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German Pages 255 Year 2009
Katrin Dennerlein Narratologie des Raumes
Narratologia Contributions to Narrative Theory
Edited by Fotis Jannidis, Matı´as Martı´nez, John Pier Wolf Schmid (executive editor) Editorial Board Catherine Emmott, Monika Fludernik ´ Jose´ Angel Garcı´a Landa, Peter Hühn, Manfred Jahn Andreas Kablitz, Uri Margolin, Jan Christoph Meister Ansgar Nünning, Marie-Laure Ryan Jean-Marie Schaeffer, Michael Scheffel Sabine Schlickers, Jörg Schönert
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De Gruyter · Berlin · New York
Katrin Dennerlein
Narratologie des Raumes
De Gruyter · Berlin · New York
앝 Gedruckt auf säurefreiem Papier, 앪 das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
ISBN 978-3-11-021991-3 ISSN 1612-8427 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. 쑔 Copyright 2009 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, 10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Druck und buchbinderische Verarbeitung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen
Vorwort Die vorliegende Studie entstand in den Jahren 2004-2008 und wurde im Dezember 2008 an der TU Darmstadt als Dissertation angenommen. Nach diesem Termin erschienene Forschungsliteratur wurde nur noch in Einzelfällen berücksichtigt. Mein Dank gilt an erster Stelle meinen Eltern Elisabeth und Bernd-Dieter Fischer für die Selbstverständlichkeit, mit der sie mein Studium unterstützt haben. Für sein konstruktives Gutachten möchte ich Jörg Schönert danken. Besonderer Dank gilt Fotis Jannidis, der das Projekt betreut hat und mir mit seiner gründlichen Lektüre und analytischen Kompetenz ein anspornendes Gegenüber war. Für kritisches Gegenlesen und Unterstützung bei den Manuskriptkorrekturen danke ich Christine Knoop, Karo Hornik, und vor allem Elisabeth und Bernd-Dieter Fischer und Jessica Seiler. Das Buch ist meinen Mann, Michael Dennerlein, gewidmet. Würzburg, im August 2009 Katrin Dennerlein
Inhaltsverzeichnis Vorwort ....................................................................................V 1 Einleitung .............................................................................1 2 Forschungsbericht .............................................................. 13 2.1 2.2 2.3 2.4
Frühe Erzählforschung......................................................... 15 Strukturalismus..................................................................... 23 Einführungen und Monographien ....................................... 37 Zusammenfassung der Forschungslage, Desiderate.............. 44
3 Der konkrete Raum der erzählten Welt ............................. 48
3.1 Diskussion prominenter Raumkonzepte ............................. 50 3.2 Exkurs: Die Alltagsvorstellung von Raum und ihre evolutionspsychologischen Grundlagen............................... 59 3.3 Raum der erzählten Welt ..................................................... 67 3.4 Zusammenfassung................................................................. 70
4 Narrative Erzeugung von Raum......................................... 73 4.1 4.2 4.3 4.4
Raumreferentielle Ausdrücke............................................... 75 Narrative Kommunikation .................................................. 84 Inferenzen auf Raum ............................................................ 91 Zusammenfassung................................................................. 96
5.1 5.2 5.3 5.4
Bisherige Forschung ............................................................. 99 Das mentale Modell als Karte? ............................................106 Strukturen des mentalen Modells........................................111 Zusammenfassung................................................................113
5 Das mentale Modell des Raumes......................................... 99
6 Darstellungstechniken ...................................................... 115
6.1 Raum erzählen.....................................................................119 6.1.1 Bisherige Forschung....................................................119 6.1.2 Ereignisregionen und Bewegungsbereiche..................122 6.1.3 Schauplätze..................................................................127 6.2 Raum beschreiben ...............................................................132 6.2.1 Definition Raumbeschreibung....................................134 6.2.2 Raumwahrnehmung erzählen.....................................143
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Inhaltsverzeichnis
6.2.3 Erzähltechniken der Raumwahrnehmung..................148 6.2.3.1. Position der Wahrnehmungsinstanz.......................150 6.2.3.2 Mobilität der Wahrnehmungsinstanz ......................153 6.2.3.3 Abfolge.....................................................................155 6.3 Zusammenfassung................................................................160
7 Raum als Element der erzählten Welt .............................. 164 7.1 7.2 7.3 7.4 7.5
Nicht-raumbezogene Klassifikationsparameter...................164 Physische Eigenschaften ......................................................172 Raummodelle.......................................................................178 Raumstrukturen ..................................................................189 Zusammenfassung................................................................193
8 Überblick über die entwickelte Terminologie.................. 196 9 Fazit .................................................................................. 203 Anhang .................................................................................. 206
Abbildung 1: Raum der erzählten Welt .....................................206 Abbildung 2: Darstellungstechniken ..........................................207 Tabelle 1: Raumreferentielle Bezeichnungen im Deutschen......208 Tabelle 2: Raumreferentielle Ausdrücke zur Bezeichnung des konkreten Raumes der erzählten Welt................................209 Tabelle 3: Übersicht über die im Forschungsbericht ausgewerteten Ansätze................................................................210
Literaturverzeichnis ............................................................... 219
Quellen .......................................................................................219 Raumnarratologie .......................................................................221 Weitere Forschungsliteratur .......................................................223
Glossar ................................................................................... 237 Namensregister ...................................................................... 242
1 Einleitung Räumliche Phänomene sind oftmals zentral für Erzähltexte. Man denke z. B. an die Rolle Berlins für Berlin Alexanderplatz, das Venedig der Donna Leon-Krimis, Mittelerde im Herrn der Ringe oder die Insel, auf der Robinson Crusoe lebt. Aus nicht-literaturwissenschaftlicher Perspektive steht vor allem die Frage nach der Beziehung zwischen räumlichen Gegebenheiten fiktionaler Texte und realen räumlichen Gegebenheiten im Zentrum des Interesses.1 Auch in der literaturwissenschaftlichen Erzählforschung beschäftigt man sich schon lange mit dem Raum in Erzähltexten wie die Forschungsfelder zur Großstadtli-
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Die Tradition der Literaturatlanten, deren erster bereits 1907 erschien und auf den deutschen Sprachraum beschränkt ist, zeigt dies auf eindrückliche Weise (Nagel 1907): Der zur Zeit recht populäre Atlas of Literature von Bradbury ist nach Epochen gegliedert und dort nach Schauplätzen (Bradbury 1996). In Kapitel sechs „The Modern World“ gibt es Unterkapitel zu Wien, Prag, Dublin, Paris, Bloomsbury und Berlin. Wohnorte, Wirkungsstätten und Treffpunkte von Schriftstellern sowie auch die Schauplätze ihrer Texte werden auf Karten abgebildet. Im Dictionary of Imaginary Places werden hingegen nur solche Schauplätze aufgezählt, die kein realweltliches Äquivalent haben und die in diesem Sinne imaginär sind (Manguel/Guadalupi 2000). Eine Zusammenstellung fiktiver Architektur in literarischen Texten mit Hinweisen auf Rückwirkungen von literarischen Raumentwürfen auf die Lebenswelt bietet der Band zur gleichnamigen Ausstellung im Architekturmuseum der TU München in der Pinakothek der Moderne Architektur wie sie im Buche steht (Nerdinger 2006). Man findet dort z. B. Einträge zur Insel Felsenburg aus Schnabels Wunderliche FATA einiger SeeFahrer, zu Karl Mays Dschinnistan oder zu Kafkas Strafkolonie. Reale räumliche Gegebenheiten dienen aber nicht nur als Vorlage für die Gestaltung von Schauplätzen oder als Kontrastfolie für erdachte Orte in literarischen Texten, sondern sie werden auch umgekehrt nach den Inhalten literarischer Texte umgestaltet. Die Spreegasse, die als Vorlage für Raabes Roman Chronik der Sperlingsgasse diente, wurde beispielsweise 1931 tatsächlich in „Sperlingsgasse“ umbenannt. Ein weiteres Beispiel, bei dem die bestehende Struktur weit mehr betroffen ist, ist die Umgestaltung von Stratford-uponAvon durch die Heritageindustry zu einer Stadt Shakespeares und der Schauplätze seiner Dramen, wie sie nie existiert haben. In jüngster Zeit lässt sich auch ein Boom an literarischen Reisführern finden, die z. B. Paris, London, Wien oder Berlin nach Schauplätzen der Literatur erschließen – und damit das Image der Städte im Sinne der erzählten Welten prägen.
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1 Einleitung
teratur2, zur Landschaft3 oder zum Reisebericht4 belegen. Das Interesse ist dabei allerdings keineswegs auf Schauplätze beschränkt.5 Phänomene wie die Distanz zwischen Figuren, die Charakterisierung von Figuren durch ihnen zugeordnete räumliche Gegebenheiten, die Symbolisierung der Handlung durch räumliche Phänomene, Raumbeschreibungen und Topoi wie der locus amoenus oder einzelne Elemente wie Weg, Grenze6 oder Horizont7 stellen nur eine kleine Auswahl an Untersuchungsgegenständen dar, die im Rahmen der Beschäftigung mit räumlichen Phänomenen in Erzähltexten untersucht werden. Ein eigenes Gebiet stellt außerdem die Literaturgeographie dar, die in der jüngst erschienen Literaturgeographie von Piatti einen Systematisierungsschub erfahren hat.8 _____________ 2
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Für die Großstadtdarstellung des 18. und 19. Jahrhunderts ist noch immer die Überblicksdarstellung von Brüggemann einschlägig (Brüggemann 1985). Eine Studie, die sich auf die Wahrnehmung von Großstädten konzentriert, bietet Hauser (Hauser 1990). Eine kulturwissenschaftliche Kontextualisierung der Großstadtwahrnehmung in der deutschen Literatur zu Beginn des 20. Jahrhunderts findet sich bei Becker (Becker 1993). Literaturgeschichten der Großstadt wurden beispielsweise von Mahler, Smuda und Corbineau-Hoffmann geschrieben (Mahler 1999, Smuda 1992, Corbineau-Hoffmann 2003). Als Klassiker gilt noch immer Lobsien (Lobsien 1981). Zum Vergleich der ästhetisierten Landschaftsdarstellung in ihrem Verhältnis zur sozialen Wirklichkeit im 17. Jahrhundert hat Turner gearbeitet, zur Bedeutung von Landschaft und Wetter Kullmann und zur Verknüpfung von Landschaft und Gedächtnis Appleton (Turner 1979, Kullmann 1995, Appleton 1995). Für die neuere, evolutionsbiologisch orientierte Forschung vgl. Orians/Heerwagen, die versuchen, die Vorliebe für bestimmte Landschaftselemente biologisch zu begründen, sowie Love und Garrad, die diese Ergebnisse bei der Analyse literarischer Landschaftsdarstellungen anwenden (Orians/Heerwagen 1992, Love 2003, Garrad 2004). Für die germanistische Literaturwissenschaft vgl. z. B. die Forschungsberichte bei Brenner und Mills (Brenner 1990, Mills 1991). In jüngster Zeit dann Beloschnitschenko zu deutschsprachigen Pilger- und Reiseberichten des 15. und 16. Jahrhunderts, Preuss zum deutschen Reisebericht von der Aufklärung bis zum 20. Jahrhundert und Brenner zu Reiseberichten rund um das Jahr 2000 (Beloschnitschenko 2004, Preuss 2001, Brenner 2003). Zur Gattungsdiskussion vgl. z. B. Meier 1999 und Zimmermann 2002. Das Interesse an Schauplätzen erfreut sich allerdings konstant großer Beliebtheit. Das belegen die in Fn 1 erwähnten Atlanten und Darstellungen wie die von Frick oder Weigel, in denen sich auch Hinweise auf die umfangreiche ältere Forschung finden (Frick 2002, Weigel 2004). Faber 1995; eine theoretische Diskussion des Konzepts der Grenze bieten darin Wokart und Reif-Hülser – Letztere aus postkolonialer Perspektive (Wokart 1995, Reif-Hülser 1999). Koschorke 1990. Piatti 2008. Piatti konzeptualisiert die Frage nach der topographischen Referentialisierbarkeit von literarischen Texten auf drei Ebenen: ausgehend von Einzeltexten,
1 Einleitung
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Die narratologische Beschäftigung mit dem Raum hinkt gegenüber diesem regen literaturwissenschaftlichen Interesse hinterher. Die letzte Monographie zur Narratologie des Raumes stammt von 1983.9 Beiträge, die über die Beobachtung von Einzelphänomenen oder -themen hinaus die Spezifika narrativer Raumgestaltung herausarbeiten, sind insgesamt rar und schließen kaum aneinander an. Arbeiten, welche die unterschiedlichen Raumbegriffe vergleichend auswerten, die Untersuchungsinteressen bündeln und präzise formulieren, fehlen. Auch Klassiker der Erzähltheorie bieten keine oder nur rudimentäre Überlegungen zum Raum, und es entsteht hier, konträr zur Praxis der Erzähltextanalyse und -interpretation, der Eindruck, räumliche Phänomene spielten keine besondere Rolle für Erzähltexte.10 Berücksichtigt man zudem die Aufnahme des Themas ‚Raum‘ in Fachlexika als Indikator für die Popularität dieses Forschungsthemas, so stellt man fest, dass ‚Raum‘ im Forschungsfeld der Narratologie lange Zeit ein Stiefkind war und erst in den letzten fünf Jahren Eingang in die Fachlexika gefunden hat bzw. ausführlicher behandelt wird.11 Bei der Angabe der Forschungstitel gibt es kaum Überschneidungen, und die Klage über das Fehlen einer umfassenden Systematik zu Raum im Erzähltext ist zum Topos geworden.12 _____________
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ausgehend von real existierenden Regionen und einem dazugehörigen Textkorpus und ausgehend von Literaturgeschichten und Nachschlagewerken. Sie diskutiert auch die literaturgeographischen Ansätze von Miller, Moretti und Ungern-Sternberg (Miller 1995, Moretti 1999, 2005, Ungern-Sternberg 2003). Van Baak 1983. Vgl. auch den Forschungsbericht in Kapitel 2. Kein eigenes Kapitel zum Raum enthalten z. B. die folgenden narratologischen Schriften: Forster 1927, Lämmert 1955, Koskimies 1966, Scholes/Kellogg 1966 (auch nicht die zweite Auflage von 2006), Behrmann 1967, Haubrichs 1976, 1977, 1978, Rimmon-Kenan 1983, Petersen 1993, Phelan 1996, Onega/Landa 1996, Bauer 1997 (auch nicht die zweite, aktualisierte Auflage von 2005), Weber 1998, Martinez/Scheffel 1999, Abbott 2002, Keen 2003, Schneider 2003, Hühn/Pier/Schmid/Schönert 2009. Zu Einführungen und Monographien, die dem Raum ein eigenes Kapitel widmen vgl. Kapitel 2.3. Lediglich in Princes Dictionary of Narratology gibt es schon 1987 einen sehr kurzen Eintrag zu space, der in der Auflage von 2003 allerdings nur um den Hinweis auf die Arbeiten von Herman und Ronen erweitert wurde (Prince 1987, Prince 2003, Herman 2002, Ronen 1986). In das Metzler Lexikon Literaturtheorie fand der Begriff in der dritten Auflage Eingang und wurde in der vierten Auflage von 2008 nur um einen Literaturhinweis zu einer Spezialstudie ergänzt (Nünning 2004, Nünning 2008). Ein längerer Artikel findet sich auch in der erstmals 2004 erschienen Routledge Encyclopedia of Narrative Theory (Buchholz/Jahn 2004). Vgl. z. B. Würzbach 2001: 105-108, Buchholz/Jahn 2004: 551; Nünning 2004: 558 und Nünning 2008: 604.
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Die Vernachlässigung des Raumes in der Narratologie hat sicher zum einen damit zu tun, dass man sich in der Narratologie zunächst mit der Gestaltung der Geschichte als zeitlicher und kausaler Abfolge von Ereignissen und ihrer Vermittlung beschäftigt hat.13 Genette, dessen Discours du récit von 1972 zu den am häufigsten zitierten und verwendeten kodifizierten Schriften der Narratologie gehört, hat z. B. den Geltungsbereich der Narratologie auf die Untersuchung von Ereignissen beschränkt und dann die Aspekte ihrer Vermittlung ins Zentrum seiner Überlegungen gestellt.14 Da der Raum in einem schriftlichen Erzähltext kein Parameter der Vermittlung der Geschichte ist, blieb er so außen vor. Auch als man sich in der Narratologie mehr und mehr der Systematisierung der Inhalte des Erzählens widmete, kam der Raum nur vereinzelt in den Blick, obwohl er als Kategorie der erzählten Welt strukturell die gleiche Relevanz hat wie die erzählte Zeit.15 Ebenso wie Ereignisse zu einem bestimmten Zeitpunkt stattfinden, sind sie auch an einem Ort lokalisiert. Die Palette der Ausgestaltung des Raumes reicht von Nichterwähnung über generische Angaben über die Determination von Geschehnissen, Lebensbedingungen und Figureneigenschaften durch den Raum bis zu symbolisierender Verdoppelung einzelner Aspekte der erzählten Welt. In dieser Vielfalt lässt sich der Raum der erzählten Welt wesentlich schwieriger systematisieren als die Zeit. Ein weiterer Grund für eine fehlende Konzeptualisierung von Raum in der Narratologie scheint mir das Fehlen einer basalen Definition von ‚Raum‘ zu sein, mit deren Hilfe sich die vereinzelten er_____________ 13
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Als Grund für die Vernachlässigung des Raumes in der Literaturwissenschaft wird oftmals die Wirkungsmächtigkeit von Lessings Forderung angeführt, die Literatur solle sich auf die Darstellung von Handlung konzentrieren und die Darstellung von gleichzeitig Existierendem wie eben dem Raum vermeiden (vgl. Laokoon: 114 f.). Diese These müsste getrennt für einzelne Perioden der Wissenschaftsgeschichte des Faches geprüft werden. Für die Erzählforschung nach 1960 scheinen mir allerdings eher die gerade geäußerten Gründe für die stiefmütterliche Behandlung des Raumes die ausschlaggebenden zu sein. „In einem ersten Sinn [...] bezeichnet Erzählung die narrative Aussage, den mündlichen oder schriftlichen Diskurs, der von einem Ereignis oder einer Reihe von Ereignissen berichtet.“ (Genette 1994: 15) Zur Prominenz von Genettes Ansatz vgl. auch die Untersuchung zu kodifizierten Texten der Narratologie der Forschergruppe Narratologie an der Universität Hamburg (Cornils/Schernus/Schönert/Warda 2003). In der Auseinandersetzung mit der Possible-Worlds-Debatte aus der Philosophie wurde die Fokussierung der Narratologie auf das Ereignis zugunsten einer Theorie narrativer Welten aufgegeben (vgl. Doležel 1998: 31). Zur Unterscheidung von erzählter Zeit und Erzählzeit vgl. grundlegend Müller 1968. Genettes Ausgestaltung dieser Unterscheidung findet sich in Genette 1994: 21-114.
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zähltheoretischen Überlegungen zu demselben in ein gemeinsames Modell integrieren lassen. Unter der Bezeichnung „Raum“ werden in Bezug auf Erzähltexte so verschiedene Phänomene verstanden wie z. B. der Gedächtnisraum als Raum, den die Informationen zu einem Text im Kopf eines Lesers beanspruchen, der Raum, den die Buchstaben auf dem Papier einnehmen, die Menge aller physisch-konkreten und semantisch-übertragenen räumlichen Relationen, die geographischen bzw. topographischen Gegebenheiten eines Textes oder der ‚erlebte Raum‘. Als erstes zentrales Problem einer Narratologie des Raumes stellt sich folglich die Suche nach einem Raumkonzept dar. Um einen klar abgegrenzten Gegenstandsbereich zu erhalten, werde ich mich in der vorliegenden Studie auf den konkreten Raum der erzählten Welt von Erzähltexten beschränken. Fasst man ‚Raum‘ beispielsweise abstrakt als Gleichzeitigkeit und lässt somit eine nicht-konkrete, metaphorische Begriffsverwendung zu, so müssen viele heterogene Aspekte der erzählten Welt berücksichtigt werden, die diesen Eindruck hervorrufen. Zu denken wäre hier beispielsweise an Formen der Handlungsmotivation und -verknüpfung oder Formen der Gedankenwiedergabe.16 Ob eine solche Ausweitung des Gegenstandsbereichs sinnvoll und ergiebig ist, kann meiner Meinung nach erst im Anschluss an eine Systematisierung der Phänomene des konkreten Raumes gefragt werden. In den letzten Jahren hat in den Geistes- und Sozialwissenschaften unter dem Stichwort spatial turn eine Hinwendung zum Raum stattgefunden. Die Hoffnung, aus den Arbeiten im Rahmen des spatial turn könnte sich auch ein neuer Impuls für eine Narratologie des Raumes ergeben, ist daher nahe liegend. Ich möchte kurz zeigen, warum für eine Narratologie des Raumes kein direkter Anschluss an dort entwickelte Raumkonzepte und Zugangsweisen möglich ist und dabei auch das Verhältnis der vorliegenden Arbeit zu den verschiedenen Richtungen des spatial turn verdeutlichen. Was unter dem spatial turn zu verstehen ist, wird ganz unterschiedlich ausgelegt. Von einer „gesteigerten Aufmerksamkeit auf die räumliche Seite der geschichtlichen Welt“ bis hin zu einem grundlegenden Paradigmenwechsel, in dem Fragestellungen und Methoden von Raumkonzepten her gefasst werden, findet sich ein breites Spekt_____________ 16
Zu einer Auseinandersetzung mit Ansätzen, die eine solche Ausweitung des Raumkonzepts vornehmen vgl. den Beginn von Kapitel 3.
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rum.17 Während man sich in der Moderne auf die Zeit beschränkt habe, sei die Postmoderne eine Epoche des Raumes, so die stärkste These in diesem Zusammenhang.18 Die Wurzeln des spatial turn liegen in der Humangeographie und der Soziologie. In diesen Disziplinen werden seit den 1980er Jahren verstärkt das territoriale Substanzdenken und die damit verbundenen Determinismen und Machtansprüche kritisiert.19 Die Stoßrichtung des spatial turn im ursprünglichen Sinn ist damit eine politisch-kritische und konfligiert mit dem narratologischen Ideal einer möglichst wertfreien Beschreibung und Analyse. Zehn Jahre später versuchen neuere Publikationen die bis dato vernachlässigte theoretische Konzeptualisierung der kulturellen, sozialen und medialen Konstitution von Raum nachzuholen.20 Dabei können _____________
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Schlögel 2003: 68. Als Beleg für diese Tendenz wird zumeist auf ein Zitat aus Foucaults Text Des espaces autres von 1967 verwiesen: „Die große Obsession des 19. Jahrhunderts war bekanntlich die Geschichte [...]. Unsere Zeit ließe sich dagegen als Zeitalter des Raumes begreifen.“ (Foucault 2006: 317). Während Foucault aber wohl nur auf eine Veränderung des Geschichtsverständnisses abzielt, wird seine Aussage gerne im oben erwähnten Sinn verallgemeinert. Der Ausdruck spatial turn zirkuliert seit Sojas Postmodern Geographies, die Wirksamkeit des spatial turn als wissenschaftliches Paradigma wird aber zumeist erst mit Sojas Buch Thirdspace angesetzt (Soja 1989, 1996, einen Überblick über die Wort- und Begriffsgeschichte geben Döring/Thielmann 2008: 7-45). In der deutschen Diskussion führt Schlögels Buch Im Raume lesen wir die Zeit zu einem weiteren Popularitätsschub der Bezeichnung (Schlögel 2003). Seit 1996 sind einige literatur- bzw. kulturwissenschaftliche Sammelbände zum spatial turn erschienen. Hier seien nur diejenigen genannt, in denen literarische Texte den Schwerpunkt bilden: Reichert 1996; Lange 2001; Dünne/Doetsch/Lüdeke 2004; Hofmann/Lazaris/Sennewald 2004; Borsò/Görling 2004; Maier/Wolf 2004; Böhme 2005; Stockhammer 2005; Günzel 2007a, Schindl 2007. Rezensionen ausgewählter Sammelbände: Dünne 2006, Dünne 2008b und Jureit 2008. Einen guten Überblick über Ansätze im Rahmen des spatial turn und eine differenzierte Diskussion bietet der Sammelband von Döring/Thielmann (Döring/Thielmann 2008). Unter (29.09.09) findet man Ankündigungen von Tagungen, Veranstaltungsreihen und Neuerscheinungen zur Raumtheorie in den Kulturwissenschaften, der Architektur und der Geographie seit 2004. Dünne und Günzel möchten mit ihrem Reader zur Raumtheorie die Reflexion über die Herkunft von Raumbegriffen und Überlegungen zu einer eigenständigen Modellierung von kultureller, sozialer und ästhetischer Räumlichkeit anstoßen (vgl. Dünne/Günzel 2006: 12). Sie präsentieren eine Auswahl an Grundlagentexten aus Philosophie, Naturwissenschaften, Phänomenologie, Anthropologie, Medienwissenschaften, Psychoanalyse, Sozialwissenschaften, Geographie, Politik, Architektur, Theater-, Film- und Literaturwissenschaft und betonen die deutschen und französischen Wurzeln des spatial turn, die ihrer Meinung nach in der angelsächsisch geprägten Debatte unterbelichtet sind (vgl. Dünne/Günzel 2006: 13). Am selben Problem setzt der Band von Günzel an, in dem es darum geht, den Fokus der Aufmerksamkeit weg von der Frage „wie der Raum be-
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wiederum zwei Paradigmen unterschieden werden: zum einen der topographical, zum anderen der topological turn.21 Der Terminus topographical turn wurde von Weigel als Bezeichnung für das spezifische Interesse der deutschen Kulturwissenschaft am Raum geprägt.22 Hier stehen technische und kulturelle Formen der Repräsentation von Räumlichkeit im Mittelpunkt, wobei ein besonderes Augenmerk auf der Karte und kartographischen Techniken liegt. Die spezifisch sprachliche oder narrative Herstellung von Raum, die die Grundlage einer Narratologie des Raumes bilden müsste, ist dabei meines Wissens noch nicht in den Blick gekommen. Die Bezeichnung topological turn stammt von Günzel und umfasst sowohl den strukturalistischen Anschluss an die mathematische Topologie als auch den phänomenologischen Anschluss an den Ortsbegriff von Aristoteles. In der strukturalistischen Topologie abstrahiert man von den konkreten Erscheinungen und konzentriert sich nur auf Lagebeziehungen, so dass der konkrete Raum gerade nicht in den Blick kommt. In der phänomenologischen Topologie interessieren einzelne bedeutsame Orte und die Art und Weise, wie Menschen sie erleben. Zusammenfassend lässt sich folglich sagen, dass jede Ausrichtung des spatial turn einen spezifischen Fokus hat, so dass es weiterhin an einem umfassenden Konzept des konkreten Raumes fehlt.23 Bei der Beschäftigung mit der narratologischen Forschung zum Raum hat sich des Weiteren herausgestellt, dass eine anschlussfähige Systematik und die Entwicklung eines Beschreibungsinstrumentariums zum Vorliegen von Raum und zur narrativen Strukturierung Desiderate sind. Ich möchte mich daher in der vorliegenden Arbeit neben dem Entwurf eines Raumkonzepts der Beschreibung der narrativen Erzeugung von Raum, der Beschreibung von Darstellungstechniken und deskriptiven Ansätzen zum Umgang mit Rauminformationen widmen. _____________ 21
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dingt“ ist hin zu der Frage „wie Räumlichkeit bedingt ist“ zu verschieben (Günzel 2007a: 13). Einen Überblick über die drei verschiedenen Etikettierungen gibt Günzel (Günzel 2008). Weigel 2002. Neuere Beispiele für diese Richtung sind die Sammelbände von Böhme und von Stockhammer, die Monographie zu Kartographie und Literatur von Stockhammer und Aufsätze von Dünne (Böhme 2005, Stockhammer 2005, Stockhammer 2007, Dünne 2005, Dünne 2008a). Eine ausführlichere Auseinandersetzung mit den Konzepten der Topographie und der Topologie findet sich in Kapitel 3.
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Dabei gibt es zwei Aspekte, die meinen Ansatz wesentlich bestimmen: Zum einen die Interdisziplinarität, zum anderen die Konzeptualisierung des Raumes als mentales Modell eines ModellLesers. Der erste Aspekt beinhaltet, dass ich Annahmen über ein alltägliches Raumverständnis und über die Raumkognition mit Forschungsergebnissen aus der sehr regen Forschung zum Raum aus der kognitionswissenschaftlichen Linguistik und Psychologie, aus der Geographie, der Soziologie und der Evolutionspsychologie plausibilisieren möchte. Durch diesen interdisziplinären Anschluss möchte ich die Orientierung an philosophisch und physikalisch fundierte Raumvorstellungen vermeiden, die in bisherigen Untersuchungen häufig zu einseitigen thematischen Ausrichtungen bei der Textbeschreibung geführt hat. Der zweite Aspekt, die Konzeptualisierung von Raum als mentales Modell eines Modell-Lesers, ermöglicht es, über textuelle Informationen hinaus auch historisches Wissen und kulturelle Traditionen zu berücksichtigen.24 Der Untersuchungsschwerpunkt ver_____________ 24
Im Anschluss an Köppes Beitrag Vom Wissen in Literatur entspann sich in der Zeitschrift für Germanistik eine Diskussion um den derzeit in den Geistes- und Sozialwissenschaften sehr populären Wissensbegriff (Köppe 2007, Dittrich 2007, Borgards 2007, Jannidis 2008). Köppe vertritt die Ansicht, dass Wissen nicht in Texten enthalten sein könne. Er geht davon aus, dass personales Wissen „seiner logischen Struktur nach [...] eine Beziehung zwischen einer Person und etwas [ist], das die Person weiß“ (Köppe 2007: 400). Da ein Text keine Person sei, die etwas wissen könne, so seine Schlussfolgerung, könnten Texte kein Wissen enthalten. Obwohl Köppe das Argument widerlegen will, dass Wissen im Text enthalten ist, verwendet er es für die Definition von ‚impersonalem Wissen‘: „Die Rede von ‚in Büchern enthaltenem Wissen‘ besagt demnach [...], dass jemand sein Wissen in einem Buch niedergelegt hat.“ (Köppe 2007: 405). Prinzipell stimme ich Köppe zu, dass es problematisch ist, davon auszugehen, dass Wissen in einem Text enthalten ist. Geht man allerdings von einem anderen Textbegriff aus, lässt sich die Rede vom Wissen in Zusammenhang mit Texten meiner Meinung nach sehr wohl rechtfertigen. In Kapitel 4.2 werde ich die inzwischen mehrfach vertretene Auffassung explizieren, nach der die literarische Kommunikation nicht als Entschlüsselung eines Kommunikats verstanden wird, in dem eine Botschaft enthalten ist, sondern als Inferenzprozess, in dem der Rezipient auf das Gemeinte schließt. Dabei setzt er versuchsweise verschiedenes Wissen ein. Nicht dieses Wissen selbst, aber doch die Anreize es zu benutzen, werden im Zusammenhang mit dem Text gegeben. Allerdings sind sie nicht ausschließlich in den verwendeten sprachlichen Zeichen zu suchen, sondern auch über Komventionen der historischen und/oder autorspezifischen Kommunikationssituation gegeben. Für die Bezeichnung dieser Wissensmengen scheint mir die Unterscheidung von personalem und impersonalem Wissen und Köppes Beschränkung auf propositionales Wissen nicht differenziert genug. Hier müsste mindestens noch episodisches und prozedurales Wissen miteinbezogen werden, wie Jannidis in seiner Replik zeigt (vgl. Jannidis 2008: 373). Derjenige, der dieses Wissen haben sollte, ist der Modell-Leser (vgl. zu diesem Begriff Kap. 4.2). Ist im Folgenden die Rede von „Wissen“, so geht es um ein Wissen, das
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schiebt sich dabei von den Textstrukturen zur Interaktion von Text und Leser. Überblick über die Arbeit Zu Beginn steht eine Analyse der bisherigen narratologischen Forschung zum konkreten Raum im 20. Jahrhundert. Dabei wird zu fragen sein, welcher Raumbegriff in den einzelnen Arbeiten zu Grunde gelegt wird, welche Fragen im Zentrum des Interesses stehen und welche Schwerpunkte bei der systematischen Herangehensweise gesetzt werden. Es zeigt sich, dass es mehr systematische Studien zum Raum im Erzähltext gibt, als die oben erwähnten Klagen vermuten lassen. Von Interesse ist demnach auch die Frage, warum die bisherigen Monographien zum Raum im Erzähltext nur wenig Beachtung gefunden haben. Meiner Meinung nach ist das viel beklagte Fehlen einer systematischen Beschäftigung mit ‚Raum‘ nicht nur auf einen Mangel an Forschung zurückzuführen, sondern auch als Inkompatibilität der Ansätze und als Mangel an gegenseitiger Berücksichtigung zu rekonstruieren. In Kapitel drei werde ich ein Konzept von konkretem Raum der erzählten Welt entwickeln, das einer Narratologie des Raumes sinnvoll zu Grunde gelegt werden kann. Die von mir vorgeschlagene Raumvorstellung basiert auf einer Vorstellung von Raum als Container mit einer Unterscheidung von innen und außen, dessen Innerem Menschen und Gegenstände zugeordnet werden können. Um zu zeigen, dass es sich dabei um eine basale und alltägliche Raumvorstellung handelt, werden Erkenntnisse aus der Sozialgeographie (Schlottmann), aus der kognitionswissenschaftlichen Linguistik (Lakoff/Johnson), aus der Philosophie (common sense philosophy) und aus der Evolutionsbiologie und -psychologie (Lorenz/Eibl) herangezogen. Für die vorliegende Arbeit wird der Gegenstandsbereich dann auf diejenigen Räume beschränkt, die zu Umgebungen für Figuren werden können. In einem nächsten Kapitel wird untersucht, wie der Raum der erzählten Welt erzeugt wird. Dazu werden Vorschläge aus der Kognitiven Linguistik und aus der Kognitiven Psychologie zur sprachlichen Bezeichnung und zur Konzeptualisierung von Raum ausgewertet und _____________
beim Modell-Leser vorausgesetzt werden muss. Die Frage ist dann, welche textuellen Strukturen den Literaturwissenschaftler darauf schließen lassen, dass ein bestimmtes Wissen bei demselben vorausgesetzt werden muss.
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in eine eigene Zusammenstellung raumreferentieller Ausdrücke integriert. Ich konzentriere mich auf das sprachliche Vorliegen und berücksichtige Karten und andere ikonische Darstellungen nicht. Die Grenzen der Vorstellung, der Raum werde durch sprachliche Codes bezeichnet, werden dann an Beispielen verdeutlicht, in denen Raum ohne die Verwendung raumreferentieller Ausdrücke erzeugt wird. Konzepte aus der Pragmatik (Keller) und eine pragmatisch-historisch orientierte Konzeptualisierung von narrativer Kommunikation (Jannidis) sollen helfen, auch diejenigen Fälle zu beschreiben, in denen der Text und die narrative Kommunikationssituation Inferenzen auf das Vorhandensein räumlicher Gegebenheiten nahe legen, ohne dass diese explizit genannt werden. Um das Zusammenspiel von textuellen Strukturen, kognitiver Verarbeitung und Wissensmengen beim Textverstehen angemessen beschreiben zu können, wird im Weiteren davon ausgegangen, dass der Raum in Form eines mentalen Modells eines Modell-Lesers (Jannidis) vorliegt. Im fünften Kapitel untersuche ich zunächst bisherige Vorschläge der Kognitiven Narratologie zur Konzeptualisierung des erzählten Raumes als mentales Modell. Mangels grundlegender Konzepte zur Strukturierung des Raumes im mentalen Modell schlage ich dann vor, meine eigenen Überlegungen zu Strukturen und Gewichtungen des Raumes in den Kapiteln sechs und sieben nach der in der Narratologie eingebürgerten Unterscheidung von Darstellung und erzählter Welt zu gliedern. In diesen soll dann jeweils nach kognitiv besonders signifikanten Darstellungstechniken und Rauminformationen gefragt werden. Um aus der Vielfalt möglicher Darstellungsweisen des Raumes eine begründete Auswahl treffen zu können, schließe ich in Kapitel sechs an Forschungsergebnisse aus der Kognitiven Linguistik von Emmott an und unterscheide als Extrempole eine ereignisbezogene und eine ereignislose Thematisierung von Raum. Letztere behandle ich nur am Beispiel der Beschreibung. Als weitere Darstellungstechnik setze ich mich mit dem Erzählen von Raumwahrnehmung auseinander. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der Entstehung von Einheiten des Raumes durch bestimmte Thematisierungsweisen. Im siebten Kapitel beschäftige ich mich mit der Frage, wie Rauminformationen gewichtet und organisiert sein können. Im Zentrum steht die Suche nach einzeltextübergreifenden, raumspezifischen Wissensmengen bzw. Einzelinformationen zum Raum, die man grundsätzlich als wichtig bezeichnen kann. Hier soll Wissen über die reale
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Kommunikationssituation, über die erzählte Welt, über Genres und über fiktionale Welten einbezogen werden. Die Gliederung der Arbeit versteht sich ausdrücklich nicht als Anleitung zur Analyse, die für jeden Text vollständig und in dieser Reihenfolge abzuarbeiten wäre. Es handelt sich nicht um ein abgeschlossenes System oder eine vollständige Heuristik. Die systematischen Zusammenhänge werden aber im achten Kapitel, das einen Überblick über die entwickelte Terminologie enthält, verdeutlicht (vgl. auch die Graphiken im Anhang). Mit der Skizze dieses umfangreichen Vorhabens bin ich bei denjenigen Aspekten angelangt, die ich nicht behandeln werde. Dazu gehört an erster Stelle die metaphorische Verwendung von Raumkonzepten und räumlichen Aspekten. Des Weiteren werden Fragen der Funktion von Raum für andere Elemente des Erzählens wie z. B. die Figuren oder die Handlung zwar an der einen oder anderen Stelle erwähnt, jedoch nicht in einem eigenen Kapitel abgehandelt. Ebenso müssen Überlegungen zur Symbolfunktion weiteren Arbeiten zur Raumnarratologie überlassen bleiben, da ich mich in Kapitel sieben nur mit Bedeutungsaspekten von Raum auf der eigentlichen Ebene beschäftige. Um eine breite Anwendbarkeit der entwickelten Termini zu gewährleisten wird die Untersuchung der genannten Problemkomplexe anhand von Erzähltexten vorgenommen, die aus vier verschiedenen Jahrhunderten und unterschiedlichen Genres stammen.25 Dabei wurde versucht, einige zentrale raumbezogene Genres wie z. B. die Großstadtliteratur, die Utopie, die Robinsonade und den Reisebericht abzudecken.26 Gemäß meiner eigenen disziplinären Zugehörigkeit zur germanistischen Literaturwissenschaft werde ich mich auf fiktionales Erzählen in deutschsprachigen Texten konzentrieren.27 Gegenstand der Litera_____________
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Unter ‚Genre‘ verstehe ich mit Fricke zum einen eine eindeutig abgrenzbare literarische Textsorte, zum andern eine in der Entstehungszeit eines Textes bereits etablierte Textsorte in der jeweiligen Nationalliteratur mit einem spezifischen Merkmalsset und entsprechenden Erwartungen beim zeitgenössischen Publikum und zum dritten eine durch etablierte Bezeichnungen oder ersatzweise andere etablierte Signale entsprechend markierte Textsorte (vgl. Fricke 1980: 133). Eine Liste der verwendeten Texte findet sich im ersten Abschnitt des Literaturverzeichnisses. Es gibt kaum fiktionale Texte, die nicht als Literatur gelten. Die Beispiele, die manchmal genannt werden, etwa die juristische Fallgeschichte oder das Gedankenexperiment, umfassen typischerweise keine eigenständigen Texte, sondern Passagen, die
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turwissenschaft sind zwar nicht nur fiktionale Texte, diese scheinen mir aber mit ihrer doppelten Kommunikationssituation und ihrer Nicht-Referentialisierbarkeit auf die Wirklichkeit der komplexere Fall zu sein, der nicht durch sprachwissenschaftliche Begrifflichkeiten abgedeckt werden kann.28 Im Schlusskapitel möchte ich dann aufzeigen, inwiefern das entwickelte Beschreibungsinstrumentarium auch zur Analyse des Raumes in nicht-fiktionalen Erzähltexten herangezogen werden kann. Ich betrachte meine Überlegungen als Grundlagenforschung, die nicht nur für Literaturwissenschaftler anschlussfähig sein sollen, obwohl sie für diese spezifiziert werden.
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in anderen Texten eingebettet sind. ‚Fiktionalität‘ fasse ich mit Zipfel als eine Art und Weise des Umgangs mit Texten, bei dem man den Anspruch auf Referentialisierbarkeit auf die Wirklichkeit suspendiert (vgl. Zipfel 2001: 195-203). Vgl. den Artikel zum Literaturbegriff im Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft von Weimar (Weimar 2007).
2 Forschungsbericht Der vorliegende Forschungsbericht bietet einen Überblick über die bisherigen Versuche, sich mit dem konkreten Raum im Erzähltext systematisch auseinanderzusetzen.1 Dabei werden nur solche Ansätze analysiert, die spezifisch für narrative Texte entwickelt wurden,2 die Raum nicht nur in einer speziellen Ausprägung (Architektur, Natur, Innenräume etc.), sondern auch als allgemeine Kategorie behandeln, und die einen systematischen Anspruch verfolgen.3 Gesichtet wurden Arbeiten aus der germanistischen, der anglistisch-amerikanistischen, der slawistischen und der romanistischen Forschung, wobei auch für diese Disziplinen keine Vollständigkeit erreicht werden konnte.4 Das _____________
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Forschungsberichte zum Raum im Erzähltext mit einer weniger starken Beschränkung auf systematische Ansätze finden sich dagegen z. B. bei Ritter, Hoffmann und Würzbach (Ritter 1975: 7-16, Hoffmann 1978: 28-46, Würzbach 2001: 105-129). Die Raumdarstellung in literarischen Texten im Allgemeinen behandeln z. B. Blanchot (berücksichtigt Texte von Mallarmé, Kafka und Rilke), Assert mit seiner Untersuchung zum Wandel der Raumdarstellung in der Dichtung des 20. Jahrhunderts und Lutwack, der sich auf die amerikanische Literatur des 20. Jahrhunderts konzentriert (Blanchot 1955, Assert 1973, Lutwack 1984). Aufgrund der mangelnden systematischen Ausrichtung findet deshalb z. B. die bekannte Studie von Reichel Der erzählte Raum: Zur Verflechtung von sozialem und poetischem Raum in der erzählenden Literatur in meinem Forschungsbericht keine Erwähnung (Reichel 1987). Reichel stellt Heideggers philosophische Prämisse, dass der Mensch sich frei im Raum entfalten können sollte, an den Beginn seiner Ausführungen. Im Widerspruch dazu spielt der konkrete Raum in den einzelnen Kapiteln dann nur gelegentlich eine Rolle. Im Zentrum von Reichels Interesse stehen einzelne psychologische Aspekte und kulturspezifische Verhaltensweisen und Bewertungen von räumlichen Gegebenheiten. Ausgehend von diesen Bedeutungsaspekten, nach denen die Studie auch gegliedert ist, zieht Reichel Rückschlüsse auf das Bewusstsein des Autors oder auf die Geisteshaltung einer ganzen Epoche. Dabei bleibt er durchgehend auf der Ebene der dargestellten Inhalte und berücksichtigt Techniken des Erzählens nicht. Auch der Essay Raum im Roman von Butor wird im Folgenden nicht weiter erwähnt, da Butor nur einige unsystematische, kurze Hinweise zu bestimmten Phänomenen gibt, die ihm im Zusammenhang mit dem Raum wichtig erscheinen (Orientierung des Lesers, Auswahl von räumlichen Gegebenheiten, visuelle Wahrnehmung von Raum, Bewegung im Raum) (Butor 1965). Die slawistische Forschung konnte ich nur insoweit berücksichtigen, als sie in deutscher Übersetzung vorlag.
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hat damit zu tun, dass die Narratologie des Raumes bisher noch kein klar umrissenes Forschungsfeld mit einem Netz sich aufeinander beziehender Monographien und Aufsätze ist. Systematische Überlegungen zum konkreten Raum im Erzähltext sind oftmals in Studien zu Autoren oder Epochen bzw. in Einzeltextuntersuchungen enthalten, die diesen allgemeinen Anspruch nicht im Titel kenntlich machen, und können deshalb nur schwer bibliographiert werden. Darüber hinaus berücksichtige ich solche Arbeiten nicht, in denen der Raumbegriff metaphorisch für nicht-materielle Phänomene verwendet wird.5 Die Konzentration auf Ansätze mit einem umfassenden Anspruch zieht es nach sich, dass im Forschungsbericht nur eine Auswahl der im weiteren Verlauf der Arbeit herangezogenen Ansätze analysiert wird. Einen Überblick über die Chronologie und über die verwendeten Begriffe und Raumkonzepte der im Forschungsbericht behandelten Untersuchungen bietet Tabelle 3 im Anhang. Im Zuge meiner Argumentation werden dann auch solche Ansätze ausgewertet, in denen nur Teilprobleme bearbeitet werden. Eine vollständige Übersicht über die erwähnten Arbeiten, die sich theoretisch mit dem Raum im Erzähltext auseinander gesetzt haben, findet sich im Literaturverzeichnis. Die bisherigen Ansätze möchte ich jeweils unter den folgenden Gesichtspunkten untersuchen: -
Raumbegriff
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Systematik: Bezugsproblem und Anlage
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spezifische Schwerpunkte
Meine Darstellung der Forschung gliedert sich in drei Gruppen. Diese Einteilung deckt sich weitgehend mit der in der Wissenschaftsgeschichte der Narratologie üblichen Unterteilung der Narratologie in drei Phasen.6 Als erste Phase wird gemeinhin die vorstrukturalistische Erzählforschung bis in die frühen 1960er Jahre gefasst. Für diese Phase wird der Terminus „Erzählforschung“ verwendet. Eine zweite Phase dauert bis Ende der 1980er an und wird als „strukturalistische Hauptphase“ bezeichnet. Mit Stanzels Theorie des Erzählens von 1978 _____________
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Eine Begründung für den Ausschluss der metaphorischen Verwendung von „Raum“ befindet sich zu Beginn von Kapitel 3. Vgl. Jahn 1995.
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spricht man auch von „Erzähltheorie“.7 Eine letzte Phase der Revision der bisherigen Ansätze und der interdisziplinären Weiterentwicklung wird ab Ende der 1980er angesetzt. Schönert unterscheidet hier eine dritte und vierte Phase, wobei die dritte Phase durch die Dekonstruktion und die Ausweitung der Narratologie auf außertextuelles Erzählen (1980–1995), die vierte Phase durch Versuche der Präzisierung und Differenzierung der klassisch-strukturalistischen Narratologie der zweiten Phase und durch eine kulturtheoretisch gerechtfertigte Universalisierung bestimmt ist (seit Mitte der 1990er Jahre).8 Bei der Beschäftigung mit dem erzählten Raum lässt sich ebenfalls eine erste Phase ausmachen, die mit der Phase der frühen Erzählforschung in der allgemeinen Narratologie übereinstimmt. Für den Raum endet sie allerdings erst 1970. Sie ist vorwiegend durch eine Konzentration auf Bedeutungsaspekte des Raumes und durch eine unsystematische Thematisierung von Einzelaspekten geprägt. Auch die zweite Phase deckt sich mit einer Phase der strukturalistischen Fundierung der Raumnarratologie. Es ist die Zeit der strukturalistischen Monographien zum Raum, deren bisher letzte 1983 publiziert wurde.9 Für den Zeitraum von der Mitte der 1980er Jahre bis heute ist die eigenständige Forschung zum Raum so schwach ausgeprägt, dass es nicht sinnvoll ist, hier von einer eigene Gruppe zu sprechen. Stattdessen habe ich Einführungen und Monographien zur Narratologie auf ihre Berücksichtigung des Raumes hin ausgewertet und konnte auf diese Weise einige fruchtbare Überlegungen in einer dritten Gruppe zusammenstellen.
2.1 Frühe Erzählforschung Wie erwähnt, beschäftigt sich die Raumnarratologie bis 1970 mit Einzelproblemen, die nicht in Systematiken integriert werden. Die wahrscheinlich erste Äußerung zum konkreten Raum im Rahmen der Erzählforschung findet sich bei Friedemann im Rahmen ihrer Abhandlung zur Rolle des Erzählers in der Epik von 1910 im Kapitel _____________
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Stanzel 1989. Schönert 2006. Van Baak 1983.
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2 Forschungsbericht
„Darstellung des Sichtbaren“.10 Friedemann geht es darum, „festzustellen, durch welche technischen Mittel der Erzähler den Schauplatz der Begebenheiten in seine Darstellung verwebt.“11 Als Gegenstand bestimmt sie zu Beginn aber nicht Schauplätze, sondern – ohne nähere Präzisierung – den „Raum als solchen“12, in dem es ihrer Meinung nach keinen Unterschied zwischen Innen- und Außenraum gibt. In den nachfolgenden Ausführungen verwendet sie ohne weitere Hinweise und Definitionen fast ausschließlich die Bezeichnungen „Landschaft“ und „Milieu“.13 Sie geht dann nur auf die Darstellung des Raumes durch den Erzähler ein, die ihrer Meinung nach zwei Formen annehmen kann: Entweder wird der Raum als „gegenwärtig“ im Sinne einer dramatischen Darstellung präsentiert oder in spezifisch epischer Manier als „Fern- oder Erinnerungsbild“.14 Die Wahl einer Terminologie, die sich an Zeitaspekten orientiert, ist meiner Meinung nach irreführend: Die Ausführungen Friedemanns zeigen, dass es ihr eigentlich um den Unterschied geht zwischen einer am Drama orientierten Darstellung, bei der Informationen zu den räumlichen Gegebenheiten in enger Verbindung mit der Handlung gegeben werden und selbstverständlich-unauffällig wirken, und einer episch-distanzierten Form der Darstellung. Als Mittel für die dramatische Raumdarstellung gibt sie an: Beschreibungen, die der Erzählung einer Handlung unmittelbar vorangehen, die Erwähnung von räumlichen Gegebenheiten durch Figuren und in die Erzählung von Handlung eingestreute Informationen zum Raum. Epischdistanziert erscheint der Raum hingegen dann, wenn er durch den Erzähler symbolisch aufgeladen wird, wenn vergangene Ereignisse erzählt werden oder wenn die Darstellung des Raumes durch den Erzähler von der Figurensicht abweicht. Anschließend erwähnt Friedemann noch eine dritte Form der Darstellung, obwohl sie zu Beginn nur eine Dichotomie angekündigt hatte. Die dritte Form ist die der besonderen Gegenwärtigkeit des Raumeindrucks. Sie liegt dann vor, wenn in einem in der Erzählgegenwart beschriebenen Raum Vergangenes erzählt wird. Problematisch erscheint mir insgesamt, dass Friedemann bei der Wirkung auf den Leser ansetzt. Anstatt Techniken der Raumdarstel_____________ 10 11 12 13 14
Friedemann 1910: 175-189. Friedemann 1910: 175. Ebd. Diese geben auch dem Unterkapitel ihren Namen: „Landschaft und Milieu“ (ebd.). Friedemann 1910: 175, 184.
2.1 Frühe Erzählforschung
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lung zuerst nur zu beschreiben, legt sie diese sofort auch auf einen bestimmten Effekt derselben fest. Dabei bleibt zum einen unklar, bei welchem Leser diese Wirkungen zu welchem Zeitpunkt der Lektüre hervorgerufen werden. Zum anderen ist die Zuordnung von Techniken und Wirkungen nicht eindeutig. Eine Beschreibung eines Schauplatzes unmittelbar vor der Handlung muss z. B. keinesfalls unmittelbar wirken, sondern kann bereits mit Reflexionen durchsetzt oder symbolisch aufgeladen sein, wie es beispielsweise zu Beginn von Fontanes Stechlin der Fall ist. Die Zuordnung von Techniken und Wirkungen, die Friedemann vornimmt, ist demnach zwar zu überdenken, ihr Ausgangspunkt weist aber auf ein zentrales Problem hin: ‚Raum‘ steht von der Struktur des Erzählens her nicht durchgängig im Vordergrund und ist oftmals mit anderen Elementen des Erzählens verknüpft. Diese Formen der Darstellung müssten meines Erachtens jedoch zuerst präzise beschrieben werden, bevor man sie nach dem Grad ihrer Mittelbarkeit ordnen kann. In der weiteren Forschung bis 1970 ist dann eine deutliche Konzentration auf die Bedeutung von Raum zu beobachten. Eine häufig verwendete Dichotomie stellt die Unterscheidung von ‚Lokal‘ und ‚Raum‘ von Petsch dar, die dieser in seiner Monographie zur Narratologie Das Wesen der Erzählkunst von 1934 im Rahmen des Kapitels „Zeit und Raum in der Erzählung“ einführt.15 Unter ‚Lokal‘ versteht Petsch die konkreten topographischen Ortsangaben, die seiner Meinung nach für die „poetische Wirkung“ ohne Wert sind.16 Den Begriff des ‚Raumes‘ definiert er nicht explizit, meint damit aber offensichtlich alle nicht-materiellen Bedeutungsaspekte räumlicher Gegebenheiten. Ohne erklärende Hinweise verwendet Petsch zusätzlich auch die Begriffe „Milieu“ und „Atmosphäre“, offenbar um soziale Aspekte und Stimmungen des Raumes erfassen zu können. Nach ihrem jeweiligen Verhältnis von Lokal und Raum unterscheidet Petsch den ‚bestimmten‘, den ‚absoluten‘ und den ‚erfüllten‘ Raum. Bestimmter Raum liegt dann vor, wenn sich konkrete Angaben zum Lokal finden lassen, die zugleich eine über die reine Materialität ins Schicksalsträchtige hinausweisende Bedeutung haben. Mit absolutem Raum hat man es zu tun, wenn der Raum auf die Hand_____________ 15
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Petsch 1975: 38. Laut Ritter wurde diese Unterscheidung von ‚Lokal‘ und ‚Raum‘ in Untersuchungen sehr häufig verwendet und sie wird auch schon 1957 von Meyer als etablierte Unterscheidung bezeichnet (vgl. Ritter 1975: 9, Meyer 1975: 211, ähnlich Hillebrand 1971: 324 Fn 11). Ebd.
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lung und die Figuren abgestimmt ist und wenn er Vorausdeutungen auf die weitere Handlung enthält. Ist dies der Fall, so schließen sich partielle Informationen zu einzelnen Lokalitäten zu einem Gesamtraum zusammen. Der erfüllte Raum als dritter Typ motiviert die Handlung, charakterisiert die Figuren und hat insgesamt symbolische Bedeutung. Um diese Wirkung zu erreichen, müssen alle Angaben zum Lokal in diesem Sinne funktionalisiert sein. Das Vorkommen des dritten Typs des Raumes ist für Petsch eine unabdingbare Voraussetzung für die Qualität eines literarischen Textes. An dieser Aussage erkennt man, dass er das realistische Erzählen als Norm ansetzt. Die Ausführungen von Petsch zu den Raumtypen sind sehr knapp und oftmals vage. Rekonstruieren lässt sich aber wohl folgender Zusammenhang: Der bestimmte, der absolute und der erfüllte Raum haben gemeinsam, dass sie über sich selbst hinausweisen. Unterscheiden lassen sie sich im Grad der Offensichtlichkeit dieses Verweises, der vom bestimmten zum erfüllten Raum zunimmt. Allerdings lässt sich keinerlei Hinweise darauf finden, woran man erkennt, dass ein Raum auf etwas anderes verweist. Meyer vertritt in seinem Aufsatz Raumgestaltung und Raumsymbolik in der Erzählkunst von 1957 die Meinung, dass der Raum im Erzähltext nur im Zusammenhang mit und abhängig von der Handlung gegeben sein könne.17 Die Beschäftigung mit Raum als eigenem Gegenstand ist seiner Meinung nach nur dadurch gerechtfertigt, dass der Autor durch den Raum Bedeutung transportieren könne. Meyer thematisiert zu Beginn die Notwendigkeit einer Definition des Raumbegriffs und wählt Cassirers Konzepte des ‚mythischen‘ und ‚ästhetischen Raumes‘ als Ausgangspunkt. Er zeigt zunächst, dass es sich nicht um zwei verschiedene, sondern ein einziges Konzept handelt.18 Er beweist _____________ 17 18
Meyer 1975. Cassirer versteht „Raum“ in seinem Vortrag Mythischer, ästhetischer und theoretischer Raum im Leibnizschen Sinn als Anordnung von Körpern und unterscheidet eine theoretische, eine mythische und eine ästhetische Sinnordnung dieser Körper (Cassirer 1975). Bis auf die Unterscheidung von absolutem und relativistischem Raumkonzept, für die er Newton und Leibniz als Gewährsmänner heranzieht, spart Cassirer den theoretischen Raum allerdings bewusst aus und verweist auf Darstellungen der Geschichte der Physik. Er benötigt das Konzept des theoretischen Raumes nur als nichtsemantisch besetzte Ordnung, die der Abgrenzung der beiden anderen Raumtypen dient. Im mythischen Raum ist „[j]eder Ort und jede Richtung […] mit einer bestimmten mythischen Qualität behaftet und mit ihr gewissermaßen beladen“ (Cassirer 1975: 27). Cassirer zählt zur Erläuterung einige Gegensatzpaare auf: „Heiligkeit oder Unheiligkeit, Zugänglichkeit oder Unzugänglichkeit, Segen oder Fluch, Vertrautheit oder Fremdheit, Glücksverheißung oder drohende Gefahr“ und weist dar-
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dies, indem er einen Punkt von jeder Definition herausgreift und darauf hinweist, dass dieses Merkmal auch beim jeweils anderen Konzept zu finden ist: Der mythische Raum ist ebenso wie der ästhetische Raum ein Objekt der vergegenständlichenden Reflexion und die räumlichen Gegebenheiten des ästhetischen Raumes sind auch mit ähnlich festen, kulturell gegebenen Werten verbunden wie die des mythischen Raumes. Meyer führt die Überlegungen zur Raumdefinition hier nicht weiter, geht aber offenbar davon aus, dass der ‚Raum‘ sowohl ein Produkt der vergegenständlichenden Reflexion ist als auch mit kulturell relativ stabilen Werten verbunden ist. Eine Definition der Materialität des Raumes liefert er nicht. Um die Frage nach der Funktion von Raum für die Bedeutungsproduktion im Erzähltext erklären zu können, schließt Meyer an die Unterscheidung von ‚Lokal‘ und ‚Raum‘ von Petsch an. Abweichend von Petsch versucht Meyer allerdings nicht, Typen des Verhältnisses von konkreten Ortsangaben (‚Lokal‘) und Semantisierungen (‚Raum‘) zu bestimmen, sondern verwendet die Unterscheidung als Heuristik für die Untersuchung von Einzeltexten. Unter anderem an Goethes Novelle und Eichendorffs Taugenichts weist er die zentrale symbolische Bedeutung einzelner räumlicher Gegebenheiten nach und zeigt auch, dass sich genaue Ortsangaben und eine Aufladung mit Bedeutung nicht gegenseitig ausschließen.19 Die Überlegungen von Meyer und Petsch sind im Sammelband Landschaft und Raum in der Erzählkunst von Ritter 1975 erneut abgedruckt worden.20 Ritter unternimmt mit diesem Sammelband den Versuch, die Forschung zum Raum im Erzähltext zwischen 1931 und 1971 in ihren Grundzügen darzustellen.21 Der Band enthält vornehmlich _____________
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auf hin, dass alles Seiende in der mythischen Welt „räumlich fixiert und durch Sinnvorgaben prädeterminiert“ ist (ebd.). Der ästhetische Raum ist seiner Meinung nach ebenfalls dadurch geprägt, dass die Objekte mit Werten belegt sind, zwischen denen Gegensätze bestehen. Da er aber das Produkt von Reflexion ist, besteht eine Distanz des Dichters zum ästhetischen Raum, die eine größere Freiheit in der Besetzung des Raumes mit Werten ermöglicht. Hinweise auf die Verwendung von Meyers Überlegungen in Textanalysen finden sich bei Hoffmann (vgl. Hoffmann 1978: 677, Fn 6). Ritter 1975. Horizont dieses Sammelbandes ist in allen Beiträgen die germanistische, romanistische und anglistische Erzählforschung zum Raum. Die Arbeiten von Lotman und Sappok werden nicht erwähnt (Lotman 1993, Sappok 1970). In seiner Einleitung konstatiert Ritter das Fehlen eines Forschungsberichts zur Landschafts- und Raumforschung und liefert erste Ansätze dazu. Da er sich dabei auf die ‚Landschaft‘ beschränkt, möchte ich nur kurz auf die vier Abschnitte eingehen, in die er die Forschung bis 1975 aufteilt. In einer ersten Phase vom Ende des
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Textanalysen und -interpretationen und außer den Beiträgen von Meyer und Petsch finden sich nur noch zwei weitere Beiträge, die sich theoretisch mit Raum im Erzähltext auseinandersetzen. Der eine ist Maatjes Versuch einer Poetik des Raumes. Der lyrische, epische und dramatische Raum von 1968.22 Maatje versucht darin, eine spezifisch lyrische, epische und dramatische Raumgestaltung anhand der von Staiger aufgestellten Grundcharakteristika für die drei literarischen Großgattungen zu unterscheiden. Während der Raum in der Lyrik durch die ‚Erinnerung‘23 im Sinne einer Verschmelzung von Subjekt und Objekt gekennzeichnet sei, sei der dramatische Raum durch ‚Spannung‘24 als Differenz zwischen einem auf der Bühne sichtbaren Innenraum und dem nicht gezeigten Außenraum bestimmt. Der epische Raum sei durch die ‚Vorstellung‘25 charakterisiert, deren besondere räumliche Ausprägung die Perspektivierung des Raumes darstelle. Maatje versteht darunter figurenbezogene Semantisierungen des Raumes. Diese Form der Raumgestaltung ist sicherlich häufig, es handelt sich jedoch weder um ein hinreichendes noch um ein notwendiges Definitions_____________
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19. Jahrhunderts an ist man laut Ritter hauptsächlich an geistesgeschichtlichen Untersuchungen zum Natur- und Landschaftsgefühl einzelner Epochen interessiert. Anschließend lassen sich Versuche ausmachen, die erwähnten Landschaftselemente von Schauplätzen positivistisch zu katalogisieren und deren Funktion für die Bedeutungsproduktion im Zusammenhang mit der Handlung und der Figurencharakterisierung zu untersuchen. Diese Phase wird mit dem Stichwort „Naturgefühl“ charakterisiert. In der mit dem Ausdruck „Landschaftskulisse“ verbundenen zweiten Phase verschiebt sich dann der Schwerpunkt hin zur Betrachtung von Landschaft als Weltausschnitt im Sinne eines Handlungsschauplatzes mit eigenen Regeln und einer eigenen Funktion für das Erzählte. Die Konzentration auf die Raumdarstellung und Raumfunktion steht unter der Bezeichnung „erlebter Raum“ im Zentrum des vierten Abschnitts. Hier werden sowohl der Erlebnisraum des Protagonisten, die Raumbeschreibungen durch den Erzähler und der Prozess der Ergänzung von Rauminformationen aus der Erinnerung durch den Rezipienten berücksichtigt. Die zuvor bestimmende Konzentration auf die Landschaft wird jetzt zugunsten eines allgemeinen Raumbegriffs aufgegeben, der allerdings nicht eigens definiert wird. Ritters abschließender Hinweis, dass selbstverständlich auch diejenigen Arbeiten, die sich mit geographischen und kulturgeschichtlichen Aspekten und mit psychologischen, symbolischen, allegorischen und topischen Bedeutungsinhalten beschäftigt haben, einen zentralen Beitrag zur Erforschung des Raumes im Erzähltext geleistet haben, macht deutlich, was durch die Konzentration auf den Landschaftsbegriff ausgeblendet wurde. Maatje 1975. Staiger 1961: 62. Staiger 1961: 143 ff. Staiger 1961: 83 ff.
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merkmal von erzähltem Raum. Hinreichend ist es deshalb nicht, weil figurenbezogene Semantisierungen von Raum z. B. auch in der Lyrik zu beobachten sind. Notwendig ist es nicht, weil Raum auch ohne subjektive Färbung dargestellt werden kann. Der letzte theoretische Beitrag bei Ritter ist der Wiederabdruck der Einleitung zu Hillebrands Studie über Mensch und Raum im Roman. Studien zu Keller, Stifter, Fontane von 1971, die den Titel Poetischer, philosophischer und mathematischer Raum trägt.26 In Hillebrands Monographie steht die Frage nach der Funktion von Raum für den Transport der Intention des Autors im Mittelpunkt. Hillebrand definiert ‚Raum‘ in Abgrenzung zur ‚Umwelt‘, wobei er unter ‚Umwelt‘ soziale und historische Faktoren versteht, unter ‚Raum‘ aber den erlebten materiellen Raum.27 Eine Bestimmung des konkreten Raumes, der erlebt wird, findet sich nicht. Hillebrand unterscheidet eine ‚ephemere‘ und eine ‚fundamentale‘ Funktion von Raum für den Erzähltext. Eine ephemere Funktion hat Raum, wenn er ausschließlich den Hintergrund einer Handlung darstellt. Eine fundamentale Funktion kommt dem Raum hingegen dann zu, wenn die „Verankerung des Menschen im Raum, das Angewiesensein auf diesen, [und] zugleich das Bewußtsein dieser Befindlichkeit“ deutlich wird.28 Für diese beiden Funktionen von Raum verwendet Hillebrand synonym die Bezeichnungen „Gesellschaftsraum“ und „erlebter Raum“ bzw. „sekundärer“ und „primärer“ Raum.29 In fundamentaler Funktion ist der Raum laut Hillebrand hauptsächlich im Entwicklungsroman zu finden, weil dort die Merkmale des erlebten Raumes als Charakteristika des inneren Erlebens der Figuren zu verstehen sind. Im Schaffensprozess ist der fundamentale Raum gemeinsam mit der Handlung entstanden. Der sekundäre Raum ist demgegenüber das Ergebnis eines separaten Raumentwurfs des Dichters, der zumeist mithilfe von Skizzen und Karten entstanden ist wie z. B. bei Fontane und Stendhal. Er wird durch einen Erzähler vermittelt. Hillebrand weist darauf hin, dass diese beiden Extreme selten in _____________ 26 27 28 29
Hillebrand 1971. Hillebrand 1971: 11 f. Hillebrand 1971: 15. Hoffmann täuscht sich, wenn er behauptet, Hillebrand führe eine zusätzliche Unterscheidung ein (vgl. Hoffmann 1978: 36). Hillebrand weist explizit auf die Identität der Unterscheidung primär/sekundär mit der Unterscheidung fundamental/ephemer hin: „Andere Termini für unsere Unterscheidung wären primärer und sekundärer Raum.“ (Hillebrand 1971: 15).
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reiner Form vorliegen, und dass ihre Verwendung von Satz zu Satz wechseln kann. Problematisch erscheint hier zum einen die Kombination dreier Kriterien zu Typen (Funktion als sozialer bzw. erlebter Raum, Darstellungsweise, Produktionsprozess), zum anderen die normative Komponente der Bevorzugung des ‚erlebten Raumes‘. Hillebrand hält nämlich den stimmungsgeleiteten Bezug des Menschen für das einzig richtige Lebensverhältnis des Menschen zum Raum und er bevorzugt aus diesem Grund Texte, in denen der Raum zum Spiegel der Seele wird, gegenüber schematisierten Darstellungen (Topoi, Landschaftsdarstellung im 18. Jahrhundert), stark symbolträchtigen Räumen (bei Kafka oder Goethe) und übergroßer Detailfreude. Hillebrands Überlegungen zielen auch in der allgemein gehaltenen Einleitung nicht auf grundlegende Formen der Darstellung und der Funktion von Raum ab, sondern nur auf das spezifische Verhältnis von Figur und Raum im deutschen Realismus. Die in der Einleitung angekündigte Differenzierung von poetischem, philosophischem und mathematischem Raum, die auf eine Definition von poetischem Raum hoffen lässt, spielt nur eine marginale Rolle. Genau genommen ist sie auf zwei kurze Bemerkungen beschränkt. Zum einen findet sich der Hinweis, dass sich der poetische Raum durch seine Bedeutungshaftigkeit vom mathematischen Raum unterscheide. Was den mathematischen Raum ausmacht, erklärt Hillebrand dabei nicht. Zum anderen leitet Hillebrand die Unterscheidung von philosophischem und poetischem Raumbegriff aus dem unterschiedlichen Erkenntnisinteresse der Ursprungsdisziplinen ab: Während die literaturwissenschaftliche Betrachtungsweise sich für die Funktion von Raum beim Erzählen interessiere, bleibe die Phänomenologie nicht beim Raumerleben stehen, sondern frage immer nach dem Dahinterliegenden, der metaphysischen Position. Dieser zweite Ansatz ist laut Hillebrand nur für die Untersuchung von symbolischem Raum von Interesse. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Titel, den Hillebrand seiner Einleitung gegeben hat, die Merkmale seiner Begriffe und das Ausgreifen in die europäische Romangeschichte eine Reichweite der Ausführungen suggerieren, die ihnen bei genauer Betrachtung nicht zukommt.30 _____________ 30
Am Ende des Bandes findet sich auch eine Bibliographie zum „Raum in der Dichtung“, die den allgemeinen Anspruch des ersten Kapitels unterstreicht.
2.2 Strukturalismus
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Die in dieser ersten Phase der theoretischen Beschäftigung mit dem konkreten Raum im Erzähltext entwickelten Begrifflichkeiten und Unterscheidungen orientieren sich zumeist an der Bedeutung von Raum und sind sehr vage. Die symbolische Aufladung des Raumes, wie sie im Realismus vorherrscht, wird als Norm angesetzt. Bei Friedemann und Maatje finden sich aber auch erste Ansätze zur Beschreibung von Darstellungstechniken. Die Notwendigkeit einer Abgrenzung des erzählten Raumes vom Raumkonzept der Naturwissenschaften wird konstatiert, aber nicht umgesetzt.
2.2 Strukturalismus Bei Ritter nicht aufgenommen und in seinem Sammelband auch nicht erwähnt wird eine Studie des Slawisten Sappok von 1970 mit dem Titel Die Bedeutung des Raumes für die Struktur des Erzählwerkes. Aufgezeigt an Beispielen aus der polnischen Erzählliteratur.31 Diese Arbeit hebt sich in ihrer Systematizität deutlich von den bisher dargestellten Ansätzen ab und markiert den Beginn der strukturalistischen Konzeptualisierung von Raum im Erzähltext, obwohl sich Sappok nicht explizit durch die Referenz auf strukturalistische Bezugstexte in diese Tradition einreiht. Die Texte der strukturalistischen Phase wurden alle in den 1970er und frühen 80er Jahren veröffentlicht; sie nehmen aber dennoch kaum Bezug aufeinander. In diesem Zeitraum wurden auch alle systematischen Monographien zum Raum im Erzähltext publiziert. Nach 1984 gibt es meines Wissens in der Anglistik, Amerikanistik, Germanistik, Slawistik und Romanistik keine Monographien zum konkreten Raum im Erzähltext mehr. Obwohl Sappok die Reichweite seiner Ausführungen dadurch einschränkt, dass er darauf hinweist, dass seine theoretischen Erkenntnisse das Ergebnis der Beschäftigung mit den polnischen Texten des Analyseteils sind, setzt er sich im ersten Teil seiner Arbeit systematisch und mit allgemeinem Anspruch mit grundlegenden Problemen der sprachlichen Raumreferenz, der Darstellung und der Bedeutung von Raum auseinander. Einen Forschungsüberblick zu Raum im Erzähltext gibt Sappok allerdings nicht und auch eine Definition von Raum vermisst man. Seinen Ausführungen liegt aber offensichtlich _____________ 31
Auch in der späteren Forschung ließ sich, außer im Forschungsbericht von Würzbach, keine Erwähnung dieser Arbeit finden (vgl. Würzbach 2001: 106).
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2 Forschungsbericht
eine Raumvorstellung zu Grunde, die Landschaft, Naturerscheinungen und Gegenstände umfasst. Sappok unterscheidet drei Ebenen: die sprachliche Herstellung von Raum (Raumdarstellung), die Funktion einer Raumdarstellung für andere Ebenen des Textes (Raumfiktion) und die Bedeutung von Raum für das Gesamtwerk (Raumgenese). Als Mittel der Raumdarstellung führt er Gruppen von Wörtern an, die Raum bezeichnen, und zieht das Konzept des semantischen Feldes heran, um auch implizit vorliegende Rauminformationen erfassen zu können. Offen bleibt hier, wie, wann und für welchen Leser diese impliziten Informationen relevant werden. Unter dem Stichwort „Raumfiktion“ behandelt Sappok das Zusammenspiel von raumbezogenen und räumlich irrelevanten Erzählphasen. Die Definitionskriterien für Erzählphasen bleiben sehr vage; er nennt nur textuelle Kontiguität und eine zeitliche Begrenzung auf der Ebene des Dargestellten ohne nähere Spezifizierung. Für untersuchenswert hält er die Frage, welcher textuellen Instanz die Raumdarstellung zugeschrieben wird, wie die Informationen zum Raum über den Text verteilt sind, und welchen Elementen des Textes durch eine Raumdarstellung Bedeutung zugeschrieben wird. Unter dem Titel „Raumgenese“ will Sappok die spezifische Funktion des Gesamtraums für die Bedeutungserzeugung untersuchen. Diese Frage klärt er aber nicht systematisch, sondern führt lediglich Beispiele für mögliche Bedeutungen an. Wenn Schwierigkeiten bei dem Versuch auftreten, aus den textuellen Informationen einen Gesamtraum zu bilden, kann das zum Beispiel ein Symbol für die Angst des Menschen vor der Konfrontation mit Neuem sein. Sappok merkt jedoch auch an, dass das gleiche Phänomen ebenso dazu dienen könnte, die seelische Zerrissenheit einer Figur zu illustrieren. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Sappoks Überlegungen Probleme der sprachlichen Referenz, der Darstellung, der strukturellen Einbindung des Raumes in das Erzählen einer Geschichte und der Bedeutung umfassen. Im Vergleich zu der Ebeneneinteilung und seinen Überlegungen zur Raumdarstellung und zur Raumfiktion, die recht aufschlussreich sind, fallen die Ausführungen zur Bedeutung von Raum deutlich ab. Ohne Bezug auf Sappok widmet sich die erste systematische Monographie zum Raum im Erzähltext, Hoffmanns Raum, Situation, erzählte Wirklichkeit von 1978, ebenfalls den gerade genannten Problemfeldern. Darüber hinaus findet sich bei Hoffmann allerdings zusätzlich eine Definition des Raumbegriffs und eine inhaltliche Typologie von
2.2 Strukturalismus
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Räumen.32 Hoffmanns Arbeit ist ein strukturalistisches Projekt, dem ein phänomenologisches Raumkonzept zu Grunde liegt. Strukturalistisch ist der Ansatz deshalb, weil Hoffmann den Raum zum einen als Teil einer ‚epischen Situation‘ versteht, die aus den Elementen Raum, Zeit, Charakter und Geschehen besteht, und weil er zum anderen davon ausgeht, dass alle Räume eines Textes eine kohärente Klasse bilden.33 Hoffmann konzipiert Raum damit sowohl als Element einer syntagmatischen Struktur (der epischen Situation), als auch als Teil einer paradigmatischen Struktur (einer Klasse gleicher Elemente). Darüber hinaus schließt er an die strukturalistische Unterscheidung von Tiefen- und Oberflächenstruktur an, wenn er die Elemente der epischen Situation jeweils als konkrete Manifestationen von Tiefenstrukturen wie Aktanten und Funktionen, Ereignissen oder Motiven konzipiert.34 Als spezifische Tiefenstruktur des Raumes bestimmt er dessen ‚Basisrelationen‘ (nah-fern, innen-außen, oben-unten, linksrechts, offen-geschlossen, endlich-unendlich) und die ‚elementaren Auffassungen‘ des Raumes (Anschauen, Handeln, Gestimmtsein). Die Basisrelationen leitet er aus der Orientiertheit des Menschen im Raum ab, die elementaren Auffassungen übernimmt er aus Strökers Konzept des ‚gelebten Raumes‘.35 Im Rückgriff auf dieses Raumkonzept ist die phänomenologische Komponente zu sehen. Hoffmann widmet sich insgesamt fünf Problemkomplexen: der Bestimmung eines Raumkonzepts für den erzählten Raum, der weiteren inhaltlichen Differenzierung von „Sinnmodellen“ des Raumes, der Unterscheidung verschiedener Typen von „Situationen“ nach ihrem räumlichen Charakter, der Fähigkeit von Raum, auf etwas anderes zu verweisen, und dem Raum als Makrostruktur. Als grundlegendes Raumkonzept zieht Hoffmann das Konzept des ‚gelebten Raumes‘ heran. Unter dem ‚gelebten Raum‘ versteht er mit Ströker den durch den Menschen wahrgenommenen Raum, der sich noch in den ‚Anschauungsraum‘, den ‚Aktionsraum‘ und den ‚gestimmten Raum‘ differenzieren lässt. Der gestimmte Raum ist durch das vorre_____________ 32
33 34 35
Hoffmann 1978. Hoffmann demonstriert seine Überlegungen an zahlreichen kanonischen Texten der englischen und amerikanischen Literatur vom 18. bis zum 20. Jahrhundert. Die ausgewählten Texte sind seiner Meinung nach repräsentativ für alle Ausprägungen des europäischen Romans, und er versteht seine Ergebnisse deshalb als „allgemeinere romantheoretische Aussagen“ (Hoffmann 1978: XI). Hoffmann 1978: 2. Vgl. Hoffmann 1978: 677 f. Fn 8 und 9. Ströker 1965.
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flexive, gefühlsmäßige Erleben des Raumes gekennzeichnet, in dem Nähe, Ferne und Zeit keine Rolle spielen. Dieses Erleben manifestiert sich als Atmosphäre, die nicht ausschließlich subjektiv ist, sondern durch die Rückbindung an die Materialität auch intersubjektive Momente hat. Vom Aktionsraum kann man dagegen dann sprechen, wenn der Raum vom handelnden Subjekt aus konzipiert wird. Objekte interessieren nicht hinsichtlich ihrer Ausdrucksqualität, sondern hinsichtlich ihrer Nützlichkeit bzw. Verfügbarkeit. Mit dem Begriff des „Anschauungsraums“ erfasst Ströker schließlich einen Fernraum, in dem die Dinge aus dem funktionellen und stimmungsgeleiteten Bezug zum Subjekt gelöst sind, als isoliertes Gegenüber erscheinen und von einer statischen Position aus wahrgenommen werden. Hoffmann legt diese drei Raummodelle seinen Ausführungen zum Raum im Erzähltext zu Grunde, weil er sich zum Ziel gesetzt hat, die besondere Form der Wirklichkeitswiedergabe im Roman, die durch eine Verbindung der Darstellung von Welt mit der Darstellung von Subjektivität gekennzeichnet ist, adäquat zu erfassen. Er übersieht dabei, dass ein Raumkonzept, das das Raumerleben von Menschen im Alltag beschreibt, nicht ohne eine Berücksichtigung der medialen Spezifika narrativer Vermittlung zur Beschreibung des Raumes im Erzähltext herangezogen werden kann. In einem Erzähltext können die elementaren Raumauffassungen immer auch kombiniert werden. Sowohl ein Raum, in dem Handlung stattfindet, als auch eine Raumbeschreibung können z. B. subjektiv und durch Stimmung gefärbt dargestellt werden. Sie wären nach dieser Terminologie folglich einmal zugleich ein Handlungsraum und ein gestimmter Raum, im anderen Fall zugleich ein Anschauungsraum und ein gestimmter Raum. Anstatt die Raumauffassungen des Handelns, Erlebens und Gestimmtseins substantialisierend als „Räume“ zu bezeichnen, wäre es sinnvoller, das Erzählen von Handlung, Wahrnehmung oder subjektiver Bewertung als getrennte Darstellungstechniken aufzufassen, die beim Erzählen von Raum auch kombiniert werden können. An dieser Kombinierbarkeit dürfte es auch liegen, dass es bei Hoffmanns Beispielanalysen oftmals unklar ist, woran er den Perspektivenwechsel vom einen zum anderen Raummodell festmacht.36 In einem zweiten Kapitel differenziert Hoffmann das Raumkonzept weiter aus, indem er für den Anschauungsraum und den ge_____________
36
Hoffmann räumt selbst ein, dass der groteske Raum schwer abzugrenzen ist (vgl. Hoffmann 1978: 86, 93, 96).
2.2 Strukturalismus
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stimmten Raum jeweils für die Parameter ‚Fremdheit‘ und ‚Bedrohung‘ verschiedene ‚Sinnmodelle‘ des Raumes unterscheidet. Für den Anschauungsraum ist das der ‚kuriose Raum‘, für den gestimmten Raum der ‚phantastisch-satirische‘, der ‚groteske‘, der ‚unheimliche‘, der ‚halluzinativ-visionäre‘ und der ‚mythische Raum‘. Das Problem bei den Sinnmodellen ist, dass ihre Klassifikation sich an Wahrnehmung und Alltagspsychologie orientiert und oftmals nicht trennscharf ist. Besonders schwer fällt es z. B. zwischen dem ‚grotesken‘, dem ‚phantastisch-satirischen‘ und dem ‚halluzinativ-visionären Raum‘ zu unterscheiden.37 Von diesen Definitionspro-blemen abgesehen, ergeben sich bei den Sinnmodellen die gleichen Schwierigkeiten wie bei jeder inhaltlich konkreten Typenbildung als Merkmalsbündel: Beim Versuch, neue Texte zu klassifizieren, gibt es kaum eindeutige Fälle. Lässt sich ein Raum keiner der Typologien zuordnen, kann man die Sinnmodelle zwar weiter modifizieren und differenzieren, irgendwann ist dann aber der Punkt erreicht, an dem man die Komplexität des Materials nur nachgebildet hat, anstatt sie zu reduzieren. In einem weiteren Kapitel widmet sich Hoffmann dem „Verweischarakter des Raums als Symbol, Allegorie und Assoziationsstimulus“. Hoffmann unterscheidet Allegorie und Symbol nach ihrem Bedeutungsumfang. Er schließt die Allegorie weitgehend aus seinen Überlegungen aus, weil es wegen des auftretenden Bedeutungsüberschusses seiner Meinung nach zu reduktiv ist, Romane im Ganzen als Allegorien zu klassifizieren. Das Symbol differenziert er nach metaphorischen, synekdochischen und metonymischen Ausprägungen und beschreibt die Unterschiede zwischen diesen Formen anhand des Grades der Verbildlichung, der Art der Verknüpfung von signans und signatum, der Verweisungsrichtung (horizontal und vertikal) und des Bedeutungsumfanges. Die Überlegungen sind sehr differenziert und bieten auch eine Schnittstelle für die verschiedenen Bedeutungsbeziehungen zwischen dem Raum und anderen Erzählelementen wie Figuren, Geschehen und Themenkonstellationen. Eine systematische Beschreibung der Bedeutung von Raum hätte meines Erachtens an diesen Überlegungen von Hoffmann anzusetzen. Einen nächsten Block stellt die Klassifikation von Situationen nach der Raumgestaltung dar. Hoffmann unterscheidet „Situationstypen“, „Panorama“, „Tableau“ und „Szene“. Deren Raumcharakter wird allerdings nicht immer ganz klar, wie sich auch an Zusatzbegrif_____________
37
Vgl. Hoffmann 1978: 133 f.
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2 Forschungsbericht
fen wie „räumliche Szene“38 oder „räumliche Tableauszene“ zeigt.39 Bevor man Situationen nach der Rolle, die der Raum in ihnen spielt, klassifiziert, müsste man meines Erachtens zwischen einer Funktion von Raum als Kategorie für die erzählten Ereignisse und Raum als thematischer Komponente einer Situation unterscheiden. In einem letzten Kapitel, das den Titel „Räumliche Großstruktur im Roman“ trägt, untersucht Hoffmann formale Strukturen des Makroraumes wie Ausdehnung und Raffung, Bereiche und Grenzen, Wegestrukturen, Mobilität und Immobilität und deren semantische Besetzung. Die Auswahl dieser Elemente und Beziehungen ergibt sich daraus, dass Hoffmann den Text als System im Sinn von Piaget versteht. Da Piaget zufolge jedes System die Mutterstrukturen „Gruppe“, „Ordnungsstrukturen“, und „topologische Strukturen“ aufweist, sind diese bei der Analyse der Makrostruktur zu berücksichtigen. Die Unterscheidung von Raumstrukturen verschiedener Größen erscheint mir sinnvoll.40 Hoffmanns Konkretisierung dieser Strukturen bleibt jedoch nicht auf der Ebene von Strukturen des Raumes selbst, sondern wechselt mit der „Raffung“ zu Erzähltechniken für den Raum und mit der Mobiliät zu einer Eigenschaft von Figuren. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Hoffmanns Überlegungen zum symbolischen und allegorischen Bedeuten und zu den räumlichen Großstrukturen am meisten ausgereift sind. Die Überlegungen zum Raumkonzept, zu den Raumeinheiten des Erzählens und zu den Sinnmodellen bedürfen demgegenüber der Präzisierung. Neben den Begriffen von Hoffmann ist die Terminologie von Lotman das meist verwendete Instrumentarium zur Raumanalyse.41 _____________
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41
Hoffmann 1978: 565. Hoffmann 1978: 578. Diese Konzepte diskutiere ich in Kapitel 6.1. Ich werde mich in Kapitel 7.4 mit Strukturen und deren Semantisierung auseinandersetzen. Vgl. Lotman 1993, 1974a und 1974a. Ich konzentriere mich hier auf diejenigen Überlegungen Lotmans, die zur Analyse des konkreten Raumes herangezogen werden können. Die als ‚Raumsemantik‘ bekannten Überlegungen Lotmans zum Ereignisbegriff, nach denen ein entscheidendes Ereignis (Sujet) in einer Geschichte in der Überschreitung einer Grenze zwischen zwei semantischen Räumen durch den Helden besteht, werden nur im Hinblick auf die Möglichkeit der Klassifikation von Räumen behandelt (vgl. Lotman 1993: 332-340 und Kapitel 7.1 der vorliegenden Studie). Dieser Ausschluss ist dadurch bedingt, dass Lotmans Überlegungen zwar zur Klärung des Ereignisbegriffs beitragen, dass sie aber nur sehr bedingt zur Analyse des konkreten Raumes herangezogen werden können. Die Überlegungen zur semiosphere in Universe of the mind werden aus einem anderen Grund hier nicht im Detail dargestellt (Lotman 1990). Semiosphere ist bei Lotman eine metaphorische Bezeichnung für den
2.2 Strukturalismus
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Das hat sicherlich damit zu tun, dass das Raumkonzept, das Lotman seinen Ausführungen zu Grunde legt, sowohl eine Anwendung auf konkrete räumliche Gegebenheiten als auch eine strukturelle Beschreibung von nicht-räumlichen Phänomenen ermöglicht, bei der die Bezeichnungen für räumliche Relationen metaphorisch verwendet werden. Lotman untersucht den Raum in seinem methodischen Hauptwerk Die Struktur literarischer Texte von 1970 als eines der zentralen Elemente der Komposition sprachlicher Kunstwerke.42 Zu diesen Elementen gehören neben dem künstlerischen Raum noch der Rahmen,43 das Sujet, die Figur und die Perspektive. Lotman geht davon aus, dass neben der syntagmatischen Organisation dieser Elemente durch das Erzählen einer Geschichte auch die Struktur des Paradigmas des Elements zu beachten sei. Diese könne man erfassen, wenn man die Elemente isoliere. Zu diesem Zweck definiert er ‚Raum‘ wie folgt: Raum ist: die Gesamtheit homogener Objekte (Erscheinungen, Zustände, Funktionen, Figuren, Werte von Variablen u. dgl.), zwischen denen Relationen bestehen, die den gewöhnlichen räumlichen Relationen gleichen (Ununterbrochenheit, Abstand u. dgl.). Wenn man eine gegebene Gesamtheit von Objekten als Raum betrachtet, abstrahiert man dabei von allen Eigenschaften dieser Objekte mit Ausnahme derjenigen, die durch die gedachten raumähnlichen Relationen definiert sind.44
Raum ist nach dieser Definition als Menge von räumlichen Relationen zwischen gleichartigen Objekten zu verstehen. Die relationierten Objekte können, müssen aber keine konkret-räumlichen Gegebenheiten sein, so dass auch Beziehungen zwischen Erscheinungen, Zuständen, Funktionen, Figuren und Werten zur Konstitution des künstlerischen Raumes beitragen. Im Zentrum von Lotmans Interesse _____________
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Zeichenvorrat einer Kultur in jeglicher medialer Ausprägung. Konkret-räumliche Zeichen wie etwa die Architektur oder die Gestaltung von Städten oder Landschaften werden immer wieder erwähnt, stehen aber gleichrangig neben Beispielen aus Religion, Mode, Musik und anderen kulturellen Bereichen. Der symbolischen Aufladung des geographischen Raumes in mittelalterlicher Literatur ist allerdings ein langes Unterkapitel gewidmet (vgl. Lotman 1990: 171-202). Dass dessen Inhalt von mir nicht referiert wird, ist keinesfalls mit einer inhaltlichen Abwertung gleichzusetzen, sondern ist dem Ausschluss symbolischer Aspekte in meiner Arbeit geschuldet. Lotman 1993. Der Übersetzer dieser Ausgabe hat sich dafür entschieden, das russische Wort für ‚künstlerisch‘, das Lotman im Titel verwendet, mit ‚literarisch‘ zu übersetzen, weil Lotmans Hauptaugenmerk auf literarischen Texten liegt (vgl. Lotman 1993: 7 f.). Mit ‚Rahmen‘ meint er offensichtlich so etwas wie die Regeln der erzählten Welt. Lotman 1993: 312.
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steht die nicht-räumliche Semantisierung räumlicher und raumähnlicher Relationen. Er zeigt an der Semantisierung von Oppositionen wie hoch-niedrig, rechts-links, vor-hinter, nah-fern, offen-geschlossen, abgegrenzt-unabgegrenzt oder diskret-kontinuierlich mit Werten wie z. B. wertvoll-wertlos, gut-schlecht, eigen-fremd, zugänglich-unzugänglich, sterblich-unsterblich wie mithilfe räumlicher Konzepte nicht-räumliche Strukturen illustriert werden können.45 In seiner zweiten theoretischen Beschäftigung mit dem Raum im Aufsatz Das Problem des künstlerischen Raums in Gogols Prosa von 1968 verwendet Lotman das Konzept der Topologie ohne Beschränkung auf konkrete räumliche Gegebenheiten.46 Lotman zielt in den einleitenden theoretischen Ausführungen allerdings nicht so sehr auf die Relationen ab wie in der Struktur des künstlerischen Textes, sondern geht von geometrischen Einheiten des Raumes (Punkte, Linien, Flächen und Räume) aus. Er verwendet diese Einheiten dann aber nicht zur Analyse des konkreten Raumes, sondern dazu, Begriffe für die Analyse der Handlung und der Figurencharakterisierung zu entwickeln. Bei der Analyse des konkreten Raumes in Gogols Prosa kommen diese Begriffe nicht vor und auch die räumlichen Relationen, die Lotman in der Struktur künstlerischer Texte als zentrale Eigenschaften des künstlerischen Raumes bestimmt hatte, werden nur bei wenigen Textstellen erwähnt. Stattdessen beschreibt Lotman Unterschiede im ontologischen Status, spezifische Semantisierungen von konkreten Einzelräumen und Wahrnehmungsdifferenzen ohne eine eigene Terminologie. Diese Diskrepanzen zeigen meines Erachtens recht deutlich, dass sich die Funktion und die Darstellung des konkreten Raumes nicht allein mithilfe räumlicher Strukturen und Relationen beschreiben lassen. Selbst hinsichtlich der Bedeutung werden mit Lotmans Begriffen nur ganz bestimmte Aspekte erfasst, die sich aus Beziehungen zwischen räumlichen Gegebenheiten bzw. aus der Struktur des Ge_____________ 45
46
Im Aufsatz Zur Metasprache typologischer Kulturbeschreibungen (1974) verwendet Lotman die Topologie außerdem als abstraktes Beschreibungsinstrumentarium für den Vergleich von Weltbildern, die sich in Texten in Form semantisierter räumlicher Relationen manifestieren können (Lotman 1974a). Lotman 1974a: 343. Die Bezeichnung „Topologie“ verwendet Lotman in die Struktur künstlerischer Texte noch nicht, sondern erst in diesem späteren Aufsatz. Außerdem findet sich ‚Raum‘ als Thema einer theoretischen Schrift noch im Aufsatz Zur Metasprache typologischer Kulturbeschreibungen (Lotman 1974a). Dieser Aufsatz wird hier nur am Rande erwähnt, da er keine weiteren terminologischen Neuerungen, nur eine Ausweitung der topologischen Beschreibung auf die Analyse von Kulturmodellen bietet.
2.2 Strukturalismus
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samtraumes ableiten lassen. Einen Eindruck davon, welche Aspekte verloren gehen, wenn man eine räumliche Gegebenheit nur in Relation zu einem anderen Element betrachtet, vermittelt Lotmans Bemerkung, dass es ganz gleichgültig sei, ob im Text von Sankt Petersburg oder Moskau die Rede sei, wenn sie Teil einer Opposition wie z. B. Stadt-Land, Hauptstadt-Provinz oder Großstadt-Kleinstadt darstellten.47 Im Anschluss an Lotman legt van Baak mit seiner Arbeit The Place of Space in Narration: A Semiotic Approach to the Problem of Literary Space 1984 einen systematischen Entwurf zum Raum im Erzähltext auf semiotischer Basis vor.48 Dabei kommt er allerdings nicht wesentlich über Lotmans Überlegungen hinaus. Er unterscheidet im Anschluss an die strukturalistische Narratologie drei thematische Elemente eines narrativen Modells (thematic blocks): die Geschichte (story), die Figuren (character) und den Schauplatz (spatio-temporal block).49 Eine Definition von Raum fehlt, die Zuordnung desselben zum Schauplatz zeigt aber, dass es van Baak um den konkreten Raum geht. Im Text spricht er zum einen von konkreten topographischen Gegebenheiten, die er oftmals als loci oder elements of space bezeichnet. In diesem Sinne wird ‚Raum‘ auch im letzten Kapitel der theoretischen Ausführungen verwendet, wenn van Baak die Funktion von Raum für andere Elemente des Textes beschreibt und ein paar Anmerkungen zum Zusammenhang von Raum und Perspektive und zur textuellen Verfasstheit von Raum macht.50 Zum anderen verwendet van Baak für die Entwicklung einer _____________ 47 48 49 50
Vgl. Lotman 1974a: 209. Van Baak 1983. Van Baak 1983: 16. Im Kapitel zum Zusammenhang von Raum und Figur führt er lediglich Beispiele dafür an, dass Figuren durch ihre Bewegungen im Raum und durch Eigenschaften von Räumen charakterisiert werden können. Im Zusammenhang mit der Handlung macht er darauf aufmerksam, dass semantische Grenzüberschreitungen oftmals durch das Überschreiten einer tatsächlichen räumlichen Grenze illustriert werden. Er unterscheidet den dynamischen Raum (dynamic space) als Raum, in dem etwas passiert, vom statischen Raum (static space), in dem sich nichts ereignet. Eine Funktion für die Darstellung der Zeit kann Raum dadurch übernehmen, dass räumliche Gegebenheiten bestimmte zeitliche Aspekte symbolisieren (der Weg das Leben, das Grab die Vergänglichkeit etc.). Insgesamt lässt sich hier eine Heuristik für die Behandlung des Zusammenhangs von Raum und anderen Komponenten vermissen, weil nicht klar wird, ob es sich nur um besonders zentrale oder um eine vollständige Aufstellung aller möglichen Arten von Verhältnisbeziehungen des Raumes zu anderen Elementen handelt. Die entwickelte Terminologie dient der Beschreibung von Handlung, Figuren und Zeit und nicht der Beschreibung des Raumes. In den folgenden beiden Abschnitten wechselt van Baak dann unvermittelt die Fragerichtung. Während er zuvor
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2 Forschungsbericht
Semiotik des literarischen Raumes, auf der sein Hauptaugenmerk liegt, den Raumbegriff von Lotman. Wie dieser beschränkt er sich nicht auf die Relationen zwischen räumlichen Gegebenheiten, sondern schließt auch Relationen zwischen allen Arten von Entitäten und abstrakten Konzepten mit ein. Dieser Wechsel der Raumkonzepte wird nicht angekündigt oder problematisiert. Van Baak unterteilt die räumlichen Relationen in deiktisch und nicht-deiktisch etablierte und führt für diese und für dimensionale Eigenschaften des Raumes seiner Meinung nach typische Semantisierungen im westlichen Kulturkreis an. Diese Semantisierungen sollen als Folie für abweichende Semantisierungen durch literarische Texte dienen. Erkenntnisinteresse ist zumeist die Frage nach dem jeweils ausgedrückten Weltbild. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass van Baak nicht wesentlich über Lotman hinauskommt und kaum neue begriffliche Instrumente für die Analyse des Raumes im Erzähltext bereitstellt. Die Heterogenität seiner Ausführungen ist vermutlich dadurch bedingt, dass van Baak nicht bei der Beschreibung von Raum ansetzt, sondern von Bedeutungsaspekten ausgeht, die auf ganz verschiedenen Ebenen liegen. Der Wechsel des Raumkonzepts und die anderen Ebenenwechsel erschweren einen systematischen Anschluss an die von ihm thematisierten Problemfelder. In seinem Aufsatz Towards a theory of space in narrative von 1984 präsentiert Zoran fast ohne Bezug51 zu der hier angeführten Forschung eigenständige Überlegungen zum Raum.52 Zoran entwirft ein Modell der Existenzweise des Raumes in narrativen Texten. „Raum“ versteht er im konkret-materiellen Sinne als die räumliche Ausprägung der erzählten Welt (reconstructed world). Als Merkmale des Raumes bestimmt _____________
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nach der Funktion von Raum für andere Elemente des Textes gefragt hatte, behandelt er nun spezifische Erzähltechniken zur Vermittlung von Raum, zielt also auf Erkenntnisse über den Raum selbst ab. Diese Ausführungen zur Perspektive, Detailfülle und Größe des gezeigten räumlichen Ausschnitts sind äußerst knapp, und die Notwendigkeit ihrer Behandlung wird nicht systematisch hergeleitet. Er verweist lediglich in zwei Fußnoten auf die Unterscheidung von ‚Raum‘ und ‚Lokal‘ bei Petsch und auf Meyers Begriff der ‚Achse‘ (Zoran 1984: 63, 319). Zoran 1984. Der Aufsatz ist die Zusammenfassung seiner leider unveröffentlichten Dissertationsschrift The Structure and Organziation of Space in Prose Fiction, mit der er 1983 an der Universität Tel Aviv bei Hrushovski zum Dr. phil. promoviert wurde. In seiner späteren Studie Text, World, Space von 1997 führt Zoran seine Theorie weiter aus und analysiert auch Texte von Borchert und E. T .A. Hoffmann (Zoran 1997). Da bisher keine Übersetzung dieses Titels aus dem Hebräischen vorliegt, stützen sich diese Aussagen auf Auskünfte Zorans, für die ich mich an dieser Stelle nochmals bedanken möchte.
2.2 Strukturalismus
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er Volumen, Ausdehnung und Dreidimensionalität. Da sich seine Beispiele aber ausschließlich auf geographische Gegebenheiten beziehen, ist anzunehmen, dass Gegenstände und Figuren, denen diese drei Merkmale schließlich ebenfalls zukommen, für ihn trotzdem nicht zum Raum gehören. Zoran entwickelt zunächst eine Ontologie des Raumes im Erzähltext, bei der er drei Ebenen unterscheidet: eine Ebene der textuellen Vermittlung (textual level), eine der Verknüpfung mit der Handlung (chronotopical level) und eine topographische (topographical level). Von dieser vertikalen Struktur (vertical structure of space) unterscheidet Zoran eine horizontale Strukturierung des Raumes (horizontal structure of space), die dadurch entsteht, dass Raum beim Erzählen in unterschiedlich große Einheiten unterteilt wird. Für diese beiden Dimensionen versucht Zoran eine geschlossene Systematik zu entwickeln und schließt weitere Aspekte, wie die Funktionen von Raum für andere Elemente der erzählten Welt und die Bedeutung von Raum ausdrücklich aus seinem Gegenstandsbereich aus. Bei der vertikalen, ontologischen Struktur des Raumes geht Zoran davon aus, dass die textuelle, die chronotopische und die topographische Ebene an jeder Stelle des Textes unterschieden werden können.53 Die textuelle Ebene ist die Vermittlungsebene von Raum, die durch die Eigenheiten der sprachlichen Vermittlung – Selektivität und Linearität – und durch die Wahl von spezifischen, narrativen Darstellungstechniken, wie z. B. die Perspektivenstruktur, geprägt ist. Die chronotopische Ebene ist bei Zoran eine Struktur, die dem Raum durch Bewegung und Veränderung zukommt.54 Die topographische Ebene, die ebenfalls eher als Struktur denn als Vermittlungsebene zu bezeichnen ist, erfordert den meisten Aufwand bei ihrer Rekonstruktion aus der erzählten Geschichte. Als materiell-räumliche Dimension der erzählten Welt kommt ihr dennoch eine eigene, von der zeitlichen Struktur unabhängige Existenzweise zu. Zoran beschreibt die topographische Struktur als Karte, die allerdings oftmals viele weiße Flecken enthält und die durch Oppositionen wie nah-fern, innenaußen, oben-unten, Zentrum-Peripherie, Stadt-Dorf etc. geprägt sein _____________ 53 54
Zoran 1984: 315 f. Zoran setzt sich hier ausdrücklich von Bachtins Begriff des Chronotopos ab (Zoran 1984: 318). Während Bachtin diesen Begriff für den ganzen Komplex von Raum und Zeit verwendet, und so auch Objekte, Ereignisse, psychologische und historische Aspekte mit einbeziehe, wolle er sich nur auf solche Phänomene beschränken, die durch ein Zusammenwirken von Raum und Zeit gekennzeichnet sind. Er denkt dabei an Bewegungen und Veränderungen im weitesten Sinn.
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kann. Irritierend wirkt Zorans Aussage, dass bei jedem Vorkommen von Raum immer alle drei Ebenen zu unterscheiden sind. Dies ist offensichtlich nicht der Fall, da z. B. bei Beschreibungen keine Bewegung oder Veränderung im Raum stattfindet, so dass keine chronotopische Ebene vorliegt. Die horizontale Strukturierung des Raumes ergibt sich daraus, dass räumliche Gegebenheiten im Zuge des Erzählens einer Geschichte zu Einheiten zusammengefasst werden. Zu terminologischen und konzeptionellen Problemen führt bei dieser Ebene vor allem Zorans Versuch, an Einsteins Konzept der ‚Raumzeit‘ anzuschließen. An diesem Konzept erscheint Zoran der Umstand attraktiv, dass die gängigen Dimensionen Höhe, Breite und Länge um die Zeit als vierte Dimension ergänzt werden. Dadurch ergibt sich für Zoran eine Parallele zur Verknüpfung von erzählter Welt und zeitlicher Organisation des Erzählens. Er definiert allerdings an keiner Stelle, was er unter ‚Zeit‘ versteht, und bezeichnet heterogene Aspekte damit. Auf der Ebene der vertikalen Struktur spricht Zoran von „Zeit“ im Sinne von Bewegungen und Veränderungen, meint folglich dargestellte Zeit. Die horizontale Struktur des Raumes ist für ihn dagegen deshalb zeitlich, weil sie eine Abfolge von Ereignissen darstellt. Ausgehend von der Feststellung, dass Erzählen primär zeitlich organisiert sei, zieht Zoran zusätzlich den Umkehrschluss, dass alle Einheiten auf dieser Ebene als zeitliche aufzufassen seien. Die meisten dieser Einheiten sind allerdings weder Einheiten der dargestellten Zeit, noch konstituieren sie sich erst durch eine Abfolge in der Zeit wie ich im Folgenden zeigen möchte. Zoran unterscheidet drei unterschiedlich große Einheiten, zu denen Raum im Zuge des Erzählens einer Geschichte zusammengefasst wird: Einheiten des Raumes (units of space), den Raumkomplex (complex of space) und die umfassenden Räume (total spaces). Bei den Einheiten des Raumes ergibt sich bereits das Problem, dass Orte als kleinste Einheiten der topographischen Ebene nicht erst durch ihre Mitteilung in der Zeit entstehen. Handlungszonen (zones of action), die kleinsten Einheiten der chronotopischen Ebene, sind demgegenüber zwar durch Zeit bestimmt, allerdings durch Zeit auf der Ebene des Dargestellten: Ihre Ausdehnung wird durch die räumliche Ausdehnung eines Ereignisses bestimmt. Bei den Einheiten der textuellen Ebene, den Sichtfeldern (fields of vision), ist der zeitliche Aspekt dann einer der Linearität der Informationsvergabe im Text: Zu einem Sichtfeld können nur diejenigen räumlichen Informationen gehören, die im Text direkt
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aufeinander folgen. Als Kriterium für die Begrenzungen der Einheiten nennt Zoran zusätzlich noch die Bedingungen, dass alle räumlichen Einheiten aus einer gemeinsamen Perspektive erzählt werden und einen Hier-Eindruck (here) erzeugen müssen. Dadurch wird die Bedingung des textuellen Nacheinanders wieder aufgehoben. Die nächstgrößeren Raumeinheiten des Erzählens, der Raumkomplex (complex of space) und die umfassenden Räume (total spaces), lassen sich meines Erachtens dann unter keinem noch so weiten Zeitbegriff als zeitliche Einheiten fassen, sondern bezeichnen eine statische Struktur bzw. einen Wissenszusammenhang. Mit „Raumkomplex“ bezeichnet Zoran die Menge aller Sichtfelder. Es handelt sich folglich um eine Struktur, die erst bei der Betrachtung des Textes als abgeschlossenes Ganzes erkannt werden kann.55 Unter dem Oberbegriff der „umfassenden Räume“ werden all diejenigen räumlichen Informationen behandelt, die der Text nicht erwähnt, aber voraussetzt. Hier wird das eingangs zu Grunde gelegte Konzept von konkretem Raum unter der Hand ausgeweitet auf diejenigen Wissensbereiche, die mit Räumen verknüpft sind. Der analytische Ertrag liegt dabei in der Möglichkeit des Abgleichs der Menge ereignisrelevanter räumlicher Gegebenheiten mit den sonstigen räumlichen Gegebenheiten eines Textes bzw. mit semantischen Informationen, die nicht explizit genannt wurden. Trotz vieler begrifflicher Unschärfen ist der Gewinn von Zorans Ebeneneinteilungen darin zu sehen, dass grundlegende Probleme im Zusammenhang mit dem Raum deutlich werden: Besonderheiten des narrativen Vorliegens von Raum, Techniken der narrativen Vermittlung, die Frage nach Raumeinheiten des Erzählens und nach der Verknüpfung von Raum mit nicht-raumbezogenen Wissenskonfigurationen. Zeitgleich mit Zoran schließt Ronen in Toronto ihre Dissertation Space in fiction bei Doležel ab, die ebenfalls nur in Aufsatzform publiziert wird.56 Obwohl der Aufsatz in der gleichen Zeitschrift erscheint, in der Zoran zwei Jahre zuvor die Zusammenfassung seiner Dissertation veröffentlicht hatte, erwähnt Ronen Zoran nicht. Ronen geht von der Vorstellung aus, dass jede Stelle (place) im Raum (space) eine mehr oder weniger klar begrenzte Umgebung (frame) hat, die wieder_____________ 55
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In systematischer Hinsicht ist auffällig, dass der Raumkomplex als einzige Einheit nicht auf allen drei Ebenen existiert, sondern lediglich eine Einheit der textuellen Ebene darstellt. Ronen 1986.
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um in einer größeren Umgebung enthalten ist, und so weiter.57 Die Begriffe ‚Raum‘ und ‚Ort‘ definiert sie nicht, verwendet „Raum“ aber als Bezeichnung für die Gesamtheit aller räumlichen Gegebenheiten und „Ort“ zur Bezeichnung einer Stelle im Raum. Eine Umgebung ist nach Ronens Definition: „a fictional place, the actual or potential surrounding of fictional characters, objects and places“.58 Diese funktionale, flexible Definition scheint mir für fiktionales Erzählen gut verwendbar zu sein.59 Allerdings bleibt unklar, ob die Umgebungen Einheiten des Erzählens oder des Erzählten sein sollen. Obwohl Ronen zu Beginn erwähnt, dass Umgebungen Konstrukte im Kopf des Lesers sind, geht sie in ihren Ausführungen nur punktuell auf den Leseprozess ein. Den Gesamtraum der erzählten Welt beschreibt sie als Menge solcher Umgebungen, die nach den Parametern Unmittelbarkeit und Faktizität und nach Merkmalen gruppiert und als Oppositionen aufeinander bezogen sein können.60 Fluchtpunkt ist eine Beschreibung der Beziehungen aller Umgebungen untereinander, die eine strukturelle Redeskription des Raumes der erzählten Welt ermöglichen soll. Ich denke nicht, dass man davon ausgehen kann, dass eine solche systematische Relationierung aller Umgebungen bei jedem Text vom Leser gefordert wird und halte diese Weiterführung daher für weniger fruchtbar. Unklar bleibt auch, für welchen Leser und zu welchem Zeitpunkt der Lektüre/Analyse die Klassifikationen und strukturellen Beschreibungen jeweils relevant sind. Präzisiert man diese Punkte, stellen Ronens Überlegungen meines Erachtens einen guten Ausgangspunkt für die Konzeptualisierung von Raumeinheiten des Erzählens und für die Diskussion zentraler Eigenschaften von Räumen dar. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die strukturalistische Phase von dem Versuch geprägt ist, die Vielfalt raumbezogener Phänomene mithilfe von Ebenenunterscheidungen zu systematisieren. Diese Unterscheidungen weisen zumeist Inkonsistenzen auf und müssen für _____________ 57
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Der Begriff frame ist also nicht zu verwechseln mit Frame in der Bedeutung von ‚Konzept‘ oder ‚stereotype Konvention‘ bzw. ‚Wissen über Situationen‘, wie er sich im Anschluss an Metzing und Goffman in der Kognitionswissenschaft findet (Metzing 1980, Goffman 1974). Ronen 1986: 421. Vgl. auch die Ausführungen in Kapitel 3.3. Lotman zitiert sie hier nicht, obwohl sich dessen räumliche Relationen mit ihren Semantisierungen gut in das Modell integrieren lassen würden (vgl. Lotman 1993: 332-340 und S. 165ff. der vorliegenden Arbeit).
2.3 Einführungen und Monographien
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eine präzise Textbeschreibung noch weitergedacht werden. Ein wesentlicher Fortschritt besteht jedoch in der Identifikation und Bearbeitung zentraler Probleme wie der sprachlichen Herstellung von Raum, der Strukturierung des Raumes durch das Erzählen, der erzählerischen Vermittlung von Raum, der Semantisierung von Räumen, Orten und räumlichen Relationen, der Verbindungen zu anderen Elementen der erzählten Welt und der Bedeutung von Raum.
2.3 Einführungen und Monographien Beiträge zu einer Narratologie des Raumes wurden nicht nur in eigenständigen Publikationen zu diesem Thema geleistet, sondern auch in Einführungen und Monographien zur Narratologie bzw. zur Romananalyse. Zwar gibt es in den meisten dieser Publikationen kein eigenes Kapitel zum Raum; in einigen Darstellungen wird aber an eine der gerade skizzierten Überlegungen angeschlossen oder es werden eigene Vorschläge zur Konzeptualisierung von Raum im Erzähltext gemacht.61 Bei den eigenständigen Entwürfen lassen sich noch einmal zwei Typen der Behandlung des Raumes unterscheiden.62 _____________ 61
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Schwarze schlägt für verschiedene Ebenen der Behandlung von Raum die Erkenntnisse von Chatman, Hoffmann und Lotman vor (Schwarze 1982: 170-174, Chatman 1978, Hoffmann 1978, Lotman 1993). Haupt referiert die Überlegungen von Hoffmann (Hoffmann 1978). Bridgeman erwähnt Zorans Unterscheidung von topographischer und chronotopischer Ebene, lässt aber die textuelle Ebene weg (Haupt 2004, Hoffmann 1978, Bridgeman 2007, Zoran 1984). Für Monographien zur Narratologie oder zur Romananalyse, die kein eigenes Kapitel zum Raum bieten, vgl. Fn 10 in Kapitel 1. Nicht berücksichtigt werden Überlegungen zum Raum, in denen der Raum für die Klassifikation von Romantypen herangezogen wird, da nicht die Beschreibung des Raumes, sondern die Zuordnung ganzer Romane Fluchtpunkt dieser Überlegungen ist. Muir verwendet den Raum z. B. für eine Romantypologie und unterscheidet novel of action, novel of character, dramatic novel, chronicle und period novel, wobei er davon ausgeht, dass die erzählte Welt des dramatischen Romans in der Zeit existiert, die des Figurenromans im Raum (vgl. Muir 1928: 62 ff.), Kayser unterscheidet im Anschluss an Muir einen Geschehnis-, einen Figuren- und einen Raumroman (vgl. Kayser 1954: 360-365). Da Kayser mit ‚Raum‘ aber nicht nur den materiellen Raum bezeichnet, sondern darunter auch einen Zeitausschnitt und einen sozialen Lebensbereich versteht, ist die Abgrenzung vom Zeit- oder Geschehnisroman fast nicht möglich. Kayser räumt dies selbst ein: „Was man als Zeitroman und Gesellschaftsroman zu bezeichnen pflegt, sind nur besondere Typen des Raumromans.“ (Kayser 1954: 364 f.). Auch Überlegungen, in denen der Raum lediglich in seiner Funktion für andere Aspekte von Erzähltexten thematisiert wird, stelle ich hier nicht vor. Stanzel führt z. B. in seiner Theorie des Erzählens im Rahmen seiner Überlegungen zur Perspektive Perspektivismus
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2 Forschungsbericht
Beim ersten Typ werden in den Kapiteln zum Raum Aspekte aufgelistet, die man bei der Analyse desselben im Erzähltext berücksichtigen sollte. Diese werden allerdings nicht systematisch hergeleitet oder begründet.63 Beim zweiten Typ finden sich auch begründete Herleitungen von zentralen Aspekten des Raumes, zumeist im Rahmen der jeweiligen systematischen Grundunterscheidung(en) zur Beschreibung narrativer Texte.64 Nur Überlegungen, die dieser zweiten Gruppe zuzuordnen sind, sollen im Folgenden dargestellt werden. In ihrer kommunikationstheoretisch orientierten Einführung unterscheiden Kahrmann, Reiß und Schluchter zwischen ‚Raum‘ als allgemeiner Kategorie der erzählten Welt und ‚Raum‘ in seiner spezifischen Ausprägung und Bedeutung.65 Sie führen dann jedoch nur ihre Überlegungen zu ‚Raum‘ im Sinne einer Kategorie als notwendige Voraussetzung für das Erzählen von Ereignissen, Figuren und Gegenständen weiter aus. Die inhaltliche Dimension der jeweils besonderen Ausgestaltung des Raumes als Landschaft, Binnenraum, Stadt etc. behandeln sie nicht. Mit der Trias von ‚erzähltem Raum‘, ‚Erzählraum‘ und ‚Raumkonzept‘ identifizieren sie drei wichtige strukturelle Aspekte. Der ‚erzählte Raum‘ ist der Raum der Figuren, der durch Figuren- oder durch Erzählerrede und jeweils explizit oder implizit erzeugt werden kann. Er ist auf der Ebene der Figurenkommunikation angesiedelt. Der ‚Erzählraum‘ ist dagegen derjenige Raum, in dem die Erzählinstanz situiert ist. Er ist der Kommunikation zwischen Erzähler und textinterner Leserfigur zuzuordnen. Das ‚Raumkonzept‘ umfasst die Raumgestaltung im Ganzen, das heißt sowohl das Verhältnis von erzähltem Raum und Erzählraum (dem abstrakten Autor zuzuschreiben) als auch die inhaltlichen Aspekte des Raumkonzepts, die sich aus der Lebenswelt oder aus der Literaturgeschichte speisen können (dem Autor als Textproduzenten bzw. als Person zuzuschreiben). _____________ 63
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und Aperspektivismus als die zwei möglichen Darstellungsformen für den Raum an (Stanzel 1989: 155-164). Bode konzentriert sich z. B. ausschließlich auf symbolische Aspekte (Bode 2005: 288304). Fludernik erwähnt nur die narrative Erzeugung von räumlichen Gegebenheiten (Fludernik 2006). Häufig finden sich auch offene Listen mit der Aufzählung von Aspekten, die man bei der Analyse des Raumes beachten sollte (vgl. z. B. Reuter 2007: 35 ff. und Burghardt 2008a). Auch die Überlegungen von Friedemann und Petsch gehören streng genommen zu dieser Gruppe, sie wurden aber aus inhaltlichen und wissenschaftsgeschichtlichen Gründen bereits in Kapitel 2.1 dargestellt (Friedemann 1910; Petsch 1975). Kahrmann/Reiß/Schluchter 1977: 52 f.
2.3 Einführungen und Monographien
39
Während die Unterscheidung von erzähltem Raum, Erzählraum und Raumkonzept sehr sinnvoll erscheint, ist die Zuordnung zu den Kommunikationsebenen nicht konsequent durchgehalten. Beim erzählten Raum und beim Erzählraum erfolgt die Zuordnung der räumlichen Gegebenheiten zur Ebene der Figuren bzw. zum Erzähler aufgrund der Tatsache, dass es sich um Räume handelt, in denen die Figuren bzw. der Erzähler situiert sind. Beim Raumkonzept wechselt die Perspektive und die zugrundeliegende Frage lautet, welcher Instanz welche Aspekte der Gestaltung des Raumes zuzuschreiben sind. Beide Fragen sind meines Erachtens sinnvoll, sollten aber getrennt modelliert werden. Chatman behandelt den Raum im Rahmen seiner Unterscheidung von story und discourse.66 Unter story versteht er die erzählte Geschichte, unter discourse deren Vermittlung. Der Raum stellt die Seinskategorie der Elemente der Geschichte (story-existents) dar, zu denen Figuren, Objekte und räumliche Gegebenheiten gehören. Im Gegensatz zu diesen existieren die Ereignisse der Erzählung (story-events) in der Zeit. Zum Raum der erzählten Geschichte (story-space) gehört für ihn all das, was eine räumliche Ausdehnung hat. Chatman weist darauf hin, dass dieser Raum sowohl explizit sprachlich als auch implizit hergestellt werden kann, führt diesen Hinweis aber nicht weiter aus. Analog zu der Unterscheidung von erzählter Zeit (story-time) und Erzählzeit (discourse-time) unterscheidet Chatman dann den Raum der erzählten Geschichte (story-space) von demjenigen Raum, der beim Erzählen einer Geschichte als wahrgenommen erzählt wird (discourse-space).67 Chatman merkt zwar daraufhin an, dass oftmals keine Wahrnehmung erzählt wird, er versucht aber dennoch den durch die Figuren wahrgenommenen Raum grundsätzlich von denjenigen Räumen abzugrenzen, die der Erzähler beschreibt. Diese Unterscheidung verschiedener Instanzen der Raumdarstellung scheint plausibel, die Annahme, der Raum werde beim Erzählen einer Geschichte ausschließlich in Einheiten der Wahrnehmung unterteilt, jedoch weniger.68 Bal behandelt den Raum in ihrer Einführung in die Narratologie im Rahmen der Unterscheidung von erzählter Geschichte (fabula) und der Vermittlung derselben (story).69 Auf der Ebene der erzählten Geschichte liegt der Raum als Schauplatz vor (locations), bei ihrer Ver_____________ 66 67 68 69
Chatman 1978. Vgl. Chatman 1978: 96. Zur Frage, wann erzählte Wahrnehmung vorliegt, vgl. Kapitel 6.2.2. Bal 1985: 133-142, 214-217.
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2 Forschungsbericht
mittlung als Raum des Erzählens (space). Eine Definition des Raumkonzepts findet sich nicht; als Grundeinheit des Raumes wird aber der Ort (place) bestimmt. Die Schauplätze stellen die konkrete Umgebung der erzählten Ereignisse dar. Für die Untersuchung der räumlichen Relationen zwischen den Schauplätzen und für die Untersuchung von deren Semantisierung und Grenzen schlägt Bal Lotmans Raumsemiotik vor. Der Raum des Erzählens ist dann derjenige Raum, der entsteht, wenn erzählt wird, dass Orte wahrgenommen werden. Wahrnehmungsinstanz kann eine Figur oder ein anonymer Wahrnehmender sein. Der Raum des Erzählens hat folglich zwei Erscheinungsformen. Zum einen kann er die Umgebung der wahrnehmenden Figuren (frame) darstellen, zum anderen kann er thematisierter Raum (thematized space) sein. Als thematisierter Raum ist Raum dann zu verstehen, wenn er als solcher zum Objekt des Erzählens wird und wenn sich die Geschichte seiner Darstellung unterordnet. Kriterien dafür, wann dies der Fall ist, führt Bal nicht an, sondern erwähnt nur zwei Beispiele. Wie Chatman stellt auch sie sich nicht die Frage, ob Wahrnehmung tatsächlich immer erzählt wird. Zum Verhältnis von Raum des Erzählens und Schauplätzen finden sich keine Aussagen. Trotz der Probleme mit den von ihr vorgeschlagenen Unterscheidungen machen Bals Ausführungen auf die Notwendigkeit aufmerksam, zwei Aspekte voneinander zu trennen: die Strukturierung und Vermittlung des Raumes im Erzählen einerseits und semantische Aspekte des Raumes und inhaltlich-funktionelle Bezüge zu Figuren und Handlung andererseits. Krah versucht in der Einleitung zum Sonderheft der Zeitschrift Ars Semiotica Räume, Grenzen, Grenzüberschreitungen eine umfassende Gliederung des Phänomenbereichs vorzunehmen. Er sieht fünf Aspekte vor, die alle mit der Bedeutung von Raum zu tun haben.70 An erster Stelle steht der topographisch-geographische Aspekt. Hier fragt Krah nach den räumlichen Strukturierungen wie Klassen, Kategorien, Achsen und räumlichen Relationen, aber auch nach ‚kulturellreferentialisierenden Aspekten‘ und nach Topoi. Der zweite Aspekt ist der ‚topologische Aspekt‘, bei dem Krah die Berücksichtigung von metaphorischen Räumen, semantischen Räumen nach der Grenzüberschreitungstheorie von Lotman und von strukturanalogen Räumen vorschlägt. Der dritte Aspekt ist der ‚perzeptive Aspekt‘, bei dem Krah medienspezifische Besonderheiten, den ideologischen _____________ 70
Krah 1999.
2.3 Einführungen und Monographien
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Standpunkt und Fragen der Modalisierung als Untersuchungsgesichtspunkte für wichtig hält. Der ‚narrative Aspekt‘, der den vierten Punkt ausmacht, überschneidet sich in gewisser Weise mit dem ersten Aspekt, da Krah auf der paradigmatischen Ebene Grenzen und räumliche Relationen als Gegenstände der Analyse ausmacht. Die syntagmatische Ebene des Raumes in Erzähltexten kann seiner Meinung nach durch Lotmans Theorie des Sujets erfasst werden, das sich aus der Überschreitung der zentralen Grenze des Raumes der erzählten Welt ergibt. Des Weiteren schlägt er die Klassifikation von Räumen nach ihrer Funktion für die Handlung und nach der aktantiellen Funktion vor. Der fünfte und letzte Aspekt, den Krah nennt, ist der ‚konzeptionelle Aspekt‘. Hier geht es um die kulturelle Bedeutung der darstellten Räume. Die Systematisierung von Krah hat zwei spezifische Schwerpunkte, die ihre Verwendbarkeit für eine Narratologie des Raumes erschweren. Zum einen liegt der Fokus bei jeder Ebene auf der Bedeutung von Raum, ohne dass zuvor beschrieben wird, wie Raum in narrativen Texten erzeugt oder dargestellt wird. Zum anderen geht Krah von Lotmans Raumkonzept aus, in dem nur räumliche Relationen vorgesehen sind. Daraus ergibt sich eine Beschränkung auf die Semantisierung von räumlichen Relationen, die nicht in jedem Text von Bedeutung sind. Herman beschäftigt sich in seiner kognitionswissenschaftlich fundierten Narratologie im Kapitel „Spatialization“ mit der Frage, wie beim Lesen ein mentales Modell des Raumes der erzählten Welt erzeugt wird und wie Raum in Erzähltexten eine strukturierende Rolle zukommen kann.71 Sein Untersuchungsbereich umfasst Erzähltexte im Allgemeinen, ist also nicht auf fiktionale72 oder literarische Texte beschränkt. Eine Definition des Raumbegriffs findet sich nicht, in seinen Ausführungen zielt Herman aber sowohl auf die Beschreibung konkret materieller räumlicher Gegebenheiten als auch auf die räumlichen Beziehungen zwischen Figuren und Objekten ab. Herman ist der Meinung, dass das Thema ‚Raum‘ erst durch die neue kognitionswissenschaftliche Forschung bearbeitbar geworden sei und führt sechs Konzepte an, die er für anschlussfähig hält: die Theorie der deiktischen Verschiebung der Origo (Deictic Shift Theory), die Unter_____________ 71 72
Herman 2002: 263-299. Da es fiktionale Texte gibt, die nicht als Literatur verstanden werden können, wie z. B. juristische Fallbeispiele, wurden diese beiden Fälle hier getrennt aufgeführt. Zur Fiktionalitätsproblematik vgl. die Studie von Zipfel (Zipfel 2001).
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2 Forschungsbericht
scheidung von Figur und Grund (figure vs. ground), Regionen, Landmarken, Wege (regions/landmarks/paths), topologische vs. projektive Referenzsysteme, Bewegungsverben und die Unterscheidung des Sprachmaterials in ein Sach- und ein Orientierungssystem (What vs. Where-System). Eine Hierarchie der Konzepte stellt er nicht auf und er spezifiziert und problematisiert auch nicht deren unterschiedliche Ansatzpunkte. Herman macht nicht klar, warum es nötig sein sollte, den Raum als mentales Modell zu konzipieren. Wie ich in der vorliegenden Arbeit zeigen werde, besteht der Vorteil dieser Konzeption vor allem in der Möglichkeit, die Ergänzungen von Rauminformationen durch den Leser und die Gewichtung bestimmter Strukturen und Informationen konzeptionell zu fassen. Da Herman keinen systematischen Zusammenhang zwischen den einzelnen Konzepten herstellt und die Reihenfolge der Nennung auch nicht die Abfolge der kognitiven Prozesse bei der Textverarbeitung abbilden soll, ist nicht ganz klar, was der Ertrag seiner Zusammenstellung sein soll. Auf diese Weise werden weder der Erklärungswert noch das Analysepotential der genannten Konzepte ausgeschöpft.73 Die momentan jüngste theoretische Auseinandersetzung mit dem Raum der erzählten Welt findet sich in Ryans Artikel Space im Handbook of Narratology.74 Ryan betont zu Beginn die Notwendigkeit, eine metaphorische von einer eigentlichen Verwendung des Raumkonzepts abzugrenzen und zählt einige Beispiele für die metaphorische Verwendung auf. Ihren eigenen Ausführungen legt sie eine Vorstellung von Raum als physischer Umwelt der Figuren zugrunde. Ihr Beitrag ist in einen Teil zur Explikation des Konzepts und einen Teil zur Geschichte der Zugänge zum Raum gegliedert. Die Explikation ist in die Abschnitte „erzählter Raum“ (narrative space), „räumliche Erstreckung des Textes“ (spatial extension of the text), „Raum als Kontext und Container des Textes“ (space that serves as context and container for the text) und „räumliche Form“ (spatial form of the text) gegliedert. Bei der Geschichte der Zugänge lauten die Unterpunkte „räumliche Metaphorik“ (spatial imagery), „Vertextung von Raum“ (textualization of space) und „Thematisierung von Raum“ (thematization of space). Der systematische Zusammenhang der Unterpunkte bleibt jeweils vage, wie ich im Folgenden zeigen möchte. Dies ist nicht zuletzt der Tatsache geschuldet, dass Ryan einerseits den Anspruch hat, verschiedene Medien wie _____________ 73 74
Eine ausführliche Auseinandersetzung mit Hermans Vorschlag findet sich auf S. 100. Ryan 2009.
2.3 Einführungen und Monographien
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z. B. mündliches und schriftliches Erzählen, Malerei, Comic, fiktionale Literatur etc. zu berücksichtigen, andererseits dann aber in einigen Abschnitten Konzepte verwendet, die nur für ein spezifisches Medium relevant sind. Für den erzählten Raum schlägt Ryan unterschiedlich große Einheiten als Untersuchungsgegenstände vor. An erster Stelle nennt sie räumliche Rahmen (spatial frames) als Umgebungen von tatsächlich stattfindenden Ereignissen, als zweites den Schauplatz (setting) als soziale, historische und geographische Umwelt (socio-historico-geographical environment) der Handlung. Drittens spricht sie vom „Raum der erzählten Geschichte“ (story space) als demjenigen Raum, der in Zusammenhang mit der erzählten Handlung und den Gedanken der Figuren vorkommt, viertens von Raum im Sinne eines mentalen Modells des Lesers (narrative [or story] world), das sich aus dem erzählten Raum und kulturellem Wissen und Weltwissen des Lesers zusammensetzt. Auf der höchsten Ebene setzt sie schließlich das narrative Universum (narrative universe) an, das sowohl den von einem Standpunkt innerhalb der erzählten Welt als real dargestellten Raum als auch die im Text als möglich entworfenen, aber nicht realen Räume umfasst. Mit der Bezeichnung „räumliche Erstreckung des Textes” (spatial extension of the text) möchte Ryan dann in einem zweiten Abschnitt der Explikation denjenigen Raum erfassen, den die Zeichen eines Mediums einnehmen. Die Möglichkeiten reichen hier von einer Nullstufe (z. B. in Musik oder mündlichem Erzählen) über Eindimensionalität (z. B. bei Laufschriften auf Bildschirmen) und Zweidimensionalität (bei gedruckten Narrationen, Film und Malerei) bis hin zur Dreidimensionalität in Theater, Ballett und bildender Kunst. Der Begriff der räumlichen Erstreckung eines Textes soll ein raumbezogenes Äquivalent zum gängigen Begriff der Erzählzeit (discourse time) sein. Als weiteren wichtigen Aspekt bei der Untersuchung des Raumes erwähnt Ryan unter der Bezeichnung „Raum als Kontext und Container des Textes“ die wechselseitige Bezogenheit faktualen Erzählens auf die aktuale Welt (space that serves as context and container for the text). Sie führt unter anderem deiktisches Verweisen, die Bezugnahme von Audioguides auf die reale Bewegung im Raum des Museums und die Funktion von Erzählungen als Wegbeschreibungen an. Unter der Überschrift spatial form empfiehlt sie dann doch überraschenderweise Franks metaphorische Konzeptualisierung von Simultaneität als Raum zur Untersuchung von Texten und Hypertexten, obwohl sie zu Beginn erklärt
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2 Forschungsbericht
hatte, sich auf eine konkrete Verwendung des Raumkonzepts beschränken zu wollen.75 Der zweite Teil von Ryans Beitrag ist den historischen Zugängen zum Raum gewidmet. Hier finden sich Hinweise zur Behandlung räumlicher Metaphorik bei Bachelard, Lotman und Lakoff/Johnson (spatial imagery). Überraschenderweise folgt darauf ein Kapitel zu Techniken der Vermittlung von Raum (textualization of space), das bei der Explikation evtl. besser untergebracht gewesen wäre. Ryan nennt auf einer Mikroebene für schriftliches Erzählen Beschreibung, Bewegung, Wahrnehmung, die Verschiebung des deiktischen Zentrums und für den Film die Technik des Zoomens, auf einer Makroebene die Unterscheidung von Karte und Wanderung (map and tour) und wiederholt dann einige Erkenntnisse aus ihrer Forschung zu mentalen Karten im Kopf von Lesern fiktionaler Erzähltexte.76 Unter der Bezeichnung „Thematisierung von Raum“ (thematization of space) präsentiert Ryan abschließend eigene und fremde Überlegungen zur Bedeutung von Raum, wobei sie nicht zwischen semantischen Informationen zu räumlichen Gegebenheiten und einer uneigentlichen Bedeutung von Raum unterscheidet und alles gleichermaßen als „Symbolisierung von Raum bezeichnet“. Insgesamt zeigt Ryan eine Vielzahl untersuchenswerter Aspekte der Raumdarstellung in unterschiedlichen Medien auf, die meiner Meinung allerdings jeweils separat ausgearbeitet werden sollten.
2.4 Zusammenfassung der Forschungslage, Desiderate Bei der erzähltheoretischen Konzeptualisierung des konkreten Raumes im Erzähltext lassen sich die folgenden Aspekte unterscheiden, die jeweils in unterschiedlichem Maße der Ergänzung und Präzisierung bedürfen. Raumkonzept Hinsichtlich der Konzeptualisierung von Raum lassen sich drei Richtungen erkennen. Im Anschluss an Lotman beschränkt man sich erstens auf die Untersuchung räumlicher Relationen, wobei zumeist _____________ 75 76
Zu einer Darstellung der Metaphorizität dieses Konzepts vgl. S. 49. Vgl. Ryan 2003a und S. 103.
2.4 Zusammenfassung der Forschungslage, Desiderate
45
nicht zwischen einer eigentlichen und einer metaphorischen Ausprägung unterschieden wird. Vom konkreten Raum aus gesehen, erfasst man mit diesem Raumkonzept zum einen nur ganz bestimmte Eigenschaften räumlicher Gegebenheiten. Durch die Ausdehnung auf die metaphorische Verwendung von räumlichen Relationen erweitert sich darüber hinaus der Gegenstandsbereich derart, dass er nur durch seine Bedeutsamkeit, nicht aber durch eine gemeinsame Funktion für die Verortung des Erzählten geeint wird. Eine zweite Raumvorstellung ist dadurch gekennzeichnet, dass all das zum Raum gezählt wird, was eine räumliche Ausdehnung besitzt, also auch Figuren und Objekte. Auch hier fehlt eine gemeinsame Funktion dieser Elemente für das Erzählen, so dass eine Beschränkung des Gegenstandsbereichs angebracht erscheint. Eine dritte Raumvorstellung, die ebenso wie die zweite nicht explizit definiert wird, ist dadurch bestimmt, dass Raum im Sinne einer Verortungskategorie für Figuren und Handlungen verstanden wird. Dieses Raumverständnis herrscht vor allem in der frühen Erzählforschung und bei phänomenologischen Ansätzen vor. Da durch die Verortung eine gemeinsame Funktion besteht, die auch ein Alleinstellungsmerkmal ausmacht, werde ich in Kapitel drei bei meiner eigenen Raumdefinition versuchen, diese Raumvorstellung genauer zu fassen. Darstellung von Raum Eine Beschäftigung mit den sprachlichen und den sonstigen textuellen Mitteln zur Erzeugung von Raum im Erzähltext findet sich nur ansatzweise. Wünschenswert wäre eine genaue Beschreibung der sprachlichen Referenz auf Raum, bei der auch berücksichtigt wird, dass Raum nicht immer explizit bezeichnet werden muss. Daran müssten sich Überlegungen anschließen, wann wie viel Raum zu ergänzen ist, und welchem Leser diese Ergänzungsoperationen zugeschrieben werden können. Dies ist bis jetzt wohl deshalb noch nicht geschehen, weil bis auf die sehr knappen Überlegungen von Kahrmann/Reiß/ Schluchter kein Versuch vorliegt, die raumnarratologischen Überlegungen an ein Modell narrativer Kommunikation rückzubinden. Bisher nicht systematisch beantwortet wurde die Frage, welche erzählerischen Mittel es zur Darstellung von Raum gibt. In der bisherigen Forschung finden sich nur vereinzelte Bemerkungen, wie z. B. die Vorschläge, die Perspektive, die Detailfülle und die Größe des
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2 Forschungsbericht
gewählten Fokus zu analysieren. Daneben gehen einige Forscher, wie z. B. Bal, Ronen oder Zoran, davon aus, dass beim Erzählen eigene Raumeinheiten des Erzählens entstehen. Diese und weitere Darstellungstechniken und ihre strukturbildende Funktion möchte ich in Kapitel sechs beschreiben. Rauminformationen Die Frage, welche Informationen räumlichen Gegebenheiten zukommen können, und in welcher Form diese Rauminformationen im Text oder als außertextuelles Wissen vorliegen, wurde bisher nur ansatzweise systematisch und auch nur für räumliche Relationen behandelt. Zumindest eine Unterscheidung von Einzelinformationen, von räumlichen und nicht-räumlichen Informationen und von verschiedenen Verknüpfungen mit Figurenwissen und Wissen über Handlungsabläufe erscheint als Desiderat und soll in Kapitel sieben versucht werden. Semantisierung/Funktionalisierung Hier liegt ein Schwerpunkt der bisherigen Forschung. Besonders häufig wird die Bedeutung von Raum als Semantisierung räumlicher Relationen gefasst. Anschlussfähige Überlegungen zum Symbolcharakter von Raum liegen ebenfalls vor. Die Eigenheit von Raum, andere Ebenen des Textes verdoppelnd und bildlich zu veranschaulichen, wird häufig als besonderes Charakteristikum hervorgehoben. Diese Aspekte werden teilweise auch unter der Bezeichnung „Funktion“ von Raum verhandelt. Makroebene des Raumes Es finden sich einige Überlegungen dazu, dass Raum als Ganzes ein anderes Analyseinstrumentarium erfordert als die Analyse einzelner räumlicher Gegebenheiten. Die hierfür vorgeschlagene Berücksichtigung der Raumstrukturen (Wege, Regionen/Container/Bereiche, Landmarken etc.) einerseits und topologischer Eigenschaften (Grenze, Stetigkeit, Ausdehnung etc.) andererseits erscheint plausibel. In der vorliegenden Arbeit möchte ich mich auf die Aspekte Raumkonzept, Darstellung von Raum, Rauminformationen und Raum-
2.4 Zusammenfassung der Forschungslage, Desiderate
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strukturen konzentrieren. Hier besteht meines Erachtens der größte Klärungsbedarf, und diese Aspekte sind auch die Grundlage für die Semantisierung von Raum und für seine Funktionalisierung als Symbol für Handlungsaspekte und Figureneigenschaften.
3 Der konkrete Raum der erzählten Welt Um zu verhindern, dass es einem ergeht wie dem armen Schulmeisterlein Wutz aus Die unsichtbare Loge von Jean Paul, das durch seine Armut gezwungen ist, sich selbst eine philosophische Bibliothek zusammen zu schreiben, und dabei „im ganzen Federschen Traktat über Raum und Zeit von nichts handelte als vom Schiffs-Raum und der Zeit, die man bei Weibern Menses nennt“, soll nun bestimmt werden, was im Folgenden gemeint ist, wenn von „konkretem Raum der erzählten Welt“ die Rede ist.1 Der Begriff der ‚erzählten Welt‘ umfasst die Handlung sowie die Gesamtheit der Figuren, Objekte und räumlichen Gegebenheiten. ‚Konkret‘ verstehe ich im Sinne von ‚sinnlich, anschaulich gegeben‘, wobei die Anschaulichkeit im narrativen Text als Komponente eines semantischen Konzepts vorliegt, auf das referiert wird. Das Vorhandensein von erzählter Wahrnehmung ist für die Konkretheit keine notwendige Voraussetzung. Die bereits in der Einleitung aufgestellte These, dass eine metaphorische Verwendung des Raumbegriffs narratologisch einige Probleme mit sich bringt, soll hier nun noch an den Ansätzen von Genette und Frank belegt werden.2 Genette identifiziert vier Arten von Räumlichkeit als Wesensaspekte von Literatur, wobei er ‚Räumlichkeit‘ im Sinne einer „spatialité active et non passive, signifiante et non signifiée“ versteht.3 An erster Stelle nennt er die Räumlichkeit der Sprache, die dadurch gegeben ist, dass man Sprache als System ver_____________ 1 2
3
Unsichtbare Loge: 412, Hervorhebung im Original. Die Wichtigkeit einer Trennung der metaphorischen und der eigentlichen Konzeptualisierung des Raumes betont jüngst auch wieder Ryan. Bei ihr auch weitere metaphorische Ansätze (vgl. Ryan 2009: 420 f.). Genette 1969: 44. Ein aktueller Anschluss an die Ebenendifferenzierung von Genette findet sich bei Sasse (Sasse 2009). In ihrem Beitrag zum Sammelband Raumwissenschaften verwendet sie Genettes Konzept dazu, auf jeder der vier Ebenen die Verbindung zu zahlreichen literaturwissenschaftlichen Ansätzen herzustellen, um die Literaturwissenschaft als Raumwissenschaft präsentieren zu können. Es handelt sich dabei allerdings eher um eine relativ willkürliche Zusammenstellung von literaturwissenschaftlichen Zugangsweisen zu Texten als um eine systematische Darstellung raumorientierter Ansätze in der Literaturwissenschaft.
3 Der konkrete Raum der erzählten Welt
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steht, in dem jedes Element seinen Platz hat. Zum Zweiten erwähnt er denjenigen Raum, den die Schrift auf dem Papier einnimmt. Dieser Raum kann als Symbol für die Räumlichkeit des Sprachsystems fungieren. Drittens spricht er von Mehrdimensionalität auf der semantischen Ebene, die durch den Gebrauch rhetorischer Figuren entsteht, und bezeichnet diese als „Raum“. Als vierte Art von Räumlichkeit von Literatur bestimmt Genette denjenigen Raum, der sich ergibt, wenn man sich die literarische Produktion in ihrer Gesamtheit als Menge simultan vorliegender und anonymer Werke vorstellt. Die Bibliothek ist seiner Meinung nach das beste Symbol für die Räumlichkeit der Literatur in diesem letzten Sinn. Nur bei der Bezeichnung der materiellen Ausprägung von Schrift handelt es sich um die Bezeichnung von konkretem Raum. Ansonsten sind alle Begriffsverwendungen von ‚Raum‘ metaphorisch. Beim ersten und vierten Konzept werden Phänomene, die systematisch gefasst werden sollen (Sprache bzw. Literatur) als proprium durch eine Vorstellung von Raum verdeutlicht, bei der der Raum die Gesamtheit von Verbindungen zwischen gleichzeitig existierenden Punkten ist. Beim dritten Konzept wird die Verbindung von eigentlichem und uneigentlichem Sprechen (proprium) durch den Bildbereich einer dimensionalen Ausdehnung gefasst. Ein weiteres, sehr bekanntes Beispiel für die metaphorische Verwendung von Raum stellt das Konzept der spatial form von Frank dar.1 Frank verwendet die Bezeichnung spatial form zunächst hauptsächlich dazu, eine Eigenart moderner Literatur und bildender Kunst zu beschreiben und bezieht sich auf Texte von Pound, Eliot, Flaubert, Joyce, Barnes und auf einige plastische Kunstwerke. Als besonderes Merkmal dieser Werke bestimmt Frank den Eindruck von Simultaneität und er verwendet die Bezeichnung spatial form allgemein für diejenigen Techniken, die diesen Eindruck hervorrufen. Bei Lyrik kommt der Simultaneitätseindruck beispielsweise dadurch zu Stande, dass die semantische Kohärenz durch inkongruente oder hermetische sprachliche Bilder aufgehoben wird. Bei narrativen Texten reicht es aus, den Zeitfluss zu unterbrechen. Das kann z. B. durch einen häufigen Wechsel zwischen verschiedenen Erzählebenen, oder durch die Erwähnung mehrerer Ereignisse innerhalb eines Satzes geschehen, die _____________
1
Frank 1963, zu Anschlüssen an Frank vgl. z. B. Timpe 1971, Marcotte 1974, Gullon 1975, Arnheim 1978, Kestner 1978, Smitten 1978, Smitten/Daghistany 1981, Brynchildsvoll 1993.
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3 Der konkrete Raum der erzählten Welt
an verschiedenen Orten zur gleichen Zeit ablaufen.2 Beim Konzept der spatial form liegt deshalb eine metaphorische Verwendung von ‚Raum‘ vor, weil ein eigentlich semantisches Phänomen durch eine räumliche Vorstellung illustriert wird: Das Fehlen einer Hierarchie (von Bedeutungsalternativen) bzw. das Fehlen einer klaren zeitlichen Abfolge (Bewusstseinsprozesse, gleichzeitig ablaufende Prozesse) wird als räumlicher Simultaneitätseindruck gefasst. Die Möglichkeiten der metaphorischen Übertragung des Raumbegriffs sind zahlreich und ebenso zahlreich sind auch die narrativen Phänomene, die dabei gemeinsam verhandelt werden.3 Als „Raum“ oder „Räumlichkeit“ werden über den konkreten Raum der erzählten Welt hinaus z. B. die folgenden Phänomene bezeichnet: semantische Inkongruenzen und Mehrdeutigkeiten, die Abwesenheit einer klaren zeitlichen Struktur, der Umfang der hermeneutischen Operationen, die sich an einen Text anschließen lassen oder derjenige Raum, den Buchstaben auf dem Papier einnehmen. Da es zur Medialität, zur Zeitgestaltung und zur Semantik bzw. Pragmatik eigene ausdifferenzierte Konzepte gibt, scheint es mir sinnvoller, die genannten Phänomene in diesem Kontext zu behandeln, als heterogene Phänomene unter einem allzu weit gefassten Raumbegriff zu subsumieren. Aus diesem Grund interessieren mich im Folgenden ausschließlich Überlegungen zum konkreten Raum der erzählten Welt.
3.1 Diskussion prominenter Raumkonzepte Ich werde nun einige Raumkonzepte, die in der bisherigen erzähltheoretischen Forschung und im Rahmen der Debatte um den spatial turn Verwendung gefunden haben, auf ihre Tauglichkeit für eine Narrato_____________
2
3
Problematisch ist hier v.a. der Umkehrschluss, der sich im Anschluss an Frank häufig findet, nach dem jede nicht-chronologische Anordnung per se eine räumliche ist. Auf diese Weise werden z. B. auch die Darstellung von Bewusstseinsprozessen oder die Technik des inneren Monologs als räumliche Formen bezeichnet (vgl. Smitten/Daghistany 1981). O’Toole bezeichnet bei seiner sehr weiten, metaphorischen und nichtmetaphorischen Verwendung des Raumbegriffs sowohl die Figuren und den konkreten Raum als auch Zeit und Perspektive als die verschiedenen Dimensionen von Raum (dimensions of space) im Erzähltext (vgl. O’Toole 1980: 135). Malmgren versteht unter fictional space sogar noch mehr: die erzählte Welt inklusive der erzählten Geschichte und das Wie des Erzählens und die Verstehensoperationen eines nicht näher spezifizierten Lesers bei der Lektüre (vgl. Malmgren 1985).
3.1 Diskussion prominenter Raumkonzepte
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logie des konkreten Raumes überprüfen. Dazu möchte ich immer wieder auf zwei Textstellen aus Der Goldne Topf von E. T. A. Hoffmann zurückkommen. In der ersten Textstelle haben wir es wohl unstrittig mit konkretem Raum zu tun: Am Himmelfahrtstage, nachmittags um drei Uhr, rannte ein junger Mensch in Dresden durchs Schwarze Tor, und geradezu in einen Korb mit Äpfeln und Kuchen hinein, die ein altes häßliches Weib feilbot […]. Auf das Zetergeschrei, das die Alte erhob, verließen die Gevatterinnen ihre Kuchen- und Branntweintische, umringten den jungen Menschen und schimpften mit pöbelhaftem Ungestüm auf ihn hinein […]. Als der Student schon beinahe das Ende der Allee erreicht, die nach dem Linkischen Bade führt, wollte ihm beinahe der Atem ausgehen.4
In der zweiten Textstelle, in der Anselmus in einer Flasche sitzt, stellt sich die Frage, ob die Flasche als konkreter Raum der erzählten Welt bezeichnet werden kann: Als er wieder zu sich selbst kam, konnte er sich nicht regen und bewegen, er war wie von einem glänzenden Schein umgeben, an dem er sich, wollte er nur die Hand erheben oder sonst sich rühren, stieß. – Ach! er saß in einer wohlverstopften Kristallflasche auf einem Repositorium im Bibliothekzimmer des Archivarius Lindhorst.5
Anselmus befindet sich offensichtlich auf ähnliche Weise in der Flasche, wie er zuvor in Dresden war, so dass eine Gegenstandsbestimmung sinnvoll erscheint, die beide Fälle abdeckt. Als erste Definition von „Raum“ möchte ich Zorans Bestimmung des konkreten Raumes durch die Merkmale Volumen, Ausdehnung und Dreidimensionalität heranziehen.6 Zunächst einmal scheint diese weite, der Physik entlehnte Definition, brauchbar zu sein, da auch die Flasche als dreidimensionales Objekt mit Volumen und Ausdehnung als „Raum“ bezeichnet werden kann. Allerdings wären auch die Figuren, Dresden, das Schwarze Tor, das Linkische Bad, die Allee, der Korb mit Äpfeln und Kuchen und die Tische aus dem ersten Textbeispiel zum Raum zu zählen, weil sie diese Merkmale aufweisen. Hier stellt sich nun die Frage, ob es nicht sinnvoll wäre, eine Unterscheidung zu treffen zwischen solchen Objekten, die selbst Raum sind und _____________
4 5 6
Der Goldne Topf: 9 f. Der Goldne Topf: 68. Offenbar ist auch Zoran dieses Konzept zu weit gefasst. Ohne Kommentar verwendet er im Weiteren nur noch das Konzept der Topographie (vgl. z. B. das basale topographical level). Er beschränkt sich auch in seinen Beispielen fast ausschließlich auf topographische Gegebenheiten (siehe Zoran 1984: 316 ff.).
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3 Der konkrete Raum der erzählten Welt
solchen, die man eher als mobile Objekte im Raum bezeichnen würde. Dafür scheint sich das Konzept der Topographie zu eignen. Unter ‚Topographie‘, versteht man sowohl eine Beschreibungstechnik als auch eine Strukturierungsform des Raumes.7 Die erste Bedeutung ist im Sinne der Etymologie aus dem Griechischen von topos, Ort, und graphein, schreiben, als Ortsbeschreibung zu verstehen. Als solche ist die Topographie ein Teilgebiet der Geodäsie, derjenigen Wissenschaft, die sich mit der Erfassung und Vermessung der Erdoberfläche befasst. Verzeichnet werden diejenigen Gegebenheiten der Erdoberfläche, von denen sich Länge, Breite und Höhe angeben lassen, und die im jeweiligen Maßstab noch erfasst werden können. Die zweite Bedeutung meint das Ergebnis der topographischen Ortsbeschreibung.8 Alle Objekte, die in einer Karte verzeichnet werden könnten, werden als „topographische Objekte“ bezeichnet. Diese lassen sich noch in Siedlungen, Verkehrswege, Gewässer, natürliche und künstliche Vegetationsflächen und Höhen- und Geländeformen unterteilen. Darüber hinaus werden in eine topographische Karte aber auch Einzelobjekte aufgenommen, die genau genommen zu klein wären, um maßstabsgetreu ikonisch mit ihren Umrissen abgebildet zu werden, die aber kulturell bedeutsam sind. So werden beispielsweise Schulen wegen ihrer institutionellen, Sendeanlagen wegen ihrer kommunikationstechnischen Relevanz, Einzelbäume oder Türme wegen ihrer Salienz und Denkmäler und Ruinen auf Grund ihrer historischen und kulturellen Bedeutung erfasst und durch Symbole dargestellt. Was zur Topographie zu zählen ist, ist also nur zum Teil strukturell-materiell bestimmt, zum Teil aber auch kulturell. Einziges notwendiges Merkmal ist das Kriterium, dass die Objekte als Teil der Erdoberfläche verstanden werden können müssen. Im ersten Beispiel aus Der Goldne Topf lassen sich Dresden, das Schwarze Tor, das Linkische Bad und die Allee als topographische Objekte identifizieren und so von den Figuren, dem Korb mit Äpfeln und Kuchen und auch den Tischen unterscheiden. Allerdings sind viele andere Gegebenheiten, die man normalerweise auch als „Raum“ bezeichnen würde, streng genommen keine topographischen Objekte. Dazu zählen beispielsweise das Innere von Gebäuden, alle mobilen Objekte und auch die Flasche, in der Anselmus später sitzt. _____________
7 8
Vgl. z. B. Miller 1995: 3. Vgl. im Folgenden Kohlstock 2004: 85-103.
3.1 Diskussion prominenter Raumkonzepte
53
Die Menge derjenigen Objekte, die mithilfe der Topographie als „Raum“ bezeichnet werden können, ist offensichtlich zu klein, um dieses Konzept für eine Definition des konkreten Raumes der erzählten Welt nutzen zu können. Deshalb soll mit der Topologie als nächstes ein Konzept diskutierte werden, das nicht eine Menge von Objekten als Raum ausweist, sondern den Ort und die Beziehungen zwischen Orten in den Vordergrund rückt. Mit Günzel lassen sich zwei Ausformungen der Topologie unterscheiden, die in der derzeitigen spatial turn-Debatte sehr präsent sind:9 eine strukturalistische und eine phänomenologische.10 In der strukturalistischen Konzeptualisierung stützt man sich auf die mathematische Topologie aus der Algebra. Es interessieren diejenigen Beziehungen zwischen Elementen, die gleich bleiben, auch wenn die Strecken zwischen ihnen eine andere Form annehmen.11 Wesentlich ist, dass es bei einer Transformation zu keiner Unterbrechung zwischen den Elementen kommen kann. Solche Beziehungen sind z. B. Enthaltenseinsrelationen aber auch alle Manifestationen von Kontakt, Nähe und Abgrenzung. In den Geistes- und Sozialwissenschaften wird dieses Konzept auch im übertragenen Sinn verwendet, wobei jede Menge von Elementen, die simultan vorliegen, topologisch beschrieben wird. Als Elemente kommen so unterschiedliche Dinge wie Reflexionsprozesse, Nationalstaaten, ideologische Konzepte, aber auch konkrete räumliche Verhältnisse in Frage. Der Raum selbst wird als Epiphänomen der Relationierung von Elementen konzipiert, existiert nicht vor und unabhängig von diesen und weist auch keine eigenen Merkmale auf.12 Die strukturalistische Topologie ist folglich ein gutes Instrument zur abstrahierenden Beschreibung räumlicher Relationen und Strukturen, eignet sich aber nicht zur Beantwortung der Frage, _____________
9
10 11
12
Vgl. zur Konjunktur des Topologie-Begriffs z. B. jüngst den Sammelband von Günzel (Günzel 2007a). Vgl. im Folgenden Günzel 2007b: 21-27. Diese Form der Topologie geht auf Leibniz und Euler zurück. Sie wurde 1847 von Listing als ‚Topologie‘ in die Mathematik eingeführt (vgl. Günzel 2007b: 21 ff.). Symptomatisch für diese Anschlussmöglichkeiten in der Literaturwissenschaft ist Lotmans Verwendung der Topologie (Lotman 1974a). Lotman zitiert zunächst ein topologisches Raumkonzept, das ganz auf räumliche Relationen zwischen allen Arten von Objekten abzielt (vgl. Lotman 1974a: 343). Sobald es jedoch um konkrete räumliche Gegebenheiten geht, ignoriert er die ontologischen Implikationen dieses Konzepts und argumentiert von einem bereits gegebenen Gesamtraum her, in dem sich die Beziehungen zwischen Elementen mit topologischen Termini beschreiben lassen (vgl. z. B. Lotman 1974a: 209-227).
54
3 Der konkrete Raum der erzählten Welt
wie der Raum beschaffen ist, in dem sich die Figuren einer Erzählung bewegen oder in dem Objekte und Ereignisse relationiert werden.13 Im Gegensatz dazu ist der Raum in der phänomenologischen Ausprägung von Topologie kein Produkt der Beziehung zwischen Objekten, sondern als Erfahrungsraum der Erfahrung vorgängig. Der Raum wird jedoch nicht unabhängig von Orten und Strukturen als eigenständige Kategorie beschrieben. Grundeinheit ist der Ort, der im aristotelischen Sinn als Hohlform von Objekten oder als Gegenstück zu deren Oberfläche verstanden wird. Untersucht werden Strukturen bzw. einzelne räumliche Gegebenheiten, die in der Erfahrung des Menschen eine besondere Rolle spielen.14 Diese lassen sich zwar be_____________
13 14
Vgl. auch Kapitel 7.2 dieser Arbeit. Für die psychologisch-philosophische Phänomenologie sind hier die Arbeiten von Lewin zur Struktur von Kriegslandschaften und Heideggers fundamentalontologische Verwendung des Aristotelischen Toposbegriffs grundlegend (Lewin 2006, Heidegger 1996). Beispiele für die Untersuchung von Gegebenheiten und räumlichen Strukturen in literarischen Texten, die für den Menschen eine besondere Bedeutung haben, finden sich in den Arbeiten von Merleau-Ponty, Bachelard und Bollnow. Merleau-Ponty plädiert dafür, die Tiefendimension des Sehens als Charakteristikum des gelebten Raumes anzusetzen, weil man nur so der Tatsache gerecht werden könne, dass der erfahrene und gelebte Raum vom Standpunkt des Einzelnen aus konzipiert sei (Merleau-Ponty 2003). Um zu einer angemessenen Darstellung des Raumes zu kommen, sollte die strenge Dichotomie von innen und außen seiner Meinung nach aufgegeben werden und die Beschäftigung mit topologischen Figuren wie Faltungen und Höhlungen in den Vordergrund treten. Bachelard kombiniert Ergebnisse der Psychoanalyse mit Zitaten aus der Lyrik des 19. Jahrhunderts zu einer neuen Form der Raumbeschreibung (Bachelard 1987). Nicht die Literatur steht im Zentrum seines Interesses, wie der Titel Poetik des Raumes vielleicht vermuten lässt, sondern der lebensweltliche Raum. Ausgehend von Räumen in Romanen, die eine besondere Wirkung hervorrufen, stellt Bachelard Betrachtungen über die Beschaffenheit und Bedeutung dieser Räume in der aktualen Welt an. Er beschreibt z. B. das Haus vom Keller bis zum Dachboden als Erfahrungsraum, der das menschliche Unbewusste beeinflusst, und geht dabei auch auf kleinste Formen wie Schubladen, Winkel und Rundungen ein. Die Anwendungsmöglichkeiten von Bachelards Erkenntnissen für die Analyse von Erzähltexten sind dadurch begrenzt, dass der Ansatz unhistorisch ist und auf Annahmen der Psychoanalyse basiert. Bollnow behandelt in Mensch und Raum „Die elementaren Gliederungen des Raumes“ (Achsensystem, Mitte, Himmelsrichtungen, Horizont und Perspektive), „Die weite Welt“ (Weite, Fremde, Ferne, Weg, Straße, Wanderpfad) „Die Geborgenheit des Hauses“ (Haus, sakraler Raum, Wohnlichkeit, Tür, Fenster, Bett, Aufwachen, Einschlafen), „Aspekte des Raums“ (hodologischer Raum, Handlungsraum, Tagraum, Nachtraum, gestimmter Raum, präsentischer Raum, Raum des menschlichen Zusammenlebens) und „Die Räumlichkeit des menschlichen Lebens“ (Im-Raum-sein, Raum-haben, Formen des Eigenraums wie den Wohnbereich oder den Leib) (Bollnow 1963). Im Kontrast zu Heideggers Annahme von Geworfenheit und Angst als Grundexistentialien geht Bollnow vom „bergenden
3.1 Diskussion prominenter Raumkonzepte
55
nennen und vergleichend untersuchen – im ersten Beispiel aus Der Goldne Topf wären das z. B. das Tor, der Platz, die Allee und das Bad – ein Konzept davon, was die Materialität von Raum ausmacht, wird dabei aber immer schon vorausgesetzt. Weder die strukturalistische noch die phänomenologische Topologie verwenden folglich einen Raumbegriff, der sich als Gegenstandsdefinition für den konkreten Raum der erzählten Welt eignet. Gesucht ist deshalb weiterhin ein möglichst weites Raumkonzept, das ein in gewisser Weise vortheoretisches Bedürfnis befriedigt, so unterschiedliche Objekte wie topographische Gegebenheiten aber auch Glasflaschen, Schiffe und Autos als Raum bezeichnen zu können, dabei aber nicht zugleich auch alle Arten von Objekten einbeziehen zu müssen. In gewisser Hinsicht erfüllt das Konzept des ‚erlebten Raumes‘ diese Bedingungen.15 Hoffmann verwendet es in der bisher umfangreichsten Monographie zum Raum und es ist vermutlich auch dasjenige Konzept, das neben der strukturalistischen Topologie bisher am häufigsten in Textanalysen zum Einsatz gekommen ist. Ausgehend von der phänomenologischen Grundannahme, dass Wahrnehmung, Leiblichkeit und Räumlichkeit als Konstituenten des menschlichen Seins zu verstehen sind, wird der ‚erlebte Raum‘ nicht im euklidischgeometrischen Sinne als messbares Objekt verstanden, sondern als Gegenstand des Erlebens konzipiert. Dabei handelt es sich nicht um ein subjektives Erleben, sondern um eine grundlegende menschliche Erfahrung des eigenen Körpers im Raum, die mit dem Raum selbst gleichgesetzt wird. Die wichtigsten Merkmale des erlebten Raumes _____________ 15
Charakter des Raumes“ aus. Auch er belegt seine Thesen mit Zitaten aus lyrischen Texten. Der Begriff des ‚erlebten Raumes‘ geht auf den des ‚gelebten Raumes‘ zurück, den Karlfried Dürckheim in seinen Untersuchungen zum gelebten Raum einführt. Dürckheim definiert diesen wie folgt: „Der gelebte Raum ist für das Selbst Medium der leibhaftigen Verwirklichung, Gegenform oder Verbreiterung, Bedroher oder Bewahrer, Durchgang oder Bleibe, Fremde oder Heimat, Material, Erfüllungsort und Entfaltungsmöglichkeit, Widerstand und Grenze, Organ und Gegenspieler dieses Selbstes in seiner augenblicklichen Seins- und Lebenswirklichkeit.“ (Dürckheim 2005: 389). In diesem Sinne sind auch distance vécue und espace vécu von Minkowski zu verstehen (vgl. Minkowski: 1933: 43). Bollnow spricht dann von einem „erlebten Raum“, weil er der Tatsache gerecht werden möchte, dass leben im Deutschen ein intransitives Verb ist (Bollnow 1963: 18). Hoffmann verwendet in seiner Monographie zum Raum später wieder die Bezeichnung des ‚gelebten Raumes‘, weil er akzentuieren möchte, dass es sich nicht um einen subjektiven Eindruck eines Individuums handelt (vgl. Hoffmann 1978: 4).
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3 Der konkrete Raum der erzählten Welt
sind die Orientiertheit, die Verhaltens- und Bewegungssicherheit, das Bewusstsein der Position und die Gestimmtheit. Eine Bestimmung räumlicher Einheiten findet sich nicht, Wahrnehmung und Verhalten des Menschen stehen im Vordergrund. Bei der Anwendung auf literarische Texte erscheint zum einen die Tatsache problematisch, dass Grundlagen der alltäglichen menschlichen Raumauffassung wie körperliche Erfahrbarkeit auch zu einer Festlegung der narratologischen Beschreibung des Textes auf bestimmte Themen führen. Es interessieren hauptsächlich Räume, die von Figuren erlebt werden,16 und die Erkenntnis, dass die körperliche Raumerfahrung wesentlich unser Verständnis von „Raum“ bestimmt, wird auf die Feststellung reduziert, dass der Raum immer einen Mittelpunkt haben muss, der entweder durch das erlebende Subjekt oder durch eine Übertragung der Raumachsen auf einen solchen Punkt gegeben ist. Exakte Angaben zu Entfernungen und die Verwendung von Toponymika und geographischen Bezeichnungen erscheinen von dieser Konzeption aus defizitär und können nicht beschrieben werden. Im Zentrum steht die Frage, wie ein Subjekt oder ein Kollektiv eine räumliche Gegebenheit erlebt, so dass eher dieses Erleben als der Raum selbst beschrieben werden kann. Als Kriterien für die Beschränkung des Gegenstandsbereiches möchte ich diese Merkmale des Konzepts des erlebten Raumes folglich nicht übernehmen. In werde in Kapitel 3.3 zwar eine Beschränkung auf solche Räume wählen, die Umgebungen von Figuren sind oder werden können, das Vorliegen von Raumerfahrung oder die tatsächliche Anwesenheit von Figuren spielen für eine Bestimmung dessen, was Raum ist, jedoch keine Rolle. Weitere Konzepte, in denen der konkrete Raum vom Menschen her gedacht wird, finden sich in der Geographie. Die Ansätze der Geographie wurden lange Zeit nicht nur in der Beschäftigung mit dem Raum in der Erzähltheorie vernachlässigt, sondern waren auch in der gesamten spatial-turn-Debatte unterrepräsentiert.17 Die Geographie als wissenschaftliche Disziplin hat ihren Rahmen inzwischen recht weit gesteckt: _____________ 16
17
Vgl. z. B. die Studien von Berghahn zur Raumdarstellung im englischen Roman der Moderne und von Bronfen zu Richardsons Romanzyklus Pilgrimage (Berghahn 1988, Bronfen 1986). Eine Ausnahme stellen der Aktionsraum und der Anschauungsraum bei Hoffmann dar (vgl. Hoffmann 1978: 79-108). Vgl. zu dieser Ansicht auch Lossau 2007: 56. Im zuletzt erschienen Sammelband zum spatial turn ist allerdings der ganze zweite Teil der Humangeographie gewidmet (vgl. Döring/Thielmann 2008).
3.1 Diskussion prominenter Raumkonzepte
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Geographie als Wissenschaft wird üblicherweise definiert als die Wissenschaft von der Erdoberfläche in ihrer räumlichen Differenzierung, ihrer physischen Beschaffenheit sowie als Raum und Ort des menschlichen Handelns. Sie beschäftigt sich insofern nicht nur mit der Erdoberfläche, sondern auch mit dem Menschen und seiner physischen und sozialen Umwelt.18
Das Fach teilt sich in die physische Geographie und in die Humangeographie. Während in der physischen Geographie diejenigen Differenzierungen der Erdoberfläche interessieren, die man auf Landkarten verzeichnen kann, beschäftigt sich die Humangeographie mit der Raumwirksamkeit des Menschen und seiner Raumwahrnehmung. Die hier interessierende Humangeographie ist eine facettenreiche Wissenschaft mit vielen Unterdifferenzierungen, die in den 1970er und 1980er Jahren im Zuge einer Ausweitung der bisherigen Konzentration auf die Erdbeschreibung entstanden sind.19 Man verabschiedete die Ausgangsweise von den Geofaktoren und vom Naturdeterminismus und untersuchte die Formierung und Semantisierung von Raum durch gesellschaftliche, kulturelle und wirtschaftliche Faktoren. Dabei verzichtete man bewusst auf eine vorgängige Definition von ‚Raum‘. Es entstanden die Sozialgeographie, die Kulturgeographie und die Wirtschaftsgeographie, die den Raum und seine Gemachtheit zum Untersuchungsgegenstand erklärten. Prominentester Vertreter der Sozialgeographie ist Werlen mit seiner Theorie der signifikativen Regionalisierung.20 In Ausweitung seines handlungsorientierten Ansatzes werden auch sprachliche Prozesse der sozialen Konstruktion von Raum analysiert. Anstatt zu bestimmen, was der Raum an sich ist, widmet man sich nun der Frage nach den Modalitäten des „Geographie-Machens“ im Alltag.21 Hier zeigt sich, dass die substanzialisierende Containerraumvorstellungen, die auf einer wissenschaftstheoretischen Ebene wegen Ideologieverdachts verabschiedet worden war, über die Beschreibung der alltäglichen Kommunikationspraxis wieder Eingang in die Geographie findet.22 Diese Orientierung an einem alltäglichen Verständnis hat eine gewisse Tradition. In den letzten zwanzig Jahren wurde vermehrt versucht, Beschreibungen der vortheoretischen, im Alltag verwendeten Vorstel_____________
18 19 20 21 22
Blotevogel 2002: 15. Im Folgenden vgl. Werlen 2000: 205. Werlen 1995, 1997. Schlottmann 2005a: 43. Miggelbrink 2002, Schlottmann 2005a. Einen Überblick über die Arbeiten zum Theorem des ‚Geographie-Machens‘ bietet Werlen (Werlen 2008).
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3 Der konkrete Raum der erzählten Welt
lungen bestimmter Wissensbereiche anzufertigen. Auf diese Weise sollte erfasst werden, dass viele Wissensgebiete in der nichtwissenschaftlichen Kommunikation eigene Konzepte haben, die von der Auffassung der jeweils zuständigen Wissenschaftsdisziplin abweichen und die vor allem von menschlichen Bedingtheiten und Bedürfnissen bestimmt sind. Es finden sich z. B. Beschreibungen der Alltagspsychologie, mit deren Hilfe wir im Alltag das Verhalten anderer Menschen erklären und vorauszubestimmen versuchen, der Alltagsbiologie oder auch von naiven Theorien der Bewegung.23 Eine Beschreibung der Alltagsvorstellung von Raum im Allgemeinen scheint es bisher nicht zu geben, für ein alltägliches Verständnis von Geographie führt die Sozialgeographin Antje Schlottmann aber die folgenden Merkmale an: 1.
2.
3.
4.
5.
Objektivität und Objekthaftigkeit: Dem ‚Raum‘ wird eine beobachterunabhängige Seinsweise zugesprochen. Er wird als Gegenstand behandelt, dessen Existenzart es ‚richtig‘ zu bestimmen gilt. ‚Raum‘ ist ein oppositioneller Begriff zum ‚Gesellschaftlichen‘. Kategorialität und Disparatheit: Der Raum ist – neben der Zeit – eine grundlegende Kategorie der Einordnung bzw. Zuordnung. Jegliches hat seine Zeit und seinen Ort. Auf dieser Basis werden Ungleichheiten kategoriell erfasst. Indem Raumausschnitte als Projektionsflächen für Sachverhalte dienen, bekommen auch die eingeordneten Gegenstände (Menschen, Kultur, Artefakte etc.) die gleichen Qualitäten: Teilbarkeit, Unterscheidbarkeit auf der Grundlage trennscharfer Grenzen (jeder Mensch, jedes Bauwerk, jede Kultur gehört auf einer Ebene genau einer Kategorie an). Diskretheit und Additivität: Raum ist etwas, das sich abgrenzen und in Einheiten zerlegen lässt, die sich nicht überschneiden und in ihrer Summe eine endliche Ganzheit ergeben. Die räumliche (territoriale) Welt ist die Summe ihrer diskret begrenzten Raumausschnitte. Diskontinuität, Distinktion und Kontinuität/Homogenität: In einer räumlichen Dimension sind die diskreten Einheiten diskontinuierlich im Sinne einer Unterschiedlichkeit (‚distinkt‘). Innerhalb der Kategorien wird von einem lückenlosen, kontinuierlichen Zusammenhang und einer Gleichartigkeit (Homogenität) ausgegangen. Endliche Extensität: Räume haben ein Innen und ein Außen, sie werden als begrenzte Einheiten mit einer endlichen flächenhaften (planimetrischen) Ausdehnung aufgefasst (‚Containerraum‘).
_____________ 23
Zur Alltagspsychologie vgl. Davies/Stone 1998, zur folk biology vgl. Medin/Atran 1999, zu naive theories of motion vgl. McCloskey 1983 und zur naive Sociology Hirschfeld 2001.
3.2 Exkurs
6.
59
Stabilität/Konstanz: Raum ist – als Dimension neben der dynamischen Zeit – in seiner Konnotation selbst zeitlos. Gegebenheiten sind durch ihre ‚Verortung‘ fixiert und erhalten in der räumlichen Repräsentation einen statischen Charakter.24
An erster Stelle wird hier die Tatsache festgehalten, dass der Raum wie ein Objekt verstanden wird, das vor und außerhalb der menschlichen Wahrnehmung existiert und das der Gegenstand von Untersuchungen werden kann. Präzisierend kommen die endliche Extension, die im fünften Punkt mithilfe der Unterscheidung von innen und außen gefasst wurde, und die im sechsten Punkt erwähnte Stabilität hinzu. Räume haben eine flächenhafte Ausdehnung und der Gesamtraum wird als Kontinuum von diskreten, sich nicht überlappenden Einheiten verstanden. Jedes Objekt, jeder Mensch und jedes Ereignis kann zu einem bestimmten Zeitpunkt nur an einem Ort des konkreten Raumes lokalisiert werden. Einige Aspekte dieser Definition sind spezifisch sozialgeographisch gedacht und müssten für eine allgemeine Raumdefinition modifiziert werden. Zum einen betrifft das die im ersten Punkt formulierte Oppositionsbildung Raum-Gesellschaft, die durch die Opposition von Raum und Zeit zu ersetzen wäre. Zum anderen scheint der Verweis auf die soziale Ungleichheit im zweiten Punkt nicht zwingend zur Alltagsvorstellung von Raum zu gehören. Ein weiterer Punkt, der bereits in der Definition der alltäglichen Vorstellung von Geographie anzupassen wäre, bezieht sich auf das Merkmal der Stabilität von Räumen. Auch im Alltag werden Räume meiner Meinung nach als veränderbar durch Bebauung, landschaftliche Umgestaltung, Naturgewalten etc. konzipiert, so dass ich die Stabilität nicht als Merkmal anführen würde.
3.2 Exkurs: Die Alltagsvorstellung von Raum und ihre evolutionspsychologischen Grundlagen Die im vorangegangenen Kapitel vorgestellte Beschreibung des alltäglichen Verständnisses von Geographie ließ sich mit einigen Modifikationen zu einer Beschreibung der Alltagsvorstellung von konkretem
_____________ 24
Schlottmann 2005a: 43, Hervorhebung im Original.
60
3 Der konkrete Raum der erzählten Welt
Raum umformulieren.25 Die Alltagsvorstellung weist demnach mindestens die folgenden Merkmale auf: Der Raum ist ein wahrnehmungsunabhängig existierender Container mit Unterscheidung von innen und außen. Jeder Raum ist potentiell wieder in einem größeren Raum enthalten, umgekehrt besteht der Raum aus diskreten Einzelräumen. Da ich mit der Beschreibung einer Alltagsvorstellung von konkretem Raum Neuland betrete, möchte ich die Eckpfeiler dieses Konzepts – die Wahrnehmungsunabhängigkeit und die Konzeption von Raum als Container – näher ausführen, bevor ich in Kapitel 3.3 zu der Frage komme, inwieweit sich eine Alltagsvorstellung von Raum als Gegenstandsdefinition des konkreten Raumes der erzählten Welt eignet. In den Geistes- und Sozialwissenschaften wird das Thema ‚Raum‘ zumeist entlang der Dichotomie von absoluter und relativistischer Raumvorstellung diskutiert. Mit den gerade dargestellten Merkmalen wäre die soeben skizzierte Alltagsvorstellung der absoluten Raumvorstellung zuzuordnen. Ich möchte kurz darlegen, warum ich diese Bezeichnung bis jetzt vermieden habe und warum eine solche Zuordnung den Kern der Sache auch nicht trifft. Bei der Unterscheidung von absoluter und relativistischer Raumvorstellung handelt es sich um einen Anschluss an die Terminologie aus Physik, Philosophie und Astronomie. In diesen Wissenschaften stellt sich die Frage, ob der Raum eine vorgängige Existenzbedingung von Phänomenen bzw. ihrer Erkenntnis ist.26 Nach der einen Auffassung ist der Raum absolut, präexistent, endlich und ein Container für
_____________
25
26
Die universelle Gültigkeit dieser Vorstellung über die Grenzen aller Kulturen hinweg kann hier freilich weder behauptet noch bewiesen werden. Die Forschungsergebnisse von Levinson und Wilkins erweisen jedoch eine Konstanz der topologischen Konzepte in, an und bei über kulturelle Grenzen hinweg, auf denen auch die Containervorstellung basiert (vgl. Levinson/Wilkins 2006: 310-324). Kulturelle Varianz gibt es nach Ihren Forschungsergebnissen erst bei den sprachlichen Referenzsystemen für die Lokalisation von Objekten im Raum. Auch erste vergleichende Versuchsreihen zur ontogenetischen Entwicklung von Referenzsystemen bei Menschenaffen und Kindern haben ergeben, dass sich die Präferenz für diejenigen Referenzsysteme, die in einer jeweiligen Sprache vorherrschen, erst im Alter von etwa acht Jahren herausbildet (vgl. Gentner 2007). Vgl. zur Begriffsgeschichte in der Physik von Weizsäcker 1986: 237-240, zur Begriffsgeschichte in der Philosophie Gosztonyi 1976 und Jammer 1960 und in der Ästhetik Kambartel 1992.
3.2 Exkurs
61
alle Objekte und Menschen.27 Als „absolut“ wird der Raum deshalb bezeichnet, weil er unabhängig von Menschen und Objekten existiert. Stellen innerhalb dieses Raumes werden als „Orte“ bezeichnet. Jedes Objekt im Raum nimmt zu einem bestimmten Zeitpunkt nur einen Ort ein, der ebenfalls vor und unabhängig von ihm existiert. In dieser Vorstellung gibt es im Raum nur distinkte Objekte und es ist auch möglich, einen leeren Raum zu denken. Historisch sind dieser Auffassung z. B. Ptolemäus, Kopernikus, Kepler, Galilei und Newton zuzuordnen. Die andere prominente Raumvorstellung in der abendländischen Physik und Philosophie ist die relativistische Auffassung oder Konfigurationsauffassung von Raum. Sie wurde beispielsweise von Nikolaus von Kues, Bellarmin, Leibniz und Mach vertreten. In dieser wird ‚Raum‘ als Menge der Lagebeziehungen physikalischer Körper verstanden. ‚Raum‘ ist hier kein Behälter, sondern konstituiert sich erst aus diesen Lageverhältnissen. Raum und Ort existieren folglich nicht unabhängig oder vor den Körpern. Da sich Körper bewegen können, ist dieser Raum keine präexistente Konstante mit endlicher Ausdehnung wie der Containerraum, sondern kann sich auch verändern. Es gibt keinen leeren Raum, und ein Ort kann immer nur ein Ort von etwas sein. Befindet sich ein Körper nicht mehr an einem Ort, so hört auch der Ort auf zu existieren. In den Geistes- und Sozialwissenschaften wird die Entscheidung für eines dieser beiden Konzepte zumeist als Glaubensfrage diskutiert. Vor allem seit die Geographie die Behandlung von Raum als präexistenten Container als imperialistisch und politisch nicht korrekt dargestellt hat, bemüht man sich um eine Beschreibung von ‚Raum‘, die den ständigen Verweis auf seine Gemachtheit mitführt.28 Arbeitet man mit der absoluten Raumvorstellung, so setzt man sich dem Vorwurf aus, dass man die politische, soziale und perzeptuelle Konstruktion von Raum nicht berücksichtigt. Hierbei ist meines Erachtens zu beachten, dass durch die Beschreibung der Alltagsvorstellung als substantialistisch keine Aussage darüber getroffen wird, wie der ‚Raum an sich‘ beschaffen ist, oder ob es sich um eine ontologisch korrekte, _____________
27
28
Die Bezeichnung „Container“ geht auf Einsteins Vorwort zu Jammers Concepts of space zurück (Einstein 1960: XIII). Dieses Vorwort wurde zwar auf Deutsch geschrieben, Einstein verwendet aber das englische Wort container. Einstein bietet in diesem Vorwort eine knappe und konzise Gegenüberstellung der absoluten und der relativistischen Auffassung. Die Grenzen dieser Vorgehensweise werden bei Schlottmann differenziert diskutiert (vgl. Schlottmann 2005a: 30-49).
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bzw. naturwissenschaftlich adäquate Annahme handelt. Vielmehr geht es darum, der Tatsache gerecht zu werden, dass im Alltag alles das als „Raum“ bezeichnet wird, was als Container gefasst werden kann. Konkrete Räume werden dann so behandelt, als ob sie der Wahrnehmung vorgängig wären. Ein eingezäuntes Waldstück, ein Nationalstaat oder ein Ghetto mögen zwar genau genommen das Ergebnis sozialer Konstruktionen sein, im Alltag wird auf sie aber als Räume mit einer festen Innen-Außen-Unterscheidung referiert.29 Für die Literatur spielt die Konstruktion von Räumen durch Wahrnehmung freilich eine besondere Rolle. Die Signifikanz dieses Phänomens kann aber gerade durch die Abweichung von der Alltagsvorstellung erklärt werden. In einem weiteren Schritt möchte ich nun die Annahme, dass Raum als Container verstanden wird, durch evolutionsbiologische Überlegungen plausibilisieren. Dieser argumentative Aufwand rechtfertigt sich dadurch, dass die Containervorstellung – im Gegensatz zu den Kriterien der Vorgängigkeit vor der Wahrnehmung und der Diskretheit – auch für meine spätere Definition des konkreten Raumes der erzählten Welt zentral sein wird. In der kognitionswissenschaftlichen und evolutionspsychologischen Forschung gibt es verschiedene Versuche, die ContainerRaumvorstellung biologisch zu begründen. Lakoff/Johnson gehen z. B. davon aus, dass die menschliche Grunderfahrung des eigenen Körpers die Grundlage für die menschliche Raumvorstellung darstellt: _____________ 29
Für das Thema ‚soziale Konstruktion von Räumen‘ ist die Raumsoziologie von Löw einschlägig. Sie fasst diese als Zusammenspiel einer materiellen (Spacing) und einer kognitiven Komponente (Syntheseleistung) (Löw 2001). Unter Spacing versteht sie das „Plazieren von sozialen Gütern und Menschen bzw. das Positionieren primär symbolischer Markierungen, um Ensembles von Gütern und Menschen als solche kenntlich zu machen (zum Beispiel Orteingangs-[sic!] und -ausgangsschilder). […] Spacing bezeichnet also das Einrichten, Bauen oder Positionieren.“ (Löw 2001: 158) Die Syntheseleistung manifestiert sich in Wahrnehmungs-, Vorstellungs- oder Erinnerungsprozessen, die Güter und Menschen zu ‚Ensembles‘ oder ‚Anordnungen‘ zusammenfassen. Bei den ‚Ensembles‘ muss es sich in Löws Konzeptualisierung nicht um materiell kontinuierliche Gegebenheiten handeln, weil durch die Syntheseleistung auch weit auseinander liegende Objekte im Raum zu Anordnungen verbunden werden können. Löw erklärt mit diesem Begriffspaar die Entstehung vieler verschiedener Formen räumlicher Anordnungen, würde also auch bereits die räumliche Relationierung zweier Objekte als „Raum“ bezeichnen. Eine Systematisierung der durch Spacing und Syntheseleistung entstandenen räumlichen Anordnungen – etwa in Container, Wege, Knotenpunkte etc. – nimmt sie nicht vor.
3.2 Exkurs
63
We are physical beings, bounded and set off from the rest of the world by the surface of our skins, and we experience the rest of the world as outside us. Each of us is a container, with a bounding surface and an in-out orientation.30
Lakoff/Johnson nehmen an, dass der Mensch den eigenen Körper als Container begreift, der durch die Haut von der Außenwelt abgegrenzt ist.31 Daran schließen sie die These an, dass wir auch die Objektwelt ausgehend von dieser Grunderfahrung kognitiv verarbeiten, indem wir die eigene Innen-Außen-Orientierung auf physische Objekte projizieren, die damit zu Gefäßen mit einer Innen- und einer Außenseite werden: We project our own in-out orientation onto other physical objects that are bounded by surfaces. Thus we also view them as containers with an inside and an outside. Rooms and houses are obvious containers. Moving from room to room is moving from out of one room and into another.32
Die These, dass die Erfahrung des eigenen Körpers den Ursprung unserer Raumerfahrung darstellt, lässt sich meiner Meinung nach nicht halten, weil die neuere Primatenforschung zeigt, dass auch Affen bereits eine dreidimensionale Raumvorstellung haben, ohne dass es zugleich Anzeichen dafür gibt, dass sie auf die Bedingtheit ihres eigenen Körpers reflektieren.33 Forschungsergebnisse der Evolutionsbiologie und der Verhaltensforschung deuten vielmehr darauf hin, dass die Raumerfahrung aus den Überlebensbedingungen der ersten Menschen erklärt werden kann. Mit dem berühmten Verhaltensforscher Konrad Lorenz lässt sich die Evolution einer dreidimensionalen räumlichen Modellvorstellung des Raumes wie folgt beschreiben:34 Zu Beginn der Evolution besteht ein vollständiger Mangel der Fähigkeit, räumlich orientierte _____________ 30 31
32 33
34
Lakoff/Johnson 1980: 29. Schon Husserl formuliert die Ansicht, dass der Mensch den Raum als Menge containerförmiger Schutzzonen versteht (vgl. Husserl 1976: 153 ff.). Diese Schutzfunktion sowie die menschliche Erfahrung des Bodens beim Stehen auf demselben, in der sich ein Konzept von ‚Ort‘ begründet, sind seiner Meinung nach die zentralen Grundlagen für die menschliche Auffassung des Raumes. Lakoff/Johnson 1980: 30. Forschungen mit Affen, die Sprache verstehen, haben gezeigt, dass auch Affen offenbar ein Konzept für ‚Raum‘ haben. Kanzi, der Bonobo, der im Rahmen der Versuche des Teams um Savage-Rumbaugh Englisch bis zu einem gewissen Grad gelernt hat, kann offenbar die Bezeichnung room als Bezeichnung für ein anderes Zimmer verstehen. Zumindest reagiert er adäquat auf die Aufforderung, eine Orange aus einem anderen Raum zu holen (Segerdahl/Fields/Savage-Rumbaugh 2005: 101). Vgl. im Folgenden Lorenz 1997: 156-168.
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Reaktionen auf Außenreize zu zeigen, wie etwa bei den in der Hochsee lebenden Lungenquallen. Andere Lebewesen der Hochsee können Beutetiere genau orten, kommen aber mit quer zur Schwimmrichtung stehenden Felsbänken nicht zurecht. Auch Steppentiere haben oft eine sehr einfache Raumvorstellung. Rebhühner können beispielsweise einen Wurm, der auf einem Tisch liegt, nicht fressen, weil sie zwar den Wurm als Reiz wahrnehmen, es dann aber nicht schaffen, ihn vom Tisch zu picken, sondern immer unter den Tisch laufen. Auch die Wände eines Zimmers können sie visuell nicht als Grenze erkennen und hören nicht auf, gegen sie bzw. an ihnen entlang zu rennen, wenn sie der Meinung sind, dass sich an der Stelle der Wand der Ausgang befinden müsste. Lorenz geht davon aus, dass diejenigen Tiere, die im Geäst der Bäume leben, die komplexeste Raumvorstellung haben. Dabei muss die Raumkognition bei denjenigen Tieren, die sich mithilfe einer Greifhand von Baum zu Baum hangeln noch präzisier sein als bei Tieren, die mittels Haftscheiben und Krallen klettern. Während es bei den letztgenannten ausreicht, sich ungefähr in die Richtung des angestrebten Zieles zu werfen bzw. fallen zu lassen, weil die Wahrscheinlichkeit, dass sie mit ein oder zwei Zehen hängen bleiben, relativ groß ist, müssen Greifhangler wie die Primaten eine wesentlich bessere Raumvorstellung haben. Ihre Greifhand muss zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort schließen, wenn die Primaten ihre Sprünge überleben sollen. Beim Menschen wird dann die Fähigkeit, die Umwelt in Containern zu erfassen zum zentralen Moment der Raumvorstellung. Diese These lässt sich dadurch begründen, dass die räumliche Umgebung, in der die Entstehung des Menschen anzusiedeln ist, die Savanne ist. Neben der Fähigkeit zur Nahrungsbeschaffung ist es für das Überleben der ersten Menschen, die nicht mehr auf Bäumen leben, entscheidend, dreidimensional fix begrenzte Gegebenheiten, die als Schutz vor Wetter und Feinden dienen können, ausfindig machen bzw. konzipieren zu können. Der materiell fix in allen drei Dimensionen begrenzte Container kann damit als Prototyp des Raumes verstanden werden.35 Die soeben geäußerte Hypothese beruht auf Annahmen der Evolutionspsychologie. Dort geht man davon aus, dass sich auch die Elemente der kognitiven Ausstattung des Menschen als Überlebens_____________ 35
Ich verwende den Terminus „Prototyp“ im Sinne von Kleiber, der dafür plädiert, dass prototypisch organisierte Kategorien immer auch durch das Prinzip der Familienähnlichkeit organisiert sind (vgl. Kleiber 1998: 116-123).
3.2 Exkurs
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vorteil beschreiben lassen. Um herauszufinden, welche Denkmodelle und Verhaltensweisen einen Überlebensvorteil ausgemacht haben könnten, bezieht man sich auf diejenige Epoche, in der eine Art entstanden ist. Diese Epoche wird als environment of evolutionary adaptedness (EEA) bezeichnet und umfasst die Gesamtheit aller über einen längeren Zeitraum wiederkehrenden anpassungsrelevanten Eigenschaften vergangener Umwelten, in denen die ersten Vertreter einer Art gelebt haben.36 Für den Menschen ist diese Epoche das Pleistozän, das vor zwei Millionen bis ca. 10.000 Jahren anzusetzen ist, mit den geographischen Gegebenheiten und Wetterbedingungen des heutigen Zentralafrika. Auf der Basis dieser evolutionspsychologischen Fundierung können nun auch die Beschreibungen der Übertragung des ContainerKonzepts von Lakoff/Johnson herangezogen werden. We even give solid objects this orientation, as when we break a rock open to see what’s inside it. We impose this orientation on our natural environment as well. A clearing in the woods is seen as having a bounding surface, and we can view ourselves as being in the clearing or out of the clearing, in the woods or out of the woods. A clearing in the woods has something we can perceive as a natural boundary – the fuzzy area where the trees more or less stop and the clearing more or less begins.37
Auch die natürliche Umgebung wird in Form von Containern wahrgenommen, weil wir Objekte im Raum als Grenze setzen: But even where there is no natural physical boundary that can be viewed as defining a container, we impose boundaries – marking off territory so that it has an inside and a bounding surface – whether a wall, a fence, or an abstract line or plane.38
Die Bezeichnung des Inneren von z. B. Schubladen, Kisten, Vasen, nicht-ortsfesten Objekten, wie z. B. Gondeln, Autos oder Flugzeugen oder auch die oben genannte Kristallflasche als Raum kann als Übertragung der Containererfahrung auf solche Objekte erklärt werden. Es ist eher unwahrscheinlich und bisher auch nicht belegt, dass sich bei den Affen dieser zweite Schritt der Übertragung des Container-Konzepts auf Ausschnitte der Umwelt, die nicht durch Wände oder Zäune begrenzt sind, oder gar auf Abstrakta finden lässt. Daher
_____________ 36 37 38
Vgl. auch den Eintrag zu ‚Pleistozän‘ im Glossar bei Eibl (Eibl 2004: 367). Lakoff/Johnson 1980: 30. Lakoff/Johnson 1980: 29 f.
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3 Der konkrete Raum der erzählten Welt
ist es plausibel, anzunehmen, dass in der Übertragung dieser Verwendung ein wesentliches Merkmal der menschlichen Kognition liegt.39 Auch räumliche Gegebenheiten, bei denen die Abgrenzung in einer Dimension fehlt, die also eigentlich eher als Flächen zu verstehen sind, wie z. B. ein Acker, oder Gegebenheiten, bei denen die Grenzen nicht ganz so klar zu erkennen sind, wie z. B. die bereits erwähnte Waldlichtung, werden als „Räume“ bezeichnet. Auch der Kreis, den die Marktfrauen um Anselmus bilden, kann wohl deshalb als „Raum“ bezeichnet werden, weil Anselmus in einem Innen verortet wird, das von einem Außen abgegrenzt ist. Noch weiter abgeschwächt ist die Verbindung zum Prototyp dann, wenn das Konzept des Containers auf solche Gegebenheiten übertragen wird, bei denen die Abgrenzung nur noch durch eine abstrakte Linie gegeben ist, wie es z. B. bei den Grenzen zwischen manchen afrikanischen Staaten der Fall ist. Darüber hinaus kann das Konzept des Containers offenbar auch vollständig losgelöst von einer materiellen Komponente und nur noch metaphorisch verwendet werden wie z. B. beim ‚Verhandlungsspielraum‘.40 Ich werde im Folgenden davon ausgehen, dass im Alltag alles das als „Raum“ bezeichnet wird, was als Container gefasst werden kann. Handelt es sich um konkrete Räume, so werden diese so kommuniziert, als ob sie der Wahrnehmung vorgängig wären. Ein eingezäuntes Waldstück, ein Nationalstaat oder ein Ghetto mögen zwar an sich das Ergebnis sozialer Konstruktionen sein, im Alltag wird auf diese aber als Räume mit einer festen Innen-Außen-Unterscheidung referiert. Eine Konzeption von ‚Ort‘ lässt sich wohl ebenfalls als evolutionäre Errungenschaft des Menschen beschreiben. Etwa im Alter von einem Jahr beginnen Kleinkinder sich von Menschenaffen darin zu unterscheiden, dass sie erkennen können, dass Objekte identisch mit sich selbst bleiben, auch wenn sie den Ort wechseln.41 Es entsteht folglich ein unabhängiges Konzept von ‚Ort‘ als Vorstellung von einer Stelle im Raum, die von einem Objekt oder Lebewesen besetzt _____________ 39
40
41
Vermutlich steht diese Entwicklung in Zusammenhang mit der Emanzipation des Sachbezugs der Sprache vom Partnerbezug, die Eibl als wesentliches Merkmal der Kommunikation des Menschen ausmacht (vgl. Eibl 2004: 227). In Philosophy in the Flesh gehen Lakoff/Johnson sogar so weit, das räumliche Denken als Grundlage der rationalen Welterfassung zu postulieren. Ihrer Meinung nach ist die Aufteilung der Welt in Container-Einheiten die Voraussetzung für begriffliches Denken, weil Begriffe als Container für Eigenschaften verstanden werden (Lakoff/Johnson 1999: 32). Anderson 2001: 426 f.
3.3 Raum der erzählten Welt
67
sein kann, aber auch unabhängig von diesen existiert. Eine alltägliche Vorstellung von ‚Ort‘ beinhaltet darüber hinaus auch die Idee, dass jedes Objekt, jeder Mensch und jedes Ereignis zu einem bestimmten Zeitpunkt nur an einem Ort des Raumes lokalisiert werden kann.42 Im Folgenden möchte ich „Ort“ nur noch für die Bezeichnung dieses Sachverhalts verwenden. Somit liegt eine von der Standardsprache abweichende Verwendung vor. Während standardsprachlich „Ort“ auch metonymisch für das Objekt, also für ein Haus oder einen hohen Baum verwendet wird, soll im Folgenden damit nur die Stelle im Raum bezeichnet werden, an der sich ein Objekt oder ein Lebewesen befindet.
3.3 Raum der erzählten Welt Meiner Narratologie des Raumes möchte ich nun nicht einfach die Alltagsvorstellung von konkretem Raum zu Grunde legen, sondern eine Abstraktion und eine Einschränkung vornehmen.43 Zum einen möchte ich nicht behaupten, räumliche Gegebenheiten in fiktionalen Erzähltexten seien grundsätzlich entlang der Alltagsvorstellung von konkretem Raum konzipiert. Ontologische und modale Merkmale von Räumen im Alltag wie die Vorgängigkeit vor der Wahrnehmung, die Diskretheit oder die eindeutige Zuordnung von Menschen und Gegenständen zu einem Raum zu einem Zeitpunkt sind vielmehr gemäß den jeweils geltenden Regeln einer erzählten Welt gestaltet und können gegebenenfalls stark von der Alltagsvorstellung abweichen. In Einsteins Bebuquin wird z. B. mit der Erwartung an die wahrnehmungsunabhängige Existenz und die Diskretheit von Räumen gespielt, wenn etwa ein Raum durch einen Vorhang abgetrennt wird, der erst in diesem Moment zu entstehen scheint: „Leuchtende kleine Wolken glühten auf, und ein Vorhang aus Mull mit zarten Blumen _____________
42
43
Diese Verwendung deckt sich auch mit der häufig anzutreffenden Unterscheidung des ‚Ortes‘ als einer Ordnungskategorie von der ‚Seinskategorie‘ des Raumes (vgl. de Certeau 1980: 222; Augé 1994; Downs/Stea 1982). Eine ältere Variante ist die terminologische Unterscheidung von ‚Lokal‘ und ‚Raum‘ von Petsch (vgl. Petsch 1975: 109 f. und S. 17 der vorliegenden Studie). Bernhart erst jüngst ganz bewusst vorgeschlagen, von einer komplizierten Raumdefinition abzusehen und den Raum bei der Beschäftigung mit Literatur einfach als etwas zu behandeln, in das man hineingehen und in dem man sich befinden könne (vgl. Bernhart 2006: 249).
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3 Der konkrete Raum der erzählten Welt
überdeckt, wurde auseinandergezogen.“44 An einer anderen Stelle wird die „Landschaft [...] auf ein Brett gestrichen“45 oder Lampen, die zuvor auf der Straße standen, befinden sich plötzlich im Inneren eines Raumes.46 Darüber hinaus scheint es mir für den erzählten Raum spezifisch zu sein, dass auch Objekte, die normalerweise keine Umgebung von Menschen darstellen, zu Räumen werden können. Es kann sich dabei um ungewöhnliche Aufenthaltsorte handeln, wie beispielsweise Bronskis Unterschlupf unter den Röcken von Oskars Großmutter Anna Bronski in Grass’ Blechtrommel: ganz nah kroch er an die Großmutter, sah meine Großmutter an wie ein kleines und breites Tier, daß sie aufseufzen mußte […,] den Rock hob, nein alle vier Röcke hob sie hoch, gleichzeitig hoch genug, daß der, der nicht aus der Ziegelei war, klein aber breit ganz darunter konnte und weg war…47
Darüber hinaus ermöglicht die Fiktionalität von Literatur auch das Erzählen von fiktiven Aufenthaltsorten von Figuren, in, an oder bei denen sich nach der Alltagsvorstellung keine Menschen aufhalten oder aufhalten können. Ein Beispiel für diesen Fall ist der Springbrunnen, in dem Undines Onkel Kühleborn in Fouqués Märchen Undine verschwindet, nachdem er ihr verraten hat, dass Bertalda die lange verschollene Fischerstochter ist.48 Diese Beispiele zeigen, dass Abweichungen von der Alltagsvorstellung von Raum nicht zwingend dadurch gegeben sein müssen, dass fiktive räumliche Gegebenheiten vorkommen. Sie können auch mithilfe ungewöhnlicher Objekte oder über die Veränderung von Größenverhältnissen erfolgen, wenn Ereignisse im Inneren von Objekten lokalisiert werden, in denen sich normalerweise keine Menschen aufhalten. Um die genanten Abweichungen von der Alltagsvorstellung berücksichtigen zu können möchte ich von der Alltagsvorstellung von Raum nur die Grundstruktur übernehmen. Damit ist die Vorstellung von konkretem Raum als Objekt mit einer Unterscheidung von innen und außen gemeint. Zudem möchte ich eine Auswahl aus derjenigen Menge der Objekte treffen, die mithilfe der Grundstruktur als Räume identifiziert werden können und den Gegenstandsbereich meiner Untersuchung auf solche Räume beschränken, die konkrete Umgebungen von Figu_____________ 44 45 46 47 48
Bebuquin: 8. Bebuquin: 22. Vgl. Bebuquin: 20. Die Blechtrommel: 17. Undine: 58.
3.3 Raum der erzählten Welt
69
ren sein können. Damit schließe ich diejenigen Räume aus, in denen nur Dinge enthalten sind bzw. sein können. Dieser Ausschluss ist dadurch begründet, dass ein Zimmer oder eine Insel eine andere Funktion für das Erzählen haben als das Innere einer Dose oder eines Beutels:49 Räume, die zur Umgebung von Figuren werden, charakterisieren diese oftmals. Die in ihnen gegebenen Bedingungen können darüber hinaus handlungsbestimmend sein, und denjenigen Bereichen, in denen die Handlung spielt, kommt offenbar ein besonderer Status zu. Als Räume der erzählten Welt sollen aber nicht nur diejenigen Gegebenheiten gefasst werden, die tatsächlich zur Umgebung von Figuren werden, sondern auch solche, die es nach den jeweiligen Regeln der erzählten Welt werden könnten. Solange nichts Gegenteiliges erzählt wird, kann man auch in fiktionalen Erzähltexten davon ausgehen, dass man dazu das Alltagswissen darüber heranziehen kann, was eine räumliche Gegebenheit ist. Aus diesem Grund werden z. B. topographische Objekte und typisch menschliche Behausungen auch in Erzähltexten als Gegebenheiten erkannt, in denen sich Figuren aufhalten könnten. Wird z. B. in einem Erzähltext eine Landschaft oder ein Dorf beschrieben, so gehören diese zum Raum der erzählten Welt, auch wenn sie niemals tatsächlich zur Umgebung für die Figuren des Erzähltextes werden. Mobile Objekte gehören allerdings nur dann zum Raum der erzählten Welt, wenn tatsächlich Ereignisse in, an oder bei ihnen lokalisiert werden, ansonsten sind sie Objekte. Die im ersten Satz von Koeppens Tauben im Gras genannten Flugzeuge sind z. B. nur Objekte und kein Raum: „Flieger waren über der Stadt, unheilkündende Vögel“.50 Es wird nichts erzählt, was sich in den hier als „Fliegern“ bezeichneten Flugzeugen abspielt, sie werden lediglich als Objekte wahrgenommen. Das Schiff, auf dem sich die Hauptperson Eberhard Julius aus Schnabels Wunderlichen FATA einiger Seefahrer im folgenden Beispiel befindet, ist dagegen ein Raum, weil Handlung in ihm stattfindet: allwo wir [...] den 15. Jul. unter Begleitung vieler andern Schiffe unter Seegel giengen, und von einem favorablen Winde nach Wunsche fort getrieben wurden. Nach Mitternacht wurde derselbe etwas stärker, welches zwar niemand von See-Erfahrnen groß achten wollte, jedoch mir, der ich schon ein
_____________ 49
50
Dies gilt selbstverständlich nur dann, wenn die Dose oder der Beutel in der jeweiligen erzählten Welt nicht ausnahmsweise zur Umgebung von Figuren wird. Tauben im Gras: 7.
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3 Der konkrete Raum der erzählten Welt
paar Stündgen geschlummert hatte, kam es schon als einer der größten Stürme vor.51
Durch die Verortung von Figuren können auch durch die eigenen Regeln einer erzählten Welt Gegebenheiten zu Räumen werden, die wir im Alltag nicht als Aufenthaltsorte von Personen kennen. Dies ist z. B. der Fall bei dem Bereich unter den Röcken von Oskars Großmutter oder wenn Anselmus in der Flasche sitzt. Unter anderen Umständen wären der Rock oder die Flasche normale Objekte wie die Äpfel, Tische und Körbe aus Der Goldne Topf und ebenso wenig wie diese als ‚Raum“, sondern vielmehr als „Objekte im Raum“ zu bezeichnen. Erst die Funktionalisierung als Umgebung einer Figur macht diese Objekte zum Raum. Die Vorstellung des ‚Ortes‘ als einer Stelle im Raum ist auch für die Beschreibung des Raumes der erzählten Welt grundlegend. Als Oberbegriff für Räume, Orte und topographische Objekte soll der Begriff der „räumlichen Gegebenheit“ verwendet werden.
3.4 Zusammenfassung Der Ausgangspunkt dieses Kapitels war die Suche nach einem Konzept des konkreten Raumes der erzählten Welt. Zu diesem Zweck wurden verschiedene Raumkonzepte der bisherigen erzähltheoretischen Forschung und Konzepte aus der spatial turn-Debatte auf ihre Tauglichkeit hin geprüft. Eine Definition des Raumes durch die Merkmale ‚Ausdehnung‘, ‚Volumen‘ und ‚Dreidimensionalität‘ hat sich dabei als zu weit erwiesen, weil damit auch alle Figuren und Objekte als „Raum“ zu bezeichnen gewesen wären, obwohl sie nicht der Verortung von etwas dienen. Das Konzept der Topographie hat sich als zu begrenzt herausgestellt, weil es nur die Menge der fest mit der Erdoberfläche verbundenen Objekte umfasst, die von oben zu erkennen sind. Innenräume, mobile Objekte und Objekte, in denen sich normalerweise keine Menschen aufhalten, bleiben so unberücksichtigt. Die Konzepte der Topologie konnten deshalb nicht verwendet werden, weil sie keine Definition von ‚Raum‘ als Verortungskategorie enthalten. Die strukturalistische Topologie konzeptionalisiert den _____________ 51
Insel Felsenburg: 37. Die von mir zitierte Ausgabe trägt zwar den – 1828 von Tieck für seine Neuauflage vergebenen – Titel Insel Felsenburg, enthält aber den Text von 1731., der unter dem Titel Wunderliche FATA einiger Seefahrer… erschien
3.4 Zusammenfassung
71
Raum ausschließlich als Epiphänomen der Relationierung von Objekten. Die phänomenologische Topologie setzt sich nur mit denjenigen räumlichen Gegebenheiten auseinander, die in der menschlichen Erfahrung eine besondere Rolle spielen. Der Raum wird nicht unabhängig von Orten und Strukturen als eigenständige Kategorie beschrieben. Auch das Konzept des ‚erlebten Raumes‘ lässt sich einer Narratologie des Raumes nicht als Gegenstandsdefinition zu Grunde legen, weil es eine zu starke Beschränkung auf die Aspekte ‚Leiblichkeit‘ und ‚Wahrnehmung‘ impliziert und darüber hinaus keine Kriterien dafür bietet, was den Raum in seiner Materialität ausmacht. Als anschlussfähig erwies sich dagegen eine Beschreibung der Alltagsvorstellung von Geographie aus der Sozialgeographie. Aus dieser konnten diejenigen Elemente extrahiert werden, die auch für eine Alltagsvorstellung von ‚Raum‘ zutreffen. Das Ergebnis war eine Vorstellung von ‚Raum‘ als Container, nach der Räume durch die Merkmale Objekthaftigkeit, Wahrnehmungsunabhängigkeit, Diskretheit, eine Unterscheidung von innen und außen und die Zuordnung von Menschen und Dingen zu ihnen gekennzeichnet sind. In einem Exkurs wurde verdeutlicht, dass weder die Bezeichnung „absolute Raumvorstellung“ noch die Kritik, die üblicherweise an derselben geübt wird, auf diese Raumvorstellung zutreffen. Das hat damit zu tun, dass es nur um die Deskription eines alltäglichen, nichtwissenschaftlichen Raumverständnisses geht, nicht aber um Annahmen über die tatsächliche Ontologie von Raum oder um Raum als Bedingung der menschlichen Erkenntnis. Im Alltag wird so kommuniziert, also ob es einen Raum gäbe, der den Lebewesen und Gegenständen vorgängig sei – die Frage, ob es sich tatsächlich so verhält, bleibt davon unberührt. Als Beleg dafür, dass die Containerraumvorstellung die Raumvorstellung des Menschen zentral bestimmt, wurden Erkenntnisse der Verhaltensforschung hinzugezogen und eine Heuristik aus der Evolutionspsychologie verwendet. Ergebnis war die Hypothese, dass es einen Evolutionsvorteil für die ersten Menschen bedeutet haben muss, Objekte danach zu beurteilen, ob sie als dreidimensional fix begrenzte Unterkünfte zum Schutz vor Feinden und Wetter dienen können. Abschließend wurde dann der Gegenstandsbereich der vorliegenden Narratologie auf diejenigen Objekte eingeschränkt, die eine (potentielle) Umgebung der Figuren darstellen: etwas, in dem sich Figuren befinden können und in das sie hineingehen können. Da es sich
72
3 Der konkrete Raum der erzählten Welt
bei dieser Definition um ein Prinzip handelt, ist die Extension nicht auf eine feste Menge von Objekten beschränkt. Auch fiktive Objekte und solche Gegebenheiten, die in der aktualen Welt nicht als Umgebungen für Menschen fungieren, wie z. B. Glasflaschen, Springbrunnen oder ein Bereich „unter den Röcken“, können zu Räumen der erzählten Welt werden. Auch die Merkmale der Wahrnehmungsunabhängigkeit, der Diskretheit und der eindeutigen Zuordnung von Menschen und Gegenständen zu einem Raum, die räumlichen Gegebenheiten nach der Alltagsvorstellung eignen, können nach den Regeln der jeweiligen erzählten Welt modifiziert werden. Auch das Konzept des ‚Ortes‘ als einer Stelle im Raum wird aus der Alltagsvorstellung übernommen – wiederum ohne eine Festlegung auf ontologische oder modale Merkmale. Die Orientierung an der Alltagsvorstellung von Raum legt eine Narratologie des Raumes folglich keineswegs auf realistische Texte fest. Als Oberbegriff für Räume, Orte und topographische Objekte wird die Bezeichnung „räumliche Gegebenheit“ verwendet.
4 Narrative Erzeugung von Raum Wie wird konkreter Raum in einem narrativen Text erzeugt? In der bisherigen Forschung finden sich dazu nur ein paar knappe Hinweise, auf die ich kurz eingehen möchte. Chatman widmet dieser Frage einen einzigen Absatz, in dem er gemäß seinem sehr weiten Raumbegriff, unter den alles fällt, was im Raum existiert, einige Beispiele für die Bezeichnung von Figuren, räumlichen Gegebenheiten und anderen Objekten aufzählt. Er nennt die Ausdrücke skyscraper, 1940 Chevrolet coupé und silver-mink coat und den Vergleich von Entitäten mit anderen Entitäten wie er z. B. in dem Satz a dog as big as a horse vorliegt.1 Diesen expliziten Referenzen auf Raum stellt er als implizites Mittel der Raumerzeugung die Nennung von Fakten zur Seite, die auf eine bestimmte räumliche Ausdehnung schließen lassen. Er führt als Beispiel den Satz John could lift a 200-pound barbell with one hand an, der die Größe von Johns Bizeps impliziert.2 Ronen, die den erzählten Raum als Umgebungen von Figuren, Objekten und Orten fasst, erwähnt ebenfalls nur ein paar Beispiele für die Mittel zur Erzeugung dieser Umgebungen. Sie nennt explizite Raumreferenzen, wie z. B. das Konkretum Zimmer, und implizite Hinweise, die die Form von Metonymien haben. Eine metonymische Bezeichnung von Raum liegt z. B. dann vor, wenn ein Objekt genannt wird, das sich typischerweise in einem bestimmten Raum befindet (z. B. das Bett im Schlafzimmer) oder das zur Grenze eines Raumes gehört (z. B. Vorhänge).3 Sappok unterscheidet zwischen lexikalischen Mitteln zur Bezeichnung von Objekten und Räumen und indirekter Raumerzeugung.4 Als lexikalische Mittel nennt er „Zeichen für raumfüllende Gegenstände, räumliche Relationen und für den Raum als Ganzes“ und führt einzelne Wörter als Beispiele an.5 Die indirekte Raumerzeugung ist _____________ 1 2 3 4 5
Chatman 1978: 102. Ebd. Ronen 1986: 422. Sappok 1970: 18. Ebd.
74
4 Narrative Erzeugung von Raum
seiner Meinung nach über den Aufruf semantischer Felder möglich, mit deren Hilfe auch ohne explizite Raumreferenz auf räumliche Gegebenheiten Bezug genommen werden kann. Als „semantische Felder“ bezeichnet er „Realitätsbereiche[…], die auf den Erzählverlauf steuernde Wirkung ausüben, ohne expressis verbis in der Erzählung zu erscheinen“.6 Sappok spezifiziert allerdings nicht, wodurch die semantischen Felder aufgerufen werden, bei welchem Leser dies geschieht und wie dieser implizite Aufruf begrenzt ist. Chatman, Ronen und Sappok unterscheiden jeweils eine explizit-lexikalische Referenz auf Raum von einer impliziten Erzeugung des Raumes. Für die lexikalische Referenz werden fast ausschließlich einzelne Substantive ohne weitere Differenzierung genannt. Bei der impliziten Erzeugung wird nicht geklärt, wie signalisiert wird, dass auf das Vorhandensein von Raum geschlossen werden muss, welchem Leser die Schlussprozesse zuzuschreiben sind, welches Wissen dabei eine Rolle spielt und wie viel Raum ergänzt wird. Diesen Fragen möchte ich mich im folgenden Kapitel widmen. In einem ersten Unterkapitel werde ich mich auf das lexikalische Referieren auf Raum durch raumreferentielle Ausdrücke konzentrieren (Kapitel 4.1). Darüber hinaus gibt es auch Fälle, in denen keine sprachliche Bezeichnung von Raum zu finden ist, in denen aber dennoch Raum erzeugt wird, weil der Text Schlussfolgerungen auf das Vorhandensein räumlicher Gegebenheiten nahe legt. Um auch diese erfassen zu können, wird es nötig sein, einige theoretische Überlegungen zu Verstehen als Inferenzprozess und zur narrativen Kommunikation anzustellen (Kapitel 4.2). Die Entscheidung, die Referenz auf Raum mittels graphischer Karten hier nicht systematisch zu berücksichtigen, ist vor allem dadurch bedingt, dass mir kein Fall bekannt ist, in dem Raum im Erzähltext ausschließlich durch eine Karte erzeugt wird. Aus diesem Grund sollte einer Berücksichtigung von Karten meiner Meinung nach eine Beschreibung der textuellen Mittel zur Raumbezeichnung vorausgehen. Ich werde mich in der vorliegenden Arbeit auf diese letzteren beschränken, und die Zusammenführung mit den Erkenntnissen über Karten in Erzähltexten weiteren Arbeiten zur Raumnarratologie überlassen.7 _____________ 6 7
Sappok 1970: 38. Jüngste Untersuchungen zu Karten in Erzähltexten haben gezeigt, wie komplex die Bezüge von Texten auf Karten und das Wissensgebiet der Kartographie sein können (vgl. z. B. Stockhammer 2001, 2005, 2007, Dünne 2008a). Stockhammer zielt in seiner
4.1 Raumreferentielle Ausdrücke
75
4.1 Raumreferentielle Ausdrücke Will man untersuchen, durch welche Mittel Raum lexikalisch erzeugt wird, liegt es nahe, Erkenntnisse aus der Linguistik heranzuziehen. Dort ist noch immer Vaters Zusammenstellung raumreferentieller Ausdrücke die einzige Auflistung mit Systemcharakter.8 Es handelt sich um eine Übersicht über lexikalische Mittel, da das Deutsche grammatische Mittel wie etwa den lateinischen Ablativ oder den Lokativ zur Raumerzeugung nicht kennt.9 Vater unterscheidet zwischen statischer Raumreferenz und dynamischer Raumreferenz oder Direktionalisierung (vgl. Tabelle 1 im Anhang). Im ersten Fall geht es um die Beschreibung der Position von Objekten und Personen, im zweiten um die Beschreibung der Bewegung eines Objektes oder einer Person von einem Ort zu einem anderen. Beide Sachverhalte werden durch Präpositionalphrasen, Verben und Deiktika ausgedrückt: Ein Beispiel für die Lokalisation ist der Satz Das Geld ist in der Schublade und für die Direktionalisierung der Satz Eva fährt nach Berlin. Von der Positionierung und der Direktionalisierung grenzt Vater den Bereich der Dimensionierung ab, zu dem Objektklassen und räumliche Eigenschaften von Dingen gehören. Diese werden im Deutschen durch Substantive und Adjektive bezeichnet. Das Bezugsproblem von Vaters Systematik ist die Frage, wie eine bestimmte räumliche Anordnung, eine Bewegung im Raum oder die Ausdehnung eines Objekts sprachlich gefasst werden. Die konkreten Räume, in denen die Anordnungen, Bewegungen und Objekte situiert sind, kommen in dieser Zusammenstellung nicht vor. Das hat vermutlich damit zu tun, dass die sprachliche Referenz auf dieselben nicht durch raumspezifische Gesetzmäßigkeiten bestimmt ist. Geht man aber nicht von der Sprache, sondern von dem in Kapitel drei der _____________
8 9
Monographie zu diesem Thema sowohl auf die ‚Kartierbarkeit‘ als auch auf die ‚Kartizität‘ von Literatur ab. Mit ‚Kartierbarkeit‘ meint er die Frage, ob sich nach Texten Karten zeichnen lassen, mit „Kartizität“ bezeichnet er inhaltliche Bezüge von Texten auf Karten und auf das Wissensgebiet der Kartographie (vgl. Stockhammer 2007: 67 f.). Einen Überblick bietet auch der Abschnitt „Repräsentation diskursiver Räume“ im Sammelband Topographien der Literatur (vgl. Böhme 2005: 3-214). Grundsätzliche semiotische Überlegungen zum Verhältnis von Text und Karte finden sich bei Nöth (Nöth 1998). Aufschlussreich, aber eher essayistisch sind die Analysen von Karten in Texten, die der Geograph Miller vorgelegt hat (Miller 1995). Vater 1991: 46. Vgl. Vater 1991: 5.
76
4 Narrative Erzeugung von Raum
vorliegenden Arbeit skizzierten Raumkonzept aus, fehlen in dieser Tabelle z. B. Konkreta für Städte, Länder, Innenräume und Objekte, aber auch lexikalische Mittel zur Bezeichnung von Himmelsrichtungen und von metrischen Angaben. Die fehlenden Konkreta sind wohl nur zum Teil in Vaters Kategorie der Dimensionierung enthalten, da man schließlich nicht immer auf die dimensionale Ausdehnung hinweisen muss, wenn man von diesen Räumen spricht, sondern z. B. auch nur etwas über ihr Vorhandensein aussagen kann. Auch in der sonstigen linguistischen Beschäftigung mit dem Raum konnte ich keine systematische Behandlung von Raumkonkreta finden.10 Im Zentrum des Interesses der Raumlinguistik steht vielmehr die Frage nach der Wahl eines Referenzsystems zur Bezeichnung räumlicher Relationen bzw. die Frage, welche Konzepte herangezogen werden, um Lokalisationen zu verstehen.11 Lediglich bei Levinson werden Bereiche und Orte genannt.12 Diese tauchen in seinem System der Raumsprache, das nach Arten von Referenzsystemen gegliedert ist, unter den Bezeichnungen „region“ und „place“ und als Fälle der Koinzidenz, Kontiguität und Nähe auf. Da auch das Bezugsproblem dieser Systematik die Frage ist, wie diese Bereiche und Orte selbst lokalisiert werden bzw. wie etwas oder jemand in, an oder bei ihnen verortet werden kann, ist ihre sprachliche Bezeichnung selbst nicht Thema. Angesichts dieser Forschungslage möchte ich im Folgenden versuchen, selbst einige raumreferentielle Ausdrücke zusammenzustellen (vgl. Tabelle 2 im Anhang). Dabei werde ich getrennt nach Räumen und Ortsangaben vorgehen. Meine Zusam_____________ 10
11
12
Die Beschäftigung mit der sprachlichen Bezeichnung von Raum ist durch eine Engführung von psychologischen Erkenntnissen zur Raumkognition mit linguistischen Konzeptualisierungen von Raumreferenz geprägt. In der deutschsprachigen Linguistik markiert der Sammelband von Schweizer den Beginn dieser Ausrichtung (Schweizer 1985). 1998 fassen Hermann und Schweizer ihre Forschungsergebnisse in einer Monographie zusammen (Hermann/Schweizer 1998). Weitere einschlägige Sammelbände zur Raumlinguistik sind Habel/Herweg/Rehkämper 1989, Bloom/Peterson/ Nadel/Garrett 1996 und Levinson/Wilkins 2006. Siehe auch die kulturvergleichende Monographie von Levinson zur Raumsprache und -kognition (Levinson 2003). Daneben finden sich Monographien zu einzelnen sprachlichen Ausdrücken wie beispielsweise Grabowskis Untersuchung zu vor und hinter oder Carstensens Studie zu räumlichen Lokalisations- und Distanzausdrücken (Grabowski 1999, Carstensen 2001). Das hat eventuell damit zu tun, dass seit Landau und Jackendorff die Einschätzung vorherrscht, dass die wichtigsten Aspekte von räumlicher Sprache in Adpositionen kodiert sind (vgl. Landau/Jackendorff 1993 und Levinson 2003: 62). Levinson 2003: 66 ff.
4.1 Raumreferentielle Ausdrücke
77
menstellung muss ausdrücklich als erster Versuch gekennzeichnet werden, der keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, und der in erster Linie dazu dient, die Grenzen des expliziten Bezeichnens von Raum im Erzähltext auszuloten. Räume der erzählten Welt können durch Toponymika, Eigennamen, Gattungsbezeichnungen, Deiktika und weitere Konkreta bezeichnet werden. Ich unterscheide hier deshalb zwischen Toponymika und Eigennamen, weil die Bezeichnung „Toponymika“ eine Beschränkung auf genuin geographische Räume wie z. B. Preußen, Asien, Berlin, bzw. auf Namen für topographische Objekte beinhaltet.13 Um auch Bezeichnungen wie „Gesellschaftszimmer“ oder „Blaues Schloss“ erfassen zu können, möchte ich in diesen Fällen von „Eigennamen“ sprechen. Zu den Eigennamen sollen auch Namen für solche Objekte gezählt werden, in denen Figuren lokalisiert werden. Beispiele hierfür sind die Namen „Tutu“ oder „K.I.T.T.“ für ein Auto. Zu den Gattungsbezeichnungen gehören Ausdrücke wie „Staat“ oder „Problemviertel“, aber auch Bezeichnungen für Innenräume wie „Speisekammer“ oder „Speicher“. Dazu kommen Bezeichnungen für Objekte, in denen sich Menschen normalerweise aufhalten können, wie z. B. „Flugzeug“, „Gondel“ oder „Auto“ aber auch „Schrank“, „Kiste“, „Streichholzschachtel“ oder „Flasche“ als Aufenthaltsorte von Figuren in fiktionalen Texten. Ob eine Bezeichnung ein Eigenname oder eine Gattungsbezeichnung ist, lässt sich nicht ausschließlich anhand des Sprachmaterials entscheiden. In Fontanes Irrungen, Wirrungen wird beispielsweise das Haus, in dem die Dörrs im Sommer wohnen, ironisch als „Schloss“ bezeichnet.14 Die Gattungsbezeichnung „Schloss“ wird dabei wie ein Eigenname verwendet. Zur Bezeichnung von Räumen können ferner die deiktischen Adverbialausdrücke „hier“, „da“ und „dort“ verwendet werden. Darüber hinaus lassen sich auch nicht weiter spezifizierbare Konkreta wie z. B. „außen“, „innen“, „Heimat“, „Fremde“, „das Freie“, „das Dunkle“, „die Finsternis“, „das Zuhause“, „Osten“, „Westen“ etc. ausmachen. Bis auf die Deiktika sind alle Gruppen nur in Form offener Listen erfassbar. Orte werden durch diejenigen sprachlichen Mittel bezeichnet, die Vater unter „Positionierung“ und „Direktionalisierung“ angeführt hat (vgl. Tabelle 1 im Anhang). Vater unterscheidet zwischen einer Art und Weise des Referierens auf Orte, die durch Verben angegeben _____________ 13 14
Zum Konzept der ‚Topographie‘ vgl. S. 52. Irrungen, Wirrungen: 320 u. ö.
78
4 Narrative Erzeugung von Raum
wird, und einer Referenz auf den Ort im engeren Sinn, die durch Präpositionen, Präpositionalphrasen und Deiktika ausgedrückt wird. In beiden Fällen unterscheidet er deiktische und nicht-deiktische Arten des Referierens. Als „deiktische Ausdrücke“ werden im Anschluss an Bühler diejenigen Ausdrücke bezeichnet, die nur dann verständlich sind, wenn man die Position, die Identität und die zeitliche Situierung des Sprechers kennt.15 Bezogen auf den Raum lässt sich die Unterscheidung von deiktischen und nicht-deiktischen Ausdrücken als eine zwischen standortabhängigen und standortunabhängigen Ausdrücken reformulieren. Dabei ist zu beachten, dass die als Beispiele genannten Ausdrücke jeweils passende Beispiele sind, dass ihre Verwendung aber umgekehrt nicht zwingend eine deiktische oder nicht-deiktische sein muss. In einer Wegbeschreibung können Ausdrücke wie „Vor dem Auto/Haus müssen Sie rechts abbiegen“ z. B. im Sinne von ‚bevor Sie das Auto/Haus erreicht haben‘ verwendet werden. Mit „vor“ kann dann jede beliebige Seite des Autos oder des Hauses bezeichnet werden und nicht etwa nur diejenige Seite, an der sich die Eingangstüre befindet. „Vor“ muss folglich keinesfalls immer nicht-deiktisch gebraucht werden, sondern kann auch deiktisch, d. h. standortabhängig verwendet werden. Es handelt sich also um eine Unterscheidung von Konzepten und nicht um eine Unterscheidung des Sprachmaterials. Das Verstehen von Positionsangaben und Direktionalisierungen kann demnach nicht als Dekodierung von Lexemen beschrieben werden, sondern ist vielmehr als komplexes versuchsweises Anwenden von räumlichem Konzeptwissen zu beschreiben. In der Kognitiven Linguistik und in der Kognitiven Psychologie ist man deshalb dazu übergegangen, nicht von sprachlichen Ausdrücken, sondern von Lokalisationssystemen auszugehen. Hier gibt es verschiedene Vorschläge dazu, wie viele Referenzsysteme zu unterscheiden sind.16 Konsens besteht jedoch darüber, dass die Unterscheidung von deiktischen und nicht-deiktischen Verwendungsweisen für die Bezeichnung von Ortsangaben grundlegend ist. Für meine Systematisierung möchte ich dem deiktischen Referenzsystem absolute Referenzsysteme gegenüberstellen. Ein deiktisches Referenzsystem wird dann verwendet, wenn die räumliche Position und Orientierung von aktuell anwesenden Spre_____________ 15 16
Bühler 1965: 102-140. Zur Frage, wie viele Referenzsysteme es gibt und wie sie zu unterscheiden sind, gibt es eine rege Debatte in der kognitiven Psychologie und Linguistik (vgl. Knauff 1997: 126-133; Grabowski 1999: 97-136; Levinson 2003: 66 ff.).
4.1 Raumreferentielle Ausdrücke
79
chern oder Hörern für die Lokalisation eine Rolle spielt. Klassische Beispiele sind Aussagen wie „Ich bin hier“ oder „Anna steht da drüben“, bei denen man die mit „hier“ und „da“ bezeichneten Orte nur dann lokalisieren kann, wenn man weiß, wo sich der Sprecher befindet. Nicht nur Deiktika, sondern auch bestimmte Präpositionen wie z. B. rechts und links sind nur unabhängig von der Position des Sprechers verständlich. Je nach dem, wo sich der Sprecher befindet, können sie zwei verschiedene Seiten eines Objekts bezeichnen. Mit dem Ausdruck „rechts von der Tür befindet sich“ kann beispielsweise zum einen diejenige Seite bezeichnet werden, die sich rechts befindet, wenn man durch die Tür hindurchgeht, zum anderen diejenige Seite, die sich rechts befindet, wenn man durch die Tür hindurchgegangen ist und sich umgedreht hat. In der folgenden Passage aus Kehlmanns Vermessung der Welt werden z. B. ausschließlich deiktische Lokalisationen verwendet, die man nur dann verstehen kann, wenn man weiß, wo sich die Figur befindet: Auf dem Weg zum Herrenhaus schien es Gauß einen Moment, als hätte er die Orientierung verloren. Er konzentrierte sich, dann ging er rechts, links und rechts, durch die Gittertür, wieder zweimal rechts, durch noch eine Tür und stand in der Eingangshalle vom Vortag.17
Zu den absoluten Referenzsystemen zählen intrinsische Referenzsysteme und topologische, georeferentielle und metrische Referenzsysteme. Diesen Referenzsystemen ist gemeinsam, dass man die Position eines Objekts unabhängig von der aktuellen Position und Orientierung eines Betrachters und auch unabhängig von der sonstigen Umgebung bestimmen kann. Ein intrinsisches Referenzsystem kann nur bei bestimmten Objekten verwendet werden, die selbst Raumachsen konstituieren.18 Gebäude und Fahrzeuge haben beispielsweise ein intrinsisches Vorne, das ih_____________ 17 18
Die Vermessung der Welt: 190. In der kognitiven Psychologie und Linguistik unterscheidet man darüber hinaus noch zwischen intrinsischen und extrinsischen Bezugssystemen. Diese Unterscheidung bezieht sich darauf, ob die Raumachsen einem Objekt per se zukommen, oder ob sie diesem zugewiesen werden. Objekte, die selbst Raumachsen konstituieren wie z. B. eine Säule (Vertikale) oder Kleidungsstücke (Vertikale, Horizontale, Sagittale), werden als „intrinsisch orientiert“ bezeichnet. Objekte, denen Raumachsen nur durch ihre momentane Umgebung zugewiesen werden, werden als „extrinsisch orientiert“ bezeichnet. Ein Beispiel für ein extrinsisch orientiertes Objekt ist ein Baum, der vor einem Haus steht, dessen Vorderseite dann in die gleiche Richtung weist wie das Haus. Da es für den vorliegenden Zusammenhang nicht wichtig ist, nach welchen Kriterien die Achsenzuweisung erfolgt ist, möchte ich diese beiden Fälle von orientierten Objekten nicht unterscheiden (vgl. Grabowski 1999: 99-116).
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4 Narrative Erzeugung von Raum
nen durch die Eingangstür bzw. die Bewegungsrichtung zukommt. Im folgenden Satz ist zum Beispiel klar, dass Bonpland auf der Vordertreppe sitzt, wobei mit „vorne“ diejenige Seite des Hauses gemeint ist, an der sich der Haupteingang befindet: „Eines Tages saß auf der Treppe von Humboldts Wohnhaus ein junger Mann, trank Schnaps aus einer Silberflasche und schimpfte fürchterlich, als Humboldt ihm aus Versehen auf die Hand trat.“19 Ein topologisches Referenzsystem umfasst die Beziehungen Inklusion, Kontakt und Nähe, die sprachlich zumeist durch die Präpositionen in, an oder bei ausgedrückt werden.20 Mithilfe topologischer Lokalisationen können Nachbarschafts- und Enthaltenseinsrelationen unabhängig vom Betrachterstandpunkt kommuniziert werden. Ein Geosystem ist ein Referenzsystem, bei dem auf Himmelsrichtungen, Längen- oder Breitengrade oder geographische Orientierungspunkte wie Landmarken Bezug genommen wird. Im folgenden Halbsatz aus Schnabels Wunderliche FATA einiger Seefahrer werden beispielsweise zwei Breitengrade erwähnt: „da wir denn am 15. den Capricorni pasten, allwo die Matrosen zwar wieder eine neue Tauffe anstelleten, doch nicht so scharffe Lauge gebrauchten, als unter der Linie.“21 Die Position des Schiffes wird unter Bezugnahme auf das Wissen um die absolute Position der beiden Breitengrade in der aktualen Welt angegeben.22 Besonders häufig ist die Bezeichnung von Geosystemen durch die Verwendung von Toponymika. Im folgenden Beispiel aus dem ersten Band von Tolkiens Der Herr der Ringe werden die Toponymika Hobbingen, Wasserau, Auenland und Wasserauer Straße verwendet: Die Zungen standen nicht still in Hobbingen und Wasserau; und das Gerücht von dem bevorstehenden Ereignis verbreitete sich im ganzen Auenland. [...] Niemand hatte aufmerksamere Zuhörer als der alte Ham Gamd-
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21 22
Die Vermessung der Welt: 39. Diese Verwendung von „Topologie“ ist gegenüber der mathematischen, die ich auf S. 53 behandle, eingeschränkt. Während dort alle räumlichen Relationen mitgemeint sind, sind es hier nur die Relationen Inklusion, Kontakt und Nähe, weil spezifischere Relationen wie vor-hinter, rechts-links, oben-unten auf Referenzsystemen mit anderen Voraussetzungen beruhen. Insel Felsenburg: 90. Ich übernehme von Jannidis den Vorschlag, den Terminus „aktuale Welt“ anstelle von „Wirklichkeit“ zu verwenden. Damit kann man das bezeichnen, was im Alltag als ‚Realität‘ in Absetzung von ‚Fiktion‘ verstanden wird, ohne Debatten über den Konstruktionscharakter von Wirklichkeit führen zu müssen (vgl. Jannidis 2004: 67, Fn 130).
4.1 Raumreferentielle Ausdrücke
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schie, der landauf, landab als der Ohm bekannt war. Er schwang seine Reden im Efeubusch, einer kleinen Gastwirtschaft an der Wasserauer Straße [...].23
Toponymika lassen sich nicht als geschlossene Klasse von Ausdrücken erfassen. Ein metrisches Referenzsystem bezieht sich auf die Angabe exakter Entfernungen. Im folgenden Beispiel geschieht dies durch die Angabe der Entfernung in Schritten: „Rienäckers Wohnung lag keine tausend Schritt von dem Hause der Frau Nimptsch.“24 Bei der Verwendung eines absoluten Referenzsystems ist zu beachten, dass auch die Verwendung der absoluten Referenz in Verbindung mit sprecherabhängigen Ausdrücken, wie „Der Fluss ist südlich von hier“ oder „an meiner Haustür“ die Objektivität der Lokalisation nicht aufhebt: In welcher Richtung Süden ist, bleibt gleich, ebenso wie die Tatsache, dass „an“ einen direkten Kontakt von Referenzund Lokalisationsobjekt erfordert.25 Man muss folglich immer unterscheiden, ob man es mit einer Standpunktabhängigkeit der Lokalisationsangabe oder mit einer Standpunktabhängigkeit einer Raumdarstellung im Ganzen zu tun hat. Nur die Verwendung des deiktischen Referenzsystems ist an die Origo des Sprechers oder die der Wahrnehmungsinstanz gebunden und in diesem Sinne subjektiv. Bei allen anderen Referenzsystemen kann eine solche Kopplung jedoch nicht vorausgesetzt werden. Das liegt daran, dass die Wahl eines Referenzsystems für jede einzelne Präposition bestimmt werden kann, dass diese Wahl aber bereits auf Satzebene durch die Instanzierung einer Wahrnehmungsinstanz überblendet werden kann. Ein kurzes Beispiel aus Döblins Berlin Alexanderplatz mag dies verdeutlichen:26 Rumm rumm wuchtet vor Aschinger auf dem Alex die Dampframme. Sie ist ein Stock hoch, und die Schienen haut sie wie nichts in den Boden. Eisige Luft. Februar. Die Menschen gehen in Mänteln. Wer einen Pelz hat, trägt ihn, wer keinen hat, trägt keinen. Die Weiber haben dünne Strümpfe und müssen frieren, aber es sieht hübsch aus […] Rumm rumm haut die Dampframme auf dem Alex. […] Loeser und Wolff mit dem Mosaikschild haben sie abgerissen, 20 Meter weiter steht er schon wieder auf, und drüben
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26
Der Herr der Ringe: 36. Irrungen, Wirrungen: 414. Unter dem ‚Referenzobjekt‘ versteht man in der Kognitionswissenschaft dasjenige Objekt, das als Referenzpunkt bei der Angabe der Position eines zu lokalisierenden Objekts verwendet wird (vgl. z. B. Knauff 1997: 122-126). Ich gehe auf diese Fragen in Kapitel 6.2.3 näher ein.
82
4 Narrative Erzeugung von Raum
vor dem Bahnhof steht er nochmal. Loeser und Wolff, Berlin-Elbing, erstklassige Qualitäten in allen Geschmacksrichtungen.27
„Vor Aschinger“ ist eine intrinsische Lokalisierung, weil ein Geschäft ein intrinsisches Vorne hat. „Auf dem Alex“ ist eine topologische Angabe und bezeichnet das Innere eines Raumes, das standortunabhängig bestimmt werden kann. „20 Meter weiter“ ist eine metrische Angabe, die ebenfalls standortunabhängig und objektiv gegeben ist. Zugleich wirkt diese Passage aber gerade nicht objektiv, weil sie mit autonomen Gedankenzitaten durchsetzt ist. „Rumm, rumm“ und Zusätze wie „und die Schienen haut sie wie nichts in den Boden“ oder „aber es sieht hübsch aus“ machen die Abhängigkeit der Beobachtungen von einer Wahrnehmungsinstanz deutlich.28 Generelle Schlüsse, z. B. von der Wahl eines Referenzsystems auf den Grad der Objektivität und auf eine beobachterunabhängige Existenzweise des Raumes, sind also nicht möglich.29 Die jeweilige Funktion eines Referenzsystems muss deshalb im Einzelfall geprüft werden. Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass die von mir aufgezählten Mittel dazu dienen können, die explizite Raumerzeugung und Lokalisation zu beschreiben. Dazu müssen allerdings zuvor diejenigen Gegebenheiten identifiziert werden, die nach den in Kapitel 3.3 genannten Kriterien als konkreter Raum bzw. konkrete Ortsangaben der erzählten Welt bezeichnet werden können. Würde man einen Erzähltext z. B. elektronisch auf die genannten lexikalischen Mittel absuchen, erhielte man eine große Menge an Informationen, die sich nicht auf den konkret-materiellen Raum beziehen. Man würde dann auch all diejenigen Fälle miterfassen, in denen Raum als metaphorisches Konzept verwendet wird, wie z. B. die Redewendungen jemandem auf die Nerven gehen, etwas geht mir unter die Haut, das Ende der Fahnenstange erreicht haben etc.30 Die Möglichkeit der metaphorischen Verwendung besteht ebenso bei den Bezeichnungen für Räume, wie man sich an_____________
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29 30
Berlin Alexanderplatz: 165. Auch wenn man, wie so oft in Berlin Alexanderplatz, nicht genau weiß, ob nun der Erzähler oder Franz kommentiert, da auch der Erzähler zuweilen berlinert. Diese Erkenntnis findet sich auch bei Herman (vgl. Herman 2002: 281). Lakoff/Johnson weisen in ihrer bahnbrechenden Studie zur Ubiquität von Metaphern im menschlichen Denken und Sprechen darauf hin, dass vor allem die Konzepte der räumlichen Orientierung (orientational metaphors) besonders häufig die Basis für Metaphern bilden (Lakoff/Johnson 1980: 10-24). Des Weiteren wird besonders oft auf ontologische Konzepte (ontological metaphors), wie Entität, Substanz und Container zurückgegriffen (entity metaphors, substance metaphors, container metaphors) (Lakoff/Johnson 1980: 25-63).
4.1 Raumreferentielle Ausdrücke
83
hand der Redewendungen ins Dickicht geraten, Eulen nach Athen tragen oder am Beispiel der metaphorischen Bezeichnung Handlungsspielraum verdeutlichen kann. Ganz offensichtlich setzt bereits die explizite Bezeichnung von Raum einen Leser voraus, der die Alltagsvorstellung von Raum präsent hat und der unterscheiden kann, ob auf konkrete räumliche Gegebenheiten referiert wird oder ob es sich um metaphorische Sprachverwendung handelt, in der der Raum konzeptuelle Metapher ist. Ich komme nun zu denjenigen Fällen, in denen Raum auch ohne die Verwendung der genannten raumreferentiellen Ausdrücke erzeugt wird. In der folgenden Textstelle ist zum Beispiel keines der oben genannten Mittel der Raumerzeugung zu finden, dennoch wird, auf eine noch näher zu spezifizierende Art und Weise, von einem Raum erzählt: „Frau Behrend hatte es sich gemütlich gemacht. Ein Scheit prasselte im Ofen.“31 Frau Behrend wird in Koeppens Tauben im Gras an dieser Stelle zum ersten Mal erwähnt. Es wird also nicht allein schon durch die Nennung ihres Namens ihre typische Umgebung aufgerufen. Genannt ist nur der Ofen und durch seine Erwähnung kann man aufgrund von Weltwissen auf das Vorhandensein einer Wohnung schließen. Der Text setzt offenbar voraus, dass man diesen Schluss zieht und nicht etwa annimmt, Frau Behrend würde mit ihrem Ofen in der Luft schweben. Verallgemeinernd kann man sagen: Sobald ein Ereignis erzählt wird, ist eine räumliche Gegebenheit impliziert, an/in der sich ein Ereignis abspielt, sei sie auch noch so unbestimmt. Aus diesem Grund kann eine Textstelle oftmals ohne Nennung einer räumlichen Gegebenheit oder nur mit spärlichen Angaben auskommen. Der Raum liegt im Text nicht in Form eines festen Codes vor, sondern entsteht aus dem Zusammenspiel von textuellen Informationen und Schlussprozessen. Die Erzeugung von Raum durch raumreferentielle Ausdrücke muss folglich um Schlussprozesse eines Lesers ergänzt werden, der eine Alltagsvorstellung von Raum hat und diese zur Ergänzung der textuellen Informationen heranzieht. Diese Einsicht deckt sich mit der obigen Erkenntnis, dass auch die raumreferentiellen Ausdrücke nicht per se Raum bezeichnen, sondern nur dann, wenn sie tatsächlich der Bezeichnung räumlicher Gegebenheiten der erzählten Welt dienen. _____________
31
Tauben im Gras: 16.
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4 Narrative Erzeugung von Raum
Diese Feststellungen sind noch sehr allgemein. Es war bisher die Rede davon, dass „man“, oder ein nicht näher spezifizierter Leser einen Schluss aufgrund seines Weltwissens ziehen muss. Auch die Fragen, wodurch ein Schlussprozess ausgelöst wird, wie dieser abläuft und welche Wissensmengen dabei eine Rolle spielen, wurden bis jetzt nicht gestellt. Um diese Probleme angehen zu können, möchte ich einige Anmerkungen zum narrativen Verstehen heranziehen, die für alle weiteren Ausführungen der vorliegenden Arbeit grundlegend sind.
4.2 Narrative Kommunikation Die folgenden Ausführungen basieren auf der Annahme, dass man das Verstehen narrativer Texte als Inferenzprozess eines ModellLesers auf das Gemeinte unter Berücksichtigung der (gegebenenfalls literarischen und/oder historischen) Kommunikationssituation auffassen sollte.32 Diese Behauptung wird hier nicht grundsätzlich für Erzähltexte bewiesen. Es wird lediglich ihr Nutzen für die Lösung der im vorangegangenen Kapitel skizzierten Probleme aufgezeigt.33 Grundlage ist eine instrumentalistische Konzeption von Kommunikation, in der Kommunikation nicht als Codierung und Dekodierung von Informationen, sondern als Inferenzprozess verstanden wird, in dem das Gemeinte regelgeleitet erschlossen wird.34 Keller hat die _____________ 32
33
34
‚Verstehen‘ wird hier im Sinne von Eibl verwendet: „‚Verstehen‘ ist die Rekonstruktion, wie ein anderer ‚Tatsachen‘ mittels seiner Regelmäßigkeitsannahmen verknüpft oder verknüpft hat, um ein Problem zu lösen“ (Eibl 1976: 60). Eine grundlegende Theorie dazu, welche Prozesse beim Aufbau von narrativen und nicht-narrativen Textwelten von Bedeutung sind, entwickelt Werth in seiner diskursund kognitionslinguistischen Sprachtheorie (Unified Field Theory of Linguistics) (Werth 1999). Er verwendet den Terminus textworld zur Bezeichnung eines mentalen Modells, das Sender und Empfänger einer Kommunikation konstruieren, wenn sie mit Texten zu tun haben. Sein Ausgangspunkt ist die Annahme, dass die Kommunikation durch das Bestreben nach Kohärenzbildung bestimmt ist. Die Voraussetzung für einen Kohärenzeindruck ist, dass eine Information bereits vorgekommen ist und im mentalen Modell verankert werden kann. Den Aufbau der Textwelt beschreibt Werth deshalb als Informationsverarbeitung, in dem Präsentation und Aufrechterhaltung von Referenten und die Inkrementation von Informationen mittels frames und Prototypen eine Rolle spielen. In der kognitiven Linguistik hat sich das Modell, Kommunikation als inferenzbasiert zu beschreiben, vielfach durchgesetzt (vgl. Levinson 2000a und 2000b). Das Verstehen von Kommunikation wird dabei als abduktiver Schlussprozess verstanden. Das
4.2 Narrative Kommunikation
85
Schlussprozesse, die beim Äußern und Verstehen von Aussagen ablaufen, folgendermaßen reformuliert: Sprecher S:
Hörer H:
Ich will H wissen lassen, daß x. Ich gehe davon aus, daß hierzulande A-Äußern dazu dient, unter den gegebenen Umständen einem H x verstehen zu geben, und daß H das weiß (und weiß, daß ich das weiß). So äußere ich A. S hat A geäußert. Ich gehe davon aus, daß hierzulande A-Äußern dazu dient, unter gegebenen Umständen einem H x zu verstehen zu geben, und daß S das weiß (und weiß, daß ich das weiß). So will er mich wissen lassen, dass x.35
Der Schlussprozess, den der Sprecher ausführt, um eine Form für seine Mitteilungsabsicht zu finden, ist ein deduktiver, weil der Sprecher ausgehend von den gängigen Regeln zur Verwendung des Sprachwissens darauf schließt, dass bestimmte Äußerungen seine Absicht angemessen ausdrücken müssten und diese deshalb verwendet. Der hörerseitige Schlussprozess dagegen ist eine Abduktion. H sucht zum Verständnis von A eine Regel, die es ihm ermöglicht, auf eine angemessene Intention von S zu schließen.36 Keller verwendet hier einen Fall, in dem die Regeln aus dem Bereich des Sprachwissens kommen. Diese Beschreibung der Anwendung von Sprachwissen funktioniert nur dann einwandfrei, wenn sich aus der Kommunikationssituation nicht die Annahme ergibt, der Sprecher könnte mit seiner Aussage etwas gemeint haben, was der üblichen Bedeutung der verwendeten Ausdrücke widerspricht bzw. über sie hinausgeht.37 Ich _____________
35 36
37
heißt, dass die kommunizierte Äußerung als Fall aufgefasst wird, dessen Bedeutung ermittelt wird, indem eine Regel angewendet wird. Zur Abduktion vgl. auch Fn 36 in diesem Kapitel. Keller 1995: 141, Hervorhebung im Original. Bei einem deduktiven Schluss schließt man von der Regel (Alle Menschen sind sterblich) und dem Fall (Sokrates ist ein Mensch) auf das Ergebnis (Sokrates ist sterblich). Bei einem induktiven Schluss folgert man von Fall und Ergebnis auf die Regel. Beim abduktiven Schluss folgert man von Ergebnis und Regel auf den Fall: (1) Sokrates ist sterblich. (2) Alle Menschen sind sterblich. (3) Sokrates ist ein Mensch. Der Ausdruck „Abduktion“ (zuerst ‚Hypothese‘) und der Vorschlag, dieses Schlussverfahren neben der Deduktion und der Induktion zuzulassen, stammen von Peirce (vgl. Peirce 1985: 127-142). Im folgenden Abschnitt wird ‚Bedeutung‘ auf die semantischen Aspekte von sprachlichen Ausdrücken als konventionalisiertes Sprachwissen beschränkt. Wenn in Bezug
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4 Narrative Erzeugung von Raum
möchte an einem Beispiel verdeutlichen, wie die Schlussprozesse dann ablaufen: Sprecher S:
Ich will H wissen lassen, dass ich denke, dass morgen sehr viel Verkehr sein wird, weil die Schulferien beginnen und viele Leute dann in Urlaub fahren. (x) Ich gehe davon aus, dass H weiß, dass die Straßen zu Beginn der Schulferien zumeist überfüllt sind. Ich äußere die beiden Sätze Wollt ihr wirklich morgen nach Italien fahren? Da fangen doch in halb Deutschland die Ferien an! (A) Die Hörer H: S hat A geäußert.
Ich gehe davon aus, dass hierzulande A-Äußern zum einen eine Nachfrage nach dem geplanten Abreisetermin bedeutet zum anderen eine Aussage darüber, dass in mindestens der Hälfte der Bundesländer der Bundesrepublik Deutschland die Schulferien beginnen. Ich gehe davon aus, dass S mir mit dem zweiten Satz etwas Relevantes mitteilen möchte, und dass diese Mitteilung mit der ersten Frage verbunden ist. Ich nehme an, dass S mich auf den Umstand hinweisen möchte, dass morgen mit langen Staus zu rechnen ist, weil die Schulferien beginnen und viele Leute dann in Urlaub fahren. erste Annahme von H beruht auf einem deduktiven Schluss, weil er von der Kenntnis der Regeln des Sprachwissens auf den Fall schließt. Die Annahme des Hörers, S wolle ihm etwas mitteilen, beruht auf abduktiven Schlüssen. Zum einen setzt H voraus, dass für das Verständnis der Sätze die Regeln der deutschen Sprache heranzuziehen sind. Zum anderen schließt er, dass der Hinweis auf den Schulferienbeginn eine Information über die zu erwartende Verkehrslage ist. Hier sind verschiedene Faktoren wirksam, die die Plausibilität der Schlüsse erhöhen. Zum einen geht der Hörer vom kommunikativen Kooperationsprinzip aus.38 Das heißt, dass er annimmt, der Sprecher wolle ihm etwas mitteilen und verhalte sich dazu rational. Da H davon ausgeht, S wolle ihm eine für ihn relevante Information geben und da sich der Zusammenhang der beiden Sätze aus dem Sprachwissen heraus zunächst nicht erschließt, sucht er in seinem Weltwissen _____________
38
auf Raum von „Bedeutung“ die Rede ist, wird damit oftmals eigentlich das bezeichnet, was in der Pragmatik unter ‚Gemeintes‘ firmiert: die erschlossene Mitteilungsabsicht des Sprechers. Zur Unterscheidung von Bedeutetem und Gemeintem vergleiche von Polenz (von Polenz 1985: 298-327). Der Terminus „kommunikatives Kooperationsprinzip“ geht auf Grice zurück (vgl. Grice 1989: 26).
4.2 Narrative Kommunikation
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nach einer regelhaften Verbindung von Ferienbeginn und Reisedatum. Er nimmt an, dass die Regel lautet: Zu Ferienbeginn ist das Verkehrsaufkommen zumeist so hoch, dass man an diesem Tag nicht reisen sollte. Die Annahmen des Hörers über die Intention des Sprechers basieren auf dem Kooperationsprinzip, auf dem pragmatischen Kontext und auf Wissen39 über die aktuale Welt. Das Wissen über diese Bereiche liegt ebenso in Form von Regeln vor wie das Sprachwissen. Der Unterschied besteht nur darin, dass der Anwendungsbereich dieser Regeln nicht so klar festgelegt ist. Wendet man das Inferenzmodell von Kommunikation auf die narrative Kommunikation an, so ergeben sich einige Differenzen zu den bisher üblichen Konzeptualisierungen derselben in den folgenden Punkten:40 bei der Ebenendifferenzierung des Sender-EmpfängerModells narrativer Kommunikation, bezüglich der Annahme einer Autorintention, hinsichtlich der Kommunikationssituation und in Bezug auf die Frage, welchem Leser die Inferenzen zugeschrieben werden können. Diese Aspekte möchte ich im Folgenden kurz ansprechen. Narrative Kommunikation wurde in der Narratologie zumeist als Übermittlung einer Botschaft von einem Sender an einen Empfänger verstanden. Dabei ist man von der Annahme ausgegangen, dass die gesendete Botschaft nur dann verstanden werden kann, wenn man den Code – die Bedeutung der sprachlichen Ausdrücke – kennt. Für fiktionale Texte hat sich dabei eine Differenzierung mehrerer Kommunikationsebenen eingebürgert. Weit verbreitet ist das Modell von Schmid, das zahlreichen Textanalysen zu Grunde gelegt wurde.41 In der am weitesten entwickelten Fassung sieht Schmid folgende Ebenen der narrativen Kommunikation vor: eine Kommunikationsebene zwischen dem realen Autor und dem realen Leser, eine zwischen dem abstrakten Autor und dem abstrakten Leser, eine zwischen dem fiktiven Erzähler und dem fiktiven Leser und schließlich eine fakultative _____________ 39 40
41
Zum Wissensbegriff vgl. Fn 24 in Kapitel 1. Ich stütze mich im Folgenden auf das von Jannidis entwickelte Modell narrativer Kommunikation (Jannidis 2004: 15-83). Schmid diskutiert und integriert eine Vielzahl von Überlegungen zur narrativen Kommunikation nach dem Sender-Empfänger-Modell (vgl. Schmid 2005: 47-112). Schmids Modell stellt eine Präzisierung seines 1977 erstmals aufgestellten Modells dar, das mit unterschiedlichen Modifikationen vielfach in der Erzähltextanalyse verwendet wurde (vgl. Schmid 2005: 47, Fn 1).
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4 Narrative Erzeugung von Raum
Ebene der Figurenkommunikation.42 Diese Differenzierung der Ebenen der Kommunikation lässt sich auch dann verwenden, wenn man nicht von einer Übertragung einer Botschaft von der jeweiligen Sender- zur jeweiligen Empfängerinstanz ausgeht, sondern von Schlussprozessen, im Zuge derer verschiedenen Instanzen bestimmte Absichten zugeschrieben werden. So wie der oben erwähnte Hörer dem Sprecher unterstellt, er wolle etwas Bestimmtes aussagen, so unterstellt man auch bei einem fiktionalen narrativen Text, dass er in einer bestimmten Absicht geschrieben bzw. erzählt wird. Diese Aussage beschreibt meines Erachtens recht treffend eine wichtige Grundannahme beim Verstehen narrativer Texte. Auch die literaturwissenschaftliche Praxis zeigt, dass die Bezugnahme auf den Autor in einer historischen Textwissenschaft eine wichtige Rolle spielt. Durch den Bezug auf den realen Autor ist die Rückbindung an eine bestimmte, historische oder gruppenspezifische Semantik möglich, und es können auch autorspezifische Semantiken und Wortverwendungen berücksichtigt werden. Nur über die Person des Autors können weitere Werke und Schriftstücke zur Plausibilisierung von Interpretationen herangezogen werden, und es ist ebenfalls der reale Autor, dem die Gestaltung des Textes und die Auswahl seiner Elemente zugeschrieben werden können. In der Literaturtheorie der letzten 30 Jahre war es dennoch keine Selbstverständlichkeit, den realen Autor als intentionale Äußerungsinstanz zu konzipieren.43 Fasst man dessen Intention aber nicht als individuellen Bewusstseinsinhalt, sondern als kommunikative Intention auf, lässt sich die Bezugnahme auf den realen Autor und dessen Intention auch literaturtheoretisch rechtfertigen. Das heißt, dass nur solche Intentionen des Autors interessieren, die sich über die Regeln der Kommunikation erschließen lassen. Annahmen über diese können freilich nur hypothetischer Natur sein, erfüllen aber eine wichtige Funktion im Umgang mit narrativen Texten.44 _____________
42
43
44
Bei Schmid heißt die Figurenkommunikation „Personenkommunikation“ (vgl. Schmid 2005: 47). Vgl. dazu und für einen erneuten, reflektierten Bezug auf den Autor: Jannidis/Lauer/ Martinez/Winko 1999. Vgl. auch den Theorieansatz des ‚hypothetischen Intentionalismus‘, in dem Intentionen als Annahmen über die mögliche Intention verstanden werden. Es handelt sich hierbei um eine Position in der Intentionalismus-Debatte, die als Mittelweg zwischen Intentionalismus und Antiintentionalismus konzipiert wurde: Da Intentionen nicht in Texten enthalten, dennoch aber wesentlich für das Verstehen sind, werden sie als Annahmen eines Rezipienten konzipiert (vgl. Spoerhase 2007: 123-144).
4.2 Narrative Kommunikation
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Ein zweites Problem bei der Anwendung eines inferenzbasierten Konzepts von Kommunikation ergibt sich aus dem Umstand, dass man für Annahmen über das Gemeinte, die über die Bedeutung von sprachlichen Äußerungen hinausgehen, normalerweise auf Informationen des konkreten, situativen Kontextes zugreifen muss. Eine solche Kommunikationssituation wird literarischen Texten traditionell abgesprochen. Jannidis hat darauf hingewiesen, dass narrativen Texten zwar eine individuelle Kommunikationssituation der direkten Interaktion fehlt, dass die institutionelle Situation, in der diese Texte situiert sind, aber dennoch wesentliche Anhaltspunkte für Schlussprozesse liefert. Die institutionelle Kommunikationssituation, für die der Autor schreibt, ist durch die Parameter Ort, Zeit, Handlungskontext und Medium bestimmt: -
der Ort (z. B. Schule, private und öffentliche Bibliothek, literarischer Zirkel, Buchhandlung) der Zeitpunkt (z. B. Schulunterricht, Universitätsseminar, Freizeit – aber eben nicht während des Kundengesprächs mit dem Finanzberater) im Kontext welcher Handlungsabläufe (z. B. Vorbereiten für Prüfungen, Bildung, verregneten Sonntagnachmittag füllen, Auseinandersetzung mit einem Autorwerk usw.) in welcher Gestalt in welchem Medium wie sind die Binnendifferenzierungsmerkmale des Mediums (z. B. Einband, Layout, Papiersorte, Illustrationen) genutzt in welcher textuellen Umgebung erscheint der Text (der Text nimmt das physische Medium ganz ein, z. B. ein Roman in Buchform, oder nur teilweise, z. B. eine Erzählung in einem Sammelband) wie integral wird er präsentiert (z. B. vollständig oder als Teil einer Fortsetzung) ist der Text durch Untertitel, Reihe, Verlag usw. Teil einer spezifischen Textsorte (z. B. Illustriertenroman, Kioskheftchen oder ernste Literatur)45
Die Rekonstruktion der institutionellen Kommunikationssituation ist wesentlich für das Verständnis literarischer Texte. Der Autor und diese Situation stellen wichtige Faktoren für die Plausibilisierung von Schlussprozessen dar. _____________ 45
Jannidis 2004: 38 f.
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4 Narrative Erzeugung von Raum
Bisher war noch kaum die Rede von derjenigen Instanz, welche die erwähnten Schlüsse zieht und welcher bestimmte Wissensmengen und die Kenntnis von Codes und Regeln zugeschrieben werden können. Ich schließe hier an den Vorschlag von Jannidis an, diese Instanz als den „Modell-Leser“ zu bezeichnen: Der Modell-Leser wäre also ein anthropomorphes Konstrukt, das gekennzeichnet ist durch die Kenntnis aller einschlägigen Codes und auch über alle notwendigen Kompetenzen verfügt, um die vom Text erforderten Operationen erfolgreich durchzuführen. […] [Zu seinen Kompetenzen gehört auch] ein Gedächtnis um das textspezifische Wissen aufbauen zu können, sowie die Fähigkeit, Inferenzen zu bilden. In diesem Sinne ist der Modell-Leser keineswegs ein Textkonstrukt, sondern ein textbasiertes Konstrukt. Aus der Sicht des beobachtenden Literaturwissenschaftlers handelt es sich um eine Leserfunktion, die zur Rekonstruktion der narrativen Kommunikation notwendig ist.46
Der Modell-Leser ist kein naiver Leser, sondern ein sowohl historisch Kundiger als auch ein Kenner der literarischen Tradition, sofern der Text dies voraussetzt. Er dient nicht der Zuschreibung von Informationen über die zeitgenössische oder heutige Rezeption der Texte, sondern der Rekonstruktion der intendierten Struktur und Bedeutung eines Textes. Da dem Modell-Leser ein Gedächtnis und die Fähigkeit, Inferenzen zu bilden, attribuiert werden können, kann die inadäquate Vorstellung eines festen sprachlichen Codes zur Bezeichnung des konkreten Raumes der erzählten Welt nun durch die Vorstellung ersetzt werden, dass der konkrete Raum in Form eines mentalen Modells eines Modell-Lesers vorliegt.47 Der Terminus „mentales Modell“ stammt aus der Kognitionswissenschaft und bezeichnet dort ein mentales Konstrukt, das aus dem Text aufgrund der im Text vergebenen Informationen und mithilfe des Weltwissens des Lesers gebildet wird. Wie viel in dieses mentale Modell aufgenommen wird und welchen Status es dort hat, ist durch Konventionen bestimmt. Es lassen sich Konventionen des Erzählens und Konventionen des Erzählten unterscheiden. Zu den Konventionen des Erzählens gehören z. B. die oben bereits vorgestellte Ebenendifferenzierung der Instanzen der Kommunikation, gegebenenfalls die Fiktionalität und be_____________ 46 47
Jannidis 2004: 31, Hervorhebung im Original. Das Konzept des ‚mentalen Modells‘ geht auf Johnson-Laird zurück (vgl. JohnsonLaird 1983 und den Sammelband Oakhill 1996 zur Rezeption des Begriffs). Bower und Morrow haben es zur Modellierung der kognitiven Verarbeitung narrativer Texte herangezogen (Bower/Morrow 1990). Für die Psycholinguistik vgl. Rickheit 1999, für die Psychologie vgl. Held/Knauff/Vosgerau 2006.
4.3 Inferenzen auf Raum
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stimmte Formen der Aufmerksamkeitslenkung. Die Aufmerksamkeit auf bestimmte Informationen wird generell durch Titel, Mottos, wörtliche und nicht-wörtliche Wiederholungen und Erzählerkommentare, aber auch durch die Position von Informationen zu Beginn oder am Ende eines Textes, oder von Untereinheiten gesteuert.48 Für bestimmte Elemente des Erzählten gibt es zudem besondere Konventionen des Erzählens. Eine Konvention für die Vermittlung von Figureninformationen besteht darin, dass nur stabile Informationen der Figurencharakterisierung dienen. Es stellt sich die Frage, ob es auch für das Erzählen von Raum solche Konventionen gibt, welche die Relevanz von Informationen bestimmen. Dieser Frage widme ich mich in Kapitel fünf, sechs und sieben der vorliegenden Arbeit. Neben den Konventionen des Erzählens gibt es auch noch Konventionen des Erzählten, bzw. der erzählten Welt. Informationen zu erzählten Welten werden durch Genrewissen, Wissen über einen Typus fiktionaler Welten oder über eine spezifische fiktionale Welt und durch Weltwissen strukturiert und gegebenenfalls ergänzt.49 Für die Figur hat Jannidis ‚Figurenmodelle‘, ‚figurale Schemata‘ und ‚situative Schemata‘ als spezifisch figurenbezogene Wissensmengen ausgemacht.50 Mit der Suche nach raum-bezogenen Wissensmengen werde ich mich in Kapitel sieben beschäftigen.
4.3 Inferenzen auf Raum Das mentale Modell des Raumes der erzählten Welt wird nicht nur ausgehend von raumreferentiellen Ausdrücken, sondern auch anhand von Inferenzen auf Räume ausgehend von nicht-raumbezogenen Informationen aufgebaut. An welchen Informationen lassen sich diese Inferenzen auf Raum festmachen und wie weitreichend sind sie? Bei der Beantwortung dieser Fragen zeigen sich wesentliche Unterschiede zwischen nicht-fiktionalem und fiktionalem Erzählen. Da ein nicht-fiktionaler Text auf die Wirklichkeit referiert, stellt seine erzählte Welt immer einen Ausschnitt aus der aktualen Welt dar. Elemente des Raumes, die nicht genannt werden, können ergänzt _____________
48
49 50
Vgl. die „Rules of Notice“ in Rabinowitz’ viel beachteter Untersuchung zu den Konventionen, die bei der Textanalyse wirksam sind (Rabinowitz 1987: 47-75). Zum Genre-Begriff vgl. Fn 25 in Kapitel 1. Jannidis 2004: 214-219.
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4 Narrative Erzeugung von Raum
werden. In ihrem autobiographischen Bericht Eine Frau erlebt die Polarnacht erzählt Christiane Ritter davon, wie sie sich auf den Weg nach Spitzbergen gemacht hat, um dort ein Jahr lang bei ihrem Mann zu wohnen, der dort als Jäger lebt. Alle genannten topographischen Angaben, wie z. B. Hamburg, Norwegen, Kingsbai oder Magdalenenbai referieren auf die aktuale Welt. Stationen auf dem Weg ihrer Reise, die sie nicht nennt, können mithilfe des Wissens über die aktuale Welt ergänzt werden. In diesem Sinne stellt die erzählte Welt einen Ausschnitt aus der aktualen Welt dar. Bei einem fiktionalen Text kann man das Wissen über die aktuale Welt hingegen nicht so selbstverständlich voraussetzen, selbst wenn man es mit expliziten Referenzen auf räumliche Gegebenheiten der aktualen Welt zu tun hat. In dem Krimi The Mad Hatter Mystery wird z. B. ein Toter im Tower of London gefunden und damit in einem Gebäude, das auch in der aktualen Welt existiert. Die weiteren Handlungsschauplätze sind eine Kneipe, ein Restaurant, die Wohnung des Ermordeten und das Haus von dessen Onkel, außerdem einige Wege zwischen diesen räumlichen Gegebenheiten. Westminster Abbey oder die Tower Bridge, die sich in der aktualen Welt zur Entstehungszeit des Krimis in der Nähe des Towers befinden, werden dagegen z. B. nicht erwähnt. Da es sich um einen fiktionalen Text handelt, kann man nicht annehmen, dass diese dennoch Teil der erzählten Welt sind. Das hat damit zu tun, dass die Aussagen eines fiktionalen Textes keinen Anspruch auf Referentialisierbarkeit auf die aktuale Welt erheben.51 Referiert wird auf Entitäten der erzählten Welt. Wichtig für fiktionale Texte ist nun, dass der Tower, auch wenn er gemeinsame Merkmale mit dem Tower der aktualen Welt aufweist, ontologisch dennoch etwas vollständig anderes ist.52 Der fiktionale Status des Raumes führt dazu, dass räumliche Gegebenheiten, die nicht genannt sind, nur dann Teil der erzählten Welt werden, wenn es notwendig ist, auf ihr Vorhandensein zu schließen. Da dies bei Westminster Abbey oder bei der _____________ 51
52
Ich bestimmte mit Zipfel ‚Fiktionalität‘ als Nicht-Referentialisierbarkeit auf die aktuale Welt (vgl. Zipfel 2001: 195-203, Zipfel spricht nicht von „aktualer Welt“, sondern von „Wirklichkeit“). In der Narratologie gibt es eine ausführliche Debatte über den ontologischen Status fiktionaler Welten und über ihre Vollständigkeit, die bei Doležel zusammengefasst ist (vgl. Doležel 1998: 1-28). Doležel zeigt dies am Beispiel der Figur Napoleon in Tolstois Roman Krieg und Frieden. Auch wenn dieser Napoleon viele Dinge tut und sagt, die auch der aktuale Napoleon nach der historischen Überlieferung gesagt und getan hat und auch wenn er gemeinsame Merkmale mit diesem aufweist, so hat er dennoch nicht den gleichen ontologischen Status wie der Napoleon der aktualen Welt (vgl. Doležel 1998: 16-18).
4.3 Inferenzen auf Raum
93
Tower Bridge nicht der Fall ist, existieren sie in der erzählten Welt des The Mad Hatter Mystery auch nicht. Es gibt in diesem Text nichts über diese räumlichen Gegebenheiten zu wissen. Beschränkt auf den Raum der erzählten Welt lauten die Annahmen über fiktionale Welten wie folgt: Der Raum eines fiktionalen Textes existiert nicht vor und unabhängig von einem Text. In dem Moment, in dem in einem Text von einer räumlichen Gegebenheit erzählt wird, wird diese erst erzeugt. Es greift dann die Existenzpräsupposition, die man als „selbstverständliche (implizite) Sinnvoraussetzung sprachlicher Ausdrücke bzw. Äußerungen“ beschreiben kann: In dem Moment, in dem eine Aussage über ein x gemacht wird, z. B. x ist groß, In x passiert etwas, wird vorausgesetzt (präsupponiert), dass es x gibt. Für eine fiktionale Welt gilt diese Existenz dann so lange als gesichert, so lange nichts Gegenteiliges behauptet wird. Mit dieser Regel lässt sich freilich spielen, wie das folgende Beispiel aus Kafkas Schloß zeigt: Es war spät abend, als K. ankam. Das Dorf lag in tiefem Schnee. Vom Schloßberg war nichts zu sehn, Nebel und Finsternis umgaben ihn, auch nicht der schwächste Lichtschein deutete das große Schloß an. Lange stand K. auf der Holzbrücke, die von der Landstraße zum Dorf führte, und blickte in die scheinbare Leere empor.53
Das im zweiten Satz explizit genannte Schloss ist zwar nicht zu sehen, die gewählte Aussageform präsupponiert aber dennoch sein Vorhandensein. Man kann sich diesen Sachverhalt verdeutlichen, wenn man die Sätze Das Schloss war zu sehen und Das Schloss war nicht zu sehen nebeneinander stellt: Die Existenz des Schlosses ist in beiden Fällen gegeben. Von besonderem Interesse sind nun diejenigen Textstellen in fiktionalen Texten, in denen Informationen zu räumlichen Gegebenheiten offensichtlich fehlen und ergänzt werden müssen, weil sie relevant sind. Ich möchte dieses Problem anhand des in Kapitel 4.1 bereits zitierten Textbeispiels aus Tauben im Gras diskutieren: „Frau Behrend hatte es sich gemütlich gemacht. Ein Scheit prasselte im Ofen.“54 Oben wurde bereits festgestellt, dass dieser Satz einen Raum impliziert, in dem sich der Ofen und Frau Behrend befinden. Wie ist hier aber die implizite Erzeugung von Raum zu begrenzen? Ist auch das Vorhandensein eines Hauses, in dem sich die Wohnung befindet, _____________ 53 54
Das Schloß: 7. Tauben im Gras: 16.
94
4 Narrative Erzeugung von Raum
impliziert oder sogar die Existenz einer Stadt oder eines bestimmten Landes? Wie könnte diese Stadt aussehen und was für Häuser befinden sich in der Nachbarschaft? Einige dieser Fragen erscheinen wohl irrelevant. Wie lässt sich dieser Eindruck begründen? In der raumnarratologischen Forschung sind bisher nur Quellen für implizit vorhandene Rauminformationen genannt, aber kaum Kriterien für deren Relevanz entwickelt worden. Sappok geht beispielsweise davon aus, dass semantische Felder aktiviert werden, die der Realität entstammen. Ebenso wie bei Chatmans Hinweis, dass die Vorstellung über die räumliche Ausdehnung von Objekten durch das Weltwissen gespeist wird, fehlt aber ein Kriterium, das die Reichweite der Schlüsse begrenzen könnte. Ronens Beschreibung von metonymischen Schlussprozessen, in denen von der Nennung eines Einrichtungsgegenstandes (Bett) oder eines Grenzobjekts (Gardinen) auf einen Raum geschlossen wird (Schlafzimmer bzw. Zimmer) legt dagegen nahe, nur die direkte, nächstgrößere materiell begrenzte Umgebung eines Objekts oder einer Figur als vorhanden anzunehmen. Im Fall von Frau Behrends Ofen würde das bedeuten, dass hier nur ein Zimmer erzeugt wird, nicht aber eine Wohnung oder ein Haus, in dem sich dieses Zimmer befindet, und auch kein Schornstein zu diesem Ofen. Da eine solche ausschließlich materiell-regelhafte Begrenzung des zu ergänzenden Raumes nicht sinnvoll erscheint, besteht hier noch Klärungsbedarf. Ich möchte mich diesem Problem nähern, indem ich zwei Arten der Unvollständigkeit eines Textes unterscheide. Zum einen kann man einen Text dann als „unvollständig“ bezeichnen, wenn Informationen nicht erwähnt werden, die logisch ergänzt werden können. Im oben genannten Textausschnitt, in dem nur der Ofen genannt wird, vor dem Frau Behrend sitzt, wären ein Zimmer, in dem sich der Ofen befindet, ein Haus, in dem sich das Zimmer befindet und ein Schornstein für den Ofen zu ergänzen. In diesem Fall möchte ich von „Unbestimmtheit“ sprechen.55 Darüber hinaus gibt es aber auch echte _____________ 55
Ingarden fasst mit dem Terminus „Unbestimmtheit“ ursprünglich die Tatsache, dass der literarische Text durch die Harmonie seiner vielen Schichten Bestimmtheit lediglich suggeriert, in Wirklichkeit seinen intentionalen Gegenstand aber offen lässt (Ingarden 1997). Dieser konstituiert sich erst durch die Aktualisierung potentieller Elemente. Da es mir hier nicht um die Intention des Textes als Ganzes geht, schließe ich an Eco an, der davon ausgeht, dass ein Text deshalb unvollständig ist, weil der Leser Regeln der Konversation kennen und das Gesagte um Weltwissen ergänzen muss, um den Text zu verstehen (vgl. Eco 1990: 62 ff.). Stellen, an denen solches Wissen fehlt, bezeichnet Eco allerdings als „Leerstellen“ (vgl. Eco 1990: 63).
4.3 Inferenzen auf Raum
95
Leerstellen56 des Textes, die z. B. dadurch entstehen, dass man nicht erfährt, wie das Zimmer aussieht, wie viele Zimmer sich sonst noch in diesem Haus befinden, wie alt das Haus ist, in welcher Umgebung es steht etc. Während die Ergänzung von Unbestimmtheitsstellen zur Klärung der Frage beitragen kann, welche räumlichen Gegebenheiten in der erzählten Welt vorhanden sind, ist die Frage nach der Ergänzung von Leerstellen bei fiktionalen Texten nicht angemessen. Es lässt sich wahrscheinlich keine systematische Zuordnung von Textstrukturen und notwendig daraus resultierenden Ergänzungen im mentalen Modell vornehmen. Manchmal werden jedoch explizite Hinweise auf die zu erschließenden Informationen gegeben, wie im folgenden Beispiel: Auf dieser Reise begegnete mir nichts ausserordentliches, ausser dem dass ich mich resolvirte, theils Mattigkeit, theils Neugierigkeit wegen, die berühmten Seltenheiten in und bey der Land-Gräfl. Hessen-Casselischen Residenz-Stadt Cassel zu betrachten, einen Post-Tag zu verpassen.57
Die Textstruktur weist hier darauf hin, dass die Kenntnis der nicht erwähnten Sehenswürdigkeiten beim Modell-Leser vorausgesetzt wird. Der Modell-Leser muss Weltwissen über das Kassel der aktualen Welt um 1730 haben, um zu erschließen, dass hier die barocke Gartenanlage mit dem Herkulesdenkmal und Wasserspielen gemeint ist, die Landgraf Karl von 1701-1714 auf dem heutigen Gelände des Bergparks Kassel-Wilhelmshöhe erbauen ließ. Wird kein solcher direkter Hinweis gegeben, können mindestens noch die drei folgenden Arten von Informationen Inferenzen auf Raum auslösen. Zum Ersten können über die Nennung von Figuren in ihrer Rollenidentität typische räumliche Gegebenheiten aufgerufen werden, in denen man sich normalerweise befindet, wenn man die Rolle einnimmt. Die Schlossgehilfen und der Schlosskastellan in Kafkas Schloß sind Beispiele für solche Rollenidentitäten, die das Vorhandensein eines Schlosses voraussetzen.
_____________ 56
57
Der Terminus „Leerstelle“ ist vor allem durch Iser bekannt geworden. Iser meint damit Stellen des Textes, bei denen Kohärenzprobleme auftreten, so dass der Leser herausgefordert wird, aktiv zu werden und Inkohärenzen zu beseitigen. Welche Operationen der Leser dabei genau vornimmt, spezifiziert Iser allerdings nicht (vgl. Iser 1975). Ich schließe nicht an diese Terminusverwendung an, sondern verwende den Terminus „Leerstelle“, um ein echtes Fehlen von Informationen zu bezeichnen. Insel Felsenburg: 24.
96
4 Narrative Erzeugung von Raum
Zweitens kann auch über die Nennung von Ereignissen oder Handlungen, die typischerweise in, an oder bei bestimmten Objekten oder Räumen stattfinden, eine räumliche Gegebenheit erzeugt werden. Nachdem im ersten Kapitel des Bebuquin zuletzt von dem Protagonisten Nebukadnezar Böhm erzählt wird, dass er sich auf der Straße von seinen Freunden verabschiedet, beginnt das zweite Kapitel unvermittelt mit dem folgenden Satz: „Bebuquin wälzte sich in den Kissen und litt.“58 Das Wälzen impliziert das Vorhandensein eines Bettes und eines Zimmers, in dem sich dieses Bett befindet. Als Drittes ist ein metonymischer Aufruf von räumlichen Gegebenheiten denkbar, indem Bestandteile von Räumen oder Objekte genannt werden, die sich typischerweise in bestimmten räumlichen Gegebenheiten befinden. Mit dem Satz „Die Glocken riefen zur Frühmesse“ wird durch die Tätigkeit des Glockenläutens als Signal für die Messe z. B. auch die Inferenz auf eine katholische Kirche nahe gelegt, in der diese Messe stattfinden kann und in der sich die Glocken befinden.59 Hier wird also ein Modell-Leser vorausgesetzt, der das Weltwissen besitzt, dass Glocken zu einer Kirche gehören, dass Frühmessen in katholischen Kirchen stattfinden, und dass dort geläutet wird, um die Messe anzukündigen.
4.4 Zusammenfassung Die Ausgangsfrage in diesem Kapitel war, wie der konkrete Raum der erzählten Welt erzeugt wird. Die bisherigen Zusammenstellungen raumreferentieller Ausdrücke aus der Linguistik haben sich nur bedingt als brauchbar erwiesen, weil die dort entwickelten Systematisierungen zur Raumsprache sich fast ausschließlich auf räumliche Relationen beziehen. Aus diesem Grund wurde versucht raumreferentielle Ausdrücke zusammenzustellen, die diejenigen Objekte bezeichnen, die nach dem in Kapitel drei entwickelten Raumkonzept als räumliche Gegebenheiten zu verstehen sind (vgl. Tabelle 2 im Anhang). Nach dieser Zusammenstellung werden Räume durch Toponymika, Eigennamen, Gattungsbezeichnungen, Deiktika und weitere Konkreta bezeichnet. Ortsangaben werden mithilfe von Präpositionalphrasen, Deiktika, metrischen und georeferentiellen Angaben gegeben. _____________ 58 59
Bebuquin oder die Dilettanten des Wunders: 7. Tauben im Gras: 12.
4.4 Zusammenfassung
97
Der Bezeichnung von Orten liegen Referenzsysteme zu Grunde, die entweder deiktisch, also standpunktabhängig, oder absolut, d. h. standpunktunabhängig sind. Absolute Referenzsysteme umfassen intrinsische, topologische, georeferentielle und metrische Referenzsysteme. Nur die metrischen und georeferentiellen Angaben und die Deiktika sind fest mit einem Referenzsystem verbunden. Bei Präpositional-phrasen gilt es jeweils zu fragen, ob sie deiktisch oder intrinsisch verwendet werden. Im Anschluss an diese Systematisierung war es aus zwei Gründen nötig, Überlegungen zur narrativen Kommunikation einzubeziehen: Zum einen hat es nicht ausgereicht, die erwähnten raumreferentiellen Ausdrücke als Code zu verstehen, mit dessen Hilfe Raum unabhängig vom Verwendungskontext bezeichnet wird. Das liegt daran, dass diese Ausdrücke immer auch metaphorisch verwendet werden können. Aus diesem Grund war es nötig, von einem Leser auszugehen, der zwischen einer eigentlichen und einer uneigentlichen Verwendung dieser Ausdrücke unterscheiden kann. Dafür bot sich eine instrumentalistische Konzeption von ‚Verstehen‘ an, in der Verstehen nicht als Dekodierung von Botschaften, sondern als Inferenzprozess verstanden wird, in dem das Gemeinte regelgeleitet erschlossen wird. Die Einführung eines Modell-Lesers erschien auch deshalb sinnvoll, weil an manchen Textstellen Inferenzen auf Raum nötig sind und weil diese einer Instanz zugeschrieben werden müssen. Der ModellLeser wurde mit Jannidis als anthropomorphes Konstrukt konzipiert, das durch die Kenntnis aller einschlägigen Codes gekennzeichnet ist und das auch über alle notwendigen Kompetenzen verfügt, um die vom Text erforderten Operationen erfolgreich auszuführen. Aus der Sicht des beobachtenden Literaturwissenschaftlers handelt es sich um eine Leserfunktion, die zur Rekonstruktion der narrativen Kommunikation notwendig ist. Zu den Kompetenzen des Modell-Leser gehören auch ein Gedächtnis, um das textspezifische Wissen aufbauen zu können, sowie die Fähigkeit, Inferenzen zu bilden. Der Raum der erzählten Welt wurde dann als mentales Modell eines Modell-Lesers konzipiert, das ausgehend vom Text gebildet wird. Bei der Frage, welche Informationen in das mentale Modell aufgenommen werden und wie sie dort strukturiert sind, spielen die Instanzen der narrativen Kommunikation und die institutionelle Kommunikationssituation, in der ein Text steht, eine zentrale Rolle. Im Kapitel zu den Inferenzen auf Raum wurde versucht, auch diejenigen Formen der Erzeugung von Raum zu beschreiben, bei denen
98
4 Narrative Erzeugung von Raum
keine raumreferentiellen Ausdrücke zu finden sind. Im Gegensatz zu nicht-fiktionalen Texten können bei fiktionalen Texten nicht alle fehlenden Informationen zum Raum, die sich aus dem Weltwissen erschließen lassen, zur Ergänzung des mentalen Modells herangezogen werden. Vielmehr muss man zwischen zwei Arten von Unvollständigkeit unterscheiden. Zum einen gibt es ‚Unbestimmtheitsstellen‘, an denen gewisse räumliche Gegebenheiten oder Bestandteile derselben logisch erschlossen werden können. Zum anderen hat man es mit ‚Leerstellen‘ zu tun, bei denen weder Logik noch textuelle Relevanz einen Schluss auf das Vorhandensein räumlicher Gegebenheiten nahe legen. Bei fiktionalen Texten ist nur die Ergänzung von Unbestimmtheitsstellen eine sinnvolle Operation. Auf der Ebene der Darstellung wurden verschiedene Formen von Hinweisen auf die Notwendigkeit raumbezogener Inferenzen unterschieden. Eine Form ist der direkte Hinweis, bei dem das Vorhandensein räumlicher Gegebenheiten erwähnt, die einzelnen Objekte aber nicht genannt werden. Neben dem direkten Hinweis wurden noch drei weitere Arten von Indikatoren angeführt. Zum einen können über die Nennung von Figuren in ihrer Rollenidentität typische räumliche Gegebenheiten aufgerufen werden, in denen man sich normalerweise befindet, wenn man die Rolle einnimmt (z. B. Schlossgehilfen). Zweitens kann auch über die Nennung von Ereignissen oder Handlungen, die typischerweise in, an oder bei bestimmten Objekten oder Räumen stattfinden, eine räumliche Gegebenheit erzeugt werden (z. B. das Wälzen in Kissen). Als Drittes sind metonymische Schlüsse auf räumliche Gegebenheiten denkbar, die dadurch ausgelöst werden, dass Bestandteile von Räumen oder Objekten genannt werden, die typischerweise zu bestimmten räumlichen Gegebenheiten gehören (z. B. Glocken).
5 Das mentale Modell des Raumes In Kapitel 4.2 wurde vorgeschlagen, den Raum der erzählten Welt als mentales Modell eines Modell-Lesers zu konzipieren. Dort ging es darum, wie viele räumliche Gegebenheiten erzeugt werden. Für eine weitere, systematische Behandlung des konkreten Raumes im Erzähltext stellt sich nun auch die Frage, wie räumliche Gegebenheiten durch das Erzählen im mentalen Modell strukturiert und gewichtet werden. Im Rahmen der kognitionswissenschaftlichen Narratologie wurden bereits Versuche unternommen, den Raum der erzählten Welt als mentales Modell zu fassen; diese möchte ich im Folgenden daraufhin untersuchen, welche Strukturierungen und Gewichtungen von räumlichen Gegebenheiten sie vorsehen.
5.1 Bisherige Forschung Die Deictic Shift Theory (DST) tritt mit dem Anspruch an, den Aufbau und die Modifikation eines mentalen Modells der erzählten Welt zu erklären.1 Sie konzentriert sich dazu auf das deiktische Zentrum und dessen Verschiebung im Prozess des Erzählens. Als ‚deiktisch‘ werden im Anschluss an Bühler all diejenigen sprachlichen Ausdrücke bezeichnet, die sich auf die Personen-, Raum- und Zeitstruktur von Äußerungen in Abhängigkeit von der jeweiligen Äußerungssituation beziehen.2 Sind der Sprecher und der Hörer anwesend, hat man es laut Bühler mit einem Zeigefeld ad oculos zu tun. Wird der Ausgangspunkt des Zeigefeldes, die Origo, vom tatsächlichen Ort des Sprechers hin zu einem anderen Ort verschoben, führt das zu einer deixis am phantasma.3 Die DST geht davon aus, dass mit den ersten Sätzen einer Erzählung ein mentales Modell der erzählten Welt mit räumlichen, zeitlichen, figuralen und inhaltlichen Komponenten etabliert _____________ 1 2 3
Segal 1995: 17. Bühler 1965: 102-120. Bühler 1965: 121-140.
100
5 Das mentale Modell des Raumes
wird, und dass das deiktische Zentrumzu Beginn innerhalb der erzählten Welt situiert wird.4 Untersucht werden sodann die Verschiebungen der einzelnen Komponenten des deiktischen Zentrums, wobei die Erstreckung der räumlichen Komponente und ihre Beschaffenheit nicht näher spezifiziert werden. Auch über das Zusammenspiel der vier Komponenten wird nicht viel gesagt, so dass der Leseprozess nur als abwechselnde Fokussierung auf räumliche, zeitliche, figurale oder inhaltliche Aspekte beschrieben werden kann.5 Von manchen Forschern werden zwei Typen von Orientierungszentren unterschieden: Eine Origo der Wahrnehmungsinstanz (origin) und eine des dargestellten Inhalts (content).6 Bei der Behandlung derjenigen sprachlichen Mittel, die zur Etablierung und Verschiebung der räumlichen Komponente des deiktischen Zentrums beitragen, wird diese Differenzierung dann jedoch nicht wieder aufgegriffen.7 Bezogen auf den Raum ist der Betrachtungsfokus damit auf die Frage beschränkt, bei welcher Figur sich das räumliche Orientierungszentrum gerade befindet. Über eine Aufzählung der Orte der Handlung kommt man mit der DST folglich nicht hinaus. Herman beschäftigt sich in seiner kognitionswissenschaftlichen Monographie zur Narratologie Story Logic: Problems and Possibilities of Narrative in einem eigenen Kapitel mit der Frage, wie beim Lesen ein mentales Modell der erzählten Welt mit räumlicher Komponente erzeugt und immer wieder aktualisiert wird.8 Im Kapitel „Spatialization“ beschränkt er sich aber zunächst nicht auf den konkreten Raum (space), sondern weist auch alle Arten von räumlichen Relationen zwischen Objekten, Figuren und Orten (spatial references) als Untersuchungsgegenstand aus. Die Differenz zwischen dem konkreten Raum _____________ 4
5
6 7
8
Die drei Aspekte der Origo bei Bühler werden hier um einen vierten, inhaltlichen Aspekt ergänzt, der schlicht als „What“ bezeichnet wird (vgl. Zubin/Hewitt 1995: 131). Die Kriterien für die inhaltliche Orientierung sind besonders schwach ausgeprägt und lassen jeden Anschluss an die Narratologie vermissen. Siehe dazu die Beispielanalyse am Schluss des Bandes (Costello/Bruder/Hosenfeld/Duchan 1995). Vgl. Zubin/Hewitt 1995: 132. Da im ganzen Sammelband als Beispiele nur noch Texte mit interner Fokalisierung herangezogen werden, fällt das auch nicht weiter auf. Diese Erzähltechnik wird anschließend auch noch unreflektiert mit gelungenem Erzählen gleichgesetzt: „In a successful story, we have the illusion of experiencing the fictional world directly, because we unconsciously adopt the deixis of the DC as our own.“ (Zubin/Hewitt 1995: 131). Herman 2002: 263-299. Er beschränkt seine Überlegungen nicht auf literarische Erzähltexte.
5.1 Bisherige Forschung
101
der erzählten Welt und der Konstitution von Räumlichkeit durch räumliche Relationen thematisiert er nicht und wechselt unangekündigt zwischen diesen beiden Konzepten hin und her. Um Räumlichkeit in diesem doppelten Sinn beschreiben zu können, zieht er sechs Konzepte der Kognitionswissenschaft heran, die er ausdrücklich nicht in systematischer Reihenfolge präsentiert. Zunächst erläutert er im Anschluss an die DST die Notwendigkeit der Verschiebung des Orientierungszentrums des Lesers zu Beginn einer (Binnen-)Erzählung. Er geht davon aus, dass mit dieser ersten Origo-Platzierung bereits ein mentales Modell des Raumes der erzählten Welt erzeugt wird. Offen bleibt dabei, bei welchem Leser das mentale Modell entsteht, und ob sich das Orientierungszentrum beim Erzähler, bei der Wahrnehmungsinstanz oder beim Erzählten/Wahrgenommenen selbst befindet, sofern sich diese Aspekte unterscheiden lassen. Anschließend erwähnt Herman die Unterscheidung von Figur und Grund, die in der Psychologie, in der Linguistik und in der Forschung zur Künstlichen Intelligenz dazu verwendet wird, die Lokalisation eines Objekts im Verhältnis zu einem anderen zu beschreiben. Er zeigt an einigen Beispielen, wie mithilfe dieser Unterscheidung auch die Hervorhebung von Figuren, Handlungen und Objekten in einem Erzähltext möglich ist. Während er beim ersten Konzept von der räumlichen Komponente der erzählten Welt ausgegangen war, versteht er hier unter ‚Raum‘ räumliche Verhältnisbeziehungen im Allgemeinen, die sich nicht auf die Relationen zwischen räumlichen Gegebenheiten im konkreten Sinn beschränken müssen. Herman bestimmt dann mit Landau und Jackendorff Bereiche, Landmarken und Wege (regions, landmarks, paths) als die wichtigsten räumlichen Gegebenheiten, die die erzählte Welt strukturieren.9 Er weist deren zentrale Rolle für die kognitive Kartierung (cognitive mapping) anhand einer Nachrichtenmeldung zum Jugoslawien-Krieg nach.10 Dabei trifft er keine Aussage darüber, ob diese Einheiten die wichtigsten darstellen, oder ob es sich um die drei einzigen Kategorien handeln soll, unter denen alle räumlichen Gegebenheiten der erzählten Welt zu subsumieren sind. Mit der Unterscheidung von topologischen gegenüber projektiven Lokalisationen versucht er die zentralen Grundlagen des Raumverständnisses einer Erzählung zu beschreiben. In der kognitionswissenschaftlich orientierten Psycho_____________ 9
10
Herman 2002: 277 ff. Herman 2002: 279.
102
5 Das mentale Modell des Raumes
logie und Linguistik werden mit dieser Dichotomie solche Lokalisationen, die unabhängig vom Betrachterstandpunkt Nachbarschaftsund Enthaltenseinsrelationen ausdrücken (topologische Relationen), von solchen Lokalisationen unterschieden, bei denen der Standpunkt des Betrachters eine Rolle spielt (projektive Relationen). Herman stellt hier bei der Analyse von Textabschnitten selbst fest, dass diese Lokalisationskonzepte von Fokalisierungsstrategien überblendet werden können. Objekte können z. B. sprachlich topologisch lokalisiert (z. B. durch die Präpositionen in, an, bei) und damit eigentlich sprecherunabhängig sein, zugleich aber aus der Perspektive einer Figur erzählt werden, so dass der Standpunkt des Betrachters sehr wohl eine Rolle spielt. Hier vermischt Herman meines Erachtens zwei Aspekte: zum einen die Frage, ob die Lokalisation von der Position des Betrachters abhängig ist; zum anderen die Frage, ob aus der Perspektive einer Figur, möglicherweise sogar noch mit stark subjektiver Färbung, erzählt wird.11 Meiner Meinung nach hebt eine figurenbezogene Perspektivierung, die zu einer topologischen Lokalisation hinzukommt, die Betrachterunabhängigkeit der Lokalisation der räumlichen Gegebenheiten selbst nicht auf.12 Bewegungsverben, das fünfte der von ihm angeführten kognitionswissenschaftlichen Konzepte, behandelt Herman nach eigenen Aussagen nur unter dem Aspekt ihres Beitrags zum Aufbau eines mentalen Modells der erzählten Welt. Es interessieren ihn deshalb nur diejenigen Verben, die eine Richtung implizieren, konkret das Spektrum zwischen kommen und gehen. Seine Beispielanalysen lassen dann aber erkennen, dass er nicht auf die implizite Erzeugung der räumlichen Komponente der erzählten Welt im Zuge der Erzählung von Figurenbewegungen abzielt, sondern auf die Bedeutung von Relationen und Distanzen zwischen Figuren. Wie schon bei der Figur-Grund-Unterscheidung wechselt er hier also den Raumbegriff und untersucht nicht konkrete räumliche Gegebenheiten, sondern räumliche Relationen. Abschließend erwähnt Herman noch die Unterscheidung des Sprachmaterials in ein Sach- und ein Orientierungssystem (What vs. Where-System).13 Er beschränkt sich dabei auf die Feststellung, dass einer sehr großen Menge _____________
11
12
13
Seine Ausführungen lassen dabei den Anschluss an narratologische Konzepte von Perspektive und Fokalisierung vermissen. Für eine weitere Diskussion von Referenzsystemen für Ortsangaben vgl. S. 77, für eine Diskussion von Erzähltechniken der Raumwahrnehmung vgl. Kapitel 6.2.3. Herman 2002: 284 f.
5.1 Bisherige Forschung
103
an Lexemen zur Bezeichnung für Objekte eine sehr kleine Menge an Ausdrücken zur Angabe der räumlichen Position gegenüber steht. Die von Herman genannten Konzepte betreffen sehr verschiedene Ebenen der Vermittlung und Strukturierung von Raum im Erzähltext. Die Unterscheidung des Sprachmaterials in ein Sach- und ein Orientierungssystem, die Herman an letzter Stelle nennt, ist meiner Meinung nach auf der Ebene einer grundlegenden Voraussetzung der Darstellung von Raum durch Sprache zu situieren. Als Antwort auf Hermans Ausgangsfrage nach dem Aufbau und nach der Struktur eines mentalen Modells der erzählten Welt können lediglich das Konzept der deiktischen Verschiebung, die Unterscheidung von topologischen und projektiven Lokalisationen und die Klassifizierung räumlicher Gegebenheiten als Bereiche, Landmarken und Wege verstanden werden. Die Bewegungsverben und die Unterscheidung von Figur und Grund, wie Herman sie verwendet, dienen eher der Beantwortung der Frage, wie räumliche Relationen nicht-räumliche Verhältnisse veranschaulichen, als der Beschreibung der Genese eines mentalen Modells. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich die Überlegungen Hermans für die Konzeption eines mentalen Modells des Raumes der erzählten Welt als zu unspezifisch erwiesen haben, weil unklar bleibt, ob man mithilfe der von Herman angeführten kognitionswissenschaftlichen Konzepte zum Raum nur irgendwelche oder zentrale Phänomene am Text aufzeigen kann. Das liegt vor allem daran, dass Herman nicht genügend spezifiziert, welche Probleme es zu lösen gilt. Auch Unterschiede bei der Raumerzeugung und Gestaltung zwischen literarischen und nicht-literarischen Erzähltexten werden nicht problematisiert. Im Gegensatz zu Herman geht Ryan bei der Frage nach einem mentalen Modell des Raumes der erzählten Welt von einem konkreten Problem aus.14 Sie setzt voraus, dass das mentale Modell des Raumes in Form einer Karte vorliegt und fragt, wie detailliert die Abbildung des Raumes auf dieser sein muss, und ob eine vollständige Repräsentation aus der Vogelperspektive nötig ist, um ein angemessenes Verständnis der Handlung zu gewährleisten.15 Die Definition eines Raumkonzepts fehlt, offensichtlich liegen aber nur topographische Objekte im Fokus ihrer Aufmerksamkeit.16 Ryan geht empirisch _____________ 14 15
16
Ryan: 2003a. Sie spricht ohne nähere Erläuterungen von einem „proper understanding of plot“ (Ryan 2003a: 216). Zum Konzept der Topographie vgl. S. 52.
104
5 Das mentale Modell des Raumes
vor und lässt eine Gruppe von College-Studenten Karten zur Chronik eines angekündigten Todes von Márquez aus der Erinnerung zeichnen. Dass die Probanden den Text angemessen verstanden hatten, nimmt sie deshalb an, weil sie ihn zuvor vier Wochen lang im Unterricht besprochen hatte. Den Begriff des ‚Verstehens‘ problematisiert sie nicht und sie hat auch keine Schwierigkeiten damit, die Lektüreergebnisse ihrer Studenten zu Aussagen über ‚den Leser‘ zu generalisieren. Um die Karten der Studierenden beurteilen zu können, fertigt sie selbst in drei Lektüredurchgängen, bei denen sie sich nur auf die topographischen Informationen konzentriert, eine Karte an. Dabei verzeichnet sie alle Informationen zum Vorhandensein und zur Lage topographischer Objekte, die explizit im Text zu finden sind, oder die aufgrund von Weltwissen logisch erschlossen werden können. Bei der Auswertung der Karten der Schüler stellt sie fest, dass diese im Vergleich mit der von ihr gezeichneten Masterkarte viele Fehler und/oder Lücken aufweisen. Aus der großen Menge an Informationen zu Lageverhältnissen wurden diejenigen Informationen am besten memoriert, die besonders ausführlich beschrieben und/oder zu Beginn des Textes genannt worden waren. Die angefertigten Karten waren in den wenigsten Fällen Abbildungen der Umrisse der räumlichen Gegebenheiten aus der Vogelperspektive, sondern zumeist ikonische Abbildungen, die wechselweise aus der Draufsicht oder aus der Mitsicht abgebildet worden waren. Häufig wurden auch Symbole für die Handlung oder Stichworte zu dieser verzeichnet. Ryan kommt zu dem Schluss, dass das Zeichnen von Karten nicht dazu geeignet ist, die Entstehung und Beschaffenheit eines mentalen Modells des Raumes der erzählten Welt zu erfassen, weil ihre Versuchsergebnisse deutlich der Annahme widersprechen, das mentale Modell läge in Form einer Karte vor. Ryan zieht deshalb Ergebnisse aus der Kognitiven Psychologie und aus der Kognitiven Narratologie heran, um die mentale Verarbeitung von Raum im Erzähltext beschreiben zu können und kommt zum folgenden Ergebnis: Bereits mit den ersten Sätzen einer Erzählung entsteht ein mentales Modell der erzählten Welt mit einer räumlichen, einer zeitlichen, einer figuralen und einer inhaltlichen Komponente. Die ersten räumlichen Informationen eines Textes sind die wichtigsten und bestimmen die Gestalt des mentalen Modells grundlegend. Für einzelne Abschnitte einer Erzählung werden detaillierte Informationen im episodischen Gedächtnis gespeichert, gelangen aber nicht ins Langzeitgedächtnis, so dass sie nicht zur Veränderung der Gesamtvorstellung vom Anfang
5.1 Bisherige Forschung
105
führen. Die räumlichen Informationen einzelner Episoden werden jeweils durch die der nachfolgenden Episode überschrieben. Zusätzlich zu den Anfangsinformationen werden nur die Angaben zu den Hauptpersonen etwas besser erinnert. Zu der überraschenden Annahme, die Informationen einer Episode würden umgehend wieder überschrieben, kommt sie deshalb, weil sie Ergebnisse der Gedächtnisforschung zum episodischen Gedächtnis mit solchen zum Kurzzeitgedächtnis gleichsetzt. Dabei übersieht sie, dass die Unterscheidung von Kurzzeitgedächtnis (KZG) und Langzeitgedächtnis (LZG) nicht deckungsgleich ist mit der von episodischem Gedächtnis und semantisch-konzeptuellem Gedächtnis. Während im episodischen Gedächtnis Fähigkeiten, Erlebnisse und Geschehnisse gespeichert werden, die zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort stattgefunden haben, werden im semantisch-konzeptuellen Gedächtnis regelhafte Informationen gespeichert. Diese können ebenfalls auf Ereignisse bezogen sein, z. B. in Form von Skripts, im Sinne von festgelegten Handlungsabläufen.17 Anders als Ryan annimmt, können Informationen aus dem episodischen Gedächtnis selbstverständlich ins LZG kommen wie z. B. persönliche Erinnerungen an signifikante Ereignisse. Zudem ist es auch gegen jede Erfahrung, anzunehmen, das räumliche Wissen einzelner Episoden werde ständig von neuen Informationen überschrieben. Schließlich können auch solche räumliche Informationen in Erzähltexten eine Rolle spielen, die nicht zu Beginn und nicht in Verbindung mit der Hauptfigur genannt werden. An Ryans Argumentation lässt sich ein grundsätzliches Problem der Übertragung von kognitionswissenschaftlicher Forschung auf die Literaturwissenschaft aufzeigen: der Schluss von empirischen Ergebnissen zur Textrezeption auf die intendierten Strukturen des Textes. Es handelt sich dabei um einen naturalistischen Fehlschluss, weil vom _____________ 17
Die Unterscheidung von episodischem und semantischem Gedächtnis hat in der kognitiven Psychologie die von KZG und LZG ersetzt, weil man erkannt hat, dass nicht die Länge, sondern die Bedeutungshaftigkeit eines Reizes entscheidend ist (vgl. Anderson 2001: 174-178). Mit dem Terminus „episodisches Gedächtnis“ wird die Fähigkeit bezeichnet, Erlebnisse, Geschehnisse und Ereignisse, die zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort stattgefunden haben, zu memorieren. Mit dem Terminus „semantisch-konzeptuelles Gedächtnis“ bezeichnet man die Speicherung von Regelmäßigkeitsannahmen über die Welt, in der wir leben und ihre stabilen Eigenschaften. Das semantisch-konzeptuelle Wissen kann auch auf Ereignisse bezogen sein, wie es z. B. bei Skripts der Fall ist (vgl. Knauff 1997: 5-7, für eine differenzierte Diskussion verschiedener Gedächtnismodelle vgl. Knauff 1997: 91-114).
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5 Das mentale Modell des Raumes
Sein auf das Sollen geschlossen wird: Die Versuchspersonen merken sich Vieles nicht, ergänzen aber auch Irrelevantes (Sein) – was sich ein Normalleser nicht merken kann, ist auch nicht wichtig (Sollen). Dabei wird nicht berücksichtigt, dass Texte zumeist in Kenntnis historischer und zeitgenössischer literarischer Traditionen geschrieben werden und eventuell auch ganz spezifische (historische) Lesergruppen mit einem bestimmten Wissen ansprechen sollen, das bei den Versuchspersonen vielleicht nicht vorhanden ist. Reduziert man die Texte auf das, was sich ein zufällig ausgewählter Leser, der nicht Literaturwissenschaftler ist, merken kann, geht unter Umständen ein Gutteil dessen verloren, was diesen Text als Teil einer kulturellen Tradition ausmacht. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich den Ansätzen der kognitionswissenschaftlichen Narratologie zum mentalen Modell des Raumes der erzählten Welt bis auf den Hinweis von Ryan auf die Bedeutung von Anfangsinformationen und Raumbeschreibungen keine Kriterien für die narrative Gewichtung von Rauminformationen entnehmen lassen. Allen Vorschlägen ist gemeinsam, dass sie als Bezugsproblem des mentalen Modells die Orientierung des Lesers ansetzen. Kriterien für die Strukturierung und Gewichtung von Rauminformationen lassen sich aus diesen Vorschlägen nicht ableiten.
5.2 Das mentale Modell als Karte? Ryans Versuch, das mentale Modell des erzählten Raumes als Karte zu konzipieren, gibt Anlass zu einer grundsätzlichen Überprüfung der Vorstellung, das mentale Modell läge in Form einer kognitiven Karte vor.18 Die Tatsache allein, dass die empirischen Tests dieser _____________ 18
Der Terminus cognitive map stammt von Tolman, der Experimente mit Ratten machte und dabei feststellte, dass diese sich Wege merken und mit der Zeit auch Abkürzungen finden konnten (Tolman 1948). Er schloss daraus, dass die Ratten in der Lage waren, gelernte Wege mit unbekannten Wegen zu verbinden. Der Terminus für die Repräsentation von räumlichem Wissen des Menschen wurde seitdem auf verschiedene Gegenstände angewendet. Der Geograph Lynch untersuchte unter der Bezeichnung mental mapping z. B. die kognitive Repräsentation von Städten und stellte fest, dass sich die Einzelperson ein Referenzsystem schafft, indem sie bestimmte Orte mit bestimmten Erfahrungen verbindet, oder das Durchqueren eines Raumes durch Anhaltspunkte strukturiert (Lynch 1960, vgl. auch Kapitel 7.4). 1981 wurde das Modell von Bjornson auch auf die kognitive Verarbeitung von Literatur übertragen (Bjorn-
5.2 Das mentale Modell als Karte?
107
Vorstellung widersprachen, ist meiner Meinung nach noch kein ausreichendes Argument gegen diese Konzeption, weil man den literarischen Text als ein zumeist historisches, intentionales Artefakt nicht auf diejenigen Strukturen reduzieren kann, die sich ein zufällig ausgewählter Leser merken kann. Mit anderen Worten: Nur weil bestimmte Leser den Raum der erzählten Welt nicht als Karte memorieren, heißt das nicht, dass Texte dies nicht voraussetzen. Der Nachweis, dass diese Annahme nicht zutrifft, ist demnach über die Textstruktur zu erbringen. Dabei möchte ich mich ausschließlich auf die Repräsentation des konkreten Raumes konzentrieren und Verwendungsweisen von Karten zur Erfassung anderer Phänomene von Erzähltexten außer Acht lassen.19 Streng genommen impliziert die Konzeptualisierung des mentalen Modells als Karte eine Beschränkung auf topographische Objekte, die, wie ich oben ausgeführt habe, nur eine Teilmenge des konkreten Raumes ausmachen.20 Aber auch ohne diese Beschränkung auf der Objektebene setzt die Kartenvorstellung voraus, dass die Aufmerksamkeit des Lesers grundsätzlich auf die Fragen „Was ist da?“ und „Wo ist etwas?“ gerichtet ist. Wie künstlich dieser Fokus ist, zeigt sich z. B. daran, dass Ryan ihren Beispieltext drei Mal ausschließlich auf diese Frage hin lesen musste, um eine Karte der topographischen Gegebenheiten anfertigen zu können. Dass eine solche Aufmerksam_____________
19
20
son 1981). Bjornson geht allerdings davon aus, dass die Karte des Textes eine umfassende mentale Repräsentation der erzählten Welt und der Geschichte ist, auf der nicht nur räumliche Verhältnisse abgebildet werden, sondern auch Bedeutungsaspekte und die formale Organisation des Erzählten. Jameson bezeichnete dann mit cognitive mapping auch die Abbildung sozialer Phänomene (Jameson 1988). Im Anschluss an Jameson wurde der Begriff des mapping dann auch auf alle Arten von Bewusstseinsvorgängen ausgeweitet. Bei diesen Übertragungen, bei denen von der Struktur der Karte weder die Form der Repräsentation noch die Beschränkung auf bestimmte Objekte übernommen wird, stellt sich die Frage, warum man nicht einfach von einer „Repräsentation“ oder einem „mentalen Modell“ spricht, anstatt die Bezeichnung „Karte“ ungenau und metaphorisch zu verwenden. Ryan schlägt z. B. sechs verschiedene räumliche Dimensionen (spatial dimensions) eines Textes vor, die man kartographieren könnte: den Produktionsort eines Textes, den geographischen bzw. topographischen Raum, der durch einen Text bezeichnet wird, die spatial form, die als metaphorischer Raum der Beziehungen zwischen den Themen, Bildern und Tönen eines Textes zu verstehen ist, den virtuellen Raum (virtual space) im Sinne eines mentalen Modells des Handlungsverlaufs, die graphische Repräsentation von Phänomenen, die nur zum Teil räumlich sind wie z. B. die Handlung und schließlich denjenigen Raum, den die Buchstaben eines Textes einnehmen (Ryan 2003b: 335 f.). Zum Konzept der Topographie vgl. Kapitel 3.1.
108
5 Das mentale Modell des Raumes
keit auf die räumlichen Gegebenheiten und ihre Positionen auch dann nicht von Texten vorausgesetzt wird, wenn Lageinformationen in diesen ein zentrales Thema sind, zeigt sich z. B. daran, dass auch solche Texte häufig zusätzlich eine graphische Karte enthalten. Als Beispiele mögen Schnabels Wunderliche FATA einiger Seefahrer, aber auch The Mad Hatter Mystery oder Der Herr der Ringe dienen.21 Die Frage, ob ein Text voraussetzt, dass man den Lagebeziehungen eine besondere Aufmerksamkeit widmet, muss meiner Meinung nach von Text zu Text neu entschieden werden. Lokalisationen werden oftmals für andere Mitteilungsabsichten funktionalisiert, wie z. B. im folgenden Beispiel: [...] in der Bellevuestraße. Hier hatte Baron Botho von Rienäcker eine zwischen einem Front- und einem Gartenbalkon gelegene Parterrewohnung inne: Arbeitszimmer, Esszimmer, Schlafzimmer, die sich sämtlich durch eine geschmackvolle, seine Mittel ziemlich erheblich übersteigende Einrichtung auszeichneten. In dem Esszimmer befanden sich zwei Hertelsche Stilleben und dazwischen eine Bärenhatz, wertvolle Kopie nach Rubens, während in dem Arbeitszimmer ein Andreas Achenbachscher Seesturm, umgeben von einigen kleineren Bildern desselben Meisters, paradierte. [...] Vor dem Sofa, dessen Plüsch mit einem persischen Teppich überdeckt war, stand auf einem Malachittischchen das Kaffeegeschirr, während auf dem Sofa selbst allerlei politische Zeitungen umherlagen, unter ihnen auch solche, deren Vorkommen an dieser Stelle ziemlich verwunderlich war und nur aus dem Baron Bothoschen Lieblingssatze, ‚Schnack gehe vor Politik‘, erklärt werden konnte. Geschichten, die den Stempel der Erfindung an der Stirn trugen, sogenannte ‚Perlen‘, amüsierten ihn am meisten.22
In dieser Passage werden durch die Ausdrücke Front- und Gartenbalkon und Parterrewohnung und die Angaben darüber, welches Bild in welchem Zimmer hängt, wo sich der Teppich, das Tischchen und die politischen Zeitungen befinden, genaue Angaben zu den Lageverhältnissen gemacht. Im weiteren Verlauf des Romans wird nicht wieder Bezug auf diese Informationen genommen und Bothos Wohnung wird auch nicht mehr zum Schauplatz der Handlung. Es geht hier offenbar darum, anschaulich darzustellen, dass Botho in seiner Wohnung mit zwei Balkonen über seine Verhältnisse und gerne in Phantasiewelten lebt. Im Gegensatz zu den Lageinformationen und den Informationen zu den einzelnen Einrichtungsgegenständen sind diese figurenbezogenen Informationen dann später auch wieder von Bedeu_____________ 21
22
Vgl. z. B. die Karte, die der Psychologe Johnson-Laird nach einer Raumbeschreibung in einer Sherlock-Holmes-Geschichte angefertigt hat (Johnson-Laird 1983: 158 f.). Irrungen, Wirrungen: 347.
5.2 Das mentale Modell als Karte?
109
tung: Kurz darauf ist Bothos finanzielle Situation einer der Gründe dafür, dass er sich für eine Hochzeit mit Käthe und gegen Lene entscheidet. Später ist seine Vorliebe für Phantasiewelten eng verknüpft mit seiner Weigerung, die Beziehung zu Lene realistisch einzuschätzen, und es gibt einige Hinweise darauf, dass er sich auch in seiner Ehe immer wieder in den Traum eines Lebens mit Lene flüchtet. Auch bei nicht-literarischem Erzählen müssen Lageinformationen auf ihre Funktionalisierung für eine bestimmte Mitteilungsabsicht hin befragt werden. Der folgende Ausschnitt aus einem biographischen Interview enthält einige, mehr oder weniger genaue Angaben zu den Lageverhältnissen: Ich habe dann immer vor der Firma gewartet, ob ich sie sehe, wenn sie herauskommt. Ab und zu wurde sie nämlich zur Bank geschickt oder musste andere Besorgungen machen. Rechts war ein Supermarkt, links ein Freibad. Ich bin da nie rein, in die Spielhalle, obwohl ich früher gerne gezockt habe und ich hab auch schon oft was gewonnen. Auch in das Freibad bin ich nie, obwohl es echt ziemlich heiß war. War ja schließlich im Sommer.
Man könnte nun also eine Firma verzeichnen und einen Supermarkt auf der einen, eine Spielhalle auf der anderen Seite. Wenn man davon ausgeht, dass die Lageverhältnisse ausgehend vom Sprecher gegeben werden, der auf das Gebäude blickt, lässt sich auch festlegen, auf welcher Seite sich welches Gebäude befindet. Dennoch ist es für die Aussage dieser Sätze wohl ganz unwichtig, was sich rechts und was sich links befindet und um welche Gebäude es sich genau handelt. Mitgeteilt werden soll offensichtlich die Information, dass der Sprecher ein großes Bedürfnis hat, die erwähnte weibliche Person zu sehen und dass er ein starkes Durchhaltevermögen besitzt. Die genannten Beispiele sollten zeigen, dass bei der Angabe von Lageverhältnissen immer genau geprüft werden muss, ob ein Modell-Leser tatsächlich diese memorieren soll oder ob sie nur dem Realismuseffekt dienen. Ein weiteres Problem mit der Vorstellung, das mentale Modell habe die Form einer Karte, entsteht dadurch, dass suggeriert wird, dass Informationen zum Raum bildlich memoriert werden. Dazu ist anzumerken, dass in der Gedächtnisforschung selbst für die Repräsentation einfachster räumlicher Relationen bisher ungeklärt ist, ob diese bildlich oder in Form von Propositionen im Gedächtnis gespeichert werden.23 Es erscheint darüber hinaus auch fragwürdig, die _____________ 23
Diese Frage wird in der so genannten Imagery-Debatte diskutiert. Ausgehend von der Theorie des Dual Coding von Paivio geht es dabei um die Frage, ob Wörter nur in einem propositionalen, sprachnahen Format gespeichert werden, oder auch zusätzlich
110
5 Das mentale Modell des Raumes
Form der mentalen Repräsentation anhand einer graphischen Dokumentation erforschen zu wollen, weil eine solche Darstellung bereits eine mediale Transformation darstellt und auch durch technische Fähigkeiten beeinflusst wird. Diese und weitere Probleme der Konzeptualisierung des mentalen Modells als Karte möchte ich noch an einer kurzen Textstelle aus Berlin Alexanderplatz verdeutlichen: Dabei krallen seine Finger in den Stuhl, aber er hält sich noch am Stuhl fest. Jetzt wird er gleich den Stuhl nehmen und losschlagen. Achtung, Gefahr im Verzug, Straße frei, Laden, Feuer, Feuer, Feuer. Dabei hört der Mann, der dasteht und brüllt, hört sich selbst, von weitem, sieht sich an. Die Häuser, die Häuser wollen wieder einstürzen, die Dächer wollen über ihn her […].24
Im ersten Satz hat man durch den Stuhl noch den Bezug zu dem vorher explizit genannten Schauplatz Kneipe und damit eine Ortsangabe. Beim nächsten Satz stellt sich allerdings bereits die Frage, ob der Kriegsschauplatz Straße überhaupt bildlich als konkreter Raum vorgestellt werden muss, weil es eventuell eher um die psychische Belastung geht, die mit der Erinnerung an diesen Ort verbunden ist. Es stellt sich demnach die Frage, ob diese Straße auf der mentalen Karte repräsentiert wäre und wenn ja, wie ihr imaginärer Status zu bezeichnen wäre. Eine andere Form der Repräsentation müsste für die einstürzenden Häuser gewählt werden, weil diese zwar in der gerade erwähnten Situation auch nur in Franz’ Vorstellung existieren, zu Beginn der Geschichte aber bereits als tatsächlich wahrgenommene erzählt wurden. Sie gehören in irgendeiner Form mehr zum Raum der erzählten Welt als die Straße der Kampfhandlung. Die Funktion der rutschenden Dächer als Motiv mit einer Bedeutung, die sich im Verlauf des Romans immer wieder verschiebt, kann ebenfalls nur schwer auf einer Karte erfasst werden. Da im Text die Lageverhältnisse der räumlichen Gegebenheiten unterspezifiziert bleiben, wäre auch nicht klar, in welchem Abstand und in welcher Beziehung zueinander diese auf einer Karte zu erfassen wären. _____________
24
in einem non-verbalen bildhaften System. Selbst auf der Ebene von Sätzen ist bisher nicht geklärt, ob man grundsätzlich von einer bildhaften Speicherung ausgehen kann. Für eine knappe und übersichtliche Darstellung dieser Debatte vgl. Knauff 1997: 77114. Berlin Alexanderplatz: 95.
5.3 Strukturen des mentalen Modells
111
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es sicherlich eine wichtige Fragestellung ist, ob Textstrukturen und/oder die narrative Kommunikation es nahe legen, dass man die Lage der räumlichen Gegebenheiten zueinander memorieren muss. Die Annahme, dass das mentale Modell des konkreten Raumes einer erzählten Welt einer Landkarte gleiche, erscheint allerdings mindestens aus den folgenden Gründen inadäquat: - Das Konzept der Karte beinhaltet eine starke Gewichtung der Position räumlicher Gegebenheiten. Diese ist in Erzähltexten oft nicht genau spezifiziert und v.a. selten durchgängig von Bedeutung. Oftmals werden Positionsangaben für andere Mitteilungsabsichten funktionalisiert. - Das Konzept der Karte impliziert zudem eine visuelle Speicherung beim Modell-Leser, die sich aus der Struktur narrativer Texte nicht zwingend ableiten lässt. Außerdem suggeriert diese Vorstellung, dass man das mentale Modell über das Zeichnen von Karten visualisieren könne. Das Zeichnen beinhaltet aber bereits einen Medienwechsel, der die Auswahl der Informationen beeinflusst und der zudem von technischen Fähigkeiten beeinflusst ist. - Das Konzept der Karte bietet keine Anhaltspunkte dafür, wie strukturelle und semantische Gewichtungen von räumlichen Informationen durch die Handlung zu erfassen sind.
5.3 Strukturen des mentalen Modells Die bisherigen Versuche, den Raum der erzählten Welt als mentales Modell zu fassen, lassen Kriterien für die narrative Gewichtung von Rauminformationen vermissen. Für die erzählte Geschichte und für die Figur ist es möglich solche Kriterien aus gegenstandsspezifischen Eigenschaften abzuleiten. Informationen zur erzählten Geschichte werden beispielsweise durch die Prinzipien der kausalen, der finalen und der kompositorischen Motivierung und durch die Chronologie strukturiert und gewichtet.25 Für Informationen zur Figur, die schnell _____________ 25
Zum Memorieren von Kausalstrukturen beim Textverstehen vgl. grundlegend die Erkenntnisse des Kognitionspsychologen Fletcher (Fletcher 1986). Einen sehr guten Überblick über die Diskussion zur Motivierung der erzählten Geschichte mit termi-
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5 Das mentale Modell des Raumes
sehr zahlreich werden und die bei Weitem nicht alle gleich wichtig sind, lässt sich die Stabilität von Informationen als Relevanzkriterium für die Charakterisierung von Figuren annehmen, wie Jannidis plausibel dargelegt hat.26 Für den Raum scheint es keine vergleichbar naheliegenden Kriterien zu geben. Die Annahme, das mentale Modell entspreche einer Karte, hat sich ebenso wenig als brauchbar erwiesen wie die Konzentration auf Fragen der Orientierung des Lesers oder auf die Lokalisation von Räumen und Objekten. Bei meinem eigenen Versuch, Erzähltechniken und Strukturen zu identifizieren, die eine grundsätzliche kognitive Signifikanz haben, möchte ich getrennt nach Darstellung und Inhalt vorgehen. Um Techniken der Raumdarstellung unabhängig von den dargestellten Inhalten beschreiben zu können, werde ich kognitionswissenschaftliche Ergebnisse zum Verstehen narrativer Texte und zur Raumkognition heranziehen. Bei der Beschäftigung mit Raum als Element der erzählten Welt in Kapitel sieben soll darüber hinaus ein inhaltlicher Zugriff auf den Raum versucht werden. Um auch hier übertextuell gültige Aspekte des Raumes ausfindig machen zu können, werden kognitionswissenschaftliche und evolutionspsychologische Forschungsergebnisse ausgewertet. Die Unterscheidung von Darstellungstechniken für den Raum einerseits und Raum als Element der erzählten Welt andererseits geht auf die in der Narratologie eingebürgerte Dichotomie von discours und histoire zurück. Bei dieser Unterscheidung handelt es sich um ein Begriffspaar von Todorov, das durch die produktive Verwendung von Genette in seinem Discours du récit weite Verbreitung gefunden hat.27 Unter discours versteht Genette die Art und Weise der Darstellung einer Geschichte, die durch die Parameter Zeit, Modus und Stimme bestimmt ist. Mit histoire bezeichnet er die erzählte Geschichte als chronologische und kausallogische Ereignisabfolge. Während Genette diese Dichotomie nur für die Geschichte und ihre Darstellung beim Erzählen verwendet, schlagen Martinez/Scheffel vor, sie zu einer Unterscheidung _____________ 26 27
nologischer Klärung bietet Martinez (vgl. Martinez 1996: 15-32). Zusammenfassend vgl. Martinez/Scheffel 1999: 111-119. Vgl. Jannidis 2004: 207-221. Vgl. Genette 1994: 15 ff. Genette schließt hier an die Unterscheidung von Todorov an (vgl. Genette 1994: 16, Fn 2). Die Kategorie discours entwickelt er jedoch wesentlich weiter (vgl. Genette 1994: 15-20). Ein vergleichender Überblick über die verschiedenen terminologischen Modellierungen dieser Unterscheidung findet sich bei Martinez/Scheffel (vgl. Martinez/Scheffel 1999: 26).
5.4 Zusammenfassung
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von Darstellung und erzählter Welt auszuweiten.28 In ihrer Einführung in die Narratologie behandeln sie dann die Frage, wie eine Geschichte erzählt wird, getrennt von der Frage, was erzählt wird. Diese Unterscheidung halte ich für plausibel und möchte sie im Folgenden auf den Raum anwenden und zunächst Darstellungstechniken für Raum und anschließend Aspekte von Raum als Element der erzählten Welt untersuchen. Für den Raum lassen sich auf der Ebene der Darstellung noch die Erzeugungstechniken von den Darstellungstechniken im eigentlichen Sinn unterscheiden. In Kapitel vier habe ich bereits versucht, Mittel der sprachlichen und sonstigen narrativen Erzeugung von Raum zusammenzustellen. Während dabei ein Abgleich der Informationsmenge und -vergabe im discours mit den Rauminformationen in der erzählten Welt analog zur Unterscheidung von Erzählzeit und erzählter Zeit möglich und sinnvoll ist, liegt der Fokus bei den Darstellungstechniken weniger auf dem Abgleich von Darstellung und erzählter Welt als auf der Gruppierung und Gewichtung von räumlichen Gegebenheiten. Untersuchungsgrundlage ist der bereits erzeugte Raum.
5.4 Zusammenfassung Ausgangspunkt dieses Kapitels war die Frage, wie räumliche Gegebenheiten im mentalen Modell des Modell-Lesers strukturiert und gewichtet werden. Zunächst wurden verschiedene Vorschläge der kognitionswissenschaftlichen Narratologie zur Konzeptualisierung des mentalen Modells des Raumes diskutiert. Die Deictic Shift Theory hat sich deshalb als wenig anschlussfähig erwiesen, weil mit ihren terminologischen Instrumenten nur die Verschiebung des Orientierungszentrums, nicht aber die Entstehung einer mentalen Repräsentation des Raumes beschrieben werden können. Auch bei Herman fanden sich keine Kriterien für die Strukturierung und Gewichtung von Informationen. Er zählt lediglich verschiedene Konzepte auf, die erklären sollen, wie ein mentales Modell entsteht und wie wir uns darin _____________ 28
Vgl. Martinez/Scheffel 1999: 23 f. Auch bei Genette findet sich bereits das Bedürfnis, nicht nur die Geschichte zu erfassen. Er erklärt in einer Fußnote, die Bezeichnung Diegese synonym mit histoire verwenden zu wollen (vgl. Genette 1994: 16 Fn 2). Bei der Frage nach der Stellung des Erzählers zum Erzählten und der Ebene des Erzählens bildet er Wörter, denen der Wortstamm von Diegese zu Grunde liegt. Vgl. die Bezeichnungen hetero, homo und autodiegetisch für die Stellung des Erzählers zum Erzählten und extra, intra und metadiegetisch für die Ebene des Erzählens (vgl. Genette 1994: 162181).
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5 Das mentale Modell des Raumes
orientieren können. Ryan hat mit Hilfe empirischer Tests untersucht, ob der Raum der erzählten Welt in Form einer topographischen Karte in den Köpfen der Leser vorliegt. Aus der Tatsache, dass dies bei ihren Testpersonen nicht der Fall war, zog sie den Schluss, dass diese Vorstellung nicht brauchbar sei. Literaturspezifische (historische) Wissensbestände, die Ebenendifferenzierung der narrativen Kommunikation oder Konventionen des fiktionalen Erzählens wurden in keinem der drei Ansätze berücksichtigt. In Kapitel 5.2 wurde gefragt, ob es sinnvoll ist, das mentale Modell des konkreten Raumes der erzählten Welt als Karte zu konzipieren. Der Nachweis, dass diese Vorstellung nicht adäquat ist, sollte unter Rückgriff auf die Struktur fiktionaler narrativer Texte erbracht und nicht aus Ergebnissen empirischer Tests abgeleitet werden. Dabei hat sich ergeben, dass diese Vorstellung aus mehreren Gründen nicht adäquat ist. Zum einen zielt das Konzept der Karte zu stark auf Fragen der Position räumlicher Gegebenheiten ab. Diese sind in Erzähltexten oft nicht genau spezifiziert und v. a. selten durchgängig von Bedeutung. Oftmals werden sie auch für andere Mitteilungsabsichten funktionalisiert. Zum Zweiten impliziert das Konzept der Karte eine visuelle Speicherung der Informationen beim Modell-Leser, die sich aus der Struktur narrativer Texte nicht zwingend ableiten lässt. Des Weiteren suggeriert dieses Konzept, dass man das mentale Modell über das Zeichnen von Karten visualisieren kann. Dagegen ist einzuwenden, dass ein Medienwechsel stattfindet, der den Erkenntniswert mindert, weil er von technischen Fähigkeiten beeinflusst ist. Zum Dritten bietet das Konzept der Karte keine Anhaltspunkte dafür, wie strukturelle und semantische Gewichtungen von räumlichen Informationen durch die Handlung repräsentiert werden. Um Formen der Strukturierung und Gewichtung von räumlichen Gegebenheiten im mentalen Modell des Raumes beschreiben zu können, wurde vorgeschlagen, die in der Narratologie gängige Unterscheidung von discours und histoire in ihrer weiten Form als Unterscheidung von Darstellung und erzählter Welt auf den Raum anzuwenden. In Kapitel sechs sollen Techniken der Darstellung von Raum untersucht werden, in Kapitel sieben inhaltliche Merkmale von Raum. Mithilfe kognitionswissen-schaftlicher Konzepte möchte ich dabei fragen, ob sich Kriterien dafür entwickeln lassen, wann räumliche Gegebenheiten bzw. Informationen zu diesen in das mentale Modell des Raumes aufgenommen werden, bzw. wann sie dort einen prominenten Status erhalten.
6 Darstellungstechniken Raum kann in narrativen Texten auf viele verschiedene Arten dargestellt werden. Er kann unter anderem durch Figuren oder durch den Erzähler vermittelt, anthropomorphisiert oder allegorisiert, wahrgenommen oder beschrieben werden und Schauplatz oder Gegenstand von Reflexionen sein. Aus der kaum erschöpfend zu behandelnden Menge möchte ich im Folgenden spezifisch narrative Techniken der Raumdarstellung auswählen und dabei auch eine Reduktion auf solche Formen versuchen, bei denen es raumbezogene Besonderheiten gibt. Die Frage, wer wahrnimmt bzw. die narratologisch ebenfalls zentrale Frage, wer spricht, wird daher nur dann berücksichtigt, wenn sich raumspezifische Besonderheiten ergeben wie etwa bei der Ausdehnung von Wahrnehmungsbereichen und bei der Mobilität und der Position der Wahrnehmungsinstanz. Gemäß der in Kapitel 4.3 dargestellten Konzeption von narrativer Kommunikation als Inferenzprozess soll die Auswahl von Darstellungstechniken sich an der Aufmerksamkeit orientieren, die sie beim Modell-Leser voraussetzen. Da auf diesem Gebiet noch sehr grundlegende Überlegungen zu leisten sind, werde ich nicht einzelne Texte daraufhin untersuchen, welche Hinweise auf die Strukturierungsleistung und die Aufmerksamkeit des Modell-Lesers jeweils in ihnen zu finden sind, sondern nach der kognitiven Signifikanz basaler Darstellungsmöglichkeiten für Raum fragen. Dies geschieht allerdings in der Absicht, Grundformen zu beschreiben, aus denen sich spezifische historische Formen zusammensetzen wie etwa der Panoramablick von einer Anhöhe oder die Raumdarstellung durch einen Flaneur. Um Anhaltspunkte für die kognitive Signifikanz von Darstellungstechniken in Erzähltexten zu gewinnen, ziehe ich Emmotts Studie zum narrativen Verstehen aus der kognitionswissenschaftlichen Linguistik heran.1 In Narrative Comprehension beschäftigt sich Emmott mit der Frage, welche bereits vergebenen Informationen zu Figuren während des Lesens präsent gehalten werden müssen, weil _____________ 1
Emmott 1997.
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6 Darstellungstechniken
ein Text sie zum Verständnis der Personalpronomina voraussetzt. Emmott zeigt, dass es während des Lesens eine Form der Informationsspeicherung geben muss, die es uns ermöglicht, Informationen mit bereits erwähnten Situationen zu verknüpfen, ohne dass die Situationen erneut vollständig erzählt werden. Dabei muss keineswegs immer an das zuletzt Gesagte angeschlossen werden. Zentral ist hingegen, dass eine Information einem kontextuellen Rahmen (contextual frame) zugeordnet werden kann. Ein kontextueller Rahmen ist nach Emmotts Definition eine Informationseinheit, die ausgehend von Episoden gebildet wird: I use the term ‚contextual frame‘ (or ‚frame‘) to describe a mental store of information about the current context, built up from the text itself and from inferences made from the text. Contextual frames carry facts which are ‚episodic‘ within the fictional world. This means that information may be true on a particular occasion within the story, but may not be relevant beyond this.2
Ein kontextueller Rahmen besteht aus einer figuren-, einer raum- und einer zeitbezogenen Information: [C]ontextual Information, which I view as being stored in mental representations termed contextual frames, provides ‚episodic‘ information about a configuration of characters, location, and time at any point in a narrative, rather than details about individual people and places.3
Die Notwendigkeit der Speicherung narrativer Informationen in kontextuellen Rahmen lässt sich am Text belegen. Emmott weist vor allem auf die Personalpronomina hin, die sich nicht auf direkt zuvor genannte Figuren beziehen, die aber dennoch zweifelsfrei bestimmten Figuren zugeordnet werden können, weil durch die Erwähnung von Bestandteilen eines kontextuellen Rahmens auch die dort aktiven Figuren erneut präsent sind. Ebenso können durch die Nennung von Figuren Räume wieder aufgerufen werden. Das Konzept des kontextuellen Rahmens lenkt die Aufmerksamkeit auf die vom Text geforderten Operationen des Modell-Lesers, weil die Art und Weise, auf die in Textstellen Informationen aus anderen kontextuellen Rahmen erwähnt oder vorausgesetzt werden, erkennen lässt, ob detaillierte räumliche Lagebeziehungen oder bestimmte Semantiken von Räumen memoriert werden sollen. In der im vorigen Unterkapitel bereits _____________ 2 3
Emmott 1997: 121. Emmott 1997: 104, Hervorhebung im Original.
65.4 Darstellungstechniken Zusammenfassung
117
zitierten Textstelle aus Berlin Alexanderplatz wird z. B. Bezug auf einen kontextuellen Rahmen vom Beginn des Romans genommen:4 Dabei krallen seine Finger in den Stuhl, aber er hält sich noch am Stuhl fest. Jetzt wird er gleich den Stuhl nehmen und losschlagen. Achtung, Gefahr im Verzug, Straße frei, Laden, Feuer, Feuer, Feuer. Dabei hört der Mann, der dasteht und brüllt, hört sich selbst, von weitem, sieht sich an. Die Häuser, die Häuser wollen wieder einstürzen, die Dächer wollen über ihn her, das gibt es nicht, damit sollen die mir nicht kommen, es wird den Verbrechern nicht gelingen, wir brauchen Ruhe.5
Der erste Satz bezieht sich auf die Situation, in der sich Franz gerade befindet: Hinter einem Stuhl in einer Kneipe stehend brüllt er Kommunisten an, die ihn verbal angegriffen haben. Es folgt eine Zeile im Bewusstseinsstrom, in der vor Franz’ innerem Auge ein Kriegsschauplatz aus dem ersten Weltkrieg auftaucht, der zu keinem kontextuellen Rahmen der in Berlin Alexanderplatz erzählten Geschichte gehört. Die Nennung der Häuser, die einstürzen, und der Dächer, die auf ihn zukommen, beziehen sich dann allerdings metonymisch auf die Straße mit Häusern, durch die Franz zu Beginn des Romans gelaufen ist: Und Dächer waren auf den Häusern, die schwebten auf den Häusern, seine Augen irrten nach oben: wenn die Dächer nur nicht abrutschten, aber die Häuser standen gerade. Wo soll ick armer Deibel hin, er latschte an der Häuserwand entlang, es nahm kein Ende damit.6
In dieser Situation ist die Rede von Franz (Figureninformation), der soeben aus dem Gefängnis entlassen worden ist (zeitliche Information), der durch die Sophienstraße läuft (räumliche Komponente) und der sich durch das städtische Leben außerhalb des Gefängnisses bedroht fühlt (episodische Komponente). Wie die spätere Referenz auf die räumliche Komponente dieser Situation vom Anfang zeigt, muss sich der Modell-Leser offenbar an die Häuser und Dächer als Bestandteile dieses kontextuellen Rahmens vom Beginn des Romans erinnern können. Da also anzunehmen ist, dass die Verknüpfung von Raum mit Ereignissen kognitiv besonders signifikant ist, soll als erste Darstellungstechnik in Kapitel 6.1 die Verbindung von Raum und Ereignis untersucht werden. Dabei werde ich aus zwei Gründen statt des Terminus „kontextueller Rahmen“ für meine eigene Argumentation den Aus_____________ 4 5 6
Ein weiterer Aufruf dieses Rahmens findet sich auf S. 117 von Berlin Alexanderplatz. Berlin Alexanderplatz: 95. Berlin Alexanderplatz: 17.
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6 Darstellungstechniken
druck „Situation“ verwenden. Zum einen ist es sprachlich einfacher, mit dem Terminus „Situation“ einen substantialisierenden Ausdruck für die Bildung kontextueller Rahmen ausgehend von Textstellen verwenden zu können. Zum anderen erscheint mir der Anschluss an das Konzept des ‚Kontexts‘ durch das Adjektiv „kontextuell“ in der Bezeichnung „kontextueller Rahmen“ irreführend. Der Kontext kann recht viele unterschiedliche Informationen inner- und außerhalb der erzählten Welt umfassen. Der Terminus „Situation“ bezeichnet dagegen im Deutschen genau den von Emmott thematisierten Zusammenhang konkreter Informationen darüber, was wo zu einem bestimmten Zeitpunkt passiert.7 Der ereignisbezogenen Thematisierung von Raum, in der derselbe die Verortungskategorie der erzählten Ereignisse ist, soll die nichtsituationsbezogene Form der Thematisierung gegenübergestellt werden.8 Das nicht-situative Vorkommen von Raum umfasst so verschiedene Modi wie Reflektieren, Argumentieren oder Kommentieren. Da die Erwähnung von räumlichen Gegebenheiten in diesen Modi fakultativ ist, kann man davon ausgehen, dass ihre Thematisierung grundsätzlich ein markierter Fall ist. Eine systematische Darstellung des Vorkommens von Raum in diesen Modi müsste auf einer ausgearbeiteten Theorie zu Aussagemodi des Narrativen aufsetzen, die es meines Wissens nach bisher nicht gibt.9 Ich werde deshalb in Kapitel 6.2 _____________ 7
8
9
Ich schließe mich damit der Argumentation von Jannidis an. Dieser ersetzt allerdings lediglich das Attribut „kontextuell“ durch „situativ“ und spricht von einem „situativen Rahmen“ (vgl. Jannidis 2004: 133). Emmott nimmt an, dass es neben den kontextuellen Rahmen noch eine weitere Form der Informationsspeicherung bei der Rezeption narrativer Texte gibt, die entity representations. In diesen werden Informationen zu Entitäten gespeichert, die über eine bestimmte Situation hinaus stabil sind, wie etwa die Merkmale einer Landschaft oder die Beschaffenheit eines Objektes oder die Charaktermerkmale von Figuren. Für die Beschreibung von Darstellungstechniken für räumliche Gegebenheiten ist diese Speicherungsform nicht relevant, weil sie nicht an eine spezifische Darstellungstechnik gebunden ist. Informationen zu Entitäten können vielmehr ausgehend von jedem beliebigen Textabschnitt gespeichert werden (nähere Ausführungen zu dieser Behauptung finden sich auf S. 139). Mit solchen Zuschreibungen von Informationen zu Raum als Entität der erzählten Welt werde ich mich im siebten Kapitel beschäftigen. Als Ansatz zu einer solchen Theorie kann die Studie von Bonheim, The Narrative Modes von 1982, gesehen werden (Bonheim 1982). Er führt Kommentar, Beschreibung, Bericht und Rede (comment, description, report, speech) als „Modi“ (modes) des Narrativen an, definiert diese aber nicht. Ein vielversprechender Ansatz in dieser Richtung findet sich jetzt allerdings bei Wolf der davon ausgeht, dass die Beschreibung als Texttyp neben Argument (argument) und Erzählung (narrative) und weiteren, nicht näher spezifizierten Modi, vorkommen kann (Wolf 2007). Neben dieser Erscheinungsform auf
6.1 Raum erzählen
119
exemplarisch die Beschreibung von Raum als wichtigen Fall dieser Thematisierung behandeln, bei dem auch das Erzählen von Raum in seiner Materialität besondere erzählerische Mittel erfordert. Durch die Behandlung der ereignisbezogenen Darstellung einerseits und der Beschreibung von Raum andererseits möchte ich auf diese Weise wenigstens diejenigen Modi des Erzählens erfassen, die die beiden Pole der Thematisierung von Raum im Erzähltext darstellen.
6.1 Raum erzählen Wie wird nun der Raum durch das Erzählen von Ereignissen strukturiert und gewichtet? Es ist anzunehmen, dass der Modell-Leser einen Ausschnitt des Raumes der erzählten Welt als räumliche Komponente einer Situation memoriert. Meine These ist, dass durch die Verortung von Ereignissen in, an oder bei räumlichen Gegebenheiten Einheiten des Raumes entstehen, die ich als ‚erzählte Räume‘ bezeichnen möchte. Bevor ich diese These in Kapitel 6.1.2 ausführe, möchte ich zunächst einige Vorschläge der bisherigen raumnarratologischen Forschung zu Raumeinheiten des Erzählens von Ereignissen diskutieren. 6.1.1 Bisherige Forschung Hoffmann geht in seiner Monographie zum Raum im Erzähltext davon aus, dass Erzähltexte aus Situationen bestehen.10 Die Situationen setzen sich nach seiner Definition aus den Elementen Raum, Zeit, Charakter und Geschehen zusammen, und Hoffmann nimmt an, dass es Situationen gibt, die durch die Spezifik der Raumkomponente geprägt sind. Seine anschließende Unterscheidung von drei Situationstypen ist dann allerdings nicht vom „Anteil und von der Funktion des Raumelements am Situationsentwurf“ her konzipiert, _____________
10
der Mikroebene sieht Wolf auch vor, dass Textsorten wie Bildbeschreibungen und Stillleben beschreibend sein können. Wolfs Ansatz ist gattungsübergreifend und intermedial und enthält zahlreiche aufschlussreiche Abgrenzungen von anderen Texttypen und –sorten. Die Termini „Modus“ und „Texttyp“ definiert er allerdings nicht. Vgl. zu seiner Definition von „Beschreibung“ auch die Fn 67 und 68 in diesem Kapitel. Vgl. Hoffmann 1978: 2.
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6 Darstellungstechniken
sondern an Parametern der Vermittlung einer Geschichte orientiert.11 Zum einen schließt Hoffmann an die Unterscheidung von mittelbarem und unmittelbarem Erzählen an und leitet daraus die Situationstypen ‚Szene‘ und ‚Panorama‘ ab.12 Unter der Bezeichnung „Szene“ behandelt er Techniken der unmittelbaren Darstellung von Erzähltem und erwähnt räumliche Gegebenheiten nur beiläufig als Orte, an denen sich mittel- oder unmittelbar Erzähltes ereignet. Diesen Fokuswechsel weg vom Raum problematisiert er nicht. Zum Zweiten fasst Hoffmann mit dem Terminus „Panorama“ einen bestimmten Typ von Raumbeschreibungen, bei dem ein Rundblick von einer fixen, erhöhten Position aus gegeben wird.13 Der dritte Situationstyp, das ‚Tableau‘, ist in Anlehnung an Franks spatial form konzipiert und bezeichnet Textstellen, in denen sich das Erzählen an der räumlichen Anordnung ausrichtet.14 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Erwartung, hier werde bestimmt, welche Raumeinheiten des Erzählens es gibt, nicht erfüllt wird, weil Hoffmann von Erzähltechniken für das Erzählen einer Geschichte (Mittelbarkeit, Wahrnehmung, Organisation des Erzählens) ausgeht und nicht vom Raum. Bal schlägt auf der Ebene der erzählten Geschichte Schauplätze (locations) als Raumeinheiten der Handlung vor.15 Sie definiert diesen Begriff nicht, meint damit aber offensichtlich die konkrete Umgebung von Ereignissen. Eine Bestimmung dessen, was ein Ereignis ist, fehlt ebenso wie Kriterien für die Ausdehnung von Schauplätzen. Ronen geht davon aus, dass sich der Raum der erzählten Welt als Menge von Umgebungen (frames) fassen lässt. Eine solche Umgebung ist nach ihrer Definition „a fictional place, the actual or potential surrounding of fictional characters, objects and places“.16 Der Leser stellt sich die Umgebungen, die die gleiche Ausdehnung wie in der aktualen Welt haben, ausgehend vom Text vor. Ronen führt als Beispiel ein Zimmer an, von dem man annehmen müsse, dass es sich nicht nur innerhalb eines Hauses, sondern auch innerhalb eines Dorfes oder einer Stadt, eines Landes oder eines Kontinentes befinde. Da sie keine weiteren textuellen Kriterien für die Begrenzung der Umge_____________ 11 12 13 14 15
16
Hoffmann 1978: 445. Vgl. Hoffmann 1978: 447 f. Hoffmann 1978: 450-481. Hoffmann 1978: 481-533. Zur spatial form vgl. S. 49. Außerdem schlägt sie Einheiten der erzählten Wahrnehmung von Raum vor, die ich in Kapitel 6.2.2 diskutieren werde. Ronen 1986: 421.
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121
bungen angibt, und da auch kein Leser spezifiziert wird, bleibt es bei dieser Feststellung. Wie ich in Kapitel 4.3 bereits angemerkt habe, ist es bei fiktionalen Texten nicht sinnvoll anzunehmen, dass alle räumlichen Gegebenheiten, die nach dem Weltwissen vorhanden sein könnten, auch in der erzählten Welt vorhanden sind; nur wenn der Text oder die narrative Kommunikation nahe legen, ihr Vorhandensein anzunehmen, sind sie auch Teil der erzählten Welt. Ronen differenziert hier meines Erachtens demnach nicht ausreichend, wenn sie den Terminus „Umgebung“ gleichermaßen für aktuale wie für fiktionale Welten verwendet. In Zorans Entwurf zu einer Narratologie des Raumes findet sich ebenfalls ein Versuch, Raumeinheiten des Erzählens zu definieren.17 Zoran konzipiert ausgehend von der räumlichen Ausdehnung von Ereignissen so genannte Handlungszonen (zones of action).18 Diese müssen nicht räumlich kontinuierlich sein oder eine klar definierte Grenze haben, weil sich ihre Ausdehnung seiner Meinung nach aus der räumlichen Erstreckung von Handlungsabschnitten ergibt. Eine Definition von Handlungsabschnitten bleibt Zoran allerdings schuldig und er führt auch nur zwei Beispiele für Handlungszonen an: ein Telefongespräch, das an zwei Orten zugleich stattfindet und einen Spaziergang durch eine Stadt. Da Zoran weder raum- noch handlungsbezogene Kriterien für die Begrenzung von Handlungszonen angibt, bedarf auch sein Konzept der Präzisierung. Fassen wir zusammen: Hoffmanns Situationstypen beschreiben Techniken der Vermittlung einer Geschichte bzw. die spezifische Form der Darstellung von Raum durch einen panoramatischen Rundblick. Sie sind nicht trennscharf und enthalten auch kein Konzept für die räumliche Komponente von Situationen. Ronens Konzept der Umgebung ist an eine alltägliche Vorstellung von Raum angelehnt. Für die Begrenzung der Umgebungen von Ereignissen, Figuren oder Orten finden sich bei Ronen keine Kriterien. Bal und Zoran gehen davon aus, dass zentrale Raumeinheiten des Erzählens über Einheiten der Handlung bestimmt werden, definieren aber weder den Ereignisbegriff noch den Handlungsbegriff noch die räumliche Ausdehnung ausreichend genau. Alle bisherigen Konzeptionen sind demnach hinsichtlich des Ereignis- bzw. Situationsbegriffs _____________ 17 18
Vgl. Zoran 1984: 323 ff. Außerdem bestimmt Zoran mit den Sichtfeldern (fields of vision) auch Einheiten der erzählten Wahrnehmung. Da hier nur der Zusammenhang von Raum und Ereignis zur Debatte steht, wird das Konzept des Sichtfeldes in Kapitel 6.2.2 diskutiert.
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und/oder hinsichtlich der räumlichen Ausdehnung unterspezifiziert. Ich werde deshalb nun eine Definition des Ereignisbegriffs einführen und anschließend die Ausdehnung der räumlichen Komponente von Situationen näher bestimmen. 6.1.2 Ereignisregionen und Bewegungsbereiche Für die Definition des Ereignisbegriffs stütze ich mich auf Hühn, der zwei Typen von Ereignissen unterscheidet.19 Unter einem ‚Ereignis I‘ versteht er eine Zustandsveränderung jeglicher Art.20 Ein ‚Ereignis II‘ ist dagegen eine besondere Art der Zustandsveränderung, die durch den Rahmen der erzählten Geschichte besondere Relevanz erhält und/oder ungewöhnlich und/oder unerwartet ist. Da die Klassifikation eines Ereignisses als Ereignis II zumeist von interpretatorischen Entscheidungen bestimmt ist, eignet sich das Ereignis II nicht als Ausgangspunkt für weitere definitorische Überlegungen auf einer inhaltsneutralen Ebene. Aus diesem Grund werde ich mich im Folgenden mit ‚Ereignis‘ nur auf die hier als „Ereignis I“ bezeichnete Zustandsveränderung beziehen.21 Formal betrachtet sind Ereignisse wie Aussagesätze aufgebaut, weil sie aus einem Subjekt und einem Prädikat bestehen. Als Subjekte kommen Gegenstände oder Personen und als Prädikate Ge_____________ 19 20
21
Vgl. Hühn 2009. Bei Zuständen und Ereignissen lassen sich freilich weitere Differenzierungen vornehmen, die für die vorliegende Arbeit aber bereits zu speziell sind: Meister beschäftigt sich eingehend mit der Frage, was eine Zustandsveränderung ist und unterscheidet verschiedene Fälle nach semantischen Kriterien (vgl. Meister 2003: 109-144); Herman widmet sich in seiner Monographie zur Narratologie im Kapitel „States, Events, and Actions“ fast ausschließlich der Frage, wie man ausgehend von der Verbstruktur eines Satzes Zustände und Ereignisse klassifizieren kann (vgl. Herman 2002: 27-51). Er unterscheidet dann temporäre von permanenten Zuständen einerseits und zeitlich gebundene, ungebundene Ereignisse und freiwillig initiierte Handlungen andererseits. Bei den freiwillig initiierten Handlungen differenziert er noch zeitlich gebundene von ungebundenen Formen. (vgl. Herman 2002: 43). Hier muss kurz auf den Unterschied des Erkenntnisinteresses im Vergleich zu Lotmans Verbindung von ‚Raum‘ und ‚Ereignis‘ in seiner (später von der Forschung so bezeichneten) „Raumsemantik“ hingewiesen werden. Lotman geht davon aus, dass die erzählte Welt sich in zwei Bereiche teilen lässt, zwischen denen es eine fixe Grenze gibt. Ein Ereignis liegt dann vor, wenn der Held des Textes diese Grenze überschreitet (vgl. Lotman 1993: 332). Für Lotman ist der Raum in Form semantischer Felder bereits gegeben, zu bestimmen ist das Ereignis. Meine Stoßrichtung ist umgekehrt: Gegeben ist die Definition von Ereignis, gefragt ist die Auswirkung auf den Raum.
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schehen, Handlungen und Zustände in Frage.22 Ein Geschehen ist eine innerhalb der erzählten Welt nichtintendierte Zustandsveränderung, wie sie etwa in dem Satz Der Blitz schlug in das Gebäude ein vorkommt.23 Unter Handlung verstehe ich hier eine Figurenhandlung, wie sie in dem Satz Sie traten in den Garten vorliegt. Auch das Konstatieren eines Zustandes z. B. in dem Satz Er lag den ganzen Tag in der Koje, soll als Ereignis gefasst werden. Allerdings muss hier eine Einschränkung vorgenommen werden, weil nicht alle Zustände Ereignisse sind. Das kann man sich verdeutlichen, wenn man den gerade genannten Satz mit dem Satz Das Bettzeug liegt in der Koje vergleicht. Im zweiten Fall würde ich nicht von einem Ereignis sprechen, im ersten dagegen schon. Der Unterschied besteht wohl darin, dass eine Figur sich intentional fortbewegen kann, während ein Objekt dies nicht tut.24 Welche Ausdehnung kann nun die räumliche Komponente einer Situation haben? Sehen wir uns dazu ein einfaches Textbeispiel an: „Der Archivarius Lindhorst trat endlich in das azurblaue Zimmer.“25 Das genannte Zimmer ist in diesem Fall die räumliche Komponente der Situation. Das Ereignis des Eintretens oder die späteren Vorkommnisse in diesem Raum verändern die räumliche Ausdehnung des Zimmers nicht. Anders sieht es aus, wenn ein Ereignis nicht im Inneren eines Raumes, sondern an oder bei einem Objekt lokalisiert wird. Im folgenden Beispiel aus Der Goldne Topf befindet sich Anselmus z. B. unter einem Busch: [E]r schaute hinauf und erblickte drei in grünem Gold erglänzende Schlänglein, die sich um die Zweige gewickelt hatten und die Köpfchen der Abendsonne entgegenstreckten. Da flüsterte und lispelte es von neuem in jenen Worten, und die Schlänglein schlüpften und kos’ten auf und nieder durch die Blätter und Zweige, und wie sie sich so schnell rührten, da war es, als streue der Holunderbusch tausend funkelnde Smaragde durch seine dunklen Blätter.26
_____________ 22
23
24
25 26
Die Zuschreibung von Eigenschaften möchte ich dagegen nicht als Ereignis fassen, wie es beispielsweise Martinez/Scheffel tun (vgl. Martinez/Scheffel 1999: 109). Anders als sie bin ich der Ansicht, dass Sätze wie Der Berg war groß und majestätisch oder Der Kapitän war hinterlistig und verschlagen keine Zustandsveränderungen bezeichnen. Nichtintendiert ist dieses Geschehen freilich nur von einem Standpunkt innerhalb der erzählten Welt aus und auch nur dann, wenn es in der erzählten Welt keine Figuren gibt, die Blitze zucken lassen können. Dem Autor der Geschichte ist das Erzählen dieses Ereignisses als intentionaler Akt zuzuschreiben, aber diese Zuschreibung liegt auf einer anderen Ebene. Tut ein Objekt dies doch, so wird es zumindest zeitweise wie eine Figur funktionieren. Der Goldne Topf: 21. Der Goldne Topf: 13.
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Natürlich ließe sich die zu Beginn der Erzählung erwähnte Stadt Dresden als Raum der erzählten Welt nennen, in dem sich der Holunderbusch befindet. Vom konkreten Ereignis aus – der Begegnung von Anselmus mit den grünen Schlangen – ist Dresden aber nicht der relevante Ereignisradius von Anselmus’ Erlebnis, da dieses auf den Blick in das Geäst beschränkt ist. Den hier relevanten Bereich möchte ich mithilfe des kognitionspsychologischen Konzepts der ‚Objektregion‘ beschreiben.27 „Region“ ist in diesem Fall nicht geographisch gemeint (wie etwa in Mosel-Region), sondern wird als Bereich rund um ein Objekt verstanden, der bei der Lokalisation anderer Objekte im Verhältnis zu ihm eine Rolle spielt. In kognitionspsychologischen Experimenten hat man herausgefunden, dass Objekten nicht nur Orte, an denen sie sich befinden, zugeschrieben werden, sondern auch ein gewisser räumlicher Bereich um sie herum, oder ein Bereich, den sie umschließen. Ein Beispiel wäre die Region eines Tisches, die nicht nur den realen Standort dieses Tisches bezeichnet, sondern auch den Bereich, in dem sich Menschen normalerweise bei seiner Benutzung aufhalten. Im Alltag ist die Region derjenige räumliche Bereich, der die typischen Interaktionen mit einem Objekt kennzeichnet. Oftmals gibt es mehrere typische Handlungs- und Situationskontexte, in denen ein Objekt stehen kann. Ein Klavier hat beispielsweise eine Region, die mit „um das Klavier stehen“ aber auch „vor dem Klavier sitzen“ bezeichnet werden kann. Das Konzept der Objektregion ist abzugrenzen vom materiellen Ort, den ein Objekt einnimmt. Beim Klavier ist der Ort z. B. der aktuelle Standort des Klaviers in einem Wohnzimmer oder auf einer Bühne, beim genannten Holunderbusch aus Der Goldne Topf ist der Ort das Linkesche Ufer in Dresden. Auch das Innere von Objekten kann Objektregion sein, wenn es einen typischen Benutzungsbereich umfasst. Dies ist z. B. der Fall beim oben erwähnten Zimmer, in das Anselmus mit dem Archivarius tritt. Im folgenden Abschnitt wird zuerst die Objektregion im Inneren des Wirtshauses, dann die Objektregion um das Wirtshaus herum akzentuiert: Gleich als er gegangen war [...] sagte K. zu den Gehilfen: ‚Ich hole aus dem Zimmer meine Aufzeichnungen, dann besprechen wir die nächste Arbeit.‘ [...] Im Flur war Barnabas nicht mehr. Aber er war doch eben jetzt weggegangen. Doch auch vor dem Haus – neuer Schnee fiel – sah K. ihn nicht. Er rief: Barnabas! Keine Antwort. Sollte er noch im Haus sein? Es schien keine andere Möglichkeit zu geben. Trotzdem schrie K. noch aus aller Kraft den
_____________ 27
Vgl. im Folgenden Grabowski 1999: 47 ff.
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Namen, der Name donnerte durch die Nacht. Und aus der Ferne kam nun doch eine schwache Antwort, so weit war also Barnabas schon. K. rief ihn zurück und ging ihm gleichzeitig entgegen; wo sie einander trafen, waren sie vom Wirtshaus nicht mehr zu sehn.28
K. ist zunächst noch mit den Gehilfen im Inneren des Wirtshauses. Als er nach draußen geht und nach Barnabas ruft, befindet er sich in demjenigen Bereich, der typischerweise noch als „vor dem Wirtshaus“ bezeichnet wird. Barnabas ist aber schon außerhalb dieses Bereiches und nur noch in Rufweite. Als K. Barnabas erreicht hat, hat er die Objektregion des Wirtshauses verlassen und steht auf der Straße. Wie in Kapitel 3.3 bereits erwähnt, können auch Objekte, die in der aktualen Welt keine Aufenthaltsräume von Menschen darstellen, durch die Verortung von Figuren in ihnen zu Räumen werden. Dieser Vorgang lässt sich nun präziser als Akzentuierung der Objektregion beschreiben. Beispiele für diese Fälle sind die Flamme, in der der Archivarius dem Erzähler in Der Goldne Topf erscheint,29 oder die Kaminfeuer, in denen Sirius Black oder die Weasleys zusammen mit Harry in Rowlings Harry Potter und der Feuerkelch, reisen.30 Um zu kennzeichnen, dass die Objektregionen in Erzähltexten durch die Erstreckung von Ereignissen bestimmt werden, möchte ich im Folgenden von „Ereignisregionen“ sprechen. Diese können in ihrer Ausdehnung mit den typischen Objektregionen der aktualen Welt übereinstimmen, können aber auch von dieser abweichen. Hat man es mit einem Objekt zu tun, das sich auf der Grenze eines Raumes der erzählten Welt befindet, so kann die Ereignisregion dieses Objekts z. B. auch zwei Räume der erzählten Welt umfassen, wie im folgenden Beispiel: Und ehe fünf Minuten um waren, hatte die gute Frau Dörr ihren Schemel bis an das Fenster geschleppt und saß nun unter ihrer Schirmstellage so behaglich und selbstbewußt, als ob es auf dem Gendarmenmarkt gewesen wäre. Drinnen aber hatte Lene das Plättbrett auf zwei dicht ans Fenster gerückte Stühle gelegt und stand nun so nah, daß man sich mit Leichtigkeit die Hand reichen konnte. Dabei ging das Plätteisen emsig hin und her. Und auch Frau Dörr war fleißig beim Aussuchen und Zusammenbinden, und wenn sie dann und wann von ihrer Arbeit auf- und ins Fenster hineinsah, sah sie, wie nach hinten zu der kleine Plättofen glühte, der für neue heiße Bolzen zu sorgen hatte.31
_____________ 28 29 30 31
Das Schloß: 46 f. Der Goldne Topf: 82. Harry Potter: 363 ff., 56 ff. Irrungen, Wirrungen: 328.
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Das Ereignis der Unterhaltung zwischen den beiden lässt es sinnvoll erscheinen, die Stube und den Bereich vor dem Fenster als eine gemeinsame Ereignisregion zu fassen. Ist das erzählte Ereignis eine Bewegung im Raum, wie z. B. bei einer Reise oder einem Spaziergang, können mehrere räumliche Gegebenheiten durch dieses Ereignis zu einer Einheit zusammengefasst werden und eine gemeinsame Ereignisregion ausbilden. Ich möchte in diesen Fällen von „Bewegungsbereichen“ sprechen. Dabei gibt es zwei Extrempole: Stationen der Bewegung werden nur aufgezählt, oder es werden wiederum Ereignisse an verschiedenen Stationen erzählt. Zunächst ein Beispiel für den ersten Fall, in dem nur Stationen aufgezählt werden: „Wir fuhren über Kingsbai, Magdalenenbai und Christiansfjord nach Spitzbergen.“32 Ein Beispiel für den zweiten Fall ist die Reise von Göttingen durch den Harz, die der Ich-Erzähler in Heines Harzreise unternimmt. Die Stationen sind: Göttingen, vor dem Weender Tor, auf der Chaussee hinter Weende, im Wirtshaus in Nörten, hinter Nörten, im Wirtshaus in Nordheim, der Weg von Nordheim nach Osterrode, Osterrode, die Burg vor Osterrode, der Weg nach Klausthal, die Krone zu Klausthal, die Silbermine bei Klausthal und die Gruben, verschiedene Häuser in Zellerfeld, der Weg nach Goslar, Goslar, der Weg zum Bruder des Bergmanns aus Klausthal über den Brocken und die Waldhütte von dessen Bruder. An jeder dieser Stationen wird ein Ereignis lokalisiert, so dass zu jeder räumlichen Gegebenheit auch eine Ereignisregion bestimmt werden kann. Diese räumlichen Gegebenheiten werden durch das Ereignis der Reise des Ich-Erzählers zu einem Bewegungsbereich zusammengefasst. Ein Bewegungsbereich kann folglich auch durch die erzählte Bewegung des Erzählers durch den Raum entstehen, wenn der Erzähler eine Figur der erzählten Welt ist, wie es beim auto- oder homodiegetischen Erzählen der Fall ist. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die räumliche Komponente von Situationen eine Ereignisregion sein kann, die auch durch die Bewegung einer Figur akzentuiert werden kann. Ereignisregionen haben die Gestalt von Räumen, weil sie eine Unterscheidung von innen und außen bzw. von innerhalb und außerhalb aufweisen, und weil sich in ihrem Inneren Menschen aufhalten können. Ereignisregionen können auch dann bestimmt werden, wenn der Erzähl- bzw. _____________ 32
Polarnacht: 52.
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Schreibakt eines Erzählers thematisiert wird. Im folgenden Beispiel aus Der Goldne Topf werden z. B. die Schreibhemmungen des Erzählers problematisiert: Ich härmte mich recht ab, wenn ich die eilf Vigilien, die ich glücklich zu Stande gebracht, durchlief, und nun dachte, daß es mir wohl niemals vergönnt sein werde, die zwölfte als Schlußstein hinzuzufügen, denn so oft ich mich zur Nachtzeit hinsetzte, um das Werk zu vollenden, war es, als hielten mir recht tückische Geister […] ein glänzend poliertes Metall vor, in dem ich mein Ich erblickte, blaß, übernächtigt und melancholisch, wie der Registrator Heerbrand nach dem Punsch-Rausch. – Da warf ich denn die Feder hin und eilte ins Bett, um wenigstens von dem glücklichen Anselmus und der holden Serpentina zu träumen.33
Durch die erzählten Ereignisse werden die Objektregionen des Schreibtisches und des Bettes zu Ereignisregionen. Dem Vorschlag von Kahrmann/Reiß/Schluchter folgend möchte ich diejenigen Ereignisregionen, in denen Erzählakte stattfinden, als „Erzählräume“ bezeichnen.34 Diese lassen sich von den „erzählten Räumen“ abgrenzen – denjenigen Ereignisregionen, in denen kein Erzählakt situiert ist. 6.1.3 Schauplätze Entwirft man eine neue Terminologie, so muss auch das Verhältnis zu einem alten, vortheoretischen Begriffsgebrauch geklärt werden. Bei den von mir beschriebenen Ereignisregionen stellt sich die Frage, wie sie sich zum Begriff des ‚Schauplatzes‘ verhalten. Im Folgenden möchte ich Schauplätze als besondere Ereignisregionen bestimmen. Dieses Bedürfnis resultiert aus der Beobachtung, dass manche Ereignisregionen einen besonderen Status haben, weil in ihnen die Handlung spielt – wie z. B. in der folgenden Passage: Mit dergleichen Worten und Gedancken folgete ich Olivier in ein Dorff / darinnen kein lebendige Creatur war / da stiegen wir deß fernen Außsehens halber auff den Kirchthurn; Auff demselben hatte er die Strümpff und Schuh verborgen / die er mir den Abend zuvor versprochen / darneben 2. Läib Brod / etliche Stück gesotten dörr Fleisch / und ein Fäßlein halb voll Wein im Vorrath / mit welchem er sich allein gern 8. Tag hätte behelffen können. In dem ich nun meine Verehrung anzoge / erzehlt er mir / daß er
_____________ 33 34
Der Goldne Topf: 80. Kahrmann/Reiß/Schluchter 1977: 53.
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an diesem Ort pflege auffzupassen / wenn er eine gute Beut zu holen gedächte […]35
Simplicissimus und Olivier befinden sich gerade auf einem Kirchturm und Simplicissimus zieht dort tatsächlich in diesem Moment die Strümpfe und Schuhe an und lässt sich Oliviers Proviant zeigen. Anders verhält es sich im folgenden Beispiel: Veronika überließ sich ganz, wie junge Mädchen wohl pflegen, den süßen Träumen von einer heitern Zukunft. Sie war Frau Hofrätin, bewohnte ein schönes Logis in der Schloßgasse oder auf dem Neumarkt oder auf der Moritzstraße [...] sie frühstückte im eleganten Negligé im Erker, der Köchin die notwendigen Befehle für den Tag erteilend. ‚Aber daß sie mir die Schüssel nicht verdirbt, es ist des Herrn Hofrats Leibessen!‘36
Veronika sitzt im Wohnzimmer ihrer Eltern und träumt davon, wie es wäre, wenn sie Hofrätin wäre und in einer neuen Wohnung wohnen würde. Es werden mit dem Frühstück und der Anweisung an die Köchin zwar Ereignisse erzählt, die in dieser neuen Wohnung stattfinden, man kann aber dennoch nicht davon sprechen, dass die Wohnung zum Schauplatz wird. Wie lässt sich dieser Eindruck begründen? Beim Schauplatz scheint es sich um einen Begriff zu handeln, der bisher ohne großen definitorischen Aufwand ausgekommen ist. In narratologischen und literaturwissenschaftlichen Lexika, wie z. B. der Routledge Encyclopedia of Narrative Theory, dem Metzler Literaturlexikon, Killys Literaturlexikon oder dem Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft finden sich keine Artikel zum setting oder zur location bzw. zum ‚Schauplatz‘. Lediglich in Princes Dictionary of Narratology gibt es einen Eintrag zum setting.37 Prince bezeichnet damit ganz allgemein die raumzeitlichen Bedingungen der erzählten Ereignisse. Die Analysekriterien, die er für den Schauplatz vorschlägt, lassen erkennen, dass er mit „Raum“ all das meint, was oben bei der Alltagsvorstellung von Raum angeführt wurde, d. h. auch solche Räume, in denen sich keine Menschen aufhalten können. Noch weiter fasst Chatman den Begriff, wenn er unter „Schauplatz“ (setting) den Hintergrund versteht, von dem sich die Hauptfiguren absetzen.38 Dazu zählt er alles, was eine räumliche Existenzweise hat: Hintergrundfiguren, Hintergrundobjekte und die räumliche Umgebung, also alles außer Ereignissen. In der von mir _____________ 35 36 37 38
Simplicissimus: 410 f. Die e-superscirptae wurden als Umlaute wiedergegeben. Der Goldne Topf: 34. Vgl. Prince 2003: 88. Vgl. Chatman 1978: 138 ff.
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gesichteten Literatur zum Raum im Erzähltext konnte ich nur bei Ronen eine Definition finden, in der der Schauplatz im Sinne einer distinkten räumlichen Einheit des Erzählens definiert wird. Ronen bestimmt den Schauplatz (setting) als „actual immediate surrounding of an object, a character or an event“.39 Sie führt keine Kriterien dafür an, wie die direkte (immediate) Umgebung zu begrenzen ist, und wodurch eine Umgebung zur tatsächlichen (actual) Umgebung wird. Das Problem der Begrenzung stellt sich für Ronen offenbar deshalb nicht, weil die direkte Umgebung in ihren Beispielen immer durch die Wände der Innenräume begrenzt ist. Ronens Überlegungen enthalten meiner Meinung nach Hinweise auf die zentralen Punkte, die es bei einer Definition des Schauplatzes zu klären gilt. Zum einen muss die Ausdehnung der direkten Umgebung bestimmt werden, zum anderen gilt es zu überlegen wie ‚Tatsächlichkeit‘ näher bestimmt werden kann. Ausgehend von den in Kapitel 6.1.2 angestellten Überlegungen schlage ich vor, die Ausdehnung eines Schauplatzes als Ereignisregion zu fassen. Tatsächlichkeit hat meiner Meinung nach eine zeitliche, eine modale und eine mediale Komponente. Die zeitliche Komponente kann als Jetzt-Eindruck gefasst werden. Das Ereignis, von dem die Rede ist, findet in diesem Moment in der genannten Ereignisregion statt. Ist dies nicht der Fall, handelt es sich nicht um einen Schauplatz der gerade erzählten Geschichte. Die modale Komponente von Aktualität manifestiert sich beim Raum im Modus seiner Existenz. Neben einem faktischen Existenzmodus ist ein kontrafaktischer, ein hypothetischer, ein konditionaler oder ein rein subjektiver Modus denkbar.40 Im zuletzt genannten Beispiel aus Der Goldne Topf ist der Erker, in dem Veronika als Hofrätin sitzt, z. B. nur subjektiv von ihr imaginiert und existiert in der fiktionalen Welt nicht tatsächlich. Ist von räumlichen Gegebenheiten die Rede, die es nach den Regeln der erzählten Welt nicht geben kann, oder von einer räumlichen Gegebenheit, deren Existenz man nur annimmt, oder von einer räumlichen Gegebenheit, deren Existenz nur unter ganz bestimmten Bedingungen angenommen werden kann, oder die nur in der subjektiven Vorstellung einer Figur existiert, so handelt es sich nicht um eine tatsächlich existierende räumliche Gegebenheit und man hat es folglich auch nicht mit einem Schauplatz zu tun. Die Beurteilungsgrundlage für _____________ 39 40
Ronen 1986: 423, Hervorhebung im Original. Vgl. z. B. die Differenzierung dieser Faktizitätsgrade für Figureninformationen bei Margolin (vgl. Margolin 1995: 375 f.).
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den Modus sind dabei immer die Regeln der erzählten Welt. In phantastischen und anderen nicht-mimetischen Texten lassen sich z. B. leicht räumliche Gegebenheiten denken, die nach den Regeln der aktualen Welt einen kontrafaktischen oder subjektiven Status haben, die aber nach den Regeln der erzählten Welt zu tatsächlichen Umgebungen einer Figur werden können. Ein Beispiel hierfür ist Atlantis in Der Goldne Topf, das in der aktualen Welt einen kontrafaktischen Status hat. Nach den Regeln der erzählten Welt scheint es allerdings zunächst einen rein subjektiven Status zu haben, weil nur der Archivarius und das Äpfelweib davon sprechen. Im letzten Kapitel entsteht dann der Eindruck, dass die Existenz von Atlantis ein Faktum ist, weil auch der Erzähler davon wie von einem tatsächlich existierenden Raum spricht. Die Zuverlässigkeit der Aussagen des Erzählers wird anschließend allerdings dadurch wieder eingeschränkt, dass er offenbar des Alkohols bedarf, um Atlantis’ ansichtig zu werden. Zum Schauplatz wird eine Ereignisregion auch dadurch, dass keine mediale Vermittlung vorliegt. Das kann man sich am folgenden Textabschnitt verdeutlichen, in dem zwar ein Jetzt-Eindruck und Faktizität gegeben sind, in dem man es aber nicht mit einem Schauplatz zu tun hat: Brandenburg a. H., 8 Uhr früh. Der Zug, mein lieber Botho, hält hier nur drei Minuten, aber sie sollen nicht ungenutzt vorübergehen, nötigenfalles schreib’ ich unterwegs im Fahren weiter, so gut oder so schlecht es geht. Ich reise mit einer jungen, sehr reizenden Bankierfrau, Madame Salinger geb. Saling, aus Wien.41
Käthe erzählt, was sie gerade erlebt, und Brandenburg an der Havel ist eine faktische räumliche Gegebenheit der erzählten Welt. Dennoch ist es nicht sinnvoll zu sagen, die Handlung von Irrungen, Wirrungen spiele dort. Sie spielt vielmehr in Berlin, und zwar zu diesem Zeitpunkt auf dem Balkon der Rienäckerschen Wohnung, auf dem Botho die Postkarte seiner Frau liest. Dadurch, dass es sich um eine Postkarte handelt, wird deutlich, dass man es mit medialer Vermittlung zu tun hat. Das Vorliegen von Tatsächlichkeit in modaler, temporaler und medialer Hinsicht reicht aber noch nicht aus, um aus einer Ereignisregion einen Schauplatz zu machen. Zusätzlich muss in einer Ereignisregion die Origo, das raum-zeitliche Orientierungszentrum verortet sein. Das Konzept der ‚Origo‘ wurde von Bühler in seiner _____________ 41
Irrungen, Wirrungen: 437, Hervorhebung im Original.
6.1 Raum erzählen
131
Sprachtheorie ursprünglich zur Beschreibung sprachlicher Phänomene eingeführt.42 Bühler geht davon aus, dass es neben dem Symbolfeld der Sprache auch ein Zeigefeld der Sprache gibt, das dadurch gekennzeichnet ist, dass die verwendeten Ausdrücke nicht unabhängig von ihrer Äußerungssituation verstanden werden können. Bühler meint damit Ausdrücke wie Ich, jetzt, hier, da, dort. Um diese zu verstehen, muss man räumliche, zeitliche und personale Informationen haben, die zumeist zusammenhängen. Dieses raum-zeitliche und personale Orientierungszentrum wird als „Origo“ bezeichnet. Wird der Ausgangspunkt des Zeigefeldes, die Origo, vom tatsächlichen Ort des Sprechers hin zu einem anderen Ort verschoben, spricht Bühler von einer deixis am phantasma.43 Auch zu Beginn eines Erzähltextes muss eine solche Verschiebung des Orientierungszentrums in die erzählte Welt hinein bzw. zu einem heterodiegetischen Erzähler hin erfolgen. Man kann sich dies am Beginn von Kehlmanns Vermessung der Welt verdeutlichen: Im September 1828 verließ der größte Mathematiker des Landes zum erstenmal seit Jahren seine Heimatstadt, um am Deutschen Naturforscherkongreß in Berlin teilzunehmen. Selbstverständlich wollte er nicht dorthin. Monatelang hatte er sich geweigert, aber Alexander von Humboldt war hartnäckig geblieben, bis er in einem schwachen Moment und in der Hoffnung, der Tag käme nie, zugesagt hatte. Nun also versteckte sich Professor Gauß im Bett.44
Durch die Bezeichnung „der größte Mathematiker des Landes“ wird zu Beginn eine männliche Figur erzeugt, die sich als personales Orientierungszentrum anbietet. Der Moment, in dem diese Figur sich nach Berlin aufmacht, wird zur Erzählgegenwart, wobei der JetztEindruck dadurch verstärkt wird, dass dieser Moment als Abschluss einer Periode fokussiert wird („zum erstenmal seit Jahren“). Die lokale Komponente wird durch die Gattungsbezeichnung „Heimatstadt“ eingeführt. Zu Beginn des zweiten Absatzes kommt es dann zu einer Präzisierung aller drei Komponenten in einem einzigen Satz: „Nun“ signalisiert die zeitliche, „im Bett“ die örtliche Fokussierung, die Bezeichnung mit dem Namen „Professor Gauß“ individualisiert die männliche Figur. Als Definition von ‚Schauplatz‘ möchte ich nun die folgenden Aussagen vorschlagen: Eine Ereignisregion ist ein Schauplatz der er_____________ 42 43 44
Bühler 1965. Bühler 1965: 121-140. Die Vermessung der Welt: 7.
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zählten Geschichte auf einer Erzählebene, wenn die Origo in ihr verortet wird und wenn sie nach den Regeln der erzählten Welt zur faktischen Umgebung eines Ereignisses wird. Bei Binnenerzählungen kann man von Schauplätzen auf unterschiedlichen Ebenen sprechen. Im folgenden Beispiel erzählt Käthe als Figur selbst eine Geschichte und wird damit zur Erzählerin auf einer zweiten Ebene: Uns gegenüber saß die alte Generalin von Wedell, und Anna Grävenitz fragte sie (ich glaube, es war gerade der Jahrestag von Königgrätz), ob es wahr sei, daß dreiunddreißig Wedells im Siebenjährigen Kriege gefallen seien, was die alte Generalin bejahte, hinzusetzend, es wären eigentlich noch einige mehr gewesen. Alle, die zunächst saßen, waren über die große Zahl erstaunt […]45
Bei dieser Erzählung in der Erzählung wird die Ereignisregion des Tisches zur faktischen Umgebung einer in der Erzählgegenwart stattfindenden Handlung. Sie wird zum Schauplatz des sekundären Erzählens. Ähnlich verhält es sich mit dem Raum in Wunderliche FATA einiger Seefahrer. Schauplätze auf der ersten Ebene sind nur der Geburtsort von Albertus Julius, die beiden Studienorte Frankfurt an der Oder und Leipzig, Amsterdam, das Schiff, das denselben zur Insel Felsenburg bringt und die Insel Felsenburg selbst. Die zahlreichen Orte Europas und die Inseln sind dagegen nur Schauplätze der Binnenerzählungen auf einer zweiten und dritten Ebene.
6.2 Raum beschreiben Wie in Kapitel 6.1. herausgearbeitet, entstehen beim Erzählen von Raum die Ereignisregionen als eigene Einheiten, die selbst wiederum die Gestalt von Räumen haben. Dadurch unterscheidet sich das Erzählen von Raum grundsätzlich von den anderen Thematisierungsweisen wie Beschreiben, Reflektieren, Argumentieren oder Kommentieren. In diesen werden räumliche Gegebenheiten der erzählten Welt zwar gegebenenfalls auch durch die gemeinsame Thematisierung zu Einheiten zusammengefasst, bilden aber keine eigene Raumgestalt aus. Diejenigen räumlichen Gegebenheiten, die im Zuge der nichtsituationsbezogenen Thematisierung genannten werden, möchte ich _____________ 45
Irrungen, Wirrungen: 468.
6.2 Raum beschreiben
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zur Abgrenzung von den Ereignisregionen als „erwähnte räumliche Gegebenheiten“ bezeichnen. Der Status von räumlichen Gegebenheiten kann sich auch innerhalb einer Erzählung ändern. Zum Beispiel ist der verwilderte Garten in Storms Viola Tricolor zuerst nur ein erwähnter Raum, wird dann später aber auch zum Schauplatz. Zu Beginn der Erzählung schaut Agnes aus dem Fenster in den Garten hinunter, der deutlich als ein nicht betretbarer markiert ist. Die Mauer, das wuchernde Gras, die verfallene Hütte mit dem überwachsenen Stuhl davor und die übereinander wachsenden Blumen zeigen bereits deutlich, dass schon länger niemand mehr dort gewesen ist: Auch hier lag unten ein Garten, oder richtiger: eine Gartenwildnis. Der Raum war freilich klein; denn wo das wuchernde Gebüsch sie nicht verdeckte, war von allen Seiten die hohe Umfassungsmauer sichtbar. An dieser, dem Fenster gegenüber, befand sich, in augenscheinlichem Verfall, eine offene Rohrhütte; davor, von dem grünen Gespinste einer Klematis fast bedeckt, stand noch ein Gartenstuhl. Der Hütte gegenüber mußte einst eine Partie von hochstämmigen Rosen gewesen sein; aber sie hingen jetzt wie verdorrte Reiser an den entfärbten Blumenstöcken, während unter ihnen mit unzähligen Rosen bedeckte Zentifolien ihre fallenden Blätter auf Gras und Kraut umherstreuten.46
Später wird auch darauf hingewiesen, dass es sich um den Garten von Agnes’ Mutter handelt, in den seit ihrem Tod niemand mehr hineingegangen ist. Am Ende der Erzählung wird der Garten dann zum Schauplatz: […] aber leise, als sei es noch in jener Mondnacht, gingen sie zwischen den tiefgrünen Koniferen auf ihm hin, vorbei an den Zentifolien, die mit Hunderten von Rosen aus dem wuchernden Kraut hervorleuchteten, und am Ende des Steiges unter das verfallene Rohrdach, vor welchem jetzt die Klematis den ganzen Gartenstuhl besponnen hatte.47
Diese Verwandlung des Gartens vom erwähnten Raum zum Schauplatz kann als zentrales Ereignis in Viola Tricolor gesehen werden, das symbolisch für die Aufnahme von Ines, der zweiten Frau des Vaters, in die Familie steht. Exemplarisch für nicht-situationsbezogenen Thematisierungsweisen, in denen erwähnte räumliche Gegebenheiten eine Rolle spielen, soll im Folgenden die Raumbeschreibung behandelt werden.48 Es lässt _____________ 46 47 48
Viola Tricolor: 386. Viola Tricolor: 413. Für eine graphische Übersicht über die Darstsellungstechniken, die zugehörigen Formen des Raumes und die Einheitenbildung vgl. auch Abbildung 1 im Anhang.
134
6 Darstellungstechniken
sich annehmen, dass das Beschreiben von räumlichen Gegebenheiten eine kognitiv besonders signifikante Darstellungstechnik ist, weil der konkrete Raum mit seinen Eigenschaften dabei explizit zum Gegenstand wird. Aus diesem Grund ist es bemerkenswert, dass Beschreibungen zwar fast in jeder Untersuchung zu Raum im Erzähltext erwähnt werden, dass es aber kaum Versuche gibt, dieses Phänomen zu definieren. Dies gilt auch für die erzählte Raumwahrnehmung (Kap. 6.2.2), die häufig bei Raumbeschreibungen zum Einsatz kommt und die eine weitere Akzentuierung erwähnter räumlicher Gegebenheiten darstellt. 6.2.1 Definition Raumbeschreibung Auf den ersten Blick scheint es nicht besonders schwierig zu sein, eine Raumbeschreibung ohne Definition zu identifizieren, wie das folgende Beispiel verdeutlichen mag: Der Fußboden war aus dem farbigsten Marmor zusammengestellt, der in unseren Gebirgen zu finden ist. Die Tafeln griffen so ineinander, daß eine Fuge kaum zu erblicken war, der Marmor war sehr fein geschliffen und geglättet, und die Farben waren so zusammengestellt, daß der Fußboden wie ein liebliches Bild zu betrachten war. Überdies glänzte und schimmerte er noch in dem Lichte, das bei den Fenstern hereinströmte. Die Seitenwände waren von einfachen, sanften Farben. Ihr Sockel war mattgrün, die Haupttafeln hatten den lichtesten, fast weißen Marmor, den unsere Gebirge liefern, die Flachsäulen waren schwach rot, und die Simse, womit die Wände an die Decke stießen, waren wieder aus schwach Grünlich und Weiß zusammengestellt, durch welche ein Gelb wie schöne Goldleisten lief. Die Decke war blaßgrau, und nicht von Marmor, nur in der Mitte derselben zeigte sich eine Zusammenstellung von roten Ammoniten [...]49
Hier wird ein Zimmer des Asperhofes aus Stifters Nachsommer durch den Protagonisten Heinrich beschrieben, ohne dass dabei ein Ereignis erzählt würde. Die Ereignislosigkeit und die Mitteilung von stabilen Eigenschaften einer räumlichen Gegebenheit sind vermutlich die zentralen Kriterien für die Klassifikation dieser Passage als Beschreibung. Schwieriger ist es im folgenden Abschnitt aus Fontanes Roman Unwiederbringlich, der zwar zum Großteil auf die Mitteilung von Eigenschaften des Raumes abzielt, der aber dennoch einige Ereignisse enthält: _____________ 49
Der Nachsommer: 86 f.
6.2 Raum beschreiben
135
Eine Meile südlich von Glücksburg, auf einer dicht an die See herantretenden Düne, lag das von der gräflich Holkschen Familie bewohnte Schloß Holkenäs, eine Sehenswürdigkeit für die vereinzelten Fremden, die von Zeit zu Zeit in diese wenigstens damals noch vom Weltverkehr abgelegene Gegend kamen. Es war ein nach italienischen Mustern ausgeführter Bau, mit gerade so viel Anklängen ans griechisch Klassische, daß der Schwager des gräflichen Hauses, der Baron Arne auf Arnewiek, von einem nachgeborenen ‚Tempel zu Pastum‘ sprechen durfte. Natürlich alles ironisch. Und doch auch wieder mit einer gewissen Berechtigung. Denn was man von der See her sah, war wirklich ein aus Säulen zusammengestelltes Oblong, hinter dem sich der Unterteil des eigentlichen Baues mit seinen Wohn- und Repräsentationsräumen versteckte, während das anscheinend stark zurücktretende Obergeschoß wenig über mannshoch über die nach allen vier Seiten hin eine Vorhalle bildende Säuleneinfassung hinauswuchs. Diese Säuleneinfassung war es denn auch, die dem Ganzen wirklich etwas Südliches gab; teppichbedeckte Steinbänke standen überall die Halle entlang, unter der man beinahe tagaus, tagein die Sommermonate zu verbringen pflegte, wenn man es nicht vorzog, auf das Flachdach hinaufzusteigen, das freilich weniger ein eigentliches Dach als ein ziemlich breiter, sich um das Obergeschoß herumziehender Gang war. Auf diesem breiten, flachdachartigen Gange, den die Säulen des Erdgeschosses trugen, standen Kaktus- und Aloekübel, und man genoß hier, auch an heißesten Tagen, einer vergleichsweise frischen Luft. Kam dann gar vom Meer her eine Brise, so setzte sie sich in das an einer Maststange schlaff herabhängende Flaggentuch, das dann mit einem schweren Klappton hin- und herschlug und die schwache Luftbewegung um ein geringes steigerte.50
Auch hier werden stabile Eigenschaften einer räumlichen Gegebenheit erwähnt, allerdings kommen an den gesperrt gedruckten Stellen auch Ereignisse vor. Sollte dieser Abschnitt deshalb nicht als Beschreibung, sondern als Erzählung gefasst werden, oder handelt es sich um eine Beschreibung, die an mehreren Stellen durch die Erzählung von Ereignissen durchbrochen ist? Besteht ein grundsätzlicher Unterschied zwischen dem gerade zitierten Abschnitt und der folgenden Stelle, in der ebenfalls Merkmale des Raumes genannt werden? Unerachtet des weiten Weges bis in die einsame Straße, in der sich das uralte Haus des Archivarius Lindhorst befand, war der Student Anselmus doch vor zwölf Uhr an der Haustür. Da stand er nun und schaute den großen schönen bronzenen Türklopfer an.51
_____________ 50 51
Unwiederbringlich: 567, Hervorhebungen KD. Der Goldne Topf: 21.
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6 Darstellungstechniken
Erzählt wird, dass Anselmus sich zu Archivarius Lindhorst begibt und dort die Tür betrachtet. Dabei wird mitgeteilt, dass der Weg weit und die Straße einsam ist. Außerdem erfahren wir, dass das Haus des Archivarius sehr alt ist und dass sich an der Haustür ein Türklopfer aus Bronze befindet. In diesem Abschnitt überwiegt die Erzählung bestimmter Ereignisse; mit den beiden zuvor erwähnten Passagen hat er aber die Mitteilung von Informationen zum Raum gemeinsam. Handelt es sich deshalb um eine Beschreibung? Welches Instrumentarium bietet die bisherige Forschung für die Entscheidung dieser Zweifelsfälle? Zunächst einmal lässt sich festhalten, dass sich in der von mir in Kapitel 2 gesichteten Literatur zur Narratologie des Raumes keine theoretische Auseinandersetzung mit der Beschreibung von Raum finden lässt. Zwar wird der Ausdruck verwendet, und hin und wieder werden auch Textstellen als Beschreibungen bezeichnet, eine Definition bieten diese Arbeiten jedoch nicht. In der allgemeinen Narratologie gibt es allerdings vor allem in den 1980er und 1990er Jahren eine Debatte über die Definition, Funktion und Bedeutung der Beschreibung. Ausgangspunkt dieser Debatte ist die inhaltliche Abwertung der Beschreibung durch die Strukturalisten.52 Genette hatte Beschreibungen als connotateurs de mimésis53 bezeichnet, Barthes sah ihre Funktion nur in der Erzeugung eines effet de réel,54 und Bremond, Barthes und Genette bezeichneten Beschreibungen als dysfunktionale Unterbrechungen des Erzählens, die es zu vermeiden gelte. Seither ist vielfach der Beweis erbracht worden, dass Beschreibungen eine zentrale Funktion und Bedeutung im Erzähltext zukommen kann.55 Diese zweifellos interessanten As_____________ 52
53 54 55
Im Folgenden wird auch Roland Barthes als Strukturalist bezeichnet, weil diejenigen Schriften, in denen er sich mit der Beschreibung auseinandersetzt, seiner frühen, strukturalistischen Phase zuzuordnen sind. Genette 1972: 186. Barthes 1991. Vor allem in Auseinandersetzung mit Barthes hat Bal darauf hingewiesen, dass Beschreibungen sehr wohl zentrale Funktionen in Erzähltexten haben können (Bal 1981). Sie zeigt beispielsweise, dass die von Barthes zitierte Beschreibung aus Madame Bovary im unmittelbaren Kontext und im Kontext des gesamten Romans nicht mehr nur die Imitation eines Gemäldes ist, sondern eine mise en abyme des Romans im Ganzen darstellt (vgl. Bal 1981: 106 f.). Bal unterscheidet vier Formen des Bedeutens von Beschreibungen: die referentielle (referential), die enzyklopädische (encyclopedic), die referentiell-rhetorische (referential-rhetoric) und die metaphorische (metaphoric) (Bal 1981: 122 f.). Für die Analyse schlägt Bal drei Schritte vor. Zunächst soll ein Exzerpt erstellt, dann eine Beziehung der Beschreibung zu ihrem direkten Kontext hergestellt und dann eine Einordnung der Beschreibung in den Gesamttext vorgenommen wer-
6.2 Raum beschreiben
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pekte möchte ich hier nicht weiterverfolgen, da bereits einige fruchtbare Vorschläge zur Analyse von Beschreibungen gemacht wurden, die in letzter Zeit systematisch ausgebaut wurden und da ich zur Klärung grundlegender Fragen der Darstellung von Raum im Erzähltext in erster Linie eine Definition des Beschreibungsbegriffs in Absetzung von einer Einbindung des Raumes in die Erzählung von Ereignissen benötige. In der frühen, vorstrukturalistischen Erzählforschung hat man die Erwähnung von Objekten, Räumen und Figuren als Erkennungsmerkmal für Beschreibungen, das Vorhandensein von Ereignissen dagegen als Merkmal von Erzählen bestimmt. Genette versucht dann, diese Unterscheidung durch eine mehr narratologische Definition zu ersetzen, um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass Objekte, Räume und Figuren auch im Zuge des Erzählens von Ereignissen vorkommen können. Er versteht Erzählen (narration) als die Wiedergabe von Objekten und Figuren in Bewegung und Beschreibung als die Repräsentation von Objekten und Figuren im Ruhezustand (stasis).56 Die Debatte der 1980er und 1990er Jahre zeigt dann, dass das Moment der Statik einige Probleme bereitet. Es besteht ganz offensichtlich das Bedürfnis, Textstellen als Beschreibungen zu bezeichnen, die nicht ausschließlich statisch sind.57 Daraus wird dann zumeist der Schluss gezogen, dass es nicht möglich ist, zu definieren, was eine Beschreibung ist. So kommt es, dass die beiden einschlägigen Monographien zur Beschreibung keine explizite Definition derselben enthalten.58 Als Ersatz wird die Möglichkeit eines intuitiven Erkennens postuliert. Hamon konstatiert beispielsweise: „Le lecteur reconnaît et identifie _____________
56 57
58
den (vgl. Bal 1981: 131). Bal und Hamon halten zudem eine Analyse von Beschreibungen nach Themen und Subthemen für ergiebig (Bal 1981: 120; Hamon 1993: 210). Nünning kombiniert jüngst den Vorschlag von Lopes, zwischen einer stilistischen Analyse auf Satzebene, einer cotextuellen auf Abschnittsebene und einer funktionalen auf Werkebene zu unterscheiden mit Parametern der Analyse von Metafiktion von Wolf und kommt so zu fünf Untersuchungsebenen (vgl. Lopes 1995: 19-27; Nünning 2007: 102-116): die Form und die Ebene der narrativen Vermittlung (form of mediation), linguistische und stilistische Aspekte (linguistic and stylistic criteria), strukturelle cotextuelle Parameter wie Häufigkeit, Verteilung und Einbettung einer Beschreibung in einem Werk (structural criteria), Kategorisierung nach beschriebenen Gegenständen (content-related forms) und nach Rezeptions- und Funktionsaspekten (reception oriented, or functionally determined, forms). Genette 1969: 57. Eine gute Zusammenfassung dieser Probleme findet sich bei Ronen (vgl. Ronen 1997: 423 ff.). Hamon 1993, Lopes 1995.
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6 Darstellungstechniken
sans hésiter une description.“59 Mosher setzt die ausschließlich statische Beschreibung und die gänzlich aus Ereignissen bestehende Erzählung als Reinformen an ohne diese zu definieren und beschäftigt sich dann nur mit den Mischtypen des beschreibenden Erzählens (descriptive narration) und der erzählenden Beschreibung (narrative description).60 Ronen stellt dagegen die These auf, dass die Unterscheidung von Beschreibung und Erzählung nur theoretisch existiere und in der Praxis nicht möglich sei.61 Das Unbehagen mit dem Moment der Statik einerseits und die Feststellung, dass man Beschreibungen intuitiv erkennen könne, zeigen meines Erachtens sehr deutlich, dass die Autoren eine implizite Vorstellung davon haben, was eine Beschreibung ist. Diese Vorstellung scheint zentral an das Kriterium der Informationsvergabe gebunden zu sein. Bal bezeichnet beispielsweise auch solche Sätze als teilweise beschreibend, in denen nicht nur Eigenschaften einer Entität genannt werden, sondern auch ein konkretes Ereignis. Als Beispiel führt sie den folgenden Satz an: „When the Negro opened the blinds of one window, they could see that the leather was cracked.“62 Da hier auch mitgeteilt wird, in welchem Zustand sich die Fensterläden befinden, handelt es sich nach Bals Meinung um eine Informationsvergabe zu einem Objekt und folglich um eine Beschreibung. In meinem eigenen Definitionsversuch zur Beschreibung möchte ich zwischen der Tatsache, dass Informationen zu einer Entität der erzählten _____________ 59
60 61 62
Hamon 1972: 465. In seiner späteren Monographie erklärt er, dass er sich mit einer Definition deshalb nicht auseinandersetzen müsse, weil seine Theorie von vornherein nur für diejenigen Prosatexte gemacht sei, die als nicht-narrativ einzustufen seien wie z. B. hai-ku, tank, catalogues épiques, nouveau-roman und poème en prose (vgl. Hamon 1993: 33). In seiner Studie behandelt er allerdings nur narrative Texte. Auch Bal äußert die Meinung, dass es nicht nötig sei zu definieren, was eine Beschreibung ausmache, da man diese intuitiv erkennen könne (vgl. Bal 1981: 105). Analog Bonheim, der die Beschreibung in seiner Studie zu den Modi (modes) des Narrativen zwar als Modus neben Kommentar, Bericht und Rede anführt, zu Beginn aber erklärt, dass er es nicht für nötig halte, diese und die anderen Modi zu definieren, weil sie sich intuitiv unterscheiden ließen (Bonheim 1982: 19). In seinem Aufsatz zu Raumbeschreibungen im französischen Roman vom Naturalismus bis zum nouveau roman spart Ibsch die Frage aus, was eine Beschreibung ausmacht – sowohl im Forschungsbericht als auch in seiner eigenen Ausführung (Ibsch 1982). Er widmet sich direkt der Untersuchung der Funktion von Beschreibungen für das Erzählen. Als Untersuchungsparameter schlägt er die interne Organisation von Raumbeschreibungen, ihre Position im narrativen Text und das Verhältnis von Beschreibung und Handlung vor. Mosher 1991. Ronen 1997: 279. Bal 1981: 104.
6.2 Raum beschreiben
139
Welt vergeben werden, und dem Vorliegen des Texttyps ‚Beschreibung‘ unterscheiden. Dazu möchte ich zum einen auf die Überlegungen von Emmott zurückgreifen und zum anderen erklären, was ich unter ‚Texttyp‘ verstehe. Emmott unterscheidet in ihrer kognitionslinguistischen Studie zum narrativen Verstehen, Narrative Comprehension, sowohl Speicherungsformen als auch Texttypen.63 Bei den Speicherungsformen geht sie zunächst davon aus, dass Informationen zu bestimmten Ereignissen in kontextuellen Rahmen memoriert werden, die aus einer figuren-, einer raum- und einer zeitbezogenen Information bestehen. Dies ist dann der Fall, wenn konkrete, einmalige Ereignisse erzählt werden. Das Vorkommen eines solchen Ereignisses macht auch den Texttyp des gerahmten Textes aus. Emmott geht dann davon aus, dass die Struktur von Erzähltexten neben der Speicherung von Informationen in kontextuellen Rahmen auch impliziert, dass der Leser eigene Repräsentationen für Entitäten (entity representations) bildet. In diesen werden Informationen zu Entitäten, die über eine bestimmte Situation hinaus stabil sind, gespeichert. Solche Informationen können etwa die Augenfarbe oder der Beruf einer Figur oder die Größe und Form eines Zimmers sein. Sie können sowohl in gerahmtem als auch in nichtgerahmtem Text vergeben werden. Die folgende Passage ist ein Beispiel für einen Abschnitt kontextuell gerahmten Textes, in dem zugleich auch stabile Informationen zu den räumlichen Gegebenheiten als Entitäten vergeben werden: Ich richtete mich auf, sahe mich um, und entsetzte mich gewaltig, da ich sonst keinen Menschen, als die Concordia, Mons. van Leuven, und den Schiffs-Capitain Lemelie, ohnfern von mir schlaffend, hinterwärts einen grausamen Felsen, seitwärts das Hintertheil vom zerscheiterten Schiffe, sonsten aber nichts als Sand-Bäncke, Wasser und Himmel sahe.64
Erzählt wird das konkrete Ereignis, dass Albert Julius nach seinem Schiffbruch an der Küste der Insel Felsenburg erwacht. Ausgehend von diesem konkreten Ereignis wird ein kontextueller Rahmen aufgebaut, zu dem als zeitliche Komponente der Zeitpunkt des Erwachens nach dem Schiffbruch, als personale Komponente außer Albert auch Concordia, Lemelie und van Leuven und als räumliche Komponente der Strand gehören. Zugleich erhält man aber auch genauere Informationen über die räumliche Umgebung, wie etwa die, dass das _____________ 63 64
Emmott 1997, Kap. 4 vs. Kap. 8. Insel Felsenburg: 132.
140
6 Darstellungstechniken
Schiff sich in der Nähe befindet, dass der Strand durch einen Felsen begrenzt ist, der wohl unüberwindlich hoch und sehr abweisend ist, und dass sich im Wasser Sandbänke befinden. Alle diese Informationen spielen im Weiteren eine wichtige Rolle, weil das Schiff dem Proviant- und Materialnachschub dient, weil auf den Sandbänken herumschwimmende Ladung aufläuft, und weil der Fels den Zugang zum Inneren der Insel versperrt. Die spätere Referenz auf diese Informationen spricht dafür, dass die Informationen, die hier vergeben werden, nicht nur innerhalb eines kontextuellen Rahmens, sondern auch als Informationen zu den räumlichen Gegebenheiten als eigenständige Elemente der erzählten Welt memoriert werden sollen. Dieser Textausschnitt verdeutlicht, dass man nicht davon ausgehen kann, dass Informationen zu Gegebenheiten der erzählten Welt ausschließlich dann vergeben werden, wenn diese selbst Thema sind und wenn keine Ereignisse erzählt werden. Verwendet man Emmotts Unterscheidung von Texttypen, so kann man sagen, dass solche stabilen Informationen sowohl in situativem als auch in nicht-situativem Text vergeben werden können. Wie zu Beginn von Kapitel sechs bereits erwähnt, muss die Form der Informationsspeicherung folglich vom Vorliegen bestimmter Texttypen unterschieden werden. Bezogen auf den Raum kann man sich mithilfe dieser Unterscheidung die Tatsache verdeutlichen, dass Informationen zum Raum vermutlich in jeder Art von Texttyp vergeben werden können und dass das Faktum der Informationsvergabe von der Beschreibung als Texttyp unterschieden werden muss. Die Frage, was ein Texttyp ist, lässt sich allerdings nicht ganz so einfach beantworten. In der Linguistik wird der Terminus „Texttyp“ für sehr unterschiedliche Phänomene verwendet. Heinemann unterscheidet sieben verschiedene Gebrauchsweisen, wobei sich die meisten auf die Klassifikation von ganzen Texten bzw. von Klassen von Texten beziehen.65 Er nennt zwar auch eine Verwendungsweise von ‚Texttyp‘, die sich nur auf Teile eines Textes bezieht, und die Beschreibung taucht hier neben Narration, Exposition, Argumentation und Instruktion auch auf, es handelt sich dabei allerdings um „idealtypische Normen der Textstrukturierung“.66 Das heißt, dass bei der Beschreibung dieser „Vertextungsmuster“, als die diese Texttypen auch bezeichnet werden, nicht linguistische Unter_____________ 65 66
Heinemann 2000: 520. Werlich 1975: 39.
6.2 Raum beschreiben
141
scheidungsmerkmale, sondern die Formulierung von Normen für die Textproduktion im Vordergrund stehen. In Ermangelung einer brauchbaren Definition möchte ich im Folgenden unter ‚Texttyp‘ eine Aussageform des Erzählens verstehen, die durch die folgenden Merkmale gekennzeichnet ist: Sie umfasst einen Teilsatz, Satz oder Abschnitt, ist durch ihr spezifisches Verhältnis zu konkreten Ereignissen bestimmt und kann darüber hinaus durch semantische Merkmale charakterisiert sein.67 Eine Beschreibung ist ein Texttyp, bei dem auf der Ebene des Bedeuteten stabile Eigenschaften einer räumlichen Gegebenheit, einer Figur oder eines Objekts mitgeteilt werden, ohne dass im selben Teilsatz, Satz oder Abschnitt ein bestimmtes, einmaliges Ereignis erwähnt wird.68 Die Bedeutung ergibt sich durch die Referenz auf das konventionalisierte Sprachwissen und ist hier in Absetzung vom Gemeinten zu verstehen. Während die Bedeutung von beschreibenden Sätzen in der Mitteilung von Eigenschaften liegt, kann das Gemeinte im Sinne einer erschlossenen Mitteilungsabsicht des Sprechers auch in einer Charakterisierung einer Figur oder der Symbolisierung der Handlung liegen. Die Eigenschaften können durch den Erzähler oder durch eine Figur als Wissen oder als Wahrnehmung vermittelt werden. Eigenschaften, die einer räumlichen Gegebenheit oder einem Objekt zugeschrieben werden, können auch typische Ereignisse, Positionen, Zustände oder Handlungen von kollektiven oder anonym bleibenden Akteuren sein.69 Sowohl das Merkmal der Eigenschaftsnennung als auch die Abwesenheit eines einmaligen Ereignisses sind beide notwendig, für sich alleine aber jeweils nicht hinreichend. Einerseits können stabile Eigenschaften auch im Zuge der Erzählung von Ereignissen erwähnt werden, andererseits gibt es neben der Beschreibung auch andere _____________ 67
68
69
Jüngst hat auch Wolf die Beschreibung als Modus der Zeichenorganisation (mode of semiotic organization) beschrieben, in dem es um die anschauliche Repräsentation von Objekten durch die paradigmatische Zuschreibung von Eigenschaften geht (Wolf 2007: 35). Mit Wolf lässt sich diese Bedingung auch umgekehrt als Abwesenheit einer typisch narrativen Ereignispräsentation beschreiben (vgl. Wolf 2007: 24). Diese ist seiner Meinung nach durch motiviertes Figurenhandeln bestimmt, das nicht nur chronologisch, sondern auch kausal oder teleologisch verknüpft ist, und zu bewussten Handlungsakten oder Entscheidungen führt bzw. aus diesen resultiert. Diese Bestimmungen lassen sich als handlungsbezogene Weiterführung des Chatmanschen Arguments lesen, dass ein Ereignis nicht nur zeitlich sein muss, sondern in die erzählte Zeit eingebunden werden muss, um narrativ zu sein (vgl. Chatman 1990: 31). Vgl. dazu auch Chatmans Aussage, dass namenlose, unwichtige und nichtwiederkehrende Figuren zum setting gehören (vgl. Chatman 1978: 141).
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6 Darstellungstechniken
Texttypen wie Reflexionen oder Erörterungen, in denen keine bestimmten Ereignisse vorkommen. Mit dieser Definition möchte ich nun noch einmal einen Blick auf die drei oben erwähnten Textbeispiele werfen. Das erste Beispiel (Stifter) besteht durchweg aus Sätzen, in denen stabile Eigenschaften des erwähnten Raumes genannt werden. Ereignisse kommen nicht vor. Im zweiten Beispiel (Fontane) werden zunächst ebenfalls stabile Merkmale einer räumlichen Gegebenheit erwähnt, ohne dass ein bestimmtes, einmaliges Ereignis erzählt wird. An denjenigen Stellen, die ich durch Sperrung hervorgehoben habe, werden zwar Ereignisse erwähnt, diese finden aber wiederholt statt und können deshalb ebenfalls als stabile Merkmale verstanden werden: Fremde kommen immer wieder in die Gegend, Baron Arne bezeichnet das Schloss immer wieder als Tempel, im Sommer verbringt man immer wieder Zeit auf dem Dach, weil man dort für gewöhnlich weniger schwitzt, und auch die Bewegung der Fahne lässt sich wiederholt beobachten. Da im fünften Satz durch die Positionierung einer Wahrnehmungsinstanz auf dem Meer signalisiert wird, dass hier ein Wahrnehmungseindruck erzählt wird, könnte man zumindest für diesen Satz auch von einem Ereignis ausgehen.70 An dieser Stelle entsteht rund um die Position der Wahrnehmungsinstanz eine Ereignisregion. In, an oder bei den räumlichen Gegebenheiten des Wahrnehmungsbereichs wird allerdings kein konkretes Ereignis lokalisiert, so dass der Modus des Beschreibens nicht durchbrochen wird und keine Ereignisregion entsteht. Im Textbeispiel aus Der Goldne Topf, das oben als Drittes angeführt wurde, liegt dagegen nach meiner Definition keine Beschreibung vor, weil zwei bestimmte Ereignisse genannt werden: der Gang von Anselmus durch die Stadt und seine Ankunft vor dem Haus des Archivarius. Die Mitteilung dieser Ereignisse dominiert die Tatsache, dass dabei auch Informationen zu den räumlichen Gegebenheiten vergeben werden. Hier wird noch einmal deutlich, dass man aus der oben stehenden Definition nicht den Umkehrschluss ziehen kann, dass die Mitteilung von stabilen Merkmalen einen Satz zur Beschreibung macht. Auch wenn die Beschreibung von einer sich bewegenden Instanz angefertigt wird, ergibt sich kein Konflikt mit der Ereignislosigkeit. Das hängt damit zusammen, dass die räumliche Komponente des _____________ 70
Die sonstige Verwendung von absoluten Referenzsystemen (Himmelsrichtungen, Topologie) und das Fehlen von Hinweisen auf einen Wahrnehmungsakt lassen ansonsten eher auf Wissensvermittlung schließen.
6.2 Raum beschreiben
143
Ereignisses in diesem Fall nur den Bewegungsbereich der Figur darstellt. Der Wahrnehmungsbereich kann ereignisfrei sein und die dort situierten räumlichen Gegebenheiten können beschrieben werden. Dies ist im folgenden Beispiel aus Berlin Alexanderplatz der Fall: Dann nahm er Anlauf und saß in der Elektrischen. Mitten unter den Leuten. Los. […] Er drehte den Kopf zurück nach der roten Mauer, aber die Elektrische sauste mit ihm auf den Schienen weg, dann stand nur noch der Kopf in der Richtung des Gefängnisses. Der Wagen machte eine Biegung, Bäume, Häuser traten dazwischen. Lebhafte Straßen tauchten auf [...]71
Franz selbst sitzt in der Straßenbahn, die hier wieder die Ereignisregion der Wahrnehmungssituation ist. Die rote Mauer, die Bäume, Häuser und Straßen sind Teil des Wahrnehmungsbereiches. Die Wahrnehmung ist hier zwar nicht durch ein Wahrnehmungsverb angezeigt, das Prädikat „dazwischentreten“ lässt aber erkennen, dass nun aus der Perspektive desjenigen erzählt wird, der aus dem Straßenbahnfenster sieht. Das, was Franz durch das Fenster sieht, macht jedoch den Wahrnehmungsbereich aus, da es ereignisfrei bleibt. Wenn jemand allerdings aus einem Fenster auf einen Platz sieht und wenn dann wiedergegeben wird, was sich dort ereignet, ohne dass es Anzeichen dafür gibt, dass dieses Geschehen typisch oder wiederholt ist, handelt es sich nicht mehr um eine Beschreibung. Der wahrgenommene Bereich wird dann zum Schauplatz auf einer zweiten Ebene. 6.2.2 Raumwahrnehmung erzählen Die Beschreibung von Raum ist darstellungstechnisch häufig mit erzählter Raumwahrnehmung verbunden. Auch wenn das Erzählen von Raumwahrnehmung nicht auf Beschreibungen beschränkt ist, halte ich es nicht für sinnvoll, davon auszugehen, dass alles, was erzählt wird, auch wahrgenommen wird. In diese Richtung zielen einige Ansätze der narratologischen Beschäftigung mit dem Raum, in denen Wahrnehmungsbereiche als die zentralen oder als die einzigen Einheiten von Raum auf der Ebene der Darstellung angesetzt werden. Zoran geht beispielsweise davon aus, dass die Ebene der textuellen Vermittlung von Raum als Struktur zu beschreiben ist, die ausschließlich aus Sichtfeldern (fields of vision) besteht. Ein Sichtfeld um_____________
71
Berlin Alexanderplatz: 15.
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6 Darstellungstechniken
fasst denjenigen Ausschnitt, der aus einer gemeinsamen Perspektive (view) präsentiert wird, wobei die Begrenzung der Perspektive dabei nicht zwingend den normalen Bedingungen visueller Perzeption entsprechen muss. Zum Beispiel können eine ganze Stadt, ein Ereignis, das gleichzeitig an zwei Orten stattfindet, ein Schlachtfeld oder ein vollständiges Haus ein Sichtfeld ausmachen. Als zusätzliches Kriterium für das Vorliegen eines Sichtfeldes führt Zoran den HierEindruck ein, erklärt aber nicht, was er damit meint. Möglicherweise drückt sich darin das Bedürfnis aus, so etwas wie das Vorhandensein der subjektiven Gebundenheit oder der zeitlichen Bestimmtheit als Kriterium für das Vorliegen von Sicht zu bestimmen. Darüber hinaus ist kritisch anzumerken, dass Zoran nicht-visuelle Wahrnehmung unberücksichtigt lässt und auch nicht zwischen der Wahrnehmung durch Figuren und durch einen heterodiegetischen Erzähler unterscheidet. Auch Chatman und Bal gehen davon aus, dass der in der erzählten Geschichte vermittelte Raum ausschließlich als wahrgenommener Raum zu fassen ist. Bal unterscheidet auf der Ebene des Erzählens einer Geschichte (story) denjenigen Bereich, in dem sich die Wahrnehmungsinstanz befindet (frame) vom wahrgenommenen Bereich (space).72 Wie Räume und Rahmen jeweils begrenzt sind, beschreibt Bal nicht. Chatman behandelt beim Erzählen von Raum ebenfalls nur solche Aspekte, die die Wahrnehmung von Raum betreffen, ohne diese Beschränkung zu begründen.73 Er unterscheidet den Raum, den die Wahrnehmungsinstanz einnimmt von demjenigen Raum, der gesehen wird, gibt aber keine Kriterien für das Vorliegen von Wahrnehmung oder für die Begrenzung der Einheiten an. Um die These widerlegen zu können, dass der in der erzählten Geschichte vermittelte Raum ausschließlich als wahrgenommener Raum zu fassen ist, möchte ich Kriterien für das Vorliegen von erzählter Wahrnehmung festlegen, die es erlauben, wahrgenommene Räume von Ereignisregionen zu unterscheiden. Nach der Logik der aktualen Welt sind die Bedingungen für das Vorliegen von Wahrnehmung, dass jemand wahrnimmt, dass also ein Akteur und ein Akt der Wahrnehmung bestimmt werden können. Im folgenden Textbeispiel liegen sie eindeutig vor: _____________
72 73
Bal 1985: 133. Chatman 1978: 101-106.
6.2 Raum beschreiben
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DA es taget / [...] begab ich mich zum nächsten auff Gelnhausen / und fande daselbst die Thor offen / welche zum theil verbrennet / und jedoch noch halber mit Mist verschantzt waren: Ich gieng hinein / konnte aber keines lebendigen Menschen gewahr werden / hingegen lagen die Gassen hin und her mit Todten überstreut / deren etliche gantz / etliche aber biß auffs Hemd außgezogen waren.74
In diesem Beispiel ist der Ich-Erzähler die Wahrnehmungsinstanz und die Prädikate offen finden und gewahr werden indizieren einen Wahrnehmungsakt. Die Beantwortung der Frage, ob Wahrnehmung erzählt wird oder nicht, kann allerdings dadurch erschwert werden, dass zuweilen keine wahrnehmende Figur genannt wird oder dadurch, dass der Wahrnehmungsakt im Text nicht explizit bezeichnet wird. Anstelle einer wahrnehmenden Figur kann eine Wahrnehmung z. B. auch einer unpersönlichen Instanz zugeschrieben werden, wie im folgenden Beispiel: Ja, dies ‚Schloß‘! In der Dämmerung hätte es bei seinen großen Umrissen wirklich für etwas Derartiges gelten können, heut aber, in unerbittlich heller Beleuchtung daliegend, sah man nur zu deutlich, daß der ganze, bis hoch hinauf mit gotischen Fenstern bemalte Bau nichts als ein jämmerlicher Holzkasten war, in dessen beide Giebelwände man ein Stück Fachwerk mit Stroh- und Lehmfüllung eingesetzt hatte, welchem vergleichsweise soliden Einsatze zwei Giebelstuben entsprachen. Alles andere war bloße Steindiele, von der aus ein Gewirr von Leitern zunächst auf einen Boden und von diesem höher hinauf in das als Taubenhaus dienende Türmchen führte.75
Bei diesen Sätzen aus Irrungen, Wirrungen wird die Wahrnehmung grammatisch einem ‚man‘ zugeschoben. Da aber ein Wahrnehmungsverb und ein transitorischer Eindruck genannt werden, kann man davon ausgehen, dass ein Wahrnehmungsakt erzählt wird. Der Wahrnehmungsakt wird in einem „heute“ bei aktuell „unerbittlich heller Beleuchtung“ situiert und somit als tatsächlich gerade stattfindender qualifiziert. Da dieser Eindruck nicht gestört wird, kann man auch für die Informationen zum Inneren des Gebäudes im nachfolgenden Satz annehmen, dass sie als Wahrnehmung zunächst von der Steindiele und dann als Wahrnehmung von einem ersten Stockwerk („Boden“) aus zu verstehen sind. Erst das Adverb „früher“ im direkt anschließenden Satz dient als Signal dafür, dass man es nun nicht mehr mit einem gerade stattfindenden Wahrnehmungsakt zu tun hat: _____________ 74 75
Simplicissimus: 69. Irrungen, Wirrungen: 322 f.
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6 Darstellungstechniken
Früher, in Vor-Dörrscher Zeit, hatte der ganze riesige Holzkasten als bloße Remise zur Aufbewahrung von Bohnenstangen und Gießkannen, vielleicht auch als Kartoffelkeller gedient […]76
Da kein weiteres Wahrnehmungsverb genannt wird, können wir nicht annehmen, dass es sich um einen Wahrnehmungsakt handelt, der in der Vergangenheit stattfindet, sondern müssen davon ausgehen, dass hier nur Wissen vermittelt wird. Kommen subjektive Bewertungen im Zuge der Vermittlung von Rauminformationen vor, kann das Wahrnehmungsverb auch wegfallen wie im folgenden Beispiel: [K.] hatte nach wenigen Schritten den Hof erreicht. Wie still und schön es hier war! Ein viereckiger Hof, auf drei Seiten vom Hause, gegen die Straße zu – eine Nebenstraße, die K. nicht kannte – von einer hohen weißen Mauer mit einem großen schweren jetzt offenen Tor begrenzt.77
In diesem Beispiel deuten das autonome Gedankenzitat „Wie schön und still es hier war!“ und der Zusatz „eine Nebenstraße, die K. nicht kannte“ darauf hin, dass der Erzähler nicht nur mitteilt, wie der Hof aussieht, sondern dass auch ein Wahrnehmungseindruck von K. erzählt wird. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass erzählte Raumwahrnehmung dann vorliegt, wenn ein Wahrnehmungsakt durch Wahrnehmungsverben angezeigt wird, oder wenn ein solcher durch das Erzählte impliziert ist. Wichtige Indizien dafür sind Subjektivität, Standortabhängigkeit und Aktualität. Die Nennung von Wahrnehmungsverben oder das Vorhandensein einer wahrnehmenden Figur ist keine zwingende Voraussetzung. Wird Wahrnehmung erzählt, kann die räumliche Ausdehnung der Situation zwei verschiedene Einheiten umfassen: zum einen die Ereignisregion, in der die Wahrnehmungsinstanz lokalisiert ist, zum anderen denjenigen Ausschnitt des Raumes der erzählten Welt, der wahrgenommen wird. Die Ereignisregion der Wahrnehmungsinstanz ist dann die räumliche Komponente der erzählten Situation. Das Wahrgenommene kann wiederum selbst eine Ereignisregion sein, wenn ein konkretes Ereignis in, an oder bei der erwähnten räumlichen Gegebenheit erwähnt wird. Ist dies nicht der Fall, möchte ich von einem „Wahrnehmungsbereich“ sprechen. Der Wahrnehmungs_____________ 76 77
Irrungen, Wirrungen: 323. Das Schloß: 161 f.
6.2 Raum beschreiben
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bereich kann sich mit der Ereignisregion einer räumlichen Gegebenheit decken wie in der folgenden Passage aus Der Herr der Ringe: Sobald Streicher sie alle geweckt hatte, ging er voran in ihre Schlafzimmer. Als sie sie sahen, waren sie froh, dass sie seinem Rat gefolgt waren: die Fenster waren aufgebrochen und schlugen hin und her, und die Gardinen flatterten; die Betten waren durchwühlt und die Schlummerrollen aufgeschlitzt und auf den Boden geworfen; die braune Decke war in Fetzen gerissen.78
Das Zimmer ist die Ereignisregion des Wahrnehmungsaktes der Hobbits und zugleich deren Wahrnehmungsbereich. Der Wahrnehmungsbereich kann aber auch von der Ereignisregion der Wahrnehmungssituation verschieden sein: So verschwand die Stimme wie im Murmeln eines fernen Donners, aber die Kristallglocken zerbrachen im schneidenden Mißton. Alles war verstummt, und Anselmus sah, wie die drei Schlangen schimmernd und blinkend durch das Gras nach dem Strome schlüpften; rischelnd und raschelnd stürzten sie sich in die Elbe, und über den Wogen, wo sie verschwunden, knisterte ein grünes Feuer empor, das in schiefer Richtung nach der Stadt zu leuchtend verdampfte.79
Anselmus befindet sich unter dem Holunderbusch. Das, was er sieht – das Ufer, die Elbe und die Stadt – gehört nicht mehr zu dieser Ereignisregion, sondern nur zu seinem Wahrnehmungsbereich. In einem zweiten Schritt stellt sich nun die Frage, wie die Wahrnehmungsbereiche begrenzt sind. Relativ klar scheint der Fall zu sein, wenn eine Figur als Wahrnehmungsinstanz erzählt bzw. erschlossen wird, die nicht der heterodiegetische Erzähler ist. Entweder fällt der Wahrnehmungsbereich dann mit der Ereignisregion zusammen, oder es werden klare Grenzen genannt, oder der Wahrnehmungsbereich entspricht den Grenzen der menschlichen Perzeption. Muss der heterodiegetische Erzähler als Wahrnehmungsinstanz angenommen werden, scheint mir der Begriff des Wahrnehmungsbereichs nur dann sinnvoll zu sein, wenn ein Wahrnehmungsverb genannt wird. Das Problem dabei ist die Begrenzung der Wahrnehmung. Während der Beginn über die Aktualität der Wahrnehmung auch erschlossen werden kann, ist das Ende nur schwer festzulegen. Ganze Kapitel können konkrete, aktuelle Ereignisse erzählen, so dass diese insgesamt als Wahrnehmungsbereiche des Erzählers gefasst werden können. _____________ 78 79
Der Herr der Ringe: 221. Der Goldne Topf: 14.
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Gesteht man zu, dass Wahrnehmung bereits dann vorliegt, wenn ein heterodiegetischer Erzähler konkrete, einmalige Ereignisse erzählt, fehlt jedes Kriterium zur Begrenzung von Wahrnehmungsbereichen. Das lässt sich recht gut an Zorans zweitem Beispiel für ein Sichtfeld zeigen. Es handelt sich dabei um den Beginn von Kleists Das Erdbeben in Chili. In diesem Beispiel wird die nachfolgende Handlung in der Stadt St. Jago lokalisiert: In St. Jago, der Hauptstadt des Königreichs Chili, stand gerade in dem Augenblicke der großen Erderschütterung vom Jahre 1647, bei welcher viele tausend Menschen ihren Untergang fanden, ein junger, auf ein Verbrechen angeklagter Spanier, namens Jeronimo Rugera, an einem Pfeiler seines Gefängnisses, in welches man ihn eingesperrt hatte, und wollte sich erhenken.
Obwohl zu der Stadt als Ganzes und auch zur Gefängniszelle keine visuellen Eindrücke vermittelt werden, sondern nur politische und historische Informationen gegeben werden, bezeichnet Zoran die Stadt und die Gefängniszelle als Sichtfeld. Dagegen wäre einzuwenden, dass hier keine Wahrnehmung erzählt wird, weil selbst für das recht konkrete Ereignis, dass Jeronimo in diesem Moment vor dem Pfeiler steht, kein Wahrnehmungsverb angegeben wurde. Es lassen sich leicht Beispiele denken, bei denen eine solche Informationsvergabe zu Beginn oder im Laufe einer Erzählung viele Seiten einnimmt, so dass Sichtfelder schnell zu recht ausufernden Einheiten werden können. Hier erscheint es mir sinnvoller, zu sagen, dass Ereignisse vom Erzähler erzählt und nicht wahrgenommen werden. Meiner Meinung nach ist ein Wahrnehmungsbereich bei heterodiegetischem Erzählen nur dann klar abzugrenzen, wenn ein Wahrnehmungsakt explizit erzählt wird. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es nicht sinnvoll erscheint, einen Erzähltext als Menge von Wahrnehmungseinheiten zu konzipieren. Das hat vor allem damit zu tun, dass Wahrnehmung nicht immer explizit erzählt werden muss, wodurch sich manchmal auch nicht zweifelsfrei entscheiden lässt, ob ein Wahrnehmungsakt impliziert ist. Der Begriff des Wahrnehmungsbereichs ist meines Erachtens nur in Abgrenzung von den erzählten Räumen sinnvoll. 6.2.3 Erzähltechniken der Raumwahrnehmung Im Weiteren möchte ich mich mit Erzähltechniken der Raumwahrnehmung beschäftigen, weil es hier meines Erachtens einige raumspe-
6.2 Raum beschreiben
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zifische Besonderheiten gibt, die mit der bisher entwickelten Terminologie zur Beschreibung von Wahrnehmung nicht erfasst werden können. Bei der bisherigen Terminologie denke ich an erster Stelle an Genettes Vorschlag zur Beschreibung von Wahrnehmungsphänomenen unter der Bezeichnung „Fokalisierung“. Genette wählt das Kunstwort „Fokalisierung“, um Phänomene zu behandeln, die andernorts unter dem Stichwort „Perspektive“ besprochen werden, möchte allerdings die dort vorherrschende Konzentration auf die Sicht vermeiden und auch nicht-visuelle Formen der Wahrnehmung mit einbeziehen.80 Er kündigt an, mit seiner Unterscheidung dreier Fokalisierungstypen die Frage nach der Identität der Wahrnehmungsinstanz beantworten zu wollen. Die „Nullfokalisierung“, die „externe“ und die „interne Fokalisierung“ bezeichnen dann allerdings die spezifische Form des Wissens, die der Erzähler über das Innenleben der Figuren hat.81 Das Verhältnis der Identität der Wahrnehmungsinstanz und des Maßes an Innensicht scheint dergestalt zu sein, dass das Maß an Innensicht als Indiz dafür fungiert, wer die Wahrnehmungsinstanz ist. Genette expliziert diesen Zusammenhang selbst nicht und verwendet seine Terminologie zur Unterscheidung dreier Wahrnehmungsinstanzen nach dem Umfang ihres Wissens über die psychischen Vorgänge von Figuren. Es handelt sich bei dieser Unterscheidung keinesfalls um eine Klassifikation von Raumwahrnehmung nach ihren verschiedenen Ausgangspunkten, wie die beiden Bezeichnungen „interne“ und „externe Fokalisierung“ vermuten lassen. Raum kommt in Zusammenhang mit Fokalisierung höchstens dann vor, wenn die Raumwahrnehmung ein Indiz dafür ist, wer wahrnimmt. Als Ausgangspunkt für eine Untersuchung der Vermittlung von Raumwahrnehmung kann Genettes Trias deshalb nicht gewählt werden. Im Folgenden möchte ich ein Beschreibungsinstrumentarium für die Position und die Mobilität der Wahrnehmungsinstanz und für die Abfolge der genannten Details entwickeln.
_____________
80 81
Genette 1994: 134. Vgl. auch die Kritik bei Bal 1977. Einen guten Überblick über verschiedene Vorschläge zur Perspektive bzw. Fokalisierung bietet Schmid 2005: 113-149.
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6.2.3.1. Position der Wahrnehmungsinstanz Wird Wahrnehmung erzählt, kann zumeist ein Ort bestimmt werden, an dem sich die Wahrnehmungsinstanz befindet. Oftmals wird dieser Ort bezeichnet, seltener muss er erschlossen werden. Im folgenden Beispiel wird die Position der Wahrnehmungsinstanz explizit genannt: Gegen Westen zu stiegen wir auf die Klippen, allwo uns der Altvater den Ort zeigete, wo vor diesen auf beyden Seiten des Flusse ein ordentlicher und bequemer Eingang zur Insul gewesen [...] 82
Während hier der Ort, an dem sich die Wahrnehmungsinstanz befindet, durch die Präpositionalphrase auf den Klippen bezeichnet wird, muss er im nächsten Beispiel erschlossen werden: O liebe Brüder und Schwestern, die ihr über den Alex wimmelt, gönnt euch diesen Augenblick, seht durch die Lücke neben der Arztwaage auf diesen Schuttplatz, wo einmal Jürgens florierte, und da steht noch das Kaufhaus Hahn, leergemacht, ausgeräumt und ausgeweidet […]83
Die Wahrnehmungsinstanz muss in diesem Beispiel so positioniert sein, dass man „durch die Lücke neben der Arztwaage“ den Schutt der Gebäude sehen kann. Dadurch kann die Position der Wahrnehmungsinstanz erschlossen werden. In den beiden ersten Beispielen ist die Wahrnehmungsinstanz ungefähr auf der gleichen Höhe wie die wahrgenommene räumliche Gegebenheit situiert. Sie kann aber auch über oder oberhalb der wahrgenommenen räumlichen Gegebenheit lokalisiert sein, wie im folgenden Beispiel: ...biß ich auf den allerhöchsten Gipffel gelangt war, allwo alle meine Sinnen auf einmahl mit dem allergrösten Vergnügen von der Welt erfüllet wurden. Denn es fiel mir durch einen eintzigen Blick das gantze Lust-Revier dieser Felsen-Insul in die Augen, welches rings herum von der Natur mit dergleichen starcken Pfeilern und Mauren umgeben, und so zu sagen, verborgen gehalten wird. Ich weiß gewiß, daß ich länger als eine Stunde in der grösten Entzückung gestanden habe, denn es kam mir nicht anders vor, als wenn ich die schönsten blühenden Bäume, das herum spatzirende Wild, und andere Annehmlichkeiten dieser Gegend, nur im blossen Traume sähe.84
In diesem Textabschnitt ist Albertus als Wahrnehmungsinstanz auf dem Felsen platziert. Erzählt wird, was er sieht, wenn er von dort _____________ 82 83 84
Insel Felsenburg: 150. Berlin Alexanderplatz: 165. Insel Felsenburg: 147.
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hinunter blickt. Hat man es mit einem heterodiegetischen Erzähler zu tun, muss die Wahrnehmung von oben nicht durch die Positionierung einer Figur auf einem Turm, einer Anhöhe, einer Galerie oder einem sonstigen erhöhten Punkt motiviert werden. Eine solche, frei im Raum schwebende Position ist schon für das realistische Erzählen im 19. Jahrhundert möglich, wie man an dem bekannten Beginn von Effi Briest sehen kann: In Front des schon seit Kurfürst Georg Wilhelm von der Familie von Briest bewohnten Herrenhauses zu Hohen-Cremmen fiel heller Sonnenschein auf die mittagsstille Dorfstraße, während nach der Park- und Gartenseite hin ein rechtwinklig angebauter Seitenflügel einen breiten Schatten erst auf einen weiß und grün quadrierten Fliesengang und dann über diesen hinaus auf ein großes, in seiner Mitte mit einer Sonnenuhr und an seinem Rande mit Canna indica und Rhabarberstauden besetztes Rondell warf.85
In diesem Beispiel befindet sich die Wahrnehmungsinstanz offenbar zuerst über dem Haus in der Luft. Aus dieser Position kann sowohl der Sonnenschein vor dem Haus wahrgenommen werden, als auch der Schatten, der auf den Fließengang hinter dem Haus fällt. Anschließend ist die Wahrnehmungsinstanz dann auf dem Boden im Garten hinter dem Haus positioniert, weil die Angabe, der Turm befinde sich „hinter“ der Mauer diesen Standpunkt voraussetzt: Einige zwanzig Schritte weiter, in Richtung und Lage genau dem Seitenflügel entsprechend, lief eine ganz in kleinblättrigem Efeu stehende, nur an einer Stelle von einer kleinen weißgestrichenen Eisentür unterbrochene Kirchhofsmauer, hinter der der Hohen-Cremmener Schindelturm mit seinem blitzenden, weil neuerdings erst wieder vergoldeten Wetterhahn aufragte. Fronthaus, Seitenflügel und Kirchhofsmauer bildeten ein einen kleinen Ziergarten umschließendes Hufeisen, an dessen offener Seite man eines Teiches mit Wassersteg und angeketteltem Boot und dicht daneben einer Schaukel gewahr wurde, deren horizontal gelegtes Brett zu Häupten und Füßen an je zwei Stricken hing – die Pfosten der Balkenlage schon etwas schief stehend. Zwischen Teich und Rondell aber und die Schaukel halb versteckend standen ein paar mächtige alte Platanen.86
Nur wenn man im Garten ist und sich innerhalb der Gartenmauern befindet, ist der Turm hinter der Mauer zu sehen. Diese Position wird zunächst beibehalten, was man daran erkennen kann, dass eine Einschränkung der Sicht erzählt wird: Wenn man im Garten in der Nähe des Hauses steht, kann man den Teich mit Steg, Boot und Schaukel wegen der davor stehenden Platanen nur halb sehen. Im _____________ 85 86
Effi Briest: 7. Ebd.
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nächsten Absatz wird dann ein Eindruck von der Front des Hauses mitgeteilt, dem allerdings sofort wieder ein Sprung an den Tisch im Fließengang folgt, an dem Effi und ihre Mutter arbeiten: Auch die Front des Herrenhauses – eine mit Aloekübeln und ein paar Gartenstühlen besetzte Rampe – gewährte bei bewölktem Himmel einen angenehmen und zugleich allerlei Zerstreuung bietenden Aufenthalt; an Tagen aber, wo die Sonne niederbrannte, wurde die Gartenseite ganz entschieden bevorzugt, besonders von Frau und Tochter des Hauses, die denn auch heute wieder auf dem im vollen Schatten liegenden Fliesengang saßen, in ihrem Rücken ein paar offene, von wildem Wein umrankte Fenster, neben sich eine vorspringende kleine Treppe, deren vier Steinstufen vom Garten aus in das Hochparterre des Seitenflügels hinaufführten. Beide, Mutter und Tochter, waren fleißig bei der Arbeit, die der Herstellung eines aus Einzelquadraten zusammenzusetzenden Altarteppichs galt.87
Die Positionierung der Wahrnehmungsinstanz am Tisch lässt sich an der Präpositionalphrase „in ihrem Rücken“ und der Präposition „neben“ ableiten. Die Position und die Abfolge der Bewegung in dieser Passage sind nicht an die Wahrnehmungsmöglichkeiten einer Figur der erzählten Welt oder überhaupt an die menschlichen Möglichkeiten gebunden. Es handelt sich bei dieser Gestaltungsmöglichkeit um eine Option, die nur bei heterodiegetischem und/oder phantastischem Erzählen gegeben ist. Die Wahrnehmungsinstanz kann auch einfach nur innerhalb eines Raumes situiert sein, ohne dass die Bestimmung einer genauen Position nötig oder möglich ist: Ein dichter Herbstnebel verhüllte noch in der Frühe die weiten Räume des fürstlichen Schloßhofes, als man schon mehr oder weniger durch den sich lichtenden Schleier die ganze Jägerei zu Pferde und zu Fuß durcheinander bewegt sah. Die eiligen Beschäftigungen der Nächsten ließen sich erkennen: man verlängerte, man verkürzte die Steigbügel, man reichte sich Büchse und Patrontäschchen, man schob die Dachsranzen zurecht, indes die Hunde ungeduldig am Riemen den Zurückhaltenden mit fortzuschleppen drohten. Auch hie und da gebärdete ein Pferd sich mutiger, von feuriger Natur getrieben oder von dem Sporn des Reiters angeregt, der selbst hier in der Halbhelle eine gewisse Eitelkeit, sich zu zeigen, nicht verleugnen konnte. Alle jedoch warteten auf den Fürsten, der, von seiner jungen Gemahlin Abschied nehmend, allzulange zauderte.88
Um sehen zu können, wie sich die Jäger zur Jagd vorbereiten, muss man sich zwar im Schlosshof befinden, nicht aber an einer bestimm_____________ 87 88
Ebd. Novelle: 491.
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ten Stelle. Vor allem bei nicht-visuellen Wahrnehmungseindrücken wird oftmals nur die Anwesenheit vorausgesetzt wie man auch am Beispiel der olfaktorischen Wahrnehmung zu Beginn von Viola Tricolor zeigen kann: Es war sehr still in dem großen Hause; aber selbst auf dem Flur spürte man den Duft von frischen Blumensträußen. Aus einer Flügeltür, der breiten, in das Oberhaus hinaufführenden Treppe gegenüber, trat eine alte, sauber gekleidete Dienerin.89
Zu Beginn ist keine Figur genannt, die sich im Flur des Hauses befindet und den Duft der frischen Blumen riechen könnte, da die Dienerin erst im nächsten Satz in den Flur tritt. Dennoch ist eine Wahrnehmungsinstanz im Flur positioniert, die den Duft der Blumen wahrnehmen kann. Außer bei olfaktorischen wird wohl auch bei auditiven oder haptischen Eindrücken oftmals nur die Anwesenheit, nicht aber die Position einer Wahrnehmungsinstanz erzählt. 6.2.3.2 Mobilität der Wahrnehmungsinstanz Ist die Wahrnehmungsinstanz bewegt, so kann man wiederum zwischen solchen Fällen unterscheiden, in denen sie an eine Figur gekoppelt ist und solchen, bei denen sie es nicht ist. Ein Beispiel für eine bewegte Wahrnehmungsinstanz, die nicht mit einer Figur der erzählten Welt identisch ist, findet sich im soeben zitierten Beginn von Effi Briest. Die Wahrnehmungsinstanz befindet sich zuerst über dem Anwesen, dann im Garten, dann am Tisch und zum Schluss wieder vor dem Haus. Der entgegengesetzte Fall – dass eine bewegte Wahrnehmungsinstanz an eine Figur gebunden ist – liegt im folgenden Abschnitt vor: Den 20. ging Lenz durchs Gebirg. Die Gipfel und hohen Bergflächen im Schnee, die Täler hinunter graues Gestein, grüne Flächen, Felsen und Tannen. Es war naßkalt; das Wasser rieselte die Felsen hinunter und sprang über den Weg. Die Äste der Tannen hingen schwer herab in die feuchte Luft. Am Himmel zogen graue Wolken, aber alles so dicht - und dann dampfte der Nebel herauf und strich schwer und feucht durch das Gesträuch, so träg, so plump.90
Obwohl Lenz zu Beginn des Abschnitts eingeführt wird, wäre es nach dem ersten Satz noch möglich, die Passage ohne einen tatsächli_____________ 89 90
Viola Tricolor: 383. Lenz: 3.
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chen Wahrnehmungsakt zu erzählen. Die Umgebung und das Wetter werden im Folgenden aber nicht einfach nur beschrieben, sondern es wird mithilfe der Verbpräfixe hinunter und herauf und durch die Präposition herab Lenz als Wahrnehmungsinstanz etabliert: Das Wasser rieselt von Lenz aus gesehen die Felsen hinunter und fließt über seinen Weg, die Äste hängen von ihm aus gesehen von den Bäumen herab und der Nebel dampft zu Lenz herauf. Mithilfe der vorangegangenen Überlegungen zu Position und Mobilität kann die in der Kognitionswissenschaft zur Beschreibung von Raumdarstellungen etablierte Unterscheidung von Karte (map) und Wanderung (tour) auf ihre Tauglichkeit hin überprüft werden. Linde und Labov hatten diese zur Benennung zweier Modi der Beschreibung von Wohnungen durch ihre Bewohner eingeführt.91 Sie stellten fest, dass die Versuchspersonen wesentlich häufiger die Perspektive einer sich durch den Raum bewegenden Figur einnahmen als den Grundriss aus der Vogelperspektive zu beschreiben. Linde und Labov untersuchten dann nur die Wanderung auf die verwendeten diskursiven Regeln. Wenz, deren Verwendung dieser Unterscheidung typisch ist, schließt in ihrer Untersuchung zu Raumbeschreibungen an diese Unterscheidung an, ohne die Begrifflichkeiten zu präzisieren.92 Als ‚imaginäre Wanderung‘ klassifiziert sie all diejenigen Fälle, in denen eine Raumbeschreibung von einer sich bewegenden Figur angefertigt wird. Zum Begriff der ‚Karte‘ führt sie als einziges Definitionskriterium das Moment der Statik an. Das Konzept der ‚Wanderung‘ reicht wahrscheinlich für die meisten Fälle, in denen man es mit einer mobilen Wahrnehmungsinstanz zu tun hat, aus, weil der Normalfall sicherlich der ist, dass eine mobile Wahrnehmungsinstanz an eine Figur gebunden ist. Der Begriff der ‚Karte‘ so wie auch das ihm zugeordnete Merkmal der Statik erscheinen jedoch problematisch. Zum einen suggeriert dieser Begriff, dass beim Erzählen das Vokabular der Kartographie verwendet, oder dass in Anlehnung an eine kartographische Technik erzählt wird.93 Dies ist aber nicht gemeint. Zum anderen ist das einzige Beispiel, das Linde und Labov für die ‚Karte‘ angeben nicht etwa von einer statischen Wahrnehmungsposition aus erzählt, sondern kommt zunächst ohne _____________
91 92 93
Linde/Labov 1985. Vgl. Wenz 1997: 61-65. Für diesen Fall böte sich Stockhammers Begriff des ‚kartographischen Erzählens‘ an (vgl. Fn 7 in Kapitel 4).
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ein Referenzsystem aus und enthält dann standpunktunabhängige Referenzsysteme: Ich würde sagen, der Grundriß ist ein riesiges Quadrat, das in vier Einheiten zerfällt. Würde man von oben auf diese Wohnung schauen, wär es wie – wie ich vorhin schon sagte, wie ein riesiges Quadrat, durch dessen Mittelpunkt zwei Geraden gezogen sind, die vier so kleinere Quadrate ergeben. Also, an den Enden – äh – in den beiden Karrees, die auf die Straße hinausgehen, hat man das Wohnzimmer und ein Schlafzimmer. Zwischen diesen beiden Karrees hat man ein Badezimmer.94
Für die geometrische Abstraktion des Grundrisses zum Quadrat ist kein Referenzsystem nötig. Um die Lage von zwei Zimmern ansprechen zu können wird anschließend auf ein georeferentielles System Bezug genommen, dann mit ‚zwischen‘ auf ein topologisches. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ich es für sinnvoll halte, zu unterscheiden, ob die Wahrnehmungsinstanz mobil oder statisch ist. Für den Fall, in dem die Wahrnehmungsinstanz mobil und zugleich an eine Figur der erzählten Welt gebunden ist, ist auch der Begriff der ‚Wanderung‘ nützlich. Textstellen, die eine Nähe zur Kartographie in Inhalt und Erzähltechnik aufweisen, sollten dagegen sowohl auf spezifisches Vokabular als auch auf die Position und Identität der Wahrnehmungsinstanz und die Verwendung von Referenzsystemen untersucht werden. 6.2.3.3 Abfolge Ein weiterer zentraler Aspekt bei der Vermittlung von Raumwahrnehmung ist auch die Frage nach der Abfolge der Nennung einzelner Details. Zu diesem Thema gibt es Überlegungen der Sprachwissenschaftlerin Wenz und einige Ausführungen in Zorans Skizze einer Narratologie des Raumes.95 Wenz geht davon aus, dass es Ähnlichkeitsbeziehungen zwischen Codes der Raumwahrnehmung und Organisationsprinzipien von Raumbeschreibungen gibt.96 Diese Ähnlichkeiten beschreibt sie als _____________
94 95 96
Linde/Labov 1985: 49. Wenz 1997; Zoran 1984. Wenz 1997: 28 ff. Wenz definiert „Beschreibung“ nur in einem kurzen Absatz als „Form der Kommunikation, die von einem Textproduzenten oder Autor ausgeführt wird und einen zuhörenden bzw. lesenden Rezipienten erfordert. Das Handlungsziel
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6 Darstellungstechniken
„diagrammatische Ikonizität“.97 Darunter versteht sie mit Peirce das Verhältnis eines Diagramms zu dem von ihm Abgebildeten, das durch strukturelle Ähnlichkeit geprägt ist. Für dynamische Beschreibungen definiert sie die Orientierung am Nacheinander eines zurückgelegten Weges als ikonisch. Bei statischen Raumbeschreibungen unterscheidet sie zwischen Beschreibungen aus egozentrischer und intrinsischer Perspektive. Für die Beschreibung aus egozentrischer Perspektive führt sie Prinzipien der perzeptuellen Auffälligkeit und subjektiven Nähe wie nah-fern, Vordergrund-Hintergrund, Figur-Grund, Zentrum-Peripherie, oben-unten, hell-dunkel oder dynamisch-statisch als Konventionen für die Reihenfolge an, wobei immer der erste Wert die Norm darstellt. Für die intrinsische98 Beschreibung aus der Perspektive eines Objekts, das eine eigene Origo ausbildet, gilt nach ihrer Darstellung das ‚Prinzip der topographischen Kontiguität‘, demzufolge ein räumliches Nebeneinander auch durch sprachliche Kontiguität wiedergegeben werden muss. Die Nennung der räumlichen Gegebenheiten im Text ist dann entweder durch eine Bewegung vom Nahen zum Fernen oder durch eine radiale Struktur gekennzeichnet, die ein Zentrum als Ausgangspunkt der Beschreibung hervorbringt. In der Raumnarratologie findet sich lediglich bei Zoran ein Ansatz zur Beschäftigung mit diesen Fragen.99 Zoran interessiert sich für mögliche Abfolgeordnungen bei der Nennung von Raumbestandteilen. Er beschränkt sich dabei allerdings nicht auf erzählte Wahrnehmung, sondern fragt grundsätzlich, wie ein Raum, dessen Elemente an sich simultan vorliegen, im Nacheinander des Textes abgebildet wird. Er fasst das Problem unter dem Begriff der ‚Linearisierung‘. Orientiert sich die Linearisierung der sprachlichen Raumdarstellung am konkreten Raum der erzählten Welt, kann man seiner Meinung _____________ 97
98 99
des Beschreibenden ist die Information des Rezipienten.“ (Wenz 1997: 67) Eine Auseinandersetzung mit bisherigen Definitionen findet sich nicht. Eine untergeordnete Rolle spielen außerdem ihrer Meinung nach noch die Bildikonizität und die metaphorische Ikonizität. Die Möglichkeiten, Raum bildikonisch auszudrücken, stellt sie als begrenzt dar und führt lediglich die visuelle Poesie und einige wenige Beispielwörter aus dem Englischen an, in denen räumliche Gegebenheiten mit kleiner Ausdehnung durch Wörter mit starker phonetischer Konstriktion bezeichnet werden, Wörter für Räumliches mit großer Ausdehnung mit langen Vokalen und schwacher Konstriktion (corner, closest, chest vs. wide, aisle, room, space) (vgl. Wenz 1997: 28). Im Unterkapitel zur metaphorischen Ikonizität weist sie nur kurz auf die Möglichkeit hin, mit räumlicher Sprache Nicht-Räumliches auszudrücken (Wenz 1997: 32 ff.). Zu den intrinsisch orientierten Objekten vgl. Fn 18 in Kap. 4.1. Vgl. Zoran 1984: 321 f.
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nach noch zwischen räumlichen und nicht-räumlichen Organisationsprinzipien unterscheiden. Als räumliche Prinzipien nennt Zoran die Kontiguität oder ein Voranschreiten vom Umgebenden zum Umgebenen, vom Höheren zum Niedrigeren und Ähnliches, führt diesen Punkt aber nicht systematisch aus. Die Zusammenstellung von Wenz erscheint demgegenüber ertragreicher. Als Beispiele für nichträumliche Prinzipien nennt Zoran thematische oder funktionale Gruppierungen bzw. Abstufungen jeglicher inhaltlicher Art.100 Wenz räumt ein, dass die genannten Prinzipien oftmals zugunsten stilistischer Effekte oder thematischer Schwerpunktsetzungen nicht verwirklicht werden. Sie stellt fest, dass besonders bei solchen Fällen, in denen eine bestimmte Bewertung oder auch nur ein bestimmtes Thema im Vordergrund stehen, häufig mit den visuellen Prinzipien gebrochen wird, ohne dass dies besonders signifikant wäre.101 Die Prinzipien der perzeptuellen Aufmerksamkeit sind offensichtlich weder eine Garantie für die Wichtigkeit einzelner Rauminformationen noch die Norm für den Abgleich mit der aktualen Welt. Dennoch bin ich der Meinung, dass man sie sinnvoll als Heuristik verwenden kann, wenn man nicht von einem regelhaften Zusammenhang von Abweichung und Signifikanz ausgeht. Zunächst ein Beispiel für eine Abfolge, die dem Perzeptionscode hell-dunkel folgt: [...] am Luisenufer aber waren an demselben Tage keine Vorhänge herabgelassen, und die Vormittagssonne schien hell in die Fenster der Frau Nimptsch und füllte die ganze Stube mit Licht. Nur der Hintergrund lag im Schatten, und hier stand ein altmodisches Bett mit hoch aufgetürmten und rot- und weißkarrierten Kissen, an die Frau Nimptsch sich lehnte.102
Hier wird zuerst der helle Vordergrund, dann der dunkle Hintergrund des Zimmers beschrieben. Oftmals werden diese Regeln aber _____________ 100
101
102
Da Zoran sich nicht auf diejenigen Fälle beschränkt, in denen Wahrnehmung erzählt wird, stellt er Fällen, in denen die Abfolge der Nennung der Räume durch die Bewegung einer Figur oder eines Objekts folgt, weitere Fälle zur Seite, in denen eine Blickrichtung oder -bewegung die Reihenfolge bestimmt. Er spricht in diesem Fall davon, dass die Linearisierung der Handlung folgt (vgl. Zoran 1984: 312). Schon Stanzel merkt in Auswertung psychologischer Studien zur Filterung der Wahrnehmung der Wirklichkeit an, dass darüber nicht der Vorgang der literarischen Darstellung erfasst werden kann. Die Frage, ob die „Schematisierung unserer realen Wirklichkeitserfahrung das Grundmuster liefert für die Schematisierung der fiktionalen Welten durch die schöpferische Phantasie des Autors“, beantwortet er demnach mit ‚Nein‘ (Stanzel 1989: 159). Irrungen, Wirrungen: 431 f.
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6 Darstellungstechniken
zugunsten der Spannungserzeugung durchbrochen. Im folgenden Abschnitt aus dem Schloß wird der Turm, der nach den Prinzipien der Salienz sicherlich zuerst wahrgenommen wird, z. B. nicht an erster Stelle genannt: Es war weder eine neue Ritterburg, noch ein alter Prunkbau, sondern eine ausgedehnte Anlage, die aus wenigen zweistöckigen, aber aus vielen eng aneinander stehenden niedrigen Bauten bestand; hätte man nicht gewußt, daß es ein Schloß ist, hätte man es für ein Städtchen halten können. Nur einen Turm sah K., ob er zu einem Wohngebäude oder zu einer Kirche gehörte [sic] war nicht zu erkennen.103
Als weitere Codes der Raumwahrnehmung nennt Wenz axiologische Codes und Codes der sozialen Rolle, die festlegen, dass positiv Bewertetes vor Negativem, sozial höher Stehende vor sozial niedriger Stehenden und außergewöhnliche Handlungen vor den als normal angesehenen genannt werden.104 Damit versucht sie zu erfassen, dass die Darstellung von Räumlichem nicht nur durch räumliche Strukturen, sondern auch durch soziale Muster bestimmt ist.105 Vor allem die axiologischen Codes und die Codes der sozialen Rolle müssen jedoch um autor-, textsorten- oder epochenspezifische Konventionen oder durch die Orientierung an anderen Kunstgattungen ergänzt werden. Gattungstypische Abfolgemuster können z. B. durch die Textsortenzuordnungen in den Paratexten (Titel, Unter- oder Reihentitel, aber auch Klappen- oder Ankündigungstexte) aufgerufen werden.106 Als Beispiel mag der Beginn von Heines Reisebilder dienen, der durch den Titel den Modell-Leser bereits auf die Gattung des Reiseberichts verweist: Die Stadt Göttingen, berühmt durch ihre Würste und Universität gehört dem Könige von Hannover und enthält 999 Feuerstellen, diverse Kirchen, eine Entbindungsanstalt, eine Sternwarte, einen Karzer, eine Bibliothek und einen Ratskeller, wo das Bier sehr gut ist. Der vorbeifließende Bach heißt ‚die Leine‘ und dient des Sommers zum Baden; das Wasser ist sehr kalt und an einigen Orten so breit, daß Lüder wirklich einen großen Anlauf nehmen
_____________ 103 104 105
106
Das Schloß: 17. Vgl. Wenz 1997: 35 f. Spätestens bei den Beispielen zu diesen Codes wird klar, dass Wenz einen sehr weiten Raumbegriff zu Grunde legt. Sie definiert ‚Raum‘ zwar nicht, bezieht sich aber in ihrer Studie immer wieder explizit auf die Raumlinguistik, die alle Phänomene der Lokalisierung und Dimensionierung unter „Raum“ fasst. (Vgl. dazu auch Kapitel 4.1 der vorliegenden Arbeit) Das heißt, dass auch die Position von Figuren und alles, was eine räumliche Ausdehnung hat, mit in den Untersuchungsbereich fällt. Die Zusammenfassung dieser Textsorten als ‚Paratexte‘ geht auf Genettes Monographie zu den Texten rund um den Haupttext eines Buches zurück (vgl. Genette 1989).
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mußte, als er hinübersprang. Die Stadt selbst ist schön und gefällt einem am besten, wenn man sie mit dem Rücken ansieht.107
Die Reihenfolge ist hier der Gattungskonvention des Reiseberichts geschuldet. Es werden zunächst Besonderheiten der Stadt und die Einwohnerzahl angegeben und anschließend öffentliche Einrichtungen und der Name des vorbeifließenden Flusses genannt. Auch die Erzählung einer kleinen Anekdote passt in dieses Schema. Die Art und Weise, in der diese Angaben gemacht werden, etwa die Zahl „999“, die „Feuerstellen“ für Haushalte oder das Adjektiv „diverse“ bei der Erwähnung der Kirchen entlarven diese Passage als Parodie auf einen Reisebericht.108 Explizit konterkariert wird das Schema des Reiseberichts dann durch den nächsten Satz: „Die Stadt selbst ist schön und gefällt einem am besten, wenn man sie mit dem Rücken ansieht.“ 109 Wenige Seiten später wird dieses Schema des Reiseberichts offensichtlich nur noch sehr lustlos bedient: „Diese Stadt hat soundso viel Häuser, verschiedene Einwohner, worunter auch mehrere Seelen, wie in Gottschalks Taschenbuch für Harzreisende genauer nachzulesen ist.“ Insgesamt ist der genannte Reiseführer aber die Folie für die Abfolge der Nennung der Stationen. Ebenfalls in der Harzreise findet sich auch ein Beispiel für autorspezifische Konventionen bei Nennung und Abfolge räumlicher Gegebenheiten: Die Berge wurden hier noch steiler, die Tannenwälder wogten unten wie ein grünes Meer, und am blauen Himmel oben schifften die weißen Wolken. Die Wildheit der Gegend war durch ihre Einheit und Einfachheit gleichsam gezähmt. Wie ein guter Dichter liebt die Natur keine schroffen Übergänge. Die Wolken, so bizarr gestaltet sie auch zuweilen erscheinen, tragen ein weißes oder doch ein mildes, mit dem blauen Himmel und der grünen Erde harmonisch korrespondierendes Kolorit, so daß alle Farben einer Gegend wie leise Musik ineinanderschmelzen und jeder Naturanblick krampfstillend und gemütberuhigend wirkt. – Der selige Hoffmann würde die Wolken buntscheckig bemalt haben. 110
_____________ 107 108
109 110
Die Harzreise: 93. Für einen heutigen Leser mögen bereits die eingangs erwähnten Würste als Ironiesignal fungieren; wie Roth im Kommentar erklärt, war die Kombination von Würsten und Universität aber auch in der aktualen Welt der damaligen Zeit ein Topos der Reiseführer über Göttingen und ist deshalb nicht besonders markiert (vgl. Die Harzreise: 592). Die Harzreise: 93. Die Harzreise: 101.
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Die Auswahl und die Abfolge der genannten Details sind offenbar aus der Intention heraus zu erklären, ein Gegenstück zu den Naturbeschreibungen von E. T. A. Hoffmann zu liefern. Roth erklärt im Kommentar zwar, diese Stelle weise auf Heines Verehrung für Hoffmann hin, dem widerspricht allerdings das Lob der sanften Übergänge, dem die Hoffmannsche Vorliebe für Farbkontraste durch das Adjektiv buntscheckig negativ gegenübergestellt wird.111
6.3 Zusammenfassung In diesem Kapitel wurden aus der Menge möglicher Darstellungstechniken für Raum solche ausgewählt, die spezifisch für narrative Texte sind, bei denen es raumbezogene Besonderheiten gibt und die für den Modell-Leser kognitiv signifikant sind. Um eine begründete Auswahl treffen zu können, wurde eine Studie von Emmott aus der Kognitiven Linguistik zu Grunde gelegt. Emmott zeigt, dass Informationen zu konkreten Ereignissen in ‚kontextuellen Rahmen‘ gespeichert werden. Diese Rahmen bestehen aus einer episodischen, einer zeitlichen, einer räumlichen und einer figurenbezogenen Information. Sie werden nur dann gebildet, wenn Sätze auf Ereignisse referieren. Als erste Darstellungstechnik von Raum wurde in Kapitel 6.1 die Verbindung von Raum und Ereignis untersucht, wobei der Terminus „kontextueller Rahmen“ von Emmott durch den der „Situation“ ersetzt wurde. Ausgangspunkt dieses Unterkapitels war die Annahme, dass die räumliche Komponente von Situationen im mentalen Modell des Raumes beim Modell-Leser einen besonderen Status hat, weil über sie Situationen wieder aufgerufen werden können. Aus diesem Grund wurde versucht, die räumliche Komponente von Situationen in ihrer Ausdehnung und Beschaffenheit zu bestimmen. Bisherige Definitionen zu Raumeinheiten des Erzählens haben sich hinsichtlich des Ereignisbegriffs und hinsichtlich der räumlichen Ausdehnung als unterspezifiziert erwiesen. Aus diesem Grund wurde zunächst mit Hühn das Ereignis als Zustandsveränderung bestimmt. Mit der Verwendung dieser Definition wurde in Kauf genommen, dass es an manchen Textstellen mehrere Möglichkeiten gibt, festzulegen, worin die Zustandsveränderung besteht. Um die räumliche _____________ 111
Die Harzreise: 596.
6.3 Zusammenfassung
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Komponente von Situationen beschreiben zu können, wurde in einem zweiten Schritt das Konzept der Objektregion herangezogen, mit dem man in der Kognitionswissenschaft denjenigen Bereich bezeichnet, in dem sich in der aktualen Welt Menschen bei der Benutzung eines Objekts aufhalten. Anschließend wurde der Terminus der „Ereignisregion“ eingeführt, um zu erfassen, dass fiktionale Erzähltexte auch eigene und ungewöhnliche Objektregionen ausbilden können. Für den Fall, dass die genannten räumlichen Gegebenheiten beim Erzählen einer Bewegung eine gemeinsame Ereignisregion ausbilden, wurde der Terminus „Bewegungsbereich“ gewählt. Ereignisregionen haben die Gestalt von Räumen, weil sie eine Unterscheidung von innen und außen bzw. von innerhalb und außerhalb aufweisen, und weil sich in ihrem Inneren Menschen aufhalten können. Sie können auch dann bestimmt werden, wenn der Erzähl- bzw. Schreibakt eines Erzählers thematisiert wird. In diesem Fall ist von „Erzählräumen“ die Rede, von denen diejenigen Ereignisregionen, in denen kein Erzählakt situiert wird, als „erzählte Räume“ abgegrenzt wurden. Anschließend wurde das Verhältnis der Ereignisregionen zum eingebürgerten Begriff des Schauplatzes bestimmt. Es wurde die folgende Definition von ‚Schauplatz‘ erarbeitet: Eine Ereignisregion ist ein Schauplatz der erzählten Geschichte, wenn die Origo in ihm verortet wird und wenn er nach den Regeln der erzählten Welt zur faktischen Umgebung eines Ereignisses wird. Es lassen sich zusätzliche Differenzierungen der Schauplätze nach ihrer Zugehörigkeit zu einer (primären, sekundären, tertiären etc.) Erzählebene vornehmen. Der ereignisbezogenen Thematisierung von Raum, in der derselbe die Verortungskategorie der erzählten Ereignisse ist, wurde als Gegenpol die nicht-situationsbezogene Form der Thematisierung gegenübergestellt. Als Gegenbegriff zu den Ereignisregionen ist bei der nicht-situationsbezogenen Thematisierung von Raum von „erwähnten räumlichen Gegebenheiten“ die Rede. Da es an einer ausgearbeiteten Theorie zu Modi der Thematisierung von Raum bisher fehlt, wurde in Kapitel 6.2 exemplarisch die Raumbeschreibung untersucht. Es ist anzunehmen, dass es neben Erzählen und Beschreiben mindestens noch die Modi des Reflektierens, des Kommentierens und des Argumentierens gibt. Die Analyse der Forschung zur ‚Beschreibung‘ hat ergeben, dass die Unmöglichkeit einer Definition dieses Konzepts deshalb mehrfach konstatiert wurde, weil man sich am Kriterium der Informati-
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6 Darstellungstechniken
onsvergabe orientiert hat. Anstatt die Beschreibung als Textstelle zu definieren, in der Informationen zu räumlichen Gegebenheiten, Objekten oder Figuren vergeben werden, wurde sie von mir deshalb als Texttyp beschrieben. Informationen zu räumlichen Gegebenheiten können in allen Arten von Texttypen enthalten sein. Der Texttyp der Beschreibung zeichnet sich jedoch dadurch aus, dass Informationen zur Materialität von räumlichen Gegebenheiten vergeben werden, ohne dass dabei ein konkretes, einmaliges Ereignis erzählt wird. Im Anschluss an eine Definition des Beschreibens von Raum wurde die erzählte Raumwahrnehmung als Fall der Beschreibung behandelt, bei der spezielle, raumspezifische Erzähltechniken unterschieden werden können. Zunächst wurde geklärt, wann man es mit erzählter Wahrnehmung von Raum zu tun hat. Erzählte Raumwahrnehmung liegt dann vor, wenn jemand wahrnimmt. Der Wahrnehmende muss dabei keine Figur sein, sondern kann auch eine unpersönliche Instanz sein, die mit „man“ bezeichnet wird. Der Wahrnehmungsakt muss nicht durch ein Wahrnehmungsverb angezeigt werden, sondern kann auch impliziert sein. Ist dies der Fall, so werden die wahrgenommenen räumlichen Gegebenheiten zu einem Wahrnehmungsbereich zusammengefasst. Dieser ist von der Ereignisregion des Wahrnehmungsereignisses zu unterscheiden. Während die Ereignisregion die Umgebung der Wahrnehmungsinstanz darstellt, umfasst der Wahrnehmungsbereich das Wahrgenommene. Die beiden Bereiche können zusammenfallen, wenn eine Wahrnehmungsinstanz nur die Ereignisregion wahrnimmt; sie können aber auch divergieren, wenn eine Wahrnehmung von Entfernterem erzählt wird. Wird Wahrnehmung von Raum erzählt, so können die Position der Wahrnehmungsinstanz, die Mobilität der Wahrnehmungsinstanz und die Abfolge der Nennung einzelner räumlicher Gegebenheiten oder von Raumdetails unterschieden werden. Die Position der Wahrnehmungsinstanz kann entweder explizit genannt werden, oder sie muss erschlossen werden. Bei heterodiegetischem oder phantastischem Erzählen kann es Fälle geben, in denen die Wahrnehmung keiner Figur zugeordnet werden kann und in denen die erzählte Wahrnehmung die Möglichkeiten der menschlichen Wahrnehmung übersteigt. Gibt es einen heterodiegetischen Erzähler, muss die Wahrnehmung von oben auch nicht durch die Positionierung einer Figur auf einem Turm, einer Anhöhe, einer Galerie oder einem sonstigen erhöhten Punkt motiviert werden. Die Wahrnehmungsinstanz kann darüber hinaus mobil oder statisch sein, und auch wenn sie mo-
6.3 Zusammenfassung
163
bil ist, muss sie nicht an eine Figur gebunden sein. Für die Untersuchung der Abfolge der Nennung von räumlichen Gegebenheiten bzw. von Raumdetails können zum einen Codes der Raumwahrnehmung, zum anderen die narrative Kommunikationssituation als Heuristiken verwendet werden.
7 Raum als Element der erzählten Welt Bisher standen Fragen der Darstellung von Raum im Vordergrund, und es wurde weitgehend ausgeblendet, welche Eigenschaften räumlichen Gegebenheiten zukommen. Im Folgenden möchte ich mich deshalb dem Bereich der Rauminformationen widmen. Räumliche Gegebenheiten können durch physische und nicht-physische Einzeleigenschaften charakterisiert werden, aber auch durch Handlungen, Ereignisse und Figuren, die in, an oder bei ihnen lokalisiert sind. Darüber hinaus sind bei jeder Information Position, Quelle (Figur/Erzähler), Häufigkeit, Explizitheit und Markierung im Romangefüge zu berücksichtigen. Jede der Informationen kann zusätzlich faktisch, hypothetisch, kontrafaktisch oder rein subjektiv sein. Selbst wenn man, wie in der vorliegenden Arbeit, den Aspekt des symbolischen Bedeutens ausschließt, stellt diese Vielfalt eine große Herausforderung für eine Narratologie des Raumes dar. Welche Eigenschaften von Räumen soll der Modell-Leser memorieren? Gibt es typische Verfahren dafür, wie Menschen Rauminformationen ordnen? Wie ist das Zusammenspiel von raumbezogenen und nicht-raumbezogenen Informationen und Klassifikationen zu fassen? Um mich diesen Fragen zu nähern, möchte ich zunächst Vorschläge zu nicht-raumbezogenen Klassifikationsparametern für räumliche Gegebenheiten sichten. Anschließend widme ich mich physischen Einzeleigenschaften, raumbezogenen Wissenskonfigurationen mit einer Ereignis- und einer Raumkomponente und Raumstrukturen. Auch in diesem Kapitel konzentriere ich mich folglich auf Aspekte der räumlichen Materialität.
7.1 Nicht-raumbezogene Klassifikationsparameter An erster Stelle möchte ich einige Vorschläge zur Klassifikation räumlicher Gegebenheiten anhand ihres Verhältnisses zur Handlung diskutieren. Unter ‚Handlung‘ verstehe ich die Gesamtheit der Ele-
7.1 Nicht-raumbezogene Klassifikationsparameter
165
mente Ereignis, Geschehen und Geschichte. Das Ereignis als Zustandsveränderung stellt die kleinste Einheit der Handlung dar.1 Während als Geschehen die chronologische Abfolge von Ereignissen verstanden wird, ist die Geschichte eine Ereignisfolge, die über eine chronologische Verknüpfung hinaus auch einen kausalen Zusammenhang aufweist.2 Für die Verbindung von Raum und Handlung ist an erster Stelle Lotmans Raumsemantik zu nennen. Bei den von Lotman selbst nicht so bezeichneten Überlegungen handelt es sich genau genommen um eine Definition des zentralen Ereignisses (Sujet) eines Erzähltextes in Abhängigkeit von der Beschaffenheit der jeweiligen erzählten Welt.3 Ein Sujet setzt sich aus den folgenden Elementen zusammen: 1. ein semantisches Feld, das in zwei komplementäre Untermengen aufgeteilt ist; 2. eine Grenze zwischen diesen Untermengen, die unter normalen Bedingungen impermeabel ist, im vorliegenden Fall jedoch (der sujethaltige Text spricht immer von einem vorliegenden Fall) sich für den die Handlung tragenden Helden als permeabel erweist; 3. der die Handlung tragende Held.4
Mit der Bezeichnung „semantisches Feld“ meint Lotman die erzählte Welt in ihrer Gesamtheit. Voraussetzung für das Vorliegen eines zentralen Ereignisses ist seiner Meinung nach, dass sich die erzählte Welt in zwei Bereiche teilen lässt, zwischen denen es eine Grenze gibt, die normalerweise unpassierbar ist. Ein Ereignis liegt dann vor, wenn der Held des Textes die Grenze zwischen diesen beiden Räumen überschreitet. Die Bereiche konstituieren sich durch ein gemeinsames Merkmal wie z. B. das der Fremdheit. Sie können mit einem konkret-materiellen Raum zusammenfallen, können aber auch nur eine metaphorische Bezeichnung für eine Menge von Normen, Eigenschaften und Seinszuständen, entgegengesetzten Figureneigenschaften oder Zuständen sein.5 Verwendet man Lotmans Theorie zur Klassifikation von konkreten räumlichen Gegebenheiten der erzählten Welt, _____________ 1 2
3
4 5
Für eine Definition des Ereignisbegriffs vgl. Kapitel 6.1.2. Für die Definitionen von Geschehen, Geschichte und Handlung vgl. Martinez/Scheffel 1999: 25. Lotman 1993: 332-340. Die Kapitelüberschrift bei Lotman lautet: „Das Problem des Sujets“. Vgl. auch Burghardts Bemerkung, Lotmans Theorie werde fälschlicherweise immer als Theorie des narrativen Raumes gehandelt, obwohl es sich eigentlich um eine Theorie der erzählten Welt handle (Burghardt 2008b: 201 ff.). Lotman 1993: 341. Vgl. dazu auch: Titzmann 2003: 3077, zu einer mengentheoretischen Reformulierung der Lotmanschen Idee vgl. Renner 1987.
166
7 Raum als Element der erzählten Welt
so kann man mit ihrer Hilfe eine zentrale binäre Opposition von Räumen und die wichtigste Grenze des Raumes der erzählten Welt bestimmen. Dies setzt jedoch voraus, dass ein Text nur durch eine einzige zentrale Opposition geprägt ist und dass sich die Grenze auch konkret-materiell manifestiert.6 Eine Klassifikation von Räumen mithilfe dieser Definition basiert auf relativ vielen Voraussetzungen und ist auch von der Interpretation der Handlung abhängig. Aus diesem Grund kann Lotmans Raumsemantik nicht zu einem textübergreifend verwendbaren, narratologischen Ansatz erklärt werden. Der Wert dieser Überlegungen als Heuristik bzw. für die Redeskription geeigneter Texte wird durch diese Einschränkung aber nicht in Frage gestellt.7 Etwas weniger voraussetzungsreich ist der Vorschlag von Krah, Räume hinsichtlich ihres funktionalen Aspekts für die Handlung z. B. in Ausgangsräume, Zielräume, Durchgangsräume oder Taburäume einzuteilen.8 Krah erläutert nicht, was er unter einem ‚Taburaum‘ versteht; da er ihn aber in eine Reihe mit handlungsfunktionalen Begriffen stellt, sollen mit diesem Ausdruck offenbar solche Räume bezeichnet werden, die nicht betreten werden (dürfen). Um diesen Vorschlag für eine Klassifizierung von räumlichen Gegebenheiten nach ihrem Verhältnis zur Handlung beurteilen zu können, _____________ 6
7
8
Bei Martinez und Scheffel finden sich neben einleuchtenden Beispielen für die Anwendbarkeit von Lotmans Begriffen zugleich auch kritische Anmerkungen zu ihrem umfassenden Geltungsanspruch: „[Lotman nennt] kein Argument für sein Postulat, daß Erzählungen notwendigerweise topologisch strukturiert sind. Weist wirklich jeder bedeutungshaltige narrative Text eine klassifikatorische Grenze auf? Ist jede Geschichte einer Normverletzung immer auch die Geschichte einer räumlichen Grenzüberschreitung? Man darf bezweifeln, daß die von Lotman beschriebene SujetRaumstruktur ein notwendiges Merkmal bedeutungshaltiger narrativer Texte darstellt.“ (Martinez/Scheffel 1999: 144). Martinez und Scheffel schlagen deshalb eine Erweiterung des Sujetmodells vor, durch die auch solche Texte als narrativ gelten können, bei denen die Überschreitung der klassifikatorischen Grenze entweder scheitert oder wieder aufgehoben wird. Demnach können zwei Typen sujethafter Texte unterschieden werden: Revolutionäre Texte mit gelungener Grenzüberschreitung „durchbrechen die klassifikatorische Ordnung der erzählten Welt, restitutive bestätigen sie.“ (Martinez/Scheffel 1999: 142). Die Binarität der Raumstruktur bleibt allerdings auch bei dieser Modifikation Voraussetzung. Darüber hinaus findet sich bei Lotman im Aufsatz Zum künstlerischen Raum in Gogols Prosa eine Unterscheidung von ‚linearem‘ und ‚punktförmigem Raum‘, je nachdem ob eine Episode der Handlung die folgende impliziert oder nicht (vgl. Lotman 1974a: 202 f.). Es handelt sich dabei allerdings nicht um Merkmale des Raumes, sondern es wird vielmehr eine Bezeichnung für geometrische Formen metaphorisch für die Beschreibung einer Form der Handlungsverknüpfung verwendet. Krah 1999: 8.
7.1 Nicht-raumbezogene Klassifikationsparameter
167
möchte ich zwischen einer Funktionalität von Räumen für Handlungsschemata und für Handlungsstrukturen unterscheiden. Unter einem ‚Handlungsschema‘ verstehe ich eine Handlungsstruktur, die nicht nur einem, sondern mehreren Texten zu Grunde liegt.9 Je nach Zuordnung zu einem Abschnitt des Handlungsschemas oder zu einer Struktur können räumliche Gegebenheiten nach der Handlungsfunktion benannt werden. Voraussetzung ist die Identifizierung einer Struktur oder eines Schemas. Diese ermöglicht den Vergleich verschiedener (Binnen-)Erzählungen hinsichtlich der Konkretisierung handlungsfunktionaler räumlicher Gegebenheiten. Voraussetzung für diese Untersuchungsperspektive ist, dass eine Handlungsstruktur nicht nur einmal auftaucht und dass sie eindeutig identifiziert werden kann. Ein Text kann selbst ein Schema etablieren, dem mehrere der erzählten Handlungsabschnitte folgen, oder er kann an eine Tradition anschließen. In den Wunderlichen FATA einiger Seefahrer werden beispielsweise viele Lebensgeschichten erzählt, die dem traditionellen Schema der Bekehrungsgeschichte folgen. Dementsprechend finden sich in jeder Lebensgeschichte räumliche Gegebenheiten, die mit dem Beginn eines sündigen Lebens verbunden sind. Es folgen dann Stationen der Verführung, es gibt räumliche Gegebenheiten der Umkehr und des neuen, bekehrten Lebens. Letztere sind immer auf der Insel Felsenburg situiert. Die Orte des sündigen Lebens liegen zumeist in Kontinentaleuropa (bevorzugt in Deutschland, in den Niederlanden und in England) teilweise sind es aber auch Stationen von Seereisen, zumeist Inseln. Auch wenn sich ein Text nicht auf ein Handlungsschema bezieht, kann man nach der Funktionalisierung räumlicher Gegebenheiten für die Handlungsstruktur fragen. In Goethes Novelle ist das Schloss beispielsweise der Ausgangs- und Zielraum, das Dorf ein Durchgangsraum und der Wald ein Taburaum. Eine derartige Klassifikation von Räumen ist allerdings bei solchen Texten, die komplexer erzählt sind, wie z. B. Koeppens Tauben im Gras, nicht besonders ergiebig, weil sie Komplexität reproduziert und nicht reduziert. Die Handlung dieses Romans folgt keinem Schema; es handelt sich um 92 assoziativ verbundene Episoden. Auch diejenigen Räume, in denen sich die Figuren aufhalten, wenn sie zum ersten bzw. letzten Mal erwähnt werden, können nicht als Ausgangs- bzw. Zielräume bezeichnet werden, weil jeweils nur ein Ausschnitt aus deren Leben erzählt wird. Lediglich das _____________ 9
Vgl. Martinez/Scheffel 1999: 135.
168
7 Raum als Element der erzählten Welt
Bräuhaus und das Amerikahaus können als Handlungszentren beschrieben werden. Bei der Klassifikation räumlicher Gegebenheiten nach ihrer Funktion für die Handlung sollte man sich zudem klar machen, dass damit nur diejenigen räumlichen Gegebenheiten der erzählten Welt erfasst werden, die zu Schauplätzen werden. Diese Einschränkungen gilt auch für das Chronotopos-Konzept von Bachtin.10 Bachtin kündigt zu Beginn seiner Ausführungen zum Chronotopos an, den aus der Einsteinschen Relativitätstheorie übernommenen Terminus zur Bezeichnung des „grundlegenden wechselseitigen Zusammenhang[s] der in der Literatur erfassten Zeit-und-Raum-Beziehungen“11 verwenden zu wollen.12 Er konzipiert mithilfe des Chronotopos die Geschichte des europäischen Romans als Variation dreier Grundtypen des antiken Romans: des abenteuerlichen Prüfungsromans, des abenteuerlichen Alltagsromans und des biographischen Romans. Diesen Typen können bestimmte Chronotopoi im Sinne von Raum-Zeit-Konstellationen zugeordnet werden. Da Bachtin davon ausgeht, dass in der Literatur die Zeit das ausschlaggebende Moment für den Chronotopos ist, und da er unter ‚Zeit‘ die Handlung versteht, liegt sein Fokus auf den Handlungsstrukturen.13 Deren räumliche Manifestation wird nur nebenbei erwähnt, und es findet sich keine raumbezogene Modellierung des Begriffs. Ein direkter Anschluss an Bachtin ist somit nicht möglich, aber es ist nahe liegend, ausgehend von Handlungsschemata zu fragen, für welche Abschnitte eines Schemas typischerweise welche räumliche Gegebenheiten gewählt werden, und inwiefern ein Einzeltext diesen Üblichkeiten folgt. Spörl hat z. B. gezeigt, dass in verschiedenen Typen des Krimis die folgenden Handlungsstrukturen mit den folgenden Räumen kombiniert werden:14 Im klassischen Whodunit_____________
10
11 12
13 14
Bachtin 2008. Der Aufsatz Formen der Zeit und des Chronotopos im Roman wurde 1937-38 geschrieben, aber erst 1975 zum ersten Mal publiziert und erst 1981 ins Englische übersetzt. Bachtin 2008: 7. Hier ist anzumerken, dass man eher von mehreren Chronotopos-Konzepten als von einem einzigen sprechen muss. Frank und Mahlke unterscheiden in ihrem Nachwort zu Bachtins Aufsatz eine kulturtheoretische, eine gattungstheoretische, eine erzähltheoretische, eine gestalterische, eine auf die literarische Darstellung des Menschen bezogene und eine produktions- und rezeptionsästhetische Verwendungsweise (Frank/Mahlke 2008: 205 ff.). Für eine Klassifikation räumlicher Gegebenheiten kommt nur die gattungstheoretische Variante in Frage. Bachtin bezeichnet alle Aspekte der Handlung als zeitliche. Spörl 2006.
7.1 Nicht-raumbezogene Klassifikationsparameter
169
Krimi korrespondiert dem analytischen Aufklärungsgeschehen ein geschlossener Raum wie beispielsweise ein englischer Landsitz, ein Bahnwaggon, ein Kreuzfahrtschiff, ein College oder ein Theaterensemble. In der hard-boiled novel bzw. dem Thriller entspricht der gleichrangigen Gegenwart von Tat- und Ermittlungsgeschehen dagegen eine unüberschaubare Region, die zumeist im Anschluss an die aktuale Welt gestaltet ist, in der sich der/die Ermittler ausgiebig bewegen. Fraglich erscheint mir allerdings, ob für diese Beschreibungen der Chronotopos-Terminus unabdingbar ist, da ich bereits im vorangegangenen Abschnitt auf die Möglichkeit eingegangen bin, den Zusammenhang von Handlungsstrukturen und Schauplätzen zu beschreiben ohne diesen Terminus zu verwenden. Da das Verhältnis von Raum und Handlung bei Bachtin als „wechselseitiger Zusammenhang“ noch relativ vage beschrieben ist, möchte ich in Kapitel 7.3 versuchen, mit dem Begriff des ‚Raummodells‘ den Zusammenhang von Raum und Handlung für einzelne räumliche Gegebenheiten präziser zu fassen. Bei van Baak findet sich der Versuch, Lotmans Raumsemantik und den Bachtinschen Chronotopos-Begriff zu verbinden.15 Van Baak bezeichnet diejenigen räumlichen Gegebenheiten, die das Überschreiten der klassifikatorischen Grenze der erzählten Welt ermöglichen, als „overt boundary chronotopes“.16 Beispiele sind Türen, Fenster, Straßen und Haltestellen. Für diesen Vorschlag gilt die Einschränkung, dass nur solche räumliche Gegebenheiten erfasst werden können, die zu Schauplätzen werden. Außerdem setzt die Suche nach diesen speziellen Chronotopoi der offenen Grenze wiederum eine Handlungsstruktur mit klarer Grenzüberschreitung voraus. Zudem sind die genannten räumlichen Gegebenheiten wohl auch nicht grundsätzlich Chronotopoi der offenen Grenze, weil Fenster und Türen auch geschlossen sein können und ebenso wie Straßen und Haltestellen auch in Kontexten vorkommen können, in denen ihre Grenzen nicht von Bedeutung sind. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Anwendungsmöglichkeiten einer Klassifikation von Räumen nach ihrer Handlungsfunktionalität zum einen auf Schauplätze und zum anderen auf solche Erzählungen beschränkt sind, die eine klare, kausale Handlungsstruktur aufweisen, die sich in räumlicher Mobilität manifestiert. _____________ 15 16
Van Baak 1983: 102. Ebd.
170
7 Raum als Element der erzählten Welt
Eine weitere Möglichkeit der Klassifikation von räumlichen Gegebenheiten ergibt sich durch die Verbindung von Raum und Figuren. Hier sind Gruppierungen von Räumen nach Aufenthaltsorten von Figuren oder Figurengruppen möglich. Es lassen sich auf diese Weise Räume des/der Protagonisten, Räume der männlichen bzw. weiblichen Figuren, der Bauern, der Kinder etc. unterscheiden. Eine von den konkreten Figuren eines Textes unabhängige Unterteilung findet sich bei Krah, der vorschlägt, Räume nach ihrer aktantiellen Funktion zu klassifizieren. Als Beispiele nennt Krah auslösende/ katalysatorische Räume – die z. B. über das Merkmal der ‚Enge‘ bestimmt sein können – Fluchträume, Erfahrungsräume, Initiationsräume, subjektkonstituierende Räume und Sanktionierungsräume.17 Die Bezeichnung „aktantiell“ lässt zwar vermuten, dass Krah sich auf diejenigen Aspekte von Figuren konzentriert, die ihre aktantielle Funktion im Sinne der Greimasschen Definition ausmachen, seine Beispiele zeigen jedoch, dass das gerade nicht der Fall ist. Die gewählten Bezeichnungen lassen erkennen, dass er offenbar eine Klassifizierung von Räumen nach ihrer Funktion für die Persönlichkeitsbildung und -entfaltung im Sinn hat. Daneben wären auch andere Klassifikationen nach Gefühlen, Erfahrungen, Handlungen, Begegnungen etc. von Figuren möglich, die meines Erachtens so vielfältig wie nicht-systematisierbar sind. Die Klassifikation von Räumen nach Figurenaspekten ist immer vom jeweiligen Figurenmodell und der gewählten Analyseperspektive abhängig. Das von Greimas im Anschluss an Propp formulierte Aktantenmodell böte allerdings eine Möglichkeit, textübergreifende Figurenmerkmale zu identifizieren und die Zuordnung von räumlichen Gegebenheiten zu denselben vorzunehmen. Greimas nimmt an, dass es sechs Aktanten gibt: 1. Subjekt. 2. Objekt. Das begehrte Objekt bzw. die gesuchte Person. 3. Adressant. Der Auftraggeber. 4. Adressat. Derjenige, der den Auftrag erhält. 5. Adjuvant. Der Helfer. 6. Opponent. Der Gegenspieler.18
Greimas geht davon aus, dass die genannten Aktanten zu einer Tiefenstruktur gehören, aus der konkrete Einzelfiguren als Oberflächenstrukturen generiert werden. Aktanten können in genau einer Figur _____________ 17 18
Krah 1999: 8. Greimas 1971: 157-177.
7.1 Nicht-raumbezogene Klassifikationsparameter
171
realisiert werden, es können aber in einer Figur auch mehrere Aktanten vereint sein. Darüber hinaus gibt es auch die Möglichkeit, dass ein Aktant durch mehrere Figuren realisiert ist. Man kann diese Einteilung als Figurentypologie verwenden und dann nach Räumen für Subjekte, Adjuvanten, Opponenten etc. fragen.19 Allerdings setzt das voraus, dass die Figuren sich nach diesem Modell sinnvoll klassifizieren lassen, was häufig nicht der Fall ist. Während in diesem Modell der Beitrag der Figuren zur Handlung ausschlaggebend ist, geht Hoffmann in seiner Narratologie des Raumes vom Erleben der Figur(en) aus. Gemäß seinem phänomenologischen Raumverständnis lassen sich das Anschauen, das Handeln und das Gestimmtsein als die drei „elementaren Auffassungen“ des Raumes durch das Subjekt unterscheiden.20 Hoffmann erarbeitet ausgehend von kanonischen Texten der englischen und amerikanischen Romanliteratur vom 18. bis zum 20. Jahrhundert für den Anschauungsraum und den gestimmten Raum jeweils für die Parameter Fremdheit und Bedrohung verschiedene „Sinnmodelle“ des Raumes.21 Für den Anschauungsraum ist das der ‚kuriose Raum‘, für den gestimmten Raum der ‚phantastisch-satirische‘, der ‚groteske‘, der ‚unheimliche‘, der ‚halluzinativ-visionäre‘ und der ‚mythische Raum‘. Es ist kaum anzunehmen, dass sich diese an Gefühlen und Bewertungen ausgerichtete Terminologie auch nur für den gestimmten Raum zu einem vollständigen System ausarbeiten lässt, so dass eine Ergänzung um neue Typen nicht sinnvoll erscheint. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass für die Klassifikation von Räumen nach Figurentypen, Figureneigenschaften, -gefühlen, -erfahrungen und -handlungen keine textübergreifenden Parameter, Typen oder Zugangsperspektiven ausgemacht werden können. Eine Ausnahme stellt allenfalls die Konzentration auf den Protagonisten/die Protagonistin dar, die es ermöglicht, Räume nach ihrer Beziehung zu demselben/derselben zu klassifizieren.
_____________
19
20
21
Jannidis weist darauf hin, dass eine Verwendung des Aktantenmodells im Sinne einer Figurentypologie eine zwar gängige aber nicht bestimmungsgemäße Verwendung darstellt, da es Greimas lediglich um die Identifizierung von Tiefenstrukturen geht (vgl. Jannidis 2004: 101). Hoffmann 1978: 5 u. ö. Für eine ausführliche Behandlung der Monographie von Hoffmann vgl. S. 24 ff. Vgl. Hoffmann 1978: 133 f.
172
7 Raum als Element der erzählten Welt
7.2 Physische Eigenschaften Neben diesen Vorschlägen zur Klassifikationen von Räumen nach raumfremden Eigenschaften gibt es auch Versuche, physische Eigenschaften des Raumes als zentrale Informationen zum Raum zu extrapolieren.22 Lotman hat unter Rückgriff auf ein topologisches Raumkonzept aus der Mathematik in der Struktur literarischer Texte als erster versucht, zentrale Eigenschaften des Raumes zu bestimmen. Er verwendet die folgende Raumdefinition von Aleksandrov: Der Raum ist ‚die Gesamtheit homogener Objekte (Erscheinungen, Zustände, Funktionen, Figuren, Werte von Variablen u. ä.), zwischen denen Relationen bestehen, die den gewöhnlichen räumlichen Relationen ähnlich sind (Kontinuität, Abstand u. ä.). Betrachtet man dabei eine gegebene Gesamtheit von Objekten als Raum, so abstrahiert man von allen Eigenschaften dieser Objekte außer denjenigen, die durch diese in Betracht gezogenen räumähnlichen Relationen definiert werden.‘23
Lotman schließt hier an ein topologisches Raumkonzept an. Wie in Kapitel 3.1 bereits erwähnt, handelt es sich bei topologischen Relationen um solche kontinuierlichen Beziehungen zwischen Elementen, die unter abstandserhaltenden Transformationen gleich bleiben. Lotman nennt als Beispiele die Beziehungen hoch-niedrig, rechtslinks, nah-fern, offen-geschlossen, abgegrenzt-nicht abgegrenzt und diskret-ununterbrochen.24 Er betont die Tatsache, dass man bei diesem Raumkonzept von den konkreten Phänomenen zugunsten der Betrachtung der Relationen zwischen denselben abstrahiert. In der Topologie spielt es keine Rolle, ob es Menschen, Punkte auf einer Geraden oder Häuser sind, die zueinander in Beziehung gesetzt werden. Lotman geht noch einen Schritt weiter, indem er auch die Beziehungen zwischen Abstrakta einschließt, die in der Alltagssprache oftmals mithilfe räumlicher Relationen metaphorisch ausgedrückt _____________
22
23 24
Die Unterscheidung von „glatten“ und „gekerbten Räumen“, die Deleuze/Guattari einführen, wird hier nicht behandelt, da sie nur der Terminologie nach auf die physischen Eigenschaften bezogen ist (vgl. Deleuze/Guattari 2006). Tatsächlich handelt es sich aber um eine Unterscheidung von deterritorialisierten Räumen, in denen Nomaden leben und reterritorialisierten Räumen mit sesshaften Bewohnern. Deleuze/Guattari entwickeln dieses Begriffspaar zur Beschreibung der Erschließung der afrikanischen Küste durch die portugiesischen Seefahrer im Jahr 1440. Lotman 1993: 312 f. Dazu ist anzumerken, dass hoch-niedrig und rechts-links gerade keine topologischen Eigenschaften sind, weil sie objekt- bzw. standortabhängig verschiedene Stellen im Raum bezeichnen.
7.2 Physische Eigenschaften
173
werden. Sein eigentlicher Fluchtpunkt ist die Semantisierung dieser Relationen durch Oppositionspaare wie z. B. „wertvoll-wertlos, gutschlecht, eigen-fremd, zugänglich-unzugänglich, sterblich-unsterblich u. dgl.“25 Lotman ordnet die Relationen in der Struktur literarischer Texte weder auf der raumbezogenen noch auf der semantischen Ebene, sondern zählt sie nur auf und führt Beispiele an. Dadurch fehlt es an einer systematischen Begründung für die Auswahl bestimmter räumlicher Eigenschaften.26 Van Baak schließt in seiner Narratologie des Raumes an Lotman an und versucht ohne Anspruch auf Vollständigkeit eine stärker systematisierte Zusammenstellung von Dimensionseigenschaften, räumlichen Relationen und deren Semantisierungen.27 Zunächst nennt er die Relationen oben-unten, vor-hinter und rechts-links als diejenigen Eigenschaften, die ausgehend von einer Origo deiktisch etabliert werden. Als weitere, nicht-deiktisch etablierte Zustände und Eigenschaften von Räumen führt er an: diskret-diffus, begrenzt-unbegrenzt, offen-geschlossen, innen-außen und zentral-peripher und als dimensionale Eigenschaften erwähnt er oben-unten, vorne-hinten, rechtslinks, lang, weit, hoch und tief.28 Er begründet nicht, weshalb er neben den Eigenschaften von Länge, Breite, Höhe und Tiefe auch die deiktischen Relationen zu den dimensionalen Eigenschaften zählt und warum er sie zweimal erwähnt. In einem nächsten Schritt versucht er dann für vier sehr häufige räumliche Relationen konventionelle Semantisierungen anzuführen.29 Er behauptet, dass Vertikalität zum Ausdruck von Hierarchien diene, Horizontalität auf den beiden Achsen vorne-hinten und rechts-links dagegen zum Ausdruck von Distanz und Ausdehnung verwendet werde. Die Unterscheidung von innen und außen ist nach seiner Darstellung oftmals mit den Werten Wärme/Sicherheit/Kultur vs. Kälte/Unsicherheit/Anomie belegt. Van Baak verweist hier auch auf Lotmans Nennung von vier weiteren, sehr spezifischen Semantisierungen dieser Relation durch die _____________
25 26 27 28
29
Lotman 1993: 313. Vgl. auch die Überblicksdarstellung zur Raumsemiotik bei Teuber (Teuber 2001). Van Baak 1983: 50-55. Darüber hinaus bestimmt er noch Eigenschaften von Bewegungen wie dynamische Auf- und Abwärtsbewegungen, Kontraktion und Ausdehnung und dergleichen, die bei der Definition von Raum als Relationsgefüge eine Rolle spielen, nach meiner Raumdefinition als Bewegungen aber nicht Gegenstand der Untersuchung sind (vgl. ebd.). Van Baak 1983: 55-78.
174
7 Raum als Element der erzählten Welt
Oppositionen Geweihte-Profane, Kultur-Barbarei, Intelligenz-Volk, Kosmos-Chaos. Für die Unterscheidung offen-geschlossen führt er keine gängigen Semantisierungen an, sondern schlägt stattdessen vor, absolute, fixierte Grenzen von Zonen des graduellen Übergangs zu unterscheiden. Mit der Unterscheidung von Nähe und Distanz sind seiner Meinung nach die gleichen Werte verbunden wie mit der von innen und außen. Ein Unterschied besteht allerdings darin, dass graduelle Abstufungen möglich sind. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass van Baak sowohl in systematischer als auch in inhaltlicher Hinsicht kaum über Lotman hinauskommt. Eine weitere Zusammenstellung findet sich bei Lutwack.30 Dieser schlägt die Berücksichtigung der folgenden Relationen vor: offengeschlossen, innen-außen und Zentrum-Peripherie. Außerdem nennt er die Dimensionseigenschaften oben, unten, vorne, hinten, rechts, links, lang, weit, hoch und tief. Auch hier fehlt eine Begründung für die Auswahl der Aspekte. Einen solchen Begründungsrahmen bieten hingegen phänomenologische Ansätze. Hoffmann bestimmt im Anschluss an das Konzept des ‚gelebten Raumes‘ Breite und Tiefe als die zentralen physischen Eigenschaften des Raumes. Er begründet dies damit, dass Intersubjektivität als Nebeneinander und tiefenhaftes Gegenübersein im menschlichen Erleben der Umwelt eine zentrale Rolle spielen. Der gelebte Raum gliedert sich demnach durch die ‚personalen Erstreckungen‘:31 Aus der horizontalen Erstreckung des Raums, der Distanz zwischen Hier und Dort, ergeben sich so die Qualitäten Nähe-Ferne, aus der vertikalen Ausdehnung die des Oben-Unten, unter dem Aspekt des Hier und der Leiblichkeit des Subjekts lassen sich links und rechts unterscheiden, der Horizonthaftigkeit des Raums liegt das Gegensatzpaar offen-geschlossen (bzw. unendlich-endlich) zugrunde, und der Raum als Spielraum versteht sich als Enge und Weite. Hinzu tritt als weitere Untergliederung des Gegensatzpaares Nähe-Ferne der Gegensatz von innen (Innenraum) und außen (Außenraum). Es sind damit nicht alle Möglichkeiten weiterer Differenzierung erschöpft, aber doch die wesentlichen genannt.32
Die Auswahl von ‚Nähe‘ und ‚Ferne‘, ‚oben‘ und ‚unten‘, ‚rechts‘ und ‚links‘ begründet Hoffmann durch die Position des Subjekts und dessen Raumwahrnehmung. Hier stellt sich allerdings die Frage, warum nicht auch vor und hinter genannt werden. Ebenfalls vom Sub_____________ 30 31 32
Lutwack 1984: 37-47. Hoffmann 1978: 6. Ebd.
7.2 Physische Eigenschaften
175
jekt her, nun allerdings ausgehend von dessen Empfinden, sind die Aspekte des Horizonts und die Eigenschaften der Enge und der Weite abgeleitet. Ein fundementales Begründungsproblem ergibt sich aus der Tatsache, dass Hoffmann die Unterscheidung von Innen- und Außenraum aus dem Gegensatzpaar von Nähe und Ferne ableitet. Hier besteht meines Erachtens kein Zusammenhang. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die bisherigen Zusammenstellungen von physischen Merkmalen zwar offenbar zentrale Merkmale enthalten, dass eine tragfähige Begründung für ihre Auswahl und Anordnung jedoch fehlt. Ich möchte daher im Folgenden eine Herleitung physischer Eigenschaften, welche die Raumwahrnehmung des Menschen strukturieren, aus dem in Kapitel 3.3 skizzierten Raumkonzept versuchen. Wie dort dargelegt, gehe ich davon aus, dass das grundlegende Raumkonzept des Menschen die Form eines Containers hat, der als aktuelle Umgebung erfahren werden kann. Aus dem Bewusstsein der eigenen Position ergibt sich die Privilegierung des Hier als aktueller Position eines Menschen im Raum gegenüber einem Dort. Diese Unterscheidung kann sich auch als Relation von Zentrum und Peripherie manifestieren. Abstufungen von Nähe und Ferne können als Differenzierungen der Hier-Dort Relation gefasst werden. Des Weiteren ist die Raumauffassung des Menschen dreidimensional. Die Raumachsen und ihre Pole sind durch die Körperasymmetrien des Menschen definiert. Für die anthropomorphe Dimensionierung sind drei Achsen von Bedeutung:33 - Vertikale: Achse, die – bei gestreckter Haltung des menschlichen Körpers – durch den Kopf und die Füße verläuft. Der Mensch ist auf dieser Dimension asymmetrisch, so dass sich eine Polarität der Vertikalen ergibt. Die positive Ordnungsrelation der Raumpunkte entlang der Vertikalen besteht in der Richtung vom Kopf zu den Füßen und ist mit den Konzepten ‚oben‘ und ‚unten‘ verbunden. (Oben: luftig, frei, Kopf als Sitz des Intellekts, christlicher Himmel etc., Unten: am Boden, Sitz der Sexualität, Hölle etc.) - Erste Horizontale (Sagittale): Achse, die durch Rücken und Brust verläuft, wie ein Pfeil, der am Rücken ein und an der Brust wieder austritt. Auch diese Dimension ist asymmetrisch. Die positive Ordnungsrelation der Raumpunkte be_____________ 33
Im Folgenden vgl. Grabowski 1999: 72 ff.
176
7 Raum als Element der erzählten Welt
steht in der Richtung vom Rücken zur Brust. Augen, Ohren, Mund, Nase sind nach vorne gerichtet, Hände und Beine bewegen sich besser vor als zurück. Die entsprechenden Konzepte sind ‚vorne‘ und ‚hinten‘. - Die Dimension der Zweiten Horizontalen (oder Transversalen) ergibt sich aus der Achse, die durch die Schultern des Menschen verläuft. Äußerlich ist der Mensch hier symmetrisch. Nur in dieser Dimension gibt es ein Konzept, das die Lage eines Objekts ohne Angabe der Polarität bezeichnet: ‚neben‘. Außerdem wird die Transversale auch durch die Konzepte ‚rechts‘ und ‚links‘ bezeichnet, wobei ‚rechts‘ positiv besetzt ist, wie man z. B. an den Ausdrücken rechter Charakter oder auf dem rechten Weg sein sehen kann. Die beiden Horizontalen sind gegenüber der Vertikalen bevorzugt, weil - die Augen paarig nebeneinander liegen, so dass Funktionsprinzipien des Tiefensehens wie beispielsweise die Querdisparation möglich sind. Bei der Querdisparation handelt es sich um eine Wahrnehmungsdifferenzierung in der Ebene, die in der Vertikalen nicht oder mit schlechterer Qualität möglich ist. Deshalb kann der Mensch Entfernungen besser einschätzen als Höhenunterschiede. - die Ohren seitlich am Kopf sind und deshalb die Ortung von Schallquellen in der Ebene besser möglich ist. Eine direkt über dem Kopf befindliche Schallquelle können wir allein anhand des akustischen Signals nicht orten. Als Grundlage der menschlichen Erschließung der konkret-räumlichen Umwelt wurde des Weiteren angenommen, dass der Mensch mithilfe der Containerkonzeption seine Umwelt in Einheiten unterteilt. Neben der vorrangigen Frage, ob sich etwas innerhalb oder außerhalb eines Raumes befindet, ist deshalb die Frage nach der Ausdehnung des Raumes besonders wichtig. Diese ist durch die Dimensionseigenschaften Höhe, Breite und Tiefe bestimmt, kann sich aber semantisch auch als „groß“, „klein“, „eng“, „weit“, „schmal“ etc. manifestieren. Aus der Begrenzung des Containers ergibt sich auch eine Konzentration auf die Relation begrenzt/unbegrenzt und auf die Zugangsbedingungen für den Menschen. Zum anderen interessieren Nachbarschaftsbeziehungen bzw. das Verhältnis zu weiteren Räumen. Diese Beziehungen lassen sich mithilfe der topologischen Konzepte ‚Kontakt‘, ‚Nähe‘ und ‚Abgrenzung‘ fassen.
7.2 Physische Eigenschaften
177
Von besonderem Interesse ist nun die Frage, wie diese Eigenschaften in einem Erzähltext vorliegen. Im folgenden Beispiel aus Hölderlins Hyperion werden Höhe, Tiefe und Breite des Raumes vermittelt: Ich bin jetzt alle Morgen auf den Höhn des Korinthischen Isthmus, und, wie die Biene unter Blumen, fliegt meine Seele oft hin und her zwischen den Meeren, die zur Rechten und zur Linken meinen glühenden Bergen die Füße kühlen [...]. Wie ein siegender Halbgott, wallte da zwischen der herrlichen Wildnis des Helikon und Parnaß, wo das Morgenrot um hundert überschneite Gipfel spielt, und zwischen der paradiesischen Ebene von Sicyon der glänzende Meerbusen herein, gegen die Stadt der Freude, das jugendliche Korinth, und schüttete den erbeuteten Reichtum aller Zonen vor seiner Lieblingin aus.34
Die Wahrnehmungsinstanz befindet sich auf dem Berg, und die Höhendimension wird dadurch plastisch, dass erwähnt wird, dass die Meere tief unten an die Berge branden. Die Weitendehnung wird durch den in die Ferne schweifenden Blick erzeugt: „hundert überschneite Gipfel“ ziehen den Blick zu allen Seiten in die Ferne. Aus der Erwähnung der rechts und links liegenden Meere ergibt sich die Breitendimension.35 Bei den Oppositionspaaren räumlicher Eigenschaften gilt es zu beachten, dass das Vorliegen einer Alternative die andere zu implizieren scheint. Wird beispielsweise zu einem Objekt das Merkmal ‚offen‘ kommuniziert, so liegt der Fokus auf der Suche nach einem Objekt, dem sich das Merkmal ‚geschlossen‘ zuschreiben lässt. Aus diesem Grund ist es besonders wichtig, darauf zu achten, ob die entgegengesetzte Eigenschaft im Text auch tatsächlich eine Rolle spielt. Zu Beginn von Irrungen, Wirrungen ist das der Fall, wie ich kurz zeigen möchte: An dem Schnittpunkte von Kurfürstendamm und Kurfürstenstraße, schräg gegenüber dem „Zoologischen“, befand sich in der Mitte der siebziger Jahre noch eine große, feldeinwärts sich erstreckende Gärtnerei, deren kleines, dreifenstriges, in einem Vorgärtchen um etwa hundert Schritte zurück gelegenes Wohnhaus, trotz aller Kleinheit und Zurückgezogenheit, von der vorübergehenden Straße her sehr wohl erkannt werden konnte. Was aber sonst noch zu dem Gesamtgewese der Gärtnerei gehörte, ja die recht eigentliche Hauptsache derselben ausmachte, war durch eben dies kleine Wohnhaus wie durch eine Kulisse versteckt, und nur ein rot und grün gestrichenes
_____________ 34 35
Hyperion: 89. Vgl. zu einer aufschlussreichen Analyse der Raumgestaltung bei Hölderlin auch den Aufsatz von Seckel (Seckel 1975).
178
7 Raum als Element der erzählten Welt
Holztürmchen mit einem halb weggebrochenen Zifferblatt unter der Turmspitze (von Uhr selbst keine Rede) ließ vermuten, daß hinter dieser Kulisse noch etwas anderes verborgen sein müsse, welche Vermutung denn auch in einer von Zeit zu Zeit aufsteigenden, das Türmchen umschwärmenden Taubenschar und mehr noch in einem gelegentlichen Hundegeblaff ihre Bestätigung fand. Wo dieser Hund eigentlich steckte, das entzog sich freilich der Wahrnehmung, trotzdem die hart an der linken Ecke gelegene, von früh bis spät aufstehende Haustür einen Blick auf ein Stückchen Hofraum gestattete.36
Die unpersönliche Wahrnehmungsinstanz, die zu diesem Zeitpunkt der Geschichte mit keiner der beteiligten Figuren identisch ist, ist vor dem Haus auf der Straße platziert. Präsentiert wird die Vorderansicht des Hauses. Der Bereich hinter dem Haus, der nicht beschrieben wird und das, was man davon sieht, ist das eigentliche Thema der Passage. Der kleine Turm, die auffliegenden Tauben und das Hundegebell werden als Indizien für den hinteren Bereich gedeutet und zuletzt wird noch auf die offene Haustüre als einzige direkte Informationsquelle hingewiesen, durch die zumindest die Existenz eines Hofes bewiesen werden kann. Es ist ein Unterschied, ob ein Text über eine räumliche Gegebenheit mitteilt, sie sei unabgegrenzt und über alle anderen räumlichen Gegebenheiten, sie seien geschlossen, oder ob er nur die Information enthält, eine räumliche Gegebenheit sei unabgegrenzt. Oft werden nur die abweichenden Merkmale eines Raumes kommuniziert, nicht aber die gleichen Merkmale auch als gegenpolig bei anderen Räumen. Ob es dann sinnvoll ist, auf deren Vorhandensein zu schließen, kann man nicht per se festlegen. Behauptet man in beiden Fällen, der Text sei durch die Opposition offen/geschlossen strukturiert, handelt man sich zu Recht den Vorwurf des Reduktionismus ein. Im Text wird dagegen etwas anderes kommuniziert, nämlich nur die Abweichung einer räumlichen Gegebenheit in Bezug auf dieses Merkmal.
7.3 Raummodelle Bis jetzt wurden einzelne Eigenschaften des Raumes berücksichtigt; in diesem Kapitel soll nun auch ein Typ von Wissen37 eine Rolle spielen, der aus mehreren Komponenten besteht. Mit dem Terminus „Raum_____________
36 37
Irrungen, Wirrungen: 7. Zum Wissensbegriff vgl. Fn 24 auf S. 8.
7.3 Raummodelle
179
modells“ soll im Folgenden eine Konfiguration von Rauminformationen bezeichnet werden, die sich aus Wissen über die materielle Ausprägung einer räumlichen Komponente und Wissen über typische Ereignisabfolgen zusammensetzt. Im Vordergrund steht dabei das Verhältnis von Textsignalen und Wissen, das der Modell-Leser haben muss. Ein kurzes Beispiel zu Beginn mag das verdeutlichen. Lene äußert in Irrungen, Wirrungen gegenüber Botho den Wunsch, einmal mit ihm die „Lästerallee“ auf und ab gehen zu können. Die Nennung dieses Eigennamens für eine Straße bzw. einen Weg zeigt, dass hier ein Modell-Leser impliziert ist, der wissen muss, dass die Poussierpromenade im Zoologischen Garten in Berlin gemeint ist, zu deren Seiten sitzend man die vorbeilaufenden Personen kommentierte.38 Die Arbeiten einiger Phänomenologen zu Semantiken bestimmter Räume können als Versuche verstanden werden, grundlegende anthropologische Raummodelle zu beschreiben. Bollnow hat z. B. wichtige Bedeutungen zusammengestellt, die sich in der abendländischen Tradition aus dem menschlichen Erleben von Weg, Straße, Wanderpfad, sakralem Raum, Tür, Fenster und Bett ergeben.39 Bachelard beschreibt zunächst intime räumliche Gegebenheiten wie Haus, Schlupfwinkel und Höhle und anschließend Schubladen, Truhen, Nester und Muscheln als „Häuser der Dinge“.40 Bereits der Versuch, für diese basalen räumlichen Gegebenheiten in einer eng begrenzten Gattung wie dem Märchen typische Semantiken ausfindig zu machen, scheitert allerdings an deren Vielfalt, wie man am Beispiel eines kurzen Forschungsaufsatzes zu räumlichen Gegebenheiten im Märchen von Horn zeigen kann.41 Sie wertet für die räumlichen Gegebenheiten Hütte, Haus, Schloss, Burg, Garten, Wald, Berg, Baum, Teich, Brunnen, Meer und Insel die jeweiligen Artikel aus der Enzyklopädie des Märchens aus und findet für jede von ihnen mehrere konträre semantische Besetzungen.42 Klarer konturieren lassen sich meiner Meinung nach diejenigen Raummodelle, die ich als „institutionelle Raummodelle“ bezeichnen möchte. Als „Institution“ bezeichnet man in der Soziologie „eine mit Handlungsrechten, Handlungspflichten oder normativer Geltung belegte soziale Wirklichkeit, durch die Gruppen und Gemeinschaften _____________ 38 39 40 41 42
Vgl. Irrungen, Wirrungen: 935. Bollnow 1963. Bachelard 1987, vgl. auch Fn 14 in Kapitel 3.1. Horn 1997. Ranke u. a. 1977 ff.
180
7 Raum als Element der erzählten Welt
nach innen und nach außen hin verbindlich wirken oder handeln.“43 In Bezug auf Raummodelle ist damit gemeint, dass bestimmte räumliche Gegebenheiten eine typische räumliche Struktur und typische Ereignismuster aufweisen, die durch soziales Handeln entstehen.44 Beispiele sind Gefängnisse, Schulen oder Kirchen, Theater oder Schlachthöfe. Die räumliche Komponente dieser beiden Raummodelle kann mithilfe des Schemabegriffs gefasst werden. Unter einem ‚Raumschema‘ soll im Folgenden im Anschluss an die Kognitive Psychologie das Wissen über typische Ausprägungen von Räumen und über räumliche Anordnungen gefasst werden.45 Die Anwendung des Schemabegriffs auf Räume geht auf Brewer und Treyens zurück, die in ihren Versuchen gezeigt haben, dass Versuchspersonen dazu neigen z. B. bei Wohnzimmern Objekte zu erinnern, die sich nicht darin befanden, die aber normalerweise in Wohnzimmern vorgefunden werden können, wie z. B. ein Fernseher oder ein Sessel.46 Umgekehrt wurden solche Objekte schlechter erinnert, die üblicherweise nicht in Wohnzimmern zu finden sind. Ryan konnte die Schemaergänzung auch für die Lektüre literarischer Texte nachweisen.47 45 % der Karten, die sie im Anschluss an die Lektüre der Chronik eines angekündigten Todes von Márquez von den Schülern zeichnen ließ, zeigten auf dem Dorfplatz einen Brunnen, obwohl dieser im Text nicht erwähnt worden war.48 Ryan erklärt dies mit dem Umfeld der Versuchpersonen, _____________
43 44
45
46 47 48
Schäfers 1998: 148. ‚Sozial‘ ist hier ganz basal im Sinne von ‚die Regeln des menschlichen Zusammenlebens betreffend‘ gemeint. Vgl. Knauff 1997: 76 f. Hier ist meines Erachtens eine Abgrenzung des Begriffs ‚Raumschema‘ von Bourdieus Konzept des ‚angeeigneten physischen Raumes‘ sinnvoll (Bourdieu 1991). Bourdieu meint damit den materiellen Ausdruck der Strukturen des sozialen Raumes im physischen Raum. Der ‚soziale Raum‘, von Bourdieu auch häufig als „Feld“ bezeichnet, ist eine relationale Anordnung von Machtpositionen von Gütern, Dienstleistungen, individuellen Akteuren und Gruppen. Die Anordnung ist über die unterschiedliche Verteilung von ökonomischem, sozialem und kulturellem Kapital bestimmt, die sich bei den Akteuren in einem unterschiedlichen Habitus zeigt. Mithilfe des Begriffs ‚sozialer Raum‘ wird die Gesellschaft folglich metaphorisch als Raum konzeptualisiert. Mit „Raumschema“ bezeichne ich dagegen nur konkret materielle und stabile Strukturen, die nicht der Beschreibung der Positionen von mobilen Objekten oder Akteuren oder der Verteilung sozialer Phänomene dient. Brewer/Treyens 1981. Ryan 2003a. Vgl. Ryan 2003a: 239.
7.3 Raummodelle
181
in deren Wohn- und/oder Schulort es zentrale Plätze mit Brunnen gibt, die das Raumschema geprägt haben. Die Ereigniskomponente kann bei institutionellen Raummodellen als ‚Skript‘ beschrieben werden.49 Skripte sind Wissensrepräsentationen für Handlungsabläufe. Das bekannteste Beispiel aus der Kognitiven Psychologie ist das Skript für den Besuch eines Restaurants, das sich aus den Abschnitten ‚Eintreffen‘, ‚Bestellung‘, ‚Essen‘ und ‚Gehen‘ zusammensetzt, die jeweils noch ausdifferenziert sein können.50 Bei diesen Skripten agieren die Beteiligten in bestimmten Rollen wie z. B. in der des Gastes, der Bedienung oder des Kochs. Skripte lassen sich demnach als Kombination aus Ereignismustern und Rollen beschreiben. Weniger konventionalisiert sind diejenigen Raummodelle, die ich als „spezifische Raummodelle“ bezeichnen möchte. Im Gegensatz zu den anthropologischen und institutionellen Raummodellen, denen typische räumliche Gegebenheiten und Ereignisabfolgen zugeordnet sind, sind diese mit einer bestimmten Handlung und bestimmten räumlichen Gegebenheiten verbunden. Beispiele sind Atlantis aus Platons Politeia, der Garten des Alkinoos und die Höhle des Polyphem aus der Odyssee oder die Insel von Robinson in Robinson Crusoe. Raummodelle können sich aus unterschiedlichen Quellen speisen. Sie können aus der aktualen Welt, aus einem Genre,51 aus der texteigenen oder einer textübergreifenden fiktionalen Welt stammen, die durch Literatur, Theater, Film, Computerspiel, Comic usw. erzeugt wurde. Ein Beispiel für ein Raummodell aus der aktualen Welt findet sich gleich zu Beginn der Blechtrommel von Grass: „Zugegeben: ich bin Insasse einer Heil- und Pflegeanstalt, mein Pfleger beobachtet mich, läßt mich kaum aus dem Auge; denn in der Tür ist ein Guckloch […]“52 Hier wird nicht nur eine psychiatrische Abteilung als Teil der erzählten Welt erzeugt, sondern es wird auch mit dieser verknüpftes Wissen aufgerufen. Das ist zum einen ein Schema über den typischen räumlichen Aufbau einer geschlossenen Anstalt mit abschließbaren Zellen. Ein zu einer geschlossenen Anstalt gehöriges figurales Sche_____________ 49
50
51 52
Das hier als „Skript“ bezeichnete Konzept wird in der kognitiven Psychologie teilweise auch als „Schema“ bezeichnet (vgl. Anderson 2001: 157). Schank/Abelson 1977: 24 f. Der Abschnitt ‚Essen‘ setzt sich z. B. noch aus den Sequenzen ‚Koch gibt Essen an Bedienung‘, ‚Bedienung bringt Essen zum Gast‘ und ‚Gast isst‘ zusammen. Zum Genre-Begriff vgl. Fn 25 in Kapitel 1. Die Blechtrommel: 9.
182
7 Raum als Element der erzählten Welt
ma53 beinhaltet, dass man dort hinein kommt, weil die Gefahr der Selbst- und Fremdgefährdung besteht, und dass nicht alle Patienten wieder gesund werden und entlassen werden können. Verbunden mit dem Raummodell einer psychiatrischen Anstalt ist auch das Wissen um die Wirklichkeitsverzerrung psychisch Kranker, wodurch die Problematik der Unterscheidung zuverlässiger von unzuverlässigen Informationen als zentrales Moment der narrativen Kommunikation in diesem Roman bereits anklingt. Raummodelle können auch aus Genres stammen, Genres sind aber umgekehrt zumeist nicht zwingend mit einem spezifischen Raummodell verbunden. Das gilt auch dann, wenn es sich um ein Genre mit starkem Raumbezug wie etwa den Abenteuer- oder Großstadtroman, die Utopie oder den Reisebericht handelt. Das hat wohl damit zu tun, dass Genres zumeist durch ein Handlungsschema charakterisiert sind, das zwar bestimmte Gattungen von Räumen wie Großstädte oder Staaten bzw., funktional betrachtet, Reisestationen und Ausgangs- oder Zielorte voraussetzt, nicht aber bestimmte räumliche Gegebenheiten. In Einzelfällen kann der Bezug auf ein Genre aber auch spezifische Raummodelle aufrufen wie etwa bei Robinsonaden eine unbewohnte, nicht allzu große Insel oder in der Schäferdichtung den locus amoenus. Der locus amoenus ist ein Beispiel für ein spezifisches Raummodell aus den fiktionalen Welten des Homer und Hesiod. Es ist erst später typisch für das Genre der Schäferdichtung geworden und wird auch unabhängig von dieser verwendet. Die bekannteste Beschreibung dieser Ideallandschaft findet sich in Curtius’ Studie zu antiken Topoi:54 _____________ 53
54
Der Terminus ‚figurales Schema‘ stammt von Jannidis, der damit figuren- oder personenbezogene Regelmäßigkeitsannahmen bezeichnet (vgl. Jannidis 2004: 215 ff.). Vgl. Curtius 1942 und Curtius 1948: 189-207. Der Terminus „Topos“ stammt bekanntlich aus der Rhetorik und bezeichnet ursprünglich einen Ort, an dem man ein Argument auffinden kann. Curtius plädiert jedoch dafür, auch wiederverwendbare Versatzstücke der Argumentation wie das Bild vom Jüngling als Greis oder eben den lieblichen bzw. schrecklichen Ort als „Topos“ zu bezeichnen. Die Bedeutungsverschiebung von „Topos“ als Suchstrategie für Argumente zu „Topos“ als Bezeichnung für dasjenige, was jemand einmal auf diese Weise gefunden hat, erklärt Curtius damit, dass die Gerichts- und Staatsrede in der Spätantike an Bedeutung verliert. Da nun die Lobrede in den Vordergrund trete, in der nicht mehr argumentiert werden müsse, könnten einmal gefundene Versatzstücke als solche weiterverwendet werden: „Damit gewinnen auch die Topoi eine neue Funktion. Sie werden Klischees, die literarisch allgemein verwendbar sind, sie breiten sich über alle Gebiete des literarisch erfaßten und geformten Lebens aus.“ (Curtius 1948: 77). Man hat Curtius zunächst kritisiert,
7.3 Raummodelle
183
Sein [des locus amoenus, KD] Minimum an Ausstattung besteht aus einem Baum (oder mehreren Bäumen), einer Wiese und einem Quell oder Bach. Hinzutreten können Vogelgesang und Blumen. Die reichste Ausführung fügt noch Windhauch hinzu.55
Die Quelle bezeichnet Curtius als entbehrlich und nennt als Weiterführung des homerischen Motivs im Hellenismus das bukolische Lagerungsmotiv.56 In der Bukolik werden dem locus amoenus typischerweise ein Schäfer und eine Schäferin zugeordnet.57 Während dafür die Menschengruppe, die sich unter einem Baum oder bei mehreren Bäumen aufhält, der Ausgangspunkt ist, handelt es sich im obigen Fall eher um eine Ideallandschaft bzw. einen Ort amouröser/erotischer Handlung. Mit und ohne Schäferpaar ist der locus amoenus ein besonders stabiles Raummodell, das seit der Antike immer wieder in der europäischen Literatur zu finden ist und dabei oftmals auch noch durch eine Anhöhe oder einen Berg ergänzt wird.58 Als Beispiel sei die Beschreibung des „Venusbergs“ Cythera aus der bukolischen Erzählung Floridans Verliebter und Geliebter Sireno des Barockdichters Sigmund von Birken zitiert: So bald sie [die Venus] auf dem Berg Cythera angelanget / und einen Fuß ausgesetzet / sahe man in einem Augenblick den ganzen Platz / durch aufkäumung tausenderley schöner wohlriechender Blumen und Kräuter / sich in einem himmlischen Lust-garten verwandlen. Die Grüne Gras Smaragden / vom gelben Klee in Gold gefasset / wurden von den Thautröpflein versilbert oder beperlet: [...] Mitten auf selbigem Lustplan / erquolle ein krystallines Bächlein: welches / unter dem schattenreichen und tausenderley Vo-
_____________
55 56 57
58
weil er den Terminus nicht im streng rhetorischen Sinne von ‚Suchformel‘ verwendet hat; es ist jedoch verschiedentlich darauf hingewiesen worden, dass bereits Cicero damit nicht nur eine Heuristik, sondern auch diejenigen Inhalte bezeichnete, die typischerweise an diesen Orten gefunden wurden (vgl. Goldmann 1996: 134). Selbst in der Altphilologie ist Curtius nicht der erste, der den Topos-Begriff in dieser Weise verwendet. Goldmann zeigt vielmehr, dass sich diese Begriffsverwendung seit 1910 belegen lässt (vgl. Goldmann 1996). Curtius 1948: 200. Curtius 1948: 193 f. Die Bezeichnung dieses Ortes als amoenus (lieblich) führt Curtius auf Vergil zurück, in dessen Aeneis acht verschiedene Ideallandschaften zu finden sind, die alle mit diesem Adjektiv bezeichnet werden. Als fester Terminus wurde der locus amoenus aber wohl erst von Cicero verwendet (vgl. Haß 1998: 1). Vgl. auch den Überblick über die Verwendung in der Antike bei Haß (Haß 1998). Einschlägige Studien zum locus amoenus in der deutschen mittelalterlichen Dichtung sind die Arbeiten von Gruenter, Billen, und Thoss (Gruenter 1961, Billen 1965, Thoss 1972). Für das 17. Jahrhundert ist die Studie von Garber grundlegend (Garber 1974).
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7 Raum als Element der erzählten Welt
gelstimmen süß-erklingenden Gebäume daher-strudelnd / ihm Thal-ein einen Gang suchete / [...].59
In diesem Beispiel werden die üblichen Elemente des locus amoenus kunstvoll ausgestaltet: die Anhöhe ist hier der „Berg“, die Blüten tauchen als „wohlriechende Blumen und Kräuter“ auf. Die Wiese, die offenbar mit kreisförmig wachsendem Klee durchsetzt ist, wird durch die Metapher „Grüne Gras Smaragden / vom gelben Klee in Gold gefasset“ bezeichnet. Der Fluss ist hier ein „krystallines Bächlein“ und die Bäume und singenden Vögel erscheinen als „unter dem schattenreich und tausenderley Vogelstimmen süß-erklingende[s] Gebäume“. Die Erfolgsgeschichte dieser Zusammenstellung räumlicher Gegebenheiten lässt sich nun auch evolutionspsychologisch begründen. Beim Versuch, herauszufinden, weshalb Menschen bestimmte Naturerscheinungen als schön empfinden, ist man auf eine angeborene Präferenz für amoene Landschaften gestoßen.60 Ausgangspunkt des evolutionspsychologischen Forschungsansatzes ist die Annahme, dass die kognitive Ausstattung des Menschen sich aus dem Pleistozän, also aus einer Periode der Erdgeschichte herschreibt, die vor zwei Millionen bis ca. 10.000 Jahren anzusetzen ist.61 Behauptet wird nun nicht, dass die Geographie im Pleistozän durchweg der eines locus amoenus geähnelt habe, sondern es wird vielmehr gezeigt, dass der locus amoenus in besonderem Maße den Anforderungen des Menschen an ein fruchtbares und Schutz bietendes Habitat entspricht. Fließendes Wasser weist z. B. darauf hin, dass man das Wasser trinken kann, indiziert aber zugleich auch die Gegenwart essbarer großer Säugetiere. Der Gesang von Vögeln zeigt, dass keine Raubkatzen in der Nähe sind und dicht belaubte Bäume sind ein Indikator für fruchtbaren Boden. Zu diesen Indikatorpräferenzen kommt noch eine Anzahl von Präferenzen für direkt-funktionale Gegenstände und bestimmte topographische Merkmale hinzu, die unseren perzeptiven Ordnungsbedürfnissen entgegenkommen. Dazu gehören Anhöhen, weil sie das Bedürfnis befriedigen, viel zu sehen und gleichzeitig selbst wenig gesehen zu werden, locker verteilte Bäume, die ein optimales Gemisch aus Licht _____________
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Floridans Verliebter und Geliebter Sireno: 840. Die e-superscriptae wurden als Umlaute wiedergegeben. Vgl. im Folgenden Orians/Heerwagen 1992, Kaplan 1992, Thornhill 1998, Ruso/Renninger/ Atzwanger 2003 und die zusammenfassende Darstellung bei Mellmann 2006: 338 ff. Diese Periode wird auch als environment of evolutionary adaptedness (EEA) bezeichnet (vgl. auch S. 65).
7.3 Raummodelle
185
und Schatten ergeben oder Gegebenheiten, die sich als Lagerplätze mit Feuerstellen und Schlafplätzen eignen. Mellmann weist darauf hin, dass die biologische Begründung nicht in der Weise zu verwenden ist, dass man behauptet, der Mensch empfinde diese räumlichen Gegebenheiten deswegen als schön, weil sie gut für ihn seien. Vielmehr haben im Pleistozän wahrscheinlich diejenigen Menschen überlebt, die die genannten räumlichen Gegebenheiten als angenehm empfunden haben. Dazu ist meines Erachtens einschränkend anzumerken, dass es für das Überleben wohl nicht direkt funktional war, diese Plätze als schön zu empfinden. Die Fähigkeit zur rationalfunktionalen Auswahl von Umgebungen scheint dafür ausreichend zu sein. Raummodelle können außerdem in unterschiedlich starkem Maße im Text manifest sein. ‚Manifest‘ verstehe ich hier im Sinne des von Sperber und Wilson in ihrer Relevanztheorie formulierten Konzepts von manifestness zur Beschreibung des Status von Informationen in der kognitiven Umgebung von Menschen.62 Die Palette reicht dabei von Vermutungen bis zu Wissen, wobei dieses am stärksten manifest ist. Der Grad an manifestness wird durch die Annahmen über die narrative Kommunikation beeinflusst. Zwei Beispiele mögen dies verdeutlichen. In der Forschung zu Schnabels Wunderliche FATA einiger Seefahrer werden hinsichtlich der Siedlung auf der Insel Felsenburg z. B. unter anderem die drei folgenden Raummodelle genannt: die heilige Stadt Jerusalem, das Paradies und der utopische Staat.63 Je nachdem, für welches Raummodell man sich entscheidet, werden theologische Aspekte, Vorstellungen eines Naturzustandes oder politische Aspekte in den Vordergrund gerückt, die jeweils für Schlüsse auf die Aussageintention Schnabels weitreichende Folgen haben. Ein Beispiel für ein durchgängig stark manifestes Raummodell ist der Bezug auf das bestimmte, einer fiktionalen Welt entstammende Raummodell des Paradieses in Berlin Alexanderplatz. Es wird mehrfach explizit genannt. Zum ersten Mal kommt es zu Beginn des zweiten Buches vor: Es lebten einmal im Paradies zwei Menschen, Adam und Eva. Sie waren vom Herrn hergesetzt, der auch Tiere und Pflanzen und Himmel und Erde
_____________ 62 63
Vgl. Sperber/Wilson 1995: 39 ff. Die Raummodelle des Paradieses und Jerusalems werden bei Haas diskutiert (vgl. Haas 1975: 286 ff. und 318 f.). Zur These, dass es sich bei Schnabels Wunderliche FATA um eine Sozialutopie handelt vgl. Grohnert (Grohnert 1989).
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7 Raum als Element der erzählten Welt
gemacht hatte. Und das Paradies war der herrliche Garten Eden. Blumen und Bäume wuchsen hier, Tiere spielten rum, keiner quälte den andern. Die Sonne ging auf und unter, der Mond tat dasselbe, das war eine einzige Freude den ganzen Tag im Paradies. 64
Die zweite Erwähnung stellt nur eine Verkürzung der ersten Stelle dar. Alle Informationen sind im Vergleich zur ersten Stelle auf das Wesentliche verknappt, aber das Paradies wird wörtlich erwähnt: Es lebten einmal im Paradies zwei Menschen, Adam und Eva. Und das Paradies war der herrliche Garten Eden. Vögel und Tiere spielten herum. 65
Offenbar setzt der Text hier voraus, dass der Modell-Leser die vollständige Version noch im Kopf hat. Bei der nächsten Nennung wird die Situation im Paradies mit einem Kinderlied durchsetzt. Mit den Händchen klapp, klapp, mit den Füßchen trapp, Fische, Vögel, ganzen Tag, Paradies. 66
Bei der letzten Nennung wird ein weiterer Aspekt der Handlung, der zu diesem Raummodell gehört, genannt: die Schlange, die mit ihren Verführungskünsten die heile Welt des Paradieses bedroht: Es war das wunderbare Paradies. Die Wasser wimmelten von Fischen, aus dem Boden sprossen Bäume, die Tiere spielten, Landtiere, Seetiere und Vögel. Da raschelte es in einem Baum. Eine Schlange, Schlange, Schlange steckte den Kopf vor, eine Schlange lebte im Paradiese, und die war listiger als alle Tiere des Feldes, und fing an zu sprechen, zu Adam und Eva zu sprechen.67
Durch die Erwähnung der Schlange wird auch auf der bildlichen Ebene durch den Erzähler signalisiert, dass Franz’ naive Vorstellung einer heilen Welt nun massiv bedroht ist. Am Beispiel der ‚anderen Räume‘ von Foucault möchte ich anschließend noch zeigen, dass meine Konzeption von Raummodellen sich mit bereits bestehenden und häufig verwendeten Konzepten zur Analyse des literarischen Raumes kombinieren lässt.68 Als „andere Räume“ bezeichnet Foucault sowohl Utopien als auch Heterotopien. Während Utopien Räume „ohne realen Ort“ sind, die „in einem allgemeinen, direkten oder entgegengesetzten Analogieverhältnis zum realen Raum der Gesellschaft“ stehen und entweder „das vervollkommnete Bild oder das Gegenbild der Gesellschaft“ sind, sind Hete_____________ 64 65 66 67 68
Berlin Alexanderplatz: 49. Berlin Alexanderplatz: 95. Berlin Alexanderplatz: 97. Berlin Alexanderplatz: 111. Foucault 2006.
7.3 Raummodelle
187
rotopien reale Räume.69 Sie fungieren als „Gegenorte“ und sind „tatsächlich verwirklichte Utopien, in denen die realen Orte, all die anderen realen Orte, die man in der Kultur finden kann, zugleich repräsentiert, in Frage gestellt und ins Gegenteil verkehrt werden.“70 Diese Räume liegen „außerhalb aller Orte“, obwohl sie in der aktualen Welt lokalisiert sind.71 Foucault belässt es bei dieser kurzen Definition von ‚Utopie‘ und konzentriert sich in seinem Text Des espaces autres auf die Beschreibung von Heterotopien. Meiner Meinung nach lässt sich eine Utopie als Raummodell beschreiben, das hinsichtlich der Raumstrukturen und/oder der Skripte gegenüber der realen Welt optimiert ist. Foucault führt zu den Heterotopien sechs Aspekte aus. An erster Stelle hält er fest, dass jede Gesellschaft Heterotopien ausbildet. Diese lassen sich in Krisen- und Abweichungsheterotopien unterteilen. Krisenheterotopien in primitiven Gesellschaften sind denjenigen Personengruppen vorbehalten, die sich gerade in einer krisenhaften Übergangssituation befinden. Foucaults Beispiele sind Pubertierende, Frauen während der Monatsblutung, Frauen im Kindbett und Greise. Abweichungsheterotopien sind dagegen dadurch gekennzeichnet, dass man in ihnen Menschen unterbringt, deren Verhalten vom Durchschnitt oder von der geforderten Norm abweicht. Abweichungsheterotopien sind typisch für moderne Gesellschaften. Beispiele sind Sanatorien und psychiatrische Anstalten, Gefängnisse und Altersheime. Zweitens macht Foucault darauf aufmerksam, dass die Heterotopien einer Gesellschaft im Laufe der historischen Entwicklung eine neue Funktion erhalten können. Friedhöfe gelten z. B. zunächst als der Geist einer Gemeinde und befinden sich in ihrem Zentrum, werden dann im 19. Jahrhundert aber vermehrt zum anderen Raum außerhalb der Stadt oder des Dorfes, von dem Seuchengefahr ausgeht und den man meidet. Drittens werden in Heterotopien mehrere reale Räume, die eigentlich nicht zusammenpassen, nebeneinandergestellt. Viertens sind Heterotopien zumeist durch einen spezifischen Bezug zur Zeitlichkeit bestimmt. Entweder sind sie auf Dauer ausgerichtet _____________
69
70 71
Foucault 2006: 320. Foucault unterscheidet nicht systematisch zwischen ‚Ort‘ und ‚Raum‘. In meiner Terminologie sind Utopien und Heterotopien als Räume zu bezeichnen, die keinen Ort respektive einen angebbaren Ort haben. Diese Terminologie verwende ich auch bei der Beschreibung von Foucaults Konzepten, so dass durch diese Übersetzungsarbeit Widersprüche zum Sprachgebrauch in den Zitaten entstehen können. Ebd. Ebd.
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(Museum, Bibliothek) oder auf Flüchtigkeit (Jahrmarkt, Feriendorf). Heterotopien haben außerdem immer spezielle Zugangsbedingungen, zumeist Rituale. Sechstens haben Heterotopien entweder die Funktion den realen Raum als Illusion zu entlarven, oder sie kompensieren die Unstrukturiertheit desselben durch ihre besondere Geordnetheit. Foucault bezeichnet diese Aspekte nur als „Beschreibungskategorien“ für Heterotopien, so dass unklar bleibt, ob es sich um Definitionsmerkmale handelt, die vollzählig vorliegen müssen, damit man von einer Heterotopie sprechen kann. In meiner Terminologie könnte man sagen, dass bei Heterotopien das Verhalten von Akteuren, also die Skripte für ihr Verhalten, Besonderheiten aufweisen, die dazu führen, dass man von einer Krise oder einer Abweichung sprechen kann, die dann eine bestimmte Gestaltung der räumlichen Gegebenheiten bzw. der Zugangsbedingungen nach sich ziehen. Meiner Meinung nach kann die magische Welt der Harry PotterRomane gewinnbringend als Abweichungsheterotopie beschrieben werden. Sie liegt außerhalb der Welt der Muggels, die im Roman weitgehend mit der des Vereinigten Königreiches bzw. weiterer Länder der aktualen Welt gegen Ende des 20. Jahrhunderts übereinstimmt. Zugleich liegt sie aber auch innerhalb derselben, weil die magischen räumlichen Gegebenheiten den Augen der Muggels zwar verborgen sind, aber dennoch einen Ort in deren Welt haben wie z. B. das Gleis 9¾ im Bahnhof King’s Cross oder der Eingang zur Winkelgasse – eine Einkaufsstraße für Zauberer und Hexen mitten in London.72 In der magischen Parallelwelt werden die Bedingungen, die in den Räumen der Muggel-Welt herrschen, repräsentiert, in Frage gestellt und ins Gegenteil verkehrt. Repräsentiert werden sie, weil auch in der Welt der Magie z. B. eine Verwaltung, ein (Zauberei-) ministerium und ein eigenes Wirtschaftssystem existieren. Diese Institutionen stellen in ihrer Umständlichkeit und Ineffizienz zugleich die Institutionen der Muggel-Welt in Frage. Neben diesen Institutionen und weiteren sicheren Orten wie den Wohnhäusern der Familien von Hermine oder Ron oder den Räumen von Hogwarts existieren aber auch in der magischen Welt räumliche Gegebenheiten des Schreckens als unvereinbare räumliche Gegebenheiten nebeneinander. Auch der vierte Aspekt von Heterotopien, deren besonderes Verhältnis zur _____________ 72
In einem fiktionalen Text folgt die Einstufung eines Ortes als real oder irreal den Regeln der erzählten Welt. D. h., dass die magische Welt zwar vom Standpunkt der aktualen Welt aus irreal ist, innerhalb der erzählten Welt der Harry-Potter-Romane aber an realen Orten lokalisiert werden kann.
7.4 Raumstrukturen
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Zeit, ist bei der magischen Welt der Harry Potter-Romane gegeben, weil die Bewahrung von altem Magierwissen und Wissen über den Umgang mit bösen Magiern und magischen Tieren von größter Wichtigkeit ist. Die magische Welt hat auch spezielle Zugangsbedingungen, die zum einen durch Geburt geregelt sind, zum anderen über spezielle Formen des Reisens wie das Fliegen durch Kaminfeuer, das Apparieren oder bestimmte Verkehrsmittel (Besen, der Zug nach Hogwarts) bestimmt sind. Die magische Welt hat schließlich für die Welt der Muggels einerseits eine kompensatorische Funktion, weil sie Phantastischem Raum gibt. Andererseits weist sie jedoch auch darauf hin, dass die Ablehnung alles Irrationalen durch die Muggels illusorisch ist. Die Qualität des Utopischen oder des Heterotopischen kann einem Raummodell meiner Meinung nach folglich zusätzlich zukommen. Anders gesagt: Ein nach einem Raummodell gestalteter Raum kann eine Utopie oder eine Heterotopie sein.
7.4 Raumstrukturen Im vorangegangenen Unterkapitel waren einzelne räumliche Gegebenheiten der Ausgangspunkt der Überlegungen. In diesem Kapitel möchte ich beim Makroraum ansetzen und nach Strukturen fragen, die sich im konkreten Raum identifizieren lassen. Es wurde bereits verschiedentlich versucht, wichtige grundlegende Strukturen des Raumes im Erzähltext zu bestimmen. Der erste Versuch stammt meines Wissens von Lotman, der im Aufsatz Zum Problem des künstlerischen Raums in Gogols Prosa die folgenden Strukturen beschreibt: Der künstlerische Raum kann punktförmig, linear, flächig oder räumlich sein. Die zweite und dritte Erscheinungsform können sowohl eine horizontale als auch eine vertikale Dimension besitzen. Der lineare Raum kann den Begriff der Dimension einbeziehen oder ausschliessen [sic!].73
Lotman orientiert sich hier offenbar an Objekten der Schulgeometrie (Punkten, Geraden, Ebenen, Körpern) wie sie im Anschluss an die euklidische Geometrie gelehrt werden, nennt diese Disziplin aber nicht und begründet auch den Anschluss an sie nicht. Da Lotman diese Strukturen dann nur zur Entwicklung von Begriffen für die _____________ 73
Lotman 1974a: 202.
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7 Raum als Element der erzählten Welt
Analyse der Handlung und der Figurencharakterisierung, nicht jedoch für die Raumanalyse verwendet, steht der Beweis für die Relevanz dieser Strukturen noch aus.74 In der weiteren Forschung lässt sich ein gemeinsamer Kanon an Forschungsergebnissen feststellen. Hoffmann schlägt im Kapitel „Großstrukturen“ z. B. die Untersuchung von Bereichen, Grenzen und Wegestrukturen vor.75 In der Einleitung zum Sammelband Topographien der Literatur führt Böhme Merkzeichen, Grenzmarken und Routen als besonders wichtige topographische Elemente an.76 Bridgeman nennt in einer Einführung in die Erzähltextanalyse Wege, Portale und Behälter (paths, portals, containers) als wichtigste Strukturen, die bei der Analyse von Raum berücksichtigt werden sollten.77 In der kognitionswissenschaftlichen Forschung wurden von Landau und Jackendorff drei Elemente als zentrale Raumstrukturen vorgeschlagen: Bereiche, Landmarken und Wege (regions, landmarks, paths).78 Lynch hat bei der Untersuchung kognitiver Karten von Städten herausgefunden, dass die folgenden fünf Strukturelemente die wichtigsten sind: - Wege (Weg nach Hause, zum Einkaufen) - Grenzlinien (Ränder), z. B. Häuserblocks, Berge, Flüsse, Eisenbahnlinien - Bereiche, z. B. Parks oder Stadtteile - Brennpunkte: Verkehrskreuzungen, große Plätze - Merk- und Wahrzeichen79
_____________ 74
75 76 77 78 79
Lotman unterscheidet z. B. zwischen ‚linearem‘ und ‚punktförmigem Raum‘, je nachdem ob eine Episode der Handlung die folgende impliziert oder nicht. Hier wird also eine Bezeichnung für die Beschaffenheit eines Raumes metaphorisch für die Beschreibung einer Form der Handlungsverknüpfung verwendet (vgl. Lotman 1974a: 202 f.). Bei der Figurencharakterisierung unterscheidet Lotman verschiedene Typen von Figuren, indem er ihrem Verhalten im Raum einen bestimmten Raumtyp zuordnet. Er nennt ‚ortsgebundene Helden‘, die räumlich und geistig unbeweglich sind und grenzt sie ab von ‚beweglichen Helden‘, denen als Raumtyp der offene Raum zugeordnet werden kann. In diesem letzten Fall kann noch zwischen ‚Helden des Weges‘ und ‚Helden der Steppe‘ unterschieden werden (vgl. Lotman 1974a: 206 ff.). Hoffmann 1978: 587-674. Böhme 2005: 6. Bridgeman 2007: 60 ff. Landau/Jackendorff 1993. Vgl. Lynch 1960: 60 ff.
7.4 Raumstrukturen
191
Des Weiteren hat Lynch vier Raumtypen herausgearbeitet, die sich aus den oben genannten Strukturen zusammensetzen: - Inselraum: Raumelemente stehen unverbunden nebeneinander. - Vorhandensein von Fixpunkten, auf die hin die anderen Elemente angeordnet und mit denen sie verbunden werden. Die Elemente werden aber nicht untereinander verbunden. - Es gibt keine Fixpunkte, die Elemente werden durch eine bestimmte Reihenfolge, z. B. die eines Weges, miteinander verknüpft. - Die Raumelemente werden durch mehrere Verbindungslinien untereinander so miteinander verknüpft, dass sich feste (nichtelastische) Strukturen ergeben.80
Einen ersten Hinweis für die Anwendbarkeit dieser Konzepte auf historische Texte liefert Jahns Untersuchung von Raumkonzepten in frühneuzeitlichen Pilgerberichten, Amerikareisebeschreibungen und Prosaerzählungen.81 Da Jahn frühneuzeitliche Texte untersucht, könnte seine Anwendung auch einen Beleg dafür liefern, dass die kognitionswissenschaftlichen Ergebnisse zur Raumkognition im Alltag Konstanten zumindest für die westliche Hemisphäre darstellen. Die Tragweite dieser Konzeptualisierungen müsste allerdings an weiteren historischen Korpora überprüft werden. Was die einzelnen räumlichen Gegebenheiten betrifft, so lässt sich aus den verschiedenen Vorschlägen ein gemeinsamer Kern erarbeiten, der aus Wegen, Bereichen, Grenzen und Landmarken besteht. Unter Landmarken versteht man „distinkte, stationäre und saliente Objekte oder Reize, die als Referenzpunkte dienen können“.82 Ein Beispiel für eine Landmarke ist der Willmersdorfer Kirchturm aus Irrungen, Wirrungen. Er wird zum ersten Mal gleich im ersten Kapitel zu Beginn des zweiten Absatzes erwähnt und dann beim gemeinsamen Spaziergang von Lene, Botho und Frau Nimptsch im 9. Kapitel als Orientierungspunkt verwendet. Als Botho im 16. Kapitel mit Käthe zum ersten Mal auf den Balkon der gemeinsamen Wohnung tritt, kann er an dieser Landmarke erkennen, in welcher Richtung Lene wohnt und wie gering die Entfernung zwischen der ehelichen Wohnung und der Wohnung seiner ehemaligen Geliebten ist.83 _____________ 80 81 82 83
Lynch 1960: 107. Jahn 1993. Werner/Krieg-Brückner/Mallot/Schweizer/Freksa 1997: 13. Vgl. Irrungen, Wirrungen: 413.
192
7 Raum als Element der erzählten Welt
An zwei Beispielen möchte ich zeigen, dass sich der Raum der erzählten Welt mithilfe der genannten grundlegenden räumlichen Gegebenheiten und Raumtypen beschreiben lässt. Das erste Beispiel ist Undine von Friedrich de la Motte Fouqué. Als Bereiche lassen sich die folgenden räumlichen Gegebenheiten beschreiben: die Landzunge, auf der die Fischerhütte steht, der See, der Wald, die Reichsstadt, die Ebene zwischen der Reichsstadt und dem Wald, das Schloss Huldbrands an der Donau, Schwaben, das Schwarztal und die Donau. Wege gibt es durch den Wald, in die Reichsstadt, zum Schloss an die Donau und zum Schwarztal. Wichtige Grenzen bestehen zwischen Landzunge und See, aber auch zwischen Stadt und Landzunge, wobei hier der Wald als Bereich zur Grenze wird. Eine Grenze, die durch einen Fluss markiert ist, befindet sich auch zwischen dem Schwarztal und dem ungefährlichen Teil von Schwaben, in dem die Burg liegt. Landmarken gibt es in der Undine nicht. Die Undine wäre dem vierten Raumtyp von Lynch zuzuordnen, weil die Raumelemente durch mehrere Verbindungslinien so miteinander verknüpft werden, dass sich feste Strukturen ergeben. Das zweite Beispiel ist Einsteins Bebuquin. Der Raum der erzählten Welt ist hier durch Bereiche und Wege strukturiert. Bereiche sind der Jahrmarkt zu Beginn, das Zimmer von Bebuquin, die Bar, der Zirkus, das Kloster und der Friedhof. Als Wege können die Straßen bezeichnet werden, auf denen die Handlung immer wieder spielt. Die Grenzen von Innenräumen spielen wiederholt eine Rolle, wenn es um Geräusche, Lichter und Farben geht, die in diese eindringen. Die Figur des Nebukadnezar Böhm ist dadurch gekennzeichnet, dass sie nicht an die physischen Grenzen gebunden ist. Böhm sitzt zuweilen auch in einem Nachtstuhl, hält sich in Cognac-Flaschen auf oder tanzt auf den Spitzen von Tannen.84 „Er kann aus der Wand kommen. Er ist außerhalb jeder Regel“ wie es seine Ehefrau Euphemia treffend zusammenfasst.85 Die Struktur des Makroraumes des Bebuquin lässt sich mit dem Konzept des ‚Inselraumes‘ beschreiben, weil die Bereiche unverbunden nebeneinander stehen. Nur ein einziges Mal wird ein Weg von einem Bereich zu einem andern erzählt. Dies ist der Fall, als Bebuquin sich im 18. Kapitel von der Bar zum Friedhof außerhalb der Stadt begibt.86 _____________
84 85 86
Vgl. Bebuquin: 8, 20, 35. Bebuquin 28. Vgl. Bebuquin: 49.
7.5 Zusammenfassung
193
7.5 Zusammenfassung In diesem Kapitel war der Ausgangspunkt die Perspektive auf Raum als Element der erzählten Welt. Es wurde versucht, einzeltextübergreifende Muster zu bestimmen, nach denen Rauminformationen einer Geschichte organisiert sind. Dazu wurde auf evolutionsbiologische Thesen und kognitionswissenschaftliche Untersuchungen zur Raumerfassung Bezug genommen. Der Schwerpunkt lag auf raumbezogenen Informationen, es wurde aber auch versucht, das Zusammenspiel von raumbezogenen und nicht-raumbezogenen Informationen und Klassifikationen zu fassen. Zunächst wurden Vorschläge für eine Klassifikation von Räumen nach nicht-raumbezogenen Parametern diskutiert. Das Ergebnis war, dass die Klassifikation von Räumen als semantische Räume nach Lotman, die Klassifikation nach ihrer Funktion für die Handlung (handlungsfunktionale Räume) und die Klassifikation nach der Funktion für bestimmte Figuren (aktantielle Funktion von Räumen) sehr voraussetzungsreich sind und jeweils nur für bestimmte Texte verwendet werden können, in denen es klare Handlungsschemata und Aktanten gibt. Ein Anschluss an den Chronotopos-Begriff von Bachtin erschien für Einzeltexte wegen einer mangelnden raumbezogenen Modellierung dieses Konzepts weniger ergiebig. Als sinnvoll erwies es sich hingegen, ausgehend von Handlungsschemata in Genres zu fragen, für welche Abschnitte eines Schemas typischerweise welche räumlichen Gegebenheiten gewählt werden und inwiefern ein Einzeltext diesen Üblichkeiten folgt. Zur Bestimmung textübergreifend kognitiv signifikanter physischer Eigenschaften einzelner räumlicher Gegebenheiten wurde auf das in Kapitel drei entwickelte Konzept von Raum als Umgebung von Figuren Bezug genommen. Ziel dieser Zusammenstellung war es, die Vorschläge von Lotman, van Baak und Hoffmann zu anthropologisch konstanten räumlichen Relationen zu systematisieren und mit Ergebnissen der Kognitionswissenschaften zu untermauern. Ausgehend von der Vorstellung von Raum als Umgebung des Menschen wurden die sechs Richtungen, die sich aus den drei Raumachsen des Menschen ergeben, als zentral angenommen. Des Weiteren wurden im Anschluss an die Annahme, dass der Mensch seine Umwelt in Container-Einheiten einteilt, die Unterscheidung von innen und außen, die Begrenzung und die dreidimensionale Ausdehnung des Raumes als grundlegend angesetzt. Aus der Position des Menschen im
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7 Raum als Element der erzählten Welt
Raum ergibt sich die Wichtigkeit der Opposition von hier und dort. Durch die Relationierung von Räumen kommen Nachbarschaftsbeziehungen bzw. das Verhältnis zu weiteren Räumen in den Blick. Diese Beziehungen können mithilfe der topologischen Konzepte Kontakt, Nähe und Abgrenzung beschrieben werden. Des Weiteren wurde darauf hingewiesen, dass berücksichtigt werden muss, in welcher Form diese Eigenschaften im Text vorkommen. Die Palette reicht dabei von der expliziten Nennung über das Fehlen einer Bezeichnung bis hin zu solchen Fällen, in denen keine der Eigenschaften erwähnt wird. Vor allem dann, wenn Eigenschaften nicht explizit genannt werden, müssen die Abstraktionsprozesse, die zur Zuweisung führen, genau reflektiert und an die narrative Kommunikationssituation rückgebunden werden. Als Zweites wurde eine Konfiguration von Wissen untersucht, die sich aus Wissen über die materielle Ausprägung einer räumlichen Komponente und Wissen über typische Ereignisabfolgen zusammensetzt. Diese Konfiguration wurde als „Raummodell“ bezeichnet, und es wurden drei Typen von Raummodellen unterschieden: anthropologische, institutionelle und spezifische. Anthropologische Raummodelle beziehen sich auf die Erfahrungen des Menschen mit Gattungen von räumlichen Gegebenheiten wie Häusern, Bergen oder Plätzen. Die mit diesen verbundenen Raummodelle lassen sich literaturwissenschaftlich wahrscheinlich nur für einzelne Texte, Autorenwerke oder eng begrenzte Korpora feststellen. Die Arbeiten von Phänomenologen wie Bollnow und Bachelard stellen Versuche dar, diese Erfahrungen zu generalisieren. Diese Forschung müsste durch Ergebnisse der vergleichenden Ethnologie und der Evolutionsbiologie fundiert werden. Während sich die Raumschemata für die räumliche Ausprägung anthropologischer Raummodelle wahrscheinlich recht gut fassen lassen, sind bei den Ereignisabfolgen weniger Gemeinsamkeiten zu erwarten. Raumschemata, die sich als Informationen über die typische räumlich-konkrete Beschaffenheit fassen lassen, finden sich auch bei den institutionellen Raummodellen wie z. B. Gefängnis, Theater, Schlachthof oder Schule. Bei diesen liegt die Ereigniskomponente in Form eines Skripts vor. Skripts sind Wissensformationen im Sinne typischer Handlungen in, an oder bei räumlichen Gegebenheiten, zu denen oftmals auch feste Rollen gehören. Als dritter Typ von Raummodellen wurden schließlich spezifische Raummodelle genannt. Atlantis aus Platons Politeia, der Garten
7.5 Zusammenfassung
195
des Alkinoos oder die Höhle des Polyphem aus der Odyssee wurden beispielsweise als Kombination aus bestimmten räumlichen Gegebenheiten mit einer bestimmten Handlung beschrieben. Raummodelle können sich aus unterschiedlichen Quellen speisen, wobei die Unterscheidung von Raummodellen aus der aktualen bzw. der fiktionalen Welt und aus Gattungen sicher noch weiter ausdifferenziert werden muss. Raummodelle können außerdem in unterschiedlich starkem Maße im Text manifest sein. Die Palette reicht von Vermutungen bis zu Wissen, wobei das Wissen diejenige Form ist, die am stärksten manifest ist. Der Grad an manifestness kann zumeist nur unter Rückgriff auf die narrative Kommunikation bestimmt werden. Im Teilkapitel zu den Raumstrukturen stand die Frage zur Debatte, welche Terminologie zur Beschreibung von Strukturen des Makroraumes hilfreich sein können. Die Analyse der Forschung zu diesem Thema hat ergeben, dass Bereiche, Wege und Landmarken den gemeinsamen Kern von Raumstrukturen ausmachen. Auch die vier Raumtypen, die sich nach Lynch aus Kombinationen dieser Strukturen ergeben, scheinen für die Beschreibung des Makroraumes brauchbar zu sein.
8 Überblick über die entwickelte Terminologie Gegenstand der vorliegenden Narratologie des Raumes sind im Anschluss an Erkenntnisse über die Alltagsvorstellung von Raum diejenigen Objekte mit einer Unterscheidung von innen und außen, die eine (potentielle) Umgebung der Figuren darstellen: Etwas, in dem sich Figuren befinden können und in das sie hineingehen können. Ein Raum kann in unterschiedlichem Maße materiell begrenzt sein und muss nicht mit einer geographischen Einheit zusammenfallen. Jeder Raum ist potentiell wieder in einem größeren Raum enthalten. Stellen innerhalb von Räumen werden als „Orte“ bezeichnet. Der Oberbegriff für Räume, Orte und topographische Objekte ist die „räumliche Gegebenheit“. Da die (potentielle) Umgebung von Figuren ein Konzept ist und keine feste Menge von Objekten bezeichnet, können auch Objekte, die nach der Alltagsvorstellung kein ‚Raum’ sind, wie z. B. ein Kaminfeuer, ein Nachtstuhl oder eine Flasche, zu Räumen der erzählten Welt werden. Auch die Merkmale der Wahrnehmungsunabhängigkeit, der Stabilität, der Diskretheit und der eindeutigen Zuordnung von Menschen und Gegenständen zu Räumen, die Räumen nach der Alltagsvorstellung eignen, können in fiktionalen Texten fehlen. Der Raum der erzählten Welt liegt in Form eines mentalen Modells eines Modell-Lesers vor. Der Modell-Leser ist ein anthropomorphes Konstrukt, dem die Kenntnis aller einschlägigen Codes und alle notwendigen Kompetenzen zugeschrieben werden, um die vom Text geforderten Operationen erfolgreich durchzuführen. Dazu gehört auch ein Gedächtnis, um das textspezifische Wissen aufbauen zu können, sowie die Fähigkeit, Inferenzen zu bilden. In diesem Sinne ist der Modell-Leser keineswegs ein Textkonstrukt, sondern ein textbasiertes Konstrukt. Aus der Sicht des beobachtenden Literaturwissenschaftlers handelt es sich um eine Leserfunktion, die zur Rekonstruktion der narrativen Kommunikation notwendig ist. Ein mentales Modell wird ausgehend von den im Text vergebenen Informationen und mithilfe des Weltwissens des Lesers gebildet. Welche Informationen in dieses mentale Modell aufgenommen werden, und welchen
8 Überblick über die entwickelte Terminologie
197
Status und welche Struktur sie darin haben, ist durch die narrative Kommunikation, die Form der Darstellung im discours und durch Eigenschaften des Raumes bestimmt. Die Reihenfolge meiner Kapitel und die beiden Graphiken im Anhang sollen nicht suggerieren, dass der Modell-Leser oder der Literaturwissenschaftler beim Lesen bzw. bei der Analyse zunächst alle Informationen zum Raum sammelt, um erst anschließend Gewichtungen durch die Darstellungstechniken bzw. durch inhaltliche Informationen wahrzunehmen. Die einzelnen Kapitel nehmen vielmehr verschiedene Perspektiven auf den Raum zum Ausgangspunkt, die jeweils unterschiedliche Zugänge erfordern. Aus diesem Grund bestimmt auch die Unterscheidung von discours und histoire/erzählter Welt nicht in dem Sinn den Aufbau meiner Arbeit, dass zuerst Mittel des discours und anschließend ausschließlich Strukturen der erzählten Welt behandelt würden. In den Kapiteln zur Erzeugung von Raum und zu Raum als Element der erzählten Welt wird die Unterscheidung des Vorliegens der Information im discours und in der erzählten Welt ständig mitgeführt. Im Kapitel zu den Darstellungstechniken stehen dagegen Gewichtungen und Einheiten des discours alleine im Vordergrund (vgl. auch Abbildung 1 im Anhang). In Kapitel drei habe ich mich mit Mitteln der Erzeugung von räumlichen Gegebenheiten beschäftigt. Ziel war die Beantwortung der Frage, welche räumlichen Gegebenheiten an einer bestimmten Textstelle oder in einer erzählten Welt im Ganzen vorhanden sind. Ergebnis war die Feststellung, dass Raum sowohl ausgehend von raumreferentiellen Ausdrücken als auch durch Inferenzen auf Raum erzeugt werden kann (vgl. auch Tabelle 2 im Anhang). Raumreferentielle Ausdrücke können Toponymika, Eigennamen, Gattungsbezeichnungen, Deiktika und weitere Konkreta sein, die Räume und Objekte bezeichnen, oder Präpositionalphrasen, Deiktika, Georeferenzen und metrische Angaben, mit denen man Orte und Relationen angeben kann. Der Bezeichnung von Orten liegen Referenzsysteme zu Grunde, die entweder deiktisch, also standpunktabhängig, oder absolut, d. h. standpunktunabhängig sind. Absolute Referenzsysteme umfassen intrinsische, topologische, georeferentielle und metrische Referenzsysteme. Nur die metrischen und georeferentiellen Angaben und die Deiktika sind fest mit einem Referenzsystem verbunden. Bei Präpositionalphrasen gilt es jeweils zu fragen, ob sie deiktisch oder intrinsisch verwendet werden. Der Modell-Leser muss zwischen einer eigentlichen und einer uneigentlichen Verwendung dieser Ausdrücke
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8 Überblick über die entwickelte Terminologie
unterscheiden können. Nur die eigentliche Verwendung erzeugt konkreten Raum. Inferenzen auf das Vorhandensein räumlicher Gegebenheiten sind in fiktionalen Texten nur dann angebracht, wenn der Text nach unserem Weltwissen oder den Regeln der erzählten Welt logisch unvollständig ist. Signale für eine solche Unvollständigkeit können sein: der direkte Hinweis auf Fehlendes, bei dem das Vorhandensein räumlicher Gegebenheiten erwähnt, die einzelnen Objekte aber nicht genannt werden. Neben dem direkten Hinweis gibt es noch mindestens drei weitere Arten von Indikatoren. Zum einen können über die Nennung von Figuren in ihrer Rollenidentität typische räumliche Gegebenheiten aufgerufen werden, in denen man sich normalerweise befindet, wenn man die Rolle einnimmt. Zweitens kann auch über die Nennung von Ereignissen oder Handlungen, die typischerweise in, an oder bei bestimmten Objekten oder Räumen stattfinden, eine räumliche Gegebenheit erzeugt werden. Als Drittes sind metonymische Schlüsse auf räumliche Gegebenheiten denkbar, wenn Bestandteile von Räumen oder Objekte genannt werden, die sich typischerweise in, an oder bei bestimmten räumlichen Gegebenheiten befinden. Die ergänzten räumlichen Gegebenheiten sind im Text unbestimmt, in der erzählten Welt aber vorhanden, so dass hier von „Unbestimmtheitsstellen“ gesprochen wird. Stellen, bei denen weder Logik noch textuelle Relevanz einen Schluss auf das Vorhandensein räumlicher Gegebenheiten nahe legen, bezeichne ich dagegen als „Leerstellen“. Bei fiktionalen Texten ist nur die Ergänzung von Unbestimmtheitsstellen eine sinnvolle Operation. Ein zweiter Ansatzpunkt ist die Form der Darstellung von Raum im Zuge des Erzählens einer Geschichte, auf die der Modell-Leser bei einem narrativen Text grundsätzlich seine Aufmerksamkeit richten wird (vgl. auch Abbildung 2 im Anhang). In Kapitel sechs habe ich mich auf spezifisch narrative Techniken der Raumdarstellung beschränkt, bei denen es zudem raumbezogene Besonderheiten gibt. An erster Stelle wurde die Einbindung von Raum in Situationen behandelt. Situationen bestehen aus einer räumlichen, einer zeitlichen, einer figuren- und einer ereignisbezogenen Komponente. Ein Ereignis ist ein Geschehen, eine Handlung oder eine intentionale Zustandsveränderung. Wird ein Ereignis erzählt, entstehen besondere Einheiten des Erzählens von Raum, die als „Ereignisregionen“ bezeichnet werden können. Eine Ereignisregion bezeichnet denjenigen Bereich in, an oder bei einer räumlichen Gegebenheit, in dem ein Ereignis statt-
8 Überblick über die entwickelte Terminologie
199
findet. Die Größe der Region ist durch das Ereignis bestimmt. Sie kann mit der Objektregion – dem typischen Benutzungsbereich in, an oder bei einem Objekt – zusammenfallen; fiktionale Erzähltexte können aber auch eigene und ungewöhnliche Objektregionen ausbilden. Bewegungsbereiche sind Ereignisregionen, die entstehen, wenn eine Bewegung erzählt wird, durch die mehrere räumliche Gegebenheiten eine gemeinsame Ereignisregion ausbilden. Ereignisregionen, in denen der Erzähl- bzw. Schreibakt eines Erzählers situiert wird, wurden in Abgrenzung von den „erzählten Räumen“, in denen das nicht der Fall ist, als „Erzählräume“ bezeichnet. Als „Schauplätze“ wurden abschließend diejenigen erzählten Räume bestimmt, in denen die Origo verortet wird und die nach den Regeln der erzählten Welt zur faktischen Umgebung eines Ereignisses werden. Der ereignisbezogenen Thematisierung von Raum, in der derselbe die Verortungskategorie der erzählten Ereignisse darstellt, wurde als Gegenpol die nicht-situationsbezogene Form der Thematisierung gegenübergestellt. Da es an einer ausgearbeiteten Theorie zu Modi der Thematisierung von Raum bisher fehlt, wurde in Kapitel 6.2 exemplarisch die Raumbeschreibung als nicht-situationsbezogener Modus untersucht. Durch die Behandlung der ereignisbezogenen Darstellung einerseits und der Beschreibung von Raum andererseits wurden so zumindest diejenigen Modi des Erzählens erfasst, die die beiden Pole der Thematisierung von Raum im Erzähltext darstellen. Auf diese Weise sollte wenigstens ein Grundgerüst für eine Systematik der Darstellungstechniken des Raumes im narrativen Text bereitgestellt werden. Während Ereignisregionen selbst wiederum die Gestalt von Räumen haben, weil sie eine Unterscheidung von innen und außen bzw. von innerhalb und außerhalb aufweisen, und weil sich in ihrem Inneren Menschen aufhalten können, entstehen bei der nichtsituationsbezogenen Thematisierung von Raum keine neuen Räume. Die hier genannten Elemente des Raumes der erzählten Welt werden als „erwähnte räumliche Gegebenheiten“ bezeichnet. Raumbeschreibungen wurden als Texttypen gefasst. Unter einem Texttyp verstehe ich eine Aussageform des Erzählens, die durch die folgenden Merkmale gekennzeichnet ist: Sie umfasst einen Teilsatz, Satz oder Abschnitt, ist durch ihr spezifisches Verhältnis zu konkreten Ereignissen gekennzeichnet und kann darüber hinaus durch semantische Merkmale charakterisiert werden. Eine Beschreibung ist ein Texttyp, bei dem auf der Ebene des Bedeuteten stabile Eigenschaften eines Raumes, einer Figur oder eines Objekts mitgeteilt werden,
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8 Überblick über die entwickelte Terminologie
ohne dass im selben Teilsatz, Satz oder Abschnitt ein bestimmtes, einmaliges Ereignis erwähnt wird. Im Anschluss an eine Definition des Beschreibens von Raum wurde die erzählte Raumwahrnehmung als Fall der Beschreibung behandelt, bei der spezielle, raumspezifische Erzähltechniken unterschieden werden können. Erzählte Raumwahrnehmung liegt dann vor, wenn erzählt wird, dass jemand wahrnimmt, wenn also ein Akteur und ein Akt ausgemacht werden können. Der Wahrnehmende muss keine Figur, sondern kann auch eine unpersönliche Instanz sein, die mit „man“ bezeichnet wird oder die ganz ohne Benennung auskommt. Der Wahrnehmungsakt muss nicht durch ein Wahrnehmungsverb angezeigt werden, sondern kann auch impliziert sein. Während sich diese Überlegungen als Präzisierung des Genettschen Fokalisierungskonzepts verwenden lassen, weil sie der Beantwortung der Frage dienen, wer wahrnimmt, wurden anschließend nur solche Wahrnehmungstechniken behandelt, die raumspezifisch sind. Wird Wahrnehmung erzählt, so werden die wahrgenommenen räumlichen Gegebenheiten zu einem Wahrnehmungsbereich zusammengefasst. Dieser ist von der Ereignisregion des Wahrnehmungsereignisses zu unterscheiden. Während die Ereignisregion die Umgebung der Wahrnehmungsinstanz darstellt, umfasst der Wahrnehmungsbereich die wahrgenommenen räumlichen Gegebenheiten. Die beiden Bereiche können zusammenfallen, wenn eine Wahrnehmungsinstanz nur ihre Ereignisregion wahrnimmt, sie können aber auch divergieren, wenn eine Wahrnehmung von Entfernterem erzählt wird. Als spezifisch raumbezogene Techniken bei der Erzählung von Wahrnehmung wurden die Position der Wahrnehmungsinstanz, die Mobilität der Wahrnehmungsinstanz und die Abfolge der Nennung einzelner räumlicher Gegebenheiten oder Raumdetails unterschieden. Die Position der Wahrnehmungsinstanz kann entweder explizit genannt werden, oder sie muss erschlossen werden. Sie kann mit einer Figur verbunden sein oder auch nicht und ist nicht zwingend an die Bedingungen der menschlichen Wahrnehmung gebunden. Handelt es sich um einen heterodiegetischen Erzähler, muss die Wahrnehmung von oben nicht durch die Positionierung einer Figur auf einem Turm, einer Anhöhe, einer Galerie oder einem sonstigen erhöhten Punkt motiviert werden. Die Wahrnehmungsinstanz kann des Weiteren mobil oder statisch sein und muss auch in diesem Fall nicht an eine Figur gebunden sein. Für die Untersuchung der Abfolge der Nennung von räumlichen Gegebenheiten bzw. von Raumdetails
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können zum einen die perzeptiven Codes der Raumwahrnehmung, zum anderen die narrative Kommunikationssituation als Heuristik herangezogen werden. In Kapitel sieben wurde versucht, einzeltextübergreifende, raumspezifische Muster zu bestimmen, nach denen Rauminformationen einer Geschichte organisiert sein können. Ausgehend von der Vorstellung von Raum als Umgebung des Menschen lassen sich zunächst die sechs Richtungen, die sich aus den drei Raumachsen des Menschen ergeben, als besonders zentral ansetzen (vorne-hinten, obenunten, rechts-links). Des Weiteren wurden im Anschluss an die Annahme, dass der Mensch seine Umwelt in Container-Einheiten einteilt, die Unterscheidung von innen und außen, die Begrenzung und die dreidimensionale Ausdehnung des Raumes als grundlegend angesetzt. Aus der Position des Menschen ergibt sich die Wichtigkeit der Opposition von hier und dort. Durch die Relationierung von Räumen kommen Nachbarschaftsbeziehungen bzw. das Verhältnis zu anderen Räumen in den Blick. Diese Beziehungen können mithilfe der topologischen Konzepte Kontakt, Nähe und Abgrenzung beschrieben werden. Diese Konzepte bzw. die mit ihnen verbundenen Eigenschaften können in Texten unterschiedlich stark manifest sein. Vor allem dann, wenn Eigenschaften nicht explizit genannt werden, müssen die Abstraktionsprozesse, die zur Zuweisung führen, genau reflektiert und an die narrative Kommunikationssituation rückgebunden werden. Neben den Einzelinformationen sind Konfigurationen von Wissen besonders interessant, die sich aus Wissen über die materielle Ausprägung einer räumlichen Komponente und Wissen über typische Ereignisabfolgen – gegebenenfalls mit bestimmten Akteuren – zusammensetzen. Diese Konfiguration wurde als „Raummodell“ bezeichnet. Es lassen sich mindestens anthropologische, institutionelle und spezifische Raummodelle unterscheiden. Anthropologische Raummodelle beziehen sich auf die Erfahrungen des Menschen mit Gattungen von räumlichen Gegebenheiten wie Häusern, Bergen oder Plätzen. Die mit diesen verbundenen Raummodelle lassen sich literaturwissenschaftlich wahrscheinlich nur für einzelne Texte, Autorenwerke oder eng begrenzte Korpora festlegen. Bei größeren Textsammlungen bzw. bei komparatistischen Untersuchungen ist zu erwarten, dass sich nur Raumschemata für die räumliche Ausprägung erkennen lassen, Ereignisabfolgen, die anthropologischen räumlichen Gegebenheiten zuzuordnen sind, sind dagegen
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8 Überblick über die entwickelte Terminologie
wohl weniger standardisiert. Raumschemata, die sich als Informationen über die typische räumlich-konkrete Beschaffenheit fassen lassen, finden sich auch bei den institutionellen Raummodellen wie z. B. Gefängnis, Theater, Schlachthof, Schule. Bei diesen liegt die Ereigniskomponente in Form eines Skripts vor. Skripts sind Wissensformationen im Sinne typischer Handlungen in, an oder bei räumlichen Gegebenheiten, zu denen oftmals auch feste Rollen gehören. Spezifische Raummodelle wie beispielsweise Atlantis aus Platons Politeia, der Garten des Alkinoos aus der Odyssee oder das Paradies wurden als Kombination aus bestimmten räumlichen Gegebenheiten mit einer bestimmten Handlung beschrieben. Raummodelle können sich aus unterschiedlichen Quellen speisen, wobei die Unterscheidung von Raummodellen aus der aktualen bzw. der fiktionalen Welt und aus Gattungen sicher noch weiter ausdifferenziert werden muss. Raummodelle können außerdem in unterschiedlich starkem Maße im Text manifest sein. „Manifest“ verstehe ich hier im Sinne des von Sperber und Wilson in ihrer Relevanztheorie formulierten Konzepts der manifestness zur Beschreibung des Status von Informationen in der kognitiven Umgebung von Menschen. Die Palette reicht dabei von Vermutungen bis zu Wissen, wobei das Wissen diejenige Form ist, die am stärksten manifest ist. Der Grad an manifestness kann zumeist nur unter Rückgriff auf die narrative Kommunikation bestimmt werden. Als kognitiv besonders signifikante Raumstrukturen kann man Bereiche, Wege, Grenzen und Landmarken bestimmen. Für den Makroraum lassen sich vier Typen als Kombinationen aus diesen Strukturen ansetzen: Der Inselraum, der Fixpunktraum, der elastische und der nicht-elastische Wegeraum.
9 Fazit In der vorliegenden Arbeit habe ich ein Beschreibungsinstrumentarium für grundlegende Elemente einer Narratologie des Raumes entwickelt. Zentrale Neuerung gegenüber der bisherigen raumnarratologischen Forschung war dabei, dass der Raum nicht als ausschließlich textuelles Konstrukt, sondern als mentales Modell eines ModellLesers konzipiert wurde. Auf diese Weise konnten sowohl die Erzeugung von Raum als auch Überlegungen zu Darstellungstechniken und Rauminformationen mit Wissen über historische literarische und nicht-literarische Wissensbestände verknüpft werden. Als besonders fruchtbar bei der Entwicklung eines Beschreibungsinstrumentariums für den Raum im Erzähltext hat sich der interdisziplinäre Zugang erwiesen. Für die Definition einer Raumvorstellung wurden z. B. eine Vorstellung von Alltagsgeographie aus der Sozialgeographie und Überlegungen aus der Kognitiven Psychologie herangezogen. Das Ergebnis war eine funktionale Definition, nach der der Raum der erzählten Welt aus all denjenigen Objekten besteht, die zur Umgebung von Figuren werden können, wobei der Prototyp der dreidimensional fix begrenzte Container ist. Diese Vorstellung konnte durch Erkenntnisse der Evolutionspsychologie abgestützt werden. Des Weiteren beruht die Konzeptualisierung von narrativer Kommunikation in Kapitel 4.2 als inferenzbasierter wesentlich auf einer pragmatischen Auffassung von Verstehen. Bei der Beschreibung der narrativen Erzeugung von Raum konnte Forschung aus der Kognitiven Linguistik und der Kognitiven Psychologie zur Raumkognition und zu Referenzsystemen für Lokalisationen ausgewertet werden. Ergebnisse der Kognitiven Linguistik zum narrativen Verstehen ließen sich für die Privilegierung einer situations- und einer nicht-situationsbezogenen Darstellung von Raum verwenden. Die Berücksichtigung einzelner physischer Eigenschaften konnte wiederum im Rückgriff auf die Evolutionspsychologie und -biologie gerechtfertigt werden. Bei der Untersuchung spezifischer Semantiken, die räumlichen Gegebenheiten zukommen können, war es möglich, das Wissen über historische Semantiken durch Erkenntnisse über die kognitive
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9 Fazit
Signifikanz einzelner Elemente zu ergänzen. Für die Beschreibung von Raumstrukturen des Makroraumes konnten empirische Untersuchungen der Stadtplanung herangezogen werden. Im Folgenden möchte ich noch einige Aspekte skizzieren, die sich an meine Überlegungen anschließen lassen. Dazu gehört an erster Stelle eine Erprobung der beschriebenen Erzeugungs- und Darstellungstechniken sowohl bei der Analyse von Einzeltexten als auch bei der Beschreibung von Dominanzen und Veränderungen in der Raumgestaltung im Verlauf der Literaturgeschichte. Sinnvoll wäre letztlich eine narratologisch informierte Geschichte einzelner Erzählgattungen, die den Wandel bestimmter Erzähltechniken zur Grundlage hat. Von Interesse wäre dabei auch ein Abgleich mit den Erkenntnissen über Karten in Texten. Besonders das Verhältnis von Karte und Text, das als Ergänzung, Illustration, Subversion etc. gestaltet sein könnte, müsste untersucht werden. Darüber hinaus scheint mir das Konzept des Raummodells für eine kulturgeschichtlich interessierte Literaturwissenschaft anschlussfähig zu sein, weil hier nach zentralen Modellen für Autorenwerke, Gattungen und Epochen bzw. Strömungen der Literaturgeschichte gefragt werden kann. Diese Erkenntnisse könnten dann z. B. mit Raumtheorien bzw. raumplanerischen Aktivitäten des kulturgeschichtlichen Kontextes abgeglichen werden. Narratologisch wäre die Funktion von Raum für andere Elemente der erzählten Welt systematisch zu klären. Eine Herausforderung stellt die Frage dar, wie sich die oft formulierte Einsicht, dass der Raum symbolisch für etwas stehe, theoretisch konzeptionalisieren lässt. Hierfür ließe sich das in der vorliegenden Arbeit verwendete Modell inferenzbasierter narrativer Kommunikation verwenden, weil auch die Zuschreibung von symbolischer Bedeutung sich als Schlussprozess reformulieren lässt. Der Gewinn bestünde darin, dass die Bedeutung nicht im Text zu verorten wäre, sondern als Zuschreibungsprozess gefasst werden könnte, in dem sowohl textuelle Signale als auch die narrative Kommunikation eine Rolle spielen. In meinen Ausführungen habe ich mich fast ausschließlich auf fiktionales Erzählen beschränkt. Die Überlegungen lassen sich aber zum Großteil auch für nicht-fiktionales Erzählen verwenden. Hinsichtlich des Raumkonzepts ist klar, dass auch in nicht-fiktionalen Texten all das als Raum bezeichnet werden kann, was zur Umgebung der Figuren wird. Die Extension des Konzepts ist freilich kleiner, wenn man sich auf nicht-fiktionales Erzählen beschränkt. Für die
9 Fazit
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Untersuchung der Raumerzeugung lassen sich die raumreferentiellen Mittel zur Bezeichnung des Raumes wohl ebenfalls verwenden; die implizite Erzeugung von Raum erfordert bei nicht-fiktionalem Erzählen allerdings im Gegensatz zum fiktionalen Erzählen nicht nur die Ergänzung von Unbestimmtheitsstellen, sondern gegebenenfalls auch die von Leerstellen. Dabei sollte jedoch immer die Frage nach der Relevanz einer Ergänzung im Vordergrund stehen. Alle Darstellungstechniken, ebenso wie die Überlegungen zu physischen Eigenschaften, Raummodellen und Raumstrukturen, lassen sich auch zur Beschreibung von Raum in nicht-fiktionalen Texten verwenden. Bei den Raummodellen verkleinert sich die Palette der möglichen Modelle wohl vor allem bei den spezifischen Raummodellen; obwohl hier auch der Transfer von Raummodellen von fiktionalen in nichtfiktionale Texte zu berücksichtigen wäre. Wichtiger als bei fiktionalen Texten ist für nicht-fiktionale Texte hingegen der Abgleich mit Raumverhältnissen der aktualen Welt. Trotz meiner Beschränkung auf textuell verfasstes Erzählen können die von mir vorgenommenen Überlegungen auch als Ausgangspunkt für die Untersuchung der Raumgestaltung in anderen Medien herangezogen werden. Während das Raumkonzept, die Raummodelle und die Raumstrukturen wohl auch für Medien wie den Film oder den Comic übernommen werden könnten, wären die jeweiligen Erzeugungstechniken für einzelne Medien zu spezifizieren. Die Darstellungstechniken könnten als Heuristik verwendet werden, um Spezifika der jeweiligen medialen Gestaltung zu verdeutlichen.
Anhang Abbildung 1: Raum der erzählten Welt
Anhang
Abbildung 2: Darstellungstechniken
207
Liegen stehen stecken
Art
im Haus vorm Zaun
nichtdeiktisch
hier da dort oben unten vorne
posiditio- mennal sional
deiktisch
Ort
Positionierung
legen stellen fahren
nichtdeiktisch nichtdeiktisch
kommen ins gehen Haus herwer- vor den fen hinZaun werfen
deiktisch
Art
Direktionalisierung
Lokalisierung
dimensional groß klein dick dünn
dreidim.
Eigenschaft zweidim.
hiernach lang her oben kurz dahin hinauf breit dort- herauf schmal hin
positional
deiktisch
Ort
dreidim.
Fläche Behälter Dreieck Würfel Kreis Kugel Ellipse Pyramide
zweidim.
Körper
Dimensionierung
Tabelle 1: Raumreferentielle Bezeichnungen im Deutschen 208 Anhang
Eigennamen
Blaues Schloss, Dörrsche Gärtnerei Boeing 747 Papamobil
Toponymika
Berlin, Atlantis, Insel Felsenburg
Deiktika
Speisezimmer, hier, Problemviertel, da, Auto, Kiste – dort in fiktionalen Texten auch Bezeichnungen für Objekte, die typischerweise keine Aufenthaltsorte von Menschen sind wie Flasche, Streichholzschachtel
Gattungsbezeichnungen
Räume
innen, außen, Fremde, Ferne, Nähe, Dunkelheit, Finsternis, Osten, Westen
Weitere Konkreta
metrisch hundert Meter weiter
georeferentiell auf dem Äquator, südlich von Frankfurt, in der Rosenthaler Straße
absolut
Ortsangaben
intrintopolorechts sisch gisch von, links von an der in, an, bei hier, da, Vorderdort seite des Hauses/Aut os
deiktisch
Tabelle 2: Raumreferentielle Ausdrücke zur Bezeichnung des konkreten Raumes der erzählten Welt
Anhang
209
Friedemann: Die Rolle des Erzählers in der Epik.
Petsch: Raum in der Erzählung.
1910
1934
Text
Lokal: topographischkonkrete Ortsangabe Raum: nicht-materielle Bedeutungsaspekte keine explizite Definition von Topographie oder Raum
Verwendung von Raum, Landschaft und Milieu ohne explizite Definition
Raumbegriff
drei Ausprägungen des Verhältnisses von Lokal und Raum: - bestimmter Raum: weist über sich selbst ins Schicksalsträchtige hinaus - absoluter Raum: auf die Handlung und die Figuren abgestimmt; Vorausdeutungen auf die weitere Handlung - erlebter Raum: motiviert die Handlung, charakterisiert die Figuren, hat insgesamt symbolische Bedeutung
Durch welche Erzähltechniken ist der Schauplatz mit der Handlung verbunden? - wie im Drama: der Raum ist gegenwärtig und von der Handlung nicht zu trennen - episch: als Fern- und Erinnerungsbild - besonders gegenwärtig: immer dann, wenn Vergangenes in einem in der Erzählgegenwart beschriebenen Raum wiedergegeben wird
Schwerpunkt/Terminologie
Tabelle 3: Übersicht über die im Forschungsbericht ausgewerteten Ansätze 210 Anhang
Maatje: Versuch einer keine explizite Definition Poetik des Raumes. Der von Raum lyrische, epische und dramatische Raum.
Sappok: Die Bedeutung des Raumes für die Struktur des Erzählwerks.
1968
1970
Der epische Raum ist durch die Vorstellung gekennzeichnet, deren besondere räumliche Ausprägung die Perspektive auf den Raum darstellt.
Alle Orte und Richtungen sind mit Werten belegt, die sich in Form von Gegensatzpaaren erfassen lassen. Der literarische Raum kann mit neuen, von der Realität abweichenden Werten aufgeladen werden. Unterscheidung von Lokal und Raum als Heuristik für die Analyse (ohne Typenbildung) und Interpretation der Autorintention
Schwerpunkt/Terminologie
keine explizite Definition - Raumdarstellung: sprachliche Darstellung von Raum von Raum; verwendet - Raumfiktion: Funktion einer Raumdarstellung für werden die Konzepte Land- andere Ebenen des Textes, Zusammenspiel von räumschaft, Naturerscheinungen lichen und nicht-räumlichen Erzählphasen und Gegenstände - Raumgenese: Bedeutung von Raum für das Gesamtwerk
Meyer: Raumgestaltung wie Petsch 1934 und Raumsymbolik in der Erzählkunst.
Raumbegriff
1957
Text
Anhang
211
Hillebrand: Mensch und Raum im Roman. Studien zu Keller, Stifter, Fontane.
1971
Semantisierung räumlicher und raumähnlicher Relationen Oppositionen wie hoch-niedrig, rechts-links, vor-hinter, nah-fern, offen-geschlossen, abgegrenzt-unabgegrenzt oder diskret-kontinuierlich werden z. B. mit Werten wie wertvoll-wertlos, gut-schlecht, eigen-fremd, zugänglich-unzugänglich, sterblich-unsterblich belegt.
Schwerpunkt/Terminologie
keine explizite Definition - ephemere Funktion von Raum: Raum in Hintergrundvon Raum, aber Unterfunktion (Synonym: Gesellschaftsraum, sekundärer scheidung von Raum und Raum) Umwelt - fundamentale Funktion von Raum: Figur und Raum Raum: erlebter materieller bilden eine Einheit, die Figur ist auf den Raum angeRaum. wiesen und ist sich dessen bewusst. (Synonym: erlebter Umwelt: soziale und histoRaum, primärer Raum) rische Faktoren
Lotman: Die Struktur künstlerischer Raum: Mendes künstlerischen Tex- ge aller räumlichen und tes. raumähnlichen Beziehungen zwischen räumlich Konkretem und NichtRäumlichem Eine Vorstellung von konkretem Raum wird verwendet, aber nicht definiert.
Raumbegriff
1970
Text
212 Anhang
Kahrmann/Reiß/ Schluchter: Erzähltextanalyse.
Chatman: Story and Discourse.
1977
1978
Text
Schwerpunkt/Terminologie
keine explizite Definition Raum der erzählten Geschichte (story-space) vs. Raum, der von Raum, aber Raum ist bei der Vermittlung einer Geschichte als wahrgenomoffenbar alles das, was eine mener erzählt wird (discourse-space) räumliche Ausdehnung hat, also auch Figuren und Gegenstände.
keine explizite Definition - erzählter Raum: Raum, in dem sich die Figuren aufvon Raum, Unterscheidung halten von Raum als Kategorie - Erzählraum: Raum, in dem sich der Erzähler aufhält, und Raum als Gegenstand - Raumkonzept: Zum einen das Verhältnis von erzähltem Raum und Erzählraum, das dem abstrakten Autor zuzuschreiben ist, zum anderen die inhaltlichen Aspekte des Raumkonzepts, die sich aus der Lebenswelt oder aus der Literaturgeschichte speisen können (dem Autor als Textproduzenten bzw. als Person zuzuschreiben).
Raumbegriff
Anhang
213
Hoffmann: Raum, Situ- gelebter Raum in der Ausation, erzählte Wirkprägung dreier Raummolichkeit. delle: - Anschauungsraum - Handlungsraum - gestimmter Raum keine explizite Definition der materiellen Komponente
Baak: The place of space wie Lotman 1970 in narration
1983
Raumbegriff
1978
Text
Semantisierung räumlicher Relationen (deiktisch und nicht-deiktisch etablierte, dimensionale Eigenschaften) Hinweise auf den Zusammenhang von Handlung (dynamic space, static space, overt boundary chronotopes), Figur und Zeit; kurze Abschnitte zur Perspektive, zur Detailfülle und zum räumlichen Ausschnitt ohne eigene Terminologie.
- Raumkonzept: gelebter Raum - Sinnmodelle: für den Anschauungsraum: kurioser Raum, für den gestimmten Raum: phantastischsatirischer, grotesker, unheimlicher, halluzinativvisionärer und mythischer Raum - Bedeutung von Raum: Symbol, Allegorie, Assoziationsstimulus - Situationstypen: Panorama, Tableau, räumlich bestimmte Szene - Makrostruktur des Raumes: Ausdehnung/Raffung, Bereiche und Grenzen, Wegstrukturen, Mobilität/Immobilität und deren semantische Besetzung.
Schwerpunkt/Terminologie
214 Anhang
Ronen: Space in fiction. keine explizite Definition von Raum (space), aber Gebrauch im Sinne von Umgebung des Menschen
Krah: Räume, Grenzen, keine explizite Definition Grenzüberschreitungen. von Raum
1986
1999
Ontologie des narrativen Raumes (vertical structure of space): topographische, chronotopische und textuelle Ebene (topographical, chronotopical, textual level) Raumeinheiten des Erzählens (horizontal structure of space): - Einheiten: Orte, Handlungszonen und Sichtfelder (places, zones of action, fields of vision) - Raumkomplex (complex of space): Menge aller Sichtfelder - umfassende Räume (total spaces)
Schwerpunkt/Terminologie
Fünf Aspekte der Bedeutung von Raum: 1. topographisch-geographischer Aspekt 2. topologischer Aspekt 3. perzeptiver Aspekt 4. narrativer Aspekt 5. konzeptioneller Aspekt
Umgebungen (frames) von unterschiedlicher Unmittelbarkeit und Faktizität, Klassifikation der Umgebung nach Merkmalen, Relationierung aller Umgebungen in einem Gesamtmodell
keine explizite Definition Raum der erzählten Geschichte (fabula): Schauplätze von Raum, aber Ort (place) (locations) als Grundeinheit Raum des Erzählens einer Geschichte (space): Umgebung der wahrnehmenden Figuren (frame) oder thematisierter Raum (thematized space)
Bal: Narratology
1985
zu Beginn Definition von Raum durch die Merkmale Volumen, Ausdehnung und Dreidimensionalität, später Beschränkung auf Topographie (ohne Definition derselben)
Zoran: Towards a Theory of Space in Narrative.
Raumbegriff
1984
Text
Anhang
215
2002
Herman: Story Logic.
Text keine explizite Definition von Raum
Raumbegriff Aufbau nach kognitionswissenschaftlichen Konzepten, nicht nach Problemen: Theorie der deiktischen Verschiebung der Origo; Unterscheidung von Figur und Grund; Bereiche, Landmarken, Wege; topologische vs. projektive Referenzsysteme; Bewegungsverben; Unterscheidung eines Sach- und eines Orientierungssystems in der Raumsprache (deictic shift, figure/ground, regions/landmarks/paths, topological vs. projective locations, motion verbs, What- vs. Where-System)
Schwerpunkt/Terminologie
216 Anhang
2009
Ryan: Space.
Text Raum als physische Umwelt der Figuren
Raumbegriff Explikation - erzählter Raum (narrative space) - räumliche Rahmen (spatial frames): Umgebungen von tatsächlich stattfindenden Ereignissen - Schauplatz (setting): soziale, historische und geographische Umwelt (socio-historico-geographical environment) der Handlung - Raum der erzählten Geschiche (story space): Raum, der in Zusammenhang mit der erzählten Handlung und den Gedanken der Figuren vorkommt - Raum im Sinne eines mentalen Modells des Lesers (narrative [or story] world), das sich aus dem erzählten Raum und kulturellem Wissen und Weltwissen des Lesers zusammensetzt - narratives Universum (narrative universe) - Raum, den die Zeichen eines Mediums einnehmen (spatial extension of the text) - Raum als Kontext und Container des Textes (space that serves as context and container for the text) räumliche Form (spatial form of the text) Geschichte der Zugänge - räumliche Metaphorik (spatial imagery) - Vertextung von Raum (textualization of space) - Thematisierung von Raum (thematization of space).
Schwerpunkt/Terminologie
Anhang
217
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Glossar Bewegungsbereich: →Ereignisregion, die entsteht, wenn eine Bewegung erzählt wird, durch die mehrere →räumliche Gegebenheiten miteinander verbunden werden. Eigenschaft, physische: raumspezifische Eigenschaften von →räumlichen Gegebenheiten, die sich aufgrund der physiologischen Besonderheiten des Menschen als textübergreifend zentral extrapolieren lassen: vorne-hinten, rechts-links, oben-unten, hier-dort, innen-außen, Zentrum-Peripherie und alle Ausdrucksformen der Konzepte Höhe, Breite, Tiefe, Kontakt, Nähe und Abgrenzung. Ereignis: Geschehen, Figurenhandlung oder intentionale Zustandsveränderung. Ereignisregion: → Bereich in, an oder bei einer räumlichen Gegebenheit, in dem sich ein Ereignis abspielt. Die Ausdehnung ist durch das Ereignis bestimmt. Sie kann mit der Objektregion – dem typischen Benutzungsbereich in, an oder bei einem Objekt der aktualen Welt – zusammenfallen, kann aber auch davon abweichen. Gegenbegriff zur → erwähnten räumlichen Gegebenheit. Erzählraum: → Ereignisregion, in der ein Erzählakt situiert ist. Gegenbegriff zum → erzählten Raum. Gegebenheit, räumliche: Oberbegriff für →Räume und →Orte. Gegebenheit, erwähnte räumliche: Bezeichnung für diejnigen → räumlichen Gegebenheiten, die im Zuge der nicht-situationsbezogenen Thematisierung von Raum erwähnt werden. Gegenbegriff zur → Ereignisregion.
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Inferenz: jede Form der Schlussfolgerung, d. h. des Gewinnens von neuen Informationen aus gegebenen Informationen; neben der Deduktion auch die Induktion und die Abduktion. Leerstelle: Fehlen von Informationen über das Vorhandensein von Bestandteilen des Raumes der erzählten Welt, die logisch nicht zwingend erforderlich sind. Während die Ergänzung von → Unbestimmtheitsstellen zur Klärung der Frage beitragen kann, welche →räumlichen Gegebenheiten in der erzählten Welt vorhanden sind, ist die Frage nach der Ergänzung von Leerstellen bei fiktionalen Texten – aus einer literaturwissenschaftlichen Perspektive – nicht sinnvoll. Modell, mentales: mentales Konstrukt, das aus dem Text aufgrund der im Text vergebenen Informationen und mithilfe des Weltwissens des Lesers gebildet wird. Wie viel in dieses mentale Modell aufgenommen wird und welchen Status es dort hat, ist durch Konventionen bestimmt. Modell-Leser: Textbasiertes, anthropomorphes Konstrukt, das gekennzeichnet ist durch die Kenntnis aller einschlägigen Codes und auch über alle notwendigen Kompetenzen verfügt, um die vom Text geforderten Operationen erfolgreich durchzuführen. Der Modell-Leser hat außerdem ein Gedächtnis, um das textspezifische Wissen aufbauen zu können, sowie die Fähigkeit, Inferenzen zu bilden. Objekt, topographisches: Objekte, die Teil der Erdoberfläche sind. Siedlungen, Verkehrswege, Gewässer, natürliche und künstliche Vegetationsflächen, Höhen- und Geländeformen und kulturell bedeutsame Einzelobjekte wie z.B. Schulen, Sendeanlagen, Einzelbäume, Türme, Denkmäler oder Ruinen. Ort:
Stelle innerhalb von →Räumen. Orte sind eine Menge von zusammenhängenden Raumpunkten.
Position der Wahrnehmungsinstanz: kann entweder explizit genannt werden, oder sie muss erschlossen werden. Sie kann mit einer Figur verbunden sein, oder auch nicht und ist nicht zwin-
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gend an die Bedingungen der menschlichen Wahrnehmung gebunden. Raum, Alltagsvorstellung: Der Raum ist ein wahrnehmungsunabhängig existierender Container mit Unterscheidung von innen und außen. Jeder Raum ist potentiell wieder in einem größeren Raum enthalten, umgekehrt besteht der Raum aus diskreten Einzelräumen. Stellen im Raum werden als → „Orte“ bezeichnet. Räumen können Menschen, Objekte und Ereignisse zugeordnet werden. Der prototypische Raum ist dreidimensional materiell begrenzt, es können aber auch solche Einheiten als Räume gelten, die nur in einer Dimension oder keiner Dimension begrenzt sind, wenn ihnen die Unterscheidung von innen und außen zugeschrieben wird. Raumbeschreibung: Texttyp, in dem Informationen zur Materialität von räumlichen Gegebenheiten vergeben werden, ohne dass im selben Teilsatz, Satz oder Abschnitt ein bestimmtes einmaliges Ereignis erwähnt wird. Raum/Räume der erzählten Welt: Der Raum der erzählten Welt ist die Menge derjenigen konkreten Objekte der erzählten Welt mit einer Unterscheidung von innen und außen, die nach den Regeln der erzählten Welt zur Umgebung einer Figur werden. In fiktionalen Texten können auch solche Objekte Räume werden, die nach der Alltagsvorstellung keine Umgebung für Menschen sind und die die zentralen Merkmale von Räumen negieren. Räume können → räumliche Gegebenheiten enthalten. Raummodell: mit dem Raum als Element der erzählten Welt verbundene Wissenskonfiguration, die sich aus Wissen über die materielle Ausprägung einer räumlichen Komponente und Wissen über typische Ereignisabfolgen zusammensetzt. Es gibt mindestens die drei Typen: anthropologische, institutionelle und spezifische. Die Raummodelle können sich aus unterschiedlichen Quellen speisen. Sie können aus der aktualen Welt, aus einem Genre, aus der texteigenen oder einer text-
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übergreifenden fiktionalen Welt stammen, die durch Literatur, Theater, Film, Computerspiel, Comic usw. erzeugt wurde. Raumschema: Wissen über typische Ausprägungen von →Räumen und über räumliche Anordnungen. Beispiel: Schema eines Dorfplatzes. Raumstruktur: Strukturen des Makroraumes wie Bereiche, Wege, Grenzen und Landmarken. Raumwahrnehmung, erzählte: liegt dann vor, wenn jemand wahrnimmt, wenn also ein Akteur und ein Akt ausgemacht werden können. Der Wahrnehmende muss keine Figur sein, und der Wahrnehmungsakt muss nicht durch ein Wahrnehmungsverb angezeigt werden. Raum, erzählter: → Ereignisregion, in der kein Erzählakt situiert ist. Gegenbegriff zum → Erzählraum Schauplatz: → erzählter Raum der erzählten Geschichte, der zur faktischen Umgebung eines Ereignisses wird und in dem die Origo verortet ist. Situation: Informationseinheit, die aus einer räumlichen, einer zeitlichen, einer figuren- und einer ereignisbezogenen Komponente besteht. Skript:
Wissensrepräsentation für einen Handlungsablauf inklusive Handlungsrollen. Oftmals auch mit dem Wissen verbunden, wo eine bestimmte Handlung sich abspielt. Beispiel: Skript eines Restaurantbesuchs.
Texttyp: Aussageform des Erzählens, die durch die folgenden Merkmale gekennzeichnet ist: Sie umfasst einen Teilsatz, Satz oder Abschnitt, ist durch ihr spezifisches Verhältnis zu konkreten Ereignissen bestimmt und kann darüber hinaus durch semantische Merkmale charakterisiert sein.
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Unbestimmtheitsstelle: Fehlen von Informationen über das Vorhandensein von Bestandteilen des Raumes der erzählten Welt, von deren Vorhandensein man nach der Logik der erzählten bzw. aktualen Welt ausgehen kann. Unbestimmte Informationen können als Teil der erzählten Welt angenommen werden, so lange nichts Gegenteiliges erzählt wird. Im Text finden sich zumeist Hinweise auf die Notwendigkeit der Ergänzung wie die Nennung von Handlungen oder Handlungsrollen, die typischerweise mit bestimmten räumlichen Gegebenheiten verbunden sind. Wahrnehmung, erzählte: erzählte Raumwahrnehmung liegt dann vor, wenn ein Akt der Wahrnehmung und ein Wahrnehmender explizit genannt werden oder erschlossen werden können. Ist dies der Fall, so werden die wahrgenommenen räumlichen Gegebenheiten zu einem →Wahrnehmungsbereich zusammengefasst. Wahrnehmungsbereich: derjenige räumliche Bereich, der wahrgenommen wird. Zu unterscheiden von der → Ereignisregion des Wahrnehmungsereignisses. Während die Ereignisregion die Umgebung der Wahrnehmungsinstanz darstellt, umfasst der Wahrnehmungsbereich die wahrgenommenen → räumlichen Gegebenheiten. Die beiden Bereiche können zusammenfallen, wenn eine Wahrnehmungsinstanz nur ihre Ereignisregion wahrnimmt, sie können aber auch divergieren, wenn eine Wahrnehmung von Entfernterem erzählt wird. Welt, erzählte: Handlung sowie Gesamtheit der Figuren, Objekte und räumlichen Gegebenheiten eines Erzähltextes.
Namensregister Abbott, H. Porter 3 Abelson, Robert 181 Aleksandrov, Aleksandr Danilovich 172 Anderson, John R. 66, 105, 181 Appleton, Jay 2 Aristoteles 7 Arnheim, Rudolf 49 Assert, Bodo 13 Atran, Scott 58 Atzwanger, Klaus 184 Augé, Marc 67 Baak, Jost van 3, 15, 31, 32, 169, 173, 193, 214 Baak. Jost van 31 Bachelard, Gaston 44, 54, 179, 194 Bachtin, Michail 33, 168, 169, 193 Bal, Mieke 39, 40, 46, 121, 136, 137, 138, 144, 149, 215 Barnes, Djuna 49 Barthes, Roland 136 Bauer, Matthias 3 Becker, Sabina 2 Behrmann, Alfred 3 Bellarmino, Roberto Francesco Romolo 61 Beloschnitschenko, Swetlana 2 Berghahn, Daniela 56 Bernhart, Toni 67
Billen, Josef 183 Birken, Sigmund von 183 Bjornson, R. 106, 107 Blanchot, Maurice 13 Bloom, Paul 76 Blotevogel, Hans H. 57 Bode, Christoph 38 Böhme, Hartmut 6, 7, 75, 190 Bollnow, Otto Friedrich 54, 55, 179, 194 Bonheim, Helmut W. 118, 138 Borgards, Roland 8 Borsò, Vittoria 6 Bourdieu, Pierre 180 Bower, G. 90 Bradbury, Malcolm 1 Bremond, Claude 136 Brenner, Peter J. 2 Brewer, William F. 180 Bridgeman, Teresa 37, 190 Bronfen, Elisabeth 56 Bruder, Gail A. 100 Brüggemann, Heinz 2 Brynchildsvoll, Knut 49 Buchholz, Sabine 3 Bühler, Karl 78, 99, 100, 130, 131 Burghardt, Anja 38, 165 Butor, Michel 13 Carstensen, Kai-Uwe 76 Cassirer, Ernst 18 Certeau, Michel de 67
Namensregister
Chatman, Seymour 37, 39, 40, 73, 74, 94, 128, 141, 144, 213 Cicero 183 Corbineau-Hoffmann, Angelika 2 Cornils, Anja 4 Costello, Anne M. 100 Curtius, Ernst 182, 183 Daghistany, Ann 49, 50 Davies, Martin 58 Deleuze, Gilles 172 Dittrich, Andreas 8 Doetsch, Hermann 6 Doležel, Lubomír 4, 35, 92 Döring, Jörg 6, 56 Downs, Roger 67 Duchan, Judith F. 100 Dünne, Jörg 6, 7, 74 Dürckheim, Karlfried 55 Eco, Umberto 94 Eibl, Karl 9, 65, 66, 84 Eichendorff, Joseph von 19 Einstein, Albert 34, 61 Einstein, Carl 67, 192 Eliot, Thomas Stearns 49 Emmott, Catherine 10, 115, 116, 118, 139, 140, 160 Euler, Leonhard 53 Faber, Richard 2 Fields, William 63 Flaubert, Gustave 49 Fletcher, C. R. 111 Fludernik, Monika 38 Fontane, Theodor 17, 21, 77, 134, 142 Forster, Edward Morgan 3 Foucault, Michel 6, 186, 187, 188 Fouqué, Friedrich de la Motte 68, 192
243
Frank, Joseph 43, 48, 49, 50, 120 Frank, Michael C. 168 Freksa, Christian 191 Frick, Werner 2 Fricke, Harald 11 Friedemann, Käte 15, 16, 23, 38, 210 Garber, Klaus 183 Garrad, Greg 2 Garrett, Merill F. 76 Genette, Gérard 4, 48, 49, 112, 113, 136, 137, 149, 158 Gentner, Dedre 60 Goethe, Johann Wolfgang von 19, 22, 167 Goffman, Erving 36 Gogol, Nikolai Wassiljewitsch 30 Goldmann, Stefan 183 Görling, Reinhold 6 Gosztonyi, Alexander 60 Grabowski, Joachim 76, 78, 79, 124, 175 Grass, Günther 68, 181 Greimas, Algirdas Julien 170, 171 Grice, Paul 86 Grohnert, Dietrich 185 Gruenter, Rainer 183 Guadalupi, Gianni 1 Guattari, Félix 172 Gullon, Ricardo 49 Günzel, Stephan 6, 7, 53 Haas, Rosemarie 185 Habel, Christopher 76 Hamon, Philippe 137, 138 Haß, Petra 183 Haubrichs, Wolfgang 3 Haupt, Birgit 37
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Namensregister
Hauser, Susanne 2 Heerwagen, Judith H. 2, 184 Heidegger, Martin 13, 54 Heine, Heinrich 126, 158, 160 Heinemann, Wolfgang 140 Held, Carsten 90 Herman, David 3, 41, 42, 82, 100, 101, 102, 103, 113, 122, 216 Herman, Davud 101 Herweg, Michael 76 Hesiod 182 Hewitt, Lynne E. 100 Hillebrand, Bruno 17, 21, 22, 212 Hirschfeld, Lawrence L. 58 Hoffmann, E. T. A. 160 Hoffmann, Gerhard 13, 19, 21, 24, 25, 26, 27, 28, 37, 55, 56, 119, 120, 121, 171, 174, 175, 190, 193, 214 Hofmann, Franck 6 Hölderlin, Friedrich 177 Homer 182 Hosenfeld, Carol 100 Hühn, Peter 3, 122, 160 Husserl, Edmund 63 Ibsch, Elrud 138 Ingarden, Roman 94 Iser, Wolfgang 95 Jackendorff, Ray 76, 101, 190 Jahn, Bernhard 191 Jahn, Manfred 3, 14 Jameson, Frederic 107 Jammer, Max 60 Jannidis, Fotis 8, 10, 80, 87, 88, 89, 90, 91, 97, 112, 118, 171, 182 Johnson, Mark 9, 44, 62, 63, 65, 66, 82
Johnson-Laird, Philip 90, 108 Joyce, James 49 Jureit, Ulrike 6 Kafka, Franz 1, 13, 22, 93, 95 Kahrmann, Cordula 38, 45, 127, 213 Kambartel, Friedrich 60 Kaplan, Stephen 184 Kayser, Wolfgang 37 Keen, Suzanne 3 Kehlmann, Daniel 79, 131 Keller, Rudi 10, 85 Kellogg, Robert 3 Kestner, Martin 49 Kleiber, Georges 64 Kleist, Heinrich von 148 Knauff, Markus 78, 81, 90, 105, 110, 180 Koeppen, Wolfgang 69, 83, 167 Kohlstock, Peter 52 Köppe, Tilmann 8 Koschorke, Albrecht 2 Koskimies, Rafael 3 Krah, Hans 40, 41, 166, 170, 215 Krieg-Brückner, Bernd 191 Kues, Nikolaus von 61 Kullmann, Thomas 2 Labov, William 154, 155 Lakoff, George 9, 44, 62, 63, 65, 66, 82 Lämmert, Eberhard 3 Landa, José Angel García 3 Landau, Barabara 76 Landau, Barbara 76, 101, 190 Lange, Sigrid 6 Lauer, Gerhard 88 Lazaris, Stavros 6
Namensregister
Leibniz, Gottfried Wilhelm 18, 53, 61 Lessing, Gotthold, Ephraim 4 Levinson, Stephen C. 60, 76, 78, 84 Lewin, Kurt 54 Linde, Charlotte 154, 155 Listing, Johann Benedict 53 Lobsien, Eckhard 2 Lopes, José Manuel 137 Lorenz, Konrad 9, 63 Lossau, Julia 56 Lotman, Jurij M. 19, 28, 29, 30, 31, 32, 36, 37, 40, 41, 44, 53, 122, 165, 166, 169, 172, 173, 189, 190, 193, 212 Love, Glen A. 2 Löw, Martina 62 Lüdeke, Roger 6 Lutwack, Leonard 13, 174 Lynch, Kevin 106, 190, 191, 192, 195 Maatje, Frank C. 20, 23, 211 Mach, Ernst 61 Mahler, Andreas 2 Mahlke, Kirsten 168 Maier, Anja 6 Mallarmé, Stéphane 13 Mallot, Hanspeter A. 191 Malmgren, Carl Darryl 50 Manguel, Alberto 1 Marcotte, Edward 49 Margolin, Uri 129 Márquez, Gabriel García 104, 180 Martinez, Matias 3, 88, 112, 113, 123, 165, 166, 167 May, Karl 1 McCloskey, Mary 58 Medin, Douglas L. 58
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Meier, Albert 2 Meister, Jan Christoph 122 Mellmann, Katja 184, 185 Merleau-Ponty, Maurice 54 Metzing, Dieter 36 Meyer, Herman 17, 18, 19, 20, 32, 211 Miggelbrink, Judith 57 Miller, J. Hillis 3, 52, 75 Mills, Sara 2 Minkowski, Eugène 55 Moretti, Franco 3 Morrow, D. 90 Mosher, Jr 138 Mosher, Jr. 138 Muir, Edwin 37 Müller, Günter 4 Nadel, Lynn 76 Nagel, Siegfried Robert 1 Nerdinger, Winfried 1 Newton, Isaac 18 Nöth, Winfried 75 Nünning, Ansgar 3 O’Toole, Lawrence M. 50 Oakhill, Jane 90 Onega, Susana 3 Orians, Gordon H. 2, 184 Paivio, Allan 109 Paul, Jean 48 Peirce, Charles Sanders 85, 156 Petersen, Jürgen 3 Peterson, Mary A. 76 Petsch, Robert 17, 18, 19, 20, 32, 38, 67, 210 Phelan, James 3 Piaget, Jean 28 Piatti, Barbara 2 Pier, John 3 Platon 181, 194, 202
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Namensregister
Polenz, Peter von 86 Pound, Ezra 49 Preuss, Michael 2 Prince, Gerald 3, 128 Propp 170 Raabe, Wilhelm 1 Rabinowitz, Peter 91 Ranke, Kurt 179 Rehkämper, Klaus 76 Reichel, Norbert 13 Reichert, Dagmar 6 Reif-Hülser, Monika 2 Reiß, Gunter 38, 45, 127, 213 Renner, Karl Nikolaus 165 Renninger, LeeAnn 184 Reuter, Yves 38 Rickheit, Gert 90 Rilke, Rainer Maria 13 Rimmon-Kenan, Shlomit 3 Ritter, Alexander 13, 17, 19, 20, 21, 23 Ritter, Christiane 92 Ronen, Ruth 3, 35, 36, 46, 73, 74, 94, 120, 121, 129, 137, 138, 215 Rowling, Joanne K. 125 Ruso, Bernhart 184 Ryan, Marie-Laure 42, 43, 44, 48, 103, 104, 105, 106, 107, 114, 180, 217 Sappok, Christian 19, 23, 24, 73, 74, 94, 211 Sasse, Sylvia 48 Savage-Rumbaugh, Sue 63 Schäfer, Bernhard 180 Schank, Roger C. 181 Scheffel, Michael 3, 112, 113, 123, 165, 166, 167 Schernus, Wilhelm 4 Schindl, Thomas 6
Schlögel, Karl 6 Schlottmann, Anke 9, 57, 59, 61 Schluchter, Manfred 38, 45, 127, 213 Schmid, Wolf 3, 87, 88, 149 Schnabel, Johann Gottfried 1, 69, 80, 108, 185 Schneider, Jost 3 Scholes, Robert 3 Schönert, Jörg 3, 4, 15 Schwarze, Hans-Wilhelm 37 Schweizer, Harro 76 Schweizer, Karin 76, 191 Seckel, Dietrich 177 Segal, Erwin M. 99 Segerdahl, Pär 63 Sennewald, Jens E. 6 Smitten, Jeffrey 49, 50 Smuda, Manfred 2 Soja, Edward 6 Sperber, Dan 185, 202 Spoerhase, Carlos 88 Spörl, Uwe 168 Staiger, Emil 20 Stanzel, Franz K 37, 38 Stanzel, Franz K. 14, 15, 157 Stea, David 67 Stendhal (Marie-Henri Beyle) 21 Stifter, Adalbert 134, 142 Stockhammer, Robert 6, 7, 74, 75, 154 Stone, Tony 58 Storm, Theodor 133 Ströker, Elisabeth 25, 26 Teuber, Bernhard 173 Thielmann, Tristan 6, 56 Thornhill, Randy 184 Thoss, Dagmar 183
Namensregister
Tieck, Ludwig 70 Timpe, Eugene 49 Titzmann, Michael 165 Todorov, Tzvetan 112 Tolman, E. C. 106 Treyens, James C. 180 Turner, James 2 Ungern-Sternberg, Armin von 3 Vater, Heinz 75, 76, 77 Vergil 183 Vosgerau, Gottfried 90 Warda, Susanne 4 Weber, Dietrich 3 Weigel, Sigrid 2, 7 Weimar, Klaus 12 Weizsäcker, Carl Friedrich von 60 Wenz, Karin 154, 155, 156, 157, 158
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Werlen, Benno 57 Werlich, Egon 140 Werner, Steffen 191 Werth, Paul 84 Wilkins, David P. 76 Wilson, Deirdre 185, 202 Winko, Simone 88 Wokart, Norbert 2 Wolf, Burkhardt 6 Wolf, Werner 118, 119, 137, 141 Würzbach, Natascha 3, 13, 23 Zimmermann, Christian von 2 Zipfel, Frank 12, 41, 92 Zoran, Gabriel 32, 33, 34, 35, 37, 46, 51, 121, 143, 144, 148, 155, 156, 157, 215 Zubin, David A. 100