Friedrich Schiller als Vorbilder. Schiller sieht Mazzini als „Dichter der Freundschaft, der menschlichen Verbrüderung, des Freiheitsgedankens“183. Wie die folgende Untersuchung der Biblioteca Drammatica zeigen wird, beeinflusst Schiller mit seinen humanitären und poetischen Idealen Mazzinis translatorisches Handeln wesentlich. Mickiewicz und Mazzini stehen sich durch die Verbindung von religiösen und revolutionären Ideen in ihrem Denken nahe.184 In Mickiewicz meint Mazzini das Ideal seines politisch engagierten Dichters zu erkennen, der als Vermittler und Führungsfigur dem Volk so nah als möglich ist.185 Mickiewicz stelle sich in den Dienst des polnischen Volks, überwinde damit die individualistische Haltung seiner literarischen Zeitgenossen und prophezeie Polen eine Zukunft als emanzipiertes Land sowie auserwähltes Volk im Rahmen einer göttlichen Mission zum Wohle der gesamten Menschheit.186 Damit nehme der polnische Dichter in der li180 Mazzini, „La chute“, in: SEI, Bd. XVI, Letteratura III, hier S. 375. 181 Vgl. Mazzini, Giuseppe: „Articolo premesso alla versione italiana del Chatterton di Alfredo di Vigny“ (1835), in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, Imola 1910, S. 65–78, hier S. 73. 182 Mazzini, „Pensieri“, in: SEI, Bd. I, Letteratura I, hier S. 359. 183 Mayer, Weltliteratur, S. 193. 184 Vgl. Fournier Finocchiaro, Laura: „Cultura francese e cultura polacca in Giuseppe Mazzini“, in: Kwartalnik Neofilologiczny, Polska Akademia Nauk LXIII 2 (2016), S. 176–186, hier S. 179; Talmon, Politischer Messianismus, S. 299 ff.; sowie insbesondere Kapitel 3.3.3 der vorliegenden Arbeit. 185 Vgl. Mazzini, Giuseppe: „Brief an die Mutter, 18.11.1834 (DVI)“, in: SEI, Bd. X, Epistolario III, Imola 1911, S. 213–216, hier S. 215. 186 Vgl. Mazzini, Giuseppe: „Adamo Mickiewicz“ (1838), in: SEI, Bd. XCIV, Letteratura e appendice agli scritti politici, Imola 1943, S. 3–43, hier S. 5; sowie Sullam, Simon Levis: „Fate della rivoluzione una religione. Aspetti del nazionalismo mazziniano come religione politica (1831–1835)“, in: Società e Storia 106 (2004), S. 705–730, hier S. 716 f. Vgl. zur auf das Alte Testament zurückgehenden Tradition eines berufenen, von Gott auserwählten Volks, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts nicht nur in Polen und Italien bemüht wird, Wight, „Four seminal thinkers“, in: Oxford Scholarship Online, hier S. 7; Gioberti, Vincenzo: Del primato morale e civile degli italiani, Lausanne 1845, S. LXVII f.; Sofia, Francesca: „Le fonti bibliche nel primato italiano di Vincenzo

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terarischen Landschaft des 19. Jahrhunderts eine Sonderrolle ein. Im Gegensatz zu den Größen seiner Zeit versinke er nicht in Resignation und Verzweiflung, sondern bewahre sich seinen Glauben an die Menschheit: He has struggled against all that torments the people of the nineteenth century – a century of individuality, of pride, of ambition, of doubt. He has struggled like Byron, like Goethe, like all the master minds who just preceded him on the scene; but more happy than the former, he has not been carried off by death, at the moment wherein doubt, giving way to action, disappeared from before him; stronger in heart than the latter, he has not left in the struggle his human sympathies, in order to end in indifference and impassibility.187

Mickiewicz begründe eine neue, genuin polnische Nationalliteratur durch die Vollendung romantischer Ansätze und unter Zuhilfenahme literarischer Traditionen sowie seiner patriotischen Haltung, sodass sich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu einem Kontinuum verbinden: […] he considered the literary movement – the intermediate one between the poetical birth of the nation and the present time – to be yet undisturbed: he interrogated the ancient reminiscences, the primitive legends, the popular traditions, with all that treasure of natural and religious poetry, so often neglected, which is always found at the cradle of every nation destined to fulfil a special mission. To this work of poetical reconstruction, he brought no teachers, except his genius and his fervid patriotism. Therefore did he succeed: and his success, we repeat, is not only an individual triumph, but a token of nationality – a triumph for all.188

Mazzini versucht sich aus Verehrung des polnischen Dichters an einer Übersetzung von Mickiewicz’ Gedicht „Do Matki Polki“, zu Deutsch „An die Mutter Polin“, ins Italienische unter dem Titel „Alla madre polacca“. Die Prosaübersetzung des Gedichts lässt er seiner Mutter in einem Brief zukommen, in dem er auch seine Bewunderung für Mickiewicz  – von ihm als religiöser Dichter beschrieben – zum Ausdruck bringt sowie ihrer beider Exildasein als Verbindungspunkt inszeniert.189 Im Gegensatz zu den „offiziellen“ Übersetzungen im Rahmen der Biblioteca Drammatica, die für eine Veröffentlichung bestimmt sind, zieht Mazzini im Falle von „Alla madre polacca“ keinen Muttersprachler hinzu, um das Original „richtig“ verstehen und eine qualitativ hochwertige Übersetzung anfertigen zu können.190 Er greift dagegen auf eine französische Übersetzung von Mickie-

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Gioberti“, in: Società e Storia 106 (2004), S. 747–762; Sullam, „The Moses of Italian unity“, in: Bayly/Biagini, Mazzini and the globalisation, hier S. 107 f.; sowie Li Volsi, „Mazzini e le ideologie“, in: Istituto per la storia, Mazzini a duecento anni, hier S. 35 ff. Mazzini, „Adamo Mickiewicz“, in: SEI, Bd. XCIV, Letteratura e appendice, hier S. 19. Ebd., hier S. 10. Vgl. Mazzini, Giuseppe: „Brief an die Mutter, 5.8.1836 (DCCCIII)“, in: SEI, Bd. XII, Epistolario V, Imola 1912, S. 6–9, hier S. 7 f. Mazzinis Übersetzung des Gedichts wird von Carlo Cagnacci in „Giuseppe Mazzini e i fratelli Ruffini: Lettere raccolte e annotate“ 1893 veröffentlicht (siehe dort S. 498 ff.). Vgl. auch Mazzini, Maria: „Briefe an den Sohn, 13.8.1836 (163)“, S. 327; sowie „15.8.1836 (164)“, S. 330; beide in: Gallo, Sofia/Melossi, Enrica (Hgg.): SEI, Appendice, Bd. VII. Lettere a Giuseppe Mazzini, Bd. I. Lettere di familiari ed amici 1834–1839, Imola 1986 (folgend: SEI, Lettere a Giuseppe Mazzini, Bd. I); und Fournier Finocchiaro, „Cultura francese e cultura polacca“, in: Kwartalnik Neofilologiczny LXIII 2 (2016), hier S. 180. Vgl. Kapitel 3.3, insbesondere 3.3.3, der vorliegenden Arbeit.

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wicz’ Gedicht zurück, die 1833 anonym in der Pariser Zeitschrift Le Polonais erscheint.191 Welche Intermediärübersetzung Mazzini seiner italienischen Version zugrundelegt, lässt sich anhand der Treue gegenüber dieser französischen Variante eindeutig festmachen, die jedoch gegenüber dem polnischen Original einige Abweichungen bzw. interpretatorische Freiheiten aufweist.192 Mazzini nimmt nur geringfügige Änderungen vor, die an dieser Stelle als erste Verweise auf sein mit der Biblioteca Drammatica verfolgtes Ziel einer Erneuerung Italiens erörtert werden sollen. So hebt er etwa gegenüber der französischen Übersetzung das Martyrium stärker hervor.193 In seiner Vorlage heißt es: […] ton fils, réservé pour des dangers sans gloire, subira le martyre; mais obscurément, sans récompense, sans voir ses vœux exaucés. (282)194 Bei Mazzini lautet die Stelle wie folgt: […] tuo figlio, serbato a pericoli senza gloria, sarà martire oscuro, d’un martirio senza premio, e senza conforto, perch’ei non vedrà esaudito il suo voto. (7)195 Bereits durch die doppelte Verwendung von „Märtyrer“ bzw. „Martyrium“ setzt Mazzini einen Akzent. Seine Hinzunahme von „senza conforto“ verstärkt zudem das Ausmaß dieser Opferbereitschaft. Durch den direkten kausalen Anschluss wird darüber hinaus noch einmal deutlicher auf den Grund für das Leid, die Nichterfüllung des Wunsches, verwiesen. In Mazzinis Übersetzung lässt sich zudem ein Hinweis auf eine religiöse Auslegung ausländischer Werke finden, die sich auch in den Texten der Biblioteca Drammatica zeigt:196 Das französische planter l’étendard sur les murs de Solyme (282) expliziert er zu piantare lo stendardo della sua fede sulle mura di Solima (8). Außerdem wird an einer Stelle seiner Übersetzung Mazzinis Überzeugung sichtbar, der zufolge eine Erneuerung seiner Heimat nur über Bildung erreicht werden kann: Während der französische Übersetzer schreibt: Eh bien! que d’avance il s’habitue aux cavernes sombres, aux vapeurs humides et malfaisantes; qu’il voie ramper et s’agiter autour de sa couche les reptiles des marais; qu’il apprenne à cacher ses douleurs comme ses joies; que sa pensée soit impénétrable […] (282), verweist Mazzini explizit auf den Vorgang einer educazione, zu der er die Mutter direkt auffordert und ihr damit eine besondere Verantwortung zuschreibt. Gleichzeitig offenbart er die Bedeutung der Jugend für sein Revolutionsprojekt: E sia! avvezzalo ne’ suoi primi anni di gioventù alle scure caverne, agli umidi vapori insalubri; ch’ei veda 191 Vgl. Mickiewicz, Adam: „La mère polonaise, par Mickiewicz. Traduction inédite“, in: Le Polonais, journal des intérêts de la Pologne, Tome premier, Paris: Juli–Dezember 1833, S. 282–283. 192 Vgl. Mickiewicz, Adam [1830]: „An die Mutter Polin“, übs. v. Helene Lahr/Karl Dedecius, in: Adam Mickiewicz. Dichtung und Prosa. Ein Lesebuch von Karl Dedecius, Frankfurt/Main 1994, S. 256–257. 193 Vgl. zum Martyrium als Handlungsmodell bei Mazzini Kapitel 3.3.1.2 der vorliegenden Arbeit. 194 Hier und im Folgenden zitiert nach Mickiewicz, „La mère polonaise“, in: Le Polonais, Juli–Dezember 1833 mit der entsprechenden Seitenangabe in Klammern im Fließtext. Hervorhebungen gehen auf mich zurück. 195 Hier und im Folgenden zitiert nach Mazzini, „Brief an die Mutter, 5.8.1836“, in: SEI, Bd. XII, Epistolario V mit der jeweiligen Seitenangabe im Fließtext. Hervorhebungen gehen auf mich zurück. 196 Siehe ausführlich Kapitel 3.3.3.2 der vorliegenden Arbeit.

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strisciare e agitarsi d’intorno al suo letto i rettili delle paludi: impari a nascondere i dolori e le gioie; e il suo pensiero s’educhi impenetrabile […]. (7 f.) Über die Gründe für die Änderungen gegenüber Mickiewicz’ selbst zu reflektieren und diese zu hinterfragen, ist im Falle von „An die Mutter Polin“ wegen Mazzinis Rückgriff auf und Orientierung an der genannten Intermediärübersetzung im Hinblick auf sein eigenes translatorisches Handeln wenig erkenntnisreich. Warum Mazzini sich für Mickiewicz’ Gedicht interessiert, lässt sich dagegen an den in der Übersetzungskommentierung bereits angedeuteten Aspekten festmachen, die Mazzini für sein Nationbildungsprojekt heranzieht: Zum einen stellt der polnische Dichter selbst, wie gesehen, für Mazzini ein großes Vorbild dar im Hinblick auf sein Anliegen der Begründung einer italienischen Nationalliteratur durch politisch engagierte Poeten, auf seinen (religiösen) Patriotismus und sein zugleich europäisches Denken. Zum anderen beschwört das Gedicht das Martyrium und die Bereitschaft, im Kampf für die eigene Heimat Leid und Qualen auf sich zu nehmen, auch wenn sie nicht direkt im Anschluss belohnt werden, da der Befreiungskampf ein langwieriger Prozess ist, der auch bei Rückschlägen und harten Niederlagen nicht aufgegeben werden darf. Pathetisch wird die Nation als Mutter beschworen; für die Begründung von Identität und gemeinsamen Werten rekurriert Mickiewicz einerseits auf die Vergangenheit und evoziert andererseits eine Zukunft der Revolution. Die Mutter ist folglich sowohl als Nation zu interpretieren, für die ein Zugehörigkeitsgefühl aufgrund ihrer Zerrissenheit durch die Besatzung von Fremdmächten erst noch entwickelt bzw. „anerzogen“ werden muss, als auch als Erziehungsinstanz im engeren Sinne zu sehen.197 Sie wird mit der Mutter Gottes verglichen, die Jesus auf den Opfertod vorbereitet habe. Da dem Revolutionär jedoch keine Auferstehung versprochen werden könne, müsse seine Mutter ihn auf das schlimmste Leid bzw. den Tod (für eine höhere Sache) vorbereiten. Auch wenn das Gedicht von einer tiefen Hoffnungslosigkeit geprägt scheint, so entwickelt Mickiewicz aus der aussichtslosen Lage die Idee eines auserwählten Volks, das wie Christus – zunächst besiegt – doch noch auferstehen und siegreich sein werde.198 „An die Mutter Polin“ bietet Mazzini so eine breitgefächerte Projektionsfläche für seine (bildungs-)politischen Ambitionen. Im Gegensatz zu der bis zu seinem Tod andauernden Bewunderung Schillers erleidet die hohe Wertschätzung Mickiewicz’ Risse, als dieser beginnt, die nationale Sache Polens mit dem Schicksal des Papsttums zu verknüpfen. Der polnische Dichter hofft nun auf ein einheitliches Christentum als Ankündigung von und 197 Vgl. ausführlich 3.3.1.3 der vorliegenden Arbeit. 198 Vgl. Choluj, Bozena: „Reproduktion oder Dekonstruktion der nationalen Stereotype beim Vergleich literarischer Texte in bikulturellen Seminaren“, in: Manfred Schmeling/Michael Veith (Hgg.): Universitäten in europäischen Grenzräumen. Konzepte und Praxisfelder. Universités et frontières en Europe. Concepts et pratiques, Bielefeld 2005, S. 241–250, hier S. 244 f.; sowie Choluj, Bozena: „Die Situation der Frauen-NGOs in Polen an der Schwelle zum EU-Beitritt“, in: Ingrid Miethe/Silke Roth (Hgg.): Europas Töchter. Traditionen, Erwartungen und Stategien von Frauenbewegungen in Europa, Opladen 2003, S. 203–224, hier S. 207 f.

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Vorbereitung auf das nächste Reich Gottes auf Erden.199 Noch 1870 hebt Mazzini nichtsdestotrotz die polnische Poesie als wahre soziale Literatur innerhalb Europas hervor. Gleichzeitig bedauert er deren mangelnde Beachtung in Italien; das Schaffen der polnischen Dichter sichere das Überleben der polnischen Nation – wovon die Autoren seiner Heimat im Kontext der Begründung einer eigenen Nationalliteratur lernen könnten.200 Zur Umsetzung dieses Ziels konzipiert Mazzini die Biblioteca Drammatica, die italienische und ausländische Dramen in Übersetzung präsentiert und bespricht. Eine ausführliche Darstellung, Analyse und Diskussion dieses Bildungsprojekts findet im folgenden Kapitel 3 der vorliegenden Arbeit statt.

199 Vgl. Mazzini, Giuseppe: „Brief an Luigi Amedeo Melegari, 21.11.1838 (MCXXV)“, in: SEI, Bd. XV, Epistolario VII, Imola 1913, S. 266–273, hier S. 272; Ossani, Letteratura e politica, S. 192, Fußnote 76; sowie Fournier Finocchiaro, „Cultura francese e cultura polacca“, in: Kwartalnik Neofilologiczny LXIII 2 (2016), hier S. 180. 200 Vgl. Mazzini, Giuseppe: „Brief an Giulio Uberti, 30.4.1870 (VMMMMCLVII)“, in: SEI, Bd. LXXXIX, Epistolario LVI, Imola 1940 XIX, S. 126–130, hier S. 128.

3. MAZZINIS ÜBERSETZUNGSPROJEKT Das folgende Kapitel widmet sich der Darstellung und Untersuchung von Mazzinis Übersetzungsprojekt, der bereits mehrfach genannten Biblioteca Drammatica, im Dienste der Erneuerung Italiens. Dabei liegt der Fokus im Rahmen von drei Fallstudien sowohl auf der Rekonstruktion der Entstehung und Entwicklung der Dramenreihe aus historischem Material als auch auf einer Analyse der im Rahmen der Biblioteca Drammatica geplanten bzw. veröffentlichten Bände zum „Chatterton“ Alfred de Vignys, zum „Angelo, tyran de Padoue“ Victor Hugos sowie zu „Der vierundzwanzigste Februar“ Zacharias Werners. Im ersten Fall wird der Band, bestehend aus einem literaturkritischem Aufsatz Mazzinis zum „Chatterton“ sowie der Übersetzung Mazzinis und Agostino sowie Giovanni Ruffinis, untersucht. Hinsichtlich des „Angelo“ kann nur auf den Kommentar Mazzinis zurückgegriffen werden.1 Für die dritte Fallstudie liegt der „Saggio sulla letteratura europea degli ultimi cinquant’anni“ vor, der ein Vorwort der Herausgeber, Mazzinis Aufsatz „Della fatalità considerata com’elemento drammatico“, die Übersetzung des Dramas von Agostino Ruffini sowie Mazzinis Autoren-Biografie „Cenni su Werner“ enthält. Miteinbezogen werden auch die eher theoretischen bzw. vorbereitenden Aufsätze „D’una letteratura europea“ sowie „Del dramma storico“, in dem Mazzini Schillers „Don Carlos, Infant von Spanien“ zur Modellbildung für sein modernes Gesellschaftsdrama heranzieht. Darüber hinaus fließen fragmentarisch weitere literaturkritische und politische Texte ein, um eine umfassende Analyse, Interpretation und Diskussion bewerkstelligen zu können, da Mazzinis komplexes Denken und Handeln nicht nur das Feld der Kultur und der Politik berührt, sondern auch Bereiche wie Religion und Gesellschaft umfasst. Um dieser Vielschichtigkeit gerecht zu werden, werde ich mich im Folgenden der in der Einleitung skizzierten theoretischen Zugriffsweisen bedienen und entsprechend vier Schwerpunkte im Hinblick auf Mazzinis translatorisches Denken und Handeln setzen. So konzentriert sich die folgende Untersuchung auf die Bereiche von Übersetzung als Bildungsmoment, als Grenzziehung, als Manipulation sowie als Identitätsstifter. Jede Fallstudie besteht aus vier Themenblöcken, wobei zunächst Historie und Entwicklung des jeweiligen Bands der Biblioteca Drammatica 1

Trotz intensiver Recherche konnte keine der kontaktierten Stellen positive Auskunft zum unveröffentlichten Manuskript der „Angelo“-Übersetzung der Ruffini-Brüder geben – und so leider auch nicht final geklärt werden, wo sich dieses befindet bzw. wo etwaige Kopien aufbewahrt werden. Von der Existenz eines solchen Manuskripts muss jedoch ausgegangen werden, da das Primärmaterial zeigt, dass es den Zensurbehörden in Italien vorlag, allerdings von diesen so viele Änderungen und Kürzungen verlangt wurden, dass Mazzini und die Ruffinis auf eine Veröffentlichung verzichteten. Seinen literaturkritischen Aufsatz zum „Angelo“ publizierte Mazzini an anderer Stelle. Vgl. hierzu ausführlich Kapitel 3.3.2 der vorliegenden Arbeit.

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Mazzinis Übersetzungsprojekt

vornehmlich anhand der Korrespondenz Mazzinis und der Ruffinis nachgezeichnet werden, bevor eine Analyse des konkreten Textmaterials der Dramenreihe auf literaturkritischer, religiöser sowie politischer Ebene stattfindet. Diese Ebenen stützen und beeinflussen sich jedoch gegenseitig, sodass es zu Überschneidungen und gewissen Redundanzen kommt, die jedoch lediglich die Dichte des Materials belegen. Die Analyse beginnt mit einer kritischen Betrachtung von Mazzinis Grundidee und ursprünglichem Konzept der Biblioteca Drammatica. Am Ende der Untersuchung werden die wesentlichen Erkenntnisse zusammengefasst und diskutiert.

3.1 ANALYTISCHE VORÜBERLEGUNGEN Inwieweit Literaturkritik als reines Instrument zur Verwirklichung seiner politischen Ziele fungiert oder einen eigenen, ästhetischen Wert erfüllt, ist in der Mazzini-Forschung umstritten.2 Luca Platania unterscheidet die Untersuchungen zur literaturkritischen Tätigkeit Mazzinis in zwei Hauptströmungen, die er unter die Begriffe „politisch“ und „ethisch“ subsumiert. Die Vertreter der ersten Strömung machen in Mazzinis literarischen Schriften eine deutliche erzieherische und politische Absicht aus. Kunstkritik wird zum politischen Bildungsinstrument, um indirekt und die Zensur umgehend politische Themen behandeln zu können, wie es etwa Galante Garrone konkretisiert: E a proposito di queste pagine [„Del dramma storico“], come in genere di tutti gli scritti letterari del periodo genovese, va detto che esse debbono sempre esser lette, per così dire, in trasparenza, per coglierne il recondito significato politico. Quando Mazzini, sugli „Indicatori“ o sulla „Antologia“, sembra parlare solo di romanzi o di drammi, in realtà si propone di toccare, allusivamente, i temi vietati dalla censura, di aprire un discorso sulla sorte degli italiani del suo tempo.3

Mazzinis literaturkritischen Schriften wird ein eigener ästhetischer und literaturinterpretativer Wert abgesprochen; Carlotta Sorba fast zusammen: […] much of his literature, poetry, and music, taken together, became an opportunity to indulge in political reflection and express that type of passion effectively and less directly.4

Mazzinis mystizistischer und prophetischer Stil erschwere das Verständnis seiner Aufsätze; er diene als kommunikativer Code, um die direkte politische Botschaft zu verschleiern. Zu den Vertretern dieser Perspektive zählt Platania De Sanctis, Croce, Borghese und Mannucci.5 Letzterer betrachtete bereits 1919 Mazzinis lite2 3 4 5

Vgl. Fournier Finocchiaro, Giuseppe Mazzini, S. 31. Galante Garrone, Alessandro: „Schiller e Mazzini“, in: Istituto per la storia del Risorgimento italiano (Hg.): Mazzini e i repubblicani italiani. Studi in onore di Terenzio Grandi nel suo 92° compleanno, Turin 1976, S. 55–65, hier S. 59. Sorba, „Comunicare con il popolo“, in: Bayly/Biagini, Mazzini and the globalisation, hier S. 76 f. Vgl. Platania, Luca: „La critica letteraria di Giuseppe Mazzini tra passato e presente“, in: Il Pensiero Mazziniano 1 (2005), S. 122–136, hier S. 124 f.

Analytische Vorüberlegungen

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raturwissenschaftliche Reflexionen als Ausgangspunkt für die Entwicklung seiner politischen Ideen: Nessuno, credo, potrebbe oggi disconoscere, senza peccar d’ingiustizia, il valore e il significato degli scritti letterari che il Mazzini pubblicò nell’Indicatore genovese, nell’Indicatore livornese e nell’Antologia prima di ideare la Giovane Italia. Non solo essi rappresentano il tentativo di risvegliare le latenti energie ataviche della nostra letteratura propugnando con una critica ardente e spesso sagace le più generose tendenze della nuova scuola romantica, ma rivelano, ispirati come son tutti ad alti concetti politici e morali, l’origine e la prima evoluzione del complesso pensiero dell’Apostolo.6

Die ethische Ausrichtung nach Platania dagegen würdigt Mazzini als Literaturkritiker, untersucht den kulturellen Hintergrund seiner Zeit in Italien und bezieht die Protagonisten der post-romantischen Ära in Europa in ihre Betrachtung mit ein. Für ihre Vertreter, etwa Nencioni, Foa, Fratini, Cappuccio und Grana, stellen die ästhetischen Ideen in Mazzinis Aufsätzen einen wichtigen Beitrag im Rahmen der Debatte zur Überwindung einer gesellschaftlichen und kulturellen Krise in Italien dar. Mazzinis Kunstkonzept ist für diese Strömung nicht vorwiegend politisch, sondern ethisch geprägt.7 Mazzini werde als Literaturkritiker viel zu wenig anerkannt, so das Credo. Um seine Leistung zu belegen, werden die Widersprüche in seinen Aufsätzen „geglättet“ bzw. auf die bei Mazzini wirksamen philosophischen und religiösen Ideen zurückgeführt. Mazzinis Ziel sei vornehmlich auf eine moralische Erneuerung gerichtet, wobei die Funktion der educazione durch Kunst eine wesentliche Rolle spiele8 – worin beide Richtungen im Übrigen übereinstimmen. Neben den von Platania genannten Autoren zeigt sich Alberto Magagnato von einer ethischen Prägung der Mazzinianischen Verbindung von Politik und Literatur überzeugt: […] la vita stessa di Mazzini è intessuta di contaminazioni permanenti: la passione politica muove (ed è a sua volta mossa) dalla curiosità letteraria ed ambedue sono sostegno di una forte tensione etica, la quale spinge (direi quasi costringe) l’autore a progettare azioni politiche in un continuum dialettico che si interromperà solo con la sua morte.9

Vossler stellt bereits 1927 eine nicht zu leugnende Verwobenheit von Literatur und Politik bei Mazzini fest. Ob hierbei eher politische Ideen auf literarische Einfluss nehmen oder umgekehrt, wagt er jedoch nicht zu entscheiden.10 Fournier Finocchiaro schließlich widerspricht der Argumentation, dass Literaturkritik für Maz6 7 8 9 10

Mannucci, F. L.: Giuseppe Mazzini e la prima fase del suo pensiero letterario. L’aurora di un genio, Mailand 1919, S. 9. Vgl. auch ebd., S. 159. Vgl. Platania, „La critica letteraria“, in: Il Pensiero Mazziniano 1 (2005), hier S. 124. Vgl. ebd., hier S. 127 f.; sowie Sarti, Mazzini, S. 33. Vgl. zu Mazzinis Ansehen als Literaturkritiker zu seiner Lebenszeit Scioscioli, Lettere inedite, S. 40. Magagnato, Alberto: „L’Europa di Mazzini“, in: Istituto per la storia del Risorgimento italiano (Hg.): Giuseppe Mazzini a duecento anni dalla nascita. Atti del convegno di studi, Treviso 2005, S. 122–147, hier S. 123. Vgl. Vossler, Mazzinis politisches Denken und Wollen, S. 25. Vgl. zur Verschmelzung von literarischer und politischer Tätigkeit bzw. Aktion auch Codignola, „La giovinezza di G. Mazzini“, in: ders., I fratelli Ruffini, Bd. I, hier S. XCIII; sowie Ferraris, Letteratura e impegno civile, S. 156 ff.

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Mazzinis Übersetzungsprojekt

zini lediglich ein Mittel zum Ausdruck seiner politischen Ideen zur Umgehung der Zensur gewesen sei. Er analysiere Literatur vielmehr aus einem politischen Blickwinkel, um einen wechselseitigen Einfluss der beiden Felder aufzuzeigen: Nei saggi che il critico continuò a scrivere e a pubblicare, contemporaneamente a testi propagandistici e di teoria politica, si vedeva chiaramente che Mazzini non considerava la letteratura come un mezzo per annunciare le sue idee politiche, ma piuttosto che analizzava la letteratura con uno sguardo politicizzato. L’Arte e la politica dovevano infatti procedere con passo comune. […] Mazzini non scriveva di letteratura solo per eludere la censura e per parlare di politica, si misurava realmente con la produzione letteraria e storico-filosofica del suo tempo per poi passare ad occuparsi di tutte le espressioni artistiche (teatro, musica, pittura …).11 […] ses positions de critique littéraire ne sont pas artificiellement subordonnées à sa propagande politique en vue de la libération et de l’unification de l’Italie, mais […] sa pensée politique attribue au contraire une grande importance aux phénomènes culturels qui doivent accompagner le changement politique et social qu’il préconise.12

Sorba betont gerade auch die ästhetische Dimension der Aufsätze Mazzinis. Sie seien Ausdruck der romantischen Debatte über die Rolle der Kunst und des Künstlers sowie ein innovativer Beitrag im Hinblick auf eine Verbindung von Kunst und Politik bzw. die Antizipation eines Diskurses über die ästhetische Dimension von Politik:13 Although at first readers can be put off by Mazzini’s sometimes repetitive, unrestrained verbosity as well as by his „prescriptions“, it cannot be denied that his work is analytical, lucid, aware of the effective articulation of the artistic life of the times, and sensitive to the complex relation between creative individualities and the specificity of their time. Moreover, it is clear that Mazzini proposed in these works a new form of interaction between art and politics, one which was consistent with the expectations of an age characterized by the widening expectation in the spheres both of citizenship and of political participation.14

Die transformative Kraft von Kunst spielt für Mazzini in jedem Fall eine entscheidende Rolle bei der Umgestaltung herrschender Politik. So hat künstlerischer Ausdruck für ihn auch ein viel höheres kommunikatives Potenzial als die vergleichbar abstrakte Sprache der Politik und Philosophie, da er subtiler, effizienter und tiefgehender auf das menschliche Bewusstsein bzw. Unbewusste auch über Emotionen wirken kann.15 Ich gehe deshalb davon aus, dass der junge Mazzini im Zuge der 11 12 13

14 15

Fournier Finocchiaro, Giuseppe Mazzini, S. 31 f. Fournier Finocchiaro, „Mazzini et le drame historique“, in: Decroisette, L’histoire derrière le rideau, hier S. 48. Vgl. auch ebd., hier S. 54; Fournier Finocchiaro, Giuseppe Mazzini, S. 2; sowie Limentani, „Un’idea prediletta (1), in: Il Pensiero Mazziniano 11 (1949), S. 7. Vgl. Sorba, „Comunicare con il popolo“, in: Bayly/Biagini, Mazzini and the globalisation, hier S. 77. Vgl. weiterführend Kemal, Salim/Gaskell, Ivan (Hgg.): Politics and aesthetics in the arts, Cambridge 2000; sowie Mosse, George L./Drescher, Seymour/Sabean, David/Sharlin, Allan (Hgg.): Political symbolism in modern Europe: Essays in honor of George L. Mosse, New Brunswick (NJ)/London 1982. Sorba, „Comunicare con il popolo“, in: Bayly/Biagini, Mazzini and the globalisation, hier S. 78. Vgl. Mazzini, Giuseppe: „Il Jurassien/Le Jurassien“ (1835), in: SEI, Bd. IV, Politica III, Imola 1908, S. 337–343, hier S. 338 f.; Mazzini, Giuseppe: „Sulla missione della stampa periodica / De la mission de la presse périodique“ (1836), in: SEI, Bd. VII, Politica V, Imola 1910, S. 237–265,

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politisierten Romantik in Italien sein literarisches Konzept bereits sehr früh in den Dienst bestimmter politischer Ideen stellt – ohne dessen ästhetischen und rhetorischen Wert in Frage zu stellen oder dessen Bedeutung im Rahmen einer Debatte um eine erneuerte, engagierte Literaturkritik leugnen zu wollen. Ich folge damit grundsätzlich der Argumentation Sorbas, die Mazzinis Umgang mit Literatur als innovativen Ansatz beschreibt, „closer to a reflection on art and its socio-political relapse, than to traditional literary criticism“16. Mazzini selbst erläutert in seinen „Note autobiografiche“, dass Literaturkritik im repressiven Italien für ihn als jungen Mann die einzige Möglichkeit darstellt, politisch aktiv zu werden17 – und äußert die Hoffnung, dass über literarische schließlich auch politische Unabhängigkeit erreicht werden könne: Per noi l’indipendenza in fatto di Letteratura non era se non il primo passo a ben altra indipendenza: una chiamata ai giovani perché ispirassero la loro alla vita segreta che fermentava giù giù nelle viscere dell’Italia. Sapevamo che tra quelle due vite essi avrebbero incontrato la doppia tirannide straniera e domestica e si sarebbero ribellati dall’una e dall’altra.18

Literarische Texte (in Übersetzung) und eine engagierte Literaturkritik gehören für Mazzini zum wesentlichen Instrumentarium seines politischen Bildungsprogramms. Bschleipfer/Schwarze betonen: Die Übersetzung bekommt damit eine erklärt politische Dimension, denn Freiheit und Unabhängigkeit Italiens sind für Mazzini aufs Engste gekoppelt an den kulturellen Austausch und die politisch-gesellschaftliche Emanzipation aller europäischen Nationen.19

Die Fallstudien der vorliegenden Arbeit versuchen, die sich überschneidenden Ebenen bestehend aus literaturkritischen, religiösen und politisch-gesellschaftlichen Aspekten in Mazzinis translatorischem Handeln herauszuarbeiten, um der Komplexität der Übersetzungen und Kommentare der Biblioteca Drammatica gerecht zu werden. Dabei gilt die religiöse Komponente als der umstrittenste und undurchsichtigste Aspekt in Mazzinis Denken und Handeln.20 Kunst, Religion und Politik gehören für Mazzini jedoch untrennbar zusammen – eine Ansicht, hier S. 237 f.; Mazzini, „Note autobiografiche“, in: SEI, Bd. LXXVII, Politica XXVI, hier S. 90; Sorba, „Comunicare con il popolo“, in: Bayly/Biagini, Mazzini and the globalisation, hier S. 86 f.; Sullam, „Dio e il Popolo“, in: Banti/Ginsborg, Storia d’Italia, hier S. 402; Sullam, „Fate della rivoluzione una religione“, in: Società e Storia 106 (2004), hier S. 730; sowie Bersa, „Arte e azione“, in: Il Pensiero Mazziniano 2 (2006), hier S. 16 f. 16 Sorba, „Comunicare con il popolo“, in: Bayly/Biagini, Mazzini and the globalisation, hier S. 78. 17 Vgl. Mazzini, „Note autobiografiche“, in: SEI, Bd. LXXVII, Politica XXVI, hier S. 11 f. 18 Ebd., hier S. 12. 19 Bschleipfer/Schwarze, „196. Übersetzungstheorie und Übersetzungskritik“, in: Kittel et al., Übersetzung – Translation – Traduction, hier S. 1955. Vgl. auch Mazzini, Giuseppe: „Corrispondenze da Bienne / Correspondances de Bienne“ (1836), in: SEI, Bd. XIII, Politica V, Imola 1912, S. 29– 101, hier S. 91. 20 Vgl. Di Porto, Bruno: „Il Mazzinianesimo come religione civile“, in: Il Pensiero Mazziniano 3 (2005), S. 97–107, hier S. 100. Vgl. zum religiösen Aspekt europäischer Nationalismen des 19. Jahrhunderts Sullam, „Dio e il Popolo“, in: Banti/Ginsborg, Storia d’Italia, hier S. 401; Banti, Alberto Mario: La nazione del Risorgimento. Parentela, santità e onore alle origini dell’Italia unita,

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Mazzinis Übersetzungsprojekt

für die er nicht nur von den Demokraten seiner Zeit oftmals kritisiert wird.21 Vor einer detaillierten Auseinandersetzung mit den genannten Ebenen im Hinblick auf Mazzinis translatorisches Handeln muss jedoch vorangestellt werden, dass dieser – so religiös er auch selbst durch seine jansenistische Erziehung und die katholische Tradition seiner Heimat gewesen sein mag22 – sehr genau um das Potenzial menschlichen Glaubens sowie das Bedürfnis nach einem solchen weiß und dies für sein Erneuerungsprojekt zu nutzen gedenkt. Gott soll dabei als Helfer und Unterstützer einer Revolution inszeniert werden: Dio esiste. Quando pure non esistesse, esiste universale la credenza in esso: esiste universale il bisogno d’un idea, d’un centro, d’un principio unico a cui si richiamino le norme delle azioni, i principii secondari che reggono le società. La superstizione, l’intolleranza, il dispotismo sacerdotale si sono fino ad ora aiutati di questa credenza. Priviamoli di quest’appoggio, fondato sopra una falsa interpretazione. Impadroniamoci di quell’idea, di quel simbolo d’Unità: mostriamo Dio autore della libertà, dell’eguaglianza, del progresso. Agli uomini, i popoli si sottrarranno, a Dio no. – Il nostro, per lunghi secoli di servitù, s’è fatto popolo freddo, mortalmente freddo: e a suscitarlo si richiede un entusiasmo religioso, il grido delle Crociate: Dio lo vuole!23

Eine (Wieder-)Vereinigung von Himmel und Erde, von Geist und Materie, religiösem und politischem Glauben stellt für Mazzini darüber hinaus die Bündelung eines Potenzials dar, um die Menschen nicht nur rational, sondern auch emotional und moralisch an ein neues System zu binden: La religione e la politica sono inseparabili. Senza religione, la scienza politica non può creare che dispotismo o anarchia. Noi non vogliamo né l’uno né l’altra. Per noi, la vita non è se non un problema d’educazione, la società il mezzo di svilupparla e ridurla in atto. La religione è il principio educatore supremo: la politica è l’applicazione di quel principio alle varie manifestazioni dell’essere umano.24

21 22 23

24

Turin 2000; sowie Perkins, Mary Anne: Nation and word, 1770–1850: Religious and metaphysical language in national consciousness, Aldershot 1999. Vgl. Sullam, „Dio e il Popolo“, in: Banti/Ginsborg, Storia d’Italia, hier S. 410 f.; Sullam, „The Moses of Italian unity“, in: Bayly/Biagini, Mazzini and the globalisation, hier S. 117 f. Vgl. Wight, „Four seminal thinkers“, in: Oxford Scholarship Online, hier S. 2; sowie Talmon, Politischer Messianismus, S. 311 f. Mazzini, Giuseppe: „Corrispondenza con Sismondi“ (1832), in: SEI, Bd. III, Politica II, Imola 1907, S. 3–23, hier S. 8. Vgl. zudem Mazzini, Giuseppe: „Fede e avvenire“ (1835), in: SEI, Bd. VI, Politica IV, Imola 1909, S. 293–358, hier S. 335, S. 344; Sullam, „Fate della rivoluzione una religione“, in: Società e Storia 106 (2004), hier S. 725 f.; sowie Gentile, Emilio: Le religioni della politica: Fra democrazie e totalitarismi, 2. Auflage, Rom/Bari 2007, S. 49. Mazzini, Giuseppe: „Dal Papa al Concilio“ (1849), in: SEI, Bd. XXXIX, Politica XIV, Imola 1924, S. 175–195, hier S. 191. Vgl. auch Mazzini, Giuseppe: „A un inglese. Brano di lettera“ (1850), in: SEI, Bd. XLVI, Politica XVII, Imola 1926, S. 15–31, hier S. 16: „Oggi come allora, è pensiero vitale del nostro lavoro combattere il divorzio fatalmente operatosi fra la credenza religiosa e la credenza politica, fra il cielo e la terra. […] È d’uopo ricongiungere terra e cielo, politica e il principio immortale che deve guidarla. A quel patto solamente sono possibili le grandi, durevoli imprese.“ Siehe weiterhin: Mazzini, „Fede e avvenire“, in: SEI, Bd. VI, Politica IV, hier S. 302; Banti, Risorgimento italiano, S. 65; Sullam, „Dio e il Popolo“, in: Banti/Ginsborg, Storia d’Italia, hier S. 405; sowie Pagliardini, Angelo: „Prospettive per la costruzione di una letteratura europea secondo Mazzini“, in: Alexandra Vranceanu/Angelo Pagliardini (Hgg.): Rifondare la lettera-

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Gott gilt Mazzini hierbei als „ultimo termine di tutte sintesi umane“25 oder – wie Wight Mazzinis politischen Gott definiert – als Ausdruck von „providence, progress, and duty“26. Im Hinblick auf die religiöse Komponente ist der Ansatz Mazzinis sehr von romantischen Vorstellungen geprägt, deren religiös aufgeladene Ästhetik in dem Streben nach einer Universalpoesie gipfelt, die die Bereiche der Wissenschaft, Religion und Dichtung vereint.27 Als moralische Grundlage fließt die Religion in Mazzinis politisches Bildungsprogramm ein, denn „[…] toute transformation morale est une œuvre d’éducation: toute œuvre d’éducation est essentiellement religieuse“28. Religion stellt für Mazzini folglich einen ethischen Grundsatz dar, der sich gegen Egoismus sowie Liberalismus stellt und als identitätsstiftender Faktor einer Gemeinschaft Bedeutung erhält.29 Eine entscheidende Rolle spielt hierbei insbesondere der Anspruch auf universale Gültigkeit: La Chiesa Santa di Dio, non del Papa o di Cristo o d’altro interprete costituito ed irrevocabile della Legge Divina, cioè l’Associazione di tutti i credenti in Dio; nella sua legge d’Educazione progressiva; nella rivelazione continua per tempo e spazio di questa Legge attraverso l’Umanità guidata liberamente dal Genio e dalla Virtù: nell’Immortalità della Vita; nella santità della Terra, come grado nella immensa scala dei mondi; nell’armonizzazione della Coscienza individuale colla Tradizione, non settaria, ma universale: Roma, libera, e Centro d’Italia, proclamatrice, in nome del Mondo e per mezzo d’un Concilio degli Intelletti virtuosi d’Europa e d’America, dell’Era della Nuova Fede: è questo il senso delle parole scritte qui sopra. L’Avvenire ne darà il commento migliore.30

Mazzinis Projekt wird als „religione laica“31, Menschheitsreligion32, „political re-

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31 32

tura nazionale per un pubblico europeo. Da un’idea di Giuseppe Mazzini, Frankfurt/Main 2015, S. 15–32, hier S. 27, der die Bedeutung von Religion für Mazzini bei der Konstituierung einer italienischen und europäischen Identität betont. Mazzini, Giuseppe: „Della fatalità considerata com’elemento drammatico“ (1836), in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, Imola 1910, S. 169–200, hier S. 194. Wight, „Four seminal thinkers“, in: Oxford Scholarship Online, hier S. 2. Vgl. Berman, L’épreuve de l’étranger, S. 30 f.; sowie Huyssen, Die frühromantische Konzeption von Übersetzung, S. 161. Mazzini, Giuseppe: „Di alcune dottrine sociali. Scuola fourierista / De quelques doctrines sociales. École fouriériste“ (1836), in: SEI, Bd. VII, Politica V, Imola 1910, S. 371–437, hier S. 424. Die Kursivsetzung wurde hier – und wird in allen folgenden Zitaten auch – aus der Edizione Nazionale übernommen. Vgl. Montanari, Grundlagen des Risorgimento, S. 20; sowie Sarti, Mazzini, S. 14. Mazzini, Giuseppe: „Brief an Piero Cironi, September 1854 (MMMMLXII)“, in: SEI, Bd. LIII, Epistolario XXX, Imola 1929, S. 181–182, hier S. 181 f. Vgl. auch Mazzini, Giuseppe: „Brief an Francesco Bertioli, Januar 1833 (LXXVI)“, in: SEI, Bd. V, Epistolario I, Imola 1909, S. 214–217, hier S. 216; sowie Biagini, Eugenio F.: „Mazzini and the anticlericalism“, in: C. A. Bayly/Eugenio F. Biagini (Hgg.): Giuseppe Mazzini and the globalisation of democratic nationalism 1830–1920, New York 2008, S. 145–166, hier S. 151 ff. Ebd., hier S. 153. Vgl. auch ebd., hier S. 166; sowie Ferraris, Letteratura e impegno civile, S. 186. Vgl. McMenamin, Iain: „‚Self-choosing‘ and ‚right-acting‘ in the nationalism of Giuseppe Mazzini“, in: History of European Ideas 23 (5–6/1998), S. 221–234, hier S. 224; Magagnato, „L’Europa di Mazzini“, hier S. 128; Brunetta, „Risorgimento deluso“, hier S. 20, beide in: Istituto per la storia, Mazzini a duecento anni; sowie Di Porto, „Il Mazzinianesimo“, in: Il Pensiero Mazziniano 3 (2005), S. 97–107.

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ligion“33, als „religione politica“34 oder auch „teocrazia popolare“35 beschrieben.36 Otto Vossler bezeichnet die Verbindung von Religion und Politik bei Mazzini als „Demotheokratie“37, ein Begriff, der für die vorliegende Untersuchung übernommen wird, da er das Zusammenspiel der beiden Bereiche adäquat betont. Eine wesentliche Rolle spielen bei der Begründung und „Missionierung“ der Demotheokratie die Literaten als Literaturschaffende sowie als Literaturkritiker; sie fungieren als Propheten (sowie aktive Revolutionäre): „Oggi piucché mai – per me almeno – ogni questione d’Arte si riduce in ultimo ad una questione religiosa,“38 wie es Mazzini 1836 radikal formuliert. Oder an anderer Stelle im Jahr 1838: „[…] it is not only the poet’s right, but his duty, to touch upon politics, upon society, upon religion; the poet must be at once an educator, a priest and a prophet.“39 Gleichzeitig beschreibt Mazzini die Befreiung Italiens und Europas wie einen heiligen Kreuzzug gegen die despotischen Herrscher einer alten Ordnung und weist Gott die Rolle eines Verbündeten der Revolutionäre zu, weshalb entsprechende Aktion und Fortschritt gar nicht aufgehalten werden können. Der Kampf wird zu einem „holy war, a crusade“40; Mazzini selbst tritt als Apostel auf – und bezeichnet 33 34

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Sullam, „The Moses of Italian unity“, in: Bayly/Biagini, Mazzini and the globalisation, hier S. 108. Vgl. weiterführend Gentile, Le religioni della politica. Sullam, „Dio e il Popolo“, in: Banti/Ginsborg, Storia d’Italia, hier S.  402. Vgl. auch Pagliardini, „Prospettive per la costruzione“, in: Vranceanu/Pagliardini, Rifondare la letteratura nazionale, hier S. 28. Vgl. auch Li Volsi, „Mazzini e le ideologie“, in: Istituto per la storia, Mazzini a duecento anni, hier S. 55, der Sullams „religione politica“ um den Terminus „universale“ ergänzt bzw. Mazzinis Konzept auch als „progetto politico di Dio“ bezeichnet. Salvemini, Gaetano [1925]: „Mazzini“, in: Gaetano Salvemini: Scritti sul Risorgimento, hrsg. v. Piero Pieri/Carlo Pischedda, Mailand 1973, S. 152, S. 175. Wann genau Mazzini sich religiösen Argumenten für sein politisch-kulturelles Erneuerungsprojekt zuwendet, sorgt in der Forschung weiterhin für Diskussionen. Zwar wird stets der Einfluss seiner jansenistischen Erziehung betont, in seinen Zibaldoni Giovanili (1817–1831) findet sich jedoch noch kein Hinweis auf ein tiefergehendes Interesse Mazzinis an Religion. Der Kontakt mit dem Saint-Simonismus gilt allerdings weithin als ein entscheidender Katalysator für die Ausbildung der religiös geprägten Ideen Mazzinis (vgl. Sullam, „Fate della rivoluzione una religione“, in: Società e Storia 106 [2004], hier S. 707 ff., S. 719 f.; Sullam, „Dio e il Popolo“, in: Banti/Ginsborg, Storia d’Italia, hier S. 405; sowie Mazzini, „Corrispondenza con Sismondi“, in: SEI, Bd. III, Politica II, S. 3–23; bereits 1925 Salvemini, „Mazzini“, in: ders., Scritti sul Risorgimento, S. 223; und 1927 Vossler, Mazzinis politisches Denken und Wollen, S. 43 ff.; Talmon, Politischer Messianismus, S. 296 f.; sowie Galante Garrone, Alessandro: „Mazzini in Francia e gli inizi della Giovine Italia“, in: Istituto per la storia del Risorgimento italiano [Hg.]: Mazzini e il mazzinianesimo. Atti del 46° Congresso di storia del Risorgimento (Genua, 24.–28. September 1972), Rom 1974, S. 191–238, hier S. 231 f.). Vossler, Mazzinis politisches Denken und Wollen, S. 58. Vgl. auch ebd., S. 61. Vossler merkt hier bereits 1927 kritisch zur realen Umsetzbarkeit von Mazzinis Menschheitsreligion an, dass Mazzini die Macht und Geschlossenheit der katholischen Kirche in Italien durch seine Exilaufenthalte unterschätzt habe. Mazzini, „Potenze intellettuali“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 247, Fußnote 1. Mazzini, Giuseppe: „Les voix intérieures (The inward voices). Poésies par Victor Hugo“ (1838), in: SEI, Bd. XVI, Letteratura III, Imola 1913, S. 3–93, hier S. 41. Wight, „Four seminal thinkers“, in: Oxford Scholarship Online, hier S. 9. Vgl. auch Mazzini, „Fede e avvenire“, in: SEI, Bd. VI, Politica IV, hier S. 285, S. 313; zu Motiv, Semantik und Symbolik des

Analytische Vorüberlegungen

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sich auch selbst als solcher;41 einer seiner Zeitschriften gibt er den Titel „Apostolato Popolare“; die Giovine Italia definiert er nicht als „setta, o partito, ma credenza ed apostolato“42. Die privilegierte geografische Lage Italiens, die das Land zu einer Nationbildung prädestiniere, führt Mazzini wiederum auf Gott zurück, der die Italiener zu seinem auserwählten Volk für eine europäische Mission mache:43 A voi uomini nati in Italia, Dio assegnava, quasi prediligendovi, la Patria meglio definita d’Europa. In altre terre segnate con limiti più incerti o interrotti, possono insorgere questioni che il voto pacifico di tutti scioglierà un giorno, ma che hanno costato e costeranno forse ancora lagrime e sangue: sulla vostra, no. Dio v’ha steso intorno linee di confini sublimi, innegabili: da un lato, i più alti monti d’Europa, l’Alpi; dall’altro, il Mare, l’immenso Mare. Aprite un compasso: collocate una punta al nord dell’Italia, su Parma: appuntate l’altra agli sbocchi del Varo e segnate con essa, nella direzione delle Alpi, un semicerchio: quella punta che andrà, compito il semicerchio, a cadere sugli sbocchi dell’Isonzo avrà segnato la frontiera che Dio vi dava.44 L’Italia è un’infante divina [sic!] chiamata da Dio ad essere il Mosè dell’Europa dei Popoli. Ciascuno di noi è chiamato ad esserne l’educatore. Ciascuno di noi lo può, perché l’anima sua divenga tempio di virtù, simbolo d’unità fra il Pensiero e l’Azione.45

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Märtyrers und des Heiligen Kriegs im Risorgimento Lukenda, Erinnerungsorte des Risorgimento, S. 209 ff.; Banti, Risorgimento italiano, S. 60; sowie Gentile, Le religioni della politica, S. 18. Vgl. Mazzini, „Fede e avvenire“, in: SEI, Bd. VI, Politica IV, hier S. 317. Mazzini, Giuseppe: „Istruzione generale per gli affratellati nella Giovini Italia“ (1831), in: SEI, Bd. II, Politica I, Imola 1907, S. 45–56, hier S. 51. In diesem Zusammenhang gilt „Dei doveri dell’uomo“ (1861–66), ein Werk, in dem Mazzini diverse Aufsätze zu verschiedenen Lebensund Gesellschaftsbereichen zusammenfasst, in der Mazzini-Forschung als eine Art neue heilige Schrift (vgl. Pozzani, Silvio: „Italia, Europa, Umanità nel pensiero e nell’azione di Giuseppe Mazzini“, in: Il Pensiero Mazziniano 3 [2011], S. 84–89, hier S. 85; sowie Parmentola, Vittorio: „Doveri dell’uomo. La dottrina, la storia, la struttura“, in: Istituto per la storia del Risorgimento italiano [Hg.]: Mazzini e i repubblicani italiani. Studi in onore di Terenzio Grandi nel suo 92° compleanno, Turin 1976, S. 355–393, hier S. 362). Sullam bezeichnet die „Doveri“ sogar als Mazzinis „Zehn Gebote“, da es sich – abzüglich der Einleitung und des Schlusses des Werks – um zehn Kapitel handelt (vgl. Sullam, „Dio e il Popolo“, in: Banti/Ginsborg, Storia d’Italia, hier S. 421; sowie Sullam, „The Moses of Italian unity“, in: Bayly/Biagini, Mazzini and the globalisation, hier S. 123). Siehe auch Talmon, Politischer Messianismus, S. 26: „In dieser Hinsicht betrachteten alle messianischen Richtungen das Christentum, manchmal die Religion als solche, immer aber die historische Form des Christentums, als den Erzfeind. Sie proklamierten sogar sich selbst triumphierend als Ersatz dafür. Ihre eigene Heilsbotschaft war gänzlich unvereinbar mit der grundlegenden christlichen Doktrin von der Erbsünde, mit ihrer Vision der Geschichte als der Geschichte des Sündenfalls und ihrer Leugnung der Macht des Menschen, durch eigene Anstrengung zur Erlösung zu gelangen.“ Vgl. Mazzini, „Cheskian Anthology“, in: SEI, Bd. I, Letteratura I, hier S. 378; Talmon, Politischer Messianismus, S. 298 f.; Sullam, „Dio e il Popolo“, in: Banti/Ginsborg, Storia d’Italia, hier S. 410; Sullam, „Fate della rivoluzione una religione“, in: Società e Storia 106 (2004), hier S. 721; sowie De Sanctis, Francesco [1874]: Mazzini e la scuola democratica, hrsg. v. Carlo Muscetta/Giorgio Candeloro, Turin 1961, S. 70, der Mazzini als „Mosè dell’unità“ bezeichnet, weil er wie Moses das gelobte Land zwar habe sehen können, dieses aber niemals selbst betreten habe. Mazzini, „Doveri dell’uomo“, in: SEI, Bd. LXIX, Politica XXIV, hier S. 61. Mazzini, Giuseppe: „Brief an Narciso Degola, November 1863 (VMMCLXXIX)“, in: SEI, Bd. LXXVI, Epistolario XLVI, Imola 1938, S. 217. Vgl. auch Sullam, „The Moses of Italian unity“, in: Bayly/Biagini, Mazzini and the globalisation, hier S. 124.

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Eine Nationsbildung Italiens und die Rolle dieser neuen Nation in Europa gehen folglich unweigerlich mit einer religiösen Komponente einher.46 Die Analyse von Mazzinis translatorischem Handeln im Rahmen der Biblioteca Drammatica muss sich deshalb neben literaturkritischen Sujets mit religiösen und politischen Aspekten beschäftigen.

3.2 MAZZINIS BIBLIOTECA DRAMMATICA: GRUNDIDEE UND KONZEPT Die Biblioteca Drammatica, „il suo tante volte accarezzato e mai realizzato progetto“,47 stellt für Mazzini lange Zeit den besten Weg zu einer Erneuerung Italiens und Europas dar – oder wie Fournier Finocchiaro es formuliert: Per costruire l’Europa delle nazionalità, e in particolare per aiutare la causa italiana, Mazzini, critico letterario, s’impegnava a valorizzare, in ogni paese, le produzioni letterarie che difendevano ideali patriottici, definiva generi e temi nazionali che dovevano essere incoraggiati ovunque e soprattutto in Italia, come il dramma storico o sociale e la poesia risorgimentale. Secondo lui, le ragioni della decadenza civile dell’Italia andavano cercate nel fatto di aver „separato la Letteratura dalla vita della Nazione e dall’ideale Italiano“, e intendeva mostrare le vie per rimediarci.48

Bildung  – hier verstanden im Bermanschen Sinne als „culture et formation“49 bzw. „[auto-]processus [de formation]“50 – gilt Mazzini als der Schlüssel zur Lösung der Krise Italiens – in kulturellem sowie politischem Sinn: „[…] le problème actuel est un problème d’éducation: la fondation d’un apostolat doit en être la première pierre.“51 Jeder Revolution muss eine entsprechende Bildung vorangehen: „Le rivoluzioni si preparano colla educazione, si maturano colla prudenza, si compiono colla energia, e si fanno sante col dirigerle al bene comune.“52 Zunächst muss die 46

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Banti beschreibt, dass Italien durch seine katholische Prägung bereits Teil einer supranationalen Gemeinschaft ist (vgl. Banti, Risorgimento italiano, S. VI). Vgl. zur religiösen Komponente politisch geprägter Bewegungen im 19. Jahrhundert besonders im Hinblick auf die Nationenbildungsprozesse in Europa Gentile, Le religioni della politica, S. XXI f., S. 46. Limentani, „Un’idea prediletta (2)“, in: Il Pensiero Mazziniano 12 (1949), hier S. 5. Fournier Finocchiaro, Giuseppe Mazzini, S. 53 f. Vgl. auch ebd., S. 59: „L’organizzatore politico che dava vita alla Giovine Europa non cessava di valutare l’importanza letteraria delle più alte produzioni europee e immaginava un nuovo mondo diretto da un’associazione dei migliori intelletti del momento.“ Berman, L’épreuve de l’étranger, S. 29. Ebd., S. 74. Mazzini, Giuseppe: „La legge umanitaria e le dottrine sociali / La loi humanitaire et les doctrines sociales“ (1836), in: SEI, Bd. VII, Politica V, Imola 1910, S. 355–367, hier S. 367. Vgl. auch Mazzini, Giuseppe: „Scritti inseriti nel giornale L’Italia del Popolo pubblicato nel 1849 in Roma. Programma“ (1849), in: SEI, Bd. XXXIX, Politica XIV, Imola 1924, S. 87–99, hier S. 92 f. Mazzini, Giuseppe: „Della Giovine Italia“ (1832), in: SEI, Bd. II, Politica I, Imola 1907, S. 85–113, hier S. 109. Vgl. zum Erziehungskonzept Jean-Jacques Rousseaus im Dienste einer demokratischen Revolution und Mazzinis Anlehnung daran Gentile, Le religioni della politica, S. 4, S. 28 ff.

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Bevölkerung ein Bewusstsein von sich als Nation mit einer gemeinsamen Identität entwickeln, um für den Freiheitskampf und die sich anschließenden Schritte motiviert zu werden: „La prima necessità d’un popolo che vuole farsi libero e sorgere a Nazione, è […] d’avere coscienza di sé, del proprio fine, del proprio diritto, della propria forza. La seconda è di esprimere questa coscienza.“53 Die educazione bildet damit auch eines der wesentlichen Ziele der ersten Organisation Mazzinis, der 1831 in Marseille gegründeten Giovine Italia.54 Im Rahmen der Biblioteca Drammatica übernimmt die Literaturkritik die Aufgabe der educazione.55 So fällt die Entscheidung Mazzinis zugunsten der Behandlung des Dramas in seiner Reihe nicht zufällig – gilt ihm dieses Genre doch als das geeignetste für die nationale und europäische Bildung des italienischen Publikums. Dass er eine zur Lektüre bestimmte Sammlung konzipiert und nicht eine Inszenierung der Dramen auf der Bühne forciert – zumindest gibt das untersuchte Material keinen Hinweis auf eine solche Idee –, mag zum einen der damaligen Kultur in Italien geschuldet sein, in der Bühnenstücke eher gelesen denn im Theater rezipiert werden.56 Zum anderen liegt dies sicherlich in der schwierigen Realisierung des Projekts begründet, die durch Mazzinis konspirative Tätigkeiten und seinen Ruf als gefährlicher Revolutionär erschwert wird. Damit einhergehend und darüber hinaus spielt die strenge kirchliche und staatliche Zensur eine wesentliche Rolle bei der Konzeption und problematischen Verwirklichung der Lesedramenreihe.57 Die jeweiligen Bände sollen zunächst von einer elitären Schicht bestehend aus reformwilligen Intellektuellen und jungen Dichtern rezipiert und reflektiert werden.58 Da Dramen aber durch ihren inhärent performativen Charakter besonders 53 54

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Mazzini, „Dovere e necessità“, in: SEI, Bd. LXVI, Politica XXIII, hier S. 165. Vgl. Mazzini, „Istruzione generale“, in: SEI, Bd. II, Politica I, hier S. 52; Mazzini, Giuseppe: „D’alcune cause che impedirono finora lo sviluppo della libertà in Italia“ (1832), in: SEI, Bd. II, Politica I, Imola 1907, S. 147–221, hier S. 220; sowie Mazzini, Giuseppe: „Il Partito d’Azione. Cenni“ (1853), in: SEI, Bd. LI, Politica XVIII, Imola 1928, S. 87–104, hier S. 87. Vgl. Mazzini, „Corrispondenza con Sismondi“, in: SEI, Bd. III, Politica II, hier S. 5 f. Vgl. Janowski, „Ottocento“, in: Kapp, Italienische Literaturgeschichte, hier S. 298, die das Fehlen einer nationalen Theaterkultur in Italien daran festmacht, dass dort – im Gegensatz zu Deutschland – keine Theaterreform durchgeführt worden sei. Vgl. zum italienischen Theater Anfang des 19. Jahrhunderts auch Gabbani, L’Italiano, S. 254 ff. Vgl. Mazzini, Maria: „Brief an den Sohn, 26.7.1839 (259“), in: Sofia Gallo/Enrica Melossi (Hgg.): SEI, Appendice, Bd. VIII. Lettere a Giuseppe Mazzini, Bd. II. Lettere di familiari ed amici 1834– 1839, Imola 1986 (folgend: SEI, Lettere a Giuseppe Mazzini, Bd. II), S. 707; sowie Della Peruta, Mazzini e i rivoluzionari italiani, S. 149 f. Mazzini scheint sich selbst nicht vollkommen sicher zu sein, was diesen Aspekt seines Konzepts angeht. Zum einen betont er immer wieder die Notwendigkeit der Bildung einer jungen Dichtergeneration durch Literaturkritik. Hier fügt sich auch seine Vorstellung ein, dass eine junge, „unverbrauchte“ Elite das Volk in die Revolution führen und in der Übergangsphase zwischen Monarchie und Demokratie diktatorisch herrschen soll – wie er es in seinem Triumvirat in der Römischen Republik tut –, auch wenn dies im Dienste des Volks geschehen soll. Zum anderen nennt Mazzini mehrfach auch die Bevölkerung als Adressat seiner Biblioteca Drammatica, da diese so auf die Rezeption einer neuen italienischen Nationalliteratur vorbereitet werde – wobei dies auch mittelbar durch die genannte Elite gemeint sein kann. Wegen der hohen Analphabe-

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geeignet sind, auch (ungebildete) Bevölkerungsschichten zu erreichen, und da sie über die emotionale unbewusste Dimension subversives Potenzial effektiver entfalten können als Lesestücke, fungieren sie als nahezu perfektes Anschauungsmaterial für die Entwicklung einer revolutionären Dramenkultur auch in Italien. Auf diese Weise geschult und inspiriert bringen die jungen Autoren schließlich eine neue, performativ ausgelegte Nationalliteratur hervor, die zu einem Bildungsinstrument für die breite Bevölkerung ausgebaut werden und dieser sowohl politisch-revolutionäre als auch moralische Werte zum Anstoß konkreten Handelns vermitteln soll:59 „Missione speciale dell’Arte è spronare gli uomini a tradurre il pensiero in azione,“60 so Mazzini. Die von Mazzini vorgesehene Kommentierung der Dramen unterstreicht weiterhin die These der zu einer Lektüre bestimmten Texte.61 Ohne die entsprechenden tenrate in Italien muss(te) sich Mazzini immer wieder den Vorwurf einer Verkennung der Realität in Italien gefallen lassen. Der Bevölkerung fehle damit jegliche Voraussetzung zum Verständnis seiner Ideen. Mazzini setzt fast ausschließlich schriftliche Texte zur Verwirklichung seines Projekts ein – wobei sich erneut die Frage stellt, ob er sich an eine Elite wendet, die im Anschluss das Volk bilden soll, oder das Problem des Analphabetismus schlichtweg unterschätzt. Jedoch schreibt Mazzini im September 1834 an Tommaseo: „Quanto al parlare al popolo, avete ragione – e parlerei: ma le vie mancano, ed erriamo per entro a un cerchio senza inoltrare. Il popolo non può leggere, e non sa leggere – dove l’apostolato verbale trova la forca, non sono a sperare apostoli. Dunque, tentiamo della claque, che intende far coi discorsi e coll’entusiasmo una leva per giungere sino al popolo. Sorgiamo, e lo educheremo.“ (Mazzini, Giuseppe: „Brief an Niccolò Tommaseo, September 1834 [46]“, in: SEI, Appendice, Epistolario I, Imola 1938, S. 157–160, hier S. 159). Berücksichtigt werden müssen darüber hinaus Mazzinis durch die Verfolgung der Behörden und die Zensur eingeschränkte Möglichkeiten. Persönliche Präsenz vor Ort zur Überzeugung potenzieller Anhänger etwa ist für Mazzini nicht umsetzbar. 59 Vgl. Mazzini, „Note autobiografiche“, in: SEI, Bd. LXXVII, Politica XXVI, hier S. 91 f.; sowie Mastellone, Salvo: Mazzini scrittore politico in inglese. Democracy in Europe (1840–1850), Florenz 2004, S. 122. 60 Mazzini, „Note autobiografiche“, in: SEI, Bd. LXXVII, Politica XXVI, hier S. 89. Mazzinis Vorgehen lässt sich mit Lawrence Venuti auch als „interpretatives Übersetzen“ bezeichnen (vgl. Venuti, The translator’s invisibility, S. 252 ff.). 61 Vgl. zur Tradition des so genannten teatro patriottico im Italien des 18. Jahrhunderts Ihring, Peter: „Le teatro patriottico en Italie (1796–1801)“, in: Jean-Paul Barbe/Roland Bernecker (Hgg.): Les intellectuels européens face à la campagne d’Italie, 1796–1798, Münster 1999, S. 65–81, insbesondere S. 66 f., S. 71 ff., S. 77 ff. Ihring betont, dass sich das teatro patriottico, orientiert am Theater der Französischen Revolution und als politisches Propagandainstrument konzipiert, kaum in Italien habe durchsetzen können und hauptsächlich regional begrenzt geblieben sei. Mazzini betont – wie die Jakobiner – die pädagogische Aufgabe des Theaters, jedoch grenzt er sich – als Vertreter der post-revolutionären Ära – zunehmend von den im teatro patriottico propagierten französischen Idealen ab. Gleichzeitig scheint er jedoch hinsichtlich der erwarteten Effektivität der Biblioteca Drammatica, der daraus entstehenden neuen italienischen Nationalliteratur sowie seiner politischen Aufsätze an die Tradition der Jakobiner anzuknüpfen – und auch er betont die Rolle der Elite im Rahmen der Nationsbildung Italiens (vgl. dieses Kapitel der vorliegenden Arbeit, Fußnote 536). Für den deutschen Kontext sei auf Johann Christoph Gottscheds „Die Deutsche Schaubühne, nach den Regeln und Exempeln der Alten“ (1741–45) verwiesen. Die ersten drei Bände umfassen vor allem Übersetzungen aus dem Französischen von Autoren wie Racine, Voltaire oder auch

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Aufsätze, die den Rezipienten an ausländische Literatur in Übersetzung heranführen, gehe deren revolutionäres Potenzial verloren. So gebe es zwar einige gute Übersetzungen ins Italienische, die ohne eine entsprechende Kritik jedoch weder „richtig“ verstanden noch geschätzt werden können. Der jeweilige Aufsatz nimmt für Mazzini eine wichtigere Rolle als die Übersetzung selbst ein, die „lediglich“ das Anschauungsmaterial liefert bzw. als Ausgangspunkt für Reflexionen fungiert: There have been some good translations of the best foreign authors; but the sense and spirit of the original have been too often sacrifìced to conventionalities of manner, as is the case even in the translations from Schiller by Maffei,62 in other respects so well rendered. Thus, without those lessons of lofty criticism which should accompany them, these translations of the great authors are either not understood, and consequently unappreciated, or, worse, they precipitate youth into blind imitation.63

Bereits 1828 keimt in Mazzini die Idee einer breit angelegten Übersetzungsreihe relevanter Werke aus der Gegenwartliteratur, um dem italienischen Publikum Entwicklungen aus dem europäischen Ausland zugänglich zu machen und damit Innovation in der eigenen Literatur anzustoßen.64 Im Hinblick auf eine „Erschließung via Übersetzung“65, die sich insbesondere deutsch- und englischsprachiger Literatur zuwendet und deren romantischen Ideen einen Diskursraum in Italien eröffnen will,66 schreibt Mazzini an Francesco Domenico Guerrazzi:

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Molière, während die letzten drei Bände nur noch deutsche Originale enthalten. Damit verwirklicht Gottsched sein Ziel, durch Übersetzungen fremder Texte die deutschen Dichter zu eigenen Werken anzuregen, um anschließend die Ergebnisse zu präsentieren (vgl. Tgahrt, Weltliteratur, S. 74). Zu nennen sind in diesem Zusammenhang zudem die Vorlesungen A. W. Schlegels „Ueber dramatische Kunst und Literatur“ (1808 gehalten, erstmals 1809 veröffentlicht). Siehe weiterhin zur Übersetzung von Theaterstücken in der Romantik auch Bassnett-McGuire, Susan: „Ways through the labyrinth. Strategies and methods for translating theatre texts“, in: Theo Hermans (Hg.): The manipulation of literature. Studies in literary translation, London/Sydney 1985, S. 87–102, hier vor allem S. 90 f. Andrea Maffei widmet sich der Übersetzung von Schillers Werken ins Italienische, an denen er von 1827 bis 1850 arbeitet, und die von Seiten der Kritik sowie des Publikums in Italien sehr positiv aufgenommen werden. Zu den wenigen Kritikern seiner Tätigkeit gehören Giosuè Carducci und Mazzini (vgl. Kostka, Schiller in Italy, S. 74 f.). Vgl. zur Kritik an den Übersetzungen Maffeis auch Gabbani, L’Italiano, S. 243; sowie Filippi, Paola Maria: „Andrea Maffei e la sua idea del tradurre. Gli Idillj di Gessner fra ‚il parlar dei moderni e il sermon prisco‘“, in: Giulia Cantarutti/ Stefano Ferrari/Paola Maria Filippi (Hgg.): Traduzioni e traduttori del Neoclassicismo, Mailand 2010, S. 175–192. Vgl. zur Rezeptionsgeschichte von Schillers Werken in Übersetzung Kostka, Schiller in Italy, S. 3 ff. Mazzini, „Italian Literature“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 336. Auch wenn aus dem gesichteten Primärmaterial nicht explizit ein Einfluss Mme de Staëls auf die Konzeption der Biblioteca Drammatica abgeleitet werden kann, so scheint Mazzinis Übersetzungsprojekt doch sehr stark an die Ideen aus „Sulla maniera e la utilità delle traduzioni“ angelehnt. Vgl. hierzu vor allem Staël, „Sulla maniera e la utilità“, in: Calcaterra, Manifesti romantici, hier S. 83; sowie Kapitel 2.2.1 der vorliegenden Arbeit. Gipper, „Vom Fremden im Eigenen“, in: Dizdar/Gipper/Schreiber, Nationenbildung und Übersetzung, hier S. 28. Vgl. Bschleipfer/Schwarze, „196. Übersetzungstheorie und Übersetzungskritik“, in: Kittel et al., Übersetzung – Translation – Traduction, hier S. 1951.

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Nelle nuove idee che dirigono oggi la letteratura, una traduzione intera di Byron è necessaria all’Italia, come lo è una traduzione di Shakespeare ed una di Goethe, non fosse altro per far vedere ai nostri che vi hanno altre vie, oltre quelle del vecchio Aristotele, e che ogni secolo svolge una piega del cuore umano, infinite a numerarsi.67

Guerrazzi soll für ihn zu diesem Zweck Byrons dreiaktiges dramatisches Gedicht „Manfred“ (1817), eines der wichtigsten Werke der europäischen Romantik, übersetzen.68 In Mazzinis eigenen Texten erscheint die Idee einer Biblioteca Drammatica ansatzweise erstmals in seinem Aufsatz „D’una letteratura europea“ aus dem Jahr 1829.69 Ausführlich geht Mazzini schließlich in dem dreiteiligen Artikel „Del dramma storico“ (1830/31)70 auf das Konzept einer Dramensammlung zur Bildung der neuen Dichtergeneration Italiens sowie des italienischen Lesepublikums ein: […] quando una letteratura è, per mille applicazioni e sperimenti e traduzioni del concetto che l’animava, invecchiata, esaurita, consunta, e l’originalità s’è spenta per secoli d’imitazione, e la fecondità s’è convertita in impotenza, la poesia dei grandi intelletti in silenzio, la venerazione del popolo all’Arte e all’artefice in indifferenza, allora la critica sola può imprendere l’opera di rinnovamento; e alla Critica ben intesa e trattata come conviensi spetta il duplice ufficio di rieducare un popolo al Genio e il Genio a una fede: due condizioni senza le quali non è possibile Letteratura. Prima Lessing, poi Schiller. La nostra Letteratura sta, parmi, innegabilmente in questo secondo periodo.711

In dem genannten Artikel wird das Projekt als Scuola Italiana bezeichnet: V’è dunque necessità d’una Critica: necessità d’un’educazione che rinvergini l’intelletto nazionale oggi servo o spossato: necessità d’una SCUOLA ITALIANA. […] Io vorrei […] una Collezione di tutti i lavori drammatici italiani e stranieri che rivelano più esplicita una particolare tendenza, una forma del Dramma, l’idea d’un’epoca, d’una credenza o d’un popolo, accompagnati di lavori critico-teorici rivolti a segnarne lo sviluppo per entro la vita e le produzioni degli scrittori, sì che ne uscisse un Corso di Letteratura Drammatica dove s’intreccerebbero i principii ai fatti, le dottrine agli esempi: la Storia documentata del Dramma.72 67 68 69 70

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Mazzini, Giuseppe: „Brief an Francesco Domenico Guerrazzi, letzte Monate 1828 (I)“, in: SEI, Bd. V, Epistolario I, Imola 1909, S. 3–6, hier S. 6. Vgl. ebd., hier S. 4. Vgl. Mazzini, Giuseppe: „D’una letteratura europea“ (1829), in: SEI, Bd. I, Letteratura I, Imola 1906, S. 177–222, hier S. 218 f., S. 221 f.; sowie weiterhin Limentani, „Un’idea prediletta (1)“, in: Il Pensiero Mazziniano 11 (1949), S. 7. Bei „Del dramma storico“ handelt sich um einen dreiteiligen Aufsatz, dessen erster Teil in der Juli-Ausgabe 1830 der Antologia erscheint, während die Teile zwei und drei im Oktober 1831 in derselben Zeitschrift abgedruckt werden. Der Aufsatz muss, bevor er veröffentlicht werden kann, von Vieusseux als Herausgeber der Antologia auf kritische Inhalte, die Zensoren missfallen könnten, geprüft werden. Dies führt zu diversen Kürzungen im Text, die schließlich jedoch von Mazzini autorisiert werden, da Vieusseux für ihn eine Vertrauensperson darstellt. Für Vieusseux ist „quest’articolo […] di un’evidenza terribile“ in Bezug auf dessen politische Implikationen (Vieusseux, zit. nach Spadolini, L’idea d’Europa, S. 20. Vgl. auch Ferraris, Letteratura e impegno civile, S. 210 f.). Mazzini, Giuseppe: „Del dramma storico“ (1830/31), in: SEI, Bd. I, Letteratura I, Imola 1906, S. 255–329, hier S. 325 f. Vgl. auch Mazzini, „Doveri dell’uomo“, in: SEI, Bd. LXIX, Politica XXIV, hier S. 81; sowie Ferraris, Letteratura e impegno civile, S. 211. Mazzini, „Dramma storico“, in: SEI, Bd. I, Letteratura I, hier S. 326 f.

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Unmittelbar im Anschluss legt Mazzini darüber hinaus dar, dass ein solches Bildungsprojekt für eine Nation Italien nicht auf das eigene Land begrenzt bleiben dürfe, sondern sich bereits in seinen Grundzügen europäisch auszurichten habe: Ma – e anche questo pare provato oggimai – né una Scuola Italiana può starsi nel XIX secolo isolata dal moto intellettuale europeo, né una letteratura crearsi di pianta risalendo alle origini e senza nesso coi tempi che la precedono. La Letteratura che i tempi richiedono avrà probabilmente forme nazionali e concetto europeo. E se le prime non possono afferrarsi dal poeta se non collo studio delle nostre origini letterarie o della tradizione nazionale, il secondo richiede un lungo e profondo esame delle varie tendenze manifestate dagli scrittori di tutti i secoli e di tutti i paesi. Quindi la necessità delle traduzioni.73

In seiner Korrespondenz thematisiert Mazzini erstmals 1834 den möglichen Beginn eines kommentierten Übersetzungsprojekts. Er zeigt sich von Félicité de Lamennais’ „Paroles d’un croyant“ so begeistert, dass er plant, das Werk von Agostino Ruffini sowie Antonio Ghiglione übersetzen zu lassen und selbst einen literaturkritischen Aufsatz zu verfassen, da sich der Text bestens zur Veranschaulichung der eigenen politischen Zwecke eigne. An seinen engen Freund Gaspare Ordoño de Rosales schreibt Mazzini: Avrai udito parlare del libretto uscito novellamente: Parole d’un croyant di Lamennais. Argomentando da alcuni estratti del libro, è scritto con vera potenza, e in un senso totalmente democratico – sarà censurato dalla Chiesa – proibito dai Governi. – È un’adesione solenne ai nostri principii, di un uomo che ha incominciata la propria carriera quasi sulle orme di De Maistre, di un uomo che ha fulminate le idee rivoluzionarie nei suoi libri, e nelle sue menome azioni – oggi ad un tratto si rivela apostolo ardito di principii popolari, e della cacciata contro i re. – Per me non è sorpresa, e come io ho vaticinato sempre Victor Hugo nostro, così ho intravveduto in Lamennais un riformatore, un Lutero del XIX secolo: […] Bisogna dunque trarne profìtto. – Aspetto il libro domani – ed ho risolto tradurlo – forse non io; ma lo tradurranno Ghiglione e Agostino. – Io lo rivedrò – e v’apporrò un discorso preliminare.74

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Ebd., hier S. 326. Mazzini, Giuseppe: „Brief an Gaspare Ordoño de Rosales, Mai 1834 (CCCXC)“, in: SEI, Bd. IX, Epistolario II, Imola 1910, S. 358–360, hier S. 358 f. Mazzini selbst übersetzt nur wenige Zeilen aus den „Paroles d’un croyant“ ins Italienische, die er seinem Aufsatz „Alla gioventù italiana“ von 1834 voranstellt (vgl. Mazzini, Giuseppe: „Alla gioventù italiana [1834], in: SEI, Bd. III, Politica II, Imola 1907, S. 381–395, hier S. 381). Hierbei handelt es sich um Worte, die ein Martyrium bzw. Aushalten von Leid, Ausdauer und Hoffnung beschwören, um Gottes Willen, bestehend aus Gerechtigkeit und Freiheit, auf Erden zu verwirklichen. Dabei hält sich Mazzini wesentlich genauer an das Original als Paolo Pallias 1834 veröffentlichte Übersetzung „Parole di un credente“, die von einem Aufsatz Tommaseos („Considerazioni di un cattolico italiano in risposta all’enciclica“) eingeleitet wird (vgl. Lamennais, Félicité de: Parole di un credente, Italia 1834, S. 128 ff.; Lamennais, Félicité de: Paroles d’un croyant, Paris 1860, S. 102 ff.; sowie Gabbani, L’Italiano, S. 154). Bis auf die genannten Zeilen gibt das gesichtete Primärmaterial keinerlei Hinweis auf eine eigene, umfassende Übersetzung von Lamennais’ Werk durch Mazzini und bzw. oder seine Mitstreiter. Vgl. zu Mazzinis sich wandelnder Einstellung zu Lamennais Mazzini, Giuseppe: „Condizioni presenti della letteratura in Francia / The present state of French literature“ (1839), in: SEI, Bd. XVI, Letteratura III, Imola 1913, S. 251–290, hier S. 256 ff.; Mazzini, Giuseppe: „Brief an die Mutter, 27.8.1834 (CCCCXLIV)“, S. 34–36, hier S. 36; „Brief an Gaspare Ordoño de Rosales, 1.10.1834 (CCOCLXXIV)“, S. 114–118, hier S. 115 f.; „Brief an Félicité de Lamennais, 12.10.1834

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Nach dem „Arbeitstitel“ der Scuola Italiana, auch kurz „Collezione“75 genannt, bezeichnet Mazzini sein Bildungsprojekt in der folgenden Korrespondenz als „serie drammatica“76 oder auch als „Corso Drammatico“77, bevor sich ab Ende des Jahres 1835 der Titel der Biblioteca Drammatica durchsetzt.78 Deswegen wird in der vorliegenden Arbeit durchgängig der Begriff Biblioteca Drammatica verwendet werden, auch wenn Mazzini für seinen zweiten Versuch der Umsetzung seiner Dramensammlung ab dem Jahr 1837 diese fast nur noch als „Collezione“ betitelt und sich auch in seinen Erinnerungen dieses Terminus bedient.79 In „Del dramma storico“ führt Mazzini überdies in die inhaltliche Konzeption seiner Biblioteca Drammatica ein. Die Dramenreihe soll in einem historisch-chronologischen Vorgehen die Geschichte des Dramas parallel zur Entwicklung der menschlichen Zivilisation von ihren Anfängen bis in die Gegenwart übersetzungssowie literaturkritisch nachzeichnen und prophetisch einen Ausblick in die Zukunft geben. Hierbei zeigt sich der Umfang des Ursprungskonzepts im Vergleich zu den wenigen, schließlich tatsächlich umgesetzten Bänden, die ausschließlich Gegenwartsliteratur beinhalten bzw. behandeln: La Collezione, preceduta da uno studio sulle origini Drammatiche […], esodirebbe dal Dramma Indiano e Persiano per discendere, attraverso il teatro greco, pochi frammenti romani e qualche Mistero del medio evo, ai lavori inglesi, spagnuoli, francesi, italiani, germanici, fin dove alcuni poemi contemporanei, segnatamente d’esuli della Polonia,80 incerti fra la lirica e la drammatica, sembrano, quasi fantasmi erranti sul confine di due mondi, dichiarare a un tempo la rovina d’una forma di Dramma e l’aspirazione a un’altra: ma tra i molti autori compresi nella Collezione, tre soli forse, Eschilo, Shakespeare, Schiller,81 esigerebbero che si traducesse ogni cosa loro: gli altri tutti darebbero luogo a una scelta. La Collezione verrebbe, seguendo la progressione storica, ordinata per tempi.82 (CCCCLXXXIV)“, S. 141–148, hier S. 141 f.; alle in: SEI, Bd. X, Epistolario III, Imola 1911; sowie Ossani, Letteratura e politica, S. 121 f., S. 199. 75 Vgl. Mazzini, „Dramma storico“, in: SEI, Bd. I, Letteratura I, hier S. 327. 76 Etwa Mazzini, Giuseppe: „Brief an die Mutter, 26.10.1835 (DCLXVIII)“, in: SEI, Bd. XI, Epistolario IV, Imola 1911, S. 102–104, hier S. 103. 77 Etwa Mazzini, Giuseppe: „Brief an Luigi Amedeo Melegari, 1.2.1836 (DCCXX)“, in: SEI, Bd. XI, Epistolario IV, Imola 1911, S. 222–228, hier S. 227. 78 Vgl. etwa Mazzini, Giuseppe: „Brief an die Mutter, 18.12.1835 (DCXCVII)“, in: SEI, Bd. XI, Epistolario IV, Imola 1911, S. 161–162, hier S. 162. 79 Vgl. Mazzini, Giuseppe: „Brief an Enrico Mayer, 26.1.1837 (DCCCLXXV)“, in: SEI, Bd. XII, Epistolario V, Imola 1912, S. 293–295, hier S. 294 f.; Mazzini, „Note autobiografiche“, in: SEI, Bd. LXXVII, Politica XXVI, hier S. 92 f.; sowie die folgende Argumentation der vorliegenden Arbeit. 80 Hiermit meint Mazzini etwa Adam Mickiewicz’ „Totenfeier“ („Dziady“) oder auch Zygmunt Krasińskis „Ungöttliche Komödie“ (vgl. Mazzini, „Dramma storico“, in: SEI, Bd. I, Letteratura I, hier S. 327, Fußnote 1). 81 Dies sind die drei Autoren, die für Mazzini die drei wesentlichen Literaturepochen  – Antike, Mittelalter, Moderne – repräsentieren, wie besonders im Aufsatz „Della fatalità considerata com’elemento drammatico“ deutlich wird (vgl. Mazzini, „Fatalità“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, S. 169–200). Deshalb soll deren Werk in ihrer Gesamtheit übersetzt und besprochen werden. Vgl. hierzu auch Kapitel 3.3.3 der vorliegenden Arbeit. 82 Mazzini, „Dramma storico“, in: SEI, Bd. I, Letteratura I, hier S. 327.

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Auch hinsichtlich der Ausrichtung des Kommentars sowie der Erläuterungen zu Leben und Werk des jeweiligen Autors hat Mazzini eigene Vorstellungen. Die Literaturkritiken dienen der Herausarbeitung der wesentlichen Charakteristika eines jeden Dramas und deren Beurteilung. Den Biografien der Dichter liegt eine psychologische Studie zugrunde, die außerdem die Einflüsse untersucht, die die Persönlichkeit des Verfassers sowie seine historischen Lebensumstände auf das jeweilige Werk ausüben. Mazzini plädiert in Abgrenzung von der französischen Tradition für treue Übersetzung in Prosa, um Domestizierung und imperiale Implikationen zu vermeiden; lediglich Übersetzungen aus dem Altgriechischen, bei denen auch eine Übertragung in Verse möglich sei, können von diesem Vorgehen ausgenommen werden: Le traduzioni, fedelissime e senza ombra di mutilazione, dovrebbero, tranne forse quelle dal greco, essere tutte in prosa, perché ai soli potenti davvero di poesia originale è dato trasfondersi nell’altrui; i mediocri vi sostituiscono pur sempre la propria, e tra noi i potenti davvero son rari e non avvezzi, pare, alle traduzioni.83

Griechenland gilt (Mazzini) als Wiege der Völker, der Demokratie und menschlicher Zivilisation insgesamt. Aufgrund seiner Lage zwischen östlicher sowie westlicher Welt und der Verarbeitung des so entstehenden, wechselseitigen Einflusses stellt Griechenland für Mazzini die erste universal ausgerichtete Nation der Menschheit dar.84 Darüber hinaus nehmen die Griechen auch als erstes Volk mit einer Nationalliteratur im Mazzinianischen Sinne eine Sonderrolle ein.85 Denn die Epen Homers – die „Ilias“ und die „Odyssee“ – stehen nicht nur für den Ursprung der griechischen, sondern auch einer europäischen – und damit für Mazzini transnationalen, universalen – Literatur. Die griechische Literatur nimmt auch bei den deutschen Romantikern eine wesentliche Rolle bei der Begründung ihrer Übersetzungskultur sowie ihrer Identität ein. Gerade die griechische Metrik dient als Mittel der Bereicherung der eigenen Kultur. Goethe beschreibt dies wie folgt: Aber auch bei […] Schätzung des Ausländischen dürfen wir nicht bei etwas Besonderem haften bleiben und dieses für musterhaft ansehen wollen. Wir müssen nicht denken, das Chinesische wäre es, oder das Serbische, oder Calderon, oder die Nibelungen; sondern im Bedürfnis von etwas Musterhaftem müssen wir immer zu den alten Griechen zurückgehen, in deren Werken stets der schöne Mensch dargestellt ist. Alles übrige müssen wir nur historisch betrachten und das Gute, so weit es gehen will, uns historisch daraus aneignen.86 83 Ebd., hier S. 328. Vgl. auch Mazzini, „Quaderno V“, in: SEI, Zibaldone Giovanile, Bd. III, S. 34 ff. Mit seiner Präferenz für die Strategie einer Prosaübersetzung bewegt sich Mazzini im Rahmen seiner romantischen Prägung (vgl. Salama-Carr, Myriam: „French tradition“, in: Mona Baker [Hg.]: Routledge Encyclopedia of Translation Studies, London/New York 1998, S. 409–415, hier S. 413). 84 Vgl. Mazzini, „Fatalità“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 178. 85 Vgl. Mazzini, „Letteratura europea“, in: SEI, Bd. I, Letteratura I, hier S. 195; sowie zu einer Auseinandersetzung Mazzinis mit der griechischen Zivilisation der Antike Kapitel 3.3.1.3.2 der vorliegenden Arbeit. 86 Goethe, Johann Wolfgang von: Sämtliche Werke (Frankfurter Ausgabe). Briefe, Tagebücher und Gespräche, 40 Bände, hrsg. v. Friedmar Apel/Hendrik Birus et al., Frankfurt/Main 1986–1999, hier: II. Abt., Bd. 12, S. 225.

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Es handelt sich hierbei um eine Besinnung auf die europäischen Wurzeln sowie die Begründung einer europäischen Zivilisation, verbunden mit einer Sehnsucht und Besinnung auf das Archaische als Grundlage und Ursprung jeden kulturellen Lebens. Während Goethe jedoch mit seiner Hochschätzung der griechischen und römischen Literatur dem klassischen Kanon verhaftet bleibt, deren Studium er als „Basis der höhern Bildung“87 definiert, versucht Mazzini gerade, diesen zugunsten einer Dehierarchisierung aufzubrechen.88 Die Übersetzung eines Originals in Reimform in Verse der Zielsprache kann – Mazzini zufolge – nur in hochzivilisierten Kulturen gelingen. Weniger weit entwickelte Kulturen reproduzieren dagegen stetig das Eigene. Mazzinis implizite Kritik am gegenwärtigen, kulturell-politischen Zustand in Italien betrifft nicht nur die minderwertige Qualität des eigenen literarischen Schaffens, sondern auch die dortige Ablehnung von Übersetzungen zeitgenössischer Werke, die die Kultur seiner Heimat weiterhin als „mittelmäßig“ manifestieren. Mazzini stellt in seinen zwischen 1861 und 1866 verfassten „Note autobiografiche“ das Konzept der Biblioteca Drammatica noch einmal ausführlich dar. So sieht sein Entwurf eine Aufarbeitung des dramatischen Genres in seiner historischen Entwicklung von der Antike bis zur Gegenwart vor.89 Er plant, die Biblioteca Drammatica mit einem Manifest beginnen zu lassen, einem Aufsatz mit Vorbemerkungen zum Drama allgemein sowie dessen Verortung im Rahmen der Literaturgattungen. Zudem soll die Verbindung zwischen der Entwicklung des dramatischen Genres und dem gesellschaftlichen sowie religiösen Fortschritt der Menschheit aufgezeigt werden.90 An diese allgemeine Einführung schließen sich Übersetzung und Kommentierung von Kalidasas „Shakuntala“ aus dem vierten Jahrhundert an, einem ursprünglich in einer Mischung aus Sanskrit und Prakrit verfassten, indischen Drama, das auf die Mythologie der Hindus zurückgeht und als Nationaldrama des indischen Theaters gilt, sowie ein Aufsatz zur brahmanischen Kultur. Damit sollen die Rezipienten der Biblioteca Drammatica an die orientalische bzw. östliche Welt herangeführt werden, da das Interesse an deren Kultur – und damit auch entsprechende Kenntnisse – Mazzini zufolge im Westen lediglich marginal vorhanden ist. Im Hinblick auf die griechische Antike umfasst Mazzinis Konzept die Lektüre und Besprechung von Aischylos’ Werken, insbesondere von dessen „Prometheus“, 87 Goethe, Johann Wolfgang von: Sämtliche Werke (Frankfurter Ausgabe). Briefe, Tagebücher und Gespräche, 40 Bände, hrsg. v. Friedmar Apel/Hendrik Birus et al., Frankfurt/Main 1986–1999, hier: I. Abt., Bd. 13, S. 175. 88 Vgl. hierzu ausführlich Kapitel 3.3.2.3.1 der vorliegenden Arbeit. 89 Bereits das Konzept der Biblioteca Drammatica weist auf einen Einfluss Schillers durch dessen Idee einer ästhetischen Erziehung des Menschen hin (vgl. Kostka, Schiller in Italy, S. 75). Mazzinis Vorliebe für Schiller, dessen Interesse auch durch Thomas Carlyles Biografie des deutschen Dichters – „The Life of Schiller“ (1823 bzw. 1825) – geweckt wird, beschreibt Kostka als „unusual and striking, to say the least“ (ebd., S. 70; vgl. auch ebd., S. 71 ff., sowie bereits Mazzucchetti, Lavinia: Schiller in Italia, Mailand 1913, S. 171 ff.). 90 Vgl. Mazzini, „Note autobiografiche“, in: SEI, Bd. LXXVII, Politica XXVI, hier S. 93; sowie Mazzini, „Fatalità“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, S. 169–200.

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der von einem Aufsatz zum griechischen Drama begleitet wird.91 Prometheus gilt Mazzini als prophetisches Sinnbild einer gegen Tyrannenherrschaft kämpfenden Menschheit, das er auf seine Gegenwart der unterdrückten Nationen überträgt. Er bezeichnet die Figur des Prometheus weiterhin als einzigartig in der Antike, weil sie die erste Stufe eines Emanzipationsprozesses der Menschheit symbolisiere. Detaillierter geht er hierauf in seinem Aufsatz „Della fatalità considerata com’elemento drammatico“ ein, der die Übersetzung von „Der vierundzwanzigste Februar“ Zacharias Werners literaturkritisch untersucht.92 Neben Aischylos möchte Mazzini lediglich Werke Sophokles’ („Ödipus auf Kolonos“ bzw. „Antigone“) sowie Euripides’ („Iphigenie in Aulis“) als Repräsentanten der griechischen Antike in seiner Sammlung übersetzen und besprechen. Die Übersetzungen sollen jeweils von biografischen Bemerkungen sowie einem Diskurs zur Verortung der Dramen begleitet werden.93 Die Römer sieht Mazzini eher als epische denn als dramatische Dichter, sodass er sich nach der griechischen Antike sogleich dem Mittelalter zuwendet. Hier unterscheidet er zwischen dem religiösen Drama etwa eines Pedro Calderón sowie dem weltlichen Drama Shakespeares, beide jedoch Vertreter einer individualistischen Epoche, die noch kein Bewusstsein für die Menschheit als Gemeinschaft zeigen und damit den für Mazzini entscheidenden sozialen Aspekt von Kunst ignorieren.94 Shakespeare nimmt nicht nur als repräsentativer Dichter des Mittelalters eine wichtige Rolle ein, sondern stellt auch eine Verbindung zwischen Mittelalter und Moderne dar, weil er von den Romantikern als Volks- und Vorbilddichter rezipiert wird. Mazzini referiert hier auf das romantische Übersetzungskonzept in Deutschland, wo gerade auch durch Shakespeare-Übersetzungen – insbesondere August Wilhelm Schlegels Dramen-Übersetzungen als Verbindung von Übersetzung und eigenem, poetischen Schaffen – ein neues literarisches Selbstbewusstsein begründet wird. Die Beifügung deutscher Literaturkritiken zu den Shakespeare-Übersetzungen im Rahmen der Biblioteca Drammatica soll das deutsche Modell auch italienischen Rezipienten zugänglich machen und dieses als Vorbild inszenieren: Per noi, la Critica è un preludio dell’Arte. Da quel preludio esciva, poco dopo la metà del secolo scorso, la Letteratura tedesca. E da un preludio siffatto escirà forse anzi la metà del secolo in che viviamo, un principio di Letteratura Italiana.95 91 92 93 94

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Schon in jungen Jahren beschäftigt sich Mazzini mit der Idee hinter dem griechischen Theater (vgl Mazzini, „Quaderno V“, in: SEI, Zibaldone Giovanile, Bd. III, S. 63). Vgl. Mazzini, „Fatalità“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, S. 169–200. Vgl. Mazzini, „Note autobiografiche“, in: SEI, Bd. LXXVII, Politica XXVI, hier S. 93. Vgl. ebd., hier S. 94. Mazzini folgt der Tendenz seiner Zeit, dass Dichter und vor allem Dramatiker im Rahmen ihres historischen Kontexts und des herrschenden literarischen Geschmacks beurteilt werden müssen, da sich Literatur abhängig von ihrer historischen Situation und dem jeweiligen Zustand von Politik und Gesellschaft verändere (vgl. Mazzini, „Quaderno V“, in: SEI, Zibaldone Giovanile, Bd. III, S. 62 f.; sowie Kapitel 3.3.1.3.2 der vorliegenden Arbeit). Mazzini, „Prefazione di un periodico letterario“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 102. Mazzini sieht in dem Überlegenheitsstreben und dessen Inszenierung durch die deutschen Romantiker übrigens durchaus die Gefahr eines aufkommenden Nationalismus mit Gewaltpotenzial gegenüber anderen Kulturen.

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Die für Mazzini übersetzungs- und besprechungswürdigen Gegenwartsdramen sind Goethes „Faust“ sowie „Götz von Berlichingen“, Dramen seiner Landsmänner Vittorio Alfieri und Alessandro Manzoni, des bereits genannten Werner sowie weiteren, nicht näher spezifizierten Dichtern aus England, Deutschland, Polen und Frankreich. Hierbei legt er den Fokus nicht auf […] le forme letterarie o l’ingegno poetico, ma i diversi elementi, tradizione storica, idealismo, fantasia, patria, Umanità, Religione, coi quali fu tentata la soluzione: tentata, non raggiunta, perché ciascuno la cercò in uno solo di quelli elementi, mentre il Dramma dell’avvenire è destinato ad armonizzarli.96

Mit diesem Bezug auf romantische Topoi und deren Beurteilung als „Lösungsversuch“ macht Mazzini deutlich, dass die Romantik für ihn nicht das prophetischinnovative Drama hervorgebracht hat, das für die Begründung einer Zukunft in seinem Sinne genutzt werden kann. Vielmehr braucht es das Zusammenspiel der verschiedenen Elemente, um auf breiter Ebene erfolgreich zu sein. Eine Beschäftigung mit Schiller und seinen Dramen, gefolgt von einem konkludierenden Ausblick, beendet Mazzinis literaturkritische Sammlung.97 Ambitioniert sieht Mazzini für die Verwirklichung und Umsetzung der Biblioteca Drammatica 18 Monate vor, in denen er fünf oder sechs Mitarbeiter bzw. Übersetzer beschäftigen will, die seine Ideen von Literatur(-Kritik) teilen.98 Im Falle eines Erfolgs der Biblioteca Drammatica plant Mazzini, sein Übersetzungsprojekt um zwei weitere solcher Reihen zur Epik sowie zu religiösen Schriften zu erweitern.99 Bezüglich dieser beiden Ideen gibt es – im Gegensatz zur Dramenreihe – jedoch keinerlei Anhaltspunkt für den Versuch einer Realisierung. Im Hinblick auf das historische Gesellschaftsdrama der Zukunft, das durch die Biblioteca Drammatica begründet werden soll, steht für Mazzini die Frage nach dem Verhältnis zwischen historischer Wahrheit und poetischer Freiheit sowie universalen Prinzipien im Mittelpunkt seiner Überlegungen. Er wirft die Frage auf, „se insomma il perno della drammatica debba consistere negli affetti, o nella nuda verità storica. La questione s’annoda a principii d’alta ed universale importanza.“100 Weder der Bereich der Emotionen noch der Bereich der historischen Fakten reichen für den Erfolg eines solchen, wahrhaft modernen Dramas aus. Beide Aspekte müssen vereint werden, um sich in den Dienst eines höheren Prinzips zu stellen. Mazzini unterscheidet zwischen einem „vero storico o de’ fatti“ und einem „vero morale o de’ principii“. Ersteres muss sich zweiterem unterordMazzini, „Note autobiografiche“, in: SEI, Bd. LXXVII, Politica XXVI, hier S. 94. Vgl. ebd., hier S. 94. Vgl. ebd., hier S. 95; sowie Mazzini, Giuseppe: „Brief an die Mutter, 2.1.1838 (MXXXIX)“, in: SEI, Bd. XIV, Epistolario VI, Imola 1912, S. 217–223, hier S. 219. 99 Vgl. Mazzini, „Note autobiografiche“, in: SEI, Bd. LXXVII, Politica XXVI, hier S. 95 f.; sowie zu Mazzinis frühem Interesse an Epen, Volksdichtung und Märchen Mazzini, Giuseppe: „Quaderno VI“, in: Maria Luisa Trebiliani (Hg.): SEI, Nuova Serie, Bd. IV, Zibaldone Giovanile, Bd. IV, Imola 1990 (folgend: SEI, Zibaldone Giovanile, Bd. IV), S. 407. 100 Mazzini, „Dramma storico“, in: SEI, Bd. I, Letteratura I, hier S. 258. 96 97 98

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nen bzw. als dessen konkrete Ausprägung und Umsetzung fungieren.101 Bei dieser Art der Verwendung historischer Gegebenheiten zur Beschreibung von zeitlosen Idealen und Prinzipien scheint sich das Verständnis der Aufgabe von Kunst nach Mazzinis Vorbilddichter Schiller zu artikulieren: Die wahre Kunst aber hat es nicht bloß auf ein vorübergehendes Spiel abgesehen, es ist ihr ernst damit, den Menschen nicht bloß in einen augenblicklichen Traum von Freiheit zu versetzen, sondern ihn wirklich und in der Tat frei zu machen, und dieses dadurch, daß sie eine Kraft in ihm erweckt, übt und ausbildet, die sinnliche Welt, die sonst nur als ein roher Stoff auf uns lastet, als eine blinde Macht auf uns drückt, in eine objektive Ferne zu rücken, in ein freies Werk unsers Geistes zu verwandeln, und das Materielle durch Ideen zu beherrschen.102

Schillers Werke gehen von einer bestimmten Idee aus, die durch diese veranschaulicht werden soll. Die Figuren der Dramen agieren nicht als Individuen, sondern lassen sich als „ideale Personen und Repräsentanten ihrer Gattung“103, eines Typus Mensch, interpretieren, der so deren Rezipienten in ihrem Innersten – bewusst oder unbewusst – anspricht und beeinflusst, wie Schiller in seinem Prolog zur „Braut von Messina“ selbst darlegt: Phantastische Gebilde willkürlich aneinander reihen heißt nicht ins Ideale gehen, und das Wirkliche nachahmend wieder bringen, heißt nicht die Natur darstellen. Beide Forderungen stehen so wenig im Widerspruch mit einander, daß sie vielmehr – eine und dieselbe sind; daß die Kunst nur dadurch wahr ist, daß sie das Wirkliche ganz verläßt und rein ideell wird. Die Natur selbst ist nur eine Idee des Geistes, die nie in die Sinne fällt. Unter der Decke der Erscheinungen liegt sie, aber sie selbst kommt niemals zur Erscheinung. Bloß der Kunst des Ideals ist es verliehen, oder vielmehr, es ist ihr aufgegeben, diesen Geist des Alls zu ergreifen, und in einer körperlichen Form zu binden. Auch sie selbst kann ihn zwar nie vor die Sinne, aber doch durch ihre schaffende Gewalt vor die Einbildungskraft bringen, und dadurch wahrer sein als alle Wirklichkeit und realer als alle Erfahrung. Es ergibt sich daraus von selbst, daß der Künstler kein einziges Element aus der Wirklichkeit brauchen kann, wie er es findet, daß sein Werk in allen seinen Teilen ideell sein muß, wenn es als ein Ganzes Realität haben und mit der Natur übereinstimmen soll.104

Die ideale Figur des modernen, historischen Gesellschaftsdramas ist für Mazzini der Weltbürger der Zukunft, der im Rahmen einer neuen Weltliteratur präsentiert wird: Aprite le storie: eccovi l’uomo del paganesimo, l’uomo del feudalismo, l’uomo del secolo XVII – eccovi l’uomo del nord, l’uomo del mezzogiorno: ma, superiore a tutti questi uomini, che sono la 101 Vgl. ebd., hier S.  289; weiterhin bereits 1913 Mazzucchetti, Schiller in Italia, S.  174; sowie zur Ähnlichkeit zwischen Mazzinis Konzeption und Alfred de Vignys Unterscheidung in „la VÉRITÉ de l’art“ und „le VRAI du fait“ in seinen „Réflexions sur la vérité dans l’art“ (1829 als Vorwort zur vierten Auflage seines Romans „Cinq-Mars“ erschienen) Ferraris, Letteratura e impegno civile, S. 215. 102 Schiller, Friedrich [1803]: „Über den Gebrauch des Chors in der Tragödie (Vorwort zu: ‚Die Braut von Messina oder Die feindlichen Brüder‘)“, in: Friedrich Schiller. Werke und Briefe in zwölf Bänden, Bd. 5, Dramen IV, hrsg. v. Matthias Luserke, Frankfurt/Main 1996, S. 281–291, hier S. 283, Zeile 5 ff. 103 Ebd., hier S. 290, Zeile 2. 104 Ebd., hier S. 284, Zeile 12 ff.

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rappresentazione d’un grado di sviluppo intellettuale, il prodotto di tutte le cause fisiche e morali, particolari ad una nazione o ad un dato tempo, sta l’uomo di tutti i tempi, di tutti i luoghi; l’uomo, primogenito della natura, immagin [sic!] di Dio, creato al progresso del perfezionamento indefinito; l’uomo, centro dell’universo, considerato nella sua parte immortale, nella pienezza delle sue potenze morali: l’uomo insomma, non Inglese, non Francese, non Italiano, ma cittadino della vasta terra, miniatura di tutte le leggi eterne, universe, invariabili: l’UOMO.105

Mazzinis historisches Drama soll sich folglich der Geschichte bedienen, sich aber nicht sklavisch an Fakten halten, sondern historische Ereignisse, Gegebenheiten und Personen zum Ausdruck aktueller Bedürfnisse und Problemstellungen heranziehen, um Lösungen aufzuzeigen.106 Für Mazzini sind drei Ebenen bei der Konzeption und Einschätzung eines Dramas von entscheidender Bedeutung – „[i]l fatto reale: La legge generale dell’epoca che lo avea reso possibile, e ne spiegava la esistenza: La legge universale dell’umanità, ossia il principio morale secondo il quale dovea giudicarsi.“107 Die historische Tatsache, die im Drama dargestellt wird, sowie das jeweilige Gesetz der Epoche, das diese Tatsache begründet, müssen daher der Beurteilung durch ein universales Gesetz mit moralischem Anspruch genügen bzw. ein Ideal vermitteln, das beim Publikum weiterwirkt. Die Fallstudien werden zeigen, wie – und wie hinreichend in Mazzinis Verständnis – diese drei Ebenen in den jeweiligen Dramen der Biblioteca Drammatica von ihren Dichtern umgesetzt worden sind.

3.3 FALLSTUDIEN Die folgenden Fallstudien beschäftigen sich einerseits mit der praktischen Umsetzung, Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der drei mehr oder weniger vollständig realisierten Publikationen der Biblioteca Drammatica. Zur Nachzeichnung der historischen Gegebenheiten finden Mazzinis Briefe an seine Mutter und Freunde, insbesondere an den in Genua mit der Umsetzung des Projekts betrauten Filippo Bettini,108 Berücksichtigung. Darüber hinaus werden sowohl die Korrespondenz seiner Familie und Bettinis an Mazzini im Exil als auch die Briefe seiner Mitstreiter, der Brüder Agostino (1812–1855) und Giovanni Ruffini (1807–1881), vor allem an deren Mutter, genauer betrachtet. So ergibt sich ein der historischen 105 Mazzini, „Dramma storico“, in: SEI, Bd. I, Letteratura I, hier S. 323 f. 106 Vgl. ebd., hier S. 314 f.; weiterführend Decroisette, Françoise: „Introduction“, in: Françoise Decroisette (Hg.): L’histoire derrière le rideau. Écritures scéniques du Risorgimento, Rennes 2013, S. 9–23, hier S. 12; Galante Garrone, „Schiller e Mazzini“, in: Istituto per la storia, Mazzini e i repubblicani, hier S. 60 f.; Betti, „Key aspects“, in: Italica 74 (2/1997), hier S. 191, sowie bereits 1913 Mazzucchetti, Schiller in Italia, S. 175. 107 Mazzini, „Dramma storico“, in: SEI, Bd. I, Letteratura I, hier S. 311. 108 Filippo Bettini gehört seit Jugendjahren zu den engsten Freunden und Vertrauten Mazzinis und pflegt während dessen Exilzeit auch engen Kontakt mit dessen Mutter Maria Mazzini (vgl. Codignola, „La giovinezza di G. Mazzini“, in: ders., I fratelli Ruffini, Bd. I, hier S. XLIV f., der auch Bettinis Einsatz für die Umsetzung der Biblioteca Drammatica in Genua betont).

Fallstudien

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Chronologie folgendes, umfassendes Bild des translatorischen Handelns Mazzinis im Hinblick auf sein Übersetzungsprojekt, das bisher noch nicht in dieser detaillierten Form dargestellt und untersucht worden ist. Andererseits wird eine Analyse des vorliegenden Textmaterials der Bände, der Übersetzungen und Aufsätze, durchgeführt, wobei die in der Theorie erarbeiteten Zugriffsweisen von Übersetzung als Bildungsmoment, als Grenzziehung, als Manipulation sowie als Identitätsstifter als Hilfsmittel dienen, um der Vielschichtigkeit von Mazzinis Übersetzungsprojekt gerecht werden zu können.

3.3.1 Mazzini und der „Chatterton“ Alfred de Vignys Trotz der Konzeption einer historisch-chronologisch fortschreitenden Dramenreihe setzt die praktische Umsetzung der Biblioteca Drammatica in der Gegenwart ihres Begründers und deren literarischen Werken ein. Mazzini befindet sich nach seiner Flucht aus Frankreich im Schweizer Exil in Grenchen, zunächst zusammen mit Agostino Ruffino und Antonio Ghiglione, zu denen sich häufig Agostinos Bruder Giovanni sowie Angelo Usiglio, die ihrerseits für einige Zeit in Bern leben, gesellen. Nach der Gründung der Giovine Italia und dem Scheitern des Aufstands in Savoyen stellt das Frühjahr 1835 für die Exilanten „un breve periodo di relativa tranquillità in Isvizzera“109 dar, in dem sie sich – wie während ihres Engagements für den Indicatore Genovese und den Indicatore Livornese110 – auf literarische Aktion konzentrieren.111 Die Abschottung der Gruppe hält Uberto Limentani für einen Katalysator bei der Entwicklung der Biblioteca Drammatica: [È] facile immaginare quante discussioni, quanti progetti, quanti scambi d’idee, quante riaffermazioni di proposti siano intervenute fra i […] esuli, avvinti da rapporti di stretta intimità, compagni d’esilio ed amici di lunga data.112

Mazzini, bekanntestes Mitglied der Gruppe, übernimmt auch bei der Konzeption und Umsetzung der Dramenreihe die unangefochtene Führungsrolle. Am 12.2.1835 wird am Pariser Théâtre Français Alfred de Vignys Drama „Chatterton“ über den englischen Dichter, der an der Gesellschaft verzweifelt und schließlich Selbstmord begeht, uraufgeführt. Zur Zeit der Publikation halten sich Agostino Ruffini und Ghiglione in Paris auf. Sie wohnen dort einer Aufführung des Dramas bei; mutmaßlich lernt Ghiglione sogar dessen Autor persönlich 109 Limentani, „Un’idea prediletta (2)“, in: Il Pensiero Mazziniano 12 (1949), hier S. 5. Vgl. auch Poli, „Chatterton“, in: Centre d’études, Mélanges à la mémoire, hier S. 327. 110 Vgl. hierzu Kapitel 2.2.2 der vorliegenden Arbeit. 111 Vgl. Ruffini, Agostino: „Brief an Gaspare Ordoño de Rosales, 23.10.1835“, in: L. Ordoño de Rosales (Hg.): Lettere inedite di Giuseppe Mazzini ed alcune de’ suoi compagni d’esiglio, Turin 1898 (folgend: Rosales, Lettere inedite), S. 55. 112 Limentani, „Un’idea prediletta (1)“, in: Il Pensiero Mazziniano 11 (1949), S. 7.

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kennen.113 Agostino Ruffini zeigt sich von dem Werk Vignys begeistert und verspricht, Mazzini eine Ausgabe in die Schweiz zu schicken.114 Mazzini ist sehr gespannt auf das französische Drama, wie ein Brief an seine Mutter belegt: Aspetto con una certa impazienza un Dramma d’Alfred de Vigny, che hanno rappresentato in Parigi e di cui la cugina [Antonio Ghiglione] che l’ha sentito mi dice miracoli. L’argomento è Chatterton: un poeta inglese che si suicida per miseria.115

Zuvor fragt Mazzini bereits seine zeitweise Geliebte und enge Freundin Giuditta Sidoli nach dem Drama Vignys.116 Mazzini erhält das Werk schließlich in Bern während eines Besuchs bei Giovanni Ruffini, wahrscheinlich gegen Ende März 1835, und plant, die Biblioteca Drammatica mit dem französischen Drama im Rahmen eines Pilotbands beginnen zu lassen: […] parve che si prestasse all’esule una buona occasione per cominciare la stampa della collezione drammatica con la sollecita traduzione d’un lavoro, che era stato accolto con tanto favore dal pubblico.117

Die italienische Version des „Chatterton“ bietet für die Begründer der Biblioteca Drammatica die erste Möglichkeit zur Auslotung der Erfolgsaussichten ihres Projekts.118 Mazzini und die Brüder Ruffini erstellen den ersten Band ihrer Reihe innerhalb nur weniger Tage gemeinsam;119 Mazzini übernimmt hierbei die Übersetzung des Vorworts Vignys zu seinem Drama sowie den dritten Akt und verfasst 113 Vgl. Gabbani, L’Italiano, S. 74, S. 85 ff. 114 Vgl. Commissione per l’Edizione Nazionale degli Scritti di Giuseppe Mazzini: „Introduzione“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, Imola 1910, S. VII–LVI, hier S. X; sowie Poli, „Chatterton“, in: Centre d’études, Mélanges à la mémoire, hier S. 328. 115 Mazzini, Giuseppe: „Brief an die Mutter, 20.3.1835 (DLXXVII)“, in: SEI, Bd. X, Epistolario III, Imola 1911, S. 389–391, hier S. 390. 116 Vgl. Mazzini, Giuseppe: „Brief an Giuditta Sidoli, 30.5.1835 (72)“, in: SEI, Appendice, Epistolario I, Imola 1938, S. 268–274, hier S. 273 f. Die Commisione per l’Edizone Nazionale datiert diesen Brief auf den 30.5.1835. Wenn aber – wie im Folgenden dargestellt – die Übersetzung des Dramas bereits im März 1835 angefertigt wird, kann diese Datierung nicht zutreffen – zumal Fußnote 2 zu dem genannten Brief an Giuditta Sidoli die Anmerkung enthält, dass „Chatterton“ „pochi mesi dopo“ (vgl. ebd., hier S. 273) von den Ruffini-Brüdern und Mazzini übersetzt worden sei. 117 Commissione per l’Edizione Nazionale, „Introduzione“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. XI. 118 Vgl. etwa Ruffini, Giovanni: „Brief an die Mutter, 15.4.1835 (CXLV)“, in: Codignola, I fratelli Ruffini, Bd. I, S. 269, Fußnote 1. 119 Vgl. Commissione per l’Edizione Nazionale, „Introduzione“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. XII. Interessanterweise hält Vigny selbst die schließlich anonym erscheinende, italienische Übersetzung für ein Translat Antonio Ghigliones, der dem Originalautor eine signierte Ausgabe zukommen lässt, um einer Verhaftung in Paris zu entgehen (vgl. Mazzini, Maria: „Brief an den Sohn, 23.7.1836 [155]“, in: SEI, Lettere a Giuseppe Mazzini, Bd. I, S. 310; Poli, „Chatterton“, in: Centre d’études, Mélanges à la mémoire, hier S. 332 f.; sowie Gabbani, L’Italiano, S. 309). Sowohl Gabbani und Poli als auch vor ihnen Limentani beschreiben Ghigliones direkte Beteiligung an der Biblioteca Drammatica. Erstere hält ihn sogar für einen der Mitübersetzer des „Chatterton“, was letztere jedoch ausschließt (vgl. ebd., S. 76; Poli, „Chatterton“, in: Centre d’études, Mélanges à la mémoire, hier S. 328, S. 332 f.; sowie Limentani, „Un’idea prediletta [2]“, in: Il Pensiero Mazziniano 12 [1949], hier S. 5). Aus dem gesichteten Material ergibt sich kein konkreter Hinweis für eine Beteiligung Ghigliones an den Übersetzungen oder Aufsätzen der Dramenreihe, son-

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einen literaturkritischen Kommentar ohne gesonderten Titel, der von der Commissione per l’Edizione Nazionale als „Articolo premesso alla versione italiana del Chatterton di Alfredo di Vigny“ erneut publiziert wird. Von der Sammlung erhoffen sich Mazzini und die Ruffinis auch finanziellen Profit. Mazzini schreibt an Luigi Amedeo Melegari: Ho tradotto prefazione e terzo atto di Chatterton: altri gli altri due atti: aggiungo un discorso sul Dramma stesso – e, se i revisori non s’avvedono, sarà stampato in Italia. – Se il primo è accettato, e frutta, saremo sicuri di far accettare altre traduzioni allo stesso libraio – e potrai giovartene. Tento io pure, senza frutto finora, tutte le vie per aprir modo di lucro, poco o molto – per me e per gli altri.120

Giovanni Ruffini erläutert seiner Mutter Eleonora Curlo Ruffini ebenfalls die Pläne zur kommentierten „Chatterton“-Übersetzung: Un mot à propos du Drame, mais pas du mien, ce sera pour une autre fois. Vous savez, Chatterton d’Alfred de Vigny, est un Drame qui fait fureur en France. Il n’y a rien dedans de politique. A peine il sortira imprimé, si l’on envoyait une très bonne traduction italienne (je garantis cela) avec un discours préliminaire sur Chatterton et Alfred de Vigny, croyez-vous qu’on trouverait un imprimeur et qu’il y aurait chance de vendre e de gagner quelque chose? Vous voyez que j’en suis aux petits expédients. C’est une question que vous ferez faire par Laurent [Filippo Bettini]121 à un imprimeur, par exemple à Ponthenier.122 Paolin [Agostino Ruffini] m’écrit ce matin. Il se porte merveilleusement bien. Il va m’envoyer Chatterton à peine édité. En dix jours, nous devons l’avoir traduit, nous nous y sommes obligés, lui, Emilie [Mazzini]123 et moi, chacun pour un acte.124

Mazzini fällt seine Übersetzungstätigkeit nicht leicht: „Ho finito un lavoro passabilmente noioso; la traduzione d’un terzo atto di un dramma straniero: e devo scrivere alcune pagine su questo dramma.“125 Ähnlich beschreibt Agostino Ruffini

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dern eher in Bezug auf sein eigenes literarisches Schaffen. Jedoch hat er als Teil der Schweizer Exilantengruppe das Projekt unterstützt. Mazzini, Giuseppe: „Brief an Luigi Amedeo Melegari, Mai 1835 (DXCII)“, in: SEI, Bd. X, Epistolario III, Imola 1911, S. 420–423, hier S. 423. Vgl. auch Mazzini, Giuseppe: „Brief an Gaspare Ordoño de Rosales, 15.12.1835“, in: Rosales, Lettere inedite, S. 72. Die Commissione per l’Edizione Nazionale (vgl. „Introduzione“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. XIII, S. XL) geht davon aus, dass Mazzini Filippo Solari zum Beauftragten der Biblioteca Drammatica in Genua bestimmt habe. Allerdings ergibt sich aus der Korrespondenz Mazzinis mit seiner Mutter sowie der Familie Ruffini, dass es sich hierbei nicht um Solari handeln kann, sondern es Filippo Bettini sein muss, der sich vor Ort um die Verwirklichung der Dramenreihe kümmern soll. Siehe hierzu die im Folgenden zitierte Korrespondenz. Ruffini, Giovanni: „Brief an die Mutter, 20.3.1835 (CXXXII)“, in: Codignola, I fratelli Ruffini, Bd. I, S. 243. Bevor Mazzini nach England geht, schreibt er im Exil in Frankreich und der Schweiz seiner Mutter als seiner Tante als deren Nichte Emilia. Dieses Pseudonym verwenden auch seine Freunde in ihrer Korrespondenz, wenn sie sich zu Mazzini äußern. Ruffini, Giovanni: „Brief an die Mutter, 1.4.1835 (CXXXIX)“, in: Codignola, I fratelli Ruffini, Bd. I, S. 257. Mazzini, Giuseppe: „Brief an die Mutter, 11.5.1835 (DXCIV)“, in: SEI, Bd. X, Epistolario III, Imola 1911, S. 425–427, hier S. 425.

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seine Arbeit als „pénible travail“126; sein Bruder äußert sich wie folgt: „Chatterton m’occupe beaucoup. C’est une œuvre de conscience d’une chasteté remarquable. J’aime Alfred de Vigny, ce doit être un ange.“127 Trotz dieser Kooperation erscheint die Übersetzung – von Feinheiten abgesehen – als in sich stimmiges und geschlossenes Werk,128 auch wenn Agostino Ruffini sich im Anschluss in einem eigenen Aufsatz zum „Chatterton“, der im Repubblicano della Svizzera Italiana erscheint, selbstkritisch zeigt: E buona è questa traduzione del Chatterton non però senza alcuna lieve macchia. Lo studio pertinace della semplicità dell’originale, l’amore forse soverchio del tradurre letteralmente, hanno nociuto talvolta alla scioltezza dello stile. V’ha forse abuso degli articoli partitivi dei, delle, che la nostra lingua pudica, e contegnosa raro e difficilmente ammette. Confortevole e non confortabile129 può sostituirsi all’inglese confortable, né sapremmo tollerare quell’esotico toast, mentre abbiamo ilare, e spumeggiante il brindisi italiano.130 Il complesso è tale, che fa scordare le piccole imperfezioni, e desiderare di rinfrescar conoscenza col traduttore.131

Insgesamt ist er jedoch mit seiner Arbeit und der seiner Mitstreiter zufrieden und überzeugt davon, seiner Heimat einen großen Dienst zu erweisen. Außerdem geht Ruffini auf die große Bedeutung von Übersetzung für eine Erneuerung Italiens ein: La traduzione italiana di questo dramma del Pensiero riuscirà cara ed accetta in tutti i paesi dove il sì suona, e per la moralità e l’efficacia dell’opera originale, e pel merito intrinseco della traduzione medesima. Due cose lodiamo altamente in lei: ottima scelta e fina intelligenza d’interprete. Arricchiamo l’Italia di buoni libri. Forse ella ne abbisogna più, che il nazionale orgoglio non permetta confessarlo. Per nostra sventura il più delle traduzioni sono vere tradigioni. L’arte del tradurre è più utile e santa, che altri non pensa, come quella che mette in communione le proprietà esclusive di un popolo, e si fa mezzo potentissimo alla fratellanza universale. A noi giubila l’anima quando ci casca fra mani – rara cosa! – una buona traduzione di un buon libro.132

126 Ruffini, Agostino: „Brief an die Mutter, 10.4.1835 (CXLIV)“, in: Codignola, I fratelli Ruffini, Bd. I, S. 266. 127 Ruffini, Giovanni: „Brief an die Mutter, 8.4.1835 (CXLIII)“, in: Codignola, I fratelli Ruffini, Bd. I, S. 264. 128 Vgl. auch Poli, „Chatterton“, in: Centre d’études, Mélanges à la mémoire, hier S. 333. Poli hält das Engagement, mit dem sich Mazzini um den „Chatterton“ verdient gemacht hat, für außergewöhnlich und beschreibt dieses als „grande merito […] di aver compiuto uno sforzo di capire, di spiegare, di rendersi conto dei motivi fondamentali delle azioni di Chatterton e degli altri personaggi, che costituisce l’animazione interna della sua traduzione“ (ebd., hier S. 336). 129 Vgl. Anonym (Mazzini, Giuseppe/Ruffini, Agostino/Ruffini, Giovanni): Chatterton. Dramma di Alfredo di Vigny, Genua 1835, S. 39. Nach dieser Ausgabe wird auch im Folgenden zitiert, wobei bei Zitaten im Fließtext die jeweilige Seitenangabe in Klammern hinter der entsprechenden Textstelle steht. 130 Vgl. ebd., S. 122. 131 Fußnote 1 (S. 210–213, hier S.  213) zu Ruffini, Giovanni: „Brief an die Mutter, 15.7.1836 (CCCXL)“, in: Codignola, I fratelli Ruffini, Bd. II, S. 209–214. Hierbei handelt es sich um einen Aufsatz Agostino Ruffinis, der unter dem Titel „Chatterton, dramma di Alfredo di Vigny – Trovasi presso G. Ruggia e C. – Prezzo L. 2 Ital. (Genova Tip. Arcivescovile, 1835)“ erstmals im Repubblicano della Svizzera Italiana (kurz: Il Repubblicano di Lugano) veröffentlicht worden ist. 132 Ebd., hier S. 213.

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Entsprechend der Forderung Mazzinis nach treuer Übersetzung in Prosa133 in seinem Aufsatz „Del dramma storico“ orientiert sich die italienische Version allgemein und auf den ersten Blick sehr eng am Original. Insgesamt fallen diverse stilistische Besonderheiten im Vergleich zu Vignys Werk auf, wie Wiederholungen, Verstärkungen, explizitere Äußerungen, kleine Sinn- bzw. Akzentverschiebungen oder auch Anaphern, wobei sowohl der eigene poetische bzw. interpretative Anspruch der Übersetzer als auch deren Bemühen um textnahe Übersetzung teilweise zu einer gewissen Schwere bzw. „Sperrigkeit“ des italienischen Texts führen. Es fehlt lediglich eine Textstelle im 1. Akt, 5. Szene komplett, in der der Quäker in einem Gespräch mit Chatterton auf die Papisten anspielt. Diese Entscheidung der Übersetzer fällt wohl aufgrund der kirchlichen Zensur in Italien bzw. um die Genehmigung der italienischen Version in der Heimat nicht bereits im Voraus zu gefährden. In Vignys Original lautet die fehlende Passage wie folgt: Tu serais digne de nos assemblées religieuses, où l’on ne voit pas l’agitation des papistes, adorateurs d’images, où l’on n’entend pas les chants puérils des protestants. (279)134 Die Zensur hält zudem eine Äußerung des Quäkers gegenüber John Bell im ersten Akt des Dramas zunächst für kritisch: Bien dit, John Bell! tu es beau précisément comme un monarque au milieu de ses sujets. (262), das mit Bravo, Giovanni Bell, ben parlato! tu sei precisamente bello come un padrone in mezzo a suoi schiavi. (43) übersetzt wird. John Bells Umgang mit seinen Fabrikarbeitern wird im Original als Herrschaft eines Monarchen über seine Untertanen beschrieben. Die Übersetzung spitzt dies mit der Klassifizierung des Alleinherrschers als Herr bzw. Besitzer sowie der Untertanen als Sklaven zu. Giovanni Ruffini erwähnt in einem Brief an seine Mutter als Alternativlösung den Terminus „tyran“.135 Der Satz passiert jedoch wie ursprünglich vorgesehen das Kontrollverfahren der Behörden. Außerdem fehlt am Ende der Kostüm- und Personenbeschreibung des Originals eine „Nota“ als Anweisung für die Aufstellungsreihenfolge der Schauspieler auf der Bühne, was für die unter Kapitel 3.2 beschriebene Verwendung der Werke der Biblioteca Drammatica als Lesedramen spricht: Nota. – Les personnages sont placés sur le Théâtre dans l’ordre de l’inscription de leurs noms en tête de chaque Scène, et il est entendu que les termes de droite et de gauche s’appliquent au spectateur. (255) Im Vergleich zum französischen Original, das für die Verortung der Handlung in London englische Namen verwendet, italianisiert die Version Mazzinis und der Ruffinis die Vornamen der Protagonisten, sodass aus Kitty Bell nun Cate133 Vgl. Mazzini, „Dramma storico“, in: SEI, Bd. I, Letteratura I, hier S. 328; sowie Kapitel 3.2 der vorliegenden Arbeit. 134 Zitiert wird – im Fließtext mit der jeweiligen Seitenanzahl in Klammern dahinter – hier und im Folgenden nach Vigny, Alfred de: „Chatterton, drame en trois actes, représenté pour la première fois sur le Théâtre Français le 12 février 1835“, in: Œuvres complètes, Bd. V, Théatre, Paris 1838, S. 221–381. 135 Vgl. Ruffini, Giovanni: „Brief an die Mutter, 23.8.1835 (CXCIII)“, in: Codignola, I fratelli Ruffini, Bd. I, S. 344.

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rina, John Bell nun Giovanni Bell wird. Dagegen bleiben die Bezeichnungen „Lord“ und „Groom“ (auch im Text: 291/65, 305/75) als Titel bzw. Berufsbezeichnung bestehen (34, italienische Version). Das englische Motto des Dramas – „Despair and die“ – wird in der Übersetzung ebenfalls übernommen. Bei dessen Wiederaufnahme im Text, die durch Kursivschrift kenntlich gemacht wird und der die französische Übersetzung „Désespère et meurs“ (244) voransteht, geht Mazzini wie Vigny vor. Er setzt die italienische Übersetzung des Mottos, „dispera, e muori“, vor das englische Original „despair and die“ (29). Darüber hinaus nimmt Ruffini im ersten Akt eine Anmerkung zur Übersetzung von bas-bleue (287) in Saccentella (62) vor, um Verständnisschwierigkeiten vorzubeugen. In einer Fußnote folgt die Erläuterung: Il testo dice BAS-BLEUE – in inglese BLUE-STOCKING – ed è vocabolo, che s’affibbia alle donne, che si spacciano letterate, e non son che saccenti ridicole. Tradotto letteralmente, CALZA AZZURRA, CALZA BLEU. An dieser Stelle soll dies als erster Eindruck im Hinblick auf die Übersetzung genügen. Eine tiefergehende Analyse zu einer Manipulation des Texts im Dienste einer Politik der Translation bzw. Politik durch Translation wird in den folgenden Unterkapiteln vorgenommen. Das Manuskript des „Chatterton“-Bands Mazzinis und der Ruffini-Brüder wird schließlich nach Genua geschickt, wie Mazzini seiner Mutter berichtet. Das Paket soll Yves Gravier überstellt werden, einem Schweizer Buchhändler mit Geschäft in Genua: Vorrei un piacere: vorrei che l’Andrea [Gambini] avvertisse Gravier, per suo conto, che arrivandogli da Lione per diligenza un rouleau, glie lo rimettesse. – Poi, l’Andrea o voi lo rimettereste all’amica [Eleonora Curlo Ruffini] o a Filippo [Bettini]. – Non ho bisogno di dire che questo rouleau non contiene in alcun modo cosa da poter menomamente nuocere a Gravier o ad altri, quand’anche fosse aperto: contiene la traduzione manoscritta d’un dramma francese, non politico, il Chatterton, d’Alfred de Vigny. – Gravier, o l’Andrea, possono, se vogliono, sincerarsene coll’aprirlo.136

Wegen des Drucks und der Prüfung der italienischen „Chatterton“-Version durch die Zensurbehörden in Italien schreibt Mazzinis Vertrauter Bettini an diesen: Del Chatterton, che ho ricevuto per la posta è già qualche tempo e sto facendone fare una copia da presentare ai revisori un di questi giorni […]. Ho scelto per la stampa piuttosto Gravier che altri perché più galantuomo, ha consentito, ed aspetto da lui il conto preciso della spesa per accordarci sulle condizioni; non l’ho pressato perché non si può porvi mano sino a che non fia firmato dalla revisione. Anche di ciò scriverò […] perché possiate a suo tempo procurarne lo smercio fuori.137

In Genua verzögert sich der Druck jedoch aus diversen Gründen, sodass Mazzini zunächst keine Nachricht zum Verbleib von und Umgang mit seinem Manuskript 136 Mazzini, Giuseppe: „Brief an die Mutter, 13.5.1835 (DXCV)“, in: SEI, Bd. X, Epistolario III, Imola 1911, S. 427–428, hier S. 427. 137 Bettini, Filippo: „Brief an Giuseppe Mazzini, 25.6.1835 (12)“, in: SEI, Lettere a Giuseppe Mazzini, Bd. I, S. 23 f.

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erhält: „Ho tradotto, con altri, Chatterton: scritto una prefazione – mandato a Genova – non ho risposta ancora,“138 wie er an Melegari schreibt. Zum einen stellt der Ruf Mazzinis als Konspirateur einen Grund für die Verzögerung dar. Das von ihm verfasste Vorwort verleiht der Übersetzung, auch wenn der Inhalt des Stücks als unpolitisch bezeichnet wird und Mazzini nicht als Urheber des Texts zu identifizieren ist, politische Brisanz, die wiederum potenzielle Verleger aus Angst vor Konsequenzen abschreckt.139 So erläutern die Herausgeber der Edizione Nazionale: […] dapprima per ragioni che forse è plausibile rintracciare nel timore, da parte del tipografo, di dare alla luce un dramma che, per quanto innocuo ne’ riguardi politici, poteva a ogni modo esser motivo di noie, se non di persecuzione, a chi se ne faceva editore, accompagnandolo una introduzione, che, fosse pure anonima, era ad ogni modo dovuta alla persona, il cui nome faceva assai terrore a tutte le polizie italiane; […].140

Zum anderen grassiert in Ligurien – und damit auch in Genua – die Cholera, was ebenfalls zur Verzögerung der Veröffentlichung beiträgt. Als die Epidemie eingedämmt wird, soll auch die Planung des Drucks schließlich weiter voranschreiten.141 Mazzinis Mutter lässt ihren Sohn jedoch am 8.10.1835 wissen, dass sich die Suche nach Unterstützern des Projekts schwierig gestaltet: Sto ora occupata movendo mari e monti onde trovar gran numero d’associati per un dramma tradotto dal francese che molto mi preme! E siccome so che tutto ciò sia interessante per me lo diventa per te, te ne terrò ragguagliata d’ogni risultato. Il male si è che in questa epoca d’angosce chi andò di qua, chi di là e quindi rotte le relazioni all’uopo, ma in onta di ciò spererei inseguire il desiato intento.142

Mazzini lässt sich allerdings nicht entmutigen und plant die Weiterführung der Biblioteca Drammatica, für deren zweite Ausgabe er das Drama „Angelo, tyran de Padoue“ Victor Hugos vorsieht,143 wobei er nach den beiden französischen Werken schließlich auch andere Kulturkreise behandeln möchte. Damit soll „Anschauungsmaterial“ für die Verfassung italienischer Dramen zur Verfügung gestellt sowie durch die Verbindung von Literatur und Philosophie ein Beitrag zur Bildung Italiens geleistet werden. Ende Oktober 1835 schreibt Mazzini an seine Mutter: Quel dramma ha in sé un’alta moralità, cosa rara a trovarsi a’ dì d’oggi. Credo che dopo quello verrà un altro dramma tradotto [„Angelo, tyran de Padoue“], con un’altra prefazione analoga – 138 Mazzini, Giuseppe: „Brief an Luigi Amedeo Melegari, 17.6.1835 (DCXII)“, in: SEI, Bd. XI, Epistolario IV, Imola 1911, S. 14–16, hier S. 15. 139 Vgl. Poli, „Chatterton“, in: Centre d’études, Mélanges à la mémoire, hier S. 330. 140 Commissione per l’Edizione Nazionale, „Introduzione“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. XII. 141 Vgl. Mazzini, Giuseppe: „Brief an Gaspare Ordoño de Rosales, senza data“, in: Rosales, Lettere inedite, S. 150. 142 Mazzini, Maria: „Brief an den Sohn, 8.10.1835 (53)“, S. 98. Vgl. auch Mazzini, Francesca: „Brief an den Bruder, 15.11.1835 (69)“, S. 128; sowie Mazzini, Maria: „Brief an den Sohn, 19.11.1935 (70)“, S. 130; alle in: SEI, Lettere a Giuseppe Mazzini, Bd. I. 143 Das Drama „Angelo, tyran de Padoue“ feiert am 28.4.1835 am Pariser Théâtre Français Premiere.

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e così via via, se ne usciranno che meritino. Cosi, riannettendo il concetto della prefazione, ne escirà a poco a poco una critica ragionata del dramma e una serie di idee sul modo di farlo. Dite queste idee all’amica o a Filippo – e dite loro, che chi lavora non si limiterà a dar traduzioni dal francese, ma toccherà anche qualche cosa d’altri popoli. Così, a tempi incerti, avrebbe ad escire nello stesso formato ecc. una serie drammatica diretta da un concetto filosofico – parte d’educazione italiana.144

Die Tipografia Arcivescovile in Genua übernimmt schließlich den Druck der italienischen Version des „Chatterton“ mit dem Vorwort Mazzinis, die aufgrund der politischen Umstrittenheit der Urheber anonym erscheint,145 und erklärt zu Beginn des Bands ausdrücklich, dass dieser „con permissione“ veröffentlicht werde.146 Ende November 1835 kündigt Francesca Mazzini ihrem Bruder die Verfügbarkeit des „Chatterton“-Bands in Genua an.147 Anfang Dezember schließlich hält die Familie vor Ort die Ausgabe in den Händen. Mazzinis Mutter beschreibt ihrem Sohn die Diskussionen, die um die Urheberschaft der Übersetzung und des Aufsatzes in Genua aufkommen. Außerdem äußert sie sich sowohl zum Drama selbst als auch zum Aufsatz ihres Sohns sehr positiv: Il Chatterton è uscito alla luce da due in tre giorni e dalle poche nozioni che n’ebbi, di già comincia a destare entusiasmo. Vuolsi questo derivato in taluni dalla credenza d’indovinarne i traduttori e più l’autore originale della prefazione: per quanto sia giovevole per le mille ragioni il non accedere a tale opinione da chi lo sappia, pure come mai non conoscere a prima vista quella penna unica e pel sentimento sublime e candido che ti disvela tutta l’anima sua come pel stile e modo di enunciarlo? Il nostro ex presidente Gerolamo Serra riputò tal penna unica in Italia. Del resto io ebbi tempo appena di scorrere solo la prefazione in cui scorgea tutta tutta [sic!] l’immagine di quell’ anima che la tracciava: io la rileggerò ancora e più volte unitamente al Dramma, indi te ne dirò il mio debole sentimento, dettagliando ogni cosa come pur ti dirò il quantitativo delle copie che per mia parte ebbi ad esitare. Sai quanto io sia amante di tali autori e quindi quanto ne sia grande il mio interesse per ciò li riguardi su tutti i punti, motivo di tutta la mia cura speciale onde saperne ogni risultato progressivamente, per indicartene tutto all’uopo. Oh, le sante verità descritte come di meglio non si potrebbe in que’ tre quadri ossia paragoni di tre poeti e l’ultimo! Il vero e sublime come esiste in fatto!148

Maria Mazzini informiert ihren Sohn in einem weiteren Brief über den positiven Fortgang des Verkaufs des „Chatterton“-Bands und geht bei dieser Gelegenheit nochmals lobend auf das Vorwort zum Drama ein: 144 Mazzini, „Brief an die Mutter, 26.10.1835“, in: SEI, Bd. XI, Epistolario IV, hier S. 103. 145 Vgl. Mazzini, Maria: „Brief an den Sohn, 6.2.1836 (97)“, in: SEI, Lettere a Giuseppe Mazzini, Bd. I, S. 182; sowie Mazzini, „Brief an die Mutter, 26.10.1835“, in: SEI, Bd. XI, Epistolario IV, hier S. 103. Ein Jahr später erscheint eine „Chatterton“-Übersetzung Gaetano Buttafuocos in Mailand bei A. F. Stella e Figli. Im Gegensatz zur „Angelo“-Übersetzung Gaetano Barbieris (siehe Kapitel 3.3.2 der vorliegenden Arbeit) scheinen die Ruffinis und Mazzini jedoch über deren Veröffentlichung keine Kenntnis zu haben – oder sich für diese nicht zu interessieren. In jedem Fall wird in dem analysierten Primärmaterial keinerlei Bezug auf diese Übersetzung genommen. 146 Vgl. Mazzini/Ruffinis, Chatterton, S. 1; sowie SEI, Bd. VIII, Letteratura II, S. 67. 147 Vgl. Mazzini, Francesca: „Brief an den Bruder, 30.11.1835 (74)“, in: SEI, Lettere a Giuseppe Mazzini, Bd. I, S. 136. 148 Mazzini, Maria: „Brief an den Sohn, 5.12.1835 (75)“, S. 137. Vgl. auch Mazzini, Maria: „Brief an den Sohn, 7.12.1835 (76)“, S. 139; beide in: SEI, Lettere a Giuseppe Mazzini, Bd. I.

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Ora vengo al Dramma, quale prosegue a far molto incontro e credo se ne smerci ben bene. Io per mia parte ne avrò smerciato già 50 copie e spero aumentare, ma alla fine tel dirò per mia compiacenza. Oh, com’è interessante quel Chatterton! E quella prefazione, quali idee, grandi, sublimi racchiude dessa in quelle poche pagine: ognuno che la legga, so che ne ripete la lettura due o tre volte! E a ben comprenderne tutta l’essenza è uopo farlo. Ma la penna che la tracciava non va né inosservata, né sconosciuta in onta delle apposite versioni che tentasi darle: e va bene.149

Zu Diskussionen und (positiven) Reaktionen bezüglich des Kommentars sowie hinsichtlich des Engagements der Familie in Genua zur Verbreitung des „Chatterton“-Bands äußert sich zudem Francesca Mazzini in der Korrespondenz mit ihrem Bruder: […] siamo appresso a distribuire il Dramma; già molte copie, sono per parte nostra 33 ma spero ne daremo ancora delle altre, già fa rumore la prefazione, etc.150 Già il Dramma avrai udito come farà, etc. La prefazione, soprattutto; ne ebbi in regalo io una copia; si conosce quanto sublime sia la penna che vi scrisse le prime pagine, ma per ora non posso dirti altro essendo l’ora assai tarda.151

Außerdem berichtet sie ihrem Bruder von Gerüchten und Mutmaßungen zur Identität des Verfassers des literaturkritischen Artikels: […] è comune opinione che la prefazione sia di un certo giovine i di cui scritti han fatto sempre assai rombo; così mi diceva ieri una nostra cugina che ne diede fuori qualche copia anch’essa.152

Mazzini gibt die Kenntnis um die Veröffentlichung des Bands an seine Freunde sowie Unterstützer weiter und sieht dies als positives Zeichen, dass die Biblioteca Drammatica fortgeführt werden kann: È venuto fuori il Chatterton finalmente a Genova. – Seguirà l’Angelo – poi altri drammi di diversi paesi: e tutti con prefazioni, discorsi, ecc., contemplanti sotto le diverse facce la letteratura drammatica – rifacciamo cammino: – ricominciamo in letteratura: pare che gl’Italiani abbian bisogno di tutto.153

Als Mazzini schließlich selbst ein Exemplar des italienischen „Chatterton“ in den Händen hält, kündigt er seiner Mutter sogleich eine Kommentierung des Bands an.154 Im selben Brief fragt er nach dem bereits erwähnten Manifest, das nach der 149 Mazzini, Maria: „Brief an den Sohn, 19.12.1835 (80)“, S. 147. Vgl. hierzu auch Mazzini, Maria: „Briefe an den Sohn, 21.12.1835 (81)“, S. 149; sowie „9.1.1836 (89)“, S. 168; alle in: SEI, Lettere a Giuseppe Mazzini, Bd. I. 150 Mazzini, Francesca: „Brief an den Bruder, 5.12.1835 (75)“, in: SEI, Lettere a Giuseppe Mazzini, Bd. I, S. 138. 151 Mazzini, Francesca: „Brief an den Bruder, 7.12.1835 (76)“, S. 140. Vgl. auch Mazzini, Francesca: „Brief an den Bruder, 10.12.1835 (77)“, S. 141; beide in: SEI, Lettere a Giuseppe Mazzini, Bd. I. 152 Mazzini, Francesca: „Brief an den Bruder, 12.12.1835 (78)“, in: SEI, Lettere a Giuseppe Mazzini, Bd. I, S. 144. 153 Mazzini, Giuseppe: „Brief an Luigi Amedeo Melegari, 15.12.1835 (DCXCIV)“, in: SEI, Bd. XI, Epistolario IV, Imola 1911, S. 155–157, hier S. 156. Vgl. auch Mazzini, Francesca: „Brief an den Bruder, 26.11.1835 (72)“, in: SEI, Lettere a Giuseppe Mazzini, Bd. I, S. 133. 154 Vgl. Mazzini, Giuseppe: „Brief an die Mutter, 21.12.1835 (DCXCVIII)“, in: SEI, Bd. XI, Epistolario IV, Imola 1911, S. 163–164, hier S. 163.

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Publikation des Pilotbands zur offiziellen Eröffnung der Dramenreihe erscheinen soll und das Mazzini Bettini übersandt hat.155 Zudem führt er die Planung zur Fortsetzung der Dramenreihe nun mit Werken deutschsprachiger und englischer Autoren fort: Intanto, vorrei che diceste a Filippo, ch’ove egli, come spero, dia opera a quel tal Manifesto, v’annunzi tra le cose drammatiche che appariranno successivamente, il Goetz di Berlichingen di Goethe, il Wallenstein, trilogia di Schiller, il Werner di Byron, il 24 febbraio di Werner, l’Avola di Grillparzer etc.156

Hinsichtlich der seiner Mutter angekündigten Besprechung des Bands zeigt sich Mazzini sehr enttäuscht über den nachlässigen Umgang beim Druckverfahren und kritisiert die mangelnde Genauigkeit bei der Typografie, die sich an der Originalausgabe zu orientieren habe, gerade auch im Kontext einer Erneuerung der italienischen Kultur:157 Ho veduto il Chatterton, e va bene: quanto almeno poteva andare: soltanto avverto due piccole cose a Filippo, per norma futura: la prefazione francese ha in cima, a modo di titolo: qui sta la questione, mentre quelle parole, tratte da Shakespeare, non sono che un’epigrafe, e doveano esser poste a mezzo la pagina, e lateralmente – e la prefazione incominciare, con due linee, alla fine della pagina stessa. – La prefazione italiana doveva essere d’altri caratteri della francese: e portar qualche cosa, per esempio, un’iniziale qualunque in fine, che la separasse dall’altra. […] Queste ed altre cose che dirò in appresso, sono minuzie – ma dapprima, il Chatterton è tal cosa per me che meriterebbe l’edizioncina la più gentile possibile: poi vogliamo far la guerra a certo gusto vecchio e grossolano delle nostre stampe, e migliorarle in grazia ed aggiustatezza.158

Auch Agostino Ruffini zeigt sich unzufrieden mit dem Druckergebnis des gemeinsamen Werks und bringt Verbesserungsvorschläge vor. Gleichzeitig schreitet nichtsdestotrotz die Arbeit am „Angelo“ weiter voran: Venons au Chatterton. A tout prendre son extérieur est passablement gentil, mais ses dimensions sont exiguës. Vous autres, convenez avec moi que le papier est mauvais. Et pourtant, il n’aurait fallu que la simple opération de la satination pour l’améliorer de beaucoup. Mais comme nous sommes déjà d’accord pour l’impression d’Angelo, je ne reviendrai pas là-dessus. Emilie mande à Laurent quelques observations critiques. J’en ajoute une ou deux pour ma part, afin qu’il ait le droit de nous maudire tous les deux. 1° Pourquoi écrit-on presque tous les noms substantifs avec une lettre majuscule? cela ne ce [sic!] pratique que dans la langue allemande, et même les auteurs modernes, come Harro, Garnier, etc., commencent à mettre de côté cet usage. Cela peut passer dans l’écriture, mais dans l’impression, on ne doit mettre que les majuscules strictement nécessaires. 2° Pourquoi après ou avant (selon le sens) les trait [sic!] d’union, ou plutôt de repos néglige-t-on la ponctuation nécessaire? Ces petits signes ne dispensent pas des virgules, des points, des semicolons, etc. Elle ne servent [sic!] qu’à mieux marquer un membre d’une période, 155 Vgl. Mazzini, „Brief an die Mutter, 18.12.1835“, in: SEI, Bd. XI, Epistolario IV, hier S. 162. 156 Mazzini, „Brief an die Mutter, 21.12.1835“, in: SEI, Bd. XI, Epistolario IV, hier S. 163. 157 Mazzini fordert für jedes seiner Druckerzeugnisse Genauigkeit und Sorgfalt – stets auch mit dem Argument des Rufs Italiens im Ausland (vgl. etwa Mazzini, Giuseppe: „Brief an Gino Daelli, 25.1.1862 [VMDXIX]“, in: SEI, Bd. LXXII, Epistolario XLIII, Imola 1936 [Ristampa 1950], S. 163–164, hier S. 163 f.). 158 Mazzini, Giuseppe: „Brief an die Mutter, 24.12.1835 (DCXCIX)“, in: SEI, Bd. XI, Epistolario IV, Imola 1911, S. 164–167, hier S. 166 f.

Fallstudien

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une parenthèse, etc. Il ne faut non plus jamais en abuser, car elles engendrent alors de la confusion. 3° On trouve ça et là quelques fautes, ce qui m’indique qu’il ne faut pas s’en tenir à corriger une ou deux épreuves seulement. Voici la règle qu’il faut suivre: corriger autant d’épreuves qu’il en faut, pour arriver à la dernière exempte de toute faute. Seulement alors, on doit procéder à l’impression définitive. 4° Les caractères italiques dans l’indication des actions des personnages est du rococo. On se sert de caractères plus petites [sic!] que les autres, mais de la même nature. Que mon Laurent prenne en patience nos remarques.159

Seinem Ärger verleiht Mazzini zudem in dem angekündigten Brief an Bettini Ausdruck. Die Beschwerde über die typografische Nachlässigkeit verbindet er erneut mit der Situation Italiens, das sich keine qualitativ minderwertig produzierten Bücher erlauben könne, wolle es sich gegenüber Frankreich behaupten. Mazzini bezeichnet die Biblioteca Drammatica als wesentliches Projekt zur Bildung Italiens, das mit deutschen und englischen Texten weitergeführt werden müsse. Da „Chatterton“ der Pilotband sei, hänge von diesem die Zukunft des Projekts ab, weswegen es größter Sorgfalt bedürfe: Si fa tutto male in Italia – ed anco le stampe s’hanno a far male? paion minuzie, ma voi non sapete, che da un’edizionaccia italiana un feuilletoniste francese prende occasione di sentenziare la civiltà in Italia, e che i molti applaudono. Questa è carità di patria: v’è poi la carità individuale – ed anche questa esige che si faccia meglio per guadagnare. – Una Biblioteca Drammatica ragionata, sul nostro concetto, poteva esser cosa onorevole per l’Italia, ed utile assai pel guadagno. – Il Chatterton n’era l’esperimento; e dal successo dipendevano i due terzi della riescita totale. – Ma per questo, bisognava fare un’edizione colle avvertenze seguenti: […] Carta buonissima, bianchissima, velina se occorre. Quanto al resto, conformarsi all’edizione francese; banditi i caratteri corsivi – i nomi degli interlocutori sempre in una linea, non al principio di linea – l’azione de’ personaggi indicata in mezze linee collocate a debita distanza tra il nome e il discorso degl’ interlocutori – in caratterini minuti ma nitidi e serrati – la prima pagina della prefazione francese incominciante alla fine della facciata: l’epigrafe a mezzo – il manifesto in bella carta, non avente sulla prima pagina che Chatterton in grandi caratteri profondi – sulla seconda le condizioni, etc. – sulla terza, una pagina del discorso preliminare, come specimen. […] Poi, seguendo, s’avrebbe avuto guadagno assai, si sarebbe data all’Italia una edizione, che avrebbe fatto onore al paese, a chi traduce, a chi stampa, a chi dirige – a tutti. In Italia, come in tutte cose, così nelle stampe, s’ha paura, non s’osa, manca la coscienza che l’ardire ha sempre un numero di proseliti maggiore del calcolo. […] Tu puoi esser certo che noi non risparmieremo fatiche: daremo drammi tedeschi e inglesi – raccorremo biografie: farò discorsi preliminari, che cacceranno via via qualche idea d’organizzazione letteraria, e quindi morale, in Italia, dove parmi purtroppo che sia da ricominciare da capo, e dove abbiamo avuto il protestantismo letterario, ma con le basi d’una religione letteraria.160

Trotz eines zunächst durch Mazzinis Familie berichteten Erfolgs beim Absatz des „Chatterton“-Bands gestaltet sich dessen Verkauf vornehmlich schwierig. So berichtet Mazzinis Mutter ihrem Sohn von der Problematik, Besprechungen für das Werk in Literaturzeitschriften zu platzieren, und der Zurückhaltung der entsprechenden Herausgeber hinsichtlich einer Rezension, insbesondere wegen der 159 Ruffini, Agostino: „Brief an die Mutter, 23.12.1835 (CCXXXIX)“, in: Codignola, I fratelli Ruffini, Bd. I, S. 433 f. 160 Mazzini, Giuseppe: „Brief an Filippo Bettini, Dezember 1835 (DCCIII)“, in: SEI, Bd. XI, Epistolario IV, Imola 1911, S. 173–175, hier S. 173 ff.

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politischen Brisanz des dem Drama voranstehenden Aufsatzes, die negative Folgen von offizieller Seite nach sich ziehen könnte: Il nostro Maggazino161 finora tacque sul Chatterton e laddove abbiasi a parlarne da chi forse immagino, non me ne sarò certo appagata come vorrei ed il merita quel Dramma. Probabilmente sarà l’autore di quel manifesto e quella penna, oh, quanto è dura! Quando non esiste in natura né genio od attitudini a forti sentimenti è tempo gettato! Ed in quel santo uomo natura fu avara d’ogni bello slancio quindi, per quanto la sua bontà tenti supplirvi unita a forza scientifica, pure non potrà giammai escir da tal penna cosa che veramente scenda all’anima e persuasiva alla ragione. Se la cosa non fosse stata tanto delicata in se stessa ed all’amor proprio di tal ottima persona (che d’altronde è in lui immenso), io avrei voluto che lasciasse ad altra penna negli scrittori del Magazzino il suddetto incarico, ma ho pensato e ripensato e non c’è altra via. Ciò non pertanto speriamo n’escirà bene e vedremo.162 […] ieri ebbi in tutta regola la tua 29 coll’acchiusa papelletta all’amica che tosto trasmisi. […] Ecco che ti dice: „Salutate affettuosamente Emilia e ditele che Ponthenier padre non volle assolutamente parlare del Chatterton, adducendo per iscusa il timore di compromettersi.“ Oh, babbuini indegni, meriterebbero d’essere abbandonati alla loro vita, ma non si può farne senza di questi bricconi. Cercherò di eccitare Filippo a smuovere Ponthenier, e farò anche io le mie parti onde appagarti in sì innocuo desiderio. Ignoro come sia concepito cotale articolo, ma forse non deve essere espresso colla dovuta prudenza e finezza.163

Neben dem Inhalt des literaturkritischen Aufsatzes erweist sich zudem die Thematik des Suizids als problematisch für den Verkauf des Dramas in Italien. Der Vatikan kritisiert die kirchlichen Zensoren Genuas für die Zulassung des „Chatterton“ in Ligurien.164 Mazzini selbst lehnt Selbstmord als Möglichkeit der Flucht vor der Realität zwar prinzipiell ab.165 Allerdings rechtfertigt er dies im Fall Chattertons mit den politisch-gesellschaftlichen Umständen seiner Zeit, die die Menschen physisch und psychisch zerstören.166 Trotz aller Widrigkeiten, die mit der „Chatterton“-Veröffentlichung einhergehen, zeigt sich Mazzini Anfang des Jahres 1836 davon überzeugt, die Biblioteca Drammatica mit weiteren Bänden fortsetzen zu können. Wie erwähnt, soll der 161 Gemeint ist das Magazzino Pittorico Universale, das die Tipografie e Litografia Ponthenier als Familienunternehmen zwischen 1834 und 1837 in Genua herausgibt. 162 Mazzini, Maria: „Brief an den Sohn, 24.12.1835 (82)“, S. 150 f. Vgl. auch Mazzini, Maria: „Brief an den Sohn, 26.12.1835 (83)“, S. 153; sowie Mazzini, Francesca: „Briefe an den Bruder, 24.12.1835 (82)“, S. 152; „26.12.1835 (83)“, S. 153; sowie „31.12.1835 (85)“, S. 157; alle in: SEI, Lettere a Giuseppe Mazzini, Bd. I. 163 Mazzini, „Brief an den Sohn, 9.1.1836“, S. 166 f. Vgl. auch Mazzini, Maria: „Brief an den Sohn, 28.1.1836 (95)“, S. 177; beide in: SEI, Lettere a Giuseppe Mazzini, Bd. I. 164 Vgl. Mazzini, Giuseppe: „Brief an Luigi Amedeo Melegari, 11.4.1836 (DCCLXI)“, in: SEI, Bd. XI, Epistolario IV, Imola 1911, S. 311–315, hier S. 314; sowie Mazzini, Maria: „Briefe an den Sohn, 21.12.1835 (81)“, S. 149; sowie „7.1.1836 (88)“, S. 166; beide in: SEI, Lettere a Giuseppe Mazzini, Bd. I. 165 Vgl. Mazzini, „Note autobiografiche“, in: SEI, Bd. LXXVII, Politica XXVI, hier S. 158; Mazzini, Giuseppe: „Brief an Luigi Amedeo Melegari, 19.4.1834 (CCCLI)“, in: SEI, Bd. IX, Epistolario II, Imola 1910, S. 296–298, hier S. 298; Mazzini, Antonietta: „Brief an den Bruder, 20.4.1838 (211)“, in: SEI, Lettere a Giuseppe Mazzini, Bd. II, S. 499; sowie Ossani, Letteratura e politica, S. 111. 166 Vgl. Mazzini, „Chatterton“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 73.

Fallstudien

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Ausgabe zum Werk Alfred de Vignys die Besprechung und Übersetzung eines weiteren französischen Dramas, Victor Hugos „Angelo, tyran de Padoue“, folgen.167

3.3.1.1 Literaturkritische Ebene: Der Dichter und die Gesellschaft Mazzinis literaturkritischer Aufsatz zum „Chatterton“ – von der Edizione Nazionale als „Articolo premesso alla versione italiana del Chatterton di Alfredo di Vigny“ betitelt – nimmt das Thema das Dramas, die Beziehung zwischen Dichter und Gesellschaft, auf, folgt dessen Gesellschaftskritik und verwendet diese für das eigene politisch-kulturelle Anliegen. Dabei geht Mazzini auf das Drama selbst, dessen Konzeption, Charaktere, Handlungsort oder etwa die historische Figur des Chatterton nicht ein. Er lobt lediglich Vigny in religiösen Termini als reine Seele, als „anima candida, che s’è mantenuta casta tra la proluvie di scritti scettici, e impuri, che allagano da più anni la Francia, [che] ha raccolto quel gemito e l’ha fatto sacro […]“168. Dessen negative Darstellung einer abgestumpften Gesellschaft ohne moralische Werte, in der Chatterton – weil er durch seine Dichtung nicht überleben kann – physische Schmerzen wie Hunger erleidet, bezeichnet Mazzini als geschickten Schachzug. Denn eine solche Gesellschaft sei durch seelisches Leiden nicht zu berühren, weswegen es der Darstellung körperlicher Qualen bedürfe.169 Stattdessen wirft Mazzini der zeitgenössischen Literaturkritik, insbesondere in Italien, vor, ihrer Bildungsaufgabe nicht nachzukommen. So bewerte sie den „Chatterton“ rein auf künstlerisch-ästhetischer Ebene, wodurch der wahre Wert des Dramas als „opera d’Apostolato, e di Sacerdozio morale [,… als] gemito […] contro alla fredda mortale indifferenza del secolo“170 vollkommen verkannt werde. Die materialistische171, von Egoismus geprägte Gesellschaft einer indivi167 Vgl. Mazzini, Maria: „Brief an den Sohn, 23.1.1836 (93)“, in: SEI, Lettere a Giuseppe Mazzini, Bd. I, S. 174. 168 Mazzini, „Chatterton“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 74 f. 169 Vgl. ebd., hier S. 75. Hier kommt der Dualismus zwischen Materie und Geist bei Mazzini zum Tragen, der den Materialismus auf die Befriedigung körperlicher bzw. monetärer Bedürfnisse zurückführt. Geist sowie Seele werden darüber vernachlässigt. Siehe auch Agostino Ruffinis bereits zitierten Aufsatz zum „Chatterton“, zit. nach Fußnote 1 zu Ruffini, „Brief an die Mutter, 15.7.1836“, in: Codignola, I fratelli Ruffini, Bd. II, hier S. 212. Ruffini beschreibt diese Szenerie wie folgt: „E Chatterton, il poeta, il re della natura, il paria della società, seduto a’ piedi del suo povero letto, a mezzo una notte fredda e nebbiosa, che non può comporre il dovuto poema, perché – perché ha fame, oh! è spettacolo ben più sublime, e ciò che più monta, ben più morale che non i moderni amanti a’ notturni pugnali.“ 170 Mazzini, „Chatterton“, in: SEI, Bd.  VIII, Letteratura  II, hier S.  69. Vgl. auch Mazzini, Giuseppe: „Del romanzo in generale ed anche dei Promessi Sposi di Alessandro Manzoni“ (1828), in: SEI, Bd. I, Letteratura I, Imola 1906, S. 31–41, hier S. 34. 171 Mit „Materialismus“ bezeichnet Mazzini einen Partikularimus der Materie im Gegensatz zu einer Einheit des Geistes.

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dualistischen Gegenwart verhindere die Entwicklung wahrer Dichtung,172 sodass Mazzini aktuell in keinem ihm bekannten Land Werke zu finden meint, die als (wahre) Literatur gelten können. Einzig Mickiewicz hält Mazzini in der gegenwärtigen Dichtergeneration für eine Ausnahme, der jedoch „geächtet“ werde wie die Dichtung selbst. Die herrschende Theorie und Praxis von Kunst, die losgelöst von der sie umgebenden Gesellschaft als reine Kunst um der Kunst willen auf den Bereich der Unterhaltung reduziert werde, führe zu deren Entweihung sowie Profanisierung, einer Unterdrückung der „santità dell’ispirazione“173. Der poeta sei keine gesellschaftsrelevante Figur mehr, sondern erhalte als artefice nur vorübergehenden Applaus, wenn er für gute Unterhaltung im Theater sorge. Diese Konzeption und Rezeption von Kunst als „Zeitvertreib“ beraube sie ihrer wahren Bestimmung und ihres Werts als gesellschafts(ab)bildende, quasi-religiöse Reflexions- und Artikulationsmöglichkeit. Denn Dichtung hält Mazzini für heilig und für einen Teil der Schöpfung, womit sie nicht nur in der Seele des Poeten vorhanden, sondern in allen irdischen Dingen und Wesen zu finden ist.174 Literarischen Wert macht Mazzini gerade nicht in dem ästhetischen, künstlerischen Anspruch eines Werks aus, sondern in dem innovativen Potenzial des Dramas im Allgemeinen und des „Chatterton“ im Besonderen. Der von den Klassizisten in seiner Heimat gelehrte Primat der Form unterbinde ein Vordringen zum eigentlichen, wesentlichen Ziel und Zweck eines jeden literarischen Werks, zu den „caratteri generali che armonizzano le varie tendenze“175. Mazzini positioniert sich zur Zeit seines „Chatterton“-Kommentars noch sehr auf Seiten der Romantiker, von denen er sich bereits im folgenden Aufsatz zum „Angelo“ Victor Hugos deutlich distanziert. Seinem Enthusiasmus für Emotionen stellt er einen Primat des Rationalismus und Kapitalismus gegenüber, der die Gesellschaft der Gegenwart prägt und in dieser ein Klima der Kälte, des Egoismus und des Abgestumpftseins institutionalisiert.176 Dagegen plädiert Mazzini – im Einklang mit dem romantischen Geniedenken – für einen Primat (unbewusster, unerklärlicher) Inspiration in Abgrenzung vom „calcolo“ des reinen Verstands, da ohne diese keine Literatur möglich sei: „[…] il core è sorgente ad ogni letteratura, e dov’ei non batte, né tutte le teoriche da Aristotele in poi sino a noi, possono fare che la letteratura fiorisca.“177 Der Dichter als von Emotionen und 172 Vgl. Mazzini, „Chatterton“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 70; Mazzini, „Letteratura europea“, in: SEI, Bd. I, Letteratura I, hier S. 185 ff.; sowie Mazzini, Giuseppe: „Faust, tragédie de Goethe. Nouvelle traduction complète en prose, et en vers, par Gérard“ (1829), in: SEI, Bd. I, Letteratura I, Imola 1906, S. 127–151. 173 Mazzini, „Chatterton“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 76. 174 Vgl. ebd., hier S. 77. 175 Ebd., hier S. 77. Vgl. auch Mazzini, „Voix intérieures“, in: SEI, Bd. XVI, Letteratura III, hier S. 90; sowie Mazzini, Giuseppe: „Dell’arte in Italia, a proposito del Marco Visconti, romanzo di Tommaso Grossi / De l’art en Italie, à propos de Marco Visconti, roman de Thomas Grossi“ (1835), in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, Imola 1910, S. 1–65. 176 Vgl. Mazzini, „Chatterton“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 71. 177 Ebd., hier S. 72.

Fallstudien

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Eingebungen gesteuertes, besonders empfindsames Wesen muss diese schließlich unterdrücken; schöpferischer Geist und Realität prallen in Gegensätzen  – speranze/delusioni, sogni/realità, visione d’infanzia/concetti virili, anelito/impotenza – aufeinander und treiben den Dichter in eine ausweglose Situation. In der gegenwärtigen Gesellschaft bleiben ihm nur zwei Alternativen, sich für einen Mäzen zu prostituieren oder im (materiellen) Elend zugrundezugehen – wobei dies keinen Ausweg aus seinem geistigen Dilemma bedeutet.178 Mazzini stellt sich auch im Diskurs der zeitgenössischen Gesellschaft auf die Seite der leidenden Dichter, die ihm im Exil Identifikationspotenzial bieten. Nicht diese sind für Mazzini die Kranken der herrschenden Gesellschaft; es ist vielmehr eine kranke Gesellschaft, die ihre Genies sowie deren Schaffensdrang unterdrückt und damit in ihrer Existenz als solcher in Frage stellt. Hier kann ein Rekurs auf Goethes Zuschreibung der Romantik als „kranke Epoche“ sowie eine Kritik daran vermutet werden – sowie eine Kritik an den herrschenden Zuständen in Italien als „Krankheit“: Sono gli uomini, gli uomini della prosa, che hanno oppresso e opprimono il mio paese; sono essi che distruggono tutto quello che vi è di santo; sono essi che hanno fatto del matrimonio un traffico, dell’amor di patria un’ambizione, della povertà un delitto. Più, tutto quello che non era di essi, l’hanno chiamato Poesia: hanno chiamato pazzo il Poeta, fino a che l’hanno fatto divenir pazzo davvero; hanno fatto impazzire il Tasso – hanno commesso il suicidio di Chatterton, e di mille altri; sono andati ad opprimere anche i morti, Byron, Foscolo, ed altri, perché non hanno seguita la loro via. – Disprezzo per essi! Io soffrirò, ma non voglio rinegare la mia anima; io non voglio venire cattivo per compiacerli, e io diventerei cattivo, assai cattivo se mi venisse tolto quel che chiamano Poesia.179

Für Mazzini sind denn auch die wenigen, wahren Dichter seiner Zeit von Gott inspiriert, werden aber wie Jesus Christus zu Lebzeiten verkannt und von der Gesellschaft verachtet. Der Dichter, dem Gott sein Talent verleiht,180 bestimmt dafür, Gottes Mission zu erfüllen und den Menschen den Weg in eine bessere Zukunft zu weisen181, ist (noch) dazu verdammt, an der Gesellschaft zu scheitern. Nur die Neubegründung und Wertschätzung wahrer Poesie kann dieses Schicksal wieder zum Guten wenden und damit nicht nur den Dichter, sondern auch die Gesellschaft retten. Denn die Menschen finden Trost in einer Dichtung, die ihnen eine bessere Zukunft verheißt: Pensate anche che il suicidio di Chatterton è un omicidio della società, se operato col ferro o colle privazioni e col disdegno, non monta – pensate che la vita è grave, e molte anime han bisogno, non foss’altro, di consolazioni, e le trovano talora nella Poesia […], ricordo o previsione d’un’armonia che l’anime anelano – e pensate che per quest’anime affannate, Voi, spento quell’ unico raggio, non avrete conforto […].182

178 Vgl. ebd., hier S. 70. 179 Mazzini, Giuseppe: „Brief an Giuditta Sidoli, 2.6.1835 (74)“, in: SEI, Appendice, Epistolario I, Imola 1938, S. 284–290, hier S. 287. 180 Vgl. Mazzini, „Chatterton“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 77. 181 Vgl. ebd., hier S. 77. 182 Ebd., hier S. 78.

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Bezogen auf Mazzinis Konzept der drei Ebenen im Drama dienen Leben und Tod des englischen Dichters Thomas Chatterton (1752–1770) als historischer Ausgangspunkt für Vignys Kritik an der Gesellschaft seiner Gegenwart im Hinblick auf den Umgang mit dem Dichter (und der Kunst). Der Widerspruch zwischen den beiden Gesetzen, demjenigen, das eine Epoche bestimmt, und demjenigen, das universal und ewig für die gesamte Menschheit gilt, der zur Entstehungszeit des „Chatterton“ besteht, ist für dessen finale Form verantwortlich und zeigt einen (vorübergehenden bzw. vermeintlichen) Triumph des Gesetzes der Epoche, der rein auf Kapitalismus ausgerichteten Gesellschaft, die der Kunst lediglich die Aufgabe eines Zeitvertreibs einräumt – und damit sowohl deren Potenzial verkennt als auch die Kunstschaffenden malträtiert. Dies begründet den Ausgang des Dramas in einer Katastrophe, dem Selbstmord Chattertons. Vigny gelingt Mazzini zufolge dennoch eine kathartische Wirkung im Dienste der Vermittlung einer universalen Wahrheit, die das Publikum Mitgefühl mit dem Protagonisten lehrt und dessen Pein beenden will: Metà del lavoro tende a redimere te primo, a svestirsi di ogni bassa passione, d’ogni fango terreno, a rinverginarti, a purificarti, a levarti in alto; e l’altra a redimere la povera anima di diciotto anni che si noma Chatterton e potrebbe nomarsi con altri nomi. E le due anime benedette, l’una dal martirio, l’altra dalla poesia, che l’autore diffonde attorno, s’incontrano e s’affratellano d’un lungo bacio, d’un bacio d’Angioli che crea la pietà, bella fra tutte le umane virtù.183

Vigny habe in der historischen Figur des Chatterton die Möglichkeit gefunden, seine Ideen, seine Gesellschaftskritik zu artikulieren und damit individuelles sowie soziales Denken zu vereinen. Schließlich bleibe jedoch auch Vigny zu sehr der Individualität verhaftet, da er diese als Mittel einsetze. Für Mazzini muss jedoch sozialem Denken und Handeln der Vorrang vor Individualismus eingeräumt werden, sodass auch „Chatterton“ schließlich nicht als Vorbildwerk fungieren kann. Denn Vigny konzipiert keine ideale Figur, wie etwa Schillers Marquis von Posa, die moralisch vollständig integer wäre und belegt, dass der Dichter die Gesellschaft genauso braucht wie sie ihn. Isolation und Einsamkeit bedeuten das Ende für jeden Menschen, so Mazzini, da dieser ein soziales Wesen sei, das ohne Gemeinschaft zwar existieren, aber nicht leben könne.184

183 Mazzini, „Angelo“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 278. Seine positive Haltung gegenüber „Chatterton“ bewahrt Mazzini sich auch über die Jahre hinweg. Als er 1856 von einer Arbeit des englischen Kritikers David Masson („Essays biographical and critical: Chiefly on English Poets“, London, 1856, mit einem Aufsatz zu „Chatterton“) zu Alfred de Vignys Drama hört, erkundigt er sich bei Clementia Taylor danach und äußert sich dahingehend, dass er „always had a sort of a fondness for Chatterton, as I have for crushed flowers“. (Mazzini, Giuseppe: „Brief an Clementia Taylor, November 1856 [705]“, in: SEI, Appendice, Epistolario V, Imola 1941 XIX, S. 167–169, hier S. 169.) 184 Vgl. Mazzini, „Angelo“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 278.

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3.3.1.2 Religiöse Ebene: Das Martyrium als Handlungsmodell In seinem Kommentar zum „Chatterton“ inszeniert Mazzini den Dichter, wie auch Vigny in seinem Drama, als Opfer der und Märtyrer für die Gesellschaft.185 Grundlage für die Wiederbelebung wahrer Literatur ist für Mazzini die Wertschätzung des dichterischen Talents, das er mit religiösen Termini beschreibt: Ohne „fede nel Genio“, ohne „santific[azione dell’] ispirazione“ und ohne dass der Dichter wieder zum „Sacerdote e Profeta“186 konsekriert wird, kann es keine Poesie in einer Gesellschaft geben. Es gibt zwar Dichter, die dieser Aufgabe des Propheten würdig wären. Allerdings können sie ihr Genie nicht ausleben, sodass sie an der Gesellschaft zugrunde gehen und sich entweder – wie etwa Byron – in Verzweiflung und Einsamkeit stürzen187 oder – wie etwa Chatterton – den Freitod wählen, wofür ihnen wiederum sogar posthum noch Unverständnis und Verachtung entgegengebracht wird:188 […] forse – Dio perdoni la insensata ferocia – forse gitteranno lo scherno e il sospetto sulla terra che copre l’ossa, come l’hanno gittato sulle reliquie di Chatterton, di Byron, di Foscolo. Il suicidio dell’anima o il suicidio del corpo – la via di Fausto o l’estremo partito di Chatterton: tra questi due Simboli si libra oggi la Poesia: fra questi due termini, la Società concede la scelta al Poeta.189

In dieser „guerra“190 zwischen Gesellschaft und Dichter wird der Autor, auch wenn er nicht den Suizid wählt, zum Märtyrer, da er keine Möglichkeit findet, seinem Innersten Ausdruck zu verleihen, die Gesellschaft zu inspirieren und damit einen Beitrag zu deren Fortschritt leisten zu können bzw. zu dürfen. Wenn er dennoch entsprechende Literatur verfasst, wird diese als „esagerazioni o delirii“191 eines angespannten Geists verurteilt. Vignys „Chatterton“ gilt Mazzini als Aufschrei, als Mahnung, als Protest all dieser „anime santamente infelici“192, dieser „martiri e innocenti [… che] gridano dal loro sepolcro una tremenda condanna alla società“193, dieser 185 Das Martyrium gilt Mazzini als „il battesimo d’un mondo, l’iniziazione del progresso“ (Mazzini, „Fede e avvenire“, in: SEI, Bd. VI, Politica IV, hier S. 336). Lukenda zeigt die weitgefasste Semantik des Märtyrerbegriffs im Risorgimento auf: „Ob nun das offene Bekenntnis zu nationalen Ideen, die schriftstellerische beziehungsweise politische Tätigkeit oder das aktive kämpferische Engagement auf dem Schlachtfeld: Zum Märtyrer wird man als unbeugsamer Oppositioneller, der Verfolgung erleidet, Kerkerhaft erduldet oder ins Exil gezwungen wird […]“ (Lukenda, Erinnerungsorte des Risorgimento, S. 215), womit der Aufopferungsgedanke zu einem Handlungsmodell kanonisiert wird (vgl. ebd., S. 217). Vgl. auch ebd., S. 251. 186 Mazzini, „Chatterton“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 70. 187 Vgl. zu Mazzinis Einschätzung von Byron und Goethe als herausragende Künstler ihrer Zeit Mazzini, „Letteratura europea“, in: SEI, Bd. I, Letteratura I, hier S. 215; sowie Mazzini, Giuseppe: „Byron e Goethe / Byron et Goethe“ (1840), in: SEI, Bd. XXI, Letteratura IV, Imola 1915, S. 187–241. 188 Vgl. Mazzini, „Chatterton“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 71. 189 Ebd., hier S. 71. 190 Ebd., hier S. 71. 191 Ebd., hier S. 73. 192 Ebd., hier S. 73. 193 Ebd., hier S. 75.

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[…] divini intelletti, noti od ignoti, che una società calcolatrice e beffarda condanna a logorarsi di dolore nella solitudine, accusa codardi, se piegano, freddi, se stringono un patto colla loro sciagura, e si rassegnano a bere tutto il calice senza batter palpebra, colpevoli se si sottragono: […] Chatterton è il simbolo della Poesia, Angelo sceso dal Cielo a dannarsi e a piangere con noi, e che noi respingiamo, constringendola in un angolo dell’esistenza, travestendola da istrione, scrivendole in fronte Angelo di Menzogna.194

Mazzini stilisiert damit den Dichter zu einer Christus-Figur, die sich für ihre Mitmenschen aufopfert, ihnen Mitleid und menschliche Gefühle vermitteln, unter ihnen leben will, aber stets zurückgewiesen und der schließlich auch Gewalt angetan wird.195 Dies wird durch den Zusatz „grondante di sangue“196 verstärkt, der das Bild des blutüberströmten Jesus Christus am Kreuz evoziert. Das Martyrium ist nicht allein das Schicksal romantischer Dichter und der Protagonisten ihrer Dramen, wie im Falle des „Ortis“ Foscolos oder Goethes „Werther“ aus dessen Sturm-und-Drang-Phase. Mazzini nennt aus der Historie weiterhin Dante – von ihm als „padre, ed unico padre“197 der italienischen Nation bezeichnet –, Torquato Tasso und John Keats, die an der Gesellschaft ihrer Zeit zerbrochen seien.198 Dante dient Mazzini seit seiner Jugend als politischer Modelldichter – sein allererster literaturkritischer Aufsatz trägt den Titel „Dell’amor patrio di Dante“ 194 Ebd., hier S. 74. Vgl. auch Agostino Ruffinis Aufsatz zum „Chatterton“, zit. nach Fußnote 1 zu Ruffini, „Brief an die Mutter, 15.7.1836“, in: Codignola, I fratelli Ruffini, Bd. II, hier S. 212: „A me, – quando in Parigi vidi Jouffroi, pallido, asciutto, cadaverico, dopo bevuto l’oppio, levare gli occhi al cielo, lacerare lentamente i suoi scritti, e gettarli nel fuoco, – quando l’udii pronunciare le solenni parole = andate, nobili pensieri, ch’io scrissi per tutti questi ingrati, che sdegnano: purificatevi nella fiamma, e risalite in cielo con me! – = non stava più dinanzi Jouffroi, ma Chatterton, vivo, e palpitante Chatterton, e non il Chatterton dell’Inghilterra, di un tempo, ma il Chatterton del mondo, il poeta di tutti i luoghi, di tutti i tempi […] – l’uomo grande tipo, l’uomo grande infelice.“ Vgl. auch Themelly, Mario: „Il dibattito sulla nazionalità in Italia tra la rivoluzione francese e i regni napoleonici“, in: Friedrich Wolfzettel/Peter Ihring (Hgg.): Literarische Tradition und nationale Identität. Literaturgeschichtsschreibung im italienischen Risorgimento, Tübingen 1991, S. 73– 100, hier S. 94: „[…] i grandi suicidi di quell’età letteraria riflettono la protesta dell’individuo contro l’ordine politico giuridico esistente […].“ 195 Vgl. Mazzini, „Chatterton“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 75; sowie zur Inszenierung der nationalen Heldenfigur als christusgleich Banti, Risorgimento italiano, S. 59. 196 Mazzini, „Chatterton“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 74. 197 Ebd., hier S. 76. Vgl. Mazzini, „Note autobiografiche“, in: SEI, Bd. LXXVII, Politica XXVI, hier S. 9; Mazzini, „Doveri dell’uomo“, in: SEI, Bd. LXIX, Politica XXIV, hier S. 86 f.; sowie weiterhin Lukenda, Erinnerungsorte des Risorgimento, S. 252, der feststellt, dass risorgimentale Denker versuchen, aus dem nationalen Erbe „die Aufforderung zum militanten, aufopferungsvollen Handeln abbzuleiten“. Gleichzeitig betont er jedoch auch eine zunehmende Hinterfragung dieses Erbes im Verlauf des italienischen Nationbildungsprozesses, die dessen Funktionalisierung ans Licht bringe. 198 Vgl. Mazzini, „Chatterton“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 73 f.; sowie weiterführend Li Volsi, „Mazzini e le ideologie“, in: Istituto per la storia, Mazzini a duecento anni, hier S. 58, der Mazzinis konzeptorische Entwicklung im Hinblick auf das Motiv des Martyriums durch die Literatur, die Mazzini rezipiert, etwa Lamennais, Saint-Simon und Foscolos „Ultime lettere di Jacopo Ortis“ nachzeichnet. Vgl. weiterhin Gabbani, L’Italiano, S. 242 f.

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(1826/27)199 –, wobei er sich vor allem an die Dante-Interpretation Ugo Foscolos anlehnt.200 Im Anschluss an diesen legt Mazzini Dante als Propheten republikanischer Freiheit aus, womit auch Literatur zum Instrument des Widerstands und des Freiheitskampfes in Italien wird: In tutti i suoi scritti, di qualunque genere essi siano, traluce sempre sotto forme diverse l’amore immenso, ch’ei portava alla patria; […] perché la patria d’un italiano non è Roma, Firenze, o Milano, ma tutta Italia.201

Deshalb rät Mazzini seinen Zeitgenossen auch, sich an diesem ein Vorbild zu nehmen: „O Italiani! Studiate Dante; non su’ commenti, non sulle glosse; ma nella storia del secolo, in ch’egli visse, nella sua vita, e nelle sue opere.“202 Dantes Werke bezeichnet Mazzini als „una letteratura, a cui non mancava di Romantico, che il nome,“203 und er fügt hinzu: „[…] ma sanno, che i sommi non sono d’alcun paese; e che il genio è europeo“204. Relevant für Mazzinis Dante- und Foscolo-Deutung ist darüber hinaus deren Exilerfahrung. Carlo Cattaneo hebt hervor, dass Foscolo Italien einen neuen Weg des politischen Widerstands aufgezeigt habe: „[D]iede all’Italia una nuova istituzione: l’esilio.“205 Allgemein wird die Erfahrung des Exils oftmals als Grundelement der italienischen Literatur vom Mittelalter bis in die

199 Vgl. zur Veröffentlichungshistorie des Aufsatzes Mazzini, Giuseppe: „Brief an Niccolò Tommaseo, 26.4.1830 (2)“, in: SEI, Appendice, Epistolario I, Imola 1938, S. 6–8, hier S. 7; sowie weiterhin: Mazzini, „Italian Literature, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 295 f.; Fournier Finocchiaro, Giuseppe Mazzini, S. 10 f.; Spadolini, L’idea d’Europa, S. 14; und Mazzini, Maria: „Briefe an den Sohn, 9.6.1838 (217)“, S. 524 f.; „16.6.1838 (218)“, S. 530; „13.7.1838 (221)“, S. 545; „20.7.1838 (222)“, S. 547; sowie „12.9.1838 (226)“, S. 565 f.; alle in: SEI, Lettere a Giuseppe Mazzini, Bd. II. 200 Vgl. Mazzini, „Note autobiografiche“, in: SEI, Bd. LXXVII, Politica XXVI, hier S. 8; Mazzini, Giuseppe: „Articolo premesso all’edizione di Lugano degli scritti politici inediti di Ugo Foscolo“ (1844), in: SEI, Bd. XXIX, Letteratura V, Imola 1919, S. 159–180, hier S. 160; sowie Pozzani, Silvio: „Il culto mazziniano di Ugo Foscolo“, in: Il Pensiero Mazziniano 2 (2009), S. 19–23, hier S. 19 f. Vgl. zum Einfluss Foscolos auf Mazzini auch Mazzini, Giuseppe: „Quaderno II“, in: Arturo Codignola (Hg.): SEI, Nuova Serie, Bd. I, Zibaldone Giovanile, Bd. I, Imola 1965 (folgend: SEI, Zibaldone Giovanile, Bd. I), S. 179–306, hier S. 240 ff.; Codignola, „La giovinezza di G. Mazzini“, in: ders., I fratelli Ruffini, Bd. I, hier S. XLVIII f.; sowie zu Dante und Foscolo als wesentliche Bezugspunkte in Mazzinis Denken Scattolin, „Mazzini, letteratura“, in: Istituto per la storia, Mazzini a duecento anni, hier S. 105. 201 Mazzini, Giuseppe: „Dell’amor patrio di Dante“ (1826/27), in: SEI, Bd. I, Letteratura I, Imola 1906, S. 3–23, hier S. 17. Vgl. auch Mazzini, Giuseppe: „Opere minori di Dante“ (1844), in: SEI, Bd. XXIX, Letteratura V, Imola 1919, S. 183–282, hier S. 183 ff.; Fournier Finocchiaro, Giuseppe Mazzini, S. 10; sowie weiterführend Schulze, Thies: Dante Alighieri als nationales Symbol Italiens (1793–1915), Tübingen 2005, S. 90. 202 Mazzini, „Dell’amor patrio“, in: SEI, Bd. I, Letteratura I, hier S. 22. 203 Mazzini, „Carlo Botta“, in: SEI, Bd. I, Letteratura I, hier S. 66. 204 Ebd., hier S. 66. 205 Cattaneo, Carlo: „Ugo Foscolo e l’Italia“, in: Carlo Cattaneo: Scritti letterari, artistici, linguistici e vari, hrsg. v. Agostino Bertani, Florenz 1948, Bd. 1, S. 275–319, hier S. 304. Vgl. auch Mazzini, „Note autobiografiche“, in: SEI, Bd. LXXVII, Politica XXVI, hier S. 120; sowie Scirocco, L’Italia del Risorgimento, S. 174.

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Gegenwart beschrieben206 und gilt gerade für das Risorgimento als „nationale[s] Leidensmotiv“207. Sagramola hebt das aktive Exil sowohl bei Foscolo als auch bei Mazzini als gemeinsames Charakteristikum in deren Biografien hervor: C’è un legame ideale che unisce Mazzini a Foscolo, uno dei suoi autori preferiti. Accomunati da un medesimo e forte sentimento patriottico e romantico, i due personaggi vivono la condizione dell’esilio non come uno stato di paralisi interiore, di sterile isolamento, di chiuso e pessimistico ripiegamento in sé. Al contrario, il dolore del distacco si sublima nella reazione positiva, in una energia creativa e feconda che, in Ugo Foscolo, si esprime in forma letteraria e poetica e, in Giuseppe Mazzini, produce altezza di riflessione umana e morale, impegno politico generoso ed instancabile, assidua ed attiva elaborazione culturale, sensibilità e partecipazione alle problematiche sociali ed educative.208

Mazzini identifiziert sich über die geteilte Exil-Erfahrung mit seinen literarischen Vorbildern und wird dadurch selbst zum Märtyrer für seine Heimat – sowie Teil der missverstandenen und abgelehnten Gruppe Intellektueller, die von der Gesellschaft ausgeschlossen wird. Die Leiderfahrung, seine empfindsame Seele, die seine Qual zwar verstärkt, aber gleichzeitig auch sublimiert, die Nähe zu Gott, der ihm Empfindsamkeit und Talent verliehen hat, und dessen Willen er Ausdruck verleiht,209 prädestinieren den Dichter(propheten)  – und damit auch Mazzini – jedoch gerade für die Rolle einer Führungsfigur der Erneuerungsbewegung. Neben Dante als historischem Märtyrer für Italien und Chatterton als prototypischer Dichterfigur zwischen Realität und Fiktion stellt der Marquis von Posa als poetischer Charakter aus dem „Don Carlos“, zwischen 1783 und 1787 von Mazzinis Vorbilddichter Schiller verfasst, die entscheidende Märtyrergestalt für Mazzinis translatorisches und politisches Handeln dar. In den Worten Ferraris’: […] il sacrificio purificatore di Posa acquista una dimensione catartica agli occhi del Mazzini, che vede scaturirne la condanna senz’appello della tirannide e insieme l’annuncio profetico della prossima palingenesi etico-politica europea […].210 206 Vgl. Asor Rosa, Alberto: „La letteratura italiana e l’esilio“, in: Bollettino di italianistica. Rivista di critica, storia letteraria, filologia e linguistica 8 (2/2011), S. 7–14. 207 Lukenda, Erinnerungsorte des Risorgimento, S. 37. Vgl. zudem Pagliardini, Mappe interculturali, S. 134; Isabella, Maurizio: Risorgimento in exile: Italian émigrés and the Liberal International in the Post-Napoleonic Era, Oxford 2009; sowie Goldoni, Annalisa: „Due sonetti per Zacinto: Foscolo e Poe“, in: Lilla Maria Crisafulli Jones/Annalisa Goldoni/Romolo Runcini (Hgg.): Romanticismo europeo e traduzione. Atti del seminario internazionale (Ischia, 10.–11. April 1992), Ischia 1992, S. 109–130, hier S. 129 f. 208 Sagramola, Mazzini nel Risorgimento italiano, S. 122 f. Vgl. auch Riall, Lucy: „The politics of Italian romanticism: Mazzini and the making of a nationalist culture“, in: C. A. Bayly/Eugenio F. Biagini (Hgg.): Giuseppe Mazzini and the globalisation of democratic nationalism 1830–1920, New York 2008, S. 167–186, hier S. 173, die hervorhebt, dass Mazzini die Erfahrung des Exils kultiviert habe, um sie als symbolische und praktische Herausforderung den konservativen Kräften in Europa gegenüberzustellen. Vgl. weiterhin Mazzini, Giuseppe: „Brief an Emilie A. Hawkes, 11.6.1853 (MMMDCIV)“, in: SEI, Bd. XLIX, Epistolario XXVII, Imola 1928, S. 224–226, hier S. 225. 209 Vgl. Mazzini, „Chatterton“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 77. 210 Ferraris, Letteratura e impegno civile, S. 221.

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Posa – Ideal eines dramatischen Charakters211 – repräsentiert eine universale Moral, ein humanitäres Ideal, das es auch in der Realität umzusetzen gilt, wie Mazzini in „Del dramma storico“ darlegt: Quel Posa è un tipo: rappresenta il principio del dritto, della ragione libera, del progresso, anima dell’Universo. Angiolo sceso in mezzo a un inferno, tu senti diffondersi al suo primo apparire sulla scena come un’aura santa di virtù sovrumana, un soffio di solenne speranza, una calma di rivelazione; però ch’egli ama, ma il suo cuore palpita per un mondo intero, e il suo amore circonda la umanità con tutte le razze future. Grande di fede, e di sacrificio ch’è complemento a tutte le umani virtù, forte d’una coscienza purissima, e di costanza a ogni prova, procede nella linea che gli ha prefisso quella potenza che crea il Genio e lo investe d’una missione divina, tranquillo, fiducioso, rassegnato, com’uomo che ha rinnegate le speranze, e le voluttà della vita, e i plausi brevi, e le gioie del trionfo splendido, e ogni cosa; fuorché un principio, e il martirio.212

Posa fungiert als Prophet einer fortschrittlichen, humanitären Zukunft  – denn „Das Jahrhundert / ist meinem Ideal nicht reif. Ich lebe / ein Bürger derer, welche kommen werden“213 –, als revolutionärer Kämpfer, als moralisches Vorbild, als Weltbürger, als Philanthrop.214 Schillers Figur scheint darüber hinaus deshalb so wichtig für Mazzini zu sein, weil er sich mit ihm identifiziert – und sich in der Öffentlichkeit als Personifikation dieses moralisch „reinen“ Menschen der Zukunft inszeniert, wie es Ferraris weiterhin beschreibt: Ma è soprattutto nel pathos etico-religioso che caratterizza le pagine dedicate alla figura-chiave del marchese di Posa che si rivela appieno la cifra „autobiografica“ della lettura mazziniana del Don Carlos: nella delineazione di questo personaggio che nell’atmosfera cupamente controriformistica della corte di Filippo II agisce „com’uomo che ha rinnegate le speranze e le voluttà della vita, e i plausi brevi, e le gioie del trionfo splendido, e ogni cosa; fuorché un principio, e il martirio“, non è difficile cogliere – più che i tratti distintivi dell’eroe illuministico schilleriano – i contorni psicologici dell’immagine pubblica di se stesso quale Mazzini, nella veste di militante rivoluzionario, veniva proponendola ai suoi contemporanei, e quale, di lì a non molti anni, si fisserà nell’iconografia patriottico-risorgimentale.215

211 Vgl. Fournier Finocchiaro, „Mazzini et le drame historique“, in: Decroisette, L’histoire derrière le rideau, hier S. 52. 212 Mazzini: „Dramma storico“, in: SEI, Bd. I, Letteratura I, hier S. 312 f. Vgl. auch Mazzini, Giuseppe: „Brief an die Mutter, 19.3.1840 (MCCXXXVII)“, in: SEI, Bd. XVIX, Epistolario IX, Imola 1914, S. 28–33, hier S. 29. 213 Schiller, Friedrich [1787]: „Dom Karlos, Infant von Spanien“, Erstausgabe 1787, in: Friedrich Schiller. Werke und Briefe in zwölf Bänden, Bd. 3, Dramen II, hrsg. v. Gerhard Kluge, Frankfurt/ Main 1989, S. 175–421, hier S. 311, Zeile 3670 ff. 214 Vgl. ebd., hier S. 307, Zeile 3534 ff.; S. 308, Zeile 3577 ff.; sowie S. 408, Zeile 5938 ff. Kostka bezeichnet Mazzini in Anlehnung an die Konzeption der Idealfigur des Marquis von Posa sogar als wiedergeborenen Schiller (vgl. Kostka, Schiller in Italy, S. 69; sowie weiterhin Ferraris, Letteratura e impegno civile, S. 222; Galante Garrone, „Schiller e Mazzini“, in: Istituto per la storia, Mazzini e i repubblicani, hier S. 55 ff.; Della Peruta, Mazzini e i rivoluzionari italiani, S. 64; sowie Fournier Finocchiaro, „Cultura francese e cultura polacca“, in: Kwartalnik Neofilologiczny LXIII 2 [2016], hier S. 177) 215 Ferraris, Letteratura e impegno civile, S. 221. Vgl. auch bereits Momigliano, Felice: Giuseppe Mazzini e la letteratura tedesca, Florenz 1908, S. 7.

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Neben der Inszenierung des Dichters als Märtyrer dient Mazzinis Kommentar zum „Chatterton“ einer Neuauslegung der Dichtung, der eine gesellschaftsrelevante Rolle zugewiesen wird. Die Ablehnung von Kunst als „schöner Zeitvertreib“ und ihrer damit einhergehenden Verschiebung in einen Randbereich der Gesellschaft negiert zwar einerseits deren Autonomie und Daseinsberechtigung als eigenständiges Feld. Andererseits erhält sie durch ihre Verbindung mit religiösen und politischen Anliegen wesentliche Bedeutung für ein Erneuerungsprojekt im Sinne Mazzinis. So wird sie als eine von Gott inspirierte, neue heilige Schrift, die Lehrbuch und Prophezeiung in einem ist, als unsterbliches Element neben Erinnerung und Sehnsucht, Vergangenheit und Zukunft, zu einem die Menschheit der Zukunft erst konstituierenden und charakterisierenden Ausdrucksmittel. Darüber hinaus dient sie als probates Instrument in einem als Kreuzzug inszenierten Revolutionskampf, der die Menschheit befreien und vereinen soll – auch wenn es bisher, wie an überzeugten Kämpfern, noch an Verfassern entsprechender Werke mangelt, die ihre Rolle als Propheten, Erzieher, Apostel des Volks wahrnehmen und ausführen: Ma il tempio e i credenti, ove sono? – La fiamma santa che vive in quell’anime arde secreta ed ignota come incenso all’altare d’un Dio proscritto, o splende solitaria ed inutile nel deserto che il materialismo ha steso all’intorno. Manca il popolo alla Poesia, l’amore e la venerazione a’ Poeti; manca la fede nel Genio; manca l’intento che concentrando, ed armonizzando tutte le facoltà del Poeta, santifichi l’ispirazione e la sollevi all’altezza d’un ministero. E finché il Poeta non verrà riconsecrato Sacerdote e Profeta, non si avrà Poesia mai.216

Die Übersetzung Mazzinis und der Brüder Ruffini offenbart in diesem Rahmen eine manipulative Komponente insbesondere im Hinblick auf das Verhältnis des Dichters zur und dessen Rolle in der Gesellschaft. Das Credo der Manipulation School, demzufolge „all translation implies a degree of manipulation of the source text for a certain purpose.“217 mag auf den ersten Blick profan klingen. Jedoch besticht diese These gerade durch ihre simple Formulierung, die nicht nur die zwangsläufige Manipulation aufgrund der Übertragung von einer Sprache und Kultur in eine andere meint, sondern viele Aspekte – von der individuellen Auslegung des einzelnen Übersetzers, über die konkrete Entscheidung in der Übersetzung für bestimmte Termini, die andere ausschließt, bis hin zu einem dahinterstehenden Konzept mit Wirkungsabsichten bzw. tatsächlichen Effekten – impliziert, die es auch im Hinblick auf Mazzinis Übersetzungstheorie und -praxis zu analysieren gilt. Einige, derart manipulierte Textstellen aus der „Chatterton“-Übersetzung sollen im Folgenden exemplarisch aufgezeigt und diskutiert werden. So verstärkt Mazzini im Vorwort218 etwa Vignys Pourquoi tant d’astres éteints dès qu’ils commençaient à poindre? C’est que vous ne savez pas ce que c’est qu’un Poète, et vous n’y pensez pas. (228) durch Perché tanti astri mandano appena un 216 Mazzini, „Chatterton“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 70. 217 Hermans, „Introduction“, in: ders., Manipulation of literature, hier S. 11. 218 Poli bezeichnet Mazzinis Arbeit am Vorwort in ihrer bereits genannten, übersetzungskomparatistischen Studie als „minuzioso calcolo di attenta e sensibile allusione“ (Poli, „Chatterton“, in: Centre d’études, Mélanges à la mémoire, hier S. 334).

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primo raggio, e si spengono? Perché voi ignorate la natura del Poeta, e non cercate neppure di penetrarne il mistero. (17)219 Dies geschieht zu einem durch die Verdoppelung von „perché“ als Anapher jeweils zu Beginn des Fragesatzes, zum anderen durch die Hervorhebung der Natur des Dichters. Darüber hinaus nimmt Mazzini durch den Zusatz „natura“ konkret Bezug auf das Wesen des Dichters, das er als rätselhaftes Geheimnis bzw. Mysterium bezeichnet. Hier zeigt sich Mazzinis Einstellung zu der Rolle des Dichters in der Gesellschaft und dessen außergewöhnlichem Charakter. Der Dichter ist im Stande, Großes zu leisten, weshalb ihm Wertschätzung entgegenzubringen ist, er wird jedoch stattdessen verkannt.220 Eine Anerkennung wird dem Dichter auch dadurch verwehrt, dass er in der gegenwärtigen, materialistischen Gesellschaft nur als „Ware“ angesehen wird, über die jeder potenzielle Finanzier verfügen kann – wie es Vignys Drama in seiner Handlung zeigt und wie Mazzini in seiner Übersetzung explizit(er) herausarbeitet: On croirait, à vous voir en faire si bon marché, que c’est une chose commune qu’un Poète? (228) wird zu Parrebbe a vedervi tenerlo in sì poco conto, che il Poeta fosse merce volgare. (16 f.)221 Vignys Unterteilung in drei Kategorien von Dichtern in seinem Vorwort legt Mazzini zugunsten seines eigenen, aktionistischen Konzepts aus. Bei Vigny unterscheiden sich die Typen durch ihren Einfluss auf die Gesellschaft, den sie durch ihr Denken ausüben. Mazzini fügt deren Werke als konkrete Handlung hinzu: Trois sortes d’hommes, qu’il ne faut pas confondre, agissent sur les sociétés par les travaux de la pensée (228) gegenüber Tre specie d’uomini, che non si hanno a confondere l’uno coll’altro, esercitano azione sulle società coll’opere, e col pensiero (17).222 In eine ähnliche Richtung weist Mazzinis Konkretisierung von Vignys Il sait la place du mot ou du sentiment, et les chiffrerait au besoin. (229 f.) zu Sa i luoghi dove si collocano le parole ed i sentimenti, e ridurrebbe, occorrendo, il calcolo a cifra. (18), was die an Modebedürfnisse angepasste, negativ zu bewertende Arbeit des ersten Dichtertypen, des „Homme de lettres“ (230) bzw. „Letterato“ (18), durch eine Einschätzung von dessen Tätigkeit als „reduzieren“ sowie die Betonung von dessen Kalkül zusätzlich abwertet. Der zweite Dichtertypus nach Vigny, der „grand et véritable Écrivain“ (232) bzw. „grande, vero Scrittore“ (20), ist dagegen von der Natur gesegnet, belesen und von heiterer Ruhe. Die Reinheit seines Gemüts betont Mazzinis zusätzlich durch den Terminus „vergine“ („rein“/„unberührt“). Vignys Text lautet: Sa mémoire est riche, exacte et presque infaillible; son jugement 219 Hervorhebungen in den Zitaten gehen auf mich zurück. 220 Auch Poli markiert diese Stelle. Ihr zufolge sollen die Rezipienten für ihre Gleichgültigkeit und ihr Desinteresse gegenüber dem Wesen des Dichters getadelt werden. Dieser sei jedoch doch gerade „guida del popolo delle nazioni“ (Poli, „Chatterton“, in: Centre d’études, Mélanges à la mémoire, hier S. 334). 221 In Polis Analyse gilt diese Stelle ebenfalls dem Nachweis der geringen Wertschätzung der Gesellschaft gegenüber dem Dichter, die Mazzini moniert (vgl. ebd., hier S. 334). 222 Poli argumentiert, dass Mazzini wegen seines moralischen Prinzips, das besagt, dass eine Idee ihre Wirksamkeit erst durch ihre Umsetzung in einem konkreten Werk erhält, diese Übersetzungsentscheidung trifft (vgl. ebd., hier S. 334).

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est sain, exempt de troubles autres que ceux qu’il cherche, de passions autres que ses colères contenues; il est studieux et calme. (231) Mazzini übersetzt mit poetischem Geschick: Una memoria ricca, esatta e quasi infallibile, una facoltà di sano giudizio sciolta da tutte agitazioni, fuorché da quelle ch’ei cerca, e vergine di passioni, dalle sue ire represse in fuori, studii, e quiete serena sono sue doti. (19) Dass diese „Spezies“ von Autor ohne Zweifel und mit Selbstbewusstsein ihr Leben meistert, hebt Mazzini in seiner Übersetzung besonders hervor und fügt den Ausdruck „Herr seines eigenen Weges“ hinzu: Après tout, il marche le pas qu’il veut (232) steht In ogni modo, ei va come vuole, padrone del proprio cammino (19) gegenüber. Den als „Poète“ (235) bzw. „Poeta“ (22) bezeichneten dritten Typus, zu dem auch Chatterton gehört, hebt Mazzini wiederum besonders positiv hervor. Dessen Weltschmerz und empfindsame Seele werden durch die hinzugefügten Termini „stimolo“ („Anreiz“/„Stimulus“) und „sentire profondamente“ („tief empfinden“) sowie einem Fokus auf den Dichter, der mehr leidet (im Vergleich zu Vigny leiden dort die anderen weniger) nochmals betont. Das Original lautet […] ses enthousiasmes excessifs l’égarent; ses sympathies sont trop vraies; ceux qu’il plaint souffrent moins que lui, et il se meurt des peines des autres. (234); Mazzini übersetzt […] traviato dall’entusiasmo eccessivo, sotto lo stimolo di simpatie profondamente sentite, e soffrendo egli stesso più che non soffrono i compianti da lui, ei more dell’altrui spasimo. (21) Die Außergewöhnlichkeit des Poeten hebt Mazzini durch eine wiederholte Verwendung des Begriffs „Genie“ hervor, das in seinem Erneuerungskonzept als Führungspersönlichkeit eine wichtige Rolle spielt. So steht etwa Je dis, moi, que quelques vers suffiraient à les faire reconnaître de leur vivant, si l’on savait y regarder. (242) Ed io dico che basterebbe por [sic!] mente a quei pochi versi per indovinare il Genio, anche in vita. (27) gegenüber. Die negativ bewertete Tätigkeit des ersten Typus, des Literaten, könnte der Poet auch ausführen, jedoch würde er damit sich und seiner (göttlichen) Inspiration Gewalt antun. Mazzini hebt diesen Aspekt durch eine zweifache Wiederholung von „calcolo“ und „cifra“ hervor: Il peut, s’il en a la patience, se condamner aux travaux du chiffre, où le calcul tuera l’illusion. (237) schreibt Vigny, Mazzini dagegen: Egli può, se ha pazienza, condannarsi a’ lavori del calcolo e delle cifre, e le cifre e i calcoli uccideranno l’illusione. (23) Auch die Kursivsetzung in den Texten erfolgt unterschiedlich bei „tuer“ bzw. „illusione“, wobei dies wahrscheinlich eher auf einen der von Mazzini bemängelten Fehler des Typografen zurückgeht, da an weiteren Textstellen in beiden Versionen „tuer“ bzw. „uccidere“ (zu Deutsch „töten“) in Kursivschrift erscheint.223 Zudem macht Mazzini einen von ihm kursiv markierten Zusatz bei der Thematisierung der Intensität und Bedeutung von Verzweiflung, die die Seele des Poeten quält, um die Aussage des Originals zu bekräftigen, und antwortet gleichzeitig auf eine von ihm aufgeworfene rhetorische Frage. Bei Vigny lautet die entsprechende Textstelle: Le devoir et la raison le disent. Il ne s’agit que de savoir si le 223 Vgl. Kapitel 3.3.1 der vorliegenden Arbeit.

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désespoir n’est pas quelque chose d’un peu plus fort que la raison et le devoir. (238) Mazzini überträgt diese Passage wie folgt: Il dovere e la ragione concordano. Ma la disperazione non opera forse prepotente anche sul dovere e sulla ragione? la questione è codesta. (24) Mit seiner rhetorischen Frage und der Ersetzung von „nicht sterben lassen“ durch „verdammt zu sterben“ zeichnet Mazzini darüber hinaus ein drastischeres Bild der verzweifelten Situation des Poeten in der gegenwärtigen Gesellschaft: Mais on pourrait ne pas laisser mourir cette sorte de malades. (241) gegenüber Ma questi infermi, son essi dunque condannati a morire? (26 f.) Als Beispiel für ein verkanntes Genie nennt Vigny in seinem Vorwort zum Drama den Dichter André Chénier (1762–1794). Mazzini verdeutlicht dies, indem er die zitierten Verse des Dichters als Ausdruck einer gequälten Seele beschreibt, die nicht anders kann, als ihren Schmerz zu artikulieren: Mais je suis assuré que, durant sa vie (et il n’y a pas longtemps de cela), on ne pensait pas ainsi; car il disait […]. (243) wird zu Ma chi, quando egli = e non ha molto = vivea, pensava in tal guisa? e perché fu costretto a lasciarci quei versi […]. (27) Eine Intensivierung nimmt Mazzini darüber hinaus bei der Rolle der Gesellschaft im Hinblick auf deren Verantwortung für das Schicksal des Poeten vor: Je ne demande à la société que ce qu’elle peut faire. (241) steht Io chiedo alla società ciò ch’è in sue mani. – Null’altro. (26) gegenüber. Auch wenn es für diverse Ausprägungen von Verzweiflung keine Abhilfe gebe, so müsse die Gesellschaft sich gerade verstärkt um diejenigen kümmern, die „geheilt“ werden können. Mazzini hebt dies mit einer zwar extensiveren, aber auch deutlicheren Formulierung hervor. Vignys „pouvoir quelque chose“ wird durch „possano essere combattute“ wesentlich verstärkt: Raison de plus, ce me semble, pour penser à celles auxquelles on peut quelque chose. (241) versus Bensì, per questo appunto, ci corre, parmi, debito più severo di provvedere a quelle che possano essere combattute. (26) Mazzinis interpretative Zusätze im dritten Akt – von Poli als „forzatura semantica […] fino a raggiungere una decoratività quasi fine a se stessa“224 bezeichnet – betreffen, wie im Vorwort, vor allem die Szenen, die die ausweglose Situation des Poeten in der herrschenden Gesellschaft beschreiben und so verdeutlichen wollen. Das folgende Beispiel zeigt sowohl durch die Wiederholung der Termini  „fantoccio“, zu Deutsch „Puppe“/„Marionette“, sowie „ferito“/„ferita“ („verletzt“/„Verletzung“) als auch durch eine explizitere Darlegung der aussichtslosen Lage Chattertons, der seine Seele verkaufen müsste, um zu überleben, und darauf mit verzweifeltem Sarkasmus reagiert, weiterhin die unmenschlichen Bedingungen, unter denen der Dichter zu leben gezwungen ist: […] faire jouer de misérables poupées, ou l’être soi-même et faire trafic de cette singerie! Ouvrir son cœur pour le mettre en étalage sur un comptoir! S’il a des blessures, tant mieux! il a plus de prix; tant soit peu mutilé, on l’achète plus cher! (328) steht Mazzinis […] popolar la scena di meschini fantocci, o mutar se stesso in fantoccio, e far traffico, scimmiottando, di siffatte contraffazioni! Snudarsi l’anima, ed esporla a mostra sulla bottega! Tanto 224 Poli, „Chatterton“, in: Centre d’études, Mélanges à la mémoire, hier S. 335.

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meglio, s’ella è ferito! le ferite ne aumentano il prezzo; per poco mutilata ch’ella sia, i compratori spenderanno una moneta di più per averla! (94) gegenüber. Die Beschreibung von Chattertons Ausweglosigkeit intensiviert Mazzini darüber hinaus durch einen höheren Gebrauch des Terminus „perduto“ („verloren“) sowie den einmaligen Zusatz „per sempre“ („für immer“) an folgender Stelle: […] tout est connu; et si demain ce livre n’est pas achevé, je suis perdu! oui, perdu! sans espoir! (329) versus […] e se domani questo Libro non è finito, io sono perduto! perduto per sempre! perduto senza speranza! (95) Interpretativ geht Mazzini weiterhin bei Chattertons Aussage Et pour qui donc fait-on l’heureux quand on ne l’est pas? (330) als E per chi mai si recita la parte di lieto, quando s’ha la sventura sull’anima? (95) vor. Vigny wirft die Frage auf, warum eine öffentliche Zurschaustellung von Zufriedenheit von Nöten, wenn diese nicht innerlich zu spüren sei. Mazzini dagegen führt durch seine Anlehnung an das Theater die Maskenhaftigkeit und Anstrengung vor, zu der der Poet verpflichtet ist, um mit der Übernahme einer Rolle in der Gesellschaft auf irgendeine Art und Weise zu funktionieren. Durch den Zusatz von „sventura sull’anima“ verdeutlicht er den Seelenzustand des Poeten, an dem nun kein Zweifel mehr bestehen kann. Chatterton wird kurz vor seinem Selbstmord in eine Unterhaltung mit John Bell, diversen Lords und dem Bürgermeister von London, Beckford, über den Nutzen, den der Dichter für eine Gesellschaft hat und welche Rolle er darin spielt, involviert. Chatterton vergleicht England dabei mit einem Schiff, an dessen Bord alle Anwesenden gleichermaßen für einen reibungslosen Ablauf auf See verantwortlich sind. Mazzini hebt dies durch eine Aufteilung des Possessivbegleiters und des Genitivobjekts hervor: Mais c’est à bord du grand navire qu’est notre ouvrage à tous. (362 f.) versus Ma, a bordo della gran nave è il nostro lavoro, il lavoro di tutti (120) Beckford versteht jedoch nicht, was und wie der Dichter zum Kollektivwerk beitragen kann. Als Chatterton dies mit der Deutung der Sterne als Weg, den Gott den Menschen aufzeigt, rechtfertigt, erntet er von dem kapitalistischen Bürgermeister nur Spott. Mazzini verstärkt Vignys negative Darstellung, indem er den Blick auf den – für Beckford als Repräsentaten der Gesellschaft – nur mit „unnützen“ Gedanken gefüllten Kopf des Poeten lenkt: […] vous n’êtes bon à rien, et vous vous êtes rendu tel par ces billevesées. (364) versus […] siete buono a nulla, voi, e v’han fatto tale tutte coteste inezie che v’empiono il capo. (121) Auch die Ruffini-Brüder225 fokussieren in ihrer jeweiligen Übersetzung die elende, kritikwürdige Situation des Dichters in einer kalten, materialistischen Ge225 Weder im Werk selbst noch aus der Korrespondenz ergibt sich, welcher Akt von welchem der Ruffini-Brüder übersetzt wird. Aufgrund eines Abgleichs des Vorgehens und des Stils mit der Übersetzung von „Der vierundzwanzigste Februar“ Werners (vgl. Kapitel 3.3.3 der vorliegenden Arbeit), die zweifelsohne von Agostino Ruffini stammt, wird an dieser Stelle vermutet, dass der erste Akt von Giovanni Ruffini übertragen wird, während Agostino Ruffini den zweiten Akt des „Chatterton“ übernimmt. Vgl. auch Poli, „Chatterton“, in: Centre d’études, Mélanges à la mémoire, hier S. 334, die die Übersetzung des zweiten Akts – ohne sich zur Identität des Übersetzers zu äußern – als „stile più pretenzioso [… che] toglie grazia e forza drammatica all’originale“ bezeichnet.

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sellschaft. So fragt Chatterton im ersten Akt den Quäker nach dem Umgang mit dem Poeten in der Gesellschaft seines Weltbilds. Ruffini verstärkt die bemitleidenswerte Lage des Dichters, die Vigny beschreibt, indem er das Verb „tourmenter“ („quälen“/„plagen“) durch das Substantiv „martirio“ („Martyrium“) ersetzt und veranschaulicht, dass selbst die Religion bzw. das Christentum in seiner herrschenden Form keinen Ausweg für den Poeten bietet: Bon Quaker, dans votre société fraternelle et spiritualiste, a-t-on pitié de ceux que tourmente la passion de la pensée? (278 f.) steht Buon Quacquero, nella vostra società fraterna e spiritualista i martiri del pensiero son essi compianti? (55) gegenüber. Die unerträgliche Lage der gequälten Dichterseele wird auch im zweiten Akt über die Wortwahl verstärkt thematisiert. Die Leichtigkeit, mit der ehemalige Bekannte Chattertons durch ihr Leben gehen, steht der Schwere von dessen Depression und Einsamkeit gegenüber. Betont wird diese Oberflächlichkeit in der Übersetzung durch die Verbindung des Substantivs „leggerezza“ („Leichtigkeit“/„Unbeschwertheit“) – gegenüber dem prädikativen Adjektiv sowie einer Verbalkonstruktion im Franzöischen – mit den Adjektiven „insopportabile“ („unerträglich“) und „inconciliabile“ („unvereinbar“): Georges, tout cela est bien léger; mon caractère ne s’y prête pas … . (303) wird mit Giorgio, la tua leggerezza è insopportabile, inconciliabile col mio carattere … . (74) übertragen. Problematisch scheinen für die drei Übersetzer die Termini „träumen“ und „Traum“ zu sein, die Vigny des Öfteren verwendet und die Mazzini zwar stets durch artverwandte Ausdrücke ersetzt, die jedoch nicht das Originalwort aufgreifen. Mutmaßlich will er den Poeten nicht als Träumer klassifizieren, weil dieser in seiner Vorstellung ein intellektueller „Macher“ ist. Als Beispiele hierfür können dienen: […] que tout homme jeune et rêveur n’est pas Poète pour cela; (242) gegenüber […] non basta l’esser giovine, e dato alle incerte meditazioni per esser Poeta; (27) sowie Il ne lui faut que deux choses: la vie et la rêverie; le PAIN et le TEMPS. (245) versus Ad uomini di quella tempera non bisognano che due cose: la vita e la libera meditazione: il Pane, ed il Tempo. (29) Ein ähnliches Vorgehen zeigt sich auch im ersten Akt. En toi, la rêverie continuelle a tué l’action. (278) steht In te, la continuità del pensiero ha morta l’azione. (54) gegenüber. Im Vergleich zu Mazzinis „meditazione“ wird nun „pensiero“ verwendet. Analog sei auf das folgende Beispiel verwiesen: Eh! qu’importe, si une heure de cette rêverie produit plus d’œuvres que vingt jours de l’action des autres? (278) versus Eh, che monta, se un’ora di questo mio pensiero è più feconda che non venti giorni di azione in altri? (54 f.) Die Lösung mit „pensiero“ greift Mazzini selbst im dritten Akt wieder auf. Als Chatterton vor seinem Selbstmord tiefgründigen Gedanken nachhängt, drückt Vigny dies in einer Regieanweisung aus: Il s’abandonne à une longue rêverie dont il sort violemment. (330); Mazzini übersetzt: S’abbandona alle fantasie d’un lungo pensiero, ch’ei rompe con impeto. (96) Die direkte Übersetzung von „rêveur“ mit Traum erfolgt lediglich im zweiten Akt. Hier handelt es sich jedoch nicht um das geistige Schaffen und poetische Denken als Inspiration, sondern um das Gefühl überhöhter, unglücklicher Liebe,

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für das eine empfindsame Seele eher zugänglich ist als „normale“ Menschen. Allerdings fügt Ruffini zur Charakteristik des träumerischen Geists die Spezifizierungen „Liebe“ und „melancholische Fantasien“ hinzu: La paix qui règne au tour de toi a été aussi dangereuse pour cet esprit rêveur (320) im Original wird mit La pace che ti circonda è stata fatale a quello spirito nato ai sogni d’amore, e alle fantasie melanconiche (87) übersetzt.

3.3.1.3 Politische Ebene: Italien und Europa Mazzinis literaturkritische Positionierung auf Seiten der Romantiker in seinem Aufsatz zum „Chatterton“ lässt sich auch politisch interpretieren. Die Kapitel 2.2.1 und 2.2.2 der vorliegenden Arbeit haben bereits gezeigt, dass der Romanticismo kaum vom risorgimentalen Denken der Zeit zu trennen, das heißt per se schon politisch geprägt ist, und Literaturkritik als Mittel dient, sich – trotz der Schwierigkeiten mit der Zensur – politisch zu engagieren. Gerade im Streit von Klassizisten und Romantikern wird die Auseinandersetzung um Literatur und ihre Übersetzung zu einem Politikum.226 Besonders im Fokus steht hierbei die Ausbildung einer gesamtitalienischen Identität, vor allem im Hinblick auf die Konstituierung einer Nation Italien und deren Ausrichtung. Mazzini entwickelt ein ganz eigenes innovatives Konzept im Hinblick auf die Identität Italiens und deren (historischer sowie zukünftiger) Verbindung mit Europa. Die Begründung einer eigenen Nationalliteratur und die Identitätsbildung gehen hierbei via Übersetzung Hand in Hand. Im Hinblick auf zerrissene Gesellschaften verweist Cronin auf das Potenzial von Translation, die verschiedenen Teile zu versöhnen und eine gemeinsame Basis zu schaffen.227 Auch wenn die irische Situation, der sich Cronin widmet, einen Sonderfall darstellt, so fehlt auch dem prä-nationalen Italien Anfang des 19. Jahrhunderts durch politische Spaltung und regionale Besonderheiten eine gemeinsame Grundlage als Voraussetzung für ein gesamtitalienisches Identitätsgefühl, das über ein gemeinsames Erbe und eine gemeinsame Zukunft evoziert werden soll. Cronin beschreibt die Rolle der Translation in diesem Prozess als „mode of creative evolution that allows a culture to preserve what is valuable, while leaving itself open to the creative intervention of change“228. Sie sei „an agent of aesthetic and political renewal 226 Vgl. Kapitel 2.2.1 der vorliegenden Arbeit. 227 Vgl. Cronin, Translating Ireland, S. 118. Siehe auch Berman, L’épreuve de l’étranger, S. 27, der Übersetzung in der deutschen Romantik als „Acte générateur d’identité“ beschreibt; sowie Schultze, Brigitte: „Innereuropäische Fremdheit: der polnische cham – übersetzt und umschrieben, fremdgehalten und akkulturiert“, in: Doris Bachmann-Medick (Hg.): Übersetzung als Repräsentation fremder Kulturen, Berlin 1997, S. 140–161, hier S. 159, der zufolge gerade in geteilten Ländern das „Bedürfnis nach identitätsstiftenden Konzepten und einheitsfördernden Losungen“ sehr ausgeprägt sei, da weder Einheit noch Autonomie bestehen. 228 Cronin, Translating Ireland, S. 168.

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[…  which,] no longer simply […  bares] witness to the past, […  but  … is] to actively shape a future“229. Ausgehend von diesem Credo soll in einem ersten Schritt im Rahmen von Mazzins „Chatterton“-Aufsatz zunächst die (gegenwärtige) Zerrissenheit und (hypothetisch zukünftige) Einheit nach Mazzinis Vorstellung beleuchtet werden, bevor konkreter der europäische Kontext im Fokus steht, den auch Cronin – definiert als Erweiterung eines transnationalen Horizonts – für einen wesentlichen Faktor bei der Neuausrichtung einer modernen irischen Identität hält.230

3.3.1.3.1 Zerrissenheit und Einheit Italiens Chattertons leidende, zerrissene Seele symbolisiert für Mazzini nicht nur paradigmatisch das beschämende, unwürdige Leben, das der Dichter in einer materialistisch ausgerichteten Gesellschaft führen muss, sondern lässt sich darüber hinaus auf den Zustand des gespaltenen, fremd-dominierten Italien übertragen, das – wie der Dichter – nicht aus sich heraus Relevanz generieren kann. So wie der Dichter rein für die Unterhaltung seiner Umgebung zuständig ist, dient Italien dem Machtgleichgewicht in Europa – beide müssen sich mächtigeren Positionen unterordnen, die je nach Bedarf auf ihr „Spielzeug“ zurückgreifen, um es für ihre egoistischen Interessen zu verwenden. Wie der Dichter hat Italien scheinbar nur zwei Handlungsalternativen – sich korrumpieren und sich für das eigene Überleben den gegebenen Umständen anpassen, daran aber seelisch zugrunde gehen, oder sich selbst treu, aber passiv bleiben, was schließlich jedoch auch den Tod bedeutet. Mazzini lehnt beide Möglichkeiten ab und propagiert etwa in seinem offenen Brief an den damaligen König von Sardinien-Piemont, Carlo Alberto, der 1831 in der Giovine Italia veröffentlicht wird, einen dritten Weg – den der Auflehnung und Revolution.231 So wie er sich mit Vignys Drama und dem Selbstmord des Protagonisten nicht identifizieren kann – auch wenn er dessen Beweggründe nachvollziehbar findet –, weil der Tod hier nicht durch aktives Engagement für eine höhere Sache erlitten wird, sondern Chatterton durch eigene Hand ereilt, so widersetzt er sich den von den Machthabern in Italien demonstrierten Alternativen der absoluten Unterdrückung bzw. der moderaten Reformen. Denn auch letztere sollen keine grundlegende Verbesserung oder Veränderung herbeiführen, sondern lediglich das Volk „ruhigstellen“.232 229 Ebd., S. 136. 230 Vgl. ebd., S. 174. 231 Vgl. Mazzini, Giuseppe: „A Carlo Alberto di Savoja. Un Italiano“ (1831), in: SEI, Bd. II, Politica I, Imola 1907, S. 17–41; sowie weiterführend Galante Garrone, „Schiller e Mazzini“, in: Istituto per la storia, Mazzini e i repubblicani, hier S. 55 ff.; und Della Peruta, Mazzini e i rivoluzionari italiani, S. 64. 232 Vgl. Mazzini, „A Carlo Alberto“, in: SEI, Bd. II, Politica I, hier S. 20 ff.; sowie Sarti, Roland: „Giuseppe Mazzini and Young Europe“, in: C. A. Bayly/Eugenio F. Biagini (Hgg.): Giuseppe Mazzini and the globalisation of democratic nationalism 1830–1920, New York 2008, S. 275–297, hier S. 283 f.

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Wie sich die Dichter aus ihrer passiven Rolle befreien und ihre Gabe dazu nutzen müssen, als Nationaldichter die Bevölkerung in die Revolution zu führen, so bleibt Italiens Herrschern nur der Weg, sich einer Revolution anzuschließen, wollen sie den Wünschen der Bevölkerung Rechnung tragen und sich hierdurch ihre Machtposition in einem erneuerten Italien bewahren, wie Mazzini in seinem Appell an Carlo Alberto eindringlich verdeutlicht:233 Ponetevi alle testa della nazione, e scrivete sulla vostra bandiera: UNIONE, LIBERTÀ, INDIPENDENZA! Proclamate la santità del pensiero! Dichiaratevi vindice, interprete dei diritti popolari, rigeneratore di tutta l’Italia! Liberate la patria dai barbari! Edificate l’avvenire! Date il vostro nome ad un secolo! Incominciate un’era da voi! Siate l’uomo delle generazioni! Siate il Napoleone della libertà italiana! […] vi fu un trono eretto da venti milioni d’uomini liberi che scrissero sulla base: CARLO ALBERTO, NATO RE, LA ITALIA RINATA PER LUI! […] È via di trionfo sicuro, se voi sapete comprendere tutta intera la posizion vostra, convincervi fortemente d’esser consecrato ad un’alta missione, procedere per determinazioni franche, decise, ed energiche.234

Die dritte Alternative sieht zudem eine unabhängige, ohne Fremdhilfe durchzusetzende Verwirklichung der Einheit und Freiheit Italiens durch das Volk vor.235 Die Forderung nach monarchischer Unterstützung bei gleichzeitigem Postulat für eine Abschaffung des Alleinherrschersystems in der Lettera klingt paradox, dient einerseits aber dazu, die Monarchie in Sicherheit zu wiegen und von revolutionären Tätigkeiten abzulenken. Andererseits handelt es sich mutmaßlich gar nicht um einen „aufrichtigen“ Appell Mazzinis an den König, sondern um ein Plädoyer an bisher noch königstreue Bürger. Während eine Seite der Mazzini-Studien die Ansicht vertritt, Mazzini habe Carlo Alberto tatsächlich mit ernstgemeinten Absichten geschrieben, um ihn zu einem Umdenken in dessen Handeln zugunsten der breiten Bevölkerung und der Revolutionäre zu bewegen, sehen andere Forscher die offene Lettera lediglich als Vorwand Mazzinis, seine Zeitgenossen wachzurütteln und ihrer Hoffnung auf Carlo Alberto als Revolutionskönig zu berauben. Mazzini habe nicht erwartet, dass der Herrscher von Sardinien-Piemont sich beeinflussen lasse, sondern nur einen Weg gesucht, öffentlich wirksam seine Meinung in Bezug auf den König kundzutun.236 Mazzini lehnt die Monarchie als System ab. In der Tradition und Geschichte Italiens gebe es gar keine Grundlage für ein funktionierendes monarchisches Sys233 Vgl. zu Mazzinis strategischem Handeln an dieser Stelle und zu dessen Parallelität zum Vorgehen des Marquis von Posa in Schillers „Don Carlos“ Galante Garrone, „Schiller e Mazzini“, in: Istituto per la storia, Mazzini e i repubblicani, hier S. 62; Ferraris, Letteratura e impegno civile, S. 221 f.; sowie bereits 1927 Vossler, Mazzinis politisches Denken und Wollen, S. 24. In den Primärtexten siehe vornehmlich Schiller, „Dom Karlos“, in: Werke und Briefe, Bd. 3, hier S. 306 ff.; sowie Mazzini, „A Carlo Alberto“, in: SEI, Bd. II, Politica I, hier S. 36 f. 234 Ebd., hier S. 36 f. 235 Vgl. Mazzini, „Note autobiografiche“, in: SEI, Bd. LXXVII, Politica XXVI, hier S. 223; sowie Mazzini, Giuseppe: „Circolare della Federazione della Giovine Italia“ (1831), in: SEI, Bd. II, Politica I, Imola 1907. S. 67–71, hier S. 68. 236 Vgl. Galante Garrone, „Schiller e Mazzini“, in: Istituto per la storia, Mazzini e i repubblicani, hier S. 63.

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tem. Zum einen verfüge Italien über keine eigene, mächtige bzw. einflussreiche Aristokratie. Zum anderen habe nie eine genuin italienische Dynastie existiert, zu der sich alle Staaten zugehörig fühlen und aus der sich die Nation bilden könne. So sei wegen der gespaltenen Struktur in autonome Fürstentümer auch keine Region bereit, sich einer anderen unterzuordnen – womit Mazzini im Gegensatz zu vielen Zeitgenossen auch eine Vorherrschaft Piemont-Sardiniens negiert. Die Historie beweist Mazzini zufolge Italiens republikanische Tradition; die Monarchie als Regierungsform habe erst durch die Italien besetzenden Fremdmächte dort Einzug erhalten und werde auch nur durch deren Präsenz aufrechterhalten.237 Die Republik dagegen sei eine quasi heilige Staatsform, über die allein Erneuerung erfolgen könne – nicht nur in Italien, sondern auch in einem größeren, transnationalen Rahmen: La Repubblica – come almeno io l’intendo – è l’associazione, della quale la libertà è soltanto un elemento, un antecedente necessario. È l’associazione, è la sintesi, la divina sintesi, la leva del mondo, il solo stromento di rigenerazione che sia dato all’umana famiglia.238

Eine Demokratisierung im Zuge der Nationbildung stellt für Mazzini eine europäische Tendenz dar, der sich Italien sowohl aufgrund seiner Historie als auch aufgrund seiner Vorbildrolle für weitere aufkommende Nationen nicht verschließen darf. Italien stellt im Europa des 19. Jahrhunderts insoweit eine Ausnahme unter den klassischen Nationalstaaten dar, als es gerade nicht durch kulturelle Singularität geprägt ist. Fuchs’ Definition von „‚Multikulturalität‘, oder vorsichtiger ‚Interkulturalität‘ [… als eine] Verflechtung, partielle Überlappung oder spannungsreiche Verstrickung unterschiedlicher Bedeutungssysteme, Sinneinheiten, Symbole und Symbolpraktiken“239 lässt sich auch auf die Geschichte Italiens übertragen; eine solche Multikulturalität ist damit gewachsener Bestandteil einer italienischen Identität. „Konfrontation mit Anderem ist nicht als Besonderheit, sondern als Bestandteil sozialen Lebens zu sehen,“240 wie Fuchs weiter erläutert. Dieses Modell besitzt bei Mazzini das Potenzial, Vorbild für ein neues Europa werden – und muss sich auch in einer neuen europäisch ausgerichteten, italienischen Nationalliteratur artikulieren. Fournier Finocchiaro erläutert: L’originalità dell’identità italiana stava proprio nella fusione delle diverse etnie, nel carattere interculturale e meticcio del popolo italiano. L’Italia costituiva il miglior „laboratorio“ del superamento delle razze e delle singole nazionalità che l’intellettuale auspicava per l’intero continente europeo.241 237 Vgl. Mazzini, „Istruzione generale“, in: SEI, Bd. II, Politica I, hier S. 48 f.; sowie La Puma, Mazzini democratico, S. 16. 238 Mazzini, „Fede e avvenire“, in: SEI, Bd.  VI, Politica  IV, hier S.  301. Vgl. auch Mazzini, Giuseppe: „Agli italiani“ (1853), in: SEI, Bd. LI, Politica XVIII, Imola 1928, S. 17–84, hier S. 49 f. 239 Fuchs, „Soziale Pragmatik“, in: Renn/Straub/Shimada, Übersetzung als Medium, hier S.  298. Fuchs beschreibt die Praxis der Interkulturalität zwar für das Beispiel Indien; diese lässt sich als historisch gewachsene Realität jedoch (in ihren Grundzügen) auch auf Italien übertragen. 240 Ebd., hier S. 298. 241 Fournier Finocchiaro, Giuseppe Mazzini. S. 222.

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[…] per Mazzini esisteva un’umanità unica, ma variegata e diversificata nelle sue forme ed espressioni. Difendeva quindi l’idea di un mondo plurietnico e multiculturale, in grado di superare gradualmente le barriere nazionali per andare verso sintesi nuove, transnazionali e transculturali.242

Hier zeigt sich Mazzini als Universalist, der die Grenzen der verschiedenen Nationen Europas als durchaus durchlässig konzipiert bzw. gerade Gemeinsamkeiten aufzeigt, um hieraus ein Bedürfnis nach europäischer Erneuerung sowie Einigung abzuleiten und zu propagieren. Gleichzeitig wird diese auch als Kausalität inszeniert. Italiens nationale Zugehörigkeit soll in dieser Konzeption die europäische Identität als ihr Vorbild stärken; gleichzeitig wirkt sich das Bewusstsein einer gemeinsamen europäischen Zugehörigkeit positiv auf Italiens nationale Identität aus. Nationalismus kommt hier folglich nicht ohne Europäismus aus – und umgekehrt.243

3.3.1.3.2 Italienische und europäische Identität Ausgehend von den Darstellungen des vorherigen Unterkapitels sollen im Folgenden die von Mazzini inszenierte Verbindung zwischen Italien und Europa sowie der historisch bedingte Zusammenhalt der europäischen Nationen genauer betrachtet und analysiert werden. Mazzinis Aufsatz zum „Chatterton“ deutet diese Thematik auf den ersten Blick nur an. Auf Vignys Überlegungen im Drama zu einem gesellschaftlichen Kollektiv, in dem jeder seinen Beitrag zum Funktionieren der Gesellschaft leistet und damit für diese bedeutsam wird – und eigenes Selbstbewusstsein generiert –, rekurriert Mazzini in seinem Kommentar durch die Erwähnung einer „alta missione serbata al Poeta“244. Diese besteht darin, dass der Dichter „cerca su in Cielo la via segnata alle razze dal dito di Dio“245, wie es auch Vigny seinen Protagonisten zum Ausdruck bringen lässt: „Il lit dans les astres la route que nous montre le doigt du Seigneur.“246 Der Weg, den Gott weist und den der Dichter aufzuzeigen befähigt ist, betrifft die gesamte Menschheit,247 die sich in Mazzinis Zukunftskonzept – unter der Führung einer Vorbildnation Italien – vereint. Eine solche kann für Mazzini nicht ohne Europa gedacht werden, das bereits historisch gesehen zur italienischen Identität gehört. Hiermit entwickelt Mazzini auch das Bildungskonzept der (deutschen) Romantik weiter. Aus dem, was Berman als grand tour bezeichnet, der nicht willkürlich und ziellos verläuft, sondern gerade dahin führt, „où l’on peut se former, s’éduquer et progresser vers 242 Ebd., S. 179. Vgl. zur Idee Italiens als ein Europa im Kleinen Gioberti, Del primato, S. LXVII f. 243 Vgl. Pagliardini, Mappe interculturali, S. 158; Pagliardini, „Prospettive per la costruzione“, in: Vranceanu/Pagliardini, Rifondare la letteratura nazionale, hier S. 22; Mastellone, Mazzini scrittore politico, S. 9; sowie Talmon, Politischer Messianismus, S. 270. 244 Mazzini, „Chatterton“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 77. 245 Ebd., hier S. 77. 246 Vigny, Chatterton, hier S. 363. 247 Mazzini verwendet die Termini „Europa“ und „Menschheit“ oftmals als Äquivalente. Vgl. zu einer Problematisierung dieses Aspekts 3.3.2.3.2 der vorliegenden Arbeit.

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soi-même,“248 wird bei Mazzini eine Art Wiederentdeckung des Eigenen in neuem Kontext. Diese Horizonterweiterung vollzieht sich über eine Oszillation des Eigenen und Fremden. Über den Anspruch, den Mazzini mit seiner Biblioteca Drammatica verfolgt, soll seinen Rezipienten (innovatives) Fremdes zugemutet und diese hierüber progressiv gebildet werden. Gleichzeitig handelt es sich nicht um komplett Fremdes, sondern um europäisches Erbe, das wieder bewusst gemacht, belebt und weiterentwickelt werden muss. Dieses historisch bedingte Eigene im Fremden, das gemeinsame europäische Erbe, die damit einhergehende Hoffnung, aber auch Verantwortung für die Zukunft behandelt Mazzini ausführlich in „D’una letteratura europea“, seiner Studie zur Literatur- und Zivilisationsgeschichte von der Antike bis zu seiner Gegenwart;249 „[…] lo presentava […] ai suoi lettori come un progetto italiano ed europeo per capire la storia passata e presente e per costruire la società futura,“250 wie es Fournier Finocchiaro beschreibt. Gleichzeitig stellt Mazzini dar, welche Folgen sowie Gefahren Abschottung und Isolation für eine Kultur bergen. Er liefert damit ein eindringliches Plädoyer für Offenheit, Austausch und Vergemeinschaftung – eine Problematik, die auch sein Aufsatz zum „Chatterton“ spiegelt und die er dort durch die Formel „isolando s’uccide“251 auf den Punkt bringt. Mazzini unterscheidet fünf Stufen der menschlichen Zivilisation, die er anhand der Entwicklung des literarischen Felds veranschaulicht, wobei er deren Beginn im antiken Griechenland sieht und seine Gegenwart als Endpunkt wählt, nicht ohne einen Ausblick auf die Zukunft zu bieten. Griechenland habe als einzige Kultur die von Asien nach Europa gekommenen Fortschritte für sich genutzt und weiterentwickelt. Jedoch könne die griechische Vorgehensweise nicht als Modell fungieren, da das Land in eine selbstgewählte Isolation eingetreten sei und es versäumt habe, seine Erkenntnisse weiter als nach Süditalien zu verbreiten. Es sei jedoch die Pflicht zivilisierterer Völker, ihren Fortschritt an andere weiterzugeben 248 Berman, L’épreuve de l’étranger, S. 80. 249 „D’una letteratura europea“ erscheint erstmals in der November/Dezember-Ausgabe 107/108 des Jahres 1829 der Florentiner Zeitschrift Antologia und wird von Mazzini mit „Un Italiano“ firmiert. Vgl. zur Publikationsgeschichte Commissione per l’Edizione Nazionale, „Introduzione“, in: SEI, Bd. I, Letteratura I, hier S. XXII; Spadolini, L’idea d’Europa, S. 138; Ferraris, Letteratura e impegno civile, S. 10; sowie Mazzini, „Brief an Tommaseo, 26.4.1830“, in: SEI, Appendice, Epistolario I, hier S. 8. Vgl. zu einer Zusammenfassung der Kritik an bzw. der Besprechung von Mazzinis Aufsatz durch seine Zeitgenossen Della Peruta, Mazzini e i rivoluzionari italiani, S. 20; bereits 1919 Mannucci, Mazzini e la prima fase, S. 136 f., der „D’una letteratura europea“ als „manifesto di un nuovo romanticismo, ispirato al concetto di una grande confederazione morale fra i popoli del mondo civile“ (ebd., S. 115 f.) bezeichnet; sowie Li Volsi, „Mazzini e le ideologie“, in: Istituto per la storia, Mazzini a duecento anni, hier S. 41, der Mazzini einer zweiten Stufe der Romantik verhaftet sieht, einer „fase borghese, di una Borghesia non volta ai propri interessi, ma ad un filantropismo religioso non raro nella prima metà dell’Ottocento“. 250 Fournier Finocchiaro, Giuseppe Mazzini, S. 3. Vgl. auch Pagliardini, „Prospettive per la costruzione“, in: Vranceanu/Pagliardini, Rifondare la letteratura nazionale, hier S. 23. 251 Mazzini, „Angelo“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 278.

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und so die gesamte Menschheit in ihrer Entwicklung voranzubringen.252 Durch seine Abschottung habe Griechenland seinen Untergang schließlich selbst herbeigeführt und dem antiken Rom zur Macht verholfen.253 Rom stellt für Mazzini weder ein politisches noch moralisches oder literarisches Vorbild dar. Die neue Macht habe Europa als „forza in azione“254 überrollt, wobei deren Stärke auf „un illimitato affetto di patria, uno spirito eminentemente guerriero e una Politica Infame“255 basiert habe. Da sich Rom allerdings den griechischen Fortschritt angeeignet und durch seine Eroberungen weiter verbreitet habe, sei die griechische Zivilisation nicht verloren gegangen. Durch seine Feldzüge vereine das Rom der Cäsaren zum ersten Mal die Menschheit in Europa und bringe verschiedene Völker und Kulturen zusammen – weswegen das antike Rom für Mazzini die zweite zivilisatorische Entwicklungsstufe repräsentiert. Allerdings werde dort die Entstehung einer freien und nationalen Literatur unterdrückt, sodass bis auf wenige Ausnahmen das griechische Vorbild imitiert werde.256 Den Untergang Roms und damit das Ende der zweiten Zivilisationsstufe führt Mazzini auf verschiedene Gründe zurück: Zum einen bemängelt er fehlende Rechtsgleichheit unter den eroberten Völkern, zum anderen nennt er sozioökonomische Krisen sowie einen zunehmenden moralischen Verfall. Darüber hinaus erfüllen die bei den unterschiedlichen Völkern praktizierten Religionen nicht mehr die Bedürfnisse einer fortgeschrittenen Zivilisation. Dieses Bedürfnis nach moralischer Erneuerung und Gleichheit für alle Menschen habe dem Christentum zum Erfolg verholfen und damit die Menschen in Europa zum zweiten Mal – dieses Mal auf geistigem Wege – mit dem Rom der Päpste als Zentrum vereint.257 Bis 252 Vgl. hierzu ausführlich Kapitel 3.3.2.3.2 der vorliegenden Arbeit. 253 Vgl. Mazzini, „Letteratura europea“, in: SEI, Bd. I, Letteratura I, hier S. 196; sowie Herder, Johann Gottfried: „Briefe zur Beförderung der Humanität“, in: Johann Gottfried Herder. Werke in zehn Bänden, hrsg. v. Hans Dietrich Irmscher, Frankfurt/Main 1991, Bd. 7, S. 255: „Wenn Eine oder zwei Nationen in weniger Zeit Vorschritte tun, zu denen sonst Jahrhunderte gehörten: so können, so dürfen andre Nationen sich nicht Jahrhunderte zurücksetzen wollen, ohne sich selbst dadurch empfindlich zu schaden. Sie müssen mit jenen fort: in unsern Zeiten läßt sichs nicht mehr Barbar sein; man wird als Barbar hintergangen, untertreten, verachtet, mißhandelt. Die Weltepochen bilden eine ziehende Kette, der zuletzt kein einzelner Ring sich widersetzen mag, wenn er auch wollte.“ Wie Mazzini verweist Herder auf das Überlegenheitsgefühl Griechenlands, das zu dessen kultureller Isolation geführt habe, weil kein Interesse an anderen Kulturen bestanden habe und so Innovation ausgeblieben sei. Herder hebt zwar die unbestreitbare, zivilisatorische Leistung der Griechen hervor, hält diese aber nicht für ein geeignetes Vorbild für alle nachfolgenden Epochen. Mazzini betont jedoch darüber hinaus Griechenlands mangelnden „Export“ seiner Fortschritte im Rahmen einer „Zivilisierung“ anderer Völker. Vgl. weiterführend zu Herders Idee eines wechselseitigen Einflusses von Kulturen als Fortschrittsmotor Kelletat, „Von (kleinen) Nationen“, in: Dizdar/Gipper/Schreiber, Nationenbildung und Übersetzung, hier S. 46 ff. 254 Mazzini, „Letteratura europea“, in: SEI, Bd. I, Letteratura I, hier S. 196. 255 Ebd., hier S. 196. 256 Vgl. ebd., hier S. 197 f. Hierzu notiert Mazzini ebenfalls bereits in jungen Jahren entsprechende Gedanken. Vgl. Mazzini, Giuseppe: „Quaderno I“, in: SEI, Zibaldone Giovanile, Bd. I, S. 1–178, hier S. 127. 257 Vgl. Mazzini, „Letteratura europea“, in: SEI, Bd. I, Letteratura I, hier S. 199 f.

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die Einigung jedoch vollzogen worden sei, habe eine Teilung Europa durchzogen – der christianisierte Süden habe dem noch heidnischen Norden gegenüberstanden, der zu Eroberungszügen aufgebrochen sei. Der Zusammenbruch des Römischen Reichs sowie der Einfall von Goten, Hunnen, Visigoten und Vandalen führen zu einer Durchmischung unzähliger Traditionen, Bräuche, Sprachen und Kulturen. Allein Italien wird im Mittelalter von Germanen, Ostgoten und Langobarden beherrscht. Das Langobardenreich im Norden mit seinen Zentren in Venetien, der Toskana und der Lombardei steht dem von Arabern, Byzantinern und Normannen beherrschten Süden gegenüber. In Mittelitalien bildet sich ein christlicher Kern, den die Franken unterstützen, sodass die Langobarden schließlich zu Gebietsabtretungen an den Papst gezwungen werden – womit der Grundstein für den späteren Kirchenstaat gelegt wird. Nach dem Ende der Frankenherrschaft scheint Italien ins Chaos zu stürzen. Darüber hinaus stellen das Feudalsystem, das Mazzini als mittelalterliche Form der Sklaverei bezeichnet, sowie die Kreuzzüge für ihn Merkmale der im Mittelalter herrschenden Grausamkeit dar. Den ersten Kreuzzug bezeichnet Mazzini als „pazza impresa“258 – und als Endpunkt der dritten Zivilisationsepoche. Dennoch kann Mazzini dem Mittelalter auch positive Aspekte abgewinnen, die die vierte Entwicklungsstufe der menschlichen Zivilisation einleiten. Die zunehmende Christianisierung der nordischen Eroberer mit der sogenannten „Wulfilabibel“, die Übersetzung des Neuen Testaments ins Gotische, die als wichtigste Quelle der gotischen Sprache gilt, die Langobarden, deren Regierungsform und Gesetzgebung Mazzini als fortschrittlich und einzigartig im Mittelalter lobt, sowie die Minnedichtung als europäische Literaturströmung sind für ihn Lichtblicke in einer dunklen Ära.259 Die Kreuzzüge, die unter Papst Urban II. im Jahr 1095 zur Eroberung Palästinas beginnen, stellen für Mazzini aus moralischen Gründen zwar einen Tiefpunkt der Zivilisation dar, allerdings beenden die zwei Jahrhunderte andauernden Kriege auch einen Zustand des Stillstands in Europa. Italien – als Sammlungs- und Ausgangspunkt für die heiligen Krieger mit seinen blühenden Seerepubliken Venedig, Genua und Pisa, dem florierenden Handel über das adriatische und das Mittelmeer, mit seinen Beziehungen nach Konstantinopel und zu den Arabern, die Innovationen über Italien nach Europa bringen – erweist sich als „fiamma dell’incivilimento“260. Durch die Höchstleistungen der Tre Corone schwingt sich Mazzinis Heimat zu einem Führungsland auf, das der Literatur weitere Bereiche folgen lässt – und Italien zum Vorbild in Europa macht.261 Kulturelle Innovation beeinflusse auch politischen Wandel, so Mazzini: Die Lega Lombarda als Städtebund in der Lombardei, 1167 als oppositionelle Bewegung gegen die Italienpolitik Kaiser Friedrich Barbarossas gegründet und 1250 aufge258 Ebd., hier S. 206. 259 Vgl. ebd., hier S. 203 f. 260 Ebd., hier S. 205. Vgl. auch Pagliardini, „Prospettive per la costruzione“, in: Vranceanu/Pagliardini, Rifondare la letteratura nazionale, hier S. 25, für den die Kreuzzüge den Ausgangspunkt einer (temporären) kollektiven, europäischen Identität bilden. 261 Vgl. Mazzini, „Letteratura europea“, in: SEI, Bd. I, Letteratura I, hier S. 208.

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löst,262 habe nicht nur Nachahmer in Frankreich und Spanien gefunden, sondern auch Deutschland und die Schweiz zu Freiheitsstreben motiviert.263 Die Reformation (1517–1648) mit ihren Anstoßgebern Martin Luther in Deutschland, Huldrych Zwingli und Johannes Calvin in der Schweiz sowie der folgenden Spaltung in Konfessionen spiele nicht nur als kirchliche Erneuerungsbewegung in Europa eine wichtige Rolle, sondern wirke darüber hinaus auf die Bereiche der Gesellschaft und Politik. Für den Erfolg der Reformation hebt Mazzini die Erfindung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg (1450) als absolut bahnbrechend hervor,264 mit der für ihn die fünfte zivilisatorische Entwicklungsstufe beginnt, die bis in seine Gegenwart andauert.265 Grenzüberschreitender Austausch ermögliche intellektuellen und kulturellen Handelsverkehr über neue Kommunikationswege. So habe der reformierte Norden nun Ansschluss an den zunächst fortschrittlicheren Süden gefunden, der in der Ära der Inquisition und Gegenreform zurückgefallen sei. Dies habe aber gerade nicht zu Stagnation, sondern zu einer Flucht von Reformationssympathisanten nach Norden und zu weiterem Kontakt geführt, der fruchtbringend für ganz Europa gewesen sei.266 Industrielle und Französische Revolution, die Eroberungszüge Napoleons sowie die Napoleonischen Kriege sorgen für reichlich Aufruhr in Europa. Während eine Elite, bestehend aus Herrschern und führenden Politikern, beim Wiener Kongress neue Verträge und alte Grenzen ausgehandelt habe, habe sich die breite Bevölkerung für einen anderen Weg entschieden, so Mazzini. Europaweit sei das Ende der Monarchie zu spüren; Freiheit, Solidarität und Demokratie seien die neuen Werte, die sich bahnbrechen werden, beginnend mit dem Ende des atlantischen Sklavenhandels sowie der Spanischen und Griechischen Revolution, Aufständen in Italien, der Julirevolution in Frankreich, dem belgischen und polnischen Freiheitskampf in den 1820er und Anfang der 1830er Jahre.267 Aus diesen Entwicklungen leitet Mazzini eine erneute europäische Tendenz der Freiheit, der gemeinsamen Bedürfnisse und Wünsche, des gemeinsamen Denkens und Wollens ab – wobei all dies Ausdruck und Manifestation in literarischen Werken finden müsse.268 262 Vgl. zur Symbolik des Lombardischen Bund im Risorgimento sowie dessen Bedeutung im Rahmen einer nationalen Identitäts- und Ideologiebildung Lukenda, Erinnerungsorte des Risorgimento, S. 139 ff., S. 251. 263 Vgl. Mazzini, „Letteratura europea“, in: SEI, Bd. I, Letteratura I, hier S. 208; sowie weiterhin Mazzini, „Corrispondenze da Bienne, in: SEI, Bd. XIII, Politica V, hier S. 91. 264 Vgl. Mazzini, „Letteratura europea“, in: SEI, Bd. I, Letteratura I, hier S. 210; sowie weiterführend Anderson, Erfindung der Nation, S. 47. 265 Im Jahr 1836 verkürzt Mazzini dieses fünfstufige Fortschrittskonzept zu Antike, Mittelalter sowie Moderne und fügt als Prophezeiung die Zukunft hinzu. Vgl. Kapitel 3.3.3.1 der vorliegenden Arbeit. 266 Vgl. Mazzini, „Letteratura europea“, in: SEI, Bd. I, Letteratura I, hier S. 211 f. 267 Vgl. ebd., hier S. 214 ff.; weiterhin Mayer, Weltliteratur, S. 192 f.; Vranceanu/Pagliardini, „Introduzione“, in: dies., Rifondare la letteratura nazionale, hier S. 12; sowie Sagramola, Mazzini nel Risorgimento italiano, S. 103, der die (politische) Bedeutung gerade auch italienischer Exilanten für die Revolutionen im frühen 19. Jahrhundert betont. 268 Vgl. Mazzini, „Letteratura europea“, in: SEI, Bd. I, Letteratura I, hier S. 178 f.

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Italien spiele allerdings keine Rolle (mehr) im modernen Westeuropa. Für Mazzini herrschen in seiner Heimat ähnliche Zustände wie im antiken Rom bzw. im antiken Griechenland. Italien imitiere lediglich die eigene Klassik und weise keinerlei Tendenz zu einer National-, wenn überhaupt Literatur auf. Das Land sei geprägt von Zensur, Stagnation, kultureller Rückständigkeit, moralischem Verfall. Die große Vergangenheit mit Italiens wesentlicher Rolle für das Voranschreiten der Zivilisation habe das Land nicht vor dem Sturz in kulturelle und politische Bedeutungslosigkeit bewahren können269 – woran es jedoch selbst die Schuld trage: Wegen mangelnden Kulturkontakts und fehlender Offenheit gegenüber ausländischen Entwicklungen gebe es keinen Fortschritt in Italien. Dennoch gebärde sich seine Heimat gewollt kulturell isoliert und ohne Interesse an Innovation aus dem Ausland, so Mazzini. Ihm zufolge sind die von ihm wie von seinen Vorgängern so kritisierten Klassizisten für diese Isolation Italiens verantwortlich, während das übrige Europa in seiner intellektuellen Entwicklung fortschreitet. Für Mazzini spiegelt der Entwicklungsgrad einer Literatur stets auch den moralischen, zivilen und politischen Zustand eines Landes.270 Diese Umstände bedingen darüber hinaus Unterschiede in den verschiedenen Kulturen Europas, wo sich Ideen entweder frei entfalten und entwickeln können oder unterdrückt und zensiert werden.271 Entsprechend sieht Mazzini in seiner italienischen Heimat die Rückständigkeit der Literatur sowie die Unterdrückung von Innovation und freier Entfaltung in dem dort herrschenden politischen Zustand begründet. Kulturelle Abschottung gehe dabei einher mit politischer Rückständigkeit und Resignation. Entsprechend sei auch der Ruf des einst so vorbildhaften Italien im Europa der Gegenwart – „gl’ingegni europei chiamano l’Italia terra de’ morti!“272 Mazzini verbindet diesen Umstand mit der seit dem 17. Jahrhundert vertretenen Klimatheorie, die intellektuellen Fortschritt an die Topografie eines Landes knüpft bzw. „die Bedeutung geographischer und klimatischer Faktoren für 269 Vgl. ebd., hier S. 212 f. 270 Hier zeigt sich erneut ein Einfluss Mme de Staëls auf Mazzini. Vgl. Staël-Holstein, Anne Louise Germaine de [1800]: „Discours préliminaire“ zu De la littérature considérée dans ses rapports avec les institutions sociales, http://ressources-socius.info/index.php/reeditions/18-reeditionsd-articles/148-discours-preliminaire (23.6.2017). S. 1–18, hier S. 1: „[…] mais il me semble que l’on n’a pas suffisamment analysé les causes morales et politiques, qui modifient l’esprit de la littérature.“ Vgl. auch Kostka, Schiller in Italy, S. 3 f. Dennoch geht diese Theorie sicherlich auch auf Mazzinis eigene Erfahrung und Erkenntnis zurück, wie es etwa Fournier Finocchiaro beschreibt: „Ripercorrendo il proprio itinerario, Mazzini identificava nella costatazione che non si poteva scrivere liberamente in una società non libera il motivo del suo passaggio prima dalla vocazione letteraria alla politica e poi di nuovo dalla politica alla letteratura, come unico mezzo per una battaglia di libertà.“ (Fournier Finocchiaro, Giuseppe Mazzini, S. 13). Vgl. auch Crisafulli, Lilla Maria: „Poetry as thought and action: Mazzini’s reflections on Byron“, in: History of European Ideas 38 (3/2012), S. 387–398, hier S. 388; sowie Mazzini, „Dell’amor patrio“, in: SEI, Bd. I, Letteratura I, hier S. 6. 271 Vgl. Mazzini, „Letteratura europea“, in: SEI, Bd. I, Letteratura I, hier S. 185 ff. 272 Mazzini, „Prefazione di un periodico letterario“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 86.

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die Hervorbringung kultureller Leistungen“273 betont. So werde ein Interesse für ausländische Entwicklungen und den Nutzen, der daraus für die eigene Literatur und deren Entwicklung gezogen werden könne, mit der Folge (nicht nur) kultureller Abschottung unterbunden. Italien offenbart sich diesbezüglich wegen des stetigen Bezugs auf sein klassisches Erbe und eine damit verbundene Überheblichkeit – verwechselt mit Nationalstolz – für Mazzini als eindringliches Beispiel für die negativen Konsequenzen der Klimatheorie: Si corressero le leggi d’uno Stato con esempli e norme desunte dalle leggi d’un altro: si studiarono le abitudini e le costumanze di tutti i popoli; molte opinioni caddero nell’obblio; molti pregiudizi sfumarono: ma questo dall’assoluta influenza del clima sul genio delle Letterature rimase; e si perpetuò, nelle voci della mediocrità, naturalmente inerte, nei deliri d’una cieca vanità nazionale, nella eterna genia dei pedanti; e noi lo udiamo suonar tuttora sul labbro di molti come anatema irrevocabile a chiunque procaccia allargare la sfera del Gusto: e ad ogni tentativo per schiudere nuovi sentieri agli ingegni, ad ogni esortazione che chiama gl’Italiani allo studio dei capolavori stranieri, s’oppongono le sacramentali frasi classico suolo, bel cielo d’Italia: parole, che possono facilmente illudere chi in fatto d’amor patrio sta pago a parole.274

Mazzini zeigt über seine Ablehnung der Klimatheorie Italien aber auch einen Ausweg aus seinem Dilemma und seiner Bedeutungslosigkeit auf: Wenn die Unterschiede in den verschiedenen (National-)Literaturen nicht naturgegeben und unveränderlich sind, sondern – wie beschrieben – auf die jeweiligen politischen und zivilen Verhältnisse zurückgehen, sind sie menschengemacht und folglich auch veränder- sowie beeinflussbar. Wie der jeweils herrschende Literaturgeschmack von einer Elite diktiert werde und damit Bedürfnisse sowie Interessen der breiten Bevölkerung verleugnet werden, so werden politische und zivile Verhältnisse durch die herrschende Klasse hergestellt und orientieren sich nicht am Willen und Wollen der breiten Masse. Das Aufrechterhalten der Unterschiede zwischen Ländern diene folglich den Autoritäten als Strategie zum Erhalt ihrer Macht. Eine Konzentration auf das Eigene und eine Ablehnung des Fremden schüren Vorurteile sowie Angst und verhindern daher Annäherung und Austausch über Grenzen hinaus – was die Bevölkerung unter Kontrolle halte und deren Unfreiheit bedinge. Dagegen müsse nicht nur, aber gerade auch Italien sich zur Wehr setzen. Hoffnung schürt Mazzini durch seine Idee, dass es historisch gesehen auch einer Politik der Unterdrückung nicht gelungen sei, Kontakt zwischen verschiedenen Völkern zu unterbinden.275 Wenn bereits Phänomene wie Eroberungen, 273 Kelletat, Andreas F.: Herder und die Weltliteratur. Zur Geschichte des Übersetzens im 18. Jahrhundert, Frankfurt/Main 1984, S. 14. Vgl. auch Gipper, „Vom Fremden im Eigenen“, in: Dizdar/ Gipper/Schreiber, Nationenbildung und Übersetzung, hier S. 39 f.; Ferraris, Letteratura e impegno civile, S. 181 f.; sowie Anderson, Erfindung der Nation, S. 67. 274 Mazzini, „Letteratura europea“, in: SEI, Bd. I, Letteratura I, hier S. 182 f. Vgl. zur amor patrio als Leitmotiv nationaler, risorgimentaler Literatur Lukenda, Erinnerungsorte des Risorgimento, S. 47. 275 Die quasi unbeabsichtigten Kontakte von Kulturen und deren Einfluss aufeinander durch Kriege betont auch Goethe in seinem Konzept der Weltliteratur: „Es ist schon einige Zeit von einer allgemeinen Weltliteratur die Rede, und zwar nicht mit Unrecht: denn die sämtlichen Nationen,

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Religionskriege und Handel ungewollt Austausch, Annäherung und Progression bedingt haben, können intendierte, koordinierte und gemeinsame Projekte erst recht Wirkung entfalten. Damit führt Mazzini auch vor, wie durch Austausch und Kontakt Annäherungen und wechselseitige Einflüsse entstehen. Das „reine“ Eigene klassifiziert er damit als pure Illusion.276 Auch Nationalliteraturen seien aus eigener Tradition und Aneignung von Fremdem entstanden; eine solche Durchmischung stelle den entscheidenden Innovations- und Entwicklungsmotor nicht nur für Literatur, sondern über das Feld der Literatur hinaus gerade auch für Politik dar.277 Ausgehend von einer transnational ausgerichteten Literatur, deren Fundament bereits Jahrhunderte zuvor gelegt worden sei und deren Artikulation sich in der Romantik als europäischer Bewegung zeige, die die universalen Gemeinsamkeiten zwischen den verschiedenen Kulturen Europas offenbare, schließt Mazzini auf einen gemeinsamen Wunsch nach demokratischer Vereinigung, der – werde die Stärke aller Nationen gebündelt – auch verwirklicht werden könne. Aufgabe der Dichtung ist es nach Mazzini, „animare la giovine, la nuova, la bella Europa de’ popoli“278. Das Zentrum dieses Europas der Völker sieht er wiederum in Rom. Zum dritten Mal in der Geschichte – nach dem Rom der Cäsaren und dem Rom der Päpste – werde la Roma del Popolo die Menschen vereinen.279

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in den fürchterlichsten Kriegen durcheinander geschüttelt, sodann wieder auf sich selbst einzeln zurückgeführt, hatten zu bemerken, daß sie manches Fremde gewahr worden, in sich aufgenommen, bisher unbekannte geistige Bedürfnisse hie und da empfunden. Daraus entstand das Gefühl nachbarlicher Verhältnisse, und anstatt daß man sich bisher zugeschlossen hatte, kam der Geist nach und nach zu dem Verlangen, auch in den mehr oder weniger freien geistigen Handelsverkehr mit aufgenommen zu werden.“ (Goethe, Johann Wolfgang von: Werke (Hamburger Ausgabe), 12. Auflage, München 1981, Bd. 12, S. 364.) Vgl. Mazzini, Giuseppe: „Storia della letteratura antica e moderna di Federico di Schlegel. Traduzione dal tedesco di Francesco Ambrosoli“ (1828), in: SEI, Bd. I, Letteratura I, Imola 1906, S.  113–124, hier S.  114; sowie Pagliardini, „Prospettive per la costruzione“, in: Vranceanu/ Pagliardini, Rifondare la letteratura nazionale, hier S. 21. Vgl. Mazzini, „Letteratura europea“, in: SEI, Bd. I, Letteratura I, hier S. 183; Mazzini, „Prefazione di un periodico letterario“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 84; sowie Simon, „Culture brokers“, in: Tymoczko/Gentzler, Translation and Power, hier S. 124 ff. Mazzini, „Pensieri“, in: SEI, Bd. I, Letteratura I, hier S. 365. Vgl. Mazzini, Giuseppe: „Ricordi dei fratelli Bandiera e dei loro compagni di martirio in Cosenza il 25 luglio 1844“ (1844), in: SEI, Bd. XXXI, Politica X, Imola 1921, S. 16–81, hier S. 76; Mazzini, Giuseppe: „Dante“ (1841), in: SEI, Bd. XXIX, Letteratura V, Imola 1919, S. 3–15, hier S. 10; sowie Mazzini, Giuseppe: „Ai giovani d’Italia“ (1859), in: SEI, Bd. LXIV, Politica XXII, Imola 1933, S. 155–215, hier S. 181. Die Idee von einem neuen Rom als Zentrum nicht nur Italiens, sondern der Welt prägt das Denken und Werk vieler Schriftsteller des Risorgimento. Gerade in Bezug auf ein sogenanntes „Drittes Reich“, interpretiert als letzter Entwicklungsschritt der Menschheit, gibt es in der Historie zahlreiche, nicht vornehmlich religiös begründete Konzepte, gerade auch faschistischen Ursprungs (vgl. Recchia/Urbinati, „Introduction“, in: dies., Cosmopolitanism of nations, hier S. 13; Ascenzi, Anna: „The image of Giuseppe Mazzini in history textbooks from Italian unification to the end of World War II [1861–1945]“, in: History of Education & Children’s Literature 2 [2007], S. 157–175, hier S. 173 f.; Magagnato, „L’Europa di Mazzini“, in: Istituto per la storia, Mazzini a

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Hieraus ergibt sich neben dem multikulturellen Modellcharakter ein zweiter Grund für eine Vorreiterrolle Italiens in Europa. Die Literatur der Zukunft habe dem universalen Wunsch nach Gemeinschaft und Transnationalität Ausdruck zu verleihen, auch wenn die jeweiligen nationalen Formen unterschiedlicher Ausprägung sein können:280 Esiste dunque in Europa una concordia di bisogni e di desideri, un comune pensiero, un’anima universale, che avvia le nazioni per sentieri conformi ad una medesima meta – esiste una tendenza europea. Dunque la Letteratura – quando non voglia condannarsi alle inezie – dovrà inviscerarsi in questa tendenza, esprimerla, aiutarla, dirigerla – dovrà farsi europea.281

Dabei führt der Weg für eine kulturell-politische Erneuerung und Nationbildung Italiens über die Beschäftigung mit fremder Literatur via Übersetzung. Diesbezüglich mahnt Mazzini aber sogleich an, dass diese neue Literatur – wie bei der Anlehnung an antike Vorbilder geschehen – nicht aus bloßer Nachahmung der ausländischen Werke bestehen dürfe, sondern eine reflektierende Aneignung von sowie eine kritische Auseinandersetzung mit allen Literaturen meine, um von diesen für die Begründung einer eigenen, universal ausgerichteten Literatur zu lernen – die wiederum als Vorbildliteratur Italiens Führungsrolle in einem neuen Europa festige: All’Italia è forza crearsi una nuova Letteratura, che rappresenti in tutte le sue applicazioni il principio unico, universale, ed armonico, onde l’umana famiglia può ravvicinarsi ognor più all’equilibrio de’ diritti e de’ doveri, delle facoltà, e de’ bisogni; e a fondarla riesce inevitabile lo studio d’ogni Letteratura straniera, non per imitar l’una, o l’altra, ma per emularle tutte, per trarne i vari modi co’ quali la Natura si rivela a’ suoi figli; per impararvi quante sono le vie del cuore, quante le sorgenti delle passioni, quanti gli accordi dell’anima […]. E a noi pure il nome di Patria suona magico e venerato; e il sorriso del cielo d’Italia ci spande un’arcana delizia nel petto, e ci sono sante le memorie degli avi; – maledetto chi le rinnega! – Ma dovremo perciò disprezzare quanto sorge di Bello e di sublime oltre i nostri confini? La parola della Verità dovrà cadere invano per noi, perché fu trovata sott’altro cielo e da stranieri intelletti? No: noi deporremo ogni pregiudizio nazionale, e diremo a’ Sommi scrittori di tutti i popoli e di tutte le età: Venite! noi vi saluteremo fratelli: noi vi daremo riconoscenza ed amore, perché voi avete giovato all’Universo.282 duecento anni, hier S. 124; Dell’Erba, Giuseppe Mazzini, S. 119 ff.; Wight, „Four seminal thinkers“, in: Oxford Scholarship Online, hier S. 3 f.; Sullam, „Dio e il Popolo“, in: Banti/Ginsborg, Storia d’Italia, hier S. 406; Sullam, „Fate della rivoluzione una religione, in: Società e Storia 106 [2004], hier S. 711; Li Volsi, „Mazzini e le ideologie“, in: Istituto per la storia, Mazzini a duecento anni, hier S. 46, S. 53; sowie Meier, Mazzini – Flüchtling und Revolutionär, S. 23). 280 Vgl. Mazzini, „Dramma storico“, in: SEI, Bd. I, Letteratura I, hier S. 326; Mazzini, „De l’art en Italie“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 54; sowie weiterführend auch Goethe: „Offenbar ist das Bestreben der besten Dichter und ästhetischen Schriftsteller aller Nationen schon seit geraumer Zeit auf das allgemein Menschliche gerichtet. In jedem Besondern, es sei nun historisch, mythologisch, fabelhaft, mehr oder weniger willkürlich ersonnen, wird man durch Nationalität und Persönlichkeit hindurch jenes Allgemeine immer mehr durchleuchten und durchschimmern sehn.“ (Goethe, Johann Wolfgang von: Sämtliche Werke (Frankfurter Ausgabe). Briefe, Tagebücher und Gespräche, 40 Bände, hrsg. v. Friedmar Apel/Hendrik Birus et al., Frankfurt/ Main 1986–1999, hier: II. Abt., Bd. 10, S. 497.) 281 Mazzini, „Letteratura europea“, in: SEI, Bd. I, Letteratura I, hier S. 215. Vgl. weiterhin Fournier Finocchiaro, Giuseppe Mazzini, S. 27. 282 Mazzini, „Letteratura europea“, in: SEI, Bd. I, Letteratura I, hier S. 218 f.

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Freie Nationen bilden Mazzini zufolge die Voraussetzung für ein gemeinsames freies Europa bzw. eine in Freiheit und Solidarität vereinte Menschheit, die sich gegenseitig akzeptiert und unterstützt: […] only if the nation respects humanity (and thus not merely its own citizens, but also foreigners in its midst and abroad) does it properly deserve international recognition and respect,283

wie Recchia/Urbinati es beschreiben. Und weiter: „[…] democratic citizens would learn to recognize all human beings as equals and to respect the freedom and independence of other nations.“284 Mazzini zeigt sich davon überzeugt, dass aktive Partizipation in freien demokratischen Nationen die Menschen Empathie und Sympathie für fremde Kulturen lehrt, Vorurteile abbaut und den Blick über die Grenzen der eigenen Kultur hinaus öffnet. Hierdurch entsteht eine neue moralische Kultur, die sich gegen Praktiken der Ausgrenzung und Diskriminierung wendet285 und die Grundlage für sein neues Europa bildet. Auch wenn Mazzini sich hauptsächlich auf Europa konzentriert, ist sein universales, romantisch geprägtes Denken, das das genuin Menschliche zu einem positiven Wert erhebt und auf diesem Wert basierend eine Weltgemeinschaft begründen will, im Sakaischen Sinne durchaus eher transnational denn international ausgerichtet. Eines der Anzeichen dieser neuen Art der Literatur erkennt Mazzini denn auch in Goethes Plädoyer für eine Weltliteratur286 und begegnet in diesem Rahmen auch Kritikern eines solchen Konzepts, die in einer Weltliteratur zum einen die Gefahr einer […] distruzione d’ogni spirito nazionale, d’ogni carattere individuale de’ popoli [sehen und diese zum anderen als …]: stranezza, sogno utopistico [bezeichnen]. I primi confondono l’indipendenza d’una nazione col suo isolamento intellettuale – ed è errore di mente; i secondi disperano degli uomini e delle cose – ed è difetto di cuore.287

Nationale Unabhängigkeit sowie Autonomie und intellektuelle Isolation dürfen nicht verwechselt werden. Auch eine wie von Mazzini konzipierte europäische Literatur intendiert gerade nicht, Nationalität zu opfern, sondern Nationalitä283 Recchia/Urbinati, „Introduction“. in: dies., Cosmopolitanism of nations, hier S. 14. Vgl. auch Mazzini, „Note autobiografiche“, in: SEI, Bd. LXXVII, Politica XXVI, hier S. 207; sowie Sullam, „Fate della rivoluzione una religione“, in: Società e Storia 106 (2004), hier S. 705. 284 Recchia/Urbinati, „Introduction“, in: dies., Cosmopolitanism of nations, hier S. 18. Vgl. auch Rowley, „Mazzini and the democratic logic“, in: Nations and Nationalism 18 (1/2012), hier S. 39 ff.; sowie McMenamin, „‚Self-choosing‘ and ‚right-acting‘“, in: History of European Ideas 23 (5–6/1998), hier S. 46. 285 Vgl. Recchia/Urbinati, „Introduction“, in: dies., Cosmopolitanism of nations, hier S. 18. 286 Vgl. zum Urspung von Mazzinis einleitendem Zitat zu „D’una letteratura europea“ Ferraris, Letteratura e impegno civile, S. 194; weiterführend Berman, L’épreuve de l’étranger, S. 91; sowie zur Begriffsgeschichte des Terminus „Weltliteratur“ Weitz, Hans-J.: „‚Weltliteratur‘ zuerst bei Wieland“, in: Arcadia 22 (1987), S. 206–208; und Lange, Victor: „Nationalliteratur und Weltliteratur“, in: Andreas B. Wachsmuth (Hg.): Goethe, Neue Folge des Jahrbuchs der Goethe-Gesellschaft 33 (1971), S. 15–30, hier S. 23. 287 Mazzini, „Letteratura europea“, in: SEI, Bd. I, Letteratura I, hier S. 180.

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ten – aufgrund ihrer parallelen Entwicklungen – zusammenzuführen.288 Denn Nationen – und hier besonders deren Literatur – sind in ihrer Diversität für Mazzini Anliegen und Untersuchungsobjekt zugleich.289 Eine Welt- bzw. europäische Literatur basiert auf einer universalistischen Grundlage, bedeutet, dass […] le letterature nazionali hanno a ritemprarsi e crescere armonizzanti, non a confondersi interamente e perire: problema difficile forse, ma la cui soluzione, che noi crediamo possibile, comporrà tutte liti.290.

Mit einer Angleichung der Nationalliteraturen, ihrer Europäischwerdung, soll eine Stärkung derselben vollzogen werden, die an das Credo der Vorteile aller an einem transnationalen Kulturmarkt beteiligten Akteure der Romantik erinnert.291 Ein derartiges Vorgehen ist zudem in der Lage, alle Dispute zwischen Nationen im Hinblick auf Vorrangstellungen und falschen, weil chauvinistischen Nationalstolz zu beenden. Mazzinis Europaprojekt – basierend auf demokratischen Grundlagen und verbunden mit Schlagworten wie Gleichheit, Freiheit, Gemeinschaft und Bildung – gilt nicht nur zu Mazzinis Lebzeit als innovativ (bzw. utopisch), sondern kann auch heute noch im Rahmen einer Debatte um bewussten Europäismus herangezogen werden.292 Die Prinzipien, die für den Aufbau eines neuen Europa von Mazzini zugrundegelegt werden und die die Europäer zu freien sowie bewussten Bürgern erziehen sollen, die ihre selbst erarbeiteten Werte verteidigen,293 dienen im derzeitigen Europa weiterhin als Grundlage für das Funktionieren der EU als transnationaler Gemeinschaft. 288 Vgl. Fournier Finocchiaro, Giuseppe Mazzini, S. 25 f., S. 67; Isabella, Maurizio: „Mazzini’s internationalism in context: From the cosmopolitan patriotism of the Italian carbonari to Mazzini’s Europe of the Nations“, S. 37–58, hier S. 42; Sorba, „Comunicare con il popolo“, hier S. 80; beide in: C. A. Bayly/Eugenio F. Biagini (Hgg.): Giuseppe Mazzini and the globalisation of democratic nationalism 1830–1920, New York 2008; sowie Brunetti, Renzo: „Mazzini e l’Europa“, in: Il Pensiero Mazziniano 2 (2005), S. 9–15, hier S. 13. Vgl. weiterführend Ortheil, Hanns-Josef: „Weltliteratur. Begriff – Konzepte – Perspektiven“, S. 7–26, hier S. 8 f.; sowie Hirschler, Horst: „Die Bibel als Weltliteratur“, S. 173–190, hier S. 175; beide in: Hanns-Josef Ortheil/Paul Brodowsky/ Thomas Klupp (Hgg.): Weltliteratur I. Von Homer bis Dante, Hildesheim 2008. 289 Vgl. Sarti, „Mazzini and Young Europe“, in: Bayly/Biagini, Mazzini and the globalisation, hier S. 297; sowie auch Goethe, Johann Wolfgang von: Goethes Werke (Weimarer Ausgabe), hrsg. im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen, Abt. 1–4, Weimar 1887–1919, hier: Abt. 1, Bd. 41.2, S. 348, dem zufolge „nicht die Rede sein könne, die Nationen sollen überein denken, sondern sie sollen nur einander gewahr werden, sich begreifen, und wenn sie sich wechselseitig nicht lieben mögen, sich einander wenigstens dulden lernen“. 290 Mazzini, „Prefazione di un periodico letterario“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 103. 291 Vgl. auch Kapitel 2.2.1 sowie 3.3.2.3.1 der vorliegenden Arbeit. 292 Vgl. Fournier Finocchiaro, Giuseppe Mazzini, S. 24: „Questo saggio ha contribuito a fissare l’immagine di un Mazzini europeista, ed è assurto a simbolo della lotta di Mazzini contro il nazionalismo letterario, della sua volontà di ravvicinare le nazioni e di distruggere le antipatie nazionali.“; siehe außerdem ebd., S. 173; sowie Faedi, Fausto: „Mazzini padre della democrazia europea“, in: Il Pensiero Mazziniano 3 (2005), S. 50–53, hier S. 52. 293 Vgl. Magagnato, „L’Europa di Mazzini“, in: Istituto per la storia, Mazzini a duecento anni, hier S. 137 ff.

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3.3.2 Mazzini und der „Angelo“ Victor Hugos Nach der Publikation des „Chatterton“-Bands im Jahr 1835 soll die Biblioteca Drammatica mit dem bereits erwähnten „Manifesto della Collezione“ zur Ankündigung der Reihe mit theoretischen Erläuterungen zu deren Notwendigkeit, Ziel und Vorgehen sowie einem zweiten Band, der die Übersetzung von und den Kommentar zu Victor Hugos „Angelo, tyran de Padoue“ enthält, fortgesetzt werden. Mit der Veröffentlichung dieses Manifests in Genua betraut Mazzini Filippo Bettini.294 Mazzini legt in den Instruktionen für seinen Freund noch einmal deutlich sowie ausführlich seine Vorstellung bezüglich der Erscheinungsform des Manifests dar und rechtfertigt zudem seine Entscheidung zugunsten des „Angelo“. Das Manifest soll belegen, dass bereits Übersetzung und Aufsatz zum „Chatterton“ ein ausgereiftes Konzept zugrundelag, das nun in weiteren Bänden fortgeführt werden soll. Den Grund für die Konzipierung einer Dramensammlung erläutert Mazzini mit der Präferenz für dieses Genre in der aktuellen Literaturepoche. Deswegen müsse sich auch die Literaturkritik vorzugsweise dem Drama zuwenden, wobei sich der Blick über das eigene Land hinaus Strömungen aus dem Ausland öffnen müsse: Ho veduto il Manifesto: va bene – non mi piace il formato, troppo piccolo, e toccante il vecchio; meglio un formato simile a quello del Chatterton originale – del resto, poco importa.295 L’Angelo è troppo noto, è vero; ma il Chatterton non l’era? – La traduzione è già troppo innoltrata, per sagrificarla; ma parmi vi sarebbe modo di far accettare anche l’Angelo se o in un articolo [sic!] di giornale – o meglio in un manifesto – dacché i giornali di Genova non servono che per Genova – s’esponessero le seguenti cose: che il Chatterton non era che un saggio – che gli Editori avean, gittandolo sull’arena un concetto – che come la Letteratura muta e progredisce co’ secoli e col moto dell’incivilimento, quanto al pensiero, alla mente, all’idea, così, pur lasciando all’arbitrio del genio individuale la forma, è di fatto che ad ogni epoca letteraria, ad ogni fase di sviluppo del pensiero, corrisponde più naturalmente una data forma – che a chi ben guarda all’epoca nostra, e ai caratteri che hanno a costituirne l’espressione letteraria, è chiaro che questa espressione è in alto grado drammatica, e che la letteratura volge al Dramma più che ad altro – quindi importantissimo lo studio della forma drammatica […].296

294 Vgl. zur Überprüfung des Manifests, das in der vorgesehenen Form nie erscheint, durch die Zensur und Mazzinis diesbezügliche Ungeduld Mazzini, Maria: „Briefe an den Sohn, 13.2.1836 (99)“, S. 187; sowie „18.2.1836 (101)“, S. 191; beide in: SEI, Lettere a Giuseppe Mazzini, Bd. I. 295 Vgl. zur formalen Gestaltung des Manifests auch Mazzini, Maria: „Brief an den Sohn, 14.1.1836 (91)“, in: SEI, Lettere a Giuseppe Mazzini, Bd. I, S. 171. 296 Es handelt sich hierbei um einen Autografen Mazzinis, der mit „Nota per Filippo“ überschrieben ist und sich im Besitz des Museo del Risorgimento (Casa Mazzini), Via Lomellini 11, Genua (Cart. 4/Nr. 859) befindet. Erstmals wurde er in einer Fußnote zur Einleitung der SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. XLI f. veröffentlicht; eine weitere Publikation hat bisher nicht stattgefunden, weswegen der Autograf an dieser Stelle ausführlich zitiert wird. Das Original konnte im Rahmen eines Forschungsaufenthalts eingesehen und verifiziert werden. Die Commissione per l’Edizione Nazionale vermutet in dem Text ein Fragment aus einem Brief an Mazzinis Mutter, die die Instruktionen ihres Sohns bezüglich der Biblioteca Drammatica an Bettini weiterleiten soll. Vgl. hierzu auch Ruffini, Agostino: „Brief an die Mutter, 17.12.1835 (CCXXXVII)“, in: Codignola, I fratelli Ruffini, Bd. I, S. 430.

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Mazzini äußert sich dahingehend, dass die Form des Dramas in jeder Nation bzw. jedem Land divers ausgeprägt sei, das dahinterstehende Konzept, die Idee bezüglich einer künftigen Epoche der Gemeinschaft, die sich historisch mit Blick auf Literatur und Gesellschaft ableiten lasse, jedoch transnational bzw. europäisch sein müsse. Für deren Analyse und eine Bewusstmachung dieser übergreifenden Idee beim Publikum seien Übersetzungen zwingend erforderlich, allerdings nicht ausreichend. Es brauche zu deren Verortung und fruchtbringender Rezeption die Literaturkritik – welche sich die Herausgeber der Biblioteca Drammatica zur Aufgabe machen. Mazzini geht darüber hinaus auf den strukturellen Aufbau der Dramenreihe ein. Er legt zwar die Erscheinungsintervalle der Bände nicht konkret fest, plädiert jedoch für die Veröffentlichung mindestens einer Neuausgabe pro Monat. Inhaltlich sollen diejenigen Dramen übersetzt und besprochen werden, in denen sich repräsentativ Ideen oder Konzepte artikulieren. Mit Hilfe der Biblioteca Drammantica soll Italien von französischen Sammlungen unabhängig und eigenständig werden: Ora, gli Editori, incoraggiati dal successo del Chatterton (non foss’anche, bisogna dirlo) aver determinato andar innanzi nello sviluppo del concetto primitivo – aver in animo quindi di mandar fuori via via, senza periodicità fissa, ma non mai meno d’un dramma per mese, i migliori tra’ drammi stranieri, que’ specialmente che segnano una via, o rappresentano un particolare concetto – adempiendo all’ufficio critico-estetico con discorsi originali, ecc. che accompagnerebbero ogni volume, e toccherebbero via via i diversi punti, le diverse facce che costituiscono il problema drammatico – aver fiducia gli Editori [sic!], che le loro pubblicazioni, stampate d’un carattere d’utile novità, otterranno preferenza sulle tante raccoltacce drammatiche, che accanto al lavoro del Genio ti cacciano la manifattura del copista, dell’imitazione servile; e riempiranno un vuoto che riduce troppo sovente i lettori italiani a darsi pascolo alle collezioni francesi. E non pertanto, non voler astringere i lettori alla compra di tutte le pubblicazioni: lasciarsi libera 1’associazione ecc.297

Vorerst gilt Mazzinis Interesse hauptsächlich zeitgenössischer deutsch- sowie englischsprachiger Literatur, auch wenn zu einem späteren Zeitpunkt – wie im Ursprungskonzept beschrieben – darüber hinaus ältere Werke berücksichtigt werden sollen. Er unterstreicht für Bettini, wie sehr ihm Manifest und Dramensammlung am Herzen liegen, und betont zudem deren Nutzen für die intellektuelle Bildung und Emanzipation der gemeinsamen Heimat: Se questo Manifesto fosse stampato, come ad annunciar l’Angelo, e stampato subito onde poterlo cacciare tra gli esemplari che via via richiederanno del Chatterton, credo s’adeguerebbe l’intento. – Pensateci; e perdona alla miseria, all’esilio, e all’amicizia tutte le noie che ti diamo. Il lavoro può riescire, parmi, d’utile anche all’educazione, e all’emancipazione intellettuale italiana.298

Agostino Ruffini übernimmt mit seinem Bruder Giovanni die vollständige Übersetzung des „Angelo“, Mazzini konzentriert sich nun auf die literaturkritische Ab297 Mazzini, Autograf „Nota per Filippo“, in: Cart. 4/Nr. 859, Museo del Risorgimento (Casa Mazzini), Via Lomellini 11, Genua; sowie Commissione per l’Edizione Nazionale, „Introduzione“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. XLII, Fußnote 1. 298 Ebd., hier S. XLII, Fußnote 1; sowie Mazzini, Autograf „Nota per Filippo“, in: Cart. 4/Nr. 859, Museo del Risorgimento (Casa Mazzini), Via Lomellini 11, Genua.

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handlung. Giovanni Ruffini sieht sich jedoch mit einigen Schwierigkeiten konfrontiert, weswegen er sich mit Mazzini über kritische Textstellen austauscht. In den folgenden Zitaten zeigt sich darüber hinaus das Vertrauensverhältnis zwischen Mazzini und den Ruffini-Brüdern, wie der teils ironische Umgangston belegt: Je suis après à la traduction de la première journée d’Angelo, je suis sang et eau en verité, et sens de plus que je fais mal. Mais tu sais que je suis sans prétention, et je me confie dans la correction de qui en sait tant plus de moi. Je suis comme l’apprenti sculpteur; j’ébauche grossièrement la forme humaine dans le bloc, laissant tout le délicat et diffcile des details au ciseau du maître.299 Je dois, ce soir, mettre au net quelques pages d’Angelo, que j’ai promises d’envoyer à mes amis, afin qu’ils les corrigent et y mettent leur visto. Il faut aussi, pour l’honneur de la signature, que je les revoie et corrige un peu moi-même. Je suis en très bonne disposition pour le faire, et comme ce sera un peu long et que je n’ai rien au reste à te dire de bien intéressant, je te quitte avec mille baisers.300 Col prossimo corriere vi manderò la conclusione del mio contingente Angelasco. Ma non mi rimandate, come avete fatto, lo stampato, perché non ne ho bisogno alcuno. Accetto con riconoscenza le correzioni che avete fatto, solo le trovo poche: pella e perloppiù attacato non vi vanno a genio, a quanto vedo, e mi servirà di regola. Però l’ho con Agostino. Riffarmi senza pietà vi recherà ventura è troppo forte e me la lego a un dito. Non è da fratello. Però non mi dite un cazzo se ho da mettere Capitan grande, o capitano di Giustizia – e trattandosi di dover copiare per la stampa ho bisogno di saperlo – nemmeno aveste voluto dirmi se i viandanti sfumano, si dileguano, o si schifano. In ogni caso li metterò in un sacchetto, e tirerò al salto; i tre verbi intendete, non i viandanti.301

Auch Agostino Ruffini äußert sich zu seiner Übersetzungstätigkeit am „Angelo“ in der Korrespondenz mit seiner Mutter. Darüber hinaus gibt der Ausschnitt aus folgendem Brief Auskunft über Schwierigkeiten bei der Distribution, die die Begründer der Biblioteca Drammatica über persönliche Kontakte zu lösen versuchen: Donne-moi des nouvelles de Chatterton. Tu diras à l’Avocat [Filippo Bettini] de prendre une vingtaine d’exemplaires de la traduction et de les envoyer à l’adresse de Mad.me Josephine Ghiglione, née De-Albertis, à Parme, pour remettre à M.r Paul Mainardi. Qu’il ajoute deux 299 Ruffini, Giovanni: „Brief an die Mutter, 1.11.1835 (CCXXIII)“, in: Codignola, I fratelli Ruffini, Bd. I, S. 399. 300 Ruffini, Giovanni: „Brief an die Mutter, 11.11.1835 (CCXXVII)“, in: Codignola, I fratelli Ruffini, Bd. I, S. 408. 301 Fußnote 1 (Brief Giovanni Ruffinis an Agostino Ruffini und Mazzini, Ende November 1835) zu Ruffini, Agostino: „Brief an die Mutter, 23.11.1835 (CCXXIX)“, in: Codignola, I fratelli Ruffini, Bd. I, S. 411. Auch Eleonora Curlo Ruffini wird von ihren Söhnen hinsichtlich ihrer Übersetzungsarbeit konsultiert, wobei ein reger Austausch zu Etymologie und Semantik von Termini stattfindet: „As-tu reçu ma seconde journée d’Angelo? Tu auras la bonté de faire substituer dans la scène, où Omodei introduit Rodolfo dans la chambre de Catherine, le mot scalini au mot gradini, qui s’y trouve trop improprement. Il s’agit d’un escalier secret, le mot gradini ne convient qu’aux escaliers magnifiques d’un palais, et surtout des églises. Dis-moi aussi si vous avez trouvé la véritable signification de dressoir. Je vous dirai si elle me plaît.“ (Ruffini, Agostino: „Brief an die Mutter, 15.12.1835 (CCXXXV)“, in: Codignola, I fratelli Ruffini, Bd. I, S. 427.) Vgl. auch Ruffini, Giovanni: „Brief an die Mutter, 7. oder 8.2.1836 (CCXLVIII)“, in: Codignola, I fratelli Ruffini, Bd. II, S. 12 f.

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mots à cette dame pour lui signifier qu’il fait cela par commission de la cousine [Antonio Ghiglione]. Cela nous donnera quelques abonnés. Tu ne t’en mêleras pas. Je ne veux pas que tu aies contact, soit directement, soit non, avec cette femme. Laisse faire à l’Avocat. Tâche aussi d’en envoyer quelques exemplaires à Rome à un libraire quelconque. Nous chercherons pourtant à vous envoyer une adresse directe. Nous aussi nous voudrions avoir une dizaine au moins de ces Prospectus. Nous les placerions quelque part. Combien d’abonnés avez-vous déjà? Tous ces détails nous intéressent beaucoup. La traduction du drame d’Hugo est presque complétée. Il ne manque que la préface. Mais celui qui doit l’écrire a la main facile. Elle est plus soignée que la première.302

Mazzini stellt den literaturkritischen Aufsatz zum „Angelo“ im Januar 1836 fertig.303 Ebenfalls im Januar wird das Manuskript nach Genua zur Prüfung durch die Zensurbehörden geschickt.304 In der Zwischenzeit konkretisiert Mazzini das inhaltliche Konzept der Biblioteca Drammatica, wobei Friedrich Schiller eine Sonderrolle zukommt. Neben bereits existierenden Übersetzungen Pompeo Ferrarios von Werken des deutschen Dichters sollen darüber hinaus alle weiteren Dramen Schillers in der Reihe übersetzt und kommentiert erscheinen. Hierzu schreibt Mazzini seiner Mutter am 12.1.1836 einen langen Brief, in dem er die Bedeutung Schillers als Begründer eines neuen Dramas hervorhebt. Zudem geht er auf seinen Kommentar zum „Angelo“, dessen Firmierung zur Veröffentlichung sowie Bettinis mutmaßliche Meinung hierzu ein und erkundigt sich nach dem Stand der Veröffentlichung des Manifests der Biblioteca Drammatica: Vorrei poi diceste a Filippo, che […] quanto all’Angelo, troverà forse la prefazione un po’ arditella, ma se riescisse a farla accettare, sarebbe bene assai per l’edizione – s’andrebbe più dolci dopo – s’ei stampa presto quel suo Manifesto di Biblioteca Drammatica, ne mandi a Parigi,305 ov’ei sa – e a 302 Ruffini, Agostino: „Brief an die Mutter, 8.11.1835 (CCXXVI)“, S. 406. Vgl. zur Anwerbung von Abonnenten bzw. Subskribenten auch Ruffini, Agostino: „Brief an die Mutter, 23.11.1835“, S. 409; beide in: Codignola, I fratelli Ruffini, Bd. I. 303 Vgl. Mazzini, „Angelo“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, S. 263–280. 304 Vgl. Commissione per l’Edizione Nazionale, „Introduzione“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. XLII f.; Ruffini, Giovanni: „Brief an die Mutter, 23.11.1835 (CCXXX)“, S. 414: „Angelo a aussi fini de me tenir compagnie, et demain j’envoie à la correction la fin de mon contingent.“; sowie Ruffini, Giovanni: „Brief an die Mutter, 1.12.1835 (CCXXXIII)“, S. 421 f.; beide in: Codignola, I fratelli Ruffini, Bd. I. 305 Wahrscheinlich referiert Mazzini hiermit auf eine Veröffentlichungsmöglichkeit des Manifests in der in Paris gegründeten Zeitschrift L’Italiano. Foglio letterario Michele Accursis. L’Italiano entsteht aus der Idee Mazzinis und der Ruffinis, der Biblioteca Drammatica eine Zeitschrift beizufügen. Accursi erscheint den Freunden wegen seiner finanziellen Unabhängigkeit und seiner bisherigen, Mazzini-treuen Haltung als geeigneter Kandidat für die Herausgabe der Zeitschrift. Der Italiano erscheint jedoch insgesamt lediglich sechs Mal (Mai bis Oktober 1836), da Mazzini Accursi, der unter Verrat- und Spionageverdacht gerät, schließlich die weitere Mitarbeit am Italiano untersagt (vgl. Mazzini, „Brief an Rosales, senza data“, in: Rosales, Lettere inedite, S. 150; Mazzini, Giuseppe: „Brief an Gaspare Ordoño de Rosales, Juni 1836 [DCCLXXXVII]“, in: SEI, Bd. XI, Epistolario IV, Imola 1911, S. 399–403, hier S. 402; Ruffini, Giovanni: „Brief an die Mutter, 13.10.1835 [CCXVII]“, in: Codignola, I fratelli Ruffini, Bd. I, S. 386 f., Fußnote 1; Commissione per l’Edizione Nazionale, „Introduzione“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. XV ff.; Limentani, „Un’idea prediletta [2]“, in: Il Pensiero Mazziniano 12 [1949], hier S. 5; Gabbani, L’Italiano, S. 96 f., S. 114 f.; Scattolin, „Mazzini, letteratura“, in: Istituto per la storia, Mazzini a duecento anni,

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noi – farò ne sia parlato dal Ricoglitore.306 –  Io non intendo le difficoltà di Ponthenier307 – si tratta di cosa che può dargli voga – oltre all’utile. – Intenzione nostra sarebbe ritradurre, riannettendole alla Biblioteca Drammatica, tutte le cose drammatiche di Schiller – alle sei del Ferrario308, che pur converrebbe rilavorare, son da aggiungersi Amore e Raggiro – I Masnadieri – il Wallenstein più qualche schizzo drammatico. – Un’edizione completa dello Schiller sarebbe comprata perché quella del Ferrario non si trova più – e la giovine generazione non ne ha – poi, Schiller è pur l’iniziatore della drammatica nuova, e porgerebbe campo a discorsi, etc., utili.309 – Bensì, i volumi si frammezzerebbero con altre pièces, numerandoli però in modo che chi volesse prendersi tutto Schiller e null’altro, potesse. – Vedremo del resto. – Sollecito per l’Angelo – firmi le prefazioni con un segno, o iniziale qualunque, o due, oppure ponga: un Italiano – anche meglio. Badi alla correzione. – Vedete che oggi questa lettera è quasi tutta per Filippo.310

Mazzini arbeitet unterdessen weiter an seiner Idee der Veröffentlichung einer Gesamtausgabe der Dramen Schillers im Rahmen der Biblioteca Drammatica. Allerdings befürchtet er bereits im Vorfeld ein Eingreifen der Zensur besonders im Hinblick auf „Die Räuber“.311 Daher empfiehlt er, „Die Räuber“ nicht als einzelnes Werk vorzulegen, sondern zuerst eine Gesamtausgabe der Dramen des deutschen Dichters zu erarbeiten, um deren Herausgabe nach einer Zulassung durch die Zensoren zu verwirklichen.312 Maria Mazzini bittet ihren Sohn um Geduld in Bezug auf Schillers Texte und rät ihm, zunächst die Prüfung des „Angelo“ abzuwarten.313 Mazzini bittet seine Mutter jedoch kurz darauf erneut um eine entsprechende Anfrage Bettinis bei den Zensurbehörden.314 Bettini selbst berichtet seinem Freund

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hier S. 102; sowie Parma, Giancarlo: „Michele Accursi: spia pontificia o doppiogiochista mazziniano?“, in: Il Pensiero Mazziniano 3 [2006], S. 58–78). Zu einer Veröffentlichung des Manifests im Ricoglitore Italiano e Straniero gibt es keinen Hinweis (vgl. Mazzini, Giuseppe: „Brief an die Mutter, 12.1.1836 [DCCVI]“, in: SEI, Bd. XI, Epistolario IV, Imola 1911, S. 181–183, hier S. 182, Fußnote 1). Es lässt sich nicht final entscheiden, auf welche difficoltà Pontheniers Mazzini referiert. Einerseits ist es möglich, dass Mazzini – wie bereits in Kapitel 3.3.1 dargelegt – auf die Weigerung Pontheniers reagiert, eine Besprechung der Übersetzung des „Chatterton“ im Magazzino Pittorico Universale zu platzieren. Andererseits bietet Bettini dem Verleger mutmaßlich eine Herausgeberschaft der Biblioteca Drammatica an, die dieser jedoch ablehnt (vgl. Mazzini, „Brief an die Mutter, 12.1.1836“, in: SEI, Bd. XI, Epistolario IV, hier S. 182, Fußnote 2). Pompeo Ferrario gilt als der erste Übersetzer Schillers ins Italienische. Da Mazzini die italienischen Versionen Maffeis stark kritisiert, zieht er Ferrarios Arbeit vor. Die Veröffentlichung einer Schiller-Gesamtausgabe in Übersetzung scheitert jedoch (vgl. Mazzini, Giuseppe: „Brief an Filippo Bettini, 6.3.1837 [140]“, in: SEI, Appendice, Epistolario II, Imola 1938, S. 85–87, hier S. 86; Mazzini, Maria: „Brief an den Sohn, 4.2.1836 [96]“, in: SEI, Lettere a Giuseppe Mazzini, Bd. I, S. 180; sowie Galante Garrone, „Schiller e Mazzini“, in: Istituto per la storia, Mazzini e i repubblicani, hier S. 64). Mazzini, „Brief an die Mutter, 12.1.1836“, in: SEI, Bd. XI, Epistolario IV, hier S. 182 f. Vgl. Mazzini, Giuseppe: „Brief an die Mutter, 24.2.1836 (DCCXXXV)“, in: SEI, Bd. XI, Epistolario IV, Imola 1911, S. 261–263, hier S. 262 f. Vgl. Mazzini, Giuseppe: „Brief an die Mutter, 26.2.1836 (DCCXXXVI)“, in: SEI, Bd. XI, Epistolario IV, Imola 1911, S. 263–266, hier S. 266. Vgl. Mazzini, Maria: „Brief an den Sohn, 2.3.1836 (104)“, in: SEI, Lettere a Giuseppe Mazzini, Bd. I, S. 201. Vgl. Mazzini, Giuseppe: „Brief an die Mutter, 13.3.1836 (DCCXLIV)“, in: SEI, Bd. XI, Epistolario IV, Imola 1911, S. 278–279, hier S. 279.

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über sein Vorgehen in Genua, das sich als schwierig erweist. Dabei zeigt er sich enttäuscht angesichts der Ungeduld sowie des Drängens Mazzinis und schlägt ihm vor, den Druck der Biblioteca Drammatica im Ausland zu verwirklichen, um die Zensur in Italien – vor allem im Hinblick auf Schillers Werke – zu umgehen und der Dramensammlung damit zum Erfolg zu verhelfen: Tu chiedi in modo come se mi procurassi una seccatura invece è un favore, e tu lo sai se conosci il mio cuore. Mio solo rammarico è non averti mai potuto soddisfare né prontamente né bene, ma non lo metterai a colpa del mio cuore. Domattina forse avrò la decisione del revisore; quanto a farlo pronunciare su tutte le opere dello Schiller è cosa difficile poiché questi preti conoscono sì poche cose: però perché non prendere l’impegno col pubblico? Se qualche dramma incontrasse difficoltà e che intanto la Biblioteca Drammatica avesse messe radici, non si potrebbe curarne la stampa anche altrove, dico quanto ai drammi che potrebbero non essere permessi qui, ed intanto far parte sempre della collezione? Un abbraccio di cuore. Si procurerà nonostante di farlo pronunciare su tutto, il revisore, esibendogli di provvedergli tutti drammi già tradotti e che sarà possibile d’avere.315

Auch wenn Mazzini sein Konzept theoretisch weiterentwickelt, gestaltet sich die praktische Umsetzung langwierig und schwierig. Bis Februar 1836 liegt weder das Manifest in gedruckter Form vor noch haben die Zensurbehörden über die Genehmigung des „Angelo“ entschieden: D’un’altra cosa m’avvedo, ed è che si va molto lenti nelle cose concernenti i lavori drammatici, Angelo, etc. – A quest’ora dovrebbe già sapersi almeno del Manifesto: cioè dovrebb’essere pubblicato, approvato, etc. – Da questo, come dall’Angelo, dipendendo ogni cosa, chi lavora è in una incertezza continua.316

Trotz dieser widrigen Umstände und Verzögerungen zeigt sich Mazzini gegenüber Freunden und potenziellen Subskribenten weiter optimistisch hinsichtlich der Verwirklichung seines Projekts. Er kündigt Luigi Amedeo Melegari sogar die Zusendung seines Manifests an und wirbt bei diesem für die Dramenreihe, muss gleichzeitig aber Probleme angesichts der Zensur zugeben. Aus diesem Brief wird weiterhin deutlich, dass die Verbreitung des „Chatterton“ nicht verläuft wie erhofft: Presto, se non pongono inciampi, ti manderò un Manifesto stampato in Genova d’una Biblioteca Drammatica, che riunirebbe pratica e teorica, ossia sarebbe una specie di Corso Drammatico in azione. – Si caccerebbero verità letterarie che potrebbero tradursi politicamente. – Bensì, tutto dipende dalla revisione: che ha or nelle mani un mio discorso sul Dramma materialista che precede il primo volume, e che a dir vero è un po’ arditello. Vedremo. – Del Chatterton finora, han fatte le spese: ecco tutto. – Noi siamo oppressi per modo che non sappiamo come andare innanzi. – Cerco tutte occasioni di lavoro, e non trovo.317

315 Bettini, Filippo: „Brief an Giuseppe Mazzini, 8.3.1836 (106)“, in: SEI, Lettere a Giuseppe Mazzini, Bd. I, S. 205 f. 316 Mazzini, Giuseppe: „Brief an die Mutter, 22.2.1836 (DCCXXXIV)“, in: SEI, Bd. XI, Epistolario IV, Imola 1911, S. 259–261, hier S. 259 f. Vgl. auch Ruffini, Agostino: „Brief an die Mutter, 6.3.1836“, in: Carlo Cagnacci (Hg./Übs.): Giuseppe Mazzini e i fratelli Ruffini. Lettere raccolte e annotate, Porto Maurizio 1893 (folgend: Cagnacci, Lettere raccolte e annotate), S. 78 f. 317 Mazzini, „Brief an Melegari, 1.2.1836“, in: SEI, Bd. XI, Epistolario IV, hier S. 227.

Fallstudien

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Während Mazzini und die Ruffini-Brüder auf die Entscheidung der Zensur hinsichtlich ihres „Angelo“-Bands warten, erscheint im März 1836 Gaetano Barbieris italienische Übersetzung des Dramas Hugos, die unter dem Titel „Angelo, tiranno di Padova“ bei Bonfanti erscheint. Mazzini misst dieser zunächst kaum Bedeutung bei. Wahrscheinlich sieht er sein eigenes Projekt hierdurch nicht bedroht, weil für ihn nicht das Drama an sich im Fokus steht, sondern dessen literaturkritische Betrachtung bzw. dessen Wert für eine educazione des Lesepublikums Alleinstellungsmerkmal seiner Sammlung ist.318 Die Ruffini-Brüder sehen dagegen die Übersetzung Barbieris problematischer. Agostino Ruffini moniert, dass eine Publikation des „Angelo“ im Rahmen der Biblioteca Drammatica von offizieller Seite so lange verzögert werde, während eine andere italienische Version in Turin bereits aufgeführt werden dürfe.319 Er äußert darüber hinaus Bedenken dahingehend, ob eine Verwirklichung der Biblioteca Drammatica nach der Übersetzung Barbieris noch gelingen kann, hebt aber den philosophischen Rahmen und Zweck der eigenen Reihe hervor, was deren Einzigartigkeit ausmache. Der „Angelo“-Band stelle entsprechend repräsentativ das materialistische Drama vor:320 Chez vous il s’agit, pas d’un drame, mais d’un cours de dramatique pratique, et théorique. [… „] Nous avons un plan, non, nous avons un système mûri dans notre tête, chaque drame qui paraît a sa raison suffisante de paraître plutôt lui qu’un autre, lui avant d’un autre, comme cela résultera du discours preliminaire de l’Angelo, et de l’ensemble de tous les Discours, qui s’engrèneront l’un dans l’autre, et que le public jugera. […] Pur asseoir nos idées d’esthétique, de synthèse dramatique il fallait auparavant un travail d’analyse, d’anatomie critique; montrer auparavant où est la gangrène pour remonter après au remède, dêtruire enfin pour réédifier. Angelo a été élu passez moi l’expression, comme le bouc expiatoire des pêchés du matérialisme dramatique moderne déguisé. Nous 318 Vgl. Mazzini, Giuseppe: „Brief an die Mutter, 11.3.1836 (DCCXLIII)“, in: SEI, Bd. XI, Epistolario IV, Imola 1911, S. 277–278, hier S. 277 f.; sowie Ruffini, Giovanni: „Brief an die Mutter, 7.3.1836 (CCLXI)“, in: Codignola, I fratelli Ruffini, Bd. II, S. 41, Fußnote 1. Nach dem Scheitern der Veröffentlichung des eigenen „Angelo“-Bands im März 1836 äußert sich Mazzini schließlich auch negativ über den Erfolg der Version Barbieris. Er scheint davon überzeugt zu sein, dass für die – im Folgenden noch detailliert ausgeführten – Schikanen der Zensur hinsichtlich seines „Angelo“ eher seine Person denn die Übersetzung und sein Kommentar ursächlich sind: „Odo che l’Angelo, tradotto da altri, sia stato rappresentato a Turino e con grande applauso. – Vedete contradizioni!“ (Mazzini, Giuseppe: „Brief an die Mutter, 22.6.1836 [DCCLXXXIII]“, in: SEI, Bd. XI, Epistolario IV, Imola 1911, S. 384–388, hier S. 388.) 319 Vgl. Ruffini, Agostino: „Brief an die Mutter, 18.6.1836 (CCCXXIV)“, in: Codignola, I fratelli Ruffini, Bd. II, S. 178 f. Die italienische Version des Stücks wird am 21.5.1836 von der Compagnia Drammatica di S. S. R. M. im Teatro d’Argennes in Turin aufgeführt und erntet von Seiten Felice Romanis in der Gazzetta Piemontese vom 28.5.1836 harsche Kritik (vgl. Mazzini, „Brief an die Mutter, 22.6.1836“, in: SEI, Bd. XI, Epistolario IV, hier S. 388, Fußnote 2; sowie Ruffini, Agostino: „Brief an die Mutter, 18.6.1836, in: Codignola, I fratelli Ruffini, Bd. II, S. 179, Fußnote 1). Ebenfalls 1836 wird eine weitere italienische „Angelo“-Übersetzung Giambattista Bazzonis bei Omobono Manini veröffentlicht, die jedoch nicht so erfolgreich ist wie Barbieris Version, die bereits ein Jahr später in zweiter Auflage erscheint (vgl. Berengo, Marino: Intellettuali e librai nella Milano della Restaurazione, 3. Auflage, Mailand 2012, S. 122, Fußnote 87). Zu dieser sind jedoch keine Äußerungen Mazzinis oder der Ruffinis im gesichteten Primärmaterial dokumentiert. 320 Vgl. ausführlich Kapitel 3.3.2.2 sowie 3.3.2.3.1 der vorliegenden Arbeit.

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avons prétention de faire œuvre de philosophie; nous nous flattons que notre bibliothèque soit conçue d’après une idée neuve, et profonde, où les conceptions dramatiques ont toujours été des speculations, jamais un ensemble de doctrines coordonnées. [… „  …] Voilà donc Messieurs de la Révision. Il ne le doutent [sic!] pas qu’ils peuvent ruiner une entreprise par leur lenteur. Il faudrait leur faire sentir doucement cela. Qu’y a-t-il donc dans l’Angelo, qui puisse mériter une méditation aussi profonde? ich verstehe nicht.321

Giovanni Ruffini ist zwar seinerseits nicht erfreut über die Veröffentlichung des „Angelo“ Barbieris, betont aber ebenfalls, dass der „Angelo“ Mazzinis und der Ruffinis Teil einer Serie mit Konzept sei und deswegen nicht zurückgezogen werden dürfe: „Voilà un furieux contretems! l’Angelo traduit à Milan! Tout de même, je crois que nous ne pouvons pas reculer, car il ne s’agit pas d’un Drame pour nous, mais d’une série, avec un plan etc. c’est tout de même très fâcheux.“322 Mazzinis allmähliche Resignation aufgrund des langwierigen Prüfungsverfahrens durch die Zensur in Genua äußert er in der Korrespondenz mit seiner Mutter. Dennoch widmet er sich während der Wartezeit der Erarbeitung neuen Materials für die Biblioteca Drammatica.323 Zwischenzeitlich erhält er über Maria Mazzini Nachricht von Bettini, die ihm Hoffnung macht, dass die italienische Version des „Angelo“ die Zensur passieren wird: Ecco Filippo: „Il revisore ecclesiastico, a cui bisogna sempre presentare gli scritti prima del civile, ritiene tuttavia l’Angelo. Si è mandato da lui lo stampatore già 3 o 4 volte almeno. Ha risposto ultimamente che è quasi ultimato, ma che vuol rivedere ancora qualche squarcio perché si deve procedere con tutta cautela: però aggiunse che è cosa interessante e che gli piace. Appena egli lo restituirà e spero approvato, il revisore secolare sarà più corrente senza dubbio.“324

Gleichzeitig weiß Mazzini, dass von dem Ergebnis der Überprüfung des „ Angelo“ der Fortgang der Biblioteca Drammatica abhängt. Ironisch äußert er sich gegenüber seiner Mutter: „Pare che il revisore studii a mente l’Angelo – io aspetto con impazienza il risultato, perché ne dipendono tutti gli altri lavori.“325 Die Mutter der Ruffinis zeigt sich dagegen wenig optimistisch ob einer Freigabe durch die Zensoren, weil die politischen Implikationen von Vorwort und Stück zu eindeutig seien: „Dite tante cose tenere alla carissima Emilia dalla quale ho ricevuto tutto che mi doveva. Ditele che sono in ambasce per la revisione perché, sebbe-

321 Ruffini, Agostino: „Brief an die Mutter, 8.3.1836 (CCLXII)“, S. 42 f.; vgl. auch Ruffini, Agostino: „Brief an die Mutter, 18.6.1836“, S. 176 f.; beide in: Codignola, I fratelli Ruffini, Bd. II; weiterhin Mazzini, „Brief an den Sohn, 13.2.1836 (99)“, S. 187; sowie Mazzini, Francesca: „Brief an den Bruder, 13.2.1836 (99)“, S. 188; beide in: SEI, Lettere a Giuseppe Mazzini, Bd. I. 322 Ruffini, Giovanni: „Brief an die Mutter, 7.3.1836“, in: Codignola, I fratelli Ruffini, Bd. II, S. 41. 323 Vgl. Mazzini, „Brief an die Mutter, 13.3.1836“, in: SEI, Bd. XI, Epistolario IV, hier S. 279. 324 Mazzini, Maria: „Brief an den Sohn, 5.3.1836 (105)“, in: SEI, Lettere a Giuseppe Mazzini, Bd. I, S. 201. 325 Mazzini, Giuseppe: „Brief an die Mutter, 22.3.1836 (DCCL)“, in: SEI, Bd. XI, Epistolario IV, Imola 1911, S. 287–290, hier S. 290. Vgl. auch Mazzini, Maria: „Briefe an den Sohn, 12.3.1836 (107)“, S. 207; sowie „26.3.1836 (111)“, S. 207; beide in: SEI, Lettere a Giuseppe Mazzini, Bd. I.

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ne a lei non sembri, trapela l’idea troppo esplicitamente; però è una gran risorsa l’ignoranza.“326 Ende März 1836 erhält Mazzini erneut Nachricht von Bettini, der die Langsamkeit des Kontrollprozederes zu erklären versucht. Die „Angelo“-Übersetzung Barbieris hat für ihn keinen Einfluss auf die Zukunft der Biblioteca Drammatica; vielmehr hänge diese von der Entscheidung der Zensoren ab: Dalle anteriori mie linee è già preventivamente risposto a quanto dici nell’ultima lettera riguardo alla Biblioteca Drammatica. Questi revisori non badano né ai danni altrui né ad altro, badano al loro comodo, e pare facciano un favore perché non sono pagati e l’incarico di rivedere è una cosa di più sulle loro incombenze. Spero però che in progresso i volumi non soffriranno ritardo, enorme almeno, perché all’uopo si manderà un manoscritto presso un revisore ed un altro presso un secondo e si cercheranno i mezzi di evitare ogni ritardo. Io mando il giovine ogni due giorni dal revisore e finora non ho ancora la prefazione dell’Angelo – perdona l’espressione – dal revisore ecclesiastico che però m’ha promesso consegnarlo domani sottoscritto, e verrà rimesso al civile che ha già il Dramma e che non arriverà certo a tanto di lentezza. Se il primo ed il secondo volume avranno almeno tanto spaccio quanto è necessario per la spesa s’andria presto, ma ciò dipende anche la celerità che gradatamente non può non aumentare. Presso l’editore del giornale Italiano in Parigi non si potrebbe fare un deposito della Biblioteca Drammatica.327 Nonostante le difficoltà di scrutare le intenzioni del revisore quanto a tutte le opere dello Schiller, si vedrà di farlo e sarebbe già fatto se dipendesse dal civile soltanto. Non è l’edizione milanese dell’Angelo che mi sgomenti, son piuttosto i dilaniamenti della revisione.328

Schließlich entscheiden staatliche sowie kirchliche Zensurbehörden, die Übersetzung des „Angelo“ sowie den Begleitartikel Mazzinis nur unter der Voraussetzung einschneidender Kürzungen und Änderungen zuzulassen – was Mazzini jedoch aus Gründen politisch-moralischer Integrität ablehnt. Agostino Ruffini reagiert ebenfalls enttäuscht und empört angesichts der verlangten Modifikationen; das Projekt der Biblioteca Drammatica hält er nun für gescheitert: Vous concever [sic!] qu’imprimer l’Angelo de la sorte serait: 1° un pêché contre l’art, 2° s’exposer à être ridiculisés, 3° un avant-goût de banqueroute. L’Angelo ainsi mutilé, tout notre échafaudage vient s’écrouler. […] Adieu donc, bibliothèque: ce n’est pas sans un regret, que je prononce cet adieu, mais il le faut. Ce qui m’embête le plus, ce sont les corrections: elles marquent un beau talent. Voici ce que vous avez à faire. Prenez l’Angelo tel qu’il est, retirez la préface: puis prié Octave de ma parte de chercher en haut, s’il existe encore un Haurs, Cours de Physique, que javais dans le tems. S’il existe, faites un paquet de ces trois chefs de robe; s’il n’existe pas (ne le cherchez pas trop longtems, car je ne puis assurer son existance), faites un paquet seulement de l’Angelo, et de la préface, et envoyez-le nous à Berne. Une fois arrivé nous aviserons à quelque chose. Nous voilà donc deux fois enfoncés.329 326 Mazzini, Maria: „Brief an den Sohn, 21.1.1836 (92)“, in: SEI, Lettere a Giuseppe Mazzini, Bd. I, S. 172 f. 327 Vgl. hierzu Fußnote 306 dieses Kapitels der vorliegenden Arbeit. 328 Bettini, Filippo: „Brief an Giuseppe Mazzini, 26.3.1836 (111)“, in: SEI, Lettere a Giuseppe Mazzini, Bd. I, S. 218. 329 Ruffini, Agostino: „Brief an die Mutter, 27.3.1836 (CCLXIX)“, in: Codignola, I fratelli Ruffini, Bd. II, S. 58. Vgl. auch Ruffini, Agostino: „Brief an die Mutter, 26.3.1836“, in: Cagnacci, Lettere raccolte e annotate, S. 81: „Subito, subito, senza complimenti, senza ritardo mandateli tutti al

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Agostino Ruffini äußert sich weiterhin in einem Brief vom 31.3.1836 an Bettini in Genua zum Umgang der Zensurbehörden mit dem „Angelo“. Er zieht es vor, das Projekt der Biblioteca Drammatica zu beenden, statt die modifizierte Ausgabe von Drama und Aufsatz drucken zu lassen, die im absoluten Gegensatz zu den Prinzipien der Begründer der Reihe steht. Unter den gegebenen Umständen sieht er keine Möglichkeit, das ambitionierte Projekt fortzuführen: Mes dernières lettres vous apprendont que nous avons abandonné le projet de la bibliothèque. Ab uno disce omnes. Imprimer l’Angelo tel qu’il est sorti de la révision ce serait une profanation de l’art. Il est présumable qu’on en agirait de la même sorte, et pis encore à l’égard de Schiller. Et voulez-vous que nous [nous] exposions au danger de ne plus pouvoir dormir nos nuits tranquilles? […] Restons honnêtes gens: ne devenons pas scélérats. […] N’y pensons plus.330

Giovanni Ruffini stimmt mit seinem Bruder und Mazzini darin überein, sich nicht den Vorgaben der Zensoren zu beugen und das Projekt der Dramensammlung lieber aufzugeben bzw. dessen Verwirklichung auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben.331 Die Begründer der Biblioteca Drammatica sind im Hinblick auf die Umsetzung ihres Projekts in Italien zu keinen Kompromiss bereit, denn „quegli esuli, pur vedendola insidiata di grandi pericoli, non si ritraevano d’un passo dalla via nella quale s’erano posti,“332 wie es die Herausgaber der Edizione Nazionale beschreiben. Dennoch enttäuscht die Entscheidung der offiziellen Seite das Trio sehr. Mazzini äußert sich entsprechend in seiner Korrespondenz mit Melegari: „La censura a Genova ha resa impossibile la stampa dell’Angelo, della Biblioteca Drammatica, etc. – Già, dell’interno nostro inutile parlarne – peggio dell’estero. – Sono noiato.“333 In einem weiteren Brief an den Freund legt er die von den Autoritäten geforderten Änderungen an Kommentar und Übersetzung von Hugos Drama ausführli-

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diavolo. Io so bene che sono nel pieno esercizio del loro diritto, ma essi hanno il diritto di negarci il si approva, non quello di castrarci ignominiosamente. Che non se ne parli più. Voi capirete che il pubblicare l’Angelo, al modo che l’hanno conciato, sarebbe un peccato contro l’arte, un esporsi al ridicolo e una bancarotta. L’Angelo così mutilato manderebbe in rovina la nostra fabbrica.“ Ruffini, Agostino: „Brief an Filippo Bettini, 31.3.1836“, zit. nach: Autograf, in: Cart. 4/860, Museo del Risorgimento (Casa Mazzini), Via Lomellini 11, Genua. Der Brief wurde zwar bereits als Fußnote 1 zu Ruffini, Agostino: „Brief an die Mutter, 31.3.1836 (CCLXXI)“, in: Codignola, I fratelli Ruffini, Bd. II, S. 63 ff. veröffentlicht, jedoch sind in diesem einige Ungenauigkeiten bzw. Tippfehler enthalten. Vgl. zum ersten Teil auch Commissione per l’Edizione Nazionale, „Introduzione“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. XLIII ff. Vgl. Ruffini, Giovanni: „Brief an die Mutter, 30.3.1836 (CCLXX)“, 60 f.; sowie weiterhin Ruffini, Agostino: „Brief an den Vater, 18.4.1836 (CCLXXXIII)“, S. 91 f.; beide in: Codignola, I fratelli Ruffini, Bd. II, in dem letzterer die Zensur allgemein in Italien kritisiert und insbesondere die Änderungsforderungen in Bezug auf den „Angelo“ nicht nachvollziehen kann. Commissione per l’Edizione Nazionale, „Introduzione“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. XLIII. Mazzini, Giuseppe: „Brief an Luigi Amedeo Melegari, 3.4.1836 (DCCLVI)“, in: SEI, Bd. XI, Epistolario IV, Imola 1911, S. 300–302, hier S. 301. Vgl. auch Mazzini, Maria: „Brief an den Sohn, 21.4.1836 (116)“, in: SEI, Lettere a Giuseppe Mazzini, Bd. I, S. 228.

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cher dar, wobei er zudem die bereits erwähnte Kritik des Vatikans an der Genehmigung des „Chatterton“ thematisiert: Figurati che dopo quattro mesi di revisione, in Genova, il volume, col quale volevamo incominciare una Biblioteca Drammatica teorico pratica, è reso impossibile – scene intere biffées nell’Angelo d’Hugo, il primicerio, i discorsi della Tisbe – poi tutta la prefazione d’Hugo – poi mezzo il mio discorso, per esempio, tutto ciò che io v’avea messo di redenzione della donna – ed anche tutto ciò che io scriveva, lodando il Chatterton e paragone dell’Angelo. – Contro il Chatterton v’è accanimento: una crociata di rimproveri da Roma alla revisione ecclesiastica genovese per aver lasciato stampare un libro che apologizza il suicidio.334

Wie von Agostino Ruffini beschrieben, wird das Manuskript des „Angelo“ aus Genua zurückverlangt.335 Mazzini beabsichtigt, dieses im Ausland veröffentlichen zu lassen. Für die Biblioteca Drammatica sieht er in Italien (zunächst) keine Zukunft mehr:336 Già, della Biblioteca Drammatica a quest’ora Filippo avrà veduto che non se ne fa altro: come in una impresa che dovea separarsi dall’altre per merito, possono accettarsi mutilazioni? insisto sul rinvio dei manoscritti, e sulla inchiesta, se può nuocere l’inserzione di gran parte della prefazione altrove, rimpastata però con altro. – Forse qualche dramma si stamperà fuori, ma senza seguito: converrà allora aiutare la vendita di ogni volume isolato – e vedremo.337

Mazzinis Aufsatz zum „Angelo“ erscheint schließlich im August 1838 anonym im Turiner Subalpino Giuseppe Elia Benzas unter der Rubrik „Letteratura Straniera“ als „Di Vittore Hugo e dell’Angelo tiranno di Padova“ sowie dem Untertitel „Uffizi e doveri della critica“.338 Die Übersetzung bleibt dagegen unveröffentlicht.

3.3.2.1 Literaturkritische Ebene: Romantik- und Gesellschaftskritik In seinem Aufsatz zu „Angelo, tyran de Padoue“ greift Mazzini Hugos eigentliches Thema, die Kritik des Autors an der gesellschaftlichen Stellung der Frau und deren Unterdrückung durch den Mann, nur bedingt auf. Sein Interesse gilt im Rahmen der Handlung und der Charaktere vordringlich dem religiösen Aspekt der Erlösung, wie im sich anschließenden Unterkapitel 3.3.2.2 genauer analysiert wird. 334 Mazzini, „Brief an Melegari, 11.4.1836“, in: SEI, Bd. XI, Epistolario IV, hier S. 314. 335 Vgl. Mazzini, Maria: „Briefe an den Sohn, 30.4.1836 (120)“, S. 238; sowie „1.8.1836 (133)“, S. 267; beide in: SEI, Lettere a Giuseppe Mazzini, Bd. I. 336 Vgl. Mazzini, Giuseppe: „Brief an die Mutter, 29.3.1836 (DCCLIII)“, in: SEI, Bd. XI, Epistolario IV, Imola 1911, S. 295–297, hier S. 296 337 Mazzini, Giuseppe: „Brief an die Mutter, 6.4.1836 (DCCLVIII)“, in: SEI, Bd. XI, Epistolario IV, Imola 1911, S. 303–306, hier S. 305 f. 338 Vgl. Anonym (Mazzini, Giuseppe): „Di Vittore Hugo e dell’Angelo tiranno di Padova. Uffizi e doveri della critica“, in: Il Subalpino. Giornale di scienze, lettere ed arti. Rivista italiana 1 (1838), S. 453–471; Mazzini, Giuseppe: „Brief an Giuseppe Elia Benza, 7.3.1839 (MCLII)“, in: SEI, Bd. XV, Epistolario VII, Imola 1913, S. 409–420, hier S. 416 ff., Fußnote 1; sowie Commissione per l’Edizione Nazionale, „Introduzione“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. XX ff., S. LVI;

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Zunächst geht Mazzini – wie in seinem Kommentar zum „Chatterton“ – auf die Literaturkritik und deren Rolle ein.339 Er beginnt seinen Aufsatz mit einem Zitat Foscolos zur Kunst und Kunstkritik seiner Zeit aus der bis dato unveröffentlichten „Lettera apologetica“ als Vorwort zu dessen kritischer Ausgabe der „Divina Commedia“ Dantes.340 Eine solche Kritik, der es nicht einmal gelinge, Dante als Dichter im Dienste einer Nation Italien zu sehen und für die Begründung einer Nationalliteratur zu nutzen, könne für die poetische Jugend keine Vorbilder liefern. Seit den Tagen des Conciliatore341 habe sich die italienische Literaturkritik kontinuierlich verschlechtert.342 Mazzini unterscheidet zwischen Zeiten eines „pieno sviluppo“343 und eines „cadavere d’epoca“344. In zivilisatorischen Hochzeiten sei das geltende künstlerische Programm klar definiert und akzeptiert. Schicksal und Mission der Literatur liegen in den Händen des Genies, das vom Wohlwollen seiner Rezipienten profitiere. Die Literaturkritik sei beinahe überflüssig in solchen Zeiten, da sie lediglich Positives zu berichten habe. Gefragt und gefordert sei sie jedoch in Krisenzeiten, in denen es weder zivilisatorische Leistung noch wahre Literatur gebe – „il ministero della critica assume aspetto e importanza di sacerdozio“345. Die „heilige“ Aufgabe der Literaturkritik bestehe darin, Entwicklungen vergangener Epochen, die einzelnen wenigen Anzeichen einer zukünftigen Kunst und deren Gemeinsamkeiten aufzuzeigen, um die große Idee hinter all diesen Werken zu extrahieren – und damit einer neuen Literatur den Weg zu ebnen sowie die zukünftigen Genies unter einem Glauben zu vereinen. Letzterer Zustand beschreibt für Mazzini Italiens Situation in seiner Gegenwart – weswegen die Kritik nun handeln müsse. Es gebe weder Literatur noch einen Glauben an diese. Die Szene werde beherrscht von antiker Nachahmung und der Ablehnung ausländischer Werke. Dies habe den kulturellen „Tod“ Italiens bedingt: „Però la vostra Letteratura immiserisce più sempre di giorno in giorno, e l’arte si more, e il genio torce il passo dalle vostre contrade, e gl’ingegni europei chiamano l’Italia terra de’ morti!“346 Die Kritiker jedoch ziehen nicht gegen diesen Zustand zu Felde, obwohl die italienische Literatur prinzipiell über schöpferisches Erneuerungspotenzial verfüge.347 Mazzini bemängelt in diesem Rahmen vor allem die Ignoranz gegenüber Entwicklungen ausländischer Literatur, die die Kritik zur 339 In dem im Folgenden zitierten Aufsatz Mazzinis aus der Edizione Nazionale handelt es sich um die Version, die Mazzini selbst für die Edizione Daelliana überarbeitet hat. Bei dieser fehlt der erste Teil, der sich ausführlich mit der Aufgabe der Literaturkritik und der entsprechenden Situation in Italien beschäftigt. Dieser Teil, im Subalpino Seiten 453 bis Mitte 457, wird in die folgende Analyse miteinbezogen. 340 Vgl. Kapitel 2.2.2, dort insbesondere Fußnote 142 der vorliegenden Arbeit. 341 Vgl. Kapitel 3.2.1 der vorliegenden Arbeit. 342 Vgl. Mazzini, „Di Vittore Hugo“, in: Subalpino 1 (1838), hier S. 453. 343 Ebd., hier S. 454. 344 Ebd., hier S. 454. 345 Ebd., hier S. 454. 346 Ebd., hier S. 457. 347 Vgl. ebd., hier S. 455.

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kulturellen Erneuerung Italiens besprechen müsse, denn „letteratura nazionale non s’avrà mai se non indagandone la missione e i caratteri particolari nella missione generale della letteratura europea, nella intelligenza dell’armonia universale […]“348. Seine Zeit bezeichnet Mazzini als die Epoche der Dramen, in der den Autoren die „alta missione d’incivilimento sociale“349 zukomme, die durch Schiller und teilweise auch Alfieri angekündigt worden sei.350 Als literarische Werke der Gegenwart finden nur der „Chatterton“ Vignys und „Alessandro Medici, Duca di Firenze“ Antonio Ghigliones lobende Erwähnung.351 Dem Drama seines frühen Mitstreiters habe die italienische Literaturkritik gar keine Beachtung geschenkt – im Falle des „Chatterton“ sei immerhin ein wenig Interesse feststellbar.352 Die Literaturkritik ignoriere diese neue Form des historischen Dramas und dessen Rolle für die Erneuerung der Gesellschaft, die inhärente religiöse Komponente sowie das Thema der Volksnähe. Dies seien jedoch drängende Sujets, für die auch die Romantik keine Lösungen präsentiert habe – womit bereits Mazzinis mittlerweile distanzierte Haltung gegenüber der Strömung, mit der er zuvor noch so sympathisiert hat, deutlich wird. Die Kritik befasse sich vornehmlich mit Oberflächlichkeiten, wie der Analyse der Form sowie der Umsetzung der Aristotelischen Poetik, und interessiere sich nicht für die Gründe dieser mangelnden Umsetzung einer erzieherisch-missionarischen Funktion von Literatur in zeitgenössischen Texten. Es gebe zwar Analysen zu Werken wahrer dichterischer Größen, wie Aischylos, Shakespeare, Schiller oder Goethe. Allerdings stellen diese weder Zusammenhänge her noch extrahieren sie aus den Konzepten der Autoren die wesentlichen Aspekte der von diesen jeweils repräsentierten Kunstepoche. So werde kein Lerneffekt bei den Rezipienten bzw. Italiens jungen Dichtern, bestehend aus Erkenntnissen zu den „elementi eterni del dramma“353 – gegenüber den Aspekten, die individuell vom Geschmack der Zeit und dem Wesen des Dichters abhängen, – erzielt. Wenn es schon keine italienischen Werke zu kommentieren gebe, solle doch wenigstens die Rezension ausländischer Dramen aus italienischer Perspektive geschehen und nicht durch ausländische Vermittlung verstellt werden.354 348 Ebd., hier S. 456. 349 Mazzini, „Angelo“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 263. 350 Vgl. auch Mazzini, „Fatalità“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 177, Fußnote 1. Mazzini lobt Alfieri zwar wegen seines Versuchs zur Erneuerung der Kunst. Er habe aber keine dramatische Größe erreicht und kein Gespür für die Zukunft gehabt, deren Kunst europäisch und national zugleich zu sein habe. Sein Drama sei dagegen ausschließlich national ausgerichtet gewesen. 351 Vgl. Mazzini, „Angelo“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 265. 352 In einer Jahre später zum Aufsatz „Della fatalità considerata com’elemento drammatico“ hinzugefügten Fußnote erwähnt Mazzini die gemeinsame Exilerfahrung sowie Ghigliones Tätigkeit für den Italiano, rückt jedoch von seiner damaligen Einschätzung im Hinblick auf dessen künstlerisches Schaffen ab, dessen gute Ansätze rasch durch obskure Ansichten zur Aufgabe von Literatur erstickt worden seien. Vgl. Mazzini, „Fatalità“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 192 f., Fußnote 1. 353 Mazzini, „Angelo“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 264. 354 Vgl. ebd., hier S. 266. Vgl. auch Mazzini, „Prefazione di un periodico letterario“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 82 f.: „Definire le conquiste irrevocabilmente operate dall’epoca spenta: rac-

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Mit seiner Besprechung des „Angelo“ möchte Mazzini exemplarisch vorführen, wie Literaturkritik seiner Meinung nach vorzugehen hat – und setzt damit seine eigenen Forderungen um.355 So soll sie „Defekte“ der jeweiligen Dramen herausarbeiten und damit dichterische Talente anleiten.356 Wie bereits beim „Chatterton“ agiere die gängige Literaturkritik auch im konkreten Fall des „Angelo“ zu oberflächlich, so Mazzini, stelle etwa „Fehler“ hinsichtlich des Handlungsorts in Padua oder auch in der Darstellung der historischen Realität in den Vordergrund.357 Sie bewerte das Drama zwar als qualitativ schwächer als die bisherigen Werke Hugos, thematisiere allerdings nicht das dem Werk zugrundeliegende Konzept und dessen Umsetzung oder gehe auf die Gründe für diese qualitative Schwäche, die repräsentativ für die romantische Bewegung stehe, ein.358 Mazzini dagegen macht das große Manko Hugos, zunächst als „capo della scuola romantica“359, als „fanciullo divino“360 gefeiert, und der romantischen Schule in deren Verharrung in einem Individualismus aus, statt sich einer Universalisierung im Sinne von sozialem Denken und Handeln zu verschreiben. Damit sind durch den Bruch mit alten Werten und Traditionen zwar Innovationen angestoßen, aber keine neuen Werte begründet worden, die jungen Dichtern als probates Mittel für die Produktion eigener Werke dienen können.361 Eine Verehrung des Individualismus sei Götzendienst; denn Kunst existiere nicht um ihrer selbst oder einer (Selbst-)Inszenierung des Künstlers willen, sondern habe die Aufgabe eines progressiven „perfezionamento sociale“362 zu erfüllen.

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cogliere dalle fatiche individuali le aspirazioni, i presentimenti e gli augurii dell’avvenire: trarre dai lavori, anche ove appaiono difettosi e sconnessi, gl’indirizzi delle tendenze più generali e de’ bisogni più gravi: dissotterrare dalle forme il pensiero, da ciò che spetta all’individualità sempre varia degli scrittori, il concetto comune a tutti, il vincolo inavvertito che li congiunge, l’alito che vien dal secolo: svincolare insomma l’incognita dell’Epoca nuova che sta per crearsi alle lettere, e indi tradurla e promoverla: è lavoro urgente e vitale, è lavoro che cova una sintesi.“ Vgl. zu Mazzinis eigener praktischen Umsetzung seiner Forderungen nach engagierter Literaturkritik auch Fournier Finocchiaro, Giuseppe Mazzini, S. 60. Vgl Mazzini, „Angelo“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 279 f. Mazzinis Konzept eines modernen Historiensdramas sieht vor, sich Geschichte zu bedienen, sich aber nicht sklavisch an Fakten halten zu müssen, sondern historische Ereignisse, Gegebenheiten und Personen zum Ausdruck aktueller Bedürfnisse und Problemstellungen heranzuziehen. Mazzinis wendet sich damit gegen die Kritik seiner Zeit, dass das historische Drama die Realität durch persönliche Gefühle, Ideale und Ansprüche verzerre, da dies gar nicht dessen Anspruch sei und sein dürfe. Vgl. Kapitel 3.2 der vorliegenden Arbeit; Mazzini, „Dramma storico“, in: SEI, Bd. I, Letteratura I, hier S. 314 f.; Galante Garrone, „Schiller e Mazzini“, in: Istituto per la storia, Mazzini e i repubblicani, hier S. 60 f.; bereits 1913 Mazzucchetti, Schiller in Italia, S. 175; weiterführend Decroisette, „Introduction, in: dies., L’histoire derrière le rideau, hier S. 12; sowie Betti, „Key aspects, in: Italica 74 (2/1997), hier S. 191. Vgl. Kapitel 3.3.2.2 der vorliegenden Arbeit. Mazzini, „Angelo“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 266. Ebd., hier S. 266. Vgl. ebd., hier S. 269 f. Ebd., hier S. 272.

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Mit diesem Konzept entwickelt Mazzini seine Vorstellung einer sozial engagierten Kunst weiter. Hugo stellt für ihn als prototypischer Vertreter der Romantik ein Negativbeispiel dar363 – was allerdings nicht nur der Kritik an Hugo und der Romantik dient, sondern die Vorbildfunktion Frankreichs für Europa insgesamt in Frage stellt, gegen die Mazzini im Laufe seines Lebens immer heftiger opponiert:364 […] dove è smarrita la grande unità del pensiero sociale […]: dove è rinnegata la semplicità d’un concetto profondamente morale […]: dove si rinuncia all’adorazione dell’idea, è forza sottentri il culto della sensazione. E il culto della sensazione, la religione della materia, il paganesimo letterario fu stretto in formola, eretto a sistema dall’Hugo e dalla sua scuola, […] a concentrarsi nella teorica dell’arte per l’arte, teorica rovinosa, funesta, antisociale, trionfo dell’individualismo applicato alle lettere, negazione della vita universale, dell’unità, della legge che impone un progresso continuo, della missione che spetta all’arte, dell’intento sublime che la colloca educatrice delle nazioni, allo sviluppo ed al perfezionamento possibile delle facoltà intellettuali e morali – a una fede.365

Mazzini sieht in Hugos Beschäftigung mit und Bewunderung für das Mittelalter, das er als individuelle Epoche bezeichnet,366 einen der Gründe für dessen entsprechenden künstlerischen Ausdruck. Im Gegensatz zu den Romantikern, die das

363 Vgl. ebd., hier S. 272. Mazzini definiert die Aufgabe einer sozialen Kunst hier als „collocarsi al disopra dell’individuo per discoprirne i destini, al disopra di tutti gli individui per abbracciarne le relazioni, i vincoli e l’intento comune – levarsi dalla sfera individuale all’idea sociale – risalire dal fatto speciale alla formola generale, dal subbietto alla legge, dalle vite alla Vita – afferrar l’unità; afferrar l’armonia che assegna e definisce ad ogni individuo il suo rango e la sua vocazione; farne l’anima tempio, la mente foco: identificarsi insomma coll’universo, vivere della sua vita, trovarne il segreto e il compendio in ogni frammento della creazione […].“ (Ebd., hier S. 268 f.) Vgl. auch Mazzini, „Potenze intellettuali“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 251. 364 Vgl Mazzini, „Angelo“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 268. Mazzini kritisiert implizit sogar den Inhalt von Hugos „Préface de Cromwell“, die gemeinhin als Manifest der Romantik gilt. Dort führe Hugo aus zum „punto a che deve collocarsi il poeta per ottenere poesia dalle cose, e travede“ (ebd., hier S. 272; meine Hervorhebung). 365 Mazzini, „Angelo“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 275 f. Dabei beschreibt Hugo in dem Vorwort zu seinem „Angelo“ explizit den „Lehrauftrag“ des Dichters: „Laissez-vous charmer par le drame, mais que la leçon soit dedans, et qu’on puisse toujours l’y retrouver quand on voudra disséquer cette belle chose vivante, si ravissante, si poétique, si passionnée, si magnifiquement vêtue d’or, de soie et de velours. Dans le plus beau drame il doit toujours y avoir une idée sévère, comme dans la plus belle femme il y a un squelette. […] Il continuera donc fermement; et chaque fois qu’il croira nécessaire de faire bien voir à tous, dans ses moindres détails, une idée utile, une idée sociale, une idée humaine, il posera le théâtre dessus comme un verre grossissant. Au siècle où nous vivons, l’horizon de l’art est bien élargi. Autrefois le poète disait: le public; aujourd’hui le poète dit: le peuple.“ (Hugo, Victor: Angelo, tyran de Padoue, Brüssel 1835, S. VIII). Da das Originalmanuskript zum „Angelo“-Band Mazzinis und der Ruffinis unveröffentlicht geblieben ist und – wie beschrieben – leider weder dieses noch eine Kopie von mir eingesehen werden konnte, wird im Rahmen dieser Analyse an diversen Stellen auf das Original Hugos referiert. 366 Vgl. Kapitel 3.3.3.1 der vorliegenden Arbeit.

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Mittelalter als Sehnsuchtsort sowie Zeit der Simplizität und Unschuld inszenieren, sieht Mazzini diese Epoche durchaus kritisch:367 Lingua, istituzioni, costumi, tutto s’annientò dinanzi al torrente devastatore: cento razze diverse s’urtarono, si travolsero, si confusero: cento diversi elementi di civiltà e di barbarie s’agitarono insieme, s’amalgamarono: ogni cosa fu confusione: il mondo morale presentò la immagine del caos: il sole della civiltà parve spento; e il mondo Europeo ricaduto per sempre nel buio.368

Hugo habe den Universalismus zwar vorausgeahnt und theoretisch beschrieben, ihn jedoch nicht in seiner Dichtung umgesetzt. Lediglich „Les feuilles d’automne“ lassen einen universalen Geist erahnen.369 Im „Angelo“ jedoch messe Hugo seinen Charakteren als deren Schöpfer zu viel Bedeutung bei – sie werden damit zu individuellen Persönlichkeiten und fungieren nicht als Repräsentanten eines universalen Ideals. Tisbe als „regina dei sensi“370, als irdische, gefühlsdominierte Komödiantin, die sich stets von ihren Emotionen, vor allem (enttäuschter, aber nicht endender) Liebe und Rache leiten lasse, profanisiere damit den ihr inhärenten göttlichen Geist.371 Seinem Anspruch, auf die beklagenswerte Stellung der Frau in der Gesellschaft aufmerksam zu machen und diese zu verbessern – „il concetto di riabilitazione d’una classe intera di creature frantese [sic!], reiette, cadute in fondo“372 –, werde Hugo damit nicht gerecht. Das Bildungspotenzial des Dramas für das Publikum, das über Mitgefühl mit der „condizione tristissima e ingiusta di quelle donne che una società corrotta e corrompitrice sacrifica per ipocrisia di virtù e per aristocrazia di tendenze“373 zu Engagement motiviert werden könnte, werde daher nicht einmal ansatzweise ausgeschöpft. Das Drama verhindere durch seine individualistische Konzeption, dass das Publikum aus dem Dargestellen universale Wahrheiten und Werte ableiten könne, die über den Theaterbesuch hinaus

367 Vgl. zu Mazzinis Einstellung zum Mittelalter, die dessen Verehrung in der Romantik zum Teil konträr gegenübersteht, weiterführend Fournier Finocchiaro, Giuseppe Mazzini, S. 54. 368 Mazzini, „Letteratura europea“, in: SEI, Bd. I, Letteratura I, hier S. 201 f. 369 Vgl. Mazzini, „Angelo“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 272 f. 370 Ebd., hier S. 273. 371 Vgl. ebd., hier S. 273 f., S. 277 f. 372 Ebd., hier S. 276. Vgl. auch Mazzini, „Fede e avvenire“, in: SEI, Bd. VI, Politica IV, hier S. 354. Hugo äußert sich in seinem Vorwort zum „Angelo“ dahingehend, dass er die Misere der Frau inund außerhalb der Gesellschaft darstellen und die Verantwortlichen, den Mann und die gesellschaftlichen Zustände, anprangern wolle. Dabei soll die Frau durch ihre Überwindung negativer Gefühle positiv herausgestellt werden: „Mettre en présence, dans une action toute résultante du cœur, deux graves et douloureuses figures, la femme dans la société, la femme hors de la société; c’est-à-dire, en deux types vivans, toutes les femmes, toute la femme. Montrer ces deux femmes, qui résument tout en elles, généreuses souvent, malheureuses toujours. Défendre l’une contre le despotisme, l’autre contre le mépris. Enseigner à quelles épreuves résiste la vertu de l’une, à quelles larmes se lave la souillure de l’autre. Rendre la faute à qui est la faute, c’est à-dire à l’homme, qui est fort, et au fait social, qui est absurde. Faire vaincre dans ces deux ames choisies les ressentimens [sic!] de la femme par la piété de la fille, l’amour d’un amant par l’amour d’une mère, la haine par le dévouement, la passion par le devoir.“ (Hugo, Angelo, S. V). 373 Mazzini, „Angelo“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 276.

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wirken. Der „Angelo“ sei daher als Vorbild für eigenes, literarisches Schaffen in Italien nicht geeignet. Historischer Ausgangspunkt für Hugos Drama ist das despotische Regime eines fiktiven Angelo Malipieri in Padua im Jahr 1549,374 der dem Dogen Francesco Donà untersteht. Dessen Amtszeit (1545–1553), in der er Venedig in einer Zeit des Friedens zu florierendem Handel führt, ist genauso historisch belegt wie dessen wenig autokratische Herrschaft. Hugo jedoch „abusa la storia esagerandola, facendola più atroce, convertendola in romanzo e vince spaventando,“375 wie Agostino Ruffini sich in seinem Aufsatz zum „Chatterton“ über das Drama äußert. Wie bereits im vorherigen Kapitel für den „Chatterton“ dargelegt, triumphiert auch in diesem Fall das Mazzinianische Prinzip der gegenwärtigen Epoche über das universale Gesetz, sodass das Drama mit dem Mord Rodolfos an Tisbe ebenfalls in einer Katastrophe endet. Es fehlt weiterhin die ideale Figur, die eine höhere Moral verkörpert und so das Publikum über den Besuch des Theaters hinaus subversiv beeinflussen könnte. Die Individualität, die beim „Chatterton“ für Mazzini nur Vignys Mittel ist, sieht er bei Hugo als das Ziel von dessen Drama.376 Anders als Mazzini hebt Agostino Ruffini allerdings Catarina als reine Figur im „Angelo“ hervor – auch wenn er Hugos Drama wie Mazzini als qualitativ minderwertig einschätzt: „Se non fosse la magia dello stile, il carattere puro, appassionato, ingenuo di Caterina ed alcuni tocchi qua e là, che tradiscono il pennello raffaellesco, io non potrei capacitarmi, che l’Angelo Malipieri sia stato acclamato sulle scene parigine.“377 Für Mazzini erfüllt Catarina offenbar – trotz ihrer unbefleckten Ehre – nicht die ideale Figur eines Marquis von Posa. Dass er ihr wegen ihres (rein emotionalen) Ehebruchs eine Sünde unterstellt, kann nicht angenommen werden. Jedoch übernimmt Catarina keine aktive Rolle in dem Stück, die Mazzini für seine Zwecke auslegen könnte, da sie weder als Märtyrerin taugt noch gegen die ihr zuteilwerdende Ungerechtigkeit durch eigenes Handeln aufbegehrt. Sie ist ihm keine Silbe in seinem Aufsatz wert. Warum Mazzini, wie er in seinem Aufsatz zum „Angelo“ verdeutlicht, den „Chatterton“ Hugos Drama vorzieht und Vignys Stück – auch wenn es nicht zum literarischen Vorbild gereichen kann – moralisch über jedes andere Werk der Zeit stellt, leuchtet bei einem genaueren Vergleich zwischen „Chatterton“ und „Angelo“ allerdings wenig ein. Tisbe geht an der Willkürherrschaft eines autokratischen Despoten zugrunde wie Chatterton an der Gesellschaft seiner Zeit. Tisbe als Schauspielerin ist genauso Künstlerin, die sich prostituieren muss, um zu überleben, wie Chatterton als Dichter. Tisbe lässt sich töten, um einem Leben ohne Liebe – für sie der einzige Grund, in einer Gesellschaft, die sie zu einem Un374 Vgl. hierzu auch Hugo, Angelo, S. VI. 375 Agostino Ruffinis Aufsatz zum „Chatterton“, zit. nach Fußnote 1 zu Ruffini, „Brief an die Mutter, 15.7.1836“, in: Codignola, I fratelli Ruffini, Bd. II, hier S. 212. 376 Vgl. Mazzini, „Angelo“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 279. 377 Agostino Ruffinis Aufsatz zum „Chatterton“, zit. nach Fußnote 1 zu Ruffini, „Brief an die Mutter, 15.7.1836“, in: Codignola, I fratelli Ruffini, Bd. II, hier S. 211.

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terhaltungsobjekt degradiert, weiterzuleben – zu entgehen, während Chatterton sich umbringt, um der ihn missachtenden Gesellschaft zu entfliehen, die seine Kunst ebenfalls lediglich als Zeitvertreib konsumiert. Tisbe steht prototypisch für die unterdrückte Frau, Chatterton für den nicht anerkannten Dichter. Tisbe führt dem Publikum die Möglichkeit der Erlösung vor,378 Chatterton zeigt das Martyrium als Handlungsalternative auf. Tisbe präsentiert sich in ihrem Handeln sogar strategischer sowie überlegter als Chatterton und gerade nicht nur – wie von Mazzini beschrieben – von ihren „sensi“ dominiert. Sie ist gewieft genug, ihren Geliebten Rodolfo an Angelos Hof als ihren Bruder auszugeben, um nicht die Eifersucht des podestà auf sich zu ziehen. Sie muss zu ihrem eigenen Wohl und Schutz Angelo zwar gehorchen, widerspricht aber seinen Besitzansprüchen379 und ist in der Lage, ihn für ihre Zwecke zu manipulieren, statt sich naiv darauf zu verlassen, dass die Gunst des Herrschers von Dauer sein wird. Sie gaukelt Angelo Liebe vor, weil sie um sein Begehren – verwechselt mit Liebe – weiß, und nutzt sein Vertrauen aus, um Catarina – und Rodolfo – zu retten. Selbst in ihrer dunkelsten Stunde kurz vor ihrem Tod, als Rodolfo fast wahnsinnig vor Trauer und Rache, weil Tisbe vermeintlich den Giftmord an Catarina forciert hat, ihrer elenden Lebensgeschichte als nicht-adeliger Frau keinerlei Beachtung schenkt und sie durch das mehrmalige Bekenntnis, stets nur Catarina geliebt zu haben, ihrer Existenzgrundlage beraubt, ist sie fähig, strategisch zu handeln. Sie offenbart ihm nicht, dass sie Catarina für ihn gerettet hat, und verpflichtet Rodolfo damit zu ewigem Dank und Freundschaft, sondern provoziert ihn zu dem entscheidenden Dolchstoß, der sie töten wird, indem sie die Verantwortung für den Giftmord auf sich nimmt und seinen Vowürfen vollständig entspricht, weil sie sterben will. Sie sieht keinen Grund mehr zu leben: einerseits weil ihr die einzige Person, die ihr etwas bedeutet, in wörtlichem und übertragenem Sinn den Todesstoß versetzt; andererseits – und damit untrennbar verbunden – weil die Gesellschaft ihr keine Alternative aufzeigt oder einen Grund gibt weiterzuleben. So geht sie genauso an der Gesellschaft zugrunde wie Chatterton. Im Gegensatz zu diesem hinterlässt sie aber einen Akt der Nächstenliebe – begründet in ihrer Liebe zu Rodolfo, und weil ihr dessen Rettung und Glück trotz allem am Herzen liegen, sowie in ihrer Dankbarkeit Catarina gegenüber, die Tisbes Mutter Jahre zuvor vor einem Tod am Galgen bewahrt hat. Außerdem weist Tisbe zumindest eine Art politisches Bewusstsein auf, das sich in einer patriotischen Haltung ihrer Heimat Brescia gegenüber artikuliert, die sich einer etwaigen Unterwerfung durch Venedig nicht so kampflos ergeben würde wie Padua, so ihre Überzeugung.380 Damit offenbart Tisbe das Potenzial, nicht nur als weibliche Vorbildfigur mit selbstlosem Einsatz für eine bessere Zukunft im Mazzinianischen Sinne zu fungieren.

378 Vgl. ausführlich Kapitel 3.3.2.2 der vorliegenden Arbeit. 379 Vgl. Hugo, Angelo, S. 15. 380 Vgl. ebd., S. 14.

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Mazzini scheint aber eher an ihrem Symbolcharakter als unterdrückte Frau – respektive als unterdrückte (italienische) Gesellschaft – sowie insbesondere am religiösen Potenzial ihrer Figur interessiert zu sein.381 So geben die Bedeutung, die „Chatterton“ für Mazzini persönlich spielt, sowie die zunehmende Ablehnung romantischen Schaffens und des Vorbildcharakters Frankreichs den Ausschlag für die Präferenz für Vignys Drama.

3.3.2.2 Religiöse Ebene: Die Erlösung der Menschheit Das wesentliche Sujet des „Angelo“ ist für Mazzini die redenzione, die Erlösung. Dieses Thema beschäftige Hugo noch in weiteren seiner Werke – etwa der „Marion Delorme“ –, da er über seine Dramen aufzeigen wolle, dass der Mensch ein soziales Wesen sei, das eine Gemeinschaft brauche.382 Mazzini zufolge vermittelt der französische Autor damit wesentliche Werte einer zukünftigen Gesellschaft über seine Literatur, die auf einem gemeinsamen religiösen Prinzip basieren: einer Erlösung durch Gott, die prinzipiell für jedes Lebewesen seiner Schöpfung möglich ist, beruhend darauf, dass jedem von ihnen göttlicher Geist innewohnt. So lasterhaft oder verloren eine Seele auch sein mag, besteht stets die uneingeschränkte Möglichkeit einer Rückkehr in die menschliche Gemeinschaft. Wer sich dieser Möglichkeit entgegenstellt, handelt damit gegen den Willen Gottes – und wird als personifiziertes „Böses“ stigmatisiert:383 Ogni vita ha l’impronta di Dio. Quanto esiste è santo o può diventarlo: se nol diventa è colpa di chi, relegandolo nelle eccezioni, gli ha chiusa la via. Ogni eccezione perpetua il male, ogni anatema è delitto. Non vi è un ente, per vizioso ch’ei sembri, che non possa per qualche lato purificarsi e riannettersi alla creazione. In ogni anima, come che contaminata od isterilita, è tal corda che fatta vibrare può risuscitare intero l’accordo dei santi affetti e dell’opere generose. Trovar quel lato, tentar questa corda, è ufficio dell’arte, debito della società accogliere riverente e volenterosa il lavoro. Smembrando si guasta. Isolando s’uccide. In questo pensiero accennato o presentito sta la potenza dell’Hugo e sta la immensa superiorità della scuola romantica sulla letteratura monca, frazionaria, esclusiva, che s’usurpava non ha molto il nome di classica.384

Die Aufgabe von Kunst sei es, das aufkommende soziale Zeitalter anzukündigen, zu verheißen und damit den verlorenen Seelen den Weg zurück in die Gemein-

381 Vgl. Kapitel 3.3.2.2 der vorliegenden Arbeit. 382 Vgl. zum Sujet der redenzione bei Hugo auch Mazzini, „Potenze intellettuali“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 248 ff. Hier übernimmt Mazzini Teile seines „Angelo“-Aufsatzes. Siehe weiterhin Riall, „The politics of Italian romanticism“, in: Bayly/Biagini, Mazzini and the globalisation, hier S. 179: „In Italian Romantic culture, war was associated not just with courage and masculinity but also with redemption: war was seen as a process which could restore honour and reputation to the community after centuries of decline, humiliation, and opprobrium.“ 383 Vgl. Mazzini, „Angelo“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 271 f.; sowie Kapitel 3.3.3.2 der vorliegenden Arbeit. 384 Mazzini, „Angelo“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 267 f. Vgl. auch ebd., hier S. 269.

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schaft aufzuzeigen, so Mazzini – womit Literatur zu einer – Trost und Hoffnung spendenden – Prophezeiung wird. Durch die Symbolik der Erlösung durch Jesus Christus und dessen Opfertod am Kreuz, die in dem französischem Drama auf die Frau übertragen wird – an sich bereits eine revolutionäre Auslegung Mazzinis –, besitzt „Angelo“ für Mazzini das Potenzial, zu hoher, gesellschaftsverändernder Poesie zu werden. Da Hugo jedoch dem Individualismus verhaftet bleibe, von dem er eigentlich „erlösen“ wolle, werde dieses Potenzial nicht ausgeschöpft. Konkret inszeniert Mazzini Tisbe, von ihm als „un’ostia di espiazione“385 bezeichnet, in seinem Aufsatz als Christusfigur. Einerseits provoziert sie ihren Tod durch Rodolfos Hand, weil sie ohne dessen Liebe in einer sie missachtenden Gesellschaft, in der sie sich für ihr Überleben prostituieren muss, nicht leben kann und will. Andererseits widersetzt sie sich auch genau dieser Gesellschaft, indem sie sich ihr nicht unterordnet, sondern ihr Wissen um deren Selbstherrlichkeit und Selbstverliebtheit manipulativ für ihre und die Zwecke der von ihr geachteten Mitmenschen einsetzt, sowie – und gerade auch – den Mord an sich provoziert, sich folglich aktiv dafür entscheidet, ihr Leben zu beenden. Zwar kann Tisbe auch wegen ihres gebrochenen Herzens nicht weiterleben, opfert sich aber auch für die einzig sich gegenseitig Liebenden des Stücks, aus Mitgefühl, Nächstenliebe und Dankbarkeit für Catarinas Hilfe in der Vergangenheit. Sie lässt sich von Rodolfo erdolchen, bereitet jedoch ihm und seiner Geliebten zuvor die Möglichkeit zur Flucht. In diesem Sinne ist Mazzinis „Hostie“ als Leib Jesus zu verstehen, in dessen Nachfolge Tisbe alle (vermeintlichen und realen) Vergehen der sie umgebenden Personen auf sich nimmt, um Erlösung für diese zu erreichen und die Gesellschaft für eine Erneuerung zu „reinigen“. Diese hat durch die Herrschaft einer dekadenten heuchlerischen Aristokratie sämtlichen moralischen Halt verloren. Angelo nimmt sich das Recht auf eine hofbekannte Mätresse, ohne deswegen ein schlechtes Gewissen zu haben. Seine Gattin Catarina dagegen will er wegen ihres Verhältnisses zu Rodolfo umbringen lassen – eine doppelmoralische Farce von Seiten Angelos, dem Vertreter einer männlichen Führungsschicht, der sich selbst nicht an den (moralischen) Wert der Treue hält. Diese unterschiedliche Anwendung des sechsten Gebots auf Mann und Frau beklagt Catarina auch vor ihrem (vermeintlichen) Tod386 – wobei sie, wie es das Drama am Ende nahelegt, trotz ihrer Liebe zu Rodolfo und im Gegensatz zu ihrem vornehmlich an körperlichen Sinnesfreuden interessierten

385 Ebd., hier S. 276. Vgl. weiterhin Mazzini, „Potenze intellettuali“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 250 f. Hugo äußert in seinem bereits mehrfach zitierten Vorwort zum „Angelo“ lediglich die Absicht, das Thema von Jesus’ Tod am Kreuz behandeln und verorten zu wollen: „Enfin au-dessus de ces trois hommes, entre ces deux femmes, poser comme un lien, comme un symbole, comme un intercesseur, comme un conseiller, le dieu mort sur la croix. Clouer toute cette souffrance humaine au revers du crucifix.“ (Hugo, Angelo, S. VI). 386 Vgl. ebd., S. 140.

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Gatten, unberührt und rein bleibt.387 Die eheliche Untreue wird zum Vorwand für Angelo, um seinen Ruf zu retten; Schein gilt dem Adel mehr als Sein. Angelo lässt sich von Catarinas Flehen nicht erweichen, gleichzeitig soll der Mord an ihr – ob über Schwert oder Gift – heimlich vollzogen werden. Moralische Werte haben in einer solchen Gesellschaft keine Bedeutung als Handlungmaxime mehr bzw. werden lediglich aus niederen Beweggründen für eigene Zwecke und zur Rechtfertigung von absurden, gerade nicht moralischen Akten herangezogen. Angelos egoistisches Handeln, das nicht nur sein Gesicht, sondern vielmehr seine Macht wahren soll, steht der selbstlosen Aufopferung Tisbes gegenüber, die Mazzini nicht nur als Symbol einer potenziellen Erlösung, sondern auch als Märtyterin für eine menschlichere Zukunft dient. So prangert Mazzini durch die Selbstgerechtigkeit Angelos zum einen eine überholte, aristokratische Ordnung an, die das – historisch bereits kausale – Ende des monarchischen Fremdherrschersystems (in Italien) zu einer Notwendigkeit macht. Zum anderen und viel stärker wird Tisbes ambiges Opfer betont, das sowohl ihren selbstgewählten Tod als Märytertod betrifft, als auch – und hierauf liegt der Fokus – der Erlösung ihrer Mitmenschen dient.388 Am Ende spricht sie sterbend Rodolfo gegenüber die Worte „Je te bénis!“389 Mit diesem Recht, selbst den Segen zu geben, wird Tisbe endgültig ein von Gott auserwähltes Geschöpf, das alle Sünden tilgen und die Erbschuld beenden kann. Ein solches Opfer darf nicht folgenlos bleiben. Damit Tisbes Tod einen Sinn hat, muss Engagement von Seiten von Mazzinis Rezipienten folgen. Sie sind aufgefordert, eine moralisch „reinere“ Gesellschaft der Zukunft zu begründen, in der keine gesellschaftliche Ungleichheit mehr herrscht und die damit auch der Frau einen Weg aus ihrem Dilemma weist. Die aufgezeigten gesellschaftlichen Umstände bieten darüber hinaus eine Angriffsfläche gegenüber dem Credo des Christentums im Hinblick auf eine Gleichheit aller Menschen, das damit als Farce entlarvt wird.390

3.3.2.3 Politische Ebene: Brückenbau und Bordering Wie durch die Analyse der literaturkritischen Ebene von Mazzinis „Angelo“-Kommentar bereits deutlich geworden ist, übt Mazzini durch seinen Aufsatz Kritik nicht nur an der Romantik als Ausdruck einer individualistischen Gesellschaft, sondern auch an letzterer selbst, die immer wieder Opfer fordert. Während im „Chatterton“ die Dichterfigur als Märtyrer inszeniert wird, ist es im „Angelo“ 387 Vgl. ebd., S. 149. 388 Li Volsi geht davon aus, dass Mazzini den Selbstmord Jacopo Ruffinis und den Tod zahlreicher seiner Anhänger nur wegen des Glaubens an ein Opfer zugunsten einer höheren Sache überwinden kann – weshalb diese Opfer wiederum nicht umsonst gewesen sein dürfen (vgl. Li Volsi, „Mazzini e le ideologie“, in: Istituto per la storia, Mazzini a duecento anni, hier S. 58 f.). 389 Hugo, Angelo, S. 171. 390 Vgl. Mazzini, „Letteratura europea“, in: SEI, Bd. I, Letteratura I, hier S. 199 f.

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die Frau, die keinen Ausweg aus der Gewalt- und Willkürherrschaft sieht als den selbst gewählten, weil provozierten Tod. Beide sind Spielball einer dekadenten Gesellschaft, die sie für ihr Vergnügen missbraucht, ihnen aber sonst keine Rolle zugesteht. Auch wenn Mazzini Vignys Drama positiver hervorhebt, scheint das Martyrium des Dichters eher der „Bestandsaufnahme“ und Anprangerung einer moralisch verfallenen, kapitalistisch-abgestumpften Gesellschaft zu dienen als deren Rettung. Hugos Drama impliziert Mazzini zufolge die Möglichkeit einer Erlösung und wirkt dadurch in seiner Auslegung hoffnungsvoller als der „Chatterton“, dem Mazzini dennoch höhere moralische Qualitäten bescheinigt. Statt einer individualistisch ausgerichteten Gesellschaft fordert Mazzini die Begründung eines sozialen Zeitalters, in dem sich nicht nur die unterdrückten Nationen Europas aus eigener Kraft befreien, sondern die Menschheit über Grenzen hinaus zusammenwächst – wie es für ihn historisch bereits angelegt ist.391 Sein neues Europa ist ein transnationaler Kontinent ohne Hierarchie und Hegemonie, getragen durch Dialog, Austausch, Anerkennung sowie einen gemeinsamen Geist der Gemeinschaft und Integration.392 Mazzini sieht Übersetzung und den damit verbundenen Kulturkontakt in diesem Kontext ganz klassisch als Möglichkeit, Grenzen ab- sowie Brücken zu bauen und Kommunikation zu fördern.393 Dabei tut sich gerade zwischen Mazzinis nationalem und europäischem bzw. universalistischem Denken ein Spannungsfeld auf, in dem sich auch sein translatorisches Handeln positioniert. Ausgehend von Sakais Credo, dass „translation is not only a bordercrossing but also and preliminarily an act of drawing a border, of bordering“394, ist Mazzinis Ansatz nicht nur als Paradebeispiel eines brückenbauenden, dialogischen und dehierachisierenden Übersetzungsprojekts zu sehen, sondern fordert die Problematisierung der ihm inhärenten, grenzziehenden Dynamiken geradezu heraus. Diese sollen im Folgenden auf kultureller und politischer Ebene untersucht werden.

3.3.2.3.1 Mazzinis Literaturkanon In Mazzinis Projekt der Biblioteca Drammatica wird die Problematik einer Grenzziehung – auf kultureller Ebene – bei der Auswahl der jeweiligen literarischen Werke evident. Mazzini bezeichnet zwar alle Nationalliteraturen als gleichwertigen Beitrag im Rahmen einer europäischen Literatur; jedoch offenbart sich im 391 Vgl. Kapitel 3.3.3.2 der vorliegenden Arbeit. 392 Vgl. Pagliardini, „Prospettive per la costruzione“, in: Vranceanu/Pagliardini, Rifondare la letteratura nazionale, hier S. 23; Fournier-Finocchiaro, „Cultura francese e cultura polacca“, in: Kwartalnik Neofilologiczny LXIII 2 (2016), hier S. 177; sowie Spadolini, L’idea d’Europa, S. 22 f. 393 Diese Haltung ist auch bei Cronin zu beobachten: „Translation had a distinct energising effect on the Irish language in the seventeenth century and the presence of other languages, world-views and literatures was in many senses enabling and enriching as it had been in previous centuries. This sense of linguistic possibility and intellectual opportunity has always been translation’s most important gift to world culture.“ (Cronin, Translating Ireland, S. 66). 394 Sakai, „Transnationality and bordering“, in: Trans-Science, hier S. 26.

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Rahmen seiner Dramensammlung ein Literaturkanon, der dieser theoretischen Konzeption einer Horizontalisierung vehement widerspricht. In seinem Aufsatz zum „Angelo“ etwa hebt Mazzini Aischylos, Shakespeare, Schiller und Goethe als Genies und deren Werke als „giganteschi lavori“395 hervor. Ausgehend von diesem Bruch im translatorischen Handeln Mazzinis steht im Folgenden der Literaturkanon, den er für die Biblioteca Drammatica konzipiert, mit seinen politischen Implikationen, die nicht nur Aspekte der Grenzziehung, sondern auch der Bildung, der Manipulation sowie der Identitätskonstituierung gleichermaßen berühren, im Fokus. Mazzini sieht – auch wenn die ersten beiden, bereits diskutierten Bände zu französischen Dramen entstehen – von Anfang an die Übersetzung und Besprechung zeitgenössischer, englisch- und deutschsprachiger Werke im Rahmen der Biblioteca Drammatica vor, die lange Zeit – vor allem in Italien – als minderwertig erachtet und nicht rezipiert worden sind. Dadurch erfahren diese Werke durch Mazzini eine Aufwertung und werden in den Kreis lesenswerter Texte aufgenommen. Dies bedingt einerseits nach der vertikalen Einteilung von Werken in hohe und niedrige Literatur mit der antiken Schaffensperiode an der Spitze, die als einzig wahre Literaturepoche stetig weiter imitiert wird, nun eine Horizontalisierung von Literatur. Der Antike wird zwar nicht ihr ästhetischer Wert abgesprochen; allerdings können und dürfen die nun als überholt geltenden Klassiker nicht mehr als Vorbild für eigenes literarisches Schaffen dienen, da sie in keinem Fall aktuellen Bedürfnissen nach Innovation, Aufbruch und Erneuerung entsprechen, die darüber hinaus nach neuen Ausdrucksformen verlangen. Über diese Horizontalisierung wird der alte, lange unangefochtene Literaturkanon mit seiner Präferenz für griechische und römische Werke aufgebrochen. Mazzini bemüht sich um eine Gleichstellung, eine Dehierarchisierung der einzelnen Nationalliteraturen, die alle ihren berechtigten Platz im Konzept der Weltliteratur bzw. der letteratura europea einnehmen und zu deren Konstitution beitragen.396 Andererseits zeugt auch die Idee einer freien Zirkulation von Kulturwaren auf einem liberalen Markt in Anlehnung an Mme de Staël und Goethe von einem intendierten Bruch mit gängigen Vorstellungen einer Wertigkeit von Literatur. Wenn die ökonomische Idee eines Austauschs auf einem freien Markt zum Vorteil aller an diesem Markt Beteiligten gereichen soll, dann muss von einer Gleichwertigkeit der verschiedenen Produkte ausgegangen werden.397 395 Mazzini, „Angelo“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 264. 396 Vgl. zu einem Vorschlag einer Neuausrichtung des Konzepts der Weltliteratur Bachmann-Medick, Doris: „Multikultur oder kulturelle Differenzen? Neue Konzepte von Weltliteratur und Übersetzung in postkolonialer Perspektive“, in: Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 68 (4/1994), S. 585–612, hier S. 586 ff. 397 Auf die Gefahren einer solchen Liberalisierung des Kulturmarkts weist bereits Goethe hin: „[…] was der Menge zusagt, wird sich gränzenlos ausbreiten und wie wir jetzt schon sehen sich in allen Zonen und Gegenden empfehlen; dies wird aber dem Ernsten und eigentlich Tüchtigen weniger gelingen; diejenigen aber die sich dem höheren und dem höher Fruchtbaren gewidmet haben

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Die beiden aufgezeigten Aspekte einer Dehierarchisierung von Literatur – Bruch mit dem antiken Kanon und freie Zirkulation von Kulturgütern – können im Hinblick auf die Auswahl der Texte für die Biblioteca Drammatica präsupponiert werden. Allerdings zeigt sich in der konkreten Umsetzung bzw. den Ideen zur Realisierung der Dramenreihe ein anderes Bild. Im Hinblick auf Mazzinis Literaturkanon kommt es nicht zu einer Aufhebung von Hierarchien, sondern lediglich zu einer Wertigkeitsverschiebung. Nicht alle ausländischen Werke scheinen gleichermaßen einer Übersetzung und Kommentierung würdig zu sein. Mazzini möchte nur die „besten“ Texte in seiner Dramenreihe besprochen wissen: […] ogni volume dovrà contenere una parte originale e una parte tradotta: io posso ben fare la parte originale, ma la tradotta non posso – ho bisogno d’aiuti: ho bisogno d’alcuni che convinti dell’utilità di cotesta collezione, vogliano consecrare un po’ del loro tempo a tradurre tra le cose migliori straniere degli ultimi cinquant’anni quelle che a loro piacciano meglio.398

Dabei soll bei deren Besprechung stets ihre Position in einer literarischen Rangordnung aufgezeigt werden: Ma le traduzioni sole non bastano; danno materiali al Genio, non gli ordinano, non gli armonizzano a sintesi – il concetto degli Editori essere dunque: consociare la critica, 1’alta critica estetica all’esposizione dei materiali – dar drammi tradotti, ma segnando a un tempo il rango che tengono nella gerarchia letteraria, traendone concentrata l’idea che ciascun d’essi rappresenta e materializza – sì che risulti in certo modo dalle traduzioni una specie di corso di letteratura drammatica. […] primo, dopo il Chatterton, darsi l’Angelo di Vittore Hugo, per esaurire i più recenti lavori, e per contrapporre al dramma del pensiero il dramma della sensazione, il dramma materialista quanto all’esecuzione. Verrebbe poi il Werner di Byron, tragedia troppo poco nota e sentita – la trilogia di Schiller sul Wallenstein, non tradotta mai in Italia – e via così, – empiendo werden sich geschwinder und näher kennen lernen. Durchaus giebt es überall in der Welt solche Männer denen es um das Gegründete und von da aus um den wahren Fortschritt der Menschheit zu thun ist. Aber der Weg den sie einschlagen, der Schritt den sie halten ist nicht eines jeden Sache […]. Die Ernsten müssen deshalb eine stille, fast gedrückte Kirche bilden, da es vergebens wäre der breiten Tagesfluth sich entgegen zu setzen; standhaft aber muß man seine Stellung zu behaupten suchen bis die Strömung vorüber gegangen ist.“ (Goethe, Johann Wolfgang von: Sämtliche Werke (Frankfurter Ausgabe). Briefe, Tagebücher und Gespräche, 40 Bände, hrsg. v. Friedmar Apel/ Hendrik Birus et al., Frankfurt/Main 1986–1999, hier: I. Abt., Bd. 22, S. 866 f. Vgl. zu Risiken und etwaigen Nachteilen der Umsetzung einer europäischen Literatur, vor allem im Hinblick auf eine standardisierende Angleichung und ein Verschwinden von „kleineren“ Literaturen P. Dethurens, „Peut-on être un écrivain européen? Limites et aspirations du débat théorique initié par Mazzini“, in: Alexandra Vranceanu/Angelo Pagliardini (Hgg.): Rifondare la letteratura nazionale per un pubblico europeo. Da un’idea di Giuseppe Mazzini, Frankfurt/Main 2015, S. 33–42; weiterhin Raimondi, Romanticismo italiano, S. 126; sowie Pagliardini, „Prospettive per la costruzione“, in: Vranceanu/Pagliardini, Rifondare la letteratura nazionale, hier S. 19. 398 Mazzini, Giuseppe: „Brief an die Mutter, 5.11.1837 (MXXIII)“, in: SEI, Bd. XIV, Epistolario VI, Imola 1912, S. 139–143, hier S. 141 (meine Hervorhebung durch Fettschrift). Berman sieht in seinem eigenem Ansatz einer traductologie für Literaturübersetzung ebenfalls einen selektiven Kanon zu übersetzender und damit kritikwürdiger Literatur vor, der ihm viel Kritik eingebracht hat, da nicht „jedes übersetzte Werk auch ‚überlebenswert‘ sei […] Was Berman ‚Werk‘ nennt, das sind die ‚großen Werke‘, die Werke der Weltliteratur“ (Kuhn, Bermans Übersetzungskritik, S. 49). Vgl. hierzu auch Bush, „Literary translation“, in: Baker, Routledge Encyclopedia, hier S. 128; sowie Tgahrt, Weltliteratur, S. 112.

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le lacune de’ tempi un po’ più lontani da noi, ma concedendo sempre la preferenza ai Drammi veramente degni di studio, che apparissero alla giornata ne’ diversi paesi.399

Mazzinis ursprüngliches Konzept sieht vor, im Rahmen der Biblioteca Drammatica nicht nur Gegenwartsliteratur zu besprechen, sondern die gesamte Historie des dramatischen Genres zu untersuchen und dabei nicht nur westliche Kulturen miteinzubeziehen. Beginnend mit dem indischen Nationaldrama Kalidasas, „Shakuntala“, aus dem 4. Jahrhundert, fortschreitend mit der griechischen und römischen Antike, über das Mittelalter bis in die Moderne mit Schillers Dramen als Endpunkt der Sammlung will Mazzini die Historie des Dramas translatorisch und kommentierend durchschreiten.400 Damit wird die Literaturkritik zur entscheidenden Institution bei der Bewertung literarischer Werke und bestimmt durch die Zuweisung von Aufmerksamkeit auch über deren (Miss-)Erfolg (mit).401 Wie bereits diskutiert, legt die Literaturkritik seiner Zeit für Mazzini keinen adäquaten Maßstab an, sondern konzentriert sich auf Oberflächlichkeiten ästhetischer und formaler Art, ohne zum Wesen des jeweiligen Texts vorzudringen.402 Mazzini entwickelt dagegen einen eigenen Maßstab und beansprucht insoweit literaturkritische Deutungshoheit – was wiederum zur Begründung einer neuen Hierarchie führt, die er im Grunde doch so vehement ablehnt. Für Mazzini besteht die Aufgabe der Literaturkritik in der Bildung, der educazione der jungen Dichtergeneration Italiens. Sie soll folglich die Essenz des jeweiligen Dramas und grenzübergreifende Tendenzen einer Epoche offenlegen. Dies dient einerseits Mazzinis Anliegen, die ihm so wichtigen – auch historischen – Gemeinsamkeiten in der europäischen Literatur herauszuarbeiten, andererseits aber auch dazu, die „Mängel“ und „Defekte“ in bisherigen Werken aufzuzeigen. Übersetzungen und Kritiken fungieren als Lehrmaterial für die geplante educazione. Die Negativbeispiele stehen hierbei in Einklang mit Mazzinis Argumentation, die Gegenwart als änderungsbedürftige Epoche zu interpretieren, in der es wegen der widrigen Umstände gar keine wahre Poesie geben kann. Damit rekurriert Mazzini auf seine Überzeugung, dass Literatur stets die herrschenden, politischen Zustände eines Landes spiegle.403 Zu den Qualitäten eines Werks, die seinen Rang in einer literarischen Hierarchie festlegen, macht Mazzini keine expliziten Angaben. Aus den im letzten Zitat genannten sowie den im Rahmen der Biblioteca Drammatica realisierten Texten lässt sich jedoch schließen, dass er deren Wert einerseits aus deren Neu399 Mazzini, Autograf „Nota per Filippo“, in: Cart. 4/Nr. 859, Museo del Risorgimento (Casa Mazzini), Via Lomellini 11, Genua; sowie Commissione per l’Edizione Nazionale, „Introduzione“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. XLI f., Fußnote 1 (meine Hervorhebung durch Fettdruck). Vgl. auch Mazzini, „Di Vittore Hugo“, in: Subalpino 1 (1838), hier S. 456. 400 Vgl. ausführlich Kapitel 3.2 der vorliegenden Arbeit. 401 Mit dieser Problematik muss Mazzini sich selbst im Rahmen der Veröffentlichung seiner Biblioteca Drammatica auseinandersetzen (vgl. Kapitel 3.3.1 sowie 3.3.3 der vorliegenden Arbeit). 402 Vgl. Kapitel 3.3.1.1, 3.3.2.1 sowie 3.3.3.1 der vorliegenden Arbeit. 403 Vgl. Kapitel 3.3.1.3.2 der vorliegenden Arbeit.

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igkeitscharakter ableitet und sich damit im Einklang mit der romantischen Schule im Hinblick auf die positive Bewertung insbesondere aktueller englisch- und deutschsprachiger Literatur befindet. Andererseits nennt er die durch die jeweiligen Werke repräsentierte Idee, die deren Position in einer literarischen Rangfolge bestimmt. „Chatterton“ bezeichnet Mazzini so als Ideendrama, dem ein gesellschaftskritisches, moralisches Konzept zugrundeliege. Es bilde die Krise der Kunst der Gegenwart und die tragische Rolle wahrer Künstler in der Gesellschaft über die historische Figur des Chatterton als Prototyp dieses Künstlers ab. Schlichtheit dominiere die Darstellung der Misere des Poeten und wirke hierdurch ehrlich sowie authentisch.404 Mazzini hebt zwar die potenzielle kathartische Wirkung für das Publikum über das Mitgefühl mit dem Dichter hervor; da Vigny jedoch Individualität als Mittel einsetze, wirke dieses nicht nachhaltig genug, um das Publikum zu Engagement zu motivieren. „Angelo“ dagegen hält Mazzini nicht für nachahmenswert, da das Stück als Drama der „sensazione“ – als Drama der und für die Sinne, durchaus aber auch als sensationsbetont bzw. effekthaschend zu verstehen – sowie des Materialismus theatralem Pomp und Ausstattung zu viel Bedeutung beimesse und so seinen positiven Ansatz im Keim ersticke.405 Darüber hinaus biete das Drama zu wenig Verallgemeinerungs- und Identifikationspotenzial für das Publikum, um ihm damit menschliche Moral und Ideale zu vermitteln. Hugo als deren Schöpfer messe der individuellen Konzeption seiner Figuren zu große Bedeutung bei, Individualität sei damit sein Ziel – wie das der gesamten romantischen Epoche, deren prototypischer Vertreter Hugo sei. Damit gelinge es dem französischen Dichter nicht, die versprochene und im Drama angelegte Erlösung kathartisch als universalen Wert zu entfalten und damit das Publikum zu Handlung außerhalb des Theaters zu motivieren. „Der vierundzwanzigste Februar“ als Schicksalsdrama setzt, so Mazzini, eine längst vergangene Fatalitätsidee aus der Antike ein, die das Schicksal als unabänderliches Unheil, als unausweichlichen Fluch konzipiere, um die von Werner intendierte, schauerliche Wirkung zu erzielen. Trotz einer innovativen Umsetzung dieser Idee durch den deutschen Dichter kann sein Drama folglich nicht als Modell fungieren – auch nicht in einer Krisenzeit wie der Gegenwart Mazzinis, in der der Fatalismus wieder mehr Zulauf erhält.406 Vorbildhaft sind dagegen die Dramen Schillers, die folglich weit oben in Mazzinis Literaturhierarchie rangieren. Bei seiner Besprechung des „Don Carlos“ in „Del dramma storico“ etwa hebt Mazzini den Marquis von Posa als moralisch integre, ideale Figur hervor, die den bisher besprochenen Dramen fehlt: 404 Vgl. auch Agostino Ruffinis Aufsatz zum „Chatterton“, zit. nach Fußnote 1 zu Ruffini, „Brief an die Mutter, 15.7.1836“, in: Codignola, I fratelli Ruffini, Bd. II, hier S. 212. 405 Vgl. ebd., hier S. 212. 406 Vgl. hierzu ausführlich Kapitel 3.3.3 der vorliegenden Arbeit. Da die ausführliche Analyse von „Der vierundzwanzigste Februar“ im nächsten Kapitel erfolgt, beschränke ich mich an dieser Stelle auf die genannten Aspekte.

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Non così Schiller: perché tu senti una rivelazione spuntarti di mezzo agli orrori della catastrofe, come un fiore sopra tomba, che ti parla una storia d’affetti, di memorie, e soavi speranze – perché ti convinci che uomini come il Posa, non si fanno martiri d’un principio falso – o da quel cadavere muto, giacente siccome vittima d’espiazione, in faccia a cui il monarca di metà del mondo è costretto ad impallidire del pallore del reo davanti al suo giudice, sorge un grido potente, che tramanda alle età future la storia e la condanna a un tempo della tirannide. Ed io sentii tutto questo, e ben altro, leggendo, e rileggendo quelle pagine del Don Carlos – e, in mezzo al pianto, io intendeva distintamente una voce di sublime conforto, un fremito di vittoria, una fede che superbisce sulle rovine, un senso profondo d’una legge suprema di progresso, che dice: io risorgerò più bella dal martirio, però che dalla morte si genera la risurrezione!407

Auch wenn Posa stirbt, so überleben durch seine Reinheit seine Ideale von Freiheit, Verbrüderung, Solidarität und Moral, aber auch seine Fähigkeit des strategischen Denkens und Handelns zur Erreichung seiner Ziele. Statt lediglich die Freiheit des Individuums im Blick zu haben, richtet sich sein Streben auf die menschliche Gemeinschaft und deren Wohl. Die Literatur der Zukunft müsse wie die Zukunft selbst sozial und progressiv ausgerichtet sein, so Mazzini. Die durch Posa verkörperten Ideale wirken beim Publikum nach und weiter, sodass es dazu motiviert werde, für die Verwirklichung dieser Ideale einzutreten. Egli [Posa] muore; ma tu senti che la sua grand’anima si libra d’alto sulla scena, e la domina: ch’egli è martire d’un principio e che il principio starà.408 La rappresentazione d’un fatto isolato, ideato o storico, genera sensazioni individuali, così strettamente connesse alla vicenda de’ personaggi che nascono e muoiono sulla scena, perché la disposizione ordinata senza intento filosofico, non lascia parte alcuna all’intelletto di chi assiste a quella rappresentazione. Questo essi chiamano interesse drammatico. Ma il dramma, come noi l’intendiamo, il dramma fondato sull’alta verità de’ principii, converte la udienza in un vasto giurì che applica al fatto la legge: e trae con sé dallo spettacolo il profondo convincimento della eternità d’una massima, e la grave e durevole impressione che lascia nell’animo l’adempimento d’un solenne sacerdozio morale. V’è una legge di Kant, che definisce, parmi, mirabilmente la missione morale della giovine Europa: oprate per modo che ogni massima della vostra volontà possa ottenere la forza d’un principio di legislazione generale.409

Der Literaturkanon gibt somit Aufschluss über Mazzinis moralische, religiöse, revolutionäre Werte im Rahmen seines Erneuerungsprojekts. Für Mazzini sind die „besten“ Werke folglich diejenigen, die er als Anschauungsmaterial für seine Zwecke fruchtbar machen kann – wobei seine (post-)romantische Gesinnung, die wiederum von seinem politisch-kulturellen Umfeld sowie seinen Lektüren beeinflusst wird, die entscheidende Rolle spielt.410 Es handelt sich um ein „pantheon ideale, ove avevano il primo posto scrittori, come Dante e Foscolo, in cui l’arte e la vita, l’uomo e l’artista, collimavano perfettamente, le cui opere letterarie rappresentavano, insomma, la storiografia morale del loro tempo,“411 wie Cottignoli erläutert. 407 408 409 410 411

Mazzini, „Dramma storico“, in: SEI, Bd. I, Letteratura I, hier S. 321. Ebd., hier S. 316 f. Ebd., hier S. 317 f. Vgl. etwa Fournier Finocchiaro, Giuseppe Mazzini, S. 3. Cottignoli, Alfredo: „Mazzini e la letteratura“, in: Il Pensiero Mazziniano 3 (2005), S. 162–168, hier S. 162.

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Dies belegt etwa Mazzinis Entscheidung, „Der vierundzwanzigste Februar“ übersetzen zu lassen und zu kommentieren, die Agostino Ruffini insbesondere in der positiven Einschätzung des Dramas von Seiten Mme de Staëls begründet sieht.412 Die übersetzungs- und besprechungswürdigen Werke sind jedoch gerade keine vorbildhaften Meisterwerke, da sie Werte verkörpern, die es zu überwinden gilt, und damit für die educazione der zukünftigen Dichter und der Bevölkerung geeignet sind. Gleichzeitig nutzt Mazzini seine Kommentare und die jeweilige Übersetzung zur Platzierung subversiver Botschaften, wie die bisherige Analyse der Bände der Biblioteca Drammatica gezeigt hat und weiter zeigen wird. Die Frage nach dem Literaturkanon, den Mazzini der Biblioteca Drammatica zugrundelegt, offenbart die Problematik der Grenzziehung im Hinblick auf sein translatorisches Handeln. Universales Denken mit einem Plädoyer für offene Grenzen und Weltliteratur, grenzübergreifenden kulturellen Austausch und eine Gleichwertigkeit aller kulturellen „Waren“ beinhaltet stets auch eine grenzrelevante und grenzproblematische Brisanz. Die Auswahl der Werke für die Dramensammlung erfolgt nicht zufällig, sondern durch die Erstellung eines ganz eigenen Kanons. Dieser bricht zwar mit dem bisherigen Kanon, wobei antike Werke weiter ihre historische und ästhetische Bedeutung behalten, aber nicht mehr als nachahmenswert gelten, da eine Imitation des immer Gleichen zu Stagnation und – nicht nur kulturellem – Tod führt. Ohne Innovation als überlebenswichtiges Element für jede Kultur ist kein Fortschritt möglich. Da der bisherige Kanon und dessen Werke jedoch nicht mehr zeitgemäß sind, da keine Lösungen für aktuelle Probleme und drängende Themen präsentiert werden, entwirft Mazzini die Biblioteca Drammatica zur Begründung einer neuen Nationalliteratur. Der Bruch mit vorherigen Grenzen schafft folglich zunächst neue Grenzen, um diese schließlich ganz abzuschaffen – so sieht es zumindest Mazzinis revolutionäres Projekt eines friedlichen, solidarischen, moralisch und politisch erneuerten Europa freier Nationen vor.

3.3.2.3.2 Italienische und europäische Grenzen Auch wenn Mazzinis Projekt eines erneuerten Italien und Europa offene Grenzen vorsieht und Kulturenkontakt als essenzielles Element menschlichen Fortschritts definiert, ist auch diesem die Problematik um Brückenbau und Bordering inhärent. Nachdem im vorherigen Unterkapitel die Frage nach Mazzinis Literaturkanon die grenzziehende Problematik eher auf kultureller Ebene beleuchtet hat, soll nun die politische Ebene seines translatorischen Handelns näher betrachtet und diskutiert werden.413 412 Vgl. Ruffini, Agostino: „Brief an die Mutter, 11.1.1839“, in: Cagnacci, Lettere raccolte e annotate, S. 210 f.; sowie Rémusat, Charles: „Du Joueur – Du Vingt-quatre février. De la limite des arts d’imitation“, in: Le Globe 5 (49/1827), S. 258–260, hier S. 260. 413 Wie in der Einleitung der vorliegenden Untersuchung erörtert und wie auch in der Einführung zu den Fallstudien dargestellt, beinhaltet jedes translatorische Handeln per se eine politische

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In Mazzinis Idee einer Nation Italien werden die Binnengrenzen auf dem italienischen Territorium dadurch eliminiert, dass die einzelnen Königreiche und Fürstentümer zu einem Nationalstaat vereint werden. Die erreichte Autonomie einer jeden freien Nation sowie ihre Außengrenzen gilt es in jedem Fall zu respektieren, und innerhalb Europas jedwedes imperialistisches Streben zu unterbinden.414 So muss eine Nation Italien nach außen verdeutlichen, dass sie keine Bedrohung für das europäische Gleichgewicht darstellt, sondern im Gegenteil als Garant für die Gleichheit unter den Nationen steht: „L’Italia deve oggi convincere l’Europa che il Mediterraneo sarà un lago Europeo: ch’essa non sorge per disviare la grande idea delle Nazionalità dietro a concetti d’usurpazioni Imperiali; che la sua libertà sarà barriera contro ogni tentativo d’ineguaglianza tra le Nazioni.“415 Mazzini propagiert – entgegen föderativer Tendenzen etwa eines Carlo Cattaneo416  – einen zentralistischen, unitaristischen Aufbau Italiens mit Rom als Zentrum und argumentiert damit gegen die Erhaltung mehr oder weniger autonomer Regionen. Gleichzeitig sieht er sein zentralistisches Denken in Einklang mit den Entwicklungen in Europa insgesamt, wo eine Tendenz hin zu unitaristischen Blöcken zu beobachten sei.417 Diese Struktur sei notwendig, um mit vereinten Kräften die junge Nation nach innen und außen verteidigen zu können.418

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Ebene – so auch bei Mazzini. Die Trennung an dieser Stelle wird folglich rein aus heuristischen Gründen sowie Gründen der besseren Nachvollziehbarkeit vorgenommen. Vgl. Mazzini, Giuseppe: „L’Italia e l’Europa“ (1860), in: SEI, Bd. LXVI, Politica XXIII, Imola 1933, S. 321–342, hier S. 321 ff.; Mazzini, „Cheskian Anthology“, in: SEI, Bd. I, Letteratura I, hier S. 381; Mack Smith, Mazzini, S. 218, Dell’Erba, Giuseppe Mazzini, S. 23; Fournier Finocchiaro, „Cultura francese e cultura polacca“, in: Kwartalnik Neofilologiczny LXIII 2 (2016), S. 176–186; sowie McMenamin, „‚Self-choosing‘ and ‚right-acting‘“, in: History of European Ideas 23 (5–6/1998), hier S. 222. Mazzini, „L’Italia e l’Europa“, in: SEI, Bd. LXVI, Politica XXIII, hier S. 340 f. Vgl. auch ebd., hier S. 322 f. Damit zeigt Mazzini zum einen Italiens europäische Ausrichtung auf, warnt zum anderen aber auch vor französischem Imperialismus gegenüber Italien. Siehe auch Mazzini, Giuseppe: „L’Italia e Luigi Napoleone“ (1860), in: SEI, Bd. LXVI, Politica XXIII, Imola 1933, S. 155– 162, hier S. 156; Mazzini, Giuseppe: „Proclama per la sommossa del 29 giugno 1857“ (1857), in: SEI, Bd. LIX, Politica XX, Imola 1931, S. 143–144, hier S. 143; sowie Mazzini, Giuseppe: „Brief an John McAdam, 12.5.1860“ (13), in: Scioscioli, Lettere inedite, S. 188. Vgl. Cattaneo, Carlo [1849]: Il 1848 in Italia, Turin 1972, S. 283, der auch Terminus und Konzept der „Stati Uniti d’Europa“ prägt; Mazzini, Giuseppe: „Ricapitolazione“ (1861), in: SEI, Bd. LXIX, Politica XXIV, Imola 1935, S. 161–178, hier S. 166; Recchia/Urbinati, „Introduction“, in: dies., Cosmopolitanism of nations, hier S. 2; sowie Wight, „Four seminal thinkers“, in: Oxford Scholarship Online, hier S. 10. Vgl. Mazzini, „Istruzione generale“, in: SEI, Bd. II, Politica I, hier S. 46. Vgl. Mazzini, Giuseppe: „Brief an Ippolito Benelli, 8.10.1831 (XI)“, S. 52–63, hier S. 55; Mazzini, Giuseppe: „Brief an Pietro Olivero, Juli 1833 (CXXIV)“, S. 353–358, hier S. 355; beide in: SEI, Bd. V, Epistolario I, Imola 1909; Mazzini, „Istruzione generale“, in: SEI, Bd. II, Politica I, hier S. 46; sowie Pistone, Sergio: „Unità italiana ed unità europea nel dibattito politico risorgimentale“, in: Umberto Morelli/Daniele Preda (Hgg.): L’Italia e l’unità europea dal Risorgimento a oggi. Idee e protagonisti, Padua 2014, S. 17–24, hier S. 22. Pistone betont, dass alle europäischen Großmächte – bis auf Großbritannien – auf ihrem Weg zu dieser Position zentralistisch organisiert gewesen seien. Dies liege vor allem in der so rascher möglichen Mobilisierung der Armee zu Vertei-

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Regionale Identifikation müsse einer gesamtitalienischen Identität untergeordnet werden: La Patria è il segno della missione che Dio v’ha data da compiere nell’Umanità. Le facoltà, le forze di tutti i suoi figli devono associarsi pel compimento di quella missione. Una certa somma di doveri e di diritti comuni spetta ad ogni uomo che risponde al chi sei? degli altri popoli: sono Italiano.419

Mazzinis zentralistische Ideen manifestieren sich auch über den Literaturkanon hinaus in seinem translatorischen Handeln. Die italienische Sprache als gemeinsames Kommunikationsmittel ist Voraussetzung für ein Funktionieren der Biblioteca Drammatica, Übersetzung und Kommentierung erfolgen wie selbstverständlich auf Italienisch. Mazzini thematisiert an keiner Stelle die sprachliche Vielfalt Italiens und deren potenzielle Auswirkungen auf die Rezeption seines Übersetzungsprojekts, ganz zu schweigen von einer Problematisierung. Dass er Aufsätze und Übersetzungen für eine intellektuelle Elite konzipiert, die der italienischen Sprache mächtig ist, kann als mögliche Erklärung herangezogen werden, ist jedoch unbefriedigend. Vielmehr opfert er auch auf kulturellem Feld die regionale Vielfalt sowie Verschiedenheit Italiens und grenzt damit bestimmte, potenzielle Rezipienten bzw. Dialektsprecher, vor allem aus dem Süden, aus.420 In diesem Rahmen sollte jedoch erwähnt werden, dass Mazzini als einer der wenigen Denker seiner Zeit den Süden von Anfang an in sein Einigungsprojekt miteinbezieht. Die italienische Sprache dient ihm folglich als wesentliches Element für die Konstituierung einer gesamtitalienischen Identität, die auch für den Kampf um Unabhängigkeit und Einheit unabdingbar ist. Gerade im Kontext noch zu begründender Nationen hält Anderson für die Bedeutung von Sprache fest: Es ist immer ein Fehler, Sprachen so zu behandeln, wie es gewisse nationalistische Ideologien tun: als Symbole des ‚Nation-Seins‘ wie Flaggen, Trachten, Volkstänze und dergleichen. Die weitaus wichtigste Eigenschaft der Sprache ist vielmehr ihre Fähigkeit, vorgestellte Gemeinschaften hervorzubringen, indem sie besondere Solidaritäten herstellt und wirksam werden lässt.421

Das Konzept der Nation stellt Mazzini – wenn dieses bei ihm auch sowohl Elemente romantisch-kultureller Ideen als auch voluntaristische Vorstellungen umfasst422 – nicht in Frage. Im Sinne der kritischen Sicht Sakais erkennt eine Nation

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digungszwecken begründet. Außerdem sei der Zentralstaat in Italien unabdingbar gewesen, um die Regionen zusammenzuhalten, da diese – ohne gemeinsame Historie und Tradition – sonst wieder auseinandergebrochen wären. Mazzini, „Doveri dell’uomo“, in: SEI, Bd. LXIX, Politica XXIV, hier S. 64 f. Vgl. zur Problematik der Dialektdominanz und mangelnder Italienischkenntnisse der Bevölkerung Banti, Risorgimento italiano, S. VI. Anderson, Erfindung der Nation, S. 133. Vgl. auch ebd., S. 15 ff.; Cronin, Translation and Globalization, S. 162; Bayly/Biagini, „Introduction“, in: dies., Mazzini and the globalisation, hier S. 3, die bei Mazzini Andersons Konzept der vorgestellten Gemeinschaft geradezu paradigmatisch umgesetzt sehen; sowie Sarti, Mazzini, S. 82. Vgl. Mazzini, Giuseppe: „I collaboratori della Giovine Italia ai loro concittadini“ (1832), in: SEI, Bd. III, Politica II, Imola 1907, S. 27–74, hier S. 64; Mazzini, Giuseppe: „Nazionalità. Qualche

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Italien die internationale, westliche Ordnung an, um an einer solchen teilhaben zu dürfen – wobei ihr diese Position durch die Konstituierung als Nation überhaupt erst zukommt. Diese Ordnung – sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene – akzeptiert Mazzini ohne Widerspruch, im Gegenteil scheint dieser Weg geradezu alternativlos zu sein. Innerhalb von Europa plädiert Mazzini für Respekt gegenüber den Grenzen und der Autonomie der anderen freien Nationen sowie ein Prinzip der Gleichheit unter ihnen. In Bezug auf Europas Rolle in der Welt ist Mazzinis Denken wiederum ausschließlich von der westlichen Sicht geprägt. Europa stellt für ihn die Wiege der Zivilisation und auch gegenwärtig den Kontinent mit dem höchsten Zivilisationsgrad in der Welt dar. Europas Aufgabe muss es folglich sein, seinen Fortschritt über seine Grenzen hinaus zu „exportieren“. Jede freie Nation in Europa erfüllt hierbei eine Mission für das Voranschreiten der Menschheit insgesamt: E dopo cento anni e più di quel rimescolamento di genti senza nome e senza missione visibile, come un tempo la piena dell’acque che ricopriva il globo si concentrava, retrocedendo, in laghi, fiumi ed oceani, si videro emergere dal turbinío delle moltitudini i Popoli, collocati a seconda delle loro tendenze e del disegno di Dio dentro a certi confini. E gli uni si chiamarono Ispani e gli altri Britanni ed altri Franchi, altri Germani, altri Polacchi, Moscoviti o con altri nomi. E sulla fronte a ciascuno splendeva un segno di missione speciale: Un segno che sulla fronte al Britanno diceva: Industria e Colonie; sulla fronte al Polacco: Iniziazione Slava; sulla fronte al Moscovita: Incivilimento dell’Asia; sulla fronte al Germano: Pensiero; sulla fronte al Franco: Azione: e così di Popolo in Popolo. E quel segno era la Patria: la Patria di ciascun Popolo: il battesimo, il simbolo della sua vita inviolabile fra le Nazioni. […] così l’insieme di tutte quelle missioni compite in bella e santa armonia pel bene comune, rappresenterà un giorno la Patria di tutti, la Patria delle Patrie, l’UMANITÀ.423

Mazzinis Definition der verschiedenen Missionen für Europas Nationen bleibt überwiegend vage. Russland fällt es zu, Asien zu „zivilisieren“, Großbritanniens Aufgabe ist die Verbreitung von industriellem Fortschritt – wobei Mazzini sich bei seiner Ankunft in London von der Misere der Arbeiter schockiert zeigt –, Polen soll den Befreiungskampf in den slavischen Ländern anstoßen. Was genau Mazzinis mit der Aufgabe Deutschlands, die er unter dem Begriff „Pensiero“ subsumiert, oder Frankreichs Mission der „Azione“ versteht, ist nicht endgültig zu klären. Er wendet sich – trotz der genannten Zivilisierungsaufgabe diverser Nationen Europas – gegen brutale Eroberungskriege und oppressiven Kolonialismus aus egoistischen, machtpolitischen Motiven, die der Mission Europas und dem Fortschritt entgeidea sopra una costituzione nazionale / Nationalité. Quelques idées sur une constitution nationale“ (1835), in: SEI, Bd. VI, Politica IV, Imola 1909, S. 123–158, hier S. 124 f., S. 127 ff.; Mazzini, „Istruzione generale“, in: SEI, Bd. II, Politica I, hier S. 46; Pagliardini, Mappe interculturali, S. 58; Recchia/Urbinati, „Introduction“, in: dies., Cosmopolitanism of nations, hier S. 12 ff.; Sullam, „The Moses of Italian unity“, in: Bayly/Biagini, Mazzini and the globalisation, hier S. 109; Rowley, „Mazzini and the democratic logic“, in: Nations and Nationalism 18 (1/2012), hier S. 39 ff.; sowie McMenamin, „‚Self-choosing‘ and ‚right-acting‘“, in: History of European Ideas 23 (5–6/1998), hier S. 228 ff. 423 Mazzini, „Ai giovani d’Italia“, in: SEI, Bd. LXIV, Politica XXII, hier S. 163 f. Vgl. auch Wight, „Four seminal thinkers“, in: Oxford Scholarship Online, hier S. 10.

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genstehen. So fällt etwa Frankreich wegen seiner Eroberungszüge in Afrika negativ auf. Dagegen lobt Mazzini jedoch wiederum die Kolonialisierung Algeriens durch Frankreich, Englands Kolonie in Hongkong und Russlands (von ihm vorgesehene) Expansion in Asien, weil sie rückständigen oder stagnierenden Kulturen Fortschritt bringen (sollen), und hält in diesem Rahmen sogar Gewalt für ein probates Mittel. Eine trennscharfe Unterscheidung zwischen politisch egoistischem und kulturell zivilisierendem Kolonialismus scheint Mazzini nicht überzeugend zu gelingen, da in den meisten genannten Fällen machtpolitische Aspekte eine Rolle spielen, die von vermeintlich positiven Effekten nicht zu trennen sind: Io credo che l’Europa sia provvidenzialmente chiamata a conquistare il resto del mondo all’incivilimento progressivo: quindi, comeché politicamente ingiusti, vedo con soddisfazione alcuni passi degli Europei nelle contrade dominate da credenze retrograde e stazionarie: i Francesi in Algeria, gl’Inglesi nella China, i Russi in Asia se mai v’andranno, mi paiono missionari necessari dell’umanità; gli asini coronati che li mandano pei loro fini egoistici o tristi, mi paiono burattini in mano della Provvidenza: ma io intendo questa conquista progressiva in ben altri termini. Ammetto che, giovandosi d’un’occasione, una potenza europea occupi anche con atto violento un punto di territorio Africano, Chinese, Asiatico: poi, che da quel punto mostri, come si fa con un modello di macchina, quanto superiore è l’incivilimento europeo al loro. Perdono l’invasione a quei patti. Ma la guerra di conquista brutale, frenetica […] è non solamente una ingiustizia, ma un tradimento della missione Europea e della legge provvidenziale.424

Auch wenn Mazzinis quasi sakraler Respekt für andere Kulturen nahelegt, dass er keine negativen, imperialistischen Absichten verfolgt, handelt es sich dennoch um ein Denken in normierten Kategorien zugunsten des Westens und seiner italienischen Heimat, die die Pflicht haben, ihr fortgeschrittenes Zivilisationsmodell im Sinne der Progression der Menschheit zu exportieren. Mazzinis unerschütterlicher Glaube an einen stets weiter voranschreitenden, positiven Fortschritt der menschlichen Zivilisation und seine Ablehnung jeglicher Abschottung, zurückgehend auf die negativen Erfahrungen Italiens mit dieser Strategie, sehen keinen anderen Weg als diesen Export der Errungenschaften und Leistungen vermeintlich zivilisierterer Kulturen zum Wohle und zur Progression der gesamten Menschheit. Die propagierte Gleichwertigkeit der verschiedenen Kulturen bezieht sich folglich nur auf freie, fortschrittliche und damit europäische Nationen. Daraus resultiert auch die Führungsrolle Italiens und Europas in der Welt, da „rückständige“ Zivilisationen erst in dieses Ebenbürtigkeitsparadigma eintreten, wenn sie den europäischen Fortschritt annehmen, sich folglich „verwestlichen“. Damit trifft Sakais Kritik eines quasi unhinterfragten Exports des westlichen Modells im Falle Mazzinis zu. Wollen andere Kulturen auf der internationalen Bühne ernstzunehmende Akteure werden, bleibt ihnen nur eine Übernahme des europäischen 424 Mazzini, Giuseppe: „Brief an die Mutter, 7.8.1845 (MDCCCLXXXIX)“, in: SEI, Bd. XXVIII, Epistolario XV, Imola 1918. S. 90–93, hier S. 92. Vgl. auch Orilia, Ruggero: „Il pensiero di Giuseppe Mazzini: Origini e attualità“, in: Il Pensiero Mazziniano 2 (2015), S. 77–90, hier S. 86; Pagliardini, „Prospettive per la costruzione“, in: Vranceanu/Pagliardini, Rifondare la letteratura nazionale, hier S. 28 ff.; Dell’Erba, Giuseppe Mazzini, S. 143; sowie Mack Smith, Mazzini, S. 219.

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Standards. Erst dann erfolgt eine Aufnahme in den Kreis der gleichen, freien Nationen – und eine entsprechende, respektvolle Behandlung. Mazzinis Konzept muss jedoch auch im Rahmen der historischen Umstände seiner Zeit gesehen werden. Für ihn ist deshalb – mit der Erfahrung der Monarchie und Repression – nur ein demokratischer Nationalstaat in der Lage, Partizipation und zivile sowie politische Bildung für seine Bürger zu gewährleisten – wobei die Nation jedoch nicht den Endpunkt menschlicher Progression, sondern nur einen Zwischenschritt auf dem Weg zu humanitärer und transnationaler Vereinigung darstellt.425 Allerdings sollen auch dann die freien Nationen Europas als Entitäten ihren Autonomiestatus nicht aufgeben – da diese aus Gründen der Identität und Orientierung für die Menschen eine wesentliche Rolle spielen: „La Patria è il punto d’appoggio della leva che si libra tra l’individuo e l’Umanità.“426 Die Phänomene Brückenbau und Bordering spiegeln sich folglich beide in Mazzinis kulturellem sowie politischem Denken bzw. seinem translatorischen Handeln.

3.3.3 Mazzini und „Der vierundzwanzigste Februar“ Zacharias Werners Noch bevor die im vorangegangenen Unterkapitel beschriebene Entscheidung der Zensur über den „Angelo“-Band Mazzinis und der Ruffini-Brüder mit den dargelegten Konsequenzen fällt, planen die Begründer der Biblioteca Drammatica, der Publikation des „Chatterton“ sowie des „Angelo“ das in diesem Fall nur von Agostino Ruffini übersetzte Schicksalsdrama Zacharias Werners „Der vierundzwanzigste Februar“ („Il ventiquattro febbraio“) zusammen mit Mazzinis Aufsatz „Della fatalità considerata com’elemento drammatico“ und der ebenfalls von Mazzini verfassten Autoren-Biografie „Cenni su Werner“ folgen zu lassen.427 425 Vgl. Recchia/Urbinati, „Introduction“, in: dies., Cosmopolitanism of nations, hier S. 2. 426 Mazzini, „Ai giovani d’Italia“, in: SEI, Bd. LXIV, Politica XXII, hier S. 165. Vgl. auch Chiarini, Giovanni: „Stati Uniti d’Europa. Europa, patria delle patrie“, in: Il Pensiero Mazziniano 3 (2015), S. 15–27, hier S. 21; sowie Pagliardini, „Prospettive per la costruzione“, in: Vranceanu/Pagliardini, Rifondare la letteratura nazionale, hier S. 15. Wegen der Ablehnung der Nation als Entität zwischen dem Individuum und der Menschheit, die jedoch für ein Identitäts- und Zugehörigkeitsgefühl der Menschen entscheidend sei, argumentiert Mazzini auch gegen den Kosmopolitismus als Strömung seiner Zeit (vgl. Mazzini, Giuseppe: „Sulla nazionalità. Parole dirette al giornale El Propagador / De la nationalité. Au Propagador“ [1836], in: SEI, Bd. VII, Politica V, Imola 1910, S. 331–351, hier S. 337; sowie Mazzini, „Note autobiografiche“, in: SEI, Bd. LXXVII, Politica XXVI, hier S. 193 f.). 427 Vgl. auch Ruffini, „Brief an die Mutter, 23.11.1835“, in: Codignola, I fratelli Ruffini, Bd. I, S. 409 f. Das Interesse für das Schicksalsdrama Werners wird wahrscheinlich früh bei Mazzini geweckt. In der bereits erwähnten Ausgabe des Globe vom 26.7.1827 publiziert Literaturkritiker Charles Rémusat unter dem Titel „Du Joueur – Du Vingt-quatre février. De la limite des arts d’imitation“ zu „Der vierundzwanzigste Februar“ und bezeichnet Werners Schicksalsdrama als „ drame entier, court à la vérité, combiné pour éveiller le seul sentiment de l’horreur, c’est un poème, comme le

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Karl Mathy (1807–1868), ein aus Mannheim stammender deutscher Übersetzer und Mitarbeiter der Jeune Suisse, soll prüfen, inwieweit die Übersetzung vom Deutschen ins Italienische gelungen ist. Nach den Übersetzungen aus dem dem Italienischen verwandten Französisch sucht Mazzini für die Übertragung des deutschen Texts zusätzliche Unterstützung. So bittet er Gaspare Ordoño de Rosales, der sich in Zürich aufhält, im Januar 1836 um Hilfe bei der Beschaffung einer Originalausgabe des Schicksalsdramas: „Trovami in qualche modo, per qualche giorno in prestito, Il 24 Febbraio, dramma di Werner, in tedesco. – Ne abbiamo vero bisogno per far rivedere a Mathy l’italiano, e non sappiamo dove prenderlo.“428 Mazzini erläutert seinem Freund seine Entscheidung zugunsten von „Der vierundzwanzgiste Februar“: Werners Dramen seien in Italien kaum bekannt und können damit dem Zweck der Biblioteca Drammatica, der Bildung und kulturellen Erneuerung durch ausländische Innovation, dienlich sein, so Mazzini in seiner Korrespondenz. Gleichzeitig zeigt Mazzini eine umfangreiche Kenntnis bezüglich der bereits erschienenen Titel Werners, von denen er „Das Kreuz an der Ostsee“ (1806), „Die Söhne des Thals“ (1803–1804), „Attila, König der Hunnen“ (1808) sowie „Die Mutter der Makkabäer“ (1820) explizit nennt und sich Gedanken ob einer Publikationsmöglichkeit in Italien macht: Vedo del Werner – e delle ricerche dell’Hitzig429. – Quand’anche l’Hitzig non si trovasse, se potesse aversi la prefazione della Madre de’ Maccabei, di che t’ho parlato in altra mia, sarebbe rimediato. – Chi conosci tu di gente di lettere che abbia letto i drammi di Werner? Chi sa dirmi, se la Croce sul Baltico sia tale da potersi pubblicare in Italia, e dov’è revisione ecclesiastica? – Cito la Croce sul Baltico, perché dei Figli della Valle non è neppure a parlarne – e a quanto indovino, se tra i drammi di Werner è possibile scegliere, non può essere che fra la Croce sul Baltico, l’Attila, e la Madre de’ Maccabei. Se dunque alcuno può dirti di questi tre drammi, farai bene a ridirmene.430

Im Februar 1836 bezeichnet Mazzini die Veröffentlichung der kommentierten italienischen Ausgabe von „Der vierundzwanzigste Februar“ als ein dringliches Andéfinit l’auteur lui-même, tissu dans la nuit et semblable au retentissement du râle d’un mourant“ (Rémusat, „Du Joueur“, in: Le Globe 5 [49/1827], hier S. 260. Vgl. auch Codignola, „Mazzini alla ricerca“, in: ders., I fratelli Ruffini, Bd. II, hier S. XIII). Mazzini kennt Rémusats Kritik (vgl. Mazzini, „Fatalità“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 172, Fußnote 1), die auch seinen eigenen Kommentar zu beeinflussen scheint (vgl. Kapitel 3.3.3.1 der vorliegenden Arbeit). 428 Mazzini, Giuseppe: „Brief an Gaspare Ordoño de Rosales, 24.1.1836 (DCCXII)“, in: SEI, Bd. XI, Epistolario IV, Imola 1911, S. 195–199, hier S. 197. 429 Hierbei handelt es sich um Julius Eduard Hitzig (eigentlich Isaac Elias Itzig, 26.3.1780– 26.11.1849), einen deutschen Juristen, Verleger und Schriftsteller, der unter anderem eine Biografie über Zacharias Werner („Lebens-Abriss Friedrich Ludwig Zacharias Werners“, Berlin, Sander, 1823) verfasst, die Mazzini für seine „Cenni su Werner“ rezipiert und heftig kritisiert, besonders weil weder die Psyche Werners noch die historischen Umstände seiner Lebens- und Wirkzeit miteinbezogen werden (vgl. Mazzini, „Brief an Rosales, 24.1.1836“, in: SEI, Bd. XI, Epistolario IV, hier S. 199; sowie Mazzini, Giuseppe: „Cenni su Werner“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, Imola 1910, S. 203–236, hier S. 203). 430 Mazzini, Giuseppe: „Brief an Gaspare Ordoño de Rosales, 6.2.1836 (DCCXXIV)“, in: SEI, Bd. XI, Epistolario IV, Imola 1911, S. 235–237, hier S. 235. Vgl. auch Mazzini, „Brief an Rosales, 24.1.1836“, in: SEI, Bd. XI, Epistolario IV, hier S. 199.

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liegen für die Weiterführung der Biblioteca Drammatica.431 Nachdem eine Publikation des „Angelo“ in der vorgesehenen Form  – wie im vorangegangenen Unterkapitel dargelegt – im April 1836 gescheitert ist und die Begründer der Biblioteca Drammatica in einem politisch und moralisch rückständigen Italien keine Möglichkeit mehr für eine Verwirklichung ihres Projekts sehen, wird der Aufsatz „Della fatalità considerata com’elemento drammatico“ als literaturkritischer Begleitartikel zu Werners Schicksalsdrama zunächst am 31. Juli 1836 in der dritten Ausgabe des Pariser Italiano – firmiert mit „E. J.“ für „Européen Jeune“ – veröffentlicht. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um Mazzinis Originaltext; dieser wird diversen Änderungen sowie Kürzungen unterzogen – und somit dessen Verständlichkeit erschwert.432 Im Italiano wird der Aufsatz mit den Worten „Lo scritto che qui s’inserisce è parte d’un lavoro inedito prefisso al Ventiquattro Febbraio, dramma di Zacaria Werner, che un valente giovane ha novellamente tradotto e che vedrà fra breve la luce.“433 eingeführt. Der kurze Text kündigt zwar eine bevorstehende Veröffentlichung des Werner-Bands an; jedoch lassen sich hierfür keinerlei Hinweise oder gar eine entsprechende Publikation zu diesem Zeitpunkt finden, auch wenn Mazzini selbst im August an Melegari schreibt: „Poi, questo discorso sulla Fatalità escirà fra non molto intero e più esatto, spero, in fronte al 24 febbraio, che si stamperà.“434 Durch die Veröffentlichung seines – wenn auch modifizierten – Aufsatzes scheint Mazzini neue Motivation zu gewinnen, seine Biblioteca Drammatica wiederzubeleben.435 In jedem Fall beschäftigt er sich erneut mit Werner und plant die 431 Vgl. Mazzini, Giuseppe: „Brief an Gaspare Ordoño de Rosales, 5.2.1836 (DCCXXIII)“, in: SEI, Bd. XI, Epistolario IV, Imola 1911, S. 232–235, hier S. 234. In diesem Brief äußert sich Mazzini auch zu einer möglichen Übersetzung der „Erziehung des Menschengeschlechts“ Lessings, für die er zunächst Bettini gewinnen will, die jedoch nicht umgesetzt wird. Des Weiteren wird hier, wie im Falle Werners, Mazzinis Übersetzungsverständnis deutlich: „Ho ricevuto il libro SaintSimonien ch’io non conoscevo prima, e dove infatti è il trattatello di educazione del Lessing – ma […] ciò ch’io cercavo era propriamente il Lessing tedesco – e se mai avessi detto francese, sono una bestia. – Volendo tradurlo, non mi fido ad alcuna traduzione: quindi necessità dell’originale. – Tengo a ogni modo per un corriere ancora il francese, per notar certi passi, ma insisto, se tu mai trovassi il tedesco.“ (Ebd., hier S. 232.) L. Ordoño Rosales datiert den Brief auf den 5.2.1835, also auf ein Jahr früher als die Herausgeber der Edizione Nazionale. Da Mazzini hier aber bereits über den Druck des ersten Bands der Biblioteca Drammatica schreibt und der „Chatterton“ erst am 12.2.1835 uraufgeführt wird, kann die Datierung Rosales’ nicht zutreffen (vgl. Mazzini, Giuseppe: „Brief an Gaspare Rosales, 5.2.1835“, in: Rosales, Lettere inedite, S. 30 ff.; sowie Mazzini, „Brief an den Sohn, 18.2.1836“, in: SEI, Lettere a Giuseppe Mazzini, Bd. I, S. 191). 432 Vgl. Commissione per l’Edizione Nazionale, „Introduzione“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. LV; sowie Gabbani, L’Italiano, S. 234. 433 Einleitung zu Mazzini, Giuseppe: „Della fatalità considerata com’elemento drammatico“, in: L’Italiano 3 (1836), S. 143–160, hier S. 143. Vgl. auch Commissione per l’Edizione Nazionale, „Introduzione“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. XXIX; sowie Gabbani, L’Italiano, S. 73, S. 234. 434 Mazzini, Giuseppe: „Brief an Luigi Amedeo Melegari, August 1936 (DCCCXVII)“, in: SEI, Bd. XII, Epistolario V, Imola 1912, S. 80–84, hier S. 84. 435 Mazzini benennt sein Projekt in der sich anschließenden Korrespondenz nicht mehr explizit mit diesem Terminus. Der Einfachheit und Übersichtlichkeit halber wird dieser im Rahmen der vor-

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Veröffentlichung des Bands zu „Der vierundzwanzigste Februar“ in Paris. Er bittet Rosales im August 1836 zusätzlich um die Übersetzung eines Teils aus dem Prolog der „Mutter der Makkabäer“ und macht zugleich auf die Schwierigkeiten des Wernerschen Stils sowohl aus reinen Verständnisgründen als auch aus translatorischer Sicht aufmerksam: Un tempo m’hai fatto aver la Madre de’ Maccabei del Werner – io l’ho resa – ma non ho potuto allora farne quell’uso che ne volevo – ed era questo. – V’è in cima una poesia alla madre. – A me questa poesia importerebbe averla tradotta – perché è l’unica cosa che mi manchi a completare un volumetto da stamparsi a Parigi, e che forse potrà fruttare qualche cosa. Allora, Ugoni436 o Passerini437 m’avevan fatto sperare di tradurla – poi, o non piacque loro, o confusero, per mia colpa, colla prefazione, che è in prosa, e non val niente – sicché ricusarono. – Io ti direi: cerca il volumetto e tentane tu per me la traduzione – bensì, come che io m’abbia opinione del tuo saper tedesco, t’avverto ch’è difficile, misteriosa, intricata assai – come tutte le cose di Werner – ma forse, o consigliandoti col tuo maestro, o con altri, potresti rendermi questo servizio. – Se puoi, fallo.438

Mazzini widmet sich der Wiederaufnahme der Biblioteca Drammatica mit neuem Engagement und Eifer. Der geplante Band zu Werners „Der vierundzwanzigste Februar“ bildet für Mazzini den Beginn seines Neuversuchs, in dessen Kontext er sich nun tatsächlich vor allem der Besprechung deutsch- und englischsprachiger Werke widmen will. Er schreibt im September 1836 erneut an Rosales und erläutert ihm mit präzisen Anweisungen sowie Beispielen seine Vorstellungen hinsichtlich Aufbau, Gestaltung sowie Typografie der Biblioteca Drammatica, wobei er wie beim „Chatterton“ höchste Genauigkeit verlangt, und hebt – wie bei dem ersten Versuch der Umsetzung der Dramenreihe – Bedeutung und Erfolg des ersten Bands für die Fortführung des gesamten literarischen Bildungsprojekts hervor: L’edizione deve essere bella; e giova sacrificare qualche cosa di più, perché dal primo dipende ogni cosa, ed è necessario che le nostre dame la comprino. L’edizione dovrebbe assomigliare a liegenden Untersuchung jedoch beibehalten. Vgl. hierzu Kapitel 3.2 der vorliegenden Arbeit. 436 Camillo Ugoni (1784–1855), ein Vertrauter Ugo Foscolos, arbeitet als Literaturhistoriker und Übersetzer. Er überträgt etwa 1824 die von Foscolo ein Jahr zuvor in London veröffentlichten „Essays on Petrarch“ ins Italienische und wird deshalb für Mazzini ein wichtiger Ansprechpartner im Rahmen seines Foscolianischen Translationsprojekts (vgl. Kapitel 2.2.2, Fußnote 142 der vorliegenden Arbeit). 437 Giovanni Battista Passerini (1793–1864), früher Patriot und Anti-Habsburger, verbringt lange Zeit im Exil in Frankreich, England, Belgien, Deutschland und der Schweiz. Er arbeitet für Schweizer Druckereien, unter anderem Ruggia, und übersetzt etwa Hegel und Cousin ins Italienische. 438 Mazzini, Giuseppe: „Brief an Gaspare Ordoño de Rosales, August 1836 (DCCCXVI)“, in: SEI, Bd. XII, Epistolario V, Imola 1912, S. 77–80, hier S. 78. Im Werner-Band, der schließlich als „Saggio sulla letteratura europea degli ultimi cinquant’anni“ erscheint, beinhalten die „Cenni su Werner“ einen Anhang mit einer fragmentarischen Übersetzung des Prologs der „Mutter der Makkabäer“. Mazzini weist jedoch darauf hin, dass es sich nicht um eine treue Übersetzung handele, sondern diese der Veranschaulichung von Werners schwer verständlichem Stil diene. Ob die Übersetzung von Rosales stammt, wird nicht vermerkt; aufgrund der Korrespondenz gehe ich jedoch davon aus, dass Rosales seinem Freund den gewünschten Gefallen tut.

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quella del libro di Ugoni, su Pecchio,439 quanto al formato, legatura e coperta – forse un tantino di più in lunghezza di pagine non sarebbe male – o almeno converrebbe stampare in modo che i margini, superiore ed inferiore, fossero un po’ più spaziosi: l’occhio v’insegnerà l’estetica della cosa: la carta avrebbe ad essere un tantino più bianca: quanto a caratteri, o s’adottano, pel dramma, più piccoli, ed allora le linee non hanno ad essere serrate, ma abbastanza discoste, o s’adottano quei del libro di Ug[oni], e allora, e in ogni caso – bisogna usare le seguenti avvertenze: nel dramma, per intenzione espressa del traduttore, non ha da essere impiegato mai carattere corsivo: i nome [sic!] dei personaggi, ben inteso, non debbono essere in carattere siffatti: l’azione, i moti, etc. devono stamparsi a caratteri minuti, ma non corsivi, in mezze linee, e a certa distanza dal dialogo. […] V’ha da essere esattezza e correzione quanto può aversene. Il discorso preliminare ha da essere in un carattere, o più grande o più piccolo, come vi parrà: ma diverso dal dramma – i Cenni sulla vita, io li porrei dopo il dramma, come nel Chatterton parigino — e allora, se il discorso è in caratteri grandi, i Cenni hanno da essere in altri. Gli intervalli accennati nel manoscritto debbono essere serbati nella stampa. – Quando, come ne’ Cenni, occorrono brani citati, virgolati – devono essere posti in caratteri diversi, più piccoli del manoscritto.440

Mazzini erwähnt darüber hinaus – ebenfalls in seiner Korrespondenz mit Rosales – zum ersten Mal, dass Italien als Vorreiter für die Begründung eines sozialen Zeitalters fungieren soll. Diese Führungsrolle geht für ihn auf die Erneuerung des Landes in diversen Bereichen zurück, die wiederum durch sein literarisches Bildungsprogramm gelingen soll.441 In diesem Zusammenhang drängt er nochmals auf eine baldige Veröffentlichung des Werner-Bands.442 Schließlich schickt er Rosales das fertige Manuskript des Bands zu „Der vierundzwanzigste Februar“ nach Zürich und hofft, dass der Freund es dort drucken lassen kann. Für die Verbreitung in Italien spielt dagegen die Tipografia Ruggia in Lugano eine wesentliche Rolle.443 Mazzini zählt auf die Mitarbeit seiner Freunde und seine weitreichenden Beziehungen, um die Reihe zum Erfolg zu führen. Für die Verwirklichung seines Neuversuchs hofft er nicht nur auf Hilfe bei Übersetzungen, sondern erwartet auch Unterstützung bei der Recherchearbeit für die literaturkritischen Aufsätze der Literatursammlung.444 Allerdings bereitet ihm die Finanzierung des Projekts Sorgen, weil er nicht davon ausgeht, dass Ruggia den Druck übernehmen wird. Er selbst könne seinen Beitrag leisten, so Mazzini, aber nicht für das gesamte Projekt aufkommen. Auch diesbezüglich bittet er Rosales um Hilfe.445 Trotz der bislang nicht gesicherten Finanzierung nimmt Mazzini darüber hinaus die Idee zur Publikation einer ins Italienische übersetzten Gesamtausgabe 439 Hierbei handelt es sich um Camillo Ugonis „Vita e scritti di Giuseppe Pecchio“ (1836). 440 Mazzini, Giuseppe: „Brief an Gaspare Ordoño de Rosales, September 1836 (DCCCXXXIV)“, S. 143–149, hier S. 144 f. Vgl. auch Mazzini, Giuseppe: „Brief an Gaspare Ordoño de Rosales, September 1836 (DCCCXXVII)“, S. 111–120, hier S. 116 f.; beide in: SEI, Bd. XII, Epistolario V, Imola 1912. Vgl. hierzu auch Limentani, „Un’idea prediletta (2)“, in: Il Pensiero Mazziniano 12 (1949), hier S. 5. 441 Vgl. Mazzini, „Brief an Rosales, September 1836“, in: SEI, Bd. XII, Epistolario V, hier S. 145 f. 442 Vgl. ebd., hier S. 148. 443 Vgl. ebd., hier S. 144. 444 Vgl. Mazzini, „Brief an Rosales, September 1836“, in: SEI, Bd. XII, Epistolario V, hier S. 118 f. 445 Vgl. ebd., hier S. 119.

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Schillers im Rahmen der Biblioteca Drammatica wieder auf. Außerdem äußert er sich – erneut gegenüber Rosales – erstmals zu der Möglichkeit, dass auch Übersetzungen der nur auf Englisch erschienenen Aufsätze Foscolos ins Italienische in seine erweiterte literaturkritische Reihe aufgenommen werden könnten: […] mi pare la più importante e profittevole – una edizione completa dell’opere drammatiche di Schiller. – Sai che l’edizione del Ferrario446 è esaurita – poi non sono che sei – manca la trilogia del Wallenstein – manca Amore e Raggiro – i Masnadieri, perché non si pone in calcolo la traduzione di Peri – ed altra piccola cosa. – Si prefìggerebbe una vita – e ad ogni pièce discorsi originali, e frammenti dei migliori critici tedeschi, francesi, inglesi, etc. – insomma, una edizione che fosse un’opera di critica letteraria a un tempo. Cosi pure, se non si intraprenderà da nessuna parte questa edizione dell’opere – le cose inglesi del Foscolo, tradotte in tre volumi – e via così.447

Auf der Suche nach Unterstützung wendet sich Mazzini an den italienischen Übersetzer des ersten „Faust“-Teils, Giovita Scalvini, um ihn für die Dramenreihe zu gewinnen, und bittet ihn um Erlaubnis, dessen Übersetzung eine genuin italienische Literaturkritik beifügen zu dürfen:448 L’altro è che vogliate, se mandate il Faust, dirmi francamente se stampandolo io potrei prefiggere uno scritto critico sul concetto generatore dell’opera, sull’idea di che il Faust è, o parmi, simbolo. […] vorrei pure, curandone la ristampa, sostituire qualche cosa d’italiano a quei cenni che il Silvestri ha cavato dalla Rivista straniera: perché mendicare dall’estero anche la critica mi par troppo. Né io, se rimanete, avrò difficoltà di mandarvi il discorso, perché vediate se può stare colla vostra traduzione o se v’incresce.449

Mazzini nutzt seinen Brief, um Scalvini das Konzept und den Zweck der Biblioteca Drammatica zur Begründung einer neuen italienischen, aber europäisch ausgerichteten Literatur zu erläutern.450 In diesem Kontext führt er die Relevanz des „Faust“ für seine Dramensammlung an und schlägt Scalvini die Übersetzung des „Faust II“ vor. Er habe zwar gehört, dass der zweite Teil von Goethes Werk bei der deutschen Literaturkritik nicht sonderlich beliebt sei, vertraue diesem Urteil allerdings nicht.451 Zudem fragt er seinen Korrespondenzpartner nach weiteren Übersetzungen aus dem Deutschen, die er oder andere Kenner angefertigt 446 Vgl. Kapitel 3.3.2, Fußnote 308 der vorliegenden Arbeit. 447 Mazzini, „Brief an Rosales, September 1836“, in: SEI, Bd. XII, Epistolario V, hier S. 118. 448 Im Hinblick auf die Nützlichkeit eines genuin italienischen Kommentars zur „Faust“-Übersetzung Scalvinis vgl. auch Mazzini, Giuseppe: „Brief an Gaspare Ordoño de Rosales de Rosales, 6.6.1835“, in: Rosales, Lettere inedite, S. 45: „Ho ricevuto la tua lettera – il Fausto etc. – Ringrazio molto Ugoni: rimanderò il Faust tra giorni – anche a me pareva che in un’edizione italiano del Fausto un discorso preliminare originale fosse miglior cosa, che l’andare a caccia d’articolo stranieri – tanto più che Scalvini è tale da far bene assai.“ Siehe auch Kapitel 2.2.2 der vorliegenden Arbeit. 449 Mazzini, Giuseppe: „Brief an Giovita Scalvini, Oktober 1836 (DCCCXXXVI)“, in: SEI, Bd. XII, Epistolario V, Imola 1912, S. 150–155, hier S. 152 f. 450 Vgl. ebd., hier S. 153, S. 154. 451 Mazzini steht Scalvinis Übersetzungen jedoch durchaus kritisch gegenüber und bittet ihn lediglich um die Übersetzung von „Faust II“, weil er bereits den ersten Teil ins Italienische übertragen hat (vgl. Mazzini, „Brief an Rosales, September 1836“, in: SEI, Bd. XII, Epistolario V, hier S. 146).

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haben und die im Rahmen der Biblioteca Drammatica publiziert werden könnten.452 Auch wenn Mazzini aufgrund der für ihn gefährlich gewordenen Lage in der Schweiz diese Ende des Jahres 1836 in Richtung England verlassen muss,453 gibt er die „[…] probabilità di vedere effettuato un disegno che egli perseguiva con tanta tenacia di propositi“454 nicht auf. Kurz vor seinem Aufbruch nach London – nach seiner Flucht aus der Schweiz über Frankreich kommt er am 13.1.1837 schließlich in der englischen Hauptstadt an – erreicht Mazzini die Nachricht, dass sein Werner-Manuskript sich nun in Paris befindet. Er hofft, dort einen italienischen Verleger für den Band zu gewinnen, fordert gleichzeitig aber Rosales dazu auf, den Kontakt zu Ruggia aufrechtzuerhalten, um sich eine möglichst aussichtsreiche Ausganglage für den Absatz in Italien zu sichern.455 Anfang des Jahres 1837 – nun in London – wendet sich Mazzini mit der Bitte um Unterstützung für die Biblioteca Drammatica an Enrico Mayer in Livorno. Er erläutert erneut Konzept und Ziel des Projekts, als […] una collezione di cose straniere, e sussidiariamente, anche nostre, tradotte, quanto si può per noi, fedelmente e con istudio di stile; ma corredate ad una ad una [sic!] di tali lavori critico-filosofici intorno agli scrittori e all’opera loro e alle tendenze ch’essi rappresentano, che, per l’unità dell’idea e l’incatenamento delle formole letterarie e la copia delle notizie di fatto, vengano a costituire un’opera – una specie di corso di letteratura teorico-pratico, in cui l’insegnamento s’avvicendi cogli esempi.456

Darüber hinaus erwähnt Mazzini, dass der erste Band in Paris zum Druck bereit liege, jedoch aufgrund seiner eigenen prekären, finanziellen Lage – möglichst 452 Vgl. Mazzini, „Brief an Scalvini, Oktober 1836“, in: SEI, Bd. XII, Epistolario V, hier S. 153 f. Es gibt jedoch keinen Hinweis auf eine sich an den Brief anschließende Zusammenarbeit zwischen Mazzini und Scalvini im Rahmen der Biblioteca Drammatica. 453 Vgl. Kapitel 2.1 der vorliegenden Arbeit. 454 Commissione per l’Edizione Nazionale, „Introduzione“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. XXXIV. 455 Vgl. Mazzini, Giuseppe: „Brief an Gaspare Ordoño de Rosales, Dezember 1836 (DCCCLXIII)“, in: SEI, Bd. XII, Epistolario V, Imola 1912, S. 256–257, hier S. 257. Das gesichtete Material lässt keinen Schluss auf die Identität des potenziellen Pariser Verlegers zu; das für die französische Hauptstadt vorgesehene Projekt scheitert (vgl. Commissione per l’Edizione Nazionale, „Introduzione“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. XXXV). 456 Mazzini, „Brief an Mayer, 26.1.1837“, in: SEI, Bd. XII, Epistolario V, hier S. 294. Ende 1836 hat Mazzini eine weitere Idee bezüglich einer transnationalen Literaturreihe, die er als Biblioteca dei Proscritti betitelt und die er ebenfalls in Paris umzusetzen intendiert. Hierbei referiert er auf sein Konzept der Giovine Europa sowie deren Gründungsländer Italien, Deutschland und Polen, die er als die Kerne dreier europäischer Familien ansieht. In der neuen Literaturreihe will er wesentliche Werke aus den drei genannten Ländern veröffentlicht sehen (vgl. Mazzini, Giuseppe: „Brief an Luigi Amedeo Melegari, November 1836 [DCCCLV]“, in: SEI, Bd. XII, Epistolario V, Imola 1912, S. 229–233, hier S. 230 ff.; sowie Limentani, „Un’idea prediletta [2]“, in: Il Pensiero Mazziniano 12 [1949], hier S. 5). Ob die für die Biblioteca dei Proscritti ausgewählten Texte ins Italienische oder in die jeweils anderen beiden Fremdsprachen übersetzt werden sollen, erläutert Mazzini nicht. Darüber hinaus gibt es außer in dem genannten Brief an Melegari keine weiteren Hinweise auf eine Weiterverfolgung dieses Literaturprojekts Mazzinis, sodass dieses als spontane und ebenso rasch wieder verworfene Idee zu bezeichnen ist.

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durch italienische Literaturliebhaber – finanziert werden müsse.457 Er unterbreitet Mayer – wie Rosales – seine Vorstellungen zu Typografie, preislicher Gestaltung und Subskribentenanwerbung. Um seinem Korrespondenzpartner zu demonstrieren, dass seinem Bildungsprogramm ein durchdachtes Konzept zugrundeliegt, äußert er sich auch zu den literarischen Werken, die übersetzt und kommentiert erscheinen sollen: L’edizione s’imprenderebbe con cura, gentilmente, con bei caratteri e bella carta, ma con un prezzo inferiore d’assai a quei che si usano a Parigi; per l’Italia insomma. E i lavori originali contenuti in ogni volume sarebbero scritti in modo da evitare a un tempo la possibilità della ristampa diretta a non impedire la libera circolazione. Oltre cose di Werner, Goethe, Oehlenschläger … Mulner458, Byron, etc., etc., si darebbe qualche cosa di letteratura orientale, un’edizione intera di Schiller, il cui Wallenstein non è tradotto finora. Vedi se puoi indurre qualcuno a promuovere una soscrizione di più azionisti, e scrivimene.459

Bis Mitte des Jahres 1837 finden sich keine weiteren Hinweise auf die Biblioteca Drammatica in der Korrespondenz Mazzinis. Erst am 6.6.1837 nimmt er das Thema in einem Brief an seine Mutter wieder auf. Die Idee eines Drucks in Paris oder Zürich scheint sich zerschlagen zu haben.460 Mazzini hofft nun, das Projekt in Brüssel umsetzen und dort auch das einleitende Manifest drucken lassen zu können. Finanziert werden soll die Dramenreihe nun – wie bereits in dem Brief an Mayer angedeutet – über Subskribenten in Italien, bei deren Anwerbung er seine Mutter um Hilfe bittet: Forse escirà in Bruxelles un manifestino di una collezione di cose straniere, tedesche e inglesi tradotte in italiano, e corredate di discorsi, vita, considerazioni, etc. originali italiane, per le quali mi converrà cercare soscrittori in Italia, e allora, come un tempo pel Chatterton, mi raccomanderò alle cure degli amici e di tutti voi. — Ve ne riparlerò.461

Im Juli 1837 gelingt es Mazzini, in Brüssel einen Vertrag mit einem Buchhändler abzuschließen, der die Reihe in seine Angebotspalette aufnehmen will.462 Mazzini beabsichtigt zunächst, sich mit der europäischen Literatur der Gegenwart zu beschäftigen – und zwar mit dem Ziel „[to] correct their [the Italian] ignorance of European literature by translating into Italian the best books of the previous fifty years,“463 wie es Mazzini-Biograf Mack Smith formuliert –, hofft aber, nach dem Erfolg der ersten zwölf Bände, diesen Rahmen um andere Kulturkreise erweitern 457 Vgl. Mazzini, „Brief an Mayer, 26.1.1837“, in: SEI, Bd. XII, Epistolario V, hier S. 294 f. 458 Gemeint ist Adolph Müllner. Agostino Ruffini übersetzt auch Müllners Trauerspiel „Die Schuld“, deren erster Akt in der fünften Ausgabe des Italiano im Jahr 1836 erscheint (vgl. Mazzini, Giuseppe: „Brief an Anne Courvoisier, August 1836 [121]“, in: SEI, Appendice, Epistolario II, Imola 1938, S. 55–58, hier S. 58 sowie S. 58, Fußnote 1). 459 Mazzini, „Brief an Enrico Mayer, 26.1.1837“, in: SEI, Bd. XII, Epistolario V, hier S. 295. 460 Vgl. ebd., hier S. 295, Fußnote 1. 461 Mazzini, Giuseppe: „Brief an die Mutter, 6.6.1837 (M)“, in: SEI, Bd. XIV, Epistolario VI, Imola 1912, S. 19–24, hier S. 23. 462 Das gesichtete Material gibt keinen Aufschluss darüber, um welchen Buchhändler es sich handelt. 463 Mack Smith, Mazzini, S. 22.

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zu können. Wie bereits zuvor geplant, soll ein entsprechendes Manifest die Dramensammlung ankündigen, verorten und erläutern.464 Die Finanzierung bleibt die Achillesferse des Projekts, denn der genannte Buchhändler in Brüssel lehnt es ab, das Risiko für ein etwaiges Scheitern der Dramenreihe zu tragen. Mazzini muss folglich seine Hoffnung auf einen finanziellen Profit bereits durch den ersten Band seiner Sammlung aufgeben. Dennoch zeigt er sich optimistisch, dass sein Verdienst sich mit dem Erfolg der Serie erhöhen wird. Die Veröffentlichung des Werner-Bands wird auf August 1837 terminiert. Seine Familie und Bettini in Genua bittet Mazzini um Unterstützung beim Vertrieb des Buchs in Italien.465 Jedoch werden weder Manifest noch der Band zu Werner pünktlich geliefert.466 Mazzini hofft trotzdem weiterhin, dass der erste Band der Reihe sich in Brüssel mittlerweile im Druck befindet. Allerdings wird sein Ursprungsvorhaben dahingehend geändert, dass das Manifest nicht gesondert und vorangestellt publiziert, sondern zusammen mit dem Band erscheinen soll. Zudem zerschlägt sich die Idee, eine fortschreitende Reihe in Brüssel drucken zu lassen. Mazzini erklärt dies damit, dass es dort nicht üblich sei, langfristige Verträge zu schließen, sondern der (Miss-)Erfolg eines jeden Bands über den Fortgang einer mit Blick auf die Zukunft konzipierten Sammlung – und damit auch deren finanziellen Profit – entscheide.467 Mazzini bittet in der Folgezeit verstärkt um Unterstützung in seiner Heimat. Diese betrifft nicht nur den Absatz des Buchs selbst, sondern darüber hinaus dessen Besprechung in gängigen Literaturzeitschriften. Wenn eine Weiterführung der Reihe gesichert werden könne, biete dies zum einem italienischen Exilanten ein Betätigungsfeld.468 Zum anderen bedürfe es deren Fortsetzung, um die (vorgesehene) Bildung der italienischen Jugend durch eine innovative, engagierte Literaturkritik gewährleisten zu können. An seine Mutter schreibt er am 17.8.1837: Pero, è da desiderarsi, che si venda il maggior numero di copie possibile, e che gli amici si diano attorno per farne comprare: sarebbe anche a desiderare che, trattandosi di cosa letteraria, i giornali ne dicessero qualche cosa, per esempio il Subalpino o altri. E quando il volumetto sarà stampato, gioverà forse che alcuno se n’occupi. Occupandosene, gli amici faranno una buona azione, perché se la cosa va, più esuli che hanno bisogno, potranno trovar lavoro ne’ seguenti volumi: poi, anche non pensando che all’educazione letteraria della nostra gioventù, è deside464 Vgl. Mazzini, Giuseppe: „Brief an die Mutter, 14.7.1837 (MVI)“, in: SEI, Bd. XIV, Epistolario VI, Imola 1912, S. 44–48, hier S. 45. 465 Vgl. ebd., hier S. 45 f., Bettini, Filippo: „Brief an Giuseppe Mazzini, 27.7.1837 (187)“, S. 410 f.; sowie Mazzini, Maria: „Brief an den Sohn, 27.7.1837 (187)“, S. 411; beide in: SEI, Lettere a Giuseppe Mazzini, Bd. II. 466 Vgl. Mazzini, Giuseppe: „Brief an die Mutter, 9.8.1837 (MIX)“, in: SEI, Bd. XIV, Epistolario VI, Imola 1912, S. 56–61, hier S. 58. 467 Vgl. Mazzini, Giuseppe: „Brief an die Mutter, 17.8.1837 (MX)“, in: SEI, Bd. XIV, Epistolario VI, Imola 1912, S. 61–66, hier S. 62 f. 468 Mazzini selbst hält sich in London durch Artikel, die er für die dortige Presse schreibt, über Wasser. Andere Mitstreiter arbeiten als Italienischlehrer. Viele Exilanten haben jedoch keine entsprechende Möglichkeit, einer bezahlten Tätigkeit nachzugehen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen.

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rabile continui; un volume o due non possono giovare; dieci, o venti possono, perché possono dare un insieme di critica letteraria che manca ancora tra noi. E quando escirà, ne riparleremo.469

Ende August 1837 läuft der Druck des Bands schließlich tatsächlich an – so zumindest Mazzinis Kenntnisstand. Allerdings beabsichtigt genannter Verleger Mazzinis und Ruffinis Identität mit der Publikation zu offenbaren, was Mazzini unter Verweis auf die Zensur und seine Person rigoros ablehnen muss, um eine Verbreitung des Buchs in Italien nicht zu gefährden: Quel tal libretto di Bruxelles si stampa benissimo: ma al libraio è venuta in testa una pazza idea di voler mettere i nomi; or, figuratevi, se non è un rovinar l’impresa sul bel principio! Eccettuata la Toscana, qual parte d’Italia potrebbe riceverne? Farò tutto il possibile per isvolgerlo: poi vedremo.470

Allerdings erhält Mazzini bis Mitte September 1837 keine weitere Nachricht aus Brüssel; dies ist in seinem Brief an seine Mutter vom 15.9.1837 allerdings auch die einzige Notiz bezüglich des Projekts.471 Am 23.9.1837 lässt er Maria Mazzini wissen, dass von dem Buchhändler direkt weiterhin jede Mitteilung fehle, er jedoch auf Umwegen erfahren habe, dass der geplante Band sich nun endlich im Druck befinde. Allerdings entzieht es sich der Kenntnis Mazzinis, ob dieser nun anonym oder unter Nennung der Autoren veröffentlicht werden soll.472 Ebenfalls am 23.9.1837 kündigt Mazzini Lisette Mandrot den Druck des Werner-Bands an und legt ihr dessen Rezeption trotz der Veröffentlichung auf Italienisch und etwaiger Verständnisschwierigkeiten ans Herz: Il s’imprime, je crois, en ce moment quelque chose de nous à Bruxelles, dont vous recevrez un exemplaire. Ce sont un volume de Contes par Usiglio473 – et un petit volume qui contient une traduction du 24 février de Werner par Augustin, une assez longue vie de Werner par moi, et un Discours sur la Fatalité dans le Drame également par moi. Tout cela est en italien; mais j’ai pensé que notre langue n’est pas étrangère dans votre famille. Les Contes sont écrits d’un style extrêmement clair et simple; mon Discours ne l’est pas; la matière m’en empêchait; mais la vie de Werner l’est plus, et je l’aime plus moi-même; car j’y ai glissé – quoique très voilé, car le volume est fait pour l’Italie – quelques-uns de mes pressentimens les plus chers.474

469 Mazzini, „Brief an die Mutter, 17.8.1837“, in: SEI, Bd. XIV, Epistolario VI, hier S. 63. 470 Mazzini, Giuseppe: „Brief an die Mutter, 25. oder 26.8.1837 (MXII)“, in: SEI, Bd. XIV, Epistolario VI, Imola 1912, S. 72–75, hier S. 74. Vgl. auch Ruffini, Agostino: „Brief an die Mutter, 25.8.1837“, in: Cagnacci, Lettere raccolte e annotate, S. 187: „La traduzione di un piccolo dramma tedesco con una disertazione su la fatalità drammatica e la vita di Werner, venduti … 150 franchi!“ Vgl. zur Problematik um Mazzinis Namen bei der Veröffentlichung und Besprechung der Biblioteca Drammatica auch Mazzini, Maria: „Brief an den Sohn, 4.9.1837 (192)“, in: SEI, Lettere a Giuseppe Mazzini, Bd. II, S. 427. 471 Vgl. Mazzini, Giuseppe: „Brief an die Mutter, 15.9.1837 (MXV)“, in: SEI, Bd. XIV, Epistolario VI, Imola 1912, S. 85–90, hier S. 88. 472 Vgl. Mazzini, Giuseppe: „Brief an die Mutter, 23.9.1837 (MXVII)“, in: SEI, Bd. XIV, Epistolario VI, Imola 1912, S. 100–105, hier S. 101. 473 Hierbei handelt es um den Band „La donna, racconti semplici“ Angelo Usiglios. 474 Mazzini, Giuseppe: „Brief an Lisette Mandrot, 23.9.1837 (MXVI)“, in: SEI, Bd. XIV, Epistolario VI, Imola 1912, S. 90–100, hier S. 96 f.

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Im Oktober 1837 hat sich Mazzini schließlich mit seinem Wunsch einer anonymen Veröffentlichung durchgesetzt, wie er seiner Mutter berichtet.475 Deshalb hält er auch den geplanten Verkauf in Italien für relativ unproblematisch und appelliert erneut an Familie sowie Freunde vor Ort, das Buch entsprechend zu bewerben. Der erste Band genüge nicht für eine Beurteilung der Biblioteca Drammatica als umfassendes Projekt, einleitende sowie erläuternde Bemerkungen der Herausgeber zu Beginn der Werner-Ausgabe zeigen jedoch deren Idee und Nutzen auf:476 Tra pochi giorni dovrebb’essere stampato quel volumetto a Bruxelles: e quel ch’è più, senza il nome, sicché non sarà difficile la circolazione ed io quindi rinnovo le mie istanze, perché gli amici ne favoriscano lo smercio, non solamente dove siete, ma in Torino. Se i librai d’Italia diranno a quel di Bruxelles: mandate pure, perché si sono vendute le copie, egli verrà incoraggito a continuare: e quanto a noi, oltre quel tanto di vantaggio materiale, sarà grato poter continuare, anche per l’utile che può venirne all’educazione letteraria. È impossibile dal primo volumetto, che non è se non un semplice Saggio, giudicare della cosa: ma – e queste osservazioni io le fo per Filippo – dalle poche linee d’avviso degli Editori e dal resto si può già dedurre il piano generale, e l’utilità che verrebbe dal complesso. La prima serie si starebbe nei cinquanta ultimi anni; ma se mi fosse dato condurla a termine, se ne imprenderebbe un’altra che risalirebbe alle sorgenti di tutte le straniere Letterature.477

Anfang November 1837 kündigt Mazzini seiner Mutter an, die Biblioteca Drammatica in jedem Fall weiterführen zu wollen – auch wenn die Publikation des Werner-Bands in Brüssel weiterhin auf sich warten lässt. Er könne sein Bildungsprojekt allerdings nur langsamer vorantreiben, als er es sich wünsche, weil er sich auch (finanziell) einträglicheren Tätigkeiten widmen müsse. Dennoch beabsichtigt Mazzini, die literaturkritischen Kommentare weiterhin selbst zu verfassen. Für die zu besprechenden Texte sucht er allerdings „politisch korrekte“ Übersetzer.478 So sieht er etwa seinen Freund Giuseppe Elia Benza479 als einen der Übersetzer aus dem Englischen vor, da dieser stets als treuer Demokrat und Republikaner aufgetreten sei.480 Benza solle den ersten Band der Reihe konsultieren, um sich deren 475 Vgl. Mazzini, Maria: „Brief an den Sohn, 30.10.1837 (197)“, in: SEI, Lettere a Giuseppe Mazzini, Bd. II, S. 445. 476 Vgl. Anonym (Mazzini, Giuseppe/Ruffini, Agostino): Saggio sulla letteratura europea degli ultimi cinquant’anni. Letteratura alemanna, Brüssel 1838, S. VII–X. 477 Mazzini, Giuseppe: „Brief an die Mutter, 17.10.1837 (MXX)“, in: SEI, Bd. XIV, Epistolario VI, Imola 1912, S. 117–124, hier S. 121. 478 Vgl. Mazzini, „Brief an die Mutter, 5.11.1837“, in: SEI, Bd. XIV, Epistolario VI, hier S. 141. 479 Mazzini selbst bezeichnet Benza als einen „fratello di cuore“ (Mazzini, „Quaderno V“, in: SEI, Zibaldone Giovanile, Bd. III, S. 91). Benza teilt Mazzinis Auffassung im Hinblick auf eine Öffnung der italienischen Literatur für ausländische Innovationen zur Begründung einer eigenen Nationalliteratur, die aber keine reine Imitation sein dürfe, sondern eine Annäherung und reflektierte Aneignung erfordere, sowie dessen positive Haltung gegenüber Schiller (vgl. Codignola, „La giovinezza di G. Mazzini“, in: ders., I fratelli Ruffini, Bd. I, S. LIX ff.). Vgl. hierzu auch Sagramola, Mazzini nel Risorgimento italiano, S. 44, S. 109. 480 Durch diese Argumentation und Auswahlkriterien für einen „politisch korrekten“ Übersetzer im Mazzinianischen Sinne manifestiert sich erneut die unauflösliche Verbindung von Literatur bzw. Kunst und Politik im Denken und Handeln Mazzinis.

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Konzept anzueignen und an deren Verwirklichung mitarbeiten zu können – auch wenn Mazzini um den in Italien sehr schwierigen Zugang zu der entsprechenden Originalliteratur weiß. Angesichts der bevorstehenden Veröffentlichung greift Mazzini darüber hinaus euphorisch seine ursprüngliche Idee einer umfassenden Publikation der Werke Byrons, Goethes und Schillers im Rahmen der Biblioteca Drammatica wieder auf.481 Am 18.11.1837 berichtet Mazzini seiner Mutter jedoch von einer weiteren Verzögerung bei der Veröffentlichung des Bands zu „Der vierundzwanzigste Februar“. Aufgrund dieses Aufschubs überlegt er nun, Übersetzung, Kommentar und Biografie um einen weiteren Aufsatz zu erweitern, um seinen Band so interessanter zu gestalten.482 Ende November 1837 erklärt Mazzini das Projekt in Brüssel wegen des Verhaltens des dortigen Verlegers allerdings für gescheitert. Dies bedeutet für ihn aber keineswegs das Ende der Biblioteca Drammatica an sich; stattdesssen trägt er sich nun mit dem Gedanken, diese nach eigenen Vorstellungen und auf eigene Kosten – eventuell in Paris – herauszugeben. Am 27.11.1837 schreibt Mazzini an seine Mutter: Ora aspettiamo questo benedetto Saggio di Bruxelles: se dopo questo, potrò capire che la Collezione abbia probabilità di riescire, io penso seguire altro piano. Coi librai di Bruxelles è impossibile proseguire: sono ladri a un punto che fa spavento. Io vorrei, nel caso, fare una Collezione importante: sicché darei un secondo manifestino che annuncerebbe i cangiamenti: luogo di stampa che sarebbe forse Parigi: dimensioni dei volumi che sarebbero più grandi, etc. Farei stampare per conto mio, pagando la stampa e smerciando io stesso l’edizione. Se ciò avrà luogo, cioè se avrò speranza d’avere associati, e se avrò tanto danaro da poter pagare la stampa del primo volume, parleremo d’ogni cosa.483

Mazzinis Mutter zeigt sich skeptisch in Bezug auf einen Druck sowie eine Herausgabe auf eigene Kosten in Paris – auch wenn sie ihrem Sohn wie stets Unterstützung bei der Realisierung seiner Ideen zusagt: Quanto alla nuova idea di fare il negozio per proprio conto è cosa da ben ponderarsi come pur tuo padre m’inculca dirti, dacché bisogna credere che in tutti i paesi quella classe è tutta ladra e quindi sia in Francia come in ogni altro sito saranno sempre ladri ed il meglio sembrerebbe di vendere la propria mercanzia a danari contanti, come scorgesi che i più l’usarono, e non darsi 481 Vgl. Mazzini, „Brief an die Mutter, 5.11.1837“, in: SEI, Bd. XIV, Epistolario VI, hier S. 141 f. 482 Vgl. Mazzini, Giuseppe: „Brief an die Mutter, 18.11.1837 (MXXV)“, in: SEI, Bd. XIV, Epistolario VI, Imola 1912, S. 149–157, hier S. 151 f. Bei dem genannten, ergänzenden Aufsatz handelt es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um den „Saggio sulla letteratura europea degli ultimi cinquant’anni“, den Mazzini als Vorwort dem Aufsatz „Della fatalità considerata com’elemento drammatico“ sowie den „Cenni zu Werner“, die die Übersetzung von „Der vierundzwanzigste Februar“ begleiten, beifügen will. In der Folge spricht er auch vom „Saggio“, wenn er auf den Werner-Band rekurriert, der – wie im Folgenden noch dargestellt wird – schließlich unter diesem Titel erscheint, allerdings ohne den genannten, zusätzlichen Aufsatz, stattdessen jedoch mit einem kurzen Vorwort der Herausgeber (vgl. Mazzini/Ruffini, Saggio sulla letteratura europea; Mazzini, „Brief an die Mutter, 18.11.1837“, in: SEI, Bd. XIV, Epistolario VI, hier S. 152, Fußnote 1; sowie Mazzini, „Brief an Gabrini, 7.9.1846“, in: SEI, Appendice, Epistolario VI, hier S. 500). 483 Mazzini, Giuseppe: „Brief an die Mutter, 27.11.1837 (MXXVIII)“, in: SEI, Bd. XIV, Epistolario VI, Imola 1912, S. 170–174, hier S. 171.

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altri fastidi ed incorrendo vieppiù l’esser sacrificati nel proprio interesse dalle altrui ladronerie. Capisco pure che forse a Parigi avresti amici che veglierebbero a’ tuoi interessi, ma è sempre un azzardo a malgrado di questo il negozio in tal guisa. […] tu però siccome sei più provetto di noi in tali faccende e sei al caso di vederne da vicino le più o meno plausibilità, ripeto, pondera bene ogni cosa prima di risolvere ed abbi avvertenza esserti meglio (almen per ora) un po’ di minor lucro che ogni rischio che possa promettetelo maggiore. S’intende che me ne dirai in seguito come che risolvesti e siamo intesi.484

Ende des Jahres 1837 findet Mazzini schließlich einen neuen Verleger in Brüssel, mit dem er die Veröffentlichung des Werner-Bands für Januar 1838 vereinbart. Der Vertrag mit Louis Hauman485 deckt zumindest die Kosten für die Produktion, einschließlich des Materials sowie der Übersetzungen. Aufgrund seiner finanziellen Misere bleibt Mazzini eine Publikation auf eigene Kosten verwehrt, weshalb er die Vereinbarung mit Hauman zugunsten einer Teilverwirklichung seiner Biblioteca Drammatica akzeptiert. Im Dezember 1837 schreibt Mazzini an Enrico Mayer: Sicché non potendo stampare a Parigi o altrove per conto mio, come avrei voluto fare, ho dovuto cercare altra via. Un volumetto di saggio escirà, credo, su’ primi del mese entrante a Bruxelles, coi tipi dell’Hauman. Ma l’Hauman, uomo, libraio e israelita, fa il suo mestiere: mi offre dai 200 ai 300 franchi per volume; e se i compratori pioveranno a ritocco, dai 300 ai 400; sicché pagando le traduzioni – e traduzioni lunghe e difficili – detratte tutte le spese di libri e invii, a me rimarrà nulla o quasi. Né, trattandosi di lavoro per l’Italia, mi rincrescerebbe lavorare, come sempre, senz’utile alcuno; ma sono povero; povero come nessuno pensa: bisogna ch’io m’industri per vivere o cercando scrivere per alcune di queste Riviste, o cercando, se le mie idee non saranno accette, un impiego di correttore o d’altro in una stamperia; però la collezione andrà come Dio vorrà, non certo com’io intendeva. […] Che, s’io potessi ricevere dall’Italia qualche aiuto di collaborazione, qualche traduzione fatta con amore di cose tedesche o inglesi che potessero entrare nella collezione e che somministrassero argomento per la parte storico-critica che ogni volume dovrà contenere, sarebbe più che non oso sperare486

Die Veröffentlichung des „Saggio“ verzögert sich Ende des Jahres 1837 erneut, nun durch Hauman. Mazzini ist des Weiteren sehr unzufrieden mit der Qualität der bisher gedruckten Seiten.487 Dennoch wird Ende März 1838 schließlich der italienische Band zu Werners „Der vierundzwanzigste Februar“ von Hauman unter dem Titel „Saggio sulla letteratura europea degli ultimi cinquant’anni“ veröffentlicht. Dieser enthält ein Vorwort der Herausgeber, Mazzinis anonym erscheinende Aufsät484 Mazzini, Maria: „Brief an den Sohn, 8.12.1837 (200)“, in: SEI, Lettere a Giuseppe Mazzini, Bd. II, S. 455. 485 Es handelt sich hierbei um den Verlag Louis Hauman et Comp. in Brüssel. Im folgend zitierten Brief an Enrico Mayer vom Dezember 1837 taucht der Name des belgischen Verlags zum ersten Mal auf, sodass davon ausgegangen wird – und dies vorstehend auch so dargestellt wurde –, dass für den ersten Versuch einer Veröffentlichung des Werner-Bands in Brüssel die Zusammenarbeit mit einem anderen Verleger vorgesehen gewesen ist. 486 Mazzini, Giuseppe: „Brief an Enrico Mayer, Dezember 1837 (MXXXVIII)“, in: SEI, Bd. XIV, Epistolario VI, Imola 1912, S. 214–217, hier S. 214 f. Vgl. auch Mazzini, Giuseppe: „Brief an Lisette Mandrot, 28.12.1837 (MXXXVI)“, S. 201–212, hier S. 205; Mazzini, Giuseppe: „Brief an die Mutter, 12.1.1838 (MXLII)“, S. 240–243, hier S. 242; sowie Mazzini, Giuseppe: „Brief an Enrico Mayer, 22.1.1838 (MXLIII), S. 243–248, hier S. 244 f.; alle in: SEI, Bd. XIV, Epistolario VI, Imola 1912. 487 Vgl. Mazzini, „Brief an Mandrot, 28.12.1837“, in: SEI, Bd. XIV, Epistolario VI, hier S. 204 f.

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ze „Della fatalità considerata com’elemento drammatico“ sowie „Cenni su Werner“ und die italienische Übersetzung von „Der vierundzwanzigste Februar“ Agostino Ruffinis, im Buch mit „Traduzione di A. R.“ vermerkt. Die Biografie beinhaltet des Weiteren den Verweis auf fragmentarische Übersetzungen aus zwei Werken Werners, dem zweiten Teil der „Söhne des Thals – Die Kreuzesbrüder“ sowie aus „Die Mutter der Makkabäer“, die im Anhang des „Saggio“ zu finden sind. Bei dem Auszug aus den „Söhnen des Thals“ handelt es sich um eine religiöse Parabel über Phosphor, deren Übersetzung angesichts ihres Vorgehens und Stils wahrscheinlich von Agostino Ruffini stammt. Der Ausschnitt aus dem Prolog der „Mutter der Makkabäer“ ist Mazzinis Korrespondenz zufolge Rosales zuzuschreiben488 – wobei Mazzini darauf hinweist, dass die Übersetzung nicht wörtlich bzw. treu abgefasst wurde, sondern lediglich einen Eindruck von Werners schwer verständlichem Schreiben vermitteln soll: „Non s’è tradotto litteralmente: s’è cercato il senso sempre velato e difficile, tanto che rendesse idea dell’anima e dell’affetto di Werner.“489 Das nicht sehr umfangreiche, nicht einmal vier Seiten fassende Vorwort der Herausgeber besteht zu einem großen Teil aus einem Auszug aus Mazzinis Aufsatz „Del dramma storico“ (1830/31) und erläutert die Notwendigkeit von Übersetzungen im Kontext einer Erneuerung der italienischen Literatur über das bereits ausführlich dargestellte Programm Mazzinis. Darüber hinaus geht es auf das Konzept der Scuola Italiana ein, die nicht nur national orientiert sein dürfe, sondern europäisch ausgerichtet sein müsse, und stellt die Aufgabe der Literaturkritik hinsichtlich einer educazione vor – ebenfalls bereits im Rahmen der bisherigen Fallstudien diskutierte Thesen.490 Die Reihe, zu der der „Saggio“ gehöre, wolle Abhilfe schaffen durch eine systematische Besprechung wesentlicher Merkmale bisheriger Literaturepochen und einen Ausblick auf die Zukunft anhand von Beispielen. Dabei betont das Vorwort – wie Mazzini und die Ruffini-Brüder stets auch in ihrer Korrespondenz –, dass der Erfolg des (ersten) Bands über die Zukunft der Reihe entscheide: Se il divisamento riescisse, s’avrebbe un Corso di Letteratura applicata, dove s’intreccerebbero i principii ai fatti, le dottrine agli esempi, e d’onde escirebbe accertato il concetto che il secolo prescrive alla nuova Letteratura.491

Ob Mazzini selbst Einfluss auf die Übersetzung Agostino Ruffinis, die von ihm autorisiert und später auch gelobt wird,492 nimmt, ist aus den vorliegenden Quellen nicht final zu klären. Wie im Falle des „Chatterton“ handelt es sich bei „Il ventiquattro febbraio“ auf den ersten Blick um eine treue Übersetzung der Verse Werners in Prosa, wie 488 489 490 491 492

Vgl. Mazzini, „Brief an Rosales, August 1836“, in: SEI, Bd. XII, Epistolario V, hier S. 78. Mazzini/Ruffini, Saggio sulla letteratura europea, S. 169, Fußnote 1. Vgl. ebd., S. VIII f. Ebd., S. IX. Vgl. Mazzini, Giuseppe: „Brief an Eleonora Curlo Ruffini, 26.3.1839“, in: Cagnacci, Lettere raccolte e annotate, S. 430; sowie Mazzini, „Brief an Benza, 7.3.1839“, in: SEI, Bd. XV, Epistolario VII, hier S. 416.

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es Mazzini in seinem Aufsatz „Del dramma storico“ fordert.493 Es werden weder Änderungen an der Handlung vorgenommen noch fehlen Textpassagen, bis auf kurze Termini oder Halbsätze, die jedoch nicht handlungsprägend sind. Die Namen der Protagonisten werden nicht – wie beim „Chatterton“ – italianisiert, lediglich „Trude“ wird zu „Truda“. Dennoch handelt es sich bei der von Ruffini verwendeten Sprache um poetisches Italienisch. Er benutzt keine Verfremdungseffekte durch Germanismen oder überträgt durch Sprache evozierte Bilder streng ins Italienische. Außerdem ersetzt er deutsche Lieder in Reimform aus dem Drama in italienische Reime (dt. 56, 57, 59494 – it. 83/107, 108, 109495) und verwendet als italienische Variante des deutschen Sprichworts Wer A sagt, muß auch B / sagen (36) – Il più duro passo è quel della soglia; e cosa fatta, il tempo la governa. (82) Darüber hinaus nutzt Ruffini selbst rhetorische Mittel; insbesondere Anaphern, betonende, verstärkende Wiederholungen von Termini sowie Ausdrücken und Chiasmen gehören zu seinen häufig verwendeten Stilmitteln. Dennoch wird die Übersetzung des Schicksalsdramas – wie bereits beim „Chatterton“ gesehen – teilweise „sperrig“ durch Extensionen Ruffinis, wenn er deutsche Ausdrücke oder Komposita mit ihrer Bedeutung ins Italienische zu übertragen versucht. Gleichzeitig kürzt er an manchen Stellen oder legt andere Schwerpunkte. So wird etwa, um dem Klang des deutschen Terminus gerecht zu werden, aus „Orden des Herrn“ (8) „ordini del Signore“ (52). Diese kurze Darlegung stilistischer und terminologischer Entscheidungen des Übersetzers, die die geforderte Treue gegenüber dem Original zunächst einmal nicht in Frage zu stellen scheinen, soll an dieser Stelle genügen. Auf die manipulativen Feinheiten gehen die folgenden Unterkapitel ein, die Kommentar zu und Übersetzung von „Der vierundzwanzigste Februar“ im Rahmen einer Politik der Translation bzw. Politik durch Translation beleuchten. Mazzini hofft nach der endlich geglückten Veröffentlichung des „Saggio“ auf dessen Erfolg in Italien, da er das Bildungsprojekt der Biblioteca Drammatica von Beginn an für seine Heimat konzipiert und sich deshalb so vehement für dessen Verwirklichung eingesetzt hat, wie die Korrespondenz mit seiner Mutter nochmals verdeutlicht: È venuto fuori finalmente quel volumetto di che vi parlai nel tempo addietro, a Bruxelles, e l’ho veduto. S’intitola „Saggio d’una collezione per la critica della Letteratura Europea negli ultimi cinquant’anni“. È stampato da Hauman e C. Se quindi potete trovare in Genova questo libretto, compratelo, giacché io sono troppo lontano per aver la piccola soddisfazione di mandarvelo: il Dramma è tradotto da Agostino: quanto non è dramma è mio. Desidero ora che la circolazione possa aver luogo in Italia; e se ciò avverrà e potrò capire che una collezione impresa su quel metodo a un dipresso possa incontrare un certo successo, penserò al come mandarla innanzi: per 493 Vgl. Mazzini, „Dramma storico“, in: SEI, Bd. I, Letteratura I, hier S. 328; sowie Kapitel 3.2 der vorliegenden Arbeit. 494 Zitiert wird jeweils nach der im Werner-Band genannten Wiener Ausgabe: Werner, Friedrich Ludwig Zacharias: Der vierundzwanzigste Februar. Eine Tragödie in einem Akt, Wien 1815. 495 Zitiert wird hier und im Folgenden wie bereits angeführt nach Mazzini/Ruffini, Saggio sulla letteratura europea. Die Ziffern in Klammern im Fließtext benennen jeweils die Seitenangaben in Original und Übersetzung.

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poco ch’io potessi trarne, preferirei questo genere di lavoro italiano e simpatico ad altri lavori noiosi che non hanno né scopo d’utilità pel paese mio, né interesse per me.496

Einen Monat nach der Publikation des Werner-Bands zeigt sich Mazzini optimistisch, dass dieser nun im In- und Ausland erhältlich ist.497 Der Absatz des Buchs scheint sich jedoch nicht zu entwickeln wie erhofft. Noch im April 1838 hat Hauman keinen Versand nach Italien veranlasst.498 Mazzinis Mutter setzt ihren Sohn Mitte Juli 1838 schließlich von der Verfügbarkeit des „Saggio“ in Turin in Kenntnis und wartet nun darauf, dass dieser auch die Buchhändler in Genua erreicht: Vengo accertata che dai librai di Torino si vendono i libri sulla donna [di Usiglio] e l’altro stampato a Bruxelles sulla Letteratura Italiana! Vedi un po’ cosa sieno i nostri librai! Finora qui niuno li ha! Però si spera che presto ne faranno acquisto e qui si venderanno; però vergogna di tanta indolenza! In letteratura a Genova è l’ultimo popolo che fu creato. Sto vigilante e te ne dirò quando che arriverà.499

Dies scheint den Absatz des „Saggio“ jedoch nicht voranzutreiben. Ende des Monats äußert sich Mazzini auch gegenüber seiner Mutter zu dem mehr als mäßigen Verkaufserfolg des ersten Bands der neugestarteten Biblioteca Drammatica, der bislang kaum – und wenn, nur auf konkrete Nachfrage – sowohl in Italien als auch vor Ort in Brüssel verkauft worden sei.500 Mazzini moniert die (nicht vorhandene) Verkaufsstrategie sowie das geringe Interesse an Rezensionen durch Literaturzeitschriften. Nicht das Konzept der Biblioteca Drammatica – das er weiterhin für erfolgversprechend und umsetzungswürdig hält –, sondern das Desinteresse und das fehlende Engagement seiner einflussreichen Freunde in Italien sind für ihn wesentlich verantwortlich für den ausbleibenden Erfolg seines Buchs. Dies sei zudem der Grund dafür, dass selbst die geringe, durch Hauman versprochene Zahlung bislang nicht an ihn getätigt worden sei: È vero come dite, che in fatto letteratura, Genova è l’ultima delle città; e pare impossibile che non vi siano ancora que’ due volumetti501 stampati a Bruxelles: i librai di Bruxelles, del resto, non mandano se non dietro richiesta: tutta l’edizione quasi è ancora nel magazzeno di chi la stampava; e 496 Mazzini, Giuseppe: „Brief an die Mutter, 31.3.1838 (MLX)“, in: SEI, Bd. XIV, Epistolario VI, Imola 1912, S. 328–335, hier S. 329 f. Vgl. auch Mazzini, Maria: „Brief an den Sohn, 18.4.1838 (210)“, in: SEI, Lettere a Giuseppe Mazzini, Bd. II, S. 496. 497 Vgl. Mazzini, Giuseppe: „Brief an Filippo Ugoni, 27.4.1838 (152)“, in: SEI, Appendice, Epistolario II, Imola 1938, S. 119–125, hier S. 123. 498 Vgl. Mazzini, Giuseppe: „Brief an die Mutter, 21.4.1838 (MLXVII)“, in: SEI, Bd. XIV, Epistolario VI, Imola 1912, S. 363–367, hier S. 365 f. 499 Mazzini, „Brief an den Sohn, 13.7.1838“, in: SEI, Lettere a Giuseppe Mazzini, Bd. II, S. 546. Vgl. auch Mazzini, Giuseppe: „Brief an die Mutter, 9.10.1838 (MCXIV)“, in: SEI, Bd. XV, Epistolario VII, Imola 1913, S. 217–222, hier S. 221. 500 Vgl. Mazzini, „Brief an den Sohn, 13.7.1838“, in: SEI, Lettere a Giuseppe Mazzini, Bd. II, S. 546; sowie Mazzini, Giuseppe: „Brief an Carlo Bini, 20.7.1838 (155)“, in: SEI, Appendice, Epistolario II, Imola 1938, S. 133–139, hier S. 139. 501 Hierbei handelt es sich, wie bereits in Kapitel 3.3.3, Fußnote 473 erwähnt, neben dem „Saggio“ um Usiglios „La donna, racconti semplici“. Vgl. Mazzini, Giuseppe: „Brief an die Mutter, 12.12.1838 (MCXXIX)“, in: SEI, Bd. XV, Epistolario VII, Imola 1913, S. 301–308, hier S. 306.

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non capisco com’egli, non mandandola ai librai delle città d’Italia, pretenda poi che gli vengano domande di libri non conosciuti. Dico questo, perché conseguenza di questo procedere è che neppure quei miseri 150 franchi da lui promessi, si sono potuti ottenere, appunto sul pretesto che non gli vengono richieste dai librai italiani.502

Ende Dezember 1838 kann Mazzinis Mutter ihrem Sohn schließlich mitteilen, dass der „Saggio“ in Kürze in Genua erhältlich sein soll.503 Dennoch scheinen die schlechten Verkaufszahlen Mazzini mürbe und müde zu machen. Agostino Ruffini äußert sich am 11.1.1839 kritisch gegenüber seiner Mutter zu deren Geständnis, mit dem Inhalt des Werners-Bands überfordert zu sein. Mazzinis langjähriger Freund moniert darüber hinaus die ausbleibende Bezahlung für seine Übersetzung von „Der vierundzwanzigste Februar“ sowie die mangelnde Qualität des Schicksalsdramas. Das Interesse an dem Einakter gehe vornehmlich auf die positive Einschätzung Mme de Staëls zurück: Perdi poco rinunziando alla lettura di Verner; la prefazione di Emilia può essere brillante, ma capisca chi può; quanto a me vi rinunzio. La tragedia, in se stessa, non è gran cosa, e se il caso non avesse voluto che la Staël, a quel tempo, avesse viaggiato e scritto la sua Allemagna, nessuno ne avrebbe parlato.504 Essendo accaduto il contrario, vi si fabbricò sopra dei sistemi. Sciocchezze! In quanto ai 150 franchi che mi erano stati promessi (per la traduzione), non v’è più nulla a sperare.505

Mazzini wendet sich bezüglich des Werner-Bands am 26.3.1839 selbst an Eleonora Curlo Ruffini. In seinem Brief zeigt er sich erfreut, dass sie den „Saggio“ gelesen hat, und lobt gleichzeitig die Übersetzung ihres Sohnes: Io ho piacere che vi sia capitato sott’occhio il Saggio. Piacque per la traduzione bellissima d’Augusto, e per le pagine ch’io ho scritto sul Werner, pagine di nessuna importanza, ma nelle quali ho messo pure alcun che dell’anima mia e che voi intenderete, come s’io vi scrivessi o parlassi.506

502 Mazzini, Giuseppe: „Brief an die Mutter, 26.7.1838 (MXCIII)“, in: SEI, Bd. XV, Epistolario VII, Imola 1913, S. 93–100, hier S. 96. Vgl. auch Mazzini, „Brief an die Mutter, 12.12.1838“, in: SEI, Bd. XV, Epistolario VII, hier S. 306. 503 Vgl. Mazzini, Maria: „Briefe an den Sohn, 22.12.1838 (233)“, S. 595; sowie „5.1.1839 (234)“, S. 600; beide in: SEI, Lettere a Giuseppe Mazzini, Bd. II. 504 Mme de Staël bezeichnet Werner in „De l’Allemagne“ als potenziellen Nachfolger Goethes und Schillers in der deutschen dramatischen Dichtung: „Depuis que Schiller est mort, et que Goethe ne compose plus pour le théâtre, le premier des écrivains dramatiques de l’Allemagne, c’est Werner: personne n’a su mieux que lui répandre sur les tragédies le charme et la dignité de la poésie lyrique; néanmoins ce qui le rend si admirable comme poète nuit à ses succès sur la scène. Ses pièces, d’une rare beauté, si l’on y cherche seulement des chants, des odes, des pensées religieuses et philosophiques, sont extrêmement attaquables quand on les juge comme des drames qui peuvent être représentés.“ (Staël, „De l’Allemagne“, in: Œuvres complètes, Bd. II, hier S. 127.) In dieser ablehnenden Haltung gegenüber Mazzini von Seiten Agostino Ruffinis zeigt sich zudem der mittlerweile vollzogene Bruch in der Freundschaft des Trios. 505 Ruffini, Agostino: „Brief an die Mutter, 11.1.1839“, in: Cagnacci, Lettere raccolte e annotate, S. 210 f. Vgl. auch Galante Garrone, „Schiller e Mazzini“, in: Istituto per la storia, Mazzini e i repubblicani, hier S. 64; sowie Pirodda, Giovanni: Mazzini e Tenca. Per una storia della critica romantica, Padua 1968, S. 8 ff. 506 Mazzini, „Brief an Curlo Ruffini, 26.3.1839“, in: Cagnacci, Lettere raccolte e annotate, S. 430.

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Die Kritik scheint Mazzini jedoch mehr zu treffen, als es dieser Brief vermuten lässt. So erkundigt er sich bei seiner Mutter nach deren Meinung zu seinem Kommentar: […] avrete fors’anche avuto quell’altro col Dramma e i Discorsi, e avrete trovato terribilmente scuri quest’ultimi; ed è cosa che si trova da molti, di tutto quello ch’io scrivo; e nuocerà sempre alla vendita. Bensì, a me, quando scrivo, par tutto chiarissimo.507

Seine Texte seien für seine Leserschaft offenbar insgesamt sehr schwer verständlich und damit verantwortlich für ausbleibenden Erfolg.508 Auch Maria Mazzini hat jedoch Probleme, die Argumentation des Aufsatzes zur Fatalität nachzuvollziehen: Quel dire è troppo oscuro, troppo mistico e quindo meno ai veri profondi va perduto lo scopo a cui è diretto; dinota grandi cognizioni in quel genere drammatica, ma poca chiarezza nell’enunciarle. So pure sia difficilissima cosa l’esprimere i propri pensieri con quella soavità e facilità seducente a chiunque legga, poiché è pregio singolare d’una sol penna ch’io mi conosca (e non è parzialità la mia ma pura verità) per quanto in ogni altra vi si scorga ad evidenza il vivo impronto di modellarvisi: ma chi è mai che possa e potrà arrivarvi? Niun al mondo! Però ciò non toglie che quel discorso non sia meritevole d’encomio perché dinota sapienza e cognizioni non volgari nell’autore; ma che ti parli poi al cuore, all’anima, questo no. Forse dico le mille bestialità in questo mio giudizio; […].509

Vor Lisette Mandrot, die seine Wahl ebenfalls nicht nachvollziehen kann, verteidigt Mazzini seine Entscheidung zur Veröffentlichung von „Der vierundzwanzigste Februar“ und dessen Kommentierung mit dem Argument, dass die Beschäftigung mit dem Thema der Fatalität als Teil der Biblioteca Drammatica geplant gewesen sei und daher auch in diesem größeren Kontext beurteilt werden müsse: Je vous ai répondu par ce que je viens de dire, à ce que vous dites dans votre lettre sur le choix de Werner que nous avons fait. Si nous n’avions voulu que donner un volume, ce n’est pas le 24  février que j’aurais choisi; mais ceci n’est qu’un Essai: c’est une Collection que je voudrais entreprendre, et ce petit volume pourra bien y trouver sa place: le renouvellement du dogme de la Fatalité dont, en désespoir de cause, l’âme humaine a essayé aussi en ces derniers temps rentre parfaitement dans le tableau que je veux montrer.510

Selbst vor seinem engen Vertrauten Rosales hat Mazzini das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen für die Bedeutung, die er dem Schicksalsdrama und dessen Autor 507 Mazzini, Giuseppe: „Brief an die Mutter, 22.1.1839 (MCXL)“, in: SEI, Bd. XV, Epistolario VII, Imola 1913, S. 351–358, hier S. 356. Vgl. auch Mazzini, „Brief an Bini, 20.7.1838“, in: SEI, Appendice, Epistolario II, hier S. 139. 508 Zu einer Analyse und Diskussion der These der schweren Zugänglichkeit von Mazzinis literaturkritischen Kommentaren siehe Platania, „La critica letteraria“, in: Il Pensiero Mazziniano 1 (2005), hier S. 124 f.; weiterhin Fournier Finocchiaro, Giuseppe Mazzini, S. 52; bereits 1908 Momigliano, Mazzini e la letteratura tedesca, S. 4; sowie Mazzini, Giuseppe: „Brief an Giuseppe Lamberti, 6.8.1845 (MDCCCLXXXVIII)“, in: SEI, Bd. XXVIII, Epistolario XV, Imola 1918, S. 87–90, hier S. 90. 509 Mazzini, Maria: „Brief an den Sohn, 3.8.1839 (260)“, in: SEI, Lettere a Giuseppe Mazzini, Bd. II, S. 710. 510 Mazzini, „Brief an Mandrot, 28.12.1837“, in: SEI, Bd. XIV, Epistolario VI, hier S. 205.

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beimisst. Vor allem im Hinblick auf seine biografischen Cenni scheint er Werner als missverstandenem Künstler die ihm seiner Meinung nach zustehende Würdigung zuteil werden lassen zu wollen – womit er gleichzeitig die Deutungshoheit von Werners Werk beansprucht:511 […] certo è che l’opinione dei più è sfavorevole al Werner – come in generale a tutte nature politiche e religiose – ma io appunto ho scritto per vendicare un calunniato dai più: per rialzare una vita di poeta fraintesa: come scriverei su tanti altri vilipesi: e quanto all’ipocrisia, io ho scritto fatti, e chi ne sa più, mi citi i vescovati e le mitre piovute addosso al Werner.512

Trotz all dieser Widrigkeiten und Hiobsbotschaften gibt Mazzini die Biblioteca Drammatica (noch) nicht auf. Im Februar 1839 unterrichtet Maria Mazzini ihren Sohn von Bemühungen Bettinis, eine Rezension des Werner-Bands in Benzas Subalpino zu platzieren.513 Mazzini selbst schreibt einen Monat später mit diesem Anliegen an seinen alten Freund: T’ho fatto dire che avrei desiderato vederti scrivere quattro parole su due libretti che devi avere a quest’ora; uno è d’Usiglio; l’altro d’Agostino e di me: e se avesse avuto spaccio, avrei tentato altri volumi simili; ma non è più da pensarvi: il libro è nulla per sé, ma la traduzione d’Agostino è bellissima: quanto alle prose mie, a te forse riuscirà caro leggerle, perché vi vedrai qua e là qualche cosa del core dell’amico tuo.514

Benza kommt der Aufforderung seines Freundes nach. In der Ausgabe vom Mai 1839 der Turiner Zeitschrift erscheinen unter dem Titel „Saggio sulla letteratura europea degli ultimi cinquant’anni. Letteratura alemanna“ eine Besprechung Benzas sowie ein gekürzter Neudruck von Mazzinis Aufsatz „Della fatalità considerata com’elemento drammatico“.515 Benza lobt in seinem Text nicht nur Mazzinis Aufsatz zum „Chatterton“ als „degnissimo […] e bellissimo“516, sondern darüber hinaus ausführlich dessen literaturkritisches Engagement, das den Bereich der Literaturkritik für gesellschaftliche und philosphische Aspekte öffne und damit bereichere. Im Zuge der ihm zugedachten Aufgabe macht Benza insbesondere auf die beiden Aufsätze „Della fatalità considerata com’elemento drammatico“ sowie die „Cenni su Werner“ aufmerksam. Zudem bewertet er die Übersetzung des Schicksalsdramas als sehr positiv, insbesondere wegen der Wahrung der spezifi511 Vgl. Kapitel 3.3.3.1 bis 3.3.3.3 der vorliegenden Arbeit. 512 Mazzini, Giuseppe: „Brief an Gaspare Ordoño de Rosales, November 1836 (DCCCXLVI)“, in: SEI, Bd. XII, Epistolario V, Imola 1912, S. 191–194, hier S. 192. 513 Vgl. Mazzini, Maria: „Briefe an den Sohn, 2.2.1839 (236)“, S. 610 f.; sowie „16.2.1839 (238)“, S. 616; beide in: SEI, Lettere a Giuseppe Mazzini, Bd. II. 514 Mazzini, „Brief an Benza, 7.3.1839“, in: SEI, Bd. XV, Epistolario VII, hier S. 416. 515 Vgl. Benza, Elia Giuseppe: „Rezension zu: Mazzini, Giuseppe: Saggio sulla letteratura europea degli ultimi cinquant’anni. Letteratura alemanna. Brusselles 1838“, in: Il Subalpino. Giornale di scienze, lettere ed arti. Rivista italiana 1 (1839), S. 389–397; Mazzini, Maria: „Brief an den Sohn, 22.6.1839 (254)“, in: SEI, Lettere a Giuseppe Mazzini, Bd. II, S. 687 f.; sowie Mazzini, Giuseppe: „Brief an die Mutter, 11.6.1839 (MCLXXX)“, in: SEI, Bd. XVIII, Epistolario VIII, Imola 1914, S. 76–82, hier S. 78. 516 Benza, „Rezension zu Saggio sulla letteratura europea“, in: Il Subalpino 1 (1839), hier S. 390, Fußnote 1.

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schen nationalen Charakteristika seiner deutschen Urspungskultur und -sprache. Ruffini nehme sich durch seinen „reinen“ Stil zurück und diene damit Originalautor und -werk. Benza empfiehlt den „Saggio“ der italienischen Jugend zur Lektüre: Come la critica assume dignità e importanza! come s’innalza a scienza sociale e filosofica! come s’estende il suo povero orizzonte, e come vi splende al centro dominatore e irradiator d’ogni cosa il sole della sintesi! E come la critica e l’arte divengono sublimi, divengono sante! […] Però io lo propongo a giovani, che cercano ancora la lor via nella vita – e v’attingeranno almeno la virtù del pensiero, e il conforto d’una fede tra i calcoli e i dubbi di questa misera età di crisi. – E lor propongo il libro, che mi ha spinto a scrivere queste linee. Contiene esso la traduzione del dramma di Werner: Il Ventiquattro Febbraio, tanto apprezzato dalla Staël, e di cui l’Italia, quanto so, non avea ancor notizia, se non forse per le traduzioni francesi, le quali non sono che imitazioni, cioè adulterazioni. In questa traduzione italiana il rispetto al dramma e all’autore è serbato religiosamente, lo stile corre limpido e spontaneo, e parmi adempiuto il precipuo dovere de’ traduttori, quello di ridurre italianamente l’opera straniera conservandole il suo carattere nazionale, non che l’individuale dell’A[gostino Ruffini]. Il dramma è preceduto da un discorso sulla Fatalità considerata come elemento drammatico, e seguito da Cenni su Werner, in cui la storia psicologica, la storia dell’intimo core, delle vaste e irrequiete facoltà di Werner, della sua fantasia viva e ardente fino al delirio, de’ dubbii e del suo scontento del protestantismo, ch’ei chiamava volgare, arida, contraddittoria, inanissima inanità, e che lo condussero sul fin di sua vita all’unità della fede cattolica, è diligentemente svolta e indagata per entro i suoi scritti e le sue azioni con meravigliosa sapienza d’intelletto e d’un’anima che intende un’anima.517

Benzas Engagement im Subalpino verhilft dem Werner-Band in Italien jedoch nicht zu einem höheren Absatz; Mazzini muss sich schließlich das Scheitern seines Projekts eingestehen. In seinen „Note autobiografiche“ fasst er seine Bemühungen um die Dramensammlung retrospektiv zusammen und macht für deren Misserfolg insbesondere den politisch repressiven Zustand in Italien verantwortlich: Intanto, e tornando dai bei sogni della mente alla povera realtà, io avventurai nell’esilio, parecchi anni dopo gli articoli pel [sic!] Dramma Storico, un piccolo Saggio della Collezione Drammatica a mostrare com’io intendessi la tendenza dei Discorsi da prefiggersi ai Drammi e il modo con cui dovrebbero, a mio parere, delinearsi quelle ch’io chiamava biografie psicologiche degli scrittori. Scelsi a esempio il più breve dei drammi, Il 24 Febbraio di Werner, fondato sull’elemento della Fatalità. Lo tradusse mirabilmente Agostino Ruffini, esule allora con me. E fu stampato a Brusselle dall’Hauman, preceduto da un mio Discorso sulla Fatalità nel Dramma e seguito da una rapida vita di Werner. Ma i nostri nomi avrebbero, in Italia, impedito la circolazione del volumetto e l’assenza d’ogni nome condannava anzi tratto ai minimi termini la vendita. L’esperimento fallì.518

Mazzini hofft jedoch, dass die jüngere Generation sich der Verwirklichung seines Übersetzungsprojekts annehmen wird, weil er weiterhin von dessen Bildungspotenzial für die italienische Bevölkerung überzeugt ist.519 Dass Mazzini trotz der sich über Jahre hinziehenden Probleme sowie Hindernisse bei der Umsetzung seine Biblioteca Drammatica nicht aufgibt und immer 517 Ebd., hier S. 395 ff. Vgl. auch Mazzini, „Brief an Benza, 7.3.1839“, in: SEI, Bd. XV, Epistolario VII, hier S. 416 ff., Fußnote 1; sowie Mazzini, Maria: „Brief an den Sohn, 20.7.1839 (258)“, in: SEI, Lettere a Giuseppe Mazzini, Bd. II, S. 705. 518 Mazzini, „Note autobiografiche“, in: SEI, Bd. LXXVII, Politica XXVI, hier S. 96 f. 519 Vgl. ebd., hier S. 93.

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wieder neue Realisierungsversuche unternimmt, zeugt von der Relevanz, die er diesem Projekt zur Bildung der italienischen Dichter – und über diese des italienischen Volks – in seinem Konzept zur Erneuerung seiner Heimat zuweist. Seine Überzeugung, dass Übersetzung wesentlich zu kultureller Innovation, die auf weitere Bereiche der Gesellschaft übergreifen kann, beiträgt, bewahrt er sich zeit seines Lebens520 – auch wenn sich sein eigenes Engagement in der Folge (fast) ausschließlich auf seine konspirativen und rein politischen Tätigkeiten konzentriert. Es scheint, als ob „il destino dovesse negare all’uomo dalle energie instancabili e dalla ferrea volontà la soddisfazione del successo concreto,“521 wie Limentani resümiert.

3.3.3.1 Literaturkritische Ebene: Der Fatalismusdiskurs Entsprechend der Struktur der beiden vorherigen Aufsätze zum „Chatterton“ sowie zum „Angelo“ steht in Mazzinis Aufsatz „Della fatalità considerata com’elemento drammatico“ das von ihm analysierte Werk Werners nur zu Beginn im Fokus, wobei Mazzini nicht auf dessen Regieanweisungen, wie die Bespielung einer Simultanbühne oder die Umsetzung fatalistischer Elemente – ein Messer als späteres Mordwerkzeug soll ohne menschliches Zutun durch einen speziellen Mechanismus von der Wand fallen und damit die Unausweichlichkeit des Schicksals ankündigen und verdeutlichen – eingeht. Stattdessen wirft er, wie in den Fallstudien zuvor bereits gesehen, der zeitgenössischen Literaturkritik vor, das Schicksalsdrama falsch auszulegen; „Der vierundzwanzigste Februar“ lasse sich nicht in vorgefertigte, klassizistische Kategorien einordnen. Die Rezensenten jedoch setzen Werners „poema notturno“522, das aus tiefen Emotionen und dichterischer Hingabe entstanden sei, eine reine form- und normorientierte Beurteilung entgegen: L’ispirazione che vien dal core è santa, e inviolabile sì come Dio che la manda. Quando il Poeta vi caccia davanti, come una vittima, l’anima sua: quand’egli vi dice: Vedi ch’i’ son un che piango – e piange davvero – e piange con voi, forse perché non ha potuto pianger con altri – gli opporrete Aristotele? […] Il Ventiquattro Febbraio è un getto di passione lungamente repressa; un moto d’anima irritata, febbrile, convulsa, che cerca un rifugio nella quiete della disperazione; una espressione concentrata d’una di quell’ore d’incubo morale nelle quali lo spirito tenta, traducendole sotto una forma qualunque, dominare le visioni che lo tormentano.523 520 Vgl. etwa Mazzini, Giuseppe: „Brief an Giuseppe Gazzino, 31.7.1864 (VMMCCCCXXXIII)“, in: SEI, Bd. LXXVIII, Epistolario XLVII, Imola 1938, S. 284–285, hier S. 284 f.; Mazzini, Maria: „Brief an den Sohn, 4.8.1837 (188)“, in: SEI, Lettere a Giuseppe Mazzini, Bd. II, S. 418; sowie Limentani, „Un’idea prediletta (1)“, in: Il Pensiero Mazziniano 11 (1949), S. 7. 521 Limentani, „Un’idea prediletta (2)“, in: Il Pensiero Mazziniano 12 (1949), hier S. 6. Vgl auch Pirodda, Mazzini e gli scrittori democratici, S. 24; Janowski, „Ottocento“, in: Kapp, Italienische Literaturgeschichte, hier S. 248 f., S. 276 f.; sowie Dell’Aquila, Primo romanticismo, S. 57 f. 522 Mazzini, „Fatalità“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 169. 523 Ebd., hier S. 170.

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Werner verarbeite in seinem Schicksalsdrama den Tod seiner Mutter am 24.2.1804 sowie seines Freundes Muioch am 24.2.1800, sodass dieses Datum für ihn mit negativen Gefühlen belastet sei und in ihm den (Aber-)Glauben an eine unsichtbare, okkulte Macht, an ein unheilvolles Schicksal begründet habe – da ihn Gesellschaft und Kirche nicht haben auffangen können.524 Werner als melancholischer und rastloser Charakter habe sich ständig auf der Flucht befunden, so Mazzini.525 Auf der Suche nach Gott, den er zwar in seinem Inneren gespürt, für dessen Existenz er jedoch keine Anzeichen auf Erden habe ausfindig machen können, enttäuscht, sei der Fatalismus für ihn zum Lebensinhalt geworden. Der Glaube an ein Schicksal, so alt wie die Menschheit selbst, verstärke sich stets in Übergangs- und Krisenzeiten, so Mazzini, und daher auch in seiner Gegenwart, was sich in ihren literarischen Werken spiegle. Eine ausführliche Untersuchung dieses Phänomens aus literarischer Sicht erscheint Mazzini deshalb dringlich.526 Mazzini versucht, mögliche Kritik an seinem eigenen Aufsatz präventiv abzuwehren, indem er nur einer intelligenten Elite das Verständnis seiner Argumentation zutraut, und sie mit der Umsetzung seiner Forderungen betraut. Er selbst bezeichnet sich als Literaturkritiker, der mit seiner Darstellung wesentlicher Elemente aus der Geschichte des Dramas junge Autoren zur eigenen Produktion anleiten will. Denn jede Entwicklungs- und Ausprägungsstufe von Kunst offenbare deren historischen Entstehungshintergrund und baue auf der vorherigen auf. Die Identifizierung und Erläuterung der jeweiligen Merkmale einer jeden Stufe diene nicht nur der Entwicklung eines Verständnisses für Gesellschafts- und Literaturgeschichte, sondern auch als Anschauungsmaterial zur Entwicklung einer Kunst der Zukunft, da die Vergangenheit die Gegenwart und Zukunft zwangsläufig beeinflusse. Mazzinis Literaturkritik gleicht damit – wie bereits beschrieben – einer Unterrichtsstunde für zukünftige Dichter, die sich in den Dienst einer Revolution zu stellen haben: […] scrivete storie, romanzi, libri di filosofia, giornali letterarii: ma sempre colla mente all’intento unico, che dobbiamo prefiggersi, col core alla patria. Scrivete, ma rinfiammando sempre colle allusioni, colle riverenza a’ grandi intelletti liberi, coll’adorazione alla patria, col concetto 524 Vgl. ebd., hier S. 170. 525 Vgl. Mazzini, „Cenni su Werner“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 227. 526 Vgl. Mazzini, „Fatalità“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 174; sowie zur Bedeutung des Glaubens in Umbruchszeiten Gentile, Le religioni della politica, S. 13 ff. Mazzini knüpft mit seiner Untersuchung des Schicksals gerade auch im Hinblick auf eine provvidenza als göttliche Vorsehung, meist verbunden mit einem Fortschrittsglauben, an religiös-gesellschaftliche Ideen seiner Zeit an, entwickelt diese jedoch auch weiter. Vgl. ausführlich Li Volsi, „Mazzini e le ideologie“, in: Istituto per la storia, Mazzini a duecento anni, hier S. 35 ff.; zum Schicksal und zur Vorsehung als wesentliche Elemente eines politischen Messianismus im frühen 19. Jahrhundert Talmon, Politischer Messianismus, S. 16 ff., S. 262 ff., S. 282 ff.; sowie weiterführend zu einer breitgefächterten Untersuchung der Schicksalsproblematik aus literaturwissenschaftlicher Sicht Frick, Werner: Providenz und Kontingenz. Untersuchungen zur Schicksalssemantik im deutschen und europäischen Roman des 17. und 18. Jahrhunderts, Tübingen 1988. Siehe hier besonders Teil 1, S. 9 ff., S. 14 ff.; Teil 2, S. 498 f.

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dell’indipendenza, i vostri lettori. […] Poeti, nostri concittadini, preparateci la canzone delle battaglie […].527

Im Falle von „La fatalità considerata com’elemento drammatico“ erläutert Mazzini folglich das Schicksal als einen handlungtragenden Aspekt im Drama sowie dessen Ursprung, Weiterentwicklung und Zweck. Er macht drei Literaturepochen aus, in denen die Fatalität von jeweils einem Autor und dessen Werk repräsentiert wird. Aischylos steht für die Antike und das Schicksal als unheilbringendes fato; Shakespeare repräsentiert das Mittelalter unter dem Einfluss einer zwanghaften necessità; Schiller, der sich der provvidenza eines wohlmeinenden Gottes verschreibt, gilt als der Vertreter der Moderne.528 Die menschlichen Akteure im Drama Aischylos’ seien vollkommen unfrei und fremdbestimmt in ihrem Handeln, so Mazzini weiter, das Schicksal zeige sich als Manifestation einer höheren Macht und sei gleichzeitig – in Anlehnung an den Atridenfluch – vererbbar. Die rächenden Götter präsentieren sich dabei nicht moralisch fortschrittlicher als die Menschheit selbst.529 Das theogonische Drama erfülle als Mysterium bzw. Mythos in einem religiös geprägten Rahmen die Aufgabe eines Orakels. Es sei Ausdruck einer Durchmischung der östlichen und griechischen, der asiatischen und aufkommenden europäischen Zivilisation, aber auch melancholische Reflexion der persischen Herrschaft und ständiger Kriege im antiken Griechenland. Die griechische Dichtung ist Mazzini zufolge lediglich Ausdruck der Krise ihrer Zeit; die Emanzipation von asiatischem Einfluss und die Begründung eines Freiheitsdenkens zeigen sich erst in der griechischen Philosophie. Aischylos vollziehe jedoch bereits einen Schritt in diese Richtung durch eine Loslösung von der geltenden Vorstellung des Schicksals. „Der gefesselte Prometheus“ gilt Mazzini als prophetisches Werk und Wegbereiter einer neuen Kunstform – und damit auch als Zeichen für ein progressives Voranschreiten der Menschheit. Aischylos beschreibe den Titanen in seiner Tragödie als Kämpfer für die Menschheit, der sich dem mächtigen Göttervater Zeus, der wie ein Despot über Himmel und Erde herrsche, widersetze. Im Todeskampf des Titanen und in dessen Martyrium sowie Opferbereitschaft werde offenbar, dass dieser nicht umsonst in den Hades verbannt werde. Der erste Sieg von Moral und freiem Willen 527 Mazzini, „Pensieri“, in: SEI, Bd. I, Letteratura I, hier S. 373 f. 528 Vgl. Mazzini, „Fatalità“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 197. Im Deutschland der Dichter und Denker sieht Mazzini sein Ideal von Dichtung am ehesten verwirklicht. Neben einer Inspiration durch Lessing verarbeitet Mazzini in seinem Konzept einer göttlichen Vorsehung für menschlichen Fortschritt auch Ideen Condorcets (vgl. ausführlich Li Volsi, „Mazzini e le ideologie“, in: Istituto per la storia, Mazzini a duecento anni, hier S. 44 f.; Mazzini, „De l’art en Italie“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 50 f.; sowie Mazzini, „Fatalità“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 177). 529 Vgl. ebd., hier S. 180 f.; Mazzini, „Quaderno II“, in: SEI, Zibaldone Giovanile, Bd. I, hier S. 229; und Bozzelli, Francesco Paolo: Dell’imitazione tragica presso gli antichi e presso i moderni, 3 Bände, Lugano 1837/1838, Bd. 1, S. 134 f., dessen Dramentheorie sich nicht nur Hinblick auf das Schicksal sehr an Mazzini anlehnt.

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über die Willkür einer vermeintlich unanfechtbaren Autorität gebe hierbei auch dem Publikum Hoffnung für die eigene Zukunft, als […] un guardo lanciato nell’avvenire che intravvede la lontana vittoria. Tu senti che la lunga agonia del Titano non andrà perduta per le generazioni future. Tal cosa è sorta che ha nome Martirio, dalla quale escirà presto o tardi, ma infallibilmente, l’emancipazione. […] E dove prima tu soggiacevi col protagonista del Dramma e t’atterravi davanti al Destino, nel Prometeo ti ribelli con lui, e un grido prorompe dall’anima che intende quel suo silenzio: – mi assiderò sulla tua rupe; dividerò i tuoi tormenti e il tuo sacrifizio, perché le tue speranze sono immortali e i posteri raccoglieranno il guanto di sfida ch’oggi noi vittime consecrate cacciamo.530

Intellekt und Freiheit überwinden hier für Mazzini Materie und Autorität; Himmel und Erde werden getrennt, sodass die Götter nun nur noch über den Himmel herrschen, der Mensch dagegen Herr auf der Erde ist. Dies bilde das Gründungsmoment der individualistischen Epoche.531 Das rein durch Intellekt bestimmte Leben sei jedoch für den Menschen ein unbefriedigender Zustand, sodass ein neues Bedürfnis nach Religion, nach einem Glauben an eine höhere Macht aufkomme – Grundlage für die Entstehung des Christentums.532 Der Polytheismus weiche dem Glauben an einen einzigen Gott; diese Einheit habe jedoch nur für den Himmel gegolten, nicht für die Erde, denn das Individuum habe seine Freiheit nicht aufgeben wollen. So sei das nun aufkommende Mittelalter eine von Individualität geprägte Epoche geblieben, ohne Bewusstsein für die Menschheit als Kollektiv. Das Christentum, angetreten als Einigungsreligion, sei durch innere Zerrissenheit und Spaltung in Katholizismus und Protestantismus einerseits, durch die Verletzung des Gleichheitsgebots für alle Menschen durch den ranghöheren Klerus andererseits in seinem Versuch der Begründung einer (geistig fundierten) Menschheitsgemeinschaft schließlich ebenso gescheitert.533 Shakespeare gilt Mazzini als der einzige Autor des Mittelalters, bei dem das Schicksal weniger despotisch auftritt als noch in der Antike. Das fato werde durch eine necessità, definiert als Not, Notwendigkeit oder Zwang, ersetzt, die aus dem 530 Mazzini, „Fatalità“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 182. 531 Vgl. ebd., hier S. 183. Mazzini geht auch auf den Fall Griechenlands sowie die Machtübernahme Roms ein. Er beschreibt hier, wie bereits in „D’una letteratura europea“, dass Rom zwar eine nationale Politik, aber keine eigene, nationale Kunst gehabt habe. In den Bereichen der Religion, der Philosophie und der Literatur habe Rom lediglich Griechenland imitiert. Vgl. hierzu auch Kapitel 3.3.1.3.2 der vorliegenden Arbeit. 532 Vgl. Mazzini, „Fatalità“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 183 f. 533 Vgl. ebd., hier S. 184, Fußnote 1; sowie. Li Volsi, „Mazzini e le ideologie“, in: Istituto per la storia, Mazzini a duecento anni, hier S. 55 f. Der Protestantismus gilt Mazzini zwar auch als Rebellionsund Emanzipationsbewegung, aber ausschließlich gegen den Papst – und damit als Ausdruck der individuellen Epoche: „Protestò, non v’ha dubbio; ma soltanto contro il Papato che volendo ciò che non poteva, tentando fondare con uno stromento individuale una unità sociale, doveva inevitabilmente degenerare in tirannide, e collocarsi al di fuori della sintesi cristiana che diceva all’uomo: sii libero, prima ch’essa avesse ottenuto un compiuto sviluppo. Non e dunque protesta contro la sintesi dell’epoca sua; ma in favore di quella sintesi che il papato, impotente a convertire in realtà un istinto sublime del futuro, annientava invece di svilupparla“ (Mazzini, „Fede e avvenire“, in: SEI, Bd. VI, Politica IV, hier S. 321, Fußnote 1).

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herrschenden Individualismus entstehe und sich in Shakespeares Figuren artikuliere. Dabei entwerfe der engliche Dichter keine idealen Charaktere, sondern bilde seine Protagonisten wie Personen aus dem wahren Leben ab – womit ebenfalls die universale Idee einer in die Zukunft weisenden Prophezeiung, deren Ausdruck Literatur sein müsse, ignoriert werde. Da Shakespeare keine neue, soziale Ära begründe, sei sein individuelles Drama in Mazzinis Gegenwart auch nicht in der Lage, das Bedürfnis der Jugend nach Orientierung zu befriedigen.534 Das Schicksal als necessità trete zumeist als verborgene, unsichtbare Macht auf und wirke indirekt durch andere Menschen oder Ideen, die von außen an das Individuum herangetragen werden oder aus diesem selbst stammen, als Aberglauben, Psychose oder Ausbruch instinktiver, impulsiver Gefühle. Shakespeare gilt Mazzini dennoch als Wegbereiter des romantischen Dramas.535 So sehr die beiden zu Ende gegangenen Epochen der Antike und des Mittelalters sich nicht nur in Bezug auf das Schicksal unterscheiden, so bleibe ihnen doch als Gemeinsamkeit ihr mangelndes Bewusstsein für die Menschheit als Kollektiv und folglich ihre rein individuelle Ausrichtung: […] né l’una, né l’altra contemplano o presentono 1’Umanità, ambe s’indirizzano all’individuo soltanto ed ambe quindi conchiudono inevitabile l’inutilità, quanto ai destini comuni, del fatto speciale, l’inutilità del sacrifizio, l’inutilità della vita che dove non è sagrifizio, è nulla o peggio che nulla.536

Das Individuum überwinde schließlich den Glauben an die necessità wie zuvor an das fato und versuche im Laufe des Mittelalters, sich auch den Himmel zu Eigen zu machen. Der Mensch verstehe sich durch die Erringung individueller Freiheiten und Rechte als gottgleich – womit Mazzini explizit auf Fichte referiert. Das Ich habe sich zwar auf die gleiche Position wie Gott gestellt, jedoch ohne dass eine Identifikation mit ihm gelungen sei. Dies führe wiederum zu Skepsis, Unzufrieden- und Unsicherheit, Angst oder auch Passivität. Der Primat der individuellen Rechte und deren Ausübung habe den Menschen seine Pflichten vergessen lassen, so Mazzini, die für gesellschaftliches Leben allerdings unabdingbare Voraussetzung und außerdem Gottes Wille seien. Ohne Glaube gebe es keine Hoffnung, keine Erlösung, keinen Fortschritt für die Menschheit, nur Einsamkeit und Isolation.537 Die Moderne stellt für Mazzini eine Art Zwischen- bzw. Übergangsepoche dar. Es sei an der Zeit, Himmel und Erde wieder zu vereinen, Endliches mit Unendlichen zu verbinden, die Freiheit des Menschen zu vergöttlichen und auf der Grundlage eines neuen Glaubens eine neue Epoche zu begründen. Vorzeichen für ein neues Zeitalter seien bereits zu spüren, von einigen wenigen Autoren in der jün534 535 536 537

Vgl. Mazzini, „Fatalità“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 187. Vgl. ebd., hier S. 186 f. Ebd., hier S. 188. Vgl. ebd., hier S. 191; Mazzini, „Fede e avvenire“, in: SEI, Bd. VI, Politica IV, hier S. 322 f.; sowie Kapitel 3.3.1.1 bis 3.3.1.3 der vorliegenden Arbeit.

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geren Vergangenheit in ihren Werken angekündigt.538 Die Forderung nach Freiheit müsse allerdings in Einklang gebracht werden mit moralischem, verantwortungsund pflichtbewusstem Handeln. Das neue Drama wiederum müsse Ausdruck dieser Erkenntnis und dieses neuen Bewusstseins sein,539 als Drama der provvidenza, der Providenz bzw. (göttlichen) Vorsehung, als ein „Dramma sociale altamente religioso, altamente educatore“540, das gleichzeitig die progressive Entwicklung der Menschheit verkünde. Dieses Drama offenbare nicht nur das universale Gesetz der Epoche und damit der Menschheit, sondern auch Gott als „iniziatore di tutte le epoche e padre dell’Umanità“541. Zwischen Gott und Mensch bedürfe es keiner Mittlerinstanz mehr, womit sowohl kirchliche Dogmen als auch der Klerus – und in letzter Instanz auch Jesus Christus als Individuum – überflüssig werden.542 Hier verbinden sich politisches Bildungsprogramm, moralisch-religiöser Anspruch und Fortschrittsglauben zu einer Synthese im Konzept Mazzinis, das sich nicht nur auf die Erneuerung Italiens richtet, sondern universale Gültigkeit beansprucht543 – von Li Volsi etwa wie folgt beschrieben: Si potrebbe parlare per la concezione mazziniana di „progetto politico di Dio“, e di „religione politica universale“: non c’è reale politica se non diretta a quel vero che è il progresso; ma essa può essere effettuata soltanto da tutti quei Popoli europei che, resi storicamente armonici all’interno di ciascuna Nazione e nel rapporto tra loro, muovano ormai solidali verso il destino voluto da Dio.544

Schiller gilt Mazzini als Vorläufer dieses religiösen Gesellschaftsdramas mit Bildungsanspruch und damit als Vorbild für die neue Dichtergeneration Italiens, die dessen Werk rezipieren, aber nicht imitieren soll. Seine Werke sollen vielmehr als Ansporn und Beispiel dafür dienen, wie ein Genie mit dem Glauben an Gott und die Menschheit den Gipfel der Dichtung erreichen kann: […] Schiller ebbe santità d’anima e fede in Dio e speranza nei destini serbati all’Umanità, anche quando ei la vedeva giacente, Dio gli diede il Genio che lo trasse a quell’altezza dov’egli è solo finora, e gli rivelò il cielo della provvidenza. Schiller è il poeta della Provvidenza e della speranza. Il suo cielo è vasto, sereno, lucente come un cielo d’Italia; e s’anche la sciagura e il dolore lo annerano, una stella rimane che splende fra la tempesta e vince dolore e sciagure: nei Drammi di Schiller il primo purifica, la seconda innalza. […] La religione del sacrifizio è già tutta in lui. La grande idea sociale ch’è il segreto dell’epoca nostra, è l’anima de’ suoi Drammi. La Poesia futura, la Poesia educatrice del genere umano, v’è presentita e adorata.545 538 Vgl. Mazzini, „Fatalità“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 194; sowie Kapitel 3.3.2.3 der vorliegenden Arbeit. 539 Vgl. Mazzini, „Fatalità“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 196. 540 Ebd., hier S. 196. 541 Ebd., hier S. 196. Vgl. auch Mazzini, „Fede e avvenire“, in: SEI, Bd. VI, Politica IV, hier S. 339. 542 Vgl. Li Volsi, „Mazzini e le ideologie“, in: Istituto per la storia, Mazzini a duecento anni, hier S. 49 ff. 543 Vgl. zu Mazzinis mit Gott verbundenem Fortschrittsglauben auch Mazzini, Giuseppe: „Brief an John McAdam, 17.10.1857 (4)“, in: Scioscioli, Lettere inedite, S. 152. 544 Li Volsi, „Mazzini e le ideologie“, in: Istituto per la storia, Mazzini a duecento anni, hier S. 55. 545 Mazzini, „Fatalità“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 197.

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Habe Schiller mit „Die Räuber“ und „Kabale und Liebe“ noch lediglich herrschende Zustände beschrieben (und kritisiert), so gehe er mit seinen Folgewerken einen Schritt weiter, fungiere als prophetischer Künstler, als […] consecrato Poeta della fede nascente, sacerdote d’un’Arte che sciorrà da’ suoi ceppi Prometeo e lo incoronerà dei fiori immortali che la Provvidenza serba ai martiri del Pensiero, ma che l’Umanità sola, non l’individuo, può cogliere.546

Damit verbinde er Individuum und Gesellschaft, so Mazzini. Der Mensch Schillers agiere frei, aktiv und mit einer Stärke ausgestattet, die seine Vorgänger Aischylos und Shakespeare diesem in keinster Weise zugestanden haben. Schiller verfolge eine Mission, die auch bei Rückschlägen nicht aufzuhalten sei, seine Ideale überleben auch den Tod seiner Figuren, die damit zu Märtyrern für eine bessere Zukunft werden. Dies verheiße […] un profumo di terra promessa […,] una musica d’angeli lontana, errante sulla testa delle creature consacrate ne’ suoi Drammi al dolore e alla sciagura, simile a quella che l’arpe celesti mandavano tra i supplizi all’orecchio dei primi martiri del Cristianesimo.547

Die sich durch die Werke Schillers ziehende provvidenza, eine erhabene, reinigende Religiosität und positive Umkehrung des fatalistischen Glaubens, stellt für Mazzini den Grund für den nachhaltigen Eindruck des deutschen Dichters auf die Nachwelt dar. Die Lektüre Schillers [… provoca] una calma, non d’inerzia, non di sterile rassegnazione, ma di fiducia superiore a tutte vicende: una disposizione religiosa che purifica e innalza, richiamandole alla prima loro sorgente, le idee, e le incolora d’entusiasmo e di poesia: una adorazione a quanto è grande o può diventarlo nell’universo, non orientale, non meramente contemplativa, ma attiva, europea; adorazione di amore virilmente manifestato, culto d’opere generose, non di vuote preghiere. Ei ritempra e incita. La vita si centuplica o si rinvergina in quella lettura.548

Im Hinblick auf „Der vierundzwanzigste Februar“ sieht Mazzini eine große Nähe zu Aischylos’ Schaffen. Das Werk könne sogar von dem griechischen Dichter selbst stammen – wenn nicht Werners Charaktere dessen christlichen Glauben und die zeitliche Nähe zur Gegenwart verrieten. Mazzini geht zudem auf die Kritik unter anderem Mme de Staëls und Rémusats an dem Schicksalsdrama ein, denen zufolge durch die Übertragung des Atridenfluchs auf Akteure aus dem ländlichen Milieu das von Werner inszenierte Unheil übertrieben wirkt. Dieser Ansicht widerspricht Mazzini, weil eine Entscheidung Werners für Protagonisten aus einer adeligen Schicht nur die moderne Fassung einer griechischen Tragödie ergeben hätte, die in der Gegenwart keine Wirkung mehr erzielen könne. Dagegen habe der Autor durch seine Übertragung der antiken Kategorie des Schicksals „con efficacia di terrore religioso“549 auf ein modernes Drama innovativ ge546 547 548 549

Ebd., hier S. 198. Ebd., hier S. 199. Ebd., hier S. 199. Vgl. auch Kapitel 3.3.1.2 sowie 3.3.2.3.1 der vorliegenden Arbeit. Mazzini, „Fatalità“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 172, Fußnote 1.

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handelt – womit sich erneut der Einfluss der Romantik auf Mazzini zeigt, die Innovation als literarischen Wert auslegt. Weiterreichende Wirkung habe „Der vierundzwanzigste Februar“ darüber hinaus durch die Begründung des Genres des Schicksalsdramas erlangt, das etwa von Franz Grillparzer oder Adolph Müllner weitergeführt wird.550 Mazzini negiert hier zum einen den Vorbildcharakter der Antike für zeitgenössisches Schaffen und verdeutlicht zum anderen den Schaden, der der Menschheit durch Irrglauben entstehen kann – womit er die Tendenz, sich, um Halt zu finden, in Krisensituationen unreflektiert einem Schicksalsglauben zuzuwenden, kritisiert. „Der vierundzwanzigste Februar“ gilt Mazzini als eine Umsetzung der längt überwundenen, antiken Kategorie des fato in einem modernen Drama – und damit als nicht nachahmenswert. Eine Erbschuld, hier der Fluch von Kunzens Vater, der von Kunz auf dessen Sohn Kurt übergeht, erfüllt sich zwangsläufig, ohne dass die beteiligten Menschen sich dagegen wehren können. Auch wenn Kurt, nachdem er seine Schwester getötet hat, um dem Fluch seines Vaters – und dessen Vater – zu entgehen, lange Zeit im Ausland verbringt, tötet ihn sein Vater am Ende doch und erkennt erst nach seiner Tat in seinem Opfer seinen Sohn. Der Zuschauer, der um Kurts Identität zuvor weiß, ahnt das Unheil voraus, kann es aber nicht aufhalten – was zu entsprechenden Schauermomenten führt, die sich auch in fantastisch-grauenvollen Momenten vor dem Mord artikulieren, in denen Kunz einer Raserei verfällt.551 Das ganze Drama sei rein auf Wirkung ausgelegt, so Mazzini in seiner Interpretation.552 Mit der Besprechung von „Der vierundzwanzigste Februar“ löst sich Mazzini zum Teil von seinem zuvor bereits diskutierten und angewandten Schema der drei relevanten Ebenen im Drama. Der historische Ausgangspunkt für Werners Werk geht nicht auf eine ferne Vergangenheit zurück, sondern liegt in der Französischen Revolution begründet. Als Merkmale der Gegenwart als Übergangsepoche gelten Orientierungslosigkeit und Angst, was den Glauben an ein unheilvolles, unausweichliches Schicksal wieder aufflammen lässt.553 Ausgelöst durch diesen Fatalismus kann der Fluch im Drama seine ganze Macht entfalten und durch seine absolute Grausamkeit neue Furcht schüren, die in einer starren Tatenlosigkeit mündet. Im Gegensatz zu „Chatterton“ und zu „Angelo“ stellt Mazzini nicht einmal vorbildhafte Tendenzen im Drama fest; auch die genannten innovativen Elemente eignen sich nicht als positive Inspirationsquelle. Durch die „Cenni su 550 Vgl. ebd., hier S. 173. 551 Werner ist mit E. T. A. Hoffmann, dem Verfasser romantischer Schauerliteratur per se, und dieser seinerseits mit Hitzig befreundet. Hoffmann schreibt sogar die Bühnenmusik für das nie aufgeführte Drama Werners „Das Kreuz an der Ostsee“. 552 Auch Rémusats Kritik aus dem Globe, die Mazzini rezipiert, urteilt, dass „Der vierundzwanzigste Februar“ rein darauf ausgelegt sei, „le seul sentiment de l’horreur“ (Rémusat, „Du Joueur“, in: Le Globe 5 [49/1827], hier S. 260) zu evozieren. Allerdings sei Werner darin ein wahrer Meister, was auch seine Qualität als „grand écrivain“ (ebd., hier S. 260) ausmache. 553 Vgl. ausführlich Kapitel 3.3.3.3 der vorliegenden Arbeit.

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Werner“ wird der Autor selbst zum Gegenstand von Mazzinis Analyse, die aufzeigt, wie eine individualistische, egoistische, moralisch verkommene Gesellschaft ohne jeden Glauben nicht nur in der Literatur, sondern auch in der Realität wirkt, und Werners Schaffen als Ausdruck seiner eigenen inneren Zerrissenheit, Orientierungslosigkeit und (gescheiterten) Suche nach Halt liest. Damit zeigt Mazzini zum einen auf, wie begründet seine Gegenwartskritik ist und wie dringend diese Zustände einer Änderung bedürfen. Zum anderen belegt er nachdrücklich, wie wichtig der Glauben – an wen oder was auch immer – für das menschliche Dasein ist und versucht, dieses Bedürfnis für seine Zwecke zu nutzen.

3.3.3.2 Religiöse Ebene: Begründung einer Demotheokratie Bereits bei der Analyse der literaturkritischen Ebene sind die religiösen Implikationen von Mazzinis Aufsatz zur Fatalität sehr deutlich geworden. Diese sollen im Folgenden – unter besonderer Berücksichtigung der „Cenni su Werner“ – noch genauer herausgearbeitet und betrachtet werden, um aufzuzeigen, wie Mazzini „Der vierundzwanzigste Februar“ für seine Zwecke auslegt. Werners Protagonisten Kunz, Trude und Kurt bezeichnet Mazzini in „Della fatalità considerata com’elemento drammatico“ als „trinità di sciagura“554, wobei „trinità“ sowohl allgemein als Dreiheit aus Vater, Mutter und Sohn gelesen als auch in ihrer religiösen Bedeutung betrachtet werden kann: L’ignoto destinato [cioè, Kurt,] a sciogliere il nodo, giunge improvviso, fra le tenebre, per vie disusate, come fosse guidato da una mano invisibile, e quand’ei batte all’uscio dal casolare solitario, tu senti un brivido correrti per la persona: la fatalità entra con lui nella stanza ove i due [Kunz e sua moglie, Trude] son raccolti: ogni suo detto, ogni suo moto è un mistero; una luce di gioia mesta, come d’esule che ripatrii, incolora il suo volto, ma sotto quella gioia è un rimorso, è un presagio di guai. Da quella trinità di sciagura in fuori, non moto, non voce viva se non d’augelli notturni. Il vento urla al di fuori la vendetta di Dio.555

Die Dreiheit wird als Komposition der Katastrophe ausgelegt; über die als heilige Familie inszenierte Vater-Mutter-Sohn-Konstellation fährt Gott als rächende Macht nieder und verlangt Gehorsam gegenüber seinen Befehlen, wie einerseits die antiken Götter, andererseits der strafende Gott des Alten Testaments, der die Menschen des Weiteren durch die Erbsünde knechtet. Der verfluchte Kurt will seinen Eltern aus ihrer – ebenfalls durch den Fluch bedingten – finanziellen Misere helfen und dem Unheil damit Liebe sowie Barmherzigkeit entgegensetzen. Doch ist in Werners Gottesbild – nach Mazzini – Liebe nicht stark genug, um sich gegen eine Allmacht zu widersetzen, die keinen Widerspruch duldet. Wird Kurt als Christus-Figur gelesen, offenbart sich eine tiefliegende Auflehnung gegen das kirchliche Dogma. Jesus ist dann nicht in der Lage, die Menschheit zu 554 Mazzini, „Fatalità“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 172. 555 Ebd., hier S. 171 f.

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erlösen; weder Altes noch Neues Testament bieten einen Ausweg aus der Misere der Menschheit, sodass ein neuer Glaube begründet werden muss. Diesen Ausweg bietet Mazzinis Menschheitsreligion oder Demotheokratie mit dem Glauben an einen guten Gott,556 der die Menschen in stetigem Fortschritt zu ihrem Heil führt – das sie auf Erden finden sollen. Gott allein wird es nämlich für die Menschen nicht richten; sie sind angehalten, sich aktiv für die Vollbringung des göttlichen Wollens und Strebens einzusetzen. Der Revolutionskampf wird als Gottes Wille inszeniert; sich diesem anzuschließen gilt als Erfüllung seiner Mission auf Erden. Davon zeigt sich Mazzini bereits im Jahr 1832 überzeugt: „DIO È CON VOI: fate della rivoluzione una religione: una idea generale che affratelli gli uomini nella coscienza d’un destino comune, e il martirio: ecco i due elementi eterni d’ogni religione.“557 Mazzinis Verknüpfung von Religion und Politik erfährt mit der Einführung der Schicksalskategorie der provvidenza ein neues Argument, das für sein Projekt überzeugen soll. Werners Drama ordnet Mazzini – wie dargelegt – der antiken Schicksalskategorie des fato zu und verteidigt den deutschen Dichter dennoch: „[… L]a credenza nel Fato era frutto più d’irritazione impotente che non di solenne e meditata rassegnazione.“558 Werners Leben sei geprägt von einer stetigen Suche nach Halt in einem Glauben, den er nicht finde und auf verschiedene, mysteriöse Art deshalb über fatalistische Literatur artikuliere. Ursprünglich protestantisch verliere Werner durch die genannten Ereignisse – Tod eines Freundes und seiner Mutter jeweils an einem 24. Februar – seine Zuversicht und den Glauben an einen guten Gott. Auch seine Epoche – geprägt von Skeptizismus und romantischer Suche nach Heil – gebe ihm keine Antwort auf seine Fragen. Sein 1806 am Berliner Nationaltheater uraufgeführtes Werk „Luther oder die Weihe der Kraft“ wird von beiden Konfessionen gleichermaßen lobend bedacht – genauso wie von Mme de Staël. Doch auch in Berlin hält es Werner nicht lange, der durch Europa zieht, um inneren Frieden zu finden: Fuggiva il secolo e il mondo e il tedio d’una vita spesa metà in una inerzia colpevole, metà in tentativi impotenti, e il vuoto dell’anima e le illusioni d’una fantasia concitata a febbre, e se stesso. […] Ho detto ch’ei fuggiva se stesso – ed è vero; né sapendo come o dove, guardava fin d’allora desideroso all’Italia, terra dove l’anime si svegliano e s’addormentano così presto, e l’obblio, pur troppo, si beve coll’aure che spirano accarezzando.559

Weder seine Ausflüge in die Mystik und Fantastik noch seine ursprüngliche, protestantische Konfession bieten Werner die Ruhe, die er sucht. In Rom konvertiert 556 Vgl. Mazzini, „La chute“, in: SEI, Bd. XVI, Letteratura III, hier S. 345. 557 Mazzini, „D’alcune cause“, in: SEI, Bd. II, Politica I, hier S. 177. Vgl. auch Mazzini, „Fede e avvenire“, in: SEI, Bd. VI, Politica IV, hier S. 351; sowie Pirodda, Giovanni: „La storia della civiltà italiana nella visione di Carlo Tenca“, in: Friedrich Wolfzettel/Peter Ihring (Hgg.): Literarische Tradition und nationale Identität. Literaturgeschichtsschreibung im italienischen Risorgimento, Tübingen 1991, S. 189–206, hier S. 197 f. 558 Mazzini, „Cenni su Werner“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 217. 559 Ebd., hier S. 227 f.

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er schließlich im April 1811 zum Katholizismus, wird 1814 in Aschaffenburg zum Priester geweiht und geht nach Wien, wo er regelmäßig – wenn auch ohne feste Anstellung – predigt: Ciò che dentro lui s’operasse, ei nol dice. Sappiamo che ei si prostò, cogli occhi in pianto, ai sepolcri di S. Pietro e di S. Paolo – che infervorò in certi esercizi spirituali condotti con digiuni e silenzio rigorosissimo a ravvivare i tiepidi nella fede – ch’ei ne uscì commosso altamente e coll’anima in gioia – e che, per ultima resultanza dell’interno lavoro che in lui si compieva: – „Werner – com’egli s’esprime – ebbe grazia il dì 29 d’aprile del 1811 di tornare alle fede dei suoi padri, alla fede cattolica.“560

Mazzini hält die Entscheidung Werners für den Katholizismus nicht für das Ende seiner Suche. Zum einen glaubt er, der deutsche Dichter wolle damit Abbitte für sein teilweise sehr ausschweifendes Leben leisten und ordnet unter diesen Aspekt auch dessen Widerruf seiner bisherigen literarischen Arbeiten unter dem Titel „Die Weihe der Unkraft“ ein, mit dem Werner sich direkt auf seinen LutherText bezieht. Zum anderen sei seine Konversion Teil einer Selbsttäuschung oder eines Selbstbetrugs, so Mazzini, da es Anzeichen dafür gebe, dass Werner eher resigniert denn überzeugt von oder gar enthusiastisch gegenüber der katholischen Kirche gewesen sei. Diese Anzeichen konkretisiert Mazzini jedoch nicht. Er führt lediglich die von Werner revidierte Entscheidung, in ein Wiener Redemptoristen-Kloster einzutreten, an. Der deutsche Dichter habe schließlich durch seine Hinwendung zum Katholizismus und seinen missionarischen Eifer einen (Schein-)Frieden für sich gefunden, den er um jeden Preis habe aufrechterhalten wollen, weil er keine Kraft mehr für den Kampf gehabt habe, der ihn so lange aufgerieben habe. Mazzini bezeichnet Werner sogar als „martire ignoto“561 – womit auch dieser Autor zum Opfer seiner Zeit wird, die ihn und seine Werke prägt. Seine (literarischen) Schwächen sollten Werner deshalb nachgesehen werden: Perdonategli e compiangetelo. Perché molti dei falli che contaminarono la purità di quell’anima di poeta, spettano al secolo e non a lui. Che colpa ha un’anima se, venuta a tempi di rovina, di scetticismo e di calcolo, si slancia a escirne, e le mancano l’ali, e ricade! Maledirete all’uomo e insulterete al poeta perché egli ebbe i desideri, non la potenza, del Genio?562

Durch die Vermutung, Werner habe – am Ende seines Lebens bereits kränklich – endlich Seelenfrieden finden wollen und mit dem Katholizismus deshalb einen Kompromiss geschlossen, löst Mazzini das für ihn bestehende Dilemma der Glaubensfrage. Er bezweifelt, dass der Katholizismus eine Lösung für die Gesellschaftskrise der Gegenwart bieten kann, und bietet mit seinem Modell einer Demotheokratie einen Ausweg. Die göttliche Vorsehung, das Schicksal als Providenz, das jedoch zugunsten des Menschen sowie seines Fortschritts wirkt und sich nicht gegen ihn stellt als Unheil bringende Macht, interpretiert Mazzini als Zeichen 560 Ebd., hier S. 229. 561 Ebd., hier S. 230. 562 Ebd., hier S. 236.

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von Gottes Wohlwollen gegenüber Revolution und Demokratie. Mensch und Gott befinden sich mit ihrem Wollen und Streben in Einklang; der Mensch muss Gott nicht mehr fürchten – außer er stellt sich dessen Willen entgegen wie Mazzinis Gegner. Die Erfüllung von Gottes Willen auf Erden ist zudem diesseitig und universal ausgerichtet.

3.3.3.3 Politische Ebene: Königsmord, Völkerfluch und der Ausweg Wie bereits im vorherigen Unterkapitel angedeutet, nutzt Mazzini „Della fatalità considerata com’elemento drammatico“ und die „Cenni su Werner“ – sowie Ruffinis Übersetzung – auf politischer Ebene zur Inszenierung einer gottgewollten Revolution in Italien. Dieses Anliegen artikuliert er gegenüber Anhängern und Gegnern im Rahmen einer Vision, einer Warnung und einer Drohung. Die subtil zum Ausdruck gebrachte Vision Mazzinis gilt seinen Anhängern, die durch seine Erläuterungen zum Schicksal einerseits davon überzeugt werden sollen, dass seine Demotheokratie als System der Zukunft Gott und Mensch vereint – weswegen sich ein Engagement für diese in jedem Fall auszahlen wird. Andererseits appelliert Mazzini mit seinem Kommentar an seine demokratischen Mitstreiter, sich Schillers Providenzdenken anzuschließen – und sich nicht etwa im Glauben an das fato oder die necessità, die eindeutig der Vergangenheit angehören, zu verlieren – sowie entsprechend zu handeln, um auch die breite Bevölkerung missionarisch von dieser Zukunft zu überzeugen und zu Engagement zu motivieren. Die Warnung gilt Anhängern und politischen Gegnern gleichermaßen. Revolutionskampf darf nicht in Anarchie und neuer Gewalt- oder Willkürherrschaft enden. Das Schicksal als Unheil symbolisiert hier gleichzeitig neue Formen der Tyrannei. Deshalb konzipiert Mazzini aus politischer Sicht auch die Idee einer Übergangsregierung, die eine Demokratisierung in geordnete Bahnen lenkt und auf deren Verwirklichung achtet, die aber auch ihre Macht nicht missbrauchen darf. Ein solches, moralisch wie politisch korrektes Vorgehen führt Mazzini in der Praxis in den wenigen Situationen, in denen er aktiv politisch wirken kann, selbst exemplarisch vor. Der Römischen Republik mit einer der fortschrittlichsten Verfassungen des damaligen Europa, die gerade auch Religionsfreiheit propagiert, steht er als moralisches und demokratisches Vorbild voran. Seine Tätigkeit als Teil des führenden Triumvirats gilt als „masterpiece of the political art“563. Darüber hinaus wird er in seinem Privatleben stets als freigiebig, großzügig und philan563 Wight, „Four seminal thinkers“, in: Oxford Scholarship Online, hier S. 11. Vgl. auch Mack Smith, Mazzini, S. 67 ff.; Scioscioli, Lettere inedite, S. 19; sowie zur Bedeutung charismatischer Führungspersönlichkeiten für religiös inspirierte Revolutionen Gentile, Le religioni della politica, S. 214.

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thropisch beschrieben – auch wenn er selbst kaum finanzielle Mittel zur Verfügung hat.564 Die Historie der Giovine Europa zeigt allerdings auch einen anderen Mazzini, der Führung und Kontrolle nicht aus der Hand geben will, selbst wenn er sie de facto abgetreten hat, und offenbart damit seine wenig kompromissbereite, egoistische, starrköpfige Seite.565 Im Hinblick auf sein Erneuerungsprojekt für seine italienische Heimat steht Mazzini die Übersetzung Agostino Ruffinis – „Il ventiquattro febbraio“ – unterstützend zur Seite. An dieser Stelle ist insbesondere auf die verstärkte Inszenierung von und Sehnsucht nach der Heimat zu verweisen, die in der Übersetzung evoziert wird. Ihr Patriotismus und ihre Sehnsucht nach Italien treiben Mazzini und die Ruffini-Brüder im Exil so sehr um wie Kurt im Schicksalsdrama Werners. Gleichzeitig dient dem Trio die Schweiz – auch Handlungsort von „Der vierundzwanzigste Februar“ – zu Beginn der Biblioteca Drammatica als Zufluchsort sowie Asyl und erhält damit positive Konnotationen.566 So wird etwa Werners Die gleiche Noth und Heimath zog, wie Kletten, / – Uns aneinander; mich, die Gier zu zieh’n! – / Und wär’ er außerhalb der Welt gegangen, Ihm nach hätt’ mich getrieben Treu’ und Bangen! (48)567 von Ruffini mit L’affetto della patria e la comune sventura aveano cimentato i nodi, che già ci univano strettamente, e posseduto dalla smania di viaggiare, come io era, avrei tolto di seguitarlo anche oltre i confini del mondo, così per la fede ch’io aveva verso lui, come per l’irrequieto talento di veder nuove terre. (95) ins Italienische übertragen, wobei hier vor allem der Zusatz der zärtlichen Liebe gegenüber der Heimat diese aufwertet. Dieses in Ruffinis Übersetzung verstärkt hervorgehobene Heimatgefühl zeigt sich darüber hinaus durch seine Verwendung von Possessivbegleitern bei Landschaftsbeschreibungen, die bei Werner vollständig fehlen: Für Schweizerseen, die Wasserfälle klangen (50) verwendet Ruffini de’ miei laghi e delle mie cascatelle (97); Ihr hört die Seen schrey’n, die Gletscher singen (51) wird zu avete udito parlare i nostri laghi, e cantare la nostre ghiacciaie (98); Das Bangen, / Beschwichtigt ist’s – erreicht der Heimath Land! (63) übersetzt Ruffini mit Le mie pene hanno cessato, io sono nel mio luogo natale. (111) Zudem wird die Heimat bei Ruffini deutlicher als Ort der Verheißung, der Vergebung der Sünden und des Ende des Leids inszeniert, sodass politische und 564 Vgl. Mazzini, „Note autobiografiche“, in: SEI, Bd. LXXVII, Politica XXVI, hier S. 341; Recchia/ Urbinati, „Introduction“, in: dies., Cosmopolitanism of nations, hier S. 5 f.; Ferri, „Mazzini, uomo di governo“, in: Bonanni, Pensiero e Azione, hier S. 59; sowie Sullam, „The Moses of Italian unity, in: Bayly/Biagini, Mazzini and the globalisation, hier S. 119. 565 Vgl. Sarti, „Mazzini and Young Europe, in: Bayly/Biagini, Mazzini and the globalisation, hier S. 275 f., S. 289 ff.; sowie Sarti, Mazzini, S. 85 ff. 566 Lange Zeit gilt die Schweiz, Zufluchtsort und Ersatzheimat vieler politischer Flüchtlinge in Europa, als Vorbildnation – auch wenn Mazzini sich nach der Vertreibung aus Grenchen und der Weigerung der Schweiz, seine zentralistischen Ideen umzusetzen, von dieser Ansicht distanziert. Vgl. etwa Scirocco, L’Italia del Risorgimento, S. 175 f. 567 Die Hervorhebungen in den Textbeispielen in Original und Übersetzung gehen jeweils auf mich zurück.

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religiöse Ebene auch in der Übersetzung verschwimmen. Hierfür kann folgende Textstelle als Beispiel dienen: So lispelt’s mir, daß aller meiner Sünden / Im Vaterland ich würd’ Entsühnung finden! / Die Schweizerseen, die Wasserfälle klangen / Aus duft’ger Fern’ zu mir hinüber: „Komm!“ / Die starren Gletscher – ähnlich meinem bangen / Erstarren – schrie’n: „Wir werden schmelzen! – Komm!“ (50) Diese Passage übersetzt Ruffini mit Riconfortavami una fede di trovare nella mia patria remissione e perdono a’ miei peccati; udiva un eco misterioso, e mi parca quello de’ miei laghi e delle mie cascatelle, a ripetermi da lontano: vieni! Un caro delirio animava anch’esse le ghiacciaie allo spettacolo del mio soffrire, e pareano dirmi: vieni, noi ci sciorremo alle tue lagrime. (97) Im Hinblick auf das aktive Engagement, das Mazzini und seine Mitstreiter von der Bevölkerung gerade für eine Erneuerung fordern, kann die explizite Übersetzung folgender Stelle als subtile Forderung interpretiert werden. Aus Werners einfacher „That“ macht Ruffini ein „Erneuerungswerk“: Die (rasseln hört man schon vom Schicksals-Buche / Die Blätter!) wo, wenn erst die That gelungen, / Das Lied auch wieder neu wird angeglommen, / Ich meyne das im frommen / Christlichen Glauben blüh’nde Lied vom Segen! (9 f.) wird zu Ma si accosta il tempo (già si odono svolgere le pagine del libro del destino), nel quale, consumata l’opera di rinnovellamento, s’intuonerà un cantico nuovo, inspirato dalla santa fede cristiana, il cantico di benedizione. (53) Darüber hinaus soll an dieser Stelle die bereits erwähnte Übersetzung der Parabel zu Phosphor aus den „Söhnen des Thales“ in aller Kürze herangezogen werden, die den „Cenni su Werner“ beigefügt ist und im Gegensatz zu dem erwähnten fragmentarischen Prolog der „Mutter der Makkabäer“ ein ähnliches Vorgehen wie Agostino Ruffini bei der Übertragung von „Der vierundzwanzigste Februar“ sowie der Übersetzer des zweiten Akts des „Chatterton“ offenbart, weswegen – weil keine Urheberschaft genannt wird – die Vermutung naheliegt, dass die „Leggenda di Fosforo“ von Agostino Ruffini angefertigt wurde. Insgesamt handelt es sich wiederum um eine – auf den ersten Blick – sehr treue Übersetzung. Auffällig sind ähnliche Feinheiten und Stilmittel wie bei den bisher betrachteten Übersetzungen Ruffinis. Im Kontext des Erneuerungsprojekts der Begründer der Biblioteca Drammatica ist die mehrfache Übersetzung von „Stamm“ im Original mit „patria“ bzw. „prima patria“ als Geburts- und Sehnsuchtsort auffällig, deren Verlust Gott in der Parabel nicht ausreicht, sondern deren Existenz und kollektive Erfahrung als Strafe für den Ungehorsam Phosphors einem (temporären) Vergessen anheim gegeben werden – eine viel schlimmere Strafe als Verbannung oder Exil. Dieser Aspekt begründet wahrscheinlich auch die Entscheidung Mazzinis, ausgerechnet diesen Ausschnitt aus dem Drama übersetzen zu lassen. Folgendes Beispiel soll einen ersten Eindruck vermitteln: So aber sprach der Herr: dieweil du meiner / Vergessen hast und meines heil’gen Willens, / Ob deiner Lust, zu werden wie ich selber; / So geb’ ich dich dem Element zum Raube, / Und will dir deines Stamms Gedächtnis

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nehmen / Und das Gedächtnis meines hohen Nahmens. (274)568 im Vergleich zu E il Signore parlò: Perché tu hai posta in non cale la mia volontà [sic!], io t’abbandono all’Elemento, e tu sarai il suo schiavo, né avrai più oltre memoria del mio nome o della prima tua patria. (163)569 Als Phosphors Erlösung naht, kehrt auch seine Erinnerung an seine Herkunft zurück, von Werner erneut als „Stamm“ bezeichnet: Wenn er in selben schaute, drückt’ ihn minder / Das Kleid von Erde, und es dämmert’ ihm / Wie Morgenschimmer seines Stamms Gedächtnis. (275) Ruffini übersetzt wie folgt: […] e quante volte ei v’affisava lo sguardo, tante ei sentiva alleviarsi d’intorno a sé la sua vesta terrena; e una memoria della prima Patria gli tornava incerta e debole all’anima come una luce tremola di mattino. (164) Die allmähliche Rückkehr dieser Erinnerung, im Deutschen mit „dämmern“ umschrieben, wird im Italienischen durch die Hinzunahme der Adverben „unsicher“ und „schwach“ zum Verb „tornare“ betont, wie auch „luce di mattino“ als „Morgenschimmer“ durch „tremola“ als allmählicher Prozess dargestellt wird. Zudem wird als „Ort“ dieses kollektiven Gedächtnisses in der Übersetzung die Seele ausgemacht, was im Original vollständig fehlt. Die Übersetzung von „Stamm“ mit „Patria“ – im Rettungsmoment stets mit Majuskel geschrieben – zeigt sich zwei weitere Male am Ende der Parabel, wobei an der zweiten Stelle das Gedächtnis der Heimat in der Übersetzung – im Gegensatz zum Original – durch eine Kursivsetzung hervorgehoben wird, um dessen Bedeutung zu unterstreichen und die Wichtigkeit der kollektiven Erinnerung für die Zukunft eines Landes zu demonstrieren: Hab’ ich ihm nicht Mylitten / Geschenket, daß er seinen Stamm erblicke? (276) im Vergleich zu […] non ho io mandata Militta a lui, sì ch’egli potesse vedere la sua prima Patria? (165) sowie Und seines Stamms Gedächtnis golden strahlen (279) versus […] e la Rimembranza della prima Patria scintillava in una luce bellissima d’oro. (168) Mit der Erarbeitung des Konzepts einer zielführenden Revolution hin zu einer geordneten Demokratie begegnet Mazzini auch der Angst vor einem „Völkerfluch“ im Zuge einer radikalen Neuordnung Italiens. Die Beschäftigung Mazzinis mit dieser Problematik geht drauf zurück, dass „Der vierundzwanzigste Februar“ von der zeitgenössischen Kritik dahingehend interpretiert wurde, dass er das Trauma der verlorenen Autorität als ein das 19. Jahrhundert prägendes Thema aufgreife. Die Monarchisten lesen in diesem Kontext den Königs- als Vatermord, der sich als Fluch schließlich gegen das Volk selbst richtet. Hintergrund hierzu bildet die Französische Revolution, die zwar zu einer Befreiung von der Monarchie, durch diesen Verlust von Autorität aber auch zu einer Orientierungslosigkeit geführt

568 Zitiert wird im Folgenden mit der jeweiligen Seitenangabe in Klammern nach Werner, Friedrich Ludwig Zacharias: Die Söhne des Thales. Ein dramatisches Gedicht. Zweiter Theil: Die Kreuzesbrüder, Berlin 1804. Die jeweiligen Hervorhebungen habe ich vorgenommen. 569 Zitate weiter nach Mazzini/Ruffini, Saggio sulla letteratura europea.

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habe. Statt der angestrebten Freiheit herrschen nun Terror und Anarchie – oder, wie Werner es ausdrückt, eine „Gewaltherrschaft der zügellosen Leidenschaft“570. Der Mensch sucht in solchen Krisenzeiten – wie von Mazzini dargestellt – sein Heil oftmals in dem Glauben an ein Schicksal als Natur- oder überirdische Macht, der er ohne Ausweichmöglichkeit ausgeliefert ist. Seinen freien Willen ordnet er nun nicht mehr einer Autorität, sondern einer anderen willkürlich agierenden, okkulten Macht unter. Die Französische Revolution endet für Mazzini jedoch nur deshalb im Chaos, weil sie sich rein auf liberale Rechte für Bürger konzentriert und deren Pflichten darüber vergisst. Letztere beziehen sich jedoch gerade nicht nur auf die Rolle des Menschen, die er als aktiver, partizipierender Bürger in einer demokratischen Nation ausfüllt, sondern auch auf das gleichberechtigte Zusammenleben in einer Gemeinschaft, sei es als Familie oder als Gesellschaft, als Nation oder als vereintes Europa.571 In einer Demokratie braucht es Regeln und Ordnung, Rechte werden über Moral reglementiert und gelenkt, sodass durch diese neuen Werte zudem Egoismus und rein materialistischem Streben vorgebeugt wird. Mazzini als „the prophet of a ‚religion of duty‘“572 stellt die doveri als wichtigstes Element einer sozialen Zukunft den diritti einer individualistischen Vergangenheit gegenüber:573 Ad ogni opera vostra nel cerchio della Patria o della famiglia, chiedete a voi stessi: se questo ch’io fo fosse fatto da tutti e per tutto, gioverebbe o nuocerebbe all’Umanità? e se la coscienza vi risponde: nuocerebbe, desistete: desistete, quand’anche vi sembri che dall’azione vostra escirebbe un vantaggio immediato per la Patria o per la Famiglia. Siate apostoli di questa fede, apostoli della fratellanza delle Nazioni e della unità, oggi ammessa in principio, ma nel fatto negata, del genere umano. Siatelo dove potete e come potete. Né Dio, né gli uomini possono esigere più da voi.574 570 Werner, Friedrich Ludwig Zacharias: Kein Katholik, oder vom wahren Katholicismus und falschen Protestantismus, Göttingen 1825, S. 34. 571 Vgl. Mazzini, „Doveri dell’uomo“, in: SEI, Bd. LXIX, Politica XXIV, hier S. 74 f.; weiterführend: Sagramola, Mazzini nel Risorgimento italiano, S. 65; Fournier Finocchiaro, Giuseppe Mazzini, S. 113 ff.; Bayly, C. A.: „Liberalism at large: Mazzini and nineteenth-century Indian thought“, in: C. A. Bayly/Eugenio F. Biagini (Hgg.): Giuseppe Mazzini and the globalisation of democratic nationalism 1830–1920, New York 2008, S. 355–374, hier S. 369; sowie Richards, E. F. (Hg.): Mazzini’s letters to an English family 1844–1854, London/New York 1920, S. 25. 572 Recchia/Urbinati, „Introduction“, in: dies., Cosmopolitanism of nations, hier S. 8. Vgl. zum Einfluss Félicitè de Lamennais’ auf Mazzinis (Pflichten-)Lehre Sullam, „Dio e il Popolo“, in: Banti/ Ginsborg, Storia d’Italia, hier S. 406 f., S. 419; Sullam, „The Moses of Italian unity, in: Bayly/Biagini, Mazzini and the globalisation, hier S. 120 ff.; sowie Sullam, „Fate della rivoluzione una religione, in: Società e Storia 106 (2004), hier S. 713 ff. 573 Vgl. etwa Mazzini, „Fede e avvenire, in: SEI, Bd. VI, Politica IV, hier S. 336. 574 Mazzini, „Doveri dell’uomo“, in: SEI, Bd.  LXIX, Politica XXIV, hier S.  57 f.; Vgl. auch Mazzini, „Pensieri“, in: SEI, Bd. I, Letteratura I, hier S. 372; sowie Brunetta, „Risorgimento deluso“, in: Istituto per la storia, Mazzini a duecento anni, hier S. 20. Diese Handlungsinstruktion erinnert stark an den kategorischen Imperativ Immanuel Kants. Inwieweit und wie gut Mazzini Kants Schriften kannte, gilt in der Forschung weiterhin als umstritten (vgl. Naccarati, Livio: „Concezione della morale e concezione dello Stato in Kant e Hegel“, in: Il Pensiero Mazziniano 2 [2009], S. 10–18; Sullam, „Dio e il Popolo“, in: Banti/Ginsborg, Storia d’Italia, hier S. 418; Recchia/Urbinati, „Introduction“, in: dies., Cosmopolitanism of na-

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Der Königsmord endet für Mazzini deshalb gerade nicht in Orientierungslosigkeit, Anarchie bzw. einem Fluch, sondern leitet eine neue Stufe des Daseins in der Entwicklung der Menschheit ein. Auch wenn Mazzini der Französischen Revolution im Laufe seines Lebens zunehmend kritisch gegenübersteht und sie – wie dargelegt – als Phänomen bezeichnet, dass durch seine rein liberale Ausrichtung egoistisches Streben und materialistische Werte verbreitet habe, stellt sie als historisches Ereignis und eben solche Notwendigkeit doch die Voraussetzung für sein Denken und Streben dar. Denn die Französische Revolution bildet als bislang prägendstes Ereignis seiner Epoche die Grundlage für Mazzinis konspiratives Engagement, das Königsmord und Aufstände des Volks erst ermöglicht bzw. mit der Aussicht auf Erfolg begünstigt – und bietet ihm gleichzeitig durch ihre Entwicklung Angriffsund Aufbaufläche für sein eigenes Projekt.575 Die Problematik um den Völkerfluch offenbart auch die Übersetzung Agostino Ruffinis. Werners Drama ist kein umstürzlerisches Werk; er und seine Weimarer Zeitgenossen befürworten weder Königsmord noch Revolution. 1809 im Rahmen einer Privataufführung im Salon Mme de Staëls in Coppet erstmals auf einer Bühne präsentiert, folgt die Uraufführung von „Der vierundzwanzigste Februar“ am 24.2.1810 am Weimarer Hoftheater unter der Leitung Goethes. Der Handlung des Schicksalsdramas nach hält sich Kurt zur Zeit der Revolution in Paris auf. Als er seinen Eltern von seinen Erlebnissen berichtet, nutzt er drastische Worte für deren Schilderung. Dabei verurteilt er den Königsmord als Vatermord und verwendet explizit den Terminus „Völkerfluch“. Ruffini hält sich zwar zunächst an die Botschaft des deutschen Texts und dessen Formulierung: Als nun unsre Brüder schön gefallen, / Fern von der Heimath und dem Vaterland, / In Königs Dienst, von dem sie nicht Vasallen, / An den nur Ehr’ und Bundestreu’ sie band, / Des Königs, der vor seiner Väter Hallen, / Volksvater selbst, durch seiner Kinder Hand / Den Tod erlitt! (48) übersetzt er mit Immolati i nostri fratelli, lungi dalla patria e dalle proprie case, al servigio di un re, al quale non sudditanza, ma onore e fede lagavami, di un re padre del suo popolo, e sacrificato in vista della reggia de’ suoi maggiori, per mano de’ suoi figli … (94 f.) „Völkerfluch“ ersetzt er jetions, hier S. 22; Altgeld, Wolfgang: „Review of C. A. Bayly/E. F. Biagini. Giuseppe Mazzini and the globalisation of democratic nationalism, 1830–1920“, in: H-Soz-u-Kult, H-Net Reviews, Oktober 2011, http://www.h-net.org/reviews/showrev.php?id=34484 [4.8.2016]; Orilia, „Il pensiero di Giuseppe Mazzini“, in: Il Pensiero Mazziniano 2 [2015], hier S. 79; Wight, „Four seminal thinkers“, in: Oxford Scholarship Online, hier S. 5; sowie Magagnato, „L’Europa di Mazzini“, in: Istituto per la storia, Mazzini a duecento anni, hier S. 123). Mazzini notiert in eines seiner jugendlichen Notizhefte zu Kants Erziehungskonzept: „Secondo Kant, lo scopo dell’educazione sarebbe di sviluppare nello individuo tutta la perfezione della quale è capace“ (Mazzini, „Quaderno I“, in: SEI, Zibaldone Giovanile, Bd. I, hier S. 171; vgl. auch Mazzini, „Quaderno V“, in: SEI, Zibaldone Giovanile, Bd. III, S. 197). 575 Vgl. zum Erbe der Französischen Revolution als Ursprung einer „Religion“ des Patriotismus und der Erneuerung, für die die Revolution selbst das entscheidende „evento messianico e rigeneratore“ wird, Gentile, Le religioni della politica, S. 40 sowie S. 45 zu Mazzinis Weiterführung dieses Erbes als Menschheitsreligion.

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doch durch „carneficina“, zu Deutsch „Blutbad“/„Gemetzel“, und umgeht damit den für das politisch-religiöse Konzept Mazzinis kritischen Terminus: Ich sah die Nacht, der so viel Quaal entsprossen! / – Schwarz, sternleer war die schwüle Sommernacht, / Als habe sie die Lampen umgestoßen, / Um nur zu leuchten nicht der düstern Macht! / – Laßt von der Nacht, die ewig wird bezeigen / Den Völkerfluch, mich Fluchbeladnen schweigen! (47 f.) wird zu Pur troppo vid’io quella notte, madre di tanti infortunii; una notte di estate, patetica, senza stelle, quasi spegnesse i suoi fuochi per non rischiarare le umane carnificine. (94) Mazzini droht subtil sowohl der Monarchie als auch dem Klerus.576 Das System der Monarchie ist für ihn überholt und entspricht weder zeitgenössischen Bedürfnissen noch Tendenzen: L’equilibrio monarchico europeo, irrisorio e guasto in molte sue parti, è condannato a rompersi e svanire rapidamente davanti alla suprema ragione de’ popoli; e un nuovo edificio sociale s’elabora tacitamente tra le rovine del vecchio.577

Eine wie auch immer geartete Regicide – ob als konkreter Mord oder als „Tod“ der Monarchie durch Abdankung oder Kampf – werde sich zwangsläufig vollziehen; das Schicksal als Unheil bringende Macht, als ebenfalls überholte Idee, werde die Herrscher einholen, wenn sie sich dem unvermeidlichen Fortschritt entgegenstellen.578 Dies ist jedoch nicht nur eine politische Drohung – denn durch ihren Kampf um Machterhalt stellen sich die Despoten zugleich gegen Gottes Willen.579 Die einzige, von Gott gewollte Staatsform ist die Republik – und gegen Gottes Wille darf sich der Mensch nicht stellen: Ora, il Partito repubblicano non è partito politico: è partito essenzialmente religioso: ha dogma, fede, martiri […]; e deve avere l’inviolabilità del dogma, l’infallibilità della fede, il sagrifìcio e il grido d’azione dei martiri.580

Mazzini inszeniert die Monarchen folglich als gotteslästernde Ungläubige; das Paradigma des Herrschers von Gottes Gnaden wird ad absurdum geführt. Hierbei stellt Mazzini jedoch nicht nur die Aristokratie als gegen Gottes Willen handelnd dar, sondern bezichtigt selbst den Klerus der Blasphemie, da dieser Gottes Willen nicht respektiere.581 Einerseits handele die Kirche durch ihre Macht- und Profitgier gegen jegliche christliche Moralansprüche, andererseits habe sie sich durch ihre Spaltung in Konfessionen selbst überholt. Mazzinis Menschheitsreligion braucht keinen Klerus mehr, der die Bibel für das Volk auslegt, es dadurch im Namen Gottes versklavt und zu blindem Gehorsam verpflichtet. Das Volk und Gott kommu576 Vgl. Mazzini, Giuseppe: „Dell’iniziativa rivoluzionaria in Europa“ (1834), in: SEI, Bd. IV, Politica III, Imola 1908, S. 155–181, hier S. 155. 577 Mazzini, „Cheskian Anthology“, in: SEI, Bd. I, Letteratura I, hier S. 377. 578 Vgl. Mazzini, „Fede e avvenire“, in: SEI, Bd. VI, Politica IV, hier S. 296. 579 Vgl. ebd., hier S. 297. 580 Ebd., hier S. 306. 581 Vgl. Mazzini, Giuseppe: „Intorno all’enciclica di Gregorio XVI, Papa. Pensieri ai preti italiani“ (1833), in: SEI, Bd. III, Politica II, Imola 1907, S. 129–158, hier S. 133 ff.

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nizieren ohne Mittler, Dio e il Popolo werden zu einer Einheit. Der Mensch erfüllt durch moralisches und verantwortungsbewusstes Handeln, durch seinen Einsatz für eine freie, demokratische, solidarische Zukunft Gottes Willen.582 Mazzini als dessen Prophet und Apostel legt diesen Willen aus und leitet ihn an die Menschen weiter.583 Seine Sonderrolle, die auf den ersten Blick seinem Credo der Gleichheit aller Menschen entgegensteht, rechtfertigt er mit der Ausnahmesituation des Revolutionszustands. Wie auf politischer Ebene eine quasi diktatorische Übergangsregierung für die Stabilisierung einer jungen Demokratie sorgen soll, so fungieren die „Genies“ als geistig-religiöse Führer der Menschheit auf ihrem Weg zu einer neuen Epoche – wobei Mazzini beide Ebenen in seiner Person vereint und damit selbst sowohl die politische als auch die religiöse Führungsposition für sich beansprucht. Literaten, sowohl Literaturschaffende als auch Literaturkritiker, übernehmen eine wichtige Rolle als Erzieher, Propheten und Apostel für das Volk:584 For this is, indeed, the mission of the religious poet, – to console, to strengthen, to guide. The God whom he adores is the God of life and love, that is to say, of works wrought in love, – is the God who uplifts, the God who pardons, but on condition that we shall love much, which means, that we shall do much; for what is love merely contemplative, love that sacrifices not itself?585

Wenn die Genies allerdings eine Zwischenposition einnehmen sowie zwischen Gott und den übrigen Menschen vermitteln, bilden sie eine Instanz, die die von Mazzini propagierte, direkte Kommunikation untergräbt. Durch die Beanspruchung der politischen und religiösen Führung sowie der Deutungshoheit des göttlichen Willens entstehen neue Hierarchien, die Mazzini doch gerade abzuschaffen verspricht. Die Übersetzung Ruffinis stützt weiterhin Mazzinis Streben in Bezug auf die Begründung einer eigenen Religion. So verdeutlicht und verstärkt der Übersetzer vorhandene religiöse Aspekte im Original subtil für eigene Zwecke, was im Folgenden an einigen Textstellen aufgezeigt werden soll. Im ersten Beispiel steht Der Obermeister zwar wird Meister meistern, / Doch darf sie Schülerwitz nicht überkleis582 Vgl. Mazzini, Giuseppe: „Per la proclamazione della Repubblica Romana“ (1849), in: SEI, Bd. XXXIX, Politica XIV, Imola 1924, S. 79–83, hier S. 79 f. 583 Vgl. Talmon, Politischer Messianismus, S. 309; zu einer Problematisierung von Mazzinis Konzept im Hinblick auf die Autorität Gottes, die in einem gewissen Spannungsverhältnis zur von ihm propagierten Freiheit eines Volks steht, Sullam, „The Moses of Italian unity“, in: Bayly/Biagini, Mazzini and the globalisation, S. 107–124; weiterführend zu dieser Thematik Smith, Anthony D.: Chosen peoples: Sacred sources of national identity, Oxford 2003; sowie Novak, David: The election of Israel: The idea of a chosen people, Cambridge 1995. 584 Vgl. Mazzini, „Voix intérieures“, in: SEI, Bd. XVI, Letteratura III, hier S. 41; sowie weiterführend Talmon, Politischer Messianismus, S. 292, S. 294 ff. 585 Mazzini, „La chute“, in: SEI, Bd. XVI, Letteratura III, hier S. 345. Vgl. auch Mazzini, „Pensieri“, in: SEI, Bd. I, Letteratura I, hier S. 370; Mazzini, „Fede e avvenire“, in: SEI, Bd. VI, Politica IV, hier S. 307; sowie Li Volsi, „Mazzini e le ideologie“, in: Istituto per la storia, Mazzini a duecento anni, hier S. 62 f. Mazzini lehnt sich hier an den Genie-Kult der Romantik an, bricht aber mit deren Vorstellung eines einsamen, verzweifelten Geists, der die Menschheit in eine glorreiche Zukunft führen soll (vgl. Platania, „La critica letteraria“, in: Il Pensiero Mazziniano 1 [2005], hier S. 130 f.).

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tern. (6) gegenüber L’eterno mastro domerà i maestri della terra, ma non si attenti la vanità de’ scolari di coprirli di fango. (50) Ruffini hebt so die Unzulänglichkeit des gegenwärtig geltenden kirchlichen Dogmas hervor, das die Menschen zu Sklaven gegenüber einem allmächtigen Gott macht. Er verleiht Werners „Obermeister“ das Attribut „eterno“ und macht durch seine Wahl für „mastro“ zur Betitelung Gottes und „maestro“ für die irdischen Lehrer eine Abstufung zwischen himmlischer und irdischer Ebene deutlich, wobei im Original beide als „Meister“ bezeichnet werden. Durch seine Verwendung von „vanità“ („Eitelkeit“) für Witz und „coprire di fango“ (wörtlich: „mit Schlamm bedecken“) für „überkleistern“ hebt der Übersetzer den genannten Unterschied zwischen ewiger Herrschaft und niederer Erdzugehörigkeit weiter hervor. Die Aussage Das kann im Menschenleben / Sich auf des Satans Antrieb wohl begeben! (48), die Ruffini mit Tanta abbominazione non è possibile in terra, se non per arte e malizia di Satana. (95) überträgt, betont über ihre Konstruktion im Italienischen durch eine Verneinung die Negativität des Teufels, die die Aufteilung des Substantivs „Antrieb“ im Original in „arte“ („Werk“) zum einen, „malizia“ („Bosheit“) zum anderen, insbesondere durch letzeren Terminus, zusätzlich unterstreicht. Der Teufel als Drohung und furcheinflößende Instanz findet keine Verwendung in Mazzinis Menschheitsreligion. Sein Zweck ergibt sich rein aus Machterhaltsgründen des Klerus. Darüber hinaus wird die Betitelung von Trudes Vater als „Pfarrherr“ im Original in der Übersetzung zu einem „Mann Gottes“ extendiert bzw. seine Rolle als „Hirte der Seelen“, ausgelegt als Missionar einer philanthropischen Religion, positiv hervorgehoben. Gleichzeitig wird die Bezeichnung Trudes als „Brut“ durch die Frage „Und was bist du?“ abgeschwächt, um nicht deren Verdorbenheit zu betonen, sondern um das Versprechen einer potenziellen Rettung jeder Seele nicht zu untergraben:586 Dein Vater war ein Pfarrherr, und du ’ne solche Brut (18) gegenüber Tuo padre era un uomo del Signore, un pastore delle anime, e tu cosa sei? (63) Im vierten Textbeispiel bittet Werners Kunz seinen Gläubiger auf Knien um Zahlungsaufschub, während Ruffini durch die Verwendung zweier Verbformen das kniende Flehen zusätzlich hervorhebt, um das Bild eines um Gnade bittenden reuigen Sünders zu evozieren. Darüber hinaus verleiht er der Inständigkeit und Verzweiflung von Kunzens Flehens durch den Zusatz „per tutti i santi“ mehr Intensität: […] als ich ihn knieend bath / Uns nur ’nen Monath lang noch Zahlungsfrist zu geben! (14) steht […] stando io in ginocchio e pregandolo per tutti i santi di un mese ancora di dilazione (59) gegenüber. Ähnlich verhält es sich an folgender Textstelle, an der Ruffini durch seinen Einschub „o buon Gesù“ die Anrufung Gottes expliziter macht und gleichzeitig präzisiert: Wenn ich einmal soll scheiden, / So scheide nicht von mir! / Schleuß auf des Himmels Thür! / Wenn mir am allerbängsten / Wird um das Herze seyn, / So reiß mich aus den Aengsten, / Kraft deiner Angst und Pein! (61) im Vergleich zu Quando sarò giunto al termine, soccorrimi, o buon 586 Vgl. ausführlich Kapitel 3.3.2.2 der vorliegenden Arbeit.

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Gesù: schiudimi le porte del paradiso, e, nella suprema agonia, rimettimi le mie pene pe’ meriti della tua passione. (110) In einer Linie mit Mazzinis Plädoyers für ein aktives Engagement der Bevölkerung im Rahmen einer Revolution, die er als Gottes Wille inszeniert, bewegt sich die Übersetzung einer Szene, in der Kunz bei Ruffini von einem passiven Beherrschten zu einem aktiven Retter seiner selbst wird: Nein – sein Gold ist’s! – Ich soll’s, es will mich befreyn! / Retten will mich’s von der Höllenpein! (70) im Vergleich zu No, è il suo oro che mi chiama. Tant’è, io debbo, io voglio salvarmi. (118) Neben dieser allgemeinen Tendenz einer Betonung der im Drama angelegten Religiosität zeigt sich weiterhin konkret, wie Gott als Philanthrop im Sinne von Mazzinis Konzept der Demotheokratie inszeniert wird. Das erste Textbeispiel hierzu weist im Original keinerlei religiösen Kontext oder Bezug auf. Werner lässt seine Protagonistin Trude nur eine mögliche Lösung ihrer Probleme thematisieren: Wenn jetzo Dunkel auch auf unsern Augen ruht / Kann uns zu retten doch – vielleicht uns noch gelingen. (21) Ruffini dagegen macht eine etwaige Rettung von der Barmherzigkeit und Gnade Gottes abhängig: I nostri occhi sono velati dalle tenebre, ma la misericordia del signore è senza confini. (66) Das zweite derartige Beispiel zeugt dagegen von einer Verstärkung des Bilds eines guten Gottes in Mazzinis Sinn. Werners Original spricht zwar bereits gebetsgleich von einem „Gott der Huld“: Laß mich, im Strudel der Gedanken, / Versinken nicht, du Gott der Huld! (58) Ruffini ändert jedoch einerseits die Reihenfolge im Satz, sodass „Gott“ nun am Anfang steht und damit bereits besondere Aufmerksamkeit erhält. Andererseits wird aus Werners „Gott der Huld“ ein „Gott der Barmherzigkeit und des Friedens“, was dessen positive Eigenschaften noch einmal verstärkt: Dio di misericordia e di pace, fa’ ch’io non mi perda nel vortice de’ miei pensieri […]. (106) Auch die Thematik des Opfers im Dienste einer höheren Sache wird von Seiten Ruffinis aufgenommen und in seiner Übersetzung deutlicher hervorgehoben, als es das Original nahelegt. Der Bericht vom Tode Kurts in der Schweizer Armee wird etwa als Martyrium inszeniert. Den Ausgang des Kampfs als Niederlage mit dem Tod aller beteiligten Soldaten beschreibt Werner als „ermordet all’“. Bei Ruffini werden diese Toten dagegen geopfert: Las’t du’s gedruckt nicht, daß vom ganzen Bataillon / Der Schweizer, wo der Kurt in Dienst genommen, / Auch nicht ein einz’ger Mann entkommen: / Daß sie, in jener Nacht, bey der Revolution / Von der der Fremde log, er sey dabey gewesen / Ermordet all’? (56) übersetzt Ruffini mit Ma non hai letto bello e stampato, che del battaglione svizzero nel quale era Kurt, non ne scampò testa? Non hai letto, che in codesta notte, che quel forestiere millanta aver veduto, tutti quanti furono sacrificati? (104) Eine ähnliche Varianz zeigt das folgende Beispiel zur Vergangenheit der Schweiz. Werner lässt seinen Protagonisten Kunz darüber sprechen, wie sich die Schweizer entgegen egoistischer Interessen im Dienste ihres Landes engagieren. Ruffini legt dies als Opfer für die Heimat aus, wobei durch die Hinzunahme von „a

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pro della patria“ statt „fürs allgemeine Wesen“ der Dienst am eigenen Land als solchem betont wird: Der lesen, schreiben kann, die Chronik hat gelesen, / Und weiß, wer Tell und Winkelried gewesen, / Und was, in alter Zeit für’s allgemeine Wesen, / Mit eig’nem Nachtheil oft, ein jeder Schweizer that! (18) im Vergleich zu […] io che conosco gli annali del mio paese, e i grandi nomi di Tell e di Winkelried, e i sacrifizii che gli antichi svizzeri consumavano generosi a pro della patria […]. (62) Durch die angeführten und erläuterten Textbeispiele findet eine Verchristlichung von Werners Drama statt. Dies kann zum einen der Tatsache geschuldet sein, dass Mazzini und Agostino Ruffini sich erst gut 20 Jahre nach der Veröffentlichung von „Der vierundzwanzigste Februar“ mit dem Schicksalsdrama befassen und bereits um Werners Konversion zum Katholizismus im Jahr 1811 wissen – die jedoch erst nach der Niederschrift des Schicksalsdramas von 1808/09 geschieht – und deshalb christliche Aspekte deutlicher hervorheben. Zum anderen offenbart das Drama das Potenzial, religiöse Botschaften zu verstärken bzw. hineinzulegen, die Mazzini für seine Demotheokratie nutzen kann. Die Problematik um diese Verchristlichung zeigt sich besonders deutlich bei der Übersetzung des Prologs, den Werner jedoch selbst erst 1814 – nach seiner Konversion zum Katholizismus – der Buchausgabe seines Dramas hinzugefügt hat. Hier macht Ruffini in einer Fußnote eine Anmerkung zu einer Übersetzungsentscheidung seinerseits. Er erläutert, warum er den Terminus „Weltgeist“ mit „vincitore del mondo“ ins Italienische überträgt, und betont, dass er wisse, dass eine wortgetreue Übersetzung „spirito del mondo“ lauten müsste. Mit „Weltgeist“ sei jedoch Napoleon gemeint, so Ruffini, was er mit seiner Entscheidung verdeutlichen wolle.587 Hiermit spielt der Übersetzer wohl auch auf Hegels Bezeichnung „Weltgeist“ für Napoleon an. Anzumerken ist darüber hinaus, dass es sich bei „vincitore del mondo“ um eine christliche Formel für Jesus Christus handelt, sodass weltliche und geistliche Aspekte in dem Ausdruck vereint werden. Werner bezieht sich an der genannten Textstelle auf seine beiden wesentlichen Gönner Mme de Staël und Goethe sowie Napoleon als Gegner Staëls, der sie ins Exil getrieben habe, den sie jedoch besiegen werde: Mein Helios, der nicht mir wird entrissen, / Und die Aspasia, wer edel, nannte, / Weib, deren Herz den Weltgeist übermannte, / Ihr Zwey, mir mehr als Alle / sollt es wissen, / Wie meiner Thränen Strom um Euch, der reine / Ringt, daß er, Theuren, Euch dem Quell vereine! (5) im Vergleich zu Tu, Elios mio che nessuno potrà mai togliermi, e tu Aspasia che, a detta de’ generosi uomini, vincesti, tu donna, colla fermezza del cuore il vincitore del mondo, voi due a me i più cari, dovete sapere come il puro torrente delle mie lagrime combatte a pro vostro, 587 Eine Anmerkung zum „richtigen“ Verständnis der Übersetzung im Hinblick auf eine Napoleonkritik macht Ruffini zudem an einer weiteren Stelle: Werners Bis dahin unverdrossen / Ringe, mein Volk, das Possenspiel zu enden / Das, schon seit vielen Jahren angefangen / Mit blut’gen Fratzen hat die Welt behangen; (10) übersetzt Mazzinis Mitstreiter mit E fino a quel giorno combatti, o mio popolo, combatti senza posa per conchiudere la farsa, che, cominciata da più anni, ha popolato il mondo di tante maschere sanguinose. (53 f.) Hiermit sei das Napoleonische Reich gemeint, so Ruffini (Mazzini/Ruffini, Saggio sulla letteratura europea, S. 54, Fußnote 1).

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affine di riunirvi alla sua sorgente. (49) Ruffini macht hier seine Auffassung deutlich, der zufolge Werner seine Unterstützer dazu motivieren wolle, ebenfalls zum Katholizismus überzutreten. Im Hinblick auf eine Verstärkung der religiösen Komponente in den Übersetzungen des „Saggio“ lohnt sich darüber hinaus ein Blick auf die bereits erwähnte „Leggenda di Fosforo“ aus den „Söhnen des Thales“, die den „Cenni su Werner“ beigefügt ist. Hierbei fällt auf, dass die Rettung bzw. Erlösung Phosphors im Italienischen euphorischer dargestellt wird als bei Werner. Phosphors Rettung wird durch diverse Details betont: Da leerte Phosphoros den Kelch der Sehnsucht, / Daß sein Gewand ihm troff von süßen Tropfen, / Und mit den Tropfen wusch des Wortes Botin / Ihm das Gewand, daß alle starren Falten / Verschwanden und es leicht zu seyn begunnte. / Und als den Kerker Leben sie berühret, / Da ward er dünn und helle, wie Krystall; (278) im Vergleich zu Allora Fosforo bevve la Coppa di Fluidità, d’Aspettanza, e di Mestizia; e la Vesta ch’egli aveva intorno s’amollì tutta e si fe’ stillante; e delle stille dolcemente cadenti il messaggero del Verbo inumidì, purificandola, tutta quanta la veste finché le pieghe sparirono e di rigida ch’era diventò arrendevole e leggiera; e sotto il suo tocco, la Prigione Vita si fe’ pura e lucida e trasparente come un cristallo. (166) Zunächst greift Ruffini in Bezug auf den „Kelch der Sehnsucht“ zuvor genannte Elemente als eigenes Stilmittel auf. Das „Gewand“ wird als das, das Phosphor trägt, expliziert, genauso wie der Waschvorgang, der im Italienischen als „Reinigung“ bzw. „Reinwaschung“ oder auch „Läuterung“ durch das Verb „purificare“ sublimiert wird. Die „starren Falten“ des Originals werden getrennt, sodass das Verschwinden der Falten und das Leichtwerden des Gewands als zwei separate Vorgänge beschrieben werden. Den Prozess des „leicht zu seyn begunnte“ hebt das Italienische durch zwei Adjektive, „arrendevole e leggiera“ („nachgiebig und leicht“), additional hervor: Gemäß dem Credo der Weltverbrüderung bei Mazzini wird an einer weiteren, hier exemplarisch analysierten Stelle aus Werners „großem All“ eine „Universale Potenza“ („universale Macht“). Das „Säuseln“ im Original wird in der Übersetzung zu einer „Harmonie“ sublimiert, in der Klingen und Seufzen auf süßeste Art nicht nur vom Himmel herab kühlen, sondern herabsteigen, um wie Balsam jeglichen Schmerz zu lindern. Die Erlösung als christliches Bild wird wesentlich deutlicher evoziert als im Original, in dem auf positive Art das „Herz vor Lust zerspringen“ will. Zusätzlich zur Linderung aller Schmerzen spricht die Übersetzung darüber hinaus von einem Segen, der durch die Termini „benedizione“ („Segen“), sowie „beato“, „(glück-)selig“, verstärkt wird und nicht greifbar ist: Sein Wesen war in’s große All zerronnen / Und, wie ein Säuseln, kühlt’ es ihn von oben, / Daß ihm das Herz vor Lust zerspringen wollte. (280) gegenüber La sua natura si confuse nella Universale Potenza. E tra un armonia come di suoni e sospiri dolcissimi, scesa dall’alto ei sentì un balsamo per ogni dolore, e una benedizione ineffabile lo fe’ beato. (168) So wie das Leid Phosphors in der Übersetzung eindringlicher dargestellt wird, so geschieht dies ebenso bei seiner Rettung. Allein Gottes Segen kann Erlösung verheißen. Hierbei handelt es sich jedoch – wie bei der Übersetzung von „Der vierund-

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zwanzigste Februar“ – um die Inszenierung eines guten, philanthropischen Gottes, der im Falle der „Leggenda“ vor allem über den Gebrauch des bestimmten bzw. unbestimmten Artikels definiert wird. Im Deutschen ist stets die Rede von dem Heiland (274/276/277/278/280), der zur Rettung aus dem Wasser erscheinen soll, während im Italienischen zunächst auf einen Heiland (164/165) referiert wird. Gegen Ende findet dann auch in der Übersetzung der Heiland (166/167/168) Verwendung. Denn erst mit der Zeit kristallisiert sich heraus, wer der Retter Phosphors sein wird, der nicht vorherbestimmt ist. So muss sich auch Mazzinis Demotheokratie erst durchsetzen, bis er als Retter Italiens und der Menschheit angesehen werden kann.

3.3.4 Zusammenfassung und Diskussion der Analyseergebnisse Die Fallstudien zu „Chatterton“, „Angelo“ und „Der vierundzwanzigste Februar“ belegen, dass die entsprechenden Kommentare Mazzinis sowie die Übersetzungen im Rahmen der Biblioteca Drammatica stets nicht nur auf kulturelle und literaturkritische Aspekte, sondern auch auf religiöse und politische Implikationen hin gelesen werden müssen, um die Vielschichtigkeit und Komplexität von Mazzinis translatorischem Handeln vollständig erfassen und analysieren zu können. Lefeveres Kategorisierung von Übersetzung als Neuschreibung deklariert sie als per se manipulativ, wobei dies für das Translat als Produkt als auch den Entstehungs- und Wirkprozess gilt. Hierbei betont Lefevere sowohl das innovative als auch das repressiv-konservierende Potenzial von Übersetzung – das wiederum das Bewusstsein für die in einer Gesellschaft herrschenden Verhältnisse stärken und Folgehandlungen auslösen kann: Rewriting is manipulation, undertaken in the service of power, and in its positive aspect can help in the evolution of a literature and a society. Rewritings can introduce new concepts, new genres, new devices, and the history of translation is the history also of literary innovation, of the shaping power of one culture upon another. But rewriting can also repress innovation, distort and contain, and in an age of ever increasing manipulation of all kinds, the study of the manipulative processes of literature as exemplified by translation can help us towards a greater awareness of the world in which we live.588

Mazzini will über Übersetzung und den Umgang mit dieser bzw. deren Kontextualisierung in der Biblioteca Drammatica zum einen Innovation in Italien anstoßen, zum anderen Missstände in der Gesellschaft und des herrschenden Systems, das Erneuerungsimpulse aus Gründen des Machterhalts zu unterdrücken versucht, anprangern und Veränderung herbeiführen. Die jeweiligen Dramen dienen ihm hierbei als Ausgangspunkt für eine paradigmatische Veranschaulichung 588 Lefevere, Translation History Culture, S. XI. Vgl. auch Hermans, „Introduction“, in: ders., Manipulation of literature, hier S. 11.

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der Misere Italiens. Das Fremde geht in diesem Kontext mit dem Eigenen Hand in Hand, fungiert als Reflexions- und Projektionsfläche. Eine verfremdende Übersetzungsstrategie bzw. die Idee, seinen Rezipienten Fremdes nahezubringen, steht im Dienst der Auseinandersetzung mit dem Eigenen, was sich insbesondere in Mazzinis Kommentaren artikuliert, die sich kaum für die besprochenen literarischen Werke an sich interessieren, sondern diese zum Anlass nehmen, über Literatur, deren Produktion und Kritik nicht nur, aber vor allem in Italien nachzudenken – und dabei möglichst unbemerkt von der Zensur gerade auch religiöse und politische Aspekte, die mit der kulturellen Situation unmittelbar zusammenhängen, nicht nur zu berühren, sondern handlungsmotivierend zu entfalten. Mazzini sucht die Dramen, die er bespricht, nicht aufgrund ihres ästhetischen Werts als Kunstwerke aus, sondern nutzt sie als Anschauungsmaterial und Orientierungspotenzial zur Erneuerung der italienischen Gesellschaft und Politik. Darüber hinaus sind seine literaturkritischen Kommentare nicht nur unter dem Aspekt ihrer politisch-religiösen Implikationen dechiffrierbar, sondern können als historische Quelle dienen. Sie spiegeln sowohl Mazzinis eigene Entwicklung als auch auch Denk- und Handlungskonzepte seiner Zeit. Mazzini verwendet in jedem seiner Texte zahlreiche Anspielungen, nennt Namen und Ereignisse von der Antike bis in seine Gegenwart, die seine umfassende Kenntnis und Bildung, sein weitreichendes Interesse für die verschiedensten Disziplinen und seine Auseinandersetzungs- sowie Reflexionsfreude offenbaren. Damit erreichen seine Literaturkritiken auch einen eigenen künstlerischen Wert, der zudem durch seine eindringliche Rhetorik verstärkt wird. In allen drei untersuchten Kommentaren der Biblioteca Drammatica wirft Mazzini der Literaturkritik seiner Zeit vor, ihrer Bildungsaufgabe nicht nachzukommen589 und damit das Potenzial von Literaturkritik zur kulturellen, aber auch politischen Erneuerung seiner Heimat nicht auszuschöpfen bzw. das Potenzial des jeweiligen Dramas zur Anleitung junger Dichter für eigenes Schaffen im Rahmen einer educazione ungenutzt zu lassen. Er selbst will mit seinen Aufsätzen aufzeigen, wie effektiv – und schließlich auch subversiv – Literaturkritik wirken kann. Damit erfüllt er seinen eigenen Anspruch im Hinblick auf die Mission der Literaturkritik als „Lehrstunde“ und als Instrument politischen Engagements. Die Übersetzungen stützen jeweils das Anliegen von Mazzinis Kommentaren. Der prinzipielle Anspruch einer treuen, auch verfremdenden Übersetzung, abgeleitet aus dem Aufsatz „Del dramma storico“, soll eine Horizonterweiterung im Sinne der Bildungsaufgabe von Literaturkritik bei den Rezipienten erreichen. Die 589 Vgl. zum Unterschied von istruzione und educazione in Mazzinis Konzept Mazzini, „Doveri dell’uomo“, in: SEI, Bd. LXIX, Politica XXIV, hier S. 99; sowie zu Mazzinis Kritik an dem zu seiner Zeit praktizierten Schulsystem Mazzini, Giuseppe: „Alcuni perché sulla pubblica istruzione“ (1828), in: SEI, Bd. I, Letteratura I, Imola 1906, S. 396–398. An Unterrichtsmethode und -inhalten in seiner eigenen Arbeiterschule in London, gegründet im November 1841, zeigt sich erneut – wie bei seiner Tätigkeit als Literaturkritiker –, wie sehr Mazzini selbst darum bemüht ist, den eigenen Ansprüchen gerecht zu werden (vgl. auch Sarti, Mazzini, S. 114 f.).

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politische Strategie dahinter ist jedoch nicht verfremdend, sondern zeigt auf, was in Italien durch die Übersetzungen bewirkt werden soll. Das auf kultureller, gesellschaftlicher, politischer und religiöser Ebene konzipierte Erneuerungsprojekt wird dabei über die Übersetzung für das Zielpublikum „aufbereitet“, „zugeschnitten“ und zugänglich gemacht, auch unter Verweis auf eigene positive Traditionen, wie den Republikanismus, oder die eigentliche kulturelle Leistungsstärke Italiens. Verbunden werden diese national ausgerichteten Strategien mit einer starken europäischen Komponente. Was in Italien verändert werden und entstehen soll, ist zum einen nicht ohne Europa denk- und realisierbar, zum anderen Teil einer gesamteuropäischen Bewegung. Damit wird das Fremde schlussendlich als Eigenes, weil Europäisches inszeniert. Mazzinis Kommentar zum „Chatterton“, Pilotband der Biblioteca Drammatica, spitzt auf literaturkritischer Ebene das Thema des Dramas um die Rolle des Poeten in der Gesellschaft zu. Mazzini präsentiert sich hier noch sehr auf der Seiten der Romantiker und plädiert für einen Primat des dichterischen Genies vor rationalem Kalkül. Mit Vigny kritisiert er hierbei das Kunstverständnis der Zeit, das Kunst in die Nische der Unterhaltung verbanne, ohne ihre Bedeutung und ihr Potenzial für die Gesellschaft zu erkennen bzw. erkennen zu wollen. Kapitalismus und Vergnügen beherrschen eine dekadente Gesellschaft, die sich vollkommen von Emotionen, Intuition und Inspiration losgesagt habe und weder an Gott noch an Moral glaube. Dem Dichter als Vermittler eines göttlichen Willens für die Menschheit bleibe nur die Möglichkeit, sich für sein Überleben dem Geschmack der Gesellschaft anzupassen und damit unendliche seelische Qualen auf sich zu nehmen – oder Selbstmord zu verüben, um materiellem und seelischem Leid zu entgehen. Weil Chatterton letzteren Weg wählt, wird er zur Märtyrerfigur, die Mazzini für sein religiös-politisches Erneuerungsprojekt entsprechend inszeniert und versucht, über das Mitgefühl mit dem Dichter vorzuführen, dass eine solche Gesellschaft nicht zukunftsträchtig sein kann. Die Übersetzung verstärkt gegenüber Vignys Original die Problematik um das Elend des Dichters sowie den Geniekult, um handlungsmotivierend wirken zu können. Darüber hinaus beinhaltet die Positionierung auf Seiten der Romantiker schon allein deshalb eine politische Komponente, weil der Romanticismo von revolutionärem, risorgimentalem Denken nicht zu trennen ist. Zum einen lässt sich die Zerrissenheit der Seele des Poeten auf Italien als Land übertragen, das um Einheit, Unabhängigkeit und eine Position im modernen Westeuropa ringt. Zum anderen zeigt Mazzini Italiens (zum Teil) selbstverschuldete Rückständigkeit und Isolation auf, die es – über Literatur in Übersetzung – aufzubrechen gilt. Italien muss sich als Nation nicht nur selbst erneuern, sondern eine Führungsrolle im Befreiungskampf der unterdrückten Nationen Europas übernehmen, um Europa in transnationaler Freundschaft und Frieden zu vereinen.590 Diese Sonderstellung ist 590 Vgl. Mazzini, „Doveri dell’uomo“, in: SEI, Bd. LXIX, Politica XXIV, hier S. 68; Mazzini, Giuseppe: „Simbolo politico della Giovine Italia“ (1843), in: SEI, Bd. XXV, Politica IX, Imola 1916,

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einerseits historisch bedingt, da Italien als Land ohne traditionelle monarchische Struktur und multiethnischer „Schmelztiegel“ als Vorbild für ein erneuertes Europa dienen kann. Andererseits ist eine Nation Italien modellhaft europäisch ausgerichtet, was sowohl mit der Reaktivierung eines europäischen Erbes als auch mit der Schaffung einer neuen, europäischen Nationalliteratur begründet wird. Eine neue italienische Identität abseits antiker Imitation und klassizistischer, veralteter Werte stellt das europäische Eigene heraus, das sich über Offenheit, Kontakt und Dialog stets erneuert und affirmiert. Auf literaturkritischer Ebene beschäftigt sich Mazzinis Kommentar zum „Angelo“ vor allem mit seiner Sicht auf die Romantik, die sich nun ins Negative verkehrt und als unvollendete Epoche deklariert wird, die zwar revolutionäres Potenzial entfaltet, der es jedoch nicht gelingt, ihren Erneuerungsanpruch umzusetzen. Wie die Französische Revolution gilt Mazzini die Romantik als individualistische Bewegung am Ende eines Zeitalters. Hugo entspricht in diesem Zusammenhang dem Prototypen der romantischen Schule und der Entwicklung, die sie genommen hat. So ist auch ein qualititativer Niedergang in den Werken des französischen Dichters zu beobachten. Dieser erahne zwar das soziale Zeitalter, so Mazzini, setze dieses Wissen jedoch nicht zum Wohl der Menschheit um und mache das entsprechende Potenzial seiner Texte durch seine Verhaftung in Individualismus sowie Materialismus zunichte. Mazzini entwickelt nun auch seine Vorstellung einer sozial engagierten Kunst weiter. Hugo stehe für das Credo einer arte per l’arte; Aufgabe der Kunst sei allerdings gerade das perfezionamento sociale. Die Erlösung als religiöses Thema, das Hugos Werke durchziehe, könne so nicht kathartisch auf das Publikum wirken. Die individualistischen Charaktere seien nicht in der Lage, über den Theaterbesuch hinaus Wirkung beim Publikum zu entfalten, sodass auch die Situation der Frau als unterdrücktes Geschlecht in der Gesellschaft weiter bestehen bleibe. Dabei sei Erlösung prinzipiell für jedes Lebewesen möglich, da ihm als Teil von Gottes Schöpfung dessen Funke per se inhärent sei. Tisbe wird für Mazzini zu einer Christusfigur, die sich für andere opfert, um sie zu erlösen. Dieses Opfer ist jedoch nur dann nicht umsonst, wenn sich an dieses Folgehandlungen anschließen – die Rezipienten werden aufgefordert, sich revolutionär zu engagieren. Die unterdrückte Frau wird darüber hinaus zum Symbol einer unterdrückten Gesellschaft, die keinen Ausweg aus ihrer Misere sieht. Angelo als Podestà von Padua fungiert als Inbegriff des heuchlerischen Alleinherrschers, dessen Selbstgerechtigkeit und -herrlichkeit keine Moral kennt. Das Vorhaben, seine untreue Ehefrau zu töten, wird aufgrund seines eigenen Fremdgehens zum Paradox einer überholten, aristokratischen Ordnung, deren Ende vorherbestimmt ist. Egoistisches Handeln S. 257–264, hier S. 257; sowie Mazzini, Giuseppe: „Missione italiana, vita internazionale“ (1866), in: SEI, Bd. LXXXVI, Politica XXVIII, Imola 1940 XVIII, S. 3–12, hier S. 7; weiterführend Sarti, „Mazzini and Young Europe“, in: Bayly/Biagini, Mazzini and the globalisation, hier S. 280; Albertini, Mario: Il Risorgimento e l’unità europea, Neapel 1979, S. 36 ff.; sowie Pirodda, Mazzini e gli scrittori democratici, S. 23.

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steht der Aufopferung Tisbes gegenüber, die wiederum als Märtyrerin für eine bessere Zukunft inszeniert wird. Mazzinis „Angelo“-Besprechung weist darüber hinaus auf seinen Literaturkanon hin und offenbart damit eine tiefergehende Problematik der Grenzziehung in seinem translatorischen Handeln. Auch wenn sein Konzept einer europäischen Literatur und einer europäischen Einigung auf den Prinzipien der Gleichheit, des Dialogs und der Offenheit beruht sowie Hierarchien abbauen will, legt Mazzini nach bestimmten Kriterien fest, welche Werke er einer Übersetzung und Besprechung für würdig hält. In seinem „Angelo“-Kommentar stellt er Aischylos, Shakespeare, Schiller und Goethe als „i grandi davvero nell’arte“591 heraus – wobei er Schiller, wie erläutert, zu seinem moralisch-sozial engagierten Modelldichter erhebt. Mazzini interessiert sich nicht für die ästhetische Umsetzung eines Dramas, sondern legt dessen Bedeutung durch ein Nützlichkeitsprinzip fest. Würdig sind folglich die literarischen Texte, die er für sein Erneuerungsprojekt entsprechend auslegen und inszenieren kann. Dabei geht es ihm gerade nicht um vorbildhafte Produktionen, sondern um solche, an denen er „Mängel“ aufzeigen kann, um jungen Dichtern in Italien Negativbeispiele vor Augen zu führen – und um gleichzeitig epochenprägende Merkmale in ihrer historischen Entwicklung zu erläutern sowie Lehren hieraus zu ziehen. Dass alle drei in den Fallstudien behandelten Werke nicht positiv bewertet werden, liegt zum einen darin begründet, dass diesen eine moralisch vollkommen integre Figur wie der Marquis von Posa aus „Don Carlos“ fehlt, dessen Ideale jede (dramatische) Katastrophe überdauern und das Publikum zu Engagement animieren. Zum anderen geht dies auf Mazzinis strategisches Handeln zurück, das veranschaulichen soll, dass in der gegenwärtigen Tristesse keine wahre Poesie gedeihen kann. Die Begründung einer neuen Literatur verbindet er so untrennbar mit revolutionärem Handeln. Die Grenzproblematik zeigt sich über das Feld der Literatur hinaus zudem in der Konzeption von Mazzinis erneuertem Italien und Europa. Mazzini stellt zu keiner Zeit die Autonomie einer jeden Nation und deren Außengrenzen in Frage. Italien soll zwar durch die Abschaffung der Binnengrenzen vereint werden; gleichzeitig plädiert Mazzini zugunsten der vereinten Kräfte des Landes zur Abwehr innerer und äußerer Feinde für ein zentralistisches System, das die regionale Struktur Italiens vernachlässigt. Dies wird auch in seinem Konzept der Biblioteca Drammatica deutlich: Mazzini thematisiert und problematisiert zu keiner Zeit die regionalen, sprachlichen Besonderheiten in Italien. Abseits der Vernachlässigung oder gar Ignoranz gegenüber der hohen Analphabetenrate seiner Zeit – die im Kontext der Biblioteca Drammatica allerdings auch dem Vorhaben der educazione der Elite geschuldet sein kann – steht für ihn außer Frage, dass Übersetzung und Kommentierung auf Italienisch stattzufinden haben. Dies steht einerseits im Einklang mit der Bedeutung von Sprache für die Konstituierung einer gemeinsamen Identität, insbesondere in geteilten Ländern, wie sie etwa Anderson betont. Andererseits 591 Mazzini, „Angelo“, in: SEI, Bd. VIII, Letteratura II, hier S. 264.

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schließt es Dialektsprecher, vor allem im Süden Italiens, die des Italienischen nicht oder nur bedingt mächtig sind, (zunächst) von seinem Bildungsprogramm aus. In diesem Rahmen sollte jedoch erwähnt werden, dass Mazzini als einer der wenigen Denker seiner Zeit von Beginn an das gesamte Territorium Italiens, einschließlich des Südens, in „seiner“ Nation vereint sehen will. Das Konzept der Nation an sich stellt er allerdings nicht in Frage und akzeptiert damit die von Sakai so kritisierte westliche Einteilung der Welt in eine nationale und internationale Ordnung. Erst eine Nation Italien kann eine Rolle in Europa und der Welt spielen. Diese westliche Sicht prägt folglich nicht nur Mazzinis nationales, sondern auch internationales Denken. Europa gilt ihm als Wiege der Zivilisation und als fortschrittlichster Kontinent. Plädiert er innerhalb Europas für Solidarität und Gleichheit, so sieht er es dennoch als Aufgabe der europäischen Nationen an, ihren Fortschritt in die Welt zu tragen, um andere Kontinente an diesem teilhaben zu lassen – auch wenn er gewalttätigem Imperialismus aus egoistischen, machtpolitischen Motiven sehr negativ gegenübersteht. Mazzinis unerschütterlicher Glaube an Progression und seine durch Italiens Abschottung begründete unbedingte Ablehnung von Isolation verlangen diesen Export der Errungenschaften vermeintlich zivilisierterer Kulturen zum Wohle der gesamten Menschheit. Mazzinis (anscheinend) so offensichtliches transnationales Denken sowie translatorisches Handeln umfassen so gleichermaßen Komponenten des Brückenbaus und des Bordering. Auf literaturkritischer Ebene dienen „Della fatalità considerata com’elemento drammatico“ und die „Cenni su Werner“ als Kommentar zu „Der vierundzwanzigste Februar“ bzw. kritisch-psychologische Autorenbiografie der Untersuchung der dramatischen Kategorie des Schicksals in seiner historischen Entwicklung sowie des Entstehungshintergrunds von Werners Werk. Mazzini erklärt die antike Kategorie des Fatalität, an der sich Werners Dramas orientiert, trotz aller innovativen Elemente bei der Umsetzung, als überholt und nicht nachahmenswert. Das Schicksal als göttliche Vorsehung in der Moderne hält den Menschen dagegen dazu an, sich nicht in dem Glauben an ein vererbtes Unheil bzw. an das zwingende Eintreten eines übersinnlichen Phänomens zu verlieren, sondern sich im Dienste humanitären Fortschritts zu engagieren und sich damit gerade nicht nur national, sondern transnational einzusetzen. Die provvidenza wird von Mazzini zu einer positiven Kategorie umgedeutet, in der die Menschheit vom Wirken eines philanthropischen Gottes profitiert – womit er der italienischen Zielkultur und deren fatalistischer Tradition gerecht wird. Auf religiöser und politischer Ebene nutzt Mazzini die Beschäftigung mit der Fatalität nicht nur, um von seiner universal gültigen Demotheokratie zu überzeugen, sondern auch um Kritikern, Monarchisten und Klerikern zu drohen bzw. ihnen ihre gesellschaftliche sowie politische Rolle und Macht abzusprechen – da die Existenz von Hierarchien und der Anspruch auf eine Deutungshoheit von Gottes Willen, wie Mazzini ihn versteht, diesem widerspricht. Einzig Mazzini – und gegebenenfalls seinen Anhängern – obliegt nun „wahre“ religiöse Verkündung und Auslegung.

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Im Falle von „Der vierundzwanzigste Februar“ scheint Mazzini neben seinem Interesse an der Schicksalsfrage das Drama auch aus persönlicheren Gründen zu faszinieren. Er empfindet sein Exildasein als Fluch, den ihm die Machthaber in seiner Heimat auferlegt haben. Kehrt er nach Italien zurück und wird entdeckt, droht ihm der Tod. Der Fluch kann erst aufgehoben werden, wenn Italien eine andere Ordnung erhält und das Todesurteil gegen ihn hinfällig wird. Mazzini interpretiert aber auch Italien selbst als verfluchtes Land. Er sieht sich und seine Mitstreiter hierbei jedoch durchaus in der Lage, den Fluch zu lösen – denn aktiver Einsatz und Kampf gegen ein vermeintlich unveränderliches Schicksal genügen, um den Gegenbeweis anzutreten, dass der Mensch sehr wohl in der Lage ist, sein Schicksal selbst zu bestimmen. Dies geschieht in Mazzinis Perspektive, wie dargelegt, sogar in Einklang mit Gottes Wille. Die Übersetzung Agostino Ruffinis stützt Mazzinis Bemühen um die Begründung einer positiven Fatalitätskategorie und der Demotheokratie als System der Zukunft. Er verstärkt nicht nur insgesamt die in Werners Drama angelegte religiöse Dimension, sondern verändert das Original an diversen Stellen, sodass Gott als philanthropischer Helfer der Menschen auftritt. Besonders deutlich wird diese Übersetzungsstrategie bei der Thematik des Völkerfluchs erkennbar, den Mazzini vollkommen ablehnt und der als Terminus folglich nicht in Ruffinis Übersetzung erscheint. Da sie schlussendlich ein fragmentarisches Projekt bleibt, ergeben sich aus der Beschäftigung mit der Biblioteca Drammatica diverse Widersprüche, Brüche und Unklarheiten. Dies beginnt bereits bei Überlegungen hinsichtlich der Rezipienten der Reihe. Die vorliegende Arbeit stützt sich aus guten Gründen auf die These der Konzeption der Biblioteca Drammatica als Lesedramenreihe: Mazzini verweist mehrfach auf die educazione der jungen Dichtergeneration und die Rolle einer Elite im Rahmen einer Revolution; er hält rezeptionslenkende Kommentare, die meist nicht ausführlich auf das jeweilige Drama, sondern das, was Mazzini für die Idee hinter dem Werk hält, und seine Kritik daran eingehen, für wichtiger als die Übersetzung selbst; außerdem fehlen manche Regieanweisungen aus den Originaldramen in den Übersetzungen. Jedoch kann die Möglichkeit, dass Mazzini nicht nur die poetische Elite – und diese schließlich über eigene, performative Literatur wiederum die breite Bevölkerung – bilden will, sondern sich von vornherein an das Volk wenden möchte, nicht vollkommen verworfen werden. Denn Mazzini thematisiert dies selbst mehrfach, wobei er aber auch Volksbildung via Vermittlung über die Elite meinen kann. In diesem Fall würde auch die Kritik an seiner schriftlichen Propaganda in Bezug auf die Analphatenrate in Italien fehlschlagen. Final geklärt werden kann diese Frage im Rahmen der vorliegenden Arbeit jedoch nicht. Im Hinblick auf den Band zum „Chatterton“ leuchtet zwar ein, dass der Protagonist wegen seines Selbstmords keine moralisch unbescholtene Figur sein kann. Wie genau sich jedoch die von Mazzini kritisierte Individualität als Mittel definiert, bleibt offen. Mit seiner Gesellschaftskritik im Allgemeinen und der Rolle des ver-

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kannten Genies im Besonderen verbindet Vigny Mazzini zufolge individualistische und soziale Komponenten, wobei sich die Literatur der Zukunft voll und ganz auf das Soziale zu konzentrieren hat, was darüber hinaus als progressives, dynamisches Element darzustellen ist. Mazzini streitet nicht ab, dass dem „Chatterton“ das Potenzial eines kathartischen Effekts beim Publikum inhärent ist, das über das Mitgefühl mit dem Dichter zumindest zu einer kritischen Reflexion über die Gesellschaft angeregt werden kann. Jedoch sieht er dieses durch die mangelnde „Reinheit“ Chattertons nur ungenügend ausgeschöpft. Wenn aber doch jedes Lebewesen, so groß seine Sünden auch seien, erlöst werden kann – wie es der Kommentar zum „Angelo“ nahelegt –, warum gilt dies dann nicht für die moralische Unversehrtheit eines Chatterton? Hier offenbart sich wiederum die manipulative Komponente in Mazzinis translatorischem Handeln. Wenn die Gegenwart als Übergangs- sowie Krisenepoche noch aufgrund eines Klimas des Widerspruchs zwischen Unterdrückung und Freiheit negativ konnotiert ist, kann Mazzini im Einklang mit seinem Credo, dass wahre Poesie sich nur in offenen, demokratischen Kulturen entfalten kann, nicht zugeben, dass bereits ein moralisch perfektes Meisterwerk erschienen bzw. auch in anderer Komposition als der Schillerschen möglich ist. Aus Respekt vor der kirchlichen Zensur bleibt – wie gesehen – eine Szene im „Chatterton“ unübersetzt, in der der Quäker Kritik an den Protestanten, aber auch – und vor allem im italienischen Kontext relevant – an den Papisten übt. Statt mit diesem Detail der Katholizismuskritik, an der sich Mazzini zunehmend beteiligt, die Veröffentlichung der italienischen Version zu gefährden, konzentrieren sich Mazzini und die Ruffinis aus politisch-religiöser Sicht auf den Märtyreraspekt in Vignys Drama, der für das Risorgimento nicht nur als Ausdruck einer regimekritischen Haltung, sondern als Handlungsmodell Relevanz gewinnt. Die freiwillige Selbstaufopferung im Dienste einer höheren Sache ist neben der Erlösung auch Thema von Hugos „Angelo“. Tisbe begeht zwar keinen Selbstmord, sondern wird von ihrem Geliebten, den sie zu dieser Tat provoziert, umgebracht. Jedoch verkörpert sie – neben der unterdrückten Frau, die der Willkür und sexuellen Gier des Mannes ausgeliefert ist und aufgrund ihres geringen Ansehens in der Gesellschaft keine Mittel zur Verfügung hat, sich gegen diese Ungerechtigkeit zu wehren, – auch moralische Werte über das Martyrium hinaus. Sie gibt ihre Liebe auf, als sie merkt, dass sie gegen Rodolfos Gefühle für Catarina machtlos ist, weist dem einzig sich gegenseitig liebenden Paar des Dramas den Weg in die Flucht und verhindert so den Mord an Catarina, der sie zu Dank verpflichtet ist. Hier erfüllt sich kein Fluch über Generationen, aus dem es keinen Ausweg gibt – wie in „Der vierundzwanzigste Februar“ –, sondern es werden positive Werte weitergegeben. Zwar sieht Tisbe keinen Ausweg aus ihrer Situation und will ohne Rodolfo nicht leben – weswegen sie sich töten lässt –, allerdings ist ihr Handeln durch den Fluchtplan zuvor strategischer als Chattertons Reaktion auf den Brief, den er erhält und der seine Entscheidung zum Selbstmord endgültig besiegelt. Damit wird Chattertons Verzweiflung mit einer quasi fatalistischen Komponente versehen, der Suizid zu einer kausalen Notwendigkeit.

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Mazzinis Übersetzungsprojekt

Im Rahmen von Mazzinis Handlungsmodell müsste Tisbe folglich im Vergleich zu Chatterton der vorbildhaftere Charakter sein – oder zumindest als positive Frauengestalt hervorgehoben werden. Tisbe werden – wie gesehen – diverse Rollen zugeschrieben: als Symbol der unterdrückten Frau, der von absolutistischen Monarchen unterdrückten Gesellschaft, als Christus-Figur, die die Menschheit von ihren Sünden erlöst. Mazzini nutzt den Charakter in seinem Kommentar sehr wohl, um Aktion von seinen Rezipienten zu fordern. Denn Tisbes Opfer darf nicht umsonst gewesen sein. Warum jedoch das Potenzial Tisbes als Revolutionärin „verschenkt“ wird, ist nicht nachvollziehbar, genauso wenig wie das unbedingte Festhalten an der positiven Sicht auf den „Chatterton“. In diesem Kontext wäre eine Analyse der entsprechenden Übersetzung der Ruffini-Brüder sicherlich aufschlussreich. Es bleibt zu hoffen, dass weitere Recherchen zumindest eine Kopie dieses Manuskripts zu Tage fördern und den entsprechenden Beitrag (nach-) liefern können. Im Falle des „Saggio sulla letteratura europea degli ultimi cinquant’anni“ ist besonders eine genauere Betrachtung von Mazzinis Kritik an der Französischen Revolution interessant, die ihn dennoch maßgeblich prägt. Diesem Ereignis als historische Fatalität kann er sich nicht entziehen und propagiert wie die französischen Revolutionäre den Königsmord. Sein eigenes translatorisches Handeln präsentiert sich als historisch bedingt, wobei dies auch für Mazzinis romantischen Einfluss gilt. Wie von der Übermacht Frankreichs versucht er, sich von dieser Prägung zu lösen, kommt aber immer wieder über heftigste Opposition darauf zurück. Psychologisch gesehen gelingt Mazzini angesichts seiner hochemotionalen Auseinandersetzung mit beiden Phänomenen keine Distanz, die es ihm ermöglichen würde, die jeweiligen Einflüsse wirklich kritisch zu reflektieren. Hierzu müsste er sich seine unauflösliche Verbindung mit den Ereignissen, denen er als Kind seiner Zeit nun einmal nicht „entkommen“ kann, eingestehen. Im Rahmen seiner (romantisch geprägten) Abneigung gegenüber klassizistischer Nachahmung ordnet Mazzini „Der vierundzwanzigste Februar“ einer überholten Schicksalskategorie zu. Noch mehr als bei den anderen beiden – nicht nachahmenswerten – Werken stellt sich hier die Frage nach der Notwendigkeit von Übersetzung und Besprechung des Dramas, da Werners Werk bereits von Zeitgenossen – und ja auch von Agostino Ruffini – kritisiert wurde und heute kaum noch wahrgenommen wird. Wie zuvor kann die Aufgabe der Literaturkritik nach Mazzini angeführt werden, gerade auch Texte zu behandeln, die nicht modellhaft sind, um im Rahmen der Biblioteca Drammatica deren Bildungsaufgabe zu erfüllen. Die jungen Dichter sollen sich statt dem Schicksals- dem Providenzdrama zuwenden. Außerdem will Mazzini demonstrieren, dass der übertriebene Glaube an ein Schicksal (als Fluch) gerade in Übergangs- und Krisenzeiten sehr kritisch zu sehen ist. Sein Interesse für „Der vierundzwanzigste Februar“ wird durch das Lob Mme de Staëls und etwa Rémusats Kritik geweckt. Beide erwähnen bereits die Umsetzung des Atridenfluchs in einem christlich-ländlichen Kontext und bringen diesem Unverständnis entgegen. Mazzini dagegen hält dies für innovativ – und

Fallstudien

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nimmt Werner gegenüber Kritik in Schutz. Der deutsche Dichter sei wegen persönlicher Lebensumstände, Zeitgeist und historischen Ereignissen ziel-, orientierungs- sowie hilflos geworden und habe sämtlichen (guten) Glauben verloren. Die Schauerlichkeit seiner Werke sei aus seiner Zeit heraus entstanden – für Mazzini wiederum ein Argument, herrschende Umstände ändern zu wollen und dies in seinem Aufsatz entsprechend zu propagieren. Ob diese (potenziellen) Erklärungen jedoch aus heutiger Perspektive für eine Rechtfertigung zur Übersetzung und Kommentierung von „Der vierundzwanzigste Februar“ ausreichen, bleibt fraglich. Die Problematik um den Abbau alter Hierarchien bei gleichzeitiger Schaffung neuer Ungleichheit stellt sich ebenfalls insbesondere im Rahmen von Mazzinis Besprechung des Schicksalsdramas. Die von Mazzini propagierte Mittlerposition, über die Genies mit dem Volk kommunizieren, unterbindet den für die Demotheokratie als Argument angeführten, direkten Kontakt zwischen Dio e Popolo, auch durch den Anspruch auf die politische sowie religiöse Führungsrolle. Im Hinblick auf die Übersetzung von „Der vierundzwanzigste Februar“ stellt deren Verchristlichung gegenüber dem Original gleichermaßen eine problematische Tatsache dar. Der These zugunsten einer gezielten Manipulation des Texts für eigene Zwecke ist gegenüber der Vermutung eines nachlässigen Umgangs mit den Lebensdaten Werners gerade angesichts Mazzinis akribischer Biografie eindeutig der Vorzug zu geben. Die eigentliche Brisanz von Mazzinis Schaffen ergibt sich folglich erst bei einem genaueren Blick auf und in seine Texte sowie durch die Offenlegung verschiedener Ebenen, wobei sich politische, religiöse, kulturelle und gesellschaftliche Aspekte vermischen, gegenseitig stützen und so deren mögliche Wirkung potenzieren. Diese Vielschichtigkeit und Komplexität von Mazzinis translatorischem Denken und Handeln machen dessen Analyse so schwierig und interessant zugleich. Neben dem deutlichen Plädoyer für eine engagierte Literaturkritik im Dienst einer educazione der jungen Dichtergeneration Italiens und deren praktischer Umsetzung nutzt Mazzini seine Aufsätze und die entsprechenden (von ihm beauftragten oder mitverfassten) Übersetzungen zur Platzierung subversiver Botschaften, indem er die Dramen für seine Zwecke auslegt und deren Potenzial, das ihm zufolge nicht einmal die Dichter selbst zu entfalten in der Lage sind, ausschöpft. So kann die These einer Politik der Translation bzw. Politik durch Translation von Seiten Mazzinis eindeutig bestätigt werden.

4. FAZIT UND AUSBLICK Die Frage nach der Politik der Translation bzw. Politik durch Translation bildete den Ausgangs- und Schwerpunkt bei der Darstellung, Analyse und Diskussion von Giuseppe Mazzinis Übersetzungsprojekt im Rahmen der vorliegenden Arbeit. Ausgehend von bisheriger Forschung zu Mazzini konnte festgestellt werden, dass sich diese vor allem auf Mazzini als einen der Gründungsväter der italienischen Nation sowie die europäische Komponente in seinem Denken und Handeln konzentriert. Untersuchungen zum kulturellen Aspekt bei Mazzini fokussieren diesen zumeist als Grundlage seiner konspirativen Tätigkeit sowie seiner politischen Ideen, die in seiner Beschäftigung mit Kunst, insbesondere Literatur, zu suchen sei. In diesen Forschungen nimmt die Übersetzung als Untersuchungsobjekt – wenn überhaupt – nur eine marginale Rolle unter Verweis auf Mazzinis Bildungsprojekt der Biblioteca Drammatica ein. Überwiegend wird dieses in Studien als eines der vielen Vorhaben Mazzinis beschrieben, das jedoch scheitert und nicht weiter verfolgt wird. Auch wenn diverse Forscher auf die Bedeutsamkeit von Mazzinis Übersetzungsprojekt hinweisen, findet eine Problematisierung der translatorischen Komponente nicht statt. Darüber hinaus werden Zusammenhänge im Hinblick auf Mazzinis langjähriges Engagement für seine Dramenreihe nicht erkannt. Hierbei steht Mazzinis unermüdlicher Einsatz trotz der vielen Hindernisse und Widrigkeiten im Gegensatz zu diesen relativ kurzen, wenig fundierten Schilderungen. Des Weiteren vernachlässigt auch die Edizione Nazionale, die sich eine Erschließung des Mazzinianischen Gesamtwerks zum Ziel gesetzt hat, bislang weitestgehend das translatorische Handeln Mazzinis. Mazzini verfolgt die Idee seiner Biblioteca Drammatica seit seiner Jugend und arbeitet sie über die Jahre weiter aus. Die Historie der Dramenreihe umfasst, wenn der „offizielle“ Beginn einer öffentlichen Artikulation des Projekts mit dem Erscheinen des Aufsatzes „D’una letteratura europea“ festgesetzt sowie als deren Endpunkt die Publikation des Bands zu Zacharias Werners „Der vierundzwanzigste Februar“ bei Hauman bestimmt wird, fast zehn Jahre (1829–1838/39). Allerdings belegt einerseits die Korrespondenz bereits zuvor die Grundidee zu einer solchen Dramensammlung, andererseits bezieht sich Mazzini in seinen „Note Autobiografiche“ erneut auf die Biblioteca Drammatica, sodass sein Bildungsprojekt sein ganzes Leben lang fest in seinem Denken verankert ist – und er – nachdem ihm bis ins Alter die Realisierung nicht gelingt – hofft, die nachfolgende Generation werde dies übernehmen. In diesem Rahmen füllt die vorliegende Untersuchung eine Forschungslücke zum einen in Bezug auf eine chronologische und umfassende Rekonstruktion der Historie der Biblioteca Drammatica aus der umfangreichen Korrespondenz Mazzinis sowie seiner Mitstreiter, die nicht nur Einblick gab in jugendliches Engagement,

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Enthusiasmus und Enttäuschung ihrer Begründer, sondern auch die Probleme, die sich aus dem historischen Kontext mit seinem politisch-gesellschaftlichen Klima der Repression ergeben, eingehend beschrieb. Zum anderen fand im Rahmen dieser Arbeit erstmals eine detaillierte, textnahe Analyse von Mazzinis literaturkommentierenden Aufsätzen und den Übersetzungen, die Teil der Biblioteca Drammatica sind, statt.1 Hierbei konnte sowohl verifiziert werden, welche Texte Mazzini überhaupt selbst übersetzt hat und welche er hat übersetzen lassen, um sie mit der Intention einer educazione zu besprechen – wobei Mazzini der rezeptionslenkenden Aufgabe der Literaturkritik mehr Bedeutung beimisst als den übersetzten Texten selbst. Sein translatorisches Handeln, das als Beschreibungskategorie nutzbar gemacht wurde, offenbarte sich als vielschichtiges, komplexes Vorgehen – was jedoch auch den Reiz einer Beschäftigung mit Mazzinis Ideen ausmacht und viel Raum für Interpretation sowie (weitere) Forschungsschwerpunkte lässt. So zeigt sich etwa Sagramola davon überzeugt, dass [i]n verità, il personaggio Mazzini, per l’altezza del suo messaggio e la coerenza del suo esempio, è destinato a permanere saldo nel tempo e nella storia. […] La figura di Mazzini è complessa, ricca e multiforme e, come tale, ci lascia una enorme eredità che è, allo stesso tempo, politica, sociale, culturale, educativa e morale, con tratti di vera modernità e illuminanti intuizioni precorritrici.2

Mazzini dient seine Biblioteca Drammatica nicht nur als Möglichkeit, politische Ideen zur Erneuerung Italiens sowie Europas zu propagieren und damit die Zensur zu umgehen, obwohl dies – wie die subversiven Botschaften, die er in Kommentaren und Übersetzungen platziert, gezeigt haben – natürlich ein offenkundiges Anliegen seinerseits ist und seine Texte deshalb stets eine tiefergehende sowie aufmerksame Lektüre auf der Grundlage von Hintergrundwissen erfordern, um die vollkommene Breite seiner Argumentation zu erfassen. Er sucht die Werke, die er bespricht, nicht nach deren ästhetischem Wert aus, sondern nutzt sie vielmehr als Anschauungsmaterial und „Lehrstunde“ für die jungen Dichter Italiens, die eine neue italienische Nationalliteratur begründen sollen. Darüber hinaus sind seine literaturkritischen Kommentare jedoch nicht nur unter dem Aspekt ihrer politischen Implikationen zu entschlüsseln, sondern können als historische Quelle dienen. Sie spiegeln sowohl Mazzinis eigenen Bildungsweg als auch philosophische Ideen, Denk- und Handlungskonzepte seiner Zeit. Mazzini spielt in jedem seiner Texte auf historische Ereignisse, Personen oder Phänomene an, die seine 1

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In der vorliegenden Untersuchung habe ich mich aus guten Gründen ausschließlich auf das translatorische Handeln Mazzinis im Rahmen der Biblioteca Drammatica konzentriert, um sein umfassendes Übersetzungsprojekt im Dienste der italienischen Nationalstaatsbildung ausführlich zu untersuchen. Die Erkenntnis zu weiteren (fragmentarischen) Literatur-(und Relais-) Übersetzungen Mazzinis, etwa aus dem erwähnten Werk Mickiewicz’, bietet jedoch Raum für Anschlussforschung, gerade im Hinblick auf die Frage nach einer Politik der Translation. Des Weiteren wäre eine Untersuchung zu den Übersetzungen eigener Texte Mazzinis ins Englische sicherlich interessant (und wünschenswert). Sagramola, Mazzini nel Risorgimento italiano, S. 136 f.

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umfassende Kenntnis, sein weitreichendes Interesse sowie seine Reflexionsfreude belegen. Damit erreichen seine Literaturkritiken auch einen eigenen künstlerischen Wert, der zudem durch seine eindringliche Rhetorik verstärkt wird. Eine Studie zur ästhetischen Dimension von Politik bei Mazzini würde sicherlich weitere, interessante Erkenntnisse zu Tage fördern. Um der Komplexität des historischen Materials gerecht zu werden, lag der vorliegenden Case Study eine fundierte theoretische Auseinandersetzung zugrunde. Während Bermans Romantikstudie aus den 1980er Jahren stammt und die Manipulation School ihren Höhepunkt in den 1990er Jahren erreichte, gelten die Border Studies sowie Cronins Ansatz, der die Herausbildung eines genuin irischen Selbstbewusstseins und Nationverständnisses durch Translation untersucht, als relativ junge Forschungsbereiche. Durch diese breit gefächerte Annäherung an Ansätze zum Thema „Translation und Politik“ bzw. konkreter „Translation und Nationsbildung“ konnten Analysewerkzeuge entwickelt werden, die es ermöglichten, Mazzinis Übersetzungsprojekt in einem weiteren Rahmen zu erfassen sowie zu diskutieren – und dabei neben dem Blick auf translatorische und literaturkritische Aspekte die Perspektive um (subversive) Gesichtspunkte im Kontext einer religiös-politisch-gesellschaftlichen Erneuerung Italiens und Europas zu erweitern. Unter Bezugnahme auf die Ansätze Bermans, Sakais, Lefeveres und Cronins wurden die Schwerpunkte von Übersetzung als Bildungsmoment, Grenzziehung, Manipulation sowie Identitätsstifter herausgearbeitet und in den Fallstudien zur Biblioteca Drammatica als heuristische Kategorien angewendet, die die drei (mehr oder weniger) realisierten Bände der Sammlung zum „Chatterton“ Alfred de Vignys, zu Victor Hugos „Angelo, tyran de Padoue“ sowie zu „Der vierundzwanzigste Februar“ Zacharias Werners aus literaturkritischem, religiösem sowie politischem Blickwinkel analysierten.3 Bermans Romantikstudie zu Bildung und Innovation durch Übersetzung half dabei nicht nur, Mazzinis Ansatz in seinem historisch-kulturellen Kontext zu verstehen, sondern auch, seine Idee einer breitangelegten educazione für das italienische Volk, die Grundlage und Schlüssel für eine erfolgreiche Revolution und Emanzipation bildet, einzuordnen sowie weitergehend zu diskutieren. Das Konzept der Biblioteca Drammatica sieht eine Bildung der italienischen Dichterjugend – und über diese des Volks – durch engagierte Literaturkritik ausländischer Werke vor. Wie für die deutschen Romantiker spielt auch für Mazzini Literaturkritik eine wesentliche Rolle. Während erstere jedoch vorwiegend im kulturellen oder gar mythischen Bereich verhaftet bleiben, bettet letzterer diese in sein konkretes politisches Projekt ein, indem er sie als machtvolles Instrument beschreibt und sie entsprechend für seine Zwecke zu nutzen versteht. 3

Vgl. zu den Ergebnissen der textnah arbeitenden Fallstudien im Hinblick auf Mazzinis translatorisches Handeln Kapitel 3.3.4 der vorliegenden Arbeit. In diesem Schlusskapitel soll vorrangig diskutiert werden, inwieweit die entsprechenden theoretischen Ansätze für die Analyse fruchtbar gemacht werden konnten – wobei diverse Redundanzen leider nicht zu vermeiden sind.

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Die educazione über die Biblioteca Drammatica intendiert nicht nur eine Öffnung des kulturell sowie politisch rückständigen Italien via Übersetzung, sondern will Ausgangspunkt sein für eine umfassende Erneuerung des Landes bis hin zu einer neuen Führungsrolle in Europa, das von dessen demokratischer Fortschrittlichkeit und innovativer Ästhetik profitieren soll. Italien als Vorbild leitet in Mazzinis Konzept damit weitere unterdrückte Länder zu nationaler Eigenständigkeit an, die in ihren friedlichen und demokratischen Werten ein respektvolles, solidarisches Europa begründen – ohne die jeweilige nationale Autonomie in Frage zu stellen. Diffuse universalistische Ideen und euphorisches Weltbürgertum werden insoweit konkretisiert, als Mazzini sich nicht nur auf kulturelle, kosmopolitische Aspekte stützt – bzw. den Kosmopolitismus als Strömung kritisiert –, sondern diese als konkrete politische Mission und Aktion ausgestaltet – auch wenn er, wie gesehen, im Detail, insbesondere bei der „Aufgabenverteilung“ in Europa, schlussendlich doch vage bleibt. Italiens Vorbildfunktion für ein modernes Europa liegt durch die zu begründende letteratura europea als italienische Nationalliteratur vor allem in der Zukunft begründet – eine radikale Neuerung gegenüber den Klassizisten, die Italiens Vorreiterrolle weiterhin in der Antike zu manifestieren versuchen, sich gegen jegliche Öffnung sperren und sich insbesondere gegen moderne kulturelle Einflüsse aus (den lange Zeit als rückständig geltenden Kulturen) Deutschland und England wehren. Vollständig losgelöst von der Vergangenheit seiner Heimat ist aber auch Mazzinis Konzept nicht. So sieht er Rom nicht nur als Hauptstadt eines vereinten Italien, sondern der ganzen Menschheit – wobei diese bei Mazzini zumeist mit Europa zusammenfällt. Diese Stellung Roms als Zentrum der Welt liegt darin begründet, dass über das Rom der Cäsaren durch die antiken Eroberer sowie das Rom der Päpste durch den katholischen Glauben die Menschheit in der Vergangenheit bereits zusammengeführt werden konnte. Auch wenn Mazzini mit den entsprechenden Vorstellungen, Werten und Handelsmaximen dieser Vergangenheit bricht und sie auf das Heftigste kritisiert, kann auch für ihn nur von Rom aus zum dritten Mal eine fortschrittliche, humanitäre, demokratische Einigung gelingen. Das Rom des Volks, Mazzinis Roma del Popolo, meint hier sowohl das italienische Volk als auch das Volk der Menschheit. Zugleich nimmt Italien insoweit eine Sonderrolle ein, als es – wie es Gioberti ausführlich beschrieben hat – ein Europa im Kleinen (ab-)bildet. Durch seine traditionelle Multiethnizität gilt es als Erprobungsgebiet für ein friedliches, respektvolles Miteinander, dessen positive Resultate auf Europa übertragen werden sollen. Italien fungiert auch insoweit als Vorbild, als es eine republikanische Tradition aufweisen kann; das monarchische System wurde Mazzini zufolge erst durch die Fremdmächte etabliert. Mazzini bezeichnet sich in jungen Jahren selbst als Romantiker und schließt an diese Epoche an, deren Anspruch auf Erneuerung er jedoch als nicht erfüllt ansieht, da sie zwar den Bruch mit dem Alten, Überholten geleistet, ihr revolutionäres Potenzial allerdings nicht zur Begründung einer neuen Ordnung genutzt habe. Mazzini zeigt sich hier nicht als vehementer Verfechter einer verfremden-

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den Übersetzungsmethode im Sinne der deutschen Romantiker, wie Berman sie auslegt. Auch wenn die Übersetzungen im Rahmen der Biblioteca Drammatica auf den ersten Blick als „treu“ zu bezeichnen sind, so offenbaren sie bei genauerer Analyse doch deutlich manipulative Aspekte, die jeweils Mazzinis Anliegen, das er in seinem literaturkritischen Kommentar artikuliert, stützen. Die übersetzungsund besprechungswürdigen Werke haben zumeist keinen Vorbildcharakter, da wahre, literarische Meisterwerke in Mazzinis Verständnis in seiner Zeit mehr als rar sind – Ausnahmen bilden lediglich Schiller und Mickiewicz. Er selbst extrahiert – wie theoretisch von ihm als Vorgehen der Literaturkritik gefordert – aus den entsprechenden Texten deren Ideen, um sie für die Zukunft nutzbar zu machen, wobei er vornehmlich deren „Defekte“ als Ausgangspunkt für Reflexionen heranzieht. So geht es Mazzini nicht (vorrangig und ausschließlich) um Bereicherung, sondern, wie mehrfach betont, gerade auch um eine educazione – dies jedoch im Bermanschen Verständnis von Bildung. Die „Fehler“ der ausländischen Dichter – wobei Mazzini zufolge für die Schwächen dieser Werke weitestgehend ihre Entstehungszeit verantwortlich ist – kontextualisiert er im Rahmen der Biblioteca Drammatica zur Verwirklichung seines Erneuerungsprojekts. In diesem vereinen sich nationale und europäische Komponenten, die einander stützen und bedingen, zu einem Konglomerat, in dem Eigenes und Fremdes nicht mehr nicht zu trennen sind. Die Erprobung von Sakais Bordering-Ansatz schärfte den analytischen Blick für die grenzziehenden Prozesse von Mazzinis (nicht nur) translatorischem Handeln, die erst durch eine genaue Analyse offenbar werden. Mazzini selbst präsentiert seine Ideen als paradigmatisches Modell einer transnationalen, dialogischen, dehierachisierenden (Welt-)Ordnung – was in der Forschung auch weithin so dargestellt wird. Dabei bewegt er sich im 19. Jahrhundert, der Epoche des nationbuilding in Europa, jedoch in einem Spannungsfeld zwischen Nationalismus, Internationalismus und Transnationalismus. Eine unabhängige, freie, republikanische und demokratische Nation gilt Mazzini als Voraussetzung für das Gelingen der europäischen Einigung. Denn erst durch ein nationales Bewusstsein für Freiheit, Unabhängigkeit, Gleichheit und Demokratie entstehe zum einen die Wertschätzung der eigenen Nation – und damit der Wunsch, diese in der Zukunft zu festigen und gegen innere sowie äußere Feinde zu verteidigen. Zum anderen sei dieser Lernprozess erforderlich, um diese Werte auch anderen Nationen zuzugestehen und folglich ein friedliches, respektvolles Miteinander in Europa zu ermöglichen und zu sichern. Mazzini lehnt damit einen Nationalismus im negativen Sinn ab, genauso wie einen Internationalismus, der auf aggressivem Expansionismus beruht. Durch einen solchen in Europa sieht er Italiens Unabhängigkeit gefährdet – nach einer Befreiung von den Habsburgern fürchtet er Frankreichs Bestrebungen, sich die Vormacht in Europa zu sichern. Kolonialismus missbilligt er im Grunde wegen dessen Brutalität; jedoch hält er es für Europas Mission in der Welt, deren (vermeintlich) fortschrittlichste Zivilisation und Kultur zu exportieren, etwa nach Afrika und Asien. Damit vermag Mazzini

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die Strukturen seiner Zeit zugunsten einer Vormachtstellung Europas in der Welt nicht final zu durchbrechen, genauso wenig wie die (bis heute) praktizierte Unterteilung der Welt in Nationen als autonome Entitäten. Er bewegt sich so weiter im Rahmen einer internationalen Ordnung, die auf Nationalstaaten beruht, und nicht, wie von Sakai gefordert, über Territorien- und Ethniengrenzen hinausreicht. Innerhalb Italiens sieht Mazzini zwar vor, Binnengrenzen abzubauen, allerdings geschieht zum einen eine Grenzziehung nach außen zu den übrigen (aufkommenden) Nationen Europas. Zum anderen ignoriert Mazzinis zentralistisches System  – wenn auch aus Gründen der vereinten Stärke  – den gerade für Italien traditionellen Regionalismus – was sich auch auf die Biblioteca Drammatica auswirkt. Diese erscheint wie selbstverständlich auf Italienisch und grenzt so bestimmte regionale Sprechergruppen von vornherein aus, stärkt aber gleichzeitig die noch relativ junge Nationalsprache als identitätsbildendes Element. Darüber hinaus vollzieht sich eine Grenzziehung in Bezug auf den Literaturkanon, den Mazzini für seine Biblioteca Drammatica anlegt. Sein Ursprungskonzept umfasst Werke aus der gesamten Historie des Genres und aus verschiedenen Kulturkreisen, von frühen Dramen aus Persien und Indien, über die Antike, das Mittelalter und die Moderne als Mazzinis Gegenwart, mit deren Werken er seine Reihe in ihrer praktischen Umsetzung auch beginnt. Damit gelingt ihm über sein Übersetzungskonzept zum einen der Bruch mit dem Vertikalisierungsschema von Literatur, das antike Werke unerreichbar an die Spitze einer Rangfolge stellt, weil er Gegenwartsliteratur, vor allem aus vermeintlich minderwertigen Kulturen wie Deutschland und England, in den Kanon aufnimmt bzw. sie gerade als entscheidenden Innovationsmotor inszeniert. Die propagierte Gleichwertigkeit von allen existierenden Literaturen wird unterstützt durch die Idee eines liberalen Markts für Kulturgüter, auf dem alle Produkte den gleichen Wert haben müssen, sollen sie zum Vorteil aller am grenzfreien Austausch Beteiligten gereichen. Mazzini legt jedoch einen eigenen Maßstab an, der dieser Dehierarchisierung und Gleichwertigkeit von Literatur widerspricht, indem er Wert auf den Neuigkeitscharakter der Werke liegt, sie insbesondere aber entsprechend ihrer Nützlichkeit für die Umsetzung seines Erneuerungsprojekts auswählt – und sie auch mit dieser Intention übersetzt und kommentiert publiziert. Innerhalb seines Kanons selbst liegt dagegen nur in Ansätzen eine Hierarchie vor, da alle literarischen Werke „Fehler“ aufweisen, die Mazzini in der von ihm konzipierten, neuen Literatur Italiens vermeiden will. Einzig Schiller zieht er als wirkliches Vorbild zur Begründung einer revolutionären italienischen Nationalliteratur heran. Da diese Nationalliteratur über die Rezeption fremder Ideen und Konzepte bzw. der Auseinandersetzung mit diesen – folglich über Translation – begründet werden soll, stellt sie einerseits per se ein transnationales Produkt dar. Dies belegt auch die Inszenierung der italienischen als europäische Literatur. Andererseits soll jedoch gerade durch diese innovative italienische Literatur eine neue Führungsrolle des Landes in Europa begründet werden – die wiederum mit der Durchsetzung von Freiheit und Demokratie in ganz Europa enden soll. Auch

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wenn folglich die Notwendigkeit von Translation aufgrund der Kommunikation über Nationalsprachen nicht hinterfragt, sondern geradezu befördert wird, so ist Mazzini für seine Zeit doch ein sehr forschrittlicher Denker, der sich um Öffnung und Austausch bemüht – gerade auch weil er Italiens Isolation als wesentlichen Grund für die Rückständigkeit seiner Heimat ansieht. Im Rahmen der speziellen italienischen Situation und der Nationsbildungsprozesse fordert er Dialog, Solidarität und Gleichberechtigung – zumindest in Europa. Den italienischen Nationalstaat konzipiert er als europäisches Projekt, was eine, wenn nicht die Besonderheit von Mazzinis Nationalismus darstellt. Durch den Rückgriff auf die Phänomene der Grenzziehung und des Brückenbaus lässt sich deren paradox scheinende Verbindung bei Mazzini untersuchen sowie aufzeigen, wie wichtig eine Kontextualisierung solcher Phänomene abseits von normativ ausgerichteten Kategorien ist. Mit seinem Versuch der Lenkung seiner Rezipienten im Hinblick auf eine präferierte Lesart, die sich in seinen literaturkritischen Aufsätzen sowie den Übersetzungen artikuliert, lässt sich Mazzinis Vorgehen im Ansatz der Manipulation School, die Translation als (politisch intendierte) Manipulation interpretiert, verorten. Die Idee von Übersetzung zu einem bestimmten Zweck wird bei Mazzini geradezu paradigmatisch verwirklicht. Translation im Kontext von Lefeveres Definition einer Neuschreibung – wobei hierunter die translation proper als auch deren „Begleitprodukte“ subsumiert werden – kann zwar auch zur Affirmation und Konservierung geltender Herrschafts-, Macht- und Gesellschaftsverhältnisse genutzt werden, allerdings auch innovativ und subversiv wirken. Letzteres erhofft sich Mazzini durch die von ihm konzipierte Biblioteca Drammatica – wie sein detailliert in den Fallstudien aufgezeigter Umgang mit dem ausländischen Material zeigt – und tut alles in seiner Macht stehende, um seine revolutionären Botschaften zu platzieren. Dies belegen sowohl die Übersetzungen selbst, als auch – vorrangig – Mazzinis literaturkritische Aufsätze, da Mazzini die entsprechenden, bereits manipulierten Übersetzungen ohne einen lenkenden Kommentar für zu wenig effektiv in seinem Sinne hält. In diesem Kontext öffnet sich eine weitere Schnittschnelle zur Diskussion um das Gegensatzpaar von „treuer/verfremdender“ und „einbürgernder“ Übersetzung. In der Praxis scheint der so normativ aufgeladene Diskurs wie stets schwerer zu fassen als theoretisch beschrieben. So intendiert Mazzini zwar eine Bildung über ausländische Ideen und plädiert in diesem Rahmen für die Methode einer treuen Prosaübersetzung, die sich eng am Original orientiert und den Text gerade nicht „manipuliert“. Auf den ersten Blick scheinen er und die Ruffini-Brüder sich auch an dieses Vorgehen zu halten. Auf den zweiten Blick offenbart sich dagegen ein höchst manipulativer Umgang mit den Originalen, die bereits im Hinblick auf einen bestimmten Zweck ausgewählt werden, dessen Darstellung wiederum in den entsprechenden Kommentaren noch verschärft wird – auch wenn sich die von Mazzini den jeweiligen Werken zugeschriebene Relevanz in der Retrospektive nicht immer vollständig erschließt bzw. final erklären lässt. Gleichzeitig versucht Mazzini, seinen Rezipienten diese anscheinend so neuen Ideen als Eigenes, beru-

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hend auf dem gemeinsamen europäischen Erbe, das entscheidend auf italienische Leistungen zurückgeht, zu „verkaufen“. So kann die Analyse einer „treuen“ Übersetzung auf Textebene nicht nur deren subversives Potenzial offenbaren, sondern auch „treue“ Übersetzung auf einer Metaebene zur Diskussion stellen und der Frage nach dem Fremden im Eigenen bzw. dem Eigenen im Fremden aus historischer Sicht weiter nachgehen. Auch wenn Cronins Fallbeispiel Irland angesichts seiner sprachlichen (und kulturellen) Situation einen historisch gewachsenen Sonderfall darstellt, bietet seine Analyse zur Historie der dortigen Translationstätigkeiten Anknüpfungspunkte, die sich bei der Untersuchung von Mazzins translatorischem Handeln als fruchtbar erwiesen haben. So erweiterte der Einbezug von Cronins Ansatz die Analyseperspektive vor allem um die Problematik der Begründung, Aufrechterhaltung und Erneuerung einer eigenen Identität, Kultur und Sprache in einem geteilten Land, wobei die Rolle der Übersetzung in diesen Prozessen in den Fokus rückt. In diesem Kontext spielen sowohl die Inszenierung von Brüchen und Kontinuen als auch das Ringen um das Fremde im Eigenen eine wesentliche Rolle – wobei letzteres in den Fällen von Irland und Italien einen gewachsenen, historischen Fakt darstellt, den eine Analyse um die (eigene) Identität in keinem Fall vernachlässigen darf. Mazzini ist – wie Cronin – von dem identitätsstiftenden Potenzial von Übersetzung überzeugt. Aus dem zersplitterten Italien soll eine neue gesamtitalienische Identität und Nationalität entstehen; (freiwillig) abgeschottet von anderen Kulturen kann Italiens Entwicklung jedoch nur stagnieren. Der Kontakt zu anderen Kulturen muss hergestellt werden, um über eine gemeinsame, innovative Nationalliteratur, die in der gemeinsamen Nationalsprache abgefasst wird, zu alter Stärke zurückzufinden und mit dieser – über Übersetzung – auch in Europa zu wirken. Die Frage der italienischen Nationalität ist – wie bereits bei der Analyse zu Sakai erläutert – für Mazzini untrennbar mit europäischen Belangen verbunden. Auch der Innovationscharakter der neuen Literatur zeigt sich gerade in deren europäischer Ausrichtung. Fortschritt entsteht nur durch wechselseitigen Einfluss, der eine historische Tatsache ist und stets als Neuerungsmotor fungiert sowie funktioniert hat. Kulturelle Veränderung zieht für Mazzini stets auch politische nach sich: Sein Konzept der letteratura europea, das sowohl in Goethes Idee einer Weltliteratur als auch Mme de Staëls Vorstellung einer liberal-ökonomischen Zirkulation kultureller Güter wurzelt, wird in seinem Projekt der Giovine Europa als transnationaler Organisation weitergeführt. Die Biblioteca Drammatica kann somit als Ausdruck, Medium und Akteur eines politischen Projekts bezeichnet werden, das zu Mazzinis Zeit einzigartig in Europa ist. Die Romantik als europäische Bewegung hat für Mazzini die Freiheitsbestrebungen in seiner Gegenwart ausgelöst. Diese Entwicklung muss vorangetrieben werden, um Individualismus durch Kollektivismus und Universalismus zu ersetzen. Italien als per se multikulturelles Land muss mit seiner aus dieser Tradition entstandenen Identität Vorbild für Europa sein. Dieser größere Rahmen bietet darüber hinaus die Möglichkeit,

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sich als Ganzes, als Nation zu erleben und das genuin Italienische in seiner gewachsenen Eigenheit sowie Komplexität positiv zu erleben und für die Zukunft neu zu konzipieren. Gerade in zersplitterten Ländern spielt die Frage nach der gemeinsamen Identität eine wesentliche Rolle. In diesem Rahmen beschwört Mazzini auch die – positiv hervorgehobene – republikanische und nationale Tradition seiner Heimat. Monarchie und Aristokratie stellt er als indoktrinierten Import der diversen Fremdherrscher in Italien dar. Italien ist jedoch nicht nur durch die jeweilige Fremdherrschaft in seinem Territorium gespalten, sondern auch durch seinen stark ausgeprägten Regionalismus, der alle nationalen Denker vor eine große Herausforderung stellt. Wie gesehen, opponiert Mazzini vehement gegen föderalistische Ideen bei der strukturellen Neuausrichtung einer Nation Italien, die ausreichende Stärke nur über eine zentralistische Ordnung erreichen könne. Er unterdrückt damit die regionalen Besonderheiten bzw. verkennt deren Stabilität und Bedeutung für die italienische Bevölkerung. Auch wenn er – wie Cronin zufolge die Iren – Tradition, Eigenheiten und Leistungen betont, um ein Kontinuum in der italienischen Historie zu konstruieren und hierüber eine gemeinsame Identität in der Gegenwart aufzubauen, stellt gerade in Italien der sprachliche Faktor keine gewachsene Größe dar. Eine Problematisierung der sprachlichen Komponente findet in Mazzinis Ansatz allerdings nicht statt. Wie selbstverständlich konzipiert er die Biblioteca Drammatica als auf Italienisch erscheinende Reihe. Einerseits belegt dies die These einer Dramensammlung, die sich an die – Italienisch sprechende – Elite wendet, die hieraus eine neue Literatur für das Volk entwickeln soll. Andererseits soll so die Position des Italienischen als Nationalsprache gestärkt werden, nicht nur um eine Kommunikation zwischen allen Regionen und Teilen des Landes zu ermöglichen, sondern auch weil Mazzini um die Bedeutung von Sprache als Identitätsstifter nach innen und außen weiß. In der vorliegenden Arbeit gewann die Auseinandersetzung mit dem historischen Primärmaterial durch die Schwerpunkte, die aus den vier genannten Theorien abgeleitet wurden, sowie die Übertragung des Konzepts des translatorischen Handelns auf Mazzinis Agieren im Rahmen der Biblioteca Drammatica analytische Schärfe, da sie sich so für verschiedene Perspektiven öffnete und gleichermaßen verschiedene Zugänge ermöglichte. Mazzinis in der Tat komplexes und vielschichtiges translatorisches Handeln als Politik durch Translation, das kulturelle, soziale, politische und religiöse Bereiche berührt, konnte so umfassender untersucht und reflektiert werden. Die genannten Theorien sind ebenfalls nicht allein auf den translatorischen Aspekt beschränkt, sondern beziehen – wie gesehen – ein weites Feld politischer, gesellschaftlicher, kultureller und historischer Umstände mit ein, sodass interdisziplinäre Querverbindungen augenscheinlich werden. Mit meiner methodischen Vorgehensweise im Rahmen einer Case Study hoffe ich, sowohl einen Anstoß zu geben für weitere interdisziplinäre Studien im Feld der Mazzini-Forschung als auch Vorbild zu sein für die Untersuchung von historischen Translationsphänomenen im Bereich des Themenkomplexes „Politik bzw.

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Fazit und Ausblick

Nationsbildung und Translation“ sowie abseits von diesem. Denn die vorliegende Untersuchung beabsichtigte, nicht nur im Rahmen der Translationswissenschaft und historischen Übersetzungsforschung eine Forschungslücke zu schließen, sondern auch für die komparatistische Kultur- und Literaturwissenschaft, für die Risorgimento-Forschung, für das Feld der Politik- und Sozialwissenschaften sowie der Romanistik und Germanistik einen Beitrag zu leisten, wie sich grenzübergreifende Forschung – sowohl in Bezug auf verschiedene Kultur- und Sprachkreise als auch über einzelne Disziplinen hinaus – konstruktiv beeinflussen und gegenseitig zum Vorteil gereichen kann. Für Anschlussstudien zu Mazzinis (translatorischem) Handeln macht Biograf Roland Sarti einen „Vorschlag“ im Hinblick auf die zahlreichen Aneignungen und Interpretationen, die durch die Vielschichtigkeit von Mazzinis Ideen erst möglich werden und dieser weiter Rechnung tragen würden: [Further v]ersions of Mazzini […] will be fashioned. Mazzini the critic of corrupt government is a timely topic, especially in Italy where corruption is a political issue. The current discredit of communism resurrects memories of Mazzini as the antagonist of Marx and international communism. Religious fundamentalists can invoke Mazzini’s spirituality, Europeanists his Europeanism, feminists his defense of women’s rights, holists his view of reality as a unified and interrelated whole. All these Mazzinis are plausible to some degree, although it remains to be seen what resonance they will have […].4

4

Sarti, Mazzini, S. 229. Vgl. auch Sagramola, Mazzini nel Risorgimento italiano, S. 137 ff.

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NAMENSREGISTER Accursi, Michele 162 Acerbi, Giuseppe 76 Aischylos 112, 113, 171, 181, 213, 217, 238 Alfieri, Vittorio 114, 171 Armellini, Carlo 66 Azeglio, Massimo di 80 Bandiera, Attilio und Emilio 64 Barbieri, Gaetano 124, 165, 166, 167 Bazzoni, Giambattista 165 Benza, Elia 169, 201, 209, 210 Berchet, Giovanni 78, 79, 81 Bettini, Filippo 116, 119, 122, 126, 127, 159, 160, 163, 166, 167, 168, 193, 199, 209 Bini, Carlo 85 Bismarck, Otto von 71 Borsieri, Pietro 79 Botta, Carlo 84 Bouhours, Dominique 73 Breme, Ludovico di 79 Bürger, Gottfried August 78 Buttafuoco, Gaetano 124 Calderón, Pedro 113 Carducci, Giosuè 107 Carlo Alberto 65, 67, 145, 146 Carlo Pisacane 68 Carlyle, Thomas 64, 88 Cattaneo, Carlo 65, 135, 187 Cattaneo, Gaetano 81 Cavour, Camillo Benso di 12, 68, 69, 70 Cesarotti, Melchiorre 14 Condorcet, Marie Jean Antoine Nicolas Caritat, Marquis de 61, 213 Cuoco, Vincenzo 80 Curlo Ruffini, Eleonora 119, 161, 207 Dante Alighieri 83, 134, 135, 136, 170 Darasz, Albert 67 De Sanctis, Francesco 96 Euripides 113

Ferrario, Pompeo 163 Foscolo, Ugo 80, 83, 134, 135, 136, 170, 194, 196 Garibaldi, Giuseppe 12, 65, 69, 70 Gherardini, Giovanni 77 Ghiglione, Antonio 109, 117, 118, 171 Goethe, Johann Wolfgang von 23, 24, 62, 64, 81, 82, 111, 112, 114, 131, 133, 154, 156, 157, 171, 181, 196, 202, 207, 227, 232, 238, 252 Gottsched, Johann Christoph 106 Gravier, Yves 122 Grillparzer, Franz 218 Grossi, Tommaso 80, 81 Guerrazzi, Francesco Domenico 66, 85, 107, 108 Hawkes, Emilie A. 19, 20. Siehe auch Venturi, Emilie A. Herder, Johann Gottfried 61, 150 Hitzig, Julius Eduard 192, 218 Hoffmann, E. T. A. 218 Hölderlin, Friedrich 24, 25 Hugo, Victor 16, 26, 61, 88, 95, 129, 130, 165, 169, 172, 173, 174, 175, 177, 178, 180, 184, 237, 241, 247 Lamartine, Alphonse de 61, 88 Lamennais, Félicité de 109, 134, 226 Ledru-Rollin, Alexandre 67 Leopardi, Giacomo 81 Lessing, Gotthold Ephraim 62 Lord Byron 61, 72, 89, 108, 133, 202 Maffei, Andrea 107 Mandrot, Lisette 200, 208 Manzoni, Alessandro 114 Mathy, Karl 192 Mayer, Enrico 197, 198, 203 Mazzini, Francesca 124, 125 Mazzini, Maria 116, 124, 163, 166, 200, 208, 209 Melegari, Luigi Amedeo 18, 119, 164, 193 Metternich, Klemens Wenzel Lothar von 12, 29, 74

274

Namensregister

Mickiewicz, Adam 72, 89, 90, 91, 92, 130, 246, 249 Mme de Staël 14, 22, 75, 76, 77, 88, 107, 153, 181, 186, 207, 217, 220, 227, 232, 242, 252 Montanelli, Giuseppe 66 Monti, Vincenzo 80 Müllner, Adolph 198, 218 Napoleon III. 68, 69, 71 Niccolini, Giovanni Battista 81 Novalis 25 Ordoño de Rosales, Gaspare 109, 192 Oudinot, Charles Nicolas 67 Pallavicini, Emilio 70 Papst Pius IX. 66, 71 Passerini, Giovanni Battista 194 Pellico, Silvio 79 Pisacane, Carlo 81 Ponthenier, Luigi 84, 163 Prati, Gioacchino 81 Puschkin, Alexander 72 Radetzky von Radetz, Josef Wenzel 65 Rosales, Gaspare Ordoño de 194, 195, 196, 197, 198, 204, 208 Rossi, Pellegrino 66 Rousseau, Jean-Jacques 61, 104 Ruffini, Agostino 17, 61, 95, 109, 116, 117, 118, 119, 120, 126, 129, 134, 142, 160, 161, 165, 167, 168, 169, 175, 186, 191, 198, 200, 204, 205, 207, 210, 222, 223, 224, 225, 227, 229, 230, 231, 232, 233, 240, 242 Ruffini, Giovanni 17, 61, 95, 116, 117, 118, 119, 121, 142, 160, 161, 166, 168 Ruffini, Jacopo 61, 63 Ruge, Arnold 67

Saffi, Aurelio 66 Saint-Simon, Henri de 134 Sand, George 88 Scalvini, Giovita 18, 196 Schiller, Friedrich 16, 62, 88, 89, 95, 112, 114, 115, 136, 137, 162, 163, 164, 171, 181, 184, 196, 201, 202, 207, 213, 216, 217, 222, 238, 249, 250 Schlegel, A.W. 22, 25, 77, 107, 113 Schleiermacher, Friedrich 22, 26, 27 Shakespeare, William 22, 113, 171, 181, 213, 214, 215, 217, 238 Sidoli, Giuditta 118 Sophokles 24, 113 Taylor, Clementia 132 Tommaseo, Niccolò 85, 106, 109 Ugoni, Camillo 194, 195 Usiglio, Angelo 117, 200, 206 Venturi, Emilie A. 83. Siehe auch Hawkes, Emilie A. Vico, Giovanni Battista 61 Vieusseux, Giovan Pietro 84, 85, 108 Vigny, Alfred de 16, 17, 53, 95, 117, 118, 122, 129, 132, 133, 138, 139, 140, 141, 142, 143, 145, 148, 171, 175, 177, 180, 184, 236, 241, 247 Visconti, Ermes 79 Vittorio Emanuele II. 12, 65, 67, 69, 70, 71 Werner, Zacharias 16, 17, 95, 114, 184, 191, 192, 193, 194, 195, 197, 199, 200, 201, 202, 203, 204, 205, 206, 207, 209, 210, 211, 212, 217, 218, 219, 220, 221, 223, 224, 225, 226, 227, 230, 231, 232, 233, 239, 240, 242, 243, 245, 247 Wordsworth, William 62

Marta Lupica Spagnolo

Storie di confine Biografie linguistiche e ristrutturazione dei repertori tra Alto Adige e Balcani KommuniKative räume – Spazi comunicativi – voL. 16 417 pagine con 6 b/n-fotos, 9 b/n-illustrazioni e 9 tavole 978-3-515-12290-0 broSSura 978-3-515-12292-4 e-booK

Oggetto del volume sono le biografie linguistiche di persone trasferitesi in Alto Adige (Südtirol) dai paesi successori alla Jugoslavia dal 1985 al 2015. Esaminando a livello contenutistico e formale i discorsi epilinguistici di parlanti che hanno vissuto e vivono in spazi sociolinguistici altamente complessi, la ricerca si propone di contribuire allo studio della ristrutturazione dei repertori in situazioni di contatto. Due sono le unità di analisi specifiche, identificate tramite i metodi della sociolinguistica interpretativa. Da un lato, si analizzano i glottonimi e le apposizioni usate per riferirsi alle varietà linguistiche d’origine. Ne emerge un quadro dei modi di posizionarsi dei partecipanti nei confronti dei recenti interventi di pianificazione linguistica in area balcanica. Dall’altro, si ricostruiscono gli spazi comunicativi narrati di tre intervistate attraverso l’esame delle loro storie di dialoghi. Questi racconti mostrano come le narratrici, attingendo a schemi interpretativi circolanti nella società altoatesina o resistendo loro, diano un senso vis-à-vis con la

ricercatrice al cristallizzarsi di nessi più o meno inamovibili tra codici, luoghi e interlocutori nella regione d’arrivo. contenuto Premessa |Biografie linguistiche e repertori | I contesti sociolinguistici di arrivo e di partenza |Corpus e metodi |Denominazioni di lingua |Narrazioni di interazioni |Conclusioni: i repertori narrati |Allegati |Bibliografia L’autore Dopo essersi laureata presso la HumboldtUniversität zu Berlin, Marta Lupica Spagnolo ha conseguito un dottorato di ricerca in Linguistica presso gli atenei di Pavia e BolzanoBozen. Come ricercatrice postdoc, ha lavorato all’Università di Basilea e ha collaborato con il consorzio interdisciplinare “Mobility and Inclusion in Multilingual Europe”. I suoi interessi si collocano nell’area della sociolinguistica della migrazione, del contatto linguistico e dell’analisi testuale e narratologica.

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Vincenzo Pinello

Raccontare e rappresentare le lingue e lo spazio L’esperienza dell’Atlante Linguistico della Sicilia (ALS) KommuniKative räume – Spazi comunicativi – voL. 15 315 pagine con 29 b/n-illustrazioni, 14 tavole e 7 carte a colore 978-3-515-11871-2 broSSura 978-3-515-11872-9 e-booK

La Dialettologia Percettiva, disciplina che si occupa dello studio delle opinioni dei parlanti sulle varietà di lingua, nell’ultimo decennio ha rinnovato i propri fondamenti. Il volume da un lato intende ripercorrere criticamente tali profonde innovazioni, dall’altro propone una serie di modelli originali per l’analisi e l’interpretazione dei dati. Il corpus della ricerca è costituito dalle risposte di circa 900 informatori distribuiti in 60 punti d’inchiesta a tre domande del questionario dell’Atlante Linguistico della Sicilia (ALS) pensate per rilevare la percezione e rappresentazione della differenza linguistica. Una mole imponente di dati che sono stati trattati con un approccio quanti-qualitativo dimensionato al corpus e dialogando con un complesso eterogeneo di settori di studio che in un modo o nell’altro riguardano le scienze del linguaggio. Il volume offre anche un quadro completo dei principali fenomeni linguistici che caratterizzano l’articolato repertorio della Sicilia contemporanea. Di quest’ultimo vengono analizzate pure le

dinamiche di contatto italiano vs. dialetto e le implicazioni ideologiche e identitarie. In appendice, un apparato cartografico a colori. contenuto Modelli costruzionisti ed interazionali per un atlante della percezione | Dialettologia percettiva: modelli cognitivi e della costruzione sociale | Dialettologia percettiva e atteggiamenti | Consapevolezza e non consapevolezza nelle interazioni metalinguistiche | Salienze, stereotipi: le rappresentazioni degli spazi fisici, sociali e di lingua | Categorie, dicotomie, ideologia, spazi | Spazio vissuto | I dati quantitativi nella dimensione metalinguistica | Bibliografia | Appendici L’autore Vincenzo Pinello è dottore di ricerca in Dialettologia italiana, Geografia linguistica e Sociolinguistica. Docente a contratto dell’Università di Palermo, fa parte del gruppo di ricerca dell’Atlante Linguistico della Sicilia (ALS).

Si prega di ordinare qui: [email protected]

Der translatorische Aspekt bei Giuseppe Mazzini stellt eine bislang nur wenig beachtete Facette in der Forschung zu einem der Gründungs­ väter des italienischen Nationalstaats dar. Dabei prägen Idee, Konzept und Umsetzung einer Erneuerung Italiens qua Übersetzung das Denken und Handeln Mazzinis viele Jahre lang. Die Verbindung von Literaturübersetzung und Literaturkritik, Politik sowie gesellschaftlichen und religiösen Fragen manifestiert sich in Mazzinis breit kon­ zipierter „Biblioteca Drammatica“ und macht das „nation building“ Italiens zu einem einzigartigen, per se europä­ ischen Projekt.

Kathrin Engelskircher untersucht mit interdisziplinärem Anspruch und breit aufgestellter Theorie­ anbindung – unter Einbeziehung der Ansätze Antoine Bermans, Naoki Sakais, André Lefeveres und Michael Cronins – Mazzinis Übersetzungs­ projekt einerseits in seiner Entsteh­ ungs­ sowie Verwirklichungshistorie und unterzieht andererseits die konk­ reten Texte der Dramenreihe einer profunden Analyse. Engelskircher diskutiert Mazzinis translatorisches Handeln in seiner komplexen Band­ breite und belegt damit die Frucht­ barkeit eines performativen Transla­ tionsbegriffs.

www.steiner-verlag.de Franz Steiner Verlag

ISBN 978-3-515-12678-6

9

7 83 5 1 5 1 26 7 86