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German Pages 526 Year 2017
Amerigo Caruso Nationalstaat als Telos?
Elitenwandel in der Moderne Elites and Modernity
Herausgegeben von / Edited by Gabriele B. Clemens, Dietlind Hüchtker, Martin Kohlrausch, Stephan Malinowski und Malte Rolf
Band /Volume 20
Amerigo Caruso
Nationalstaat als Telos? Der konservative Diskurs in Preußen und Sardinien-Piemont 1840–1870
Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG WORT.
ISBN 978-3-11-054207-3 e-ISBN (PDF) 978-3-11-054446-6 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-054248-6 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Dr. Rainer Ostermann, München Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck Titelbild: Adolph von Menzel, Abreise König Wilhelms I. zur Armee am 31. Juli 1870 (1871), Bildarchiv preußischer Kulturbesitz, No: 00000301, bpk / Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin / Jörg P. Anders. ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Vorwort
Vorwort
Diese Studie zum konservativen Politikdiskurs in Zeiten der Nationalstaatsgründung in Italien und Deutschland ist die leicht gekürzte und überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Wintersemester 2015/2016 unter dem Titel Nationalstaat als Telos? Konflikte und Transformationen im konservativen Diskurs in Preußen und Sardinien-Piemont 1840–1870 von der Philosophischen Fakultät der Universität des Saarlandes angenommen wurde. Die Publikation wurde durch den Förderungsfonds Wissenschaft der VG WORT GmbH (München) und die Union Stiftung (Saarbrücken) finanziell unterstützt. Ich freue mich, an dieser Stelle allen, die mein Dissertationsprojekt mit unzähligen Anregungen und konstruktiver Kritik begleitet haben, herzlich danken zu dürfen. Mein Dank gilt in erster Linie meiner akademischen Lehrerin Prof. Dr. Gabriele B. Clemens, weil sie von Anfang an Vertrauen in dieses komplexe Projekt hatte und mich kontinuierlich dabei gefördert hat. Am Historischen Institut in Saarbrücken habe ich eine sehr positive und stets anregende Atmosphäre gefunden. Im Besonderen möchte ich mich bei Dr. Jens Späth für die vielfältige kollegiale Unterstützung bedanken. Mit Ines Heisig habe ich das Arbeitszimmer im Institut geteilt, wir haben uns während der nicht immer einfachen Phasen der Doktorarbeit sehr gut vertragen und sind enge Freunde geworden. Prof. Dr. Edoardo Tortarolo hat das Zweitgutachten meiner Dissertation übernommen und mich während meiner Forschungsaufenthalte in Piemont mit Rat und Tat unterstützt. An dieser Stelle danke ich den Mitarbeitern der Fondazione Luigi Einaudi in Turin, die die piemontesischen Literatur- und Archivrecherchen für diese Studie kompetent begleitet haben. Mein Dank gilt ebenfalls Prof. Dr. Lutz Raphael, nicht nur weil er bereit war, das Drittgutachten für meine Dissertation zu übernehmen und meine Arbeit mit tiefgreifender Kritik zu diskutieren, sondern auch weil er mir während zahlreicher Begegnungen in Trier im Rahmen eines anderen Projekts die Bedeutung einer positiven erkenntnisfördernden Wissenschaftskultur vor Augen geführt hat. Schließlich bin ich Dr. Eveline Bouwers, Dr. Marco Cavarzere, Stefan Helbig, Dr. Frank Hirsch, Jörg Jacoby, Maike Jung, Eva Kübler, Doris Kurz, Dr. Birgit Metzger, Dr. Marcus Pyka und Dr. Fabian Trinkaus sehr zu Dank verpflichtet. Sie haben das gesamte Manuskript oder einzelne Kapitel gelesen und Verbesserungen angeregt. Ich habe meine Dissertation großenteils während eines mehrmonatigen Forschungsaufenthaltes am Institut für Europäische Geschichte in Mainz verfasst. Das Umfeld am IEG hat wertvolle Hinweise und die notwendige Konzentration ermöglicht, um das Dissertationsprojekt erfolgreich abzuschließen. Ich danke den Direktoren Prof. Dr. Irene Dingel und Prof. Dr. Johannes Paulmann für die Aufnahme meines Projektes in das Stipendienprogramm. Die Landesgraduiertenförderung des Saarlandes, das Istituto storico italo-germanico in Trient und das Forschungszentrum Europa der Universität Trier haben ebenfalls mein Forschungsprojekt großzügig unterstützt. DOI 10.1515/9783110544466-202
VI
Vorwort
Außerdem möchte ich mich bei der Universitätsgesellschaft des Saarlandes, die meine Dissertation mit dem Dr. Eduard-Martin-Preis ausgezeichnet hat, herzlich bedanken. Prof. Dr. Gabriele B. Clemens und Dr. Stephan Malinowski danke ich, stellvertretend für das Herausgebergremium, dafür, dass sie die Studie in die Reihe Elitenwandel in der Moderne aufgenommen haben. Meine Familie hat mein Forschungsvorhaben stets mit großem Interesse verfolgt und meine Entscheidung, „Historiker zu werden“, begeistert akzeptiert. Meine Eltern, Anna Cattaneo und Walter Caruso, und insbesondere meine Frau Olga Hartwig sind ein unersetzlicher Rückhalt. Gewidmet sei dieses Buch meiner Großmutter Carla Bassi Cattaneo. Sie hat mein geisteswissenschaftliches Studium von Anfang an und bis zur Promotion uneingeschränkt unterstützt und mir als hochgebildete Frau aus einer vergangenen Generation sehr viel mitgegeben. Saarbrücken, im Mai 2017 Amerigo Caruso
Inhalt Vorwort
Inhalt
V
1 Einleitung 1 Die ungleichzeitige Sedimentierung und die konkurrierenden Vereinnahmungen von Nation und Revolution im konservativen Diskurs 5 2 Konservative Politikdiskurse als Untersuchungsgegenstand 8 3 Konzeption und Erkenntnisinteresse 14 3.1 Nationalismus und Nationalstaat 14 3.2 Konservative Meinungsmobilisierung 18 3.3 Periodisierung und Fragestellung 22 4 Die konservative Sprache des Politischen in der langen Übergangszeit zwischen 1840 und 1870 24 4.1 Stand der Forschung 24 4.2 Methode 32 4.3 Quellen 37 4.4 Gliederung 40 1 Die konservative Meinungsmobilisierung. Revolutionsangst, traditionelle Wertorientierungen und neue Argumentationsstrategien 45 1.1 Die semantischen, ideologischen und emotionalen Grundlagen der pejorativen Assoziation zwischen Nation und Revolution 46 1.1.1 Der lange Revolutionsdiskurs. Die konservative Meinungsmobilisierung gegen liberale Reformen und Nationalbewegung 56 1.1.2 „Schmutzige Trikolor“. Die Emotionalisierung und Popularisierung konservativer Argumentationsfiguren gegen Nation und Revolution 77 1.2 Pseudo-Patriotismus. Die Permanenz konservativer Semantiken und Deutungsmuster gegen die liberale Nationalbewegung 111 1.2.1 Nachahmung und Verführung. Die anhaltende konservative Skepsis gegen den modernen Nationalismus 112 1.2.2 „Zerreißung“ und „Schwächung“ statt nationaler Einheit. Die konservative Polemik gegen den Pseudo-Patriotismus als politisches Rechtfertigungsnarrativ 134 2 2.1
Religiöse Politik und monarchischer Patriotismus. Der Restaurationsdiskurs nach 1848 147 Die politische Funktionalisierung religiös-theologischer Semantiken und Ordnungsideen 150
VIII
2.1.1
Inhalt
Die Assoziation Thron-Altar als beharrende Identitäts-, Inszenierungsund Legitimationsgrundlage 152 Religiöse Politik. Die Aufladung der konservativen Sprache des Politischen mit religiösen Begriffen und Erklärungsmustern 184 Konservativer Modernisierungswiderstand in „gefälligerer Form zur Unterhaltung“ 207 Monarchischer Patriotismus. Eine konservative Integrationsideologie zwischen Kontinuität und Neuerfindung 237 König, Vaterland, Armee. Monarchischer Herrscherkult, eigenstaatliches Bewusstsein und Bellizismus als nachrevolutionäre Politikdiskurse 243 Inhalt Ehre und heilige Treue. Die politische Selbstbeschreibung und die kulturelle Wertorientierung konservativer „Patrioten“ 271 Flaggen, Hymnen und Helden. Nationale Pädagogik und Kollektivsymbole im konservativen Patriotismusdiskurs 290 Das kleine Vaterland. Die konservativen Lokalpatrioten im Spannungsfeld zwischen monarchischem Patriotismus und Nationalstaatsidee 313 Inhalt
2.1.2 2.1.3 2.2 2.2.1
2.2.2 2.2.3 2.2.4
3 3.1
3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.2
3.2.1
3.2.2
3.3
Desorientierung und Realpolitik. Die Paradigmen der Nationalstaatsgründung von oben 331 Pragmatismus und Alternativlosigkeit. Das realpolitische Rechtfertigungsnarrativ zwischen teleologischem Fortschrittsglaube und kultureller Desorientierung 333 Dienstethos, Pflicht und Loyalität. Die pragmatische Umorientierung konservativer Identitäts- und Selbstbeschreibungsparadigmen 335 Auf der Suche nach Objektivität und Notwendigkeit. Die deterministischen Suggestionen der konservativen Realpolitik. 347 Konservativer Fortschritt. Der semantische und programmatische Gehalt der realpolitischen Wende 365 Wahrheit und Notwendigkeit nationalstaatlicher Machtkonzentration. Stabile Anpassungsleistungen und unkontrollierbare Folgen der Nationalstaatspolitik 377 Eine hybride Nation. Die Koexistenz von kleinem und großem Vaterland und die Annäherung zwischen liberalen und konservativen Patriotismusdiskursen 382 „Ein vernünftiges Entgegenkommen zur rechten Zeit“. Neue Legitimationstheorien und ungelöste Probleme der nationalen Integrationsideologie 396 Die Stillen im Lande. Nostalgie und Pessimismus als rationale Emotionen gegen die teleologische Nationalstaatseuphorie 409
Inhalt
3.3.1
3.3.2
4 4.1 4.2
4.3 4.4 4.5
Die verbliebenen Deutungs- und Handlungsoptionen für eine konservative Opposition zur realpolitisch-teleologischen Begründungserzählung 414 Die Religion als affektives und kulturelles Refugium gegen die Nationalisierung 431 443 Zusammenfassung und Ausblick Die politische „Umsicht und Geschichtlichkeit“ der Konservativen 443 Kontinuitätskonstruktion und Komplexitätsreduzierung. Religion, Revolution und Königstreue als lange Argumentationsketten im konservativen Politikdiskurs 444 Die politische Mythologie der neugegründeten Nationalstaaten 446 Der konservative Diskurs zwischen gesamteuropäischem Kontext, transnationaler Artikulation und regionalem Vergleich 449 Zukunftsoffenheit und historische Ungleichzeitigkeit einer Übergangsepoche 450
Anhang Abkürzungen
455
456 Archivalische Quellen Archivio dell’Accademia delle Scienze di Torino (Turin) 456 Archivio del Museo del Risorgimento di Genova (Genua) 456 Archivio del Museo nazionale del Risorgimento di Torino (Turin) Archivio di Stato di Torino (Turin) 456 Archivio storico del Comune di Genova (Genua) 456 Biblioteca civica del Comune di Genova (Genua) 457 Bundesmilitärarchiv (Freiburg i. Br.) 457 Museo Centrale del Risorgimento (Rom) 457 Privatarchiv der Familie Solaro della Margarita (Cuneo) 457 458 Publizistische Quellen 1 Pamphlete und Zeitungsartikel 458 Preußen 458 Sardinien-Piemont / Italien 463 2 Religiös-theologische, politische und staatswissenschaftliche Abhandlungen 467
456
IX
X
Inhalt
3 Romane, Erzählungen, Lieder- und Gedichtbücher Preußen 468 Sardinien-Piemont / Italien 469 4 Vorträge, Petitionen, Predigten und Gedenkreden Preußen 470 Sardinien-Piemont / Italien 471 5 Memoiren und Hagiographien 472 Preußen 472 Sardinien-Piemont / Italien 474
468
Inhalt
475 Politische und diplomatische Dokumente Preußen 475 Sardinien-Piemont / Italien 476 477 Quelleneditionen Preußen 477 Sardinien-Piemont / Italien Literaturverzeichnis Personenregister Ortsregister
514
481 506
480
470
Einleitung
Einleitung
Im 19. Jahrhundert sahen sich die Konservativen vor die permanente Herausforderung gestellt, grundlegende Reformen zu realisieren, ohne die tradierten politischen und sozialen Machtverhältnisse zu destabilisieren. Das Hauptaugenmerk der vorliegenden Studie ist auf die konservative Sprache des Politischen gerichtet. Sie wird als geschichtliches Material aufgefasst, welches den komplexen Übergang zur modernen Gesellschaft registriert.1 Zum einen steht die Beharrung semantischer Bestimmungsmuster und politischer Argumentationsstrategien der konservativen Gegenrevolution im Fokus dieser Arbeit. Zum anderen werden die Anpassungs- und Transferleistungen zwischen liberalem Fortschrittsglauben und konservativer Traditionsstiftung sowie die daraus resultierende Veränderung des politischen Denkens und des Politikvokabulars in den Blick genommen. Gefragt wird nach der spektakulären Durchsetzung der Nationalstaatsidee in Deutschland und Italien, aber auch nach den Erfolgsgrenzen dieser politischen Integrationsideologie. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts generierten die Begründungserzählungen von Nationalismus und Moderne zwei breitenwirksame Großdeutungen, die sich im Wechselspiel von Geschichtspolitik und Geschichtsschreibung europaweit etablierten.2 Bis heute bestimmen sie unsere Interpretation der Vergangenheit. Der lange Nachhall teleologischer und modernistischer Meistererzählungen basiert auf der überdimensionierten Aufmerksamkeit der historischen Forschung für das politische Rechtfertigungsnarrativ der nationalliberalen Konstrukteure der Nation.3 Spätestens
1 Niklas Luhmanns historisch-politische Definition von Semantik dient als Orientierungsfolie. Vgl. Niklas Luhmann, Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft (Bd. 1), Frankfurt a. M. 1980, S. 7. Zum Verhältnis von Sprache und Geschichte vgl. Reinhart Koselleck, Linguistic Change and the History of Events. In: Intellectual History. Critical Concepts in Historical Studies. Hrsg. von Richard Whatmore, London–New York 2015, S. 132–148. 2 Grundlegend zu den engen Verflechtungen von Geschichtspolitik, Geschichtswissenschaft und Nationalstaat vgl. Jürgen Osterhammel, Geschichtswissenschaft jenseits des Nationalstaats. Studien zu Beziehungsgeschichte und Zivilisationsvergleich, Göttingen 2001; Jörn Leonhard, Vergangenheit als Vorgeschichte des Nationalstaats? Zur retrospektiven und selektiven Teleologie der deutschen Nationalhistoriographie. In: Nationalgeschichte als Artefakt. Mystifizierung und Entmystifizierung nationaler Historiographie in Deutschland, Italien und Österreich. Hrsg. von Hans-Peter Hye, Wien 2009, S. 179–200; Stefan Berger, The Past as History. National Identity and Historical Consciousness in Modern Europe, Basingstoke 2015. 3 Der Begriff Meistererzählung zeichnet historische Großdeutungen nach, die sich auf Vergangenheitsnarrationen beziehen, um aktuelle politische Interessen zu legitimieren. Vgl. Konrad Jarausch u. Martin Sabrow, Meistererzählung – Zur Karriere eines Begriffs. In: Die historische Meistererzählung. Deutungslinien der deutschen Nationalgeschichte nach 1945. Hrsg. von Konrad Jarausch u. Martin Sabrow, Göttingen 2002, S. 9–32. Der Begriff politisches Rechtfertigungsnarrativ bezieht sich auf explizite oder symbolische narrative Begründungen, die sowohl die normative und institutionelle Ordnung als auch die individuellen Deutungs- und Handlungsoptionen bestimmen. Vgl. Andreas Fahrmeir, EinDOI 10.1515/9783110544466-001
2
Einleitung
seit den 1860er Jahren erreichte die retrospektive Teleologie der Nation durch seine Medienpräsenz und Symbolkraft eine öffentliche Dominanz.4 Vor 1848 stand die überwiegende Mehrheit der preußischen und der piemontesischen Konservativen der Nationalbewegung skeptisch oder desinteressiert gegenüber. Aus konservativer Sicht war die nationale Einheit unwahrscheinlich und weitgehend unerwünscht. Die konservative Sprache des Politischen stützte sich auf semantische und kulturelle Bestimmungsmuster, die mit der politischen Mythologie der Nation nicht übereinstimmten. Um reaktionäre Gegenschläge, Reformblockaden oder pragmatische Umorientierungen zu rechtfertigen, bezogen sich die Konservativen auf andere Pathosformeln, Verschwörungstheorien und Zukunftsvisionen, die ebenso messianisch und identitätsstiftend wirken konnten.5 Ausgehend von der europaweiten Meinungsmobilisierung gegen die Französische Revolution kristallisierten sich im konservativen Diskurs drei über die regionalen, konfessionellen und soziokulturellen Barrieren zirkulierende Argumentationsketten heraus: die narrative Verarbeitung der Revolution, die „religiöse Politik“ und der monarchische Herrscherkult.6 Sie waren vielfältig einsetzbar und gewannen allmählich eine massenkommunikative Resonanz. Im 19. Jahrhundert diskutierten die Konservativen auch über neue Politikentwürfe und Weltinterpretationen. Sie sprachen von „tout améliorer et tout conserver“, „extrême centre“, Juste Milieu, Revolution ohne Revolution, konservativem Fortschritt
leitung. In: Rechtfertigungsnarrativ. Zur Begründung normativer Ordnung durch Erzählungen. Hrsg. von Andreas Fahrmeir, Frankfurt a. M. 2013, S. 7–10. 4 Vgl. Luise Schorn-Schütte, Historische Politikforschung. Eine Einführung, München 2006, S. 67. 5 Vgl. Friedemann Pestel, Kosmopoliten wider Willen. Die monarchiens als Revolutionsemigranten, München 2015, S. 131–139. 6 Im 19. Jahrhundert gewannen Revolutionsdiskurse und -erfahrungen eine zunehmende politische Bedeutung. Vgl. Reinhart Koselleck, Revolution. Rebellion, Aufruhr, Bürgerkrieg. In: Geschichtliche Grundbegriffe (Bd. 5). Hrsg. von Otto Brunner, Werner Conze u. Reinhart Koselleck, Stuttgart 1984, S. 653–788. Der Begriff „religiöse Politik“ wurde von Carl Ludwig von Haller in dem 1811 erschienenen Pamphlet Politische Religion entworfen. Der schweizerische Politikphilosoph plädierte für „die Anerkennung des Göttlichen in der Natur der Staaten und in den geselligen Pflichten“. Vgl. Carl Ludwig von Haller, Politische Religion oder biblische Lehre über die Staaten, Winterthur 1811, S. III. Im 19. Jahrhundert koexistierten Säkularisierungs- und Rechristianisierungsimpulse auf politisch-institutioneller und soziokultureller Ebene. Stellvertretend für die reichhaltige Forschungslandschaft darüber: Michael Burleigh, Irdische Mächte, Göttliches Heil. Die Geschichte des Kampfes zwischen Politik und Religion von der Französischen Revolution bis in die Gegenwart, München 2008; Rudolf Schlögl, Alter Glaube und moderne Welt. Europäisches Christentum im Umbruch 1750–1850, Frankfurt a. M. 2013; Peter L. Berger, The Many Altars of Modernity. Toward a Paradigm for Religion in a Pluralist Age, Boston 2014. Zum monarchischen Herrscherkult als die „populärste Spielart“ unter den zahlreichen Staatskulten, die in der nachrevolutionären Gesellschaft europaweit zirkulierten, vgl. Lutz Raphael, Recht und Ordnung. Herrschaft durch Verwaltung im 19. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 2000, S. 187.
Einleitung
3
und „conservare svecchiando“.7 Immer mehr preußische und piemontesische Konservative sahen eine legalistische, dynastisch geprägte und antirevolutionäre Verfassungs- und Nationalstaatspolitik in die Nähe des Realisierbaren gerückt. Damit reagierten sie auf die Ausweitung des politischen Massenmarktes und auf die Partizipations- und Fortschrittshoffnungen einer zunehmend informierten Öffentlichkeit.8 Der kontroverse Anpassungsprozess zwischen konservativen Machterhaltungsstrategien und liberalen Legitimationstheorien bildete eine zentrale Voraussetzung für die bis dahin unwahrscheinliche und wenig erprobte Teleologie der nationalstaatlichen Machtkonzentration von oben.9 In seinem populären Abenteuerroman Der Graf von Monte Christo griff Alexandre Dumas auf eine weitverbreitete Argumentationsfigur zurück, die im 19. Jahrhundert immer wieder zur Diskreditierung konservativer Politikdiskurse diente: „ils n’ont rien appris, ni rien oublié“.10 Der Vorwurf, „nichts gelernt und nichts vergessen“ zu haben, war mit der modernen Sprache des Politischen und mit den damit verbundenen deterministischen, vermeintlich rationalen Ansprüchen nach Wahrheit und Objektivität eng verflochten. Diese scheinbare „Sprache der harten Tatsachen“ legitimierte kollektiv sinnstiftende Narrationen, die neue Politikentwürfe oder bereits existierende Ordnungsideen untermauerten.11 In der nachrevolutionären Epoche versuchten die Konservativen so wenig wie möglich zu vergessen, indem sie die Sprache der Vergangenheit perpetuierten und Kontinuitätsvorstellungen entwarfen. Jedoch vollzog sich mit der narrativen Verarbeitung der Revolutionen von 1789, 1830 und 1848 ein umfas-
7 Seit 1830 rezipierten unzählige Pamphlete und Zeitungsartikel in ganz Europa das Etikett des Juste Milieu. Diese Definition beschrieb euphemistisch die Politik von König Louis Philippe und François Guizot oder Robert Peel in England. Zur Entstehung und Verbreitung der hybriden politischen Ideologie und der Handlungsmuster des Juste Milieu vgl. Pierre Serna, La République des girouettes (1789–1815 et au-delà). Une anomalie politique: la France de l’extrême centre, Seyssel 2005; Michael Broers, The Quest for a Juste Milieu: The Restoration as a Silver Age? In: Mächtepolitik und Friedenssicherung. Zur politischen Kultur Europas im Zeichen des Wiener Kongresses. Hrsg. von Reinhard Stauber, Berlin 2014, S. 33–46. Die Idee des konservativen Fortschritts wurde von dem freikonservativen Wahlprogramm von 1867 lanciert. Vgl. Wahlprogramm der Freikonservativen Partei (1867). In: Deutsche Parteiprogramme. Hrsg. von Wilhelm Mommsen, München 1960, S. 54–56. 8 Zu Öffentlichkeitswandel und Entstehung eines Massenmarktes der politischen Ideen im 19. Jahrhundert vgl. Dieter Langewiesche, Politikstile im Kaiserreich. Zum Wandel von Politik und Öffentlichkeit im Zeitalter des politischen Massenmarktes. In: Regierung, Parlament und Öffentlichkeit im Zeitalter Bismarcks. Politikstile im Wandel. Hrsg. von Lothar Gall, Paderborn 2003, S. 1–21. 9 Zu den neuen Nationalstaaten als „Produkt eines konzentrierenden Machtwillens von oben“ vgl. Jürgen Osterhammel, Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, München 2009, S. 583. Ferner Lutz Raphael, Imperiale Gewalt und mobilisierte Nation. Europa 1914–1945, München 2011, S. 14. 10 Alexandre Dumas, Le comte de Monte-Cristo, Paris 1846, S. 20. 11 Willibald Steinmetz, „Sprechen ist eine Tat bei euch.“ Die Wörter und das Handeln in der Revolution von 1848. In: Europa 1848. Reform und Revolution. Hrsg. von Dieter Dowe, Heinz-Gerhard Haupt u. Dieter Langewiesche, Bonn 1998, S. 1089–1138.
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Einleitung
sender Lernprozess.12 Um 1850 polemisierten diesseits und jenseits der Alpen zahlreiche liberale Publizisten und sogar der spätere deutsche Kaiser Wilhelm I. gegen die „Partei der Unverbesserlichen“, die nichts gelernt und nichts vergessen hatten.13 Das politische Ausbalancieren zwischen Lernen und Vergessen wurde zum überparteilichen Problem. Gegensätzliche Emotionen wie Fortschrittsoptimismus, Realitätsverlust und Desillusionierung wurden über alle Parteigrenzen hinweg empfunden. Zwei aufmerksame Beobachterinnen ihrer Zeit, Olimpia Savio und Hildegard von Spitzemberg, kommentierten die frostige Atmosphäre, die in Turin und Berlin am Vorabend der Nationalstaatsgründung herrschte. Ihre Impressionen wichen von der nationalen Pädagogik des italienischen und des deutschen Einheitsstaats und von den damit verknüpften teleologischen Großdeutungen ab.14 Die Baronin Olimpia Savio, eine engagierte Publizistin, die sich nach dem Tod ihrer zwei Söhne während des Süditalienfeldzuges von 1860 als Mater dolorosa des italienischen Risorgimento stilisierte, berichtete, wie die piemontesischen Eliten, die zu loyal waren, um gegen den König offen zu rebellieren, ihre Enttäuschung über die italienische Einigung jedoch keineswegs verhehlten.15 In den adligen Salons löste die pragmatische Nationalstaatspolitik des Ministerpräsidenten Cavour „heftige Wutausbrüche“ aus und wurde als „demagogischer Wahnsinn“ vehement verurteilt.16 Die französische Sprache und der piemontesische Dialekt übertönten nach wie vor die „Sprache von Dante“, die die italienischen Nationalbarden als kulturelles und politisches Fundament des Risorgimento kanonisiert hatten.17 Die konservativen Familien organisierten ihre Reisen nur noch nördlich der Alpen und boykottierten das Teatro Regio, das das italienische
12 Vgl. Matthias Middell, Auf der Suche nach neuen Ausdrucksformen. Die Gegner der Französischen Revolution. In: Medienereignisse im 18. und 19. Jahrhundert. Hrsg. von Christine Vogel, Herbert Schneider u. Horst Carl, München 2009, S. 77–91. 13 Der liberale Jurist Pasquale Stanislao Mancini bezeichnete die römische Kurie als „quel potere [che] niente [ha] dimenticato e niente imparato“ und die Zeitschrift Rivista contemporanea attackierte die „partito incorreggibile, che non ha niente dimenticato e niente imparato“. Vgl. Pasquale Stanislao Mancini, Discorsi sulla liquidazione dell’asse ecclesiastico, Florenz 1863, S. 93; Rivista contemporanea 10 (1857), S. 312. Auch der spätere deutsche Kaiser Wilhelm I. und der preußische Diplomat Joseph Maria von Radowitz warfen den „Ultrarechten“ vor, „nichts gelernt und nichts vergessen“ zu haben. Vgl. Prinz Wilhelm an seine Schwester Charlotte am 25.10.1851. In: Prinz Wilhelm von Preußen an Charlotte, Briefe 1817–1860. Hrsg. von Karl-Heinz Börner, Berlin 1993, S. 364; Joseph Maria von Radowitz an seine Frau am 8.1.1853. In: Nachgelassene Briefe und Aufzeichnungen zur Geschichte der Jahre 1848–1853. Hrsg. von Walter Möring, Stuttgart–Berlin 1922, S. 410. 14 Zum Begriff „pedagogia nazionale“ vgl. Bruno Tobia, Una forma di pedagogia nazionale tra cultura e politica. In: Il Risorgimento 47 (1995), S. 174–214. 15 Olimpia Savio, Memorie (Bd. 1), Mailand 1911, S. 295. 16 Savio, Memorie (Bd. 1), S. 295 sowie Bd. 2, S. 36. 17 Savio, Memorie (Bd. 1), S. 294. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts setzte sich der Risorgimentobegriff zunächst in der poetisch-literarischen Sprache durch. Erst seit den 1840er Jahren wurde er auf die Sprache des Politischen transferiert. Bevor führende piemontesische Moderati wie Balbo und Gioberti ihre einflussreichen politischen Schriften verfassten, veröffentlichten sie begeisterte
Ungleichzeitige Sedimentierung und Vereinnahmungen von Nation und Revolution
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Opernrepertoire auf die Bühne brachte. Stattdessen gingen sie zum Theater Rossini. Dort wurden Dialektkomödien gespielt – ein deutliches politisches Statement gegen die befürchtete Entpiemontesierung.18 Um 1870 war auch Hildegard von Spitzemberg, die Frau des württembergischen Gesandten in Berlin, über die begeisterungslose Nüchternheit in Bezug auf die deutsche Einigung und über die Abneigung gegen Süddeutschland, die in der preußischen Hauptstadt kursierten, schwer enttäuscht. Frau von Spitzemberg war eine der beliebtesten Gäste im Haus Bismarck und modifizierte ihre frühere preußenfeindliche Haltung in einer leidenschaftlichen Bewunderung der kleindeutschen Realpolitik. Am 30. November 1870 notierte sie in ihrem Tagebuch, während in Berlin der „Eintritt Süddeutschlands in den Bund lautlos vorüber“ gehe, werde dasselbe Ereignis in Württemberg durch „Böllerschüsse und Beflaggung allüberall gefeiert“.19 Wenige Tage nach der feierlichen Kaiserproklamation in Versailles hob die adlige Dame wieder kritisch hervor, dass sowohl die Beflaggung als auch die Beleuchtung „keineswegs dem wichtigen Ereignis“ entsprachen.20 Auch in den folgenden Monaten und Jahren stigmatisierte Hildegard von Spitzemberg die „Lauheit“ und die „Unliebenswürdigkeiten über Süddeutschland“, die die preußischen Eliten teilweise auch ostentativ zur Schau stellten.21
1 Die ungleichzeitige Sedimentierung und die konkurrierenden Vereinnahmungen von Nation und Revolution im konservativen Diskurs Ungleichzeitige Sedimentierung und Vereinnahmungen von Nation und Revolution
Die nationalstaatliche Machtkonzentration und die damit verknüpfte politische Mythologie waren in ganz Europa das Produkt permanenter Revolutionsdiskurse, die laut Reinhart Koselleck synchron immer schon Gegenrevolution enthielten.22 Seit 1789 bildete der Revolutionsbegriff ein parteiübergreifendes und gegensätzlich
Hagiografien über Dante und die italienische Literatur. Vgl. Lucio Villari, Bella e perduta. L’Italia nel Risorgimento, Rom–Bari 2009, S. 52. 18 Savio, Memorie (Bd. 2), S. 35. und 43. Auch die Piemontesen waren in den neuen Territorien des italienischen Einheitsstaats wenig beliebt. Nach einem mehrwöchigen Aufenthalt in Neapel in November 1860 kommentierte ein englischer Diplomat: „Durante il soggiorno che Sua Maestà ha fatto a Napoli, è diventato estremamente impopolare, anzi contro i Piemontesi in generale prevale un forte sentimento di antipatia.“ Zit. nach Filippo Mazzonis, La Monarchia e il Risorgimento, Bologna 2003, S. 149. 19 Vgl. Das Tagebuch der Baronin Spitzemberg. Aufzeichnungen aus der Hofgesellschaft des Hohenzollernreiches. Hrsg. von Rudolf Vierhaus, Göttingen 1963, S. 116. 20 Spitzemberg, Tagebuch, S. 119. 21 Spitzemberg, Tagebuch, S. 123–125 und 138. 22 Vgl. Koselleck, Revolution, S. 656 und 749.
6
Einleitung
besetzbares Deutungsmuster, das die diskursiv-intellektuelle Wirklichkeitskonstruktion mehrerer Generationen europäischer Politiker und Intellektueller entscheidend mitbestimmte. Die narrative Bewältigung der Revolution leitete eine Überlagerung liberaler Fortschrittshoffnungen und christlich, dynastisch oder bellizistisch inspirierter Traditionsstiftung ein. Auch die Entwicklung der Nationalstaatsidee basierte auf der ungleichzeitigen Sedimentierung und den konkurrierenden Vereinnahmungen (gegen-)revolutionärer Erfahrungsdeutungen.23 Zum einen behielt die Sprache der Macht ihr religiöses Fundament.24 Zum anderen veränderten sich um 1850 die politische Kultur, die Diskussionsforen und die Semantiken des Politischen. Die europaweite Verwissenschaftlichung und Ökonomisierung politischer Entscheidungs- und Argumentationsmuster trugen zur Durchsetzung einer erweiterten liberal-konservativen Elite bei.25 Sie entwarf einen gemeinsamen Erwartungshorizont mit den Leitideen von Fortschritt und Pragmatismus. Für die Dynamisierung konservativer Politikdiskurse bildete der Schock von 1789 das erste und wichtigste transnationale Medienereignis.26 Die Revolution generierte einen wesentlichen Modernisierungsimpuls, der die Arenen, die Kommunikationsformen und die Sprache des Politischen grundlegend veränderte. Zugleich stellte sie ein „dominantes Epochenetikett“ dar, das die realhistorischen Veränderungen auf einer diskursiven Erfahrungs- und Deutungsebene zuspitzte und für aktuelle politische Interessen immer wieder reaktivierte.27 Die Revolutionserfahrung wurde kritisch-rational und emotional revitalisiert und je nach politischer Einstellung und
23 Hierzu Jörn Leonhard, Das Präsens der Revolution. Der Bonapartismus in der europäischen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. In: Kommunikation und Konfliktaustragung. Verfassungskultur als Faktor politischer und gesellschaftlicher Machtverhältnisse. Hrsg. von Werner Daum, Berlin 2010, S. 293–320. 24 Vgl. Schlögl, Glaube, S. 15. 25 Vgl. Christopher Clark, After 1848: The European Revolution in Government. In: Transactions of the Royal Historical Society 22 (2012), S. 171–197. 26 Middell, Gegner, S. 77–81. Jörn Leonhard postuliert aufgrund der zahlreichen politisch-konstitutionellen Krisen zwischen 1789 und 1871 eine einzigartige Dynamisierung des Politikdiskurses und der semantischen Bestimmungsmuster (zunächst in Frankreich, dann in ganz Europa durch transnationale Kommunikation und Ideentransfer). Vgl. Jörn Leonhard, Liberalismus. Zur historischen Semantik eines europäischen Deutungsmusters, München 2001. Die These von 1789 bzw. 1793 als Geburtsstunde des modernen Konservatismus wurde in unzähligen ideengeschichtlichen Studien aufgestellt. Der prominenteste Vertreter dieser traditionellen Konservatismusforschung ist Klaus Epstein, Die Ursprünge des Konservatismus in Deutschland, Frankfurt a. M. 1973. 27 Vgl. Jörn Leonhard, Über Revolutionen. In: JMEH 11/2 (2013), S. 170–186. Zur geschichtstheoretischen Kategorie „Revolution“ vgl. Florian Grosser, Theorien der Revolution zur Einführung, Hamburg 2013; Mike Rapport, Revolution. In: Aufruhr – Katastrophe – Konkurrenz – Zerfall. Bedrohte Ordnungen als Thema der Kulturwissenschaften. Hrsg. von Ewald Frie u. Mischa Meier, Tübingen 2014, S. 279–301.
Ungleichzeitige Sedimentierung und Vereinnahmungen von Nation und Revolution
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soziokultureller Disposition unterschiedlich orientiert.28 Revolution blieb „im Munde der Konservativen aller Länder ein zwar unbestimmter, aber mit Bestimmtheit abzulehnender Begriff“.29 Der politische Lernprozess, den die Revolutionen von 1789, 1830 und 1848 einleiteten, wirkte parteiübergreifend über nationale Grenzen hinweg.30 Seit den 1840er Jahren kulminierte er in den politischen Debatten über Verfassung und nationale Einigung, die die expandierende Presselandschaft und die Aktivitäten der neugegründeten Parlamente in Italien und Deutschland bestimmten. Auch die Konservativen engagierten sich nolens volens als Agenten der medialen Modernisierung, indem sie die Sprache der Vergangenheit in den neuen publizistischen, parteipolitischen und parlamentarischen Arenen rekonfigurierten und auf den modernen politischen Massenmarkt transportierten.31 Sowohl um 1800 als auch nach 1848 profitierte die konservative Meinungsmobilisierung von der umfassenden Dynamisierung und Popularisierung politischer Räume, Netzwerke und Ideen.32 Die preußischen und piemontesischen Konservativen versuchten ihre elitebezogenen Wertorientierungen und Ordnungsprinzipien zu reproduzieren, aber auch eine im nachrevolutionären Zeitalter unerlässliche Massenbasis zu rekrutieren, indem sie christlich-paternalistische, kriegerische, kapitalismuskritische und antisemitische Argumentationsfiguren benutzten.33 Mitte des 19. Jahrhunderts gewann die politische Öffentlichkeit in einem noch nie dagewesenen Ausmaß an Breite und Intensität. Seit dem Pontifikatsbeginn von
28 Koselleck definiert Erfahrung als gegenwärtige Vergangenheit, welche rationale Verarbeitung und unbewusste Verhaltensweisen verknüpft. Vgl. Reinhart Koselleck, Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt a. M. 1979, S. 354. 29 Ernst Engelberg, Die politische Strategie und Taktik Bismarcks. In: Die großpreußisch-militärische Reichsgründung. Hrsg. von Ernst Engelberg, Berlin 1971, S. 73–117, hier S. 75. 30 Middell, Gegner, S. 80. In seiner Studie über die konservativen Vereine in Preußen resümierte Wolfgang Schwentker: „Für alle politischen Bewegungen in Deutschland waren die Jahre der Revolution von 1848–1849 Lehrjahre der Parteibildung“. Wolfgang Schwentker, Konservative Vereine und Revolution in Preußen, Düsseldorf 1988, S. 335. 31 Vgl. Christopher Clark, Preußenbilder im Wandel. In: HZ 293 (2011), S. 307–321. Ferner Matthias Middell, Die Geburt der Konterrevolution in Frankreich 1788–1792, Leipzig 2005, S. 20. 32 Vgl. Dieter Langewiesche, Kommunikationsraum Europa: Revolution und Gegenrevolution. In: Demokratiebewegung und Revolution. Internationale Aspekte und europäische Verbindungen. Hrsg. von Dieter Langewiesche, Karlsruhe 1998, S. 11–35. Ferner James Retallack, The German Right 1860– 1920. Political Limit of the Authoritarian Imagination, Toronto 2006. Zur Entstehung und Verbreitung eines massenwirksamen Konservatismus „von unten“ in England nach den antinapoleonischen Kriegen vgl. Jörg Neuheiser, Krone, Kirche und Verfassung. Konservatismus in den englischen Unterschichten 1815–1867, Göttingen 2010. 33 Vgl. Henning Albrecht, Preußen, ein „Judenstaat“. In: Geschichte und Gesellschaft 37 (2011), S. 455–481. Zu militärischen Rituale und paternalistischer Selbstsymbolisierung als identitätsstiftende Elemente vgl. Jakob Vogel, Nationen im Gleichschritt. Der Kult der Nation in Waffen in Deutschland und Frankreich 1871–1914, Göttingen 1997.
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Einleitung
Pius IX., der in Italien die Initialzündung für die überregionale Reformeuphorie von 1846 bildete, und nach der Einberufung der preußischen Vereinigten Landtage am 3. Februar 1847 kam man kontinuierlich „zu kleinen und großen Versammlungen zusammen, demonstrierte und protestierte, bat und drohte, verfasste Resolutionen und Petitionen, mischte sich in Flugblättern und Karikaturen ein, brachte in großer Zahl neue Zeitungen heraus und nahm auch in den alten kein Blatt mehr vor den Mund“.34 Spätestens seit der Durchsetzung parlamentarischer und massenkommunikativer Diskussionsforen waren Sprache und Politik auf das Engste miteinander verknüpft.35 Die moderne politische Sprache und die Versprachlichung von Politik basierten sowohl auf eklatanten Diskontinuitäten als auch auf semantischen Wiederholungsprozessen, die die meisten Zeitgenossen auf die Sattelzeit um 1800 zurückprojizierten.36 Trotz der nachrevolutionären Verschiebungen von Sagbarkeit und Machbarkeit in der Sprache des Politischen dominierten bei den einzelnen Wortbedeutungen weiterhin vorrevolutionäre Tiefstrukturen.37 Das zunehmend breite Publikum der Politik registrierte vor allem die Extreme: „auf der einen Seite die endlose Wiederholung abgedroschener Phrasen, auf der anderen Seite das Unerhörte, der befreiende oder provozierende Ausspruch dessen, was bis dahin noch niemand zu sagen gewagt hatte.“38
2 Konservative Politikdiskurse als Untersuchungsgegenstand Die Konservativen gehörten meistens zu den sozialen und den staatstragenden Eliten. Sie besaßen erhebliche finanzielle Mittel, machtbewusste Familientraditionen und informelle Kontakte, um die politischen Entscheidungsträger beeinflussen und sich
34 Dieter Langewiesche, Revolution in Deutschland. Verfassungsstaat, Nationalstaat, Gesellschaftsreform. In: Europa 1848. Reform und Revolution. Hrsg. von Dieter Dowe, Heinz-Gerhard Haupt u. Dieter Langewiesche, Bonn 1998, S. 167–196, hier S. 172. Vgl. auch Kerstin Singer, Konstitutionalismus auf Italienisch. Italiens politische und soziale Führungsschichten und die oktroyierten Verfassungen von 1848, Tübingen 2008. 35 Thomas Mergel vertritt die These, dass Politik primär Sprechen bedeutet und die Grenzen der Sprache auch die Grenzen des Politischen konstruieren. Vgl. Thomas Mergel: Überlegungen zu einer Kulturgeschichte der Politik. In: Geschichte und Gesellschaft 28 (2002), S. 574–606. 36 Vgl. Rüdiger Hachtmann, Hinabgestiegen von den Barrikaden? Revolutionäre und gegenrevolutionäre Gewalt 1848/49. In: Gewalt im politischen Raum. Fallanalysen vom Spätmittelalter bis ins 20. Jahrhundert. Hrsg. von Neithard Bulst, Frankfurt a. M. 2008, S. 134–163. Über die Sattelzeit als Theorie vergangener Erfahrungsdeutung vgl. Jörn Leonhard, Erfahrungsgeschichte der Moderne. Von der komparativen Semantik zur Temporalisierung europäischer Sattelzeiten. In: Dimensionen der Moderne. Festschrift für Christof Dipper. Hrsg. von Ute Schneider u. Lutz Raphael, Frankfurt a. M. 2008, S. 549–566. 37 Vgl. Willibald Steinmetz, Das Sagbare und das Machbare. Zum Wandel politischer Handlungsspielräume. England 1789–1867, Stuttgart 1993. 38 Steinmetz, Sprechen, S. 1107.
Konservative Politikdiskurse als Untersuchungsgegenstand
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privilegierte Karrierechancen sichern zu können.39 Angesichts ihrer sozialen Stellung waren die Konservativen diejenige politischen Akteure, die sich von dem real-fiktiven Bedrohungsszenario der permanenten Revolution am meisten beunruhigt fühlten.40 Im 19. Jahrhundert agierten sie in einer „entsicherten Ständegesellschaft“ als Gutsbesitzer, Hofadlige, Offiziere, Spitzenbeamte, Intellektuelle, Mäzene, Kapitalisten, Parteipolitiker und Publizisten.41 Einerseits herrschten weiterhin in der nachrevolutionären Übergangsepoche ein unklares Politik- und Parteiverständnis sowie verschwommene politische Terminologien. Die Konservativen bezogen sich auf traditionelle Selbstbeschreibungen und definierten sich durch parteiübergreifende „Familienbindung und Königsnähe“.42 Andererseits setzte sich nach 1848 schnell die Dichotomie zwischen liberal-bürgerlich und adelig-konservativ als politisches Narrationselement durch. Seitdem etablierten sich die Kategorien von liberal und konservativ als zentrale Fremd- bzw. Eigeninteressenzuschreibungen.43 Die Durchsetzung von modernen parlamentarischen und publizistischen Foren brachte neue rhetorische und intellektuelle Normen hervor.44 Im Kontext einer institutionell und kommunikativ veränderten Sprache des Politischen setzten sich die Konservativen nicht das Ziel, die traditionellen Politikdiskurse wiederzubeleben, sondern vielmehr identitätsstiftende Kontinuitätslinien bzw. eine kontrollierte Diskontinuität zu konstruieren.45 Heinz Reif unterscheidet fünf konservative Paralleltraditionen des 19. Jahrhunderts, die „alle auf ihre je eigene Weise die Vermittlung von Alt und Neu anstrebten, also nicht schlichtweg reaktionär waren“: der romantisch-altständische Konservatismus, der agrarische Interessenkonservatismus, der gouvernementale Konservatismus, der liberale Konservatismus und der soziale Konservatismus.46
39 Vgl. Roger Price, „Der heilige Kampf gegen die Anarchie“. Die Entwicklung der Gegenrevolution. In: Europa 1848. Reform und Revolution. Hrsg. von Dieter Dowe, Heinz-Gerhard Haupt u. Dieter Langewiesche, Bonn 1998, S. 43–81. 40 Zur zentralen politischen Bedeutung der Revolution als existenzielle Bedrohung und als Phantom, das von Verschwörungstheorien, polizeilichen Provokationen und konservativen Verfolgungsängsten hervorgebracht wurde, vgl. Adam Zamoyski, Phantome des Terrors. Die Angst vor der Revolution und die Unterdrückung der Freiheit: 1789–1848, München 2016. 41 Ewald Frie, Adelige Lebensweise in entsicherter Ständegesellschaft. Erfahrungen der Brüder Alexander und Ludwig v. d. Marwitz. In: Adel und Moderne. Hrsg. von Eckart Conze, Köln 2004, S. 273–288. 42 Ewald Frie, Friedrich August Ludwig von der Marwitz 1777–1837. Biographie eines Preußen, Paderborn 2001, S. 288–290. 43 In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bildete der Adelskonservatismus ein wichtiges Laboratorium für die politischen Ideen und Mobilisierungsmomente der gegenrevolutionären Bewegungen diesseits und jenseits der Alpen. Vgl. Heinz Reif, Adel im 19. und 20. Jahrhundert, München 2012, S. 43. 44 Willibald Steinmetz, A Code of Its Own. Rhetoric and Logic of Parliamentary Debate in Modern Britain. In: Finnish Yearbook of Political Thought 6 (2002), S. 87–104. 45 Vgl. Frie, Marwitz, S. 302. 46 Heinz Reif, Adel, Aristokratie, Elite. Sozialgeschichte von oben, Berlin 2016, S. 125–147.
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Ausgehend von der Erfahrung des napoleonischen Empires und der Julirevolution von 1830 wirkte die unbestimmte politische Vision eines liberalkonservativen Mittelwegs zunehmend attraktiv. Nach den revolutionären Großkrisen von 1789, 1830 und 1848 plädierten immer mehr Konservative für eine richtige Mitte zwischen Revolution und Reaktion.47 Die hybride Ideologie und die politische Sprache des Juste Milieu konstruierten einen gemeinsamen Nenner zwischen traditionellen Machtdiskursen, neuen Legitimationstheorien und liberalem Reformenthusiasmus. Das Juste Milieu untermauerte die beruhigende Vision des konservativen Fortschritts mit einem transnationalen Politikdiskurs, der sich nach 1851 auch auf den bonapartistischen Herrschaftsstil bezog.48 In den neuen politischen Arenen der nachrevolutionären Übergangsgesellschaft erhielt der kontroverse Osmoseprozess zwischen reformbereiten Moderati und konservativen Eliten eine zentrale Bedeutung. An dieser komplexen Anpassungsleistung beteiligten sich alte und neue politische Protagonisten und Rezipientengruppen. Sie orientierten sich an neuen politischen Mythologien mit hybriden Kollektivsymbolen. Seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert erfuhr das lexikalische Feld um die Begriffe Vaterland und Nation eine umfassende Dynamisierung der semantischen Bestimmungsmuster.49 So etablierte sich etwa im Zusammenhang mit der liberalkonservativen Politik der 1850er Jahre in Piemont eine „weiße“ Legende über König Karl Albert. Der ultrakatholische und konservativ-legitimistische Monarch wurde als reformbereiter und patriotischer Vater der Nation stilisiert.50 Die nationalen Einheitsbestrebungen und die Modernisierungshoffnungen der Liberalen wurden auch auf Friedrich Wilhelm IV. projiziert. Der Hohenzollernkönig reagierte auf die nachrevolutionäre „Sprach- und Begriffsverwirrung“, indem er die christlich-legitimistischen
47 Über Verfassungsdebatten, Adelsreformdiskurse und die Suche nach einem dritten Weg in Preußen vgl. Karsten Holste, In der Arena der preußischen Verfassungsdebatte. Adlige Gutsbesitzer der Mark und Provinz Brandenburg 1806–1847, Berlin 2013; Gunter Heinickel, Adelsreformideen in Preußen. Zwischen bürokratischem Absolutismus und demokratisierendem Konstitutionalismus (1806– 1854), Berlin 2014. 48 Vgl. Gudrun Gersmann u. Hubertus Kohle, Auf dem Weg ins Juste Milieu. Frankreich 1794–1799. In: Frankreich um 1800. Hrsg. von Gudrun Gersmann u. Hubertus Kohle, Stuttgart 1990, S. 9–22. 49 Vgl. Alberto Mario Banti, La nazione del Risorgimento. Parentela, sanità e onore alle origini dell’Italia unita, Turin 2006, S. 7. 50 Am Vorabend der italienischen Nationalstaatsgründung versuchte der antiliberale Publizist Stefano San Pol Gandolfo das neue nationalliberale Rechtfertigungsnarrativ der piemontesischen Monarchie zu demaskieren: „Carlo Alberto si tenne con ambe le parti; inaugurò una politica governativa a doppia faccia. Accarezzava i cattolici, gli assolutisti, gli anticostituzionali, e i preti e i frati; blandiva i liberali, i progressisti, i riformatori, i rivoluzionari d’Italia tutta. Liberale e rivoluzionario, non ebbe il coraggio di richiamar dall’esilio i suoi complici del 1821. Religioso e assolutista, vagheggiava la corona di ferro [die Königskrone der Langobarden galt als Symbol eines (nord-)italienischen Königreichs]“. Vgl. Stefano San Pol, La Nemesi subalpina, Turin 1858, S. 16.
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Ordnungsprinzipien und den traditionellen Herrscherkult mit bürgerlich-liberalen Inszenierungselementen und patriotischen Pathosformeln kombinierte.51 Die narrative Verarbeitung der Revolution, die einen liberalkonservativen Mittelweg imaginierte, bezog sich auf die Theorien des absoluten Idealismus, des Naturalismus und des Positivismus. Diese argumentierten mit einer Sprache der harten Tatsachen und assoziierten liberal-populistische Legitimationskonzepte mit konservativem Dienstethos und Herrscherkult. Zusehends seit 1848 bezog sich die Sprache des Politischen auf parteiübergreifende Objektivitäts- und Rationalitätskriterien. Wie alle Meisternarrative der Moderne basierte auch die Nationalstaatsgründung in Italien und Deutschland auf Rationalisierungs- und Modernisierungsideen, die keineswegs eine politische Entideologisierung und Entemotionalisierung voraussetzen.52 Der „Naturalismus reiner Interessenpolitik“ generierte eine über die parteipolitischen Grenzen hinweg attraktive Deutungsoption, um die nachrevolutionären Transformationskrisen zu verarbeiten.53 Seit den Revolutionsjahren 1848/49 konstatierten zahlreiche politische Kommentatoren in ganz Europa, dass die Konservativen wichtige Aspekte aus den kontroversen liberalen Nationalprogrammen übernahmen. Dabei blieb bis in die 1860er Jahre hinein umstritten, ob und inwieweit die konservative Vereinnahmung liberaler Partizipations- und Legitimationstheorien die Unterstützung der preußischen und der piemontesischen Nationalstaatspolitik rechtfertigte. Während die konservativen Hardliner die Perspektive des konstitutionellen Einheitsstaats nach wie vor stigmatisierten, waren die Moderati bereit, mit der gemäßigten Nationalbewegung zusammenzuarbeiten.54 Die euphemistische Wirklichkeitskonstruktion der Interessenpolitik basierte auf der Suggestion einer unmittelbar bevorstehenden Zukunft. Dieser zwischen Euphorie und Desorientierung gespaltene Erwartungshorizont kombinierte einen optimistischen Fortschrittsglauben mit konservativer Machterhaltung und Nationalismus als
51 Friedrich Wilhelm IV. an Herzog Adolf von Nassau am 6.3.1849. In: Revolutionsbriefe 1848. Ungedrucktes aus dem Nachlaß König Friedrich Wilhelms IV. von Preußen. Hrsg. von Karl Haenchen, Leipzig 1930, S. 370. 52 In der Moderne kam es nicht zu einer „stets wachsenden Affektkontrolle bei gleichzeitig zunehmender Herrschaft der Vernunft“. Birgit Aschmann, Vom Nutzen und Nachteil der Emotionen in der Geschichte. In: Gefühl und Kalkül. Der Einfluss von Emotionen auf die Politik des 19. und 20. Jahrhunderts. Hrsg. von Birgit Aschmann, Stuttgart 2005, S. 9–32, hier S. 10. Zur Bedeutung von Emotionen in den Meisternarrativen der Moderne vgl. Birgit Aschmann, L’importanza del presunto irrazionale. In: Le ragioni del moderno. Hrsg. von Christof Dipper u. Paolo Pombeni, Bologna 2014, S. 185–208. 53 Vgl. Jörn Leonhard, Politik – ein symptomatischer Aufriss der historischen Semantik im europäischen Vergleich. In: Politik. Situationen eines Wortgebrauchs im Europa der Neuzeit. Hrsg. von Willibald Steinmetz, Frankfurt a. M. 2007, S. 75–133. 54 Vgl. Mark Hewitson, Nationalism in Germany. 1848–1866. Revolutionary Nation, Basingstoke 2010, S. 331.
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„ideological power“.55 Damit erwies sich die nationalstaatliche Machtkonzentration als eine epochale Veränderung, die von den preußischen und den piemontesischen Konservativen in eine beruhigende Kontinuitätsvorstellung eingeordnet wurde. Die neuen Nationalstaaten waren eine der vielen „revolutionären“ Innovationen der Moderne, die auf beschönigenden Rationalitätskriterien beruhten und in einem immer breiteren Massenmarkt zirkulierten, jedoch auf vorgegebene semantische und kulturelle Wiederholungsstrukturen angewiesen blieben.56 Im langen 19. Jahrhundert konstruierten die religiösen Missionskonzepte, die sakralen Herrscherkulte sowie die militärischen und bürokratischen Effizienzkriterien einen wirkungsmächtigen transnationalen Diskurs.57 Er bildete die identitätsund traditionsstiftenden Legitimationsgrundlagen für dynastische Machtstaaten wie Preußen und Piemont, aber auch für multiethnische oder globale Imperien wie das Zarenreich, Großbritannien und die Habsburgermonarchie sowie für die neuen Nationalstaaten Italien und Deutschland.58 Nach der Revolution von 1848 standen
55 John Breuilly, Nationalism, Power and Modernity in Nineteenth-Century Germany, London 2007, S. 34. Über die politische Ideologisierung des Fortschrittsbegriffs im 19. Jahrhundert vgl. Christian Meier u. Reinhart Koselleck, Fortschritt. In: Geschichtliche Grundbegriffe (Bd. 2). Hrsg. von Otto Brunner, Werner Conze u. Reinhart Koselleck, Stuttgart 1975, S. 351–423. 56 Reinhart Koselleck, Vom Sinn und Unsinn der Geschichte, Berlin 2010, S. 114. Über die „Beharrlichkeit des Denkens, Fühlens und Handelns“, die im 19. Jahrhundert „mit bezeichnenden Anpassungen an neue Entwicklungen“ immer wieder plausible und aktuelle Politikdiskurse hervorbrachte, vgl. auch Norbert Elias, Studien über die Deutschen, Frankfurt a. M. 2005, S. 165. Von besonderem Interesse ist ebenfalls Alexander Gerschenkrons Definition der historischen Kontinuität als endogener Wandel. Sie besagt, dass die „historische Entwicklung bzw. Deformation aus sich wiederholenden Mechanismen resultiert, die einem bestimmten System innewohnen“. Ein zweites Konzept von historischer Kontinuität bezieht sich auf die „Konstanz der Richtung“ und fokussiert den „kontinuierlichen Wandel in derselben Richtung“. Eine weitere Definition beleuchtet die „Periodizität von Ereignissen“ und bezieht sich auf die „Wiederholung der Vergangenheit, wonach historische Ereignisse eine Neuauflage früherer Vorkommnisse repräsentieren“. Vgl. Hellmut Walser Smith, Jenseits der Sonderweg-Debatte. In: Das Deutsche Kaiserreich in der Kontroverse. Hrsg. von Sven Oliver Müller u. Cornelius Torp, Göttingen 2009, S. 31–51. 57 Vgl. Jörn Leonhard, Wie legitimierten sich multiethnische Empires im langen 19. Jahrhundert? In: Die Legitimation von Imperien. Strategien und Motive im 19. und 20. Jahrhundert. Hrsg. von Herfried Münkler, Frankfurt a. M. 2012, S. 70–93. 58 Vgl. Osterhammel, Verwandlung, S. 613. Über die dynastische Identitätsstiftung in Piemont und in Italien: Mazzonis, Monarchia, S. 34–37. Über die Souveränitätsdiskussion und die umstrittene Einordnung des Deutschen Kaiserreichs in die Kategorie „Nationalstaat“ vgl. Dieter Grimm, War das Deutsche Reich ein souveräner Staat? In: Das Deutsche Kaiserreich in der Kontroverse. Hrsg. von Sven Oliver Müller u. Cornelius Torp, Göttingen 2009, S. 86–101. In seiner klassischen Studie über das Deutsche Kaiserreich diskutiert Hans-Peter Ullmann das Konzept von autoritärem Nationalstaat und stellt fest: „Das Deutsche Reich war ein Nationalstaat, und die Integration war sein drängendstes Problem, stand doch die Bevölkerung nicht einmütig hinter ihm: Während die einen den neuen Staat positiv sahen, lehnten die anderen ihn ab; und viele hatten seine Existenz noch kaum zur Kenntnis genommen.“ Hans-Peter Ullmann, Politik im deutschen Kaiserreich 1871–1918, München 1999, S. 1.
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die epischen Erfahrungsdeutungen und die romantischen Erwartungshorizonte der italienischen und der deutschen Nationalbewegung auf dem Prüfstein. Die Revolution hinterließ in der ideengeschichtlichen Dimension ihr breitenwirksamstes Erbe.59 Spätestens seit 1850 gab es nördlich und südlich der Alpen nicht nur zwei Nationen „auf der Suche nach einem eigenen Nationalstaat, sondern umgekehrt auch Nationalstaaten auf der Suche nach der perfekten Nation“.60 In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts konstruierte die politische Mythologie des Nationalismus europaweit eine wesentliche Erweiterung monarchischer, sakraler und konstitutioneller Staatskulte.61 Das galt besonders für Preußen und Piemont, weil sich diese Staaten in unterschiedlicher Weise, jedoch zusehends seit 1848 als Vorreiter der nationalen Einheit profilierten.62 Die Revolution bot sowohl in den Machtzentren als auch in der Peripherie die Gelegenheit, „über das Aussehen der Nation zu diskutieren und politisch durch Wahlen, Petitionen und Demonstrationen sowie symbolisch durch Feste und Umzüge Anteil an ihr zu nehmen“.63 Jedoch blieb bis in die 1860er Jahre hinein das Nationalstaatsmodell für die Mehrheit der politischen Entscheidungsträger, der Intellektuellen und der breiten Öffentlichkeit in Italien und Deutschland unwahrscheinlich oder zumindest sehr umstritten.64 Die konservativen Eliten in Preußen und Piemont standen den oktroyierten Verfassungen von 1848 und den neuen Nationalstaaten „distanziert, reserviert bis vorsichtig bejahend“ gegenüber.65 Das Mosaik der patriotischen Integrationsideologien bezog sich nicht nur auf die Nation, sondern vielmehr auf das eigenstaatliche Bewusstsein und auf den „religiösen, königstreuen, heimatverbundenen und traditionsbewussten Landespatriotismus“ oder auf regionale, munizipale und nicht staatliche Lebensräume.66 Seit den
59 Vgl. Lewis Namier, 1848: The revolution of the intellectuals, Oxford 1971, S. 31–33. 60 Osterhammel, Verwandlung, S. 583. 61 Raphael, Recht, S. 192. 62 Die Suggestion der preußischen und piemontesischen Mission basierte auch auf der Auffassung des Staats als sittliche Kraft und Träger des Fortschritts. Vgl. Koselleck, Sinn, S. 154. 63 Andreas Heinemann, Stadt, Konfession und Nation. Bürgerliche Nationsvorstellungen zur Reichs gründungszeit, Duisburg 2014, S. 431. 64 Das Pamphlet des prominenten lombardischen Intellektuellen Carlo Cattaneo Dell’insurrezione di Milano nel 1848 (1849) resümiert die tiefgreifenden Konflikte zwischen „servili“ und „popolari“, zwischen dynastischer Einigungspolitik und Revolution von unten, föderalistisch-demokratischem Modell und zentralistischer Machtkonzentration von oben. Vgl. Marco Meriggi, Einleitung. In: Carlo Cattaneo, L’insurrezione di Milano, Mailand 2011, S. 25. 65 Gabriele B. Clemens, Sanctus Amor Patriae. Eine vergleichende Studie zu deutschen und italienischen Geschichtsvereinen im 19. Jahrhundert, Tübingen 2004, S. 330. 66 Siegfried Weichlein, Nation und Region. Integrationsprozesse im Bismarckreich, Düsseldorf 2004, S. 15. Zur Konstruktion einer lokalen und nationalen Doppelidentität nach der italienischen Nationalstaatsgründung vgl. Ilaria Porciani, Identità locale – identità nazionale: la costruzione di una doppia appartenenza. In: Centralismo e federalismo tra Otto e Novecento, Italia e Germania a confronto.
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1840er Jahren lautete die konfliktreichste Frage für die liberalen und die konservativen Protagonisten der preußischen und piemontesischen Politik, ob die nationalen Einheitsbestrebungen in eine antirevolutionäre und dynastisch-machtpolitische Richtung gelenkt werden konnten.67 Bereits vor 1848 plädierten reformbereite Konservative wie Cesare Balbo und Joseph Maria von Radowitz in ihren viel diskutierten Essays Delle speranze d’Italia und Deutschland und Friedrich Wilhelm IV. für eine systemstabilisierende Verfassungs- und Nationalstaatspolitik von oben.68 Im langen 19. Jahrhundert führten die nachrevolutionären Transformationskrisen dazu, dass die konservativen Eliten mit wechselndem Erfolg „dem Vorrat liberaler Programme […] das Brauchbarste für die eigenen Ziele“ entnahmen.69
3 Konzeption und Erkenntnisinteresse 3.1 Nationalismus und Nationalstaat Im Laufe des 19. Jahrhunderts vollzog sich die Historisierung der Welt. Politische Weltanschauungen, aber auch wissenschaftliche Diskurse sowie Kunst, Architektur und Literatur wurden historisiert und neu strukturiert. Die Geschichte fungierte als identitätsstiftendes Bezugssystem und wurde je nach politischem Interesse unterschied-
Hrsg. von Oliver Janz, Bologna 1998, S. 141–182. Auch die deutschen und italienischen Geschichtsvereine propagierten eine „Religione della patria“, die in erster Linie die lokale, regionale und dynastische Identitätskonstruktion untermauerte. Vgl. Clemens, Sanctus, S. 413. Europaweit galten neben der Nation auch der Staat und die Region als Vaterland: Miroslav Hroch, Das Europa der Nationen. Die moderne Nationsbildung im europäischen Vergleich, Göttingen 2005, S. 58. Zur Entwicklung und Differenzierung nationaler, lokaler, religiöser und dynastischer Integrationsideologien in Italien vgl. Luca Mannori, Tra nazioni e nazione: una riflessione introduttiva. In: Nazioni d’Italia: identità politiche e appartenenze regionali tra Settecento e Ottocento. Hrsg. von Angela De Benedictis, Rom 2012, S. 7–32. 67 Vgl. Christian Jansen, Gründerzeit und Nationsbildung 1849–1871, Paderborn 2011, S. 195. 68 Cesare Balbo betrachtete sein Pamphlet Delle speranze d’Italia als ein „manifesto di speranze moderate […] contro a quelle di tutto mutare, […] contro a quelle di tutto conservare“. Cesare Balbo, Delle speranze d’Italia, Capolago 1844, S. XVI. Über die transnational zirkulierenden und parteiübergreifenden Ideen, die die liberalkonservative Position von Balbo charakterisierten, vgl. Maurizio Isabella, Aristocratic Liberalism and Risorgimento. In: History of European Ideas 36 (2013), S. 835–857. Der preußische Diplomat Joseph Maria von Radowitz beschrieb enthusiastisch das „wiedergewonnene Bewußtsein, daß Deutschland ein untrennbares Ganze sei“ und verteidigte die „Stellung Friedrich Wilhelm IV. zu der Deutschen Sache“. Vgl. Joseph Maria von Radowitz, Deutschland und Friedrich Wilhelm IV., Hamburg 1848, S. II–III. 69 Vgl. Christof Dipper, Deutscher und italienischer Adelsliberalismus im Vergleich. In: Hochkultur als Herrschaftselement. Italienischer und deutscher Adel im langen 19. Jahrhundert. Hrsg. von Gabriele B. Clemens, Marco Meriggi u. Malte König, Berlin 2011, S. 67–94, hier S. 92.
Konzeption und Erkenntnisinteresse
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lich perspektiviert.70 Jenseits teleologischer Großdeutungen, die das Erwachen der Nation auf verklärte Mittelaltersuggestionen und auf die mythisierten Revolutionsund Befreiungskriege um 1800 zurückprojizierten, kann man konstatieren, dass die deutsche und die italienische Nationalbewegung erst seit den 1840er Jahren einen politikmächtigen Diskurs hervorbrachten.71 Am Beispiel der frühen Opern von Giuseppe Verdi kann man deutlich zeigen, dass die „Projektion national-ideologischer Entwicklungen und patriotischen Engagements“ aufgrund später hervorgebrachter Emotionen und Interessen rückblickend konstruiert wurde.72 Die nicht kohärente Vielfalt national-patriotischer Vorstellungen entstand während der „nationalen Sattelzeit“ zwischen 1750 und 1820, jedoch verbreitete sich erst um 1850 eine Liaison zwischen modernem Staatsdenken, nationalem Selbstbestimmungs- und Einheitsideal.73 Trotz ihrer deterministischen und stark ideologisch gefärbten Aura ist die Frage nach dem modernen Nationalismus aus einer historischen Studie über die europäischen Nationalstaatsbildungsprozesse nicht wegzudenken.74 Die Modernisierung in Form einer sich beschleunigt transformie-
70 Vgl. Jo Tollebeek u. Ilaria Porciani, Institutions, Networks and Communities in a European Perspective. In: Setting the Standards. Institutions, Networks and Communities of National Historiography. Hrsg. von Jo Tollebeek u. Ilaria Porciani, Basingstoke 2012, S. 3–26. 71 Zur Erfindung der Nation anhand von Antike- und Mittelaltersuggestionen vgl. Robert J. W. Evans u. Guy Marchal (Hrsg.), The Uses of the Middle Ages in Modern European States. History, Nationhood and the Search for Origins, Basingstoke 2011; Antonino De Francesco, The Antiquity of the Italian Nation. The Cultural Origins of a Political Myth in Modern Italy, 1796–1943, Oxford 2013; Duccio Balestracci, Medioevo e Risorgimento. L’invenzione dell’identità italiana nell’Ottocento, Bologna 2015. 72 Axel Körner, Oper, Politik und nationale Bewegung. Mythen um das Werk Giuseppe Verdis. In: Themenportal Europäische Geschichte. http://www.europa.clio-online.de/2013/Article=673 (13.09.2015). Vgl. auch Simonetta Chiappini, From the People to the Masses: Political Developments in Italian Opera from Rossini to Mascagni. In: The Risorgimento revisited. Hrsg. von Silvana Patriarca u. Lucy Riall. Basingstoke 2011, S. 56–76. 73 Vgl. Ute Planert, Wann beginnt der „moderne“ deutsche Nationalismus? Plädoyer für eine nationale Sattelzeit. In: Die Politik der Nation. Deutscher Nationalismus in Krieg und Krisen, 1760–1960. Hrsg. von Jörg Echternkamp u. Sven O. Müller, München 2002, S. 25–59. Über die bis heute anhaltende Auseinandersetzung zwischen Modernisten und Traditionalisten über die Entstehung des Nationalismus vgl. Lotte Jensen, The Roots of Nationalism. In: The Roots of Nationalism. National Identity Formation in Early Modern Europe, 1660–1815. Hrsg. von Lotte Jensen, Amsterdam 2016, S. 9–30. Klaus Ries betrachtete das Revolutionsjahr 1830 als den eigentlichen Wendepunkt im nationalen Diskurs in Deutschland. Vgl. Klaus Ries, Die Fiktion des deutschen Nationalstaates als modernes Phänomen. In: Identitäten. Erfahrungen und Fiktionen um 1800. Hrsg. von Gouthier-Louis Fink u. Andreas Klinger, Frankfurt a. M. 2004, S. 71–90. Grundlegend zur Frühgeschichte des deutschen Nationalismus vgl. Jörg Echternkamp, Der Aufstieg des deutschen Nationalismus (1770–1840), Frankfurt a. M. 1998. Über die Illusion individueller bzw. kollektiver Selbstbestimmung und seine zentrale Bedeutung zur Sicherung der nationalen Einheit vgl. Jörg Fisch, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Die Domestizierung einer Illusion, München 2010. 74 Miroslav Hroch plädiert dafür, auf den Begriff Nationalismus wegen seiner „völlig uneinheitlichen Verwendung“ zu verzichten. Vgl. Hroch, Europa, S. 8.
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renden Sozialstruktur, von Industrialisierung, Alphabetisierung und Kommunikationsrevolution wird immer wieder mit dem Nationalismus als Forschungsproblem im Zusammenhang gebracht.75 Nationalismus wird hier problemorientiert und im Sinne der angelsächsischen Tradition verwendet. Der Begriff nationalism ist vergleichsweise wenig teleologisch geprägt und politisch neutral konnotiert. Als Theoriebegriff ermöglicht er, die wachsende politische und kulturelle Ausstrahlungskraft des Deutungsmusters Nation im langen 19. Jahrhundert zu erfassen.76 Unter zwei heuristischen und geschichtstheoretischen Voraussetzungen kann man den umstrittenen Nationalismusbegriff operationalisieren. Einerseits soll der Nationalismus „von jeglichem vorherigen Konzept der Nation“ losgelöst und seine analytische Einbettung in einem konstruktivistischen und modernistischen Theoriefeld vollzogen werden.77 Andererseits ist die genaue Bestimmung empirisch-fundierter Ergänzungskonzepte zum Nationalismus wichtig. „Nationale Mobilisierung“ erweist sich als ein weiterführender Begriff, um den krisenhaften Prozess der Nationsbildung in Italien und Deutschland zu definieren. Im Hinblick auf die konservativen Integrationsideologien, die sich auch auf dynastische, ständische, regionale, christliche und konfessionelle Narrationen bezogen, hat auch der Terminus Identität wegen seiner „Wertneutralität und Kombinierbarkeit“ mit nicht- oder vornationalistischen Paradigmen politischer Traditionsstiftung ein starkes Erklärungspotenzial.78 Das Konzept der Nationalbewegung als „Konglomerat von Ideen und Handlungen, Ausdrucksformen und Ausdrucksmittel“ bietet eine weitere überzeugende Alternative, um den Nationalismusbegriff für die deutsche und italienische Geschichte im langen 19. Jahrhundert zu problematisieren.79
75 Zu den engen Verflechtungen von Modernisierungstheorien und Nationalismus vgl. Lutz Raphael, Ordnungsmuster der Hochmoderne? Die Theorie der Moderne und die Geschichte der europäischen Gesellschaften im 20. Jahrhundert. In: Dimensionen der Moderne. Hrsg. von Ute Schneider u. Lutz Raphael, Frankfurt a. M. 2008, S. 73–91. 76 Vgl. Ulrike von Hirschhausen u. Jörn Leonhard, Europäische Nationalismen im West-Ost-Vergleich: Von der Typologie zur Differenzbestimmung. In: Nationalismen in Europa. West- und Osteuropa im Vergleich. Hrsg. von Ulrike von Hirschhausen u. Jörn Leonhard, Göttingen 2001, S. 11–45. 77 John Breuilly, Nationalismustheorien und kritische deutsche Gesellschaftsgeschichte. In: Das Deutsche Kaiserreich in der Kontroverse. Hrsg. von Sven Oliver Müller u. Cornelius Torp, Göttingen 2009, S. 102–118. Hedda Gramley plädierte für eine aus sozialhistorischer Sicht kritische, jedoch durchaus produktive Auseinandersetzung mit der kulturwissenschaftlichen und konstruktivistischen Perspektive. Vgl. Hedda Gramley, Propheten des deutschen Nationalismus. Theologen, Historiker und Nationalökonomen 1848–1880, Frankfurt a. M. 2001. 78 Hroch, Europa, S. 35. Dort auch zum Begriff nationale Mobilisierung. Gegen den Identitätsbegriff als inflationäres und inhaltsarmes „Plastikwort“ gibt es ernstzunehmende Kritik von Lutz Niethammer, Kollektive Identität. Heimliche Quellen einer unheimlichen Konjunktur, Hamburg 2000. 79 Heiner Timmermann, Nationalbewegung und Nationalismus in Europa. In: Entwicklung der Nationalbewegung in Europa. Hrsg. von Heiner Timmermann, Berlin 1998, S. 11–16.
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Desgleichen bildet „monarchischer Patriotismus“ einen Erweiterungs- bzw. Relativierungsbegriff zum modernen Nationalismus. Um das eigenstaatliche Bewusstsein, den monarchischen Herrscherkult und die dynastisch-bellizistische Herrschaftsbegründung in Preußen und Piemont zu definieren, wird statt Partikularismus der neutrale Begriff monarchischer Patriotismus verwendet.80 Der Grund dafür ist, dass der Terminus Partikularismus nach der italienischen und der deutschen Nationalstaatsgründung als pejorative Fremdbezeichnung galt (und immer noch gilt).81 Die heuristische Erweiterung des Nationalismusbegriffs mit den Konzepten von nationaler Mobilisierung, Nationalbewegung, patriotischer Identitätsstiftung und monarchischem Patriotismus ermöglicht es, eine historiografische Fragestellung zu konzipieren, die nicht eine dem Teleologischen nahestehende Zeit-, Raum- und Fortschrittsdimension als Maßstab übernimmt. Die Suggestion des Nationalstaats als politischer Königsweg in der Moderne und des Nationalismus als ein absoluter Wert resultierten aus einer nicht vorbestimmten Bewältigungsstrategie, die die liberalen und die konservativen Eliten gegen die (nach-)revolutionären Transformationskrisen zwischen 1840 und 1870 ausarbeiteten. Die Durchsetzung der piemontesischen und der preußischen Einigungspolitik bedeutete nicht, dass die neuen Nationalstaaten von bestimmten politischen Interessen dauerhaft monopolisiert oder ungestört von oben kontrolliert wurden. Das galt vor allem für die nationale Pädagogik in Italien und Deutschland, die auf einer hybriden, wenig erprobten und konfliktgeladenen Integrationsideologie basierte.82 In dieser Arbeit stellt der Begriff Moderne ein wichtiges Periodisierungs- und Problematisierungskonzept für zentrale Leitthemen wie Revolution, Nationalstaat, Nationalismus oder politische Sprache zur Verfügung.83 Das 19. Jahrhundert wurde retrospektiv als das Zeitalter der paradigmatischen Modernisierung erfasst. Bis heute wird über diesen kontroversen historiographischen Duktus lebhaft debattiert.84 Bedeutung und Verwendung der Begriffe Moderne und Modernisierung haben sich in den letzten Jahrzehnten wesentlich verändert, die vielfältigen Temporalitäten und Erscheinungsformen der „multiple modernities“ sind stärker in den Vordergrund
80 Zum Begriff eigenstaatlichen Bewusstseins vgl. Weichlein, Nation, S. 15. 81 Vgl. Irmline Veit-Brause, Partikularismus. In: Geschichtliche Grundbegriffe (Bd. 4). Hrsg. von Otto Brunner, Werner Conze u. Reinhart Koselleck, Stuttgart 1978, S. 753–766. 82 Vgl. Umberto Levra, Fare gli italiani. Memoria e celebrazione del Risorgimento, Turin 1992, S. 18. 83 Eine historische Theorie der Moderne impliziert eine Periodisierung „nach inhaltlichen statt nach den üblichen schematisch-chronologischen Gesichtspunkten“. Vgl. Christof Dipper, Moderne (Version 1.0). In: Docupedia-Zeitgeschichte. http://docupedia.de/zg/Moderne?oldid=106453 (13.09.2015). 84 Vgl. Paul Nolte, Abschied vom 19. Jahrhundert oder Auf der Suche nach einer anderen Moderne. In: Wege der Gesellschaftsgeschichte. Hrsg. von Jürgen Osterhammel, Dieter Langewiesche u. Paul Nolte, Göttingen 2006, S. 103–132.
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der Forschung gerückt.85 Der Begriff Modernisierung beinhaltet eine heuristische Deutungsinstanz, um Ambivalenzen, Machtdiskurse und nicht intendierte Nebenfolgen der Moderne kritisch zu hinterfragen. Jedoch besitzt eine hybrid und nicht deterministisch gedachte Modernisierung keine Trennschärfe mehr und ist damit als geschichtstheoretisches Konzept wenig hilfreich.86 Die in der Sattelzeit eintretende beschleunigte Veränderung des politischen Denkens und der Sprache des Politischen lässt sich nicht mit einem Werturteil verbinden. Im Gegensatz zur Neuzeit, die nach dem Verlust des metahistorischen Bedeutungsüberschusses nur noch eine pragmatische Funktion hat, impliziert der Begriff Moderne eine bestimmte Erzählstrategie.87 Die Geschichte der Moderne bildet die wichtigste historische Metaebene des 19. Jahrhunderts und beruht auf drei erkenntnisleitenden Grundannahmen: historische Diskontinuität, geschichtliche Entwicklung in Gestalt von Kulturschwellen und, als drittes Element, die Erklärungskraft epochenspezifischer Ordnungsmuster.88 Die drei Grundannahmen der Geschichte der Moderne beziehen sich auf Erfahrungen und Diskurse, die real-fiktive Kontinuitätsbrüche thematisierten und europaweit zirkulierende Deutungsmuster hervorbrachten.
3.2 Konservative Meinungsmobilisierung Im 19. Jahrhundert bildete die öffentliche Meinung nicht nur einen realhistorischen Diskussions- und Entscheidungsraum, sondern auch ein semantisches Bestimmungsmuster.89 Die Fundamentalpolitisierung, die sich seit 1848 in ganz Europa allmählich durchsetzte, veränderte auch die Sinn- und Wirklichkeitskonstruktion der konservativen Sprache.90 Die konservativen Politikdiskurse basierten nach wie vor auf elitebezogenen Wertorientierungen und Ordnungsideen, jedoch generierten sie um 1850 eine massenkompatible Position: „Die Bürgerrechte […] schenkten den Europäern
85 Vgl. Shmuel N. Eisenstadt, Ein Blick zurück auf die ersten Überlegungen zu den „Multiple Modernities“. In: Themenportal für europäische Geschichte, 2006. http://www.europa.clio-online.de/ essay/id/artikel-3171 (20.05.2016). 86 Vgl. Thomas Mergel, Modernisierung. In: Europäische Geschichte Online. http://www.ieg-ego.eu/ mergelt-2011-de (31.05.2016). 87 Vgl. Christof Dipper, Il moderno. La storia del concetto e i contenuti chiave. In: Le ragioni del moderno. Hrsg. von Christof Dipper u. Paolo Pombeni, Bologna 2014, S. 33–57. 88 Vgl. Dipper, Moderno. Zur Bedeutung von metahistorischen Ebenen im 19. Jahrhundert vgl. Hayden White, Metahistory. The Historical Imagination in Nineteenth-Century Europe, Baltimore 1973. 89 Vgl. Keith Michael Baker, Inventing the French Revolution, Cambridge 1990, S. 168. Einen Überblick zur preußisch-deutschen Presselandschaft in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und über die öffentliche Meinung als Machtfaktor moderner Politik bietet Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918 (Bd. 1), München 1998, S. 807–811. 90 Vgl. Harald Biermann, Ideologie statt Realpolitik. Kleindeutsche Liberale und auswärtige Politik vor der Reichsgründung, Düsseldorf 2006, S. 14.
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den Freiraum, durch die Mitgliedschaft in politischen Vereinigungen und Arbeiterorganisationen die Politik zu erkunden […]. Dass so manche eher konservativer als liberaler Natur waren, tut der Sache keinen Abbruch, denn auch der Konservatismus war eine politische Einstellung und wurde von vielen Menschen aus dem Volk bewusst übernommen.“91 In Preußen agierten bereits im Jahr 1849 circa 60.000 organisierte Mitglieder in über 300 Vereinen und Clubs.92 Die Konservativen kombinierten ihre Präsenz „in den alten höfischen Strukturen der politischen Entscheidungsfindung“ mit der „Anwendung neu entstandener Formen politischer Öffentlichkeitsarbeit“.93 Dabei verfügten sie über verschiedene Zugänge zur Macht. Im Umwandlungsprozess in eine moderne Kommunikationsgesellschaft spielten die Presse und die politische Publizistik eine ebenso wichtige Rolle wie literarische, religiös-theologische und wissenschaftliche Texte.94 Pamphlete, Flugschriften und Zeitungen wurden im öffentlichen Raum rezipiert und kommentiert. Das Zeitungslesen erfüllte den starken Orientierungsbedarf der politisch Interessierten und konsolidierte neue Identitäten und Praktiken: „Alle, auch die Konservativen, lebten jetzt mit und von der Zeitung“.95 Der Pressefrühling von 1848 untermauerte die Zirkulation von Ideen und Informationen und ermöglichte den schnellen und nachhaltigen Erfolg innovativer Zeitungsprojekte. Die satirische Zeitung Kladderadatsch und die konservative Kreuzzeitung erreichten wenige Monate nach ihrer Gründung bereits über 20.000 Abonnenten. Am Vorabend der Revolution von 1848 gab es in Preußen 404 Intelligenz- und Volksblätter und im Jahr 1849 bereits mehr als 620 Zeitungen. Gemessen an der Bevölkerung war die Zahl der preußischen Zeitungen durchschnittlich nicht höher als in den anderen deutschen Staaten, jedoch deutlich höher als in Österreich.96 Nach den liberalen Reformen im Herbst 1847 begann auch für die piemontesischen Konservativen der Pressefrühling. Ultrakatholische Sprachrohre wie L’Armonia, Lo stendardo cattolico und La Campana verzeichneten jeweils zwischen 2.000 und 2.500 Abonnenten und zählten zu den meistgelesenen Zeitungen in Piemont. Außerdem zirkulierten auch andere einflussreiche konservative Publikationen wie die neugegründete Jesuitenzeitschrift Civiltà Cattolica von Carlo Maria Curci und das französische Journal L’Univers von Louis Veuillot.97 Im partiellen Gegensatz zu den Zeitungen gehörten die Bücher zu den Medien des Privaten. Sie beeinflussten sekundäre Erfahrungen, Identifikationen oder Weltinterpretationen und vermittelten „Gegenpositionen zur Realität“ sowie „Trost für die
91 Mike Rapport, 1848. Revolution in Europa, Darmstadt 2011, S. 399. 92 Vgl. Schwentker, Vereine, S. 335. 93 Hans-Christof Kraus, Ernst Ludwig von Gerlach. Politisches Denken und Handeln eines preußischen Altkonservativen, Göttingen 1994, S. 31. 94 Grundlegend zum Thema: Christophe Charle, Le Siècle de la presse, 1830–1930, Paris 2004. 95 Nipperdey, Geschichte, S. 797. 96 Vgl. Hewitson, Nationalism, S. 37 und 119. 97 Vgl. Franco della Peruta, Il giornalismo italiano dal 1847 all’Unità, Mailand 2011, S. 66–69.
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Isolierten“.98 Obwohl die Verkaufspreise auf dem Buchmarkt langsamer als bei der politischen Publizistik zurückgingen, gab es viele literarische und wissenschaftliche Bestseller, die eine enorme Resonanz erreichten. Im „Vermittlungsmodus der (massenhaft ermöglichten) Individuallektüre“ waren Romankultur und Politikdiskurse eng miteinander verknüpft.99 Das galt auch für die zahlreichen christlich-konservativen Texte, die politische Gedanken mit implizit-kulturellen Sinnstiftungsmechanismen vermittelten. Die Jugenderinnerungen des Historienmalers Wilhelm Kügelgen wurden im Jahr 1870 von dem Direktor des konservativen Volksblatts für Stadt und Land, Philipp Nathusius, herausgegeben und erreichten in den 1920er Jahren die 230. Auflage. Dieses Lieblingsbuch des Bildungsbürgertums setzte den enormen Erfolg der fromm-sentimentalen Literatur von Luise Hensel, Ida Hahn und Marie Nathusius fort. Nach der Nationalstaatsgründung blieben auch in Italien christlich-konservative Autoren wie Antonio Bresciani und Cesare Cantù sehr populär. Ihre antiliberalen und antinationalen Bestseller L’Ebreo di Verona und Margherita Pusterla wurden jeweils über 50-mal neu aufgelegt und europaweit übersetzt.100 Die Predigten, die Gebetbücher und die moralischen Essays, die die evangelischen und die katholischen Theologen massenhaft produzierten, zählten ebenfalls zu den meist gelesenen Büchern. Nördlich und südlich der Alpen trugen sie zur politisch motivierten Entpolitisierung und Rechristianisierung kollektiv sinnstiftender Semantiken und Wertorientierungen bei. Prominente „Kirchenväter des 19. Jahrhunderts“ wie Franz Theremin, Isaak August Dorner, August Tholuck und Ernst Wilhelm Hengstenberg spielten eine entscheidende Rolle, um die konservative Meinungsmobilisierung zu amplifizieren. Auch auf katholischer Seite engagierten sich einflussreiche Theologen wie Jean-Joseph Gaume, Louis Gaston Adrien de Ségur, Melchior von Diepenbrock, Wilhelm Emanuel Ketteler, Giacomo Margotti und Luigi Taparelli d’Azeglio. In diesem Zusammenhang übernahmen viele neugegründete und ebenfalls überregional rezipierte Zeitungen wie L’Univers, Evangelische Kirchenzeitung sowie die Jesuitenzeitschriften Civiltà Cattolica (1850), Études (1856), Stimmen aus Maria Laach (1864), The Month (1864) und Razón y Fe (1901) eine semantische und pragmatische Vermittlungsrolle zwischen theologischem und politischem Diskurs. Ausgehend von der semantischen und kommunikativen Zuspitzung des permanenten Revolutionsdiskurses und mit implizit-kulturellen Kommunikationsinhalten
98 Nipperdey, Geschichte, S. 752. Die Buchproduktion wuchs vor allem bei den Protestanten in Norddeutschland rasant: 1851 erschienen 8.326 neue Buchtitel und im Jahr 1875 waren es über 12.000. 99 Heiko Christians, Begriffsgeschichte als Gebrauchsgeschichte. In: Historisches Wörterbuch des Mediengebrauchs. Hrsg. von Heiko Christians, Köln 2015, S. 13. Im 19. Jahrhundert war es nicht außergewöhnlich, dass Theologen und Literaten und vor allem Historiker einen „weltzugewandten politischen Geist“ demonstrierten und sich als Protagonisten des nachrevolutionären Nationsdiskurses „theoretisch wie praktisch“ engagierten. Vgl. Christiane Liermann, Rosminis politische Philosophie der zivilen Gesellschaft, Paderborn 2004, S. 12. 100 Ausführlich dazu siehe Kap. 2.2.3.
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erreichten konservative Publizisten und Theologen eine starke politische Ausstrahlungskraft. Sie trug entscheidend dazu bei, die antirevolutionäre Fundamentalopposition in „gefälligerer Form zur Unterhaltung“ zu popularisieren.101 Im 19. Jahrhundert blieb die Religion ein „Instrument politischer Machtausübung“ und etablierte sich als ein „Medium der Darstellung politischer Inhalte“.102 Sie bildete für zahlreiche enttäuschte oder desorientierte Leser ein „Archiv der Imaginationen“.103 Der teleologische Nationalismus und der christlich-konservative Modernisierungswiderstand versuchten eine „Verwendungshoheit über den spezifisch religiösen Deutungs-, Symbol- und Ritualvorrat“ für sich zu beanspruchen und damit glaubwürdige Erwartungshorizonte zu generieren.104 Auch die oktroyierten Verfassungen Preußens (Art. 14) und Piemonts (Art. 1) registrierten die Religion als kulturelles System und als politisches Rechtfertigungsnarrativ.105 Die Religion bot eine „Alternative zur wild gewordenen Vernunft“ und war nach wie vor in der Lage, „dem einzelnen Menschen oder einer Gruppe von Menschen allgemeine und doch spezifische Auffassungen von der Welt zu liefern – als Modell von etwas – wie auch darin, tiefverwurzelte, ebenso spezifische geistige Dispositionen zu wecken – als Modell für etwas.“106 Die beharrende kulturelle Dominanz der christlichen Religion generierte politische Orientierungsmuster. Sie vermittelten eine tief internalisierte Glaubenserfahrung, die die konservativen Politikdiskurse emotionalisierte und einem breiten Publikum nahebrachte. Ausgehend von theologischen und kirchlichen Texten erhielt die Idee des übernatürlichen Reichs auch in literarischen Bestsellern und auf dem politischen Massenmarkt eine große Resonanz.107 Obwohl viele deutsche und italienische Nationalisten ohne Ironie vom „Glaube des Nationalismus“ sprachen, bildete die Nation keinen bloßen Religionsersatz.108 Ähnlich wie die anderen modernen Integrationsideologien übernahm auch der Nationalismus christliche Pathosformeln wie die Suggestion einer teleologischen Vorbestimmung des Politischen oder einer missionarischen Aufgabe des Staates und schließlich die eschatologische Verklärung des Krieges.109
101 Siehe Kap. 2.2.3. 102 Rudolf Schlögl, Kommentar zur Sektion III. In: Krieg und Umbruch in Mitteleuropa um 1800. Hrsg. von Ute Planert, Paderborn 2009, S. 289–296, hier S. 292. 103 Schlögl, Glaube, S. 451. 104 Schlögl, Kommentar, S. 290–292. 105 Über die Religion als kulturelles System vgl. Clifford Geertz, Dichte Beschreibung. Beitrage zum Verstehen kultureller Systeme, Frankfurt a. M. 1987, S. 44–95. 106 Geertz, Beschreibung, S. 92. Vgl. auch Burleigh, Mächte, S. 155. 107 Vgl. Marion Dittmer, Reich Gottes. Ein Programmbegriff der protestantischen Theologie des 19. Jahrhunderts, Berlin 2014. 108 Burleigh, Mächte, S. 191. Ausführlich über die historiographische Debatte um das Konzept der „politischen Religion“ siehe Kap. 2.1. 109 Vgl. Banti, Nazione, S. 123–128.
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3.3 Periodisierung und Fragestellung Der chronologische Fokus dieser Untersuchung liegt auf der langen Übergangszeit zwischen 1840 und 1870. Der „krisenhafte Umbruch von Erfahrungen und der damit verbundenen Deutungsmuster und Kommunikationsweisen“ ist das wesentliche Merkmal nachrevolutionärer Übergangsgesellschaften: „Die Transformation von tradierten Erfahrungsmustern geht dabei zugleich einher mit der Suche nach neuen Formen, solche Umbrüche zu deuten, sie damit kommunizierbar zu machen und sich so den Erfahrungswandel sinnhaft anzueignen.“110 Um 1850 kulminierten die umfassenden Veränderungsprozesse, die sich seit dem 18. Jahrhundert überlagerten, in einer krisenhaften Übergangzeit beschleunigter Transformationen.111 In der entstehenden Mediengesellschaft koexistierten national-patriotische Großdeutungen und liberale Erwartungshaltungen mit konservativen Semantiken und Deutungsmustern.112 Die Sprache des Politischen wuchs zum „Instrument des Machtgewinns, der Machtausübung, der Machtsicherung, der Machtkontrolle“. Sie übernahm eine Steuerungsfunktion zur selektiven „Kodierung und Dekodierung“ politischer und soziokultureller Transformationen.113 Dabei ist es von besonderem Interesse zu rekonstruieren, wie semantische Wiederholungsstrukturen, neue Kommunikationsräume und Legitimationstheorien gegeneinander konkurrierten oder kombiniert wurden und die Sprache des Politischen rekonfigurierten. Das synchrone Ineinandergreifen ungleichzeitiger Sprach- und Ideenkonstellationen charakterisierte auch in Preußen und in Piemont die Entwicklung der politischen Diskurse. Seit dem 16. Jahrhundert nahm die Pluralität und Verfügbarkeit politischer und literarischer Medien kontinuierlich zu.114 Nach den europäischen Revolutionen von 1789, 1830 und 1848 gewannen die transregionalen Verflechtungen und die massenkommunikativen Dimensionen der politischen Sprache zunehmend an Bedeutung. Auch eine Vielzahl von Bildern, Symbolen und skandalisierende Argumentationsfiguren wurden in den politischen Arenen systematisch eingesetzt. Die offene Bedeutungsstruktur der Symbole erhielt vor allem in Zeiten nachrevolutionä-
110 Leonhard, Erfahrungsgeschichten, S. 549. 111 Vgl. Gramley, Propheten, S. 17. 112 Zur Revolution von 1848 als Kristallisationspunkt einer politischen Kommunikationsrevolution vgl. Wolfram Siemann, 1848/49 in Deutschland und Europa, Paderborn 2006, S. 115–129. Um 1850 koexistierten moderne politische Arenen und Kollektivsymbole mit traditionellen Kommunikationsstrukturen. Vgl. Rüdiger Hachtmann, Epochenschwelle zur Moderne. Einführung in die Revolution von 1848/49, Tübingen 2002, S. 168–173. 113 Horst Grünert, Sprache und Politik. Untersuchungen zum Sprachgebrauch der Paulskirche, Berlin 1974, S. 2. Dort auch das vorherige Zitat. 114 Vgl. Wolfgang Behringer, Miloš Havelka u. Katharina Reinhold, Mediale Konstruktionen in der Frühen Neuzeit – Zur Einleitung. In: Mediale Konstruktionen in der Frühen Neuzeit. Hrsg. von Wolfgang Behringer, Affalterbach 2013, S. 9–23.
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rer Transformationskrisen eine zentrale Relevanz, weil sie „Distanz zur Welt“ schuf und damit den Aufbau einer „gegliederten Wirklichkeit“ und vielfältige interpretative Anschlussmöglichkeiten ermöglichte.115 Zwischen 1750 und 1900 veränderte sich die schriftliche und bildliche Kommunikation im Zuge einer epochalen „Mobilisierung von Personen und Sachen“, die europaweit eine „enorme Zunahme von zirkulierenden Nachrichten und informierten Lesern“ bewirkte.116 Das Erkenntnisinteresse, das diese Studie verfolgt, betrifft die Verflechtungen und Anpassungsleistungen zwischen konservativem Diskurs und Nationalismus. Dabei wird auf einer handlungsorientierten Ebene untersucht, wie die Konservativen die nationalstaatliche Machtkonzentration resigniert geduldet, pragmatisch instrumentalisiert und „mit-erfunden“ oder durch alternative Vorstellungen herausgefordert haben. Diese Untersuchung fokussiert vor allem eine diskursiv-intellektuelle Dimension. Sie hinterfragt die semantischen, kulturellen und emotionalen Bestimmungsmuster, mit denen die Konservativen auf die Herausforderung national-patriotischer Legitimations- und Integrationsideologien reagierten. Das Ziel dieser Arbeit ist, die komplexen Überlagerungs- und Erneuerungsschübe in der konservativen Sprache des Politischen zu dokumentieren. Welche bereits existierenden Semantiken und Wertorientierungen wurden revitalisiert, um die Ideen der deutschen und der italienischen Nationalbewegung zu diskreditieren oder in eine legalistische Richtung zu lenken? Und umgekehrt: Welche identitäts- und traditionsstiftenden Deutungsmuster aus den konservativen Politikdiskursen erwiesen sich auch für die Liberalen als attraktiv? Wie entwickelten sich der monarchische Herrscherkult, die „religiöse Politik“ und der Revolutionsdiskurs als lange Argumentationsketten zwischen 1840 und 1870? Welche paternalistischen, dynastischen und bellizistischen Erfahrungsdeutungen wurden von den konservativen Protagonisten reaktiviert und auf die teleologischen Fortschrittshoffnungen und die positivistischen Rationalitätsideale transferiert? Und schließlich: Ist die preußische und die piemontesische Nationalstaatspolitik als Höhepunkt oder als Erosion konservativer Machterhaltungsstrategien zu interpretieren? Eine wichtige Voraussetzung, um die Frage nach den Verflechtungen von konservativem Diskurs und Nationalismus zu beantworten, ist, sich das komplexe Mosaik an patriotischen Integrationsideologien, die die imagined communities diesseits und jenseits der Alpen charakterisierten, vor Augen zu halten. Vor allem in Italien und Deutschland bildeten neben der nationalen auch die munizipale, regionale, dynastische und religiös-kirchliche Identitätsstiftung ein nach wie vor attraktives und vielfältig einsetzbares Wahrnehmungs- und Selbstbeschreibungsmuster. Sowohl die
115 Rudolf Schlögl, Die Wirklichkeit der Symbole. Zur Einführung. In: Die Wirklichkeit der Symbole. Grundlagen der Kommunikation in historischen und gegenwärtigen Gesellschaften. Hrsg. von Rudolf Schlögl, Konstanz 2004, S. 5–37. 116 Raphael, Recht, S. 14.
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Liberalen als auch die Konservativen griffen auf diese Vielzahl an überregionalen oder lokalen Patriotismen immer wieder zurück. Die national-patriotische Integrationsideologie gewann nach der Formation des italienischen und des deutschen Einheitsstaats nur langsam und partiell die Oberhand. Zum einen bildete die beharrende Präsenz chronologisch und regional unterschiedlicher Patriotismusdiskurse die Grundlage für eine gruppenintegrative nationale Pädagogik. Zum anderen perpetuierte sie in den deutschen und italienischen Politikdiskursen eine Deutungsoption, um gegen die neugegründeten Nationalstaaten in einer nicht kompromittierenden Form zu protestieren. Um 1870 gab es nicht nur konservative Gegner der Nation, sondern auch Demokraten, Sozialisten, Republikaner, Lokalpatrioten, Föderalisten, Liberale, Reaktionäre, Legitimisten und Katholiken, die mit den Nationalstaat unzufrieden waren.117 Die Stärke der politischen Mythologie der neuen Einheitsstaaten war, dass sie verschiedene patriotische Ordnungsmuster assimilierte und damit die nachrevolutionäre Desorientierung und die Enttäuschung über die bestehenden Legitimationsgrundlagen abmilderte. Die semantische und pragmatische Überlagerung von pluralen Patriotismen in der Morphologie der neuen Nationsdiskurse überzeugte die Mehrheit der politischen Akteure, die Nationalstaatsgründung zu akzeptierten oder zumindest nicht offen zu opponieren.118
4 Die konservative Sprache des Politischen in der langen Übergangszeit zwischen 1840 und 1870 4.1 Stand der Forschung „Die Tatsache, dass die Gegner der Revolution mindestens genauso viel zu lernen hatten, um sich in der neu entstehenden Welt zurechtzufinden, die sich scharf vom Ancien Régime abgrenzte, blieb in der Historiographie zumeist ausgeblendet.“119 Mit diesen lapidaren Worten zog der Leipziger Historiker Matthias Middell im Jahr 2009 eine ernüchternde Bilanz der Forschung über die konservativen Politikdiskurse im 19. Jahrhundert. Sein negatives Urteil ist heute nach wie vor aktuell, vor allem wenn man die Qualität der historischen Studien über die konservativen Gegner der Revolution und des Risorgimento in Italien betrachtet.120 Auch Heinz Reif betont, dass der
117 Vgl. Marco Meriggi, Die Konstruktion von Staat und Nation. In: 150 Jahre Risorgimento – geeintes Italien? Hrsg. von Gabriele Clemens u. Jens Späth, Trier 2014, S. 19–33. 118 Vgl. Raphael, Recht, S. 53. 119 Middell, Gegner, S. 80. 120 Die Arbeit von Renata De Lorenzo bietet einen kritischen Überblick über die revisionistischen Tendenzen der Risorgimento-Historiografie. Die vereinfachten Erklärungsmuster der verschiedenen Antirisorgimento-Fronten kritisierten vermeintliche Primate und lieferten Verschwörungstheorien, die sich von der konstruktiven Kritik am italienischen Einigungsprozess von Gobetti, Salvemini und
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Konservatismus immer noch als „Stiefkind der Parteienforschung“ gelten muss.121 Die bisherige Konservatismusforschung bietet jedoch eine gute Ausgangsbasis. Dabei ist es notwendig, thematische und chronologische Grenzgebiete einzubeziehen. Zum Beispiel demonstrieren neue Arbeiten über die französischen Emigranten sowie über die weiße und die schwarze Internationale eindeutig, dass die Konservativen transnationale Ideen- und Akteursnetzwerke aufbauten.122 Nach 1789 galt Turin als die erste Hauptstadt der französischen Emigration. König Viktor Amadeus III. erklärte sich bereit, die adligen émigrés zu empfangen. Unter Führung des Comte d’Artois und des ehemaligen Finanzministers Calonne etablierte sich eine parallele Hofgesellschaft, die sich die Unterstützung gegenrevolutionärer Insurrektionen und die Befreiung von Ludwig XVI. zum Ziel setzte. Seit 1791 wurde Koblenz das logistische Zentrum und das politische Symbol der antirevolutionären Propaganda.123 Bis heute haben die Revolutions- wie die Nationalismusforschung die Tendenz, die konservative Meinungsmobilisierung zu unterschätzen. Dabei war die Internationale der Gegenrevolution im 19. Jahrhundert mindestens genauso erfolgreich wie die Versuche der Revolutionäre, einen überregionalen Revolutionsverbund zu schaffen.124 Die aktuelle Forschungsdiskussion hat den vorherrschenden Duktus der Restauration als Epoche einer repressiven und antimodernen Rückkehr zum ancien régime revidiert. Zum einen wurde die nachhaltige und transnationale Relevanz revolutionärer Modernisierungsmaßnahmen sowie die produktive und vielfältige Adaption des napoleonischen Erbes positiv neuinterpretiert.125 Zum anderen wurde deutlich her-
Gramsci deutlich unterschieden. Vgl. Renata De Lorenzo, Borbonia Felix. Il Regno delle Due Sicilie alla vigilia del crollo, Rom 2013, S. 9–18. 121 Reif, Bismarck, S. 125. 122 Vgl. Simon Sarlin, Le Légitimisme en armes. Historie d’une mobilisation internationale contre l’unité italienne, Rom 2013; Emiel Lamberts, Conclusion. In: The Black International. The Holy See and Militant Catholicism in Europe. Hrsg. von Emiel Lamberts, Brüssel 2002, S. 465–480. Über die europäischen Monarchien in der Revolution von 1848/49 als die erste wahrhafte Internationale vgl. Johannes Paulmann, Europäische Monarchien in der Revolution von 1848/49. In: Demokratiebewegung und Revolution 1847 bis 1849. Hrsg. von Dieter Langewiesche, Karlsruhe 1998, S. 109–139. Für das 20. Jahrhundert wird das Thema in einer umfangreichen Studie über die Internationale der Konservativen bearbeitet. Vgl. Johannes Großmann, Die Internationale der Konservativen. Transnationale Elitenzirkel und private Außenpolitik in Westeuropa seit 1945, München 2014. 123 Vgl. Christian Henke, Coblentz: Symbol für die Gegenrevolution. Die französische Emigration nach Koblenz und Kurtrier 1789–1792 und die politische Diskussion des revolutionären Frankreichs 1791–1794, Stuttgart 2000, S. 39–50. Ferner Pestel, Kosmopoliten, S. 512. 124 Langewiesche, Kommunikationsraum, S. 8. Auch für Italien ist die politische und kulturelle Bedeutung reaktionärer und munizipaler Kräfte nach 1848 kaum zu überschätzen. Vgl. Simonetta Soldani, Annäherung an Europa im Namen der Nation. In: Europa 1848. Reform und Revolution. Hrsg. von Dieter Dowe, Heinz-Gerhard Haupt u. Dieter Langewiesche, Bonn 1998, S. 125–166. 125 Vgl. Andreas Fahrmeir, Das Jahr 1813 und das moderne Europa. Ein Versuch aus der Sicht des Jahres 2013. In: 1813 im europäischen Kontext. Hrsg. von Birgit Aschmann, Stuttgart 2015, S. 19–34. Ferner Werner Daum, Verfassungskulturen in der Geschichte. Perspektiven und Ergebnisse der For-
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vorgehoben, dass für alle Siegermächte von 1813 die Wiederbelebung traditioneller Politikentwürfe weniger wichtig war als das „quasi-revolutionäre Reformprogramm der Arrondierung, Standardisierung, ja sogar Elitenpartizipation an der politischen Entscheidungsfindung“.126 Die aktive Veränderungsdynamik des Zeitalters der Restaurationen war von vielfältigen Temporalitäten und von konfliktgeladenen Politikdiskursen geprägt.127 Als exemplarisch für die Neubewertung der nachrevolutionären Politik- und Ideengeschichte sind Wolfram Siemanns monumentale Metternich-Biographie und die innovative Studie von Richard Stites über die transnationalen Aktivitäten revolutionärer Netzwerke in der europäischen Peripherie zu nennen. Während Stites die pluralen Artikulationsformen der Revolution nach 1814 in beeindruckender Weise rekonstruiert, zeigt Siemanns Arbeit, dass die konservativen Protagonisten des post-napoleonischen Ordnungssystems undogmatische, kritisch-rationale und reformorientierte Impulse mit gegenrevolutionären und religiös-moralischen Deutungsmustern kombinierten.128 In seiner bahnbrechenden Studie über die politischen Grenzen des autoritären Nationalstaats lehnt James Retallack die „caricature of authoritarian Germany as sclerotic, backward-looking, and ruled by pre-modern elites“ als eine Nebenerscheinung der Sonderweg- und Modernisierungstheorien ab.129 Als alternative Ausgangs-
schung. In: Kommunikation und Konfliktaustragung. Verfassungskultur als Faktor politischer und gesellschaftlicher Machtverhältnisse. Hrsg. von Werner Daum, Berlin 2010, S. 9–21. 126 Fahrmeir, Jahr, S. 32. 127 Zur aktuellen Forschungsdiskussion zum Begriff Restauration vgl. Jean-Claude Caron, Entre la renovación y la revaluación. Jalones en la historiografía francesa sobre la Restauración. In: Pasado y Memoria. Revista de Historia Contemporánea 13 (2014), S. 17–32; Jean-Claude Caron u. Jean-Philippe Luis, Les temps des Restaurations. In: Rien appris, rien oublié? Les Restaurations dans l’Europe post-napoléonienne. Hrsg. von Jean-Claude Caron, Rennes 2015, S. 461–466. Über das Jahr 1816 als eine chrono-politische Zäsur und als vermeintliche Wiederherstellung einer „ordinary history“ vgl. Rhys Jones, 1816 and the Resumption of Ordinary History. In: JMEH 14 (2016), S.119–142. 128 Wolfram Siemann, Metternich: Stratege und Visionär, München 2016, S. 61–69; Richard Stites, The Four Horsemen. Riding to Liberty in Post-Napoleonic Europe, Oxford 2014. 129 Retallack, Right, S. 10. Retallack kritisiert die Grundthese von Robert Berdahl, der in seiner Studie über die Politics of the Prussian Nobility (1988) die Übertragung agrar-ländlicher Herrschaftstraditionen auf die modernen Politikdiskurse postulierte. Auch Christopher Clark attackierte die „implizit preußische“ Sonderwegthese und betrachtete die neuere Preußenforschung unter optimistischer Perspektive: „Ein Blick auf die einschlägige Forschung der letzten zwanzig Jahre zeigt, an wie viel Stellen die Mauer der alten historiographischen Festungen bereits untergraben worden sind. Preußens ostelbische Agrarverfassung, seine junkerlich-patrimoniale Gerichtsbarkeit, seine ständischen Vertretungsorgane, der Siegeszug der Restauration und später der Reaktion im 19. Jahrhundert, sein Ruf als Wiege eines besonders virulenten Militarismus – diese und andere idees recues der Sonderwegthese wurden in den letzten Jahren von der Preußenforschung näher untersucht und in Frage gestellt.“ Vgl. Clark, Preußenbilder, S. 312. Die Re-Perspektivierung der preußischen Geschichte, die die aktuelle Preußenforschung befürwortet, hat die frühere „Fixierung auf den Macht- und Militärstaat“ überwunden und die damit verknüpften teleologisch-borussischen Fehlurteile revidiert. Stattdessen
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hypothese schlägt der amerikanische Historiker das Konzept von hybriden Regimen vor. Damit gelangt Retallack zu der Schlussfolgerung, dass „adaption (not demise) of older practices in the face of new challenges“ auch im konservativen Diskurs eine zentrale Bedeutung hatte.130 Auch Ewald Frie stellt in seiner Biographie von Friedrich August Ludwig von der Marwitz fest, dass nach den europäischen Revolutionswellen von 1789–1814 und 1847–1849 bei den traditionellen Eliten eine Umorientierung ihrer Selbstdefinition erfolgte. Wer sich diesem krisenhaften Adaptions- und Bewältigungsprozess entzog, hatte dann nur noch die Chance, seine Interessen und Wertorientierungen fern vom Machtzentrum zu reproduzieren.131 Die innovative Studie von Carolina Armenteros über die historical mentality des savoyischen Intellektuellen Joseph de Maistre zeigt, dass die Wahrnehmung und Funktionalisierung von historisierenden Narrativen die Grundlagen der konservativen Gedankenwelt darstellten. Damit konstatiert die Autorin, dass die Protagonisten der europäischen Konterrevolution hybride und transnationale Politikdiskurse zwischen Aufklärung, Mystizismus und Idealismus entwickelten.132 Auch die Monographien von Bernhard Ruetz und Doron Avraham unternehmen erste Schritte, um durch neue Forschungsergebnisse die Dichotomie Konservatismus–Moderne zu problematisieren.133 Hier wird als ein wesentlicher Konstituierungs- und Entwicklungsimpuls für den preußischen Konservatismus nicht mehr lediglich die Herausforderung von politischen Ereignissen wie die Revolutionen von 1789 oder 1848 identifiziert. Die Autoren nehmen vielmehr ein komplexeres Bezugssystem unter die Lupe: die Auseinandersetzung mit dem umfassenden Modernisierungsprozess. Auch Panajotis Kondylis dokumentiert in seiner Studie über den geschichtlichen Gehalt des Konservatismus, dass die Dynamisierung der konservativen Politikdiskurse auf die transnationalen Aufklärungsdebatten und die umfassenden Staatsbildungsprozesse des 18. Jahrhunderts zurückging.134 Demzufolge konstituieren sich konservative Politikdiskurse und Weltinterpretationen aufgrund konkurrierender und alternativer Vorstellungen
stehen „andere Aspekte staatlichen wie nichtstaatlichen Lebens“ im Fokus, insbesondere „die These des Kulturstaats Preußen“. Vgl. Andreas Becker, Rezension von Preußen als Kulturstaat im 19. Jahrhundert. In: sehepunkte 6 (2015). http://www.sehepunkte.de/2015/06/25567.html (13.09.2015). 130 Retallack, Right, S. 12. Retallack bezieht sich auf die Thesen des Anthropologen Marshall Sahlin und verdeutlicht damit seine Position: „cultural continuity, cultural authenticity, and tradition are all too important to be associated exclusively with backwardness, conservatism, or custom“ (S. 22). Der amerikanische Historiker plädiert für „a larger and more dynamic mental image of how state and society could be linked in ways that reconciled tradition and change, stasis and adaptation“ (S. 14). 131 Frie, Marwitz, S. 340. 132 Vgl. Carolina Armenteros, The French Idea of History. Joseph de Maistre and his Heirs 1794–1854, New York 2011, S. 3–6. 133 Bernhard Ruetz, Der preußische Konservatismus im Kampf gegen Einheit und Freiheit, Berlin 2001; Doron Avraham, In der Krise der Moderne. Der preußische Konservatismus im Zeitalter gesellschaftlicher Veränderung 1848–1876, Göttingen 2008. 134 Panajotis Kondylis, Konservativismus. Geschichtlicher Gehalt und Untergang, Stuttgart 1986.
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gegen den Liberalismus, sie stehen aber in einem Diskussionszusammenhang und sind der Modernisierung von Gesellschaft, Wirtschaft und Staat weder vollständig konträr noch exogen beizumessen. So erscheinen die Jahrzehnte um 1850 nicht mehr als ein Zeitraum von Immobilismus oder bloßer Reaktion, sondern als eine wichtige Formationsphase. Die grundlegenden Studien zum preußischen Konservatismus von Wolfgang Schwentker und Hans-Christof Kraus haben gezeigt, dass die Interpretation der konservativen Politikdiskurse im Sinne eines rückwärtsgewandten, statischen und homogenen Modernisierungswiderstands zu kurz greift.135 Mit seiner epochenübergreifenden Studie über The Origins of Nationalism (2011) hat Caspar Hirschi umfassend rekonstruiert, wie der moderne Nationalismus bereits existierende kulturelle Systeme aktualisierte und traditionelle Patriotismusnarrative übernahm.136 Auch die viel diskutierte Arbeit von Alberto Mario Banti, La nazione del Risorgimento (2000), hat die These aufgestellt, dass der Kanon des Risorgimento tief internalisierte Emotionen und Erfahrungsdeutungen reaktivierte und mit einem Katalog von literarischen Pathosformeln zuspitzte.137 Banti hat in seinen nachfolgenden Publikationen diese umstrittene These partiell revidiert und festgestellt, dass sich im 19. Jahrhundert das moderne Nationskonzept und der tradierte Vaterlandsbegriff aufeinander zubewegten.138 Über die institutionelle Strukturierung der neuen Nationalstaaten in Italien und Deutschland hat Daniel Ziblatt eine weiterführende vergleichende Studie vorgelegt.139 Die Bedeutung semantischer und ideologischer Wiederholungsstrukturen, um aktuelle politische Interessen zu legitimieren, wurde auch in Bezug auf den Mythos der sogenannten Befreiungskriege deutlich hervorgehoben. Die antinapoleonischen Kriege wirkten als ein Katalysator, der „bereits vorhandene Dispositionen aus der Latenz hob und aktualisierte“.140 Zur Zeit der „Befreiungskriege“ manifestierte sich europaweit die Perzeption existenzieller Bedrohung und politischer Verunsicherung. Daraus entstand das Bedürfnis, über epochale Transformationskrisen zu diskutieren, Informationen darüber zu suchen und die eigene Erfahrung zu kommunizieren.141 Vor diesem Hintergrund resümiert Matthias Middell in seiner einschlägigen Arbeit über Die Geburt der Konterrevolution in Frankreich (2005), dass auch „die Gegenrevo-
135 Schwentker, Vereine; Kraus, Gerlach. 136 Caspar Hirschi, The Origins of Nationalism: An Alternative History from Ancient Regime to early Modern Germany, Cambridge 2011. 137 Banti, Nazione, S. 45–53. 138 Vgl. Alberto Mario Banti, Sublime madre nostra. La nazione italiana dal Risorgimento al fascismo, Rom–Bari 2011, S. 6. 139 Daniel Ziblatt, Structuring the State. The Formation of Italy and Germany and the Puzzle of Federalism, Princeton 2006. 140 Ute Planert, Der Mythos vom Befreiungskrieg. Frankreichs Kriege und der deutsche Süden. Alltag – Wahrnehmung – Deutung 1792–1841, Paderborn 2007, S. 482. 141 Vgl. Planert, Mythos, S. 642.
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lution alles andere als die Verteidigung des status quo ante anstrebte, sooft sie sich auch dafür ausgesprochen haben mochte. Sie war Teil des Modernisierungsprozesses, den eine globale Krise freisetzte, in die sie verwickelt war und die sie mit ihren Interventionen mitgestaltete.“142 Die These, dass die konservative Meinungsmobilisierung defensiv oder negativ auf die Herausforderung der Moderne reagierte, wird noch in aktuellen Studien vertreten und reproduzierte eine paradigmatische und modernistische Meistererzählung.143 Dagegen vertritt bereits Karl Mannheim in seiner klassischen Studie zum Konservatismus eine weiterführende und nuancierte Position. Zum einen betrachtete er der Konservatismus als „allgemein menschliche seelische Veranlagung“, die das Althergebrachte ideologisierte und emotionalisierte, um die großen Veränderungen der Moderne und die daraus entstehende Desorientierung zu verarbeiten.144 Die damit verknüpften traditionalistischen Deutungsmuster bilden einen „psychologischen Tatbestand“, den ein „fast rein reaktives Handeln“ markierte.145 Zum anderen brachte der konservative Diskurs ein „sinnorientiertes Handeln“ hervor, das auf dynamische Strukturzusammenhänge und „verschiedene objektive Gehalte“ reagierte.146 Ähnlich wie ihre liberalen Rivalen bezogen sich die Konservativen auf eine polyvalente Doppeldimension defensiv-restriktiver und dynamischer Antworten auf die nachrevolutionären Transformationskrisen. Volker Sellin stellt in seiner europaumfassenden Analyse von Gewalt und Legitimität als politische Machterhaltungsstrategien fest, dass reaktionäre Gedanken und polizeiliche Unterdrückung nur eine kurzfristig erfolgreiche Reaktion gegen die seit 1789 beschleunigte Erosion traditioneller Herrschaftslegitimation darstellten.147 Die Interpretation der Revolution von 1789 als europaweit wirkendes Ventil für die semantische und kommunikative Modernisierung konservativer Politikdiskurse bildet eine solide Ausgangsbasis, die jedoch dringend zu problematisieren und aufzubauen ist. Diese Position wurde von Klaus Epstein prominent vertreten und mit den ideengeschichtlichen Studien von Panajotis Kondylis weiterentwickelt.148
142 Middell, Geburt, S. 20. 143 Vgl. Volker Stalmann, Die Partei Bismarcks. Die Deutsche Reichs- und Freikonservative Partei 1866–1890, Düsseldorf 2000, S. 30–32. 144 Karl Mannheim, Konservatismus. Ein Beitrag zur Soziologie des Wissens, Frankfurt a. M. 1984, S. 93. 145 Mannheim, Konservatismus, S. 93 und 97. 146 Mannheim, Konservatismus, S. 97. Weiterführende Kritik an den einflussreichen Studien von Karl Mannheim in: Kondylis, Konservativismus. 147 Volker Sellin, Gewalt und Legitimität. Die europäische Monarchie im Zeitalter der Revolutionen, München 2011. Über die politischen Folgen der Gewalt im Revolutionsjahr 1848 vgl. Hachtmann, Barrikaden. 148 Klaus Epstein, Die Ursprünge des Konservativismus in Deutschland. Der Ausgangspunkt: Die Herausforderung durch die Französische Revolution 1770–1806, Frankfurt a. M. 1973.
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Die europäischen Revolutionen von 1848/49 gehören zu den besser erforschten Themenkomplexe des langen 19. Jahrhunderts. Das Paradigma vom kurzfristigen Scheitern der Revolution bezog sich auf ein sehr vereinfachtes und euphemistisches Erklärungsmuster, das von der neueren Revolutionsforschung weitgehend revidiert wurde.149 Nach 1848 kehrte Europa nicht zum vorrevolutionären Status quo zurück. Die revolutionären Bewegungen bildeten mehrere nationale Erfolgsmodelle (in der Schweiz, in England, in Belgien, in Norwegen und in den Niederlanden), die dem Bild des Scheiterns keineswegs entsprachen. Auch in Preußen und Piemont erhielten die mühsamen Errungenschaften der Revolution – die konstitutionellen Reformen und die Dynamisierung des Politikdiskurses – eine große Relevanz. Auch die Staats- und Nationbildungsprozesse des 19. Jahrhunderts wurden in mehreren ausgezeichneten Überblickdarstellungen analysiert. Darüber haben Wolfgang Reinhard und Jürgen Osterhammel grundlegende Studien veröffentlicht, die über landesspezifische und chronologisch fixierte Barrieren hinausreichen.150 Mit Einheit, Macht und Freiheit (2000) hat Christian Jansen eine grundlegende Darstellung zum realpolitischen Paradigmenwechsel in der nachrevolutionären Epoche vorgelegt.151 Die realpolitische Wende gewann sowohl bei der liberalen Diaspora nach 1848 als auch in der konservativen Konstellation zunehmend an Bedeutung. Die „Sprache der harten Tatsachen“ erschien über die regionalen und parteipolitischen Grenzen hinweg plausibel und attraktiv. Die realpolitische Verfassungs- und Nationalstaatspolitik von oben sanktionierte neue politischen Entscheidungskriterien und Praktiken, die die Altkonservativen verurteilten, aber nicht effektiv bekämpfen konnten.152 Über die Nationalisierung der europäischen Gesellschaften in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwerfen die Studien von Miroslav Hroch eine luzide Synthese zwischen narrativen und problemorientierten Darstellungen sowie zwischen transna-
149 Vgl. Heinz-Gerhard Haupt u. Dieter Langewiesche, Die Revolution in Europa 1848. In: Europa 1848. Reform und Revolution. Hrsg. von Dieter Dowe, Heinz-Gerhard Haupt u. Dieter Langewiesche, Bonn 1998, S. 28–41; Jonathan Sperber, The European Revolutions 1848–1851, Cambridge 2005, S. 1–4. Darüber hinaus beleuchtet eine Vielzahl von aktuellen Arbeiten die 1848er Bewegung aus multinationaler oder europäischer Perspektive. Sie hinterfragen die Verflechtungen und die transnationale Zirkulation von Ideen, Akteuren und Mythen. Vgl. Axel Körner (Hrsg.), 1848 – A European Revolution? International Ideas and National Memories of 1848, Basingstoke 2000. 150 Vgl. Wolfgang Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt. Eine vergleichendeVerfassungsgeschichte Europas von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 1999. Ferner Osterhammel, Verwandlung. 151 Christian Jansen, Einheit, Macht und Freiheit: die Paulskirchenlinke und die deutsche Politik in der nachrevolutionären Epoche, Düsseldorf 2000. Zur Geschichte des deutschen Liberalismus im Spannungsfeld zwischen Ideologie und Realpolitik nach der Reichsgründung vgl. Monica Cioli, Pragmatismus und Ideologie. Organisationsformen des deutschen Liberalismus zur Zeit der Zweiten Reichsgründung (1878–1884), Berlin 2003. 152 Vgl. David E. Barclay, Prussian Conservatives and the Problem of Bonapartism. In: Dictatorship in History and Theory. Hrsg. von Peter Baehr u. Melville Richter, Cambridge 2004, S. 67–82.
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tionalen und kontextspezifischen Akzentuierungen und vor allem zwischen Essentialismus und Konstruktivismus.153 Dafür analysiert Hroch sowohl die generalisierenden Thesen der klassischen Studien von Friedrich Meinecke, Otto Bauer und Karl W. Deutsch als auch die wegweisenden Arbeiten von Ernest Gellner, Benedict Anderson, John Breuilly und Eric Hobsbawm.154 Banti kritisiert deutlicher als Hroch die inflationären Konzepte von imagined communities und invention of tradition, weil sie implizieren, dass die Nationen als symbolische und ideologische Konstrukte ex nihilo erfunden und mit mysteriösen Kommunikationsmechanismen durchsetzt wurden.155 Das Postulat der Erfindung der Nation ist mit einem verstärkten Erkenntnisinteresse für die Rekonfigurierung und Zuspitzung ungleichzeitiger Nationsdiskurse zu relativieren. Diese Fokusverschiebung kann operationalisiert werden, indem nicht nur die liberalen Nationalisten, sondern auch die konservativen Patrioten und Gegner der Nation zur Sprache kommen. Über den kontroversen Ertrag der nach wie vor dynamischen Nationalismusforschung konstatierte Hroch, dass die Nation zwar die Summe konstruierter Erfahrungsdeutungen und imaginieren Kollektividentitäten ist. Jedoch kann das Konstrukt Nation „nur unter bestimmten sozialen, politischen und kulturellen Bedingungen, die von den Wünschen und Idealen der Nationalisten unabhängig waren“, analysiert werden.156 In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren Befürworter und Gegner der Nationalstaatsidee eine Minderheit, die einer großen Mehrheit von politikfernen oder nicht national denkenden Menschen gegenüberstand. Dabei resümiert Dieter Langewiesche, dass die aktuelle Forschung über die Ideale und Erwartungshorizonte der Deutschen zur Zeit der Reichsgründung zeigt, wie der kleindeutsch-preußische Nationalstaat keineswegs „das Sehnsuchtsziel des deutschen Nationsdenkens“ war.157 Dagegen kann die Risorgimentoforschung eine derartige Position noch nicht dokumentieren, denn die innovativen Studien von Umberto Levra, Bruno Tobia, Ilaria Porciani, Lucy Riall und Catherine Brice untersuchen fast ausschließlich die Epoche
153 Vgl. Hroch, Europa. Zu einer kritischen Bilanz der historisch orientierten Nationalismustheorien, die im ausgehenden 20. Jahrhundert auch die britische Forschungsdiskussion charakterisierten, vgl. John Breuilly, Historians and the nation. In: History and Historians in Twentieth Century. Hrsg. von Peter Burke, Oxford 2002, S. 55–87. 154 Hroch, Europa, S. 245–267. Im Laufe der 1980er Jahren hat sich ein konstruktivistischer Begriff der Nation in der Forschung mit den zeitgleich erschienenen Arbeiten von Benedict Anderson, Eric Hobsbawm und Ernest Gellner etabliert. Zur Begriffsgeschichte von Nation und Nationalismus vgl. Reinhard Stauber, Nation, Nationalismus. In: Enzyklopädie der Neuzeit (Bd. 8). Hrsg. von Friedrich Jäger, Stuttgart 2008, S. 1056–1082. 155 Banti, Nazione, S. 149. 156 Hroch, Europa, S. 8. 157 Dieter Langewiesche, Rezension von Andreas Heinemann: Stadt, Konfession und Nation. In: sehepunkte 7/8 (2015). http://www.sehepunkte.de/2015/07/27264.html (13.09.2015).
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nach 1861.158 Die Zeit vor der Nationalstaatsgründung bleibt weiterhin eine Domäne teleologischer Großdeutungen und dynastisch-nationaler Meisternarrationen.159
4.2 Methode Die maßgebliche Publikationsreihe der Universität Cambridge Ideas in Context, dessen spiritus rector Quentin Skinner war, setzte sich zum Ziel, historisch generierte „intellectual traditions [...] procedures, aims and vocabularies [...] in the context of the alternatives available within the contemporary frameworks of ideas and institutions“ zu eruieren.160 In den Leitfragen dieser Arbeit werden die erkenntnistheoretischen und heuristischen Grundannahmen der sogenannten Cambridge School übernommen. Die „Bedeutung der Sprache für die Konstruktion von Geschichte“ bildete das gemeinsame methodische Fundament der Begriffsgeschichte, der historischen Semantik und der Diskursanalyse.161 Der langsame und nur partielle Wandel des Sag-
158 In den 1990er Jahren haben Umberto Levra sowie Bruno Tobia eingehend untersucht, wie der italienische Nationalstaat eine politische Mythologie mit massenkommunikativen Sinnstiftungsmechanismen hervorbrachte. Die neue nationale Pädagogik bezog sich auf die liberalen Legitimationstheorien, jedoch reproduzierte sie im Wesentlichen den monarchischen Herrscherkult und die konservativen Paradigmen von Ehre, Treue und Loyalität. Vgl. Tobia, Forma; Levra, Italiani. Ferner Ilaria Porciani, La festa della nazione. Rappresentazione dello Stato e spazi sociali nell’Italia unita, Bologna 1997; Catherine Brice, Monarchie et identité nationale en Italie 1861–1900, Paris 2010. Einen Überblick zu neueren Forschungstendenzen und bestehenden Kontroversen in der Risorgimentoforschung bieten: Gabriele B. Clemens, Lo stato della ricerca storica tedesca sul Risorgimento. In: Il Risorgimento. Rivista di storia del Risorgimento e di storia contemporanea 57 (2015), S. 186–219; Jens Späth, Das Risorgimento: Revolution, Krieg und Nation in Italien. In: Revolution, Krieg und die Geburt von Staat und Nation. Hrsg. von Ewald Frie u. Ute Planert, Tübingen 2016, S. 83–104. 159 Mit Amministrazione e classi sociali nel Lombardo-Veneto (1983) hat Marco Meriggi eine der wenigen Monographien über das italienische Risorgimento vorlegt, die die Zeit vor 1861 aus einer ergebnisoffenen und anti-teleologischen Perspektive analysieren. In diesem Sinne ist auch die Überblicksdarstellung von Gilles Pécout über das lange Risorgimento erwähnenswert. Vgl. Gilles Pécout, Il lungo Risorgimento. La nascita dell’Italia contemporanea 1770–1922, Mailand 1999. Neulich hat auch die Dissertation von Mirjam Neusius gezeigt, dass die retrospektiv entworfene Dichotomie zwischen liberaler Nationalbewegung und unpatriotischer Reaktion deutlich zu kurz greift. Vgl. Mirjam Neusius, Herrschaftslegitimation und Kulturtransfer in der habsburgischen Lombardei. Die Zeitschrift Biblioteca Italiana und die deutsche Kultur (1815–1830), Frankfurt a. M. 2017. 160 Baker, Inventing, S. II. Mit seiner Eintrittsvorlesung an der Universität Cambridge (1997) lieferte Quentin Skinner ein beeindruckendes Plädoyer für die Fragestellungen und Ziele der intellectual history (der Vortrag wurde unter dem Titel Liberty before Liberalism publiziert). Grundlegend über die Cambridge School, die maßgeblichen Publikationen von Quentin Skinner und John G. A. Pocok sowie die kritischen und weiterführenden Studien von David Harlan, Mark Bevir und Ian Hunter: Martin Mulsow u. Andreas Mahler (Hrsg.), Die Cambridge School der politischen Ideengeschichte, Berlin 2010. 161 Vgl. Achim Saupe u. Felix Wiedemann, Narration und Narratologie (Version 1.0). In: DocupediaZeitgeschichte. http://docupedia.de/zg/Narration?oldid=98435 (13.09.2015). Eine Orientierung über
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baren und Machbaren in der Sprache des Politischen steht im Zentrum der vorliegenden Untersuchung über konservative Politikdiskurse und Nationalismus.162 Neben der New history of ideas trugen auch Pierre Bourdieus Studien entscheidend dazu bei, eine adäquate methodische und geschichtstheoretische Ausgangsbasis für diese Arbeit zu definieren. In diesem Sinne werden ereignis- und politikgeschichtliche Basisprozesse gemeinsam mit diskursiv-intellektuellen Wirklichkeitskonstruktionen analysiert und dabei die Geschichte politischer Semantiken, Deutungsmuster und Argumentationsfiguren in einer historischen Dimension untersucht. Die Verflechtungen von materiellem, sozialem und symbolischem Kapital sowie die damit verknüpfte Kategorie von literarischem Feld bilden die heuristischen Operationalisierungsrahmen, um das Mit- und Gegeneinander von konservativem Diskurs und Nationalismus auszuwerten.163 Die historische Semantik des Politischen bietet ebenfalls ein wichtiges Instrument, um den nachrevolutionären Kommunikationsraum im Spannungsfeld zwischen umfassenden Veränderungsimpulsen und Wiederholungsstrukturen zu untersuchen. Semantische Traditionen bestehen aus intendierten und unberechenbaren Rezeptionszusammenhängen. Dementsprechend basierte die moderne Sprache des Politischen auf einem expliziten Politikvokabular, aber auch auf „Umschreibungen, Metaphern, Visualisierungen und symbolischem Handeln“, die die vorrevolutionären politischen Bedeutungen revitalisierten und weiterentwickelten.164 Nach den Revolutionen von 1789 und 1848 zirkulierten politische Ideen und Informationen auf einem „Massenmarkt von krisenhaften Erfahrungen, sozialen Interessen und nationalen Erwartungen“.165 Damit verschob sich die traditionelle Bedeutung des Politikbegriffs, der im Ancien Régime ein Synonym für Staatsverwaltung war, auf eine neue Ebene, in der kollektiv sinnstiftende Integrations- und Legitimationsideologien wie die Nation und die Verfassung eine zunehmende Relevanz erhielten.166 Dabei entwickelten die Zeitgenossen „ein neues Bewusstsein für die Zeitlichkeit von überlieferten Begriffen, die durch die neuen Erfahrungshintergründe seit 1789 zunehmend überholt schienen“.167
die vielfältigen theoretischen Grundlagen von Begriffsgeschichte und historischer Semantik bieten Ernst Müller u. Falko Schmieder, Begriffsgeschichte und historische Semantik. Ein kritisches Kompendium, Berlin 2016. 162 Vgl. Steinmetz, Das Sagbare. 163 Pierre Bourdieu, Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital. In: Soziale Ungleichheiten. Hrsg. von Reinhard Kreckel, Göttingen 1983, S. 183–198. Vgl. auch Bourdieu, Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes, Frankfurt a. M. 1999. 164 Willibald Steinmetz, Neue Wege einer historischen Semantik des Politischen. In: Politik. Situationen eines Wortgebrauchs im Europa der Neuzeit. Hrsg. von Willibald Steinmetz, Frankfurt a. M. 2007, S. 9–40, hier S. 15. Vgl. auch Luhmann, Gesellschaftsstruktur, S. 7–9. 165 Leonhard, Politik, S. 103. 166 Vgl. Leonhard, Politik, S. 111. 167 Leonhard, Erfahrungsgeschichte, S. 549.
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Ausgehend von einer langen Tradition ideen- und geistesgeschichtlicher Studien blieb die deutsche Geschichtswissenschaft anhaltend skeptisch gegenüber der Übernahme innovativer kulturwissenschaftlicher Ansätze aus den benachbarten Disziplinen.168 Nach der Jahrtausendwende wurde diese Ablehnung allmählich revidiert. Jürgen Osterhammel, Lutz Raphael, Rudolf Schlögl, Willibald Steinmetz und Jörn Leonhard nahmen die Verflechtungen von diskursanalytischen, historisch-semantischen, symbolischen und kulturellen Paradigmen mit struktur- und ereignisgeschichtlichen Basisprozessen zum Ausgangspunkt ihrer Recherchen.169 Diese Ansätze zu einer neuen Politik- und Ideengeschichte verdichteten sich in geisteswissenschaftlichen Großprojekten wie dem DFG-Schwerpunktprogramm Ideen als gesellschaftliche Gestaltungskraft im Europa der Neuzeit (1997–2003) und dem Sonderforschungsbereich 584 Das Politische als Kommunikationsraum in der Geschichte (2004–2012). In Anlehnung an Peter Burke war es ein zentrales Anliegen dieser neuen Initiativen, die „ruinöse Alternative zwischen einer Geistesgeschichte [bzw. einer Politikgeschichte], die die Gesellschaft ausklammert, und einer Sozialgeschichte, die das Denken [bzw. das Politische] ausklammert“ zu überwinden.170 Im Mittelpunkt standen die Untersuchung und Historisierung politischer Kommunikationsprozesse und Wissensordnungen. Im Zusammenhang mit der Renaissance der Ideen- und Politikgeschichte in einer neuen Ausprägung wurde auch der historiographische Mehrwert klassischer Theorien und Orientierungskonzepte neu bewertet. Dazu gehören Michel Foucaults Diskurstheorien, die Thesen von Norbert Elias über habitusgesteuerte Herrschaftsparadigmen, Pierre Bourdieus Konzept vom symbolischen Kapital sowie die „theoretischen Fiktionen“ von Michel de Certeau, Luhmanns Systemtheorie und nicht zuletzt
168 Vgl. Lutz Raphael, „Ideen als gesellschaftliche Gestaltungskraft im Europa der Neuzeit“: Bemerkungen zur Bilanz eines DFG-Schwerpunktprogramms. In: Ideen als gesellschaftliche Gestaltungskraft im Europa der Neuzeit. Hrsg. von Lutz Raphael u. Heinz-Elmar Tenorth, München 2006, S.11–27. 169 Überzeugend zeigte Jürgen Osterhammel mit seiner einschlägigen Studie zur Entzauberung Asiens im 18. Jahrhundert (München 1998), wie Ideen und Diskurse mit ihren komplexen Verarbeitungsund Sinnstiftungsmechanismen vor allem in einer modernen Welt massenmedialer Kommunikation die herrschenden Deutungskategorien prägten. Dabei rückten neben den sozialen Strukturen und den politischen Prozessen auch symbolische, semantische, intellektuelle und emotionale Faktoren in den Mittelpunkt historiographischer Debatten. Die Studie von Willibald Steinmetz über den Wandel politischer Handlungsspielräume in England um 1800 (1993) sowie die Monographie Jörn Leonhards über die Geschichte des Liberalismus als europäisches Deutungsmuster (2001) bildeten eine Art Zäsur, nach der die Übernahme kulturwissenschaftlicher Ansätze auch in Deutschland ernsthaft diskutiert wurde. Ein klarer Überblick über Theorie und Bedeutung konstruktivistischer und kulturgeschichtlicher Fragestellungen in: Franziska Metzger, Geschichtsschreibung und Geschichtsdenken im 19. und 20. Jahrhundert, Bern 2011, S. 17–19. 170 Raphael, Ideen, S. 11. Zur Herangehensweise des SFB 584 vgl. Willibald Steinmetz u. Heinz-Gerhard Haupt, The Political as Communicative Space in History: The Bielefeld Approach. In: Writing Political History Today. Hrsg. von Willibald Steinmetz u. Heinz-Gerhard Haupt, Frankfurt a. M. 2013, S. 11–33.
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die Studien von Reinhart Koselleck über Verzeitlichung und Permanenz historischer Grundbegriffe.171 Die Habilitationsschrift von Reinhart Koselleck Preußen zwischen Reform und Revolution bildet bis heute einen unverzichtbaren Beitrag zur deutschen Geschichte im Vormärz und gilt als mustergültiges Beispiel einer Theorie- und Methodenverknüpfung von Begriffsgeschichte, historischer Semantik, Politik- und Sozialgeschichte.172 Die neuen ideengeschichtlichen Ansätze dienen dazu, das Ineinandergreifen von sozial-, kultur- und politikgeschichtlichen Fragestellungen zu vertiefen und zu systematisieren. Sie sind zur Untersuchung des „Großphänomens Nationalismus nicht mehr wegzudenken“.173 Da der Zugang zu diskursiven Strukturen nur im Rahmen einer systematischen Bezugnahme auf den historischen Kontext möglich ist, strebt diese Untersuchung eine Methodenverknüpfung von struktur- und kulturgeschichtlichen Paradigmen an. Ausgehend von diesen methodischen und geschichtstheoretischen Überlegungen erscheint eine akteurs- und kontextorientierte Ideen- und Diskursanalyse plausibel, ja erstrebenswert. Fragt man nach dem „legitimen Gebrauch der physischen und symbolischen Gewalt“, die sich „in Form von mentalen Strukturen, von Wahrnehmungsund Denkschemata“ herauskristallisiert, so sind die zu analysierenden konservativen Aussagen und Praktiken in einen „Prozess der Kanonisierung und Hierarchisierung“ einzuordnen.174 Konkret: Jeder politisch inspirierte oder politisch rezipierte Text ist eine historisch relevante Aussage. Jede Meinungsäußerung bestätigt oder revidiert die bestehenden semantischen, ideologischen und emotionalen Wiederholungsstrukturen. Unabdingbar bleibt es jedoch, zwischen Texten und Semantiken, die eine kurzfristig verdichtete Resonanz hatten, und Argumentationsketten, die immer wieder aktualisiert wurden, zu unterscheiden. Schließlich ist es ein wichtiges Anliegen, zwischen Wissensbeständen und Argumentationsfiguren zu differenzieren, die vor und/oder nach distruptiven Ereignissen reaktiviert wurden. Für die Auswertung diskursiver Schwer- und Wendepunkte ist es wesentlich, dass das Verhältnis von Kohärenz und Inkompatibilität der Aussagen und Praktiken
171 Vgl. Koselleck, Zukunft; Bourdieu, Kapital. Ferner Michel Foucault, Die Ordnung des Diskurses, Frankfurt a. M. 2012; Michel de Certeau, Theoretische Fiktionen. Geschichte und Psychoanalyse, Wien 1997; Norbert Elias, Die höfische Gesellschaft. Untersuchungen zur Soziologie des Königtums und der höfischen Aristokratie, Frankfurt a. M. 2002. Der Bielefelder SFB 584 setzte sich mit diesen verschiedenen Theorie- und Methodenangeboten konstruktiv auseinander. Luhmanns Systemtheorie, Foucaults Diskurstheorien und Bourdieus Feldtheorie wurden undogmatisch operationalisiert und miteinander verknüpft. Vgl. Willibald Steinmetz, Abschlussbericht des Sonderforschungsbereichs 584 „Das Politische als Kommunikationsraum in der Geschichte“, Förderphase 2008–2012. https:// www.uni-bielefeld.de/geschichte/forschung/sfb584/ Abschlussbericht.pdf (02.08.2016). 172 Vgl. Willibald Steinmetz, Nachruf auf Reinhart Koselleck. In: Geschichte und Gesellschaft 32 (2006), S. 412–432, hier S. 419. 173 Raphael, Ideen, S. 27. 174 Bourdieu, Vernunft, S. 60.
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nicht nur im landesspezifischen Rahmen berücksichtigt wird. Gemäß den Thesen von Charles Tilly werden die extremen Formen von individualisierendem bzw. generalisierendem Vergleich abgelehnt und Elemente beider Ansätze zusammengeführt.175 Jedoch wäre eine rein komparatistische Herangehensweise zu eindimensional; sie kann mit einer transnationalen oder transfergeschichtlichen Fragestellung produktiv ergänzt werden. Vergleich, Transfer und Verflechtung bieten sich als methodisches Ensemble an.176 Dieses „inklusive Methodenverständnis“ und die daraus resultierende „pluralistische Forschungspraxis“ sind besonders geeignet, um polarisierende Fragestellungen zu bearbeiten.177 Um die Dynamisierung und die transnationale Komplexität der nachrevolutionären Politikdiskurse zu eruieren, plädiert Dieter Langewiesche für einen vertieften Fokus auf regionale und europäische Dimensionen, um die „Kontrastierung nationaler Gesamtbilder“ zu problematisieren.178 Die Fragestellungen und Methoden der historischen Komparatistik sind nicht nur auf soziale Strukturen und politische Institutionen anwendbar. Neben Strukturen und Institutionen lassen sich auch „in der Geschichte von Erfahrungen, Mentalitäten und Diskursen […] Unterschiede und Gemeinsamkeiten sehr wohl verfolgen und erklären“.179 Wenngleich empirische Versuche einer transnationalen und vergleichenden Ideengeschichte noch die Ausnahme bilden, so wird erwartet, dass ein derartiges Vorhaben einen wesentlichen Beitrag zur Auswertung von „tiefsitzenden Mentalitäten oder elaborierten Hochkulturen, Symbolsystemen […] oder alltäglichen Sinndeutungen“ leistet.180 Aufgrund der in den letzten Jahren vermehrt aufkommenden kritischen Positionen, die der historischen Komparatistik vorwerfen, sie führe „nicht zu einer Überwindung nationalstaatlicher Paradigmata, sondern im Gegenteil zu ihrer Verstärkung“, erscheint
175 Charles Tilly, Big structures, large processes, huge comparisons, New York 1984. Einen weiterführenden Überblick zur transnationalen Risorgimentoforschung bietet: Oliver Janz u. Lucy Riall, Introduction. In: The Italian Risorgimento: transnational perspectives, Modern Italy 19 (2014), S. 1–4. 176 Vgl. Jörn Leonhard, Comparison, Transfer and Entanglement, or: How to Write Modern European History Today? In: JMEH 14,2 (2016), S. 149–163. Siehe auch Michael Werner u. Bénédicte Zimmermann, Vergleich, Transfer, Verflechtung. Der Ansatz der Histoire croisée und die Herausforderung des Transnationalen. In: Geschichte und Gesellschaft 28 (2002), S. 607–636. 177 Vgl. Pestel, Kosmopoliten, S. 37–41. 178 Dieter Langewiesche, Die Revolution von 1848/49 im europäischen Kontext. In: Demokratiebewegung und Revolution. Internationale Aspekte und europäische Verbindungen. Hrsg. von Dieter Langewiesche, Karlsruhe 1998, S. 185–194. 179 Hartmut Kaelble, Der historische Vergleich, Frankfurt a. M. 1999, S. 23. 180 Friedrich Jaeger, Der Vergleich in der Ideengeschichte der Gesellschaft. In: Diskurse und Entwicklungspfade. Der Gesellschaftsvergleich in den Geschichts- und Sozialwissenschaften. Hrsg. von Hartmut Kaeble, Frankfurt a. M. 1999, S. 401–430, hier S. 401. Darüber hinaus kann eine integrierte Vergleichs- und Transferanalyse noch komplementäre oder weiterführende Erkenntnisse in Aussicht stellen. Vgl. Johannes Paulmann, Internationaler Vergleich und interkultureller Transfer. In: HZ 267 (1998), S. 649–685.
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eine methodische und geschichtstheoretische Verknüpfung von vergleichenden, transferhistorischen und translokalen Erkentnissinteressen erstrebenswert.181 Dieser durch den transregionalen und komparatistischen Ansatz geschärfte kognitive Anspruch kann den Dimensionen der über- sowie der spezifisch-nationalen Komplexität gerecht werden und falsche oder vereinfachte Interpretationsschlüsse von länderspezifischen Darstellungen und vorkonstruierten Vergleichen korrigieren.182 Die Bezeichnung übernationale Geschichte deutet auf die hier angestrebte Verknüpfung von komparatistischen, transferhistorischen und transregionalen Erkenntnisinteressen hin. Damit ist eine heuristische Grundannahme verbunden: „wenn die Nation keine natürliche Größe ist, sondern nur als Vorstellung zu bestimmbaren Zeiten von bestimmbaren Akteuren hervorbracht wird, so ist sie auch für die Geschichtswissenschaft nicht Ausgangspunkt, sondern Gegenstand der Untersuchung“.183
4.3 Quellen Diese Arbeit geht von der Annahme aus, dass im Diskurs „Aussagen über Wirklichkeit gemacht und Wahrheiten produziert“ werden.184 Dabei wird der Begriff Diskurs nicht durch konstruktivistische oder gegen-hermeneutische Zuspitzungen verabsolutiert. Um diskursiv-intellektuelle Hervorbringungen und Wiederholungsstrukturen zu ana-
181 Margrit Pernau, Transnationale Geschichte, Göttingen 2011, S. 35. Einzelheiten zu den verschiedenen Definitionen und turns, die diese wissenschaftstheoretische Debatte inspirierten (Connected History, Histoire croisée, Entangled History, New Imperial History), in: Pernau, Geschichte, S. 37–84. Die aktuelle Forschung zum Kulturtransfer geht von der Annahme aus, dass der Austausch, die Rezeption und der Import von geistigen Gütern von der Konstellation, in der sie entstehen, und von dem Kontext, in dem sie transferiert werden, gleichermaßen geprägt sind. Dabei entsteht eine breite Palette an Nachahmungs- und Aneignungsstrategien zwischen Vermittlern und Rezipienten. Vgl. Sven Externbrink, Kulturtransfer, Internationale Beziehungen und die „Generation Metternich“ zwischen Französischer Revolution, Restauration und Revolution von 1848. In: Das europäische Machtkonzert. Friedens- und Sicherheitspolitik vom Wiener Kongreß 1815 bis zum Krimkrieg 1853. Hrsg. von Wolfram Pyta, Köln 2009, S. 59–78. 182 Trotz der methodologischen Unstimmigkeiten sowie der Warnungen vor dem gesteigerten Aufwand, die die transnationalen und komparatistischen Studien betreffen, ist diese Heransgehensweise im Sinne eines wesentlichen Erklärungsanspruchs zu betrachten, der das politik- und diskursgeschichtliche Erkenntnisinteresse ergänzen und vertiefen kann. Vgl. Gabriele Lingelbach, Klio macht Karriere. Die Institutionalisierung der Geschichtswissenschaft in Frankreich und den USA in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Göttingen 2003. Ferner Thomas Welskopp, Stolpersteine auf dem Königsweg. In: Archiv für Sozialgeschichte 35 (1995), S. 339–367. 183 Pernau, Geschichte, S. 19. 184 Christiane Hoth, Metternich, Humboldt und die Sattelzeit. Adels- als Wahrnehmungsgeschichte. In: Adeligkeit, Katholizismus, Mythos. Neue Perspektiven auf die Adelsgeschichte der Moderne. Hrsg. von Markus Raasch, München 2013, S. 58–77, hier S. 61. Zum diskursanalytischen Instrumentarium vgl. Metzger, Geschichtsschreibung, S. 98–101.
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lysieren, ist eine intensive und in der Perspektive der longue durée verortete Auseinandersetzung mit historischen Semantiken und Argumentationsketten von zentraler Bedeutung. Dafür bildete die Einbeziehung einer umfassenden Konstellation an literarischen, normativen, publizistischen, wissenschaftlichen Textquellen und Egodokumenten eine zentrale Voraussetzung. Die Kategorien von Zirkulation und Verdichtung politikmächtiger Aussagen bieten den wichtigsten Interpretationsschlüssel, um eine historische Diskursökonomie zu untersuchen.185 Das Hauptaugenmerk der vorliegenden Studie ist auf die konservativen Semantiken und Deutungsmuster gerichtet, die sich in der krisenhaften Übergangszeit 1840–1870 mit den nationalen Einheitsbestrebungen in Italien und Deutschland auseinandersetzten. Nach dem Schock von 1848 transportierten die preußischen und die piemontesischen Konservativen „das räumlich und zeitlich Abwesende in die Gegenwart“ und versuchten dadurch der politischen Sprache eine neue „Kontur und Identität“ zu verleihen.186 Konservative Begriffe und Argumentationsstrukturen werden genutzt, um die „Selbstbeschreibung vergangener Gesellschaften im Wandel politischer Legitimationsmuster“ zu untersuchen.187 Sie dienen als historisierende Sonden. Um den konservativen Diskurs im transnationalen Rahmen zu analysieren, wird ein breites Spektrum an zusammenhängenden oder divergierenden Texten, Suggestionen, Ideen- und Akteursnetzwerken berücksichtigt. Von besonderem Interesse ist es, die Ereignisse der „großen Politik“ und die Aktivitäten der „großen Männer“, die das narrative of nationalism und das narrative of modernity perpetuieren, im Licht nicht staatlicher, transnationaler und nicht explizit politischer Deutungsmuster zu hinterfragen. Das gilt insbesondere für die Nationalstaatspolitik von oben und seine Demiurgen Bismarck und Cavour.188 Zunächst stand ein umfassendes Quellenstudium der normativen Dokumente und politisch-literarischen Publikationen im Fokus dieser Untersuchung. Konkret ging es um die Auseinandersetzung mit traditions- und identitätsstiftenden Texten, die nachhaltig in den Wahrnehmungs- und Kommunikationsprozessen der Konservativen rezipiert wurden. Die zentralen Argumentationsstrategien, die deren Protagonisten zwischen 1840 und 1870 reaktivierten und neu bewerteten, basierten auf den europaweit diskutierten Schriften von Edmund Burke, Carl Ludwig Haller, Joseph de Maistre, Louis-Gabriel de Bonald, Friedrich von Gentz, Félicité de Lamennais, Friedrich Carl von Savigny und Friedrich Julius Stahl. Diese konservativen Politikern, Beamten
185 Vgl. Hartmut Winkler, Diskursökonomie. Versuch über die innere Ökonomie der Medien, Frankfurt a. M. 2004, S. 7–14. 186 Schlögl, Wirklichkeit, S. 25. 187 Leonhard, Präsens, S. 317. 188 Die neuere Bismarckforschung hat einen wichtigen Beitrag geleistet, um den angeblichen politischen Genius des Reichsgründers und den daraus entstehenden Mythos des Eisernen Kanzlers kritisch zu hinterfragen, jedoch nicht zu dämonisieren. Exemplarisch dafür ist die Biographie von Christoph Nonn, Bismarck. Ein Preuße und sein Jahrhundert, München 2015.
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und Intellektuellen korrespondierten miteinander und rezipierten sich gegenseitig. Sie liebten die Nähe zur Macht und bestimmten die nachrevolutionären Politikdiskurse mit ihrer Doppelfunktion als vielgelesene Publizisten und Mitarbeiter von Monarchen und Staatsministern. Die Karriere von Friedrich Gentz ist beispielhaft für die vielfältigen Funktionen dieser konservativen Intellektuellen. Gentz wurde als deutscher Übersetzer von Edmund Burkes Reflections on the French Revolution berühmt, verfasste eigene einflussreiche publizistische Schriften und arbeitete seit 1809 als Berater, Auftragsschreiber und Sekretär des österreichischen Staatskanzlers Metternich.189 Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich sowohl mit transregionalen Ideen und Akteuren als auch mit lokalen Sprachrohren und Rezipientengruppen. Zum Quellenkorpus gehören Texte normativ-institutioneller oder politisch-publizistischer Herkunft (z.B. diplomatische Berichte, Denkschriften, Proklamationen, ministerielle Sitzungsprotokolle, parlamentarische Reden, Parteiprogramme, Wähleraufrufe, Pamphlete). Darüber hinaus wird eine nicht explizit politische Quellenebene eingehend untersucht. Dazu zählen Textquellen, die implizit oder kulturell eine politische Bedeutung hatten und elitebezogene Wertorientierungen in einer massenkommunikativen Sprache vermittelten. Zu dieser Quellengattung gehören beispielsweise Romane, Lieder- und Gedichtbücher, Karikaturen, Gedenkreden, Predigten und Hagiographien.190 Insgesamt wurden über 850 parlamentarische Reden, 280 Pamphlete und Zeitungsartikel, 42 staatswissenschaftliche, philosophische und religiös-theologische Schriften, 44 christlich-konservative Romane, Erzählungen und Liederbücher, 45 Vorträge und Predigten sowie 71 Memoiren und Hagiographien ausgewertet. Dazu kamen über 60 Quelleneditionen, die die privaten Korrespondenzen und die Aufzeichnungen der konservativen Protagonisten wiedergeben. Auf diesem Quellenstudium aufbauend, untersucht diese Arbeit lokale und überregionale, aktive und passive Rezeptions- und Übersetzungsverflechtungen. Damit werden die semantischen und pragmatischen Hintergründe der langen Argumentationsketten, die die nachrevolutionären Politikdiskurse preußischer und piemontesischer Konservativer charakterisierten, beleuchtet. Eine weitere Herausforderung für die Konzeption dieser Studie war es, die diskursanalytische Dimension anhand repräsentativer Sondierungen auf der Akteursebene zu ergänzen. Um das Quellenkorpus normativer, publizistischer und literarischer Texten zu problematisieren, wird eine symmetrische Fülle an Egodokumenten analysiert. Damit fokussiert diese Arbeit auch eine akteurszentrierte Ebene von konservativen Protagonisten aus heterogenen Gesellschaftssphären und Erfahrungsräumen. Die wichtigsten Bibliotheks- und
189 Vgl. Siemann, Metternich, S. 401. 190 Im 19. Jahrhundert trugen Romane, Predigten und Kriegslieder zur politischen Identitätsstiftung und Nationsmythisierung entscheidend bei. Vgl. Paloma Cornejo, Zwischen Geschichte und Mythos: La guerre de 1870/71 en chansons. Eine komparatistische Untersuchung zu den identitätsstiftenden Inhalten in deutschen und französischen Liedern zum Krieg, Würzburg 2004.
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Archivrecherchen konzentrierten sich auf jeweils zwei erzkonservative Reformgegner – Friedlich Julius Stahl (1802–1861) und Ernst Ludwig von Gerlach (1795–1877) für Preußen sowie Clemente Solaro della Margarita (1792–1869) und Antonio BrignoleSale (1786–1863) für Piemont. Als wichtige Akteure werden auch die pragmatischen Konservativen Ottavio di Revel (1803–1868) und Albrecht von Roon (1803–1879) betrachtet.191 Die gewählten Protagonisten waren Politiker und Publizisten, die in der Übergangsepoche 1840–1870 stets aktiv blieben, umfassend als Identifikationsfiguren oder Meinungsführer rezipiert wurden und sich selbst als solche stilisierten.192 Im Schatten der Demiurgen Bismarck und Cavour registrierte die aktuelle Forschung eine Vielzahl von Akteuren, Ideen und Situationen, die „in der politischen Arena um Aufmerksamkeit und letztlich um Gestaltungsmacht rangen“.193 Trotz unzähliger Monagraphien über Bismarck blieb die einleitende Bemerkung von Gordon A. Craig in seiner klassischen Studie über das deutsche Kaiserreich unübertroffen (und kann auch für Cavour unproblematisch gelten): „Die Einigung Deutschlands hätte wahrscheinlich auch stattgefunden, wenn er nie an die Spitze der preußischen Politik getreten wäre“, jedoch „nicht zum selben Zeitpunkt und nicht ganz auf demselben Wege“.194
4.4 Gliederung Die vorliegende Studie bewegt sich auf jeweils zwei chronologischen, geographischen und handlungszentrierten Ebenen, denn Ideen und Weltinterpretationen überwinden meistens regionale Barrieren und ereignisgeschichtliche Zäsuren. Die untersuchten
191 Die parlamentarischen und publizistischen Aktivitäten der erwähnten Akteure sowie deren Egodokumente wurden intensiv studiert. Für Gerlach ist die Quellenlage vollständig editiert. Für Brignole-Sale wurden dagegen fast ausschließlich Archivnachlässe untersucht. Für Revel, Solaro, Stahl und Roon wurden vor allem parlamentarische und publizistische Texte ausgewertet. Des Weiteren wurden die bereits vorhandenen Quelleneditionen durch gezielte Archivrecherchen ergänzt. 192 Wiederholt bestätigten zahlreiche Aussagen von politischen Freunden und Feinden, dass Gerlach, Brignole, Revel, Stahl, Solaro, und Roon als zentrale Identifikationsfiguren für die konservative Konstellation galten. Vgl. Caroline von Rochow, Vom Leben am preußischen Hof, Berlin 1908, S. 220. Sarkastisch als Don Quijote oder als Mönch dargestellt, tauchte Gerlach immer wieder mit Stahl und Bismarck als Galionsfigur der konservativen „Kreuzritter“ in den Karikaturen des Kladderadatsch auf. Vgl. Der neue Peter von Amiens und die Kreuzfahrer. In: Kladderadatsch 45 (4.11.1849); Die trauernden Kreuzritter auf den Trümmern des Waldeckschen Prozesses. In: Kladderadatsch 51 (16.12.1849); Die Reaction am Baum der Freiheit. In: Kladderadatsch 3 (19.1.1850); Ein Auto-da-fe im Jahre 1850. In: Kladderadatsch 5 (3.2.1850); Finale aus der tragischen Oper Die drei Leichensteine. In: Kladderadatsch 21 (26.5.1850); Sie fischen im Trüben. In: Kladderadatsch 44 (3.11.1850). Noch im Wahlkampf 1866 bezeichnete die Kreuzzeitung die altkonservative Strömung, die sich demonstrativ von der realpolitischen Wende um Bismarck distanzierte, als „Gerlachisch“. Vgl. Ein Rauschen Preußischen Geistes. In: NPZ 126 (3.6.1866). 193 Biermann, Ideologie, S. 9. 194 Gordon A. Craig, Deutsche Geschichte 1866–1945. Vom Norddeutschen Bund bis zum Ende des Dritten Reiches, München 1985, S. 13.
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diskursiv-intellektuellen Strukturen bestehen aus langen Zirkulations- und beschleunigten Verdichtungsmomenten. 1) Die geographische Doppelebene: Der Fokus liegt auf den konservativen Politikdiskursen in Preußen und Piemont, die im 19. Jahrhundert mit transnational zirkulierenden Semantiken und Deutungsmustern untrennbar verknüpft waren. Aus diesem Grund bezieht sich eine breitere Untersuchungsebene dieser Arbeit auf den gesamteuropäischen Kommunikationsraum. 2) Die chronologische Doppelebene: In der krisenhaften Übergangszeit 1840–1870 waren die konservativen Diskurse mit der antirevolutionären Meinungsmobilisierung um 1800 eng verflochten. Um diese semantische, ideologische und emotionale Ungleichzeitigkeit zu berücksichtigen, ist es notwendig, auch die längere Zeitebene seit 1789 problemorientiert einzubeziehen. 3) Die Doppeldimension auf der Akteursebene: Diese Studie erforscht zunächst einen engeren Kreis politischer Protagonisten, die das breite Spektrum der konservativen Reformgegner und der Moderati in Preußen und Piemont beispielhaft repräsentieren. Darüber hinaus wird aber auch eine breitere Konstellation an öffentlichen Personen untersucht, mit der die wichtigsten Akteure in aktiver oder passiver Rezeptionsbeziehung standen. Ausgehend von der transnationalen Meinungsmobilisierung um 1800 rekonstruiert das erste Kapitel die Tiefenstrukturen der konservativen Politikdiskurse. Dabei werden neue Ideen, Umorientierungen sowie latente und immer wieder reaktivierte Deutungsmuster fokussiert, die zwischen 1840 und 1870 die konservative Opposition gegenüber den liberalen Reformen und Nationalbewegungen charakterisierten. Im Zentrum dieses breiten Überblicks steht die Ungleichzeitigkeit konservativer Semantiken und Argumentationsfiguren, die bereits existierende Orientierungskonzepte und kulturelle Traditionen in Form von politischen Mythologien transformierten und mit einer skandalisierenden Sprache verbreiteten.195 Im 19. Jahrhundert kamen in der politischen Sprache sowohl Säkularisierungsals auch Rechristianisierungsschübe zur Geltung.196 Vor diesem Hintergrund stellt das zweite Hauptkapitel die These auf, dass die politische Funktionalisierung religiös-theologischer Semantiken und Deutungsmuster einen immer wieder aktualisierbaren und vielfältig kommunizierbaren Bedeutungsgehalt hatte. Die Konservativen politisierten nichtpolitische Selbstbeschreibungs- und Argumentationsfiguren und benutzten dabei vertraute Wertorientierungen und Erfahrungsdeutungen, um die nachrevolutionären Transformationskrisen zu bewältigen. Die religiöse Politik perpetuierte eine symbolische und kulturelle Wirklichkeitskonstruktion, die den
195 Zum Theoriebegriff der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen vgl. Achim Landwehr, Von der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. In: HZ 295 (2012), S. 1–34. 196 Säkularisierung soll nicht als der Untergang, sondern eher als eine Transformation des alten Glaubens interpretiert werden. Dementsprechend wird dieser Begriff nicht als das Gegenteil von Religion, sondern als ein konstruktives Element der Geschichte von Religion und Moderne in der Sattelzeit erfasst. Vgl. Schlögl, Glaube, S. 18–21.
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liberalen Reformenthusiasmus und die positivistischen Fortschrittshoffnungen relativierten (Kap 2.1). Auch in den neuen Kommunikations- und Entscheidungsforen bildeten Religion und Konfession ein politisches Rechtfertigungsnarrativ. Abseits von konfessionsspezifischen Ausprägungen und zwischenkonfessionellen Animositäten verwandten die Apostel der religiösen Politik die Rechristianisierung als politisches Mantra gegen die „trüben Zeitströmungen“ der Moderne. Im Zusammenhang mit den Staatsbildungsprozessen des 18. Jahrhunderts und mit den gegenrevolutionären Stabilisierungsbemühungen um 1800 wurde sowohl in Preußen als auch in Piemont aus dem konservativen Dienstethos und monarchischen Herrscherkult eine kollektiv sinnstiftende und massenkommunikative Mythologie dynastischer Prägung konstruiert (Kap 2.2). Der monarchische Patriotismus bildete einen politisch-ideologischen Gegenentwurf zu den liberalen Reformbemühungen und der Nationalbewegung. Jedoch gewannen nach den Revolutionen von 1830 und 1848 die semantischen und pragmatischen Verflechtungen von monarchischem, eigenstaatlichem, lokalem und nationalem Patriotismus zunehmend an Bedeutung. Vor allem in Preußen und Piemont entwickelten sie komplementäre patriotische Suggestionen und Erwartungshaltungen, die die „Wahrheit“ und „Notwendigkeit“ einer bis dahin unwahrscheinlichen und weitgehend unerwünschten Einigungspolitik von oben proklamierten. Das dritte Kapitel analysiert die realpolitische Wende um 1860. In dieser Epoche gewannen reformorientierte konservative Politiker wie Bismarck und Cavour, Disraeli und Lincoln die Oberhand.197 Diese konservativen Reformisten bestimmten die politischen und kulturellen Grenzen von entstehenden Nationalstaaten und Imperien. Sie revitalisierten die traditionellen Grundlagen der Staatslegitimation und idealisierten den Königsweg der politischen Mitte mit pragmatischen Politikdiskursen und Verwaltungskriterien.198 Im Fokus dieses letzten Kapitels stehen die semantischen und ideologischen Anpassungsleistungen zwischen traditionellem Dienstethos und paternalistischem Herrscherkult einerseits und liberal-populistischen Legitimationstheorien, optimistischen Fortschrittshoffnungen und positivistischen Rationalitätsidealen andererseits. Anhand dieser ergebnisoffenen Transferleistungen wird die vereinfachte Annahme revidiert, dass es seit der Revolution 1848 „in den öffentlichen Meinungen Europas keine legitime Alternative zum Nationalstaat“ mehr gegeben habe.199 Während sich dramatische Transformationskrisen abspielten, versuchten die politischen Protagonisten resolut und teleologisch zu argumentieren, jedoch basierten auch die realpolitischen Politikentwürfe auf einer hoch emotionalisierten und
197 Vgl. Retallack, Right, S. 168. Ferner Enrico Dal Lago, The Age of Lincoln and Cavour. Comparative Perspectives on Nineteenth-Century American and Italian Nation-Building, Basingstoke 2015. 198 Clark, Revolution, S. 173. 199 Hagen Schulze, Staat und Nation in der europäischen Geschichte, München 2004, S. 224.
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improvisierten Grundlage. Die Sprache der harten Tatsachen, die „Beschwörung von Notwendigkeiten“ und das „Denken in Kategorien des erfolgreichen Durchführens“ überwanden die soziokulturellen und regionalen Barrieren und wurden zu einer neuen Sprache der Politik.200 Die Realpolitik betrachtete den Nationalismus als „problem of power“ und nicht mehr als „problem of the imagination“.201 Die Formation des italienischen und deutschen Nationalstaats wurde von den Liberalen als epochale Veränderung gefeiert und von den Konservativen in eine legalistische und traditionsstiftende Kontinuitätsvorstellung eingebettet. Die nationalstaatliche Machtkonzentration setzte zwar eine massenkommunikative Sprache sowie zugespitzte inklusions- und exklusionsbedachte Integrationsideologien durch. Jedoch basierten sie auf vorgegebenen Wiederholungsstrukturen, elitenbezogenen Wertorientierungen und tradierten Bewältigungsressourcen.202
200 Johannes Paulmann, Pomp und Politik. Monarchenbegegnungen in Europa zwischen Ancien Régime und Erstem Weltkrieg, Paderborn 2000, S. 154–158. 201 Breuilly, Nationalism, S. 35. 202 Koselleck, Sinn, S. 114.
1 D ie konservative Meinungsmobilisierung. Revolutionsangst, traditionelle Wertorientierungen und neue Argumentationsstrategien Hans Castorp und Joachim Ziemßen, die beiden Protagonisten von Thomas Manns epochalem Bildungsroman Der Zauberberg, schlossen im schweizerischen Sanatorium „Berghof“ eine enge Bekanntschaft mit dem bizarren italienischen Intellektuellen Lodovico Settembrini. Allmählich stilisierte sich Settembrini zum Mentor seiner philiströsen, aber begeisterungsfähigen norddeutschen Mitpatienten. Mit pädagogischem Elan berichtete der italienische Gelehrte über das „Konspirantentum“ seines Großvaters Giuseppe Settembrini, der ausgerechnet wegen der „große[n] Liebe zu seinem Vaterlande“ als revolutionärer „Aufrührer“ verfolgt wurde.1 Jedoch war um 1900 diese „Mischung von Aufrührerei und Patriotismus“ nicht mehr nachvollziehbar.2 Vielmehr verknüpften Castorp und Ziemßen die „vaterländische Gesinnung mit einem erhaltenden Ordnungssinn“ und reagierten auf die semantische und ideologische Assoziation von Nation und Revolution mit Unverständnis.3 „Verzweifelter Freiheitsmut und unbeugsamer Tyrannenhass“ gehörten nicht mehr zu den zentralen Wahrnehmungs- und Argumentationsmustern, die den Nationalstaat und den modernen Nationalismus definierten.4 Die pejorative Assoziation zwischen nationalen Einheitsbestrebungen und Revolution war für die Generation von Castorp und Ziemßen weder glaubwürdig noch attraktiv. Dagegen wirkte sie bis in die 1870er Jahre hinein als eine empathische und polyvalente Deutungsoption. Seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert nahm die Bedeutung des Revolutionsbegriffs als politisches Rechtfertigungsnarrativ oder als ideologisches Feindbild kontinuierlich zu.5 Die kollektive Revolutionserfahrung generierte
1 Thomas Mann, Der Zauberberg (Große kommentierte Frankfurter Ausgabe, Bd. 5,1), Frankfurt a. M. 2002, S. 233. Die Figur von Giuseppe Settembrini basiert auf einer „Montage aus Biographica von Giuseppe Mazzini“. Darüber hinaus entsprach Settembrinis Großvater als Advokat, Patriot und politischer Agitator dem „Stereotyp des Zivilisationsliteraten“, den Thomas Mann in den Betrachtungen eines Unpolitischen entwarf. Vgl. Michael Neumann, Der Zauberberg (Große kommentierte Frankfurter Ausgabe, Bd. 5,2), S. 183. 2 Mann, Zauberberg, S. 234. 3 Mann, Zauberberg, S. 234. 4 Mann, Zauberberg, S. 233. 5 Zur Soziogenese der Revolution in der (nach-)revolutionären Übergangsgesellschaft vgl. Elias, Gesellschaft, S. 448–460. Erst seit der Französischen Revolution sind „bestimmte Erwartungen von einem Grundbegriff zusammengefasst worden, die einzeln auch schon vorher unter Revolution begriffen, aber in ihrer Vielfalt und Komplexität erst seit 1789 gebündelt wurden.“ Im 19. Jahrhundert wurde Revolution zum prozessualen Grundbegriff, der mit neuen Erfahrungsdeutungen und Erwartungshaltungen immer wieder aktualisiert wurde. Vgl. Koselleck, Revolution, S. 653 und 761. Siehe auch Anna Karla, Revolution als Zeitgeschichte. Memoiren der Französischen Revolution in der Restaurationszeit, Göttingen 2014. DOI 10.1515/9783110544466-002
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weitverbreitete Semantiken und Suggestionen, die von liberalen und konservativen Politikern, Publizisten und Intellektuellen immer wieder neu bewertet und umfassend instrumentalisiert wurden. In Deutschland und Italien war der omnipräsente Revolutionsbegriff mit der umstrittenen, aber zunehmend intensiv diskutierten Existenz einer eigenen Nation besonders eng verflochten.6 Aus konservativer Sicht bildete die Assoziation Nation-Revolution ein politisches Orientierungskonzept, um die liberalen Reformen und die Nationalbewegung zu stigmatisieren und einen plausiblen Gegenentwurf dazu zu präsentieren. Die diskursiv-intellektuelle Verbindung von Nation und Revolution brachte auch neue Selbstbeschreibungsstrategien und pragmatische Transferleistungen hervor. Seit den 1840er Jahren leitete die Dynamisierung der konservativen Politikdiskurse einen ergebnisoffenen Bewältigungs- und Adaptionsprozess mit den liberalen Legitimationstheorien und dem modernen Nationalismus ein. Im 19. Jahrhundert trugen auch die konservativen Gegner der Revolution dazu bei, die Sprache und den Massenmarkt der politischen Ideen zu modernisieren.7 Ausgehend von der transnationalen Meinungsmobilisierung um 1800 rekonstruiert dieses Kapitel die semantischen, ideologischen und emotionalen Grundlagen der konservativen Politikdiskurse. Dabei werden neue Ideen, Umorientierungen sowie latente und immer wieder reaktivierte Deutungsmuster fokussiert, die die konservative Opposition in der krisenhaften Übergangsgesellschaft zwischen 1840 und 1870 gegen die liberalen Reformen und die Nationalbewegung weiterentwickelten.
1.1 Die semantischen, ideologischen und emotionalen Grundlagen der pejorativen Assoziation zwischen Nation und Revolution Im 19. Jahrhundert verstärkte der permanente Revolutionsdiskurs die chronologische Gleichzeitigkeit von historisch ungleichzeitigen Erfahrungen, Semantiken und Suggestionen.8 Aufgrund seiner Ungleichzeitigkeit und seiner Doppeldimension als traumatische Wahrnehmung und als diskursive Konstruktion behielt der Revolutionsbegriff nach 1848 seine zentrale Relevanz.9 Mit einem langen Vortrag für den Evan-
6 Für Deutschland und Italien gilt die Annahme, dass nur in der „reifen Phase“ der Nationalbewegung, d.h. in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und besonders nach 1861 bzw. 1871, kaum jemand noch „an der Existenz eigener Nation“ zweifelte. Vgl. Miroslav Hroch, Programme und Forderungen nationaler Bewegungen. In: Entwicklung der Nationalbewegung in Europa. Hrsg. von Heiner Timmermann, Berlin 1998, S. 17–30. 7 Vgl. Middell, Gegner; Clark, Preußenbilder. 8 Vgl. Jörn Leonhard, Ungleichzeitigkeit. In: Enzyklopädie der Neuzeit (Bd. 13). Hrsg. von Friedrich Jäger, Stuttgart 2011, S. 971–978. 9 Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen kam mit besonderer Intensität im langen 19. Jahrhundert zur Geltung. Ernst Bloch bezeichnete Deutschland als das „klassische Land der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, wo ältere sozialstrukturelle und mentale Traditionen mit überaus modernen
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gelischen Verein in Berlin konstatierte der prominente Jurist Friedrich Julius Stahl im Jahr 1852, dass die Revolution die „eigentümliche weltgeschichtliche Signatur“ des 19. Jahrhunderts war.10 Der Revolutionsdiskurs löste sich immer deutlicher „aus dem Zusammenhang eines punktuell bestimmbaren historischen Ereignisses und wurde für die Zeitgenossen zum dominierenden Epochenetikett“, um zunehmend komplexe und beunruhigende Veränderungen zu visualisieren und zu temporalisieren.11 Spätestens seit 1789 prägten das traumatische Erlebnis und die narrative Verarbeitung von revolutionären Erschütterungen, militärischen Krisen und restaurativen Gegenschlägen die Erfahrungs- und Vorstellungswelt von politischen Eliten und breiten Bevölkerungsschichten.12 Die Revolution als mediales Ereignis leitete einen intensiven Lernprozess für mehrere Generationen von europäischen Monarchen, Politikern und Intellektuellen ein.13 Die Dämonisierung der Französischen Revolution bezog sich primär auf die weitverbreitete Angst vor Anarchie, Gewalt und Zerstörung, die die enorme Resonanz der jakobinischen Terrorherrschaft und die über zwei Jahrzehnte dauernden Koalitionskriege europaweit transportierten.14 Im Rückblick rekonstruierte der piemontesische Vizekönig von Sardinien, Ignazio Thaon di Revel, die Geschichte der revolutionären Ereignisse von 1789 bis 1814 mit einer langen Reihe an skandalisierenden Begriffe wie „horreur“, „désolation“, „massacre“, „fureur“, „terreur“ und „règne des assassins“.15 Auch in den Revolutionsjahren 1848/49 instrumentalisierte der konservative Diskurs die mit dem Revolutionsbegriff eng verknüpften Vorstellungen von Gewalt und Anarchie. Der spätere Bischof
Elementen in einer unentwirrbaren Mischung existieren“. Vgl. Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Von der „Deutschen Doppelrevolution“ bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges 1849–1914, München 1995, S. 189. Über die Ungleichzeitigkeit des Revolutionsbegriffs resümierte Koselleck: „Es gibt kaum einen anderen geschichtlichen Grundbegriff, der so sehr Einmaligkeit und Wiederholbarkeit, diachrone und synchrone Aspekte in sich versammelt wie der Begriff Revolution“. Koselleck, Revolution, S. 656. 10 Friedrich Julius Stahl, Siebzehn parlamentarische Reden und drei Vorträge, Berlin 1862, S. 233. 11 Leonhard, Präsens, S. 293. 12 Nach 1814 übte das Trauma von Revolution und Krieg einen enormen Einfluss auf die politischen Ideen und Erwartungshaltungen der europäischen Eliten. Vgl. Siemann, Metternich; Zamoyski, Phantome. 13 Vgl. Middell, Gegner, S. 77–81. 14 Seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert existieren zwei dichotomische Narrationen der Revolution: „One is the heroic vision of revolution. In this view, downtrodden masses are raised up by leaders who guide them in overthrowing unjust rulers, enabling the people to gain their freedom and liberty. […] Yet there is a second, opposing vision, that revolutions are eruptions of popular anger that produce chaos. In this view reformers who unleash the mob find the masses demanding blood and creating waves of violence that destroy even the revolutionary leaders.“ Der konservative Diskurs leistete einen entscheidenden Beitrag, um die zweite große Vision der Revolution zu perpetuieren. Vgl. Jack A. Goldstone, Revolutions. A Very Short Introduction, Oxford 2014, S. 1. 15 Vgl. Ignazio Thaon di Revel, Mémoires sur la guerre des Alpes et les événements en Piémont pendent la révolution française, Turin 1871, S. 8, 17, 131 und 134.
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von Mainz, Wilhelm Emanuel von Ketteler, attackierte die Berliner Revolution, indem er immer wieder über die „schäußlichsten Mordthaten“ und das „Zermetzeln und Zerfetzen“ berichtete.16 Eine Flut von Publikationen, aber auch die Arbeit von prominenten Künstlern wie den Malern Francisco de Goya oder Johann Zoffany trugen dazu bei, gegenrevolutionäre Ideen oder antifranzösische Stereotypen politisch zu kanalisieren.17 Dabei gewann die Auseinandersetzung mit dem omnipräsenten Revolutionsbegriff eine größere Bedeutung als die konkrete Revolutionserfahrung. Nach 1814 wurde der Revolutionsdiskurs in unzähligen Petitionen, Zeitungsartikeln, literarischen und normativen Texten, Liedern, öffentlichen Debatten, Karikaturen, Monumenten und Ritualen reproduziert und spielte damit eine noch wichtigere politische Rolle als die realhistorischen Transformationen, die die Revolutionen von 1789, 1820/21, 1830 und 1848/49 markierten. Revolutionserfahrung und Revolutionsdiskurs waren untrennbar miteinander verknüpft. Zum einen bezog sich der Revolutionsbegriff auf direkte Erfahrungen, Informationen und konkrete Veränderungen. Zum anderen generierte der Revolutionsdiskurs die zentralen Wahrnehmungs- und Deutungskategorien, um die „demagogischen Umtriebe“ einzuordnen sowie die daraus entstehenden Krisen ideologisch zu verarbeiten und politisch zu funktionalisieren. Vor allem im konservativen Diskurs brachte der Revolutionsbegriff ein glaubwürdiges und vielfältig einsetzbares Rechtfertigungsnarrativ hervor. Der Grund dafür war die kohärente Doppeldimension der Revolution als objektiv anmutende Wahrnehmung und als diskursiv-intellektuelle Konstruktion, die die zunehmend komplexe politische und soziale Wirklichkeit vereinfacht erklärte. Aufgrund seiner Vieldeutigkeit konnte der Revolutionsbegriff „ebensogut in eine offene und unbekannte Zukunft führen“, sich „entlang dem alten Sprachgebrauch wiederholen, aber nunmehr mit immer neuen Inhalten füllen“.18 Die semantischen und ideologischen Bestimmungsmuster des konservativen Revolutionsdiskurses basierten auf einer umfassenden Konstellation ideologischer, pragmatischer, rationaler und affektiver Beweisführungen. Trotz der weitgehend erfolgreichen Unterdrückung der europäischen Revolutionen und der gelungenen konservativen Revision der oktroyierten Verfassung beschrieb Stahl unverändert auch in den 1850er Jahren die Revolution als einen fortdauernden Zustand: „Empörung, Vertreibung der Dynastie, Umsturz der Verfassung hat es zu allen Zeiten gegeben. Die Revolution aber ist die eigentümliche weltgeschichtliche Signatur unseres Zeitalters. Revolution ist nicht ein einmaliger Akt; sie ist ein fortdauernder Zustand, eine neue Ordnung der Dinge.“19
16 Wilhelm Emanuel von Ketteler an Maria von Galen am 24.9.1848. In: Wilhelm Emanuel von Ketteler, Sämtliche Werke und Briefe (Bd. 2,3), Mainz 1984, S. 349. 17 Vgl. Burleigh, Mächte, S. 99–101. Siehe auch Birgit Aschmann, Der Traum der Vernunft und seine Monster. Goyas Perspektive auf das 19. Jahrhundert, Berlin 2013. 18 Koselleck, Revolution, S. 749. 19 Stahl, Reden, S. 233.
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Auch die Kreuzzeitung, die seit April 1848 die Entstehung der modernen konservativen Bewegung in Preußen entscheidend mitbestimmte, sprach von einer „absoluten Revolution“ und berichtete immer wieder über die vermeintliche „revolutionaire Gesinnung des Zeitalters“.20 Genauso wie Stahl kombinierte die konservative Zeitung die permanente Revolutionsangst mit einer pragmatischen Bewältigungsstrategie, die die beschleunigten politischen Veränderungen mit latenten Feindbildern und vereinfachten Erklärungsmustern verarbeitete. Die Ungleichzeitigkeit des omnipräsenten Revolutionsbegriffs bildete auch für die konservativen Politiker und Intellektuellen, die die revolutionären Erschütterungen von 1789 und 1848 nicht unmittelbar erlebt hatten, eine kollektiv-sinnstiftende und politikmächtige Deutungsoption. Obwohl der preußische General Eduard von Fransecky während seiner 58-jährigen Dienstzeit nur für wenige Tage im März 1848 die Revolution direkt beobachtet hatte, stellte er diese marginale Revolutionserfahrung ostentativ in den Mittelpunkt seiner Memoiren. Über vier Jahrzehnte nach dem revolutionären Ereignis berichtete Fransecky noch mit einer übersteigerten und theatralischen Sprache über den Aufstand in Berlin. Er beschrieb seine kurze Revolutionserfahrung als einen tiefgreifenden Umbruch: „Alles, was mir hoch und herrlich galt, alles, was ich für fest und unerschütterlich gehalten, alles, was mich stolz und freudig gemacht, was mich mit Hoffnung für die eigne Zukunft erfüllt hatte, sah ich täglich mehr zusammensinken.“21 Auch in Italien dominierte die narrative Bewältigung der Revolution und die damit verknüpfte Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen über die Zäsuren von 1789, 1814, 1848 und 1861 hinweg. Als im Jahr 1860 der piemontesische Ministerpräsident Cavour die Eingliederung der italienischen Klein- und Mittelstaaten in die konstitutionelle Monarchie von Viktor Emanuel II. in sechs regionalen Plebisziten durchsetzte, distanzierte sich der Theologe Giacomo Margotti demonstrativ von der weitverbreiteten Kriegs- und Natio-
20 Vgl. Betrachtungen über die Revolution (Extra Abdruck aus NPZ 55/1848), Berlin 1848, S. 4. Die Gründung der Neuen Preußischen Zeitung (Kreuzzeitung) im April 1848 war die Initialzündung für die moderne konservative Bewegung in Preußen. Für das neue Zeitungsprojekt engagierte sich eine sehr heterogene Konstellation von Akteuren. Dazu gehörten einflussreiche Großgutsbesitzer wie Adolf von Thadden-Trieglaff, prominente Intellektuelle wie Moritz August von Bethmann-Hollweg und Friedrich Julius Stahl, aber auch bürgerliche Beamte wie Hermann Schede oder Julius Bindewald, reiche Industrielle wie Philipp Nathasius und junge Journalisten wie Hermann Wagener. Das neue Zeitungsprojekt versuchte, mit seinem konfrontativen Stil ein breites Publikum anzusprechen: Landbesitzer, Handwerker und Offiziere. Dementsprechend vertrat die Kreuzzeitung eine breite Palette an politischen Positionen. Die Grundsteuer wurde resolut abgelehnt, die „korporativen Ideale gegen den aufkommenden Kapitalismus“ verteidigt und der „Anschluss Preußens an ein liberales Deutschland“ unnachgiebig verurteilt. Außerdem kooperierte die Kreuzzeitung mit dem Preußenverein, dem Verein zur Wahrung der Interessen des Grundbesitzes und mehreren patriotischen und religiösen Netzwerken, um eine „große Propagandakampagne“ zu realisieren. Vgl. Price, Kampf, S. 59. Ferner Dagmar Bussiek, „Mit Gott für König und Vaterland!“ Die Neue Preußische Zeitung 1848–1892, Münster 2002. 21 Eduard von Fransecky, Denkwürdigkeiten des preußischen Generals der Infanterie Eduard von Fransecky, Bielefeld–Leipzig 1901, S. 232.
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nalstaatseuphorie.22 In seinen Leitartikeln für die ultrakatholische Zeitung Armonia, die im Januar 1861 den einflussreichen Slogan „Weder Wähler, noch Gewählte“ lancierte, lehnte Margotti die Formation des italienischen Nationalstaats vehement ab.23 Mit einer aggressiven Sprache stigmatisierte er das Risorgimento als „die widerwärtige, gottlose, grausame und servile Nachahmung der Französischen Revolution“.24 Margotti polemisierte gegen die italienische Nationalstaatsgründung mit den ideologischen Feindbildern und Sinnkonstruktionen, die seit der gegenrevolutionären Meinungsmobilisierung um 1800 die zentralen Orientierungskonzepte des konservativen Politikdiskurses europaweit transportierten. Dazu gehörten vor allem die christlich-legitimistischen Semantiken, Ordnungsideen und Suggestionen, die seit 1848 auch von den konservativen Rivalen der piemontesischen Verfassungs- und Nationalstaatspolitik reaktiviert wurden. Mit derselben semantischen und argumentativen Strategie von Margotti hob der piemontesische Diplomat Edoardo Crotti di Costigliole ebenfalls dramatisch hervor, dass die italienische Revolution von 1859/60 „le progrès non de la vertu, mais des ouvres de Satan“ darstellte.25 Auf der anderen Seite der Alpen schloss sich Friedrich Julius Stahl dieser Meinung an und konstatierte, dass sich der italienische Einheitsstaat „ganz ohne Zweifel“ auf die revolutionären Ideen von 1789 bezog.26 Der konservative Jurist diskreditierte den europaweit verbreiteten Reform- und Nationsenthusiasmus als Nebenerscheinung der Revolution und warnte vor den katastrophalen Folgen des angeblichen solidarischen Zusammenhanges von Nation und Revolution: „Die Gedanken der Revolution stehen nicht vereinzelt, sie haben einen solidarischen Zusammenhang; ob sie ihren Ruf mit Freiheit und Gleichheit oder ob sie ihn mit dem Rechte der Nationalität beginnt, ist
22 Im Jahr 1860 stimmte die überwiegende Mehrheit der Wähler in den Gebieten Toskana, Emilia, Neapel, Sizilien, Marken und Umbrien für die „Annessione alla Monarchia Costituzionale del Re Vittorio Emanuele“. Vgl. Statuto fondamentale del Regno, Turin 1884, S. 29. Der katholische Theologe und Chefredakteur der in Turin herausgegebenen Zeitung Armonia, Giacomo Margotti (1823–1887), stammte aus Ligurien. Seit 1845 lebte und arbeitete er in der piemontesischen Hauptstadt. Margotti stand in engem Kontakt mit dem erzkonservativen Erzbischof von Turin, Luigi Fransoni. Vgl. Giuseppina Lupi, Margotti Giacomo. In: DBI 70 (2008). http://www.treccani.it/enciclopedia/giacomo-margotti_(Dizionario_Biografico) (13.09.2015). 23 Vgl. Saretta Marotta, Cattolici „soci fondatori“? Il dibattito sulla partecipazione alla vita dello Stato unitario. In: Antirisorgimento. Appropriazioni, critiche, delegittimazioni. Hrsg. von Maria Pia Casalena, Bologna 2013, S. 127–156. 24 „La nostra rivoluzione è figlia legittima della rivoluzione francese; egualmente schifosa, egualmente empia, egualmente crudele; ma non è che una brutta copia, un’imitazione servile, senza originalità“. Giacomo Margotti, La rivoluzione italiana è figlia della rivoluzione francese (8.11.1860). In: Memorie per la storia dei nostri tempi. Dal congresso di Parigi nel 1856 ai primi giorni del 1863 (Bd. 4). Hrsg. von Giacomo Margotti, Turin 1863, S. 278. 25 Edoardo Crotti di Costigliole an seinen Beichtvater am 20.9.1859. In: Le Comte Edouard Crotti de Costigliole ancien ambassadeur de S. M. Le Roi de Sardaigne. Hrsg. von Edouard Berard, Aoste 1870, S. 71. 26 Stahl, Reden, S. 223.
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dasselbe; eine Loosung [sic!] zündet immer die andere, bis zuletzt die ganze rechtliche und geschichtliche Ordnung in Flammen dasteht.“27 Um den italienischen Nationalstaat anhand der Assoziation von Nation und Revolution zu delegitimieren, etablierte sich im konservativen Diskurs der pejorative Begriff „rivoluzione italiana“. Genauso wie Margotti kritisierten auch der ehemalige piemontesische Außenminister Clemente Solaro della Margarita, der Theologe Matteo Liberatore sowie zahlreiche politische Kommentatoren in ganz Europa die „italienischen Revolutionen“ von 1848 und 1859. Die überwiegende Mehrheit dieser konservativen Politiker und Publizisten bezeichnete die Ereignisse von 1859/60 als Revolution und attackierte damit die positiv besetzten Konzepte von Einheit, Unabhängigkeit und Risorgimento.28 Mit der expliziten semantischen und ideologischen Verknüpfung von Nation und Revolution erfanden auch die preußischen Konservativen ein politisches Orientierungs- und Argumentationsmuster, um sowohl gegen das italienische Risorgimento als auch gegen die deutsche Nationalbewegung vehement zu protestieren.29 Verstärkt seit der Revolution von 1848 diskreditierten die meisten konservativen Politiker und Intellektuellen die deutsche Nationalbewegung als „durch und durch revolutionär“ und lehnten das „Anlegen der schwarz-rot-goldenen Kokarde“ empört ab.30 In seinen Memoiren beschrieb der Chefredakteur der Kreuzzeitung, Hermann Wagener, die Assoziation Nation-Revolution als eine tief internalisierte Pathosformel.31 Um 1860 äußerten sich die führenden konservativen Politiker in Berlin fast einstimmig gegen den neugegründeten italienischen Nationalstaat, indem sie die Begriffe Nation und Revolution polemisch verknüpften. Mit einem sarkastischen Grundton verurteilten die preußischen Konservativen „die Art und Weise, in welcher der re galantuomo [Viktor Emanuel II.] durch Verrat und revolutionäre Intrigen seine italienischen Mitfürsten von ihren Thronen vertrieb und einen Einheitsstaat mit einem höchst bedenklichen Mörtel zusammenschweißte.“32
27 Stahl, Reden, S. 228. 28 Vgl. Clemente Solaro, Memorandum storico politico, Turin 1851, S. 171. Ferner Matteo Liberatore, Razionalismo politico della rivoluzione italiana. In: Civiltà Cattolica 1 (1850), S. 54; Mauro Musci, Il Cristianesimo, la rivoluzione italiana e la politica europea, Brüssel 1861; Pietro Coselli, Saggio critico dei principi e delle conseguenze della rivoluzione italiana, Bologna 1870. 29 Vgl. Ludwig von Gerlach, Napoleon III. (unveröffentlichter Artikel, Juli 1859) In: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 1 (1948), S. 143–145. Ferner Constantin Frantz, Dreiunddreißig Sätze vom Deutschen Bunde, Berlin 1861, S. 86. 30 Friedrich Julius Stahl an Hermann von Rotenhan am 5.12.1849. In: Die Briefe Friedrich Julius Stahls. Hrsg. von Olaf Koglin, Kiel 1975, S. 343. Vgl. auch Hermann Wagener, Erlebtes. Memoiren 1848–1866, Berlin 1884, S. 48. 31 Ausführlich über Wagener: Henning Albrecht, Die „Nebensonne“ in der Pflicht: Hermann Wagener als Mitarbeiter Bismarcks. In: Bismarcks Mitarbeiter. Hrsg. von Lothar Gall u. Ulrich Lappenküper, Paderborn 2009, S. 17–42. 32 Wagener, Erlebtes, S. 22.
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Bereits seit Anfang der 1850er Jahre polemisierten auch König Friedrich Wilhelm IV. und sein erzkonservativer Generaladjutant Leopold von Gerlach gegen die reformbereite Verfassungs- und Nationalstaatspolitik des „revolutionäre[n] Emanuel“ und vor allem gegen die „revolutionäre[n] Sottisen“ der piemontesischen Moderati.33 Die obsessive Wiederholung der Assoziation Nation-Revolution als zentrales Orientierungs- und Argumentationsmuster charakterisierte ebenfalls die konservative Grundhaltung zahlreicher preußischer Offiziere und Diplomaten. Der Gesandte in Dresden, Karl Friedrich von Savigny, protestierte gegen die Formation des italienischen Nationalstaats, indem er die Sprache des christlich-legitimistischen Restaurationsdiskurses reaktivierte. Savigny warnte eindringlich vor der „Brandansteckungsgefahr“ der italienischen Revolution und verurteilte die „Wühlereien“ des neugegründeten deutschen Nationalvereins.34 Auch die katholische Zeitung Germania stigmatisierte die piemontesische Nationalstaatspolitik und bezeichnete Viktor Emanuel II. als „Repräsentanten der revolutionären Gewalt“.35 Genauso wie die preußischen Konservativen und die katholische Presse formulierten auch die Regierungen der deutschen Klein- und Mittelstaaten ihre Empörung über den „Sieg der Revolution in Italien“ und gegen die Wühlereien des Nationalvereins.36 Im Juli 1860 konstatierte eine alarmierende Denkschrift der sächsischen Regierung: „Die Agitation, welche zur Zeit von dem sogenannten Nationalvereine geleitet wird, ist nicht erst von diesem Vereine hervorgerufen. Sie hat vielmehr von einer Seite her und zu einer Zeit begonnen, welche keinen Zweifel darüber ließen, daß diese Agitation rein revolutionären Ursprungs ist.“37 Auch der hessische Ministerpräsident Reinhard von Dalwigk zu Lichtenfels instrumentalisierte die Assoziation Nation-Revolution als das politische Hauptargument gegen das italienische Risorgimento und die „Agitation“ des neugegründeten Nationalvereins. In diesem Zusammenhang versuchte der konservative Politiker
33 Friedrich Wilhelm IV. an Johann von Sachsen am 14.5.1851. In: Briefwechsel zwischen Koenig Johann von Sachsen und den Koenigen Friedrich Wilhelm IV. und Wilhelm I. von Preußen. Hrsg. von Hubert Ermisch, Leipzig 1911, S. 276. Vgl. auch Leopold von Gerlach an Hermann Wagener am 26.10.1850. In: Wagener, Erlebtes, S. 37. 34 Vgl. Karl Friedrich von Savigny, Karl Friedrich von Savigny 1814–1875. Briefe, Akten, Aufzeichnungen aus dem Nachlaß. Hrsg. von Willy Real, Boppard am Rhein 1981, S. 751 und 770. 35 Zit. nach Jens Petersen, Risorgimento und italienischer Einheitsstaat im Urteil Deutschlands nach 1860. In: HZ 234 (1982), S. 63–99, hier S. 69. 36 Vgl. Reinhard von Dalwigk zu Lichtenfels, Die Tagebücher des Freiherrn Reinhard von Dalwigk zu Lichtenfels aus den Jahren 1860–1871. Hrsg. von Wilhelm Schüßler, Osnabrück 1967, S. 45. Darüber hinaus polemisierten die Mittelstaaten explizit gegen die hegemonialen Bestrebungen Preußens. In einer Unterredung mit Napoleon III. am 20. April 1861 stellte der hessische Ministerpräsident Dalwigk lapidar fest, dass „le reste de l’Allemagne et surtout le midi ne se soumettrait jamais à la domination prussienne“. Vgl. Dalwigk, Tagebücher, S. 36. 37 Vgl. Denkschrift der sächsischen Regierung gegen den Nationalverein. In: Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes (Abt. III, Bd. 3). Hrsg. von Jürgen Müller, München 1998, S. 306.
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das diffuse preußische Programm der „moralischen Eroberungen“ in Deutschland ebenfalls zu diskreditieren.38 Als Dalwigk im April 1861 Napoleon III. in den Tuilerien traf, verglich er die „revolutionäre“ Machtpolitik von Viktor Emanuel II. mit dem Novemberprogramm des neuen preußischen Königs Wilhelm I. Der hessische Ministerpräsident bezeichnete Piemont als „habsüchtig, falsch und undankbar“ und attackierte den neuen italienischen Nationalstaat als „le centre du feu révolutionnaire“.39 Dabei kritisierte Dalwigk, dass auch „les Prussiens […] protégeaient la révolution, sans oser l’avouer et laissaient travailler le Nationalverein dans l’idée qu’il travaillait pour eux“.40 Die Assoziation Nation-Revolution aktivierte ein transnational verbreitetes Orientierungs- und Argumentationsmuster, das seit der gegenrevolutionären Meinungsmobilisierung um 1800 zirkulierte. Über konfessionelle Barrieren und landesspezifische Interessen hinweg instrumentalisierte ein breites Spektrum an politischen Kommentatoren diesen Gedanken, um gegen die italienische Nationalstaatsgründung und die daraus entstehende Brandansteckungsgefahr mit altvertrauten Semantiken und Suggestionen zu protestieren.41 Seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert führten die umfassenden Deutungs- und Kommunikationsprozesse über die dramatische Kriegs- und Revolutionserfahrung von 1789–1815 dazu, dass sich der Revolutionsbegriff als ein politisches Orientierungskonzept nachhaltig etablierte. Im Hinblick auf die obsessive Präsenz der Revolutionsangst in den europäischen Politikdiskursen resümierte im Jahr 1822 die ultrakatholische Zeitschrift L’Amico d’Italia: „Dei discorsi, dei pensieri, dell’intero mondo europeo, il tema comune presente è la rivoluzione“.42 Das omnipräsente Medienereignis „Revolution“ bezog sich sowohl auf dramatische Erfahrungsdeutungen als auch auf düstere Zukunftsvisionen, um die konservativen Politikdiskurse mit einem real-fiktiven Bedrohungsszenario zu dynamisieren und transnational zu vernetzen. In diesem Sinne entwarfen prominente Intellektuelle wie der Historiker Jakob Burckhardt ein dominantes Epochenetikett, das die realhistorischen Veränderungen der Revolutionen
38 Das sybillinische Novemberprogramm von 1858, das die vermeintliche Neue Ära einleitete, versprach: „Durch Hebung aller sittlichen Elemente und durch Ergreifung von Einigungselementen […] in Deutschland moralische Eroberungen“ zu machen. Vgl. PPS (Bd. 5), S. 39. Der zeitgenössische Begriff Neue Ära ist als Euphemismus zu verstehen. Obwohl sich zwischen 1858 und 1861 größere Handlungsspielräume für die politische Opposition in Preußen entwickelten und neue Ideen zunehmend diskutiert wurden, war der eingeleitete Reformkurs halbherzig. Es war vor allem die borussische Geschichtsschreibung, die die Übergangsphase um 1860 als eine neue politische Ära tendenziös überinterpretierte. Vgl. Jansen, Gründerzeit, S. 130–133. 39 Dalwigk, Tagebücher, S. 31 und 37. 40 Dalwigk, Tagebücher, S. 36. 41 Der erzkonservative Publizist Ludwig von Gerlach verwendete immer wieder die Assoziation NationRevolution, um die deutsche Nationalbewegung zu diskreditieren. Damit forderte er energisch die Ablehnung der italienischen Revolution: „Preußen darf nicht Deutsch-Piemont werden“. Vgl. Ludwig von Gerlach, Preußens Ermannung, Berlin 1865, S. 29. 42 L’Amico d’Italia, Anno I, Bd. 1 (1822), S. 100.
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von 1789 und 1848 in einer diskursiven Dimension zuspitzte und verewigte.43 Auch die Erfolgsautoren der Restauration De Maistre, Bonald und Haller hatten jede „Bindung zur konkreten politischen Auseinandersetzung in Frankreich aufgegeben und sich ins Universelle eines schwer entschlüsselbaren Mystizismus geflüchtet“.44 Die „revolutionsfeindliche Hysterie“ der konservativen Protagonisten der Wiener Ordnung bezog sich auf polyvalente Erfahrungen und Emotionen, aber auch auf politische Ideologien und Kalküle, die seit 1789 den Revolutionsbegriff immer wieder aktualisierten.45 Zwischen 1840 und 1870 blieben die Revolutionsangst und die damit verknüpften Suggestionen und Erfahrungsdeutungen ein zentraler Grundbestandteil konservativer Wirklichkeitswahrnehmung. Um 1850 wurde der Schock von 1789 europaweit revitalisiert. Dabei charakterisierte die nachträgliche Revolutionsparanoia nicht nur die Position der konservativen Hardliner. Vielmehr waren die Rückgriffe auf die Französische Revolution unterschiedlich motiviert.46 Sie bildeten für die meisten politischen Protagonisten ein zentrales Deutungsmuster, um die historischen Ereignisse zu temporalisieren und die wachsende Komplexität der politischen Arenen zu reduzieren.47 Die Assoziation Nation-Revolution generierte europaweit und über mehrere Generationen hinweg ein starkes Erklärungspotenzial, weil sie traditionelle Wertorientierungen und „ungleichzeitige“ Suggestionen mit pragmatischen Wahrnehmungen und aktuellen Erwartungshorizonten glaubwürdig kombinierte. Im 19. Jahrhundert zirkulierten unzählige Definitionen von Revolution, die den omnipräsenten Revolutionsbegriff reaktivierten und die antirevolutionäre Paranoia der Konservativen politisch funktionalisierten. Dabei kam in unterschiedlichen kulturellen Kontexten und für heterogene Rezipientengruppen ein breites Spektrum an affektiven, kognitiven und pragmatischen Deutungs- und Handlungsoptionen zum Ausdruck. In einem Brief an Wilhelm Grimm am 6. Oktober 1823 beschrieb der preußische Diplomat Karl von Canitz und Dallwitz die Revolution als dasjenige politische Vorhaben, welches „das Unterste zu Oberst [zu] kehren und das Bestehende umzu-
43 Vgl. Leonhard, Revolutionen, S. 171; Koselleck, Revolution, S. 749–766. 44 Vgl. Middell, Gegner, S. 84. 45 Erich Donnert, Antirevolutionär-konservative Publizistik in Deutschland am Ausgang des Alten Reiches, Frankfurt a. M. 2010, S. 27. Im Gegensatz zur aktuellen deutschsprachigen Forschung, die die Negativgeschichte der Wiener Ordnung relativiert, lieferte Adam Zamoyski ein „rabenschwarzes Porträt“ der politischen Entwicklung nach 1815. Dabei verurteilte er die Protagonisten der repressiven Stabilisierungsbemühungen des Wiener Kongresses als fanatische und paranoide Reaktionäre. Vgl. Sebastian Dörfler, Rezension von Adam Zamoyski: 1815. Napoleons Sturz und der Wiener Kongress. In: sehepunkte 6 (2015). http://www.sehepunkte.de/2015/06/25520.html (13.09.2015). Die neueren Studien von Zamoyski zeigen, dass in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die politische Bedeutung der Revolutionsangst kaum zu überschätzen ist. Vgl. Zamoyski, Phantome. 46 Vgl. Gudrun Gersmann u. Hubertus Kohle, Vorwort. In: Frankreich 1848–1870. Die Französische Revolution in der Erinnerungskultur des Zweiten Kaiserreiches. Hrsg. von Gudrun Gersmann u. Hubertus Kohle, Stuttgart 1998, S. 7–10. 47 Vgl. Leonhard, Präsens.
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werfen“ strebt.48 Diese dramatische Definition, die auch Friedrich Julius Stahl und der einflussreiche piemontesische Publizist Emiliano Avogadro della Motta immer wieder verwendeten, thematisierte die politische und existenzielle Bedrohung, die der Revolutionsbegriff aus konservativer Sicht sowohl in Berlin als auch in Turin evozierte.49 Mit derselben überspitzten Deutungs- und Argumentationsstrategie von Canitz verurteilte ebenfalls der konservative Publizist Victor Aimé Huber die Revolution als den „feindliche[n] Gegensatz aller berechtigten Momente des Staats- und Volkslebens“.50 König Friedrich Wilhelm IV. formulierte eine ähnliche Definition von Revolution, indem er die liberalen Verfassungs- und Nationalstaatsbestrebungen miteinbezog und eine noch exaltiertere Sprache als Canitz, Stahl und Huber benutzte. Im Sinne des christlich-legitimistischen Restaurationsdiskurses beschrieb der preußische König die Revolution als das „Aufheben der göttlichen Ordnung, das Verachten, das Beseitigen der rechten Obrigkeit“, die „ihren Todeshauch lebt und atmet, so lange unten oben und oben unten ist“.51 Der Grund für die semantische, emotionale und intellektuelle Fixierung auf den Revolutionsbegriff war, dass dieses plurale Orientierungskonzept auf die langsame Erosion konservativer Machtdiskurse produktiv reagierte. Daraus entstanden plausible Deutungsoptionen, um die existenzielle Bedrohung und die kulturelle Desorientierung, die die Konservativen seit der Französischen Revolution perzipierten, in einer modernen Diskursökonomie einzuordnen. Paradoxerweise führte diese obsessive und skandalisierende Auseinandersetzung mit dem Revolutionsbegriff dazu, dass in den dynamisierten Diskussions- und Entscheidungsforen nach 1789, 1830 und 1848 die konservativen Politiker und Intellektuellen resolut und machtbewusst auftraten. Damit bildeten die Sprache und die traditionellen Wertorientierungen, die die Ungleichzeitigkeit des Revolutionsdiskurses europaweit evozierte, die Voraussetzung für eine umfassende konservative Meinungsmobilisierung. In diesem Zusammenhang manifestierte sich nicht nur ein autoritärer und repressiver Modernisierungswiderstand, sondern kristallisierten sich auch innovative Machterhaltungsstrategien und Anpassungsleistungen zwischen liberalen Legitimationstheorien und konservativen Ordnungsideen heraus.
48 Karl von Canitz und Dallwitz an Wilhelm Grimm am 6.10.1823. In: Karl von Canitz und Dallwitz. Ein preußischer Minister des Vormärz. Darstellung und Quellen. Hrsg. von Gernot Dallinger, Köln 1969, S. 110. 49 Friedrich Julius Stahl definierte die Revolution als „das zu oberst zu setzen, was nach ewigen Gesetzen zu unterst sein soll, und umgekehrt“. Vgl. Stahl, Reden, S. 237. Auch Avogadro della Motta betrachtete die Revolution als ein disruptives Ereignis, „che tutto distrugge per costruire l’ordine sociale sull’irreligione“. Vgl. Emiliano Avogadro della Motta, Teorica dell’istituzione del matrimonio, Turin 1854, S. 188. 50 Victor Aimé Huber, Bruch mit der Revolution und Ritterschaft, Berlin 1852, S. 1. 51 Friedrich Wilhelm IV. an Ernst Moritz Arndt am 15.3.1849. In: Haenchen, Revolutionsbriefe, S. 392.
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1.1.1 Der lange Revolutionsdiskurs. Die konservative Meinungsmobilisierung gegen liberale Reformen und Nationalbewegung Nach der Französischen Revolution nahmen die europaweite Dynamisierung, die Pluralität, die Intensität und die Verfügbarkeit liberaler und konservativer Politikdiskurse zu.52 Bereits bevor die Revolutionstruppen und die französischen Verwaltungsbehörden neue Ideen, Normen und Diskussionsforen nach Italien und Deutschland transferierten, löste das Echo des großen Ereignisses von 1789 eine umfassende Meinungsmobilisierung aus. Neben der liberalen Euphorie für die politischen Reformen und die neuen Institutionen zirkulierten aber auch Enttäuschung, Desorientierung und Ressentiment. Sie kamen meistens in einer konservativen Rückbesinnung auf religiöse, dynastische, ständische oder lokalpatriotische Motive zum Ausdruck. Diese Vermischung von Konterrevolution, Lokalpatriotismus und Religion generierte eine starke Opposition gegen das napoleonische Herrschaftssystem.53 Vor und nach 1814 wurde die Revolutionsangst von den gedemütigten Monarchen und den königstreuen Eliten in Preußen und Sardinien-Piemont geschickt instrumentalisiert. Die gegenrevolutionäre Meinungsmobilisierung spitzte latente Feindbilder, semantische Bestimmungsmuster und ideologisierte Erfahrungsdeutungen zu. Im Zeitalter der Revolutionen wurde die Gleichzeitigkeit dieser ungleichzeitigen Elemente im konservativen Diskurs immer wieder aktualisiert, um ein politisches Rechtfertigungsnarrativ gegen die liberalen Reformen und die Nationalbewegung zu kommunizieren. Die semantische und pragmatische Assoziation von Nation und Revolution basierte auf der weitverbreiteten Vorstellung, dass die revolutionären Ideen und die napoleonischen Kriege das vermeintlich lang ersehnte Erwachen der Nationen hervorriefen. Mit dieser vereinfachten historischen Rekonstruktion projizierte auch der konservative Diskurs politische Interessen, Ideen und Erwartungshorizonte, die sich erst in den 1840er Jahren deutlich herauskristallisierten, auf die dramatischen Erfahrungen von 1789–1814 zurück. Bis in die 1860er Jahre hinein erwies sich ein teleologisch gewendeter Blick, der die Geburtsstunde der liberalen Nationalbewegung auf die nachrevolutionäre Übergangsgesellschaft um 1800 zurückprojizierte, als eine politisch sehr umstrittene und nur partiell glaubwürdige Narration. Zwar dynamisierte die Französische Revolution bereits existierende romantisch-patriotische Ideale, jedoch manifestierten sich um 1800 weder die kollektiv-sinnstiftende Mythologie des Nationalismus noch eine massenkompatible Nationalstaatsideologie. Außerdem wurden patriotische Wahrnehmungs- und Deutungsmuster immer wieder regionalspezifisch definiert und von konkurrierenden politischen Akteu-
52 Vgl. Langewiesche, Revolution, S. 172. 53 Vgl. Burleigh, Mächte, S. 153.
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ren, unter anderen auch von konservativen Royalisten und Konterrevolutionären, instrumentalisiert.54 Seit 1814 und vor allem nach 1848 gewannen nördlich und südlich der Alpen die miteinander konkurrierenden Positionen, die die Assoziation von Revolution und Nationalbewegung als stigmatisierendes oder umgekehrt als legitimierendes Argument benutzten, eine enorme politische Bedeutung. In den 1840er Jahren eskalierte ein Konflikt zwischen liberalen und konservativen Politikern und Intellektuellen um die Deutungshoheit über die Revolutionserfahrung von 1789–1814. Eine sinnstiftende Kontinuitätslinie mit diesem historischen Referenzpunkt zu konstruieren, bildete für alle politischen Akteure ein wichtiges Anliegen, um sich in der Verfassungs- und Nationalstaatsdebatte erfolgreich zu positionieren. Die Assoziation zwischen 1789 und 1848 trat parteiübergreifend und grenzüberschreitend auf und bezog sich sowohl auf die Ideen als auch auf die Sprache der Revolution.55 Die Polarisierung zwischen der positiv konnotierten und der pejorativen Assoziation von Nation und Revolution generierte zum einen den aggressiven und pessimistischen Grundton, mit dem die Konservativen die nationalen Einheitsbestrebungen stigmatisierten. Zum anderen leistete die semantische und ideologische Verflechtung von Revolutionserfahrung und Nationalbewegung einen entscheidenden Beitrag, um die romantische Suggestion des Erwachens der Nation neu zu bewerten und die damit verknüpften Erwartungshorizonte zu dynamisieren. Mit seiner sechsbändigen Abhandlung Restauration der Staatswissenschaft verfasste der Schweizer Jurist Carl Ludwig von Haller das programmatische Manifest der konservativen Stabilisierungsbemühungen nach 1814. Er plädierte für eine umfassende Reorganisation der Staatswissenschaft, um die revolutionären Ideen vollständig zu vernichten und damit zu verhindern, dass die „Hydra der Revolution […] neue Blätter hervortreibe“.56 Ähnlich wie andere politische Schriften von Edmund Burke und Joseph de Maistre wurde auch Hallers Restauration immer wieder neu aufgelegt und europaweit diskutiert.57 Burkes Reflections on the French Revolution erschien
54 Zur Region als potenzielles Vaterland und zu regionalspezifischen Interessenkonflikten als „national aktivierender Faktor“ vgl. Hroch, Europa, S. 58 und 137. 55 Vgl. Steinmetz, Sprechen, S. 1089. 56 Carl Ludwig von Haller, Restauration der Staats-Wissenschaft (Bd. 1), Winterthur 1820, S. III. 57 In den Privatbibliotheken einflussreicher konservativer Politiker wie Antonio Brignole Sale und Solaro della Margarita befanden sich mehrere Editionen der Publikationen von Burke, Haller und De Maistre. Vgl. Catalogo della Biblioteca di sua ecc. il marchese Antonio Brignole Sale (ACG – Fondo manoscritti 108 – E – 12 bis, BS, S. 105, 179 und 377), ferner Catalogo della biblioteca del conte Solaro della Margarita (ASM, Manuskript). Auch der linksliberale Abgeordneter Angelo Brofferio konstatierte in seinen Memoiren, dass seit 1814 in Turin die Publikationen von Joseph de Maistre dauerhaft zu den meist gelesenen Büchern zählten. Vgl. Umberto Levra, Storia di Torino. La città nel Risorgimento (Bd. 6), Turin 2000, S. 74. Der erzkonservative Theologe und Herausgeber der Evangelische Kirchenzeitung Ernst Hengstenberg bezog sich ebenfalls regelmäßig auf De Maistres Ideen, obwohl der savoyische Politikphilosoph ein „Gegner Luthers“ war. Vgl. Ernst Hengstenberg, Über das Buch Hiob,
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am 1. November 1790 in London und wurde innerhalb von sechs Monaten in 19.000 Kopien verkauft. Das Pamphlet erreichte bereits im September 1791 die elfte Auflage.58 Zwischen 1791 und 1793 wurden mehrere Editionen der deutschen Übersetzung von Reflections on the French Revolution in Berlin und Wien veröffentlicht. In Paris kam der politische Bestseller 1790 unter dem Titel Reflections sur la révolution de France heraus und erreichte bereits 1791 die fünfte Auflage.59 Im selben Jahr wurde das Buch auf Italienisch übersetzt und in Rom veröffentlicht. Burkes Essay war einerseits von der Tradition der englischen Tories inspiriert und griff anderseits auf die „konservativen Argumente in der französischen Nationalversammlung“ zurück.60 Auch auf der iberischen Halbinsel übten die politischen Schriften von Burke, Haller und De Maistre einen enormen Einfluss auf die konservative Meinungsmobilisierung aus.61 Die Grundideen dieser vielgelesenen Publikationen blieben nach der Revolution von 1848 weiterhin einflussreich. Der preußische Diplomat Athanasius Graf Raczyncki trat gegen die wiederauferstandene Hydra der Revolution und für eine vollständige Restauration im Sinne Hallers resolut ein. Im Sommer 1848 stellte er in einem Brief an seinen jüngeren Kollegen Karl Friedrich von Savigny fest, dass das revolutionäre „Unkraut mit der Wurzel ausgerottet […] und der frühere Zustand unverändert oder noch kräftiger eingeführt“ werden müsste.62 Der preußische Außenminister Canitz und Ludwig von Gerlach konstatierten in ihren Memoiren, dass die intensiven Lektüren und Diskussionen von Hallers Restauration zur politischen Meinungsmobilisierung der konservativen Netzwerke wesentlich beitrugen.63 Bereits seit 1817 kommentierte Gerlach regelmäßig in seinen Tagebüchern die Thesen des Schweizer Juristen.64 Um seinen christlich-legitimistischen Gegenentwurf zum liberalen Verfassungs- und Nationsdiskurs ideologisch zu schärfen, zitierte auch der konservative Jurist Fried-
Berlin 1856, S. 10. Ausführlich über die nachhaltige transnationale Rezeption von Joseph de Maistre vgl. Carolina Armenteros u. Richard A. Lebrun (Hrsg.), Joseph de Maistre and his European Readers, Leiden 2011. Zur enormen, aber widersprüchlichen Resonanz von Hallers Restauration vgl. Ronald Roggen, Restauration: Kampfruf und Schimpfwort. Eine Kommunikationsanalyse zum Hauptwerk des Staatstheoretikers Karl Ludwig von Haller, Freiburg Schweiz 1999. 58 Vgl. Leslie Mitchell, Introduction. In: Edmund Burke, Reflections on the French Revolution, Oxford 2009, S. VII. 59 Vgl. Gerard Gengembre, Burke. In: Dictionnaire critique de la révolution française. Hrsg. von François Furet, Paris 1988, S. 943–949. 60 Middell, Gegner, S. 89. 61 Vgl. Luis Reis Torgal, Tradicionalismo absolutista e contra-revolução. In: Do antigo regime ao liberalismo. Hrsg. von Fernando Marques da Costa, Lisboa 2000, S. 93–103. 62 Atanasius Graf Raczyncki an Karl Friedrich von Savigny am 28.7.1849. In: Savigny, Briefe (Bd. 1), S. 371. 63 Ludwig von Gerlach, Aufzeichnungen aus seinem Leben und Wirken 1795–1877 (Bd. 1), Schwerin 1903, S. 102 sowie Bd. 2, S. 297–299 und 375. Vgl. auch Dallinger, Canitz, S. 15. 64 Vgl. Ludwig von Gerlach, Tagebücher 1815–1820. In: Aus den Jahren preußischer Not und Erneuerung. Hrsg. von Hans-Joachim Schoeps, Berlin 1963, S. 246–252 und 286.
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rich Julius Stahl in seinen Vorträgen und Publikationen immer wieder die politischen Schriften von Haller und De Maistre.65 Bis in die 1850er Jahre hinein wurde Hallers Hauptwerk von zahlreichen konservativen Politikern und Intellektuellen intensiv diskutiert und begeistert als programmatisches Manifest gefeiert. Während die Begriffe Restauration und Heilige Allianz ein starkes ideologisches Feindbild entwarfen und als politische Schimpfwörter in den liberalen Diskursen zirkulierten, stellten sie für die Konservativen einen in ganz Europa verbreiteten Kampfruf dar.66 Ludwig von Gerlach ging mit dem semantischen und ideologischen Instrumentarium, das Haller in seinem polarisierenden Werk kommunizierte, sehr erfinderisch um. Unter dem Schlagwort der „Pseudo-Philosophie“ konstruierte der preußische Politiker ein polyvalentes und eindringliches Argumentationsmuster gegen die liberalen Reformbestrebungen und die deutsche Nationalbewegung. Um die vermeintlich „unwahren“ und „unhistorischen“ Ideen seiner politischen Rivalen zu stigmatisieren, bezeichnete Gerlach bis in die 1870er Jahre hinein die Verfassung als „Pseudo-Freiheit“ oder „Pseudo-Legitimität“ und den Nationalismus als „pseudodeutsche Einheit“, „schwarz-roth-goldene-pseudo deutsche Einheit“ oder „PseudoNationalitäts- und Kopfzahlprinzip“.67 Südlich der Alpen fanden die gegenrevolutionären Ordnungsprinzipien und die semantischen Bestimmungsmuster, die konservative Intellektuelle wie Haller und De Maistre in ihren politischen Schriften formulierten, ebenfalls eine große Resonanz.68 Genauso wie Gerlach verwendete auch der italienische Literat Monaldo Leopardi den Begriff Pseudo-Philosophie, um gegen die „wahnsinnigen Versprechungen“ des Nationalismus und die nationalen Einheitsbestrebungen explizit zu polemisieren. In seinem Catechismo filosofico von 1832 attackierte Leopardi vehement die Pseudo-Philosophie der Nationalbewegung: „Ognuno deve amare la sua patria, il suo governo, il suo Stato senza affliggersi per la brevità dei suoi confini, e senza correre dietro ai vaneggiamenti della nazionalità e della indipendenza nazionale suscitata dalla sedicente filosofia.“69
65 Friedrich Julius Stahl, Der Protestantismus als politisches Prinzip, Berlin 1853, S. 14 und 88. 66 Zusammen mit den Werken von konservativen Intellektuellen wie Friedrich Ancillon und August von Kotzebue gehörte die Restauration von Haller zu den 25 bis 30 Büchern, die am Abend des 18. Oktober 1817 nach dem Wartburgfest von einer Gruppe radikaler deutschen Studenten verbrannt wurden. Vgl. Günter Steiger, Urburschenschaft und Wartburgfest. Aufbruch nach Deutschland, Leipzig 1967, S. 112. Über die Bezeichnung Heilige Allianz als politisches Feindbild vgl. Paulmann, Monarchien, S. 111. 67 Vgl. Gerlach, Tagebücher 1815–1820, S. 277 und 283–287. Ferner Gerlach, Neujahrs-Rundschau 1855. In: Fünf Quartalrundschauen, Berlin 1856, S. 19; Gerlach, Die Freiheits-Tendenzen unserer Zeit, Berlin 1866, S. 38; Gerlach, Krieg und Bundes-Reform, Berlin 1866, S. 10; Gerlach, Deutschland im Neujahr 1870, Berlin 1870, S. 20 und Gerlach, Das neue Deutsche Reich, Berlin 1871, S. 37. 68 Immer wieder wurden Haller, De Maistre und Bonald von der konservativ-ultrakatholischen Publizistik als „i più valenti e profondi filosofi del secolo“ bewundert. Vgl. Memorie di religione di morale e di letteratura, Modena 1825, S. 140–143. 69 Monaldo Leopardi, Catechismo filosofico. In: Gli scrittori cattolici dalla Restaurazione all’Unità. Hrsg. von Vito Lo Curto u. Mario Themelly, Rom–Bari 1981, S. 6–7. In der Restauration attackierte Haller
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In Piemont manifestierten die konservativen Netzwerke ein großes und nachhaltiges Interesse für die politischen Ideen von Haller und De Maistre. Nur wenige Monate nach der ersten deutschen Edition des polemischen Pamphlets Über die Constitution der Spanischen Cortes veröffentlichte der piemontesische Verlag Pomba im Jahr 1821 die italienische Übersetzung dieser neuen antiliberalen Publikation des prominenten Schweizer Juristen.70 Im Laufe der 1820er Jahre wurden die Restauration und die anderen politischen Schriften Hallers in Turin, Neapel und Rom übersetzt und mehrmals neu aufgelegt.71 In Piemont erlebte auch die Veröffentlichung der privaten Korrespondenz von Haller und De Maistre eine starke Publikumsresonanz und vermittelte die Suggestion eines konservativen Kanons von guten Autoren, die oft zusammen zitiert wurden, um ein Rechtfertigungsnarrativ gegen die liberalen Reformen und die Nationalbewegung zu evozieren.72 Genauso wie Gerlach, Stahl und Leopardi bewunderte auch der piemontesische Außenminister Clemente Solaro della Margarita die antiliberale Position von Haller und De Maistre. In seinen politischen Pamphleten zitierte Solaro die zwei Autoren immer wieder nebeneinander. Allein in dem Memorandum von 1851 bezog er sich acht Mal auf Haller und De Maistre.73 Die enorme Popularität von konservativen Publizisten wie Haller, De Maistre, Burke oder Louis-Gabriel de Bonald, François-René de Chateaubriand, Friedrich von Gentz und Félicité de Lamennais führte dazu, dass sowohl die programmatischen Aufsätze dieser prominenten Intellektuellen als auch ihr Privatleben aufmerksam verfolgt wurden. Sie korrespondierten miteinander und rezipierten bzw. unterstützten sich gegenseitig.74 Im Jahr 1821 löste die „Publicität“ von Hallers Konversion zum
immer wieder die Pseudo-Philosophie und Pseudo-Weisheit der Liberalen. Vgl. Haller, Restauration (Bd. 1), S. 34 und 499. 70 Vgl. Sulla costituzione di Spagna. Opera del Signor Carlo Luigi de Haller, Turin 1821. 71 Mehrere Editionen von Sulla costituzione di Spagna erschienen auch im Königreich beider Sizilien (Neapel 1822), in den päpstlichen Staaten (Imola 1821) und in Modena (1821). 72 Vgl. Nuova completa collezione di quanto è stato sinora pubblicato sulla conversione alla Chiesa cattolica apostolica romana del Signor Professore e consigliere Carlo Luigi de Haller di Berna, con appendice che contiene due lettere, una del Conte Stolberg, l’altra del Conte de Maistre sopra la di loro Conversione alla cattolica religione, Venedig 1822. 73 Vgl. Solaro, Memorandum, S. 220, 234, 312, 438, 483 und 490. 74 Vgl. Raphaël Cahen, The Correspondence of Friedrich von Gentz. The reception of Du Pape in the German-speaking World. In: Joseph de Maistre and his European Readers. Hrsg. von Carolina Armenteros u. Richard Lebrun, Leiden 2011, S. 95–121. Gentz übersetzte Edmund Burkes Reflections auf Deutsch. Vgl. Friedrich Gentz, Betrachtungen über die französische Revolution nach dem Englischen des Herrn Burke, neu bearbeitet mit einer Einleitung, Anmerkungen, politischen Abhandlungen und einem critischen Verzeichniß der in England über diese Revolution erschienenen Schriften, Berlin 1793. Auch für Gentz war den Begriff Gegenrevolution positiv besetzt. Er setzte sich zum Ziel, eine „Gegenrevolution im höchsten Sinne des Wortes zu stiften“. Zit. nach Koselleck, Revolution, S. 575. Im Jahr 1803 lernte Gentz Metternich kennen, den damaligen österreichischen Gesandten am kursächsischen Hof. Beide dachten und argumentierten ähnlich und traten gegen die Hegemonie Frankreichs
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Katholizismus europaweit eine heftige Diskussion aus.75 Der Schweitzer Publizist thematisierte seine aufsehenerregende „Rückkehr“ zur römisch-katholischen Kirche in einem öffentlichen Brief, der ursprünglich auf Französisch erschien und auch in Turin von dem Verlag Marietti veröffentlicht wurde.76 Dank der finanziellen Unterstützung der katholischen Kirche kamen kurz danach ebenfalls die italienische und die deutsche Übersetzung des Sendschreibens heraus.77 Die politischen Schriften von Haller und De Maistre generierten sowohl semantische Bestimmungsmuster wie auch ideologische Sinnstiftungsmechanismen, die die konservative Meinungsmobilisierung gegen die Französische Revolution in einer plausiblen und nachdrücklichen Form reproduzierten. Eine breite Konstellation von italienischen Theologen, Juristen und Literaten rezipierte und bearbeitete die zentralen Thesen der Restauration. Der piemontesische Publizist Paolo Vergani spitzte die konservativ-legitimistischen Ideen von Haller und De Maistre dramatisch zu, indem er die Reformation, die Freimaurerei, die Aufklärung, den Liberalismus und den Nationalismus als Nebenerscheinungen der Revolution undifferenziert verurteilte.78 Im Jahr 1835 schloss sich auch der Theologe Cosimo Andrea Sanminiatelli dieser extrem vereinfachten Theorie an und bekräftigte, dass die liberalen Verfassungsbestrebungen und die Nationalbewegung zu der „in Mode gekommenen politischen Cholera“ gehörten. Mit einer überhöhten Sprache attackierte er die „sogenannten Patrioten“, die Jakobiner, die Carbonari, die Liberalen und die Revolutionären aller Art und Couleur: „I rivoluzionari tutti d’ogni specie e colore che da più di 50 anni collegati talvolta con gli eretici […] appestano, desolano e assassinano l’Europa.“79 Nach 1814 formierten sich in Piemont mehrere ultrakatholische Vereine und konservative Zeitschriften, die die „gesunden Bücher“ und die „guten Prinzipien“ der gegenrevolutionären Meinungsmobilisierung verbreiteten. Besonders einflussreich war die von Cesare Taparelli d’Azeglio und Pio Brunone Lanteri geleitete Amicizia cattolica. Zwischen 1817 und 1827 wurde die Bruderschaft von zahlreichen rang-
und für ein systemstabilisierendes Gleichgewicht der europäischen Mächte ein. Vgl. Siemann, Metternich, S. 213. 75 Vgl. Heinrich Tzschirner, Der Übertritt des Herrn von Haller zur katholischen Kirche, Leipzig 1821, S. 1. 76 Vgl. Carl Ludwig von Haller, Lettres de M. Charles-Louis de Haller à sa famille, pour lui déclarer son retour à l’Eglise catholique, Turin 1821. 77 Carl Ludwig von Haller, Sendschreiben an seine Familie, um derselben seine Rückkehr zur römisch-katholischen Kirche bekannt zu machen, Straßburg 1821; Lettera del signor Carlo Luigi di Haller membro del consiglio sovrano di Berna alla sua famiglia […], Genua 1821. 78 Vgl. Paolo Vergani, Le idee liberali ultimo rifugio dei nemici della Religione e del Trono, Genua 1816. 79 Cosimo Andrea Sanminiatelli, La costituzione, la filantropia e la politica. Articoli contenenti specifici preservativi dal cholera di moda (1835). In: Gli scritti sani. Dottrina e propaganda della reazione italiana dalla Restaurazione all’Unità. Hrsg. von Nicola Del Corno, Mailand 1992, S. 16.
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hohen Beamten und Gutsbesitzern wie Luigi Provana di Collegno, Giancarlo BrignoleSale, Luigi Gattinara und Giuseppe Massimino unterstützt und direkt von König Karl Felix finanziert.80 Die Amicizia leistete einen entscheidenden Beitrag zur Rezeption und politischen Funktionalisierung der europaweit diskutierten Ideen von konservativen Intellektuellen wie Haller, De Maistre, Burke, Bonald und Lamennais. Der Verein basierte auf der Tradition der katholischen Bruderschaften und der adligen Ritterorden, wandte sich dennoch dezidiert der Öffentlichkeit zu und akzeptierte auch Laien als Mitglieder. Bereits im Jahr 1821 zirkulierten insgesamt mehr als 21.000 Kopien der Zeitschriften, Publikationsreihen, Broschüren und politischen Pamphlete, die die Amicizia herausgab.81 Auch die ultrakatholischen Zeitschriften L’Amico d’Italia und Il Propagatore religioso rezipierten und übersetzten die Ideen von Joseph de Maistre. Seit 1824 wählte L’Amico d’Italia als Motto ein Zitat des konservativen Publizisten: „La religion est l’aromate qui empêche la science de se corrompre.“82 Seit den 1820er Jahren erstreckte sich von Turin bis Neapel ein Netzwerk von Publizisten und Editoren, die die politischen Schriften der konservativen Meinungsführer intensiv rezipierten und im Rahmen landesspezifischer Erfahrungen und Interessen instrumentalisierten. Durch diese sprachliche und intellektuelle Vermittlung gewannen abstrakte Thesen und komplexe Ideologien eine konkrete Dimension, die die Emotionen und Erwartungshorizonte eines heterogenen Leserkreises pragmatisch thematisierte. Das breite konservative Publikum rezipierte Haller oder De Maistre meistens durch popularisierende Synthesen, die diese prominenten Autoren als symbolische Identifikationsfiguren zitierten und mit einer emphatischen Sprache vermittelten. In Italien waren Pamphlete wie I piffari di montagna des erzkonservativen Publizisten Antonio Capece Minutolo und Dialoghetti sulle materie correnti von Monaldo Leopardi sehr erfolgreich und wurden auf Deutsch mehrfach übersetzt.83 Sie
80 Die Amicizia bezog sich auf die Moraltheologie von Alfonso Maria de Liguori und war mit prominenten konservativen Intellektuellen wie Antonio Rosmini, Antonio Capece Minutolo und Giuseppe Baraldi gut vernetzt. Vgl. Guido Verucci, Cesare Taparelli marchese di Azeglio. In: DBI 4 (1862). http:// www.treccani.it/enciclopedia/cesare-taparelli-marchese-di-azeglio (13.09.2015). 81 Vgl. Angiola Ferraris, Le riviste, la narrativa, la poesia patriottica. In: Storia di Torino (Bd. 6). Hrsg. von Umberto Levra, Turin 2000, S. 703–721, hier S. 709. Ferner Francesco Leoni, Storia della controrivoluzione in Italia 1789–1859, Neapel 1975, S. 245–247. 82 Vgl. Pietro Stella, Cultura e associazioni cattoliche tra la Restaurazione e il 1864. In: Storia di Torino (Bd. 6). Hrsg. von Umberto Levra, Turin 2000, S. 493–525. 83 Das Pamphlet I piffari di montagna von Antonio Capece Minutolo wurde zwischen 1820 und 1822 mehrmals neu aufgelegt. Unter anderem in Lucca (mit fiktivem Erscheinungsort Dublin) und Faenza. Auch die Dialoghetti sulle materie correnti, die Monaldo Leopardi im Jahr 1831 veröffentlichte, zirkulierten in mehreren Editionen. Die Dialoghetti erschienen 1832 in Regensburg unter dem Titel Gesprächsbüchlein des Grafen Leopardi von Rimini. Zwei Jahre später wurde auch Leopardis Abhandlung über die Staatsreformen veröffentlicht (Des Grafen Leopardi Abhandlung über Staats-Reformen. Ein nützliches Vade mecum für alle Freunde und Feinde der bestehenden Ordnung. Aus dem Italienischen frei übersetzt von Albert Ludwig von Haza-Radlitz, Regensburg 1834).
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kommunizierten die Idee der Restauration in einer trivialen, allegorischen und leicht verständlichen Form. In Piemont wurde Joseph de Maistre noch enthusiastischer als Haller rezipiert und als „sommo filosofo del secolo“, politischer Held und symbolische Identifikationsfigur bewundert.84 Dabei fanden sowohl die konservativen Grundideen als auch die idealisierte Biographie und die politischen Aktivitäten des prominenten Intellektuellen eine starke Resonanz. Joseph de Maistre wurde im Jahr 1753 in der savoyischen Stadt Chambéry geboren. Er stammte aus einer angesehenen frankophonen Adelsfamilie und trat nach abgeschlossenem Jurastudium in die piemontesische Justizverwaltung ein. Trotz seiner konservativen und religiös-schwärmerischen Haltung sympathisierte De Maistre mit den Idealen der Aufklärung. Er las Voltaire, Mirabeau und Louis-Claude de Saint-Martin und engagierte sich mit dem Decknamen Josephus a Floribus in den savoyischen Freimaurerlogen Trois Mortiersat und La Sincérité.85 Nach der Französischen Revolution radikalisierte der adlige érudit sich politisch und orientierte sich zunehmend an royalistischen und mystizistischen Strömungen. Als Staatsmann und Diplomat blieb er dem piemontesischen König, der im Jahr 1798 von den Franzosen ins sardinische Exil verbannt wurde, immer loyal verbunden. De Maistre lebte in Lausanne, Cagliari, Petersburg und schließlich in Turin. Mit seinen publizistischen Aktivitäten trug er zur konservativen Meinungsmobilisierung entscheidend bei. Zwischen 1800 und 1870 erschienen seine politischen Traktate Betrachtungen über Frankreich (1797), Vom Pabst (1819) und Abendstunden (1821) in sieben europäischen Länder mit insgesamt 59 Ausgaben und wurden aus der französischen Originalsprache ins Italienische, Deutsche, Polnische, Spanische und Niederländische übersetzt.86 Ähnlich wie Burke und Haller nutzte auch der savoyische Intellektuelle seine enorme Popularität und inszenierte sich bewusst als der Chefideologe des Konserva-
84 Solaro, Memorandum, S. 312. 85 Vgl. Armenteros, Idea, S. 20–31. 86 Die Erstausgabe von Betrachtungen über Frankreich erschien 1797 in London mit dem Titel Considérations sur la France. Darauf folgten zwölf andere Ausgaben bzw. Neuauflagen: in Paris 1814 und 1821; in Lyon 1822; Neapel 1828; erneut in Lyon 1834; Brüssel 1836 (in: Œuvres, Bd. 7) und wieder in Lyon 1845, 1851, 1852, 1857, 1858 sowie 1870. Vom Pabst erschien zuerst mit dem französischen Originaltitel Du Pape in Paris und Lyon im Jahr 1819. Bis 1870 folgten 29 neue Editionen und Übersetzungen: in Antwerpen 1820 und wieder 1821; in Löwen 1821; Paris 1821; Den Haag 1821; Imola 1822; Neapel 1823; Frankfurt a. M. 1823; Valencia 1824; Madrid 1828; Lyon 1830, 1836, 1844 und 1845; Brüssel 1838 (in: Œuvres, Bde. 3–4); Paris 1841, 1843, 1851 und 1854; Krakau 1853; Barcelona 1856; Lyon 1856, 1862 und 1866; Brüssel 1858; Paris 1860 und 1867; in Turin 1864; Florenz 1872. Mit dem Originaltitel Le soirées de Saint-Pétersbourg wurde die dritte Schrift von De Maistre zunächst ebenfalls in Paris im Jahr 1821 veröffentlicht. Dazu kamen 14 neue Editionen: in Antwerpen 1821; Den Haag 1821; Frankfurt a. M. 1824; wieder in Paris 1822, 1832 (in: Œuvres, Bd. 2) und 1838 (in: Œuvres, Bd. 2); in Lyon 1831, 1836, 1845 und 1870; Brüssel 1837 und 1844; Madrid 1853 und 1855.
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tivismus und das Orakel der Konterrevolution.87 Dementsprechend interessierte sich das Publikum von De Maistre nicht nur für seine politischen Schriften, sondern auch für den Lebensweg und die private Korrespondenz des ehemaligen Diplomaten.88 Nach De Maistres Tod im Jahr 1821 erschienen europaweit fünf neue Editionen seiner Gesamtwerke.89 Der allgemein bekannte Slogan „le contraire de la révolution“ symbolisierte die enorme Relevanz des savoyischen Publizisten im konservativen Diskurs. Im Jahr 1831 übernahm auch das neugegründete Berliner politische Wochenblatt das Schlagwort als Motto.90 Mit seinem erfolgreichen Slogan forderte De Maistre keineswegs nur eine passive Reaktion gegen die Revolution („une révolution contraire“), sondern plädierte genauso wie Haller für eine umfassende konservative Reorganisation: das „Gegenteil der Revolution“ („le contraire de la révolution“).91 Diese sibyllinische Definition bildete ein überzeugendes Orientierungskonzept, das vertraute semantische Bestimmungsmuster vermittelte und nach 1848 weiter die konservative Meinungsmobilisierung inspirierte. Bis in die 1860er Jahre hinein bezogen sich einflussreiche Politiker wie Gerlach, Stahl, Solaro und Brignole immer wieder auf das „Gegenteil der Revolution“, um die beschleunigten politischen Transformationen in Preußen und Piemont zu verarbeiten und gegen die liberalen Reformbestrebungen und die Nationalbewegung zu polemisieren.92
87 Burleigh, Mächte, S. 167–173. Sowohl König Karl Felix als auch der russische Zar Alexander kritisierten „le arie da oracolo“ von Joseph de Maistre. Vgl. Bruno Bongiovanni, La conquista francese. Epilogo di una insurrezione mancata. In: Storia di Torino (Bd. 6). Hrsg. von Umberto Levra, Turin 2000, S. 7–18. Die selbstbewusste Haltung des adligen Diplomaten und des gefeierten politischen Schriftstellers kamen auch in dem von Carl Christian Vogel um 1810 in Sankt Petersburg gemalten Portrait von Joseph de Maistre zum Ausdruck (Carl Christian Vogel, Portrait von Joseph de Maistre, ca. 1810, Musée des Beaux-Arts, Chambéry). 88 Nach dem Tod von Joseph de Maistre erwarb Clemente Solaro della Margarita für seine Privatbibliothek sowohl die Ouevres de M. le comte de Maistre (Lyon 1822) als auch die Lettres et opuscules inédit du comte Joseph de Maistre (Paris 1833) und die Lettres a un Gentilhomme russe sur l’inquisition espagnole (Paris–Lyon 1822). Informationen aus dem Katalog der Privatbibliothek in ASM (Cuneo). In ganz Europa erschienen immer wieder neue Editionen der Lettres inedits (Paris 1851 und 1853, Bruxelles 1851 und St. Petersburg 1858). 89 Die Ouevres erschienen 1822 in Lyon, 1832 und 1838 in Paris sowie 1836 und 1838 in Brüssel. 90 Koselleck, Revolution, S. 757. 91 De Maistre, Considérations, S. 216. Zum Begriff Reaktion vgl. Koselleck, Revolution, S. 758–760. Über die Considérations von Jospeh de Maistre und die Konzeptualisierung von Gegenrevolution vgl. auch Pestel, Kosmopoliten, S. 137–139. 92 Der Slogan (das „Gegenteil der Revolution“) tauchte in Gerlachs parlamentarischen Reden und politischen Pamphleten immer wieder auf. Vgl. Ludwig von Gerlach, Rede am 13.11.1849 (EK Bd. 3, S. 1371); Rede am 4.12.1849 (EK Bd. 4, S. 1523–1525); Rede am 26.1.1852 (EK 2,2, Bd.1, S. 167); Rede am 18.5.1852 (EK 2,2, Bd. 2, 1241) und am 10.3.1853 (ZK 3,1, Bd. 2, S. 619). Ferner Gerlach, Die Selbständigkeit des Preußischen Königthums, Berlin 1862, S. 25; Gerlach, Preußens Kampf gegen die Demokratie, Berlin 1863, S. 35; Gerlach, Preußens Ermannung, Berlin 1865, S. 19. Vgl. auch Stahl, Protestantismus,
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Die europaweit vielgelesenen Publikationen von Haller und De Maistre entwarfen den wirkungsvollen Slogan einer „schöpferischen“ Gegenrevolution, um die liberalen Partizipations- und Legitimationstheorien zu diskreditieren.93 Dabei kam der dramatisierte Revolutionsdiskurs als überspitztes Wahrnehmungs- und Deutungsmuster zur Dämonisierung von heterogenen politischen Rivalen – Jakobinern, Demagogen, aber auch liberalen Intellektuellen oder reformbereiten Adligen – zur Geltung. In Preußen und Piemont war es nach 1814 besonders wichtig, sich von den konstitutionellen Monarchien in Frankreich, Spanien und Süddeutschland zu distanzieren und damit eine überzeugende Erklärung für die ausgebliebenen Verfassungsreformen zu finden. Die semantische und pragmatische Assoziation von liberalen Reformen, Nationalbewegung und Revolution bildete eine leicht verständliche Argumentationsstrategie, die die allgemein bekannten Thesen von Haller und De Maistre widerspiegelte. Der savoyische Intellektuelle attackierte selbst die konservative französische Verfassung von 1814 als das Resultat der „manie absurde des constitutions qui est unes des plus grandes folies du siècle le plus fou“ und unterstützte mit seinen publizistischen Aktivitäten die beispiellose Härte der piemontesischen Restaurationspolitik.94 Mit derselben sarkastischen Sprache lehnte De Maistre auch die italienischen Verfassungs- und Einheitsbestrebungen als „große Tragödie“ und Nebenerscheinung der Französischen Revolution schroff ab.95 Mit dem dritten Band seiner Restauration polemisierte auch Haller vehement gegen die „sogenannte[n] National-Freyheiten“.96 Ebenso deutlich wie Joseph de Maistre assoziierte der Schweizer Jurist die liberalen Reformen und den Nationalismus mit den „revolutionären Prinzipien“.97 Dabei stigmatisierte Haller die „falschen“ liberal-demokratischen Legitimationstheorien und betrachtete die Royalisten als die einzigen legitimen Verfechter der national-patriotischen Traditionen, während die revolutionären „Insurgenten“ keine wahre Verbindung mit der Nation hätten.98 Bereits im Jahr 1801 betonte Haller in seinem Pamphlet Geschichten der Wirkungen und Folgen des Österreichischen Feldzugs in der Schweiz, dass für die „sogenannten
S. 14 und 43. Außerdem Solaro, Memorandum, S. 438; Antonio Brignole-Sale, Considérations sur la question romaine, Genua 1860, S. 32 und Emiliano Avogadro della Motta, Una quistione preliminare al Parlamento di Torino, Turin 1860, S. 6 und 12. 93 Vgl. Joseph de Maistre, Betrachtungen über Frankreich. Über den schöpferischen Urgrund der Staatsverfassungen. Hrsg. von Peter Richard Rohden, Berlin 1924. 94 Albert Blanc (Hrsg.), Correspondance diplomatique de Joseph de Maistre 1811–1817 (Bd. 1), Paris 1860, S. 304. 95 Zit. nach Denis Mack Smith, Il Risorgimento italiano: Storia e testi, Rom 2010, S. 28. Diese Verknüpfung von exaltierter Sprache und pessimistischer Grundhaltung charakterisierte nach 1848 weiterhin die Opposition der preußischen und piemontesischen Konservativen gegen den liberalen Verfassungs- und Nationsdiskurs (siehe Kap. 3.3.). 96 Haller, Restauration (Bd. 3), S. 374. 97 Haller, Restauration (Bd. 2), S. 90. 98 Haller, Restauration (Bd. 4), S. 154.
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Patrioten und Franzosen Freunde“ die Interessen der Nation nichts anderes bedeuteten, als die französischen Zustände servil zu imitieren und sich Frankreich vollständig zu unterwerfen.99 Mit dieser heftigen Kritik gegen die „aufgeklärten Patrioten“ äußerte er seine zunehmende Skepsis gegen den Nationalismus und die liberalen Reformen. Ausgehend von der Assoziation Nation-Revolution konstruierte Haller eine vereinfachte Gut-Böse-Dichotomie zwischen den „wahren Patrioten“, die gegen die Revolution resolut protestierten, und den „sogenannten Patrioten“, die angeblich nur korrupte „Franzosen Freunde“ waren.100 Diese überspitzte Argumentationsstrategie, die polemisch zwischen wahrem und falschem Patriotismus differenzierte, kam auch nach 1848 immer wieder zur Geltung. Die Konservativen traten für den wahren Patriotismus und gegen die falsche Nationalbewegung ein und kompromittierten sich nicht mit dem Vorwurf der Vaterlandlosigkeit.101 In diesem Sinne stellte Haller in seinem viel diskutierten Essay Über die Constitution der Spanischen Cortes fest, dass in ganz Europa die liberalen „Sophisten“ den Namen der Nation „usurpierten“ und missbrauchten.102 Der Autor der Restauration äußerte sich sehr skeptisch gegenüber der Forderung, das französische Nationalstaatsmodell zu exportieren, und polemisierte gegen die Annahme, dass „die Insurgenten die gesamte Nation ausmachen“.103 Damit bekräftigte er seine Meinung, dass in den meisten europäischen Staaten die „Nation, als Communität betrachtet, gar nicht existiert, und nicht eine vereinigte, sondern nur eine zerstreute Menge von Menschen ist“.104 Darüber hinaus machte Haller seine aufklärungsfeindliche und antihegelianische Haltung deutlich, indem er die Grundannahme des „falschen“ Nationalismus attackierte, die den Staat „nach den herrschenden revolutionären Meynungen“ als eine „souveraine Genossenschaft“ und als „Corporation von Bürgern“ beschrieb.105 Einem solchen liberalen Verfassungs- und Nationsdiskurs stand er feindselig gegenüber und kritisierte spöttisch, dass die Pseudophilosophen ihre „falschen Ideen gezwungener Weise in die Geschichte hineintrugen“ und „überall nur Nation-Versammlungen oder souveraine Volks-Corporationen sehen wollten“.106 Hallers Gegenentwurf zum „falschen“ Nationalismus basierte sowohl auf pragmatischen Argumenten als auch auf emphatischen Semantiken und vereinfachten Deutungsmustern. Mit einem breiten Instrumentarium an Emotionen, ideologischen Feindbildern und Erfahrungsdeutun-
99 Carl Ludwig von Haller, Geschichten der Wirkungen und Folgen des Österreichischen Feldzugs in der Schweiz, Weimar 1801, S. 289 und 334. 100 Haller, Geschichten, S. 90, 145, 164 und 270. 101 Siehe Kap. 1.2.2. und 3.3.2. 102 Haller, Über die Constitution der Spanischen Cortes, o.O. 1820, S. VI und 56. 103 Haller, Restauration (Bd. 2), S. 464. 104 Haller, Restauration (Bd. 2), S. 119. 105 Haller, Restauration (Bd. 2), S. 275. 106 Haller, Restauration (Bd. 3), S. 322.
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gen appellierte der konservative Intellektuelle an das „vernünftige Volk“, das von der „Tarantel“ der „falschen Ideen“ noch nicht gestochen wurde.107 Der konservative Diskurs diskreditierte die liberalen Verfassungsbestrebungen und den Nationalismus als falsche Ideen und vermittelte die Suggestion, dass nur eine kleine Minderheit von Anstiftern, Aufwieglern und Demagogen die Revolution und die Nationalbewegung unterstützte. Seit der konservativen Meinungsmobilisierung um 1800 bildete das tendenziöse Argument, dass die Revolution „immer durch Wenige“ und meistens „gegen den eigentlichen Willen der Mehrzahl“ durchgesetzt werde, ein immer wiederkehrendes Deutungsmuster.108 Die Darstellung der Revolution als Verschwörung gegen das Volk wurde zuerst durch die Mémoires pour servir á l’historie du Jacobinisme lanciert. Das mehrbändige Werk des Jesuiten Augustin Barruel erschien 1798 in London und stieß in ganz Europa auf eine enorme Resonanz. Die zentrale These Barruels lautete, dass internationale Sekten wie Freimauer, Illuminati und Jakobiner die Revolution vorbereitet und realisiert hatten. Diese Verschwörungstheorie zirkulierte als Erklärungsmuster für die Revolution auch in anderen erfolgreichen Publikationen wie Proofs of a conspiracy against all the religions and governments of Europe, carried on in secret meetings of free masons, illuminati and reading societies von John Robinson (1797).109 In Preußen und Piemont tauchte diese Argumentationsstrategie in unzähligen normativen, publizistischen und privaten Dokumenten auf und schien die allgegenwärtige These von den demagogischen Umtrieben zu untermauern.110 Aus konservativer Sicht bildete die Suggestion einer „frevelhaften Rotte im Dienste der finsteren Mächte“, die gegen den Willen des Volkes intrigierte, eine plausible Erklärung für die revolutionären Erschütterungen.111 Auch in Turin versuchten die konservativen Eliten im Jahr 1848 die liberalen Reformbestrebungen als Propaganda ausländischer Agenten zu diskreditieren.112 Dieses vereinfachte Deutungsmuster bezog sich auf alte Stereotypen und latente Feindbilder, die die konservative Publizistik nach 1848 weiter gegen die liberalen Reformen und die Nationalbewegung politisch instrumentalisierte. Die Demagogen, die „mit dämonischer Gewalt“ die revolutionären Ideen verbreiteten, wurden sowohl in Preußen als auch in Piemont als Provokateure, Kri-
107 Carl Ludwig von Haller, Was sind Unterthanen-Verhältnisse?, o. O. 1814, S. 13. 108 Karl Wilhelm von Canitz und Dallwitz, Die Contrasignatur der Proklamation vom 18. März 1848, S. 12. 109 Vgl. Ulrich Mücke, Gegen Aufklärung und Revolution. Die Entstehung konservativen Denkens in der iberischen Welt 1770–1840, Köln 2008. 110 Vgl. Note der preußischen Regierung an die bayerische Regierung (11.6.1832). In: Quellen zur Ära Metternich, S. 181. Vgl. auch Heinrich Abeken, Ein schlichtes Leben in bewegter Zeit, Berlin 1904, S. 144–149. 111 Vgl. Hermann von Schmettau, Friedrich Wilhelm IV., Berlin 1861, S. 109. 112 Vgl. Lo Statuto Albertino illustrato dai Lavori preparatori. Hrsg. von Luigi Ciaurro, Rom 1996, S. 163 und 199.
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minelle, Freimaurer, Juden und Protestanten bzw. Ultramontane diffamiert.113 Diese Argumentationslogik war für konservative Minister, Publizisten, Diplomaten und Offiziere, aber auch für einfache Soldaten, Beamten und Arbeiter besonders attraktiv, weil sie die zunehmende kulturelle Desorientierung und die existenzielle Bedrohung der Revolution in einer vertrauten und beruhigenden Sinnkonstruktion verortete.114 Der konservative Revolutionsdiskurs wirkte auf einer hoch emotionalisierten und ideologisierten Ebene besonders plausibel und politikmächtig, weil damit bereits existierende Feind- und Fremdbilder reaktiviert wurden. Die religiös-theologischen Semantiken und Deutungsmuster, die das apokalyptische Symbol des Teufels gegen die Revolution instrumentalisierten, wirkten noch stärker und nachhaltiger als das antifranzösische Ressentiment und die judenfeindlichen, antikatholischen oder protestantismus-feindlichen Stereotypen. In ihren politischen Schriften kombinierten Haller und De Maistre eine skandalisierende Darstellung und eine kognitive Verarbeitung der Revolution mit der Suggestion des Teufelswerks. Mit dem Pamphlet Betrachtungen über Frankreich rechtfertigte Joseph de Maistre bereits im Jahr 1796 seine grundsätzliche Ablehnung der revolutionären Ideen mit dem Topos des Teufelswerks. Neben ideologischen Konzepten und komplexen Politikentwürfen diente ihm für seine gegenrevolutionäre Polemik auch ein affektiver und moralischer Apell, der die satanische Prägung der Revolution hervorhob.115 Mit der Behauptung, dass „in der französischen Revolution etwas Teuflisches“ lag, untermauerte De Maistre seine Thesen mit einem emotionalen Argument.116 Auch Haller belegte in seinem langen Essay Satan und die Revolution, der im Jahr 1834 erschien und wenige Monate nach seiner Erstveröffentlichung in Luzern ins Italienische übersetzt wurde, die Revolution mit dem Symbol des Teufels.117 Damit spitzte der konservative Publizist seine ideologische Kritik gegen den bösen und verführerischen Charakter der Revolution dramatisch zu. Ausgehend von religiös-theologischen Paradigmen entwarf Haller eine systematische Argumentationsstrategie für die triviale Assoziation Teufel-Revolution:
113 Vgl. Schmettau, Friedrich Wilhelm IV., S. 109. 114 Vgl. Canitz, Contrasignatur, S. 12. Ferner Ottavio Thaon di Revel an Vincenzo Ricci am 28.3.1848 (MRG Cart. 16. n. 1914). Auch Friedrich Wilhelm von Redern, der einflussreichste Kulturpolitiker in Berlin um 1850, betrachtete die Revolution als „eine fremde Waare, importiert nach Preußen.“ Vgl. Friedrich Wilhelm von Redern, Unter drei Königen. Lebenserinnerungen eines preußischen Oberstkammerers und Generalintendanten. Hrsg. von Georg Horn, Köln 2003, S. 280. Das Feindbild des „ausländischen Gesindel[s]“ charakterisierte auch die semantische und argumentative Praxis der Befehle und Bekanntmachungen der preußischen Armee in den Revolutionsjahren 1848/49. Vgl. Sabrina Müller, Soldaten in der deutschen Revolution von 1848/49, Paderborn 1999, S. 312. 115 Vgl. Burleigh, Mächte, S. 172. 116 De Maistre, Betrachtungen, S. 61 und 101. 117 Vgl. Carl Ludwig von Haller, Satanasso e la Rivoluzione, Modena 1835.
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Die Verfasser der heiligen Schrift legten dem Satan oder dem Geist des Bösen solche Eigenschaften und Merkmale bei, die mit denjenigen der Revolution oder des heutigen Zeitgeistes eine ganz auffallende, äußerst merkwürdige Ähnlichkeit haben […]. Die Revolution, wie der Satan, verkleidet sich auch in einen Engel des Lichts und der Gerechtigkeit; sie spricht viel von Aufklärung und von Recht, obgleich sie alle gründliche Wissenschaft hasset, aus Finsternis Licht und aus Licht Finsternis macht […]. Sie sucht, gleich dem Satan, durch den Schein des Guten zu verführen, mischt das tödliche Gift in süßen Wein […]. Stets packt sie ihre bezeichneten Schlachtopfer bei denjenigen Dingen an, zu welchen sie am meisten Neigung haben.118
Diese apokalyptische, aber politisch reflektierte Auffassung der revolutionären Verführung als eine direkt vom „Geist des Bösen“ inspirierte und durchgesetzte Idee popularisierte mit einer vereinfachten Suggestion die zentralen Wahrnehmungs- und Orientierungsmuster der konservativen Meinungsmobilisierung. Das Symbol des Teufels bezog sich auf den akuten politischen Erklärungs- und Orientierungsbedarf der nachrevolutionären Gesellschaft und postulierte die Inkompatibilität der Revolution mit den bestehenden religiös-kirchlichen Traditionen. In seinem Katechismus über die Revolutionen sanktionierte auch Monaldo Leopardi die „incompatibilità della Religione nostra santissima colle rivoluzioni“.119 Um diese vehemente Ablehnung zu rechtfertigen, assoziierte der konservative Intellektuelle die Ideen der Revolution mit expressiven biblischen Symbolen wie Teufel, Schlange, Gift und Verführung.120 Außerdem eruierte Leopardis Katechismus in der realistischen Form eines Erfahrungsberichts die vermeintlichen Folgen einer neuen revolutionären Erschütterung. Der Autor bezog sich auf die biblische Apokalypse und beschrieb die Revolution als „universelle Bedrohung“ für die Familie, den Besitz und die Religion.121 Nach 1848 stand diese moralisch-religiös konnotierte und mit einer theatralischen Sprache geführte Polemik gegen die Revolution wieder im Zentrum des konservativen Diskurses. Sie generierte eine wichtige Deutungs- und Argumentationsstrategie, die auch die Nationalbewegung und die liberalen Reformen diskreditierte. Vor allem nach dem Untergang der neoguelfischen Ideen von Vincenzo Gioberti im Jahr 1849 war es für die piemontesischen Konservativen möglich, die Inkompatibilität der nationalen Einheitsbestrebungen mit den religiös-kirchlichen Traditionen zu demonstrieren. Im diesem Zusammenhang wurden die Begriffe liberal und katholisch dichotomisiert und der liberale Katholizismus „im Zuge der Polarisierung ebenso marginalisiert wie sein Beitrag zum Risorgimento.“122 Der historische Roman
118 Carl Ludwig von Haller, Satan und die Revolution, Luzern 1834, S. 3. 119 Leopardi, Catechismo, S. 5. 120 Leopardi, Catechismo, S. 9, 14 und 26. 121 „Un timore universale sulla propria vita, sulla famiglia, sui beni, sulla Religione […] in cui si sarebbe costretti a temere dalla mattina alla sera, d’ogni parole che si lasci sfuggire, d’ogni gesto inconsiderato, d’ogni aspetto meno conforme alla rivoluzione.“ Leopardi, Catechismo, S. 10. 122 Manuel Borutta, Antikatholizismus: Deutschland und Italien im Zeitalter der europäischen Kulturkämpfe, Göttingen 2010, S. 129.
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von Antonio Bresciani L’ebreo di Verona rekonstruierte die Geschichte der Revolutionsjahre 1848/49 und instrumentalisierte die weitverbreitete Suggestion der Revolution als Teufelswerk gegen die liberalen Verfassungs- und nationalen Einheitsbestrebungen. Um 1860 wurde L’ebreo di Verona in sechs europäische Sprachen übersetzt und erlebte allein in Turin sieben Neuauflagen.123 Mit diesem Bestseller erreichte die Radikalisierung des konservativen Revolutionsdiskurses einen weiteren Höhepunkt. Bresciani beschrieb die Räume und die Rituale, die die Entstehung und Verbreitung der revolutionären Ideen angeblich begünstigten, mit satanischen, juden- und hexenfeindlichen Stereotypen: Um diesen Altar tanzten jede Nacht zwölf schamlose Dirnen und brachten, zu Priesterinnen geweiht, ihr schaudervolles Opfer da. […] Diese Dirnen gingen des Morgens scheinbar voll Andacht und Frömmigkeit an den Tisch des unbefleckten Lammes und, nachdem sie die Allerheiligste Hostie in ihren schmutzigen Mund empfangen, hielten sie das Taschentuch vor das Gesicht und spieen dieselbe wieder aus, um sie nachts darauf in die fluchwürdige Versammlung mitzunehmen.124
Diese skurrile Polemik gegen die Römische Republik von 1849 war besonders tendenziös, weil die provisorische Regierung zwar „die weltliche Herrschaft des Papstes für beendet erklärte, gleichzeitig aber den Katholizismus zur Staatsreligion“ proklamierte.125 Jedoch rechtfertigte Brescianis fanatische Narration die konservative Reaktion gegenüber den liberalen Reformbestrebungen und der Nationalbewegung, indem sie die Gut-Böse-Dichotomie als vereinfachtes Erklärungsmuster nutzte und damit eine Interpretation für die zunehmende Pluralität und die wachsende Dramatik der politischen Konstellation anbot. Um 1800 trugen auch in Preußen zahlreiche protestantische Theologen und Publizisten zur politischen Funktionalisierung religiös-theologischer Suggestionen und Orientierungskonzepte bei. Mit einem langen Vortrag für den Evangelischen Verein in Berlin im März 1853 postulierte Friedrich Julius Stahl die Inkompatibilität von Revolution und Protestantismus. Gegen die rekurrierenden Vorwürfe gegen die Reformation als das „vollkommene Ebenbild und der Vorläufer der politischen Revolution unserer Tage“ erwiderte Stahl empört, dass er gerade als „evangelischer Christ“ die Revolution resolut bekämpfe.126 Der konservative Jurist betrachtete den biblischen Lehrsatz „seyd gehorsam der Obrigkeit“ als überkonfessionelle Grundlage für „das
123 Ausführlich zu Antonio Bresciani siehe Kap. 2.1.3. 124 Antonio Bresciani, Der Jude von Verona (Bd. 1), Schaffhausen 1863, S. 110. 125 Burleigh, Mächte, S. 248. Zur Römischen Republik vgl. Giuseppe Monsagrati, Roma senza Papa. La Repubblica Romana del 1849, Rom–Bari 2014. 126 Stahl, Protestantismus, S. 2. Nach seiner Konversion zum Katholizismus vertrat auch Haller die These, dass „die Revolution des sechszehnten Jahrhunderts, welche wir Reformation nennen, in ihrem Prinzip, ihren Mitteln und Resultaten, das vollkommene Ebenbild und der Vorläufer der politischen Revolution unserer Tage ist; und meine Abscheu gegen diese letztere machte mir jene zum
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göttliche Recht der Fürsten“ und damit als „das gemeinsame christliche Panier gegen die Revolution“.127 Für Stahl und andere konservative Intellektuelle wie den Historiker Heinrich Leo und den Philosophen Friedrich Ancillon bedeutete der „Dämon der Revolution“ den „grundsätzlichen Umsturz aller Autorität“ und war insofern „so wenig ein Werk des Katholizismus als des Protestantismus“, sondern „nur das Werk des Abfalls von dem Christenthum, des Unglaubens“.128 Ausgehend von christlich-legitimistischen Ordnungsideen und mit einem apokalyptischen Grundton generierte der Revolutionsdiskurs ein nachhaltiges Orientierungs- und Argumentationsmuster, das seit der konservativen Meinungsmobilisierung um 1800 immer wieder transnational und über die konfessionellen Grenzen hinweg zirkulierte. Die Assoziation Nation-Revolution bildete ein plausibles Rechtfertigungsnarrativ, um nach 1814 die politische Sprache der gegenrevolutionären Publizistik und die Ordnungsideen der wichtigsten konservativen Intellektuellen zu emotionalisieren.129 Bis in die 1850er Jahre hinein assoziierten die preußischen und piemontesischen Konservativen mit dem Revolutionsbegriff undifferenziert auch die „verführerische“ Propaganda der Nationalbewegung. Ludwig von Gerlach verglich die nationalen Einheitsbestrebungen mit einer Schlange oder mit dem verbotenen Apfel, und der preußische General Gustav von Griesheim evozierte wieder die Gut-BöseDichotomie, indem er zwischen „König von Gottes Gnade“ und „Rothe Republik von Teufels Gnade“ unterschied.130 Obwohl sie sich von der gegenrevolutionären Sprache von Bresciani und Haller distanzierten, verurteilten reformbereite piemontesische Intellektuelle wie Silvio Pellico und Cesare Balbo ebenfalls die liberalen Verfassungsbestrebungen und die Nationalbewegung, falls diese Ideen die Religion und die soziale Ordnung bedrohten. In einflussreichen Publikationen wie Le mie prigioni und Le speranze d’Italia vertraten Pellico und Balbo eine christlich-paternalistische Wertorientierung. Wenngleich sie dem aufklärungsfreundlichen und patriotischen Reformenthusiasmus grundsätzlich nicht abgeneigt waren, spielte die vereinfachte Dichotomie Revolution-Religion auch
Ekel.“ Vgl. Haller, Sendschreiben, S. 13. Noch deutlicher formulierte Haller diese These in: Geschichte der kirchlichen Revolution oder protestantischen Reform des Kantons Bern, Luzern 1836. 127 Stahl, Protestantismus, S. 14. 128 Stahl, Protestantismus, S. 28. Vgl. auch Heinrich Leo, Thomas Münzer, Berlin 1856, S. 4. In seinen Publikationen postulierte der Erzieher von Friedrich Wilhelm IV., Friedrich Ancillon, ähnlich wie Haller und De Maistre einen Gegenentwurf zum „Dämon der Revolution“. Vgl. Friedrich Ancillon, Ueber Souveränität und Staats-Verfassungen, Berlin 1816, S. 76–78; Ancillon, Ueber die Staatswissenschaft, Berlin 1820, S. XXXI und Ancillon, Zur Vermittlung der Extreme in den Meinungen (Bd. 1), Berlin 1828, S. 213–246. 129 Vgl. Friedrich von Gentz an Klemens von Metternich am 1.4.1819. In: Quellen zur Ära Metternich, S. 73. 130 Ludwig Gerlach, Die Freiheits-Tendenzen, Berlin 1866, S. 3 und 38 sowie Gustav von Greisheim, Gegen Demokraten helfen nur Soldaten, Berlin 1848, S. 3.
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für diese reformbereiten Konservativen eine wesentliche Rolle. Nach einer zehnjährigen Kerkerstrafe wegen „demagogischer Umtriebe“ in der österreichischen Festung Spielberg kehrte Pellico nach Turin zurück. Um 1830 revidierte er aufgrund seiner „vollständigen Identifikation mit den Prinzipien des Evangeliums“ seine früheren liberalen Ideen und selbst seine Nationalbegeisterung.131 Le mie prigioni thematisierte Pellicos christlich-konservative Grundhaltung und wurde im literarischen Kanon des Risorgimento stark idealisiert.132 Die Memoiren seines heroischen Überlebenskampfs in der berüchtigten Festung Spielberg gewannen eine ungeheuere Popularität. Dabei polemisierte Pellico explizit gegen die Reformbestrebungen und gegen die Vaterlandsliebe, die die bestehende Ordnung und den katholischen Glauben destabilisierten: Fra i motivi che mi facevano condannare le ultime rivoluzioni compiute o tentate, certamente è necessario annoverare la mia piena adesione ai principi dell’Evangelo, il quale non permette siffatte imprese della violenza. […] Convinto che i lumi non debbano diffondersi se non con mezzi legittimi e giusti, mai coll’abbattere un potere costituito […]. Dal punto in cui cessarono i miei dubbi intorno alla religione, e credei fermamente alla verità della fede cattolica, non potei più ammettere che l’amor di patria possa derivare altronde le sue aspirazioni che dal Cristianesimo.133
Der konservative Revolutionsdiskurs generierte eine politikmächtige Deutungs- und Argumentationsstrategie, die die piemontesischen Ultrakatholiken und die preußischen Pietisten, aber auch reformbereite und pragmatische Konservative über die nationalen und konfessionellen Grenzen hinweg reproduzierten. Zahlreiche Politiker und Publizisten griffen den Revolutionsbegriff immer wieder auf, um gegen die liberalen Reformen und die Nationalbewegung zu polemisieren und mit der vereinfachten Gut-Böse-Opposition die umfassenden Transformationen der nachrevolutionären Übergangsgesellschaft einzuordnen. Hinter der aggressiven Sprache der konservativen Publizistik steckte oft die zunehmende politische Verunsicherung und der kulturelle Orientierungsbedarf nach den schweren revolutionären Erschütterungen und der damit verknüpften Dynamisierung der Politikdiskurse. In diesem Sinne beschrieb auch der einflussreiche Theologe Gioacchino Ventura die moderne Gesellschaft mit der allgemein bekannten Metapher des Gottesgerichts und interpretierte die politischen Divergenzen zwischen Konservativen und Liberalen als „due grandi popoli che formano, come già al principio del mondo, la città di Dio e la città delle tenebre.“134 Die engen Verflechtungen von religiösen und politischen
131 Silvio Pellico, Le mie prigioni (Erstausg. 1832), Mailand 1998, S. 277. 132 Zur Bedeutung christlicher Symbolik und Semantik in Pellicos und Manzonis Werken vgl. Banti, Nazione, S. 121–135. 133 Pellico, Prigioni, S. 277–278. 134 Gioacchino Ventura, Della disposizione attuale degli spiriti in Europa rispetto alla religione. In: Giornale ecclesiastico 3 (1825). Über die breite Resonanz der Publikationen von Ventura vgl. Stella, Cultura, S. 504.
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Ordnungsideen, die die Konservativen in Anlehnung an die Thesen von Augustinus’ monumentalem Hauptwerk De civitate Dei formulierten, bildeten nach 1848 weiter eine wichtige emotionale und intellektuelle Voraussetzung für die „missionarische“ Beharrung der Fundamentalopposition gegen liberale Reformen und nationale Einheitsbestrebungen.135 Ausgehend von der Gut-Böse-Dichotomie entwarfen die Konservativen eine mit dem liberalen Verfassungs- und Nationsdiskurs konkurrierende politische Mythologie, die massenbewegende Emotionen, traditionelle Wertorientierungen und latente Feindbilder reaktivierte. Parallel zur Gut-Böse-Polarität versuchten die konservativen Eliten in Preußen und Sardinien-Piemont, „demagogische“ Konzepte wie Nation, Einheit oder Unabhängigkeit von den öffentlichen Diskussionen systematisch auszuschließen. Das konnte bis 1847 und teilweise noch in den 1850er Jahren effektiv durchgesetzt werden.136 Genauso wie die überwiegende Mehrheit der preußischen und piemontesischen Konservativen sprachen sich Ludwig von Gerlach und Clemente Solaro della Margarita vor 1848 nur sporadisch gegen die diffusen nationalen Einheitsbestrebungen aus. Erst seit der Märzrevolution nahmen sie die deutsche und italienische Nationalbewegung als ernsthafte Bedrohung wahr. Um eine starke Argumentationsstrategie gegen das zunehmend intensiv diskutierte Nationalstaatsmodell zu finden, aktualisierten Gerlach und Solaro die altvertrauten Semantiken und die leicht verständlichen Paradigmen des konservativen Revolutionsdiskurses. Seit 1848 assoziierten sie in unzähligen parlamentarischen Reden und publizistischen Aktivitäten, Briefen und privaten Aufzeichnungen die Begriffe Nation und Revolution.137 Die schroffe Ablehnung der nationalen Einigung als Rebellion und Aufruhr erwies sich als eine attraktive Deutungsoption, um im Kontext beschleunigter politischer Veränderungen und kultureller Verunsicherung schnell zu reagieren und eine resolute Position zu vertreten. Die Assoziation Nation-Revolution wurde meistens oberflächlich thematisiert. Sie kam nur selten als reflektierte Beweisführung zur Geltung und wirkte vielmehr als ein semantisches Bestimmungsmuster mit einer instrumentalen Funktion gegen die liberale Nationalbewegung.138 Indem er den Revolutionsbegriff immer wieder evozierte, fand Gerlach ein emphatisches Schlagwort, um gegen den „Apparat des
135 Siehe auch Kap. 2.1.2 und 3.3.2. 136 Diese Strategie kam auch in vermeintlich nationalen Arenen wie den Jahrestagungen der italienischen Wissenschaftler oder dem Deutschen Bund zur Geltung. Siehe Kap. 2.1. 137 Als erzkonservativer Publizist und Abgeordneter formulierte Solaro immer wieder die negative Assoziation zwischen „idea dell’unità italiana“ und Revolution. Vgl. Clemente Solaro della Margarita, Rede am 14.1.1856 (APS Discussioni, Sessione del 1855/56, 5. Leg., Bd. 3, S. 382) und am 13.4.1858 (APS Discussioni, Sessione del 1857/58, 6. Leg., Bd. 4, S. 1163). 138 Im Januar 1856 stellte Solaro in seinem Tagebuch fest, dass er die nationalen Einheitsbestrebungen als Synonym der Revolution instrumental definiert hatte, um die piemontesische Nationalstaatspolitik zu diskreditieren. Vgl. Carlo Lovera, Clemente Solaro della Margarita (Bd. 1), Turin 1931, S. 386.
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Völkerfrühlings“ zu polemisieren.139 Damit diskreditierte der konservative Politiker „dreifarbige Cocarden, Urwahlen, Kopfzahl, Bürgerwehr“ sowie die „Turnerei“ und die „Schützenfeste“ der deutschen Nationalbewegung.140 Gerlach und zahlreiche preußische Konservative wie der junge Abgeordnete Otto von Bismarck bezogen sich auf die Assoziation Nation-Revolution und attackierten mit einer sarkastischen Sprache die „drei Farben“ als das „Symbol des Umsturzes“.141 Um 1850 etablierte sich diese Argumentationsstrategie als eine obsessive Deutungs- und Wahrnehmungskategorie, die Gerlach allein zwischen Juli 1848 und April 1851 in 19 seiner monatlichen Leitartikel für die Kreuzzeitung reproduzierte.142 In den 1850er Jahren versuchte auch Solaro mit seinen publizistischen und parlamentarischen Aktivitäten lautstark zu demonstrieren, dass der „Italianismus“ nur ein bequemer Vorwand war, um revolutionäre und antiklerikale Ideen durchzusetzen.143 Der ehemalige Außenminister Piemonts insistierte immer wieder auf der Assoziation Nation-Revolution, um seinen radikalen Protest gegen die piemontesische Verfassungs- und Nationalstaatspolitik zu untermauern.144 Mit dem Discorso alla nazione von 1856 attackierte Solaro die „trügerische, revolutionäre, schimärische Theorie der italienischen Einheit“ und bezeichnete ironisch die regierenden Moderati als „Oberpriester der Revolution“.145 Der erzkonservative Politiker bezog sich auch auf die „abscheulichen Attentate“ von europaweit agierenden Freiheitskämpfern wie Giuseppe Mazzini und Felice Orsini, um die Suggestion einer engen Verknüpfung von Revolution und Risorgimento zugespitzt zu kommunizieren.146
139 Ludwig von Gerlach, Die Selbständigkeit des Preußischen Königthums, Berlin 1862, S. 7. 140 Gerlach, Selbständigkeit, S. 17 und 24. 141 Ludwig von Gerlach, Fünf Quartalrundschauen, Berlin 1856, S. 3. Vgl. auch Engelberg, Bismarck, S. 343. 142 In den Jahren 1848–1850 argumentierte Gerlach in mehr als der Hälfte seiner Rundschauartikel (RS) in der Kreuzzeitung mit der Assoziation Nation-Revolution und den damit verknüpften antifranzösischen Feindbildern. Vgl. RS Juli 1848, S. 4; RS August 1848, S. 14; RS September 1848, S. 25; RS Oktober 1848, S. 48; RS Februar 1849, S. 107; RS März 1849, S. 138; RS April 1849, S. 156 und RS Mai 1849, S. 176. In: Ludwig von Gerlach, Die politischen Rundschauen, Berlin 1849. Außerdem RS Juli 1849, S. 4; RS September 1849, S. 67; RS April 1849, S. 152 und RS Mai 1850, S. 174. In: Gerlach, Rundschauen, Berlin 1850. Schließlich RS Juli 1850, S. 15; RS August 1850, S. 34; RS Oktober 1850, S. 83; RS November 1850, S. 92; RS Januar 1851, S. 166; RS März 1851, S. 173 und RS April 1851, S. 205. In: Gerlach, Rundschauen, Berlin 1851. 143 Vgl. Clemente Solaro della Margarita, Questioni di stato, Turin 1854, S. 17–22, 30 und 104. Grundlegend zur zunehmenden Relevanz antiklerikaler Diskurse in Europa in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Lisa Dittrich, Antiklerikalismus in Europa. Öffentlichkeit und Säkularisierung in Frankreich, Spanien und Deutschland (1848–1914), Göttingen 2014. 144 Vgl. Solaro, Memorandum, S. 171, 205 und 560. Ferner Solaro, Appendice al memorandum storico-politico, Turin 1852, S. 4. 145 Clemente Solaro della Margarita, Discorso alla nazione, Turin 1856, S. 14 und 32. 146 Vgl. Clemente Solaro della Margarita an Antonio Brignole Sale am 1.7.1857 und am 19.2.1858 (ABS Serie corrispondenza alfabetico S. Inv. 38; nr. 6509 und 6513).
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Die Assoziation Nation-Revolution bildete ein „Archiv der Imaginationen“, das die konservative Opposition gegen die italienische Revolution perpetuierte.147 Bis in die 1860er Jahre hinein thematisierte das einflussreiche Netzwerk von reaktionären Adligen, konservativen Publizisten und Theologen um Clemente Solaro della Margarita die politische Skepsis gegen die italienische Einigung.148 Die piemontesischen Konservativen waren besonders enttäuscht, weil zusammen mit den regierenden Moderati auch die alten Eliten die italienische Revolution teilweise unterstützten. Am Vorabend der italienischen Nationalstaatsgründung brachten unzählige Briefe diese Empörung gegen „un partie de notre noblesse“, die die alten Traditionen angeblich vergaß und sich „au contact des révolutionnaires“ kompromittierte, zum Ausdruck.149 Das weitverbreitete Wahrnehmungs- und Argumentationsmuster Nation-Revolution generierte eine nachhaltige Deutungsoption, mit der die modernen Politikdiskurse vereinfacht und emotional aufgeladen werden konnten.150 Um 1850 führte die radikale Zuspitzung christlich-legitimistischer Semantiken und Ordnungsideen zu einer dramatischen Polarisierung zwischen konservativen und liberalen Visionen. Jedoch leitete die pejorative Assoziation des Revolutionsbegriffs mit den liberalen Reformbestrebungen und der Nationalbewegung auch pragmatische Anpassungsleistungen ein. In Zeiten umfassender Transformationen ermöglichten die Assoziation Nation-Revolution die missionarische Selbstverortung, die ideologische Rekonfigurierung und die Popularisierung der konservativen Politikdiskurse. In der Hagiographie von Friedrich Wilhelm von Redern beschrieb der preußische Hofberichterstatter Georg Horn, wie es „in dem unklaren Ineinanderströmen von politischer und sozialer Revolution“ besonders „schwer für den einzelnen [war],
147 Zum Begriff Archiv der Imaginationen vgl. Schlögl, Glaube, S. 451. 148 Dazu gehörten erzkonservative Adlige wie Vittorio Emanuele di Camburzano, Leone Costa di Beauregard, Edoardo Crotti und Antonio Brignole-Sale, aber auch zahlreiche katholische Bischöfe, Theologen und Publizisten. Ausführlich darüber siehe Kap. 2.1.3. 149 Vittorio di Camburzano an Clemente Solaro della Margarita am 7.4.1860. In: Lovera, Solaro (Bd. 3), S. 346. Bis in die 1860er Jahre hinein schrieb und empfing Solaro zahlreiche andere Briefe, die ebenso deutlich gegen die italienische Nationalstaatsgründung protestierten. Vgl. Solaro an Antonio Brignole-Sale am 17.6.1852 (ABS Serie corrispondenza alfabetico S. Inv. 38 nr. 6482); Solaro an Charles de Montalembert am 21.4.1852. In: Giuseppe Gallavresi, Lettere dirette al conte di Montalembert dai suoi corrispondenti piemontesi, Turin 1909, S. 7; Solaro an Antonio Coppi am 7.9.1852 (MCR: F. 064.7.26.1). Ferner Luigi Taparelli d’Azeglio an Clemente Solaro della Margarita am 7.1.1854, am 4.3.1855, am 26.3.1856 und 20.10.1856. In: Carteggi del padre Luigi Taparelli d’Azeglio della Compagnia di Gesù. Hrsg. von Pietro Pirri, Turin 1932, S. 410, 508, 604 und 622. Vgl. auch Antonio Brignole Sale an Solaro am 16.5.1854. In: Lovera, Solaro (Bd. 1), S. 369; Antonio Bresciani an Solaro am 11.2.1854. In: Epistolario completo del Padre Antonio Bresciani (Bd. 2), Mailand 1882, S. 80; Leone di Beauregard an Solaro am 27.10.1854. In: Lovera, Solaro (Bd. 1), S. 280; Solaro an Lorenzo Ghiglini am 9.10.1857. In: Italo Scovazzi, Voci del Risorgimento da Albisola Capo. In: Atti della Società savonese di storia patria XXXIV (1962), S. 78–117, hier S. 97 und Giacomo Margotti an Antonio Brignole Sale am 14.10.1859 (ABS, Serie corrispondenza M21, busta A21, nr. 3620). 150 Vgl. Leonhard, Revolutionen, S. 175.
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die richtige Stellung zu nehmen“.151 Im Rückblick betrachtete Horn die teleologisch konnotierte Mission Preußens, sich an die „Spitze der deutschen Idee“ zu stellen, als die richtige Entscheidung.152 Obwohl bereits um 1850 viele Konservative wie Redern und Radowitz in Preußen oder Balbo in Piemont die nationale Einheit als vorbestimmte Entwicklung und alternativlose Machterhaltungsstrategie betrachteten, bildete die pejorative Assoziation zwischen Nation und Revolution ein bewährtes Erklärungsmuster, um die nationalen Einheitsbestrebungen zurückzuweisen. Als Redern im Februar 1848 eine Denkschrift an Friedrich Wilhelm IV. adressierte, um ihn zu überzeugen, die „deutsche Idee“ politisch zu unterstützen, reagierte der preußische König darauf mit Unverständnis. Ausgehend von der Assoziation NationRevolution benutzte Friedrich Wilhelm IV. in seiner negativen Antwort altvertraute Semantiken und christlich-legitimistische Orientierungskonzepte aus dem konservativen Revolutionsdiskurs: „Nach Ihrem Vorschlag müßte ich der Revolution durch eine Revolution vorbeugen. Usurpation ist die gefährlichste Revolution, weil sie dem errungenen Unrecht oft Beistand gibt. Ihr warmes Gefühl täuscht Sie über die von Ihnen gewünschte Gestalt von Deutschland.“153 Friedrich Wilhelm IV. benutzte dieselbe Argumentationsstrategie, die auch die politischen Schriften von Haller und De Maistre formulierten. Im April 1849 bezog sich der preußische König wieder auf die Assoziation Nation-Revolution, um die Ablehnung der in der „revolutionären Saat“ entstandenen deutschen Kaiserkrone zu rechtfertigen.154 Die Monarchen und ihre Entouragen, unterstützt von prominenten Intellektuellen und von der boomenden antirevolutionären Publizistik, reproduzierten die Ungleichzeitigkeit der Revolutionserfahrung und entwarfen damit eine politische Pathosformel, um die liberalen Verfassungs- und Nationalstaatsbestrebungen in eine systemstabilisierende Richtung zu lenken.155
151 Redern, Lebenserinnerungen, S. 289. 152 Redern, Lebenserinnerungen, S. 285. 153 Friedrich Wilhelm IV. an Wilhelm Friedrich von Redern am 23.2.1848. In: Haenchen, Revolutionsbriefe, S. 23. Vgl. auch Redern, Lebenserinnerungen, S. 287. 154 Vgl. Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte (Bd. 1). Hrsg. von Ernst Rudolf Huber, Stuttgart 1978, S. 327. 155 Der Begriff Pathosformel wurde von dem Kulturwissenschaftler Aby Warburg entworfen und bezieht sich auf die Traditionspermanenz ästhetischer, soziokultureller und mentaler Elemente. Vgl. Wolfgang Braungart, Irgendwie dazwischen. Authentizität, Medialität, Ästhetizität: ein kurzer Kommentar. In: Sprachen des Politischen. Medien und Medialität in der Geschichte. Hrsg. von Wolfgang Braungart u. Ute Frevert, Göttingen 2004, S. 356–368.
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1.1.2 „ Schmutzige Trikolor“. Die Emotionalisierung und Popularisierung konservativer Argumentationsfiguren gegen Nation und Revolution Die Revolutionsparanoia prägte nachhaltig die konservativen Politikdiskurse und die daraus entstehende Wirklichkeitswahrnehmung. Die antirevolutionäre Meinungsmobilisierung generierte „kurzlebige semantische Neuerungen“, aber auch „basale Definitionen und Argumentationsfiguren“ wie die Assoziation zwischen Nation und Revolution.156 Seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert gewannen die Emotionalisierung und Popularisierung politischer Ideen und Argumentationsfiguren kontinuierlich an Bedeutung. Der permanente Revolutionsdiskurs aktualisierte latente Feindbilder, altvertraute Symbole und Ordnungsprinzipien. Die moderne Sprache des konservativen Revolutionsdiskurses erreichte ein breites Publikum und entwarf ein attraktives Gegenbild zu den liberalen Legitimationstheorien. Bereits um 1800 übernahmen national-patriotische Kollektivsymbole und Orientierungsmuster eine emanzipatorische und eine konservative Funktion.157 Einerseits transportierten die deutsche und die italienische Trikolore die innovativen Ideale von liberté, égalité, fraternité.158 Anderseits wurden sie im konservativen Diskurs als antifranzösische und antiliberale Allegorien erfolgreich instrumentalisiert und symbolisierten die pejorative Assoziation von Nation und Revolution. Die revolutionäre Provenienz der Trikolore signalisierte die Verknüpfung von Nationalbewegung, Freiheitsidealen und Fortschrittshoffnungen. Während die deutschen und die italienischen Liberalen die Assoziation Nation-Revolution positiv konnotierten, diskreditierten die Konservativen die drei nationalen Farben als den eindeutigen Beweis für die engen Verflechtungen zwischen patriotischen Einheitsbestrebungen und demagogischen Umtrieben. Als König Friedrich Wilhelm IV. am 21. März 1848 ein umstrittenes Dekret unterzeichnete, das die „deutsche Kokarde“ als nationales Symbol deklarierte, reagierten die preußischen Konservativen darauf mit großer Bestürzung.159 Vor allem in Berlin und in den Kernprovinzen des Hohenzollernstaats blieb die schwarz-rot-goldene Trikolore mit der dramatisierten Erfahrung der antinapoleonischen Kriege untrennbar verknüpft. Die deutsche Nationalbegeisterung rief eine konservative Rückbesinnung
156 Steinmetz, Wege, S. 10. 157 Vgl. Bettina Brandt, Germania und ihre Söhne. Repräsentationen von Nation, Geschlecht und Politik in der Moderne, Göttingen 2010, S. 69. 158 Ausführlich zur Karriere der geschichtlichen Grundbegriffe liberté, égalité, fraternité, die „mit den Idealen und Ereignissen der 1848er Bewegung“ ihren Höhepunkt erreichte, vgl. Claudia Fraas, Karrieren geschichtlicher Grundbegriffen: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. In: Revolution 1848/49. Ereignis – Rekonstruktion – Diskurs. Hrsg. von Gudrun Loster-Schneider, St. Ingbert 1999, S. 13–39. 159 Friedrich Wilhelm IV., Die Anlegung der deutschen Kokarde (21.3.1848). In: Reden, Proklamationen, Botschaften, Erlasse und Ordres Sr. Majestät des Königs Friedrich Wilhelm IV., Berlin 1851, S. 13.
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auf den „schwarz-weißen“ Patriotismus hervor.160 Die meisten preußischen Offiziere, Beamten und Grundbesitzer protestierten energisch gegen die Anlegung der deutschen Kokarde. Sie betrachteten die schwarz-rot-goldene Fahne als Parteidemonstration für die Revolution.161 Der konservative Preußenverein kooperierte mit der neugegründeten Kreuzzeitung und rekrutierte in den größeren Städten zahlreiche ungelernte Arbeiter, um die liberale Opposition einzuschüchtern.162 Dafür wurden königstreue und pro-preußische Gefühle instrumentalisiert. Hermann Wagener kommentierte begeistert die patriotische Initiative der Danziger Hafenarbeiter, die die umstrittenen schwarz-rot-goldenen Farben nur neben dem preußischen Schwarz-Weiß trugen und damit „dem grassierenden deutschen Schwindel ein unüberwindliches Veto entgegenstellten“.163 Als die preußischen Truppen am 23. April 1848 Berlin von der Revolution endgültig „befreiten“, betonte auch der evangelische Theologe Heinrich Abeken sarkastisch: „Nun kann man sich der schwarz-roth-goldenen Kokarde freuen, nachdem ihr Gold Feuer, ihr Roth Blut geworden ist“.164 Um 1850 bildete die deutsche Kokarde ein konservatives Antisymbol, das alte Erfahrungsdeutungen und Feindbilder reaktivierte. Sie bezog sich auf die Ungleichzeitigkeit der Französischen Revolution, der napoleonischen „Fremdherrschaft“ und der demagogischen Umtriebe, um die liberalen Reform- und Nationalstaatsbestrebungen zu diskreditieren. Mit seinem langen Artikel im Neuen Conversations-Lexikon über das Konzept „Revolution“ erklärte Wagener, dass der konservative Revolutionsbegriff auf der diskursiv-intellektuellen Verarbeitung und politischen Funktionalisierung der Erfahrungen von 1789–1814 und 1848 basierte.165 Ausgehend von der Assoziation Nation-Revolution charakterisierte eine „leidenschaftliche Gallophobie“ sowohl die antirevolutionäre Meinungsmobilisierung um 1800 als auch die konservative Medienoffensive gegen Verfassung und Nationalbewegung nach 1848.166 Die antifranzösischen Stereotypen des permanenten Revolutionsdiskurses und der Mythos der sogenannten Befreiungskriege führten dazu, dass bis in die 1870er Jahre hinein die
160 Ausführlich über monarchischen Patriotismus in Preußen: Kap. 2.2. 161 Vgl. Wagener, Erlebtes (Bd. 1), S. 48. 162 Vgl. Price, Kampf, S. 48 und 59. 163 Wagener, Erlebtes (Bd. 1), S. 32. 164 Abeken, Leben, S. 154. 165 Vgl. Hermann Wagener, Revolution. In: Neues Conversations-Lexikon (Bd. 17), Berlin 1864, S. 125–136. Im 19. Jahrhundert wurde der Begriff Revolution auch von unpolitischen, liberalen oder demokratisch inspirierten Lexika durchgehend behandelt. Dabei gewann die „geschichtlichpolitische Begriffsbildung eindeutig den Vorrang gegenüber den weiterhin registrierten Bedeutungen im astronomischen, geologischen, wissenschaftlich-technischen oder religiösen Wortfeld“. Nach der Revolution von 1848 wurde der Revolutionsbegriff in den Lexikonartikeln zunehmend historisiert. Seine „gesellschafts- und verfassungspolitischen Gehalte“ wurden allmählich durch „nationalistische Sinnvorgaben zurückgedrängt“. Vgl. Koselleck, Revolution, S. 775–778. 166 Zum Begriff leidenschaftliche Gallophobie vgl. Hans-Ulrich Wehler, Einleitung. In: Ludwig August von Rochau, Grundsätze der Realpolitik, Frankfurt a. M. 1972, S. 7–21, hier S. 16.
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Bedrohung der „immerwährenden Hegemoniebestrebungen Frankreichs“ die konservativen Politikdiskurse prägte.167 Die Gallophobie wurde mit der Rheinkrise von 1840, nach der Revolution von 1848 und dem Staatsstreich von Napoleon III. im Jahr 1851, nach der französischen Intervention in Norditalien 1859 und vor allem während des deutsch-französischen Kriegs von 1870/71 reaktiviert. Im 19. Jahrhundert vertraten die deutschen Historiker unterschiedliche Meinungen über die vermeintlichen Feinde der Nation. Damit blieb äußerst umstritten, ob der deutsche „Nationalhass“ gegen Frankreich oder gegen Russland gerichtet war und ob er im Mittelalter oder erst um 1800 entstanden war.168 Der revolutionsfeindliche Franzosenhass kam zwar mit sehr unterschiedlichen Intensitäten und Akzentuierungen zum Ausdruck, jedoch war er „weder ein spezifisch deutsches Phänomen, noch sonderlich neu“.169 Dabei leisteten das antifranzösische Ressentiment und die paranoide Revolutionsangst der Konservativen einen wichtigen Beitrag, um die wachsende Komplexität europaweit vernetzter Politikdiskurse zu verarbeiten. Während in Preußen die Gallophobie ein politisches Orientierungsmuster auch für die nationalliberale Publizistik und die reformbereiten Eliten generierte, wurden in Piemont die antifranzösischen und gegenrevolutionären Feindbilder von konservativen Politikern und Intellektuellen weitgehend monopolisiert.170 Die satirischen Gedichte und die skandalisierenden Pamphlete des adligen Literaten Vittorio Alfieri spielten eine entscheidende Rolle, um die konservativen Grundideen von Burke, Haller und De Maistre zu emotionalisieren und popularisieren. Am Ende des Ancien Régime war Alfieri ein europaweit gefeierter Dichter und Dramatiker. Das starke gegenrevolutionäre Engagement des prominenten piemontesischen Schriftstellers demonstrierte, wie die konservative Rückbesinnung auf christlich-
167 Gramley, Propheten, S. 77. Über die zentrale Bedeutung von Feindbegriffen für die deutsche und die französische Nationsbildung vgl. Michael Jeismann, Das Vaterland der Feinde. Studien zum nationalen Feindbegriff und Selbstverständnis in Deutschland und Frankreich 1792–1918, Stuttgart 1992. Zur Rezeption und politischen Funktionalisierung Frankreichs in der deutschen Revolution von 1848 vgl. Ulrike Ruttmann, Wunschbild – Schreckbild – Trugbild. Rezeption und Instrumentalisierung Frankreichs in der deutschen Revolution von 1848/49, Stuttgart 2001. 168 Vgl. Niklas Lenhard-Schramm, Konstrukteure der Nation. Geschichtsprofessoren als politische Akteure in Vormärz und Revolution 1848/49, Münster 2014, S. 317. 169 Burleigh, Mächte, S. 209. 170 Der „französische Weg“ wurde in Preußen sowohl von den Ultrakonservativen als auch von den reformbereiten Eliten in doppelter Weise abgelehnt: „zum einen dessen vorrevolutionärer Absolutismus, wie auch die durch die Französische Revolution geschaffenen neuen Gesellschaftsverhältnisse – um so mehr, als die Revolution durch die vom französischen Absolutismus geschaffenen sozialen Friktionen überhaupt verursacht schien.“ Vgl. Heinickel, Adelsreformideen, S. 654. Zur zunehmend kritischen Haltung der deutschen Liberalen gegen die Französische Revolution vgl. Christian Jansen, Das Bild der Französischen Revolution im deutschen Liberalismus der 1850er und 1860er Jahre. In: Frankreich 1848–1870. Die Französische Revolution in der Erinnerungskultur des Zweiten Kaiserreiches. Hrsg. von Gudrun Gersmann u. Hubertus Kohle, Stuttgart 1998, S. 175–187.
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ständische, paternalistische und dynastische Paradigmen sowie das antifranzösische Ressentiment eine zentrale Deutungsoption gegen die liberalen Reform- und Partizipationsbestrebungen bildete. Viele konservative Publizisten und Intellektuelle trieben die narrative Bewältigung der Revolution und die damit verknüpften traditionellen Wertorientierungen mit einer modernen Sprache und einer vereinfachten ideologischen Selbstverortung weiter voran.171 Vittorio Alfieri wurde im Jahr 1749 in der piemontesischen Stadt Asti geboren. Er stammte aus einer alten und reichen Adelsfamilie, distanzierte sich jedoch schnell von der provinziellen und bigotten „guten Gesellschaft“ seiner Heimatstadt, die weitgehend von Jesuiten, erzkonservativen Beamten und Garnisonsoffizieren geprägt war.172 Seit seinem achtzehnten Geburtstag besuchte Alfieri auf seinen ständigen Reisen die europäischen Residenzstädte und agierte in einem kosmopolitischen, eleganten und gebildeten Netzwerk. Er war kulturell aufgeschlossen, blieb dennoch politisch eher konservativ eingestellt. Die viel gelesene Autobiographie von Alfieri spiegelte die typische Selbstinszenierung eines europäischen Intellektuellen zwischen Klassizismus, Aufklärung und Romantik wider. Mit diesem idealisierten Memoirenwerk beschrieb der adlige Schriftsteller sein Leben in einer theatralischen Vorstellungs- und Gedankenverbindung mit der literarischen Darstellung der Protagonisten seiner klassischen Tragödien.173 Die Revolution von 1789 erschütterte die intellektuelle, finanzielle und soziale Existenz des adligen Literaten zutiefst. Nach der Hinrichtung des französischen Monarchen, der mit dem bürgerlichen Namen Louis Capet degradiert wurde, und endgültig seit dem ersten napoleonischen Italienfeldzug im Jahr 1796 vollzog Alfieri eine radikale Umorientierung. In seinen neuen Publikationen, die um 1800 fast ausschließlich politischen Themen gewidmet waren, dominierte ein aggressiver konterrevolutionärer Grundton, der die weltmännischen und aufklärungsfreundlichen Ideale des piemontesischen Intellektuellen marginalisierte. Alfieri rekonfigurierte auch die sprachliche und semantische Form seiner vielgelesenen Texte. Ein polemischer und populärer Schreibstil verdrängte die formale, arkadische und klassische Sprache seiner früheren literarischen Werke. Dementsprechend aktualisierte Alfieri auch seine Selbstbeschreibungs- und Inszenierungsstrategie. Der hoch gebildete und affektierte Grandseigneur verwandelte sich in einen empörten und streitlustigen politischen Helden der konservativen Reaktion. Um 1800 vollzog sich dieser Verarbeitungsprozess auch in der Wahrnehmung von Lady Cornelia Knight und Luise zu Stolberg-Gedern Gräfin von Albany. Die zwei Damen, die mit Alfieri eng befreundet waren, bewunderten diesen nach wie vor, jedoch äußerten sie nicht mehr nur
171 Vgl. Burleigh, Mächte, S. 153–155. 172 Vgl. Mario Fubini, Vittorio Alfieri. In: DBI (1978). http://www.treccani.it/enciclopedia/vittorioalfieri_(Dizionario_Biografico) (13.09.2015). 173 Vgl. Vittorio Alfieri, Vita di Vittorio Alfieri scritta da esso (1804), Florenz 1822.
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ihre Begeisterung für den berühmten Literaten und adligen Grandseigneur, sondern lobten vielmehr den politischen Protagonisten der Konterrevolution.174 Zunächst zeigte sich Alfieris radikale Politisierung in seinen siebzehn antirevolutionären Satire, die er zwischen 1786 und 1797 verfasste. Damit brachte der piemontesische Adlige die christlich-konservativen und legitimistischen Ordnungsprinzipien von Haller und De Maistre in einer emphatischen Sprache und mit vereinfachten Antisymbolen zum Ausdruck. Die Satire bezogen sich auf die zentralen Deutungs- und Argumentationsmuster, die der konservative Diskurs gegen den permanenten Revolutionsbegriff immer wieder reaktivierte. L’Antireligioneria betrachtete die Religion als messianisches Orientierungskonzept gegen die revolutionären Ideen.175 La filantropineria und Le imposture polemisierten gegen die Aufklärung und die Freimaurerei, die als Ursachen der Revolution stigmatisiert wurden.176 Mit I duelli appellierte Alfieri an die aristokratischen Ehren- und Loyalitätsvorstellungen, während die Satire La sesquiplebe die liberalen Ideale von „Freiheit und Gleichheit“ explizit verurteilte.177 Die Satire stilisierten einen leicht verständlichen gegenrevolutionären Verhaltens- und Wertekanon. Damit popularisierte Alfieri die traditionellen Ideale und Ordnungsmuster der vorrevolutionären Elitediskurse. Nach dem Beginn des zweiten Koalitionskriegs gewannen in Frühjahr 1799 die russisch-österreichischen Truppen kurzfristig wieder die Oberhand über die von Frankreich annektierten piemontesischen Gebiete. Der Zusammenbruch der französischen Herrschaft in Norditalien ermutigte Alfieri, seine aufklärungsfeindliche und schroff antirevolutionäre Polemik weiter zu verschärfen. Mit dem fiktiven Erscheinungsort London veröffentlichte er in Lucca das aufsehenerregende Pamphlet Il Misogallo. Der aus griechischen und lateinischen Begriffen gebildete Titel „Frankreich-Feind“ verknüpfte die klassisch-elitäre Tradition mit einer populär-sarkastischen Sprache. Der Misogallo wurde bereits von Zeitgenossen und nachhaltig über die Zäsuren von 1814 und 1848 hinweg als ein politisch-ideologisches Manifest aristokratischer und antifranzösischer Revolutionsverachtung intensiv diskutiert. Alfieri beschrieb Frankreich als Allegorie und konkrete Ursache der dramatischen Destabilisierung der europäischen Ordnung. Um die Resonanz der aufklärungsfreundlichen und revolutionären Ideen zu blockieren, plädierte der prominente Schriftsteller für die drastische Einschränkung der politischen und kulturellen Hegemonie des westlichen Nachbarn. Mit diesem radikal antifranzösischen Programm rezipierte Misogallo die zentralen Thesen von Edmund Burkes politischer Schrift Reflections on the French Revolution,
174 Vgl. Cornelia Knight, Autobiography, London 1861, S. 77–80 und 150. 175 Vittorio Alfieri, Opere (Bd. 4), Turin 1903. S. 65. 176 Alfieri, Opere, S. 97 und 107. 177 Alfieri, Opere, S. 55 und 91.
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die wenige Monate nach ihrer Erstveröffentlichung im November 1790 in die meisten europäischen Sprachen übersetzt wurde.178 Ähnlich wie die Satire emotionalisierte und popularisierte auch Misogallo ein breites Spektrum an konservativen Wertorientierungen und Ordnungsprinzipien. Alfieris Publikation enthielt 46 Sonette, 63 Epigramme und fünf Essays, die vehement gegen die liberale Pseudo-Freiheit, die Pseudo-Philosophen der Aufklärung sowie gegen die revolutionäre Verführung und die jakobinische Terrorherrschaft polemisierten.179 Trotz seines oberflächlichen und repetitiven Inhalts erlangte Misogallo aufgrund der innovativen Sprache und des trivial-poetischen Stils von Alfieri große Popularität. Die vereinfachte Argumentationslogik, die symbolische Qualität und die abwechslungsreiche Darstellungsform, die Alfieri in seinem unkonventionellen satirischen Almanach benutzte, erreichten ein breites Publikum in ganz Europa. Mit seiner legitimistischen und gegen Murat gerichteten Orazione agli Italiani in occasione della liberazione del Piceno von 1815 bezog sich der junge Giacomo Leopardi auf die antifranzösischen Topoi von Misogallo.180 Alfieri erweckte auch das Interesse von wenig gebildeten und nicht politisch engagierten Rezipientengruppen, die die komplexen Abhandlungen von Burke, Haller und De Maistre nicht bewältigen konnten. Damit kommunizierte er die konservativen Grundideen dieser Politikphilosophen einem breiteren und heterogenen Leserkreis. Knapp sieben Jahre nach seiner Erstveröffentlichung zirkulierten in Italien bereits sechs verschiedene Ausgaben von Misogallo und bis 1851 kamen noch zehn neue Editionen dazu. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden europaweit 16 Ausgaben und insgesamt über 25 neue Auflagen von Alfieris satirischen Gedichten veröffentlicht.181 In seinem Vorwort für die Misogallo-Edition von 1806 formulierte der prominente Autor explizit seine Ambition, eine breite konservative Opposition gegen die Revolutionsideen und die französische „Fremdherrschaft“ zu organisieren.
178 Zu Alfieris Rezeption von Reflections on the French Revolution vgl. Vittorio Masiello, Ragioni e senso di un libello controrivoluzionario. In: Vittorio Alfieri e la cultura piemontese fra illuminismo e rivoluzione. Hrsg. von Giovanna Ioli, San Salvatore Monferrato 1985, S. 257–273. 179 Alfieri, Opere, S. 173 („Verführung“), S. 128, 144 und 170 („Pseudo-Freiheit“), S. 161, 104 und 149 (Thema Gewalt–Ungerechtigkeit) sowie S. 123 und 209 (antifranzösischer Lokalpatriotismus). 180 Die Orazione wurde als ein patriotisches Werk des italienischen Risorgimento retrospektiv umgedeutet. Vgl. Saverio Ieva, Amor di patria e misogallismo nel giovane Leopardi. In: Italies. Revue d’études italiennes 6 (2002), S. 233–259. 181 Verschiedene Editionen von Misogallo erschienen im Jahr 1799 in Lucca sowie in Florenz (mit fiktivem Erscheinungsort London). In der toskanischen Stadt wurde das Pamphlet innerhalb weniger Monate vier Mal neu aufgelegt (Il Misogallo, Prose, e rime di Vittorio Alfieri da Asti, 4. Aufl., London [Florenz] 1799). Außerdem erschien Misogallo in Pisa 1806 sowie 1814 und 1819 (in: Opere di Vittorio Alfieri). Weitere Editionen kamen 1831 in Florenz, 1849 in Rom und Genua sowie 1851 in Turin heraus. Auf Französisch wurde das Pamphlet unter dem Titel Le Misogallo en prose et en vers. Traduit de l’Italien. Accompagné d’un discours préliminaire et de notes explicatives et raisonnées par S. M. Jaquin in Genf 1823 veröffentlicht.
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Alfieri verwies demonstrativ auf die europaweite Resonanz seiner Schrift und ermutigte seine Leser, das Pamphlet weiter zu verbreiten.182 Ausmaß und Nachhaltigkeit dieses publizistischen Erfolgs leisteten einen entscheidenden Beitrag, um den konservativen Diskurs mit Antisymbolen und populären Semantiken weiterzuentwickeln. Alfieris skandalisierende Polemik gegen die Französische Revolution gipfelte in einer Tier-Allegorie, einer Illustration, die mehrere Editionen von Misogallo symbolisch einleitete.183 Alfieri entwarf die ursprüngliche Version dieser Illustration und beauftragte später den prominenten Historienmaler François Xavier Fabre, die erste Skizze der Karikatur zu überarbeiten.184 Die dargestellten Tiere reproduzierten klassische, heraldische und volkstümliche Traditionen. Alfieri instrumentalisierte diese Antisymbole, um die politischen, ideologischen und militärischen Konflikte in Europa pointiert zu rekonstruieren. Im Zentrum der Tier-Darstellung steht eine Gruppe von grausam gegeneinander kämpfenden Hähnen, die eindeutig das französische Volk symbolisierten. Die Vögel zerreißen sich gegenseitig in einer entsetzlichen und sinnlosen Auseinandersetzung, die die Französische Revolution plastisch stilisiert. Der Kampf der tobenden Hähne, die ihre friedliebenden Nachbarn (die europäischen Monarchien) bedrohen, wird von einer Eule aufmerksam verfolgt. Das Tier sitzt auf dem (Revolutions-)Baum und bildet die Allegorie des Teufels oder des Todesengels. Mit einer langen Trompete verkündet dieser die verführerische Revolutionspropaganda und evoziert apokalyptische Suggestionen. Zur Darstellung gehört auch eine Gruppe von rückwärtsgewandten Hasen, die die zurückhaltende Politik der europäischen Mächte metaphorisch an den Pranger stellt. Schließlich symbolisiert ein majestätischer Löwe die legitime und stolze monarchisch-aristokratische Tradition und entwirft ein positives Gegenbild zu den teuflischen Tieren. Mit diesen Allegorien kamen die Schlagwörter Verführung, Gewalt und Pseudo-Freiheit, die in Alfieris Satiren, Sonetten und Essays immer wieder hervorgehoben wurden, überdeutlich zum Ausdruck. Seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert und nach der umfassenden pro- und gegenrevolutionären Meinungsmobilisierung um 1800 bildeten skandalisierende Texte und Karikaturen wirksame „Waffen zur tatsächlichen oder vermeintlichen Entlarvung des politischen Gegners“.185 Die zunehmend verbreiteten publizistischen und karikaturistischen Übertreibungen sollten „mit der persönlichen Integrität des Oppo-
182 Vgl. Vittorio Alfieri, Il Misogallo, London [Florenz] 1806, S. XI. 183 Vgl. Alfieri, Misogallo, S. I und XII; Alfieri, Opere (Bd. 17), S. IV. 184 Vgl. Clemente Mazzotta, L’Europa imbestiata, il Rame misogallico. In: Vittorio Alfieri e la cultura piemontese fra illuminismo e rivoluzione. Hrsg. von Giovanna Ioli, Turin 1985, S. 503–513. François Xavier Fabre (1766–1837) war ein Vertreter des Klassizismus und malte vor allem Historienbilder, Landschaften und Porträts. Vgl. Reclams Künstlerlexikon, Stuttgart 2002, S. 215. 185 Wolfgang Cilleßen, Revolutionsbildenthüllungsjournalismus. Niederländische Verwandlungsgraphiken von der Patriotenzeit bis zum Napoleonischen Kaiserreich. In: Medienereignisse im 18. und 19. Jahrhundert. Hrsg. von Christine Vogel, München, S. 33–54, hier S. 34.
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nenten dessen politische Überzeugungen diskreditieren und lächerlich machen, sie sollten seine gesellschaftliche Stellung unterhöhlen und kriminalisieren“.186 Publizisten und Karikaturisten bedienten sich biblischer und mythologischer Topoi sowie „antiker Fabeln und Tiervergleiche, physiognomischer Verzerrungen und verballhornter Namen, historischer Fiktionen und anstößiger, bisweilen erotischer und skatologischer Szenen“.187 Genauso wie die politischen Schriften von Burke, De Maistre und Haller benutzte auch Misogallo die weitverbreitete Argumentationsstrategie, die der Revolutionsbegriff als das zentrale konservative Orientierungsmuster gegen die liberalen Politikentwürfe instrumentalisierte. Um 1800 inspirierten Alfieris Tier-Allegorie und seine überhöhte Sprache zahlreiche Flugblätter, Pamphlete und satirische Bilderbögen, die ähnlich wie Misogallo mit grotesken Darstellungen den teuflischen und verführerischen Charakter der Revolution von 1789 stigmatisierten. Gegen die „Prinzipien der Französischen Revolution“ symbolisierten deformierte und besessene Menschen, böse Geister, der Hydrakopf, die Ziege, die Schlange, die Eule und weitere monströse Vögel die immer wieder rekurrierende Assoziation von Revolution und Teufel.188 Auch Solaro della Margarita verwendete in einem Pamphlet von 1814 bildhafte antifranzösische Begriffe wie „alito pestilenziale“ und „mostro coronato“.189 Nach 1848 bezogen sich viele konservative Publizisten weiter auf diese zugespitzte narrative Verarbeitung der Revolution. Damit versuchten die Konservativen, die aktuelle Herausforderung des liberalen Verfassungs- und Nationsdiskurses vereinfacht einzuordnen und dagegen mit latenten Feindbildern und massenkommunikativen Emotionen zu polemisieren.190 Nördlich und südlich der Alpen galt Frankreich als „verfassungs- und gesellschaftspolitisches Leitbild“, aber auch als Träger der revolutionären Ideen.191 Ausgehend von der konservativen Meinungsmobilisierung um 1800 wurden auch in Preußen und Deutschland über die konfessionellen Grenzen hinweg satanische und apokalyptische Suggestionen gegen die Französische Revolution, die napoleonische Herrschaft und die demagogischen Umtriebe immer wieder instrumentalisiert. Der Teufel als eklatantes Symbol für die Dämonisierung der liberalen Reformbemühun-
186 Cilleßen, Revolutionsbildenthüllungsjournalismus, S. 33. 187 Cilleßen, Revolutionsbildenthüllungsjournalismus, S. 34. 188 Vgl. Contro i principi della rivoluzione francese, 1799 (MNRT coll. RO343549-1); Contro la nuova costituzione, 1799 (MNRT coll. RO343549-19.). 189 Clemente Solaro della Margarita, Il giorno della liberazione del Piemonte, Turin 1814, S. 6 und 10. 190 Vgl. Solaro, Memorandum, S. 193; Margotti, Memorie, S. 107 und 174. Außerdem wurde Alfieri immer wieder von mehreren anonymen Pamphletisten zitiert, die in Piemont gegen die regierenden Moderati protestierten. Vgl. Anonym, La causa del Santo Martire e Arcivescovo Tommaso di Cantuaria del secolo XII rinnovata nel secolo XIX nella persona dell’Arcivescovo Fransoni di Torino, Codogno 1850, S. 39; Anonym, Storia dei ladri nel regno d’Italia, Turin 1869, S. 7. 191 Ruttmann, Wunschbild, S. 177.
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gen emotionalisierte die konservativen Politikdiskurse und tauchte in ganz Europa in unzähligen antirevolutionären Liedern, Pamphleten, Radierungen und Karikaturen gegen den Tyrannen Napoleon auf.192 In den Niederlanden zirkulierten sogar kolorierte und ausgeschnittene Radierungen, die den „corsicaansche duivel“ und verschiedene Kleidungen darstellten, mit denen die Erscheinung des Teufels Napoleon beliebig ausgestaltet werden konnte.193 Eine lähmende Furcht vor dem Empereur ergriff auch die meisten europäischen Monarchen und ihre Entouragen. Sie wurden in eine langhaltende Katastrophenstimmung versetzt.194 Zwei Jahrzehnte nach dem Tod des französischen „Höllenkaisers“ diskreditierte der preußische König Friedrich Wilhelm IV. mit einer übersteigerten Sprache Napoleon als „Satan“ und „Fürst der Finsternis“.195 Die theologisch und moralisch konnotierte Gut-Böse-Opposition, die die Dämonisierung der Französischen Revolution und der vermeintlichen napoleonischen Fremdherrschaft einleitete, generierte eine starke Ausgangsbasis, um nach 1814 die konservative Polemik gegen die demagogischen Umtriebe fortzusetzen. Die ideologischen Feindbilder und Suggestionen „versus französische Alterität“ wirkten in Preußen noch politikmächtiger als in Piemont, weil sie die Tradition der gegenrevolutionären Meinungsmobilisierung mit dem dynastisch-patriotischen Wiedergeburtsnarrativ von 1806 und 1813 kombinierten.196 Die Gallophobie und die damit verknüpften konservativen Wahrnehmungs- und Argumentationsmuster basierten auf stereotypierten Zuschreibungen, die seit dem 18. Jahrhundert in unzähligen literarischen Texten, Hagiographien, Völkertafeln, Lexikonartikeln, Illustrationen und „patriotischen Massenwaren“ kanonisiert wurden.197 Indem sie sich um 1800 an der politischen Mobilisierung ihrer Zeitgenossen beteiligten, trugen auch prominente Intellektuelle wie Schelling, Fichte, Görres, Schlegel und Kleist dazu bei, die „Einheit der deutschen Nation in Hass gegen Frankreich“ zu imaginieren.198 Seit 1789 blieben im konservativen Diskurs die leidenschaftliche Gallophobie und die permanente Revolutionsangst untrennbar verbunden.199 Mit der Julirevolution von 1830, mit der Rheinkrise um 1840 und vor allem nach der Revolution
192 Vgl. Erich Pelzer, Die Wiedergeburt Deutschlands. 1813 und die Dämonisierung Napoleons. In: „Gott mit uns“. Nation, Religion und Gewalt im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Hrsg. von Gerd Krumeich u. Hartmut Lehmann, Göttingen 2000, S. 135–156. 193 Vgl. Cilleßen, Revolutionsbildenthüllungsjournalismus (Abb. IV). 194 Vgl. Siemann, Metternich, S. 242. 195 Barclay, Conservatives, S. 67. 196 Pelzer, Wiedergeburt, S. 141. 197 Planert, Mythos, S. 478. Ferner Karen Hagemann, „Mannlicher Muth und Teutsche Ehre“. Nation, Militär und Geschlecht zur Zeit der Antinapoleonischen Kriege Preußens, Paderborn 2002, S. 245– 254. Siehe auch Kap. 2.2.1. 198 Planert, Mythos, S. 482. 199 Vgl. Donnert, Publizistik, S. 46.
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von 1848 wurden antifranzösische und gegenrevolutionäre Feindbilder reaktiviert, um die politischen Stabilisierungsbemühungen der Konservativen zu untermauern. Die weitverbreitete Suggestion der politischen Verführung und der Expansionsbestrebungen, die die Geschichte des revolutionären Nachbarn angeblich charakterisierten, beeinflusste bis in die 1860er Jahre hinein auch die konservative Opposition gegen die liberalen Verfassungsbemühungen und die nationalen Einheitsbestrebungen. Aufgrund ihrer ideologischen, semantischen und emotionalen Nähe zu den antifranzösischen und gegenrevolutionären Feindbildern der preußischen Konservativen evozierte die deutsche Nationalbewegung bei diesen eine anhaltende ideologische Skepsis und apokalyptische Erwartungshorizonte. Die Durchsetzung der liberal-konstitutionellen Reformen sowie die Verschärfung sozialer, konfessioneller, kirchen- und machtpolitischer Konflikte, aber vor allem die Wiederbelebung der französischen Hegemonialbestrebungen schürten solche Ängste. Die dramatisierte Erfahrungsdeutung der napoleonischen Herrschaft und die weitverbreiteten Antisymbole zur Dämonisierung der Französischen Revolution entwarfen ein vielfältig einsetzbares Rechtfertigungsnarrativ, um sowohl die irrationalen Untergangsszenarien als auch die pragmatischen Umorientierungen und Machtverschiebungen der konservativen Netzwerke zu verarbeiten. Um 1850 argumentierte der preußische Spitzenbeamte Marcus Niebuhr mit denselben Semantiken und Argumentationsfiguren, die Haller, De Maistre und Alfieri gegen die Französische Revolution lanciert hatten. Dabei instrumentalisierte Niebuhr die altvertrauten Paradigmen des konservativen Revolutionsdiskurses gegen die neuen Identitäts- und Legitimationstheorien des liberalen Verfassungs- und Nationsdiskurses. Mit einer dramatischen Sprache warnte er vor dem „Sieg der entfesselten Kräfte der Hölle“ und prognostizierte den Untergang Deutschlands, das „zur Beute der Jakobiner und der Franzosen“ werde.200 Um dieses düstere Szenario zu verhindern, forderte Niebuhr die preußische Regierung dringend auf, die nationalen Einheitsbestrebungen nicht länger zu unterstützen und gemeinsam mit Österreich die „Revolution im Innern und den Erbfeind jenseits des Rheins nach außen“ zu bekämpfen.201 In den 1850er Jahren blieb für Marcus Niebuhr und Leopold von Gerlach, die engsten politischen Berater von König Friedrich Wilhelm IV., die pejorative Assoziation zwischen gegenrevolutionären Motiven, antifranzösischen Stereotypen und deutscher Nationalbewegung nach wie vor plausibel und attraktiv.202 Mit seinen Leitartikeln für die Kreuzzeitung vermittelte Ludwig von Gerlach diese Argumentationsstrategie einer
200 Marcus Niebuhr an Peter von Meyendorff am 21.11.1850. In: Peter von Meyendorff. Ein russischer Diplomat an den Höfen von Berlin und Wien. Politischer Briefwechsel (Bd. 2). Hrsg. von Otto Hoetzsch, Berlin 1923, S. 338. 201 Meyendorff, Briefwechsel, S. 339. 202 Zum phasenweise sehr starken Einfluss von Marcus Niebuhr und Leopold von Gerlach auf König Friedrich Wilhelm IV. vgl. PPS (Bd. 4,1), S. 38.
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zunehmend breiten politischen Öffentlichkeit. Noch im Jahr 1866 assoziierte er die deutsche Nationalbewegung mit antifranzösischen und gegenrevolutionären Feindbildern und appellierte vergeblich an Bismarck, „Hand in Hand mit Oesterreich, den Kampf gegen die Revolution wieder aufzunehmen“.203 Im Gegensatz zu Gerlach und Niebuhr, die den modernen Nationalismus als revolutionäre Nebenerscheinung dämonisierten, diskutierten Joseph Maria von Radowitz und andere reformbereite Konservative seit den 1840er Jahren über eine mögliche Anpassung zwischen traditionellen Machterhaltungsstrategien und deutscher Nationalbewegung. Sie plädierten für eine pragmatische Neubewertung der Assoziation Nation-Revolution, die insofern nicht mehr nur negative oder skandalisierende Argumentationsstrategien untermauerte, sondern auch eine produktive und ergebnisoffene Zusammenarbeit mit dem nationalliberalen Einheitsideal postulierte. Radowitz stellte nie in Frage, dass die deutsche Nationalbewegung mit den Revolutionen von 1789 und 1848 politisch und ideologisch eng verbunden war. Ausgehend von dieser weitverbreiteten Vorstellung, instrumentalisierte der preußische Diplomat jedoch die Assoziation Nation-Revolution nicht nur als polemisches Orientierungsund Wahrnehmungsmuster gegen den modernen Nationalismus. Radowitz lancierte einen pragmatischen konservativen Politikentwurf, der zwischen „wahrhaft nationalen Bedürfnisse[n]“ und „allen unter diesem Vorwande eindringenden revolutionären Plänen“ differenzierte, um die „relativ bessere Partei [...] von der Demokratie abzuziehen“.204 Die Idee einer „Zergliederung“ von wahren und falschen nationalen Einheitsbestrebungen reproduzierte zwar die Assoziation Nation-Revolution als konservative Gut-Böse-Dichotomie, entwickelte dieses traditionelle Paradigma jedoch in einer innovativen politischen Richtung weiter.205 Zunächst als preußischer Bundesgesandter in Frankfurt am Main und seit 1848 als Abgeordneter in der deutschen Nationalversammlung und Wortführer der konservativen Fraktion Milani gewann Radowitz die feste Überzeugung, dass die Nationalität die „gewaltigste Kraft der Gegenwart“ war.206 Dabei warnte er vor dieser „gefährlichsten Waffe“, die aufgrund der unversöhnlichen Haltung der Konservativen „in den Händen der Feinde der rechtlichen Ordnung“ blieb.207 In der krisenhaften Übergangsphase zwischen 1847 und 1850 wurden die innovativen Ideen von Radowitz, die mit dem Pamphlet Deutschland und Friedrich Wilhelm IV. deutlich zum Ausdruck kamen, in der Öffentlichkeit, aber vor allem in konservativen Beamten-, Diplomaten-
203 Ludwig von Gerlach, Oesterreichs Wortbruch. In: NPZ 119 (26.05.1866). 204 Joseph Maria von Radowitz an Friedrich Wilhelm IV. am 10.3.1848. In: Radowitz, Briefe, S. 18. Vgl. auch Radowitz an seine Frau am 25.5.1848. In: Radowitz, Briefe, S. 52. 205 Vgl. Joseph Maria von Radowitz, Denkschrift inbetreff der Politik Preußens in der deutschen Frage (1849). In: Radowitz, Schriften, S. 127–128. 206 Joseph Maria von Radowitz, Denkschrift über die von Deutschen Bunde zu ergreifenden Maßregeln (1847). In: Radowitz, Schriften, S. 99–101. 207 Radowitz, Schriften, S. 99.
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und Hofkreisen intensiv diskutiert.208 Die Rekonfigurierung der pejorativen Assoziation Nation-Revolution in einem politisch aktualisierten Argumentationsmuster kulminierte mit dem diffusen Programm der Unionspolitik, die die Formation eines deutschen Bundesstaats unter preußischer Führung anstrebte. Obwohl das Unionsprojekt im Jahr 1850 endgültig am internen Widerstand preußischer Ultrakonservativer sowie aufgrund der ungünstigen außenpolitischen Machtverhältnisse scheiterte, leiteten die Ideen von Radowitz eine pragmatische Neuorientierung der Assoziation Nation-Revolution ein.209 Zu den einflussreichsten Konservativen, die bereits um 1850 die umstrittenen Thesen von Radowitz positiv rezipierten und weiterentwickelten, zählten der preußische Gesandte in London, Christian Karl von Bunsen, und der spätere Kaiser Wilhelm I. Auch König Friedrich Wilhelm IV. und das konservative Ministerium von Friedrich Wilhelm von Brandenburg betrachteten das Unionsprojekt als ideale Argumentationsstrategie, um die im April 1849 erfolgte Ablehnung der deutschen Kaiserkrone bzw. der Reichsverfassung zu rechtfertigen.210 In einer Sitzung des Staatsministeriums am 14. Januar 1849 sowie in mehreren Depeschen und Denkschriften bezog sich die preußische Regierung auf die Ideen von Radowitz, die aufgrund der Zergliederung von wahren und falschen Einheitsbestrebungen die „Neugestaltung Deutschlands“ postulierten.211 Dabei rekonfigurierte auch das Ministerium Brandenburg die pejorative Assoziation Nation-Revolution in einer pragmatischen Handlungsoption. Exemplarisch dafür konstatierte am 9. Mai 1849 eine Denkschrift der preußischen Regierung über die Union des deutschen Bundesstaats: „Die Gefahren der gegenwärtigen Lage Deutschlands erwachsen hauptsächlich aus der Verbindung der unitarischen mit der demokratischen Partei. [...] Durch diese Verbindung allein gewinnt die demokratische Partei […] ihre Kraft, indem sie das tiefgefühlte Bedürfniß, von dem die unitarischen
208 Vgl. Joseph Maria von Radowitz, Deutschland und Friedrich Wilhelm IV., Hamburg 1848 S. I–IV. Als im Jahr 1850 sein preußisches Unionsprojekt endgültig scheiterte, veröffentlichte der konservative Diplomat ein neues Pamphlet, um seine politischen Ideen zu rechtfertigen und die Argumentationslogik von Deutschland und Friedrich Wilhelm IV. zu verteidigen. Vgl. Joseph Maria von Radowitz, Gespräche aus der Gegenwart über Staat und Kirche, Stuttgart 1851. 209 Ausführlich über das Unionsprojekt und die Rezeption der „realpolitischen“ Ideen von Radowitz siehe Kap. 3.1.2. 210 Vgl. Erwiderung von Friedrich Wilhelm IV. an die Deputation der deutschen Nationalversammlung (1849). In: Huber, Verfassungsgeschichte (Bd. 1), S. 328. Ferner Radowitz, Depesche zur endgültigen Ablehnung der Reichsverfassung (1848). In: Huber, Verfassungsgeschichte (Bd. 1), S. 335. 211 Vgl. Sitzung des preußischen Staatsministeriums am 14. Januar 1849. In: PPS (Bd. 4,1), S. 72. In der Kronratssitzung vom 2. April 1849 bewilligte Friedrich Wilhelm IV. die „Neugestaltung Deutschlands“. Vgl. PPS (Bd. 4,1), S. 82. Siehe auch Zirkulardepesche Brandenburgs an die preußischen Gesandtschaften bei den deutschen Regierungen (1849). In: Huber, Verfassungsgeschichte (Bd. 1), S. 338.
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Bestrebungen ausgehen, als Hebel und Vorwand für ihre eigenen Zwecke benutzt.“212 Die „Bildung eines engeren Bundesstaates“ wurde nur halbherzig von der Regierung Brandenburg unterstützt und scheiterte endgültig im Dezember 1850.213 Jedoch ermöglichte das Unionsprojekt den preußischen Eliten, eine anpassungsfähige und nicht allzu kompromittierende politische Linie in der heftig umstrittenen nationalen Frage einzuschlagen. Der preußische Diplomat Christian Karl von Bunsen kommentierte die Einberufung der deutschen Nationalversammlung im Mai 1848 mit einem noch enthusiastischeren Ton als Radowitz. Er sah darin „eine Form des Gemeinwesens, wodurch [Deutschland], nach Jahrhunderten von Irrungen und Leiden, wieder zu einer Nation“ wurde.214 Bunsen vertrat eine reformbereite Position und plädierte für die Übertragung der englischen Adelsverfassung auf Preußen.215 Nachdem er im Jahr 1844 vom König Friedrich Wilhelm IV. beauftragt worden war, einen Verfassungsentwurf zu erarbeiten, engagierte er sich nach 1848 weiter für einen gemäßigten Konstitutionalismus und für die Idee des „engeren Bundesstaates“. In seiner privaten Korrespondenz mit dem preußischen Thronfolger verwendete Bunsen dieselbe Argumentationsstrategie wie Radowitz und behauptete, dass die preußische Unionspolitik imstande sei, „die hohe und heilige Sache Deutschlands [...] von den revolutionären und zerstörenden Elementen“ zu trennen.216 Auch König Friedrich Wilhelm IV. und vor allem der spätere Kaiser Wilhelm I. rechtfertigten das Unionsprojekt mit der Suggestion der „wahren“ Einheitsbestrebungen, die die Revolution dauerhaft verhindern und die machtpolitischen Ambitionen des Hohenzollernstaats realisieren konnten.217 In einem Brief an seine Schwester Charlotte, die als Frau des russischen Zaren Nikolaus I. sehr skeptisch gegenüber der Unionspolitik eingestellt war, formulierte der preußische Thronfolger wieder die Idee einer pragmatischen Zergliederung der pejorativen Assoziation Nation-Revolution. Genauso wie Radowitz und Bunsen konstatierte im Sommer 1849 auch der Prinz von Preußen, dass das Projekt, die deutschen Einheitsbestrebungen von der Revolution
212 Denkschrift der preußischen Regierung, die Union des deutschen Bundesstaats mit Österreich betreffend (1849). In: Huber, Verfassungsgeschichte (Bd. 1), S. 421. 213 Vgl. Sitzung des preußischen Staatsministeriums am 12.10.1849. In: PPS (Bd. 4,1), S. 111. 214 Christian Karl von Bunsen, Die Deutsche Bundesversammlung, Frankfurt a. M. 1848, S. 3. 215 Vgl. Heinickel, Adelsreformideen, S. 406–410. 216 Christian Karl von Bunsen an Prinz Wilhelm von Preußen am 25.7.1849. In: Wilhelm I., Briefe (Bd. 1), S. 92. 217 Vgl. Friedrich Wilhelm IV. an Johann von Sachsen am 11.8.1849. In: Briefwechsel zwischen König Johann von Sachsen und den Königen Friedrich Wilhelm IV. und Wilhelm I., S. 255. Als sich der preußische König explizit zugunsten des Unionsprojekts äußerte, reagierte der sächsische Thronfolger darauf sehr skeptisch, indem er nach wie vor gegen diese Umorientierung mit der alten pejorativen Version der Assoziation Nation-Revolution argumentierte. Vgl. Johann von Sachsen an Friedrich Wilhelm IV. am 12.11.1849 und am 30.10.1850. In: Briefwechsel zwischen König Johann von Sachsen und den Königen Friedrich Wilhelm IV. und Wilhelm I., S. 256 und 265.
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zu trennen und „korrekt zu formen“, eine wesentliche Voraussetzung für den Machterhalt der Konservativen darstelle: „Ein einiges Deutschland ist keine Erfindung der Revolution, sondern ein tief liegendes Bedürfnis. […] Man muß also die Sache aus den Händen der Revolution reißen, um sie zu korrekt zu formen. Auf diese Art eine deutsche Einigkeit wollen heißt also nicht, die Gelüste der Revolution fördern, sondern ihnen entgegenzutreten.“218 Obwohl seit 1848 in den preußischen Diplomaten-, Beamten- und Hofkreisen die pragmatische Neubewertung der pejorativen Assoziation Nation-Revolution kontinuierlich an Bedeutung gewann, betrachtete die überwiegende Mehrheit der Konservativen die deutsche Nationalbegeisterung noch nicht unter dem Aspekt des pragmatischen Machterhalts, sondern eher als eine Nebenerscheinung der Revolution. Karl von Canitz und Dallwitz gehörte wie Niebuhr und Gerlach zu den ultrakonservativen Beratern von Friedrich Wilhelm IV. Im Januar 1850 verfasste der preußische Diplomat den konservativen Wahlaufruf für das Parlament in Erfurt, das eine Verfassung für die preußisch-deutsche Union ausarbeiten sollte. Das konservative Wahlprogramm von Canitz und Gerlach verwendete die Assoziation Nation-Revolution nach wie vor als resolutes Rechtfertigungsnarrativ, um die deutsche Nationalbewegung undifferenziert zu dämonisieren. Gegen die innovative Argumentationsstrategie von Radowitz erwiderten die preußischen Erzkonservativen, dass die deutsche Einigung für die machtpolitischen Ambitionen des Hohenzollernstaats eher kontraproduktiv sei und sogar zum Untergang Preußens führe. Gegen die Unionspolitik hob Canitz hervor, dass die deutsche Einheit nicht „auf dem Boden der Revolution“ zu realisieren sei, sondern nur „auf dem Boden des Rechts und der Gesetzlichkeit und des unzerbrochenen Bandes zu unsrer ruhmvollen Vergangenheit und der Pflege der alten christlichen Gottesfurcht“ erfolgen solle.219 Konkret deutete das konservative Wahlprogramm darauf hin, dass die einzig nichtrevolutionäre Lösung der nationalen Frage die Wiederherstellung des alten Deutschen Bundes sei.220 Auch Friedrich Julius Stahl schloss sich der konservativen Opposition von Canitz und Gerlach gegen die preußische Unionspolitik an und argumentierte mit der alten pejorativen Version der Assoziation Nation-Revolution. Als er in das Erfurter Parlament gewählt wurde, brachte der prominente Jurist seine Skepsis für das Unionsprojekt klar zum Ausdruck und fragte seine Kollegen provozierend: „Wo ist Nationalität mehr befriedigt als in Frankreich? Und wo ist die Revolution weniger geschlossen als
218 Prinz Wilhelm von Preußen an seine Schwester Charlotte am 12.9.1849. In: Prinz Wilhelm von Preußen an Charlotte, S. 339. 219 Konservativer Wahlaufruf für das Erfurter Parlament (1850). In: Dallinger, Canitz, S. 104. 220 Auch in seiner privaten Korrespondenz mit Radowitz warnte Canitz vor einer Fortsetzung der Unionspolitik und betonte immer wieder die Überzeugung, dass das „Aufgehen Preußens in Deutschland mit raschen Schritten zum Untergange“ führe. Vgl. Karl von Canitz und Dallwitz an Radowitz am 11.5.1848. In: Radowitz, Briefe, S. 45.
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in Frankreich?“221 Noch deutlicher positionierte sich Stahl in seiner privaten Korrespondenz gegen das Unionsprojekt, indem er die Idee des „engeren Bundesstaates“ als „das höchste Übel“ schroff verurteilte.222 Im Gegensatz zu Radowitz betrachtete der konservative Jurist die „deutsche Bewegung [als] durch und durch revolutionär“ und lehnte die Suggestion der Zergliederung von „wahren“ und „falschen“ Einheitsbestrebungen vehement ab.223 Bis in die 1860er Jahre hinein assoziierte Stahl immer wieder die Begriffe Nation und Revolution, um die liberalen Legitimationstheorien zu diskreditieren. Er polemisierte gegen die „neue Vertheilung der Staaten nach […] Nationalitäten“ als ein illegitimes Programm, das die Ideale der Revolution durchsetze und gegen das Völkerrecht verstoße.224 In diesem Sinne stigmatisierte der konservative Jurist auch den neugegründeten italienischen Einheitsstaat als Produkt von „Revolution und Nationalitätsdrang“.225 Mit seiner Fundamentalopposition gegen die Nationalbewegung demonstrierte Stahl, dass die Assoziation Nation-Revolution eine besonders polyvalente Deutungs- und Argumentationsoption war. Sie generierte pragmatische Neuorientierungen, untermauerte jedoch auch die Beharrung auf tradierten Ordnungsmustern. In seinem Nachruf auf Friedrich Julius Stahl bewunderte der konservative Theologe Ernst Hengstenberg seinen im Jahr 1861 verstorbenen Mitstreiter als „ein auserwähltes Rüstzeug gegen die Revolution“.226 Diese pathetische Definition hob die nachhaltige Relevanz des permanenten Revolutionsbegriffs im konservativen Diskurs deutlich hervor. Während sich im Laufe der 1860er Jahre die meisten seiner erzkonservativen Mitstreiter aus der politischen Arena zurückzogen oder starben, setzte Ludwig von Gerlach seine unnachgiebige Opposition gegen Nation und Revolution nach der Reichsgründung fort. In seinen Leitartikeln für die Kreuzzeitung funktionalisierte er immer wieder die Gallophobie und die gegenrevolutionäre Hysterie der Konservativen, um gegen „Nationalitäts-Unsinn“ und „dreifarbigen Patriotismus“ zu polemisieren.227 Gerlach protestierte sowohl um 1850 als auch nach 1864 vehement gegen die Idee einer pragmatischen Annäherung zwischen konservativen Machterhaltungsstrategien und deutschen Einheitsbestrebungen. Dabei lehnte er „alles was die
221 Stahl, Reden, S. 146. 222 Friedrich Julius Stahl an Hermann von Rotenhan am 5.12.1849. In: Stahl, Briefe, S. 343. 223 Stahl, Briefe, S. 343. 224 Stahl, Reden, S. 237. Vgl. auch Stahl, Was ist Revolution?, Berlin 1852, S. 237. 225 Stahl, Reden, S. 176. 226 Theodor Schmalenbach, Ernst Wilhelm Hengstenberg, Güterloh 1892, S. 372. 227 Ludwig von Gerlach, RS April 1849. In: Die politischen Rundschauen der Kreuzzeitung, Berlin 1849, S. 156–158. Vgl. auch Gerlach, Rede des Präsidenten von Gerlach auf der Generalversammlung der königstreuen Männer der Provinz Sachsen, Berlin 1863.
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dreifarbige deutsche Nation thut“ schroff ab.228 Der konservative Politiker attackierte das zunehmend populäre Symbol der deutschen Trikolore, weil die schwarz-rotgoldene Fahne für die pejorative Assoziation der Nationalbewegung mit antifranzösischen und gegenrevolutionären Feindbildern stand. Mit einer übersteigerten Sprache entwarf Gerlach zahlreiche Kampfbegriffe wie „schmutzige Trikolor“ und „trikolorer Revolutionsstempel“, um die „unnatürliche Allianz“ zwischen „überspannten Nationalitäts-Ideen“ und Revolution nachdrücklich zu stigmatisieren.229 Das Antisymbol der „verdächtigen Tricolor“ kreierte ein aggressives Leitbild, das die Assoziation Nation-Revolution in einer leicht verständlichen und expressiven Form kommunizierte.230 Die schmutzige Trikolor bildete ein konservatives Gegenbild zur liberalen Nationalbegeisterung, das Gerlach in seinen vielgelesenen Zeitungsartikeln und politischen Pamphleten, in seinen parlamentarischen Reden und Denkschriften für die preußische Regierung und für König Friedrich Wilhelm IV. instrumentalisierte.231 Zugespitzt mit der weitverbreiteten Gallophobie und der paranoiden Revolutionsangst wirkte die Ablehnung der schwarz-rot-goldenen Trikolore als eine elitebezogene, aber zunehmend massenkompatible Radikalisierung der anhaltenden konservativen Skepsis gegen die deutsche Nationalbewegung. Als zwischen April 1849 und November 1850 die Regierung Brandenburg und der preußische Hof das Unionsprojekt von Radowitz formell unterstützten, verurteilte Gerlach die deutschen Einheitsund Verfassungsbestrebungen spöttisch als die „Götzen des Tages“. Mit der Assoziation Nation-Revolution verdeutlichte der konservative Politiker seinen Protest gegen die politische Mythologie der Nationalliberalen: „Diese Götzen nennen sich Nationa-
228 Ludwig von Gerlach, RS Februar 1849. In: Rundschauen 1849, S. 107. 229 Ludwig von Gerlach, RS September 1849. In: Rundschauen 1850, S. 67. Vgl. auch Gerlach, RS März 1849. In: Rundschauen 1849, S. 141; RS November 1850. In: Rundschauen 1850, S. 52. 230 Ludwig von Gerlach, Rede des Präsidenten von Gerlach auf der Generalversammlung der königstreuen Männer der Provinz Sachsen, Berlin 1863, S. 3. 231 Vgl. Ludwig von Gerlach, Denkschrift für Friedrich Wilhelm IV. (1848). In: Von der Revolution zum Norddeutschen Bund. Politik und Ideengut der preußischen Hochkonservativen 1848–1866 (Bd. 2). Hrsg. von Hellmut Diwald, Göttingen 1970, S. 607. Neben seinen monatlichen Rundschauartikeln für die Kreuzzeitung, schrieb Gerlach mehrere Artikel für das Volksblatt von Philipp Nathusius und die Evangelische Kirchenzeitung (EKZ) von Ernst Hengstenberg. Auch in diesen Zeitungen argumentierte er immer wieder mit der Assoziation Nation-Revolution gegen die deutsche Nationalbewegung. Vgl. Gerlach, Die Französische und die Deutsche Revolution. In: EKZ 23 (1848); Gerlach, Ein Blick in die Zeit. In: EKZ 34 (1848). Ferner Gerlach, Preußen und die deutsche Einheit. In: NPZ 121 (1849). Mit antifranzösischen und gegenrevolutionären Feindbildern polemisierte Gerlach gegen die nationalen Einheitsbestrebungen auch in zahlreichen parlamentarischen Reden. Vgl. Ludwig von Gerlach, Rede am 25.9.1849 (EK Bd. 2, S. 815–817); am 17.10.1849 (EK Bd. 3, S. 1040–1042); am 3.11.1849 (EK Bd. 3, S. 1317); am 26.11.1849 (EK Bd. 3, S. 1591) und am 16.2.1850 (EK Bd. 5, S. 2797). Vgl. auch in dem Unionsparlament in Erfurt am 16.4.1850 (Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Parlaments zu Erfurt, S. 181) und am 17.4.1850 (S. 204–205).
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lität und Deutschtum, ihr wahrer Name aber ist Revolution und Freigeisterei; sie sind aus Frankreich mit dem Februar-Winde zu uns gekommen“.232 Mit seiner vehementen Ablehnung der „trikolor revolutionären Politik“ profilierte sich Gerlach als einflussreicher Politiker und Publizist, jedoch verwendete er auch in seinem privaten Briefwechsel und in den Tagebüchern dieselben Semantiken und Deutungsmuster gegen die deutschen Einheitsbestrebungen.233 Als nach der Revolution von 1848 Friedrich Wilhelm IV. und Radowitz „dreifarbig“ handelten, hob Gerlach die Trikolore als Antisymbol hervor, um seine Empörung demonstrativ zum Ausdruck zu bringen.234 Die Suggestion der Zergliederung von positiven und negativen Nationalbewegungen war für den konservativen Politiker weder glaubwürdig noch attraktiv. Im Sinne des christlich-konservativen Restaurationsdiskurses wiesen Ludwig von Gerlach und sein älterer Bruder Leopold die „deutsche Politik“ als „Wühlerei“ und „unvermeidliche Allianz mit der Revolution“ undifferenziert zurück.235 Die Polemik von Ludwig und Leopold von Gerlach gegen die deutsche Politik reproduzierte die Argumentationsstrategien, die bereits seit 1845 und vor allem nach der Einberufung des Vereinigten Landtags im Jahr 1847 die erzkonservativen Eliten gegen reformbereite Politiker wie Radowitz oder Ernst von Bodelschwingh benutzten.236 Seit den 1840er Jahren kam die Emotionalisierung und Popularisierung der konservativen Politikdiskurse mit der symbolbeladenen Sprache, die die Nationalbewegung mit den demagogischen Umtrieben assoziierte, besonders stark zur Geltung. Gerlachs publizistische und parlamentarische Aktivitäten leisteten einen entscheidenden Beitrag, um die konservative Opposition gegen die liberalen Reformen und die Nationalbegeisterung mit der leidenschaftlichen Gallophobie und der dramatisierten Revolutionserfahrung von 1789 und 1848 zu kombinieren. Indem er latente Feindbilder und Erfahrungsdeutungen aktualisierte, bildete Gerlach auch eine vereinfachte Dichotomie zwischen der „antitrikoloren“ Meinungsmobilisierung gegen die Französische Revolution und den „trikoloren“ und „revolutionären“ Ambitionen von 1848.237 In einer langen parlamentarischen Rede am 17. August 1849 verwendete der konservative Politiker wieder die überdeutliche Metapher der schmutzigen Trikolor, um seinen unnachgiebigen Protest gegen die deutschen Einheitsbestrebungen mit der Assoziation Revolution-Frankreich-Nation zu kommunizieren: „Wenn mir
232 Ludwig von Gerlach, Die Erfurter Wahlen (1850). In: Diwald, Revolution, S. 647. 233 Vgl. Ludwig von Gerlach, TB am 23.11.1848 und am 28.8.1849. In: Diwald, Revolution, S. 142 und 201. Vgl. auch TB am 17.10.1848, am 28.3.1849 und am 25.3.1850. In: Diwald, Revolution, S. 126, 160 und 261. 234 Ludwig von Gerlach, TB am 21.3.1848. In: Diwald, Revolution, S. 86. Vgl. auch Gerlach an Karl Otto von Raumer am 25.5.1849. In: Diwald, Revolution, S. 634. 235 Vgl. Leopold von Gerlach an Peter von Meyendorff in Dezember 1850. In: Meyendorff, Briefwechsel (Bd. 2), S. 343. Ferner Kraus, Gerlach, S. 532. 236 Vgl. PPS (Bd. 3), S. 16. 237 Vgl. Ludwig von Gerlach, Rede am 15.4.1850. In: Erfurt, S. 149.
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angesonnen wird, einen schwarz-weißen Pfennig hinzugeben für einen trikoloren Thaler, so kehre ich den Thaler zehnmal um, um zu sehen, ob es nicht falsche Münze ist [...] Man sagt zwar, trikolor sei deutsch. Was ich aber davon gesehen habe, halte ich für mehr französisch als deutsch, und für mehr Jean Jacques Rousseauisch als französisch.“238 Diese umfassende Funktionalisierung der Assoziation Nation-Revolution gipfelte in einem langwierigen Konflikt zwischen Konservativen und Nationalliberalen um die politische Deutungshoheit über den Mythos der sogenannten Befreiungskriege. Im schroffen Gegensatz zur deutschen Nationalbewegung beschrieb Gerlach die idealisierten Ereignisse von 1813 als „Kriege des Rechts, der Freiheit gegen die Revolution [...] für etwas viel höheres als deutsche Nationalität“.239 Als ehemaliger freiwilliger Offizier und Träger des Eisernen Kreuzes war es für den konservativen Politiker möglich, die antinapoleonischen Kriege in einer besonders glaubwürdigen und empathischen Art zu instrumentalisieren. Bis in die 1850er Jahre hinein versuchte Gerlach mit dem Mythos der Befreiungskriege die romantisch-teleologische Narration des nationalliberalen Einheitsideals zu attackieren und die pejorative Assoziation Nation-Revolution zu untermauern. Immer wieder hob der zunehmend isolierte konservative Politiker hervor, dass Schwarz-Rot-Gold keineswegs die Farben der preußischen Patrioten in Leipzig anno 1813 waren. Dieser parallelen Geschichte der antinapoleonischen Kriege zufolge symbolisierte die Trikolore nur die Revolutionspartei von 1848.240 Der antiliberal und antinational konnotierte Mythos der Befreiungskriege charakterisierte nach 1848 weiter die Sprache und die Orientierungskonzepte, mit denen sich die Konservativen in den neuen politischen Arenen positionierten. Ähnlich wie die aggressive Publizistik von Ludwig von Gerlach projizierten auch zahlreiche andere Pamphlete, Illustrationen und politische Lieder die narrative Bewältigung der Revolution und die konservative Erfahrungsdeutung der sogenannten Befreiungskriege auf die aktuelle Meinungsmobilisierung gegen die liberalen Reformen und die Nationalbewegung. Mit einer expressiven Sprache und einer vereinfachten Beweisführung erreichten diese Publikationen auch ein breites Publikum, das für komplexe theologische und politikwissenschaftliche Texte und selbst für die politische Presse nur ein marginales Interesse zeigte. Der Almanach Schöne neue Lieder, zu singen überall im Preußenlande, den der Hofbuchhändler Alexander Duncker im Sommer 1849 veröf-
238 Ludwig von Gerlach, Rede am 17.8.1849 (EK Bd. 2, S. 463). 239 Ludwig von Gerlach, RS September 1848. In: Zwölf politische Monatsrundschauen, Berlin 1849, S. 27. 240 Gerlach, Aufzeichnungen (Bd. 2), S. 254. Auch in den 1860er Jahren evozierte Gerlach immer wieder den Mythos der Befreiungskriege und den Vergleich zwischen 1813 und 1848. Vgl. Gerlach, Napoleon III. im Juli 1859 (unveröffentlichte Abhandlung). In: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 1 (1948), S. 142–144. Ferner Gerlach, Der Landtag von 1865, Berlin 1865, S. 7.
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fentlichte, wurde für fünf Silbergroschen verkauft und kostete damit deutlich weniger als das Quartals-Abonnement für die Kreuzzeitung.241 Patriotische Lieder wie Der Kaiser und der Junker, Voran und durch und An einen Hauptmann polemisierten gegen die liberalen Reformen und die Nationalbewegung, indem sie die dramatischen Erfahrungen von 1806 und 1813 mit den Revolutionsjahren 1848/49 verglichen („jetzt wo im Vaterlande / Der alte Feind mit neuem Wüthen droht“).242 Dabei wurden nicht nur latente antifranzösische und gegenrevolutionäre Feindbilder reaktiviert, sondern auch dynastische Helden wie Friedrich II. und Luise von Preußen popularisiert und politisch instrumentalisiert.243 Wenige Wochen nach den Schönen Liedern erschien in Berlin unter dem Titel Der Ehrliche Preuße eine neue Sammlung von patriotischen Texten, die die liberalen Verfassungs- und die nationalen Einheitsbestrebungen ebenfalls anhand antifranzösischer und dynastisch-legitimistischer Argumentationstopoi verurteilten. Mit derselben sarkastischen Sprache, die Gerlach in seinen Leitartikeln für die Kreuzzeitung systematisch benutzte und die überwiegende Mehrheit der preußischen Konservativen positiv bewertete, bezog sich auch der Ehrliche Preuße auf das weitverbreitete Antisymbol der schmutzigen Trikolore gegen die Revolution und die liberale Nationalbewegung: Die Zeit ist ernst, es nah’n von allen Seiten Viel Stürme, drohen Preußens altem Ruhm. Für un’ere Ehre gilt es heut zu streiten, […] Nur schwarz und weiß soll unser Banner sein Wir tauschen’s nicht für Deutschlands Farbe ein. […] Durch Blut getilgt, muß der Verrath erst weichen Der jetzt entehrt deutscher Bürger Reih’n, Dann mag das Roth, als blutigwarnend Zeichen, Den theuer Farben zugestellt sein.244
Diese reaktionäre Sammlung von Gedichten enthielt auch das allgemein bekannte Demokratenlied von Wilhelm Merckel. Nach seiner Erstveröffentlichung im Herbst 1848 zirkulierte das triviale Spottgedicht gegen die Demokraten als Flugblatt oder in zahlreichen patriotischen Almanachen und wurde bei öffentlichen Veranstaltungen
241 Um 1850 kostete das Quartals-Abonnement für die Kreuzzeitung eineinhalb Thaler und außerhalb Berlins sogar zwei Thaler. Die Zeitung war elfmal teuer als die Schönen Lieder (1 Thaler = 30 Silbergroschen). Vgl. Bussiek, Gott, S. 64. 242 An einen Hauptmann im ersten Garden Regiment von 1813 (S. 10); Der Kaiser und der Junker (S. 6–8) und Voran und durch (S. 12–14). In: Schöne neue Lieder, zu singen überall im Preußenlande, zumal in Heer und Landwehr, Berlin 1849. 243 Das Lied Von der Königin verglich Königin Elisabeth, die Frau von Friedrich Wilhelm IV., mit ihrer mythisierten Vorgängerin Luise. Vgl. Schöne neue Lieder, S. 26. Das Lied Ein grüner Sarg hob hervor, dass die preußische Königstreue auch in Zeiten dramatischer Krisen immer unerschütterlich blieb (S. 35–37). 244 Schwarz und Weiß. In: Wilhelm Merckel, Der Ehrliche Preuße, Berlin 1848, S. 10–11.
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immer wieder gesungen.245 Indem er vor den Preußenfeinden in Paris und Frankfurt eindringlich warnte, reproduzierte auch Wilhelm Merckel die zentralen semantischen und ideologischen Grundlagen der Assoziation zwischen deutschen Einheitsbestrebungen und revolutionären Ideen.246 Die Schlussverse des Demokratenliedes („Gegen Demokraten helfen nur Soldaten!“) bildeten ein erfolgreiches Motto, das die leitenden Argumentationsmuster prominenter konservativer Politiker und Intellektueller wie Gerlach und Stahl zugespitzt kommunizierte. Kurz nach der Veröffentlichung des reaktionären Demokratenlieds übernahm der preußische Offizier Karl Gustav von Griesheim den populären Wahlspruch von Wilhelm Merckel als Titel für sein aufsehenerregendes Pamphlet Gegen Demokraten helfen nur Soldaten.247 Mit einer trivialen und militärisch geprägten Sprache spitzte Griesheim die gegenrevolutionäre und antinationale Polemik von Gerlach und Stahl weiter zu. Gegen Demokraten helfen nur Soldaten formulierte eine politische Kriegserklärung an die liberalen Verfassungs- und Nationalstaatsbestrebungen. Die preußische Armee sympathisierte mit den radikalen Thesen von Griesheim, der die im Sommer 1848 gebildete Provisorische Zentralgewalt diskreditierte und die deutsche Nationalversammlung mit „Pulver und Blei“ zum Schweigen bringen wollte.248 Im Sommer Juli 1848 betrachteten Griesheim und die meisten preußischen Offiziere den kontroversen Erlass des Reichskriegsministers Eduard von Peucker, der dem österreichischen Reichsverweser zu huldigen und die deutsche Kokarde zu tragen befahl, als einen unerhörten Affront.249 Nach der heftig umstrittenen „Huldigungssache“ attackierte Griesheim mit dem Pamphlet Die Deutsche Centralgewalt und die preußische Armee den Reichsverweser Erzherzog Johann von Österreich als „persona ingratissima“ und verdeutlichte seine schroffe Opposition gegen die deutsche Nationalversammlung, die „von dem beste-
245 Das Demokratenlied wurde zuerst im Herbst 1848 als Flugblatt publiziert. Vgl. Wilhelm Merckel, Fliegende Blätter. Demokratenlied, Berlin 1848. Das Spottgedicht erlangte große Popularität und erschien in zahlreichen konservativen Almanachen und Liedersammlungen. Vgl. Der Ehrliche Preuße, S. 2 sowie Preußisches Liederbuch der Vaterländischen Gesellschaft zu Berlin, Berlin 1849, S. 10 (unter dem Titel Die fünfte Zunft). 246 Vgl. Der Ehrliche Preuße, S. 2. 247 Der Kladderadatsch beschäftigte sich in mehreren Karikaturen mit dem im Dezember 1848 erschienenen Pamphlet Gegen Demokraten helfen nur Soldaten. Vgl. Kladderadatsch 18 (6.5.1849) und 19 (13.5.1849). 248 Gustav von Griesheim, Gegen Demokraten helfen nur Soldaten, Berlin 1848, S. 10. 249 Exemplarisch für den empörten Protest der preußischen Offiziere gegen den am 16. Juli 1848 beschlossenen Huldigungserlass vgl. Albrecht von Roon an seine Frau am 10.9.1848. In: Denkwürdigkeiten aus dem Leben des Generalfeldmarschalls Kriegsministers Grafen von Roon. Sammlung von Briefen, Schriftstücken und Erinnerungen (Bd. 1), Berlin 1905, S. 189. Eingehend zu konservativen Selbstbeschreibungen und patriotischen Ordnungsprinzipien der politischen Generäle vgl. Kap. 2.2.1.
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chenden Glanz der abstrakten Idee deutscher Einheit benebelt“ war.250 Die politische Kriegserklärung des preußischen Generals an die deutsche Nationalbewegung und die liberalen Reformen gewann „im Heer und Volk“ große Popularität.251 Obwohl sich Griesheim mit seinen provokatorischen publizistischen Aktivitäten exponierte und mit dem liberalkonservativen Ministerium Auerswald-Hansemann inkompatibel war, wurde die Entlassung des „politischen“ Generals dank der Unterstützung führender Militär- und Hofkreise verhindert. Griesheim arbeitete weiter als Direktor des Kriegsdepartements und als anerkannter Militärtheoretiker im preußischen Kriegsministerium. Nach 1850 setzte er seine militärische Laufbahn als erster Kommandant von Koblenz erfolgreich fort.252 Nach der Revolution von 1848 wurden in ganz Europa neue parlamentarische Institutionen, Diskussionsforen sowie unzählige Zeitungen und Vereine gegründet. Auf die wachsende Pluralität und Verfügbarkeit von politischen Ideen, Informationen und Initiativen reagierten die Konservativen dynamisch, indem sie traditionelle Wertorientierungen und Ordnungsprinzipien rekonfigurierten und sich in den neugegründeten publizistischen und parlamentarischen Arenen engagierten. Eine breite Konstellation von konservativen Akteuren animierte eine beharrende politische Meinungsmobilisierung gegen die liberalen Legitimationstheorien und die nationalen Einheitsbestrebungen. Sowohl in Preußen als auch in Piemont gehörten zu dieser modernen konservativen Opposition prominente Juristen, Historiker und Theologen, Offiziere und Grundbesitzer, Pietisten und Ultrakatholiken sowie eine lange Reihe von bis dahin wenig bekannten Publizisten und selbsternannten Patrioten. Die Assoziation Nation-Revolution kam sowohl als politisches Rechtfertigungsnarrativ als auch in Form einer trivialen Argumentationsstrategie gegen „die Dreifarbige und die rothen Republikaner“ systematisch zum Ausdruck.253 Sie bildete ein kollektiv sinn-
250 Gustav von Griesheim, Die Deutsche Centralgewalt und die preußische Armee, Berlin 1848, S. 16 und 28. Im Sommer 1848 wurde die Huldigungssache intensiv diskutiert und gewann große symbolische Bedeutung. Vgl. Die Tagebücher des Großherzogs Friedrich Franz II. von Mecklenburg-Schwerin. Hrsg. von René Wiese, Köln 2014, S. 282. 251 Vgl. Prinz Wilhelm von Preußen an König Friedrich Wilhelm IV. am 4.8.1848. In: König Friedrich Wilhelm IV. und Wilhelm I. Briefwechsel 1840–1858. Hrsg. von Winfried Baumgart, Paderborn 2013, S. 223. 252 Die militärtheoretischen Abhandlungen, die im Rahmen von Griesheims Tätigkeit als Lehrer an der preußischen Kriegsakademie entstanden, gehörten bis in die 1870er Jahre hinein zur Pflichtlektüre für junge Offiziere und wurden immer wieder neu aufgelegt. Die nachhaltige Popularität und die Anerkennung des reaktionären Offiziers als Militärtheoretiker, aber auch als politischer Publizist, wurden in einem Nachruf im Militair-Wochenblatt enthusiastisch resümiert. Vgl. Zur Erinnerung an den Generalmajor von Griesheim, gestorben als erster Commandant von Coblenz und Ehrenbreitstein am 1. Januar 1854. In: Beiheft zum Militair-Wochenblatt für Januar 1854. Redigiert von der historischen Abtheilung des Generalstabes, Berlin [1854]. 253 Vgl. Karl von Cantiz und Dallwitz, Aufgehen oder Vorangehen?, Berlin 1848, S. 15 und 20. Ferner Canitz, Nachtrag zu den Worten zur Verständigung über Aufgehen oder Vorangehen, Berlin 1848,
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stiftendes und gruppenintegratives Orientierungsmuster für die Reorganisation und die Modernisierung konservativer Politikdiskurse. Bereits seit 1847 schwankten König Friedrich Wilhelm IV. und der spätere Kaiser Wilhelm I. zwischen einer erzkonservativen Politik und einer reformbereiten Umorientierung. Die Assoziation Nation-Revolution bediente beide rivalisierende Positionen, indem sie sowohl die reaktionären Blockaden moralisch und ideologisch untermauerte als auch die konstitutionellen Reformen und die nationalen Einheitsbestrebungen mit der Suggestion einer Zergliederung von „wahrer“ und „falscher“ Bewegung pragmatisch rechtfertigte. Um die Ablehnung der deutschen Kaiserkrone zu motivieren, argumentierte Friedrich Wilhelm IV. mit der pejorativen Version der Assoziation Nation-Revolution. In seiner privaten Korrespondenz mit Radowitz und Bunsen, den einflussreichsten Befürwortern des reformbereiten Unionsprojekts, verwendete er gegen die „schmutzige Trikolor“ dieselbe pathetisch übersteigerte Sprache der erzkonservativen Publizistik. Mit dieser überspitzten Argumentationsstrategie gegen die „aus Dreck der Revolution, des Treubruchs und des Hochverrats“ entstandene Kaiserkrone reaktivierte der preußische König ein tief internalisiertes Instrumentarium an Semantiken, Emotionen und Ordnungsprinzipien, um seine wachsende politische Desorientierung zu bewältigen.254 Als Friedrich Wilhelm IV. zwischen Januar und April 1849 die kontroverse Ablehnung der deutschen Kaiserkrone auch an seine deutschen Mitfürsten kommunizierte, benutzte er die Sprache des konservativen Revolutionsdiskurses: Die Krone, welche eine Fraktion der Frankfurter Versammlung […] mir zugedenkt, ist eine Wurstprezel und soll von Meister Bäcker und Metzger, aber nicht von Gottes Gnade kommen. Für die aber ist der Schädel eines Hohenzollern […] viel 100000mal zu gut. Sie ist schlimmer wie die Kölnische Narrenkappe, denn die legt man ab nach dem Fasching, und sie entehrt nicht, jene aber brandmarkt.255
Ähnlich wie in der publizistischen Polemik von Gerlach und Griesheim wirkte diese triviale Argumentationslogik gegen die als Wurstprezel und Narrenkappe diskreditierte Kaiserkrone besonders attraktiv, weil damit die Konservativen die revolutionären Ideen der Paulskirche ostentativ in den Vordergrund stellten, während sie die deutsche Natio-
S. 3. Im Jahr 1849 veröffentlichte Canitz wieder ein anonymes Pamphlet, das anhand der Assoziation Nation-Revolution die liberalen Verfassungsbestrebungen und die deutsche Einheitsidee diskreditierte. Vgl. Canitz, Contrasignatur, S. 20. Auch der Historiker Heinrich Leo und der Publizist Karl Friedrich Straß polemisierten mit der Assoziation Nation-Revolution gegen die liberalen Reformen und die Nationalbewegung. Vgl. Heinrich Leo, Signatura temporis, Berlin 1848; Karl Friedrich Straß, Preußen – keine Republik – und seine Verfassung oder wie ist Preußens Verfassung zu gestalten, um dasselbe vor Anarchie und Republik zu bewahren, Berlin 1848. 254 Radowitz, Briefe, S. 68. Ferner Huber, Verfassungsgeschichte (Bd. 1), S. 327. 255 Friedrich Wilhelm IV. an Ludwig III. von Hessen Darmstadt am 7.3.1849. In: Haenchen, Revolutionsbriefe, S. 375.
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nalbegeisterung nur implizit verurteilten. Ausgehend von dieser semantischen und ideologischen Zuspitzung christlich-legitimistischer Wertorientierungen und Ordnungsideen war es für Friedrich Wilhelm IV. und seine erzkonservative Entourage möglich, die liberale Einheitsstaatsidee schroff zurückzuweisen, aber die diffuse und unverbindliche Sympathiebekundung für die deutsche Nation nicht explizit zu revidieren. Zum einen benutzte der preußische König systematisch diese Argumentationsstrategie mit Radowitz, Bunsen und dem Schriftsteller Ernst Moritz Arndt, die für die Formation eines kleindeutschen Bundesstaats plädierten. In einem Brief an Arndt, einen der prominentesten Mitglieder der Kaiserdeputation, stigmatisierte der König die deutsche Kaiserkrone als der „scheußlich-ekle Schlamm des Jahres 48“.256 Zum anderen polemisierte Friedrich Wilhelm IV. gegen die Kaiserkrone und die Revolution auch in der politischen Korrespondenz mit seinen Mitfürsten, die eher skeptisch gegen das preußische Unionsprojekt eingestellt waren. In seinem Briefwechsel mit den Monarchen von Sachsen-Weimar, Hessen-Nassau, Hessen-Darmstadt und Hannover positionierte sich Friedrich Wilhelm IV. aufgrund der Assoziation Nation-Revolution überdeutlich gegen die „sogenannte Krone“, die er mit einer höchst sarkastischen Sprache als ein „Hundehalsband, mit dem man mich an die Revolution von 48 ketten wolle“, bezeichnete.257 Obwohl sie nicht dasselbe phantasievolle Vokabular wie der preußische König benutzen, waren auch die Schwestern von Friedrich Wilhelm IV., Charlotte und Alexandrine, sowie sein Bruder und Nachfolger Wilhelm mit der Ablehnung der „Goldpapierkrone“ grundsätzlich einverstanden.258 Die preußische Königsfamilie negierte die Legitimität der deutschen Nationalversammlung, „Kronen zu machen und zu vergeben“, jedoch lehnte sie die deutschen Einheitsbestrebungen nicht explizit ab.259 Als Friedrich Wilhelm IV. die „letzt projektierten frevelhaften Torheiten des Frankfurter Unwesens“ seiner Schwester Charlotte mitteilte und dabei die Idee der „sogenannten Krone“ erwähnte, antwortete die Frau des russischen Zaren mit einer demonstrativen Rückbesinnung auf den christlich-legitimistischen Restaurationsdiskurs.260 Mit derselben exaltierten Sprache ihres Bruders forderte sie Friedrich Wilhelm IV. energisch auf, die deutsche Kaiserkrone, „edel und erhaben über den Schmutz der miserablen
256 Friedrich Wilhelm IV. an Ernst Moritz Arndt am 15.3.1849. In: Haenchen, Revolutionsbriefe, S. 391. 257 Vgl. Friedrich Wilhelm IV. an Ernst August von Hannover am 5.4.1849. In: Haenchen, Revolutionsbriefe, S. 436. Ferner Friedrich Wilhelm IV. an Karl Friedrich von Sachsen-Weimar am 10.1.1849 und an Adolf von Nassau am 6.3.1849. In: Haenchen, Revolutionsbriefe, S. 297 und 370. 258 Vgl. Prinz Wilhelm von Preußen an seine Schwester Charlotte am 13.3.1849, am 7.4.1849 und am 1.5.1849. In: Prinz Wilhelm von Preußen an Charlotte, S. 328–330. Ferner König Wilhelm I. an seine Schwester Alexandrine am 23.2.1871. In: Briefe an die Schwester Alexandrine, S. 115. 259 Vgl. Prinz Wilhelm von Preußen an Charlotte am 16.3.1849, am 7.4.1849 und am 1.5.1849. In: Prinz Wilhelm von Preußen an Charlotte, S. 328–330. Ferner Prinz Wilhelm an Karl von Vincke-Obendrof am 20.3.1849. In: Briefe an Politiker und Staatsmänner (Bd. 1), S. 81. 260 Friedrich Wilhelm IV. an Charlotte am 19.3.1849. In: Haenchen, Revolutionsbriefe, S. 401.
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Ambitionen“, nicht anzunehmen.261 Damit bezog sich auch Charlotte von Preußen primär auf den revolutionären Hintergrund der „miserablen Ambitionen“ und verurteilte dagegen nur implizit die nationale Vision der Kaiserkrone. Mit einem deutlich reflektierteren und sachlicheren Grundton als in seiner privaten Korrespondenz lehnte Friedrich Wilhelm IV. die „unter allen Umständen unangemessene“ Kaiserkrone am 2. April 1849 im preußischen Kronrat offiziell ab.262 Am folgenden Tag bestätigte er seine Absage in einer geschickten Rede an die Deputation der deutschen Nationalversammlung.263 In diesem Zusammenhang kombinierten der preußische König und seine Entourage die skandalisierende Funktion der Assoziation Nation-Revolution mit der von Radowitz entworfenen pragmatischen Zergliederung von revolutionären Ideen und nationalen Einheitsbestrebungen. Die polyvalenten Bedeutungen der Assoziation Nation-Revolution generierten für die preußischen Eliten eine Deutungsoption, um das erhebliche Konfliktpotenzial der deutschen Frage zu entschärfen. Die „unangemessene“ Kaiserkrone wurde überzeugend zurückgewiesen und gleichzeitig das nationale Unionsprojekt mit Preußen an die Spitze eines kleindeutschen Bundesstaates glaubwürdig lanciert.264 Mit der Unionspolitik war es für die konservativen Eliten möglich, den unerwünschten Kaisertitel, das „Frankfurter Unwesen“ sowie bedrohliche Konzepte wie deutsches Volk und deutsches Reich zu delegitimieren, jedoch die zunehmend verbreitete Nationalbegeisterung nicht explizit herauszufordern.265 Aufgrund dieser ergebnisoffenen und teilweise konfusen Politik, die sich in der semantischen und pragmatischen Auseinandersetzung mit dem deutschen Kaisertitel und der Verfassungsfrage deutlich herauskristallisierte, versuchten die preußischen Konservativen die seit 1847 kontinuierlich zunehmende politische Dynamisierung zu verarbeiten. Zum einen wurden die Ultrakonservativen, die die Ablehnung der Kaiserkrone als den Untergang eines „lumpigen Götzenbildes“ begeistert kommentierten, mit der Beharrung auf den christlich-legitimistischen Restaurationsdiskurs zufriedengestellt.266 Zum anderen wurde den reformbereiten Eliten mit dem kleindeutschen
261 Charlotte an Friedrich Wilhelm IV. am 26.3.1849. In: Haenchen, Revolutionsbriefe, S. 416. 262 PPS (Bd. 4,1), S. 82. 263 Vgl. Erwiderung von Friedrich Wilhelm IV. an die Deputation der deutschen Nationalversammlung (1849). In: Huber, Verfassungsgeschichte (Bd. 1), S. 328. Friedrich Wilhelm IV. wurde von den preußischen und norddeutschen Paulskirchenabgeordneten fast einstimmig zum Kaiser der Deutschen gewählt. Der preußische König wurde auch von der Hälfte der Abgeordneten aus Baden und Württemberg unterstützt. Dagegen erhielt er von den bayerischen und österreichischen Volksvertretern keine Zustimmung. 264 Vgl. PPS (Bd. 4,1), S. 83 (Sitzung des preußischen Staatsministeriums am 3.4.1849). 265 Am 6.4.1850 bestätigte die preußische Regierung die Idee des kleindeutschen Bundesstaats, jedoch lehnte sie mit dem Verfassungsentwurf für das Unionsparlament in Erfurt die Begriffe deutsches Volk und deutsches Reich ab. Vgl. PPS (Bd. 4,1), S. 135. 266 Vgl. Gerlach, RS April 1849 und RS Mai 1849. In: Rundschauen 1849, S. 162 und S. 176.
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Unionsprojekt und der oktroyierten Verfassung von Dezember 1848 zwei bedeutende politische Konzessionen gemacht, die vor 1847 aus konservativer Sicht noch unrealisierbar und undenkbar gewesen waren. Ausgehend von dieser Koexistenz von pragmatischen Anpassungsleistungen und diskursiv-intellektuellen Wiederholungsstrukturen, rekonfigurierte auch Friedrich Wilhelm IV. seine Kontinuitätsvorstellungen, um den „Dämon der Revolution“ nach wie vor repressiv zu bekämpfen, aber der Erosion seiner politischen Autorität und Legitimation mit reformbereiten Umorientierungen entgegenzutreten.267 Nicht alle politischen Angriffe gegen das preußische Unionsprojekt kamen aus der „Hundewut der Kreuzzeitungsclique“ oder aus der „Gerlachschen Koterie“ in den erzkonservativen Hof-, Armee- und Beamtenkreisen.268 Constantin Frantz wurde als Pfarrerssohn fern vom preußischen Machtzentrum in der Provinz Sachsen sozialisiert und gehörte ebenso wie der Chefredakteur der Kreuzzeitung Hermann Wagener zu einer jüngeren Generation konservativer Politiker und Intellektueller. Zwischen 1846 und 1878 verfasste Frantz über 20 Pamphlete und längere politische Essays, die die „falsche Politik“ der liberalen Reformen und der Nationalbewegung anhand der Assoziation Nation-Revolution systematisch kritisierten.269 Der konservative Publizist verurteilte die Wiederherstellung des Deutschen Bundes, aber auch das Unionsprojekt und später die realpolitische Reichsgründung, indem er die Verknüpfung von „Nationalitätsprinzip“ und „Revolutionsprinzip“ immer wieder hervorhob.270 Im Spannungsfeld zwischen restaurativen Gegenschlägen und pragmatischen Neuorientierungen instrumentalisierte Frantz die Assoziation Nation-Revolution, um seine politische Vision einer großdeutschen und christlich-ständischen Reorganisation des Heiligen Römischen Reichs zu kommunizieren.
267 Die Sozialisation und die politische Bildung von Friedrich Wilhelm IV. war nicht nur von den „guten“ Lektüren und den politischen Schriften der gegenrevolutionären Meinungsmobilisierung geprägt, sondern auch von seinem Erzieher Friedrich Ancillon direkt beeinflusst. Mit seinen staatswissenschaftlichen und politisch-philosophischen Essays agitierte Ancillon immer wieder gegen den „Dämon der Revolution“. Vgl. Friedrich Ancillon, Ueber Souveränität und Staats-Verfassungen, Berlin 1816, S. 76–78; Ancillon, Ueber die Staatswissenschaft, Berlin 1820, S. XXXI; Ancillon, Zur Vermittlung der Extreme in den Meinungen (Bd. 1), Berlin 1828, S. 213–246. 268 Bereits seit Januar 1849 und verstärkt im Jahr 1850 warf Radowitz der „Kreuzzeitungsclique“ und der „Gerlachschen Koterie“ mehrfach vor, das Unionsprojekt zu sabotieren. Vgl. Joseph Maria von Radowitz an seine Frau am 10.3.1850. In: Radowitz, Briefe, S. 176. Ferner Radowitz, TB am 1.5.1849 und am 17.5.1849. In: Radowitz, Briefe, S. 88 und 99. Vgl. auch Radowitz, Aufzeichnungen von 17.9.1850, 7.11.1850, 3.1.1851 und 1.2.1851. In: Radowitz, Briefe, S. 306, 349, 353, 376 und 382. 269 Vgl. Constantin Frantz, Unsere Politik, Berlin 1850, S. 36. Zu den umfangreichen publizistischen Aktivitäten von Frantz siehe Verzeichnis der Pamphlete und Zeitungsartikel. Ausführlich über Frantz siehe auch Kap. 2.1.3. 270 Frantz, Politik, S. 63. Vgl. auch Frantz, Die Schattenseite des Norddeutschen Bundes, Berlin 1870, S. 75.
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Ähnlich wie Costantin Frantz polemisierte auch der konservative Schriftsteller und Sozialreformer Victor Aimé Huber sowohl gegen die Kreuzzeitungsclique als auch gegen die Unionspolitik von Radowitz. In seiner radikalen Opposition gegen „Revolution und Ritterschaft“ kamen die Assoziation zwischen Nationalbewegung und revolutionären Ideen sowie die damit verknüpften antifranzösischen Feindbilder immer wieder zum Ausdruck.271 Huber attackierte die deutsche Nationalversammlung in Frankfurt, weil sie angeblich auf dem politischen Ineinandergreifen von revolutionären, liberalen und national-patriotischen Ideen basierte.272 Genauso wie Frantz lehnte auch Huber die Wiederherstellung des Deutschen Bundes sowie das preußische Unionsprojekt und später die Realpolitik energisch ab. Der konservative Sozialreformer benutzte die Assoziation Nation-Revolution als hybride Argumentationsfigur, um sich zwischen traditionellen Orientierungsmustern, liberalen Fortschrittshoffnungen und nationalen Einheitsbestrebungen zu positionieren. In seinen zahlreichen Pamphleten und programmatischen Schriften konstatierte Huber begeistert, dass sich seit 1848 auch in Deutschland der national-patriotische Geist immer deutlicher manifestierte. Jedoch protestierte er gegen die verschiedenen nationalen Einheitsprojekte, weil sie die liberal-demokratische „Ausbeutung“ des deutschen „Geistes“ legitimierten.273 Zusammen mit dieser heterogenen Konstellation an konservativen Politikern, Publizisten und Intellektuellen widersetzten sich auch viele preußische Diplomaten den reformbereiten Ideen ihrer Kollegen Radowitz und Bunsen. Der ehemalige Außenminister Canitz unterstützte als Sondergesandter in Wien nur halbherzig die Unionspolitik und äußerte sich auch in seinen publizistischen und parlamentarischen Aktivitäten überdeutlich gegen die Idee des kleindeutschen Bundesstaats. Noch deutlicher reproduzierte der preußische Gesandte in Madrid, Atanasius Graf Raczynski, dieselbe Sprache, die Gerlach und Friedrich Wilhelm IV. gegen die liberalen Reformen und die Nationalbewegung verwendeten. Auch Raczynski vollzog eine semantische und ideologische Radikalisierung des christlich-konservativen Restaurationsdiskurses, indem er immer wieder gegenrevolutionäre Semantiken, antifranzösische Feindbilder und christlich-legitimistische Ordnungsprinzipien assoziierte: Ich freue mich sehr, der Repräsentant der ersten deutschen Macht zu sein, aber noch mehr der Repräsentant einer Macht zu sein, welche berufen ist und die Mittel besitzt, reichsverweserische, Gagern’sche, Bunsen’sche, Radowitz’sche Grillen nicht zu verfolgen, mit Rußland und Österreich vereint der französischen Revolution und Konfusion die Spitze zu bieten, die Völker gegen Ideologen, Räuber und Banditen zu protegieren. Auf diesem Pfad ist […] Ehre und Macht zu suchen, nicht auf dem Pfad des Konstitutionalismus und der deutschen Einheit, denn beides sind Lügen.274
271 Victor Aimé Huber, Bruch mit der Revolution und Ritterschaft, Berlin 1852, S. V. 272 Vgl. Victor Aimé Huber, Suum cuique in der deutschen Frage, Berlin 1850, S. 7–11 und 36. 273 Victor Aimé Huber, Zur Schleswig-Holsteinischen Frage, Nordhausen 1863, S. 24. 274 Atanasius Graf Raczynski an Karl Friedrich von Savigny am 2.11.1849. In: Savigny, Briefe (Bd. 1), S. 471.
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In den neuen parlamentarischen und publizistischen Arenen sowie auch in den privaten Netzwerken generierte diese triviale Polemik gegen den Konstitutionalismus und die deutsche Einheit eine attraktive Deutungs- und Argumentationsstrategie, die nach den revolutionären Erschütterungen von 1848/49 die wachsende politische und kulturelle Desorientierung der Konservativen reduzierte. Seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert tauchte die Assoziation Nation-Revolution in unzähligen politisch-philosophischen Abhandlungen, Pamphleten, Zeitungsartikeln, Karikaturen, Liedern, Parteiprogrammen, parlamentarischen Reden, Regierungsdokumenten, Tagebüchern und Briefen auf. Aus konservativer Sicht bildete sie ein starkes Rechtfertigungsnarrativ, das die dramatisierte Revolutionserfahrung und die latenten antifranzösischen Stereotypen reaktivierte, um die liberalen Reformen und die Nationalbewegung zu diskreditieren. Vor allem in der krisenhaften Übergangszeit zwischen 1840 und 1870 war es für die konservative Machterhaltung besonders wichtig, die neuen politischen Institutionen und Legitimationstheorien in einer Kontinuitätsvorstellung mit traditionellen Wertorientierungen, Kollektivsymbolen und Ordnungsprinzipien zu verorten. Dafür erwies sich die Assoziation Nation-Revolution als ein nachhaltig attraktives Wahrnehmungs- und Argumentationsmuster, weil sie altvertraute Sinnstiftungsmechanismen aktualisierte und popularisierte, aber auch pragmatische Neuorientierungen untermauerte. Sowohl die „Radowitz’sche Grillen“ als auch die „Hundewut der Kreuzzeitungsclique“ bezogen sich auf den permanenten Revolutionsbegriff. Dabei imaginierten sie zwei konkurrierende Politikentwürfe, die im konservativen Diskurs einen ergebnisoffenen Bewältigungs- und Anpassungsprozess über die kontroverse Frage einer Verfassungs- und Nationalstaatspolitik von oben einleiteten. In den 1850er Jahren entwickelte die konservativ-reformbereite Wochenblattpartei „in allem Wesentlichen“ die innovativen Ideen von Radowitz weiter.275 Die heftige Diskussion zwischen der Kreuzzeitungsclique und der Wochenblattpartei betraf hauptsächlich die konservative Rekonfigurierung und Neuerfindung der politikmächtigen und vielfältig einsetzbaren Assoziation Nation-Revolution. Bis in die 1860er Jahre hinein spielte das umstrittene Thema, inwieweit die politische Neugestaltung Deutschlands unter preußischer Führung revolutionär oder gegenrevolutionär sei, eine entscheidende Rolle, um die nicht linearen Machtverschiebungen zwischen Erzkonservativen und reformbereiten Pragmatikern zu bestimmen. Im Gegensatz zur preußischen Kreuzzeitungsclique konnten erzkonservative Adlige und ultrakatholische Publizisten in Piemont den Wiederbeginn des sogenann-
275 Seit 1851 demonstrierte Radowitz großes Interesse für das liberalkonservative Programm der Wochenblattpartei. Der ehemalige preußische Außenminister korrespondierte mit wichtigen Vertretern wie Robert von der Goltz und Ludwig Emil Mathis. Dabei betonte er, dass das neue Projekt „in allem Wesentlichen“ auch seinen Gedanken entsprach. Vgl. Joseph Maria von Radowitz an Robert von der Goltz am 16.9.1851. In: Radowitz, Briefe, S. 389.
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ten italienischen Unabhängigkeitskriegs gegen Österreich im März 1849 und die Fortsetzung der liberalen Verfassungspolitik nicht erfolgreich verhindern. Die piemontesischen Konservativen artikulierten ihre Opposition gegen die Reformen und die Nationalbewegung ebenfalls mit einer ostentativen Beharrung auf der pejorativen Assoziation zwischen nationalen Einheitsbestrebungen und revolutionären Ideen. Aufgrund der weitverbreiteten Skepsis gegen die italienische Politik der Regierung Gioberti zog die Mehrheit der piemontesischen Armee loyal, aber begeisterungslos und teilweise widerwillig in den Krieg. Der polnische General Wojciech Chrzanowski, der während des unglücklichen Feldzugs von 1849 die Streitkräfte von König Karl Albert als Oberbehelfshaber leitete, betrachtete diese latente Opposition und die wachsenden Animositäten zwischen piemontesischen und nicht piemontesischen Offizieren als wesentlichen Grund für die katastrophale Niederlage von Novara.276 Mit der umfassenden politischen Meinungsmobilisierung, die in Piemont bereits im Jahr 1846 mit der Wahl von Pius IX. und nach den ersten liberalen Reformen im Herbst 1847 begann, nahmen auch die Pluralität und Verfügbarkeit konservativer Ideen und Netzwerke kontinuierlich zu. Um 1850 gehörten die ultrakatholischen Zeitungen L’Armonia (Turin), Lo stendardo cattolico (Genua), La Campana (Turin) und Echo du Mont Blanc (Annecy) zu den meistgelesenen politischen Publikationen in Piemont. Außerdem zirkulierten in Turin auch andere konservative Medien wie die neugegründete Jesuitenzeitschrift Civiltà Cattolica und das französische Journal L’Univers von Louis Veuillot, die die piemontesische Verfassungs- und Nationalstaatspolitik massiv kritisierten. Im Jahr 1853 verzeichnete die Civiltà Cattolica von Luigi Taparelli d’Azeglio und Carlo Maria Curci bereits 13.000 Abonnenten und war damit eine der meistgelesenen italienischen Zeitschriften.277 Armonia, Campana und Cattolico, die wichtigsten Sprachrohre der konservativen Opposition gegen die Reformbemühungen der piemontesischen Moderati, verzeichneten nach der Revolution von 1848 jeweils zwischen 2.000 und 2.500 Abonnenten. Es handelt sich um eine bemerkenswert hohe Zahl, weil in Piemont sonst nur die regierungsfreundlichen Zeitungen Gazzetta del Popolo und Parlamento eine größere Resonanz erreichten, während das Risorgimento von Cavour und Balbo, die Opinione von Giacomo Durando und die linksliberale Concordia von Lorenzo Valerio zwischen 1.000 und 1.500 Abonnenten hatten.278
276 Vgl. Wojciech Chrzanowski, Sulle cause del fallimento della guerra (1849). In: Mack Smith, Risorgimento, S. 293. 277 Vgl. Della Peruta, Giornalismo, S. 66–69. Über das französische Journal Univers vgl. Clemente Solaro an Antonio Brignole Sale am 17.6.1852 und am 8.5.1855 (ABS Serie corr. alfabetico S. Inventario 38, nr. 6482 und 6497). 278 Der englische Diplomat Sir James Hudson verfasste im Jahr 1853 einen detaillierten Bericht über die politische Orientierung und die Diffusion der piemontesischen Zeitungen. Vgl. James Hudson an John Russel am 5.3.1853. In: Federico Curato, Relazioni diplomatiche tra la Gran Bretagna ed il Regno di Sardegna dal 1852 al 1856 (Bd. 1), Turin 1956, S. 267. In Preußen waren die Zahl und die Resonanz
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Mit derselben Sprache der preußischen Kreuzzeitungsclique bezog sich auch in Piemont die heftige Polemik der ultrakatholischen Presse gegen die regierenden Moderati systematisch auf die pejorative Assoziation Nation-Revolution. Ausgehend von den Ideen konservativer Intellektueller wie Haller und De Maistre, aktualisierte der Chefredakteur der Armonia Giacomo Margotti die traditionellen Wertorientierungen und Ordnungsmuster des Restaurationsdiskurses.279 Daraus entstand eine überzeugende Argumentationsstrategie gegen die liberalen Reformen und die nationalen Einheitsbestrebungen. Bis in die 1860er Jahre hinein entwickelte Margotti seinen radikalen Protest gegen die italienische Revolution in der Armonia weiter.280 Die antifranzösischen Feindbilder, die die preußischen Konservativen gegen den liberalen Verfassungs- und Nationsdiskurs immer wieder instrumentalisierten, spielten für die erzkonservative Publizistik in Piemont eine eher marginale Rolle. Dabei verwendete Margotti andere Antisymbole wie die dämonisierte Figur von Giuseppe Mazzini oder apokalyptische Suggestionen und reformationsfeindliche Stereotypen, die den konservativen Politikdiskurs emotionalisierten und popularisierten.281 Auch die Armonia verband altvertraute gegenrevolutionäre Semantiken und Suggestionen mit der Idee des italienischen Einheitsstaats. Die piemontesische Nationalstaatspolitik wurde genauso wie die deutsche „Goldpapierkrone“ mit einer dramatischen Sprache als „rivoluzione, che eccita passioni, che sconvolge ogni ordine umano e divino, che non da tregua all’Italia“ vehement stigmatisiert.282 Nach der Nationalstaatsgründung im Jahr 1861 beharrte Margotti auf dieser überspitzten Argumentationsstrategie gegen die italienische Revolution, die er in seinen Leitartikeln als Zerstörung und Entsittlichung verurteilte. 283 Ausgehend von der obsessiv rekurrierenden Assoziation zwischen Nation und Revolution konstatierte die Armonia dennoch pragmatisch, dass die Revolution von 1859 viel gefährlicher als die von 1848 war, weil diese nur von „Kommunisten“ und „Landstreichern“ unterstützt worden
der Volks- und Intelligenzblätter deutlich größer als in Piemont. Bereits 1847 zirkulierten 404 Zeitungen und im Jahr 1849 sogar 622. Davon erreichten elf Zeitungen eine Auflagehöhe von über 3.000 Exemplaren. Vor allem in den preußischen Kernprovinzen war die politische Orientierung der Presse überwiegend regierungstreu und konservativ. Vgl. Hewitson, Nationalism, S. 37 und 182. 279 Vgl. Giacomo Margotti, Avvertimenti di Giuseppe de Maistre. In: Armonia 80 (9.4.1859). 280 Vgl. Giacomo Margotti, L’Inghilterra e la rivoluzione italiana. In: Armonia 150 (1.7.1856). 281 Vgl. Giacomo Margotti, Miss White fa l’Italia in Inghilterra. In: Armonia 78 (5.4.1857); Margotti, Panegirico di Giuseppe Mazzini. In: Armonia 62 (17.3.1858); Margotti, Accuse di Giuseppe Mazzini contro il conte di Cavour. In: Armonia 79 (9.2.1858); Margotti, Il giorno di Mazzini e il giorno di Cavour. In: Armonia 172 (31.7.1858); Margotti, Lettera di Giuseppe Mazzini al conte di Cavour. In: Armonia 222 (29.9.1858); Margotti, Accuse di Giuseppe Mazzini contro il conte di Cavour. In: Armonia 223 (30.9.1858). Vgl. auch Margotti, Memorie (Bd. 2), S. 218. 282 Giacomo Margotti, I parricidi dell’Italia (6.12.1860). In: Margotti, Memorie (Bd. 5), S. 108. 283 Vgl. Giacomo Margotti, I lavori del primo parlamento italiano (16.7.1861). In: Margotti, Memorie (Bd. 5), S. 63; Margotti, Pio IX e la strage degli innocenti in Italia (28.12.1862). In: Margotti, Memorie (Bd. 5), S. 213.
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war, während um 1860 die italienische Revolution von „staatserhaltenden Kräften“ ausging: „Ci spaventa assai più la rivoluzione del 1859 che quella del 1848, perché questa veniva dal basso, e la prima scende dall’alto […] perché nel 1848 il disordine era provocato dai maestratori, dai comunisti, dai felloni ed ora parte dai difensori naturali dell’ordine, e pretende di mascherarsi sotto questo intendimento.“284 Auch der konservative Theologe und Mitbegründer der Armonia, Guglielmo Audisio, stilisierte in seinem Pamphlet La Repubblica italiana nel 1849 Mazzini als Feindbild, das die Assoziation Nation-Revolution überdeutlich symbolisierte.285 In seiner ideologischen Rekonstruktion der Revolutionsjahre polemisierte Audisio gegen eine „Handvoll Männer“, die sich anmaßten, „che quell’albero insterilito e maledetto dell’universalità della nazione debba attecchire sul suolo italiano“.286 Margotti und Audisio benutzten ein zentrales Argumentationsmuster des konservativen Revolutionsdiskurses und diskreditierten die Nationalbewegung als kleine Gruppe von intrigierenden Demagogen. Die konservativen Theologen warfen Mazzini und den anderen Befürwortern des Risorgimento undifferenziert vor, die italienischen Einheitsbestrebungen als Vorwand für die Durchsetzung von Revolution und Republik zu instrumentalisieren.287 Verstärkt seit 1848 und bis in die 1850er Jahre hinein charakterisierte die semantische, ideologische und emotionale Assoziation von Nation und Revolution die konservative Opposition gegen liberale Reformen und Nationalstaatspolitik. Diese Argumentationslogik wurde von erzkonservativen Theologen wie Margotti und Audisio, aber auch von vielen anderen Publizisten wie Clemente Solaro della Margarita, Emiliano Avogadro della Motta, Giorgio Briano und Stefano San Pol Gandolfo immer wieder benutzt. Der Chefredakteur der konservativen Zeitung La Patria, Giorgio Briano, attackierte in seinen politischen Pamphleten Mazzini als das Symbol der engen Verflechtung von Nationalbewegung und revolutionären Ideen.288 Mit seinen viel diskutierten Publikationen bezog sich auch Avogadro della Motta auf die dramatisierte Revolutionserfahrung von 1789 und 1848, indem er die Thesen von Joseph de Maistre rezipierte und nach 1861 die italienische Revolution weiter explizit verurteilte.289 In den 1850er Jahren vertrat Avogadro die erzkonservative Opposition gegen die Moderati im piemontesischen Parlament und schrieb regelmäßig für die Armonia. Um 1860 veröffentlichte er mehrere polemische Pamphlete, die die Formation des italienischen Nationalstaats schroff ablehnten. Während die piemontesische Regierung die nationale Einigungspolitik ähnlich wie Radowitz als alternativlose
284 Giacomo Margotti, Avvertimenti di Giuseppe de Maistre. In: Armonia 80 (9.4.1859). 285 Vgl. Guglielmo Audisio, La Repubblica italiana nel 1849, Perugia 1851, S. 1, 15 und 28. 286 Audisio, Repubblica, S. 2. 287 Vgl. Audisio, Repubblica, S. 313. 288 Vgl. Giorgio Briano, Il Re costituzionale, Turin 1856, S. 2. Ferner Briano, I settari e la monarchia di Savoia, Turin 1856, S. 4, 11–13 und 17. 289 Vgl. Avogadro, Quistione, S. 12.
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Strategie gegen die Revolution rechtfertigte, warf Avogadro den Moderati vor, statt die Ära der Revolutionen zu beenden, sie vielmehr zu legitimieren.290 Die skandalisierende Sprache der omnipräsenten Assoziation Nation-Revolution gipfelte auch in Piemont in zahlreichen ironischen Liedern, die die antiliberalen und nations-skeptischen Argumentationsmuster des konservativen Politikdiskurses popularisierten. Nachdem seine Zeitung Lo Smascheratore wegen der aggressiven Polemik gegen die regierenden Moderati verboten worden war, publizierte Stefano San Pol mehrere anonyme Pamphlete, die mit trivialen Spottgedichten und satirischen Erzählungen heftige Kritik an der piemontesischen Verfassungs- und Nationalstaatspolitik übten. In seinem Canzoniere politico von 1858 verspottete der konservative Publizist die italienische Revolution als „Magnifico progetto“, „Italia rovinata“ oder „Politica italo-stivale“ und attackierte die Befürworter des Risorgimento als „Italiatelli“, „Italianoni“ und „Bimbi d’Italia“.291 Mit derselben symbolgeladenen Sprache der Canzoniere polemisierte San Pol noch im Jahr 1865 mit dem Pamphlet Quarante vérités dites à la cour de Turin gegen die „revolution italienne“.292 Auch in Piemont prägte die pejorative Assoziation von Nation und Revolution nachhaltig die Wertorientierungen und Erfahrungsdeutungen einer breiten Konstellation konservativer Akteure. Dazu gehörten erzkonservative Adlige wie Solaro und Avogadro, ultrakatholische Theologen wie Margotti oder Audisio und Publizisten wie Briano und San Pol. Die soziale und kulturelle Pluralität der konservativen Meinungsmobilisierung spiegelte sich in den verschiedenen Semantiken und Argumentationsfiguren wider, die die Ideen von Haller und De Maistre in einer reflektierten und kognitiven oder trivialen Form revitalisierten. Ähnlich wie in der piemontesischen Hauptstadt wurde die konservative Opposition gegen die Verfassungs- und Nationalstaatspolitik der regierenden Moderati auch in Genua von der ultrakatholischen Presse, dem Klerus und den lokalen Eliten erfolgreich reorganisiert. Mit mehr als 2.500 Abonnenten blieb Lo stendardo cattolico nach 1848 die meistgelesene Zeitung in Ligurien und vertrat eine ähnlich erzkonservative Position wie die Armonia in Turin. Der Stendardo wurde von einem weit ausgedehnten Netzwerk von Jesuiten, österreichischen und neapolitanischen Diplomaten, römischen Prälaten und genuesischen Aristokraten unterstützt.293 Antonio Brignole-Sale Marchese von Groppoli war um 1850 der reichste und mächtigste genuesische Aristokrat. Der streng katholische und erzkonservative Grandseigneur bewohnte den prächtigen Palazzo Rosso, wo die Gemälde der flämischen Künstler Anthonis Van Dyck und Peter Paul Rubens die stolze Familientradi-
290 Emiliano Avogadro della Motta, La rivoluzione e il Ministero torinese in faccia al Papa, Turin 1862, S. 54 und 69. Vgl. auch Avogadro, Considerazioni sugli affari d’Italia e del Papa, Turin 1860, S. 9. 291 San Pol, Nemesi, S. 22, 361, 467, 386 und 431. 292 Vgl. Stefano San Pol, Quarante vérités dites à la cour de Turin, Paris 1865, S. 11 und 17. 293 Vgl. Curato, Relazioni diplomatiche (Bd. 1), S. 267. Ferner Della Peruta, Giornalismo, S. 66.
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tion repräsentierten.294 Nach dem Untergang der genuesischen Adelsrepublik blieben das internationale Prestige sowie die finanziellen Ressourcen der Familie Brignole erhalten. Als im Jahr 1802 sein Vater starb, erbte Antonio Brignole-Sale ein großes Vermögen von über zehn Millionen Lire und erheblichem Land-, Immobilien- und Kunstbesitz.295 Während seine Mutter als erste Hofdame von Maria-Louise von Österreich in Paris diente, wurde der 25-jährige Antonio Brignole-Sale mit dem Grafentitel in die neue noblesse impériale aufgenommen und zum Präfekten der Provinz Savona ernannt. Dabei handelte sich um eine besonders wichtige Stellung, weil dort seit 1809 Papst Pius VII. gefangen gesetzt war. Nachdem sich Brignole als genuesischer Gesandter auf dem Wiener Kongress vergeblich für die Restauration der alten Adelsrepublik eingesetzt hatte, trat er in den piemontesischen Staatsdienst ein und akzeptierte damit pragmatisch die neue Herrschaft des Hauses Savoyen über Ligurien. Im Jahr 1836 erreichte der genuesische Aristokrat als Botschafter von König Karl Albert in Paris den Höhepunkt seiner Karriere. Nach der Revolution von 1848 trat er zurück und engagierte sich als lebenslängliches Mitglied des piemontesischen Senats gegen die liberalen Reformen und die Nationalbewegung. Wie die meisten seiner konservativen Mitstreiter entwickelte Brignole seine politischen Ideen nach den Thesen von Burke, Haller und De Maistre. Darüber hinaus las er die ultrakatholischen Zeitungen Univers, Cattolico und Civiltà cattolica sowie Armonia von Giacomo Margotti und Smascheratore von Stefano San Pol.296 Brignole korrespondierte regelmäßig mit Solaro und Margotti und setzte nach der Formation des italienischen Nationalstaats seine konservativ-legitimistische Opposition gegen die Moderati ebenfalls fort. Im März 1861 verkündete der ehemalige Diplomat seinen Rücktritt aus dem piemontesischen Senat und betonte in mehreren politischen Pamphleten, dass er die „Geschenke der Revolution“ auf keinen Fall annehmen könne.297 Um die Inkompatibilität seiner „religiösen und politischen Prinzipien“ mit dem neugegründeten Nationalstaat zu verdeutlichen, bezog sich Brignole immer wieder auf die pejorative Assoziation Nation-Revolution.298 In diesem Sinne kritisierte
294 Vgl. Alfredo Giuggiolo, Il palazzo del Banco di Roma in Genova, Caserta 1972, S. 152. Ausführlich über die Familie Brignole und die konservativen Netzwerke in der ligurischen Hafenmetropole siehe Kap. 2.2.4. 295 Vgl. Laura Malfatto, Da tesori privati a bene pubblico. Le collezioni antiche della Biblioteca Berio di Genova, Genua 1998, S. 112. 296 Vgl. Catalogo della Biblioteca di sua ecc. il marchese Antonio Brignole-Sale (ACG – Fondo manoscritti 108 – E – 12 bis, BS, S. 105, 179 und 377). Ferner Claudia Malfatto, La biblioteca Brignole-Sale: note per una storia. In: I duchi di Galliera: alta finanza, arte e filantropia tra Genova e l’Europa nell’Ottocento. Hrsg. von Giovanni Assereto, Genua 1991, S. 940–952. 297 Antonio Brignole-Sale, Osservazioni indirizzate al Senato del Regno sulla cessione della Savoia e del circondario di Nizza alla Francia (26.5.1860). In: Discorsi tenuti al Senato del Regno di Sardegna da Antonio Brignole Sale, Genua 1864, S. 80. 298 Antonio Brignole-Sale, Lettera indirizzata al Senato (21.3.1861). In: Brignole-Sale, Discorsi, S. 101.
Grundlagen der pejorativen Assoziation zwischen Nation und Revolution
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er besonders heftig die Zusammenarbeit zwischen der piemontesischen Regierung und den „Revolutionstruppen“ von Garibaldi.299 Um 1860 aktivierte Brignole seine weitreichenden Verbindungen in Paris und publizierte dort das aufsehenerregende Pamphlet Considérations sur la question romaine. Damit versuchte er die Nationalstaatspolitik der „tres-improprement“ genannten Moderati unter anderem auch in der französischen Hauptstadt zu diskreditieren.300 Der genuesische Aristokrat stigmatisierte die Befürworter des italienischen Risorgimento undifferenziert als „Atheisten und Revolutionäre“ und lehnte die piemontesische Politik schroff ab, weil die Nationalstaatsgründung „la tranquillité non seulement des Etats romains, mais de l’Italie toute entière, et même de l’Europe“ destabilisierte.301 Genauso wie die überwiegende Mehrheit der preußischen und piemontesischen Konservativen formulierte auch Brignole nach dem Schock von 1848 seine politische Position mit einer zunehmend dramatischen und apokalyptischen Sprache, indem er die Assoziation Nation-Revolution als vereinfacht-empathisches Orientierungsund Argumentationsmuster systematisch benutzte. Ähnlich wie Haller oder Stahl betrachtete Brignole den „Geist der Revolution“ als „l’attual nemico di tutti i governi ben ordinati, […] lo spirito del disordine, d’intemperanza morale, d’anarchia, che fa per ogni dove tanti progressi in questi tempi calamitosi“.302 Damit fand der genuesische Aristokrat ein Rechtfertigungsnarrativ, um die miteinander konkurrierenden Visionen der italienischen Einigung von Gioberti, Mazzini, Cavour und Garibaldi als „Triumph der Revolution“ undifferenziert zu verurteilen.303 In diesem Sinne bezeichnete Brignole die allgemein gefeierte Strategie von Cavour als ein moralisches und politisches Fiasko, weil sie eine blinde machpolitische Gier in Zusammenarbeit mit den Revolutionsprinzipien erfüllte: „Il Conte di Cavour […] era lungi da avere le qualità che si richiedono in un Uomo di Stato. Desideroso di vedere ingrandito il Piemonte e trovata l’occasione di appagar tale brama mediante l’aiuto dei principij rivoluzionari, ha imprudentissimamente invocato pel conseguimento di tale scopo la cooperazione di colui che alla rivoluzione doveva il governo della Potenza limitrofa.“304
299 Antonio Brignole-Sale, Sull’invasione degli Stati pontifici e del Regno delle Due Sicilie (16.10.1870). In: Brignole-Sale, Discorsi, S. 98. 300 Antonio Brignole-Sale, Considérations sur la question romaine, Genua 1860, S. 19. Zuerst wurde das Pamphlet in Paris veröffentlicht. Wenige Woche nach seiner Erstveröffentlichung wurden die Considérations in Genua wiederabgedruckt und erschienen, ins Italienische übersetzt, auch in Rom (Considerazioni sulla quistione romana, ossia risposta alle obbiezioni antiche e recenti contro il governo pontificio, Rom 1860). 301 Brignole-Sale, Considérations, S. 4–8, 18 und 43. 302 Antonio Brignole-Sale an seine Tochter am 28.2.1850 (ABS – Corr. fam. – Lettere xix secolo – serie 3 – busta 1, nr. 17). 303 Antonio Brignole-Sale an seine Tochter am 27.3.1859, am 22.2.1860, am 14.11.1860 und am 20.6.1861 (ABS – Corr. fam. – Lettere xix secolo – serie 3 – busta 1, nr. 36, 45, 51 und 54). 304 Antonio Brignole-Sale an seine Frau am 17.6.1861 (ABS – Corr. fam. – Lettere xix secolo – serie 3 – busta 2, nr. 15).
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In seinen publizistischen Aktivitäten und vor allem in dem Briefwechsel mit seiner Familie aktualisierte Brignole die altvertrauten Semantiken und Wertorientierungen des konservativen Restaurationsdiskurses, um die beschleunigten politischen Veränderungen produktiv zu verarbeiten. Aufgrund seiner enormen finanziellen Ressourcen und der unveränderten internationalen Reputation seiner Familie stand der genuesische Aristokrat im Zentrum einer breiten Konstellation konservativer Gegner des Nationalstaats. Dazu gehörten Solaro della Margarita, Giacomo Margotti, der erzkonservative Abgeordnete Carlo Emanuele Birago di Vische, aber auch der Kardinalstaatssekretär des Kirchenstaates Giacomo Antonelli, der Apostolische Nuntius in Wien, Kardinal Antonio de Luca, und der Bischof von Orleans, Felix Dupanloup.305 Gegen „la revolution italienne“ und „le sacrilège du Piemont“ verwendeten Brignole und seine einflussreichen Korrespondenten dieselben semantischen und ideologischen Bestimmungsmuster, die auch in unzähligen Pamphleten, Zeitungsartikeln, Romanen, historischen Darstellungen, Liedern und Karikaturen die politische Mythologie der pejorativen Assoziation Nation-Revolution europaweit kommunizierten.306 Die skandalisierende Sprache, die Antisymbole und Erfahrungsdeutungen, die die nationalen Einheitsbestrebungen mit den revolutionären Ideen verknüpften, trugen entscheidend zur Popularisierung und Emotionalisierung der konservativen Politikdiskurse bei. Vor allem die preußischen Konservativen rekrutierten die „im Konstitutionalismus erforderlichen Massenbasis“, indem sie nach den tiefen Krisen von 1848 und 1858 verstärkt auf patriotische, bellizistische, kapitalismuskritische, antifranzösische und antisemitische Argumentationsfiguren zurückgriffen.307 Mit einer repetitiven und symbolgewaltigen Sprache konstruierten die Konservativen ein attraktives Rechtfertigungsnarrativ, um die liberalen Legitimations- und Partizipationstheorien auf dem politischen Massenmarkt herauszufordern. Zum einen prägte die Assoziation Nation-Revolution einen radikalen Oppositionsdiskurs, der die permanente Revolutionsangst der Konservativen gegen die liberalen Reformen und die Nationalbewegung instrumentalisierte. Zum anderen wurde diese immer wieder rekurrierende Suggestion in der krisenhaften Übergangsphase um 1850 neu bewertet und als semantische und intellektuelle Grundlage pragmatischer Anpassungsleistungen und innovativer Politikentwürfe funktionalisiert.
305 Vgl. Antonio Brignole-Sale an Giacomo Antonelli am 25.2.1860 und am 8.3.1860 (ABS – Corr. fam. Lettere 19. Jh. – serie 3 – busta 4). Vgl. auch Antonio De Luca an Brignole-Sale am 1.3.1861 (ABS – Serie corrispondenza V 40, nr. 6974). Ferner Giacomo Margotti an Brignole-Sale am 14.10.1859, am 8.6.1860, am 15.6.1860, am 20.6.1860, am 11.10.1860, am 29.10.1860 und am 25.12.1861 (ABS – Serie corr. M 21, busta A 21, nr. 3620–3626 und 3629 sowie Serie corr. B 6, nr. 1152). Außerdem Birago di Vische an Brignole-Sale am 15.10.1860 und 30.10.1860 (ABS – Serie corrispondenza B 6, nr. 1128 und 1129). 306 Felix Dupanloup Bischof von Orleans an Antonio Brignole-Sale am 8.2.1859 (ABS – Serie corrispondenza V 40, nr. 6952). Vgl. auch Bischof von Tripolis an Brignole-Sale am 18.4.1861 (ABS – Serie corrispondenza V 40, nr. 6975). 307 Albrecht, Preußen, S. 460.
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Während reaktionäre „Falken“ wie Solaro und Gerlach die nationalen Einheitsbestrebungen undifferenziert als revolutionär zurückwiesen, plädierten reformbereite Konservative wie Radowitz und Balbo für die Zergliederung der Assoziation NationRevolution. In Zusammenarbeit mit der „wahren“ Nationalbewegung imaginierten sie eine neue Machterhaltungsstrategie, die die liberalen Legitimationstheorien, die konservativen Interessen und die Maxime dynastischer Politik harmonisierte. Balbo und Radowitz knüpften an die Tradition des Adelsliberalismus und des Juste Milieu an.308 Der liberal-konservative Osmoseprozess basierte auf einer teleologischen Kontinuitätslinie ungleichzeitiger Semantiken, Erfahrungsdeutungen und Zukunftsvisionen. Die umstrittene Idee einer Verfassungs- und Nationalstaatspolitik von oben blieb bis in die 1870er Jahre hinein die Kontrastfolie für die Verschiebung konservativer Erwartungshorizonte und Wahrnehmungskategorien. Sowohl für die erbitterten Gegner als auch für die pragmatischen Befürworter der nationalen Einheit generierte der lange Revolutionsdiskurs wichtige Deutungs- und Handlungsoptionen, um nach 1848 die konservative Sprache in den neuen politischen Arenen und mit veränderten Erwartungshaltungen empathisch zu reproduzieren.
1.2 P seudo-Patriotismus. Die Permanenz konservativer Semantiken und Deutungsmuster gegen die liberale Nationalbewegung Im April 1848 proklamierte das Gründungsmanifest der Kreuzzeitung: „Wir wollen nicht […], daß dem deutschen Volke im Namen der Freiheit und des Fortschritts fremde und undeutsche Institutionen aufgedrungen werden“.309 Damit sprach sich die meistgelesene konservative Zeitung eindeutig gegen die intensiv diskutierten Verfassungsbestrebungen und die Nationalbegeisterung aus. Um 1850 generierte der permanente Revolutionsdiskurs ein politisches Orientierungsmuster gegen die liberale Nationalbewegung. Dabei wurden die nationalen Einheitsbestrebungen mit einer indirekten Beweisführung aufgrund der vermeintlichen historischen und politisch-ideologischen Verflechtungen zwischen Nationalismus und Revolution stigmatisiert. Um diese assoziative Gedankenkette zu ergänzen, revitalisierten die Konservativen bereits existierende Semantiken, Suggestionen und Ordnungsideen, die das „Nationalitäts-Prinzip“ ipso facto ablehnten. Zu den unmittelbar gegen den PseudoPatriotismus gerichteten Deutungsmustern gehörten aufklärungsfeindliche Motive,
308 Auch für den piemontesischen Ministerpräsidenten Cavour waren die Paradigmen der „richtigen Mitte“ besonders wichtig, um am Anfang seiner schnellen politischen Karriere eine programmatische Position zu artikulieren. Vgl. Lucy Riall, Sicily and the unification of Italy, Oxford 1998, S. 113. 309 NPZ Gründungsmanifest. In: Flugschriften 1848. http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/2233243 (13.9.2015).
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christlich-legitimistische Wertorientierungen sowie dynastische und ständisch-paternalistische Traditionen. Ausgehend von diesen altvertrauten und sich gegenseitig ergänzenden Paradigmen wurden die nationalen Einheitsbestrebungen nicht nur als eine revolutionäre Nebenerscheinung verurteilt, sondern auch als eine per se ungerechte, verführerische und unhistorische Vision vehement zurückgewiesen. Der Begriff Pseudo-Patriotismus reflektierte das breite Instrumentarium an ungleichzeitigen semantischen und ideologischen Bestimmungsmustern, die die preußischen und piemontesischen Konservativen funktionalisierten, um den Nationalismus als eine revolutionäre und falsche Idee zu diskreditieren.310 Ähnlich wie die Assoziation Nation-Revolution basierte auch die Sprache des Pseudo-Patriotismus auf einer vereinfachten Gut-Böse-Dichotomie. Diese überspitzte Argumentationsfigur stilisierte eine scharfe Trennlinie zwischen positiver und negativer Nationalbewegung sowie zwischen der liberalen „Pseudo-Freiheit“ und der wahren Freiheit christlich-ständischer und monarchischer Traditionen. Im 19. Jahrhundert entstand zwischen „wahrem“ konservativem Patriotismus und liberaler Nationalbewegung ein langer Konflikt um die politische Deutungshoheit über traditionsstiftende Mythen, nationale Massenemotionen und patriotische Loyalitätsappelle.
1.2.1 N achahmung und Verführung. Die anhaltende konservative Skepsis gegen den modernen Nationalismus Bis in die 1860er Jahre hinein wurden im konservativen Diskurs die europaweit zirkulierenden und zunehmend politikmächtigen Begriffe Einheit, Unabhängigkeit und Nationalität als „falsche Ideale“ behandelt.311 Im schroffen Gegensatz zu den romantisch-teleologischen Pathosformeln der liberalen Nationalbewegung, die die deutsche und die italienische Einigung als den natürlichen und alternativlosen Erwartungshorizont stilisierten, betrachteten die Konservativen den nationalen Einheitsstaat als eine fremde und unpatriotische Zukunftsvision. Dabei entwarfen zahlreiche konservative Politiker und Intellektuelle ein semantisches und argumentatives Paradox, das den deutschen und den italienischen Nationalstaat als eine unhistorische, verführerische und gegenteleologische Perspektive stigmatisierte. Um die Argumentationsstrategie des Pseudo-Patriotismus zu untermauern, die die optimistische Begründungserzählung des Nationalstaats drastisch revidierte, nutzten die Konservativen die bereits bekannten Mittel: die Suggestionen und Feind-
310 Der polemische Begriff Pseudo-Patriotismus wurde unter anderen von Ludwig von Gerlach in seiner privaten Korrespondenz systematisch benutzt. Vgl. Gerlach an Adolf von Thadden am 23.6.1866. In: Diwald, Revolution, S. 1312; Ludwig an Jakob von Gerlach am 17.8.1866. In: Diwald, Revolution, S. 1330. 311 Ludwig von Gerlach, TB am 10.9.1870. In: Kraus, Gerlach, S. 860.
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bilder der Assoziation Nation-Revolution.312 In den Revolutionsjahren 1848/49 und weiter nach der Reichsgründung im Jahr 1871 lehnte der preußische Publizist Constantin Frantz den „undeutschen“ Nationalismus als „stupide Nachäffung anderer Staaten“ schroff ab.313 Ausgehend von dem semantischen und argumentativen Paradox des Pseudo-Patriotismus distanzierten sich die preußischen Konservativen überdeutlich von der „sogenannten deutschen Nationalpartei“, die „für Frankreich arbeitet[e]“ und angeblich die Nachäffung der piemontesischen Einheitsstaatspolitik vertrat.314 Genauso wie Frantz wendeten sich auch Ludwig von Gerlach, Friedrich Julius Stahl und Victor Aimé Huber ostentativ von der „undeutschen“ und „antipreußischen“ Nationalbewegung ab. Im Hinblick auf die liberalen Verfassungs- und Einheitsbestrebungen polemisierte Gerlach bereits in den ersten Ausgaben der Kreuzzeitung gegen die „seit fast zwei Jahrhunderten“ bestehende „Untugend der Deutschen, den Franzosen nachzuahmen“.315 Dabei betonte er, dass sich im Jahr 1848 die vermeintliche deutsche Untugend und „die französischen Moden“ besonders deutlich manifestierten. Mit dem semantischen und argumentativen Paradox des Pseudo-Patriotismus attackierte Gerlach die undeutsche Nationalbewegung und hob polemisch hervor, dass sich die Pseudo-Patrioten vielmehr für das „Franzosenthum“ als für die echte „Deutschheit“ einsetzten.316 Die preußischen Konservativen stigmatisierten die „Gallomanie der Deutschen“ und die „pseudo öffentliche Meinung“ mit einer symbolgeladenen Sprache.317 Diese Argumentationsstrategie griff auf traditionsstiftende Wertorientierungen und Erfahrungsdeutungen zurück und vermittelte ein vereinfachtes Erklärungsmuster, um die seit 1848 wachsende politische Komplexität und die daraus entstehende Desorientierung zu reduzieren. Genauso wie zwischen Nation und Revolution entwarfen viele konservative Politiker und Intellektuelle auch zwischen der „falschen öffentlichen Meinung“ und den „wahren Interessen“ Deutschlands eine dramatische Gut-BöseOpposition.318 In diesem Zusammenhang erwies sich der Pseudo-Patriotismus als ein
312 Ausführlich über das teleologische Rechtfertigungsnarrativ der neugegründeten Nationalstaaten und über die geschichtstheoretischen Leitkategorien von Narration und Meistererzählung siehe Kap. 3.3.1. 313 Constantin Frantz, Preußen muß mediatisiert werden, Berlin 1851, S. 7. Ferner Frantz, Bismarckianismus und Friedricianismus, München 1873, S. 32. 314 Frantz, Dreiunddreißig, S. 82. 315 Ludwig von Gerlach, RS Juli 1848. In: Rundschauen 1849, S. 4. Auch in der Evangelischen Kirchenzeitung kritisierte Gerlach: „Von den Barrikaden bis zur Trikolore, kopieren wir pünktlich die Französischen Muster“. Vgl. Gerlach, Ein Blick in die Zeit. In: EKZ 34 (26.4.1848). 316 Ludwig von Gerlach, RS Juli 1848. In: Rundschauen 1849, S. 4. 317 Ludwig von Gerlach, TB am 3.3.1848, am 6.3.1848 und 15.11.1859. In: Diwald, Revolution (Bd. 1), S. 81, 86 und 410. 318 Vgl. Victor Aimé Huber, Die Machtfülle des altpreußischen Königthums, Bremen–Leipzig 1862, S. 28. Besonders heftig polemisierte Huber gegen den angeblich seit 1858 in Preußen wieder dominierenden „gallisierende[n] Liberalismus“ (S. 17). Vgl. auch Huber, Bruch mit der Revolution und Ritter-
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vielfältig einsetzbares Wahrnehmungs- und Argumentationsmuster, das sowohl die „undeutsche Deutschthümelei“ der Nationalbewegung als auch die undeutsche Propaganda der Nationalversammlung in Frankfurt und selbst das Unionsprojekt von Radowitz massiv kritisierte.319 Indem sie den Liberalen immer wieder „ein Abthun deutscher und eine Nachahmung französischer Einrichtungen“ vorwarfen, fanden die preußischen Konservativen ein plausibles Rechtfertigungsnarrativ, um ihre nach 1848 zunehmend exponierte Opposition gegen die nationalen Einheitsbestrebungen zu kommunizieren.320 Aus konservativer Sicht war die Formation eines deutschen Nationalstaats weder legitim noch wünschenswert und entsprach lediglich den „französischen Moden“ und den „Götzen des Tages“.321 Um 1850 erwartete die überwiegende Mehrheit der preußischen Konservativen, dass auch der Nationalismus wie alle anderen Moden schnell in Vergessenheit geraten würde. Dagegen galt die Wiederherstellung des alten Deutschen Bundes nach wie vor als die „wahre Einigung von Deutschland“.322 Trotz der umfassenden Machtverschiebungen und Neuorientierungen, die zwischen 1840 und 1870 die deutsche Einheitsidee und die liberale Nationalbewegung weitgehend veränderten, blieb die Suggestion des Pseudo-Patriotismus nachhaltig beliebt. In den 1860er Jahren polemisierte Ludwig von Gerlach gegen den „undeutschen Nationalverein“ mit demselben argumentativen und semantischen Paradox, das er seit der Revolution von 1848 gegen die undeutsche und „nachäffende“ Nationalbewegung verwendete.323 Dabei wurde der alte konservative Politiker auch von neuen antiliberalen Sprachrohren wie dem Preußischen Volksblatt und der Berliner Revue flankiert. Sie instrumentalisierten antisemitische Stereotype und diffamierten den „Jüdischen Nationalverein“ und seine vermeintliche Ambition, die deutsche Einheit mit einem „Judenkaiser“ zu realisieren.324 Noch am Vorabend des preußisch-österreichischen Kriegs von 1866 betonte Gerlach ausdrücklich, dass „in der heutigen Nationalitätsidee […] wenig oder nichts [Nationales] zu finden“ sei.325 Im Rahmen seiner heftigen Polemik gegen den deut-
schaft, Berlin 1852, S. VI. Auch König Friedrich Wilhelm IV. äußerte sich nach 1848 weiter sehr skeptisch gegenüber den liberalen Verfassungsbestrebungen, weil sie „den Stempel des französischen Konstitutionalismus“ trügen. Vgl. PPS (Bd. 4.1), S. 12. 319 Vgl. Ludwig von Gerlach, RS August 1849. In: Rundschauen 1850, S. 36. Ferner Gerlach, RS August 1848 und RS September 1848. In: Rundschauen 1849, S. 26 und 15. 320 Ludwig von Gerlach, RS Februar 1849. In: Rundschauen 1849, S. 109. 321 Ludwig von Gerlach, Die Erfurter Wahlen (1850). In: Diwald, Revolution, S. 647. 322 Ludwig von Gerlach, RS Mai 1850. In: Rundschauen 1850, S. 174. Vgl. auch Gerlach, Denkschrift an die preußische Regierung (23.11.1848). In: Diwald, Revolution, S. 604. 323 Ludwig von Gerlach, Reden am 17.8.1849, am 25.9.1849 und am 16.2.1850 (EK Bd. 2, S. 463 und 815 sowie Bd. 5, S. 2797). Ferner Gerlach, Die Krisis Preußens im September 1862, Berlin 1862, S. 25. 324 Albrecht, Preußen, S. 464 und 472. 325 Gerlach, Freiheits-Tendenzen, S. 23. Vgl. auch Gerlach, Ermannung, S. 31.
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schen „Bruderkrieg“ und gegen den neugegründeten Norddeutschen Bund radikalisierte Gerlach das Konzept des Pseudo-Patriotismus mit der moralisch konnotierten Argumentationsfigur des „Lasters des Patriotismus“.326 Nach der Reichsgründung spitzte er mit einem apokalyptischen Grundton sein semantisches und ideologisches Instrumentarium gegen den zunehmend etablierten Pseudo-Patriotismus weiter zu.327 Seine publizistischen und parlamentarischen Aktivitäten nutzte Gerlach immer wieder für flammende Predigten gegen das „grassierende Laster des Patriotismus“ und verurteilte damit sowohl die wachsende Euphorie der nationalliberalen Intellektuellen als auch den pragmatischen Pseudo-Patriotismus der preußischen Eliten.328 Genauso wie gegen die deutsche Nationalversammlung und das Unionsprojekt von Radowitz protestierte Gerlach um 1870 auch gegen die allgemein gefeierten Helden der Reichsgründung, weil sie „Deutschland in ein Germanie une et indivisible á la française verwandeln wollen“.329 Als er im Jahr 1873 im preußischen Abgeordnetenhaus wiedergewählt wurde, instrumentalisierte er noch das semantische und intellektuelle Paradox des „Pseudonationalismus“, um den deutschen Einheitsstaat in ein schlechtes Licht zu rücken und damit die zunehmend kompromittierende Skepsis der Konservativen gegen die realpolitische Reichsgründung zu rechtfertigen.330 Mit derselben skandalisierenden Sprache, die er gegen „Cavour und seinen Räuberkönig [Viktor Emanuel II.]“ systematisch benutzte, attackierte Gerlach auch die „Exzesse“ des „lügnerischen und räuberischen Patriotismus“ in Preußen.331 Im Hinblick auf das italienische Risorgimento fanden die preußischen Konservativen weitere konkrete Anhaltspunkte und diskursiv-intellektuelle Impulse, um die deutschen Einheitsbestrebungen als falsch zu diskreditieren.332 Bereits im Jahr 1848 stellte der
326 In seinen Memoiren erwähnte Gerlach, dass er den immer wieder rekurrierenden Begriff „Laster des Patriotismus“ von seinem älteren Bruder Leopold übernommen hatte. Vgl. Gerlach, Aufzeichnungen (Bd. 2), S. 297 und 310. Ferner Gerlach an Heinrich Leo am 8.12.1867. In: Kraus, Gerlach, S. 839. 327 Vgl. Ludwig von Gerlach, Die Annexionen und der Norddeutsche Bund, Berlin 1866, S. 29. 328 Vgl. Ludwig von Gerlach an Adolf von Thadden am 23.6.1866. In: Diwald, Revolution, S. 1312. Ferner Gerlach, TB am 17.4.1866 und am 18.4.1867. In: Kraus, Gerlach, S. 811 und 819. 329 Ludwig von Gerlach an Friedrich von Gerlach am 20.2.1871. In: Kraus, Gerlach, S. 861. 330 Vgl. Ludwig von Gerlach, Rede am 17.12.1873 (AH, 12. Leg., Bd. 1/1, S. 409); am 10.2.1875 (AH 12. Leg, Bd. 2/1, S. 173–176); am 20.1.1877 (AH, 13. Leg, Bd. 1/1, S. 55). 331 Ludwig von Gerlach, Krieg und Bundes-Reform. In: NPZ 105 (8.5.1866). In den 1860er Jahren polemisierte Gerlach immer wieder gegen die „völkerrechtswidrige Gier“ der piemontesischen Nationalstaatspolitik und des „Räuberkönigs“. Vgl. Gerlach, Der Congreß in Paris, Berlin 1866, S. 8; Gerlach, Deutschland im Neujahr 1870, Berlin 1870, S. 25; Gerlach, Das neue Deutsche Reich, Berlin 1871, S. 23. 332 Im Gegenteil wirkte die italienische Einigung als positiver „Anstoß und Vorbild für die deutschen Nationalisten“. Vgl. Jansen, Gründerzeit, S. 119–128. Ausführlich zur Rezeption und Funktionalisierung der italienischen Nationalstaatsgründung im preußischen konservativen Diskurs vgl. Amerigo Caruso, „Räuberkönig“ oder „natürlicher Bundesgenosse“? Rezeption und Funktionalisierung der italienischen Nationalstaatsgründung im konservativen preußischen Diskurs. In: 150 Jahre Risorgimento – geeintes Italien? Hrsg. von Gabriele B. Clemens u. Jens Späth, Trier 2014, S. 49–72.
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preußische Außenminister Canitz fest, dass die italienische Revolution vielmehr ein „warnende[s] Exempel“ als ein „glänzende[s] Vorbild“ für Deutschland sei.333 Canitz kritisierte vor allem, dass das Risorgimento „die Einheit der Nationalität als einzig gültiges Prinzip“ rücksichtslos annahm.334 Im Gegensatz zu den deutschen Nationalliberalen betrachtete auch die konservative Kreuzzeitung die italienische Frage als eine ernsthafte Bedrohung, weil diese die „neue Französische Nationalitäts-Theorie“ verbreite und sich damit eindeutig vom „Prinzip der Legitimität und des historischen Rechts“ distanziere.335 Zwischen 1840 und 1860 generierte die Suggestion des undeutschen und antipreußischen Charakters der liberalen Verfassungsbestrebungen und der Nationalbewegung ein starkes Rechtfertigungsnarrativ für die Ultrakonservativen, die das Unionsprojekt von Radowitz und die Realpolitik von Bismarck öffentlich kritisierten. Ausgehend von einer weitverbreiteten Rückbesinnung auf christlich-legitimistische Wertorientierungen und ständisch-paternalistische Ordnungsprinzipen versuchten die Konservativen, entweder die liberalen Reformen und die Nationalbegeisterung zu blockieren oder zumindest das bedrohliche Innovationspotenzial der neuen politischen Partizipations- und Legitimationstheorien zu relativieren. Der preußische Generalintendant Friedrich Wilhelm von Redern übernahm dasselbe semantische und argumentative Paradox von Gerlach und bezeichnete Konstitutionalismus und Nationalstaat als „etwas Undeutsches, dem preußischen Volkscharakter aufgepfropft“.336 Nach der Gründung des Norddeutschen Bundes im Jahr 1867 appellierte die einflussreiche Patriotische Vereinigung in Berlin demonstrativ an die „echte[n] Deutsche[n] Patrioten“ und forderte die preußische Regierung auf, die föderalen und legitimistischen Traditionen zu bewahren und die Idee des nationalen Einheitsstaats „á la française“ zu verwerfen.337 Auch Philipp Nathusius, der Nachfolger von Hermann Wagener als Chefredakteur der Kreuzzeitung, protestierte mit dem semantischen und argumentativen Paradox des Pseudo-Patriotismus gegen den „liberalen französierenden Einheitsstaat“.338 Constantin Frantz schloss sich ebenfalls dieser Argumentationsstrategie an und verurteilte die Reichsgründung als kurzsichtige und improvisierte Einheit, weil sie auf dem „bloßen Nationalgefühl“ gegründet sei.339 Im Gegensatz zur nationalliberalen Meistererzählung, die den kleindeutschen Nationalstaat als Telos postulierte, betrachteten die „echten“ preußischen Patrioten einzig die
333 Canitz, Aufgehen, S. 21. 334 Canitz, Aufgehen, S. 22. 335 Vgl. Preußen und die Italienische Frage (I). In: NPZ 150 (1.7.1859). 336 Redern, Lebenserinnerungen, S. 281. 337 Wahlaufruf der Patriotischen Vereinigung (1866). In: Mommsen, Parteiprogramme, S. 49–51. 338 Philipp Nathusius, Conservative Partei und Ministerium, Berlin 1872, S. 56. 339 Constantin Frantz, Kritik aller Parteien, Berlin 1862, S. 208. Vgl. auch Frantz an Gervinus am 28.9.1869; Frantz an Prokesch-Osten am 12.8.1872; Frantz an Heinrich von Wolzogen am 18.4.1878. In: Frantz, Briefe, S. 68 und 95.
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Formation eines engen norddeutschen Staatenbundes als die deutsche Mission des Hohenzollernstaats.340 Genauso wie die traditionellen Eliten in Piemont verfolgten auch die preußischen Konservativen das Ziel, die militärische Ehre, das Prestige und die politische Macht des „kleinen“ Vaterlandes zu wahren. Sie hatten den nationalen Einheitsstaat nicht eingeplant und als kleinstes Übel oder fait accompli pragmatisch akzeptiert. Als Preußen mit dem Unionsprojekt von 1849, mit dem diffusen Novemberprogramm der Neuen Ära im Jahr 1858 und wieder mit den sogenannten Kabinettskriegen von 1864 und 1866 seine Vormachtstellung in Deutschland zu erweitern versuchte, schlossen sich vor allem zahlreiche Politiker und Publizisten aus den deutschen Klein- und Mittelstaaten der konservativen Polemik gegen den „falschen“ Patriotismus an. Auch der hessische Ministerpräsident Reinhard Dalwigk zu Lichtenfels und der Publizist Karl Hoffmann differenzierten zwischen wahrem Patriotismus und Pseudo-Nationalismus. Damit wurden die liberale Nationalbewegung und die preußische Realpolitik, die angeblich „durch die Verbindung mit der Demokratie verfälscht“ war, eindeutig mit dem falschen Patriotismus in Zusammenhang gebracht.341 Genauso wie die „echten“ preußischen Patrioten betonten die meisten konservativen Politiker aus den deutschen Klein- und Mittelstaaten, dass „das Nationalbewußtsein der Deutschen keineswegs den Einheitsstaat“ verlange.342 Auch Friedrich Julius Stahl stellte seine anhaltende Skepsis gegen die Verfassungs- und Nationalstaatsdiskussion demonstrativ zur Schau, indem er die liberalen Reformen und die Nationalbewegung mit dem Kampfbegriff Pseudo-Patriotismus assoziierte. Mit einer langen parlamentarischen Rede am 12. April 1849 lehnte der prominente Jurist das „undeutsche“ Unionsprojekt von Radowitz schroff ab. Dabei hob Stahl polemisch hervor, dass die Formation des kleindeutschen Bundesstaates auf „französischen Menschenrechten und amerikanischen Staatsformen“ basiere und keineswegs die „deutsche Nationalität“, sondern nur die „deutschen Zeitungen“ befriedige.343 Gegen die falsche Einheit reaktivierte Stahl die semantischen und ideologischen Bestimmungsmuster des konservativ-legitimistischen Restaurationsdiskurses und betrachtete „die christliche National-Erziehung, die Festigkeit der monarchischen Autorität [und] die Unverbrüchlichkeit des Rechts“ als die „ächte Befriedigung der Nationalität“.344 In seinen historischen und staatsrechtlichen Studien postulierte auch Carl Wilhelm Lancizolle, dass die Verfassungsbestrebungen und die Nationalstaatsidee
340 Vgl. Frantz, Kritik, S. 50. 341 Reinhard Dalwigk zu Lichtenfels u. Karl Hoffmann, Promemoria (1861). In: Dalwigk, Tagebücher, S. 64. 342 Dalwigk, Promemoria, S. 64. 343 Stahl, Reden, S. 148. 344 Stahl, Reden, S. 146.
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den „vulgären Liberalismus“ widerspiegelten und insofern mit der „ächten deutschen Freiheit“ inkompatibel seien.345 Zusammen mit einer einflussreichen Gruppe konservativer Juristen und Theologen wie Stahl, Savigny und Hengstenberg, die in den 1840er Jahren an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin unterrichteten, entwickelte Lancizolle die Konzepte von „wahrer Freiheit“ und „wahrer Einheit“ des schweizerischen Politikphilosophen Carl Ludwig Haller weiter.346 Der daraus entstehende konservative Politikdiskurs aktualisierte christlich-ständische Ordnungsprinzipien und Wertorientierungen, die einen plausiblen und leicht verständlichen Gegenentwurf zu den neuen liberalen Legitimationstheorien bildeten. Die Suggestion der wahren Freiheit und der wahren Einheit wurde nicht nur von konservativen Intellektuellen wie Stahl und Lancizolle imaginiert, sondern kam ebenfalls in dem politischen Sprachgebrauch antiliberaler Publizisten wie Gerlach, Huber und Frantz deutlich zur Geltung. Vor allem nach 1848 übernahmen die preußischen Konservativen diese abstrakten Orientierungskonzepte, um gegen die Pseudo-Freiheit und den Pseudo-Patriotismus der deutschen Nationalbewegung zu polemisieren.347 Ähnlich wie die pejorative Assoziation zwischen Nation und Revolution rekonfigurierten die Ideen der wahren Freiheit und der wahren Einheit bereits existierende Erfahrungsdeutungen, Ordnungsprinzipen und latente Feindbilder, indem sie die semantischen und ideologischen Bestimmungsmuster des christlich-legitimistischen Restaurationsdiskurses aktualisierten. Die konservativen Argumentationsstrategien gegen den Pseudo-Patriotismus setzten sich mit der liberalen Nationalbewegung polemisch auseinander und kommunizierten einen vereinfachten Gegenentwurf zu den deutschen und italienischen Einheitsbestrebungen. Zwischen 1840 und 1870 instrumentalisierten auch zahlreiche piemontesische Konservative das Konzept der wahren Einheit, um den liberal-demokratischen Nationalismus von Mazzini, aber auch die neoguelfischen Ideen und selbst die Nationalstaatspolitik der Moderati zu diskreditieren. In Zeiten beschleunigter Transformationen trug das Paradigma des Pseudo-Patriotismus genauso wie die Assoziation Nation-Revolution entscheidend dazu bei, die konservativen Politikdiskurse auf einfache und empathieerzeugende Formeln zu reduzieren.348 Die daraus entstehende Dichotomie von positiver und negativer Einheit produzierte auch in Piemont die anhaltende konservative Skepsis gegen den Nationalismus und trug zur undiffenrenzierten Ablehnung der sehr heterogenen Politikentwürfe von Mazzini, Gioberti, Cavour und Garibaldi bei.349
345 Carl Wilhelm Lancizolle, Ueber Königthum und Landstände in Preußen, Berlin 1846, S. VII. 346 Vgl. Carl Ludwig von Haller, Entwurf eines Bundes der Getreuen zum Schutz der Religion, der Gerechtigkeit und der wahren Freyheit, Winterthur 1833. 347 Vgl. Victor Aimé Huber, Suum cuique in der deutschen Frage, Berlin 1850, S. 29. 348 Vgl. Leonhard, Revolutionen, S. 175. 349 Exemplarisch für die undifferenzierte Polemik gegen die sehr heterogenen Idealen und Politikentwürfe des italienischen Risorgimento vgl. Giacomo Margotti, La Giovane Italia e l’abate Vincenzo Gioberti, Turin 1849.
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In seinem viel gelesenen Essay Saggio intorno al socialismo von 1851 hob der konservative Politiker und Publizist Emiliano Avogadro della Motta polemisch hervor, dass die italienische Nationalbewegung grundsätzlich nur die „nicht-italienischen“ Theorien der deutschen und französischen „Sophisten“ propagiere.350 Mit dem Paradox des Pseudo-Patriotismus attackierte er die „selbsternannten“ Vorkämpfer des italienischen Risorgimento, die die falschen Ideen von nationaler Einheit und Unabhängigkeit propagieren und dabei den politischen und kulturellen Einfluss der europäischen Großmächte in der italienischen Halbinsel konsolidieren würden.351 In seinen parlamentarischen und publizistischen Aktivitäten zwischen 1848 und 1861 konstatierte Avogadro immer wieder, dass die nationalen Einheitsbestrebungen mit der wahren Religions- und Vaterlandsliebe inkompatibel seien.352 Die „Nachäffung“ fremder Ideen und Traditionen, die auch die preußischen Konservativen der deutschen Nationalbewegung immer wieder vorwarfen, wurde ebenfalls von dem genuesischen Aristokraten Antonio Brignole-Sale als zentrales Wahrnehmungs- und Argumentationsmuster gegen die piemontesische Nationalstaatspolitik übernommen. Mit demselben semantischen und argumentativen Paradox von Gerlach und Stahl kritisierte Brignole die „fautori del primato d’Italia“ als Pseudo-Patrioten, die statt die wahre Einheit zu konsolidieren, nur „imitare servilmente i forestieri“ konnten.353 Auch der konservative Publizist Stefano San Pol vertrat dieselbe Argumentationsstrategie gegen den Pseudo-Patriotismus, indem er sarkastisch betonte, dass die französische Bildung und die nichtitalienische Familientradition des piemontesischen Ministerpräsidenten Cavour das Paradox der falschen Einheit deutlich symbolisierten.354 Mit einer populären Sprache attackierten San Pol und die satirische Zeitung Lo Smascheratore immer wieder die falschen Patrioten und den „Geldbeutel-Patriotismus“, die sich seit 1848 in Piemont zunehmend etabliert hätten.355 Dabei wurden die „italianissimi“ im besten Fall als Opportunisten beschrieben. San Pol kritisierte, dass die Befürworter des Risorgimento über die politische Situation, die sozialen und kulturellen Traditionen der italienischen Halbinsel kaum informiert seien und die nationalen Einheitsbestrebungen nur aufgrund konformistischer oder taktischer
350 Emiliano Avogadro della Motta, Saggio intorno al socialismo e alle dottrine e tendenze socialistiche, Turin 1851, S. XIII. 351 Avogadro, Saggio, S. 465. 352 Vgl. Emiliano Avogadro della Motta, Il pensiero di Vincenzo Gioberti. Hrsg. von Vittoria Valentino, Genua 2004, S. 451. 353 Antonio Brignole-Sale, Rede am 25.4.1855 (APS Discussioni Senato – Sessione del 1854/55, 5. Leg., Bd. 8, S. 653). 354 Vgl. San Pol, Nemesi, S. 157. Dabei handelte es sich um eine rein polemische Argumentation, weil in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht nur die Familie Cavour, sondern die überwiegende Mehrheit des piemontesischen Adels von „nichtitalienischen“ Traditionen und Interessen geprägt blieb. 355 San Pol, Nemesi, S. 22 und 90.
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Überlegungen unterstützen würden.356 Lo Smascheratore sowie zahlreiche anonyme Pamphlete und satirische Darstellungen, die in den 1850er und 1860er Jahren in Turin erschienen, protestierten mit einer vereinfacht-empathischen Sprache unnachgiebig gegen den Pseudo-Patriotismus der regierenden Moderati und gegen die nationale Pädagogik des neugegründeten Nationalstaats.357 In schroffem Gegensatz zu seinem reformbereiten und patriotisch begeisterten Bruder Massimo, der nach der vernichtenden Niederlage von Novara im März 1849 die politische Macht der piemontesischen Moderati erfolgreich konsolidierte, gehörte der Jesuit Luigi Taparelli d’Azeglio zu den Mitbegründern der antiliberalen Zeitschrift Civiltà Cattolica und polemisierte wiederholt gegen die falsche Einheit. Zwischen den Brüdern Massimo und Luigi d’Azeglio entstanden ebenso starke politische Divergenzen wie zwischen Gustavo di Cavour, der die ultrakatholische Zeitung Armonia unterstützte und im Parlament zur konservativen Opposition gehörte, und seinem Bruder, dem liberalen Ministerpräsidenten Camillo di Cavour. Bereits im Jahr 1847 stellte Luigi d’Azeglio in seinem viel diskutierten Pamphlet Della Nazionalità fest, dass die Konzepte von Nationalität und nationalstaatlicher Einheit kaum kompatibel seien.358 Damit kritisierte der konservative Theologe das neoguelfische Projekt von Vincenzo Gioberti, aber auch diejenigen piemontesischen Konservativen, die die nationalen Einheitsbestrebungen mit pragmatischen und machtpolitischen Argumenten unterstützten.359 In diesem Sinne instrumentalisierte auch Luigi d’Azeglio das Paradox des Pseudo-Patriotismus und konstatierte gegen die falsche Einheit, dass die zunehmend gefeierte italienische Nationalität „addirittura spesso solo col dipendere di alcune nazioni da Principi stranieri fu possibile che si formasse“.360 Die politischen Emigranten, die seit 1848 vor allem aus der Lombardei und Süditalien nach Turin flüchteten, symbolisierten für Publizisten wie Margotti und Solaro die Idee der falschen Einheit.361 Aus konservativer Sicht verbreiteten die fremden Agitatoren einen Pseudo-Patriotismus, der den piemontesischen Interessen und
356 San Pol, Nemesi, S. 313 und 315. 357 Vgl. Anonym, Dieci piaghe d’Egitto rinnovate in Piemonte nel secolo XIX dell’era volgare, Opera dedicata al ministero moderato, Turin 1850; Anonym, Storia dei ladri nel regno d’Italia, Turin 1869; Anonym, I Malaparte e il Bonaparte. Operetta completata dell’autore della Storia dei ladri nel Regno d’Italia, Turin 1869; Anonym, Storia dei ladri nel regno d’Italia da Torino a Roma, Turin 1872. 358 Luigi Taparelli d’Azeglio, Della Nazionalità, Florenz 1849, S. 47. 359 Genauso wie Luigi d’Azeglio polemisierten auch andere einflussreiche Publizisten wie Margotti und Avogadro gegen Giobertis Neoguelfismo, der zwischen 1847 und 1849 den Höhepunkt seiner politischen Relevanz erreichte. Vgl. Giacomo Margotti, La Giovane Italia e l’abate Vincenzo Gioberti, Turin 1849; Avogadro, Gioberti, S. 451. 360 Azeglio, Nazionalità, S. 47. 361 Ausführlich zu den erheblichen politischen Auswirkungen und den globalen Dimensionen von Exil und Emigration in den Revolutionsjahren 1848/49 sowie zu der keineswegs immer freundlichen Aufnahme der Asylsuchenden vgl. Wolfram Siemann, Asyl, Exil, Emigration der 1848er. In: Demokratiebewegung und Revolution 1847 bis 1849. Hrsg. von Dieter Langewiesche, Karlsruhe 1998, S. 70–91.
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Traditionen zutiefst widersprach. Als im Jahr 1849 die liberalen Reformen und die revolutionären Erschütterungen in allen italienischen Klein- und Mittelstaaten von reaktionären Gegenschlägen unterdrückt wurden, blieb Piemont die einzige konstitutionelle Monarchie südlich der Alpen. Nach der katastrophalen Niederlage von Novara und der Abdankung von Karl Albert garantierte der konservative, aber pragmatisch eingestellte neue König Viktor Emanuel II. den Fortbestand der Verfassung, der parlamentarischen Institutionen und der Pressefreiheit. Geführt von Massimo d’Azeglio bestanden die piemontesischen Moderati eine erste Bewährungsprobe, indem sie den langen Verfassungskonflikt, der in der Proklamation von Moncalieri im November 1849 kulminierte, ohne restaurative Blockaden entschärften. In diesem Zusammenhang bildeten die politischen Emigranten eine starke Lobby von Journalisten, Professoren, Politikern und Großgrundbesitzern, die wesentlich zur Konsolidierung der piemontesischen Verfassungs- und Nationalstaatspolitik beitrugen.362 Nach Turin wanderten vor allem liberale Adlige aus der Lombardei oder Politiker und Intellektuelle aus dem Königreich beider Sizilien aus. Dagegen emigrierten die meisten italienischen Demokraten und Republikaner bevorzugt nach London, Brüssel, Paris (vor 1851) und teilweise auch nach Genua.363 Die Konservativen bezogen sich auf das Feindbild der „Emigration“, um die Dichotomie von wahrer piemontesischer Nation und falscher italienischer Einheit zu bestätigen. Daraus entstand sowohl für die konservative Opposition als auch für die in Turin residierenden ausländischen Journalisten und Diplomaten ein vereinfachtes Erklärungsmuster, das die angebliche Durchsetzung der Pseudo-Freiheit und des Pseudo-Patriotismus thematisierte. Im Oktober 1852 verfasste der französische Diplomat His de Butenval einen langen Bericht für Außenminister Drouyn de Lhuys und behauptete, dass die „emigrazione“ immer deutlicher die politische Diskussion und sogar die piemontesische Verwaltung und die Armee beeinflusse.364 Auch konservative Zeitungen wie La Patria von Giorgio Briano und vor allem Armonia von Giacomo Margotti polemisierten gegen die vermeintlich unpatriotischen Intrigen der politischen Emigranten, die als fünfte Kolonne der liberalen Reformen und der Nationalbewegung in Piemont dargestellt
Ferner Maurizio Isabella, Risorgimento in esilio: l’internazionale liberale e l’età delle rivoluzioni. Rom–Bari 2011. 362 Renata De Lorenzo bezeichnet die politischen Emigranten als „veicoli attivi del processo di produzione simbolica dell’identità nazionale italiana“. De Lorenzo, Borbonia, S. 54. 363 Vgl. Giuseppe Zaccaria, La letteratura dell’emigrazione. In: Storia di Torino (Bd. 6). Hrsg. von Umberto Levra, Turin 2000, S. 755–770. Zur liberalen Emigration nach 1848 vgl. auch Agostino Bistarelli, Gli esuli del Risorgimento, Bologna 2011. 364 Dabei beobachtete der französische Diplomat besorgt die tiefe Kluft zwischen „wahrer“ Nation und politischen Emigranten: „L’emigrazione forma, tra il governo e la nazione, una specie di nazione a parte, più compatta, più attiva della vera. La vera detesta in fondo sia l’emigrazione sia i disastrosi ricordi ch’essa richiama e le speranze bellicose ch’essa nutre.“ His de Butenval an Drouyn de Lhuys am 1.10.1852. In: Mack Smith, Risorgimento, S. 326.
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wurden.365 Im November 1858 publizierte Margotti einen langen Artikel, um die Illusion der piemontesischen Vormachtstellung in Italien, die die regierenden Moderati proklamierten, zu widerlegen und die angebliche Hegemonie der italienischen Emigranten über das piemontesische Bildungssystem und die Presse zu stigmatisieren.366 Auch Gräfin Bertone di Sambuy attackierte die nichtpiemontesischen Italianissimi, weil sie den König und die Armee angeblich verführten: „gente pessima e disperata, in gran parte canaglia messa fuori dai propri paesi, e venuta qua a mandare il nostro in precipizio“.367 Ausgehend von dieser weitverbreiteten Polemik gegen die politischen Emigranten evozierte die konservative Presse immer wieder die dramatische Kriegs- und Revolutionserfahrung von 1848/49 gegen die piemontesische Verfassungs- und Nationalstaatspolitik. Unterstützt von einem mächtigen Netzwerk von ultrakonservativen Adligen wie Carlo Emanuele Birago di Vische, Vittorio Emanuele di Camburzano, Gustavo di Cavour und Fabio di Invrea sowie von den Bischöfen Luigi Fransoni (Turin) und Luigi Moreno (Mondovì) animierte die Zeitung Armonia einen zunehmend radikalen Protest gegen die italienische „emigrazione“ und die regierenden Moderati.368 Margotti leitete die Redaktion der Armonia und arbeitete auch für das satirische Blatt Lo Smascheratore und die viel gelesene Jesuitenzeitschrift La Campana, die die liberalen Reformen und die nationalen Einheitsbestrebungen ebenfalls schroff ablehnten. Bis in die 1860er Jahre hinein polemisierte Margotti unter dem Pseudonym Giuseppe Mongibello auch in mehreren Essays, satirischen Erzählungen und fiktiven Reiseberichten gegen die piemontesische Verfassungs- und Nationalstaatspolitik. Mit der aggressiven Sprache der Armonia, die im Jahr 1852 über 2.500 Abonnenten hatte, aber auch mit seinen politischen Pamphleten und Reiseberichten, die zu sehr niedrigen Preisen verkauft und meistens in mehreren Auflagen gedruckt wurden, erreichte Margotti ein breites und heterogenes Publikum.369 Als um 1860 die italie-
365 Vgl. Giorgio Briano, I Piemontesi e gli emigrati, Turin 1857. 366 Vgl. Giacomo Margotti, L’epimenide piemontese. In: Armonia 257 (10.11.1858). 367 Savio, Memorie (Bd. 1), S. 297. 368 Zur Gründung und politischen Radikalisierung dieser katholischen Zeitung vgl. Nicola Gabriele, Modelli comunicativi e ragion di Stato politica culturale sabauda tra censura e libertà di stampa (1720–1852), Florenz 2009, S. 340–342. 369 Zwischen 1849 und 1859 veröffentlichte Margotti 13 politische Pamphlete. Besonders um 1860 gab es zahlreiche Neuauflagen dieser Publikationen. Vgl. Giuseppe Mongibello, Nascita, vita e morte del ministero Rattazzi, Turin 1849; Mongibello, Panorama politico, ossia la camera subalpina in venti sedute, Turin 1849; Mongibello, Un sacrificio sulla tomba di Carlo Alberto, Turin 1849; Mongibello, La Giovane Italia e l’abate Vincenzo Gioberti, Turin 1849; Mongibello, Viaggio dell’arcivescovo di Torino e del vescovo di Asti alla 3. camera subalpina sul vapore sardo Siotto-Pintor, Turin 1849; Mongibello, Il vescovo di Saluzzo, ossia Daniele nel lago dei leoni, Turin 1850; Mongibello, Panegirico del conte Giuseppe Siccardi, ministro di Grazia e Giustizia in Piemonte, Turin 1851; Mongibello, Processo di Nepomuceno Nuytz, Professore di Diritto canonico all’Università di Torino, Turin 1852; Mongibello, La separazione dello Stato dlla Chiesa in Piemonte, Turin 1855; Mongibello, La ciarla. Almanacco par-
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nische Frage europaweit eine große Resonanz fand, protestierte der konservative Theologe energisch gegen die piemontesischen „Annexionen“ und die italienische Nationalstaatsgründung. Margottis politische Pamphlete wurden auch auf Spanisch, Französisch und vor allem auf Deutsch übersetzt und in Barcelona, Paris und Wien veröffentlicht.370 Mit dem semantischen und argumentativen Paradox des Pseudo-Patriotismus versuchten die ultrakatholischen Zeitungen Armonia und Civiltà Cattolica zu demonstrieren, dass der Politikentwurf von Cavour den wahren patriotischen Interessen genauso wenig wie den Ideen von Mazzini und Garibaldi entsprach und nur zur „Protestantisierung“ der italienischen Halbinsel führte.371 Damit betrachtete Margotti die falsche Einheit als Bedrohung für die politische Unabhängigkeit und die konfessionelle Homogenität in Italien. Außerdem kritisierte er, dass die Pseudo-Patrioten mit der Abtretung der „äußerst loyalen“ Provinzen Nizza und Savoyen an Frankreich eine rücksichtslose und inkonsequente Machtpolitik betrieben, während sie die piemontesischen „Annexionen“ mit dem romantischen Leitmotiv der italienischen Identität und Volksgemeinschaft legitimierten.372 Um 1860 warnten auch andere erzkonservative Publizisten sowie mehrere piemontesische Bischöfe vor der vermeintlichen Protestantisierung der italienischen Halbinsel.373 Auch in seiner privaten Korrespondenz mit Antonio Brignole-Sale lässt sich Margottis überspitzte Gut-Böse-Opposition zwischen den nationalliberalen Befürwortern der falschen Einheit und den wahren Patrioten erkennen. Damit beschrieb Margotti
lamentare per l’anno 1856, Turin 1856; Mongibello, La Batracomiomachia politica, Turin 1856; Mongibello, Le vittorie della Chiesa ne’ primi anni di pontificato die Pio nono (2. Aufl.), Turin–Mailand 1859. Neben zahlreichen Publikationen verfasste der außerordentlich schreibfreudige Theologe nach der Rückkehr von einer Englandreise im Jahr 1858 einen 600-seitigen Reisebericht, der dem verbannten ultrakonservativen Erzbischof von Turin, Fransoni, gewidmet war. Vgl. Margotti, Roma e Londra: confronti (5. Aufl.), Neapel 1862 (Erstausg. 1858). 370 Das Pamphlet Le vittorie della Chiesa, das die politische und moralische Autorität des Kirchenstaates resolut verteidigte, erschien auch in französischer und deutscher Übersetzung. Vgl. Giacomo Margotti, Les victoires de l’église pendant les dix premieres années du pontificat de Pie IX, Paris 1858; Margotti, Die Siege der Kirche in dem ersten Jahrzehnt des Pontifikates Pius IX., Innsbruck 1860. Margottis politischer Reisebericht Roma e Londra wurde ebenfalls auf Deutsch, Französisch und Spanisch übersetzt. Vgl. Margotti, Rom und London in Lebensbildern gegenübergestellt, Wien 1860; Margotti, Rom et Londres, Paris 1859; Margotti, Roma y Londres. Parallelos entre el catolicismo y el protestantismo, Barcelona 1859. 371 Vgl. Giacomo Margotti, L’anno 1858. In: Armonia 298 (30.12.1858); Margotti, La Russia, Villafranca e Camillo Cavour. In: Armonia 214 (19.9.1858). Ferner Margotti, Memorie (Bd. 3), S. 87. 372 Giacomo Margotti, Il deputato Gazzoletti. In: Armonia 16 (19.1.1861). 373 Vgl. Luigi Nazari di Calabiana, Al Venerevole e Dilettissimo Popolo della Città e Diocesi, Casale 1860, S. 7; Andrea Charvaz, Il proselitismo protestante in Italia, Neapel 1861. Vgl. auch Anonym, Storia dei ladri nel regno d’Italia, Turin 1869, S. 6. Auch der Theologe Matteo Liberatore stigmatisierte die „rivoluzione italiana“ als Produkt von Rationalismus und Protestantismus. Vgl. Matteo Liberatore, Razionalismo politico della rivoluzione italiana. In: Civiltà Cattolica 1 (1850), S. 53–73.
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die Konservativen, die angeblich „tutti cattolici e tutti veri amici dell’Italia e della libertà ben intese“ waren, als patriotischen Gegenpol zu den Moderati mit ihren falschen Einheitsidealen.374 Die vereinfachte Dichotomie von positiver und negativer Einheit generierte ein attraktives Argumentationsmuster für erzkonservative Publizisten wie Margotti, aber auch für prominente katholische Schriftsteller wie Antonio Bresciani und Cesare Cantù.375 Um ihre zunehmend exponierte Opposition gegen die Nationalstaatsgründung fortzusetzen, imaginierten die Konservativen eine tiefe semantische, moralische und ideologische Kluft zwischen wahren und falschen Patrioten. Diese vereinfachte Argumentationsstrategie wurde mit den Konzepten von positiver und negativer Freiheit erweitert. In seinen Memoiren differenzierte der piemontesische Diplomat Edoardo Crotti manichäisch zwischen wahrer und falscher öffentlicher Meinung, die angeblich von der Propaganda der „skrupellosen“, „machtsüchtigen“ Verfechter des Risorgimento beeinflusst wurde.376 Um die falsche öffentliche Meinung zu bekämpfen, setzte Crotti den Chefredakteur der Zeitung Indipendent unter Druck und forderte den Journalisten auf, gegen den herrschenden „esprit de mensonge“ und die „impiété révolutionnaire“ des italienischen Nationalstaats energisch zu protestieren.377 Als Gegenentwurf zur falschen Einheit reaktivierten die piemontesischen Konservativen die traditionellen Bestimmungsmuster des christlich-legitimistischen Restaurationsdiskurses. In seinen erfolgreichen Romanen und politischen Essays bezog sich Cesare Cantù auf die Thesen von Joseph de Maistre, um die Suggestion der Nation als Telos und den umstrittenen patriotischen Kanon von Gioberti, Mazzini und Manzoni zu diskreditieren.378 Sowohl die fanatischen Zeitungen von Margotti, San Pol und Briano als auch die königstreuen Eliten, die sich in den 1850er Jahren von der Politik Cavours und Viktor Emanuel II. distanzierten, verdeutlichten mit dem Kampfbegriff „falso italia-
374 Giacomo Margotti an Antonio Brignole-Sale am 29.10.1860 (ABS – Serie cor. M 21, busta A 21, nr. 3626). In seinem Pamphlet Considérations sur la question romaine, das im Jahr 1860 gleichzeitig in Genua auf Französisch und in Rom auf Italienisch erschien, hob auch Antonio Brignole-Sale hervor, dass der Kirchenstaat und keineswegs die Moderati die Sache der Freiheit und Unabhängigkeit Italiens vertrat. Vgl. Brignole, Considérations, S. 32. 375 Vgl. Bresciani, Ebreo, S. 17. Ferner Cesare Cantù, Della indipendenza d’Italia (Bd. 1), Turin 1872, S. 23. Mit derselben Argumentationsstrategie attackierte Bresciani in seinem privaten Briefwechsel den Pseudo-Patriotismus der nationalliberalen Politiker, die „sotto le sembianze di amarla“ die italienische Einheit eigentlich verachteten. Vgl. Antonio Bresciani an Giulio Borgia Mandolini am 16.5.1852. In: Bresciani, Lettere, S. 349. 376 Vgl. Luigi Biginelli, Biografia del deputato Edoardo Crotti dei conti di Castigliole, Turin 1871, S. 21. 377 Vgl. Edouard Berard, Edouard Crotti de Castigliole ancien Ambassadeur de S.M. le Roi de Sardaigne, Aoste 1870, S. 19. 378 Vgl. Cantù, Indipendenza (Bd. 1), S. 5–10 und 20. Im Gegensatz zur nationalliberalen Meistererzählung betrachtete Cantù den Nationalstaat weder als teleologisch noch als natürlich, sonder nur als eine kurzsichtige politische „Konvention“ (S. 20). Gegen Cavour, Mazzini und Manzoni: Cantù, Indipendenza (Bd. 1), S. 11, 16 und 22.
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nismo“ die konservative Fundamentalopposition gegen die regierenden Moderati.379 Nach 1848 engagierte sich auch Solaro della Margarita als politischer Publizist und führender konservativer Abgeordneter gegen die Italianissimi. Auch in seiner Korrespondenz mit Brignole verwendete er immer wieder die vereinfachte Gut-Böse-Dichotomie zwischen wahrer und falscher Einheit, um die liberalen Reformen und die Nationalbewegung zu verurteilen.380 Damit betrachteten sich Solaro und die anderen „wahren“ Patrioten, die die politische Linie von Cavour und Viktor Emanuel II. öffentlich kritisierten, nach wie vor als die echten Vertreter der piemontesischen Interessen gegen die falsche Einheit.381 Durch die ideologische Zuspitzung der Dichotomie von wahrem und falschem Patriotismus rechtfertigten erzkonservative Adlige wie Solaro und Brignole, aber auch Crotti, Camburzano und Avogadro della Motta den dramatischen Loyalitätsbruch, den sie um 1860 gegen die Formation des italienischen Einheitsstaats vollzogen. Mit dem Pseudo-Patriotismus fanden sowohl die preußischen als auch die piemontesischen wahren Patrioten eine plausible Argumentationsstrategie, um sich weiter als königstreue Elite zu inszenieren, aber gleichzeitig gegen die Nationalstaatsgründung zu protestieren. Um den zunehmenden Erfolg des Pseudo-Patriotismus zu erklären, war das Feindbild der politischen Emigranten nur unzureichend geeignet. Verstärkt seit 1848 assoziierten die piemontesischen Konservativen die falsche Einheit nicht nur mit fremden Ideologien und demagogischen Umtrieben, sondern auch mit dem biblischen Topos der Verführung. Solaro attackierte wiederholt den verführerischen Charakter des Pseudo-Patriotismus und lässt damit ein empathisches Wahrnehmungs- und Orientierungsmuster erkennen, das die konservative Opposition gegen die regierenden Moderati untermauerte. Mit der Suggestion des verführerischen Patriotismus kamen auch die kulturellen, moralischen und religiösen Aspekte der konservativen Polemik gegen die liberale Verfassungs- und Nationalstaatspolitik deutlich zum Ausdruck. In seinem Briefwechsel mit Antonio Brignole-Sale und Luigi Taparelli d’Azeglio stigmatisierte Solaro die „subversiven Ideen“, die die piemontesische Regierung seit 1848 unterstützte und die vor allem die jüngeren Generationen verführten.382 Mit dem Topos der Verführung rekonstruierte Solaro auch in seinem vielgelesenen Memorandum, wie Karl Albert und Friedrich Wilhelm IV. ihre bis dahin konservative Grundhaltung nach der Revolution im März 1848 revidierten. Die zwei Monarchen wurden angeblich von den „Intrigen“ und „Schmeicheleien“ der liberalen Pseudo-Patrioten
379 Solaro, Questioni, S. 37. 380 Vgl. Clemente Solaro della Margarita an Brignole-Sale am 31.12.1854 (ABS Serie corrispondenza alfabetico S. nr. 6490). 381 Vgl. Clemente Solaro della Margarita an Brignole-Sale am 23.3.1857 (ABS Serie corrispondenza alfabetico S. nr. 6500). 382 Vgl. Clemente Solaro della Margarita an Luigi Taparelli d’Azeglio am 14.2.1855. In: Taparelli, Carteggio, S. 506. Ferner Solaro an Brignole-Sale am 18.5.1857 (ABS Serie corrispondenza alfabetico S. nr. 6503) und Solaro an Giorgio Casaretto am 4.6.1850. In: Rivista Municipale di Genova 17 (1939), S. 36.
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stark beeinflusst und dazu gebracht, sich für die italienische und deutsche Nationalbewegung zu engagieren.383 Mit einer übersteigerten Sprache und mit skandalisierenden Begriffen wie „hypocrisie“, „impudence“ und „crédulité“ erklärten auch andere erzkonservative Adlige die unerwartet schnelle Durchsetzung der neuen liberalen Legitimationstheorien. Am Vorabend der Formation des italienischen Nationalstaats äußerte sich Vittorio di Camburzano überdeutlich gegen den verführerischen Patriotismus und konstatierte empört: „Je crois qu’à aucune époque de l’historie on n’a vu l’hypocrisie troner avec autant d’impudence et se jouer de la crédulité des peuples comme elle le fait ces jourci.“384 Seit dem Ancien Régime dämonisierte der konservative Diskurs die liberalen Reformbemühungen als Nebenerscheinung von vermeintlichen internationalen Intrigen, die die ordnungsliebende und königstreue Haltung der Bevölkerung rücksichtslos destabilisierten. Erneut seit 1848 griffen viele konservative Politiker und Publizisten auf dieses traditionelle Deutungsmuster zurück, um die italienische Revolution zu stigmatisieren. In diesem Sinne verurteilte Camburzano die „widerwärtigen Ambitionen“, die die Moderati zusammen mit der Nationalbewegung propagierten und den Untergang der „ehrenvollen“ piemontesischen Traditionen verursachten: „notre pays est tombé bien bas […]. Les plus nobles vertus ont fait place aux calculs les plus sordides, aux ambitions que l’on satisfait au prix de la conscience et de l’honneur.“385 Genauso wie Camburzano und Solaro vertrat bis in die 1860er Jahre hinein auch Antonio Brignole-Sale die Meinung, dass Verfassung und Nationalbewegung lediglich von einer kleinen Minderheit politischer Agitatoren unterstützt wurden und insofern nur aufgrund einer verführerischen Propaganda Anhänger gewannen.386 Ausgehend von dieser stark ideologischen, affektiven und moralischen Ablehnung betrachtete Brignole die Nationalstaatsgründung weder als teleologische Entwicklung noch als pragmatische Machterhaltungsstrategie, sondern nur als eine „absurde“ und „beschämende“ politische Idee.387 Auch in seinen immer sporadischer werdenden Wortmeldungen im piemontesischen Senat kritisierte der genuesische Aristokrat die Nationalbewegung und die reformbereiten Moderati als Provokateure, die mit „fal-
383 Dabei betonte Solaro, dass Friedrich Wilhelm IV. deutlich weniger als Karl Albert vom liberalen Verfassungs- und Nationdiskurs „verführt“ wurde: „che non avesse tanta fiducia in chi l’adulava con la speranza della corona germanica, con quelle arti stesse che si adoperavano per sempre più invogliare di quella d’Italia Carlo Alberto […] [Friedrich Wilhelm IV.] col suo senno si arrestò in tempo, e salvò la dignità e l’indipendenza della Sovrana autorità.“ Vgl. Solaro, Memorandum, S. 224. Ferner Solaro, Appendice al Memorandum, Turin 1852, S. 4. 384 Vittorio di Camburzano an Solaro della Margarita am 29.12.1859. In: Lovera, Solaro (Bd. 3), S. 339. 385 Vittorio di Camburzano an Solaro della Margarita am 29.10.1855. In: Lovera, Solaro (Bd. 3), S. 326. 386 Vgl. Antonio Brignole-Sale an Solaro della Margarita am 20.10.1856. In: Lovera, Solaro (Bd. 1), S. 374. 387 Vgl. Antonio Brignole-Sale an seine Tochter am 15.4.1859 (ABS, Corr. fam., Lettere xix sec., Serie 3, busta 1, nr. 37).
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schen Erwartungshorizonten“, „Schmeichelei“ und „gefährlichen Leidenschaften“ die piemontesische Bevölkerung und die Monarchie verführten: „lusingare, infondere nelle popolazioni speranze di mutazioni che non sono effettuabili […] fomentare, inasprire ed accrescere quelle passioni che crediamo esistere e che dovremmo invece desiderare di veder calmate“.388 Indem die piemontesischen Konservativen die nationalen Einheitsbestrebungen als imaginierte und verführerische Leidenschaft diskreditierten, reaktivierten sie ein altvertrautes Argumentationsmuster, das seit der gegenrevolutionären Meinungsmobilisierung um 1800 europaweit zirkulierte.389 Zwischen 1840 und 1870 generierte das Paradigma der Verführung eine produktive Verarbeitungs- und Bewältigungsstrategie, die die zunehmend exponierte Fundamentalopposition der preußischen und piemontesischen Konservativen gegen liberale Reformen und falsche Einheit weiterentwickelte. Die heftige Polemik gegen die Pseudo-Patrioten als „rücksichtslose Verführer“, die die „gefährlichen Illusionen“ der Freiheit und Unabhängigkeit Italiens verbreiteten, instrumentalisierte bereits existierende Semantiken und Wertorientierungen, um neue politische Rivalen wie Mazzini, Gioberti und Cavour zu diskreditieren.390 In seinen sehr populären Romanen benutzte Antonio Bresiani systematisch Begriffe wie „Verführung“, „Verschwörung“, „Lüge“, oder „Perversion“ und entwarf ein implizit-politisches Rechtfertigungsnarrativ, das Revolution, Aufklärung, Liberalismus und Nationalismus undifferenziert ablehnte.391 In seinen skandalisierenden Darstellungen nutzte Bresciani systematisch den Topos der Verführung als hysterischen Vorwurf gegen Revolutionäre, satanische Sekten und politische Geheimorganisationen, aber auch gegen liberale Reformen und nationale Einheitsbestrebungen. Auch für protestantische Publizisten und Theologen bildete die Verführung ein altvertrautes Deutungs- und Argumentationsmuster, das nach 1848 ständig aktualisiert wurde, um gegen die neuen politischen Legitimationstheorien zu protestieren.392
388 Antonio Brignole-Sale, Rede am 17.2.1859 (APS, Discussioni Senato, Sessione del 1859, 6. Leg., Bd. 4, S. 25). 389 In ihren politischen Schriften stigmatisierten Burke, Haller und De Maistre den verführerischen Charakter von Revolution und liberalen Reformbestrebungen. Vgl. Haller, Restauration (Bd. 1), S. VII. 390 Bresciani, Ebreo, S. 145. In seinem viel gelesenen historischen Roman L’ebreo di Verona verwendete Antonio Bresciani den Topos der Verführung, um den zunehmenden Erfolg des Verfassungs- und Nationsdiskurses zu erklären (S. 39 und 146). Der Vorwurf „corrompere“ und die Polemik gegen die „perfidi seduttori“, die „sotto le speciose illusioni di libertà, d’amor patrio, d’indipendenza italiana“ agitierten, kam immer wieder zum Ausdruck, um die Geheimorganisationen der Carbonari und die Giovine Italia von Giuseppe Mazzini zu diskreditieren. Vgl. Bresciani, Ebreo, S. 46. 391 Bresciani, Ebreo, S. 91–93. Ferner Bresciani, Lorenzo o il coscritto. Racconto ligure dal 1810 al 1814, Mailand 1856, S. IV; Bresciani, Del Romanticismo italiano rispetto alle lettere, alla religione, alla politica e alla morale, Mailand 1855, S. 12. 392 Vgl. Adolf Sydow, Worte am Sarge Ludwig Tiecks, Berlin 1853, S. 8. In Luthers Pamphleten und theologischen Schriften bildete die Verführung eine zentrale Argumentationsstrategie, um gegen die katholische Kirche zu polemisieren. Vgl. Martin Luther, An den christlichen Adel deutscher Nation
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In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war das Thema „Verführung“ nicht nur in theologischen Publikationen und religiös-kirchlichen Ritualen allgegenwärtig, sondern stand ebenfalls im Mittelpunkt literarischer Bestseller wie I promessi sposi von Alessandro Manzoni, Margherita Pusterla von Cesare Cantú und Goethes Faust. Auch populäre Opern wie L’Italiana in Algeri von Gioacchino Rossini, Bianca e Ferdinando von Vincenzo Bellini, Robert le diable von Giacomo Meyerbeer sowie Anna Bolena und L’elisir d’amore von Gaetano Donizetti waren von dem Topos der „seduzione“ geprägt. Die omnipräsente Suggestion einer moralischen und ideologischen Verführung wirkte umso empathischer, weil sie meistens mit vereinfachten Fremdund Feindbildern wie dem Teufel, den Juden, Katholiken oder Protestanten und der französischen „Fremdherrschaft“ assoziiert wurde. Ausgehend von dieser implizitkulturellen Rezeption generierte der Topos der Verführung auch in unzähligen politischen Pamphleten, Regierungsdokumenten und privaten Korrespondenzen eine explizite Argumentationsfigur gegen Revolution, liberale Reformen und Nationalismus. Der preußische Polizeidirektor Karl Albert von Kamptz stigmatisierte das Wartburgfest als politische Verführung und auch das allgemein gefeierte Amnestiegesetz, das der neue Papst Pius IX. im Jahr 1846 verkündete, motivierte die Begnadigung politischer Straftäter mit demselben Paradigma.393 Paternalistisch wendete sich der Papst den „unerfahrenen“ und „verführten Landeskindern“ zu.394 Diese Fülle an religiöstheologischen, literarischen und politischen Rezeptionen zeigt an, dass der Begriff Verführung mit einem stereotypierten und stark ideologisierten Bedeutungsfeld verknüpft war und daher gegen politische Rivalen und bedrohliche Ideen immer wieder reaktiviert werden konnte. Damit erwies sich der Topos der „seduzione“ für die Konservativen als ein nachhaltig politikmächtiges und vielfältig einsetzbares Deutungsmuster, weil sie dadurch moralische, emotionalisierte und vereinfachte Konzepte in die zunehmend komplexen Politikdiskurse transferierten. Um 1850 waren sowohl in Preußen als auch in Piemont die historischen Romane, die satirischen Erzählungen und die Pamphlete, die den Topos der Verführung kommunizierten, massenkompatible Medien. In der Regel kosteten sie deutlich weniger als wissenschaftliche Abhandlungen oder Zeitungsabonnements und verwendeten
(1825). In: WA, Bd. 6, S. 404–469; Luther, Eine treue Vermahnung an allen Christen, die sich hüten vor Aufruhr und Empörung (1522). In: WA, Bd. 8, S. 676–687; Luther, Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei (1523). In: WA, Bd. 11, S. 229–281; Luther, Ein Sendbrief von dem harten Büchlein wider die Bauern (1525). In: WA, Bd. 18, S. 384–401. 393 Vgl. Kamptz an Großherzog Carl August von Weimar am 9.11.1817. In: Quellen zur Ära Metternich. Hrsg. von Elisabeth Dross, Darmstadt 1999, S. 54. Über die „Excesse auf der Wartburg“ äußerte sich auch der konservative Staatsdenker Friedrich von Gentz. Vgl. Friedrich von Gentz an Klemens von Metternich am 1.4.1819. In: Quellen zur Ära Metternich, S. 72. 394 Vgl. Ignazio Veca, Il perdono di Pio. La ricezione dell’editto di amnistia negli Stati del papa (1846). In: Parole in azione. Strategie comunicative e ricezione del discorso politico in Europa fra Otto e Novecento. Hrsg. von Pietro Finelli, Florenz 2012, S. 71–98.
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eine sprachliche und kommunikative Form, die besser geeignet war, um ein breiteres Publikum zu erreichen.395 Wie die enorme Resonanz der christlich-konservativen Literatur von prominenten Autoren wie Antonio Bresciani und Ida Hahn bestätigt, wurde die zunehmende Politisierung der preußischen und piemontesischen Bevölkerung nicht nur von explizit politischen Texten bestimmt, sondern auch mit implizitkulturellen Sinnstiftungsmechanismen konstruiert.396 Die Flugschrift Die octroyirten Stiefel erschien anonym im Jahr 1848 in Berlin und polemisierte gegen die Revolution mit einer Sprache, die im Vergleich zu akademischen Vorträgen, parlamentarischen Reden und philosophischen Essays deutlich verständlicher war. Diese politische „Zeit-Geschichte“ wurde in einer vereinfachten Darstellungsform mit vielen Dialogen und konkreten Beschreibungen verfasst. Der Autor verurteilte die Verführung durch die fortschreitende Industrialisierung, aber auch durch die politischen Reformen, die bereits im Titel mit dem Begriff „oktroyirt“ sarkastisch thematisiert wurden. Das Buch rekonstruiert die Geschichte eines Schuhmachermeisters „aus der guten alten Zeit“.397 Der streng religiöse und konservativpaternalistische Handwerker arbeitete mit seinen Söhnen erfolgreich zusammen. Jedoch wurden die Ruhe und der Wohlstand der Familie durch die Rückkehr eines Nachbarn, der eine Lehre als Stiefelfabrikant in Paris absolviert hatte, tief erschüttert.398 Der neue Konkurrent überzeugte die jungen Gesellen des Schuhmachermeisters, dass die traditionelle Arbeitsorganisation ihrer Werkstatt mit neuen Methoden und Materialien aus Frankreich erheblich zu verbessern war. Der alte Handwerker protestierte vehement gegen diese „Revolution“ und zog sich zurück. Bald entpuppte sich der „Pariser Halunke“ als Betrüger, und der konservative Schuhmachermeister übernahm wieder die Leitung der Werkstatt, um die traditionelle Ordnung zu retten.399 Mit der Metapher des „octroyirten Stiefels“ wurde die Verführung durch technische
395 Um 1850 kostete das Quartal-Abonnement für die Kreuzzeitung zwei Taler. Dagegen wurden Pamphlete und Flugschriften in der Regel für zwei bis drei Silbergroschen günstig verkauft oder sogar kostenlos verteilt. Jährliche Zeitungsabonnements waren fast so teuer wie die Werk-Ausgaben von Goethe oder Schiller. In den 1860er Jahren gab der Verlag Cotta die berühmte Taschenbuchausgabe von Goethes Werken heraus. Die Bände kosteten zusammen nur dreieinhalb Taler. Selbst die zwölfbändige Schiller-Ausgabe kostete nur wenige Groschen mehr als das Jahresabonnement der Kreuzzeitung. Zeitungen und Zeitschriften wurden überwiegend kostenfrei in den Cafés gelesen und kommentiert, jedoch konnte sich eine normale Lehrer- oder Buchbinderfamilie ein Abonnement kaum leisten. Vgl. Carin Liesenhoff, Fontane und das literarische Leben seiner Zeit, Bonn 1975, S. 41; Bussiek, Gott, S. 64. Auch in Turin kosteten die meisten Zeitungen um 1850 zwischen einer viertel und halben Lire und waren damit für Handwerker und kleine Beamten zu teuer. Für ein Zeitungsabonnement hätten sie 10 bis 20 Prozent ihres monatlichen Gehalts investieren müssen. Vgl. Della Peruta, Giornalismo, S. 64. 396 Ausführlich dazu siehe Kap. 2.1.3. 397 Vgl. Anonym, Die octroyirten Stiefel: eine Zeit-Geschichte, Berlin 1848, S. 1 (Flugschriften 1848). http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/1848/content/titleinfo/2182639 (18.10.2015). 398 Anonym, Stiefel, S. 2. 399 Anonym, Stiefel, S. 3.
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Innovationen und politische Reformen angeprangt, während die Rückkehr des alten Schuhmachermeisters die positiv konnotierte Beharrung auf ständisch-paternalistischen Traditionen und christlich-konservativen Wertorientierungen symbolisierte. Ähnlich wie der Autor von Die octroyirten Stiefel bezogen sich auch Gerlach und Solaro della Margarita auf die omnipräsente Suggestion der politischen Verführung. Gerlach dämonisierte die politischen Reformen und den nationalliberalen PseudoPatriotismus mit allgemein bekannten negativen Symbolen wie den verführerischen Sirenen aus Homers Odyssee oder der biblischen Schlange und dem verbotenen Apfel.400 Noch eindringlicher warnte der preußische General Gustav von Griesheim seine Leser vor dem „bestechenden Glanz der abstracten Ideen deutscher Einheit“.401 Mit der Metapher des goldenen Kalbs übernahm auch Solaro della Margarita altvertraute biblische Symbole, um den Charakter der piemontesischen Verfassungs- und Nationalstaatspolitik als verführerisch zu denunzieren.402 In den 1860er Jahren setzte Gerlach seine Polemik gegen den Pseudo-Patriotismus unbeirrt fort, indem er Bismarcks Realpolitik genauso wie früher die deutsche Nationalversammlung und das Unionsprojekt von Radowitz als eine „große Verführung“ verurteilte.403 Nach wie vor polemisierte er gegen den „Schwindelenthusiasmus“ der deutschen Nationalbewegung sowie gegen den wiedererweckten „SchleswigHolsteinschwindel“ und vor allem gegen den verführerischen Charakter der „CavourSardinischen“ Politik.404 Zugespitzt mit dem empathischen Konzept der Verführung, blieb die Idee des Pseudo-Patriotismus ein polyvalentes Argumentationsmuster, das Gerlach gegen Garibaldi, Cavour und den „Räuberkönig“ Viktor Emanuel II., aber auch gegen die „Schwindelpolitik“ von Radowitz, Bismarck und Wilhelm I. einsetzte.405 Die Suggestion der Verführung und des „irregeleiteten Patriotismus“, der die Monarchen und die Massen „verblendete“, bildete für die Konservativen eine stereotypierte Erklärung, um den immer beunruhigenderen Erfolg des Nationalismus einzuordnen und ein starkes Rechtfertigungsnarrativ dagegen zu entwerfen.406 Um 1870 trieb Gerlach seine zunehmend kompromittierende Opposition gegen den „Natio-
400 Vgl. Ludwig von Gerlach, TB vom 17.10.1848 und 23.11.1848. In: Diwald, Revolution, S. 126 und 142. Ferner Gerlach, Die Freiheits-Tendenzen, Berlin 1866, S. 3 und 38. Vgl. auch Haller, Satan, S. 6. 401 Greisheim, Centralgewalt, S. 28. 402 Vgl. Clemente Solaro della Margarita, Agli elettori di Borgomanero, Turin 1853, S. 22. Vgl. auch Solaro an Luigi Taparelli d’Azeglio am 27.2.1856. In: Azeglio, Carteggio, S. 602. 403 Ludwig von Gerlach, TB vom 20.11.1865. In: Diwald, Revolution, S. 472. 404 Vgl. Ludwig von Gerlach, Zwei Reden. In: NPZ 273 (22.11.1861). Ferner Gerlach, TB vom 9.12.1863 und 15.12.1863. In: Kraus, Gerlach, S. 775 und 788; Gerlach TB vom 31.1.1864. In: Diwald, Revolution, S. 1176. 405 Gerlach, Freiheits-Tendenzen, S. 18. 406 Ludwig von Gerlach, TB vom 24.12.1870. In: Kraus, Gerlach, S. 236. Ferner Gerlach an Beutner am 13.5.1866. In: Diwald, Revolution, S. 1287; Ludwig an Jakob von Gerlach am 22.5.1866. In: Diwald, Revolution, S. 1286.
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nalitätsschwindel“ weiter, indem er seinen dramatischen Loyalitätskonflikt mit dem neuen Nationalstaat mit dem falschen und verführerischen Charakter der Realpolitik motivierte. Die Reichsgründung betrachtete der konservative Politiker als „etwas nebelhaft Verschwimmendes“.407 Der konservative Protest gegen den Pseudo-Patriotismus vermittelte eine nostalgische und zunehmend marginalisierte Position, dennoch brachte er in den neugegründeten Nationalstaaten eine Vielzahl an politischen Gegenentwürfen hervor. Dazu gehörten die föderalistischen, christlich-legitimistischen und partikularistischen Ideen sowie die antiliberalen und paternalistischen Positionen vieler verunsicherter Konservativer. In diesem Sinne polemisierten auch jüngere konservative Publizisten wie Constantin Frantz und Hermann Wagener gegen den „Nationalitätsschwindel“ und die „deutschthümliche[n] Umtriebe“.408 Mit den gleichen Semantiken und vereinfachten Argumentationsstrategien wie Gerlach lehnte Frantz sowohl den „Schwindel der Paulskirche“ als auch das preußische Unionsprojekt und später die Realpolitik undifferenziert ab, weil sie seinen christlich-ständischen und großdeutsch-föderalen Vorstellungen der nationalen Einheit widersprachen.409 Um 1860 verurteilte der konservative Publizist auch die „Deutschthuerei“, die mit dem Novemberprogramm des späteren Kaisers Wilhelm I. und der Formation des Nationalvereins wieder eine starke politische Relevanz gewann.410 Frantz hob gegen die deutsche Nationalbewegung hervor, dass sie die verführerische Propaganda liberaler und prowestlicher „Philister“ reproduziere und damit der „Deutschheit“ nur „bei Worten und Emblemen“ entspreche.411 Auch Frantz positionierte die moralisch-religiös konnotierten Begriffe Verführung und Schwindel im Zentrum seiner Fundamentalopposition gegen die deutschen Einheitsbestrebungen. In den 1860er Jahren radikalisierte auch Frantz seine Polemik gegen Industrialisierung, liberale Reformen und Nationalismus, indem er sich systematisch auf die Suggestion des falschen und verführerischen Patriotismus bezog. In erster Linie distanzierte er sich vom deutschen Nationalverein und vor allem vom italienischen Risorgimento, weil der neugegründete Nationalstaat südlich der Alpen „in Schwindel, in der Conspiration und Exaltation“ entstanden sei.412 Mit seinen aufsehenerregenden publizistischen Aktivitäten kritisierte Frantz unnachgiebig die „künstliche Einheit“, die die piemontesischen Moderati in Italien realisierten und die von den deutschen Nationalliberalen als Vorbild bewundert wurde.413 Gegen die italienische und die deutsche Nationalstaatsidee veröffentlichte Frantz zwischen 1850 und 1880
407 Gerlach, Aufzeichnungen (Bd. 1), S. 397. 408 Frantz, Politik, S. 14 und 62. Ferner Frantz, Bismarckianismus, S. 32; Wagener, Erlebtes, S. 32. 409 Constantin Frantz, Qui faciamus nos?, Berlin 1858, S. 75. 410 Constantin Frantz, Die Politik der Zukunft, Berlin 1858, S. 18. 411 Frantz, Politik, S. 17. 412 Frantz, Kritik, S. 207. 413 Constantin Frantz, Die Wiederherstellung Deutschlands, Berlin 1865, S. 202.
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34 Pamphlete und längere politische Essays, die viel diskutiert und mehrmals aufgelegt wurden. Die Pamphlete Unsere Politik (1850) und Die Constitutionellen (1851) wurden innerhalb weniger Wochen nach der Erstveröffentlichung vier bzw. sechs Mal neu aufgelegt.414 Mit einer engen Verflechtung moralischer, ideologischer und politischer Argumentationsstrategien kritisierte Frantz sowohl die „Religion des Nationalliberalismus“ als auch die preußische Realpolitik und den alten Deutschen Bund.415 Bis in die 1870er Jahre hinein nutzte der konservative Publizist das Rechtfertigungsnarrativ des Pseudo-Patriotismus, um die „Lügen“ und die angebliche Unhaltbarkeit der „neuen deutschen Schöpfungen“ darzustellen.416 Die heftige Kritik gegen den liberalen Pseudo-Patriotismus und das „lügenhafte, unsittliche Bismarckthum“, die konservative Publizisten wie Gerlach und Frantz nach 1871 fortsetzten, stieß seit der Reichsgründung vor allem in den katholischen und pro-österreichischen Netzwerken auf eine positive Resonanz.417 In seinem viel gelesenen Pamphlet Deutschland nach dem Kriege von 1866 protestierte auch Wilhelm Emanuel von Ketteler vehement gegen die „revolutionäre Verführung“ der preußischen Realpolitik.418 Der Bischof von Mainz gab seiner tiefen Skepsis gegen die deutschen Einheitsbestrebungen mit denselben Semantiken und Argumentationsstrategien Ausdruck wie die erzkonservativen Pietisten in Preußen.419 Die engen Verflechtungen zwischen Religion und antiliberalen Politikdiskursen basierten auf gemeinsamen Interessen und wurden in den 1870er Jahren durch den eskalierenden Kulturkampf konsolidiert. Protestantische Theologen, katholische Prälaten und konservative Publizisten benutzten teilweise dasselbe semantische und argumentative Instrumentarium, um gegen liberale Reformen, Nationalbewegung und Reichsgründung zu wüten.420
414 Die Hälfte der insgesamt 34 polemischen Pamphlete wurde in den 1870er Jahren veröffentlicht. Siehe Verzeichnis der Pamphlete und Zeitungsartikel. Seit 1866 schrieb Gerlach nicht mehr für die Kreuzzeitung, er veröffentlichte zwischen 1866 und 1871 insgesamt elf Pamphlete, in denen er die Reichsgründung heftig kritisierte. Einige Publikationen wie der Essay Kaiser und Papst (1872), der innerhalb weniger Wochen viermal neu aufgelegt wurde, erfuhren eine große Resonanz. 415 Constantin Frantz, Die Religion des Nationalliberalismus, Leipzig 1872. 416 Frantz, Religion, S. VI und 226. Neben konservativen Publizisten wie Gerlach und Frantz bezeichneten auch preußische Spitzendiplomaten wie Karl Friedrich von Savigny und Athanasius Graf Raczynski „Konstitutionalismus“ und „deutsche Einheit“ als „Lügen“. Vgl. Karl Friedrich von Savigny an Athanasius Raczyncki am 2.11.1849. In: Savigny, Briefe, S. 471. 417 Ludwig von Gerlach, TB am 14.10.1870. In: Kraus, Gerlach, S. 864. 418 Wilhelm Emanuel von Ketteler, Deutschland nach dem Kriege von 1866, Mainz 1867, S. 62. 419 Bereits im Jahr 1862 polemisierte Ketteler mit dem Pamphlet Freiheit, Autorität und Kirche explizit sowohl gegen den falschen und verführerischen Liberalismus als auch gegen den „verderblichen Weg“ zur deutschen Einheit, den die Nationalliberalen vertraten. Vgl. Ketteler, Freiheit, S. 57 und 132. 420 Ausführlich über die „religiöse Politik“ der preußischen und piemontesischen Konservativen siehe Kap. 2.1.2 und 2.1.3.
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Um das Unionsprojekt von Radowitz und seit 1864 ebenfalls die Realpolitik von Bismarck zu diskreditieren, äußerten sich konservative Publizisten wie Gerlach, Frantz und Huber immer wieder mit einer überhöhten Sprache gegen die „schwersten nationalen Sünden“ der preußischen Regierung.421 Auch prominente konservative Intellektuelle wie Friedrich Julius Stahl und Heinrich Leo denunzierten die „Sünden“ der liberalen Nationalbewegung, die für die „nivellierte“ und „entchristlichte“ Idee des deutschen Nationalstaats eintrat statt die „wahre und heilige“ Einheit zu verfolgen.422 Aus konservativer Sicht erklärte dieses weitverbreitete Wahrnehmungsund Argumentationsmuster gegen die ideologische Verführung und die politische „Sünde“ der Nationalbewegung, warum nach 1848 die falschen Verfassungs- und Einheitsbestrebungen zunehmend „auch die Edlen bestachen“.423 Ausgehend von der ideologischen Ablehnung des verführerischen Patriotismus und der falschen Freiheit spitzten auch Stahl und Leo ihre Polemik gegen die neuen liberalen Legitimationstheorien und die nationalen Einheitsbestrebungen mit den religiös-moralischen Konzepten von Sünde und Schande zu.424 Zum einen wurden die konservativen Politikdiskurse gegen Revolution und Nationalbewegung von vielen Publizisten und Intellektuellen noch stärker emotionalisiert und mit religiösen Wertorientierungen verknüpft. Zum anderen generierten der Kampfbegriff Pseudo-Patriotismus und die daraus entstehende Wirklichkeitskonstruktion eine mögliche Deutungs- und Handlungsoption gegen die teleologische Großdeutung, die die Formation des deutschen und italienischen Nationalstaats als vorbestimmte Entwicklung beschrieb. Dagegen verwendeten die Konservativen eindringliche Semantiken und Orientierungskonzepte, die im schroffen Gegensatz zu der Idee der Nation als Telos die piemontesische und die preußische Nationalstaats-
421 Ludwig von Gerlach, TB vom 10.10.1849. In: Diwald, Revolution, S. 220. Ferner Gerlach, RS Michaelis 1854, S. 17; Gerlach, Preußens Kampf, S. 22; Gerlach, Freiheits-Tendenzen, S. 27. Vgl. auch Gerlach, TB am 30.1.1864; am 15.4.1864; am 5.5.1864; am 1.6.1864; am 20.8.1864 und am 10.10.1864. In: Diwald, Revolution, S. 449–460. Ferner Gerlach, TB am 12.8.1864; am 12.2.1867; am 3.2.1870; am 7.3.1870 und am 14.7.1870. In: Kraus, Gerlach, S. 841, 850, 857, 864, 912 und 926. Außerdem Gerlach an Jakob Gerlach am 20.8.1863 und am 5.8.1866 sowie Gerlach an Adolf von Thadden am 1.6.1864 und am 23.6.1866. In: Diwald, Revolution, S. 1148, 1189, 1311 und 1329. Vgl. auch Huber, Suum cuique, S. 13; Frantz, Preußen, S. 5. 422 Stahl, Reden, S. 196. 423 Friedrich Julius Stahl, Zum Gedächtnis Seiner Majestät des hochseligen Königs Friedrich Wilhelm IV., Berlin 1861, S. 267. 424 In der 630-seitigen Abhandlung Geschichte der französischen Revolution verwendete Heinrich Leo 13-mal den pejorativen Begriff Sünde, um politische Ideen und Ereignisse zu interpretieren. Vgl. Heinrich Leo, Geschichte der französischen Revolution, Halle 1842, S. VIII, X, 46, 155, 227, 253, 254, 256, 332, 610, 611. Auch Joseph de Maistre benutzte in Betrachtungen über Frankreich wiederholt die Begriffe Sünde und Schande als politisches Deutungs- und Argumentationsmuster. Vgl. De Maistre, Betrachtungen, S. 41, 59, 61 und 101.
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politik als verführerische, widerwärtige, kurzsichtige, hoffärtige, prahlerische und liberal-materialistische Perspektive diskreditierten.425 Mit der vereinfachten Dichotomisierung von Begriffen wie Ehre-Schande oder Unabhängigkeit-Fremdherrschaft wurde die wachsende Pluralität und Verfügbarkeit national-patriotischer Diskurse charakterisiert, die in Italien und Deutschland seit der gegenrevolutionären Meinungsmobilisierung um 1800 kontinuierlich an Bedeutung gewannen.426 In den konservativen Politikdiskursen wurde diese Gut-Böse-Opposition und die damit verknüpfte moralische Verurteilung von politischen Reformbemühungen, sozialen Transformationen und kulturellen Neuorientierungen umfassend instrumentalisiert. Über die Zäsuren von 1848 und 1861 bzw. 1871 hinweg stellten für viele preußische und piemontesische Konservative die zunehmend etablierten Identitätsund Legitimationsgrundlagen der Verfassung und des Nationalstaats nach wie vor ein bedrohliches Blendwerk dar. Genauso wie die Assoziation Nation-Revolution griff auch das Paradigma des Pseudo-Patriotismus auf die europaweit rezipierten Ideen von Burke, Haller und De Maistre zurück und reaktivierte altvertraute literarische Topoi, latente Feindbilder und religiös-theologische Symbole. In der krisenhaften Übergangsphase 1840–1870 leisteten die immer wieder rekurrierenden Kampfbegriffe Pseudo-Patriotismus und Verführung einen wichtigen Beitrag, um die antiliberalen Politikdiskurse weiter zu emotionalisieren und zu popularisieren. Mit diesem Instrumentarium an Semantiken und vereinfachten Argumentationsfiguren bewältigten viele konservativen Politiker und Intellektuelle die existenziellen Bedrohungen, die politischen Enttäuschungen und die kulturelle Desorientierung, die sich um 1850 zwischen Revolution, Reform und Nationalstaatsgründung herauskristallisierten. 1.2.2 „Zerreißung“ und „Schwächung“ statt nationaler Einheit. Die konservative Polemik gegen den Pseudo-Patriotismus als politisches Rechtfertigungsnarrativ Die Assoziation Nation-Revolution und die Idee des Pseudo-Patriotismus entwarfen eine überspitzte Gut-Böse-Opposition und transferierten religiöse Suggestionen und moralische Wertorientierungen in die Sprache des Politischen. Diese Argumentationsfiguren bildeten eine Wahrnehmung der politischen Wirklichkeit ab, die mit den Idealen und Erwartungshorizonten der deutschen und italienischen Nationalbewe-
425 Vgl. Gerlach, Freiheits-Tendenzen, S. 27; Gerlach, Preußens Ermannung, S. 29 und 40; Gerlach, Congreß, S. 6. Ferner Gerlach, TB am 26.5.1864, am 8.4.1866 und am 30.4.1866. In: Diwald, Revolution, S. 456 und 477. 426 Vgl. Birgit Aschmann, Preußens Ruhm und Deutschlands Ehre. Zum nationalen Ehrdiskurs im Vorfeld der preußisch-französischen Kriege des 19. Jahrhunderts, München 2013, S. 177. Ferner Frie, Marwitz, S. 294 und 309.
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gung konkurrierte. Um 1850 wurden restaurative Gegenschläge, reformbereite Umorientierungen und innovative Legitimationstheorien von miteinander rivalisierenden politischen Rechtfertigungsnarrativen untermauert oder diskreditiert. Diese expliziten oder symbolischen großen Erzählungen bestimmten sowohl die normative und institutionelle Ordnung als auch die individuellen Deutungs- und Handlungsoptionen.427 Gegen die zunehmend dominierende Narration des Nationalstaats als Telos brachte der konservative Diskurs ein breites Spektrum an antithetischen Ordnungsideen, Symbolen und Erfahrungsdeutungen hervor. Einerseits gehörten zum semantischen und argumentativen Paradox des Pseudo-Patriotismus die religiös-moralischen und ideologischen Orientierungskonzepte, die die nationalen Einheitsbestrebungen als einen verführerischen, unhistorischen und kurzsichtigen Politikentwurf stigmatisierten. Andererseits basierte die Suggestion des Pseudo-Patriotismus auf einer ebenfalls dramatisierten, aber undogmatisch dargestellten Wirklichkeitsvorstellung, die die neugegründeten Nationalstaaten mit den Gegenbegriffen Zerreißung und Schwächung assoziierte und damit die liberalen Erwartungshorizonte von Einheit und Unabhängigkeit polemisch umdeutete.428 Während die Dämonisierung der Nationalbewegung als Verführung und Sünde auf einer moralischen und symbolischen Ebene wirkte, standen konkrete Vorwürfe wie Zerreißung und Schwächung im Widerspruch zu der weitverbreiteten Überzeugung, dass die Nationalstaatsgründung die interne Stabilisierung und das internationale Prestige von Preußen und Piemont konsolidiere. Im Jahr 1868 widmete der Chefredakteur der konservativen Zeitung La Patria, Giorgio Briano, Papst Pius IX. ein pathetisches Gedicht. Mit einer moralisierenden Argumentationsstrategie, aber auch mit konkreten Gegenvorstellungen diskreditierte Brianos Canzone die zentralen Risorgimentobegriffe Einheit und Unabhängigkeit. Diese skandalisierende Darstellung der italienischen Einigung beschrieb den neuen Nationalstaat nicht als eine starke und unabhängige Gemeinschaft, sondern als ein elendes, verletztes, verlassenes und mehr als je zuvor zerrissenes Inferno: Questa misera Italia abbandonata Al reo fervor di bieche anime avare Che l’hanno orribilmente flagellata. Divise più di pria son le sue genti; Da sacrileghe man è scosso l’altare. Le anime forti al tempestoso mare Che cupamente rugge a piè de’ troni Oppongon del loro petto saldo scudo. Ma gli é valor di poche anime ignudo Incontra al ferro d’orridi campioni.429
427 Vgl. Fahrmeir, Einleitung, S. 7–10. 428 Vgl. Ludwig von Gerlach, Krieg und Bundesreform, Berlin 1866, S. 9. 429 Giorgio Briano, A Pio IX. Canzone, Florenz 1868, S. II.
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Briano instrumentalisierte kontinuierlich die Revolutionserfahrung und das Feindbild der patriotischen Geheimorganisationen, um die Ideale des Risorgimento und die Nationalstaatspolitik der piemontesischen Moderati mit den „Doktrinen des politischen Mordes und der Zerstörung“ gleichzusetzen.430 Ausgehend von diesem sehr vereinfachten Vergleich stellte er eindeutig fest, dass die Formation des italienischen Einheitsstaats die politischen, kulturellen und ethnischen Konflikte auf der Halbinsel verschärfen und damit das Gegenteil von Einheit und Macht realisieren würde.431 Ähnlich wie Briano attackierten weitere konservative Publizisten wie Avogadro, San Pol, Margotti und Solaro die moralische und politische Zerstörung, die das italienische Risorgimento angeblich bewirkte. Die piemontesischen Konservativen konstruierten damit ein zugespitztes Rechtfertigungsnarrativ, um die politischen Versprechungen der Moderati punktuell zu delegitimieren. Das Paradigma der Zerstörung bildete einen konservativen Gegenentwurf zu den Idealen und Erwartungshorizonten, die in der italienischen Einheit eine solide und sogar alternativlose Grundlage innenpolitischer Stabilität und außenpolitischer Macht sahen. Mit dem semantischen und argumentativen Paradox des „zerstörerischen“ Patriotismus lehnte die konservative Opposition die zunehmend erfolgreichen Orientierungskonzepte von Einheit, Macht und Unabhängigkeit systematisch ab. Neben der moralischen und ideologischen Verurteilung des Pseudo-Patriotismus lieferte die Abtretung der piemontesischen Provinzen Savoyen und Nizza an Frankreich auch ein konkretes Argument, das die Idee der Zerstörung aus konservativer Sicht eindeutig bewies. Diese territoriale Kompensation, die Napoleon III. und Cavour nach dem Geheimtreffen von Plombières im Juli 1858 vereinbarten, garantierte die militärische Unterstützung des französischen Empires für die antiösterreichische Außenpolitik der piemontesischen Moderati. Avogadro della Motta stigmatisierte die Abtretung von Savoyen und Nizza als „verhängnisvolles Opfer“ und delegitimiere damit auch die piemontesischen Territorialgewinne in Nord- und Mittelitalien als „unglücksbringendes Geschenk“.432 Die Opposition gegen die Abtretung der frankophonen Provinzen basierte auf der konservativen Argumentationsstrategie, die die italienische Einigung eher als Zerstörung des alten piemontesischen Staates interpretierte. Noch heftiger polemisierte Avogadro gegen die Annexion der päpstlichen Legationen und gegen den „Zerstörungsgedanken“, der die Eingliederung des gesamten Kirchenstaats und Rom als Hauptstadt des neuen italienischen Nationalstaats proklamierte.433 Um gegen die „zerstörerischen“ Ideen und Aktivitäten der Moderati zu protestieren, reaktivierte Avogadro weitverbreitete gegenrevolutionäre Suggestionen, latente Feindbilder und altvertraute Ordnungsprinzipien aus dem christlich-
430 Briano, Re costituzionale, S. 5. 431 Vgl. Briano, Settari, S. 6. 432 Avogadro, Quistione, S. 8. Vgl. auch Avogadro, Rivoluzione, S. 15. 433 Avogadro, Rivoluzione, S. 17.
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legitimistischen Restaurationsdiskurs. Dabei blieben das italienische Risorgimento und die „zerstörerische Theorie“, die die Revolutionen von 1789 und 1848 angeblich propagierten, nach der Nationalstaatsgründung eng miteinander verflochten.434 In den 1850er Jahren bezogen sich auch die erzkonservativen Zeitungen Armonia und Smascheratore auf das gegenrevolutionäre Paradigma der Zerstörung, um die piemontesische Nationalstaatspolitik zu diskreditieren. Mit einer sarkastischen Sprache betonten San Pol und Margotti, dass die außenpolitischen Ambitionen der Moderati eine dramatische Selbstüberschätzung darstellten, die die piemontesische Monarchie zusammen mit der gesamten italienischen Halbinsel „ruinierte“.435 Im schroffen Gegensatz zur Euphorie seiner politischen Rivalen äußerte sich San Pol empört über das „pauvre Italie“ von 1861. In seiner „wahren“ Geschichte des Risorgimento beschrieb der konservative Publizist mit der überspannten Dichotomie ZerstörungEinheit, wie nach der Formation des italienischen Königreichs „après tant de siècles de gloire […] partout dévastations et iniquités“ herrschten.436 Zerstörung und Fremdherrschaft waren die starken Gegenbegriffe, die um 1860 auch der Chefredakteur der Armonia Giacomo Margotti gegen die zentralen Risorgimento-Konzepte Einheit und Unabhängigkeit systematisch benutzte. Indem er die dramatische Revolutionserfahrung von 1789 und 1848 instrumentalisierte, verurteilte Margotti die italienischen Einheitsbestrebungen als eine kontraproduktive Ambition, die eine zusätzliche politische Zersplitterung und sogar eine Verstärkung des ausländischen Einflusses auf der Halbinsel verursachte. Insofern betrachtete der konservative Theologe die heterogenen Einheits- und Unabhängigkeitsprojekte von Mazzini, Gioberti, Garibaldi und Cavour als grundsätzlich falsch, weil sie den „Keim ewiger politischer und religiöser Konflikte“ in sich trugen.437 Die erfolgreichen Volksabstimmungen und die konsequente Eingliederung der italienischen Klein- und Mittelstaaten in die konstitutionelle Monarchie von Viktor Emanuel II., der sich seit 1861 als das kollektive Symbol nationaler Einheit und Unabhängigkeit inszenierte, wurden von Margotti als die Ursache einer apokalyptischen Uneinigkeit demonstrativ abgelehnt. Ähnlich wie Avogadro della Motta erlebte auch der Chefredakteur der Armonia die Abtretung der piemontesischen Provinzen Savoyen und Nizza an Frankreich als ein dramatisches Ereignis, das die nationale Einigung als Zerstörung und Fremdherrschaft entlarvte. In mehreren Artikeln konstatierte Margotti, wie die nationale Politik von 1848/49 mit der vernichtenden Niederlage von Novara endete und damit, statt die italienische Unabhängigkeit durchzusetzen, nur die österreichische Macht auf der
434 Avogadro, Teorica, S. 188 und 315. Auch der ehemalige Diplomat Edoardo Crotti di Costigliole assoziierte in seinen Memoiren die Politik der piemontesischen Moderati, die er sarkastisch als „novateurs“ bezeichnete, mit dem Begriff Zerstörung. Vgl. Edouard Berard, Le Comte Edouard Crotti de Costigliole, Aoste 1870, S. 71. 435 Vgl. San Pol, Nemesi, S. 137. 436 San Pol, Quarante, S. 16. 437 Margotti, Memorie (Bd. 3), S. 94 („Il seme di nuove ed eterne discordie religiose e politiche“).
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Halbinsel konsolidierte. In diesem Sinne stellte er fest, dass der Verlust von Savoyen und Nizza die französische Hegemonie über Piemont untermauere und insofern eine „noch schlimmere Katastrophe“ als die militärische Demütigung von 1849 sei.438 Dramatisch prophezeite Margotti, wie Frankreich mit seinen neuen Provinzen das „zerstückelte“ piemontesische Königreich stärker als je zuvor kontrollieren werde.439 Die viel gelesenen Pamphlete des piemontesischen Theologen bezogen sich auf die europaweit verbreitete Überzeugung, dass das französische Empire mit den neuen Territorialgewinnen und der österreichischen Niederlage seine Hegemonialstellung auf der italienischen Halbinsel nachhaltig befestigen werde. Ausgehend von den Gegenbegriffen Zerstörung und Fremdherrschaft reproduzierte Margotti mit überspitzten Formulierungen die pessimistische und in ganz Europa zirkulierende Wahrnehmung, dass die unsoliden Grundlagen des neugegründeten Nationalstaats eine „schreckliche Zukunft“ für das Königreich Italien vorausahnen ließen.440 Die Armonia kombinierte stets aufs Neue die moralische und ideologische Ablehnung des Pseudo-Patriotismus mit einer pointierten Darstellung der vermeintlichen politischen Fehler der Moderati. Dabei wurde die triumphierende Nationalstaatspolitik nicht nur aus abstrakten Gründen verurteilt, sondern auch konkret widerlegt, weil sie die Interessen und die Sicherheit Piemonts aufs Spiel setze. In diesem Sinne hob Margotti polemisch hervor, dass der allgemein gefeierte Ministerpräsident Cavour, statt einen mächtigen und unabhängigen Staat zu gründen, vielmehr die piemontesische Monarchie zu einem „französischen Departement“ degradiert und sich selbst in einen „französischen Präfekt“ verwandelt habe.441 Mit den Topoi von Zerstörung und Fremdherrschaft positionierte sich der konservative Publizist überdeutlich gegen die rücksichtslosen „distruttori d’Italia“, die einen illegitimen, kurzsichtigen und angeblich kontraproduktiven Politikentwurf realisierten: „L’Armonia non vuole l’Italia vassalla dello straniero […]. L’Armonia ha oppugnato ed oppugna i distruttori d’Italia, gli scialacquatori delle sue finanze, i vandali che l’hanno messa in su le spine […]. Si è opposta con tutte le sue forze allo smembramento della patria […] alle cessioni della Savoia e della contea di Nizza, al predominio francese in Italia.“442 Die heftige Polemik gegen Cavour und Garibaldi als politische Vandalen spiegelte die hochemotionale Haltung und die zwischen Euphorie und Desorientierung schwankenden Reaktionen der piemontesischen Öffentlichkeit auf die Ereignisse von 1859/60 wider. Nach der unspektakulären Proklamation von Viktor Emanuel II. als König von Italien am 17. März 1861 setzte Margotti seine Ablehnung des neugegründe-
438 Margotti, Memorie (Bd. 4), S. 117. 439 Margotti, Memorie (Bd. 4), S. 122–124. 440 Margotti, Memorie (Bd. 4), S. 137 („un tremendo avvenire“). 441 Margotti, Memorie (Bd. 4), S. 174 und 188. 442 Margotti, Memorie (Bd. 5), S. 108.
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ten Nationalstaats mit den Vorwürfen der Zerstörung und Fremdherrschaft unbeirrt fort.443 Er distanzierte sich von der herrschenden Rhetorik von Einheit und Macht, indem er sich polemisch über das „povero popolo d’Italia così maltrattato, così vessato nelle sue sostanze, nella sua fede, nei suoi affetti più preziosi“ äußerte.444 Mit dem gleichen semantischen und argumentativen Instrumentarium konstatierte die Armonia, dass die italienische Revolution in wirtschaftlichem, finanziellem, außenpolitischem, moralischem und gesellschaftlichem Sinne nur zerstörerisch wirke.445 Dabei beschrieb Margotti die italienische Einigung obsessiv mit den Leitmotiven von Zerstörung und Fremdherrschaft als eine „zwieträchtige Einheit“, als „Sklaverei“ mit „ununterbrochenen Massakern“ sowie als „allgemeine Verunsicherung“.446 Besonders deutlich kam die schroff antinationale Suggestion des zerrissenen und versklavten Italiens im Zusammenhang mit der ungelösten römischen Frage zum Ausdruck. Für Margotti symbolisierten die Bestrebungen um Rom als Hauptstadt des neuen Nationalstaats den zerstörerischen Charakter des Risorgimento.447 In den 1860er Jahren konstruierten ultrakatholische Zeitungen wie die Armonia und die Civiltà Cattolica zusammen mit prominenten erzkonservativen Publizisten wie Antonio Bresciani, Luigi Taparelli d’Azeglio und Solaro della Margarita eine parallele Geschichte des Risorgimento.448 Genauso wie Margotti assoziierte auch Bresciani das Risorgimento mit den Gegenbegriffen Zerstörung und Fremdherrschaft, indem er die italienische Revolution als „niederträchtig und beschämend“ sowie als „Affront gegen die Bevölkerung“ bezeichnete.449 Um die teleologische Meistererzählung und die öffentliche Inszenierung des neugegründeten Nationalstaats zu diskreditieren, entwarfen beide eine umfassende Antinarration gegen den Pseudo-Patriotismus. Dazu gehörten die asymmetrischen Gegenbegriffe Zerstörung und Fremdherrschaft, aber auch ein Inventar von Anti-Mythen, das die nationalen Helden Mazzini, Cavour und Garibaldi in ein schlechtes Licht rückte.450
443 Das Dekret vom 17. März 1861 verkündete mit einem äußerst nüchternen Grundton: „Il Re Vittorio Emanuele II assume per sé e per i suoi successori il titolo di Re d’Italia.“ Dabei ergänzte Viktor Emanuel II. die alten mit den neuen Legitimationstheorien, indem er das Gottesgnadentum mit dem „Willen der Nation“ kombinierte: „Vittorio Emanuele II per Grazia di Dio e per volontà della Nazione Re d’Italia.“ Vgl. Statuto fondamentale del Regno, Turin 1884, S. 27. 444 Margotti, Memorie (Bd. 5), S. 255. 445 Margotti, Memorie (Bd. 5), S. 63 („finora la rivoluzione non fece che disfare l’Italia“). 446 Margotti, Memorie (Bd. 5), S. 94 und 101. 447 Margotti, Memorie (Bd. 6), S. 28. 448 Zur parallelen Geschichte des Risorgimento, die die ultrakatholischen Publizisten und Intellektuellen um 1860 entwarfen, vgl. Mario Isneghi, Una storia parallela. In: Studi politici in onore di Luigi Firpo 3 (1990), S. 476–486. 449 Vgl. Antonio Bresciani, Della Repubblica romana, Mailand 1855, S. V („bassezza e vergogna“ und „segno di vituperia alle genti“). 450 Unter anderem beschrieb Brescianis kurze Erzählung Lionello den Nationalhelden Garibaldi als negativen Anti-Mythos. Lionello erschien zuerst im Jahr 1852 als Feuilletonroman in der Civiltà Catto-
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Vor allem seit dem erfolgreichen Wahlkampf von 1857 versuchte auch Solaro della Margarita die konservative Opposition gegen die regierenden Moderati zu mobilisieren, indem er die parallele Geschichte der „verderblichen“ Ideale des Risorgimento und der „ruinösen“ piemontesischen Nationalstaatspolitik rekonstruierte.451 Genauso wie die Armonia und die Literatur von Antonio Bresciani entwarf Solaro einen antiliberalen und antinationalen Ideen- und Erwartungshorizont, der das politische Rechtfertigungsnarrativ von Cavour gänzlich in Frage stellte und die Moderati als die „führenden Henker des Landes“ verurteilte.452 Mit einer zunehmend dramatischen Sprache benutzte Solaro die Paradigmen von Zerstörung und Fremdherrschaft, um in seinen privaten Netzwerken sowie mit seinen publizistischen Aktivitäten und parlamentarischen Reden die liberale Verfassungs- und Nationalstaatspolitik als eine verhängnisvolle und unpatriotische Tendenz vehement zurückzuweisen.453 Die zunehmend problematische Opposition der piemontesischen Konservativen basierte auf einer kohärenten Wirklichkeitskonstruktion, die die italienischen Einheitsbestrebungen mit moralischen, kulturellen, symbolischen und pragmatischen Argumenten umfassend kritisierte. Neben dem vermeintlich illegitimen und unchristlichen Charakter des neugegründeten Nationalstaats lehnte Solaro das positive Konzept der italienischen Unabhängigkeit mit dem Gegenbegriff Fremdherrschaft schroff ab. Aus konservativer Sicht bedrohte die piemontesische Verfassungs- und Nationalstaatspolitik die Religion und die soziale Ordnung und destabilisierte damit die wesentlichen Grundlagen innenund außenpolitischer Unabhängigkeit.454 Zusammen mit dieser internen Erosion traditioneller Wertorientierungen und Ordnungsprinzipien stigmatisierte Solaro auch die zunehmend explizite Allianz zwischen den regierenden Moderati und dem französischen Empire. Genauso wie Margotti und zahlreiche andere konservative Politiker und Publizisten konstatierte der ehemalige Außenminister ebenfalls, dass Cavour und seine Minister die Selbstständigkeit und das Ansehen der piemontesischen Monarchie aufs Spiel setzten und statt „Herrscher des Landes“ nur „Sklaven einer neuen Fremdherrschaft“ waren.455 Solaro denunzierte „die sogenannte Unab-
lica und wurde mehrfach auch als Einzelband neu aufgelegt und in mehrere europäische Sprachen übersetzt. Ausführlich dazu siehe Kap. 2.1.3. 451 Vgl. Clemente Solaro della Margarita an Antonio Brignole-Sale am 18.5.1857 und am 1.7.1857 (ABS Serie corrispondenza alfabetico S. nr. 6490 und 6509). 452 Clemente Solaro della Margarita an Antonio Brignole-Sale am 22.4.1860 (ABS Serie corrispondenza alfabetico S. nr. 6515, „coloro che sacrificano il paese“) 453 Vgl. Clemente Solaro della Margarita, Rede am 11.1.1855 (APS Discussioni, Sessione 1854/55, 5. Leg., Bd. 6, S. 2626. Vgl. auch Solaro Memorandum, S. 171 und 412. 454 Vgl. Clemente Solaro della Margarita, Rede am 28.5.1855 und am 6.5.1856 (APS Discussioni, Sessione 1854/55, 5. Leg., Bd. 7, S. 3703 und Sessione del 1855/56, Bd. 4, S. 1658). 455 Clemente Solaro della Margarita, Discorso secondo alla nazione, Turin 1857, S. 8 und 18 („signori del paese“ und „schiavi di straniere genti“).
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hängigkeit“ als das illusorische Ersetzen des österreichischen Einflusses mit französischem „Vasallentum“.456 Darüber äußerte sich unmissverständlich auch der konservative Abgeordnete Luigi Costa di Beauregard, indem er betonte, dass mit der Nationalstaatspolitik „le Piemont oubliât la politique traditionelle, habile, modérée, persévérante à laquelle la monarchie de Savoie a dû son accroissement et sa glorie, pour précipiter à un dénouement qui peut lui être fatal.“457 Noch im Jahr 1864 deuteten die konservativen Politiker die zentralen Risorgimento-Konzepte von nationaler Einheit und Unabhängigkeit mit den pejorativen Gegenbegriffen Zerstörung und Fremdherrschaft polemisch um. Mit seinem letzten politischen Essay Uomo di Stato stellte Solaro fest, dass seit 1859 die „nationale Würde“ und Selbstständigkeit extrem gefährdet seien und die italienische Nationalstaatsgründung gerade die nationale Einheit und die Unabhängigkeit stärker als je zuvor beeinträchtige.458 In seinem weitreichenden privaten Netzwerk und mit einem vehementen publizistischen Protest kommunizierte auch der genuesische Aristokrat Antonio Brignole-Sale anhand der Gegenbegriffe Zerstörung und Fremdherrschaft seine radikale Ablehnung der piemontesischen Politik.459 Nach der Formation des italienischen Nationalstaats hob Brignole wiederholt hervor, dass die Unabhängigkeitskriege einen eklatanten Verstoß gegen die christlich-legitimistische Tradition bedeutet hätten und auch illusorisch wirkten, weil Italien nach 1859 schwächer und unselbstständiger als je zuvor geworden sei: „Mentre abbiamo intrapreso e creduto menare a buon fine una guerra per assicurare l’indipendenza dell’Italia, altro per ultimo non avremmo […] conseguito che di rendere l’Italia più minacciata, e perciò più dipendente che mai.“460 Die parallele Geschichte, die die italienische Einigung als Zerstörung und die nationale Unabhängigkeit als Fremdherrschaft beschrieb, zirkulierte in den 1860er Jahren in zahlreichen literarischen, politischen und symbolischen Gegenentwürfen zum Risorgimento weiter. Der konservative Diskurs brachte eine Gegennarration zu den Idealen, Massenemotionen, politischen Erwartungshorizonten und selbst den Mythen der italienischen Nationalbewegung hervor. In diesem Zusammenhang
456 Vgl. Clemente Solaro della Margarita, Rede am 14.3.1857 (APS Discussioni, Sessione 1857, 5. Leg., Bd. 3, S. 987). 457 Luigi Costa di Beauregard am 28.4.1857 (APS Discussioni – Sessione del 1857, 5. Leg., Bd. 4, S. 1673). Gegen die piemontesische Nationalstaatspolitik als Ursache einer noch stärkeren französischen Hegemonie in Italien polemisierten auch konservative Publizisten aus den anderen italienischen Kleinund Mittelstaaten. Vgl. Anonym, I casi della toscana nel 1859 e 1860 narrati al popolo da una compagnia di toscani, Florenz 1864, S. 24. 458 Clemente Solaro della Margarita, Sguardo politico del conte Solaro della Margarita ministro di stato sulla convenzione italo-franca del 15 settembre 1864, Turin 1864, S. 5 und 11. 459 Vgl. Antonio Brignole-Sale an seine Tochter am 26.2.1859 (ABS, serie 3, busta 1, nr. 35); Brignole, Des Droits temporels du Pape. Considérations sur la question romaine, Paris 1860, S. 32, 34 und 42. 460 Antonio Brignole-Sale, Sulla cessione della Savoia e del circondario di Nizza alla Francia, Genua 1860, S. 77.
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wurden positive Orientierungskonzepte wie Einheit und Unabhängigkeit sowie die Nationalhelden Cavour und Garibaldi radikal umgedeutet. Die Kampfbegriffe Zerstörung und Fremdherrschaft kommunizierten zusammen mit der Gegenideologie des Pseudo-Patriotismus eine alternative Werte- und Wirklichkeitskonstruktion, die die optimistische Begründungserzählung und die öffentliche Inszenierung des Nationalstaats demonstrativ herausforderte. Vor allem seit 1848 bildeten auch für die deutsche Nationalbewegung die Konzepte von Einheit und Macht positive Erwartungshorizonte und neue Legitimationstheorien, die im konservativen Diskurs mit den pejorativen Gegenbegriffen Zerreißung und Schwächung übersetzt wurden.461 Mit altvertrauten Semantiken und Ordnungsideen, aber auch pragmatischen Argumenten entwarfen die preußischen Konservativen ebenfalls ein politisches Rechtfertigungsnarrativ gegen die nationalliberale große Erzählung. Diese parallele Geschichte deutete die Ideen von Einheit, Unabhängigkeit und Macht in der dramatischen Perspektive von Zerstörung und Fremdherrschaft um. In der langen Übergangsphase zwischen Revolution und Reichsgründung diskreditierte Ludwig von Gerlach die deutschen Einheitsbestrebungen systematisch mit dem Begriffsfeld Zerfleischung, Zertrümmerung, Zerspaltung, Zerrüttung, Zerrissenheit, Zerreißung und Verderben.462 Mit dieser obsessiven Verwendung der semantischen und argumentativen Dichotomie Zerstörung-Einheit verurteilte der konservative Publizist sowohl die liberalen Politikentwürfe der Paulskirche als auch das preußische Unionsprojekt sowie später das reformbereite Novemberprogramm der Neuen Ära und die Realpolitik Bismarcks. Besonders während akuter Krisenphasen wie 1847–1850 und 1866–1871 generierte das paradigmatische Wortfeld Zerreißung und Schwächung eine starke Deutungs-
461 Vgl. Gerlach, Krieg, S. 9. Ausführlich zur Politikgeschichte der Begriffe Einheit, Macht und Freiheit in der nachrevolutionären Epoche zwischen Ideologie und Realpolitik vgl. Jansen, Einheit. 462 Gerlach bezog sich auf dieses paradigmatische Wortfeld gegen die deutschen Einheitsbestrebungen in unzähligen Zeitungsartikeln, Pamphleten, parlamentarischen Reden, Briefen und Tagebucheinträgen. Vgl. Gerlach, RS September 1848. In: Rundschauen 1849, S. 28; Gerlach, Preußen und die deutsche Einheit. In: NPZ 121 (27.5.1849); Gerlach, RS November 1849, RS Neujahr 1849 und RS Januar 1850. In: Rundschauen 1850, S. 60, S. 93 und 116; Gerlach, RS Neujahr 1855. In: Quartalrundschauen 1856, S. 24; Gerlach, Bruch mit der Vergangenheit, Berlin 1861, S. 8; Gerlach, Schleswig-Holstein, Berlin 1864, S. 3; Gerlach, Krieg, S. 9; Gerlach, Congreß, S. 10; Gerlach, Annexionen, S. 36; Gerlach, Deutschland im Neujahr 1870, Berlin 1870, S. 71; Gerlach, Kaiser und Papst, Berlin 1872, S. 77. Vgl. auch Gerlach, Rede am 15.4.1850 (Erfurt, Bd. 5, S. 148); Gerlach, Rede am 8.3.1873 (AH 11. Leg., Bd. 3/3, S. 1508); Gerlach, Rede am 8.5.1875 (AH 12. Leg., Bd. 2/3, S. 1809); Gerlach, Rede am 7.3.1876 (AH 12. Leg., Bd. 3/1, S. 473); Gerlach, Rede am 9.5.1876 (AH 12. Leg., Bd. 3/2, S. 1280). Außerdem in der privaten Korrespondenz: Gerlach an Ludwig Pernice am 4.6.1848. In: Diwald, Revolution, S. 525; Gerlach an Albrecht von Roon am 17.5.1866. In: Aufzeichnungen (Bd. 2), S. 290; Ludwig an Jakob Gerlach am 22.5.1866. In: Diwald, Revolution, S. 1287; Gerlach an Otto von Bismarck am 1.12.1866. In: BismarckJahrbuch 4 (1897), S. 175. Vgl. auch Gerlach, TB am 31.5.1848. In: Diwald, Revolution, S. 98; TB am 22.12.1866, am 12.2.1867 und am 29.9.1868. In: Kraus, Gerlach, S. 831, 841 und 843.
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und Handlungsoption, um die Erwartungshorizonte der Nationalstaatsidee nicht nur moralisch und ideologisch, sondern auch pragmatisch zu delegitimieren.463 Ähnlich wie die piemontesischen Konservativen reagierte Gerlach auf die wachsende Vulnerabilität der konservativen Opposition mit dramatischen Appellen gegen die falsche Einheit und den Pseudo-Patriotismus. Als die deutschen Einheitsbestrebungen im Zentrum der politischen Diskussion standen, reaktivierte der konservative Publizist die apokalyptische Suggestion des „armen zerfleischten Deutschland“ gegen die zunehmend glaubwürdigen und euphorischen Versprechungen von Einheit und Macht.464 Unverändert im Revolutionsjahr 1848 und wieder 1871 hob Gerlach hervor, wie alle „pomphasten Pläne von der Macht, Größe und Einheit Deutschlands […] immer in Hochverrat, Blutvergießen und Schmach auslaufen“.465 Dabei konstatierte er nach der Reichsgründung und mit Hinblick auf den eskalierenden Kulturkampf, dass „Deutschland seit mehr als zweihundert Jahren nicht so zerrissen“ gewesen sei.466 Mit dieser systematischen politischen Funktionalisierung der vereinfachten Dichotomie Einheit-Zerstörung stand Gerlach im konservativen Diskurs nicht isoliert da. Um 1850 bezog sich auch der ehemalige preußische Außenminister Canitz auf das Wort- und Bedeutungsfeld Zerstörung, um die nationalen Einheitsbestrebungen der Paulskirche sowie später das Unionsprojekt von Radowitz zu delegitimieren. In seinem Pamphlet Aufgehen oder Vorangehen?, das im September 1848 anonym erschien, betrachtete der konservative Diplomat eine Fortsetzung der Verfassungsund Nationalstaatspolitik als das „Vernichtungs-Urteil“ für die preußischen Traditionen und die bestehenden Ordnungsprinzipien.467 Ähnlich wie Gerlach lehnte Canitz die Ideale der deutschen Nationalbewegung vehement ab, indem er liberale Reformen und Einheitsbestrebungen mit den pejorativen Konzepten von „Zerstörung, Umsturz, Wegwerfen, Aufgeben, Aufgehen des Bestehenden ins Unbestimmte, Bodenlose“ undifferenziert zurückwies.468 Als politischer Publizist und ebenso resolut als preußischer Spitzendiplomat weigerte sich Canitz, den Pseudo-Patriotismus zu unterstützen. Um seine vehemente Opposition zu untermauern, die teilweise auch für die preußischen Eliten zu radikal war, übersetzte Canitz die positiven Erwartungshorizonte von Einheit und Macht in eine dramatische Untergangsperspektive. In diesem Sinne kritisierte er, dass das
463 Zu den Termini Wortfeld, Begriffsfeld und Bedeutungsfeld und ihre Relevanz für historische Semantik und Diskursanalyse vgl. Wolfgang Reinhardt, Das Wachstum des Gottesvolkes. Untersuchungen zum Gemeindewachstum im lukanischen Doppelwerk auf dem Hintergrund des Alten Testaments, Göttingen 1995, S. 42–44. 464 Ludwig von Gerlach, TB am 12.2.1867. In: Kraus, Gerlach, S. 841. Vgl. auch Gerlach, TB am 28.9.1868. In: Kraus, Gerlach, S. 843. 465 Ludwig von Gerlach, Rede am 15.4.1850 (Erfurt, Bd. 5, S. 148). 466 Gerlach, Kaiser, S. 77. 467 Canitz, Aufgehen, S. 6. 468 Canitz, Aufgehen, S. 13.
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Die konservative Meinungsmobilisierung
„Aufgehen Preußens in Deutschland mit raschen Schritten zum Untergange“ führen werde, gleichgültig ob die „falsche“ Einheit demokratisch-revolutionär geprägt oder liberal-konservativ konnotiert war.469 Mit dem Begriffsfeld „Zerstörung“ attackierte er auch in seiner privaten Korrespondenz mit Radowitz das „Nationalitätshallo“ und argumentierte, dass die nationale Einheitsidee Deutschland „mehr als jemals […] zerreißt, entkräftet und ruiniert“.470 Zusammen mit Gerlach engagierten sich Canitz und andere erzkonservative Politiker sowohl gegen das bedrohliche „Nationalitätshallo“ der deutschen Nationalversammlung als auch gegen das „völlig absurde“ Unionsprojekt von Radowitz.471 Das semantische und argumentative Paradox der zerstörerischen Einheit spiegelte sich auch in der Sprache der Regierungsdokumente wider, die das preußische Ministerium Brandenburg in den Revolutionsjahren 1848/49 über die nationale Frage und die damit verknüpften „zerstörenden und revolutionären Bestrebungen“ verfasste.472 Noch deutlicher attackierte das Gründungsmanifest der Kreuzzeitung im April 1848 die liberalen Reformen und die deutsche Nationalbewegung als das Resultat der vermeintlich „zerstörenden Nivellierungstriebe der Zeit“.473 Das empathische Wortund Bedeutungsfeld Zerstörung bildete für die preußischen Eliten und für ein breites Spektrum konservativer Publizisten und Intellektueller ein vereinfachtes Erklärungsmuster, um die umfassende Dynamisierung liberaler Verfassungs- und Nationsdiskurse politisch-ideologisch zu verorten.474 In der ergebnisoffenen Übergangsphase zwischen Revolution und Reichsgründung reagierten die Konservativen auf die zunehmende Pluralität und Verfügbarkeit innovativer Politikentwürfe, die die nationale Frage mit den positiven Orientierungskonzepten Einheit und Macht assoziierten,
469 Karl von Canitz und Dallwitz an Joseph Maria von Radowitz am 11.5.1848. In: Dallinger, Dallwitz, S. 160. 470 Dallinger, Dallwitz, S. 160. 471 Karl von Canitz und Dallwitz an Ludwig von Gerlach im Februar 1850. In: Dallinger, Dallwitz, S. 167. 472 Zirkulardepesche Brandenburgs an die preußischen Gesandtschaften bei den deutschen Regierungen (28.4.1849). In: Huber, Verfassungsgeschichte (Bd. 1), S. 338. 473 NPZ Gründungsmanifest. In: Flugschriften 1848. http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/2233243 (13.09.2015). 474 Genauso wie Gerlach und Canitz bezogen sich ebenfalls konservative Publizisten wie Constantin Frantz und Victor Aimé Huber auf das semantische und argumentative Paradox der Zerstörung, indem sie die deutsche Nationalbewegung und später auch die Reichsgründung mit den Begriffen Entzweiung, Zwiespalt, Zertrümmerung, Verzerrung, Untergraben und Verwirrung assoziierten. Vgl. Constantin Frantz, Polen, Preußen und Deutschland, Halberstadt 1848, S. 39; Frantz, Politik, S. 16; Frantz, Kritik, S. IV; Frantz, Die Schattenseite des Norddeutschen Bundes, Berlin 1870, S. 76; Frantz, Das neue Deutschland, Leipzig 1871, S. 459 und Frantz, Bismarckianismus, S. 3. Ferner Huber, Machtfülle, S. IV. Auch der Bischof von Mainz Wilhelm Emanuel Ketteler verurteilte alle politischen Einheitsbestrebungen seit der Revolution von 1848 bis zur Gründung des Norddeutschen Bundes als „Zerreißung Deutschlands“. Vgl. Wilhelm Emanuel Ketteler, Deutschland nach dem Kriege von 1866, Mainz 1867, S. 36 und 55.
Pseudo-Patriotismus
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mit skandalisierenden Gegenbegriffen wie Zerstörung und Untergang. Dabei wirkte die Suggestion der falschen und zerstörerischen Einheit noch bis in die 1870er Jahre hinein attraktiv, weil sie altvertraute biblische Semantiken, traditionelle Ordnungsprinzipien und die dramatische Revolutionserfahrung aktualisierte. Zum einen mobilisierte das semantische und argumentative Paradox der Zerstörung eine radikale Opposition, die die liberalen Verfassungs- und Einheitsbestrebungen moralisch und ideologisch ablehnte. Zum anderen generierte die Dichotomie Zerstörung-Einheit neue Ideen, die zwischen den politischen Extremen vermittelten und die liberalen Legitimationstheorien mit konservativen Selbstbehauptungsstrategien kombinierten. In diesem Sinne plädierten bereits vor 1848 die Essays Le speranze d’Italia von Cesare Balbo und Deutschland und Friedrich Wilhelm IV. von Joseph Maria von Radowitz für gemäßigte Reformen. Sie forderten eine nationale Einheitspolitik von oben, um „Zwietracht“ und „Zersplitterung“ einzudämmen.475 Mit Le speranze d’Italia verfasste Balbo das einflussreichste Manifest des politischen Moderatismus.476 Die revolutionären Erschütterungen von 1848 spitzten die Divergenzen zwischen reformbereiten Machterhaltungsstrategien und intransigenter Beharrung, die seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert die konservativen Politikdiskurse in Preußen und Piemont charakterisierten, dramatisch zu.477 Sowohl am Hof als auch in der zunehmend breiten Öffentlichkeit gewann der Mittelweg der konservativen Moderati zwischen „alles bewahren“ und „alles verändern“ allmählich die Oberhand.478 In der krisenhaften Epoche zwischen Revolution und Nationalstaatsgründung engagierten sich zahlreiche preußische und piemontesische Konservative für die glaubwürdige Formulierung und die breite Zirkulation politischer Mythologien und Massenemotionen, die die liberalen Reformen und die Nationalbewegung delegitimieren sollten. Einerseits gehörten zum Instrumentarium dieser politischen Meinungsmobilisierung aggressive Argumentationsfiguren, polemische Bedeutungsfelder und sarkastische Antisymbole, die die deutschen und die italienischen Einheitsbestrebungen unnachgiebig diskreditierten. Anderseits brachte der konservative Diskurs auch produktive Orientierungskonzepte und Erwartungshorizonte hervor. Die damit verknüpften Anpassungsleistungen bauten eine attraktive Integrationsideologie und eine sinnstiftende Kontinuitätsvorstellung zwischen konservativen Machterhaltungsstrategien, liberalen Legitimationstheorien und der teleologischen Begründungs-
475 Radowitz, Deutschland, S. I–II. 476 Das Pamphlet rezipierte die Thesen von Vincenzo Gioberti. Vgl. Balbo, Speranze, S. IX–XXVI. Die Geburtsstunde des Moderatismus könnte auch auf den Adelsliberalismus des 18. und frühen 19. Jahrhunderts zurückdatiert werden. Der Moderatismus etablierte sich spätestens seit 1814 vor allem in der Lombardei als „maßgebliches Ordnungsmuster“, jedoch erhielt er erst in den 1840er Jahren mit der Durchsetzung der piemontesischen Moderati eine politikmächtige Bedeutung. Vgl. Dipper, Adelsliberalismus, S. 74. 477 Vgl. Frie, Marwitz, S. 294 und 309. 478 Vgl. Balbo, Speranze, S. X. Ausführlich dazu siehe Kap. 3.2.
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erzählung des Nationalstaats auf. Nach der ersten umfassenden Dynamisierung um 1800 nahmen seit der Revolution von 1848 die konservativen Politikdiskurse allmählich eine neue Kontur an.479 In Deutschland und Italien bildete die breite Konstellation aus paradigmatischen Wortfeldern, symbolgeladenen Argumentationsstrategien und vereinfachten Wirklichkeitswahrnehmungen, die die narrative Verarbeitung der Revolution hervorbrachte, ein politikmächtiges und massenkompatibles Rechtfertigungsprogramm. Zwischen 1840 und 1870 imaginierten die preußischen und piemontesischen Konservativen eine parallele Geschichte gegen die liberalen Reformen und Nationalbewegung und fanden dadurch immer wieder Deutungs- und Handlungsoptionen, um sich den beschleunigten politischen und soziokulturellen Transformationen anzupassen. Die diskursiv-intellektuelle Selbstbehauptung konservativer Politiker und Intellektueller perpetuierte eine dramatische Gut-Böse-Opposition und damit auch die Ambition, wahre und falsche Veränderungen zu kontrollieren. Daraus entstanden wesentliche Impulse zur synchronen Politisierung nichtpolitischer und ungleichzeitiger Semantiken, Erfahrungsdeutungen und Erwartungshaltungen. Vor diesem Hintergrund reproduzierten die Konservativen ihre Selbstbeschreibung als politische Elite, die trotz umfassender Machtverschiebungen und Transformationskrisen weiter die Mission für sich beanspruchte, die „falschen“ Bewegungen entweder resolut zu unterdrücken oder pragmatisch zu zergliedern.
479 Retallack, Right, S. 36.
2 R eligiöse Politik und monarchischer Patriotismus. Der Restaurationsdiskurs nach 1848 Religiöse Politik und monarchischer Patriotismus
Am 12. Juli 1848 ergriff der Theologe Karl Leopold Adolf von Sydow das Wort in der preußischen Nationalversammlung und protestierte gegen die „moderne Begriffsverwirrung“, die seiner Meinung nach die traditionellen Zugehörigkeitsgefühle und die konservativen Legitimationstheorien in Frage stellte.1 Nach den Revolutionen von 1789 und 1848 eskalierte in ganz Europa der Kampf um die politische Deutungshoheit über die Begriffe Nation, Religion, Loyalität und Patriotismus.2 Dies waren komplexe Grundbegriffe mit vielfältigen Bedeutungssedimenten.3 National-patriotische Orientierungskonzepte bezogen sich auf aktuelle Erwartungshorizonte und Massenemotionen, jedoch revitalisierten sie auch altvertraute politische Visionen und bereits existierende Ordnungsideen.4 Um 1850 gingen von der pejorativen Assoziation Nation-Revolution und von der heftigen Polemik gegen den Pseudo-Patriotismus transnational zirkulierende Impulse für die konservative Meinungsmobilisierung aus. Die Revolutionsparanoia und die Ablehnung des „falschen“ Patriotismus konstruierten eine parallele Geschichte, welche die liberalen Reformbestrebungen und die romantisch-teleologischen Pathosformeln der deutschen und der italienischen Nationalbewegung herausforderte. Als positive Kontrastfolie zum Pseudo-Patriotismus brachte der konservative Diskurs die Suggestion des „vero amor patrio“ hervor.5 Diese wahre Vaterlandsliebe und der monarchische Patriotismus bildeten in Preußen und Piemont eine spezifische Variante des eigenstaatlichen Bewusstseins, das auch in den übrigen deutschen und italienischen Staaten eine politische Integrationsideologie darstellte.6 Die „iden-
1 Karl Leopold Adolf von Sydow, Rede am 12.7.1848. In: Stenographische Berichte über die Verhandlungen der zur Vereinbarung der preußischen Staats-Verfassung berufenen Versammlung (Bd. 1), S. 474. 2 Vgl. Middell, Gegner, S. 89. Ferner Ewald Frie u. Jörg Neuheiser, Introduction: Noble ways and democratic means. In: JMEH 11 (2013), S. 433–453. 3 Vgl. Steinmetz, Sprechen, S. 1095. 4 Vgl. Zimmer, Nation, S. 42. 5 Antonio Brignole-Sale, Rede am 27.6.1857 (APS Discussioni Senato – Sessione del 1857, 5. Leg., Bd. 6, S. 330). 6 Vgl. Karen Hagemann, Nation, Krieg und Geschlechterordnung. Zum kulturellen und politischen Diskurs in der Zeit der antinapoleonischen Erhebung Preußens 1806–1815. In: Geschichte und Gesellschaft 22 (1996), S. 562–591. Zur Dämonisierung des eigenstaatlichen Partikularismus und die damit verknüpfte Unterbewertung städtischer und regionaler Identitätsbildung vgl. Dieter Hein, Die Bürger zwischen Stadt, Staat und Nation. Historische Erinnerung und politische Identität in Deutschland. In: Historie und Leben. Der Historiker als Wissenschaftler und Zeitgenosse. Hrsg. von Dieter Hein, München 2006, S. 671–690. Ferner Veit-Brause, Partikularismus, S. 753–766. Zum „nationalen Geist“ Piemonts vgl. Antonio Trampus, Lo spirito di nazione nel Piemonte sabaudo. Note sul costituzionalismo subalpino tra l’età die Lumi e i moti del 1820/21. In: Nazioni d’Italia: identità politiche e appartenenze regionali tra DOI 10.1515/9783110544466-003
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tification with individual states, their dynasties, their tradition and their good fortune“ zirkulierte bis in den 1870er Jahren hinein in der Presse, in den Schulprogrammen, in den literarischen Texten, in den patriotischen Massenwaren und in den Denkmälern, die die Prozesse der Identitätsstiftung in den italienischen und deutschen Politikdiskursen charakterisierten.7 Zusammen mit den patriotischen Pathosformeln blieben um 1850 auch die religiöse Lebensprägung, die christliche „Wort- und Bildtradition“ und die „Indienstnahme religiöser Übersetzungen“ ein fester Bestandteil der politischen Sprache.8 Anhand von Bibelzitaten, religiösen Ikonographien sowie messianischen Erlösungs- und Martyriumssuggestionen proklamierten die Konservativen andere „politische Heilsbotschaften“ als die Liberalen, die Nationalisten und die Sozialisten.9 Eine monarchische Integrationsideologie entstand im Zusammenhang mit den tiefgreifenden Staatsbildungsprozessen des 18. Jahrhunderts und wurde bis zum Ersten Weltkrieg ständig neu imaginiert und weiterentwickelt. Sie basierte auf einer europaweit verbreiteten Konstellation von tief internalisierten und miteinander eng verknüpften Bestimmungsmustern. Dazu gehörten das konservative Dienstethos, der paternalistische Herrscherkult sowie der adlige Habitus und die christlich-legitimistischen Ordnungsideen. Im Zusammenhang mit den Koalitionskriegen gegen das revolutionäre Frankreich und das napoleonische Empire wurden die politische Mytho-
Settecento e Ottocento. Hrsg. von Angela De Benedictis, Viella 2012, S. 33–52. Neben den munizipalen, regionalen, staatspatriotischen und nationalen Identitätskonstruktionen zirkulierte im 19. Jahrhundert auch ein breites Spektrum an Diskursen über „Europaideen und Europavorstellungen, die sich verstärkt ab 1813 im Wettbewerb untereinander, aber auch im Wettbewerb mit anderen politischen Ideen befanden.“ Obwohl die Europavorstellungen eine intensive Diskussion hervorriefen, gelang es den europabegeisterten Intellektuellen nicht, die persuasiven Slogans und die Massenemotionen von Nationalisten und Partikularisten zu erodieren. Vgl. Claude D. Conter, Europakonstruktivisten und Modeeuropäer. Antriebskräfte des Europadiskurses zwischen 1815 und 1848. In: Europäische Einigung im 19. und 20. Jahrhundert. Hrsg. von Ulrich Lappenküper, Paderborn 2013, S. 23–43. 7 Hewitson, Nationalism, S. 183. Außerhalb Piemonts waren in den italienischen Territorialstaaten das eigenstaatliche Bewusstsein und die zentralisierende Staatsbildung weniger politikmächtig als in Deutschland. Dagegen war der „municipalismo“ ausgeprägter. Hierzu Meriggi, Stati, S. 155–179 und 194. Über den Staat und die Region als Vaterland vgl. Hroch, Europa, S. 58. Zur Konstruktion einer doppelten Zugehörigkeit zwischen lokaler und nationaler Identität in Italien vgl. Porciani, Identità, S. 141–182. Zu Nationalbewusstsein und Partikularismus in Deutschland vgl. Volker Sellin, Nationalbewußtsein und Partikularismus in Deutschland im 19. Jahrhundert. In: Kultur und Gedächtnis. Hrsg. von Jan Assmann u. Tonio Hölscher, Frankfurt a. M. 1988, S. 241–264. 8 Gerd Krumeich u. Hartmut Lehmann, Nation, Religion und Gewalt: zur Einführung. In: „Gott mit uns“. Nation, Religion und Gewalt im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Hrsg. von Gerd Krumeich u. Hartmut Lehmann, Göttingen 2000, S. 1–6. 9 Remigius Brückmann, Die Ermordung der Abgeordneten von Auerswald und von Lichnowsky am 18. September 1848 in Frankfurt am Main. In: Medienereignisse im 18. und 19. Jahrhundert. Hrsg. von Christine Vogel, Herbert Schneider u. Horst Carl, München 2009, S. 113–144. Siehe auch Banti, Nazione, S. 123–128 sowie Lucy Riall, Martyr Cults in Nineteenth-century Italy. In: Journal of Modern History 82 (2010), S. 255–287.
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logie des eigenstaatlichen Bewusstseins und der monarchische Herrscherkult mit massenkommunikativen Identitätskonstruktionen, latenten Feindbildern und neuen Legitimationstheorien aktualisiert. Im langen 19. Jahrhundert tradierten unzählige Texte, Objekte und Kollektivsymbole den „religiösen, königstreuen, heimatverbundenen und traditionsbewussten Landespatriotismus“ der Konservativen.10 Am Beispiel der adligen Familie Stechlin beschrieb Theodor Fontane zugespitzt das Mosaik an vor- und nicht-nationalen Identitäten und Loyalitäten, die in Preußen um 1870 dominierten: „Preußen war was und die Mark Brandenburg auch; aber das Wichtigste waren doch die Stechlins“.11 Wie die meisten frühneuzeitlichen Territorialstaaten waren auch Preußen und Piemont dynastische Schöpfungen und keineswegs Produkte „ethnisch-nationaler Triebkräfte“.12 Nach den dramatischen Krisen und Transformationen um 1800 evozierten der monarchische Patriotismus und die religiöse Politik glaubwürdige Orientierungskonzepte und Symbolsysteme, um die konservativen Eliten zu rehabilitieren. Bereits für Joseph de Maistre und Carl Ludwig von Haller gehörten die Religion und ein monarchisches „Nationalgefühl“ zu einem glaubwürdigen Politikentwurf, mit dem die liberalen Legitimationstheorien bekämpft werden konnten.13 Der Restaurationsdiskurs inspirierte nicht nur den weitgehend erfolglosen monarchischen Internationalismus der Heiligen Allianz oder den legitimistischen Mystizismus der weißen Internationale, die die neugegründeten Nationalstaaten vergeblich attackierten.14 Vielmehr vermittelte das imaginierte Erbe der Gegenrevolution ein breites Instrumentarium an Semantiken, Ideen und Wertorientierungen, die über die Zäsuren von 1814 und 1848 hinweg die politische Sprache der Ultrakonservativen, aber auch der Moderati und der Nationalliberalen nachhaltig beeinflussten. Die konservativen Stabilisierungsbemühungen nach 1814 bezogen sich sowohl auf einen repressiven Modernisierungswiderstand als auch auf eine positive Integrationsideologie, die mit dem napoleonischen Erbe phasenweise produktiv umging.15 Während der konterrevolutionäre Fanatismus nach den antinapoleonischen Kriegen
10 Hagemann, Nation, S. 573. Monarchie, Paternalismus und antikatholische Haltung waren die wesentlichen Grundlagen für die Popularisierung des englischen Konservatismus im 19. Jahrhundert. Vgl. Neuheiser, Krone. 11 Theodor Fontane, Romane und Erzählungen (Bd. 8), Berlin–Weimar 1973, S. 12. 12 Frank-Lothar Kroll, Militär, Politik, Kultur. Das Janusgesicht Preußens. In: Macht- oder Kulturstaat? Preußen ohne Legende. Hrsg. von Frank-Lothar Kroll, Berlin 2002, S. 9–18, hier S. 10. 13 Siehe Kap. 1.1.1. 14 Während die konkrete Kooperation der europäischen Monarchen zur Unterdrückung der Revolution durchaus erfolgreich war, scheiterte der Versuch, eine „monarchische Internationale durch Kommunikation ins Leben zu rufen“. Vgl. Paulmann, Monarchien, S. 109–131. Über die weiße Internationale vgl. Sarlin, Légitimisme. 15 Eine vergleichende Synthese über die europaweite Resonanz und die Funktionalisierung des französisch-napoleonischen Erbes bietet: Daum, Verfassungskulturen.
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langsam zurückging, gewannen im lang andauernden Restaurationsdiskurs auch die europaweit diskutierten liberalen Partizipations- und Legitimationstheorien zunehmend an Bedeutung.16 Dabei wurden Revolution und Reformenthusiasmus mit legalistischen, christlich-paternalistischen und dynastischen Deutungsmustern demobilisiert und in einer beruhigenden Kontinuitätslinie mit antiösterreichischer oder antifranzösischer Note eingeordnet.17 Der monarchische Patriotismus und die religiöse Politik dienten den meisten konservativen Akteuren als politisch-ideologischer Prüfstein, um reaktionäre Gegenschläge zu rechtfertigen oder reformbereite Umorientierungen in Erwägung zu ziehen. Vor diesem Hintergrund generierte die langsame Erosion des Restaurationsdiskurses nach 1848 eine stets aktuelle und politikmächtige Deutungsperspektive, die die konservativen Machterhaltungsstrategien nördlich und südlich der Alpen entscheidend mitbestimmte.
2.1 D ie politische Funktionalisierung religiös-theologischer Semantiken und Ordnungsideen In der „Vorrede“ für das 1811 erschienene Pamphlet Politische Religion hob Carl Ludwig von Haller deutlich hervor, dass sein Essay „eher eine religiöse Politik als eine politische Religion“ postulierte.18 Kurz darauf erklärte der prominente schweizerische Politikphilosoph die Hintergründe dieser engen semantischen und ideologischen Assoziation von Religion und Politik. Er betonte, dass das Ziel der „politische[n] Religion nichts anders als die Anerkennung des Göttlichen in der Natur der Staaten und in den
16 Vgl. Frank-Lothar Kroll, Zwischen europäischem Bewusstsein und nationaler Identität. Legitimationsstrategien monarchischer Elite im Europa des 19. und frühen 20. Jahhunderts. In: Geschichte der Politik. Alte und neue Wege, HZ 44 (2007), S. 353–374. 17 Vgl. Christof Dipper, Revolutionäre Bewegungen auf dem Lande: Deutschland, Frankreich, Italien. In: Europa 1848. Revolution und Reform. Hrsg. von Dieter Dowe [u.a.], Bonn 1998, S. 555–586. 18 Haller, Religion, S. III. Während Haller den Begriff religiöse Politik deutlich definierte, bleibt das Konzept der politischen Religion bis heute sehr umstritten. Politische Religion wird vor allem zur Charakterisierung der missionarischen oder messianischen Züge, der Idolatrie, der theatralischen Inszenierungsstrategien, Rituale und Symbolwelten genutzt, die der Jakobinismus, der Nationalismus, der Bolschewismus, der Faschismus und der Nationalsozialismus verwendeten. Problematisch erscheint das Konzept der politischen Religion vor allem deshalb, weil es die Annahme impliziert, dass die politische Religion als „Surrogat[e] der traditionellen Religion […] in einer Zeit des wachsenden Unglaubens und Zweifelns“ entstand und damit zur unkritischen Bestätigung der Säkularisierungstheorien führen kann. Vgl. Burleigh, Mächte, S. 27. Im 19. Jahrhundert sprachen viele nationalistische Apostel ohne Ironie vom „Glaube des Nationalismus“. Zum Beispiel bezeichnete der vielgelesene Risorgimento-Roman Confessioni d’un italiano von Ippolito Nievo den Nationalismus als politische Religion („La patria è la religione del cittadino“). Vgl. Ippolito Nievo, Confessioni d’un italiano, Mailand 2011 (Erstausg. 1867), S. 377. Die konservative Publizistik in Piemont übernahm die Definition „politica religiosa“ als positiven Begriff zur Selbstbeschreibung. Vgl. San Pol, Nemesi, S. 16.
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geselligen Pflichten“ war.19 Für Haller war die Religion „die höchste Wahrheit, das höchste Gesetz, der höchste Glaube in politischen Dingen“.20 In seiner „biblischen Lehre über die Staaten“ von 1811 spitzte der europaweit rezipierte Revolutionsgegner die politische Funktionalisierung christlicher Pathosformeln und Ordnungsideen in einem antisäkularen Manifest der religiösen Politik zu. Nach dem Schock von 1789 setzten sich im konservativen Diskurs eine hoch emotionalisierte Sprache und damit auch vereinfachte Inhalte und Antisymbole beschleunigt durch. Um den reformfreundlichen Aufklärungs- und Freiheitsenthusiasmus zu diskreditieren, benutzte die antirevolutionäre Medienoffensive massenkompatible Semantiken und Argumentationsfiguren. In diesem Zusammenhang bildeten die ständisch-paternalistischen und insbesondere die religiös-kirchlichen Traditionen eine „unwiderstehliche Alternative zur wild gewordenen Vernunft“.21 Dementsprechend wurden im Rahmen der konservativen Stabilisierungsbemühungen nach 1814 die „demagogischen Umtriebe“ gegen die Religion als eine Bedrohung für die politische Ordnung vehement bekämpft und umgekehrt auch die politische Opposition gegen den Status quo als unchristliche und unmoralische Ideologie stigmatisiert. Die überwiegende Mehrheit der konservativen Restaurationspolitiker engagierte sich nach 1848 in den neuen politischen und publizistischen Arenen. Die Beharrung auf den tief internalisierten Orientierungs- und Argumentationsmustern des langen Restaurationsdiskurses leistete einen entscheidenden Beitrag zur ideologischen Verortung und emotionalen Verarbeitung von politisch-institutionellen Transformationen und Machtverschiebungen. Im Jahr 1850 reaktivierte der piemontesische Diplomat Edoardo Crotti die semantischen und ideologischen Bestimmungsmuster des christlich-legitimistischen Restaurationsdiskurses und rechtfertigte dadurch seinen unnachgiebigen Konservativismus: „Malgré les blasphèmes que vomissent journellement avec une impudeur dégoûtante des milliers de feuilles salariées par les sociétés anglaises et révolutionnaires et par le gouvernement, jusqu’à présent la masse du peuple se conserve bonne et pieuse.“22 Seit dem 16. Jahrhundert spielten religiöse Suggestionen, konfessionelle Akzentuierungen und christliche Pathosformeln eine zunehmend wichtige Rolle für die Ausarbeitung programmatischer Ideen und Politikentwürfe.23 Nach der konservativen Meinungsmobilisierung um 1800 erhielt die politische Funktionalisierung von religiös-theologischen Ordnungsideen und persönlichen Glaubenserfahrungen eine enorme Relevanz. Die Religion als individuelles Bekenntnis und als kollektiv sinn-
19 Haller, Religion, S. III. 20 Haller, Religion, S. III. 21 Burleigh, Mächte, S. 155. Über die Religion als kulturelles System vgl. Geertz, Beschreibung, S. 44– 95. 22 Edoardo Crotti an den Kardinal Raffaele Fornari am 6.7.1850. In: Berard, Crotti, S. 58. 23 Vgl. Chris Wickham, The Inheritance of Rome: A History of Europe from 400 to 1000, London 2009, S. 555.
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stiftende Integrationsideologie gewann im Restaurationsdiskurs eine stringente politische und soziale Bedeutung. Im Rückblick auf das „verhängnisvolle Jahr 1848“ resümierte Großherzog Friedrich Franz II. von Mecklenburg-Schwerin in seinen Tagebüchern: „Als Mensch bin ich schwer geprüft, und habe erfahren, daß Noth beten lehrt. Das heißt, meine Kraft, meinen Muth habe ich wieder bei Gott gesucht, und er hat mich nicht im Stich gelassen! Vertrauen auf seine Weisheit und Allmacht ließen mich den rechten Gesichtspunkt nicht verlieren.“24 Nach den Revolutionsjahren 1848/49 entschleunigte die religiöse Politik die Erosion des Restaurationsdiskurses. Viele Revolutionsgegner versprachen sich von ihr sowohl emotionale Tröstung als auch eine pragmatisches Bewältigungsstrategie. Ausgehend von den vertrauten Inszenierungs- und Legitimationsgrundlagen des Restaurationsdiskurses formulierten die preußischen und piemontesischen Konservativen nicht nur polemische oder repressive Gegenentwürfe zum liberalen Verfassungs- und Nationsdiskurs, sondern fanden auch neue Deutungs- und Handlungsoptionen, um die nachrevolutionäre Amalgamierung von monarchischem Patriotismus, liberalen Legitimationstheorien und Einheitsstaatsideen pragmatisch auszuhandeln. 2.1.1 Die Assoziation Thron-Altar als beharrende Identitäts-, Inszenierungs- und Legitimationsgrundlage Im Ancien Régime konnten die europäischen Monarchien und die adligen Eliten „auf den Raum der Kirche zur Inszenierung und zur Legitimation“ ihrer Macht nicht verzichten.25 Das Ineinandergreifen von religiös-kirchlichen Traditionen und konservativer Machterhaltung wurde auch im „Zeitalter der Revolution“ ständig aktualisiert.26 In ganz Europa versuchten die Konservativen, die Vergangenheit in ein politisches Paradigma zu transformieren und die Assoziation Thron-Altar als Schlüsselelement des Politischen zu etablieren.27 Der preußische Historiker Heinrich Leo plädierte noch
24 Friedrich Franz II. von Mecklenburg-Schwerin, Tagebücher, S. 299. Auch Friedrich Wilhelm IV. hob im Revolutionsjahr 1848 demonstrativ hervor: „Ich war […] nie fester in Gottvertrauen, als seit den Tagen der Trübsal.“ Friedrich Wilhelm IV. an Ernst Senfft von Pilsach am 25.4.1848. In: Haenchen, Revolutionsbriefe, S. 85. 25 Schlögl, Glaube, S. 25. 26 Das Konzept eines Zeitalters der Revolution wurde von Eric Hobsbawm im ersten Band seiner Trilogie über das lange 19. Jahrhundert lanciert. Vgl. Eric Hobsbawm, The Age of Revolution 1789– 1848, London 1962. Aus globalgeschichtlicher Perspektive definiert Christopher Bayly die Periode von 1815 bis 1865 als eine Zeit der Weltrevolutionen, als die moderne Welt entstand. Vgl. Christopher A. Bayly, Die Geburt der modernen Welt. Eine Globalgeschichte 1780–1914, Frankfurt a. M. 2006, S. 8. 27 Vgl. Maria Alexandre Lousada, El miguelismo o la contrarrevolución en Portugal. In: Identidad y nacionalismo en la España Contemporánea: el Carlismo, 1833–1975. Hrsg. von Stanley G. Payne, Madrid 1996, S. 181–194.
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im Jahr 1856 für die Aufrechterhaltung der semantischen, symbolischen und kulturellen Assoziation zwischen politischen Argumentationsstrategien und christlichen Pathosformeln. In einem Vortrag für den Evangelischen Verein in Berlin über den „revolutionären“ Theologen Thomas Münzer resümierte Leo, dass „der Glaube die Vorbedingung aller wahren Ordnung und aller wahrer Zucht, aller wahrer Bildung und alles wahren Ruhmes“ war.28 Die Annahme, dass „nur einem von Gott ausgehenden und zu Gott zurückkehrenden Denken“ die legitimen Grundlagen für die politische Macht und Ordnung zuzuschreiben waren, wurde nach 1848 von mehreren konservativen Protagonisten erfolgreich kommuniziert.29 Im 19. Jahrhundert hatte „die ordnende Kraft eines wirkenden Christentums“ europaweit nach wie vor eine enorme Relevanz.30 Die antirevolutionären Koalitionskriege und die darauffolgenden restaurativen Stabilisierungsbemühungen untermauerten die semantische und symbolische Verknüpfung von Thron und Altar mit einem zusätzlichen Rationalisierungs- und Institutionalisierungsschub. Über die Zäsuren von 1814 und 1848 hinweg generierte das politische Legitimations- und Inszenierungspotenzial der Religion ein attraktives Rechtfertigungsnarrativ für die konservativen Eliten. Das übernationale Legitimismus- und Gleichgewichtssystem war mit der politischen Funktionalisierung kirchlich-religiöser Semantiken und Symbole eng verflochten. Damit konkurrierte die starke „Hinwendung zu religiöser Sinnstiftung“ mit den seit dem 18. Jahrhundert phasenweise durchgesetzten Säkularisations- und Modernisierungsbemühungen.31 Trotz der konfessionellen und kirchlichen Unterschiedlichkeit spielte die omnipräsente Assoziation von Religion und Politik sowohl in Berlin als auch in Turin eine wesentliche Rolle.32 Sie wirkte im Spannungsfeld zwischen Rechristianisierungs- und Säkularisierungsimpulsen.
28 Leo, Münzer, S. 32. 29 Hermann von Gauvain, Das Ministerium Brandenburg, Potsdam 1849, S. IV. 30 Schlögl, Glaube, S. 169. 31 Andreas Fahrmeir, Europa zwischen Restauration, Reform und Revolution, München 2012, S. 104. 32 Der Hauptunterschied zwischen Katholiken und Protestanten bestand darin, dass der Protestantismus „sehr viel stärker pluralisiert“ war: „Es gab die Unterschiede des Bekenntnisses, Lutherische Kirchen, eine Minderheit von eigenständigen Reformierten und die Kirchen der Union […]. Der Protestantismus war pluralisiert in Territorial-, in Landeskirchen; sie waren auf das Gebiet eines Staates beschränkt, in diesem Gebiet aber dann die einzige anerkannte Kirche dieser Konfession; sie waren dem Landesherrn zugeordnet und hatten vielfach eine eigene regional-einzelstaatliche Tradition, einen eigenen Geist.“ Nipperdey, Geschichte, S. 468. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts trug vor allem in Preußen die protestantische Erweckungsbewegung als „überregionale Diskurs- und Deutungsgemeinschaft“ zur Revitalisierung des christlichen Glaubens und zur „gesellschaftlichen Rechristianisierung“ bei. Vgl. Jan Carsten Schnurr, Weltreiche und Wahrheitszeugen. Geschichtsbilder der protestantischen Erweckungsbewegung in Deutschland 1815–1848, Göttingen 2011, S. 379. Dagegen scheiterte bereits im Jahr 1848 die neoguelfische Vision, die die „Symbiose von Nation und Katholizismus“ und den kulturellen Primat Italiens postulierte. Vincenzo Gioberti, der prominenteste Vertreter der neoguelfischen Ideen, reagierte auf das Ende seines politischen Projekts, indem er die
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In der Nacht des 9. Dezembers 1798 verließ König Karl Emanuel IV. fluchtartig seine Residenz in Turin. Der piemontesische Monarch erteilte den Befehl, einige wertvolle Kunstobjekte mitzunehmen und vor allem die Reliquie des heiligen Grabtuches vor den französischen Revolutionstruppen zu retten. Angesichts der eklatanten Desorganisation des piemontesischen Militärs und des anarchischen Machtvakuums in den meisten Provinzen sahen Karl Emanuel IV. und seine Entourage von einem offenen militärischen Widerstand gegen die französische Armee ab. Während die traditionellen Eliten nur beschämende Niederlagen gegen die Revolutionstruppen erlitten, wurde die französische Herrschaft von paramilitärischen Insurrektionen europaweit herausgefordert. Auch die im Jahr 1802 von Frankreich annektierten piemontesischen Departements wurden im Laufe des über 15 Jahren dauernden Exils der königlichen Familie von zahlreichen kleinen Revolten und Bauernaufständen erschüttert.33 Die Protestbewegungen, die sich mit dem Kampfruf „Viva il Re! Viva Gesù e Maria“ dem napoleonischen Herrschaftssystem gewaltsam widersetzten, wurden im Namen der Assoziation Thron-Altar initiiert und meistens auch von katholischen Priestern oder selbsternannten „Gottesboten“ und „Königskommissaren“ geführt.34 Auf der italienischen Halbinsel engagierten sich um 1800 unzählige und großenteils bis dahin nicht politisierte „Patrioten“ in den revolutionären und konterrevolutionären Massenbewegungen.35 Der Protest gegen die „grassierende Pietätlosigkeit“ der französischen Revolutionstruppen und des „korsischen Antichristen“ wurde in ganz Europa von französischen Emigranten, katholischen Kirchennetzwerken und konservativen Royalisten mitgetragen.36 Die Erfahrung und die narrative Verarbeitung der gegenrevolutionären Aufständischen imaginierten eine enge Verknüpfung zwischen ihrer Identität als Christen
„Abschaffung der weltlichen Herrschaft und eine führende Rolle Piemonts bei der nationalen Einigung forderte“. Borutta, Antikatholizismus, S. 128. 33 Vgl. Giuseppe Ricuperati, Il Settecento. In: Il Piemonte sabaudo. Stato e territori in età moderna (Bd. 1). Hrsg. von Pierpaolo Merlin, Turin 1994, S. 439–834, hier S. 829–833. 34 Christopher Duggan, La forza del destino. Storia d’Italia dal 1796 a oggi, Rom–Bari 2008, S. 27–30. Der ehemalige österreichische Offizier Branda de Lucioni, der im Jahr 1799 den gewaltsamen Aufstand der „Massa cattolica“ führte, stilisierte sich sowohl als „messo di Dio“ als auch als „commissario del Re“. Vgl. Bongiovanni, Conquista, S. 12. Auch der Wahlspruch der gegenrevolutionären Vendée lautete „Dieu et Roi“. Vgl. Francois Furet, Vendée. In: Dictionnaire critique de la révolution française. Hrsg. von Francois Furet, Paris 1988, S. 185–195 und Abb. 12. Zur heterogenen Haltung des spanischen Klerus zwischen antifranzösischem Widerstand und Kollaboration (Afrancesados) vgl. Vittorio Scotti Douglas, Ideologia, opportunismo, paura: il comportamento del clero spagnolo durante l’occupazione francese. In: Spagna contemporanea 48 (2015), S. 129–140. 35 Vgl. Meriggi, Konstruktion, S. 22. 36 Burleigh, Mächte, S. 153. Siehe auch Michael Broers, Napoleonic Imperialism and the Savoyard monarchy 1773–1821, State Building in Piedmont, Lewiston 1997.
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und der politischen Selbstsymbolisierung als wahre Patrioten.37 Sie verbreiteten religiöse, paternalistische und lokalpatriotische Vorstellungen, die sowohl die revolutionären Ideen von liberté, égalité, fraternité als auch die nationalstaatliche Machtkonzentration ablehnten. Die Aufstandsbewegungen in Piemont, Venetien und Kalabrien waren alles andere als eine erste Mobilisierungswelle des italienischen Massennationalismus, der sich erst ein Jahrhundert später herauskristallisierte.38 In Italien, Spanien, Portugal und im deutschsprachigen Raum griffen zehntausende „wahre“ Christen und „wahre“ Patrioten zu den Waffen und wandten sich gegen die französische Herrschaft. Das Ineinandergreifen von Religion und Politik sowie von Religion und Patriotismus begründete den Mythos der Gegenrevolution, inspirierte aber auch die reformorientierten Verfassungsdiskurse Südeuropas.39 Jedoch wurden die Aufstandsbewegungen meistens von transnationalen legitimistischen Netzwerken instrumentalisiert, um die exilierten Monarchen, ihre Entouragen und die gedemütigten katholischen Prälaten zu rehabilitieren. Obwohl die antifranzösischen Revolten kontextspezifische und heterogene ideologische Akzentuierungen hatten, wurden sie mit der europaweit kursierenden Suggestion, die die religiöse, königstreue und patriotische Grundhaltung des Volkes beschwor, systematisch assoziiert.40 Die heroisierten Guerillakriege von Espoz y Mina auf der iberischen Halbinsel, von Andreas Hofer in Tirol und von Pronio, Mammone und Scarpa in Süditalien generierten eine politische Mythologie, die über die Zäsuren von 1814, 1848 und 1861 hinweg von den transnationalen legitimistischen Netzwerken immer aufs Neue reaktiviert wurde.41
37 Vgl. Maurizio Isabella, Citoyens ou fidèles? Religion et révolutions libérales dans l’Europe méridionale des années 1820. In: Les temps des Restaurations, Rien appris, rien oublié? Les Restaurations dans l’Europe post-napoléonienne. Hrsg. von Jean-Claude Caron u. Jean-Philippe Luis, Rennes 2015, S. 257–270. 38 Vgl. Ilaria Porciani, On the Uses and Abuses of Nationalism from Below. In: Nation from Below. Europe in the Long Nineteenth Century. Hrsg. von Maarten van Ginderachter, Basingstoke 2012, S. 73–94. 39 Hierzu Jens Späth, Revolution in Europa 1820–23. Verfassung und Verfassungskultur in den Königreichen Spanien, beider Sizilien und Sardinien-Piemont, Köln 2012. 40 Obwohl im Juli 1808 die britische Armee in Portugal einmarschierte und die antifranzösische Revolte direkt unterstützten, beriefen sich die portugiesischen Aufständischen auf den nach Brasilien geflüchteten Prinzregenten João und wurden im Norden von dem Bischof von Porto angeführt. Vgl. Oliveira Marques, Geschichte Portugals und des portugiesischen Weltreichs, Stuttgart 2001, S. 331. 41 Vgl. Sarlin, Légitimisme, S. 70–72. Im Gegensatz zum benachbarten Luxemburg blieben in den linksrheinischen Gebieten Revolten und Aufstände gegen die vermeintliche französischen Fremdherrschaft aus. Alte und neue Eliten zeigten sich weitgehend kooperativ und bemühten sich nach 1815 um die Erhaltung der napoleonischen Modernisierungsmaßnahmen. In Süddeutschland spielten deutsch-nationale Emotionen eine noch marginalere Rolle und auch der mythisierte Tiroler Aufstand von 1809 war mehr antibayerisch als antinapoleonisch. Vgl. Siemann, Metternich, S. 286. Ferner Gabriele B. Clemens, Pouvoirs de transition et transition des pouvoirs sur la rive gauche du Rhin de Mayence à Cologne (1813–1830). In: Rien appris, rien oublié? Les Restaurations dans l’Europe postnapoléonienne (1814–1830). Hrsg. von Jean-Claude Caron u. Jean-Philippe Luis, Rennes 2015, S. 415–426.
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Im Zusammenhang mit den antifranzösischen Revolten und den konservativen Stabilisierungsbemühungen nach 1814 starteten viele legitimistische Intellektuellen und konservative Theologen eine intensive publizistische Kampagne, die ein politisches Rechtfertigungsnarrativ für die gegenrevolutionären Insurrektionen bildete. In seinem vielgelesenen Essay L’uomo politico religioso betrachtete der ligurische Theologe Filippo Anfossi das Dogma der „Dei gratia“ als die politische und kulturelle Voraussetzung für die monarchische Herrschaft. Anfossi untermauerte mit einer vereinfachten Argumentationslogik das Legitimismusprinzip und lehnte die Revolution kategorisch ab: „Siccome non è lecito al popolo rivolgersi contro Dio che lo castiga, così non gli è lecito rivolgersi contro il tiranno di cui si serve per castigarlo.“42 Ausgehend von demselben legitimistischen Ordnungsmuster hielt auch der dominikanische Theologe Prospero Tonso in einem für die gegenrevolutionären Truppen in der „befreiten“ Stadt Alessandria verfassten Predigt fest, dass die staatliche Souveränität und insbesondere die personale Autorität des Herrschers von Gott gegeben seien.43 Im Jahr 1832 kulminierte der christlich-legitimistische Restaurationsdiskurs in der Enzyklika Mirari vos, die den politischen Status quo in Europa unmissverständlich sanktionierte. Mit diesem viel diskutierten Rundschreiben attackierte Papst Gregor XVI. den Freiheits- und Reformenthusiasmus, der um 1830 die griechische Revolution, die belgische Verfassung und die französische Julimonarchie inspirierte. Gregor XVI. nahm die liberale Neuorientierung des prominenten Theologen Félicité de Lamennais ins Visier und verurteilte vehement jeden Versuch, „das Vertrauen und die den Fürsten geschuldete Unterwerfung“ in Frage zu stellen, als eine Rebellion gegen die von Gott eingesetzte Ordnung.44 Der Papst demonstrierte wenige Monate später, dass er bereit war, dieses streng legitimistische und schroff antiliberale Postulat konsequent zu verteidigen. Als die russische Repression des großen patriotischen Aufstandes in Warschau auch die Interessen und Privilegien der katholischen Kirche bedrohte, revidierte Gregor XVI. seine Position nicht. Mit einem Rundschreiben an die polnischen Bischöfe befahl der Papst, die legitime Herrschaft des Zaren nach wie vor mit „Vertrauen“ und „Unterwerfung“ anzuerkennen.45 Nach 1814 bildete die religiöse Politik eine zentrale Inszenierungs- und Legitimationsgrundlage, die die restaurierte monarchische Ordnung untermauerte und die konservativen Eliten rehabilitierte. Die Assoziation Thron-Altar leistete einen entscheidenden Beitrag, um sowohl in den großen Machtzentren der Heiligen Allianz als
42 Filippo Anfossi, L’uomo politico religioso, Venedig (1802). In: Le dolci catene: testi della controrivoluzione cattolica in Italia. Hrsg. von Vittorio Giuntella, Rom 1988, S. 129. 43 Prospero Tonso, La democrazia smascherata, Mailand 1835 (Erstausg. 1799). In: Giuntella, Catene, S. 486. 44 Burleigh, Mächte, S. 157. Zur revolutionären Theologie von Lamennais, der mit der Zeitung L’Avenir eine Annäherung des Katholizismus an den gemäßigten Liberalismus forderte, vgl. Burleigh, Mächte, S. 182–190. 45 Burleigh, Mächte, S. 182.
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auch in der südeuropäischen Peripherie einen transnationalen und überkonfessionellen Machtdiskurs zu etablieren.46 Nach den antinapoleonischen Kriegen basierte die ästhetische, architektonische und literarische „Visualisierung von politischer Ordnung und Herrschaft“ wieder auf der „Tradition und Verfügungsmacht monarchischer Repräsentation“.47 Dabei vollzog sich eine massenkommunikative Neuerfindung der konservativen Politikdiskurse, die auf die sprachlichen, inhaltlichen und affektiven Dimensionen der zunehmend breiten und politisch interessierten Öffentlichkeit produktiv reagierten. Am 5. Mai 1814 verkündete der Regentschaftsrat, den der österreichische Militärgouverneur von Turin einsetzte, dass die alte Herrschaft des noch ins sardinische Exil verbannten Königs Viktor Emanuel I. ab sofort wiederhergestellt war.48 Seitdem und bis in die 1850er Jahren hinein bildete die Assoziation Thron-Altar das symbolische, kulturelle und normative Fundament, mit dem die piemontesischen Konservativen die monarchische Restitution rechtfertigten. Die politische Bedeutung der Assoziation zwischen Religion und monarchischem Patriotismus offenbart sich in der öffentlichen Inszenierung des restaurierten Königs, in der Hofetikette, in den Schulprogrammen und sogar den militärgeschichtlichen Standardwerken, die der konservative Theologe Giacomo Bossi als Professor an der Kriegsakademie für mehrere Generationen piemontesischer Unteroffizieren verfasste.49 Die meisten katholischen Prediger und Prälaten instrumentalisierten die „Befreiung“ von 1814 „ad evidenza [di] una mano superiore che il tutto sovranamente dispone e regola“.50 Ausgehend von dieser antisäkularen Position sanktionierten sie auch explizit die Assoziation zwischen dem Triumph der Kirche und der Restauration von Viktor Emanuel I.51 Auch die idealisierte Darstellung des Monarchen im Exil basierte auf religiösen und epischen Sinnkonstruktionen, die mit der weitverbreiteten Ikonographie der Rückkehr eine Kontinuitätslinie zwischen vor- und nachrevolutionären Inszenierungs- und Legitimationsgrundlagen kreierten.52 Im Laufe des 19. Jahrhunderts flüchteten über
46 Vgl. Gregorio Alonso, La nación en capilla: ciudadanía católica y cuestión religiosa en España 1793–1874, Granada 2014, S. 62–69. 47 Vgl. Bettina Brandt, Politische Sinnstiftung in Geschlechterbildern. In: Reinhart Koselleck und die politische Ikonologie. Hrsg. von Hubert Locher u. Adriana Markantonatos, Berlin 2013, S. 240–259, hier S. 251. 48 Hierzu Narciso Nada u. Paola Notario, Il Piemonte sabaudo. Dal periodo napoleonico al Risorgimento, Turin 1993, S. 97–108. 49 Vgl. Giacomo Bossi, Indice di storia ad uso de’ Sergenti nelle R. Truppe, Turin 1844, S. 4. Ferner Bossi, Compendio di storia universale ad uso degli allievi della R. Accademia militare, Turin 1842, S. 316. 50 In diesem Sinne äußerten sich der Vikar Emanuele Gonetti sowie die Prediger Gaetano Donaiudi und Gian Bartolomeo Orsi. Vgl. Stella, Cultura, S. 493. 51 Stella, Cultura, S. 493. 52 Vgl. Franca Franca Dalmasso, La cultura artistica. In: Storia di Torino (Bd. 6). Hrsg. von Umberto Levra, Turin 2000, S. 685–699.
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40 europäische Könige ins Exil. Das transnationale Epos der exilierten Monarchien spielte eine zentrale Rolle, um traditionelle und neue Formen von politischen Legitimation zu kombinieren.53 Der aus reformbereiten Adligen zusammengesetzte Regentschaftsrat passte sich den neuen Machtverhältnissen schnell an und teilte den piemontesischen Untertanen feierlich mit, dass Viktor Emanuel I. der einzige „legitime“, „natürliche“ und „erwünschte“ Monarch war.54 Nach der Rückkehr der erzkonservativen Eliten, die zusammen mit dem „beraubten“ König Karl Emanuel IV. im Dezember 1798 Turin verlassen hatten, scheiterte die von dem reformbereiten Regentschaftsrat befürwortete milde Restauration. Bereits im Sommer 1814 gewannen die Ultrakonservativen die Oberhand und setzten eine drakonische Reorganisation der monarchischen Ordnung durch. Alle nach 1798 in Kraft getretene Gesetzen wurden undifferenziert abgeschafft und der alte Hofstaat von Karl Emanuel IV. wurde zusammen mit der königlichen Konstitution von 1770 wiederhergestellt.55 Viktor Emanuel I. und seine Entourage zogen auch groteske Restaurationsmaßnahmen wie die Zerstörung einer monumentalen Brücke, die die französische Verwaltung in Turin erbaut hatte, in Erwägung. Die erzkonservative Regierung beschloss die Entlassung von 24 der insgesamt 37 Professoren der Universität, die Abschaffung des Akademischen Rates und die Formation einer von den piemontesischen Bischöfen kontrollierten Zensurbehörde. Außerdem wurde der Jesuitenorden wieder zugelassen und gewann erneut eine dominierende Position im piemontesischen Schulsystem.56 Die Assoziation Thron-Altar charakterisierte nicht nur die normative und publizistische Narration der nachrevolutionären Ordnung, sondern prägte ebenfalls die
53 Vgl. Philipp Mansel u. Torsten Riotte, Introduction: Monarchical Exile. In: Monarchy in Exile. The Politics of Legitimacy from Marie de Médicis to Wilhelm II, Basingstoke 2011, S. 1–13. Auch in Spanien verbreitete die Ikonographie der Rückkehr die konservativ-legitimistischen Mythen der Restauration. Vgl. Pedro Rujula, Le mythe contre-révolutionnaire de la Restauration. In: Les temps des Restaurations, Rien appris, rien oublié? Les Restaurations dans l’Europe post-napoléonienne. Hrsg. von JeanClaude Caron u. Jean-Philippe Luis, Rennes 2015, S. 231–242. 54 Vgl. Giuseppe Talamo, Società segrete e gruppi politici liberali e democratici sino al 1848. In: Storia di Torino (Bd. 6). Hrsg. von Umberto Levra, Turin 2000, S. 461–491. 55 Nada, Piemonte, S. 104. Die restaurierte Monarchie von Ferdinand I. von Neapel-Sizilien agierte vergleichsweise gemäßigt und versuchte mit dem napoleonischen Erbe produktiv umzugehen. Durch die Amalgampolitik der Minister Luigi de Medici und Donato Tommasi wurde das gut ausgebildete Personal, das unter Murat gedient hatte, nicht entlassen und die politischen und administrativen Reformen der napoleonischen Epochen wurden nicht wahllos abgeschafft. Die Politik der „Amalgama“ wurde bis zu der Revolution von 1820/21 fortgesetzt. Jedoch war diese gemäßigte Restauration den Liberalen nicht genug. Sie plädierten für weiter gehendere konstitutionelle Reformen. Auch die konservativen Royalisten, die den König zwischen 1806 und 1815 ins Exil begleitet hatten, waren unzufrieden. Sie forderten eine umfassende Restauration des vorrevolutionären Status quo. In den 1820er Jahren gewannen diese reaktionären Eliten die Oberhand und blockierten die positiven Effekte der pragmatischen Amalgampolitik von 1815. Hierzu De Lorenzo, Borbonia, S. 19–32. 56 Vgl. Gabriele, Modelli, S. 204 und 213.
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Rituale und Symbole, die die monarchische Restitution öffentlich inszenierten. Nach fast zwei Jahrzehnten im Exil kehrte König Viktor Emanuel I. am 20. Mai 1814 in die piemontesische Hauptstadt zurück. Sein erster öffentlicher Akt führte den erzkonservative Monarchen in den Turiner Dom, wo er an einem feierlichen Te Deum teilnahm und vor dem heiligen Grabtuch betete, das sein älterer Bruder Karl Emanuel IV. vor den französischen Revolutionstruppen „gerettet“ hatte.57 Außerdem empfing der König die Loyalitätsadressen der piemontesischen Bischöfe, besuchte die wichtige Wallfahrtskirche von Superga und lud Papst Pius VII. nach Turin ein. Neben diesen ostentativen Ritualen und Repräsentationsformen stilisierten auch viele Publikationen, Bauprojekte, Feste und Theatervorstellungen die Assoziation Thron-Altar als die zentrale Inszenierungs- und Legitimationsgrundlage der monarchischen Restitution.58 Um den monarchischen Herrscherkult mit religiösen und landespatriotischen Leitmotiven zu akzentuieren, wurde vor allem die Ikonographie der Rückkehr von Viktor Emanuel I. mit zahlreichen Illustrationen, Allegorien und Monumenten glorifiziert.59 Bereits am 30. August 1814 beschloss der Stadtrat von Turin, die Rückkehr des legitimen Monarchen als feierlichen Gedenktag jährlich zu zelebrieren. Der neue Feiertag visualisierte den moralisch-paternalistischen Charakter des monarchischen Patriotismus, indem er traditionelle Rituale wie die Beleuchtung aller Kirchen der Stadt und die Verteilung von Brot an die Armen reaktivierte. Außerdem bewilligte der Stadtrat das Bauprojekt für die neoklassische Chiesa della Gran Madre di Dio. Genauso wie die Kirche von San Massimo nel Borgo, die zwischen 1844 und 1853 unter der Leitung von Carlo Promis erbaut wurde, symbolisierte die Gran Madre überdeutlich die Assoziation Thron-Altar und wurde als Pantheon der restaurierten Ordnung konzipiert.60 Auf dem Stützbalken der Kirche prangte die Inschrift „Ordo popvlvsque tavrinvs ob adventvm regis“ und im Innenraum wurden Denkmäler der dynastischen Helden neben den Monumenten für die christlichen Märtyrer errichtet.61 Auch konservative Zeitungen wie die 1822 von Cesare d’Azeglio gegründete Amico d’Italia, die nicht direkt von der piemontesischen Regierung kontrolliert wurde, zelebrierten die religiöse Politik als das zentrale Ordnungsmuster der nachrevolutionären
57 Die ostentative Partizipation des piemontesischen Hofes an religiös-kirchlichen Ritualen und Liturgien blieb auch unter Karl Albert und Viktor Emanuel II. erhalten. Vgl. Stella, Cultura, S. 518–520. 58 Vgl. Relazione della prima solenne incoronazione della prodigiosa immagine di Maria Santissima venerata in Torino sotto il titolo della Consolata, Turin 1829, S. 5. 59 Im Museo nazionale del Risorgimento Turin befindet sich ein großes Basrelief in Marmor, das die Rückkehr von Viktor Emanuel I. zelebriert (MNRT R0003304). Andere Illustrationen und Gemälde über die heroisierte Rückkehr des Königs in: Nada, Piemonte, S. 112–114 (Abb. I–III ). 60 Sowohl die Gran Madre als auch die Kirche von San Massimo nel Borgo wurden vom Turiner Stadtrat konzipiert und finanziert. Vgl. Dalmasso, Cultura, S. 686. 61 Die Übersetzung der Inschrift ins Deutsche lautet: „Der Adel und das Volk von Turin anlässlich der Rückkehr des Königs“. Vgl. Enrico Castelnuovo u. Marco Rosci, Cultura figurativa e architettonica negli Stati del Re di Sardegna 1773–1861 (Bd. 3), Turin 1980, S. 1144–1147.
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Gesellschaft.62 Die Zeitschrift rezipierte den antisäkularen Konservatismus von Joseph de Maistre und lehnte die liberalen Verfassungsbestrebungen explizit ab. Dabei leistete die „politische Glaubensverkündigung“, die der Amico d’Italia proklamierte, vor allem einen Beitrag zur narrativen Bewältigung der Revolution: „Condannare, aborrire senza più ogni rivoluzione, ogni uso della forza contro al sovrano. Insegnar sempre ad obbedirlo quando è legittimo.“63 Darüber hinaus zirkulierten in Turin unzählige populäre Publikationen, Lithographien, Devotionalien und repräsentative Gemälde, die die „delizie della religione“, die „bellezze della fede“ und „il potere del Vangelo di renderci felici“ verherrlichten.64 In seinen Memoiren kommentierte der savoyische Adlige Leone Costa di Beauregard enthusiastisch die Assoziation ThronAltar. Er stilisierte die Monarchie zu einer zweiten Religion und den König zu einer göttlichen Autorität: „La monarchia in Piemonte significava la patria e costituiva una seconda religione. Nel Re si impersonava lo Stato, egli era padre e padrone, arbitro e dispensatore di grazie e castighi, in lui era veramente riconosciuta una propria autorità divina.“65 Nach 1814 wirkten die konservativen Stabilisierungsbemühungen umso glaubwürdiger und attraktiver, weil sie altvertraute religiös-moralische Wertorientierungen mit dem traditionellen Dienstethos und den damit verknüpften Loyalitäts- und Ehrendiskursen kombinierten. Ausgehend von der religiösen Politik diskutierten europaweit rezipierte Intellektuelle wie Adam Müller, Joseph de Maistre und Carl Ludwig von Haller über die „theologische Grundlage der gesamten Staatswissenschaft“.66 Über die kulturellen Barrieren und oft auch über die konfessionellen Grenzen hinweg betrachteten sie die religiösen Vorstellungen als die einzige Grundlage der politischen und institutionellen Strukturierung des Staates. Auch weitere prominente Zeitgenossen wie Schleiermacher und Novalis waren fest davon überzeugt, dass um 1800 die Religion besser als je zuvor „aufgenommen“ wurde.67 Bis in die 1840er Jahren hinein übernahmen und tradierten zahllose konservative Theologen und Literaten die Paradigmen der religiösen Politik. In seinem Catechismo sulle rivoluzioni bezog sich Monaldo Leopardi systematisch auf die Bibel, um die religiöse Politik der monarchischen Restitution als idealen Status quo enthusiastisch zu beschreiben.68 Auch der
62 Vgl. Gabriele, Modelli, S. 292. 63 Stella, Cultura, S. 496. 64 Stella, Cultura, S. 504. Vgl. auch Dalmasso, Cultura, S. 695–698. 65 Carlo Alberto Costa di Beauregard, Un uomo d’altri tempi, Turin 1897, S. IV. 66 Vgl. Adam Müller, Von der Notwendigkeit einer theologischen Grundlage der gesamten Staatswissenschaft und der Staatswirtschaft im besonderen, Leipzig 1819. Zu Berlin als Hochburg der (politischen) Romantik und zur Rolle von Intellektuellen wie Adam Müller für den konservativen Widerstand gegen die Reformen vgl. Ernst Hinrichs, Staat ohne Nation. Brandenburg und Preußen unter den Hohenzollern (1415–1871), Bielefeld 2014, S. 348–359. 67 Schlögl, Glaube, S. 157. 68 Vgl. Monaldo Leopardi, Catechismo sulle rivoluzioni, Modena 1832.
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piemontesische Theologe Luigi Taparelli d’Azeglio rechtfertigte den Absolutismus als „legitime Abhängigkeit“ und stellte die restaurierten Monarchien von Gottes Gnade als positives Gegengewicht zum liberalen Verfassungs- und Nationsdiskurs dar.69 Verstärkt seit den 1840er Jahren flankierte die Assoziation Thron-Altar auch die konservativen Bewältigungs- und Anpassungsstrategien, die sich mit den liberalen Partizipations- und Legitimationstheorien konstruktiv auseinandersetzten. Damit reagierte der Restaurationsdiskurs dynamisch auf den Reformenthusiasmus, der nach der päpstlichen Amnestie von 1846 in der liberalen Öffentlichkeit der italienischen Staaten boomte. Die vermeintlichen Modernisierungsbemühungen von König Karl Albert und Papst Pius IX. sowie die patriotischen Neoguelfismusideen, die ebenfalls in den 1840er Jahren ihre Sternstunde erlebten, wurden dramatisch überschätzt. Sie waren das Ergebnis einer erfolgreichen Medienoffensive, jedoch bildeten sie keineswegs den „Auftakt eines goldenen Zeitalters“, den die liberale Öffentlichkeit in Anlehnung an die politischen Bestseller von Vincenzo Gioberti und Cesare Balbo imaginierte. Das Pontifikat von Mastai Ferretti und die angebliche reformbereite Neuorientierung von Karl Albert lösten die Initialzündung aus, die die latenten und mystischen Erwartungen der italienischen Liberalen freisetzte.70 Dabei entschärften der neoguelfische Traum und die „Wohltaten“ des piemontesischen Königs die aufständischen Bewegungen auf dem Lande und akzentuierten die antiösterreichischen Motive der Revolution.71 Von den revolutionären Erschütterungen und der umfassenden Meinungsmobilisierung um 1850 profitierten vor allem die Moderati. Diese liberalkonservative Elite trat für gemäßigte politische Veränderungen ein, stellte jedoch die bestehen-
69 Azeglio, Nazionalità, S. 58. 70 Karl Albert regierte seit 1830 mit einem ultrakonservativen Ministerium und brachte mit den Réflexions historiques von 1838 seine christlich-legitimistische Grundhaltung unmissverständlich zum Ausdruck. Auch die Amnestie von Pius IX. war „zu Pontifikatsbeginn völlig üblich und auch maßvoll“. Vgl. Singer, Konstitutionalismus, S. 1 und S. 238. Besonders von 1846 bis 1849 war der neue Papst Giovanni Maria Mastai Ferretti politisch, theologisch und moralisch zwischen den traditionellen christlichen Idealen und Institutionen und den „Ideen des Jahrhunderts“ zerrissen. Eine „erlesene[n] Schar von gemäßigten Intellektuellen“ instrumentalisierte die Wahl von Pius IX. als das „langersehnte Signal“, dass der Gegensatz zwischen Katholizismus und Moderne überwunden war. Vgl. Soldani, Annäherung, S. 131. Während des Exils vom Pius IX. in der süditalienischen Festungsstadt Gaeta im Jahr 1849 vollzog sich der politisch-ideologische Bruch zwischen dem Papst und den reformbereiten Theologen Rosmini und Gioberti. Seitdem überzeugte sich Pius IX. von der Inkompatibilität der „civitas dei“ der Kirche mit der „civitas diaboli“ der europäischen Revolutionen. Nach 1849 distanzierte sich der Papst von den liberalen und neoguelfischen Ideen und sanktionierte mit dem Syllabus von 1864 die unlösbare Inkompatibilität der christlichen Religion mit der säkularen, materialistischen und relativistischen Entwicklung der modernen Gesellschaft. Einen Überblick über die moderate und die revolutionäre Phase der Revolution 1846–1849 in Italien bietet: Enrico Francia, 1848. La rivoluzione del Risorgimento, Bologna 2012. Zum Mythos des liberalen Papstes und zu den Reformen in Rom vgl. Monsagrati, Roma, S. 11–24. 71 Vgl. Dipper, Bewegungen, S. 573.
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den religiösen und monarchischen Ordnungsprinzipien nicht grundsätzlich in Frage. Die piemontesischen Moderati stilisierten Papst Pius IX. und König Karl Albert zu reformbereiten und „patriotischen“ Herrschern und fanden damit einen gemeinsamen Nenner, um die konstitutionellen Reformen nachhaltig durchzusetzen und gleichzeitig die eingeleiteten Transformationen in konservative Bahn zu lenken. Nach dem Pontifikatsbeginn von Mastai Ferretti war die enorme Resonanz des liberalen Reformenthusiasmus und der patriotischen Nationalbegeisterung nur möglich, weil die pragmatischen Modernisierungsbemühungen der Moderati sich von der dämonisierten Revolutionserfahrung überdeutlich distanzierten und stattdessen die Assoziation Thron-Altar situationsadäquat rekonfigurierten. Im Jahr 1847 erschienen in Turin zahlreiche Lieder- und Gedichtsammlungen, die die gemäßigten Reformen der piemontesischen Regierung mit konservativen Deutungsmustern verarbeiteten. Das patriotische Lied I Torinesi al Re beschrieb die Assoziation Thron-Altar nicht mehr nur als die moralische Legitimationsgrundlage für die monarchische Herrschaft. Die religiöse Politik wurde auch als Beweisführung für die illuminierte Reformbereitschaft von König Karl Albert formuliert. Das pathetische Lied betonte, dass der vermeintlich liberale Monarch neben einer abstrakten göttlichen Legitimation auch über übermenschliche Urteils- und Bestrafungskräfte verfügte: „se maligne nebbie volessero interporsi tra il Re ed il suo popolo, tu le disperdi col folgorar del tuo sguardo.“72 Die Autoren der patriotischen Poesien, die angeblich von königstreuen Assoziationen aus verschiedenen Provinzen ausgewählt wurden, präsentierten die Reformversprechungen der piemontesischen Eliten mit den semantischen und ideologischen Bestimmungsmustern des christlich-legitimistischen Restaurationsdiskurses. Die Gedichtsammlungen bezeichneten mit einer pathetisch übersteigerten Sprache die Reformen als eine „Glaubensverkündigung“ und verherrlichten Karl Albert und Pius IX. als „vom Himmel gesendete Engel“.73 Sie entsprachen den Interessen der konservativen Eliten und damit auch der Interpretation der Reformen, die der piemontesische Hofhistoriker Luigi Cibrario in seinem Pamphlet Pensieri sulle riforme gab. Mit dieser im Dezember 1847 erschienenen Publikation begrüßte Cibrario die eingeleiteten normativen und institutionellen Transformationen, jedoch determinierte er die engen politisch-ideologischen Grenzen, die die Reformen keineswegs überschreiten konnten. In diesem Sinne stellte der konservative Historiker eindeutig fest, dass das Risorgimento nur im Rahmen der bestehenden religiösen und dynastischen Traditionen legitim und realisierbar war. Cibrario plädierte für eine pragmatische Rekonfigurierung des Restaurationsdiskurses, der die Reformen und
72 Anonym, I Torinesi al Re, Turin 1847, S. 14. 73 Vgl. Professione di fede (S. 6); Ai principi riformatori delle costituzioni in Italia (S. 51); Inno Piemonteis a nost’Re Carlo Alberto (S. 66). In: Raccolta delle varie Poesie pubblicate in Piemonte nell’occasione delle nuove riforme giudiziarie e amministrative accordate da S.M. il Re Carlo Alberto, Turin 1847 („Professione di fede“ und „Angeli inviati dal Ciel“).
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das italienische Risorgimento mit den Begriffen „Gehorsam“, „Autorität“ und „Treue für König und Vaterland“ kombinierte: Tutti uniscansi adunque gli uomini amanti della religione e della patria, e niuno voglia pretendere di mostrarsi più realista del Re o più cattolico del Papa. Sanno il Papa e il Re dove convenga progredire, dove convenga arrestarsi per far progredire la felicità dei popoli, la grandezza ed il risorgimento d’Italia. È opera ardua, immensa. Non la può compiere chi non è gagliardo di mente, di cuore, d’autorità. È dovere di tutti i buoni sorreggerli, aiutarli, appianar gli ostacoli, stender la mano ai fratelli, spegnere i privati rancori, gareggiare in bella concordia a pro del Re e della patria. Voi amate il Re e il Papa, dunque obbediteli.74
Zusammen mit den patriotischen Poesien und der königstreuen Publizistik brachte die breit angelegte Medienoffensive der liberalkonservativen Moderati auch zahlreiche Fahnen, Jubelbanner, Kokarden und Prunktaschentücher in die Öffentlichkeit. Diese patriotischen Massenwaren visualisierten zwar die liberale Reformeuphorie und die patriotische Nationalbegeisterung, jedoch fokussierten sie mit Texten und Illustrationen Karl Albert und Pius IX. als die zentralen Identifikationsfiguren des neuen politischen Kurses.75 Damit suggerierten auch die patriotischen Symbole, die die Straßendemonstrationen von 1847/48 begleiteten, dass die piemontesische Verfassungs- und Nationalstaatspolitik ohne Kontinuitätsbrüche in der Tradition des Restaurationsdiskurses eingebettet war. Die piemontesischen Konservativen setzten sich mit dem liberalen Reformenthusiasmus konstruktiv auseinander, indem sie auf die omnipräsente Assoziation Thron-Altar zurückgriffen und damit einen massenkommunikativen und modernen Politikdiskurs konstruierten. Um 1850 ließ die Doppelstrategie der liberalen Reformbestrebungen, die zwischen einem „in jeder Hinsicht auf Ordnung bedachten Vorgehen“ und der „Indienstnahme von Drohszenarien“ schwankten, ein breites Handlungsspektrum für die konservative Selbstbehauptung offen.76 Spätestens seit dem 25. September 1815, als der Hohenzollernstaat einen Allianzvertrag mit Russland und Österreich einging, versuchten auch die preußischen Eliten das Legitimations- und Inszenierungspotenzial der Assoziation Thron-Altar systematisch auszuschöpfen. Der Text der selbsternannten sainte alliance von 1815 verklärte die pragmatische Aushandlung eines europäischen Gleichgewichtssystems als die Entstehung einer „nation chrétienne“.77 Die Heilige Allianz war ein seltsames Instru-
74 Luigi Cibrario, Pensieri sulle riforme di Carlo Alberto, Turin 1847, S. 16. 75 In den Archiven des Museo nazionale del Risorgimento Turin befindet sich eine umfangreiche Sammlung von Fahnen, Kokarden Jubelbannern und Prunktaschentüchern, die in den Revolutionsjahren 1847/48 zirkulierten. Hier sei auf folgende Objekte verwiesen: MNRT ROO79217; ROO79218; ROO79222; RO325294; SL378793. Ausführlich darüber: Kap. 2.2.3. 76 Singer, Konstitutionalismus, S. 451. 77 Vgl. Traité dit de la sainte alliance (Allianzvertrag zwischen Russland, Österreich und Preußen vom 26. Sept. 1815). In: Huber, Verfassungsgeschichte (Bd. 1), S. 74.
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ment, das auch in der zeitgenössischen Wahrnehmung nicht nur auf einer diplomatischen und militärischen Ebene wirkte.78 Vielmehr generierte die Wiener Ordnung einen politischen Machtdiskurs, der auf repressiven Normen und internationalen Interventionsrechten basierte und gleichzeitig eine innovative Verhandlungskultur und moderne Kommunikationsformen installierte.79 Die Heilige Allianz setzte sich das Ziel, die transnationale Kooperation und die öffentliche Selbstbeschreibung der europäischen Monarchien wieder aufzubauen, jedoch generierte sie auch ein weitverbreitetes politisches Feindbild, das die konservativen Diskurse herausforderte.80 Mit seiner 1815 entstandenen Darstellung der Monarchen von Preußen, Russland und Österreich, die die Heilige Allianz symbolisierten, brachte der deutsche Maler Heinrich Olivier das umfangreiche Sinnstiftungs- und Kommunikationspotenzial der sainte alliance emblematisch zum Ausdruck.81 Der konservative Restaurationsdiskurs amalgamierte christliche, dynastische, paternalistische und bellizistische Argumentationsfiguren. Die Idee der „nation chrétienne“ setzte sich nicht nur als diplomatisch-militärisches Allianzsystem durch, sondern etablierte sich auch als ideologischer Kampfbegriff, moralische Wertorientierung und „Theaterkulisse“ für die Legitimation der nachrevolutionären Ordnung.82 Die Orientierungs- und Argumentationsmuster, die die Heilige Allianz geschickt instrumentalisierte, führten dazu, dass ihre Ausbreitung auf die politische Ebene auch eine beharrende Wiederholungsstruktur in der diskursiv-intellektuellen Dimension aufbaute. Nach der Revolution von 1848 bezog sich der russische Zar Nikolaus I. noch auf die nachhaltige semantische und argumentative Theaterkulisse der sainte alliance, um Friedrich Wilhelm IV. in seiner konservativen Grundhaltung zu bestärken: „Courage, agissez,
78 Vgl. Paulmann, Pomp, S. 108. Ferner Philipp Menger, Die Heilige Allianz. „La garantie religieuse du nouveau système Européen?“ In: Das europäische Machtkonzert. Friedens- und Sicherheitspolitik vom Wiener Kongreß 1815 bis zum Krimkrieg 1853. Hrsg. von Wolfram Pyta, Köln 2009, S. 209–236. 79 Die im Juni 1815 unterzeichnete Schlussakte des Wiener Kongresses wurde von der Historiographie als anachronistisches Dokument weitgehend unterschätzt. Die italienische Risorgimento-Historiographie und vor allem die borussische Geschichtsnarration diskreditierten die konservativen Stabilisierungsbemühungen nach 1814 als „System der Seelenangst.“ Vgl. Heinrich von Treitschke, Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert (Bd. 1), Leipzig 1909, S. 608. Die aktuelle Forschung hat auch die pragmatischen Anpassungsleistungen und die moderne Verhandlungskultur der Wiener Ordnung problematisiert und die konservativen Stabilisierungsbemühungen von 1814/15 neu bewertet. Die zahlreichen Aufsätze, Monografien und Tagungen, die sich aus Anlass des 200. Jahrestags mit dem Wiener Kongress beschäftigten, haben vor allem die „diplomatische Revolution“ und die globalhistorische Perspektive der großen Konferenz von 1814/15 hervorgehoben. Vgl. Matthias Middell, Der Wiener Kongress aus globalhistorischer Perspektive. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 22–24 (2015), S. 9–14; Heinz Duchhardt, Der Wiener Kongress und seine diplomatische Revolution. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 22–24, S. 27–32. 80 Vgl. Paulmann, Monarchien, S. 111. 81 Das Gemälde von Heinrich Oliver, Die Heilige Allianz (1815), ist unter anderen abgebildet in: Rainer Schoch, Das Herrscherbild in der Malerei des 19. Jahrhunderts, München 1975 (Abb. 132). 82 Paulmann, Pomp, S. 113.
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et Dieu sera avec nous, car nous défendons la plus sainte des causes et nous sommes Chrétiens“.83 Trotz der diametralen konfessionellen Unterschiede interpretierten sowohl die piemontesischen als auch die preußischen Konservativen die religiöse Politik als Paradigma der moralischen Unterordnung der „nation chrétienne“ unter „Celui à qui seul appartient en propriété la puissance […] c’est à dire Dieu, notre divin Sauveur Jésus-Christ, le verbe du Très-Haut, la parole de vie.“84 Die Politisierung von religiöstheologischen Semantiken und Deutungsmustern erreichte mit der sainte alliance europaweit seinen Höhepunkt. Der Duktus der Heiligen Allianz bezog sich sowohl auf eine transnationale und überkonfessionelle Sinnkonstruktion als auch auf vertraute Argumentationsfiguren, die in der preußischen Regierungstradition fest verankert waren und die einflussreichen politischen Testamente der Hohenzollern inspirierten.85 Um 1850 generierte der langanhaltende Restaurationsdiskurs nicht nur eine ideologische „Theaterkulisse“, die von Nationalliberalen mit zunehmendem Erfolg als ein repressiver und anachronistischer Politikentwurf diskreditiert wurde, sondern entwickelte auch eine emotionale und rationale Selbstbehauptungsstrategie, mit der die Konservativen ihre wachsende politische Verunsicherung und kulturelle Desorientierung thematisierten. In seinem letzten Artikel für die Neue Preußische Zeitung im August 1860 idealisierte Leopold von Gerlach das System der Heilige Allianz und vermittelte damit eine konkrete Gegennarration zum liberalen Verfassungs- und Nationdiskurs: Die Heilige Allianz war es, die den Wiederaufbau eines festen Rechtes unter den Völkern als ihre vornehmste Aufgabe erkannte. Gelöst hat sie diese Aufgabe allerdings nicht; aber auch mit dem bloßen Versuch ihrer Lösung hat sie 40 Jahre den Frieden erhalten, einen bis dahin unbekannten Wohlstand erzeugt und ein Maß von Freiheit gebracht, für welches kein Beispiel in der Geschichte vorhanden ist, wenn man die Freiheit nicht als etwas Selbständiges, sondern in fester Gebundenheit zur Ordnung und Gesetzlichkeit denkt.86
Ähnlich wie in Piemont wurden auch in Preußen die semantischen und ideologischen Bestimmungsmuster des Restaurationsdiskurses reaktiviert, um die politischen Reformen von 1847/48 in konservative Bahnen zu lenken. Sowohl für die Einberufung der Vereinigten Landtage am 3. Februar 1847 als auch im Rahmen des feierlichen Eröffnungsprogramms der Versammlung instrumentalisierten König Friedrich Wilhelm IV. und seine Entourage die erprobte Theaterkulisse der Assoziation Thron-Altar, um die eingeleiteten Modernisierungsbemühungen legalistisch zu gestalten. Dabei wurden
83 Nikolaus I. an Friedrich Wilhelm IV. am 7.3.1848. In: Haenchen, Revolutionsbriefe, S. 35. 84 Traité dit de la sainte alliance (Allianzvertrag zwischen Russland, Österreich und Preußen vom 26. Sept. 1815). In: Huber, Verfassungsgeschichte (Bd. 1), S. 74. 85 Vgl. Politisches Testament des Großen Kurfürsten, Väterliche Ermahnung (1667) sowie Zweite Ermahnung König Friedrichs I. an seinen Nachfolger (1705). In: Die politischen Testamente der Hohenzollern, Köln 1986, S. 179–204 und 217–220. 86 Leopold von Gerlach, Glossen. In: NPZ (22.8.1860).
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die liberalen Reformversprechungen mit konservativen Deutungsmustern wie Treue und Ehre konnotiert und mit traditionellen Ritualen wie den „gottesdienstlichen Feiern“ oder der „Huldigung im Königlichen Schlosse“ emblematisch kontrolliert.87 Aufgrund dieser altvertrauten Legitimations- und Inszenierungsparadigmen fand der preußische König ein Rechtfertigungsnarrativ, um die liberalen „Konzessionen“, die mit der oktroyierten Verfassung vom 5. Dezember 1848 kulminierten, zu verarbeiten, jedoch keinen dramatischen Kontinuitätsbruch in Kauf zu nehmen. In diesem Sinne äußerte Friedrich Wilhelm IV. nach 1848 weiter seine unveränderte Ambition, „freie Hände“ zu haben, um den „von Gott gegebenen Beruf zu erfüllen“.88 Nach der sehr langen und zunehmend restriktiven Herrschaft von Friedrich Wilhelm III. weckte der preußische Thronwechsel von 1840 übertrieben große Erwartungen.89 Ähnlich wie beim Pontifikatsbeginn von Pius IX. hatte die boomende Reformeuphorie auch im Hohenzollernstaat kaum konkrete Anhaltspunkte. Genauso wie der neue Papst verkündete auch Friedrich Wilhelm IV. am 22. August 1840 ein gemäßigtes Gesetz „zur Begnadigung der sogenannten politischen […] Verbrechen“.90 Die Amnestie wurde euphorisch als ein eindeutiger Beweis für die reformbereite Haltung des neuen Königs interpretiert und löste latente Freiheits- und Fortschrittshoffnungen aus. Trotz seiner ungewöhnlich sympathischen und spontan wirkenden Ausstrahlung enttäuschte Friedrich Wilhelm IV. bereits am 15. Oktober 1840 in seiner programmatischen Huldigungsrede den weitverbreiteten Reformenthusiasmus. Der neue König stellte die christlich-legitimistischen Ordnungsprinzipien keineswegs in Frage. Außerdem glorifizierte er das politische Testament seines Vaters, das die „so allgemein um sich greifende Neuerungssucht“ verurteilte und die liberalen Verfassungsreformen explizit ablehnte.91 Bei seinem ersten Auftritt als König bezog sich Friedrich Wilhelm IV. systematisch auf traditionelle Deutungs- und Selbstbeschreibungsmodelle, die auf paternalistische und religiös-kirchliche Paradigmen zurückgriffen und das konservative Dienstethos und den monarchischen Herrscherkult idealisierten.92
87 Verordnung über die Bildung der Vereinigten Landtage (1847). In: Der erste Vereinigte Landtag (Bd. 1), S. 3. Vgl. auch Programm für die feierliche Eröffnung der Versammlung (1847). In: Der erste Vereinigte Landtag (Bd. 1), S. 11. 88 Bärbel Holtz, Einleitung. In: PPS (Bd. 4,1), S. 12. 89 Unter anderen berichtete auch Theodor Fontane in seinen Memoiren über die übertrieben großen Erwartungen, die nach der 43 Jahre währenden Herrschaft von Friedrich Wilhelm III. der neue preußische König erweckte. Vgl. Theodor Fontane, Von Zwanzig bis Dreißig, Berlin 1997, S. 14. 90 Sitzung des preußischen Staatsministerium am 22.8.1840. In: PPS, Bd. 3, S. 44. 91 Friedrich Wilhelm III., Mein letzter Wille (1827). In: Testamente der Hohenzollern, S. 755–757. Bereits im Juni 1840 verdeutlichte Friedrich Wilhelm IV., dass er „mit Gott […] in den Wegen des Vaters zu wandeln“ entschlossen war. Vgl. Friedrich Wilhelm IV., Kabinettsorder von 12. Juni 1840. In: Rede Seiner Majestät des Königs Friedrich Wilhelm des Vierten seit Seiner Thronbesteigung, Berlin 1847, S. 3. 92 Vgl. Friedrich Wilhelm IV., Huldigung vor dem Berliner Schloß am 15. Oktober 1840. In: Rede Seiner Majestät des Königs Friedrich Wilhelm des Vierten, Berlin 1843, S. 19–25.
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Ausgehend von seiner ostentativen Beharrung auf der Restaurationsideologie war es für Friedrich Wilhelm IV. möglich, die liberalen Legitimationstheorien vehement zu verurteilen, obwohl er um 1850 die kontroversen Verfassungsversprechungen seines Vaters de facto realisierte. Ausgerechnet in der Eröffnungsrede für den Vereinigten Landtag formulierte Friedrich Wilhelm IV. unmissverständlich seine schroffe Ablehnung des Konstitutionalismus: „Keiner Macht der Erde [soll] je gelingen, Mich zu bewegen, das […] Verhältnis zwischen Fürst und Volk in ein […] constitutionelles zu wandeln.“93 Die Aporie zwischen liberalem Reformenthusiasmus und konservativer Blockade charakterisierte nicht nur die programmatischen Aussagen des preußischen Königs, sondern spiegelte sich auch in der gesamten politischen Konstellation wieder. Vor diesem Hintergrund scheiterten sowohl das Experiment des Vereinigten Landtags als auch die Nationalversammlung, die Friedrich Wilhelm IV. im Mai 1848 feierlich eröffnete, aber bereits im Oktober in die militarisierte Stadt Brandenburg verbannte.94 Kurz vor der endgültigen Auflösung der preußischen Nationalversammlung am 5. Dezember 1848 konstatierte Friedrich Wilhelm IV. im Sinne des Restaurationsdiskurses, dass in Preußen die „angestammte Obrigkeit von Gottes Gnaden“ noch dominierte.95 Damit bezog er sich wieder auf das politische Testament seines Vaters, das die „Unbeschränktheit der Königlichen Macht“ unnachgiebig verteidigte und seinem Nachfolger eine „Änderung dieses Grundpfeilers“ ausdrücklich verboten hatte.96 In diesem Zusammenhang aktualisierte Friedrich Wilhelm IV. die altvertrauten Orientierungskonzepte von Treue und Liebe. Dabei griff er auf die traditionellen Inszenierungs- und Legitimationsgrundlagen der preußischen Monarchie zurück und distanzierte sich demonstrativ von den liberalen Legitimationstheorien.97 Mit den
93 Der erste Vereinigte Landtag (Bd. 1), S. 22. 94 Die preußische Nationalversammlung war deutlich konservativer geprägt als das deutsche Parlament in Frankfurt. Reformbereite, aber durchaus königstreue Staatsbeamte übernahmen mehr als die Hälfte der Mandate in der preußischen Nationalversammlung. 13 Prozent der Abgeordneten stammten aus dem geistlichen Stand und 19 Prozent waren Gutsbesitzer. Handwerker, Bildungs- und Wirtschaftsbürger gewannen nur weniger als 20 Prozent der Sitze. Vgl. Wolfram Siemann, Die deutsche Revolution von 1848/49, Berlin 1985, S. 140. 95 Friedrich Wilhelm IV., Erwiderung auf den Glückwunsch des Präsidenten der Nationalversammlung vom 15. Oktober 1848. In: Reden, Proklamationen, Botschaften, Erlasse und Ordres Sr. Majestät des Königs Friedrich Wilhelm IV., Berlin 1851, S. 33. Wenige Tage später verwendete der König in einer Adresse an die Berliner Stadtverordneten den konservativen Gegenbegriff „wahre Freiheit“, um die bürgerlich-liberalen Verfassungsbestrebungen zu diskreditieren. Dabei appellierte Friedrich Wilhelm IV. vor allem an den „Sinn für Ordnung und Gesetzlichkeit“, der angeblich „bei dem besten und größten Theil Meines Volkes nicht erloschen“ sei. Vgl. Antwortschreiben an das Glückwunschschreiben der Stadtverordneten zu Berlin am 10. Oktober 1848. In: Reden, Proklamationen, Botschaften, S. 34. 96 Friedrich Wilhelm III., Mein letzter Wille (1827). In: Testamente der Hohenzollern, S. 757. 97 Vgl. Friedrich Wilhelm IV., Erwiderung auf den Glückwunsch des Präsidenten der Nationalversammlung. In: Reden, Proklamationen, Botschaften, S. 32.
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semantischen Bestimmungsmustern des christlich-legitimistischen Restaurationsdiskurses markierte der preußische König eine deutliche Trennlinie zwischen der „alten heiligen Treue“ und dem „beschriebenen Blatt“, das die preußischen Liberalen in Anlehnung an die Verfassungsversprechungen von Friedrich Wilhelm III. forderten.98 Mit dem weitverbreiteten Reformenthusiasmus und den revolutionären Erschütterungen von 1848/49 nahmen auch die Pluralität, die Intensität und die Verfügbarkeit der konservativen Politikdiskurse beschleunigt zu. Die tief internalisierten Semantiken und Argumentationsfiguren des Restaurationsdiskurses wurden in die neuen politischen Arenen transponiert und mit aktuellen politischen Bedeutungen weiterentwickelt. Dabei versuchten sowohl die konservativen Ultras als auch die reformbereiten Eliten eine Kontinuität zwischen vor- und nachrevolutionären Stabilisierungsbemühungen herzustellen. Vor diesem Hintergrund war es für König Friedrich Wilhelm IV. und zahlreiche konservative Politiker und Publizisten möglich, die eingeleiteten politisch-institutionellen Transformationen zu akzeptieren, ohne die alten Ordnungsprinzipien und Selbstbeschreibungsmodelle zu revidieren. Genauso wie Leopold von Gerlach mit seiner Apologie der Heiligen Allianz von 1860 benutzten auch andere prominente preußische Konservative das Argument des „selbstständigen göttlichen Recht[s] der Fürsten“.99 Damit stellten sie die Identitätsund Legitimationsgrundlagen der liberalen Reformdiskurse auf den Prüfstand und manipulierten die Modernisierungsbemühungen mit legalistischen Kriterien. Bis in die 1860er Jahre hinein revitalisierten einflussreiche Publizisten wie Ernst Hengstenberg, Friedrich Julius Stahl, Ludwig von Gerlach und Hermann Wagener die politischen Ideen und Erwartungshaltungen von Haller und De Maistre. Sie setzten den Restaurationsdiskurs fort und relativierten mit der Suggestion des „Herrscherthum[s] von Gottes Gnaden“ die destabilisierende Wahrnehmung eines Kontinuitätsbruchs.100 Genauso wie das Gründungsmanifest der Kreuzzeitung vom April 1848 setzte sich auch das Programm des neugegründeten Preußischen Volksvereins im November 1861 zum Ziel, das „persönliche Königtum von Gottes Gnaden und nicht von VerfassungsGnade“ resolut zu verteidigen.101 Die Assoziation Thron-Altar bildete ein plurales und kollektiv sinnstiftendes Rechtfertigungsnarrativ, das die politische Ausstrahlungskraft der monarchischen Herrschaft im Zeitalter der Revolution glaubwürdig tradierte. In Preußen symbolisierte das omnipräsente Motto „Mit Gott für König und Vaterland“ die Beharrung
98 Der erste Vereinigte Landtag (Bd. 1), S. 22. 99 Stahl, Protestantismus, S. 12. 100 Hermann Wagener, Legitimität. In: Neues Conversations-Lexikon (Bd. 12), Berlin 1863, S. 109. Ferner Schmalenbach, Hengstenberg, S. 225; Stahl, Protestantismus, S. 14 und 88. 101 Vgl. Gründungsprogramm des Preußischen Volksvereins (1861). In: Mommsen, Parteiprogramme, S. 45.
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des monarchischen Patriotismus und der religiösen Politik. Der Wahlspruch stammte aus der militärischen Identifikations- und Aufzeichnungsrhetorik der antinapoleonischen Kriege und zirkulierte seitdem als paradigmatische Selbstbeschreibung des zunehmend popularisierten monarchischen Patriotismus.102 Diese Grundpfeiler des Restaurationsdiskurses vermittelten noch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts attraktive Argumentationsfiguren und empathische Sinnkonstruktionen. Die nicht zufällige Reihenfolge der Begriffe Gott, König und Vaterland kreierte eine politikmächtige Synthese für die traditionellen Erfahrungsdeutungen und die moralischen Wertorientierungen des eigenstaatlichen Bewusstseins in Preußen. In der Einleitung seiner patriotischen Gedichtsammlung „für Schule und Haus“ von 1843 rekonstruierte der königstreue Gymnasialdirektor Johann August Lehmann die epische Entstehungs- und Wirkungsgeschichte des populärsten konservativen Leitmotivs: Mit Gott für König und Vaterland! Das war vor einem Vierteljahrhundert der Ruf, welcher die Preußenbrust beseelt und herrliche Kampfestathen geschaffen hat. Mit Gott für König und Vaterland! Das ist der Ruf, der auch im Frieden jede Preußenbrust zur Mitarbeit für die Segnungen des Friedens beseelen soll. Es ist ein schöner Ruf; pflanzen wir ihn vor allen tief in die Brust der Jugend, daß er, ein theures Erbe, als Preußens Kriegs- und Friedensparole von Geschlecht zu Geschlecht gehe und fort und fort lebendig bleibe! So gedeiht segensreich die Vaterlandsliebe, welche in dem religiösen Element wurzelt und wipfelt, und welche mit der Liebe zum Fürsten und seinem Hause einig und eins ist.103
Seit 1806 wurden die konservativen Begriffe Gott, König und Vaterland in unzähligen Pamphleten, Predigten, Liedern, Unterhaltungsheften und Illustrationen assoziiert. Dabei verbreitete die konstruierte Erinnerungskultur an die sogenannten Befreiungskriege die Suggestion des „heiligen Kriegs“ gegen Frankreich und die Revolution.104 Das daraus entstehende preußische Wiedergeburtsnarrativ bezog sich auf latente Feind- und Fremdbilder und rekonfigurierte bereits existierende religiös-theologische Ordnungsmuster und patriotische Missionsvorstellungen. Dieses Instrumentarium an massenkompatiblen Semantiken und Erfahrungsdeutungen rehabilitierte die konservativen Eliten und baute die erschütterten Identitäts- und Legitimationsgrundlagen der preußischen Monarchie wieder auf.105 Der „heilige Eid“ auf Gott, König und Vaterland etablierte sich als der zentrale Topos der mythisierten Befreiungskriege.
102 Um 1870 wurde die Militärideologie von Gott, König und Vaterland auch in den privaten Briefwechseln der Soldaten rezitiert. Sie kämpften mit einem gewissen (lokal-)patriotischen Stolz, aber keineswegs mit Kriegsbegeisterung. Vgl. „Wenn doch dies Elend ein Ende hätte“. Ein Briefwechsel aus dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71. Hrsg. von Isa Schikorsky, Köln 1999, S. 14. 103 Johann August Lehmann, Eine Sammlung Deutscher Gedichte aus dem Gebiete der Geschichte Preußens, Marienwerder 1843, S. III. 104 Pelzer, Wiedergeburt, S. 137–141. Über Kriegslieder als Medium zur politischen Identitätsstiftung und Nationsmythisierung vgl. Cornejo, Geschichte, S. 28–34 und 101–117. 105 Um die erodierten Legitimationsgrundlagen der preußischen Monarchie nach dem Debakel von 1806 zu stabilisieren, spielten auch die normative Tradition, der moderne Verwaltungsapparat und
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Das preußische Panier charakterisierte die Publikationen und Denkmal-Projekte der Krieger- und Militärvereine, jedoch tauchte es auch in populären Unterhaltungsheften wie Der Kolibri sowie in politischen Pamphleten, Tageszeitungen und in zahlreichen Erzählungen und Novellen auf.106 Der Wahlspruch „Mit Gott für König und Vaterland“ vermittelte eine polyvalente Bedeutungsstruktur, die den Restaurationsdiskurs und die mit dem Mythos der „Befreiungskriege“ verknüpften bürgerlichen Reform- und Partizipationsbemühungen kombinierte. Im Revolutionsjahr 1848 inspirierte er die Gründung der Kreuzzeitung, die das erste moderne Zeitungsprojekt im konservativen Spektrum darstellte. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts blieb diese Zeitung die einflussreichste antiliberale Publikation in Norddeutschland und wurde europaweit als das Sprachrohr der preußischen Konservativen rezipiert. Die Gründung der Kreuzzeitung bildete den Kristallisationspunkt der politischen Meinungsmobilisierung der gegenrevolutionären Netzwerke und wurde auch im Rückblick als ein zentrales Ereignis glorifiziert. Im Jahr 1861 beschrieb der Publizist Hermann von Schmettau euphorisch die Entstehung der Kreuzzeitung als den eindeutigen Beweis, dass trotz der „Blumenlese der Gemeinheit, Gottlosigkeit und Lüge“, die seit 1848 die deutsche Presselandschaft angeblich charakterisierte, die „alte Preußische Ehrenfestigkeit und Treue noch nicht ganz verlernt“ sei.107 Ausgehend von der Initiative der Brüder Leopold und Ludwig von Gerlach im Frühjahr 1848 engagierte sich eine sehr heterogene Konstellation aus Akteuren für das neue Zeitungsprojekt. Dazu gehörten nicht nur einflussreiche Gutsbesitzer wie Adolf von Thadden-Trieglaff oder prominente Intellektuelle wie Moritz August von Bethmann-Hollweg und Friedrich Julius Stahl, sondern auch bürgerliche Beamte wie Hermann Schede oder Julius Bindewald, reiche Industrielle wie Philipp Natha-
das idealisierte Dienstethos, die das Allgemeine Landrecht und die Reformpolitik von 1806–1815 perpetuierten, eine zentrale Rolle. Vgl. Leonhard, Erosione, S. 164–169. 106 Vgl. Wilhelm Petzel, Schwarz und Weiß. In: Reim und Revolution. Hundert deutsche Zeitungsgedichte 1848–1850. Hrsg. von Harald Bader, Norderstedt 2009, S. 22. Exemplarisch für die zahlreichen Formen und Funktionen, die die Devise „Mit Gott für König und Vaterland“ übernahm, vgl. Der Kolibri, eine der Unterhaltung gewidmete Quartalschrift, Berlin 1817, S. 299. Ferner Anonym, Lied eines Preußischen Soldaten. In: Preußische Provinzial-Blätter (Bd. 8), Königsberg 1832, S. 545; Jahrbücher der Preußischen Provinzial-Stände, Leipzig 1832, S. 1; Friedrich Schleiermacher, Literarischer Nachlaß, Predigten (Bd. 4), Berlin 1837, S. 625; Karl Immermann, Das Fest der Freiwilligen zu Köln am Rheine, Köln 1838, S. 99; Anonym, Liederbuch der Freiwilligen von 1813, 1814 und 1815 und ihrer fortdauernden Kameradschaft, Köln 1839, S. 40; Gustav Nieritz, Erzählungen und Novellen (Bd. 2), Leipzig 1840, S. 104; Karl von Canitz und Dallwitz, Die Frage Wohin?, Berlin 1843, S. 41. Der Wahlspruch „Mit Gott für König und Vaterland“ gehörte zu den meistverwendeten Argumentationstopoi in den Publikationen und bei den Denkmal-Projekten der preußischen Krieger- und Militärvereine. Vgl. Eckhard Trox, Militärischer Konservativismus. Kriegervereine und Militärpartei in Preußen zwischen 1815 und 1848/49, Stuttgart 1990, S. 168. 107 Schmettau, Friedrich Wilhelm IV., S. 117.
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sius und junge Journalisten wie Hermann Wagener.108 Im April 1848 verfassten die Gründungsmitglieder der Kreuzzeitung ein programmatisches Manifest, das das preußische Widergeburtsnarrativ von 1813 und den christlich-legitimistischen Restaurationsdiskurs wiederbelebte.109 Um ihre reaktionäre politische Orientierung mit positiven Begriffen zu synthetisieren, wählte die Redaktion der Neuen Preußischen Zeitung das Motto „Vorwärts mit Gott für König und Vaterland“. Genauso wie die Kreuzzeitung instrumentalisierten in den Revolutionsjahren 1848/49 auch zahlreiche Lieder, politische Pamphlete und Spottgedichte das Motto „Mit Gott für König und Vaterland“.110 Indem die konservative Medienoffensive die semantischen und ideologischen Bestimmungsmuster der Assoziation Thron-Altar zugespitzt aktualisierte, entwarf sie ein legalistisches und auf Kontinuität fixiertes Gegenbild zum liberalen Verfassungs- und Nationsdiskurs. Ludwig von Gerlach, der Autor der vielgelesenen Rundschauartikel der Kreuzzeitung, trug entscheidend dazu bei, die zunehmend radikalisierte Assoziation Thron-Altar in den neuen politischen Arenen zu funktionalisieren. Als in den 1840er Jahren die politische Relevanz der liberalen Reformdiskurse kontinuierlich zunahm, betrachtete Gerlach die Assoziation Thron-Altar als ein attraktives Rechtfertigungsnarrativ gegen den weitverbreiteten Enthusiasmus für die Verfassungs- und Nationalstaatsidee. In seinen publizistischen und parlamentarischen Aktivitäten sowie in den Denkschriften für Friedrich Wilhelm IV. wechselte Gerlach flexibel zwischen einer emotionalen und hochideologisierten Sprache und einer pragmatischen Beweisführung. Dabei diskreditierte er die nationalen Einheits- und Verfassungsbestrebungen mit historischen moralischen und geopolitischen Argumenten. Als positiven Gegenentwurf dazu befürwortete Gerlach die Beharrung auf christlich-legitimistischen Ordnungsideen und dynastisch-partikularistischen Traditionen.111 Die demonstrative Rückbesinnung auf erprobte Deutungs- und Argumentationsmuster führte dazu, dass die preußischen Konservativen in den neuen politischen
108 Die Kreuzzeitung richtete sich an verschiedene Rezipientengruppe (Offiziere, Großgutsbesitzer, Handwerker) und arbeitete mit einflussreichen konservativen Vereinen zusammen, um große Propagandakampagnen zu realisieren. Vgl. Bussiek, Gott; Price, Kampf. 109 NPZ Gründungsmanifest. In: Flugschriften 1848. http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/2233243 (13.09.2015). 110 Vgl. Anonym, Schöne neue Lieder, zu singen überall im Preußenlande, Berlin 1849, S. 10. Ferner Wilhelm von Blomberg, Liederbuch für die Mitglieder des Treubundes mit Gott für König und Vaterland, Berlin 1850, Titelbild und S. 10. Mit demselben semantischen und ideologischen Instrumentarium argumentierte auch das aufsehenerregende Pamphlet des preußischen Generals Gustav von Griesheim Gegen Demokraten helfen nur Soldaten. 111 Vgl. Ludwig von Gerlach, Rede am 4.12.1849 (EK, Bd. 4, S. 1523). Die Assoziation Thron-Altar charakterisierte ebenfalls die zahlreichen politischen Denkschriften, die Gerlach zwischen Oktober und November 1848 auf dem Höhepunkt seines Einflusses in den preußischen Hof- und Regierungskreisen für König Friedrich Wilhelm IV. und Ministerpräsident Brandenburg verfasste. Vgl. Diwald, Revolution, S. 582–592 und 607.
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Institutionen und Kommunikationsforen resolut und machtbewusst auftraten. Trotz der zunehmenden kulturellen Desorientierung fanden sie mit den Begriffen Gott, König und Vaterland ein vereinfachtes Erklärungsmuster, um sich nach der schweren revolutionären Erschütterung von 1848 wieder glaubwürdig zu positionieren. Bis in die 1860er Jahre hinein evozierte „das Preußische Königthum von Gottes Gnaden“ ein vereinfachtes Instrumentarium an Semantiken und Suggestionen. Während die preußischen Konservativen die sterile Polemik gegen die „Religionslosigkeit“ des modernen Verfassungs- und Nationalstaatsdiskurses fortsetzten, gewannen sie Zeit für eine umfassende politische Umorientierung.112 In diesem Sinne erhielt der Fanatismus der religiösen Politik von Haller eine pragmatische und immer wieder aktuelle politische Bedeutung. Indem sich Gerlach auf die Thesen von weitverbreiteten theologischen Schriften wie De civitate Dei von Augustinus und An den christlichen Adel deutscher Nation von Martin Luther bezog, postulierte er die religiöse Politik als die „Fundamentalpflicht“ der preußischen Monarchie und nach 1866 sogar als eine moralische „Widerstands-Pflicht“ gegen die triumphierende Realpolitik.113 Auch in der rückblickenden Perspektive seiner privaten Aufzeichnungen hielt Gerlach an den Paradigmen der religiösen Politik fest und hob die Idee der „Obrigkeit und Autorität aus Gott“ und die theokratische Auffassung des Staats als „Ebenbild Gottes“ hervor.114 Damit formulierte er eine nicht allzu kompromittierende Erklärung für seine unnachgiebige Opposition gegen die neuen liberalen Legitimationstheorien und plädierte nicht für die „Nationalität sondern [für das] Recht von oben“, das „Recht aus Gott [als] die wahre Wurzel der echten Freiheit, [als] die wahre Wurzel auch der Nationalitäten selbst“.115 Die „tröstliche“ Rückbesinnung auf Haller und auf den christlich-legitimistischen Restaurationsdiskurs gab einen wesentlichen Impuls für die Fortsetzung der konservativen Opposition gegen die liberalen Reformen und die Realpolitik.116 Gerlach zitierte immer wieder die politischen Bestseller des schweizerischen Politikphilosophen und konstatierte, dass die Ideen von Haller sein „ganzes Leben“ inspiriert und vor allem „nach den Begebenheiten von 1848 und 1866“ die Vorstellung vom „Recht und Staat“ als „Gottes Urschöpfungen“ befestigt hätten.117
112 Ludwig von Gerlach, Rede am 7.2.1852 (EK 2.2, Bd. 1, S. 275). Dort auch das vorherige Zitat. 113 Ludwig von Gerlach, Rede am 6.5.1853 (ZK 3.1, Bd. 3, S. 1379). Ferner Gerlach, Rede am 15.3.1852 (EK 2.2, Bd. 2, S. 812) und Gerlach, Das obrigkeitliche Kirchenregiment, Berlin 1870, S. 4 und 37. 114 Gerlach, Aufzeichnungen (Bd. 1), S. 203–211. 115 Gerlach, RS September. In: Rundschauen 1849, S. 41. 116 Gerlach, Aufzeichnungen (Bd. 2), S. 297–299. 117 Gerlach, Aufzeichnungen (Bd. 1), S. 102. Ferner Aufzeichnungen (Bd. 2), S. 375. Hallers politische „Klassiker“ konzeptualisierten zentrale Begriffe wie Pseudo-Freiheit und Rechtskontinuität, die Gerlach verwendete, um das Legitimismusprinzip nicht nur religiös und moralisch zu untermauern,
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Die Restaurationsideologie vermittelte eine plausible Kontinuitätslinie, die ein breites Spektrum an politischen Semantiken und Argumentationsfiguren für die konservative Meinungsmobilisierung in der nachrevolutionären Zeit generierte. Damit fanden nicht nur Ultrakonservative wie Ludwig von Gerlach, sondern auch pragmatische Reichsgründer wie Albrecht von Roon ein vereinfachtes Erklärungsmuster, um mit den dramatischen Krisen und der wachsenden Verunsicherung nach 1848 produktiv umzugehen. Auch der preußische Kriegsminister benutzte den Restaurationsdiskurs als Starthilfe für seine langwierige und ergebnisoffene Auseinandersetzung mit den modernen Partizipations- und Legitimationstheorien der nachrevolutionären Gesellschaft. Roon verarbeitete die dramatischen Transformationen zwischen Revolution und Reichsgründung, indem er neue Erwartungshorizonte und Identitätskonstruktionen pragmatisch akzeptierte, jedoch die „Sicherung von Thron und Altar, staatlicher Ordnung und christlicher Sitte“ als Leitmotiv seiner ideologischen Selbstverortung und seiner öffentlichen Selbstbeschreibung stets betonte.118 Der preußische Kriegsminister stand dem deutschen Nationalismus distanziert und skeptisch gegenüber. Im Gegensatz zu Gerlach befürwortete er jedoch die realpolitische Reichsgründung als Notwendigkeit, um die traditionellen Paradigmen des „ganz ungetheilten Königlichen Willens“ zu retten.119 Aus vermeintlich anachronistischen Ideologien wie Hallers religiöse Politik resultierten auch pragmatische Machterhaltungsstrategien, die die konservativen Politikdiskurse weiterentwickelten und die Loyalität der breiten Öffentlichkeit mit legalistischen und patriotischen Appelle zumindest vorübergehend sicherten. Auch für die piemontesischen Konservativen bildete die religiöse Politik ein vielfältig einsetzbares Orientierungs- und Argumentationsmuster, um reaktionäre Gegenschläge zu fordern oder pragmatische Anpassungsleistungen mit den liberalen Legitimationstheorien auszuhandeln. Die Faszination für das neuguelfische Projekt von Vincenzo Gioberti und die weitverbreitete Reformeuphorie von 1846 leiteten eine kontroverse Annäherung zwischen Restaurationsdiskurs und liberalen Erwartungshorizonten ein. Die boomende Publizistik, die patriotischen Massenwaren und die Straßendemonstrationen, die König Karl Albert und Papst Pius IX. als reformbereite „Engel“ verklärten, bauten eine solide Ausgangsbasis für die Amalgamierung von liberalen und konservativen Politikdiskursen auf. Dieser langsame Osmoseprozess untermauerte die politische Meinungsmobilisierung der Moderati, die den Reformen-
sondern auch rational und historisch zu rechtfertigen. Vgl. Gerlach, Bruch, S. 7 und 34; Gerlach, Krisis, S. 24; Gerlach, Selbstständigkeit, S. 22. 118 Albrecht von Roon, Glaube und Soldatentum. Hrsg. von Reinhard Hübner, Berlin 1939, S. 152. 119 Roon, Glaube, S. 111. Ferner Roon, Denkwürdigkeiten, S. 545. Siehe auch Kap. 3.3.
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thusiasmus von 1846 und die revolutionären Massenbewegungen von 1848 mit legalistischen und patriotischen Loyalitätsappellen kontrollierten.120 Seit 1839 eröffneten die jährlichen Konferenzen der italienischen Wissenschaftler ein wichtiges vorkonstitutionelles Forum, um die liberalen Reform- und Einheitsbestrebungen öffentlich zu diskutieren. Während die überwiegende Mehrheit der Konferenzteilnehmer für die Verfassungsbestrebungen und die Ideale des italienischen Risorgimento eintrat, versuchten die konservativen Veranstalter der Congressi mit der Restaurationsideologie ein Gegengewicht dazu zu definieren. Als im Jahr 1846 der piemontesische Botschafter in Paris, Antonio Brignole-Sale, den Vorsitz der 8. Konferenz der italienischen Wissenschaftler in Genua übernahm, standen die ungelösten Spannungen zwischen alten und neuen Politikentwürfen überdeutlich im Raum. Der erzkonservative Diplomat distanzierte sich demonstrativ von dem vermeintlich liberalen Charakter der Veranstaltung, indem er in seiner Eröffnungs- und Schlussrede jede Erwähnung der nationalen Einheits- und konstitutionellen Reformbemühungen geflissentlich vermied. Dagegen betrachtete Brignole die dynastischen Traditionen und die christlich-legitimistischen Ordnungsprinzipien als das positive Gegenbild zum modernen Nationalismus. Mit dem Restaurationsdiskurs fand er ein glaubwürdiges Rechtfertigungsnarrativ, um den konservativen Status quo nicht nur als repressive Blockade oder als dogmatische Immobilität zu präsentieren, sondern vielmehr als die dynamische Weiterentwicklung der „wahren“ italienischen Einheit darzustellen. In diesem Sinne entwarf Brignole eine parallele Geschichte des Risorgimento, die die religiöse Politik als Kernideologie perpetuierte und die „Provvidenza“ mit der uneingeschränkten Macht der legitimen Fürsten und nicht mit der teleologischen Nationalstaatsidee verband.121 Nach der Revolution von 1848 beendete Brignole seine Karriere im diplomatischen Dienst und engagierte sich seitdem in der konservativen Opposition gegen die reformbereiten Moderati. Im Zentrum seines publizistischen und parlamentarischen Protests stand die politische Funktionalisierung christlich-legitimistischer Semantiken und Argumentationsmuster aus dem Restaurationsdiskurs. Die Fixierung auf die Religion als politische Bewältigungs- und Selbstbeschreibungsstrategie gegen die regierenden Moderati verschob auch Brignoles private und kulturelle Interessen. Während bis 1847 die Korrespondenz zwischen dem einflussreichen Botschafter in Paris und dem genuesischen Dichter Gian Carlo Di Negro fast ausschließlich literarische, gesellschaftliche und lokalpolitische Themen fokussierte, unterhielten sich die zwei Freunde nach 1848 hauptsächlich über Religion und Kirche. In ihren christlich-
120 In Deutschland kam die Teilkongruenz zwischen liberalen und konservativen Politikdiskursen zeitversetzt und erheblich konfliktreicher als in Piemont zur Geltung. Vgl. Biermann, Ideologie, S. 267. 121 Vgl. Discorsi di Antonio Brignole-Sale, Presidente del VIII Congresso degli Scienziati, Genua 1846, S. 13, 20 und 28–35.
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konservativ und moralisch gefärbten Erörterungen äußerten sie ihre zunehmende politische Enttäuschung und Desorientierung.122 Die Bedeutung der religiösen Politik für die ideologische Selbstverortung der Konservativen und für die resolute Fortsetzung ihres politischen Engagements nach 1848 charakterisierte ebenfalls die Korrespondenz von Brignole mit dem französischen Publizisten Charles de Montalembert und mit dem Präsidenten des piemontesischen Senats Giuseppe Manno. Während die beiden prominenten konservativen Politiker die konstitutionellen Reformen pragmatisch akzeptierten, verurteilte Brignole die neuen liberalen Legitimationstheorien unnachgiebig und reaktivierte die Restaurationsideologie.123 Als Brignole um 1860 die „ungesunde“ Politik der Moderati unverändert attackierte, formulierte er erneut das unvergessene Mantra der religiösen Politik und stellte lapidar fest, dass die „sana politica [è] sempre d’accordo con la religione.“124 Im Jahr 1861 inszenierte der erzkonservative Aristokrat seinen Rücktritt aus dem piemontesischen Senat als eklatante Protestinitiative gegen den neugegründeten Nationalstaat. Die narrative Verarbeitung der Restauration bot Brignole ausschlaggebende Argumente, um seine vehemente Ablehnung der piemontesischen Verfassungs- und Nationalstaatspolitik mit rationalen, affektiven und moralischen Motiven zu konnotierten: Il deplorare l’usurpazione degli Stati Pontificj non significa ch’io non avessi deplorato altresì quella dei dominij estensi o toscani: mi è spiaciuta ancor più, perché nella prima all’offesa del diritto altrui si aggiungeva quella della religione; ma l’occupazione violenta di un villaggio nel Piacentino sarebbe bastata a decidere l’abbandono […] di un corpo politico che della connivenza a tale violazione della giustizia, potendola impedire, si fosse reso colpevole.125
Um seinen empörten Protest gegen die italienische Revolution zu konkretisieren, veröffentlichte Brignole mehrere Pamphlete und setzte sich mit dem Kardinalstaatssekretär Giacomo Antonelli in Verbindung.126 Auch der einflussreiche Bischof von Orleans, Felix Dupanloup, und der Chefredakteur der Armonia, Giacomo Margotti,
122 Vgl. Gian Carlo Di Negro an Antonio Brignole-Sale am 30.6.1851, am 4.10.1853 und am 22.10.1853 (Berio, sez. Manoscritti, coll. m.r. Aut. I.2.19 inv. 2900, nr. 14–16). 123 Vgl. Antonio Brignole-Sale an Charles de Montalembert am 18.11.1852 (ABS – Corr. Fam. – Lettere xix sec. – serie 3 – busta 4). Ferner Brignole an Giuseppe Manno am 20.10.1855. In: Giornale Ligustico 9 (1882), S. 471. 124 Antonio an Maria Brignole-Sale am 6.11.1861 (ABS – Corr. Fam. – Lettere xix sec. – serie 3 – busta 1, nr. 58). 125 Antonio an Maria Brignole-Sale am 6.11.1861 (ABS – Corr. Fam. – Lettere xix sec. – serie 3 – busta 1, nr. 58). 126 Vgl. Antonio Brignole-Sale an Giacomo Antonelli am 25.2.1860 und am 8.3.1860 (ABS – Corr. Fam. – Lettere xix sec. – serie 3 – busta 4). Um 1860 verfasste Brignole die Pamphlete Considerazioni sulla quistione romana (Rom 1860) und Sulla cessione della Savoia e del circondario di Nizza alla Francia (Genua 1860).
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ermutigten Brignole, seine vehemente Opposition gegen die Moderati als „grands services […] à la Religion et à l’ordre social“ fortzusetzen.127 In diesem Zusammenhang instrumentalisierte Brignole auch nichtpolitische Rituale und Kollektivsymbole, um sein Beharren auf der Restaurationsideologie tendenziös darzustellen. Im Jahr 1861 betrachtete der ehemalige Diplomat die große Demonstration, die in Genua den päpstlichen Segen für die Stadt zelebrierte, als eindeutigen Beweis für die unveränderte „Macht der Religion“ gegen die „böse“ Politik der Moderati: „era uno spettacolo commovente e che prova quanto sia grande il potere della Religione Cattolica che i malvagi tentano invano di far trascurare e di abbattere.“128 Genauso wie Antonio Brignole-Sale trat auch Edoardo Crotti Graf von Costigliole nach der Revolution von 1848 aus dem piemontesischen Staatsdienst zurück. Der konservative Adlige verfügte ebenfalls über enorme finanziellen Ressourcen und ein machtbewusstes Familiennetzwerk. Nach seiner Heirat mit Pauline de Mercy-Argenteau konsolidierte Crotti seine internationale Reputation und erweiterte seine politischen Vernetzungen.129 In den 1850er Jahren engagierte er sich gegen die piemontesische Regierungspolitik und instrumentalisierte dafür die semantischen und ideologischen Bestimmungsmuster des Restaurationsdiskurses. Auch für Crotti bildete die religiöse Politik ein glaubwürdiges und attraktives Orientierungskonzept, um die kulturelle Desorientierung und die zunehmende politische Verunsicherung zu bewältigen. Der ehemalige Diplomat veröffentlichte und finanzierte mehrere Publikationen gegen die Verfassungs- und Nationalstaatspolitik der regierenden Moderati und wurde ins piemontesische Abgeordnetenhaus gewählt.130 Crotti organisierte seine konservative Opposition in enger Verbindung mit Brignole und Solaro della Margarita sowie auch mit einflussreichen Prälaten wie dem Kardinal Raffaele Ferrari, dem Bischof von Caltanissetta, Giovanni Guttaduro, und dem Erzbischof von Turin, Luigi Fransoni.131
127 Der französische Bischof äußerte sich enthusiastisch über den „dévouement à l’Église“ und die „grands services […] à la Religion et à l’ordre social“, die Brignole mit seiner antiliberalen Opposition leistete. Vgl. Felix Dupanloup an Antonio Brignole-Sale am 8.12.1859 (ABS – Serie corrispondenza V 40, nr. 6952). Noch deutlicher wurde Brignoles Protest gegen die italienische Nationalstaatsgründung von Giacomo Margotti gelobt. Dieser konstatierte, dass Brignole „ha servito e serve la Chiesa con tanto ingegno, devozione e coraggio.“ Vgl. Giacomo Margotti an Brignole am 25.12.1861 und am 5.11.1863 (ABS – Serie cor. M 21, busta A 21, nr. 3629 und 3635). 128 Antonio an Maria Brignole-Sale [1861] (ABS – Corr. Fam. – Lettere xix sec. – serie 3 – busta 1, nr. 64). 129 Im Jahr 1838 heiratete Edoardo Crotti die Tochter „de Son Excellence le comte Francois-Joseph de Mercy-Argeneteau, Grand-Chambellan de S. M. le Roy de Pays-Bas […] alliée à la plus haute noblesse d’Hongrie, de Vienne et d’Allemagne.“ Vgl. Edoardo Crotti an seine Mutter am 16.5.1838. In: Berard, Crotti, S. 15. Vor seiner prestigeträchtigen Heirat erhielt Crotti vom König Karl Albert den erblichen Grafentitel. Vgl. Clemente Solaro an Edoardo Crotti am 29.3.1838 und am 8.6.1838. In: Berard, Crotti, S. 11–13. 130 Vgl. Edoardo Crotti, Sulla libera manifestazione delle opinioni, Turin 1857. 131 Vgl. Antonio Brignole-Sale an Edoardo Crotti am 4.6.1836; Edoardo Crotti an Clemente Solaro am 3.6.1850; Crotti an Raffaele Fornari am 6.7.1850; Crotti an Giovanni Guttaduro am 30.8.1870. In: Berard, Crotti, S. 25, 50–56 und 86.
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Die narrative Verarbeitung der Restauration inspirierte die radikale Opposition der piemontesischen Konservativen gegen die neuen liberalen Legitimationstheorien, jedoch generierte sie auch neue Wahrnehmungs- und Selbstbeschreibungskategorien, um die beschleunigten politischen Veränderungen zu verarbeiten. Im Gegensatz zu erzkonservativen Politikern wie Solaro, Crotti und Brignole übernahm Ottavio Thaon di Revel nach 1848 und 1861 wiederholt wichtige politische Posten am piemontesischen Hof und im Staatsdienst. Zwischen Revolution und Nationalstaatsgründung diente Revel als Finanzminister, Abgeordneter, Vorsitzender der Cassa di Risparmio und Senator von Turin. Im Jahr 1860 wurde er schließlich von Viktor Emanuel II. zum lebenslänglichen Mitglied des italienischen Senats ernannt. Mit der religiösen Politik konstruierte Revel eine beruhigende Kontinuitätsvorstellung zwischen vor- und nachrevolutionärer Zeit und untermauerte damit seine pragmatischen Machterhaltungsstrategien. Obwohl er die christlich-legitimistischen Ordnungsprinzipien und das konservative Dienstethos, die die politische Selbstbeschreibung und ideologische Selbstverortung der Konservativen nach wie vor prägten, befürwortete, versuchte Revel eine andere politische Richtung einzuschlagen als die Ultrakonservativen. Mit den altvertrauten Semantiken und Argumentationsfiguren formulierte er eine distanzierte Zustimmung für die neue politische Linie und vermied eine kompromittierende Ablehnung der inzwischen konsolidierten Reformen.132 Revel stellte seine königstreue Grundhaltung nie in Frage, jedoch reduzierte er mit der Restaurationsideologie die emotionalen und kulturellen Auswirkungen seiner vorsichtigen Unterstützung für die Verfassungs- und Nationalstaatspolitik.133 Dabei bezog er sich auch auf das Testament politique seines Vaters, das die Religion als „toujours le frein le plus salutaire, le mobile le plus puissant et le complément des institutions politiques“ betrachtete.134 Als im März 1848 die Mehrheit der Minister und der widerspenstige König Karl Albert die Oktroyierung des Statuto als das kleinste Übel gegen die europaweit entflammten Revolutionen beschlossen, akzeptierte auch Revel pragmatisch die Verwandlung Piemonts in eine konstitutionelle Monarchie. Jedoch relativierte der konservative Finanzminister seine Zustimmung und erklärte vor dem Monarchen und seinen Kollegen, dass er „sehr leidend und äußerst beschämt“ die Verfassung bewillige.135
132 Vgl. Ottavio Thaon di Revel, Rede am 26.1.1857 (APS Discussioni, Sessione del 1857, Bd. 3, S. 237). 133 In den dramatischen Sitzungen des piemontesischen Staatsministeriums, die sich im Februar und März 1848 mit der Verfassungsfrage beschäftigten, begründete Revel seine Skepsis für die liberalen Reformbestrebungen mit den christlich-legitimistischen Paradigmen, die das Testament politique seines Vaters formulierte. Am 3.2.1848 lehnte Revel die neuen liberalen Legitimationstheorien vehement ab, weil sie den „principi nei quali è stato educato e che sono stati alla basa delle sue convinzione e delle azioni in tutta la sua vita“ widersprachen. Vgl. Lo Statuto albertino illustrato dai lavori preparatori, S. 199. 134 Ignazio Thaon di Revel, Testament politique, Turin 1826, S. 226. 135 Lo Statuto albertino illustrato dai lavori preparatori, S. 198.
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Die ostentative Beharrung auf der religiösen Politik führte dazu, dass Revel die dramatischen Veränderungen zwischen 1847 und 1861 als wenig bedrohlichen Kontinuitätsbruch auffasste und allmählich auch als produktive Machterhaltungsstrategie neu bewertete. Selbst nach dem diplomatischen und militärischen Fiasko der piemontesischen Außenpolitik im März 1849 zog Revel seine pragmatische Anerkennung der neuen Verfassung nicht explizit zurück. Während die Ultrakonservativen den revolutionären Kontinuitätsbruch polemisch zuspitzten, relativierte Revel die Diskontinuität von vor- und nachrevolutionärer Zeit. Damit akzeptierte er die neue piemontesische Verfassung und idealisierte gleichzeitig die vorkonstitutionelle Zeit als eine „friedliche, ruhige und blühende Epoche“.136 In diesem Sinne kritisierte Revel die Moderati, die eine extrem negative Meinung über die Situation vor 1847 vertraten, um die eingeleiteten Reformen in ein besseres Licht zu rücken. Er lehnte die Dämonisierung des christlich-legitimistischen Restaurationsdiskurses energisch ab und plädierte für die Amalgamierung von alten und neuen Identitäts-, Inszenierungsund Legitimationsgrundlagen.137 Ausgehend von der religiösen Politik versuchte Revel den liberalen Diskurs zu verarbeiten und signalisierte damit die Bereitschaft der piemontesischen Eliten, pragmatische Anpassungsleistungen ohne eklatante Kontinuitätsbrüche mitzutragen.138 Im Namen der „continuità del patriottismo“ setzte sich die semantische und ideologische Rekonfigurierung des christlich-legitimistischen Restaurationsdiskurses am piemontesischen Hof und bei zahlreichen pragmatischen Konservativen wie Ottavio Thaon di Revel allmählich durch.139 Jedoch blieb diese kompromissbereite Haltung bis in die 1860er Jahre hinein sehr umstritten. Die reformbereiten Eliten, die seit 1848 die ergebnisoffene Neuorientierung der Restaurationsideologie mitgestalteten, fanden sich mit der Nationalstaatsgründung unproblematisch ab. Dagegen vollzogen die meisten konservativen Ultras, die die religiöse Politik als Oppositionsduktus zunehmend radikalisierten, auch 1860 kein Damaskuserlebnis.140 Geführt von Solaro della Margarita attackierten die piemontesischen Erzkonservativen vehement das politische Ausbalancieren der Moderati zwischen traditionellen Machtdiskursen, liberalen Legitimationstheorien und italienischem Nationalismus.141
136 Ottavio Thaon di Revel, Denkschrift im piemontesischen Parlament im Juni 1848 vorgelegt (APS Documenti, Sessione del 1848, Bd. 2, S. 103, „anni di pace, di floridezza e d’ordine“). Vgl. auch Revel, Rede am 16.5.1850 (APS Discussioni, Sessione del 1850, Bd. 2, S. 2037). 137 Vgl. Ottavio Thaon di Revel, Rede am 21.5.1850 (APS Discussioni, Sess. 1850, Bd. 2, S. 2143). 138 Vgl. Ottavio Thaon di Revel, Rede am 15.4.1858 (APS Discussioni, Sess. 1857–58, Bd. 4, S. 1221). 139 Vgl. Levra, Italiani, S. 88. 140 Ein Damaskuserlebnis blieb im Jahr 1870 auch für die preußischen Reform- und Nationgegner aus. Vgl. Heinemann, Stadt, S. 434. 141 Parallel zu dieser umstrittenen liberalkonservativen Anpassungsleistung um 1850 nahm auch die Bedeutung der Amalgamierung zwischen dem piemontesischen Adel und der Bourgeoisie beschleunigt zu. Jedoch dominierte der Adel nach wie vor auf sozialer und kultureller Ebene. Vgl. Sil-
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Am 3. März 1856 kam es bei einer Soiree im Hause des Grafen von Cays zum offenen Bruch zwischen Solaro und Revel. Solaro bekämpfte die kompromissbereite Opposition gegen die liberale Verfassungs- und Nationalstaatspolitik des neuen piemontesischen Ministerpräsidenten Cavour und warf Revel vor, die Ideale der religiösen Politik kampflos preiszugeben.142 In diesem Sinne hob er hervor, dass seine kompromisslose Haltung die einzige adäquate Lösung angesichts der „ungesunden“ Politik der Moderati war, weil „ewige Prinzipien“ wie die Religion und der Legitimismus „non ammettono nessuna transizione“.143 Zusammen mit Antonio Brignole-Sale und Edoardo Crotti, mit dem Erzbischof von Turin, Luigi Fransoni, und mit einflussreichen Publizisten wie Luigi Taparelli d’Azeglio und Giacomo Margotti protestierte Solaro bis in die 1860er Jahre hinein gegen jede Annäherung von reformbereiten und konservativen Politikdiskursen.144 Solaro konnotierte bereits seine ersten publizistischen Aktivitäten im „Befreiungsjahr“ 1814 sowie seinen Einstieg in die diplomatische und politische Karriere mit einer systematischen Funktionalisierung christlich-legitimistischer Semantiken und Deutungsmuster.145 Zwischen 1835 und 1847 diente er als Außenminister des vermeintlich liberalen Königs Karl Albert. In diesem Zusammenhang leitete er die sechsbändige Edition der Traités publics de la royale Maison de Savoie, die die „légitimes agrandissements qui ont formé les États confiés par la Providence à Votre Sceptre paternel“ rekonstruierte.146 Die monumentale Quellensammlung war keineswegs als historiographisches Nachschlagewerk gedacht, sondern bildete vielmehr ein kanonisches Schlüsseldokument des Restaurationsdiskurses. In diesem Sinne betrachtete Solaro die Traités publics als den unwiderlegbaren Beweis und die konkrete normative Grundlage der politischen Macht und der legitimen Herrschaft der piemontesischen Dynastie. Zusammen mit den historiographischen Studien von königstreuen Intellektuellen wie Luigi Cibrario, Giuseppe Manno oder Federico Sclopis, die die Accademia delle Scienze und die neugegründete Deputazione di Storia Patria leiteten, konsolidierten die Traités publics den breitgefächerten Apparat
via Cavicchioli, Erinnerung und Mythos. Familientraditionen und Selbstdarstellung des piemontesischen Adels. In: Hochkultur als Herrschaftselement. Italienischer und deutscher Adel im langen 19. Jahrhundert. Hrsg. von Gabriele B. Clemens, Berlin 2011, S. 167–187. 142 Vgl. Clemente Solaro della Margarita, TB am 3.3.1856. In: Lovera (Bd. 1), S. 396. 143 Clemente Solaro della Margarita an Antonio Brignole-Sale am 8.5.1855 (ABS, Serie corr., alfabetico S., Inv. 38, nr. 6497). 144 Vgl. Clemente Solaro della Margarita an Antonio Brignole-Sale am 1.6.1857 (ABS, Serie corr., alfabetico S., Inv. 38, nr. 6505). Ferner Solaro an Luigi Taparelli d’Azeglio am 23.11.1854. In: Taparelli, Carteggi, S. 411; Solaro an Luigi Fransoni am 12.4.1858. In: Lovera (Bd. 3), S. 310. 145 Solaro, Liberazione, S. 3. Vgl. auch Solaro an Antonio Brignole-Sale am 9.8.1826 (ABS, Serie corr., alfabetico S., Inv. 38, nr. 6421). 146 Clemente Solaro della Margarita, Traités publics de la royale Maison de Savoie (Bd. 1), Turin 1836, S. VI.
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der politischen Geschichtsschreibung im Sinne des monarchischen Patriotismus und der religiösen Politik.147 Die boomende historiographische Produktion konservativer Assoziationen und Akademien entwarf eine parallele Geschichte, die eher das eigenstaatliche Bewusstsein und die regionale oder munizipale Identitätsstiftung als das Telos des nationalen Einheitsstaats fokussierte.148 Nach dem Schock von 1848 beharrte Solaro immer vehementer auf der legitimistischen Restaurationsideologie. Als sich die piemontesische Monarchie nach der Revolution auch mit konstitutionellen und national-patriotischen Machtdiskursen legitimierte, verschob Solaro den Fokus seiner politischen Argumentationslogik auf die religiöse Politik. In seinen parlamentarischen und publizistischen Aktivitäten benutzte der ehemalige Außenminister eine zunehmend aggressive Sprache. Dabei ersetzte er allmählich die „Liebe“ für die Monarchie durch ein politisches Rechtfertigungsnarrativ, das ausschließlich von religiös-theologischen Suggestionen und Orientierungskonzepten gelenkt wurde.149 Solaro plädierte für eine „ausschließlich katholische“ Politik und bewältigte den Loyalitätskonflikt zwischen königstreuer Haltung und religiös-kirchlicher Zugehörigkeit, indem er mit der Hervorhebung der Religion als zentrale Legitimationsgrundlage seine Distanzierung von der konstitutionellen Monarchie verdeutlichte.150 Während Solaro bis 1847 seine politische Mission für „Trono e Patria“ resolut postulierte, verfolgte er in den 1850er Jahren das „interesse della Religione“ als erstes politisches Ziel.151 Auch andere erzkonservative Politiker wie Brignole und Crotti rekonfigurierten die traditionelle Assoziation Thron-Altar. Sie marginalisierten altvertraute Leitmotive wie die monarchische Loyalität und das konservative Dienstethos und betrachteten die „défense de la religion et des principes d’ordre“ als ein übergeordnetes politisches Ziel.152 Der lange Restaurationsdiskurs basierte zum einen auf der weitverbreiteten politischen Funktionalisierung und Visualisierung von religiös-theologischen Orientierungsmustern. Zum anderen bezog er sich auf die affektive und kognitive Dimension der Glaubenserfahrung der piemontesischen Konservativen. Einflussreiche Protagonisten der antiliberalen Opposition wie Solaro und Brignole evozierten gegen die Reformbemühungen der piemontesischen Regierung die apokalyptische Suggestion der „terribles effets de la colère de Dieu“.153 Dementsprechend betrachteten sie die
147 Vgl. Gabriele, Modelli, S. 268. 148 Hierzu Clemens, Sanctus, S. 307–335. 149 Clemente Solaro della Margarita, A quegli elettori del collegio di Borgomanero, Turin [1853], S. 22 und 27. 150 Vgl. Solaro, Questioni, S. 53, 76 und 171. 151 Clemente Solaro della Margarita an Luigi Taparelli d’Azeglio am 19.7.1854. In: Taparelli, Carteggi, S. 468. Ferner Solaro, Agli elettori del collegio di San Quirico, Turin 1854, S. 1. 152 Edoardo Crotti an François-Joseph de Mercy-Argenteu am 7.5.1850. In: Berard, Crotti, S. 44. 153 Clemente Solaro della Margarita an Giulia Falletti di Barolo am 28.6.1852. In: Lovera, Solaro (Bd. 1), S. 249.
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göttliche Vorsehung als eine konkrete Lösung gegen die politische Misere, die die Moderati als „offen Areligiöse“ vorbereiteten.154 In den 1850er Jahren konsolidierte Solaro seine Selbstbeschreibung als moralischer Apostel gegen die „unchristlichen“ Reformen. Dieser pathetische Grundton wurde von einflussreichen Publizisten wie Giacomo Margotti, Luigi Taparelli d’Azeglio und Antonio Bresciani sowie von ehemaligen Diplomaten wie Antonio Brignole-Sale, Edoardo Crotti und Vittorio di Camburzano positiv aufgenommen und ermutigt. Edoardo Crotti und die Königinwitwe Maria Theresia äußerten sich enthusiastisch über die „loyauté de principes religieux et politiques“, die Solaro mit seiner publizistischen und parlamentarischen Aktivitäten perpetuierte.155 Auch der Theologe und Mitbegründer der Civiltà cattolica, Luigi Taparelli d’Azeglio, ermutigte den ehemaligen Außenminister, seine politische Opposition gegen die Moderati als „Kampf für die Sache Gottes“ fortzusetzen.156 Noch emphatischer bezeichneten Brignole und Bresciani die politischen und publizistischen Erfolge von Solaro als „grazia della divina Provvidenza“.157 Als Solaro im Jahr 1857 wieder in das piemontesische Abgeordnetenhaus gewählt wurde, versicherte auch Vittorio di Camburzano seine bedingungslose Unterstützung für die religiöse Politik des ehemaligen Außenministers: „vous êtes, Monsieur le Comte [Solaro della Margarita], notre Général d’Armée, je viens réclamer auprès de vous ma place de soldat“.158 Der „Soldat“ Camburzano thematisierte zwar die Problematik, dass die Nationalstaatsgründung eine „terrible éprouve pour la fidélité“ der piemontesischen Konservativen darstellte, blieb jedoch nach 1861 weiter fest entschlossen, „die Sache des Throns und des Altars“ offensiv zu vertreten.159 Zum einen erhielt Solaro von seinen politischen „Soldaten“ konkrete Unterstützung, um seine Pamphlete und die aussagekräftigsten parlamentarischen Reden zu publizieren sowie eine breite Wahlkampagne zu organisieren und neue Ideen, Kontakte und Informationen zu vermitteln. Zum anderen bekam er ein wichtiges intellektuelles Feedback, das die Tröstungsfunktion und die politische Vereinnahmung der religiösen Politik konsolidierte. Am Vorabend der Proklamation des Königreichs Italien im März
154 Lovera, Solaro (Bd. 1), S. 249. 155 Königin Maria Theresia an Clemente Solaro della Margarita am 7.1.1854. In: Lovera, Solaro (Bd. 1), S. 403; Edoardo Crotti an Solaro am 17.6.1850. In: Berard, Crotti, S. 53. Crotti wiederholte dieselben enthusiastischen Aussagen über Solaro auch in einem Brief an den Kardinal Fornari. Vgl. Edoardo Crotti an Raffaele Fornari am 6.7.1850. In: Berard, Crotti, S. 56. 156 Luigi Taparelli d’Azeglio an Clemente Solaro della Margarita am 7.1.1854. In: Taparelli, Carteggi, S. 401. 157 Antonio Brignole-Sale an Clemente Solaro della Margarita. in: Lovera, Solaro (Bd. 1), S. 369. Vgl. auch Antonio Bresciani an Solaro am 11.2.1854. In: Bresciani, Epistolario (Bd. 2, T. 2), S. 80. 158 Vittorio di Camburzano an Clemente Solaro della Margarita am 22.11.1857. In: Lovera, Solaro (Bd. 3), S. 333. 159 Vittorio di Camburzano an Clemente Solaro della Margarita am 7.4.1860. In: Lovera, Solaro (Bd. 3), S. 346.
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1861 bezog sich Solaro exemplarisch auf die polyvalenten Bedeutungen des Restaurationsdiskurses, um den Rücktritt von Antonio Brignole-Sale aus dem piemontesischen Senat als politisches Martyrium zu verklären und zu instrumentalisieren: „Generosa prova che ha data di ottimo di ottimo cattolico, e di fermo carattere rinunciando ad aver posto nel Senato; sarà forse solo ma non importa, anzi tanto maggiore sarà sua gloria, e raddoppierà la stima [di] quanti apprezzano gli esempj dell’antica virtù.“160 Erneut im Jahr 1864 thematisierte Solaro mit seinem langen Essay Uomo di Stato die affektive und kulturelle Beharrung auf der religiösen Politik als Oppositionsstrategie gegen den triumphierenden Verfassungs- und Nationsdiskurs. Damit entwarf der ehemalige Außenminister ein bewusst überspitztes Konzept von Politik und Staatsdienst, das sich von den allgemein gefeierten „nationalen“ Helden Viktor Emanuel II. und Cavour polemisch distanzierte. Im schroffen Gegensatz zu den regierenden Moderati betonte Solaro, dass die monarchische Herrschaft mit den christlich-legitimistischen Machttraditionen und mit der moralischen Vermittlungsrolle der katholischen Kirche untrennbar verbunden sei.161 Nach den Zäsuren von 1848 und 1861 kulminierte der Restaurationsdiskurs in einer bipolaren Spaltung: einerseits die theokratische Radikalisierung der Assoziation Thron-Altar, die Solaro und seine „Soldaten“ unterstützten; andererseits die Anpassung an die liberalen Legitimationstheorien und die Ideale des italienischen Risorgimento, die die Moderati befürworteten. Beide konkurrierende Entwicklungslinien perpetuierten die semantischen Bestimmungsmuster und die emotionalen Tiefenstrukturen für den resoluten Auftritt und die vielfältigen Deutungsoptionen der piemontesischen Konservativen. Während die Moderati seit den 1840er Jahren innovative Politikentwürfe produktiv verarbeiteten und kontinuierlich an Einfluss gewannen, blieb Solaro absolut davon überzeugt, dass die Religion „la miglior tutela della umana società“ war und die siegreiche Verfassungs- und Nationalstaatspolitik die monarchische Herrschaft „ruinierte“: Poco vanto è salir le eccelse cime se chi vi si avvia non ha per guida morale e religione. […] Stoltezza sarebbe guardare con diffidenza la religione cattolica, che nessuna forma di governo osteggia: meglio saranno da essa sorrette le libere istituzioni, da essa che obbedienza ad ogni autorità legittima inculca: togliete l’elemento religioso, base di ogni consorzio civile, e repubbliche e monarchie andranno in rovina.162
Solaro kritisierte massiv die piemontesische Nationalstaatspolitik, unterschätzte jedoch dramatisch die diskursiven Dynamisierungs- und Verarbeitungsprozesse und
160 Clemente Solaro della Margarita an Antonio Brignole-Sale am 4.4.1861 (ABS – Serie corrispondenza V 40, nr. 6520). 161 Vgl. Clemente Solaro della Margarita, L’uomo di stato indirizzato al governo della cosa pubblica (Bd. 1), Turin 1864, S. 2, 8–14 und 19. 162 Clemente Solaro della Margarita, Rede am 8.4.1854 (APS Discussioni – Sessione del 1857, 5. Leg., Bd. 3, S. 246).
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die daraus entstehenden Machtverschiebungen, die zwischen 1840 und 1870 die Institutionen, die Legitimationsgrundlagen und die Sprache des Politischen weitgehend veränderten. Nach der schockierenden Enttäuschung von 1848 standen die epischen Erfahrungsdeutungen und die romantischen Erwartungshorizonte der italienischen wie der deutschen Nationalisten auf dem Prüfstand. Sie wurden mit pragmatischem Geltungsdrang und aggressivem Entschlossenheitskult akzentuiert und rückten damit auch für die Konservativen, die auf der Suche nach einer massenkompatiblen Loyalitätssicherung waren, in den Bereich des Möglichen. Während in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Nation als Telos nur von einer kleinen Gruppe liberaler Politiker und Intellektueller imaginiert wurde, verschafften sich um 1850 die national-patriotischen Einheitsbestrebungen Akzeptanz bei einer breiten Öffentlichkeit, darunter auch bei den skeptischen oder doch distanzierten konservativen Eliten.163 Seitdem vollzog sich ein ergebnisoffener Adaptionsprozess zwischen Nationalstaatsidee und narrativer Verarbeitung der Restauration. Das Ineinandergreifen von konservativem Dienstethos, monarchischem Patriotismus und liberal-populistischen Massenappellen setzte sich mit der Formation der nationalen Einheitsstaaten durch und erreichte seitdem eine zunehmend breite Zustimmung.164 In Piemont wie in Preußen generierte der lange Restaurationsdiskurs ein polyvalentes Rechtfertigungsnarrativ für die konservativen Machterhaltungs- und Bewältigungsstrategien. Die kontrollierte Erosion altvertrauter Suggestionen und Ordnungsideen führte dazu, dass die Konservativen auch in den nachrevolutionären politischen Arenen selbstbewusst auftraten und damit Zeit gewannen, um eine vorsichtige Annäherung an die liberalen Reformbemühungen und die nationalen Einheitsbestrebungen auszuhandeln. Dabei formulierten die Konservativen verschiedene Argumentationslinien: die radikale Fixierung auf die religiöse Politik von Gerlach und Solaro oder die Einbettung der neuen Verfassungs- und Nationalstaatspolitik in eine beruhigende Kontinuitätsvorstellung. Damit imaginierten pragmatische Konservative wie Albrecht von Roon und Ottavio Thaon di Revel eine „continuità del patriottismo“ und gingen mit den konstitutionellen Reformen und der Nationalstaatsgründung konstruktiv um. Restaurative Blockaden und reaktionäre Gegenschläge bildeten bereits vor 1848 nur eine kurzfristige Notlösung für den konservativen Machterhalt. Jedoch kristallisierte sich der Restaurationsdiskurs als eine semantische und kulturelle Wiederholungsstruktur heraus, die die Wahrnehmung der Diskontinuität reduzierte und damit zur Durchsetzung politischer Anpassungsleistungen und neuer Integrationsideologien beitrug.
163 Vgl. Banti, Madre, S. 9 und 14. 164 Vgl. Levra, Vittorio Emanuele II, S. 49.
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2.1.2 R eligiöse Politik. Die Aufladung der konservativen Sprache des Politischen mit religiösen Begriffen und Erklärungsmustern Auch im 19. Jahrhundert generierten die symbolischen, ideologischen und sozialen Verflechtungen von politischen Machtdiskursen und religiösen Orientierungskonzepten eine solide Grundlage für „die transzendentale Legitimation und die kulturelle Dominanz“ der monarchischen Herrschaft.165 Die konservative Meinungsmobilisierung um 1800 und der lang andauernde Restaurationsdiskurs popularisierten bereits existierende Deutungsmuster und führten dazu, dass die politische Bedeutung religiös-theologischer Semantiken und Ordnungsideen noch systematischer als im Ancien Régime zur Geltung kam. Außerdem vermittelte die Religion als private Glaubenserfahrung und moralische Wertorientierung nach wie vor eine „gruppenintegrative und politikmächtige“ Ideologie.166 Nach den Revolutionen von 1789 und 1848 spielte die politische Funktionalisierung der Religion eine entscheidende Rolle für die Selbstbehauptung der konservativen Eliten und für die Resonanz der antiliberalen Medienoffensive in der breiten Öffentlichkeit. Im Rückblick auf das „tolle Jahr“ 1848 konstatierte der konservative Publizist Hermann von Schmettau euphorisch, dass die überwiegende Mehrheit der Preußen „noch an das Kreuz“ glaube und dementsprechend unzählige königstreue Vereine, antirevolutionäre Publikationen und Manifestationen aktiv unterstütze oder zumindest passiv akzeptiere.167 Daraus zog Schmettau die tendenziöse, aber nicht gänzlich unzutreffende Schlussfolgerung, dass die reaktionären Gegenschläge und die „wahre Frömmigkeit“ von Friedrich Wilhelm IV. erfolgreich waren, weil sie „das Bekenntnis zu Christo“ als „politisches Programm“ hatten. Diese gegensäkulare Darstellung betrachtete die Religion und die konservative Politik „in Staat und Kirche“ als „synonyme Begriffe“.168 Das Ideal des christlichen Staats und die wahre Frömmigkeit, die Hermann von Schmettau beschrieb, charakterisierten die politische Sprache, die öffentliche Inszenierung und den privaten Lebensstil Friedrich Wilhelms IV.169 Die Suggestion der konfessionellen Mission des preußischen Staats und das pietistische Ethos kristallisierten sich bereits im politischen Testament von Friedrich Wilhelm III. heraus, der seinem Nachfolger einen „nützlich-thätigen, sittlich-reinen und Gottesfürchtigen Wandel“ befahl.170 Nach dem Desaster von 1806 wurde das Ideal des christlichen Staats mit einem systematischen Rückgriff auf religiös-theologische Deutungsmuster
165 Frie, Marwitz, S. 37. 166 Frie, Marwitz, S. 101. 167 Schmettau, Friedrich Wilhelm IV., S. 201. 168 Schmettau, Friedrich Wilhelm IV., S. 295. Dort auch das vorherige Zitat. 169 Vgl. PPS (Bd. 2), S. 6 und 17. 170 Friedrich Wilhelm III., Mein letzter Wille (1827). In: Testamente der Hohenzollern, S. 755–757.
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und mit der demonstrativ zur Schau gestellten Religiosität der Hofgesellschaft revitalisiert. Am preußischen Hof und in den Ministerien waren nicht mehr nur monarchische Loyalität und aristokratisches Dienstethos erforderlich, sondern auch der „sittlich-reine und Gottesfürchtige Wandel“ bildete ein wichtiges Repräsentationskriterium. Als im Jahr 1842 der erste relevante Ministerwechsel seit dem Regierungseintritt von Friedrich Wilhelm IV. erfolgte, wurde die Entscheidung im Namen der religiösen Politik motiviert. Der Finanzminister Graf Albrecht von Alvensleben galt als „arroganter“ und „wenig frommer“ Grandseigneur und widersprach dem Ideal des christlichen Staats.171 1842 legte er sein Amt aus Protest gegen die mystizistischen Ideen des Königs nieder. Dagegen setzte der konservative Kultusminister Friedrich Eichhorn die „wahre Frömmigkeit“ von Friedrich Wilhelm IV. in konkrete Politikentwürfe um, indem er die kirchliche Gesinnung und den Konservatismus zur „Maxime für die Personalpolitik in Schule, Kirche und Universität“ erhob.172 Die protestantisch inspirierte und lebensumspannende Religiosität, die in der preußischen Hofgesellschaft und in den Ministerien angeblich dominierte, charakterisierte auch die massenkommunikative Neuorientierung der konservativen Politikdiskurse und zirkulierte nach der Revolution von 1848 mit unzähligen Publikationen und in über 300 Vereinen mit 60.000 Mitgliedern.173 Die Rechristianisierung der preußischen Machtdiskurse markierte eine deutliche Separation von den aufklärungsfreundlichen Säkularisierungsimpulsen des Ancien Régime. Im offenen Gegensatz zu Friedrich Wilhelm III. und seinem Nachfolger hinterließ Friedrich II. mit den politischen Testamenten von 1752 und 1768 eine plastische Schilderung seiner „Gleichgültigkeit“ gegenüber der Religion: „Es ist sehr gleichgültig für die Politik, ob ein Souverän Religion hat oder nicht. Alle Religionen sind, wenn man sie betrachtet, auf ein mythisches System gegründet, mehr oder wenig absurd.“174 Eine ostentative Frömmigkeit und die systematische Wiederholung kirchlich-religiöser Rituale prägten auch die Selbstdeutung und öffentliche Inszenierung der piemontesischen Monarchie. Unter dem vermeintlich reformbereiten König Karl Albert erreichte die politische und kulturelle Relevanz der Religion ihren Höhepunkt.175 Die Sprache und die symbolische Macht der religiösen Politik reproduzierten altvertraute Semantiken und Suggestionen, die dem ostentativ frommen und asketischen Lebensstil sowie den streng legitimistischen Ordnungsideen des piemontesischen Königs entsprachen.176 Die konservativen Inszenierungs- und Sinnstiftungsmechanismen
171 PPS (Bd. 3), S. 15. Vgl. auch Wolf Nitschke, Adolf Graf von Arnim-Boitzenburg (1803–1868). Eine politische Biographie, Berlin 2004, S. 118. 172 PPS (Bd. 3), S. 17. 173 Schwentker, Vereine, S. 337. 174 Friedrich II., Testament politique (1752). In: Testamente der Hohenzollern, S. 315. 175 Vgl. Pierangelo Gentile, Le pratiche devozionali alla corte di Carlo Alberto di Savoia. In: Studi Piemontesi 38 (2009), S. 173–181. 176 Vgl. Marziano Brignoli, Carlo Alberto ultimo re di Sardegna 1798–1849, Mailand 2007, S. 168.
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der piemontesischen Hofgesellschaft prägten nach wie vor auch die Sozialisierung, die Ausbildung und die Erfahrungswelt der traditionellen Eliten. Tägliche Gottesdienste, kollektive Gebete, fromme und theologische Lektüren gehörten zum privaten und beruflichen Alltag sowohl für die erzkonservativen als auch für die reformbereiten Adelsfamilien.177 Im Sinne der Entsäkularisierung setzte sich Ottavio Thaon di Revel noch am 2. Mai 1851 im Abgeordnetenhaus für die Beibehaltung des obligatorischen Gottesdienstes ein, den die piemontesischen Richter täglich vor Dienstantritt besuchen mussten.178 Bis in die 1840er Jahre hinein nahm in der piemontesischen Hauptstadt die kulturelle und symbolische Bedeutung der Religion und der Religiosität kontinuierlich zu. Diese Entwicklung betraf nicht nur die konservativen Machtdiskurse, sondern charakterisierte auch die Sozialisierung und Glaubenserfahrung der breiten Öffentlichkeit. Seit 1814 zirkulierten in Turin immer mehr fromme und theologische Publikationen sowie sakrale Illustrationen, religiöse Darstellungen und Devotionalien, die für ein breites Publikum konzipiert waren.179 Parallel dazu stieg auch die Anzahl der Priester, der neu erbauten Kirchen, der katholischen Bruderschaften, der christlichen Orden und Wohlfahrtsstiftungen sowie der Schüler, die in religiösen Instituten erzogen wurden. Die religiöse Politik trug entscheidend dazu bei, dass die Konservativen neben den repressiven Barrieren auch positive Orientierungskonzepte und empathische Wertvorstellungen gegen die liberalen Reformbemühungen kommunizierten. Nach der Revolution von 1848 wurden die politischen Transformationen weiter von den traditionellen Eliten mitbestimmt, weil diese wegen ihrer patriotischen und legitimistischen Kontinuitätsvorstellungen konservative Methoden, Normen und Mentalitäten mit liberalen Partizipations- und Legitimationstheorien glaubwürdig kombinierten. Um die kulturellen und normativen Säkularisierungs- und Rechristianisierungsimpulse zu verarbeiten, verwendete die politische Funktionalisierung von Religion und Religiosität innovative Kommunikationsformen und populäre Inhalte.180 Die Semantiken und Argumentationsfiguren der religiösen Politik dürften ein breites politisches Publikum überzeugt haben, weil sie bereits existierende Erfahrungsdeutungen und Suggestionen reaktivierten. Um 1850 trat die konservative Publizistik explizit für die religiöse Politik ein und wurde von massenhaft produzierten literarischen Bestsellern mit implizit-kulturellen Sinnstiftungsmechanismen flankiert. Über die konfessionellen Unterschiede hinweg inspirierten die empathische Sprache und die repetitiven Topoi der religiösen Politik die antirevolutionäre Demobilisie-
177 Vgl. Sabina Cerato, Vita privata della nobiltà piemontese. Gli Alfieri e gli Azeglio 1730–1897, Turin 2006, S. 23. 178 Vgl. APS Discussioni – Sessione del 1851 (Bd. 4), S. 841. 179 Vgl. Stella, Cultura, S. 504–508. 180 Vgl. Dittmer, Reich, S. 344–350.
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rung der breiten Öffentlichkeit, die zu einem obrigkeits- und gottesfürchtigen Leben gebracht werden sollte. In ihrem populären Familienroman Doralice (1861) beschrieb die katholische Schriftstellerin Ida Hahn das „übernatürliche Reich, im welchem hienieden Gott wohnt und waltet“.181 In Anlehnung an die christlich-konservative Presse plädierte die Autorin für die „Ausbreitung des Reiches Gottes auf Erde“ und vermittelte damit eine deutliche politische Aussage.182 Im 19. Jahrhundert tradierte die Suggestion des „Reich Gottes“ eine tief internalisierte Glaubenserfahrung, die die „modernen“ Politikdiskurse emotionalisierte und einem breiten Publikum nahebrachte. Ausgehend von theologischen und kirchlichen Texten erhielt die Idee des übernatürlichen Reichs auch in massenhaft rezipierten literarischen Bestsellern, in der boomenden Presse, in den öffentlichen Debatten sowie in den privaten Lebensräumen eine politikmächtige Resonanz.183 Auch das restriktive Bildungssystem leistete einen entscheidenden Beitrag, um die christlich-konservativen Wertorientierungen und Ordnungsideen der Restaurationsideologie als attraktiven Gegenentwurf zu den liberalen und demokratischen Reformbemühungen zu kommunizieren. Trotz der kontinuierlich sinkenden Analphabetismusrate, der eingeführten Schulpflicht und den konstitutionellen Reformen von 1848 wurde die traditionelle Bildungsbegrenzungspolitik sowohl in Preußen als auch in Piemont grundsätzlich nicht revidiert.184 Diese restriktive Bildungspolitik hatte zur Folge, dass das Schulprogramm für die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung nur einen sehr beschränkten und selektiven Elementarunterricht vorsah und konservative Paradigmen reproduzierte.185 Wenngleich das Schulprogramm für die Eliten enorm umfangreicher und anspruchsvoller als der allgemeine Elementarunterricht war, dominierte die religiöse Politik auch in Internaten und Gymnasien. Der Real Collegio von Moncalieri wurde für die Erziehung der piemontesischen Eliten gegründet und stellte die katholische Tradition explizit und überdeutlich ins Zentrum seines konservativen Sozialisierungs- und Bildungsprogramms. In der Schulordnung von 1838 setzte sich das exklusive Internat zum Ziel, die „coscienza del buon cattolico“ zu unterrichten und damit zu veranlassen, dass die dort ausgebildeten Eliten das „interesse della Chiesa cattolica e della religione sempre […] prima
181 Ida von Hahn, Doralice. Ein Familiengemälde aus der Gegenwart (Bd. 1), Mainz 1861, S. 260. 182 Hahn, Doralice, S. 260. 183 Dittmer, Reich, S. 2. 184 Zur Schulpflichtdurchsetzung im Spannungsfeld von staatlicher Bildungsbegrenzungspolitik, Alphabetisierung und Emanzipationsstreben vgl. Frank-Michael Kuhlemann, Modernisierung und Disziplinierung. Sozialgeschichte des preußischen Volksschulwesens 1794–1872, Göttingen 1992, S. 67–76, 107–134 und 210–235. Ein Überblick zum preußischen Schulsystem und zur Bildungspolitik: Hinrichs, Staat, S. 510–533. 185 Vgl. Frie, Marwitz, S. 84. Vor allem zwischen 1840 und 1870 gewann die konfessionelle Theologie einen erheblichen Einfluss auf den Religions- und Geschichtsunterricht in den preußischen Schulen. Vgl. Schnurr, Weltreiche, S. 191.
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di ogni altra istanza“ berücksichtigten.186 Im Gegensatz zur Bildungsbegrenzungspolitik, die einen restriktiven Elementarunterricht ohne weitere intellektuelle Impulse perpetuierte, beabsichtigten die Eliteschulen nicht eine passive Übernahme der religiösen Politik, sondern versuchten vielmehr, den zukünftigen Führungsschichten die „selbstständige Auseinandersetzung mit dem Wort Gottes“ beizubringen.187 Zum einen wurden biblische Semantiken und theologische Paradigmen „umstandslos in die Gegenwart versetzt“ und als „Handlungsanweisung“ verstanden.188 Zum anderen wirkten sie als produktive Selbstbeschreibungs- und Deutungsoptionen, die die preußischen und piemontesischen Eliten immer wieder neu bewerteten und situationsadäquat instrumentalisierten. Die nachhaltige Ausstrahlungskraft der religiösen Politik basierte auf einer heterogenen Konstellation aus monarchischen Inszenierungsstrategien, kirchlichen Ritualen, Frömmigkeitspraktiken, Schulprogrammen sowie politischen und literarischen Bestsellern. Auch sehr populäre Kantaten wie Der Herr ist König von Georg Philipp Telemann und Gott der Herr ist Sohn und Schild von Johann Sebastian Bach vermittelten die Suggestion des „Königreich Gottes“ und konsolidierten die kulturellen Voraussetzungen für die politische Funktionalisierung der Religion.189 Neben unzähligen Hirtenbriefen und sehr populären Predigten wurden im 19. Jahrhundert auch alte theologische Schriften wie die Paulinischen Briefe und De civitate Dei neu entdeckt und europaweit intensiv diskutiert.190 Sie trugen dazu bei, die schroff antisäkulare These der „Vermengung“ von „irdischem Staat“ und „Königreich Gottes“ zu untermauern.191 Das „Nebeneinander von Weltstaat und Gottesstaat“ generierte eine politischtheologische Doppelkonstruktion, die die Überordnung des „himmlischen Staats“ über das „irdische Reich“ suggerierte.192 Die Paulinischen Briefe waren besonders geeignet, um die semantischen und ideologischen Bestimmungsmuster der Restaurationsideologie zu visualisieren. Diese fiktiven Briefe plädierten unmissverständlich
186 Zit. nach Simonetta Tabboni, Il Real Collegio Carlo Alberto di Moncalieri. Un caso di socializzazione della classe dirigente italiana dell’800, Mailand 1984, S. 87. 187 Frie, Marwitz, S. 85. 188 Frie, Marwitz, S. 86. 189 Vgl. TWV 8: 6 und BWV 79. 190 Um 1850 erschienen sowohl in Deutschland als auch in Italien zahlreiche Editionen und Neuauflagen des Gottesstaats von Augustinus. Vgl. Aurelius Augustinus, Sancti Aurelii Augustini Hipponensis Episcopi De civitate dei, Köln 1850. Weitere Editionen erschienen in Leipzig 1863, 1867, 1877 und in Nürnberg 1862. Die meistverbreitete Ausgabe von Civitate dei in Italien kam unter dem Titel Della città di Dio 1853 in Turin heraus. Weitere Editionen dieses theologischen Standardwerkes erschienen in Rom (1844), Mailand (1847) und Neapel (1854). 191 Anhand einer ausführlichen historisch-theologischen Entstehungsgeschichte vom Welt- und Gottesstaat postulierte Augustinus, dass der „irdische und himmlische Staat […] ineinander verwirrt und vermengt sind.“ Vgl. Augustinus, Vom Gottesstaat (Buch 8), München 2007, S. 418–516. 192 Augustinus, Vom Gottesstaat (Buch 11), S. 4.
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für eine legalistische und antirevolutionäre Grundhaltung, weil die guten Christen die „Gewalt der Obrigkeit“ respektierten und „untertan und gehorsam“ waren.193 Das Bürgerrecht gehörte ausschließlich zum „unerschütterliche[n] Reich“ im Himmel und konnte mit „irdischen“ Revolutionen oder politischen Reformen nicht erreicht werden.194 Auch die omnipräsente Bibelübersetzung von Martin Luther bestätigte die Doppelkonstruktion von Paulus und Augustinus, indem sie die Begriffe „HERR“, König und Reich immer wieder assoziierte: „Der HERR ist König und herrlich geschmückt; der HERR ist geschmückt und hat ein Reich angefangen, soweit die Welt ist, und zugerichtet, daß es bleiben soll“.195 Ausgehend von den theologischen Schriften von Paulus, Augustinus und Martin Luther aktualisierten einflussreiche konservative Politiker und Intellektuelle wie Ludwig von Gerlach und Heinrich Leo das Ideal des christlichen Staats und konstruierten dadurch eine politische Deutungs- und Argumentationsstrategie.196 Nach der Revolution gewann die religiöse Politik auch auf katholischer Seite wieder die Oberhand gegen die reformbereiten Ideen liberaler Theologen wie Félicité de Lamennais, Vincenzo Gioberti, Antonio Rosmini-Serbati und Ignaz von Döllinger.197 Im Jahr 1849 distanzierte sich Pius IX. zusammen mit der römischen Kurie, den Jesuiten und der überwiegenden Mehrheit der europäischen Bischöfe endgültig von den neoguelfischen Sympathien und dem illusorischen Reformenthusiasmus von 1846.198 Erneut wie unter Papst Gregor XVI. agitierten die transnationalen Kirchennetzwerke gegen die liberalen Modernisierungsbemühungen. Während des neapolitanischen Exils und nach der Restauration seiner weltlichen Autorität in Rom bemühte sich Pius IX. noch systematischer als seine Vorgänger, eine antiliberale und
193 Paulinische Briefe 3, 19 (Philipper) und 3, 1 (Titus). 194 Paulinische Briefe 12, 28 (Hebräer). 195 Lutherbibel 1545, Ps. 93, 1. Vgl. auch Ps. 97, 1 („Der HERR ist König, des freue sich das Erdreich“) und Ps. 99, 1 („Der HERR ist König, darum zittern die Völker“). 196 Vgl. Ludwig von Gerlach, Rede am 6.5.1853 (ZK 3,1, Bd. 3, S. 1379f). Ferner Leo, Münzer, S. 4; Leo, Nominalistische Gedankenspäne, Reden und Aufsätze, Halle 1864, S. 13–16. 197 Ausführlich zur Biographie und politischen Philosophie Rosminis (1797–1855) vgl. Liermann, Rosmini, S. 26–76. Der Theologe war ein „weltzugewandter politischer Geist“ und galt als „kirchentreuer Kirchenkritiker“ (Liermann, Rosmini, S. 12). 198 Das Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes (1870) sowie die Verkündigung der unbefleckten Empfängnis Mariens (1854) und der Syllabus errorum (1864) bildeten auch in Deutschland die kirchlichtheologischen Grundlagen für den Sieg „des intransigenten Ultramontanismus, der Richtung also, die die Kirche zentralistisch und absolutistisch auf Rom und den Papst, auf Scholastik und Gegenreformation ausrichten, klerikalisieren und aggressiv von aller Moderne abgrenzen wollte.“ Nipperdey, Geschichte, S. 428. Als Pius IX. im Jahr 1849 mit der Enzyklika Ubi primum nullis die Radikalisierung seiner ideologischen und politischen Position verkündete, erklärten sich 546 von insgesamt 603 katholischen Bischöfen mit dem reaktionären Grundton des Papstes einverstanden. Vgl. Roberto De Mattei, Pio IX e la rivoluzione italiana, Siena 2012, S. 126. Auf die Verfassung des Syllabus und die Verkündigung des Unfehlbarkeitsdogmas hatten die Jesuiten einen erheblichen Einfluss. Vgl. Peter C. Hartmann, Die Jesuiten, München 2001, S. 98.
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Risorgimento-feindliche Meinungsmobilisierung hervorzurufen. Die transnationalen Intrigen der römischen Kurie nahmen vor allem die piemontesischen Moderati ins Visier und versuchten, eine europäische Solidarität für den bewaffneten Legitimismus und die „schwarze Internationale“ zu organisieren.199 In den 1850er und 1860er Jahren akzentuierte Pius IX. seine Enzykliken mit einer ungewöhnlich aggressiven und explizit politischen Sprache gegen die „größten Irrtümer der Gegenwart“.200 Bereits in seinem Rundschreiben an die katholischen Bischöfe Ubi primum nullis (1849) motivierte er die bevorstehende Verkündigung der Unbefleckten Empfängnis (1854) mit einem deutlich politischen Argument. Dabei instrumentalisierte der Papst die populären Traditionen des Marienkults und lancierte ein programmatisches antisäkulares Manifest gegen die Revolution und die liberalen Reformbemühungen: Ci appoggiamo soprattutto sulla speranza che la Beatissima Vergine […] – Ella che tutta soave e piena di grazia liberò sempre il popolo cristiano da ogni sorta di gravissimi percoli, dalle insidie e dall’assalto di tutti i nemici, salvandolo dalla rovina – vorrà col suo tempestivo e potentissimo patrocinio presso Dio riguardando compassionevole […] le tristissime e luttuosissime nostre vicissitudini e acerbissime angustie e travagli, allontanare i flagelli dell’ira divina.201
Seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert dominierte in Italien das Thema der Überwindung von Rückständigkeit durch Modernisierung. Damit wurde der Begriff Moderne überwiegend mit positiven Inhalten besetzt. Im schroffen Gegensatz dazu machte der Ultramontanismus des Vatikans das Adjektiv modern zum „Inbegriff alles Negativen“.202 Diese Position erreichte mit der Allokution Iandum cernimus (1861) und dem Syllabus errorum (1864) ihren Höhepunkt und wurde bis zum Antimodernisteneid von 1919 fortgesetzt. Die aktive Unterstützung der konservativen Meinungsmobilisierung und die dramatische Zuspitzung der religiösen Politik, die mit der dogmatischen Festlegung des Marienkults und mit dem Syllabus kulminierten, motivierten immer mehr katholische Theologen und Prälaten, gegen die Irrtümer der Gegenwart öffentlich zu protestieren. Nach 1848 wurden die Dogmen und Enzykliken der römischen
199 Sarlin, Légitimisme, S. 187. 200 „Die größten Irrtümer der Gegenwart“ wurden im Dezember 1864 mit dem Syllabus complectens praecipuo nostrae aetatis errores in zehn Hauptkategorien vereinfacht eingeordnet und vehement attackiert. Auch die Enzyklika Singulari quadam von 1852 und die Bulle Infeffabili Deus erklärten, dass die Verkündigung der Unbefleckten Empfängnis und die dogmatische Festlegung des Marienkults primär mit politischen Erwartungen und Motiven assoziiert waren. Schließlich bestätigte die Enzyklika Quanta cura von 1864 die erzkonservativen Grundsätze der religiösen Politik, indem sie die katholischen Glaubensparadigmen als ein positives Gegenbild zu den Irrtümern der Gegenwart darstellte. Die Enzyklika und der Syllabus von 1864 polemisierten gegen die liberalen Reformbemühungen und verurteilten explizit die Meinungs-, Religions- und Pressefreiheit. 201 Pius IX., Ubi primum nullis (1849). In: De Mattei, Pio IX, S. 125. 202 Dipper, Moderne, S. 4–5.
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Kurie von unzähligen politischen Pamphleten und Zeitschriften flankiert. Ermutigt von Pius IX. gründeten im Jahr 1850 die Jesuiten Luigi Taparelli d’Azeglio, Carlo Maria Curci und Antonio Bresciani die Zeitschrift Civiltà Cattolica. Das Blatt erreichte bereits 1853 über 13.000 Abonnenten und blieb auch nach 1861 eine der einflussreichsten italienischen Zeitschriften.203 Unter der Leitung des ultrakatholischen Chefredakteurs Louis Veuillot entwickelte sich ebenfalls das französische Journal L’Univers zu einer der europaweit meistgelesenen konservativen Zeitungen. Außerdem wurde die piemontesische Presselandschaft von regionalen ultrakatholischen Publikationen wie Armonia, Campana und Stendardo cattolico entscheidend geprägt.204 Neben Zeitungen und politischen Pamphleten zirkulierten um 1850 auch unzählige politisierte „Katechismen“. Allein der französische Theologe Jean-Joseph Gaume publizierte über 40 Essays und historische Abhandlungen, die mit einer emotionalen und stark ideologisierten Sprache gegen die Revolution und die liberalen Reformen polemisierten. Gaumes Catéchisme de persévérance von 1840 erreichte im Jahr 1880 die zwölfte Auflage und wurde, genauso wie seine mehrbändige Geschichte der Revolution, als „Ursprung und Verbreitung des Bösen in Europa“, auch auf Deutsch und Italienisch übersetzt.205 In den 1850er und 1860er Jahren verfasste der Prälat Louis Gaston Adrien de Ségur ebenfalls zahlreiche theologische Schriften und politische Essays, die meistens große Publikumserfolge wurden. Sein Pamphlet La Revolution erschien im Jahr 1861 und erreichte bereits 1878 die 21. Auflage.206 Seit 1849 arbeiteten politische Theologen wie Margotti, Curci und Gaume sowie europaweit erfolgreiche Publizisten wie Juan Donoso Cortés, Emiliano Avogadro della Motta und Louis Veuillot im engen Kontakt mit der römischen Kurie.207 In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden die Paradigmen der religiösen Politik auch auf protestantischer Seite intensiv diskutiert und ständig mit aktuellen politischen Bedeutungen aufgeladen. In Preußen thematisierten prominente evangelische Theologen, Politikphilosophen und Juristen wie Franz Theremin, August Tholuck, Ernst Hengstenberg, Isaak August Dorner, Friedrich Julius Stahl und Karl
203 Della Peruta, Giornalismo, S. 68. 204 Ausführlich dazu: Kap. 1.1.2. 205 Jean-Joseph Gaume, Catéchisme de persévérance ou Exposé historique, dogmatique, moral, liturgique, apologétique, philosophique et social de la religion, Paris 1880. Die deutsche Übersetzung erschien 1852 unter dem Titel Beharrlichkeitskathechismus in Regensburg. Die mehrbändige historische Darstellung La Revolution erschien im Jahr 1856 auch in italienischer und deutscher Übersetzung. Vgl. Jean-Joseph Gaume, La rivoluzione. Ricerche storiche sopra l’origine e la propagazione del male in Europa, Mailand 1856; Gaume, Die Revolution. Historische Untersuchungen über den Ursprung und die Verbreitung des Bösen in Europa, Regensburg 1856. 206 Louis Gaston Adrien de Ségur, La Revolution (21. Aufl.), Paris 1876. 207 Ausführlich dazu: Amerigo Caruso, „La sana politica é sempre d’accordo con la religione“. Cultura politica e reti di relazioni dei cattolici conservatori nel Regno di Sardegna 1847–1860. In: Studi Piemontesi XLIV,1 (2015), S. 15–24.
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Friedrich Göschel die Ideale und Erwartungshorizonte des „christlichen Staats“. Diese heterogene Patrouille von antiliberalen Intellektuellen benutzte die theologischen Orientierungskonzepte von Paulus, Augustinus und Martin Luther, um nach den Revolutionen von 1789 und 1848 die konservative Position zu stärken und zu popularisieren. Ein weiterer Bezugspunkt für die religiöse Politik in Preußen war die monumentale Restauration der Staatswissenschaft, in der Haller die religiös-theologische Suggestion des „Vaterland[es] des Gerechten […] wo göttliches Gesetz gehandhabet“ als politisches Gegenbild zu den revolutionären Ideen entwarf.208 Als im Jahr 1840 Friedrich Julius Stahl auf Wunsch Friedrich Wilhelms IV. auf den Lehrstuhl für Rechtsphilosophie an der Universität in Berlin berufen wurde, arbeitete er verstärkt mit der These der asymmetrischen Doppelkonstruktion von Welt- und Gottesstaat, die Augustinus in De civitate dei aufgestellt hatte. Mit seinem europaweit rezipierten Werk Die Philosophie des Rechts betrachtete Stahl das Königreich Gottes als ein moralisch und politisch übergeordnetes Ordnungsprinzip.209 Im zweiten Band seines politischen Bestsellers postulierte Stahl eine „Christliche Rechts- und Staatslehre“ und beschrieb das „Reich Gottes nicht [als] die zukünftige Welt jenseits der irdischen Zustände, sondern [als] die immer vorhandene Einrichtung des Staats in seiner Architektonik von Vernunftbestimmungen“.210 Nach der Revolution von 1848 unterstützte Stahl die konservative Meinungsmobilisierung, indem er die Gründung der Kreuzzeitung animierte und sich mehrmals als Abgeordneter in die Parlamente in Berlin und Erfurt wählen ließ. Genauso wie seine Parteifreunde Ludwig von Gerlach und Heinrich Leo instrumentalisierte Stahl den Protestantismus als politisches Prinzip.211 Damit untermauerte der konservative Jurist nicht mehr nur eine diffuse moralische Wertorientierung, sondern vermittelte vielmehr eine stringente programmatische Aussage, die eine transzendentale und zugleich praktisch erkennbare Autorität des Staats gegen die liberalen Reformdiskurse imaginierte. Auch in den sehr populären Predigten, in den theologischen Schriften und religiösen Poesien des Berliner Pfarrers Franz Theremin kristallisierte sich das Paradigma des christlichen Staats als ein programmatisches Manifest gegen die liberalen Modernisierungsbemühungen heraus.212 Um 1850 waren das Pamphlet Lehre vom göttlichen Reiche, die pathetische Liedersammlung Abendstunde und vor allem die mehrbändige Edition von Theremins Predigten nach wie vor große Publikums-
208 Haller, Restauration (Bd. 1), S. 417. 209 Die mehrbändige Philosophie des Rechts erschien im Jahr 1837 und wurde bis 1878 in Deutschland fünfmal neu aufgelegt. In Italien arbeitete der genuesische Jurist Pietro Torre an die Übersetzung dieser monumentalen Studie, die der piemontesische Verlag Favale im Jahr 1853 unter dem Titel Storia della filosofia del diritto veröffentlichte. 210 Friedrich Julius Stahl, Philosophie des Rechts (Bd. 2, Teil 1), Heidelberg 1854, S. 50. 211 Vgl. Stahl, Protestantismus, S.11 212 Vgl. Franz Theremin, Die Lehre vom göttlichen Reiche, Berlin 1823.
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erfolge.213 Ähnlich wie Augustinus, Haller und Stahl postulierte auch Theremin die „enge Verbindung von religiösem und säkularem Bereich, von christlicher Religion und Welt, und zwar unter der Führung der Religion, genauerhin der Reich-GottesIdee“.214 Diese plastische Schilderung der religiösen Politik charakterisierte auch die akademischen Studien und die publizistischen Aktivitäten von weiteren einflussreichen Theologieprofessoren der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin. Dazu zählten Theremins jüngere Kollegen Isaak August Dorner und Ernst Wilhelm Hengstenberg. Wie die meisten konservativen Publizisten und Intellektuellen betrachteten auch Dorner und Hengstenberg die theologische Reich-Gottes-Idee als das höchste Gut für die „irdische“ Politik und den Endzweck der staatlichen Institutionen.215 In den 1840er und 1850er Jahren spielte Hengstenberg auch als Herausgeber der vielgelesenen Evangelischen Kirchenzeitung eine wichtige politische Rolle. Der konservative Theologe bewegte sich zwischen dem orthodoxen Luthertum und den pietistischen Erweckungskreisen und engagierte sich zusammen mit führenden Politikern und Publizisten wie Ludwig von Gerlach, Heinrich Leo, Friedrich Julius Stahl und Karl Friedrich Göschel für die gegensäkularen und antihegelianischen Paradigmen der religiösen Politik.216 Um 1850 generierte die Reich-Gottes-Idee ein zentrales politisches Orientierungskonzept, das die konservativen Netzwerke um Stahl, Gerlach und Hengstenberg reorganisierte und einen „Alles umfassenden und unvergänglichen Organismus“ gegen den liberalen Verfassungs- und Nationsdiskurs vereinfacht kommunizierte.217 Neben den zahlreichen konservativen Theologen, Juristen und Politikphilosophen, die mit dem Begriff „Reich Gottes“ ein programmatisches Manifest gegen die Revolution entwarfen, trugen auch die vielgelesenen literarischen Texte von romantischen Intellektuellen wie Friedrich Schleiermacher und Novalis dazu bei, die starke Präsenz von religiösen Semantiken und Sinnkonstruktionen zu perpetuieren. Nach den schweren nachrevolutionären Krisen um 1800 betrachteten viele deutsche Romantiker die christliche Tradition als den „besten und geeignetsten Ausdruck für die innere Kraft“, die die Überwindung des repressiven Obskurantismus durch eine
213 Im Jahr 1851 erschien die vierte Auflage der mehrbändigen Edition Das Kreuz Christi, die die Predigten von Franz Theremin wieder veröffentlichte. Die vierte Auflage von Abendstunden kam ebenfalls in Berlin 1852 heraus. 214 Dittmer, Reich, S. 54. 215 Dittmer, Reich, S. 153 und 179. 216 Bereits im Jahr 1846 veröffentlichte Gerlach eine lange Artikelreihe über das ideologische und politische Programm der „Partei der Evangelischen Kirchenzeitung“. Vgl. Ludwig von Gerlach, Die Partei der Evangelischen Kirchenzeitung. In: EKZ 15, 16, 18, 19, 30, 31 und 32 (1846). 217 Für die Partei der Evangelischen Kirchenzeitung galt das Reich Gottes als „der Alles umfassende und unvergängliche Organismus“, der über den Staat und die Kirche dominierte. Vgl. Dittmer, Reich, S. 163. Ferner Schmalenbach, Hengstenberg, S. 427.
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positive Rückbesinnung auf „Bindung und Harmonie“ ermöglichte.218 Die kulturellen und moralischen Gegenentwürfe zur Revolution und napoleonischen Herrschaft, die sich die deutschen Intellektuellen anhand der Suggestion eines „weiten geistlichen Reichs“ vorstellten, kulminierten in Novalis „poetischen Predigen“ über die „Religion in historischer und Geschichte in religiöser Sicht“.219 In Zeiten krisenhafter Umbrüche erwiesen sich die romantischen Vorstellungen der religiösen Politik als ein besonders attraktives Refugium, um die politischen und sozialen Transformationen mit vereinfachten und repetitiven Erklärungsmustern zu bewältigen. Der Begriff „Reich Gottes“ evozierte ein breites Spektrum an tief internalisierten Erfahrungen und Emotionen, die nach der neuen revolutionären Erschütterung nach 1848 von vielen konservativen Politikern und Intellektuellen reaktiviert wurden. Preußische Publizisten wie Constantin Frantz und Ludwig von Gerlach bezogen sich auf die Suggestion des „Reichs des Heiligen Geistes“, um sowohl das kleindeutsche Unionsprojekt von Radowitz als auch Bismarcks Realpolitik zu diskreditieren.220 Nach 1848 arbeitete Ludwig von Gerlach weiter als Appellationsgerichtspräsident in Magdeburg, widmete sich jedoch primär der publizistischen und parlamentarischen Opposition gegen die liberalen Reformbestrebungen und die Nationalbewegung. Zwischen 1848 und 1874 veröffentlichte er über 100 Artikel für die Evangelische Kirchenzeitung und die Kreuzzeitung sowie 46 längere Essays. Ausgehend von einer antihegelianischen Position und mit den eschatologischen Paradigmen der religiösen Politik formulierte Gerlach seine Skepsis gegen die Idee des Nationalstaats als Telos. Um dieses „Machwerk der Menschen“ zu relativieren, plädierte er für eine „enge Verbindung von Kirche und Staat“ und für die von oben eingesetzte „christliche Obrigkeit“.221 Dabei betrachtete Gerlach auch die „Herstellung und Verklärung der Nationalitäten“ als das „Werk des Christentums“ und stellte lapidar fest, dass die Nationalitäten mit liberaldemokratischen Partizipations- und Legitimationsprozessen durchaus inkompatibel waren.222 Vor allem nach 1848 bildete die religiöse Politik eine produktive Selbstbeschreibungsstrategie, um das politische Rechtfertigungsnarrativ der preußischen Konservativen mit Deutungsoptionen zu definieren, die über das traditionelle Dienstethos und den monarchischen Herrscherkult hinausgingen. In diesem Sinne distanzierte sich Gerlach demonstrativ von der preußischen Verfassungs- und Nationalstaatspolitik, indem er sich als „Genosse des Reiches Gottes“ bezeichnete.223 Der konservative
218 Gerhard Schulz, Novalis Werke (Studienausgabe), München 1981, S. 804. 219 Schulz, Novalis, S. 800. 220 Costantin Frantz an Richard Wagner am 26.1.1866. In: Frantz, Briefe, S. 41. Ferner Ludwig von Gerlach, RS Michaelis 1854. In: Fünf Quartalrundschauen, S. 12. 221 Ludwig von Gerlach, Neues Luthertum (unveröffentlichter Essay). In: Diwald, Revolution, S. 776. 222 Gerlach, Aufzeichnungen (Bd. 1), S. 397. 223 Ludwig von Gerlach an Moritz August von Bethmann-Hollweg am 8.4.1855. In: Diwald, Revolution, S. 875.
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Politiker kritisierte die „jämmerlich zerrissene Nation“, die mit Bismarcks Realpolitik entstand, und pries als Gegenentwurf dazu das „Königreich Christi“ als das „glänzend siegende Kreuz-Reich“ an.224 Nach der Reichsgründung von 1871 resümierte Gerlach, dass „Preußen und Deutschland […] tief unter dem Reiche Gottes“ standen und vertrat diese „unpatriotische“ Position auch in der Öffentlichkeit.225 Als der überzeugte Lutheraner im Jahr 1873 mit der Unterstützung der Zentrumspartei wieder ins preußische Abgeordnetenhaus gewählt wurde, benutzte er nach wie vor diese resolute Argumentationsstrategie gegen den neuen Nationalstaat. Der konservative Politiker legitimierte seine unnachgiebige Opposition gegen die realpolitische Reichsgründung, indem er die Selbstbeschreibung als „Genosse des Reiches Gottes“ und die religiöse Politik mit den traditionellen Paradigmen von Königstreue und Dienstethos kombinierte: Ich bin ein Preuße durch und durch; ich bin ein Brandenburger, also gewissermaßen ein Preuße erster Klasse, ein Berliner, ich bin in Seiner Majestät Dienst über fünfzig Jahre, also nach allen meinen äußeren Lebensbeziehungen nichts anderes als ein Preuße, aber dennoch muß ich sagen, daß Preußen und Deutschland mir tief unter dem Reiche Gottes stehen, welches mir als ewiges himmlisches Vaterland […] unendlich höher steht als Berlin, als Brandenburg, als Preußen, als Deutschland.226
In den 1860er und 1870er Jahren trieb Gerlach die politische Funktionalisierung religiös-theologischer Semantiken und Deutungsmuster weiter voran. Die Bewältigung destabilisierender Transformationskrisen mit der „Rückbesinnung auf die christlichen Werte und durch die Behauptung ihrer Relevanz“ bildete über die konfessionellen Barrieren hinweg eine politikmächtige Selbstbehauptungsstrategie.227 Die preußischen und die piemontesischen Konservativen reagierten auf die Nationalstaatsgründung mit einer Verschiebung ihrer politischen Selbstbeschreibung und ideologischen Selbstverortung von dem traditionellen Dienstethos und dem monarchischen Patriotismus hin zum „ewigen himmlischen Vaterland“. Diese instrumentale Identitäts- und Loyalitätsverschiebung reaktivierte die Dichotomie von wahrem und falschem Patriotismus sowie auch die eschatologische Doppelkonstruktion von Welt- und Himmelreich, die nachhaltig rezipierte Texte wie Augustinus De civitate dei und Hallers Restauration entwarfen. Seit 1848 etablierte sich das emotionalisierte Orientierungskonzept des „Himmelreichs“ als eine bewusst überspitzte politische Argumentationsstrategie, um die
224 Gerlach, Aufzeichnungen (Bd. 2), S. 249. 225 Ludwig von Gerlach, Fünf Reden des Appellationsgerichts-Präsidenten von Gerlach, Berlin 1873, S. 14. 226 Ludwig von Gerlach, Rede am 20.1.1873 (AH 11. Leg, Bd. 3,1 S. 654–662). 227 Gramley, Propheten, S. 71. Sowohl die preußischen Konservativen als auch die süddeutschen Katholiken rechtfertigten ihre politische Haltung, indem sie die polyvalente Selbstdeutung von wahren Christen und wahren Patrioten verwendeten. Vgl. Heinemann, Stadt, S. 348–375.
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konservative Opposition gegen die liberalen Legitimationstheorien und den teleologischen Nationalstaatsglauben fortzusetzen.228 Die konservativen Gegner der Nation distanzierten sich deutlich von den Loyalitätsappellen der Nationalliberalen, indem sie gegen das neue national-patriotische Konstrukt die religiöse Politik als alternative Wahrnehmungs- und Selbstbeschreibungskategorie benutzten. In der krisenhaften Übergangsphase 1840–1870 betrachtete die überwiegende Mehrheit der preußischen und piemontesischen Konservativen die „Obrigkeit von Gottes Gnaden“ als ein „höheres Rechtsprinzip als die Nationalität“.229 Solaro und Gerlach gehörten zu jenen erzkonservativen Politikern, die selbst nach den Nationalstaatsgründungen ihren antisäkularen Modernisierungswiderstand nicht revidierten. Im Gegensatz zu den meisten ihrer früheren Mitstreiter, die die nationale Einigung pragmatisch akzeptierten, überhöhten sie die religiöse Politik zu einem antinationalen Mantra und interpretierten ihre wachsende politische Isolierung im Sinne des christlichen Selbstaufopferungsmythos. Genauso wie die Revolutionäre und die Nationalisten konstruierte auch die Gegenrevolution ihre eigenen politischen Märtyrer. Dazu zählten die konservativen Abgeordneten Auerswald und Lichnowsky, die als „eigentlich zufällige Opfer des Frankfurter Septemberaufstandes“ mit christlichen Pathosformeln und religiösen Ikonographien heroisiert wurden.230 Auch Gerlach profilierte sich als der Paladin „für die höchste Souveränität Seines [Gottes] heiligen Willens“.231 Dabei illustrierte er seine unnachgiebige Opposition
228 Zwischen 1840 und 1870 verwendete Gerlach der Begriff „Königreich Gottes“ in unzähligen Publikationen, Vorträgen, parlamentarischen Reden und Briefen. Vgl. Ludwig von Gerlach, Rede am 1.10.1849 (EK Bd. 2, S. 939–942); am 30.3.1852 (EK 2,2, Bd. 2, S. 878); am 20.1.1873 (AH 11. Leg, Bd. 3,1 S. 654–662); am 7.2.1873 (AH 11. Leg, Bd. 3,2, S. 932); am 20.3.1873 (AH 11. Leg, Bd. 3,3, S. 1773–1778); am 9.5.1874 (AH 12. Leg, Bd. 1,2, S. 1589–1591); am 16.3.1875 (AH 12. Leg, Bd. 2,2, S. 839); am 9.5.1876 (AH 12. Leg, Bd. 3,2, S. 1280–1287). Darüber hinaus wiederholte Gerlach dieselbe Argumentationsstrategie auch in seinen Rundschauartikeln für die NPZ vom September, November, Dezember 1848, Januar 1849 sowie vom September und Dezember 1849. Außerdem formulierte er das politikmächtige Konzept vom Himmelreich auch in einem Artikel für die EKZ am 11.5.1861. In: EKZ 38 (1861). Weiter kam der Begriff Königreich Gottes in sechs politischen Pamphleten mehrmals zum Ausdruck. Vgl. Gerlach, Das Königreich Gottes, Berlin 1864, S. 3, 8, 10–14 und 25; Gerlach, Freiheits-Tendenzen, S. 8, 14–16, 32; Gerlach, Krieg, S. 3; Gerlach, Das neue Deutsche Reich, Berlin 1871, S. 15, 18, 33; Gerlach, Kaiser und Papst, Berlin 1872, S. 10–12, 38; Gerlach, Die Civilehe und der Reichskanzler, Berlin 1874, S. 11. Schließlich verwendete Gerlach zwischen 1840 und 1870 den Begriff „Reich Gottes“ im politischen Sinne auch in seinen Briefen und Tagesbucheintragungen. Vgl. Diwald, Revolution, S. 468–470 und 785. Ferner Kraus, Gerlach, S. 236, 288, 819, 843 und 908. Auch in seinen privaten Aufzeichnungen zitierte Gerlach immer wieder empathische Bibelpassagen und theologische Orientierungskonzepte, um die religiöse Politik gegen die Suggestion des Nationalstaats als Telos zu konsolidieren. Vgl. Gerlach, Aufzeichnungen (Bd. 2), S. 263, 377, 393–396 und 404. 229 Ludwig von Gerlach, Rede am 15.4.1850. In: Erfurt, S. 148–150. Ferner Gerlach, Kaiser, S. 39. 230 Brückmann, Ermordung, S. 143. 231 Ludwig von Gerlach an Adolf von Thadden am 23.6.1866. In: Diwald, Revolution, S. 1311. Ferner Gerlach an Carl Ludwig von Haller am 28.10.1849. In: Diwald, Revolution, S. 645.
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gegen die neugegründeten Nationalstaaten mit dem christlichen Martyrium-Topos: „Der Sohn Gottes ist gekreuzigt worden, weil er im Reiche des Kaisers ein Königreich gründete.“232 Der intransigente Grundton der unzähligen Zeitungsartikel, Pamphlete und Vorträge, die Ludwig von Gerlach nach 1848 produzierte, leistete einen entscheidenden Beitrag, um die Rechristianisierung als eine vereinfachte politische Lösung gegen den „Geist der Revolution“ zu formulieren. Mit einer skandalisierenden und repetitiven Sprache transferierte Gerlach die semantischen Bestimmungsmuster der Restaurationsideologie auf die zunehmend dynamisierten politischen Arenen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Er fand dadurch eine lapidare Argumentationsstrategie gegen die liberalen Partizipations- und Legitimationstheorien. Mit seinen Rundschauartikeln für die Kreuzzeitung stigmatisierte Gerlach bereits im Juli 1848 die „eigenthümliche Tendenz dieser Zeit, die Nationalität an die Spitze aller Rechtsideen zu stellen und als Basis neuer Staatenbildung“ zu etablieren.233 Ausgehend von dieser plastischen Darstellung der Motive seiner strikten Ablehnung des modernen Nationalismus konstatierte der preußische Publizist, dass die Nationalitäten immer „aus einer Obrigkeit“ oder „aus einem Herrscher“ entstanden und die Nation als „sekundärer Begriff“ keineswegs das „oberste Prinzip der Staatsbildung“ sanktionierte.234 Die mystische Suggestion der „Höheren Einheit“ als politischer Gegenentwurf zu den nationalen Einheitsbestrebungen wurde bereits um 1800 von De Maistre und Haller lanciert. Die zwei prominenten Chefideologen der antirevolutionären Meinungsmobilisierung proklamierten, dass sich die Nationen von oben formierten und die „zerstreute Menge von Menschen“ nur durch die Autorität der legitimen Dynastie eine Einheit gewann.235 Gerlach reaktivierte den legitimistischen Duktus der Nation von oben und das eschatologische Ideal der „Höheren Einheit“, um nach 1848 gegen den „einseitigen und prahlerischen Patriotismus“ der liberalen Nationalbewegung zu opponierten.236 Vor diesem Hintergrund rechtfertigte er seine schroffe Ablehnung der kleindeutschen Einigung unter preußischer Führung und befürwortete die Aufrechterhaltung des „Königthums von Gottes Gnade“ als die „heiligste Pflicht“ des Hohenzollernstaats.237 Ausgehend von seiner ostentativen Verankerung im christlich-legitimistischen Restaurationsdiskurs stellte Gerlach lapidar fest, dass die „nationalsten und dauerhaftesten aller Nationen“ von Gott gegründet und von den Monarchen als „Erzväter“
232 Ludwig von Gerlach, Rede am 20.3.1873 (AH 11. Leg, Bd. 3,3, S. 1773–1778). 233 Ludwig von Gerlach, RS Juli 1848. In: Rundschauen 1849, S. 5. 234 Gerlach, RS Juli 1848, S. 5. Ferner Gerlach, Aufzeichnungen (Bd. 1), S. 72. 235 Haller, Restauration (Bd. 2), S. 70. 236 Ludwig von Gerlach, RS Juli 1848. In: Rundschauen 1849, S. 6. 237 Ludwig von Gerlach, Rede am 7.2.1852 (EK 2,2, Bd. 1, S. 275). Vgl. auch Gerlach, Rede am 15.3.1852 (EK 2,2, Bd. 2, S. 812).
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konsolidiert wurden.238 Damit verurteilte er undifferenziert die „frevelhaften“ Aktivitäten der deutschen Nationalbewegung, die das „widersinnige“ Ziel verfolgten, die „bestehenden Staaten in Nationalitäten aufzulösen“.239 Gerlach revitalisierte bis in die 1860er Jahre hinein die legitimistische Vision der Nation von oben, indem er sich auf die Geschichte des „Volks Abrahams“ und dessen „nationales glänzendes Königreich“ bezog und damit ein positives Gegenbild zum „französischen“ Nationalismus stilisierte.240 Neben diesen biblischen Topoi evozierte Gerlach immer wieder die Metapher des Familienvaters und resümierte, dass „Nationen wie Familien, nie von unten entstehen“, sondern nur von „Stammfürsten, nur Staaten und Obrigkeiten“ kreiert wurden.241 Vor dem Hintergrund seiner demonstrativen Beharrung auf der Restaurationsideologie blieb Gerlach auch in den 1870er Jahren fest davon überzeugt, dass „Religion und Recht höhere Prinzipien als Nationalität und Staatseinheit“ waren.242 Dabei bezeichnete er die Idee, das „abstracte Nationalitätsprinzip […] an die Spitze des Staats- und Völkerrechts“ zu stellen, in dramatischer Weise als einen „wahnsinnige[n] Selbstmord“ Deutschlands.243 Nach der Nationalstaatsgründung war es für die konservativen Ultras noch möglich, mit den Paradigmen der religiösen Politik eine „höhere Gewalt“ über die „pseudo-nationale“ Einheit zu imaginieren.244 Gerlach konkretisierte seine systematische Verurteilung des modernen Nationalismus am Beispiel der „werdenden Preußischen Nationalität“, die „unter väterlichem Regiment“ der Hohenzollern entstehe und insofern mit den liberal-populistischen Massenappellen der Nationalbewegung inkompatibel sei.245 Aufgrund der tief internalisierten Orientierungskonzepte und Suggestionen der religiösen Politik, die der konservative Modernisierungswiderstand über die zwischenkonfessionellen Animositäten hinweg kommunizierte, bekam Gerlach die Chance, in den Reihen der Zentrumspartei politisch aktiv zu bleiben. Um 1870 vertiefte der
238 Ludwig von Gerlach, RS Juli 1848. In: Rundschauen 1849, S. 12–20. Vgl. auch Gerlach, Kirchenregiment, S. 17–19. 239 Ludwig von Gerlach, RS November 1848. In: Rundschauen 1849, S. 60. 240 Vgl. Ludwig von Gerlach, Christentum und Königtum von Gottes Gnade, Berlin 1863, S. 46. 241 Ludwig von Gerlach, RS November 1848. In: Rundschauen 1849, S. 60. Vgl. auch Gerlach, Preußen, S. 34; Gerlach, Königreich, S. 8; Gerlach, Freiheits-Tendenzen, S. 14; Gerlach, Annexionen, S. 34. Ferner Gerlach an Moritz August von Bethmann-Hollweg am 30.8.1864. In: Diwald, Revolution, S. 1200. Zur Entstehung der Metapher Nation-Familie um 1800 vgl. Karen Hagemann, Frauen, Nation und Krieg: Die Bedeutung der antinapoleonischen Kriege für die Bedeutung der Geschlechterordnung. In: 1813 im europäischen Kontext. Hrsg. von Birgit Aschmann u. Thomas Stamm-Kuhlmann, Stuttgart 2015, S. 217–240. 242 Ludwig von Gerlach, Rede am 7.2.1873 (AH 11. Leg, Bd. 3,2, S. 932). Vgl. auch Gerlach, Rede am 16.3.1875 (AH 12. Leg, Bd. 2,2, S. 839). 243 Gerlach, Schleswig-Holstein, S. 5. 244 Ludwig von Gerlach, Rede am 20.1.1873 (AH 11. Leg, Bd. 3,1, S. 654–662). 245 Gerlach, Christentum, S. 10–12. Vgl. auch Gerlach, Freiheit, S. 36; Gerlach, Annexionen, S. 34; Gerlach, Deutschland, S. 14; Gerlach, Reich, S. 35.
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konservative Appellationsgerichtspräsident seine Kontakte mit den führenden Zentrumspolitikern Ludwig Windthorst und Karl Friedrich von Savigny. Gerlach und seine neuen schwarzen Freunde setzten sich als gemeinsames programmatisches Ziel, „das göttliche von oben im Staat nach der Genesis und Haller“ zu vertreten.246 Dabei erwies sich die religiöse Politik als eine überzeugende Argumentationsstrategie, um mit überkonfessionellen Semantiken und Wertorientierungen die konservative Opposition gegen die neuen Nationalstaaten und den eskalierenden Kulturkampf zu reorganisieren. Gerlach, Windthorst und Savigny einigten sich schnell darauf, für die „patriotisch-konservativen und kirchlichen Interessen“ einzutreten und den „Kampf für die höchsten Güter der Gesellschaft“ wieder zu beginnen.247 In Italien wurde die religiöse Politik von den katholischen Kirchennetzwerken programmatisch, organisatorisch und finanziell gefördert und basierte auf einer starken kulturellen Tradition.248 Genauso wie Gerlach und Solaro betonten auch die Jesuiten Antonio Bresciani und Luigi Taparelli d’Azeglio, dass aus katholischer Sicht die Nationalidee den christlichen Identitäts- und Legitimationsgrundlagen untergeordnet war.249 Damit distanzierten sich Taparelli und Bresciani deutlich sowohl von der revolutionären Nationalbewegung als auch vom neoguelfischen Projekt des liberalen Theologen Vincenzo Gioberti. Die Jesuiten betrachteten den politischen und kulturellen Primat der Kirche nicht als Kristallisationspunkt für die nationalliberalen Reform- und Einheitsbestrebungen, sondern umgekehrt als die Rückversicherung für die Aufrechterhaltung des Status quo. Taparelli lehnte die Pluralität der nationalen Einheitsbestrebungen undifferenziert ab, weil er die „unità nazionale formata dalla religione cattolica [als] tanto più perfetta di quella che formar si potrebbe per interesse, per affetto, per ischiatta, per convivenza“ betrachtete.250 Je deutlicher sich die liberale Verfassungs- und Nationalstaatspolitik der piemontesischen Regierung herauskristallisierte, desto stärker verschob auch Antonio Brignole-Sale seine Wahrnehmungs- und Selbstbeschreibungskategorien von dem traditionellen Dienstethos und der monarchischen Loyalität hin zur religiösen Politik. In diesem Sinne stellte er nach der italienischen Nationalstaatsgründung lapidar fest: „Io pongo la religione innanzi alla politica.“251 Seit 1848 hob Brignole seine „Ver-
246 Ludwig Windthorst, TB vom 21.10.1872. In: Kurt Törpner, Ungedrucktes aus der Kulturkampfzeit 1871–1877. Geschichte in der Gegenwart. Festschrift für Kurt Kluxen zu seinem 60. Geburtstag. Hrsg. von Ernst Heinen u. Hans Julius Schoeps, Paderborn 1972, S. 244. Vgl. auch Gerlach an Karl Friedrich von Savigny am 20.3.1871. In: Savigny, Briefe, S. 990. 247 Karl Friedrich von Savigny an Ludwig von Gerlach am 30.6.1871. In: Savigny, Briefe, S. 992. Vgl. auch Gerlach an Savigny am 28.10.1870. In: Savigny, Briefe, S. 979. 248 Ausführlich dazu siehe Kap. 2.1.3. 249 Vgl. Azeglio, Nazionalità, S. 63; Bresciani, Ebreo, S. 48. 250 Azeglio, Nazionalità, S. 69. 251 Vgl. Antonio Brignole-Sale an seine Tochter am 6.11.1861 (ABS – Corr. Fam. – Lettere xix sec. serie 3 – busta 1, nr. 58).
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pflichtung“ für den politischen Primat der Religion immer wieder hervor und formulierte damit eine offene Kritik an dem „ungesunden“ Programm der reformbereiten Moderati.252 Genauso wie Gerlach und Solaro attackierte auch Brignole die italienische Nationalstaatsidee, weil sie die Überordnung des Nationalitätsprinzips über den Legitimismus und die religiös-kirchliche Autorität sanktionierte.253 Über die dramatischen Zäsuren von 1848 und 1861 hinweg generierte die religiöse Politik auch für den piemontesischen Finanzminister Ottavio Thaon di Revel ein wichtiges Selbstbeschreibungs- und Deutungsmuster. Im Gegensatz zu Solaro und Brignole galt die politische Funktionalisierung religiös-theologischer Semantiken und Ordnungsideen für Revel nicht nur als ein pejorativer Gegenentwurf zu den liberalen Reformbemühungen und zur Nationalbewegung. Ausgehend von der religiösen Politik versuchte der machtbewusste Adlige die politischen Transformationen und die wachsende kulturelle Desorientierung zu verarbeiten und entwickelte seine Position pragmatisch weiter. Einerseits arbeitete Revel für eine einheitliche Opposition gegen die regierenden Moderati und betrachtete die katholischen Glaubensprinzipien als den gemeinsamen ideologischen Kanon für die „partito costituzionale conservatore“ und die „partito così detto clericale“.254 Andererseits distanzierte er sich von den Klerikalen, um seine pragmatische Anerkennung des oktroyierten Statuto zu rechtfertigen. Dabei imaginierte Revel eine Kontinuitätslinie zwischen Restaurationsdiskurs, konstitutionellen Reformen und Nationalstaatsgründung. In diesem Sinne bezog er sich auf den ersten Artikel der piemontesischen Verfassung von 1848, der die apostolische und römische Religion als die einzige Staatsreligion betrachtete.255 Am Vorabend der Revolution von 1848 erklärte sich Revel im piemontesischen Staatsministerium bereit, die Oktroyierung des Statuto nur unter der Bedingung zu akzeptieren, dass die neue Verfassung nicht den „Respekt für die Religion“ revidierte.256 Damit war es für den konservativen Politiker möglich, seine Selbstbeschreibung als „cattolicissimo“ zu reproduzieren und gleichzeitig mit den beschleunigten politischen Veränderungen pragmatisch umzugehen.257 Revel betrachtete sowohl die oktroyierte Verfassung als auch später die Nationalstaatsgründung mit tiefer Skepsis. Jedoch fand er mit der religiösen Politik ein Instrumentarium an vertrauten Semanti-
252 Vgl. Antonio Brignole-Sale, Rede am 18.4.1855 und am 25.4.1855 (APS Discussioni Senato – Sessione del 1853/54, 5. Leg., Bd. 8, S. 591 und 657). Ferner Brignole-Sale an seine Tochter am 6.11.1861 (ABS – Corr. Fam. – Lettere xix sec. serie 3 – busta 1, nr. 58). 253 Vgl. Brignole, Savoia, S. 72. 254 Ottavio Thaon di Revel, Rede am 7.2.1853 (APS Discussioni – Sessione del 1852/53, Bd. 6, S. 2395). 255 Ottavio Thaon di Revel, Rede am 26.1.1857 (APS Discussioni – Sessione del 1857, Bd. 3, S. 237). 256 Sitzung des Staatsministeriums am 16.1.1848. In: Lo Statuto Albertino illustrato dai Lavori preparatori, S. 279. 257 Ottavio an Adriano Thaon di Revel am 16.1.1848. In: Genova di Revel, Dal 1847 al 1855. Spedizione di Crimea. Ricordi di un commissario militare del re, Mailand 1891, S. 8.
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ken und moralischen Sinnkonstruktionen, mit denen die politischen und kulturellen Transformationen effektiv eingeordnet werden konnten. Im Gegensatz zu Solaro und Brignole kritisierte Revel die liberalen Reformen, ohne sich mit einem vehementen Protest zu exponieren. Der piemontesische Finanzminister plädierte für eine Veränderung ohne Kontinuitätsbrüche und verteidigte in dem neugegründeten Nationalstaat erfolgreich seine Macht und Reputation zusammen mit der religiösen Politik.258 Am Ende seiner langen politischen Karriere beschäftigte sich Revel fast ausschließlich mit religiös-kirchlichen Themen und beschrieb noch im Jahr 1865 die Religion als „sentimento generale nella nazione“, die nach wie vor „in cima di tutti i doveri“ der italienischen Regierung und der monarchischen Herrschaft stand.259 Mit dieser idealisierten Kontinuitätsvorstellung, die sich mit dem Vokabular der religiösen Politik vollzog, versuchte Revel den dramatischen Konflikt zwischen Nationalstaat und katholischer Kirche zu entschärfen und damit seine multivalente Selbstbeschreibung als „cattolicissimo“ und königstreuer Staatsdiener zu reproduzieren. Die Kombination von aristokratischem Dienstethos, monarchischer Loyalität und religiöser Politik charakterisierte auch den hagiographischen Nachruf, den der konservative Journalist Giorgio Briano nach Revels Tod im Jahr 1868 verfasste.260 Entscheidende Hilfe bei der Bewältigung seines dramatischen Loyalitätskonflikts erhielt Ottavio Thaon di Revel durch seinen jüngeren Bruder Genova, der als Artillerieoffizier begeistert an den Feldzügen von 1859/60 teilnahm und im Jahr 1867 mit der Ernennung zum Kriegsminister den Höhepunkt seiner glänzenden Karriere erreichte. Im Sinne der nationalliberalen Meistererzählung präsentierte Genova di Revel den zweiten Unabhängigkeitskrieg als konsequente Entwicklung der piemontesischen Machterhaltungs- und Expansionspolitik und betonte vor allem, dass die Entscheidungen von Cavour und Viktor Emanuel II. keineswegs gegen das „principio religioso“ verstießen.261 Zur großen Beruhigung seines distanzierten Bruders sendete Genova di Revel immer wieder euphorische Berichte nach Turin, die tendenziös die allgemeine Begeisterung der süditalienischen Bevölkerung und der katholischen Bischöfe für König Viktor Emanuel beschrieben.262 Mit dieser selektiven Wahrnehmung, die nach den Zäsuren von 1848 und 1861 die perzipierten Kontinuitätsbrüche minimierte, fanden Genova und Ottavio di Revel eine konstruktive Deutungs- und Argumentationsstrategie. Die pragmatische Rekonfigurierung des Restaurationsdiskurses, der die teleologische Euphorie des neuen Nationalstaats selektiv übernahm,
258 Ottavio Thaon di Revel, Rede am 29.11.1864, am 10.12.1864 und am 23.3.1865 (API Discussioni Senato – Sessione del 1864/65, 8. Leg., Bd. 3, S. 1986, 2202 und 2674). 259 Ottavio Thaon di Revel, Rede am 29.4.1865 (API Discussioni Senato – Sessione del 1864/65, 8. Leg., Bd. 4, S. 2982). 260 Vgl. Giorgio Briano, Ottavio Thaon di Revel, Genua-Florenz 1868. 261 Genova a Ottavio Thaon di Revel am 12.9.1860. In: Genova Revel, Da Ancona a Napoli. Miei ricordi, Mailand 1892, S. 33. 262 Genova a Ottavio Thaon di Revel am 19.10.1860. In: Revel, Ancona, S. 63.
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leitete in der machtbewussten Familie Revel eine relativ konfliktfreie und erfolgreiche Bewältigungsstrategie ein.263 Auf die umfassenden Transformationen zwischen 1847 und 1861 reagierte dagegen der ehemalige piemontesische Außenminister Clemente Solaro della Margarita mit einer radikalen Politisierung religiös-theologischer Semantiken und Wertorientierungen. Ausgehend von der religiösen Politik von Augustinus und Haller artikulierte Solaro seine unnachgiebige Opposition gegen die liberalen Reformbestrebungen und das italienische Risorgimento. Genauso wie die ultrakatholischen Zeitungen Univers, Civiltà Cattolica und Armonia reaktivierte auch der piemontesische Adlige permanent den christlich-legitimistischen Restaurationsdiskurs. Als Solaro am Anfang seiner schnellen Karriere im diplomatischen Dienst stand, stellte er in einem Brief an Antonio Brignole-Sale im August 1826 eindeutig fest, dass Religion und Kirche „le sante cose più rispettate da ogni buon governo“ waren.264 Nach seiner Entlassung im Jahr 1847 entwarf der ehemalige Außenminister mit der religiösen Politik eine alternative Selbstbeschreibungsstrategie, die das traditionelle Dienstethos und die monarchische Loyalität als politisches Rechtfertigungsnarrativ rekonfigurierte, weil sich der piemontesische Hof und der Staatsapparat immer deutlicher mit den neuen liberalen Ideen arrangierten. Genauso wie Gerlach beschrieb sich auch Solaro als „Genosse des Reiches Gottes“ und relativierte damit den dramatischen Loyalitätskonflikt zwischen Königstreue und Primat der Religion. Am Vorabend seiner Entlassung motivierte Solaro mit der religiösen Politik seine grundsätzliche Ablehnung der liberalen Reformen, indem er seine neue Selbstbeschreibung als „Gottesdiener“ geschickt in den Vordergrund stellte, ohne seine monarchische Loyalität explizit zurückzuziehen: „Je crois que le Roi tient son autorité de Dieu seul et qu’en le servant, c’est Dieu que je sers.“265 Anlässlich der Heirat seiner Tochter Eleonora fand Solaro erneut die Gelegenheit, seine Polemik gegen die eingeleiteten Reformen mithilfe der politischen Funktionalisierung religiös-kirchlicher Traditionen und theologischer Orientierungskonzepte zu kommunizieren. Er veröffentlichte zur Hochzeit eine Festschrift, die mehrere Aufsätze von prominenten Theologen und Prälaten enthielt. Antonio Rosmini und der Bischof von Cuneo Clemente Manzini verherrlichten die Überlegenheit der christlichen Ehe und positionierten sich damit unmissverständlich gegen die Einführung der Zivilehe.266 In seinem Essay für die Tochter bezog sich auch Solaro systematisch auf theologische Begriffe und biblische Topoi. In knapp 17 Seiten benutzte der piemon-
263 Vgl. Genova a Ottavio Thaon di Revel am 2.2.1861. In: Revel, Ancona, S. 140. 264 Clemente Solaro della Margarita an Antonio Brignole-Sale am 9.8.1826 (ABS Serie corrispondenza alfabetico S. Inventario 38, nr. 6421). 265 Clemente Solaro della Margarita an Karl Albert am 11.10.1847. In: Lovera, Solaro (Bd. 1), S. 297. 266 Vgl. Clemente Solaro della Margarita, Alla mia figlia Eleonora Solaro della Margarita nelle sue nozze col barone Giovanni Cantono dei marchesi di Ceva, Turin 1847, S. 47–95.
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tesische Adlige 61-mal den Begriff Gott, während der König als Legitimations- und Identifikationsfigur nur noch eine marginale Rolle spielte. Damit polemisierte Solaro gegen die Monarchie und das „irdische“ Vaterland, indem ostentativ hervorhob, dass die Politik der Religion klar untergeordet war.267 In den 1850er Jahren stilisierten sich Solaro und andere erzkonservative Politiker wie Brignole, Camburzano und Crotti nicht mehr nur als königstreue Staatsdiener, sondern vielmehr als „Vorkämpfer des Glaubens“ und nicht mehr als loyale Verfechter des monarchischen Patriotismus, sondern als Märtyrer des „christlichen Patriotismus“.268 Der konservative Abgeordnete Vincenzo Ferrero-Ponziglione bestätigte diese radikale Zuspitzung der konservativen Selbstbeschreibungsstrategien und bezeichnete Solaro als „capo della crociata“ für die religiöse Politik.269 Indem die piemontesischen Konservativen „den katholischen Glauben und das Glück des Vaterlandes“ miteinander kombinierten, fanden sie eine plausible Deutungsoption, um gegen die liberalen Reformen und die Nationalbewegung zu protestieren, aber das traditionelle Dienstethos und die Königstreue nicht explizit zu revidieren.270 In seinem Pamphlet Le mene elettorali beschrieb Vincenzo Ferrero-Ponziglione den konservativen Wahlerfolg von 1857 als das Resultat der sozialen, kulturellen und politischen Verflechtungen zwischen Kirchennetzwerken und antiliberaler Opposition. Der rechtsorientierte Abgeordnete rekonstruierte, wie die ideologische und pragmatische Unterstützung, die die katholische Kirche für die konservative Medienoffensive gegen die regierenden Moderati leistete, entscheidend zur erfolgreichen Meinungsmobilisierung im Wahlkampf beitrug. Im November 1857 gewannen die Konservativen über 80 Mandate im piemontesischen Parlament.271 Geführt von reaktionären Galionsfiguren und Ultrakatholiken wie Solaro, Crotti, Camburzano, Birago di Vische, Avogadro della Motta und Margotti dominierte die konservative Opposition rund 40 Prozent der Sitze im Abgeordnetenhaus. Ponziglione, der ebenfalls zu den Wahlsiegern von 1857 gehörte, betrachtete die „Arroganz“ der Moderati als den wichtigsten Grund für die eklatante Wahlniederlage der Regierung Cavour. Ponziglione vermied die aggressive Sprache und die apokalyptischen Thesen seiner konservativen Mitstreiter und konstatierte mit sachlichen Argumenten, dass die liberale Wirtschaftspolitik und die säkularen Kirchengesetze bei der
267 „Non è quaggiù la patria nostra, ma un altra ci aspetta, ove sarà incessante la letizia“. Vgl. Solaro, Figlia, S. 14. 268 Vittorio di Camburzano an Solaro della Margarita am 29.6.1854. In: Lovera, Solaro (Bd. 3), S. 324. Vgl. auch Camburzano an Solaro am 3.1.1856. In: Lovera, Solaro (Bd. 3), S. 331. 269 Vincenzo Ferrero-Ponziglione, Le mene elettorali, Turin 1858, S. 9. 270 Vittorio di Camburzano an Solaro della Margarita am 22.11.1857. In: Lovera, Solaro (Bd. 3), S. 333. 271 Obwohl eine von den Moderati dominierte parlamentarische Untersuchungskommission die Wahl von 17 „klerikalen“ Abgeordneten annullierte, blieb der konservative Wahlerfolg unerwartet hoch. Vgl. Nada, Piemonte (Bd. 2), S. 409.
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überwiegenden Mehrheit der Piemontesen auf Unverständnis stoßen würden. Er kritisierte, dass die umfassenden Reformprojekte der Regierung genauso fanatisch wie die „klerikale“ Opposition wirkten, weil sie die Wertorientierungen der erzkatholischen Bevölkerung brüskierten und die Kirche in einem noch nicht dagewesenen Ausmaß provozierten: Alcune disposizioni sfavorevoli alla Chiesa, introdotte senza prendere alcun concerto con chi la regge, avevano offeso il Clero e i molti che, nell’immensa maggioranza dei regnicoli, tutti cattolici, simpatizzavano per lui. Per contraccolpo, gli ecclesiastici, la sacra gerarchia, il culto cattolico erano fatti segno dell’acrimonia e dell’avversione di chi troppo mal comporta che a certe innovazioni altri non sappia acconciarsi senza renitenza.272
Mit dieser luziden Argumentationslinie behauptete Ponziglione, dass die vermeintliche Zusammenarbeit von konservativer Partei, piemontesischem „Volk“ und „Klerus“ einen berechtigten und starken Widerstand gegen die liberale Arroganz leistete.273 Das Drohszenario, das Ponziglione in seinen polemischen Pamphleten evozierte, konkretisierte sich, als in der nachrevolutionären Zeit die meisten piemontesischen Bischöfe in den politischen Arenen resolut auftraten. Sie vermittelten Informationen oder neue Kontakte, assistierten oppositionellen Initiativen und unterstützten mit Predigten und Hirtenbriefen die konservative Opposition gegen die Moderati. Der Erzbischof von Turin, Luigi Fransoni, wurde bereits im Jahr 1850 wegen seines radikalen Protests gegen das Ministerium D’Azeglio verhaftet und flüchtete später ins Exil. Um 1860 polemisierte auch der Bischof von Cuneo, Clemente Manzini, explizit gegen die „unzähligen schicksalhaften Fehler“ der piemontesischen Regierung und forderte mit einer fanatischen Sprache die katholischen Priester in seiner Diözese auf, die „verführerische Propaganda“ und die „perversen Ziele“ der Nationalliberalen zu entlarven.274 Der Bischof von Mondovì, Tommaso Giovanni Ghilardi, engagierte sich ebenfalls für die religiöse Politik der piemontesischen Konservativen. Im Januar 1861 trat er in Kontakt mit der abgesetzten Herzogin von Parma und mit Antonio Brignole-Sale. Ghilardi prognostizierte den kurz bevorstehenden Triumph der Religion und beschrieb die italienische Nationalstaatsgründung als eine dramatische Feuerprobe für die Wiederbelebung des Glaubens: „Credo che tutti i travagli che ora soffriamo ci siano dati per ravvivare la fede […] l’eroica fede del Santo Padre, affretterà certo il giorno della Divina Misericordia ma vorrei che tutti l’imitassero nel tenersi certi del trionfo […] Io
272 Ferrero-Ponziglione, Mene, S. 6. 273 „Nei sentimenti e nei pensieri di codesto partito [die konservative Partei] il Clero vide un rimedio ai mali da esso deplorati, e le moltitudini malcontente una speranza di sollievo dai loro aggravii e dalle loro miserie. Quello pertanto e queste fecero lega con lui: il che ne ingrossò le fila e gli attribuì una forza quale forse non ebbe ancora mai.“ Ferrero-Ponziglione, Mene, S. 8. 274 Clemente Manzini, Ai Venerabili Parrochi della Diocesi, Cuneo 1858, S. 5.
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non dubito che il momento del trionfo sia vicino, ma appunto perciò vorrei gridare per tutto il mondo fede e fede nella bontà del Cuore di Gesù.“275 Die religiöse Politik bildete ein gruppenintegratives Orientierungskonzept, das nach den Zäsuren von 1848 und 1861 ein heterogenes Netzwerk an konservativen Politikern und Theologen enger zusammenführte und eine Fundamentalopposition gegen die „Absurditäten“, die „Widersprüche“, die „katastrophalen Folgen“ und „niederträchtigen Ziele“ des italienischen Risorgimento perpetuierte.276 Mit energischen Worten und mit moralischen Argumenten trieb Solaro in den 1860er Jahren die theokratische Zuspitzung der religiösen Politik weiter voran. In seinen unermüdlichen publizistischen und parlamentarischen Aktivitäten instrumentalisierte der ehemalige Außenminister die Religion als das ideologische Manifest einer konservativen und staatsmännischen Politik: „La Religione non fu da Dio costituita pei cenobi e gli eremi solamente, o per le femmine devote, ma lo fu per le Corti, per gli Uomini di Stato.“277 Vor allem in seiner letzten politischen Schrift, Uomo di Stato von 1864, beschrieb Solaro die religiöse Politik als positiven Gegenentwurf zum triumphierenden Nationalstaatsmodell. Dabei hob der konservative Politiker hervor, dass die Durchsetzung der göttlichen Vorsehung das einzig legitime und zukunftsfähige Ziel der politischen Institutionen und Ideologien sei.278 Darüber hinaus definierte Solaro die Kirche als die einzige „Vertreterin der gesunden Politik“ und plädierte dementsprechend für eine Rückbesinnung auf den christlich-konservativen Kanon gegen die falschen Helden und Märtyrer des neuen Nationalstaats.279 Der ehemalige Außenminister äußerte sich ironisch über die neue nationale Mythologie und konstatierte, dass allein Gott von oben ohne Mitwirkung der vermeintlichen Nationalbarden das „irdische“ Vaterland kreierte.280 Im schroffen Gegensatz zu den romantischen, positivistischen und teleologischen Suggestionen der nationalliberalen Meistererzählung betrachtete Solaro die Religion als die „moralische Führung“ der Politik und stigmatisierte den neuen nationalen Enthusiasmus und die liberalen Legitimationstheorien.281 Trotz oder
275 Tommaso Giovanni Ghilardi an Antonio Brignole-Sale am 16.1.1861 (ABS – Serie corrispondenza V 40, nr. 6934). Zusammen mit diesem Brief sendete der Bischof von Mondovì auch eine Kopie seiner Korrespondenz mit der Herzogin von Parma. 276 Enrico Bixio an Antonio Brignole-Sale am 13.4.1856 (ABS – Serie corrispondenza B 6, nr. 1139). 277 Solaro, Memorandum, S. 151. Vgl. auch Solaro, Questioni, S. 53; Solaro, Avvenimenti, S. 10–12; Solaro, Opinione, S. 6. Außerdem Solaro, Rede am 30.6.1854, am 11.1.1855 und am 21.2.1855 (APS Discussioni – Sessione del 1854/55, 5. Leg., Bd. 4, S. 2096 und Bd. 5, S. 2626–2630 und 2931). 278 Vgl. Solaro, Uomo (Bd. 2), S. 15. 279 Solaro, Uomo (Bd. 2), S. 14. 280 Solaro, Uomo (Bd. 1), S. 8. 281 Clemente Solaro, Rede am 8.4.1854 (APS Discussioni – Sessione del 1854/55, 5. Leg., Bd. 4, S. 935). Die parlamentarischen Reden von Solaro erschienen oft auch als Flugschriften. Vgl. Solaro, Discorso del conte Solaro della Margarita pronunciato alla Camera dei Deputati contro la legge di soppressione
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gerade wegen der zunehmenden Radikalisierung der religiösen Politik, die nach wie vor eine emphatische Selbstbeschreibungs- und Argumentationslogik gegen den liberalen Verfassungs- und Nationsdiskurs generierte, blieben die konservativen Oppositionsnetzwerke bis in die 1860 Jahre aktiv. Der lang anhaltende Restaurationsdiskurs stellte für die reformbereiten Moderati eine ernsthafte Bedrohung dar und lenkte die ergebnisoffene Amalgamierung zwischen liberalen Erwartungshorizonten, konservativen Machterhaltungsstrategien und monarchischer Herrschaft in eine legalistische Bahn. Zwischen 1840 und 1870 bildete die Restaurationsideologie sowohl in Preußen als auch in Piemont das zentrale politische Rechtfertigungsnarrativ für die konservative Meinungsmobilisierung gegen die neuen Partizipations- und Legitimationstheorien. Ausgehend von der europaweiten Dynamisierung der liberalen und konservativen Politikdiskurse wurde auch die religiöse Politik weitgehend rekonfiguriert. Dabei verlief dieser politisch-ideologische Prozess weder linear noch konfliktfrei. Auf der einen Seite agierten die Ultrakonservativen, die gegen die nachrevolutionäre Verfassungs- und Nationalstaatspolitik unnachgiebig protestierten. Sie verschoben ihre Selbstbeschreibungs- und Deutungskategorien von dem traditionellen Dienstethos und dem monarchischen Herrscherkult hin auf das „himmlische Vaterland“. Mit der religiösen Politik revitalisierten die Erzkonservativen tief internalisierte Suggestionen, vereinfachte Erklärungsmuster oder Feindbilder sowie bereits existierende Ideen- und Akteursnetzwerke. Auf der anderen Seite wurden die Deutungsmuster des Restaurationsdiskurses auch von den reformbereiten Konservativen instrumentalisiert. Sie entwarfen eine plausible Kontinuitätskonstruktion, die die Wahrnehmung destabilisierender politischer Transformationen relativierte und mit dem Nationalstaatsbildungsprozess produktiv umging. Die religiöse Politik reagierte auf die Herausforderung der Moderne mit einer breiten Palette an christlichen Pathosformeln, Metaphern und Visualisierungen, die die konservative Meinungsmobilisierung flankierten. Über die konfessionellen Unterschiede hinweg inspirierte die Sprache der religiösen Politik die antirevolutionäre Demobilisierung der breiten Öffentlichkeit, die zu einem obrigkeits- und gottesfürchtigen Leben gebracht werden sollte. Auf die beharrende politische Präsenz und kulturelle Dominanz der Religion bezogen sich sowohl der Protest der antiliberalen Ultras als auch die pragmatischen Machterhaltungsstrategien der reformbereiten Eliten. Die daraus entstehende Pluralität und erhöhte Verfügbarkeit an konservativen Argumentationsstrategien führte dazu, dass die Restaurationsideologie mit verschiedenen Deutungs- und Handlungsoptionen aktualisiert wurde. Damit war es für die Konservativen möglich, die umfassenden Transformationen, die sich zwischen 1840 und 1870 in Italien und Deutschland vollzogen, aktiv zu verfolgen, resolut zu bekämpfen
di comunitá religiose, Turin 1855 und Solaro, Discorso del conte Solaro della Margarita pronunciato alla Camera dei Deputati sul Trattato d’Alleanza con la Gran Bretagna e la Francia, Turin 1855.
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oder pragmatisch mitzugestalten. Die religiöse Politik fungierte nicht nur als emotionale Tröstung anegesichts der liberalen Reformen und des modernen Nationalismus. Vielmehr bildete sie ein dynamisches Orientierungskonzept, das die „Unwahrscheinlichkeit des Nationalstaates“ oder zumindest der liberal-demokratischen Nationalbewegung glaubwürdig kommunizierte.282
onservativer Modernisierungswiderstand in „gefälligerer Form zur 2.1.3 K Unterhaltung“ Nach der „weder sittlich[en] noch rechtlich[en]“ Formation des italienischen Nationalstaats im Jahr 1861 polemisierte Hermann Ferdinand von Uhden gegen die „früherhin unbekannte[n] Rührigkeit“ der katholischen Publizistik. Außerdem konstatierte der preußische Theologe, dass die „drohende Verführung“ durch die „Broschüren, Romane, Skizzen [und] Schriften leichteren Inhalts“, die die rührigen Katholiken europaweit verbreiteten, auf ihrer „gefälligeren Form zur Unterhaltung“ basiere.283 Damit forderte Uhden alle besonnenen Protestanten auf, der katholischen Rührigkeit politisch und publizistisch entgegenzutreten.284 Um 1860 formulierten die katholischen Meinungsführer einen ebenso dringenden Appell an ihre Glaubensgenossen, um „die Einigkeit in den Bestrebungen der Katholiken in den Gebieten des öffentlichen Lebens“ zu koordinieren.285 Abgesehen von konfessionsspezifischen Akzentuierungen und zwischenkonfessionellen Animositäten verfolgten die konservativen Publizisten beider Glaubensrichtungen das übergeordnete politische Ziel, den Geist der Revolution, die liberale „Selbstsucht“ und die „falsche Centralisation“ der neuen Nationalstaaten zu bekämpfen.286 Seit den Revolutionen von 1789 und 1848 generierte die religiöse Politik sowohl explizite Argumentations- und politische Legitimationsstrategien als auch implizitkulturelle Sinnstiftungsmechanismen. Dabei kamen die kulturelle Dominanz und die politische Präsenz der Religion nicht nur in publizistischen Debatten und normierten Entscheidungsprozessen zum Ausdruck. Vielmehr bezog sich die religiöse Politik auf kulturelle Traditionen, literarische und fiktionale Texte sowie private Glaubenserfahrungen, die die konservative Meinungsmobilisierung auf einer intellektuellen,
282 Weichlein, Nation, S. 14. 283 Hermann Ferdinand Uhden, Bischof Ketteler, Gräfin Hahn und Cardinal Wiseman wie sie zur römischen Kirche einladen, Göttingen 1862, S. 4. Dort auch das vorherige Zitat. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wuchs die Bücherproduktion rasant an, dabei hatte die Belletristik einen überproportional hohen Anteil. Vgl. Nipperdey, Geschichte, S. 753. 284 Uhden, Bischof, S. 8. 285 Ketteler, Freiheit, S. VI. 286 Ketteler, Freiheit, S. 21.
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symbolischen und emotionalen Ebene unterstützten.287 Die religiös-theologischen Semantiken und Orientierungskonzepte des Restaurationsdiskurses kommunizierten zwar eine explizite Opposition gegen die liberalen Legitimationstheorien, jedoch fanden sie auch als implizit-kulturelle Sinnstiftungsmechanismen eine große politische Resonanz.288 Zum einen kristallisierte sich die Religion als ein massenkompatibles Rechtfertigungsnarrativ in der breiten politischen Öffentlichkeit heraus. Zum anderen stand sie als moralisches und ideologisches Orientierungsmuster für den „Einzelnen“ zur Verfügung.289 Diese implizit-kulturelle und private Dimension der religiösen Politik war umso relevanter, weil im 19. Jahrhundert die Bedeutung von christlichen Wertorientierungen und Ordnungsideen auch in den familiären Lebensräumen und in der zunehmend scharf konturierten Privatsphäre stets präsent war.290 Die politische Funktionalisierung der Religion zirkulierte mit einer symbolischen Sprache und mit literarischen Texten, die sich latenter Stereotypen und affektiver Sinnkonstruktionen bedienten. Sie imaginierten einen christlich-konservativen Modernisierungswiderstand, die die liberalen Partizipations- und Legitimationstheorien über die expliziten Semantiken und Räume des Politischen hinweg herausforderte. Ausgehend von diesen implizit-kulturellen Kommunikations- und Sinnstiftungsmechanismen tauchte die religiöse Politik in den neuen parlamentarischen und publizistischen Arenen als eine vertraute und noch immer plausible Argumentationsstrategie auf. Um 1850 zählte der Jesuit Antonio Bresciani Borsa (1798–1862) zusammen mit Alessandro Manzoni und Cesare Cantù zu den prominentesten und meistgelesenen italienischen Autoren. In unzähligen Romanen, Erzählungen und Zeitungsartikeln verbreitete er die Paradigmen der religiösen Politik und trug dazu bei, die Religion als einen attraktiven Gegenentwurf zu den liberalen Reformdiskursen und den Idealen des nationalen Risorgimento zu konturieren. Bresciani gehörte mit anderen Theologen wie Luigi Taparelli d’Azeglio und Carlo Maria Curci zum einflussreichen Jesuitennetzwerk, das im Jahr 1850 die Zeitschrift Civiltà Cattolica gründete.291 Diese erfolg-
287 Zur Relevanz literarischer und fiktionaler Texte für die politische Meinungsmobilisierung im 18. Jahrhundert vgl. Cecilia Miller, Enlightenment and Political Fiction. The Everyday Intellectual, New York–London, 2016. 288 Zur Bedeutung des „kulturellen Katholizismus“ im 19. Jahrhundert vgl. Burleigh, Mächte, S. 154. 289 Frie, Marwitz, S. 73. 290 Vgl. Heinz-Gerhard Haupt u. Dieter Langewiesche, Einleitung. In: Nation und Religion in Europa. Mehrkonfessionelle Gesellschaften im 19. und 20. Jahrhundert. Hrsg. von Heinz-Gerhard Haupt u. Dieter Langewiesche, Frankfurt a. M. 2004, S. 11–24. 291 Der neapolitanische Jesuit Carlo Maria Curci leistete einen entscheidenden Beitrag, um für die neugegründete Civiltà Cattolica die persönliche Unterstützung von Pius IX. zu sichern. Genauso wie andere prominente politische Theologen wie Bresciani, Taparelli d’Azeglio und Margotti engagierte sich Curci nach der Revolution von 1848 verstärkt für eine radikale politische Funktionalisierung religiöser Semantiken und Ordnungsideen. Vor der Gründung der Civiltà Cattolica publizierte er mehrere politische Pamphlete gegen die liberalen Reformbemühungen und die italienische Nationalbe-
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reiche publizistische Initiative wurde persönlich von Pius IX. unterstützt und fand schnell eine enorme überregionale Resonanz. Wenige Monate nach seiner Gründung hatte die ultrakatholische Zeitschrift über 7.000 Abonnenten und im Jahr 1853 bereits 13.000.292 Die Civiltà Cattolica basierte auf der Erfahrung der katholischen Bruderschaft Amicizia cattolica und der Zeitung L’Amico d’Italia, die seit 1822 von Cesare Taparelli d’Azeglio und Pio Brunone Lanteri in Turin herausgegeben wurde.293 In Anlehnung an die Thesen von Joseph de Maistre formulierte L’Amico d’Italia, die sich als „Giornale morale di lettere, scienze ed arti d’Italia“ unpolitisch präsentierte, eine systematische Kritik gegen den Liberalismus und folgte der antisäkularen Maxime: „La Religione vale più di ogni altro mezzo al bene della Società“.294 Curci, Taparelli d’Azeglio und Margotti erreichten mit ihren Essays und Zeitungsartikeln ein breites, jedoch überwiegend bereits politisiertes und ideologisiertes Publikum. Mit seinen historischen Romanen fand Antonio Bresciani auch außerhalb explizit-politischer Kommunikationsräume und Sinnstiftungsmechanismen eine enorme Resonanz.295 In seinen schroff antiliberalen und aufklärungsfeindlichen Texten instrumentalisierte Bresciani latent vorhandene Ressentiments, etwa gegen vermeintliche Hexen, Juden und den Protestantismus. In den 1850er Jahren publizierte der schreibbesessene Jesuit insgesamt acht „historische Romane“, die die konservative Revolutionsparanoia bewusst reaktivierten, um die liberalen Reformen und die Nationalbewegung zu diskreditieren.296 Außerdem verfasste Bresciani noch vier Aufsätze, die geschickt die „gefälligere Form zur Unterhaltung“ mit pseudowissen-
wegung. Anhand legitimistischer und moralischer Überlegungen trat Curci resolut für die weltliche Macht und die „genialità“ des Papstes ein und polemisierte gegen das neoguelfische Projekt von Vincenzo Gioberti. Vgl. Carlo Maria Curci, Una divinazione sulle ultime tre opere di Vincenzo Gioberti, Paris 1848. Vor allem um 1850 publizierte Curci zahlreiche politische Pamphlete, die explizit gegen die eingeleiteten Reformen und die italienische Nationalbegeisterung polemisierten. Vgl. Curci, Sette libere parole di un italiano sulla Italia, Rom 1849; Curci, La questione romana nell’assemblea francese il 14,18, 19, 20 ottobre, Paris 1849; Curci, La demagogia italiana e il Papa Re. Pensieri di un retrogrado sulla novissima condizione d’Italia, Neapel 1849. Dieses Pamphlet erschien kurz nach seiner Erstveröffentlichung auf Italienisch auch in deutscher Übersetzung. Vgl. Curci, Der Papst als Staatsoberhaupt und die Demagogie in Italien. Gedanken eines Retrograden über die neuesten Zustände in Italien, Innsbruck 1849. 292 Della Peruta, Giornalismo, S. 68. 293 Um 1850 vertraten die Söhne von Cesare Taparelli d’Azeglio extrem unterschiedliche politische Positionen. Während Massimo d’Azeglio als piemontesischer Ministerpräsident eine reformbereite Politik befürwortete, übernahm Luigi Taparelli d’Azeglio als Mitbegründer der Civiltà Cattolica die ultrakonservative Haltung seines Vaters. 294 L’Amico d’Italia 3 (1823), S. IX. Zur systematischen Liberalismus-Kritik vgl. L’Amico d’Italia 1 (1822), S. 100–120. 295 Grundlegend zu Leitmotiven und ideologischen Hintergründen der weitverbreiteten reaktionären Literatur von Antonio Bresciani vgl. Nicola Del Corno, Letteratura e anti-risorgimento. I romanzi di Antonio Bresciani. In: Memoria e Ricerca 24 (2007), S. 21–32. 296 Vgl. Opere del Padre Antonio Bresciani (17 Bde.), Rom–Turin 1866/68, hier Bde. 6–15.
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schaftlichen Ambitionen und moralischen Inhalten kombinierten.297 Die Zuspitzung der Revolutionserfahrung charakterisierte sowohl die literarischen und publizistischen Aktivitäten von Antonio Bresciani als auch seinen privaten Briefwechsel.298 In seinem meistgelesenen Bestseller L’Ebreo di Verona (1849) reaktivierte Bresciani den Restaurationsdiskurs mit populären Inhalten und aktuellen Themen. In Form einer historischen Chronik verbreitete dieser erfolgreiche Roman eine skandalisierende, aber realistisch-anmutende Darstellung der „unzähligen und entsetzlichen Gräueltaten“, die sich angeblich im Frühjahr 1849 während der kurzlebigen römischen Republik ereigneten.299 Mit der radikalen Emotionalisierung der Revolutionserfahrung von 1848–1849 aktualisierte Bresciani die zentralen politischen Deutungsund Argumentationsstrategien der konservativen Meinungsmobilisierung um 1800. L’Ebreo di Verona schilderte ein dramatisches Drohszenario, in dem Terror, Anarchie und Militärdiktatur herrschten. Damit beschrieb Bresciani die „schmutzigen Republikaner“ von 1849 genauso wie die französischen Jakobiner als „Verbrecher“, „Schurken“ und „Monster“ und diskreditierte den liberalen Reformenthusiasmus als eine trügerische Illusion.300 Mit ähnlichen Worten wie Antonio Bresciani kommentierte um 1800 auch Joseph de Maistre die Annexion seiner vermeintlich königstreuen und ordnungsliebenden Heimat an das revolutionäre Frankreich: „Man musste mit erleben, wie Kirchen geschlossen, Priester verjagt, das Porträt des Königs durch die Straßen getragen und mit Messern durchgestoßen wurde; man musste mit anhören, wie die Marseillaise zur Erbauung gesungen wurde (ich war dabei); mein Herz war nicht stark genug, um alles zu ertragen.“301 Ausgehend von der dämonisierten Revolutionserfahrung von 1789 berichtete Bresciani in seinem politischen Roman von 1849 detailliert unzählige Anekdoten, die die Verfolgung katholischer Geistlichen und die Zerstörung religiöser Gebäude in Rom tendenziös illustrierten. Dabei kamen die gleichen diffamierenden Suggestionen, die die konservative Meinungsmobilisierung gegen die Terrorherrschaft der Jakobiner charakterisierten, zum Ausdruck. L’Ebreo di Verona schilderte plastisch die „grausamen“ Ermordungen, die „grenzenlose“ Unterdrückung, die Kirchenschändungen und den vermeintlichen Satanismus der römischen Republik.302 Bresciani verdeutlichte seine politischen Beweggründe, indem er immer wieder den historischen und realistischen
297 Antonio Bresciani, Dei costumi dell’isola di Sardegna comparati cogli antichissimi popoli orientali, Neapel 1850; Bresciani, Del Romanticismo italiano rispetto alle lettere, alla religione, alla politica e alla morale, Mailand 1855; Bresciani, Edmondo o i costumi del popolo romano, Mailand 1860; Bresciani, Don Giovanni ossia il benefattore occulto, Mailand 1863. 298 Vgl. Antonio Bresciani an Isabella de Taddei am 28.10.1849 und an Marcantonio Parenti am 7.11.1849. In: Bresciani, Lettere, S. 31 und 291. 299 Bresciani, Ebreo, S. 8. 300 Bresciani, Ebreo, S. 8. 301 Zit. nach Burleigh, Mächte, S. 168. 302 Bresciani, Ebreo, S. 3, 8 und 88–93.
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Charakter seiner Darstellung betonte und einen expliziten Vergleich zwischen 1789 und 1849 zog.303 Außerdem distanzierte sich Bresciani demonstrativ von den politischen Bestsellern von Vincenzo Gioberti und Cesare Balbo und polemisierte gegen die piemontesischen Moderati, die französische Aufklärung und den deutschen Idealismus.304 Mit seinem neuen Roman Olderich, der päpstliche Zuave, der im Jahr 1862, nach der italienischen Nationalstaatsgründung, erschien, erreichte Antonio Bresciani einen weiteren Höhepunkt seiner deutlich politisch konnotierten Populärliteratur. In dem Vorwort von Olderich attackierte der europaweit „rühmlichst bekannt[e] katholische Schriftsteller“ direkt die piemontesische Regierung, weil sie mit der italienischen Einigungspolitik „alles göttliche wie menschliche Recht“ misshandele.305 Nach 1861 blieben historische Romane wie L’Ebreo di Verona und Olderich, die zunächst als Feuilletonromane in der Civiltà Cattolica veröffentlicht wurden, nach wie vor sehr populär. In allen großen italienischen Städten erschienen mehrere Neuauflagen und Editionen dieser stark politisierten Texte. Brescianis Romane wurden auch in die meisten europäischen Sprachen übersetzt und mehrmals wieder aufgelegt. Auch in Deutschland, Spanien, Frankreich, England, Portugal und Belgien signalisierte das Publikum ein großes Interesse an der politischen Unterhaltungsliteratur des erzkonservativen Jesuiten. In Deutschland wurden sogar acht verschiedene Romane von Antonio Bresciani übersetzt und veröffentlicht.306 Zwischen 1840 und 1846 leitete Antonio Bresciani das jesuitische Collegio del Carmine in Turin. In der piemontesischen Hauptstadt knüpfte er enge Kontakte zu zahlreichen konservativen Adligen und katholischen Intellektuellen.307 Außerdem
303 Bresciani, Ebreo, S. 15 und 27. 304 Bresciani, Ebreo, S. 35, 182 und 349. 305 Antonio Bresciani, Olderich, der päpstliche Zuave, Regensburg 1862, S. III. 306 Vgl. Antonio Bresciani, Blicke in die römische Republik oder die freiwillig Verbannten und Lionello, Schaffhausen 1860; Bresciani, Markgräfin Mathilde von Canossa. Erzählung, Aachen 1860; Bresciani, Olderich der päpstliche Zuave, Regensburg 1862; Bresciani, Der Jude von Verona. Historischer Roman aus den Jahren 1846–1849, Regensburg 1863; Bresciani, Don Giovanni oder der geheime Wohlthäter, Regensburg 1864; Bresciani, Edmund. Schilderungen aus dem römischen Volksleben, Regensburg 1864; Bresciani, Lorenzo oder der Conscribierte. Ligurische Erzählung von 1810–1814, Regensburg 1864; Bresciani, Ubaldo und Irene. Geschichtliche Erzählungen aus den Jahren 1790–1814, Regensburg 1865. Außerdem wurden die populärsten Romane L’Ebreo di Verona und Lionello auch ins Spanische, Englische und Französische übersetzt. Vgl. Bresciani, El hebreo de Verona: novella historica contemporanea, Sevilla 1860; Bresciani, The Jew of Verona: An historical Tale of the Italian Revolution of 1846–1849, London 1861; Bresciani, Lionello: A sequel to the Jew von Verona, London 1861; Bresciani, Le Juif de Vérone, on les Sociétés secrétés en Italie, Limoges 1872; Bresciani, Lionello, faisant suite an Juif de Vérone et se rattachant à la République, Paris 1859. Schließlich kamen weitere Übersetzungen ins Niederländische und Portugiesische heraus. Vgl. Bresciani, O Judeo de Verona ou as sociedades secretis na Italia, Lissabon 1859; Bresciani, Lionello: obra historica, Porto 1859; Bresciani, Lionello. Een gevolg op de jood van Verona, Gent 1860. 307 Vgl. die Korrespondenz zwischen Antonio Bresciani und Teresa Boschetti (1840–1843). In: Bresciani, Lettere, S. 156, 162, 216, 221, 233, 249. Ferner Bresciani an Graf von Castagnetto am 30.12.1840.
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konsolidierte er seine Begeisterung für die politische Philosophie von Joseph de Maistre und setzte sich mit der liberalen Theologie von Vincenzo Gioberti kritisch auseinander. Bresciani korrespondierte mit Silvio Pellico, Cesare Cantù und mit dem damaligen piemontesischen Außenminister Solaro della Margarita.308 Dabei engagierte er sich in der neugegründeten Kongregation Sacro Cuor di Maria delle Vittorie per la conversione de’ peccatori, die in wenigen Monaten die begeisterte Unterstützung von tausenden Mitgliedern und die ausdrückliche Zustimmung der piemontesischen Hofgesellschaft, einschließlich Königin Maria Theresia selbst, erhielt.309 Neben mehreren historisch-hagiographischen oder theologisch-devotionalen Studien, die vor 1847 verfasst wurden, erschienen in Turin zwischen 1850 und 1866 insgesamt sieben Editionen oder Neuauflagen von L’Ebreo di Verona sowie von Appendice (Repubblica romana) und dessen Fortsetzung (Lionello).310 Um die Veröffentlichung und Verbreitung dieser und anderer „gesunder“ Bücher zu fördern, mobilisierte Bresciani erfolgreich seine engen Kontakte zu den piemontesischen Eliten.311 Außerhalb Piemonts erfreuten sich die Romane von Antonio Bresciani vor allem in Neapel und Rom, aber auch in Mailand, Bologna, Palermo und sogar in kleineren Städten wie Ferrara, Foligno und Fossombrone größter Beliebtheit. Zwischen 1850 und 1865 wurden insgesamt 49 Editionen (Erstausgaben und weitere Neuauflagen) von L’Ebreo di Verona, Repubblica romana und Lionello veröffentlicht. Dabei erschien über ein Drittel aller in Italien veröffentlichten Ausgaben der populärsten Romane von Antonio Bresciani während der politisch-militärischen Krise um 1860.312
In: Bresciani, Lettere, S. 403. 308 Vgl. Antonio Bresciani an Cesare Balbo am 6.6.1844. In: Bresciani, Lettere, S. 421. Von seiner engen Verbindung mit Solaro della Margarita gab Bresciani Auskunft in einem Brief an Luigi Fornaciari am 26.5.1847. In: Bresciani, Lettere, S. 309. Solaro und Bresciani korrespondierten zwischen 1845 und 1854 miteinander. Als Solaro das piemontesische Kabinett leitete, bemühte sich Bresciani sehr intensiv darum, die Unterstützung der Regierung und der Monarchie für den Jesuitenorden zu gewinnen. Nach 1848 profilierte sich Solaro als die führende konservative Oppositionsfigur gegen die Moderati und wurde von Bresciani ermutigt, seine publizistische und parlamentarische Polemik fortzusetzen. Vgl. Bresciani an Solaro am 10.11.1844, am 29.11.1845 und am 11.2.1854. In: Bresciani, Epistolario (Bd. 2, Teil 2), S. 78–80. 309 Vgl. Antonio Bresciani an Teresa Boschetti am 19.2.1842. In: Bresciani, Lettere, S. 223. Bresciani überzeugte natürlich auch die Gräfin Boschetti, die Kongregation zu unterstützen. Vgl. Bresciani an Teresa Boschetti am 23.2.1842. In: Bresciani, Lettere, S. 224. 310 Beim Verlag Botta im Jahr 1850, 1851 und bei De Agostini 1852, 1853, 1854. Außerdem wurde neben L’Ebreo di Verona und Lionello auch die Gesamtausgabe Opere del Padre Antonio Bresciani (Turin– Rom 1866, Bd. 6–9) gedruckt. Genauso wie die meisten anderen Erzählungen von Antonio Bresciani erschien Lionello zunächst als Feuilletonroman in der Civiltà Cattolica. Vgl. Civiltà Cattolica 3 (1852). 311 Vgl. Antonio Bresciani an Carlo Santacroce am 22.4.1853. In: Bresciani, Lettere, S. 443. 312 Fast die Hälfte (23/49) der italienischen Editionen der Romane von Antonio Bresciani kam in Neapel heraus: L’Ebreo di Verona im Jahr 1851 (Verlag Andrea Festa) sowie 1855, 1857, 1858, 1859 und 1860 (Verlag Insegna del Giglio); 1860, 1864 und 1865 (Verlag Gennaro Cimmaruta); 1859 (Verlag Giosuè Rondinella); 1860 (Verlag Francesco Rossi-Romano); 1861 (Verlag Francesco Giannini). Dazu kamen die neapolitanischen Editionen von Lionello (Verlag Nobile 1853, Verlag Giglio 1859; Verlag Bartolo-
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Im Jahr 1864 erklärte Carl Braun, der deutsche Übersetzer der Bestseller von Antonio Bresciani, dass das politische Ziel des neuen historischen Romans Lorenzo oder der Conscribierte war, das „eiserne Joch Napoleons I. auf dem armen Italien“ anzuprangern.313 Ähnlich wie die Trilogie L’Ebreo di Verona, Repubblica romana und Lionello perpetuierte auch Lorenzo die skandalisierende Darstellung der demagogischen Umtriebe und diskreditierte damit die liberalen Reformbemühungen und die Nationalbewegung. Im Schlusswort für die italienische Erstausgabe dieses neuen Romans beschrieb Bresciani eine vereinfachte Dichotomie zwischen der gesunden Literatur der Civiltà Cattolica und den modernen Romanen, die angeblich die „diabolische Philosophie“, die „Schule des Satans“ und die „verkehrtesten und sittenlosesten Grundsätze“ propagierten.314 Der „rühmlichst bekannt[e] katholische Schriftsteller“ verschärfte mit dem Pamphlet Del Romanticismo italiano von 1855 seine bereits massive Kritik gegen die moderne Literatur. Vor allem stigmatisierte Bresciani die national-patriotischen und reformfreundlichen Publikationen von Cesare Balbo, Vincenzo Gioberti und Massimo d’Azeglio. Der kritikbesessene Jesuit verurteilte die romantische Literatur als „unnatürlich“ und „schädlich“, weil sie entgegen der gesunden Politik der katholischen Kirche die liberalen Ideen untermauerte und damit eine Revolution gegen Thron und Altar anzettelte.315 In seiner Korrespondenz mit dem konservativen Politiker Marcantonio Parenti äußerte sich Bresciani ebenfalls sehr besorgt über die „diabolische“ Literatur des italienischen Risorgimento. Dabei erwähnte er die „Genesung“ der verführten italienischen Jugend als das wichtigste Ziel seiner literarischen Werke.316 Auch im Vorwort für den historischen Roman Della Repubblica romana (1855) proklamierte Bresciani sein starkes Engagement als politischer Schriftsteller, um die Jugend vor der diabolischen Literatur des Risorgimento-Kanons zu retten.317 Mit seiner
meo Stikler 1859; Stabilimento tipografico 1860; Verlag Rossi 1861 und Cimmaruta 1863) sowie von Repubblica romana (im Verlag Giglio im Jahr 1858 und 1859; Rondinella 1859; Giannini 1861 und Cimmaruta 1865). In Mailand wurden L’Ebreo im Jahr 1855, 1862 sowie 1863 und Repubblica romana im Jahr 1855 und 1862 publiziert (Verlag Boniardi-Pogliani). Nach der ersten Ausgabe von 1852 erschienen zwischen 1860 und 1861 vier neue Auflagen von L’Ebreo di Verona (Verlag Stamperia di Propaganda). Ferner wurde der Roman in Bologna (1850 im Verlag Marsigli und wieder 1852 bei Ancora), in Foligno (1851 im Verlag Campitelli) und in Fossombrone (1852 im Verlag Società tipografica) veröffentlicht. Lionello erschien 1865 auch in Palermo (Verlag Pedone-Lauriel), Repubblica romana noch 1852 in Fuligno (Verlag Campitelli) und 1853 in Ferrara (Verlag Taddei). 313 Antonio Bresciani, Lorenzo oder der Conscribierte. Ligurische Erzählung von 1810–1814, Regensburg 1864, S. 3. 314 Antonio Bresciani, Lorenzo o il coscritto. Racconto ligure dal 1810 al 1814, Mailand 1856, S. 345. 315 Antonio Bresciani, Del Romanticismo italiano rispetto alle lettere, alla religione, alla politica e alla morale, Mailand 1855, S. 13 und 42. 316 Antonio Bresciani an Marcantonio Parenti am 17.1.1852. In: Bresciani, Lettere, S. 294. Vgl. auch Bresciani an Giulio Borgia Mandolini am 10.12.1852. In: Bresciani, Lettere, S. 350. 317 Antonio Bresciani, Della Repubblica romana, Mailand 1855, S. V.
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europaweit zirkulierenden Erzählung Lorenzo von 1856 wiederholte er seine massiven Vorwürfe gegen die modernen Romane, die die politische und ideologische „Vergötterung des unfläthigsten und ekligsten Schmutzes“ propagierten und „tausend andere Schandthaten und Uebelthaten verflechten, die stets schön und reizend herausgeputzt werden und sie machen so den Mord, die Verschwörungen, die Irreligiosität, die Unloyalität, den Zweikampf, den Sozialismus, den Communismus, den wilden Zustand, die Schwüre und die Treulosigkeiten der geheimen, zum Heroismus erhobenen Gesellschaften ehrbar.“318 Bresciani setzte diese fanatische Polemik gegen den verführerischen Charakter der modernen Literatur auch in seiner umfangreichen privaten Korrespondenz mit den Genossen des Jesuitenordens und mit zahlreichen adligen Damen wie den Gräfinnen Teresa Boschetti, Isabella Simonetta und Fanny de Taddei fort.319 Der Erfolgsautor denunzierte wiederholt die modernen Romane als verführerisch, weil sie „sotto la bella apparenza delle lettere […] un tossico velenosissimo“ gegen die religiöse Politik verbreiteten.320 Mit dieser stark ideologisierten Sprache appellierte Bresciani sowohl in seinen Publikationen als auch direkt in der Korrespondenz an die „christlichen Jungfrauen“. Ähnlich wie die Protagonistin des Lorenzo sollten sie, unterstützt von den gesunden Lektüren aus der Civiltà Cattolica, ihre politisch verführten Männer und Kinder „bessern“.321 Mit dieser Argumentationsstrategie hob Bresciani die Macht seiner Leserinnen hervor und schrieb ihnen damit eine konkrete politische Funktion gegen diabolische Literatur, Revolution und Nationalbewegung zu: „Die Frau hat von Gott und von der Natur aus auch außer den Gesetzen der Liebe so viel Gewalt über den Mann, daß sie im Stande ist, ihm in tausend süße Weise zu jenen Uebungen […] zu verleiten, deren er ohne ihre Aufmunterung vielleicht sich nicht hingeben würde.“322 Die politische Funktionalisierung religiöser Semantiken und Suggestionen, die Bresciani in seinen literarischen Bestsellern mit expliziten Argumentationsfiguren und vor allem mit implizit-kulturellen Sinnstiftungsmechanismen vollzog, charakterisierte ebenfalls die breite literarische Produktion von Cesare Cantù. Die europaweite und nachhaltige Resonanz des lombardischen Schriftstellers übertraf selbst die enorme Popularität der Romane von Antonio Bresciani. Im Jahr 1838, nach einer langwierigen Überprüfung durch die österreichische Zensur, veröffentlichte Cantù den Bestseller Margherita Pusterla, der sich als der meistgelesene italienische Roman des 19. Jahrhunderts nach Alessandro Manzonis I Promessi Sposi etablierte. Nach der Erstausgabe von 1838 erreichte Margherita Pusterla bereits 1861 die 34. Auflage in
318 Bresciani, Lorenzo, S. 302. 319 Antonio Bresciani an Luigi Ricasoli am 18.2.1838. In: Bresciani, Lettere, S. 95. 320 Bresciani, Lettere, S. 95. 321 Bresciani, Lorenzo, S. 350 und 357. 322 Bresciani, Lorenzo, S. 306 und 311.
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Turin und wurde wenige Jahre später auch in Mailand zum 38. Mal neu gedruckt.323 Seinem populären Charakter entsprechend wurde der Roman häufig mit zahlreichen Illustrationen publiziert und hatte dennoch einen niedrigen, auch für Handwerker und Kleinbürger erschwinglichen Preis.324 Im Jahr 1861 wurde die französische Übersetzung von Margherita Pusterla in Paris veröffentlicht, während der Bestseller in der italienischen Originalversion auch in Leipzig erschien.325 In seinem Erfolgsroman schilderte Cesare Cantù die pathetische Geschichte des jungen adligen Mädchens Margherita Pusterla. Ähnlich wie Lucia Mondella, die Protagonistin von I Promessi Sposi, hatte auch Margherita zwei miteinander rivalisierende Verehrer. Damit imitierte Cantù das Erfolgsmodell des historischen Romans von Alessandro Manzoni, jedoch evozierte er politische Erwartungshaltungen und Suggestionen, die im krassen Gegensatz zu den romantisch-patriotischen Leitmotiven von I Promessi Sposi standen. Margherita Pusterla marginalisierte die aufklärungs- und reformfreundlichen Paradigmen von Manzoni und hob dagegen enthusiastisch die christlich-konservativen Traditionen des „lombardischen Volkes“ hervor. Genauso wie Bresciani in seiner Erzählung Lorenzo polemisierte auch Cantù gegen die modernen Romane und betrachtete die Religion als das letzte Bollwerk gegen die „distruzione della lingua, della morale e del senso comune“.326 Nach dem enormen Erfolg von Margherita Pusterla arbeitete Cantù mit dem piemontesischen Verlag Pomba an dem monumentalen Projekt einer konservativ geprägten Storia universale, die in 34 Bänden zwischen 1838 und 1846 in Turin veröffentlicht wurde. Ähnlich wie in seinen literarischen Bestsellern instrumentalisierte Cantù auch in seiner enzyklopädischen Weltgeschichte die Religion als gruppenintegrative Glaubenserfahrung und kulturelle Tradition gegen die liberalen Reformbemühungen. Die Storia universale war ebenfalls ein großer Publikumserfolg und blieb bis Ende des 19. Jahrhunderts das meistgelesene und rezipierte historische Nachschlagewerk in italienischer Sprache. Zwischen 1838 und 1886 wurden die 34 Bände der Storia universale in Turin zehn Mal neu aufgelegt und in den 1850er Jahren kamen noch weitere Editionen in Neapel und Palermo heraus.327
323 Cesare Cantù, Margherita Pusterla (34. Aufl.), Turin 1861; Cantù, Margherita Pusterla (38. Aufl.), Mailand 1874. 324 Die dreibändige Erstausgabe von Margherita Pusterla erschien in Mailand für den Preis von 7,5 Lire austriache. Vgl. Biblioteca italiana 91,3 (1838), S. 145. Um 1840 verdiente ein Handwerker durchschnittlich 480 Lire im Jahr, ein kleiner Beamte 750 Lire und ein Gerichtspräsident bis zu 21.000 Lire. Vgl. Valeria Belloni, L’avvocatura lombarda nell’età della Restaurazione. Un ceto in assoluto declino?, Mailand 2012, S. 88. 325 Vgl. Cesare Cantù, Margherita Pusterla, Paris 1866; Cantù, Margherita Pusterla (Biblioteca autori italiani, Bd. 6), Leipzig 1866. 326 Cesare Cantù, Margherita Pusterla, Florenz 1839, S. I. 327 Vgl. Cesare Cantù, Storia universale (10. Aufl.), Turin 1886. Ferner Cantù, Storia universale, Palermo 1853/57; Cantù, Storia universale, Neapel 1856/58.
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Religiöse Politik und monarchischer Patriotismus
Die enorme Popularität der christlich-konservativen und aufklärungsfeindlichen Storia universale wurde von vielen liberalen Intellektuellen wie Aurelio BianchiGiovini, Pietro Vieusseux oder Angelo Brofferio massiv kritisiert. Sie entdeckten Plagiate und zahlreiche Interpretationsfehler, polemisierten aber vor allem gegen den reaktionären, klerikalen und anti-italienischen Charakter der Weltgeschichte von Cesare Cantù. Die umstrittene Storia universale und die zahlreichen anderen historischen Studien des lombardischen Schriftstellers wurden auch über die italienischen Grenzen hinweg viel gelesen und diskutiert. Zwischen 1856 und 1859 kam eine neunbändige deutsche Übersetzung der Storia universale unter dem Titel Allgemeine Weltgeschichte heraus und wurde mehrmals wieder aufgelegt.328 Diese und andere historische Publikationen des dilettierenden Historikers wie Storia di cento anni (1851), Storia degli italiani (1854) oder Gli Eretici d’Italia (1865) erschienen ebenfalls in Frankreich, Belgien, Portugal und Spanien.329 Nach Margherita Pusterla und der Storia universale veröffentlichte Cesare Cantù den historischen Roman Carlambrogio da Montevecchia. Das neue Buch bewies erneut die konservative Wertorientierung und den populären Schreibstil seines Autors und erlebte ebenfalls einen großen Publikumserfolg. Innerhalb weniger Wochen nach seiner Erstausgabe von 1838 wurde die knapp 200-seitige Erzählung in Turin zum vierten Mal neuaufgelegt.330 Bis in die 1870er Jahre hinein erschienen zahlreiche andere Editionen von Carlambrogio auch in Mailand, Neapel und Palermo.331 In seiner langen Erzählung schilderte Cantù in einer überschwänglichen Sprache, wie sein ursprünglich laizistisch orientierter Protagonist die Religion für sich entdeckte. Carlambrogio berichtete enthusiastisch von seiner Rückbesinnung auf die Religion als „wahre und ewige Macht“, die sowohl moralisch als auch politisch wirkte: „Ammirazione, riconoscenza, amore erano finalmente entrati nel mio cuore, avevo finalmente compreso questa sublime religione, fonte eterna della più vera forza, delle più vere speranze delle consolazioni più soavi […] tutta l’anima mia sentiva, pregava, glorificava.“332
328 Cesare Cantù, Allgemeine Weltgeschichte (9 Bde.), Schaffhausen 1856/59. Eine zweite Auflage erschien 1876 in Regensburg. 329 Histoire universelle erschien zuerst in Brüssel zwischen 1845 und 1849. Es folgten mehrere Editionen in Frankreich. Vgl. Cesare Cantù, Histoire universelle (18 Bde.), Paris 1852/81 und ebendort auch die 3. Aufl. (20 Bde.) zwischen 1862 und 1880. Außerdem auf Französisch: Cantù, Histoire des Italiens (12 Bde.), Paris 1859/62; Cantù, Histoire de cent ans, de 1750 a 1850, Paris 1852/60; Cantù, Les trente dernières années, Paris 1888. Editionen auf Spanisch: Cantù, Historia universal (38 Bde.), Madrid 1847/50. Dazu folgten andere spanische Editionen 1854/59 (10 Bde.), 1859 (6 Bde.) in Madrid und 1869 (10 Bde.) in Paris. Außerdem Cantù, Historia de cien anõs, Madrid 1868; Cantù, Los herejes de Italia, Madrid 1852. Editionen auf Portugiesisch: Cantù, Historia universal (13 Bde.), Lissabon 1875/79; Cantù, Os ultimos trinta annos (1848–1878), Lissabon 1880. 330 Vgl. Cesare Cantù, Carlambrogio da Montevecchia (4. Aufl.), Turin 1838. 331 Vgl. Cesare Cantù, Carlambrogio (19. Aufl.), Mailand 1873; Cantù, Carlambrogio (10. Aufl.), Palermo 1855; Cantù, Carlambrogio (12. Aufl.), Neapel 1857. 332 Cesare Cantù, Carlambrogio da Montevecchia (9. Aufl.), Mailand 1846, S. 104.
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Mit seinen literarischen Bestsellern bezog sich auch Cantù auf die Paradigmen der religiösen Politik und plädierte für den Primat der Religion über alle anderen politische Identitäts- und Legitimationsgrundlagen. Er erwähnte mehrmals als das wichtigste Ziel seiner Publikationen, die Leser zu überzeugen, dass die Religion die „Quelle aller Tugenden“ war und „che essa sola può darvi la forza di acquistarle, sola essa può rendervi felici in questa e nell’altra vita“.333 Die religiöse Politik, die die Bestseller von Cesare Cantù und Antonio Bresciani mit implizit-kulturellen Inhalten und Sinnkonstruktionen kommunizierten, charakterisierte auch die Erzählung Ezelino da Romano. Cantùs Werk erschien zunächst im Jahr 1852 als Feuilletonroman in der piemontesischen Literaturzeitschrift Cimento und wurde in den folgenden Jahren immer wieder neu aufgelegt.334 Am Beispiel seines „dämonischen“ Protagonisten Ezelino postulierte der lombardische Schriftsteller die Überlegenheit der guelfischen über die ghibellinische Partei. Er transferierte die allgemein bekannte Geschichte des mittelalterlichen Konflikts zwischen Parteigängern des Kaisers und des Papstes auf die um 1850 aktuelle Debatte über konkurrierende Vorstellungen des italienischen Risorgimento. Dabei plädierte Cantù für eine restriktive Auslegung der neoguelfischen Ideen von Vincenzo Gioberti. Der prominente katholische Autor war der Erhaltung des Status quo grundsätzlich nicht abgeneigt und verurteilte resolut die nationalen Einheitsbestrebungen, die die italienische Einigung abseits der politischen und moralischen Oberherrschaft von Pius IX. forderten. Mit Ezelino verherrlichte Cantù erneut die konservativen Traditionen und die weltliche Macht der katholischen Kirche als einen politischen Gegenentwurf zu den liberalen Nationalstaats- und Reformbemühungen. Damit stellte der lombardische Schriftsteller auch in diesem neuen Bestseller lapidar fest, dass „il popolo italiano, ogni qual volta rialzò la testa, il suo grido fu la Chiesa […] quando volle rigenerarsi lo tentò nel nome di Pio IX.“.335 Auch nach der dramatischen Zäsur von 1861 blieb Cesare Cantù anhaltend populär. Er wurde als Gegner des neugegründeten Nationalstaats mehrmals in das italienische Parlament gewählt und animierte eine marginalisierte Fraktion „antinationaler“ Politiker. Die nationalliberale Presse kritisierte die parlamentarischen Aktivitäten von Cantù und verurteilte die konservative Opposition als das Milieu der „clericali, papisti, settari religiosi oltramontani, essenzialmente nemici dell’Italia e della libertà“.336 Trotz dieser Diskreditierungskampagne, die vor allem die österreich-
333 Cantù, Carlambrogio, S. 109. 334 Vgl. Cesare Cantù, Ezelino da Romano, Turin 1852; Cantù, Ezelino da Romano. Storia di un ghibellino, Mailand 1854; Cantù, Storie minori. Ezelino da Romano (Bd. 1), Turin 1864; Cantù, Ezelino da Romano. Storia di un ghibellino, Mailand 1873. 335 Cesare Cantù, Ezelino da Romano. Storia di un ghibellino, Mailand 1854, S. 390. 336 In diesem Sinne äußerte sich der Publizist Fernando Petruccelli della Gattina. Zit. nach Marino Berengo, Cantù, Cesare. In: DBI 18 (1975). http://www.treccani.it/enciclopedia/cantu-cesare_(Dizionario-Biografico) (13.09.2015).
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freundliche Haltung von Cantù attackierte, zählten seine historischen Romane Margherita Pusterla, Carlambrogio und Ezelino noch in den 1860er und 1870er Jahren zu den beliebtesten Lektüren des italienischen Publikums. Darüber hinaus formulierte der lombardische Schriftsteller auch in den Essays Gli Eretici d’Italia und Della Indipendenza d’Italia seinen antinationalen Protest. Mit diesen polemischen Aufsätzen akzentuierte Cantù die religiöse Politik in einer noch expliziteren und radikaleren Form als in seinen literarischen Bestsellern. Ausgehend von den antiliberalen und nationalismusskeptischen Leitmotiven seiner Storia universale forderte er die nationalliberale Deutungshoheit über die Begriffe Freiheit und Unabhängigkeit heraus.337 Der prominente katholische Autor vermittelte sein vehementes Plädoyer für die christlich-konservativen Ordnungsideen und Wertorientierungen in einer vereinfacht-empathischen Sprache, die sich zwischen Populärliteratur, historischer Darstellung und pädagogischer Erzählung bewegte. Nach Gli Eretici d’Italia und Della Indipendenza d’Italia publizierte Cantù zwischen 1866 und 1876 vier weiter Pamphlete, die die Paradigmen der religiösen Politik gegen den neuen Nationalstaat instrumentalisierten.338 Die historischen Romane von Antonio Bresciani und Cesare Cantù transferierten die Ideale und Erwartungshorizonte der religiösen Politik in eine moralische und kulturelle Dimension, die außerhalb der traditionellen Räume des Politischen zirkulierte. Damit reagierte der Restaurationsdiskurs produktiv auf die politischen Veränderungen und Machtverschiebungen, die sich nach 1848 in den neuen politischen Arenen herauskristallisierten. Bis in die 1870er Jahre hinein erreichten Bresciani und Cantù mit implizit-kulturellen Sinnstiftungs- und Kommunikationsmechanismen ein breites Publikum und flankierten die konservative Opposition gegen die regierenden Moderati. Die europaweit rezipierten Bestseller dieser katholischen Schriftsteller kombinierten Feindbilder und stereotypierten Argumentationsfiguren in einer sehr populären Sprache, die die Paradigmen der religiösen Politik empathisch vermittelte. Die enorme Popularität von Bestsellern wie L’Ebreo di Verona und Margherita Pusterla evozierte für mehrere Generationen katholischer Leser eine attraktive Alternativvorstellung zum literarischen und ideologischen Risorgimento-Kanon. Die historischen Romane von Antonio Bresciani und Cesare Cantù thematisierten die kulturelle Desorientierung und die politische Verunsicherung, die seit 1848 neben der spontanen und inszenierten Nationalbegeisterung für die italienische Einigung existierten. Die religiöse Politik von Bresciani und Cantù untermauerte die weitverbreitete Skepsis gegen den neugegründeten Nationalstaat, die zwar selten in einer offenen Opposition gegen die regierenden Moderati kulminierte, jedoch dazu führte, dass die
337 Vgl. Cesare Cantù, Della Indipendenza d’Italia (Bd. 1), Turin 1872, S. 6–55. 338 Vgl. Cesare Cantù, Due politiche. Idillio di un cittadino di San Marino, Mailand 1866; Cantù, Buon senso e buon cuore, Mailand 1870; Cantù, Portafoglio di un operaio, Mailand 1871; Cantù, Attenzione! Riflessi di un popolano, Mailand 1876.
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liberalen Institutionen und die demokratische Kultur nur konformistisch oder halbherzig unterstützt wurden. Nach den Revolutionen von 1789, 1830 und 1848 entwickelte sich die religiöse Politik sowohl als literarisches und theologisches Konstrukt als auch in Gestalt eines konkreten Oppositionsnetzwerks weiter. Neben dem intellektuellen und emotionalen Austausch zementierte sie auch die pragmatische Zusammenarbeit konservativer Politiker, Theologen und Schriftsteller. Als Solaro della Margarita zwischen 1835 und 1847 das piemontesische Kabinett leitete, kam die religiöse Politik als dominierende Wertorientierung und gleichzeitig als Maxime für konkrete politische Entscheidungen zur Geltung. Einerseits orientierte sich Solaro explizit an religiös-theologischen Ordnungsmustern. Andererseits arbeitete er mit katholischen Prälaten und Theologen zusammen und unterstützte ihre materiellen und propagandistischen Interessen. Antonio Bresciani kommentierte in seinem Briefwechsel mit Solaro enthusiastisch die konservative Bildungs- und Kirchenpolitik sowie die allgemeine normative und kulturelle Unterstützung, die die katholischen Bischöfe und die Jesuiten von der piemontesischen Regierung erhielten.339 Auf die zahlreichen Lob- und Bittschriften von katholischen Priestern und Bischöfen antwortete Solaro fast ausnahmslos positiv und appellierte dabei an die Frömmigkeit von König Karl Albert.340 Nach seiner Entlassung im Oktober 1847 gewannen die sehr guten Kontakte zu prominenten Theologen und Prälaten zunehmend an Bedeutung, weil Solaro dadurch wichtige Informationen und eine konkrete Assistenz bekam, um in der nachrevolutionären Zeit mit neuen politischen Initiativen und Medienoffensiven die regierenden Moderati unter Druck zu setzen. Obwohl Solaro nach den umfassenden Machtverschiebungen um 1850 ein schnelles politisches Comeback als äußerst unwahrscheinlich betrachtete, versuchte er seine Macht und Reputation mithilfe der engen Verflechtungen mit ultrakatholischen Publizisten und Prälaten zu rehabilitieren.341 Als er im Jahr 1854 erneut ins piemontesische Abgeordnetenhaus gewählt wurde und mehrere publizistische Erfolge feierte, würdigte er ausdrücklich die intellektuelle und pragmatische Unterstützung, die die katholische Kirche für seine politischen Aktivitäten leistete.342 Zwischen den 1840er und 1860er Jahren unterhielt Solaro enge politische Kontakte mit dem Erzbischof von Spoleto, Giovanni Battista Arnaldi, mit den Kurienkardinälen Angelo Bianchi und Luigi Amat di San Filippo sowie mit dem Theologen und Herausgeber
339 Vgl. Antonio Bresciani an Clemente Solaro am 10.11.1844 und am 29.11.1845. In: Bresciani, Epistolario (Bd. 2, Teil 2), S. 78–80. 340 Vgl. Clemente Solaro an Angelo Bianchi am 3.10.1842. In: Rivista Municipale di Genova 17 (1939), S. 29. Ferner Solaro an Celestino Gonzaga am 15.71843; Solaro an Giorgio Casaretto am 10.1.1844; Solaro an König Karl Albert am 1.9.1846. In: Rivista Municipale di Genova 17 (1939), S. 31–35. 341 Clemente Solaro an die Tochter Eleonora am 15.3.1851. In: Lovera, Solaro (Bd. 1), S. 354. 342 Vgl. Clemente Solaro, Reden am 30.12.1857 und am 17.2.1858 (APS Discussioni – Sessione del 1857/58, 6. Leg., Bd. 3, S. 203 und 590).
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der Annali d’Italia, Antonio Coppi.343 Solaro korrespondierte auch mit dem Erzbischof von Turin, Luigi Fransoni, der 1850 wegen seiner unnachgiebigen Opposition gegen die Aufhebung der gerichtlichen Immunität des Klerus ins Exil flüchtete.344 Der ehemalige Außenminister diskutierte außerdem häufig mit den Herausgebern der Civiltà cattolica, Bresciani und Taparelli d’Azeglio, sowie mit dem Chefredakteur der ultrakatholischen Zeitung Armonia, Margotti, über programmatische Ideen und politische Initiativen gegen die piemontesische Verfassungs- und Nationalstaatspolitik.345 In der krisenhaften Übergangsphase zwischen Revolution und Nationalstaatsgründung mobilisierte Antonio Brignole-Sale ein weitreichendes Netzwerk von katholischen Publizisten und Prälaten gegen die liberalen Reformen und die Nationalbewegung. Der ehemalige Botschafter in Paris, seit 1848 lebenslängliches Mitglied des piemontesischen Senats, korrespondierte mit den Bischöfen von Genua, Mondovì, Novara, Chambéry, Orleans, Évreux, Tarsus und Tripolis sowie mit den Theologen Giannantonio Arri, Antonio Rosmini und Giacomo Margotti.346 Der Erzbischof von Genua und ehemalige Erzieher von König Viktor Emanuel II., Andrea Charvaz, sowie der Bischof von Mondovì, Tommaso Giovanni Ghilardi, saßen zusammen mit Brignole im piemontesischen Senat. Außerdem stand Brignole auch mit dem mächtigen Kardinal Giacomo Antonelli direkt in Verbindung. In seinen Briefen an den römischen Staatssekretär distanzierte sich der ehemalige Diplomat demonstrativ von dem neugegründeten italienischen Einheitsstaat und versuchte die überregionale Resonanz seiner Publikationen und
343 Vgl. Clemente Solaro an Antonio Coppi am 7.9.1852 (MCRR/F.064/7/26/1). Außerdem korrespondierte Solaro zwischen 1837 und 1847 mit dem päpstlichen Legat in Ravenna, Luigi Amat (MCRR/ Amat/13/12/4, 5, 7, 10–12). Zur Korrespondenz Solaro-Arnaldi und Solaro-Bianchi vgl. Lovera, Solaro (Bd. 1), S. 246 sowie Rivista Municipale di Genova 17 (1939), S. 29. 344 Die politische Korrespondenz zwischen Solaro und Fransoni verdichtete sich vor allem in den Jahren 1857–1860. Vgl. Lovera, Solaro (Bd. 1), S. 316 und Bd. 3, S. 305–314. 345 Die umfangreiche Korrespondenz Solaro-Taparelli war besonders Mitte der 1850er-Jahre intensiv und politisch relevant. Vgl. Taparelli, Carteggio, S. 374, 401, 411, 468, 506–508, 602–604 und 662. Ferner Lovera, Solaro (Bd. 1), S. 283. Zur Korrespondenz Solaro-Bresciani und Solaro-Margotti vgl. Bresciani, Epistolario (Bd. 2, Teil 2), S. 78–80 sowie Lovera, Solaro (Bd. 1), S. 306. 346 Zwischen 1859 und 1862 sandte der Bischof von Mondovì und Mitglied des piemontesischen Senats Tommaso Giovanni Ghilardi 27 Briefe an Antonio Brignole-Sale (ABS – lett. mittente – serie 40 – n. 6914–6941). Brignole korrespondierte auch mit den Bischöfen von Chambéry, Orleans, Évreux, Tarsus, Tripolis und Novara (ABS – Serie corr. V 40, nr. 6944–6953 und ABS – lettere per mittente – serie 3 – n. 412–417). Besonders wichtig war die enge Verbindung zwischen Brignole und Andrea Charvaz, dem Erzbischof von Genua und ehemaligen Erzieher von König Viktor Emanuel II. (ABS – Corr. Fam. – Lettere xix sec. – serie 3 – busta 4). Zwischen Charvaz und Brignole kam es regelmäßig zu persönlichen Begegnungen, da sich Brignole nach 1850 immer öfter in Genua aufhielt. Nach dem Tod von Brignole verfasste Andrea Charvaz einen enthusiastischen Nachruf. Vgl. Charvaz, Éloge funèbre de son excellence le marquise Antoine Brignole Sale, Genua 1863. Zum Briefwechsel Brignole-Margotti: ABS – lett. per mittente – serie 21. Zur Korrespondenz Brignole-Arri: AAS Cart. 17878–17882. Zu den Briefen von Brignole an Rosmini: Scovazzi, Voci, S. 96.
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Protestinitiativen gegen die Moderati zu stärken.347 In diesem Zusammenhang kontaktierte Brignole auch den apostolischen Nuntius in Wien, Antonio Saverio de Luca.348 Als lapidare Ausformulierung für seinen antiliberalen Protest gegen die italienische Einigung betonte der genuesische Aristokrat immer wieder das politische Mantra: „Io pongo la religione innanzi alla politica“.349 Mit dieser antisäkularen Maxime sprach er sich in dem dramatischen Loyalitätskonflikt zwischen Kirchen- und Königstreue eindeutig für das „Himmelreich“ aus. Die Überordnung der religiös-kirchlichen Autorität über das „irdische“ Vaterland kam in Brignoles parlamentarischen und publizistischen Aktivitäten überdeutlich zum Ausdruck und kulminierte auch in der Beteiligung des ehemaligen Diplomaten an regelrechten politischen Intrigen gegen die piemontesische Regierung.350 Im 19. Jahrhundert blieb auch in Preußen die politische Präsenz von religiös-theologischen Semantiken und Handlungsmustern unübersehbar. Bis in die 1860er Jahre hinein erhob die überwiegende Mehrheit konservativer Politiker und Intellektueller die „Rechristianisierung zur universellen Lösung“ für die sozialen und politischen Transformationskrisen.351 Dabei generierte die religiöse Politik sowohl explizite Argumentationsstrategien als auch implizit-kulturelle Sinnstiftungsmechanismen, die über die konfessionellen Barrieren hinweg auf große Resonanz stießen.352 Im „Zeitalter der Kulturkämpfe“, die mit dem Kölner Kirchenstreit um 1840 begannen und nach der Reichsgründung kulminierten, nahmen die Konflikte über kirchenpolitische Themen und zwischen Säkularisierungs- und Rechristianisierungsimpulsen kontinuierlich zu.353 Trotz unterschiedlicher Akzentuierungen und weitverbreiteter Animositäten setzten sich konservative Politiker und Publizisten beider Konfessionen zum
347 Vgl. Antonio Brignole-Sale an Giacomo Antonelli am 25.2.1860 und 8.3.1860 (ABS – Corr. Fam. – Lettere xix sec. – serie 3 – busta 4). 348 Vgl. Antonio Brignole-Sale an Antonio Saverio de Luca am 1.3.1861 (ABS – Serie corrispondenza V 40, n. 6974). 349 Antonio Brignole Sale an die Tochter Maria am 6.11.1861 (ABS – Corr. Fam. – Lettere xix sec. – serie 3, busta 1, nr. 58). 350 Im Jahr 1851 schickte zum Beispiel das Konsulat des Kirchenstaats in Marseille ein geheimes Paket an Brignole. Das konspirative Material wurde im Hafen von Genua von Brignoles Privatsekretär abgeholt. Vgl. Privatsekretär von Antonio Brignole-Sale an das päpstliche Konsulat in Marseille am 4.3.1851 (ABS – Reg. di lettere 1848/52 – inv. 158 serie 52, S. 324). 351 Albrecht, Preußen, S. 462. 352 In den preußischen Kernprovinzen war die religiöse Politik mit dem protestantischen Ethos, mit der pietistischen Erweckungsbewegung und der Suggestion der konfessionellen Mission des Hohenzollernstaats eng verflochten. Ausführlich zum Einfluss der protestantischen Erweckungsbewegung auf die preußische Schulverwaltung, die Geschichtsschreibung und die privaten Glaubenserfahrungen vgl. Schnurr, Weltreiche, S. 379–389. 353 Vgl. Bärbel Holtz, Einleitung. In: PPS (Bd. 4/1), S. 1–46, hier S. 22–24. Siehe auch Olaf Blaschke, Das Deutsche Kaiserreich im Zeitalter der Kulturkämpfe. In: Das Deutsche Kaiserreich in der Kontroverse. Hrsg. von Sven Oliver Müller u. Cornelius Torp, Göttingen 2009, S. 185–202.
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Ziel, den „irdischen“ Staat so weit wie möglich „in Übereinstimmung mit den Vorschriften der Bibel“ zu gestalten.354 In den katholischen Rheinprovinzen und in Polen eskalierte nach der Verhaftung der Erzbischöfe von Köln und Posen im Jahr 1838 eine massive Auseinandersetzung, die zur „dauerhaften Radikalisierung des Katholizismus“ führte.355 Die energische Reaktion der preußischen Regierung gegen die zwei katholischen Prälaten, die die Reorganisation der konfessionell gemischten Ehe schroff ablehnten, rief viele Protestdemonstrationen und eine Flut von gegeneinander polemisierenden Kampfschriften hervor. Im Zusammenhang mit dem Kölner Kirchenstreit verfasste der katholische Publizist Joseph Görres den langen Essay Athanasius und fand damit europaweit eine enorme und nachhaltige Resonanz.356 Nach diesem vielgelesenen Pamphlet erschienen unzählige andere Publikationen, die die Maxime des Athanasius enthusiastisch kommentierten oder umgekehrt die preußische Position resolut verteidigten, indem sie Görres als „Verkünder der papistischen Leidenschaft“ diffamierten.357 Am 1. April 1838, wenige Woche nach Erscheinen des Athanasius, gründete Görres zusammen mit den konservativen Katholiken Karl Ernst Jarcke und George P. Phillips die einflussreiche Zeitschrift Historisch-politische Blätter für das katholische Deutschland, die an der Ausbildung des politischen Katholizismus maßgeblichen Anteil hatte.358 Seit dem „ersten“ Kulturkampf eskalierten ständig neue konfessionelle und kirchenpolitische Krisen wie etwa der Sonderbundskrieg von 1847, der Badische Kulturkampf um 1860 und schließlich seit 1871 der tiefgreifende Konflikt zwischen der preußischen Regierung und der katholischen Kirche.359 Im Zeitalter der Kulturkämpfe erhielten die literarischen und theologischen Texte prominenter katholischer Publizisten wie die von Joseph Görres, dem Bischof von Mainz Wilhelm Emanuel von Ketteler, dem englischen Kardinal Nicholas Wiseman und der Schriftstellerin Ida Hahn eine enorme Relevanz für die politische und kulturelle Identitätsstiftung.
354 Kroll, Militär, S. 13. 355 Christopher Clark, Preußen. Aufstieg und Niedergang 1600–1947, Bonn 2007, S. 484. 356 Joseph Görres berichtete in der 4. Auflage von Athanasius über den unerwartet großen Erfolg seines Pamphlets. Jedoch betonte der katholische Publizist, dass diese „Verteidigungsschrift“ gegen seine ursprüngliche Intention als ein „Feuerbrand gegen die preußische Regierung“ rezipiert wurde. Vgl. Joseph Görres, Athanasius, Regensburg 1838, S. V und XIX–XXI. 357 Vgl. Heinrich Laube, Görres und Athanasius, Leipzig 1838, S. 2. Ferner Friedrich Arnold Steinmann, Anti-Anthanasius, Leipzig 1838. In wenigen Monaten erschienen deutschlandweit zahlreiche andere Pamphlete, die sich mit Athanasius auseinandersetzten. Darunter Johann Schlemmer, Görres in seinem Athanasius als unbedingter Verteidiger des Erzbischofs von Droste-Vischering, Nürnberg 1838; Karl Gutzkow, Die rothe Mütze und die Kapuze, Hamburg 1838. 358 Vgl. Dieter J. Weiß, Katholischer Konservatismus am Scheideweg. Die „Historisch-Politischen Blätter“ und die „Gelben Hefte“. In: Konservative Zeitschriften zwischen Kaiserreich und Diktatur. Hrsg. von Hans-Christof Kraus, Berlin 2003, S. 97–114. 359 Blaschke, Kaiserreich, S. 188. Ferner Lamberts, Conclusion, S. 465–480.
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In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gewann der klerikalisierende, scholastische und aggressive Ultramontanismus des Vatikans, der Jesuiten und des südeuropäischen Klerus zunehmend an Bedeutung: „Diese Bewegung hatte sich, wie überall in Europa, im zweiten Jahrhundertdrittel auch in Deutschland durchgesetzt, alle Tendenzen zur Öffnung gegenüber der Moderne oder gar zur Vermittlung zurückgedrängt.“360 Im Jahr 1862 äußerte sich der evangelische Theologe Hermann Ferdinand von Uhden sehr besorgt über die „Rührigkeit“, die die katholische Kirche „auf den Gebiete der Literatur“ demonstrierte.361 Uhden betrachtete Wiseman, Ketteler und Hahn als die Hauptvertreter der bedrohlichen Rührigkeit der Katholiken. Der konservative Theologe attackierte die „drohende Verführung“ der „politische[n] Broschüren, Romane, Skizzen, Schriften leichteren Inhalts“, die die katholischen Autoren produzierten.362 Genauso wie die historischen Romane von Bresciani und Cantù wurden sie in einer unterhaltsamen Form verfasst und fanden „großen Eingang in die Leserkreise Deutschlands“.363 Damit betrachtete Uhden die implizit-kulturellen Sinnstiftungs- und Kommunikationsmechanismen des konservativen Diskurses als eine erfolgreiche Argumentationsstrategie, um politische Inhalte in Form zur Unterhaltung zu vermitteln. Bemerkenswerterweise behauptete der evangelische Theologe, dass die Formation des italienischen Nationalstaats den zunehmenden Erfolg der katholischen Publizistik und Unterhaltungsliteratur ausgelöst hatte. Die „Unternehmungen“ Viktor Emanuels II. mobilisierten einen massiven Protest der katholischen Kirche, die seitdem mit den „Waffen des Wortes“ eine ständig wachsende Wirksamkeit in den protestantischen Ländern entfaltete.364 Uhden appellierte an alle Protestanten, gegen das „schwere Unrecht“ der piemontesischen Regierung genauso stark wie die Katholiken zu protestieren und damit auch gegen die Wirksamkeit der römischen Kirche in Preußen zu opponieren.365 Einer der „rührigen“ katholischen Publizisten, die Hermann Ferdinand von Uhden in seinem Pamphlet attackierte, war Ida von Hahn (1805–1880). Ähnlich wie die Literatur von Bresciani und Cantù wurden die sentimentalen und frommen Bücher der prominenten Autorin von einem sehr breiten Publikum gelesen und bewundert. Internationale Bestseller wie Faustine (1841), Maria Regina (1860) und Doralice (1861) traten für die religiöse Politik ein und fanden europaweit eine große Resonanz.366 Im Jahr 1851 kulminierte das christlich-konservative Engagement Ida Hahns mit ihrem
360 Nipperdey, Geschichte, S. 428. 361 Uhden, Bischof, S. 4. 362 Uhden, Bischof, S. 4–5. 363 Uhden, Bischof, S. 5. 364 Uhden, Bischof, S. 7. 365 Uhden, Bischof, S. 8. 366 Mehrere Romane von Ida Hahn erschienen auch in italienischer und französischer Übersetzung. Vgl. Ida Hahn, La comtesse Faustine, Paris 1864; Hahn, Doralice: scènes de mœurs contemporaines,
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aufsehenerregenden Übertritt zum Katholizismus. Genauso wie die berühmte Dichterin Luise Hensel, die ebenfalls zum römischen Glauben konvertierte, stellte auch Hahn ihr neues Glaubensbekenntnis demonstrativ zur Schau und wurde dafür von protestantischen Publizisten und Theologen heftig kritisiert. Vor allem in Preußen rief die Konversion von Ida Hahn viele polemische Reaktionen hervor. Auch der Theologe und enge Mitarbeiter Bismarcks Heinrich Abeken setzte sich in dem anonymen, aber deutlich autobiographisch inspirierten Pamphlet Von Babylon nach Jerusalem mit den erfolgreichen Publikationen von Luise Hensel und Ida Hahn kritisch auseinander.367 Luise Hensel, die aufgrund ihrer gemeinsamen Konversionserfahrung von Ida Hahn als Mentorin betrachtet wurde, entschloss sich bereits im Jahr 1818, neben anderen prominenten Intellektuellen wie Adam Müller, Friedrich Schlegel und Carl Ludwig von Haller, ihre Rückbesinnung auf religiöse Wertorientierungen und Ordnungsideen mit dem Übertritt zum Katholizismus zu verdeutlichen.368 Sie wurde nach den antinapoleonischen Kriegen in Berlin sozialisiert und trat dort mit den christlichromantischen Intellektuellenkreisen um Clemens Brentano und Ludwig von Gerlach in Verbindung. Die meistgelesene Liedersammlung von Luise Hensel erschien erstmals im Jahr 1869 und wurde insgesamt 14 Mal neu aufgelegt. Das Buch beinhaltete über 150 Poesien, die mit biblischen Semantiken und einer vereinfachten und repetitiven Sprache religiöse Suggestionen und Wertorientierungen verbreiteten.369 Ähnlich wie Hahn formulierte auch Hensel ihre konservative Position sowohl in einer implizit-kulturellen Form als auch mit expliziten Argumentationsfiguren. Mit ihrer Poesie 1848 trat die erfolgreiche Dichterin unmissverständlich für die religiöse Politik ein und dämonisierte die Revolution als „Unsinn“, „Schande“, „Lüge, Raub und Neid.“370 In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren historische Romane besonders populär. Sie wurden zu über 20 Prozent von Frauen verfasst und vor allem von Leserinnen konsumiert.371 Im Gegensatz zu ihrem Vorbild Luise Hensel, die erst nach 1850 ein breites Publikum erreichte, war Ida Hahn bereits in den 1840er Jahren sehr populär. Zwischen 1835 und 1878 veröffentlichte die konservative Autorin 48 umfang-
Paris 1864; Hahn, Pérégrin, Paris 1865. Auf Italienisch: Hahn, Maria Regina: racconto contemporaneo, Rom 1864; Hahn, Doralice: scene contemporanee, Rom 1865. 367 Vgl. Heinrich Abeken, Babylon und Jerusalem. Ein Sendschreiben an Ida Grafin Hahn-Hahn, Berlin 1851. Ausführlich zu Abeken: Wolfgang Frischbier, Heinrich Abeken (1809–1872). In: Bismarcks Mitarbeiter. Hrsg. von Lothar Gall u. Ulrich Lappenküper, Paderborn 2009, S. 43–68. 368 Vor allem löste die Konversion von Haller im Jahr 1821 eine europaweit intensiv geführte Diskussion aus. Ausführlich dazu siehe Kap. 1.1.1. 369 Luise Hensel, Lieder, Paderborn 1869. Exemplarisch für die christlich-konservative Position der Autorin sind die Poesien Stilles Gotteslob von 1814 (S. 1), Jesu Herz von 1820 (S. 113) und Wer das Reich Gottes nicht annimmt, wie ein Kind, der wird nicht eingehn von 1853 (S. 139). 370 Hensel, Lieder, S. 321. 371 Hagemann, Frauen, S. 238.
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reiche Erzählungen und Romane. Mit dem Übertritt zum Katholizismus verstärkte sich der politisch-ideologische Charakter von Hahns zahlreichen literarischen Arbeiten. Nach der Konversion wurde die prominente Schriftstellerin zunehmend umstritten und polarisierte ihre Leser. Bei den Katholiken fand sie eine uneingeschränkte und teilweise exaltierte Zustimmung, während die Protestanten ihre bis dahin überkonfessionell beliebte Literatur heftig kritisierten. In ihrem Bestseller Maria Regina bezog die katholische Schriftstellerin eine überdeutlich politisch gefärbte Position gegen die liberalen Reformbemühungen. Im Sinne der christlich-legitimistischen Restaurationsideologie betrachtete sie die Freiheit als „freiwillige Unterwerfung von gottentstammter Autorität“.372 Genauso wie Haller und Gerlach differenzierte auch Hahn zwischen falschem Fortschritt und „freiwilliger Bewegung in die Richtung auf christlich-sittliche Vollkommenheit“.373 Mit ihrer pathetischen, repetitiven, aber sehr erfolgreichen Literatur reaktivierte und popularisierte Ida Hahn die traditionellen Paradigmen des lang andauernden Restaurationsdiskurses. Im Gegensatz zu ihren anderen Publikationen, die ausschließlich religiös-theologische oder moralisch-pädagogische Themen fokussierten, wurde der Bestseller Maria Regina eindeutig als ein politischer Roman konzipiert. Hahn dämonisierte die Revolution und die Reformbemühungen, indem sie den Liberalen unterstellte, sie verfolgten das Ziel, „Thron und Kirche zu stürzen und Fürsten und Priester aus der Welt zu schaffen“.374 Erneut im Jahr 1861 plädierte die erfolgreiche Autorin in dem Roman Doralice vehement für den Primat der katholischen Kirche und stigmatisierte die emanzipatorische „Trennung von der göttlichen Offenbarung“ und von „Gottes Liebe und Wahrheit“.375 Hahn polemisierte zwar gegen die protestantische Theologie, jedoch vertrat sie in erster Linie eine konfessionsunabhängige konservative Position gegen die vermeintlich „trübe Zeitströmung“, die das Leben von der Religion ablöse und damit die „göttliche Wahrheit“ und das „göttliche Gesetz“ diskreditiere.376 Die zahlreichen Bestseller von Ida Hahn wurden umfassend rezipiert und trugen entscheidend dazu bei, die politische und kulturelle Präsenz des Restaurationsdiskurses zu perpetuieren. Die katholische Autorin engagierte sich für die religiöse Politik und stand mit einflussreichen Prälaten wie Melchior von Diepenbrock (1798–1853) und Wilhelm Emanuel von Ketteler (1811–1877) in enger Verbindung.377
372 Ida Hahn, Maria Regina (Bd.1), Mainz 1860, S. 292. 373 Hahn, Maria, S. 292. 374 Hahn, Maria, S. 298. 375 Ida Hahn, Doralice (Bd. 1), Mainz 1861, S. 258. 376 Hahn, Doralice, S. 262. 377 Vgl. Melchior von Diepenbrock an Wilhelm Emanuel von Ketteler im Januar 1850 und am 1.2.1850. In: Ketteler, Werke, S. 439. Ferner Ketteler an Ida Hahn am 8.2.1850. In: Ketteler, Werke, S. 444; Diepenbrock an Ketteler am 19.3.1850 und am 31.3.1850. In: Ketteler, Werke, S. 452 und 467; Ketteler an
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Seit den 1840er Jahren spielte der Bischof von Breslau eine zunehmend wichtige Rolle für die religiöse Politik, jedoch vermied er eine offene Konfrontation mit dem preußischen Staat und knüpfte enge Kontakte zum König Friedrich Wilhelm IV. Genauso wie Ketteler wurde auch Diepenbrock im Jahr 1848 in die deutsche Nationalversammlung gewählt.378 In Frankfurt arbeiteten die zwei Bischöfe mit Joseph Maria von Radowitz zusammen und organisierten den Katholischen Klub.379 In seinen Predigten und Hirtenbriefen, die als Flugschriften deutschlandweit zirkulierten, blickte Diepenbrock meistens auf die Französische Revolution und auf die antinapoleonischen Kriege zurück. Dabei idealisierte er die Restauration als den Triumph der religiösen Politik, die ihr „heiliges Gesetz“ gegen die „Flammenzüge der Hölle“ durchsetze.380 Mit einer ähnlich überhöhten Sprache wie Haller und Gerlach stigmatisierte der katholische Prälat auch alle aufklärungsfreundlichen und liberalen Reformideen, weil sie mit dem „zerfressende[n] Gift der Gottlosigkeit und der Selbstsucht“ die „geschichtlichen und geselligen Bänder“ erodierten.381 Ähnlich wie die anderen Protagonisten der religiösen Politik in Preußen und Piemont polemisierte auch Diepenbrock gegen die protestantische Theologie, jedoch setzte er sich als übergeordnetes Ziel, die liberalen Reformen und die Nationalbewegung mit christlich-konservativen Orientierungskonzepten herauszufordern. Obwohl der Bischof von Breslau gegen den antirevolutionären und überkonfessionellen Duktus der Heiligen Allianz grundsätzlich nichts einzuwenden hatte, hob er deutlich hervor, dass vor allem die katholische Kirche „in Seinem Namen und Auftrage die irdische Geschichte“ lenke und „uns zu treuen Unterthanen des Fürsten“ mache.382 Diepenbrock thematisierte in seinen Predigten und Hirtenbriefen die religiöse Politik sowohl mit expliziten Argumentationsstrategien als auch mit implizit-kulturellen Kommunikations- und Sinnstiftungsmechanismen. Exemplarisch dafür war der populäre Sammelband Geistlicher Blumenstrauß aus christlichen Dichter-Gärten, der zuerst im Jahr 1829 erschien und mehrfach neu aufgelegt wurde. In dieser 500-seitigen, transnational konzipierten Publikation übersetzte und kommentierte Diepenbrock zahlreiche Sonette, Aphorismen und geistlich-fromme Lieder von prominenten
Hahn am 20.6.1850. In: Ketteler, Werke, S. 512. Vgl. auch Briefwechsel des Kardinals Diepenbrock mit Ida Hahn vor und nach ihrer Konversion. Hrsg. von Alfons Nowack, München 1931. 378 Der preußische König äußerte sich enthusiastisch über Diepenbrocks Wahl in die deutsche Nationalversammlung. Vgl. Friedrich Wilhelm IV. an Melchior von Diepenbrock am 15.5.1848. In: Haenchen, Revolutionsbriefe, S. 99. 379 Wilhelm Emanuel an Richard von Ketteler am 17.9.1848. In: Ketteler, Werke (Bd. 2), S. 345. 380 Melchior von Diepenbrock, Die Zeichen der Zeit. Predigt am Silvesterabend 1840, Regensburg 1841, S. 4. 381 Diepenbrock, Zeichen, S. 18. 382 Melchior von Diepenbrock, Hirtenbrief an den gesamten ehrwürdigen Klerus, Regensburg 1845, S. 51. Diese Amtseintrittsrede wurde im selben Jahr auch in Breslau veröffentlicht.
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katholischen Intellektuellen wie Lope de Vega, Clemens Brentano, Luise Hensel und Alessandro Manzoni.383 Als Abgeordneter der deutschen Nationalversammlung agierte Ketteler mit Diepenbrock und Radowitz im Katholischen Klubb und erreichte um 1870 im Rahmen des eskalierenden Kulturkampfs den Höhepunkt seines politischen und programmatischen Einflusses. Neben zahlreichen Predigten und Hirtenbriefen verfasste der Bischof von Mainz auch vier politische Pamphlete, die vehement gegen die preußische Kirchenpolitik protestierten und zwischen 1872 und 1874 insgesamt 18 Mal neu aufgelegt wurden. Kettelers Forderung nach einer politischen Meinungsmobilisierung der katholischen Opposition fand eine große Resonanz.384 Mit dem Pamphlet Freiheit, Autorität und Kirche von 1862 schilderte Ketteler plastisch seine konservative Position und setzte sich mit den politischen „Problemen der Gegenwart“ eingehend auseinander.385 Dieser Essay fand eine enorme Resonanz und wurde innerhalb weniger Monate sieben Mal neu aufgelegt. Freiheit, Autorität und Kirche erschien auch in einer Volksausgabe, die die „Anschaffung [des Buches] in allen Kreisen des Volkes“ ermöglichte.386 Über die „Probleme der Gegenwart“ und gegen den liberalen Verfassungs- und Nationaldiskurs äußerte sich Ketteler auch in den Pamphleten Deutschland nach dem Kriege von 1866 (1867) und Das allgemeine Conzil (1869). Diese Publikationen erreichten ebenfalls eine große Resonanz und wurden auch ins Französische, Niederländische, Polnische, Ungarische, Italienische und Englische übersetzt.387 Die Verbreitung und die Rezeption von Kettelers politischen Schriften wurden nicht dem Zufall überlassen. In seinem Vorwort für Freiheit, Autorität und Kirche hob der Bischof von Mainz die zentrale Bedeutung einer modernen Organisation und Kommunikation der religiösen Politik hervor und appellierte damit an „die Einigkeit in den Bestrebungen der Katholiken in den Gebieten des öffentlichen Lebens“.388 Ketteler plädierte auch in seinem Briefwechsel mit dem hessischen Ministerpräsident
383 Vgl. Melchior von Diepenbrock, Geistlicher Blumenstrauß aus christlichen Dichter-Gärten den Freunden heiliger Poesie dargeboten (3. Aufl.), Sulzbach 1854, S. 491–496. 384 Vgl. Wilhelm Emanuel von Ketteler, Die Centrums-Fraction auf dem ersten Deutschen Reichstage (3. Aufl.), Mainz 1872; Ketteler, Die preußischen Gesetzentwürfe über die Stellung der Kirche zum Staat (6. Aufl), Mainz 1873; Ketteler, Die Katholiken im Deutschen Reiche (3. Aufl.), Mainz 1873; Ketteler, Die Anschauungen des Cultusministers Herr Dr. Falk über die katholische Kirche (6. Aufl.), Mainz 1874. 385 Der Untertitel von Freiheit, Autorität und Kirche lautete „Erörterungen über die großen Probleme der Gegenwart.“ 386 Vgl. Wilhelm Emanuel von Ketteler, Freiheit, Autorität und Kirche (6. Aufl.), Mainz 1864, S. III. 387 Das Pamphlet Deutschland nach dem Kriege von 1866 erreichte innerhalb weniger Monaten die sechste Auflage und wurde ins Französische, Holländische, Polnische und Ungarische übersetzt. Im Jahr 1869 verfasste Ketteler den Essay Das allgemeine Conzil und seine Bedeutung für unsere Zeit, der wiederum fünf Mal neu aufgelegt wurde und auch in Frankreich, Italien, England und ÖsterreichUngarn erschien. 388 Ketteler, Freiheit, S. VI.
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Dalwigk für das politische „Treiben“ von Religion und Kirche, um die konservativen „Grundsätze des Christenthums und des Rechtes“ zu untermauern.389 Im Sinne der legitimistischen Restaurationsideologie und in Anlehnung an die reaktionäre Umorientierung der römischen Kurie nach 1849 nahm Ketteler immer wieder den Geist der Revolution ins Visier. Dabei assoziierte er moralische und politische Argumentationsfiguren und beschrieb die revolutionären Ideen als das Produkt von „Egoismus“ und „Selbstsucht“.390 Demzufolge konstatierte Ketteler, dass sich der Geist der Revolution nur habe durchsetzen können, weil „der Mensch seine Ehre und seinen Willen der Ehre und dem Wille Gottes“ übergeordnet habe.391 Dabei kritisierte der katholische Bischof sowohl den „herrschsüchtig[en] und eifersüchtig[en]“ Absolutismus als auch die „Centralisation“ der neuen Nationalstaaten.392 Als positiven Gegenentwurf zu den liberalen Partizipations- und Legitimationstheorien hob Ketteler das Paradigma des christlichen Staats hervor und betrachtete den Geist des Christentums als das „höchste Ideal der weltlichen Gewalt“.393 In seinen politischen Pamphleten reaktivierte der Bischof von Mainz die Paradigmen des Restaurationsdiskurses und lehnte den „falschen, modernen Liberalismus“ schroff ab. In Anlehnung an die überwiegende Mehrheit der Konservativen, die die Rechristianisierung als universelle Lösung für die sozialen und politischen Transformationskrisen proklamierte, kritisierte Ketteler den falschen Liberalismus als „Absolutismus unter dem Scheine der Freiheit“, die „alle hohen Güter der Menschheit“ bedrohe.394 Ausgehend von der umfassenden politischen Funktionalisierung theologischer Semantiken und Suggestionen schloss sich der Bischof von Mainz den anderen Befürwortern der religiösen Politik in der Verurteilung der italienischen und der deutschen Nationalstaatsgründung an. In diesem Sinne lehnte Ketteler der „Nationalhochmuth“ und die „bornierte Deutschthümelei“ als verwerfliche und falsche Ideen vehement ab.395 Statt der kleindeutschen Reichsgründung befürwortete Ketteler als Lösung für die deutsche Frage ein großdeutsch-föderalistisches Modell, das eigentlich nur die Aufrechterhaltung des politischen Status quo und des Deutschen Bundes suggerierte.396 Die allgemein bekannten Poesien und die Erzählungen der preußischen Autorin Marie Nathusius (1817–1857) bildeten für das protestantische Publikum eine populäre Kontrastfolie zu den Bestsellern von Luise Hensel und Ida Hahn. Genauso wie ihre katholischen Kolleginnen thematisierte auch Marie Nathusius die Paradigmen
389 Wilhelm Emanuel von Ketteler an Reinhard von Dalwigk zu Lichtenfels am 11.8.1859. In: Ketteler, Werke (Bd. 2,3), S. 542. 390 Ketteler, Freiheit, S. 21. 391 Ketteler, Freiheit, S. 21. 392 Ketteler, Freiheit, S. 21–22. 393 Ketteler, Freiheit, S. 22. 394 Ketteler, Freiheit, S. 57. 395 Ketteler, Freiheit, S. 68. 396 Vgl. Ketteler, Freiheit, S. 130–132.
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der religiösen Politik mit implizit-kulturellen Sinnstiftungsmechanismen. In ihren pädagogischen Frauenerzählungen verwendete die preußische Autorin die biblische Sprache sowie die repetitiven und moralischen Themen, die der Erfolgsroman Maria Regina und die Lieder von Luise Hensel ebenfalls charakterisierten. Marie Nathusius wuchs als Pfarrerstochter in Magdeburg auf und erreichte nach 1850 eine enorme Popularität. Zusammen mit ihrem Bruder, dem erzkonservativen Theologen Carl Scheele, blieb sie in der pietistischen und orthodox-lutherischen Erfahrungswelt der preußischen Kernprovinzen fest verankert. Ähnlich wie Ida Hahn stand auch Marie Nathusius im Zentrum eines einflussreichen Netzwerks konservativer Theologen und Publizisten, die um 1850 die religiöse Politik als ideologischen und moralischen Gegenentwurf zum liberalen Diskurs instrumentalisierten. Im Jahr 1841 heiratete die preußische Schriftstellerin den reichen Industriellen Philipp Nathusius. Nach der Revolution von 1848 zog sich Nathusius von der operativen Leitung seines Familienunternehmens zurück, erwarb das Gut Neinstedt in der preußischen Provinz Sachsen und engagierte sich auf konservativer Seite gegen die liberalen Reformbemühungen. Im Jahr 1849 übernahm er die Redaktion der konservativen Zeitschrift Volksblatt für Stadt und Land und konkretisierte damit seine Ambition, das Reich Gottes gegen die Revolution publizistisch zu verteidigen.397 Während ihr Ehemann eine der führenden antiliberalen Zeitungen leitete, ergab sich für Marie Nathusius die Möglichkeit, die politische Linie des Volksblatts mit ihrer christlich-konservativen Unterhaltungsliteratur zu flankieren. Als Marie Nathusius die meisten ihrer Bestseller dort zunächst als Feuilletonromane publizierte, gewann das Volksblatt eine immer größere Resonanz. Außerdem überzeugte Philipp Nathusius auch prominente konservative Politiker und Intellektuelle wie Heinrich Leo, Friedrich Julius Stahl, Hermann von Gauvain und Ludwig von Gerlach, mit seiner Zeitung zusammenzuarbeiten und mit der religiösen Politik gegen die liberalen Reformbemühungen und die Nationalbewegung zu polemisieren.398 Nach der Erstveröffentlichung als Feuilletonromane erreichten die fromm-sentimentalen Erzählungen von Marie Nathusius auch als Buchedition eine enorme Popularität. Das Tagebuch eines armen Fräuleins kam im Jahr 1853 heraus und erwies sich sofort als ein großer Publikumserfolg. Bereits zwei Jahre später erschien der Band „zur Unterhaltung und Belehrung für junge Mädchen“ in der vierten Auflage und wurde bis 1899 noch 18 Mal wieder gedruckt.399 Vor allem zwischen 1850 und ihrem Tod im Jahr 1857 blieb Marie Nathusius äußerst produktiv. Sie schrieb über 20 Erzäh-
397 Vgl. Thomas Schlag, Martin von Nathusius und die Anfänge protestantischer Wirtschafts- und Sozialethik, Berlin 1998, S. 58. 398 Vgl. Schlag, Nathusius, S. 59. 399 Marie Nathusius, Tagebuch eines armen Fräuleins. Abgedruckt zur Unterhaltung und Belehrung für junge Mädchen (4. Aufl.), Halle 1855. Ferner Nathusius, Tagebuch eines armen Fräuleins (18. Aufl.), Halle 1899.
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lungen und Romane, darunter fünf große Bestseller, die noch in den 1850er Jahren erschienen. Genauso wie das Tagebuch eines armen Fräuleins erreichte die moralische Erzählung Elisabeth wenige Monate nach ihrer Erstveröffentlichung die vierte Auflage und gewann ebenfalls eine enorme Popularität. In Deutschland wurde Elisabeth bis Mitte der 1880er Jahre noch 14 Mal neu aufgelegt und auch ins Englische und Französische übersetzt.400 Die Popularität und die Relevanz der konservativen Unterhaltungsliteratur zeigen sich umso deutlicher, wenn man den Erfolg von Marie Nathusius, Luise Hensel und Ida Hahn mit dem ihres prominenten Zeitgenossen Theodor Fontane vergleicht. Während die Publikationen dieser Autorinnen regelmäßig die 10. und teilweise auch die 20. Auflage erreichten, wurde in Fontanes Lebenszeit keiner seiner Romane und keine seiner Novellen über fünf Mal neu aufgelegt.401 Zum großen und nachhaltigen Publikumserfolg von Nathusius, Hensel und Hahn trugen sowohl die populäre Sprache und die vereinfachten Inhalte ihrer Publikationen als auch die massenhafte Verbreitung durch die „gute Presse“ bei. In diesem Sinne engagierten sich Zeitungen wie das Volksblatt oder die 1864 neugegründete und in Norddeutschland vielgelesene Familienzeitschrift Daheim für die „Beförderung einer guten Literatur“, die in erster Linie „Religion und gute Sitte“ vermitteln sollte.402 Tagebuch eines armen Fräuleins, Elisabeth und die anderen fromm-sentimentalen Erzählungen von Marie Nathusius markierten mit konfessionsbedingten Abweichungen die gleichen christlich-konservativen Wertorientierungen und Ordnungsideen der religiösen Politik, die auch ihre katholischen Kolleginnen Ida Hahn und Luise Hensel thematisierten. Ausgehend von repetitiven und pathetischen Erziehungs-, Familien- oder Liebesthemen, popularisierten sie die Ordnungsmuster des Restaurationsdiskurses. Der große und nachhaltige Publikumserfolg dieser Schriftstellerinnen untermauerte die Bedeutung der Religion als massenkompatible Integrationsideologie. Die gute Presse und die gesunde Literatur kommunizierten in einer breiten Öffentlichkeit religiöse Semantiken, Suggestionen und Frömmigkeitspraktiken, die nach 1848 ein konservatives Archiv der Imaginationen bildeten und auch politischideologische „Visionen und Stigmatisierungen“ generierten.403 Das breite Publikum von Nathusius, Hahn und Hensel suchte religiöse Erbauung und moralische Belehrung, aber auch reine Unterhaltung. Durch ihre „gefällige Form“ erreichte die Literatur häufig mehr als direkte Politik.
400 Vgl. Marie Nathusius, Elisabeth. A story which does not end in marriage, London 1860; Nathusius, Elisabeth. Histoire qui ne finit pas an mariage, Paris 1862. 401 Vgl. Liesenhoff, Fontane, S. 45. 402 Vgl. Roland Berbig, Theodor Fontane im literarischen Leben. Zeitungen und Zeitschriften, Verlage und Vereine, Berlin 2000, S. 200. 403 Hierzu Schlögl, Glaube, S. 451.
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Nach der Übernahme des Volksblatts baute Philipp Nathusius ein einflussreiches Netzwerk für die Zirkulation christlich-konservativer Ideen und die Diskussion von neuen politischen Initiativen und programmatischen Aufsätzen auf. Heinrich Leo, Friedrich Julius Stahl und Ludwig von Gerlach arbeiteten mit dem reichen Industriellen zusammen und knüpften seitdem auch enge Kontakte zur Familie Nathusius.404 Die Resonanz des ultrakonservativen Volksblatts ging über die preußischen Landesgrenzen hinaus und erreichte unter anderem auch die piemontesische Hauptstadt. Als Chefredakteur der ultrakatholischen Armonia äußerte sich Giacomo Margotti mehrmals begeistert über die Position des Volksblatts und kommentierte begeistert die Artikel des „dotto Professore“ Heinrich Leo.405 Zu den neuen einflussreichen Kontakten der Familie Nathusius zählte auch der preußische Kultusminister Karl von Raumer, der dem Theologen Karl Scheele, Bruder von Marie Nathusius, zu der gewünschten Anstellung als Gymnasialdirektor in Magdeburg verhalf.406 Nach dem Tod seiner Frau Marie und der Erkrankung von Friedrich Wilhelm IV. versuchte Philipp Nathusius, die Krise des preußischen Konservativismus zu bewältigen. Zum einen organisierte der reiche Industrielle neue nostalgiegetränkte Publikationen, die die konservativen Visionen und Stigmatisierungen der Bestseller von Marie Nathusius revitalisierten und die religiöse Politik in einer implizit-kulturellen Form kommunizierten. In diesem Sinne verfasste Philipp Nathusius die monumentale und sehr populäre Biographie seiner Frau.407 Außerdem arbeitete der Herausgeber des Volksblatts an der Geschichte der romantischen Formationsjahre des Historienmalers Wilhelm von Kügelgen. Das Buch erschien im Jahr 1870 unter dem Titel Jugenderinnerungen eines alten Mannes und wurde ein extrem erfolgreicher Bestseller.408 Zum anderen engagierte sich Nathusius, der im Oktober 1861 anlässlich der Krönung Wilhelms I. nobilitiert wurde, zusammen mit Carl Scheele und seinen Söhnen Philipp und Martin auch direkt und explizit in der konservativen Opposition gegen Bismarck.409 Martin Nathusius (1843–1906) studierte wie sein Onkel Carl Scheele Theologie in Halle und übernahm von seinem Vater die Leitung des Volksblatts. Aufgrund seiner unversöhnlichen Opposition gegen die preußische Realpolitik hatte die konservative Zeitschrift um 1870 ihre überregionale Bedeutung weitgehend verloren. Um das Volksblatt aus dieser schweren Krise herauszumanövrieren, verschob Martin Nathusius den Fokus seiner Zeitung primär auf kirchlich-religiöse, theologische, literarische und andere nicht explizit politische Themen. Damit verfolgte er das Ziel, das
404 Vgl. Schlag, Nathusius, S. 26. 405 Vgl. Giacomo Margotti, Il Papa e il protestante Leo. In: Margotti, Memorie (Bd. 4), S. 347. Ferner Margotti, Pio IX e la rivoluzione. In: Margotti, Memorie (Bd. 3), S. 363. 406 Vgl. Franz Brümmer, Marie und Philipp Nathusius. In: ADB (1886), S. 283–285. 407 Vgl. Philipp Nathusius, Lebensbild der heimgegangenen Marie Nathusius (3 Bde.), Halle 1867/69. 408 Vgl. Philipp Nathusius, Jugenderinnerungen eines Alten Mannes, Berlin 1870. 409 Schlag, Nathusius, S. 30.
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Volksblatt wieder als „Centralorgan zur Vertretung der christlich-conservativen Weltanschauung“ zu etablieren.410 Mit der neuen Strategie einer implizit-kulturellen Opposition im Namen der religiösen Politik erreichte das Volksblatt, das seit 1879 in Allgemeine Monatsschrift für das christliche Deutschland umbenannt wurde, wieder wie in den 1850er Jahren über 3.000 Abonnenten.411 Während Martin Nathusius die Leitung des Volksblatts übernahm, wurde sein älterer Bruder Philipp Nathusius im Jahr 1872 zum Chefredakteur der Kreuzzeitung ernannt und spielte als Direktor der meistgelesenen konservativen Zeitung eine wichtige politische Rolle. Unter Nathusius verschärfte sich die regierungskritische Haltung des 1848 gegründeten Blattes. Damit übernahm das Organ der preußischen Konservativen die deutliche Oppositionsstellung, die der neue Chefredakteur in dem programmatischen Pamphlet Conservative Partei und Ministerium angekündigt hatte.412 Nathusius brachte seine Skepsis für die preußische Verfassungs- und Nationalstaatspolitik zum Ausdruck und protestierte besonders emphatisch gegen die „Vergewaltigung der Kirche durch den entchristlichten Staat.“413 Mit den semantischen und argumentativen Paradigmen der religiösen Politik polemisierte Philipp Nathusius gegen die preußische Regierung, weil sie das angeblich falsche Postulat vertrat, dass „in der Politik die Verbindlichkeit des göttlichen Gebotes“ nicht mehr gültig war und dagegen die „sogenannte geschichtliche Nothwendigkeit und der Eigennutz [als] die höchste Rechtsnorm“ betrachtet wurde.414 Auf diese zunehmend radikale und schroff antisäkulare Kritik reagierte Bismarck mit einer publizistischen und parlamentarischen Gegenoffensive und bewirkte im Jahr 1876 der Rücktritt von Nathusius als Chefredakteur der Kreuzzeitung.415 Der Sohn von Marie Nathusius, der trotz der enormen Popularität seiner Mutter die Frau weiterhin als „Helferin und Dienerin“ charakterisierte, beteiligte sich an der Gründung der Deutsch-konservativen Partei und gewann im Jahr 1877 ein Mandat im Reichstag.416 Schließlich baute auch der Bruder von Marie Nathusius, Carl Scheele, das Engagement der einflussreichen Familie für die religiöse Politik aus. Bis zu seinem Rücktritt nach dem Beginn der liberalkonservativen Neuen Ära im November 1858 vertrat Scheele als Theologe, Vorsitzender der Bibelgesellschaft in Wuppertal und Gymnasialdirektor die alten christlich-konservativen Wertorientierungen gegen die libera-
410 Schlag, Nathusius, S. 65. 411 Die im konservativen Spektrum führende Kreuzzeitung verzeichnete nur noch 7.000 Abonnenten. Vgl. Schlag, Nathusius, S. 63. 412 Vgl. Philipp Nathusius, Conservative Partei und Minusterium, Berlin 1872, S. 55. 413 Nathusius, Partei, S. 49. 414 Nathusius, Partei, S. 38 415 Vgl. Schlag, Nathusius, S. 60. 416 Nach „Gottes-Ordnung“ sollten angeblich die Frauen nicht eine „selbständige Bedeutung“ anstreben, sondern lediglich ihre von der christlichen Ehe sanktionierte Bestimmung als Helferin des Mannes wahrnehmen. Vgl. Philipp Nathusius, Zur Frauenfrage, Halle 1871, S. 6.
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len Reformbemühungen.417 Aus dieser Perspektive kommentierte er die politischmilitärischen Ereignisse zwischen 1866 und 1870. Der Theologe lehnte die Idee der deutschen Einheit nicht prinzipiell ab, verurteilte jedoch die machtpolitischen Ziele und materialistischen Argumentationsstrategien der Nationalliberalen.418 Scheele versuchte die Formation des deutschen Einheitsstaats in die semantische und ideologische Tradition der religiösen Politik einzuordnen und gegen die teleologische Narration der Nationalliberalen zu interpretieren. Dabei beschrieb er den neuen Kaiser Wilhelm I. als „Werkzeug Gottes“, die preußische Mission als „Opferdienst“ und die Reichsgründung als „Rettung Deutschlands aus alten Erbsünden“.419 In seinen zahlreichen politischen Essays hob Scheele vor allem den „kirchlichen Beruf Preußens für Deutschland“ hervor und proklamierte als das wichtigste Ziel der „christliche[n] Völker“ die „erziehende Aufgabe für das Königreich Christi“ zu erfüllen.420 Ausgehend vom langen Restaurationsdiskurs postulierte Scheele um 1870, dass „Staat, Staatskunst und Staatsregierung nach innen und nach außen sittliche Ordnungen, von Gott gegründete, also an seine heiligen Gebote unbedingt gebunden“ waren.421 Er beschrieb die religiöse Politik als den höchsten Zweck und das Reich Gottes als das einzig legitime politische Ideal, das sowohl Preußen als auch der sich formierende „deutsche Vollbund“ respektieren mussten.422 Genauso wie die „rührigen“ katholischen Publizisten aktualisierte auch das einflussreiche Netzwerk um Marie Nathusius die Paradigmen der religiösen Politik, um die dramatische Transformationskrise nach 1848 zu verarbeiten. Mit unzähligen Zeitungsartikeln und programmatischen Aufsätzen, aber vor allem mit vielgelesenen literarischen und hagiographischen Texten kommunizierte die Familie Nathusius ein politikmächtiges Archiv der Imaginationen, das die konservative Opposition gegen die neuen liberalen Partizipations- und Legitimationstheorien stärkte. Neben erfolgreichen Schriftstellerinnen wie Luise Hensel, Ida Hahn und Marie Nathusius leisteten zahlreiche konservative Theologen und Intellektuelle einen wichtigen Beitrag, um die religiöse Politik mit implizit-kulturellen Sinnstiftungsmechanismen einem breiten Publikum nahezubringen. Im Jahr 1833 veröffentlichte der preußische Hofprediger Franz Theremin unter dem Titel Abendstunden eine monumentale Sammlung von Gedichten, Liedern und Aphorismen, die mit einer undogmatischen Sprache die christlich-konservativen Ordnungsideen popularisierten.423 Auch diese
417 Vgl. Carl Scheele, Die Apocryphen und die Wuppertaler Bibelgesellschaft, Barmen 1855, S. 4. 418 Vgl. Carl Scheele, Der kirchliche Beruf Preußens für Deutschland, Berlin 1868, S. 16. Ferner Scheele, Für und wider Preußen. Eine Bitte um Frieden als Antwort auf Hannoversche Stimmen, Berlin 1869, S. 8. 419 Scheele, Beruf, S. 16 und 19–23. 420 Scheele, Beruf, S. 17. 421 Scheele, Preußen, S. 24. 422 Scheele, Preußen, S. 159. 423 Vgl. Theremin, Abendstunden, S. V–VIII.
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Publikation erzielte einen großen Publikumserfolg und wurde bis 1858 fünf Mal neu aufgelegt. Der erzkonservative Historiker Heinrich Leo vertrat ebenfalls eine schroff antiliberale Position und thematisierte die religiöse Politik sowohl in seinen Leitartikeln für das Volksblatt, die Kreuzzeitung und die Evangelische Kirchenzeitung als auch in zahlreichen historischen und geschichtsphilosophischen Publikationen. Verstärkt nach 1848 trat Leo als Professor an der Universität Halle und preußisches Herrenhausmitglied für die „innere Erleuchtung“ von „gotterfüllten Menschen“ ein und betrachtete diese theologische Maxime als die wichtigste Voraussetzung für eine gesunde Politik.424 Mit der zunehmend radikalen Funktionalisierung religiös-theologischer Semantiken und Deutungsmuster signalisierte Leo seine politische Opposition und instrumentalisierte seine persönliche Glaubenserfahrung als Argumentationsstrategie gegen die preußische Verfassungs- und Nationalstaatspolitik. Er distanzierte sich von der Sprache und den Suggestionen der realpolitischen Wende, betrachtete dagegen „gerade das Gefühl der persönlichen Gegenwart Gottes“ als eine „unerläßliche Bedingung aller Heiligung“.425 Die Aufrechterhaltung religiös-kirchlicher Traditionen war insofern viel wichtiger als das preußische Glanz und Gloria, weil nur in dem „Gebundenseyn in Gott“ und in der „unmittelbaren Kraft der Bindung an Gott […] der Mensch allein ein sicheres, bleibendes Maaß seines Thuns, ein Gegengewicht gegen Alles, was ihn sonst momentan in Taumel zu reißen vermöchte“ fand.426 Damit beschrieb auch Leo die religiöse Politik als die zentrale Identitäts- und Legitimationsgrundlage der weltlichen Macht und kritisierte die „meisten [seiner] Zeitgenossen“, die die Religion als „ein bloßes Gedankending, eine Gedachtheit, ein unsubstantielles Begriffswesen“ unterschätzten.427 Ausgehend von der dogmatischen Vorstellung der Religion als politisches Gegengewicht und „substantielles Begriffswesen“, beschworen viele preußische Publizisten die vermeintlichen Auswirkungen des christlichen Glaubens in den weltlichen Ereignissen. In seinem einflussreichen Essay Ueber Souveränität und Staats-Verfassungen von 1816 betrachtete der Erzieher von Friedrich Wilhelm IV., Friedrich Ancillon, die „göttliche[n] Gerechtigkeit“ als ideologische und real-historische Voraussetzung für die Niederlage der Revolution.428 Diese zunehmend radikalisierte politische Theologie und die „Hallersche Schule“ von Ancillon, Gerlach, Hengstenberg und Leo wurde von einer jüngeren Generation konservativer Publizisten explizit kritisiert. Constantin Frantz lehnte die liberale Verfassung und das Nationalstaatsmodell zwar resolut ab, protestierte jedoch gegen die theokratischen Suggestionen, die weder „dem
424 Leo, Münzer, S. 20. 425 Leo, Gedankenspäne, S. 14. 426 Leo, Gedankenspäne, S. 29. 427 Leo, Gedankenspäne, S. 12 428 Ancillon, Souveränität, S. 77.
Die politische Funktionalisierung religiös-theologischer Semantiken und Ordnungsideen
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wahren Geist der Christentums“ noch den politischen Interessen der Konservativen entsprachen.429 Dabei stellte Frantz die Paradigmen der religiösen Politik keineswegs in Frage und instrumentalisierte sie, um die „Religion des Nationalliberalismus“ zu stigmatisieren.430 In diesem Sinne betrachteten auch säkular argumentierende Konservative wie Victor Aimé Huber und Constantin Frantz die kulturelle Dominanz christlicher Werte als eine zentrale politische Identitäts- und Legitimationsgrundlage und plädierten dafür, die Religion nicht mehr mit der weltlichen Ordnung zu vermischen, um sie politisch „kräftiger einwirken“ zu lassen.431 Selbst der preußische Diplomat Christian Karl von Bunsen, der zusammen mit Radowitz eine reformbereite Neuorientierung der preußischen Verfassungs- und Nationalstaatspolitik befürwortete, reproduzierte die konservativen Paradigmen der religiösen Politik.432 In seiner monumentalen theologischen, historischen und staatsrechtlichen Studie Gott in der Geschichte oder der Fortschritt des Glaubens (1857) vertrat Bunsen die Ansicht, dass ein „göttlich geordneter und Göttliches offenbarender Gang der Weltgeschichte“ zu erkennen sei.433 In Anlehnung an Augustinus, Haller und an theokratische Intellektuelle wie Ancillon, Leo und Gerlach verwendete auch der preußische Diplomat die Suggestion des „Gottesreiches auf Erden“. Damit untermauerte Bunsen die Suggestion einer „göttlichen Weltordnung“ und die damit verknüpfte konservative Grundannahme einer asymmetrischen Verbindung von irdischem und himmlischem Reich.434 Ernst Hengstenberg (1802–1869) war der einflussreichste Protagonist der preußischen politischen Theologie um 1850. Mit nur 25 Jahren erhielt er einen sehr kontrovers diskutierten Ruf als außerordentlicher Professor für das Alte Testament an die Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin und leitete seit 1827 die neugegründete Evangelische Kirchenzeitung. Für sein erfolgreiches Zeitungsprojekt arbeitete Hengstenberg mit prominenten konservativen Politikern und Intellektuellen wie Heinrich Leo, Friedrich Julius Stahl, Ludwig von Gerlach und August Tholuck zusammen. Als Theologieprofessor und konservativer Publizist vertrat er eine „biblizistische, kirchlich-strenge Orthodoxie“, die nach 1848 in der religiösen Politik als polemischem Gegenentwurf zu den liberalen Reformen und der Nationalbewegung kulminierte.435
429 Constantin Frantz, Der Untergang der alten Parteien und die Parteien der Zukunft, Berlin 1878, S. 178. 430 Frantz, Religion, S. 262. 431 Frantz, Untergang, S. 180. Vgl. auch Huber, Machtfülle, S. 10; Huber, Bruch, S. 53. 432 Vgl. Christian Carl Josias Bunsen, Gott in der Geschichte oder der Fortschritt des Glaubens an eine sittliche Weltordnung (Bd. 1), Leipzig 1857, S. XVI. 433 Bunsen, Gott, S. XX. 434 Bunsen, Gott, S. XX. 435 Karl Kupisch, Ernst Wilhelm Theodor Herrmann Hengstenberg. In: NDB 8 (1969). http://www. deutsche-biographie.de/pnd118773917.html (13.09.2015).
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Obwohl Hengstenberg ähnlich wie Constantin Frantz gegenüber der theokratischen Zuspitzung des christlich-legitimistischen Restaurationsdiskurses skeptisch blieb, konstatierte er in der Evangelischen Kirchenzeitung, dass in „außergewöhnlichen Situationen“ das direkte und explizite Engagement der politischen Theologen durchaus legitim war.436 In diesem Sinne plädierte Hengstenberg in seinen zahlreichen theologischen Publikationen unermüdlich für den Primat der religiösen Politik über die liberalen Legitimationstheorien.437 Vor allem nach 1848 schlossen sich immer mehr konservative Politiker, Historiker und Juristen wie Georg Friedrich Puchta und Friedrich Julius Stahl, die zusammen mit Hengstenberg an der Friedrich-WilhelmsUniversität unterrichteten, den politischen Theologen an und instrumentalisierten den Protestantismus als politisches Prinzip.438 Als um 1850 die sozialen und institutionellen Transformationskrisen ins Zentrum der zunehmend dynamisierten Politikdiskurse rückten, wurde die konservative Meinungsmobilisierung sowohl in Preußen als auch in Piemont von den „rührigen“ Protagonisten der religiösen Politik entscheidend mitbestimmt. Dazu zählten politische Theologen wie Ernst Hengstenberg und Luigi Taparelli d’Azeglio, prominente Bischöfe wie Wilhelm Emanuel von Ketteler und Andrea Charvaz sowie Journalisten wie Philipp Nathusius und Giacomo Margotti, aber auch populäre Bestsellerautoren wie Cesare Cantù, Antonio Bresciani, Ida Hahn und Marie Nathusius. Die konservativen Publizisten und Intellektuellen, die mit religiös konnotierten Pathosformeln gegen die liberalen Reformen und die Nationalbewegung protestierten, waren mit den antiliberalen Oppositionsnetzwerken um Gerlach und Solaro eng verbunden. Die in der gefälligeren Form der Unterhaltung auftretende Restaurationsideologie wurde von vielen enttäuschten oder desorientierten Lesern in einem Archiv der Imaginationen gespeichert und situationsadäquat reaktiviert.439 Dabei beeinflusste das
436 Schmalenbach, Hengstenberg, S. 413. 437 Vgl. Ernst Wilhelm Hengstenberg, Das Duell und die christliche Kirche, Berlin 1856, S. 10. Zwischen 1850 und 1875 verfasste Hengstenberg insgesamt 13 mehrmals neu aufgelegte Publikationen über religiöse, theologische, moralische und kirchenpolitische Themen. Dazu zählte die kommentierte mehrbändige Ausgabe seiner religiös-theologischer Schriften. Vgl. Ernst Hengstenberg, Die Offenbarung des heiligen Johannes, Berlin 1850/51; Hengstenberg, Christologie des Alten Testaments (4 Bde.), Berlin 1854/57; Hengstenberg, Über den Eingang des Evangelium St. Johannis, Berlin 1857; Hengstenberg, Der Prediger Salomo, Berlin 1859; Hengstenberg, Das Evangelium des heiligen Johannes (3 Bde.), Berlin 1861/63; Hengstenberg, Die Weissagungen des Propheten Ezechiel, Berlin 1867; Hengstenberg, Das Buch Hiob, Berlin 1870. Außerdem publizierte der Theologe zahlreiche Vorträge, akademische Schriften und Pamphlete. Vgl. Hengstenberg, Die Opfer der heiligen Schrift. Ein Vortrag, Berlin 1852; Hengstenberg, Ueber den Tag des Herrn, Berlin 1852; Hengstenberg, Die Freimauerei und das evangelische Pfarreramt, Berlin 1854; Hengstenberg, Das Duell und die christlichen Kirche, Berlin 1856; Hengstenberg, Vorlesungen über die Leidensgeschichte, Leipzig 1875. 438 Vgl. Stahl, Protestantismus, S. 7–11. Ferner Georg Friedrich Puchta, Einleitung in das Recht der Kirche, Leipzig 1840, S. 11. 439 Schlögl, Glaube, S. 451.
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„Fortwirken religiös fundierter Stereotype“ die Erfindung massenkompatibler Ideologien wie der des teleologischen Nationalismus, aber auch des kapitalismuskritischen, gegensäkularen und antisemitisch konnotierten Sozialkonservatismus.440 Während im Revolutionsjahr 1848 der neoguelfische Traum, der den kulturellen Primat Italiens und die „Versöhnung von Nation, Katholizismus und Moderne“ predigte, ein abruptes Ende fand, spielte die konfessionell inspirierte Suggestion der preußischen Mission eine entscheidende Rolle, um die kleindeutsche Nationalstaatspolitik von oben zu imaginieren und zu rechtfertigen.441 Abseits von konfessionsspezifischen Ausprägungen und zwischenkonfessionellen Animositäten betrachteten die Apostel der religiösen Politik die Rechristianisierung als das politische Mantra gegen die trüben Zeitströmungen der nachrevolutionären Übergangsgesellschaft. Sie kommunizierten diese antisäkulare Position sowohl mit expliziten Argumentationsstrategien, als auch mit implizit-kulturellen Sinnstiftungsmechanismen, die die ideologische Präsenz der Religion über die traditionellen Semantiken und Kommunikationsräume des Politischen hinweg perpetuierten.
2.2 M onarchischer Patriotismus. Eine konservative Integrationsideologie zwischen Kontinuität und Neuerfindung Sowohl in der höfischen Gesellschaft als auch in der populären Repräsentation generierte die monarchische Herrschaft semantische, symbolische und ritualisierte Sinnkonstruktionen, die sich seit dem Ancien Régime überlagerten und den König als eine empathische Identifikationsfigur darstellten. Die massenwirksame Inszenierung der Monarchie basierte auf paternalistischen und religiösen Topoi und transportierte ein positives Identifikationspotenzial. Verstärkt seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert und in Anknüpfung an tradierte hof- und adelskritische Diskurse galt die Königsfamilie auch als Feindbild, um die Opposition gegen den Status quo zu mobilisieren.442 Für die konservativen Eliten und in der zunehmend politisch interessierten Öffentlichkeit stand der Monarch als die Personifikation der staatlichen Ordnung da. Im 19. Jahr-
440 Albrecht, Preußen, S. 457. Emblematisch für die starke Präsenz religiös-theologischer Semantiken und Wertorientierungen in den europäischen Nationsdiskursen war die Sprache der polnischen Patrioten, die die Geschichte Polens in deutlicher „Analogie zur Passions- und Auferstehungsgeschichte“ rekonstruierten. Vgl. Rudolf Jaworski, Völkerfrühling 1848. In: Demokratiebewegung und Revolution 1847 bis 1849. Hrsg. von Dieter Langewiesche, Karlsruhe 1998, S. 36–51. 441 Borutta, Antikatholizismus, S. 128. 442 Vgl. Michel Vovelle, La Représentation populaire de la monarchie. In: The Political Culture of the Old Regime. Hrsg. von Keith M. Baker, Oxford 1987, S. 77–89. Grundlegend zu Interdependenzen, Prestigechancen, gesamtgesellschaftliche Machtverlagerungen und Machtstrukturen der höfischaristokratischen Gesellschaft zwischen Ancien Régime und Revolutionszeitalter vgl. Elias, Gesellschaft, S. 115–362.
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hundert setzten die absolutistischen sowie die konstitutionellen, die „bürgerlichen“ und die „nationalen“ Könige immer wieder „gezielt ihre Präsenz“ ein, um die „Autorität ihrer Regime“ zu konsolidieren und zu erweitern.443 Die dynastische, sakrale und bellizistische Herrschaftsbegründung der „Medienmonarchen“ kristallisierte sich als eine anpassungsfähige und transnationale Integrationsideologie heraus.444 Sie aktualisierte die konservative Machterhaltung und Traditionsstiftung mit liberalen Legitimationstheorien und Massenemotionen.445 Im Zusammenhang mit den umfassenden Staatsbildungsprozessen des 18. Jahrhunderts und mit den antirevolutionären Koalitionskriegen konstruierten die preußischen und die piemontesischen Eliten eine attraktive politische Mythologie, die die Reputation, die öffentliche Inszenierung und die Medienpräsenz der Monarchie perpetuierte.446 Bis ins 20. Jahrhundert hinein bildeten der monarchische Herrscherkult, das traditionelle Dienstethos und das eigenstaatliche Bewusstsein ein identitätsstiftendes politisches Rechtfertigungsnarrativ für die konservative Meinungsmobilisierung.447 Nach den revolutionären Erschütterungen von 1789, 1821, 1830 und 1848 setzten sich die konservativen Reformgegner als Ziel, das erodierte Legitimations-
443 Raphael, Recht, S. 187. Im 18. und 19. Jahrhundert basierten die monarchischen Inszenierungsund Legitimationsgrundlagen auf verschiedenen Typologien: roi sacre, roi connétable, roi bourgeois, roi constitutionnel oder der nationale König. Hierzu Leonhard, Erosione, S. 179. 444 Religiöse Mission, sakrale Herrschaftsbegründung und bellizistische Effizienzkriterien charakterisierten die Legitimationsdiskurse von monarchischen Territorialstaaten wie Preußen und Piemont, aber auch von multiethnischen oder globalen Empires wie dem Russischen Reich, Großbritannien und der Habsburgermonarchie. Vgl. Leonhard, Empires, S. 70–93. 445 Um 1850 war der preußische Hof „der Standort komplexer sozialer und politischer Figurationen“, die die Dynamisierung der konservativen Politikdiskurse rezipierten und mitbestimmten. Vgl. David E. Barclay, Hof und Hofgesellschaft in Preußen in der Zeit Friedrich Wilhelms IV. In: Hof und Hofgesellschaft. Hrsg. von Karl Möckl, Boppard am Rhein 1990, S. 321–360, hier S. 360. Die aktuelle Risorgimento-Forschung hat auch für Piemont die Bedeutung der monarchischen Herrschaft neu bewertet und festgestellt, dass die Monarchie eine entscheidende Rolle in den neuen parlamentarischen Foren sowie nach wie vor in den Armee- und Diplomatenkreisen und für die Formation der Exekutive spielte. Vgl. Meriggi, Stati, S. 189. 446 Die Staatsbildungsprozesse, die sich zwischen 1750 und 1900 in Europa vollzogen, basierten sowohl auf kontextspezifischen sozialen, kulturellen und politischen Faktoren als auch auf der militärischen und wirtschaftlichen Konkurrenz zwischen den europäischen Staaten. Daraus entstand ein massiver Anpassungs- und Veränderungsdruck, der die politischen Institutionen und die Verwaltungsapparate weitgehend transformierte. Vgl. Raphael, Recht, S. 15 und 19–21. Über die Vereinnahmung und den Konsum der „material culture of the monarchy“ im Alltagsleben der preußischen Untertanen vgl. Eva Giloi, Monarchy, myth and material culture in Germany 1750–1950, Cambridge 2011. 447 Für die meisten Konservativen bildete das königstreue Dienstethos eine tief internalisierte und interessengeleitete Familientradition. Sie verpflichtete dazu, den „Dienst in Verwaltung und Armee zu leisten“ und sich als „Gentleman klassisch und juristisch zu bilden“ oder die „paternalistische Verantwortung“ als Grundbesitzer zu übernehmen. Vgl. Price, Kampf, S. 52. Die Frage nach der Entstehung und der politischen Bedeutung des piemontesischen und preußischen Patriotismus im 18. und 19. Jahrhundert bleibt weitgehend unbeantwortet. Die Schaffung preußischer und piemontesischer
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und Identifikationspotenzial der monarchischen Herrschaft wieder aufzubauen und, wenn nötig, mit liberalen oder national-patriotischen Visionen zu rehabilitieren. Zum einen übernahmen die dynastischen Narrationen innovative Orientierungskonzepte und Kollektivsymbole aus dem napoleonischen Erbe und aus dem liberalen Verfassungs- und Nationsdiskurs. Zum anderen griff die politische Mythologie des monarchischen Patriotismus auf bereits existierende Argumentationsfiguren zurück und revitalisierte die christlichen Wertorientierungen, den Herrscherkult und die militärischen Erinnerungskulturen.448 Im Zeitalter der Revolutionen generierten der monarchische Herrscherkult, das konservative Dienstethos und der Bellizismus einen attraktiven und vielfältig einsetzbaren Politikdiskurs.449 Ein wesentlicher Grund dafür war, dass diese konservativen Deutungsmuster die symbolische und nahezu mythische Verbindung von Monarch und Volk auf das Verhältnis zwischen Gutsbesitzer und Bauer bzw. Industriellem und Arbeiter transportierten und damit auch die bürgerlich-liberalen Vorstellungen und Ideale von politischer Macht und Autorität prägten.450 Die Konservativen bezogen sich auf den monarchischen Patriotismus, um die eigene politische Verunsicherung und die kulturelle Desorientierung zu verarbeiten.451 Seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert konstruierten die Semantiken, die Kollektivsymbole und die Erfahrungsdeutungen der konservativen Vaterlandsliebe eine anpassungsfähige Legitimations- und Integrationsideologie. Sie untermauerten die Machtressourcen der preußischen und piemontesischen Eliten, reduzierten die Wahrnehmung dramatischer Kontinuitätsbrüche und leiteten reformbereite Anpassungsleistungen an die politischen Ideale und Erwartungshorizonte der Liberalen ein. Um 1800 thematisierten viele prominente Intellektuelle wie etwa der deutsche Schriftsteller Jean Paul die zunehmend problematische Begriffsverwirrung zwischen Vaterlandsliebe und Deutschlandliebe.452 Seitdem kamen auch die daraus entstehenden Loyalitäts- und Identitätskonflikte zwischen eigenstaatlichem Bewusstsein, monarchischer Herrschaft und liberaler Nationalbewegung immer deutlicher zum
Untertanen war ein „langwieriger Prozess, der immer wieder ins Stocken geriet“ und um 1850 „längst nicht abgeschlossen“ war. Vgl. Clark, Preußenbilder, S. 321. 448 Zur bellizistischen Disposition als beharrendem Element der internationalen Verhandlungspraxis, der monarchischen Inszenierung und der Politikdiskurse im 19. Jahrhundert vgl. Paulmann, Pomp, S. 30. In Preußen dominierte ein eigentümlicher Adelskanon: „Die häufigen Kriegswirren, in denen Preußen groß wurde, gaben im Verhalten und Empfinden des Adels immer von neuem den Werten des Kriegers den Vorrang vor denen des Höflings.“ Elias, Studien, S. 85. 449 Über den „neuen“ preußischen Bellizismus nach der katastrophalen Niederlage von 1806 und die starke politische Präsenz des Militärs, die in den 1860er Jahren mit der Verfassungskrise und den Kriegen von 1864, 1866 und 1870 kulminierte, vgl. Leonhard, Bellizismus, S. 181–206 und 601–644. 450 Gramley, Propheten, S. 189. 451 Hagemann, Muth, S. 34. 452 Vgl. Gerhard Schulz, Die Deutsche Literatur zwischen Französischer Revolution und Restauration. Das Zeitalter der napoleonischen Kriege und der Restauration (Teil 2), München 1989, S. 12.
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Ausdruck. Der piemontesische Restaurationspolitiker Ignazio Thaon di Revel stilisierte in seinem Testament politique eine vereinfachte Dichotomie zwischen dem revolutionären „amour de la patrie“ und dem „royalisme“. Aus konservativer Sicht kreierte der monarchische Patriotismus ein positives „sentiment national“, während die republikanische Vaterlandsliebe als unkontrollierbare und kriminelle „passion“ diskreditiert wurde: L’amour de la patrie est une passion ardente dans les républicains, sujet comme la passion à la jalousie, à la fureur, il produit des actes sublimes et quelquefois des grands crimes. Plus calme dans la monarchie, le patriotisme est un sentiment semblable à l’amitié et par conséquent plus uniforme et constant. […] Le royalisme est un sentiment national, patriotique et non simplement une opinion ou une affaire de parti.453
Nach 1848 erreichten sowohl in Deutschland als auch in Italien die Auseinandersetzungen um die politische Deutungs- und Verwendungshoheit über patriotische Orientierungskonzepte einen weiteren Höhepunkt.454 Solaro della Margarita stigmatisierte die italienische Nationalbewegung als „falsche Vaterlandsliebe“ und betrachtete den piemontesischen Landespatriotismus als das ideale Korrektiv dazu: „la prima carità di patria ha da essere pel Piemonte.“455 Bis in die 1850er Jahre hinein forderte Solaro die wahren Patrioten auf, sich im Sinne des monarchischen Patriotismus für die Beharrung des eigenstaatlichen Bewusstseins und der Königstreue zu engagieren.456 Damit protestierte er vehement gegen die Fortsetzung der piemontesischen Nationalstaatspolitik und gegen die „terza riscossa […] vagheggiata da chi per amor d’Italia delira.“457 Die politische Funktionalisierung des Royalismus als positives Nationalgefühl gegen die liberale Nationalbewegung charakterisierte auch die konservativen Patriotismusdiskurse in Preußen. Nach der Revolution von 1848 konstatierte der erzkonservative Generaladjutant von König Friedrich Wilhelm IV., Leopold von Gerlach, dass es besser sei, die boomende deutsche Nationalbegeisterung „nicht zu haben“.458 Dabei betrachteten Leopold und Ludwig Gerlach die christlich-konservativen Paradigmen des monarchischen Patriotismus, in erster Linie „Treue gegen König und Liebe zum Nächsten“, als vollständig ausreichend, um die bestehenden politischen Identitätsund Legitimationsgrundlagen zu konsolidieren.459 Ludwig von Gerlach verdeutlichte diese Position, indem er genauso wie Ignazio Thaon di Revel und Solaro della Margarita eine Gut-Böse-Dichotomie zwischen Landespatriotismus und Nationalbewusst-
453 Revel, Testament, S. 67 und 266. 454 Vgl. Schulz, Literatur, S. 17–20. 455 Solaro, Questioni, S. 37. 456 Solaro, Discorso 1857, S. 8. 457 Solaro, Discorso 1856, S. 21. 458 Leopold von Gerlach, Denkwürdigkeiten (Bd. 2), Berlin 1892, S. 240. 459 Gerlach, Denkwürdigkeiten (Bd. 2), S. 241.
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sein entwarf. Er instrumentalisierte das „geliebte Schwarz-Weiß“ gegen „die schwarzroth-goldene pseudo deutsche Einheit“.460 Die vertrauten und zunehmend popularisierten Orientierungskonzepte des monarchischen Patriotismus generierten sowohl für die konservativen Eliten als auch für eine breite Öffentlichkeit piemontesischer Soldaten, Beamten und Handwerker eine politikmächtige Argumentationslogik.461 Dementsprechend evozierten die Ideale und Erwartungshorizonte des italienischen Risorgimento zwiespältige Gefühle, die sich zwischen Euphorie, Skepsis und Verunsicherung bewegten. Die piemontesische Kriegserklärung an Österreich am 23. März 1848 hatte die Formation eines norditalienischen Königreichs zum Ziel. Wenige Wochen nach dem Beginn des Konflikts wurde der weitverbreitete Kriegsenthusiasmus von der Nachricht einer eventuellen Verlagerung der Hauptstadt nach Mailand schwer erschüttert. Die konservativen Adligen und die bürgerlichen Eliten in Turin reagierten darauf empört und boykottierten die bis dahin erfolgreich verkauften Kriegsanleihen.462 Als im Jahr 1814 Viktor Emanuel I. nach annähernd zwei Jahrzehnten im Exil zurückkehrte, bildete die piemontesische Hauptstadt das Zentrum einer umfassenden Medienoffensive, die die Paradigmen des konservativen Landespatriotismus und die dynastischen Narrationen des Ancien Régime wiederbelebte. Einerseits basierte die Neuerfindung der konservativen Patriotismusdiskurse auf einer Fülle von normativen, literarischen und pseudowissenschaftlichen Texten, die mit paternalistischen und christlich-legitimistischen Argumentationsfiguren die Restitution der monarchischen Herrschaft untermauerten.463 Andererseits dienten auch Monumente, Kunstobjekte, kulturelle Assoziationen, Hof- und Staatsfeste dazu, das eigenstaatliche Bewusstsein und den monarchischen Herrscherkult zu rehabilitieren. Kollektiv-sinnstiftende Identifikationsfiguren und massenkompatible Mythen übernahmen europaweit eine entscheidende Rolle für die Popularisierung des monarchischen Patriotismus. In Piemont konstruierten vor allem unter König Karl Albert unzählige Hagiographien, Illustrationen, Rituale und Monumente ein imaginäres Pantheon von nationalen Integrationsfiguren, Helden und Märtyrern.464 Nach 1814 wurden die Mythen und die Wertorientierungen des monarchischen Patriotismus mit einer populären Sprache kommuniziert und auch mit bürgerlichen Protagonisten inszeniert. Der einfache Soldat Pietro Micca, der im Jahr 1706 mit seiner Selbstaufopferung die belagerte piemontesische Hauptstadt vor den französischen Truppen rettete, war der bekannteste Held des piemontesischen Landespatriotismus. Der Mythos von
460 Gerlach, Deutschland, S. 20. 461 Levra, Torino, S. 159. 462 Levra, Torino, S. 126. 463 Vgl. Ferraris, Riviste, S. 709. 464 Zur breiten politischen Ausstrahlungskraft der europaweit gebauten „public Pantheons“ vgl. Eveline Bouwers, Public Pantheons in Revolutionary Europe. Comparing Cultures of Remembrance 1790–1840, Basingstoke 2012, S. 3–10.
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Pietro Micca wurde mit Unterhaltungsliteratur, nicht elitären Theatervorstellungen, Almanachen und Bilderbögen verbreitet.465 Vor allem seit den 1840er Jahren trug der neue piemontesische Volksheld wesentlich dazu bei, die patriotischen Vorstellungen von militärischer Ehre, monarchischer Loyalität und konservativem Dienstethos zu emotionalisieren und zu popularisieren.466 Auch in Preußen bildete der monarchische Patriotismus ein politisches Rechtfertigungsnarrativ, das nach den Zäsuren von 1814 und 1848 zunehmend an Bedeutung gewann und ein „Phänomen geglückter Elitenanpassung“ einleitete.467 Die Neuerfindung der konservativen Patriotismusdiskurse basierte nicht nur auf der machtbewussten Selbststabilisierung der traditionellen Eliten, sondern entwarf auch eine weitreichende Integrationsideologie, die die Nationalisierung der europäischen Monarchien im engen Zusammenhang mit der Durchsetzung liberaler Partizipations- und Legitimationstheorien vollzog.468 Die politische Funktionalisierung und die Popularisierung des monarchischen Herrscherkults bezogen sich auf dynastische Legenden und patriotische Märtyrer, die auf den polyvalenten Mythos von Friedrich dem Großen zurückgriffen.469 Darüber hinaus etablierten sich auch neue Helden wie die „schwärmerisch verehrte“ Königin Luise und der „Freiheitskämpfer“ Ferdinand von Schill.470 Ähnlich wie Pietro Micca in Piemont dienten diese massenkompatiblen Mythen als politische Integrationsfiguren und kreierten eine emotionale Identifikation, die die Distanz zwischen Eliten und Untertanen reduzierte.471 Vor allem nach der Katastrophe von 1806 starteten die preußischen Konservativen eine umfassende Medienoffensive, die mit unzähligen publizistischen und literarischen Texten, Illustrationen und patriotischen Massenwaren die Paradigmen des monarchischen Patriotismus revitalisierte.472 Unterhaltungsliteratur, patriotische
465 Vgl. Levra, Italiani, S. 125. 466 Vgl. Levra, Italiani, S. 94. 467 Zu diesem Phänomen geglückter Elitenanpassung gehörten die Paradigmen des Soldaten-, Reformer-, Bürger- und Nationalkönigs. Vgl. Kroll, Bewusstsein, S. 353–374. 468 Vgl. Kroll, Bewusstsein, S. 359–361. Die normative und symbolische Durchsetzung der europäischen Verfassungsmonarchien bildete eine zentrale Voraussetzung für ihre Nationalisierung. In diesem Sinne gehörte auch der monarchische Patriotismus zum ergebnisoffenen Modernisierungsprozess. 469 Zum einen evozierte der Mythos von Friedrich dem Großen konservativ besetzte Paradigmen wie den Paternalismus, die militärische Ehre und das Dienstethos. Zum anderen wurde er mit liberal anmutenden Traditionen wie der Aufklärung und den spätabsolutistischen Reformen assoziiert. 470 Luise Schorn-Schütte, Königin Luise. Leben und Legende, München 2003, S. 9. Zur Entstehung des Luisenkultes im Kontext der preußischen Staats- und Legitimationskrise um 1810 und seiner Verdichtung nach den antinapoleonischen Kriegen vgl. Philipp Demandt, Luisenkult. Die Unsterblichkeit der Königin von Preußen, Köln 2003, S. 21–43. Über das zweite, imaginäre Leben von Luise von Preußen nach 1810 und die damit verknüpfte Spannung zwischen Wirklichkeit und Inszenierung vgl. Daniel Schönpflug, Luise von Preußen. Königin der Herzen, München 2010, S. 254. 471 Vgl. Clark, Preußen, S. 371 und 402–404. 472 Planert, Mythos, S. 480; Hagemann, Muth, S. 245–254.
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Tabakdosen, Tücher, Lieder und Bilderbögen visualisierten die preußische Vaterlandsliebe und vermittelten die konservativen Selbstbeschreibungs- und Legitimationsgrundlagen. Nach der militärischen Wiedergeburt im Jahr 1813 wurde diese patriotische Medienoffensive mit einer „sakralisierten Kriegserinnerung“ untermauert, die von zahlreichen Denkmälern, Museen, Aufzeichnungen und Paraden perpetuiert wurde.473 Die symbolische Sprache der historischen Erinnerung und die vielfältigen Erfahrungsdeutungen der napoleonischen Zeit bildeten ein politisches Rechtfertigungsnarrativ, um das erodierte Legitimations- und Integrationspotenzial der traditionellen Eliten wieder aufzubauen und die liberalen Reformbestrebungen herauszufordern. Die Protagonisten der konservativen Politik in Preußen und Piemont reduzierten ungleichzeitige patriotische Wertorientierungen, identitätsstiftende Erfahrungen und sakralisierte Mythen auf einen einzigen „Traditionsstrang“, der bis in die 1870er Jahre hinein für „aktuelle politische Bedürfnisse“ instrumentalisiert wurde.474 Damit leisteten die Konservativen auch den späteren Nationalstaaten Vorschub. Diese waren ebenfalls dezidiert monarchisch und der italienische König wie der Deutsche Kaiser waren populäre Integrationsfiguren, allerdings verbunden mit einem nationalstaatlichen Monarchismus.
önig, Vaterland, Armee. Monarchischer Herrscherkult, eigenstaatliches 2.2.1 K Bewusstsein und Bellizismus als nachrevolutionäre Politikdiskurse Im 19. Jahrhundert blieb der monarchische Patriotismus die breitenwirksamste Spielart unter den zahlreichen Staatskulten, die in der nachrevolutionären Gesellschaft europaweit zirkulierten.475 Um das eigenstaatliche Bewusstsein und den monarchischen Herrscherkult glaubwürdig zu kommunizieren, übernahmen paternalistische Argumentationsfiguren, christlich-legitimistische Semantiken und bellizistische Traditionen eine nach wie vor zentrale Funktion. Die Assoziation der Begriffe König, Volk und Armee spiegelte die Interessen der staatstragenden Eliten wider und entsprach den Vorstellungen von politischer Macht und Autorität, die auch die breite Öffentlichkeit begeistert, resigniert oder kritisch beobachtete. Paternalistische Normen, Rituale und Wertorientierungen standen im engen Zusammenhang mit religiös-theologischen, dynastischen oder ständischen Ordnungsideen. Sie trugen zur „Anthropologisierung und Emotionalisierung“ der konservativen Politikdiskurse wesentlich bei.476
473 Clark, Preußen, S. 442. 474 Planert, Mythos, S. 658. 475 Raphael, Recht, S. 187. 476 Schlögl, Glaube, S. 350.
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In allen preußischen Schulen wie auch in der Soldaten- und Beamtenausbildung kam stets die Metapher des Königs als Vater der Nation zur Geltung.477 Die Suggestion des Königs als treu sorgender Familienvater entwarf eine empathische Integrationsideologie, die die Verbindung von Eliten und Untertanen euphemistisch darstellte und die konservativen Machterhaltungsstrategien rehabilitierte. Das omnipräsente Preußenlied des Gymnasiallehrers Johann Bernhard Thiersch, das seit 1830 in unzähligen und sehr heterogenen Publikationen zirkulierte, vermittelte die Inszenierung des Königs als Vater der Nation. Bis in die 1870er Jahre hinein betrachteten die Wegweiser für die preußischen Lehrer diese Strophen als geeignetes Unterrichtsmaterial, um den Schülern den paternalistischen Herrscherkult beizubringen: Mit Lieb’ und Treue nah’ ich mich dem Throne, Von welchem mild zu mir ein Vater spricht; Und wie der Vater treu mit seinem Sohne, So steh’ ich treu mit ihm und wanke nicht. Fest sind der Liebe Bande; Heil meinem Vaterlande! […] Des Königs Ruf dring in das Herz mir ein; Ich bin ein Preuße, will ein Preuße sein!478
Zahlreiche patriotische Autoren projizierten die Suggestion des Königs als Vater seiner Untertanen und die damit verknüpfte Metapher der „nationalen Familie“ auf das Königspaar Friedrich Wilhelm III. und Luise von Preußen. Nach 1813 stilisierte das preußische Wiedergeburtsnarrativ die verstorbene Königin als heldenmütige Napoleon-Antagonistin und patriotische Märtyrerin, während Friedrich Wilhelm III. als Vater der nationalen Familie und der Kronprinz als „erstes Kind des Staats“ dargestellt wurden.479 Seitdem bildeten der preußische König und seine Nachfolger idealtypische Integrationsfiguren, deren Symbolkraft auf die traditionell dominierenden Repräsentationsstrategien adliger Eliten transferiert wurde. Die Metapher der nationalen Familie fand eine enorme Resonanz und eröffnete „neue Möglichkeiten einer emotionalen Identifikation“, die einen wichtigen Beitrag leistete, um die „Distanz zwischen dem Königshaus und der Masse der preußischen Untertanen“ zu redu-
477 Nach der Reichsgründung vollzog sich die „Vereinheitlichung des Schulwesens auf nationaler Ebene“. Dabei spielten bellizistische Identifikationsmuster und Feindbilder eine zentrale Rolle. Vgl. Dieter Tiemann, Nation in der Schule – Schule der Nation. Ein deutsch-französischer Vergleich. In: Entwicklung der Nationalbewegungen in Europa. Hrsg. von Heiner Timmermann, Berlin 1998, S. 321–331, hier S. 321. Zum nachhaltigen Bild der Nation als „Volksfamilie“ und der damit verknüpften Geschlechterordnung vgl. Hagemann, Frauen. 478 Preußenlied. In: Eine Sammlung Deutscher Gedichte aus dem Gebiete der Geschichte Preußens. Hrsg. von Johann August Lehmann, Marienwerder 1843, S. 1. Ferner Eduard Förster, Das Volkslied in der Volksschule, Breslau 1862, S. 68; Eduard Bock, Wegweiser für Volksschul-Lehrer, Breslau 1871, S. 173. 479 Aschmann, Preußen, S. 262.
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zieren.480 Die massenkommunikative Darstellung des preußischen Königs als Vater seiner Untertanen bezog sich auf die weitverbreitete Vorstellung einer traditionellen Familie, in der das „männliche Oberhaupt gegenüber den untergeordneten Mitgliedern zum allgemeinen Nutzen absolut weisungsbefugt war“.481 Die Suggestion der nationalen Familie kam nach dem Desaster von 1806 besonders deutlich zur Geltung, weil die preußische Monarchie und die konservativen Eliten ein glaubwürdiges Rechtfertigungsnarrativ brauchten, um ihre schwer erschütterte Reputation wieder aufzubauen und die antinapoleonischen Kriege mit landespatriotischen Massenemotionen zu flankieren.482 In seinem politischen Testament von 1827 betrachtete Friedrich Wilhelm III. den paternalistischen Staats- und Herrscherkult als einen symbolischen und normativen Grundbestandteil des preußischen Wiedergeburtsnarrativs nach den sogenannten Befreiungskriegen. Dabei assoziierte der König die Metapher der nationalen Familie mit den Paradigmen des christlich-legitimistischen Restaurationsdiskurses.483 Auch nach der Eröffnung des Vereinigten Landtags im Jahr 1847 instrumentalisierten viele konservative Politiker und Publizisten die Suggestion des preußischen Königs als guter Vater seiner Untertanen, um einen positiven Gegenentwurf zu den liberalen Verfassungsdiskursen und der deutschen Nationalbewegung zu evozieren. In diesem Zusammenhang bezeichneten die Konservativen das „Vertrauen“, das „seit Jahrhunderten zwischen dem Preußischen Königshause und dem Preußischen Volke“ bestehe, als das zentrale „Element unseres Volkslebens“.484 Besonders in Zeiten schwerer Machtkonflikte und Legitimationskrisen griff die konservative Publizistik sowohl in Preußen als auch in Piemont auf die Allegorie der nationalen Familie zurück. Im Revolutionsjahr 1848 äußerte sich der preußische Gesandte in Florenz, Alfred von Reumont, empört darüber, dass sich die toskanischen Liberalen gegen den Großherzog, ihren treuen Vater, erhoben.485 Ausgehend von paternalistischen Deutungsmustern und landespatriotischen Traditionen, verherrlichte auch Solaro della Margarita das „alte“ Piemont und seine Herrscher als „Väter des Volkes“.486 Der ehemalige Außenminister betonte, dass nach der italienischen Nationalstaatsgründung das „väterliche Regiment“ der piemontesischen Monarchie und der daraus entstehende „Geist der wahren Vaterlandsliebe“ endgültig verloren
480 Clark, Preußen, S. 368. 481 Aschmann, Preußen, S. 261. 482 Die Autorität der preußischen Monarchie war durch zahlreiche Krisen und Insubordinationen bis 1813 sowohl im Machtzentrum als auch in der Peripherie schwer erschüttert. Vgl. Aschmann, Preußen, S. 249–257. 483 Vgl. Friedrich Wilhelm III., Mein letzter Wille (1827). In: Testamente der Hohenzollern, S. 754. 484 Der erste Vereinigte Landtag (Bd. 3), S. 1294–1296. 485 Vgl. Felix Schumacher, Alfred von Reumont und die Entstehung des italienischen Nationalstaates. In: 150 Jahre Risorgimento – geeintes Italien? Hrsg. von Gabriele B. Clemens u. Jens Späth, Trier 2014, S. 73–106. 486 Solaro, Uomo, S. 83.
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gegangen seien.487 Um den erodierten Staats- und Herrscherkult wieder aufzubauen, bezogen sich seit der gegenrevolutionären Meinungsmobilisierung um 1800 auch die piemontesischen Konservativen auf die paternalistische Suggestion der nationalen Familie. Die Metapher des Königs als treu sorgender Vater der Nation wurde zur Popularisierung des Restaurationsdiskurses zunehmend systematisch eingesetzt. In seinem Trattato filosofico-politico von 1794 lieferte Luigi Martorelli ein flammendes Plädoyer für die Restauration traditioneller Wertorientierungen und konservativer Ordnungsideen. Der katholische Theologe konkretisierte seine antiliberale und aufklärungsfeindliche Position anhand einer hoch emotionalisierten Darstellung der nationalen Familie: „Il Monarca potea facilmente considerarsi come un Padre di famiglia, che comanda i suoi figliuoli, che gli ha continuamente sotto degli occhj, e lasciando loro l’uso della libertà, non li priva se non che di una sfrenata licenza, che a loro stessi diverrebbe pericolosa.“488 Der Trattato filosofico-politico demonstrierte deutlich, dass aus konservativer Sicht die paternalistischen Semantiken und Argumentationsfiguren des monarchischen Patriotismus besonders geeignet waren, um den revolutionären Ideen und den liberalen Verfassungsdiskursen zu trotzen. Die Metapher des treu sorgenden Vaters suggerierte, dass die politischen Freiheits- und Reformbestrebungen unbegründet oder sogar kontraproduktiv waren, weil sich der König-Vater mit der Unterstützung von Religion, Kirche und Armee bereits vortrefflich um die Interessen seiner Untertanen kümmerte. Parallel zu dieser neoabsolutistischen Richtung wurde die Suggestion der nationalen Familie ebenfalls benutzt, um die politischen Reformen von oben als das Resultat der monarchischen Weisheit und des väterlichen Wohlwollens zu präsentieren. Die politische Funktionalisierung paternalistischer Semantiken und Argumentationsfiguren generierte ein vielfältig einsetzbares Rechtfertigungsnarrativ, das sowohl restaurative Blockaden als auch reformbereite Anpassungsleistungen einleitete. Bis in die 1840er Jahre hinein wurde die Metapher des Königs als guter Familienvater von den piemontesischen Konservativen und der ultrakatholischen Publizistik verbreitet und ausgebaut, um ihre totale Opposition gegen die liberalen Reformbemühungen zu motivieren. Als König Karl Albert im Jahr 1847 einer tiefgreifenden politischen Modernisierung halbherzig zustimmte, reaktivierten die Konservativen die Suggestion der nationalen Familie, um die Reformen im Sinne des monarchischen Patriotismus als das Produkt des väterlichen Regiments der piemontesischen Dynastie darzustellen. Die politische Dynamisierung, die am 4. März 1848 mit dem Verfassungsoktroi kulminierte, wurde von einer konservativen Medienoffensive begleitet. Die liberalen Befürworter, aber auch die konservativen Reformgegner mobilisierten sich im großen Stil, um mit den politischen Transformationen einen breiten Konsens zu erzeugen.
487 Solaro, Uomo, S. 84 („spirito di vero amore“). 488 Luigi Martorelli, Trattato politico-filosofico (1794). In: Giuntella, Catene, S. 105.
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Dabei kamen die paternalistischen Paradigmen des monarchischen Patriotismus wieder zur Geltung, weil sie sowohl der konservativen Publizistik als auch der liberalen Presse ein allgemein verständliches Instrumentarium an Semantiken und Emotionen zur Verfügung stellten, die die Reformen als „geordnete“ Innovationen ohne Kontinuitätsbrüche beschrieben. Seit 1847 zirkulierten in Turin zahlreiche Pamphlete, Lieder und hagiographische Texte, die die Reformen als die Apotheose des monarchischen Patriotismus zelebrierten. Der Almanach I Torinesi al Re versammelte mehrere Petitionen und Essays, die die Reformen in einer semantischen und ideologischen Kontinuitätsvorstellung mit bereits existierenden dynastischen und landespatriotischen Narrationen verknüpften. Das blaue Königsbanner und das eigenstaatliche Bewusstsein wurden mit der politisch-institutionellen Modernisierung und der italienischen Nationalbegeisterung nahtlos amalgamiert. Diese patriotische Interpretation der Reformen untermauerte die Suggestion des Königs als treu sorgender Vater der Nation. Dementsprechend wurde das „Vaterherz“ des piemontesischen Monarchen von seinen „ergebenen Kindern“ enthusiastisch gelobt: „che il tuo cuore di padre s’apra di bel nuovo all’affettuosissimo omaggio de’ figli.“489 Die neuen Paradigmen des Bürgerund Reformkönigs stellten die allmächtige Autorität des Monarchen nicht in Frage und bestätigten gleichzeitig die mythische Verbindung zwischen Monarch und Volk. Der monarchische Patriotismus verarbeitete die Reformen mit altvertrauten paternalistischen Sinnstiftungs- und Kommunikationsmechanismen, die mit den politischen Veränderungen pragmatisch umgingen und die Erhaltung der Ruhe und Ordnung als übergeordnetes Ziel verfolgten. Um 1850 bildete die Integrationsideologie des Königs als Vater der Nation ein parteiübergreifendes Orientierungsmuster, das die umfassende Dynamisierung von gemäßigt-liberalen und konservativen Politikdiskursen charakterisierte. Die Liedersammlung Canti patriottici von Giuseppe Bertoldi benutzte dieselben Kollektivsymbole und Argumentationsfiguren von I Torinesi al Re. Bertoldis patriotische Lieder erschienen ebenfalls im Jahr 1847 und kombinierten den liberalen Reformenthusiasmus und die italienische Nationalbegeisterung mit den paternalistischen Grundsätzen des monarchischen Patriotismus. Das populäre Lied La Coccarda schilderte plastisch diese gelungene konservative Verarbeitungs- und Bewältigungsstrategie. Der Text wurde in einer sehr vereinfachten Sprache verfasst und stilisierte sich als monarchische Nationalhymne. Euphorisch beschrieb La Coccarda die vermeintliche Harmonie zwischen alten und neuen Identitäts- und Legitimationsgrundlagen. Dabei gewannen die paternalistischen und legitimistischen Deutungsmuster des monarchischen Patriotismus über die Ideale des italienischen Risorgimento und den liberalen Reformenthusiasmus die Oberhand:
489 Anonym, I Torinesi al Re, Turin 1847, S. 14.
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Con l’azzurra coccarda sul petto, Con italici palpiti in core, Come figli di un padre diletto, Carloalberto veniamo al tuo piè, E gridiamo esultanti d’amore: Viva il Re! Viva il Re! Viva il Re!490
Die Fülle an Hymnen, Gedichten und Hagiographien, die die Reformeuphorie von 1846–1849 hervorrief, entwarf mit dem Mythos des Reformkönigs eine gruppenintegrative Identifikationsfigur, die die inhaltlichen Divergenzen zwischen liberalen Reformdiskursen und konservativen Machterhaltungsstrategien entschärfte.491 Auch die umfangreiche Raccolta delle varie poesie pubblicate in Piemonte nell’occasione delle nuove riforme reproduzierte denselben landespatriotischen und königstreuen Grundton von Bertoldis patriotischen Hymnen. Die Liedersammlung erschien ebenfalls im Jahr 1847 und beinhaltete zahlreiche programmatische Essays, Flugschriften, Vorträge und tendenziöse Berichte über politische Manifestationen. Die Autoren dieser sehr heterogenen Texte waren kleine Beamten, Unteroffiziere, Priester Bildungsbürger und „patriotische Frauen“, die angeblich aus allen piemontesischen Provinzen stammten. Damit suggerierte Raccolta, dass die königstreuen Aufsätze und die patriotischen Lieder „von unten“ ohne Mitwirkung der alten staatstragenden Elite spontan verfasst wurden. Die breite Palette von repetitiven und pathetischen Texten, die in Raccolta veröffentlicht wurden, kulminierte mit einer selbsternannten Nationalhymne von Giuseppe Bertoldi.492 Der „inno nazionale“ und die anderen patriotischen Lieder zelebrierten euphorisch die Reformen von Pius IX. und Karl Albert, indem sie das erprobte Paradigma Thron-Altar reaktivierten, das eigenstaatliche Bewusstsein Piemonts verherrlichten und die Armee als traditionelle Identitäts- und Inszenierungsgrundlage des monarchischen Patriotismus überschwänglich rühmten.493 Die insgesamt 41 Lieder in Raccolta bezogen sich systematisch auf die Suggestion der nationalen Familie und auf konservativ besetzte Begriffe wie Treue, Loyalität und Ehre. Das Lied Inno Piemonteis vermittelte den monarchischen Patriotismus in einer besonders populären Sprache und proklamierte im piemontesischen Dialekt: „Viva
490 Giuseppe Bertoldi, Canti patriottici, Turin 1847, S. 19. 491 Vgl. Singer, Konstitutionalismus, S. 154. 492 Die Lieder Lo stendardo di Savoja (S. 57), La bandiera (S. 68) und I Torinesi esultanti (S. 81–83) waren in Sprache und Inhalt La coccarda besonders ähnlich. In: Raccolta delle varie poesie pubblicate in Piemonte nell’occasione delle nuove riforme giudiziarie e amministrative accordate da S.M. Il Re Carlo Alberto, Turin 1847. 493 Vgl. die Lieder Professione di Fede (S. 6); Carlo Alberto (S. 59); Ai principi riformatori delle costituzioni in Italia (S. 51); I Liguri ai fratelli piemontesi (S. 20); La Liguria e il Piemonte (S. 49); Il bacio fraterno (S. 96). Über die piemontesische Armee: Inno militare (S. 7) und Cantico tra militari e cittadini (S. 91). In: Raccolta 1847.
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Italia; viva Carlo Albert/ Viva l’popol e so gran papà!“494 Auch in der Poesie Al nostro adorato sovrano und in dem Canto biblico a Carlo Alberto des genuesischen Intellektuellen David Chiossone bildete die Metapher des „Padre Re“ das zentrale Orientierungs- und Argumentationsmuster.495 Außerdem hob das Gedicht Piemonte e Liguria euphorisch hervor, dass König Karl Albert die Gegensätze zwischen dem ligurischen und dem piemontesischen „Volk“ wie ein „Vater unter seinen Kindern“ erfolgreich überbrückte.496 In diesem Sinne stellte auch die Flugschrift Avvertimento fraterno al popolo fest, dass die gemäßigten Reformen von 1847 alle erwünschten politischen Veränderungen realisierten. Damit diffamierte die „brüderliche Ermahnung“ jede weitere liberale Forderung als Vaterlandsverrat, Fanatismus und Prahlerei.497 Noch deutlicher wurden die liberalen Reformbestrebungen von einem programmatischen Manifest relativiert, das ebenfalls in Raccolta erschien und im Sinne des Restaurationsdiskurses „das Gesetz Gottes, die Vaterlandsliebe und die öffentliche Ordnung“ als die Fundamente der Meinungs- und Pressefreiheit beschrieb.498 Nach dem Verfassungsoktroi im März 1848 fand die konservative Publizistik mit den Paradigmen des monarchischen Patriotismus einen gemeinsamen Nenner zwischen liberalen Legitimationstheorien und konservativen Kontinuitätsvorstellungen. Mit einer vergleichbar populären Sprache und ähnlich pathetischen Inhalten wie Raccolta verfasste auch Domenico Biorgi zwei Inni nazionali, die den oktroyierten Statuto in die lange Tradition dynastisch-paternalistischer Narrationen einbetteten. Im Mittelpunk der Inni nazionali standen die Suggestion des Monarchen als treu sorgender Vater seiner Untertanen und die Idealisierung des vermeintlich liberalen Königs Karl Albert.499 Die patriotische Medienoffensive für den monarchischen Patriotismus erreichte ihren Höhepunkt, als Karl Albert am 23. März 1848 „alla testa dell’itale squadre“ gegen Österreich in den Krieg zog.500 Ähnlich wie in der konservativen Publizistik dominierte auch im neugegründeten piemontesischen Parlament der emotionale und konformistische Grundton des monarchischen Patriotismus. In den politischen Debatten über die Kriegserklärung und die Friedensverhandlungen wurden die Ideale des italienischen Risorgimento von dem piemontesischen Bellizismus, dem eigenstaatlichen
494 Giuse Ghidiglia, Inno Piemonteis a nost Re Carlo Alberto. In: Raccolta 1847, S. 66. 495 Vgl. Anonym, Al nostro adorato sovrano Re Carlo Alberto. In: Raccolta 1847, S. 85. Ferner David Chiossone, Canto biblico a Carlo Alberto. In: Raccolta 1847, S. 45–47. 496 Anonym, La Liguria e il Piemonte. In: Raccolta 1847, S. 49. 497 Vgl. Anonym, Avvenimento fraterno al popolo. In: Raccolta 1847, S. 87–90. 498 Anonym, Iscrizione apparsa a Novara. In: Raccolta 1847, S. 26. 499 Vgl. Domenico Biorgi, Due inni nazionali di recitati ai patriotici banchetti della capitale in occasione della nazional festa per nuovo costituzionale Statuto, Turin 1848. Exemplarisch für die Idealisierung des liberalen Königs sind die Abschnitte: „che di figli vuol sol esser padre!“, „un Re, che, nipote di tanti scettrati, / Ha già tutti quanti di gloria avanzati“ und „Mirate il Piemonte col Ligure e il Sardo, / La nappa turchina sul petto gagliardo“ (S. 3 und 14). 500 Biorgi, Inni, S. 14.
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Bewusstsein und dem monarchischen Herrscherkult überstrahlt. Die Diskussionen wurden oft von lauten Rufen „Viva il Re! Viva Carlo Alberto“ unterbrochen und die Abstimmungen mit stürmischem Applaus oder durch Akklamation vollzogen.501 Am Vorabend der zweiten Kriegsphase, die die piemontesische Armee im März 1849 völlig unvorbereitet begann, beschränkte sich das Parlament darauf, den monarchischen Herrscherkult und den Siegesgott zu beschwören: „supplici del Re, [evochiamo] sui prodi figli e sulle nostre falangi la protezione e l’aiuto del Dio della Vittoria.“502 Der monarchische Patriotismus bildete auch für die neuen Institutionen und die liberale Presse eine unsichtbare Grenze der Selbstzensur, die nur von wenigen kritischen Stimmen überschritten wurde. In den parlamentarischen und publizistischen Debatten über die mangelhafte Kriegsvorbereitung und die militärische Katastrophe von Novara akzeptierte die überwiegende Mehrheit der politischen Protagonisten konformistisch die Semantiken und Argumentationsfiguren des piemontesischen Bellizismus und des monarchischen Herrscherkults. Statt sich mit der desaströsen Kriegsführung kritisch auseinanderzusetzen, konzentrierten sich die Presse und die parlamentarischen Debatten auf die Legende des von Karl Albert auf dem Schlachtfeld von Novara vergeblich gesuchten Heldentodes. Die „heftigen Emotionen“, die der monarchische Patriotismus freisetzte, verhinderten eine konstruktive Diskussion über die dilettantische Kriegsvorbereitung, jedoch bildeten sie die Voraussetzung für die Aufrechterhaltung der Reformen des freiwillig zurückgetretenen König-Vaters.503 Die Sprache und die Inhalte des monarchischen Patriotismus wurden nach den Zäsuren von 1814 und 1848 aktualisiert und in der zunehmend breiten politischen Öffentlichkeit verbreitet. Unzählige Hagiographien und Repräsentationen des monarchischen Herrscherkults und sogar die Berichte über die Hoffeste und die Auslandsreisen des Königs erhielten eine zentrale politische Bedeutung.504 Die omnipräsenten Kollektivsymbole und die Argumentationsfiguren des monarchischen Patriotismus kanalisierten die Ideale und Erwartungshorizonte der politischen Öffentlichkeit und beeinflussten die liberalen Reform- und Partizipationsbemühungen. Ausgehend von dieser konservativen Integrationsideologie beschrieb der Präsident des piemontesischen Abgeordnetenhauses Boncompagni das Regiment des neuen Königs Viktor Emanuel II. mit den gleichen semantischen und ideologischen Bestimmungsmustern, die seit dem 18. Jahrhundert ein anpassungsfähiges und zunehmend massenkompatibles Rechtfertigungsnarrativ für die monarchische Herrschaft hervorbrachten. Nach den Transformationskrisen von 1848/49 standen Vaterlandsliebe und „Eintracht zwi-
501 Vgl. Sitzungen vom 14.3.1849 und 21.3.1849 (APS Discussioni – Sessione del 1848, Bd. 6, S. 397 und 522). 502 Sitzung vom 14.3.1849 (APS Discussioni – Sessione del 1848, Bd. 6, S. 432). 503 Sitzung vom 26.3.1849 (APS Discussioni – Sessione del 1848, Bd. 6, S. 565). 504 Vgl. Paulmann, Pomp, S. 290–294.
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schen Fürst und Volk“ als die politische Maxime des monarchischen Patriotismus glänzend da.505 In den 1850er Jahren instrumentalisierten die piemontesischen Konservativen die Deutungsmacht und die emphatischen Argumentationsfiguren des monarchischen Patriotismus, um gegen die regierenden Moderati zu polemisieren. Als sich im Sommer 1848 der Wahlbezirk von Lantosca (Nizza) für den konservativen Finanzminister Ottavio Thaon di Revel als Kandidat für die bevorstehende Parlamentswahl aussprach, begründeten die Honoratioren der kleinen Stadt ihre Entscheidung mit dessen „wahrer Vaterlandsliebe“.506 Dabei formulierten die Bürger von Lantosca mit konservativ-besetzten Begriffen wie „prudenza“ und „onore“, aber vor allem mit den Paradigmen des monarchischen Patriotismus ihre Skepsis gegen die italienischen Einheitsbestrebungen. Als Revel im Jahr 1849 von dem siebten Wahlbezirk der piemontesischen Hauptstadt ins Abgeordnetenhaus wiedergewählt wurde, vertrat er tatsächlich die „wahre Vaterlandsliebe“, die seine Wähler als Gegengewicht zum italienischen Risorgimento evozierten.507 In seinen parlamentarischen Reden führte der konservative Abgeordnete immer wieder landespatriotische Interessen und königstreue Prinzipien gegen die Perspektive der italienischen Einigung ins Feld.508 Auch in seiner privaten Korrespondenz mit dem liberalen Ministerpräsident Cavour forderte Revel vehement eine Abkehr von der aggressiven außenpolitischen Neuorientierung, die seit 1848 die piemontesische Regierung verfolgte. Dabei aktualisierte der ehemalige Finanzminister die altvertrauten Semantiken und Deutungsmuster des Restaurationsdiskurses und zog in polemischer Weise eine Trennlinie zwischen den Ordnungsprinzipien des konservativen Landespatriotismus und dem „sentiment stérile“ der italienischen Nationalbewegung: „Respectons les autres si nous voulons être respectés. Fessons nos affaires. Soyons dans notre bon droit et fions-nous à nous-mêmes plus qu’à des sympathies qui, j’en ai la conviction, ne dépasseront jamais les bornes d’un sentiment stérile.“509 Damit benutzte Revel die Semantiken und Wertorientierungen der wahren Vaterlandsliebe, die Montaldo Leopardi in seinem Catechismo filosofico von 1832 ent-
505 Sitzung vom 5.1.1850 (APS Discussioni – Sessione del 1850, Bd. 1, S. 120). 506 Die Gemeinde von Lantosca an Ottavio Thaon di Revel am 1.7.1848 (AST Archivio Revel Mz. 108, f. 2). 507 Revel erhielt sein erstes Mandat für den siebten Turiner Wahlbezirk im September 1849 und auch bei den drei folgenden Parlamentswahlen. Vgl. IGAP, S. 667. Außerdem wurde Revel als einziger konservativer Senator in dem Stadtrat der piemontesischen Hauptstadt gewählt. 508 Vgl. Ottavio Thaon di Revel, Rede am 6.5.1850 (APS Discussioni – Sessione del 1850, Bd. 2, S. 1886). Darüber hinaus bezog sich Revel auf seine Familiengeschichte, um neben dem monarchischen Patriotismus weitere alternative Identitäts- und Legitimationsgrundlagen zu den italienischen Einheitsbestrebungen hervorzuheben. Vgl. Revel, Rede am 10.5.1850 (APS Discussioni – Sessione del 1850, Bd. 2, S. 1945). 509 Ottavio Thaon di Revel an Camillo Cavour am 18.10.1852. In: Cavour, Epistolario (Bd. 8), S. 449.
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worfen hatte. Dieser stellte ebenfalls der lokalpatriotischen Vaterlandsliebe, die den Status quo untermauerte, die Pseudo-Philosophie der italienischen Nationalität und Unabhängigkeit gegenüber.510 In seiner langen politischen Karriere, die er über die Zäsuren von 1848 und 1861 erfolgreich fortsetzen konnte, inszenierte Revel den monarchischen Patriotismus als positiven Gegenentwurf zum italienischen Risorgimento, um die nationalliberale Deutungshoheit über die Begriffe Einheit und Unabhängigkeit in Frage zu stellen. Während seit 1848 die Bedeutung des stark ideologisierten und emotionalisierten Telos der nationalen Unabhängigkeit kontinuierlich zunahm, verwendete Revel den Begriff „indipendenza“ im Sinne des konservativen Landespatriotismus gegen die Erwartungshorizonte der italienischen Nationalbewegung.511 Bis in die 1860er Jahre hinein instrumentalisierte Revel das eigenstaatliche Bewusstsein und die Nostalgie für die piemontesische Selbstständigkeit, um in einer impliziten und damit nicht kompromittierenden Form gegen die Formation des italienischen Nationalstaats zu protestieren.512 Der ehemalige Finanzminister stellte seine Königs- und Pflichttreue demonstrativ zur Schau und relativierte damit seine „unpatriotische“ Opposition gegen die Verfassungs- und Nationalstaatspolitik, die die regierenden Moderati mit der Unterstützung des piemontesischen Hofes befürworteten. Revel stilisierte sich als Führer der konservativen Partei, die zum „Wohl des Königs und des Vaterlandes“ die Ideale und Erwartungshorizonte des italienischen Risorgimento ablehnte.513 Indem er sich als königstreuer Patriot präsentierte, wies Revel den Vorwurf der fehlenden Vaterlandsliebe vehement zurück und betonte, dass er als Vertreter der piemontesischen Interessen und nicht als „deputato dell’Italia“ agiere.514 In diesem Sinne kritisierte er auch die Legende von der vermeintlich liberalen und nationalen Herrschaft von König Karl Albert. Dagegen hob Revel explizit die partikularistische und durchaus konservative Grundhaltung des verstorbenen Monarchen hervor.515 Um 1860 entwickelte Revel seine ostentative Selbstbeschreibung als königstreuer Patriot weiter. Er beschwor die Dichotomie zwischen wahrem und falschem Patriotismus und äußerte seine anhaltende Skepsis gegen die italienische Einigung, indem
510 Vgl. Leopardi, Catechismo, S. 6. 511 Ottavio Thaon di Revel, Relazione sulle condizioni delle finanze del Regno di Sardegna dal 1830 al 1846, Turin 1848, S. 3, 6 und 53. 512 Vgl. Ottavio Thaon di Revel, Rede am 16.6.1857 und 12.4.1859 (APS Discussioni – Sessione del 1857, 5. Leg., Bd. 5, S. 2452 sowie APS Discussioni – Sessione del 1859, 6. Leg., Bd. 3, S. 766). 513 Ottavio Thaon di Revel, Rede am 22.3.1854 (APS Discussioni – Sessione del 1854/55, 5. Leg., Bd. 4, S. 725). 514 Ottavio Thaon di Revel, Rede am 5.2.1855 (APS Discussioni – Sessione del 1854/55, 5. Leg., Bd. 6, S. 2715). 515 Ottavio Thaon di Revel, Rede am 19.2.1855 (APS Discussioni – Sessione del 1854/55, 5. Leg., Bd. 6, S. 2882).
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er anhand seiner „amor vero e schietto per la patria“ den neugegründeten Nationalstaat implizit verurteilte.516 Die ideologische Trennlinie zwischen wahrem Landespatriotismus und falschem Nationalismus ermöglichte ihm, nach 1861 die nostalgische Rückbesinnung auf das alte Piemont als eine weiterhin plausible Alternative zum Nationalstaatsenthusiasmus zu betrachten. In diesem Sinne betonte er, dass sein konservativer Lokalpatriotismus ebenbürtig mit dem modernen Nationalismus war.517 Im Jahr 1861 wurde Revel von König Viktor Emanuel II. zum lebenslangen Mitglied des italienischen Senats ernannt. Enttäuscht über die politische Neuausrichtung des alten Piemonts, hob der konservative Politiker nach wie vor das konservative Dienstethos und die paternalistische Tradition des monarchischen Patriotismus als positives Gegenbild zum modernen Nationalstaat hervor. Die Suggestion der wahren Vaterlandsliebe generierte ein anpassungsfähiges Selbstbeschreibungsmodell, das die Ordnungsideen und die Loyalitätsappelle des alten Piemonts in den neuen italienischen Nationalstaat transportierte. Damit untermauerte Revel die traditionellen Paradigmen des konservativen Landespatriotismus und formulierte selbstbewusst seine Skepsis gegenüber der Neuerfindung des monarchischen Patriotismus, der seit 1861 als Integrationsideologie für das neugegründete Königreich Italiens umorientiert wurde: „io bado alla mia coscienza, al mio dovere [...] parlo dalla tribuna, ma non ho del tribuno, ed i miei doveri verso il Re e verso la patria li conosco abbastanza, senza che nessuno me ne voglia accennare nemmeno da lontano il sentiero.“518 Die starke politische Präsenz des Konzepts monarchischer Patriotismus minimierte die bedrohliche Wahrnehmung von Diskontinuität, die sowohl nach den konstitutionellen Reformen von 1848 als nach der Nationalstaatsgründung im Jahr 1861 entstand. Aus konservativer Sicht bildete das alte Piemont eine zum „neuen“ Italien gleichwertige oder sogar attraktivere Identitäts- und Legitimationsgrundlage. Revel inszenierte sich als königstreuer Patriot, um damit seine anhaltende Skepsis gegen die italienische Einigung zu artikulieren. Dagegen benutzte Solaro della Margarita den konservativen Landespatriotismus und den monarchischen Herrscherkult, um seine radikale Ablehnung des italienischen Nationalstaats zu rechtfertigen. Der konservative Politiker betrachtete bereits im Jahr 1814 den wahren Patriotismus als das Resultat des eigenstaatlichen Bewusstseins Piemonts. Dabei idealisierte er die Befreiung von der französischen „Sklaverei“ und entwarf ein Wiedergeburtsnarrativ, das den christlichen Restaurationsdiskurs mit landespatriotischen Idealen assoziierte: „Il Piemonte sorge al fine dalla sua schiavitù […] Per noi torna ad esistere il dolce
516 Ottavio Thaon di Revel, Rede am 16.3.1857 (APS Discussioni – Sessione del 1857, 5. Leg., Bd. 4, S. 1006). 517 Ottavio Thaon di Revel, Rede am 24.11.1864 (API Discussioni Senato – Sessione del 1863/64, 8. Leg., Bd. 3, S. 1974). Über das alte Piemont vgl. Revel, Rede am 14.3.1865 (API Discussioni Senato – Sessione del 1863/64, 8. Leg., Bd. 3, S. 2545). 518 Ottavio Thaon di Revel, Rede am 7.6.1866 (API Discussioni Senato – Sessione del 1865/66, 9. Leg., Bd. 1, S. 496).
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nome di Patria […] sotto il legittimo impero de loro Principi. […] Piemontesi! Raccogliamoci intorno alla patria bandiera […] giuriamo fedeltà all’augusta stirpe che torna a dominarci.“519 Solaro deutete die Rückkehr der alten monarchischen Herrschaft keineswegs als eine restaurative Blockade. Der konservative Politiker verherrlichte die „Befreiung“ von 1814 als den Triumph der legitimen und natürlichen Ordnung über den revolutionären Terror. Nach 1848 griff Solaro auf die altvertrauten Deutungsmuster des gegenrevolutionären Wiedergeburtsnarrativs zurück, um die konstitutionellen Reformen und vor allem die Ideale des italienischen Risorgimento zu diskreditieren. Der ehemalige Außenminister, der als Symbolfigur der Reaktion in der liberalen Öffentlichkeit besonders verhasst war, organisierte mit den Paradigmen der religiösen Politik und des monarchischen Patriotismus eine starke Opposition gegen die regierenden Moderati und verhalf dieser 1857 zu einem eklatanten Wahlsieg.520 Solaro feierte den Wahlerfolg von 60 der insgesamt 80 konservativen Abgeordneten als einen persönlichen Triumph und als das Resultat der antiliberalen Kampagne, die der ehemalige Außenminister in enger Zusammenarbeit mit enttäuschten Restaurationspolitikern und mit der katholischen Kirche angestoßen hatte.521 Solaro gewann bereits 1854 sein erstes Mandat für das piemontesische Abgeordnetenhaus durch einen knappen Stichwahlsieg im ligurischen Wahlbezirk San Quirico.522 Nach drei Jahren radikaler parlamentarischer Opposition hatte sich der erzkonservative Adlige große Zustimmung erworben und stellte mit seinem Erfolg sogar das positive Wahlergebnis liberaler Spitzenpolitiker wie Cavour, Rattazzi oder Valerio in den Schatten. Solaro erhielt insgesamt 1105 Stimmen und setzte sich in den Wahlbezirken Borgomanero, Varazze, Villanova und San Quirico durch.523
519 Solaro, Liberazione, S. 3. 520 Über Solaro als Symbolfigur der Reaktion und seinen Wahlsieg berichtete auch Margherita Provana di Collegno in ihrem Tagebuch. Vgl. Margherita Provana di Collegno, Diario politico, Mailand 1926, S. 176. Im Jahr 1857 gewannen die Konservativen rund 40% der Mandate im piemontesischen Abgeordnetenhaus. In seinem Tagebuch beschrieb Solaro mit stolzer Freude seine Führungsrolle im erfolgreichen konservativen Wahlkampf von 1857: „Mi adoperai, per quanto fu in mio potere perché riuscisse la nomina di molti conservatori della destra: pubblicai opuscoli, scrissi e ricevetti innumerevoli lettere, nulla lasciai d’intentato di quanto era lecito.“ Vgl. Lovera, Solaro (Bd. 1), S. 389. 521 Solaro war fest davon überzeugt, dass der Erfolg allein seiner politischen Führung zu verdanken war. Außerdem behauptete er, dass der Wahlsieg von 1857 noch größer hätte sein können, wenn die konservativen Eliten weniger Desinteresse für die neuen politischen Arenen gezeigt hätten. Vgl. Lovera, Solaro (Bd. 1), S. 370. 522 Vgl. IGAP, S. 589. 523 Solaro erhielt in Borgomanero 61 Prozent der Stimmen, in Varazze 60 Prozent, in Villanova 57 Prozent und bei seiner Wiederwahl in San Quirico sogar 71 Prozent. Außerdem überzeugte Solaro weitere 364 Wähler in den Bezirken Turin 4, Saluzzo, Susa und Sospello. Der konservative Politiker erlebte in diesen Wahlbezirken nur sehr knappe Niederlagen (außer in Sospello, wo seine Kandidatur deutlich abgelehnt wurde). Vgl. IGAP, S. 146, 573, 587, 629, 639, 664 und 693).
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Angesichts des sehr eingeschränkten piemontesischen Wahlrechts (knapp zwei Prozent der Bevölkerung) und der äußerst geringen Wahlbeteiligung war das persönliche Resultat von Solaro erstaunlich positiv. In den 1850er Jahren waren bei einer Gesamtbevölkerung von 2,5 Millionen knapp 50.000 Piemontesen wahlberechtigt. Die Wahlbeteiligung lag vor allem in der Peripherie meistens unter 50 Prozent. Ein Mandat für das Abgeordnetenhaus konnte häufig mit weniger als 100 Stimmen gewonnen werden (in Sardinien oft auch weniger als 50 Stimmen).524 Obwohl die Moderati mit einer umstrittenen, aber sehr effektiven Wahlkommission den „klerikalen“ Wahlerfolg von 1857 abschwächen konnten und eine knappe parlamentarische Mehrheit erhielten, setzte der Sieg von 80 Ultrakonservativen ein deutliches Zeichen für die Beharrlichkeit antiliberaler und antisäkularer Ideen.525 Solaro und seine konservativen Mitstreiter wurden von vielen verunsicherten Wählern aus Protest gegen die nachrevolutionäre Transformationskrise unterstützt. Über den konservativen Wahlerfolg von 1857 berichteten euphorisch auch die Historisch-politische Blätter für das katholische Deutschland.526 Genauso wie die meisten preußischen und piemontesischen Konservativen war auch Solaro fest davon überzeugt, dass die einzig legitime und wünschenswerte Vaterlandsliebe mit dem eigenstaatlichen Bewusstsein, dem traditionellen Dienstethos und dem monarchischen Herrscherkult verknüpft war.527 Dabei kritisierte er, dass im Jahr 1849 die piemontesische Armee aus landespatriotischen Gründen loyal gekämpft, aber von den anderen italienischen Staaten und von der Nationalbewegung kam nur eine marginale Unterstützung erhalten habe.528 Dieser überspitzte Landespatriotismus generierte einen sehr sarkastischen Grundton gegen das italienische Risorgimento. Damit polemisierte Solaro gegen die „modernen politischen Erneuerer“, die die aus konservativer Sicht illegitime und absurde Nationalstaatsidee verbreiteten: „Grande idea dei moderni novatori, distruggere ogni antica cosa e fare scomparire gli interessi delle città, delle Provincie anche indipendenti, a favore di un’unità nazionale che distrugge le nazionalità particolari non meno rispettabili e legittime.“529
524 Vgl. IGAP, S. 662–668. 525 In das piemontesische Abgeordnetenhaus wurden 80 Vertreter der Destra, 95 Moderati, 20 Linksliberalen und 9 „Unpolitische“ gewählt (insgesamt 204 Abgeordneten). Um die parlamentarische Mehrheit nicht zu verlieren, organisierte die Regierung Cavour eine Wahlkommission, die 17 klerikale Wahlerfolge annullierte. Den konservativen Abgeordneten wurde vorgeworfen, ihre politischen Aktivitäten durch eine verfassungswidrige Zusammenarbeit mit dem Klerus zu gestalten. Vgl. Nada, Piemonte, S. 409. 526 Vgl. Historisch-politische Blätter für das katholische Deutschland 41 (1858), S. 400–402. 527 Vgl. Solaro, Memorandum, S. 478. 528 „Apparvero pochi eroi delle altre parti d’Italia così ardente per la sua indipendenza“. Solaro, Memorandum, S. 558. 529 Solaro, Memorandum, S. 171.
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In einem programmatischen Manifest, das Solaro im Jahr 1853 für seine Wähler in Borgomanero verfasste, beschrieb er die kulturellen Hintergründe der politischen Opposition zwischen „Rückwärtsgewandten“ und „Erneuerern“. Der konservative Politiker instrumentalisierte geschickt die Desorientierung der piemontesischen Wähler, indem er den liberalen Fortschrittsoptimismus attackierte. In diesem Sinne hob Solaro polemisch hervor, dass nur die konservativen Gegner des modernen Nationalismus „amano lo splendore della patria“, während die Erneuerer einen Sprung ins Ungewisse als teleologische Notwendigkeit propagierten.530 In der piemontesischen Öffentlichkeit, die zwischen Reformenthusiasmus und nachrevolutionärer Verunsicherung zerrissen war, erschienen Solaros fanatische Appelle gegen die Einigung Italiens attraktiv, weil sie die Rückbesinnung auf den Restaurationsdiskurs als vereinfachte Lösung gegen die komplexen Herausforderungen der Moderne darstellten.531 Damit wurde der Vorwurf der Rückständigkeit, den die Moderati gegen die klerikale Opposition richteten, umgedeutet und in einen positiv besetzten Orientierungsrahmen eingebettet. Solaro idealisierte die „Rückwärtsgewandten“ als wahre Patrioten und prinzipientreue Verfechter des eigenstaatlichen Bewusstseins: „per i retrogradi l’avvenire della Monarchia sabauda è nelle mani di Dio […] ed anziché volgere lo sguardo all’Adige e all’Isonzo, penserebbero a conservare ben affezionate la Savoia culla dei nostri principi, e la Sardegna per cui portano il reale diadema.“532 Solaro entwarf mit dieser Argumentationsstrategie ein konservatives Gegenbild zu den romantisch-teleologischen Erwartungshorizonten des italienischen Risorgimento. Der konservative Politiker resümierte, dass das „echte“ Glück und die „wahre“ Erfüllung der piemontesischen Mission die harmonische Bewahrung des Status quo bedeutete. Die Rückbesinnung auf das vorrevolutionäre Idyll war mit den ambitionierten Reform- und Expansionsplänen der Moderati inkompatibel: „Altri sognano la felicità della patria nell’estenderne i confini al Mar Adriatico, ma la vera, la prima felicità sta nella concordia degli ordini […] nel rispetto dovuto alla Religione e al Capo della Chiesa.“533 Im Laufe der 1850er Jahren spitzte Solaro seine Polemik gegen die zögerliche Nationalstaatspolitik der piemontesischen Regierung weiter zu. In seinem knapp 200-seitigen Essay Questioni di Stato lehnte der konservative Politiker den „verantwortungslosen Italianismus“ und das „verhängnisvolle Risorgimento“ schroff ab.534
530 Solaro, Borgomanero, S. 11. 531 Vgl. Clemente Solaro della Margarita, Rede am 14.1.1856 (APS Discussioni Senato – Sessione del 1855/56, 5. Leg., Bd. 3, S. 328). Ferner Solaro, Rede am 22.3.1854 (APS Discussioni Senato – Sessione del 1854/55, 5. Leg., Bd. 4, S. 728) und am 10.1.1857 (APS Discussioni Senato – Sessione del 1857, 5. Leg., Bd. 3, S. 12). 532 Solaro, Borgomanero, S. 11. 533 Solaro, Borgomanero, S. 27. 534 Solaro, Questioni, S. 21 und 24 („sconsiderato italianismo“ und „malaugurato Risorgimento“).
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Solaro stellte seine Selbstbeschreibung als „Piemontese“ immer wieder zur Schau und suggerierte damit, dass die italienischen Einheitsbestrebungen das Prestige und die Reputation des wahren Vaterlandes erodierten.535 Der ehemalige Außenminister verurteilte nicht nur das Projekt der nationalen Einheit, sondern polemisierte ebenfalls gegen die „idiotische Idee“ einer piemontesischen Expansion in Norditalien.536 Gegen diese „idea da mentecatto“ reaktivierte Solaro die europaweit zirkulierenden Orientierungskonzepte des legitimistischen Restaurationsdiskurses. Er setzte die konservativen Suggestionen von Ruhe und Ordnung als beruhigende Gegenvorstellungen zur wachsenden Pluralität und Komplexität der politischen Konstellation ein.537 Die politische Funktionalisierung und die instrumentale Radikalisierung landespatriotischer Selbstbeschreibungen und Argumentationsfiguren führte dazu, dass bis 1859 die Ultrakonservativen eine ernsthafte Bedrohung für die regierende Moderati bildeten und einen erheblichen Einfluss in der breiten Öffentlichkeit ausübten. Genauso wie die religiöse Politik generierte auch die Fixierung auf die wahre Vaterlandsliebe ein Rechtfertigungsnarrativ, um die Herausforderungen der Moderne zu bewältigen. In den 1850er Jahren galten nostalgische Restaurationspolitiker wie Revel und phasenweise sogar reaktionäre Ultras wie Solaro als ernsthafte Kandidaten, um das reformbereite Kabinett von Cavour abzulösen.538 Die piemontesische Verfassungsund Nationalstaatspolitik blieb nach 1848 weiterhin reversibel und ergebnisoffen. Erst nach 1861, als die konservativen Eliten die italienische Einigung resigniert, pragmatisch oder konformistisch akzeptierten, setzte sich die teleologische Darstellung der 1850er Jahren als das Vorbereitungsjahrzehnt vor der Nationalstaatsgründung weitgehend durch. Auch der Preußensinn basierte auf dynastischen Machtdiskursen und paternalistischen Suggestionen, die sich seit den Staatsbildungsprozessen des 18. Jahrhunderts überlagerten und immer wieder politisch neu bewertet wurden. Nach 1847 generierten das eigenstaatliche Bewusstsein und der monarchische Herrscherkult eine zunehmend wichtige Orientierungsfolie für die konservative Meinungsmobilisierung. Die konsolidierten Erfahrungsdeutungen, die Kollektivsymbole und die Sprache des „verketzerten Stockpreußentums“ bildeten eine politische Wahrnehmungs- und Selbstbeschreibungsstrategie, die von der konservativen Medienoffensive gegen die liberalen Legitimationstheorien und die deutsche Nationalbewegung systematisch benutzt wurde. Die meisten preußischen Konservativen blieben bis in den 1860er Jahren fest davon überzeugt, dass die vermeintlichen Staatssäulen König, Volk und Armee kein konstitutionelles oder deutsch-nationales Intermezzo brauchten. In einer langen
535 Vgl. Solaro, Questioni, S. 24, 103 und 170. 536 Solaro, Questioni, S. 26 („idea da mentecatto“). 537 Vgl. Solaro, Questioni, S. 28, 48, 103 und 171. 538 Vgl. Giorgio Pallavicino an Michelangelo Castelli am 26.7.1853. In: Castelli, Carteggio (Bd. 1), S. 116.
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parlamentarischen Rede am 6. September 1849 verarbeitete Otto von Bismarck seine Revolutionserfahrung und erhob das „schwarz-weiße Banner“ gegen die „dreifarbige Begeisterung“. Dafür bezog sich der spätere Reichsgründer auf die Trias König-VolkArmee und auf die damit verknüpften theatralischen Argumentationsfiguren: Es war der Rest des verketzerten Stockpreußentums, der die Revolution überdauert hatte, die preußische Armee, der preußische Schatz, die Früchte langjähriger intelligenter preußischer Verwaltung und die lebendige Wechselwirkung, die in Preußen zwischen König und Volk besteht. Es war die Anhänglichkeit der preußischen Bevölkerung an die angestammte Dynastie, es waren die alten preußischen Tugenden von Ehre, Treue [und] Gehorsam.539
Dieses altvertraute Instrumentarium an christlich-legitimistischen Ordnungsmustern und „preußischen Tugenden“ blieb trotz oder gerade wegen der revolutionären Erschütterungen von 1848/49 erhalten. Jedoch führten in den 1850er und 1860er Jahren die konkurrierenden Vereinnahmungen des Stockpreußentums zu heftigen Kontroversen im konservativen Lager. Zum einen evozierte der Preußensinn ein semantisches und ideologisches Bestimmungsmuster für die reformbereiten Konservativen, die im Namen des monarchischen Patriotismus eine Kontinuitätslinie zwischen eigenstaatlichem Bewusstsein und deutschem Nationalstaat entwarfen. Zum anderen bildete das Preußentum ein interessantes Rechtfertigungsnarrativ auch für die Ultrakonservativen, die den deutschen Einheitsstaat um jeden Preis verhindern wollten. Nach der Revolution von 1848 stellten die meisten konservativen Politiker und Intellektuellen ihren Preußensinn demonstrativ zur Schau, um gegen die liberalen Verfassungs- und Nationalstaatsbestrebungen zu polemisieren. Noch im Jahr 1868 beschrieb der evangelische Theologe Carl Scheele, in Abgrenzung zu den liberalen Legitimationstheorien und dem deutschen Einheitsstaat, euphorisch den „Treuebund zwischen einem Volksstamme und seinem Regentenhause“ als die politische Maxime der preußischen Staatsbildung.540 Neben den paternalistischen Visionen des preußischen Königs als treu sorgender Vater der Nation spielten der Bellizismus und die Armee als symbolische Integrationsmomente eine wesentliche Rolle für die konservative Machterhaltung. Seit dem 18. Jahrhundert wurde der preußische Staat im Hinblick auf die Interessen und Erwartungshaltungen der Armee organisiert und die Monarchie blieb auch nach den konstitutionellen Reformen militarisiert.541 Die virulente Präsenz der Armee führte nicht
539 Zit. nach Engelberg, Bismarck, S. 343. 540 Scheele, Beruf, S. 15. 541 Vgl. Kroll, Militär, S. 13. Trotz der überzeugenden Relativierung der Sonderwegthese hat die aktuelle Forschung die Annahme eines im europäischen Vergleich besonders virulenten und antidemokratischen preußischen Militarismus nicht vollkommen revidiert. Vgl. Geng, Monarch, S. 13. Indem er die Debatte über die besondere Intensität des preußischen Militarismus resümierte, stellte Christopher Clark fest: „Es kam zu einer weitreichenden Militarisierung des Staates, aber nicht unbedingt zu einer Militarisierung der Gesellschaft.“ Vgl. Clark, Preußenbilder, S. 314. Grundlegend zum Thema
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zu einer permanenten Militarisierung der Gesellschaft, jedoch prägte sie zutiefst die kulturelle und politische Entwicklung des Hohenzollernstaates. Die reale, potenzielle und symbolische Bedrohung des preußischen Militärs trug entscheidend zur Bewältigung der Revolutionen von 1848/49 bei und prägte bis ins 20. Jahrhundert hinein die Gesellschaftskultur und die Politikdiskurse.542 Nach dem Debakel von Tilsit und erneut mit der Heeresreform und der Kriegsrhetorik der 1860er Jahren setzten sich die preußischen Eliten als zentrales Ziel, die Armee als die Quelle des wahren Patriotismus und als nationale Integrationsinstanz aufzubauen.543 Die Streitkräfte bildeten einen wesentlichen Bestandteil des preußischen Wiedergeburtsnarrativs nach 1806 und bestätigten um 1850 erneut ihre Loyalität und Effizienz, indem sie die Unruhen in den preußischen Kernprovinzen im Keim erstickten und aus den Feldzügen in Schleswig-Holstein und in Süddeutschland siegreich zurückkehrten. Spätestens im Jahr 1813 hatte die Armee ihre zentrale politische, gesellschaftliche und finanzielle Relevanz wiedergewonnen, der Adel befestigte erfolgreich seine dominierende Position und rehabilitierte seine Reputation als staatstragende Elite. Die Anzahl der bürgerlichen Offiziere nahm zwar langsam zu, jedoch blieben im Vergleich zu ihren adligen Kollegen die Karrierechancen der Bürger in Uniform deutlich schlechter.544 Nach der Revolution von 1848 kämpfte das Offizierskorps loyal und machtbewusst als der „Garant der Monarchie“ und engagierte sich oft auch in neuen politischen und publizistischen Arenen gegen die liberalen Reformbestrebungen und die deutsche Nationalbewegung.545 Seit den Staatsbildungskriegen des 18. Jahrhunderts generierte die Doppelkonstruktion der preußischen Armee als physische Bedrohung und als symbolische Macht immer stärkere Massenemotionen und weitverbreitete politische Legenden. Das Militär symbolisierte sowohl das aristokratische Dienstethos als auch die Königstreue der nationalen Familie. In diesem Sinne waren die Kriegsrhetorik und die politische Integrationsideologie der preußischen Armee geeignet, um den monarchischen Patriotismus zu emotionalisieren und zu popularisieren. Die idealisierte Verbindung zwischen Volk, Armee, Vaterland und Monarchie wurde bereits vom Soldatenkönig als politisches Rechtfertigungsnarrativ verwendet. In der Instruktion für seine Nachfolger im Jahr 1722 versuchte Friedrich Wilhelm I. die Begriffe Land, Leute und Armee systematisch zu verknüpfen und damit die semantischen und ideologischen Grundlagen für den Fortbestand der monarchischen Herrschaft zu visualisieren. Der Soldatenkö-
Militarismus und Zivilgesellschaft vgl. Ute Frevert, Die kasernierte Nation. Militärdienst und Zivilgesellschaft in Deutschland, München 2001. 542 Vgl. Müller, Soldaten, S. 311. 543 Vgl. Clark, Preußen, S. 380. 544 Vgl. Müller, Soldaten, S. 171. 545 In den Revolutionsjahren wurde das vorhandene Dissens- und Protestpotenzial der liberalen Offiziere, das sich vor allem in den preußischen Westprovinzen manifestierte, resolut unterdrückt. Vgl. Müller, Soldaten, S. 172–175.
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nig erwähnte in seinem Testament 67 Mal den Begriff Gott, jedoch bildeten die Armee (mit 36 Erwähnungen) und das Land (37 Mal) das politische Hauptinteresse des preußischen Monarchen.546 Die programmatische Instruktion von Friedrich Wilhelm I. entwarf die zentralen Orientierungsmuster des monarchischen Patriotismus. Der Königskult, der Bellizismus und das konservative Dienstethos wurden bis ins 19. Jahrhundert hinein tradiert und kreierten eine breitenwirksame Argumentationsstrategie. Unter Friedrich II. gewann die physische und symbolische Macht der Armee zunehmend an Bedeutung, um den Preußensinn und den monarchischen Herrscherkult zu popularisieren. Der aufklärungsbegeisterte Nachfolger des Soldatenkönigs definierte genauso wie sein autoritärer Vater das Militär als Kern, Basis und Säule des Staates und beschwor immer wieder die Assoziation zwischen Krone und Militär.547 Auch Friedrich der Große schöpfte das starke Identifikations- und Legitimationspotenzial der Armee aus. Da sich das Land während seiner 40-jährigen Regierungszeit fast ununterbrochen im Kriegszustand befand, gab sich Friedrich II. alle Mühe, den „Namen Preußen einzuhämmern“ und „alle Offiziere zu lehren, aus welcher Provinz sie auch kommen mögen, daß sie all Preußen“ waren.548 Die kulturelle Tradition des preußischen Bellizismus und des patriotischen Dienstethos kreierten einen zunehmend massenmedialen Machtdiskurs und spiegelten sich auch in den programmatischen Aussagen von Friedrich Wilhelm IV. wider. Obwohl der erste konstitutionelle Hohenzollernkönig ein deutlich wenig kriegerisches Herrscherbild als seine Vorgänger hatte, betrachtete er nach wie vor die Assoziation Armee-König-Vaterland als einen Grundbestandteil des eigenstaatlichen Bewusstseins Preußens: „Jeder Offizier sieht in seinem Könige den persönlichen Herrn […]. Diesem innigen Verhältnis der Armee zu ihrem Kriegsherrn verdankt das Land die Zuverlässigkeit und Hingebung der Armee. Daß dem so ist, weiß jeder preußische Patriot.“549 In Anlehnung an diese bellizistische Definition des preußischen Patriotismus bezogen sich nach der Revolution von 1848 auch die zahlreichen konservativen Vereine und Vaterländischen Gesellschaften auf das konsolidierte Identifikationsund Legitimationspotenzial der preußischen Armee, um eine breite antiliberale Medienoffensive zu organisieren. Ähnlich wie in Piemont zirkulierten auch im Hohenzollernstaat unzählige patriotische Lieder- und Gesangbücher, „zu singen überall im
546 Emblematisch dafür war das programmatische Fazit der Instruktion von König Friedrich Wilhelm I., der „sehs [stets] getrue diener und gehorsame unterthanen […] und ein starken arm und eine sighaftige Armee gegen alle seine feinde zu haben“ als das Ziel der monarchischen Herrschaft erwähnte. Vgl. Testamente der Hohenzollern, S. 123. 547 Vgl. Politische Testamente von Friedrich II. 1752 und 1768. In: Testamente der Hohenzollern, S. 176, 219, 224, 250 und 299. 548 Testamente der Hohenzollern, S. 165. 549 Handschreiben König Friedrich Wilhelm IV. an das Staatsministerium vom 1. Juli 1849. In: Huber, Verfassungsgeschichte (Bd. 2), S. 8.
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Preußenlande“.550 Sie leisteten einen entscheidenden Beitrag, um die militärischen Helden und Legenden politisch zu verbreiten. Mit einer sehr vereinfachten und theatralischen Sprache verherrlichte das Lied Kaiser und Junker, das der königliche Hofbuchhändler Alexander Duncker im Jahr 1849 veröffentlichte, die unerschütterliche Königstreue des preußischen Generals August von Stockhausen. Nicht zufällig gehörte der spätere Kriegsminister Stockhausen zu denjenigen preußischen Offizieren, die sich in den Revolutionsjahren gegen die liberalen Reformbestrebungen am stärksten engagierten.551 Am Beispiel des felsenfesten Preußensinns von Stockhausen forderte das Lied geradezu zu einem Vergleich zwischen den antinapoleonischen Kriegen und der aktuellen konservativen Meinungsmobilisierung gegen den liberalen Verfassungs- und Nationsdiskurs heraus. Kaiser und Junker rekonstruierte die militärische Karriere von Stockhausen, der als 14-jähriger Kindersoldat in den preußischen Heeresdienst eintrat und an der Schlacht von Jena teilnahm. Nach der katastrophalen Niederlage der preußischen Armee wurde der Junker von den Franzosen gefangen genommen. Das Lied von 1849 berichtete über eine angebliche Begegnung zwischen Stockhausen und Napoleon, der höchstpersönlich dem preußischen Fähnrich eine glänzende Karriere in seiner Armee in Aussicht stellte. Stockhausen lehnte natürlich die revolutionäre Verführung empört ab. Von patriotischem Stolz durchdrungen, antwortete der Junker auf Napoleons Anfrage: „Sire, ich bin ein ächter Preuße/ […] könnt ich nicht als Preuße leben/ möcht ich nie geboren sei!“552 Dabei war im 19. Jahrhundert nach wie vor nicht unüblich, dass die Offiziere die Dienstherren wechselten.553 Jedoch erwies sich die pathetische Geschichte des jungen Junkers als besonders geeignet, um den Preußensinn als das politische Antidot gegen die Revolutionen von 1789 und 1848 zu stilisieren. Auch der preußische General Gustav von Griesheim partizipierte an der konservativen Meinungsmobilisierung nach 1848. In seinen publizistischen Aktivitä-
550 Meistens wurden die Editionen dieser Gedichtsammlungen von konservativen Vereinen wie dem Treubund und der Vaterländischen Gesellschaft herausgegeben. Der Jurist Wilhelm von Merckel und der königliche Hofbuchhändler Alexander Duncker waren als Autoren und Herausgeber an vielen dieser Publikationen beteiligt. Vgl. Wilhelm von Merckel, Fliegende Blätter, Berlin 1848; Merckel, Der Ehrliche Preuße. Sammlung von Gedichten, Berlin 1848; Merckel, Preußisches Liederbuch. Vaterländische Gesellschaft zu Berlin, Berlin 1849; Merckel, Festgesänge der Vaterländischen Gesellschaft bei ihrer Eröffnungsfeier am 14. Juli 1849, Berlin 1849; Anonym, Schöne neue Lieder, zu singen überall im Preußenlande, zumal in Heer und Landwehr, Berlin 1849; Wilhelm von Blomberg, Liederbuch für die Mitglieder des Treubundes mit Gott für König und Vaterland, Berlin 1850. 551 Vgl. PPS (Bd. 4,2), S. 651. 552 Alexander Duncker, Der Kaiser und der Junker. In: Schöne neue Lieder, zu singen überall im Preußenlande, Berlin 1849, S. 6–8. 553 Vgl. Florian Schönfuß, Zwischen Preußenadler und Trikolore. Militärkarrieren des rheinischen Adels im Spiegel autobiographischer Selbstzeugnisse (1750–1850). In: Hochkultur als Herrschaftselement. Italienischer und deutscher Adel im langen 19. Jahrhundert. Hrsg. von Gabriele B. Clemens, Berlin 2011, S. 281–304.
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ten bezog sich Griesheim mit einer sehr aggressiven Sprache immer wieder auf die Assoziation Armee-König-Vaterland. Der preußische General protestierte vehement gegen die vermeintlichen Ambitionen der deutschen Nationalversammlung, „die preußische Armee als solche zu vernichten“ und damit die „einzige in Deutschland noch fest und aufrecht stehende Säule“ zu beseitigen.554 Griesheim attackierte die Paulskirchenversammlung, weil sie angeblich die politische und symbolische Macht des preußischen Militärs erodiere und „den Todesstoß“ gegen den Hohenzollernstaat vorbereite.555 In diesem Sinne kritisierte der reaktionäre Offizier, dass in Frankfurt die „preußische[n] Gefühle und Ansichten“ systematisch diskriminiert wurden: „theils vom Partikularismus der lokalen Interessen verdeckt, theils von der Deutschthuerei der äußersten Linken überschrieen.“556 Dabei rechtfertigte Griesheim den umfassenden polizeilichen Einsatz der preußischen Soldaten gegen die Revolution, indem er mit einem militaristischen und preußen-fixierten Grundton ein Gegenbild zur liberalen „Deutschthuerei“ entwarf: „Wir wissen, daß keiner unserer alten Krieger das eiserne Kreuz, welches kein Nicht-Preuße je erhalten konnte, für ein deutsches Reichskreuz hingeben wird […] Diese Krieger und das alte Preußen denken bei Vaterland noch an Preußen und nur an Preußen, das Frankfurter Deutschland […] schwebt ihnen nicht vor.“557 Der Preußensinn als alternative Integrationsideologie zum modernen Nationalismus charakterisierte die parlamentarischen und publizistischen Aktivitäten des zunehmend politisch sensibilisierten preußischen Offizierskorps.558 Um 1850 mobilisierten sich neben Stockhausen und Griesheim auch zahlreiche andere politische Generäle, um die liberalen Legitimationstheorien zu diskreditieren. Die Befürworter des militärischen Konservatismus agierten am Hof und in den preußischen Ministerien, jedoch traten sie auch in den neuen politischen Arenen machtbewusst auf. Aufgrund seiner ausgezeichneten Kontakte am Hof und der engen Verbindungen mit den ultrakonservativen Pietisten galt Karl von der Groeben (1788–1876) als der „Vertreter im größeren Weltleben“ der pietistischen Partei und der politischen Linie Gerlach-Stahl.559
554 Greisheim, Centralgewalt, S. 3. 555 Greisheim, Centralgewalt, S. 6. 556 Greisheim, Centralgewalt, S. 12. 557 Greisheim, Centralgewalt, S. 23. Mit derselben aggressiven Sprache polemisierte Griesheim weiter gegen die „Deutschthuerei“: das „1ste preußische Infanterie-Regiment, welches jetzt 230 Jahre besteht, gibt lieber die deutsche Einheit auf, als daß es die deutsche Reichsnummer 32. oder 40. annähme.“ Vgl. Greisheim, Centralgewalt, S. 14. 558 Vgl. Hans-Christof Kraus, Albrecht Graf von Roon. In: Deutsche biographische Enzyklopädie (Bd. 8), S. 520. Kraus verwendet der Begriff politischer General für Albrecht von Roon und beschrieb den Kriegsminister als „typischen Vertreter eines preußischen politischen Generals“. Zu den Konzepten vom politischen General und zum militärischen Konservatismus vgl. Trox, Konservativismus, S. 289. 559 Rochow, Leben, S. 220. Über die sehr einflussreiche Position Groebens am preußischen Hof berichten ausführlich auch Leopold und Ludwig Gerlach. Vgl. Gerlach, Aufzeichnungen (Bd. 1), S. 258, 294 sowie Bd. 2, S. 121, 185 und 252.
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Nach dem Schock von 1848 baute der preußische Offizier seine Machtposition wieder auf. Er war Kommandierender General des Gardekorps, Mitglied des Johanniterordens und des Herrenhauses. Außerdem wurde Groeben als enger Vertrauter des Königs direkt von Friedrich Wilhelm IV. mit politisch-diplomatischen Sondermissionen beauftragt, die der preußischen Außenpolitik eine konservative Orientierung gaben. Groeben war für diese diplomatischen Missionen durchaus ungeeignet, weil er weder Englisch noch Französisch sprach. Die Verwendung von nichtprofessionellen Diplomaten charakterisierte die Regierungspraxis von Friedrich Wilhelm IV. Zwischen 1840 und 1860 übernahmen die Vertrauten des Königs immer wieder wichtige Sondermissionen (Canitz im Jahr 1849 in Wien und Ludwig von Gerlach im Jahr 1850 in Sachsen-Anhalt).560 Meistens hatten diese Missionen eine deutliche politische Färbung. Als Groeben im Jahr 1854 nach London ging, um die Aktivitäten des liberalkonservativen Botschafters Christian Karl von Bunsen zu überprüfen, war er von Anfang an entschlossen, die „politischen Exzesse“ des ehrgeizigen Diplomaten zu bestrafen.561 Als politischer General, Intimus des Königs und adliger Grandseigneur bewältigte Groeben mit dem ostentativ inszenierten „Gefühl für die Ehre, Größe, den Ruhm der Armee und des Vaterlandes“ die dramatischen Krisen und Machtverschiebungen von 1806, 1848 und 1858.562 Die Assoziation Armee-König-Vaterland bildete ein vielfältig einsetzbares Selbstbeschreibungs- und Deutungsmuster, das die deutschen Einheitsbestrebungen und den Preußensinn je nach politischer Situation gegen- oder miteinander kombinierte.563 Auch für politische Generäle wie Hans Lothar von Schweinitz und Albrecht von Roon, die erst unter Wilhelm I. den Höhepunkt ihrer politisch-militärischen Karriere erreichten, generierte die Assoziation Armee-König-Vaterland ein politikmächtiges Selbstbeschreibungs- und Rechtfertigungsnarrativ. Mit dem Preußensinn verarbeiteten Schweinitz und Roon die umfassenden verunsichernden Transformationen, die mit der Revolution von 1848 und der Realpolitik in den 1860er Jahren eingeleitet wurden. Sie transferierten das konsolidierte Deutungs- und Sinnstiftungspotenzial des monarchischen Patriotismus auf die neue politische Mythologie des modernen Verfassungs- und Nationalstaats. Zum einen blieb aus konservativer Sicht das
560 Vgl. Dietmar Grypa, Der Diplomatische Dienst des Königreichs Preußen 1815–1866. Institutioneller Aufbau und soziale Zusammensetzung, Berlin 2008, S. 193. 561 Vgl. Huber, Verfassungsgeschichte (Bd. 1), S. 366. 562 Prinz Friedrich Karl von Preußen an Karl von der Groeben am 22.9.1866. In: Prinz Friedrich Karl von Preußen. Denkwürdigkeiten aus seinem Leben (Bd. 2). Hrsg. von Wolfgang Foerster, Stuttgart 1910, S. 124. Auch Ludwig von Gerlach beschrieb Groeben als „Königs-Intimus“. Vgl. Gerlach, Aufzeichnungen (Bd. 2), S. 186. 563 Auch in seinen parlamentarischen Reden assoziierte der preußische General immer wieder die Begriffe Armee, König, Ehre und Pflicht, um eine empathische und anpassungsfähige Argumentationsstrategie zu kreieren. Vgl. Karl von der Groeben, Reden am 23.2.1856 und am 4.5.1856 (VPH 4. Leg., 1 Sez., Bd. 1, S. 105 und 255).
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deutsche Glaubensbekenntnis nur eine pragmatische Integrationsideologie, die dem preußischen Partikularismus politisch, kulturell und emotional untergeordnet war.564 Zum anderen wurde in der krisenhaften Übergangsphase zwischen 1840 und 1870 die lange Tradition des preußischen Bellizismus, des konservativen Dienstethos und des monarchischen Herrscherkults rekonfiguriert, um die Reichsgründung ohne dramatische Kontinuitätsbrüche als die „fernere Etappe für die weitere historische Entwicklungsphase [der] Preußischen Königsherrlichkeit“ einzuordnen.565 Für viele politische Generäle wie Stockhausen, Groeben und Roon, aber auch für jüngere Offiziere wie Eduard von Fransecky konstruierte die mythisierte Kriegs- und Revolutionserfahrung von 1789–1815 das ideologische Fundament, um nach 1848 eine starke antiliberale Meinungsmobilisierung zu organisieren.566 Die tief internalisierten Argumentationsfiguren des monarchischen Patriotismus betrachteten die „Eigenschaft als Preuße“ als ein glaubwürdiges Rechtfertigungsnarrativ gegen die liberalen Partizipations- und Legitimationstheorien.567 Die politische Funktionalisierung der Kriegsrhetorik gewann wieder nach 1848 eine zentrale Bedeutung, weil im Gegensatz zur vorrevolutionären Zeit zwischen 1847 und 1870 zahlreiche internationale Drohszenarien und bewaffnete Konflikte von europäischer Relevanz eskalierten: in der Schweiz, in Italien, in Schleswig-Holstein, in Ungarn auf der Krimhalbinsel, in den Vereinigten Staaten und natürlich in Deutschland, Frankreich und in der habsburgischen Monarchie. Vor allem in Preußen untermauerte der strahlende Erfolg der militärischen Feldzüge in Dänemark (1848/49 und 1864), Süddeutschland (1848), Österreich (1866) und Frankreich (1870/71) die aggressive Sprache und die politische Ausstrahlungskraft des monarchischen Patriotismus. Die politischen Generäle akzentuierten die vermeintlich historisch-vorbestimmte Kontinuität von Preußens „Glanz und Gloria“ als den gemeinsamen Nenner der siegreichen Kriege: „In diesem Kriege [1866] handelt es sich […] um Preußens heiligste Güter und um das Fortbestehen unsers teuren Preußens. Der Feind will es […] zerstückeln und erniedrigen […] wir wollen Preußen erhalten, wie es ist, und durch Siege kräftiger und mächtiger machen […]. Und nun vorwärts mit unserm alten Schlacht-Rufe: Mit Gott für König und Vaterland!“568
564 Vgl. Kronprinz Friedrich von Preußen an Hans Lothar von Schweinitz am 25.1.1873. In: Briefwechsel des Botschafters General von Schweinitz. Hrsg. von Wilhelm von Schweinitz, Berlin 1928, S. 90. Vgl. auch die ähnliche Position, die in der Sitzung des preußischen Staatsministeriums am 19.8.1869 Albrecht von Roon einnahm. In: PPS (Bd. 6,1), S. 151. 565 Albrecht von Roon an seine Frau am 17.12.1870 und 16.1.1871. In: Roon, Denkwürdigkeiten (Bd. 2), S. 516 und 538. 566 Vgl. Fransecky, Denkwürdigkeiten, S. 232. 567 Fransecky, Denkwürdigkeiten, S. 270. 568 Fransecky, Denkwürdigkeiten, S. 294. In dieser Aussage kommentierte Fransecky den Armeebefehl seines Oberbefehlshabers Prinz Friedrich Karl im Juni 1866. Über den ersten Konflikt in Schleswig-Holstein vgl. Fransecky, Denkwürdigkeiten, S. 236. Auch im Feldzug 1870/71 spielte die deutsch-
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Dieser exaltierte Kommentar des preußischen Generals Eduard von Fransecky bildete im konservativen Diskurs ein Leitmotiv, um die sogenannten Kabinettskriege von 1864, 1866 und 1870 und die Reichsgründung einzuordnen. Am 25. April 1867 definierte auch Albrecht von Roon in einem Brief an Clemens Theodor Perthes seinen Patriotismus als „Liebe zum Könige und Vaterlande“.569 Für den Preußensinn des Kriegsministers spielte auch die Armee als der „Hebel der großartigen historischen Entwicklung unseres geliebten Vaterlandes“ eine wesentliche Rolle.570 Zwischen 1861 und 1871 bediente sich Roon in über einem Drittel seiner insgesamt 78 parlamentarischen Reden der Assoziationskette Armee-König-Vaterland als flexible Selbstbeschreibungs- und Wahrnehmungskategorie, um die innen- und außenpolitischen Transformationskrisen einzuordnen.571 Roon reagierte auf die kontroverse Amalgamierung von Preußensinn und deutschem Nationalismus, indem er die Devise von der Armee als Schule der Nation lancierte. Dieses konservative Schlagwort tauchte zum ersten Mal am 27. Mai 1861 auf. Im preußischen Abgeordnetenhaus definierte Roon die Armee „nicht bloß [als] eine Bildungsschule der Nation für den Krieg, sondern [als eine] Bildungsschule der Nation überhaupt“.572 Die omnipräsente Metapher der preußischen Armee als „große Volksschule“ reaktivierte die traditionellen Paradigmen des preußischen Bellizismus und des konservativen Dienstethos, die bereits der Soldatenkönig und Friedrich II. als politische Integrationsideologie instrumentalisiert hatten.573 Genauso wie Fransecky akzeptierte Roon die realpolitische Reichsgründung, indem er eine Kontinuitätslinie zwischen dem übergeordneten Preußenstolz, dem Mythos der preußischen Mission und den deutschen Einheitsbestrebungen konstruierte.574
nationale Begeisterung für Fransecky nur eine untergeordnete Rolle. Dagegen berichtete der General triumphierend über Preußens „Glanz und Gloria“. Vgl. Fransecky, Denkwürdigkeiten, S. 528–567. 569 Albrecht von Roon an Clemens Theodor Perthes am 25.4.1867. In: Briefwechsel zwischen dem Kriegsminister Grafen von Roon und Clemens Theodor von Perthes. Hrsg. von Otto Perthes, Breslau 1896, S. 97. 570 Albrecht von Roon an Georg von Kameke am 6.5.1874. In: Roon, Denkwürdigkeiten (Bd. 2), S. 634. 571 Vgl. Albrecht von Roon, Reden am 29.5.1861 (VHA 5. Leg., Sez. 3, Bd. 3, S. 1459–1505); am 15.7.1862 (VHA 7. Leg., Sez. 1, Bd. 2, S. 611–631); am 11.9.1862 (Bd. 3, S. 1598–1603); am 12.9.1862 (S. 1638–1646); am 15.9.1862 (S. 1682–1687) und am 20.3.1865 (VHA 8. Leg., Sez. 2, Bd. 1, S. 624–629). Roon argumentierte mit der Assoziation König-Armee-Vaterland auch in zahlreichen anderen parlamentarischen Reden (in den folgenden Fußnoten). 572 Albrecht von Roon, Reden am 29.5.1861 (VHA 5. Leg., Sez. 3., S. 1406). Zum Konzept der Armee als Bildungsschule für Krieg und Friede vgl. auch Frevert, Nation, S. 103–120. 573 Zwischen 1861 und 1871 bezog sich Roon in acht verschiedenen parlamentarischen Reden auf den Slogan der Armee als Bildungsschule der Nation. Vgl. Albrecht von Roon, Reden am 16.9.1862 (VHA 7. Leg., Sez. 1, Bd. 3, S. 1710–1713). Ferner am 20. und 23.3.1865 und am 28.4.1865 (VHA 8. Leg., Sez. 2, Bd. 1, S. 624 und 688 sowie Bd. 2, S. 1204–1219). Vgl. auch am 5.4.1867 (Reichstagsprotokolle 1876–1895, Bd. 1, S. 562–573); am 13.5.1871 (Bd. 23, S. 673–680) und am 7.6.1871 (Bd. 29, S. 818). 574 Vgl. Albrecht von Roon an Clemens Theodor Perthes am 15.6.1859. In: Roon, Denkwürdigkeiten (Bd. 1), S. 350.
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Am Vorabend des deutsch-dänischen Krieges von 1864 verdeutlichte Roon die asymmetrische und politisch-instrumentale Doppeldimension seiner deutschen Sympathien. Im preußischen Abgeordnetenhaus erklärte der Kriegsminister unmissverständlich: „Ich habe nur Sympathien für die Interessen Preußens, und wenn Sie wollen, in dem Sinne, wie ich es verstehe, auch herrliche Sympathien für Deutschland.“575 Nach der Reichsgründung blieb Roons politische und ideologische Selbstverortung weiterhin von den Begriffen Preuße, Soldat und Patriot dominiert.576 Aus konservativer Sicht vollzog sich am 18. Januar 1871, nicht zufällig der 170. Jahrestag der Krönung des ersten Preußenkönigs, die dynastische und militärische Mission des Hohenzollernstaats. Auch Roon beschrieb die deutsche Einigung distanziert als „Titelvermehrung“ von König Wilhelm I. und keineswegs als Triumph der „schwarzrot-goldenen Kokarde“, die nach wie vor als Farbe der Revolution galt.577 Die Beharrung auf dem monarchischen Patriotismus generierte im konservativen Diskurs sowohl eine polemisch geführte antiliberale Medienoffensive als auch eine pragmatische Auseinandersetzung mit der deutschen Nationalbegeisterung. Die vielfältig einsetzbaren Bedeutungen der Assoziation Armee-König-Vaterland manifestierten sich nicht nur in den patriotischen Liedern und in der kriegerischen Sprache der preußischen Generäle. Auch die Kreuzzeitung und das populäre Militärblatt Soldatenfreund des Schauspielers Ludwig „Louis“ Schneider bezogen sich immer wieder auf diese konservative Integrationsideologie.578 Nach den Revolutionsjahren 1848/49 propagierte in einem bis dahin unbekannten Ausmaß eine Vielzahl patriotischer und auf Popularität bedachter Publikationen und Assoziationen einen überwiegend antiliberal konnotierten monarchischen Patriotismus. Dabei engagierten sich über 250 Krieger- und Militärvereine, die circa 50.000 Mitglieder mit patriotischen Festen, Vorträgen und zahlreichen Publikationen mobilisierten.579 Dazu kamen weitere konservative Assoziationen wie der Preußenverein, der Patriotische Verein, der Verein für König und Vaterland und der Treubund für König und Vaterland, die das eigenstaatliche Bewusstsein und den monarchischen Herrscherkult politisch-ideologisch ebenfalls untermauerten. Auch im konservativen Diskurs trug das breite Spektrum an patriotischen Texten, Wahlkampfinitiativen und Netzwerkbildungen entscheidend zur Organisation und Institutionalisierung der politischen Öffentlichkeit bei. Vor allem in den preußischen
575 Albrecht von Roon, Rede am 22.1.1864 (VHA 8. Leg., Sez.1, Bd. 2, S. 857). 576 Vgl. Waldemar von Roon, Lebenserinnerungen des Generalleutnants Graf von Roon (Manuskript in: Nl. Roon; BARCH N 48/21, S. 3, 9, 13, 20 und 43). 577 Vgl Albrecht von Roon an seine Frau am 17.12.1870. In: Roon, Denkwürdigkeiten (Bd. 2), S. 516. Auch Moritz von Blanckenburg bezeichnete in einem Brief am 18.12.1870 die Reichsgründung als „Titel-Wechsel“. Vgl. Roon, Denkwürdigkeiten (Bd. 2), S. 521. 578 Louis Schneider agierte auch als Vorsitzender des Berliner Geschichtsvereins sowie als königlicher Vorleser und persönlicher Freund von Friedrich Wilhelm IV. Vgl. Clemens. Sanctus, S. 357. 579 Trox, Konservativismus, S. 149–228.
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Kernprovinzen entwickelten sich der politische Konservatismus und der monarchische Patriotismus zu einem massenkompatiblen Phänomen. Bereits im Jahr 1849 wurde die konservative Meinungsmobilisierung von circa 250 Kriegervereinen und über 300 königstreuen Clubs mit insgesamt 60.000 Mitgliedern flankiert.580 Zwischen 1848 und 1849 verdreifachte sich innerhalb weniger Monate die Zahl der neugegründeten politischen Vereine und der organisierten Mitglieder. Die konservativen Vereine waren überdurchschnittlich in den preußischen Provinzen Brandenburg, Pommern, Posen und Sachsen repräsentiert. Neben etablierten politischen Sprachrohren wie der Kreuzzeitung und der Evangelischen Kirchenzeitung fanden um 1860 auch neue konservative Projekte wie die Tageszeitung Preußisches Volksblatt, das monumentale Staats- und Gesellschaftslexikon von Hermann Wagener und der unterhaltsame Kalender des neugegründeten Preußischen Volksvereins eine breite Resonanz.581 Die starke Präsenz, die der Preußensinn als symbolgewaltige Integrationsideologie in den konservativen Politikdiskursen erhielt, leistete einen entscheidenden Beitrag dazu, die konservative Sprache des Politischen zu modernisieren. Im Gegensatz zu Albrecht von Roon, der seine politische Position zusammen mit dem monarchischen Patriotismus pragmatisch weiterentwickelte, lehnte Ludwig von Gerlach die liberale Nationalbegeisterung und selbst die Formation einer hybriden preußischdeutschen Integrationsideologie entschieden ab. Bereits zur Zeit der antinapoleonischen Kriege evozierten die romantischen Ideale und Massenemotionen des „großen [deutschen] Vaterlands“ in den Familien- und Freundeskreisen von Leopold und Ludwig von Gerlach nur Skepsis oder Desinteresse.582 Ausgehenden von diesem tief internalisierten Widerwillen gegen die „Trikolor revolutionärer Politik“ animierten die zwei Brüder nach der Revolution von 1848 die konservative Meinungsmobilisierung gegen die liberalen Verfassungs- und Nationalstaatsbestrebungen. Ludwig von Gerlach als prominenter Kolumnist der Kreuzzeitung und sein Bruder Leopold als Generaladjutant von Friedrich Wilhelm IV. bezogen sich nach der Revolution zunehmend auf die politische Mythologie des „schwarz-weißen Paniers“.583 Bis 1848 bildete der preußische Landespatriotismus für das erzkonservative Netzwerk um die Brüder nur eine untergeordnete Selbstbeschreibungs- und Argumentationsstrategie. Dagegen nahmen die pietistischen Wertorientierungen und die ständisch-paternalistischen Suggestionen eine deutlich wichtigere Rolle ein. Nach der Revolution erschien die Assoziation König-Armee-Vaterland als ein attraktives Rechtfertigungsnarrativ, um die Ideale und Erwartungshorizonte der deutschen Nationalbewegung
580 Vgl. Schwentker, Vereine, S. 158–167 und 335–337. 581 Albrecht, Preußen, S. 461. 582 Vgl. Gerlach, Aufzeichnungen (Bd. 1), S. 15. Ferner Leopold von Gerlach, Familiengeschichte (1857). In: Aus den Jahren preußischer Not und Erneuerung. Hrsg. von Hans-Joachim Schoeps, Berlin 1863, S. 69–71. 583 Ludwig von Gerlach, Die Wahlweigerung des Herrn von Bethmann-Hollweg. In: NPZ 216 (17.12.1851).
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zu bekämpfen. Nach einem Gespräch mit seinem Bruder Leopold im Oktober 1849 stellte Ludwig von Gerlach lapidar fest, dass das eigenstaatliche Bewusstsein und der monarchische Herrscherkult einen glaubwürdigen Gegenentwurf zur „Trikolor revolutionärer Politik“ bildeten: „Preußens Königtum, Armee, volle Selbstständigkeit […] unsere Entwicklung ist Hauptsache, alles andere [ist] dem unterzuordnen.“584 In den 1850er Jahren stellte Gerlach in seinen parlamentarischen und publizistischen Aktivitäten das patriotische Dienstethos, die Königstreue und das eigenstaatliche Bewusstsein demonstrativ zur Schau. Allein zwischen April 1850 und April 1853 charakterisierte die Assoziation König-Armee-Vaterland zehn seine parlamentarischen Reden.585 Diese Argumentationsfigur kreierte einen konservativen Gegenpol zum Telos der Nation. Gerlach instrumentalisierte seine Selbstbeschreibung als „begeisterter Preußischer Patriot“, um gegen die Idee des „großen Vaterlandes“ zu polemisieren.586 In diesem Zusammenhang betrachtete der konservative Politiker die „Befreiungskriege“ als einen antinationalen Mythos und konstatierte, dass die antinapoleonische Mobilisierung nur auf „schwarz-weißer Gesinnung“ und „schwarzweißer Treue“ basiert und „nichts Trikolores“ hervorgebracht habe.587 Anhand dieses aktualisierten Gegenmythos der preußischen Wiedergeburt nach 1806 resümierte Gerlach, dass auch nach 1848 Preußen „vor allem Dingen Preußen bleiben“ sollte.588 In seinen Rundschauartikeln für die Kreuzzeitung entwarf er ebenfalls eine polemische Trennlinie zwischen der „großen schwarz-weißen Parthei“ und den „drei Farben“: „das echte Preußen [ist] der Hof, die Armee und die große schwarz-weiße Parthei […]. Freilich nicht das Preußen, welches für den März und die drei Farben geschwärmt hat.“589 Nach der Reichsgründung idealisierte Gerlach den „preußischen Partikularismus“ und relativierte damit das triumphierende Nationalstaatsmodell.590 Mit repetitiven und zunehmend übersteigerten Plädoyers für das eigenstaatliche Bewusstsein Preußens versuchte der erzkonservative Politiker seine kritische Haltung gegen den neugegründeten deutschen Nationalstaat zu untermauern. Nicht zufällig betrachtete er gerade den preußischen Partikularismus als den „unentbehrlichsten […] unter allen deutschen Particularismen […], denn er hängt innig zusammen mit dem Preußi-
584 Ludwig von Gerlach, TB am 10.10.1849. In: Diwald, Revolution, S. 220. 585 Vgl. Ludwig von Gerlach, Reden am 26.4.1850 (Erfurt, S. 284); am 26.1.1852 (EK 2,2, Bd. 1, S. 167); am 30.1.1852 (S. 199); am 23.2.1852 (S. 391); am 29.4.1852 (Bd. 2, S. 1065); am 18.5.1852 (S. 1241); am 1.2.1853 (ZK 3,1, Bd. 1, S. 191); am 10.2.1853 (S. 328); am 14.4.1853 (Bd. 2, S. 888–890) und am 23.4.1853 (Bd. 3, S. 1049). 586 Ludwig von Gerlach, Rede am 23.4.1853 (ZK 3,1, Bd. 3, S. 1049). 587 Ludwig von Gerlach, Rede am 17.8.1849 (EK Bd. 2, S. 463). 588 Ludwig von Gerlach, Rede am 17.8.1849 (EK Bd. 2, S. 464). 589 Ludwig von Gerlach, RS-Oster 1855. In: Quartalrundschauen 1856, S. 43. Vgl. auch Gerlach, RSNeujahr. In: Quartalrundschauen 1856, S. 19–21. 590 Gerlach, Reich, S. 5–8 und 53. Ferner Gerlach, Deutschland, S. 56.
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schen Königthum und der Preußischen Armee“.591 Mit dieser ostentativen Fixierung auf die politische Mythologie des Preußensinns bot er seinen konservativen Lesern, die um 1870 zwischen patriotischer Kriegseuphorie und politischer Verunsicherung schwankten, einen festen Orientierungsrahmen. Ludwig von Gerlach, Heinrich Leo, Karl Friedrich von Savigny und andere Erzkonservative instrumentalisierten den Preußensinn als eine nicht allzu kompromittierende Selbstbeschreibungs- und Argumentationsstrategie gegen den deutschen Einheitsstaat. Im Oktober 1868 forderte Leo in einem zweiteiligen Artikel für die Kreuzzeitung, die „preußische Bestimmtheit“ zu verteidigen und nicht „widerstandslos ins Deutsche verschwinden“ zu lassen.592 Die altvertrauten Semantiken und Argumentationsfiguren des monarchischen Patriotismus generierten für die preußischen Konservativen eine wichtige Deutungsoption, um sich als treue und bewährte Patrioten gegen die Begeisterung für den deutschen Einheitsstaat und für die Realpolitik zu positionieren.593 Als er mit der Unterstützung des katholischen Zentrums im preußischen Abgeordnetenhaus wiedergewählt wurde, präsentierte sich Gerlach immer wieder als „Preuße durch und durch“ und attackierte damit die hybride preußisch-deutsche Integrationsideologie des neugegründeten Nationalstaats. Das konservative Dienstethos und der monarchische Herrscherkult bildeten ein plausibles Rechtfertigungsnarrativ, das Gerlach geschickt einsetzte, um den diskreditierenden Vorwürfen eines mangelnden Patriotismus der nationalliberalen Presse vorzubeugen. In diesem Sinne betonte er in einer parlamentarischen Rede im Mai 1874: „Ich werde mich als Preuße etwas legitimieren müssen [...] ich bin der Unterthan von 4 Preußischen Königen gewesen [...] ich habe 60 Jahre im Dienste dieser Könige gestanden.“594 Obwohl um 1870 pathetische Appelle wie „Bleiben wir Preußen! Bleiben wir Christen“ nicht mehr erfolgreich waren, trugen Gerlach und die Ultrakonservativen genauso so wie die politischen Generäle, die zahlreichen Kriegervereine und patrio-
591 Gerlach, Kaiser, S. 12. 592 Heinrich Leo, Klagen eines alten Conservativen. In: NPZ 236 und 237 (8./9.10.1868). Außerdem äußerten sich konservative Parteiprogramme und Wahlaufrufe bis Ende der 1860er Jahren explizit gegen die Perspektive des deutschen Einheitsstaats und argumentierten dabei mit dem preußischen Landespatriotismus. Vgl. Wahlaufruf der Patriotischen Vereinigung zu Reichstagswahl (1866). In: Mommsen, Parteiprogramme, S. 49–51. Vgl. auch Aufruf der Konservativen zu den Landtagswahlen (1863) sowie Glückwunschadresse des Herrenhauses an König Wilhelm (1870). In: Mommsen, Parteiprogramme, S. 47–49 und S. 56–58. 593 Ähnlich wie Gerlach wies damit die Vorwürfe, unpatriotisch zu sein, auch der ehemalige preußische Diplomat Karl Friedrich von Savigny zurück. Vgl. Karl Friedrich von Savigny an die Redaktion der Germania am 12.3.1873. In: Savigny, Briefe, S. 1000. 594 Ludwig von Gerlach, Rede am 9.5.1874 (AH, 12. Leg., Bd. 1,2, S. 1589). Gerlach hob immer wieder sein „Leben im Königlich Preußischen Civil- und Militärdienst“ als politische Argumentationsstrategie hervor. Vgl. Gerlach, Rede am 20.1.1877 (AH, 13. Leg., Bd. 1,1, S. 55); am 25.1.1873 (AH, 11. Leg., Bd. 3,2, S. 777); am 20.3.1873 (Bd. 3,3, S. 1773–1778); am 9.5.1873 (S. 1860); am 9.5.1874 (AH, 12. Leg., Bd. 1,2, S. 1589) und am 16.3.1875 (Bd. 2,2, S. 839–843).
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tischen Clubs dazu bei, das spezifisch-preußische Dienstethos, den Bellizismus und den monarchischen Herrscherkult in den neugegründeten Nationalstaat zu transferieren.595 Der Preußensinn blieb nach 1871 in den omnipräsenten Liedern, in den patriotischen Massenwaren, in der Kriegsrhetorik und in den dynastischen Kollektivsymbolen erhalten. Jedoch wurde der monarchische Patriotismus weitgehend rekonfiguriert. Er wirkte mit einer hybriden preußisch-deutschen bzw. liberalkonservativen Ausprägung und nicht mehr im Sinne Gerlachs als partikularistische Gegenideologie gegen die teleologische Nationalstaatsidee.596 Zum einen wurde die konservative Integrationsideologie des Preußensinns und des „alten Piemont“ tradiert und pragmatisch weiterentwickelt. Sie färbte auf die hybride Identitätsstiftung der neuen Nationalstaaten ab. Zum anderen revitalisierten der monarchische Herrscherkult, der Bellizismus und das konservative Dienstethos auch altvertraute Erfahrungsdeutungen, Kollektivsymbole und Argumentationsfiguren, die nach 1848 eine breite Medienoffensive gegen die liberale Nationalbewegung hervorriefen. Auch die Gegenrevolution profitierte von der enormen Erweiterung der sozialen und transnationalen „Reichweite des Informationsangebots“, indem sie die politische Präsenz des monarchischen Patriotismus aktualisierte und massenkommunikativ verbreitete.597 Das „schwarz-weiße Panier“ und die „azzurra coccarda“ brachten eine Konstellation an emphatischen Gegenbegriffen, Gegenmythen und Gegensymbolen hervor, um die nationalliberale Identitäts- und Partizipationsangebote zu entkräften.598 Über die Zäsuren von 1848, 1858 und 1871 hinweg erwies sich das eigenstaatliche Bewusstsein als eine politikmächtige und massenkompatible Orientierungsfolie, um einen kleinen gemeinsamen Nenner zwischen konservativer Machterhaltung, liberalen Legitimationstheorien und modernem Nationalismus auszuhandeln. Wie Heinrich von Treitschke nach der Reichsgründung konstatierte, war es seit 1871 nicht mehr möglich, „zugleich ein preußischer Patriot und ein Legitimist zu sein“. Die konservative Partei musste „viele ihrer heiligsten Glaubenssätze über Bord werfen“.599 Jedoch bezog sich die Assoziation Armee-König-Vaterland auf eine tief internalisierte politische Mythologie, die ähnlich wie die religiöse Politik eine semantische und emotionale Projektionsfläche für den konservativen Modernisierungswiderstand perpetuierte.
595 Gerlach, Deutschland, S. 67. 596 Zum Konzept des „hybrid regimes“ als ergebnisoffene Forschungshypothese, um den deutschen Nationsbildungsprozess sine ira et studio zu eruieren, vgl. Retallack, Right, S. 11. 597 Langewiesche, Kommunikationsraum, S. 15. 598 Hierzu Osterhammel, Verwandlung, S. 584. 599 Heinrich von Treitschke, Zum Jahresaufgang. In: Preußische Jahrbücher 19 (1867), S. 6. Dort auch das vorherige Zitat.
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hre und heilige Treue. Die politische Selbstbeschreibung und die kulturelle 2.2.2 E Wertorientierung konservativer „Patrioten“ Bei der feierlichen Eröffnung der Vereinigten Landtage am 11. April 1847 schockierte König Friedrich Wilhelm IV. die reformbereiten Abgeordneten, indem er in seiner Thronrede gegen die Verfassungsbestrebungen lapidar feststellte, dass die „alte heilige Treue“ mit einem „beschriebene[n] Blatt“ nicht zu ersetzen sei.600 Die offene Bedeutungsstruktur der Begrifflichkeiten, die der monarchische Patriotismus in Zeiten beschleunigter Transformationskrisen wiederbelebte, basierte nicht nur auf explizit-politischen Selbstbeschreibungsstrategien und transnational zirkulierenden Argumentationsfiguren.601 Der konservative Patriotismuskanon bezog sich ebenfalls auf soziokulturelle Traditionen und altvertraute moralische Pathosformeln wie Ehre, Treue und Loyalität. Sie standen in engem Zusammenhang mit paternalistischen, religiösen, dynastischen und bellizistischen Paradigmen und entwarfen einen patriotischen Verhaltenskodex, der das Nichtpolitische zunehmend politisierte.602 Im 18. Jahrhundert dienten die moralischen Paradigmen von Ehre und Loyalität überwiegend als individuelle Orientierungsfolien sowie als Status- und Standesnarrationen. Sie tradierten elitebezogene Erfahrungen und Erwartungshorizonte. Nach der umfassenden Meinungsmobilisierung um 1800 entwickelte sich die „heilige Treue“ allmählich zu einer kollektiv sinnstiftenden Identitätsgrundlage.603 Ehre und Loyalität waren nicht mehr nur ein Luxus für die preußischen und die piemontesischen Eliten, sondern zirkulierten als intellektuelle Massenware für ein breites Publikum von Soldaten, Beamten und Bürgern.604 Spätestens mit der Nationalstaatsgründung etablierten sich überregional vereinheitliche „Kriterien der Zugehörigkeit“, die
600 Friedrich Wilhelm IV., Thronrede am 11.4.1847. In: Der erste Vereinigte Landtag (Bd. 1), S. 22. Zur politischen Karriere des Treuebegriffs als Deutungsinstanz und Gefolgschaftsideologie vgl. Nikolaus Buschmann, Die Erfindung der Deutschen Treue. Von der semantischen Innovation zur Gefolgschaftsideologie. In: Treue. Politische Loyalität und militärische Gefolgschaft in der Moderne. Hrsg. von Nikolaus Buschmann u. Karl Borromäus Murr, Göttingen 2008, S. 75–109. 601 Für die kommunikative Akzeptanz und Wiederverwendung von semantischen oder symbolischen Traditionen sind die „Mehrschichtigkeit der Signifikat-Signifikant-Beziehung“ und eine offene Bedeutungsstruktur von zentraler Relevanz. Vgl. Schlögl, Symbole, S. 17. 602 Vgl. Hroch, Programme, S. 24. Die Verteidigung der nationalen Ehre erhielt auch im literarischen Kanon des Risorgimento eine entscheidende Bedeutung. Hierzu Banti, Nazione, S. 92 und 177. 603 Emblematisch für die neue politische und gruppenintegrative Akzentuierung von Loyalität und Königstreue hob der konservative Politiker Ottavio Thaon di Revel nach der italienischen Nationalstaatsgründung hervor: „Io stimo che nei privati come nei governi, la lealtà debba essere il primo movente di ogni azione, quando si vuol fare qualche cosa di giusto.“ Vgl. Ottavio Thaon di Revel, Rede am 13.7.1861 (API Senato – Sessione del 1861/62, 8. Leg., Bd. 1, S. 624). 604 Clark, Preußen, S. 401–412.
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sowohl bürgerliche als auch adlige Elemente umfassten und auf der „Anerkennung des gleichen Ehrenkanons“ basierten.605 Mit der offenen Bedeutungsstruktur der Begriffe Ehre, Treue und Loyalität gelang es, sich von realhistorischen Erfahrungen zu distanzieren und diese in der breiten Öffentlichkeit als mitreißende Schlagwörter zu etablieren, die von miteinander rivalisierenden Politikdiskursen instrumentalisiert und immer wieder neu bewertet wurde. Die Konservativen assoziierten diese omnipräsenten Pathosformeln mit dem eigenstaatlichen Bewusstsein, dem Bellizismus und dem traditionellen Dienstethos. Vor diesem Hintergrund bauten sie die symbolischen und soziokulturellen Inszenierungs- und Legitimationsgrundlagen der monarchischen Herrschaft nach den revolutionären Erschütterungen von 1789 und 1848 wieder auf. Auch der einflussreiche piemontesische Restaurationspolitiker Ignazio Thaon di Revel betrachtete „l’honneur“ und „la fidélité“ als „devoirs rigoureux, imprescriptibles, sacrés“, die das Fundament des politischen Denkens und Handelns bildeten.606 Die konservativen Eliten kombinierten die persönliche Fürstentreue mit einem abstrakteren Staats- und Herrscherkult und entwarfen dadurch eine politische Mythologie, die ein zunehmend breites Publikum erreichte.607 Nach den Revolutionsjahren 1848/49 konstatierte Friedrich Wilhelm IV. in seiner privaten Korrespondenz mit Radowitz, dass das „Schwarzweiß“ nicht nur als explizite und reflektierte Argumentationsfigur zum Ausdruck kam. Vielmehr manifestierte sich das preußische „Ehr- und Nationalgefühl“ als tief internalisierte Grundhaltung, die „unabsichtlich“ traditionelle Erfahrungsdeutungen und konservativ besetzte Wertorientierungen in den politischen Debatten reaktivierte.608 Um 1850 appellierten zahlreiche konservative Politiker und Publizisten an den Preußensinn und instrumentalisierten die damit verknüpften Wertvorstellungen und politischen Selbstbeschreibungsmodi. Bis ins 18. Jahrhundert hinein stellten die Begriffe Ehre, Treue und Loyalität ein semantisches Bestimmungsmuster vor allem für die staatstragenden Eliten dar, wurden in den neuen politischen Arenen und den massenkommunikativen Diskussionsprozessen jedoch schnell adaptiert. Der Grund für die breitenwirksame Popularisierung dieser exklusiven soziokulturellen Traditionen war, dass sie auf allgemein verständlichen Bestimmungsmustern wie der Religion, der Kriegsrhetorik,
605 Elias, Studien, S. 74. 606 Revel, Testament, S. 113. 607 Raphael, Recht, S. 22. Zur kulturellen Erfindung und politischen Inszenierung von Staatsloyalität und monarchischem Herrscherkult im langen 19. Jahrhundert vgl. Porciani, Festa; Ute Schneider, Politische Festkultur im 19. Jahrhundert. Die Rheinprovinz von der französischen Zeit bis zum Ende des Ersten Weltkriegs (1806–1918), Essen 1995; Hans-Werner Hahn, Festkultur und Politisierung zwischen den Freiheitskriegen und der Revolution von 1848/49. In: Festkulturen im Vergleich. Inszenierung des Religiösen und Politischen. Hrsg. von Michael Maurer, Köln 2010, S. 177–194. 608 Friedrich Wilhelm IV. an Joseph Maria von Radowitz am 16.3.1850. In: Radowitz, Briefe, S. 177. Dort auch das vorherige Zitat („Schwarzweiß“).
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dem Dienstethos und dem Paternalismus basierten. Um 1850 trug die offene Bedeutungsstruktur der Ehren- und Loyalitätsdiskurse wesentlich dazu bei, eine legalistische und überwiegend antiliberal inspirierte Meinungsmobilisierung hervorzurufen. In den Revolutionsjahren tauchten die Begriffe Ehre und Treue in unzähligen Petitionen, Liedern und Spottgedichten auf, die die konservative Presse, die patriotischen Clubs und die Militärvereine gegen die liberalen Reformbemühungen verbreiteten. Das Preußenlied von Johann Bernhard Thiersch delegitimierte die liberalen Verfassungsbestrebungen mit einem patriotischen Loyalitätsappell. Die omnipräsente Hymne suggerierte, dass sich in Preußen „Fürst und Volk […] Lieb’ und Treu’“ die Hand reichten, während das „Glück“ und die „Freiheit“ der konstitutionellen Nachbarstaaten nur „Trug“ und „Schein“ bedeuteten.609 Um diese idyllische Darstellung des Hohenzollernstaats zu kommunizieren, instrumentalisierte Thiersch immer wieder den Begriff Treue, der in dem kurzen Text fünfmal auftauchte. Diese vereinfachte Deutungs- und Argumentationsstrategie charakterisierte auch zahlreiche andere Lieder und Petitionen, die nach der Revolution von 1848 zirkulierten. Genauso wie das Preußenlied bezog sich ebenfalls die Hymne Dem Könige auf die moralische Kategorie von Ehre und Treue: Fluch allen Wühlern, Schande ihrem Streben […] Von Gottes Gnaden wollen wir Dich [Friedrich Wilhelm IV.] nennen […] Nicht fremde Schminke darf den Deutschen schänden […] Treu unserem König, treu dem Vaterlande, Das Preußens Adler ruhmgekrönt beglückt, Bring Dir dein treues Volk sein Herz zum Pfande.610
Auch das populäre Lied Schwarz und Weiß von Wilhelm Petzel stilisierte die Leitmotive von Ehre, Treue und Pflicht als spezifisch-preußische Qualitäten. Petzel formulierte eine pathetische Kriegserklärung gegen die Revolution: „Noch lebt in uns, der edlen Sieger Erben, / Dasselbe Hochgefühl für Ehre und Pflicht, / Und eher wird der Preußische Krieger sterben, / Eher den heiligen Eid der Treue bricht.“611 Der Publizist Friedrich Arnold Steinmann kritisierte den antiliberalen Grundton dieser patriotischen Lieder und bemerkte ironisch: „Zwar fehlt uns eine Constitution und somit, wie Viele meinen, eine feste Basis unseres Glücks. Aber so lange unser theurer König lebt, ist sein rechtlicher Charakter, sein milder Sinn uns die beste Constitution.“612
609 Das Preußenlied („Ich bin ein Preuße“) erschien seit 1830 in unzähligen und sehr heterogenen Publikationen (ausführlich dazu siehe Kap. 2.2.3). Der Text lautet: „Wo Lieb’ und Treu’ sich so dem König weihen / wo Fürst und Volk sich reichen so die Hand.“ Vgl. Preußenlied. In: Lehmann, Sammlung, S. 1. 610 Ludwig von Blum, Dem Könige. In: Merckel, Der Ehrliche Preuße, S. 3. 611 Wilhelm Petzel, Schwarz und Weiß. In: Bader, Zeitungsgedichte, S. 22. 612 Friedrich Arnold Steinmann, Briefe aus Berlin (Teil 2), Hanau 1832, S. 44.
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Die Sprache der preußisch-konservativen „Gedichte“ aktualisierte die Integrationsideologie des monarchischen Patriotismus und forderte die liberale Reformeuphorie mit altvertrauten Pathosformeln heraus. Indem sie an den Preußengeist appellierten, reaktivierten zahlreiche patriotische Lieder das Wiedergeburtsnarrativ von 1813 und entwarfen damit ein politisches Gegenbild zu den revolutionären Idealen und Erwartungshorizonten von 1848.613 Die konservative Medienoffensive versuchte die Reformbemühungen zu dämonisieren, indem sie die vermeintliche revolutionäre Schande als Gegenpol zu den konservativen Ehrendiskursen und zu der idealisierten Vorstellung der treuen Preußen benutzte.614 Das Lied An des Königs Getreue stigmatisierte die Revolution als Schande: „Schandbuben walten im Lande / Und halten die Schwäche in Schreck; / Mit Blut nur wäscht sich die Schande / Vom preußischen Namen hinweg.“615 Diese Fülle an patriotischen Liedern, Flugschriften und Spottgedichten schilderte plastisch die Gut-Böse-Dichotomie von Ehre und Schande, die eine Dämonisierung der Revolution vermittelte. Die Argumentationsfiguren von Ehre und Treue charakterisierten auch die antiliberale Polemik von prominenten konservativen Politikern und Publizisten. In einer programmatischen Ansprache an seine Wähler im Jahr 1849 beschwor Karl von Canitz und Dallwitz die Suggestion der treuen Preußen, um sowohl die liberalen Reformbestrebungen als auch die deutsche Nationalbewegung zu diskreditieren. Die offene Bedeutungsstruktur der moralischen Kategorie von Treue und Ehre generierte eine politische Selbstbeschreibung, die ein breites Publikum von preußischen Patrioten ansprach und gegen den liberalen Verfassungs- und Nationsdiskurs mobilisierte. In diesem Sinne beschrieb Canitz das deutsche Einheitsideal als eine dem „preußischen Nationalgefühl“ politisch-ideologisch sowie moralisch untergeordnete Perspektive: „Wer von mir verlangt, ich müsse aufhören, ein Preuße zu sein, mit dem lasse ich mich in keine Verhandlungen über die deutschen Einheit ein; mag er sich für seinen neuen Staat Leute suchen, die kein eigentliches Vaterland haben, an dem ihr Herz hängt und an dessen Aufgeben ihnen wenig gelegen ist.616 Mit seiner politischen Selbstbeschreibung als treuer Preuße entwarf Canitz eine Integrationsideologie zwischen elitebezogenen und massenkompatiblen Wertorientierungen. Der ehemalige Außenminister projizierte auf seine potenziellen Wähler den exklusiven Patriotismuskanon der konservativen Eliten. Nach dem Desaster von 1806 sammelte Canitz seine ersten politischen Erfahrungen im patriotischen Tugendbund und in der Freimauerloge Friedrich zu Vaterlandsliebe.617 In beiden Assozia-
613 Anonym, Aufruf an treue Preuße. In: Bader, Zeitungsgedichte, S. 13 („O Preußengeist wach auf! Wach auf!“). Vgl. auch Anonym, Ein grüner Sarg. In: Schöne neue Lieder, S. 35–37. 614 Vgl. Aschmann, Preußen, S. 177. 615 Hermann von Bequiguolles, An des Königs Getreue. In: Merckel, Der Ehrliche Preuße, S. 7. 616 Karl von Canitz und Dallwitz, Ansprache eines Wahl-Candidaten an die Wähler, Berlin 1849, S. 2. 617 Vgl. Dallinger, Canitz, S. 11.
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tionen zirkulierten patriotische Pathosformeln und ein starkes antinapoleonisches Ressentiment. Diese Emotionen bezogen sich zwar auf das vermeintliche preußische Nationalgefühl, jedoch evozierten sie eine „funktionalisierte Traditionserfindung“ eher als nationalisierte Massenemotionen.618 Die revitalisierten Paradigmen von Ehre und Treue resultierten aus der kollektiven Demütigung und der kulturellen Desorientierung der staatstragenden Eliten, die mit dem Krieg oder mit den Reformen ihre Machtposition wieder zu festigen versuchten.619 Als im Jahr 1807 ein französischer Offizier angeblich die preußische Ehre von Canitz beleidigte, wurde er von dem späteren Außenminister zum Duell herausgefordert und kaltblütig getötet.620 Canitz betrachtete die moralischen Kategorien von Ehre und Treue noch nicht als massenbewegende Emotionen, sondern vielmehr als Grundbestandteile seines patriotischen Dienstethos und seines aristokratischen Habitus. Um 1850 instrumentalisierte er hingegen dieselben Kategorien als massenkompatible Argumentationsfiguren und betrachtete sein preußisches Nationalgefühl als ein kollektiv sinnstiftendes politisches Rechtfertigungsnarrativ. Auch die Metapher des Duells bezog sich nicht mehr nur auf die Verteidigung des individuellen Ehrenkodex, sondern symbolisierte aus konservativer Sicht die politische Auseinandersetzung zwischen nationaler Ehre und Revolution.621 Zahlreiche konservative Politiker und Intellektuelle wie Heinrich Leo, Wilhelm von Lancizolle, Friedrich Julius Stahl und Philipp Nathusius benutzten ebenfalls die Idee der „ungebrochenen Treue“ als massentaugliche Argumentationsfigur gegen die liberalen Reformbemühungen.622 Neben dem aristokratischen Verhaltenskodex, dem konservativen Dienstethos und der bellizistischen Disposition reaktivierten die Begriffe Treue und Ehre auch ältere Zuschreibungen. Die kurze Schrift Germania des römischen Historikers Tacitus, der im 19. Jahrhundert umfassend rezipiert und politisch instrumentalisiert wurde, trug entscheidend dazu bei, die Paradigmen von Treue und Loyalität als spezifisch-deutsche Qualitäten zu sanktionieren. Der „Geist der Treue“ bildete ein weitverbreitetes Stereotyp und bekam in den patriotischen Liedern und in der konservativen Publizistik eine stark antiliberale Färbung. In Anlehnung an Tacitus resümierte Hermann Wagener in seinem Conversations-Lexi-
618 Frie, Marwitz, S. 262. 619 Vgl. Aschmann, Preußen, S. 151–174. 620 Vgl. Dallinger, Canitz, S. 10. 621 Exemplarisch dafür beschrieb Heinrich Leo in einem Brief an Canitz die politische Auseinandersetzung zwischen konservativer Ordnung und Revolution mit der Metapher des Duells. Vgl. Heinrich Leo an Karl von Canitz und Dallwitz am 4.2.1848. In: Dallinger, Canitz, S. 163. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts überlebte das Duell als sozialstrategisches Verhalten und als formalisiertes Ritual, das die adlig-bürgerliche „Schicht der Satisfaktionsfähigen aus der Masse der Bevölkerung“ heraushob. Vgl. Elias, Studien, S. 90. Ferner Banti, Nazione, S. 105 und 147. 622 Vgl. Henrich Leo, Sendschreiben an J. Görres, Halle 1838, S. 146. Ferner Lancizolle, Königthum, S. VII; Nathusius, Partei, S. 56.
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kon von 1866, dass der „Geist der Treue“ der „Grundzug der germanischen Seelenbestimmung“ sei.623 Im konservativen Diskurs kristallisierte sich die Suggestion der spezifisch-preußischen Treue als eine glaubwürdige Deutungs- und Handlungsoption heraus, um die beschleunigten politischen Krisen und Machtverschiebungen zu bewältigen.624 Mit der massenmedialen Dynamisierung der Politikdiskurse nach der Revolution von 1848 verschoben sich die individuellen Wertorientierungen und die moralischen Kategorien von Ehre und Treue zunehmend auf ein gruppenintegratives und politikmächtiges Bedeutungsfeld. Die patriotischen Grundbegriffe Treue und Ehre spielten ebenfalls eine wesentliche Rolle, um eine politische Integrationsebene zwischen Restaurationsideologie, monarchischer Herrschaft und liberalen Legitimationstheorien aufzubauen. Die konservativen Eliten beschrieben die Reformen von 1847 im Sinne der preußischen Ehre und der ungebrochenen Treue und minimierten damit die semantische und ideologische Diskontinuitätsperzeption. Die Rituale und die programmatischen Aussagen, die im Jahr 1847 die Einberufung des Vereinigten Landtags begleiteten, signalisierten deutlich, dass die von den Liberalen lang ersehnte Versammlung keinen radikalen Kontinuitätsbruch mit dem langen Restaurationsdiskurs darstellte. Die feierliche Eröffnung des Landtags reproduzierte die symbolische Macht der Assoziation zwischen Thron und Altar. Sie wurde von einer gottesdienstlichen Feier eingeleitet und kulminierte in einer Audienz im Königlichen Schlosse. Auf den knapp drei Seiten des offiziellen Eröffnungsprogramms sind die Begriffe König, Thron und Krone 51-mal zu finden.625 Auch in der Verordnung über die Bildung der Vereinigten Landtage und in der Thronrede, die Friedrich Wilhelm IV. am 11. April 1847 vor den Delegierten hielt, dominierten die konservative Sprache und die Pathosformeln des Restaurationsdiskurses. Der preußische König und seine Entourage marginalisierten die liberalen Reformbestrebungen, indem sie sich ostentativ auf das offene Bedeutungsfeld von patriotischen Begriffen wie Treue, Ehre und Ruhm bezogen. In seiner kurzen Thronrede argumentierte Friedrich Wilhelm IV. 23-mal mit dem Begriff Treue und 12-mal mit den Konzepten von Ehre, Ruhm und Würde. In dem fünfseitigen Text erwähnte er außerdem 37-mal den Begriff Vaterland.626 Ausgehend von den Orientierungsfolien des monarchischen Patriotismus fand Friedrich Wilhelm IV. eine Argumentationsstrategie, um den „verneinenden Geist der Zeit“ vehement zu verurteilen. Im scharfen Gegensatz zu dem liberalen Reformenthusiasmus forderte der König den Vereinigten
623 Hermann Wagener, Völkerstämme. In: Neues Conversations-Lexikon (Bd. 21), Berlin 1866, S. 567. 624 Vgl. Huber, Machtfülle, S. IX. 625 Vgl. Programm für die feierliche Eröffnung, verkündet am 11.4.1847. In: Der erste Vereinigte Landtag (Bd. 1), S. 11. 626 Friedrich Wilhelm IV., Thronrede am 11.4.1847. In: Der erste Vereinigte Landtag (Bd. 1), S. 20–26. Vgl. auch Verordnung über die Bildung der Vereinigten Landtage vom 3.2.1847. In: Der erste Vereinigte Landtag (Bd. 1), S. 3.
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Landtag auf, den „Geist der Ordnung und der Zucht“ wieder einzuführen.627 Anhand dieser politisch-ideologischen Beharrung auf dem Restaurationsdiskurs formulierte Friedrich Wilhelm IV. eine programmatische Ablehnung der liberalen Verfassungsbestrebungen und stellte lapidar fest: „Keiner Macht der Erde [soll] je gelingen, Mich zu bewegen, das Verhältniß zwischen Fürst und Volk in ein […] constitutionelles zu wandeln“.628 Diese radikale Verurteilung des Konstitutionalismus schockierte die reformbereiten Abgeordneten und ließ das Scheitern des Vereinigten Landtags sowie auch der preußischen Nationalversammlung von 1848 bereits vorausahnen. Das Paradigma der heiligen Treue revitalisierte die konterrevolutionäre Medienoffensive gegen die demagogischen Umtriebe und bezog sich auf die Suggestion einer vermeintlichen konservativen Grundhaltung der Bevölkerung. Diese weitverbreitete Vorstellung basierte auf dem vereinfachten Erklärungsmuster, das die Revolution als das Resultat der Intrigen von ausländischen Agenten, Kriminellen, Freimaurern, Juden und Protestanten oder Ultramontanen darstellte.629 Trotz oder gerade wegen der omnipräsenten Revolutionsangst blieben Friedrich Wilhelm IV. und die meisten europäischen Monarchen von der ungebrochenen Treue ihrer Untertanen fest überzeugt.630 Friedrich Wilhelm IV. versuchte die neuen parlamentarischen Diskussionsund Entscheidungsforen zu delegitimieren, indem er die privilegierte Verbindung zwischen König und Volk demonstrativ hervorhob. Bereits am 22. April 1847 enttäuschte der preußische König die Erwartungen der reformbereiten Landtagsabgeordneten und formulierte mit der Suggestion der heiligen Treue seinen unmissverständlichen Widerwillen gegen die versammelten „Repräsentanten“: „Mein Volk kennt Mein Herz, Meine Treue und Lieb zu ihm und hängt in Lieb und Treue an Mir: Mein Volk will nicht das Mitregieren von Repräsentanten.“631 Die tief internalisierten Pathosformeln der heiligen Treue akzeptierten nur die Perspektive der legalistischen Reformen von oben und standen dem liberal-demokratischen Mitregieren unversöhnlich gegenüber.
627 Friedrich Wilhelm IV., Thronrede am 11.4.1847, S. 22. Dort auch das vorherige Zitat. 628 Friedrich Wilhelm IV., Thronrede am 11.4.1847, S. 22. 629 Ausführlich dazu siehe Kap. 1.1.1. 630 In seiner Thronrede am 11. April 1847 betonte der preußische König, dass das „Volk noch das alte, christliche Volk, das treue, tapfere Volk, das die Schlachten Meiner Väter geschlagen hat“ sei. Vgl. Friedrich Wilhelm IV., Thronrede am 11.4.1847, S. 23. Die Suggestion der ungebrochenen Treue wurde von den europäischen Monarchen immer wieder als politische Argumentationsstrategie benutzt. Als er am 31. Dezember 1848 ein Resümee über das Revolutionsjahr verfasste, konstatierte auch der Großherzog Friedrich Franz II. von Mecklenburg-Schwerin: „Ein unerschütterter Thron und Achtung vor dem Gesetz ist aber dem Lande erhalten, gesunder Sinn ist im Volke. [...] Die sich lebhaft zeigende Liebe des Mecklenburgers für seinen Fürsten erfreute mich; das Richtige in dem Sturmesdrang der Zeit begeisterte mich.“ Vgl. Friedrich Franz II. von Mecklenburg-Schwerin, Tagebücher, S. 299. 631 Der erste Vereinigte Landtag (Bd. 1), S. 24. Friedrich Wilhelm IV. bestätigte diese Stellungnahme auch weniger Tage später in seiner Antwort auf eine Adresse des Vereinigten Landtags am 22.4.1847. Vgl. Der erste Vereinigte Landtag (Bd. 1), S. 27.
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Friedrich Wilhelm IV. und seine konservative Entourage waren sich bewusst, dass „Wort-Konzessionen“ mindestens genauso gefährlich wie politisch-institutionelle Reformen wirkten.632 Der konservativ geprägte Auftakt des Vereinigten Landtags gab den antiliberalen Hardlinern einen starken Rückenwind. In den Revolutionsjahren entwickelte sich eine dynamische Konstellation aus konservativen Publikationen und patriotischen Assoziationen, die sowohl in den traditionellen Elitenetzwerken als auch in den neuen politischen Arenen eine resolute Opposition gegen den liberalen Verfassungsdiskurs organisierten. Genauso wie Friedrich Wilhelm IV. versuchten die meisten konservativen Abgeordneten die Reformen zu blockieren, indem sie die moralischen Kategorien von Ehre, Pflicht und Treue als die ideologische Basis und als den allgemeinen Wertekanon des Politischen proklamierten.633 Um 1850 transferierten auch zahlreiche preußische Diplomaten die Vorstellungen der heiligen Treue und der preußischen Ehre auf eine kollektiv sinnstiftende und explizit-politische Bedeutungsstruktur. Ausgehend von diesem altvertrauten Verhaltenskodex, generierten sie ein ergebnisoffenes politisches Rechtfertigungsnarrativ, das die nationalen Einheitsbestrebungen undifferenziert zurückwies oder umgekehrt die deutsche Einheitsstaatsidee mir der Suggestion der preußischen Mission amalgamierte. Am Ende ihrer Italienreise im Jahr 1862 bezeichnete die Kronprinzessin Victoria den preußischen Gesandten in Turin, Brassier de Saint Simon, der der reformbereiten Wochenblattpartei nahestand und mit der liberalkonservativen Politik der Moderati sympathisierte, als „the only liberal and sensible Prussian diplomat I know“.634 Die soziale Zusammensetzung und die kulturelle Tradition des preußischen diplomatischen Korps führten zwar zu einer nachhaltigen Beharrung auf dem konservativen Dienstethos und dem aristokratischen Habitus, jedoch erhoben sich nach dem Schock von 1848 auch im diplomatischen Dienst immer mehr Stimmen, die die Grundbegriffe Ehre und Treue nicht mehr nur mit dem Status quo verknüpften, sondern vielmehr in die teleologisch geprägte Perspektive der vermeintlichen preußischen Berufung einbetteten.635 Nach dem Scheitern des innovativen Unionsprojekts von Joseph Maria von Radowitz übernahm ein einflussreiches Oppositionsnetzwerk um die Zeitschrift Wochenblatt die Ideen des ehemaligen Außenministers. Zu dem Kreis gehörten überwiegend adlige Diplomaten wie Alexander von Schleinitz, Christian Karl von Bunsen, Guido von Usedom, Robert von der Goltz oder Albert von Pourtales und prominente Intellektuelle wie Clemens Theodor Perthes, Ludwig Emil Mathis und Moritz August von
632 Steinmetz, Sprechen, S. 1137. 633 Vgl. Der erste Vereinigte Landtag (Bd. 2), S. 255 und 493 sowie Bd. 3, S. 1294–1296. 634 Letters between Queen Victoria and the Crown Princess of Prussia 1861–1864, London 1868, S. 150. 635 Vgl. Johann Caspar Struckmann, Preußische Diplomaten im 19. Jahrhundert. Biographien und Stellenbesetzungen der Auslandsposten 1815–1870, Berlin 2003, S. 38.
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Bethmann-Hollweg.636 Während sich die gegenrevolutionäre Meinungsmobilisierung emotionaler Massenappelle und Identitätsstiftungen bediente, bildete die Wochenblattpartei eher eine elitäre Fronde gegen die erzkonservative Regierung Manteuffel. Obwohl es nur ein begrenztes Publikum von Spitzenbeamten, Offizieren und Bildungsbürgern erreichte, gab das Oppositionsnetzwerk um Bethmann-Hollweg einen wichtigen Impuls, um die konservativen Machterhaltungsstrategien und damit auch die politische Präsenz der heiligen Treue zu rekonfigurieren. Bis in die 1860er Jahre hinein wurde die preußische Außenpolitik von konservativen Diplomaten, die im offenen Gegensatz zur Wochenblattpartei standen, entscheidend mitbestimmt. Zu den Gegnern der innovativen Ideen von Radowitz zählten sowohl erfahrene Restaurationspolitiker wie Gerlach, Stahl und Canitz als auch gemäßigte Konservative wie Albrecht von Bernstorff, Justus von Gruner und Ernst von Bodelschwingh, die sich vom Wochenblatt explizit distanzierten.637 Außerdem instrumentalisierten auch jüngere Diplomaten wie Karl Friedrich von Savigny die moralischen Kategorien von Ehre und Treue als eine polemische Argumentationsfigur gegen die deutsche Nationalbewegung und die liberalen Legitimationstheorien. Bevor er als preußischer Gesandter in Karlsruhe akkreditiert wurde, erlebte Savigny die Französische Revolution von 1848 in Paris. Diese dramatische Erfahrung bestärkte den jungen Diplomaten in seiner konservativ geprägten Haltung, die er als Sohn des prominenten Juristen Friedrich Carl von Savigny ausgebildet hatte. Der politische Bedeutungsgehalt der preußischen Ehre und der heiligen Treue, die die antiliberale Medienoffensive der patriotischen Clubs und der konservativen Presse charakterisierten, bildeten auch für Savigny eine zentrale Orientierungsfolie, um seine politischen Grundeinstellungen und ein karriereförderndes Netzwerk aufzubauen. Mit dem konservativen Dienstethos und den patriotischen Loyalitätsappellen des monarchischen Patriotismus verarbeitete der katholische Diplomat die revolutionären Erschütterungen von 1848/49 und fand trotz der lothringischen Herkunft seiner Familien Zugang zu den traditionellen Führungsschichten des Hohenzollernstaats.
636 Der Jurist Moritz August von Bethmann-Hollweg (1795–1877) war die zentrale Figur der Wochenblattpartei. Dieses gemäßigt-konservative Oppositionsnetzwerk gegen die Regierung Manteuffel gewann in den Reihen der „höheren Beamtenschaft, der Wirtschaft, des preußischen Adels sowie des Offizierskorps“ beträchtliche Anerkennung. Jedoch lehnten wichtige Intellektuelle wie Friedrich Julius Stahl und einflussreiche Diplomaten wie Albrecht Graf von Bernstorff und Justus von Gruner oder der ehemalige Innenminister Ernst von Bodelschwingh explizit ab, sich öffentlich gegen die Regierung Manteuffel und die Kreuzzeitung zu positionieren. Die Redakteure und Herausgeber der Zeitung wendeten sich gezielt an ein elitäres Publikum und der Lesekreis der Wochenblattpartei blieb dementsprechend sehr begrenzt. In den 1850er Jahren verzeichnete das Wochenblatt nie über 1.500 Abonnenten (gegen die 25.000 der erzkonservativen Kreuzzeitung im Jahr 1850). Vgl. Michael Behnen, Das Preußische Wochenblatt 1851–1861. Nationalkonservative Publizistik gegen Ständestaat und Polizeistaat, Göttingen 1971, S. 70–72. 637 Vgl. Behnen, Wochenblatt, S. 70–80.
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Damit generierten die Kategorien von Ehre und Treue ein politisches Selbstbeschreibungsmodell, das sowohl in den traditionellen Elitenetzwerken als auch in den parlamentarischen Institutionen und in den publizistischen Arenen glaubwürdig und gruppenintegrativ wirkte. Im 19. Jahrhundert setzten sich das Leistungsprinzip und rational überprüfbare Beförderungskriterien für die im preußischen diplomatischen Dienst Stehenden allmählich durch. Trotz dieser zunehmenden Professionalisierung blieben eine enge Vernetzung mit dem Hof und die Aneignung des adligen Habitus die entscheidenden Voraussetzungen, um die prestigereichen Spitzenpositionen im diplomatischen Korps zu erreichen. Die Paradigmen von Ehre, Treue und Loyalität prägten als Grundbestandteile adliger Erziehungs- und Repräsentationsformen die Sprache und den Verhaltenskodex der meisten europäischen Diplomaten. Die Eidesformel, die im 19. Jahrhundert für die Diplomaten und die höhere Beamtenschaft im preußischen Regierungs- und Verwaltungsapparat konzipiert wurde, assoziierte systematisch die Begriffe Ehre und Treue und verlieh diesen moralischen Kategorien eine starke politische Bedeutung.638 Besonders vor der Reichsgründung spielten die nichtadligen Diplomaten im preußischen Dienst nur eine sehr marginale Rolle. Zwischen 1815 und 1871 wurden in den Auslandsvertretungen des Hohenzollernstaats nur 27 bürgerliche und 38 nobilitierte Diplomaten aufgenommen. Auch im Vergleich mit der militärischen Laufbahn blieb die diplomatische Karriere noch länger und stärker von Repräsentanten des Adels geprägt.639 Um 1850 aktualisierte Savigny die traditionell aristokratischen Ehren- und Machtdiskurse und diskutierte darüber mit dem preußischen Gesandten in Madrid, Athanasius Graf Raczynski. Obwohl diese konservativen Diplomaten zwei verschiedenen Generationen angehörten, bezogen sie sich beide auf die tief internalisierten Paradigmen von Ehre und Treue, um die liberalen Verfassungsbestrebungen und die deutsche Nationalbewegung zu delegitimieren. Im November 1849 stellte Raczynski lapidar fest, dass Ehre und Macht „nicht auf dem Pfad des Konstitutionalismus und der deutschen Einheit“ zu suchen waren.640 Auch die Diplomaten Adalbert von Rosenberg und Sigmund von Arnim, die mit Savigny eng befreundet waren, entwarfen eine Gut-Böse-Dichotomie zwischen den deutschen Einheitsbestrebungen und den „schwarzweißen Interessen“, die mit den positiven Orientierungskonzepten von Ehre und Loyalität assoziiert waren.641
638 Vgl. Denise Geng, Monarch und Militär. Zum Verhältnis von politischer und militärischer Führung im 19. Jahrhundert. Preußen – Deutschland im Vergleich, Berlin 2013, S. 407. 639 Vgl. Struckmann, Diplomaten, S. 20–27; Geng, Monarch, S. 100. 640 Athanasius Graf Raczynski an Karl Friedrich von Savigny am 2.11.1849. In: Savigny, Briefe, S. 471. 641 Vgl. Adalbert von Rosenberg an Karl Friedrich von Savigny am 8.5.1850. In: Savigny, Briefe, S. 515. Ferner Sigmund von Arnim an Savigny am 14.2.1850, am 12.11.1850 und am 26.11.1850. In: Savigny, Briefe, S. 494, 549 und 556.
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Für Savigny bildete der monarchische Patriotismus eine konventionelle Selbstbeschreibung, die sowohl attraktive politische Argumentationsfiguren als auch soziale Kompetenzen und kulturelle Ressourcen freisetzte. Damit fand der konservative Diplomat ein soziokulturelles Passepartout, um gegen die reformbereite Position von Radowitz zu polemisieren, aber auch den „Berliner Geschmack“ seiner Frau Marie von Arnim-Boitzenburg zu bewundern oder das „preußische Herz“ von Friedrich II. zu verherrlichen.642 In der massenmedialen patriotischen Publizistik und in den Elitenetzwerken bildeten die zunehmend politisierten Kategorien von Ehre und Treue ein anpassungsfähiges Wahrnehmungs- und Orientierungsmuster, um dramatische Transformationskrisen und erhebliche Machtverschiebungen zu bewältigen. Als im Laufe der 1860er Jahren die realpolitische Neuausrichtung der preußischen Politik allmählich die Oberhand über die Erzkonservativen gewann, imaginierten Savigny und andere preußische Spitzenbeamten im Namen der nationalen Ehre und der heiligen Treue eine Kontinuitätslinie zwischen dem vor-konstitutionellen Hohenzollernstaat und dem pseudoliberalen Nationalstaat von 1871.643 Ähnlich wie Savigny rechtfertigte auch Heinrich Abeken, der ebenfalls unter Bismarck im preußischen Außenministerium der Höhepunkt seiner Karriere erreichte, die Nationalstaatspolitik „um Preußens Ehre“.644 Ausgehend von den Staatsbildungsprozessen des 18. Jahrhunderts vollzog sich zwischen der katastrophalen Niederlage von 1806 und der Revolution von 1848 die Verschiebung der exklusiven Paradigmen von Ehre und Treue auf ein politisches und kollektiv sinnstiftendes Bedeutungsfeld.645 Friedrich Wilhelm IV. bezog sich auf die heilige Treue, um die Verfassung als „beschriebenes Blatt“ zu diskreditieren und darüber hinaus auch auf die Herausforderung der deutschen Einheitsbestrebungen zu reagieren.646 Die Suggestion der ungebrochenen Treue bildete den paternalistischen Grundton der konfusen Manifeste und Denkschriften, die der preußische König und seine Entourage im März 1848 verfassten.647 Im Spannungsfeld dramatischer
642 Vgl. Friedrich Karl von Savigny an Anna Caroline von der Schulenburg am 9.10.1853. In: Savigny, Briefe, S. 625. Vgl. auch Marie von Arnim-Boitzenburg an Anna Caroline von der Schulenburg am 25.11.1857 und am 28.12.1857. In: Savigny, Briefe, S. 691. 643 Im Jahr 1866 verkündete Savigny als Gesandter in Frankfurt am Main den offiziellen preußischen Austritt aus dem Deutschen Bund. Der ehrgeizige Diplomat befürwortete die Realpolitik im Namen der „Würde unseres teueren Vaterlandes“ und verwendete damit dieselben patriotischen Argumente, die er um 1850 gegen das Unionsprojekt von Radowitz benutzt hatte. Vgl. Karl Friedrich von Savigny an Otto von Bismarck am 15.6.1866. In: Savigny, Briefe, S. 887. 644 Heinrich Abeken an Marie von Olfens am 16.8.1865. In: Abeken, Leben, S. 312. 645 Die politische Funktionalisierung der Begriffe Ehre, Treue und Pflicht charakterisierte bereits die politischen Testamente, die Friedrich II. im Jahr 1752 und wieder 1768 verfasste. Vgl. Testamente der Hohenzollern, S. 253–461 und 463–721. 646 Vgl. Friedrich Wilhelm IV., Thronrede am 11.4.1847. In: Der erste Vereinigte Landtag, S. 22. 647 Vgl. Friedrich Wilhelm IV., An meine liebe Berliner! (18./19.3.1848) und Proklamation vom 21. März 1848. In: Huber, Verfassungsgeschichte (Bd. 1), S. 365. Das Paradigma der heiligen Treue charakteri-
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Loyalitätskonflikte wie der Revolution von 1848, dem Verfassungskonflikt von 1862 und dem „Bruderkrieg“ von 1866 kreierte das offene Bedeutungsfeld der altvertrauten Paradigmen von Ehre und Treue eine schnelle Handlungsoption, um Zeit für die Rekonfigurierung des konservativen Diskurses zu gewinnen.648 Die politische Mythologie der preußischen Ehre und der heiligen Treue entwarf eine nicht allzu kompromittierende Sprache, die sich mit den umstrittenen Themen Verfassung und Nation auseinandersetzte, aber keine definitive politische Linie markierte. Die Begriffe Ehre und Treue bildeten flexible Argumentationsfiguren, die über die Zäsuren von 1848 und 1871 hinweg ein hohes Erklärungspotenzial reproduzierten. Im März 1861 kommentierte Friedrich Julius Stahl die Ablehnung der deutschen Kaiserkrone und lobte die negative Antwort, mit der Friedrich Wilhelm IV. im April 1849 die Delegation der deutschen Nationalversammlung zurückwies. Um diese unpopuläre Entscheidung zu rechtfertigen, bezog sich Stahl auf die „Treue für die deutsche Sache“ und auf die „Ehre des preußischen Staates“, die durch die Ablehnung der kleindeutschen Kaiserkrone angeblich gerettet wurden.649 Die Kategorien von Ehre und Treue generierten auch für Stahl, der aus einer emanzipierten jüdischen Familie stammte und in München studierte, ein politisch-instrumentales Rechtfertigungsnarrativ, um seine karrierefördernde „Verpreußung“ zu beweisen.650 Ehre und Treue waren empathische Orientierungsfolien, die die Konservativen je nach politischer Situation mit unterschiedlichen Themen und Inhalten assoziierten: Preußen, Deutschland, der Religion, der Monarchie, dem Krieg oder der Verfassung. Im konservativen Diskurs stellten das traditionelle Dienstethos, der monarchische Herrscherkult und die Ehrendiskurse die „Nerven des preußischen Staates“ und die Kristallisationspunkte des „spezifischen Preußentum“ dar.651 Sie bildeten eine attraktive Selbstbeschreibungsstrategie für mehrere Generationen politischer Protagonisten und für heterogene Rezipientengruppen. Sowohl antiliberale Hardliner wie Ludwig von Gerlach als auch pragmatische Konservative wie Roon und Bismarck betrachteten sich als „Helden der Treue“ und konnotierten damit ihr politisches
sierte auch die zahlreichen Denkschriften, die Ludwig von Gerlach in den Revolutionsjahren 1848/49 für König Friedrich Wilhelm IV. und die preußische Regierung verfasste. Vgl. Diwald, Revolution, S. 575, 582–592 und 607. Ferner Gerlach, Aufzeichnungen (Bd. 2), S. 511–520. 648 Im September 1862 stellte Wilhelm I. die Paradigmen von Treue und Pflicht in den Mittelpunkt seines Abdankungsbriefs und setzte damit die Regierung unter Druck. Vgl. Wilhelm I., Abdankungsentwurf vom September 1862 und Erwiderung des Staatsministeriums am 21.9.1862. In: Huber, Verfassungsgeschichte (Bd. 2), S. 40–43. 649 Stahl, Gedächtnis, S. 271. Vgl. auch Stahl an Otto von Manteuffel am 13. Juli 1852. In: Stahl, Briefe, S. 381. 650 Im Jahr 1840 konvertierte Stahl zum evangelischen Glauben und arbeitete als Professor der Rechtsphilosophie an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin. Bereits im Juli 1849 berichtete er nicht ohne Selbstironie über seine „Verpreußung“. Vgl. Friedrich Julius Stahl an Hermann von Rotenhan am 25.7.1849 und am 5.12.1849. In: Stahl, Briefe, S. 340–343. 651 Friedrich Julius Stahl an Hermann von Rotenhan am 5.12.1849. In: Stahl, Briefe, S. 343.
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Engagement.652 In Zeiten beschleunigter Transformationen generierten der Preußensinn und das konservative Ehr- und Pflichtgefühl eliteninterne Sinnkonstruktionen, aber auch weitverbreitete politische Slogans und Emotionen, mit denen die Konservativen innovative Politikentwürfe, pragmatische Anpassungsleistungen oder reaktionäre Blockaden untermauerten.653 Zwischen 1840 und 1870 trugen die Paradigmen von Ehre und Treue entscheidend dazu bei, eine beruhigende Kontinuitätslinie zwischen vor- und nachrevolutionärer Zeit zu entwerfen. Diese minimierte Diskontinuitätsperzeption war eine wichtige ideologische und emotionale Voraussetzung für die Reorganisation der konservativen Politikdiskurse. Auch in Piemont brachten die Kategorien von Ehre und Treue eine solide Identitäts- und Inszenierungsgrundlage für die monarchische Herrschaft hervor und wurden als Nerven des Staats dargestellt. Sie basierten auf elitenbezogenen und habitusgesteuerten Elementen der adlig-höfischen Soziabilität, die nach den umfassenden Staatsbildungsprozessen des 18. Jahrhunderts auch auf ein politisches und massenkompatibles Bedeutungsfeld wirkten. Über die Zäsuren von 1814, 1848 und 1859 hinweg erreichten die patriotischen Ehrendiskurse und die paternalistischen Loyalitätsappelle ein zunehmend breiteres Publikum. Sie bildeten eine tief internalisierte Argumentationsfigur, die die piemontesischen Konservativen immer wieder reaktivierten, um reformbereite Politikentwürfe zu diskutieren oder reaktionäre Gegenschläge zu rechtfertigen. Genauso wie in Preußen markierten die Begriffe Ehre und Treue eine semantische und pragmatische Kontinuität zwischen vor- und nachrevolutionärer Zeit. Daraus entstanden mehrere Deutungsoptionen, um die eingeleiteten politisch-institutionellen Veränderungen produktiv zu verarbeiten. Sowohl die reformbereiten Moderati als auch die konservativen Ultras waren fest davon überzeugt, dass „il Piemonte in ogni tempo paese d’onore e di lealtà“ war.654 Nach der Revolution von 1848 kristallisierten sich zwei miteinander rivalisierende Argumentationsstrategien heraus, die die piemontesische Ehre und die weitverbreitete Königstreue instrumentalisierten. Die regierenden Moderati versuchten „onore e lealtà“ mit der neuen Verfassungs- und Nationalstaatspolitik zu kombinieren. Dagegen beriefen sich die erzkonservativen Politiker und die ultrakatholischen Publizisten auf die Königstreue und auf die nationale Ehre, um die liberalen Reformen zu diskreditierten und ein Gegenbild zu den Idealen und Erwartungshorizonten des italienischen Risorgimento zu skizzieren.655
652 Schmalenbach, Hengstenberg, S. 371. 653 Vgl. Herbert an Wilhelm von Bismarck am 8.3.1877. In: Staatssekretär Graf Herbert von Bismarck. Aus seiner politischen Privatkorrespondenz. Hrsg. von Walter Bußmann, Göttingen 1964, S. 87. 654 Briano, Settari, S. 4. 655 Die Ultrakonservativen attackierten die Moderati, indem sie die vorrevolutionäre Königstreue und Loyalität polemisch hervorhoben. Damit stellten sie die Notwendigkeit und die Kohärenz der liberalen Reformen und der italienischen Einigungspolitik in Frage. Vgl. Briano, Settari, S. 22. Auch der Restaurationspolitiker Leone Costa di Beauregard blickte nostalgisch auf die Jahre vor 1848 zurück
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Das Real Collegio, das von König Karl Albert für die Ausbildung der staatstragenden Eliten gegründet wurde, setzte sich zum Ziel, den zukünftigen Politikern, Diplomaten und Spitzenbeamten des Landes den „pensiero del proprio dovere“ und „quello del proprio onore“ beizubringen.656 Die patriotischen Ehrendiskurse und die Königstreue charakterisierten sowohl die Sozialisation der piemontesischen Adelsfamilien und des Offizierskorps als auch die Formation des zunehmend professionalisierten Führungspersonals im Regierungs- und Verwaltungsapparat. Bis in die 1860er Jahre hinein spielten der gesellschaftliche Status, die unerschütterliche Königstreue und die konservative Haltung der Offiziere eine wesentliche Rolle für die Aufnahme und die Karrierechancen in der piemontesischen Armee. Diese Praxis führte dazu, dass die piemontesischen Offiziere oft steinalt, unfähig und politisch widerspenstig waren und die Feldzüge von 1848, 1849 und 1866 katastrophal führten. Jedoch eröffnete die tief internalisierte Idee der ungebrochenen Treue, die gleichermaßen die Eliten und die Untertanen betraf, weitere Deutungs- und Handlungsoptionen, indem sie die destabilisierende Erinnerung an die napoleonische Herrschaft und an die Revolutionen von 1821 und 1848 relativierte. Genauso wie am preußischen Hof waren auch König Karl Albert und seine Entourage am Vorabend der Revolution von 1848 felsenfest davon überzeugt, dass die piemontesische Bevölkerung eine durch und durch konservative Grundhaltung hatte und nur von „sentimenti nobili e generosi, di fedeltà e di devozione al suo Re“ träumte.657 Die Begriffe Treue und Ehre markierten auch in Piemont den milden Übergang zwischen vor- und nachrevolutionärer Gesellschaft. Karl Albert und sein Nachfolger Viktor Emanuel II. bezogen sich immer wieder auf diese Kontinuitätsvorstellung, um die konstitutionellen Reformen und die Nationalstaatspolitik als die konsequente Weiterentwicklung der dynastischen Mission und der piemontesischen Staatsräson darzustellen. Damit fanden sie ein persuasives Rechtfertigungsnarrativ, das die Reputation, die Macht und die politische Präsenz der monarchischen Herrschaft mit den liberalen Legitimationstheorien amalgamierte. Nach der katastrophalen Niederlage von Novara im März 1849 eskalierte ein langer Verfassungskonflikt zwischen der königstreuen Regierung und der linksliberalen Mehrheit der piemontesischen Abgeordneten, die den Friedensvertrag mit Österreich nicht akzeptierte. In diesem Zusammenhang verfassten Viktor Emanuel II. und der Ministerpräsident Massimo d’Azeglio die sogenannte Proklamation von Moncalieri, die ein günstiges Wahlergebnis für die Moderati als Voraussetzung für den Fortbestand des Statuto betrachtete. Die Proklamation instrumentalisierte die Konzepte von Königstreue und nationaler Ehre und
und betonte, wie damals „Dio, il Re e l’onore“ die politischen Legitimationsgrundlagen dargestellt hätten. Vgl. Beauregard, Uomo, S. III. 656 Tabboni, Collegio, S. 89. 657 Sitzungsprotokoll des Staatsministeriums am 7.2.1848. In: Lo Statuto albertino illustrato dai lavori preparatori, S. 217.
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führte zum Wahlerfolg der Moderati gegen die demokratische und linksliberale Opposition.658 Auch Antonio Brignole-Sale, beschrieb „onore, gloria, salute della patria“ als der „primo bene di ogni nazione“.659 Jedoch betrachtete er diese ideologischen Pathosformeln als das Gegenkonzept zum liberalen Verfassungs- und Nationsdiskurs. Im Gegensatz zu den Moderati und dem piemontesischen Hof, die mit den zunehmend popularisierten Kategorien von Ehre und Treue eine politische Integrationsideologie zwischen konservativen Machterhaltungsstrategien und liberalen Reformbestrebungen entwarfen, polemisierte Brignole unnachgiebig gegen die konstitutionellen Reformen und die Ideale des italienischen Risorgimento. Diese Fixierung auf die vorrevolutionäre Bedeutungsstruktur der Begriffe Ehre und Treue generierte eine plausible Argumentationsstrategie, um die Neuausrichtung der piemontesischen Mission zu kritisieren, aber die traditionelle Loyalität zur monarchischen Herrschaft nicht explizit zurückzuziehen. Bereits nach der Revolution von 1848 und endgültig im Jahr 1860 distanzierte sich Brignole vehement von den regierenden Moderati, revidierte jedoch nicht seine Königstreue. In einem dramatischen Brief an den piemontesischen Ministerpräsidenten Cavour bestätigte Brignole seine „profonda devozione alla veneratissima persona del Re“.660 Dabei betonte der konservative Adlige, dass er trotz oder gerade wegen seiner tiefen Königstreue entschlossen war, eine unnachgiebige Opposition gegen die italienische Nationalstaatsgründung zu organisieren.661 Mit derselben Argumentationsstrategie lehnte Brignole die piemontesische Intervention im Krimkrieg ebenfalls resolut ab. In diesem Sinne hob er polemisch hervor, dass die militärische Unterstützung der antirussischen Koalition in keinem Zusammenhang mit der nationalen Ehre und den piemontesischen Interessen stehe.662 Während die Moderati das eigenstaatliche Bewusstsein und den monarchischen Herrscherkult mit einer pragmatischen Verfassungs- und Nationalstaatspolitik kombinierten, wiesen für die Ultrakonservativen die Königstreue, die Ehre der Krone und die Selbstständigkeit des
658 Vgl. Proclama di Moncalieri (20.11.1849). In: Mack Smith, Risorgimento, S. 322–325. 659 Antonio Brignole-Sale, Rede am 28.5.1855 (APS Discussioni – Sessione del 1854/55, 5. Leg., Bd. 7, S. 3703). 660 Antonio Brignole-Sale an Camillo Benso di Cavour am 17.3.1860 (ABS – Corr. Fam. – Lettere xix sec. – serie 3 – busta 4, foglio 37). 661 „Si è questa devozione appunto congiunta alla più ossequiosa inalterabile affezione, che imperiosamente mi vieta l’assistere personalmente ad un atto che io reputo contrario ai principj del retto, non che ai ben ponderati interessi dell’amatissimo Monarca.“ Vgl. Antonio Brignole-Sale an Camillo Benso di Cavour am 17.3.1860 (ABS – Corr. Fam. – Lettere xix sec. – serie 3 – busta 4, foglio 37). 662 Vgl. Antonio Brignole-Sale, Rede am 5.2.1855 (APS Discussioni – Sessione del 1854/55, 5. Leg., Bd. 6, S. 2704). Am 10.2.1855 gab Brignole seine Stimme gegen den Kriegseintritt ab (S. 2817). Ferner Vittorio Emanuele di Camburzano, Rede am 9.2.1859 (APS Discussioni – Sessione del 1859, 6. Leg., Bd. 3, S. 333).
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Staates in die entgegengesetzte Richtung.663 Mit dieser Argumentationsstrategie, die die politische Ausstrahlungskraft der vorrevolutionären Macht- und Ehrendiskurse aktualisierte, vermied Brignole einen offenen Loyalitätskonflikt zwischen seiner antiliberalen Opposition und der bindenden Rhetorik der Königstreue. Die offene Bedeutungsstruktur der Paradigmen von Ehre und Treue ließ eine breite Palette an semantischen und ideologischen Bestimmungsmustern zu, mit denen die beschleunigten Veränderungen zwischen Revolution und Nationalstaatsgründung verarbeitet werden konnten. Auch in Piemont inszenierten sich die meisten politischen Protagonisten als Helden der Treue, die gegeneinander rivalisierende Positionen vertraten, aber gemeinsam die nationale Ehre und die Königstreue als eine parteiübergreifende Legitimationsformel beschworen. Zusammen mit Antonio Brignole-Sale protestierten zahlreiche andere Konservative gegen die Nationalstaatsgründung, indem sie die Kategorien von Ehre und Treue als Gegenentwurf zu den Idealen des italienischen Risorgimento stilisierten. Eine breite Konstellation von piemontesischen Adligen wie Alfonso de Sonnaz, Carlo de Viry, Vittorio Emanuele di Camburzano und Leone Costa di Beauregard kritisierte die „conséquences très-vraisemblables de combinaisons italiennes“. Um diese „unpatriotische“ Position zu rechtfertigen, benutzten sie die „dévouement à la patrie“ und „son honneur“ als zentrale Argumentationsfiguren.664 In den 1860er Jahren setzten sich die Moderati nach einem langen Konflikt um die Deutungshoheit über patriotische Orientierungskonzepte und Kollektivsymbole durch.665 Sie minimierten die Diskontinuitätsperzeption zwischen eigenstaatlichem Bewusstsein und Nationalstaat und revitalisierten die „Nerven“ des piemontesischen Staates und des traditionellen Herrscherkults. Die Neuerfindung des monarchischen Patriotismus, die die Moderati in der krisenhaften Übergangsphase 1840–1870 voll-
663 Vgl. Antonio Brignole-Sale, Rede am 9.2.1859 (APS Discussioni – Sessione del 1859, 6. Leg., Bd. 3, S. 326). In dieser langen Rede attackierte Brignole explizit die Regierungspolitik, ohne sich gegen den König zu exponieren: „Quelle voci di terza riscossa che da tanto tempo si fanno sentire; quelle aspirazioni a liberare l’Italia dallo straniero, che non furono dal Ministero contraddette mai [...] chiamarono l’Austria non ad attaccare il Piemonte, ma a provvedere alla tutela dei suoi dominii. […] Se non avessimo dato esca alle fazioni d’ogni parte d’Italia, ed evocate speranze che da otto secoli si nutriscono indarno, pensato più a rendere migliore la nostra sorte che a censurare, a porre in ansietà gli altri Governi, non avremmo nomi di agitatori, né vedremmo inondate di schiere austriache le pianure lombarde.“ 664 Leone Costa di Beauregard, Rede am 9.2.1859 (APS Discussioni – Sessione del 1859, 6. Leg., Bd. 3, S. 332). Dort auch das vorherige Zitat. Vgl. auch Alfonzo de Sonnaz, Rede am 9.2.1859 und Carlo de Viry, Rede am 9.2.1859 (APS Discussioni – Sessione del 1859, 6. Leg., Bd. 3, S. 342–343) 665 Exemplarisch für den Konflikt um die Deutungshoheit über die patriotischen Legitimationsgrundlagen betonte der konservative Abgeordnete Camburzano, „non è patriottismo togliere alla patria il necessario per concedere al Ministero il superfluo“. Mit dieser Argumentationslogik lehnte er die antiösterreichische Außenpolitik der piemontesischen Regierung ab. Vgl. Vittorio Emanuele di Camburzano, Rede am 9.2.1859, in: APS Discussioni – Sessione del 1859, 6. Leg., Bd. 3, S. 333.
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zogen, untermauerte die politische Integrationsideologie des neuen Nationalstaats, dem sich auch die konservativen Ultras nolens volens anpassten. Die politische Funktionalisierung des offenen Bedeutungsfelds der Ehrendiskurse und der Königstreue bildete einen milden Übergang zwischen vor- und nachrevolutionärem Patriotismuskanon. Aus dieser kontrollierten Diskontinuität entstanden wichtige Diskussionsimpulse für eine positive Neuausrichtung des monarchischen Patriotismus. Obwohl das hybride Politikvokabular der Moderati immer überzeugendere Argumente bot, generierten die altvertrauten Orientierungsfolien von Ehre und Treue auch für die konservative Opposition ein starkes Rechtfertigungsnarrativ, um auf die aktuelle Sprache und auf die zentralen Themen der politischen Debatten glaubwürdig Bezug zu nehmen und die Regierung unter Druck zu setzen. Die piemontesischen Konservativen perpetuierten mit den Begriffen Ehre und Treue eine traditionelle Auffassung der patriotischen Identitätsstiftung, die das Risorgimento auf den Prüfstand stellte und sich den Zugang zur nationalliberalen Mythologie des neuen Einheitsstaats verschaffte. Am Vorabend des zweiten Unabhängigkeitskriegs protestierten noch 35 konservative Abgeordneten gegen die Nationalstaatspolitik.666 Sie vertraten eine marginalisierte, aber nicht verlorene Narration von Patriotismus, Grandezza und Ehre, die auch bei einem breiten Publikum attraktiv erschien, weil sie mit den Attributen des neuen Nationalstaats eng verflochten war. Während die Mehrheit der piemontesischen Abgeordneten gegen die Wortmeldungen von Solaro, Camburzano, De Viry, Sonnaz und Beauregard heftig polemisierte, sympathisierte oft das Publikum in der Galerie mit den konservativen Kriegsgegnern.667 Die politische Präsenz und die massenkompatible Ausstrahlungskraft von konservativ besetzten Konzepten wie Ehre und Treue blieben mit situationsadäquaten Neuorientierungen und pragmatischen Erweiterungen bis in die 1870er Jahre erhalten. In der ergebnisoffenen Übergangszeit zwischen Revolution und Nationalstaatsgründung transferierte auch Ottavio Thaon di Revel die traditionellen Paradigmen von Ehre und Treue auf eine aktuelle politische Bedeutungsstruktur. Die umfassende Funktionalisierung der tief internalisierten Loyalitäts- und Ehrendiskurse eröffnete für Revel mehrere Deutungsoptionen, um nach der Revolution von 1848 die wachsende Pluralität und Verfügbarkeit innovativer Politikentwürfe ideologisch einzuordnen und konstruktiv zu verarbeiten. Zum einen kam mit der Fixierung der piemontesischen Konservativen auf die Begriffe Pflicht und Loyalität die anhaltende Skepsis gegen die neuen Partizipations- und Legitimationstheorien zum Ausdruck. Zum anderen bildeten Ehre und Treue eine produktive Selbstbeschreibungsstrategie, die im Namen der semantischen und pragmatischen Kontinuität zwischen vor- und
666 Vgl. APS Discussioni – Sessione del 1859, 6. Leg., Bd. 3, S. 333. 667 Vgl. Guido Ratti, Camburzano. In: DBI 17 (1974). http://www.treccani.it/enciclopedia/vittorioemanuele-tettu-conte-di-camburzano_(Dizionario_Biografico) (13.09.2015).
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nachrevolutionärem Patriotismus die Weichen für eine pragmatische Anerkennung des neuen Nationalstaats stellte. Über die Zäsuren von 1848 und 1861 hinweg reüssierte Revel als konservativer Politiker, Hofadliger, internationaler Finanzexperte, Bankier und Gutsbesitzer.668 Bereits in dem unübersichtlichen politischen Kontext der Revolutionsjahre 1848/49 benutzte er die polyvalenten Pathosformeln von Pflicht und Treue sehr geschickt, um sich Handlungsspielraum zwischen restaurativen Blockaden und pragmatischen Anpassungsleistungen zu verschaffen.669 Für diese erfolgreiche Selbstbehauptung bildete der Slogan „mantenere intatto l’onore della nazione“ ein anpassungsfähiges Bestimmungsmuster, das trotz dramatischer Krisen und destabilisierender Machtverschiebungen den königstreuen Patriotismus des ehemaligen Finanzministers ins rechte Licht rückte.670 Mit dem offenen Bedeutungsfeld politikmächtiger Konzepte wie Ehre und Treue ließ Revel sich mehrere Türen offen, um einerseits mit ostentativen Patriotismusbekundungen dramatische Kontinuitätsbrüche zu vermeiden und sich andererseits der zunehmend etablierten Idee von der Nation als Telos anzupassen. Revel evozierte immer wieder die Suggestion des piemontesischen Staats als „Land der Treue“ und bildete mit dieser pathetischen Argumentationsfigur einen Gegenentwurf zum liberalen Verfassungsdiskurs und zu den Idealen des italienischen Risorgimento.671 In diesem Sinne postulierte der ehemalige Finanzminister die Überordnung der konservativ-besetzten Begriffe Ehre und Treue über die Freiheit: „spero benissimo che si dirà che il Piemonte è terra di libertà, ma spero altresì che si dirà che è terra di lealtà: ed in questo senso io intendo la lealtà, di far cioè onore ai nostri impegni.“672 Als im Laufe der 1850er Jahre die expansive Italienpolitik der
668 Revel diente als Finanzminister in den Kabinetten Balbo (März–Juli 1848) und Alfieri di Sostegno (August–October 1848). Im Januar 1852 übernahm er für die neue Regierung des liberalen Ministerpräsidenten Cavour eine wichtige politische Mission nach London, um einen beträchtlichen Kredit mit dem Bankier Hambro zu verhandeln. In diesem Zusammenhang kam die internationale Reputation des ehemaligen Ministers als Staatsmann und Finanzexperte zur Geltung. Noch im November 1859 galt Revel als möglicher Kandidat für die piemontesischen Auslandsvertretungen in Neapel und Wien. Vgl. Federigo Sclopis, Diario segreto 1859–1878. Hrsg. von Pietro Pirri, Turin 1959, S. 179 und 193–198; Giuseppe Massari, Diario delle cento voci 1858–1860. Hrsg. von Emilia Morelli, Bologna 1959, S. 392 und 396. Über die Reputation als Staatsmann und Finanzexperte vgl. Luigi Federico Menabrea, Memorie. Hrsg. von Leterio Briguglio, Florenz 1971, S. 111 und 116. 669 Vgl. Ottavio Thaon di Revel, Rede am 17.7.1848 (APS Discussioni – Sessione del 1848, Bd. 1, S. 367–369). Ferner Revel an Vincenzo Ricci am 25.7.1848 (MRG Cart. 19 n. 2338). 670 Vgl. Ottavio Thaon di Revel, Programma del nuovo Ministero 19.8.1848 (AST Archivio Revel Mz. 108, f. 2). Ferner Revel an Domenico De Ferrari am 14.8.1848 (MRG Cart. 16. n. 1894). 671 Die pathetische Argumentationsfigur des „paese di lealtà“ charakterisierte mehrere kritische Stellungnahmen gegen die Revolution und die Nationalstaatspolitik, die Revel in seinen parlamentarischen Reden formulierte. Vgl. Ottavio Thaon di Revel, Rede am 27.2.1851 (APS Discussioni – Sessione del 1851, Bd. 4, S. 1203) und am 1.7.1857 (APS Discussioni – Sessione del 1857, 5. Leg., Bd. 5, S. 2864). 672 Ottavio Thaon di Revel, Rede am 27.2.1851 (APS Discussioni – Sessione del 1851, Bd. 4, S. 1203).
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regierenden Moderati am Hof, in der Armee und in den Ministerien immer populärer wurde, stellte Revel seinen monarchischen Patriotismus demonstrativ zur Schau und signalisierte damit eine bestimmte Kompromissbereitschaft mit der Neuausrichtung der piemontesischen Mission. Das Ideal des „Landes der Treue“ charakterisierte die patriotische Sprache und den nicht kompromittierende Grundton, mit dem Revel seine konservative Opposition gegen die reformbereiten Moderati artikulierte. Die politische Selbstbeschreibung des konservativen Adligen war auf die Paradigmen von „loyauté“ und „intérêts du pays“ fixiert und führte dazu, dass Revel, im Gegensatz zu anderen Erzkonservativen, nach 1848 weiter als Finanzminister diente, wichtige diplomatische Sondermissionen übernahm und mehrmals ins Parlament wiedergewählt wurde.673 Aufgrund seiner akribisch organisierten und undogmatischen Selbstinszenierung als königstreuer Staatsmann war Revel der einzige Oppositionsführer, der nach 1848 und bis 1857 als möglicher Ministerpräsident gehandelt wurde. Die parteiübergreifenden Paradigmen von Ehre und Treue generierten für die Konservativen eine attraktive Argumentationslogik, um sowohl die politische Verunsicherung und den tiefgreifenden Widerwillen gegen das Nationalstaatsideal zu thematisieren als auch eine pragmatische Zusammenarbeit mit den Nationalliberalen im Namen des monarchischen Patriotismus in Erwägung zu ziehen. In einer parlamentarischen Rede im Januar 1853 verdeutlichte Revel, dass seine tief internalisierte Selbstbeschreibung als königstreuer Patriot den parteipolitischen Animositäten übergeordnet war: „Io non ho mai ambito il potere [...] tuttavia il sentimento de’ miei doveri e la mia devozione al Re ed al paese mi troverebbero sempre pronto ad accettarlo, allorquando io credessi di poterlo fare con utilità.“674 Damit formulierte der machtbewusste Adlige eine geeignete Argumentationsstrategie, um im Rahmen der konfliktreichen Dynamisierung der Politikdiskurse nach 1848 politisch aktiv und flexibel zu bleiben, aber das politische Mantra der Prinzipientreue nicht in Frage zu stellen. In den 1850er Jahren konkretisierte Revel seine anpassungsfähige und nicht kompromittierende Oppositionsstrategie.675 Im Gegensatz zu den konservativen Ultras stand der ehemalige Finanzminister den nachrevolutionären Politikentwürfen zwar distanziert, aber kompromissbereit gegenüber. Mit seiner ostentativen Fixierung auf das traditionelle Dienstethos und den monarchischen Herrscherkult verarbeitete Revel die politischen Erschütterungen von 1848. Damit kreierte er mehrere Deutungsund Handlungsoptionen, um anhand soziokultureller und mentaler Pathosformeln
673 Vgl. Ottavio Thaon di Revel an Camillo Benso di Cavour im Januar 1852. In: Cavour, Epistolario (Bd. 9), S. 14. 674 Ottavio Thaon di Revel, Rede am 12.1.1853 (APS Discussioni – Sessione del 1852/53, Bd. 6, S. 2014). 675 Ottavio Thaon di Revel, Rede am 15.4.1858 (APS Discussioni – Sessione del 1857/58, 6. Leg., Bd. 4, S. 1221).
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wie Ehre und Treue seine politische Position pragmatisch weiterzuentwickeln. Obwohl Revel den italienischen Nationalstaat nach wie vor als eine bedrohliche Terra incognita „ove io bramo che non si vada“ betrachtete, akzeptierte er die neuen Machtverhältnisse und stimmte im Jahr 1859 für den Kriegseintritt gegen Österreich.676 Dabei aktualisierte er den Patriotismuskanon des „Landes der Treue“ und marginalisierte die Ideale des Risorgimento: „spero che i ministri si varranno di questi fondi per tutela dell’indipendenza, dell’onore della Corona sabauda e per l’integrità di questo Stato.“677 Die politische Funktionalisierung der Begriffe Ehre und Treue untermauerte die Konstruktion einer kontrollierten Diskontinuität, die sowohl die preußischen als auch die piemontesischen Konservativen zwischen vor- und nachrevolutionärer Bedeutung von Vaterlandsliebe herstellten. Die Suggestion der „heiligen Treue“ reaktivierte tief internalisierte Pathosformeln und soziokulturelle Traditionen. Nach 1848 zirkulierten die konservativen Ehren- und Loyalitätsdiskurse auch in den neuen parlamentarischen Arenen und in einem immer breiteren politischen Massenmarkt. Sie bildeten nicht mehr nur eine Status- und Standesnarration für die staatstragenden Eliten, sondern vielmehr eine empathische und gruppenintegrative Orientierungsfolie angesichts kultureller Desorientierung und politischer Verunsicherung.
2.2.3 F laggen, Hymnen und Helden. Nationale Pädagogik und Kollektivsymbole im konservativen Patriotismusdiskurs Die politische Integrationsideologie des monarchischen Patriotismus und die daraus entstehende nationale Pädagogik basierten im Wesentlichen auf der symbolischen Qualität politischer Normen, Rituale und Mythen.678 Seit den antinapoleonischen Kriegen übernahmen die europäischen Monarchen „ihren Verhältnissen angepasste Versionen des God-save-the-King und auch Flaggen, die eher an das Kreuz des Vereinigten Königreichs erinnerten als an die gefürchtete Trikolore“.679 Um die erodierten Inszenierungs- und Legitimationsgrundlagen der preußischen Monarchie und der adligen Eliten nach dem Desaster von 1806 zu rehabilitieren, gewann die preußische Nationalkokarde als gruppenintegratives Symbol kontinuierlich an Bedeutung. Bereits im Jahr 1813 legte eine Verordnung von Friedrich Wilhelm III. die schwarz-
676 Ottavio Thaon di Revel, Rede am 9.2.1859 (APS Discussioni – Sessione del 1859, 6. Leg., Bd. 3, S. 341). 677 Ottavio Thaon di Revel, Rede am 9.2.1859 (APS Discussioni – Sessione del 1859, 6. Leg., Bd. 3, S. 342). Vgl. auch Revel, Rede am 13.7.1861 (API Senato – Sessione del 1861/62, 8. Leg., Bd. 1, S. 624). 678 Durch die „entsprechende kommunikative Rahmung“ erhalten ästhetische oder semantische Zeichnen eine „symbolische Qualität“. Vgl. Schlögl, Symbole, S. 9. 679 Burleigh, Mächte, S. 155.
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weiße Kokarde als das „äußere Kennzeichen der allgemeinen Äußerung treuer Vaterlandsliebe“ fest.680 Nach den antinapoleonischen Kriegen rückten auch in Piemont die blaue Kokarde und das Wappen des Hauses Savoyen in den Mittelpunkt der dynastischen und staatspatriotischen Integrationsideologie. Der Artikel 77 des oktroyierten Statuto vom 4. März 1848 betonte ausdrücklich, dass die piemontesische Fahne die traditionellen Farben weiter behielt. Obwohl die italienische Trikolore als Kriegsflagge benutzt wurde, blieb die azurblaue Kokarde das einzige nationale Symbol.681 Der monarchische Herrscherkult, das eigenstaatliche Bewusstsein und die militärische Erinnerungskultur generierten vielfältig einsetzbare Kollektivsymbole, die seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert zunehmend breitere Rezipientengruppen erreichten. Bei den Bemühungen, allgemein sinnstiftende Symbole der nationalen Identität Italiens zu etablieren identifizierte Lucy Riall drei neuralgische Pole: König Viktor Emanuel II., Garibaldi und Papst Pius IX.682 Im Zusammenhang mit der empathischen Aufladung und Popularisierung des konservativen Patriotismuskanons kam die symbolische Macht des monarchischen Patriotismus nicht mehr nur in elitären Medien und in exklusiven Arenen zum Ausdruck. Zum einen perpetuierten Hoffeste, Theaterabende, Gemälde, Ehrenzeichen und Paradeuniformen die elitebezogenen Grundlagen der europäischen Staats- und Herrscherkulte. Zum anderen zirkulierten um 1850 immer mehr Lieder, Bilderbögen, Petitionen, Populärgeschichten, Karikaturen und Kokarden, die die Wirkungsmacht der Symbole des konservativen Patriotismusdiskurses in einer attraktiven und massenkommunikativen Form vermittelten. Von der Internationalisierung und massenmedialen Erweiterung des politischen Kommunikationsraums profitierten auch die Konservativen, die mit den neuen Diskussionsforen und Sinnstiftungsmechanismen des Politischen meistens produktiv umgingen.683 In diesem Zusammenhang übernahmen die internalisierten Normen, die Wertorientierungen und die Kollektivsymbole des monarchischen Patriotismus eine zentrale Funktion. Sie bildeten eine breite Palette an semantischen und ideologischen Bestimmungsmustern, die im 19. Jahrhundert ständig aktualisiert und neu bewertet wurden. Einerseits konkurrierten sie mit den romantisch-teleologischen Idealen der deutschen und italienischen Nationalbewegung. Anderseits trug die symbolische Qualität des monarchischen Patriotis-
680 Zit. nach Hagemann, Muth, S. 447. 681 Der Artikel 77 lautet: „Lo Stato conserva la sua bandiera, e la coccarda azzurra è la sola nazionale“. Im 19. Jahrhundert galt neben der azurblauen Kokarde auch das Wappen des Hauses Savoyen (weißes Kreuz auf rotem Hintergrund) als die piemontesische Nationalfahne. Die Originalversion der piemontesischen Nationalfahne von 1847 befindet sich in: MNRT Bandiera del regno sardo nel 1847, seta R0079221. 682 Vgl. Lucy Riall, Garibaldi. Invention of a Hero, New Haven–London 2007, S. 385. 683 Vgl. Langewiesche, Kommunikationsraum, S. 11–16.
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mus entscheidend dazu bei, die neue politische Mythologie der nationalen Mission von Preußen und Sardinien-Piemont zu untermauern. Im 19. Jahrhundert führten die omnipräsenten Nationalfarben, die königstreuen Lieder, die Illustrationen und die patriotischen Massenwaren dazu, dass der Preußensinn einer zunehmend breiten Öffentlichkeit in visualisierter Form präsent blieb.684 Viele patriotische Texte versuchten, die „innige Vaterlandsliebe […] auf Veranlassung poetischer Auffassungen“ zu verbreiten und „mit inniger Liebe“ zu erfassen.685 Das allgemein bekannte und populäre Lied Ich bin ein Preuße kristallisierte sich als eine Synthese des konservativen Patriotismuskanons heraus. Die preußische Nationalhymne wurde im Jahr 1830 von dem Gymnasiallehrer Johann Bernhard Thiersch verfasst und zwei Jahre später vom Militärkapellmeister August Neithardt vertont. Der liberale Publizist Friedrich Arnold Steinmann berichtete sarkastisch über den durchschlagenden Erfolg der Preußenlieder, die seit den 1830er Jahren eine exaltierte Königstreue zusammen mit antiliberaler Grundstimmung verbreiteten: Preußenlieder schnattert die pommersche Dichtergans. Laut, wie einst ihre Ahnen auf Roms Capitol, predigt sie einen Schutzsermon wider etwaige Anfeindungen und läßt sich u. a. also vernehmen: Ich habe nie zu verkennen vermogt, daß Preußen hoch, unendlich hoch dasteht von allen Ländern der Welt, kein einziges ausgenommen. Zwar fehlt uns eine Constitution und somit, wie Viele meinen, eine feste Basis unseres Glücks. Aber so lange unser theurer König lebt, ist sein rechtlicher Charakter, sein milder Sinn uns die beste Constitution.686
In seinen vielgelesenen Briefen aus Berlin parodierte Steinmann das Preußenlied von Johann Bernhard Thiersch, indem er sich vor allem auf die zweite und dritte Strophe der preußischen Hymne bezog („Ihr Glück ist Trug und ihre Freiheit Schein“). Damit kritisierte der liberale Publizist, dass die paternalistische Assoziation König-Vaterland-Volk eine deutliche konservative Färbung hatte. Die erste Strophe des Preußenliedes proklamierte eine nationale Ideologie, die die konstitutionellen Legitimationstheorien schroff ablehnte und auch den deutschen Einheitsbestrebungen skeptisch und distanziert gegenüberstand. Die preußische Nationalhymne suggerierte mit einer stringenten und kriegerischen Sprache, dass der schwarzweiße Patriotismus die wesentliche Loyalitäts- und Identitätsgrundlage des Hohenzollernstaats darstellte: „Ich bin ein Preuße! Kennt ihr meine Farben? / Die Fahne schwebt mir weiß
684 Zum Begriff patriotische Massenwaren vgl. Planert, Mythos, S. 478. Ferner Hagemann, Muth, S. 245. 685 Im Vorwort seiner Sammlung Deutscher Gedichte aus dem Gebiete der Geschichte Preußens formulierte Johann August Lehmann als Ziel seines Buches, die „innige Vaterlandsliebe“ zu verbreiten. Dabei erwartete der Autor, dass „auf Veranlassung poetischer Auffassungen das Vaterland in allen seinen Bezeichnungen gelernt und in seiner Gesamtheit mit inniger Liebe erfaßt werde“. Vgl. Lehmann, Sammlung, S. IV. 686 Steinmann, Briefe, S. 43.
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und schwarz voran / daß für die Freiheit meine Väter starben / das deuten, merkt es, meine Farben an.687 Das Preußenlied erschien in unzähligen und sehr heterogenen Publikationen und mit unterschiedlichen Titeln wie Ich bin ein Preuße, Dem Vaterlande oder Preußens Fahne. Mit seiner herausfordernden Sprache charakterisierte die preußische Nationalhymne die weitverbreiteten Liederbücher „für das Preußische Militair im Friede, im Kriege und in der Kaserne“.688 Außerdem tauchte der berühmte patriotische Text auch in zahlreichen Lexika sowie in patriotischen Lektüren „für Schule und Haus“, in Vereinszeitschriften und als Unterhaltungsliteratur zu „Sangeslust“ und „zum Gebrauche für fröhliche Cirkel und heitere Geselligkeit“ auf.689 Das Preußenlied erreichte bei den militärischen Paraden und Staatsfesten ein breites Spektrum an potenziellen Rezipienten und wurde im Schulunterricht und im Militärdienst systematisch instrumentalisiert. Außerdem postulierten die Wegweiser für die preußischen Schullehrer, dass die Nationalhymne mit besonderer „Einprägung und Wiederholung“ den Schülern beigebracht werden sollte.690 Ausgehend von einer apologetischen Interpretation des Preußenliedes plädierte Eduard Bocks Wegweiser für Volksschul-Lehrer, der im Jahr 1872 die fünfte Auflage erreichte, für eine besonders intensive und „ehrfurchtsvolle“ Auseinandersetzung mit dem Text von Johann Bernhard Thiersch. Diese preußenfixierte nationale Pädagogik legte großen Wert darauf, den Schülern zu demonstrieren, „wodurch [wir] uns als Preußen beweisen“ und „warum wir immer aufs Neue Liebe und Treue zu unserem Könige geloben“ sollen.691 Neben dem omnipräsenten Preußenlied spielten auch die „preußischen Nationalfarben“ Weiß und Schwarz eine zentrale Rolle, um den monarchischen Patriotismus zu visualisieren. Nach der Reichsgründung im Jahr 1871 perpetuierte der Wegweiser eine historische Kontinuitätskonstruktion, die die preußischen Nationalfarben als das Kollektivsymbol des eigenstaatlichen Bewusstseins stilisierte:
687 Preußenlied. In: Lehmann, Sammlung., S. 1. 688 Vgl. Anonym, Liederbuch der Freiwilligen von 1813, 1814 und 1815 und ihrer fortdauernden Kameradschaft, Köln 1839, S. 33 (mit dem Titel Dem Vaterlande); Anonym, Preußisches Militair-Liederbuch. Eine gediegene Auswahl von Gesängen für das Preußische Militair im Frieden, im Kriege und in der Kaserne, Guben 1846, S. 5; Anonym, Liederbuch für die Preußische Armee im Felde und auf dem Marsche, im Bivouac und in der Garnison, Halle 1848, S. 4–6. 689 Vgl. Anonym, Allgemeines deutsches Lieder-Lexikon oder vollständige Sammlung aller bekannten deutschen Lieder und Volksgesänge (Bd. 2), Leipzig 1847, S. 145; Karl Friedrich Schneider, Germania auf der Wacht. Deutsche Lieder zu Schutz, Trutz und Sangeslust in schwerer Zeit, Wittenberg 1862, S. 30 (mit dem Titel Preußens Fahne); Anonym, Neuester Liederkranz enthaltend weit über Einhundert der beliebtesten und bekanntesten, so wie der neueren Gesänge zum Gebrauche für fröhliche Cirkel und heitere Geselligkeit, Oels 1839, S. 99–101; J. E. Janke, Abhandlungen über einige der wichtigsten Theile der Preußischen Städte-Ordnung, Städte-Verwaltung und Kommunal-Verfassung, Potsdam 1833, S. 277. 690 Bock, Wegweiser, S. 172. Vgl. auch Förster, Volkslied, S. 68–71. 691 Bock, Wegweiser, S. 175.
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Weiß und Schwarz sind die preußischen Nationalfarben. Wir finden sie auch in der Ordenstracht der deutschen Ritter, welche von 1183–1525 die jetzige Provinz Preußen beherrschten. Sie trugen einen weißen Mantel mit schwarzem Kreuz. So waren schwarz und weiß die Farben des Ordenslandes und späteren Herzogthums Preußen; dies aber, 1701 zum Königreich erhoben, gab sie mit dem königlichen Titel dem gesamten preußischen Staate.692
Die nationale Pädagogik des Preußenliedes basierte auf einer noch vereinfachteren Sinnstiftung als die Ehrendiskurse und das traditionelle Dienstethos. Um 1850 erhielt die popularisierte Integrationsideologie des monarchischen Patriotismus eine zunehmend explizite politische Bedeutung gegen den liberalen Verfassungs- und Nationsdiskurs. Im November 1848 bezog sich auch das Lied Schwarz und Weiß auf die bellizistische Tradition und auf das eigenstaatliche Bewusstsein, um die deutschen Einheitsbestrebungen zu diskreditieren. Dafür entwarf das Lied eine überspitze Gut-Böse-Opposition zwischen Preußenfarben und Deutschlands Farben: Wir tragen noch die alten Preußenfarben Denn schwarz und weiß ist unser Waffenkleid / […] Die Zeit ist ernst, es nah’n von allen Seiten Viel Stürme, drohen Preußens altem Ruhm. Für uns’re Ehre gilt es heut zu streiten, Und für das alte ächte Preußenthum / […] Nur schwarz und weiß soll unser Banner sein Wir tauschen’s nicht für Deutschlands Farben ein.693
Am 3. April 1848 erschien in der Königlich privilegierten Berlinischen Zeitung ein patriotisches Lied von Wilhelm Petzel, das ebenfalls den Titel Schwarz und Weiß trug. Der Text wurde wenige Tage nach der Märzrevolution veröffentlicht und revitalisierte den monarchischen Patriotismus, indem er die tief internalisierten Semantiken und Argumentationsfiguren des konservativen Patriotismuskanons aktualisierte. Dabei wurde die symbolische Macht der preußischen Nationalfarben als Gegenentwurf zu den liberalen Reformbemühungen und der Revolution dargestellt: Noch weht das Banner mit den stolzen Farben In Schwarz und Weiß, als Preußisches bekannt; Für das begeistert unsre Väter starben, Mit Gott für König und Vaterland / […] Und achtungsvoll wird jedes Haupt sich neigen Wo schwarz und weiß Preußische Fahne erscheint; Und Schwarz und Weiß wird stets der Wahlspruch bleiben Wo Sicherheit, wo man die Treue meint.694
692 Bock, Wegweiser, S. 172. 693 Anonym, Schwarz und Weiß. In: Der Ehrliche Preuße, S. 10. 694 Wilhelm Petzel, Schwarz und Weiß. In: Bader, Zeitungsgedichte, S. 21.
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Wenige Tage nach der Veröffentlichung von Schwarz und Weiß publizierte die Königlich privilegierte Berlinische Zeitung ein weiteres hoch gestimmtes Lied, das die symbolischen, semantischen und emotionalen Ressourcen des monarchischen Patriotismus gegen die Revolution instrumentalisierte. Die Antwort an den Verfasser von Schwarz und Weiß rezipierte die konservativen Paradigmen von Ehre, Treue und Pflicht und spitzte sie als universelle Lösung gegen das politische „Ungewitter“ zu: Du hast begeistert uns ein Lied gesungen Von Schwarz und Weiß, von Ehre, Treue und Pflicht Und dessen Töne, sie sind nicht verklungen In Preußenherzen stirbt die Treue nicht. […] Und gleich des eisern’ Kreuzes edle Ritter, Die muthig Ehre und Pflicht einst fest verband, So wollen wir auch bei Sturm und Ungewitter Fest stehen: mit Gott für König und Vaterland!695
In den Revolutionsjahren erschienen unzählige patriotische Lieder, die die symbolische Macht der preußischen Nationalfarben und die Suggestion des treuen „Preußenherzens“ politisch funktionalisierten.696 Die ostentative Rückbesinnung auf den Preußensinn generierte eine attraktive Deutungs- und Handlungsoption, die viele konservative Politiker und Publizisten aufgriffen. Damit ordneten sie die dramatischen Krisen und Machtverschiebungen konstruktiv ein und protestierten im Namen der „edlen Vaterlandsliebe“ gegen die liberalen Reformen und die Nationalbewegung.697 Der Chefredakteur der konservativen Kreuzzeitung, Hermann Wagener, konstatierte euphorisch, dass in den preußischen Ostprovinzen die schwarz-weiße Kokarde das „Palladium“ gegen die deutschen Einheitsbestrebungen war.698 Dagegen wurden die preußischen Nationalfarben und das Preußenlied in den Provinzen Rheinland und Westphalen von der preußischen Armee in antiliberalem und antinationalem Sinne politisch instrumentalisiert. Als König Friedrich Wilhelm IV. auf dem Weg zur Kölner Domfeier am 14. August 1848 die Stadt Düsseldorf besuchte, kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen dem preußischen Militär und den liberalen Bürgern, weil die Soldaten „dem Volk zum Trotz“ nicht das deutsche, sondern das Preußenlied sangen.699
695 Schlegel, Antwort an den Verfasser von Schwarz und Weiß. In: Bader, Zeitungsgedichte, S. 35. 696 Vgl. auch Scheuermann, An Preußens Banner. In: Bader, Zeitungsgedichte, S. 44. 697 In Sommer 1848 bezog sich der preußische Diplomat Karl Friedrich von Savigny wiederholt auf die „edle Vaterlandsliebe“, die die preußischen Nationalfarben und die Nationalhymne symbolisierten, um die liberalen Verfassungsbestrebungen und die deutsche Nationalbewegung zu kritisieren. Vgl. Karl Friedrich an Friedrich Carl von Savigny am 3.8.1848. In: Savigny, Briefe, S. 373. Vgl. auch am 14.7.1848, 29.7.1848, 12.8.1848, 24.8.1848 und 28.9.1848. In: Savigny, Briefe, S. 370–391. 698 Wagener, Erlebtes, S. 48. 699 Vgl. Wiener Gassen-Zeitung 75 (20.8.1848). Ausführlich über die Ereignisse vom 14. August 1848 in Düsseldorf vgl. Mit Pferdeäpfeln und Gepfeife gegen den König? (Amt für Kommunikation Lan-
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Im November 1848 berichtete das Morgenblatt für gebildete Leser von Johann Friedrich Cotta über die politische Ausstrahlungskraft der preußischen Nationalfarbe und der Nationalhymne, mit denen die deutschen Einheitsbestrebungen unterhöhlt und die liberalen Reformen diskreditiert wurden. Im krassen Gegensatz zu Wagener äußerte sich das Morgenblatt schwer enttäuscht über den politischen Triumph des konservativen Preußensinns: Die schwarz und weißen Kokarden feierten ihren Triumph über die schwarz-rot-goldene, und die Töne der preußischen Nationalhymne verschlangen das Arndtsche deutsche Vaterland. Am 15. Oktober gar, dem Geburtstage Sr. constitutionell-absoluten Majestät [Friedrich Wilhelm IV.], war es zu einem lebensgefährlichen Wagniß geworden, ohne die zweifarbige Kokarde am Hut sich blicken zu lassen, und wem seine Haut lieb war, der stimmte mit voller Kehle ein in den Refrain: Ich bin ein Preuße, will ein Preußen sein!700
Die dramatische Darstellung des politischen Triumphes des Preußenliedes über die deutsche Nationalbewegung demonstrierte, dass die Konservativen neben den Bajonetten der königstreuen Soldaten auch die symbolische Macht der zweifarbigen Kokarde am Hut erfolgreich nutzten. Um 1850 gewannen die zweifarbigen Kollektivsymbole und die Argumentationsfiguren des monarchischen Patriotismus eine zunehmend politikmächtige und massenkommunikative Funktion. Sie standen im Zentrum der konservativen Medienoffensive gegen liberale Reformbemühungen und nationale Einheitsbestrebungen. Dieser konservative Patriotismusdiskurs konkurrierte mit den liberalen Freiheits- und Einheitsidealen und generierte allmählich eine nationale Pädagogik, die die hybride Mythologie der preußisch-deutschen Mission mit legalistischen und konservativ-besetzten Pathosformeln aufbaute. Die preußischen Nationalfarben und die Nationalhymne reaktivierten die traditionelle Integrationsideologie des Preußensinns und projizierten sie auf die aktuellen Debatten über Verfassung und nationale Einigung. Auch in Hannover, Bayern, Württemberg und Sachsen nahm das regional geprägte Bewusstsein nur sehr langsam ab: „Zur Nation bekannte man sich nur, wenn es darum ging, Positionen gegen einen äußeren Feind zu beziehen.“701 Mit den alten Paradigmen des dynastischen und regionalen Patriotismus überwanden die konservativen Politikdiskurse den Schock von 1848 und nahmen gleichzeitig eine neue Kontur an.702 Um seine reaktionäre „Erregung“ im Revolutionsjahr 1848 zu demonstrieren, griff Otto von Bismarck auf ähnlich pathetische Spekulationen wie die patriotischen Lieder
deshauptstadt Düsseldorf). https://www.duesseldorf.de/thema/sights/koenigsallee/historie/index. shtml (13.09.2015). 700 Korrespondenz-Nachrichten. In: Morgenblatt für gebildete Leser 281 (23.11.1848). 701 Clemens, Sanctus, S. 334. Vgl. auch Abigail Green, „Fatherlands“. State Building and Nationhood in Nineteenth-Century Germany, Cambridge 2001. 702 Vgl. Retallack, Right, S. 36.
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zurück. Mit einer theatralischen Sprache behauptete der spätere Reichsgründer, dass nach der Revolution „wie zu den Zeiten unserer Väter, der Ton der Trompete, die zu den Fahnen des Landesherrn ruft, seinen Reiz für ein preußisches Ohr nicht verloren hat“.703 In seinen Rundschauartikeln für die Kreuzzeitung versuchte auch Ludwig von Gerlach den Preußensinn zu visualisieren und empathisch aufzuladen. Er motivierte seine radikale Opposition gegen die Nationalbewegung, indem er immer wieder hervorhob, „daß wir Preußen eine Nation und daß die Deutsche keine Nation“ waren.704 Die preußischen Nationalfarben bildeten für ihn ein vereinfachtes und emotionalisiertes Antisymbol gegen die falsche Fahne: „Wir wollen kein Deutschland […] fort mit der falschen Fahne.“705 Mit diesem politischen Refrain plädierte Gerlach vehement dafür, dass in den neuen Parlamenten in Frankfurt, Berlin und Erfurt die Konservativen resolut mit der „schwarz-weiße[n] Cokarde am Hut und ein[em] Herz[en] voll felsenfester Anhänglichkeit an Preußens Königthum und Armee“ gegen die nationalen Einheitsbestrebungen auftraten.706 Als im Jahr 1850 sowohl die deutsche Nationalversammlung als auch das Unionsprojekt von Radowitz endgültig scheiterten, lehnte Gerlach nach wie vor „das Ueberstreichen unserer glorreichen Farben mit schmutzigem Trikolor“ schroff ab.707 Genauso wie die patriotischen Lieder von Bernhard Thiersch und Wilhelm Petzel stilisierte auch Gerlach in seinen publizistischen und parlamentarischen Aktivitäten eine vereinfachte Gut-Böse-Opposition zwischen dem „glorreichen Schwarzweiß“ und dem „schmutzigen Trikolor“.708 Mit der polemischen Gegenüberstellung von regionalem und nationalem Bewusstsein entwarf er eine Argumentationsfigur, die immer wieder zur Geltung kam, um sowohl die liberale Nationalbewegung als auch die preußische Unionspolitik zu diskreditieren.709 In den 1860er Jahren prangerte Gerlach wiederholt das Hervortreten nationaler Identitäten und Loyalitäten an. Dabei kritisierte er die realpolitische Neuorientierung der preußischen Regierung, die die gefährliche Illusion der deutschen Einheit nähre und damit die liberalen Ideen akzeptiere. Gerlach diskreditierte die „Nationalitätsfahne“ als einen propagandistischen Vorwand der Liberalen: „Der Liberalismus ist es, der dieser Fahne sich bemächtigt hat. Denn nationales ist wenig oder nicht zu finden in der heutigen Nationalitätsidee.“710
703 Zit. nach Engelberg, Bismarck, S. 345. 704 Ludwig von Gerlach, RS Januar 1850. In: Rundschauen 1850, S. 118. 705 Ludwig von Gerlach, TB vom 28.8.1949. In: Diwald, Revolution, S. 201. 706 Ludwig von Gerlach, RS Dezember 1849. In: Rundschauen 1850, S. 100. 707 Ludwig von Gerlach, RS November 1850. In: Rundschauen 1851, S. 92. 708 Ludwig von Gerlach, RS Januar 1851. In: Rundschauen 1851, S. 134. 709 Vgl. Ludwig von Gerlach, RS April 1851. In: Rundschauen 1851, S. 205; Gerlach, RS Juni 1852. In: Rundschauen 1852, S. 200–206; Gerlach, RS Michaelis 1854. In: Quartalrundschauen 1856, S. 3. Vgl. auch Gerlach, Rede am 1.10.1849 (EK, Bd. 2, S. 939–942). 710 Ludwig von Gerlach, Rede des Präsidenten von Gerlach, Berlin 1863, S. 23. Dort auch das vorherige Zitat.
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Während Gerlach das „Hervortreten der Nationalitätsfahne“ mit den Argumentationsfiguren des schwarzweißen Patriotismus auch nach der Reichsgründung attackierte, verlagerten um 1870 die meisten preußischen Konservativen die soziokulturellen Traditionen und die politischen Erwartungshorizonte des Preußensinns auf den neuen Nationalstaat. Albrecht von Roon und Heinrich Abeken, die seit 1862 zu den einflussreichen Mitarbeitern von Bismarck zählten, imaginierten einen milden und preußisch-fixierten Übergang zwischen dem eigenstaatlichen Bewusstsein und der neuen nationalen Mission. Indem sie die erfolgreiche schwarzweiße Fahne in Königgrätz sowie den Preußenstolz von Sedan betonten, schwächten sie Wahrnehmung von Diskontinuität ab, die die nationalliberale Euphorie und die populistischen Massenappelle des neugegründeten Nationalstaats evozierten.711 Genauso wie die selektive Wahrnehmung von Roon und Abeken basierte auch die öffentliche Inszenierung des preußisch-deutschen Einheitsstaats auf der Siegesrhetorik und auf der omnipräsenten Erinnerungskultur zu den glücklichen Feldzügen von 1864, 1866 und 1870. In der preußischen Hauptstadt wurde der Einzug der Truppen demonstrativ gefeiert, während die Novemberverträge von 1870 und selbst die Kaiserproklamation vom 18. Januar 1871 nahezu lautlos vorübergingen. Nicht nur „Beflaggung und Beleuchtung“ bleiben aus, auch die Wahlbeteiligung zur Reichstagswahl fiel enttäuschend aus.712 Das Epos der militärischen Konflikte mit Dänemark, Österreich und Frankreich konsolidierte die zentralen Leitmotive des schwarz-weißen Patriotismuskanons und trug dazu bei, den monarchischen Herrscherkult und das konservative Dienstethos in den neuen Nationalstaat zu transportieren. Die beharrende symbolische Macht der preußischen Nationalfarben und des Preußenliedes färbte auf die neue nationale Pädagogik des deutschen Einheitsstaats ab.713 Die populistischen Massenappelle und der nationalliberale Enthusiasmus untermauerten den Duktus von der preußisch-deutschen Mission und reproduzierten damit den paternalistischen und militäraffinen Grundton der konservativen Patriotismusdiskurse.714
711 Vgl. Roon, Denkwürdigkeiten (Bd. 1), S. 350; Abeken, Leben, S. 326–337. 712 Nur weniger als 20 Prozent der Bevölkerung war wahlberechtigt (ausgeschlossen waren Männer unter 25 Jahren, Soldaten und Frauen) und die Wahlbeteiligung lag bei 50,7 Prozent. Das heißt, 90 Prozent der insgesamt 41 Millionen Einwohner des neugegründeten Kaiserreichs partizipierten nicht an der ersten demokratischen Bewährungsprobe des deutschen Nationalstaats. Vgl. Engelberg, Bismarck (Bd. 1), S. 758. Ferner Spitzemberg, Tagebuch, S. 116–126. 713 Ausführlich dazu siehe Kap. 3.2.1. 714 Auch für die Nationalliberalen bildete die hybride preußisch-deutsche Pädagogik eine attraktive Orientierungsfolie. Während die Konservativen die traditionelle Königstreue und die Ehrendiskurse nach wie vor fokussierten, richteten die Nationalliberalen das Augenmerk auf die „politische und religiöse Freiheit“, die der Hohenzollernstaat angeblich garantierte, und erklärten, dass Preußen „mit seinen eigenen Interessen auch die Interessen der deutschen Nation“ durchsetze. Verstärkt nach der italienischen Nationalstaatsgründung plädierte die liberale Presse in Berlin für die Wiederbelebung des kleindeutschen Unionsprojekts und stilisierte Preußen zum „Vertreter deutscher Macht und Bil-
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Auch in Piemont bildete die symbolische Macht des monarchischen Patriotismus eine zentrale Voraussetzung, um die imaginierte Kontinuität zwischen eigenstaatlichem Bewusstsein und Nationalstaatsgründung zu visualisieren. Die neue nationale Pädagogik des italienischen Nationalstaats basierte zwar auf liberalen Legitimationstheorien und nachrevolutionären Massenemotionen, jedoch revitalisierte sie auch die politische Mythologie des alten Piemonts. Die pragmatische Neuorientierung des monarchischen Patriotismus brachte eine multifunktionale Integrationsideologie hervor, die die konservativen Eliten deutlich schneller als in Preußen überzeugte, die Verfassungs- und Nationalstaatspolitik mitzugestalten. Jedoch vollzog sich diese Umorientierung nicht ohne Widerstand. Obwohl die piemontesischen Konservativen in der Öffentlichkeit opportunistisch auftraten und meistens eine radikale Opposition gegen die Moderati vermieden, agierten sie hinter den parlamentarischen Kulissen, um die reformorientierte Politik der Regierung zu sabotieren. Der lombardische Grundbesitzer Francesco Martini, der im Jahr 1849 ins Exil nach Turin flüchtete, thematisierte immer wieder seine Empörung über die scheinheilige Haltung der antiliberalen und streng partikularistischen Eliten. In einem Brief an den piemontesischen Ministerpräsidenten Cavour denunzierte Martini die Familien Revel und Arconati, die öffentlich nur eine gemäßigte Opposition gegen die Moderati vertraten, am Hof und in den aristokratischen Salons gegen die Regierung intrigierten und die oppositionelle Zeitung La Patria finanzierten.715 Er berichtete sogar über die angebliche Euphorie von Ottavio Thaon di Revel und Giuseppe Arconati, als ihre Kinder beim Spielen die italienische Trikolore verbrannten und sie demonstrativ durch die azurblaue Fahne der piemontesischen Monarchie ersetzten.716 Parallel zur öffentlichen Inszenierung und zur nationalen Pädagogik des monarchischen Patriotismus, der einen milden Übergang zwischen altem Piemont und neuem Verfassungs- und Nationalstaat kommunizierte, versuchten die piemontesischen Konservativen auch in ihrer Privatsphäre die zunehmende politisch-ideologische Komplexität und die Kontinuitätsbrüche zu reduzieren. Sowohl im Jahr 1832 bei seiner ersten Eheschließung mit Teresa Caccia di Romentino als auch 1852 anlässlich der zweiten Heirat mit Carolina Clermont de Vars erhielt Ottavio Thaon di Revel zahlreiche Sonette und Festgedichte, die ausschließlich die traditionellen Semanti-
dung“. Vgl. Artikel in der Vossischen Zeitung über die Anbahnung einer Bundesreform durch Preußen (29.5.1859). In: Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes (Abt. III, Bd. 3), S. 9. 715 In den 1850er Jahren abonnierte Revel mehrmals die konservative Zeitung La Patria. Zahlreiche Rechnungsbelege von Revels Zahlungen an die oppositionelle Zeitung sind in den privaten Aufzeichnungen des konservativen Finanzministers zu finden (AST Archivio Revel Mz. 140, f. 1). 716 Francesco Martini an Camillo Benso di Cavour am 3.7.1852. In: Cavour, Epistolario (Bd. 9), S. 121. Arconati, ebenfalls ein politischer Emigrant aus der Lombardei, gehörte bis 1855 zur konservativen Partei im piemontesischen Abgeordnetenhaus. Nach dem Krimkrieg unterstütze er die regierenden Moderati.
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ken und Argumentationsfiguren des piemontesischen Patriotismusdiskurses benutzten. Statt der Zugehörigkeit des piemontesischen Staates zu Italien und Südeuropa wurden die engen kulturellen und historischen Verflechtungen von Piemont und Savoyen idealisiert sowie Berge und Flüsse als topographische Symbole der subalpinen Identität verherrlicht.717 Die subalpinen Topoi und die demonstrativ zur Schau gestellte Selbstständigkeit Piemonts signalisierten die anhaltende Skepsis der konservativen Eliten gegenüber der italienischen Neuausrichtung des monarchischen Patriotismus. Die rot-weißgrüne Trikolore, die die starke Umorientierung des eigenstaatlichen Bewusstseins symbolisierte, wurde auch von König Karl Albert und seinem Nachfolger Viktor Emanuel II. nur widerwillig toleriert.718 Die italienische Trikolore tauchte zunächst vorübergehend als Kriegsflagge auf, um die angestrebte Expansion in Norditalien zu legitimieren. In der Mitte der neuen Nationalfahne stand ein überdimensioniertes Wappen der savoyischen Dynastie mit blauer Umrandung, das die erwünschte Kontinuitätsvorstellung durch piemontesisch-italienische Kollektivsymbole unterstrich. Auch die konservative Presse thematisierte immer wieder die Verschiebung der subalpinen Identität und der traditionellen piemontesischen Selbstdeutungen auf den sich formierenden Verfassungs- und Nationalstaat. Im Jahr 1857 stellte Giacomo Margotti in einem Aufsatz über die Farbe der piemontesischen Fahne eindeutig fest, dass „il colore azzurro è il colore nazionale, il colore della nostra monarchia“.719 In der krisenhaften und ergebnisoffenen Übergangsepoche 1840–1870 trugen die Narration des subalpinen Idylls und die stolze Verherrlichung der piemontesischen Nationalfarben entscheidend dazu bei, die Relevanz konservativ-besetzter Symbole und Argumentationsfiguren in der neuen nationalen Pädagogik des italienischen Risorgimento zu perpetuieren. Neben den omnipräsenten Nationalfarben zirkulierte auch in Piemont eine Nationalhymne, in der die Ideale und Erwartungshorizonte des eigenstaatlichen Bewusstseins ihren Ausdruck fanden. Der Inno al Re des jungen Literaten Giuseppe Bertoldi wurde im Jahr 1843 verfasst und trug den Titel Con l’azzurra coccarda sul petto. Das patriotische Lied popularisierte den monarchischen Herrscherkult. Vor allem nach seiner Vertonung durch den etablierten Komponisten Luigi Felice Rossi fand Inno al Re als piemontesische Nationalhymne sowohl in den führenden Hof- und Militärkreisen als auch in der breiten Öffentlichkeit eine enorme Resonanz. Genauso wie das Preußenlied in Berlin gewann auch die selbsternannte Nationalhymne von Giuseppe Bertoldi nach der Revolution von 1848 eine starke politische Ausstrahlungskraft, um
717 Die zahlreichen Sonette und Festgedichte, die Revel 1832 und 1852 erhielt, befinden sich in: AST, Archivio Revel Mz. 109 f. 2. 718 Vgl. His de Butenval an Drouyn de Lhuys am 1.10.1852. In: Mack Smith, Risorgimento, S. 326. 719 Giacomo Margotti, Sul colore della bandiera piemontese. In: Armonia 60 (13.3.1857).
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die wachsende kulturelle Desorientierung und die weitverbreitete Skepsis gegen die italienischen Einheitsbestrebungen zum Ausdruck zu bringen.720 Um 1850 wurden die Sprache und die konservativ-besetzten Argumentationsfiguren der piemontesischen Nationalhymne mit zahlreichen Flugschriften und patriotischen Liederbücher, aber auch mit Fahnen, Prachtbannern, Standarten und dekorierten Taschentüchern kommuniziert, die den Text von Inno al Re, die blaue Nationalfahne oder das idealisierte Bild des Königs reproduzierten.721 Die patriotischen Massenwaren, die mit den piemontesischen Nationalfarben und der Nationalhymne zirkulierten, konstruierten einen milden Übergang zwischen vor- und nachrevolutionärer Zeit und wurden bei politischen Demonstrationen und Staatsfesten ostentativ zur Schau gestellt. Darüber hinaus vermittelten viele Illustrationen und Hagiographien die Suggestion einer konfliktfreien Revolution und stilisierten die königstreuen Manifestanten als vornehm gekleidete Herren, die die piemontesische Nationalfahne hochhielten.722 Die apologetische Rekonstruktion der Straßendemonstrationen von 1847/48 suggerierte, dass das Bedrohungspotenzial der Revolution in Turin im Vergleich zu dem in anderen italienischen und europäischen Städten gering war. Die erfolgreiche Propaganda der piemontesischen Eliten betonte immer wieder, wie die Manifestanten vor allem darauf bedacht waren, ihre ostentative Loyalität für Thron und Altar zu
720 Um 1850 erschien Inno al Re in zahlreichen patriotischen oder militärischen Liederbüchern. Vgl. Canti patriottici, Turin 1847, S. 19; Raccolta delle varie poesie pubblicate in Piemonte nell’occasione delle nuove riforme giudiziarie e amministrative, Turin 1847, S. 3. Die piemontesische Nationalhymne wurde bis in 20. Jahrhundert hinein in heterogenen Publikationen immer wieder veröffentlicht. Vgl. Il canzoniere patriottico: canti e inni di guerra, Rom 1915, S. 15. 721 Im Archiv des MNRT befinden sich unzählige patriotische Dekorationen, Objekte, Gemälde und Illustrationen sowie insgesamt über dreißig verschiedene piemontesische Nationalfahnen, Prunktaschentücher und Prachtbanner, die um 1850 angefertigt wurden und Inno al Re, die piemontesischen Nationalfarben oder das idealisierte Bild vom König Karl Albert darstellten. Vgl. Inno a Carlo Alberto, Con l’azzurra coccarda nel petto (Prachtbanner aus Baumwolle, 1847). In: MNRT, R0079225. Vgl. auch Bandiera ornamentale. In: MNRT, R003374-a; Bandiera ornamentale R00079225; Fazzoletto commemorativo R0475781; Fazzoletto commemorativo R0325337. Außerdem in MNRT: Celebrazione della Lega doganale (1847), seta R0325294; Celebrazione di Carlo Alberto e di Pio IX (1847), seta R0079217; Celebrazione di Carlo Alberto (1847), cotone R0079223; Carlo Alberto riformatore (1847), cotone riproduzione R0003370; Ritorno del Re da Genova (4 dicembre 1847), seta riproduzione R0325225; Celebrazione della visita di Carlo Alberto a Genova (1847), seta riproduzione R0079222; Riforme del 29 ottobre 1847, seta R0003375; Esaltazione di Carlo Alberto e delle riforme (1847), seta R0003373. Ferner in MNRT: Bandiera R0480018; Bandiera ornamentale R0003375-a; Bandiera commemorativa R0325225; Fazzoletto commemorativo R0325340; Fazzoletto commemorativo R0325342; Fazzoletto commemorativo R0325392; Fazzoletto commemorativo R0325413; Fazzoletto commemorativo R0325414; Fazzoletto commemorativo R0325433; Fazzoletto commemorativo R0325451; Fazzoletto commemorativo R0344538; Fazzoletto commemorativo R0344541; Fazzoletto commemorativo R0346182; Fazzoletto commemorativo R0346442; Fazzoletto commemorativo R0346481; Fazzoletto commemorativo R0475780. 722 Vgl. Piazza castello a Torino durante la festa, incisione (1848). In: MNRT R0349986.
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präsentieren. Jedoch selbst diese gemäßigten Kundgebungen erweckten das große Missfallen von König Karl Albert, der mit einer Verordnung am 10. Oktober 1849 alle Straßendemonstrationen ausdrücklich verbot.723 Als nach den Oktoberreformen die nahezu permanenten Manifestationen den wenig bedrohlichen Charakter von Feiern und Festen annahmen, blieb der König nach wie vor reserviert und skeptisch gegenüber den neuen Formen der politischen Partizipation.724 Während der großen Manifestationen für die oktroyierten Reformen am 31. Oktober und am 3. November 1847 wurden tausende Exemplare der piemontesischen Nationalfahne verkauft und unzählige Kopien der Nationalhymne an die begeisterten Bürger verteilt.725 Diverse zeitgenössische Kommentatoren beschrieben, wie die symbolische Macht des monarchischen Patriotismus eine politische Integrationsideologie darstellte und eine parteiübergreifend akzeptierte Kontinuitätsvorstellung markierte. Ähnlich wie die piemontesischen Zeitungen berichtete auch ein französischer Journalist über die triumphierende blaue Kokarde und den omnipräsenten Inno al Re: „À 8 heures, la population turinaise parcourait la ville en habits de fête, et portait sur la poitrine une énorme cocarde aux couleur bleu de la nation. À 9 heures et demie, le roi sortit de son palais, escorté d’un nombreux et brillant état major. À sa vue un sol cri, mais un cri immense, prononcé par 80,000 voix s’éleva dans le airs: Vive Charles Albert!“.726 Die Suggestion einer legalistischen und geordneten Revolution im Namen des monarchischen Patriotismus wurde ebenfalls durch rückblickende Illustrationen und hagiographische Darstellungen perpetuiert. Im Jahr 1861 beschrieb der Historiker Francesco Predari die Ereignisse von 1847/48 als die Apologie der piemontesischen Nationalfahne und des Inno al Re: „A nessuno mancava la coccarda azzurra sul petto. Un inno scritto dal Professore Bertoldi […] doveva essere cantato da numerosi cori dinnanzi al palazzo reale.“727 Die politische Integrationsideologie des dynastischen Patriotismus, die von unzähligen Publikationen, patriotischen Massenwaren und öffentlichen Manifestationen konstruiert wurde, imaginierte einen tragfähigen Kompromiss zwischen der oppressiven Statik der postnapoleonischen Zeit und der unkontrollierten Dynamik der Revolution. Seit 1847 wurden die piemontesische Natio-
723 Vgl. Giuseppe Talamo, Stampa e vita politica dal 1848 al 1861. In: Storia di Torino (Bd. 6). Hrsg. von Umberto Levra, Turin 2000, S. 527–583. 724 Vgl. Singer, Konstitutionalismus, S. 201. 725 Im Rückblick auf die Ereignisse vom 31. Oktober (irrtümlich auf den 1. November 1847 datiert) berichtete die Zeitschrift Archivio triennale delle cose d’Italia: „le bandiere erano ben oltre duemila. Oltre un tal numero se ne vendevano a cinque franchi l’una in brev’ora“. Außerdem wurden mehrere tausend Exemplare von Inno al Re verteilt. Vgl. Archivio triennale delle cose d’Italia 1 (Bd. 1), S. 106. 726 Archivio triennale delle cose d’Italia 1 (Bd. 1), S. 105. Auch anlässlich der Abfahrt des Königs nach Genua versammelten sich in Turin über 50.000 Demonstranten, die euphorisch mit Inno al Re und der blauen Kokarde ihre königstreue und patriotische Reformbegeisterung kommunizierten. Vgl. Francesco Cognasso, Storia di Torino, Florenz 2002, S. 499. 727 Francesco Predari, I primi vagiti della libertà italiana in Piemonte, Mailand 1861, S. 211.
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nalhymne von Giuseppe Bertoldi und Fratelli d’Italia von Goffredo Mameli zunehmend gemeinsam gesungen und inhaltlich amalgamiert.728 Nach der vermeintlich konfliktfreien Revolution von 1848 setzten sich der legalistische Konstitutionalismus und die pragmatische Nationalstaatspolitik der piemontesischen Moderati allmählich durch. Seitdem amalgamierten die staatstragenden Eliten in Turin das regionale Bewusstsein und den monarchischen Herrscherkult mit liberalem Reformenthusiasmus und konservativer Revolutionsangst. Sie reaktivierten bereits existierende Kollektivsymbole und Semantiken, um die konstitutionellen Reformen und die Nationalstaatspolitik in die narrative Bewältigung der Revolution einzubetten. Der monarchische Patriotismus spielte eine wesentliche Rolle, um das destabilisierende Innovationspotenzial der liberalen Verfassungsdiskurse und der italienischen Nationalbewegung zu reduzieren. Die piemontesischen Nationalfarben und die königstreue Nationalhymne wurden systematisch für die öffentliche Inszenierung der Reformen für die Neuerfindung der nationalen Pädagogik instrumentalisiert. Sie bildeten den kleinsten gemeinsamen Nenner, um die dramatische Kluft zwischen liberaler Euphorie und konservativer Angst zu überwinden, die die politischen Parteien und die piemontesischen Adelsfamilien intern zerrissen. Um 1850 gewann die Symbolkraft des monarchischen Patriotismus zunehmend an Bedeutung. Die daraus entstehende Integrationsideologie ermöglichte eine konstruktive und ergebnisoffene Diskussionspraxis, indem sie die nachrevolutionären Konflikte entschärfte und die wachsende Pluralität politischer Ideen und Akteure verarbeitete. Dabei wurden die links- und rechtsorientierten Extreme dämonisiert und als Kontrastfolie dazu der Pragmatismus und das Juste Milieu als die höchsten Gebote des Politischen festgelegt. Die weitverbreiteten Texte, Objekte und Rituale, die die Integrationsideologie des monarchischen Patriotismus wiederbelebten, basierten auch auf einer breiten Palette an patriotischen Helden und Märtyrern. Genauso wie die Nationalhymen und die Nationalfarben trugen die patriotischen Mythen ebenfalls dazu bei, die Suggestion eines spezifisch-piemontesischen oder preußischen Nationalcharakters zu popularisieren. Im Zusammenhang mit den vorrevolutionären Staatsbildungsprozessen kristallisierte sich in Preußen und Piemont ein öffentliches Pantheon von nationalen Identifikationsfiguren heraus, die den monarchischen Herrscherkult visualisierten.729 Die meisten patriotischen Heldengeschichten bezogen sich auf das dynastische und militärische Glanz und Gloria, auf den adlig-ritterlichen Habitus und auf das christliche Märtyrerepos.730 Bereits im 18. Jahrhundert entwickelte sich dieser elitebezogene und
728 Vgl. Talamo, Società, S. 529. 729 Vgl. Bouwers, Pantheons, S. 10. 730 In seinem klassischen Standardwerk über das Mittelalter rekonstruierte Huizinga die „Verquickung der Ritterweihe mit religiösen Gedanken“. Vgl. Johan Huizinga, Herbst des Mittelalters, Stuttgart 2015, S. 99.
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eliteinterne Kanon weiter und zirkulierte auch mit massenkompatiblen Inszenierungsund Sinnstiftungsmechanismen. Zum einen wurde das Identifikationspotenzial bereits existierender dynastischer und ritterlicher Mythen popularisiert. Zum anderen verschafften sich neben den Protagonisten der adlig-höfischen Gesellschaft auch immer mehr Volkshelden Zugang zum preußischen und piemontesischen Pantheon. Nach den Revolutionen von 1789 und 1848 nahm die politische Ausstrahlungskraft von regionalen und nationalen Mythen kontinuierlich zu. Der idealisierte Heldentod des piemontesischen Bergmannssoldaten Pietro Micca (1677–1706) kreierte einen sehr populären patriotischen Mythos, der den monarchischen Patriotismus für neue Rezipientengruppen und aktuelle politische Erwartungshorizonte zugänglich machte.731 Micca bildete eine wichtige Identifikationsfigur, die die innovative Botschaft suggerierte, dass Königstreue und Vaterlandsliebe die sozialen und kulturellen Barrieren überwanden und als gruppenintegrative Identitätsstiftung wirkten. Seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert wurde der Mythos von Pietro Micca mit Gemälden und Monumenten, aber auch mit massenkommunikativen Illustrationen, Bilderbögen und Hagiographien vermittelt. Die Aufnahme von Pietro Micca in eine elitäre Konstellation von Monarchen, Feldherren, Bischöfen und Intellektuellen erweiterte das politische Identifikationspotenzial des monarchischen Patriotismus mit innovativen Aspekten wie dem überregionalen und nachständischen Zugehörigkeitsgefühl und dem Leistungsprinzip. In der monumentalen Kollektivbiographie I Piemotesi illustri von 1781 tauchte Pietro Micca als erster nichtadliger Protagonist im Pantheon der piemontesischen „Großen Männer“ auf. Die Einleitung der fünfbändigen Publikation formulierte eine pädagogische Mission und setzte sich zum Ziel, „un tributo di gratitudine, che si paga agl’estinti, i quali hanno giovato alla Patria, ed un eccitamento, che si porge a viventi, onde siano mossi ad imitarli“ zu evozieren.732 Um die postständische und überregionale Integrationsideologie der Piemotesi illustri zu visualisieren, wurde der einfache Soldat Pietro Micca mit dem berühmten Feldherr Eugen Prinz von Savoyen (1663–1736) verglichen. Die Herausgeber resümierten, wie militärische Bravour und die angebliche Vaterlandsliebe „ha[nno] collocato questi due nomi l’uno all’altro vicini nel ricordevol petto dei tardi nipoti“.733 Die zwei Protagonisten des austropiemontesischen Sieges über die französischen Truppen im Jahr 1706 symbolisierten einen neuen patriotischen Massenappell, die den dynastischen Patriotismus über die sozialen und kulturellen Barrieren hinweg kommunizierte.
731 Pietro Micca kämpfte im Spanischen Erbfolgekrieg und verhinderte mit seinem Heldentod, dass die französischen Truppen die belagerte piemontesische Hauptstadt einnahmen. 732 Piemontesi illustri (Bd. 3), Turin 1781, S. 52. 733 Piemontesi illustri (Bd. 3), S. 49. Während sich Pietro Micca gegen die französische Übermacht aufopferte, agierte Eugen von Savoyen als Oberbefehlshaber der österreichischen Truppen, die im Jahr 1706 die Belagerung von Turin durchbrachen.
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Der hochadlige Gelehrte Felice Durando di Villa verfasste in dem dritten Band der Piemontesi illustri eine lange Hagiographie von Pietro Micca, die mit dem glorreichen Tod des verherrlichten „Retter des Vaterlandes“ kulminierte.734 Die idealisierte Darstellung des piemontesischen Bergmannssoldaten hob immer wieder hervor, dass Micca sich trotz seiner Herkunft wegen seiner großen Königstreue und der uneingeschränkten Vaterlandsliebe als nationale Vorbildfigur etabliert habe.735 Außerdem bezog sich der Mythos von Pietro Micca auf den weitverbreiteten christlichen Topos des Märtyrertodes. Im Zentrum der hagiographischen Darstellungen über den piemontesischen Soldaten stand immer eine pathetische Rekonstruktion seiner freiwilligen Aufopferung. Als Pietro Micca einen Tunnel entdeckte, den die französischen Truppen unter die piemontesische Befestigungsanlage bauten, entschloss er sich, den bevorstehenden Angriff allein zu blockieren. Micca sprengte das Zeughaus und vollzog damit einen selbstmörderischen Akt „per liberare dal sovrastante periglio la patria“.736 Das „nobile sentimento“ von Pietro Micca wurde mit einer pädagogischen und symbolgewaltigen Sprache beschrieben und popularisierte die paternalistischen und bellizistischen Traditionen des monarchischen Patriotismus. Die „edle Gesinnung“ des einfachen Soldaten basierte auf „figliale amor della patria“ und war die Konsequenz „dell’amore, che grande oltre modo al Principe, ed alla patria portava“.737 Über 70 Jahre nach der Erstveröffentlichung der Piemontesi illustri, die den monarchischen Patriotismus als gruppenintegrative Identitätsstiftung lancierten, bezog sich auch der Gymnasiallehrer Felice Daneo in seinem vielgelesenen Piccolo Panteon Subalpino von 1858 auf den Mythos von Pietro Micca. Der Panteon Subalpino setzte sich zum Ziel, die traditionellen Paradigmen von Staatspatriotismus und monarchischem Herrscherkult wie „prudenza“, „valor militare“ und „fede nel popolo“ zu stärken.738 Genauso wie die Piemontesi illustri hob auch Daneo überdeutlich hervor, dass Micca nach seinem Heldentod für die Rettung des Vaterlandes in das Pantheon der piemontesischen großen Männer als „Mann des Volkes“ gehöre.739 Ausgehend von der massenkompatiblen Neuerfindung des monarchischen Patriotismus konstatierte
734 Piemontesi illustri (Bd. 2), S. 363. 735 „Né una lunga serie di avi, e di glorie, né una nobile educazione potette ispirare grandezza d’animo“. Piemontesi illustri (Bd. 2), S. 364. 736 Piemontesi illustri (Bd. 2), S. 362. 737 Piemontesi illustri (Bd. 2), S. 371. Felice Durando di Villa betonte immer wieder: „la salute della patria, ed un generoso amor del suo Principe furono le sole cose che mossero altamente il di lui animo a sacrificare la vita“ oder „parmi ravvisare nella magnanima operazione di Micca un puro e schietto amor della patria, e del Principe senza frammischiamento di altri men grandi motivi.“ Vgl. Piemontesi illustri (Bd. 2), S. 373 und 376. 738 Felice Daneo, Piccolo Panteon Subalpino, Turin 1858, S. 12. 739 Daneo, Panteon, S. 61.
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Daneo, dass der „popolo Subalpino“ den „Geist“ und die „Natur“ der piemontesischen Dynastie übernahm.740 Nach den Zäsuren von 1796, 1848 und 1861 wurde der Mythos von Pietro Micca mittels verschiedener Medien reaktiviert und situationsadäquat neu bewertet. Neben Piemontesi illustri und Piccolo Panteon Subalpino untermauerte auch die Storia d’Italia von Carlo Botta die Popularität und die politische Ausstrahlungskraft des Heldentodes von Micca. Der piemontesische Historiker, der von König Karl Albert protegiert wurde, schrieb sein monumentales Werk zur italienischen Geschichte in einem deutlich antiliberalen Sinne und schilderte plastisch die Legende des „glücklichen“ Pietro Micca, der „das Vaterland gerettet hatte“.741 Nach der italienischen Nationalstaatsgründung blieb der piemontesische Soldat nach wie vor eine beliebte Identifikationsfigur. Im Zentrum der essayistischen Studie von Federico Odorici über die piemontesische Geschichte im 18. Jahrhundert stand eine idealisierte Darstellung des königstreuen Volkshelden.742 Außerdem war Micca der Protagonist der erfolgreichen Dramen von Giovanni Fantini und Luigi Manzotti, die um 1860 in den größten italienischen Theatern inszeniert wurden. Die etablierten Künstler Andrea Gastaldi und Luigi di Giovanni setzten sich in ihren damals sehr berühmten Gemälden ebenfalls mit dem Mythos von Pietro Micca auseinander.743 Unzählige Radierungen, Bilderbögen und Kalendarien trugen entscheidend dazu bei, den Mythos von Pietro Micca zu popularisieren und je nach politischem Kontext zu aktualisieren. Der Held wurde meistens mit einer Zündschnur in der Hand dargestellt, als er dabei war, das Zeughaus in die Luft zu sprengen und die feindlichen Truppen mit in den Tod zu ziehen.744 Darüber hinaus rekonstruierten andere hagiographische Illustrationen das Leben von Pietro Micca und behaupteten, dass er bereits vor dem Militärdienst in seinem kleinen Dorf ein Bauernmädchen gerettet habe und König Viktor Amadeus II. persönlich begegnet sei, um ihm seine Loyalität zu schwören.745 Neben dieser breiten Palette an massenkommunikativen Texten und Illustrationen, die den Mythos von Pietro Micca über die Zäsuren von 1814, 1848 und 1861 hinweg reproduzierten, wurde die Eingliederung des piemontesischen Soldaten in das subalpine Pantheon auch von König Karl Albert explizit gefördert. Bereits im Jahr 1834 gab der Monarch an den Bildhauer Giuseppe Bogliani eine Statue von Micca
740 Daneo, Panteon, S. 261. 741 Carlo Botta, Storia d’Italia continuata da quella del Guicciardini sino al 1789 (Bd. 6), Lugano 1835, S. 44. Über die Legende von Pietro Micca vgl. S. 43–46. 742 Vgl. Federico Odorici, Pietro Micca e il Piemonte de’ tempi suoi, Mailand 1861. 743 Vgl. Isabel Skokan, Germania und Italia. Nationale Mythen und Heldengestalten in Gemälden des 19. Jahrhunderts, Berlin 2009, S. 151–153. 744 Vgl. in MNRT, Pietro Micca, stampa R0351319; Pietro Micca salva Torino, stampa R0079636; Quaderno di Pietro Micca 30 agosto 1706, stampa R0474080 und Calendario R0475726. 745 Vgl. MNRT, Maria salvata da Pietro Micca e da Gustavo, stampa R0079649 und Pietro Micca, Vittorio Amedeo II e il Cav. Fracassa, stampa R0079654.
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in Auftrag. Der Held sollte als Vorbild für die piemontesische Armee dienen. Wenige Jahre später beendete der Künstler Giulio Piatti ein repräsentatives Gemälde des piemontesischen Soldaten, das für das königliche Schloss in Turin gedacht war und während der Esposizione di Belle Arti feierlich präsentiert wurde.746 Die vielfältige Konstruktion des Mythos von Pietro Micca erreichte am 4. Juni 1864 einen weiteren Höhepunkt, als ein großes Standbild des Volkshelden vor der Zitadelle in der piemontesischen Hauptstadt eingeweiht wurde. Im selben Jahr verlor Turin nach über 300 Jahren seinen Status als Residenzstadt und wurde dafür mit der Statue von Pietro Micca „entschädigt“.747 Das italienische Parlament, der Stadtrat von Turin und der dortige Kunstverein, die das neue Denkmal finanzierten, reaktivierten die Legende des einfachen Soldaten, um die zunehmende Enttäuschung über den neugegründeten Nationalstaat mit dem populärsten Kollektivsymbol der piemontesischen Königstreue zu entschärfen. Die pathetische Darstellung von Micca mit der Zündschnur in der Hand visualisierte den Loyalitätsappell, den die italienische Regierung im Namen des alten monarchischen Patriotismus kommunizierte. Auch die Gedenktafel auf dem Denkmal demonstrierte, wie die patriotische Integrationsideologie und die symbolische Macht des eigenstaatlichen Bewusstseins in dem neuen Nationalstaat fortwirkten: „Pietro Micca di Andorno Sagliano [heute Sagliano Micca!] […] soldato minatore nei cavi della cittadella di Torino a di 30 agosto 1706 all’imminente irrompere dei nemici conscio di certa rovina accese le polveri e col sacrificio della vita fece salva la patria.“748 Die systematische Inszenierung des Heldentodes von Pietro Micca generierte eine vielfältig einsetzbare Bedeutungsstruktur. Zum einen bildete sie eine umfassende Integrationsideologie, die die politischen Transformationen von 1848 und 1861 in eine vereinfachte Kontinuitätslinie einbettete. Damit wurden die weitverbreitete Zukunftsangst und die Desorientierung der nachrevolutionären Übergangsgesellschaft reduziert. Zum anderen thematisierten der Mythos von Pietro Micca und die anderen Kollektivsymbole und Argumentationsfiguren des eigenstaatlichen Bewusstseins die politische Enttäuschung und die anhaltende Skepsis gegenüber dem italienischen Nationalstaat. Das ikonographische Programm des monarchischen Patriotismus stellte eine breite Konstellation an patriotischen Semantiken, Deutungsmustern und Wertvorstellungen zur Verfügung, die sowohl von den Befürwortern als auch von den Rivalen des italienischen Nationalstaats instrumentalisiert wurden.749
746 Skokan, Germania, S. 151. 747 Skokan, Germania, S. 357. Am 23. September 1864 wurde eine Revolte der piemontesischen Bevölkerung gegen die Versetzung der italienischen Hauptstadt nach Florenz blutig niedergeschlagen. 748 Das Standbild von Pietro Micca mit der zitierten Gedenktafel befindet sich noch heute vor der Zitadelle in Turin. 749 Vgl. Dalmasso, Cultura, S. 691.
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Im langen 19. Jahrhundert wurde der monarchische Patriotismus von massenkommunikativen Texten, Symbolen und Objekten kontinuierlich aktualisiert und weiterentwickelt. Neben patriotischen Liedern, Illustrationen und Monumenten veröffentlichten die piemontesischen Konservativen auch zahlreiche publizistische und normative Dokumente, um die „historie de notre belle Patrie“ als politisches Gegengewicht zum liberalen Verfassungsdiskurs und zum italienischen Risorgimento zu stilisieren.750 Dazu zählten monumentale Quelleneditionen wie die sechsbändige Edition der Traités publics de la royale maison de Savoie, die Solaro della Margarita im Auftrag vom König Karl Albert zwischen 1836 und 1844 herausgab. Seit den 1840er Jahren spielten die boomenden historiographischen Studien und die neugegründeten Geschichtsvereine eine wichtige Rolle, um den monarchischen Herrscherkult aufzubauen und die adligen Traditionen mit der Ausstrahlungskraft der historischen Erinnerung zu repräsentieren.751 Im Einklang mit der Deputazione subalpina di storia patria postulierte Pier Alessandro Paravia im Namen der Universität von Turin, dass trotz der Einführung der italienischen Geschichte in das akademische Unterrichtsprogramm für das Jahr 1846 die „piemontesische Vaterlandsgeschichte“ nach wie vor Priorität hatte: „A noi Piemontesi giova in particolar modo conoscere da che principii si origino [...] e per che destini si accrebbe la prosperità, la potenza e la gloria di quella stirpe di Savoia , da cui deriva e in cui deriva e in cui si confonde la prosperità, la potenza e la gloria della Nazione piemontese.“752 Auf der Suche nach einem plausiblen Rechtfertigungsnarrativ in Zeiten krisenhafter politischer Veränderungen wandten sich die europäischen Monarchien und die adligen Eliten „in einem verstärkten und auffallenden Maße der Historiographie“ zu.753 Um 1840 realisierte König Karl Albert mehrere wissenschaftliche und kulturelle Großprojekte, um die politische Mythologie der piemontesischen Nation zu konstruieren. Ausgehend von der Erfindung und politischen Funktionalisierung der „storia patria“, starteten der König und seine Entourage zahlreiche ambitionierte Initiativen wie die Gründung der nationalen Gemäldegalerie (Reale Galleria di Quadri), die Formation des für Italien beispiellos früh entstandenen Geschichtsvereins sowie die Reorganisation der Accademia delle Scienze und der Kunstakademie.754 Ähnlich wie
750 Vgl. Solaro, Traités, S. VI. 751 Vgl. Gabriele B. Clemens, Obenbleiben mittels Historiographie: Adeligkeit als Habitus. In: Hochkultur als Herrschaftselement. Italienischer und deutscher Adel im langen 19. Jahrhundert. Hrsg. von Gabriele B. Clemens, Malte König u. Marco Meriggi, Berlin 2011, S. 189–209. Ferner Clemens, Bulwark of Traditions: The European Nobility and Regional and National Historiography in the Nineteenth Century. In: Setting the Standards. Institutions, Networks and Communities of National Historiography. Hrsg. von Ilaria Porciani u. Jo Tollebeek, Basingstoke 2012, S. 330–350. 752 Pier Alessandro Paravia, Per il giorno onomastico del Re Carlo Alberto. Orazione recitata nella Regia Università di Torino al 4 di novembre 1846, Turin 1846, S. 12. 753 Clemens, Obenbleiben, S. 189. 754 Vgl. Clemens, Sanctus, S. 27; Nada, Piemonte, S. 250–256.
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Wilhelm I. von Württemberg und Ludwig I. von Bayern setzte Karl Albert sein ambitioniertes ikonographisches Programm fort, indem er die Restaurierung der Residenzen in Turin, Racconigi und Pollenzo finanzierte sowie unzählige glorifizierende Gemälde und Statuen in Auftrag gab.755 Um das Engagement der königstreuen Künstler und der patriotischen Intellektuellen emblematisch anzuerkennen, stiftete der König am 29. Oktober 1831 den Ordine civile di Savoia nach dem Vorbild des preußischen Pour le Mérite.756 Unter der Leitung von Prospero Balbo und Luigi Cibrario leistete vor allem die Deputazione subalpina di storia patria einen entscheidenden Beitrag, um mit „objektiven“ Recherchen und repetitiven historischen Leitmotiven den monarchischen Patriotismus zu akzentuieren. Die Nähe zum Königshaus des piemontesischen Geschichtsvereins war auch räumlich nicht zu übersehen, denn die Vereinslokale befanden sich im Palazzo Reale.757 Seit den 1830er Jahren produzierten dilettierende Historiker wie Luigi Cibrario, Federico Sclopis, Domenico Promis und Luigi Provana di Collegno eine Fülle von Geschichtsdarstellungen, die in erster Linie eine unerschütterliche Königstreue und das eigenstaatliche Bewusstsein idealisierten, während sie die Ideale des italienischen Risorgimento allenfalls am Rande thematisierten.758 In den piemontesischen Geschichtsvereinen wie auch in den anderen europaweit boomenden historischen Assoziationen gewannen „allesamt treue Staatsdiener und loyale Bewunderer der Dynastie“ die Oberhand.759 Diese adelsdominierten Geschichtsgesellschaften untersuchten fast ausschließlich leicht manipulierbare Quellen aus dem Mittelalter und versuchten damit zu demonstrieren, dass diese Epoche „tief zu den Wurzeln der historischen Identität führte und dort der Wesenskern der weiteren Entwicklung lag“.760 Historisch zu argumentieren, bedeutete für den monarchischen Patriotismus genauso wie für die liberale Nationalbewegung Selbstvergewisserung. Die einfachste Lösung, um diese politische Existenzberechtigung für sich zu beanspruchen, war die Nation als eine Schöpfung Gottes, die schon an und für sich existierte und nur geweckt werden musste.761 Die kulturelle Dominanz und die starke politische Präsenz des monarchischen Patriotismus wurden von der vaterländischen Geschichte, den blauen Nationalfarben, den patriotischen Mythen
755 Vgl. Dalmasso, Cultura, S. 691–694. Über Kulturpolitik und monarchischen Herrscherkult in Bayern vgl. Hannelore Putz, Für Kunst und Königtum. Die Kunstförderung König Ludwigs I. von Bayern, München, 2013. 756 Nada, Piemonte, S. 255. 757 Clemens, Sanctus, S. 353. 758 Einen Überblick über die unzähligen historischen Studien, die um 1840 publiziert wurden, bietet: Nada, Piemonte, S. 253. 759 Cavicchioli, Erinnerung, S. 166. 760 Clemens, Obenbleiben, S. 198. Ausführlich zur Dominanz des Adels und zur Mittelalter-Fixierung der deutschen und italienischen Geschichtsvereine vgl. Clemens, Sanctus, S. 65–80 und 247–255. 761 Hroch, Programme, S. 24.
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und der Nationalhymne reproduziert. Sie entwarfen eine Kontinuitätslinie zwischen vor- und nachrevolutionärer Zeit, die als Katalysator für die zunehmende politische Pluralität und die weitverbreitete Desorientierung wirkte. Obwohl der Fokus nach wie vor auf der „piemontesischen Nation“ lag, arbeiteten seit 1847 die königstreuen Vereinshistoriker verstärkt auch für die Amalgamierung regionaler und nationaler Identitätskonstruktionen. Jedoch vollzogen sie nach dem vehementen Protest gegen die im Jahr 1864 beschlossene Verlagerung der Hauptstadt nach Florenz eine Rückbesinnung auf die selbstständige Identität des „alten“ Piemonts.762 Umso stärker versuchten ultrakonservative Politiker wie Solaro della Margarita und Camburzano, den spezifisch-piemontesischen Patriotismusdiskurs zu instrumentalisieren, um eine persuasive Selbstbeschreibungs- und Argumentationsstrategie gegen das italienische Risorgimento zu finden. Im Parlament plädierte Solaro dafür, die konservativ besetzte Vorbildfunktion der piemontesischen Geschichte nicht aufzugeben und erteilte damit den italienischen Einheitsbestrebungen eine klare Absage: „Noi dobbiamo cercare gli esempi e i modelli nella nostra storia, nella storia della Casa augusta di Savoia.“763 Auch Camburzano bezog sich immer wieder auf das semantische, symbolische und affektive Instrumentarium des monarchischen Patriotismus, indem er mit der Beschwörung eines subalpinen Idylls gegen das abstrakte Ideal der italienischen Einheit polemisierte.764 Mit einer symbolträchtigen Sprache stellten Solaro und Camburzano den piemontesischen „sacro suolo di antiche glorie“ als einen expliziten Gegenentwurf zu den „italiche aspirazioni“ dar.765 Die Erzkonservativen und die ultrakatholische Publizistik polemisierten im Namen der politischen Mythologie des alten Piemonts gegen die nationale Pädagogik des italienischen Risorgimento.766 Aus den Fremd- und Selbstzuschreibungen des monarchischen Patriotismus resultierten mehrere politische Deutungsoptionen. Sie bezogen sich auf die patriotischen Massenwaren, auf die Nationalhymnen und auf die boomenden Geschichtsdarstellungen, die die elitebezogenen Wertvorstellungen und die konservativ besetzten Erfahrungsdeutungen des alten Piemonts mit aktuellen und massenkompatiblen Bedeutungen revitalisierten.
762 Vgl. Clemens, Sanctus, S. 329. 763 Clemente Solaro della Margarita, Rede am 10.5.1854 (APS Discussioni – Sessione del 1854/55, 5. Leg., Bd. 5, S. 1305). 764 „Noi siamo una piccola, ma forte nazione di soldati, a cui la Provvidenza commise la custodia delle Alpi ed il fuoco sacro della patria indipendenza. […] Se vogliamo spingerci a più alti destini, dobbiamo con sapienza e con prudenza aspettare la maturità dei tempi [...] stringerci tutti intorno alla comune patria [...] abbandonare un poetico ideale per iscendere nei campi del positivo.“ Vittorio Emanuele di Camburzano, Rede am 14.5.1858 (APS Discussioni – Sessione del 1857/58, 6. Leg., Bd. 4, S. 1706). 765 Clemente Solaro della Margarita, Rede am 31.5.1858 (APS Discussioni – Sessione del 1857/58, 6. Leg., Bd. 4, S. 1944). 766 Vgl. Il ritorno del conte Verde. In: Armonia 44 (22.2.1857).
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Seit den 1840er Jahren generierte die Neuerfindung des monarchischen Patriotismus eine starke Erinnerungskonkurrenz zwischen konservativen und nationalliberalen Argumentationsstrategien, die die Frage der italienischen Einigung unterschiedlich beantworteten, aber die demokratisch-revolutionäre Nationalbewegung gemeinsam blockierten. Auch in Preußen wurden die schwarzweißen Nationalfarben und die omnipräsenten Nationalhymnen von einem breiten Spektrum an patriotischen Massenmedien wie Almanachen, Bilderbögen, apologetischen Geschichtsdarstellungen, Flugschriften, Paraden und Monumenten flankiert. Sie aktualisierten die politische Mythologie des monarchischen Patriotismus und erweiterten deren Identifikationspotenzial. Seit dem 18. Jahrhundert erreichte die symbolische Qualität des Preußensinns ein breites Publikum, das die überregionalen und nachständischen Pathosformeln der nationalen Pädagogik zunehmend attraktiv fand. Die patriotischen Massenmedien schufen eine politische Integrationsideologie, auf die die Monarchie und der Adel in Zeiten dramatischer Transformationskrisen wieder zurückgriffen, um ihre Reputation als staatstragende Elite zu rehabilitieren.767 Um 1850 zählten die Geschichte Friedrichs des Großen mit den berühmten Illustrationen von Adolph Menzel und die Feldherrenlieder von Theodor Fontane zu den meistgelesenen Büchern im Hohenzollernstaat und erreichten heterogene Rezipientengruppen. Auch die sehr populären Grafiken und Zeichnungen des Direktors der Berliner Akademie der Künste, Daniel Chodowiecki, wurden massenhaft produziert und trugen entscheidend dazu bei, ein öffentliches Pantheon preußischer Helden und Märtyrer zu popularisieren.768 Die politische Präsenz von patriotischen Monumenten, Ritualen und apologetischen Geschichtsdarstellungen gewann ebenfalls zunehmend an Bedeutung.769 Genauso wie das Preußenlied und die Nationalfarben leisteten auch die patriotischen Mythen und die blühende Denkmalslandschaft einen wichtigen Beitrag, um den monarchischen Patriotismus zu visualisieren. Sie kommunizierten eine kollektiv-sinnstiftende Narration, die über die Elitendiskurse und die Kriegsrhetorik hinweg auch in der Sprache des Politischen besonders attraktiv wirkte. Einerseits wurden die konservativen Patriotismusdiskurse von habitusgesteuerten Bestimmungsmustern und elitefixierten soziokulturellen Traditionen perpetuiert. Andererseits führte die Erfindung massenkompatibler Mythen dazu, dass sich
767 Vgl. Daniel Menning, Standesgemäße Ordnung in der Moderne. Adlige Familienstrategien und Gesellschaftsentwürfe in Deutschland 1840–1945, München 2014, S. 303–315. 768 Vgl. Melanie Ehler, Daniel Nikolaus Chodowiecki. Le petit maître als großer Illustrator, Berlin 2003, S. 276. 769 Auch in dem 1865 gegründeten Berliner Geschichtsverein war die „Protektion von öffentlichen Stellen und monarchischer Seite“ deutlich spürbar. Die Assoziation wurde zwar von mehreren bürgerlichen Intellektuellen initiiert, jedoch zählten auch zahlreiche Ministerialbeamte sowie der exaltierte Monarchist Louis Schneider und Prinz Carl von Preußen zu den prominentesten Mitgliedern. Vgl. Clemens, Sanctus, S. 24.
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der Preußensinn über die Elitenetzwerke hinweg auch in der breiten Öffentlichkeit als politisches Rechtfertigungsnarrativ etablierte. Im 19. Jahrhundert wurden König Friedrich II., Prinz Louis Ferdinand von Preußen, Königin Luise als die „erste Märtyrerin der Nation“ sowie Ferdinand von Schill und der „Volksheld“ Gebhard Leberecht von Blücher als Identifikationsfiguren mit vielfältigen politischen Bedeutungen dargestellt.770 Die politisch-ideologische Vereinnahmung dieser patriotischen Mythen vermittelte ein breites Spektrum an symbolischen, affektiven und kulturellen Sinnstiftungsmechanismen. Sie entwarfen eine gruppenintegrative Identitätsstiftung, die über die regionalen, konfessionellen und sozialen Barrieren hinwegging. Genauso wie die Nationalfarben und das Preußenlied zirkulierten auch die weitverbreiteten preußischen Legenden und Volkshelden in verschiedenen Medien und politischen Arenen. Meistens wirkte die politische Mythologie des Preußensinns als ein partielles oder vollkommenes Gegengewicht zum deutschen Nationalismus. Mit seinem „Jlaubens-Bekenntniss“ demonstrierte das Pamphlet von Aujust Buddelmeier Ick bin en Preuße, dass der Mythos des „ollen Fritz“ am Hof und in den patriotischen Clubs, aber auch in den Vorstadtkneipen als politischer Gegenentwurf zu den liberalen Verfassungs- und Nationsdiskursen ein großes Potenzial hatte. In diesem Sinne konstatierte das „Jlaubens-Bekenntniss“ von 1848: „Unse König, der ist janz jut un jrundehrlich, naun unse Prinz von Preußen, ick sag Euch, sie stammen alle Beede vonnen ollen Fritzen ab, un sie werren alle Beede mit ihr Volk mitjehen, wie ächte Preußen.“771 Ähnlich wie in Piemont wurden der monarchische Herrscherkult und die kriegerische Sprache des Preußensinns zum einen gegen den Reformenthusiasmus und die deutsche Nationalbewegung reaktiviert. Damit inspirierte die bereits existierende Mythologie des Preußensinns innovative Politikentwürfe, die für die nationale Mission des Hohenzollernstaats plädierten. Zum anderen vermittelten die Semantiken und die Kollektivsymbole des monarchischen Patriotismus gruppenintegrative Identität und Loyalitäten, die bis in die 1870er Jahre hinein ebenso glaubwürdige und attraktive Argumente wie das Telos der deutschen Einheit lieferte. Im langen 19. Jahrhundert trugen die neuen Inszenierungsstrategien und die politische Erinnerungskonkurrenz der preußischen und piemontesischen Patriotis-
770 Zu den Vereinnahmungen und Erinnerungskonkurrenzen über den Mythos von Luise von Preußen vgl. Birte Förster, Der Königin Luise-Mythos. Mediengeschichte des Idealbilds deutscher Weiblichkeit 1860–1960, Göttingen 2011. Über die lange Heroisierungsgeschichte von Friedrich II. durch Kunst, Architektur und Literatur vgl. Leonore Koschnick, Friedrich der Große. Verehrt, verklärt, verdammt, Berlin 2012, S. 13–17. Zum Mythos des preußischen Majors Ferdinand von Schill vgl. Veit Veltzke (Hrsg.), Für die Freiheit gegen Napoleon. Ferdinand von Schill, Preußen und die deutsche Nation, Köln 2009. Schließlich zum Mythos des „Marschall Vorwärts“ Gebhard Leberecht von Blücher als populärer Volksheld und preußisches Musterbild eines Soldaten vgl. Skokan, Germania, S. 137–141. 771 Aujust Buddelmeier, Wer will huldigen? Ick nich! Wer noch? Ick bin en Preuße! Kennst Du meine Fäuste? Ein Jlaubens-Bekenntniss, [Berlin] 1848, S. 1.
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musdiskurse dazu bei, die Mythologie des eigenstaatlichen Bewusstseins „von der jeweiligen Gegenwart her nach Maßgabe aktueller Sinnbedürfnisse, neuer Relevanzkriterien und sozialer Rahmenbedingungen“ zu aktualisieren.772 Die beharrliche Präsenz patriotischer Kollektivsymbole und Argumentationsfiguren kreierte eine politische Integrationsideologie, die religiös-theologische Paradigmen, monarchische Inszenierungselemente und populistische Massenappelle glaubwürdig miteinander verknüpfte. Für die Emotionalisierung des monarchischen Patriotismus erhielten die literarische Erfindung und die ästhetische Vereinnahmung gruppenintegrativer Identifikationsfiguren eine zentrale Relevanz. In Preußen und Piemont basierte die nationale Pädagogik auf einer „elite-based symbolic language“, die die bereits existierenden „patterns of hegemony“ neu orientierte und auch für die breite Öffentlichkeit zugänglich und attraktiv machte.773 In Zeiten beschleunigter Krisen und zunehmend komplexeren Politikdiskursen erreichte die symbolische Macht des monarchischen Patriotismus neue Rezipientengruppen, die die patriotischen Wertvorstellungen der staatstragenden Eliten und die Suggestion der dynastischen Mission immer interessanter fanden. Um 1850 zirkulierten in Preußen und Piemont unzählige patriotische Texte, Illustrationen und Massenwaren, die die nationale Pädagogik popularisierten und weiterentwickelten. Sie generierten auch für die Konservativen neue Handlungs- und Deutungsoptionen. Einerseits animierten der Preußensinn und die „Nazione piemontese“ die konservative Meinungsmobilisierung gegen die liberale Nationalbewegung. Anderseits imaginierten die Konservativen im Namen des monarchischen Patriotismus eine Kontinuitätslinie oder eine kontrollierte Diskontinuität zwischen vor- und nachrevolutionärer Zeit. Damit transferierten sie die politische Mythologie des eigenstaatlichen Bewusstseins auf das Telos des italienischen und deutschen Nationalstaats. Beide konkurrierende Vereinnahmungen des monarchischen Patriotismus trugen dazu bei, die liberal-demokratische Euphorie zu schwächen und die Nationalbewegung in eine konservative Richtung zu lenken.
as kleine Vaterland. Die konservativen Lokalpatrioten im Spannungsfeld 2.2.4 D zwischen monarchischem Patriotismus und Nationalstaatsidee Im 19. Jahrhundert galten die sich europaweit formierenden Nationalstaaten, aber auch die dynastischen Herrschaftsgebiete, die Imperien, die alten Territorialstaaten, die Regionen und die Städte als Vaterland: „Es war für den Patrioten nicht unbedingt vorbestimmt, er durfte es auswählen und gegebenenfalls auch im Laufe seines
772 Johannes Kunisch, Friedrich der Große. Der König und seine Zeit, München 2012, S. 9. 773 Bouwers, Pantheons, S. 10.
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Lebens“ ändern.774 In den neuen preußischen Westprovinzen und in Ligurien generierte das Mosaik an munizipalen und regionalspezifischen Identitätskonstruktionen eine besonders politikmächtige Selbst- und Fremdzuschreibung. Nach den antinapoleonischen Kriegen wurden die linksrheinischen und ligurischen Departements des französischen Empires den kulturell, politisch und wirtschaftlich sehr verschiedenen Machtzentren in Berlin und Turin zugeteilt.775 Seitdem verfügten die Lokalpatriotismen von regionalen Metropolen wie Genua und Köln nicht mehr über ein autonomes Staatsgebiet und einen loyalen Staatsapparat.776 Jedoch blieb das vielfältig einsetzbare Instrumentarium an lokalpatriotischen Semantiken, Kollektivsymbolen und Argumentationsfiguren auch nach der vermeintlichen Befreiung von 1814 erhalten. Insbesondere in Italien und Deutschland koexistierten im 19. Jahrhundert städtische und regionale Doppelidentitäten neben der nationalstaatlichen Machtkonzentration.777 Die politische Identitätsbildung basierte auf der Nation, aber auch auf eigenstaatlichem, munizipalem oder regionalem Lokalpatriotismus und seit den 1880er Jahren kristallisierte sich eine „Renaissance eines auf die Städte gerichteten politischen Denkens und Handelns“ heraus.778 Die Regierungen in Berlin und Turin versuchten die potenziellen Konflikte zwischen verschiedenen lokalen und nationalen Interessen und Loyalitäten zu entschärfen. Jedoch schwankten die konservativen Lokalpatrioten in den preußischen Westprovinzen und in Ligurien immer wieder zwischen Wünschen nach Koexistenz und Opposition gegen die überregionale Integrationsideologie des monarchischen Patriotismus.779 Nach der „Annexion“ von 1815 gewann die patriotische Rückbesinnung
774 Hroch, Europa, S. 58. 775 Vgl. Fahrmeir, Revolutionen, S. 130–137. 776 Ausführlich zum internationalen Status und der politischen Autonomie der Republik Genua vgl. Matthias Schnettger, Principe sovrano oder civitas imperialis? Die Republik Genua und das Alte Reich in der Frühen Neuzeit, Mainz 2006. Über Staatsbildungsprozesse und die Konstruktion regionaler und nationaler Identitäten im Rheinland zwischen napoleonischem und preußischem Herrschaftssystem vgl. Michael Rowe, From Reich to State: the Rhineland in the Revolutionary Age 1780–1830, Cambridge 2003; Caudie Paye, Cassel, prisme de l’identité westphalienne ou petit Paris au bord de la Fulda? Pratiques identitaires et frictions culturelles au royaume de Westphalie, 1807–1813. In: Erbfeinde im Empire? Franzosen und Deutsche im Zeitalter Napoleons. Hrsg. von Jacques-Olivier Boudon u. Gabriele B. Clemens, Ostfildern 2016, S. 33–50. 777 Vgl. Porciani, Identità, S. 141–182; Sellin, Nationalbewußtsein, S. 241–264. Marco Meriggi definiert Regionalismus als „Ausdruck des Zugehörigkeitsgefühls zu einer lokalen Identität, die einerseits nicht notwendigerweise mit den Grenzen der Region übereinstimmen muss, und zum anderen im Laufe der Zeit sowohl räumlichen als auch inhaltlichen Veränderungen unterworfen sein kann.“ Vgl. Marco Meriggi, Regionalismus: Relikt der Vormoderne oder Vorbote der Postmoderne? In: Deutschland und Italien 1860–1960. Politische und kulturelle Aspekte im Vergleich. Hrsg. von Christof Dipper, München 2005, S. 29–39. 778 Hein, Bürger, S. 689. 779 Die aktuelle Preußenforschung hat die etablierte Idee des zentralisierten Hohenzollernstaats als felsenfester und autoritärer Militär- und Machtapparat partiell revidiert. Dabei wurden die „Spezifik
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auf die spezifisch rheinische oder westfälische Identitätsstiftung und auf die „ligusticità“ kontinuierlich an Bedeutung.780 Obwohl das neue preußische Machtzentrum das „französische“ Rechtswesen, die relativ starke wirtschaftliche Freizügigkeit und die Verwaltung der rheinischen Provinzen nicht vollständig revidierte, kam es immer wieder zu gravierenden Konflikten (etwa den „Kölner Wirren“ von 1837), die die Integration von Köln in den Hohenzollernstaat erheblich erschwerten.781 Im Gegensatz zum genuesischen Patriziat engagierten sich die Eliten der ehemaligen linksrheinischen Departements nicht für die Wiederherstellung des vorrevolutionären Staatenmosaiks. Die gegenrevolutionäre Propaganda der französischen Emigranten in Koblenz stieß auf eine gespaltete und marginale Resonanz und die Begeisterung für die vermeintliche preußische „Befreiung“ hielt sich in engen Grenzen. Jedoch sahen die rheinischen Eliten von einem eklatanten Protest gegen die Eingliederung in den Hohenzollernstaat ab. Vielmehr setzten sie sich mit dem neuen Herrschaftssystem pragmatisch auseinander und erhielten bedeutende Konzessionen in den Fragen der Nationalgüterverkäufe und der Beamtenpolitik. Dagegen riefen die nicht eingelösten Verfassungsversprechungen von Friedrich Wilhelm III. eine weitverbreitete politische Enttäuschung hervor.782 Ähnlich wie in den preußischen Westprovinzen wurden auch in Ligurien nach 1814 einige Autonomien und Privilegien sowie teilweise die napoleonischen Reformen nicht wie in den anderen piemontesischen Territorien mit drakonischer Strenge abgeschafft.783 Die lokalpatriotischen Traditionen bildeten ein regional- oder stadtspezifisches Gegengewicht zu den Paradigmen des monarchischen Patriotismus und zu dem zunehmend intensiv diskutierten Telos des nationalen Einheitsstaats. Nach der Nationalstaatsgründung prägten die verschiedenen ideologischen Akzentuierungen und die Erinnerungskonkurrenz zwischen lokalen, regionalen und nationalen Geschichten weiter die politischen Diskussionen in Deutschland und Italien.784 Neben den regionalen Identitätskonstruktionen wurden auch die familiären Traditionen als Bekräftigung konservativer Machterhaltung systematisch politisch vereinnahmt. Seit Jahrhunderten wurden die Familiengeschichten der adligen Eliten
von Ort und Region, die Fragilität und Wandelbarkeit der Machtverhältnisse, die identitätsstiftende Kraft von Religion und Geschlecht, das Zusammenspiel zwischen Politik und Kultur“ miteinbezogen. Vgl. Clark, Preußenbilder, S. 320. 780 Clemens, Sanctus, S. 330 und 333. 781 Vgl. Adolf Klein, Köln im 19. Jahrhundert. Von der Reichsstadt zur Großstadt, Köln 1992, S. 116– 119. 782 Vgl. Henke, Coblentz, S. 293. Vgl. auch Gabriele B. Clemens, Entre opposition et intégration: les départements du Rhin dans la première phase de la restauration (1814–1832). In: Revue d’Allemagne et de pays de langue allemande 47 (2015), S. 151–162. 783 Meriggi, Stati, S. 118. 784 Vgl. Heinemann, Stadt, S. 430. Über die permanente Erinnerungskonkurrenz über den GaribaldiMythos vgl. Riall, Garibaldi, S. 268 und 364–377.
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tradiert und idealisiert, jedoch wuchs nach dem Untergang des Ancien Régime ihre symbolische Bedeutung als Mittel, um die kulturelle Desorientierung und die sich überschlagenden politischen Krisen zu bewältigen.785 Die moderne Begriffsverwirrung zwischen familiären, munizipalen, regionalen und nationalen Traditionen eröffnete den konservativen Lokalpatrioten attraktive Deutungsoptionen, die damit regionalspezifische Identitäten und Suggestionen gegen die liberale Nationalbewegung instrumentalisieren konnten. Mit einer programmatischen Rede in der preußischen Nationalversammlung am 12. Juli 1848 plädierte der Theologe Karl Leopold Adolf von Sydow für eine politische Zusammenarbeit von Lokalpatrioten und Reaktionären.786 Auch das konservative genuesische Patriziat stilisierte sich als Urheber und Protektor der regionalen Identität Liguriens und engagierte sich pragmatisch am piemontesischen Hof und im Staatsdienst.787 Als sich zwischen 1840 und 1870 der Kampf um die politische Deutungs- und Verwendungshoheit über den wahren Patriotismus weiter zuspitzte, versuchten viele konservative Politiker und Publizisten, die lokalpatriotischen Traditionen und den monarchischen Patriotismus zu verknüpfen, um eine erweiterte Identitäts- und Legitimationsbasis gegen die liberale Nationalbewegung zu konstruieren. Im Jahr 1854 forderte Solaro della Margarita seine ligurischen Wähler auf, eine gemeinsame Front von konservativen Lokalpatrioten und Monarchisten gegen die Ideale des italienischen Risorgimento zu bilden: „Agli occhi di tutti noi esservi non deve differenza fra Liguria e Piemonte; una sola è la patria, comuni debbono essere gli interessi: quanti vivono nei dominii dell’Augusta Casa di Savoia sono fratelli, sieno nati al di qua od al di là delle Alpi, appiè degli Appennini, od oltre il mare.“788 Seit 1814 versuchten die restaurierte Monarchie und die konservativen Führungsschichten Piemonts attraktive Karrierechancen für das nach wie vor dominierende Patriziat der neuen ligurischen Provinzen zu schaffen. Damit verfolgte die zentrale Regierung das Ziel, die lokalen Eliten mit dem loyalen Adel aus den piemontesischen Kernprovinzen auszusöhnen, und war oft sogar bereit, die französischen Sympathien und die unnachgiebigen Autonomiebestrebungen der ligurischen Adligen zu verges-
785 Vgl. Clemens, Obenbleiben, S. 191. Zur symbolischen und pragmatischen Bedeutung der Familie für den europäischen Adel vgl. Monique de Saint-Martin, Der Adel. Soziologie eines Standes, Konstanz 2003. 786 Karl Leopold Adolf von Sydow, Rede am 12.7.1848. In: Stenographische Berichte über die Verhandlungen der zur Vereinbarung der preußischen Staats-Verfassung berufenen Versammlung (Bd. 1), S. 474. 787 Ein aussagekräftiges Beispiel für die Selbstinszenierung des Adels als Protektor der ligurischen Nation: Girolamo Serra, La storia dell’antica liguria e di Genova, La Spezia 1998 (Orig.-Ausg.: Capolago 1835). 788 Solaro, Agli elettori del collegio di S. Quirico 1854, S. 3. Vgl. auch Solaro, Agli elettori di Borgomanero 1853, S. 22.
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sen.789 Die lokalen Eliten in Genua reagierten auf diese kontroversen Integrationsbemühungen reserviert, aber nicht widerwillig. Über die Zäsuren von 1789, 1814, 1848 und 1861 hinweg verbreiteten die stadt- und regionalspezifischen Narrationen eine tief internalisierte und vielfältig einsetzbare Sinnkonstruktion. Sie forderte sowohl den monarchischen Patriotismus als auch die liberale Nationalbewegung heraus und positionierte sich geschickt zwischen diesen überregionalen Patriotismuspolen. Monaldo Leopardi war der prominenteste Barde der „patria municipale“.790 Seine überregional rezipierten Publikationen verherrlichten die lokalpatriotischen Traditionen und untermauerten dadurch die christlich-legitimistischen Gesellschafts- und Politikentwürfe. Bis in die 1850er Jahre hinein wurde Leopardis „carità verso la patria“ von zahlreichen konservativen Politikern und Publizisten enthusiastisch kommentiert.791 Zu den Bewunderern der lokalpatriotischen Ideale von Leopardi gehörte auch der genuesische Patrizier Antonio Brignole-Sale. Er betonte immer wieder, dass allein das genuesische Vaterland „oggetto costante e dolcissimo delle mie affezioni“ war.792 Die überwiegende Mehrheit der 385 Bücher, die Brignole für seine Privatbibliothek kaufte, fokussierten das Thema „patria municipale“ und die genuesische Politik-, Militär- und Wirtschaftsgeschichte.793 Brignole gehörte zu einer der mächtigsten genuesischen Aristokratenfamilien und wurde in der ligurischen Hafenmetropole am 22. Mai 1786 geboren. Seit 1538 übten seine Vorfahren viermal das Amt des Dogen der alten Adelsrepublik aus. Im Ancien Régime finanzierte die Familie Brignole die französische Monarchie und bewohnte den prächtigsten Palast in Genua. Als Vorsitzender des 8. Kongresses der italienischen Wissenschaftler, der im Jahr 1846 in Genua stattfand, konnte Brignole seinen Palast wieder, wie in der alten Adelsrepublik, als den politischen und kulturellen Mittelpunkt der Stadt etablieren. Die Familie betrachtete den Kongress wie eine private Angelegenheit und empfing täglich unter großem finanziellem und repräsentativem Aufwand über tausend Konferenzteilnehmer im Palazzo Rosso.794 Brignole blieb zwi-
789 Vgl. Elisabetta Tonizzi, Dalla Repubblica ligure all’unità d’Italia. In: Storia della Liguria. Hrsg. von Giovanni Assereto, Rom 2007, S. 193–210. 790 Meriggi, Stati, S. 162–164. 791 Vgl. Severino Servanzi-Collio, Opere e scritti del conte Monaldo Leopardi, Macerata 1847, S. 4. In seinem Nachruf für Leopardi lobte auch der katholische Theologe Alessandro Gavazzi das Engagement des umbrischen Intellektuellen für die politische und kulturelle Definition der „patria municipale“. Vgl. Alessandro Gavazzi, Nel funere del conte Monaldo Leopardi, Loreto 1847, S. 11–16. 792 Vgl. Discorsi di Antonio Brignole Sale. Presidente del VIII Congresso degli Scienziati, Genua 1846, S. 7. 793 Der Bibliothekskatalog der Familie mit Angaben zu den Neuerwerbungen von Antonio BrignoleSale befindet sich im ACG – Fondo manoscritti 108 – E – 12 bis BS. 794 Vgl. Laura Malfatto, I personaggi e la documentazione. In: I duchi di Galliera: alta finanza, arte e filantropia tra Genova e l’Europa nell’Ottocento. Hrsg. von Giovanni Assereto, Genua 1991, S. 165–240. Vgl. auch Alfredo Giuggioli, Il palazzo del Banco di Roma in Genova e i Duchi di Galliera, Rom 1972, S. 51 und 152.
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schen der napoleonischen Herrschaft und der italienischen Nationalstaatsgründung kontinuierlich in mächtigen Positionen. Als im Jahr 1802 sein Vater Anton Giulio Brignole-Sale starb, erbte der 20-Jährige ein enormes Vermögen. Dabei übernahm er nicht nur die Verantwortung für den immensen Land-, Immobilien- und Kunstbesitz im Wert von über zehn Millionen Lire, sondern versuchte auch die internationale Reputation und die überregionalen Interessen der Familie zu verteidigen.795 Nachdem der letzte Doge der genuesischen Adelsrepublik im Jahr 1797 nach Florenz ins Exil geflüchtet und Ligurien von Frankreich annektiert worden war, entschloss sich Anna Pieri, die Mutter von Antonio Brignole-Sale, mit ihren Kindern nach Paris zu emigrieren. „Königin Anna“ reagierte offensiv und machtbewusst auf die dramatischen Ereignisse, die die finanziellen und politischen Privilegien ihrer Familie bedrohten. In der französischen Hauptstadt verfügte die Familie Brignole über die materiellen, soziokulturellen und symbolischen Machtressourcen, die unter der napoleonischen Herrschaft nach wie vor leicht zum Erfolg führten. Anna Pieri diente als Hofdame der Kaiserin Marie Louise von Österreich, ihre Töchter heirateten napoleonische Spitzenbeamte wie Emmerich Joseph von Dalberg und Carlo Marescalchi und ihr Sohn Rodolfo wurde Bischof von Ajaccio.796 Jedoch waren „Königin Anna“ die Karrierechancen ihres Sohnes Antonio ein besonders wichtiges Anliegen. Nach seinem Aufenthalt in dem toskanischen Eliteinternat Collegio dei Tolomei wurde Antonio Brignole-Sale am Hof Napoleons I. mit dem Titel eines comte de l’Empire aufgenommen und trat als maître de requêtes in den französischen Staatsdienst ein. Kurz darauf erhielt der 25-Jährige den Posten des Präfekten des Département Montenotte. Als im Jahr 1814 das französische Kaiserreich kollabierte, versuchte Antonio Brignole-Sale mit den neuen internationalen und regionalen Machtkonstellationen konstruktiv umzugehen. Er leitete 1815 die diplomatische Mission seiner Heimatstadt zum Wiener Kongress, um die Restitution der alten Adelsrepublik durchzusetzen. Als die konservativen Stabilisierungsbemühungen der europäischen Mächte die ligurischen Territorien dem restaurierten Königreich Sardinien-Piemont zusprachen, kehrte Brignole schnell wieder nach Genua zurück, um die erneut bedrohte finanzielle und politische Macht seiner Familie zu sichern. Er modifizierte seine früheren romantischen Sympathien in Richtung einer ultrakatholischen und streng konservativ-legitimistischen Orientierung. Dabei kombinierte Brignole die lokalpatriotischen Traditionen mit dem neuen monarchischen Patriotismus und trat bereits im Jahr 1816 in den piemontesischen Staatsdienst ein. Nach den ersten Erfahrungen als Gesandter in Florenz, Petersburg und Madrid setzte Brignole seine schnelle Karriere als „grand
795 Vgl. Giovanni Assereto, I patrimoni delle famiglie Brignole Sale e De Ferrari tra la fine del Settecento e la Restaurazione. In: I duchi di Galliera. Alta finanza, arte e filantropia tra Genova e l’Europa nell’Ottocento. Hrsg. von Giovanni Assereto, Genua 1991, S. 341–390. 796 Vgl. Malfatto, Tesori, S. 113.
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ambassadeur du petit roi“ in Paris fort und übernahm damit die einflussreichste piemontesische Auslandsvertretung.797 Zwischen 1814 und 1816 agierte Antonio Brignole-Sale nacheinander als napoleonischer Präfekt, als Vertreter der genuesischen Autonomiebestrebungen beim Wiener Kongress und schließlich als piemontesischer Spitzendiplomat. Der konservative Adlige harmonisierte die eklatanten und kurzfristigen Umwälzungen seiner Laufbahn, indem er immer wieder auf die lokalpatriotischen Traditionen seiner Familie zurückgriff. Das wechselvolle Obenbleiben von Brignole, der seine Selbstbeschreibung als politischer Verfechter der munizipalen und regionalen Machttraditionen der ligurischen Hafenmetropole geschickt präsentierte, bildete keine ungewöhnliche Ausnahme. Um 1800 kristallisierte sich der politische Transformismus (girouette) als eine europaweit verbreitete Machterhaltungs- und Bewältigungsstrategie von adligen Eliten und Notabeln heraus.798 Auch Gian Carlo Brignole, der Sohn des letzten genuesischen Dogen, beteiligte sich im Jahr 1814 an der provisorischen Regierung und trat für die Wiederherstellung der früheren Adelsrepublik ein. Dabei erhielt er bereits 1815 den prestigereichen Titel eines Kammerherrn von Viktor Emanuel I. und diente seit 1817 als piemontesischer Finanzminister.799 Die Beharrung auf lokalpatriotischen Identitäten und Familientraditionen stellte den genuesischen Eliten eine nachhaltig plausible Deutungsoption zur Verfügung, um auf die Kontinuitätsbrüche von 1797, 1814, 1848 und 1861 konstruktiv zu reagieren. Von der alten Adelsrepublik bis zum Nationalstaat in den 1860er Jahren entstand daraus ein politikmächtiges Selbstbeschreibungs- und Rechtfertigungsnarrativ, das die lokalen Eliten als legitime Verfechter der munizipalen und regionalen Interessen stilisierte. In seinem Nachruf für Antonio Brignole-Sale bezog sich der savoyische Prälat Andrea Charvaz auf die politische Ausstrahlungskraft der lokalpatriotischen Traditionen, um die wechselvolle Karriere des genuesischen Adligen in einem guten Licht darzustellen. In seiner Doppelfunktion als Erzieher von König Viktor Emanuel II. und Erzbischof von Genua symbolisierte Charvaz die Anpassung zwischen traditionellem Lokalpatriotismus und monarchischem Patriotismus. Außerdem vermittelte er zwischen erzkonservativen Jesuiten und reformbereiten „Giobertiani“ und entschärfte die politischen Konflikte, die in Genua und Turin seit den Revolutionsjahren 1848/49 in den Reihen des zunehmend politisierten Klerus eskalierten.800
797 Vgl. Malfatto, Tesori, S. 112. 798 Vgl. Serna, République. 799 Vgl. Maristella Ciappina, Gian Carlo Brignole. In: DBI 14 (1972). http://www.treccani.it/enciclopedia/ gian-carlo-brignole_(Dizionario_Biografico) (13.09.2015). 800 Vgl. Bianca Montale, Genova nel Risorgimento, Savona 1979, S. 107–128. Ferner Stella, Cultura, S. 508–513.
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In seiner hagiografischen Darstellung resümierte Charvaz, dass sich der genuesische „grand Seigneur“ sowohl für die Interessen seiner Heimatstadt als auch für das Königreich Sardinien-Piemont widerspruchslos einsetzte und beiden gleichermaßen Ehre verschaffte.801 In diesem Sinne schilderte der Erzbischof von Genua, wie Brignole im Jahr 1814 „à Vienne un zèle et un dévouement infatigables pour revendiquer l’indépendance de sa patrie“ zeigte und seit 1816 auch im piemontesischen Staatsdienst „une intégrité éclatante, une religion sincère, un amour des plus ardents pour son pays natal“ bewies.802 Die anderen Nachrufe für Antonio Brignole-Sale, die die Zeitschriften Stendardo cattolico, Liguria und Annali Cattolici sowie das französische Journal Le Monde publizierten, verherrlichten ebenfalls den guten Christen und exzellenten Staatsmann und argumentierten, dass er mit seiner vorbildlichen Vaterlandsliebe die lokalpatriotischen Traditionen mit der überregionalen Integrationsideologie des monarchischen Patriotismus harmonisiert habe.803 Auch der ligurische Lokalpatriotismus konstruierte ein öffentliches Pantheon an mythisierten Identifikationsfiguren, die die elitebezogenen Interessen und Wertorientierungen der „patria municipale“ popularisierten und mit aktuellen politischen Bedeutungen wiederbelebten. Die mehrbändige Publikation Elogi di liguri illustri von 1846 bildete eine Kontrastfolie zu den Piemontesi illustri. Die Akzentuierung der ligurischen Helden und Märtyrer stellte die Integrationsideologie des monarchischen Patriotismus nicht in Frage, jedoch legitimierten die Elogi die autonomen Deutungsund Handlungsoptionen der lokalen Eliten. In dieser apologetischen Publikation verfasste Brignole die biographischen Skizzen seiner Vorfahren Gian Francesco und Anton Giulio Brignole-Sale. Er charakterisierte diese prominenten Angehörigen seiner Familie als Gelehrte, Wohltäter, Mäzene, gläubige Christen und vor allem als große Staatsmänner. Damit zog er deutliche Parallelen zwischen den heroischen Qualitäten seiner Familienmitglieder und seiner aktuellen politischen Selbstbeschreibung.804 In seiner redundanten Darstellung lokalpatriotischer Vorbildfiguren und Mythen kombinierte Brignole alte standesgemäße Ordnungsideen, paternalistische Suggestionen und christlichen Wertorientierungen. Die Geschichte der antiösterreichischen Revolte von 1746 bot sich idealtypisch an, um die Suggestion einer harmonischen Interessengemeinschaft von adligen Eliten
801 Andrea Charvaz, Eloge funèbre de son excellence le marquis Brignole Sale [1863], S. 14 (Biblioteca Berio, sez. Conservazione BS. Misc. A 17. 10). 802 Charvaz, Eloge, S. 12 und 26. 803 Vgl. Antonio Brignole-Sale, Discorsi tenuti al Senato del Regno di Sardegna, Genua 1864, S. III– VIII. Ferner Malfatto, Personaggi, S. 234. 804 Das Leitmotiv der biographischen Skizzen über Anton Giulio und Gian Francesco Brignole-Sale war die „brama ardente di difender la patria“. Vgl. Antonio Brignole-Sale, Gian Francesco BrignoleSale und Anton Giulio Brignole-Sale. In: Elogi di liguri illustri (Bd. 2), Genua 1846, S. 230 und 390.
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und einfacher Stadtbevölkerung hervorzurufen.805 Brignole behauptete, das leuchtende Vorbild seines Vorfahren habe die Genueser zum Aufstand gegen die österreichischen Truppen animiert. Die Revolte wurde angeblich von der patriotischen Haltung des Dogen Gian Francesco Brignole-Sale inspiriert und von dem jungen Volkshelden Balilla angeführt, der sich für das Vaterland aufopferte. Ähnlich wie die Legende von Pietro Micca symbolisierte auch der Mythos von Balilla, der bis ins 20. Jahrhundert hinein immer wieder reaktiviert und neu bewertet wurde, die politische Integrationsideologie des Lokalpatriotismus und die paternalistisch konnotierte Gemeinschaft von genuesischem Patriziat und Bevölkerung. Auch in den 1850er Jahren blickte Brignole stolz auf die „liberazione di Genova dalle armi austriache“ von 1746 zurück.806 Die Heroisierung der großen Männer aus der genuesischen Geschichte leistete einen entscheidenden Beitrag, um nach dem Untergang der früheren Adelsrepublik die lokalpatriotischen Paradigmen wiederzubeleben und damit das Prestige und die Machtansprüche der alten Eliten neu zu legitimieren. Ausgehend von der affektiven und kulturellen Rückbesinnung auf die lokalpatriotische Identität, motivierte Brignole auch seine explizite Ablehnung der Ideale und Erwartungshorizonte des italienischen Risorgimento. In seiner Korrespondenz mit dem konservativen Politiker Antonio Mazzarosa kommentierte Brignole enthusiastisch die zahlreichen kunsthistorischen, stadtgeschichtlichen, folkloristischen und geographischen Studien über die vermeintliche Unabhängigkeit des Herzogtums Lucca, die Mazzarosa in den 1830er und 1840er Jahren publizierte.807 Er lobte ausdrücklich das Engagement seines Freundes für den Lokalpatriotismus: „quel nobile sentimento di amor patrio che invade le anime gentili e le sprona alle imprese più utili e generose.“808 Dabei zog Brignole eine klare Trennlinie zwischen „wahrer und reiner Vaterlandsliebe“ und dem italienischen Risorgimento, das er als „illusorisch“, „schändlich“ und „verbrecherisch“ stigmatisierte: „Ella ben comprende, onoratissimo Signor Marchese, che io intendo parlare della vera e pura carità di patria naturalmente innata in ogni cuore onesto, non già di quel preteso amore di una pretesa,
805 Vgl. Antonio Brignole-Sale, Anton Giulio Brignole-Sale. In: Elogi di liguri illustri (Bd. 2), S. 230– 234. 806 Antonio Brignole-Sale an seine Frau Artemisia Negrone am 10.10.1856 (ABS – Corr. fam. – Lettere xix sec. – serie 3 – busta 2, nr. 12). 807 Vgl. Antonio Mazzarosa, Guida del forestiere per la città e il contado di Lucca, Lucca 1829. Ferner Mazzarosa, La storia di Lucca dalla sua origine al 1814, Lucca 1833; Mazzarosa, Le pratiche della campagna lucchese, Lucca 1841; Mazzarosa, Del contadino lucchese, Lucca 1845. Als im Jahr 1847 auch Lucca seine Selbstständigkeit verlor, maß Antonio Mazzarosa seiner lokalpatriotischen Identität immer größere politische Bedeutung zu. Damit protestierte er sowohl gegen die Eingliederung des Herzogtums Lucca in den Nachbarstaat Toskana als auch gegen die italienischen Einheitsbestrebungen: „Né ultimo pensiero allo sconforto era il perdere quella individualità, di cui Lucca aveva goduto da molti secoli“. Vgl. Gabriele Paolini, Antonio Mazzarosa. In: DBI 72 (2008). http://www.treccani.it/ enciclopedia/antonio-mazzarosa_(Dizionario-Biografico) (13.09.2015). 808 Antonio Brignole-Sale an Antonio Mazzarosa [1833]. In: Giornale Ligustico 16 (1889), S. 433.
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perché non esistente, patria ch’è alla moda al giorno d’oggi, e che ad altro non serve che a far velo all’ambizione, all’empietà, alla cupidigia ed ai più atroci delitti.“809 Antonio Brignole-Sale protegierte auch den Dichter Gian Carlo di Negro, der die genuesische Vaterlandsliebe in seinen passionierten Sonetten, Liedern und literarischen Soireen pries.810 Brignole kombinierte seine ostentative Rückbesinnung auf die lokalpatriotischen Traditionen mit einer doppelten Loyalitäts- und Identitätsbasis. Dabei verarbeitete er die pragmatische Koexistenz der genuesischen Patrizierfamilien mit dem monarchischen Patriotismus und thematisierte gleichzeitig das Engagement „per la cara nostra Genova“ als ein erweitertes politisches Rechtfertigungsnarrativ.811 Obwohl Brignole sein königstreues Dienstethos nie explizit in Frage stellte, akzentuierte er seine lokalpatriotische Selbstbeschreibung und ließ damit eine zusätzliche Deutungsoption offen, um das Prestige seiner Familie und die Interessen der stolzen Stadt zu untermauern.812 Di Familie Brignole stilisierte sich als die legitime Vertreterin der lokalpatriotischen Identität und der munizipalen Interessen, indem sie ihre regionalspezifische Verankerung demonstrativ zur Schau stellte. Als Brignoles Tochter Maria den adligen Bankier Raffaele de Ferrari heiratete, zirkulierten über die genuesische „Jahrhundertheirat“ zahlreiche allegorische Sonette und feierliche Lieder, die sich ausschließlich auf lokalpatriotische Topoi bezogen.813 Nach der Revolution von 1848 bemühte sich Antonio Brignole-Sale, sein „manifesto sentimento di rigenerato amor patrio“ noch stärker politisch zu instrumentalisieren.814 In diesem Zusammenhang versuchte er die städtischen Institutionen zu beeinflussen, um ein Zeichen gegen die reformbereite Politik der piemontesische Regierung zu setzten. Brignole unterstützte auch den Historienmaler Giuseppe Isola und leistete damit einen entscheidenden Beitrag, um eine strenge konservative Orientierung gegen die romantische Italienbegeisterung an der ligurischen Kunstakademie durchzusetzen.815
809 Antonio Brignole-Sale an Antonio Mazzarosa [1833]. In: Giornale Ligustico 16 (1889), S. 433. 810 Antonio Brignole-Sale an Gian Carlo di Negro am 8.1.1838 (Biblioteca Berio, sez. Manoscritti: m.r. Aut. I.2.19, inv. 2888, nr. 2). Vgl. auch Brignole-Sale an Di Negro am 6.6.1838 (inv. 2899, nr. 3). 811 Antonio Brignole-Sale an Gian Carlo di Negro am 13.2.1842 (Biblioteca Berio, sez. Manoscritti: m.r. Aut. I.2.19 inv. 2892, nr. 6). 812 Statt sich mit den piemontesischen Behörden in Genua in Verbindung zu setzen, alarmierte Brignole im Dezember 1843 seinen Freund Gian Carlo Di Negro, um den neuen französischen Konsul zu empfangen und „gli onori della diletta nostra patria“ zu repräsentieren. Antonio Brignole-Sale an Gian Carlo di Negro am 27.12.1843 (Biblioteca Berio, sez. Manoscritti: m.r. Aut. I.2.19 inv. 2894 nr. 8). 813 Vgl. Sonetto per le nozze di Raffaele De Ferrari con la figlia Maria (ABS – Corr. fam. – Lettere xix sec. – serie 5, cartella 24). Ferner Enrico Bixio an Brignole-Sale (ABS – Serie corrispondenza B 6, nr. 1142). 814 Antonio Bringole-Sale an Giuseppe Isola [1854] (Biblioteca Berio, sez. Manoscritti: m.r. Aut. I.7.64 inv. 3535, nr. 3). 815 Vgl. Antonio Brignole-Sale an Giuseppe Isola am 11.5.1862 (Biblioteca Berio, sez. Manoscritti: m.r. Aut. I.7.64 inv. 3535, nr. 6). Genauso wie in der historischen Assoziation dominierte das alte Patriziat auch in der Accademia ligustica (Kunstakademie).
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Die „Machtkämpfe im ästhetischen Feld“ entfalteten eine über die „Sphäre der Kunst“ hinausgehende Bedeutung und dienten Antonio Brignole-Sale als Kompensation für seine in Turin zunehmend erodierte politische Position.816 Nach den erheblichen Machtverschiebungen von 1848 und 1861 bemühte sich der genuesische Grandseigneur, ein Oppositionsnetzwerk von machbewussten Adligen und konservativen Intellektuellen fern vom piemontesischen Machtzentrum zusammenzuhalten und damit seine internationale Reputation und seine regionale Interessen zu sichern.817 Brignoles Selbstbeschreibung als Paladin der lokalpatriotischen Identität kam mit den traditionellen Bestimmungsmustern und Repräsentationsformen der alten Eliten zum Ausdruck, jedoch nahm sie stets die Gesamtheit der genuesischen Bevölkerung ins Visier.818 Als Brignole im Jahr 1861 ostentativ von allen politischen Ämtern zurücktrat, legitimierte er sich in der ligurischen Hafenmetropole weiter als prominenter Mäzen und Wohltäter. Die private Kunstsammlung der Familie, die im prächtigsten Palast der Stadt geschickt in Szene gesetzt wurde, umfasste zahlreiche Gemälde von Anthonis van Dyck, Tizian, Tintoretto, Giorgione, Caravaggio, Guercino, Guido Reni, Albrecht Dürer, Pieter Brueghel, Hans Holbein und Paolo Veronese. Allein die Gemäldegalerie schätzte Giuseppe Isola auf einen Gesamtwert von 176.000 Lire.819 Neben dieser wertvollen Kunstsammlung und der gezielten Förderung lokaler Künstler startete Brignole immer wieder auch karitative Großprojekte und patriotische Investitionen. Die machtbewusste Familie finanzierte die Erweiterung des genuesischen Hafens und organisierte eine europaweite Studie über die innovativsten Gesundheitssysteme, um auch in Genua eine moderne Armenfürsorge zu realisieren.820 Diese kulturellen, wirtschaftlichen und karitativen Initiativen suggerierten, dass die Familie Brignole ein attraktiver und legitimer Ersatz für die piemontesische Monarchie und den italienischen Nationalstaat darstellte. Nach 1861 förderte Brignole die Arbeit patriotischer Künstler und Historiker, die die nationale Pädagogik des neugegründeten Einheitsstaats demonstrativ ablehnten. Neben dem akademischen Maler Giuseppe Isola und dem lokalpatriotischen Dichter Gian Carlo di Negro protegierte die Familie Brignole auch den Lokalhistoriker Michele
816 Vgl. Gabriele B. Clemens, Städtische Kunstsammler und mäzenatisches Handeln. Französischdeutscher Kulturtransfer im 19. Jahrhundert. In: Städtischer Raum im Wandel. Modernität – Mobilität – Repräsentationen. Hrsg. von Hans-Jürgen Lüsebrink, Jean El Gammal u. Gabriele B. Clemens, Berlin 2011, S. 105–120, hier S. 117. 817 Auch nach 1861 erhielt Brignole zahlreiche Briefe seiner genuesischen Mitbürger, die das Engagement des adligen Grandseigneurs für „la nostra Superba Genova“ ausdrücklich lobten. Vgl. Cesare Bixio an Antonio Bringole-Sale am 16.6.1862 (ABS – Serie corrispondenza B 6, nr. 1141). 818 Vgl. Antonio Brignole-Sale an seine Tochter Maria Brignole-Sale de Ferrari Herzogin von Galliera [1862] (ABS – Corr. Fam. – Lettere xix sec. – serie 3 – busta 1, nr. 67). 819 Vgl. Giuggioli, Palazzo, S. 152. 820 Vgl. ABS – Fondo manoscritti 104 – E – 14 BS.
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Giuseppe Canale.821 In Anlehnung an den ligurischen Geschichtsverein, der in den ersten 40 Jahren seit seiner Gründung „nichts als Regionalgeschichte“ produzierte, versuchte auch die Entourage von Antonio Brignole-Sale gegen das italienische Risorgimento und vor allem gegen die piemontesische „Annexion“ zu demonstrieren, dass die wahre Vaterlandsliebe ausschließlich „genovese“ war.822 Diese politisierte Erinnerungskultur revitalisierte mit unzähligen Texten, Illustrationen und Monumenten die glorreiche Vergangenheit Genuas und bildete damit ein konservativ geprägtes Gegengewicht zur Italienbegeisterung, die in der ligurischen Hafenstadt liberal und republikanisch konnotiert war.823 Brignole versuchte Christoph Kolumbus als das Kollektivsymbol des Protests gegen Piemont und Risorgimento zu etablieren. Im Jahr 1863 erwarb er ein repräsentatives Gemälde von Giuseppe Isola, das den berühmtesten genuesischen Held darstellte.824 Darüber hinaus bemühte sich Brignole, das große Kolumbus-Denkmal zu finanzieren und noch vor den Monumenten für den „nationalen“ Helden Viktor Emanuel II. und Garibaldi fertigzustellen.825 Zusammen mit anderen genuesischen Aristokraten wie Lorenzo Pareto und Vincenzo Ricci lancierte Brignole ausgerechnet im Jahr 1861 das Denkmal-Projekt als einen patriotischen Akt für die „nostra amatissima e tanto al dì d’oggi mal menata città“.826 Die internationale Reputation Brignoles und die politischen Intrigen, die dieser nach den Zäsuren von 1848 und 1861 mit seinen kulturellen, finanziellen und karitativen Aktivitäten fortsetzte, wurden vom piemontesischen Ministerpräsidenten Cavour als konkrete Bedrohung gegen seine reformbereite Verfassungs- und Nationalstaats-
821 Vgl. Antonio Bringole-Sale an Michele Giuseppe Canale am 6.12.1860 (Biblioteca Berio, sez. Manoscritti: m.r. Aut. II.10.40, inv. 4004, nr. 95). Für die historischen Recherchen von Michele Giuseppe Canale über die Geschichte der genuesischen Adelsrepublik mobilisierte Brignole seine ausgezeichneten Kontakte in Turin und Paris und erklärte sich bereit, die Publikation auch finanziell zu unterstützen. Vgl. Bringole an Canale am 30.11.1859 und am 15.12.1859 (Biblioteca Berio, sez. Manoscritti: m.r. Aut. II.10.40, inv. 3999 und 4000, nr. 90/91). 822 Clemens, Sanctus, S. 333. 823 Am Vorabend der italienischen Nationalstaatsgründung beschrieb Bringole seine Auffassung einer lokalpatriotischen und Risorgimento-kritischen Erinnerungskultur: „è impossibile certamente che un genovese che ama la sua patria non deplori la negligenza die suoi maggiori di lasciare occulta la relazione delle che tanto l’hanno illuminata e che sono state così esattamente descritte.“ Vgl. Brignole an Michele Giuseppe Canale am 18.8.1859 (Biblioteca Berio, sez. Manoscritti: m.r. Aut. II.10.40 inv. 3998, nr. 89). 824 Vgl. Antonio Bringole-Sale an Giuseppe Isola am 24.6.1863 (Biblioteca Berio, sez. Manoscritti: m.r. Aut. I.7.64 inv. 3535, nr. 8). 825 Vgl. Antonio Brignole-Sale an Gian Carlo di Negro am 8.12.1862 (Biblioteca Berio, sez. Manoscritti: m.r. Aut. I.2.19 inv. 2914, nr. 28). 826 Antonio Brignole-Sale an Vincenzo Ricci am 4.3.1861 (Arch. Museo del Risorgimento di Genova cart. 3, nr. 580). Zur Rolle von Vincenzo Ricci für den Bau des Kolumbus-Denkmals in Genua vgl. [Anonym] Galleria nazionale. Il marchese Vincenzo Ricci, Genua 1863, S. 7.
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politik wahrgenommen.827 Trotz seiner eklatanten Opposition gegen die regierenden Moderati versuchte Brignole seine ausgezeichneten Kontakte bei der piemontesischen Elite pragmatisch aufrechtzuerhalten. Nach seiner zwölfjährigen Erfahrung als Botschafter in Paris erhielt der genuesische Aristokrat vom König Karl Albert den prestigereichen Ehrentitel eines Cavaliere dell’Ordine Supremo della SS. Annunziata und wurde zum lebenslänglichen Mitglied des neugegründeten Senats ernannt.828 In den 1850er Jahren blieb Brignole mit einflussreichen piemontesischen Politikern, Publizisten und Prälaten nach wie vor sehr gut vernetzt. Dazu zählten sowohl Ultrakonservative wie Solaro della Margarita, Giacomo Margotti und Carlo Emanuele Birago di Vische als auch gemäßigtere Konservative wie der spätere Ministerpräsident Luigi Federico Menabrea, der Erzbischof von Genua Andrea Charvaz, der prominente Philosoph Antonio Rosmini Serbati und Massimo d’Azeglio.829 Um 1860 erfreute sich die Familie Brignole auch in Paris einer unverändert guten Reputation und hatte ausgezeichnete Kontakte zu den französischen Eliten.830 Diese gründeten auf den engen Beziehungen mit dem Haus Bourbon-Orléans sowie auf den erheblichen finanziellen Investitionen und auf dem politisch motivierten Mäzenatentum von Antonio Brignole-Sale, seiner Tochter Maria Herzogin von Galliera und seinem Schwiegersohn Raffaele de Ferrari.831 Das junge Ehepaar residierte in einem der prächtigsten Paläste der französischen Hauptstadt, dem Hôtel Matignon
827 Cavour erhielt immer wieder besorgte Berichte über die politischen Intrigen von Antonio BrignoleSale. Vgl. Ercole Oldofreddi Tadini an Camillo Benso di Cavour am 7.3.1854 und Luigi Carlo Farini an Cavour am 30.1.1860. In: Cavour, Epistolario (Bd. 11), S. 72 und (Bd. 17) S. 106. Im November 1858 stellte Giuseppe Massari fest, dass Cavour nicht gänzlich zufrieden von seinem Besuch in Genua zurückkehrte und sich weigerte, Brignole zu treffen, „perché fa opposizione troppo astiosa“. Vgl. Massari, Diario delle Cento voci, S. 67. 828 Vgl. Malfatto, Personaggi, S. 183. 829 Nach der Niederlage von Novara im März 1849 übernahm der genuesische Aristokrat vom piemontesischen Ministerpräsidenten Massimo d’Azeglio eine diplomatische Sondermission nach Wien. Nach Brignoles Zusage bedankte sich D’Azeglio ausdrücklich und äußerte sich erleichtert „de voir les intérêts et l’honneur de notre pays placés en d’aussi bonnes mains que le vôtres“. Vgl. Massimo d’Azeglio an Antonio Brignole-Sale im Dezember 1849. In: Azeglio, Epistolario (Bd. 5), S. 417. Luigi Federico Menabrea berichtete in seinen Memoiren über seine Beziehungen zur Familie Brignole. Vgl. Menabrea, Memorie, S. 143 und 146. Zur Korrespondenz zwischen Brignole und Rosmini vgl. Scovazzi, Voci, S. 93–96. Zur Korrespondenz Brignole-Birago: ABS – Serie corrispondenza B 6, nr. 1126–1129. Zu den weitreichenden Vernetzungen von Brignole mit Solaro, Margotti und zahlreichen katholischen Bischöfen siehe Kap. 2.1.3. 830 Über das Ansehen und die Macht der Familie Brignole in der französischen Hauptstadt berichtete verstimmt Margherita Provana di Collegno, die als Ehefrau des neuen piemontesischen Botschafters in Paris und Nachfolgers von Antonio Brignole-Sale ebenfalls in Paris residierte. Vgl. Collegno, Diario, S. 32. Ferner Menabrea, Memorie, S. 146. 831 Auch die Geschichte der Familie Brignole bestätigt die aktuelle Mäzenatentum-Forschung, die den „Mythos des uneigennützig handelnden Mäzens“ dekonstruiert hat. Vgl. Ines Heisig, Die Unternehmerfamilie von Heyl in Worms: Aspekte privater Kulturförderung im Kaiserreich. In: Hochkultur
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im Stadtviertel Faubourg Saint-Germain.832 Raffaele de Ferrari zählte zu den europaweit bedeutendsten Bankiers und führte dementsprechend ein sehr luxuriöses und repräsentatives Leben als Grandseigneur in Paris und Genua.833 Seine Frau Maria Brignole-Sale war eine prominente Grand Dame und Mäzenin. Nach dem Kauf des Hôtel Matignon ließ sie im Zentrum der französischen Hauptstadt das Palais Galliera erbauen, das sie schließlich der Stadt Paris stiftete, die dort ein neues Museum einrichten wollte.834 Brignoles implizit-kulturelle Oppositionsstrategie kulminierte in einem offenen Protest gegen die reformbereite Linie der regierenden Moderati. Nachdem er in demonstrativer Ablehnung der liberalen Verfassung sieben Jahre lang den neuen politischen Institutionen ferngeblieben war, hielt er am 25. April 1855 seine aufsehenerregende maiden speech im piemontesischen Senat.835 Mit einer langen Rede rechtfertigte Brignole seine Fundamentalopposition als moralische und sogar religiöse Pflicht.836 Er legitimierte sich als Paladin der lokalpatriotischen Identität und akzentuierte seine antiliberale Grundhaltung anhand regionaler Themen wie dem Aufbau des ligurischen Straßennetzes und der Verlagerung des Marinearsenals von Genua nach La Spezia.837 Die systematische Selbstinszenierung des genuesischen Aristokraten als legitimer Vertreter der angeblich vernachlässigten Interessen seiner Heimatstadt eröffnete eine nicht allzu kompromittierende Handlungsoption, um sich von den Idealen und Erwartungshorizonten des italienischen Risorgimento deutlich zu distanzieren. Am 27. Juni 1857 attackierte Brignole wieder das Projekt des neuen Flottenstützpunktes in La Spezia, jedoch nahm er vor allem die „unvorsichtige“ und „irra-
als Herrschaftselement. Italienischer und deutscher Adel im langen 19. Jahrhundert. Hrsg. von Gabriele B. Clemens, Malte König u. Marco Meriggi, Berlin 2011, S. 233–262. 832 Das Hôtel Matignon ist der heutige Amtssitz und die Residenz des französischen Premierministers. 833 Vgl. Assereto, Patrimoni, S. 380. 834 Heute Musée de la Mode de la Ville de Paris. 835 Die liberale Aristokratin Margherita Provana di Collegno äußerte sich in ihrem Tagebuch sarkastisch über die „maiden speech“ von Antonio Brignole-Sale. Vgl. Collegno, Diario, S. 257. 836 „Benché da più anni lontano per propria volontà dalle brighe dei pubblici affari, io pur mi sono determinato nella presente circostanza a qui recarmi, spintovi dalla severa voce della coscienza che mi comanda di procurar combattere con il mio voto [...] una proposizione che stimo di entità gravissima al punto di vista religioso, morale, politico e meritevole di riprovazione da ogni sua parte.“ Antonio Brignole-Sale, Rede am 25.4.1855 (APS Discussioni Senato – Sessione del 1855, 5. Leg., Bd. 8, S. 651). 837 Vgl. Antonio Brignole-Sale, Rede am 30.4.1855 (APS Discussioni Senato – Sessione del 1855, 5. Leg., Bd. 8, S. 690). Ferner Brignole, Rede am 27.6.1857 (APS Discussioni Senato – Sessione del 1857, 5. Leg., Bd. 6, S. 328–338). Brignole reagierte auf die zahlreichen Appelle seiner Mitbürger und finanzierte ausführliche Recherchen, um das Bauprojekt des Marinearsenals in La Spezia zu diskreditieren. Vgl. Bartolomeo Savignone an Antonio Brignole-Sale am 24.1.1857 (ABS – Serie corrispondenza S 35, nr. 5934).
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tionale“ Außenpolitik der Moderati ins Visier: „La presunzione di un non lontano mutamento nella delimitazione degli Stati d’Italia sarebbe al dì d’oggi, per parte nostra, tanto meno prudente e ragionevole, quanto che [...] il Governo del Re ha ufficialmente dichiarato [...] la ferma sua volontà di rispettare gli altrui diritti.“838 Damit signalisierte Brignole, dass die „patria municipale“ weiterhin eine stabilisierende Ergänzung des monarchischen Patriotismus auf regionaler Ebene garantierte, jedoch der „Anmaßung“ einer einseitigen Veränderung des bestehenden italienischen Staatensystems nicht zustimmte. Dabei postulierte er in einem emotionalen und ideologischen Grundton die Überordnung des „kleinen Vaterlandes“ über allen anderen Nationalismen.839 Um seine wahre Vaterlandsliebe zu untermauern, evozierte Brignole die lokalpatriotischen Mythen und Kollektivsymbole, die er am Beispiel seiner Vorfahren in den Elogi di liguri illustri beschrieb. In diesem Sinne bezog er sich auf den antiösterreichischen Aufstand von 1746 als Vorbild lokalpatriotischer Identitäts- und Loyalitätsbindungen: „vittoria memoranda e gloriosa, che provò al mondo ciò che possa una popolazione unita dal vincolo del vero amor patrio, affezionata la proprio Governo, conscia dei suoi legittimi diritti.“840 Der Gesetzentwurf zur Verlagerung des Flottenstützpunktes nach La Spezia wurde zwar gebilligt, jedoch erhielt er 52 Gegenstimmen. Die Opposition von über einem Drittel der Senatoren, die sonst in militärischen und dynastischen Angelegenheiten äußerst königstreu und konformistisch agierten, bildete ein deutliches Protestsignal.841 Mit der ostentativen Inszenierung seiner Familientradition und mit seiner Selbstbeschreibung als Lokalpolitiker baute Antonio Brignole-Sale die überregionale Reputation seiner Familie nach den Zäsuren von 1814, 1848 und 1861 wieder auf. In einem vielfältig genutzten Kommunikationsraum wurde seine oppositionelle Haltung rezipiert und weiterverbreitet. Brignoles offensive Repräsentationsstrategie, die Patronage und die intensive Kulturförderung flankierten seine explizite politische Opposition gegen die piemontesische Verfassungs- und Nationalstaatspolitik. Die „patria municipale“ leistete einen entscheidenden Beitrag, um die regionale Macht und das
838 Antonio Brignole-Sale, Rede am 27.6.1857 (APS Discussioni Senato – Sessione del 1857, 5. Leg., Bd. 6, S. 329). 839 Antonio Brignole-Sale, Rede am 27.6.1857 (APS Discussioni Senato – Sessione del 1857, 5. Leg., Bd. 6, S. 328). 840 Antonio Brignole-Sale, Rede am 27.6.1857 (APS Discussioni Senato – Sessione del 1857, 5. Leg., Bd. 6, S. 330). Der konservative Aristokrat stigmatisierte die angebliche Verletzung der „sentimento nazionale dei Genovesi“, die die piemontesische Regierung vollzog, indem sie die Zerstörung der „patri monumenti che attestano l’avita potenza e grandezza“ einleitete (S. 334). 841 Vgl. Antonio Brignole-Sale, Reden am 1. und 2.7.1857 (APS Discussioni Senato – Sessione del 1857, 5. Leg., Bd. 6, S. 371 und 385). Exemplarisch für die ausgeprägte Königstreue, die über militärische oder dynastische Fragen die potenzielle konservative Opposition im Senat unterdrückte, war der Gesetzentwurf vom 21. Februar 1861, der de facto die Formation des Königreichs Italien sanktionierte und von 129 Senatoren gegen 2 zugestimmt wurde. Im Vergleich dazu waren die 52 Gegenstimmen, die Brignole gegen die Verlagerung des Marinearsenals nach La Spezia mobilisierte, ein großer Erfolg.
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Religiöse Politik und monarchischer Patriotismus
internationale Prestige der Familie Brignole trotz der erodierten politischen Position in der piemontesischen Hauptstadt zu demonstrieren. Außerdem trug die breitenwirksame Prestigepolitik der genuesischen Eliten zum Aufbau und Konsolidierung familiärer Netzwerke und städtischer Identitäten bei. Die konservativen Eliten, die fern von den Machtzentren in Berlin und Turin agierten, übersetzten die für die Peripherie typische Pluralität an patriotischen Identitäts- und Loyalitätsebenen in ein flexibles politisches Rechtfertigungsnarrativ. Vor allem nach der Nationalstaatsgründung konstruierten sie eine doppelte Zugehörigkeit zwischen lokaler und nationaler Identitätsstiftung.842 Indem die konservativen Lokalpatrioten verschiedene Patriotismusdiskurse gleichzeitig benutzten, versuchten sie im Spannungsfeld zwischen pragmatischen Anpassungsleistungen, kritischer Distanz und offener Opposition die dramatischen Herrschaftsumbrüche und politischen Machtverschiebungen zu bewältigen. Dafür spielten sowohl konsolidierte Netzwerke und transnational zirkulierende Ideen als auch regionalspezifische und soziokulturelle Traditionen eine wesentliche Rolle. Genauso wie die Familie Brignole, die sich unter Napoleon sowie nach der monarchischen Restauration bis zur italienischen Nationalstaatsgründung auf die gruppenintegrative Identitätsstiftung des „kleinen Vaterlandes“ bezog, vertraten auch die regionalen Eliten am Rhein mehrere Patriotismen. Viele Familien schickten „einen Teil ihrer Söhne auf ein Lycée, den anderen auf eine rechtsrheinische Schule“.843 Eberhard von Groote (1789–1864) ist besonders geeignet, um eine rheinländische Vergleichsfigur zu Antonio Brignole-Sale darzustellen. Groote stammte aus einer alten Kölner Kaufmanns- und Patrizierfamilie. Nach dem Studium in Heidelberg und der Sozialisierung im Corps Rhenania trat er bereits während der antinapoleonischen Kriege in den preußischen militärischen Dienst. Nach der Restauration kombinierte Groote erfolgreich die politische Akzentuierung lokalpatriotischer Identitäten, Interessen und Netzwerke und eine pragmatische Zusammenarbeit mit dem monarchischen Patriotismus des Hohenzollernstaats. Dabei nutzte er die ihm aus Berlin anvertrauten Missionen und Ämter, um die politische, gesellschaftliche und kulturelle Entwicklung in Köln nachhaltig zu prägen. Dazu gehörten die Neuerrichtung der Universität, die Entstehung des Rheinischen Museums und des Kölner Kunstvereins, die Veröffentlichung zahlreicher literarischer und landesgeschichtlicher Editionen sowie die Gründung der Kölner Armenverwaltung und des Zentral-Dombau-Vereins. Mit einem ergebnisoffenen Mix aus Integration und Opposition sicherte auch Groote seine Macht und Reputation auf lokaler und überregionaler Ebene.844
842 Vgl. Porciani, Identità. 843 Fahrmeir, Revolutionen, S. 104. 844 Vgl. Willi Spiertz, Eberhard von Groote. Leben und Werk eines Kölner Sozialpolitikers und Literaturwissenschaftlers 1789–1864, Köln 2007. Zu weiteren Protagonisten und Ideen der rheinischen Eliten
Monarchischer Patriotismus
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Die massenkommunikative Popularisierung des monarchischen Patriotismus und die Beharrung lokalpatriotischer Identitätsstiftung demonstrierten, dass der moderne Nationalismus der hybride und nicht vorbestimmte Kristallisationspunkt ungleichzeitiger Patriotismusdiskurse war. Aufgrund der diachronen Überlagerung und der synchronen Pluralität der politischen Mythologie der Nation hielt sich die Begeisterung, aber auch die offene Opposition der konservativen Lokalpatrioten gegen die neuen Nationalstaaten in Grenzen.845
zwischen Integration und Opposition gegen die vermeintliche preußische „Befreiung“ vgl. Clemens, Opposition, S. 151–161. 845 Emblematisch für die diachrone und synchrone Pluralität des Nationalismus ist die kontroverse Übersetzung lokaler und regionaler Identifikationsfiguren wie Balilla, Micca und Friedrich II. in die politische Mythologie der neuen Nationalstaaten. Die politischen Vereinnahmungen nationaler Mythen wurden durch regionalspezifische, soziokulturelle und parteipolitische Akzentuierungen bestimmt und bildeten damit einen „intricate process of negotiation between actors and audience“. Lucy Riall zog aus ihrer maßgeblichen Studie über den Garibaldi-Mythos das Fazit, dass „successful nationalist myths are neither genuine nor invented but a compelling blend of both; and they are neither spontaneous nor imposed“. Vgl. Riall, Garibaldi, S. 392.
3 D esorientierung und Realpolitik. Die Paradigmen der Nationalstaatsgründung von oben In der (nach-)revolutionären Übergangsepoche zwischen 1840 und 1870 generierten das „Denken in Kategorien des erfolgreichen Durchführens“ und die „Beschwörung von Notwendigkeiten“ ein zentrales politisches Orientierungs- und Argumentationsmuster.1 Mit einem apodiktischen Essay über die Geschichte des deutschen Geistes, der ausgerechnet im Jahr 1870 erschien, beschrieb der hegelianische Philosoph und nationalliberale Abgeordnete Rudolf Haym die vermeintlich positivistische Grundhaltung seiner Zeitgenossen: Nicht in nebelhaften Illusionen, in eigensinnigen und seltsamen Gedankenspielen, in rückwärts nach der Vergangenheit zugekehrten Wünschen zu leben: nicht das, sondern nüchternen Verstandes und männlichen Entschlusses die Mächte und Bedürfnisse der Wirklichkeit anzuerkennen, besonnen und geduldigen Muths vorwärts zu schreiten, das gilt uns Heutigen mit Recht als die unabweisliche Forderung der Zeit, in deren Dienst wir gestellt sind.2
Hayms resolute Wirklichkeitskonstruktion gehörte zu einem breiten Korpus an konservativen und liberalen Texten, die nach 1848 die Forderung nach „Macht – Macht – Macht!“ und einen pragmatisch motivierten Aktivismus als die dominierende Argumentationslogik des Politischen allmählich durchsetzten.3 Bereits im Januar 1849 konstatierte der Historiker Friedrich Christoph Dahlmann, dass „die Bahn der Macht die einzige [ist], die den gärenden Freiheitstrieb befriedigen und sättigen wird“.4 Der Rationalismus galt als die „wichtigste Errungenschaft der Moderne“ und implizierte ein parteiübergreifendes und überregionales Rezept zur Umgestaltung der Welt.5 Die modernen Rationalitätskriterien der Sprache der harten Tatsachen überwanden die soziokulturellen und regionalen Barrieren und wurden zu einer neuen Sprache der Politik.6 Immer mehr reformbereite Konservative wie Cesare Balbo und Joseph Maria von Radowitz sprachen von der objektiven Notwendigkeit, die liberale Nationalbewegung durch eine legalistische Verfassungs- und Nationalstaatspolitik von oben zu
1 Paulmann, Pomp, S. 154–158. Vgl. auch Clark, Revolution, S. 171–197. 2 Rudolf Haym, Die romantische Schule. Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Geistes, Berlin 1870, S. 4. 3 Vgl. Julius Fröbel, Deutschland und der Friede zu Villafranca, Frankfurt a. M. 1859, S. 14. 4 Zit. nach Craig, Geschichte, S. 62. Zum realpolitischen Paradigmenwechsel in der liberalen Konstellation vgl. Jansen, Einheit. Über Realpolitik und Pragmatismus als politische Ideologie vgl. Biermann, Ideologie; Monica Cioli, Forme partitico-organizzative nella Germania di Bismarck. Il pragmatismo come ideologia nei liberali tedeschi. In: Ricerche di Storia Politica 1 (2003), S. 1–33. 5 Dipper, Moderne (Docupedia), S. 1. 6 Steinmetz, Sprechen, S. 1092. DOI 10.1515/9783110544466-004
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Desorientierung und Realpolitik
neutralisieren.7 Dabei waren die Gedanken der realpolitischen Wende weder objektiv noch alternativlos. Jedoch vermittelten sie eine zunehmend glaubwürdige und empathische Reaktion auf die kulturelle Desorientierung, die durch die dramatisch gewachsene Komplexität und Intensität der modernen Politikdiskurse hervorgerufen wurde. Wie alle Meisternarrative der Moderne basierte auch die realpolitische Nationalstaatsgründung in Italien und Deutschland auf Rationalisierungs- und Modernisierungsideen, die keineswegs eine allgemeine Deideologisierung und Entemotionalisierung des Politischen voraussetzen.8 Der „gewaltbereite Naturalismus reiner Interessenpolitik“ bildete sowohl für die Konservativen als auch für die Nationalliberalen eine besonders attraktive Argumentationsstrategie, um die narrative Bewältigung sozialer, kultureller und institutioneller Transformationen zu forcieren.9 Nach der Revolution von 1848 konstatierten zahlreiche politische Kommentatoren in ganz Europa, dass die Konservativen wichtige Aspekte aus den kontroversen liberalen Nationalprogrammen übernahmen. Dabei blieb bis in die 1860er Jahre hinein umstritten, ob und inwieweit die konservative Vereinnahmung liberaler Legitimationstheorien die Unterstützung der preußischen und der piemontesischen Nationalstaatspolitik rechtfertigte. Während die konservativen Hardliner die Perspektive des konstitutionellen Einheitsstaats nach wie vor stigmatisierten, waren die Moderati bereit, mit der nichtrevolutionären Nationalbewegung zusammenzuarbeiten. Die Entstehung und die parteiübergreifende Resonanz realpolitischer Paradigmen hatten mehrere bestimmende Faktoren. Zum einen kreierte die nachrevolutionäre Verunsicherung eine wichtige intellektuelle und emotionale Grundbedingung für die Durchsetzung der Realpolitik. Zum anderen wirkte die Interessenpolitik plausibel und attraktiv, weil sie den aktuellen literarischen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Interessen entsprach und eine moderne politisch-institutionelle Machtkonzentration in Aussicht stellte.10 Dabei war die Realpolitik nicht der erste interessengeleitete Politikentwurf, der liberale Erwartungshorizonte mit konservativen Machterhaltungsstrategien kombinierte. Im Jahr 1823 stellte der Historiker Karl Heinrich Ludwig Pölitz in seiner monumentalen Abhandlung über die Staatswissenschaft im Lichte unserer Zeit fest, dass „den meisten, wo nicht allen, Revolutionen durch zeitgemäße Reformen hätte vorgebeugt werden können“.11 Seit 1830 gewann diese vereinfachte und euphemistische politische Vision zunehmend an Bedeutung. Eine breitenwirksame Debatte über die hybride politische Ideologie und die vielfälti-
7 Balbo und Radowitz formulierten diese Ideen in den einflussreichen Essays Le speranze d’Italia (1844) und Deutschland und Friedrich Wilhelm IV. (1848). 8 Vgl. Aschmann, Importanza. 9 Leonhard, Politik, S. 124. 10 Vgl. Raphael, Gewalt, S. 14. 11 Zit. nach Koselleck, Revolution, S. 752.
Pragmatismus und Alternativlosigkeit
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gen Handlungsoptionen der richtigen Mitte entstand bereits nach dem Aufstand vom 9. Thermidor 1794 und mit der Organisation des napoleonischen Empires (Empire du milieu).12 Der Adelsliberalismus und das Juste Milieu, die im 19. Jahrhundert europaweit, aber zeitversetzt und mit unterschiedlicher Relevanz zirkulierten, versuchten, Begriffe und Politikentwürfe aus der liberalen Gegenposition für die eigenen Ziele zu benutzen.13 Das ideologische Mosaik der realpolitischen Wende bezog sich auf die Theorien des absoluten Idealismus, des Naturalismus und des Positivismus. Außerdem verknüpfte es liberal-populistische Legitimationstheorien und Massenappelle mit traditionellem Dienstethos und monarchischem Herrscherkult. Als kulturelles und politisches Phänomen basierte die Interessenpolitik auf der Suggestion einer unmittelbar bevorstehenden Zukunft. Dieser weitverbreitete Erwartungshorizont kombinierte deterministische Fortschrittshoffnungen, konservative Machterhaltung und nationale Einheitsbestrebungen.14 Vor diesem Hintergrund erwies sich die Formation des italienischen und des deutschen Nationalstaats als das „Produkt eines konzentrierenden Machtwillens von oben“.15 Die nationale Einigung blieb bis in die 1860er Jahre hinein unwahrscheinlich oder zumindest sehr umstritten.16 Sie wurde als epochale Veränderung gefeiert und gleichzeitig in eine beruhigende Kontinuitätsvorstellung eingebettet. Die politische Mythologie der neuen Nationalstaaten argumentierte zwar mit einer neuen Sprache und zirkulierte auf einem breiten politischen Massenmarkt, jedoch war sie „weiterhin auf vorgegebene[n] Wiederholungsstrukturen“ angewiesen.17
3.1 P ragmatismus und Alternativlosigkeit. Das realpolitische Rechtfertigungsnarrativ zwischen teleologischem Fortschrittsglaube und kultureller Desorientierung Indem er auf die Ideen des florentinischen Philosophen Niccolò Machiavelli zurückgriff, postulierte König Friedrich II., dass das Ziel der Politik darin bestehe, „aus günstigen Positionen Nutzen zu ziehen“.18 Nach dem empörten Antimachiavellismus,
12 Vgl. Serna, République, S. 414–529. 13 Vgl. Dipper, Adelsliberalismus, S. 92; Isabella, Liberalism, S. 835–857. 14 Vgl. Breuilly, Nationalism, S. 34. 15 Osterhammel, Verwandlung, S. 583. Grundlegend zum Doppelgesicht der Nationalstaatsgründung zwischen innerer Nationsbildung und Revolution von oben vgl. Ullmann, Politik, S. 1–10. 16 Vgl. Weichlein, Nation, S. 14–19. 17 Koselleck, Sinn, S. 114. Zu Wiederholungsstrukturen und Diskontinuität in der politischen Sprache des 19. Jahrhunderts vgl. Steinmetz, Sprechen. 18 Friedrich II., Testament (1752). In: Testamente der Hohenzollern, S. 365. Die Rezeption und die konkurrierenden Vereinnahmungen von Machiavelli bildeten eine Kontinuitätslinie zwischen abso-
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Desorientierung und Realpolitik
der seine Kronprinzenjahre charakterisiert hatte und in dem anonym veröffentlichten Essai de critique sur le prince de Machiavel kulminierte, vollzog der preußische Monarch mit den politischen Testamenten von 1752 und 1768 eine Kehrtwende: „Die weiseste Politik ist, die Gelegenheit abzuwarten, dann zu sehen, welche Umstände sich finden und daraus zu profitieren, je nachdem sie uns günstig erscheinen.“19 Friedrich II. revidierte explizit sein negatives Urteil über Machiavelli: „Machiavelli sagt, daß eine selbstlose Macht, die sich zwischen ehrgeizigen Mächten befände, endlich zugrunde gehen müsse. Das verdrießt mich sehr, aber ich muß zugeben, daß Machiavelli recht hat.“20 Die politischen Testamente bezogen sich auf dieselben Themen, die um 1850 auch die realpolitische Wende inspirierten. Im Jahr 1752 beschrieb Friedrich II. die politische Organisation des alten Reichs als „überaltert und bizarr“ und kritisierte die Kleinstaaterei.21 Auch Otto von Bismarck polemisierte gegen die „philosophischen Prinzipienreiter“, den kleinstaatlichen „Souvranitätsschwindel“ und die „Bundesphilister“.22 Nach dem Schock von 1848 spekulierte er immer wieder über den Mythos von Friedrich II.23 Obwohl Bismarck in einem vollständig veränderten Kontext agierte, hatte er etwas mit dem großen Preußenkönig gemeinsam:24 Beide waren gewandte Politiker und erkannten, dass die Suggestion der reinen Interessenpolitik ein vielfältig einsetzbares und gruppenintegratives Rechtfertigungsnarrativ generierte. Auch in Piemont kamen ähnliche semantische und ideologische Wiederholungsstrukturen zur Geltung. Sie stellten die Nationalstaatsgründung von oben glaubwürdig als das Produkt dynastischer Machttraditionen, pragmatischer Kalküle und historischer Notwendigkeiten dar.25 Jedoch war die piemontesische National-
lutistischem, aristokratischem und nationalistischem Staatsethos. Im 19. Jahrhundert vollzog sich eine langwierige Annäherung zwischen dem „machiavellistisch-dynastischen Normenkanon“ der aristokratischen Herrschaftseliten und den moralisch-mittelständischen Wertorientierungen. Elias, Studien, S. 201 und 220. 19 Friedrich II., Testament (1768). In: Testamente der Hohenzollern, S. 649. Der Anti-Machiavel wurde von Voltaire herausgegeben und erschien zunächst in der französischen Originalsprache in Amsterdam (Anti-Machiavel, Essai de critique sur le prince de Machiavel, 1741). 20 Friedrich II., Testament (1752). In: Testamente der Hohenzollern, S. 367. 21 Friedrich II., Testament (1752). In: Testamente der Hohenzollern, S. 381. 22 Otto von Bismarck an Friedrich Oetker am 23.11.1853. In: GW (Bd. 7), S. 96. Vgl. auch Bismarck an Gustav von Alvensleben am 5.5.1859. In: GW (Bd. 14), S. 517. Ferner Bismarck an Otto von Wentzel am 3.2.1860 und an Alexander von Below am 18.9.1861. In: GW (Bd. 14), S. 578. 23 Vgl. Engelberg, Bismarck, S. 344. 24 Vgl. Engelberg, Bismarck, S. 11. 25 Im Jahr 1847 verfasste der piemontesische Hofhistoriker Luigi Cibrario den Essay Pensieri sulle riforme di Carlo Alberto, in dem diese Wiederholungsstrukturen deutlich zum Ausdruck kamen. Ausführlich dazu siehe Kap. 2.2.2 und 3.2.1. In seinem Testament von 1752 bezeichnete Friedrich II. den König von Sardinien als den „wichtigsten Fürst“ in Italien. Dabei prognostizierte er, dass die piemon-
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staatspolitik, die König Karl Albert im Jahr 1848 mit dem populären Slogan „Italien schafft es allein“ illustrierte, ebenfalls zwischen Bedrohung und Selbstermutigung angesiedelt.26 Die aggressive Sprache und die resoluten Denkkategorien der Realpolitik entwarfen ein attraktives Wahrnehmungsmuster, das die nachrevolutionäre Desorientierung mit teleologischen Missionskonzepten und positivistischem Fortschrittsenthusiasmus verarbeitete. Trotz der obsessiven Beschwörung von Notwendigkeiten basierte der realpolitische Paradigmenwechsel sowohl in Preußen als auch in Piemont auf semantischen und symbolischen Pathosformeln, die die bellizistische Disposition, das traditionelle Dienstethos, die dynastische Mission und die Ehrendiskurse wieder funktionalisierten.27 In diesem Sinne brachte der Nationalismus auch aus konservativer Sicht „alltägliche Gewohnheiten, Denk- und Handlungsformen“ hervor, die die „Gefühlsbindung zur Nation“ abbildeten.28 Die Neuorientierung und die mythisierte Kriegseuphorie vieler preußischer und piemontesischer „Unnationaler“ waren kein Damaskuserlebnis, sondern das Resultat einer langwierigen Anpassung zwischen konservativen Politikdiskursen und liberalen Erwartungshorizonten.29
ienstethos, Pflicht und Loyalität. Die pragmatische Umorientierung 3.1.1 D konservativer Identitäts- und Selbstbeschreibungsparadigmen Das traditionelle Dienstethos, die „Kategorien des erfolgreichen Durchführens“ und der monarchische Herrscherkult bildeten das politische Rechtfertigungsnarrativ, mit dem die preußischen und die piemontesischen Konservativen die nationalstaatliche Machtkonzentration von oben gestalteten. Um 1800 und wieder nach 1848 kämpften Gegner und Befürworter der Reformen um die politische Deutungshoheit über die Begriffe Ehre, Loyalität und Patriotismus. Ziel war es, eine parteiische Haltung als das Resultat einer loyalen, patriotischen und objektiv anmutenden Grundeinstellung zu stilisieren und umgekehrt die damit rivalisierenden Ideen als labil und vaterlandslos zu diskreditieren. Mit dem Vorwurf konfrontiert, gegen Königstreue und Vaterlandsliebe zu intrigieren, sahen die meisten konservativen „Unnationalen“ von einer
tesische Monarchie, „wenn die Gattung [die Dynastie] nicht degenerierte“, voraussichtlich „in einem Jahrhundert [den] König der Lombardei“ stellen würde. Vgl. Friedrich II., Testament (1752). In: Testamente der Hohenzollern, S. 389. Auch in dem politischen Testament von 1768 bestätigte Friedrich II. seine positiven Einschätzungen über das Königreich Sardinien-Piemont. Vgl. Friedrich II., Testament (1768). In: Testamente der Hohenzollern, S. 645. 26 Soldani, Annäherung, S. 145. 27 Vgl. Aschmann, Preußen, S. 151–174. 28 Hroch, Europa, S. 202. 29 Heinemann, Stadt, S. 434.
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offenen Opposition gegen die oktroyierte Verfassung und die realpolitische Nationalstaatsgründung ab.30 In Preußen und Piemont dienten das traditionelle Dienstethos und die monarchische Loyalität sowohl als Begründung für reaktionäre Gegenschläge als auch für eine pragmatische Anpassung an liberale Politikentwürfe. Ausgehend von dieser vielfältig einsetzbaren Rechtfertigungsstrategie, untermauerte der piemontesische Adlige Ottavio Thaon di Revel seine politische Macht, indem er die dramatischen Transformationen von 1848 und 1861 in eine beruhigende Kontinuitätsvorstellung einordnete. Der ehemalige Finanzminister stellte seine politische Selbstbeschreibung als pragmatischer, kompetenter und selbstloser Staatsdiener ostentativ zur Schau. In einem Brief an Cavour erklärte Revel mit den traditionellen Paradigmen des adligen Dienstethos („mon honneur me fait un devoir“), weshalb er nach den konstitutionellen Reformen weiter eine aktive und prestigereiche Position im piemontesischen Staatsdienst beanspruchte. Dabei hob Revel seine Selbstbeschreibung als pragmatischer Politiker demonstrativ hervor: „J’aime beaucoup la politique pratique et d’actualité et fort peu la déclamation et les tirades théoriques.“31 Auch in dem neugegründeten Parlament, wo er sich notgedrungen auf Italienisch ausdrücken musste, stilisierte sich Revel als Vertreter der „politique pratique“ und harmonisierte dadurch die Zäsur zwischen vorrevolutionärer Vergangenheit und konstitutioneller Gegenwart: Io non sono uomo di teoria, ma solamente di pretta pratica, e quindi non amo innalzarmi a tanta altezza in cui possa perdere di vista la terra su cui mi muovo. [...] Accetto e mantengo tutto il buono dell’età presente, perché questa è la mia politica, perché intendo si vivere cogli uomini de’ miei tempi [...] ma non credo di dover ripudiare tutto ciò che si riferisce al passato, per la sola ragione appunto che al passato si appartenga.32
In den 1850er Jahren und nach der Formation des italienischen Einheitsstaats, als Revel vom König Viktor Emanuel II. zum lebenslänglichen Mitglied des Senats ernannt worden war, setzte er diese Argumentationsstrategie konsequent fort.33 Mit
30 Vgl. Ruetz, Konservatismus, S. 89–95. Olimpia Savio konstatierte, dass die piemontesischen Eliten zu loyal waren, um gegen den König zu konspirieren. Vgl. Savio, Memorie (Bd. 1), S. 295. 31 Ottavio Thaon di Revel an Camillo Benso di Cavour am 17.4.1848. In: Cavour, Epistolario (Bd. 1), S. 158. Dort auch das vorherige Zitat („mon honneur me fait un devoir“). 32 Ottavio Thaon di Revel, Rede am 21.5.1850 (APS Discussioni – Sessione del 1850, Bd. 2, S. 2144). Vgl. auch Revel, Rede am 18.3.1851 (APS Discussioni – Sessione del 1851, Bd. 4, S. 1452). Die von dem Statuto eingeführte Pflicht, die italienische Sprache in dem neugegründeten Parlament zu benutzen, bereitete der piemontesischen Eliten (u.a. Cavour und Revel) große Schwierigkeiten. Der Artikel 62 des Statuto lautete: „La lingua italiana è la lingua officiale delle Camere. È però facoltativo di servirsi della francese ai membri, che appartengono ai paesi, in cui questa è in uso, od in risposta ai medesimi.“ 33 Die Ernennung von Ottavio Thaon di Revel als lebenslängliches Mitglied des italienischen Senats erfolgte am 19.2.1861 (API Discussioni Senato – Sessione del 1861/62, 8. Leg., Bd. 1, S. 10).
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seiner Selbstbeschreibung als Pragmatiker gelang es ihm, sowohl die anhaltende Skepsis gegenüber liberalen Partizipations- und Legitimationstheorien als auch die Zustimmung zur triumphierenden Verfassungs- und Nationalstaatspolitik miteinander zu vereinbaren. Als im Laufe der 1850er Jahren die konservative Opposition gegen die Moderati in eine zunehmend radikale Richtung eskalierte, vermied es Revel, sich durch eine illoyale Position zu exponieren und signalisierte umgekehrt eine kompromissbereite Haltung zur Regierungspolitik.34 Nach 1848 und 1861 verteidigte Revel seine politische Macht und Reputation, indem er den Pragmatismus und das patriotische Dienstethos immer wieder als zentrales Argumentationsmuster benutzte. Damit kritisierte er die neuen liberalen Ordnungsideen, jedoch zog er seine faktische Anerkennung des nachrevolutionären Status quo nicht explizit zurück: „ho studiato anche alcunché delle teorie, ma la mia convinzione profonda è basata sull’esperienza acquistata con una lunga carriera di 40 anni.“35 Revel differenzierte zwischen den liberalen Theorien, die er nach wie vor ablehnte, und der pragmatischen Erkenntnis, dass die Königstreue mit einem offenen Protest gegen die Verfassung und den Nationalstaat inkompatibel war. In diesem Sinne vollzog Revel eine politische Selbstzensur, indem er sich über „Prinzipienfragen“ nicht mehr äußerte und dabei seine Skepsis für den italienischen Einheitsstaat reduzierte: „non mi innalzerò alle questioni di principio [...] di cui per parte mia non potrei tener conto, se non in quanto esse possansi tradurre in atto pratico.“36 Die demonstrative Hervorhebung von Staatspatriotismus und Dienstethos führte dazu, dass Revel die beruhigende Suggestion einer ideologischen Kontinuität zwischen Vergangenheit und Gegenwart konstruierte und keine unpatriotische Opposition gegen die Moderati vertrat. Ähnlich wie Revel entwarf auch Albrecht von Roon anhand staatspatriotischer Semantiken und pragmatischer Argumentationsstrategien ein ausgeklügeltes Rechtfertigungsnarrativ, das nach 1848 seine Machtposition neu legitimierte. Obwohl der preußische Kriegsminister bis ins 20. Jahrhundert hinein in unzähligen hagiographisch-teleologischen Darstellungen als „wahrer Erzieher der Nation“ galt, demonstrierte er im besten Fall Desinteresse für die nationalen Einheitsbestrebungen.37 Nur aufgrund ihrer traditionellen Selbstinszenierung als loyale und selbstlose Staatsdiener akzeptierten Roon und die meisten preußischen Offizieren die realpolitische
34 Vgl. Ottavio Thaon di Revel, Rede am 9.3.1857 (APS Discussioni – Sessione del 1857, 5. Leg., Bd. 3, S. 905) und am 29.5.1858 (APS Discussioni – Sessione del 1857/58, 6. Leg., Bd. 4, S. 1930). 35 Ottavio Thaon di Revel, Rede am 7.3.1862 (API Discussioni Senato – Sessione del 1861/62, 8. Leg., Bd. 2, S. 1075). Vgl. auch das konservative Wahlprogramm, das Revel am 18.1.1858 für seine Kandidatur im Wahlbezirk Fossano verfasste: Revel, Agli elettori del Collegio di Fossano (AST, Archivio Revel Mz. 108, f. 2). 36 Ottavio Thaon di Revel, Rede am 18.12.1863 (API Discussioni Senato – Sessione del 1863/64, 8. Leg., Bd. 2, S. 514–518). 37 Hanns Martin Elster, Graf Albrecht von Roon. Sein Leben und Wirken, Berlin 1938, S. 14.
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Reichsgründung, die sie in Name des monarchischen Patriotismus auch aktiv mitgestalteten. In diesem Sinne betonte Roon immer wieder, dass „man nicht selbstsüchtig werden“ darf in der Politik.38 Das oft rekurrierende Konzept eines selbstlosen Staatspatriotismus kam wiederholt auch in den von seinem Sohn Waldemar verfassten Memoiren vor.39 Mit dem Vokabular konservativer Ehren- und Loyalitätsdiskurse formulierte der Kriegsminister seine Skepsis gegen die liberale Nationalbewegung und die „ganze constitutionelle Wirtschaft“. Jedoch signalisierte er gleichzeitig die Bereitschaft, als „richtiger Conservativer“ einen pragmatischen Modus vivendi mit den vollendeten Thatsachen zu finden.40 In den 1860er Jahren versuchte Roon sich mit extrem langen und repetitiven parlamentarischen Reden als „richtiger Conservativer“ und pragmatischer Staatsdiener zu präsentieren. In einer überschwänglichen und von bellizistischer Rhetorik geprägten Sprache proklamierte der preußische General es als die „Pflicht jedes Patrioten“, sich der alternativlosen Realpolitik der Regierung anzuschließen.41 Roon spitzte seine dramatischen Appelle an die Patriotenpflicht zu, indem er seine eigene Selbstbeschreibung als politisches Argument gegen die erzkonservative und die liberale Opposition instrumentalisierte: „Ich [habe] meinen Patriotismus in einer 44 jährigen Dienstzeit […] treulich bewiesen“.42 Indem er richtigen Konservatismus mit Patriotismus gleichsetzte, lehnte Roon alle „Partei-Definitionen“ undifferenziert ab und trat für eine plebiszitäre und autoritär konnotierte „Partei der ehrlichen Leute“ ein.43 Wenngleich nicht mit demselben resoluten Grundton wie in seinen öffentlichen Auftritten, lässt sich Roons Ideologie des pragmatischen Patriotismus auch in seinen privaten Äußerungen erkennen. Bereits am 20. März 1848 beschrieb er seine undogmatische politische Maxime in einem Brief an seine Frau: „So lange noch verschiedene Ziele möglich sind, ist es Pflicht, sich demjenigen zuzuwenden, das man für das relativ wünschenswerthere hält.“ Ausgehend von dieser pragmatischen Einstellung leitete Roon die narrative Bewältigung der nachrevolutionären Verfassungs- und Nationalstaatspolitik ein, obwohl es „schwer ist und [es] thut weh, die Überzeugung eines
38 Roon, Glaube, S. 38. Auch für den preußischen General Eduard von Fransecky spielten während der Feldzüge von 1870/71 die deutsch-nationalen Motive eine sehr marginale Rolle. In seinen Memoiren erwähnte er nur einmal nach der Kaiserproklamation im Januar 1871 die nationale Frage, sonst war sein Selbstbeschreibungs- und Rechtfertigungsnarrativ ausschließlich mit den traditionellen Paradigmen des preußischen Patriotismus konstruiert. Vgl. Fransecky, Denkwürdigkeiten, S. 528–555. 39 Waldemar von Roon, Lebenserinnerungen des Generalleutnants Graf v. Roon (BARCH, Manuskript Nl. Roon, N 48/21, S. 3, 13 und 20). 40 Albrecht von Roon an Clemens Theodor Perthes am 30.11.1859. In: Roon, Denkwürdigkeiten (Bd. 1), S. 370–373. Dort auch das vorherige Zitat („constitutionelle Wirtschaft“). 41 Albrecht von Roon, Rede am 28.1.1863 (VHA 7. Leg., Sez. 2, Bd. 1, S. 90). Vgl. auch Roon, Rede am 9.5.1863 (VHA 7. Leg., Sez. 2, Bd. 2, S. 1149–1156). 42 Albrecht von Roon, Rede am 12.1.1864 (VHA 8. Leg., Sez.1, Bd. 2, S. 639–655). 43 Albrecht von Roon, Rede am 9.1.1873 (VHA 11. Leg., Sez. 3, Bd. 1, S. 450).
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ganzen Lebens auszuziehen, wie ein verbrauchtes Kleid, und ein Rezept zu verschlucken, dessen Ingredienten uns anwidern!“44 Zwei Jahrzehnte später benutzte er dieselbe Argumentationsstrategie, um die konservative Opposition gegen die Realpolitik als unpatriotische Haltung zu stigmatisieren. In einem Brief an seinen Neffen Moritz von Blanckenburg, den Wortführer der preußischen Konservativen, dämonisierte der Kriegsminister im März 1868 die alten Kampfziele, indem er die neue Ideologie der reinen Interessenpolitik hervorhob: „Die alten Kampfziele sind, so berechtigt sie auch ferner sein mögen, augenblicklich nicht opportun […]. Die Conservativen, die dies nicht fassen, […] sind daher auch für die bevorstehenden Evolutionen nicht geschickt und […] auch nicht berechtigt, sich für die richtigen Königsfreunde zu halten.“45 Neben diesem zunehmend aggressiven Pragmatismus leisteten auch die Kategorien des erfolgreichen Durchführens einen wesentlichen Beitrag, um die Realpolitik in den preußischen Offiziers- und Beamtenkreisen annehmbar zu machen. Roon assoziierte mit der Interessenpolitik das Ideal eines „entschiedenen und entschlossenen Regierens“.46 In diesem Sinne polemisierten Bismarck und sein Kriegsminister gegen „Preußens halbhundertjährige Thatenlosigkeit“ und gegen die „allgemeine Muthlosigkeit, Halbheit, Unfertigkeit“, welche bis 1862 die Regierungspolitik des Hohenzollernstaats angeblich charakterisiert hatten.47 Dabei proklamierten sie, dass Preußen mit dem neuen Ministerium wieder die „Rolle des Amboß“ einnehmen solle.48 Genauso wie Bismarck stilisierte auch Albrecht von Roon die Entschlusslosigkeit als chronisches Problem der preußischen Politik und rechtfertigte damit seine Forderung nach einem „thatkräftigen Premierminister, einen Mann, der selbst handeln und andere dazu fortreißen kann.“49 In seinen öffentlichen Reden wie in seinem privaten Briefwechsel formulierte der Kriegsminister die Überzeugung, dass Preußen „mehr Muth! Mehr energische Thätigkeit nach Außen und Innen“ brauche, um seine vermeintliche „Lammes-Rolle“ in eine tapfere und mutige Grundhaltung umzuwandeln.50 Diese systematische Verknüpfung von Kriegsrhetorik und entschlossenem Regieren wirkte umso plausibler, als nach 1864 die Realpolitik ihre ersten militäri-
44 Albrecht von Roon an seine Frau am 20.3.1848. In: Roon, Glaube, S. 51. Dort auch das vorherige Zitat. 45 Albrecht von Roon an Moritz von Blanckenburg am 25.3.1868. In: Roon, Denkwürdigkeiten (Bd. 2), S. 379. 46 Albrecht von Roon an Clemens Theodor Perthes am 18.6.1861. In: Roon, Denkwürdigkeiten (Bd. 2), S. 25. 47 Albrecht von Roon an Clemens Theodor Perthes am 23.5.1863. In: Roon, Denkwürdigkeiten (Bd. 2), S. 89. Vgl. auch Roon an seine Frau am 30.11.1859. In: Roon, Denkwürdigkeiten (Bd. 1), S. 370–373. 48 Albrecht von Roon an Clemens Theodor Perthes 23.5.1863. In: Roon, Denkwürdigkeiten (Bd. 2), S. 89. Bismarck benutzte die berühmt-berüchtigte Amboss-Methaper bereits im Jahr 1858. Vgl. Otto von Bismarck an Leopold von Gerlach am 30.5.1857. In: GW (Bd. 14), S. 474. 49 Albrecht von Roon an Otto von Bismarck am 4.6.1862. In: Roon, Glaube, S. 173. 50 Albrecht von Roon, Rede am 28.5.1861 (VHA 5. Leg., Sez. 3., S. 1448–1450). Ferner Roon an Bismarck am 26.7.1862. In: Roon, Glaube, S. 174.
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schen und diplomatischen Erfolge feierte. Spätestens seit 1866 setzte sich die Interessenpolitik als attraktiver und notwendiger Gegenentwurf zu dem „Kleinmuth“, dem „doktrinäre[n] Schwindel“ und dem „faule[n] Friede“ des christlich-legitimistischen Restaurationsdiskurses durch.51 Im Gegensatz zum gescheiterten Unionsprojekt von Radowitz, das ebenfalls auf pragmatischen und messianischen Argumentationsmustern basierte, fand die Realpolitik einen deutlich festeren Rückhalt am Hof und stieß auf eine schwächere Opposition der erzkonservativen Eliten, die um 1860 neben Friedrich Wilhelm IV. auch einflussreiche Protagonisten wie Friedrich Julius Stahl, Leopold von Gerlach und Friedrich Carl von Savigny verloren. Außerdem entstand nach dem Krimkrieg und der italienischen Nationalstaatsgründung eine dynamischere außenpolitische Konstellation als zur Zeit der Unionspolitik. Vor diesem Hintergrund war es sowohl für die Generation von Roon und König Wilhelm I. als auch für jüngere politische Akteure möglich, die reine Interessenpolitik als „Pflicht jedes Patrioten“ zu sanktionieren und anhand dieses vereinfachten Politikentwurfs die Revolution, die konstitutionellen Reformen und die nationalen Einheitsbestrebungen zu verarbeiten.52 Ähnlich den preußischen Realpolitikern verband auch Revel die semantischen Bestimmungsmuster der konservativen Pflicht-, Loyalitäts- und Ehrenvorstellungen mit der imperativen Rhetorik der Nationalstaatsgründung von oben. Trotz seiner starken Opposition gegen die liberale Wirtschafts- und Kirchenpolitik erklärte sich der piemontesische Politiker immer wieder bereit, mit den regierenden Moderati pragmatisch zusammenzuarbeiten.53 Revel stellte seine „politique pratique“ nie in Frage und stand den Prinzipienfragen des italienischen Risorgimento distanziert gegenüber. Vor 1859 äußerte er sich immer wieder kritisch gegenüber der romantischen und teleologischen „Großtuerei“ der liberalen Nationalbewegung und stellte damit fest, dass die italienischen Patrioten keine realistische Erfolgsaussicht hatten: „Ce n’est pas avec de pareilles fanfaronnades que l’Italie sera délivrée du joug qui pèse sur elle, ni que nous parviendrons à consolider nos institutions.“54
51 Albrecht von Roon an Otto von Bismarck am 27.6.1861. In: Roon, Glaube, S. 164. Ferner Roon an Bismarck am 15.7.1864. In: Bismarck-Jahrbuch 4 (1897), S. 75. 52 Besonders um 1870 verwendete Wilhelm I. systematisch die Argumentationslogik der Realpolitik. Vgl. Wilhelm I. an Friedrich I. Großherzog von Baden am 14.1.1871. In: Huber, Verfassungsgeschichte (Bd. 2), S. 284. Ferner Ansprache Kaiser Wilhelms I. bei der Kaiserproklamation in Versailles am 18.1.1871 und Proklamation Kaiser Wilhelms I. an das deutsche Volk vom 17./18.1.1871. In: Huber, Verfassungsgeschichte (Bd. 2), S. 285. Auch Herbert von Bismarck bezeichnete die realpolitische Nationalstaatsgründung als das Resultat des preußischen Ehr- und Pflichtgefühls. Vgl. Herbert an Wilhelm Bismarck am 8.3.1877. In: Bismarck, Privatkorrespondenz, S. 87. 53 Ottavio Thaon di Revel an Camillo Benso di Cavour am 29.7.1851. In: Cavour, Epistolario (Bd. 8), S. 304. Vgl. auch Revel an Cavour am 18.8.1854. In: Cavour, Epistolario (Bd. 11), S. 256–260. 54 Ottavio Thaon di Revel an Camillo Benso di Cavour am 18.9.1851. In: Cavour, Epistolario (Bd. 8), S. 398.
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Selbst als um 1860 die idealisierte Nationalstaats- und Kriegseuphorie ihren Höhepunkt erreichte, bestätigte Revel in einer privaten Korrespondenz mit seinem Bruder, dem späteren italienischen Kriegsminister Genova Thaon di Revel, dass er den neugegründeten Einheitsstaat nur aus Königs- und Pflichttreue akzeptierte: „Ormai crederei mancare la mio dovere, se facessi opposizione al Governo, ma Cavour ci ha lanciati in una via pericolosa.“55 Als im Dezember 1860 die piemontesische Armee fast die gesamte italienische Halbinsel kontrollierte und Garibaldi keine ernsthafte Bedrohung mehr darstellte, formulierte Revel erneut seine Skepsis bezüglich der Ideale des italienischen Risorgimento, signalisierte jedoch seine Bereitschaft, diese kritische Haltung zu revidieren („se il risultato sarà realmente favorevole al paese“).56 Dabei generierten die Paradigmen des traditionellen Dienstethos und des monarchischen Patriotismus eine Argumentationskette, die es den konservativen Eliten ermöglichte, sich den wechselnden Situationen anzupassen und den jeweiligen Positionswechsel glaubwürdig zu vermitteln. Ausgehend von dieser pragmatischen Rekonfigurierung traditioneller Selbstbeschreibungs- und Rechtfertigungsnarrative konstatierte Revel, dass die piemontesische Regierung gerade wegen der Nationalstaatsgründung die dynastischen Traditionen fortsetze.57 Aus diesem Grund protestierte der konservative Politiker, der seit Februar 1861 als Mitglied des piemontesischen Senats agierte, nicht explizit gegen die Formation des Königreichs Italien. Jedoch demonstrierte Revel seine anhaltende Skepsis gegenüber der liberalen Nationalbewegung, indem er zusammen mit Federigo Sclopis die Verehrung von nationalen Helden wie Giuseppe Garibaldi und Alessandro Manzoni boykottierte und heftig gegen die Verlagerung der italienischen Hauptstadt nach Florenz protestierte.58 Während Revel und Sclopis in der breiten Öffentlichkeit und im italienischen Senat sehr zurückhaltend und nur implizit die liberale Nationalstaatspolitik kritisierten, äußerten sie sich im Turiner Stadtrat oft explizit-polemisch gegen den neugegründeten Nationalstaat. Am 27. November 1860 lehnten sie die Auszeichnung von Garibaldi mit der Ehrenbürgerschaft der Stadt Turin resolut ab und wenige Tage später brachten die beiden konservativen Politiker auch eine Petition an das Parlament zum Scheitern, die für die Verleihung des Titels „König von Italien“ an Viktor Emanuel II. plädierte. Als der Senat um 1860 die entscheidenden Schritte zur Formation des italienischen Nationalstaats einleitete, zogen es Revel und Sclopis vor, nicht an den Sitzungen teilzunehmen. Sclopis weigerte sich, der Abtretung von Nizza und Savoyen an Frankreich oder den piemontesischen „Annexionen“ zuzustimmen. Er
55 Ottavio an Genova Thaon di Revel am 10.5.1859. In: Genova Revel, Il 1859 e l’Italia centrale. Miei ricordi, Mailand 1891, S. 13. 56 Ottavio an Genova Thaon di Revel am 12.12.1860. In: Revel, Ancona, S. 34. 57 Vgl. Ottavio an Genova Thaon di Revel am 27.2.1861. In: Revel, Ancona, S. 161. 58 Vgl. Menabrea, Memorie, S. 111 und 116; Sclopis, Diario, S. 344 und 411.
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protestierte im Parlament dagegen und enthielt sich der Wahl, indem er demonstrativ statt zur Senatssitzung zum Gottesdienst in die Kirche ging.59 Als im September die Verlagerung der italienischen Hauptstadt von Turin nach Florenz beschlossen wurde, griffen Revel und Sclopis erneut auf diese Oppositionsstrategien zurück und formulierten ihre Enttäuschung über den neugegründeten Nationalstaat vor allem auf lokaler Ebene und meistens implizit und pragmatisch. Als die heftigen Protestdemonstrationen gegen den Statusverlust Turins am 21. und 22. September 1864 gewaltsam unterdrückt wurden, engagierten sich beide im Gemeinderat, um die Vorfälle aufzuklären. Die Opposition von Revel und Sclopis kulminierte am 30. September 1864, als die zwei konservativen Adligen den prominenten Schriftsteller Alessandro Manzoni während seines Aufenthaltes in Turin ostentativ ignorierten. Selbst als der lombardische Intellektuelle den Senat besuchte, hielten sich Revel und Sclopis von allen anderen Kollegen, die Manzoni ehrten, fern.60 Nach 1848 übernahm Revel weiterhin einflussreichen Posten – Finanzminister, Staatsminister, Abgeordneter, Senator, Mitglied des Stadtrats von Turin und der katholischen San Carlo-Bruderschaft sowie Vorsitzender der Cassa di Risparmio und der mächtigen Stiftung Opera pia Luigi Gonzaga.61 Der konservative Politiker rechtfertigte mit der „politique pratique“ sowohl seine Opposition gegen die liberalen Legitimationstheorien als auch seine pragmatische Zusammenarbeit mit den Moderati und stilisierte sich immer wieder als Vertreter eines parteiübergreifenden und loyalen Patriotismus.62 Mit dem semantischen und ideologischen Instrumentarium konservativer Pflichtund Königstreue vollzog der machtbewusste piemontesische Adlige eine ergebnisoffene Neupositionierung und reduzierte die Wahrnehmung politisch-ideologischer Kontinuitätsbrüche. Obwohl Revel bis 1848 die liberalen Verfassungsbestrebungen schroff ablehnte, verarbeitete er schnell mit den Paradigmen der Königstreue die Oktroyierung des Statuto. In 1850er und 1860er Jahren konstruierte der konservative Politiker mit seinem Pflichtgefühl ein empathisches und besonders anpassungsfähiges Rechtfertigungsnarrativ, um seine unveränderte Machtambition zu motivieren:
59 Über die Organisation und die Durchführung dieser oppositionellen Aktivitäten vgl. AST, Archivio Revel Mz. 160, f. 3. Ferner Sclopis, Diario, S. 13–33. 60 Vgl. darüber die zahlreichen Notizen, Sitzungsprotokolle und Berichten, die Revel akribisch sammelte: AST, Archivio Revel Mz. 160, f. 1. 61 Zu den Aktivitäten des piemontesischen Politikers als Vorsitzender der Stiftung Opera pia Luigi Gonzaga und der Cassa di Risparmio: AST, Archivio Revel, Mz. 106, f. 1; Mz. 107, f. 1; Mz. 139, f. 1; Mz. 140, f. 1; Mz. 159, f. 1; Mz. 160, f. 1 und 3. Zur Mitgliederschaft in der San Carlo-Bruderschaft vgl. AAS, MSS 2730. 62 „Non sono mosso da spirito di parte, ma dal solo e ardente desiderio di promuovere [la] prosperità e libertà della mia cara patria“. Ottavio Thaon di Revel, Rede am 14.4.1851 (APS Discussioni – Sessione del 1851, Bd. 5, S. 1828).
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Anziché meritare taccia di appartenente ad un partito retrivo, io abbia in questa circostanza fatto per l’irradiamento del principio costituzionale nel nostro paese assai più di quanto molti altri abbiano fatto colle loro parole o coi loro scritti. [...] Io non ho mai ambito il potere [...] tuttavia il sentimento de’ miei doveri e la mia devozione al Re ed al paese mi troverebbero sempre pronto ad accettarlo, allorquando io credessi di poterlo fare con utilità.63
Diese Argumentationsstrategie erfuhr über die Zäsuren von 1848 und 1861 hinweg eine positive Resonanz in den piemontesischen Elitendiskursen und führte dazu, dass Revel seine zahlreichen Ämter, sein Ansehen am Hof sowie die Reputation und die traditionellen Privilegien seiner Familie erfolgreich verteidigte. Die politische Selbstbeschreibung des konservativen Politikers als pragmatischer und loyaler Staatsdiener wurde von einflussreichen politischen Protagonisten wie Luigi Federico Menabrea und Federigo Sclopis enthusiastisch kommentiert.64 Genauso wie Revel betrachteten auch Menabrea und Sclopis die Ideale des italienischen Risorgimento mit einer reservierten oder skeptischen, aber sehr pragmatischen Grundeinstellung. Sie entwarfen mit den gleichen Pathosformeln konservativer Pflicht- und Königstreue eine geeignete Argumentationslogik, um sich nach 1848 und 1861 als staatstragende Eliten der neuen konstitutionellen und nationalen Monarchie zu legitimieren. Um 1860 diente Sclopis als Senatspräsident, Direktor des piemontesischen Geschichtsvereins, Vorsitzender der Akademie der Wissenschaften und der Landwirtschaftsakademie sowie Mitglied der Wirtschafts- und Handelskammer, der Accademia dei Lincei, des Instituts de France und des Turiner Stadtrats.65 Als der Senat am 27. März 1861 Rom zur italienischen Hauptstadt erklärte, verließ Sclopis die parlamentarische Sitzung und bezeichnete sarkastisch die Proklamation von Roma-Capitale als „die bitterste Pille“.66 Genauso wie Revel und Sclopis, die nach der Formation des italienischen Einheitsstaats ihre Karriere erfolgreich fortsetzten, ging auch die überwiegende Mehrheit der piemontesischen Eliten mit der konstitutionellen und nationalen Neuorientierung der alten Monarchie pragmatisch um.67 Selbst die erzkonservativen und ultrakatholischen Legitimisten, die die italienische Einigung auf das Schärfste verurteilten, waren zu loyal, um gegen den König zu konspirieren. Revels politische Selbstbeschreibung als kompetenter und loyaler Staatsdiener wirkte auch über die piemontesischen Landesgrenzen hinweg. Führende englische
63 Ottavio Thaon di Revel, Rede am 12.1.1853 (APS Discussioni – Sessione del 1852/53, Bd. 6, S. 2014). Vgl. auch Revel, Rede am 22.3.1854 (APS Discussioni – Sessione del 1854/55, 5. Leg., Bd. 4, S. 725). 64 Vgl. Menabrea, Memorie, S. 111; Sclopis, Diario, S. 344. 65 Außerdem war Sclopis ein einflussreicher Jurist und großer Savigny-Experte. Vgl. Laura Moscati, Il contributo italiano alla storia del pensiero: Diritto (2012). http://www.treccani.it/enciclopedia/ federico-paolo-sclopis_(Il_Contributo_italiano_alla_storia_del_Pensiero: Diritto) (13.09.2015). 66 Sclopis, Diario, S. 33. 67 Auch Menabrea setzte seine Karriere nach 1861 erfolgreich fort. Der piemontesische General diente als Mitglied des Senats und seit 1867 als italienischer Ministerpräsident.
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Diplomaten wie Ralph Abercromby und Sir James Hudson kommentierten positiv die „onestà e dignitoso comportamento del conte di Revel“.68 Selbst politische Rivalen wie der piemontesische Ministerpräsident Cavour betonten, dass der konservative Adlige auch in Ausland „un excellente influence“ ausübte.69 Revel war mit dem Bankier Charles Hambro eng vernetzt und profitierte von dessen politischer Vermittlungsrolle, als Hambro die Loyalität und den Patriotismus Revels Cavour gegenüber bestätigte.70 Auch Massimo d’Azeglio betrachtete den konservativen Adligen als den mächtigsten Rivalen der Moderati.71 Cavour würdigte Revels „dévouement au service du Roi et au bien du pays“ auch konkret, indem er ihn in einer wichtigen Mission zur Finanzierung der nach 1848 dramatisch gestiegenen Staatsschulden Piemonts nach London schickte.72 Aufgrund seiner nachhaltig positiv rezipierten Selbstbeschreibung als „un homme d’État distingué et un financier aussi habile“ blieb Revel ein einflussreicher Politiker, den die Konservativen als Parteiführer bewunderten und die Moderati als den mächtigsten ihrer Rivalen respektierten.73 Ausgehend von seiner Selbst- und Fremdwahrnehmung als loyaler und pragmatischer Staatsmann konnte er seine politische Machtposition und seine Reputation konsolidieren. Dabei generierten die semantischen Bestimmungsmuster des traditionellen Dienstethos eine effektive Deutungsoption, um die nachrevolutionären Transformationskrisen zu bewältigen, ohne jedoch die bestehenden konservativen Wertorientierungen in Frage zu stellen. Die realpolitische Wende trug zur „Reduktion und Zuspitzung adliger Selbstbeschreibungen“ bei und baute nach der Revolution die traditionelle Identität des Adels als staatstragende Elite wieder auf.74 Ihre erfolgreiche Selbstdarstellung als loyale Staatsdiener führte dazu, dass Roon und Revel, die als deklarierte Gegner der liberalen Nationalbewegung agierten, bis ins 20. Jahrhundert hinein als patriotische Vorbildfiguren oder sogar als Erzieher der Nation verklärt und öffentlich gefeiert wurden. Nach der
68 Ralph Abercromby a George Granville am 15.1.1852. In: Curato, Relazioni diplomatiche (Bd. 1), S. 40. Ferner Sir James Hudson an James Howard Malmesbury am 14.7.1852. In: Curato, Relazioni diplomatiche (Bd. 1), S. 175. 69 Camillo Benso di Cavour an Emile de la Rüe am 6.6.1851. In: Cavour, Epistolario (Bd. 8), S. 192. 70 Vgl. Charles Hambro an Camillo Benso di Cavour am 30.11.1852. In: Cavour, Epistolario (Bd. 9), S. 349. 71 Vgl. Massimo an Emanuele d’Azeglio am 13.4.1851. In: Azeglio, Epistolario (Bd. 6), S. 272. 72 Camillo Benso di Cavour an Ottavio Thaon di Revel am 19.6.1851. In: Cavour, Epistolario (Bd. 8), S. 225. 73 In diesem Sinne äußerten sich auch mehrere politische Rivalen von Revel wie Emanuele d’Azeglio und Margherita Provana di Collegno. Vgl. Emanuele d’Azeglio an Camillo Benso di Cavour. In: Cavour, Epistolario (Bd. 8), S. 93; Collegno, Diario, S. 159. Am 8.4.1858 schrieb Revel an Lorenzo Ghiglini: „Chiamato ben mio malgrado, a leader di essa [della Destra] ne assumo le incombenze col confortare gli amici ad accorrere alla lotta.“ In: Scovazzi, Voci, S. 99. Zur Anerkennung Revels als Wortführer der konservativen Opposition vgl. auch Curato, Relazioni diplomatiche (Bd. 1), S. 103. Ferner Giuseppe Turcotti, Rede am 12.6.1850 (APS Discussioni – Sessione del 1850, Bd. 3, S. 2607). 74 Heinickel, Adelsreformideen, S. 669.
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Reichsgründung erhielt der preußische Kriegsminister zwei enorme Dotationen von insgesamt 600.000 Thalern und wurde in den Grafenstand erhoben.75 Außerdem wurden ihm ein Lokomotivmodell und ein Panzerkreuzer der Kaiserlichen Marine (SMS Roon) gewidmet. Im Jahr 1904 schließlich wurde das „große National-Denkmal“ zu Ehren Albrecht von Roons auf dem Königsplatz in Berlin eingeweiht.76 Obwohl auch Revel im besten Fall Desinteresse für die Ideale des italienischen Risorgimento demonstrierte, wurden die zentralen Pathosformeln seines ostentativen Dienstethos und seiner „politique pratique“ wieder aufgegriffen, um den konservativen Adligen nach seinem Tod als Symbol der legalistischen und königstreuen Nationalstaatsgründung von oben zu stilisieren. Der ehemalige Finanzminister wurde am 15. Februar 1868 vom italienischen Senat in einer pathetischen Sprache verherrlicht. Dabei kam eine geschickte Kombination von christlich-konservativen Wertorientierungen, gemäßigtem Fortschrittsglauben und unerschütterlichem Pflichtbewusstsein zum Ausdruck: Per colpo apopleggico mancò egli [Ottavio Thaon di Revel] ai vivi in Torino, sua patria, nella notte tra il 9 e il 10 di questo mese. [...] Uomo di Stato, economista, amministratore. L’ingenio eletto che sortì da natura, e la scienza temperata della prudenza, consumò fino all’ultimo in servizio della cosa pubblica. [...] Ebbe non ultima parte nella concessione di quello Statuto [...]. Fu religioso senza ostentazione, e non pensò che la religione e la vera civiltà siano fra loro nemiche.77
Noch überschwänglicher als durch die offizielle Würdigung des Senats wurde Revel in der konservativen Presse glorifiziert. Der Journalist Giorgio Briano hob besonders hervor, dass der Patriotismus des piemontesischen Adligen über die parteipolitischen Animositäten hinweg als vorbildlich gelte. Dabei wurde Revels politische Argumentationsstrategie kritiklos reproduziert und der konservative Politiker als Wortführer einer vermeintlichen „Partei der ehrlichen Leute“ präsentiert, die das Ziel verfolge, das Vaterland und die Monarchie vor der Revolution zu retten.78 Die nachhaltige Durchsetzung der patriotischen Selbstbeschreibung der konservativen Eliten hatte zur Folge, dass das traditionelle Dienstethos und der monarchische Patriotismus auch in den neuen Einheitsstaaten als positiv besetzte Deutungsmuster zirkulierten. Die Legende von Ottavio Thaon di Revel als patriotischer Vorbildfigur, die für die staatstragenden Eliten des alten Piemonts ebenso galt wie für den neugegründeten Nationalstaat, zeigte sogar noch nach der faschistischen Machtübernahme ihre Wirkungsmacht. Am 20. Juni 1931 versammelten sich vor dem Palast der Familie Revel im Zentrum von Turin der Sohn des ehemaligen Finanzministers, Großadmiral Paolo
75 Vgl. Roon, Denkwürdigkeiten (Bd. 2), S. 326, 341 und 568. 76 Roon, Denkwürdigkeiten (Bd. 2), S. 145. 77 API Discussioni Senato – Sessione del 1867, 10. Leg., Bd. 2, S. 692. 78 Vgl. Rivista Universale 2 (1868), S. 6. Auch Roon beschrieb sich als Wortführer einer „Partei der ehrlichen Leute“. Vgl. Roon, Rede am 9.1.1873 (VHA 11. Leg., Sez. 3, Bd. 1, S. 450).
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Thaon di Revel, sowie der Kronprinz Umberto von Savoyen, die lokalen Honoratioren und die Führungsspitzen der Partito Nazionale Fascista. Diese heterogene Gruppe kam zusammen, um eine große Gedenktafel für Ottavio Thaon di Revel einzuweihen. Die Inschrift auf der neuen Gedenktafel und die feierlichen Reden, die die prominenten Gäste hielten, zeigten, dass das konservative Dienstethos, die Ehrendiskurse und die militante Königstreue zu den semantischen und intellektuellen Wiederholungsstrukturen gehörten, die die krisenhaften Transformationen der modernen Gesellschaft nachhaltig mitgestalteten. Bei der Einweihung der Gedenktafel im Jahr 1931 bemühte der regimetreue Senator Giuseppe Broglia dieselbe politische Argumentationsstrategie, die Revel gegen die Revolution immer wieder vertreten hatte: La nobile figura di Ottavio Thaon di Revel apparteneva a quelle cose del vecchio Piemonte che […] hanno rappresentato e rappresentano nella storia di questa antica terra Subalpina un mirabile esempio di devozione fatta di dirittura morale, di onestà cristallina e di abnegazione alla Dinastia e alla Patria; forze familiari tradizionali, che nel travaglio continuo delle generazioni […] e nelle diuturne indispensabili innovazioni, sono pur sempre un elemento di coesione e di saldezza nella compagine unitaria.79
Das Ausbalancieren zwischen notwendigen Reformen und Treue gegen König und Vaterland, das spätestens seit den schweren revolutionären Erschütterungen um 1800 und 1848 die konservativen Politikdiskurse charakterisierte, spielte eine zentrale Rolle, um eine pragmatische Verfassungs- und Nationalstaatspolitik von oben zu gestalten und den modernen Nationalismus in eine antirevolutionäre Richtung zu lenken. Mit ihrer erfolgreichen Selbstbeschreibung als loyale und pragmatische Staatsmänner konstruierten machtgewohnte Konservative wie Ottavio Thaon di Revel und Albrecht von Roon ein anpassungsfähiges Rechtfertigungsnarrativ. Nach der politischen Dynamisierung um 1850 spitzten sie ihre anpassungsfähigen Bewältigungsstrategien zu und marginalisierten destabilisierende Kontinuitätsbrüche.
79 Rassegna mensile municipale, Turin 1931, S. 24 (AST, Archivio Revel, Mz. 108, f. 1). Ähnlich lautete die Inschrift der bis heute im Zentrum von Turin (via Lagrange) erhaltenen Gedenktafel: „In questa casa dove lungamente abitò moriva il 9 febbraio 1868 IL CONTE OTTAVIO THAON DI REVEL che Ministro delle Finanze ebbe alta specchiata fama apprestò il necessario nerbo alle prime imprese del riscatto, soscrisse lo Statuto del 1848 compì elevatissimi uffici con mente sicura e in memorandi eventi se obliando tutto animosamente se diede a schermo del Re e della patria. Segnalato nella Camera dei Deputati e nel Senato del Regno. Presidente della Cassa di Risparmio di Torino uomo di austera benefica degnissima vita. A ricordo d’onore.“
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uf der Suche nach Objektivität und Notwendigkeit. Die deterministischen 3.1.2 A Suggestionen der konservativen Realpolitik. Im 19. Jahrhundert verschob die überwiegende Mehrheit der europäischen Politiker und Intellektuellen ihre politischen Prioritäten weg von „humanistischen, moralischen Idealen und Werten, die für Menschen überhaupt galten, zu nationalistischen Wertungen, die ein Idealbild des eigenen Landes und der eigenen Nation über allgemein-menschliche und moralische Ideale erhoben“.80 Nach der Revolution von 1848 sahen immer mehr liberale und konservative Politiker eine nationalstaatliche Machtkonzentration von oben in die Nähe des Realisierbaren gerückt. Dabei stilisierten sie den nationalen Einheitsstaat als eine politische Notwendigkeit, als ein objektives Bedürfnis und als teleologische Erfüllung der preußischen und der piemontesischen Mission. Diese zunehmend erfolgreiche Narration entstand aus einem diskursiven Prozess der „Hegemonialisierung und Sedimentierung“ interessengeleiteter Politikentwürfe, die trotz ihres subjektiven und gruppenspezifischen Charakters zumindest vorübergehend als objektiv anmutende und kollektiv sinnstiftende Wirklichkeit galten.81 Die semantischen und argumentativen Grundlagen für die intellektuelle Objektivierung der Nationalstaatsidee basierten auf apodiktischen Begriffen wie Wahrheit, Existenz, Bedürfnis, Mission und Notwendigkeit. Außerdem revitalisierten Sprache und Ideologie der konservativen Realpolitik die weitverbreitete Suggestion des Sendungsbewusstseins des Staates. Die Rhetorik der preußischen wie der piemontesischen Mission griff auf ein europaweit kursierendes Deutungsmuster zurück, das seit dem 18. Jahrhundert die konfessionelle, moralische, zivilisatorische und nationale Sendung des Staates postulierte.82 Nach den Revolutionen von 1830 und 1848 zirkulierten in ganz Europa Schlagwörter wie Juste Milieu, „tout améliorer et tout conserver“, „konservativer Fortschritt“ oder „conservare svecchiando“.83 Sie beschrieben einen langsamen Anpassungsprozess liberalkonservativer und bürgerlich-aristokratischer Elitendiskurse und kulminierten in der Verfassungs- und Einigungspolitik von oben. Spätestens nach der Nationalstaatsgründung kristallisierte sich eine „merkliche Annäherung zwischen Teilen des Bürgertums und des Adels“ heraus und eine „korrespondierende Durchsetzung des bürgerlichen Verhaltens- und Empfindenskanons mit Wertungen und Haltungen, die dem Adelskanon“ entstammten.84
80 Elias, Studien, S. 174. 81 Vgl. Georg Glasze u. Annika Mattissek, Die Hegemonie- und Diskurstheorie von Laclau und Mouffe. In: Handbuch Diskurs und Raum. Hrsg. von Georg Glasze u. Annika Mattissek, Bielefeld 2009, S. 153– 180, hier S. 157. 82 Über die zahlreichen Krisen und Revolutionen des langen 19. Jahrhunderts hinweg dominierte auch in Frankreich ein unerschütterliches Sendungsbewusstsein der Nation. Vgl. Schulze, Staat, S. 245. 83 Koselleck, Revolution, S. 752 und 759. 84 Elias, Studien, S. 83.
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Als um 1860 der preußische Verfassungskonflikt eskalierte, polemisierten die oppositionellen Abgeordneten und die liberale Presse heftig gegen die konservativen Realpolitiker. Diese anhaltenden Animositäten erschwerten eine konstruktive Zusammenarbeit. Dagegen vollzog sich seit 1852 die Annäherung zwischen piemontesischen Liberalen und Moderati in einem wenig konfliktgeladenen Kontext. Dementsprechend basierte auch die Verfassungs- und Nationalstaatspolitik der piemontesischen Moderati im Vergleich zur preußischen Realpolitik auf wenig autoritären und imperativen Paradigmen. Dabei ist es sowohl für Italien als auch für Deutschland besonders wichtig, das geschlossene und teleologische Modell der Revolution von oben zu revidieren und von einem dynamischen und ergebnisoffenen liberal-konservativen Wechselspiel auszugehen.85 Im 19. Jahrhundert wurde die Rhetorik der preußischen und der piemontesischen Mission mit positivistischen und nationalpatriotischen Erwartungshorizonten angereichert. Die publizistischen Texte der realpolitischen Wende versuchten, eine resolute und objektive Argumentationslogik systematisch zu kommunizieren. Zum Beispiel präsentierte sich der Autor des im Jahr 1866 erschienenen Pamphlets Preußen und seine Bedeutung für Deutschland als unvoreingenommener Nichtpreuße. Ausgehend von dieser vermeintlich neutralen Position motivierte er sein vehementes Plädoyer für den kleindeutschen Einheitsstaat: „Die nachfolgenden Blätter stehen auf Preußens Seite. Sie sind hervorgegangen aus durch vorurtheilsfreie historische Forschung gewonnene, ganz unabhängige Überzeugung (eines Nichtpreußen), daß Preußen in Wahrheit die Aufgabe zu erfüllen hat, Deutschland eine wirkliche politische Existenz zu geben.“86 Der Autor konstatierte, dass die preußische Aufgabe und die wirkliche politische Existenz Deutschlands mit der Formation des nationalen Einheitsstaats ihre Erfüllung gefunden habe. Außerdem kombinierte das anonyme Pamphlet liberale Orientierungskonzepte wie Unabhängigkeit und Entwicklung mit konservativ besetzten Paradigmen von Pflicht und Treue. Damit beschrieb der Verfasser den kleindeutschen Nationalstaat als teleologisch vorbestimmte Perspektive: „Das Streben Preußens muß nothwendig, seinem ganzen Wesen zufolge, darauf gerichtet sein, […] die Hegemonie in Deutschland zu gewinnen“.87 Anhand dieser messianischen Argumente diskreditierte der anonyme Autor die „anderen Einheitsbestrebungen“ als unnatürlich, unpraktisch, totgeboren und utopisch.88 Das Vokabular der Nationalstaatsgründung von oben assoziierte eine resolut-positivistische Wirklichkeitskonstruktion mit messianischen und emotionalen Suggestionen. Dazu gehörte die Überzeugung, dass das deutsche Volk die auserwählte Nation und das prädisponierte Werkzeug
85 Vgl. Porciani, Uses. 86 Anonym, Preußen und seine Bedeutung für Deutschland, Hamburg 1866, S. 3. 87 Anonym, Preußen, S. 15. 88 Anonym, Preußen, S. 16 und 47–52.
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Gottes sei.89 Dabei handelte sich um eine Idee, die die preußische Mission und die historiographische Konstruktion der Nation vor allem aus protestantischer Sicht untermauerte. Um 1860 benutzten immer mehr konservative Politiker und Publizisten die Sprache der realpolitischen Wende, jedoch revidierten sie nicht ihre anhaltende Skepsis gegenüber der liberalen Nationalbewegung. Die Kombination von Interessenpolitik und antiliberalen Machterhaltungsstrategien generierte eine pragmatische Deutungs- und Handlungsoption, um die nationalen Einheitsbestrebungen im konservativen Diskurs verarbeiten zu können, aber nur minimale ideologische Kontinuitätsbrüche in Kauf nehmen zu müssen. Genauso wie Albrecht von Roon manifestierte auch der Theologe Heinrich Abeken immer wieder Desinteresse und Abneigung gegenüber der deutschen Nationalbewegung. Seit 1862 war der ehemalige Diplomat ein enger Mitarbeiter Bismarcks und engagierte sich für den großpreußischen Einheitsstaat. Er rechtfertigte seine Neuorientierung mit dem semantischen und ideologischen Instrumentarium der realpolitischen Wende. Abeken akzeptierte den „hohle[n] Nationalenthusiasmus“ der „schwarz-rothgoldenen Kokarde“ nur, „nachdem ihr Gold Feuer, ihr Roth Blut geworden“ war.90 Sowohl 1866 als auch 1870 setzte sich der konservative Theologe nur widerwillig mit der „deutschen Sache“ auseinander.91 Jedoch verurteilte er die legitimistische „Gefühlspolitik“ und setzte sich für die kleindeutsche Einheit ein, weil sie angeblich den „Realitäten […] wie sie wirklich sind“ entspreche.92 Ausgehend von der Ideologie der realpolitischen Wende spitzte auch Abeken die Rhetorik der preußischen Mission zu. Um die Nationalstaatsgründung zu verarbeiten, verwendete er eine bedrohliche Sprache, die die Durchdringung des übrigen Deutschland durch den preußischen Geist imaginierte. Dabei forderte Abeken, dass der „stramme, energische Geist Preußens auch das übrige Deutschland besonders im Heere und […] in der Pflichttreue der Beamten durchdringe und dem lässigen und loddrigen Wesen, das in den Kleinstaaten herrscht, ein Ende mache.“93 Mit seiner überhöhten Auffassung des großpreußischen Nationalstaats diskreditierte Abeken sowohl die alte konservative „Gefühlspolitik“ als auch den „hohlen Nationalenthusiasmus“ der Revolutionsjahre 1848/49. Außerdem kombinierte er
89 Vgl. Gramley, Propheten, S. 83–86; Lenhard-Schramm, Konstrukteure, S. 138–144. 90 Heinrich Abeken an Christan Karl von Bunsen am 25.4.1848. In: Abeken, Leben, S. 154. 91 Vgl. Heinrich Abeken an seine Frau am 14.10.1870 und am 20.10.1870. In: Abeken, Leben, S. 440 und 445. Auch am 21.11.1870 berichtete Abeken wenig begeistert: „So ist es wirklich aus dem norddeutschen Bund […] ein Deutscher Bund geworden, und die deutsche Einheit ist fertig“ (S. 465). Erst im Rückblick und nur mit nichtpreußischen Briefpartnern benutzte der konservative Theologe das Argument, dass im deutsch-französischen Krieg „nicht der Sieg über den äußeren Feind, sondern die Einigkeit und […] die sittliche Erhebung des Vaterlandes war für uns die Hauptsache“ (S. 542). 92 Heinrich Abeken an seine Frau am 22.7.1866. In: Abeken, Leben, S. 339. 93 Heinrich Abeken an seine Frau am 21.1.1871. In: Abeken, Leben, S. 512.
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die Heroisierung von Bismarck als „Werkzeug in Gottes Hand“ mit der energischen Argumentationslogik der Realpolitik: „Man müsse dem Vaterland dienen, wie es die Umstände forderten, und politische Meinungen und sog. Prinzipien dagegen zurückstellen.“94 Vor allem nach dem Krieg von 1866 etablierte sich das pragmatische Argument, dass auch die Konservativen „den veränderten politischen Verhältnissen Rechnung zu tragen“ hätten und sich damit „vor allen andern national nennen“ könnten.95 Um ihre pragmatische Anpassungsleistungen zu untermauern, bezogen sich Konservative in ganz Europa auf zahlreiche transnational zirkulierende Vorbild- und Feindbildfiguren wie Bismarck, Cavour, Lincoln, Disraeli und vor allem Napoleon III.96 In den 1850er Jahren verurteilten noch die meisten konservativen Politiker und Intellektuellen schroff den Staatsstreich des französischen Präsidenten Louis-Napoleon Bonaparte am 2. Dezember 1851 und diskreditierten dadurch die Befürworter gemäßigter Reformen von oben. Die europaweite Diskussion über den Bonapartismus verarbeitete die „krisenhafte Präsenz des Revolutionserbes im 19. Jahrhundert“ und markierte einen tiefgreifenden Umbruch des Politischen.97 Seitdem wurden die konservativen Politikdiskurse von einer bonapartistischen Grundhaltung entscheidend mitbestimmt, die, genauso wie die Ideologie der realpolitischen Wende, gegen die alte Weltanschauungspolitik protestierte und ähnliche Bestrebungen nach „Traditionsstiftung und Herstellung von Kontinuität“ hatte.98 Vor diesem Hintergrund distanzierten sich konservative Politiker wie Bismarck, Roon und Abeken von den „alten Parteien“ und betrachteten den „mißverstandene[n] Legitimitäts- und Souveränitätsbegriff“ sowie die „Idylle unwiderbringlich verlorener patriarchalischer Zustände“ als einen überwundenen Standpunkt.99 Bevor Napoleon III. seinen autoritären Herrschaftsstil in Frankreich etablierte und die konservative Realpolitik auch in Preußen die Oberhand gewann, traten bereits um 1850 Spitzendiplomaten wie Joseph Maria von Radowitz und Christian Karl von Bunsen für eine pragmatische Reform- und Nationalstaatspolitik von oben ein. Dabei aktivierten sie die semantischen und ideologischen Bestimmungsmuster, die die realpolitische Wende in den 1860er Jahren erfolgreich zuspitzten. Spätestens seit 1847 engagierte sich Radowitz als preußischer Gesandter beim Deutschen Bund und Vertrauter von König Friedrich Wilhelm IV. für den „Zusammenschluß der reindeutschen Lande in einen wahren Bundesstaat mit preußischer Spitze und dessen
94 Heinrich Abeken an seine Frau am 15.12.1870. In: Abeken, Leben, S. 481. 95 Wahlaufruf der konservativen Reichstagsfraktion für die preußische Landtagswahl (1867). In: Mommsen, Parteiprogramme, S. 52. 96 Vgl. Barclay, Conservatives. 97 Leonhard, Präsens, S. 317. Ausführlich zum französischen Herrschaftssystem unter Napoleon III. vgl. Roger Price, The French Second Empire. An Anatomy of Political Power, Cambridge 2004. 98 Gersmann u. Kohle, Vorwort, S. 8. 99 Engelberg, Bismarck, S. 566.
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gleichzeitige völkerrechtliche aber unlösliche Verbindung mit der österreichischen Gesamtmonarchie“.100 In seinem politischen Essay Deutschland und Friedrich Wilhelm IV. sowie mit zahlreichen Denkschriften und in seiner privaten Korrespondenz mit dem preußischen König plädierte Radowitz immer deutlicher für die Formation eines „wahren Bundesstaats“.101 Mit diesem vagen und anpassungsfähigen Politikentwurf etablierte sich der katholische Diplomat als Wortführer der konservativen Paulskirchen-Fraktion Café Milani und als einflussreicher Berater von Friedrich Wilhelm IV. Genauso wie Bismarck und Roon in den 1860er Jahren untermauerte auch Radowitz seine innovative politische Position, indem er die Idee des wahren Bundesstaats mit teleologischen Semantiken und pragmatischen Argumentationsfiguren objektivierte.102 Damit kritisierte er bereits im Oktober 1847 die christlich-legitimistische Weltanschauungspolitik als ein negatives und auf Abwehr gerichtetes System und konnotierte umgekehrt seine Politik als positives und kreatives Projekt. Mit dieser vereinfachten Sprache stilisierte Radowitz eine Trennlinie zwischen früherer Windstille und der alternativlos gewordenen „Kühnheit“ seines pragmatischen Konservatismus.103 In diesem Sinne spitzte der katholische Diplomat seine Kritik gegen das herrschende „System bloßer Negation“ zu und forderte eine Politik der „positiven lebenskräftigen Taten“, um sich mit den liberalen Verfassungsdiskursen und der Nationalbewegung auseinanderzusetzen.104 Nach der Revolution von 1848 versuchte Radowitz die Desorientierung von Friedrich Wilhelm IV. auszunutzen, um den König auf seine Seite zu ziehen. Um die Forderung nach einem „völkerrechtlichen Bund mit Österreich und eine[m] staatenrechtlichen Bund ohne Österreich“ durchzusetzen, verwendete Radowitz eine sehr stringente Argumentationslogik, die die Notwendigkeit von „positiven und scharfen Taten“ und „reellen Lösungen“ beschwor.105 Er hob immer wieder die vermeintliche Objektivität und Notwendigkeit seiner politischen Position hervor und konstruierte
100 Joseph Maria von Radowitz an Friedrich Wilhelm IV. am 14.6.1850. In: Radowitz, Briefe, S. 258. 101 Vgl. Joseph Maria von Radowitz, Deutschland und Friedrich Wilhelm IV., Hamburg 1848. Ferner Radowitz, Denkschrift über die von Deutschen Bunde zu ergreifenden Maßregeln (1847). In: Radowitz, Schriften, S. 96–98. Vgl. auch Radowitz, Denkschrift inbetreff der Politik Preußens in der deutschen Frage (1849). In: Radowitz, Briefe, S. 113–118. 102 Während die liberalkonservativen „Erbkaiserlichen“ die kleindeutsche Lösung als objektiv, alternativlos und fortschrittlich idealisierten, betrachtete die liberal-demokratische Opposition umgekehrt die großpreußische „Kaisergrille“ als einen „grellen Anachronismus“. Vgl. Grünert, Sprache, S. 318. 103 Joseph Maria von Radowitz an Friedrich Wilhelm IV. am 12.9.1847. In: Radowitz, Briefe, S. 1–4. Dort auch die vorherigen Zitate. 104 Joseph Maria von Radowitz, Denkschrift über die vom Deutschen Bunde zu ergreifenden Maßregeln (1847). In: Radowitz, Schriften, S. 96–98. 105 Joseph Maria von Radowitz an Friedrich Wilhelm IV. am 6.3.1848 und am 18.2.1848. In: Radowitz, Briefe, S. 12 und 168.
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damit eine euphemistische Rechtfertigungsstrategie, um Friedrich Wilhelm IV. dazu zu nötigen, das „greiflich Praktische“ zu erkennen.106 Seine Eheschließung mit Maria Augusta Gräfin von Voß beschleunigte die Integration von Radowitz in die staatstragenden adligen Eliten Preußens. Indem er in den 1840er Jahren ein „neues Deutsches Reich“ mit Preußen an der Spitze in Aussicht stellte, instrumentalisierte Radowitz die Paradigmen des traditionellen Dienstethos und des monarchischen Patriotismus.107 Um die Idee des wahren Bundesstaats glaubwürdig in eine Kontinuitätslinie dynastischer Narrationen und elitebezogener Wertorientierungen einzuordnen, verknüpfte der katholische Diplomat liberale und konservativ besetzte Begriffe. In diesem Sinne stilisierte er sein politisches Projekt als Resultat von „Pflicht und Vernunft“ oder „Ehre mit Vernunft“.108 Radowitz entwarf einen pragmatischen und gleichzeitig hochemotionalisierten Politikdiskurs, der die Suggestion der nationalen Einigung als Notwendigkeit, aber auch als Berufung und Mission des preußischen Staates und als Ehre und Pflicht der traditionellen Eliten hervorrief.109 Mit der semantischen und ideologischen Einbettung des neuen Deutschen Reichs in einen zur konservativen Traditionsstiftung gehörenden Machtdiskurs war es für Radowitz möglich, die preußische Mission in einer attraktiven Form zu kommunizieren. Vor allem nach der Ablehnung der Kaiserkrone durch Friedrich Wilhelm IV. im April 1849 erfuhr die umstrittene Unionspolitik des katholischen Diplomaten sowohl am preußischen Hof als auch in der politischen Öffentlichkeit starke Resonanz. Am 25. Dezember 1849 übernahm der konservative Zentral-Wahl-Ausschuss sowohl das resolute Vokabular als auch die messianischen Argumentationsfiguren von Radowitz, um die politische Linie für das neue deutsche Parlament in Erfurt zu präsentieren: Nur die sind würdig, Eure Wahlmänner zu sein, denen 1) wahrhaft daran liegt die Einigung Deutschlands auf dem von Preußen vorgezeichneten Wege zu erreichen […]; die es fühlen, daß es vor Allem Preußens Pflicht und Beruf sei, das Deutsche Volk durch Einigung im Innern zu kräftigen und ihm nach Außen die machtvolle Stellung zu erringen, die ihm die Natur und eine tausendjährige Geschichte angewiesen haben; die 2) daran festhalten, daß nur ein starkes, mächtiges Preußen Deutschland zu einigen vermag.110
106 Joseph Maria von Radowitz, TB vom 5.5.1849. In: Radowitz, Briefe, S. 91. 107 Joseph Maria von Radowitz an Maria Gräfin Voß am 17.8.1848. In: Radowitz, Briefe, S. 61. 108 Joseph Maria von Radowitz an Friedrich Wilhelm IV. am 7.3.1848. In: Radowitz, Briefe, S. 14. Vgl. auch Radowitz an Alexander von Schleinitz am 14.2.1850. In: Radowitz, Briefe, S. 163. 109 Joseph Maria von Radowitz an Leopold von Gerlach am 18.4.1850. In: Radowitz, Briefe, S. 212. Vgl. auch Radowitz an Alexander von Schleinitz am 27.4.1850. In: Radowitz, Briefe, S. 221. 110 Aufruf des Zentral-Wahl-Ausschusses der verbundenen konservativen Vereine des Preußischen Staates zu den Wahlen zum Erfurter Parlament vom 25.12.1848. In: Flugschriften 1848. http://samm lungen.ub.uni-frankfurt.de/2232969 (13.09.2015).
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Radowitz leistete einen entscheidenden Beitrag dazu, die konservative Sprache des Politischen zu rekonfigurieren. Er übernahm gezielt liberale Semantiken und Erwartungshorizonte in sein Vokabular und reduzierte die nachrevolutionäre Desorientierung durch Traditionsstiftung. Obwohl das Projekt des wahren Bundesstaats im November 1850 scheiterte, wurde seitdem die Suggestion, dass „Preußens Pflicht und Beruf“ mit der deutschen Nationalstaatsidee verknüpft war, auch auf konservativer Seite zunehmend diskutiert.111 In den 1850er generierten die pragmatische Sprache und die messianischen Akzentuierungen, die Radowitz für das Unionsprojekt instrumentalisierte, eine mögliche Deutungsoption, um die narrative Bewältigung der Revolution mit innovativen Orientierungskonzepten voranzutreiben. Vor allem nach dem Krimkrieg und der italienischen Nationalstaatsgründung bezogen sich immer mehr preußische Konservative auf das semantische und ideologische Erbe der Unionspolitik und polemisierten gegen das „passive Zusehen“ der alten Parteien. Dabei bildete die Perspektive der kleindeutschen Einheit mit Preußen an der Spitze eine zunehmend plausible Lösung, um nach den außenpolitischen Fiaskos von 1850, 1854 und 1859 die Mission des Hohenzollernstaats mit „festen [und] kühnen Schritten“ fortzusetzen.112 Um 1850 übernahmen gemäßigt konservative Politiker und Intellektuelle wie Moritz von Bethmann-Hollweg, Clemens Theodor Perthes, Adolf Heinrich von ArnimBoitzenburg, Alexander von Arnim-Suckow und Christian Karl von Bunsen die Ideen und das politisches Vokabular von Radowitz.113 Diese liberalkonservative Fronde, die sich um die Zeitung Wochenblatt formierte, ging von der festen Überzeugung aus, dass seit 1848 „die Bahn […] für den historischen Beruf Preußen in Deutschland“ geebnet sei.114 Um eine deutliche Oppositionslinie gegen die Regierung Manteuffel zu formulieren, griff die Wochenblattpartei auf die innovativen Argumentationsstrategien der Unionspolitik zurück und verwob das vaterländische Gefühl für Deutschland mit der Ehre und Würde des Staats und dem „gesunden“ preußischen Gefühl.115 In seinem Pamphlet Zur Politik der Contre-Revolution von 1851 verknüpfte auch Alexander von Arnim-Sukov die resolut-pragmatische Sprache der reinen Interessenpolitik mit einer emotional geführten Polemik gegen das passive Zusehen: „Beklemmung
111 Joseph Maria von Radowitz an Friedrich Wilhelm IV. am 11.9.1850. In: Radowitz, Briefe, S. 299. Vgl. auch Radowitz an seine Frau am 24.10.1849. In: Radowitz, Briefe, S. 135. 112 Joseph Maria von Radowitz an Karl Wilhelm von Canitz und Dallwitz am 11.9.1848. In: Radowitz, Briefe, S. 161. 113 Vgl. Behnen, Wochenblatt, S. 70–80. 114 Alexander Henrich von Arnim, Zur Politik der Contre-Revolution in Preußen, Braunschweig 1851, S. 17. Vgl. auch Christian Carl Josias von Bunsen, Denkschrift über die verfassungsmäßigen Rechte der Herzogthümer Schleswig und Holstein, Berlin 1848, S. 3. Ferner Moritz August von BethmannHollweg an Friedrich Wilhelm IV. am 1.4.1849. In: Haenchen, Revolutionsbriefe, S. 427; Adolf Heinrich von Arnim-Boitzenburg, Rede am 3.12.1849 (ZK 2,2, Bd. 3, S. 1513). 115 Arnim, Politik, S. 6 und 23.
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ergreift jedes preußische Herz bei dem Blick in diese Tiefe. […] Wir haben ein zweites Jena [im Jahr 1850 mit der Olmützer Punktation] gehabt, schmählicher als das erste, weil man sich dort wenigstens geschlagen hatte.“116 Obwohl er die liberalkonservative Wochenblattpartei keineswegs unterstützte, formulierte auch Bismarck nach seiner Ernennung zum preußischen Bundestagsgesandten in Frankfurt eine zunehmend explizite Kritik gegen die passive Außenpolitik des Hohenzollernstaats. Der spätere Ministerpräsident war einer der großen Gegner der Unionspolitik von Radowitz, revidierte aber in den 1860er Jahren sein negatives Urteil und diskutierte seitdem immer wieder über die Perspektive der kleindeutschen Einheit mit Preußen an die Spitze.117 Nach der Regentschaftsübernahme durch Wilhelm I. und der Formation des italienischen Nationalstaats distanzierte sich Bismarck endgültig von der konservativen Weltanschauungspolitik, jedoch polemisierte er auch gegen das reformbereite Novemberprogramm von 1858 und die vermeintliche Neue Ära.118 Vor allem die italienische Einigung hatte nicht nur unmittelbare Konsequenzen für den internationalen Kontext, sie rief auch einen politischen Mobilisierungsimpuls hervor, der in Preußen nach einem Jahrzehnt latenter Spannung entscheidend zur Beschleunigung und Vervielfältigung der konservativen Auseinandersetzung mit der nationalen Frage beitrug. Angesichts der Entwicklung in Italien artikulierten die preußischen Konservativen heterogene Antworten, die sich in divergierenden Semantiken und politischen Handlungsoptionen widerspiegelten. Im Spannungsfeld des daraus entstehenden Umorientierungsprozesses definierten sich neue Erwartungen und Erfahrungsdeutungen, die im Laufe der 1860er Jahre die konservative realpolitische Wende als notwendig und objektiv legitimierten. Nach erheblichen Identitätskonflikten versuchte Bismarck, der seit der Ernennung des liberalkonservativen Kabinetts Hohenzollern-Sigmaringen in Sankt Petersburg kaltgestellt wurde, eine glaubwürdige Oppositionsstrategie zu entwerfen.119 Bereits im Mai 1857 signalisierte er seinem Mentor Leopold von Gerlach seine Absicht, die preußische Machtpolitik zu revitalisieren. Dabei instrumentalisierte er die dramatische Erfahrung von 1806, um die vermeintliche Passivität der preußischen Regierung zu stigmatisieren. Ausgehend von dem resoluten Vokabular und den dichotomischen Deutungskategorien der realpolitischen Wende, illustrierte er seine politische Vision mit der Metapher von Amboss und Hammer: „Eine passive Planlosigkeit, die froh ist, wenn sie in Ruhe gelassen wird, können wir in der Mitte von Europa nicht
116 Arnim, Politik, S. 25. 117 Otto von Bismarck, Gespräch mit Robert von Keudell im März 1862. In: GW (Bd. 7), S. 45. 118 Ausführlich über den euphemistischen Begriff Neue Ära siehe Kap. 1.1. 119 Über die Identitätskonflikte Otto von Bismarcks zwischen bürgerlichem Bildungskanon und stolzem Junker-Bewusstsein, zwischen christlich-konservativen und realpolitischen Erwägungen vgl. Carsten Kretschmann, Provinzen der Seele. Zu den Identitätskonflikten Otto von Bismarcks. In: Geschichte, Öffentlichkeit, Kommunikation. Festschrift für Bernd Sösemann. Hrsg. von Patrick Merziger, Stuttgart 2010, S. 345–362.
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durchführen, sie kann uns heute ebenso gefährlich werden, wie sie 1805 war, und wir werden Amboss, wenn wir nichts thun, um Hammer zu werden.“120 Während seines „Exils“ in Sankt Petersburg konnotierte Bismarck seine realpolitische Opposition mit einer zunehmend energischen Sprache, die die undefinierten Inhalte seiner regierungskritischen Orientierung in den Hintergrund drängte. Im Zusammenhang mit der italienischen Nationalstaatsgründung attackierte der spätere Ministerpräsident wieder die „Leporello-Rolle“, die Preußen angeblich seit 1850 spielte: „Unsere Politik verstimmt mich, wir bleiben Treibholz auf unsern eigenen Gewässern, planlos umhergeblasen von fremden Winden.“121 Parallel zu dieser ostentativen Abgrenzung von der Leporello-Rolle, der Donquixotterie und der „passiven Planlosigkeit“ seiner politischen Rivalen, aktualisierte Bismarck die Idee des kleindeutschen Unionsprojekts.122 Im September 1861 untermauerte er die politische Vision einer „recht conservativen Nationalvertretung“ mit sehr überzeugenden Argumenten: „Auf dem nationalen Gebiete würden bisher mäßige Concessionen immer noch als werthvoll anerkannt werden. Man konnte eine recht conservative Nationalvertretung schaffen und doch selbst bei den Liberalen Dank dafür ernten“.123 Seit der Formation des italienischen Einheitsstaats konzentrierte Bismarck seine pragmatisch-resolute Rhetorik auf das wieder zentral gewordene Thema der nationalen Einheit. Dabei vereinnahmte er die Ideen des liberalkonservativen Unionsprojekts und die optimistischen Erwartungshorizonte der deutschen Nationalbewegung in durchaus widersprüchlicher Weise. Diese ergebnisoffene Strategie kulminierte in einer viel diskutierten Denkschrift, die Bismarck ein Jahr vor seiner Ernennung zum preußischen Ministerpräsidenten vorlegte. Indem er auf die semantischen Bestimmungsmuster der Unionspolitik zurückgriff, präsentierte Bismarck seine Forderung nach einer konservativen Nationalvertretung als eine notwendige evidente Erkenntnis, um „mit mehr practischem Erfolge als bisher dem Ziele einer engeren Einigung Deutschlands“ zu folgen: In der gesamten deutschen Bevölkerung nährt und steigert sich das Mißvergnügen durch das niederschlagende Gefühl, daß eine große und kräftige Nation durch die Mängel ihrer Gesamtverfassung verurteilt ist, nicht nur auf die ihr gebührende Geltung in Europa zu verzichten, sondern in steter Sorge vor dem Angriff von Nachbarn zu leben, denen sie unter Umständen mehr als gewachsen sein würde. Je mehr dieses Gefühl und die Erkenntniß seiner Ursachen das allgemeine Bewußtsein durchdringen, um so schärfer und zuletzt gefährlicher kehrt sich seine Spitze gegen die Gesamtheit der deutschen Regierungen. Von den letztern wird erwartet, daß sie zustreben, und diese Erwartung erscheint auch der conservativsten Auffassung nicht unbe-
120 Otto von Bismarck an Leopold von Gerlach am 30.5.1857. In: GW (Bd. 14), S. 474. 121 Otto von Bismarck an seine Frau am 3.3.1859. In: GW (Bd. 14), S. 514. Leporello, der Diener in Mozarts Oper Don Giovanni, symbolisierte die unterwürfige außenpolitische Haltung Preußens. 122 Bismarck verspottete die legitimistische Weltanschauungspolitik der konservativen Partei als Donquixotterie. 123 Otto von Bismarck an Alexander von Below am 18.9.1861. In: GW (Bd. 14), S. 578.
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rechtigt, soweit es sich darum handelt, die Wehrkraft Deutschlands straffer und einheitlicher zusammenzufassen und der allgemeinen Wohlfahrt diejenige freie Bewegung im Gebiete aller materiellen Interessen zu sichern, welche für Handel und Verkehr durch den Zollverein angebahnt ist. Mit der jetzigen Bundesverfassung ist es nicht möglich, den bestehenden Uebelständen abzuhelfen.124
Genauso wie Radowitz motivierte auch Bismarck sein Plädoyer für die nationalstaatliche Machtkonzentration mit der Suggestion, dass der „Strom der Zeit“ die Formation eines „straffen“ Einheitsstaates in Deutschland nötig mache.125 Außerdem assoziierten sowohl Radowitz als auch Bismarck die deutschen Einheitsbestrebungen mit dem altvertrauten Rechtfertigungsnarrativ der preußischen Mission. Die beiden konservativen Politiker hoben immer wieder hervor, dass die Nationalstaatsgründung von oben die natürliche Fortsetzung des traditionellen Dienstethos und der preußischen Königstreue war.126 Damit stellten sie die Interessenpolitik nicht nur als alternativlose und objektive Neuorientierung dar, sondern auch als traditionsstiftende Kontinuitätslinie der „nationalen“ Vergangenheit Preußens. Spätestens nach 1866 stand die Mehrheit der preußischen Konservativen auf der Seite Bismarcks und Roons. Viele konservative Politiker und Publizisten übernahmen das aggressive Vokabular und die resolute Wirklichkeitskonstruktion der realpolitischen Wende. Jedoch akzeptierten die preußischen Eliten meistens nur reserviert oder konformistisch die neuen dominierenden Semantiken und politischen Paradigmen. Auch Karl Friedrich von Savigny, der nach Radowitz und Bismarck in den 1860er Jahren als preußischer Bundesgesandter in Frankfurt agierte, befürwortete die großpreußische Einheitsstaatspolitik ohne nationale Begeisterung und verglich die Realpolitik mit dem gescheiterten Unionsprojekt: „Mir persönlich will es scheinen, als wenn es jetzt in unserem Interesse sehr geraten wäre, mit dem einsichtigen nationalen, ehemals unionsfreundlichen Elementen baldmöglichst Fühlung zu nehmen.“127 Auch revidierte Savigny seine oppositionelle Haltung gegen den innovativen Politikentwurf von Radowitz und stellte lapidar fest, dass er am 14. Mai 1866 den Austritt Preußens aus dem Deutschen Bund ohne „schwermütige Empfindungen“ vollzogen habe.128 Sein politisches Rechtfertigungsnarrativ basierte ebenfalls auf dem konserva-
124 Otto von Bismarck, Denkschrift über die deutsche Frage vom Juli 1861 (Baden-Badener Denkschrift). In: GW (Bd. 3), S. 267. 125 Otto von Bismarck an Otto von Wentzel am 3.2.1860. In: GW (Bd. 14), S. 544. 126 Otto von Bismarck, Immediatbericht an Wilhelm I. (1862). In: GW (Bd. 3), S. 367. 127 Karl Friedrich von Savigny an Otto von Bismarck am 11.4.1866. In: Savigny, Briefe, S. 867. Vgl. auch Savigny an Otto von Bismarck am 17.5.1866. In: Savigny, Briefe, S. 879. 128 Karl Friedrich von Savigny an Otto von Bismarck am 15.6.1866. In: Savigny, Briefe, S. 887. Die Frau des preußischen Gesandten, Marie von Savigny, äußerte sich ebenfalls erleichtert über den Austritt aus dem Bund („wir verlassen Frankfurt leichten Herzens“). Vgl. Marie von Savigny an ihre Mutter am 16.6.1866. In: Savigny, Briefe, S. 889.
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tiven Dienstethos und auf dem monarchischen Herrscherkult, während der deutschnationale Enthusiasmus nach wie vor eine marginale Rolle spielte.129 Ähnlich wie in Piemont bildeten auch in Preußen die Argumentationsstrategien der „politique pratique“ eine anpassungsfähige intellektuelle Disposition, mit der die Konservativen auf die nachrevolutionären Transformationskrisen reagierten.130 Vor allem nach der autoritären Beilegung des Verfassungskonflikts und den militärischdiplomatischen Erfolgen von 1864 und 1866 fand Bismarck immer mehr „Hilfstruppen“ und „Leibjournalisten“, die in der sich neu organisierenden regierungstreuen konservativen und nationalliberalen Konstellation um den Grenzboten, die NationalZeitung und die Preußischen Jahrbücher agierten.131 Trotz dieses parteiübergreifenden Konsenses und der stillschweigenden Akzeptanz der Nationalstaatsgründung, die von der euphorisierenden Kriegsrhetorik von 1866 und 1870 zementiert wurden, erhoben sich immer wieder kritische Stimmen gegen die Realpolitik. Auf konservativer Seite protestierten prominente Publizisten wie Ludwig von Gerlach, Costantin Frantz und Victor Aimé Huber gegen die „Concessionen“ der Regierung Bismarck an die liberalen Reform- und Nationalbestrebungen.132 Diese Opposition hatte noch relevante Deutungs- und Handlungsoptionen, weil die preußische Realpolitik, abseits von ihrer resoluten und positivistischen Rhetorik, keineswegs so objektiv und vorbestimmt war, wie sie erst im Rückblick erschien. Insbesondere was „die Gestaltung der deutschen Angelegenheit“ betraf, wirkte Bismarck auf mehrere gut informierte Zeitgenossen unsicher und teilweise sogar unvorbereitet.133 Ähnlich wie Radowitz, Bismarck und Roon gelang es auch dem jüngeren Bruder von Friedrich Wilhelm IV., die Revolutionserfahrung zu bewältigen, indem er die preußische Machtpolitik mit einer messianischen Sprache neu perspektivierte. Zunächst verspottete der preußische Thronfolger die „Gloriole, an die Spitze Deutschlands zu treten“ und betrachtete ein „glückliches, blühendes und ruhmvolles, selbständiges Preußen“ als die universelle Lösung gegen die Revolution.134 Jedoch revidierte er bereits um 1850 seine erzkonservative Position und rehabilitierte die Verfassungs-
129 Vgl. Karl Friedrich von Savigny an Otto von Bismarck am 27.1.1867. In: Savigny, Briefe, S. 923. Ferner Savigny an Bismarck am 19.7.1867. In: Savigny, Briefe, S. 955. 130 Gramley, Propheten, S. 23. 131 Engelberg, Bismarck, S. 567. Um 1870 kontrollierte Bismarck ein breites Spektrum an subventionierten Zeitungen, Journalisten und Pressereferenten wie Hans Blum, Moritz Busch, Lothar Bucher und Constantin Rößler. Vgl. Nipperdey, Geschichte, S. 808. 132 Vgl. Huber, Suum cuique, S. 27–33; Huber, Machtfülle, S. 33–37. 133 In diesem Sinne äußerten sich sowohl Theodor von Bernhardi als auch der hessische Abgeordnete Friedrich Oetker, nachdem sie im Jahr 1866 jeweils eine Unterredung mit dem preußischen Ministerpräsidenten hatten (GW, Bd. 7, S 113–115 und 153). 134 Prinz Wilhelm an seine Schwester Charlotte am 17./18.3.1848 und am 3.4.1848. In: Prinz Wilhelm von Preußen an Charlotte, S. 289 und 292. Vgl. auch Wilhelm an seine Schwester Alexandrine am 18.5.1848. In: Briefe an Alexandrine, S. 71.
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und Nationalstaatspolitik von oben als eine plausible oder sogar alternativlose Zukunftsvision, um die dynastische Machterhaltung zu untermauern und die preußische Mission zu erfüllen. Als im April 1849 die konservativen Medien und teilweise auch der preußische Hof das kleindeutsche Unionsprojekt von Radowitz zunehmend positiv kommentierten, galt der spätere Kaiser Wilhelm I. als reaktionärer Hardliner und wurde in der Öffentlichkeit als „Kartätschenprinz“ verachtet. Obwohl der preußische Thronfolger im Gegensatz zu Friedrich Wilhelm IV. im besten Fall Desinteresse für die „Deutschtümelei“ gezeigt hatte, trat er nach einem zweimonatigen englischen Exil im Frühjahr 1848 noch stärker als sein älterer Bruder für die kleindeutsche Unionspolitik ein.135 Die Sympathien seiner Frau Augusta für die Liberalen und die Verbindungen mit reformbereiten konservativen Intellektuellen in Koblenz trugen dazu bei, die politische Umorientierung des „Kartätschenprinzen“ zu konsolidieren und ihn davon zu überzeugen, dass die „Tendenzen der Revolution“ nicht nur mit Bajonetten, sondern auch mit Reformen von oben zu bekämpfen waren.136 In den 1850er Jahren distanzierte sich Wilhelm demonstrativ von der konservativen Fundamentalopposition. Er übernahm seine Argumentationsstrategie von Radowitz und kritisierte die Erzkonservativen nun als diejenigen, die „nichts vergessen und nichts gelernt haben!“137 Nach der Revolution korrespondierte der preußische Thronfolger mit Radowitz und Bunsen und stand auch mit den einflussreichsten Vertretern des liberalkonservativen Wochenblatts in enger Verbindung.138 Seitdem zog der spätere Kaiser die Option, für die Formation eines engeren Staatenbunds „Preußen an die Spitze Deutschlands“ zu stellten, immer wieder in Erwägung.139 Als die Unionspolitik im Dezember 1850 endgültig scheiterte, instrumentalisierte Prinz Wilhelm den innovativen Politikentwurf von Radowitz, um gegen die konservative Fundamentalopposition zu polemisieren. Für diese Umorientierung politischer Selbstbeschreibungs- und Orientierungsmuster benutzte der preußische Thronfolger auch die Teleologie der preußischen Mission. Er bezeichnete das kleindeutsche Unionsprojekt als das Geschick und den Beruf des Hohenzollernstaats und evozierte immer wieder das Bild von der preußischen
135 Vgl. Prinz Wilhelm an seine Schwester Charlotte am 7.8.1848 und am 12.9.1849. In: Prinz Wilhelm von Preußen an Charlotte, S. 306 und 339. 136 Vgl. Prinz Wilhelm an seine Schwester Charlotte am 13.1.1848 und am 26.11.1849. In: Prinz Wilhelm von Preußen an Charlotte, S. 281 und 341. 137 Prinz Wilhelm an seine Schwester Charlotte am 25.10.1851. In: Prinz Wilhelm von Preußen an Charlotte, S. 364. Vgl. auch Wilhelm an August von der Heyd am 9.4.1853 und an Karl Graf von der Groeben am 12.12.1855. In: Briefe an Politiker und Staatsmänner (Bd. 1), S. 228 und Bd. 2, S. 51. 138 Christian Josias von Bunsen an Prinz Wilhelm am 25.7.1849. In: Briefe an Politiker und Staatsmänner (Bd. 1), S. 92. Vgl. auch Behnen, Wochenblatt, S. 93 und 103. 139 Prinz Wilhelm an Ernst von Saucken-Tarputschen am 18.11.1850. In: Briefe an Politiker und Staatsmänner (Bd. 1), S. 132. Vgl. auch Prinz Wilhelm an Julius von Schleinitz am 19.4.1851. In: Briefe an Politiker und Staatsmänner (Bd. 1), S. 142.
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Aufgabe in Deutschland, die sich angeblich „seit Friedrichs des Großen Zeit“ stellte.140 Der Jurist und liberale Politiker Rudolf Gneist kommentierte ironisch die Umorientierung des ehemals reaktionären Kartätschenprinzen: „Der Prinz von Preußen hat einen Abscheu gegen jede Art von extremen Maßregeln, ohne selbst irgend ein System zu verfolgen.“141 Nach der Regentschaftsübernahme im Jahr 1858 lancierte der preußische Thronfolger das vieldiskutierte liberalkonservative Novemberprogramm, das trotz oder gerade wegen seiner diffusen und euphemistischen Konzeption einen breiteren Reformenthusiasmus mit gemischtem preußisch-deutschem Bedeutungsgehalt auslöste. Im August 1859 verkündeten die Stettiner Bürger in einer Adresse an den preußischen Prinzregenten ihre Begeisterung für die vermeintliche Neue Ära: „Heute ist jeder Preuße stolz darauf, ehrfurchtsvoll und dankend es anerkennen zu können, wie sehr bereits das erhabene Wort, mit welchen Ew. Königliche Hoheit das schwere Amt übernahmen, in so kurze Zeit zur Wahrheit geworden.“142 Die Adresse kombinierte die Rhetorik der deutschen Einheitsbestrebungen mit preußischem eigenstaatlichem Bewusstsein und sogar mit dem lokalpatriotischen „Pommernherzen“. Die doppelte „Liebe und Hingebung für das preußische und das deutsche Vaterland“ der Stettiner wurde in der Antwort der preußischen Regierung ausdrücklich gelobt 143 Die politische Strahlkraft der vermeintlichen Neuen Ära wurde vom neuen „Literarischen Büro“ der preußischen Regierung gezielt propagiert. Maximilian Duncker und Hermann Baumgarten waren die wichtigsten Mitarbeiter der neuen Propagandaabteilung.144 Der populäre Slogan der „moralischen politischen Eroberung in Deutschland“ aktualisierte das reformbereite Unionsprojekt von Radowitz und entwarf dadurch die programmatische Leitidee für die Außenpolitik der Neuen Ära.145 Die wichtigste Hinterlassenschaft der Neuen Ära waren nicht die großenteils ausgebliebenen Reformen, sondern vielmehr die katastrophale Wahlniederlage der konservativen Partei im November 1858. Nach dieser tiefen Krise wurden auch für die Konservativen „die Nutzung moderner Formen politischer Agitation“ sowie die Rekrutierung
140 Prinz Wilhelm an Joseph Maria von Radowitz am 11.9.1852. In: Briefe an Politiker und Staatsmänner (Bd. 1), S. 173. Vgl. auch Wilhelm an Christian Karl von Bunsen am 29.12.1852 und am 2.1.1854. In: Briefe an Politiker und Staatsmänner (Bd. 1), S. 197 und Bd. 2, S. 1. Ferner Ansprache des Prinzregenten von Preußen an die deutschen Fürsten in Baden-Baden (1860). In: Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes (Abt. III, Bd. 3), S. 298. 141 Rudolf Gneist an Karl Joseph Anton Mittermaier am 2.12.1850. In: Mittermaier, Briefwechsel, S. 44. 142 Vgl. Stettiner Adresse (1859). In: Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes (Abt. III, Bd. 3), S. 36. 143 Vgl. Antwort der preußischen Regierung auf die Stettiner Adresse (1859). In: Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes (Abt. III, Bd. 3), S. 87. 144 Vgl. Jansen, Revolution, S. XXIII. 145 Prinz Wilhelm an Christian Karl von Bunsen am 29.12.1852. In: Briefe an Politiker und Staatsmänner (Bd. 1), S. 197. Vgl. auch Bunsen an Rudolf von Auerswald am 26.5.1861. In: Briefe an Politiker und Staatsmänner (Bd. 2), S. 169.
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einer Massenbasis „über die traditionellen ländlichen Unterstützungsschichten hinaus“ zu einer Überlebensfrage.146 Als die italienische Einigung und der preußische Verfassungskonflikt das unbestimmte Programm der moralischen Eroberung ins Wanken brachten und die konservative Realpolitik von Bismarck die Oberhand gewann, akzeptierte auch König Wilhelm I. die Nationalstaatspolitik von oben als das kleinere Übel. Dabei übernahm er die energischen Argumente der realpolitischen Wende und antwortete lapidar seiner Schwester Alexandrine, die den „Bruderkrieg“ von 1866 empört ablehnte, dass es „Verhängnisse [gebe], die stärker als alle Berechnungen“ seien.147 Mit dem semantischen und ideologischen Instrumentarium des konservativen Dienstethos, des Bellizismus und des monarchischen Herrscherkults unterdrückte auch Albrecht von Roon seine anhaltende Skepsis gegenüber der deutschen Nationalbewegung. Dabei lenkte er die Desorientierung, die die Revolution und die Nationalstaatsgründung hervorriefen, in die vertraute Richtung preußischer Machtpolitik und Traditionsstiftung. Zwischen 1866 und 1870 erreichte am Hof, in den Ministerien und in der breiten Öffentlichkeit der kumulative Verarbeitungsprozess, der die nationale Einheit als alternativlose Entwicklung darstellte, einen Höhepunkt. Die überwiegende Mehrheit konservativer Politiker und Intellektueller akzeptierte die Reichsgründung aus loyalen und pragmatischen Gründen, zwar ohne Begeisterung für eine vermeintliche teleologische Erfüllung, aber auch ohne offenen Protest. In der preußischen Militärelite galt der Krieg als Medium des Fortschritts und der Katharsis.148 König Wilhelm I., Bismarck und Roon benutzten beide Deutungskategorien, indem sie in den internen Kreisen den Nationalstaat als notwendige Machterhaltungsstrategie beschrieben, in der Öffentlichkeit hingegen die Pathosformeln patriotischer Kriegsrhetorik und preußischer Mission instrumentalisierten. Die drei zentralen Identifikationsfiguren des neugegründeten Reichs erhielten durch die berauschenden militärischen Erfolge von 1866 und 1870 genügend emotionalen und kulturellen Rückhalt, um die Suggestion der nationalen Euphorie glaubwürdig vertreten zu können. In den zahlreichen Briefen, die Albrecht von Roon im Juli 1866 und zwischen September 1870 und Februar 1871 an seine Frau Anna Rogge schrieb, projizierte der preußische Kriegsminister seine Emotionen und Erwartungen auf die traditionellen Wertorientierungen des preußischen Dienstethos und des Herrscherkults. Roons überhöhte Königstreue und seine kriegerische Entschlossenheit minimierten die Skepsis gegenüber der Nationalstaatsidee und blendeten die Verunsicherung durch die bevorstehenden Veränderungen aus. Im Sommer 1866 berichtete der Kriegsminister ausschließlich von der Bravour der preußischen Soldaten. Dabei betrachtete er
146 Albrecht, Preußen, S. 460. Zum tendenziösen Begriff Neue Ära vgl. Jansen, Gründerzeit, S. 130–133. 147 Wilhelm I. an seine Schwester Alexandrine am 6.4.1866. In: Briefe an Alexandrine, S. 101. 148 Vgl. Niklaus Meier, Warum Krieg? Die Sinndeutung des Krieges in der deutschen Militärelite 1871–1945, Paderborn 2012, S. 107–156.
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den preußisch-österreichischen Konflikt von 1866 als die Fortsetzung der Expansionskriege von Friedrich II. und als Revanche für die Demütigung von Ölmutz.149 Auch während des Feldzugs von 1870/71 bezog sich Roon auf das Instrumentarium des Bellizismus, der Ehrendiskurse und der Königstreue und vermied geflissentlich das deutsch-nationale Rechtfertigungsnarrativ, das in der Öffentlichkeit dominierte. Mit einer ungewöhnlich sarkastischen und aggressiven Sprache brachte er ein starkes antifranzösisches Ressentiment zum Ausdruck. Die obsessive Wahrnehmung der „immerwährenden Hegemoniebestrebungen Frankreichs“, die eng mit dem Mythos der Befreiungskriege verknüpft war, wurde mit der Rheinkrise von 1840, nach der Revolution von 1848 und dem Staatsstreich von Napoleon III. im Jahr 1851 sowie vor allem mit der französischen Intervention in Norditalien 1859 reaktiviert und politisch instrumentalisiert.150 Am Vorabend der Reichsgründung aktualisierte Roon die latente und im gegenrevolutionären Diskurs tief verwurzelte Gallophobie, um die nationale Einigung und die daraus entstehende politische Verunsicherung zu verarbeiten.151 Zwischen September 1870 und Februar 1871 kommentierte der preußische Kriegsminister leidenschaftlich die sinnlose Belagerung von Paris. Er bezeichnete die französische Hauptstadt als Babel, Sodom, Satan-Residenz und Hexenkessel.152 Ausgehend von dieser überhöhten Sprache, die viel eher den Grundton des gegenrevolutionären Diskurses wiedergab als die realpolitische Wende zu kennzeichnen, spitzte Roon seine Selbstdeutung als loyaler Staatsdiener und selbstloser preußischer Soldat mit der polemischen Fremdbeschreibung des besiegten Feindes zu.153 Im scharfen Gegensatz zur pragmatischen Argumentationslogik, die bis 1870 seine politische Position charakterisierte, forderte Roon immer wieder die „Zerstückelung“ Frankreichs und ein rücksichtsloses Bombardement von Paris: „Mach doch endlich Buum, Buum, Buum!“154 Im Hauptquartier von Versailles vollzog der preußische Kriegsminister eine semantische und ideologische Radikalisierung seiner Selbst- und Fremdbeschreibung. Mit preußischem Bellizismus und ostentativer Gallophobie versuchte Roon, die drohende
149 Vgl. Albrecht von Roon an seine Frau am 5.7.1866, am 7.7.1866, am 11.7.1866 und 25.7.1866 (BARCH 48/13 nr. 67, 69, 72 und 78). 150 Gramley, Propheten, S. 77. 151 Ausführlich über Gallophobie und konservativen Revolutionsdiskurs siehe Kap. 1.1.1. 152 Albrecht von Roon an seine Frau am 6.10.1870 (BARCH 48/13 nr. 102). Ferner Roon an seine Frau am 12.9.1870, am 6.10.1870, am 6.11.1870, 4.12.1870 und am 24.1.1870. In: Roon, Denkwürdigkeiten, S. 474, 487, 502, 513 und 542. 153 Albrecht von Roon an seine Frau am 10.10.1870, 30.10.1870 und 31.10.1870. In: Roon, Denkwürdigkeiten, S. 488–490. 154 Albrecht von Roon an seine Frau am 17.12.1870. In: Roon, Denkwürdigkeiten, S. 516. Ferner Roon an Moritz von Blanckenburg 6.9.1870. In: Roon, Denkwürdigkeiten, S. 464–469. Vgl. auch Prinz Karl von Preußen, Denkwürdigkeiten (Bd. 2), S. 293.
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Nationalstaatsgründung in den Hintergrund zu drängen. Jedoch erwähnte er auch rationale Beweggründe für seinen militaristischen und antifranzösischen Fanatismus: „Blut ist ein ganz besonderer Saft […], rühmliche Thaten blenden die blinde Menge, die geneigt ist, Menschen nicht nach ihren Motiven, sondern nach ihren Erfolgen zu beurteilen“.155 Mit einer ähnlichen, wenngleich deutlich reflektierteren Argumentationsstrategie rechtfertigte sich Rudolf von Gneist, als er sich im Jahr 1866 entschloss, nach fast zwei Jahrzehnten liberaler Opposition, die preußische Realpolitik zu unterstützten. Seinem gegen die kleindeutsche Politik sehr kritisch eingestellten Freund Karl Anton Mittermaier schrieb Gneist: „Das Jahr 1866 wird wohl das bestätigen, was ich seit langen Jahren über den Werth einer öffentlichen Meinung gesagt habe, welche durch soziale Instinkte und durch die Tagespresse beherrscht, in innersten Grund keine Achtung und keinen Sinn für Staat und Gesetz hat.“156 Die Verflechtung von emotionalisierter Sprache und pragmatischen Argumentationsstrategien generierte ein vielfältig einsetzbares Deutungsmuster, um die zwischen 1866 und 1870 stark hervortretende Kombination von Kriegseuphorie und Zukunftsangst zu bewältigen. Nach 1871 bildeten die „Invektiven gegen den französischen Erbfeind“ und die bellizistische Heldenverehrung einen zentralen Bestandteil der massenkommunikativen Kulturpolitik des Kaiserreichs.157 Roon vollzog eine klare Trennung zwischen preußenfixierten, antifranzösischen Argumentationsfiguren und der nationalen Frage, die nur am Rande und mit einer pragmatisch-begeisterungslosen Rhetorik thematisiert wurde. Als der preußische Kriegsminister über die bevorstehende Reichsgründung berichtete, vermied er den Begriff Nation und erwähnte nur knapp und widerwillig die Notwendigkeit, „die deutsche Einheit an[zu]fertigen“, zu „erledigen“ und das „Eisen [zu] schmieden, so lange es warm ist“.158 Die kargen semantischen Bestimmungsmuster, mit denen er die Reichsgründung erfasste, kontrastierten scharf mit der leidenschaftlichen Überspitzung seines Preußensinns und seiner Gallophobie. Zunehmend wegen „unpreußische[r] Einflüsse“ verstimmt, äußerte sich Roon ironisch über die Titel-Vermehrung von König Wilhelm I.159 Er nahm an der Kaiserproklamation am 18. Januar 1871 nicht teil. Obwohl er in der glanzvollen Darstellung von Anton von Werner im Vordergrund neben Bismarck abgebildet wurde, blieb er dem „merkwürdigen Feste“ im Versailler Spiegelsaal bedenkenlos wegen einer minder schweren Erkrankung fern
155 Albrecht von Roon an seine Frau am 7.7.1870. In: Roon, Denkwürdigkeiten, S. 289. 156 Karl Joseph Anton Mittermaier an Rudolf Gneist am 23.12.1866. In: Mittermaier, Briefwechsel, S. 157. 157 Fabian Trinkaus, Nationaler Mythos und lokale Heldenverehrung. Die Schlacht von Spichern und ihre kulturpolitische Rezeption in Saarbrücken während des Kaiserreichs, Trier 2013, S. 12. 158 Albrecht von Roon an seine Frau am 27.10.1870, am 28.10.1870, am 30.10.1870 und am 28.11.1870. In: Roon, Denkwürdigkeiten, S. 494–496 und 511. 159 Albrecht von Roon an seine Frau am 26.11.1870 und 17.12.1870. In: Roon, Denkwürdigkeiten, S. 511– 516.
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und verspottete die Verhandlungen der deutschen Fürsten über das „Kaiserhühnchen“: „Hierorts sind wir mehr in politischen als in militärischen Nothen. Ob es zu lebendigen oder bloßen Fehlgeburten kommen, ob das Kaiserhühnchen wohlgestaltet aus dem Ei kriechen wird, wer weiß das jetzt schon sicher“.160 Auch Ottavio Thaon di Revel weigerte sich demonstrativ, seine reservierte und skeptische Haltung zum italienischen Risorgimento zu revidieren. Er richtete den Fokus seiner politischen Aktivitäten auf die Herstellung von Kontinuität und Traditionsstiftung, um das bedrohliche Innovationspotenzial der konstitutionellen Reformen und des nationalen Einheitsstaats zu reduzieren. Diese Bewältigungsstrategie führte dazu, dass Revel seine konservativen Wertorientierungen nicht in Frage stellte, aber das resolute Vokabular der realpolitischen Wende übernahm. Nach 1848 bezeichnete er die Verfassungs- und Nationalstaatspolitik als unumgänglich.161 Die konstitutionellen Reformen riefen zwar eine „herzzerreißende Traurigkeit“ sowie „Scham und Verlegenheit“ hervor, jedoch war dies der Preis, den Revel für seine Selbstinszenierung als pragmatischer und loyaler Staatsmann zu zahlen hatte.162 Nach der Revolution und bis in die 1860er Jahre hinein fand Revel mithilfe der Suggestion einer notwendigen und alternativlosen „politique pratique“ eine vielfältig einsetzbare Argumentationsstrategie, um die umfassenden politischen Transformationen aktiv zu verfolgen und mitzugestalten. Er legitimierte seine politische Haltung sowohl in den traditionellen Elitenetzwerken als auch in den neuen konstitutionellen Foren mit den Begriffen Pflicht und Treue, die die vertrauten Pathosformeln des konservativen Dienstethos und des monarchischen Herrscherkults reproduzierten.163 In der konfliktreichen Übergangsphase 1840–1870 etablierten sich auch in Piemont Königstreue, Revolutionsangst und „politique pratique“ als zentrale politische Orientierungsmuster, weil sie die reformbereiten Moderati und die Konservativen auf einen gemeinsamen Nenner brachten. Bereits im Jahr 1852 behauptete der gut informierte englische Diplomat Sir James Hudson, die Ideale von Pflicht und Loyalität seien imstande, die Differenzen von Cavour und Revel zu harmonisieren und damit eine solide liberalkonservative Verfassungs- und Nationalstaatspolitik auszuhandeln.
160 Albrecht von Roon an seine Frau am 18.11.1870. In: Roon, Denkwürdigkeiten, S. 508. Vgl. auch Albrecht von Roon an seine Frau am 18.1.1871. In: Roon, Glaube, S. 96. 161 Der Brief von Ottavio Thaon di Revel an Vincenzo Ricci vom 25.7.1848, der die halbherzige, aber loyale Zustimmung zu den Reformen thematisierte, lautete: „Cercai di studiare e non di disconoscere la rivoluzione […] e consigliai senza esitazione e mi lusingo non senza frutto le riforme. […] La mia mente dovette assuefarsi a discutere […] sistemi da cui avevo rifuggito durante tutta la mia vita e l’adozione dei quali mi poneva in contraddizione flagrante con tutto il mio passato.“ (MRG Cart. 19, nr. 2338). 162 Revel betonte, dass er den Reformen nur mit „amarezza nel cuore“ und „rossore sulla fronte“ zugestimmt habe. Vgl. Ottavio Thaon di Revel an Vincenzo Ricci am 25.7.1848 (MRG Cart. 19, nr. 2338). 163 Vgl. Ottavio Thaon di Revel, Rede am 26.10.1848 (APS Discussioni – Sessione del 1848, Bd. 3, S. 583).
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Hudson konstatierte, dass die regierenden Moderati und die konservative Opposition „nelle questioni essenziali essi sono entrambi costituzionalisti, entrambi leali ed entrambi liberal conservatori“.164 Sowohl in Preußen als auch in Piemont basierte das erfolgreiche Rechtfertigungsnarrativ der realpolitischen Wende auf dem nachrevolutionären Verarbeitungs- und Aneignungsprozess zwischen liberalen Erwartungshorizonten und konservativen Ordnungsideen. Diese kumulativen Anpassungsleistung erreichte mit der Formation der neuen Nationalstaaten ihren Höhepunkt. Sie reagierte auf das Ineinandergreifen von Fortschrittsglaube und kultureller Desorientierung und setzte eine temporär fixierte Deutungshoheit über die Konzepte von Patriotismus und Loyalität durch. Die Sprache und die Ideologie der realpolitischen Wende suggerierten eine vereinfachte, aber attraktive Lösung, um tiefgreifende Identitätskonflikte und Transformationskrisen zu bewältigen. Indem es pragmatische Beweisführungen und messianische Argumentationsfiguren kombinierte, verknüpfte das Programm der bismarcktreuen Freikonservativen für das Jahr 1870 liberalkonservative Bestimmungsmuster und preußisch-deutsche Pathosformeln mit der Sprache der harten Tatsachen. Die Freikonservativen proklamierten, dass „das nationale, das deutsche Staatswesen“ unter „Konservierung der historischen Grundlagen der preußischen Monarchie“ und „um den festen Kern des preußischen Staates“ auszubauen war.165 Die überparteiliche Ideologie der Realpolitik versprach, die „unfruchtbaren Doktrinen“ zu bekämpfen und nur „im Dienste des Vaterlandes“ für das politisch Erreichbare einzutreten.166 Das Erfolgsrezept der Realpolitik lag darin, dass sie über regionale und soziokulturelle Barrieren hinweg eine Ideologie ohne „doktrinäre Rechthaberei“ und eine teleologische Zukunftsvision ohne Kontinuitätsbrüche postulierte.167 Außerdem überzeugte die realpolitische Wende allmählich sowohl die konservativen Eliten als auch die liberale Öffentlichkeit.168 Nach dem Schock von 1848 transferierten konservative Realpolitiker wie Revel und Roon die liberalen Ordnungsideen von Verfassung und Nation auf das „Prinzip der Macht“.169 Sie registrierten die nachrevolutionäre Desorientierung und brachten mit altvertrauten Ordnungsmustern und mit einer aggressiven Sprache eine sinnstiftende Kontinuitätskonstruktion hervor. Damit akzeptierten sie die alternativlos wirkende Notwendigkeit politisch-institutioneller
164 James Hudson an James Howard Malmesbury am 18.11.1852. In: Curato, Relazioni diplomatiche (Bd. 1), S. 229. 165 Ein freikonservatives Parteiprogramm (1870). In: Mommsen, Parteiprogramme, S. 54–56. 166 Mommsen, Parteiprogramme, S. 58–61. 167 Mommsen, Parteiprogramme, S. 60. 168 James Retallack beschrieb diese realpolitische Disposition als „the right-wing attempts to mobilize the masses while retaining ties to the monarch, the state, and their functional elites (court, nobility, bureaucracy, army).“ Vgl. Retallack, Right, S. 6. 169 Zu den Verschränkungen zwischen liberalen Ideen und dem Prinzip der Macht vgl. Grünert, Sprache, S. 286.
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Veränderungen und reaktivierten das Binom Patriotismus-Reformen, das seit dem 18. Jahrhundert die europäischen Staatsbildungsprozesse im Spannungsfeld zwischen innovativen Politikentwürfen und konservativer Traditionsstiftung charakterisierte.170
onservativer Fortschritt. Der semantische und programmatische Gehalt der 3.1.3 K realpolitischen Wende Im Jahr 1875 resümierte Gustav Schmoller in einem Essay über die Grundfrage des Rechts, dass der Fortschritt der Geschichte darin bestehe, „an Stelle der Revolution die Reform zu setzen“.171 Im 19. Jahrhundert blieb Revolution sowohl für die Liberalen als auch für die Konservativen ein prozessualer Grundbegriff, der einen „grundsätzlich notwendigen Zwang zum Wandel oder zur Anpassung ausübte“.172 Nach der Revolution von 1848 betrachteten immer mehr liberalkonservative Politiker und Intellektuelle die nationale Einigungspolitik von oben als den optimistischen Erwartungshorizont einer Revolution ohne Revolution. Dieser Slogan wurde von Robespierre verächtlich formuliert und bezeichnete Eliten, die eine systemstabilisierende Modernisierungspolitik forderten, um die Revolution zu neutralisieren.173 Die vermeintliche Notwendigkeit der nationalstaatlichen Machtkonzentration basierte auf einer hybriden Integrationsideologie, die sowohl die traditionelle Selbstdeutung der staatstragenden Eliten als auch den liberalen Reform- und Fortschrittsenthusiasmus widerspiegelte. Der konservative Fortschrittsbegriff war reformorientiert und geschichtsoptimistisch gedacht, jedoch beinhaltete er auch skeptische Erwartungshaltungen und irrationale Untergangsängste.174 Das ideologische Mosaik der konservativen Verfassungs- und Nationalstaatspolitik von oben beinhaltete ungleichzeitige Semantiken und parteiübergreifende Interessen. Es bezog sich auf den aufgeklärten Absolutismus und auf die idealistische Geschichtsphilosophie, aber auch auf den monarchischen Herrscherkult, auf das traditionelle Dienstethos und auf die narrative Bewältigung der Revolution. Der gemeinsame Nenner dieser vielfältig einsetzbaren Bestimmungsmuster war die Suggestion des Staats als sittliche Kraft und Träger des Fortschritts.175 Die angebliche Notwendigkeit und Objektivität der nationalstaatlichen Machtkonzentration von oben wurde
170 Vgl. Rosario Villari, Politica barocca. Inquietudini, mutamento, prudenza, Rom 2010, S. 90–93. 171 Zit. nach Koselleck, Revolution, S. 753. 172 Koselleck, Revolution, S. 759. 173 Vgl. Dipper, Bewegungen, S. 555. 174 Vgl. Arndt Brendecke, Die Jahrhundertwenden. Eine Geschichte ihrer Wahrnehmung und Wirkung, Frankfurt a. M. 1999, S. 219. Ausführlich zum vielfältigen Bedeutungsgehalt des Fortschrittsbegriffs im 19. Jahrhundert vgl. Meier u. Koselleck, Fortschritt. 175 Vgl. Koselleck, Sinn, S. 154. Das Paradigma des Staates als Kristallisationspunkt der sittlichen Kräfte ist vor allem auf die Thesen von Hegel und Ranke zurückzuführen.
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in Piemont und vor allem in Preußen in unzähligen publizistischen und normativen Texten, in literarischen Bestsellern und wissenschaftlichen Studien propagiert. Emblematisch dafür ist der vielgelesene Roman Sturmflut von Friedrich Spielhagen (1877). Er erzählt die Geschichte eines jungen Schiffskapitäns, der seine Nationalbegeisterung euphorisch zum Ausdruck bringt und davon träumt, „unter einer und derselben Flagge [zu] segeln, einer Flagge, die den Willen und die Macht hat, den Letzten und Ärmsten zu schützen und zu schirmen, der der Ehre und des Glücks teilhaftig ist, ein Deutscher zu sein.“176 In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts beschäftigte sich ein zunehmend breites Lesepublikum mit historischen, philosophischen, völkerrechtlichen, theologischen und ästhetischen Themen.177 Dabei waren (pseudo-)wissenschaftliche und literarische Texte noch besser geeignet als die politische Publizistik, um die Mission und die Objektivität der Nation als Telos und die Notwendigkeit der nationalstaatlichen Einheit zu untermauern. Im Jahr 1867 stellte der Jurist Rudolf Gneist in einem vermeintlich unpolitischen Aufsatz über die Freie Advocatur fest, es sei die historische Berufung des Hohenzollernstaats, das „neue Staatswesen in Deutschland“ gegen den „Partikularpatriotismus“ zu modellieren. Gneist präsentierte seinen teleologischen Fortschrittsglauben, indem er einerseits das 18. Jahrhundert als eine andere Welt betrachtete, andererseits jedoch bereits existierende dynastische und messianische Narrationen wiederbelebte: Das achtzehnte Jahrhundert war eine andere Welt als die heutige. Auch ohne eine dazwischen liegende Revolution ist jenes Jahrhundert tiefer geschieden von der Gegenwart, als jemals früher zwei Jahrhunderte des deutschen Volkslebens auseinander lagen. Der preußischen Monarchie war der Beruf zugefallen, von einem unscheinbaren Punkte aus das neue Staatswesen in Deutschland zu begründen.178
Ähnlich argumentierte Gneist in seiner Korrespondenz mit Karl Anton Mittermaier: „Es ist die Aufgabe dieser Zeit, allen Glauben an die Einzelverfassungen wegzuschaffen […], allen Partikularpatriotismus zu ertödten“.179 Auch der Literaturwissenschaftler Rudolf Haym benutzte die triumphierenden Semantiken und Deutungsmuster der realpolitischen Wende und plädierte dafür, dass sich die Intellektuellen den Sinn für das Reale aneigneten. Haym bezeichnete seine Epoche als „fortschrittslustige Zeit und die nationalstaatliche Machtkonzentration als die „einfach wahrhaftige“ Entwicklung:
176 Zit. nach Craig, Geschichte, S. 61. 177 Ausführlich darüber siehe Kap. 2.1.3. 178 Rudolf Gneist, Freie Advocatur, Berlin 1867, S. 1. Dort auch der Bergriff Partikularpatriotismus. 179 Rudolf von Gneist an Karl Joseph Anton Mittermaier am 14.2.1851. In: Mittermaier, Briefwechsel, S. 49.
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Auch der Literaturwissenschaft muß jener Sinn für das Reale und einfach Wahrhaftige, welcher die großen Verhältnisse des öffentlichen Lebens, welcher alle Forschungen und Schöpfungen der Gegenwart zu durchdringen angefangen hat, zu gute kommen. Auch das gehört zu den Pflichten dieser fortschrittslustigen Zeit, sich volle Klarheit über die Vorbedingungen ihrer Entwicklung, über die aus früheren Tagen ihr überkommene geistige Erbschaft zu verschaffen.180
Neben den militanten Historikern, Juristen und Literaten gehörten auch zahlreiche protestantische Theologen zu den Propheten des deutschen Nationalismus und der preußischen Mission. Spätestens seit 1866 betrachteten die liberalkonservativen Intellektuellen die kleindeutsche Einheit als die Erfüllung der weltgeschichtlichen und konfessionellen Berufung des Hohenzollernstaats.181 Ausgehend von der Verknüpfung dynastischer und nationalistischer Pathosformeln mit christlich-konservativen Ordnungsideen sanktionierten die Theologen, Juristen und Geschichtsprofessoren, die von einer „quasireligiösen Dimension nationalistischer Denkfiguren“ ausgingen, die Suggestion der preußisch-protestantischen Mission als politische und moralische Grundlage der nationalstaatlichen Machtkonzentration.182 Die Verfechter der protestantischen Konfessionalisierung und der historiografischen Konstruktion der großpreußischen Nation entwarfen eine breitenwirksame Integrationsideologie. Sie zeichneten eine teleologische Kontinuitätslinie zwischen der realpolitischen Nationalstaatsgründung und bereits existierenden Wiedergeburtsnarrationen wie dem Mythos Friedrich II. oder den sogenannten Befreiungskriegen.183 Seit den 1840er Jahren bemühten sich vor allem die deutschen Geschichtsprofessoren, die imaginierte und historisch abgeleitete Nation durch objektivierende Forschung zu festigen.184 Sie waren noch stärker als die anderen Propheten des Nationalismus von der Objektivität und der legitimierenden Funktion ihrer Studien überzeugt. Der Historiker Johann Gustav Droysen plädierte für die Erhebung der Geschichtsschreibung in den Rang einer Wissenschaft und betrachtete die Historie als „forschendes Verstehen“, das „einem Staat oder Volk das Bewusstsein seiner Genese verschaffen soll“.185 Dabei koexistierten heterogene Formen historiografischer Identitätsstiftung, die die Geschichtspolitik nicht nur auf die Nation, sondern auch auf die Monarchie, den Staat oder die ständischen, regionalen und munizipa-
180 Haym, Schule, S. 4. Dort auch die Suggestion der nationalstaatlichen Machtkonzentration als „einfach wahrhaftige“ Entwicklung. 181 Vgl. Gramley, Propheten, S. 139. 182 Lenhard-Schramm, Konstrukteure, S. 138. 183 Vgl. Frank-Michael Kuhlemann, Konfessionalisierung der Nation? Deutschland im 19. und frühen 20. Jahrhundert. In: Nation und Religion in Europa. Mehrkonfessionelle Gesellschaften im 19. und 20. Jahrhundert. Hrsg. von Heinz Gerhard Haupt u. Dieter Langewiesche, Frankfurt a. M. 2004, S. 27– 63. 184 Vgl. Gramley, Propheten, S. 164. 185 Vgl. Wilfried Nippel, Das forschende Verstehen und die Objektivität des Historikers. In: Berichte und Abhandlungen. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften 16 (2014), S. 61–70.
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len Traditionen projizierten.186 Um 1850 überlagerten sich verschiedene historische Begründungen und konkurrierende Vereinnahmungen der Nation. Nachdem Droysen mit seiner monumentalen Geschichte der preußischen Politik (1855–1886) das zentrale Werk des borussischen Geschichtsbildes geliefert hatte, etablierte sich die kleindeutsche Traditionsbildung und Geschichtspolitik langsam als die dominierende Darstellung der nationalen Vergangenheit.187 In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts beschrieben die deutschen Geschichtsprofessoren das vermeintliche Ineinandergreifen der „polyvalenten Begriffe Heimat, Vaterland und Vaterlandsliebe mit der Idee des Volkes“.188 Diese zunächst ergebnisoffene semantische und ideologische Assoziation gewann nach der Entstehung der neuen Nationalstaaten eine scharfe Kontur. Die Überzeugung, dass der deutsche Volksgeist die nationalstaatliche Machtkonzentration im preußischen Sinne untermauere, erhielt mit den Publikationen von Johann Gustav Droysen, Georg Waitz, Heinrich von Sybel, Ludwig Häusser, Maximilian Duncker und Heinrich von Treitschke ihre Legitimation als zukunftsweisende Deutungsoption.189 Darüber hinaus ermöglichte die historiografische Konstruktion einer nationalen Verbindung zwischen Volk, Staat und Dynastie die Harmonisierung von liberalem Fortschrittsenthusiasmus und konservativer Traditionsstiftung.190 Damit wurde die weitverbreitete Angst vor der preußischen Hegemonie allmählich entschärft und die Perspektive des großpreußischen Nationalstaats in eine historische und ideologische Kontinuitätsvorstellung eingebettet. Am Vorabend des preußisch-österreichischen Kriegs von 1866 erlebten die borussischen Historiker ihre erste Feuerprobe und traten in den politischen Arenen als zuverlässige Hilfstruppen Bismarcks auf. Sie bildeten ein aggressives, aber keineswegs hegemoniales Intellektuellennetzwerk, das über sehr aktive publizistische Sprachrohre wie den Grenzboten, die National-Zeitung und die Preußischen Jahrbücher verfügte.191 Anfang 1865 spitzte Treitschke in den Preußischen Jahrbüchern seine prononcierte Forderung nach dem kleindeutschen Einheitsstaat zu und erklärte mit einem lapidaren Grundton: „Der Weg ist uns gleichgültig, der dazu führt.“192 In
186 Ausführlich dazu siehe Kap. 2.2.4. 187 Vgl. Lenhard-Schramm, Konstrukteure, S. 145. 188 Gramley, Propheten, S. 166. 189 Gramley, Propheten, S. 169. Auch der Historiker Karl Biedermann engagierte sich als Publizist und Politiker. Er leitete die Leipziger Deutsche Allgemeine Zeitung, war Mitglied des Nationalvereins und Vorsitzender der Nationalliberalen Partei in Sachsen. Max Duncker war Mitarbeiter der Preußischen Jahrbücher und avancierte um 1860 zum Leiter der Pressestelle im preußischen Staatsministerium, Berater des Kronprinzen Friedrich und im Jahr 1866 zum preußischen Zivilkommissar für Kurhessen. Vgl. Jansen, Revolution, S. XXIV. 190 Gramley, Propheten, S. 188. 191 Nipperdey, Geschichte, S. 810. 192 Engelberg, Bismarck (Bd. 1), S. 556.
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einem aufsehenerregenden Artikel für die National-Zeitung schlossen sich Theodor Mommsen und Karl Twesten dieser Meinung an und plädierten für die „definitive und ewige Unterordnung unter den preußisch-deutschen Großstaat der sämtlichen Mittelund Kleinstaaten“.193 Dieses resolute Engagement für eine nationalstaatliche Machtkonzentration bestimmte die Position vieler großpreußischer sowie auch pro-österreichischer Publizisten, die sich von „Prinzipien und Doktrinen“ distanzierten und statt der theoretischen Existenz die Macht der deutschen Nation propagierten, teilweise sogar über die klein- und großdeutsche Differenzen hinweg.194 Nach der Rückkehr aus dem amerikanischen Exil trat Julius Fröbel für die österreichische Bundesreformpolitik ein und agierte als spiritus rector des großdeutschen Reformvereins.195 Jedoch wechselte der ehemalige Paulskirchenabgeordnete nach 1866 auf die preußische Seite und folgte damit der politischen Maxime, die er bereits im Jahr 1859 verkündet hatte: „Die deutsche Nation ist der Prinzipien und Doktrinen, der literarischen Größe und der theoretischen Existenz satt. Was sie verlangt, ist Macht – Macht – Macht! – Und wer ihr Macht gibt, dem wird sie Ehre geben, mehr Ehre als er sich ausdenken kann.“196 In den 1860er Jahren bezogen sich die liberalkonservativen Protagonisten der realpolitischen Wende nicht nur auf historische Kontinuitätsvorstellungen, sondern kreierten auch programmatische Slogans und vereinfachte Politikentwürfe. Die Ideologie der Realpolitik basierte auf der konservativen Verarbeitung und Vereinnahmung des bürgerlich-liberalen Fortschrittsenthusiasmus. Das freikonservative Wahlprogramm von 1867 lancierte den Slogan des konservativen Fortschritts und verdeutlichte damit das komplexe Ineinandergreifen historisch ungleichzeitiger und soziokulturell heterogener Politikdiskurse. Die neugegründete Freikonservative Partei berief sich auf die entwicklungsfähigen Elemente der Gesellschaft und rechtfertigte damit die Verschränkung von innovativen Ordnungsideen und konservativer Traditionsstiftung, die das Wahlprogramm von 1867 postulierte.197 Auch die konservative Reichstagsfraktion vertrat diese neue politische Maxime. Sie projizierte den konservativen Fortschritt auf den Mythos von Friedrich II. und forderte die preußische Regierung auf, den „Standpunkt Friedrichs des Großen wieder auf[zunehmen], welcher das Regiment fortschreitend, die Völker aber konservativ wollte“.198 Ausgehend von dieser semantischen und kulturellen Harmonisierung gegensätzlicher Ideen wie Tradition und Erneuerung, leistete der konservative Fortschritt einen
193 Engelberg, Bismarck (Bd. 1), S. 561. 194 Fröbel, Villafranca, S. 14. Im Jahr 1859 trat der Journalist Georg Fein dem neugegründeten Nationalverein bei, ohne „seine großdeutschen Überzeugungen aufzugeben“. Vgl. Jansen, Revolution, S. XXVII. 195 Jansen, Revolution, S. XXVIII. 196 Fröbel, Villafranca, S. 14. 197 Vgl. Wahlprogramm der Freikonservativen Partei (1867). In: Mommsen, Parteiprogramme, S. 54–56. 198 Wahlaufruf der konservativen Reichstagsfraktion für die preußische Landtagswahl (1867). In: Mommsen, Parteiprogramme, S. 53.
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entscheidenden Beitrag, um die unbestimmte Position der richtigen Mitte euphemistisch zu beschreiben und umgekehrt die politischen Extreme zu dämonisieren.199 Damit reaktivierte die realpolitische Wende die erprobte Argumentationslogik des Juste Milieu, die seit der französischen Julirevolution von 1830 in einer europaweit geführten Debatte zirkulierte. In diesem Sinne versprachen die Freikonservativen, die „segensreichen Errungenschaften der letzten Zeiten sicher zu stellen und unsere fernere staatliche Entwicklung ebensowohl vor der Reaktion als wie vor überstürzendem Radikalismus zu bewahren“.200 Im Gegensatz zu Revolution, Reaktion und Gegenrevolution, die überwiegend negativ besetzt waren, blieb Entwicklung ein allgemein akzeptierter Begriff, weil er den „Wandel mit Entfaltung und Bereicherung assoziierte“.201 Um 1850 versuchte bereits Radowitz, sein kleindeutsches Unionsprojekt mit dem beruhigenden Etikett des konservativen Fortschritts zu präsentieren.202 Jedoch setzte sich das Ausbalancieren zwischen nationalstaatlicher Machtkonzentration und konservativem Fortschritt erst nach dem preußisch-österreichischen Krieg von 1866 als ein attraktives und glaubwürdiges Rechtfertigungsnarrativ durch. Zahlreiche liberalkonservative Publizisten zelebrierten den großpreußischen Weg zur Einheit als den „wirklichen Fortschritt in der Entwicklung des deutschen Volkes“.203 In den 1860er Jahren spielte die Suggestion des wirklichen Fortschritts eine zentrale Rolle, um führende konservative Politiker wie Roon und Blanckenburg von den alten „Partheizwecke[n]“ loszulösen, und veranlasste sie dazu, die realpolitische Nationalstaatsgründung genauso wie die Freikonservativen und die nationalliberale Hilfstruppe Bismarcks zu unterstützen.204 Roon instrumentalisierte den Slogan des konservativen Fortschritts, um seinen eklatanten Bruch mit den erzkonservativen Gegnern der Realpolitik zu erklären. Inspiriert von der eskalierenden Krise in Norditalien manifestierte Roon bereits im Jahr 1859 seine Idee, politische Wunschvorstellungen von der „Realität der Dinge“ zu trennen. Damit stellte er lapidar fest, dass „die Realität der Dinge gewaltiger als alle
199 Exemplarisch für die intellektuelle Disposition der richtigen Mitte zwischen delegitimierten Extremen war das politische Testament von Friedrich Wilhelm III. Der preußische König verurteilte die „so allgemein um sich greifende Neuerungssucht“, warnte jedoch seinen Nachfolger Friedrich Wilhelm IV. auch vor einer „fast eben so schändlichen, zu weit getriebenen Vorliebe für das Alte“. Schließlich betonte Friedrich Wilhelm III. gegen die Extremen: „nur dann wenn Du diese beiden Klippen zu vermeiden verstehst: nur dann: sind wahrhaft nützliche Verbesserungen, gerathen“. Vgl. Friedrich Wilhelm III., Mein letzter Wille (1827). In: Testamenten der Hohenzollern, S. 754. 200 Aufruf des Ausschusses der Reichs- und Freikonservativen Partei (1876). In: Mommsen, Parteiprogramme, S. 69. 201 Koselleck, Revolution, S. 756. 202 Vgl. Joseph Maria von Radowitz an Friedrich Wilhelm IV. am 27.4.1850. In: Radowitz, Briefe, S. 223. 203 Anonym, Preußen und seine Bedeutung für Deutschland, Hamburg 1866, S. 59. 204 Albrecht von Roon an Moritz von Blanckenburg am 25.3.1868. In: Roon, Denkwürdigkeiten (Bd. 1), S. 379.
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Wünsche [war], namentlich solche, die nur auf halben Entschlüssen beruhen“.205 Um 1860 begann Roon mittels der inhaltlich undefinierten, aber zunehmend resoluten Ideologie des politischen Pragmatismus die angeblich ideen- und moralfixierte Position des konservativen Restaurationsdiskurses zu diskreditieren. Dementsprechend veränderten sich auch die Fremd- und Eigenwahrnehmung des preußischen Kriegsministers. Genauso wie Helmuth von Moltke galt Roon nicht mehr nur als treuer Staatsdiener und tapferer Offizier, vielmehr beschrieb er sich selbst als moderner Realist und wurde als pragmatischer Politiker in Szene gesetzt. In seiner Denkschrift für die Reform der Heeresverfassung von 1859 verband Roon die Sprache der realpolitischen Wende mit der identitätsstiftenden Suggestion der preußischen Aufgabe. Wenige Monate vor seiner Ernennung zum preußischen Kriegsminister legitimierte Roon seine politische Vision, indem er seine Begeisterung für die historische und politische Mission und die „welthistorische Bedeutung“ des Hohenzollernstaats immer wieder hervorhob.206 Mit derselben Argumentationsstrategie verteidigte Roon bis 1862 kompromisslos im zunehmend feindlichen Abgeordnetenhaus seine Heeresreform.207 Dabei bezog sich der preußische General ausschließlich auf die Machtstellung Preußens und auf dessen „Ansehen in Europa“ und demonstrierte gänzliches Desinteresse für die Nationalstaatsidee.208 Jedoch versuchte er die kleindeutsche Einigung in eine preußenfixierte Kontinuitätslinie einzuordnen und damit auch die Verunsicherung zu reduzieren, die die zunehmend starke politische Präsenz der deutschen Nationalbewegung hervorrief.209 Die interessengeleitete Erfindung der konservativen Realpolitik basierte auf der „Beharrlichkeit des Denkens, Fühlens und Handelns mit bezeichnenden Anpassungen an neue Entwicklungen“.210 In den 1860er Jahren leitete sie einen politikmächtigen Bewältigungs- und Neuformierungsprozess im konservativen Diskurs ein. Zur Definition und Durchsetzung der realpolitischen Wende trugen unterschiedliche Akteure, Ideen und Entscheidungen bei. Zu den Akteuren gehörten selbsternannte konservative Realisten wie Radowitz, Bismarck und Roon sowie einflussreiche nationalliberale Publizisten, Theologen und Geschichtsprofessoren. Ausgehend von
205 Albrecht von Roon an Clemens Theodor Perthes am 27.4.1859. In: Roon, Denkwürdigkeiten (Bd. 1), S. 349. 206 Albrecht von Roon, Bemerkungen und Entwürfe zur vaterländischen Heeresverfassung (Denkschrift an Prinz Wilhelm von Preußen am 22.7.1859). In: Roon, Denkwürdigkeiten (Bd. 1), S. 320–322. 207 Vgl. Albrecht von Roon, Rede am 12.9.1862 (VHA 7. Leg, Sez. 1, Bd. 3, S. 1638–1646). 208 Roon, Denkwürdigkeiten (Bd. 1), S. 322. 209 Vgl. Albrecht von Roon, Rede am 28.4.1865 (VHA 8. Leg, Sez. 2, Bd. 2, S. 1204–1219). Obwohl sich der preußische Kriegsminister kompromisslos für die Armee einsetzte und die militärischen Traditionen idealisierte, stellte er „in der Tradition von Clausewitz den Primat des Politischen vor dem Militärischen zu keiner Zeit in Frage“. Vgl. Hans-Christof Kraus, Albrecht von Roon. In: Deutsche biographische Enzyklopädie (Bd. 8), S. 520. 210 Elias, Studien, S. 165.
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der nachrevolutionären Desorientierung konstruierten sie mit zunehmend populistischen Appellen eine gemeinsame Sprache, die positivistischen Fortschrittsoptimismus, liberalen Nationalstaatsenthusiasmus, konservatives Dienstethos und die Suggestion der preußischen Aufgabe kombinierte. Neben ungleichzeitigen Wiederholungsstrukturen leisteten auch konkrete außen- und innenpolitische Krisensituationen einen wichtigen Beitrag, um die undogmatische Ideologie des konservativen Fortschritts und die realpolitische Nationalstaatsgründung von oben als ein alternativloses Projekt darzustellen. Zu diesen kontextbezogenen Voraussetzungen zählten sowohl die nationale „Ungeduld“, die nach dem Krimkrieg und der italienischen Nationalstaatsgründung europaweit an Bedeutung gewann, als auch die von den konstitutionellen Reformen nicht abgeschaffte autoritäre Regierungspraxis und die starke politische Präsenz des Militärs sowie der militarisierten Monarchie.211 Südlich der Alpen bezog sich die Suggestion einer piemontesischen Mission nicht auf eine besondere konfessionelle Ausprägung und wurde von der idealistischen Geschichtsphilosophie und dem hegelianischen Staatsideal nur marginal beeinflusst. Jedoch generierten auch im Piemont der liberale Fortschrittsenthusiasmus, der monarchische Herrscherkult und das konservative Dienstethos eine parteiübergreifende Makromentalität, die die Perspektive des nationalen Einheitsstaats als Telos glaubwürdig vermittelte. Seit den 1840er Jahren spielten auch in Italien zahlreiche militante Theologen, Juristen und Historiker eine entscheidende Rolle, um einen gemeinsamen Nenner zwischen liberaler Nationalbewegung, konservativer Traditionsstiftung und dynastischer Machtpolitik zu finden. Ausgehend vom positivistischen Fortschrittsglauben und von einer idealisierten Vorstellung der piemontesischen Mission legitimierte Pasquale Stanislao Mancini das italienische Risorgimento mit einem „wissenschaftlichen Kriterium“.212 Im Jahr 1849 emigrierte der neapolitanische Jurist nach Turin und setzte dort, protegiert von einflussreichen konservativen Politikern wie Cesare Balbo und Federigo Sclopis, seine akademische und parlamentarische Karriere erfolgreich fort.213 In seinem vielgelesenen Essay Della nazionalità come fondamento del diritto delle genti (1851) verarbeitete Mancini die Idee der piemontesischen Mission. Außerdem baute er die ideologischen Grundlagen der realpolitischen Wende auf und gab im Jahr 1852 eine kommentierte
211 Biermann, Ideologie, S. 280. Zur fortwirkenden politischen Ausstrahlungskraft des preußischen Bellizismus und zur starken Präsenz des Militärs im Spannungsfeld von Reform, Autoritarismus und Nationsbildung um 1860 vgl. Leonhard, Bellizismus, S. 601–644. Die preußische Monarchie wurde auch nach den konstitutionellen Reformen nicht entmilitarisiert. Vgl. Clark, Preußenbilder, S. 318. 212 Pasquale Stanislao Mancini, Della nazionalità come fondamento del diritto delle genti, Turin 1851, S. 10 und 63. 213 Bereits im November 1850 wurde Mancini auf den Lehrstuhl für internationales Recht an der Universität Turin berufen. Er engagierte sich als Berater des Justizministers Siccardi und wurde seit 1860 kontinuierlich ins piemontesische bzw. italienische Parlament gewählt. Schließlich diente Mancini zwischen 1876 und 1878 als Justizminister und von 1881 bis 1885 als Außenminister.
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Edition der politischen Schriften von Niccolò Machiavelli heraus, die den florentinischen Philosophen enthusiastisch als Vater der modernen Politik darstellte.214 Auch der königstreue Historiker Luigi Cibrario leistete einen wesentlichen Beitrag, um die Suggestion der piemontesischen Mission durch ein apologetisches Geschichtsbild zu kommentieren und damit die Notwendigkeit konservativer Reformen von oben politisch zu untermauern. In den 1840er und 1850er Jahren gehörten die zahlreichen historischen Studien von Cibrario zu den Standardlektüren der bürgerlichen und adligen Eliten Piemonts. Die monumentale Economia politica del Medioevo erschien zuerst im Jahr 1839 und wurde bis 1861 fünfmal neu aufgelegt.215 Mit seinen hagiographischen Darstellungen über Dynastie und Landesgeschichte akzentuierte der konservative Intellektuelle den monarchischen Herrscherkult mit paternalistischen Stereotypen, aber auch mit liberalem Reformenthusiasmus: „Radicata una volta nelle menti del popolo quest’opinione giusta e santa ed eminentemente sociale, la podestà sovrana rifulse a tutti gli occhi come podestà paterna e liberatrice.“216 Anhand dieser historischen Rekonstruktion der väterlichen und befreienden Autorität der piemontesischen Dynastie postulierte Cibrario die Führungsrolle der subalpinen Monarchie über die anderen italienischen Staaten.217 Nach 1848 unterstützte Cibrario die politische Linie der Moderati und agierte als Bildungs- und Außenminister. Jedoch gehörte er bereits vor der Revolution zu den engsten Vertrauten König Karl Alberts. In diesem Kontext veröffentlichte Cibrario neben seinen apologetischen Geschichtsdarstellungen auch ein einflussreiches programmatisches Manifest für den konservativen Fortschritt. In dem Pamphlet Pensieri sulle riforme di Carlo Alberto glorifizierte der königstreue Intellektuelle die Reformen von oben, indem er ihre Alternativlosigkeit und den gegenrevolutionär-legalistischen Charakter explizit in den Vordergrund stellte. Cibrario bediente sich der Leitmotive liberalkonservativer Realpolitik und postulierte das Ineinandergreifen von „principio progressivo“ und „principio conservatore“.218 Indem er sowohl die erzkonservativen Reformgegner als auch die linksliberalen „Extremisten“ diskreditierte, betrachtete der nobilitierte Historiker die Konsolidierung der Einheit zwischen Fürst und Volk als das wesentliche Ziel des konservativen Fortschritts.219 Cibrario aktualisierte bereits existierende paternalistische und dynastische Argumentationsfiguren und entwarf dadurch eine attraktive und traditionsstiftende politische Vision, die die liberalkonservative Verfassungs- und Nationalstaatspolitik als das Resultat der historisch gewachsenen piemontesischen Vormachtstellung in Italien legitimierte:
214 Pasquale Stanislao Mancini, Machiavelli e la sua dottrina politica, Turin 1852, S. 87. 215 Außerdem publizierte Cibrario zwei weitere hagiographische Studien: Storia della monarchia di Savoia (1840) und Storia di Torino (1846). 216 Luigi Cibrario, Economia politica del Medioevo (Bd. 1), Turin 1861, S. 133. 217 Cibrario, Economia, S. 141–159. 218 Cibrario, Pensieri, S. 8. 219 Cibrario, Pensieri, S. 10.
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Sanno poi il principe e il popolo ugualmente che questa Monarchia é per inviolabile condizion di siti essenzialmente, sostanzialmente militare, destinata com’é alla tutela dell’Italia; che quindi la verga del comando non si può scindere, né affievolire; che il Re non potrebbe senza tradire la sua missione, il popolo non potrebbe senza tradir se medesimo […]. La forza del Re é il nostro Palladio, e il Palladio dell’intera Penisola, diminuirla sarebbe un suicidio politico, sarebbe aprir le porte e darsi alla mercé del nemico.220
In den 1840er und 1850er Jahren diskutierten die piemontesischen Eliten zunehmend über die konkrete politische Bedeutung des konservativen Fortschritts. Jedoch waren sich spätestens seit 1848 sowohl reformorientierte Moderati wie Vincenzo Gioberti, Massimo d’Azeglio und Cavour als auch gemäßigte Konservative wie Cesare Balbo, Federigo Sclopis und Giuseppe Manno über die Notwendigkeit der Reformen von oben einig. Um diese pragmatische Neuorientierung ohne Kontinuitätsbrüche durchzusetzen, versuchte Cibrario die traditionelle Königstreue und die dynastischen Narrationen mit den neuen liberalen Legitimationstheorien und der italienischen Nationalbewegung zu harmonisieren. Mit dem Ausbalancieren zwischen Fortschrittsglauben und Konservatismus fand Cibrario eine programmatische Integrationsideologie für die Reformen von oben, die die piemontesischen Eliten trotz zunehmender Animositäten nie in Frage stellten. Auch der Theologe Guglielmo Audisio schloss sich um 1850 dem vagen politischen Programm des konservativen Fortschritts an und betrachtete die Reformen von oben als einen legalistischen und alternativlosen Gegenentwurf zum revolutionären und antireligiösen Umsturz. Wie die meisten katholischen Theologen und Prälaten engagierte sich Audisio nach 1848 direkt in den dynamisierten politischen Debatten und gründete mit Giacomo Margotti die erzkonservative Zeitung Armonia. In offener Polemik gegen die liberalen Reformen trat Audisio als Direktor der Accademia ecclesiastica di Superga zurück und verließ die piemontesische Hauptstadt. Aus seinem Exil in Rom attackierte Audisio publizistisch die gemäßigt liberale Politik der Moderati, die er als „sedicenti Divinità e Sovranità“ und „Babeli costituzionali“ bezeichnete, und bezog sich damit explizit auf die antiliberale Position von Solaro della Margarita.221 Nach dieser ersten unnachgiebigen Reaktion setzte sich der piemontesische Theologe mit den dramatischen Transformationskrisen zunehmend konstruktiv auseinander. Um 1860 thematisierte er in der Zeitschrift Rivista universale seine pragmatische Umorientierung und die damit verknüpfte Anerkennung der liberalkonservativen Verfassungs- und Nationalstaatsidee als gegenrevolutionäre und antilaizistische Machterhaltungsstrategie.222
220 Cibrario, Pensieri, S. 15. 221 Guglielmo Audisio, Quistioni politiche. Il matrimonio e la ragion di Stato, Teorica del matrimonio e origini del matrimonio civile in Piemonte, Avvenimenti politici ovvero principii di restaurazione politica, Neapel 1854, S. 205–210. 222 Vgl. Francesco Corvino, Guglielmo Audisio. In: DBI 4 (1962). http://www.treccani.it/enciclopedia/ guglielmo-audisio_(Dizionario_Biografico) (13.09.2015).
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Diese Anpassungs- und Bewältigungsstrategie kulminierte in dem aufsehenerregenden Essay Della società politica e religiosa rispetto al secolo decimonono. Audisio forderte die Katholiken explizit auf, den neuen Nationalstaat pragmatisch zu akzeptieren und damit Religion und Kirche effektiv zu schützen. Ausgehend von einem christlich inspirierten Fortschrittsoptimismus idealisierte der katholische Theologe die Vorstellung von der richtigen Mitte zwischen dem erzkonservativen und dem liberalen Extrem.223 Dabei revidierte Audisio sein negatives Urteil über die piemontesischen Moderati und bezog sich auf die politische Vision des konservativen Fortschritts, um die Harmonie und gegenseitig garantierte Selbstständigkeit von Staat und Kirche zu definieren.224 Um die angestrebte Harmonie von Nation und Religion deutlich hervorzuheben, konstruierte der piemontesische Theologe ein Pantheon von liberalkonservativen Intellektuellen wie Alessandro Manzoni, Niccolò Tommaseo und Gino Capponi.225 Auch der Publizist Luigi Chiala, der um 1850 in der ultrakatholischen Armonia unnachgiebig gegen die piemontesischen Moderati polemisierte, veränderte allmählich seine Position und etablierte sich in den 1860er als einer der bedeutendsten publizistischen Wortführer der Revolution von oben. Chiala vollzog diese pragmatische Umorientierung als Herausgeber der literarischen Zeitschrift Rivista contemporanea, die seit 1853 erschien. Außerdem publizierte er zahlreiche apologetische und sehr populäre Darstellungen der politischen, diplomatischen und militärischen Ereignisse, die zwischen 1859 und 1870 zur Formation des italienischen Einheitsstaats führten.226 Mit dem ambitionierten Projekt der Rivista contemporanea verarbeitete Chiala die Zäsur von 1848 und verfasste vor allem biographische Skizzen liberalkonservativer Intellektueller und Politiker, die er als einen Kanon der neuen nationalen Pädagogik betrachtete. Dazu gehörten Moderati wie Silvio Pellico, Vincenzo Gioberti, Alessandro Manzoni und Cesare Balbo, aber auch konservative Autoren wie Joseph de Maistre, Antonio Rosmini, Antonio Bresciani, und Niccolò Tommaseo.227 Nachdem Chiala die Idee der richtigen Mitte und des konservativen Fortschritts in seinem kontroversen Kanon katholischer und konservativer Patrioten verarbeitet hatte, kritisierte er die ultrakatholischen Legitimisten in einer zunehmend expliziten Form. Um seine neue politische Position zu untermauern, benutzte der piemontesische Publizist die positivistische Rhetorik der konservativen Realpolitik und entwarf
223 Vgl. Guglielmo Audisio, Della società politica e religiosa rispetto al secolo decimonono, Florenz 1876, S. 521. 224 Audisio, Società, S. XXXII. 225 Audisio, Società, S. XXXIV. 226 Vgl. Luigi Chiala, Notizie sulla vita di Carlo Alberto iniziatore e martire della indipendenza d’Italia, Turin 1861; Chiala, Cenni storici sui preliminari della guerra del 1866, Florenz 1870; Chiala, La vita e i tempi del generale Giuseppe Dabormida, Turin 1896. 227 Vgl. Maria Fubini Leuzzi, Luigi Chiala. In: DBI 24 (1980). http://www.treccani.it/enciclopedia/luigichiala_(Dizionario-Biografico) (13.09.2015).
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damit eine objektiv anmutende Integrationsideologie: „La vraie impartialité de notre siècle, droit être, a mon avis la vérité. S’il est difficile de la trouver dans le monde des idées, il n’en pas de même dans celui des faits.“228 Die pragmatische Umorientierung des ehemaligen Mitarbeiters der Armonia kulminierte im Jahr 1859, als sich Chiala freiwillig zum Krieg gegen Österreich meldete und eine erfolgreiche Karriere in der piemontesischen Armee begann. Der konservative Publizist stellte mit der Teilnahme an den Feldzügen von 1859 und 1866 seine Unterstützung der Nationalstaatsgründung von oben demonstrativ zur Schau. Er beschrieb die Protagonisten der piemontesischen Einheitsstaatspolitik als Identifikationsfiguren und betrachtete die Vorsehung als einen Grundbestandteil der historischen Entwicklung.229 Um 1850 stellten sich immer mehr piemontesische Publizisten, Spitzenbeamte und Politiker auf die Seite des konservativen Fortschritts. Ähnlich wie die preußischen Freikonservativen präsentierten Cibrario und Chiala ihre pragmatische Umorientierung als loyale und alternativlose Unterstützung der richtigen Mitte gegen die zunehmend delegitimierten Extreme. Indem er sowohl die liberalen als auch die ultrakatholischen Radikalen diskreditierte, beschrieb auch der einflussreiche Politiker und Intellektuelle Carlo Ilarione Petitti di Roredo seine Position euphemistisch als „conservatore e ministeriale“.230 Auch Revel reagierte produktiv auf diese konservative Neuformierung, indem er die politischen Deutungsmuster des Juste Milieu aktualisierte und eine Trennlinie zwischen gemäßigten Konservativen und klerikaler Fundamentalopposition zog.231 Bereits in einer programmatischen Denkschrift über die Finanzpolitik von 1848 argumentierte er mit dem politischen Vokabular des konservativen Fortschritts.232 Um seine Position, die sich gegen die politischen Extreme wandte, zu verdeutlichen, erklärte Revel am 14. April 1851 im piemontesischen Abgeordnetenhaus, dass er für den Fortschritt und gegen die Revolution eintrat: „Voglio progressi non rivoluzioni, coscienzioso esame, discussione ponderata, non precipitazione, non pressione esterna.“233 Ausgehend von der euphemistischen, aber europaweit intensiv diskutierten Idee des Juste Milieu und der realpolitischen Wende, gewannen auch im konservativen Diskurs pragmatische Orientierungskonzepte und entideologisierte Argumentations-
228 Luigi Chiala, Une page d’histoire du gouvernement représentatif en Piemont, Turin 1858, S. VIII. 229 Vgl. Luigi Chiala, Cenni storici sui preliminari della guerra del 1866, Florenz 1870, S. V. Nach 1861 publizierte Chiala zahlreiche andere militärgeschichtliche Darstellungen und hagiographische Quelleneditionen, die patriotische Identifikationsfiguren wie Cavour, La Marmora und Dabormida verherrlichten. 230 Carlo Ilarione Petitti, Considerazioni sopra la necessità di una riforma de tributi, Turin 1850, S. II. 231 Ottavio Thaon di Revel, Rede am 7.2.1853 (APS Discussioni – Sessione del 1853, Bd. 6, S. 2395). 232 Ottavio Thaon di Revel, Relazione sulle condizioni delle finanze, Turin 1848, S. 6. 233 Ottavio Thaon di Revel, Rede am 14.4.1851 (APS Discussioni – Sessione del 1851, Bd. 5, S. 1837).
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logiken die Oberhand.234 Nach den Revolutionen von 1830 und 1848 entwickelten Moderati und reformorientierte Konservativen die gegenrevolutionäre Sprache des Politischen weiter. Die Wortführer der „politique pratique“ entwarfen neue konservative Erwartungshorizonte und ordneten die politische Mythologie der nationalen und konstitutionellen Monarchie in einer glaubwürdigen Wiederholungsstruktur paternalistischer, dynastischer und messianischer Narrationen ein. Die Integration von traditionellen und modernen Ordnungsideen generierte nicht nur innovative politische Visionen und Programme, sondern ermöglichte auch neue Rituale und Diskussionsforen. Ein Beispiel dafür ist die Praxis des Staatsbesuchs im Rahmen der europäischen Nationalstaatenpolitik, die sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durchsetzte und bis heute besteht.235 Mit dem vielfältig einsetzbaren Slogan des konservativen Fortschritts fanden die preußischen und piemontesischen Eliten eine programmatische Maxime, um liberalen Fortschrittsglauben und konservative Traditionsstiftung zu harmonisieren und konkrete Anpassungsleistungen auszuhandeln. Damit marginalisierten sie die politischen Extreme und setzten die ergebnisoffene Perspektive der nationalen Mission ohne dramatische Kontinuitätsbrüche durch.
3.2 Wahrheit und Notwendigkeit nationalstaatlicher Machtkonzentration. Stabile Anpassungsleistungen und unkontrollierbare Folgen der Nationalstaatspolitik Im Empfangssaal des friderizianischen Sommerschlosses Sanssouci ertönten am Abend des 3. November 1848 eloquent und schlagfertig die liberalen Definitionen von Wahrheit und Notwendigkeit. Zwischen sechs und sieben Uhr versuchte eine Delegation der preußischen Nationalversammlung den König davon zu überzeugen, die Entscheidung zu revidieren, ein konservatives Kabinett unter General Friedrich Wilhelm Graf von Brandenburg einzuberufen. Friedrich Wilhelm IV. hörte sich widerwillig die Adresse der liberalen Abgeordneten an und wollte sich wieder zurückziehen.236 Zum großen Erstaunen seiner in Ehrfurcht vor dem König erstarrten Kollegen verstieß Johann Jacoby, ein jüdischer Arzt aus Königsberg, gegen das strenge Zeremoniell, indem er unaufgefordert den König ansprach.237 Von der desinteressierten Haltung Friedrich Wilhelms IV. herausgefordert, bemerkte Jacoby provokativ: „Wir sind nicht bloß hierher gesandt, um Eurer Majestät eine Adresse zu überreichen, sondern auch,
234 Zur Bedeutung und den transnationalen Dimensionen von gemäßigt-konservativen Politikdiskursen zwischen Revolution und Reaktion vgl. Broers, Quest. 235 Vgl. Paulmann, Pomp, S. 295 und 301. 236 Vgl. Uwe Wesel, Die Prophezeiung des Doktor Jacoby. In: Die Zeit 18 (28.04.2005). 237 Im Gegensatz zu Jacoby waren die meisten deutschen Liberalen „ängstlich besorgt um die Wahrung der Formen gegenüber den Fürsten“. Vgl. Steinmetz, Sprechen, S. 1122.
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um Eurer Majestät über die wahre Lage des Landes mündlich Auskunft zu geben.“ Als der König erneut mit süffisanter Mine darauf reagierte und den Empfangsaal schnell verlassen wollte, rief Jacoby ihm hinterher: „Das ist das Unglück der Könige, dass sie die Wahrheit nicht hören wollen!“238 Obwohl Jacoby von den anwesenden Adjutanten und selbst von seinen Abgeordnetenkollegen unverzüglich aus dem Schloss gewiesen wurde, stand seine spektakuläre Auseinandersetzung mit Friedrich Wilhelm IV. beispielhaft für den um 1850 radikalisierten und öffentlich ausgetragenen Konflikt zwischen liberalen und konservativen Deutungsmustern.239 Im 19. Jahrhundert wurden die Kategorien von Wahrheit und Notwendigkeit von Politikern, Journalisten, Theologen und Historikern permanent instrumentalisiert, um subjektive und interessengeleitete Wahrnehmungen als pragmatische und objektive Ideen zu legitimieren. Dabei bezogen sich Konservative wie Friedrich Wilhelm IV. und Liberale wie Johann Jacoby auf unterschiedliche Definitionen von Wahrheit und Notwendigkeit, die zwischen 1840 und 1870 miteinander stark konkurrierten, jedoch auch gegenseitige Adaptionen und Anpassungen hervorbrachten. Die Beschwörung von historischen Wahrheiten und politischen Notwendigkeiten, die die realpolitische Nationalstaatsgründung untermauerte, erwies sich als eine zweischneidige Waffe. Die Versprechungen der preußischen Realpolitiker und der piemontesischen Moderati, die fest davon überzeugt waren, die liberale Nationalbewegung zu kontrollieren und die Revolution zu neutralisieren, wurden nur partiell und kurzfristig eingelöst.240 Aufgrund der Begriffsverwirrung über die vermeintliche Notwendigkeit nationalstaatlicher Machtkonzentration entstand eine Vielzahl von kontroversen Vereinnahmungen und politischen Missverständnissen. In der nachrevolutionären Übergangsepoche gewannen das Konzept von Wahrheit und die universellen Deutungskategorien von Vaterland und Nation kontinuierlich an Bedeutung.241 Sie kamen mit bereits vorhandenen Ordnungsmustern wie dem konservativen Dienstethos, dem monarchischen Herrscherkult und der christlich-legitimistischen Tradition in der modernen Sprache des Politischen zur Geltung. Die ergebnisoffene und nur temporär fixierte Anpassung zwischen konservativen und liberalen Ideen führte dazu, dass die politische Funktionalisierung der Begriffe Nation, Vaterland und Volk immer umstritten und nur kurzfristig kontrollierbar blieb.242 Die Durchsetzung des
238 Zit. nach Wesel, Prophezeiung. Dort auch das vorherige Zitat. 239 Der Kladderadatsch würdigte den Auftritt von Jacoby mit einer nicht satirischen „dem Ernst des gegenwärtigen Augenblicks“ entsprechenden großformatigen Illustration. Vgl. Kladderadatsch 28 (12.11.1848), S. 4. Bis in die 1860er Jahre hinein blieb Jacoby die Galionsfigur der liberal-demokratischen Opposition in Preußen. Vgl. Jansen, Gründerzeit, S. 132. 240 Vgl. Riall, Garibaldi, S. 269. 241 Vgl. Grünert, Sprache, S. 226–228. 242 Vgl. Retallack, Right, S. 8. Emblematisch für den liberalkonservativen Amalgamierungsprozess im Namen der nationalstaatlichen Machtkonzentration waren die Preußischen Jahrbücher, die jahr-
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Nationalstaats als politischer Königsweg in die Moderne und des Nationalismus als absoluter Wert bedeutete nicht, dass die Nation von bestimmten politischen Interessen dauerhaft monopolisiert und ungestört von oben instrumentalisiert wurde. Dies galt vor allem für die nationale Pädagogik in Italien und Deutschland, die auf einer hybriden, verhältnismäßig wenig erprobten und konfliktgeladenen Integrationsideologie basierte.243 Dynastische, militärische und regionale Mythen, Kollektivsymbole und Erfahrungsdeutungen bewiesen eine erhebliche Elastizität. Sie wurden im Vokabular und Wertekanon der realpolitischen Wende integriert und zu Inszenierungs- und Identitätsgrundlagen der neuen Nationalstaaten umgeformt.244 Als sich die liberale Nationalbewegung nach 1848 von den demokratischen und revolutionären Idealen distanzierte, wuchs auch das Interesse der Konservativen am modernen Nationalismus. Diese imaginierten die nationalstaatliche Machtkonzentration als einen systemstabilisierenden Politikentwurf. Der Grund, warum immer mehr Konservative den Nationalismus als ernstzunehmende und phasenweise sogar als positive Herausforderung betrachteten, lag darin, dass sie die nationale Frage nicht mehr nur als die Vorstufe der Revolution stigmatisierten, sondern als plausible Machterhaltungsstrategie zur Revolutionsbewältigung neu bewerteten.245 Auch die teleologische Argumentationslogik, die die Verfechter der nationalen Einigung nach der realpolitischen Wende benutzten, wirkte auf die Konservativen nicht mehr so bedrohlich und befremdlich wie die Forderungen der revolutionären Nationalbewegung. Die zunehmend dominierende Idee, die Ziele der Nationalbewegung „Einheit“ und „Freiheit“ unabhängig voneinander bzw. zeitversetzt zu verfolgen und zwar die nationale Einigung den liberal-demokratischen Reformen überzuordnen, wurde von Giuseppe Mazzini stark kritisiert. Der Wortführer der republikanischen Nationalbewegung warnte in einem 1859 verfassten Appel Ai Giovani d’Italia deutlich vor der realpolitischen Wende.246 Ludwig August Rochau nahm eine konträre politische Position ein. In seinem viel diskutierten Essay Grundsätze der Realpolitik kommentierte er die Neuformierung der nationalen Einheitsbestrebungen und die damit verknüpfte konservative Neubewertung der Einheitsidee, die sich um 1850 herauskristallisierte: Die demagogischen Umtriebe der zwanziger Jahre, die Revolutionsversuche von 1830 bis 1833, das süddeutsche Kammerwesen, die liberalen Zweckessen mit Begleitung von Standreden und
zehntelang von dem Nationalisten Treitschke und dem Reformisten Delbrück herausgegeben wurden. Vgl. Nipperdey, Geschichte, S. 810. 243 Vgl. Levra, Italiani, S. 18. 244 Vgl. Gramley, Propheten, S. 212. 245 Ausführlich zur Assoziation Nation-Revolution und zur politischen Neuorientierung dieses semantischen und ideologischen Bestimmungsmusters siehe Kap. 1. 246 „Quei che vi dicono: voi dovete avere prima Indipendenza, poi Patria, poi Libertà, o sono stolti o pensano di tradirvi.“ Giuseppe Mazzini, Ai Giovani d’Italia, Neapel 1860, S. 30.
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Ehrenpokalen, kurz die ganze Opposition in Deutschland war, ohne den Rückhalt, den sie bei dem Gedanken der Nationaleinheit finden konnte, ein unschuldiges Spiel, dessen sich der Konservatismus nicht zu beunruhigen brauchte. Erst durch die Einheitsidee konnte die Opposition zu einer politischen Macht erhoben werden, welche ernstliche Beachtung verdiente, erst die Einheitsidee brachte den bestehenden Gewalten eine wirkliche Gefahr.247
Die Realpolitik von Rochau, der um 1860 in die Führungsspitze des Nationalvereins aufrückte, blieb in „emotionalen und ideologischen Sichtweisen verhaftet“, jedoch generierte sie in der nachrevolutionären Übergangsgesellschaft einen zunehmend objektiv und alternativlos wirkenden Politikentwurf.248 Bis in die 1850er Jahre hinein waren die christlich-legitimistischen Ordnungsideen und Wertorientierungen aus konservativer Sicht genauso realistisch und pragmatisch wie die Ideologie der Realpolitik um 1860. Die realpolitische Wende war eine Reaktion auf die Desorientierung, auf die neuen Handlungsoptionen und Ambitionen, die nach der Revolution von 1848 sowohl in der liberalen als auch der konservativen Konstellation an Bedeutung gewannen. Als sich in den 1860er Jahren die Entwicklung des Nationalismus vom „unschuldigen Spiel“ zur „wirklichen Gefahr“ vollzog, diskutierten immer mehr konservative Politiker und Intellektuelle über die Idee einer nationalstaatlichen Machtkonzentration von oben. Sie assoziierten diese neue politische Vision mit imperativen Loyalitätsappellen sowie dynastischen und bellizistischen Rechtfertigungsnarrativen.249 Die Durchsetzung der Nationalstaatsidee als dominierende Handlungsorientierung und gesellschaftliche Gestaltungskraft basierte jedoch nicht nur auf pragmatischen Umorientierungen, sondern ging von einem langen diskursiven Adaptions- und Neuerfindungsprozess patriotischer Identitäts- und Legitimationselemente aus. Die Nationalstaatsgründung von oben war eine der vielen nichtrevolutionären Innovationen, die sich im 19. Jahrhundert auf lange Wiederholungsstrukturen bezogen und epochale Anpassungsleistungen einleiteten.250 Die vermeintliche Authentizität der neuen Nationalstaaten wirkte insofern glaubwürdig und traditionsstiftend, als die nationale Pädagogik in Deutschland und Italien die Mythen, die Herrschaftselemente und die Kollektivsymbole regionaler und dynastischer Narrationen reproduzierte. Selbst erzkonservative Intellektuelle wie Stahl und Sydow waren mit reformbereiten Politikern wie Radowitz prinzipiell einverstanden, die Legitimationsgrundlagen von Preußentum und Deutschtum zu kombinieren, vorausgesetzt, die „geschichtlichen
247 Ludwig August Rochau, Grundsätze der Realpolitik, angewendet auf die staatlichen Zustände Deutschlands, Stuttgart 1853, S. 55. 248 Biermann, Ideologie, S. 53. Rochau war der Herausgeber der Wochenschrift des Nationalvereins und gehörte der Nationalliberalen Partei an. Vgl. Jansen, Revolution, S. XXXVIII. 249 Vgl. Dieter Langewiesche, Die Idee der Nation als Handlungsorientierung. In: Ideen als gesellschaftliche Gestaltungskraft im Europa der Neuzeit. Beitrage für eine erneute Geistesgeschichte. Hrsg. von Lutz Raphael u. Elmar Tenorth, München 2006, S. 359– 368. 250 Vgl. Koselleck, Sinn, S. 114.
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Traditionen und Institutionen“ Preußens über die „falschen nationalen Impulse“ und die deutsche Nationalbewegung dominieren zu lassen.251 In diesem Sinne kommentierte Sydow die Amalgamierung alter und neuer Patriotismusdiskurse nach konservativer Auffassung: Mein Lokalpatriotismus ist freilich nicht eine gedankenlose, stumpfsinnige Anhängigkeit an einem [lokalpatriotischen Ideal]; aber ich weiß auch, daß wir in unserem geistigen und sittlichen Leben uns dessen nicht entschlagen können und sollen, daß wir Preußen sind, und ich weiß, daß dies nicht hindert, daß wir, und vielleicht mit innigerer Lebendigkeit und Wahrheit, als unsere politischen Gegner, ein eigenes Deutschland wollen.252
Seit 1848 setzte die umfassende Dynamisierung konservativer und liberaler Politikdiskurse neue Akzente und Erwartungshorizonte in der narrativen Bewältigung der permanenten Revolution. Dabei blieb die „Drohung einer Revolution [...] eine Konstante in der bürgerlich-aristokratisch gemischten Gesellschaft“.253 Vor diesem Hintergrund stellten sich die preußischen und piemontesischen Konservativen der Herausforderung des wachsenden Reform-, Partizipations- und Nationenthusiasmus ihrer liberalen Gegner und versuchten die neuen politischen Wahrheiten mit bereits existierenden patriotischen Narrationen zu entschärfen. Die Zusammenarbeit von konservativen Realisten und ehemaligen Revolutionären ging über die diskursivintellektuelle Ebene hinaus: Wichtige Mitarbeiter oder publizistische Unterstützer von Bismarck und Cavour wie Giuseppe La Farina, Moritz Busch, Ludwig Bamberger, Lothar Bucher, August Braß oder Ludwig Aegidi waren ehemalige „Demagogen“, Republikaner, Burschenschafter, linksliberale Revolutionäre und politische Emigranten.254 Der Jurist Johannes Miquel war zwischen 1850 und 1857 Mitglied im Bund der Kommunisten, um 1860 wechselte er zum Nationalverein. Nach der Reichsgründung wurde Miquel nationalliberaler Abgeordnete, Oberbürgermister von Frankfurt am Main und preußischer Finanzminister.255
251 Friedrich Julius Stahl, Friedrich Wilhelm der Dritte. Gedächtnisrede gehalten am 3. August 1853, Berlin 1853, S. 5 und 8. Vgl. auch Stahl an Hermann von Rotenhan am 5.12.1849. In: Stahl, Briefe, S. 343. 252 Karl Leopold Adolf von Sydow, Rede am 12.7.1848. In: Stenographische Berichte über die Verhandlungen der zur Vereinbarung der preußischen Staats-Verfassung berufenen Versammlung (Bd. 1), Berlin 1848, S. 474. 253 Koselleck, Revolution, S. 752. 254 Über Busch und Bucher als Mitarbeiter Bismarcks vgl. Eberhard Kolb, Moritz Busch: Bismarcks willfähriger publizistischer Gehilfe; Christoph Studt, „Unter den Treuen der Treuste“: Lothar Bucher als Mitarbeiter Bismarcks. In: Bismarcks Mitarbeiter. Hrsg. von Lothar Gall u. Ulrich Lappenküper, Paderborn 2009, S. 161–172 und 173–188. 255 Vgl. Jansen, Revolution, S. XXIII–XLV.
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3.2.1 E ine hybride Nation. Die Koexistenz von kleinem und großem Vaterland und die Annäherung zwischen liberalen und konservativen Patriotismusdiskursen Der Begriff Vaterland evozierte ein „Motivationszeichen von besonderem affektivem Bedeutungsgehalt“.256 Er definierte eine temporal fixierte Deutungsinstanz über die herrschenden politischen Inszenierungs- und Legitimationsgrundlagen. Nach den dramatischen Krisen um 1800 und seit den revolutionären Erschütterungen von 1848/49 wurde es für die Konservativen besonders wichtig, traditionsstiftende Ordnungsideen und interessengeleitete Politikentwürfe mit einer gruppenintegrativen Vaterlandsrhetorik zu untermauern. Trotz bestehender Divergenzen, Missverständnisse und Animositäten kristallisierte sich zwischen reformbereiten Moderati und konservativen Eliten ein Dauerkompromiss heraus. Er definierte den kleinsten gemeinsamen Nenner an politischem Patriotismus und schloss die rechts- und linksorientierten Extreme aus der imaginierten nationalen Gemeinschaft aus. Bis in die 1850er Jahre hinein konfigurierten die munizipalen, regionalen, dynastischen und nationalen Patriotismen ein Mosaik aus miteinander konkurrierenden und gleichzeitig integrierbaren Ordnungsmustern.257 Die verschiedenen Identifikationsebenen und politischen Mythologien der Nation wurden ständig neu bewertet und situationsadäquat instrumentalisiert. Nach dem Schock von 1848 gewann eine hybride nationale Pädagogik, die die konservativen Paradigmen von Ehre, Treue und Pflicht mit den nationalliberalen Orientierungskonzepten von Unabhängigkeit und Macht kombinierte, zunehmend an Bedeutung. Die kontroverse Amalgamierung von kleinem und großem Vaterland entstand aus einem gemeinsamen Fundament von religiösen Semantiken, romantischen, dynastischen und militärischen Erinnerungskulturen.258 Als in den 1850er Jahren das internationale Ordnungssystem zu erodieren begann und neue politische Arenen und Ambitionen legitimiert wurden, stellte die nationale Integrationsideologie vom kleinen und großen Vaterland sowohl für die Konservativen als auch für die Moderati eine zunehmend attraktive Selbstbehauptungsstrategie dar. Seit den 1840er Jahren projizierten zahlreiche konservative Politiker und Intellektuelle die machtpolitischen Interessen, die Ehrendiskurse, den monarchischen Herrscherkult und das traditionelle Dienstethos auch auf das große Vaterland. Der Preußensinn und der „piemontesismo“ verloren allmählich ihre antinationale Orientierung. Im Jahr 1855 publizierte der Beamte und dilettierende Historiker Ludwig Hahn seine sehr populäre Geschichte des preußischen Vaterlandes, die die „Jugend beiderlei Geschlechts“ und das „größere gebildete Publikum“ mit „warmen patrioti-
256 Grünert, Sprache, S. 226. 257 Ausführlich dazu siehe Kap. 2.2.4. 258 Vgl. Banti, Madre, S. 6–9.
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schen Gefühlen“ überschütten sollte.259 Die Begeisterung für König und Vaterland, die Hahn mit seiner Publikation propagierte, bezog sich ausschließlich auf Preußen und vermied jede Erwähnung des großen Vaterlands.260 Als sich wenige Jahre später die realpolitische Nationalstaatspolitik durchsetzte, rekonfigurierte Hahn sein Geschichtsbild und arbeitete problemlos weiter an seinen patriotischen Büchern, die nun „jeden Zweifel an der inneren Einigung ganz Deutschlands“ beseitigen sollten.261 Zwischen 1866 und 1871 wurden apologetische Darstellungen wie Ludwig Hahns Zwei Jahre Preußisch-Deutscher Politik und Der Krieg Deutschlands gegen Frankreich massenhaft produziert. Diese Publikationen waren noch beliebter als Zeitungsberichte, weil sie die Geschichte aus einer teleologisch sinnstiftenden Perspektive des Rückblicks dokumentierten. In seinen vielgelesenen Charakterbildern aus dem Feldzuge von 1866 behauptete der preußische Offizier Wilhelm Petsch, dass er nur „wirklich Geschehenes in ausführlicher Weise“ rekonstruiere. Genauso wie Hahn setzte sich Petsch das Ziel, „Begeisterung für das theure Vaterland Preußen und sein hochherziges Herrscherhaus“ mit der „Macht des Beispiels“ zu erzeugen.262 Während preußische Politiker und Offiziere ihre „Eigenschaft als Preuße[n]“ und ihre Begeisterungslosigkeit für die deutsche Einheitsstaatsidee nach wie vor zur Schau stellten, vermittelte die Kriegsliteratur eine verklärte Darstellung, die dynastisch-partikularistische und nationalpatriotische Motive amalgamierte.263 In den 1860er Jahren postulierten immer mehr liberale und konservative Zeitungen eine preußisch-deutsche Interessengemeinschaft und eine hybride Integrationsideologie, die die nationale Neuausrichtung der preußischen Politik untermauerte.264 Seitdem nahm das Potenzial der Idee vom großen Vaterland als Theorie der politischen Legitimität kontinuierlich zu.265 Im Januar 1861 bezeichnete die Preußische Zeitung den Hohenzollernstaat als „natürlichen Vertreter der deutschen Einheitsbestrebungen“.266 Der parteiübergreifende Slogan „Preußen an der Spitze Deutschlands“ charakterisierte nicht nur die politische Publizistik, sondern wurde
259 Ludwig Hahn, Geschichte des preußischen Vaterlandes. Für die reifere Jugend beiderlei Geschlechts und für das größere gebildete Publikum, Berlin 1855, S. VIII. 260 Vgl. Hahn, Geschichte, S. VIII–X. 261 Ludwig Hahn, Zwei Jahre Preußisch-Deutscher Politik 1866–1867, Berlin 1868, S. IV. Vgl. auch Hahn, Der Krieg Deutschlands gegen Frankreich und die Gründung des Deutschen Kaiserreich, Berlin 1871, S. III. 262 Wilhelm Petsch, Preußischer Krieger und Charakterbilder aus dem Feldzuge von 1866, Berlin 1867, S. III. 263 Vgl. Fransecky, Denkwürdigkeiten, S. 270. 264 Vgl. den Artikel über die Anbahnung einer Bundesreform durch Preußen in der Vossischen Zeitung am 29.5.1859. In: Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes (Abt. III, Bd. 3), S. 9. 265 Vgl. Ernest Gellner, Nationalismus und Moderne, Berlin 1991, S. 8. 266 Preußische Zeitung 31 (19.1.1861). In: Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes (Abt. III, Bd. 3), S. 337. Im Sinne des Slogans „Preußen an der Spitze Deutschlands“ äußerten sich auch zahlrei-
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ebenfalls mit literarischen und symbolischen Sinnstiftungsmechanismen kommuniziert. Ähnlich wie die pathetisch-frommen Bestseller von Marie Nathusius, Luise Hensel und Ida Hahn, die in einer implizit-kulturellen Form die religiöse Politik flankierten, trugen auch die überspannten Kriegserinnerungen und die omnipräsenten Heldenhagiographien wesentlich dazu bei, die großpreußische Realpolitik mit vertrauten Argumentationsfiguren zu verarbeiten und positiv zu besetzen.267 Die Kriegs- und Heldenliteratur griff auf die lange Tradition der literarisch-symbolischen Mythisierung der preußischen Monarchie, der Armee und des Staatsapparates zurück. In den 1860er und 1870er Jahren leistete sie erneut einen entscheidenden Beitrag, um mit der „Macht des Beispiels“ und des „wirklich Geschehenen“ das Ineinandergreifen von kleinem und großem Vaterland ins rechte Licht zu rücken. Die populärwissenschaftliche Geschichtsschreibung und die Kriegsliteratur demonstrierten, dass der moderne Nationalismus keineswegs das „Erwachen einer uralten, latenten, schlafenden Kraft“ war, sondern sich vielmehr als das Resultat eines gelungenen Adaptions- und Transferprozesses herauskristallisierte.268 Die Abgrenzungs- und Annäherungsdiskurse zwischen dynastischen, regionalen und nationalen Patriotismen wurden flexibel eingesetzt, um aktuelle politische Bedürfnisse zu untermauern und neue Machtverschiebungen zu verarbeiten. Vor 1847 war es noch undenkbar gewesen, die großpreußische Machtpolitik mit deutsch-nationalen Argumenten zu rechtfertigen. Es handelte sich keineswegs um die erste Verschiebung und Überlagerung national-patriotischer Ordnungsmuster im 19. Jahrhundert: Auch der auf Initiative Napoleons gebildete Rheinbund legitimierte sich vor 1815 mit einer breitenwirksamen publizistischen Produktion (deutsch-)patriotischer Motive.269 Bis 1848 bildete das romantisch-gesamtdeutsche Einheitsideal ein elitäres und politisch unscharfes Rechtfertigungsnarrativ.270 Noch am Vorabend der italienischen Nationalstaatsgründung im Jahr 1859 konstatierte der Jurist und Mitbegründer des Nationalvereins Ludwig Karl Aegidi in einem Brief an Johann Kaspar Bluntschli, „über wenig sind ja zu allen Zeiten die Deutschen unklarer gewesen, als darüber was deutsch sei!“271 Bereits seit 1849 trat Aegidi mit dem Slogan „Gott und Deutschland“ für eine gegenseitige Annäherung von Altkonservativen und Konstitutionellen ein.272
che anonyme Pamphlete, die um 1860 erschienen. Vgl. Anonym, Die deutsche Frage (1861). In: Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes (Abt. III, Bd. 3), S. 441. 267 Siehe dazu Kap. 2.1.3. 268 Gellner, Nationalismus, S. 76. 269 Vgl. Claudie Paye, Der französischen Sprache mächtig: Kommunikation im Spannungsfeld von Sprachen und Kulturen im Königreich Westphalen (1807–1813), München 2013. 270 Vgl. Kroll, Friedrich Wilhelm IV., S. 112–114. 271 Johann Kaspar Bluntschli an Ludwig Karl Aegidi am 19.3.1859. In: Jansen, Revolution, S. 492. 272 Ludwig Karl Aegidi, Gegen die Signatura temporis, Berlin 1849, S. 162. Aegidi veröffentlichte dieses Pamphlet anonym als „Freimüthiger Widersacher der Revolution“ gegen die konservative Fundamentalopposition, die Heinrich Leo mit seiner Schrift Signatura temporis (1848) vertrat.
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Jedoch blieben die meisten Konservativen bis in die 1870er Jahre fest davon überzeugt, dass der preußische Patriotismus und das entsprechende Staatsgefühl nicht nur am Hof, in den Ministerien und in der Armee, sondern auch in der Masse der Bevölkerung über die deutsche Nationalbewegung dominierte.273 Diese Suggestion bildete eine zentrale politische und emotionale Voraussetzung dafür, dass die preußischen Konservativen die Reichsgründung weitgehend akzeptierten. In seinen nach 1871 verfassten Memoiren hob Hermann Wagener euphorisch hervor, dass sich in den Revolutionsjahren 1848/49 der preußische Patriotismus gegen die liberalen Reformund Nationalstaatsprojekte weitgehend durchsetzte: „Der preußische Patriotismus und das entsprechende Staatsgefühl [waren] noch immer stark genug, um sich schon gegen den Gedanken einer Unterordnung unter eine nicht-preußische Centralgewalt und noch mehr unter einen österreichischen Erzherzog energisch zu empören.“274 Nach 1848 beschrieben viele konservative Publizisten wie Hermann Wagener, Ludwig von Gerlach, Wilhelm Beer – Bruder des Komponisten Giacomo Meyerbeer – und Hermann von Gauvain das „echte preußische Nationalgefühl“ als das „wahre patriotische Gefühl“.275 In seinem 1848 anonym erschienenen Pamphlet Aufgehen oder Vorangehen verurteilte Karl von Canitz und Dallwitz die Idee, dass das „wahrhaft lebendige Nationalgefühl“ der Preußen zum „Opfer am Altar der künftigen Einheit des erst noch zu schaffenden Reiches“ gemacht werde.276 Dabei suggerierte der preußische General und ehemalige Außenminister, dass die politische Vision der deutsch-nationalen Mission nur dann mit der „Realität“ des preußischen Nationalgefühls vereinbar sei, wenn sie sich aus einer untergeordneten Position mit der „großen Besonderheit“ Preußens assimiliere: „Das politische Dasein Preußens, man nenne es Partikularismus oder große Besonderheit oder wie man wolle, ist eine Realität, es ist die Errungenschaft zweier Jahrhunderte, heißer Kämpfe, ruhmvoller Siege und einer historischen Entwicklung, die nicht verwischt und aus dem Leben des Volkes herausgerissen werden kann.“277 Nach 1866 und 1871 opponierten immer weniger konservative Publizisten gegen die deutsche Nationalbewegung, weil diese das politische Dasein Preußens nicht mehr in Frage stellte. Im Oktober 1868 veröffentlichte Heinrich Leo einen viel diskutierten Leitartikel für die Kreuzzeitung, in dem er die konservative Realpolitik nicht mehr wie Ludwig von Gerlach unnachgiebig ablehnte, jedoch seiner Sorge Ausdruck
273 Die politische Überordnung des monarchischen Patriotismus schlug sich zum Beispiel auf die Gesamtausrichtung des preußischen Auswärtigen Amts konkret nieder. Vgl. Grypa, Dienst, S. 167. 274 Wagener, Erlebtes S. 34. 275 Wagener, Erlebtes, S. 86–90. Vgl. auch Wilhelm Beer, Die Drei-Königs-Verfassung in ihrer Gefahr für Preußen dargestellt und allen Patrioten gewidmet, Berlin 1849, S. III, 6–10 und 25. Ferner Hermann von Gauvain, Graf Bismarck und die Legitimität der Dinge oder wie Napoleon Deutschland zerstörte, Leipzig 1867, S. III. 276 Canitz, Aufgehen, S. 9 und S. 28. 277 Canitz, Aufgehen, S. 8.
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gab, dass nach der Nationalstaatsgründung die „preußische Bestimmtheit“ „widerstandslos ins Deutsche“ verschwinden könnte.278 Auch in den Wahrnehmungen vieler Zeitgenossen wie des hessischen Ministerpräsidenten Reinhard Dalwigk zu Lichtenfeld und der Berliner Salonnière Hildegard von Spitzemberg herrschte in Preußen „der krasseste und gefährlichste aller Partikularismen“.279 Zum einen war diese große Besonderheit ein im konservativen Diskurs internalisiertes, semantisches und argumentatives Bestimmungsmuster. Zum anderen wirkte der Preußensinn nach 1871 weiter als eine politische und soziokulturelle Zuschreibung, die auch von nichtpreußischen Akteuren instrumentalisiert wurde. Sowohl im Machtzentrum als auch in der Peripherie waren die Formen der Traditionsbildung, die Geschichtspolitik und die Erinnerungskultur des neugegründeten Kaiserreichs von einer gezielten Verdichtung symbolträchtiger Motive aus dem dynastischen Rechtfertigungsnarrativ des Hohenzollernstaats geprägt.280 Seit den antinapoleonischen Kriegen war für die preußischen Eliten die semantische und pragmatische Integration von kleinem und großem Vaterland nur insofern interessant, als die deutsche Nationalbewegung die machtpolitische Konsolidierung Preußens gegen „Fremdherrschaft“ und „demagogische Umtriebe“ unterstützte. In seiner Proklamation für die neuen Untertanen in den Westprovinzen verband König Friedrich Wilhelm III. bereits im Jahr 1815 das preußische Nationalgefühl mit deutschpatriotischen Motiven. Geschickt appellierte Friedrich Wilhelm III. an die Rheinländer nicht als Preußen, sondern als Deutsche und bezeichnete die Rheinprovinzen als „Vormauer der Freiheit und Unabhängigkeit Deutschlands“, einer Unabhängigkeit, die Preußen gemäß seiner historischen Mission militärisch garantierte.281 Um die nachrevolutionäre Stabilisierungs- und Sicherheitspolitik zu legitimieren, kam der patriotisch konnotierte Unabhängigkeitsbegriff auch in der Bundesverfassung von 1815, in der Wiener Schlussakte von 1820 und sogar in den repressiven Karlsbader Beschlüssen von 1819 zur Geltung.282 Assoziiert mit Begriffen wie Ordnung, Sicher-
278 Heinrich Leo, Klagen eines alten Conservativen. In: NPZ (8.10.1868). 279 Vgl. Dalwigk, Tagebücher, S. 3; Spitzemberg, Tagebuch, S. 163. 280 Trinkaus, Mythos, S. 10. 281 An die Einwohner der mit der preußischen Monarchie vereinigten Rheinländer (5.4.1815). In: Bayreuther Zeitung 93 (18.4.1815), S. 374. 282 Vgl. Deutsche Bundesakte vom 8.6.1815; Karlsbader Beschlüsse vom 20.9.1819; Wiener Schlussakte vom 15.5.1820. In: Huber, Verfassungsgeschichte (Bd. 1), S. 75–90. Zur Assoziation von Unabhängigkeits-, Ordnungs- und Sicherheitsbegriff vgl. auch Bundesbeschluß über Bestrafung von Vergehen gegen den Deutschen Bund vom 18.8.1836 und Bundesbeschluß über die Unstatthaftigkeit der Einmischung fremder Mächte in die inneren Angelegenheiten des Deutschen Bundes vom 18.9.1834. In: Huber, Verfassungsgeschichte (Bd. 1), S. 137–139. Systematisch charakterisierten die Begriffe Ruhe, Sicherheit und Ordnung die zentralen politischen Beschlüsse der deutschen Bundesversammlung. Vgl. Bundesbeschluß über provisorische Maßregeln zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit und Ordnung im Deutschen Bund (1824); Maßregeln zur Herstellung und Erhaltung der Ruhe in Deutschland (1830); Bundesbeschluß über die Maßregeln zur Aufrechterhaltung der gesetzlichen Ordnung
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heit und Ruhe wurden die Ideen von Unabhängigkeit und Freiheit zunehmend auch für die konservativen Eliten attraktiv, konnten vereinnahmt und in ihrem Sinne politisch ausgestaltet werden. Die Schlüsseldokumente der realpolitischen Wende wie das Dreikönigsbündnis von 1849 und die Verfassung des Deutschen Bundes von 1870 argumentierten mit derselben konservativen Auffassung von Unabhängigkeit und Freiheit, die den christlich-legitimistischen Restaurationsdiskurs charakterisierten.283 Albrecht von Roon äußerte sich empört über die Ansprache, die Friedrich Wilhelm IV. am 25. März 1848 vor dem Offizierskorps in Potsdam hielt. Zum großen Erstaunen seiner reaktionären Gardeoffiziere verteidigte der König die liberalen Konzessionen, die er angeblich „aus vollster und freier Überzeugung“ versprochen und längst vorbereitet habe.284 Als konservativer Reformgegner nahm Roon die Aussagen des Königs enttäuscht zur Kenntnis, jedoch bestätigte er in einem Brief an seine Frau, dass die Mission der preußischen Armee, „für die Ehre der Waffen, für die Unabhängigkeit des Vaterlandes“ zu kämpfen, unverändert fortbestehe.285 Ausgehend von dem parteiübergreifenden Ehr- und Unabhängigkeitsbegriff entwarf der spätere Kriegsminister eine polyvalente Argumentationsstrategie. Zum einen verarbeitete er die nachrevolutionäre Desorientierung und die politische Verunsicherung mit den vertrauten Wahrnehmungs- und Deutungskategorien des monarchischen Patriotismus. Zum anderen protestierte Roon gegen die Reformen, indem er mit seinem ostentativen Festhalten an den alten Legitimations- und Loyalitätsparadigmen seine Skepsis gegen die eingetretenen Veränderungen signalisierte. Am 7. August 1849 verlas der preußische Ministerpräsident Friedrich Wilhelm Graf von Brandenburg in Auftrag seines Neffen Friedrich Wilhelm IV. eine patriotisch aufgeladene Adresse, in der die Ideen vom kleinen und großen Vaterland explizit zusammengedacht wurden. Brandenburg übernahm aus dem liberalkonservativen Unionsprojekt von Radowitz die Rhetorik der preußischen Mission und die Suggestion der Alternativlosigkeit pragmatischer Reformen von oben. In diesem Sinne bezeichnete er die Formation eines „wahrhaft Nationalen Bundesstaats“ als dringende Pflicht
und Ruhe in Deutschland (1832); Einrichtung der Bundes-Zentralbehörde zur Ermittlung von Vergehen gegen Ruhe und Ordnung im Bund (1833). In: Quellen zur Ära Metternich, S. 117–203. 283 Vgl. Dreikönigsbündnis vom 26.5.1849 und Verfassung des Deutschen Bundes vom 23.11.1870 (zwischen dem Norddeutschen Bund und den süddeutschen Staaten). In: Huber, Verfassungsgeschichte (Bd. 1), S. 264 und 433. Vgl. auch Erklärung des preußischen Bundesgesandten von Usedom über den Schutz der Sicherheit und Unabhängigkeit Deutschlands (1859). In: Huber, Verfassungsgeschichte (Bd. 2), S. 25. 284 Besonders betroffen und empört reagierten die preußischen Gardeoffiziere auf die Aussage, der König sei „niemals freier und sicherer gewesen, als unter dem Schutze Meiner Bürger“. Vgl. Rede an das Offizierskorps in Potsdam am 25.03.1848. In: Huber, Verfassungsgeschichte (Bd. 1), S. 450. 285 Albrecht von Roon an seine Frau am 25.3.1848. In: Roon, Glaube, S. 57. Vgl. auch Roon, Denkwürdigkeiten (Bd. 1), S. 154.
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und weltgeschichtlichen Beruf des preußischen Staates.286 Der preußische Ministerpräsident instrumentalisierte preußische und deutsch-nationale Slogans, obwohl er im besten Fall Desinteresse und häufig auch starken Widerwillen gegen die deutsche Bewegung empfand. Im Februar 1849 bezeichnete Brandenburg die Anlegung der deutschen Kokarde, die er im März 1848 seinen Truppen befehlen musste, als die unglücklichste Tat seines Lebens.287 Vor allem nach der Ablehnung der Kaiserkrone im April 1849 kombinierte Brandenburg in einer ungewöhnlich expliziten Form dynastische und patriotische „wahre Bedürfnisse“, um seine gegenrevolutionären Ziele ideologisch zu ergänzen und dem Vorwurf einer bloß reaktionären Politik vorzubeugen: „Mit derselben Entschiedenheit sind wir bemüht gewesen, durch Anerkennung der wahren Bedürfnisse und berechtigten Forderungen der Nation dauernde Befriedigung herbeizuführen und auf diesem Wege neuen Umwälzungen Anlaß und Vorwand zu entziehen.“288 Als preußischer Regierungsbeauftragter in der deutschen Sache trug vor allem Radowitz dazu bei, dieses neue konservative Rechtfertigungsnarrativ aufzubauen. Er beschwor das „Erwachen der nationalen Strebungen“ und zog die Perspektive einer „mehr oder minder konzentrierten Einheit“ der deutschen Staaten wiederholt in Erwägung.289 Radowitz verband die traditionellen Pathosformeln über die Ehre und die „völlige Selbstständigkeit Preußens“ mit den Idealen und Erwartungshorizonten der deutschen Frage.290 In den 1850er Jahren polemisierte er gegen die restaurative Politik des neuen Ministerpräsidenten Otto von Manteuffel. Dabei forderte Radowitz die „Wiederaufnahme der deutschen Sache“ und versuchte eine erweiterte Elite von „konservativen und patriotischen Männer“ zu mobilisieren.291 Obwohl die meisten preußischen Konservativen eher zurückhaltend und skeptisch auf die innovative Argumentationsstrategie von Radowitz reagierten, versuchten nach 1848 immer mehr liberalkonservative Politiker und Publizisten, die „Forderungen der Nation“ und die preußische Mission miteinander zu verknüpfen. Im Sommer 1849 bezeichnete der Historiker Maximilian Duncker, der in den 1860er
286 Friedrich Wilhelm von Brandenburg, Eröffnungssitzung der beiden Kammern am 7.8.1849 (ZK 2,1, Bd. 1, S. 1). 287 Vgl. Walter Bußmann, Zwischen Preußen und Deutschland. Friedrich Wilhelm IV. Eine Biographie, Berlin 1990, S. 256. Vgl. auch Das Erinnerungswerk des Generalleutnants Karl Ludwig von Prittwitz und andere Quellen zur Berliner Märzrevolution und zur Geschichte Preußens um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Hrsg. von Gerd Heinrich, Berlin 1985, S. 355. 288 Friedrich Wilhelm von Brandenburg, Eröffnungssitzung der beiden Kammern am 7.8.1849 (ZK 2,1, Bd. 1, S. 1). 289 Joseph Maria von Radowitz, Rede am 25.8.1849 (ZK 2,2, Bd. 1, S. 131–136). 290 Joseph Maria von Radowitz an Alexander von Schleinitz am 7.4.1850. In: Radowitz, Briefe, S. 197. 291 Radowitz, Briefe, S. 197. Am Beispiel Otto von Bismarcks und seines Bankiers Bleichröder verwendete Fritz Stern den Begriff „erweiterte Elite“, um die sozialen, kulturellen und politischen Machtverhältnisse im deutschen Kaiserreich zu synthetisieren. Vgl. Fritz Stern, Gold und Eisen: Bismarck und sein Bankier Bleichröder, München 2011, S. 9.
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Jahren als freikonservativer Abgeordneter und Mitarbeiter der Preußischen Jahrbücher die Realpolitik unterstützte, den kleindeutschen Bundesstaat als „nationales Bedürfnis“ und Notwendigkeit.292 Am 3. Dezember 1849 entwarf auch der ehemalige preußische Innenminister Adolf Heinrich von Arnim-Boitzenburg eine programmatische Definition von der erweiterten Elite liberalkonservativer Adliger, Beamter und Intellektueller, die die antirevolutionäre Verfassungs- und Nationalstaatspolitik von oben befürworteten. Genauso wie Radowitz verdeutlichte auch Arnim seine neue Machterhaltungsstrategie, indem er eine Interessengemeinschaft von großem und kleinem Vaterland imaginierte. Zum einen setzten sich die liberalkonservativen Eliten als erstes Ziel, „Preußens Erhaltung in seiner Kraft und Macht“ zu garantieren, und betrachteten dementsprechend „Preußen als ihr engeres Vaterland“. Zum anderen stellte Arnim fest, dass „Deutschlands Einheit und Einigkeit“ eine komplementäre und sogar alternativlose Perspektive zu seinem ersten Ziel bilde.293 Obwohl sie gegenüber den omnipräsenten Hymnen und Allegorien des Preußensinns in der Unterzahl blieben, erschienen seit 1848 auch zahlreiche patriotische Lieder, die die Semantiken und Deutungsmuster vom kleinen und großen Vaterland kombinierten.294 Das populäre Lied Schwarz und Weiß evozierte die altvertrauten Suggestionen der preußischen Mission, appellierte jedoch auch an die „deutschen Brüder“, um gemeinsam gegen die Feinde Deutschlands zu kämpfen: „Im Kampfe gegen Feinde deutscher Gauen / Laßt Preußens Banner stets das erste sein; / O! deutsche Brüder folg ihm mit Vertrauen; / Wir setzen unser Leben für Euch ein!“295 Ähnlich argumentierte auch das Lied Antwort an den Verfasser von Schwarz und Weiß: „Denn wo die weiß und schwarzen Fahnen wehen, / Wo lebt das Hochgefühl für Ehre und Pflicht, / Da wird auch Altgermanische Treue stehen / Die weicht und wankt auch selbst im Sturme nicht“.296 Die neuen Deutungsmuster der „konservativen und patriotischen Männer“ überzeugten auch den späteren Kaiser Wilhelm I., der aus seinem Exil in Koblenz auf der Suche nach einer glaubwürdigen Oppositionsstrategie gegen die Regierung Manteuffel war. Im diesem Sinne plädierte er bereits im Oktober 1851 für ein offensives Macherhaltungskonzept, um „das Alte mit dem Neuen [zu] liniieren“.297 Neben dem preußischen Thronfolger diskutierten auch konservative Diplomaten wie Bismarck und Savigny über eine mögliche politische Verbindung zwischen deutscher Sache
292 Maximilian Duncker, Rede am 6.9.1849 (ZK 2,2, Bd. 1, S. 217). 293 Adolf Heinrich von Arnim-Boitzenburg, Rede am 3.12.1849 (ZK 2,2, Bd. 3, S. 1513). Dort auch das vorherige Zitat („Preußens Erhaltung“). 294 Ausführlich zur nationalen Pädagogik und den Kollektivsymbolen des Preußensinns und ihrer gegenrevolutionären Akzentuierung um 1850 siehe Kap. 2.2.3. 295 Wilhelm Petzel, Schwarz und Weiß. In: Bader, Zeitungsgedichte, S. 22. 296 Antwort an den Verfasser von Schwarz und Weiß. In: Bader, Zeitungsgedichte, S. 35. 297 Prinz Wilhelm von Preußen an seine Schwester Charlotte am 25.10.1851. In: Prinz Wilhelm von Preußen an Charlotte, S. 364.
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und preußischem Vaterland.298 Um 1860 gewann Bismarcks realpolitische Umorientierung eine klare Kontur. Er thematisierte sowohl mit politischen Rivalen wie Rudolf von Auerswald als auch mit engen Vertrauten wie Alexander von Below die politische Vision einer konservativen Vereinnahmung der deutschen „National-Kraft“.299 Im Laufe der 1860er Jahren instrumentalisierte der preußische Ministerpräsident systematisch die polyvalenten Bedeutungen des kleinen und großen Vaterlands. Damit überredete er nach dem berauschenden Sieg bei Königgrätz die preußischen Generäle und König Wilhelm I., ihre Annexionspläne aufzugeben.300 Mit derselben Argumentationsstrategie überzeugte Bismarck auch den Publizisten Julius Fröbel, der seit 1867 das „lebendige und warme deutsche Nationalgefühl“ des preußischen Ministerpräsidenten enthusiastisch lobte und seine frühere Position als spiritus rector des großdeutschen Reformvereins revidierte.301 Im Zusammenhang mit der Italien-Krise von 1859/60, die der spätere Reichskanzler als das „große Loos“ für Preußen bezeichnete, kam Bismarck zu der Überzeugung, dass die schwächste Seite der preußischen Politik ihre Schwäche gegenüber Österreich sei, und es erfolgte die erste Kontaktaufnahme mit dem neugegründeten Nationalverein.302 Der Nationalverein trat von Anfang an „mit besonnener Mäßigung“ für die Ideen der nationalen Selbstständigkeit, der Freiheit und Einheit ein.303 Phasenweise unterstützte der Verein die kontroversen Annäherungsversuche zwischen Anhängern des kleinen und des großen Vaterlands. Im Namen der „Größe und Einheit Deutschlands“ postulierten die Nationalliberalen, dass sich das „preußische Volk […] trotz der Großmachtstellung des preußischen Staats als Theil des deutschen Volkes fühle“.304 Als im Jahr 1861 der konservative Gegenspieler des Deutschen Nationalvereins, der Preußische Volksverein, entstand, erweiterten sich Bismarcks Handlungsoptionen, um neue politischen Hilfstruppen zu rekrutieren und gegeneinander auszuspielen. Der Volksverein wurde unter entscheidender Mitwirkung des ehemaligen Chefredakteurs der Kreuzzeitung, Hermann Wagener, organisiert und schrittweise
298 Karl Friedrich von Savigny an Freiherr Raitz von Frentz. In: Savigny, Briefe, S. 964. 299 Otto von Bismarck an Rudolf von Auerswald am 3.8.1860. In: GW (Bd. 14), S. 558. Vgl. auch Bismarck an Auerswald am 30.11.1860 und Bismarck an Alexander von Below am 22.8.1860. In: GW (Bd. 14), S. 561–565. 300 Vgl. Gespräch Otto von Bismarck mit General Julius von Hartmann am 2.8.1866. In: GW (Bd. 7), S. 146. 301 Gespräch Otto von Bismarck mit Julius Fröbel am 14.12.1868 In: GW (Bd. 7), S. 277. Zu Fröbels politischer Neuorientierung vgl. Jansen, Revolution, S. XXVIII. 302 Otto von Bismarck. In: GW (Bd. 15), S. 161. Vgl. auch Mark Gellert, Die „Società Nazionale Italiana“ und der „Deutsche Nationalverein“. Ein Vergleich der Organisationen und ihrer Rolle in nationaler Bewegung und Einigung, Aachen 1999, S. 76. 303 Erklärung des Deutschen Nationalvereins am 13.3.1860. In: Huber, Verfassungsgeschichte (Bd. 2), S. 92. 304 Beschluss des Deutschen Nationalvereins vom 4.9.1860. In: Huber, Verfassungsgeschichte (Bd. 2), S. 94.
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in die Richtung der konservativen Realpolitik geleitet. Das Gründungsprogramm des Volksvereins kombinierte die christlich-legitimistischen Ordnungsideen mit der positivistisch geprägten Sprache der realpolitischen Wende und forderte: „Einigkeit unseres deutschen Vaterlandes […] in der Einigung seiner Fürsten und Völker und in Festhaltung an Obrigkeit und Recht. […] Keine Verleugnung unseres preußischen Vaterlandes und seiner ruhmreichen Geschichte; kein Untergehen in dem Schmutz einer deutschen Republik, kein Kronenraub und Nationalitätenschwindel.“305 Im Jahr 1866 wurde der Volksverein bereits von 50.000 Mitgliedern unterstützt.306 Trotz seiner antiliberalen und kapitalismuskritischen Position bildete er zusammen mit der Fortschrittspartei und den Freikonservativen eine weitere politische Hilfstruppe, die Bismarck je nach Situation zum Einsatz brachte. In Piemont kristallisierten sich die kontroversen politischen Sedimentierungsund Adaptionsmechanismen zwischen großem und kleinem Vaterland noch früher als in Preußen heraus. Seit den 1840er Jahren übernahmen sie eine entscheidende Funktion im konservativen Diskurs, um die Grundlagen der italienischen Einheitsstaatsidee zu imaginieren und zu kommunizieren. Dazu trugen sowohl politische Schriften wie Le speranze d’Italia von Cesare Balbo als auch neu erfundene Erfahrungsdeutungen, Mythen und Monumente bei, die die piemontesisch-italienische Doppelidentifikation auch für die Interessen und Wertorientierungen der konservativen Eliten zunehmend attraktiv machten.307 Als König Karl Albert im März 1848 eine liberalkonservative Verfassung oktroyierte und wenige Tage später Österreich den Krieg erklärte, sah die überwiegende Mehrheit der piemontesischen Eliten von einem offenen Protest gegen die pragmatische Reform- und Nationalstaatspolitik ab, um einen destabilisierenden Konflikt mit der Monarchie zu vermeiden. Bevor im Sommer 1848 der österreichische Feldmarschall Radetzky die Kontrolle über die norditalienischen Territorien wiedergewann, passte sich auch Ottavio Thaon di Revel der neuen politischen Linie seiner Regierung an, indem er die Integrationsideologien des kleinen und des großen Vaterlands harmonisierte. Dabei transferierte er die vertrauten Semantiken und Argumentationsmuster des monarchischen Patriotismus auf eine pragmatisch orientierte piemontesisch-italienische Doppelidentifikation. In diesem Sinne unterstützte Revel das Ziel der Freiheit Italiens, jedoch konnotierte er seine ambivalente Haltung mit der traditionellen Sprache der dynastisch-partikularistischen Patriotismusdiskurse:
305 Das Gründungsprogramm des Preußischen Volksvereins (1861). In: Mommsen, Parteiprogramme, S. 45. Zur Entstehung des italienischen Einheitsstaats vertraten der Nationalverein und der Preußische Volksverein sehr unterschiedliche Positionen. Für beide Parteien generierte die italienische Einigung einen relevanten Impuls zur Diskursformation. Jedoch verurteilten die meisten Konservativen die italienische Nationalbewegung nach wie vor schroff, während die Liberalen das Risorgimento als positives Modell betrachteten. 306 Vgl. Albrecht, Preußen, S. 461. 307 Vgl. Brice, Monarchie.
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La guerra che per la liberazione d’Italia dallo straniero combattesi da tre mesi con tanto valore e sì rara costanza dall’invitto Esercito Sardo capitanato dal magnanimo nostro Re e dai prodi suoi figliuoli, questa guerra col più intenso affetto accompagnata ed applaudita dal voto delle popolazioni per essere condotta a glorioso fine, non solo eroica perseveranza in chi la propugna coll’armi, ma eguale fermezza di proposito nella Nazione tutta per sopperire alle grandiose spese che essa necessita.308
Im Zentrum dieser pragmatischen Umorientierung stand das altvertraute Legitimationsparadigma König-Volk-Armee.309 In Anlehnung an die neue Hof- und Regierungspolitik assimilierte Revel den italienischen Einheits- und Freiheitsenthusiasmus in der semantischen und ideologischen Wiederholungsstruktur des monarchischen Patriotismus. Bis zur Kriegsniederlage im August 1848 stellte er seine „sentimenti di devozione al Re, alla Patria [Piemont], all’Italia“ ostentativ zur Schau.310 Obwohl der konservative Finanzminister einer Vereinigung mit den anderen Staaten nach wie vor skeptisch gegenüberstand, signalisierte er mit den Begriffen Treue und Loyalität, dass er bereit war, sein negatives Urteil gegen die Verfassungs- und Nationalstaatspolitik zu revidieren.311 Nach der dramatischen Niederlage von Novara im März 1849 stellte Revel die reformbereite Politik der Revolutionsjahre wieder in Frage und profilierte sich als Wortführer der konservativen Opposition gegen die regierenden Moderati.312 Im Februar 1852 erklärte der piemontesische Adlige explizit, dass er die politische Linie von 1848/49 eigentlich nie unterstützt und nur pragmatisch-loyal akzeptiert habe.313 Dabei betrachtete Revel die Versöhnung von piemontesischer Mission und italienischem Risorgimento als eine interessante Deutungsoption, um Zeit zu gewinnen und auf die nachrevolutionäre Transformationskrise konstruktiv zu reagieren. In diesem Sinne beschrieb er die neue Nationalflagge als das positive Symbol der piemontesisch-italienischen Versöhnung: „il colore turchino nella striscia intorno allo stemma di Savoia era una specie di conciliazione“.314 Ähnlich wie für die preußischen Konservativen generierten auch für Revel die flexiblen Vaterlands- und Unabhängigkeitsbegriffe eine offene Bedeutungsstruktur, die es ermöglichte, die Sprache und die Erwartungshorizonte der liberalen Nationalbewegung in den konservativen Diskurs zu übersetzen. Obwohl Revel seinen Widerstand gegen die Nationalstaatspolitik nie vollständig aufgab („avverso questa politica e […] la trovo cattiva“), signalisierte er
308 Ottavio Thaon di Revel, Rede im Juni 1848 (APS Documenti – Sessione del 1848, Bd. 2, S. 103). 309 Ausführlich dazu siehe Kap. 2.2.1. 310 Ottavio Thaon di Revel, Rede am 24.7.1848 (APS Discussioni – Sessione del 1848, Bd. 1, S. 445). 311 Ottavio Thaon di Revel, Rede am 11.7.1848 (APS Discussioni – Sessione del 1848, Bd. 1, S. 330). Ferner Revel, Rede am 17.7.1848 (APS Discussioni – Sessione del 1848, Bd. 1, S. 367–369). 312 Vgl. Ottavio Thaon di Revel, Rede am 9.2.1855 (APS Discussioni – Sessione del 1854/55, 5. Leg., Bd. 6, S. 2782). 313 Vgl. Ottavio Thaon di Revel, Rede am 11.2.1852 (APS Discussioni – Sessione del 1851, Bd. 8, S. 4171). 314 Ottavio Thaon di Revel, Rede am 10.3.1857 (APS Discussioni – Sessione del 1857, 5. Leg., Bd. 3, S. 917).
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immer wieder seine Bereitschaft, den regierenden Moderati kompromissbereit und undogmatisch entgegenzutreten.315 Ziel der semantischen Verflechtung piemontesischer Machtdiskurse und italienischer Einheitsideale war es sowohl für Revel wie auch für die Moderati, ein starkes norditalienisches Königreich zu realisieren.316 Mit der selektiven Übernahme nationalliberaler Motive aktualisierten die piemontesischen Konservativen die Suggestion der piemontesischen Hegemonie in Norditalien, die sie auf die umfassenden Staatsbildungsprozessen der Ära von Viktor Amadeus II. am Anfang des 18. Jahrhunderts zurückprojizierten.317 Am Vorabend des zweiten Unabhängigkeitskriegs gegen Österreich beschloss Revel, die politische Linie der Moderati erneut zu akzeptieren oder zumindest nicht öffentlich dagegen zu opponieren. Als er im Parlament die Emission einer Kriegsanleihe zusagte und damit seine Unterstützung für den nationalen Krieg de facto bestätigte, betrachtete er die bevorstehenden dramatischen Veränderungen als die konsequente Fortsetzung der dynastischen Konsolidierungs- und Expansionspolitik. Damit ordnete Revel den italienischen Unabhängigkeitskrieg ohne Kontinuitätsbrüche in die semantische und ideologische Wiederholungsstruktur des monarchischen Patriotismus ein: „spero che i ministri si varranno di questi fondi per tutela dell’indipendenza, dell’onore della Corona sabauda e per l’integrità di questo Stato.“318 Nach der Formation des italienischen Einheitsstaats hob Revel immer wieder seine anhaltende Skepsis bezüglich der neuen nationalen Pädagogik hervor. Damit verdeutlichte er, dass er die nationalliberalen Ideen der Moderati nur distanziert und wegen der bindenden, aber sehr anpassungsfähigen Pathosformeln der monarchischpatriotischen Loyalität mittrug.319 Zum einen blickte Revel nach 1861 nostalgisch zurück auf die Zeit, als Piemont „un piccolo Stato posto non ai piedi, ma a cavaliere delle Alpi“ war, und polemisierte damit implizit gegen den neugegründeten Nationalstaat. Zum anderen aber revidierte er seine pragmatische Anerkennung der italienischen Einigung nicht und forderte, dass „sovra ogni cosa che mantenga e si raffermi, la concordia per il maggior bene dell’Italia e del Re“.320 Im Wesentlichen übernahm diese Argumentationsstrategie die traditionellen Deutungsmuster der konservativen
315 Ottavio Thaon di Revel, Rede am 7.2.1852 (APS Discussioni – Sessione del 1851, Bd. 8, S. 4121). 316 Ottavio Thaon di Revel, Rede am 5.2.1855 (APS Discussioni – Sessione del 1854/55, 5. Leg., Bd. 6, S. 2715–2717). 317 Vgl. Geoffrey Symcox, L’età di Vittorio Amedeo II. In: Il Piemonte sabaudo. Hrsg. von Giuseppe Ricuperati, Turin 1994, S. 271–440. 318 Ottavio Thaon di Revel, Rede am 9.2.1859 (APS Discussioni – Sessione del 1859, 6. Leg., Bd. 3, S. 341). 319 Ottavio Thaon di Revel, Rede am 13.7.1861 (API Discussioni Senato – Sessione del 1861/62, 8. Leg., Bd. 1, S. 624). 320 Ottavio Thaon di Revel, Rede am 14.3.1865 (API Discussioni Senato – Sessione del 1863/64, 8. Leg., Bd. 3, S. 2545). Dort auch das vorherige Zitat.
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Elitediskurse, die nun auf die politischen Inszenierungs- und Legitimationsgrundlagen des italienischen Einheitsstaats übertragen wurden. Seit den 1840er Jahren zirkulierte die italienisch-piemontesische Integrationsideologie nicht nur bei einer erweiterten Elite liberalkonservativer Politiker und Intellektueller, die das reformbereite Machterhaltungskonzept der Moderati enthusiastisch mittrug oder zumindest pragmatisch akzeptierte. Die Doppelidentifikation mit dem kleinen und dem großen Vaterland wurde auch in zahlreichen Essays, Zeitungsartikeln, parlamentarischen Reden und patriotischen Liedern imaginiert und empathisch kommuniziert. Der populäre Inno nazionale al Re, der erstmals im Jahr 1847 erschien und bis 1861 immer wieder neuaufgelegt wurde, kombinierte die Semantiken und Kollektivsymbole des alten Piemonts mit dem wachsenden Enthusiasmus für das italienische Risorgimento. Das Lied stilisierte die neue politische Mission der Piemontesen und kombinierte „l’azzurra coccarda sul petto [die Farbe des Hauses Savoyen]“ mit „italici palpiti in core“.321 Der genuesische Intellektuelle David Chiossone verfasste im Jahr 1847 ein Canto biblico, das insgesamt elf Mal König Karl Albert erwähnte und die Sprache des monarchischen Patriotismus mit den Pathosformeln der italienischen Nationalbewegung assoziierte. Das Lied verknüpfte Allegorien wie den „azzurro vessillo“ oder die „azzurra insegna“ mit dem „Sole italiano“ oder dem „Maggio d’Italia“. Dabei verdeutlichte Chiossone seine patriotische Position, indem er an die „piemontesischen Brüder“ sowie an die „Italiani! Italiani! Italiani“ appellierte, um das vermeintliche Telos des kleinen und großen Vaterlands gemeinsam zu realisieren.322 Um 1850 revitalisierten auch die Inni nazionali von Domenico Biorgi die Integrationsideologie bestehender dynastischer Narrationen und bezogen sich auf altvertraute Semantiken und Symbole: „sotto il nostro gonfalone onorato […] La nappa turchina sul petto gagliardo!“323 Jedoch integrierte Biorgi das traditionelle Rechtfertigungsnarrativ der monarchischen Herrschaft mit den neuen nationalen Idealen und Erwartungshorizonten der piemontesischen Mission: Mirate alla testa dell’itale squadre Un Re, che di figli vuol sol esser padre! Un Re italiano di sangue e di core! Un Re, che, nipote di tanti scettrati, Ha già tutti quanti di gloria avanzati.324
321 La Coccarda. Inno nazionale al Re. In: Canti patriottici, Turin 1847, S. 19. 322 David Chiossone, Canto biblico a Carlo Alberto. In: Raccolta 1847, S. 48. Dort auch die vorherigen Zitate. 323 Domenico Biorgi, Due inni nazionali di recitati ai patriotici banchetti della capitale in occasione della nazional festa per nuovo costituzionale Statuto, Turin 1848, S. 3 und 14. 324 Biorgi, Inni nazionali, S. 14.
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Das Ausbalancieren zwischen dynastisch-paternalistischen Rechtfertigungsnarrativen und nationalliberalen Ideen entsprach vor allem nach 1849 den Interessen des piemontesischen Hofes und der staatstragenden Eliten. Sie ordneten die weitverbreitete Reformeuphorie von 1846/48 in die Integrationsideologie der piemontesischen Mission ohne radikalen Kontinuitätsbrüche ein. Im Jahr 1847 wurde der königstreue Historiker Luigi Cibrario von Karl Albert beauftragt, einen programmatischen Essay zu verfassen, um die liberalen Reformbestrebungen im dynastischen und konservativen Sinne darzustellen. Ausgehend von den militärischen und politischen Tugenden der Monarchie projizierte Cibrario die patriotische Traditionsstiftung des alten Piemonts auf das italienische Risorgimento.325 In der krisenhaften Übergangsphase 1840–1870 leitete die hybride Doppelidentifikation der piemontesisch-italienischen und preußisch-deutschen Mission einen politischen Anpassungsprozess ein, mit dem die Paradigmen des monarchischen Patriotismus, die die Identitäts- und Inszenierungsgrundlagen der neugegründeten Nationalstaaten entscheidend mitbestimmten, in eine traditionsstiftende Kontinuitätslinie eingeordnet werden konnten. Aufgrund dieser diskursiven Anpassungsleistungen war es auch für erbitterte Gegner der liberalen Nationalbewegung wie Albrecht von Roon und Ottavio Thaon di Revel möglich, sich glaubwürdig als Väter der Nation zu stilisieren und zuzulassen, dass diese in den Pantheon der neugegründeten Nationalstaaten aufgenommen wurde. Um 1850 bestand keineswegs ein liberales Deutungs- und Verwendungsmonopol über zentrale Begriffe des Politischen wie Freiheit und Unabhängigkeit. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts existierten „weder die technischen Mittel noch der politische Wille, Einheitlichkeit zu erzwingen“.326 Ausgehend von den Staatsbildungsprozessen des 18. Jahrhunderts und nach der gegenrevolutionären Meinungsmobilisierung wurden diese vielfältig einsetzbaren Orientierungskonzepte in die konservativen Politikdiskurse einbezogen und im Namen des monarchischen Patriotismus neu bewertet. Umgekehrt gewannen monarchischer Herrscherkult und konservatives Dienstethos für die programmatische Zuspitzung und die konkreten Handlungsoptionen der nationalstaatlichen Machtkonzentration an Bedeutung. Das Ausbalancieren zwischen liberaler und konservativer Nationalstaatsidee fand in Preußen zeitversetzt statt und war mit erheblichen ideologischen und konfessionellen Konflikten verbunden, jedoch fanden die liberalkonservativen Eliten sowohl nördlich als auch südlich der Alpen mit der realpolitischen Verfassungs- und Nationalstaatspolitik eine parteiübergreifende antirevolutionäre Integrationsideologie.
325 Vgl. Cibrario, Pensieri, S. 10. 326 Price, Kampf, S. 79.
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3.2.2 „ Ein vernünftiges Entgegenkommen zur rechten Zeit“. Neue Legitimationstheorien und ungelöste Probleme der nationalen Integrationsideologie Um 1850 zirkulierten in ganz Europa unzählige apologetische oder sarkastische Illustrationen über die politischen Protagonisten und die epochalen Ereignisse der Revolutionsjahre.327 Karikaturen und ironische Texte etablierten sich als ein breitenwirksames Mittel, um die „Gemeinplätze“ politischer Gegner zu diskutieren.328 Eine Karikatur aus Süddeutschland von 1848, die eine widerwillige Umarmung zwischen dem linksliberalen Politiker Friedrich Wilhelm Schlöffel und Joseph Maria von Radowitz zeigt, persiflierte die halbherzige Versöhnung zwischen den politischen Extremen.329 Damit resümierte die Illustration die politische Herkulesaufgabe der zerstrittenen Protagonisten der Nationalversammlung in Frankfurt, die auf der Suche nach einem gemeinsamen Nenner in der Verfassungs- und Nationalstaatsfrage waren.330 Auch die preußischen und piemontesischen Konservativen kommentierten vielfältig die schwierige Versöhnung der politischen Extreme. Um 1850 äußerte sich Prinz Wilhelm von Preußen überwiegend positiv zu einem „vernünftigen Entgegenkommen“ zwischen liberalen Legitimationstheorien und konservativer Machterhaltung.331 Dagegen ironisierte Revel die politische Zusammenarbeit zwischen gemäßigten Liberalen und konservativen Moderati als „Hochzeit“.332
327 Seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert bildeten die Karikaturen „eine der wirksamsten Waffen zur tatsächlichen oder vermeintlichen Entlarvung des politischen Gegners“. Vgl. Cilleßen, Revolutionsbildenthüllungsjournalismus, S. 34. 328 Steinmetz, Sprechen, S. 1108. Die bekannteste satirische Publikation über die Paulskirche war die Thaten und Meinungen des Herrn Piepmeyer. Sie erschienen ab Sommer 1848 und berichteten über den mittelmäßigen und politisch unentschlossenen Abgeordneten Piepmeyer. Gemälde, Illustrationen und Karikaturen bezogen sich meistens auf die nationale Vergangenheit, die sie für aktuelle politische Interessen reaktivierten. Nach dem Staatsstreich Louis Napoleon Bonapartes vom 2. Dezember 1851 stiftete „das Bild Napoleons I. und mit ihm die unterlegte antike Ikonographie die politische Legitimationsrhetorik des neuen Kaisers“. Vgl. Uwe Fleckner, In nepote redivivus. Politisches Ikonographie und ästhetisches Programm in Jean-Auguste-Dominique Ingres „Apotheose Napoleons I.“. In: Frankreich 1848–1870. Die Französische Revolution in der Erinnerungskultur des Zweiten Kaiserreichs. Hrsg. von Gudrun Gersmann u. Hubertus Kohle, Stuttgart 1998, S. 121–137, hier S. 136. 329 Anonym, Wie sich die politischen Extreme versöhnen: in den Armen liegen sich Beide, und weinen vor Schmerz und Freude. In: Flugschriften 1848. http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/1848/ content/titleinfo/7097795 (13.09.2015). 330 Die Paulskirche stand vor einer „gewaltigen Aufgabe, für deren friedliche Lösung es keine historischen Vorbilder gab: Staatsvereinigung und zugleich Staatstrennung“. Vgl. Langewiesche, Revolution, S. 181. 331 Vgl. Prinz Wilhelm von Preußen an seine Schwester Charlotte am 13.1.1848. In: Prinz Wilhelm von Preußen an Charlotte, S. 281. 332 Ottavio Thaon di Revel, Rede am 7.2.1852 (APS Discussioni – Sessione del 1851, Bd. 8, S. 4121).
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Nach den Revolutionen von 1848/49 nahm in den neuen politischen Arenen die Versöhnung zwischen reformbereiten und konservativen Eliten Gestalt an.333 An diesem nachrevolutionären Aneignungs- und Anpassungsprozess zwischen traditionellen Machtdiskursen und innovativen Legitimationstheorien beteiligten sich alte und neue politische Protagonisten und Rezipientengruppen. Die Presse, die rasant wachsende Vereinslandschaft und die parlamentarischen Debatten leisteten einen entscheidenden Beitrag, um die Perspektive des konservativen Fortschritts intensiv zu diskutieren und allmählich auch in die Nähe des Realisierbaren zu rücken. Die Suggestion eines vernünftigen Entgegenkommens von liberalen und konservativen Ordnungsideen motivierte die programmatische Definition der Reformen von oben. Dabei generierte das ideologische Mosaik der liberalkonservativen Verfassungs- und Nationalstaatspolitik einen zunehmend attraktiven Politikdiskurs, der die narrative Bewältigung der Revolution, die Fortschrittshoffnungen und die dynastischen Missionen glaubwürdig miteinander verknüpfte. Die Protagonisten der konservativen Realpolitik, die sich mit der Sprache der harten Tatsachen erfolgreich ins Szene setzten, agierten in einem Desorientierungs- und Neuformierungskontext. Semantische Wiederholungsstrukturen, aber auch ein tiefgreifender Wandel charakterisierten die Sprache der Realpolitik.334 Sie verstieß gegen tradierte Konventionen der konservativen Politik, um die nachrevolutionäre Verunsicherung und die neuen Anpassungszwänge zu verarbeiten.335 Im Revolutionsjahr 1848 verteidigte der preußische Thronfolger nach wie vor antiliberale und dynastische Interessen. Jedoch distanzierte er sich zusehends von der Sprache der Vergangenheit und trat systematisch für „zeitgemäße Veränderungen“ ein: „Die geistigen Aufregungen der Zeit und die Forderungen der Zeit lassen sich nicht durch Bajonette zurückhalten, auf die Dauer, und wenn dann der Sturm losbricht, so muß man Konzessionen machen, die viel weiter führen und gehen als ein vernünftiges Entgegenkommen zur rechten Zeit.“336 Mit dem neuen Rechtfertigungsnarrativ der realpolitischen Wende gewannen die liberalen Konzessionen, die die Konservativen in Erwägung zogen, eine zunehmend klare Kontur. Indem er sich geschickt als resoluter Realpolitiker inszenierte, signa-
333 Vor allem während der Verfassungskonfliktzeit um 1860 herrschte zwischen konservativen Realpolitikern in Preußen und liberaler Öffentlichkeit einen erbitterten Streit. Die piemontesischen Moderati hingegen hatten in der liberalen Presse ein sehr gutes Image. Vgl. Schulze, Staat, S. 242. 334 Vgl. Steinmetz, Sprechen, S. 1107. 335 Um 1860 besaßen Bismarck und seine Entourage die „Tollkühnheit“, mit den „Traditionen der preußischen Diplomatie endgültig zu brechen und sich für eine gegen Österreich gerichtete Politik zu entscheiden“. Craig, Geschichte, S. 13. 336 Prinz Wilhelm an seine Schwester Charlotte am 13.1.1848. In: Prinz Wilhelm von Preußen an Charlotte, S. 281. Der preußische Thronfolger verwendete die gleiche Argumentationsstrategie bereits am 1.12.1847 und trat seitdem immer wieder für zeitgemäße Veränderungen ein. Vgl. die Briefe an Charlotte am 1.12.1847, am 14.2.1848, am 24.3.1848, am 3.9.1851, am 25.10.1851 und am 11.3.1856. In: Prinz Wilhelm von Preußen an Charlotte, S. 280–289 und 363.
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lisierte Bismarck seinen politischen Rivalen, dass ein partielles Entgegenkommen möglich sei. Bereits im November 1853 transferierte der preußische Ministerpräsident seine eigene Selbstbeschreibung auf den nationalliberalen Politiker Friedrich Oetker und versuchte den einflussreichen hessischen Publizist davon zu überzeugen, seine politische Linie zu unterstützen: „Sie sind ein pragmatischer und geschickter Mann, kein philosophischer Prinzipienreiter, Sie gehen von links aus, ich von rechts, und so kommen wir zusammen.“337 Im Laufe der 1860er Jahren kooperierten „von links aus“ immer mehr prominente Intellektuelle wie der Historiker Heinrich von Treitschke, die Juristen Rudolf von Ihering, Ludwig Bamberger, Ludwig Aegidi sowie Johannes Miquel und sogar linksliberale Politiker wie Franz Waldeck und Arnold Ruge mit den konservativen Einigungspolitikern.338 Nach der Revolution konturierte Bismarck seine bislang undefinierte politische Vision und verwendete dabei eine zusehends martialische Kriegsrhetorik. Im Mai 1859 erfand er den erfolgreichen Slogan „ferro et igni“, mit Eisen und Feuer, der nach seiner Ernennung zum preußischen Ministerpräsident die Parole seines vagen Regierungsprogramms bildete.339 Obwohl die Metapher von Eisen und Blut von den Liberalen empört und verächtlich kommentiert wurde, suggerierte sie eine potenzielle Kontinuitätslinie zwischen national-patriotischem Einheitsenthusiasmus und konservativer Revolutionsbewältigung. Seit den antinapoleonischen Kriegen gehörte der Argumentationstopos Blut und Eisen zum semantischen Kanon romantisch-patriotischer Deutschlandfantasien. Im Jahr 1813 verfasste der Student und Kriegsfreiwillige Max von Schenkendorf ein Lied, das mit der Metapher von Eisen und Blut das dramatische Bild einer deutsch-antinapoleonischen Erhebung evozierte: „Denn nur Eisen kann uns retten, / Und erlösen kann nur Blut / Von der Sünde schweren Ketten, / von des Bösen Übermut.“340 Zur Ergänzung dieser kriegerischen Integrations- und Abgrenzungslogik kam nach 1864 auch eine positive Doppelidentifikation zur Geltung. In diesem Sinne argumentierten die nationalliberalen und freikonservativen Unterstützer Bismarcks, dass „Preußisch und Deutsch Eins und dasselbe ist“, dass „Deutschland gewinnt, was Preußen erwirbt“ und „die preußische Staatsgeschichte […] die Vorzeit des neuen Deutschlands“ sei.341
337 Otto von Bismarck, Gespräch mit Friedrich Oetker am 23.11.1853. In: GW (Bd. 7), S. 96. Im Jahr 1848 gründete Friedrich Oetker die Neue Hessische Zeitung und war der führende Kopf im kurhessischen Verfassungskonflikt. Nach seiner Rückkehr aus dem Exil engagierte er sich im Nationalverein und vertrat seit 1867 die nationalliberale Partei im Reichstag. Vgl. Jansen, Revolution, S. XXXV. 338 Vgl. Schulze, Staat, S. 235; Jansen, Revolution, S. XXIII–XLV. 339 Otto von Bismarck an Alexander von Schleinitz am 12.5.1859. In: GW (Bd. 3), S. 38. Vgl. auch Bismarck, Rede am 30.9.1862. In: GW (Bd. 10), S. 140. 340 Zit. nach Schulze, Staat, S. 232. 341 Wahlprogramm der Freikonservativen Partei (27.10.1867). In: Mommsen, Parteiprogramme, S. 54– 65. Vgl. auch Wahlaufruf der konservativen Reichstagsfraktion für die preußische Landtagswahl (24.10.1867). In: Mommsen, Parteiprogramme, S. 53.
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Um 1870 reagierten die preußischen Konservativen auf die Erfüllung der nationalen Einheitsbestrebungen eher distanziert. Die Reichsgründung wurde als triumphale Bewährungsprobe für die dynastischen und bellizistischen Traditionen des Hohenzollernstaats verklärt und pragmatisch akzeptiert.342 Ähnlich wie Bismarck übernahm auch Hermann Wagener die Sprache der harten Tatsachen. Der konservative Publizist betrachtete den im Kaiserreich tabuisierten „Bruderkrieg“ von 1866 als die entscheidende Zäsur für die realpolitische Wende.343 Dabei thematisierte er die kontroverse Umorientierung seiner konservativen Gesinnungsgenossen: „Die conservative Partei ist nicht leichten Herzens in diesen Kampf eingetreten. Man wechselt schon mit der Muttermilch eingesogene politische Traditionen und Sympathien nicht wie man einen Rock anzieht.“344 In dieser vereinfachten Rekonstruktion, die die rückblickende Sieger-Perspektive als realistisch und alternativlos ex post legitimierte, räumte Wagener dennoch ein, dass die Konzepte von Realismus und Utopie nichts anderes als subjektive politischen Deutungs- und Argumentationsstrategien waren. In den 1860er Jahren passte sich auch Albrecht von Roon der neuen semantischen und ideologischen Praxis der Realpolitik „nicht leichten Herzens“ an. Der Kriegsminister akzeptierte die deutsche Mission lediglich als das neue Etikett und den erweiterten Erwartungshorizont preußischer Machtpolitik und dynastischer Narrationen. Am Vorabend des deutsch-dänischen Krieges von 1864 identifizierte sich Roon zum ersten Mal mit dem „Drang nach Deutschlands Einigung“, beschrieb jedoch unmissverständlich, wie seine pragmatische Anerkennung der „Nationalsache“ nur aus „Sympathien für die Interessen Preußens“ entstanden war.345 Mit seiner repetitiven Preußen-, Königs- und Kriegsrhetorik ordnete Roon die kontroverse Einigungspolitik der 1860er Jahre in eine traditionsstiftende Kontinuitätslinie mit den vorrevolutionären Staatsbildungs- und Expansionsprozessen ein. Trotz seiner euphemistischen Sympathien für Deutschland blieb das Selbstbeschreibungs- und Rechtfertigungsnarrativ des konservativen Kriegsministers in spezifischpreußischen Identitätsgrundlagen fest verankert. In zahlreichen parlamentarischen Reden während der zweiten Hälfte der 1860er Jahren thematisierte Roon die Nationalsache als erweiterte Projektionsfläche traditioneller preußischer Machtdiskurse.346
342 Vgl. Biermann, Ideologie, S. 267. 343 Um die Konflikte von 1859 und 1866 zu definieren, verwendeten sowohl in Piemont als auch in Preußen nur wenige Kommentatoren den Begriff Bruderkrieg und so gut wie keiner benutzte das Konzept von Bürgerkrieg. Die militärischen Krisen in Deutschland und in Italien wurden euphemistisch als Befreiungs- und Einigungskriege verherrlicht oder als Kabinettskriege gefeiert. Dagegen wurde der ebenfalls in der 1860er Jahren eskalierte Konflikt zwischen den nordamerikanischen Staaten und der Konföderation in der europäischen Presse fast ausnahmslos als Bürgerkrieg bezeichnet. Vgl. Hewitson, Nationalism, S. 345. 344 Wagener, Erlebtes (Teil II), S. 36. 345 Albrecht von Roon, Rede am 22.1.1864 (VHA, 8. Leg, Sez. 1, Bd. 1, S. 857). 346 Vgl. Albrecht von Roon, Rede am 15.9.1862 (VHA, 7. Leg, Sez. 1, Bd. 3, S. 1682–1687).
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Mit dem altvertrauten Instrumentarium konservativer Ehren- und Loyalitätsvorstellungen konstruierte er einen direkten Zusammenhang zwischen preußischem Selbstbewusstsein und Unabhängigkeit und vermeintlichen Sympathien für das „weitere Deutsche Vaterland“.347 Ausgehend von der Sprache der harten Tatsachen fand auch Roon ein situationsadäquates Wahrnehmungsmuster, um sich die Mission der nationalstaatlichen Machtkonzentration anzueignen.348 Seit 1864 übernahm er zusehends das populistische Vokabular und die vereinfachte Pragmatismusideologie der Realpolitik. Der preußische Kriegsminister reaktivierte die empathischen Formulierungen, die um 1850 das kleindeutsche Unionsprojekt von Radowitz charakterisiert hatten. Im Januar 1864 plädierte er für den Aufbau der preußischen Marine und untermauerte seine machtpolitische Position, indem er mit der „Befriedigung eines im Volke tief gefühlte nationalen Bedürfnisses“ argumentierte.349 Roon rekonfigurierte die Sprache der Vergangenheit für aktuelle politische Interessen und entwarf den allgemein bekannten Slogan der Armee als Schule der Nation.350 Damit transportierte er die semantischen Bestimmungsmuster des monarchischen Patriotismus auf die neue Integrationsideologie der preußisch-deutschen Nation, die sowohl eine homogene Schule für die Massen, als auch einen überregionalen Verhaltens- und Empfindungskanon für die gute Gesellschaft hervorbrachte. Mit seinem Slogan von der Armee als Schule der Nation bezog sich Roon auf die Masse der deutschen Soldaten, Bauern und Arbeiter. Jedoch zirkulierte ein zunehmend vereinheitlicher Verhaltenskanon auch für die adlig-bürgerlichen Eliten. Sie wurde in der Offizierserziehung und den Studentenverbindungen erfolgreich operationalisiert. Der Zwang zum privaten Zweikampf war ein zentrales Element, das abseits von regionalspezifischen Akzentuierungen die deutsche Oberschicht charakterisierte. Zwischen 1871 und 1918 wurden die „entscheidenden Machtpositionen des Staats von Mitgliedern der satisfaktionsfähigen Gesellschaft besetzt oder kontrolliert.“351 Nach der Reichsgründung generierten die „Leitbilder des preußischen Militärs“ und die „Dreiheit Kaiserhof, Gutshof und Kasernenhof“ eine tradi-
347 Albrecht von Roon, Rede am 28.4.1865 (VHA, 8. Leg, Sez. 2, Bd. 2, S. 1204–1219). Vgl. auch Roon, Rede am 20.3.1865 (VHA, 8. Leg, Sez. 2, Bd. 1, S. 624–629). 348 Vgl. Albrecht von Roon, Reden am 2.6.1865 und 8.6.1865 (VHA, 8. Leg, Sez. 2, Bd. 3, S. 1879–1890). Ferner Roon, Rede am 20.3.1865 (VHA, 8. Leg, Sez. 2, Bd. 1, S. 624–629). 349 Albrecht von Roon, Rede am 22.1.1864 (VHA, 8. Leg, Sez. 2, Bd. 1, S. 58). 350 Albrecht von Roon, Rede am 5.4.1867 (Reichstagsprotokolle 1876–1895, Bd. 1, S. 562). Vgl. auch Roon, Rede am 7.6.1871 (Reichstagsprotokolle 1876–1895, Bd. 29, S. 818). Auch am „Schlagwort vom preußischen Schulmeister als dem Sieger der Schlacht bei Sedan“ zeigten sich symptomatisch die Verflechtungen zwischen nationaler Pädagogik und bellizistisch inspirierter Nationalisierung. Vgl. Tiemann, Nation, S. 321. 351 Elias, Studien, S. 71.
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tionsstiftende politische Mythologie mit gruppenintegrativen Kollektivsymbolen.352 Obwohl in den neugegründeten Nationalstaaten die „Ungleichheit in der Verteilung der Machtgewichte“ langsam zurückging, färbten die preußische Dreiheit und der konservative Adelskanon, insbesondere die Werte des Kriegers, auf die patriotischen Erwartungshorizonte und Wertvorstellungen des gebildeten und besitzenden Bürgertums ab.353 In Anlehnung an tief internalisierte konservative Selbstdeutungen und Wirklichkeitswahrnehmungen identifizierte sich Roon nach der Reichsgründung weiter mit den Farben Schwarz und Weiß, den preußischen Farben, die in der neuen Nationalflagge durch den „Zusatz von Roth“ ergänzt wurden.354 Dagegen war für Bismarck die Frage nach einer neuen Nationalfahne vollkommen unbedeutend: „Von mir aus grün und gelb mit Parteiabzeichen, oder auch die Fahne von Mecklenburg-Strelitz“.355 Der anhaltende Streit um die neuen Nationalfarben führte dazu, dass Deutschland bis 1896 weder eine Nationalflagge noch eine Nationalhymne hatte. Theodor Fontane lässt in seinem populärsten Roman Effi Briest die Protagonistin über die havelländischen Städte berichten: „Wenn sie da Kaisers Geburtstag feiern, so flaggt es immer bloß Schwarz und Weiß und allenfalls ein bisschen Rot dazwischen“.356 Aus konservativer Sicht symbolisierte der „Zusatz von Roth“ nicht nur die national-patriotische Identitätsstiftung der deutschen Einigungspolitik, sondern vielmehr die militärischen und moralischen Triumphe der preußischen Tugenden.357 Auch die berühmten apologetischen Darstellungen der Reichsgründung von Anton von Werner und Adolf von Menzel reproduzierten das Ineinandergreifen der alten Preußischen Farben mit dem Zusatz von Rot und vermittelten ebenfalls die Suggestion, dass der Nationalstaat die teleologisch vorbestimmte und natürliche Fortsetzung der preußischen Geschichte sei.358 Neben der Kriegsrhetorik und dem
352 Schulze, Staat, S. 260. 353 Elias, Gesellschaft, S. 448. 354 Albrecht von Roon, Rede am 2.4.1867 (Reichstagsprotokolle 1876–1895, Bd. 1, S. 525). 355 Zit. nach Craig, Geschichte, S. 62. 356 Theodor Fontane, Romane und Erzählungen (Bd. 7), Berlin–Weimar 1973, S. 59. Als sein Diener Engelke die schwarz-weiße Preußenfahne mit der schwarz-rot-weißen Flagge ersetzen wollte, reagiert auch Dubslav von Stechlin, der Protagonist von Theodor Fontanes Roman Der Stechlin, darauf empört: „Engelke hatte vor kurzem einen roten Streifen annähen wollen, war aber mit seinem Vorschlag nicht durchgedrungen. ‚Laß. Ich bin nicht dafür. Das alte Schwarz und Weiß hält gerade noch; aber wenn du was Rotes drannähst, dann reißt es gewiß.‘“ Fontane, Romane (Bd. 8), S. 14. 357 In seiner Poesie Epilog zum Kriege von 1871 attackierte Georg Herwegh die bellizistische Ausprägung der neuen Nationalfarben: „Schwarz, weiß und rot! Um ein Panier / vereinigt stehen Süd und Norden; / du bist im ruhmgekrönten Morden / das erste Land der Welt geworden: / Germania mir graut vor dir!“. Zit. nach Craig, Geschichte, S. 13. 358 Viele Darstellungen und Portraits prominenter Künstler gingen in diese Richtung. Symbolisch zeigt Menzels Gemälde „Abreise König Wilhelms I. zur Armee am 31. Juli 1870“ (1871) die reichsdeutschen und preußischen Flaggen, die durch einen Windstoß ineinandergreifen. Auch das Bild „Die
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monarchischen Herrscherkult trug das objektivierte Telos des kleindeutschen Nationalstaats wesentlich dazu bei, dass die preußischen Konservativen die Überzeugung gewannen, die Nationalsache und ihre politisch-ideologische Legitimations- und Ausstrahlungskraft zu kontrollieren. Bis ins 20. Jahrhundert hinein unterschätzten sie dramatisch das soziale, kulturelle und politische Transformationspotenzial des europäischen Nationalismus. Auch im neugegründeten italienischen Nationalstaat wurde mit dynastischen Kollektivsymbolen und dem aristokratischen Dienstethos eine beruhigende Kontinuität des Patriotismusdiskurses konstruiert. Die neue nationale Pädagogik basierte ebenfalls auf der massenkommunikativen Rekonfigurierung traditioneller Ehr- und Loyalitätsparadigmen. Auf der neuen italienischen Nationalflagge dominierten ein überdimensioniertes Wappen des Hauses Savoyen und die azurblaue Nationalfarbe Piemonts mit dem „Zusatz“ der rot-weiß-grünen Trikolore im Hintergrund. Um 1850 zirkulierten auch blaue piemontesische Fahnen mit dem Spruch: „Viva l’Italia!“.359 Als italienische Nationalhymne diente bei feierlichen Anlässe bis 1946 die Marcia reale d’ordinanza von 1849, die der Kapellmeister des 1. Regiments Savoyen in Auftrag vom König Karl Albert komponierte.360 Im nachrevolutionären Staatensystem bildeten der monarchische Herrscherkult und die Ausstrahlungskraft der höfisch-aristokratischen Gesellschaft ein nach wie vor national wirkendes Kollektivsymbol.361 Seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert bewältigten die europäischen Dynastien und ihre Entouragen immer wieder neue Legitimitätskrisen. Auch in Preußen und Piemont reagierten Monarchie und Eliten auf die Erosion traditioneller Machtdiskurse produktiv, indem sie phasenweise massenkompatible Inszenierungselemente und liberale Legitimationstheorien adoptierten. Das politische Rechtfertigungsnarrativ der monarchischen Herrschaft übernahm verschiedene Inszenierungs- und Legitimationsparadigmen: um 1600 etablierte sich der „roi sacre“, um 1700 der „roi connétable“, nach 1814 der „roi bourgeois“ und seit der 1840er Jahren die Suggestion des nationalen Königs.362 Ausgehend von den umfassenden Staatsbildungsprozessen des 18. Jahrhunderts erwies sich die monarchische Herrschaft auch im langen 19. Jahrhundert als eine unersetzliche politische Mythologie zur Identitäts- und Traditionsstiftung. Sie harmonisierte althergebrachte Legitimationsquellen wie den Krieg, die Religion und das Prestige mit modernen Legitimationsgrundlagen wie der Verfassung, dem Parlament und der Nation. Ein bestimmender Faktor für die Durchsetzung der Ideologie
Eröffnung des Reichstags im Weißen Saal des Berliner Schlosses durch Wilhelm II.“ (1888) von Anton von Werner kombinierte die preußische Atmosphäre mit dem schwarz-gold-roten Vorhang um den Kaiserthron. 359 Die hier erwähnten Flaggen befinden sich im MNRT-Archiv (nr. R0332357 und R0332360). 360 Vgl. Pierangelo Gentile, Auliche Armonie, cultura musicale alla corte sabauda tra Risorgimento e Italia unita. In: Studi Piemontesi 42 (2013), S. 351–362. 361 Vgl. Schlögl, Wirklichkeit, S. 31; Kroll, Bewusstsein, S. 353–374. 362 Leonhard, Erosione, S. 179–181.
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der Realpolitik war, dass die liberale Nationalbewegung nach 1848 immer deutlicher versuchte, den König für die Nation zu gewinnen, und umgekehrt auch mehr und mehr Konservative den monarchischen Patriotismus als eine antirevolutionäre Integrationsideologie betrachteten.363 Als er im Jahr 1850 seine Erfahrung als Abgeordneter der deutschen Nationalversammlung resümierte, entwarf Rudolf Haym eine Argumentationsstrategie, die die Idee der nationalen Monarchie über die parteipolitischen und regionalen Barrieren hinweg glaubwürdig kommunizierte. Der Literaturprofessor aus Halle verfolgte das Ziel, die Nation für den König und die konservativen Eliten attraktiv zu machen und gleichzeitig die Liberalen für die Monarchie zu gewinnen. Dafür belegte er die Suggestion der preußischen Mission mit populistischen und überregionalen Sinnkonstruktionen: „Was Preußens Macht begründet und geschaffen hat, [war,] daß seine Herrscher im Einklange mit der Gesinnung des Volkes handelten, daß sie sich an [die] Spitze der Zeitrichtungen stellten.“364 Diese Forderung nach konservativen Reformen von oben bildete in Preußen und in den meisten europäischen Staaten die Voraussetzung für die Neuerfindung der nationalen Monarchie.365 Sie entfaltete eine noch breitere und emotionalisiertere Legitimitäts- und Integrationskraft als die Vorstellung des roi bourgeois. Bis in die 1870er Jahre hinein blieben der liberalkonservative Politikentwurf der nationalen Monarchie und die Vorstellung einer preußischen Mission undeterminiert und sehr umstritten. Beide Konzepte wurden durch beharrlich konservative Selbstdeutungen und Legitimationstheorien herausgefordert und weitgehend modifiziert. Obwohl die Konservativen die demagogische Argumentationslogik von Rudolf Haym, der die „Gesinnung des Volkes“ oder die modernen „Zeitrichtungen“ idealisierte, ablehnten, betrachteten sie vor allem nach 1866 die paternalistischen Ideale und die optimistischen Erwartungshorizonte der nationalen Monarchie als einen zunehmend realistischen und attraktiven Politikdiskurs. Mit seinem politischen Programm von 1872 stellte die regierungsnahe Monarchisch-Nationale Partei lapidar fest, dass seit der Reichsgründung der monarchische und der nationale Gedanke identisch waren: „Mehr als irgendwo anders ist für das Deutsche Reich der monarchische Gedanke identisch mit dem nationalen, und es ist deshalb eine tiefe Unwahrheit, wenn die Gegner des nationalen Gedankens sich als Vorkämpfer des monarchischen zu gebärden versuchen.“366
363 Vgl. Sellin, Gewalt, S. 219–222. 364 Rudolf Haym, Die deutsche Nationalversammlung von der Kaiserwahl bis zu ihrem Untergange, Berlin 1850, S. 74. 365 Vgl. Kroll, Bewusstsein, S. 360–363. 366 Programm der Monarchisch-nationalen Partei des Reichstags (1872). In: Mommsen, Parteiprogramme, S. 62.
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Aufgrund dieser hybriden preußisch-monarchischen und deutsch-nationalen Identifikation war es für die Monarchisch-Nationale Partei möglich, weiter traditionelle Wertorientierungen und konservative Orientierungskonzepte wie die „starke kaiserliche Gewalt“, die Ablehnung der „Herrschaft parlamentarischer Majoritäten“ und die „Verkümmerung“ des Kaiserreiches „zu einem Einheitsstaat“ zu propagieren.367 Die seit Ende der 1840er Jahren von der Erbkaiserlichen Partei, der Gothaer Partei, der Wochenblattpartei, dem Preußischen Volksverein und den Freikonservativen immer wieder diskutierte und neu konzipierte liberalkonservative Zusammenarbeit brachte um 1870 in den programmatischen Texten, den individuellen Selbstdeutungen und Kollektivsymbolen einen neuen Deutungszusammenhang hervor, der die Integrationsideologie der nationalen Monarchie konstruierte. Wenige Monate nach der Monarchisch-Nationalen Partei entstand auch im preußischen Abgeordnetenhaus, das genauso wie der Reichstag in der Frage der administrativen und politisch-institutionellen Nationalstaatsarchitektur zerstritten war, die Neue Fraktion der Konservativen.368 Geführt vom älteren Bruder des Reichskanzlers konzipierten die 45 Fraktionsmitglieder ein programmatisches Manifest, das konservative und nationale Pathosformeln verknüpfte. Im Namen der monarchischen Nation traten resolut sie für die „Durchführung einer ebenso konservativen, wie nationalen Politik“ ein.369 Die Neue Fraktion übertrug das vage Konzept einer liberalkonservativen Teilkongruenz in eine detaillierte politische Identitäts- und Legitimationstheorie. Sie versuchte liberal besetzte Begriffe wie Verfassung, Reform, Einheit und Freiheit in der konservativen Sprache des Politischen systematisch zu verarbeiten. Mit ihrem Wahlaufruf von 1873 bezog sich die neue konservative Gruppierung explizit auf die semantischen und ideologischen Bestimmungsmuster der nationalen Monarchie und postulierten die drei zentralen Paradigmen der wahrhaft konservativen Politik: 1. eine monarchische: sie wird die verfassungsmäßigen Rechte der Krone ungeschmälert zu erhalten bemüht sein; 2. eine nationale: sie wird die Politik, durch welche Deutschland zur Einheit, Macht und Freiheit gelangt ist, mit vollster Hingebung unterstützen; 3. eine wahrhaft konservative: sie ist ausgehend aus dem Prinzip der Ordnung entschlossen, durch rechtzeitige Reformen den veränderten politischen Verhältnissen gerecht zu werden.370
Selbst die Kreuzzeitung und die altkonservative Fraktion im preußischen Abgeordnetenhaus, die die Anpassungsversuche der Neuen Fraktion an nationalliberale Grundbegriffe wie Verfassung, Einheit und Freiheit deutlich ablehnten, akzeptierten
367 Mommsen, Parteiprogramme, S. 63. 368 Zusammenfassend über das institutionelle Gefüge und die verfassungsmäßigen Probleme des neugegründeten Nationalstaats vgl. Craig, Geschichte, S. 45–60. 369 Wahlaufruf der Neuen konservativen Fraktion (1873). In: Mommsen, Parteiprogramme, S. 66. 370 Mommsen, Parteiprogramme, S. 65.
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die preußisch-deutsche Doppelidentifikation des monarchischen Patriotismus.371 Mit der vielfältig einsetzbaren Integrationsideologie der monarchischen Nation reagierten die preußischen Konservativen sowohl auf die Identitäts- und Loyalitätskonflikte, die sich nach der Reichsgründung herauskristallisierten, als auch auf die virulenten Inklusions- und Exlusionsmechanismen des Kulturkampfes.372 Im Juni 1876 griff das Gründungsmanifest der Deutschen konservativen Partei auf die Transfer- und Anpassungsleistungen der Neuen Fraktion zurück und forderte, die „für unser Vaterland gewonnene Einheit auf dem Boden der Reichsverfassung in nationalem Sinne [zu] stärken und aus[zu]bauen“.373 Die Paradigmen der nationalen Monarchie generierten vielfältig einsetzbare Deutungs- und Argumentationsoptionen, um die liberalkonservative Teilkongruenz zu akzeptieren und situationsadäquat neu zu bewerten. Nach der Reichsgründung setzte sich die Sprache der konservativen Publizistik und der Parteiprogramme mit liberal besetzten Begriffen wie Verfassung, Reform, Nation und Einheit konstruktiv auseinander. Durch diese kontroversen Vereinnahmungen wurde das semantische und symbolische Legitimationspotenzial der konservativen Politikdiskurse wiederbelebt. Die Suggestion der monarchischen Nation verkettete die Sprache der Vergangenheit mit aktuellen politischen Interessen und legitimierte damit sowohl die alten als auch die neuen Konservativen, die umstrittene Verfassungs- und Nationalstaatsarchitektur in eine restriktive Richtung zu lenken. Exemplarisch dafür betonte das Gründungsmanifest der Deutschkonservativen: „Wir legen auf politischem Gebiete entscheidendes Gewicht auf die monarchischen Grundlagen unseres Staatslebens und eine kräftige, obrigkeitliche Gewalt.“374 In diesem Sinne reproduzierte das „neue“ konservative Credo die Position der ultrakonservativen Alten Fraktion, die für eine „redliche Achtung der Selbständigkeit der zum deutschen Reich verbundenen Staaten“ und ein „starkes selbständiges Königtum in Preußen“ plädierte.375 Bismarck argumentierte ebenfalls mit dem multivalenten Orientierungskonzept der nationalen Monarchie und versuchte dementsprechend, die in Süddeutschland weitgehend unbeliebte preußische Monarchie anhand des Kaiserepos zu einem überregionalen Kollektivsymbol weiterzuentwickeln.376 Im Zusammenhang mit der
371 Vgl. Wahlaufruf der altkonservativen Fraktion im preußischen Abgeordneten- und Herrenhaus (1873). In: Mommsen, Parteiprogramme, S. 66. 372 Zum Konzept der monarchischen Nation vgl. Milinda Banerjee, The Royal Nation and Global Intellectual History: Monarchic Routes to Conceptualizing National Unity. In: Transnational Histories of the Royal Nation. Hrsg. von Milinda Banerjee, Charlotte Backerra u. Cathleen Sarti, Basingstoke 2017, S. 21–43. 373 Gründungsaufruf der Deutschen Konservativen Partei (1876). In: Mommsen, Parteiprogramme, S. 67. 374 Mommsen, Parteiprogramme, S. 67. 375 Mommsen, Parteiprogramme, S. 66. 376 Vgl. Engelberg, Bismarck (Bd. 1), S. 754.
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gescheiterten Kandidatur von Karl Anton Hohenzollern-Sigmaringen für den spanischen Thron hob Bismarck die Bedeutung der nationalen Monarchie deutlich hervor: „Das Ansehen der Dynastie der Hohenzollern, der gerechte Stolz, mit dem nicht nur Preußen auf sein Königshaus blickt, sondern auch Deutschland sich mehr und mehr gewöhnt, diesen Namen als ein nationales Eigentum zu nennen […], dient wesentlich zur Hebung des monarchischen Sinnes.“377 Auch die nationalliberalen Intellektuellen, die mit philosophischen und historischen Studien die Anthropologisierung und die Personifizierung des Staats untermauerten, stilisierten den Kaiser, aber vor allem den Reichskanzler als den politischen und ideologischen Helden des deutschen Einheitsstaats.378 Um seine politische Selbstbeschreibung zusammen mit der preußischen Monarchie zu nationalisieren, verwandte Bismarck zum einen plebiszitäre Instrumente und populistische Loyalitätsappelle, die um 1860 auch die piemontesischen Moderati benutzten. Zugleich organisierte er diplomatische Intrigen, Korruption und schmeichelhafte Versprechungen, um die Skepsis der süddeutschen Fürsten und der liberalen Öffentlichkeit, aber auch die Opposition der Ultrakonservativen und des preußischen Hofes zu neutralisieren.379 Bismarcks Mitarbeiter Heinrich Abeken schilderte zwar die frostige Atmosphäre, die am Vorabend der Kaiserproklamation in Versailles unter den preußischen Offiziere und Diplomaten herrschte, betonte aber auch auch die vielen Vorteile der deutschen Kaiserwürde: „Mir thut es fast Leid, daß der alte Herrscher [König Wilhelm I.] noch seinen ihm und uns liebgewordenen Namen oder Titel ändern soll; aber verkennen lässt sich es nicht, daß die Kaiserwürde viel Vortheil hat und jetzt das Rechte ist.“380 Auch Alexandrine von Preußen, die nach dem Tod ihrer älteren Schwester Charlotte die beliebteste Vertraute von König Wilhelm I. wurde, äußerte sich am Tag der Kaiserproklamation sehr überrascht, dass ihr Bruder die „neue Titulatur“ akzeptierte.381 Dabei argumentierte sie nicht weniger pragmatisch als Bismarck oder Abeken. Obwohl sie sich über den Kaisertitel nicht sonderlich freute, betrachtete Alexandrine die Kaiserkrone als ein „notwendiges Übel“.382 Wenige Stunden nach der feierlichen Kaiserproklamation in Versailles schloss sich der preußische König dem begeisterungslos-pragmatischen Ton seiner Schwester an und antwortete lapidar in Bezug auf die neue Titulatur: „Der für mich schwere Schritt ist geschehen.“383
377 Zit. nach Craig, Geschichte, S. 32. 378 Vgl. Craig, Geschichte, S. 63. 379 Vgl. Craig, Geschichte, S. 752. 380 Heinrich Abeken an seine Frau am 5.12.1870. In: Abeken, Leben, S. 473. 381 Alexandrine von Preußen an König Wilhelm I. am 18.1.1871. In: Briefe an Alexandrine, S. 114. 382 Briefe an Alexandrine, S. 114. 383 König Wilhelm I. an Alexandrine von Preußen am 19.1.1871. In: Briefe an Alexandrine, S. 114. Als erbitterter Gegner der preußisch-deutschen Reichsgründung hob der hessische Ministerpräsident Dalwigk immer wieder polemisch hervor, dass die Kaiserkrone selbst vom preußischen König abgelehnt wurde. Dabei berichtete er am 29. Oktober 1870 nach einem Gespräch mit Herzog Ernst von
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Einige Woche später thematisierte der preußische König die „Titelvermehrung“ als Familienereignis. Er betonte, dass die Kaiserproklamation auch für die verstorbene Schwester Luise schwer zu überwinden gewesen wäre. Der einzige Hohenzoller mit Sympathien für die nationalen Einheitsbestrebungen war König Friedrich Wilhelm IV., der im Jahr 1849 die Kaiserkrone paradoxerweise abgelehnt hatte: „Sein ganzes Sinnen und Wünschen und Handeln war auf diese Einigung Deutschlands gerichtet, und als ihm dieselbe mit der goldpapierenen Krone zugetragen wurde, mußte er sie ausschlagen als [sie] aus der Revolution und von unten hervorgehend entsprossen war! Und ohne Zustimmung der Fürsten! Und mir, der ich nach dergleichen nie gerungen habe, dem fällt die reife Frucht in den Schoß!!“384 Selbst einige Jahre nach der Kaiserproklamation erwähnte der preußische König wieder das Paradox, dass „der liebe Fritz“ eine vage Idee der deutschen Einheit, „ohne sie zu erreichen“, prinzipiell verfolgt habe, während er diesem Ziel nie nachgejagt und nur „sans le vouloir“ realisiert habe.385 Während der neue Kaiser in der Öffentlichkeit als nationales Identifikations- und Integrationssymbol galt, signalisierte der Monarch in seinem privaten Netzwerk das Bedürfnis, den „schwere Schritt“ zu verarbeiten und seine anhaltende Skepsis für die politische Legitimationstheorie der nationalen Monarchie zu kommunizieren. Ähnlich wie Wilhelm I. und seine Entourage reagierten auch die adligen Eliten distanziert ober zumindest begeisterungslos auf die Reichsgründung. Das preußische Establishment projizierte weiterhin seinen traditionellen Tugend- und Loyalitätskatalog auf das kleine und nicht auf das große Vaterland.386 Seit den 1840er Jahren kristallisierten sich auch in Piemont die Paradigmen des „roi bourgeois“ und der nationalen Monarchie in der öffentlichen Selbstinszenierung von König Karl Albert immer deutlicher heraus. Seit 1849 untermauerten die regierenden Moderati diese neue Integrationsideologie mit der Legende von Viktor Emanuel als „re galantuomo“ und Vater des Vaterlandes.387 Im Zusammenhang mit den konstitutionellen Reformen und der dramatischen Kriegsniederlage von 1849 fand das liberalkonservative Rechtfertigungsnarrativ der nationalen Monarchie die Voraussetzungen, um die traditionsstiftende Identifikationsfigur des Königs auch als aufrichtiger Mitbürger und Vater der Nation darzustellen und ihr Entgegenkommen gegenüber den liberalen und konservativen Ordnungsideen zu kommunizieren. Nach 1848 wurden die Legitimations- und Inszenierungsgrundlagen des „re galantuomo“ und „padre della patria“ zunehmend popularisiert. Jedoch setzten sie vor allem die konservativen Eliten unter Druck und führten dazu, dass auch die
Coburg mit großer Genugtuung, dass Wilhelm I. „vom deutschen Standpunkte nichts wisse und [ist] förmlich grob geworden, als man ihm die Annahme der deutschen Kaiserkrone vorgeschlagen habe.“ Vgl. Dalwigk, Tagebücher, S. 45. 384 König Wilhelm I. an Alexandrine von Preußen am 23.2.1871. In: Briefe an Alexandrine, S. 115. 385 König Wilhelm I. an Alexandrine von Preußen am 2.1.1874. In: Briefe an Alexandrine, S. 131. 386 Vgl. Wienfort, Adel, S. 43. 387 Vgl. Levra, Vittorio Emanuele II, S. 49.
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Reformgegner das vernünftige Entgegenkommen pragmatisch akzeptierten oder zumindest auf offene Protestinitiativen verzichteten. Besonders um 1860 trugen das traditionelle Dienstethos sowie der Ehr- und Loyalitätskanon dazu bei, dass sich die meisten Konservativen nicht mehr mit einer unnachgiebigen Opposition gegen die Verfassung und die Nationalstaatsgründung exponierten. Das galt nicht nur für machtbewusste Politiker wie Revel, sondern auch für einflussreiche katholische Prälaten wie den Erzbischof von Genua, Andrea Charvaz, und Luigi Nazari di Calabiana, Bischof von Casale und königstreues Mitglied des piemontesischen Senats. Calabiana relativierte seine Ablehnung der piemontesischen Aggression gegen den Kirchenstaat, indem er seine Loyalität für die monarchische Herrschaft bestätigte. Mit seinem Hirtenbrief vom Februar 1860 versuchte der Bischof von Casale seine Solidarität mit dem „schikanierten“ Papst und die pragmatische Akzeptanz der nationalen Monarchie zu kombinieren: „Pregate per il Santo Padre Pio IX, acció Iddio abbrevii i giorni della sua afflizione e consoli i sospiri del piissimo suo cuore; pregate per l’invitto nostro Re Vittorio Emanuele II, affinché il Signor lo conforti colla sua grazia a promuovere il bene dello stato e della Chiesa; pregate per tutta la Famiglia Sabauda e pei Supremi Poteri dello Stato.“388 In den 1860er Jahren war die Sprache des Politischen von der dynastischen Mission, dem traditionellen Kriegerkanon, der „Mystik eines nationalistischen Credos“ und der Sprache der harten Tatsachen dominiert.389 Ausgehend von diesen ungleichzeitigen Bestimmungsmustern vermittelte die Ideologie der Realpolitik eine attraktive Wirklichkeitswahrnehmung, die in Preußen und Piemont einen ergebnisoffenen Osmoseprozess nationaler, regionaler und dynastischer Machtdiskurse einleitete. Die energische Sprache der realpolitischen Wende überzeugte eine breite Konstellation von Politikern und Publizisten davon, dass das vernünftige Ausbalancieren zwischen liberalen Erwartungshorizonten und konservativer Traditionsstiftung unvermeidbar oder sogar teleologisch vorbestimmt war. Um die nationalstaatliche Machtkonzentration glaubwürdig zu kommunizieren, spielten die politische Beschwörung von Notwendigkeiten, die Entstehung eines überregional vereinheitlichten Empfindungskanons und die messianische Integrationsideologie der monarchischen Nation eine entscheidende Rolle. Während die meisten Konservativen die realpolitische Wende aktiv mitgestalteten oder spätestens nach der Nationalstaatsgründung pragmatisch akzeptierten, setzte eine Minderheit altkonservativer Politiker und Intellektueller einen unnachgiebigen Oppositionsdiskurs fort, der Bismarck und Cavour als Bonapartisten diskreditierte und den Nationalstaat als kurzsichtigen „Flirt“ mit der Revolution ablehnte.390
388 Luigi Nazari di Calabiana, Al Venerevole Clero e Dilettissimo Popolo della Città e Diocesi, Casale 1860, S. 15. 389 Elias, Studien, S. 192. 390 Hewitson, Nationalism, S. 332.
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Im offenen Gegensatz zu den semantischen und ideologischen Bestimmungsmustern der Realpolitik charakterisierten diese „unpatriotischen“ Proteststimmen die italienische und die deutsche Einigungspolitik als einen Katechismus, der „auf politischem Boden sehr ephemere und sehr leicht wiegende Früchte“ trug und „mit reellen und vollwichtigen Opfern“ verbunden sei.391 Die breite Palette an kulturellen, affektiven und pragmatischen Argumentationsstrategien, mit der die Liberalen und die Konservativen die Realpolitik idealisierten oder dämonisierten zeigt vor allem eins: Die realpolitische Wende war ein temporär fixiertes Mosaik ungleichzeitiger Semantiken und Erfahrungsdeutungen. Es basierte auf den umfassenden Staatsbildungsprozessen, auf der narrativen Bewältigung der Revolution und auf der soziokulturellen Neuformierung, die sich seit dem 18. Jahrhundert überlagerten. Die Realpolitik war genauso wenig objektiv und alternativlos wie die damit konkurrierenden Politikentwürfe. Jedoch konstruierte die konservative „politique pratique“ plausible Deutungs- und Handlungsoptionen, um mit resoluten Versprechungen und optimistischen Suggestionen die Sprache der Vergangenheit zu aktualisieren und die nachrevolutionäre Desorientierung zu reduzieren.
3.3 D ie Stillen im Lande. Nostalgie und Pessimismus als rationale Emotionen gegen die teleologische Nationalstaatseuphorie Emotionen wie Nostalgie, Angst und Pessimismus zirkulierten auf einer implizit-kulturellen Sinnstiftungs- und Kommunikationsebene, wurden jedoch in der politischen Sprache auch rational kontrolliert, kognitiv aufgefasst und instrumentalisiert.392 Nach der Revolution von 1848 blieb die Sprache der Vergangenheit mindestens genauso attraktiv wie das „Unerhörte“, das gegen etablierte politische und soziokul-
391 Anonym, Ein preußisches Programm in der deutschen Frage, Berlin 1862. In: Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes (Abt. III, Bd. 3), S. 548. 392 Vgl. Mihnea Moldoveanu u. Nitin Nohria, Master Passions. Emotion, Narrative, and the Development of Culture, Cambridge (MA), S. 18–33. Ausgehend von den aktuellen Ergebnissen der neurobiologischen Forschung leisten auch geistes- und kulturwissenschaftliche Studien einen wesentlichen Beitrag, um die beharrende Dichotomie zwischen Rationalität und Emotionalität sowie zwischen Affektiv und Kognitiv zu problematisieren. Trotz der methodischen Herausforderung ist die Bedeutung einer „Geschichte der Diskurse und Repräsentationen von Emotionen“ für die historische Forschung kaum zu unterschätzen. Vgl. Daniela Hammer-Tugendhat u. Christina Lutter, Emotionen im Kontext. Eine Einleitung. In: Emotionen. Zeitschrift für Kulturwissenschaft 2 (2010), S. 7–15, hier S. 11. Grundlegend über Emotionen in der Geschichte vgl. Aschmann, Nutzen, S. 9–32. Birgit Aschmann liefert mit ihrer Studie über die (verletzte) Ehre als „richtigen Grund“ für den deutsch-französischen Krieg von 1870 ein gelungenes Beispiel einer Geschichte der Emotionen, die als kollektiv sinnstiftendes Wahrnehmungs- und Orientierungsmuster wirkten. Vgl. Aschmann, Ehre, S. 151–174. Über die „Nationalisierung“ der Ehre in dem idealisierten Kanon des italienischen Risorgimento vgl. Banti, Nazione, S. 147.
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turelle Konventionen verstieß.393 Um 1870 gewannen nostalgische und pessimistische Pathosformeln zunehmend an politischer Bedeutung, weil die neugegründeten Nationalstaaten nicht nur pragmatische Zustimmung, sondern auch Verunsicherung und Entfremdung hervorriefen. Spätestens nach dem militärischen Fiasko von 1866 evozierte der italienische Nationalstaat ein Gefühl der politischen Desillusionierung und sogar der moralischen Enttäuschung.394 In Deutschland war die Entfremdung dem neuen Nationalstaat gegenüber meistens preußenkritisch konnotiert. Die Annexionen von 1866, die Reichsgründung und der Kulturkampf verschärften den „verletzenden, selbstherrlichen Ton der protestantischen preußischen Publizistik“, die Protest bei den deutschen Katholiken und den nichtpreußischen Lokalpatrioten auslöste.395 Auch in den Briefen der Soldaten, die im deutsch-französischen Krieg kämpften, herrschte ein düster-pessimistischer Grundton und keineswegs Kriegsbegeisterung. Selbst die Kaiserproklamation wurde mit Gleichgültigkeit registriert.396 Die deutsche und die italienische Einigungspolitik basierten auf parteiübergreifenden Objektivitäts- und Rationalitätskriterien, die die Sprache des Politischen seit 1848 zusehends mitbestimmten. Jedoch bezogen sich die neuen Nationalstaaten auf ein politisches Rechtfertigungsnarrativ, das genauso wie die anderen Meisternarrative der Moderne nicht nur Rationalisierungsideen, sondern auch Emotionen und Suggestionen hervorbrachte. Abseits der Rhetorik einer reinen Interessenpolitik waren die „Ideologisierung und die damit verbundene Emotionalisierung politischer Gegensätze normal“.397 Die negative Emotionalisierung der Nation revitalisierte die weiße Internationale der konservativen Legitimisten und spitzte die „unpatriotische“ Opposition der Katholiken zu.398 Sie beeinflusste auch viele pragmatischen Befürworter der nationalstaatlichen Machtkonzentration und mobilisierte die „Stillen im Lande“.399
393 Steinmetz, Sprechen, S. 1107. 394 Vgl. Riall, Garibaldi, S. 348. Zum Dritten Unabhängigkeitskrieg von 1866 und über seine kontroverse Erinnerungskultur vgl. Hubert Heyries, Italia 1866. Storia di una guerra perduta e vinta, Bologna 2016. 395 Clark, Preußenbilder, S. 309. 396 Vgl. Schikorsky, Elend, S. 14. 397 Nipperdey, Geschichte, S. 530. 398 Der Mythos der „glorieuses défaites“ zwischen 1859 und 1871 und die „transfiguration poétique“ der exilierten Monarchen spielten eine zunehmend wichtige Rolle, um die neugegründeten Nationalstaaten mit dem legitimistischen Mystizismus der weißen Internationale herauszufordern. Vgl. Sarlin, Légitimisme, S. 294. 399 Philipp Nathusius appellierte in seinen vielgelesenen Publikationen an die „Stillen im Lande“, um eine christlich-konservative Opposition gegen die realpolitische Nationalstaatsgründung zu perpetuieren. Vgl. Nathusius, Jugenderinnerungen, S. IV. Ähnlich wie Gerlach distanzierten sich nach 1871 auch enge Mitarbeiter von Bismarck wie Savigny und Roon von der Realpolitik, indem sie nostalgisch-pessimistische Semantiken und Argumentationsstrategien instrumentalisierten. Darüber wird in diesem Kapitel ausführlich berichtet.
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In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gehörte der Pessimismus zu den europaweit am meisten diskutierten Deutungsmustern.400 Die kulturelle und politische Ausstrahlungskraft dieser vielfältig einsetzbaren Orientierungsfolie basierte auf der verbreiteten Vorstellung, eine Epoche dramatischer Veränderungen zu erleben. Die daraus resultierende Kluft zwischen Fortschrittseuphorie und Kulturkritik wurde von prominenten Intellektuellen wie Arthur Schopenhauer, Antonio Rosmini, Leo Tolstoi und Friedrich Nietzsche vielfältig thematisiert. Nietzsches Preußen-, Bismarck- und Nationalenthusiasmus war „nicht mehr als ein Strohfeuer“, das zwischen 1865 und 1870 aufflammte, aber schnell wieder verschwand.401 Rosmini kritisierte den pessimistischen Grundton aller „Spätphilosophien“ und verurteilte die „schuldhafte Selbstbeschränkung, ja Selbstverdummung des modernen Menschen“ sowie die „absolute Idiotie“ der politischen Systeme, die diese Verhältnisse zuließen.402 Außerdem erreichten populär-philosophische Schriften zum Pessimismus wie Philosophie des Unbewußten (1869) des preußischen Offiziers Eduard von Hartmann und Pessimismus und seine Gegner (1873) von Agnes Taubert ein breites Publikum. Um 1850 bildeten die Ideale und Zukunftsvisionen des italienischen Risorgimento einen literarischen, kulturellen und politischen Gegenpol zum weitverbreiteten Dekadenz-Narrativ.403 Auch die Ideologie der preußischen Realpolitik bezog sich auf die Spannungen zwischen Fortschrittsglaube und Pessimismus, indem sie resolut versprach, die beschleunigten nachrevolutionären Transformationskrisen zu meistern. Seit den 1840er Jahren wurde die Idee der Reformen von oben als politischer Königsweg verklärt und mit teleologisch-positivistischen Suggestionen aufgeladen. Jedoch generierte sie keineswegs ein langfristiges und lückenloses Deutungsmonopol. Die Grenzen zwischen politischen Gewinnern und Verlierern blieben auch nach der Nationalstaatsgründung weder deutlich konturiert noch irreversibel. Die Spannungen zwischen den Identitäts- und Loyalitätsappellen der neuen Nationalstaaten und dem komplexen Mosaik an ethnischen, dynastischen, religiösen, regionalen, national-patriotischen und ständischen „imagined communities“ führte zu heftigen Kontroversen.404 Wie die meisten seiner Zeitgenossen verwendete auch König Friedrich Wilhelm IV. ein breites Instrumentarium an kollektiven Identifikationsparadigmen, die politisch zwar polyvalent und anpassungsfähig waren, jedoch mit dem exklusiven Loyalitätsmonopol des modernen Nationalismus inkompatibel waren. Der preußische König amalgamierte die nationale Einheitseuphorie mit seinem dynastischen, religiösen und regionalen Patriotismuskonzept. Dabei hatte
400 Um 1900 koexistierten Fortschrittsglaube mit Kulturkritik und Desillusionierung. Vgl. Jörn Leonhard, Die Büchse der Pandora. Geschichte des Ersten Weltkriegs, Bonn 2014, S. 23. 401 Henning Ottmann, Philosophie und Politik bei Nietzsche, Berlin 1999, S. 16 402 Liermann, Rosmini, S. 48 und 271. 403 Vgl. Marcello Verga, Decadenza. In: Atlante culturale del Risorgimento. Hrsg. von Alberto Mario Banti, Rom–Bari 2011, S. 5–18. 404 Hroch, Programme, S. 24.
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Friedrich Wilhelm IV. große Schwierigkeiten, einen überzeugenden Politikentwurf konsequent zu vertreten. In einem Brief an Herzog Adolf von Nassau thematisierte er die seit 1848 dramatisch gewordene Begriffsverwirrung zwischen miteinander konkurrierenden Prozessen lokaler, überregionaler, christlicher und dynastischen Identitätsstiftung: Bei der Sprach- und Begriffsverwirrung, die heut herrscht, gilt das, was seit 1000 Jahren für teutschen Patriotismus galt (und bei mir noch als solchen gilt), bei sehr vielen als der Mangel dieses Patriotismus. Seitdem ich zu Verstande gekommen bin, glühe ich für die Größe, die Achtung, die Ehre, die Einheit cum grano salis, das wahre Ansehen und den Ruhm Teutschlands. Unter Teutschland hab ich aber mein Leben lang eben das ganze große herrliche Teutschland verstanden. Jetzt verlangen sehr viele Herren und Knechte, ich sollte dies alte Verständnis aufgeben und unter Teutschland, wenn’s geht, 2/3 desselben, und geht’s nicht, 1/3 desselben verstehen. Dazu, teuerster Herzog, bin ich leider zu dumm.405
Die nachrevolutionäre „Begriffsverwirrung“ generierte kritische oder pessimistische Deutungs- und Handlungsoptionen, die eine Kontrastfolie zur idealisierten Kriegsund Nationalstaatseuphorie hervorbrachten. Damit markierten viele konservative Politiker und Intellektuelle auch in den 1860er und 1870er Jahren ihre kulturelle Distanz zu den Rechtfertigungsmustern der preußischen und der piemontesischen Einigungspolitik. Sie betrachteten die politischen Transformationen von 1848 und 1861 bzw. 1871 nicht mehr als eine natürliche und gegenrevolutionäre Entwicklung.406 Bei zunehmender Verunsicherung versuchten die konservativen Gegner der nationalstaatlichen Machtkonzentration, darunter auch zahlreiche enttäuschte Befürworter der realpolitischen Wende, die Bewältigungsstrategien und die ideologischen Umorientierungen der nachrevolutionären Übergangsgesellschaft neu auszuhandeln. Ausgehend von diesem pessimistischen Erwartungs- und Erfahrungsgehalt aktualisierten sie altvertraute Semantiken und Deutungsmuster aus dem christlich-konservativen Restaurationsdiskurs. Im Gegensatz zur teleologischen Begründungserzählung der entstehenden Nationalstaaten instrumentalisierte der konservative Politikdiskurs nostalgische Erfahrungsdeutungen und pessimistische Zukunftsvisionen. Um 1870 wirkten Nostalgie und Pessimismus als „rationale Emotionen“, die die konservative Skepsis gegen den Nationalstaat zum Ausdruck brachten. Damit polemisierten die Konservativen auf einer emotional-intellektuellen und implizit-kulturellen Ebene gegen die Realpolitik, ohne den tief internalisierten Loyalitäts-, Ehren- und Pfichtenkanon explizit zu revidieren. 1870 brachte der konservative Publizist Philipp von Nathusius die Jugenderinnerungen eines Alten Mannes heraus, in denen der Historienmaler Wilhelm von Kügelgen seine Lebensgeschichte schilderte und die ins-
405 Friedrich Wilhelm IV. an Herzog Adolf von Nassau am 6.3.1849. In: Haenchen, Revolutionsbriefe, S. 370. 406 Vgl. Retallack, Right, S. 68.
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gesamt 230-mal neu aufgelegt wurden. In seinem Vorwort appellierte Nathusius an die angebliche schweigende Mehrheit, die sich „trotz des Drängens und Lärmens der Gassen“ von dem liberalen Reform- und Nationalstaatsenthusiasmus distanzierte.407 Er idealisierte die traditionellen Wertorientierungen und Ordnungsideen der vorrevolutionären Gesellschaft und kreierte damit einen nostalgisch-pessimistischen Gegenentwurf zum modernen Nationalstaat, der den Orientierungsbedarf der Stillen im Lande bediente.408 Die Realpolitik war nicht imstande, die freigesetzten Erwartungshaltungen und Emotionen langfristig zu kontrollieren. Die Liberalen betrachteten die nationale Einigung als „die volle Befriedigung des Freiheits-, Einheits- und Machtbedürfnisses der Nation“.409 Die nationalstaatliche Machtkonzentration basierte auf einem zunehmend enttäuschenden Dauerkompromiss mit konservativen Machterhaltungsstrategien. Auch aus konservativer Sicht entwickelte sich die vermeintliche teleologische Mission der Nation deutlich weniger positiv als erwartet. Im Jahr 1878 eröffnete Constantin Frantz seinen Essay Der Untergang der alten Parteien mit der desillusionierten Behauptung: „Heute glaubt man weder an das Alte noch an das Neue.“410 Die Nationalstaatsgründung hatte die optimistisch geplante Einbindung und Domestizierung liberaler und demokratischer Netzwerke nur partiell realisiert. Vielmehr setzte der Nationalismus irrationale Argumente und Antagonismen frei, die die politischen und soziokulturellen Transformationskrisen verschärften.411 Die Sprache der harten Tatsachen und die Suggestion des konservativen Fortschritts bezogen sich auf einen zunehmend plausiblen und empathischen Politikentwurf, der nach den Revolutionen von 1830 und 1848 unter verschiedenen Denominationen europaweit zirkulierte. Jedoch wurde dieser Bezug von konkurrierenden Orientierungskonzepten und Wirklichkeitskonstruktionen immer wieder herausgefordert und zu Anpassungsleistungen gezwungen. Sowohl in den liberalen als auch in den konservativen Netzwerken verschafften sich alternative Politikdiskurse Geltung, die die Realpolitik unter Druck setzten oder unnachgiebig angriffen. Die Realpolitik stellte für viele preußische und piemontesische Konservative nur eine pragmatische oder konformistische Zwischenlösung dar. Die altkonservativen Politikdiskurse, die um 1850 von den transnational wirkenden Deutungsmustern des Juste Milieu und der Realpolitik marginalisiert wurden,
407 Nathusius, Jugenderinnerungen, S. IV. 408 Vgl. Adalbert Elschenbroich, Wilhelm Kügelgen. In: NDB 13 (1982), S. 185. http://www.deutschebiographie.de/pnd118567551.html (18.10.2015). 409 Vgl. Resolution des Frankfurter Abgeordnetentags vom 21./22. August 1863. In: Huber, Verfassungsgeschichte (Bd. 2), S. 122. 410 Constantin Frantz, Der Untergang der alten Parteien und die Parteien der Zukunft, Berlin 1878, S. 1. 411 Vgl. Lothar Gall, Bismarck, Preußen und die nationale Einigung. In: Bismarcks Mitarbeiter. Hrsg. von Lothar Gall u. Ulrich Lappenküper, Paderborn 2009, S. 1–16.
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waren nicht nur aufklärungsfeindlich und defensiv vergangenheitsorientiert. Vielmehr führten die Erfahrungswelten der Protagonisten der nachrevolutionären Neuordnung Europas dazu, dass sie auch rational-kritisch und undogmatisch argumentierten.412 Jedoch blieben die Pragmatismus- und Fortschrittskonzepte von Bismarck, Napoleon III. und Cavour und diejenigen von Metternich, Friedrich Wilhelm IV. und Talleyrand weit voneinander entfernt. Im Jahr 1849 attackierte der ehemalige österreichische Staatskanzler die positivistische Argumentationslogik der Reformen von oben, die die „Männer des unbedingten Fortschrittes“ befürworteten. Metternich vertrat eine zur Realpolitik entgegengesetzte Wirklichkeitsvorstellung, die auch nach der realpolitischen Wende die konservativen Politikdiskurse entscheidend mitbestimmte: „Die Welt ist und sie wird stets die alte bleiben, und nicht, wie die Männer des unbedingten Fortschrittes dies sich und anderen gerne einreden möchten, in der endlosen Richtung der mathematisch geraden Linie vorschreiten.“413 Das Rechtfertigungsnarrativ des unbedingten Fortschrittes wurde sowohl mit rational-kritischen und pragmatischen Argumentationsstrategien als auch mit idealistischen und romantischen Suggestionen untermauert. La forza del destino (Zeitgeist) war nicht nur der empathische Titel einer der populärsten Opern von Giuseppe Verdi, sondern auch ein europaweit sinnstiftender Leitbegriff, der die seit 1848 beschleunigten Modernisierungskrisen thematisierte. Dieser parteiübergreifende Slogan suggerierte mit positivistischen Argumenten und teleologischen Semantiken, dass die unsichtbare Hand des Zeitgeistes die italienische und die deutsche Einigungspolitik lenkte.414 Um diese abstrakte Vorstellung zu visualisieren, wurden politische Protagonisten wie Cavour, Bismarck, Viktor Emanuel II. und Wilhelm I. als Demiurgen stilisiert, die die historische Entwicklung in eine vorbestimmte Richtung führten. Die imaginierte Zusammenarbeit von politischen Helden und transzendenten oder teleologischen Kräften generierte eine glaubwürdige Argumentationsstrategie, um die Nationalstaatspolitik zwischen zukunftsweisenden Deutungsmustern und nostalgischem Modernisierungswiderstand zu rechtfertigen. 3.3.1 Die verbliebenen Deutungs- und Handlungsoptionen für eine konservative Opposition zur realpolitisch-teleologischen Begründungserzählung Historische Großdeutungen reaktivieren tradierte Vergangenheitsnarrationen oder entwerfen ein neues Geschichtsbild, um aktuelle politische Interessen und Erwartungshorizonte zu legitimieren. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts konstru-
412 Vgl. Siemann, Metternich, S. 61–69. 413 Klemens Wenzel Lothar von Metternich an Karl von Canitz und Dallwitz am 11.3.1849. In: Dallinger, Canitz, S. 167. 414 Vgl. Duggan, Forza.
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ierten die Ideologie der Realpolitik und die Suggestion des unbedingten Fortschrittes eine breitenwirksame große Erzählung. Sie beanspruchten eine politische Deutungshoheit über die vermeintliche nationale Vergangenheit und die daraus entstehende Teleologie.415 Mit der Formation des deutschen und italienischen Nationalstaats spitzte sich diese historische Meistererzählung zu. Seit den 1860er Jahren zirkulierte sie nicht nur als ein intellektueller, publizistischer und wissenschaftlicher Elitediskurs, sondern erlangte durch die Institutionalisierung der nationalen Pädagogik eine breite politische und öffentliche Dominanz.416 Auf einer rationalen, symbolischen und emotionalen Metaebene generierten das sprachliche Instrumentarium, die Strategien der Traditionsbildung, die Geschichtspolitik und die Rationalitätskriterien der nationalstaatlichen Begründungserzählung einen umfassenden Machtdiskurs.417 Realpolitik und nationalstaatliche Machtkonzentration brachten eine phasenweise dominierende Metanarration hervor, jedoch bildeten sie keineswegs einen hegemonialen, allein bestimmenden Politikdiskurs und wurden von konkurrierenden Ideen- und Akteursnetzwerken herausgefordert. Die Konservativen fanden durch die Denkkategorien von Nostalgie und Pessimismus eine politische Deutungsoption, um die Begründungserzählung der neuen Nationalstaaten zu relativieren oder sogar gänzlich abzulehnen. Zum Teil führte diese Form narrativer Verarbeitung der Nationalstaatsgründung zu wachsendem Realitätsverlust. Bereits um 1800 konnotierten die politischen Schriften der gegenrevolutionären Meinungsmobilisierung ihre Aufklärungs- und Fortschrittsskepsis mit nostalgischpessimistischen Semantiken. Ausgehend von einer emotionalen Metaebene entwarf Joseph de Maistre eine konkrete Argumentationsstrategie gegen den liberalen Verfassungs- und Nationsdiskurs. In seinem europaweit gelesenen Pamphlet Considérations sur la France deklarierte der prominente Intellektuelle: „La philosophie moderne est tout à la fois trop matérielle et trop présomptueuse pour apercevoir les véritables ressorts du monde politique. Une des ses folies est de croire qu’une assemblée peut constituer une nation; qu’une constitution, c’est-à-dire, l’ensemble des lois fondamentales qui conviennent à une nation [...] est un ouvrage comme un autre.“418
415 Zur nationalen Vergangenheit und zur „Verewigung“ der Nation als Argumentationsmuster der Nationalbewegungen, um ihre Existenzberechtigung zu beanspruchen, vgl. Hroch, Programme, S. 24. 416 Dabei wäre der realpolitisch-teleologische Nationalstaatsdiskurs in Italien und Deutschland eher mit der breiteren Kategorie von „meta-narrative“ (bzw. „grand narrative“ oder „master narrative“) zu beschreiben. Diese unter anderen von Jean-François Lyotard und Hayden White geprägten Begriffe unterstreichen die enge Korrelation zwischen Nationalstaat und den zentralen Metanarrationen der modernen (westlichen) Welt. Die totalisierenden „grand narratives“ der Moderne erhielten nicht nur wissenschaftliche und kulturelle Prägekraft, sondern etablierten auch eine breite politische und öffentliche Dominanz. Vgl. Jarausch u. Sabrow, Meistererzählung, S. 16. 417 Vgl. Schorn-Schütte, Politikforschung, S. 67. 418 De Maistre, Considérations, S. 111.
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Spätestens nach der Französischen Revolution brachten Nostalgie und Pessimismus eine politikmächtige Argumentationskette hervor, die die kulturelle Desorientierung und die Revolutionsparanoia konservativer Politiker und Intellektueller thematisierte. Während christlich inspirierte und patriotische Rechtfertigungsnarrative die semantischen und pragmatischen Anpassungsleistungen zwischen liberalen Fortschrittshoffnungen und konservativer Ordnungsideen einleiteten, markierten Nostalgie und Pessimismus die kulturellen und emotionalen Grenzen politischer „Neuerungssucht“.419 Nach der liberalen Revolution von 1821 und zusehends seit 1846 griff Solaro della Margarita auf die nostalgisch-pessimistischen Semantiken des konservativen Revolutionsdiskurses zurück, um die konstitutionellen Reformen und die Nationalbewegung zu diskreditieren. Im offenen Gegensatz zur teleologischen Begründungserzählung stigmatisierte Solaro den Zeitgeist und die aktuelle Politik als ein „äußerst unglückliches Thema“.420 Dabei handelte sich um eine pragmatisch eingesetzte Argumentationsstrategie, die ostentativ Pessimismus und sogar Resignation kommunizierte, um die antiliberale Opposition zu mobilisieren. Vor allem in den 1850er Jahren rechtfertigte Solaro seinen unnachgiebigen Protest gegen die regierenden Moderati, indem er gegen die progressiven und positivistischen Erwartungshorizonte des unbedingten Fortschrittes ein rückwärtsgewandtes pessimistisches Gegenbild entwarf.421 Der konservative Pessimismus war insofern eine produktive Verarbeitungsstrategie, als er, anstatt eine politische Resignation mit dem Bestehenden zu vermitteln, dafür plädierte, mit verstärktem Engagement gegen die Verfassungs- und Nationalstaatspolitik zu opponieren. Der piemontesische Diplomat Vittorio di Camburzano reagierte auf diesen nostalgischen Mobilisierungsappell positiv und sagte Solaros erzkonservativer Opposition seine Unterstützung zu. Im Jahr 1855 äußerte er sich begeistert über das „nouveau projet“ des ehemaligen Außenministers, der mit einem ideologischen Fatalismus argumentierte, jedoch als völlig entgegensetzte politische Reaktion die Fortsetzung einer resoluten Fundamentalopposition bei seinen Unterstützern bewirkte. Camburzano schloss sich enthusiastisch der Argumentationslinie von Solaro an und protestierte energisch gegen „la pusillanimité, l’égoisme ont été comme une aide à nos adversaires.“422 Wieder im Oktober 1858 attackierte Cam-
419 In seinem politischen Testament von 1827 polemisierte Friedrich Wilhelm III. gegen die liberalen Verfassungsbestrebungen, die er verächtlich als Neuerungssucht bezeichnete. Vgl. Friedrich Wilhelm III., Mein letzter Wille. In: Testamente der Hohenzollern, S. 755–757. 420 Clemente Solaro della Margarita an Giorgio Casaretto am 4.6.1850. In: Rivista Municipale (Genua) 17 (1939), S. 36. Ferner Solaro an Antonio Brignole-Sale am 15.2.1857 (ABS Serie corrispondenza, alfabetico S, Inv. 38, nr. 6499). 421 Clemente Solaro della Margarita an Lorenzo Ghiglini am 9.10.1857. In: Scovazzi, Voci, S. 97. 422 Vittorio di Camburzano an Clemente Solaro della Margarita am 29.10.1855. In: Lovera, Solaro (Bd. 3), S. 326. Dort auch das vorherige Zitat. In den 1850er Jahren äußerte sich Solaro wiederholt sehr
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burzano den italienischen Nationalstaat als „oeuvre de désolation“ und forderte: „nous devons protester“.423 Nach 1861 bildeten Nostalgie und Pessimismus eine der wenigen noch legitimen Deutungsoptionen, um gegen die Nationalbewegung zu polemisieren, ohne den konservativen Loyalitätskanon und das Dienstethos zu revidieren. Mit dem Pamphlet Sulla libera manifestazione delle opinioni und vor allem in seinen 1870 veröffentlichten Memoiren formulierte Edoardo Crotti anhand eines demonstrativ zur Schau gestellten Pessimismus seine schroffe Verurteilung der italienischen Einigung. In diesem Sinne betrachtete er die triumphierende Nationalstaatspolitik der piemontesischen Moderati als finanziell und moralisch ruinös. Dabei revidierte Crotti die nationale Begründungserzählung, indem er statt gegenrevolutionärer Machterhaltung und Kontinuitätsstiftung nur bevorstehende Katastrophen prognostizierte: „Si l’Italie doit sa ruine financière et morale à Cavour et à ses amis, elle leur devra aussi les futures calamites qui la menacent.“424 Wenige Monate nach seinem ersten Wahlerfolg im Jahr 1854 versuchte Solaro auch Antonio Brignole-Sale in die aktive Opposition einzubinden, indem er seinen Freund aufforderte, die Wahrheit und Gerechtigkeit gegen die „Lügen und Ungeheuerlichkeiten“ der „bösen“ Regierungspolitik zu verteidigen.425 Die semantischen Bestimmungsmuster von Gut und Böse, Wahrheit und Lüge oder Gerechtigkeit und Schande bildeten eine Dichotomie, anhand derer die konservative Fundamentalopposition auch noch nach 1859 ihre politische Sprache gegen die Moderati aufrüstete.426 Der Pessimismus generierte semantische und pragmatische Mechanismen, die besonders geeignet waren, um einen ideologischen Gegenentwurf zur Meistererzählung der nationalen Kulturpolitik zu imaginieren. Solaro diskreditierte die Sprache der harten Tatsachen, indem er die objektivierenden Beweisführungen und pragmatischen Erwartungshorizonte der realpolitischen Wende gänzlich verwarf. Im schroffen Gegensatz zur Suggestion einer natürlichen und alternativlosen Mission des piemontesischen Staates bezeichnete Solaro die nationalen Einheitsbestrebungen als „poetisches Produkt“ oder „demagogisches Delirium“.427 Der zunehmend realitätsferne konservative Politiker versuchte die nationale Teleologie zu dekonstruieren.
kritisch gegen den Konformismus und die „pusillanimité“ seiner konservativen Parteifreunde, die seine Fundamentalopposition nicht ausreichend unterstützten. Vgl. Lovera, Solaro (Bd. 1), S. 382–386. 423 Vittorio di Camburzano an Clemente Solaro della Margarita am 13.10.1859. In: Lovera, Solaro (Bd. 1), S. 336. 424 Berard, Crotti, S. 73. 425 Clemente Solaro della Margarita an Antonio Brignole-Sale am 5.12.1854 (ABS Serie corrispondenza, alfabetico S., Inv. 38, nr. 6487). 426 Vgl. Clemente Solaro della Margarita an Antonio Brignole-Sale am 31.12.1854 und am 8.2.1861 (ABS Serie corrispondenza, alfabetico S., Inv. 38, nr. 6490 und 6517). 427 „Stranezze de’ Romanzieri“ und „tribuni deliranti“. Vgl. Solaro, Memorandum, S. 337 und 564. Ferner Solaro, Discorso alla nazione (1856), S. 3–16.
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In seinem Pamphlet Questioni di Stato polemisierte er explizit gegen die „modernen Ideen des Risorgimento“, das ohne Fundament war und nur auf romantischen Erfahrungsdeutungen und messianischen Illusionen basierte.428 Für zentrale Orientierungskonzepte wie Nation, Moderne, Pragmatismus und Fortschritt proklamierte Solaro einen politischen Bedeutungsgehalt, der in eine entgegensetzte Richtung wie die Moderati wies. Über die Zäsuren von 1848 und 1859 hinweg beschrieb er die liberalkonservative Verfassungs- und Nationalstaatspolitik von oben mit pessimistischen Gegenbegriffen wie unhistorisch, unpolitisch, irreal, trügerisch und schrecklich.429 Solaro kommunizierte immer wieder seine zum italienischen Risorgimento antithetische Wirklichkeitswahrnehmung, indem er die Suggestion einer historisch gewachsenen Italien-Vokation der piemontesischen Monarchie nicht prinzipiell verurteilte, die italienische Nationalbewegung jedoch als idealistisch, unvorsichtig und realitätsfern zurückwies.430 Solaro formulierte ein sprachliches Inventar an konservativen Gegenbegriffen, die er gegen die teleologischen Maximen der nationalen Pädagogik gezielt, ja provokatorisch verwendete. Damit entwarf er eine alternative Wirklichkeitskonstruktion, die die zentralen Argumentationsmuster der piemontesischen Moderati (Fortschritt, Interessenpolitik, Moderne) systematisch falsifizierte. Damit erschien das Risorgimento nicht als eine authentische und natürliche Erfüllung der italienischen Geschichte, sondern vielmehr als „paradoxe ideologische Verrenkung“.431 Selbst als der Erfolg der piemontesischen Nationalstaatspolitik um 1860 seinen Höhepunkt erreichte, führte die obsessive Wiederholung pessimistischer Semantiken und nostalgischer Suggestionen dazu, dass das engere Netzwerk um Solaro die idealisierte Nationalstaatseuphorie zurückwies und meistens auch aktiv dagegen protestierte. Zwischen 1858 und 1861 hielten die meisten Korrespondenten des ehemaligen Außenministers solidarisch zusammen gegen die piemontesische Nationalstaatspolitik. In einer Vielzahl von Publikationen bauten sie ein pessimistisches Gegennarrativ zum Telos der Nation auf. Um 1860 entstanden aus dem konservativen Netzwerk um
428 „Mentre si adopera ogni mezzo, si chiamano in aiuto le passioni degli avi, s’interpretano i loro pensieri per spingere avanti l’idea del moderno risorgimento, è bene rendere avvertito chi cerca il vero nel presente e nel passato, che quanto si va declamando, non ha fondamento.“ Vgl. Solaro, Questioni, S. 44. 429 Vgl. Clemente Solaro della Margarita, Opinione del conte Solaro della Margarita sull’annessione di alcuni Stati alla monarchia e sulla cessione della Savoia e di Nizza alla Francia, Rom 1860, S. 12 und 19. Ferner Solaro, Rede am 10.5.1854 (APS Discussioni – Sessione del 1854/55, 5. Leg., Bd. 5, S. 1305). 430 „Se vogliamo spingerci a più alti destini, dobbiamo con sapienza e con prudenza aspettare la maturità dei tempi [...] stringerci tutti intorno alla comune patria [...] abbandonare un poetico ideale per iscendere nei campi del positivo.“ Vgl. Solaro, Rede am 26.4.1858 (APS Discussioni – Sessione del 1857/58, 6. Leg., Bd. 4, S. 1706). 431 „Stravolgimento delle idee“. Vgl. Solaro, Rede am 11.1.1855 (APS Discussioni – Sessione del 1854/55, 5. Leg., Bd. 6, S. 2626). Ferner Solaro, Rede am 28.5.1855 (APS Discussioni – Sessione del 1854/55, 5. Leg., Bd. 7, S. 3703).
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Solaro zahlreiche Pamphlete, Zeitungsartikel und Abhandlungen gegen die piemontesische Regierungspolitik. Viele dieser polemischen Aufsätze wurden mehrmals neu aufgelegt und in andere europäische Sprachen übersetzt.432 Während die piemontesischen Eliten sich von der Nationalstaatsgründung distanzierten, diese aber überwiegend loyal akzeptierten, führte das radikalisierte Oppositionsnetzwerk um Solaro della Margarita dazu, dass im konservativen Diskurs ein nostalgisch-pessimistischer Grundton gegen den italienischen Einheitsstaat perpetuiert wurde. Nach der Verlagerung der italienischen Hauptstadt nach Florenz im Jahr 1864, mit dem militärischen Fiasko von 1866 und der enttäuschenden kolonialen Expansion wurde das konservative Gegennarrativ zur teleologischen Nationalbegeisterung wieder aufgegriffen und für aktuelle politische Interessen parteiübergreifend instrumentalisiert. In Turin gingen die Skepsis und der Pessimismus gegenüber der Nationalstaatsgründung nur langsam und mühsam zurück. Bereits wenige Wochen nach der Proklamation des Königreich Italiens wurde mit dem Tod von Cavour, der in Turin eine allgemein respektierte Identifikationsfigur war, und vor allem mit dem Transfer des piemontesischen Königshofes nach Florenz der Integrationsprozess des „vecchio Piemonte“ in den neuen Nationalstaat erheblich erschwert.433 Die nostalgisch-pessimistische Argumentationskette und die oppositionellen Aktivitäten der piemontesischen Erzkonservativen wurden vor allem von ultrakatholischen Publikationsprojekten und Kirchennetzwerken unterstützt. Nach 1859 waren Zeitungen wie Civiltà cattolica und Armonia noch sehr einflussreich. Auch neue publizistische Initiativen wie die Zeitschrift Annali cattolici, die unter entscheidender Mitwirkung des Erzbischofs von Genua, Andrea Charvaz, von Lorenzo Ghiglini gegründet wurde, trugen zur Verstärkung der konservativen Opposition bei. Die Zeitschrift Armonia von Giacomo Margotti wurde von mächtigen piemontesischen Aristokraten wie Gräfin Sabina Spitalieri di Cessole, Ersilia Defranchi Carrega und Carlo Ema-
432 Vgl. Vittorio Camburzano, Discorso contro l’imprestito di 40 milioni detto nella tornata del XIV di Maggio, Turin 1858; Ignazio Costa della Torre, Gli Stati pontifici e gli Stati sardi, Turin 1859; Costa della Torre, Pio VII e Pio IX, Turin 1860; Giacomo Margotti, Le vittorie della Chiesa ne’ primi anni di pontificato di Pio nono (4. Aufl.), Turin 1859; Margotti, Roma e Londra: confronti (5. Aufl.), Neapel 1862. Margottis Publikationen erschienen auch auf Spanisch, Französisch und auf Deutsch. Siehe auch Solaro, Parole di commiato agli elettori di Borgomanero, di Carrú e di Varazze, Turin 1858; Solaro, Parole in occasione delle prossime elezioni, Turin 1860; Solaro, Opinione del conte Solaro della Margarita sull’annessione di alcuni Stati alla monarchia e sulla cessione della Savoia e di Nizza alla Francia, Rom 1860; Solaro, Risposta del conte Solaro Della Margarita all’opuscolo Il papa e il congresso (4. Aufl.), Rom 1860; Antonio Brignole-Sale, Considerazioni sulla quistione romana, ossia risposta alle obbiezioni antiche e recenti contro il governo pontificio, Rom 1860 (dieses Pamphlet erschien auch auf Französisch unter dem Titel Considérations sur la question romaine). Ferner Brignole, Sulla cessione della Savoia e del circondario di Nizza alla Francia: osservazioni indirizzate al Senato del Regno, Genua 1860; Brignole, Discorsi tenuti al Senato del Regno di Sardegna da S.E. il marchese Antonio Brignole Sale (3. Aufl.), Genua 1864. 433 Vgl. Levra, Torino, S. CLVIII–CLX.
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nuele Birago di Vische finanziert und blieb nach der Nationalstaatsgründung eine der meistgelesenen Zeitungen in Piemont. Um 1860 publizierte Armonia unzählige Artikel, in denen die Nationalstaatseuphorie, die teleologischen Erfahrungsdeutungen und Erwartungshaltungen des italienischen Risorgimento attackiert wurden. Gegen die pragmatische Sprache der Moderati hob auch die ultrakatholische Presse pessimistische Semantiken und Deutungsmuster demonstrativ hervor. Dabei kristallisierte sich ein konservatives Gegennarrativ heraus, das die italienische Nationalstaatsgründung nicht als natürliches Telos und gegenrevolutionäre Machterhaltungsstrategie beschrieb, sondern im schroffen Gegensatz dazu mit negativen Gegenbegriffen wie „Bürgerkrieg“, „babylonische Verwirrung“, „unwürdiges Opfer“, „Katastrophe“, „schreckliche Zukunft“ und „Quelle ewiger Konflikte“ argumentierte.434 Damit aktualisierte Armonia skandalisierende Begriffe wie Hochverrat, Bürgerkrieg, Anarchie und Aufruhr, die seit 1789 den konservativen Revolutionsdiskurs prägten.435 Um die Dämonisierung des optimistischen Rechtfertigungsnarrativs der Moderati zu untermauern, bezog sich Armonia ebenfalls auf den internationalen Protest gegen die italienische Nationalstaatsgründung, der auch in preußischen Zeitungen wie dem Volksblatt oder der Kreuzzeitung formuliert wurde. In diesem Zusammenhang lobte Margotti die Opposition gegen die italienische Einigung von „guten Protestanten“ wie Heinrich Leo und Julius Bindewald.436 Mit dem populären Slogan „né eletti né elettori“ (weder Wähler noch Gewählte), den Margotti im Januar 1861 lancierte, zeigte sich symptomatisch die breite Resonanz und die gezielte politische Funktionalisierung nostalgisch-pessimistischer Semantiken. Der Protestappell an die italienischen Katholiken, weder das aktive noch das passive Wahlrecht in Anspruch zu nehmen, basierte keineswegs auf einer resignierten Wirklichkeitsabwendung. Vielmehr war „né eletti né elettori“ eine pragmatische Reaktion auf die dramatische Wahlniederlage von 1860. Bevor er im Jahr 1861 für den Boykott der italienischen Parlamentswahlen plädierte, hatte sich Margotti in den 1850er Jahren stark für eine aktive politische
434 Vgl. I Torinesi antichi e moderni. In: Armonia 149 (29.6.1856); Al principe di Carignano proclamato reggente d’Italia centrale. In: Armonia 198 (23.11.1859); Quaranta milioni per l’Italia centrale. In: Armonia 211 (25.11.1859). Siehe auch Le perdite della Savoia e di Nizza (21.3.1860). In: Margotti, Memorie (Bd. 4), S. 112; Rinuncia alla Francia della Savoia e di Nizza (27.3.1860). In: Margotti, Memorie (Bd. 4), S. 114; Proemio al trattato di cessione di Nizza e Savoia. In: Margotti, Memorie (Bd. 4), S. 117; Una data doppiamente dolorosa il 31.3.1860. In: Margotti, Memorie (Bd. 4), S. 117; Cessione della Savoia e di Nizza (24.5.1860). In: Margotti, Memorie (Bd. 4), S. 137; Il Regno d’Italia (17.8.1861). In: Margotti, Memorie (Bd. 5), S. 94; Le questioni del neonato regno d’Italia (24.9.1861). In: Margotti, Memorie (Bd. 5), S. 101; Il fico d’Adamo (12.12.1861). In: Margotti, Memorie (Bd. 5), S. 363; La strenna degli italianissimi (20.12.1861). In: Margotti, Memorie (Bd. 5), S. 111–113; Il grido di Garibaldi II (30.7.1862). In: Margotti, Memorie (Bd. 6), S. 28. 435 Vgl. Koselleck, Revolution, S. 778–782. 436 Vgl. Il Papa e il protestante Leo (6.10.1860). In: Margotti, Memorie (Bd. 4), S. 347; Il Papa e i protestanti positivi (17.10.1860). In: Margotti, Memorie (Bd. 3), S. 349; Pio IX e la rivoluzione. In: Margotti, Memorie (Bd. 4), S. 363.
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Partizipation der Katholiken engagiert und für das piemontesische Abgeordnetenhaus kandidiert.437 Die massive Kritik an der realpolitisch-teleologischen Meistererzählung der Moderati manifestierte sich nicht nur in der erzkonservativen und ultrakatholischen Publizistik, sondern kam auch in einer Vielzahl von literarischen Texten zum Ausdruck. Prominente katholische Schriftsteller wie Antonio Bresciani, Niccolò Tommaseo, Cesare Cantù und Antonio Fogazzaro trugen entscheidend dazu bei, einen nostalgisch-pessimistischen Grundton zu propagieren und teilweise auch explizit auf den neuen italienischen Nationalstaat zu proijzieren. In seinem europaweit gelesenen Roman L’Ebreo di Verona kombinierte Bresciani seine Revolutionsparanoia mit einer überdeutlich formulierten Ablehnung der eingeleiteten Anpassungsleistung zwischen liberalen und konservativen Ordnungsideen. Im schroffen Gegensatz zum optimistischen Rechtfertigungsnarrativ der Moderati kommentierte er die piemontesische Politik mit der sarkastischen Bemerkung: „Par loro di aver trovato coll’altalenare tra Dio e il diavolo, fra il re e le costituzioni, fra la chiesa cattolica e il protestantesimo la panacea per guarire tutte le piaghe di questo mondo.“438 Während in Italien die Moderati sowohl nach den regionalen Plebisziten für den Anschluss der nichtpiemontesischen Territorien an die konstitutionelle Monarchie von Viktor Emanuel II. als auch nach der ersten Parlamentswahl im Jahr 1860 triumphierten, gewannen die deutschen Nationalliberalen bei der Reichstagswahl im März 1871 nur 30 Prozent der Stimmen.439 Als zweit- und drittstärkste Kraft setzten sich die Zentrumspartei und die Konservativen durch. Diese zwei heterogenen Netzwerke, die eine begeisterungslos-pragmatische Anerkennung oder gar eine offene Opposition gegen den neuen Nationalstaat vertraten, erhielten in den preußischen Provinzen 88 Mandate, während Nationalliberale und Freikonservative nur 81 Reichstagsabgeordneten hatten. Die Konservativen und die Zentrumspartei gewannen bei der preußischen Parlamentswahl im Jahr 1870 mit 172 gegen 147 Mandaten deutlich die Oberhand über die Nationalliberalen und Freikonservativen. Um 1870 war in den politischen Arenen des Hohenzollernstaates eine reservierte, skeptische oder pessimistische Grundstimmung gegenüber der deutschen Einigungspolitik mindestens genauso verbreitet wie in Piemont. Damit erhielten auch in Preußen nostalgisch-pessimistische Haltungen und Argumentationsfiguren zunehmend Resonanz. Im Jahr 1873 veröffentlichte die preußische Schriftstellerin Agnes Taubert einen aufsehenerregenden Essay, der die Doktrin und die historische Entstehung des Pessimismus in einem positiven Licht darstellte. Damit verteidigte sie
437 Vgl. Marotta, Cattolici, S. 130. 438 Bresciani, Ebreo, S. 349. 439 Die Wahlberechtigten in den Provinzen Toskana, Emilia, Neapel, Sizilien, Marken und Umbrien stimmten mit überwältigender Mehrheit für die „Annessione alla Monarchia Costituzionale del Re Vittorio Emanuele“. Vgl. Statuto fondamentale del Regno in data 4 marzo 1848, Turin 1884, S. 29.
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den philosophischen Bestseller ihres Ehemannes, Eduard von Hartmann, über die Philosophie des Unbewußten (1869): Der Pessimismus ist so alt wie die Reflexion des Menschen über sich und sein Leben. Seine ersten Spuren reichen so weit zurück, wie die frühesten Denkmäler der Literatur. In vielen Völkern bildete und bildet er die anerkannte Grundansicht über das menschliche Leben; in den wichtigsten Religionen ist er als mitbestimmende Doctrin für den ganzen Charakter der religiösen Weltanschauung aufgenommen worden. Als integrierender Bestandteil eines von keiner Religion direct abhängigen philosophischen Systems ist er zuerst von Schopenhauer in die Wissenschaft eingeführt worden.440
Seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert gewannen in den konservativen Politikdiskursen nostalgisch-pessimistische Semantiken und Deutungsmuster zunehmend an Bedeutung. Dabei spielten zum einen die von Agnes Taubert geschilderten moralischen Ansichten und philosophischen Suggestionen eine wichtige Rolle. Zum anderen trugen die wachsende Pluralisierung und die neue massenkommunikative Dimension der öffentlichen Meinung entscheidend dazu bei, dass gezielt Emotionen und Ideologien funktionalisiert wurden, um die komplexe politische Realität vereinfacht darzustellen. Nach den Zäsuren von 1848 und 1866 versuchten auch die preußischen Konservativen die Begründungserzählung der nationalstaatlichen Machtkonzentration mit altvertrauten pessimistischen Gegenbegriffen zu relativieren. Der konservative Revolutionsdiskurs perpetuierte eine pessimistische Gegenwarts- und Zukunftsdiagnose, die immer wieder neu bewertet und als politische Beweisführung situationsadäquat instrumentalisiert wurde. Im Jahr 1832 stellte der preußische Thronfolger Friedrich Wilhelm in einem Brief an Johann von Sachsen lapidar fest, die „Zeit [sei] zu matt und miserabel um irgendeine Institution zu gründen“.441 Nach der Revolution von 1848 traten nostalgisch-pessimistische Semantiken und Deutungsmuster wieder stark in den Vordergrund, um in den neuen politischen Arenen den konservativen Modernisierungswiderstand zu revitalisieren. Obwohl die konstitutionellen Reformen in eine legalistische Richtung gelenkt wurden und das Unionsprojekt von Radowitz gescheitert war, evozierte Ludwig von Gerlach in den 1850er Jahren weiter die Suggestion des „in Sünde und in Ungnade versunkenen Vaterlandes“, um seine antiliberale Opposition zuzuspitzen.442 Mit denselben semantischen und ideologischen Bestimmungsmustern, die der konservative Revolutionsdiskurs vor 1848 gegen die demagogischen Umtriebe hervorgebracht
440 Agnes Taubert, Der Pessimismus und seine Gegner, Berlin 1873, S. 1. 441 Friedrich Wilhelm von Preußen an Johann von Sachsen am 29.5.1832. In: Briefwechsel zwischen König Johann von Sachsen und den Königen Friedrich Wilhelm IV. und Wilhelm I., S. 125. 442 Ludwig von Gerlach, Rede am 12.2.1853 (ZK 3,1, Bd.1, S. 94–97).
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hatte, attackierte Gerlach auch nach der Reichsgründung die „schaurige Wüste dieser Bismarckschen Zeit“.443 Ähnlich wie für Solaro della Margarita generierte der Pessimismus auch für Gerlach ein politisches Rechtfertigungsnarrativ, um gegen die optimistischen Versprechungen der Nationalstaatsgründung von oben zu argumentieren. Obwohl der konservative Politiker nicht mehr in der Kreuzzeitung und der Evangelischen Kirchenzeitung publizierte und auch sein Mandat im preußischen Abgeordnetenhaus verlor, blieb er in den 1860er Jahren publizistisch sehr aktiv und teilweise auch noch erfolgreich. Zwischen 1862 und 1873 veröffentlichte er 28 neue polemische Pamphlete und längere Essays, die die realpolitische Wende unnachgiebig attackierten. Die meistgelesenen Publikationen von Gerlach erschienen ausgerechnet in den Kriegsjahren 1866 und 1871. Das Pamphlet Annexionen erlebte zwischen August und November 1866 sechs neue Auflagen und die ebenfalls sehr kritischen Essays Das neue Deutsche Reich und Kaiser und Papst wurden insgesamt zweimal bzw. viermal neu aufgelegt. Diese Texte fanden immer wieder eine große Resonanz in den publizistischen Debatten. Jedoch dominierten um 1870 sehr kritische Reaktionen gegen Gerlachs konservative Opposition, die als „Gift der Nation“ stigmatisiert wurde.444 Zwischen 1840 und 1870 durchliefen die konservativen Eliten einen Veränderungsprozess mit deutlichen Positionswechseln und neuen Argumentationsstrukturen: Gerlachs Aufbegehren gegen die Ideen von Fortschritt, Nation und Teleologie war nicht allein die Position eines verbitterten Altkonservativen, vielmehr wurden ähnliche Haltungen auch in der Publizistik artikuliert und (widersprüchlich) rezipiert. In seinen umfangreichen publizistischen Aktivitäten verwandte Gerlach systematisch nostalgisch-pessimistische Semantiken und Suggestionen, die ein Gegenbild zur teleologischen Meistererzählung der Reichsgründung darstellten. Seit der italienischen Einigung bezog sich der konservative Politiker zusehends auf die Schwankungen zwischen Euphorie und Pessimismus in den zunehmend emotionalisierten Politikdiskursen, um die nationalstaatliche Machtkonzentration von oben resolut zurückzuweisen: „Nicht bei Garibaldis und König Victor Emanuels Raubsucht und Ländergier sollen wir stehen bleiben.“445 Mit seinen polarisierenden Texten thematisierte Gerlach die nachrevolutionäre Desorientierung der preußischen Konservativen und ihre politische Verunsicherung, die von den imperativen Loyalitätsappellen und dem berauschenden Ausgang der Einigungskriege nur kurzfristig verdrängt wurde. In diesem Zusammenhang konstatierte Gerlach über das positivistische Rechtfertigungsnarrativ der Realpolitik, dass es nicht auf einer vermeintlichen Authentizität und Alternativlosigkeit basierte, sondern vielmehr auf einem politischen Glauben und auf der Deutungshoheit über zentrale Begriffe wie Menschenrechte, Freiheit,
443 Ludwig von Gerlach, TB am 17.10.1873. In: Kraus, Gerlach, S. 911. 444 Kraus, Gerlach, S. 858. 445 Ludwig von Gerlach, Stahl. Ansprache an die Berliner Pastoral-Conferenz, Berlin 1862, S. 22.
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Fortschritt.446 Gerlach stigmatisierte bereits um 1850 das liberalkonservative Unionsprojekt von Radowitz als „unermeßliches Unglück“ und setzte diese pessimistische Polemik in den 1860er Jahren gegenüber Bismarck fort.447 Dabei ersetzte er die positivistischen Orientierungskonzepte der Realpolitik mit konservativen Gegenbegriffen. Statt als gegenrevolutionäre und alternativlose Machterhaltungsstrategie beschrieb Gerlach den deutschen Einheitsstaat als „Schwärmerei“, die von der „Revolution selbst“ geleitet werde und zum „Untergang Preußens“ führe.448 Der konservative Politiker relativierte die Sprache der harten Tatsachen mit Gegenbegriffen wie Hoffart und Prahlerei und zog daraus die Schlussfolgerung, dass der preußisch-deutsche Machtstaat sowohl das kleine als auch das große Vaterland beeinträchtigt habe.449 Diese anhand nostalgisch-pessimistischer Semantiken und Argumentationsfiguren geführte Polemik gegen den „patriotischen Egoismus“ erreichte im Jahr 1866 ihren Höhepunkt.450 Neben Gerlach äußerte sich auch der ehemalige Oberpräsident der Rheinprovinz und Mitbegründer der Kreuzzeitung Hans-Hugo von Kleist-Retzow sehr skeptisch gegenüber der Realpolitik, indem er den moralisch konnotierten Begriff Egoismus ebenfalls politisch funktionalisierte.451 Kleist-Retzow idealisierte die „Regierung unseres Hochseligen Königs Friedrich Wilhelm IV.“ und seine Gedanken über die „christlich deutsche Monarchie“ als Gegenentwurf zur Realpolitik.452 In seinen letzten Artikeln für die Kreuzzeitung distanzierte sich Gerlach noch deutlicher von der preußischen Regierungspolitik und bezeichnete den bevorstehenden Krieg sowohl für Preußen als auch für Österreich als tödlich, gleichgültig „welcher Theil als Sieger daraus hervorginge“.453 Vor allem reagierte der konservative Politiker empört, weil Bismarck „Hand in Hand mit Garibaldi, Mazzini und der italienischen Revolution“ gehe.454 In den 1860er Jahren kam die heftige und obsessive Kritik Gerlachs an der „schamlose[n] Solidarität“ zwischen Preußen und dem italienischen „Räuberkönig“ sowie die resolute Stellungsnahme „Preußen darf nicht Deutsch-Piemont werden“ immer wieder in seinen politischen Pamphleten und Aufzeichnungen zum Ausdruck.455 Als positives Gegenbild zum patriotischen Egoismus des italienischen Risorgimento und zur Prahlerei der deutschen Nationalbewegung stilisierte Gerlach den preußisch-österreichischen Dualismus als den „lebendigen
446 Gerlach, Stahl, S. 21. 447 Gerlach, Aufzeichnungen (Bd. 2), S. 521–526. 448 Diwald, Revolution, S. 257 und 261. 449 Vgl. Gerlach, Freiheits-Tendenzen, S. 27. 450 Vgl. Gerlach, Krieg, S. 3. 451 Vgl. Hans-Hugo von Kleist-Retzow, Der Adel und die Kirche, Berlin 1866, S. 19. 452 Kleist-Retzow, Adel, S. 16. 453 Ludwig von Gerlach, Bundesreform. In: NPZ 105 (8.5.1866). 454 Ludwig von Gerlach, Oesterreich Wortbruch. In: NPZ 119 (26.5.1866). 455 Gerlach, Aufzeichnungen (Bd. 2), S. 286. Siehe auch Gerlach, Ermannung, S. 29; Gerlach, Annexionen, S. 20; Gerlach, Krieg, S. 7; Gerlach, Deutschland, S. 6 und 25; Gerlach, Reich, S. 23.
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Grundcharakter“ und die „reale Basis der Verfassung von Deutschland“.456 Dabei versuchte er in unzähligen Aufsätzen und Vorträgen das nationalliberale Deutungsmonopol über die Begriffe Einheit und Freiheit zu relativieren und plädierte für „die Hochwichtige und gesegnete Verbindung mit Oesterreich, in welcher mehr Deutsche Einheit und Deutsche Freiheit erhalten ist als in allen Schleswig-Holsteinischen, Turner-, Schützer- Sänger- und Nationalvereinen zusammengenommen.“457 Bereits um 1850 bezeichnete Gerlach die Idee des Dualismus Preußen-Österreich als wahren Patriotismus im Gegensatz zum liberalkonservativen Unionsprojekt von Radowitz. Zwischen 1848 und 1855 stand der Dualismus im Mittelpunkt von 23 seiner Rundschauartikel in der Kreuzzeitung.458 Neben dieser publizistischen Polemik, die 1866 ihren Höhepunkt erreichte, kontaktierte Gerlach die Witwe des „Hochseligen Königs Friedrich Wilhelm IV.“ sowie mehrere Minister und auch Bismarck, um seine pessimistische Verurteilung des preußisch-österreichischen Krieges als „schweres Verderben“ und „furchtbares Uebel“ zur Geltung zu bringen.459 Genauso wie die piemontesischen Konservativen reaktivierte auch Gerlach die konservativen Gegenbegriffe des permanenten Revolutionsdiskurses, um den resoluten Versprechungen der Realpolitik energisch zu widersprechen. Dabei nahm er vor allem den patriotischen Egoismus ins Visier und lehnte die preußische Einigungspolitik als kurzsichtig und grundverderblich, als Prahlerei und Großsprecherei, als Prahlen und Hetzen kategorisch ab.460 Gerlach attackierte explizit die politische Selbstbeschreibung der „practischen Männer“ und stellte lapidar fest, dass nur kurzsichtige Männer die altvertrauten Prinzipien für die „allernächsten kleinen Erfolge“ aufgäben.461 Auch gegen den „stürmischen Siegesrausch“ von 1870 äußerte sich Gerlach sehr skeptisch, indem er immer wieder den patriotischen Egoismus moralisch und politisch verurteilte und die Reichsgründung in Versailles mit „schmerzliche[r] Zerrissenheit“ verfolgte.462
456 Gerlach, Kampf, S. 12. 457 Gerlach, Kampf, S. 12. Vgl. auch Gerlach, Ermannung, S. 7 und 34; Gerlach, Landtag, S. 15 und 46. Ferner Ludwig von Gerlach an Otto von Bismarck am 25.4.1864. In: Bismarck-Jahrbuch 4 (1897), S. 170. 458 Gerlach, RS Dezember 1848, S. 73; RS Neujahr 1849, S. 96; RS Mai 1849, S. 174; RS Juli 1849, S. 4; RS September 1849, S. 64; RS Dezember 1849, S. 101; RS Februar 1850, S. 153; RS Mai 1850, S. 174; RS Juni 1850, S. 181; RS Juli 1850, S. 15; RS August 1850, S. 34; RS November 1850, S. 96; RS Februar 1851, S. 166; RS März 1851, S. 173; RS April 1851, S. 205; RS August 1851, S. 32; RS November 1851, S. 66; RS Januar 1852, S. 122; RS März 1852, S. 144; RS Juni 1852, S. 200–206; RS Michaelis 1854, S. 4; RS Neujahr 1855, S. 19; RS Johannis 1855, S. 61. In: Gerlach, Die politischen Rundschauen der Kreuzzeitung, Berlin 1849/56. 459 Ludwig von Gerlach an Otto von Bismarck am 21.3.1866 und am 12.5.1866. In: Bismarck-Jahrbuch 4 (1897), S. 170–175. Zu Gerlachs Kontakten mit der Königswitwe und den Ministern vgl. Kraus, Gerlach, S. 807. 460 Vgl. Gerlach, Ermannung, S. 29; Gerlach, Congreß, S. 6 und 8. 461 Gerlach, Annexionen, S. 30. 462 Gerlach, Aufzeichnungen (Bd. 2), S. 333. Vgl. auch Gerlach, Kirchenregiment, S. 7.
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Auch Savigny und Roon griffen neben ihren schon dargestellten Argumenten auf nostalgisch-pessimistische Semantiken zurück. Um 1870 trug Savigny entscheidend zur Gründung der Zentrumspartei bei und unterstützte die aufsehenerregende Wiederwahl Gerlachs ins preußische Abgeordnetenhaus. Savigny und Gerlach eigneten sich schnell darüber, die patriotisch-konservativen und kirchlichen Interessen zu vertreten und sich damit „im Kampfe für die höchsten Güter der Gesellschaft!“ zu engagieren.463 In der privaten Korrespondenz und mit ihren publizistischen Aktivitäten für die neugegründete Zeitung Germania schlugen beide Politiker einen pessimistischen Grundton an, um gegen die „furchtbar rechtlose Zeit“ und gegen den „Unitarismus“ und die „Staatsomnipotenz“ zu polemisieren.464 Auch nach dem eskalierenden Kulturkampf forderten Savigny und Gerlach die nationale Pädagogik und die Kulturpolitik des preußisch-deutschen Machtstaates explizit heraus. Sie betrachteten sich als treue und bewährte Patrioten und wiesen die immer wieder rekurrierende Verleumdung der „Reichsfeindschaft und Vaterlandlosigkeit“ vehement zurück.465 Albrecht von Roon gehörte keineswegs zu der zunehmend virulenten Abgrenzungskategorie der Reichsfeinde. Zusammen mit Bismarck und Moltke bildete er das „unzertrennliche Trifolium“ der allgemein gefeierten Reichsgründer.466 Dabei reaktivierte auch Roon um 1870 die nostalgisch-pessimistischen Semantiken und Deutungsmuster des konservativen Revolutionsdiskurses, um seine politische Verunsicherung zu verarbeiten. Der preußische Kriegsminister exponierte sich aufgrund seiner Dienst- und Königstreue zwar nicht mit einer offenen Opposition gegen die Reichsgründung, jedoch signalisierte er immer wieder seine distanzierte und pessimistische Grundhaltung zur deutschen Einigungspolitik. Im Gegensatz zum Rechtfertigungsnarrativ der realpolitischen Wende, das auch Roon öffentlich vertrat, thematisierte er privat seine „Sehnsucht nach Ruhe“ und die Angst vor „Entsittlichung und Verwilderung unseres armen verführten Volkes“.467
463 Ludwig von Gerlach an Karl Friedrich von Savigny am 28.10.1870. In: Savigny, Briefe, S. 990. 464 Karl Friedrich von Savigny an Ludwig von Gerlach am 1.10.1870. In: Savigny, Briefe, S. 976. Vgl. auch Savigny an Peter Blum (Bischof von Limburg) am 27.3.1873. In: Savigny, Briefe, S. 1002. Savignys Kritik gegen den Unitarismus trat auch in seinen privaten Aufzeichnungen zutage, in denen er immer wieder für die „föderale Natur“ Deutschlands plädierte. Vgl. Savigny, Briefe, S. 983–991. 465 Savigny, Briefe, S. 1000 (Germania von 12.3.1873). Noch deutlicher wies Gerlach den Vorwurf von Vaterlandlosigkeit zurück, indem er sich in einer parlamentarischen Rede am 9.5.1874 polemisch auf seine Dienst- und Königstreue bezog: „Ich werde mich als Preuße etwas legitimieren müssen [...] ich bin der Unterthan von 4 Preußischen Königen gewesen [...] ich habe 60 Jahre im Dienste dieser Könige gestanden“ (AH 12. Leg, Bd. 1,2, S. 1589). Bereits vor der Gründung der Zentrumspartei und der Eskalation des Kulturkampfes wurden vor allem in Preußen die sich politisch organisierenden Katholiken als „nicht gute Patrioten“ diskreditiert. Im Jahr 1862 protestierte die Resolution des deutschen Katholikentages energisch gegen diese „Verleumdung“. Vgl. Huber, Verfassungsgeschichte (Bd. 2), S. 114. 466 Anonym, General Freiherr von Manteuffel und seine Gegner, München 1871, S. 4. 467 Albrecht von Roon an Moritz von Blanckenburg am 16.12.1873 und am 14.5.1878. In: Roon, Denkwürdigkeiten (Bd. 2), S. 615 und 675.
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Die pessimistischen Gedanken und Emotionen des preußischen Kriegsministers widersprachen sowohl seiner öffentlichen politischen Selbstbeschreibung als auch der Begründungserzählung des neuen Nationalstaats. Während Roon sich seit 1862 systematisch als resoluter Soldat und pragmatischer Politiker ins Szene setzte, beschrieb er sich privat als „ein ausgeblasenes Licht“ und als ein „müder, alter Mann, […] der sich am liebsten mit den Händeln dieser Zeit gar nicht mehr abgäbe“.468 Mit diesem depressiven Grundton, der eine Kontrastfolie zur Sprache der harten Tatsachen bildete, konnte er die realpolitische Wende auf emotionaler und intellektueller Ebene relativieren. Mit seiner Beharrung auf dem konservativen Revolutionsdiskurs schloss sich Roon der Mehrheit der preußischen Konservativen an, die genauso wie Gerlach und Savigny der deutschen Einigung skeptisch bis widerwillig gegenüberstanden. Im Februar 1871, wenige Wochen nach der feierlichen Kaiserproklamation in Versailles, signalisierte Roon in mehreren Briefen an Moritz von Blanckenburg, dass er das neue „kaiserliche Schauspielhaus“ nur begeisterungslos und resigniert akzeptierte: „Ein alter Kerl wie ich kann sich nur schwer in dem neu auf aber noch nicht ausgebauten kaiserlichen Schauspielhause zurecht finden, in welchem Decorationen, Bühne, Stichworte, Licht, Luft u.s.w. dem bisher Gewohnten widersprechen.“469 Nach der Reichsgründung attackierte Roon auch explizit die Ideen und die Ambitionen seines ehemaligen Protegés Bismarck. Er reicherte seine pessimistische Argumentationslinie mit ironischen Bemerkungen an und definierte den Reichskanzler als Oberpriester, der den „alten Kultus“ aufopferte, um „neuen Gottheiten Altäre zu bauen“.470 Roon überspielte seine politische Verunsicherung, indem er vor allem kritisierte, dass Bismarck nach der Reichsgründung weiter „mit den National-liberalen fortcoquettiert“ und „mit den Conservativen conservativ und mit den Liberalen liberal“ argumentiere.471 Wenige Tage nach der Reichsgründung versuchte Blanckenburg vergeblich, Roon zu beruhigen, indem er ganz im Sinne der Ideologie der Realpolitik behauptete, dass die „fortschreitende Einigung Deutschlands es erfordert, daß wir immer liberaler werden müssen [… und] freilich auch, daß jeder liberale Mann,
468 Albrecht von Roon an Otto von Bismarck am 23.11.1869. In: Bismarck-Jahrbuch 4 (1897), S. 91. Vgl. auch Roon an Moritz von Blanckenburg am 31.12.1869. In: Roon, Denkwürdigkeiten (Bd. 2), S. 415. In einem Brief an Bismarck am 9.1.1874 beschrieb sich Roon wieder pathetisch als „arme, alte Person“. In: Bismarck-Jahrbuch 3 (1896), S. 252. Bereits am 10.9.1867 kommentierte Roon seine politische Position mit einem pessimistisch-depressiven Grundton: „Ich bin wie ein ausgeblasenes Licht, das nicht mehr leuchtet, nur noch stinkt und qualmt und daher schleunigst entfernt werden muß.“ Vgl. Roon, Soldatentum, S. 237. 469 Albrecht von Roon an Moritz von Blanckenburg am 6.2.1871. In: Roon, Denkwürdigkeiten (Bd. 2), S. 545. Vgl. auch Roon an Blanckenburg am 4.7.1848 (BARCH 48/12, Nr. 48). 470 Albrecht von Roon an Moritz von Blanckenburg am 6.2.1871. In: Roon, Denkwürdigkeiten (Bd. 2), S. 545. 471 Albrecht von Roon an Moritz von Blanckenburg am 16.1.1870. In: Roon, Denkwürdigkeiten (Bd. 2), S. 419.
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der dem König durch das Amt näher gebracht wird, eo ipso conservativer wird“.472 Jedoch weigerte sich Roon, die „Verdeutschung á tout prix“ in Kauf zu nehmen, und warf Bismarck vor, das ursprüngliche „preußische Programm“ für die Reichsgründung unbrauchbar zu machen.473 Obwohl Roon den Kulturkampf nicht prinzipiell ablehnte, verurteilte er genauso wie Gerlach den „stürmischen Siegesrausch“ als Ursache der krisenhaften politischen Entwicklung nach 1871.474 Historische Großereignisse wie die Reichsgründung und der Kulturkampf, die von der borussischen Meistererzählung als die strategischen oder sogar teleologisch vorbestimmten Schachzüge der Großen Politik verklärt wurden, kristallisierten sich vielmehr als emotionale und ideologische Reaktionen auf die dramatische nachrevolutionäre Transformationskrise heraus.475 In diesem Sinne resümierte Roon im Mai 1874, dass die Erfolge von 1866, der „Heldensprung“ von 1870 und „die damit verknüpfte Berauschung […] die Rückkehr zu gesunder Nüchternheit [verhinderten], und so taumeln wir denn, an Abgründen hin, weiter“.476 Der enttäuschte Kriegsminister zog aus dieser zunehmend pessimistischen Rhetorik eine dramatische Schlussfolgerung und ordnete sich in die Konstellation der konservativen Reichsfeinde ein. Roon hob polemisch hervor, dass er sich mit der konservativen Opposition gegen die Reichsgründung politisch identifiziere.477 Er distanzierte sich von Bismarck und gab sich mit einem „Zuschauerplatz“ zufrieden, der seine Dienstund Königstreue in ausreichendem Maße bestätigte.478 Roon bezeichnete sein „Mitziehen am Staatswagen“ eher als ein „Mitgeschlepptwerden“ und rechtfertigte seine begeisterungslosen und zunehmend widerwilligen Aktivitäten als Reichsgründer nur mit der „Liebe zum König und Vaterland“.479 Die nostalgisch-pessimistischen Deutungsmuster des konservativen Revolutionsdiskurses wurden auch in Piemont sowohl von der ultrakatholischen Opposition als
472 Moritz von Blanckenburg an Albrecht von Roon am 21.1.1870. In: Roon, Denkwürdigkeiten (Bd. 2), S. 420. 473 Albrecht von Roon an Moritz von Blanckenburg am 8.10.1873. In: Roon, Denkwürdigkeiten (Bd. 2), S. 638. 474 Gerlach, Aufzeichnungen (Bd. 2), S. 333. 475 Die aktuelle Forschung über den Kulturkampf hat sowohl die europäischen als auch die emotionalen und gesellschaftlichen Dimensionen und Folgen dieses vermeintlichen politischen Schachspiels beleuchtet. Vgl. Manuel Borutta, Geistliche Gefühle. Medien und Emotionen im Kulturkampf. In: Die Massen bewegen. Medien und Emotionen in der Moderne. Hrsg. von Frank Bösch u. Manuel Borutta, Frankfurt a. M. 2006, S. 119–141. 476 Albrecht von Roon an Moritz von Blanckenburg am 21.5.1874. In: Roon, Denkwürdigkeiten (Bd. 2), S. 599. 477 Albrecht von Roon an Moritz von Blanckenburg am 7.2.1871. In: Roon, Denkwürdigkeiten (Bd. 2), S. 422. 478 Albrecht von Roon an Moritz von Blanckenburg am 6.2.1871. In: Roon, Denkwürdigkeiten (Bd. 2), S. 546. 479 Roon, Soldatentum, S. 237.
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auch von pragmatischen Politikern wie Revel als „rationale Emotionen“ instrumentalisiert, um die beschleunigten Veränderungen zu verarbeiten, ohne sich zu sehr politisch zu exponieren. Im Gegensatz zu Solaro della Margarita akzeptierte Revel die piemontesische Verfassungs- und Nationalstaatspolitik und verteidigte nach den Zäsuren von 1848 und 1861 seine politische Macht und Reputation. Genauso wie Roon signalisierte auch Revel mit der obsessiven Wiederholung einer pessimistischen Argumentationslinie seine kulturelle und moralische Distanz zur Nationalstaatsgründung. Damit übte er eine implizite Kritik, die sein pragmatisches „Mitgeschlepptwerden“ motivierte und die traditionelle Dienst- und Königstreue nicht revidierte. In den 1850er Jahren bezog sich Revel immer wieder auf den Mythos des im Exil verstorbenen Königs Karl Albert und idealisierte die konservativen Reformen von 1847/48 als ein positives Gegenbild zur liberalen Verfassungs- und Nationalstaatspolitik der Moderati. Indem Revel seine ostentative Begeisterung für König Karl Albert systematisch zum Ausdruck brachte, legitimierte er die vorrevolutionäre Politik und formulierte zugleich eine indirekte Kritik am jungen König Viktor Emanuel II.480 Die politische Funktionalisierung der Nostalgie für das alte Piemont generierte eine interessante Deutungsoption, um implizit gegen die führenden Hof- und Regierungskreise zu polemisieren, ohne den traditionellen Patriotismus- und Loyalitätskanon zu verletzten. Ausgehend von dieser pessimistischen Grundhaltung war es für Revel möglich, seine Skepsis mit nicht kompromittierenden Argumenten gegen die liberalen Reformen und die Nationalstaatspolitik auszudrücken. Im Januar 1856 konstatierte der ehemalige Finanzminister, dass sich die regierenden Moderati die Formation eines erweiterten piemontesisch-italienischen Machtstaats zum Ziel setzten. Dabei distanzierte sich Revel unmissverständlich von der Regierungspolitik.481 Um sich mit dieser indirekt auch gegen die Monarchie gerichteten Kritik nicht zu sehr zu exponieren, hob er demonstrativ die Liebe für das piemontesische Vaterland als Hauptargument hervor und rechtfertigte damit seine Skepsis gegen die italienische Einigungspolitik: „Respingo che si possa chiamare grettezza il piemontesismo [...] non [è] grettezza amare la propria terra, perché questa terra è parte di una nazione cara e gloriosa. Come potrò credere che ami l’Italia chi nulla cura la propria indipen-
480 In einer sehr langen parlamentarischen Rede am 3.3.1851 verwendete Revel seine Nostalgie als politische Argumentationsstrategie. Er lobte die Ruhe, die in den vor-konstitutionellen politischen Institutionen und in der Gesellschaft angeblich geherrscht habe, und zog damit die Schlussfolgerung: „Se avessimo la fortuna di veder regnare Carlo Alberto“ (APS Discussioni – Sessione del 1851, Bd. 4, S. 1211–1215). Am folgenden Tag plädierte Revel für das Projekt eines nationalen Denkmals „alla memoria del magnanimo Carlo Alberto“ (APS Discussioni – Sessione del 1851, Bd. 4, S. 1225). 481 Revel kritisierte die „politica del Ministero come tendente all’unità d’Italia“ und trat für eine konservative Opposition gegen den italienischen Einheitsstaat ein, „perché è utile si sappia per quale via si corre; si sappia da chi l’unità si desidera, da chi la si respinge“. APS Discussioni – Sessione del 1855/56, 5. Leg., Bd. 3, S. 409.
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denza, quando si appartiene ad un paese piccolo sì, ma che ha traversato i secoli non ultimo tra le nazioni?“482 Revel spitzte diese Argumentationsstrategie weiter zu, indem er betonte, dass die wahre Liebe für das italienische Vaterland keineswegs mit der nationalstaatlichen Machtkonzentration verbunden sei. Im Gegensatz dazu betrachtete Revel die politische Einigung der italienischen Halbinsel als kontraproduktiv.483 Damit widersprach er dem Rechtfertigungsnarrativ der Moderati und stigmatisierte die italienische Einigungspolitik als gefährliche Illusion, die mit den dynastisch-staatspatriotischen Traditionen des alten Piemonts inkompatibel war.484 Viele machtgewohnte Adlige folgten Revel auf seiner nicht kompromittierenden Oppositionslinie, die das internalisierte Dienstethos und die traditionelle Königstreue der piemontesischen Eliten nicht in Frage stellte. Auch der savoyische Abgeordnete Leone Costa di Beauregard kommentierte die piemontesische Nationalstaatspolitik im Gegensatz zur realpolitisch-teleologischen Begründungserzählung der Moderati: „le Piemont oubliât la politique traditionnelle, habile, modérée, persévérante à laquelle la monarchie de Savoie a dû son accroissement et sa gloire, pour précipiter à un dénouement qui peut lui être fatal.“485 Zusammen mit anderen konservativen Politikern wie Federico Sclopis und Lorenzo Ghiglini versuchte Revel nach 1861, die Nostalgie für das alte Piemont als politische Argumentationsstrategie gegen den neuen italienischen Nationalstaat in einer nicht kompromittierenden Form zu kommunizieren.486 Während Revel und Sclopis ihre Skepsis gegen den italienischen Einheitsstaat in den politischen Institutionen manifestierten, wurden nach 1861 auch die Hoffeste und die italienische Oper im Teatro Regio vom erzkonservativen Adel boykottiert und die bereits sehr strenge Hofrangordnung wurde zusätzlich verschärft, um die unerwünschten Parvenüs und die nichtpiemontesische Aristokratie zu marginalisieren.487
482 APS Discussioni – Sessione del 1855/56, 5. Leg., Bd. 3, S. 409. 483 „Chi ama l’Italia, l’ami nelle sue parti, e l’amerà tutta sebbene non riunita in un solo centro che né più felice la renderebbe né più gloriosa.“ APS Discussioni – Sessione del 1855/56, 5. Leg., Bd. 3, S. 382. 484 „Sostener la propria indipendenza in ogni tempo [...] fu vanto della Corte di Sardegna; non illudersi sulla propria possanza non credere di aumentarla esponendola ad arrischiate imprese fu saviezza dei Reali di Savoia.“ APS Discussioni – Sessione del 1857, 5. Leg., Bd. 3, S. 986. 485 Leone Costa di Beauregard, Rede am 28.4.1857 (APS Discussioni – Sessione del 1857, 5. Leg., Bd. 4, S. 1673). 486 Vgl. Ottavio Thaon di Revel, Rede am 22.7.1861 (API Discussioni Senato – Sessione del 1861/62, 8. Leg., Bd. 1, S. 731). Revel und Ghiglini wurden 1861 vom König Viktor Emanuel II. zu Mitgliedern des italienischen Senats auf Lebenszeit ernannt, während Sclopis seit 1864 als Senatspräsident amtierte. Mit Ghiglini pflegte Revel sehr gute Kontakte und hatte mit ihm eine auf christlich-konservativen Haltungen basierende Skepsis für die liberale Verfassungs- und Nationalstaatspolitik gemeinsam. Vgl. Revel an Ghiglini am 24.11.1857. In: Scovazzi, Voci, S. 98. 487 Auch der piemontesische Dialekt wurde demonstrativ verwendet, um teilweise schroff antiitalienische Gedanken zum Ausdruck zu bringen („L’Italia ch’a stago a ca soa [...] ‘l nòster bel pcit Piemont! Noi ch’i stasio così ben sensa tuti coi fratej d’un autr let.“). Vgl. Gentile, Armonie, S. 354.
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Seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert erwies sich die Dichotomie PatriotischUnpatriotisch als eines der meistdiskutierten Stigmatisierungs- bzw. Legitimationskonzepte. Immer wieder wurden traditionelle und innovative Definitionen von Vaterlandsliebe und „Ausländerei“ miteinander verknüpft oder gegeneinander abgegrenzt, um bereits existierende politische Rechtfertigungsnarrative zuzuspitzen oder neue Legitimationsstrategien zu untermauern.488 Im Zusammenhang mit der italienischen und deutschen Nationalstaatsgründung wurden die symbolgeladenen Inklusions- und Exklusionsmechanismen der Dichotomie Patriotisch-Unpatriotisch institutionalisiert und mit einer resoluten Sprache vermittelt. Dabei versuchten die Konservativen, die nationalliberale Deutungshoheit über die Begriffe Einheit und Unabhängigkeit herauszufordern und in den traditionellen Kanon dynastischer, christlich-paternalistischer und regionaler Vaterlandsliebe zu integrieren. In den neuen Nationalstaaten gewannen „individuelle Akte selbstgerechter Heuchelei“ eine größere politische Bedeutung als je zuvor.489 Das Unterstellen von Heuchelei betraf sowohl die liberalen als auch die konservativen Politikdiskurse, die sich zwischen teleologischem Fortschrittsoptimismus und pessimistischer Desillusionierung bewegten. Vittorio Camburzano attackierte vehement seine konservativen Gleichgesinnten, die um 1860 die erfolgreiche Politik der Moderati pragmatisch akzeptierten: „Je crois qu’à aucune époque de l’historie on n’a vu l’hypocrisie trôner avec autant d’impudence et se jouer de la crédulité des peuples comme elle le fait ces jour-ci.“490 Der „Triumph der Heuchelei“, den sich die Zeitgenossen gegenseitig vorwarfen, deutet darauf hin, dass zwischen 1840 und 1870 die Intensität ergebnisoffener Anpassungsleistungen und politischer Umorientierungen kontinuierlich zunahm. 3.3.2 Die Religion als affektives und kulturelles Refugium gegen die Nationalisierung Im Zeitalter der Revolutionen wurde die kulturelle Dominanz religiöser Semantiken und Wertvorstellungen revitalisiert. Dabei veränderte sich die machtpolitische, alltägliche und normative Vermittlung christlicher Symbole und sakralisierter Herrschaftsnarrative. Sie generierten politikmächtige Orientierungsmuster, die dem „Phänomen des ernsthaften Zweifels Dramatik und Intensität“ verschafften.491 Das galt sowohl für die konservativen als auch für die liberalen Politikdiskurse, die nach den Revolutionen von 1789, 1830 und 1848 eine zunehmend breite Meinungsmobilisierung
488 Planert, Mythos, S. 481. 489 Stern, Gold, S. 22. 490 Vittorio Camburzano an Clemente Solaro della Margarita am 29.12.1859. In: Lovera, Solaro (Bd. 3), S. 339. 491 Burleigh, Mächte, S. 257.
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hervorriefen. Die Ausstrahlungskraft religiöser Erwartungshaltungen, individueller Glaubenserfahrungen und kirchlicher Rituale wirkte über das christliche Bekenntnis und die konfessionellen Animositäten hinweg als ein Refugium im politischen, intellektuellen und emotionalen Bereich.492 Die pessimistischen Gedanken, die die religiös-kirchlichen Traditionen evozierten, standen oft mit den weitverbreiteten Mittelaltersuggestionen in Verbindung. Um 1800 thematisierte der romantische Philosoph Novalis immer wieder eine tiefe Sehsucht für die idealisierte vorrevolutionäre und vormoderne Gesellschaft. Novalis heroisierte die „schönen glänzenden Zeiten“, „wo Europa ein christliches Land war, wo eine Christenheit diesen menschlich gestalteten Welttheil bewohnte“.493 Auch der preußische Schriftsteller August Kahlert stilisierte ein beruhigendes Landschafts- und Gesellschaftsbild als positive Gegenvorstellung zur modernen Welt. In der damals sehr populären Form eines Reiseberichts beschrieb Kahlert seine romantische Sehnsucht nach einem geordneten, mystischen und tief religiösen Leben, das er im Jahr 1845 während einer Dampfschiffsfahrt auf dem Rhein imaginierte: Es muß schön gewesen sein, das Mittelalter! Aus hundert Thürmen strebte die Sehnsucht zum Himmel; aller Orten boten sich dem Blicke Klausen und Klöster, wo frühe schon die Rechnung mit dem Leben abgeschlossen war und der Gesang der Glocken, bald zur Mette weckend, bald zur Feier all der Heiligen und Himmlischen rufend, bald in das Grab nachklagend, schauerte unabläßig, wie die Stimme einer anderen Welt, in das irdische Leben und Treiben.494
Seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert bildete die kulturelle und affektive Ausstrahlung der Religion ein nach wie vor attraktives und vielfältig einsetzbares Argumentationsmuster. Um das optimistische Rechtfertigungsnarrativ der Nationalstaatspolitik zu untermauern, versuchte auch die pragmatische Ideologie der Realpolitik, religiöstheologische Semantiken und Pathosformeln zu vereinnahmen. Nach der Reichsgründung stellte der preußische Beamte und glühende Bismarckverehrer Ludwig Hahn fest, dass „noch niemals das Walten des allmächtigen Gottes in der Geschichte so unmittelbar erkennbar“ hervortrat wie in den Jahren 1870 und 1871.495 In der nachrevolutionären Übergangsgesellschaft wurde die christlich inspirierte Sprache der Vergangenheit im konservativen Diskurs reaktiviert, um ein intellektuelles Refugium
492 Die These der Religion als Refugium bezieht sich auf die Definition der Religion als kulturelles System: „Religiöse Vorstellungen blieben nicht auf ihre besonderen metaphysischen Zusammenhänge beschränkt; sie bieten vielmehr ein System allgemeiner Ideen, mit dem die Erfahrung in vielen Bereichen – im intellektuellen, emotionalen, moralischen Bereich – sinnvoll ausgedrückt werden kann.“ Vgl. Geertz, Beschreibung, S. 92. 493 Zit. nach Haupt u. Langewiesche, Einleitung, S. 11. 494 August Kahlert, Reiseschilderungen aus Deutschland und der Schweiz, Breslau 1845, S. 392. 495 Ludwig Hahn, Der Krieg Deutschlands gegen Frankreich, Berlin 1871, S. 3.
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gegen die Fortschritts- und Revolutionsangst aufzubauen.496 Damit wurden sowohl antiliberale Blockaden als auch pragmatische Anpassungsleistungen hervorgebracht. Ludwig August Rochau betonte in seiner Schrift Grundsätze der Realpolitik von 1853, dass die „Wiederbelebung des religiösen Sinnes der stehend[e] Gedanke des politischen Konservatismus“ war.497 Dabei unterschätzte der nationalliberale Publizist die affektive und kognitive Bedeutung religiöser Suggestionen und Deutungsmuster. Vor allem in krisenhaften Situationen ermöglichten sie konstruktive Interpretations- und Bewältigungsleistungen. Nach den dramatischen politischen Ereignissen im Frühjahr 1848, die eine intellektuelle und existenzielle Bedrohung darstellten, intensivierte Friedrich Wilhelm IV. seine bereits ausgeprägte religiöse Rhetorik und Glaubenspraxis weiter. Damit fand der preußische König ein Orientierungs- und Argumentationsmuster, um seine schwere emotionale Erschütterung zu reduzieren und allmählich auch situationsadäquate politische Lösungen zu konzipieren. In mehreren Briefen an seine Schwester Charlotte, die über die destabilisierte politische Situation in Berlin zunehmend besorgt war, hob Friedrich Wilhelm IV. demonstrativ hervor, dass seine „Zuversicht zum Herrn lebendiger wie jemals“ war und das „Gebet des Glaubens viel“ vermochte.498 In diesem Sinne schrieb der preußische König auch an seinen erzkonservativen Berater, den Pietisten Ernst Senfft von Pilsach, und schilderte in einer detaillierten und pathetischen Form seine eng mit religiösen Suggestionen und Glaubenserfahrungen verknüpfte Bewältigungsstrategie: Meine Zuversicht steht auf den Namen Christi unwandelbar gegründet, daß Er das Unglück wenden wird durch Seinen allmächtigen Arm und Gotteskraft, die die Frevler leugnen. […] Sie sind stark in dem Glauben, in dem ich mit meinen 53 Jahren dennoch nur ein Anfänger bin. Aber ich kenne die Verheißungen, die der Herr dem gläubigen Gebete in Seinen Name gegeben hat, und ich – ich darf es sagen – ich habe seine Wunden gleichsam mit den Händen betastet. Wer so im Verein mit anderen Treuen den Herrn anruft, hat noch eine weitere festere Verheißung. Bitten wir also in dem Bewußtsein, dasselbe zu bitten, den Herrn täglich um die Wendung unsers Geschicks in seiner Ordnung und nach Seinem Willen.499
Auch Ludwig von Gerlach, der Schwager von Ernst Senfft von Pilsach, entwarf mit den gleichen religiösen Deutungsmustern eine Wirklichkeitskonstruktion, die eine affektive und gleichzeitig rationale Reaktion auf den Schock von 1848 war. Vor allem
496 Eingehend zur religiösen Politik im konservativen Diskurs: Kapitel 2.1.2 und 2.1.3. Hier steht die defensive Funktion der Religion als intellektuelles Refugium im Fokus. 497 Rochau, Grundsätze, S. 113. 498 Friedrich Wilhelm IV. an seine Schwester Charlotte am 21.4.1848. In: Haenchen, Revolutionsbriefe, S. 82. 499 Friedrich Wilhelm IV. an Ernst Senfft von Pilsach am 25.4.1848. In: Haenchen, Revolutionsbriefe, S. 85. Auch Friedrich Franz II. von Mecklenburg-Schwerin resümierte im Dezember 1848: „Meinen Muth habe ich wieder bei Gott gesucht, und er hat mich nicht im Stich gelassen!“ Vgl. Friedrich Franz II. von Mecklenburg-Schwerin, Tagebücher, S. 299.
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während der Revolution von 1848/49 und in den 1860er Jahren bezog sich Gerlach auf seine intensiven Lektüren von Augustinus und Haller. Dabei äußerte er mehrmals den Gedanken, dass der „Herr der König aller Völker“ sei und dementsprechend auch die „Göttlichen Gebote“ das Fundament jeder politischen und soziale Ordnungsidee bildeten.500 Ausgehend von dieser theokratischen Zuspitzung des christlich-legitimistischen Restaurationsdiskurses suggerierte Gerlach, dass Religion und Kirche die „höchste Souveränität Seines heiligen Willens“ darstellten.501 Selbst der monarchische Herrscherkult, das konservative Dienstethos und natürlich auch „Deutschheit und Nationalität“ waren der religiösen Politik vollkommen untergeordnet.502 Gerlach folgte dieser Argumentationslogik umso nachdrücklicher, je intensiver die preußische Hof- und Regierungspolitik über einen Kompromiss mit den liberalen Verfassungsbestrebungen und der Nationalbewegung diskutierte. Die daraus entstehenden politisch-institutionellen Veränderungen und Machtverschiebungen, die aus konservativer Sicht keineswegs gemäßigt waren, führten dazu, dass Gerlach gegen die Reformen nicht mehr glaubwürdig mit der Sprache des monarchischen Patriotismus protestieren konnte.503 Auf der Suche nach anderen Deutungsoptionen bot die Hinwendung zur Religion eine semantische und pragmatische Reaktionsmöglichkeit, die sich an internalisierten und noch plausiblen Sinnkonstruktionen orientierte. Als die Realpolitik das Deutungsmonopol über die traditionellen Legitimationsgrundlagen des monarchischen Patriotismus für sich beanspruchte, gewann die „Gotteslehre“ zunehmend an politischer Bedeutung für die Beharrungsbemühungen der konservativen Opposition.504 Gerlach transferierte die Sprache der Bibel auf die rational konzipierte Argumentationslogik seiner publizistischen und parlamentarischen Aktivitäten. In scharfem Gegensatz zum triumphierenden Nationalstaatsdiskurs entwarf er eine Dichotomie zwischen der Reichsgründung als „Eintagsfliege“ und dem „Königreich, deß kein Ende sein wird“.505 Um diese kompromittierende politische Position zu rechtfertigen, bezog sich Gerlach immer wieder auf Bibelpassagen und theologische Grundbegriffe, die er explizit zitierte oder summarisch vermittelte.506 Außerdem war es für Gerlach mit seiner politischen Gotteslehre möglich, den Vorwurf der Reichsfeindschaft und „Vaterlandlosigkeit“ energisch zurückzuweisen,
500 Ludwig von Gerlach an Moritz von Bethmann-Hollweg am 30.8.1864. In: Diwald, Revolution, S. 1201 501 Ludwig von Gerlach an Adolf von Thadden-Trieglaff am 23.6.1866. In: Diwald, Revolution, S. 1311. 502 Ludwig von Gerlach an Ludwig Pernice am 4.6.1848. In: Diwald, Revolution, S. 525. 503 Siehe Kap. 2.2. 504 Vgl. Gerlach, Aufzeichnungen (Bd. 2), S. 377 und 404. 505 Ludwig von Gerlach, Fünf Quartalrundschauen, Berlin 1856, S. 12. 506 In einer langen parlamentarischen Rede am 20.3.1873 bezog Gerlach gegen die preußische Nationalstaatspolitik Stellung, indem er explizit auf die Bibel verwies: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erde“ (AH, 11. Leg., Bd. 3,3, S. 1773–1778).
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indem er sich mit den christlichen Märtyrern identifizierte, die ebenfalls als Vaterlandslose galten, weil sie den „Sohn Gottes selbst [als] König“ betrachtet hatten.507 Immer wieder gelesene und diskutierte Texte wie die deutsche Bibelübersetzung und die theologischen Schriften von Martin Luther enthielten viele Argumentationsfiguren und Orientierungskonzepte, die aus konservativer Sicht die Suggestionen der religiösen Politik wiederbelebten und der Teleologie des Nationalstaats widersprachen.508 Die Gotteslehre als emotionale Verarbeitungs- und politische Argumentationsstrategie trug dazu bei, dass erzkonservative Politiker wie Ludwig von Gerlach, Adolf von Thadden-Trieglaff, Ernst Senfft von Pilsach und Hans-Hugo von Kleist-Retzow ihre unversöhnliche Position in den 1860er Jahren weiter vertreten konnten. Sie stellten eine große Herausforderung für die preußische Hof- und Regierungspolitik dar, weil die religiöse Politik ein semantisches und ideologisches Instrumentarium reproduzierte, das weder Bismarck noch Wilhelm I. scharf zurückweisen konnten. Emblematisch dafür bezog sich Kleist-Retzow auf Leitbegriffe wie Dienst, Ordnung, Pflicht, Kaiserthum und deutsche Nation, die im konservativen Politikdiskurs tief verwurzelt waren, und kritisierte somit die Realpolitik in einer nicht kompromittierenden Form. Mit dieser geschickten Argumentationsstrategie bezog sich der ehemalige Oberpräsident der Rheinprovinz auf die Reformation und plädierte für eine Rückbesinnung auf die christliche Monarchie und gegen die moderne Nationalstaatsidee: Da erfüllte Deutschland und die umliegenden Länder Luthers Ruf nach der Reformation der Kirche. Er richtete ihn geradezu an den Adel der deutschen Nation. Wohl meinte er damit die Obrigkeiten, aber die Pflicht derselben gründete er darauf und der Ruf zündete in den Herzen der ganzen Nation, daß er den Betrug der Laien für die Kirche, daß er die Obrigkeit als eine selbstständige unmittelbar von Gott zu seinem Dienst eingesetzte Ordnung, – d. h. die christliche Monarchie – wiederherstellte, daß in der deutschen Nation noch das Bewußtsein eines christlichen, selbstständige Kaiserthums lebendig war.509
507 Ludwig von Gerlach, Rede am 9.5.1874 (AH 12. Leg, Bd. 1,2, S. 1589). 508 Zum Beispiel: „Die zeit ist erfüllet / vnd das reich Gottes ist erbey komen“ (Markus 1, 14); „Thut busse / Das Himelreich ist nahe her bey komen“ (Matthäus 4, 17); „Mein Reich ist nicht von dieser Welt [...] wer aus der Wahrheit ist, der höret meine Stimme“ (Johannes 18, 37) und „so sollst du Gott mehr fürchten und gehorchen als Menschen“ (Apg. 5, 29). Ausgehend von den theologischen Schriften von Paulus von Tarsus und Augustinus formulierte Luther in seinen Pamphleten Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei (1523) und Ein Sendbrief wider die Bauern (1525) eine Zwei-Reiche-Lehre, die das „Reich der Welt“ zwar legitimierte, jedoch eindeutig dem Reich Gottes unterordnete. 509 Hans-Hugo von Kleist-Retzow, Der Adel und die Kirche, Berlin 1866, S. 13. Hier bezieht sich KleistRetzow auf das Pamphlet von Martin Luther An den christlichen Adel deutscher Nation (1520), das auch Gerlach immer wieder politisch instrumentalisierte. Vgl. Ludwig von Gerlach, Rede am 6.5.1853 (ZK 3,1, Bd. 3, S. 1379).
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Außer mit dem erzkonservativen pietistischen Adelsnetzwerk stand Gerlach auch mit orthodox-lutherischen Intellektuellen wie Heinrich Leo, Ernst Hengstenberg und Karl Friedrich Göschel in enger Verbindung. Anhand der Gotteslehre konstruierten diese ebenfalls ein intellektuelles Refugium gegen Revolutionsangst und Nationalstaatsbildung. Während das Rechtfertigungsnarrativ des neuen Nationalstaats die Reformation, den Mythos von Friedrich II., die antinapoleonischen Kriege und den Zollverein als die vorbestimmten Etappen der preußisch-deutschen Mission betrachtete, vertrat die religiöse Politik eine völlig entgegengesetzte Erfahrungsdeutung. Im Rückblick auf die Revolution von 1848 stellte Heinrich Leo fest, dass gegen die Durchsetzung der liberalen Reformen und der deutschen Einheitsbestrebungen „Gott von Anfang der Dingen an der guten Sache geholfen hat“.510 Im schroffen Gegensatz zum borussischen Geschichtsbild zog auch Hengstenberg eine negative Bilanz der (nach-)revolutionären Gesellschaft: „Seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts [des 18. Jahrhunderts] schlug der Geist des Abfalls in unserem Vaterlande und besonders in seiner Hauptstadt [Berlin] seinen Hauptsitz auf.“511 Um diesen zwischen exaltiertem Glauben und apokalyptischen Vorstellungen gespalteten Politikdiskurs zu untermauern, widmeten sich viele erzkonservativen Politiker einem noch intensiveren Studium religiös-theologischer Schriften. Gerlach las täglich die Bibel und zitierte obsessiv Paulus, Augustinus und Luther.512 Karl Friedrich Göschel beendete im Jahr 1848 seine Karriere im preußischen Staatsdienst und publizierte seitdem zahlreiche populärwissenschaftliche und moralisch-fromme Studien über theologische, biblische, kirchengeschichtliche Themen.513 Die Perspektive einer kompromisslosen Aufopferung für die politische Durchsetzung der Gotteslehre animierte diese erzkonservativen Netzwerke und entsprach der Suggestion des christlichen Martyriums und der Erfahrung der pietistischen Erweckungsbewegung. Außerdem reflektierte die Idee des selbstlosen Kampfes „mit dem Schilde des Glaubens“ und „dem Schwert des Geistes“ auch den Grundton von einflussreichen preußischen Predigern und Theologen.514 Mit seinen sehr populären Schriften vermittelte Franz Theremin eine tiefe Sehnsucht nach den „Schmerzen des Glaubens“ und der „süßen Wehmuth“.515 Mit einer hochemotionalisierten Sprache
510 Leo, Signatura, S. 57. 511 Schmalenbach, Hengstenberg, S. 333. 512 Vgl. Gerlach, Freiheits-Tendenzen, S. 6, 8, 29 und 39; Gerlach, Kirchenregiment, S. 9, 13, 17, 21, 29 und 36; Gerlach, Kaiser, S. 10, 28, 38 und 76. 513 Zwischen 1850 und 1858 erschienen vier dieser moralisch-frommen Texte. Vgl. Karl Friedrich Göschel, Zur Lehre von den letzten Dingen, Berlin 1850; Göschel, Über das Alter. Ein Schwanen- und Jubel-Lied, Berlin 1852; Göschel, Der Mensch nach Leib, Seele und Geist diesseits und jenseits, Leipzig 1856; Göschel, Die Concordien-Formel nach ihrer Geschichte, Lehre und kirchlichen Bedeutung, Leipzig 1858. 514 Franz Theremin, Predigten (Bd. 10), Berlin 1847, S. 104. 515 Theremin, Predigten, S. 97 und 100.
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betonte der prominenten Theologe, dass für die Gotteslehre eine politische Opposition gegen „Fürsten und Gewaltigen, nämlich mit den Herren der Welt, die in der Finsterniß dieser Welt herrschen, mit den bösen Geistern unter dem Himmel“ nicht ausgeschlossen war.516 Damit spitzte die nachrevolutionäre politische Religion den christlich-legitimistischen Restaurationsdiskurs, der im Sinne der Heiligen Allianz einen offenen Protest gegen die „Herren der Welt“ untersagte, weiter zu. Im Vergleich zu den „großen Schmerzen“ und den „bittersten Thränen“, die die pietistische und orthodox-lutherische Glaubenserfahrung sanktionierten, bildeten unerwünschte Reformen, politische Machtverschiebungen und Wahlniederlagen eine deutlich leichtere Herausforderung.517 Der Topos der Schmerzen des Glaubens generierte eine politische Orientierung zur narrativen Bewältigung des Revolutionsdiskurses, die auch über die konfessionellen und landesspezifischen Barrieren hinweg zirkulierte. Im Spannungsfeld zwischen traditionellen Glaubensinhalten und Revolutionsangst konstruierten auch die piemontesischen Ultrakatholiken ein emotionales und ideologisches Refugium gegen die seit 1847 zunehmend enttäuschende Hof- und Regierungspolitik. Antonio Bresciani vermittelte in seinen vielgelesenen Romanen und in seiner umfangreichen privaten Korrespondenz ein extrem pessimistisches Gesellschaftsbild.518 Dabei suggerierte er, dass die Rückbesinnung auf die christliche Glaubenslehre die einzige Lösung für die dramatischen sozialen, kulturellen und politischen Modernisierungskrisen war. „In questa valle di miserie ove pare bandita la felicità“, konstatierte Bresciani in einem Brief an Teresa Boschetti, „dobbiamo cercarla nel seno di Dio“.519 Genauso wie für Franz Theremin waren auch für den italienischen Jesuiten die Schmerzen des Glaubens die zentrale Voraussetzung für die religiöse, moralische und politische Erfüllung: „Patire per somigliare a Cristo, patire per poi godere con Cristo“.520 Die düstere Radikalisierung des christlich-konservativen Restaurationsdiskurses generierte affektive, kognitive und soziale Ressourcen, um eine Fundamentalopposition gegen die Realpolitik fortzusetzen. Solaros politische Argumentationsstrategie instrumentalisierte die Religion als eines der wenigen noch zur Verfügung stehenden Wahrnehmungs- und Orientierungsmuster gegen die regierenden Moderati. Damit kommunizierte er nicht nur mit Gleichgesinnten wie Brignole, Crotti und Margotti, die sich bereits in der konservativen Opposition engagierten, sondern erreichte auch die bis dahin politisch eher zurückhaltenden Angehörigen der piemontesischen Elite. Giuseppe Graf von Rovasenda kommentierte Solaros Memorandum von 1851 enthu-
516 Theremin, Predigten, S. 104. 517 Theremin, Predigten, S. 100 und 102. 518 Ausführlich zu den literarischen Bestsellern von Antonio Bresciani, seinen Ideen, Netzwerken und Rezipienten siehe Kap. 2.1.2 und 2.1.3. 519 Antonio Bresciani an Teresa Boschetti am 14.12.1841. In: Bresciani, Lettere, S. 215. 520 Antonio Bresciani an Teresa Boschetti am 30.3.1842. In: Bresciani, Lettere, S. 231.
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siastisch als „un système religieux et politique diamétralement opposé aux funestes théories de nos réformateurs et de leur stupide clientèle“.521 Ausgehend von der polyvalenten und zunehmend radikalisierten Funktion religiöser Argumentationsmuster blieb das konservative Netzwerk um Solaro politisch sehr aktiv, obwohl im Laufe der 1850er Jahre die Moderati am Hof, im Parlament und in den Ministerien allmählich die Oberhand gewannen. Die moralische Empörung, mit der die ultrakatholische Opposition auf die zunehmend enttäuschende politische Situation reagierte, führte zu einem intensiven Ideen- und Informationsaustausch und zum sehr guten Wahlergebnis von 1857. Außer in 16 katholisch-konservativen Zeitungen sowie unzähligen Predigten, Gebetbüchern und Hirtenbriefen, die in Piemont zwischen 1850 und 1858 erschienen, zirkulierte die religiöse Politik auch in über 170 politischen Pamphleten, literarischen Texten oder populärwissenschaftlichen und philosophischen Essays.522 Ein ausgeprägter missionarischer Eifer charakterisierte die überwiegende Mehrheit dieser Texte, die die Unterstützung der „wahren“ öffentlichen Meinung für sich zu gewinnen versuchten.523 Auch die wenigen konservativen Ultrakatholiken, die nach 1861 für die religiöse Politik in den Institutionen des neugegründeten Königreichs Italien auftraten, reproduzierten den missionarischen Eifer der 1850er Jahre. Demonstrativ bezeichnete Revel den katholischen Glauben als „un sentimento che è generale nella nazione“ und ordnete die Religion „in cima di tutti i doveri“ ein.524 Im diesem Sinne kommentierte auch Edoardo Crotti seine unerwartete Wiederwahl im italienischen Parlament: „J’accepte la position que la Providence me fait […]. En toutes choses je cherche la plus grande gloire de Dieu et l’accomplissement de mes devoirs.“525 Aufgrund seiner unverändert guten Reputation, der sozialen Privilegien und der enormen finanziellen Ressourcen konnte Crotti die Rhetorik und die konservativen Orientierungskonzepte
521 Giuseppe di Rovasenda an Clemente Solaro am 14.7.1852. In: Lovera, Solaro (Bd. 1), S. 249. 522 Zwischen April 1850 und Dezember 1858 rezensierte die Civiltà Cattolica 176 in Sardinien-Piemont erschienene bzw. wieder aufgelegte Publikationen, die auf überregionale Resonanz stießen und für die religiöse Politik eintraten. Autoren waren zum einen prominente konservative Politiker und Publizisten wie Solaro della Margarita, Vittorio Emanuele di Camburzano, Giacomo Margotti, Guglielmo Audisio, Emiliano Avogadro della Motta, Giorgio Briano und Vincenzo Ferrero di Ponziglione, zum anderen Theologen und katholische Prälaten wie die Bischöfe Luigi Rendu (Annecy), Alessandro d’Angennes (Vercelli), Andrea Charvaz (Genua) sowie Gioacchino Ventura, Carlo Faà di Bruno, Gaetano Alimonda und Giuseppe Rebaudengo. Dazu kamen übersetzte oder wieder aufgelegte Schriften wie der gegenrevolutionäre Essay des späteren Papstes Gregor XVI., Il trionfo della S. Sede e della Chiesa, von 1799, die Philosophie des Rechts von Friedrich Julius Stahl oder das Lehrbuch für Kirchengeschichte von Ignaz Döllinger. Vgl. Indice generale delle serie prima, seconda e terza della Civilta Cattolica, Rom 1859, S. 37–77 und 85–141. 523 Vgl. Ferrero-Ponziglione, Mene, S. X. 524 Ottavio Thaon di Revel, Rede am 29.4.1865 (API Discussioni Senato – Sessione del 1863/64, 8. Leg., Bd. 4, S. 2982–2984). 525 Edoardo Crotti an Unbekannte am 26.5.1867. In: Berard, Crotti, S. 74.
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der religiösen Politik in seiner Heimatprovinz Aosta erfolgreich bis in die 1870er Jahre hinein vertreten. Euphorisch wandte sich Crotti seinen Wählern zu, die die „fidélité aux principes catholiques, à la loyauté de serment et au statut octroyé par le roi Charles-Albert“ wieder bewiesen hatten.526 Der erzkonservative Politiker fand einen starken Rückhalt beim Bischof von Aosta, der die Familie Crotti als einen „trésor de tradition antiques et honorables; trésor de noblesse d’origine et de sentiments; trésor d’une éducation chrétienne dans le sein de votre famille“ überschwänglich unterstützte.527 Die intensiven Kontakte zwischen erzkonservativen Netzwerken, piemontesischen Prälaten und römischer Kurien generierten einen starken Motivationsschub, um nach Kriegsausbruch im Jahr 1859 weiter gegen die „Annexionen“ und die Nationalstaatsgründung öffentlich und privat zu protestieren.528 Dabei erhielten die dramatischen Mobilisationsappelle von Pius IX. und der katholischen Kirche eine europaweite Resonanz. Sie inspirierten die Formation einer publizistischen, diplomatischen und militärischen Fundamentalopposition gegen die piemontesischen Nationalstaatspolitik. Der Grundton zwischen missionarischem Eifer und apokalyptischem Pessimismus, der die Religion als affektives und kulturelles Refugium vor sozialen und politischen Transformationskrisen politisch funktionalisierte, zirkulierte in ganz Europa. Die emotionale und ideologisierte Empörung gegen den italienischen Nationalstaat kam auch in Deutschland zur Geltung. Am Vorabend der Exkommunikation von Viktor Emanuel II. im Februar 1860 prangerte Pius IX. in einem Brief an Wilhelm von Ketteler die „Anschläge“ gegen seine weltliche Herrschaft an: Die offenkundige Drangsale, worin wir Uns befinden, und welche durch die nichtswürdigen Anschläge und Umtrieben jener Menschen […] die als erbitterte Feinde der Katholischen Kirche und dieses apostolischen Stuhles ihr ganzes Streben darauf richten, die weltliche Herrschaft dieses Stuhles und das Erbtheil des heiligen Petrus in verruchtem und geradezu gottesräuberischem und frevelhaftem Beginnen umzustürzen und zu rauben und alle, sowohl göttliche als menschliche Rechte zu vernichten, ja von Grund aus zu zerstören.529
Dieser dramatische Appell wurde nicht nur vom Bischof von Mainz rezipiert, sondern auch von den sich politisch organisierenden deutschen Katholiken unterstützt und als zentrale Deutungs- und Argumentationslogik gegen das Nationalitätsprinzip und das Recht der vollendeten Tatsachen gewendet.530
526 Edoardo Crotti an die Wähler in Verres am 27.6.1867. In: Berard, Crotti, S. 75. 527 Allocution prononce le 7 mai 1872 à l’occasion du mariage de M. le comte Edouard Crotti. In: Berard, Crotti, S. 104. 528 Siehe Kap. 2.1.2 und 2.1.3. 529 Pius IX. an Wilhelm Emanuel von Ketteler am 27.2.1860. In: Ketteler, Werke (Bd. 2,3), S. 611. 530 Die Resolution des deutschen Katholikentags zu Aachen am 10. September 1862 lautete: „Die Katholiken […] verwerfen gewissenhaft allen Rechtsbruch und verabscheuen jede Revolution, mag sie
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Einerseits galt auch für die Konservativen das intensive Schreiben, Lesen und Publizieren gegen das Prinzip der Nationalität als „Therapie gegen politische Verzweiflung und Depression“.531 Anderseits wirkte die konservative Opposition in den 1860er und 1870er Jahren nicht nur in einer affektiven und kulturellen Dimension, sondern auch auf einer eng damit verknüpften kognitiven und rationalen Ebene. Nach dem realpolitischen Paradigmenwechsel bildete die religiöse Politik eine der wenigen im konservativen Diskurs noch plausiblen und nicht allzu kompromittierenden Deutungs- und Handlungsoptionen gegen die liberal-populistischen Legitimationstheorien und die imperativen Loyalitätsappelle der Nationalstaatsgründung von oben. Mit christlich inspirierten Semantiken und Wertorientierungen forderten die konservativen Gegner der Realpolitik die Deutungshoheit der neuen Nationalstaaten über das Wortfeld Loyalität-Patriotismus heraus. Sie stellten das daraus entstehende teleologische Rechtfertigungsnarrativ in Frage. In den neuen Nationalstaaten blieb zwar die Religion im „Wertezentrum der Gesellschaft“, jedoch wurden theologische Orientierungskonzepte, moralische Pathosformeln und christliche Kollektivsymbole in der nationalen Pädagogik assimiliert.532 Sie reduzierten die Polarisierung zwischen religiösen und säkularen Politikdiskursen. Damit war die Dämonisierung der konservativen Opposition als vaterlandslos deutlich glaubwürdiger als die entgegengesetzten Stigmatisierungs- und Exklusionsmechanismen, die den Nationalstaat als unchristlich und die konservative Opposition als wahre Patrioten beschrieben. Ursächlich dafür war, dass zwischen 1848 und 1870 politische Grundkonzepte wie Loyalität, Legitimität und Patriotismus mit deutlich anderen Inhalten belegt wurden. Die dramatische Auseinandersetzung zwischen selbsternannten Patrioten und Vaterlandslosen führte dazu, dass der Nationalstaat von Anfang an das Fremdbild des antinationalen Feindes und die Verschwörungstheorie des antinationalen Verräters systematisch zur Dämonisierung von politischen Rivalen und Nachbarstaaten instrumentalisierte. Unmittelbar nach der Reichsgründung erschienen mehrere Publikationen, die die mediale Stigmatisierung vermeintlicher interner und externer Gegner vollzogen. Emblematisch reproduzierte das anonym veröffentlichte Pamphlet General Freiherr von Manteuffel und seine Gegner. Ein deutsches Wort von 1871 die Grundstimmung des konservativen Revolutionsdiskurses als defensive Form politischer Legitimation und Identitätsstiftung des modernen Nationalstaats: Pfui! und abermals pfui! Daß es in dem soeben erst vor französischer Vergewaltigung durch seine Armee erretteten deutschen Vaterlande denkbar ist, die Führer dieses Musterheeres, dieses im wahrsten Sinne des Worts Waffen tragenden Volks, seine Bildner und Lehrer, die Männer,
sich auf allgemeines Stimmrecht oder auf Nationalitäts-Prinzip oder auf das sog. Prinzip der vollendeten Thatsachen stützen.“ In: Huber, Verfassungsgeschichte (Bd. 2), S. 114. 531 Jansen, Revolution, S. XXI. Vgl. auch Nipperdey, Geschichte, S. 752. 532 Haupt u. Langewiesche, Einleitung, S. 12.
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welche durch Jahrzehnte des Friedens, durch drei blutige Feldzüge hindurch ihren Werth bewiesen haben, welche das unbedingte Vertrauen des greisen fürstlichen Ehrenmannes, welchen das deutsche Volk mit Stolz seinen Heldenkaiser nennt, besitzen, von frechen Buben ungestraft beschimpft zu sehen. […] Wir haben für solches Thun nur: Verachtung. Wir sehen in solchem Treiben nur: Schande. Wir nennen es, die treuen Söhne des Vaterlandes, welche, draußen in fremder Erde gebettet, in Herzblut hergaben für seine Freiheit, seine Größe, noch im Grabe schmähen, versucht man es, die Sieger der Siege verleugnend, ihre Heldenthaten, nicht deutscher Überlegenheit, nicht deutscher Todesverachtung, sondern dem blinden Zufall zuzuschreiben. Wir nennen solch’ hirnverbranntes Gebahren: aller und jeder Vaterlandsliebe bar sein. Wir gehen noch weiter, wir nennen es: offenbaren Verrath.533
Der erzkonservative Prostest war einer der wichtigsten Störfaktoren, die den semantischen und argumentativen Fokus des modernen Nationalismus von positiven Begriffen wie Einheit und Freiheit immer stärker auf die negativen Suggestionen von Feind und Fremdheit verschob. Der Kampf zwischen treuen Söhnen des Vaterlandes und Vaterlandslosen basierte auf unterschiedlichen und ungleichzeitigen Wirklichkeitskonstruktionen, deren Authentizität sich überlagerte und immer wieder neu verhandelt wurde. Sowohl die Liberalen als auch die Konservativen benutzten „gefühlsbetonte Symbole und Rituale“, die im öffentlichen Politikdiskurs unterschiedlich als Pragmatismus oder Fanatismus, als Interessen- oder Gefühlspolitik bewertet wurden.534 Paradoxerweise verherrlichte der Autor des Deutschen Wortes das „unzertrennliche Trifolium“ Bismarck, Roon und Moltke, obwohl Roon sich selbst als Vertreter der konservativen Opposition definierte und nach den „Heldenthaten“ von 1866 und 1870 seine zunehmende politische Enttäuschung mit der moralisierenden Sprache der religiösen Politik thematisierte.535 Auch Roon diente die Religion als affektives und kognitives Refugium, aus dem heraus er nach der Reichsgründung immer wieder seine Skepsis für den neuen Nationalstaat formulierte.536 Er widersprach der resoluten Rhetorik der Realpolitik und revidierte seine frühere politische Position: „Auch mich bekümmert das Gewordene, und vielleicht mit größerem Rechte, denn ich habe, noch im Amte, vielleicht aus Kurzsichtigkeit, Manches gebilligt oder doch geschehen lassen, dessen Folgen wir noch zu tragen haben.“537 Die Polarisierung zwischen erzkonservativen „Vaterlandslosen“ wie Gerlach oder Solaro und pragmatischen „Nationalstaatsgründern“ wie Roon oder
533 Anonym, Manteuffel, S. 4. 534 Borutta, Gefühle, S. 122. 535 Siehe Kap. 3.3.1. 536 In den 1870er Jahren hob Roon genauso so wie Gerlach polemisch hervor, dass die Politik deutlich der Religion untergeordnet und die einzige Lösung gegen die nachrevolutionären Transformationskrisen das „Eingreifen“ Gottes war. Vgl. Albrecht von Roon an Moritz von Blanckenburg am 7.2.1870, am 14.12.1874, am 26.2.1875 und am 30.12.1875. In: Roon, Denkwürdigkeiten (Bd. 2), S. 421, 642–645 und 675. 537 Albrecht von Roon an Moritz von Blanckenburg am 25.8.1878. In: Roon, Denkwürdigkeiten (Bd. 2), S. 691.
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Revel war von verschiedenen Ideen und politischen Ambitionen abhängig. Jedoch wurde die Neuerfindung kollektiv sinnstiftender Inklusions- und Exklusionsmechanismen vor allem von der konfliktreichen Entstehung einer neuen Sprache zur narrativen Bewältigung der Revolution bestimmt. In der Sprache der harten Tatsachen wurden sowohl semantische und intellektuelle Wiederholungsstrukturen vermittelt als auch Anpassungsleistungen an die durch die nachrevolutionären Modernisierungsschübe veränderte politische Situation.538 Das Ineinandergreifen des konservativen Revolutions- und des teleologischen Nationsdiskurses kam mit besonderer Intensität in den neugegründeten Nationalstaaten diesseits und jenseits der Alpen zur Geltung, weil sie aus patriotisch verklärten Einigungskriegen entstanden und sich auf die damit verknüpften Kriegssemantiken und -mythologien bezogen. In Italien und Deutschland verfestigte die nationale Pädagogik die dynastisch-paternalistischen Deutungs- und Argumentationsmuster des permanenten Revolutionsdiskurses weiter. Sie transferierte die aggressive Sprache der konservativen Gegenrevolution auf die missionarische Integrationsideologie nationalstaatlicher und imperialer Machtkonzentration.539 Die ergebnisoffene Überlagerung von konfliktbehafteten Inklusions- und Exklusionsmechanismen und die Gleichzeitigkeit von Zukunftsangst und Fortschrittsglaube prägten die internen Politikdiskurse und den externen Konkurrenzkampf von alten und neuen europäischen Nationalstaaten, aber auch von multiethnischen und globalen Imperien.540
538 Koselleck, Sinn, S. 114; Elias, Studien, S. 165. 539 Wachsende Verunsicherung sowie vielfältige Krisenperzeptionen und konkurrierende Sicherheitskonzepte prägten nicht nur die nachrevolutionäre Gesellschaft Kontinentaleuropas, sondern auch die Diskussions- und Entscheidungsforen der englischen Politik. Grundlegend dazu: Michael J. Turner, The Age of Unease. Government and Reform in Britain 1782–1832, Stroud 2000. 540 Ähnlich wie die neuen Nationalstaaten legitimierten sich im 19. Jahrhundert auch die multiethnischen Empires mit „religiösen Missionskonzepten“, „sakraler Herrschaftsbegründung“ und bellizistischen Effizienzkriterien. Vgl. Leonhard, Empires, S. 70–93. Außerdem spielte die Erfindung und politische Funktionalisierung von kollektiv sinnstiftende Mythen (myth-making) eine zunehmend wichtige Rolle, um sowohl Imperien als auch Nationalstaaten zu legitimieren. Hierzu Peter Burke, Foundation Myths and Collective Identities in Early Modern Europe. In: Europe and the Other and Europe as the Other. Hrsg. von Bo Stråth, Brüssel 2010, S. 113–122.
4 Zusammenfassung und Ausblick 4.1 Die politische „Umsicht und Geschichtlichkeit“ der Konservativen Im Dezember 1848 publizierte die satirische Zeitschrift Kladderadatsch einen langen Bericht über die konservative Kreuzzeitung: Die Neue Preußische Zeitung ist die best’ redigirteste politische Zeitung, die je in Deutschland erschienen! Da ist Umsicht und Geschichtlichkeit – erschöpfende Correspondenzen – die Avantgarde eiserner leitender Artikel, die keinen Zoll breit von ihrem Standpunkt weichen – das grobe Geschütz mit zerschmetternden Fluchbomben und Schimpfgranaten – das unermüdliche KleinGewehrfeuer eines notizenspeienden Feuilletons – die große Arrieregarde der um jeden Preis zusammengetriebenen Adressen, und der Landsturm von ‚Eingesandts‘ von allen Ecken und Enden. Da braucht man nicht zwischen den Zeilen zu lesen. Da ist Alles klar und deutlich – das verstehen Gevatter Schneider und Handschuhmacher! Darum hat auch diese Zeitung mehr gethan, als alle Bajonette und Schrapnells Wranglers, als alle Manteuffel und Ladenberg. In zehn tausend Exemplaren unentgeltlich ins Land geschleudert – hat sie – sie allein die Krone den scheinbaren Sieg erfochten. Es ist kein Städtchen, kein Dorf, kein Weiler in preußischen Gauen, wo nicht Bürger und Bauern abends sitzen und diese Zeitung von A bis Z lesen.1
Der Kladderadatsch kommentierte mit ironischer Überspitzung, aber auch echter Besorgnis, wie die konservative Meinungsmobilisierung eine große Resonanz auf dem modernen politischen Massenmarkt gewann. Die Konservativen bestimmten die nachrevolutionäre Sprache des Politischen und die damit verknüpfte Wirklichkeitskonstruktion. Auf die Herausforderung der Moderne, die nördlich und südlich der Alpen vor allem darin bestand, die liberalen Fortschrittshoffnungen zu domestizieren und die „Aufrichtung der Nationalitäten“ der Revolution zu „entwinden“, reagierten sie weitgehend konstruktiv.2 Die semantische und mediale Diskursökonomie der Konservativen verarbeitete dramatische Transformationskrisen und neue Politikentwürfe, indem sie vorgegebene Machtressourcen aufzeigte und pragmatische Anpassungsleistungen einleitete. Teilweise führte die konservative Diskursökonomie auch zu Kompromisslosigkeit und Realitätsverlust. Aus den drei Hauptkapiteln dieser Studie lässt sich die Schlussfolgerung ziehen, dass in ganz Europa die narrative Bewältigung der Revolution und die Rekonfigurierung dynastischer, bellizistischer, religiöser und paternalistischer Rechtfertigungsnarrative die Grundelemente konservativer Politikdiskurse bildeten. Zeit zu gewinnen, war für die Konservativen wichtig. Noch wichtiger war es indes, politische Situationen zu vermeiden, in denen Liberale und Demokraten den ideo-
1 Kladderadatsch 33 (17.12.1848), S. 1. 2 Joseph Maria von Radowitz an Friedrich Wilhelm IV. am 12.10.1847. In: Radowitz, Briefe, S. 1. DOI 10.1515/9783110544466-005
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Zusammenfassung und Ausblick
logischen Elan und die Attraktivität eklatanter Veränderungen ausspielen konnten.3 In der nachrevolutionären Übergangsgesellschaft zwischen 1840 und 1870 nahmen europaweit die Intensität und die Verfügbarkeit miteinander konkurrierender Politikdiskurse zu. Die Konservativen reaktivierten ungleichzeitige Erfahrungen und Deutungsmuster mithilfe aktueller politischer Bedeutungen und pragmatischer Neuorientierungen. Sie bezogen sich auf die semantischen und argumentativen Wiederholungsstrukturen des permanenten Revolutionsdiskurses. Im Kontext zunehmend dynamisierter und transnationaler politischer Debatten galt der Revolutionsbegriff als Container politischer Ideen, Emotionen und Erfahrungsdeutungen. Der Revolutionsdiskurs bewegte sich keineswegs in einer deterministischen Epochengliederung, die das Paradigma der Moderne verfestigt und die Existenz einer stabilen Ordnung in der Vormoderne impliziert.4 Nach dem Schock von 1848 verfolgten immer mehr preußische und piemontesische Konservative das Ziel, die liberalen Modernisierungshoffnungen und die nationalen Einheitsbestrebungen in eine traditionsstiftende Kontinuitätslinie einzubetten. Reformbereite Konservative wie Radowitz und Balbo setzten sich mit liberalen Legitimationstheorien und Rechtfertigungsnarrativen konstruktiv auseinander. Die Hauptambition der überwiegenden Mehrheit der konservativen Protagonisten in Preußen und Piemont war jedoch eine andere. Die Konservativen entwarfen eine parallele Geschichte zu den liberalen Modernisierungsnarrativen. Dafür verwendeten sie nicht nur „Bajonette und Schrapnells“, sondern revitalisierten auch kollektiv-sinnstiftende Pathosformeln und politikmächtige Integrationsideologien aus der Sprache der Vergangenheit. Diese politische „Umsicht und Geschichtlichkeit“, die der Kladderadatsch am Beispiel der Kreuzzeitung anschaulich schilderte, führte dazu, dass die dynastische, christliche und lokalpatriotische Vergangenheit die zentralen Affektiv- und Rationalitätskriterien moderner Politikdiskurse mitbestimmte. Zusammenfassung und Ausblick
4.2 K ontinuitätskonstruktion und Komplexitätsreduzierung. Religion, Revolution und Königstreue als lange Argumentationsketten im konservativen Politikdiskurs Im konservativen Diskurs standen vielfältig einsetzbare Argumentationsmuster zur Verfügung, um die liberalen Partizipations- und Legitimationstheorien resolut abzulehnen oder sie mit gegenrevolutionären Semantiken zu kontrastieren. Sie bezogen sich auf den permanenten Revolutionsbegriff, auf die religiöse Politik, den monarchi-
3 Vgl. Steinmetz, Sprechen, S. 1133. 4 Vgl. Ewald Frie u. Mischa Meier, Bedrohte Ordnungen. Gesellschaften unter Stress im Vergleich. In: Aufruhr, Katastrophe, Konkurrenz, Zerfall. Bedrohte Ordnungen als Thema der Kulturwissenschaften. Hrsg. von Ewald Frie u. Mischa Meier, Tübingen 2014, S. 1–27.
Kontinuitätskonstruktion und Komplexitätsreduzierung
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schen Herrscherkult und die Sprache der harten Tatsachen. Diese langen Argumentationsketten entstanden im Zusammenhang mit den Staatsbildungsprozessen des 18. Jahrhunderts und der gegenrevolutionären Meinungsmobilisierung um 1800. So wurden vorrevolutionäre Bestimmungsmuster und elitebezogene Wertorientierungen auf die moderne Sprache des Politischen transferiert. Revolutionsparanoia, Religion und monarchischer Herrscherkult generierten europaweit und über mehrere Generationen hinweg ein starkes Erklärungspotenzial, weil sie traditionelle Wertorientierungen und Weltinterpretationen mit pragmatischen Wahrnehmungen und aktuellen Erwartungshorizonten verknüpften. Die langen Argumentationsketten konservativer Politikdiskurse bezogen sich auf imperative und gruppenintegrative Loyalitätsappelle, die die machtbewusste Selbstbeschreibung und den machtgewohnten Politikstil der Konservativen perpetuierten. Zum einen brachten sie eine kontrollierte Diskontinuität hervor, die die Verarbeitung umfassender Transformationskrisen erleichterte. Zum anderen leisteten altvertraute Semantiken dynastischer, ständischer oder christlicher Inspiration einen entscheidenden Beitrag dazu, die modernen Politikdiskurse emotional aufzuladen und ihre Komplexität zu reduzieren. Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass die Konservativen die vier Grundbestandteile der modernen politischen Sprache mitbestimmten: 1) die Komplexitätsreduzierung und Emotionalisierung des Politischen; 2) die Suggestion des resoluten Durchführens; 3) die Beschwörung von alternativlos wirkenden „Notwendigkeiten“ und 4) die Definition überregionaler, gruppenintegrativer und gleichzeitig exklusiver Identitätsmosaiken.5 Religion, Revolution und Königstreue wurden von reformbereiten Moderati und Ultrakonservativen unterschiedlich funktionalisiert. Um die Verfassungs- und Nationalstaatsbestrebungen situationsadäquat zu beantworten, ließ die nachrevolutionäre Dynamisierung konservativer und liberaler Politikdiskurse mehrere Deutungsoptionen offen: Drohende, nostalgische oder skandalisierende Argumentationsmuster koexistierten mit pragmatischen Beweisführungen. Um 1850 waren sowohl die konservativen Reformgegner als auch ihre liberalen Rivalen zwischen kultureller Desorientierung und Realpolitik, zwischen teleologischem Fortschrittsglauben und Rückbesinnung auf die Sprache der Vergangenheit hin- und hergerissen. Anfang 1853 rechtfertigte sich Friedrich Wilhelm IV. vor einem französischen Diplomaten wegen des heftigen Protests der preußischen Konservativen gegen den Staatsstreich von Louis-Napoleon Bonaparte. Der Hohenzollernkönig machte die Kreuzzeitung für diese kompromittierende Polemik verantwortlich: „Il y a cette maudite Gazette de la Croix que je déteste […]. C’est ce fou de Gerlach, le frère de mon adjutant, qui me compromet“.6 Um 1850 kam es aufgrund unterschiedlich gedeuteter Traditionen zu zunehmend heftigen Kontroversen, die auch die politische Konstel-
5 Vgl. Paulmann, Pomp, S. 154–158; Schlögl, Glaube, S. 350; Leonhard, Revolutionen, S. 175. 6 Zit. nach Kraus, Gerlach, S. 630.
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Zusammenfassung und Ausblick
lation der Konservativen erschütterten.7 Die (nach-)revolutionäre Dynamisierung landesspezifischer und transnationaler Konservatismusdiskurse thematisierte nicht mehr nur staatsleitende Interessen und elitenbezogene Wertorientierungen, sondern auch breitenwirksame Erfahrungsdeutungen und Erwartungshaltungen. Nach 1848 verfügten die preußischen und die piemontesischen Konservativen weiterhin über privilegierte Informationsnetzwerke, Einflusskanäle und Karrierechancen, jedoch passten sie sich den neuen konstitutionellen Diskussions- und Entscheidungsforen schnell an. Zum einen bestand der konservative Diskurs aus institutionalisierten Ordnungsideen und publizistischen Debatten. Zum anderen erhielten nicht explizit-politische und implizit-kulturelle Sinnstiftungsmechanismen eine zentrale Bedeutung. Sie kamen in einer pseudowissenschaftlichen, religiös-kirchlichen, literarischen oder gefälligerer Form zur Unterhaltung zum Ausdruck. Sowohl in Preußen als auch in Piemont zirkulierten unzählige Lieder, Romane, Hagiographien und religiöse oder moralische Texte, die die altvertrauten Pathosformeln von Ehre und Treue sowie christliche und patriotische Argumentationsfiguren instrumentalisierten. Dabei leisteten christlich-konservative Bestsellerautoren wie Cesare Cantù, Antonio Bresciani, Ida Hahn und Marie Nathusius, aber auch die omnipräsenten Nationalfarben und Nationalhymen Preußens und Piemonts einen entscheidenden Beitrag. Zwischen konservativer Literatur und Politik bestanden sowohl semantische als auch pragmatische Verflechtungen. Als die preußische Schriftstellerin Marie Nathusius die meisten ihrer Bestseller zunächst als Feuilletonromane im Volksblatt publizierte, gewann die Zeitung eine immer größere Resonanz. Außerdem überzeugte der Herausgeber der Zeitung und Ehemann der Erfolgsautorin, Philipp Nathusius, prominente konservative Politiker und Intellektuelle wie Heinrich Leo, Friedrich Julius Stahl, Hermann von Gauvain und Ludwig von Gerlach, mit dem Volksblatt zusammenzuarbeiten und gegen die liberalen Reformbemühungen zu polemisieren. Diese Studie hat gezeigt, dass konservative Unterhaltungstexte oft mehr als direkte Politik bewirkten. Die publizistische Artikulationsstärke und die kulturelle Resonanz des konservativen Diskurses waren groß genug, um mit der liberalen Meinungsmobilisierung zu rivalisieren. Oft fanden konservative Publikationen mehr Leser als die retrospektiv kanonisierten Grundtexte der liberalen Nationalbewegung.
4.3 Die politische Mythologie der neugegründeten Nationalstaaten Bis in die 1860er Jahre hinein erwies sich ein teleologisch gewendeter Blick, der die Geburtsstunde der liberalen Nationalbewegung auf die nachrevolutionäre Übergangsgesellschaft um 1800 zurückprojizierte, als eine politisch sehr umstrittene und
7 Vgl. Barclay, Hof, S. 359.
Die politische Mythologie der neugegründeten Nationalstaaten
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nur partiell glaubwürdige Narration. Zwar dynamisierten die atlantischen Revolutionen bereits existierende romantisch-patriotische Ideale, jedoch manifestierten sich um 1800 weder die kollektiv-sinnstiftende Mythologie des Nationalismus noch eine massenkompatible Nationalstaatsideologie. Viel eher als der Nationalismus etablierte sich die nationalstaatliche Machtkonzentration als ein zentrales Modernisierungsmoment im langen 19. Jahrhundert.8 Sie basierte auf ungleichzeitigen und hybriden Patriotismen, die bereits existierende dynastische, literarische, religiöse und lokale Integrationsideologien in einem überregionalen Machtdiskurs zuspitzten. Eine teleologische und modernistische Geschichtspolitik war die zentrale Voraussetzung für die retrospektive Nationalisierung der Vergangenheit.9 Sie wurde sowohl von borussischen Publizisten und Geschichtsprofessoren als auch von den piemontesischen Hofhistorikern mit wechselndem Erfolg und regionalspezifischen Akzentuierungen vertreten. Die neue politische Mythologie des italienischen und des deutschen Nationalstaats war das Resultat nachrevolutionärer Transformationskrisen und Bewältigungsstrategien. Das zweite und das dritte Kapitel dieser Arbeit haben die Transferleistungen zwischen verschiedenen Patriotismusdiskursen rekonstruiert und festgestellt, dass um 1850 eine neue, politikmächtige Synthese zwischen lokalem, monarchischem und nationalem Patriotismus hervorgebracht wurde. Aufgrund der diachronen Überlagerung und der synchronen Pluralität der nationalen Pädagogiken hielt sich die Begeisterung, aber auch eine offene Opposition gegenüber den neuen Nationalstaaten in Grenzen. Die Teleologie der neuen Nationen resultierte aus einem konfliktgeladenen Überlagerungs- und Anpassungsprozess zwischen liberalen und konservativen Selbstdeutungen und Fremdbildern. Die preußische wie die piemontesische Einigungspolitik bauten auf konstitutionellen Reformen und auf liberal-populistischen Massenappellen auf. Jedoch legitimierte sie sich mit der Beschwörung ethnischer und imperialer Selbstbeschreibungen sowie durch die Zuspitzung latenter Feindbilder. Nach 1789 und wieder seit den ausgehenden 1840er Jahren eskalierte der Kampf um die politische Deutungshoheit über die Begriffe Nation, Religion und Patriotismus. Als er am 14. Mai 1814 seine drakonischen Restaurationsmaßnahmen verkündete, bezog sich König Viktor Emanuel I. auf die revolutionären Begriffe Nation und Freiheit: „L’Europa è libera, e le popolazioni hanno riacquistato, insieme ai loro legittimi Sovrani, il rango distinto che prima occupavano tra le Nazioni“.10 Um 1850 proklamierten die piemontesischen Eliten eine veränderte Auffassung von Freiheit und Nation, die nicht nur
8 Vgl. Raphael, Gewalt, S. 14; Osterhammel, Verwandlung, S. 583. 9 Vgl. Dennis Deletant, Nationalism as Unification. Some Considerations on the Role of the Historian as Nation-Builder. In: La costruzione dello Stato nazionale in Italia. Hrsg. von Adriano Roccucci, Rom 2012, S. 25–37. 10 Zit. nach Nada, Piemonte, S. 103.
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Piemont und seine Dynastie, sondern auch (Nord-)Italien und die oktroyierte Verfassung berücksichtigte. In einem dramatischen Brief an den Herzog Adolf von Nassau, konstatierte auch Friedrich Wilhelm IV., dass bei der „Begriffsverwirrung, die heut herrscht, [das,] was seit 1000 Jahren für teutschen Patriotismus galt (und bei mir noch als solcher gilt), bei sehr vielen als der Mangel dieses Patriotismus [gilt]“.11 Dass die „Aufrichtung der Nationalitäten“ eine offene Frage war, die offene Frage in der anhaltenden Übergangszeit 1840 bis 1870, lag an jenen atavistischen und konfliktgeladenen Suggestionen dieser modernen Identitätsstiftung. Sie beanspruchten Deutungshoheit über die bestehenden Integrationsideologien und bestanden „sowohl aus Konsens als auch aus Konflikt“.12 Die nationalstaatliche Machtkonzentration basierte auf einer inklusionsbedachten Ideologie, welche Exklusionsmechanismen hervorbrachte. Die konfliktreiche Selbstbehauptung des deutschen und des italienischen Nationalstaats kann mit dem Kulturkampf und dem sogenannten Brigantaggio synthetisiert werden, jedoch betrifft sie nicht nur diese Großkrisen, sondern auch längere Transformationsprozesse, die mit der Staatsbildung und der Entstehung einer modernen politischen, administrativen und sozialen Ordnung zu tun haben.13 Die Grenzen zwischen Gewinnern und Verlierern im Nationalstaatsbildungsprozess blieben verschwommen und reversibel. Um 1870 war es für viele Zeitgenossen in Italien und Deutschland deutlich schwieriger als 1848, sich mit der Nation zu identifizieren.14 Das Rechtfertigungsnarrativ der neugegründeten Nationalstaaten diente dazu, mit euphemistischen Rationalisierungsbestrebungen und teleologischen Fortschrittshoffnungen die weitverbreiteten Modernisierungs- und Revolutionsängste zu beschwichtigen. In ganz Europa war die nationalstaatliche Machtkonzentration von oben mit der Zuspitzung bereits existierender Selbst- und Fremdzuschreibungen verknüpft. Sie verband die liberalen und die konservativen Nationalisten in einem „temporal parochialism which assumes that the only time is now“ und in einem „geographical parochialism which assumes that the only place is here“.15
11 Friedrich Wilhelm IV. an Herzog Adolf von Nassau am 6.3.1849. In: Haenchen, Revolutionsbriefe, S. 370. 12 Heinemann, Stadt, S. 434. 13 Neuere instruktive Studien zum krisenhaften Prozess der italienischen Staats- und Nationsbildung: Guido Melis, Fare lo Stato per fare gli italiani. Ricerche di storia delle istituzioni dell’Italia unita, Bologna 2014 sowie Arianna Arisi Rota, 1869: il Risorgimento alla deriva. Affari e politica nel caso Lobbia, Bologna 2015. 14 Vgl. De Lorenzo, Borbonia, S. 14. 15 David Cannadine, Making history now and then. Discoveries, Controversies and Explorations, Basingstoke 2008, S. 5. Über die „modernist myopia“ der Nationalisten vgl. auch Hirschi, Origins, S. 29–33.
Der konservative Diskurs
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4.4 D er konservative Diskurs zwischen gesamteuropäischem Kontext, transnationaler Artikulation und regionalem Vergleich Dass diese Studie mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede zwischen preußischen und piemontesischen Konservatismusdiskursen herausgearbeitet hat, liegt daran, dass vor allem zwischen 1847 und 1866 die politischen Protagonisten in Berlin und Turin mit vergleichbaren Herausforderungen konfrontiert waren und dafür auch ähnlichen Lösungen fanden. Trotz unterschiedlicher religiös-kirchlicher Ausprägungen gab es erhebliche Überschneidungen bezüglich der semantischen und kulturellen Rechristianisierungs- und Rationalisierungsimpulse in der politischen Sprache. Die narrative Bewältigung überregionaler und medialer Großereignisse wie der Revolutionen und Kriege von 1789, 1821, 1830, 1848, 1859, 1866 und 1870 trug sowohl nördlich als auch südlich der Alpen zu einer Emotionalisierung sowie einer überregionalen Verflechtung konservativer Politikdiskurse bei. Auch die politischen Ideen von Burke, Haller, De Maistre und später von Savigny, Stahl, Cavour und Bismarck überwanden sowohl regionale als auch konfessionelle Barrieren. Unmittelbar nach 1789 begrüßten zahlreiche europäische Kommentatoren die Revolution als die Überwindung eines weithin verhassten Absolutismus und als Verwirklichung von angeblich lang erträumten Freiheits- und Rationalitätsidealen. Im 19. Jahrhundert schlug die revolutionäre Euphorie in ihr Gegenteil um. Europaweit assoziierten die Konservativen die Revolution mit Anarchie, Terror und Krieg. Verunsicherung, Armut und Zerstörung wurden zwar direkt erlebt, jedoch kamen sie vor allem auf einer diskursiven Ebene zum Ausdruck und generierten eine umfassende konservative Medienoffensive. Seitdem vollzog sich eine Polarisierung von idealisierendem und skandalisierendem Revolutionsbegriff. Die real-historischen Revolutionsfolgen und der permanente Revolutionsdiskurs bewogen auch prominente Intellektuelle wie Hegel, Brentano, Coleridge, Wordsworth, Chateaubriand und Alfieri dazu, ihre ursprünglich revolutionsfreundliche Position zu revidieren. Sie rehabilitierten konservative oder religiöse Wertorientierungen und stigmatisierten den früheren Revolutionsenthusiasmus als das „politische Äquivalent jugendlicher Akne“.16 Ausgehend von der progressiven ideologischen Radikalisierung der Revolutionskriege um 1790 blieben außen- und innenpolitische Dimensionen untrennbar miteinander verknüpft.17 Die narrative Bewältigung disruptiver Revolutionserfahrungen stellte die Weichen für die semantische Erweiterung und mediale Emotionalisierung konservativer Elitendiskurse. Seit 1830 wurden die Debatten über das Juste Milieu, den Verfassungsoktroi, den Bonapartismus, das Prinzip der vollendeten Tatsachen und die Nationalstaatsidee zusehends auch von den Konservativen mitbestimmt.
16 Burleigh, Mächte, S. 153. 17 Vgl. Siemann, Metternich, S. 109.
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Zusammenfassung und Ausblick
Sie gestalteten die moderne Sprache des Politischen und brachten transnationale und parteiübergreifende Orientierungs- und Argumentationsmuster hervor. Darüber hinaus entwickelten die übersteigerten Objektivitäts- und Rationalitätskriterien der realpolitischen Wende, die die Moderne als „eine universal gedachte Norm“ und als einen positiv besetzten Wert beschrieben, ein über regionale und parteipolitische Grenzen hinweg glaubwürdiges Erklärungspotenzial.18 Die immer wieder beschworene Tatsache und die Notwendigkeit von „richtiger Mitte“ und Realpolitik war mit einem deterministischen Gedankengang verknüpft, der sich im Kontext der europaweiten Ökonomisierung und Verwissenschaftlichung von Politikdiskursen herauskristallisierte.19 Dabei baute die Begeisterung für (vermeintlich) pragmatische und technische Entscheidungen auf dem konservativen Revolutionsbegriff auf. Zusammen mit der permanenten Revolutionsangst war die Vorstellung von notwendigen pragmatischen Reformen eine wichtige Unterstützung für das schwierige Ausbalancieren von liberalen und konservativen Deutungsmustern. Die „réformes utiles“ bestimmten die politischen Entscheidungen und das Politikvokabular der preußischen Realpolitiker und der piemontesischen Moderati, aber auch der französischen Notabeln des „liberalen“ Empires zwischen 1860 und 1870.20 Die Sprache und die Ideologie der realpolitischen Wende suggerierten eine vereinfachte, aber plausible Lösung, um latente Identitätskonflikte und tiefgreifende Transformationskrisen zu bewältigen.
4.5 Z ukunftsoffenheit und historische Ungleichzeitigkeit einer Übergangsepoche In der nachrevolutionären Übergangsepoche brachten die modernen Politikdiskurse historische Großdeutungen und ideologische Rechtfertigungsnarrative hervor.21 Sie legitimierten pragmatische Neuorientierungen oder untermauerten traditionelle Machtressourcen. Dabei hielt die permanente Gegenrevolution mehrere Deutungsund Handlungsoptionen für die Konservativen offen. Die Übersetzung traditioneller Orientierungskonzepte und legalistischer Ordnungsideen für den neuen politischen Massenmarkt verlief weitgehend erfolgreich. Dies galt insbesondere für die preußischen und die piemontesischen Konservativen, die die nationalen Einheitsbestrebungen der Revolution entwendeten und „sans le vouloir“ realisierten. Sie transferierten christliche, dynastische und bellizistische Traditionen auf die Teleologie der neuge-
18 Dipper, Moderne (Docupedia), S. 1. Ferner Jansen, Revolution, S. XVI–XXI. 19 Vgl. Steinmetz, Sagbare, S. 325; Clark, Revolution, S. 188. 20 Vgl. Price, Empire, S. 395–401. 21 Vgl. Hayden White, Die Bedeutung der Form: Erzählstrukturen in der Geschichtsschreibung, Frankfurt a. M. 1990, S. 105.
Zukunftsoffenheit und historische Ungleichzeitigkeit einer Übergangsepoche
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gründeten Nationalstaaten. Damit evozierte der Nationalismus auch aus konservativer Sicht vertraute und attraktive Denk- und Handlungsformen, die die „Gefühlsbindung zur Nation“ förderten.22 Im Oktober 1850 schrieb der geniale Sprachgelehrte und Übersetzer Friedrich Rückert in seinem Liedertagebuch: „Sie haben nichts gelernt und nichts vergessen: / Die Rede hör’ ich hunderttausendmal. / Die so sie führen, sollen doch ermessen, / Selbst einmal eingelerntes zu vergessen“.23 Der immer wiederkehrende Spruch „ils n’ont rien appris, ni rien oublié“ spiegelt nur die halbe Wahrheit wider. Mit der religiösen Politik, dem monarchischen Herrscherkult und der Revolutionsangst stellten die Konservativen ostentativ zur Schau, dass sie nichts vergessen hatten. Trotz oder gerade wegen dieser Permanenz ungleichzeitiger Semantiken, Emotionen und Wertorientierungen waren sie imstande, auch viel zu lernen und zu vergessen. Als nach 1848 immer mehr preußische und piemontesische Reformgegner einen Kompromiss mit den liberalen Verfassungs- und Nationalstaatsidealen in die Nähe des Realisierbaren gerückt sahen, übernahmen sie modernistische, positivistische und teleologische Argumentationsmuster und versuchten, die legitimistische Vergangenheit zu vergessen. Die Gleichzeitigkeit chronologisch ungleichzeitiger Patriotismusdiskurse entwarf eine glaubwürdige Kontinuitätslinie zwischen vor- und nachrevolutionärer Zeit. Sie wirkte als Katalysator für die zunehmende politische Komplexität und die damit verknüpfte Desorientierung. Auf einer semantischen und emotionalen Ebene waren die Revolutionen von 1789 und 1830, die Straßendemonstrationen in Turin im Herbst 1847, die Berliner Märztage von 1848, die feierliche Proklamation des Königreichs Italien im Jahr 1861 und des Deutschen Kaiserreichs am 18. Januar 1871 nur wenige Stunden voneinander entfernt.
22 Hroch, Europa, S. 202. 23 Friedrich Rückert, Quasi-Triolet (Liedertagebuch, Werke der Jahre 1850/51, Bd. 1), Göttingen 2003, S. 125.
Anhang
Abkürzungen AAS ABS ACG AH
Archivio dell’Accademia delle Scienze (Turin) Archivio Famiglia Brignole-Sale (Genua) Archivio storico del Comune di Genova (Genua) Stenographische Berichte über die Verhandlungen des preußischen Hauses der Abgeordneten 1855–1918 APS Atti del parlamento subalpino ASM Archivio privato Famiglia Solaro della Margarita (Cuneo) AST Archivio di Stato di Torino (Turin) BARCH Bundesmilitärarchiv Freiburg Nachlass Roon Berio Biblioteca Civica Berio, Sezione di conservazione (Biblioteca civica del Comune di Genova) DBI Dizionario biografico degli italiani (Istituto dell’Enciclopedia Italiana, 77 Bde.). Hrsg. von Alberto Ghisalberti. Rom 1960–2012 EK Verhandlungen der Ersten Kammer. Stenographische Berichte der Ersten Kammer (Preußen) EKZ Evangelische Kirchenzeitung (Berlin) Erfurt Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Parlaments zu Erfurt (Bd. 1: Volkshaus) FBPG Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte Flugschriften 1848 Digitalisierungsprojekt der Goethe-Universität Frankfurt am Main. http:// sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/1848 GW Otto von Bismarck, Die gesammelten Werke. Bearb. von Hermann von Petersdorff, Friedrich Timme u. Willy Andreas. 19 Bde., Berlin 1923/35 HZ Historische Zeitschrift IGAP Indice generale degli atti parlamentari 1848–1897 JMEH Journal of Modern European History MCR Archivio del Museo Centrale del Risorgimento (Rom) MNRT Archivio del Museo nazionale del Risorgimento (Turin) Neue Deutsche Biographie NDB NPZ Neue Preußische Zeitung (Kreuzzeitung) PPS Die Protokolle des Preußischen Staatsministeriums 1817–1934/38 Bde. 1–6 (Acta Borussica Neue Folge, 1. Reihe). Hrsg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Hildesheim 2001/04 RS Rundschau-Leitartikel der Neuen Preußischen Zeitung TB Tagebucheintrag VPH Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Herrenhauses Zeitschrift für Geschichtswissenschaft ZfG ZK Stenographische Berichte über die Verhandlungen der Zweiten Kammer des preußischen Landtags
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Archivalische Quellen
Archivalische Quellen Archivio dell’Accademia delle Scienze di Torino (Turin) Corrispondenza Brignole-Sclopis (1827–1861): AAS Cart. 24868, 24870–24889. Corrispondenza Negroni-Arri (1837): AAS Cart. 17877 und 17878–17882. Corrispondenza Revel-Sclopis (1859): AAS, MSS 2730. Corrispondenza Solaro-Sclopis (1839–1846): AAS, MSS 2158, 2163, 2690–2691.
Archivio del Museo del Risorgimento di Genova (Genua) Corrispondenza Brignole-Ricci (1861): carteggio 3, nr. 590. Corrispondenza Revel-Ricci und Revel-De Ferrari (1848): carteggio 16. nr. 1894 und 1914; carteggio 19, nr. 2310 und 2338
Archivio del Museo nazionale del Risorgimento di Torino (Turin) Bandiere, fazzoletti e gonfaloni: R0003331; R0003370/75; R0003404; R0003648; R0003759; R0003971; R0079217/27; R0079263/66; R0079339; R0079496; R0258060; R0258108/a; R0258108; R0325036; R0325151; R0325208; R0325215/26; R0325332/72. Pietro Micca und Balilla: R0079636; R0079649; R0079654; R0332451; R0351319; R0474080; R0475726; R0478087; R0551347.
Archivio di Stato di Torino (Turin) Archivio Revel (SR Sezioni riunite) Mz. 106, f. 1; Mz. 107, f. 1; Mz. 139 f. 1; Mz. 140 f.1; Mz. 159, f. 1; Mz. 160, f. 1 und 3 (Documenti Senato e Consiglio comunale). Mz. 108, f. 2 (Dal collegio di Lantosca, Nizza, 1.7.1848; Agli elettori del Collegio di Fossano, 18.1.1858) Mz. 109 f. 2 (Programma del nuovo Ministero, Turin 19.8.1848). Mz. 140, f. 1 (Zeitung La Patria). Mz. 162, busta 1, 7, 11, 18, 33, 36, 43 und 52 (Korrespondenz mit Anna und Camille Revel).
Archivio storico del Comune di Genova (Genua) Fondo Brignole-Sale Corrispondenza familiare, Lettere XIX sec.: ABS, serie 3, busta 1, nr. 12, 17f., 35–67; busta 2, nr. 3, 5, 8, 11–15 Registro di lettere 1848–1852 / 1857–1860: ABS, Inventario 158, serie 52.
Archivio storico del Comune di Genova (Genua)
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Corrispondenza Brignole-Solaro, Brignole-Montalembert, Brignole-Antonelli und Brignole-Charvaz: Lettere XIX sec.: ABS, serie 3, busta 4. Corrispondenza Brignole-Birago (1855–1860) und Brignole-Bixio (1862): ABS, Serie corrispondenza B 6, nr. 1126–1129; 1139–1141. Corrispondenza Brignole-Margotti (1857–1862): ABS, Serie corrispondenza M 21, busta A 21, nr. 3618–3641. Corrispondenza per mittente (Brignole-Bischöfe von Evreux, Orleans, Tarso, Tripolis, Novara, Chambery): ABS, Lettere per mittente, serie 40, nr. 6914–6941; serie 3 – nr. 412–417 und serie 21 sowie Serie corrispondenza V 40, nr. 6944.
Biblioteca civica del Comune di Genova (Genua) Sezione manoscritti (via del Seminario, 16) Corrispondenza Brignole-Di Negro (1838–1853): Manoscritti coll.: m.r. Aut. I. 2.19, inventario 2888 nr. 2, 3, 6, 8, 11, 14–16 Corrispondenza Brignole-Isola (1853–1854): Manoscritti coll.: m.r. Aut. I. 7.64, inventario 3535 nr. 1 und 3; inventario 2914 nr. 28.
Bundesmilitärarchiv (Freiburg i. Br.) Nachlass Albrecht von Roon Briefwechsel Roon-Blanckenburg (1864–1871): N 48/12, nr. 3–9, 15–18, 45–48. Briefwechsel Roon-Neffe (1870): N 48/15, nr. 150–155. Briefwechsel Roon-Ehefrau (1866–1871): N 48/13, nr. 65–79 und 101–141. Briefwechsel Roon-Prinz Friedrich Karl von Preußen (1854–1878): N 48–10, nr. 1, 3, 5 und 6.
Museo Centrale del Risorgimento (Rom) Corrispondenza Solaro-Coppi (1852): MCRR/F.064/7/26/1
Privatarchiv der Familie Solaro della Margarita (Cuneo) Bibliothekskatalog, Gemäldegalerie und Briefregister von Clemente Solaro della Margarita (unverzeichnete Quellenbestände).
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Publizistische Quellen
Publizistische Quellen 1 Pamphlete und Zeitungsartikel Preußen Abeken, Heinrich: Babylon und Jerusalem. Ein Sendschreiben an Ida Gräfin Hahn-Hahn. Berlin 1851. [Aegidi, Ludwig Karl] Gegen die Signatura temporis. Von einem freimüthigen Widersacher der Revolution. Berlin 1849. Anonym: Die octroyierten Stiefel, eine Zeit-Geschichte. Berlin 1848 (Flugschriften 1848. http:// sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/1848/content/titleinfo/2182639). Anonym: Lasst Euch nicht täuschen! Die Freiheitswühler: Was reden Euch die Wühler ein? Sie wollen Freiheitshelden sein! Berlin 1848 (Flugschriften 1848. http://sammlungen.ub.uni-frankfurt. de/2233599). Anonym: Gekrönte Preisschrift!! Der Besuch im Vaterhause: ein Gespräch zwischen einem Vater und seinem Sohne zur Zerstörung politischen Wahnes und zum Aufbaue politischer Wahrheit; erste von einer Gesellschaft patriotischer Frauen gekrönte Preisschrift. Berlin 1849 (Flugschriften 1848. http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/1848/content/titleinfo/2167859). Anonym: Preußen in seinem Geiste und seiner Kraft. Ein Wort der Entgegnung auf die Angriffe gegen Preußens Politik. Berlin 1855. Anonym: Preußen und seine Bedeutung für Deutschland. Hamburg 1866. Anonym: General Freiherr von Manteuffel und seine Gegner. Ein deutsches Wort. München 1871. Arnim-Boitzenburg, Adolf Heinrich von: Die deutsche Centralgewalt und Preußen. Berlin 1848. Arnim-Boitzenburg, Adolf Heinrich von: Die Verheißungen des 22sten März und die Verfassung vom 5ten Dezember. Berlin 1849. Arnim-Sukov, Alexander Heinrich von: Zur Politik der Contrerevolution in Preußen. Braunschweig 1851. Beer, Wilhelm: Gedanken und Besorgnisse eines preußischen Patrioten. Berlin 1848. Beer, Wilhelm: Patriotische Betrachtungen. Berlin 1849. Beer, Wilhelm: Die Drei-Königs-Verfassung in ihrer Gefahr für Preußen dargestellt und allen Patrioten gewidmet. Berlin 1849. Bernhardi, Theodor von: Der französische Adel in seinem Verhältniß zur Revolution und zur Fusion. Leipzig 1856. Bethmann-Hollweg, Moritz August von: Reaktion und Sonderthümlerei. Sermon an die Conservativen. Berlin 1848. Bethmann-Hollweg, Moritz August von: Die Reaktivierung der Preußischen Provinziallandtage. Berlin 1851. Bethmann-Hollweg, Moritz August von: Erinnerung an Friedrich Carl von Savigny als Rechtslehrer, Staatsmann und Christ. Weimar 1867. Bressler, Hans Wilhelm Graf von: Die Nothwendigkeit und Heiligkeit des Absolutismus: ein Morgengruß. Berlin 1850. Brockhusen, Wilhelm von: An sämmtliche Berliner! So eben habe ich die Leiche eines heute an seiner Wunde Gestorbenen […]. Berlin 1848 (Flugschriften 1848. http://sammlungen.ub.unifrankfurt.de/2231892). Buddelmeier, Aujust: Wer will huldigen? Ick nich! Wer noch? Ick bin en Preuße! Kennst Du meine Fäuste? Ein Jlaubens-Bekenntniss. Berlin 1848 (Flugschriften 1848. http://sammlungen.ub.unifrankfurt.de/2233746).
Pamphlete und Zeitungsartikel
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Bülow-Cummerow, Ernst von: Preußen im Jahr 1847 und das Patent vom 3. Februar. Berlin 1847. Bülow-Cummerow, Ernst von: Die politische Gestalt Deutschlands und die Reichsverfassung. Berlin 1848. [Bülow-Cummerow, Ernst von] Allerdurchlauchtigster, Großmächtigster König! Allergnädigster König und Herr! Ew. Majestät Antwort auf das Entlassungs-Gesuch des Ministeriums von Auerswald. Berlin 1848 (Flugschriften 1848. http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/1848/content/ titleinfo/2233162). Bülow-Cummerow, Ernst von: Die Wahlen nach der octroyirten Verfassung. Berlin 1848. Bülow-Cummerow, Ernst von: Preußen und seine politische Stellung zu Deutschland und den europäischen Staaten. Berlin 1849. Bülow-Cummerow, Ernst von: Die Reaction und ihre Fortschritte. Berlin 1850. Bülow-Cummerow, Ernst von: Die Reform der Verfassung aus dem conservativen Gesichtspunkte. Berlin 1851. Bunsen, Christian Karl von: Denkschrift über die verfassungsmäßigen Rechte der Herzogthümer Schlleswig und Holstein. Berlin 1848. Bunsen, Christian Karl von: Die Deutsche Bundesverfassung und ihr eigenthümliches Verhältniß zu den Verfassungen Englands und der Vereinigten Staaten. Sendschreiben an die zum Deutschen Parlamente berufene Versammlung. Frankfurt a. M. 1848. Bunsen, Christian Karl von: Die Zeichen der Zeit: Briefe an Freunde über die Gewissenfreiheit und das Recht der christlichen Geemeinde. Leipzig 1855. Busch, Moritz: Das Übergangsjahr in Hannover. Leipzig 1867. Busch, Moritz: Der gerechte und vollkommene Austernesser. Hannover 1868. [Canitz und Dallwitz, Carl Wilhelm von] Aufgehen oder Vorangehen? Auch ein Wort zur Verständigung. Berlin-Posen 1848. Canitz und Dallwitz, Carl Wilhelm von: Nachtrag zu den Worten zur Verständigung über Aufgehen oder Vorangehen. Berlin-Posen 1848. Canitz und Dallwitz, Carl Wilhelm von: Ansprache eines Wahl-Candidaten an die Wähler. Berlin 1849 (Flugschriften 1848. http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/2246787). [Canitz und Dallwitz, Carl Wilhelm von] Die Contrasignatur der Proklamation vom 18. März 1848. Berichtigende Anmerkung zur Signatura Temporis. Berlin 1849. Canitz und Dallwitz, Carl Wilhelm von: Rückblick auf die Entwicklung der deutschen Angelegenheit im Jahre 1849. Ein Bruchstück aus der inneren Geschichte Deutschlands von 1848 bis 1849. Berlin 1850. Frantz, Constantin: Speculative Studien. Erstes Heft: Ueber die Freiheit. Berlin 1843. Frantz, Constantin: Ueber Gegenwart und Zukunft der Preußischen Verfassung. Halberstadt 1846. Frantz, Constantin: Polen, Preußen und Deutschland. Ein Beitrag zur Reorganisation Europas. Halberstadt 1848. Frantz, Constantin: Unsere Politik. Berlin 1850. [Frantz, Constantin] Die Constitutionellen. Berlin 1851. [Frantz, Constantin] Preußen muß mediatisiert werden! Berlin 1851. [Frantz, Constantin] Louis Napoleon. Berlin 1852. [Frantz, Constantin] Die Staatskrankheit. Berlin 1852. Frantz, Constantin: Die Politik der Zukunft. Abdruck der Berliner Revue. Berlin 1858. Frantz, Constantin: Qui faciamus nos? Berlin 1858. [Frantz, Constantin] Untersuchungen über das Europäische Gleichgewicht. Berlin 1859. Frantz, Constantin: Dreiunddreißig Sätze vom Deutschen Bunde. Berlin 1861. Frantz, Constantin: Kritik aller Parteien. Berlin 1862. Frantz, Constantin: Die dänische Erbfolgestreit und die Bundespolitik. Berlin 1864. Frantz, Constantin: Die Wiederherstellung Deutschlands. Berlin 1865.
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Publizistische Quellen
Frantz, Constantin: Die Schattenseite des Norddeutschen Bundes vom preußischen Standpunkte betrachtet: eine staatswissenschaftliche Skizze. Berlin 1870. Frantz, Constantin: Das neue Deutschland: beleuchtet in Briefen an einen preußischen Staatsmann. Leipzig 1871. Frantz, Constantin: Die Religion des Nationalliberalismus. Leipzig 1872. Frantz, Constantin: Was soll aus Elsaß-Lothringen werden? München 1873. Frantz, Constantin: Bismarckismus und Friedricianismus. München 1873. Frantz, Constantin: Der Untergang der alten Parteien und die Parteien der Zukunft. Berlin 1878. Fröbel, Julius: Deutschland und der Friede zu Villafranca. Frankfurt a. M. 1859. Gauvain, Hermann von: Das Ministerium Brandenburg und die Fraction Unruh, und Eiserner Bestand an Regierungs-Rechten, ohne welche ein Staat überhaupt nicht lebensfähig ist. Potsdam 1849. Gauvain, Hermann von: Weckruf zur ächten Opposition. Leipzig 1875. Gauvain, Hermann von: Graf Bismarck und die Legitimität der Dinge oder wie Napoleon Deutschland zerstörte. Leipzig 1876. Gerlach, Ernst Ludwig von: Die politischen Rundschauen der Kreuzzeitung. Zwölf politische Monatsrundschauen vom Juli 1848 bis dahin 1849. Berlin 1849. Gerlach, Ernst Ludwig von: Die Erfurter Wahlen. Berlin 1850. Gerlach, Ernst Ludwig von: Die politischen Rundschauen der Kreuzzeitung. Zwölf politische Monatsrundschauen vom Juli 1949 bis dahin 1850. Berlin 1850. Gerlach, Ernst Ludwig von: Die politischen Rundschauen der Kreuzzeitung. Zwölf politische Monatsrundschauen vom Juli 1850 bis dahin 1851. Berlin 1851. Gerlach, Ernst Ludwig von: Die politischen Rundschauen der Kreuzzeitung. Zwölf politische Monatsrundschauen vom Juli 1851 bis dahin 1852. Berlin 1852. Gerlach, Ernst Ludwig von: Die politischen Rundschauen der Kreuzzeitung. Zwölf politische Monatsrundschauen vom Juli 1852 bis Juni 1853 nebst als Anhang zwei Aufsätze zur Krisis der Kreuzzeitung anstelle von Rundschauen für Juli und August 1853. Berlin 1853. Gerlach, Ernst Ludwig von: Vier Quartalrundschauen von Michaelis 1853 bis Johannis 1854. Berlin 1855. Gerlach, Ernst Ludwig von: Fünf Quartalrundschauen von Michaelis 1854 bis Neujahr 1856. Berlin 1856. Gerlach, Ernst Ludwig von: Vier Quartalrundschauen von Neujahr 1856 bis Michaelis 1856. Berlin 1857. Gerlach, Ernst Ludwig von: Der Ministerwechsel im November 1858. Ein Programm für 1859. Berlin 1859. Gerlach, Ernst Ludwig von: Warnung vor der Civil-Ehe. Berlin 1859. Gerlach, Ernst Ludwig von: Der Bruch mit der Vergangenheit. Ein politisches Programm für 1861. Berlin 1861. Gerlach, Ernst Ludwig von: Die liberale Reaction und die Wahlen von 1861, ein Programm für 1862. Berlin 1862. Gerlach, Ernst Ludwig von: Die Krisis Preußens im September 1862. Vom Verfasser der Rundschauen. Berlin 1862. Gerlach, Ernst Ludwig von: Die Frage des Moments, Berlin o. J. [1862]. Gerlach, Ernst Ludwig von: Stahl. Ansprache an die Berliner Pastoral-Conferenz von 1862. Berlin 1862. Gerlach, Ernst Ludwig von: Das Budget-Gesetz. Vom Verfasser der Rundschauen. Berlin 1862. Gerlach, Ernst Ludwig von: Die Selbständigkeit des Preußischen Königthums. Berlin 1862. Gerlach, Ernst Ludwig von: Preußens Kampf gegen die Demokratie. Ein politisches Programm für 1863. Vom Verfasser der Rundschauen. Berlin 1863. Gerlach, Ernst Ludwig von: Schleswig Holstein. Berlin 1864.
Pamphlete und Zeitungsartikel
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Gerlach, Ernst Ludwig von: Preußens Ermannung. Ein politisches Programm für 1865. Vom Verfasser der Rundschauen. Berlin 1865. Gerlach, Ernst Ludwig von: Der Landtag von 1865. Vom Verfasser der Rundschauen. Berlin 1865. Gerlach, Ernst Ludwig von: Krieg und Bundes-Reform. Vom Verfasser der Rundschauen. Berlin 1866. Gerlach, Ernst Ludwig von: Der Congreß in Paris. Vom Verfasser der Rundschauen. Berlin 1866. Gerlach, Ernst Ludwig von: Die Annexionen und der Norddeutsche Bund. Vom Verfasser der Rundschauen. Berlin 1866. Gerlach, Ernst Ludwig von: Deutschland im Neujahr 1870. Vom Verfasser der Rundschauen. Berlin 1870. Gerlach, Ernst Ludwig von: Das neue Deutsche Reich. Vom Verfasser der Rundschauen. Berlin 1871. Gerlach, Ernst Ludwig von: Kaiser und Papst. Vom Verfasser der Rundschauen. Berlin 1872. Gerlach, Ernst Ludwig von: Die Civilehe und der Reichskanzler: Geschrieben im Jan. 1874; Mit einem Anh. enthaltend die Reden des Verf. u. des Reichskanzlers im Abgeordnetenhause am 17.12.1873. Vom Verf. der Rundschauen und von Kaiser und Papst. Berlin 1874. Görres, Joseph: Athanasius. Regensburg 1838. Göschel, Karl Friedrich: Mein Amts-Abschied im März 1848: ein Wort für Freund und Feind. Berlin 1849. Göschel, Karl Friedrich: Über das Alter. Ein Schwanen- und Jubel-Lied. Berlin 1852. [Griesheim, Carl Gustav Julius von] Ueber den Krieg mit Rußland: Ausgangs April 1848. Berlin 1848. [Griesheim, Carl Gustav Julius von] Die deutsche Centralgewalt und die preußische Armee. Berlin 1848. [Griesheim, Carl Gustav Julius von] Kritische Bemerkungen über den Entwurf des Wehr-Ausschusses der Reichs-Versammlung zu einem Gesetz über die Deutsche Wehrverfassung: als Beilage: Der Entwurf des Wehr-Ausschusses. Berlin 1848. [Griesheim, Carl Gustav Julius von] Gegen Demokraten helfen nur Soldaten. Berlin 1848. Hahnepampel, Athanasius: Deutschland muß in Preußen uffgehen! So und anderscht nich: Rede, gehalten vor eene Große Volks-Versammlung: Meine Herren! Wir gehen eenen großen und wichtigen Mojument entgegen. Berlin 1848. Haller, Carl Ludwig von: Geschichten der Wirkungen und Folgen des Österreichischen Feldzugs in der Schweiz. Weimar 1801. Haller, Carl Ludwig von: Politische Religion oder biblische Lehre über die Staaten. Winterthur 1811. Haller, Carl Ludwig von: Was sind Unterthanen-Verhältnisse? o. O. 1814. Haller, Carl Ludwig von: Über die Constitution der Spanischen Cortes o.O. 1820. Haller, Carl Ludwig von: Entwurf eines Bundes der Getreuen zum Schutz der Religion, der Gerechtigkeit und der wahren Freyheit. Winterthur o. J. [1833]. Haller, Carl Ludwig von: Satan und die Revolution. Ein Gegenstück zu den „Paroles d’un croyant“. Luzern 1834. Haller, Carl Ludwig von: Geschichte der kirchlichen Revolution oder protestantischen Reform des Kantons Bern. Luzern 1836. Hengstenberg, Ernst Wilhelm: Das Duell und die christliche Kirche. Berlin 1856. Huber, Victor Aimé: Suum cuique in der deutschen Frage. Berlin 1850. Huber, Victor Aimé: Berlin – Erfurt – Paris. Berlin 1850. Huber, Victor Aimé: Bruch mit der Revolution und Ritterschaft. Berlin 1852. Huber, Victor Aimé: Die Machtfülle des altpreußischen Königthums. Bremen–Leipzig 1862. Huber, Victor Aimé: Zur Schleswig-Holsteinischen Frage. Nordhausen 1863. Ketteler, Wilhelm Emanuel von [Bischof von Mainz]: Deutschland nach dem Kriege von 1866. Mainz 1867. Kleist-Retzow, Hans-Hugo von: Der Adel und die Kirche. Berlin 1866. Lacher, Leo: Friedrich Wilhelm IV. König von Preußen in Sigmaringen. Sigmaringen 1851.
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Publizistische Quellen
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Pamphlete und Zeitungsartikel
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Straß, Karl Friedrich: Der neue deutsche Kaiser und die deutsche Reichs-Verfassung. Einige Worte zur Verständigung über die wichtigste deutsche Frage. Berlin 1848. Sydow, Adolf: Amtliche Berichte über die in neuerer Zeit in England erwachte Thätigkeit für die Vermehrung und Erweiterung der Kirchlichen Anstalten. Potsdam 1845. Taubert, Agnes: Der Pessimismus und seine Gegner. Berlin 1873. Uhden, Hermann Ferdinand: Bischof Ketteler, Gräfin Hahn und Cardinal Wiseman wie sie zur römischen Kirche einladen. Göttingen 1862. Wagener, Hermann: Grundzüge der conservative Politik. Berlin 1856. Wagener, Hermann: Legitimität. In: Neues Conversations-Lexikon: Staats- und Gesellschafts-Lexikon (Bd. 12). Berlin 1863. S. 107–117. Wagener, Hermann: Religion, In: Neues Conversations-Lexikon: Staats- und Gesellschafts-Lexikon (Bd. 17). Berlin 1864. S. 66–67. Wagener, Hermann: Revolution, In: Neues Conversations-Lexikon: Staats- und Gesellschafts-Lexikon (Bd. 17). Berlin 1864. S. 125–136. Wagener, Hermann: Völkerstämme, In: Neues Conversations-Lexikon: Staats- und GesellschaftsLexikon (Bd. 21). Berlin 1866. S. 557–570. Wagener, Hermann: Die Politik Friedrich Wilhelm IV. Berlin 1883. [Der treugesinnte Wähler-Verein] Liebe Landsleute! Es ist euch aus unserem letzten Schreiben gewiß noch erinnerlich. Berlin 1849 (Flugschriften 1848. http://sammlungen.ub.uni-frankfurt. de/1848/content/titleinfo/2232635). [Der treugesinnte Wähler-Verein] Liebe Landsleute! Es ist euch bekannt, daß am 17. d. M. die Wahlen zur zweiten Kammer stattfinden. Berlin 1849 (Flugschriften 1848. http://sammlungen.ub.unifrankfurt.de/1848/content/titleinfo/2232643). [Der treugesinnte Wähler-Verein] Liebe Landsleute! Ihr wißt alle, daß der König uns eine freie Verfassung gegeben hat. Berlin 1849 (Flugschriften 1848. http://sammlungen.ub.uni-frankfurt. de/1848/content/titleinfo/2232611). [Der treugesinnte Wähler-Verein] Liebe Landsleute! In unseren beiden ersten Schriften haben wir uns die Frage vorgelegt. Berlin 1849 (Flugschriften 1848. http://sammlungen.ub.uni-frankfurt. de/1848/content/titleinfo/2232627). [Der treugesinnte Wähler-Verein] Liebe Landsleute! Wir haben in unserer ersten Unterredung besprochen, warum wir bei den nächsten Wahlen. Berlin 1849 (Flugschriften 1848. http:// sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/1848/content/titleinfo/2232619). [Konservativer Wahlaufruf] Preußen! Durch unsren Aufruf vom 19. Dezember, Berlin 1849 (Flugschriften 1848. http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/1848/content/titleinfo/2232969).
Sardinien-Piemont / Italien Anonym: Dieci piaghe d’Egitto rinnovate in Piemonte nel secolo XIX dell’era volgare. Opera dedicata al ministero moderato. Turin 1850. Anonym: La causa del Santo Martire e Arcivescovo Tommaso di Cantuaria del secolo XII rinnovata nel secolo XIX nella persona dell’Arcivescovo Fransoni di Torino. Codogno 1850. Anonym: I casi della toscana narrati al popolo nel 1859 e 1860 narrati al popolo da una compagnia di toscani con note e documenti. Florenz 1864. Anonym: I Malaparte e il Bonaparte. Operetta completata dell’autore della Storia dei ladri nel Regno d’Italia. Turin 1869. Anonym: Storia dei ladri nel regno d’Italia: fatti, cifre e documenti. Turin 1869. Anonym: Storia dei ladri nel regno d’Italia da Torino a Roma: fatti, cifre e documenti. Turin 1872.
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Publizistische Quellen
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Pamphlete und Zeitungsartikel
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Coselli, Pietro: Saggio critico dei principi e delle conseguenze della rivoluzione italiana. Bologna 1870. Coselli, Pietro: Le cause della rivoluzione e specialmente di dell’italiana, con un appendice sul trionfo della medesima. Bologna 1972. Costa della Torre, Ignazio: Gli Stati pontifici e gli Stati sardi: risposta del conte Ignazio Costa Della Torre deputato di Varazze alla lettera indirizzatagli dal cav. marchese Gioacchino Napoleone Pepoli da Bologna. Turin 1859. Costa della Torre, Ignazio: Pio VII e Pio IX. Turin 1860. Crotti, Edoardo: Sulla libera manifestazione delle opinioni: osservazioni. [Turin] 1857. Curci, Carlo Maria: La demagogia italiana e il Papa Re. Pensieri di un retrogrado sulla novissima condizione d’Italia. Neapel 1849. Curci, Carlo Maria: Sette libere parole di un italiano sulla Italia. Rom 1849. Curci, Carlo Maria: La questione romana nell’assemblea francese. Paris 1849. Ferrero-Ponziglione, Vincenzo: Le mene elettorali. Disamina sille ultime elezioni degli Stati sardi. Turin 1858. Gaume, Jean-Joseph: La rivoluzione. Ricerche storiche sopra l’origine e la propagazione del male in Europa. Mailand 1856. [Leopardi, Monaldo] Dialoghetti sulle materie correnti nell’anno 1831. [o. O. 1831]. Liberatore, Matteo: Razionalismo politico della rivoluzione italiana. In: Civiltà Cattolica 1 (1850), S. 53–73. [Margotti, Giacomo] Nascita, vita e morte del ministero Rattazzi. Turin 1849. [Margotti, Giacomo] Panorama politico, ossia la camera subalpina in venti sedute. Turin 1849. [Margotti, Giacomo] Un sacrificio sulla tomba di Carlo Alberto. Turin 1849. [Margotti, Giacomo] La Giovane Italia e l’abate Vincenzo Gioberti. Turin 1849. [Margotti, Giacomo] Viaggio dell’arcivescovo di Torino e del vescovo di Asti alla 3. camera subalpina sul vapore sardo Siotto-Pintor. Turin 1849. [Margotti, Giacomo] Il vescovo di Saluzzo, ossia Daniele nel lago dei leoni. Turin 1850. [Margotti, Giacomo] Panegirico del conte Giuseppe Siccardi, ministro di Grazia e Giustizia in Piemonte. Turin 1851. [Margotti, Giacomo] Processo di Nepomuceno Nuytz, Professore di Diritto canonico all’Università di Torino. Turin 1852. Margotti, Giacomo: La separazione dello Stato dalla Chiesa in Piemonte. Turin 1855. [Margotti, Giacomo] La ciarla. Almanacco parlamentare per l’anno 1856. Turin 1856. [Margotti, Giacomo] La Batracomiomachia politica. Opera del Dott. Giuseppe Mongibello. Turin 1856. Margotti, Giacomo: Sul colore della bandiera piemontese. In: Armonia 60 (13.3.1857). Margotti, Giacomo: Le vittorie della Chiesa ne’ primi anni di pontificato di Pio nono. Turin 1859. Margotti, Giacomo: Avvertimenti di Giuseppe de Maistre. In: Armonia 80 (09.04.1859). Margotti, Giacomo: Roma e Londra: confronti (5. Aufl.). Neapel 1862 [Erstausg. Turin 1858]. Margotti, Giacomo: Le Consolazioni del nostro Santo Padre Pio IX nelle feste celebratesi in Trento dal 20 al 29 di giugno del 1863 compiendosi il terzo secolo dopo la chiusura dell’ecumenico concilio tridentino. Turin 1863. Musci, Mauro: Il Cristianesimo, la rivoluzione italiana e la politica europea. Memorie storichepolitiche. Brüssel 1861. [San Pol Gandolfo, Stefano] La Nemesi subalpina ossia dieci anni di liberalismo in Piemonte. Canzoniero politico. Turin 1858. San Pol Gandolfo, Stefano: Quaresimale del Contemporaneo dinnanzi alla corte di Torino. Malta 1864. San Pol Gandolfo, Stefano: Quarante vérités dites à la cour de Turin. Paris 1865. Solaro della Margarita, Clemente: Il giorno della liberazione del Piemonte. Ragionamento scritto ed ai suoi concittadini. Turin 1814.
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Publizistische Quellen
Solaro della Margarita, Clemente: Lettere morali alla nobile damigella Giulia Solaro della Margarita in occasione delle sue nozze col conte Edoardo Demorri di Castelmagno. o. O. 1845. Solaro della Margarita, Clemente: Alla mia figlia Eleonora Solaro della Margarita nelle sue nozze col barone Giovanni Cantono dei marchesi di Ceva. Turin 1847. Solaro della Margarita, Clemente: Memorandum storico politico del conte Clemente Solaro della Margarita, ministro e primo segretario di Stato per gli affari esteri del re Carlo Alberto dal 7 feb. 1835 al 9 ott. 1847. Turin 1851. Solaro della Margarita, Clemente: Appendice al memorandum storico-politico in risposta all’opuscolo del marchese Gualtiero sulle negative dategli dal conte Solaro della Margarita. Turin 1852. Solaro della Margarita, Clemente: Avvenimenti politici del conte Clemente Solaro Della Margarita, ministro e primo segretario di Stato per gli affari esteri del re Carlo Alberto. Turin 1853. Solaro della Margarita, Clemente: Il conte Solaro Della Margarita a quegli elettori del collegio di Borgomanero che promovevano la sua candidatura. Torino o. J. [1853]. Solaro della Margarita, Clemente: Questioni di stato del conte Clemente Solaro della Margarita. Turin 1854. Solaro della Margarita, Clemente: Discorso pronunziato nella tornata del 30 giugno alla Camera dei deputati dal conte Solaro della Margarita, deputato di S. Quirico. Turin 1854 Solaro della Margarita, Clemente: Il conte Solaro Della Margherita agli elettori del collegio di San Quirico. Turin 1854. Solaro della Margarita, Clemente: Discorso del conte Solaro della Margarita pronunciato alla Camera dei Deputati contro la legge di soppressione di comunità religiose. Turin 1855. Solaro della Margarita, Clemente: Discorso del conte Solaro della Margarita pronunciato alla Camera dei Deputati nella tornata del 5 febbraio 1855: sul Trattato d’Alleanza con la Gran Bretagna e la Francia. Turin 1855. Solaro della Margarita, Clemente: Indirizzo del conte Solaro della Margarita agli elettori dei collegi di S.Quirico, di Borgomanero, di Carrù e di Varazze che nel dì 15 novembre lo eleggevano a loro deputato nel nazional Parlamento. Turin 1857. Solaro della Margarita, Clemente: Allocuzioni agli elettori conservatori di tutto lo Stato. Turin 1857. Solaro della Margarita, Clemente: Discorso alla nazione del conte Clemente Solaro della Margarita, deputato del collegio di S. Quirico al Parlamento. Turin 1857. Solaro della Margarita, Clemente: Discorso secondo alla nazione del conte Clemente Solaro della Margarita, ministro di stato. Turin 1857. Solaro della Margarita, Clemente: Parole di commiato agli elettori di Borgomanero, di Carrù e di Varazze. Turin 1858. Solaro della Margarita, Clemente: Parole in occasione delle prossime elezioni. Turin 1860. Solaro della Margarita, Clemente: Opinione del conte Solaro della Margarita sull’annessione di alcuni Stati alla monarchia e sulla cessione della Savoia e di Nizza alla Francia. Rom 1860. Solaro della Margarita, Clemente: Risposta del conte Solaro Della Margarita all’opuscolo Il papa e il congresso: con appendice di alcuni opuscoli di altri deputati al Parlamento sardo sopra il governo temporale del papa (4. Aufl.). Rom 1860. Solaro della Margarita, Clemente: Lettera del conte Clemente Solaro della Margarita al suo figlio Carlo Alberto ed alla damigella Teresa Gentile nel giorno delle loro nozze. Turin 1861. Solaro della Margarita, Clemente: Sguardo politico del conte Solaro della Margarita ministro di stato sulla convenzione italo-franca del 15 settembre 1864. Turin 1864. Solaro della Margarita, Clemente: L’uomo di stato indirizzato al governo della cosa pubblica. Turin 1863/64. Solaro della Margarita, Clemente: Avvenimenti politici del conte Clemente Solaro Della Margarita, ministro e primo segretario di Stato per gli affari esteri del re Carlo Alberto, Terza edizione cresciuta colla ristampa di tre opuscoli d’argomento politico. Parma 1867.
Religiös-theologische, politische und staatswissenschaftliche Abhandlungen
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2 R eligiös-theologische, politische und staatswissenschaftliche Abhandlungen Alfieri, Vittorio: Opere. Scritti politici e morali (Bd. 3). Hrsg. von Luigi Fassó u. Pietro Cazzani. Turin 1951. Ancillon, Friedrich: Ueber Souveränität und Staats-Verfassungen (2. Aufl.). Berlin 1816. Ancillon, Friedrich: Ueber die Staatswissenschaft. Berlin 1820. Ancillon, Friedrich: Zur Vermittlung der Extreme in den Meinungen. Berlin 1828. Balbo, Cesare: Pensieri ed esempii opera postuma di Cesare Balbo con l’aggiunta dei Dialoghi di un maestro di scuola, pure inediti. Florenz 1854. Balbo, Cesare: Delle speranze d’Italia (5. Aufl.). Florenz 1855. Balbo, Cesare: Lettere di politica e letteratura edite ed inedite di Cesare Balbo precedute da un discorso sulle rivoluzioni del medesimo autore. Florenz 1855. Balbo, Cesare: Meditazioni storiche (3. Aufl.). Florenz 1855. Balbo, Cesare: Della storia d’Italia dalle origini fino ai nostri tempi sommario (10. Aufl.). Florenz 1856. Balbo, Cesare: Della monarchia rappresentativa in Italia saggi politici di Cesare Balbo, Della politica nella presente civiltà abbozzi del medesimo autore. Florenz 1857. Balbo, Cesare: Sulla distruzione della potenza temporale dei papi, discorso. Turin 1860. Bonald, Louis-Gabriel de: Essai Analytique sur les Lois Naturelles de l’Ordre Social. Paris 1800. Bresciani, Antonio: Del Romanticismo italiano rispetto alle lettere, alla religione, alla politica e alla morale. Mailand 1855. Bunsen, Christian Karl von: Gott in der Geschichte oder der Fortschritt des Glaubens an eine sittliche Weltordnung. Leipzig 1857/58. Burke, Edmund: Reflections on the revolution in France (10. Aufl.). London 1791. Chateaubriand, François-René de: Le génie du Christianisme. Paris 1802. Chateaubriand, François-René de: Mémoires d’outre-tombe (12 Bde.). Paris 1849/50. Gentz, Friedrich von: Ueber den Ursprung und Charakter des Krieges gegen die Französische Revolution. Berlin 1801. Gneist, Rudolf: Freie Advocatur. Die erste Forderung aller Justizreform in Preußen. Berlin 1867. Göschel, Karl Friedrich: Zur Lehre von den letzten Dingen. Berlin 1850. Göschel, Karl Friedrich: Der Mensch nach Leib, Seele und Geist diesseits und jenseits. Leipzig 1856. Göschel, Karl Friedrich: Die Concordien-Formel nach ihrer Geschichte, Lehre und kirchlichen Bedeutung: Altes und Neues aus dem Schätze der Kirche. Leipzig 1858. Haller, Carl Ludwig von: Restauration der Staats-Wissenschaft (6 Bde.). Winterthur 1820/25. Haym, Rudolf: Die Deutsche Nationalversammlung von den September-Ereignissen bis zur Kaiserwahl, ein weiterer Parteibericht. Berlin 1849. Haym, Rudolf: Die deutsche Nationalversammlung von der Kaiserwahl bis zu ihrem Untergange. Berlin 1850. Haym, Rudolf: Die romantische Schule. Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Geistes. Berlin 1870. Ketteler, Wilhelm Emanuel von: Freiheit, Autorität und Kirche. Erörterungen über die großen Probleme der Gegenwart (6. Aufl., Volksausgabe). Mainz 1862. Lamennais, Félicité de: Paroles d’un croyant (3. Aufl.). Paris 1834. Leopardi, Monaldo: Catechismo filosofico ad uso della scuole inferiori. Pesaro 1832. Leopardi, Monaldo: Catechismo sulle rivoluzioni. Modena 1832.
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Publizistische Quellen
Leopardi, Monaldo: Des Grafen Leopardi Abhandlung über Staats-Reformen. Ein nützliches Vade mecum für alle Freunde und Feinde der bestehenden Ordnung. Aus dem Italienischen frei übersetzt von Albert Ludwig von Haza-Radlitz. Regensburg 1834. Maistre, Joseph de: Considérations sur la France. London 1797. Maistre, Joseph de: Du Pape. Lyon–Paris 1819. Maistre, Joseph de: Les soirées de Saint-Pétersbourg, ou Entretiens sur le gouvernement temporel de la providence; suivis d’un Traité sur les sacrifices. Lyon–Paris 1821. Maistre, Joseph de: Betrachtungen über Frankreich. Über den schöpferischen Urgrund der Staatsverfassungen. Hrsg. von Peter Richard Rohden. Berlin 1924. Mancini, Pasquale Stanislao: Della nazionalità come fondamento del diritto delle genti. Turin 1851 Mancini, Pasquale Stanislao: Machiavelli e la sua dottrina politica. Turin 1852. Puchta, Georg Friedrich: Einleitung in das Recht der Kirche. Leipzig 1840. Puchta, Georg Friedrich: Lehrbuch der Pandekten (12. Aufl.). Leipzig 1877. Rochau, Ludwig August: Grundsätze der Realpolitik angewendet auf die staatlichen Zustände Deutschlands. Stuttgart 1853. Rochau, Ludwig August: Briefe eines Deutschen über die deutsche Bundesreform. Heidelberg 1859. Rochau, Ludwig August: Zur Orientierung im neuen Deutschland. Heidelberg 1868. Solaro della Margarita, Clemente: Traités publics de la royale maison de Savoie avec les puissances étrangères: depuis la paix de Château-Cambresis jusqu’à nos jours. Publiés par ordre du roi et présentes à S.M. par le comte Solar de la Marguerite (6 Bde.). Turin 1836/44. Stahl, Friedrich Julius: Die Kirchenverfassung nach Lehre und Recht der Protestanten. Erlangen 1840. Stahl, Friedrich Julius: Das monarchische Prinzip. Eine staatsrechtlich-politische Abhandlung. Berlin 1845. Stahl, Friedrich Julius: Die Revolution und die constitutionelle Monarchie. Eine Reihe ineinandergreifender Abhandlungen (2. Aufl.). Berlin 1849. Stahl, Friedrich Julius: Die deutsche Reichsverfassung nach den Beschlüssen der deutschen Nationalversammlung und nach dem Entwurf der drei königlichen Regierungen: geschrieben im Juni 1849. Berlin 1849. Theremin, Franz: Die Lehre vom göttlichen Reiche. Berlin 1823. Theremin, Franz: Abendstunden. Berlin 1852. Tholuck, August: Die Propheten und ihre Weissagungen. Eine apologetisch-hermeneutische Studie (2. Aufl.). Gotha 1861. Vergani, Paolo: Le idee liberali ultimo rifugio dei nemici della Religione e del Trono, Genua 1816.
3 Romane, Erzählungen, Lieder- und Gedichtbücher Preußen Anonym: Liederbuch der Freiwilligen von 1813, 1814 und 1815 und ihrer fortdauernden Kameradschaft. Köln 1839. Anonym: Neuester Liederkranz enthaltend weit über Einhundert der beliebtesten und bekanntesten, so wie der neueren Gesänge zum Gebrauche für fröhliche Cirkel und heitere Geselligkeit. Oels 1839. Anonym: Preußisches Militair-Liederbuch. Eine gediegene Auswahl von Gesänge für das Preußische Militair im Frieden, im Kriege und in der Kaserne. Guben 1846. Anonym: Allgemeines deutsches Lieder-Lexikon oder vollständige Sammlung aller bekannten deutschen Lieder und Volksgesänge (4 Bde.). Leipzig 1847.
Romane, Erzählungen, Lieder- und Gedichtbücher
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Anonym: Liederbuch für die Preußische Armee im Felde und auf dem Marsche, im Bivouac und in der Garnison. Halle 1848. Anonym: Das Lied von der Majestät: überall in Deutschland zu singen. Berlin 1849 (Flugschriften 1848. http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/1848/content/titleinfo/ 2169432). Anonym: Schöne neue Lieder, zu singen überall im Preußenlande, zumal in Heer und Landwehr. Berlin 1849. Blomberg, Wilhelm von (Hrsg.): Liederbuch für die Mitglieder des Treubundes mit Gott für König und Vaterland. Berlin 1850. Bock, Eduard: Wegweiser für Volksschul-Lehrer. Breslau 1871. [Deutsche Lieder] Germania auf der Wacht. Deutsche Lieder zu Schutz, Trutz und Sangeslust in schwerer Zeit. Hrsg. von Schneider u. Karl Friedrich. Wittenberg 1862. Diepenbrock, Melchior von: Geistlicher Blumenstrauß aus christlichen Dichter-Gärten den Freunden heiliger Poesie dargeboten (3. Aufl.). Sulzbach 1854. Fontane, Theodor: Romane und Erzählungen in acht Bänden. Berlin–Weimar 1973. Förster, Eduard: Das Volkslied in der Volksschule. Breslau 1862. Fürstenhaupt, Adolf: Die Macht des Königs: Gedicht. Berlin 1850. Hahn, Ida Gräfin von: Gräfin Faustine (2. Aufl.). Berlin 1842. Hahn, Ida Gräfin von: Maria Regina: eine Erzählung aus der Gegenwart (2 Bde.). Mainz 1860. Hahn, Ida Gräfin von: Doralice. Ein Familiengemälde aus der Gegenwart (2 Bde.). Mainz 1861. Hahn, Ida Gräfin von: Peregrin. Ein Roman (2 Bde.). Mainz 1864. Hensel, Luise: Lieder. Paderborn 1867. Lehmann, Johann August: Eine Sammlung Deutscher Gedichte aus dem Gebiete der Geschichte Preußens. Marienwerder 1843. Merckel, Wilhelm von: Fliegende Blätter, Demokratenlied. Berlin 1848 (Flugschriften 1848. http:// sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/1848/content/titleinfo/2233548). Merckel, Wilhelm von: Der Ehrliche Preuße. Sammlung von Gedichten. Berlin 1848 (Flugschriften 1848. http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/1848/content/titleinfo/ 2181920). Merckel, Wilhelm von: Preußisches Liederbuch. Vaterländische Gesellschaft zu Berlin. Berlin 1849. Merckel, Wilhelm von: Festgesänge der Vaterländischen Gesellschaft bei ihrer Eröffnungsfeier am 14. Juli 1849. Berlin 1849. Merckel, Wilhelm von: Gesänge beim Festmahle zu Ehren der Abgeordneten Berlins zum Erfurter Volkshause: Berlin, den 2. März 1850. Berlin 1850. Nathusius, Marie: Tagebuch eines armen Fräuleins. Abgedruckt zur Unterhaltung und Belehrung für junge Mädchen (4. Aufl.). Halle 1855. Nathusius, Marie: Elisabeth. Eine Geschichte, die nicht mit der Heirath schließt (4. Aufl.). Halle 1859. [Zeitungsgedichte] Reim und Revolution. Hundert deutsche Zeitungsgedichte 1848–1850. Hrsg. von Harald Bader. Norderstedt 2009.
Sardinien-Piemont / Italien Anonym: I Torinesi al Re. Turin 1847. Anonym: Raccolta delle varie poesie pubblicate in Piemonte nell’occasione delle nuove riforme giudiziarie e amministrative accordate da S.M. Il Re Carlo Alberto. Turin 1847. Bertoldi, Giuseppe: Canti patriottici. Turin 1847. Biorgi, Domenico: Due inni nazionali recitati ai patriotici banchetti della capitale in occasione della nazional festa per nuovo costituzionale Statuto dato da S. M. Carlo Alberto al suo popolo. Turin 1848.
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Publizistische Quellen
Bresciani, Antonio: L’Ebreo di Verona: racconto storico dall’anno 1846 al 1849 (4. Aufl.). Mailand 1863 [Erstausg. 1849]. Bresciani, Antonio: Lionello o delle Società Segrete. Neapel 1853. Bresciani, Antonio: Lionello: appendice all’ebreo di Verona. Turin 1853. Bresciani, Antonio: Della repubblica romana: appendice dell’Ebreo di Verona. Mailand 1855. Bresciani, Antonio: Lorenzo o il coscritto. Racconto ligure dal 1810 al 1814. Mailand 1856. Bresciani, Antonio: Olderico, ovvero Il zuavo pontificio, racconto del 1860. Mailand 1873 [Erstausg. 1862]. Cantù, Cesare: Margherita Pusterla. Florenz 1839. Cantù, Cesare: Carlambrogio da Montevecchia (9. Aufl.). Mailand 1846. Cantù, Cesare: Semplice informazione. Turin 1848. Cantù, Cesare: Ezelino da Romano. Turin 1852. Cantù, Cesare: Due politiche. Idillio di un cittadino di San Marino. Mailand 1866. Cantù, Cesare: Della indipendenza d’Italia (3 Bde.). Turin 1872/77.
4 Vorträge, Petitionen, Predigten und Gedenkreden Preußen Diepenbrock, Melchior von: Die Zeichen der Zeit. Predigt am Silvesterabend 1840. Regensburg 1841. Diepenbrock, Melchior von: Hirtenbrief an den gesamten ehrwürdigen Klerus. Regensburg 1845. [Friedrich Wilhelm IV.] Rede Seiner Majestät des Königs Friedrich Wilhelm des Vierten seit Seiner Thronbesteigung. Berlin 1847. [Friedrich Wilhelm IV.] Antwort Sr. Majestät des Königs an die Deputation der Frankfurter Nationalversammlung. Berlin 1849 (Flugschriften 1848. http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/1848/ content/titleinfo/2231861). [Friedrich Wilhelm IV.] Reden, Proklamationen, Botschaften, Erlasse und Ordres Sr. Majestät des Königs Friedrich Wilhelm IV. Berlin 1851. [Friedrich Wilhelm IV.] So sprach der König. Reden, Trinksprüche, Proclamationen Botschaften, Kabinettsordres, Erlasse Friedrich Wilhelm IV. Stuttgart 1861. Gerlach, Ernst Ludwig von: Rede des Abgeordneten von Gerlach über das Ehescheidungsgesetz in der Sitzung der 2. Kammer vom 23. Februar 1857. Berlin 1857. Gerlach, Ernst Ludwig von: Christentum und Königtum von Gottes Gnade im Verhältnis zu den Fortschritten des Jahrhunderts. Ein Vortrag des Präsidenten von Gerlach gehalten im Evangelischen Verein zu Berlin am 2. März 1863. Berlin 1863 (abgedr. in: Gottesgnadentum und Freiheit. Hrsg. von Hans-Christof Kraus. Leipzig 2011. S. 7–44). Gerlach, Ernst Ludwig von: Rede des Präsidenten von Gerlach gehalten 8 Okt. 1863 in Magdeburg auf der Generalversammlung der königstreuen Männer der Provinz Sachsen. Berlin 1863. Gerlach, Ernst Ludwig von: Das Königreich Gottes. Ein Vortrag des Präsidenten von Gerlach gehalten im Evangelischen Verein in Berlin am 21. März 1864, Berlin 1864. (abgedr. in: Gottesgnadentum und Freiheit. Hrsg. von Hans-Christof Kraus. Leipzig 2011. S. 45–80). Gerlach, Ernst Ludwig von: Rede zum Jahresfest des Preußischen Volksverein der Grafschaft Ravensberg am 18. September 1864. Berlin 1864. Gerlach, Ernst Ludwig von: Die Freiheits-Tendenzen unserer Zeit. Ein Vortrag gehalten vom Präsidenten von Gerlach am 19. März 1866 im Evangelischen Verein zu Berlin. Berlin 1866. (abgedr. Gottesgnadentum und Freiheit. Hrsg. von Hans-Christof Kraus. Leipzig 2011. S. 81–109).
Vorträge, Petitionen, Predigten und Gedenkreden
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Gerlach, Ernst Ludwig von: Das obrigkeitliche Kirchenregiment. Ein Vortrag des Präsidenten von Gerlach gehalten in Gnadau am 26. April 1870. Berlin 1870. Gerlach, Ernst Ludwig von: Die Ausführung des Artikels 15 der Verfassungs-Urkunde. Ein Vortrag des Präsidenten von Gerlach gehalten in der Pastoral-Conferenz zu Berlin am 16. Juni 1870. Berlin 1870. Gerlach, Ernst Ludwig von: Fünf Reden des Appellationsgerichts-Präsidenten von Gerlach über die Kirchengesetze: gehalten im Abgeordnetenhause Winter und Frühjahr 1873; nach den stenographischen Berichten. Berlin 1873. [Griesheim, Carl Gustav Julius von] Zur Erinnerung an den Generalmajor von Griesheim, gestorben als erster Commandant von Coblenz und Ehrenbreitstein am 1. Januar 1854, Beiheft zum Militair-Wochenblatt für Januar 1854. Redigiert von der historischen Abtheilung des Generalstabes. Berlin o. J. [1854]. Holthausen, Friedrich Wilhelm: Über vaterländische Gesinnung. Rede zur Vorfeier des Geburtstags Sr. Majestät des Königs Friedrich Wilhelm IV. am 14. Oktober 1846. Düsseldorf 1846. Leo, Heinrich: Thomas Münzer. Ein Vortrag gehalten im Auftrage des Evangelischen Vereins in Berlin. Berlin 1856. Leo, Heinrich: Was ist conservativ? Vortrag im Berliner Evangelischen Verein am 14. März 1864. Berlin 1864. Leo, Heinrich: Nominalistische Gedankenspäne, Reden und Aufsätze. Halle 1864. Stahl, Friedrich Julius: Der Protestantismus als politisches Prinzip. Vorträge, auf Veranstaltung des Evangelischen Vereins für Kirchliche Zwecke zu Berlin im März 1853 gehalten (2. Aufl.). Berlin 1853. Stahl, Friedrich Julius: Friedrich Wilhelm der Dritte. Gedächtnisrede gehalten am 3. August 1853. Berlin 1853. Stahl, Friedrich Julius: Zum Gedächtnis Seiner Majestät des hochseligen Königs Friedrich Wilhelm IV. Vortrag gehalten im Evangelischen Verein am 18. März 1861. Berlin 1861. [Stahl, Friedrich Julius] Siebzehn parlamentarische Reden und drei Vorträge. Berlin 1862. Sydow, Adolf: Worte am Sarge Ludwigs Tiecks. Gesprochen am 1. Mai 1853. Berlin 1853. Theremin, Franz: Predigten (10 Bde.). Berlin 1847. Tholuck, August: Predigt beim Jahres-Feste der Gesellschaft zur Beförderung des Christenthums unter den Juden. Berlin 1855. Tholuck, August: Dr. Tholuck’s fünfzigjähriges Jubiläum am 2. December 1870. Erinnerungsblätter für Freunde. Halle 1871. Wagener, Hermann: Was wir wollen: ein Wort zur Verständigung. Vortrag gehalten in der Fraktion von Blanckenburg. Berlin 1859.
Sardinien-Piemont / Italien Brignole-Sale, Antonio: Discorsi tenuti al Senato del Regno di Sardegna. Genua 1864. Calabiana, Luigi Nazari di: Al Venerevole Clero e Dilettissimo Popolo della Città e Diocesi, Salute e Benedizione. Casale 1859. Calabiana, Luigi Nazari di: Al Venerevole Clero e Dilettissimo Popolo della Città e Diocesi. Salute e Benedizione. Casale 1860. Camburzano, Vittorio Emanuele di: Discorso contro l’imprestito di 40 milioni detto nella tornata del XIV di Maggio. Turin 1858. Costa della Torre, Ignazio: Discorsi pronunciati nella Camera dei deputati contro la legge di soppressione di comunità religiose e stabilimenti ecclesiastici e relativi provvedimenti, con
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Publizistische Quellen
osservazioni analitiche sopra quelli detti in favore della legge 7 del conte Costa Della Torre. Turin 1855. Costa della Torre, Ignazio: Discorso distribuito dal conte Costa Della Torre deputato di Varazze alla Camera legislativa. Turin 1858. Charvaz, Andrea: Allocuzione inaugurazione. o. O. [1854] (Biblioteca Berio, Misc. Gen. B. 60. 28). Charvaz, Andrea: Oraison funèbre de S. M. Marie Adelaide reine de Sardaigne. Turin 1855. Charvaz, Andrea: Guida del catecumeno valdese ossia difesa del cattolicesimo contro gli errori dei protestanti. Turin 1857. Charvaz, Andrea: Al clero e ai fedeli. o. O. [1859] (Biblioteca Berio, Misc. Gen. B. 60. 15). Charvaz, Andrea: Il Proselitismo protestante in Italia. Neapel 1861. Charvaz, Andrea: Éloge funèbre de son excellence le marquise Antoine Brignole Sale. Genua 1963. Charvaz, Andrea: Circolare parroci. o. O. [1866] (Biblioteca Berio, Misc. Gen. B. 60. 28). Charvaz, Andrea: Circolare parroci. o. O. [1867] (Biblioteca Berio, Misc. Gen. A 115. 9). Charvaz, Andrea: Indifferentismo religioso. o. O. [1867] (Biblioteca Berio, Misc. Gen. A 115. 1). Gavazzi, Alessandro: Nel funere del conte Monaldo Leopardi. Loreto 1847. Mancini, Pasquale Stanislao: Discorsi sulla liquidazione dell’asse ecclesiastico. Florenz 1863. Manzini, Clemente: Ai Venerabili Parrochi della Diocesi. Cuneo 1858. Servanzi-Collio, Severino: Opere e scritti del conte Monaldo Leopardi. Macerata 1847.
5 Memoiren und Hagiographien Preußen [Abeken, Heinrich] Heinrich Abeken. Ein schlichtes Leben in bewegter Zeit (3. Aufl.). Hrsg. von Hedwig Abeken. Berlin 1904. Andrae-Roman, Alexander: Aus längst vergangenen Tagen. Erinnerungen eines alten Mannes. Bielefeld–Leipzig 1899. Bernhardi, Theodor von: Aus dem Leben Theodor von Bernhardis (Bd. 2: Unter Nikolaus I. und Friedrich Wilhelm IV. Briefe und Tagebuchblätter 1834–1857; Bd. 3: Die Anfaenge der neuen Aera. Tagebucherblätter; Bd. 4: Die ersten Regierungsjahre Koenig Wilhelms I. Tagebuchblätter aus den Jahren 1860–1863; Bd. 5: Der Streit um die Elbherzogthümer. Tagebuchblätter aus den Jahren 1863–1864; Bd. 6: Aus den letzten Tagen des deutschen Bundes. Tagebuchblätter aus den Jahren 1864–1866; Bd. 7: Der Krieg 1866 gegen Österreich und seine unmittelbaren Folgen. Tagebuchblätter aus den Jahren 1866–1867). Leipzig 1893/97. [Bülow, Paula von] Aus verklungenen Zeiten. Lebenserinnerungen 1833–1920. Hrsg. von Johannes Werner. Leipzig 1924. [Bunsen, Christian Karl Josias von] Christian Carl Josias Freiherr von Bunsen. Aus seine Briefen und nach eigener Erinnerungen (geschildert von seine Witwe). Hrsg. von Friedrich Nippold. Leipzig 1868/71. Delbrück, Rudolph: Lebenserinnerungen (2 Bde.). Leipzig 1905. Dienst, Gustav von: Aus dem Leben eines Glücklichen. Erinnerungen eines alten Beamten. Berlin 1909. Ernst II., Herzog von Sachsen-Coburg-Gotha: Aus meinem Leben und aus meiner Zeit (3 Bde.). Berlin 1887/89. Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. Berlin 1997. [Fransecky, Eduard von] Denkwürdigkeiten des preußischen Generals der Infanterie Eduard von Fransecky. Hrsg. von Walter von Bremen. Bielefeld–Leipzig 1901.
Memoiren und Hagiographien
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Memoiren und Hagiographien
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Politische und diplomatische Dokumente Preußen [Außenpolitik] Die auswärtige Politik Preußens 1858–1871. Diplomatische Aktenstücke (10 Bde.). Hrsg. von der Historischen Reichskommission unter der Leitung von Erich Brandenburg. Oldenburg–Berlin 1933/41. [Außenpolitik] Quellen zur deutschen Politik Österreichs 1859–1866 (5 Bde.). Hrsg. von Heirich Ritter von Srbik unter Mitwirkung von Oskar Schmid. Oldenburg–Berlin 1934/38. [Außenpolitik] Akten zur Geschichte des Krimkriegs (Bd. 2). Hrsg. von Winfried Baumgart. München 1990/91.
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Politische und diplomatische Dokumente
[Deutsche Bund] Der Deutsche Bund zwischen Reaktion und Reform 1851–1858 (Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes 1850–1866 , Abt. 3, Bd. 2). Hrsg. von Jürgen Müller. München 1998. [Deutsche Bund] Der Deutsche Bund in der nationalen Herausforderung 1859–1862 (Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes 1850–1866, Abt. 3, Bd. 3). Hrsg. von Jürgen Müller. München 2012. Deutsche Parteiprogramme. Hrsg. von Wilhelm Mommsen. München 1960. Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte (Bd. 1: Verfassungsdokumente 1803–1850; Bd. 2: Verfassungsdokumente 1851–1900). Hrsg. von Ernst Rudolf Huber. Stuttgart 1978/86. Das Großherzogtum Baden in der politischen Berichterstattung der preußischen Gesandten 1871–1918 (Bd. 1: 1871–1899). Hrsg. von Hans-Jürgen Kremer. Stuttgart 1990. Die Protokolle des Preußischen Staatsministeriums 1817–1934 (Bd. 4/1 und 4/2). Acta Borussica Neue Folge, 1. Reihe: Die Protokolle des Preußischen Staatsministeriums 1817–1934/38. Hrsg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Bearb. von Bärbel Holtz. Hildesheim–Zürich–New York 2003. Die Protokolle des Preußischen Staatsministeriums 1817–1934 (Bd. 5: 10. November 1858 bis 28. Dezember 1866). Acta Borussica Neue Folge, 1. Reihe: Die Protokolle des Preußischen Staatsministeriums 1817–1934/38. Hrsg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Bearb. von Rainer Paetau. Hildesheim–Zürich–New York 2001. [Landtag 1847] Der Erste Vereinigte Landtag in Preußen von 1847. Untersuchungen zu einer ständischen Körperschaft im Vorfeld der Revolution von 1848/49 (Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 33). Hrsg. von Johannes Gerhardt. Berlin 2007. Stenographische Berichte über die Verhandlungen der Zweiten Kammer des preußischen Landtags. In: Preußischer Staats-Anzeiger bzw. Königlich Preußischer Staats-Anzeiger. Berlin 1849/55. Stenographische Berichte über die Verhandlungen des preußischen Hauses der Abgeordneten. In: Königlich Preußischer Staats-Anzeiger bzw. Deutscher Reichs-Anzeiger. Berlin 1855/1918. Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Parlaments zu Erfurt (Bd. 1: Volkshaus). Hrsg. von Werner Schuber. Lichtenstein 1987. [Verfassungen] Die deutschen Verfassungen des 19. und 20. Jahrhunderts. Hrsg. von Horst Hildebrandt. Paderborn 1975. Verhandlungen der Ersten Kammer. Stenographische Berichte der Ersten Kammer. In: Preußischer Staats-Anzeiger bzw. Königlich Preußischer Staats-Anzeiger. Berlin 1849/1855. Verhandlungen der constituierenden Versammlung für Preußen (9 Bde.). Berlin 1848/49. Verhandlungen des im Jahre 1848 zusammenberufenen Vereinigten Ständischen Ausschusses (4 Bde.) Hrsg. von Eduard Bleich. Frankfurt a. M. 1991.
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Preußen
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Quelleneditionen Preußen [Bismarck, Herbert von] Staatssekretär Graf Herbert von Bismarck: Aus seiner politischen Privatkorrespondenz. Hrsg. von Walter Bußmann. Göttingen 1964. [Bismarck, Otto von] Die gesammelten Werke (15 Bde.). Berlin 1924/32. [Bronsart von Schellendorff, Paul] Paul Bronsart von Schellendorff. Geheimes Kriegstagebuch 1870–1871 (Deutsche Geschichtsquellen des 19. und 20. Jahrhunderts 40). Hrsg. von Peter Rassow. Bonn 1954. [Canitz und Dallwitz Karl von] Karl von Canitz und Dallwitz: ein preußischer Minister des Vormärz, Darstellung und Quellen (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz 3). Hrsg. von Gernot Dallinger. Köln 1969. [Dalwigk zu Lichtenfeld, Reinhard von] Die Tagebücher des Freiherrn Reinhard von Dalwigk zu Lichtenfels aus den Jahren 1860–1871 (Deutsche Geschichtsquellen des 19. und 20. Jahrhunderts 2). Hrsg. von Wilhelm Schüßler. Osnabrück 1967. [Deutsch-Französischer Krieg 1870/71] „Wenn doch dies Elend ein Ende hätte“. Ein Briefwechsel aus dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71. Hrsg. von Isa Schikorsky. Köln 1999. [Diepenbrock, Melchior von] Briefwechsel des Kardinals Diepenbrock mit Ida Hahn-Hahn vor und nach ihrer Konversion. Hrsg. von Alfons Nowack. München 1931. [Duncker Maximilian] Maximilian Duncker. Politischer Briefwechsel aus seinem Nachlaß (Deutsche Geschichtsquellen des 19. und 20. Jahrhunderts 12). Hrsg. von Johannes Schultze. Osnabrück 1967.
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Quelleneditionen
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Preußen
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Personenregister
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Abeken, Heinrich 78, 224, 281, 298, 349–350, 406, 458, 472 Adolf, Herzog von Nassau 11, 99, 412, 448 Aegidi, Ludwig 381, 384, 398, 458 Alexander I., Kaiser von Russland 64 Alexandrine, Prinzessin von Preußen 99, 357, 360, 406–407 Alfieri, Vittorio 79–84, 86, 449, 467, 474 Alfieri di Sostegno, Cesare 288 Alimoda, Gaetano (Kardinal) 438 Alvensleben, Albrecht Graf von 185 Alvensleben, Gustav von 334 Amat di San Filippo, Luigi (Kardinal) 219 Ancillon, Friedrich 59, 71, 101, 234–235, 467 Anderson, Benedict 31 Anfossi, Filippo 156 Antonelli, Giacomo (Kardinal) 110, 175, 220–221, 457 Arconati, Giuseppe 299 Armenteros, Carolina 27 Arnaldi, Giovanni Battista (Erzbischof) 219– 220 Arndt, Ernst Moritz 55, 99 Arnim, Sigmund von 280 Arnim-Boitzenburg, Adolf Heinrich von 353, 389, 458 Arnim-Boitzenburg, Marie von 4, 87, 101, 281, 353 Arnim-Suckow, Alexander von 353, 458 Artois, Charles Philippe de Bourbon comte de 25 Aschmann, Birgit 409 Audisio, Guglielmo 106–107, 374–375, 438, 464 Auerswald, Hans von 196 Auerswald, Rudolf von 97, 359, 390, 459 Augustinus von Hippo 73, 172, 188–189, 192–193, 195, 202, 235, 434–436 Avogadro della Motta, Emiliano 55, 106–107, 119–120, 125, 136–137, 191, 203, 438, 464 Avraham, Doron 27 Azeglio, Cesare Taparelli di 61, 159 Azeglio, Luigi Taparelli di 20, 75, 104, 120, 125, 130, 139, 161, 179–181, 191, 199, 208–209, 220, 236, 464, 480 Azeglio, Massimo Taparelli di 120–121, 204, 213, 284, 325, 344, 374, 474, 480
Bach, Johann Sebastian 188 Balbo, Cesare 4, 14, 71, 76, 104, 111, 145, 161, 211–213, 288, 331–332, 372, 374–375, 391, 444, 464, 467 Balbo, Prospero 309 Bamberger, Ludwig 381, 398 Banti, Alberto Mario 28, 31 Baraldi, Giuseppe 62 Barbieri, Giovanni Francesco (Guercino) 323 Barolo, Giulia Falletti di 180 Barruel, Augustin 67 Bauer, Otto 31 Beauregard, Leone Costa di 75, 160, 283, 286–287, 430 Beauregard, Luigi Costa di 141 Beer, Wilhelm 385, 458 Bellini, Vincenzo 128 Below, Alexander von 334, 355, 390 Berdahl, Robert 26 Bernhardi, Theodor von 357, 458, 472 Bernstorff, Albrecht Graf von 279 Bertoldi, Giuseppe 247–248, 300, 302–303, 469 Bethmann-Hollweg, Moritz August von 49, 170, 194, 198, 279, 353, 434, 458 Bianchi, Angelo (Kardinal) 219–220 Bianchi-Giovini, Aurelio 216 Biedermann, Karl 368 Bindewald, Julius 49, 170, 420 Biorgi, Domenico 249, 394, 469 Birago di Vische, Carlo Emanuele di 110, 122, 203, 325, 420, 457 Bismarck, Herbert von 283, 340, 477 Bismarck, Otto von 5, 38, 40, 42, 74, 87, 116, 130, 132–133, 142, 194–195, 224, 231–232, 258, 281–282, 296, 298, 334, 339–340, 349–351, 354–357, 360, 362, 364, 368, 370–371, 381, 388–391, 397–399, 401, 405–406, 408, 410–411, 414, 423–428, 432, 435, 441, 449, 477 Bismarck, Wilhelm von 283 Bixio, Cesare 323 Bixio, Enrico 205, 322 Blanckenburg, Moritz von 266, 339, 361, 370, 426–428, 441, 457 Bleichröder, Gerson von 388 Bloch, Ernst 46
Personenregister
Blücher, Gebhard Leberecht von 312 Blum, Hans 357 Blum, Peter Joseph (Bischof) 426 Bluntschli, Johann Caspar 384 Bock, Eduard 293, 469 Bodelschwingh, Ernst von 93, 279 Bogliani, Giuseppe 306 Bonald, Louis Gabriel Ambroise de 38, 54, 59–60, 62, 467 Borgia Mandolini, Giulio 124, 213 Boschetti, Teresa 211–212, 214, 437 Bossi, Giacomo 157 Botta, Carlo 306 Bourdieu, Pierre 33–35 Branda de Lucioni 154 Brandenburg, Friedrich Wilhelm Graf von 88–89, 92, 144, 171, 377, 387–388 Braß, August 381 Brassier de Saint Simon, Joseph Maria Anton 278 Brentano, Clemens 224, 227, 449 Bresciani, Antonio 20, 70–71, 75, 124, 127, 129, 139–140, 181, 191, 199, 208–215, 217–220, 223, 236, 375, 421, 437, 446, 467, 470, 480 Breuilly, John 31 Briano, Giorgio 106–107, 121, 124, 135–136, 201, 345, 438, 464, 474–475 Brice, Catherine 31 Brignole-Sale, Anton Giulio marchese di 318, 320 Brignole-Sale, Antonio marchese di 40, 57, 64, 74–75, 104, 107–110, 119, 123–125, 140–141, 174–177, 179–182, 199–205, 220–221, 285–286, 317–328, 416–417, 437, 456–457, 464, 471, 474 Brignole-Sale, Gian Carlo 62, 319 Brignole-Sale, Gian Francesco 320–321 Brignole-Sale, Maria 175, 326 Brignole-Sale, Rodolfo (Bischof) 318 Brofferio, Angelo 57, 216 Broglia, Giuseppe 346 Brueghel, Pieter (der Jüngere) 323 Bucher, Lothar 357, 381 Buddelmeier, August 312, 458 Bunsen, Christian Karl von 88–89, 98–99, 102, 235, 263, 278, 349–350, 353, 358–359, 459, 467, 472 Burckhardt, Jakob 53 Burke, Edmund 38–39, 57–63, 79, 81–84, 108, 127, 134, 449, 467
507
Burke, Peter 34 Busch, Moritz 357, 381, 459 Calabiana, Luigi Nazari di (Bischof) 408, 471 Calonne, Charles Alexandre de 25 Camburzano, Vittorio Emanuele di 75, 122, 125–126, 181, 203, 286–287, 310, 416–417, 431, 438, 471, 474 Canale, Michele Giuseppe 324 Canitz und Dallwitz, Karl von 54–55, 58, 90, 98, 102, 116, 143–144, 263, 274–275, 279, 353, 385, 414, 459, 477 Cantù, Cesare 20, 124, 128, 208, 212, 214–218, 223, 236, 421, 446, 470 Capponi, Gino 375 Caravaggio, Michelangelo Merisi da 323 Carl August, Großherzog von Sachsen-WeimarEisenach 128 Cattaneo, Carlo 13, 464 Cavour, Camillo Benso conte di 4, 38, 40, 42, 49, 104, 109, 111, 115, 118–120, 123–127, 130, 136–140, 142, 179, 182, 201, 203, 251, 254–255, 257, 285, 288–289, 299, 324–325, 336, 340–341, 344, 350, 363, 374, 376, 381, 408, 414, 417, 419, 449, 480 Cavour, Gustavo Filippo Benso marchese di 120, 122 Certeau, Michel de 34 Charlotte, Prinzessin von Preußen und Kaiserin von Russland 4, 89–90, 99–100, 357–358, 389, 396–397, 406, 433 Charvaz, Andrea (Erzbischof) 220, 236, 319–320, 325, 408, 419, 438, 457, 472 Chateaubriand, François-René de 60, 449, 467 Chiala, Luigi 375–376, 474 Chiossone, David 249, 394 Chodowiecki, Daniel 311 Chrzanowski, Wojciech 104 Cibrario, Luigi 162, 179, 309, 334, 373–374, 376, 395, 464, 474 Clark, Christopher 26, 258 Clausewitz, Carl von 371 Clermont de Vars, Carolina 299 Coleridge, Samuel Taylor 449 Coppi, Antonio 75, 220, 457 Costa della Torre, Ignazio 419, 465, 471–472 Cotta, Johann Friedrich 296 Craig, Gordon A. 40
508
Personenregister
Crotti, Edoardo conte di Costigliole 50, 75, 124–125, 137, 151, 176–181, 203, 417, 437–439, 465, 474 Curci, Carlo Maria 19, 104, 191, 208–209, 465 Dahlmann, Friedrich Christoph 331 Dalberg, Emmerich Joseph von 318 Dalwigk zu Lichtenfels, Reinhard von 52–53, 117, 228, 386, 406, 477 Daneo, Felice 305–306, 474 Dante Alighieri 4 De Ferrari, Domenico 288, 456 De Ferrari, Raffaele 322, 325–326 Defranchi Carrega, Ersilia 419 De Lorenzo, Renata 24, 121 De Luca, Antonio Saverio (Kardinal) 110, 221 Deutsch, Karl W. 31 Diepenbrock, Melchior von 20, 225–226, 469–470, 477 Di Negro, Gian Carlo 174–175, 322–324, 457 Disraeli, Benjamin 42, 350 Döllinger, Ignaz von 189, 438 Donaiudi, Gaetano 157 Donizetti, Gaetano 128 Donoso Cortés, Juan 191 Dorner, Isaak August 20, 191, 193 Drouyn de Lhuys, Édouard 121, 300 Droysen, Johann Gustav 367–368 Dürer, Albrecht 323 Dumas, Alexandre 3 Duncker, Alexander 94, 261 Duncker, Maximilian 359, 368, 388, 477 Dupanloup, Felix (Bischof) 110, 175–176 Durando, Giacomo 104 Durando di Villa, Felice 305 Eichhorn, Friedrich 185 Elias, Norbert 34 Elisabeth, Königin von Preußen 95, 425 Epstein, Klaus 30 Ernst August I., König von Hannover 99 Espoz y Mina, Francisco 155 Faà di Bruno, Carlo 438 Fabre, François-Xavier 83 Fantini, Giovanni 306 Farini, Luigi Carlo 325 Ferdinand I., König beider Sizilien 158 Ferrari, Raffaele (Kardinal) 176
Ferrero-Ponziglione, Vincenzo 203–204, 438, 465 Fichte, Johann Gottlieb 85 Fogazzaro, Antonio 421 Fontane, Theodor 149, 166, 230, 311, 401, 469, 472 Foucault, Michel 34 Fransecky, Eduard von 49, 264–265, 338, 472 Fransoni, Luigi (Erzbischof) 50, 122–123, 176, 179, 204, 220 Frantz, Constantin 101–102, 113, 116, 118, 131–133, 144, 194, 234–236, 357, 413, 459–460 Frie, Ewald 27 Friedrich I., Großherzog von Baden 340 Friedrich I., König von Preußen 165 Friedrich II., König von Preußen 95, 185, 242, 260, 265, 281, 311–312, 329, 333–335, 359, 361, 367, 369, 436 Friedrich III., König von Preußen und Deutscher Kaiser 264, 368 Friedrich Franz II., Großherzog von MecklenburgSchwerin 97, 152, 277, 433 Friedrich Karl, Prinz von Preußen 264, 457 Friedrich Wilhelm I., König von Preußen 259–260, 265 Friedrich Wilhelm III., König von Preußen 166, 168, 184–185, 244–245, 290, 315, 370, 386, 416 Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen 10–11, 14, 52, 55, 76–77, 85–90, 92–93, 95, 97–102, 114, 125–126, 145, 164–167, 171, 184–185, 192, 226, 231, 234, 240, 244, 260, 263, 266–267, 271–273, 276–278, 282, 295–296, 340, 350–353, 357–358, 370, 377–378, 387, 407, 411–412, 414, 422, 424–425, 433, 443, 445, 448 Fröbel, Julius 369, 390, 460 Garibaldi, Giuseppe 109, 118, 123, 130, 137–139, 142, 291, 315, 324, 329, 341, 420, 423–424 Gastaldi, Andrea 306 Gattinara, Luigi 62 Gaume, Jean-Joseph 20, 191, 465 Gauvain, Hermann von 229, 385, 446, 460 Gavazzi, Alessandro 317, 472 Gellner, Ernest 31 Gentz, Friedrich von 38–39, 60, 71, 128, 467 Gerlach, Ernst Ludwig von 40, 53, 58–60, 64, 71, 73–74, 86, 91–96, 98, 101–102, 111–116,
Personenregister
118–119, 130–134, 142–144, 165, 168, 170–173, 183, 189, 192–200, 202, 224–226, 229, 231, 234–236, 240, 262–263, 267–270, 279, 282, 297–298, 357, 385, 410, 422–428, 433–436, 441, 445–446, 460–461, 470–471, 473, 478–479 Gerlach, Friedrich von 115 Gerlach, Jakob von 112, 130, 133, 142 Gerlach, Leopold von 52, 86–87, 90, 93, 101, 168, 170, 240, 339–340, 352, 354–355, 445, 473, 478 Gerschenkron, Alexander 12 Gervinus, Georg Gottfried 116 Ghiglini, Lorenzo 75, 344, 416, 419, 430, 480 Ghilardi, Tommaso Giovanni (Bischof) 204–205, 220 Gioberti, Vincenzo 4, 69, 104, 109, 118, 120, 124, 127, 137, 145, 153, 161, 173, 189, 199, 209, 211–213, 217, 319, 374–375, 480 Giorgione (Giorgio da Castelfranco) 323 Giovanni, Luigi di 306 Gneist, Rudolf 359, 362, 366, 467 Gobetti, Piero 24 Görres, Joseph 85, 222, 461 Göschel, Karl Friedrich 192–193, 436, 461, 467 Goethe, Johann Wolfgang von 128–129 Goltz, Robert von der 103, 278, 479 Gonetti, Emanuele 157 Goya, Francisco de 48 Gramley, Hedda 16 Gramsci, Antonio 25 Gregor XVI. (Bartolomeo Alberto Cappellari) 156, 189, 438 Griesheim, Gustav von 71, 96–98, 130, 171, 261–262, 461, 471 Grimm, Wilhelm 54 Groeben, Karl von der 262–264, 358 Groote, Eberhard von 328 Gruner, Justus von 279 Guizot, François 3 Guttaduro, Giovanni (Bischof) 176 Häusser, Ludwig 368 Hahn, Ludwig 382–383, 432, 473 Hahn-Hahn, Ida Marie Luise Gräfin von 20, 129, 187, 222–226, 228–230, 233, 236, 384, 446, 469 Haller, Carl Ludwig von 2, 38, 54, 57–71, 76, 79, 81–84, 86, 105, 107–109, 118, 127, 134,
509
149–151, 160, 168, 172–173, 192–199, 202, 224–226, 234–235, 434, 449, 461, 467, 473 Hambro, Charles 288, 344 Hartmann, Eduard von 411, 422 Hartmann, Julius von 390 Haym, Rudolf 331, 366, 403, 467, 473, 479 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 66, 193–194, 331, 365, 372, 449 Hengstenberg, Ernst Wilhelm 20, 57, 91–92, 118, 168, 191, 193, 234–236, 436, 461, 473 Hensel, Luise 20, 224, 227–230, 233, 384, 469 Heyd, August von der 358 Hirschi, Caspar 28 Hobsbawm, Eric 31, 152 Hofer, Andreas 155 Hoffmann, Karl 117 Hohenzollern, Karl Anton von 354, 406 Holbein, Hans 323 Horn, Georg 75–76 Hroch, Miroslav 15, 30–31 Huber, Victor Aimé 55, 102, 113, 118, 133, 235, 357, 461 Hudson, James 104, 344, 363–364 Huizinga, Johan 303 Ihering, Rudolf von 398 Isola, Giuseppe 322–324, 457 Jansen, Christian 30 Jarcke, Karl Ernst 222 Jean Paul (Johann Paul Friedrich Richter) 239 Johann, Erzherzog von Österreich 96, 385 Johann I., König von Sachsen 52, 89, 422 Kahlert, August 432 Kameke, Georg von 265 Kamptz, Karl Albert von 128 Karl Albert, König von Sardinien-Piemont 10, 104, 108, 121, 125–126, 159, 161–163, 173, 176–177, 179, 185, 202, 219, 241, 246, 248–252, 284, 300–302, 306, 308–309, 325, 335, 373, 391, 394–395, 402, 407, 429, 439, 480 Karl Emanuel IV., König von Sardinien-Piemont 154, 158–159 Karl Felix, König von Sardinien-Piemont 62, 64 Karl Friedrich, Großherzog von Sachsen-Weimar 99
510
Personenregister
Ketteler, Wilhelm Emanuel von 20, 48, 132, 144, 225–228, 236, 439, 461, 467, 479 Kleist, Heinrich von 85 Kleist-Retzow, Hans-Hugo von 424, 435, 461 Knight, Cornelia 80, 474 Kolumbus, Christoph 324 Kondylis, Panajotis 27, 29 Koselleck, Reinhart 5, 7, 35, 47 Kotzebue, August von 59 Kraus, Hans-Christof 28 Kügelgen, Wilhelm 20, 231, 412, 473 La Farina, Giuseppe 381 Lamennais, Félicité de 38, 60, 62, 156, 189, 467 Lancizolle, Carl Wilhelm von 117–118, 275, 462 Langewiesche, Dieter 31, 36 Lanteri, Pio Brunone 61, 209 Lehmann, Johann August 169, 292, 469 Leo, Heinrich 71, 98, 115, 133, 152–153, 189, 192–193, 229, 231, 234–235, 269, 275, 384–385, 420, 436, 446, 462, 471, 473 Leonhard, Jörn 34 Leopardi, Giacomo 82 Leopardi, Monaldo 59–60, 62, 69, 160, 251, 317, 465, 467–468 Leopold II., Großherzog der Toskana und Erzherzog von Österreich 245 Levra, Umberto 31 Liberatore, Matteo 51, 123, 465 Lichnowsky, Felix Fürst von 196 Liguori, Alfonso Maria de 62 Lincoln, Abraham 42, 350 Lope de Vega, Felix 227 Louis Philippe I., König der Franzosen 3 Ludwig I., König von Bayern 309 Ludwig III., Großherzog von Hessen-Darmstadt 98–99 Ludwig XVI., König von Frankreich (ab 1792 Louis Capet) 25, 80 Luhmann, Niklas 1, 34–35 Luise, Königin von Preußen 95, 242, 244, 312 Luther, Martin 57, 127, 153, 172, 189, 192, 435–436 Lyotard, Jean-François 415 Machiavelli, Nicolò 333–334, 373 Maistre, Joseph de 27, 38, 54, 57–65, 68, 71, 76, 79, 81–84, 86, 105–108, 124, 127, 133–134,
149, 160, 168, 197, 209–212, 375, 415, 449, 468 Mameli, Goffredo 303 Mancini, Pasquale Stanislao 4, 372, 468, 472 Mann, Thomas 45 Mannheim, Karl 29 Manno, Giuseppe 175, 179, 374 Manteuffel, Otto Theodor von 279, 282, 353, 388, 473 Manzini, Clemente (Bischof) 202, 204, 472 Manzoni, Alessandro 72, 124, 128, 208, 214–215, 227, 341–342, 375 Manzotti, Luigi 306 Marescalchi, Carlo 318 Margotti, Giacomo (Pseudonym: Giuseppe Mongibello) 20, 49–51, 75, 105–110, 120–124, 136–140, 175–176, 179, 181, 191, 203, 208–209, 220, 231, 236, 300, 325, 374, 419–420, 437–438, 457, 465, 475 Maria Theresia von Österreich-Toskana, Königin von Sardinien-Piemont 181, 212 Martini, Francesco 299 Martorelli, Luigi 246 Marwitz, August Ludwig von 27 Massimino, Giuseppe 62 Mathis, Ludwig Emil 103, 278, 462 Mazzarosa, Antonio 321–322 Mazzini, Giuseppe 45, 74, 105–106, 109, 118, 123–124, 127, 137, 139, 379, 424 Medici di Ottajano, Luigi de 158 Meinecke, Friedrich 31 Menabrea, Luigi Federico 325, 343, 475 Menzel, Adolph von 311, 401 Merckel, Wilhelm 95–96, 261, 462, 469 Mercy-Argenteau, François-Joseph de 180 Mercy-Argenteau, Pauline de 176 Mergel, Thomas 8 Meriggi, Marco 32, 314 Metternich, Klemens Wenzel Lothar Fürst von 26, 39, 60, 71, 414 Meyendorff, Peter von 86, 93, 479 Meyerbeer, Giacomo 128, 385 Micca, Pietro 241–242, 304–307, 321, 329, 456 Middell, Matthias 24, 28 Minutolo, Antonio Capece 62, 464 Miquel, Johannes 381, 398 Mirabeau, Honoré Gabriel Victor de Riqueti comte de 63
Personenregister
Mittermaier, Karl Joseph Anton 359, 362, 366, 479 Moltke, Helmuth von 371, 426, 441, 479 Mommsen, Theodor 369 Montalembert, Charles de 75, 175, 457 Moreno, Luigi (Bischof) 122 Mozart, Wolfgang Amadeus 355 Müller, Adam 160, 224 Münzer, Thomas 153 Napoleon I., Kaiser der Franzosen 10, 25, 56, 85, 148, 154, 158, 194, 213, 244, 261, 284, 318, 328, 333, 384, 396 Napoleon III., Kaiser der Franzosen 52–53, 79, 136, 350, 361, 396, 414, 445 Nathusius, Marie 20, 228–233, 236, 384, 446, 469 Nathusius, Martin 231–232 Nathusius, Philipp von (Vater) 20, 92, 229, 231, 410, 412–413, 446, 473 Nathusius, Philipp von (Sohn) 116, 232, 236, 275, 462 Negrone, Artemisia 109, 321 Niebuhr, Marcus 86–87, 90, 462 Niethammer, Lutz 16 Nietzsche, Friedrich 411 Nikolaus I., Kaiser von Russland 89, 164–165 Novalis (Georg Friedrich Philipp von Hardenberg) 160, 193–194, 432, 479 Oetker, Friedrich 334, 357, 398 Oliver, Heinrich 164 Orsi, Gian Bartolomeo 157 Orsini, Felice 74 Osterhammel, Jürgen 30, 34 Paravia, Pier Alessandro 308 Parenti, Marcantonio 210, 213 Pareto, Lorenzo 324 Paulus von Tarsus 189, 192, 435–436 Peel, Robert 3 Pellico, Silvio 61 Perthes, Clemens Theodor 265, 278, 338–339, 353, 371 Petitti di Roredo, Carlo Ilarione 376 Petruccelli della Gattina, Fernando 217 Petsch, Wilhelm 383, 462 Petzel, Wilhelm 273, 294, 297 Peucker, Eduard von 96
511
Phillips, George P. 222 Piatti, Giulio 307 Pieri, Anna 318 Pius VII. (Luigi Barnaba Niccolò Maria Chiaramonti) 108, 159 Pius IX. (Giovanni Maria Mastai Ferretti) 8, 104, 128, 135, 161–163, 166, 173, 189–191, 208–209, 217, 248, 291, 439 Pocok, John G. A. 32 Pölitz, Heinrich Ludwig 332 Pourtales, Albert von 278 Predari, Francesco 302, 475 Promis, Carlo 159 Promis, Domenico 309 Provana di Collegno, Luigi 62, 309 Provana di Collegno, Margherita 254, 325–326, 344, 475 Puchta, Georg Friedrich 236, 468 Raczyncki, Athanasius Graf 58, 102, 132, 280 Radetzky, Joseph Graf von Radetz 391 Radowitz, Joseph Maria von 4, 14, 76, 87–93, 98–103, 106, 111, 114–117, 130, 133, 143–145, 194, 226–227, 235, 272, 279, 281, 297, 331–332, 340, 350–359, 370–371, 380, 387–389, 396, 400, 422, 424–425, 443, 462, 479 Ranke, Leopold von 365 Raphael, Lutz 34 Raumer, Karl Otto von 93, 231 Rebaudengo, Giuseppe 438 Redern, Friedrich Wilhelm von 68, 75–76, 116, 473 Reif, Heinz 9, 24 Reinhard, Wolfgang 30 Reni, Guido 323 Retallack, James 26–27, 364 Reumont, Alfred von 245 Revel, Adriano Thaon di 200 Revel, Genova Thaon di 201–202, 341 Revel, Ignazio Thaon di 47, 240, 272 Revel, Ottavio Thaon di 40, 68, 177–179, 183, 186, 200–202, 251–253, 257, 271, 287–290, 299–300, 336–337, 340–346, 363–364, 376, 391–396, 408, 429–430, 438, 442, 456, 475 Revel, Paolo Thaon di 346 Riall, Lucy 31, 291, 329 Ricci, Vincenzo 68, 288, 324, 363, 456
512
Personenregister
Ries, Klaus 15 Robespierre, Maximilienne de 365 Robinson, John 67 Rochau, Ludwig August von 379–380, 433, 468 Rößler, Constantin 357 Rogge, Anna 96, 264–265, 339, 360–363, 387, 457 Romentino, Teresa Caccia di 299 Roon, Albrecht von 40, 96, 142, 173, 183, 262–267, 282, 298, 337–340, 344–346, 349–351, 356–357, 360–364, 370–371, 387, 395, 399–401, 410, 426–429, 441, 455, 457, 473, 479 Roon, Waldemar von 338 Rosenberg, Adalbert von 280 Rosmini, Antonio 62, 161, 189, 202, 220, 325, 375, 411 Rossi, Luigi Felice 300 Rossini, Gioacchino 5, 128 Rotenhan, Hermann von 51, 91, 282, 381 Rousseau, Jean Jacques 94 Rovasenda, Giuseppe conte di 437–438 Rubens, Peter Paul 107 Rückert, Friedrich 451 Rüe, Emile de la 344 Ruetz, Bernhard 27 Ruge, Arnold 398 Saint-Martin, Louis-Claude de 63 Salvemini, Gaetano 24 Sanminiatelli, Cosimo Andrea 61 San Pol Gandolfo, Stefano 10, 106–108, 119, 124, 136–137, 465 Saucken-Tarputschen, Ernst von 358 Savigny, Friedrich Carl von 38, 118, 279, 295, 340, 343, 449, 479 Savigny, Karl Friedrich von 52, 58, 102, 132, 199, 269, 279–281, 295, 356–357, 389–390, 410, 426–427, 479 Savigny, Marie von 281, 356 Savio, Olimpia 4, 336, 475 Savoyen, Eugen Prinz von 304 Schede, Hermann 49, 170 Scheele, Carl 229, 231–233, 258, 462 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 85 Schenkendorf, Maximilian von 398 Schill, Ferdinand von 242, 312 Schiller, Friedrich 129 Schlegel, Friedrich 85, 224
Schleiermacher, Friedrich 160, 193 Schleinitz, Alexander von 278, 352, 388, 398 Schleinitz, Julius von 358 Schlöffel, Friedrich Wilhelm 396 Schlögl, Rudolf 34 Schmettau, Hermann von 170, 184, 462, 473 Schmoller, Gustav 365 Schneider, Ludwig „Louis“ 266, 311 Schopenhauer, Arthur 411, 422 Schulenburg, Anna Caroline von 281 Schweinitz, Hans Lothar von 263–264, 473, 479 Schwentker, Wolfgang 7, 28 Sclopis, Federico 179, 309, 341–343, 372, 374, 430, 456, 475 Ségur, Louis Gaston Adrien de 20, 191 Sellin, Volker 29 Senfft von Pilsach, Ernst 152, 433, 435 Siccardi, Giuseppe 372 Siemann, Wolfram 26 Skinner, Quentin 32 Solaro della Margarita, Clemente 40, 51, 57, 60, 64, 73–75, 84, 104, 106–111, 120, 125–126, 130, 136, 139–141, 176–183, 196, 199–205, 212, 219–220, 236, 240, 245, 253–257, 287, 308, 310, 316, 325, 416–419, 423, 429, 431, 437–438, 441, 455–457, 465–466, 468, 480 Solaro della Margarita, Eleonora 202, 219 Sonnaz, Alfonso de 286–287 Spielhagen, Friedrich 366 Spitalieri di Cessole, Sabina 419 Spitzemberg, Hildegard von 4–5, 386, 473 Stahl, Friedrich Julius 38, 40, 47–51, 55, 59–60, 64, 70–71, 90–91, 96, 109, 113, 117–119, 133, 168, 170, 191–193, 229, 231, 235–236, 262, 275, 279, 282, 340, 380–381, 438, 446, 449, 462, 468, 471, 479 Steinmann, Friedrich Arnold 273, 292, 462 Steinmetz, Willibald 34 Stites, Richard 26 Stockhausen, August von 261–262, 264 Stolberg-Gedern, Luise Gräfin von Albany 80 Straß, Karl Friedrich 98, 462–463 Sybel, Heinrich von 368 Sydow, Karl Leopold Adolf von 147, 316, 380–381, 463, 471 Tacitus, Publius Cornelius 275 Tadini, Ercole Oldofreddi 325
Personenregister
Talleyrand-Périgord, Charles-Maurice de 414 Taubert, Agnes 411, 421–422, 463 Telemann, Georg Philipp 188 Thadden-Trieglaff, Adolf von 49, 112, 115, 133, 170, 196, 434–435 Theremin, Franz 20, 191–193, 233, 436–437, 468, 471 Thiersch, Johann Bernhard 244, 273, 292–293, 297 Tholuck, August 20, 191, 235, 468, 471 Tilly, Charles 36 Tintoretto, Jacopo 323 Tizian (Tiziano Vecellio) 323 Tobia, Bruno 31–32 Tolstoi, Leo 411 Tommaseo, Niccolò 375 Tommasi, Donato 158 Tonso, Prospero 156 Torre, Pietro 192 Treitschke, Heinrich von 270, 368, 379, 398 Twesten, Karl 369 Uhden, Hermann Ferdinand von 207, 223, 463 Ullmann, Hans-Peter 12 Umberto II., König von Italien 346 Usedom, Guido von 278, 387 Valerio, Lorenzo 104, 254, 480 Van Dyck, Anthonis 107 Ventura, Gioacchino 72, 438 Verdi, Giuseppe 15, 414 Vergani, Paolo 61, 468 Veronese, Paolo 323 Veuillot, Louis 19, 104, 191 Victoria von Großbritannien und Irland, Königin von Preußen und Deutsche Kaiserin 278
513
Vieusseux, Pietro 216 Viktor Amadeus II., König von Sardinien-Piemont 306, 393 Viktor Amadeus III., König von SardinienPiemont 25 Viktor Emanuel I., König von Sardinien-Piemont 157–159, 241, 319, 447 Viktor Emanuel II., König von Sardinien-Piemont (ab 1861 König von Italien) 49, 51–53, 115, 121, 124–125, 130, 137–139, 177, 182, 201, 220, 223, 250, 253, 284, 291, 300, 324, 336, 341, 407, 414, 421, 429–430, 439 Viry, Carlo de 286–287 Vogel, Carl Christian 64 Voltaire (François-Marie Arouet) 63, 334 Voß, Maria Augusta Gräfin von 352 Wagener, Hermann 49, 51–52, 78, 101, 116, 131, 168, 171, 267, 275, 295–296, 385, 390, 399, 463, 471, 474 Wagner, Richard 194 Waitz, Georg 368 Waldeck, Franz 398 Warburg, Aby 76 Werner, Anton von 362, 401–402 White, Hayden 415 Wilhelm I., König von Preußen und Deutscher Kaiser 4, 53, 88–90, 97–99, 130–131, 231, 233, 263, 266, 340, 354, 357–360, 362, 389–390, 396–397, 401, 406–407, 414, 435 Wilhelm I., König von Württemberg 309 Wilhelm II., König von Preußen und Deutscher Kaiser 402 Windthorst, Ludwig 199 Wiseman, Nicholas (Kardinal) 222–223 Wordsworth, William 449 Zamoyski, Adam 54 Zoffany, Johann 48
Ortsregister
Ortsregister
(ohne Deutschland, Europa, Italien, Piemont und Preußen) Adige (Etsch) 256 Alessandria 156 Amerika 117, 369, 399 Amsterdam 334 Annecy 104, 438 Antwerpen 63 Asien 34 Asti 80 Baden 100, 340 Baden-Baden 356, 359 Barcelona 63, 123 Bayern 155, 296, 309 Belgien 30, 156, 211, 216 Berlin 4–5, 47–49, 51, 55, 58, 64, 68, 70, 77–78, 95, 116, 118, 129, 153, 160, 167, 192–193, 195, 224, 235, 266, 281, 292, 297–298, 300, 311, 314, 328, 345, 386, 433, 436, 449, 451 Bologna 212–213 Borgomanero 254, 256 Brandenburg (Preußische Provinz) 149, 195, 267 Brandenburg an der Havel 167 Brasilien 155 Breslau 226 Brüssel 63–64, 121, 216 Cagliari 63 Chambéry 63–64, 220, 457 Dänemark 264, 298 Den Haag 63 Dublin 62 Düsseldorf 295 Emilia-Romagna 50, 421 Erfurt 90, 92, 100, 192, 297, 352, 455 Évreux 220, 457 Faenza 62 Ferrara 212–213 Florenz 63, 82, 245, 307, 310, 318, 341–342, 419 Foligno 212–213 Fossombrone 212–213
Frankfurt a. M. 63, 87, 96, 98–102, 114, 167, 196, 226, 262, 281, 297, 354, 356, 381, 396 Frankreich 6, 28, 54, 60, 63, 65–66, 79, 81, 84–85, 90–91, 93, 113, 123, 129, 137–138, 148, 154, 169, 210–211, 216, 227, 264, 298, 318, 341, 347, 350, 361 Gaeta 161 Genua 82, 104, 107–109, 121, 124, 174, 176, 220–221, 302, 314, 317–326, 408, 419, 438, 455–457 Großbritannien und England 3, 7, 12, 30, 34, 123, 211, 227, 238 Hannover 99, 296 Heidelberg 328 Imola 60, 63 Isonzo 256 Jena 261, 354 Kalabrien 155 Karlsbad 386 Karlsruhe 279 Kirchenstaat 60, 110, 124, 136 Koblenz 25, 97, 315, 358, 389 Köln 98, 221–222, 295, 314–315, 328 Königgrätz 298, 390 Königsberg 377 Krakau 63 Krimhalbinsel 264, 285, 299, 340, 353, 372 Lantosca 251, 456 La Spezia 326–327 Lausanne 63 Leipzig 24, 94, 188, 215, 368 Ligurien 50, 107–108, 249, 314–324, 326– 327 Löwen 63 Lombardei 32, 120–121, 145, 215, 286, 335 London 58, 63, 67, 81–82, 88, 121, 123, 263, 288, 344 Lucca 62, 81–82, 321
Ortsregister
Luxemburg 155 Luzern 68 Lyon 63–64 Madrid 63, 102, 216, 280, 318 Magdeburg 194, 229 Mailand 13, 188, 212–213, 215–216, 241 Mainz 48, 132, 144, 222, 227–228, 439 Marken 50 Modena 60 Moncalieri 121, 187, 284 Neapel 5, 50, 60, 62–63, 107, 158, 188, 212, 215–216, 288, 421 Niederlande 30, 63, 85, 211, 227 Nizza 123, 136–138, 175, 251, 341 Norwegen 30 Novara 104, 120–121, 137, 220, 250, 284, 324, 392, 457 Nürnberg 188 Österreich (Habsburgermonarchie) 12, 19, 39, 60, 65, 72, 81, 86, 89, 96, 100, 102, 104, 107, 114, 137–138, 141, 163–164, 214, 227, 238, 241, 249, 264, 284, 290, 321, 351, 361, 368–370, 376, 385, 390–391, 397, 424–425 Orleans 110, 175, 220, 457 Palermo 212–213, 215–216 Paris 58, 63–64, 96, 108–109, 121, 123, 129, 174, 215–216, 220, 279, 318–319, 324–326, 361 Parma 204–205 Petersburg 63–64, 318, 354–355 Pisa 82 Plombières 136 Polen 63, 104, 156, 222, 227, 237 Pommern 267, 292, 359 Portugal 152, 155, 211, 216 Posen 222 Posen (Preußische Provinz) 267 Racconigi 309 Ravenna 220 Regensburg 62, 191, 216 Rhein 79, 85–86, 328, 361, 432 Rheinland (Rheinbund, Preußische Rheinprovinz) 155, 222, 259, 272, 295, 314–315, 328, 384, 386, 424, 435
515
Rom 70, 82, 110, 125, 136, 139, 161, 188–191, 210, 212, 343, 374, 455 Russland (Zarenreich) 12, 79, 102, 156, 163–165, 238, 285 Saarbrücken 362 Sachsen 52, 60, 89, 99, 101, 229, 263, 267, 296, 368 Sagliano Micca 307 Saluzzo 254 San Quirico 254 Sardinien 47, 63, 157, 255 Savona 108 Savoyen 27, 63, 108, 123, 136–138, 291, 300, 341, 394, 402 Schleswig-Holstein 130, 259, 264, 425 Schweiz 30, 45, 57–58, 60, 65, 264 Sedan 298, 400 Sizilien 50, 60, 121, 158, 421 Sospello 254 Spanien 60, 63, 65–66, 123, 154–155, 158, 211, 216, 304, 406, 419 Spielberg 72 Stettin 359 Süddeutschland 5, 65, 155, 195, 259, 264, 379, 387, 396, 405–406 Süditalien 4, 155, 201 Superga 159, 374 Susa 254 Tilsit 259 Tirol 155 Toskana 50, 82, 245, 318, 321, 421 Tripolis 110, 220, 457 Turin 4, 25, 50, 55, 57, 60–63, 67, 70, 72, 82, 104, 120–123, 129, 153–154, 157–160, 162–163, 176–177, 179, 186, 188, 201, 204, 209, 211–212, 215–216, 220, 241, 247, 251, 254, 278, 299, 301–304, 307–309, 314, 319, 323–324, 328, 341–343, 345–346, 372, 419, 449, 451, 455–456 Umbrien 50, 421 Ungarn 227, 264 Valencia 63 Varazze 254 Vendée 154
516
Ortsregister
Versailles 5, 340, 361–362, 406, 425, 427 Villanova 254 Warschau 156 Wartburg 59, 128
Westphalen 295, 384 Wien 54, 58, 102, 108, 110, 123, 164, 221, 263, 288, 318–319, 325, 386 Württemberg 5, 100, 296, 309 Wuppertal 232