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German Pages [274] Year 2016
Broken Narratives
Band 1
Herausgegeben von der Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien
Die Bände dieser Reihe sind peer-reviewed.
Anna Babka / Marlen Bidwell-Steiner / Wolfgang Müller-Funk (Hg.)
Narrative im Bruch Theoretische Positionen und Anwendungen
Mit 4 Abbildungen
V& R unipress Vienna University Press
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet þber http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 2366-3596 ISBN 978-3-7370-0596-8 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhÐltlich unter: www.v-r.de Verçffentlichungen der Vienna University Press erscheinen im Verlag V& R unipress GmbH. Gedruckt mit freundlicher Unterstþtzung des Rektorats der UniversitÐt Wien. 2016, V& R unipress GmbH, Robert-Bosch-Breite 6, D-37079 Gçttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich gesch þtzt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen FÐllen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Titelbild: Peter Kodera: „Nein – …danke!“ Acryl/Lw 130 x 190 cm – 1987
Inhalt
Anna Babka / Marlen Bidwell-Steiner / Wolfgang Müller-Funk Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Wolfgang Müller-Funk Broken Narratives. Die Moderne als Tradition des Bruchs . . . . . . . . .
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Ansgar Nünning / Vera Nünning Conceptualizing ‘Broken Narratives’ from a Narratological Perspective: Domains, Concepts, Features, Functions, and Suggestions for Research .
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Henrik Skov Nielsen Broken Narratives, Unnatural Narratology, and Unnaturalizing Reading Strategies . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Thomas Eder Broken Narratology? Zu einigen neuen narratologischen Theorien . . . . 107 Arno Böhler Post-Hermeneutik nach Derrida. Erstaunliche Brüche . . . . . . . . . . . 133 Matthias Schmidt / Eva Schörkhuber Abgründe des Erzählens: Derrida-Lektüren
. . . . . . . . . . . . . . . . 147
Marlen Bidwell-Steiner Don Quijote trifft auf Orlando Furioso: poetische Anamorphosen und chiastische Verknüpfungen als Auftakt des modernen europäischen Romans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179
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Inhalt
Anna Babka / Ursula Knoll Geschlecht erzählen: zur Rhetorik der Unterbrechung in Herculine Abel Barbins autobiografischen Aufzeichnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 Caitr&ona N& Dhfflill Indigestible Biographies: Limits to the Narrative Processing of Life
. . . 223
Trinh T. Minh-ha Mother’s Talk. Mutter(s) GeRede als Erzählkunst des Lebens . . . . . . . 239 Trinh T. Minh-ha Voice over I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 Mieke Bal Breaking the Narrative: The Madame B Project and Historical Loyalty . . 255 Kurzbiographien
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271
Anna Babka / Marlen Bidwell-Steiner / Wolfgang Müller-Funk
Einleitung
Der vorliegende Band geht auf eine mehrjährige Forschungsinitiative der Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien zurück, konzipiert und geleitet von Wolfgang Müller-Funk. Beteiligt waren Forscherinnen und Forscher aus den verschiedensten Disziplinen, darunter die Institute für Europäische und Vergleichende Sprach- und Literaturwissenschaft, Anglistik, Germanistik, Latinistik, Musikwissenschaften, Orientalistik, Romanistik, Slawistik sowie Theater- Film und Medienwissenschaften. Der erste Band der Reihe des gleichnamigen Forschungsverbunds ,Broken Narratives‘, entfaltet und diskutiert – aus genuin transdisziplinärer Perspektive – insbesondere theoretische Fragestellungen, die sich aus der Beziehung von Narration und Bruch ergeben. Dabei kommen nicht nur vielfältige narratologische Modelle zu Wort, vielmehr wird das Thema der gebrochenen und brüchigen Narrative auch im Hinblick auf theoretische Basiskonzepte vielstimmig erörtert und breit konturiert. Das Spektrum der Beiträge reicht von gleichsam ,neo‘-narratolgischen zu kognitionstheoretischen, von philosophisch dekonstruktiven zu gender- und queertheoretischen bis hin zu biographie- und autobiographietheoretischen Ansätzen. Das Phänomen des Bruchs wird, unter anderem, im Sinne einer avancierten, programmatisch modernistischen Ästhetik verstanden, aber auch als narrative Antwort auf Ereignisse, die Kontinuität und Normalität in Frage stellen oder auch als ein bestimmtes narratives Muster einer Erzählung, das Kontinuität und Diskontinuität in eine Wechselbeziehung zueinander bringt. Viele der hier versammelten Aufsätze entfalten ihre theoretischen Überlegungen entlang ausgewählter Texte, wobei die Bandbreite von Ego-Dokumenten über programmatische Essays und heterogene philosophische Textsorten bis zu literarischen Formaten wie Roman und Novelle reicht – einige Texte verwischen die Grenzen zwischen Objekt- und Metasprache ganz im Sinne ihrer theoretischen Vorannahmen. Der Band versammelt damit zum einen die Ergebnisse der intensiven Auseinandersetzungen im Rahmen der oben genannten Forschungsinitiative, zum anderen wurde er gezielt durch Beiträge einiger renommierter Kolleginnen und
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Kollegen ergänzt. Dies nicht zuletzt deshalb, weil wir ein repräsentatives Buch vorlegen möchten, das die lebhafte Diskussion über Narrativität und Narration um ein komplexes, für das Verständnis dieses Themenfeldes indes entscheidendes Phänomen erweitert. Ein gemeinsamer Befund dieses weit gefächerten Bandes könnte am Ende lauten, dass Erzählen immer auch eine Arbeit an Brüchen und an Brüchigkeiten ist, diesen auf die eine oder andere Weise Sinn verleiht, ja sie inszeniert oder auch harmonisierend verdeckt bzw. neutralisiert. Die Anordnung der Beiträge erzeugt einen Spannungsbogen ausgehend von programmatischer Einführung und erzähltheoretisch orientierten Beiträgen über philosophisch-anspruchsvolle, assoziativ vorgehenden Analysen bis hin zu experimentellen und performativen Aufsätzen am Ende des Bandes. Damit stellt sich das Buch selbst als Beispiel für „Narrative im Bruch“ zur Disposition. Zwar gilt das gewissermaßen für alle Sammelbände, doch im vorliegenden Fall wird dieses Charakteristikum des Vielstimmigen und Fragmenthaften zur programmatischen Einladung, die narrativen Brüche und Leerstellen, die sich im Vergleich der Aufsätze untereinander ergeben, auf einer Meta-Ebene zu reflektieren. Wolfgang Müller-Funks Beitrag eröffnet den Band mit einer systematischen Präsentation des Fokus, um den sich die hier versammelten verschiedenen Theorieangebote gruppieren. Er diskutiert die dem Begriffspaar NarrativRuptur eingeschriebene Spannung vor dem Hintergrund einer „im menschlichen Symbolismus verankerten Kulturtechnik“, in der „Bruch“ immer schon konstitutiv für ein erzählerisches Emplotment und damit für eine zeitlich organisierte Sinnstiftung wird. Neben dieser beinahe anthropologischen Konstante zeigt er in Rückgriff auf Octavio Paz aber, dass in der Moderne die Thematik des Bruchs geradezu als Epochenmarker fungiert, da Ruptur nicht nur auf der Ebene der Geschichten (histoire) und der Diskurse (discours), sondern auch auf der Ebene des performativen Akts omnipräsent ist. Das nimmt MüllerFunk zum Anlass, um die semantische Breite des Begriffs Bruch zu sortieren: das metaphorische Zerbrechen des Spiegels, die Trennung in einer Beziehung, die unerwartete Unterbrechung und schließlich der Tabubruch. Müller-Funk arbeitet dabei heraus, dass diese unterschiedlichen Bedeutungsfelder von „Bruch“ aber ein Charakteristikum verbindet: die Ambivalenz. Denn die narrative Bewältigung des Bruchs – die „Sinnstiftung a posteriori“ – bedingt eine paradoxe Rückkoppelung an das, was gebrochen ist bzw. das, womit gebrochen wurde. Somit konzeptualisiert er für die Analyse des „Bruchs“ eine temporale Transversale, indem er aus postmoderner Perspektive die ästhetische Programmatik der Moderne in den Blick nimmt. Dabei wird Ambivalenz als Strategie stark gemacht, beide Seiten des Bruches intakt zu halten, denn die Rückerinnerung als Reintegration verbindet sich mit dem Blick nach vorn, dem Öffnen neuer Optionen: Je nach Position im Ereignis des Bruchs wird diese Ambivalenz nun
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positiv integriert oder aber problematisiert, wie der Autor an signifikanten Stationen der europäischen Literaturgeschichte zeigt. Ansgar und Vera Nünnings umfangreicher Beitrag gibt einen ausführlichen Überblick darüber, wie das Phänomen ,Bruch‘ in den verschiedensten klassischen und post-klassischen Narratologien diskutiert wird oder, besser, diskutiert werden könnte. Wie schon der Untertitel ihres Beitrages nahelegt, ist der Aspekt der Gebrochenheit im narrativen ,Komplex‘ allgegenwärtig, ubiquitär, gleichwohl aber in der Theoriebildung unterbelichtet geblieben. Zu Recht machen sie zwischen „broken narratives“, „ruptured narratives“ und „rupture“ eine Unterscheidung. Sie schlagen vor, „broken narratives“ als ein metaphorisch strukturiertes Konzept zu begreifen, in dessen Rahmen sich bestimmte gemeinsame Muster und Erscheinungsformen – Nünning/Nünning führen insgesamt elf Merkmale an – bestimmen lassen, so etwa Diskontinuität und Unterbrechung, Fragmentierung und der Mangel an Integration oder – um nur noch ein Element aus der Auflistung in dem Aufsatz zu nennen: Verlust an Funktionalität. Betrachtet man die Liste ganz genau, dann treten hier ex negativo all jene zentralen Funktionen auf, die man der symbolischen Form des Narrativen in ihren traditionellen Versionen zuschreiben kann. Oder anders ausgedrückt: Für die Analyse narrativer Prozesse und ihrer Funktion für eine jeweilige Kultur ist das Verständnis von Bruchphänomenen eigentlich unabdingbar. Signifikant an ihrer Annäherung an die Bruchthematik ist, dass Nünning/ Nünning ausgerechnet drei üblicherweise als faktual geltende Erzählfelder als „broken narratives“ par excellence definieren: Erzählungen über Gesundheit/ Krankheit, Trauma-Erzählungen und Autobiographie. Auch wenn sie immer wieder zu Recht betonen, dass fiktionale Erzählungen ebenso diese Themen nutzen können und „broken narratives“ auch fiktionale Texte einschließen, ist dies ein Befund, dem es nachzugehen lohnt. Mit ganz anderen Formen von Brüchen beschäftigen sich indes die Aufsätze von Henrik Skov Nielsen und von Thomas Eder. Im Beitrag von Henrik Skov Nielsen geht es darum, eine neue narrative Theorie des ,Unnatürlichen‘ (,Unnatural Narratology‘) vorzustellen, wie sie eine Gruppe von dänischen und angelsächsischen Theoretikern und Theoretikerinnen seit 2007 entwickelt hat. Dieses Konzept ist einem „mimetischen Reduktionismus“ verpflichtet, in dessen Zentrum ein Korpus von Texten steht, die nicht ,natürlich‘ in dem Sinne sind, dass sie sich auf die alltägliche narrative Kommunikationssituation beziehen (und dazu gehören selbstredend auch alle ,realistischen‘ literarischen Texte), sondern auf fiktive Orte und Räume, in denen die Regeln der Kommunikation der ,realen Welt‘ außer Kraft gesetzt sind. Diese Narrative generieren interpretative Strategien, die sich von den normalen, nicht-fiktionalen Erzählsituationen unterscheiden und damit einen Raum zu deren Hinterfragung öffnen. In diesem Zusammenhang ist die allegorische
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Lektüre von Belang, das Lesen von Ereignissen als interne Zustände oder auch die Erweiterung des narrativen Rahmens, wie Nielsen am Beispiel von Edgar Alan Poes Erzählung The Oval Portrait darlegt. Die Erzählung impliziert einen Bruch mit der ,normalen Realität‘ und produziert im Falle Poes nicht nur eine ,Verfremdung‘ der gewohnten Realität, sondern eine Verdoppelung des Porträts, jenes des Mädchens, und jenes der Erzählerinstanz. Das Verhältnis von ,unnatürlichen‘ und ,gebrochenen‘ Narrativen beschreibt Nielsen als ambivalent, womit er Müller-Funks Befund bestätigt. Der Aufsatz stellt zudem die Frage, inwiefern gebrochene Narrative auf der Vorstellung realer Ereignisse beruhen. Im Repertoire des Modernismus und seiner ,unnatürlichen Narrative‘ ist das nicht zwangsläufig der Fall. Zu den Vorzügen des Konzepts einer ,unnatürlichen‘ Narratologie, die sich als Korrektur und Komplement begreift, zählt Nielsen ihr Verständnis für die Mehrdeutigkeit literarischer Texte und den Verzicht auf eine endgültige interpretatorische Auflösung ,gebrochener‘ Narrative. Damit positioniert sich Nielsen als spannungsreicher Gegenentwurf zu Nünning/Nünning, da sich aus seiner Perspektive der „unnatural narratology“, die diese für eine Analyse von „broken narratives“ als unzureichend kritisieren, die Frage nach der jeweiligen Spezifität der Ruptur gar nicht erst stellen. Vielmehr besticht Nielsens Beitrag durch seine Engführung von autobiographischem Bruch und narratologischer Analyse, die zu seiner Unterscheidung zwischen Brüchen in der realen Welt und solchen, die in Erzählungen auftauchen, überleitet. Gerade die Unterscheidung zwischen den möglichen Beziehungen von realweltlichen Brüchen und narrativen bzw. den Ebenen, auf denen Brüche in Erzählungen anzusiedeln sind, ist äußerst erhellend. Thomas Eders Aufsatz beschließt die Trias der im engeren Sinne narratologischen Beiträge. Sein Blick auf das Phänomen der „broken narratives“ reizt die Spannung mit den vorhergehenden theoretischen Ansätzen vollends aus, da er sich kognitiven narratologischen Zugängen zuwendet und deren Valenz kritisch überprüft. Von einer Broken Narratology spricht Eder in seiner Überschau kognitiver Konzepte des Narrativen. Dabei geht es um den Bruch mit ,klassischen‘ Theorien des Narrativen, wobei ,klassisch‘ hier auf den Strukturalismus und seine „Post-Spielarten“ bezogen wird. Der Anspruch einer kognitiven Narratologie läuft darauf hinaus, die bisherige Forschung zum Phänomen des Erzählens auf eine vollkommen neue interdisziplinäre Basis zu stellen, in der kognitive Psychologie und Literaturwissenschaft verbunden werden. Bisherige Konzepte des Narrativen haben sich fast ausschließlich auf den „Text“ bezogen. Kognitive Ansätze konzentrieren sich zumeist darauf, mentale Zustände zu beschreiben, wobei sie eine systematische Unterscheidung zwischen der ersten und der dritten Person treffen, wie sie üblicherweise im Prozess des Erzählens relevant ist. Narrative Prozesse stellen für die Erklärung der menschlichen Fähigkeit, sich in andere einzufühlen, eine wesentliche Voraussetzung. Von diesem
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Ansatz hebt Eder in seinem diskursgeschichtlichen Überblick die Narrative Practice Hypothesis ab. Dabei geht es nicht darum, eine narrative Theorie der Einfühlung zu entfalten, sondern Narration und Narrativität als Bedingung der Möglichkeit von Einfühlung zu thematisieren, wobei der frühkindlichen Entwicklung und der mit ihr einhergehenden Sozialisation ein besonderes Augenmerk geschenkt wird. Die folgenden zwei Aufsätze führen die von Nielsen begonnene Transzendierung klassischer wissenschaftlicher Aufsätze fort, indem sie einmal posthermeneutische Methoden anwenden und bewusst selbst fragmenthaft vorgehen bzw. im zweiten Fall Quellentexte quer und gegenläufig lesen. Arno Böhler konzeptualisiert in seiner Reflexion zu Narrativen der abendländischen Philosophie den Bruch als konstituierendes Moment philosophischer Sprachwerdung. Im Rekurs auf Heidegger, Nietzsche und Spinoza arbeitet er heraus, dass wir Erfahrungen, für die uns Begriffe fehlen, mit einem Staunen erleben. Dieser Affekt steht, so Böhler, am Beginn jedweder philosophischen Fragestellung. Anstelle von „Bruch mit“ abendländischen Traditionen bestimmt er eine „posthermeneutische“ Philosophie als „Auf-Bruch in“ ein neues Denken, das die affektiv-somatischen Anteile der Sprache offenlegt. Im Rahmen dieser postmodernen Phänomenologie erhält das Erzählen somit einen zentralen Platz innerhalb der philosophischen Theorienbildung. Böhler verknüpft unterschiedlichste philosophische Texte zu einer gemeinsamen Memoria-Spur und schafft damit einen vielstimmigen post-hermeneutischen Neuentwurf. Das Spiel mit Stimmen treiben Matthias Schmidt und Eva Schörkhuber weiter, indem sie statt der Evozierung verschiedener Stimmen im Text selbst gemeinsam schreiben und Derridas Das Gesetz der Gattung in zweifacher Lektüre untersuchen, einmal auf das Argument fokussiert, einmal auf Strategien, die den wissenschaftlichen Diskurs suspendieren oder konterkarieren. Damit lösen sie Böhlers zuvor vorgeschlagene Nietzsche-Lektüre ein, indem sie den Text „zum Tanzen“ bringen. Derridas wissenschaftskritische Denkbewegungen verlaufen entlang der Aporien und Paradoxien narrativer Texte, eröffnen und perspektivieren zugleich deren Potenziale und sorgen, in Abgrenzung zu prominenten postmodernen bzw. post-/strukturalistischen Problematisierungen des Erzählens, wie etwa den grands r8cits von Jean-FranÅois Lyotard, für neue Anschlussmöglichkeiten. Derridas Lektüren verfahren quer zu Annahmen, die das Erzählen als tendenziell stringent und kohärent, Brüchigkeiten glättend ausweisen, vielmehr betont er die agonistischen Potenziale narrativer Anordnungen. Die Erzählung wird laut Schmidt und Schörkhuber nicht zum ,Anderen‘ des wissenschaftlichen Diskurses, sondern verweist auf geteilte „Möglichkeitsbedingungen“ zwischen Ordnung und Anomalie, was bedeutet, dass die Erzählung Teil hat an den komplexen Voraussetzungen sprachlicher Signifikation. In Rekurrenz auf Derridas Lektüre von Maurice Blanchots La folie du jour zeigen
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Schmidt und Schörkhuber, wie entlang dieses Textes trennscharfe Kategorisierungen als fundierendes Prinzip moderner Wissenschaftlichkeit destabilisiert werden. Das Feld des Narrativen eröffnet in der Derrida’schen Lesart unzählige Ansatzpunkte, bestehende Ordnungsgefüge zu unterlaufen, zu kontaminieren und damit zu subvertieren. Marlen Bidwell-Steiner wiederum bietet mit ihrer Untersuchung von Miguel de Cervantes’ Don Quijote (1605) eine avancierte narratologische Analyse des Bruchs in frühmoderner Literatur, und zwar auf mehreren Ebenen: textuell, hypertextuell und metatextuell. Der offenkundige Bruch des Texts mit geläufigen Gattungstraditionen seiner Zeit kann, in zeitgenössischer Terminologie, längst als Dekonstruktion avant la lettre bezeichnet werden. Wenig erforscht hingegen zeigen sich die intertextuellen Bezüge des Textes zu einem weiteren bedeutenden ,Prototyp‘ der europäischen Literatur, Ariostos Orlando Furioso. Bidwell-Steiners Analyse setzt bei Cervantes ,Tabubruch‘ an, dem Spiel von Zitat und (chiastischer) Montage, das, mit G8rard Genette, als Hypertextualität bezeichnet werden kann. Ihre Spurensuche erfolgt, intersektional angelegt, entlang der Kategorien Gender, Class und Race. Die Ergebnisse der Untersuchung auf der Basis der Analyse des Hypertextes zeigen, dass zwar protofeministische Lesarten anklingen und ,ethnische Kontaminierung‘ thematisiert wird. Doch schließlich argumentiert der Text vor allem für eine gewisse soziale Mobilität, die ein christlich ethisches Weltbild eher bestätigt. Die Montage der zu einem Happy End verdichteten narrativen Elemente legt deren arbiträren Charakter offen, ja enthüllt sie als Schwindel oder Lügengespinste, deren Dekodierung wiederum den Leserinnen und Lesern obliegt. Bidwell-Steiner rekurriert, abschließend, auf ein bedeutsames „Dingsymbol“ im Text, den yelmo de Mambrino, die Rasierschüssel, die, in Quijotes Sicht, zum goldglänzenden magischen Helm und Helden des Orlando‘schen Textuniversums gerät. Angesprochen ist die Diskrepanz zwischen Wahrnehmung und Wissen, repräsentiert durch ein Symbol, das sämtliche libidinösen Verstrickungen der Protagonisten und Protagonistinnen spiegelt. Indem Bidwell-Steiner inter- und hypertextuelle Bezüge in Don Quijote herausstellt, kehrt sie zu einer im weitesten Sinne narratologischen Fragestellung zurück, geht zugleich aber darüber hinaus. Ihre Analyse korrespondiert mit Böhlers Ausführungen, wenn sie etwa die „hermeneutische Unbestimmtheit des Werkes“ konstatiert und Cervantes’ Technik als Kontingenzbewältigung angesichts der veränderten gesellschaftlichen Bedingungen liest. In ihrer Untersuchung der „intersektionalen Verschränkung“ des weiblichen Personals aus Orlando Furisoso und dem Don Quijote schafft sie auch eine produktive Brücke zum folgenden Aufsatz. Anna Babka und Ursula Knoll setzen sich in ihrem Beitrag intensiv mit der Frage von Geschlecht und Narrativen im Bruch auseinander. Die Autobiographie
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von Herculine_Abel Barbin ist ein hervorragendes Beispiel einer „broken narrative“ ganz im Sinne Nünning/Nünnings, deren Definition von Bruchnarrativen hier produktiv gemacht wird: Babka/Knoll identifizieren ein krisenhaftes Moment, die hohe Ereignishaftigkeit des Bruch-Moments sowie einen ereignishaften Kern, der das Erzählen auslöst und antreibt, aber als „bedeutungsgenerierende narrative Unterbrechung“ die bedrohende Dimension der Brucherfahrung nicht entschärft. Im Zentrum der Autobiographie steht das monströse, „sprachunfähige“ Selbst Barbins. Mit Derrida gedacht ist das autobiographische Selbst, das über sich und sein (Nicht-) Werden Auskunft gibt, Effekt sprachlicher Figurationen. Der Zugang zum autobiographischen Selbst und dessen Lebenswirklichkeit aber, das führt die Gattung vor, erfolgt über die Sprache, die beides allererst formiert. Dabei ist, so Babka und Knoll, die Narration des Selbst immer jenes, das im Sinne Derridas, de Mans oder Butlers ,zu spät‘ kommt. Um dies zu exemplifizieren ruft der Beitrag noch einmal eine prominente ,Geschichte‘ aus dem Dreieck von Dekonstruktion, Genderforschung und Psychoanalyse auf, Herculine Abel Barbins Tagebücher, die nicht zuletzt durch Foucaults Kommentar sowie durch die Replik Judith Butlers prominent geworden sind. Die geschlechtliche Figur, an der sich die Brüchigkeit von Geschlechterkonstruktionen hier ,entzündet‘, ist dabei der Hermaphrodit/die Hermaphroditin, der bzw. die der (scheinbar) logischen binären Geschlechterordnung widerspricht, insofern er/sie keines von beiden und beides zugleich ist. Wie lässt sich eine solche unmögliche Geschlechterkonstruktion narrativ entfalten? Babka und Knoll schlagen in diesem Zusammenhang die Figur der Parekbase als Trope der Unterbrechung oder des Unterbrechens vor, die im Sinne Paul de Mans und Bettine Menkes ihren Fluchtpunkt im Tod hat, der zugleich dem als rhetorisch verstandenen Verfahren des autobiographischen Narrativs zugrunde liegt. Damit gehört die Geschichte Barbins zu einem ganz spezifischen Typus von „broken narratives“, in dem ein „unauflösbarer, amphibischer Rest“ bleibe. Denn in der Figur der Parekbase, so führen die Autorinnen aus, wird diese Bewegung permanenter Unterbrechung als strukturelles Wirken fassbar, das die Möglichkeiten der autobiografischen Selbstaussage, der lebensweltlichen Zurichtung und der theoretischen Reflexion bestimmt. Mit (auto-)biographischem Material beschäftigt sich auch der nachfolgende Beitrag: Lebensgeschichten faszinieren vor allem aufgrund von Narrativen des Bruchs. Die Biographik verwebt diese Rupturen wieder zu einer kohärenten und semantisch stimmigen Textur, um eine glaubwürdige Gestalt einer historisch verortbaren Persönlichkeit zu schaffen. Caitr&ona Ni Dhfflill geht der Frage nach, ob sich tatsächlich alles Erlebte in Erzählung umformen lässt und arbeitet in ihrem Beitrag pointiert heraus, dass
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für Biographien aus narrativer Sicht nicht Krisen und Brüche ein Problem darstellen, sondern vielmehr die iterativen Verrichtungen des Alltäglichen. Essen und Ausscheiden, Waschen und Schwitzen sind jene zutiefst menschlichen Prozesse, deren Thematisierung das einzigartige Subjekt der Biograhien seines auratischen Glanzes berauben. Ni Dhfflill zeigt auf, dass zwar einzelne feministische Biographien überzeugend die Reproduktionsarbeit innerhalb einer Lebensgeschichte fokussieren, um auf deren mangelnde Repräsentierbarkeit, die mit dem Ausschluss von Frauen aus der öffentlichen Sphäre einhergeht, hinzuweisen. Abgesehen von solchen metabiographisch orientierten Experimenten wiesen die profanen Spuren des Alltäglichen aber eine eigentümliche „resistance to narration“ auf, was die weitgehende narrative Tabuisierung des Verdauungsapparats veranschaulicht. Am Ende ihres Beitrages überrascht Ni Dhfflill aber mit dem Nachweis, dass auf metaliterarischer Ebene der Verdauungsapparat als Quellbereich für Tropen des Unsagbaren höchst präsent ist: In einem Close Reading von Nietzsches Unzeitgemäße(n) Betrachtungen arbeitet sie Metaphern wie „verzehrend“ oder „wiederkäuen“ als textorganisierende Elemente heraus. Gerade Metaphern der Digestion – als Paradebeispiel des Alltäglichen – sind in Biographien ubiquitär und gehen einher mit der Reflexion über das biographische Schreiben. N& Dhfflill wirft die Frage auf, wo die Grenzen des Narrativen sind und schlägt vor, die Biographie als narrativ und zugleich nicht-narrativ zu charakterisieren. Die letzten beiden Beiträge des Bandes markieren einen Bruch mit dem Vorangegangen, bilden aber für sich eine Einheit, da sie experimenteller sind bzw. das Moment der Performativität zentral setzen. Trinh T. Minh-has poetisch anmutende Ausführungen demonstrieren auf der Metaebene eine Alternative zum analytischen Interpretieren, da sie assoziativ vorgeht und Sprache als Träger von Emotionen nutzbar macht. Das Resultat ist ein bemerkenswertes Beispiel für einen weiteren posthermeneutischen Zugang bzw. eine Rhetorik des Bruchs. Minh-has Texte sind Teile einer Publikation, die einen Korpus zu Fragen von Migration, Fluchtbewegungen und Grenzereignissen darstellen. In Mutter(s) GeRede (Mother’s Talk) werden die (gegenderten) Politiken der Volksmärchen reflektiert, etwa die ,männlichen‘ Narrative über männliche Weisheit, die gruppenerhaltend wirken soll, während weibliche Weisheit als unheilvoll und übernatürlich, ja zerstörerischer betrachtet wird. Entlang einer Reflexion von Mutter(s) GeRede werden männliche Privilegien beleuchtet und ,Narrative der Mütter‘ in ihren ambivalenten Verfasstheiten erörtert. In Eine Stimme. Vor-Über. (Augen)Ich (A voice. Over. I.) wird die Stimme mit der Repräsentation des Ich durch Erzählerinnen bzw. Erzähler korreliert und die Un-Möglichkeit dieser Repräsentationen vorgeführt. Trinh spielt, wie es der Übersetzer darlegt, in diesem Text mit einer zweifachen Doppeldeutigkeit, denn das Over im Titel referiert zum einen auf das Voice-over-Verfahren, bei dem die
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Aufnahme einer Stimme „über“ eine Film- oder Tonspur gelegt wird; zugleich kann over auch als „vorüber“ gelesen werden, also als Markierung der zeitlichen Uneinholbarkeit der erklingenden Stimme. Ihre poetische Prosa entfaltet die Bedeutung und Notwendigkeit der Stimme als ein konstitutives Moment eines Selbst-Narrativs, das Identitäten de-konstruiert. Der Band schließt mit Mieke Bals Beitrag, der die Grenze des Literalen und Literarischen überschreitet, stellt doch die Installation ,The Madame B Project‘ eine experimentelle Umsetzung von Flauberts Roman ,Madame Bovary‘ und darüber hinaus der breiten (theoretischen und künstlerischen) Rezeptionsspuren des Werkes dar. Bals und Gemakers filmische Arbeit an einem kanonischen Werk der Weltliteratur eröffnet und zeigt eine weitere – ästhetische – Dimension des Phänomens der Brüchigkeit. Ihre Annäherung an Flauberts berühmten Roman lässt sich zugleich als eine Bewegung verstehen, die postmoderne Gegenwartskultur zu begreifen, die dadurch bestimmt ist, dass sie auf Grund ihres unabgeschlossenen Charakters un(be)greifbar bleibt. Flauberts Text selbst lässt sich im Hinblick auf Modus und Fokalisierung als ein brüchiges narratives Gebilde beschreiben, das im Projekt durch Techniken wie Montage, mehrere Bildschirme, Experimente mit Soundeffekten und Improvisation umgesetzt wird. Bals Verständnis von „broken narratives“ zielt also weniger auf das Erzählte, also auf den Bruch als Ereignis, sondern vielmehr auf den Erzählvorgang, auf das Erzählen selbst ab. Flaubert hat mit seinem Roman ein brüchiges Narrativ – auf der Ebene des Ereignisses aber auch dessen narrativer Gestaltung – geschaffen. Von dieser Brüchigkeit geht Bals und Gemakers Projekt aus, bleibt dabei aber nicht stehen, sondern kommt zu einer neuen, aktualisierenden Interpretation. Zeitlichkeit wird in der intertextuellen Relation zwischen Roman und Installation zu einem Merkmal des Bruches. Damit verweist Bals Kommentar zum eigenen künstlerischen Werk wiederum auf den ersten Beitrag im Band, nämlich auf Müller-Funks Beobachtung, dass Brüche weniger räumlich als vielmehr zeitlich gedacht werden müssen. Diese zeitliche Dimension ist aber keineswegs zwangsläufig linear, chronologisch oder kohärent, sondern kann gebrochen sein, sodass sie im und durch das Narrativ erst rekonstruierbar wird. Die Gegenüberstellung des ersten und letzten Beitrags offenbart einen Mehrwert dieses Sammelbandes: Ohne die Unterschiede der theoretischen Ansätze und des jeweiligen konkreten Materials zu nivellieren, bietet er anregende Querverbindungen. Und wenn Nielsen in seinem Beitrag konstatiert, die entscheidende Frage laute, was wir unter „broken narratives“ verstehen, so formuliert er gleichsam das Motto, das diesen Band charakterisiert und das dieser mit allen Widersprüchen und Rupturen performiert. Denn aus der Zusammenschau der elf Beiträge, die gleichzeitig das einzelne Forschungsinteresse transzendiert, lässt sich die oben formulierte Frage weiter
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ausdifferenzieren. Mehrere Artikel konzeptualisieren etwa Bruch als ein genuines Distinktionsmerkmal der Moderne. Dabei wird jede Form von Aktualisierung auch intentional als Bruch mit der Vergangenheit verstanden. Seit der Postmoderne sind Bruch und Anknüpfung keine Gegensätze mehr, vielmehr handelt es sich um eine ganz spezifische Form der Verbindung, des Antwortens auf einen Text im Sinne von Bachtins Dialogizismus, einer intertextuellen Intervention. Doch wenn hier für eine Epochenschwelle die Melancholie als konstitutiv gesetzt wird, so drängt sich gerade ob der vielfach konstatierten Ubiquität des Bruchs der Eindruck auf, dass jede Zeitenwende von Phänomenen wie Verlust und Trauer gekennzeichnet ist. Dieser Eindruck erfährt in den Ausführungen von Nüning/Nüning eine Zuspitzung, da diese Inkohärenz, Anachronie und ein hohes Maß an Ereignishaftigkeit als Charakteristikum vieler Erzählungen werten. Was ist dann aber das genuin Brüchige an „broken narratives“? Und welcher ästhetische (Mehr)Wert wird diesen „broken narratives“ zugeschrieben? Sind Fragmentierung und Brüchiges nur dann „broken narratives“, wenn sie sich als solche emphatisch zu erkennen geben oder gelten auch verschleierte Brucherzählungen als solche? Stellen sich „broken narratives“ leichter in den Dienst gewisser Ideologien und wie instrumentalisierbar sind sie? Welche Rupturen werden schließlich in der Arbeit der Kulturwissenschaftlerinnen und Kulturwissenschaftler selbst sichtbar bzw. mit dem Anspruch auf Kohärenz und Anschlussfähigkeit geglättet? Das Sichtbarmachen dieser Fragestellungen hat diesen Band zuallererst motiviert. Denn wir verstehen Bruch als eine dreifache Kategorie, die kognitive, symbolische und ästhetische Repräsentationen von Wendepunkten in Geschichte und Geschichten umfasst. Die drei semantischen Achsen von Ruptur lassen sich als „Familienähnlichkeiten“ fassen. Dabei war es uns besonders wichtig, dass vor allem die ästhetische Dimension in den Blick genommen wird, da diese selbst in kulturwissenschaftlichen Analysen häufig unterbelichtet bleibt. Ruptur weist eine gewisse Strukturähnlichkeit mit anderen Begriffen auf, die auch in den einzelnen Texten teilweise vorkommen, wie zum Beispiel Krise oder Wende. Wie sich allerdings zeigt, erlauben diese verwandten Begriffe jedoch nicht, die für uns zentrale Verschränkung der drei semantischen Achsen zu konzeptualisieren. Krise ist zwar ein travelling concept zwischen den Disziplinen für die Beschreibung diverser Rupturerfahrungen, die Emphase liegt dabei allerdings auf einem fortlaufenden Prozess. Auch Wende ist ein vielstrapazierter Begriff, der ja nicht zuletzt in der strukturalistischen Narratologie stark gemacht wurde. Doch auch er fokussiert auf die Erzeugung von Kohärenz, auf eine produktive Assimilierung eines Störmoments, der die Erzählung antreibt. Und gerade deshalb erschien uns die Thematisierung des Offenen, des Unbewältigten und Gewaltvollen, das dem Terminus Bruch innewohnt, spannend, da sie eine
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der Kulturtechnik des Erzählens gegenläufige Perspektive erlaubt und unseren Denkstil, der auf Kohärenz und Bedeutung abzielt, verunsichern hilft. In diesem Sinne sind wir zuversichtlich, dass diese Sammlung elaborierter Theorieangebote gleichzeitig einen Aufbruch zu anregenden Weiterentwicklungen narratologischer Forschung darstellt. Durch das breite Spektrum der Methoden und Untersuchungsgegenstände, das von narratologischer Theoretisierung bis hin zur kreativen Auseinandersetzung mit Madame Bovary reicht, leistet der Band sowohl in seiner Breite wie in seiner Tiefe einen anregenden und vielversprechenden Beitrag zu zentralen Fragestellungen aktueller Debatten der Kultur- und Literaturwissenschaften. Mit „broken narratives“ wird nicht nur ein bisher marginalisierter Themenbereich eröffnet, sondern auch ein erzählerisches Paradigma einer multiperspektivischen wissenschaftlichen Analyse unterzogen. Das Phänomen der Bruch-Narrative ist methodisch widerständig, entziehen sich doch solche Erzählungen auf Grund ihrer Brüchigkeit und Fragmentierung oftmals etablierten Analyseinstrumentarien: Sie machen eine Differenzierung gängiger Parameter notwendig, beispielsweise in der Geschlechterforschung oder der Erzähltheorie. Die Einbeziehung von Kunstprojekten und Performance Art (wie jenes von Mieke Bal) liefern dabei eine spannende Erweiterung der etablierten Interpretationsmöglichkeiten: Diese fordern die traditionellen Parameter wissenschaftlicher Praxis heraus, indem sie ihr eine andere, weniger analytisch vorgehende Alternative vorschlagen und so klassische hermeneutische Herangehensweisen aufbrechen. *** Dank Wir freuen uns über die vielfältigen und anspruchsvollen Annäherungen an broken narratives, die wir in diesem Band versammeln konnten und möchten den Verfasserinnen und Verfassern dafür danken. Dank gebührt aber auch allen Kolleginnen und Kollegen aus dem genannten Forschungsverbund, deren Diskussionen und kritische Reflexionen spannende Denkräume eröffnet haben. Schließlich gilt unser Dank den kritisch-wohlwollenden Lesarten des anonymisierten Gutachten-Verfahrens, dessen Anregungen wir gerne aufgegriffen haben.
Wolfgang Müller-Funk
Broken Narratives. Die Moderne als Tradition des Bruchs
I. Der folgende Beitrag verschränkt zwei theoretische Perspektiven. Zum einen greift er auf eine beinahe vergessene Debatte über die Moderne aus den 1980erund 1990er-Jahren zurück, wie sie im Gefolge der Postmoderne entstanden ist.1 Denn diese Debatte bedurfte zur Bestimmung der Kategeorie des Postmodernen selbstverständlich einer Vorstellung, was unter Moderne im Allgemeinen und unter ästhetischem Modernismus im Besonderen zu verstehen sei. Im Gegensatz zu diversen spatialen Wenden, wie sie die gegenwärtige Debatte beherrschen, war und ist der Modernediskurs – es gibt Anzeichen für dessen Renaissance2 – stets auf eine zeitliche Dimension verwiesen. Auch die Kategorie des Bruchs, die auf prominente Weise von dem mexikanischen Autor, Essayisten und Literaturtheoretiker Octavio Paz als Charakteristikum eingeführt wurde, hat, wie noch zu zeigen sein wird, eine primär zeitliche Dimension, meint er doch nicht zuletzt die Aufkündigung zeitlich vorangegangener Konzepte. Das lässt sich sehr anschaulich an der Rhetorik Hermann Bahrs zeigen, der in der Zeit bis zum Ersten Weltkrieg maßgeblicher Wortführer der Wiener Moderne gewesen ist, etwa an seinem manifesthaften Text Die Moderne (1891), in dem der Bruch mit der vorherigen Generation, die pathetische Proklamation von Ende und Neuanfang, mitsamt messianischen Erwartungen im Mittelpunkt steht. Dass dieser programmatische Bruch einen durchaus gewalttätigen Aspekt in sich trägt, darüber lässt der Autor keinen Zweifel: „In uns wuchert die Vergangenheit noch immer und um uns wächst die Zukunft. Da kann kein Friede sein, sondern nur der Haß und Zwietracht, feindselig und voll Gewaltthat.“3 Zum anderen aber bezieht sich das Thema der ge- bzw. zerbrochenen Er1 Ich verweise pars pro toto auf Bohrer 1984. Darin sind Beiträge u. a. von Manfred Frank, Peter Bürger, Jürgen Habermas, Norbert W. Bolz und Jacob Taubes enthalten, aber kein einziger aus dem Kontext der neueren französischen Philosophie. 2 Müller-Funk 2012. 3 Bahr 2004, S. 12.
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zählungen auf eine zentrale Frage im Rahmen einer narrativen Kulturtheorie. Wie Paul Ricœur in seinem dreibändigen Werk Zeit und Erzählung hervorgehoben hat, wird „die Zeit in dem Maße zur menschlichen […], in dem sie sich nach dem Modus des Narrativen gestaltet“, während umgekehrt „die Erzählung ihren vollen Sinn erlangt, wenn sie eine Bedingung der zeitlichen Existenz wird“.4 Zentral für die Narrativisierung dessen, was in der Zeit geschieht, ist die „Konsonanz“ der „dichterischen Konfiguration“, die im Übrigen nicht auf literarisches Erzählen beschränkt ist. Durch die Setzung von Anfang und Ende entsteht eine Vollständigkeit, die es ohne narrative Vermittlung nicht gibt und nicht geben kann. Im Zusammenhang mit Aristoteles’ Konzept der Tragödie spricht Ricœur denn auch von einer „dissonanten“ Konstanz. „[Die] Kompositionskunst besteht darin, diese Dissonanz als eine Konsonanz erscheinen zu lassen.“5 Narrative Vermittlung bedeutet demnach die Herstellung von Stimmigkeit und Kohäsion; diese formalen Prozeduren bilden die Bedingung der Möglichkeit, dass Narrative Ereignisse nicht nur „abbilden“, sondern konfigurierend interpretieren, indem sie ihnen, wie es der expressionistische Nietzscheaner Theodor Lessing, übrigens ein Emphatiker des Bruchs, wohl als Erster bündig formuliert hat, einen Sinn verleihen. Es ist die Geschichte, genauer ihr discours, der das „bloße Neben- und Nacheinander zeitlicher Wahrnehmungen[…] als den Zusammenhang der Ereignisse“ erscheinen lässt“.6 In diesem Sinn ist die Geschichte das Ergebnis nachträglicher narrativer Konstruktion: „Geschichte wird erst dann, wenn in einer nach einem Wertgesichtspunkt geordneten Zeitreihe das Geschehnis den Charakter des Ereignisses erhält.“7 Diesem präkonstruktivistischen Konzept zufolge ist Geschichte „Geschichtsschreibung, das heißt die Stiftung dieses Sinnes, die Setzung eines Kausalzusammenhangs, die Erfindung dieser Entwicklung. Sie vorfindet nicht den Sinn der Welt; sie gibt ihn.“8 Eine solche Kritik am realistischen Missverständnis lässt wie von selbst die Brüche hinter den narrativen Synthesen („Konsonanzen“) hervortreten, und es ist kein Zufall, dass Lessings zorniges, mit dem Zeitgeist abrechnendes Buch unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg erschien, der von vielen Zeitgenossinnen und Zeitgenossen als ein Bruch erfahren wurde, wobei in diese Erfahrung bereits ein Stück Sinnstiftung a posteriori eingegangen ist. Nebenbei bemerkt gibt es eine ganze Reihe sehr unterschiedlicher „epochaler“ Werke, die als narrative Arbeit an den Geschehnissen des Ersten Weltkriegs verstanden werden 4 5 6 7 8
Ricœur 1988, S. 86. Ebd., S. 86. Lessing 1983, S. 23. Ebd., S. 17. Ebd., S. 15.
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können, Sigmund Freuds Jenseits des Lustprinzips genauso wie Oswald Spenglers Der Untergang des Abendlandes oder Robert Musils Der Mann ohne Eigenschaften. Bruch in all seinen verschiedenen Bedeutungen lässt sich demzufolge nicht einfach als eine simple historische Tatsache begreifen, sondern als eine Form eines narrativen Emplotments. Im Rahmen eines umfassenderen kulturwissenschaftlichen Verständnisses des Narrativen wäre Bruch inklusive seiner Varianten (Einschnitt, Zäsur, Wende) ein narratives Muster, das es den Menschen gestattet, bestimmte Formen individueller oder kollektiver Erlebnisse, die das Merkmal des Unerwarteten in sich tragen, erzählerisch zu gestalten. Auf dieser Ebene kann man Erzählen nicht nur als dichterische Konfiguration, sondern darüber hinaus auch als eine im menschlichen Symbolismus verankerte Kulturtechnik ansehen, die dem Menschen ermöglicht, dem, was ihm widerfahren ist, Bedeutung zu verleihen, die daraus gewonnene Erfahrung zu überschreiten sowie neue Formen der Integration und soziale Beziehungen hervorzubringen. Im Folgenden möchte ich die unterschiedlichen Bedeutungen des deutschen Begriffs Bruch diskutieren. In einem zweiten Schritt möchte ich Octavio Paz’ berühmten Essay Los hijos del limo (deutsch: Die andere Zeit der Dichtung) diskutieren, der ein zentrales Narrativ der Moderne bzw. des Modernismus umfasst, nämlich die Idee, dass Bruch zu einer so maßgeblichen wie paradoxen „Tradition“ der klassischen Moderne geworden ist.9 In einem letzten Schritt werde ich noch einmal auf die Frage zurückkommen, was man aus einer Perspektive nach und jenseits der klassischen Moderne unter Brucherzählungen verstehen kann.
II. Liest man den Titel des Wiener Forschungsprojekts Broken Narratives ganz genau, dann wird sehr schnell deutlich, das Begriffe wie Brüche (ruptures) und Brucherzählungen (broken narratives) durchaus eine unterschiedliche, ja sogar konträre Konnotation besitzen. Nebenbei bemerkt hängt dies auch von einer Operation ab, die für die Analyse von Narrativen zentral ist, von Fokus und Fokalisation. Wenn etwa Bruch als etwas Negatives angesehen wird, dann wird er aus der Perspektive der Opfer dargestellt, und wenn demgegenüber Bruch als etwas Positives betrachtet wird, dann erfolgt dies aus der Pespektive der „Täter“. In all den für „Kultur“ relevanten Bereichen, insbesondere aber in Geschichte und Lebenswelt, legt Bruch entweder einen radikalen Opferstatus („Trauma“) nahe, bei dem Männer und Frauen an schrecklichen historischen und biogra9 Paz 1974, S. 13–20.
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fischen Begebenheiten leiden, so wie individueller oder kollektiver Mord, Apartheid, Vergewaltigung, Vertreibung, ethnische Säuberung oder Exil. In diesem Fall ist die Situation des Indidviduums oder der betreffenden Person eine passive. Er oder sie ist Opfer einer Art von Geschehnis, das als ein quasinaturales politisches oder kulturelles Erdbeben erfahren wird. In diesem Zusammenhang lässt sich auch auf die Brüchigkeit des Traumas Bezug nehmen, erweist sich doch dieses sprachlich und narratologisch betrachtet als ein logischer Bruch.10 In all diesen Fällen ist ein gravierendes Moment der Zerstörung im Spiel, das ein mehr oder weniger schlechtes Ende oder eine fortdauernde Irritation des symbolischen „Haushaltes“ der betreffenden Kultur nach sich zieht. Mit Verweis auf Cassirers Philosophie der symbolischen Formen – ich denke dabei insbesondere an die programmatische Einleitung11 – bedeutet dies, dass die Struktur der klassischen Erzählungen Legitimität und Glaubwürdigkeit verloren hat, etwa die Idee des linearen Fortschritts oder die Vorstellung von der Rückkehr zu einem unschuldigen Anfang. Dabei erscheint zudem der Bruch so gravierend, dass er eine zentrale Funktion alles Narrativen zu neutralisieren droht, nämlich die Generierung von Bedeutung, die schon erwähnte „Sinngebung des Sinnlosen“ (Theodor Lessing). Narrative sind, wie wir alle wissen, keine bloß mimetischen Konstruktionen und Erfindungen von Ereignissen a posteriori. Nicht zuletzt aufgrund ihrer temporalen Logik enthalten sie stets eine spezifische Form der Interpretation all jener Ereignisse, auf die sie sich beziehen. Broken narratives verweist also auf die Situation einer Kultur, in der eine zentrale Funktion von Narrativisierung nicht länger funktioniert. Mit Seitenblick auf Adorno, aber auch auch auf so berühmte Autoren der Shoah wie Imre Kert8sz und Jorge Semprun lässt sich also sagen, dass diese Situation einen systematischen Widerstand gegen die Idee hervorruft, wonach das Erzählen eine symbolische Medizin darstellt und das Geschichtenerzählen ein Moment der Selbstheilung in sich trägt.12 Das absurde Theater eines Gombrowicz oder eines Lorca bzw. der französische Existenzialismus liefern gute und paradoxe Beispiele für diese Art von politischer und ästhetischer Resistenz. Aber Bruch und Brechung besitzen auch eine radikal gegenläufige Bedeutung: Hier befinden sich das Individuum oder die betreffende Gruppe in einer emphatischen, aktiven Rolle. Zerstörung wird dabei als ein positiver Akt betrachtet, etwa als ein Brechen mit der Vergangenheit oder mit dem traditionellen Kanon in den diversen Künsten. Es war Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, der 10 Cuth 1995. Für den Hinweis danke ich Jelena Spreicer (Zagreb), die an einer Monografie zu diesem Thema arbeitet. 11 Cassirer 1967. 12 Müller-Funk 2012, Kap. 3.
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in seiner Philosophie der Mythologie den indischen Gott Shiva auf ambivalente Weise gedeutet hat, als eine Macht der Destruktion sowie als eine des Neubeginns. „Gemeinhin wird er unbestimmter als das zerstörende Prinzip erklärt. Dabei wird aber nicht bestimmt, worauf sich die zerstörende Wirkung beziehe. Man könnte nach diesem Begriff auch wohl Erdbeben, vulkanische Ausbrüche, die Länder und Städte verwüsten, oder Meeresfluthen, die stets Land verschlingen, als Wirkungen des Schiwa ansehen. Aber davon ist die indische Vorstellung weit entfernt […] Gewöhnlich sucht man Schiwa als göttliche Potenz dadurch zu erklären, daß man sagt: in der Natur sey ein steter Wechsel von Entstehen und Vergehen, indem die eine untergeht, entsteht eine andere; Schiwa sey also der zerstörende und dadurch immer neues schaffende Gott.“13
In Schellings Interpretation wird Bruch zu einer Kategorie, die alle Arten von Revolutionen umfasst: politische, kulturelle und ästhetische. Er wird als unverzichtbarer Teil der modernen Kultur gesehen, in die die Zerstörung des Vergangenen in nahezu alle ihre Felder eingeschrieben ist. Die Zerstörung der Vergangenheit einschließlich ihrer traditionellen Narrative und Mythen stellt die Bedingung der Möglichkeit dar, eine neue Welt zu generieren, die die alte überwinden wird. We’ve gotta get out of this place.14 Der aktive Bruch mit den alten Zeiten und ihren Raumordnungen umfasst einen Schnitt auf der semantischen wie auf der strukturellen Ebene. Nicht zuletzt wegen seines kritischen Selbstverständnisses stellt der Modernismus unser traditionell positives Verständnis all jener narrativen Techniken infrage, die im Hinblick auf Geschichte und Gedächtnis lineare Strukturen generieren und zugleich eine Form von Identität konstituieren, die diese als natürliches Phänomen erscheinen lassen. Wie können diese beiden höchst gegensätzlichen Auffassungen von broken narratives eigentlich zusammengebracht werden? Die passive Konfiguration von Bruch ist insofern von zentraler Bedeutung, als sie die dunkle Seite der Moderne betrifft. Das symbolische „Logo“ broken narratives als Kernmerkmal von Moderne und Modernität beruht auf einer ganz bestimmten Präsupposition, auf einem versteckten Narrativ : Ambivalenz. Oder anders formuliert: Der erste Typus von Brucherzählungen neutralisiert den zweiten nicht. Die „traumatischen“ Brucherzählungen, die sich vor allem um die dramatischen Katastrophen des 20. Jahrhunderts gruppieren, sind nicht imstande, die positiven und aktiven außer Kraft zu setzen. Seit dem Zweiten Weltkrieg ist es indes zu einer Herausforderung geworden, sich mit all den vielfältigen Arten von Zerstörungen auf 13 Friedrich W. J. Schelling, Philosophie der Offenbarung, Ursprüngliche Fassung 36. Vorlesung), S. 259. Philosophie der Mythologie, Bd. 6, S. 456ff. 14 Song von Barry Mann und Cynthia Weil, interpretiert von Eric Burdon and the Animals 1965: „We’ve gotta get out of this place, if it’s the last thing we ever do.“ www.metrolyrics.com [18. 2. 2015].
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allen Ebenen des Menschlichen zu beschäftigen. Das ist auch der wahre Grund dafür, dass die Literatur über die Shoah nicht länger eine Art von Spezialliteratur darstellt, sondern ins unsichtbare Zentrum einer mittlerweile globalen postmodernen Literatur, eines spezifizierten Modernismus ohne Illusion und ohne naive Hoffnung auf einen linearen Fortschritt gerückt ist. Im Hinblick auf diesen Band besteht noch eine andere Herausforderung, denn das Wort Bruch, das man je nachdem als break oder rupture ins Englische übersetzt, hat noch weitere divergierende, wenn auch nicht gegenläufige Bedeutungen. So gibt es vermutlich noch weitere Konnotationen zu Bruch, möglicherweise auch in Bezug auf Genres, Sujets oder Medien, aber ich möchte mich bei meinen einführenden Überlegungen auf vier Möglichkeiten der Bedeutung konzentrieren. Die erste Bedeutung von Bruch impliziert, das eine Gesamtheit in Stücke bricht oder zerbricht, so wie das beim Bruch von Glas oder beim Zerbrechen eines Spiegels geschieht, der, wie in Lacans Aufsatz über das Spiegelstadium ausgeführt, nicht zuletzt die Desintegration moderner menschlicher Identität versinnbildlicht.15 Ich ist ein Anderer. Diese Vorstellung von Bruch geht auf die deutsche Frühromantik, auf Novalis und Schlegel, zurück. Denn das Bruchstück, das Fragment, ist den beiden Begründern der deutschen Romantik zufolge Teil eines verloren gegangenen Ganzen, das nicht durch die Zusammensetzung aller Bruchstücke wieder zusammengesetzt werden kann. Nur in der Poesie und in essayistischen Genres macht das Fragment das Ganze sichtbar. Diese verdichtende Referenz auf ein unbeschreibbares Ganzes verdankt sich der synthetischen Macht des Poetischen. Noch Benjamin verwendet in seinem Essay über den Übersetzer die Figur des Bruchstücks, um die Beziehung zwischen einzelnen Sprachen zu beschreiben: „Wie nämlich Scherben eines Gefäßes, um sich zusammenfügen zu lassen, in den kleinsten Einzelheiten einander zu folgen, doch nicht zu gleichen haben, so muss anstatt dem Sinn des Originals sich ähnlich zu machen, die Übersetzung liebend vielmehr und bis ins Einzelne hinein dieser Art des Meinens in der eigenen Sprache sich umbilden, um so beide wie Scherben als Bruchstück eines Gefäßes, als Bruchstück einer größeren Sprache erkennbar zu machen.“16
Die Denkfigur Benjamins, die Homi Bhabha in seine postkoloniale Kulturtheorie übernommen hat,17 basiert nicht nur auf der deutschen Frühromantik, sondern auch auf der jüdischen Gnosis, der Kabbala des Isaac Luria, also auf einem platonischen Narrativ, in dem das Brechen der Gefäße (Shebirah) als das entscheidende dramatische Ereignis in einem kosmischen Geschehen gesehen 15 Lacan 1991. 16 Benjamin 1972, IV., S. 18. 17 Bhabha 1994, S. 170.
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wird, das in eine Geschichte eingebettet ist, die mit der Selbstreduktion und Konzentration Gottes beginnt, Einheit hervorbringt (Zimzum) und über die Destruktion der Einheit, den Bruch der Gefäße (Shebirah), zur Wiederherstellung der ge- und zerbrochenen Elemente (Tikkun) führt. Mit Blick auf unsere Thematik sind alle drei Momente entscheidend, zunächst der Akt des Bruchs (Shebirah), der sich als charakteristisch und konstitutiv für die Kunst der Moderne und ihr programmatisches Verständnis sowie ihre Performanz etwa in den Avantgardebewegungen begreifen lässt.18 Aber auch die beiden anderen Momente der jüdischen Gnosis, Selbstbeschränkung (Abstraktion) sowie die Konstruktion und die Sehnsucht nach der Schaffung einer neuen Einheit, lassen sich als zentrale Elemente der klassischen ästhetischen Moderne seit Novalis begreifen. Das gewichtigste Werk, das sich programmatisch der Figur des Bruchs in diesem postromantischen und postkabbalistischen Sinn annimmt, ist wohl das Schaffen des amerikanischen abstrakten Expressionisten Barnett Newman, der um 1969 sein letzten Arbeiten Zim Zum I und II, zwei riesige Metallskulpturen aus Zickzack-Wänden, die auf die verlorene und somit offene Synagoge verweisen, erzeugt hat. Dabei fallen, wenigstens in der Intention, Thema, Gegenstand und Prozess zusammen.19 Interessanterweise gibt es schon in der deutschen Frühromantik ein Moment produktiver Resignation in Gestalt der Idee, dass die Wiederherstellung des Ganzen, die Reintegration und die Rückerinnerung, ausschließlich in der Poesie möglich ist, die als Gegenwelt zur entzauberten prosaischen Welt der Moderne begriffen wird. Das, was man in vielen europäischen Sprachen als Modernismus bezeichnet, kann als ein Zustand der gebrochenen Gefäße verstanden warden, als ein Zustand, dem keine Einheit vorausgeht und kein glückliches Ende nachfolgt: Shebirah ohne Zimzum und Tikkun. Was man als romantische Ironie bezeichnet, nimmt Bezug auf diesen symbolischen Zustand der Moderne.20 Die zweite Bedeutung des deutschen Wortes Bruch bezieht sich auf die Aufkündigung einer Verbindung. Brechen bedeutet hier Mit-jemandem-Brechen, das Ende einer Beziehung und einer Freundschaft. Oder das Verlassen eines gemeinsamen symbolischen Ortes, zum Beispiel der Vergangenheit. Diese Art von Bruch geht Hand in Hand mit einer hohen Wertschätzung des Neuen und der Emphase für die nachfolgende Generation. Um diese Bedeutung kreist, was Octavio Paz als Tradition des Bruchs bezeichnet hat. Darauf werde ich noch zurückkommen. Die dritte Bedeutungsschicht von Bruch bezieht sich auf das Öffnen neuer 18 Scholem 1973, S.146–158. 19 Vgl. Zweite 1997, S. 305–327. 20 Bloom 1989, Kap. 6.
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Türen. Diskontinuität ist, ironisch gesprochen, zu einem verlässlichen Phänomen unseres politischen und kulturellen Lebens geworden. Alle Narrative, die Diskontinuität zum Thema haben, kreisen um Phänomene wie Unterbrechung, Überraschung, Zäsur oder Inzision. Während in traditionellen und patriarchalen Gesellschaften Zäsur und Beschneidung ganz strikt organisiert und ritualisiert sind, etwa im Hinblick auf die Sozialisation männlicher Adoleszenten (ich beziehe mich hier auf Victor Turners Konzept von Liminalität21), besitzen derartige Einschnitte in der Moderne nicht länger eine starke und systemstabilisierende Funktion. Sie sind demgegenüber unerwartete Wendepunkte einer gebrochenen Existenz. Die vierte und letzte Bedeutungsvariante von Bruch in unserem Kontext verweist auf das Überschreiten all solcher Grenzen, die bis zu diesem Zeitpunkt als absolut gegolten haben. Diese Art von Tabu-Bruch ist absolut ambivalent. Sie impliziert die Geste der Befreiung und Emanzipation, aber sie verweist auch – etwa im Falle der Shoah – auf die schreckliche Idee, sich im seit Joseph Conrads sprichwörtlich gewordenen Herz der Finsternis zu befinden, in der Welt des kollektiven technischen Overkills und des schrankenlosen Massenmordes: Zivilisationsbruch und Bruch mit allen humanen Werten. Wie wir gesehen haben, enthalten all die vier erwähnten Bedeutungen von broken narratives eine überaus ambivalente Konnotation, je nachdem ob man die leidvollen und traumatisierenden oder die emphatischen hervorhebt, die die Idee der Emanzipation von den Lasten der Vergangenheit ins Zentrum rücken, die für all die Übel verantwortlich gemacht werden. In seinem Aufsatz über den 18. Brumaire hat Marx das Drama der Moderne folgendermaßen beschrieben: Die modernen Menschen wollen sich von der Vergangenheit befreien, aber sie bleiben von deren Geistern und Albträumen ge- und umfangen.22 Es bleibt, zum Beispiel aus einer psychoanalytischen Perspektive, eine zentrale Frage, ob nicht all die aktiven Brüche, diese Befreiungsaktionen von der Vergangenheit, sich in einer unfreiwilligen und vielleicht sogar unaufkündbaren Abhängigkeit von jener Vergangenheit befinden, die sie zurückgewiesen und mit der sie gebrochen haben. Eine solche Sicht der Dinge eröffnet nicht zuletzt die Möglichkeit einer Metareflexion der „klassischen“ Moderne und ist Teil einer postmodernen Befindlichkeit. In diesem Sinn würde ich heute Harold Blooms Studie über Einfluss-Angst lesen.23 Bruch könnte also bedeuten: sich noch immer in einer paradoxen Beziehung zu jenen Personen und zu jenen Projekten zu befinden, mit denen man gebrochen und die man verworfen hat. Insofern ist ein Konzept wie broken narratives 21 Turner 1964. 22 Marx 1966. 23 Bloom 1995.
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mit einer Idee von Kultur verknüpft, die in einem permanenten Konflikt nicht nur zu ihrer Vergangenheit, sondern zu sich selbst, zu ihrer Gegenwart und zu ihrer Zukunft steht. Die hier angeführten verschiedenen Bedeutungen lassen sich aber auch mit Blick auf die „trinitarische“ Struktur des Narrativen durchdeklinieren, nämlich als Bruch der histoire, als Bruch des discours (oder auch der nichtdiskursiven Vermittlung und Formatierung) und als Bruch des performativen Aktes. Diese Erschütterungen traditioneller Konsonanzen und Kohäsionen auf den verschiedenen Ebenen bedingen einander : die Durchkreuzung der Erwartung eines transparenten Sinnzusammenhangs (etwa bei Kafka, in manchen Erzählungen Musils, im nouveau roman), die unvermittelten Unterbrechungen und Desillusionseffekte auf der Ebene der Erzähldiskurse,24 die schon Denis Diderot in Jacques le fataliste lange vor den europäischen Modernismen und Avantgarden vorgeführt hat,25 oder die Figur des unzuverlässigen Erzählers (etwa in Thomas Manns Doktor Faustus, in Joseph Conrads Heart of Darkness oder in der postmodernen Literatur eines Mar&as und eines Kundera),26 die ebenfalls einen Erwartungsbruch markiert und jene Einheit, die traditionellerweise mit dem Narrativen verbunden ist, zum Erodieren bringt. Insofern sind die gebrochenen Narrative auch auf einer strukturellen Ebene auf die europäische Moderne zu beziehen.
III. Octavio Paz’ Harvard-Vorträge Los hijos del limo sind aus mehrerlei Gründen bemerkenswert. Sie verweisen auf eine doppelte Perspektive, jene des Schriftstellers und Dichters, der Teil der modernen Dichtung ist, die er beschreibt, und jene des Theoretikers, der Jahre vor Jean-FranÅois Lyotard ein Konzept des Postmodernismus entwirft.27 Sein Buch enthält zudem avant la lettre eine postkoloniale Perspektive, nicht zuletzt weil sein literarisches Werk auf der Erfahrung und dem Experiment eines nichteuropäischen postkolonialen Kontextes beruht: Lateinamerika. Paz beginnt seine Ausführungen mit einer Frage, die auf den ersten Blick altmodisch anmutet. Was ist das Besondere der Literatur, was ist ihr Spezifikum? Im Unterschied zu allen anderen nichtpoetischen Formen des Sprechens ist 24 Vgl. hierzu auch den Beitrag von Marlen Bidwell-Steiner zu Don Quijote im vorliegenden Band. 25 Diderot 1974, S. 7: „Es ist ja so leicht, Geschichten zu erfinden. Doch diesmal sollen sie mit einer elenden Nacht davonkommen und du mit diesem kleinen Aufschub.“ 26 Vgl. zum Thema generell Nünning 1998. 27 Lyotard 1979.
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diese, so Paz, durch einen bestimmten Widerspruch charakterisiert, oder noch genauer durch eine gewisse Inkonsistenz, und zwar im Hinblick auf die Geschichte und auf den Prozess des Narrativen. Das Gedicht ist, wie Paz betont, eine Maschine, die Antigeschichte hervorbringt, selbst dann, wenn es der Poet gar nicht im Sinn hat. Die poetische Prozedur gründet sich auf die Inversion and Transformation des Zeitstroms. Die Dichtung hält die Zeit nicht an, sie widerspricht ihr und gestaltet sie um. Dieser Konflikt zwischen Dichtung und Geschichte findet sich bereits in vormodernen Formen der Poesie, etwa im barocken Sonett, im Volksepos oder in der Fabel. Unter den Bedingungen von Modernität wird dieser Konflikt produktiv und schlagend. Die moderne Poesie des Okzidents, die Paz als mittlerweile global gewordenes Phänomen ansieht, enthält eine doppelte Bewegung. Sie befindet sich im Widerspruch zur Vergangenheit wie zur Gegenwart. Die ästhetische Moderne ist nicht nur eine Repräsentationsform moderner Gesellschaftlichkeit und Kultur, sondern zugleich das Gegenstück zur entzauberten und prosaischen technischen, politischen und kulturellen Moderne. Von Anfang an sei die avancierte moderne Dichtung (modernismo) eine Reaktion auf und gegen die Moderne gewesen – Moderne im Sinne von Aufklärung, Rationalismus, Liberalismus und Szientismus.28 Nicht selten begannen moderne Dichtung und moderne Kunst mit einer begeisterten Zustimmung zu all jenen politischen Bewegungen, die radikalen Wandel versprachen. Es gibt in der Tat eine gewisse strukturelle Analogie zwischen dem modernen politischen Revolutionarismus und den modernen Avantgardisten, die die Schaffung eines ganz neuen ästhetischen Systems proklamieren – um mit Schelling zu sprechen: das Shiva-Moment von Zerstörung und Neubeginn. Die moderne Dichtung war, wie Paz pathetisch hervorhebt, eine revolutionäre Leidenschaft, die mit einem starken Begehren radikalen Wandels einherging. Das Programm eines gewaltsamen Bruchs mit dem System, nicht zuletzt mit dem modernen Kapitalismus, führt zu einer zeitweiligen, stets schwierigen Zusammenarbeit, etwa zwischen Andr8 Breton und Leo Trotzki. Nach ach einer gewissen Zeit erweist sich der Bruch zwischen beiden Bewegungen – der politischen und der ästhetischen als unvermeidlich.29 Die moderne Dichtung etabliert ihre eigene autonome Welt, die Welt der Sprache – als ein Double der und gegen die Welt. Insofern ist sie Teil dessen, was Freud als Unbehagen in der Kultur bezeichnet hat. Auf der einen Seite gestalten die deutsche und die englische Romantik sowie der französische Symbolismus eine neue Welt, die durch die Figur der Analogie charakterisiert ist, auf der anderen Seite wird diese ästhetische Gegenwelt von der Ironie, das heißt vom 28 Paz, 1974, S. 8. 29 Beyme 2005, S. 536.
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Bewusstsein der Moderne über sich selbst und ihrer Kritik an traditionellen religiösen Erzählungen, getragen, eine Kritik, die sich, und darin besteht die Pointe Paz’, am Ende gegen sie selbst richten wird. Die „Tradition“ moderner Dichtung beruht auf Kritik und Krise. Der Dialog zwischen Analogie und Ironie enthält überdies einen mehr oder weniger aggressiven Disput über traditionelle Religion und gegen moderne Ideologie. Aber sie eröffnet zugleich den Dialog zwischen verschiedenen sprachlichen und kulturellen Traditionen. Das ist eine wichtige Errungenschaft der klassischen ästhetischen Moderne, ihre positive Funktion im postkolonialen Kontext. Hinsichtlich der eigenen Vergangenheit, der prosaischen Realität der modernen Gesellschaft, aber auch der jeweiligen modernistischen Vorläufer erweist sie sich als eine aggressive Tradition. Gerade darin besteht jenes dynamische Moment, das Paz als Tradition des Bruchs bezeichnet. Es handelt sich um eine Traditionsbildung struktureller Art, die Bruch als verbindliches Element begreift. Sie besteht aus Unter-Brechungen, das heißt aus einer Form von Übergängen, in denen jeder Bruch zugleich als ein Neubeginn wahrgenommen wird. Eine solche Form von Tradition ist zwangsläufig paradox und zerbrechlich, fragil. Die Tradition des Bruchs impliziert nämlich nicht nur die Negation von Tradition, sondern auch einen Akt der Selbstzerstörung, der Negation des Bruchs selbst. Wenn Tradition durch Kontinuität und Überlieferung bestimmt ist, dann stellt sich die Frage, inwiefern Modernität als eine Form von Tradition begriffen werden kann. Wie Paz ausführt, sind Literatur und Kultur der Moderne eine Art von Tradition, die zwei Elemente umfasst, die Emphase des Neuen und die Idee von Heterogenität. Es ist nicht kontingent, dass – ich denke dabei an Bachtin30 – ein neues modernes Genre den Namen novel (Roman) trägt.31 Modernität bedeutet für Paz weder Kontinuität und Einvernehmen zwischen Vergangenheit und Gegenwart noch dass das Heute das Kind von Gestern ist. Modernität bricht mit der Vergangenheit, das Heute verneint das Gestern. Modernität sei, so Paz, in all ihren Ausprägungen selbstgenügsam. Wo immer sie ihren Auftritt hat, kreiert sie ihre eigene Tradition.32 Der Kult des absolut Neuen ersetzt das ästhetische Ideal der Nachahmung, aber das Neue ist noch nicht automatisch identisch mit Bruch. Entscheidend ist, dass das Neue einen programmatischen Bruch, eine Kritik der jüngsten Vergangenheit und damit eine Friktion der Identität enthält. Moderne Kunst ist nicht nur die Frucht und das Produkt eines kritischen Zeitalters, sondern auch 30 Bachtin 1979. 31 Luk#cs hat diesen Bruch als einer der Ersten manifest gemacht: vgl. Luk#cs 1974, S. 47: „Der Roman ist die Epopöe eines Zeitalters, für das die extensive Totalität des Lebens nicht mehr sinnfällig gegeben ist.“ 32 Paz 1974, S. 13.
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das Ergebnis einer Kritik der eigenen Bestände.33 Wenigstens ihrem Selbstbild nach ist die Kunst des high modernism, der „klassischen“ Moderne, das Ergebnis eines kreativen Aktes der Selbstzerstörung und der Sehnsucht, vollständig anders zu sein als alle Kunst zuvor. Sie arbeitet in und mit einer binären Struktur, in der die Negation der Vergangenheit als Affirmation des Eigenen wirksam ist. Paz’ Text erwähnt und analysiert alle Aspekte von Bruchphänomenen, insbesondere jene von Beenden und Unterbrechen, aber nicht zuletzt auch Fragmentierung (Heterogenität) und, weniger pointiert, das Überschreiten und Überwinden, die Durchbrechung von Linien und Grenzen, das, was ich als das Öffnen von Türen bezeichnet habe. Oder um den doppeldeutigen Titel eines bekannten Lieds der amerikanischen Gruppe The Doors zu zitieren: Break on through to the other side.34 Es ist aufschlussreich, dass es bei Paz kaum eine Reflexion darüber gibt, inwiefern die Delegitimierung der klassischen Moderne und ihrer Narrative nicht nur das Resultat der selbstkritischen Tradition des Bruchs, sondern auch das Ergebnis radikaler sozialer, kultureller und politischer Verwerfungen und Katastrophen ist, der zwei Weltkriege und des zeitweiligen Triumphs jenes modernen Totalitarismus, der bis zu einem gewissen Grad Teil des Projekts der Moderne gewesen ist, und nicht zuletzt des Zusammenbruchs des Sozialismus. Ich möchte noch einmal auf den dynamischen Aspekt der klassischen Moderne zu sprechen kommen. Diese Dynamik schließt die Möglichkeit ein, das ganz Alte und/oder auch das ganz Ferne, das wirklich oder auch nur vermeintlich Archaische und Rezente, in die Welt der Moderne zu integrieren, insofern als sich dieses als eine Negation aller späteren Traditionen begreifen lässt. Die archaischen Elemente, die im Modernismus der Künste rekontextualisiert bzw. imaginiert werden, deutet Paz als Masken, die in der Moderne im Kampf gegen die unmittelbare Vergangenheit der bürgerlich-patriarchalen Welt ein- bzw. aufgesetzt werden. Aufgrund ihrer raffinierten paradoxen Struktur leistet die Moderne einen wesentlichen Beitrag zur Beschleunigung der sich globalisierenden Welt. Daraus erklärt sich Paz auch das Phänomen, dass die Stile, Eigenarten, Programme und Themen der jeweiligen Ismen und Avantgarden unter den Bedingungen der Modernität vorzeitig altern. Was momentan ganz neu erscheint, wirkt bzw. gilt schon im nächsten Augenblick als überholt. Aber wie Paz im folgenden Kapitel herausstellt, macht die Beschleunigung deutlich, dass die Kontrastfolie zum Verschmähten und Abgelehnten nicht die Gegenwart, sondern die Zukunft ist. Nahezu alle modernistischen Bewegungen tragen einen Vektor in sich, der in die 33 Ebd., S. 14. 34 Song von The Doors 1967, vgl. www.azlyrics.com/doors/breakonthroughtotheotherside [19. 2. 2015].
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Zukunft zeigt; die Gegenwart ist nur ein kurzer Moment, ein Innehalten im Hinblick auf das radikal Andere, das in der Zukunft stattfinden soll. Ganz offenkundig erzählt Paz seine Geschichte über den dynamischen Prozess der Moderne aus der Perspektive a posteriori, als Bewohner einer symbolischen Welt, die von den Effekten der Tradition des Bruchs gezeichnet ist. Postmoderne ist dabei als eine symbolische Welt zu verstehen, die sich nicht im Gegensatz zur Moderne befindet, sondern die vielmehr deren logisches Resultat ist, negiert doch am Ende dieses Prozesses die Tradition des revolutionären Bruchs ihre höchst fragile Tradition. Sie befindet sich in einer Situation, die mit der eines reichen Sohns oder einer reichen Tochter vergleichbar ist, der oder die vom Erbe ihrer Eltern lebt. Wenn Paz im Hinblick auf die Zeit nach der Tradition des Bruchs die Entdeckung der Gegenwart proklamiert, die an die Stelle der traditionsbelasteten Vergangenheit und der utopiebelasteten Zukunft tritt, dann kommt eine Denkfigur vom Anfang des Buches wieder ins Spiel, nämlich die Idee, dass die Dichtung strukturell gegen die Geschichte organisiert und gerichtet ist. Deshalb war sie im Zeitalter der klassischen Moderne ein wirksames Instrument im Kampf gegen die vormodernen Traditionen und ihre symbolischen Verbündeten, die Mythen und andere Formen geschlossener Narrative, aber sie war auch erfolgreich in der Unterwanderung der großen linearen Geschichten der Moderne seit der historischen Aufklärung. Paz sieht die postmoderne Konzentration auf die Gegenwart keineswegs als negative Erscheinung, etwa als eine Beschränkung oder als einen Angriff der Gegenwart auf die andereren Formen der Zeit. Ganz im Gegenteil, nimmt er doch an, dass diese Konzentration auf das Hier und Jetzt eine Befreiung von historischen Zwängen ermöglicht. Im Hinblick auf unser Thema, Narrativität, impliziert dies, dass die Zeit des Erzählens jene der Ereignisse dominiert, die von der Erzählinstanz von Zeit zu Zeit wiedergegeben werden. Und dass diese Dominanz der Erzählzeit sichtbar wird, in der die verschiedenen Modi der Vergangenheit und der Zukunft in die Gegenwart integriert und kontextualisiert werden.
IV. Die neue Tradition, der Horizont von Paz’ Narrativ über die klassische Moderne, beruht nicht länger auf der Idee des konsequenten binären Bruchs. Postmodernität folgt einer völlig anderen Logik, die im Unterschied zu den verschiedenartigen Ismen der Moderne nicht mehr einer prinzipiellen Feindschaft gegenüber der Vergangenheit geschuldet ist, auch nicht gegenüber der jüngsten Vergangenheit der klassischen Moderne und ihrer raumzeitlichen Variationen und Ausprägungen. Das rhetorisch vorgetragene Programm, die Monumente
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der Vergangenheit, Akademien, Bibliotheken und Museen zu zerstören oder zu verbrennen, die Fantasie der leeren Seiten und eines vollständigen Neubeginns, weicht einem neuen Verständnis eines Archivs in Bewegung. Es lässt sich auch mit einem zentralen Gedanken der Ökologie veranschaulichen, dem Recycling: Postmoderne Literatur und Kunst erweisen sich als eine Form symbolischer Wiederaufbereitung, die ähnlich funktioniert wie die Werbung und die Mode. Ihre Dynamik resultiert nicht aus der Energie des Kampfes gegen die Vergangenheit, die man endgültig „vergessen“ soll. Das jeweils Neue erweist sich vielmehr als das vergessene Alte.35 Es ist an dieser Stelle nicht unwichtig zu betonen, dass Modernität nicht nur auf den Erzählungen von Bruch und Brechung basierte, sondern auch neue Formen des Narrativen hervorgebracht hat, Montage, Selbstreferenz, die Subversion von Anfang und Ende, Techniken der Desillusionierung, epische Choks und die Verweigerung von Konsistenz. All diese Formen narrativer Konstruktion, die, wie Michel Butor gezeigt hat, der kulturellen Technik des Geschichtenerzählens inhärent sind,36 leben in postmodernen und postmodernistischen Schreibweisen weiter, aber diese fragmentierten Formen des Narrativen haben die pathetische und programmatische Bedeutung, die sie in der klassischen Moderne besaßen, eingebüßt. Eine andere neue narrative Figur ist der Dialog. Aus meiner Sicht ist die Dekonstruktion ein vorzügliches Beispiel für jene Art der Verzögerung und des Bremsens, die an die Stelle der Dynamik des Brechens getreten ist. Dabei geht es eher um Verlangsamung als um den schnellen Bruch. Die Dekonstruktion verabschiedet die binäre Logik der Opposition zugunsten dritter und intermediärer Räume der Kommunikationen mit allen Formen der Vergangenheit. Im Anschluss an Freuds Terminologie kann man sie auch als eine Sublimation all jener aggressiven Energien interpretieren, die die Moderne als fruchtbar und zugleich als problematisch erscheinen lässt. Der dekonstruktive Autor, Philosophin oder Poet, befindet sich in einem andauernden Dialog mit seinen oder ihren Vorgängern und Vorgängerinnen. Hyper- und postmoderne Literaturen sind, gerade im Bereich der digitalen Künste, besessen von intertextuellen Techniken, die die kroatische Literarturtheoretikerin Dubravka Oraic´-Tolic´ als „Zitatenhaftigkeit“, als einen manieristischen Kult des Zitates, beschrieben hat.37 Er oder sie folgt den Spuren des Vorläufertextes ganz sorgfältig. Aber letztendlich verlässt sie/er den vorgegebenen Weg. Das gilt gerade auch für Derrida, der im Übrigen das Narrative als
35 Vgl. Bauman 1999. 36 Butor 1965. 37 Oraic´-Tolic´ 1995.
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ein intermediäres Phänomen verstanden hat.38 Die Dekonstruktion favorisiert die Idee, den gegebenen Text in Kontrast zu diesem und seinen möglichen Intentionen zu lesen sowie seine Polyphonie sinnfällig zu machen. Im Zentrum stehen also nicht länger revolutionärer Bruch, Trennung oder radikaler Abschied von der Vergangenheit. Vielmehr geht es darum, die Brüche, das heißt die inkonsistenten Momente, in dem vorliegenden Text selbst zu finden. Das ist auch die wahre Ursache dafür, dass die Dekonstruktion brüchige Narrative generiert; sie operiert mit dem Argument, dass letztendlich alle Erzählungen brüchig sind, zumindest in ihrer zeitlichen Dimension. Das Phänomen des Bruchs hat gleichsam seinen Platz gewechselt. Die Philosophin und der Poet befinden sich nicht in einer eindeutigen und prinzipiellen Opposition zur modernen und revolutionären Vergangenheit des 19. und 20. Jahrhunderts. Die Erbschaft, die das einträgt, ist wahrlich nicht gering und schäbig. Sie umfasst den romantischen Sinn für Ironie, die Bejahung des Heterogenen und die Überzeugung, dass es kein Zurück zu traditionellen Formen des Narrativen und den mit ihnen einhergehenden Identitätskonstruktionen gibt. Aber im Gegensatz zu den modernen Vätern und Müttern ist die Melancholie in der Postmodernität mit Händen zu greifen, die Trauer darüber, dass das Paradies verloren ist und dass es nicht länger einen Marsch in die Zukunft gibt, der in Milan Kunderas Roman Nesnesiteln# lehkost byt& (Die unerträgliche Leichtigkeits des Seins) fünf Jahre vor dem Zusammen-Bruch des Sozialismus in Osteuropa abgesagt und als Kitsch, als pathetischer Schwindel, an den niemand mehr glaubt, verhöhnt wird.39
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38 Derrida 1994. 39 Kundera 1984, S. 245–248.
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Broken Narratives. Die Moderne als Tradition des Bruchs
Bildnachweis: Barnett Newman, Zimzum I (1969, San Francisco Modern Art Museum) www.sfomona.org/explore/collection/artwork/25851 [19. 2. 2015].
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Ansgar Nünning / Vera Nünning
Conceptualizing ‘Broken Narratives’ from a Narratological Perspective: Domains, Concepts, Features, Functions, and Suggestions for Research
1.
Approaching Broken Narratives, or: A Ubiquitous Presence in World Literature and Culture vs. a Lacuna of Narrative Theory and a Challenge to Narratology
Though broken narratives figure prominently in many natural or real-life narratives as well as in autobiographies, novels and short stories, the notion of broken narratives has as yet neither been properly defined nor widely established as a concept in narrative theory, or in literary and cultural studies at large, for that matter. Anyone who wants to look it up in what is arguably the best, most comprehensive and most up-to-date reference work on narratology, i. e. the seminal Routledge Encyclopedia of Narrative Theory1, will find out that even this excellent encyclopedia neither has an entry on the term ‘broken narrative(s)’ nor on related concepts like ‘discontinuity’, ‘fragmentation’, ‘incoherence’ or ‘rupture’. It is arguably not a coincidence that these terms are significant by their absence in that these concepts do not conform to the default cases of narratology, which has been much more concerned with coherence, continuity, progression and other orderly narrative structures. One also looks in vain for entries on the subject of this volume in other recent reference works in narratology, including the extremely useful Handbook to Narratology2, edited by Peter Hühn and others, but also in encyclopedias and handbooks that cover approaches and concepts of literary and cultural theory at large. While discontinuous and fragmentary stories and forms of storytelling that could be subsumed under the metaphorical umbrella term of broken narratives have become more and more common since at least the beginning of the twentieth century and, even more so, since the new millenium and especially since the traumatic events of 9/11 and the catastrophes, crises and wars that have occurred in its aftermath, narrative theory has accorded only very little attention 1 see Herman / Jahn / Ryan 2005. 2 Hühn et al. 2009.
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to such a genuinely narratological phenomenon. Given the fact that one could produce a very long list of examples of factual and fictional stories that might well be characterized as broken narratives, and that broken narratives are also an integral component of everyday narration in various contexts, it comes as a real surprise that narratology has not yet bothered to properly define this concept or to explore its forms and functions in factual as well as fictional narratives. In spite of its indulgence in theory and terminology, narratology and other kinds of narrative theory have hardly devoted any attention to the concept of broken narratives. Neither in recent overviews or introductions to narrative theory – e. g. those by Martinez/Scheffel3, Herman4 or Fludernik5 – nor in specialist studies like Monika Fludernik’s Towards a ‘Natural’ Narratology6, Andrew Gibson’s Towards a Postmodern Theory of Narrative7 or David Herman’s wideranging and excellent monograph Story Logic8 has the phenomenon of broken narratives played any role. Several important collections of essays on recent trends in narratology likewise ignore this topic, with the stimulating books edited by Herman9, Grünzweig/Solbach10, Heinen/Sommer11 and Olson12 being just four recent cases in point. Thus, while broken narratives are a ubiquitous presence in both real-life storytelling and in world literature, culture and media at large (see section 2 below), they are still one of the lacunae of narrative theory. We should like to go even further and argue that the phenomenon of broken narratives presents a real challenge to narratology in that it calls into question many of its central assumptions and goals as well as its (unconscious) preferences and cherished concepts. One of the underlying theses of this essay – that the phenomenon of broken narratives has thus far been a lacuna in narrative theory – is actually confirmed by the few studies published in other disciplines or fields which are devoted to this topic at hand or just mention it in passing: They neither attempt to define broken narratives or to provide a descriptive poetics of their main features, nor do they consider the questions of how their formal characteristics could be described in narratological (or other) terms or what functions broken narratives can fulfil in individual cases. There is also a lack of studies examining
3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
Martinez / Scheffel 1999. Herman 2007. Fludernik 2009. Fludernik 1996. Gibson 1996. Herman 2002. Herman 1999. Grünzweig / Solbach 1999. Heinen / Sommer 2009. Olson 2011.
Conceptualizing ‘Broken Narratives’ from a Narratological Perspective
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the use of broken, fragmented or fractured narratives in the works of contemporary authors. This essay takes its cue from this rough sketch of the neglect broken narratives have suffered, and it will try to bridge the gap between the importance of broken narratives in a wide range of domains, including the field known as ‘narrative medicince’13, world literature and culture, and the scant attention that this phenomenon has so far been given. It addresses some of the terminological and narratological issues pertaining to the concept of broken narratives, providing a working definition and some steps towards a descriptive poetics of broken narratives as well as an outline of the functions they can fulfil. Focusing on the common patterns that distinguish broken narratives from canonical kinds of stories, the overarching objective of this essay is to offer a set of conceptual principles that can account for the formal features and functions of the complex phenomenon dubbed ‘broken narratives’. More specifically this essay stakes out four main aims: Taking its cue from those fields in which the significance of broken narratives has been recognized, the first aim is to take stock of and map those research areas in which the notion of broken narratives and some of the issues surrounding it have already been discussed (section 2). After this bottom-up introduction to the topic at hand, we will secondly try to explore the notion of broken narratives as a metaphorically structured concept, teasing out the main connotations and implications entailed in the metaphor (section 3). We will then make an attempt to conceptualize and define the concept of ‘broken narratives’, which has mainly been used impressionistically and sporadically so far, in narrative and narratological terms. The third aim is thus to enrich the conceptual repertoire of narratology by developing a set of categories for the narratological description and analysis of broken narratives, with an eye to developing some steps towards a poetics of narrative discontinuity, incoherence and rupture (section 4). This outline can then serve as a basis for an exploration of the forms and functions that broken narratives can take within the frameworks of cognitive narratology and cultural narratology. The fourth aim of this essay is to provide some hypotheses that attempt to contextualize the proliferation of broken narratives and related phenomena like fragmented novels, which arguably partake in reconceptualizing or reframing contemporary experiences and notions of identity, life, narrative and normalcy (section 5). A short summary and a brief look at some of the points that future research could profitably explore will complete this essay, which really is an essay in the literal sense of being an attempt to come to terms with an unduly neglected type of narrative. Instead of providing a conclusion we will end by suggesting that much more work should be done on broken narra13 cf. Charon 2008.
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tives, a hitherto marginalized phenomenon that no longer seems to be the peculiar exception that proves the rules of the logic of narrative, with which narratology has so far mainly been concerned.
2.
Introducing Broken Narratives across Disciplines, or: Inferring some of their Domains, Manifestations and Characteristic Features
Although we have taken narrative theory to task for having so far failed to take broken narratives into systematic terminological and theoretical consideration, both as a concept and as an interesting phenomenon, and to provide a definition for the term, we should like to begin, not with a top-down definition, but rather with a bottom-up attempt to take stock of the domains in which broken narratives have actually appeared in culture and society at large. While narratology has so far displayed little if any interest in the topic of the volume at hand, the term ‘broken narratives’ has been used in a broad spectrum of different contexts, ranging from illness and trauma studies to economics, economic history14 and video art. Though the concept has not yet received the amount of attention it arguably deserves, and rarely been defined or considered in narratological terms, broken narratives have been identified and investigated in several disciplines, especially the social sciences. Scholars working in various fields have displayed interest in phenomena that constitute what one might call ‘broken narratives of sorts’. Before making a modest attempt to come to terms with particular usages of the metaphorical notion of broken narratives, we should therefore like to provide an introductory overview of some of the areas and fields that have shown an interest in the phenomenon. We will first of all cast our net fairly wide and then gradually zoom in on the fields covered in this volume, viz. cultural and literary studies and especially narratology. Bibliographical research on the topic of broken narratives generates at least two interesting results, which, taken together, are fairly surprising and even a bit paradoxical. On the one hand, both the phenomenon and the term ‘broken narratives’ appear in a broad range of domains across different academic disciplines. On the other hand, the discipline that focuses on the theory and study of narrative, i. e. narratology, has as yet neither shown any sustained interest in the phenomenon nor proffered definitions of the term or of related concepts that might serve as analytical tools for exploring narratives that do not conform to what seems to be taken as the default or unmarked case with which narratology 14 cf. Zieger 2011.
Conceptualizing ‘Broken Narratives’ from a Narratological Perspective
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has been primarily concerned: a coherent, causally connected narrative that displays those features that narratology is particularly interested in. A brief overview of the domains and disciplines in which broken narratives have been identified and explored, and a concomitant look at narratological lacunae might serve to shed some light on the questions which contexts broken narratives typically appear in and why narrative theory has so far not been particularly concerned with what seems to be an increasingly common form of narrative in the 21st century. There are mainly three domains or emerging research fields in which the term ‘broken narratives’ is quite frequently used and seems to be fairly well established, albeit not very explicitly defined. These are, firstly, interdisciplinary studies on the role of stories of health and illness, secondly, the field known as ‘trauma theory’ or ‘trauma studies’, and thirdly particular kinds of genres like autobiography or life stories, especially tales of immigrants and stories of migration. In all of these contexts, narratives display a number of recurrent features, the most prominent of which is some kind of rupture that entails severely diminished degrees of continuity and coherence. It is worth taking a brief look at the studies devoted to the topic at hand in other fields for at least two reasons: they can contribute significantly to a broad range of cultural and psychological issues relating to the complex phenomenon that has been dubbed ‘broken narratives’, and they are helpful for an attempt to tease out the commonalities between the genres and kinds of stories that have been subsumed under the umbrella term of ‘broken narratives’. First, scholars working in the interdisciplinary field that has been dubbed ‘narrative medicine’15, or, more broadly, the “narrative field of health, illness, and culture”16, have explored stories of illness as a paradigm example of what the kinds of stories are that have been called ‘broken narratives’. Studies in this emerging field look at personal and cultural constructions of health and illness, often focusing on the role of narrativity and broken narratives in accounts of suffering and healing. Two very salient examples of the kind of work done in this field are the volumes Narrative and the Cultural Construction of Illness and Healing17 and Health, Illness and Culture: Broken Narratives18. In his pionering essay “Broken Narratives: Clinical Encounters and The Poetics Of Illness Experience”19, Laurence J. Kirmayer has not only shown how “identity can become fragmented through ruptures in narrative”. One of the many interesting insights of his analysis of the poetics and pragmatics of clinical storytelling is that broken 15 16 17 18 19
cf. Charon 2008. Hyd8n / Brockmeier 2008b, p. 10. cf. Kirmayer 2000; Mattingly / Garro 2000. Hyd8n / Brockmeier 2008a. Kirmayer 2000, p. 154.
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narratives typically display certain stylistic signs of incoherence, discontinuity and fragmentation, and that these signs can be interpreted as textual manifestations of “threats to the narrative coherence of the self”20. Though Kirmayer does not venture a definition or explication of the key term, he does provide a valuable catalogue of “the many ways that narratives are broken”21 in clinical encounters, rightly emphasizing that such clinical narratives display distinctive features that set them off from e. g. storytelling in other scenarios and, even more so, from literary narratives. Similarly, the editors of the second volume mentioned above22 prudently refrain from providing a top-down definition of the key term ‘broken narratives’ that serves as the subtitle, saying that they “do not want to stake a claim or offer a precise descriptive or normative label”23. Rather they conceive of the term ‘broken narrative(s)’ as “an open and fluid concept, emphasizing problematic, precarious, and damaged narratives told by people who in one way or another have trouble telling their story, be it due to injury, disability, dementia, pain, grief, psychological or neurological trauma”24. According to Hyd8n and Brockmeier25, the term ‘broken narratives’ designates real-life illness stories which “are not that developed”, i. e. stories which are “undecided, fragmented” and “narrated by voices struggling to find words toward meaning and communication”. Focusing on various kinds of physical and psychological disablities, illness and communicative disorders, the essays in this volume serve to shed light on various kinds of, and a range of issues related to, broken narratives, e. g. on broken and vicarious voices in clinical narratives26, on fragile narratives that are about to break27, on broken narratives about particular illnesses28, broken narratives about internment29, and stories told by women who have left abusive men30. Secondly, in the expanding field known as ‘trauma theory’ or ‘trauma studies’, broken narratives have also received quite a bit of attention, though the term is not very often used, let alone clearly defined. Trauma is almost by definition the paradigm example of unrepresentability, and in this context discontinuous and fragmentary accounts of traumatic experiences and events can be understood as 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30
ibid., p. 155. ibid., p. 169. i. e. Hyd8n / Brockmeier 2008a. Hyd8n / Brockmeier 2008b, p. 10. ibid. Hyd8n / Brockmeier 2008b, p. 2. cf. L.-Chr. Hyd8n 2008. Mattingly 2008. e. g. HIV; cf. Drakos 2008. cf. Frank 2008. M. Hyd8n 2008.
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a typical “response to the ‘unspeakable terror’ of trauma”31. In a pioneering essay entitled “Deciphering the Broken Narrative of Trauma: Signs of Traumatic Dissociation on the Rorschach”32, Judith G. Armstrong has shown that “dissociated trauma is often experienced in fragmentary and incompletely verbalized ways”33. If “the essence of trauma and resulting dissociative disorder is the need to protect oneself from a reality that has behaved in a chaotic and non logical fashion”34, then broken narratives can be understood as an apt and appropriate way of responding to, and rendering, traumatic events and experiences that defy the conventions of coherent and logical stories. In another illuminating article on the links between trauma and broken narrative, Kenneth W. Sewell and Amy M. Williams35 have explored the role of metaconstruction, implicit construing and narrative (dis)continuity in order to “conceptualize how persons story their experiences, and how some experiences (e. g. trauma) disrupt the storying process”36. In light of their findings, broken narratives can be understood as attempts at storying or narrativizing traumatic events or other particularly painful and disruptive experiences that tend to defy mimetic representation and coherent, linear storytelling. Though trauma and posttraumatic reactions have been “conceptualized as breaches in the narrative process and product”37, the exact nature and narrative qualities of these breaches have not yet been characterized, let alone in narratological terms. In this context, broken narratives can be considered as “efforts to cope or come to terms with the breach and its consequences”38. More often than not, it is actually quite difficult to decide whether publications dealing with broken narratives belong to the field of narratives of illness or to that of trauma studies because the two fields are not only closely intertwined, but their respective research interests also overlap in many ways, both with each other and with recent developments in some branches of postclassical narratology. A typical case in point is an excellent volume entitled Beyond Narrative Coherence39, in which illness, the arts, and traumatic political experiences are the three fields of life that have been selected for exploring limits of narrative coherence as well as the ways in which narrative coherence can be challenged and threatened. As the focus on narrative coherence and its limits 31 32 33 34 35 36 37 38 39
Armstrong 2002, p. 11. ibid. ibid., p.11. ibid., p. 17. Sewell / Williams 2002. ibid., p. 205. ibid., p. 206. Bruner 2002, p. 17. cf. Hyvärinen et al. 2010.
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already indicates, this volume looks at stories of illness and trauma in narrative and, in some cases, even in narratological terms. At first sight, two of the essays in that volume which feature the term ‘broken narratives’ in their respective titles seem to be of particular interest for the topic at hand, but, on closer inspection, they are mainly focused on other issues, though they are full of interesting insights. Analyzing “an extremely fragmented, excited, and hard-tocomprehend ‘story’”40 told by a man suffering from aphasia, Tarja Aaltonen’s article “‘Mind-Reading’: A Method For Understanding The Broken Narrative Of An Aphasic Man”41 is concerned with aphasia as a particular reason for why a narrative has lost coherence to such an extent that it provides a case in point for what the metaphorical concept of ‘broken narrative’ can actually mean. Though its focus is on the act of mind-reading and shared storytelling as a way to enhance the mutual understanding of the storyworld, Aaltonen’s article also sheds light on the specificity of broken narratives and the cognitive challenges they pose for comprehension. The same holds true for Maria Tamboukou’s essay “Broken Narratives, Visual Forces: Letters, Paintings and the Event”42, which identifies additional features of broken narratives, pointing out that in them “sequential linearities are broken, nomadic subjectivities emerge and forces of narratability are released”43 and that “space/time blocks” or “chronotopes” are “disrupted”44. We will return to these valuable observations below to illustrate both the ways in which the brokenness can be signalled in narratives and how the addition of the insights from the various fields can enhance our understanding of the challenges that broken narratives pose for the reader and, even more so, for the narratologist. Thirdly, there are various kinds of literary and non-literary genres like autobiography or life stories, especially stories revolving around the experience of refugees, immigrants and the ruptures involved in migration, which have occasionally been referred to as ‘broken narratives’. Exploring intergenerational storytelling as a means of fostering narrative self-identity, Senem Yekenkurul45, for instance, has read immigrant folktales in terms of the notion of broken narratives and shown how the experiences of disruption and fragmentation caused by migration are reflected in the structure of the stories, turning them into broken narratives. Moreover, Maria Tamboukou’s essay46 demonstrates how
40 41 42 43 44 45 46
Aaltonen 2010, p. 49. Aaltonen 2010. Tamboukou 2010. ibid., p. 67. ibid., p. 77. Yekenkurul 2011. Tamboukou 2010.
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heuristically productive it can be to read letters in terms of the concepts of an event and of broken narratives. Since most of the research concerning ‘broken narratives’ has so far focused on pathological phenomena, it deserves to be emphasized that ‘broken narratives’ are by no means confined to the domains of illness and trauma. On the contrary, they can also be found in a wide range of other literary, semi-literary and non-literary genres and narrative text-types. Though the broad spectrum of non-conventional stories beyond the realm of illness stories has not yet been explored under the auspices of the umbrella term of ‘broken narratives’, many factual and fictional stories that deal with topics other than disability or illness arguably share many of the features that seem to be common to ‘broken narratives’ in clinical and pathological contexts. In a volume entitled Working with Narrative in Emotion-Focused Therapy47, for instance, Lynee E. Angus and Leslie S. Greenberg characterize broken narratives as “states of narrative incoherence in which competing plotlines, and their accompanying emotions, block clients’ efforts to achieve an integrated understanding of an emotionally unresolved or traumatic life-experience”48. As any reader of fiction in general and stories told by unreliable narrators will know, of course, such states of narrative incoherence are also the stuff of which many novels and short stories are made. The three fields of trauma, illness and migration are, however, by no means the only contexts or domains in which the term ‘broken narratives’ has been used or in which stories that display similar features often occur. On the contrary, there is a wide range of other contexts in which the phenomena and/or the terms ‘broken narratives’, ‘ruptured narratives’ or ‘rupture’ have appeared. The spectrum ranges from women’s writing about sexual violence to what is called ‘organizational storytelling’ and companies or firms whose corporate narratives have broken and need to be revised. While some of the examples could be subsumed under one of the three kinds of rubrics briefly explored above, other instances do not really fit one of these categories. Women’s writing about sexual violence, for instance, can be seen as a paradigm example of broken narratives relating to a traumatic event (and causing psychological and/or physical damage and illness). The same holds true for the testimonies given by Holocaust survivors, with the Holocaust representing the paradigm case of the traumatic event49. Similarly, stroke survivors’ broken narratives obviously represent a typical example of a personal narrative that has been ruptured by illness. However, the term ‘broken narratives’ is also used fairly regularly in the media and in political discourse, e. g. with reference to Barack Obama’s “Yes, we can”47 Angus / Greenberg 2011. 48 ibid., p. 59. 49 cf. Iversen 2011.
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narrative, what Republicans see as the broken narrative about former Alaska governor Sarah Palin, as well as various versions of the ‘governement-is-broken’- and the ‘system-is-broken’-narrative being typical cases in point. In addition, there are occasional usages of the term in domains beyond illness, trauma and politics, including e. g. “the broken narratives of US labor history”50, historiography and anthropology51. In most of these cases, the designation ‘broken narratives’ is used rather loosely as though this metaphorical phrase was selfexplanatory, without the authors making any sustained effort to extrapolate beyond their respective analyses or fields, or bothering to ponder about or define the term. As the articles in this volume show, the notion of broken narratives can also be used as a fruitful heuristic concept that allows e. g. historians to come to terms with the complex interplay between continuity and instances of sudden change or ruptures in both pre-modern and modern periods and societies, but also with aesthetic ruptures in literature, philosophy, and discontinuities in serial storytelling. The articles also demonstrate that the concept of broken narratives is particularly pertinent for certain periods, movements and experiences, e. g. modernism, the avantgarde, and migration. Some text-types like petitions and landmark political speeches even serve to create the very ruptures which they purport merely to describe or represent in order to rectify the grievances they critique. This raises the interesting question of whether broken narratives refer to, and merely represent, disruptive and incisive events that precede the act of narration, or whether they exert performative power in their own right in that they actively generate such ruptures. There is arguably no answer that would be generally valid in that it very much depends on the respective context and domain in which the term is used. While there can be little or no doubt that in the fields of both stories of illness and ‘trauma studies’ broken narratives typically delineate “disrupted lives”52, in other domains like politics and the economy53 the claim that a particular narrative is broken or has come to an end may often be selfserving and open to debate. Like the ubiquitous discourse of crisis, such a claim is often little more than a discursive strategy, construction or diagnosis54 rather than a neutral rendering of any real disruption or the actual state of affairs. In addition to the fields in which there has been research on the phenomenon of broken narratives, there are, however, a number of other domains in which broken narratives have recently featured quite prominently, without as yet 50 51 52 53 54
Zieger 2011. cf. Sands 1978. Becker 1997. cf. Bivens 2011. cf. Grunwald / Pfister 2007.
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seeming to have caught the attention of scholars working in the respective fields. In an age of ongoing crises, it is probably no coincidence that broken narratives seem to have proliferated in a number of new contexts. Salient cases in point include the realms of the economy, banking and finance, as well as politics. As a result of the financial crises55 and soaring national debts, more and more banks, other companies and even states have been confronted with the fact that their cherished corporate or collective narratives no longer fit recent developments and the actual state of affairs. When financial dangers, debts, distress and disorganization prevail, the collective greater narrative that tells the story of a firm or a nation may well be broken beyond repair. Moreover, we currently seem to be witnessing a crisis or even a breakdown of some of the master narratives that late capitalism lives by, and it may well just be a question of time until there is research on the broken master narratives of economic growth, innovation, progress and ever-growing prosperity. Though the great majority of the books and articles published in the research fields and domains reviewed above are not directly concerned with the narrative (let alone narratological) aspects of the phenomenon, they are very helpful for the purpose of developing a descriptive poetics or narratological model of broken narratives for at least three reasons. First, they contribute significantly to a better understanding of the complex phenomena that have been referred to as ‘broken narratives’ in that they shed light on a broad range of cultural and psychological issues relating to them, providing an outline of a phenomenonology of ‘broken narratives’. Secondly, a comparative analysis, or metaanalysis, of the insights that work in the various fields can be very helpful for an attempt to tease out the commonalities between the genres and kinds of stories that have been subsumed under the umbrella term of ‘broken narratives’. Thirdly, the variety of fields in which the phenomenon has been identified suggests that broken narratives appear in a broad range of contexts, kinds and text-types and that they are by no means confined to clinical narratives or pathological cases. However, three important caveats must be made before the insights of the research fields briefly reviewed above can be assessed from a narratological point of view. First, though the data and findings of each field enhance our understanding of the phenomenon of ‘broken narratives’, they are neither informed by the concepts and models of narrative theory nor are they couched in a narratological terminological framework, and the concept of broken narratives is hardly ever properly defined. Secondly, they alert us to the differences (and similarities) that exist between instances of broken narratives in different contexts. While narratives in clinical encounters tend to be broken by such prag55 cf. Lanchester 2010.
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matic factors as e. g. “the intrusion of symptoms, the incomprehensibility of illness, the inattention and discounting of powerful interlocutors (like physicians), or the debilitating effects of illness on creative and integrative cognitive functions”56, in other fields there can be a wide range of other (e. g. cultural, economic, political, social etc.) reasons and ways in which narratives can be broken. Thirdly, just like any other travelling concept57, the metaphorical concept or conceptual metaphor of ‘broken narratives’ comes with cultural, disciplinary and metaphorical baggage, and its meaning must be renegotiated when it is reframed and defined in other contexts.58 We will come back to these issues in the fourth and fifth section of this essay, but let us now turn our attention to the metaphorical implications of the notion of broken narratives and to the main features that they typically display.
3.
Conceptualizing ‘Broken Narratives’ as a Metaphorically Structured Concept, or: Identifying Salient Features and Common Patterns
As the brief overview of the uses of the concept in section 2 has shown, the notion of broken narratives not only figures quite prominently in different disciplines, but both the various uses of the term and their referents also have a number of characteristics in common. When one compares the various usages of the term ‘broken narratives’ and the kind of stories to which it refers, one begins to recognize some common patterns. The most important of these is arguably that the notion of broken narratives is a typical example of what George Lakoff and Mark Johnson in their seminal book Metaphors We Live By have called “metaphorically structured concepts”59. While the key concept of narrative (just as closely related concepts like narrativity) is clearly, albeit by no means unanimously defined in narratology, the concept of broken narratives is “structured almost entirely metaphorically”60. Before we characterize it in narratolgical terms, it is thus worth exploring the metaphorical implications of the notion of broken narratives. Looking at the notion of broken narratives as a metaphor and in terms of the metaphorical mappings involved can therefore serve to shed more light on how the notion is used to understand personal crises, disrupted lives, and cultural 56 57 58 59 60
Kirmayer 2000, p. 170. cf. Bal 2002. cf. Hallet 2012; Neumann / Nünning 2012a, 2012b. Lakoff / Johnson 1980, p. 85. ibid.
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ruptures. Metaphors not only serve to structure how we understand cultural transformations, they also project “mininarrations”61 onto them, thereby providing ideologically charged plots and explanations of historical changes rather than ‘neutral’ descriptions thereof. It is arguably “the metaphorical concepts we live by”62, to use Lakoff and Johnson’s felicitous formulation, that provide the key to understanding the topic at hand. If one accepts Lakoff and Johnson’s view “that most of our conceptual system is metaphorically structured”63, then one might even go so far as to argue that metaphors and narratives are the most powerful tools we have for making sense of personal crises and cultural disruptions, being endowed as they are with the power of reason and the power of evaluation64. By virtue of its more or less coherent entailments, the metaphorically structured concept of broken narratives provides a familiar and systematic way of talking about, and making sense of, crucial and even traumatic experiences, events and ruptures that do not lend themselves to being readily assimilated into conventional plots, schemata or cultural scripts. More specifically, the metaphor ‘broken narratives’ foregrounds particular aspects while masking others. Many of the characteristic features that define broken narratives can be derived from the source domains that we find in experiential contexts in which more or less metaphoric expressions that are morphologically analogous are used. Typical examples of non-metaphoric usages of the word ‘broken’ include such instances as a broken part of the human anatomy (e. g. a leg, a collarbone, a nose or a vein) or a broken object (e. g. a mirror, a vase or a window). In other cases, the adjective ‘broken’ is used in a metaphorical sense, e. g. when we talk about a ‘broken heart/spirit’, a ‘broken voice’, a ‘broken (wo)man’, a ‘broken agreement/ appointment/promise’, a ‘broken journey’, a ‘broken night’s sleep’, or a ‘broken relationship’. Such examples as a broken family, a broken home (where the parents have divorced), a broken marriage or any other kind of interpersonal break-up also serve to show that the metaphor in question not only typically refers to a crucial event, it also tends to generate more and similar metaphorical word-formations like broken-hearted or heartbroken people who are then likely to tell broken narratives. The most characteristic features of ‘broken narratives’ that can be inferred from these various source domains include the notions of - discontinuity and interruption, - fragmentation, incompleteness and lack of integration, - impairment, imperfection or failure, 61 62 63 64
Eubanks 1999, p. 437. Lakoff and Johnson 1980, p. 22. ibid., p. 106. cf. Lakoff / Turner 1989, p. 65.
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being made weak or made worse, being damaged or destroyed, lack of fulfillment, being made useless (by breaking), i. e. loss of functionality, heightened degree of self-awareness, a high degree of eventfulness,65 a sense of the crucial, problematic or even traumatic nature of the break or break-up in question, - a sense of the importance of what has occurred and the changes and effects that it entails combined with a limited understanding of what occasioned the break or break-up. As we will see later on, this list of the main semantic implications of the metaphorically structured concepts that include the notion of something or someone being ‘broken’, and of the quality of ‘brokenness’, already shed quite a lot of light on salient features of ‘broken narratives’, which we will try to specify and reframe in narratological terms in section 4. Depending on whether the emphasis is on a break in temporal continuity or on the quality of something broken to pieces, one could even distinguish between discontinuous, disrupted or severed stories which are divided into two parts, i. e. a period before and another one after the break or break-up in question, and narratives that are more radically fragmented or diffuse, resembling the pieces of a broken object that can no longer be put together again. Moreover, the analysis of the source domain also serves to demonstrate that the metaphorical notion of something or someone being ‘broken’ is actually a kernel of a narrative in that it presupposes at least a very short story in order for the metaphorical mappings to work and make sense. In the preface to his seminal encyclopedia of philosophical metaphors, the editor Ralf Konersmann answers the question of what metaphors actually are by providing a somewhat unusual functional definition: “Metaphors are narratives that mask themselves as a single word.”66 Konersmann is, of course, neither the first nor the only scholar to draw attention to the fact that metaphors can be conceived of as condensed narratives and that they produce a special kind of knowledge. The metaphorically structured concept of ‘broken narratives’ is certainly a case in point in that it entails just such a mininarration. It implies that there was a good period to begin with, then some kind of break, break-up or disruption occurred, and this led to a radically altered state of affairs which appears to be severed from the story so far. Broken narratives can thus be seen as stories 65 see Schmid 2005; Hühn 2009, 2010. 66 Konersmann 2008, p. 17; our translation.
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revolving around some kind of disruption. The metaphorical concept of ‘broken narratives’ offers a new term for a particular kind of non-conventional narrative, while also being a case in point for the observation that the “profusion of narrative metaphors is one of the characteristic features of the whole narrative turn in social sciences and psychology”67. However, while the metaphorical discourse surrounding the concept of narrative identity68 in psychology and the social sciences “promised to explain personal continuity and coherence with the help of narrative”69, the metaphorical notion of ‘broken narratives’ challenges the key assumptions and concepts of this approach, especially the notion of the psychological continuity of the self and the proposition that narrative coherence is essential to our identity and sense of who we are. But even if one accepts the “idea of such a symbiotic relation between personal identity and narrative”70, then the metaphorical implications entailed in the notion of something being ‘broken’ suggest that ‘broken narratives’ coincide with, or are indicative of, disrupted lives71, fragmented selves or crises of identity72. Exploring broken narratives can thus shed light on the question of how we can “re-think the concept of narrative identity”73. If it is true that “a failure of narrative identity is an ethical calamity”74, then broken narratives have far-reaching ethical as well as cultural and ideological implications which hinge on what has been called the “content of the form”75 or the “ideology of the form”76. We will return to these issues in section 5 when we explore the cultural dimensions and functions of broken narratives. The various source domains on which the metaphorically structured concept of ‘broken narratives’ draws also reinforces the hypothesis that the occurrence of such narratives and the quality of brokenness may not be restricted to clinical and pathological cases at all. On the contrary, the proliferation of broken and fragmented narratives in different domains and realms may have something to do with the fact that broken families, broken homes, broken marriages, and many other kinds of interpersonal break-ups and experiences of disruption, rupture and upheaval have become the statistical norm rather than the rare exception in an age of catastrophes, crises77 and migration. Before 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77
Hyvärinen 2013, p. 26. cf. Holler / Klepper 2013. Hyvärinen 2013, p. 26. Klepper 2013, p. 2. cf. Becker 1997. cf. Birke 2008. Klepper 2013, p. 4. ibid., p. 11. White 1987. Jameson 1983 [1981]. cf. Meiner / Veel 2012.
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we get back to these broader cultural implications in the final section, let us try to explore the question of what kind(s) of narratives the metaphorical entailments typically project and how the concept of broken narratives can be characterized and defined in narratological terms.
4.
Reframing ‘Broken Narratives’ as a Narratological Concept, or: Coming to Terms with Disruptions, Kernels, (In-)Coherence, Narrative Discontinuity, Fragmentation, Ruptures and Turning-Points
It is arguably no coincidence that scholarly interest in broken narratives and disrupted lives78 has so far been largely confined to psychology, medical anthropology and the social sciences at large, while the phenomenon has received hardly any attention in literary and cultural studies. Though one can extrapolate many valuable insights from the work briefly reviewed in section 2 above, they need to be translated into and reframed in narratological terms. Moreover, as the editors of the volume The Travelling Concepts of Narrative rightly remind us, the “various academic disciplines have conceptual traditions of their own that need to be taken seriously when doing interdisciplinary studies”79. Instead of simply assuming that we are really dealing with a travelling concept (sensu Bal) or a “travelling metaphor”80, we should thus like to reframe broken narratives as a narratological concept. This not only involves translating the metaphorical implications and the features identified in section 3 into narratological terms, but also taking into consideration the respective contexts in which broken narratives occur and the traditions of the various disciplines in which they have been explored. Curiously enough, however, while broken narratives have not only proliferated in a wide range of different domains, but have also begun to be explored by various disciplines and in newly emerging interdisciplinary research fields like narrative medicine81, narrative theory and narratology have not yet displayed any sustained interest in the phenomenon. Though it is always difficult to speculate about the reasons of such scholarly restraint or neglect, we should like to venture the following hypotheses. The phenomenon (or phenomena?) that has (or have) been explored under the umbrella term ‘broken narratives’ in other fields challenges and even undermines some of the central assumptions, ob78 79 80 81
cf. Becker 1997. cf. Hatavara / Hyd8n / Hyvärinen 2013, p. 2. cf. Hyvärinen 2013. cf. Charon 2008.
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jectives and cherished concepts of narratology. More specifically, it calls into question three of the key asumptions and goals of classical narratology, i. e. that there is such a thing as a logic of narrative; that stories are endowed with orderly narrative structures, coherence and causality ; and that it is possible to generate a science of narrative modelled on structuralist linguistics which would provide a systematic inventory of the elements, forms and structures of narrative. Thus it is arguably no coincidence that broken narratives have hardly come onto the radar of classical narratology and postclassical narratologies82 in that they challenge, defy and transgress some of the core presuppositions on which narratology is built. One might, of course, reasonably expect that broken narratives would fall under the purview of those recent approaches in postclassical narratologies that have been designated as ‘natural narratology’ and as ‘unnatural narratology’, respectively. On closer inspection, however, this turns out not to be the case. Though the cognitive approach developed by Monika Fludernik in her seminal monograph Towards a ‘Natural’ Narratology83 is arguably the most comprehensive and convincing integration of concepts and frames of real-life storytelling and experience into an encompassing theory of narrative, it does not specifically address the challenges that broken narrartives pose to listeners’ or readers’ attempts at narrativization and naturalization. Nonetheless, both her definition of narrativity in terms of experientiality as the typical quality of ‘natural’ narratives, i. e. narratives told in conversational or oral storytelling scenarios, and her interest in the processes involved in narrativization and naturalization can prove to be very helpful for getting to grips with broken narratives. Curiously enough, even unnatural narratology, which focuses on “unnatural narratives”84, has so far displayed little interest in the topic at hand. Much of the work done in the field of unnatural narratology has been concerned with exploring the various forms and functions of “unnatural voices”85 and other kinds of nonmimetic, untypical or experimental narrative techniques86, but broken narrratives do not seem to have made it onto the agenda or even the radar of practitioners of this new approach. There are, however, a few noteworthy exceptions to this rule, most notably two articles by Stefan Iversen87, who is one of the very few scholars working in narrative theory who have used the insights of recent developments in narratology, especially unnatural narratology, in order to come to terms with broken 82 83 84 85 86 87
cf. Herman 1999; Alber / Fludernik 2010. Fludernik 1996. Alber / Heinze 2011. Richardson 2006. cf. the articles in Alber / Heinze 2011. Iversen 2011, 2013.
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narratives. Though Iversen’s articles are mainly concerned with crises of experientiality in non-fictional narratives88 and the distinction of fiction in nonconventional first-person narration respectively89, they provide a number of interesting observations on which an attempt to develop a narratological model for broken narratives can draw. Three of his valuable insights deserve to be singled out because they help to characterize the specificity of broken narratives. Just like the “strange or odd narratives”90 that he explores, broken narratives typically deal with crises of experientiality, i. e. with experiences that “go beyond the scope of narrative comprehension”91. However, a narratology of crises92 cannot really capture the specificity of broken narratives because the latter revolve around sudden disruptions of normal trajectories, whereas narratives of crises have a fairly coherent and even conventional plot of their own. Secondly, the Holocaust testimonies that Iversen explores can be considered as typical examples of broken narratives, displaying as they do many of the narratological features that we will attempt to identify and explore in section 4 of the present article. Thirdly, Iversen has made a number of useful suggestions for how to “deal with broken, incoherent, or strange narratives”93, while also identifying some of their textual features and cognitive challenges. Though the present article is very much indebted to both Iversen’s illuminating essays and the work done in the domains and fields reviewed in section 2, its focus and goals are quite different in that we are mainly concerned with defining the concept of broken narratives and exploring their main features in narratological terms. In order to avoid possible misunderstandings we should also like to emphasize that the present essay is neither intended as a contribution to, or exercise in, unnatural narratology, nor as an attempt to intervene in the ongoing debates about the relations between the approaches known as ‘natural narratology’ and ‘unnatural narratology’ and their respective pros and cons. While unnatural narratology is particularly interested in narratives that transcend mimetic notions and go beyond real-world experiential frames and parameters, we should like to argue that broken narratives are a very natural phenomenon indeed, occurring as they do in clinical contexts and other real-world domains. Though there is some overlap between e. g. Iversen’s illuminating work on broken, nonconventional or unnatural narratives94, especially his attempt at “[d]efining and
88 89 90 91 92 93 94
Iversen 2011. Iversen 2013. Iversen 2011, p. 92. ibid., p. 93. cf. Nünning 2007, 2012, 2013. Iversen 2013, p. 143. cf. Iversen 2011, 2013.
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interpreting (elements of) non-conventional narration”95, and the main concerns of the present article, our approach is based on extensions and reconfiguration of classical and postclassical narratology96 rather than on the premises of unnatural narratology. Moreover, instead of acting as an arbiter of hostilities between ‘natural narratology’ and ‘unnatural narratology’ , we should like to draw on the insights of the various new narratologies97 in order to come to terms with the specificity of the kind of stories that have been dubbed as ‘broken narratives’. In sum, while broken narratives have become a fairly common phenomenon in a wide range of domains and fields, including medicine, psychology and psychotherapy, they have not yet caught the attention of narratologists. Though the plethora of instances of broken narratives in ordinary or real-life storytelling scenarios like clinical narratives shows that they are a particular kind of natural narrative, natural narratology has not yet taken them into consideration. And though they clearly deviate from the norm of coherence as well as from other notions of the well-made story, unnatural narratology, despite its focus on untypical narratives, has not taken them into consideration either. This confirms our initial hypotheses that broken narratives are still one of the lacuane of narrative theory and that they may even challenge key presuppositions of narratology, first and foremost its original goal to develop a grammar and a science of narrative and the underlying assumption that there is something like a “logic of narrative”98. Within a narratological framework, broken narratives can be defined as a particular kind of story that has a number of salient features. First, they are characterized by a central event or kernel that revolves around a break, break-up or disruption. Secondly, this kernel entails a high degree of eventfulness99. Thirdly, they display a profound lack of the various dimensions of narrative coherence, i. e. temporal, causal, and thematic. On the basis of these subtypes of coherence, three additional features can be identified, viz. temporal discontinuity and fragmentation, questioning or suspension of causality, and “abrupt discontinuities within and between topics”100. Let us try to explore these and other features of broken narratives and to come to terms with them by translating them into narratological concepts or reframing them in terms of narrative theory. At a most basic level, broken narratives can be considered as stories revolving 95 96 97 98 99 100
Iversen 2013, p. 148. cf. Alber / Fludernik 2010, esp. Part I. Herman 1999; Heinen / Sommer 2009; Olson 2011. Culler 2005. see Schmid 2005; Hühn 2009, 2010. Armstrong 2002, p. 21.
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around a central event that resulted in the disruption of normal trajectories. They can thus be understood as – usually failed – attempts to create continuity and order after an unexpected disruption to life. In her fascinating and illuminating book Disrupted Lives, Gay Becker101 explores how people (mainly, but not only Americans) deal with the increasingly disjunctive nature of the forms of life in late (post)modernity and how they try to cope with situations in which expectations about the course of life are no longer met, but are radically challenged. Becker does an excellent job at exploring “the major elements of a disrupted life – the disruption itself, a period of limbo, and a period of life reorganization”102. In addition, broken narratives are also characterized by their narrators making a sustained effort at reconstructing some kind of coherence and continuity. The concept of ‘broken narratives’ thus revolves around a major event that has severely disrupted the expectations, life and narrative of the respective subject. The characterization of a story as a ‘broken narrative’, just like the qualification of an episode as a ‘turning point’, implies that the precipitating event in question is characterized by what narratologists describe as a high degree of eventfulness103. Central to broken narratives are those important episodes or events to which people attribute a crucial change. They are “peculiarly essential junctures”104 in that they are “particularly consequential”105. However, in broken narratives the crucial event is typically “elusive and narratives can only carry traces of its emergence or passage”106. Since those momentous events regarded as the cause of disruption that mark broken narratives are the stuff that narratives, both the stories of world literature and factual stories, are often made of, it makes sense to outline some criteria for the definition of the terms ‘event’ and ‘broken narratives’ as well as for the gradation of ‘eventfulness’ so as to throw light on the features that characterize broken narratives and the ways in which they are made in the act of narration. The construction of broken narratives is not only based on selection, which, of course, inevitably involves deletion, but on a high degree of abstraction as well. Any event itself consists of a multitude of actions, condition changes and movements, which are then subsumed under a generalizing generic term like ‘turning point’107. Hence, the constitution of a turning point or disruptive event is an act of worldmaking in that it is the result of a complex set of processes 101 102 103 104 105 106 107
Becker 1997, p. 4. ibid., p. 2. cf. Schmid 2005; Hühn 2009. Abbott 1997, p. 99. ibid. Tamboukou 2010, p. 79. cf. Nünning / Sicks 2012a, 2012b.
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involving selection, deletion, and the kind of privileging Goodman called ‘weighting’108, which implies “ratings of relevance, importance, utility, value” in order to highlight the substantial while the irrelevant elements are disregarded. The fact that those distinctions are a matter of attribution, valuation and assigning meaning becomes especially clear in the case of broken narratives, which always result from such “ratings of relevance, importance, utility, value”. An important condition for qualifying a pivotal event as causing broken narratives is, at first, that it transgresses the norms and routine of everyday experience. There must be a certain degree of surprise for something that happens to qualify as an event that disrupts e. g. a person’s life or a family. In his insightful essay on “The Narrative Construction of Reality,” the psychologist Jerome Bruner already drew attention to some of the key dimensions of eventfulness, especially to the important role of deviation and of norms as a point of reference. He uses the felicitous concepts of “canonicity and breach”109 to describe how an important event usually results from a deviation from the canonical, i. e. from what is regarded as normal, pointing out that any break with expectations always involves norms110. Decisions about what constitutes such an important event that we think of it as a rupture or turning point thus always partake in the culture’s ways of worldmaking, including its hierarchies of norms and values, and its notions of canonicity and normalcy. If we accept the proposition that broken narratives constitute a particular kind of story revolving around a crucial or even traumatic event, then we can fruitfully adopt the criteria for defining the term ‘event’ that narratology has introduced for distinguishing varying degrees of eventfulness. Working within a structuralist narratological framework, Wolf Schmid defines the event as “a change of condition which meets with certain requirements”111. Schmid was the first narratologist to compile a systematic list of criteria or fundamental requirements which a change of condition must fulfil in order to be recognized and distinguished as an ‘event’. According to Schmid, a change of state must display five properties in order to qualify as an event and to be accorded a high degree of eventfulness. According to this model, changes can be “more or less eventful depending on the extent to which these five properties are present”112. The approximate degree of eventfulness can thus be measured by means of the following five characteristics113 that are also helpful for further characterizing broken narratives: 108 109 110 111 112 113
Goodman 1992, p. 10–12. Bruner 1991b, p. 11–13; cf. Herman 2009, p. 20–21. see ibid., p. 15–16. Schmid 2005, p. 20; our translation. Hühn 2009, p. 89. see Schmid 2005, p. 22–26.
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1. Relevance (or significance) of the change of state: Eventfulness increases at the rate at which the change of condition in the respective narrative world that is represented is felt. 2. Unpredictability (or unexpectedness) of the change: Eventfulness increases at the rate of the deviation from the narrative ‘doxa’, i. e. from what is generally expected in the respective world. An event can also consist in the break with an expectation. 3. Effect (or consecutivity) of the change: The eventfulness of a change of condition increases at the rate at which a change, in the frame of the narrated world, has consequences for the thinking and the acting of the affected subjects. 4. Irreversibility (or irrevocability) of the consequences of the change: The eventfulness increases through the improbability of revoking the achieved state. 5. Non-iterativity (or non-repeatability), i. e. the singularity of the change: Changes which are repeated only constitute a remote degree of eventfulness at most, even if they are relevant and unpredictable. These five parameters for distinguishing degrees of eventfulness serve to shed additional light on what is involved in talking about broken narratives and in coming to terms with their narratological features. Broken narratives are arguably characterized by a particularly high degree of eventfulness in that they not only display all the five parameters defined by Schmid but that they do so to the utmost degree. Therefore five additional defining features of broken narratives can be derived from these parameters. The pivotal or precipitating events that broken narratives typically revolve around are characterized by a high degree of 1. Significance: Qualifying a story as a broken narrative implies that the change of state in question which resulted in the narrative to be broken was especially relevant and significant. 2. Breach of canonicity : Broken narratives are usually characterized by their deviation from what is expected and considered to be the norm. 3. Effect: The changes and events that occur in the kind of stories designated as ‘broken narratives’ usually have far-reaching implications and consequences for the person, institution, or phenomenon concerned. 4. Irrevocability : Broken narratives tend to feature events that have such farreaching and irrevocable consequences for the person, institution, or phenomenon concerned that they result in irrevocable changes. 5. Unrepeatability : The pivotal or precipitating events that are characteristic of broken narratives are characterized by their singularity and are not normally repeatable.
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Putting conceptual and terminological flesh to the metaphorical implications and features outlined in section 3, these criteria provide a powerful set of analytical tools that not only make it possible “to describe with precision the many forms and degrees of eventfulness in narrative texts”114, but also to distinguish broken narratives from other kinds of stories in which less eventful happenings occur. In contrast to other aspects of broken narratives, these narratological features have not yet been considered at length in the pertinent literature on the topic (cf. section 2 above). Since most narratologists are in agreement by now about “the fact that eventfulness is dependent on cultural and historical context”115, we should like to add that the relevant intratextual and extratextual contexts or frames of reference also have to be taken into account if we want to come to narratological terms with the concept of broken narratives. In the case of the metaphorically structured concept of ‘broken narratives’, we are not dealing with just any kind of mininarration or story, but rather with what structuralist narratology, following Roland Barthes, has called a ‘kernel’, i. e. with a central element of the story in question which is “logically essential to the narrative action and cannot be eliminated without destroying its causal-chronological coherence”116. The definition provided by Seymour Chatman117 captures the salient features of kernels very well: “Kernels are narrative moments that give rise to cruxes in the direction of events. They are nodes or hinges in the structure, branching points which force a movement into one of two (or more) possible paths.” Prince’s and Chatman’s definitions provide a useful foil against which one can try to gauge the specificity of ‘broken narratives’. While the adjective ‘broken’ certainly refers to an event that is “logically essential to the narrative action and cannot be eliminated without destroying its causal-chronological coherence”, in many or perhaps even most cases of ‘broken narratives’ one could probably even go so far as to argue that without the breakup or the event that caused the disruption, and thus the quality of brokenness of the story, there would be no narrative to begin with that was deemed to be tellable. The metaphor of broken narratives enhances the tellability of the story in question, i. e. it serves as a means of highlighting crucial and incisive episodes that “make a story worth telling”118. In other words, ‘broken narratives’ not only revolve around a crucial event which typically defies direct representation or straight-forward narration, their brokenness is also often reflected in the texture and on the level of narrative discourse. Moreover, the crucial event to which the adjective ‘broken’ refers is typically a kernel as defined by Chatman in that it 114 115 116 117 118
Hühn 2009, p. 91. Hühn 2009, p. 93. Prince 1987, p. 48. Chatman 1978, p. 53. Baroni 2009, p. 447.
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marks the narrative moment that gives rise to cruxes or turning points in the direction of events. What the notions of broken narratives and turning points have in common is that these terms refer to a crucial, important and necessary event on which the narrative hinges. As Birke119 has rightly observed, the notion of turning points in some ways “parallels the concept of ‘kernels’”, which has, of course, been defined by narratology120. But whereas turning points121 are indeed the central nodes or branching points in the structure of stories, on which the development of the action hinges and which force a movement into one of two (or more) possible paths, this does not really capture the specifity of broken narratives very well. Broken narratives revolve around a peculiar kind of kernel that defies or eludes direct representation. While kernels in general constitute and reaffirm the chronological and causal coherence of a narrative, ironically enough, one of the defining features of broken narratives seems to be that they are the kind of kernel which challenges or even destroys just this very ‘causal-chronological coherence’. As the metaphorical implications delineated in section 3 above already indicate, broken narratives typically disrupt chronology and sequentiality. More often than not, this results in a concomitant reduction of both coherence and causality, which is another defining feature of broken narratives. As far as the story level is concerned, broken narratives typically display a couple of salient features that distinguish them from traditional kinds of linear narratives. Instead of a chronological, linear and sequential representation of the events, the story level in broken narratives is characterized by episodic dispersal and fragmentation of the elements of the narrative. Though most of these features concern the concepts of the event and the characters that broken narratives project, the lack of coherence and sequentiality also affects the representation of time and the discourse level, as we will see below. Emphasizing contingency rather than causality, broken narratives generate the impression that contingency has become one of the central conditions and experiences of contemporary life in a globalized world, beoming ever more dominating within the process of modernization from the 19th to the 21st century122. Broken narratives not only serve to make contingency visible, both on the story and the discourse level. They can also be read and understood as dialogic responses to a perceived rise in contingent phenomena and to what can be called a ‘hegemonic culture of contingency’123. A concomitant feature cor119 120 121 122 123
Birke 2008, p. 89. cf. e. g. Chatman 1978, p. 53–56; Prince 1987, p. 48. cf. Nünning / Sicks 2012a, 2012b; Nünning 2012b. cf. Butter 2013. cf. Butter 2013, p. 121.
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responding to the flaunting of contingency is a diminished sense of agency that broken narratives often display, both on the story level and the narrators’ attempts at reorganizing their lives with the benefit of hindsight124. Broken narratives also typically challenge other characteristic features and narratological presuppositions of kernels, especially the notions of ‘direction of events’ and of branching or turning points which force a movement into one of two (or more) possible paths. Instead of any clear sense of direction and of linear movement, broken narratives tend to be characterized by disorientation, disruption, and the loss of the power to move and to decide in which direction to go. In broken narratives, cognitive procedures and narratological presuppositions like placing actions in sequences, identifying causal relations between events or kernels, and perceiving teleologically organized structures are no longer operative in the same way as they are in classical, traditional or modernist narrative texts that make up the lion’s share of the corpus of narratological inquiry. Moreover, broken narratives are characterized by a curious ambivalence that results from the precarious (im)balance between their deviation from, and at the same time reliance on, the conventions of the unmarked case of the classical narrative that features a continous plot, linear progression and causality. What broken narratives share with “antistories”125 or “antinarratives”126 is that, on the one hand, they call into question the assumption that stories have something like a “narrative logic, that one thing leads to one and only one other, the second to a third and so on to the finale”127. On the other hand, however, they are neither “without plot, for they depend for their effect on the presupposition of the traditional narrative line of choice”128. While broken narratives revolve around a crucial event that constitutes the (and not just a) kernel of the action, one of their defining features is their ‘failure’ to delineate or render it in direct or conventional ways. Nonetheless, by actually commenting upon and interpreting the events and experiences they purport merely to reflect or to report, the metaphorical notion of ‘broken narratives’ serves as a means for explaining complex processes and changes by emphasizing that they actually defy explanation and narrativization. Like narrativization in general, the postulation of a narrative being broken is, therefore, paradoxically enough, “also a process by which the effect of contingency, as unpredictability and randomness, is converted into the effect of necessity or probability exerted by the configuring act of the storyline”129. 124 125 126 127 128 129
cf. Freeman 2010. Chatman 1978, p. 56. ibid., p. 57. ibid. ibid. Ritivoi 2005, p. 232.
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Another salient feature of broken narratives is their privileging discontinuity over continuity. While classical narratology focused mainly on continuity, linearity and sequentiality, the concepts of discontinuity or interruption have only recently begun to attract some attention from postclassical narratologists130. Though the essays in the collection edited by Lehtimäki, Karttunen and Mäkelä, which probe the limits of narrativity, focus on the non-linear and anti-causal dimensions of narratives, they are not concerned with broken narratives but with a range of other aspects that can disturb or interrupt the chain of events. Yet the notion of anti-causality that the volume explores is another hallmark of broken narratives that calls conventional notions of causal connections and explanations into question. Over and above questioning causality, broken narratives also challenge conventional ways of what has been called narrativization and naturalization, while providing a new way of naturalizing events at the same time. The projection of a well-established metaphorical plot like “a life-story, the story of a marriage, etc. is broken” can be understood as an interpretive strategy or cognitive process of the sort that has come to be known as ‘naturalization’131, one which makes complex personal experiences intelligible in terms of culturally accepted frames and scripts. To interpret crucial changes or disruptions in terms of such culturally bound plots can also be thought of as a way of naturalizing experiences by giving them a function in some larger pattern supplied by cultural models. Culler clarifies what ‘naturalization’ means in this context: “to naturalize a text is to bring it into relation with a type of discourse or model which is already, in some sense, natural or legible.”132 This kind of metaphoric naturalization is so much an ingrained part of our cognitive strategies used in dealing with and accounting for experiences and events that, in all probability, we are not conscious of it and hardly, if ever, notice it. Focusing mainly on the content of the stories and on the storytellers’ attempts at coping with traumatic experiences, researchers working in other disciplines have identified a number of other features that further distinguish broken narratives from other more conventional kinds of narratives. These include, for instance, “abrupt discontinuities within and between topics”133 as well as unusual stylistic qualities like “histrionic verbal dramatics”134. Nonetheless, the recurrent stylistic, formal and narrative features of broken narratives have yet to be properly identified. There is widespread agreement that traumatic experiences and discontinuous 130 131 132 133 134
cf. Lehtimäki / Karttunen / Mäkelä 2012. cf. Culler 1975; Fludernik 1996. Culler 1975, p. 138. Armstrong 2002, p. 21. ibid., p. 18.
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narratives are closely related to each other, and that the discontinuity of the story is indicative of the fact that “a person’s ability to story his or her experience in a coherent way is compromised”135. The only proper definition that we managed to find is the following helpful explication of the more or less synonymous term ‘broken stories’ that Lynee E. Angus and Leslie S. Greenberg136 provide in their illuminating monograph on the role of narrative in emotion-focused therapy : Broken stories. Emotional incoherence subtype: conflicting emotional plotlines in which competing emotional responses and action tendencies impede resolving problems. (a) Confusion, uncertainty, puzzlement, frustration, and protest regarding inability to let go and move on. (b) Questioning why. Narrative incoherence subtype: fragmented story structure. (c) Narrative lacks clear beginning, middle, end. (d) Fragmented description of subjective experience. (e) Confusion about causes or factors.137
Though Angus and Greenberg do not avail themselves of the theoretical and terminological framework provided by narratology, they have done an excellent job in pinpointing several of the salient features that set such broken stories138 and broken narratives off from other, related kinds of narratives. From a narratological point of view, two of the most important points are their observations that broken stories represent a subtype of emotional and narrative incoherence, and that they typically display a fragmented story structure. What needs to be emphasized, however, is that the quality of brokenness that distinguishes ‘broken narratives’ from other kinds of stories does not only involve the content of the narratives in question, but is also, and often even more so, reflected in their formal features. Broken narratives display a number of additional features that can be clarified and specified in narratological terms. As we have seen, many of these features can be located on the level of the story, while others mainly concern the discourse level of narrative transmission. Traumatic experiences, for instance, not only leave “gaping cleavages in the narrative flow”139 in their wake, they also “invariably disrupt the narrator’s self-role in relation to one or more important audiences”140. As a result, broken narratives are often characterized by a “lack of a unifying voice”141. Moreover, many nar135 136 137 138 139 140 141
cf. Sewell / Williams 2002, p. 209. Angus / Greenberg 2011, p. 59–61. Ibid., p. 61, table 4.1. cf. also Korhonen 2013. Sewell / Williams 2002, p. 210. ibid. Iversen 2011, p. 97.
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rators who tell broken narratives are highly self-conscious, being aware of the challenges involved in any attempt to give a comprehensible account of crucial or traumatic events that have had incisive and disruptive effects. What broken narratives often reveal, however, is that the traditional distinction between the levels of story and discourse is by no means as neat and unproblematic as structuralist narratology suggests. On the contrary, it is not only difficult to clearly locate several of the characteristics of broken narratives on either of these levels, broken narratives also serve to call into question the distinction itself. More often than not, it is difficult or impossible to decide whether the fact that the narrator is psychologically a broken (wo)man results in the disruption of the sequence of action or whether some traumatic event like a broken marriage and the ensuing family disruptions are the reason for the narrator’s impaired state and deficient performance as a storyteller. Like so many either-or-options, this is probably another hen-and-egg-question. While “disruptions demand a restorying of experience”142, they also pose severe challenges to a broken narrator’s attempts to reorganize her or his life. From a narratological point of view, one of the most interesting, but least commented upon salient features of broken narratives, resides in the way in which the relationship between the narrating I in the present and the experiencing I in the past is organized. In traditional autobiographies and novels featuring the typical first-person narrative situation, the narrating I and the experiencing I are separated by temporal, and often also moral, distance, as the narrator has gone through a process of maturation and reflection, but they are always clearly recognizable as being the same person and displaying psychological continuity. There may, of course, be varying degrees of tensions between them in that “the narrating self can exceed the experiencing self, just as the experiencing self may elude the narrating self”143. In the case of broken narratives, however, the degree of tension and distance between the narrating I and her or his former experiencing self is so high that the notions of identity over time and psychological continuity are called into doubt. Even though it is a challenge for any narrative involving the self to bridge the gap between the past and the present self, and “between the time of experiencing the events and the time of recalling the events”144, broken narratives are additionally “disrupted by an inability to connect the self that is with the self that was”145. The dominant notion they typically articulate is the feeling of being “disconnected” from one’s “former self” and one’s “former life”146. Two examples, one from life 142 143 144 145 146
Sewell / Williams 2002, p. 210. Klepper 2013, p. 7. cf. Iversen 2011, p. 96. cf. Sewell / Williams 2002, p. 209. Becker 1997, p. 51.
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and one from literature, can serve to illustrate how this feeling of a complete severance or rupture between the past and present selves is self-consciously expressed in broken narratives: I have the feeling […] that the ‘self ’ who was in the camp isn’t me, isn’t the person who is here, opposite you. No, it’s too unbelievable. And everything that happened to this other ‘self ’, the one from Auschwitz, doesn’t touch me now, me, doesn’t concern me, so distinct are deep memory [m8moire profonde] and common memory [m8moire ordinaire].147 The old lady can barely admit, let alone reconstruct, the retarded mental and physical age of Tess at sixteen, the ignorance, the innocence, the non-connecting of things148. Only a name and memory can tesselate and texture all those different beings, the baby in Geneva, the little girl in Brussels, Chiswick, Brussels, Folkestone, London, and all the others to the old lady in Provence.149
These short excerpts, which are taken from two very different sources, viz. a collection of Holocaust testimonies and Christine Brooke-Rose’s experimental meta-autobiographical novel Remake (1996) respectively, are quite illuminating for anyone interested in the phenomenology and narratology of broken narratives. They serve to show that broken narratives are typically characterized by “a split in identity over time, a split that, as we can see in the [first] quotation, leaves the personal pronouns only usable in italics or quotation marks”150. Thus, two of the narratological hallmark features of the discourse level of broken narratives are a disruption of temporal continuity between events and experiences in the past and their narrative rendering in the present, and a concomitant lack of psychological continuity between the narrating I and the experiencing I. Revolving around highly disruptive events and experiences, broken narratives are typically characterized by temporal and psychological discontinuity, which are, of course, closely intertwined, as Iversen’s151 poignant observation shows: “Where one would expect to find an identity over time, connecting the events and their retelling, one instead finds traces of something broken, shattered or simply unable to take on narrative form.” As we have tried to demonstrate, broken narratives not only disrupt narrative coherence on the story level, but also on the level of discourse, more often than not even challenging this cherished narratological binarism altogether. Conceptualizing broken narratives in terms of a deviation from narrative coherence can thus serve to shed additional light on their features, the more so because 147 148 149 150 151
Langer 1991, p. 5, qtd. from Iversen 2011, p. 96. Brooke-Rose 1996, p. 81. ibid, p. 41. Iversen 2011, p. 96. ibid, p. 98.
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coherence is a well-defined notion in textlinguistics and narratology152. The concept of coherence can be used as a convenient foil against which the speficity of broken narratives can be gauged. Characteristic elements that are regarded as essential to narrative coherence include “general expectations of unity, continuity and perseveration”153. As we have already seen, broken narratives constitute departures from the norms associated with the notion of coherence, typically defying conventional “expectations about time, intention, goal, causality, and closure”154. Following the distinctions made in textlinguistics between certain “main subtypes of coherence, such as temporal, causal, and thematic coherence”155, one can characterize broken narratives as a deviation from, or even a violation of, all these subtypes of coherence: they “disrupt the ceaseless linear continuity of time”156, they suspend or question the belief in causal coherence, and they are characterized by abrupt thematic discontinuities, both within and between topics157. One could add that not only psychological continuity, but also spatial coherence and a coherent closed ending or conventional forms of closure are also typically conspicuous by their absence in broken narratives. Like the fragmentary epistolary narratives of Gwen John’s examined by Maria Tamboukou, broken narratives typically evoke the impression that they are “irresolute and incomplete” as well as “inconclusive”158 in that they lack closure and the sense of an ending. Moreover, Iversen159 has rightly pointed out that “the anchoring of these narratives in specific geographical and temporal settings appears incoherent, disturbed, and partly undecipherable”. In broken narratives lack of coherence is not an end in itself, however, but testifies to a diminshed sense of coherence and personal or collective identity. In contrast to the widespread assumptions and presuppositions entailed in the notion of narrative identity, broken narratives serve to remind the listener or reader “that real-life experiences may transcend the coherence capacity of narratives”160, that “some experiences resist being emplotted into meaningful, fully recognizable structures”161. Instead of regarding the disjunctive, fragmented and incoherent nature of broken narratives as mere deviations from the norms of coherence, however, we are encouraged to accept them as the “dom152 153 154 155 156 157 158 159 160 161
cf. Toolan 2009. Toolan 2009, p. 45. ibid. ibid. Tamboukou 2010, p. 74. cf. Armstrong 2002, p. 21. Tamboukou 2010, p. 81. Iversen 2011, p. 98. ibid. ibid., p. 149.
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inant”162 of the text-type in question, i. e. as their salient feature and focusing component. Langer’s perspicacious observation about Holocaust testimonies also pertains to broken narratives in general: “we need to search for the inner principles of incoherence that make these testimonies accessible to us”163. It is exactly these ‘inner principles of incoherence’ which narratology has yet to develop an analytical repertoire for if it wants to get to grips with broken narratives and other innovative forms that contemporary experiences of identity, life and narrative have taken. The various instances of temporal, causal and thematic incoherence that we find in broken narratives are thus not an end in themselves but should rather be seen as an appropriate way of rendering disruptive events and experiences which not only defy coherent, direct or mimetic narrative representation but which also transcend the logic of conventional narrative. We should like to hasten to add, however, that, just like any other norms, notions of normalcy concerning coherence or lack thereof are subject to historical change and cultural variation. One does not have to be a cultural, constructivist or narrative psychologist like Jerome Bruner to agree with Dan P. McAdams164, who has rightly observed that “norms concerning narrative coherence can vary considerably from one society or culture to the next; these expectations are also dependent on period and genre”165. With regard to the topic at hand, this means that a narrative that is likely to be classified as a broken narrative in one culture or period, may well not be regarded as incoherent or very unconventional in another context. By addressing the problem of narrative coherence, McAdams also foregrounds and examines some of the key assumptions associated with the notion of narrative identity that broken narratives question and call into doubt, viz. the propositions that there is a strong correlation between coherent life stories on the one hand, and meaningful selves and the richness of lived experience on the other. Two elements already briefly mentioned above as defining features of broken narratives are of particular significance from a narratological point of view: First, broken narratives are characterized by the ‘markedness’ of the events that constitute them, which is the quality that sets them off from the continuous flow of the ‘unmarked’ flow of chaotic experiences: “there is within every language at every level a highly elaborated system for distinguishing the ‘marked’ from the ‘unmarked’ – what is to be taken for granted as given and what is to be highlighted as new, deviant, special, or interestworthy.”166 In order to distinguish the ‘marked’ from the ‘unmarked’, one can fruitfully draw on Abbott’s concept of 162 163 164 165 166
cf. McHale 1987, p. 6. Langer 1991, p. 16. McAdams 2006, p. 113. Toolan 2009, p. 46. Bruner 1991a, p. 73.
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turning point, which hinges upon this contrast between what he (and other sociologists) call ‘trajectories’ and broken narratives: “What defines a turning point as such is the fact that the turn that takes place within it contrasts with a relative straightness outside.”167 The same holds true, one might add, for the trajectory that we find in broken narratives, which also pits a pivotal event that is highly marked against ‘a relative straightness outside’. Just like turning points, the crucial events around which broken narratives revolve interrupt the regular patterns of routine trajectories that come before and after them. While trajectories are characterized by “their inertial quality, their quality of enduring large amounts of minor variation without any appreciable change in overall direction or regime” and by “their stable randomness, their causal character, in particular their comprehensibility”168, the disruptive events that result in broken narratives, again just like turning points, are “abrupt”, “chaotic”, and especially “more consequential than trajectories precisely because they give rise to changes in overall direction or regime”169. Broken narratives, too, are characterized by the fact that, chronologically, they are preceded by relatively stable patterns and followed by a new trajectory170. “What matters”, Abbott argues, “is the separation of relatively smooth patterns by a turn that is by comparison abrupt”171. The way in which he characterizes the temporal dimension of turning points also captures another salient quality of broken narratives: “The smooth befores and afters are trajectories, linked by a relatively abrupt ‘turning point.’”172 Moreover, both the qualification of events as turning points and the designation of stories as broken narratives presuppose both “reference to two points in time, not one”173 and the retrospective point of view of a narrator who is trying to impose some kind of sense or structure on the sequence of events and to transform them into, and render them as, a more or less coherent, or incoherent, story. A character on the level of the story may in some instances realize that a momentous event or decision is lying ahead, but the identification of turning points and broken narratives usually presupposes a superordinate vantage-point as well as the benefit of hindsight174. In one of the few articles explicitly devoted to the concept of turning point, Abbott175 also emphasizes both the “narrative character” and “the ‘hindsight’ character of turning points – their definition in 167 168 169 170 171 172 173 174 175
Abbott 1997, p. 89. ibid., p. 93. ibid. cf. Abbott 1997. ibid., p. 89. ibid., p. 92. Abbott 1997, p. 97. cf. Freeman 2010. Abbott 1997, p. 89.
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terms of future as well as past and present”176. Again, one can add that the same holds true for broken narratives, which interpret the past in a particular way, while also projecting possible futures. In narratological terms, this means that both the concept of the turning point and the notion of broken narratives have “reference to two points in time, not one”177, and that they both imply the co-existence of two temporally detached points of view, viz. the limited perspective of the character who is the experiencing I and the narrator’s (or narrating I’s) privileged point of view: “Turning points […] mark off the narrator’s consciousness from the protagonist’s and begin closing the gap between the two at the same time. Turning points are steps toward narratorial consciousness”178. Closing the gap between the protagonist’s consciousness and the narrator’s, broken narratives, just like turning points, are constructed in the process that is called ‘narrativization’. However, broken narratives highlight the chaotic flow and contingency of experiences, while narrativization is normally a means to impose a temporal order on our amorphous experience: “The essential order imposed by narrativization upon the universe of our experience is temporality, which implies the structure of past, present, and future, with the concomitant chronology. Through narrativisation separate events are assigned their respective position in a meaningful temporal whole, proceeding from an initial state via broken narratives to an end state.”179 Broken narratives, by contrast, refuse to provide this kind of coherent narrative organization, neither establishing a consecutive or sequential order along the arrow of time, nor providing a reference frame in which each event is related to others in both a forward and backward direction. While narratives in general, and the construction or retrospective projection of ‘turning points’ in particular, allow human beings to come to terms with the temporality of their existence, broken narratives foreground the chaotic amorphousness of experiences and events. And while most “narratives have plots that mediate between disparate states – occurrences, (unfulfilled) intentions, causes and (unexpected) effects – and the temporal unity of the story recounted”180, the incoherent construction of broken narratives reflects the fact that lived experience can indeed be amorphous, hard to categorize or order, and even harder to make sense of. All of the features that we have identified have far-reaching repercussions for the ability of the storyteller to provide a coherent reconstruction of the storyworld in which the experiencing I or his/her former self lived, and the equally impaired competence to imagine possible futures: “the lack of continuity be176 177 178 179 180
ibid., p. 89. ibid. Bruner 1991a, p. 74. Neumann / Nünning 2008, p. 5. ibid.
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tween metaconstrued present and past impairs the ability to make a coherent future metaconstruction”181. From a narratological point of view it is difficult to tell whether such terms as ‘turning point’ or ‘broken narratives’ refer to objective events or crucial changes on the level of the story, i. e. to something that really happened in the storyworld, or to a mental or psychological change in an observer’s outlook or stance that may be related to a specific event. In a thoughtprovoking sociological article entitled “On the Concept of Turning Point”, Andrew Abbott argues that turning points should not be relegated “to the realm of the subjective, seeing them as post hoc interpretations of choices”182 : “Some turning points exist in se, without needing to be ‘discovered’ or ‘invented.’”183. Being one of the first theorists to systematically explore “the logical and formal properties of the concept of the turning point”184, Abbott defines the concept in a way that is also quite helpful for coming to narratological terms with the notion of broken narratives: Turning points are narrative concepts, referring to two points in time at once. They are not necessarily retrospective constructions, although they may be so constructed. Turning points separate extended, more routine trajectories. These trajectories are embedded in a larger structure: constrained in number and limited in extent. They are causally more comprehensible than broken narratives, but ultimately less important. The concept of turning point requires a processual theory of social life, in which change is eternal and stability an accidental, although common happening.185
Trying to adapt these insights to broken narratives, and to put them into welldefined narratological terms, one can argue that ‘broken narratives’, too, do not exist as such, that they are not givens, on the level of the story, but are rather retrospectively constructed or projected onto that level by a narrator endowed with the benefit of hindsight who fails to make any coherent sense of his life. The main reason for this is that one or several crucial events have occurred that have disrupted her or his life and that cannot be readily accommodated within the story so far. Narrators usually indicate that a breach has happened by deploying certain “narrative devices for indicating what, as it were, is newsworthy – ways of marking”: “I see the construction of narrative ‘turning points’ as a device further to distinguish what is ordinary and expectable (i. e. folk psychological) from that which is idiosyncratic and quintessentially agentive.”186 Therefore the features of ‘markedness’, ‘retrospective construction’ and juxtaposition of two points in time can be added to the list of defining characteristics outlined in section two, i. e. 181 182 183 184 185 186
cf. Sewell / Williams 2002, p. 209. Abbott 1997, p. 97. ibid., p. 102. ibid., p. 88. ibid., p. 85. Bruner 1991a, p. 73.
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characteristics that distinguish broken narratives from other kinds of stories. Broken narratives are by no means inherent in the events as such, but are imposed on the actual events by the narrative discourse which shapes them in a particular way that foregrounds the qualities identified in sections 2 and 3 above, viz. discontinuity, fragmentation, interruption etc. Since every story is not only the result of a selection from the chaotic and infinite variety of happenings, but also the result of a multitude of methods of narrative arrangement, ordering and (linguistic, narrative, literary etc.) composition of the selected moments of what happened, there is, as a result, a plurality of stories, plots and narratives that can be generated about any series of events. Moreover, since different meanings can be assigned to the same events by different observers, the choice of a point of view also has to be taken into consideration in any account of broken narratives as a narratological concept. In order to avoid possible misunderstanding, we should like to emphasize that we are using broken narratives as an umbrella term that serves to designate non-conventional narratives that display ‘family likeness’ or ‘family resemblances’ (Familienähnlichkeiten). According to this fruitful and suggestive metaphor, which the Austrian philosopher Ludwig Wittgenstein developed in his posthumously published book Philosophical Investigations187, works within one genre, just like members of a family, share certain characteristics or features, but not one attribute needs to be common to all of the members. These overlapping sets of traits belong to the prototypical ‘core’ of the genre. Both distinctive, necessary features and less constitutive characteristics at the ‘fuzzy’ margins define individual genres (as open and fluctuating as they may be). Just like members of a family, stories that we subsume under the umbrella term of broken narratives typically share a number of the features, but need not display all of the possible characteristics that we have identified in this section.
187 Wittgenstein 1953, §§ 65–71.
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5.
Cultures Shaping Narratives – Narratives Shaping Cultures, or: Broken Narratives as a Fruitful Field of Research for Cognitive, Cultural and other Postclassical Narratologies
When taking a retrospective look at the desiderata mentioned at the beginning of this article, the following preliminary conclusions can be drawn. It has firstly become obvious that broken narratives have not only proliferated in our current age of crises and catastrophes, they are also arguably no longer the odd exception that proves the rule. Secondly, we have tried to show that the notion of broken narratives does not only present a challenge to both hegemonic narrative practices and to many unconscious preferences and cherished concepts of narratology, including the story/discourse distinction, it should also be seen as an important theoretical and analytical concept that narrative theory would ignore at its own peril. When defined in metaphorological, narratological and phenomenological terms (see sections 3 and 4 above), the notion of broken narratives can be a productive concept for the analysis of narratives, both as far as the realm of literary genres and the level of real-world narratives are concerned. Thirdly, broken narratives display a number of characteristic features, which we have tried to identify and explore in sections 3 and 4. Though limitations on space did not allow the broad range of types of broken narratives that appear across various disciplines and domains to be gauged, we have tried to show that there is a variety of forms and functions of broken narratives in literature and other contexts that have not yet received as much attention as they arguably merit. In conclusion, instead of summarizing the main results of the present article and the salient features of broken narratives, we should like to make some suggestions for further research. Broken narratives open up a very fruitful field of research for such approaches as cognitive and cultural narratology as well as for other ‘postclassical narratologies’188. Much more work, however, needs to be done on the subject, and their narratological features and the functional hypotheses outlined above certainly do not exhaust this complex topic. Although we have tried to develop a more precise, systematic and thorough definition and description of broken narratives than has existed so far, it stands to reason that the value of such terminological clarifications and distinctions ultimately depends on whether they lead to more differentiated descriptions and explanations of the phenomena in question and to productive analyses of actual broken narratives. Therefore, the questions arise of what the uses and potential applications of the steps towards a narratology of broken narratives that have been 188 cf. Herman 1999; Alber / Fludernik 2010.
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developed above could be and what other lacunae there are for further research. A brief overview of some of the areas that deserve more narratological scrutiny may be the best way to provide at least partial answers to these questions. The focus of this essay has mainly been on identifying the salient textual features of broken narratives and on describing them in terms of the concepts provided by narrative theory. In order to get to grips with the specificity of the phenomenon at hand, however, other aspects also need to be taken into consideration. Since broken narratives deviate from notions of coherence as well as from conventional expectations of what constitutes a good and tellable story, the cognitive challenges that they pose for the reader have to be taken into account. Moreover, broken narratives are also particularly interesting as a cultural phenomenon for at least two reasons: They not only bring to the fore crucial developments and events that disrupt an individual’s life or even a culture’s master narratives, their ongoing proliferation also raises the question of how the relation between cultural changes and new narrative forms can be conceptualized. Recent approaches in postclassical narratology like cognitive narratology and cultural narratology can therefore shed additional light on both the topic of this volume and the central question of what broken narratives tell us about the society and the culture within which they are situated. From a cognitive point of view, broken narratives are characterized by the storyteller’s (and often also the readers’) difficulty in reconstructing the sequence of events, and even the existents and parameters of the storyworld as a whole, and a concomitant challenge to fill in the many gaps that are one of the defining textual features of this kind of narrative189. This may also include an inability to coordinate events, thoughts and feelings190. Researchers who have explored broken narratives in clinical contexts have observed that the stories told by people suffering from e. g. aphasia are “often unintelligible or hard to understand”191. Many of the stylistic and narratological features of broken narratives discussed above can be read as a reflecting what in trauma theory is called “a dissociative split between thought and affect”192. The reader’s task is akin to that of the doctor or therapist in that she or he has to fill in the gaps193 by combing the textual information that a broken narrative provides with cultural frames, schemata and scripts in order to try to understand broken narratives and to reconstruct the storyworld(s) implied rather than represented in them. From a cognitive and psychological point of view, broken narratives thus tend to
189 190 191 192 193
cf. Aaltonen 2010, p. 60, 63. cf. Armstrong 2002, p. 18. Aaltonen 2010, p. 54. Armstrong 2002, p. 18. cf. Aaltonen 2010, p. 60.
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foster active reader participation in that they “force the reader to narrativize”194, filling in the gaps and lags that such a discontinuous and fragmentary style of narration typically generates. We know only relatively little about how such processes of narrativization and naturalization actually work, and a cognitive narratological analysis of broken narratives could throw more light on these complex issues. From the point of view of a cultural and context-sensitive narrative theory195, we should like to emphasize that broken narratives and the precipitating events around which they revolve, just like other occurrences which are considered as particularly eventful, cataclysmic and traumatic, are not irrevocably defined once and for all, but rather depend on the respective criteria of normality and relevance, which are subject to historical change and cultural variability. This also means that incidents which are considered as ‘great’ events of history, as large-scale disasters, i. e. as a ‘catastrophe’ or a ‘crisis’ from today’s perspective, were perhaps not necessarily perceived in the same way from the perspective of observers at the time196. Lotman already pointed out that the very qualification of a fact as an event is always dependent on the system of the terms and concepts of the respective period and that it is always carried out “in accordance with the general conception of the world”197. Like other kinds of events and stories, the precipitating events of broken narratives can thus be conceptualized as culturally specific and historically variable phenomena198, as sense- and indeed world-making attributions which are carried out in accordance with the general world-view. If one agrees that the character of the event should be conceived of as “a culturally specific and historically variable phenomenon of narrative representations”199, broken narratives, just like other narrative ways of worldmaking, are unlikely to be universals. Rather, as proponents of contextual, cultural and historical approaches to narratives have argued200, one can assume that there are always certain culturally available and even dominant plots as well as crosscultural variations between the locally specific ways in which narratives represent events, tell stories, construct broken stories, and make particular storyworlds. The variety of ways in which broken narratives have been, and are, constructed arguably not only reflects but also partakes in and shapes the
194 195 196 197 198 199 200
Iversen 2011, p. 96. cf. Nünning 2009b, 2012a. cf. Schenk / Meyer / Patzel-Mattern 2013. Lotman 1993 [1972], p. 334; our translation. cf. Schmid 2005, p. 25. ibid., p. 27. for an overview, see Nünning 2009.
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narrative communities201 and the hierarchies of norms and values that distinguish cultures, but also individuals, from one another. This raises the question of what functions broken narratives can fulfil, a question which will briefly be discussed in the next paragraphs. In the framework of a cultural and context-sensitive narrative theory, broken narratives can be understood as a reflection of incisive cultural, economic and social changes, but the notion itself also represents an attempt to respond to, and make sense of, disruptive changes, events and experiences in many domains and realms. On the one hand, the plethora of broken narratives that we find in many contexts and domains can be seen as a reflection of a culture in which many certainties have become doubtful and in which conventional expectations are, more often than not, no longer fulfilled. On the other hand, the notion of broken narratives is a way of making sense of incisive changes that cannot yet be readily assimilated into any of the traditional storylines or narrative forms and genres. It emphasizes that hitherto predominant narratives have come to a definitive end, while a new kind of broken narrative has emerged which sheds light on how an increasing number of people deal with, and make sense of, personal, cultural or financial crises and their consequences. What sets broken narratives off from related and well-established, but arguably different notions like crises or turning-points202 is, firstly, the fact that they are based on an acknowledgement of the fact that widely accepted narratives have come to an end or at least lost their previous functionality, and that some other kind of story has to be invented by those who are in need of retrieving meaning after crises and disruptions. Secondly, broken narratives typically refrain from resorting to unifying devices like a single point of view, a unifying voice, and an overarching master narrative that serves to impose order, a plot and patterns of sense-making on the events, or other narrative techniques that foster cohesion and coherence. Whereas metaphors like ‘turning point’203 or ‘crisis’204 impose form upon an amorphous reality by reducing the complexities, contingency, and elusiveness of the chaotic flow of experiences, broken narratives foreground or even flaunt the impossibility of coherence, order and attempts at sense-making. Instead of imparting a clear structure and a coherent plot to complex changes and disruptive experiences, broken narratives deliberately refrain from resorting to such ordering and unifying devices. Broken narratives and their current proliferation in factual and fictional storytelling contexts are thus particularly interesting from the point of view of a 201 202 203 204
cf. Müller-Funk 2008 [2002]. cf. Nünning / Sicks 2012a, 2012b. cf. Nünning 2012b. see Nünning 2007, 2009a, 2012c, 2013.
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cultural and historical narratology205 in that they serve to shed light on the degree to which cultures shape metaphors and narratives as well as the latter shaping cultures and societies206. Three random examples may serve to support the hypothesis that the recent and ongoing proliferation of broken narratives can hardly be regarded as a mere coincidence in an age of crises and catastrophes207, reflecting as it does a culture in which many former certainties have become doubtful, while at the same time moulding new ways of responding to crises and disruptions. First of all, the grand master narratives that capitalism has lived by, i. e. the stories of ongoing progress and continuous economic growth, have become broken or at least highly suspicious in an age in which crises are no longer the exception but seem to have become the permanent state of affairs. Secondly, while lifelong employment and a continuous career (usually with the same company as employer) used to be the norm in the 20th century, patchwork biographies and careers as well as professional mobility and unemployment rates have become the rule rather than the exception. Thirdly, there have been equally far-reaching changes and disruptions as far as the dominant sociological life forms are concerned. While the genre of the family chronicle can be seen as a literary form that expressed the stability that used to be associated with the notion of a family, the metaphorical notions of a broken marriage and broken families are nowadays on the verge of becoming the statistical norm in many countries. In all of these areas broken narratives do not merely reflect contemporary cultures and societies but rather shape new cultural experiences and responses at the same time. Cultures continually invent new concepts, metaphors and narratives that try to make sense of a radically altered reality, with broken narratives being a perfect case in point. When well-established hegemonic master narratives no longer represent and explain actual developments adequately, a need for new cultural reponses and stories arises, and broken narratives can arguably be seen as a way of retrieving meaning and reorganizing life after crises and disruptions have shattered expectations that had previously been taken for granted. In the realm of the economy, metaphorically structured concepts like crises, recession and zero growth serve as euphemistic mini-narratives that try to account for the factually broken master narrative of unlimited growth and progress, resulting in such notions as America’s Broken Economy208. And concerning the sphere of sociological life forms, the metaphorically structured concept of the patchwork family has, for instance, almost replaced more traditional narratives and notions 205 206 207 208
cf. Helms 2003; Nünning 2009b, 2012a. cf. Grabes / Nünning / Baumbach 2009. cf. Meiner / Veel 2012. Bivens 2011.
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of what a family is or should be. Though the list of broken narratives that we find in the 21st century could be extended almost indefinitely, these random examples may suffice to demonstrate that many of our cherished narratives are indeed no longer valid and have become broken in that they have lost their factual plausibility and explanatory power. Against this backdrop, it is arguably anything but a coincidence that broken narratives have proliferated and that what have been called ‘fractuous or fragmented novels’ are thriving209. In terms of literary and cultural history, the ongoing proliferation of broken narratives in different domains and the rise of fragmented novels reflect some of the main trends that have been identified for the late 20th century. What we are dealing with here are “convergences of trends in different social and cultural domains rather than unidirectional vectors of causation”210. Such trends support Ursula Heise’s hypothesis that one “of the most striking developments in the transition from the modernist to the postmodernist novel” has been “the disintegration of narrator and character as recognizable and more or less stable entities, and their scattering or fragmentation across different temporal universes that can no longer be reconciled with each other, or justified by recurring to different psychological worlds”211. But in broken narratives and fragmented novels the emphasis shifts from “the demise of identifiable characters”212, which is considered to be one of the hallmarks of postmodernist fiction, to a foregrounding of the anxieties, fragility, fragmentations, precariousness and uncertainty that affect the identities, forms of life and storyworlds of real human beings and fictional characters in the 21st century. Broken narratives and fragmented novels do not merely reflect or respond to the greatly accelerated transformations that have occurred as a result of the ongoing revolutions in information and communication technologies as well as in the wake of the terrorist attacks of 9/11 and the financial crises, they also foster and reinforce the prevailing impression that many of the collective myths, metaphors and master-narratives that we used to live by seem to have lost their certainty and plausibility. By privileging discontinuity, fragmentation and incoherence, the narratological features that define broken narratives (see section 4 above) evoke a radically altered “culture of time that has become wary of hypostatizing long term-historical patterns and developments”213. Broken narratives can thus be read as cultural articulations of the experience that there is much less certainty and predictability in contemporary forms of life than in 209 210 211 212 213
cf. Cunningham 2012; Gioia 2013. Heise 1997, p. 6. ibid., p. 7. ibid. Heise 1997, p. 64.
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those that prevailed in the earlier centuries. Broken narratives respond to rather than merely represent the disrupted and incoherent conditions of the contemporary world of ever more crises and catastrophes. Despite the productiveness of the critical industry, the questions raised in this article, and in this volume at large, are still a very fertile area of investigation. Much more work, therefore, needs to be done if we really want to come to terms with the significance, formal features and cultural functions of what have been called ‘broken narratives’. There are at least seven important issues which have yet to be adequately explored. One of them is the development of an exhaustive and fully-fledged narratological theory of broken narratives, fully integrating both the insights recently provided by cognitive narratology, psychonarratology, and rhetorical narrative theorists as well as the refined conceptual frameworks and sophisticated models developed by cognitive and cultural psychology214. Second, while philosophers and sociologists have made a number of interesting attempts to distinguish between different kinds of turning points, viz. “the standard, intertracjetory turning point”, a “focal turning point”, a “randomizing turning point”, a “contingent turning point”215, literary and cultural studies have yet to come up with an interesting and useful typology of broken narratives. Thirdly, what is needed are more subtle and systematic analyses of the different uses of broken narratives and, even more so, of metanarrative reflections about broken narratives in the works of both contemporary novelists and authors from earlier periods. Moreover, there are a number of historical desiderata that deserve to be addressed. Fourth, any cultural, economic or literary historian who wants to “address the question of change and continuity”216 might well ask him- or herself whether, and at which point, there is a broken narrative in the story that he or she is trying to reconstruct or tell. Though human beings in general and scholars in the humanities in particular may well be storytelling animals that yearn for coherence, continuity, meaning and sense, the dearly held and well-established stories that we normally live by are quite often challenged or disrupted by events or experiences that neither seem to fit the story so far nor the cherished stories or metaphors that we prefer to live by, to use Lakoff and Johnson’s217 and McAdams’s218 felicitous formulation again. Fifth, the history of the development of what has come to be known as ‘broken narratives’ has yet to be written because (at least to our knowledge) no one has dared to provide a historical overview spanning the period 214 cf. e. g. Brockmeier 1999, 2001; Bruner 1991a; Gergen / Gergen 1997; Polkinghorne 1998; Echterhoff 2002. 215 see Abbott 1997, p. 94. 216 Zieger 2011, p. 568. 217 Lakoff / Johnson 1980. 218 McAdams’s 2013.
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from say the 18th century to the 21st. Sixth, the ways in which broken narratives reflect, or respond to, changing cultural discourses and norms, psychological personality models, and literary conventions are just waiting to be explored. Lastly, since the disciplinary scope of broken narratives has as yet neither been properly defined nor even gauged, their uses, forms, and functions across different genres, media, and disciplines provides a highly fertile area of research. The use of broken narratives in genres and media other than stories of illness and trauma as well as in other media (e. g. in film and television) and cultural domains (including economics, law and politics) deserves much more attention than it has hitherto been given. In sum, we would like to stress that sustained research of the forms, functions, and diachronic development of broken narratives is still among the desiderata of research, not just in the field of narratology but also in literary and cultural studies at large. The criteria and concepts proffered above provide us with categories of analysis for the description of various types of broken narratives, allowing for a detailed analysis of particular kinds of narratives in different domains, genres and media. One can only hope that the forms and functions of broken narratives in a broad range of disciplines, genres and media will be examined more thoroughly in the future by means of the analytical categories to describe broken narratives introduced in this article and with the help of all the suggestions for further research made in this volume. We should, however, like to leave the last words to the late Gay Becker, whose seminal monograph Disrupted Lives has arguably managed to shed more light on the functions of broken narratives and on How People Create Meaning in a Chaotic World, as the felicitous subtitle has it, than anyone else, though she does not actually deploy the term ‘broken narrative(s)’, employing instead the (more or less synonymous) term ‘narratives of disruption’219. Not only is one of her key arguments, viz. that “narrative is a culture-specific response to disruption”220, grist to our cultural narratological mill, but her illuminating analysis of a broad range of case studies also serves to show that broken narratives and disrupted stories indicate “that cultural notions of normalcy can be contested”221, calling into question and rejecting as they do dominant discourses, widely accepted values and the hegemonic version of normalcy. Both a great part of the value of broken narratives and the need for more research on this topic reside in the fact that such narratives of disrupted lives challenge what she so aptly calls the “moral force of normalizing ideologies”222 as well as the norms and values at219 220 221 222
cf. Becker 1997, p. 10f., 111. ibid., p. 45. ibid., p. 46. ibid., p. 111, 134, 191.
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tached to the master narratives of the age that we all too often accept at face value and take for granted: “Continuity is an illusion. Disruption to life is a constant in human experience”, Becker rightly maintains, adding an observation that pertains equally well to broken narratives as the paradigmatic articulation of disrupted lives: “The study of disrupted lives enables us to look at the disparity between cultural notions of how things are supposed to be and how they are, a disparity that is highlighted by disruption.”223 The metaphorical notion of ‘brokennesss’ is a perfect case in point in that seeing “oneself as ‘broken’ goes against the current of contemporary North American culture”224. Deviating as they do from “the cultural ideal”225 and going against the grain of dominant “cultural ideologies”226, broken narratives can thus be read as “a refusal to engage in normalizing ideologies”227 and as brave attempts to “create a sense of continuity after a disruption”228, to retrieve meaning and to reorganize life. Demonstrating “unrelenting perseverance in the face of adversity”229, broken narratives serve to reinterpret experience and explain one’s life and world in innovative ways that challenge hegemonic discourses, “well-entrenched ideologies”230, widely accepted values and “cultural expectations about turning a life into a success story”231. If the “stories that people grow up on are unchosen”232, then broken narratives can provide important new “templates for experience”233, providing as they do viable alternatives to the culturally available plots that revolve around well-made, linear and teleological success stories. Studying broken narratives and stories of disruption can thus not only enable “us to examine the wellsprings of many core tenets of U.S. society and to explore how deeply these core tenets are embedded in the cultural contours of people’s lives”234, it can also shed much light on the cultural discourses on normalcy235 and on the respective predominant cultural expectations, ideologies, and values from which broken narratives deviate in significant ways. These are also some of the many reasons why broken narratives are such a rich topic and why they merit much more narratological and interdisciplinary attention. 223 224 225 226 227 228 229 230 231 232 233 234 235
ibid., p. 190. Frank 1995, p. 149. Becker 1997, p. 85. ibid., p. 108. ibid., p. 95. ibid., p. 122. ibid., p. 151. ibid., p. 110. ibid., p. 166. Frank 2010, p. 25. ibid. Becker 1997, p. 7. cf. ibid., p. 107f.
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Henrik Skov Nielsen
Broken Narratives, Unnatural Narratology, and Unnaturalizing Reading Strategies
In the present paper I wish to examine if unnatural narratology can contribute to the understanding of broken narratives. I will present some thoughts about the framework and assumptions of unnatural narratology. Then I move on to discuss the rather wide-ranging concepts of broken narratives and suggest a tentative and heuristic typology of broken narratives. Subsequently I discuss the potential applicability of unnaturalizing reading strategies to three examples that might all qualify as broken narratives: one of which is non-fictional, one of which is fictional and one of which is in-between.
Introduction: Wholes and holes Aristotle famously said about the successful plot that it must be “a whole,” with a beginning, middle, and an end.” It must also, Aristotle claims, be “complete,” having “unity of action.” The plot must be structurally self-contained, with the incidents bound together by internal necessity, each action leading inevitably to the next with no outside intervention. Finally the plot must be “of a certain magnitude,”1 – not too brief and not too long. Few things fit this description better than the stories we tell about pregnancies. A pregnancy is definitely a “whole”. It has beginning, middle, and end. The beginning is very clearly marked and something quite different goes before. The end is equally obvious and well-defined, and something quite different comes after – as every mother and father can attest to. Obviously also one thing leads to another by internal necessity in a pregnancy – just as it is of a certain magnitude – and is self-contained and complete. We all know the story and the plot of a pregnancy. But stories can be broken. The story of my wife’s first pregnancy was, when on the 10th of December 1994 – after 20 minutes of scanning during which everything seemed fine – our daughter turned around in the 1 Aristotle, Poetics 1450b–1451a.
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uterus and exposed a large hole in her stomach. Half an hour later, we were told we had no real choice but to have an abortion. I begin with this personal story because I think it illustrates points of general importance to the subject of broken narratives and because I remember some of the stories we told about the incident then and later. First of all let us start by noticing the simple fact that the event, the exposure of a hole in the stomach is not at all in any sense itself a narrative. It is an event in the world. Then after the event – whether it is a very small, personal one, like this one, or a large one on a historical scale like, say, 9/11 – we begin to process it and to tell stories about it. I remember some of the earliest quasi-stories my wife and I began to tell. They would sound something like: “Today all happiness in the world disappeared” or “Foolishness! To believe that the world could be a good place”. There is not much plot here or anything else that makes a narrative a narrative. The stories do contain plenty of what Fludernik calls “experientiality”2, though, in the sense that they convey a strong feeling of a specific experience. Then we went to the library (this was just before the internet) and found the technical term for the condition, and found out that it might not be hopeless after all. This was after a couple of days and the stories changed. Now they would sound something like: “20 surgeries over the time span of a year does not sound that bad – if only we will have a living baby after that – but will we?” and the stories changed our conception of the world as in: “Our studies at the university are not very important. We can easily skip that for a year to stay at the hospital”. Now there is a bit of plot. Six days later we went to the doctor who was probably the leading expert in the world, and he told us that everything we were told and everything we had read was outdated, and that he could fix it for us. It would probably entail just one or two surgeries. Again the stories changed and became much more plotted. Past and present and future became re-connected. Leaping forward to the present, our stories about the event are again totally different. Now they are stories that connect then and now, and stories, which easily become questionable narratives about making the right choices. And most certainly stories about the life-affirming effect of overcoming crises. This means that compared to the first attempts to narrativize the event, the stories have now become almost reversed. The first attempts were stories with the moral that the hole in the story and in the stomach served to demonstrate the futility of any belief in life as a whole in the form of a coherent completeness. The rupture served to confirm this world-view. Now, reversely, unless we are very careful, the stories we tell, may confirm exactly the opposite world-view: that what seemed like a meaningless void was, in the larger picture, a confirmation of a continuity and coherence beyond the singular, contingent events and ruptures. 2 Fludernik, Monika: Towards a natural Narratology, p. 11 et passim.
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Of course, neither of the stories gives the true picture. They are both distorted attempts to understand the event and its meaning. The event is a rupture and remains something that is not itself a narrative, let alone a broken narrative. But were the early stories we told, broken narratives? Are the stories we tell now, broken narratives? These are questions I want to pursue while leaving the specific, personal level and turning to a generalized level to ask about the possible necessary and sufficient conditions for something to qualify as a broken narrative. Before arriving at broken narratives, though, I wish to introduce the concepts of unnatural narratives and unnatural narratology since the ultimate aim is examine whether unnatural narratology can contribute to the understanding of broken narratives.
Unnatural narratives and unnatural narratology The group of unnatural narratologists is, today, broad and diverse. Some of its core members are Brian Richardson, Maria Mäkelä, Stefan Iversen, Jan Alber, and myself. The group was originally established in a hotel lobby in Washington after the ISSN-conference in 2007. Here we talked about how we were all skeptical about prevalent ideas that theories of embodiment, of natural cognition, natural linguistics, and of natural storytelling could help to explain all aspects of fictional, of experimental and of literary narratives. Since then we have been joined by many theorists and have conducted conferences, panels and published joint articles and books.3 The group is united by a very skeptical stance towards the prevalent view that each and every aspect of each and every narrative can be explained in terms of a limited set of real-world parameters. We call this ‘mimetic reductionism’. We also share a particular interest in texts and stories which present us with physically, logically, or psychologically impossible or implausible scenarios. A lot of the work I have done on unnatural narratology has been together with Stefan Iversen. In general I have worked so closely with Stefan and exchanged so much with him about this topic that this paper is, in some parts, practically a joint paper. Therefore I am also happy to recommend Stefan Iversen’s article “Broken or Unnatural?”4. As the title suggests, its relevance for this context is 100 %. The shared interest and the shared skepticism among unnatural narratologists does not mean, however, that we agree on everything. For example, 3 Publications include Richardson 2006, Alber / Iversen / Nielsen / Richardson 2010, Nielsen 2010, Alber / Heinze 2011, Alber / Nielsen / Richardson 2013, Nielsen 2013. 4 Iversen, Stefan: “Broken or unnatural? On the distinction of fiction in non-conventional first person narration” in: The Travelling Concepts of Narrative, Hyvärinen et al (eds.), John Benjamins Publishing Company (2013).
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theorists within the group have given quite different answers to the question “What are unnatural narratives”. For Brian Richardson, for example, unnatural narratives are anti-mimetic, unconventional, and often postmodern. They are often told by non-human or even dead narrators. Jan Alber, on the other hand, states that for him: “The term unnatural denotes physically impossible scenarios and events that are impossible by the known laws governing the physical world, as well as logically impossible ones, that is, impossible by accepted principles of logic”5. For me, the expression “unnatural narratives” first and foremost takes on meaning in relation to what it is not: natural narratives. By natural narratives I refer to narratives that have been designated as such by influential narrative theorists. Most prominently the term “natural” has been applied to narrative theory by Monika Fludernik in Towards a “Natural” Narratology. Here, she describes the term as follows: “Natural narrative is a term that has come to define ‘naturally occurring’ storytelling [. . .] What will be called natural narrative in this book includes, mainly, spontaneous conversational storytelling.”6 Therefore, for me: Unnatural narratives are a subset of fictional narratives that – unlike many realistic and mimetic narratives – cue the reader to employ interpretational strategies that are different from those she employs in nonfictionalized, conversational storytelling situations (cf. Fludernik). In unnatural narratives none of these rules of real-world communication (as concerns, for example, memory, thought access, deixis, knowledge, ontological levels) necessarily apply. Next, I move on now from the what are unnatural narratives (anti-mimetic, strange, non-conversational, impossible narratives transgressing real life limitations) to the how to deal with them – the question “what is unnatural narratology?”. Two very different methodological roads open up: According to Richardson: “I believe we will be most effective as narrative theorists if we reject models that, based on categories derived from linguistics or natural narrative, insist on firm distinctions, binary oppositions, fixed hierarchies, or impermeable categories.”7 Richardson, thus, argues in favor of a flexible post-classical approach. A very different choice is represented by Jan Alber, who explicitly aims at making “strange narratives more readable”8 : “I try to make strange narratives more readable […] five strategies by which the reader can use real-world and literary scripts to naturalize unnatural scenarios”: 1: “reading events as internal
5 6 7 8
Alber 2009, S. 80. Fludernik 1996, S. 13. Richardson 2006, S. 139. Alber 2009, S. 82.
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states”, 2: “foregrounding the thematic”, 3: “reading allegorically”, 4: “blending scripts”, 5: “frame enrichment”9 Alber’s reading strategy tries to translate unnatural narratives into statements about the way humans experience and make sense of the world. My own position is somewhat different from both. As the title of the paper gives away, I conceive of unnatural narratology, first of all as a reading strategy. In a sense, the strategy is simple: It takes as its point of departure that we should not restrict our interpretations to what would be possible or plausible in real-world narration. I argue in favor of what I call un-naturalizing reading strategies. Such interpretational strategies are un-naturalizing precisely because they do not seek for natural explanations when representational models are transgressed. This means that I disagree with Fludernik’s assumption: “When readers read narrative texts, they project real-life parameters into the reading process and, if at all possible, treat the text as a real-life instance of narrating”10. For me, this is not at all always true. As a descriptive statement it hardly covers all readers, nor all lay readers; and even if this is what many readers tend to do, we are not obliged to repeat the projection at a methodological level. Naturalization is a choice, and whether the choice is conscious or automatic, it remains a choice and not a necessity. A different choice in the form of un-naturalizing interpretation is equally legitimate and rewarding in many texts. Let me list a range of examples of what an un-naturalizing choice might entail in different examples: In an unnatural framework we do not have to assume that there has to be a speaker at the same ontological level as the storyworld. In real life conversational stories you cannot authoritatively tell what you do not know or do not remember. In unnatural narratives we are often invited to trust even the most exorbitant instances of what Dorrit Cohn calls mnemonic overkill, as in, say, a 500 page dialogue novel. In real life conversational stories you cannot provide authoritative access to other people’s minds (I am aware that David Herman and others would disagree, but here I am not going to address the long and complex discussion about theory of mind and related theories about thought attribution). This is completely conventional in third person narratives in the type that Genette coins heterodiegetic narratives with zero focalization. We also find first person narratives, which provide authoritative access to other people’s minds. Examples could be Moby Dick and The great Gatsby. This is what Genette would call homodiegetic
9 Alber 2009, S. 82f. 10 Fludernik 2001, S. 623.
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narratives with zero focalization, and as opposed to the third person version, it remains unconventional. In real life conversational stories you cannot tell after your death. In fiction examples abound. In real life conversational stories, “I” always refers to the speaker ; in unnatural frameworks this is not necessarily the case. In several articles, I have argued that in many fictional first person narratives “I” designates a specific person, but does not emanate from that person. The link between sign and person is broken. In real life conversational stories, “you” always refers to the addressee. In many unnatural, fictional second person narratives, including Butor’s classic La modification the protagonist is designated by “you” but nothing at all suggests that he/she feels in any way addressed. In natural frameworks one would expect all homodiegetic narratives to be internally focalized, since we would expect a first-person narrator to have access to his or her own thoughts as opposed to external focalization but not to other people’s thoughts as opposed to zero focalization. There is a necessary relation between the speaker and the access or non-access to thoughts and perceptions. Genette’s stroke of genius (one of several) in this context is to stress that in fictional narratives the question of the speaker, the question “Who speaks?”, which Genette refers to as a question of voice – that this question is independent of the question of perception and experience which Genette refers to as the question of mood11. If we assume, as a reading strategy, that the relation between person and voice is broken, then this leads to interpretations that are fairly different from interpretations restricting themselves to what would be possible or plausible in real world narration where person and voice are connected. Parts of this list might strike the reader (especially if she is not intimately acquainted with narratological theory) as extremely abstract. Let us turn to a concrete example: Several times in the first-person novel Glamorama, by Bret Easton Ellis, we are explicitly told what the protagonist Victor does not perceive: “‘Disarm’ by the Smashing Pumpkins starts playing on the soundtrack and the music overlaps a shot of the club I was going to open in TriBeCa and I walk into that frame, not noticing the black limousine parked across the street [. . .].”12 In the course of Glamorama there are also numerous passages in which events and thoughts are related that the character, Victor, could not possibly know about – indeed, that no character narrator would be able to know about. Among the most striking examples are the rendering of the passengers’ last thoughts in an ex11 Genette, G8rard, Narrative Discourse, Cornell University press, 1980. 12 Ellis, Bret Easton. Glamorama. New York: Alfred A. Knopf, 1999, 168; (my italics, H.S.N.).
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ploding airplane13, and of the sleeping Cloe’s dream14. One example from the exploding airplane – which no one survives, and where Victor is not present – reads like this: “‘Why me?’ someone wonders uselessly. [. . .] Susan Goldman, who has [. . .] cancer, is partly thankful as she braces herself, but changes her mind as she’s sprayed with burning jet fuel.”15 Passages like this lead us to an interpretational choice: What do we make of it? Victor is not on the plane. All the passengers die. This seems like a clear-cut case of homodiegetic narration with zero focalization. Naturalizing readings will have to explain this peculiarity by searching for ways to naturalize it. Might Victor somehow have gained access to the thoughts represented? Naturalizing options also include but are not limited to assuming that Victor is outright lying or making up what he cannot know, that he is unreliable, has gone temporarily mad, is joking or being ironic. I am not going to argue against each one of these options, but I think they are all extremely unlikely and heavily contradicted by other parts of the text. It seems to me that readers are strongly invited to just believe that this is what the passengers are actually thinking – even though there is no way Victor could possibly know that. If we make this interpretational choice, then this in and of itself entails un-naturalizing choice since surely it is not a real life option to say that someone is able to reliably render what dying persons isolated in a plane far away are thinking. Therefore, in a very down to earth manner, my assumption that it is actually, exactly the case that Susan Goldman “is partly thankful as she braces herself, but changes her mind as she’s sprayed with burning jet fuel”16 is a result of an un-naturalizing reading strategy. To sum up so far : For me unnatural narratives are narratives that work by a set of rules that is different from that of natural, conversational stories. Unnatural narratology is the investigation of these rules and especially the different interpretations they prompt.
Broken Narratives As a typical narratologist, I tend to like definitions, distinctions, yes even sometimes dichotomies and boxes. Although I am slightly exaggerating my structuralistic inclinations, I do think that definitions and delimitations are useful – especially when it comes to concepts. As for the specific, rather wide13 14 15 16
p. 438ff. p. 43. p. 440. p. 440.
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spread concept of “broken narratives” it seems that there is no general consensus about its meaning. The concept is often linked to the concept of rupture. Broken narratives then being narratives concerned with, or containing ruptures. Already this formula creates a tension between two quite different conceptions, since on the one hand, from a cultural perspective ruptures are something in the real world, specific real events and experiences. On the other hand, from a narratological perspective, ruptures are also something in narratives. In the rest of this article, I wish to examine whether it is possible to combine these perspectives and to delimit the field of broken narratives. Is it possible to come up with conditions, which are either necessary or sufficient for something to qualify as a broken narrative? I also wish to examine the possible relation between the two and the inclusiveness of the field: Do broken narratives include any narrative that is about a rupture in the world? And if so, do broken narratives also include any narrative that does itself contain a rupture? Or do we think about a relation between the two in the sense that ruptured events trigger ruptured narratives? One can ask exactly the same kinds of questions to two of the most central volumes on broken narratives from within the narrative turn approaches Health, Illness and Culture: Broken Narratives by Hyd8n and Brockmeier from 200817 and Beyond Narrative Coherence by Hyvärinen et al. from 201018. Both volumes are about broken narratives. Both contain very broad definitions of broken narratives as being undecided, fragmented, broken, incoherent, non-teleological etc. And in both there is an undecided relation between broken as something in the world and broken as something in a narrative. Finally, both volumes, almost without even mentioning it, deal almost exclusively with non-fictional narratives. The chapters and the stories are about real illnesses, real traumas, real terror attacks, real testimonies and so on. Therefore it seems to me that as if “broken narratives” is not just a synonym for well-described narrative forms such as the fragmented narratives of modernism or the experimental narratives of postmodernism etc., it seems to be exactly because of this link to, and interest in, real world ruptures and events, and because of the interest in broken narratives as a means to deal with such events and to give meaning to experiences. This seems to be one of the things that set the study of broken narratives aside from modernist and postmodernist studies and from existing studies of experimental literature etc. To me this means that there are strong arguments to be made for as well as against the usefulness of unnatural narratology when dealing with broken narratives. As for the former argument, one can venture to say that a common 17 Hyd8n / Brockmeier 2008. 18 Hyvärinen et al. 2010.
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assumption within the field of broken narratives is that causal logic and coherence is not the only game in town when it comes to narrative. This entails an assumption that the a-causal, the ruptured, the illogical and the incoherent are very prevalent, important narrative forms also worthy of attention. Since unnatural narratology stresses the fact that not all narratives are natural or abide by the rules of natural narratives and since the work with broken narratives entails an assumption that not all narratives are coherent or abide to the rules of classical narratological descriptions, it seems from this point that unnatural narratology could indeed be useful for understanding and interpreting broken narratives. As for the latter some large problems and differences regarding the subject matter of broken narratives and unnatural narratology still need to be addressed. Having said, thus, that unnatural narratology, as opposed to the field of broken narratives, deals exactly with narratives that do not respect real life limitations and with representations that are exactly not translatable into real world experiences, this seems to present a real difficulty for the usefulness of unnatural narratology in understanding and interpreting broken narratives. Before letting three different readings suggest an answer to the question about how and when unnatural narratology could apply to broken narratives, I wish to suggest four possible options for preliminary characterizations of broken narratives: Broken narratives are narratives about real world ruptures? Pro: Aligns with the most prevalent descriptions. As soon as we define rupture we will have a clear cut definition of broken narratives. Con: Excludes much fiction and literature that one might like to include. It does not say anything about the narrative itself, only about its source. Broken narratives are narratives with a broken content/story? Pro: Does not link broken narratives too closely to real world events. Broken narratives are recognizable by their theme, not by text-external knowledge and assumptions. Con: A very broad definition which includes a multitude of very heterogeneous narratives. Does not say anything about the form and shape of broken narratives Broken narratives are narratives with a broken form/discourse? Pro: captures the insight that broken narratives might not be just a thematic issue, like, say, environmental narratives. Con: includes many narrative forms which have already been characterized as
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something else (modernist, experimental, postmodernist) and about which much has been said already. Broken narratives are narratives with a necessary relation between rupture, story and discourse? Narratives about (but also triggered by/dealing with/influencing our perception of) real world ruptures by employing a broken discourse to convey a broken story? Pro: delimits the field and characterizes broken narratives formally as well as thematically and allows for fictional as well as non-fictional forms. Con: Although this is my preferred attempt at definition, I acknowledge that it might seem too narrow to theorists who prefer a more open concept.
Unnaturalizing Reading Strategies in relation to broken narratives – three examples Below I will provide three brief readings of three different examples where one is non-fictional, one fictional and one is in between. The questions in each case will be: is this a broken narrative? And: Can unnatural narratology provide useful insights through employing unnaturalizing reading strategies? Example one: non-fictional: It is a testimony taken from a book I made together with Stefan Iversen and Stefan Kjerkegaard. The book is in Danish, and the title would translate into Testimony : Danish Narratives from German Concentration Camps19. I quote, at some length a passage by Birgit Fischermann and Stefan Iversen’s comments to it in his article “Broken or unnatural?”: One survivor, Birgit Fischermann, who was deported to Theresienstadt as a child, had told her story many times prior to the session and delivered her memories in a remarkably coherent, articulated and well-structured narrative, presenting both plenty of vivid, subjective details and a firm grasp of historical facts in an almost completely chronological fashion. However, in the middle of her story, her presentation came to an abrupt and fairly long halt, here presented graphically in a way that shows the breaks and gaps in the original statement: “During November 1944 the Germans knew they would lose the war. By then, lots of people had died in the camp. And then they burned the deceased in … eh …. in these … what are they called again? … well I know this …. what is it called … crematoriums. There were crematoriums in Theresienstadt. It was a large building into which the deceased were taken and burned”.
19 Original title: Vidnesbyrd – Danske fortællinger fra tyske koncentrationslejre.
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The sudden stop in Fischermann’s otherwise impeccable narrative flow is caused not by just any concept, but by the concept that most people would immediately connect to the conceptual frame of World War II concentration camps, that of the crematorium. Thus, one of the main reasons for bearing witness – to testify personally to the fact that not too long ago, right in the center of European civilization, humans were gassing and burning other humans on an industrial scale – breaks into the narrative by causing it to break down, if only momentarily. This performative element of the narrative presents a challenge to anyone who wants to transcribe the narrative from its original oral form into a written form. What does the gap mean, and how should the meaning of it, if there is a meaning to it, be transferred to the written version of the narrative? Our editor suggested the following: “By then, lots of people had died in the camp. They burned the deceased in crematoriums. There were crematoriums in Theresienstadt”. In contrast to this complete normalization of the passage through the erasure of the performative element, we decided on the following compromise: “By then, lots of people had died in the camp. They burned the deceased in – what are they called? I know what they are called: crematoriums”20. The argument was that by keeping the trace of the momentary breakdown without elaborating too much on it, the written narrative would succeed in allowing its reader to gain an idea of the narrative crisis while not overstating this temporary uncertainty on behalf of the survivor and thereby forcing overtly symptomatic readings, making the narrator seem less in control than she appeared to be. In my opinion this is a broken narrative according to any definition. Also, it is usefully characterized as having a necessary relation between rupture, story and discourse. That the link between past and present is very strong and overwhelming in many testimonies is a common theoretical insight. It seems to me that our work with unnatural narratives was to some degree helpful as a background that allowed us to detect and avoid the suggested normalization and to see that a normalization or naturalization of this kind would not just amount to stating things differently, but would fundamentally change the narrative. It would mend and hide the brokenness on the discourse level. However, I think that there is no room here for unnatural narratology as an un-naturalizing reading strategy. The broken quality has very natural reasons – no matter how terrifying these reasons are. Altogether unnatural narratology is of limited help. Example two: fiction and non-fiction? The example is What is the What?, which is in a sense by Dave Eggers21, but also, in another sense, by Valentino Achak Deng, as the title page suggests:
20 Iversen et al. 2008; my translation. 21 Eggers, Dave. What is the What? (2006). New York: Vintagebooks.
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What is the What? is about the genocide in Sudan and about the terrible experiences of a young boy there. Its mutually contradictory signals towards the fiction/non-fiction question are apparent already on the title page. There are two authors and two genres: Deng and Eggers, autobiography and novel. In one sense it seems clear that “Deng” and “autobiography” are parts of the title of Eggers’ novel, but inside the book things remain ambiguous. In the “Preface”, e. g., Deng speaks, and he states among other things: It should be known to the readers that I was very young when some of the events in the book took place, and as a result we simply had to pronounce What is the What a novel. I could not for example, recount some conversations that took place seventeen years ago. However it should be noted that all of the major events in the book are true. The book is historically accurate, and the world I have known is not different from the one depicted within these pages. We live in a time where even the most horrific events in this book could occur, and in most cases, did occur.22 The fictional genre, novel, thus was a necessary precaution and not everything in the book really happened. But it could have happened and the real world was like the book. There seems to be a very serious strategy behind this choice of words: there is an appeal to the reader that she should consider everything in the book extremely important – not because it happened exactly like that to the specific individual, but because it is true in a more general and important sense that things like that happened. This strategy is repeatedly employed – formally,
22 Eggers, Dave. What is the What? (2006). New York: Vintagebooks, p. xiv.
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structurally and thematically – throughout the book. This leads me to a passage that could be considered a broken narrative in its own right: In this village, Monynhial found a deep hole […] and he stepped down into it. We said good-bye to him because we were accustomed to boys dying and leaving the group in many ways. Our group walked on while Monynhial stayed in the hole for three days […] No one visited Monynhial; no animal or person; no one knew he was there. […] On the third day he decided to die in the hole, because it was warm there, and there were no sounds inside. And he did die that day because he was ready. None of the boys who walked with me saw Monynhial perish in his hole but we all knew this story to be true. It is very easy for a boy to die in Sudan.23 Just as it is completely clear in Glamorama that Victor cannot know exactly what is going on in the airplane, it is obvious here in What is the What that the events that ”we all know to be true”24 cannot be known by anyone. It is not just something that can be implied, it is stated very explicitly. Thus I wish to argue that this passage too, is emphatically broken – not as regards plot but in the link between person and voice. This is not a broken sequentiality but a broken experientiality. The reader is surely invited to read the passage as fictionalized in the sense that it is not a reported experience of Deng’s own. Notice, though, that the effect is not that the scene becomes playful or unimportant for the understanding of the real Sudan. On the contrary : The book and the passage is not only about a particular boy and about the death of another particular boy, it is also the truth about how boys lived and died in Sudan in general. To conclude this second example: It seems to me that this also qualifies as a broken narrative. And also that it is usefully characterized as having a necessary relation between rupture, story and discourse. This is one way to narrate about a genocide that seriously exceeds the boundaries of the experience of any single individual. Finally, it seems to me that working with unnatural narratives is helpful to avoid two misreadings – one of which never notices that no one is there to experience the death, and the second misreading dismissing the incident and interpreting the narration as unreliable or imaginary. Altogether, unnatural narratology is of great help. Example three: fiction. The final example is clearly fictional. It is “The Oval Portrait” by Edgar Allan Poe25. In Poe’s story a first-person protagonist arrives at an abandoned castle. The protagonist enters a room with an oval portrait of a girl and reads a book about the picture and about how the girl died in the instant that the painter had completed the painting. Some elements of an unnaturalizing 23 Eggers, Dave. What is the What? (2006). New York: Vintagebooks, chapter XII. 24 Eggers, Dave. What is the What? (2006). New York: Vintagebooks, chapter XII. 25 Poe, Edgar Allan “The Oval Portrait” (1845) The Broadway Journal, pp. 264–265.
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reading could include a point of departure in the simple fact that there are two portraits: the oval portrait of the girl and “The Oval Portrait” of the character narrator watching and reading about the oval portrait of the girl. “The Oval Portrait” is not at all unequivocally a portrait of the girl, but also and perhaps more importantly a portrait of the first-person narrator. These two portraits, it turns out, share almost every single feature. The peculiar structure of Poe’s story is that almost every word that describes the oval portrait the picture is equally accurate about “The Oval Portrait” the story. Similarly, almost everything that characterizes the girl in the portrait seems to hold equally true for the character narrator in the story. The two characters share many features. They are both in a remote, dark “turret”, seemingly lit by the same kind of candles. The description of the character’s room corresponds to the description of the room in which the girl was painted and died. I will even go on to say that it is a reasonable assumption that this is not just a similar room, but the room in which the girl was depicted. The girl in the picture and the character in the story are both in desperate, life-threatening conditions in which they are depicted. In a natural framework there has to be a clear hierarchy between levels when embedding is in play. One level or story will have to embed and include and surround another story or segment. It is a strongly unnatural reading to say that “The Oval Portrait” is constructed in such a way that the framed frames the frame and the embedded embeds the embedding in the sense that the embedded description in the book comes to embed the framing description of the character reading the book. From the viewpoint of the character and the beginning, the book and the description are embedded, but from the viewpoint of the book and the end, what little we read about the character in the beginning is embedded in a story in which both characters in the dark turret (protagonist and girl in picture) vanish so that all that’s left is the depiction. In a natural framework we would have to assume that the character narrator must have survived since we have the tale, and that therefore this fate is (the only) one the protagonist does not share with the girl. The protagonist, however, is not just wounded but in a “desperately wounded condition”. But can narration take place if the narrator dies in the process? The answer to that question compels me to revisit some points from an early article of mine called “The Impersonal Voice in First-Person Narrative Fiction”26 which played a role in the emergence of unnatural narratology along with work by Maria Mäkelä, Jan Alber and Brian Richardson. In the article I argue that in first-person narrative fiction the limits of the protagonist’s voice in such areas as knowledge, vocabulary, and memory is sometimes strikingly transgressed and that this is neither a mistake nor 26 Nielsen, Henrik Skov, “The Impersonal Voice in First-Person Narrative Fiction,” Narrative 12 (2004) 133–50.
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something foreign to the genre, but on the contrary, a matter of utilizing a possibility fundamental to it. The general point that goes beyond any specific example is that the reader is faced with interpretational choices in these kinds of narrative. In an unnatural framework, first person narratives can be unnatural in the sense that they designate and refer to a character with the first person pronoun “I” without necessarily emanating from that character. If we assume, then, as an unnatural reading strategy that the possibility of transgressing the limits of personal voice regarding knowledge, vocabulary, memory, and so forth, is present, we should not restrict our interpretations to what would be possible or plausible in natural narration. From an unnatural point of view, we need not impose real-world necessities on all fictional narratives. We need not put all narratives into communicational models based on real-life storytelling situations. Unlike standard interpretations of “natural narratives” the reader can assume about some unnatural first person narratives that the protagonist is designated by the pronoun “I” but not enunciating it. The narrating “voice”, in that case, does not emanate from the character but invents a story, including the first person and his or her limitations, life and death. This leads me to go on to assume that the protagonist shares not only all the superficial circumstances with the girl, but also the most crucial one: that, like her, the protagonist is destroyed in and by the very process of being portrayed, so that the final words “She was dead” holds true for the protagonist as well as for the girl in the portrait. But why not go on assuming that the protagonist is accurately described not just by the word “dead”, but also by the word “she”? This would mean that the words – notably in the third person – “She was dead” hold true on all levels. Every single one of the readings of the tale that I know of, including Kafalenos’ and including Bassein’s feminist reading takes for granted that the protagonist is a man. The text gives us no evidence to the fact. Perhaps we assume that the gaze has to be male, like the painter’s. It is not impossible, but the truth is, I think, much more shockingly appalling. It appears if we assume that the wounded character is, or at least might be, a girl. I will acknowledge right away that this assumption is unproved and probably unprovable, but have to add that so is the assumption that it is a man. In addition there are a number of reasons that makes it seem more likely. First of all it entails that the numerous structural similarities between character in story and girl in picture extend and go all the way. Secondly it helps explain a core event in the tale: We never actually and exactly hear what is so absolutely shocking about the experience of the picture. Even if we might not notice it, this is actually a case of paralipsis in which crucial knowledge possessed by the character is withheld from the reader. Let us throw a final glance on the crucial passage: But the action produced an effect altogether unanticipated. […] I glanced at the picture hurriedly and then closed my eyes. Why I did this was not at first
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apparent even to my own perception. But while my lids remained thus shut, I ran over in my mind my reason for so shutting them. It was an impulsive moment to gain time for thought – to make sure that my fancy had not deceived me – to calm and subdue my fancy for a more sober and certain gaze. In a very few moments I again looked fixedly at the painting. That I now saw aright I could not and would not doubt; […] I had found the spell of the picture in an absolute life-likeliness of expression, which, at first startling, finally confounded, subdued, and appalled me.27 Is this a man who is agitated because of the lifelikeness of the painting? Or is this a woman who is shocked to the point of disbelief by unexpectedly, impossibly seeing herself portrayed in “the oval portrait”. I want to back down a little bit on the claim that this is a woman, and I don’t want to re-disambiguate what remains in the story itself ambiguous. Whether this is a girl seeing herself in the picture, or, even more unnatural, a male character seeing himself transformed to a woman in the picture, or simply just an indeterminate protagonist seeing him/ herself depicted in the picture, it seems to me that the protagonist is trapped in an appalling impossibility. The turret is a trap. The “chateau had been temporarily and very lately abandoned.” The book about the pictures is not accidentally found at some shelve, but “had been found upon the pillow”28 which seems more like cheese in a mouse trap than like an incidental place in the room. At the same time the pillow is the place where dreams and nightmares originate. The protagonist, in this reading, is trapped in an unnatural space where the book is in the room and the room is in the book, and where, therefore, he/she is by structural necessity him/herself a part of both. The reader is reading the same words and is similarly offered no way out and back to the frame. The reader, like the character, makes “entrance” as one of the very first words in the story reads, but finds herself in the end “entranced” as one the very last words reads. The girl, the character, the reader are all finally framed by “The Oval Portrait”. To conclude the third example, it seems to me that this might qualify as a broken narrative. The incident in the story repeats itself, uncannily and characteristically for Poe, in the discourse. There is nothing like a clear real world equivalent, though, to seeing oneself trapped in a book and sentenced to death by depiction. It seems to me that unnatural narratology is not only helpful but almost necessary if you want to grasp the structure of the story. Altogether unnatural narratology is of invaluable help (but the story not undeniably a broken narrative). As an overall conclusion to the paper it seems to me that we have reached the point where much depends on what we mean by broken narratives and especially 27 Poe, Edgar Allan “The Oval Portrait” (1845) The Broadway Journal, pp. 264–265. 28 Poe, Edgar Allan “The Oval Portrait” (1845) The Broadway Journal, pp. 264–265.
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on which kind of insights we would like to gain from them. Unnatural narratives share a lot with broken narratives and unnatural narratology potentially contributes usefully to their analysis. But the more one insists that broken narratives have to be non-fictional and the more one search for a latent coherence behind their manifest incoherence, the less inclined one will probably be to use insights from unnatural narratology. Naturalizing readings will probably appeal to readers who like explanations and who want textual inconsistencies and ambiguities to be finally resolved. At the same time some readers, like me, might think that many natural readings will tend to disambiguate what is presented in the text as ambiguous. Unnatural narratology might be helpful if one wants to understand how brokenness, ruptures, and incoherence need not always only be symptoms of real world traumas but might also be intentional strategies to deal with a range of phenomena in different dynamic exchanges between strange, traumatic, incomprehensible, or enigmatic phenomenon, story and discourse.
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Thomas Eder
Broken Narratology? Zu einigen neuen narratologischen Theorien
Voraussetzungen Narratologische Konzepte haben in den letzten Jahren eine entscheidende Ergänzung erfahren, manche sprechen gar von einer Wende von sogenannten klassischen Konzepten der Narratologie, die auf dem Strukturalismus und seinen (mitunter bizarren) Postspielarten fußen, hin zu kognitiven Ansätzen, die die Erkenntnisse der Kognitionswissenschaften benützen, um narratologische Fragen auf dieser Basis neu zu formulieren und zu beantworten. Ich möchte die sogenannte kognitive Narratologie (KN), die auch als postklassischer Ansatz bezeichnet wird, als einen Bruch (im Sinne dieses Bandes) innerhalb der narratologischen Theorie und Methode verstehen und skizzieren, wie nicht nur der Gegenstandsbereich von Narratologie, die Narration, im Rahmen des Gesamtthemas als ein broken narrative verstanden werden kann, sondern auch die Narratologie als Teil eines methodischen Narrativs zur Beforschung von Narrationen als broken narratology einen Neubeginn unter Einbezug der überkommenen theoretischen Verfahren erfahren könnte.1 Unter dem forschungsleitenden Schlagwort „Psychonarratologie“ beschreiben z. B. der kognitive Psychologe Peter Dixon und die Literaturwissenschaftlerin Marisa Bortolussi den Unterschied zwischen dem, was im Text ist, und dem, was im Kopf des Lesers vorgeht – es gehe darum, die Relation zwischen diesen Entitäten zu rekonstruieren.2 Im Bereich der Narratologie scheinen mir, verglichen mit anderen Bereichen wie z. B. Metapherntheorie3, die kognitiven Ansätze am erfolgversprechendsten – der Rekurs auf die Ergebnisse aus den Kognitionswissenschaften erweitert und modifiziert deren Theorien und Modelle. Die kognitive Narratologie untersucht dabei einerseits, wie reale Personen (fiktionale und faktuale) Narrationen verstehen, andererseits aber auch, wie 1 Ich stütze mich dabei über weite Teile des Beitrags auf Eder 2012. 2 Bortolussi / Dixon 2003. 3 Vgl. Eder 2007.
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Narration als ein Modus des Verstehens überhaupt wirken kann4 – diese beiden Punkte will ich in meinem Beitrag kurz skizzieren. Insgesamt versteht sich die KN als „postklassischer“ Ansatz, der die Analysen der „klassischen“ strukturalistischen Narratologie (und damit zusammenhängend der unter stylistics zusammenfassbaren Forschungsansätze) um Erkenntnisse aus den Kognitionswissenschaften methodisch anreichert. Damit geht eine Verschiebung und Modifizierung einzelner Kernkonzepte der Strukturalisten einher, u. a. was unter Figuren und narrativen Rollen (als Teile von kontextuellen Frames5) verstanden werden kann, wie der Diskurs über und durch Emotionen bestimmt wird und wie Fragen nach der Erzählperspektive, die in der klassischen Narratologie als Fokalisierung abgehandelt werden, in der KN durch die kognitiven Konzepte construal und conceptualization ergänzt werden. Vor allem in letztgenanntem Bereich verschiebt sich die strukturalistische Taxonomie, zwischen „Stimme“ und „Sicht“ im Bereich der Fokalisierung zu unterscheiden („Wer spricht?“ versus „Wer sieht?“6), hin zu einer funktionalistischen Betrachtung von Perspektive als einer bedeutungserzeugenden Strategie.7 Diese Verschiebung einer theorieleitenden und -konstititiven Unterscheidung kann wohl zurecht als ein Bruch innerhalb des theoretischen Konzepts der Narratologie als ganzer verstanden werden. Hierdurch kommt ein Analogon des Bruchs innerhalb des Gegenstandsbereichs (broken narratives) im Metabereich der Erzähltheorie als broken narratology besonders deutlich zur Evidenz und wirkt damit womöglich auch auf den mittels Theorieangebot zu erfassenden Gegenstandsbereich zurück. Denn gerade der in der Narratologie andauernde Disput zwischen Genettianerinnen und Stanzelianerinnen8, der bislang Konsens innerhalb der narratologischen Forschung vermissen lässt, hat die KN unter Einbezug von Erkenntnissen aus der kognitiven Grammatik9 dazu geführt, die Frage nach wahrheitskonditionalen Äquivalenzen zwischen Sätzen als unbrauchbar zu taxieren und stattdessen die Unterschiede zu untersuchen, die durch die diesen Sätzen zugrunde liegenden unterschiedlichen kognitiven Strukturen bedingt sind.10 Mithilfe dieser auf cognitive construal aufbauenden postklassischen Analysemethoden kann etwa das bedeutsame narratologische Konzept „Perspektive“ neu definiert und charakterisiert werden, und es können Aspekte der Perspektive erschlossen werden, die von klassischen Theorien der
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Herman 2009, S. 79. Emmott 1997. Vgl. Genette 1994. Herman 2009, S. 100. Stanzel 1979. Langacker 1987ff., Talmy 2000. Herman 2009, S. 103.
Broken Narratology? Zu einigen neuen narratologischen Theorien
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Fokalisierung11 nicht berührt worden sind (und nicht berührt werden können). Auch dadurch zeigt sich: ein Bruch der im Theorieansatz (Narratologie) verwendeten Konzepte hat oft weitreichende Folgen auch für den untersuchten Gegenstandsbereich. Es liegt nahe, in diesem Zusammenhang von einem Paradigmenwechsel im Sinne Thomas Kuhns12 zu sprechen, wodurch nicht nur der Theorieansatz als broken narratology zu konzipieren wäre, sondern eben auch und vor allem: ein Bruch im Narrativ des durch diese Theorie erschlossenen Gegenstandsbereichs zu konstatieren ist. So werden neu und erstmals in der KN textuelle Details im Lichte der kognitivistisch ausgerichteten Theorie der Fokalisierung einer detaillierten Analyse zugeführt, z. B. stilistische Merkmale (Verbzeiten, Modi), spatiotemporale Konfigurationen in der erzählten Welt, Repräsentationsarten von Bewusstsein etc.13 Kognitive Ansätze der Erzählforschung14 berufen sich häufig auf die allgemeine psychische Fähigkeit des Menschen, erschließen zu können, was man selbst denkt, wahrnimmt oder fühlt bzw. was andere denken, wahrnehmen oder fühlen. Dieser Prozess wird generell als durch das ermöglicht gedacht, was die Kognitionswissenschaft als theory of mind (ToM) und eine darauf basierende „Einfühlung“ in andere untersucht. Andererseits setzt die KN häufig auf gegenwärtige Erklärungen zum Prozessieren von (schriftlichen) Sprachäußerungen, die sich als „grounded theories“ auf der Basis von „Embodiment“ (Verkörperung) verstanden wissen wollen. Nach einer aufrissartigen Darstellung dieser beiden Theorieansätze im folgenden Kapitel 1 werde ich in Kapitel 2 deren Relevanz für narratologische Fragen beleuchten und die Hypothese aufstellen, dass damit ein entscheidender Bruch in der Narratologie, analog dem Bruch in den Narrativen auf der Gegenstandsebene, vollzogen wird.
1
Einige theoretische Grundlagen
1.1
ToM
Unter theory of mind (ToM) versteht man die Fähigkeit, sich selbst und anderen mentale Zustände zuzuschreiben. ToM, so wird argumentiert, sei eine der zentralen und unverzichtbaren menschlichen kognitiven Fähigkeiten, die Literatur möglich machen: das Schreiben und Rezipieren von Literatur, also die produktions- und rezeptionsästhetische Seite; aber auch die Relationen zwischen den 11 12 13 14
Stanzel 1979, Genette 1994. Kuhn 1967. Vgl. Herman 2009, S. 108f. U. a. Zunshine 2006, Leverage et al. 2011. Zur Kritik an Zunshine vgl. Boyd 2006.
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Thomas Eder
Figuren in literarischen Texten (und deren Verständnis durch Lesende) sind erst auf der Basis einer solchen Fähigkeit möglich. Die Erklärungen des Zustandekommens und der Beschaffenheit der ToM-Fähigkeit reichen von neurophysiologischen bis hin zu diskursorientierten; gerade in der jüngeren Zeit hat sich durch die Entdeckung des sogenannten Spiegelneuronensystems so etwas wie (natur-)wissenschaftliche Evidenz für das Vorhandensein und die Grundlagen dieser Fähigkeit eingestellt (dies ist allerdings höchst umstritten!). Die Fama geht so: Experimente sollen gezeigt haben, dass bei zielgerichteten Handlungen (z. B. „greifen“) und den Vorstellungen bzw. Simulationen von Handlungen (wenn Objekte im Umfeld der Person gesehen werden, die gegriffen werden könnten) dieselben Neuronen (canonical neurons) sich entladen. Im Falle von Handlungen (z. B. „selbst greifen“) und dem Zuschauen bei gleichen Handlungen anderer feuern dieselben sogenannten Spiegelneuronen (mirror neurons). Dieses Spiegelneuronensystem sei die neurophysiologische Grundlage für alle Formen von ToM, aber auch für Einfühlung und Empathie. Ich blende die rege Debatte zur Validität der Experimente zum menschlichen Spiegelneuronensystem15 ebenso aus wie die Debatten um die Frage, ob und wenn ja, dann wie, die Existenz von mirror neurons für die Literaturwissenschaften von Bedeutung sein könnte.16 Vor allem die kognitionswissenschaftlich informierte Philosophie (z. B. Goldman17) versucht hier zu unterscheiden zwischen einfachen physiologischen Reaktionen, für die das Spiegelneuronensystem gewiss eine Rolle spiele (lowlevel mindreading), und stärker sozialen Akten der Zuschreibung von mentalen Zuständen, die auf symbolischer Ebene erfolge und deshalb zusätzliche davon unterschiedene Bereiche berühre (high-level mindreading18).
1.1.1 ToM und die Zuschreibung von mentalen Zuständen – 1.-Person-Zuschreibung versus 3.-Person-Zuschreibung von mentalen Zuständen Innerhalb der Philosophie des Geistes und der Kognitionswissenschaften gibt es eine rege Debatte über die Unterschiede und Vergleichbarkeiten hinsichtlich des Zuschreibens mentaler Zustände („glauben“, „wünschen“, „hoffen“ etc.) an andere und an sich selbst. Das Zuschreiben von mentalen Zuständen an andere wird 3.-Person-Zuschreibung (oder auch wahres mindreading, kurz 3. PZ) genannt, das an sich selbst nennt man 1.-Person-Zuschreibung (oder auch metacognition, kurz: 1. PZ). Es gibt, grob gesagt, drei Positionen: 15 16 17 18
Gallese / Rizzolatti et al. 1996. Breithaupt 2009; Koepsell / Spoerhase 2008; Lauer 2009. Goldmann 2006. Zur Kritik an Goldman siehe Schurz / Werning 2009.
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a) 1. PZ und 3. PZ sind zwei ganz unterschiedliche Fähigkeiten, realisiert in unterschiedlichen kognitiven Mechanismen (MT).19 b) 1. PZ ist der 3. PZ vorgängig, die Zuschreibung mentaler Zustände an andere beruht auf unserer Fähigkeit, uns selbst mentale Zustände zuzuschreiben, was mittels eines introspektiven Zugangs zu diesen zu bewerkstelligen ist (ST).20 c) als Umkehrung von b) Die 1. PZ ist das Resultat davon, dass wir unsere Fähigkeiten, 3. PZ vorzunehmen, auf uns selbst anwenden (TT).21 1.1.2 Drei Arten ToM – TT versus ST versus MT ToM wird zurzeit unter den synonymen Begriffen mindreading oder mentalizing mit drei einander widerstreitenden Annahmen zu erklären versucht: simulation theory of mind (im Folgenden: ST) versus theory theory of mind (im Folgenden: TT) versus modularity theory of mind. Zusätzlich gibt es auch unterschiedliche aus den genannten dreien gebildete hybride Ansätze.22 Die auf Jerry Fodor zurückgehende modularity theory of mind, (im Folgenden: MT) der zufolge das menschliche Gehirn/der menschliche Geist mittels interagierender, abgeschlossener und domänenspezifischer neural verdrahteter Einheiten funktioniert, ist eine Form der TT und soll hier keine weitere Rolle spielen, vertreten wird sie u. a. von Alan Leslie.23 Ich folge im Weiteren Alvin Goldman.24 Die TT geht davon aus, dass bei der Zuschreibung von mentalen Zuständen an dritte Personen stillschweigend theoriegeleitete Mechanismen im Spiel sind, während die ST davon ausgeht, dass sich derjenige, der einem anderen mentale Zustände zuschreibt, in dessen mentale Zustände einfühlt, sie simuliert, gleichsam in dessen mentale Schuhe schlüpft. Für unsere Belange (die Anwendung von ToM auf narratologische Fragen) scheint vernünftig, auf die Vorgänge des so bezeichneten high-level mindreading25 zu fokussieren, im Gegensatz zum low-level mindreading26, das einfachere Phänomene im soziophysiologischen Bereich (vor allem das Erkennen von Emotionen anhand von Gesichtsausdrücken) mit neurophysiologischen
19 20 21 22 23 24 25 26
Nichols / Stich 2003. Goldman 2006. Gopnik 1993; Carruthers 2009a. Vgl. Goldman 2006; Currie / Ravenscroft 2002; Nichols / Stich 2003. Leslie 1987. Goldman 2006. Goldman 2006, S. 147–191. Ebd., S. 113–146.
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Befunden beschreibt (die schon erwähnte „Wunderwaffe“ Spiegelneuronen [mirror neurons27] spielt dabei eine zentrale Rolle). High-level mindreading ist durch drei Merkmale charakterisiert (nicht definiert):28 a) Es zielt auf mentale Zustände, die relativ komplex sind (z. B. propositional attitudes – die Einstellung die ein Handlungsträger zu einer Proposition haben kann: „wünschen“, „hoffen“, „glauben“, „fürchten“ etc.). b) Einige Komponenten des Mindreading-Vorgangs sind willentlich kontrollierbar. c) Der Vorgang ist zu einem gewissen Grad bewusst. Im Gegensatz zum low-level mindreading, das auf Spiegelung setzt, kommt beim high-level mindreading der Mechanismus des Vortäuschens (pretense) oder der sogenannten e-imagination (enactment-imagination) ins Spiel. Was versteht man unter e-imagination? Dieses Konzept hängt eng mit dem des Vortäuschens zusammen; Vortäuschen wird von Goldman nicht als eine weitere mögliche propositional attitude wie z. B. „wünschen“, „hoffen“, „glauben“, „fürchten“ verstanden, sondern als ein Prozess, der als Output vorgetäuschte Zustände hat.29 Darüber hinaus wird dieses Vortäuschen mit Imagination in Verbindung gebracht, allerdings mit einer entscheidenden Erweiterung hinsichtlich dessen, was man im allgemeinen Sprachgebrauch darunter versteht. Denn üblicherweise hat z. B. das Verb „vorstellen“ einen einfachen dass-Satz als seine Ergänzung, also z. B.: „Ich stelle mir vor, dass ich begeistert bin“, was äquivalent dazu ist, die Wahrheit der Proposition „Ich bin begeistert“ anzunehmen. Aber es gibt noch eine weitere Weise, sich vorzustellen, Begeisterung zu fühlen, in dem Sinn, dass man sich einen Zustand ins Gedächtnis ruft, der wie eine Spur von Begeisterung wirkt – viele propositional attitudes können auf diese Weise vorgestellt werden, weshalb der Output einer solchen Vorstellung kein einzelner Zustandstypus, sondern eine Vielzahl von mentalen Zustandstypen sein kann. Wenn ich mir also vorstelle, mich begeistert zu fühlen, nehme ich nicht nur an, dass ich begeistert bin; sondern eher: Ich setze Begeisterung selbst in Kraft, ich aktiviere Begeisterung. Enactment-imagining wird häufig in Mindreading-Aufgaben angewandt: Wenn ich z. B. meiner neben mir sitzenden Frau ein Vögelchen im Blattdickicht eines Baumes zeigen will, muss ich mir via e-imagination zu visualisieren versuchen, wie und ob ihr Blickpunkt es erlaubt, das Tier zu sehen. Allerdings stellt sich auch die Frage: Können per e-imagination Zustände hervorgerufen werden, die in einer bestimmten Hinsicht den tatsächlichen Zuständen 27 Vgl. z. B. Gallese / Rizzolatti et al. 1996. 28 Goldman 2006, S. 147. 29 Ebd., S. 147f.
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ähneln? Können endogen erzeugte Zustände (ich stelle mir nur vor, wie meine Frau sieht) exogen erzeugten (jenen meiner Frau, die ja tatsächlich dort sitzt und sieht) ähneln? Wenn mindreading erfolgreich sein soll (es gilt zwar auch versuchtes, nicht angemessenes mindreading als Simulation), muss eine solche Ähnlichkeit zwischen exogen und endogen erzeugten Zuständen angenommen werden, allerdings nicht in einem phänomenologischen Sinn, sondern eventuell in einem funktionellen oder neuralen Sinn (diese Fragen sind offen für empirische Forschung – und werden von kognitiven Psychologen auch intensiv beforscht –, man kann sie nicht vom Ohrensessel des Philosophen aus beantworten30). Eine letzte bedeutsame Volte innerhalb der ST soll noch kurz angesprochen werden: Selbstreflexion oder Selbstreferenz. Darunter versteht man, dass ein Zuschreibender seine eigenen Zustände beachtet, um sie unter Quarantäne stellen zu können. Tatsächlich kommt es aber im mindreading sehr häufig vor, dass diese Quarantänevoraussetzung verletzt wird, was zu einem Vorgang führt, der als Projektion (nicht im Freud’schen, von diesem schlecht bewerteten Sinn) oder Egozentrismus bezeichnet wird.31 Dies führt dazu, dass die tatsächlichen Zustände des Zuschreibenden in die Simulationsroutine einfließen (ob das schon genügt, von einer Unangemessenheit des mindreading zu sprechen, ist eine weitere delikate – und hier nicht weiter diskutierbare – Frage).
1.1.3 Selbstbeobachtung bei mindreading? Besonders das Kernkonzept „Selbstbeobachtung“ spielt bei mindreading eine Rolle. Ich folge in meiner gerafften Darstellung Peter Carruthers, der mentale Zustände der 1. PZ in zwei Kategorien unterteilt: solche, die selbstbeobachtbar/ introspizierbar sind, und solche, die nicht selbstbeobachtbar sind. Carruthers lehnt die Möglichkeit eines privilegierten 1.-Person-Zugangs ab, er nimmt an, dass metacognition (1. PZ) nur die Anwendung unserer Mindreading-Fähigkeiten auf uns selbst sei, er bestreitet die Möglichkeit eines introspektiven Zugangs zu unseren Urteilen und Entscheidungen (als Vorgänge propositionaler Einstellungen), während er einen solchen introspektiven Zugang zu Wahrnehmungszuständen, Körperempfindungen, Gefühlen etc. jedoch sehr wohl für möglich hält. Carruthers unterscheidet32 wahre Selbstbeobachtung (als 1. PZ) von 3. PZ: Selbstbeobachtung ist kein interpretativer Prozess und in dieser Hinsicht grundlegend von dem Zugang unterschieden, den wir zu den Gedanken und 30 Vgl. ebd., S. 151. 31 Ebd., S. 164. 32 Vgl. zum Folgenden auch Carruthers 2010.
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Wahrnehmungen anderer haben. Dieser letztere Zugang erfolge durch eine Interpretation von deren Verhalten in bestimmten Situationen. Im Gegensatz dazu beruhe Ersteres (Introspektion) nicht auf der Interpretation unseres eigenen Verhaltens, wenn wir unsere eigenen mentalen Zustände introspizieren. Das treffe sogar auch dann zu, wenn wir die Existenz von irgendeinem inneren Sinn (gemeint ist eine innere Sinneswahrnehmung) annehmen, die auf der Basis von äußeren Sinnen (Sehen, Hören) gestaltet sei, und wenn wir zudem annehmen, dass Introspektion auf der Basis eines solchen inneren Sinns vor sich gehe. Die Prozesse, die z. B. die Wahrnehmung von Tischen und Bäumen durch die äußeren Sinne ermöglichen, sind zum Teil einfaches Datenverarbeiten, zum Teil sind es inferenzielle (also auf Schlussfolgerungen beruhende) Prozesse – und ebenso seien Urteile über innere Überzeugungen mithilfe dieses inneren Sinns gebaut. Es ist allerdings für Carruthers dabei wichtig, „that these inferences should not be ones that appeal to facts about the subject’s own behavior and circumstances as premises. For if they did, then there would no longer be any significant, principled, contrast between self-knowledge and other-knowledge.“33
Im Hinblick auf Selbstbeobachtung entfaltet Carruthers seine These wie folgt: „We should have access to our own perceptual and quasi-perceptual states“, und schlägt defintiv vor, „to defend the absence of causal pathways from the judgment-generating systems and the decision-making system to mind-reading, which would be necessary to allow introspective access to our own judgments and decisions. My [Carruthers’] thesis is that the mind-reading system only has access to perceptual input (in addition to some forms of stored knowledge), and thus that it can only self-attribute judgments and decisions through processes of interpreting that input, in much the sort of way that it attributes judgments and decisions to other people.“34
Es gebe nur einen Unterschied hinsichtlich des Grades der Evidenz, mit der wir uns selbst mentale Zustände zuschreiben, im Vergleich zu dem, wir sie anderen zuschreiben; dies sei begründet in der weitaus größeren Basis der Hinweise, die wir im Fall der Selbstzuschreibung durch innere Rede, Vorstellungsbilder etc. zur Verfügung haben. Ein Punkt scheint mir an Carruthers’ Ausführungen besonders entscheidend zu sein, wenn wir sein Modell auf literarische Texte anwenden möchten: Innere Rede und Vorstellungsbilder fallen für ihn unter jene Formen von Evidenz, die für unsere Mindreading-Fähigkeit als Interpretation, und das heißt gerade nicht: als Introspektion, verfügbar sind. Carruthers schätzt innere Rede und Vorstellungsbilder so ein, dass sie Denkprozesse ausdrücken (expressiv sind), und nicht 33 Ebd., S. 77. 34 Ebd., S. 81.
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so, dass sie konstitutiv für solche zugrunde liegenden Denkprozesse seien. Damit steht seine Auffassung auch im Gegensatz zu jeder Form von Whorfianismus (jeglichen Stärkegrades), der die sprachliche Determiniertheit von Verstandesleistungen annimmt.
1.2
Zwei verschiedene Subsysteme des menschlichen Verstandes und Sprache35
Gegenwärtig nehmen viele Forscher an, dass der menschliche Verstand aus zwei unterschiedlichen Systemen besteht: System 1, das seinerseits aus Untersystemen besteht, arbeite schnell, unbewusst und parallel, es werde vom Menschen mit vielen Tieren geteilt; System 2 sei bewusst, langsam, seriell, spezifisch menschlich, und (für unseren Zusammenhang wichtig) natürlichsprachliche Sätze spielen eine besondere Rolle (als innere Rede) für Operationen, die im System 2 ausgeführt werden.36 Beide Systeme bestehen nebeneinander. Evolutionär gesehen kam mit der Entwicklung von System 2 der Zeitpunkt, an dem mentales Probehandeln (mental rehearsal) beginnen konnte: ganz allgemein als ein Ausprobieren von Handlungsschemata (wie wir sie auch bei Menschenaffen finden), aber speziell als verbales Probehandeln, wobei Handlungsschemata für laute Rede unterdrückt und in innerer Rede geprobt werden (dies finde ausschließlich beim Menschen statt). Dadurch können Gedanken über diese innere Rede formiert werden, was zu sogenannten higher order thoughts (HOT) führe.37 Und weil Sprachhandlungen kreativ hervorgebracht und geprobt werden können, kann der Inhalt dieses Systems 2 mitunter ein ganz neuer sein, der nicht direkt von irgendwelchen Inhalten aus System 1 abhängt. System 2 kann willentlich beeinflusst werden: Ich kann in innerer Rede den öffentlichen Verstehensprozess anderer imitieren. Wichtig für unseren Zusammenhang scheint, dass natürliche Sprache eine wichtige konstitutive Rolle in spezifisch menschlichen System-2-Prozessen spielt. Das bedeutet nicht, dass ausschließlich Sprache in System-2-Prozessen verwendet würde – hier scheint es individuelle und individualpsychologische Unterschiede zwischen verbalen und visuellen Denkern zu geben. Und in der Tat könnten wir dieser Theorie zufolge ohne die Verwendung von Sprache eine große Menge von Gedanken niemals haben, und unsere kognitive Aktivität und die daraus folgenden öffentlichen Handlungen wären ganz anders. Solche und ähnliche Vermutungen sind freilich höchst umstritten. 35 Vgl. zu diesem Abschnitt Carruthers 2009b. 36 Evans / Over 1996. 37 Vgl. dazu v. a. Rosenthal 2004.
116 1.3
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Grounded cognition, embodiment, perceptual activity theory (Barsalou38, Gibbs39)
In der jüngeren Literatur zum Verhältnis von Sprache und Kognition hat sich die gegenwärtig in den Kognitionswissenschaften als via regia geltende Vorstellung des embodiment und der grounded cognition Bahn gebrochen. Sprachliche Prozesse seien wie alle anderen kognitiven Prozesse an den Umstand der menschlichen Physis und der daraus herrührenden Interaktion mit der Umwelt nicht nur gebunden, sondern auch davon determiniert. Dieser in jüngerer Zeit prominente Ansatz einer grounded cognition weist die Auffassung zurück, dass Kognition als computationelle Verarbeitung amodaler Symbole erfolge, und stellt stattdessen die modalen Systeme für Wahrnehmung, Handeln und Introspektion des Menschen in den Mittelpunkt: „[G]rounded cognition proposes that modal simulations, bodily states, and situated action underlie cognition.“40 Das in sich heterogene Feld der grounded cognition setzt u. a. auf die Rolle, die situierte Simulation für Kognition spielt: Simulation sei das Wiederaufrufen von ursprünglich der Wahrnehmung, dem motorischen Bereich oder der Introspektion zugehörigen Zuständen, die während des Umgangs mit der Welt als Erfahrungen erworben worden sind. Anders als die darauf sich beziehende Kritik annimmt,41 seien grounded theories jedoch keine Aufzeichnungssysteme (z. B. Kameras), sondern auch zur Interpretation von wahrgenommenen Daten fähig. Überhaupt seien grounded theories weder vollständig von Körperzuständen noch von voll ausgestalteten Simulationen abhängig, wie Kritiker dies behaupteten. Denn Körperzustände seien nicht Voraussetzung für kognitive Akte, wohl aber häufig eng damit verbunden, Simulationen seien zentral für grounded theories, erzeugen aber nur selten, wenn überhaupt, tatsächliche Erfahrung. Die Rolle, die in grounded theories der natürlichen Sprache zugewiesen wird, ist gespalten. Zum einen seien viele bisherige Ansätze zu einer Theorie der Sprache eng verknüpft mit den von den Vertretern der grounded theories zurückgewiesenen amodalen Theorien. Auch wenn in diesen traditionellen computationellen Ansätzen Unterschiede zwischen amodalen Symbolen und sprachlichen Formen (z. B. Wörtern oder Satzbau) angenommen werden, so gehe man doch von engen Verknüpfungen zwischen Wort und Begriff, zwischen Prädikaten, die Konzepte repräsentieren,42 und Wörtern aus. Diese Verknüp38 39 40 41 42
Barsalou 1999. Gibbs 2006. Barsalou 2008, S. 617. Pylyshyn 1973. Nach einer Definition dessen, was mit „Repräsentation eines Konzepts“ gemeint ist, sucht man freilich auch bei den Vertretern der grounded theories vergebens.
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fungen reichen bis zu Eins-zu-eins-Relationen. Propositionen, die als Bedeutungen von Sätzen und Texten konstruiert werden, seien eng verbunden mit der sprachlichen Form dieser Sätze und Texte.43 Analog dazu, wie Sprachverstehen als sequenzielles Verarbeiten von Wörtern in Sätzen vor sich gehe, nehmen die Vertreter computationeller Ansätze an, dass konzeptuelles Verstehen als ein sequenzielles Abarbeiten von amodalen Symbolen in listen- oder satzartigen Strukturen vor sich gehe. Diese Auffassungen werden von Vertretern der grounded theories zurückgewiesen. Andererseits nehmen Vertreter der grounded theories an, dass aus natürlichen Sprachausdrücken abgeleitete sprachliche Formen, die nicht amodale Symbole, sondern sogenannte perceptual symbols (siehe unten) seien, eine besondere Rolle in der von ihnen „situierte Simulation“ genannten Auffassung spielen. Unter situierter Simulation versteht Lawrence W. Barsalou den Umstand, dass es nicht zwei unterschiedliche Module für sensomotorische und konzeptuelle Prozesse gebe, sondern dass auch bei konzeptuellen Prozessen (um z. B. Kategorien zu repräsentieren) sensomotorische Zustände wiederaufgerufen werden (re-enactment). Obwohl Wahrnehmung und Konzeptualisierung ähnlich seien, bestehen dennoch Unterschiede – Bottom-up-Mechanismen beherrschen sensomotorische Prozesse, bei Konzeptualisierungen seien Topdown-Prozesse wichtiger.44 Sprachverstehen stellen sich die Theoretiker der grounded cognition so vor : „We assume that when a word is perceived, the linguistic system becomes engaged immediately to categorize the linguistic form (which could be auditory, visual, tactile, etc.). […] Once the word has been recognized, we assume that associated linguistic forms are generated as inferences, and as pointers to associated conceptual information.“45
Damit zusammenhängend erklären Barsalou und Kollegen Sprachverstehen und kognitive Leistungen allgemein auf der Basis von perceptual symbols: „Perceptual symbols are the residues of a perceptual experience, stored as patterns of activation in the brain. Because attention is limited, perceptual symbols are typically schematic, rather than being akin to high-resolution video clips or high-fidelity sound clips. However, unlike amodal propositions, perceptual symbols bear an analog relationship with their referents. Barsalou hypothesized that perceptual symbols are used in perceptual simulations that make up human cognitive processes.46
43 44 45 46
Z. B. Kintsch / van Dijk 1978; Van Dijk / Kintsch 1983. Barsalou 2003, S. 525. Barsalou et al 2008, S. 248. Zwaan et al. 2002, S. 168.
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Es sollen sensomotorische Aspekte von mental imagery mithilfe der sogenannten perceptual activity theory47 erklärt werden. Dieser Auffassung zufolge gibt es kein „Ding“ im Gehirn, das ein Wahrnehmungsresultat oder ein „Bild“ „ist“: Stattdessen bestehe Wahrnehmungserfahrung aus einer fortgesetzten schema-geleiteten Aktivität zur Erkundung der Umwelt. Mental imagery wird ebenfalls nicht als das Endprodukt von (visueller) Wahrnehmung betrachtet (kein „inneres Bild“, keine Abbildung äußerer Stimuli wird hier angenommen). Stattdessen sei mental imagery eng mit der Aktivität von perzeptueller und motorischer Erkundung der Umgebung verknüpft.48 Es wird postuliert, dass Personen immer dann eine auch phänomenale Erfahrung eines mental image haben, wenn ein „Schema“, das nicht direkt zur Erkundung der momentanen Umgebung relevant ist, die Kontrolle über „the body’s exploratory apparatus“ übernimmt. „We imagine, say, a cat, by going through (some of) the motions of examining something and finding that it is a cat, even though there is no cat (and perhaps nothing relevant at all) there to be examined. Imagining a cat is seeing nothing-in-particular as a cat.“49
Deshalb habe die perceptual activity theory keine Schwierigkeiten mit der Annahme, dass auch spezifische Wahrnehmungsmechanismen beim Formen von Vorstellungsbildern beteiligt sind: Schemata und Systeme aus dem perzeptuellen Bereich unterstützen zusammen tatsächliche Wahrnehmungen und Vorstellungen gleichermaßen. Barsalous Erklärung wird – dies einer der möglichen Kritikpunkte – analog auch auf sprachliche Prozesse übertragen: „Crucially, according to Barsalou, PSS are not limited to images: linguistic symbols can also operate like perceptual symbols. The theory works as follows. A stimulus in the world, for example a table, enters the brain through an appropriate sensory channel. Neurons in so-called ,feature maps‘ now fire to create a table-like representation. This is quite close in form to the original table. The essence of this pattern is then captured in an associative neural area. At this stage, the table is skeletal in form and is barely recognisable as a table. This represents the first stage or storage part of the procedure. The second stage or simulation part works as follows. The skeletal essence of the tablelike pattern that has been captured in an associative neural area is now deployed as neurons fire. This triggers the neurons in the feature map, which also fire to produce a table-like representation. This representation is similar to the original in the feature map, which was stimulus-driven through direct sensory input, but it is less perfect in form.“50 47 48 49 50
Thomas 1999. Ebda. Ishiguro 1967. Burke 2013, S. 203.
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Wenn es um das Sprachverstehen geht, nehmen die Vertreter der perceptual symbol systems theory (Barsalou) an, dass es genügend empirische Evidenz für ihre Theorie gebe: Wenn z. B. Personen den Satz lasen: „Der Ranger sah den Adler am Himmel“, und anschließend die Aufgabe bekamen, Tiere auf ihnen vorgelegten Bildern zu benennen, so waren sie im Fall eines Bildes, das einen Adler mit aufgespannten Flügeln zeigte, rascher als bei einem Bild mit einem Adler mit geschlossenen Schwingen – solche Ergebnisse seien konsistent mit der Hypothese, dass Personen beim Sprachverstehen Simulationen des Repräsentierten erzeugen. Rolf Zwaan et al. interpretieren die Ergebnisse dieser Experimente als Widerlegungen der klassischen Auffassung, dass Hörer und Leser beim Sprachverstehen sprachliche Äußerungen in propositionale, amodale Repräsentationen umwandeln.51 Das Messen von Reaktionszeiten als Hinweis auf zugrunde liegende kognitive Vorgänge (in phänomenaler und funktioneller Hinsicht) zu deuten scheint mir aber nicht überzeugend, vergleichbar den ebenfalls nicht überzeugenden Interpretationen von Reaktionszeitenmessungen bei Shepard’schen Experimenten mit Raumhaken, die als Beweis für die Existenz von visuellen Vorstellungsbildern gedeutet worden sind. Und so scheint mir auch der Schluss, dass Personen während des Sprachverstehens perceptual symbols aktivieren, wenig plausibel. Plausibler, jedoch zu wenig begründet, scheint die daraus abgeleitete Folgerung, dass Repräsentationen von Bedeutung aus sprachlichem Input dynamische Prozesse seien, die Residuen formbarer perzeptueller Repräsentationen enthalten.52 Wieder aber fehlt bei solchen und ähnlichen Aufgaben die aus meiner Perspektive unerlässliche Selbstbeobachtung beim Problemlösen; zudem müssten die Aufgaben komplexer sein, um tatsächlich Aufschlüsse über Denkverläufe in Berichten von Selbstbeobachtungen zu ermöglichen. Ähnliches wie bei den Versuchen mit den aufgespannten Schwingen eines Adlers gelte für motorische Simulationen: Wenn Personen ein Wort lesen, das sich auf eine Handlung bezieht (z. B. auf motorische Handlungen, die von Kopf, Armen oder Beinen ausgeführt werden), habe dies eine Aktivierung des zugehörigen motorischen Systems zur Folge. Diese erfolge als sehr rasche (innerhalb einiger hundert Milllisekunden) Simulation in den zugehörigen (Kopf, Arme resp. Beine) motorischen Systemen. Ebenso habe gezeigt werden können, dass Motorsimulationen, die von Worten ausgelöst worden waren, Einfluss auf sogenannte lexical decision tasks haben.53 Umgekehrt haben körperliche Handlungen einen Einfluss auf das Sprachverstehen. Eine bestimmte körperliche Handlung auszuführen habe einen günstigen Einfluss auf die Zeit, die es braucht, 51 Zwaan et al. 2002, S. 168. 52 Ebd., S. 170. 53 Myung et al. 2006.
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um eine damit korrelierte sprachliche Beschreibung einer Handlung zu verstehen, aber einen ungünstigen Einfluss auf die sprachliche Beschreibung einer nicht korrelierten Handlung.54 Leser und Hörer produzieren zudem Simulationen von Bewegungen im Raum, wenn sie Texte lesen, auch bei nur implizierter Bewegung in – dies im Zusammenhang der in diesem Aufsatz erörterten narratologischen Fragen – einer fiktiven Geschichte.55 Wenn bestimmte motorische Areale mittels transkranieller Magnetstimulation (TMS) ausgeschaltet werden, so werde das Verstehen von zugehörigen Sprachäußerungen beeinflusst – dies sei, so die Deutung der Ergebnisse, nicht der Fall, wenn solche auf Sensomotorik beruhenden Simulationen nur epiphänomenale seien.56 Allerdings gibt es auch in den Kognitionswissenschaften eine gegenläufige Interpretation der empirischen Befundlage, die angeblich für embodiment und grounded cognition spricht: Bradford Z. Mahon und Alfonso Caramazza57 nehmen an, dass der Großteil der empirischen Ergebnisse zwar nicht gegen, aber auch nicht für eine starke Auffassung von embodiment (dass Verstehen motorische und sensorische Simulation sei) spricht. Stattdessen nehmen sie an, dass sensorische und motorische Aktivität zwar häufig, wie in den empirischen Studien offenkundig, konzeptuelle Prozesse begleite, aus den Ergebnissen dieser Experimente jedoch nicht eindeutig herleitbar sei, dass sensomotorische Aktivität tatsächlich konzeptuelle Prozesse verursache. Mahon und Caramazza schlagen eine zwischen verkörperter und nichtverkörperter, amodaler Erklärung stehende Auffassung vor. Sie verknüpfen die Auffassung, dass Konzepte abstrakt und symbolisch seien, mit der Ansicht, dass sensorische und motorische Aspekte Instantiierungen von konzeptuellen Prozessen seien, die online erfolgen.
2
Kognitive Narratologie
2.1
Introspektion und Psychonarration
Wurden innerhalb der kognitiven Narratologie bislang vor allem Untersuchungen einzelpsychischer Reaktionen von Lesern herangezogen, so ist in jüngster Zeit eine „diskursive Wende“58 innerhalb der kognitiven Narratologie, die als ein weiterer Bruch in Theorie im Sinne des in diesem Band vorgestellten Konzepts zu verstehen sein könnte, zu beobachten. Vor allem David Herman als 54 55 56 57 58
Barsalou 2008, S. 628. Ebd., S. 629. Ebd., S. 632. Mahon / Caramazza 2008. Harr8 1992, S. 5; Harr8 2001.
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Begründer dieses Felds geht in seinen gegenwärtigen narratologischen Studien von (der durchaus bezweifelbaren Annahme einer) social cognition, also der Distribuiertheit von Kognition in Sozietäten, aus.59 Mit dieser sogenannten second cognitive revolution60 geht eine Untersuchung der externen symbolischen Spuren von Kognition in Diskursen einher ; Diskurs wird dabei sowohl als Resultat der Interaktion von Einzelpsychen gesehen als auch als möglicher Verursacher von einzelpsychischen Phänomenen. Damit hängt eine Untersuchung der externen symbolischen Spuren von Kognition in Diskursen zusammen. Dabei habe man sich die wissenschaftshistorische Entwicklung so vorzustellen: Die erste Generation der Cognitive Science ab den 1950er-Jahren habe sich, nach dem behavioristischen Verdammen der Introspektion als wissenschaftlich valider Methode zur Exploration von Bewusstsein und der Bevorzugung von Verhalten und der Betrachtung von körperlichen Zuständen, wieder massiv dem Bewusstsein zugewandt; dieses sei nicht verkörpert, Körper wie Welt seien nur die Bühnen des Geistes. Davon unterschieden habe die zweite Generation der Cognitive Science das Konzept des verkörperten Geistes (embodiment) entwickelt, das zwischen „Bewusstsein zuerst“-Auffassungen der ersten Generation Cognitive Science und „Körper zuerst“-Auffassungen des Behaviorismus steht: „In this way, by putting mind on the same footing as the world in which we think, act, and communicate, second-wave cognitive science avoids making underlying cognitive processes wholly explanatory of overt verbal as well as nonverbal behaviors. Those behaviors, rather, help constitute the cognitive processes themselves, with which they are related in a feedback loop.61
Mit dem „diskursiven Turn“ in den Kognitionswissenschaften hängt zusammen, dass wesentliche Eigenschaften des menschlichen Geistes nur verstanden werden können, wenn man ihn als distribuiert annimmt: „[M]inds are spread out among participants in discourse, their speech acts, and the objects in their material environment. From this perspective, cognition should be viewed as a supra- or transindividual activity distributed across groups functioning in specific contexts, rather than as a wholly internal process unfolding within the minds of solitary, autonomous, and de-situated cognizers.“62
„Erzählungen“ und das Narrative insgesamt nun haben aus dieser Perspektive nicht nur die Fähigkeit, die Distribuiertheit des Geistes zu repräsentieren (sie bzw. ihn widerzuspiegeln), sondern seien ausgezeichnete Mittel, diese Distribuiertheit über verschiedene Personen, Orte und Zeitpunkte erst zu ermöglichen. Deshalb handeln „Erzählungen“ nicht nur häufig von gemeinsamen ko59 60 61 62
Herman 2007. Harr8 1992. Herman 2007, S. 317f. Ebd., S. 319.
122
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gnitiven Prozessen (als Austausch in Konversationen), sondern das Narrative sei auch durch seine Beschaffenheit distribuiert über verschiedene Teilnehmer an diskursiven Praktiken – zu den intramentalen Eigenschaften des Narrativen kommen seine intermentalen. Im Besonderen spricht Herman das Problem der Qualia an – also ungefähr das, was ich mit der Unterscheidung 1. PZ und 3. PZ eingeführt habe: Qualia werden von manchen verstanden als irreduzible phänomenale Erlebnisse oder Erfahrungen der 1. PZ, die sich nicht in 3. PZ übersetzen lassen: Von einem unüberbrückbaren Graben zwischen diesen beiden Perspektiven ist da die Rede.63 Die entgegengesetzte Auffassung geht davon aus, dass die Reduzierbarkeit von Qualia auf neurophysiologische Zustände möglich sei. Für die Narratologie habe hier David Lodge, dem Herman in seiner Darstellung folgt, eine Zwischenposition eingenommen: „Lodge suggests that narrative fiction, and more specifically the use of free indirect discourse/thought [FID – dt. ungefähr : erlebte Rede], makes it possible to combine ,the realism of assessment that belongs to third-person narration with the realism of presentation that comes from first-person narration‘. […] A key question is whether the notion of qualia, defined as subjective or first-person properties of conscious experience, can be reconciled with the conception of mind as constituted in and through discourse.“
Und mit Blick auf die Rolle von Erzählungen und Narrativem insgesamt dabei: „Can stories not only encapsulate but also provide access to qualia, pace Nagel[64] ? That is, do stories in fact enable us to know ,what it is like‘ to be someone else, and maybe
63 Jackson 1982. 64 Tatsächlich scheint aber eine zumindest methodische, wenn nicht sogar prinzipielle Unbequemlichkeit zu bestehen: Sobald das Erleben der 1.-Person-Perspektive wissenschaftlich untersucht werden soll, wird durch diesen methodischen Zugang aus der 3.-Person-Perspektive auch der Gegenstandsbereich (das zu untersuchende Erlebnis) nicht nur verunreinigt, sondern womöglich auch generell zu einem anderen epistemischen Status gebracht. Dieses Problem beschäftigt seit Langem die analytische Philosophie des Geistes, ein früher zentraler Aufsatz dazu ist „Wie fühlt es sich an, eine Fledermaus zu sein?“. Darin entwickelt Thomas Nagel die Erlebnisqualität der 1.-Person-Perspektive so: „Die Tatsache, daß ein Organismus überhaupt bewußte Erlebnisse hat, impliziert auf der elementarsten Ebene, daß es sich irgendwie anfühlen wird, dieser Organismus zu sein“ (Nagel 2008, S. 231). Diese Kluft zwischen subjektivem, phänomenalem Erleben und dem objektiven Beschreiben, durch welche Mechanismen und Stimuli dieses zustande kommt, kann trotz all der genannten Schwierigkeiten zu schließen versucht werden. Nagel schlägt einen spekulativen Ansatz vor: nicht nur durch das Sicheinfühlen in die Perspektive des erlebenden Subjekts, sondern durch eine objektive Phänomenologie, die die subjektive Natur von Erlebnissen so in einer objektiven Begrifflichkeit zu beschreiben versucht, „daß diese Beschreibung sogar Wesen verständlich wäre, denen die beschriebenen Erlebnisse selbst nicht möglich sind“ (ebd., S. 247).
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also ourselves? More radically, could we even have a notion of the felt quality of experience without narrative?“65
Die Debatte, ob mindreading auf metacognition beruht oder aber umgekehrt66, scheint in der kognitiven Narratologie zumeist in die Richtung von „mindreading kommt zuerst“ entschieden zu sein (wenn nicht gar die Unterschiede als nur graduell angenommen werden).67 Denn innerhalb der kognitiven Narratologie scheint es communis opinio, dass die Differenz zwischen 1. PZ und 3. PZ vernachlässigbar ist.68 Wenn nun künftige Forschung in den Kognitionswissenschaften nahelegen sollte, dass es einen Unterschied gibt zwischen mindreading und metacognition und metacognition zuerst kommt (und darauf mindreading an anderen aufbaut), so könnte man sich fragen: Wäre das desaströs für die gegenwärtige kognitive Narratologie? Dazu ein paar Anmerkungen: Hermans postklassische kognitive Narratologie zielt auf das ab, was er socionarratology nennt. „[B]y building on their understanding of the ,social mind in action,‘ i. e., by drawing on the same sociocognitive processes of attribution they use to make inferences about their own and others’ unstated feelings, motives, and dispositions, readers of literary narrative have no trouble accepting the writer’s premise that fictional minds can be dipped into, reported on, even quoted verbatim by a narrator with no greater thannormal access to his or her own or other characters’ inner experience. Relevant in this context are basic, generic processes by which humans attribute mental properties both to themselves and to their social cohorts.“69
Herman bezieht sich auf die bahnbrechende Studie Transparent Minds von Dorrit Cohn70, in der vor allem die Erzählerperspektive untersucht wird, wenn es darum geht, die inneren Erlebnisse der Figuren in der Erzählung darzustellen (hier kommt also die Frage nach Selbstbeobachtung und mindreading besonders zum Tragen). Die verschiedenen Arten, diese inneren Erlebnisse in fiktionalen Erzählungen darzustellen, lassen sich als Marken auf einer Skala vorstellen und reichen von relativ vermitteltem, distanziertem zu relativ unmittelbarem, direktem Zugang zu den „Bewusstseinen“ der Figuren: Dazu bemerkt Herman: „Drawing on Cohn’s nomenclature, and offered as a preliminary basis for discussion, [the following] Figure extends the scale to include narratorial reports of the characters’ 65 66 67 68 69 70
Herman 2007, S. 320. Vgl. Punkte b) und c) im Kapitel 1.1.1 dieses Beitrags. Vgl. Herman 2003. Herman bezieht sich explizit auf Gopnik 1993. Herman 2003, S. 317. Cohn 1978.
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Relatively direct access
Relatively indirect access Narrator’s reports of characters’ utterances about minds
Narrator’s reports of characters’ mental activity
/
psychonarration
|
narrated monologue
\
quoted monologue
Figure 1. Modes of Consciousness Representation: A Scale Based on Cohn’s (1978) Taxonomy Abbildung aus Herman 2003, S. 319.
own consciousness-representing remarks: At one end of the scale are the narrator’s reports of utterances in which the characters attribute mental states and dispositions to themselves and to one another, or else comment on states and dispositions attested to by their interlocutor. Situated at the diegetic as well as the hypodiegetic levels of the narrative […], these reports show the characters drawing on folkpsychological systems to make sense of their own and their interlocutor’s behavior in the present as well as the past. In terms of the scale presented in the Figure above, these reports provide (relatively) indirect access to the characters’ minds, insofar as inferences about their consciousness need to be based on statements that derive from the characters’ own inferences.“71
Cohn nimmt an, dass in manchen Fällen der Erzähler eine bessere Kenntnis vom Leben und von den inneren Vorgängen der Figuren hat als diese selbst: Dies stehe im Widerspruch zu der dargestellten Auffassung in der Kognitionswissenschaft, dass metacognition vor mindreading komme, und der Ausnutzung dieser Fähigkeit in der erzählenden Literatur. Denn laut Dorrit Cohn berichte der Erzähler vor allem dort, wo die Figuren nicht über ihnen unbewusst bleibende Bereiche ihres Geistes selbst Auskunft geben können, mittels „psychonarration“ über diese subliminalen Zustände. Einer der immensen Vorteile solcher „psycho-narration“ gegenüber den anderen Arten, innere Zustände zu erzählen, liegt für Cohn darin, dass „psycho-narration“ hinsichtlich der verwendeten Wörter unabhängig von „self-articulation“ sei. Zu den angesprochenen Gefahren der Ergebnisse aus den Kognitionswissenschaften (ToM, Introspektion) für die kognitive Narratologie: Ich glaube, es gibt keine. Denn mentale Zustände aufzufinden (detecting), wofür Unterschiede zwischen 1. PZ und 3. PZ bestehen, ist weit weniger wichtig für die Funktionsweise und die Gestalt der erzählenden Literatur, als über solche mentalen Zustände nachzudenken und Schlüsse daraus zu ziehen (wofür es keine Unter-
71 Herman 2003, 319f.
Broken Narratology? Zu einigen neuen narratologischen Theorien
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schiede zwischen 1. PZ und 3. PZ gibt, da sie beide dem Bereich der Interpretation und nicht der Introspektion zukommen). Dasselbe gilt für die zu erwartenden Ergebnisse aus der weiteren Forschung zu „Introspektion“: Wenn der introspektive Zugang zu Urteilen und Entscheidungen (Motivationen) radikal unterschieden wäre von einem 3. PZ, dann käme es wohl zu einigen Problemen, wenn Erzähler in literarischen Erzählungen einen Einblick in das Innenleben der Figuren geben, sei es als Psychonarration oder als einfache Beschreibung der Gedanken dieser Person. Aber ein „letztes Wort“ hat hier wohl weitere kognitionswissenschaftliche Forschung (auch wenn freilich dieses dann „letzte Wort“ durch folgende wiederum „letzte Worte“ korrigiert werden könnte).
2.3
Narrative practice hypothesis contra Introspektion und ToM
Ein weiterer Bruch in der Theorie, die die kognitiven Ansätzen als eine broken narratology im Sinne dessen, was in diesem Band unter „Bruch“ und broken narratives verstanden wird, ausweisen, liegt mit dem rezenten enaktivistischen Ansatz vor. Denn die sogenannten enactivists (für viele andere Shaun Gallagher und Daniel D. Hutto72) schlagen einen gänzlich anderen Ansatz zur Erklärung der menschlichen Fähigkeit vor, sich in andere einzufühlen. Dieser Ansatz trägt den Namen narrative practice hypothesis (NPH), und schon die Bezeichnung macht deutlich: Es geht nicht nur darum, Theorien der Einfühlung und der Möglichkeit, anderen mentale Zustände zuzuschreiben, auf Fragen des Erzählens und als Theoriepräzisierung innerhalb der Narratologie anzuwenden, nein, die NPH zäumt das Pferd andersherum auf. Narration und Narrativität werden als die (psychischen und sozialen) Bedingungen der Möglichkeit zur Einfühlung betrachtet. Insgesamt meinen Gallagher und Hutto, dass ST, TT und MT nicht imstande seien, unsere im Alltag wirksamen Fähigkeiten, die Absichten oder das Verhalten anderer zu verstehen, zu beschreiben. So sei etwa TT zu sehr auf bewusste Beobachtungen anderer aus der 3. PZ unter Ausnutzung eines body of theory gebunden, ST versuche auf der Basis eines 1.-PZ-Modells 3. PZ als eine „Als-obVortäuschung“ zu erklären (aber die zur Erklärung bemühten mirror neurons könnten nicht für Vortäuschung verantwortlich sein – als Neuronen feuern sie oder eben nicht). Stattdessen nehmen Gallagher und Hutto an, dass für das Verstehen anderer 1) intersubjektive Prozesse der Wahrnehmung, 2) pragmatisch kontextuelle Prozesse und 3) narratives Vermögen verantwortlich seien. 72 Gallagher / Hutto 2008.
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In den meisten alltäglichen Situationen der sozialen Interaktion könnten wir durch direkte Wahrnehmung die Absichten anderer verstehen, weil diese Absichten explizit in ihren „verkörperten Handlungen“ ausgedrückt seien. Im Gegensatz zu TT aber sei dafür nicht ein Schließen auf der Basis von Theorien (das Einnehmen einer theoretischen Haltung) oder eine Simulation durch Einfühlung („slip into the mental shoes of others“) notwendig, kein mindreading, keine metacognition.73 Verantwortlich dafür sei, dass wir uns, wenn wir die Absichten und Handlungen anderer direkt wahrnehmen, in Zuständen gemeinsamer Aufmerksamkeit (joint attention) befinden. Entwicklungsgeschichtlich stellen Gallagher und Hutto sich das so vor : „[I]n joint attention, beginning around 9–14 months, the child alternates between monitoring the gaze of the other and what the other is gazing at, checking to verify that they are continuing to look at the same thing. Indeed, the child also learns to point at approximately this same time.“74
Die Wahrnehmung anderer erfolge nicht, indem diese als isolierte Entitäten außerhalb von Situation und Kontext gesehen werden, immer seien die anderen in Kontexte eingebunden und situational verankert in eine intersubjektive Umgebung.75 Aus diesem Grund können die Gründe für das Handeln in bestimmten Situationen, die die Zuschreibung von mentalen Zuständen an andere (z. B. Absichten, Wünsche etc.) erfordern, am besten erklärt werden als „the elements of a possible storyline“76. Die Handlungen anderer (inkl. mentale Zustände) sind am besten zu verstehen, wenn wir uns deren Narrativ vor Augen halten. Solche Narrative erlauben uns, die ratio anderer zu verstehen, auch wenn sie nicht auf den ersten Blick offenkundig ist. Gallagher und Hutto schlagen vor : „We suggest that the pervasive presence of narrative in our daily lives, and the development of specific kinds of narrative competency, can provide a more parsimonious alternative to theory or simulation approaches, and a better way to account for the more nuanced understandings (and mis-understandings) we have of others. Competency with different kinds of narratives enables us to understand others in a variety of ways. Distinctive kinds of narrative encounters are what first allows us to develop our folk psychological competence. Hutto calls this ,the narrative practice hypothesis‘. It claims that ,children normally achieve [folk psychological] understanding by engaging in story-telling practices, with the support of others. […] Stories of this special kind provide the crucial training set needed for understanding reasons‘77. Accordingly, 73 74 75 76 77
Gallagher / Hutto 2008, S. 18f. Ebd., S. 24 Ebd. Velleman 2000, S. 28. Hutto 2007, S. 53.
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children acquire their skilled competence in understanding reasons by being exposed to and by engaging with narratives when appropriately and actively supported by their care givers.“78
Kinder werden also im Laufe ihrer Sozialisation auf bestimmte narrative Praktiken – durchaus im Rahmen ihrer gemeinsamen Lektüren mit den Fürsorgenden, z. B. Märchen etc. – eingeübt. Dies funktioniere deshalb so gut, weil einfache volkspsychologische Narrative ebenso wie komplexere Erzähungen „the moment by moment experiences of fictional minds, as well as the coloration that those experiences acquire from the characters’ broader cognitive and emotional stances towards situations and events“79 repräsentieren. Dafür gebe es auch empirische Belege: Personen, die als Kinder häufig narrativen Praktiken ausgeliefert waren und/oder häufig in Konversationen über Geist verstrickt waren, hätten höhere ToM-Skills als Personen, die dies nicht waren. Auch die in der Philosophie des Geistes eine so entscheidende Rolle spielende Fähigkeit, anderen mentale Zustände zuzuschreiben, sei durch narrative Praktiken zu erklären: „In the case of folk psychological narratives this will normally involve jointly attending to mentalistic terms such as ,wish‘, ,believe‘ and ,know‘ and discussing what the story characters know, feel and want. During this process children learn how these states of mind behave in relation to each other and other terms in the psychological family. Importantly, these attitudes exist in a wider context such that children learn how and why these attitudes matter to the protagonists of such stories.“80
Was aber ist dann Narration bzw. ein Narrativ für Gallagher und Hutto? Sie sind da – mit Peter Lamarque – sehr bescheiden: „A very minimal definition will suffice for our purposes. Lamarque tells us that for something to be a narrative ,at least two events must be depicted in a narrative and there must be some more or less loose, albeit non-logical relation between the events. Crucially, there is a temporal dimension in narrative‘).“81
Narrative dieser Art, aber eben auch Märchen etc. spielen der NPH zufolge eine besondere Rolle in der Entwicklung, wenn sie (die Narrative) zum Gegenstand von joint attention in den frühen Phasen der kindlichen Entwicklung werden.82 Wenn wir andere auf der Basis von Narrationen verstehen, so geschehe dies nicht, indem wir ihnen mentale Zustände zuschreiben (durch ST oder TT), sondern indem wir ihre Einstellungen, Handlungen und Erwiderungen als ganze, situierte Personen wahrnehmen. 78 79 80 81 82
Gallagher / Hutto, S. 28. Herman 2007, S. 147. Ebd., S. 29. Gallagher / Hutto, S. 30. Ebd., S. 30.
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If the emotional character of the other person is not in character with the narrative framework – with the story that I could tell about her and her circumstances – it is difficult to understand that person, the story, or both.“83
Man sieht die anderen als Teile von Narrativen, deren Teil man selbst ist oder nicht oder deren Teil man werden mag. Diese Narrative seien nicht primär darauf ausgerichtet, was in den Köpfen der anderen vorgehe (im Unterschied zu Herman und Cohn!), sondern sie drehen sich um die Begebenheiten in der Umwelt dieser anderen Personen, die wir womöglich mit ihnen teilen. „What is important is that seeking a narrative understanding of the other’s reasons is not a matter of characterizing the other’s ,inner‘ life – if this is understood as a series of causally efficacious mental states. What we are attempting to understand is much richer ; it is the other’s reasons as they figure against the larger history and set of projects, and that is best captured in a narrative form.“84
Gallagher und Hutto werden nicht müde zu predigen: „Crucially, coming to appreciate the other’s story – to see why they are doing what they are doing – does not require a capacity for mentalizing inferences or simulations. Our understanding of others is ordinarily not based on attempts to get into their heads; typically we do not need to access a ,landscape of consciousness‘ since we already have access to a ,landscape of action‘ which is constituted by their embodied actions and the rich worldly contexts within which they act – contexts that operate as scaffolds for the meaning and significance of actions and expressive movements.“85
Dies dadurch, dass unsere Fähigkeiten zu intersubjektivem Engagement und intersubjektiver Interaktion in den späteren Phasen unserer Kindheit eine entscheidende Veränderung erfahren: durch unsere (von den Fürsorgenden unterstützte) Begegnung mit Narrativen.86 Abgesehen von der zweifelhaften empirischen Evidenz, die Gallagher und Hutto für ihre Grundthese anführen, dass sich soziale Interaktion durch den Erwerb der narrativen Fähigkeit entwicklungsgeschichtlich plausibel charakterisieren lasse, machen sie sich meinem Dafürhalten nach einer petitio principii und einer Verkehrung der Explikationsrichtung schuldig. Es sollte meiner Einschätzung nach Gegenstand weiterer Debatten sein, ob die vergleichsweise einfachen und entwicklungsgeschichtlich frühen Fähigkeiten der Einfühlung, die die Basis zum Erzeugen und Verstehen von Narrationen ausmachen, tatsächlich aus der (angenommenen vorausliegenden, universellen) Gegebenheit von Narrationen erklärt werden können. Oder ob umgekehrt die Fähigkeit zu 83 84 85 86
Ebd., S. 32. Ebd., S. 33. Ebd., S. 34. Ebd., S. 34f.
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theory of mind als die entwicklungsgeschichtliche Voraussetzung für das Verstehen von Narrationen angenommen werden muss.
3
Conclusio
Wäre also mit der Bedeutung des Erzählens, dem universalistischen Erklärungsanspruch des Konzepts Narration, tatsächlich zu brechen? Wenn man elaboriertere Konzepte des Narrativen annimmt, als es die KN tut, auf jeden Fall. Dann könnte sich die Brüchigkeit und Vielgestaltigkeit des zu erklärenden Gegenstandes (was man unter „Narration“ und „Narrativ“ eigentlich zu verstehen habe) als jeder theoretischen Anstrengung, die über den bisherigen Theoriestand der KN hinausreicht, wert erweisen. Dies führte auch dazu, die Angebote aus dem Bereich der Kognitionswissenschaften für diese komplexen Formen des Narrativen zu adaptieren und zu nützen – und nicht, wie die Vertreter der NPH dies vorschlagen, umgekehrt. Der Bruch, den die KN in allen ihren Ausformungen als eines neuartigen Theorieparadigmas für ihren Gegenstand, die Erzählung, bislang bedeutet, lässt sich am ehesten als Komplexitätsreduktion mit dem Ziel der fundierten theoretischen Beschreibbarkeit und Funktionalisierbarkeit verstehen. Dies mag aus pragmatischen Gründen zu einem bestimmten Zeitpunkt und damit einhergehend in einem bestimmten Zustand der Theorie (KN) vernünftig sein, muss aber auf lange Sicht einem Eingehen auch auf komplexe Formen des Narrativen und ihrer Theorie (wie sie sich etwa entscheidend als broken narratives manifestieren) weichen. In a nutshell: Der Bruch, den die KN für die Narratologie bedeutet, harrt noch seiner Anwendung auf broken narratives im Sinne dieses Bandes. Denn es sollte die Theorie nicht hinter den Entwicklungen ihres Gegenstandsbereichs hinterherhinken.
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Arno Böhler
Post-Hermeneutik nach Derrida. Erstaunliche Brüche
Wenn es einen gängigen Begriff Y gibt, auf den wir quasi ad hoc zurückgreifen können, um ein Phänomen X unter den Begriff Y zu subsumieren, dann ist das, was uns in einem solchen Modus begegnet, offenkundig etwas Bekanntes. Die rätselhafte Variable X bezeichnet in diesem Fall nichts Rätselhaftes mehr, sondern etwas, das mehr oder weniger in dem Begriff aufgeht, den wir von der Sache zur Verfügung haben. Ganz anders verhält es sich, wenn uns etwas erstaunt. In diesem Fall können wir ad hoc nicht ohne Weiteres angeben, was uns soeben widerfahren ist, weil die Erfahrung, die erstaunt, sich dem Repertoire unserer geläufigen Begriffe gerade entzieht. So als ob sie die Sprache „out of joint“ setzen und aus der Reihe tanzen lassen würde. Dem Narrativ des Staunens eignet offenkundig eine Kraft zum Bruch1. Zumindest für einen Moment stehen wir „ohne Begriff“ da. Unverständig, verwundert. Wir können nicht mehr sagen, womit es bei dem Phänomen, das uns erstaunt, sein Bewenden hat. Das übliche Verfahren unserer Urteilskraft, etwas als etwas zu bestimmen, geht in diesem Fall ins Leere, wodurch dem, was uns verwundert, ein a-hermeneutisches Moment eignet. Etwas zeigt sich, aber im Modus der Unlesbarkeit. Weil sich die Unlesbarkeit des Phänomens im Staunen selbst zeigt, kann der Entzug der Sprache, den wir dabei erfahren, selbst noch Gegenstand einer Erzählung werden, in der sich uns eine wesenhafte Möglichkeit der Sprache selbst zuspricht: ihr Versagen. Das deutsche Wort „sagen“, das sei an dieser Stelle nicht verschwiegen, ist etymologisch verwandt mit sagan: „Sagen, sagan heißt zeigen: erscheinen lassen, lichtend-verbergend frei-geben als dar-reichen dessen, was wir Welt nennen.“2 Das sagende Wort ist das zeigende Wort. Es lässt sehen, indem es uns das, was es sagt, zeigt. Heidegger vermutet in der so gedachten Sage (Zeige) das anfängliche „Wesen“ (verbal) der Sprache. Ihm eignet daher, um 1 Zu dieser Kraft des Bruchs vgl. Derrida 2001, S. 27. 2 Heidegger 1959, S. 200. Vgl. auch ebd., S. 145–155.
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Arno Böhler
mich an dieser Stelle einer Redewendung von Dieter Mersch3 zu bedienen, ein post-hermeneutisches Moment, das uns vor unser eigenes Nicht-sofort-verstehen-und-nicht-sofort-begreifen-Können der Welt bringt. Wenn Friedrich Hölderlin kraft der „Blödigkeit“4 seines „Dichtermuts“ in der zweiten Fassung seiner Hymne Mnemosyne schreibt: „Ein Zeichen sind wir, deutungslos. Schmerzlos sind wir und haben fast Die Sprache in der Fremde verloren“5,
dann dürfen wir diese Sätze wohl als Artikulation einer solchen post-hermeneutischen Erfahrung deuten, ohne den Worten des Dichters allzu viel Gewalt anzutun. Denn erst dort, sagt der Dichter – und wer könnte es uns wohl besser sagen als gerade er? –, erst dort, wo wir die Sprache in der Fremde verloren haben – und zwar fast –, erst dort berühren wir den Quellgrund der Künste: Mnemosyne. Eine kreative, feminine Form von Gedächtnis, von der Hesiod in seiner Theogonie sagt, dass sie die Mutter nicht nur der neun Musen, sondern auch von Philosophie und Wissenschaft sei. Nicht so sehr weil sie die Erinnerung an bestimmte Archive des Gewesenen verwahren würde, an denen es ein für alle Mal festzuhalten gälte, sondern eher schon weil sie, Mnemosyne, das Andenken an eine Zukunft vollzieht, die sprachlich erst entworfen, dichterisch konzipiert, künftig also allererst erschaffen (per-formiert) und hervorgebracht werden muss, um überhaupt im Kommen zu bleiben. Als konstruktives Gedächtnis ist sie, die Gedächtnis, gerade keine museale Instanz einer leblosen Archivierung längst vergangener Zeiten, sondern die Erinnerung an ein historisches Interesse, das uns, wie die Alltagssprache sagt, nicht nur am Herzen liegt, sondern auch braucht, um in seinem Kommen inmitten der Zeit bleibend verwahrt zu werden. Mit Jacques Derrida könnte man sagen, dass es sich bei dem, was auf eine solche performative Art und Weise sprachlich-poietisch ins Kommen geheißen wird, indem Künftiges erzählt wird, um ein dekonstruktives Gedächtnis handelt; um eine Verbindung der Worte „Dekonstruktion“, „Gedächtnis“ und „Zukunft“,
3 Vgl. Mersch 2010, S. 7–30. 4 Dass Kunst und Philosophie nicht so sehr eine Form des Wissens und der Wissenschaft, sondern eine Form von Unwissenheit darstellen, darauf wurde ich vor allem durch die ausführlichen Studien zur Dummheit von Avital Ronell aufmerksam gemacht. Vgl. Ronell 2005. 5 Hölderlin 1953, S. 203ff. Wenn Martin Heidegger in seinem Aufsatz „Hölderlin und das Wesen der Dichtung“ den Anspruch erhebt, dass Hölderlin „in einem ausgezeichneten Sinne der Dichter des Dichters“ schlechthin sei, dann dürfen wir ihm, trotz aller Gewalt, die er der Hölderlin’schen Dichtung vielerorts antut, angesichts solcher Sätze wohl recht geben. Geben sie uns doch einen bedeutenden Wink, was in Kunstwerken geschieht. Vgl. dazu Heidegger 1981, S. 34.
Post-Hermeneutik nach Derrida. Erstaunliche Brüche
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die uns ein Geschehen zu artikulieren nötigen, das sich dem Auf-Bruch eines Kommenden ver-schreiben möchte, das aller zeitlichen Vorgängigkeit entbehrt. „Man könnte desgleichen für Worte wie ,Dekonstruktion‘ oder ,Gedächtnis‘ behaupten: das Gedächtnis ohne zeitliche Vorgängigkeit, das Gedächtnis einer Vergangenheit, die niemals gegenwärtig gewesen ist, ein Gedächtnis ohne Ursprung, ein Gedächtnis der Zukunft, das ist ohne einen über Konvention oder Entsprechung geregelten Bezug zu dem, was wir gewöhnlich Gedächtnis nennen.“6
Als Gedächtnis der Zukunft bricht Mnemonsyne, die Gedächtnis, nicht nur mit dem, was faktisch war. Im Zuge der De-Konstruktion gewesener Verhältnisse bricht sie zugleich auch in eine virtuelle Zukunft auf, die es erst hervor-zu-rufen gilt, indem sie vorab erzählt wird. Auf das Sagen/Zeigen von Zukunft gerichtet, ruft sie das Kommende also hervor, indem sie es vorab vorher-sagt. Da ein solches Hervor-rufen und Vorher-sagen von Zukunft ein Geschehen in Gang bringt, das sich im Laufe der Zeit erst bewahrheiten muss, braucht das Ereignis von Zukunft ein Gedächtnis, in dem das Versprechen seiner Ankunft im Kommen verwahrt wird. – Und das so wesentlich, dass die rituelle Wiederholung des Andenkens an das Künftige diesem erst einen Weg bahnt, indem sie die Geschichte seiner sagenhaften Ankunft wieder – und immer wieder erzählt. In dieselbe Richtung denkt Friedrich Nietzsche, wenn er sich in seiner Schrift Zur Genealogie der Moral die Frage stellt, ob sich die Natur in Bezug auf das Gattungswesen Mensch nicht die paradoxe Aufgabe gestellt habe, „ein Tier heranzuzüchten, das versprechen darf –?“7. Ein solches Tier ist nämlich, gerade so wie der Mensch, immer schon in eine virtuelle Zukunft aufgebrochen, die ihm vielversprechend scheint und die es daher zu besorgen trachtet. Nicht das Gegenwärtige und das Vergangene nehmen das Herz eines solchen Lebewesens fundamental in Anspruch, sondern die virtuelle Aussicht auf ein Kommendes, zu dem es selbst erst unterwegs ist. Gerade ein solcher Auf-Bruch in eine vielversprechende Zukunft verpflichtet aber. Denn: „Wie muss der Mensch, um dermaassen über die Zukunft voraus zu verfügen, erst gelernt haben, das notwendige vom zufälligen Geschehen scheiden, causal denken, das Ferne wie gegenwärtig sehen und vorwegnehmen, was Zweck ist, was Mittel dazu ist, mit Sicherheit ansetzen, überhaupt rechnen, berechnen können […].“8
Um den Bruch zwischen der aktuellen und der versprochenen Zukunft in der Tat überbrücken zu können, braucht ein Lebewesen, das versprechen darf, vor allem 6 Derrida 1988, S. 186f. Zur Interpretation von Mnemosyne als Gedächtnis der Zukunft vgl. auch ebd., S. 66–121 und S. 199, sowie Bahr 2008, S. 153–168; Heidegger 1984, S. 52; Böhler 1996; Böhler 2011. 7 Vgl. Nietzsche 1967–1977, Bd. 5: Zur Genealogie der Moral, S. 291. 8 Nietzsche 1967–1977, Bd. 5, Zur Genealogie der Moral, S. 292.
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eine hoch entwickelte spekulative Begabung. D. h. ein Vernunftorgan, das gelernt hat, zwischen dem Heute und dem Morgen zu unterscheiden und spekulativ Brücken zwischen ihnen zu bauen, indem es das Kommende vorab imaginär zu antizipieren lernt. Gerade so als ob es bloß eine Frage der Zeit wäre, bis das virtuell gegebene Versprechen de facto eingelöst worden sein wird. Ein dekonstruktives Gedächtnis der Zukunft, in dem die freiwillige Bindung an eine verheißungsvolle Zukunft stattfindet, ist für Nietzsche daher das genaue Gegenteil von dem, was einem Lebewesen widerfährt, wenn es von trübseligen Affekten heimgesucht wird, die aus peinigenden Lebenserfahrungen herrühren, die wir in der Vergangenheit erlitten haben. Solche giftigen Erinnerungen überkommen uns nämlich unfreiwillig, zwanghaft, widerwillig. In ihnen möchten wir von einer bitteren Erfahrung der Vergangenheit loskommen, können es aber nicht. Beim aktiven Gedächtnis des Wollens geht es hingegen um die freiwillige Bindung an eine Zukunft, von der wir selbst nicht mehr loskommen wollen, weil sie uns selbst vielversprechend scheint. Wir möchten ihr die Treue halten, ohne dass wir von jemand anderem dazu äußerlich gezwungen oder verpflichtet worden wären, eben weil sie uns selbst stimuliert und daher selbstimmanent antreibt, sie tatkräftig zu besorgen. Bei der Verbindung von „Dekonstruktion“, „Gedächtnis“ und „Zukunft“ handelt es sich also nicht um „[…] ein passives Nicht-wieder-los-werden-können des einmal eingeritzten Eindrucks, nicht bloss die Indigestion an einem ein Mal verpfändeten Wort, mit dem man nicht wieder fertig wird, sondern ein aktives Nicht-wieder-loswerden-wollen, ein Fortund Fortwollen des ein Mal Gewollten, ein eigentliches Gedächtnis des Willens […]“9.
Gerade weil es sich beim Gedächtnis des Willens um das Versprechen eines einmal verpfändeten Wortes handelt, das uns am Herzen liegt, will ein solches Phantasma der Zukunft nicht vergessen werden. Daher verlangt es nach einer Narration, die es am Leben erhält, indem sie sein Kommen vorhersagt und damit bestärkt. „So gedacht, wäre der Mensch ein Versprechen der Sprache.“10 Ob sich ein Versprechen der Zukunft in Zukunft einmal eingelöst haben wird, das wir mit unserem Ja regelmäßig gegenzeichnen („re-signieren“11), steht 9 Nietzsche 1967–1977, Bd. 5, Zur Genealogie der Moral, S. 292. 10 Heidegger 1959, S. 14. Paul de Man beendet seinen Aufsatz „Promises (Social Contract)“ mit dem berühmten Satz: „Just as any other reader, he [Rousseau] is bound to misread his text as a promise of political change. The error is not within the reader; language itself dissociates the cognition from the act. Die Sprache verspricht (sich); to the extent that is necessarily misleading, language just as necessarily conveys the promise of its own truth. This is also why textual allegories on this level of rhetorical complexity generate history.“ De Man 1979, S. 277. Vgl. dazu auch Derrida 1988, S. 125–202. 11 Vgl. Böhler 2008.
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freilich auf einem anderen Blatt. Vielleicht wird die versprochene Zukunft in Zukunft einmal eingelöst? – Vielleicht aber auch nicht? Mit Gewissheit kann man das im Vorhinein nie wissen. Daher muss ein Tier, das ein Versprechen gibt, die Kontingenz der Zeit vorab bejahen lernen. Weiß es a priori doch nie, ob es die Zeit wirklich gegeben haben wird, in der ein gegebenes Versprechen künftig eingelöst worden sein wird oder nicht. Für die unkonventionelle Liebe zur Kontingenz der Zeit mit ihren „broken narratives“ braucht es daher, wie Nietzsche in Jenseits von Gut und Böse schreibt, eine neue Gattung von Philosoph_innen, „[…] die irgend welchen anderen umgekehrten Geschmack und Hang haben als die bisherigen, –– Philosophen des gefährlichen Vielleicht in jedem Verstande“12. Sie unterscheiden sich von klassischen Philosophen dadurch, dass sie zunächst nicht mehr nach unbedingten Gewissheiten streben und erste Prinzipien suchen, sondern jene prekären Zonen der Zeit aufsuchen, in denen etwas allererst in statu nascendi begriffen ist. – Dass etwas erst wird und in Entstehung begriffen ist, macht für sie den alles entscheidenden Reiz einer Sache aus. So als wäre der Akt des Gebärens einer vielversprechenden Zukunft das alleinige Ziel ihres femininen Strebens und der neue Adel ihres Geschlechts. Dass sie den Mut haben, Ereignisse im Vorhinein willkommen zu heißen, ohne zu wissen, ob und wie sie einst gekommen sein werden, macht aber nicht nur die Kardinaltugend dieses neuen Geschlechts von Denker_innen aus. Ihr Gedächtnis der Zukunft ist auch für das Kommen der Zukunft, die sie willkommen heißen, selbst konstitutiv. Braucht das Kommende doch einen Ort, der es willkommen heißt, um selbst bleibend im Kommen verwahrt zu werden. Ohne die feminine Schaffenskraft, die Kommendes a priori bejaht, gibt es demnach keine Zukunft und keinen Aufbruch des Gewesenen in eine veränderte Zukunft. So wie sich die Kraft des Bruchs im Hinblick auf Mnemosyne zuallererst aus dem Auf-Bruch in eine vielversprechende Zukunft bildet und nicht aus dem Bruch mit einer tradierten Vergangenheit, so geht auch die Kraft zum Bruch, die uns im Staunen überkommt, nicht darin auf, mit der stereotypen Unterordnung von Phänomenen unter geläufige Begriffe einfach nur zu brechen. Der weit reizvollere Zug an diesem Affekt liegt darin, dass uns das Nicht-sofort-verstehen-Können einer Sache, die uns erstaunt, nicht einfach nur deprimiert, sondern zugleich auch stimuliert. Ermutigt uns diese Erfahrung doch sogleich, die konstitutive Unlesbarkeit, mit der Erstaunliches daher kommt, über den Umweg der Erschaffung neuer Begriffe13 zu beseitigen, die auch zu neuen Erzählungen 12 Nietzsche 1967–1977, Bd. 5, Jenseits von Gut und Böse, S. 17. 13 Zwar kommt auch ein Bild des Denkens, das sich als Kunst der Erschaffung von Begriffen begreift, ohne Paläonymie der alten Namen nicht aus, auf die es rekursiv zurückgreifen muss, wenn es Begriffen eine neue Wendung (griech. tropus) geben möchte. Aber ein solcher Rekurs auf eine uns überlieferte Sprache des Denkens hat in diesem Fall, in dem sich das
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führen werden. Vielleicht nicht mit einem Mal, aber nach und nach, Schritt für Schritt. In der Sprache Spinozas gesprochen handelt es sich beim Staunen demnach um alles andere als einen trübseligen Affekt, der unser aktives Wirkvermögen vermindern würde. Da das, was erstaunt, unsere Neugierde weckt und unseren Wissensdrang stimuliert, bringt dieser Affekt vielmehr die Aktivierung all unserer Erkenntniskräfte mit sich. Nicht das Gefühl des Mangels an Erkenntnis ist es, das ihn dominiert, sondern eine produktive Neugierde, die uns heißt, der Unlesbarkeit des Phänomens nachzugehen, das uns erstaunt, um sie zu erforschen. Dass sich die antike Philosophie darüber einig war, dass das Staunen (thaumazein) jener ausgezeichnete Affekt ist, der am Beginn allen philosophischen Fragens und Forschens steht, hat hier seinen berechtigten phänomenologischen Grund. Ist es doch jener Affekt, der uns per se zu denken heißt.14 So konnte schon Platon in seinem Theaitetos treffend schreiben: „Denn dies ist der Zustand eines gar sehr die Weisheit liebenden Mannes, das Erstaunen; ja es gibt keinen andern Anfang der Philosophie als diesen […].“15 Und Aristoteles fügt gleich am Beginn seiner Metaphysik hinzu: „Weil sie sich nämlich wunderten, haben die Menschen zuerst wie jetzt noch zu philosophieren begonnen […].“16 Wenn die philosophischen Erzählungen der Griechen das thaumazein übereinstimmend als ästhetische Grundstimmung aller künstlerischen und philosophischen Tätigkeiten gedeutet hatten, dann also aus guten Gründen. – Ist es doch das Pathos des Staunens, aus dem das Denken allererst den Antrieb zum Denken erleidet und damit das Geheiß vernimmt, sich neue Geschichten zu erzählen, die unser Denken narrativ in Gang setzen. Ihm, dem Erzählen erstaunlicher Geschichten, verdankt es sich, weil es ohne einen stimulierenden Affekt, der das Denken allererst ins Denken kommen heißt, mit der Zeit versiegen und zu einer leidenschaftslosen Sache würde, die aufgehört hätte, im wörtlichen Sinne Philo-sophie, Liebe zur Weisheit zu sein. Eine solche lustlose Art zu denken hätte sich dem asketischen Wahn hingegeben, der Affektbasis des Denkens gänzlich entkommen zu können.17 Denken, daran haben in der Neuzeit vor allem Spinoza und Nietzsche wieder
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Denken selbst als arts-based research zu begreifen beginnt, nicht mehr die Restauration eines uns überlieferten Sinns im Sinn; ihr Umgang mit der tradierten Geschichte des Denkens hat vielmehr deren poietische Neuformulierung und tropische Umwendung im Sinn. (Zum Terminus Paläonymie vgl. Derrida 2001, S. 44.) Vgl. Heidegger 1984, S. 6–13. Platon: Theaitetos, 155d, in: Platon 1994, Bd. 3, S. 170. Aristoteles: Metaphysik, I 2, 982b 11 sq., in: Aristoteles 1984, S. 21. Zu einer solchen Wissenschaftskritik vgl. die Webdokumentation meines FWF-Forschungsprojekts Philosophy On Stage#3 (Generating Bodies – Korporale Performanz TRP12G21, 2010–2014): http://homepage.univie.ac.at/arno.boehler/php/?p=2050 [27. 1. 2015].
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erinnert, findet aber konstitutiv „in affectus“18 statt – in und aus einer physischen Form des Affizierens und Affiziertwerdens von einer Welt. Und nicht (nur) gegen den Affekt, gegen die Sinnlichkeit, gegen die Welt der Körper, gegen unseren conatus.19 In Denkern wie Spinoza und Nietzsche ist das Denken sogar dabei, wie uns Nietzsche in einer berühmten Postkarte vom 30. Juli 1881 an seinen Freund Franz Overbeck erzählt, zum mächtigsten Affekt überhaupt zu werden: „Ich bin ganz erstaunt, ganz entzückt! Ich habe einen Vorgänger und was für einen! Ich kannte Spinoza fast nicht: dass mich jetzt nach ihm verlangte, war eine ,Instinkthandlung.‘ Nicht nur, dass seine Gesamttendenz gleich der meinen ist – die Erkenntnis zum mächtigsten Affekt zu machen – in fünf Hauptpunkten seiner Lehre finde ich mich wieder […]: er leugnet die Willensfreiheit –; die Zwecke –; die sittliche Weltordnung –; das Unegoistische –; das Böse […].“20
Die Gesamttendenz des Denkens von Spinoza und Nietzsche liegt nach dieser Äußerung von Nietzsche darin, dass sie beide das Denken als einen Affekt zu denken wagten. Damit haben sie einen epochalen Bruch mit dem asketischen Bild des Denkens vollzogen, das sich selbst in „stoischer“ Manier seit Langem daran gewöhnt hatte, das Denken in Opposition zu den Affekten zu denken. Nicht in affectus, sondern gegen den Affekt; – also ganz und gar nicht als eine eigentümliche, sublime Ausformung eines bestimmten, in einigen Menschen in der Tat dominant gewordenen Affekts. In ihnen sind alle anderen Affekte dem eigenen rationalen Streben mit der Zeit so erfolgreich untergeordnet worden, dass die rationale Umgangsform mit ihren Begierden für sie quasi völlig selbstverständlich geworden ist; zu einer Art zweiten Natur, der sie inzwischen reflexartig, fast instinktiv folgen. Ohne dass sie zu einem solchen Verhalten von anderen eigens überredet werden müssten. Aber wie, wenn gerade hinter dieser Wertschätzung, mit Nietzsche gesprochen, „la bÞte philosophe“ stünde? Jener spezielle Typus von conatus, der sich instinktiv von dieser unbedingten Wert- und Hochschätzung der Ratio das Optimum seines eigenen Begehrens verspricht? Denn:
18 So verwendet Spinoza in der letzten Anmerkung seiner Ethik etwa die Formulierung „de mentis in affectus potentia […]“ Spinoza, 2007, 5p42 s, S. 594, die man nicht nur als „Macht des Geistes über die Affekte“ übersetzen muss, wie es Wolfgang Bartuschat tut, sondern auch als Macht des Mentalen verstehen könnte, wie es in und aus einer Affektbasis heraus getätigt wird. Zu einem Denken „in affectus“ vgl. Bösel / Pudill / Schäfer 2010. 19 Spinoza definiert conatus als das Streben eines real existierenden Körpers, sich im Sein zu erhalten: „Jedes Ding strebt gemäß der ihm eigenen Natur, in seinem Sein zu verharren.“ Spinoza, 2007, 3p6, S. 239. Vgl. Cook 2006, S. 151–170. 20 Nietzsche, 1975–1984, Bd. 6, S. 111f.
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„Jedes Thier, somit auch la bÞte philosophe, strebt instinktiv nach einem Optimum von günstigen Bedingungen, unter denen es seine Kraft ganz herauslassen kann und sein Maximum im Machtgefühl erreicht.“21
Sollte es sich bei der Hochschätzung unserer rationalen Fähigkeiten vielleicht nur um das Streben intelligenter Tiere handeln, die sich gerade von dieser Wertschätzung das Optimum ihrer Kraft und Macht versprechen? Die Ratio, eben als der mächtigste Affekt des animal rationale? Als eine Lebensart unter anderen, aber nicht als die Vernunft schlechthin? „Broken narratives“? Ende einer langen Vernunfterzählung, deren Herrschaftsanspruch in der Postmoderne22 zu bröckeln begann. Auf jeden Fall handelt es sich hier um eine Fragestellung, in der sich eine Forschungslücke in der großen Vernunfterzählung auftut. Deren Blöße kann vermutlich erst von jenen Philosoph_innen des gefährlichen Vielleicht aufgedeckt werden, die ein Denken wagen, das sich selbst als Denken in affectus und nicht mehr gegen die Affekte zu denken trachtet. Gerade dadurch brechen sie nämlich jene asketischen Traditionen des Denkens auf, die das Denken ganz ohne Verunreinigung durch empirische Gehalte in einem Reich „reinen“ Denkens zu bewahren trachteten. Der postmoderne Bruch der großen Erzählung der Vernunft geht demnach Hand in Hand mit dem Auf-Bruch eines neuartigen Bilds des Denkens, das dem femininen Versprechen eines Narrativs folgt, in dem sich das Affekt-Bild des Denkens, seine pathische Fundierung in der Leiblichkeit der Vernunft, auf vielversprechende Art und Weise zu regen und zu melden beginnt. Ob wir das kreative Potenzial dieser Forschungslücke im Denken der Vernunft schon gänzlich verstehen gelernt haben? Oder liegt nicht gerade hier ein immer noch unerhörtes Versprechen verborgen? Das verstörende Versprechen einer Denkungsart, die unser klassisches Bild vom Denken zwar immer noch irritiert, wenn nicht sogar deprimiert, die unser Denken aber durchaus auch stimulieren könnte. Dann nämlich, wenn uns diese sensible Forschungslücke der Vernunft zum Versprechen würde, ein neues Bild des Denkens zu denken, das aufgrund der Tabuisierung des Verhältnisses von Denken und Affekt immer noch darauf wartet, von uns in Opposition zum klassisch-rationalen Bild des Denkens entworfen und gedacht zu werden. Denn „hier ist eine Lücke in der Philosophie – woher kommt das? Weil das asketische Ideal über alle Philosophie bisher Herr war […]?“23 Wer das Denken zu einem Affekt unter anderen erklärt, wie es Spinoza und Nietzsche getan haben, begibt sich mit einer solchen Erklärung notwendiger21 Nietzsche 1967–1977, Bd. 5, Zur Genealogie der Moral, S. 350. 22 Vgl. dazu Lyotard 1990, S. 33–48. 23 Nietzsche 1967–1977, Bd. 5, Zur Genealogie der Moral, S. 401.
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weise in Gefahr. Muss ein solches Narrativ klassischen Philosophen doch wie ein Verrat am Denken anmuten. Denn an einem darf auch für sie nicht gezweifelt werden: an der Unabhängigkeit unseres Denkvermögens gegenüber den Affekten. Dass das Denken die Affekte nicht beherrschen, bändigen und zügeln kann, sondern selbst im Dienste unseres conatus stehen soll, eine solche Doktrin kommt immer noch einem intellektuellen Tabubruch gleich. Denn hier, an diesem wunden Punkt des Denkens, nicht mehr zu fragen, gebietet einem der Selbsterhaltungswille der Vernunft. Alles andere würde einer Kastration des Denkens gleichkommen. Fehlt einer Philosoph_in dieser rationale Instinkt, dann kann man mit Bestimmtheit davon ausgehen, dass man sie noch lange, wie Nietzsche in einem Aphorismus Zur Genealogie der Moral schreibt, immer nur als eine „sogenannte“24 Philosoph_in bezeichnen wird. Wenn Nietzsche gegen Kants Bestimmung des Schönen als interesseloses Wohlgefallen wiederholt die Formulierung Stendhals ins Spiel bringt, dass das Schöne „une promesse de bonheur“25 sei, ein Versprechen von Glück, dann weist diese Kant-Kritik in dieselbe post-hermeneutische Richtung wie die Argumentation, die ich in diesem Text selbst verfolge. Geht es einer post-hermeneutischen Ästhetik, in Abgrenzung zu Kant und Schopenhauer, doch um eine Form von Schönheit, die sich ohne „Erregung des Willens (,des Interesses‘)“26 nicht denken lässt. Denn zumindest die Schönheit, mit der es Künstler_innen im Zuge ihres Schaffens selbst zu tun haben, beinhaltet immer ein affektives, berauschendes Moment. Eine Form von Stimulanz und Lebensbejahung, ohne die die Schönheit, die im Flow künstlerischer Schaffensprozesse am eigenen Leib hautnah erfahren wird, völlig undenkbar wäre. Zumindest für Nietzsche heißt das aber nicht, dass eine dionysische Berauschung unseres Gemüts ganz ohne die Gegenkraft der apollinischen Mäßigung überhaupt auch nur zustande kommen könnte. Ist es doch gerade nicht das ungehemmte, sondern das vornehme Begehren, das er einfordert. Eines, das seine Befriedigung nicht aus der raschen sentimentalen Erfüllung eines kleinen Glücksversprechens zehrt, sondern das sich umgekehrt darauf versteht, Reize, die an uns herangetragen werden, aufschieben zu lernen. Kennt ein vornehmes Begehren doch den Reiz der Sublimation – d. h. jenen Reiz, der aus dem Reiz entsteht, auf einen Reiz nicht sofort stereotyp reagieren zu müssen, indem wir die Widerstandskraft aufbringen, ihn schon im Zuge seiner affektiven Anbahnung verzögern, umbilden, verwandeln, verschieben, umdeuten, umlenken, umbahnen zu lernen. Erst ein solches sublimes Gemüt, das Reize zu sublimieren 24 Vgl. Nietzsche 1967–1977, Bd. 5, Zur Genealogie der Moral, S. 350. 25 Nietzsche 1967–1977, Bd. 5, Zur Genealogie der Moral, S. 347. 26 Nietzsche 1967–1977, Bd. 5, Zur Genealogie der Moral, S. 349.
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versteht, wird für ihn imstande sein, dionysisch, d. h. eben künstlerisch-kreativ, empfinden zu können. Hat es sich doch angewöhnt, auf einen Reiz nicht einfach ohne Weiteres, wie gewohnt, zu reagieren, sondern so, dass es kraft der ihm einwohnenden Kraft zum Bruch die Anbahnung solcher quasimaschineller Reizauslegungen gewohnheitsmäßig unterläuft, indem es ihnen schon im Zuge ihrer Anbahnung einen affektiven Widerstand entgegenbringt, der sie aus ihren vorgefertigten Bahnen wirft und damit auf kreative Art und Weise außer sich geraten lässt. Um ein solches artistisches Gemüt heranzubilden, bedarf es für Nietzsche vor allem der Bereitschaft einer Kultur zur Kultur, in der diese Kraft als kulturelle Leistung gewürdigt und anerkannt wird. In diesem Sinne hat man „[…] sehen zu lernen, man hat denken zu lernen, man hat sprechen zu lernen: das Ziel in allen Dreien ist eine vornehme Cultur. – Sehen lernen – dem Auge die Ruhe, die Geduld, das An-sich-herankommen-lassen angewöhnen; das Urtheil hinausschieben, den Einzelfall von allen Seiten umgehn und umfassen lernen. Das ist die erste Vorschulung zur Geistigkeit: auf einen Reiz nicht sofort reagieren […].“27
Unser Gemüt wird also erst dann zu einer Vorschule der Geistigkeit, wenn jemand in der Lage ist, der Logik vorschneller Reiz-Reaktionsmechanismen gerade nicht zwänglich habituell folgen zu müssen: Nicht einfach stereotyp, nicht einfach mechanisch, nicht einfach ad hoc, nicht einfach geläufig, nicht einfach wie gewohnt, „ohne Weiteres“, reagieren zu müssen, das ist es, was unser Gemüt nach Nietzsche in ein affektives Gespür verwandelt; in eine selbstreflexive Form des Empfindens, als eine selbstständige Form des Denkens, die schon bei der Anbahnung eines Gefühls zu „denken“ beginnt und nicht erst dann, wenn angeblich fertig vorhandene Gefühle vom Verstand reflektiert, analysiert und somit mit mehr oder weniger Geschmack verstandesmäßig bedacht werden. So als ob das Denken und Reflektieren des Verstandes erst eine Ordnung in ein angeblich irrationales Chaos der Gefühle von außen her in sie hineinbringen müsste! In einer Art Radikalopposition zur (heute noch) geläufigen Bestimmung von Künstler_innen als neurotisch überreizten Gemütern spricht Nietzsche solchen Individuen an dieser Stelle geradewegs das Gegenteil zu. Eine künstlerische Begabung zeichnet sich für ihn nämlich genau dadurch aus, dass eine Künstler_in kraft ihres artistischen Gespürs gar nicht anders kann, als affektive Kurzschlüsse zu vermeiden. In ihr lebt und leibt die Kraft des Bruchs, auf einen Reiz nicht sofort konventionell reagieren zu müssen. Diese Schwäche macht die Stärke eines artistischen Gespürs aus. Es verfügt im Gemüt selbst über die Kraft des Bruchs, die es schafft, einen herankommenden Reiz von allen Seiten her 27 Nietzsche 1967–1977, Bd. 6, Götzen-Dämmerung, S. 108.
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umgehen, betrachten, verzögern, aufschieben und hinausschieben zu lernen und damit eben nur umso intensiver, spannungsreicher, reizvoller zu empfinden. Diese affektive Widerstandsfähigkeit ist die Nerven-Kraft, die Künstler_innen auszeichnen muss, wenn sie imstande sein sollen, artistisch zu fühlen. Es ist exakt dieses sperrige, subversive Moment im Vollzug einer Tätigkeit, das Nietzsche im Sinn hat, wenn er in seiner Spätphilosophie Tanzen als ein Adverb deutet, das jede Form des Tätigseins affizieren kann. Dann nämlich, wenn im Wie des Vollzugs eines Aktes schon daran gearbeitet wird, ihn, den zu vollziehenden Akt, wider seine gewohnte Repräsentation unorthodox zu vollziehen und damit performativ aus der Reihe tanzen zu lassen. „Man kann nämlich das Tanzen in jeder Form nicht von der vornehmen Erziehung abrechnen, Tanzen-können mit den Füssen, mit den Begriffen, mit den Worten; habe ich noch zu sagen, dass man es auch mit der Feder können muss, – dass man schreiben lernen muss?“28
Tanzen, das ist für den späten Nietzsche nicht bloß irgendeine Form von Tätigkeit unter anderen. Jede Tätigkeit kann zum Tanzen gebracht werden. Dann nämlich, wenn sie so vollzogen wird, dass sie ihren gewohnten Verlauf im Zuge ihrer Durchführung plötzlich verlässt, indem sie ungewöhnliche, eben erstaunliche Züge annimmt, die überraschen. Tanzen wird ihm so zu einem Synonym für „broken narratives“. Denn so wie im idealistischen Sinne im Prinzip jeder Gegenstand vom Verstand reflektiert und damit in abstrakte begriffliche Formen überführt werden kann – für Idealist_innen gibt es notwendigerweise ein abstraktes Sehen, ein abstraktes Denken, ein abstraktes Schreiben und schließlich auch eine abstrakte Kunst, die ganz im Sinne von Hegel davon lebt, Affekte in begriffliche Konstrukte aufzuheben – eben so, und doch ganz anders, kann für Nietzsche, in einer gerade umgekehrten Wertschätzung zu Hegel, im Prinzip jede Tätigkeit zum Tanzen gebracht werden, indem sie tropisch gewendet und „out of joint“ gesetzt wird. Damit stimmt er mit der ästhetischen Position von Gilles Deleuze überein, der in Was ist Philosophie? über die Künste schreibt, dass von aller Kunst zu sagen wäre: „Der Künstler ist Zeiger von Affekten, Erfinder von Affekten, Schöpfer von Affekten […].“29 Da eine post-hermeneutische Ästhetik eine dekonstruktive Form des Denkens im Affekt praktiziert, befindet sich eine post-hermeneutische Denker_in künftig in derselben Situation wie eine Künstler_in. „Der Text, den er schreibt, das Werk, das er schafft, sind grundsätzlich nicht durch bereits feststehende Regeln geleitet und können nicht nach Maßgabe eines bestimmenden Urteils beurteilt werden, indem auf einen Text oder auf ein Werk nur bekannte 28 Nietzsche 1967–1977, Bd. 6, Götzen-Dämmerung, S. 110. 29 Deleuze 1996, S. 207.
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Kategorien angewandt würden. Diese Regeln und Kategorien sind vielmehr das, was der Text oder das Werk suchten. Künstler und Schriftsteller arbeiten also ohne Regeln; sie arbeiten, um die Regeln dessen zu erstellen, was gemacht worden sein wird. Daher rührt, dass Werk und Titel den Charakter eines Ereignisses haben. Daher rührt auch, dass sie für ihren Autor immer zu spät kommen, oder, was auf dasselbe führt, dass die Arbeit an ihnen immer zu früh beginnt. Postmodern wäre also als das Paradox der Vorzukunft (post-modo) zu denken.“30
Zwar wiederholt auch eine post-hermeneutische Ästhetik die Narration des Bruchs, die schon Derridas Dekonstruktion ausgezeichnet hatte; was in posthermeneutischer Perspektive aber ins Zentrum der Überlegungen tritt, ist der Körper der Sprache. Jenes Moment der Sprache, in dem sie sich selbst materiellen Archiven verschreibt, deren Spuren liest und im Rückgriff auf sie zugleich neue Spuren legt, die sich im Akt ihrer Wiederholung in ihre Archive differenziell einschreiben. Daher genügt es einer solchen Praxis nicht mehr, sich bloß an Begriffen abzuarbeiten. Was sie zu dekonstruieren trachtet, sind vielmehr die quasimaschinellen Automatismen der Sprache, von denen wir eher heimgesucht werden, als dass wir sie selbst bewusst tätigen würden. Eine post-hermeneutische Ästhetik erinnert daher vor allem an den Sachverhalt, dass wir im aufklärerischen Sinne mit Traditionen nicht mehr einfach und ohne Weiteres brechen können, da wir ohne Rekurs auf ihre Archive nicht einmal die einfachsten Tätigkeiten „von selbst“ vollziehen könnten – Gehen, Stehen, Atmen, Schreiben, Unterschreiben usw. Sie alle funktionieren nur kraft eines rituellen Rekurses auf ein materielles Archiv, das uns zum Gebrauch aktuell zur Verfügung steht, sodass wir es zitieren können, ohne dass es von uns selbst hergestellt worden wäre. Die Atmung, die ich zitiere, während ich atme, die Sprache, die ich gebrauche, während ich erzähle, ist nicht von mir selbst entworfen worden. Vielmehr fungiere ich in der first person position zunächst und zumeist als ein Medium solcher archivierter Praxen, die mir ad personam kulturell überliefert wurden, sodass ich auf sie in actu zurückgreifen kann, während „ich selbst“ atme, spreche, denke, fühle … Die Kraft zum Bruch hat im Kontext einer post-hermeneutischen Ästhetik daher nicht mehr den Sinn, mit Traditionen einfach zu brechen, sondern sie aufzubrechen, um sie, wenn nötig, differenziell wiederholen zu lernen, angesichts eines stimulierenden Affekts, der uns vielversprechend erscheint. Damit dieses Versprechen unterwegs bleibt, braucht es eine post-hermeneutische Erzählung, in der die Sage vom Affekt-Bild des Denkens am Leben erhalten wird, um dem Phantasma eines Denkens einen Weg zu bahnen, das nicht mehr gegen die Affekte, sondern mit ihnen – und aus ihnen heraus eine veränderte irdische Zukunft voraussagt. 30 Lyotard 1990, S. 47–48.
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„Broken narratives“, so könnte man resümierend sagen, sind erstaunliche Brüche, in denen sagenhafte Geschichten erzählt werden, die eine Zukunft rufen, deren Kommen im Vorhinein nie mit Gewissheit vorausgesagt werden kann, da ihre Ankunft notwendigerweise erst versprochen ist. In diesem Sinne wird in ihnen immer zu viel gesagt, zu viel versprochen.
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Spinoza, Baruch de: Ethik in geometrischer Ordnung dargestellt. Neu übersetzt, herausgegeben und mit einer Einleitung versehen von Wolfgang Bartuschat, LateinischDeutsch, Hamburg 2007.
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Abgründe des Erzählens: Derrida-Lektüren „Das wissenschaftliche Wissen kann weder wissen noch wissen machen, daß es das wahre Wissen ist, ohne auf das andere Wissen – die Erzählung – zurückzugreifen, das ihm das Nicht-Wissen ist; andernfalls ist es gezwungen, sich selbst vorauszusetzen, und verfällt so in das, was es verwirft, die Petitio principii, das Vorurteil. Aber verfällt es ihm nicht auch, indem es sich durch die Erzählung legitimieren läßt?“1 „Und wenn das Gesetz, ohne selbst von Literatur durchdrungen zu sein, seine Möglichkeitsbedingungen mit der Sache der Literatur (la chose litt8raire) teilte?“2
Erzählungen spielen in unzähligen Texten Jacques Derridas eine wichtige Rolle: Sie begegnen, wie die schwer zu fassende „Literatur“3, entlang der von Derrida unablässig differenzierten Ränder der abendländischen Philosophie als Einsatzpunkte für Problematisierungen, Vorbehalte und signifikante Unwägbarkeiten, aber auch als Inventionen für produktive Verschiebungen diskursiver Usancen. Im Spannungsfeld, das sich zwischen prominenten „postmodernen“ Rekursen auf Erzählungen eröffnet, sind diese Bezugnahmen nicht ohne Weiteres zu situieren oder auf eine einfache Formel zu bringen: Weder handelt es sich um eine monolithische Erzählung der entkräfteten Legitimationskonstruktionen, wie die strategisch entworfenen grands r8cits von Jean-FranÅois Lyotard,4 noch um eine schematische Erweiterung argumentativer Strategien, die unter den rhetorischen Substruktionen wissenschaftlicher Prosa ausgemacht werden, wie bei Hayden White.5 Zwar finden sich bei Derrida an vielen Stellen deutliche Abgrenzungen zu strukturalistischen, vor allem auf literarische Texte ausgerichteten Narratologien,6 doch dienen diese immer als Anlass und Kontrastfolie für eine weiterreichende Reflexion narrativ organisierter Wissensformationen. Kurzum: Ausgehend von Derridas Lektüren ließen sich etliche Erzählungen zur Erzählung auf- und erfinden, die zwar Anklänge der genannten Interventionen aufweisen, vor allem aber zu einer Auffächerung „des“ Narra1 2 3 4 5 6
Lyotard 1994, S. 90f. Derrida, Pr8jug8s, 1992, S. 47. Vgl. Derrida, Literature, 1992, S. 33–75. Lyotard 1994, S. 96f. White 1991, S. 21f. Vgl. u. a. den Exkurs zu Genette, der auch subtil die Kategorie der Zeitlichkeit in Erinnerung ruft, in: Derrida 1994, S. 252f. Der Text geht auf einen 1979 gehaltenen Vortrag zurück und wurde zuerst als „La loi du genre/The law of genre“ in der Zeitschrift Glyph (Nr. 7, 1980) veröffentlicht. Nachfolgend zitieren wir ihn unter der Sigle GG.
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tiven beitragen würden. Da sich diese Erzählungen kaum mehr als Bündelungen verstehen lassen und ihnen per se keine „Synthesis des Heterogenen“ zugrunde liegt,7 zeigen sie vielmehr die paradoxen und aporetischen Potenziale des Erzählens auf, um die enormen Bewegungsspielräume narrativer Texte nicht nur zu perspektivieren, sondern diese auch für weitere Texte zu mobilisieren. Anstatt der Erzählung primär eine Tendenz zur „Konsonanz“ zuzusprechen,8 die noch brüchigste Fakten zu arrangieren vermag, betonen Derridas Lektüren die vielfältigen agonistischen Potenziale jeder narrativen Verbindung, um die andernfalls wirksamen hegemonialen Effekte einhegender Ordnungen in Erinnerung zu rufen. Dabei steht der metaphorisch angereicherte Ausdruck der „Lektüren“ – der Derridas eigene, textnah entfaltete Theoriearbeit umschreibt – angesichts dieser epistemisch-politischen Reflexion ebenfalls in einem Spannungsverhältnis zu jeder „schließenden“ Anordnung. Wenn die Erzählung nicht das Andere des wissenschaftlichen Diskurses darstellt, wie es das Motto Lyotards nahezulegen versucht, sondern in Derridas Formulierung auf geteilte „Möglichkeitsbedingungen“ zwischen Ordnung und Anomalie verweist, partizipieren Lektüre und Erzählung gleichermaßen, wenn auch auf je unterschiedliche Weise, an den komplexen Voraussetzungen sprachlicher Signifikation. Um eine solche Auseinandersetzung zwischen Derridas Vorgehensweise und den fruchtbaren Spielräumen der Erzählung nachzuzeichnen, versuchen wir nachfolgend Derridas Vortrag bzw. Aufsatz Das Gesetz der Gattung als eine Lektüre zu rekonstruieren, die nicht nur von einer Erzählung handelt, sondern – indem sie sich sogar ausdrücklich mit einer Erzählung identifiziert9 – ein besonderes Naheverhältnis entwickelt und ausstellt. Und zwar indem sie spielerisch die spezifischen Überschneidungen eines reflexiven, differenzsensiblen Schreibens mit der anomischen Produktivität der Erzählung umsetzt und inszeniert. Eine besondere Erzählung, nämlich Maurice Blanchots La folie du jour,10 übernimmt darin die Rolle, die Präsumtion trennscharfer Kategorisierung, als fundierendes Prinzip moderner Wissenschaftlichkeit, zu destabilisieren: „Seit jeher konnten alle Gattungen von Gattung die Rolle des Ordnungsprinzips spielen: Ähnlichkeit, Analogie, Identität und Differenz, taxinomische Klassifikation, Anordnung und Stammbaum, Ordnung der Vernunft, Ordnung der Gründe, Sinn des Sinns, Wahrheit der Wahrheit, natürliches Licht und Sinn der Geschichte. Die mit Eine 7 8 9 10
Vgl. Ricoeur 1998, S. 106. Ebd., S. 66. GG, S. 282. Blanchot wird zitiert nach der deutschen Ausgabe: Blanchot 1979. Derrida rekurriert auf den Text auch unter seinen (wechselnden) Gattungsbezeichnungen als Eine Erzählung bzw. Eine Erzählung?
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Erzählung? vorgenommene Probe hat nun den Wahnsinn der Gattung an den Tag gebracht.“11
Deutlich wird bereits anhand dieser kurzen, das Ende des Aufsatzes einleitenden Passage, dass es die traditionellen Prinzipien des „logischen“ Arrangements, der Ordnung und Anordnung im Text sein werden, denen Derridas Auseinandersetzung gilt. Anders als Lyotard, der einen umfassenden, legitimierenden Bogen als „Erzählung“ auffasst, nimmt Derridas Beitrag seinen Ausgang von einer kleinteiligeren Ebene der Betrachtung: Nicht Sätze und Satzverbände, große narrative Muster und Emplotments werden befragt, sondern die Annahme als solche, ob homogene Einheiten, also Sinn-Einheiten im akribischsten Sinne, formuliert, arrangiert und eben einer größeren Ordnung zugeführt werden können, um in weiterer Folge aus dieser Ordnung eine „natürliche“ Entsprechung zur Ontologie und damit einen Wahrheitsanspruch abzuleiten.12 Die Erzählung erscheint angesichts dieser fundierenden Frage des Arrangements von „Einheiten“ gleich mehrfach als eine problematische Größe: Auch sie stellt einen Zusammenhang her, verzichtet allerdings auf die systematischen Ansprüche, die mit einer wissenschaftlichen Ordnung einhergehen. Der von ihr etablierte Sinn verspricht, mit Vagheiten und changierenden Elementen eine andere, doch auch auf Kohärenz basierende Verknüpfung leisten zu können. Zudem ist auch Derridas Vorgehensweise orientiert an Unschärfen und Unentscheidbarkeiten, die sich aus der rigorosen Befolgung ergeben, die Gattungen als penibles Ordnungsprinzip zu respektieren. Seine eigene Rekonstruktion dieser Befragung, die dem an Reinheit und Distinktion hängenden „Gesetz der Gattung“ eine notwendige, immanente Selbst-Verunreinigung diagnostizieren wird, etabliert auch eine Gegenerzählung zum Prinzipieninventar moderner Wissenschaftlichkeit, indem sein Text eine Erkenntnis inszeniert, die über den reinen Ordnungsanspruch hinauszuführen vorgibt. Dieser Lektüregang Derridas ist es, der selbst als „Erzählung“ bezeichnet wird und insofern selbst für sich beansprucht, unentscheidbare Überkreuzungen von Sinnen – anstelle von diskreten Sinn-Einheiten – zu assoziieren, um ihnen einen weiterreichenden „Sinn“ abzuringen. Der verschobene Erkenntnisanspruch, der darin liegt, wird über einen scheinbar kontrastiven Abgleich zweier Vorgehensweisen versucht: Im ersten Teil von Derridas Lektüre erfolgt (vor allem) eine immanente Kritik der homogenisierenden Klassifikation, um zu zeigen, dass der Reinheitsanspruch der Taxonomie aus sich heraus zu Verwerfungen führt, die keine Systematisierung integrieren kann. Das Gesetz, das auf Grenzziehung zwischen Elementen besteht, pervertiert sich selbst, indem es ein Gegen-Gesetz auf den Plan ruft, das ihm unausweichlich zuwiderlaufen muss. Nachfolgend widmet sich der zweite 11 GG, S. 282f. 12 Vgl. die expliziten Hinweise zur Naturalisierung von theoretischen Strukturen ebd., S. 253.
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Abschnitt des Textes eingehend den Besonderheiten von Blanchots Der Wahnsinn des Tages, also Wendungen, die mit den scheinbar notwendigen Anomalien der Klassifikation korrespondieren, indem sie bewusst Unschärfen konstellieren, disseminative Bedeutungsfelder montieren und in scheinbar aporetischer Weise zu einer Erzählung verklammern – einer Erzählung also, deren Zusammenhang eher trotz ihrer „Elemente“, nicht in der Entwicklung ihres „Ablaufs“ besteht. Wenn aber all die oben zitierten Agenturen, die an der Etablierung von Kohärenz und Wahrheit beteiligt sind, nicht nur inhaltlich kritisiert, sondern selbst ein Stück weit suspendiert werden, indem die Lektüre der überbordenden Gegenlogik Blanchots folgt, welche Auswirkungen hat dies für die Inszenierung dieser Verunsicherung in Derridas eigener Lektüre? Die bereits oben angeführte Liste jener Strategien von Wahrheitskonstitution, die Derrida resümierend disloziert, bietet einen ersten Ansatzpunkt, um nach Umwertungen und Alternativen in Das Gesetz der Gattung Ausschau zu halten. Doch auch die prominente Stellung des „Wahnsinns“, der delirierenden Erzählung als solcher, verweist auf latente Leitfragen des Textes, die nur in einem proleptischen Sinne kurz genannt werden sollen: Wie kann Blanchots Der Wahnsinn des Tages nicht nur als ein bloßes Beispiel, als eine Illustration der zuvor „argumentativ“ entwickelten Kritik gelesen werden? Gelingt es, die Erzählung als funktionale Erweiterung zum apophantischen Diskurs der Wissenschaft, nicht nur als kunstvoll andere, kaum anschlussfähige Formvariante zu verstehen? Und daran anschließend: Sollten beide Diskurse durch eine fundierende Unentscheidbarkeit, eine sie bedingende Aporie verbunden sein – wie durch das sich selbst subvertierende „Gesetz“ suggeriert wird –, wie ließe sich diese nicht als Neutralisierung, sondern als produktiver Ausgangspunkt begreifen? Entlang dieser Fragestellungen, die sich gewissermaßen von Derridas vermeintlicher conclusio13 her formulieren lassen, wird der Text nun zweifach durchmessen: Zuerst folgen wir den Figurationen, die im Verlauf der „Argumentation“ explizit angeführt, entwickelt und in Stellung gebracht werden. In einem zweiten Lektüredurchgang werden zudem einige der Bewegungen, Gesten und Strategeme des Textes nachvollzogen, die als ein alternatives, doch wirksames Arrangement der genannten Figurationen verstanden werden können. Beide Lektüren zielen darauf ab, nach den produktiven Implikationen zu fragen, die eine von der Erzählung ausgehende Suspension wissenschaftlicher Sprechweisen bedingt. Unsere These wird dabei lauten, dass diese Frageperspektive zu einer Schreibauffassung führt, die sich nicht durch eine tradierte Argumentationslogik legitimiert, sondern den Fokus auf ein reflexiv-ethisches Register hin 13 Genauer ließe sich von einer figurierten „Klusion“ sprechen, die weiter unten rekonstruiert wird; vgl. ebd., S. 261.
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erweitert, um eine „strukturelle“ Verantwortung des Textgeschehens zu übernehmen. In diesem Sinne verlangt es uns nun in dreifacher Hinsicht nach Erzählung: Nach einer bestimmten Rolle der Erzählung als funktionale Alternative zum apophantischen Diskurs der Wissenschaft als Statthalter eines „Ordnungsprinzips“, das sich dadurch ausweist, dass es diskrete Sinn-Einheiten stiftet, identifiziert und klassifiziert; nach einer Erzählung von einer Erzählung, die, indem sie sich als bloßes Beispiel entzieht, die Konstitution des Exemplarischen bzw. der Beispielhaftigkeit infrage stellt; und, aus einer reflexiv-ethischen Perspektive, nach einem Verlangen nach Erzählung, das von einem „Recht, alles unter [seinen] Augen zu haben“14, von dem Verlangen nach „Panoptik“ und „Synopsis“15 absieht.
Erste Durchführung: Figuren lesen I Ouvertüren Es verlangt uns also nach Erzählung. Dieses Verlangen wurzelt in den drei Enden, die sich am Ende des Gesetzes der Gattung mit einer Erzählung eröffnet haben und mit denen wir den Ausgang für unsere Lektüren der Lektüren genommen haben. Wir sind am Anfang angekommen. An diesem Anfang wiederum haben wir es mit zwei offenen Enden zu tun, mit einer Satzellipse – „Die Gattungen nicht vermischen“ (S. 247) – die zur Ouvertüre sowohl als konstativer als auch als performativer Sprech-Akt inszeniert wird. Die Inszenierung dieser Ouvertüre, dieser Eröffnung, legt die beiden Enden vor uns hin, legt sie in die Ohren der Zuhörer_innen,16 in die Augen der Leser_innen17 und lässt gleichsam in einem Atemzug, mit einem Federstrich ihre Verschränkungen anklingen: Während das betont deskriptive Ende mit einer gewissen Disposition der Hörer_innen, der Leser_innen rechnet – „[Sie] werden in der Lage gewesen sein, die 14 Ebd., S. 276. 15 Ebd., S. 276. 16 Das Gesetz der Gattung war zunächst ein Vortrag im Rahmen eines Kolloquiums über „Die Gattung“, das in Straßburg 1979 von Jean-Jacques Chartin, Philippe Lacou-Labarthe, JeanLuc Nancy und Samuel Weber veranstaltet wurde. 17 Publiziert wurde Das Gesetz der Gattung zweisprachig in der Zeitschrift Glyph Nr. 7/1980, in englischsprachiger Übersetzung in der Zeitschrift Critical Inquiry No 7/1980 sowie in dem von W. J. T. Mitchell herausgegebenen On Narrative – der Band stellt eine Erweiterung der Ausgabe der Zeitschrift Critical Inquiry dar, die ihrerseits aus einem Symposium zum Thema „Narrative: The Illusion of Sequence“ (University of Chicago 1979) hervorgegangen ist; die deutschsprachige Übersetzung, aus der in weiterer Folge zitiert wird, findet sich in Derrida 1994, S. 245–283.
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vorweggenommene Deskription zu vernehmen“, werden wir am anderen Ende, dem betont an//ordnenden, hörender- oder lesenderweise mit Möglichkeitssinn ausgestattet – „Sie könnten ,nicht die Gattungen vermischen‘ auch als kurzen Befehl […] verstehen“ (S. 248). Eine „neutrale“ Feststellung, die wir auf eine gewisse Art und Weise zu verstehen gehabt haben werden, und eine Anordnung, die wir möglicherweise als eine solche aufgefasst haben könnten. Schon an dieser Stelle also zeichnen sich die Verschränkungen als jene Bewegungen ab, die das Eine und das andere Eine ablösen und es im Hinblick auf ein Sowohl-alsauch bzw. auf ein Weder-noch hin öffnen: Die offenen Enden zeigen sich insofern nicht als zwei voneinander eindeutig zu unterscheidende Anknüpfungspunkte, sondern als Auftakte einer – nun ja, einer Erzählung? einer Komposition?, in der es darum geht, „die Gattungen nicht [zu] vermischen“, bzw. darum, dass einer, „ich“, „die Gattungen nicht vermischen [wird]“.
Anordnungen folgen Und mit ihm, mit „ich“ gemeinsam, werden auch wir die Gattungen nicht vermischen, zumindest solange wir ihm folgen – ihm folgen können, indem wir uns als diejenigen verstehen, die „in der Lage gewesen sein werden, die vorweggenommene Deskription zu vernehmen“, bzw. ihm folgen, indem wir die Anordnung möglicherweise als eine solche auffassen und ihr dementsprechend Folge leisten werden. Futur und Infinitiv kreuzen sich auch an dieser Stelle: Ihm, „ich“ folgen. Wir werden ihm, „ich“, folgen. Wir wiederholen: „ich“, ihm, folgen. Sowohl eine Feststellung als auch ein Versprechen werden wir also gemacht haben, um zu sehen, dass sich eine Grenze abzeichnet, „sobald man [Hervorhebung E.S.] das Wort „Gattung“ vernimmt, sobald es erscheint, sobald man [Hervorhebung E.S.] versucht, es zu denken […]“ (S. 248). Et nous voil/! Schon haben wir uns verallgemeinert, sind zur dritten Person in ihrer allgemeinsten Form geworden und haben uns aus einer Affäre gezogen, die doch – im Hinblick auf unser Verlangen nach Erzählung – einen etwas zwielichtigen Ausgang genommen hat mit ihren offenen Enden, die nicht so einfach auseinanderzuhalten gewesen sind. Nach dieser Ouvertüre scheint das, dem wir folgen, seine Fassung zu gewinnen und wir dadurch an Boden: Denn wenn wir uns mit ihm, mit „ich“, gemeinsam aufheben können in diesem Gattungstext, uns gemeinsam auswachsen können zu einer dritten, einer neutralen – ja, vielleicht sogar auktorialen – Person, dann werden wir nicht mehr ihm, nicht mehr „ich“ Folge leisten (in all diesen seltsamen Verstrickungen zwischen uns), sondern dem Gattungstext im Namen der Gattung. Wir werden uns einfach aus dem Staub machen. Wir werden uns als dritte Person aus dem Staub machen, der sich auf allen Texten, in denen die Gattungsfrage behandelt, abgehandelt und tradiert worden
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ist, angesammelt hat. Schon sind wir dabei, die Anknüpfungspunkte zu sondieren, sie auseinanderzuklauben, um die Quellen bündeln zu können zu Strängen, um den Gattungstextkorpus zu sichten, zu sequenzieren und in Ordnung zu bringen, als uns – wenige Zeilen später nur – Folgendes mitgeteilt wird: „Aber das ganze Rätsel der Gattung liegt vielleicht in nächster Nähe jener Teilung zwischen den beiden Gattungen der Gattung, die weder trennbar noch untrennbar sind, die ein ungewöhnliches Paar der einen ohne die andere bilden, wobei jede regelmäßig in der Figur der anderen herbeizitiert wird, und gleichzeitig und ununterscheidbar ,ich‘ und ,wir‘ sagt (ich, die Gattung, wir, die Gattungen), ohne dass man dabei stehenbleiben könnte zu denken, dass das ,ich‘ eine Art (espHce) der Gattung ,wir‘ ist. Denn wer wird uns davon überzeugen, dass wir, wir beide zum Beispiel, eine Gattung bilden oder ihr angehören?“ (S. 249)
Et nous voil/ encore! Doch anstatt uns aufzuheben in einer dritten, einer neutralen Person, wird die Abfolge zwischen „ich“ und „wir“, zwischen je und nous, zusehends undeutlich, zu einem „ungewöhnlichen Paar“ sind ich-wir, je-nous, geworden, das sich als ähnlich „ununterscheidbar“ zeigt wie die beiden Enden, die uns zu Beginn vorgelegt worden sind.18 Da stehen wir nun an der Grenze, die wir, nachdem wir auf das „Rätsel der Gattung“ gestoßen sind, besonders streng einzuhalten angehalten, ja beordert sind (vgl. S. 249f.). Und wir leisten Folge. Wir folgen und treffen auf die Wirbel, die das Rückgrat der Gattung und ihres Gesetzes ausmachen werden: Vom „Gehorsamsschwur“ (S. 249) gelangen wir zur „Wette“ und zur möglichen Kontamination des Gesetzes (S. 250); von den kontaminierenden „Anomalien“ wiederum zu „[ihrem] gemeinsamen Gesetz“, das darin besteht, dass sie „durch Wiederholung erzeugt [werden]“, durch „Zitation“ oder durch „Erzählung (r8-cit)“ (S. 250); vom Zitat, das „im strengen Sinn alle möglichen kontextuellen Konventionen, Absicherungen und Protokolle bezüglich der Art der Wiederholung, der codierten Zeichen […] [impliziert]“, geht es weiter zur „Erzählung, die Diskursform, -modus (mode) oder -gattung und schließlich […] sogar literarischer Typus ist“ (S. 250); diese Zuspitzungen dessen, was „Erzählung“ ist, laufen in weiterer Folge, die auch wir leisten, wiederum aus zu „einem gewissen Zusammenhang, zwischen dem, was gerade geschehen ist [also der Ouvertüre mit den offenen Enden], und dem Ursprung (origine) der Literatur, und ebenso zwischen dem ihr Angestammten (aborigine) und ihren Fehlschlägen“ (S. 251); der „Blickwinkel“ wird dadurch „verengt“, und wir folgen „ich“, der sich auf „eine Gat18 Dieses „ununterscheidbare Paar“ wird uns später, nach der zweiten Kreuzung, noch einmal begegnen, und wir werden uns wieder mit diesem je-nous, diesem genou herumschlagen, diesem ich-wir, diesem Knie, das sich gebeugt haben wird aus eigenem Verlangen. Vgl. S. 160.
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tungsartsorte (sorte d’espHce du genre)“ (S. 251) „beschränkt“, woraufhin sich „die Beispielhaftigkeit mit ihrem ganzen Rätsel“ (S. 252) zeigt; von der „Logik des Beispiels“ kommen wir (zurück? – nein, nicht ganz, wie wir sehen werden) zum kontaminierten „Gesetz der Gattung“, oder vielmehr zum „Gesetz des Gesetzes der Gattung“, das „genaugenommen ein Prinzip der Kontamination, ein Gesetz der Unreinheit, eine Ökonomie des Parasitären [ist]“ (S. 252); wir glauben schon zu bemerken (remarquer), dass wir uns in und mit diesen Bewegungen, denen wir folgen, vielleicht doch dem Kern einer Sache nähern, einer Sache wie dem Gesetz der Gattung zum Beispiel, das uns vielleicht dazu angehalten haben wird, „die Gattungen nicht zu vermischen“, als wir schon wieder mit dem Exemplarischen und seinen Unentschiedenheiten – den „Teilhaben ohne Zugehörigkeiten“ (S. 252), den Randerscheinungen des Zugehörigkeiten begründenden „Verhältnis[ses] von Natur und Geschichte, von Natur und ihrem jeweils Anderen“, sowie der bekannten Antinomie der selbst unklassifizierbaren Klassen (S. 254) – konfrontiert werden.
Wendepunkte Vor uns falten sie sich also auf, die Gesetzmäßigkeiten und Zugehörigkeiten, die Kontaminationen und Exempel, doch anstatt uns ein für alle Mal emporzuheben auf die uneinnehmbare Warte der dritten Person in ihrer allgemeinsten Form, stehen wir vor Bezügen und Selbstbezügen, die sich nicht so einfach, nicht so mir nichts, dir nichts, aufheben. Mit einem Wort: Wir nähern uns in und mit diesen Bewegungen, die sich schon zu Beginn angesichts der offenen Enden angekündigt haben und denen wir Folge geleistet haben, jenem Punkt an, an dem es darum gehen wird, die Gattungen nicht zu vermischen. Es geht schließlich ums Ganze und um seine unmögliche Klassifizierung, um das „Gesetz der Gattung“ und um seine Kontamination durch sein Gesetz, um das Beispiel und um die beispielhafte Unmöglichkeit des Beispiels. Vor uns liegt mehr als das Ganze, dessen Ränder wir abgegangen sind, indem wir Folge geleistet haben, indem wir Feststellung und Versprechen, Deskription und Präskription nicht ordnungsgemäß auseinandergehalten haben, da wir einer Anordnung gefolgt sind, die darin besteht, nicht in diesem Sinn zu unterscheiden, in einem gewissen Sinne nicht zu unterscheiden. – Wie bei einer Erzählung, nicht? – Wir sind ihr also gefolgt, dieser Anordnung, wir haben sie befolgt und sind nun an jener Stelle angekommen, an der es um etwas mehr geht als darum, die Gattungen nicht zu vermischen. Dieses Verfahren, die Ränder einer als gegeben angenommenen und vorausgesetzten Gesamtheit abzugehen, indem die Bedingungen ihrer Konstitution und ihrer Klassifikation befragt werden, führt zu einer „Invagination“ (S. 252),
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einer Einstülpung: Das Ganze, um das es geht, das wir also entlang seiner Grenzen abgegangen sind, umschließt aufgrund dieser Wege, dieser Randgänge, mehr als sich selbst. Die Möglichkeitsbedingung des „Gesetzes der Gattung“ kontaminiert das Gesetz ebenso wie die Erzähl(an)ordnung die sequenzielle, kausalchronologische Abfolge diskreter sinn- und identitätsstiftender Momente: Blieben wir innerhalb einer Erzählung, würden wir also die Anordnung, zu erzählen, überhören und übersehen, würde es uns gar nicht in den Sinn kommen, zu unterscheiden, Unterscheidungen vorzunehmen und die Möglichkeitsbedingungen von Erzählung, von Gattung oder Modus, von Klassifikation zu befragen. Wir werden es aber mit einer Erzählung zu tun bekommen, in welcher die Erzähl(an)ordnung auftritt, auftaucht, ebenso wie das Gesetz, das, weder in Der Wahnsinn des Tages noch in Das Gesetz der Gattung, ausschließlich im Verborgenen, im Dunkeln operieren und sich insofern einer Befragung, einer Konfrontation und Auseinandersetzung entziehen kann. Die Figur dieser ersten „Invagination“ hat uns also an einen Rand von Das Gesetz der Gattung geführt, an eine „Schwelle“, an der es „unmöglich [ist] zu entscheiden, […] ob sich der vielleicht exemplarische Text […] zur Unterscheidung von Modus und Gattung eignet“ (S. 256). Bei diesem „vielleicht exemplarischen Text“ handelt es sich um eine Erzählung, um Der Wahnsinn des Tages, und diese Ankündigung der Erzählung und ihrer möglichen Beispielhaftigkeit führt uns wieder „zur Unterscheidung von Modus und Gattung“, wobei an dieser Stelle, im Hinblick auf den „vielleicht exemplarischen Text“, der auch „Prüfstein“ sein soll, die „Erzählung“ mehr sein soll als ein Modus, „der als unmöglicher in Praxis überführt und auf die Probe gestellt wird“ (S. 257). So wie die Modus-Gattung-Unterscheidung durch die „Erzählung“ „auf die Probe gestellt wird“, wird wenige Zeilen später durch die „Erzählung“ und ihre Ankündigung („[d]ie Erzählung, von der ich gleich sprechen werde“) die „Unmöglichkeit der Erzählung“ (S. 257) als Thema einer Erzählung eingeführt. Wir stehen nun an einer „Gattungsschleuse“, einer „Gattungsklausel“, die „deklassiert, was sie zu klassifizieren erlaubt“, und die „der Genealogie oder dem Gattungswesen, das sie doch erst hervorbringt, die Totenglocke [läutet]“ (S. 261). Durch diese Schleuse hindurch erahnen wir eine Figur, die Figur einer Erzählung, die gleich, jetzt gleich in das Geschehen einbrechen wird, die – endlich! – zum vielleicht entscheidenden Player werden wird in diesem Gattungsgemenge.
Einer Erzählung folgen Wir halten den Atem an, um den Augenblick des Erscheinens unserer Figur einer Erzählung, die wir uns nun vorstellen wie „diese unvorstellbare Figur der Klu-
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sion“ (S. 261), nicht zu versäumen.19 Wir halten den Atem an und – aber nein! wir beginnen wieder mit den Enden, an dieser Stelle nehmen wir wieder einen Ausgang, der sich öffnet, um uns mitzuteilen, dass „das“, wovon jetzt gleich die Rede sein wird, „vor allem nicht: diese Erzählung“ heißen wird, sondern dass „dieses Gebilde“ (S. 261) „von Rechts wegen“ seinen Eigennamen tragen, bei seinem Eigennamen gerufen werden wird – Der Wahnsinn des Tages. Noch – wir ahnen schon – soll keine Rede sein von einer Erzählung, wir stehen vor den beiden Enden, vor der ex negativo benannten Textstruktur einerseits, vor dem Ende einer Editionsgeschichte („seinen Eigennamen […], den es von Rechts wegen trägt und unter dem man es seit jenem Datum im d8pit l8gal der BibliothHque Nationale mit Recht identifiziert und klassifiziert“ [S. 261f.]) andererseits. Da stehen wir nun und nehmen den Faden wieder auf, jenen Faden, dem wir folgen werden, um (vielleicht) doch noch zu unserer Figur, zur Figur namens Eine Erzählung zu gelangen. Mit diesen beiden Enden in der Hand legen wir ab, legen wir los und erfahren zunächst, dass „der topos des Blicks“ (S. 262) Der Wahnsinn des Tages eingeschrieben ist und dass wir, gemeinsam mit ihm, mit „ich“, lesend „zur Auswahl“ gezwungen werden, dass „dieses polizeimäßige Vorgehen“ (S. 262) dem Text Der Wahnsinn des Tages inhärent ist und dass er ihm, diesem „Vorgehen“, gleichzeitig „den Prozess“ macht. Was also verlangen wir von ihm, von Der Wahnsinn des Tages, indem wir „polizeimäßig“ vorgehen? Es verlangt uns nach einer Erzählung, die uns exemplarisch die Unmöglichkeit einer beispielhaften Erzählung vorführt. Wir suchen, mit ihm, mit „ich“ gemeinsam, eine Zeugin, die Zeugnis darüber ablegt, was „der Text zum Gesetz der Gattung oder zum Gesetz des Modus zu sagen hat [oder] genauer : zum Gesetz der Erzählung“ (S. 262). Wir nehmen die Fährte auf und beginnen, Indizien zu sammeln: Nein, auf dem Cover, dem Umschlag findet sich kein Hinweis auf eine Gattungszugehörigkeit, aber im Text, „auf den letzten beiden Seiten [erscheint das Wort ,Erzählung‘ mindestens viermal]“ (vgl. S. 262f.). Dieses Wort „Erzählung“ ruft auch eine Erzählung auf den Plan, so scheint es zumindest: „Aber das Wort ,Erzählung‘ erscheint mindestens viermal auf den beiden letzten Seiten, und es soll das Thema von Der Wahnsinn des Tages benennen, die Bedeutung oder die Geschichte, den Inhalt oder einen Teil des Inhalts, in jedem Fall den entscheidenden Vorgang und den entscheidenden Einsatz. Der Wahnsinn des Tages ist eine 19 Die paradoxe Verschränkung von Einschluss und Ausschluss, welche die Klusion figuriert, wird in Das Gesetz der Gattung auch durch den Ausdruck „inokklusive Invagination“ (S. 267) markiert: In diesem Ausdruck schreibt sich diese „unmögliche“ Verschränkung auf einer semantisch-lexikalischen Ebene ein. „Inokklusiv“ // „inocclusif“ ist eine Wortneubildung Derridas, mit welcher auf diese „Struktur der eingeschlossenen [in-klusiv // inclusif] Unabschließbarkeit [nicht-okklusiv // in-occlusif]“ verwiesen wird; vgl. die Anmerkungen der Übersetzer_innen, GG, S. 295, Anm. 9.
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Erzählung ohne Thema und ohne äußeren Anlass (cause); und doch ist sie ohne Innen. Es handelt sich um die Erzählung einer unmöglichen Erzählung, deren ,Produktion‘ das, was geschieht, oder vielmehr : das, was bleibt, erst geschehen lässt; aber die Erzählung berichtet dies nicht, noch nimmt sie darauf Bezug wie auf einen außerhalb liegenden Referenten – selbst wenn alles für sie fremd, außerhalb ihrer Grenze bleibt. Da es darin genau um die Möglichkeit und [Hervorhebung E.S.] Unmöglichkeit geht, eine Geschichte zu erzählen, bin ich umso weniger dazu imstande, die Geschichte von Der Wahnsinn des Tages zu erzählen.“ (S. 264)
Und das ist es auch schon gewesen mit der Illusion, dem Anschein, wir würden durch das Sammeln von Indizien, durch dieses „polizeimäßige“ Vorgehen, auf eine Erzählung stoßen: Die „Geschichte von Der Wahnsinn des Tages“ lässt sich nicht erzählen, „ich“ ist „dazu [nicht] imstande“, die Erzählung einer Erzählung auf den Plan zu rufen. Mit ihm, mit „ich“ gemeinsam entziehen wir uns schrittweise, pas / pas, dem „Zwang“ zur Auswahl, zur inquisitorischen Befragung der Zeugin und zur Anordnung – auch an uns. Wir gehen weiter und lesen wieder die Spuren, die sowohl das Gesetz als auch eine Erzählung ankündigen, denn „[d]as Gesetz verlangt eine Erzählung“ (S. 265). Anstelle der Indizien, anhand derer wir die Fährte aufnehmen wollten, um endlich zu unserer Figur, zu unserer Zeugin zu gelangen, anstelle der Indices, deren plausible, kausalchronologische Anordnung im Hinblick auf eine Erzählung zu rekonstruieren, im Namen einer Erzählung zu restituieren gewesen wäre, die „verrückte Polysemie des ,Tages‘ (jour)“ (S. 264), eine „Falte“ (S. 266), eine „Quasi-Erzählung“ (S. 266), die „Form einer Invagination“ (S. 267), die Unmöglichkeit, „zu entscheiden, ob es Erzählung gegeben hat“ (S. 268), „das Bild einer doppelten chiastischen Invagination von Rändern“ (S. 268) eine „quasi transzendentale Verpflichtung der Erzählung“ (S. 269), ein „Simulakrum der Wiederholung“ (S. 269) und eine „Ellipse der Erzählung“ (S. 270). Die Spuren dieses – nun ja, durchaus zwielichtigen Figurenrepertoires führen, es ist kaum zu glauben, zu einem anderen Ausgang, an dessen Schwelle nun Un r8cit, Eine Erzählung steht – als Titel jenes Textes, dem wir gerade gefolgt sind, nicht „polizeimäßig“, sondern mäandernd und jene Spuren lesend, die vielmehr ankündigen, als auf etwas Bestimmtes zurückzuführen. Da stehen wir nun, schon wieder an einem Anfang, einem möglichen: „Alles ist nichts als Beginnen. Ich hätte mit etwas anfangen können, was innerhalb der juridisch-historischen Ordnung dieser Veröffentlichung einem absoluten Anfang gleicht“ (S. 271) –
zum Beispiel nämlich damit, dass „die leichthin so genannte erste Fassung von Der Wahnsinn des Tages“ in einer Zeitschrift unter dem Titel Un r8cit [Eine Erzählung] erschienen ist, wobei sie an diesem ersten Publikationsort gleich unter „mehreren Titeln“ (S. 271) aufgetaucht ist: zweimal mit Fragezeichen
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versehen, einmal ohne. Wir folgen also wieder einer Editionsgeschichte, jener Editionsgeschichte, die das eine der beiden letzten offenen Enden gebildet hat – wir erinnern uns: Mit angehaltenem Atem haben wir auf das Erscheinen einer Erzählung gewartet und sind, wie auch schon an einem anderen Ende, vor den beiden offenen Enden gestanden, an denen sich eine Erzählung angekündigt hat. Und nun sind wir am Ende dieser Editionsgeschichte angelangt, das ihr Anfang ist, einer ihrer Anfänge, denn wenn er „einem absoluten Anfang gleicht [Hervorhebung E.S.]“, dann nur, da er ihn nicht genommen hat, diesen „absoluten“ Ausgang „innerhalb der juridisch-historischen Ordnung“. An diesem Ende taucht sie nun tatsächlich auf, eine Erzählung, allerdings am Rande – sowohl einer Editionsgeschichte als auch einer Textstruktur, die weder von einem Modus noch von einer Gattung, sondern von jenem zwielichtigen Figurenrepertoire getragen wird, dem wir zuvor begegnet sind. Diese Ränder, an denen eine Erzählung auftaucht, beginnen mit ihrem Erscheinen, mit dem Erscheinen einer Erzählung als Randerscheinung, sich wieder zu kreuzen, das Ende beginnt wieder, und wieder haben wir diese „unmögliche Figur“ vor uns: keine conclusio, die wir ziehen können, sondern eine Klusion, in der eine Erzählung mit ihrem Erscheinen zu degenerieren beginnt. Auch an dieser Stelle nähern wir uns also einer Schleuse, an der sich der zweite Wendepunkt, die zweite Kreuzung der einstülpenden, der invaginierenden Textbewegung abzeichnet. Die Klusion, die an dieser Stelle stattfindet, figuriert eine Erzählung als Erzählung, die „sich nur im Kreis drehen kann – unaufhaltsam, nicht zu erzählen“ (S. 267). Diese „unmögliche Figur“ der Klusion vollzieht das Gesetz der Gattung an einer Erzählung, denn kaum ist sie aufgetaucht, eine Erzählung, verschwindet sie auch wieder, entzieht sich als „Erzählung der Erzählung ohne Erzählung“, als „Erzählung ohne Rand“, als „Erzählung, deren ganzer sichtbarer Raum nichts als Randung seiner selbst ist, sich selbst entrissen, ohne Selbst“ (S. 273). Sie, unsere Zeugin, wird wieder Text, „Gesetzestext“ (S. 273) gar, und vor uns liegen zum wiederholten Male zwei offene Enden – eine „elliptische Frage“ (S. 274), die aus den Kreuzungen, den „doppelten chiasmatischen Strukturen der Ränder“ (S. 273) hervorgegangen ist. Diese „elliptische Frage“ stellt sich nun angesichts der Verschränkung der „Frage der literarischen Gattung“ mit dem „Motiv des Gesetzes überhaupt, mit dem Motiv der Generation im natürlichen und symbolischen Sinn, der Geburt im natürlichen und symbolischen Sinn, des Generationenunterschieds, der sexuellen Differenz zwischen männlichem und weiblichem Geschlecht (genre), des Hymens zwischen beiden, dem Motiv einer beziehungslosen Beziehung zwischen beiden, einer Identität und einer Differenz zwischen dem Weiblichen und dem Männlichen“ (S. 273). – Was für ein Genre an Fragen, an Verschränkungen! Was für Genre-Fragen!
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Coda Mit dem Verschwinden unserer Zeugin namens eine Erzählung taucht also eine Anzahl an Fragen, Verschränkungen und Verstrickungen auf, deren Spuren wir schon gefolgt sind, indem wir den Anordnungen Folge geleistet und mit angehaltenem Atem auf das Erscheinen einer Erzählung gewartet haben.20 Zu Tage befördert, ans Licht gebracht haben es, dieses Genre an Fragen, Verschränkungen und Verstrickungen, jene beiden Enden, mit denen die „elliptische Frage“ nach einer neutralen Gattung, nach einem neutralen Geschlecht ihren Ausgang nimmt: „Wie steht es mit einer neutralen Gattung/einem neutralen Geschlecht (genre)? Und wie mit einer Gattung/einem Geschlecht, dessen Neutralität nicht negativ wäre (weder… noch), auch nicht dialektisch, sondern affirmativ, und zwar doppelt affirmativ (ja, ja)?“ (S. 274)
Wenn wir die „elliptische Frage“ als eine Frage begreifen, die nicht zu Ende oder zu einem Ende gestellt worden ist, verschränkt gerade diese Offenheit der Frage die beiden Enden in einer Weise, in der sie nicht aufgehoben oder als das Eine oder das Andere ausgeschlossen werden können: Beiden Enden ist das jeweils Andere unhintergehbar eingeschrieben. Wir sind diesem Verfahren schon zu Beginn, während der Ouvertüre und im Hinblick auf die konstative und die performative Auffassung der Satzellipse „die Gattung nicht vermischen“ gefolgt und haben gesehen, wie sich die Möglichkeit, den Satz als eine neutrale Aussage aufzufassen, durch die Möglichkeit einer bestimmten Anordnung, im Hinblick auf die Disposition der Leser_innen-Haltungen etwa, bedingt. An dieser Stelle, an diesem Ende geht es nun wieder um Genre-Fragen: Die Bedingungen einer möglichen Feststellung des Geschlechtes der Erzähl-Stimme in Der Wahnsinn des Tages rekurrieren jeweils auch auf ein anderes – ein anderes Geschlecht zum Beispiel, selbst dann, wenn es im Französischen die grammatikalische Struktur verlangt, sich auf ein Maskulinum festzulegen – selbst dann, denn dieses Selbst verweigert sich in Der Wahnsinn des Tages durch die Abfolge eines Weder-noch einer Festschreibung, „[i]n keiner Weise stellt sich das Selbst vor“ (S. 274). Auch in der „doppelten Affirmation“ (S. 274) des Lebens und des Todes lässt die feminine Markierung „fast immer sind es Frauen“ (S. 274) einen Spalt, eine Öffnung, durch die hindurch ein anderes, das jeweils andere – der Tod, das Leben, das andere Geschlecht – schimmert. Diese Durchlässigkeit wird durch
20 Wir verweisen an dieser Stelle zum Beispiel auf die Verstrickungen, in denen „ich“ und „wir“ schon während der Ouvertüre nicht mehr so einfach, so mir nichts, dir nichts, auseinanderzuhalten gewesen sind; vgl. (Derrida S. 249), dieser Text S. 153.
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das „Hymen“ figuriert,21 das sich als disseminale und disseminierende Figur zwischen den binären Oppositionen, den als gegensätzlich vorausgesetzten Paaren aufspannt: ein schleierhaftes Gewebe, das auf eine „paradoxe Logik“ (S. 273), einen Bund „mit sich selbst“ (S. 274), eine „heimliche Paarung“, eine „unrechtmäßige Hochzeit“ (S. 276) verweist. Diese Figur des Hymens taucht in Das Gesetz der Gattung an drei Stellen auf, jeweils im Hinblick auf jene GenreFragen, auf jenes Genre an Fragen, mit dem die Folgen, die Anordnungen von Gattung-Geschlecht-Gesetz verschränkt werden. Das schleierhafte Gewebe spannt sich zunächst über „die sexuelle Differenz zwischen männlichem und weiblichem Geschlecht (genre)“ (S. 273), dann über die Erzähler-Stimme in Der Wahnsinn des Tages genau an der Stelle, an der sowohl auf die eine Entscheidung zwischen Maskulinum und Femininum fordernde grammatikalische Struktur des Französischen als auch auf die offene weibliche Markierung der doppelten Affirmation hingewiesen wird (vgl. S. 274), und schließlich über die Möglichkeit einer „heimlichen Paarung“ zwischen männlichem und weiblichem Geschlecht innerhalb der Erzähler-Stimme. Diese Möglichkeit wird nicht zu Ende erzählt, sie wird nicht entschieden, sie bleibt offen dadurch, dass sie als Möglichkeit zutage tritt, ans Licht gebracht wird – im Lichte von Der Wahnsinn des Tages. Die Möglichkeit, das Genre zu wechseln, findet sich auch am Ende des Gesetzes der Gattung: Diese Möglichkeit betrifft sowohl das Geschlecht als auch die Gattung, denn er, denn „ich“, dem wir gefolgt sind, dessen Anordnungen wir lesend Folge geleistet haben, identifiziert sich am Ende als „Frau“, deren „Tochter“ das Gesetz, die loi, ist, und er, also sie, identifiziert das, dem wir mit ihm, mit ihr gefolgt sind, als „Erzählung, deren Summe ich/wir [je-nous, Anmerkung E.S.]“ (S. 283) sind. Am Ende von Das Gesetz der Gattung stehen wir also vor einem „Selbstportrait der Gattung“ (S. 282), einem Autoportrait du Genre, einem Selbstporträt, das sowohl die Gattung als auch das Geschlecht angibt und dabei uns, uns Leser_innen, uns Zuhörer_innen, mit in Kauf nimmt. Dieser Wechsel, der an dieser Stelle ausgestellt wird, eröffnet uns die Möglichkeit, dieses ich-wir, dieses je-nous // genou, dieses Knie auch auf eine andere Weise zu berühren. Wir finden es anziehend, gewiss, dieses Knie, es verlangt uns nach ihm, nach diesem ich-wir, obwohl wir weder ganz bei uns noch ganz bei ihm, bei „ich“ geblieben sind, obwohl wir also nicht genau wissen, wen wir nun eigentlich vor uns haben am Ende dieser ganzen Geschichte.
21 Das „Hymen“ ist prominent in der Double Seance für die Mallarm8-Lektüren als Figur für die Bewegung der Dissemination; vgl. Derrida 1995, S. 193–322.
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Da Capo al Fine Weder Eine Erzählung noch Der Wahnsinn des Tages noch Das Gesetz der Gattung haben ein, haben unser Verlangen nach Erzählung stillen können – sofern sich dieses, sofern sich unser Verlangen nach Erzählung in jenem „Ordnungsprinzip“ (S. 282) begründet, von dem wir zu Beginn, noch bevor wir angekommen sind am Anfang, schon gehört haben. Statt der „Identität“ etwa die Unentschiedenheit der Antinomien, der Ellipsen, statt des „natürlichen Lichts und des Sinns der Geschichte“ der Wahnsinn, die Unschärfe der Verdoppelungen und Wiederholungen. Wir stehen am Ende von Das Gesetz der Gattung, am Ende einer Erzählung, und vor uns liegt der Weg, dem wir gefolgt sind, vor uns liegt eine Figur, die wir gehend, die wir lesend beschrieben haben, die Figur einer Erzählung, die wir zwar beschrieben, nicht aber auf den Plan gerufen haben, und doch haben wir ein Bild von ihr, ein doppeltes sogar : In Das Gesetz der Gattung findet sich diese Figur einer Erzählung skizziert und benannt – „das Bild einer doppelten chiastischen Invagination von Rändern“ (S. 268):
„Die Ausgangsentscheidung, der Forderung zu entsprechen und die Erzählung zu ,beginnen‘, gehört ebensowenig zur Erzählung wie das ,Nein, keine Erzählung, nie mehr‘ am Buchende, jener umgekehrte Entschluss, der ebenfalls nichts zu zitieren scheint. Die beiden Sätze ,Ich begann‘ und ,Nein, keine Erzählung, nie wieder [sic!]‘ könnten also quasi transzendentalen Verpflichtungen der Erzählung gleichkommen. Sie tun dies übrigens auf verschiedene Weise, sind aber dem eigentlichen Inhalt des Erzählten äußerlich. Der erste beschreibt oder konstatiert im Imperfekt gewissermaßen etwas Performatives: ich beginne, ich begann. Die andere Aussage formuliert im Präsens auf eine deutlich performative Weise eine Entscheidung, die für die Zukunft bindend ist: die Entscheidung, den Bericht zu beginnen und dann für immer abzubrechen, die Entscheidung, angesichts der Forderung nach Erzählung, für dies oder jenes Verantwortung zu übernehmen. Das würde das Gewebe eines narrativen Textes zerreißen, während dieser darauf abzielt, sich unendlich mit sich selbst zu verschlingen. Es war durchaus erforderlich, dass ich beginne und ein Ende setze, selbst wenn ich mit dem Ende beginne, wenn ,das Ende beginnt.‘“ (S. 268f.)
Das Gesetz der Gattung wiederholt und verdoppelt in actu diese Bewegung, die es, die „ich“ im Hinblick auf eine Erzählung, auf Der Wahnsinn des Tages, beschreibt: Es war durchaus erforderlich, dass wir beginnen, dass wir damit beginnen, zum Anfang zu kommen, zu jenem Anfang, an dem wir den offenen Enden der Satzellipse „Die Gattungen nicht vermischen“ gefolgt sind – wir
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haben einer Anordnung, die Gegebenheit und Befehl gewesen ist, Folge geleistet bis hin zur ersten Einstülpung, mit der die Ränder des Ganzen, der ganzen Gattungsfrage etwas mehr umschlossen, „invaginiert“ haben als das Ganze. An diesem Wendepunkt, an dem sich die Falten des oberen Randes, des Gesetzes, der Gattung, der Anordnung, mit jenen des unteren Randes, der Kontamination, der Antinomien, des Parasitären, gekreuzt haben, haben wir wiederum begonnen, dieses Mal, an dieser Stelle damit, das Erscheinen einer Erzählung – nun, zu umgehen, über die Textstruktur und die Editionsgeschichte, an deren Anfang, zu dem wir schließlich gekommen sind, un r8cit, eine Erzählung aufgetaucht ist als zweite Klusion, von der aus wir ein drittes Mal begonnen haben mit zwei offenen Enden, mit der „elliptischen Frage“ nach einem „neutralen Geschlecht“. Und „ich“, das die „Ausgangsentscheidung“ getroffen hat, die Gattungen nicht zu vermischen, stellt am Ende den Wechsel aus, mit dem sich jenes Selbstporträt, jenes Autoportrait du Genre, begründet, das nicht abgeschlossen, das nicht fertig erzählt worden ist, da dieses Selbstporträt des Geschlechts, dieses „Selbstporträt der Gattung“, etwas mit einschließt, das es von Rechts wegen, der gesetzmäßigen Ordnung halber auszuschließen hat, um sich als Genre, als Geschlecht, als Gattung, behaupten und ausweisen zu können – die Möglichkeit einer Unentschiedenheit, einer Unschärfe, einer Verdoppelung. Jene zwielichtigen Figuren, die uns auf unserem Lektüreweg begegnet sind und die jene Textbewegung ausmachen, der wir gefolgt sind – die figurierende Klusion, die Falte, die Invagination, die verrückten Polysemien, die Satz- und Frage-Ellipsen, das Hymen, sie zeigen, dass es die identitätsstiftenden und -fixierenden Erzähl(an)ordnungen selbst sind, in denen das Parasitäre und die Möglichkeit der Kontamination schlummern. Wenn Das Gesetz der Gattung also die Textbewegung von Der Wahnsinn des Tages, die Grundstruktur einer Erzählung verdoppelt und wiederholt, dann handelt es sich nicht um ein exaktes Abbild, eine Repräsentation, sondern um die Simulation einer Erzählung, die – und das wird eine der Wegmarken für die folgende Lektüre sein – ähnlich wie eine „geheime Erzählung“22 Bedeutungen nicht ausschließlich durch eine sequenzielle, kausalchronologische Abfolge diskreter sinn- und identitätsstiftender Momente generiert, sondern als Taktik des „bewegten Untergrundes des Bedeutens“23 mögliche(s) Folgen von Erzähl(an)ordnungen ausstellt und subvertiert.
22 Der Ausdruck „geheime Erzählung“ findet sich in Derrida 1999, S. 262 bzw. 263, und wird im weiteren Lektüreweg weiter ausgeführt – vgl. S. 167. 23 Zweite Durchführung: Figuren Lesen II, S. 169.
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Zweite Durchführung: Figuren lesen II So eng umschlungen, ja verwoben Lektüre und Erzählung in Das Gesetz der Gattung sein mögen, handelt es sich hier um ein folgenreiches Verhältnis der Anregung und Verschiebung, das, anstatt „bloß“ auf theoretische Defizite hinzudeuten, auf die Folgen und Deformationen von Ordnung hinzuweisen erlaubt. Um dieses Verhältnis als eine kontrastierende Engführung genauer zu beleuchten, soll nun eine zweite Lektüre unternommen werden, die in drei Schritten verfährt: Zuerst wird die Strategie der Parallelisierung genauer betrachtet, die sich nicht nur auf Blanchot als einen Referenztext bezieht, sondern hinsichtlich der argumentativen Konstellation auch auf früheren Argumentationsfiguren Derridas beruht. Es wird sich dabei zeigen, dass in Das Gesetz der Gattung versucht wird, über eine schematische Gegenüberstellung von „metaphysischer“ Theorie und literarischer Exuberanz hinauszugelangen, indem ein gemeinsamer, problematischer, doch unhintergehbarer sprachlicher „Grund“ anvisiert wird. Zusätzlich zu den explizit entwickelten Figuren der „Klusion“, der „doppelten chiastischen Invagination“ oder des „Hymens“ etabliert der Text noch eine Reihe impliziter Bezüge, deren Rekonstruktion dazu beitragen kann, die Rolle, Funktion bzw. den Status von Erzählung bei Derrida zu verdeutlichen. Im Sinne eines zweiten Schrittes wird darauf aufbauend kurz dargestellt, inwiefern dem offenen „Bewegungsspielraum“ von Bedeutung eine besondere Rolle zukommt – dieser verweist vor allem auch auf die spezifische Zeitlichkeit von Signifikationsprozessen und damit auf ein prominentes Charakteristikum des Erzählens, das kursorisch im Kontext von Derridas Überlegungen entfaltet wird. Als Abschluss dieser Lektüre möchte ich der Frage nachgehen, warum es nach einer eingehenden Befragung all dieser Wendungen und Gesten des Textes eigentlich keine Erzählung mehr „gibt“.24 Diese Frage führt, wie schon der erste Lektüredurchgang, über den „klassischen“ Begriff der Erzählung hinaus und verweist erneut auf eine Reihe von über sich selbst hinausweisenden Textoperationen, die von Derrida in diesem Sinne als „Bahnungen“ bezeichnet werden.25
Schichtungen Ein erster Ansatzpunkt für die Betrachtung der Parallelführungen, die sich in Das Gesetz der Gattung aufdrängen, findet sich in der reflexiven Grundstruktur, die sich Derridas eigene Lektüre und Blanchots Erzählung zu teilen scheinen. Die bereits oben konturierten Textfiguren verdeutlichen dabei, dass diese Re24 GG, S. 270. 25 Ebd., S. 281.
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flexivität als ein deutlicher Rückbezug auf die basalen semantischen Bedingungen der Texte zu verstehen ist – als ein Rückbezug, der gleichermaßen auf die konstituierenden und verunsichernden Bedingungen von Texten hinweist und somit kein spezifisch literarisches Phänomen adressiert. Zwar benannte Derrida die ausdrückliche Bezugnahme auf die Grundbedingungen ihrer Möglichkeit als ein Signum jener Texte, die seine literarischen Lektüren durchziehen26 – diese Bezugnahme allerdings wird als ein Hinweis auf die stets „paradoxe Struktur“ ihrer Voraussetzungen aufgefasst. Wenngleich literarische Werke auf je einzigartige Weise die Schwierigkeiten ihrer Möglichkeit thematisieren, führt diese Fragerichtung nach Derrida also weiter, in den übergreifenden Bereich sprachlich-funktionaler Grundannahmen. In Das Gesetz der Gattung wird diese Argumentationsebene bereits früh thematisiert, da von Anfang an die Frage nach der möglichen Homogenität von Gattungen gestellt wird. In dieser theoretischen Frage nach Homogenität überkreuzen sich epistemologische wie wissenschaftstheoretische Problemaspekte, die, so möchten wir im Rahmen dieser Lektüre vorschlagen, auf die Ebene einer sprachphilosophischen bzw. zeichentheoretischen Betrachtung verlagert werden, um nach deren implizierten und potenziellen Konsequenzen fragen zu können. Den Aufhänger bildet die Frage nach „den“ Gattungen: Verstünde man diese – im Sinne eines naiven Vorverständnisses – lediglich als ein ordnendes Konstrukt, das als imaginäre Hilfsgröße zu mehr Überblick verhelfen kann, selbst aber approximativ wie provisorisch bleibt, wäre nicht nachvollziehbar, inwiefern eine gewisse Unschärfe an den Rändern – bei einigen Grenzfällen beispielsweise – problematisch sein sollte. Derridas Hinweis auf ein unvermeidliches „Prinzip der Kontamination“27, das jeder vermeintlich homogenen Klassifikation inhärent sein soll, gewinnt vor allem angesichts der Tatsache an Brisanz, dass sich eine nicht zu unterschätzende normative Kraft von Gattungen aus der Annahme ihrer Natürlichkeit ableitet. Gattungen erweisen sich unter diesem Blickwinkel zwar als ein gesetztes Ordnungsprinzip, dieses bezieht seine Legitimation allerdings aus der behaupteten systematischen wie genealogischen Entsprechung zur natürlichen Ordnung des Seins, zur Ontologie.28 Insofern verwundert es nicht, dass Derrida den Begriff des Genres selbst zum Ausgangspunkt einer umfangreichen 26 „These texts operate a sort of turning back, the are themselves a sort of turning back on the literary institution. Not that they are only reflexive, specular or speculative, nor that they suspend reference to something else, as is so often suggested by stupid and uninformed rumor. And the force of their event depends on the fact that a thinking about their own possibility (both general and singular) is put to work in them in a singular work. Given what I was saying just now, I’m brought more easily toward texts which are very sensitive to this crisis of the literary institution […] But given the paradoxical structure of this thing called literature, its beginning is its end.“ (Derrida, Literature, 1992, S. 41f.) 27 GG, S. 252. 28 Ebd., S. 254.
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metaphorischen und wörtlichen Auffächerung wählt, um zu zeigen, wie weitreichend sich diese Grundannahme in verschiedensten Bereichen der philosophischen, wissenschaftlichen, sozialen und auch künstlerischen Artikulation fortsetzt: „Es ist also keineswegs überraschend, daß die Gattung, dieser seinem Wesen nach klassifikatorische und genealogico-taxonomische Begriff, in Natur und Kunst selbst solchen klassifikatorischen Taumel erzeugt, wenn es darum geht, sie selbst zu klassifizieren und das klassifikatorische Prinzip oder Instrument innerhalb eines Ganzes [sic] zu situieren.“29
Derridas Skepsis lässt sich dabei als ein Vorbehalt gegen die naturalisierenden Effekte von thetischen Taxonomien formulieren, deren Grundprinzip in der Voraussetzung homogener Sinn-Einheiten besteht. Die Gattung erweist sich dabei als ein „Instrument“, das zur Anordnung und zur Verknüpfung dieser vermeintlich diskreten Sinn-Elemente in systematischer Form, beispielsweise dem „Stammbaum“, dient.30 Betrachtet man diese Kritik vor allem als eine Problematisierung auf Textebene, so erscheint die implizit vorausgesetzte Systematik moderner Wissenschaftlichkeit und Philosophie erneut als ein Gegenstück zu einer ausufernden Logik, wie sie die Erzählung aufweist. Auf diese stets anklingende Strategie der agonistischen Gegenüberstellung wird weiter unten noch zurückzukommen sein. Diese scheinbare Dichotomie, in die Erzählung und Taxonomie hier als größere syntaktische Gebilde eintreten, ermöglicht es aber auch, einer unausgesprochenen Parallele zu folgen, die sich – nicht nur aufgrund der verwandten metaphorischen Felder, derer sich beide Texte bedienen – zu einem früheren Aufsatz ergibt: In Die weiße Mythologie hatte Derrida, ausgehend von ähnlich gelagerten Einsprüchen gegen Homogenität und Naturalisierung, die philosophische Distinktion zwischen Begriff und Metapher untersucht. Ausgehend von Aristoteles’ früher Theoretisierung der Metapher verfolgte Derrida dort die Verwerfungen, die der Versuch mit sich bringt, Elemente des „eigentlichen“ wie des „uneigentlichen“ Sprachgebrauchs trennscharf voneinander abzugrenzen.31 Bezogen auf die argumentative Kohärenz, wie sie die philosophische Systematik erfordert, ergeben sich entlang dieser Parallelen also zwei vergleichbare Paarungen, die jeweils distinkte Bedeutungen gegen ein anomisches Gegenstück zu verteidigen haben: Strukturanalog zum Begriff und der unscharfen Metapher stehen sich in Das Gesetz der Gattung die saubere Taxonomie und die Erzählung, mit ihrem Hang zu paradoxen Rückverweisen, gegenüber. In Die weiße Mythologie versucht Derrida dabei ausdrücklich nicht, die Metapher gegen den 29 Ebd. 30 Ebd., S. 282. 31 Derrida 1999, S. 229–290. Nachfolgend zitiert unter der Sigle WM.
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philosophischen Begriff auszuspielen, um die bestehende Unterscheidung schlichtweg anzuzweifeln. Stattdessen zielt seine Darstellung darauf ab, eine beiden Phänomenen gemeinsame, bedingende Sprachebene zu thematisieren, die als notwendiges semiotisches Fundament angenommen werden muss. Dabei zeigte sich – stark verkürzt gesprochen –, dass noch die vermeintlich ersten philosophischen Begriffe, auf denen der systematisch-hierarchisierende Anspruch theoretischen Denkens grundlegend aufruht, aus quasi-metaphorischen Übertragungen hervorgegangen sind.32 Derridas Pointe besteht in diesem Fall nicht darin, die uneingestandene Metaphorizität der philosophischen Konzepte einzumahnen, sondern vielmehr in dem Hinweis, dass „die“ Metapher selbst noch ein Begriff ist, der seine zahlreichen Bedeutungen im Rahmen metaphysischer Denksysteme erhalten hat. Will man also deren Konstitutionsbedingungen vor einer systematischen Dichotomisierung erhellen, so ist man gezwungen, auf eine Konzeption von Signifikation zurückzugreifen, deren Sinnbeziehungen gar nicht erst durch Ähnlichkeit bzw. Übertragung vermeintlich „reiner“ Bedeutungsglieder beschrieben werden. Derridas Annahme eines differenziellen Spiels von Bedeutungen kann als ein Alternativkonzept betrachtet werden, das anstelle von stabilen Sinneinheiten je unterschiedlich aktualisierte, relationale Bedeutungen annimmt, die nicht ausschließlich im Sinne diskreter, wohlgeordneter Präsenz gedacht werden müssen.33 Ohne diesen Exkurs viel weiter zu vertiefen, erscheint mir an dieser Stelle entscheidend, dass die Argumentationslogik von Derrida hinsichtlich der vermeintlichen Dichotomien Metapher/Begriff und Erzählung/Taxonomie als ein paralleler Gestus gelesen werden kann: Anstatt die Metaphern gegen die diskreten Begriffe zu verteidigen oder stark zu machen, geraten die systematischen (Vor-)Annahmen in den Blick, die überhaupt den Begriff zum Ausgangspunkt einer möglichen Bestimmung von Metaphorik haben werden lassen. Diese hierarchisierenden Präsumtionen der unterschiedlichen philosophischen Denkgebäude erscheinen angesichts dieser vorgelagerten Ebene, die dazu nötigt, beide Pole als notwendigerweise und auf aporetische Weise verschränkt zu denken, nicht mehr wie Entsprechungen „der“ natürlichen Ordnung, sondern wie willkürlich gesetzte Präferenzen. Es wäre lohnend, die zahlreichen deutlichen Strukturanalogien zwischen beiden Texten eingehend zu untersuchen, um so aus dem spezifischen Verständnis von Metaphorik bei Derrida auch Rückschlüsse für die Funktion der Erzählung zu ermöglichen. Hier möchte ich mich vorerst auf den Hinweis beschränken, dass Derrida in beiden Texten eine zum Verwechseln ähnliche Argumentationslogik bemüht, indem er einerseits die „sauberen“ Ordnungsprinzipien so streng befolgt, bis sie selbst zu Unschärfen 32 Ebd., S. 244f. 33 Vgl. Gasch8 1998; Mende 2013, S. 165–221.
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und Verwerfungen führen,34 um andererseits bislang ausgeklammerte Sinnrelationen als tragende Bedingungen jeglichen Diskurses zu erweisen und diese – als notwendige, doch im herkömmlichen Sinne nicht einordenbare Größen – zum funktionalen sprachlichen Inventar hinzuzudenken. Folgt man der Spur dieser ausgeklammerten, doch sinntragenden Operationen, so findet sich auch in Die weiße Mythologie eine „Erzählung“, die – wenig überraschend – als „geheime Erzählung“ firmieren muss.35 Diese latent wirksame Relation tritt zutage, als Derrida in Aristoteles’ Poetik ein prominentes Beispiel für eine Metapher ausfindig macht, deren „übertragene“ Bedeutung sogar einleuchtend wird, obwohl die einzelnen „eigentlichen“ Elemente nur teilweise vorliegen. Bei Aristoteles lautet diese Passage, die einen katachrestischen Ausdruck für die „Tätigkeit“ der Sonne im analogen Bild des „Säens“ aufspürt, folgendermaßen: „Doch verhält sich diese Tätigkeit ähnlich zum Sonnenlicht, wie das Säen zum Samen; man hat daher gesagt: ,Säend das göttliche Licht‘.“36 Derrida befragt diesen Passus nun daraufhin, inwiefern der Sonne – ihrem Licht und genereller: dem Tag – eine diskrete Bedeutung zukommen könne, da sie im Rahmen des aristotelischen Denkens durch keine konkrete Beobachtung näher beschreibbar sei: „Wenn sich diese Analogie aufdrängt – und sie tut es –, dann deshalb, weil sie innerhalb der Sprache eine lange und kaum erkennbare Kette durchläuft, deren erstes Glied aufzuzeigen nicht leicht ist, nicht nur für Aristoteles. Handelt es sich hier nicht anstatt um eine Metapher um ein ,Rätsel‘, um eine geheime Erzählung, welche aus mehreren Metaphern zusammengesetzt ist, ein machtvolles Asyndeton oder eine versteckte Konjunktion, deren wesentliches Merkmal darin besteht, ,unvereinbare Wörter miteinander zu verknüpfen und hiermit gleichwohl etwas wirklich Vorhandenes zu bezeichnen […]‘.“37
Die unüberschaubaren Sinnbeziehungen „innerhalb der Sprache“, die auch unvollständige Vergleiche funktionieren lassen, rücken hier angesichts einer zentralen Metapher des Erkennens (wie auch des Scheins) in den Blick: der Sonne. Was Derrida somit als „geheime Erzählung“ thematisiert, ist ein not34 Beide Argumentationen beziehen sich auf den Umstand, dass das Postulat homogener Mengen – in Abwandlung des Russell’schen Paradoxes – zu formalen wie inhaltlichen Inkonsistenzen führt. Derrida entwickelt dies einmal anhand des Paradoxes, dass die „Markierung der Zugehörigkeit“ zu Gattungen oder Klassen selbst „nicht zugehörig“ sei (GG, S. 260). In Die weiße Mythologie findet sich die analoge Figur : „Wollte man alle metaphorischen Möglichkeiten der Philosophie erfassen und klassifizieren, so bliebe mindestens eine Metapher immer ausgeschlossen, bliebe außerhalb des Systems: Zumindest diese, ohne die der Begriff der Metapher nicht konstruiert werden könnte, oder, um eine ganze Kette zu synkopieren, die Metapher der Metapher.“ (WM, S. 240.) 35 WM, S. 262 bzw. 263. 36 Vgl. Aristoteles: Poetik, 1458b. Hier zitiert nach WM, S. 262. 37 Ebd.
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wendig anzunehmender, doch implizit wirksamer Fond von Sinnrelationen, deren Verkettungen und Übertragungen – ihr differenzielles Spiel – nicht nach penibel zuordenbaren Verknüpfungen von homogenen Sinn-Einheiten funktioniert. Stattdessen legt Derridas Metaphernkonzeption nahe, dass es sich um multidirektional ausufernde, mitunter unvollständige und vor allem stets neu und anders zu aktualisierende Bedeutungsfelder handelt, deren Sinnhaftigkeit auch auf diffusen Überlappungen und distanten Affinitäten beruht, die nur unvollständig als „Kontiguitätsverhältnis“ erhellt werden kann.38 Denn nicht nur was wirklich „angrenzt“, kann zur Bedeutungskonstitution beitragen – und notwendig sein. In diesem Sinn fungiert auch die geheime Erzählung als eine unentbehrliche Annahme des Bedeutens, obgleich sie als ausufernde syntaktische Latenz insinuiert wird. Im Rahmen dieser Lektüre werden also zumindest zwei Aspekte der „Schichtung“ tragend, die ineinander verwoben sind: Einerseits lässt sich Derridas Das Gesetz der Gattung als eine mehrschichtige wie deutliche Bezugnahme auf verwandte Texte lesen, die – wie im Fall von Die weiße Mythologie – konkrete Hinweise auf den argumentativen Untergrund seines Vorgehens liefern. Andererseits verweist die somit rekonstruierbare Denkbewegung nicht auf eine begrifflich-dichotomische Pattstellung, sondern auf eine Reflexion von im klassischen Sinne zwar aporetischen, doch notwendigen sprachlichen Möglichkeitsbedingungen. Dadurch wird der Versuch unternommen, einen erweiterten Raum der Sagbarkeit zu entwerfen – indem auch verschwiegene (oder ausgeklammerte) Sinnbeziehungen in die theoretische Darstellung einfließen. Beide Momente bedingen eine ausgeweitete Diegese des theoretisch Artikulierbaren, die selbst wiederum das Mittel der Schichtung, der unvermittelten Substruktion – beispielsweise im Modus metaphorischer Schichtungen und Korrespondenzen – bemüht.
Bewegungen Von den ersten Zeilen an kommt in Das Gesetz der Gattung der Bewegung eine besondere Rolle zu, die in einem engen Verhältnis zu den bisher verwendeten Ausdrücken der „Textbewegung“ oder des „Gestus“ steht. Beide Beschreibungen lassen sich in den offenen Enden, also den ersten Zeilen des Textes, wiedererkennen, wo Derrida zwei elliptische Aussagen nebeneinander postiert. Um die
38 Dirk Mende bezeichnet diese als „nachmetaphysisch“, da ihr Funktionieren keine Nähe zu einer ontologischen Ordnung des Seins voraussetzt, sondern auf Derridas differenziellem Semiosekonzept basiert. Vgl. Mende 2013, S. 206.
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gestische Charakteristik dieses Zuges noch weiter hervortreten zu lassen, folgt daraufhin eine Instruktion, eine szenische Rahmung: „Nehmen Sie an: ich überantworte sie [die Aussagen, M.S.] ihrem Schicksal, ich setze ihr zufälliges Potential frei und überlasse sie, Ihrem Hören, dem, was ihnen an Bewegung bleibt und was Sie ihnen an Bewegung verleihen, um Effekte jeglicher Art zu erzeugen, ohne mich Antwort gebend hinter sie zu stellen.“39
Zusätzlich zur Inszenierung des Textauftakts („Die Gattungen nicht vermischen. // Ich werde die Gattungen nicht vermischen.“) wird so der Fokus verschoben auf den vermeintlichen Urheber des Diskurses, der sich selbst als eine antwortende Instanz aus dem Spiel nimmt. Stattdessen erscheinen diese Aussagen, der eine Reihe von Funktionen zukommen können, dekontextualisiert und freigesetzt, wie grobe Anstöße, die in einige Richtungen gleichzeitig zeigen, ohne eine bestimmende „Fassung“ oder „Direktion“ erhalten zu haben. Dieses ausgestellte „Momentum“ wird auf den kommenden Seiten verwoben mit Derridas These, dass kein Äußerungskontext jemals ausreichen könne, um die Bedeutung des Geäußerten vollständig zu determinieren – der Impuls zum Bruch, zur abweichenden Aktualisierung bleibt eine notwendig wirksame Möglichkeit. Im Text resultiert daraus eine alludierende Bezugnahme auf die potenziell wuchernden Bedeutungen jeglicher Äußerung, jedes Satzes, die im weiteren Verlauf des Vortrags auch im Ausdruck des „Diskurses“ widerhallt. Auch dieser verfügt über einen dynamischen konnotativen Hintergrund, sei es, wenn er als infinite Verweisungsrelation der Signifikanten gefasst40 oder – wie etwa prominent bei Roland Barthes – zu einer dynamischen „Figur“ komprimiert wird.41 Ähnlich wie zuvor bei den Schichtungen bleiben auch die initialen Hinweise auf diese Bewegungen stark an ein untergründiges Signifikationsgeschehen gebunden. Der Verweis auf die Bewegtheit des Sinns gewinnt seine strategische Kontur auf dieser grundlegenden Ebene vor allem angesichts der Annahme, dass die Bedeutungskonstitution als dynamischer Prozess konzipiert und somit zeitlich strukturiert ist. Genauso wie Bedeutung wegen dieser fortschreitenden, notwendigen Bezugnahme nicht systematisch einzuhegen ist, fallen schlechthin stabile Bedeutungen einer Logik zum Opfer, die besagt, dass Sinngehalte nur über eine aktualisierende Wiederholung zugänglich bleiben. Sie sind also tendenziell instabil, da dem Vergessen zufällt, was nicht aktualisiert wird – und da 39 GG, S. 247. 40 Vgl. die spezifische Verwendung von Diskurs bei Derrida 2006, S. 424. 41 Zu Beginn seiner Fragmente einer Sprache der Liebe bestimmt Barthes die nachfolgend versammelten „Figuren“ des „Diskurses der Liebe“ als dynamische Gebilde, ausgehend von der etymologischen Referenz des „Dis-cursus – das meint ursprünglich die Bewegung des Hin-und-Her-Laufens, das ist Kommen und Gehen, das sind ,Schritte‘, ,Verwicklungen‘.“ Vgl. Barthes 2012, S. 15.
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jede Aktualisierung eine verändernde Bezugnahme darstellt. Dementsprechend werden die über eine starre Gattungseinteilung hinauswachsenden Sinnrelationen (die „störenden Anomalien“) betont dynamisiert eingeführt und dabei der Erzählung angenähert: „Alle diese störenden ,Anomalien‘ werden – das ist ihr gemeinsames Gesetz, ihr Los (sort) oder ihre Triebkraft (ressort), die sie teilen – durch Wiederholung erzeugt. Man könnte sagen, durch Zitation oder durch Erzählung (r8-cit), vorausgesetzt, die eingeengte Verwendung der beiden Wörter ruft uns nicht gerade die strenge Gattungsordnung in Erinnerung.“42
Die „Triebkraft“ dieses Wucherns lässt also, sofern sie mit einer breiter gefassten Erzählung identifiziert wird, erneut an die „geheime Erzählung“ denken, die als latente, syntaktische Voraussetzung gleichermaßen bedeutungsstiftend wirkt, wo kein sauberer, logischer Zusammenhang ausgemacht werden kann, wie sie umgekehrt auch zu verstehen gibt, dass sie anstelle von schlechthin invariablen Signifikaten angenommen werden muss. Insofern bleibt der bewegte Untergrund des Bedeutens ein in alle zeitlichen „Richtungen“ unbestimmbares Geschehen des anknüpfenden Wandels, das nicht nur auf den Zugewinn möglicher Sinnfolgen, sondern auch auf die stets im Entzug begriffenen, schwindenden Sinnanteile verweist.43 Dieser beständige Verlust wird hier zum einen gegen die Vor-Annahme in Stellung gebracht, dass bestimmte geordnete Abläufe für eine überzeitliche Stabilität des Sinns bürgen könnten. Gegen diese impliziten Voraussetzungen wendet sich Derrida, wenn er abschließend gegen „Anordnung und Stammbaum, Ordnung der Vernunft, Ordnung der Gründe“ ins Feld zieht, die verheißen, dass es „natürliche“ Abfolgen und basale Vektoren des Sinnverlaufs gäbe, die es ermöglichten, theoretisch nachzubilden, was „wirklich“ geschieht, um sich diesem Strom des Wirklichen gleichzeitig überzuordnen, um ihm kategorial zu entgehen. Vereinfacht ausgedrückt werden in kausalen Wirkungsbeziehungen, in diskreten Abstammungslinien und darauf aufbauenden Systemlogiken auch lineare zeitliche Abfolgen vorausgesetzt, deren monodirektionale Idealität bei Derrida nicht mehr als Signum ihrer ontologischen Adäquation angesehen wird. Der Erzählung kommt insofern wiederum die diffuse Rolle eines Bündels44 von modellhaften Erweiterungen dieses Denkens zu, indem sie als Sinnfolge erscheint, die selbst eine Fülle von möglichen Sinnverknüpfungen zu aktualisieren anbietet. Sie kann, wie im Falle von 42 GG, S. 250. 43 Vgl. die auch prominent auf Derrida referierende Monografie von Thomas Khurana: Khurana 2007. 44 Derrida verwendet den Ausdruck „faisceau“ prominent, um auf den paradoxen Zusammenhang der diff8rance hinzuweisen; vgl Derrida 1972, S. 3.
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Blanchots Der Wahnsinn des Tages, immer wieder neu und immer wieder anders gelesen werden und eröffnet Bezüge unter ihren einzelnen Momenten, die sich keiner linearen Abfolge unterwerfen lassen müssen. Dieser Hang zu anachronischen Sinnverbindungen lässt sich im Kontext dieser Lektüre also verstehen als eine doppelte Entgrenzung: Einerseits verfügt die Erzählung über das Vermögen, Bedeutungsformationen in Abweichung von einer chronologischen Grundstruktur zu konstituieren, andererseits spielen auch „logische“ Brüche, Unzulänglichkeiten und Hiatus eine konstitutive Rolle in der Entfaltung dieser Zusammenhänge. Der „Augenblick“ des Erzählens erhält somit eine abgründige Fundierung, deren agonistische Sinnbewegung sich gegen eine vereinfachende Schematik sperrt – erneut tritt sie über ein Ensemble von Chiffren zwischen den Texten, zwischen Die weiße Mythologie, Das Gesetz der Gattung und Der Wahnsinn des Tages, in Erscheinung: „Der Augenblick schließt einen Moment zwischen anderen Momenten ein, aber freilich nicht ganz, und was er (ein)schließt, ist natürlich das Auge, der Blick, das Tageslicht. Ohne die Frist oder die Zeitspanne des Augenblicks käme nichts ans Tageslicht.“45
Angekommen bei diesem Auge, das stellvertretend für eine Armada von Erkenntnismetaphern steht, lässt sich nun auch eine weitere Folgerung aus dem zuvor beschriebenen Sinnentzug herauslesen: Die spezifischen Bewegungen des Textes ermöglichen keine akkurate Distinktion von topologischen Sinn-Anordnungen mehr, wie es beispielsweise der „Stammbaum“ vorgibt, sondern inszenieren dynamische Figurationen, deren anachronische Bezüge nicht von ihrer „inhaltlichen“ Bedeutung getrennt werden können. Insofern verrät die – ironische – Skizze der „doppelten chiastischen Invagination“46 keine Privilegierung räumlicher Denkfiguren, sondern rekurriert, auch durch den spielerisch hinzugefügten pupillenartigen Punkt in ihrem Zentrum, auf ein visuell grundiertes Erkenntnisregime statischer Anordnungen. Auch deshalb wird Blanchots Erzählung zu einer „nicht darstellbar[en] Erschütterung“, „die nicht in den linearen Ordnungen einer Sukzession, nicht in der räumlichen oder zeitlichen Abfolge, nicht in einer objektivierbaren Topologie oder Chronologie situierbar ist“.47 Erschütterung und Bruch mobilisieren also eine paradoxe, doch partizipiale Konnotation. Auf der Basis dieser Bewegungen lässt sich Derridas Diskurs insofern als eine idiomatische Schreibgeste lesen, die sich auch implizit gegen dichotomische Scheidungen nach Inhalt/Form – oder hier : Gattung/ Modus48 – sperrt. Wenn diese Vorgehensweise als Geste bezeichnet wird, so versinnbildlicht der Ausdruck, dass Texte in der Entwicklung ihrer „Argu45 46 47 48
GG, S. 260. Ebd., S. 268. Ebd., S. 266. Ebd., 256f.
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mentation“ eben keinem topologisch wie chronologisch geordneten Ablauf, keinem vorgezeichneten Weg folgen müssen, sondern sich verschiedener simultaner und gegenläufiger Taktiken bedienen können, um ihre Bedeutung zu generieren oder bestehende Bedeutungen zu kanalisieren.49 Entlang der Überschneidungen, die Derridas Schreibweise mit Blanchots Erzählung verbinden, eröffnen die Gesten, wie sie hier wieder-gelesen werden, auf einer grundlegenden Ebene alternative Bedeutungskanäle, die allerdings nicht bloß im Sinne topologischer bzw. stabiler Figuren gedacht werden sollen. Vielmehr bildet die Geste als dynamisches „Modell“ changierender Sinnrelationen eine vage Perspektive auf ausgeklammerte Verweisungen, die, wie hier im Fall der Erzählung, immer schon am Werk waren.
Trassierungen Zum Abschluss dieser zweiten Lektüre möchte ich noch kursorisch auf den „richtungsweisenden“ Charakter einzelner Gesten eingehen. Was gerade schematisch als eine von Derrida vorausgesetzte Signifikationsbewegung referiert wurde, muss nicht als defizitäres Gegenmodell zu vermeintlich „stabilen“ und somit zielgerichteten gedanklichen Konstrukten angesehen werden. Obwohl eine gewisse Erosion des Sinns stets mitgedacht bleibt, kommt dieser vor allem hinsichtlich der weitreichenden impliziten Ansprüche systematischer Denkmodelle eine kritisch-epistemologische Rolle zu. Darüber hinaus entwickelt Das Gesetz der Gattung aber auch eine Reihe von Gesten, die, teils in Parallele zu Blanchot, teils selbständig, auf isolierbare Denkbewegungen schließen lassen, deren Funktionieren sich gezielt über die kritisierten „Ordnungen“ hinwegsetzt. Diesen kommt trotz ihrer plurimodalen Vielschichtigkeit eine gewisse Kohärenz zu, insofern sie im Kontext von Derridas Kritik als alternative Schreibstrategien nachvollziehbar bleiben und – obwohl sie gerade eine finite conclusio verweigern – deutliche Hinweise darauf geben, in welche Richtung sie fortgedacht werden können. Ein prominentes Beispiel für ein solches Strategem ist die „antinomische Klammer“, die gleichermaßen Derridas und Blanchots Text umfängt und in der Figur der „Klusion“ einigen Widerhall findet. Während Blanchots Erzählung am vermeintlichen Ende wieder dort anknüpft, wo der Text zuerst eingesetzt hatte 49 Fabian Goppelsröder formuliert hinsichtlich eines gestisch verfahrenden Denkens: „Vielschichtigkeit wird ihr [der Geste, M.S.] philosophisch zur Stärke. So erlaubt sie, miteinander unverbundene, aber nicht strikt auseinander abzuleitende Aspekte eines noch ungefassten, amorphen Gedankens gemeinsam zu prozessieren. Ohne die Eindeutigkeit des Begriffs wird sie so zum Kondensationskern des Diskurses, zum Motor eines Denkens, dessen Dynamik als ungerichtete Bewegung eben die nicht-lineare Ent-faltung an die Stelle des logischen Schlussmusters setzt.“ (Goppelsröder 2014, S. 209.)
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(„Ich bin weder wissend noch unwissend […]“50), um die erste, naive Lektüre auf eine zweite, nun anders gelagerte hin zu verschieben, kommt bei Derrida ein anderer, inszenierter Gegensatz zum Einsatz: Wurde zu Beginn mit der apodiktischen Ellipse „Die Gattungen nicht vermischen“ ein fragwürdiger Imperativ ausgegeben, so rekurriert der Text an seinem vermeintlichen Ende auf die uneinholbare Vieldeutigkeit dieser Weisung, um sie als entfaltete Problematik rückwirkend zu verneinen. In beiden Fällen inszenieren die Texte eine prekäre Geschlossenheit: Bei Blanchot stellt das vorgebliche Ende des Textes die wohl vorausgesetzte Einheit des Textes selbst infrage, um auf die unerschöpfliche Fülle potenzieller Relektüren zu verweisen. Ähnlich wendet sich auch Derrida gegen die Annahme, sein eigener Text wäre, wie Blanchots Erzählung, überhaupt einer gattungsmäßigen Klassifikation zu unterwerfen. Der zur Klammer aufgespannte Gegensatz findet sich zudem dort paraphrasiert, wo auf die paralogische Qualität von Der Wahnsinn des Tages eingegangen wird: „Alles ist Erzählung – und nichts; wir werden außerstande gewesen sein festzustellen, ob das Verhältnis zwischen diesen beiden Behauptungen, die seltsame Verschränkung der Erzählung mit der Nichterzählung zur Ordnung der Erzählung gehört.“51
Wenn die zur Antinomie zugespitzte Konfrontation von (gattungsmäßiger) Logik und Gegenlogik (der Erzählung) formulierbar wird, ermöglicht dies einen Rückschluss auf die darin jeweils wirksamen „Ordnungen“, die daraufhin als verhandelbare Größen thematisierbar und befragbar werden. Auf diese Weise kann die Umklammerung des Textes mit dem in ihr ausgetragenen Widerspruch darauf hinweisen, worin der suggerierte Perspektivenwechsel liegen mag, den der Text selbst in actu zu vollziehen sucht. Ein solcher „Wink“ kann und soll eben nicht ausbuchstabieren, welche konkreten Mittel und Wege an das vermeintliche Ziel führen, da es um eine Ausweitung des Sag- und Denkbaren, nicht um eine alternative methodische Streckenführung geht. Stattdessen bereitet er die Voraussetzungen so weit auf, um nach produktiven Verschiebungen und alternativen Denkformen zu fragen, die der entfalteten Komplexität – wie sie die prinzipielle Frage nach der Homogenität von Erzählung bedeutet – ansatzweise gerecht zu werden vermögen. In dem Sinn, in dem die Gesten des Textes auf der Basis einer entfalteten Problematik über sich selbst hinausweisen, lässt sich von ihnen tatsächlich als produktive Richtungsnahmen sprechen. Derrida selbst deutet über den Ausdruck der „Bahnungen“52 an, was hier als Trassierung bezeichnet wurde: Ähnlich wie die Spur (trace) auf etwas uneinholbar Vergangenes zurückverweist und 50 Blanchot 1979, S. 7, 26. 51 GG, S. 270. 52 Ebd., S. 281.
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es aktualisierend, als Uneinholbares ins Gedächtnis ruft, verweisen die Trassierungen auf einen Überschuss, der in reflexiven Gesten zwar angebahnt und entworfen werden, dem aber keine fruchtbare, gelingende Umsetzung garantiert sein kann. Die als „unmöglich“ erwiesene Erzählung transzendiert gewissermaßen durch das ihr inhärente aporetische Potenzial die einhegende Ordnung der Gattung selbst, um sie als Ordnungsprinzip infrage zu stellen. In diesem Sinn kann es keine allgemeine „Erzählung“ geben, da sie selbst daran arbeitet, die ordnende Zuschreibung zu subvertieren, die ihr abstraktes Bestehen behaupten könnte. Die Erzählung von der Erzählung verschiebt sich so zu einem abgründigen Verweis, der es unternimmt, die vordergründig aporetischen, also „unmöglichen“ Gesten ihres Erzählens produktiv weiterwirken zu lassen – und entlang narrativer Mittel vage Richtungen zu trassieren, um diese Wirkungen behutsam zu dirigieren.
Open Ends Beide hier unternommenen Lektüregänge durch Derridas Das Gesetz der Gattung sollten rekonstruieren, inwiefern Derridas eigene Vorgehensweise ein unterschwelliges, doch produktives Naheverhältnis zur Erzählung entwickelt. Indem beide Texte, Derridas Lektüre und auch Blanchots Erzählung, eine parallele Geste zur Kritik von vereinfachenden Sinnzusammenhängen vorführen, verweisen sie einerseits durch Unschärfen, Widersprüche und ausufernde Verweisungen auf die Antinomien gängiger Textorganisation, um andererseits auf alternative Figuren diskursiver Artikulation aufmerksam zu machen. Die Erzählung wird dabei, im Rahmen der Frage nach dem Prinzip gattungsmäßiger Homogenität, zu einer Spiegelung von Derridas kritischem Lektüreprozess – und sollte demnach nicht im Sinne eines Modells oder Beispiels verstanden werden, das „der“ Erzählung eine bestimmte theoretische Funktion zuweist. Vielmehr überschneiden sich Blanchots und Derridas Text in diesem spezifischen Fall hinsichtlich einer grundlegenden Reflexionsgeste, die durch ihre fundamentale Problemperspektive vor allem einen offenen Hinweis entfaltet – auf eine Unzahl möglicher Erweiterungen, die aus dem (auch) paradoxen Feld narrativer Möglichkeiten zu gewinnen sind. Die zahlreichen Figuren, die in diesem Sinne nachgezeichnet wurden, überformen aber nicht nur ein als restriktiv kritisiertes Grundinventar logischer Text- und Argumentationsoperationen. Denn auch die Annahme, dass ein in sich geschlossenes genealogisches Bedeutungssystem sich selbst einerseits durch Selbstentsprechung und Kohärenz, andererseits durch ontologische Isomorphie als „wahr“ legitimieren kann, wird damit als neutralisierende Vereinfachung zurückgewiesen. Wenn die narrativ inspirierten Argumentationsfigu-
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ren auf diesen „systematischen“ Rückhalt ausdrücklich verzichten, verweisen sie – wie beispielsweise die Kritik der „Natürlichkeit“ der Gattung veranschaulicht – stattdessen auf den Umstand, dass jeglichem Arrangement von „Wahrheiten“ eine durchaus politische Verantwortung vorausgeht. Dieses politisch verantwortliche bzw. ethisch-reflexive Moment zeigt sich an vielen Stellen in der Exposition jener (An-)Ordnungselemente, aus denen jene einhegend hegemonialen Effekte resultieren, die gerade durch stillschweigend als „wahr“ und insofern als unbedingt angenommene Voraussetzungen, etwa einer „Natürlichkeit“ der Gattung, in der Wirksamkeit ihres bedingten Durchsetzungsvermögens verschleiert werden. Gerade bei philosophischen bzw. theoretischen Konstruktionen zielt Derridas reflexiver Imperativ auf die Frage, inwiefern die als „wahr“ etablierten Ordnungen auch potenziell repressive Strukturen bedienen können und wie diese a limine zu entkräften oder gar zu umgehen sind.53 Als Grundlagen von institutionalisierten Annahmen und daraus resultierenden Praktiken kommt der Organisation und Artikulation von Wirklichkeit (und ihren vermeintlichen Prinzipien) eine zentrale Rolle zu, die selbst nur im Rahmen sozialer Zusammenhänge situiert und verantwortet werden kann.54 Der Bezug auf Erzählung erweist sich damit als ein zumindest doppeltes Insistieren: zum einen als ein Insistieren auf der grundsätzlichen Veränderbarkeit jeglicher Ordnungskonstruktionen, die als verstetigte Usancen gedacht werden und somit als politische Größen auch auf fundamentaler Ebene kritisierbar bleiben; zum anderen als ein Beharren auf den irreduziblen Ansprüchen an Theoriebildung, die stets versuchen muss, der oftmals paradoxen Fluidität und Komplexität lebensweltlicher Zusammenhänge gerecht zu werden.55 Mit der Erzählung werden für Derrida – allein in Das Gesetz der Gattung – somit zahlreiche Figurationen thematisch, die als „notwendige“ Denkbewegungen zwar auch in Abstoßung von einer reduktiven Systematik gedacht werden können, die ihre strategische Rechtfertigung aber erst im Kontext einer ethischen Fragestellung gewinnen. Denn nur wenn bereits die funktionale Gestaltung von Theoriebildung (und -kritik) eine potenzielle Ausgangsbasis für alternative soziale Praktiken und Umgangsformen bereitstellt, kann eine differenzsensible Vorgehensweise über eine rein theoretische „Redlichkeit“ hinausweisen. Mit dieser Vorgehensweise, in und mit dieser Art von Theoriebildung werden auch jene Wechsel denkbar, die einerseits reduktiven Systematiken wie etwa der als binär strukturiert vorausgesetzten Geschlechterordnung ausgestellt werden, um die für ihre Durchsetzung nötigen Einsätze sichtbar zu machen, und die andererseits als Möglichkeit der Unterwanderung, der Kontamination, der Subvertie53 Vgl. für eine ideologiekritische Lesart von Derridas „Semiotik“ Engelmann 2013. 54 Vgl. Saar 2007, S. 167, 173. 55 Vgl. die pointierte Positionierung in Derrida 1988, S. 105.
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rung bestehender Ordnungsgefüge konkrete Taktiken, etwa eine widersprüchliche Erzählanordnung, figurieren. Fortzudenken und in alternative Praktiken zu überführen wäre somit Derridas Auffächerung des Genres56 – ein weiteres offenes Ende „des“ Textes –, die andeutet, wo weitere faktische, hierarchisierende und diskriminierende Reglementierungen von vermeintlich „natürlichen“ Schemata abhängen. Um deren Grundlagen durch eine politisierte Reflexion und Instruktion der theoretischen Schreibweisen zu unterlaufen, bietet das Feld des Narrativen – nicht nur bei Blanchot – schier unüberschaubar viele Möglichkeiten.
Literatur Barthes, Roland: Fragmente einer Sprache der Liebe. Frankfurt am Main 72012. Blanchot, Maurice: Der Wahnsinn des Tages. Übersetzt von Brigitta Restorff, Berlin 1979. Derrida, Jacques: ,La diff8rance*‘, in: ders.: Marges de la philosophie. Paris 1972, S. 1–29. Derrida, Jacques: Wie Meeresrauschen auf dem Grund einer Muschel … Paul de Mans Krieg. M8moires II. Wien 1988. Derrida, Jacques: Pr8jug8s. Vor dem Gesetz. Wien 1992. Derrida, Jacques: ,This Strange Institution Called Literature‘, in: Attridge, Derek (Hg.): Acts of Literature. London / New York 1992, S. 33–75. Derrida, Jacques: ,Das Gesetz der Gattung‘, In: ders.: Gestade. Übersetzt von Monika Buchgeister und Hans-Walter Schmidt, Wien 1994, S. 245–283. Derrida, Jacques: ,Die zweifache S8ance‘, in: Engelmann, Peter (Hg.): Dissemination. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek, Wien 1995, S. 193–322. Derrida, Jacques: ,Die weiße Mythologie. Die Metapher im philosophischen Text‘, in: ders.: Randgänge der Philosophie. Wien 1999, S. 205–258. Derrida, Jacques: ,Die Struktur, das Zeichen und das Spiel im Diskurs der Wissenschaft vom Menschen‘, in: ders.: Die Schrift und die Differenz. Frankfurt am Main 102006, S. 422–442. Engelmann, Peter : Dekonstruktion. Jacques Derridas semiotische Wende der Philosophie. Wien 2013. Gasch8, Rodolphe: ,Metapher und Quasi-Metaphorizität‘, in: Haverkamp, Anselm (Hg.): Die paradoxe Metapher. Frankfurt am Main 1998, S. 235–267. Goppelsröder, Fabian: ,Zwischen Konzept und Phänomen. Die Geste als Denkfigur‘, in: Richtmeyer, Ulrich / Goppelsröder, Fabian / Hildebrandt, Toni (Hg.): Bild und Geste. Figurationen des Denkens in Philosophie und Kunst. Bielefeld 2014, S. 203–214. Khurana, Thomas: Sinn und Gedächtnis. Die Zeitlichkeit des Sinns und die Figuren ihrer Reflexion. München 2007. Lyotard, Jean-FranÅois: Das postmoderne Wissen. Ein Bericht [1982]. Wien 1994. Mende, Dirk: Metapher – Zwischen Metaphysik und Archäologie. Schelling, Heidegger, Derrida, Blumenberg. München 2013. 56 GG, S. 280.
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Mitchell, W. J. T. (Hg.): On Narrative. Chicago / London 1981. Ricoeur, Paul: Zeit und Erzählung. Band I: Zeit und historische Erzählung. München 1998. Saar, Martin: ,Beschreiben/Zersetzen: Dekonstruktion als Institutionskritik‘, in: Niederberger, Andreas / Wolf, Markus (Hg.): Politische Philosophie und Dekonstruktion. Bielefeld 2007, S. 165–180. White, Hayden: Metahistory. Die historische Einbildungskraft im 19. Jahrhundert in Europa [1973]. Frankfurt am Main 1991.
Marlen Bidwell-Steiner
Don Quijote trifft auf Orlando Furioso: poetische Anamorphosen und chiastische Verknüpfungen als Auftakt des modernen europäischen Romans1
Dieser Beitrag beginnt mit einem Tabubruch, genauer gesagt mit einem Allgemeinplatz: Don Quijote de la Mancha von Miguel de Cervantes ist der erste neuzeitliche Roman des europäischen Kulturraums.2 Meist wird dies damit begründet, dass der Text das bis zu seinem Erscheinungsdatum florierende Genre des Ritterromans persifliert und obendrein einer metaliterarischen Reflexion unterzieht. Aus heutiger Sicht lässt sich durchaus von Dekonstruktion avant la lettre sprechen. Dieser ganz offensichtliche Bruch einer Gattungstradition ist allerdings sattsam erforscht. Vergleichsweise geringeres Interesse fanden bislang die intertextuellen Bezüge des Textes zu einem anderen wirkmächtigen „Prototyp“ der europäischen Literatur, dem Orlando Furioso (1516/ 1535).3 Diese Analyse verfolgt daher das Ziel, die vielen Verweise auf Ludovico Ariostos Epos im ersten Teil des Don Quijote (1605) systematisch zu diskutieren, da sie die Thematik des Bruchs in Cervantes’ Werk auf mehreren Ebenen greifbar machen: textuell, hypertextuell und metatextuell. Um meinen Tabubruch zu konsolidieren, sei noch vorweggeschickt, dass intertextuelle Anleihen für die frühneuzeitliche Literatur ein gängiges Verfahren darstellen, wobei die Grenzen zwischen serieller Fortschreibung, Plagiat und Umschreibung fließend sind. Cervantes bricht mit dieser Konvention und damit
1 Einer der ersten, der die Anamorphose für die von mir besprochene Textpassage als poetisches Verfahren diskutiert, ist Hauser 1964, S.84. Einer der wenigen LiteraturwissenschaftlerInnen, der diese Fragestellung aufgegriffen hat, ist Castillo 2001, allerdings geht er auf die von mir analysierte Passage nicht ein. 2 Paradigmatisch für diese innerhalb der Romanistik konsensuale These sei hier Luk#cs 1994, S. 89, genannt. 3 Bei einem so viel beforschten Werk wie dem Don Quijote blieb die Bezugnahme auf den Orlando Furioso selbstverständlich dennoch nicht unbeachtet. Neben jenen Beiträgen, auf die ich in Folge eingehen werde, gibt es wichtige, wenngleich recht unterschiedliche Ansätze: Hart 1989, v. a. S. 15–38; Chevalier 1966, v. a. S. 460ff.; Quint 1997, S. 241–268; einen weiteren interessanten Aspekt und auch einen guten Überblick über die komparatistische Auseinandersetzung Ariosto/Cervantes gibt Güntert 1995, S. 271–283.
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auch den Pakt mit dem Publikum, da sein Spiel von „Zitat und Montage“4 ganz klar nicht auf Nachahmung, sondern auf Transformation, also auf Hypertextualität im Sinne von G8rard Genette, zielt.5 Aus meiner Sicht ist es daher eine stimmige Koinzidenz, dass Genette dieses Konzept anhand von Jorge Luis Borges’ Pierre Menard autor del Quijote entwickelt.6 Den besonderen Stellenwert der Intertexte bzw. Hypotexte von Ariosto im Don Quijote belegt schon deren Situierung, denn gewissermaßen rahmen sie den unübersichtlichen Roman: Das erste Widmungsgedicht, das Cervantes der Diegese voranstellt, bemüht nicht nur eine Figur aus dem Ritterroman Amad&s de Gaula, der im weiteren Verlauf aufs Korn genommen wird, sondern variiert auch eine Textzeile aus dem Orlando: „damas, armas, caballe-[ros] / le provocaron de mo- / , que, cual Orlando furio- / , templado a lo enamora- / , alcanzj a fuerza de bra- / a Dulcinea del Tobo-.“7 Und er beendet den Roman mit den Worten „Forsi altro canter/ con miglior plectio“, einem weiteren – etwas korrumpierten – Zitat aus dem Orlando, das im zweiten Teil des Quijote wieder aufgegriffen wird, da allerdings ins Spanische übertragen: „quiz# otro cantar# con mejor plectro“8. Wie Margot Kruse als eine der Ersten festgestellt hat, markiert der italienische Hypotext aber auch die Dynamik der Narration: „Hat man, ausgehend von der Komposition der eingefügten Novellen, Einblick in den Aufbau des Don Quijote gewonnen, so zeigt sich schließlich, daß der Autor seinen Ariost-Anspielungen und Zitaten dadurch eine besondere Bedeutung verleiht, daß er sie vorzugsweise an den Höhepunkten des Romans angebracht hat.“9
Edward Dudley konkretisiert, dass sich die aus dem Orlando stammenden Passagen zwischen Kapitel 21 und Kapitel 45 verdichten, in denen Don Quijote jeweils – wie ich noch näher ausführen werde – mit dem Helm des Ritters
4 Vgl. dazu Bornscheuer 1976. 5 Allgemein zu Fragen der Intertextualität im Don Quijote siehe Strosetzki 2001, S. 148–161. Zum Konzept der Hypertextualität im Don Quijote, allerdings nicht mit Fokus auf AriostoHypotexte, siehe Mecke 2005, S. 205–231. 6 Genette 1993, S. 532. 7 Die Bindestriche (-) markieren die ausgelassenen Silben, mit denen Cervantes die Versform des sogenannten verso de cabo roto persifliert. Vgl. dazu Cervantes 1998, S. 72, FN 74. Die entsprechende Textzeile im Orlando lautet: „Le donne, i cavalier, l’arme, gli amori“. Die folgende deutsche Übertragung der Verszeilen übernehme ich wie alle weiteren Übersetzungen aus Cervantes 1979, übersetzt von Ludwig Braunfels, S. 14: „Frauen, Waffen, edle Ritter / hatten so ihn eingeno-mmen, / Daß er wie Roland der to-lle / Ganz von Liebeswut befangen / Sich errang mit starken A-rmen / Dulcinea von Toboso.“ 8 Der Originalvers Ariostos lautet „Forse altri canter/ con miglior plettro“ (xxx–xvi); die entsprechende Stelle im Quijote II findet sich in Cervantes 1998, S. 659. 9 Kruse 1962, S. 248–264, hier: S. 259.
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Mambrino, also einem textuellen Marker aus Ariostos Text, interagiert.10 Damit rahmt das „Dingsymbol“ der Vorlage, oder wie ich in Folge herausarbeiten werde, ein anamorphotisches Objekt, die weiteren eingewobenen hypertextuellen Verarbeitungen aus dem Orlando, die ab Kapitel 25 im Don Quijote stakkatoartig aufeinanderfolgen: Im genannten Kapitel beschließt der caballero de la triste figura, wie ihn sein „Knappe“ Sancho Panza inzwischen auch nennt, den Wahnsinn von Amad&s nachzuahmen, der von seiner Dame verraten worden war. Diese Prolepse im Gespräch mit Sancho beginnt Quijote mit einer metaliterarischen Reflexion, die allein den Architext einer Gattung anerkennt und sämtliche abweichenden Nachahmungen geringer schätzt: „Digo asimismo que, cuando algffln pintor quiere salir famoso en su arte, procura imitar los originales de los m#s fflnicos pintores que sabe; y esta mesma regla corre por todos los m#s oficios o ejercicios de cuenta que sirven para adorno de las repfflblicas. Y as& lo ha de hacer y hace el que quiere alcanzar nombre de prudente y sufrido, imitando a Ulises, en cuya persona y trabajos nos pinta Homero un retrato vivo de prudencia y de sufrimiento […] Desta mesma suerte, Amad&s fue el norte, el lucero, el sol de los valientes y enamorados caballeros, a quien debemos de imitar todos aquellos que debajo de la bandera de amor y de la caballer&a militamos.“11
Doch Cervantes’ Pastiche bedient sich hier einer komplexen chiastischen Montage, da der traurige Held kurz nach seiner Eloge auf den Alleinstellungswert des Originals, das als eine Art Handlungsanleitung detailgetreu nachgeahmt werden muss, seine Devianz ankündigt: „[…] que quiero imitar a Amad&s, haciendo aqu& del desesperado, del sandio y del furioso, por imitar juntamente al valiente don Rold#n, cuando hallj en una fuente las seÇales de que Ang8lica la Bella hab&a cometido vileza con Medoro, de cuya pesadumbre se volvij loco y arrancj los #rboles […] Y, puesto que yo no pienso imitar a Rold#n, o Orlando, o Rotolando (que todos estos tres nombres ten&a), parte por parte en todas las locuras que hizo, dijo y pensj, har8 el bosquejo, como mejor pudiere, en las que me pareciere ser m#s esenciales. Y podr# ser que viniese a contentarme con sola la imitacijn de Amad&s […].“12 10 Vgl. Dudley 1972, S. 355–368. 11 Cervantes 1998, S. 323f.; „So sag ich ferner, wenn ein Maler in seiner Kunst Auszeichnung erlangen will, so ist er bestrebt, die Originale der allerbesten Künstler, die er kennt, zum Vorbild zu nehmen; und die gleiche Regel gilt für jede bedeutende Berufsart und Tätigkeit, die zur Zierde des Gemeinwesens dient. In ähnlicher Weise verfährt und muß verfahren, wer den Namen eines klugen, herrlichen Dulders erlangen will, er muß nämlich den Ulysses nachahmen, in dessen Person und Drangsalen uns Homer ein lebendiges Bild der Klugheit und des gelassenen Erduldens malte; […] In gleicher Weise war Amad&s der Polarstern, der Morgenbote, die Sonne der tapfern und treuliebenden Ritter, den wir alle nachahmen müssen, die wir unter dem Banner der Liebe und des Rittertums kämpfen.“ (Cervantes 1979, S. 227f.) 12 Cervantes 1998, S. 324ff.; […] daß ich Amad&s nachahmen, das heißt die Rolle eines Verzweifelnden, Verrückten, Rasenden durchführen und gleichzeitig den gewaltigen Don
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Neben Amad&s’ Sühne in der PeÇa Pobre erwägt Quijote für seine graduelle Raserei in der Sierra Morena also kurz auch jene Orlandos, um am Ende aber doch eher das Original zu favorisieren, da es gewissermaßen ökologischer ist, denn Amad&s reißt keine Bäume aus und wird auch sonst nicht zum Berserker wie Orlando, sondern lebt nur seinen affektiven Überfluss, „lloros y sentimientos“13, aus. Damit würde Don Quijote also seinem vorangegangenen Diktum treu bleiben, wenn er nicht gleich darauf seine weitere Neugestaltung der Rolle des liebestollen Ritters zugeben müsste. Denn der pragmatische Sancho fragt ihn nach seiner Motivation dafür, da er doch eigentlich – ganz anders als die genannten literarischen Vorbilder – überhaupt keinen Grund habe, an der Treue seiner Auserwählten, Aldonza Lorenzo alias Dulcinea del Toboso, zu zweifeln. Die verblüffende Antwort des Ritters lautet, dass seine derart wahrhaftig ausagierte Fiktion des Wahnsinns die Angebetete davon überzeugen werde, dass eine Ablehnung ihrerseits einen veritablen und irreversiblen Wahnsinn zeitige: „[…] que volverse loco un caballero andante con causa, ni grado ni gracias: el toque est# desatinar sin ocasijn y dar a entender a mi dama que si en seco hago esto, ¿qu8 hiciera en mojado?“14
Abgesehen von einer etwas fragwürdigen, da erpresserisch anmutenden Liebeskonzeption lese ich diese Stelle als einen der zentralen metaliterarischen Kommentare zum Vermögen und zur Funktion von Fiktion: Denn das Fingieren der Figur basiert auf einem fiktionalen Spektrum von emplotment, die Don Quijote eben nicht originalgetreu übernimmt, sondern mit einer weiteren – innovativen – Option konterkariert: der probeweise vorweggenommenen Handlung im Modus des Als-ob. Somit gibt der Text an dieser Stelle nicht nur seine Intertexte preis, sondern auch die spezifische Intention, mit der diese transformiert werden. Anders als im Genre des Ritterromans widerfahren dem Ritter von der traurigen Gestalt nicht einfach Mut- und Charakterproben, um damit verbindliche Sinnhorizonte für die Leserinnen und Leser zu konstituieren. Don Quijote muss sich unter Aufbringung beträchtlicher Imagination und damit Rold#n nachahmen will, da er bei einer Quelle die Beweise fand, daß Angelika die Schöne mit Medor Schändliches begangen, und da er aus Schmerz darüber toll wurde und die Bäume ausriß […] Und wenn ich den Rold#n oder Orlando oder Roland – denn alle drei Namen führte er […] nicht Punkt für Punkt in all den Tollheiten, die er tat, sagte und dachte, nachahmen will, so will ich doch wenigstens eine Skizze von denjenigen geben, die mir die wesentlichsten scheinen; auch könnte es sein, daß ich mich am Ende entschlösse, mit der alleinigen Nachahmung des Amad&s mich zu begnügen […].“ (Cervantes 1979, S. 228f.) 13 Cervantes 1998, S. 325. 14 Cervantes 1998, S. 325; „Daß ein fahrender Ritter mit Grund verrückt wird, darin ist nichts Freiwilliges, dafür gibt’s keinen Dank; die rechte Probe ist, ohne Anlaß wahnsinnig zu sein, damit meine Geliebte denken muss: wenn das am grünen Holze geschieht, was soll’s erst am dürren werden!“ (Cervantes 1979, S. 229.)
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Verletzung jedweder verosimilitud selbst an der Umsemantisierung banaler Lebenswelten modellieren, welche die sozialen und ökonomischen Umbrüche des ausgehenden 16. Jahrhunderts reflektieren, wie David Quint zeigt: „[…] Don Quijote seems to have entered fully upon the terrain and preoccupations of the modern novel, the measure of a historical shift from a stratified feudal society to the more open social world of a nascent capitalism.“15
Quijotes Kontingenzbewältigung besteht in der systematischen Verdichtung profaner Elemente zu einer idealen fiktionalen Gegenwelt. Wie ein guter Dichter selektiert er, um in einer Kombination literarischer Modelle alltagsweltliche Materialitäten und Erfahrungen mit einem tieferen Sinn zu belegen. Und seine Ausgestaltung der Rolle des Liebeswahnsinns folgt tatsächlich ein Stück weit dem Orlando, denn als Sancho ihn um ein Zeichen des Wahnsinns ersucht, welches er Dulcinea schildern könne, entkleidet Quijote sich und steht nackt kopf. Diese penitencia performiert er an einem locus amoenus, den er zuvor sorgfältig ausgewählt hat. Die wohlüberlegte Inszenierung transportiert nicht nur die Situationskomik, sie lässt auch die Umkehrung der Hypotexte umso stärker hervortreten, was ein kurzer Blick auf die verarbeitete literarische Vorlage verdeutlicht. Wie ich an anderer Stelle zeigen konnte, stellt Orlandos Furor ein Suspendieren seiner persona eines heldenhaften miles Christi aufgrund eines affektiven Staus dar, einer Art Schockreaktion, die ihn nachfolgend zum rasenden Tier werden lässt.16 Orlando legt die Panzerung des Kreuzritters ab und ist nackt im umfassenden Sinn: auf seine existenziellen Bedürfnisse zurückgeworfen. Daraus lässt sich – auch – eine Kritik an einem längst überkommenen Männlichkeitsideal ablesen.17 Freilich kommt Orlando aufgrund der Intervention seiner Kameraden wieder zu Sinnen, und gemeinsam bringen sie die Kampfhandlungen – zumindest im Sinne der Kreuzzugslogik – zu einem guten Ausgang. Parallel dazu wird die Thematik der Romanze, die das Epos „kontaminiert“, nach dieser Klimax zurückgefahren. Wie mehrfach festgestellt, markiert der Wahnsinn des Orlando tatsächlich den Höhepunkt des Textes, da er mit canto 23 genau in der Mitte der insgesamt 46 Gesänge einsetzt. Quint weist auf die strukturelle Parallele von Don Quijotes Wahnsinn hin, den dieser ebenfalls genau im Zentrum der Diegese auslebt, und zwar im 26. von insgesamt 52 Kapiteln. In dieser signifikanten Strukturanalogie werden indes die Brüche mit der Vorlage besser greifbar : „Mad though he is, Don Quijote resolves not to go mad in the manner of Orlando.“18 Und tatsächlich ist Quijote 15 16 17 18
Quint 2003, S. 76. Vgl. dazu Bidwell-Steiner 2017. Diesen analytischen Ansatz verfolgt Ascoli 2010, S. 142–158. Quint 2007, S. 23.
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von den destruktiven Handlungen des Orlando furioso weit entfernt. Während dieser des Signifizierens unfähig wird, da er im Akt der Abspaltung der in die Rinden geritzten Liebesverse seine vormals emphatisch ausgewiesene Sprachmächtigkeit verliert, übt sich Don Quijote darin, die umliegenden Bäume seinerseits mit Gedichten an Dulcinea zu zieren. Hier wird erneut die chiastische Montage des Hypotextes deutlich, da der Wahnsinn Orlandos ja ausgerechnet durch die Baum-„Graffitis“ seiner angebeteten Angelica an deren Geliebten Medoro (und vice versa) ausgelöst wird. Außerdem begegnet Quijote kurz vor seiner penitencia dem tatsächlich liebestollen Cardenio. Dessen Geschichte ist einer der vielen scheinbar von der eigentlichen Diegese abgekoppelten eingeschobenen Novellenstoffe. Über derartige enlacements im Don Quijote wurde viel gerätselt, denn wie bereits angedeutet „stören“ sie die Klimax des Romans, da sie den Helden, Don Quijote, plötzlich eigentümlich dezentrieren. Diese „poetische Strafe“ führt er indes selbst herbei: Als Cardenio seine Erzählung unter der Bedingung beginnt, diese nicht durch Fragen zu stören, da er nur mit großer Konzentration auf das Wesentliche den mit der Erinnerung aufkommenden Wahnsinn bannen könne, fällt Don Quijote aus der Rolle: Um den erlittenen Verrat zu veranschaulichen, erwähnt Cardenio beiläufig eine Szene aus dem Amad&s de Gaula, die er freilich falsch zitiert. Das veranlasst Don Quijote, wütend aufzufahren, woraufhin Cardenio vom konzentrierten und melancholischen Erzähler zum delirierenden Berserker / la Orlando mutiert und in einem wilden Kampf Don Quijote, Sancho sowie den anwesenden Schäfer niederstreckt. Der diegetische Bruch ist ein doppelter, da daraufhin nicht nur die Geschichte des wahnsinnigen Cardenio, sondern auch jene des wahnsinnigen Quijote vorübergehend stillgelegt wird, gerade so, wie es im Film durch einen harten Schnitt passiert. Die viel diskutierte Ambivalenz von Ariostos Stoffvorlage als Gattungsmonstrum zwischen Romanze und Epos neigt im Don Quijote also ausgerechnet in jenem Moment zum kriegerischen Epos, als Don Quijote pedantisch auf die buchstabengetreue Wiedergabe einer Romanze (in diesem Fall allerdings aus einem anderen Werk) pocht. Wenn wir uns in Erinnerung rufen, dass Don Quijote kurz darauf kopfsteht, ließe sich aus diesem Bruch auf der Ebene der Diegese ein Plädoyer für narrative Freiheit ableiten, da nur so gewährleistet ist, dass bekannte Motive und Stoffe in neuen lebensweltlichen Kontexten Sinn machen. Die mögliche Intention für diese hypertextuelle Doppelung und gleichzeitige inversive Verfremdung tritt deutlicher hervor, wenn weitere Anspielungen und Anleihen aus dem Orlando in den Blick genommen werden. Während sich Don Quijote im Wahnsinn übt, ist Sancho – vermeintlich ausgestattet mit einem Brief an Dulcinea – auf dem Weg nach Hause. In jenem Wirtshaus, in welchem den beiden ungleichen Protagonisten des Romans schon zuvor übel mitgespielt wurde, begegnet Sancho dem Pfarrer und dem Barbier, die ausgezogen waren,
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um Don Quijote wieder heimzubringen. Nach Sanchos Erzählungen von dessen Geisteszustand beschließen cura und barbero, Don Quijote mit seinen eigenen Waffen beizukommen. Sie ersinnen die Geschichte einer jungen Frau in Not, die der Pfarrer verkörpern würde, der Don Quijote im Rahmen seines ritterlichen Ehrenkodex beistehen müsse. Die Bedenken des Pfarrers, Quijote in Frauenkleidern zu täuschen, erweisen sich im weiteren Verlauf insofern als unnötig, als die Finte der beiden schließlich von einer realen doncella errante, Dorotea, kongenial performiert wird, da diese selbst eine intime Kennerin der Ritterromane ist. Wiederum sind Fiktion und „Realität“ chiastisch miteinander verknüpft, denn während Don Quijote seine in der gesamten Handlung niemals leibhaftig auftretende – von Sancho gleichwohl als eher derb beschriebene – Dulcinea besingt, wird ihm von einer realen – ebenso schönen wie lebensklugen – jungen Frau die Befriedigung höherer ritterlicher Ambitionen vorgegaukelt.19 Die vom Pfarrer, vom Barbier und von Dorotea gemeinsam fingierte Prinzessin Micomicona aus dem fernen Guinea weist einige Parallelen zu Ariostos Angelica auf, die ja ebenfalls eine afrikanische bzw. indische, dabei aber selbstverständlich weiße und wunderschöne Königstochter ist. Die Darstellerin des fiktionalen Motivs im Don Quijote erzählt zuvor aber noch ihre eigene unglückliche Liebesgeschichte, die ein weiteres der vielen scheinbar unverbundenen enlacements in Cervantes’ Text aufnimmt. Doroteas Erzählung kreuzt sich freilich mit der des erneut anwesenden, nunmehr dem Wahnsinn entrissenen Cardenio, da ihrer beider Schicksal vom treulosen Fernando in Gang gesetzt wurde. Doch nicht nur die Bezüge zu dieser vorgängigen Metalepse20 verdichten sich, ein genaues Lesen von Doroteas Hintergrund perspektiviert auch die Figur der fabelhaften Prinzessin Micomicona, die sie gemeinsam mit dem cura und dann vor allem unter Nutzung von Sanchos am Herrn geschulten Imaginären zu Leben erweckt. Wie Stacy Triplette darlegt, simuliert dieses kollektive emplotment die Serialität des Genres Ritterroman, das ja im Wesentlichen die immergleichen Elemente und Motive variiert: „This tripartite model of authorship mimics the way in which some chivalric texts, particularly those that can be arranged in sequels and dynasties, are constructed. […] Like Montalvo and de Silva, Dorotea makes an existing story her own and changes it in the retelling.“21
19 Siehe dazu Quint 2007, S. 24. 20 Auch wenn dieser Begriff hier im strengen narratologischen Sinn von Genette nicht „hält“, scheint er mir adäquat, da es sich um eine semantisch hochrelevante hypertextuelle Vermischung von Erzählebenen handelt, also gewissermaßen eine Mischform von narratologischer und klassisch-rhetorischer Metalepse. 21 Triplette 2010, S. 165f.
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Dorotea muss also nur in gestelzter Sprache ihre Bedrängtheit durch einen nicht näher definierten Riesen andeuten und die Dankbarkeit ihres Vaters, des Herrschers über Micomicjn, in Aussicht stellen, um Don Quijote aus seinem amor hereos herauszureißen und in ritterliche Aktion zu bringen. Ihre Darbietung besticht dabei weniger durch detailreiche Schilderungen als durch gezieltes Abrufen der gattungsimmanenten Codes. David Quint analysiert, dass die chiastische Organisation der Szene, in der die „echte“ Dulcinea dem Geschehen fernbleibt, während die „falsche“ Prinzessin Micomicona durch Doroteas Performanz höchst präsent ist, auf die im 16. Jahrhundert nunmehr ausschließlich materiell motivierten „Kreuzritter“ verweist: „This substitution of ,Princess Micomicona‘ for Dulcinea at the midpoint of Part One epitomizes the larger substitution in the course of its narrative of modern stories of marriages-for-money for outmoded stories of honour and erotic jealousy.“22
Somit ließe sich der angesichts der fehlgeschlagenen Erzählung Cardenios vorgebrachte Befund, dass die Textintention auf narrative Freiheit zielt, um im Modus der Fiktion die komplexen Erfahrungswelten im frühneuzeitlichen Spanien zu verarbeiten, anhand eines close reading der Micomicona-Episode vertiefen. Für die Dynamik des Plots ist entscheidend, dass Sancho von der Echtheit der Prinzessin überzeugt ist und sich am Ziel seiner Träume wähnt, nachdem er schon nicht mehr an die ihm von Don Quijote für seine treuen Dienste in Aussicht gestellten Inseln geglaubt hatte. Denn nachdem Dorotea alias Micomicona stilgerecht aus dem Damensattel vor Don Quijotes Füße kippt und sich nicht erheben will, „si primero, por la vuestra cortes&a, no me es otorgado el don que pido“23, bestärkt Sancho seinen Herrn, dem von der Dame erflehten Dienst nachzukommen. Denn es handle sich ohnehin nur um eine Bagatelle: „[…] sjlo es matar a un gigantazo, y esta que lo pide es la alta princesa Micomicona, reina del gran reino Micomicjn de Etiop&a.“24 Sanchos Wortverdrehungen und -verwechslungen sind nicht nur komisch, sondern verweisen meist auch auf die Polysemie, mit der Cervantes einzelne Motive belegt. Deshalb ist der Lapsus, dass Guinea zu Äthiopien wird, signifikant. Im Unterschied zu Guinea ist Äthiopien nämlich ein seit der Antike mythologisch aufgeladener Landstrich, der allerlei monströse und abjekte Lebe22 Quint 2007, S. 24. 23 Cervantes 1998, S. 391; „So nicht zuvor von Eurer Huld die Gunst, die ich erbitte, mir zugesagt worden“ (Cervantes 1979, S. 290). 24 Cervantes 1998, S. 391; „Es besteht bloß darin, daß Ihr einen gewaltigen Riesen totschlagen sollt, und die da, welche es begehrt, ist die hohe Prinzessin Mikomikona, die Königin im großen Reich Mikomikjn in Äthiopien.“ (Cervantes 1979, S. 290.)
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wesen – Riesen, Amazonen und Hydren – beherbergt. Das angsteinflößende Andere der europäischen Zivilisation musste immer schon an die Ränder der bekannten Welt gebannt werden, Äthiopien wurde als das äußerste Ende Indiens aufgefasst und stand metonymisch für ganz Schwarzafrika.25 Indem Sancho nun das topische Fabelland nennt, dessen König Memnon übrigens wie die indischafrikanische Angelica Ariostos ebenso weiß wie schön gewesen sein soll, verstärkt er die Fiktionssignale eines Ritterromans, was in Quijotes verkehrter Welt der Geschichte Doroteas/Micomiconas mehr Glaubwürdigkeit verleiht. Sancho ist mit dem Genre inzwischen auch hinlänglich vertraut, um zweifelsfrei davon auszugehen, Don Quijote werde nach siegreicher Tat „por lo menos, rey de Micomicjn“26. Doch als er sich seine Zukunft als Statthalter im fernen Reich ausmalt, kommen ihm Bedenken, da es sich ja um das Land der Schwarzen handle. Schließlich siegt Sanchos bewährter Pragmatismus, denn: „¿Qu8 se me da a m& que mis vasallos sean negros? ¿Habr# m#s que cargar con ellos y traerlos a EspaÇa, donde los podr8 vender, y adonde me los pagar#n de contado, de cuyo dinero podr8 comprar algffln t&tulo o algffln oficio con que vivir descansado todos los d&as de mi vida?“27
An dieser Stelle wird deutlich, dass Afrika inzwischen nicht mehr nur als Projektionsfläche für das radikal Andere des kollektiven Imaginären Europas fungiert, sondern über für die Iberische Halbinsel wichtige Ressourcen verfügt. So gesehen öffnet die angebliche Herkunft der sagenhaften Prinzessin aus Guinea im Kontext des 16. Jahrhunderts ganz andere semantische Horizonte. Denn der Golf von Guinea an der Westküste Afrikas galt als Zentrum des frühneuzeitlichen Sklavenhandels, womit Sanchos Kommentar das stilgerecht inszenierte fabelhafte Abenteuer durch die dunklen Seiten des kapitalistischen Kreuzrittertums bricht: „Sancho’s blatant racial prejudice is quite jarring for the reader, as it is utterly inconsistent with the playful tone of the rest of the episode. Cervantes deliberately alludes to the human cost of the narrative of Christian conquest. African slaves were first transported to the Americas early in the sixteenth century, and by the first decade of the
25 Letzteres geht aus der Etymologie der Landesbezeichnung hervor, die im Griechischen so viel wie „brennendes Gesicht“ bedeutet. Stilbildend für die fabelhaften Wesen des fernen Landes war der antike Roman Aithiopika von Heliodoros. 26 Cervantes 1998, S. 393. 27 Cervantes 1998, S. 393; „Was liegt mir dran, ob meine Untertanen Schwarze sind? Was braucht’s weiter, als sie aufs Schiff zu laden und nach Spanien zu bringen, wo ich sie verkaufen kann und man mir sie bar bezahlen wird? Und mit dem Gelde kann ich alsdann ein Gut, das den Adel verleiht, oder ein Amt kaufen, um davon all meine Lebenstage geruhsam zu leben.“ (Cervantes 1979, S. 292.)
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seventeenth century, they were a significant part of the labor force in many territories.“28
Dieser postkolonialen Perspektive ließe sich historische Ungenauigkeit vorwerfen, da der Sklavenhandel im großen Stil ja hauptsächlich von Portugiesen betrieben wurde und sich auf Arbeitskräfte für die Kolonien in Übersee konzentrierte. Doch wie etwa Bartolom8 Bennassar nachweist, befriedigten schwarze Haussklaven und Hausklavinnen die exotischen und erotischen Fantasien adeliger Häuser in ganz Europa, und spanische „Eroberer“ verfügten auch andernorts über die kolonisierten Menschen als Handelsgut.29 Und obwohl ich autobiographische Lesarten frühneuzeitlicher Texte für unangebracht halte, darf an dieser Stelle doch an Miguel de Cervantes’ Versklavung in Algerien erinnert werden, womit er die frühkapitalistische Bedeutung der Ressource Mensch am eigenen Leib erfahren musste. Wenn Don Quijote am Ende aus Treue zu seiner imaginierten Dulcinea die Aussicht auf die Hand der fingierten schönen Königstochter ausschlägt, so lässt sich daraus auch Cervantes’ Absage an die inzwischen nur allzu greifbaren destruktiven Eroberungsfantasien – seien sie nun rassistisch und/oder sexistisch untermalt – herauslesen. Doch die Episode erschöpft sich nicht in dieser eindeutigen Botschaft. Vielmehr wird sie von einem weiteren Hypotext aus dem Orlando Furioso durchkreuzt. Denn die illustre Gesellschaft – Dorotea/Micomicona, Cardenio, der Pfarrer, der Barbier und Sancho – geleitet Don Quijote erneut zu jenem Wirtshaus, in dem – wie Julia Farmer feststellt30 – sämtliche narrativen Fäden zusammenlaufen. Bevor Don Quijote dem Riesen ein Blutbad liefert – wobei sich das Ungeheuer allerdings als Weinschläuche erweisen wird –, finden die unglücklich Liebenden Cardenio und Dorotea in der venta ihre jeweiligen Partner, Luscinda und Fernando, wieder. Doch erneut erfährt die ohnehin schon reichlich komplizierte Handlung eine Zäsur, und die Anwesenden lauschen der novela del curioso impertinente. Diese Kurzprosa veranschaulicht, warum etwa Jochen Mecke den Begriff der Hypertextualität um den der Hypermedialität erweitert, denn die unterschiedlichen Modi des Erzählens – oral, als Manuskript, als Buch, in Übersetzung – werden in dieser und anderen Passagen durchgespielt und somit metaliterarisch reflektiert: „So setzt der Don Quijote auch das Verhältnis zwischen Manuskriptkultur und Buchdruck auf vielfältige Weise in Szene. Dabei entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass sich der Held ausgerechnet dank des neuen Mediums des Buchdrucks mit be28 Triplette 2010, S. 182. 29 Bennassar 1983, S. 185; ebenso Bennassar/Bennassar 2001. 30 Farmer 2009, S. 159–172.
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weglichen Lettern mit einer Welt vertraut macht, die eigentlich der vergangenen Manuskriptkultur angehört.“31
Das Buch mit der Geschichte des impertinenten Neugierigen synthetisiert gleichsam zwei Erzählungen aus dem Orlando, in denen es im Wesentlichen um das Motiv der Liebesprobe geht: Ein Edelmann reicht seinen – selbstverständlich ausschließlich männlichen! – Gästen einen Weinkelch, dessen Inhalt sich je nach Standhaftigkeit der Ehefrau in ihre Kehle oder auf ihre Brust ergießt. Der Held in Orlando schlägt die Probe aus und bekommt daraufhin zwei Geschichten erzählt, in denen eifersüchtige Männer sich mit List und Magie der Untreue ihrer Frauen versicherten. Einer von ihnen trägt den gleichen Namen wie der curioso impertinente aus Cervantes’ enlacement, und zwar Anselmo. In Ariostos Hypotext erhält er eine Lektion über Vergebung, da er selbst wegen der vor ihm ausgebreiteten Reichtümer schwach wird und um sie zu erlangen bereit ist, mit einem hässlichen Schwarzen zu schlafen. Im Don Quijote verletzt Anselmos desengaÇo, also seine Ent/täuschung im Sinne von Desillusionierung, weniger das decorum gegenreformatorischer Moralvorstellungen, ist aber umso drastischer, da er – ebenso wie seine geliebte Frau und sein engster Freund, der zum Instrument der Liebesprobe wird – den Tod findet. Die Novelle nimmt immerhin mehr als zwei Kapitel des Romans in Anspruch. Ihr Ende markiert zugleich die Auflösung der vielen Intertexte aus dem Orlando Furioso. Deshalb ist es aufschlussreich, dass sie wiederum von einem metaliterarischen Kommentar begleitet wird. Der Pfarrer meint nämlich abschließend: Bien […] me parece esta novela, pero no me puedo persuadir que esto sea verdad; y si es fingido, fingij mal el autor, porque no se puede imaginar que haya marido tan necio que quiera hacer tan costosa experiencia como Anselmo. Si este caso se pusiera entre un gal#n y una dama, pudi8rase llevar, pero entre marido y mujer, algo tiene del imposible; y en lo que toca al modo de contarle, no me descontenta.32
Nunmehr habe ich die schwierige Aufgabe zu bewältigen, die chiastischen Verknotungen der vielen narrativen Fäden aus Hypotext und Hypertext mit dieser Aussage zum Status der Fiktion zu konfrontieren, ohne noch weiter in die überbordende Diegese einzutauchen. Auch Julia Farmer hat sich dieser Her31 Mecke 2005, S. 224. 32 Cervantes 1998, S. 482; „Die Novelle gefällt mir wohl […] aber ich kann nicht glauben, daß es eine wahre Geschichte ist; und wenn sie erdichtet ist, so hat der Verfasser schlecht gedichtet; denn man kann sich nicht vorstellen, daß ein Ehemann so töricht sein kann, eine so kostspielige Probe wie Anselmo anstellen zu wollen. Wenn der Fall zwischen einem Liebhaber und seiner Geliebten vorgekommen wäre, so könnte man ihn zugeben; aber zwischen Mann und Frau hat er etwas Unmögliches in sich. Was aber die Art und Weise betrifft, wie er erzählt wird, so bin ich damit gar nicht unzufrieden.“ (Cervantes 1979, S. 375.)
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ausforderung gestellt. Sie versteht die von mir verhandelte Sequenz von Intertexten aus dem Orlando Furioso als eine Antwort auf die zur Entstehungszeit des Don Quijote virulente Diskussion um die Gattung Epos. Denn in Nachfolge Torquato Tassos Forderung einer einheitlichen – heroischen – Handlung wurde die vielgestaltige Dichtung Ariostos zunehmend kritisiert. Tatsächlich scheint Tassos eigenes Heldenepos Gerusalemme Liberata besser in die rigide Kultur der Gegenreformation zu passen als Ariostos hybrider Text. Farmer meint nun, dass die Auflösung der Hypotexte die Poetik Tassos affirmiere: „The complex web that Cervantes weaves in his 1605 Quixote thus reveals a carefullyconstructed homage to one of the greatest literary quarrels of his day, as the Furiosoinspired narrative threads framed by the yelmo episodes must eventually make way for a new, Tasso-oriented literary domain.“33
Wenngleich Farmers Analyse viele interessante Anregungen enthält, lese ich Cervantes’ Texturen genau gegenläufig. Denn abgesehen davon, dass mit seinem Roman der Gattung Epos endgültig der Rang der narrativen Meisterdisziplin abgesprochen wird, besteht die viel zitierte Modernität des Don Quijote gerade in seiner hermeneutischen Unbestimmtheit bzw. Offenheit. Und in Anlehnung an Edward Said sehe ich die von Cervantes neu geschaffene Gattung als Reflexion der Daseinsbedingungen in einer zutiefst imperialistischen, kolonialistischen und protokapitalistischen Kultur: „Without empire, I would go so far as saying, there is no European novel as we know it, and indeed if we study the impulses giving rise to it, we shall see the far from accidental convergence between the patterns of narrative authority constitutive of the novel on the one hand, and, on the other, a complex ideological configuration underlying the tendency to imperialism.“34
Die Montagen des Materials aus dem Orlando lehnen sich daher oft formal an den Hypotext an. Allerdings harmonisiert Ariosto seinerseits das fragile Weltbild zwischen Epos und Romanze, da er – bei aller ironischen Brechung – doch noch die Genealogie seines Mäzens zentral setzt, um dem spielerischen Chaos der Diegese einen verbindlichen, metaphysisch anmutenden Sinnhorizont entgegenzuhalten. Im Don Quijote kommt nun aber ein verstörendes allgegenwärtiges Strukturelement für die Neusemantisierungen ins Spiel: die Anamorphose als Technik des poetischen Kippbildes. Deshalb ist es auch bestimmt kein Zufall, dass Hypotext und Hypertext in der Mitte korrelieren, denn auch für die Konstruktion von Anamorphosen sind die Prinzipien der Zentralperspektive notwendig, die lediglich eine Verzerrung erfahren, die Texte müssen sich also an entscheidender Stelle berühren, um als Kippbild lesbar zu werden. Cervantes’ 33 Farmer 2009, S. 170. 34 Said 1993, S. 76.
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poetische Anamorphose ist auf der Binnenebene semantisch mit dem Chiasmus verknüpft, mithin einer Trope, die Ambivalenzen und Widersprüche performativ zur Schau stellt. Die Begegnung der beiden Liebespaare im Wirtshaus, die ja neben Pfarrer und Barbier die Adressaten bzw. Adressatinnen der eingeschobenen novela del curioso impertinente sind, veranschaulicht die narrative Strategie des Überkreuzens: Cardenio und Fernando waren nämlich zunächst Freunde. Doch während in der Novelle Anselmos Freund dessen Frau aus Loyalität verführt, um ihre Treue zu prüfen, verrät Fernando die Freundschaft Cardenios, da er ihm Luscinda ausspannt, die ihrerseits wiederum als Ikone weiblicher Treue (zu Cardenio) erscheint. Zuvor hatte Fernando schon Dorotea unter Vorspiegelung eines Eheversprechens entehrt. Und signifikanterweise ist es nun Dorotea, die das erlösende desenlace herbeiführt: Sie schildert den Anwesenden ihr Unglück, und angesichts der Authentizität, mit der sie deren Emotionen weckt, hat der leichtsinnige Fernando „ausgespielt“. Diese umgangssprachliche Metapher verdankt sich in diesem Zusammenhang Cervantes’ Gestaltung, denn Fernando, seine Entourage und Luscinda hatten die venta wie eine Theatertruppe maskiert bzw. verschleiert betreten. Dorotea schreckt in Folge nicht davor zurück, sich Fernando zu Füßen zu werfen und ihn pathetisch um die Einlösung seines Eheversprechens zu bitten. Dieser Akt der Erniedrigung steht in einer gewissen Logik zu ihrem sozialen Status: Zwar ist sie schön und klug, ja ihr Vater wird mehrfach sogar als sehr reich beschrieben, aber er ist ein Landwirt, der eigentlich in feudaler Abhängigkeit zu Fernandos Vater steht. Außerdem verrät uns der auktoriale Erzähler in der Episode um Micomicona, dass Doroteas Eltern leider nicht adelig, aber doch cristianos viejos seien. Dieser Terminus bezieht sich auf die limpieza de sangre, die Blutreinheit, die im gegenreformatorischen Spanien zum kollektiven Fetisch geriet. Somit stellt die von Dorotea betriebene Heiratsdiplomatie, mit der sie sich ihren Fernando zurückholt und auch Luscinda und Cardenio zusammenführt, ein Kontrastprogramm zu der von Sancho imaginierten berechnenden Söldnerehe dar, in der ein verarmter Hidalgo eine heidnische Prinzessin ehelicht (die freilich zum Christentum konvertieren muss). Werten wir dieses desenlace als Versuch der Auflösung eines chiastischen Knotens, so ließe sich aus intersektionaler Perspektive sagen, dass die Kategorie race die Kategorie class suspendiert, da die Ehe mit einer weißen Christin aus niedrigerem Stand das diegetische Chaos in Ordnung bringt. Jene, die mit Ariostos Intertext vertraut sind – den Cervantes tunlichst nicht getreu wiedergibt – finden diese Lesart dadurch verstärkt, als darin wie erwähnt Sex mit einem hässlichen Schwarzen der Preis für die materielle Gier des Anselmo sein soll. Diese queere textuelle Fährte kann ich hier nicht weiter aufnehmen, ich möchte die Kategorie gender aber unter Heranziehung anderer intertextueller Spuren
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beleuchten. Im Orlando Furioso fällt auf, dass die heidnische Prinzessin Angelica sehr autonom agiert, da in ihrer Liebesbeziehung zu Medoro die Initiative eindeutig von ihr ausgeht. Wie ich im bereits zitierten Aufsatz zeige,35 gelingt diese Transgression patriarchaler Begehrensstrukturen, da die Kategorie class die Kategorie gender außer Kraft setzt, denn ihr Stand als Königstochter ist jenem Medoros weit überlegen. Die Kategorie race wird in dieser Beziehung gleichsam befriedet, denn Medoro ist wie Angelica Sarazene, und durch deren Bund wird die Option einer Ehe des christlichen Superhelden Orlando mit der heidnischen Prinzessin vereitelt. Angelicas Preis für ihre jouissance besteht nun darin, dass sie aus der Diegese und damit dem Vergessen anheim fällt: „Forse altri canter/ con miglior plettro“, heißt es in Ariostos Text nämlich just an jener Stelle, an der die beiden Liebenden Europa verlassen. Was ergibt sich aus dieser intersektionalen Vergleichsfolie nun für Dorotea/ Micomicona? Vordergründig ist es Dorotea, die das enlacement der unterschiedlichen Erzählfäden entwirrt. Der Erzähler lobt sie dafür auch und betont, dass sie klug, gewitzt und überdies eine gute Erzählerin sei. Tatsächlich scheint sie geradezu um ihre Zukunft zu filibustern. Doch daraus ein protofeministisches Plädoyer abzuleiten ist angesichts ihres Unterwerfungsgestus ebenso verfehlt wie ob der Tatsache, dass die Leser und Leserinnen ja um ihren „Makel“, die bereits verlorene Jungfräulichkeit, wissen. Vielmehr lässt sich parallel zur Analyse des Hypotextes feststellen, dass hier die Kategorie gender gleichsam unter dem „Spannungsbogen“ der Ehe wieder zurechtgerückt wird, ebenso wie die „Gefahr“ der ethnischen Kontaminierung ausgeräumt wird. Das fiktionale desenlace der mannigfach verwobenen Inter- bzw. Hypotexte aus dem Orlando Furioso in Cervantes’ Meisterwerk räumt den Figuren eine gewisse – auch soziale – Mobilität ein, die aber vor allem darauf zu zielen scheint, eine moderate, aber dennoch konservative christliche Ethik aufrechtzuerhalten. Doch wenn wir uns den Kontext des cura-Kommentars vergegenwärtigen, so sind die Liebes- und Raufhändel des „realen“ Personals ebenso unwahrscheinlich wie jene der eingeschobenen Lektüre oder jene in Don Quijotes poetischer Gegenwelt. Gerade die Montage der disparaten narrativen Elemente zu einem Happy End offenbart deren arbiträren Charakter. Nicht zuletzt entlarvt die hypertrophe Inszenierung des glücklichen Ausgangs sie, wie auch Sancho Panza im Wirtshaus feststellt, als patraÇas, als Schwindel oder Lügengespinste. Diese zu dechiffrieren und ihnen Sinn zu verleihen obliegt den Leserinnen und Lesern. Der Text stellt dafür verschiedene Modelle bereit: Don Quijotes Macht des Signifizierens versagt – wiederum in chiastischer Verkehrung von Orlandos Krise – immer dann, wenn er auf mimetische Lesart besteht. Dann stockt die Handlung, und er wirkt steril, da das Immergleiche – siehe die Dis35 Vgl. dazu Bidwell-Steiner 2017.
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kussion um seine penitencia – sinnentleert ist. Die Interpretation des Pfarrers entspricht seinem ethischen Kalkül, in dem die christliche Ehe einen zentralen Wert darstellt. Dorotea schließlich knüpft ihre narrative Kompetenz an ihren lebensweltlichen Erfahrungshorizont, um ihre eigentlich banale Geschichte in dramatischer Verdichtung zu erhöhen und damit zu wenden. Uns als extradiegetische Rezipienten und Rezipientinnen bleibt hingegen die Option, die vielen Auslassungen der eingewobenen Intertexte mitzulesen. Und als textuellen Marker dafür dient, wie ich meine, das „Dingsymbol“, der yelmo de Mambrino. In Quijotes Augen handelt es sich um den goldglänzenden magischen Helm eines weiteren Helden aus Orlandos Lager, in Kapitel 44 erhalten wir Gewissheit darüber, dass wir es vielmehr mit einer Rasierschüssel zu tun haben. „Wenn Don Quijote die Schüssel eines Barbiers für den Helm des Mambrino hält, so wird damit gerade jene Diskrepanz zwischen Wahrnehmung und Wissen inszeniert, die erst durch den abstrakten Text des Buchdrucks möglich geworden ist.“36
Zwischen Wahrnehmung und Wissen vermittelt bzw. stört das Begehren. Denn in diesem Dingsymbol spiegeln sich, wie mir in Fortführung von Farmers Argumentation37 scheint, sämtliche libidinösen Verstrickungen der Protagonisten und Protagonistinnen. Somit ist er weder magisches Objekt noch profanes Utensil und doch beides. Gleichzeitig führt er uns in textueller Materialität Cervantes’ Umgang mit den literarischen Vorlagen vor : Je nachdem, ob wir das Objekt von Innen – also als Schüssel – oder von außen – also als Helm – betrachten, sehen wir gewissermaßen (in) einen Konkav- oder einen Konvexspiegel und können damit die anamorphotischen Interventionen fassen, die die Neugestaltungen charakterisieren. Denn erst aus dem Verständnis dieser textuellen Kippbilder generieren wir den narrativen Überschuss, der jede gute Literatur auszeichnet.
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36 Mecke 2005, S. 222. 37 Vgl. dazu Farmer 2009, S. 165f.
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Anna Babka / Ursula Knoll
Geschlecht erzählen: zur Rhetorik der Unterbrechung in Herculine Abel Barbins autobiografischen Aufzeichnungen „Ich werde nicht suchen den Androgynen […] noch das Paar, das verzweifelt sucht, sich zu rekonstituieren. Man muß gleichwohl diese beiden ,narrativen‘ Momente einander nähern: wenn sie die famosesten und fabulosesten des Buches sind [Symposium, Plato], so nicht allein, weil sie zu unterbrechen scheinen einen wissenschaftlichen oder spekulativen Diskurs und folglich träumen machen. Sondern auch, weil sie enthüllen und rekonstitutieren die narrative Notwendigkeit, oder vielmehr die ,Rezit‘Struktur, an deren Grenze und mit der die ,Spekulation‘ ständig verhandeln muß […].“ Jacques Derrida: Die Postkarte von Sokrates bis an Freud und jenseits
Vorrede Geschlecht ist keine „natürliche“ Kategorie, sondern eine rhetorische. Ausgehend von der Grundannahme, dass nicht die Biologie der Stoff ist, aus dem die Körper sind, sondern die Zeichen,1 lesen wir Herculine Abel Barbins autobiografische Aufzeichnungen über eine Theoriebewegung, die wir als „Rhetorik der Unterbrechung“ bezeichnen. Die Theoriereflexion erfolgt in Bezugnahme auf ein Bündel von Texten und Überlegungen, wie etwa Paul de Mans Relektüre der Gattung Autobiografie als Lese- und Verstehensfigur2, Jacques Derridas Reflexionen zum Gesetz der Gattung und zum Verhältnis von Geschlecht und Sprache, Bettine Menkes Weiterdenken der Trope der Prosopopeia bei Paul de Man sowie Judith Butlers Theoretisierung der Geschlechtsidentität als performativ.3 Dass sich Geschlechtsidentität als performativ erweist, bedeutet, dass „sie selbst die Identität [konstituiert], die sie angeblich ist“4. Diese These suggeriert, 1 Vinken 1993. 2 Paul de Man, „Autobiographie als Maskenspiel“, in: Die Ideologie des Ästhetischen, Frankfurt a. M. 1993, S. 134 (engl. S. 70). Der gesamte vorliegende Text bezieht sich auf den Versuch einer Theoretisierung der Geschlechtsidentität als „unterbrochene“, schreibt sich in diese ein, schreibt sie fort (vgl. Anna Babka, Unterbrochen. Gender und die Tropen der Autobiographie, Wien 2002, bes. Kap. 2.4 passim, das in Teilen übernommen und erweitert wird). 3 Vgl. zur Konzeption der Geschlechtsidentität als Performativität Judith Butler, Gender Trouble. Feminism and the Subversion of Identity, New York/London 1990, bes. S. 1–34 (dt. S. 15–67) und 128–141 (dt. 190–209), sowie Judith Butler, Bodies that Matter. On the Discursive Limits of „Sex“, New York/London 1993, besonders S. 1–28 (dt. S. 19–49), 187f (dt. 259f.). 4 Judith Butler, Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt a. M. 1991, 49.
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dass es keine wahre, natürliche, richtige, eindeutige Geschlechtsidentität ,hinter‘ den Äußerungen und Ausdrucksformen von Geschlecht gibt, sondern dass diese Identität durch ebendiese Äußerungen performativ hervorgebracht wird. Die scheinbare ,Ursache‘ der Geschlechtsidentität, das biologische Geschlecht und der Körper als Oberfläche kultureller Einschreibungen, sind performative Effekte einer diskursiven Praxis. Butler betrachtet damit sexualisierte und geschlechtliche Identitäten im Rückbezug auf sprachliche Prozesse als konstruiert bzw. als durch performative Akte konstituiert. „Language is said to fabricate or to figure the body, to produce or construct it, to constitute or to make it. Thus, language is said to act, which involves a tropological understanding of language as performing and performative.“5 Sprache macht, sie erzeugt, produziert, konstruiert den Körper, sie fabriziert und figuriert ihn. Die hier eingesetzten Verben beschreiben den Handlungscharakter der Sprache und ihre rhetorische Verfasstheit nachdrücklich. „Machen“ und „Figurieren“ werden zusammengedacht und mit einem oder verknüpft. Damit löst Butler den Begriff des Performativen aus seinen sprechakttheoretischen Einschränkungen, und das Performative wird zu einer „allgemeinen Wesens- und Funktionsbestimmung von Sprache“6. In ihrem Text „How can I deny that these hands are mine?“ wird die Nähe ihres Denkens zu Paul de Man besonders deutlich – dies vornehmlich im Hinblick auf de Mans Theoretisierung der Sprache über ihre tropologische Verfasstheit. Die Autorität der Sprache gründet bei de Man nicht in einer feststehenden Bedeutung oder einem außersprachlichen Referenten, sondern in den innersprachlichen Tropenbeständen. Butler bindet das tropologische Verständnis von Sprache an ihre performative Funktion oder „Kraft“. Zugleich kann, um einer De-Man-Lektüre Werner Hamachers zu folgen, „[d]ie performative Funktion der Sprache […] von ihrer figurativen nicht isoliert werden, solange ihr erst aus ihren Tropen, und seien sie noch so klischiert, ihre persuasive Kraft zufließt“7. Butlers Ansatz erweist sich somit als Möglichkeit der Retheoretisierung von Differenztheorien, vor allem in jenem Bereich, der sich im Laufe der 1990erJahre als Queer-Theory entwickelt hat. Um Performativität8 geht es dabei inso5 Judith Butler, „,How can I deny that these hands and this body are mine?‘“, in: Qui Parle 11 (1, Fall/Winter), 1997, S. 3. 6 Bernd Liepold-Mosser, Performanz und Unterbrechung. Prolegomena zu einer Philosophie des Politischen, Wien 1995, 15. 7 Werner Hamacher, „Unlesbarkeit“, in: Allegorien des Lesens, Frankfurt a. M. 1988, S. 18. 8 Der Zusammenhang zwischen autobiografischen Narrativen und Performativität kennzeichnet den Stand der Forschung, wie etwa bei Kristin Langellier, „Personal Narrative, Performance, Performativity : Two or Three Things I Know For Sure“, in: Text and Performance Quarterly 19 (2), 1999, S. 127f.: „[P]ersonal narrative is performed in the speechact.
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fern, als das (autobiografische) Ich seiner (Geschlechts-)Identität nicht vorgängig ist und nur über performative Diskurse, die auf Wiederholung angewiesen sind, überhaupt ins „Sein“ kommt und damit ontologisiert und naturalisiert wird - höchst „unterbrochen“ jedoch, weil sich im Prozess der Iterabilität Fehler einschleichen, das Konstrukt fragil und volatil wird und epistemologische Sicherheiten verloren gehen. Die Lektüre einer Rhetorik der Performanz und/als Unterbrechung steht dennoch insofern quer zur traditionellen Metaphorik des Wortfeldes der Ruptur, der Unterbrechung, der Fissur oder des Sprungs, als sie sich als konstitutiv für die Generierung von Bedeutung erweist. Ein bedeutsames Beispiel für eine literarische Gattung, in der sich die „existenzielle lebensweltliche Relevanz des Erzählens“ besonders zu materialisieren scheint, ist die Gattung Autobiografie wie Babka und Bidwell-Steiner mit Nünning/Nünning argumentieren.9 Die AutobiografIn, im Versuch, sich ihrer Subjektivität zu vergewissern, bringt diese hervor, sprachlich, im Medium der Schrift. Derrida: „Alles fängt mit der Reproduktion an. Immer schon, das heißt Niederschlag eines Sinns, der nie gegenwärtig war, dessen bedeutende Präsenz immer ,nachträglich‘, im Nachherein und zusätzlich rekonstituiert wird.“10 Sprache ist, folgt man Derrida, notwendigerweise das einzige Mittel, ein Selbst zu setzen, als Figur, als Fiktion; als Fiktion deshalb, weil das Selbst sprachlich verfasst ist, notwendigerweise deshalb, weil diese Fiktion der Referent selbst ist, das Selbst, auf das sich die Sprache bezieht. Ist dann die Geschichte eines Lebens Geschichte oder Fiktion, oder ist Geschichte immer nur als Fiktion? Und werden diese Geschichten im Jetzt erzählt, sind sie dann Effekte des Jetzt oder Historie? Das Selbst kann immer nur erzählt und gelesen werden, nachträglich: „Narration is always belated, narratives postdate the origin“, würde Judith Butler sagen, […] performativity articulates and situates personal narrative within the forces of discourse, the institutionalized networks of power relations […].“ 9 Anna Babka/Marlen Bidwell-Steiner, „Begriffe in Bewegung. Gender, Lesbian Phallus und Fantasy Echoes“, in: Obskure Differenzen: Psychoanalyse und Gender Studies, hg. von Marlen Bidwell-Steiner und Anna Babka, Gießen 2013, hier mit Ansgar Nünning/Vera Nünning, „Narration und Geschlecht. Texte – Medien – Episteme“, in: Making Gendered Selves. Analysekategorien und Forschungsperspektiven einer gender-orientierten Erzähltheorie und Erzähltextanalyse, hg. von Sigrid Nieberle und Elisabeth Strowick, Köln / Wien [u. a.] 2006, S. 23. Die gesamte Vorrede nimmt Bezug auf einen Ausschnitt des hier zitierten Texts von Babka und Bidwell-Steiner, S. 239–268, in dem u. a. ein weiterer Aspekt der „Unterbrechung“ von Identität herausgearbeitet wird, nämlich das Moment der Spaltung nach Freud und Lacan. „Freud entwirft das menschliche Subjekt, das aus dem ödipalen Prozess hervorgeht, als entfremdet von sich selbst, als gespalten. Besonders aber trägt Jacques Lacans Konzept des Spiegelstadiums zum Verständnis der Subjektkonstitution als IchSpaltung bei.“ Vgl. Jacques Lacan, „Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion, wie sie uns in der psychoanalytischen Erfahrung erscheint“, in: Schriften I, Weinheim/Berlin 1991. 10 Jacques Derrida, Die Schrift und die Differenz, Frankfurt a. M. 1983, S. 323.
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und so ist die Beziehung zu uns selbst immer schon so nachträglich, wie es eine Erzählung nur sein kann.11 Dies könnte romantisierend mit einem Verlust umschrieben werden, nämlich dann, wenn das Erfahrene verloren geht, sobald es in den Bereich des Wissens, des Erkennens überführt, festgeschrieben und präsent werden soll: „We are necessarily absent-minded in the present, when the mind is present, it is already past.“12 Was präsent ist, ist immer schon vergangen, und die Erzählung fängt immer dort an, wo Repräsentation versagt. Das Leben, das die/ der AutobiografIn sich erzählt (indem sie/er ein Narrativ erzeugt, damit etwas in eine linguistische Form bringt, das keine linguistische Form hat), widersteht dem konzeptuellen Zugriff; das Selbst ist immer schon vom Ursprung exiliert und hat keine unabhängige Realität außerhalb der textuellen Realität, außerhalb des Narrativs. Und wenn Etwas erzählt wird, so kann es immer nur eine Version von Etwas sein, die in keinem Moment definitiv ist, wie es Butler formuliert hat, die die erzählte, also sprachliche Dimension des Selbst pointiert, wenn sie fragt und antwortet: „Would I be recognizable if I didn’t tell stories? Wouldn’t I be finished as a recognizable human if I didn’t have to tell a story? Self-representation is essential to what or who I am. Without rhetoric I would be nothing. Without the possibility of linguistic representation I would cease to be a rhetorical being, to be human.“13
Folgt man hier Judith Butlers Überlegungen, so zeigt sich, dass ein konstitutiver Zusammenhang zwischen dem Erzählen von Geschichten und der Hervorbringung von Geschlechterkonstruktionen besteht. Damit ist zugleich der Stand der Forschung markiert, der die Kulturtechnik des Erzählens als ein einschneidendes und unhintergehbares Element in der Konstitution von Identitäten bzw. Subjekten herausstellt.14 Das „identifizierte“ Subjekt generiert und perpetuiert sich in einer solchen Sichtweise über sprachliche Selbstrepräsentation, immer auch als deren Effekt, und diese Selbstrepräsentation muss wiederholt werden, so wie alle Kategorien der Repräsentation auf Wiederholung angewiesen sind. Das Ich muss wiederholt werden und wiederholbar sein, um als Selbst bestimmbar zu sein. Die Sprache, auf die wir angewiesen sind, die etwas für uns produziert – zum Beispiel das Subjekt der Autobiografie –, ist mit und 11 12 13 14
Vgl. Judith Butler, Lecture: Modern Rhetorical Theory, Berkeley 1998. Ebd. Ebd. Nadine Stritzke, „Subversive narrative Performativität. Die Inszenierung von Geschlecht und Geschlechtsidentitäten aus der Sicht einer gender-orientierten Narratologie“, in: Narration und Geschlecht. Texte – Medien – Episteme, hg. von Sigrid Nieberle und Elisabeth Strowick, Köln / Wien [u. a.] 2006, S. 97. Auch kollektive Identitäten erweisen sich als „Formen kultureller Erzählungen“, in welchen Differenzen und Entsprechungen zwischen der eigenen Gruppe und den „Anderen“ artikuliert werden (Yuval-Davis 2001, S. 75).
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durch die Prosopopöie, die Mastertrope der Autobiografie, die ein Gesicht, eine Stimme verleiht und zugleich entzieht, „stumm“. Paul de Man: „To the extent that […] we are dependent on this language we all are […] deaf and mute – not silent, which implies the possible manifestation of sound at our own will, but silent as a picture, that is to say eternally deprived of voice and condemned to muteness.“15 Diese „Stummheit“ entsteht durch die konstante „exteriority of language“ als Gefahr und Bedrohung für das Subjekt, die de Man als Verstümmelung beschreibt. Die Sprecher_innen, die niemals das erwirken, was sie zu sagen versuchen, werden zu „deaf-mute prophet[s] of a world that dissolves behind the veil of tropes that replace it“16. Derrida wiederum prädiziert das „Unbeschreibbare“ oder „noch nicht Benennbare“ als monströs – „das sich erst ankündigt und dies nur tun kann – so, wie dies jedesmal bei einer Geburt der Fall ist – in der Gestalt der Nicht-Gestalt, in der unförmigen, stummen, embryonalen und schreckenerregenden Form der Monstrosität“17. Das Subjekt der Autobiografie, das, hier der Metaphorik de Mans und Derridas folgend, verstümmelte Selbst, das Monster,18 kann nicht sprechen, noch ist er/sie/es das Ding an sich: „[Y]et it generates for us the thing in-and-for-itself while radically excluding us from it.“19 Die Abhängigkeit von diesem Prozess der Repräsentation führt zum Verlust der Stimme und ist gleichbedeutend mit dem Verlust des (eindeutigen) Geschlechts: „Loss and transgression – of face, of voice [as of gender, A.B.] – are part of language, part of autobiography.“20 Die Stimme kann noch gehört werden, das Gesicht noch gesehen werden, das Geschlecht noch imaginiert werden, doch die Verbindung zu einem Namen, zu einer IdEntität?, ist unterbrochen. Das Wissen um diesen drohenden Verlust zwingt das Selbst, das Monster, die zweifelhafte Geschlechts/identität dazu, den Prozess der Apostrophierung permanent zu wiederholen, was zu weiteren Unterbrechungen der Geschlechts/identität führt, zu einer permanenten Parekbase21 – und diese kann als hermaphroditisch bezeichnet werden. Das Monster erhebt sich auf Geheiß des „Selbst“, des Sprechers, des „Ich“ des Textes in der und durch die Apostrophe, das Monster ist das „Selbst“. Das Monster ist das „Selbst“, und die Frage nach den Tropen der Autobiografie, nach deren „Monstrosität“, ist eine 15 Paul de Man, „Autobiography as De-facement“, in: The Rhetoric of Romanticism, New York 1984, S. 80 (dt. S. 145). 16 Hans-Jost Frey, „Undecidability“, in: Yale French Studies 69, 1985, S. 125. 17 Derrida, Die Schrift und die Differenz, S. 442 (franz. S. 428). 18 Vgl. dazu Barbara Johnson, „Mein Monster – Mein Selbst“, in: Dekonstruktiver Feminismus. Literaturwissenschaft in Amerika, hg. von Barbara Vinken, Frankfurt a. M. 1992, S. 133. 19 Leigh Gilmore, Autobiographics. A Feminist Theory of Women’s Self-Representation, Ithaca/ London: Cornell UP 1994, S. 73. 20 Ebd. 21 Die Parekbase oder parecbasis ist die rhetorische Figur der digressio – als Abschweifung und Exkurs.
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Frage nach den Menschen, „nach dem ,wir‘ […], das seinen rätselhaften Inhalt an ein Geschlecht vergibt“, so Derrida. Was diesen Menschen ausmacht, seine „Menschlichkeit“, ist damit „auf eine recht monströse Weise bestimmt, in Abweichung von der Norm“ – in der „permanenten Abweichung“, für die es vielleicht kein Wort gibt – „[v]ielleicht ist es nicht einmal mehr ein Wort.“22 Ist es vielleicht die permanente Parekbase?
Figurationen der Unterbrechung oder Hermes/Aphrodite und die permanente Parekbase Wird (Geschlechts-)Identität als unterbrochene angenommen, so spricht einiges dafür, dies über Figuren anzugehen, die das Unsagbare sagbar machen, ohne sich selbst der De-Figuration entziehen zu können und ihre Inszeniertheit und Fiktionalität zu leugnen. Die Frage nach dem Geschlecht ist immer auch eine nach dessen Ursprung und verlangt nach Fiktionen und Figurationen bzw. nach den kognitiven Eigenschaften des tropologischen Systems, die Verstehen ermöglichen. Die als zeitlos verstandene Binarität der Geschlechter entspringt einem Denken von Dualität, das nicht zeitlos ist, sondern sich in der Zeit, über einen Zeitraum hinweg oder durch einen Zeitraum hindurch generiert und produziert hat – iterativ und der Iterabilität geschuldet. Worin die Geschlechter ihren Ursprung finden, wird nicht zu lokalisieren sein. Dagegen zeigt ein Text von Kari Weil, der den Begriff des Androgynen umbesetzt, durch welche Mythen die binär gedachte Geschlechterordnung hervorgebracht wurde und wie und wo Re-Formulierung oder Re-Figuration möglich ist. Weil unternimmt eine Refiguration eines auf dem Signum der Androgynie gründenden Projekts binär konstruierter Geschlechtlichkeit über den Begriff des Hermaphroditischen, aufmerksam dafür, was die Figur des Androgynen zu performieren vermag: (Nicht nur) im OTD zeigt sich eine terminologische Konfusion insofern, als „androgynous“ zum Teil mit „hermaphroditic“ synonym gesetzt wird, wobei androgyn als „not clearly male or female“ oder als „exhibiting the appearance or attributes of both sexes“ ausgewiesen wird. „Combining both sexes“ steht für hermaphroditisch, und in der Botanik existieren die Begriffe „gynandromorph“ oder „gynandrous“ für Individuen mit „male and female characteristics“.23 22 Jacques Derrida, Geschlecht (Heidegger). Sexuelle Differenz, ontologische Differenz. Heideggers Hand (Geschlecht II), Wien 1988, S. 53, 56 bzw. 82, Hervorhebung A.B. 23 Im Brockhaus-Wahrig wird zum einen Androgynie als „Zweigeschlechtlichkeit mit weiblichem Erscheinungsbild und männlichen Keimdrüsen“ ausgewiesen (das heißt Pseudohermaphroditismus masculine), zum anderen Hermaphroditismus als „Zwittertum“ bzw. „Intersexualität“. Die Verwirrung der Begrifflichkeit, die in Wörterbüchern erkennbar wird, zeigt sich auch tendenziell in wissenschaftlichen Texten zur Androgynie.
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„Neuter“ (lat. keine[r] von beiden) ist, was als „neither masculine nor feminine“ beschrieben werden kann, was synonym für „asexual, sexless, androgyne, castrated“ etc. gesetzt wird.24 Die Androgynie beschreibt – so Weil in Anlehnung an Jacques Derridas Kritik am transzendentalen Signifikat – ein transzendentales Ideal der westlichen metaphysischen Tradition, eine „single source of Truth and Beauty, something that could explain the desire and language we inherit“25. Ähnlich formuliert es Sarah Friedrichsmeyer : „Because it implies the reunion of the most extreme dichotomies into one harmonious entity, the totality of the androgyne has appealed primarily to individuals or ages believing in the ultimate perfection of humanity. It has been a structuring force in myth and religion and a prevalent motif in the arts when the various disciplines associated under that rubric have focused upon the search for ultimate truth.“26
Ausgehend von der philosophischen Tradition der klassischen Antike figuriert bis heute das Bild des androgynen Künstlers wie Philosophen als Ursprungsvision des Menschen, als primordiale Natur vor dem „Sündenfall“ – dem Fall der göttlichen Ein-heit in eine Viel-Anders-heit und unsägliche Differenz.27 Die Konstituierung dieser Einheit erfolgt über hierarchisch organisierte binäre Oppositionen, wobei das Androgyne das „weibliche“ und das „männliche“ Prinzip vereinigt. Das Problem, das sich hier stellt, ist ein doppeltes: „How then does one understand the symbolic potential of the androgyne, a figure that, by definition, both asserts original difference (the male and female ,halves‘ it unites), and claims to transcend that most virulent of binary oppositions by defining our origin as one?“28 Diese symbolische Einheit kann nur über ein Denken hergestellt werden, das die „zwei“ Geschlechter als irreduzibel füreinander annimmt – als ultimatives Ordnungsprinzip einer kontrollierbaren, weil auf Komplementarität ausgerichteten Differenz. Kari Weils Re-Figuration eines als Einheit gedachten Ursprungs erfolgt in Anlehnung an Friedrich Schlegel und Paul de Man über die Trope der Ironie der Ironie: „The irony of irony is that one loses all ability to designate the difference between the ironic and the non-ironic, between rhetoric and truth, (sexual) performance and (sexual) identity. This loss of control results, in fact, in a breakdown of difference […]. The irony of irony, like paradoxism, is thus a figure that can only be characterized as hermaphroditic, not androgynous.“29 24 25 26 27 28 29
Gruber, 1996, S. 38. Weil, 1992, S. 10. Friedrichsmeyer 1983, S. 169. Vgl. dazu Weil 1992, S. 10. Ebd., S. 11. Ebd., S. 47.
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Aufgrund des Mechanismus, der zum „Zusammenbruch“ eines differenzlogischen Denkens führt, weist Weil die Trope der „Ironie der Ironie“ als hermaphroditisch im Gegensatz zum Androgynen aus, da letzterer Term als antithetische Figur auf stabilen Oppositionen zwischen männlich und weiblich basiert bzw. auf dem dazugehörigen Wissen um die ebenfalls als stabil gesetzten Differenzen. Die Ironie der Ironie oder, nach dem Modell Kari Weils, „the irony of androgyny reveals the hermaphrodite within the adrogyne – the constantly shifting lines of difference that rhetoric alone maintains – and hence, the impossibility of knowing the difference“30. Welche Rolle spielt Hermes? Hermes Logios, der Beredsame, Figur des griechischen Mythos und vermeintlicher Vorfahre der Hermeneutiker, nimmt „das Seiende nicht als Signifikat, das sich der Erkenntnis eindeutig darbietet, sondern als Vakanz, als Ursprung und Ziel einer zweischneidigen Prozedur. […] Dabei deckt er auf und zu, simultan durch Wiederholung und Umkehrung. Dabei nützt er nur die Vertauschbarkeit, die in allem ist, räumlich und zeitlich, als Effekt. [… Hermes] plädiert nicht für das eine oder das andere, […] sondern weist schweigend auf etwas hin: Natürliche Gesetzmäßigkeiten setzen sich nicht blind und unvermittelt durch, sondern prägen sich in Figurationen aus […].“31
Was Hermes, der Erfinder der Sprache, schweigend figuriert, was dem Schweigen entspringt, was als Vakanz, als Ursprung und Ziel firmiert, ist Unterbrechung. Das „Prinzip der allgemeinen Vertauschbarkeit“ oder vielmehr der Umkehrung von Ursache und Wirkung vertauscht die Pole – metaleptisch; vertauscht „Plus“ und „Minus“, männlich und weiblich, verhindert die Hypostase der Wörter, unterbricht die Setzung des „unabhängigen“ Wortes und die Genealogie der Geschlechter. Hermes ist schweigender Mittler durch Sprache, denn das, was zu sprechen ermächtigt, die Figur der Prosopopöie, lässt die Stimme verloren gehen, unterbricht sie im permanenten Prozess der De-Figuration. Und dies als „successive rhetorical reversal […] by the endless repetition of the same figure“32. „Natürliche Gesetzmäßigkeiten setzen sich nicht blind und unvermittelt durch, sondern prägen sich in Figurationen aus“, so Moser (s. o.), und diese Figurationen sind eine Bedrohung, vor allem für die „Natur“ und ihre „Gesetzmäßigkeiten“. De Man verdeutlicht diese Bedrohung über den ironischen Gestus der Sprache an sich, die er darstellt als „threat of immediate destruction, stating itself as a figure of speech“, als „the permanent repetition of this threat“ – als „ironic allegory“.33 Hermaphroditos, Hermes’ und Aphrodites Sohn, ist dafür Figur. Präfiguriert im Namen, proleptisch gewissermaßen, ist ihm jener Zustand inhärent, den er erst 30 31 32 33
Ebd. Moser 1992, S. 267. De Man 1979, S. 115. Ebd., 115f.
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durch die Umklammerung der Nymphe Salmacis erfahren wird - die, von der er nie mehr getrennt sein wird.34 Die Ver-einigung wird aber niemals Ein-heit, Ganzheit sein - „instead, it displaces the oppositions self/other and male/female between Salmacis and Hermaphroditus, to reveal their confused manifestation within Hermaphroditus“. Mit anderen Worten, „Hermaphroditus’s fallen state bodies forth the always already fused and confused relation of male and female.“35 Der/die Hermaphrodit bodies forth, das heißt, er/sie ver-körpert, gibt Körper/Substanz an jemanden/an etwas, und zwar „immer schon“ als Unterbrechung: „fused and confused“ als „past that was never a past-present and that consequently can never become fully present“, als Bedingung der Möglichkeit und Unmöglichkeit von Essenz. „Fused and con-fused“, verbunden und doch verworren und undeutlich, fungiert Hermaphroditos im Götterkultus aber auch als der männliche Aspekt der Aphrodite, als „Aphroditos“, die/der selbst „Schwester“ des „urmythologischen Hermes“ war: „Das Urwesen Hermes brauchte keine besondere Liebesgeschichte mit Aphrodite zu haben, um den Eros mit ihr zu zeugen: er hatte sie als seinen weiblichen Aspekt“36, und Aphrodite selbst vereinigt zunächst als orientalische Göttin beide Geschlechter in sich, bevor sie im griechischen Götterkultus als weibliche Gottheit besetzt wird.37 Paradoxerweise und ungeachtet der hier beschriebenen Kon-Fusionen erinnert Hermaphroditos die Exegeten an eine ursprüngliche Ganzheit.38 Es ist dies eine Ganzheit, die im Sinne Derridas und der sogenannten „doppelten Gebärde der Dekonstruktion“ ver-stört ist, weil der Term, der Name, etwas be-deutet, etwas ist dadurch, dass er etwas anderes nicht ist – und umgekehrt: Was als Element, als „Etwas“ auftreten kann, kann nur über Differenzen produziert werden.39 Hermaphroditos ist nicht Mann, nicht Frau, ist nicht androgyn, weil er/sie nicht „zwei-deutig“, nicht komplementär ist.40 Was aber ist er/ sie dann, wenn er/sie nur dadurch sein kann, dass er/sie etwas nicht ist? Wenn erst Differenzen „Etwas“ produzieren, so ist Hermaphroditos Figur für die Unmöglichkeit dieser Differenz zu „Etwas“, da er/sie allererst unabschließbar zu sich „selbst“ differiert und keine Differenz zu „Etwas“ produziert, ein „Etwas“, das nur als vollständig gedachte Präsenz, als eine mit sich identische An-wesenheit die Möglichkeit der Differenz erzeugen könnte. Er/sie ist keines davon 34 35 36 37 38 39 40
Grant / Hazel 1997, S. 203. Weil 1992, S. 19, Hervorhebung A.B. Ker8ny 1944, S. 74. Vgl. Lukits 1990, S. 23. Ebd., S. 23. Vgl. Derrida 1988, S. 15–19 bzw. 139f. Vgl. zur Diskussion des „Hermaphroditischen“ bei Michel Foucault Judith Butlers Rekurs auf Foucaults Einleitung zu den Tagebüchern von Herculine Barbin, einem Hermaphroditen aus dem Frankreich des 19. Jahrhunderts (Butler 1990, S. 93–111).
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und ist beides zugleich, ist nichts und alles. „Nichts und Alles“, so formuliert es Werner Hamacher in Referenz auf die „Gattung“ (hier gedacht als „Geschlecht“) mit Friedrich Schlegel, „sind Kategorien, die eine Tendenz bezeichnen, welche an kein Ende – sei es Vollendung oder Vernichtung – kommen kann, weil sie dieses Ende nicht nur setzen, sondern zusammen mit dem von ihr Gesetzten den Prozeß des Setzens, mit dem Produkt das Produzierende darstellen muß“; diese „immanente Verdoppelung“ führt zu einer „Spaltung der Grenzen“, da „jede Grenzlinie, einmal gesetzt, […] verdoppelt werden [muss] durch den Exponenten, der die Bedingungen ihrer Produktion indiziert“.41 Dieses „Siegel seiner Produziertheit [Hervorbringung, Performanz, A.B.] [modifiziert] das Produkt abermals“, und so wird der „Prozeß der Gattung […] ein unendlicher Kommentar zu einem unendlichen Projekt“, wird die Gattung (Genre/Genus) als Geschlecht zum Geschlecht des Geschlechts innerhalb einer Tendenz, „die nie an ihr Ende kommen kann, weil sie ihr Ende, eben indem sie sich darauf bezieht, unendlich hinausschiebt“.42 Das Geschlecht wird zum Geschlecht des Geschlechts, es generiert sich, entwirft sich innerhalb eines performativen Akts, innerhalb des „Projekt[s] eines unbedingten, unendlichen Satzes des Setzens“43. Die Form dieser Hervorbringung kann über Paul de Mans Reformulierung der rhetorischen Figur der Ironie (mit Friedrich Schlegel) beschrieben werden; er liest die Ironie als „permanent parabasis“, als „endless narrative interruption or intrusion of the narrator by which the work comments upon itself“.44 Es geht um eine „permanent parabasis of an allegory (of figure) […]. Irony is no longer a trope but the undoing of the deconstructive allegory of all tropological cognitions, the systematic undoing, in other words, of understanding. As such, far from closing off the tropological system, irony enforces the repetition of its aberration.“45 Die permanente Parekbase als rhetorisch-de/figurative Abfolge von Momenten der Unterbrechung innerhalb der permanenten Wiederholung einer Apostrophierung de/figuriert das „metaphysische Subjekt der Autobiografie“, das Androgyne, und figuriert als permanente Unterbrechung das monströse, hermaphroditische „Selbst“. In der Erzwingung/Durchsetzung der Wiederholung einer Verirrung/Verwirrung/Abweichung ist de Mans Ironie als permanente Parekbase einer Allegorie einer Figur hier „immer schon dabei [, die] Ironie der Ironie [geworden zu sein]“46, und geht über Kari Weils „impossibility of knowing the difference“ hinaus. Es ist nicht nur „nicht möglich“, die Differenz zu er/kennen, 41 42 43 44 45 46
Hamacher 1980, S. 1160. Ebd. Ebd., S. 1174. De Man, 1983, S. 218. De Man, 1979, S. 301. Hamacher 1988, S. 12.
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vielmehr wird die Wiederholung einer Verirrung/Verwirrung/Abweichung „erzwungen“ durch die Ironie (der Ironie), durch die „discontinuity between two rhetorical codes“, durch die „permanente Parekbase“ als „fortlaufendes Aus-derRolle-Fallen“47, das jeden Anschein einer (selbsterzeugten) Wirklichkeit zerstreut. Das „inszenierte“ Geschlecht fällt aus der Rolle, als Figur „borrowed from the world of the theater“48. Umgelegt auf Jutta Braidts „Unterbrechungen der Geschlechtsidentität“ durch die „permanente Parekbase“,49 von Kari Weil als „hermaphroditisch“ bezeichnet und angelegt auf das „metaphysische Subjekt der Autobiografie, das Androgyne“ (s. o.), stellt sich dessen De-Figuration als eine erzwungene, der Sprache inhärente Bewegung heraus. Die Parekbase erweist sich als eine erzwungene hermaphroditische Unterbrechung, als erzwungene Defiguration des Androgynen. Erzwungen zudem durch den generell erzwungenen Gebrauch der Tropen durch die Katachrese, durch den Abusus, dem jeder Tropus unterworfen ist.50 Durch den katachrestischen Effekt aller Tropen, des tropologischen Systems und seiner kognitiven Eigenschaften, erfährt jede einzelne Figuration nicht nur „die permanente Parekbase der Allegorie (einer Figur)“ (de Man, s. o.), sondern gewissermaßen eine Doppelung einer De/figuration, die die Unentscheidbarkeit des „Entweder/Oder“ bzw. „Weder/Noch“ in ein „Keines/ Beides zugleich“ weiter aufschiebt. Mit den Tropen der Autobiografie wird diese Figuration des Keines/Beides zugleich, des „Neither/Both“, lesbar.
Monströse Unterbrechungen: Herculine_Abel Barbin Herculine_Abel Barbins autobiografische Aufzeichnungen Herculine Barbin, genannt Alexina B. Meine Erinnerungen51 sind in mehrfacher Hinsicht ein paradigmatischer Text für eine „Lektüre der Unterbrechung“. Erstens bewegen sie sich an der Schnittstelle von Autobiografie und Geschlecht: Sie lassen sich als Versuch eines autobiografischen Sprechens in Abhängigkeit von und in Widerspruch zu einem Prozess der Repräsentation lesen, der auf dem Vorhandensein eines vereindeutigbaren Geschlechts als Voraussetzung seiner eigenen Möglichkeit besteht, überhaupt etwas über sich selbst aussagen zu können. Damit bindet Barbins Zeugnis das grundsätzliche Problem einer immer schon unterbrochenen Selbstauskunft genuin an das Feld des Geschlechtlichen und 47 Vgl. ebd. 48 Albert 1993, S. 840. 49 Jutta Braidt, Permanente Parekbasen. Zur rhetorischen Verfaßtheit der Geschlechter, Wien 1996. 50 Vgl. Warminski 1987, S. liv. 51 In: Schäffner, Wolfgang / Vogl, Joseph (Hg.): Über Hermaphrodismus. Der Fall Barbin. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1998, S. 19–126.
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verschränkt Geschlecht und Stimme in einem Prozess der (Selbst-)Apostrophierung als aneinander verwiesen. Was die Aufzeichnungen problematisieren, ist demzufolge zweitens die Rhetorizität von Sprache und von Geschlecht als bedeutungsstiftender und bedeutungsverunsichernder Prozess. Sowohl die Rhetorik der konkreten autobiografischen Aufzeichnungen als auch die Rhetorik des uneinholbaren Geschlechtlichen, um das die Aufzeichnungen kreisen, werden nicht nur aufeinander bezogen, sondern in ihrer gegenseitigen Bedingtheit sichtbar, die ihre jeweilige Referenzfähigkeit sicherstellt und zugleich unterläuft. Sie folgen einer Struktur „der wechselseitigen Suspendierung, ja, der Entdeutung der einzelnen Bedeutungselemente sprachlicher Äußerungen“, wie es Werner Hamacher in seiner de Man-Lektüre formuliert, die Rhetorik grundsätzlich als eine „Logik der Unentscheidbarkeit fasst, die jeder Logik, die auf der uneingeschränkten Möglichkeit distinktiver Bedeutungen beruht […] ihre Voraussetzung [entzieht]“.52 Wenn die Lektüre einer Rhetorik der permanenten Unterbrechung quer zur traditionellen Metaphorik des Wortfeldes der Ruptur, der Unterbrechung, der Fissur oder des Sprungs steht, wie am Anfang konstatiert, indem sie sich als konstitutiv für die Generierung von Bedeutung erweist, so besteht das Spannende und Herausfordernde in der Lektüre von Barbins Aufzeichnungen drittens gerade darin, dass sie nicht loszulösen sind von einer spezifischen Ereignishaftigkeit der gewalttätigen Zurichtung eines Lebens durch diskursive Zugriffe einer sich gerade formierenden Sexualwissenschaft, mit denen sie in eine anhaltende Konstellation der gegenseitigen Intensivierung und Infragestellung treten. Dem Text haften zwei bruchhafte Ereignisse an (die „Entdeckung“ des Hermaphrodismus und der Selbstmord Herculine_Abel Barbins), in deren Deutungsmacht er sich nicht erschöpft, von denen er aber genauso wenig loskommt. Auf diese Durchdringung von katastrophischem, sinnaufzwingendem Bruch und strukturimmanenter permanenter Unterbrechung, deren monströses Element darin liegt, mimetische Doppelung zu verweigern, konzentriert sich die folgende Lektüre.
Bruch und Unterbrechung In einer Neukonzeptionierung von Bruchnarrativen als metaphorisch strukturiertes Konzept arbeiten Vera und Ansgar Nünning drei Aspekte heraus, die in der Unterbrechung spezifisch wirken und diese als Expansionsbewegung, die Grenzen der Möglichkeit narrativen Verstehens auszuloten, fruchtbar machen:53 Im Zentrum einer Rhetorik der Unterbrechung steht demnach erstens ein Ereignis, das 52 Hamacher 1988, S. 15. 53 Siehe den Aufsatz in diesem Band.
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als Bruch, als krisenhafter Moment bestimmbar ist. Voraussetzung dieser Setzung ist die Unterbrechung von Normen, Routinen, alltäglichen Abläufen und der erzählerische Versuch, Kohärenz und Ordnung von Lebenszusammenhängen (wieder-)herzustellen. Zweitens ist das Ereignis selbst durch einen hohen Grad an Ereignishaftigkeit gekennzeichnet, die an einer bedeutsamen Wende und nachhaltigen Konsequenzen ablesbar wird: Die vielen Bewegungen, Handlungen und Bedingungen eines Ereignisses werden zu einem Wendepunkt abstrahiert, der Abstraktionsprozess selbst ist Resultat komplexer Prozesse des Auswählens, Gewichtens, Bedeutungzuschreibens und (Um-)Wertens. Zugleich entzieht sich diese Ereignishaftigkeit direkter Repräsentation, gebrochene Narrative zeichnen lediglich die Spuren dieses Auftretens und Entziehens nach. Der Bruch wirkt somit drittens als ereignishafter Kern, der das Erzählen auslöst und antreibt, nicht aber eingeholt werden kann. Diese Vorüberlegungen voranstellend unterscheiden Vera und Ansgar Nünning zwei Grundtypen von Brucherzählungen: Einerseits werden gebrochene Narrative hier lesbar als Überwindungserzählung, die einen Bruch in der zeitlichen Kontinuität (vor dem Bruch – nach dem Bruch) und dessen Konsequenzen erzählbar macht. Andererseits fungieren sie auch als Gegenerzählungen, die der Kohärenz konventioneller Erzählweisen, die stabile Selbstsetzungen und Weltvorstellungen voraussetzen, eine radikale Fragmentierung entgegensetzen, in der das, was in Teile zersplittert ist, diffus bleibt und eben nicht synthetisiert werden kann. Mit der Figur der permanenten Parekbase lässt sich diese Konzeption weitertreiben hin zu einem konstitutionellen, strukturellen Moment narrativer Unterbrechung als Grundbedingung von Bedeutungsproduktion und narrativem Verstehen: Als ironische, erzwungene Abweichung, die der Text als unendlichen Kommentar zu sich selbst mitliefert, ist die Parekbase jenes der Struktur des Textes inhärente Moment, an dem die Divergenz zwischen figurativer und defigurativer Rhetorik lesbar wird und das den Bruch somit nicht an eine spezifische, überdeterminierende Ereignishaftigkeit rückbindet, sondern als bedeutungsgenerierende narrative Unterbrechung konzeptualisiert, ohne jedoch die verunsichernde, bedrohliche Dimension der Brucherfahrung zu entschärfen.
Prosopopöische und katachrestische Diskursverschiebungen Herculine_Abels Aufzeichnungen stehen nicht für sich allein. Sie sind untrennbar mit ihrer Publikations- und Rezeptionsgeschichte verbunden und lassen sich von den sie begleitenden Texten nicht ablösen. Zugänglich gemacht ist der Text in der deutschsprachigen Fassung demnach auch als ein Text in einer Reihe von Texten, die um den Titel Über Hermaphrodismus und den Untertitel Der Fall Barbin gruppiert sind. Beide, Titel und Untertitel, verweisen das Problem der (geschlechtlichen) Selbstrepräsentation unbestimmt an eine Offenheit
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des Über (Über Hermaphrodismus), dessen Grenzen durch die historisch-konkrete Geschichte einer Pathologisierung (Der Fall Barbin) vorgegeben sind – mit der darin erst denkbar werdenden Möglichkeit zur Unterbrechung. 1872/74 als Teil einer medizinischen Fallgeschichte zum Phänomen des Hermaphrodismus von Auguste Tardieu veröffentlicht, werden die Aufzeichnungen 1978 von Michel Foucault unter dem Titel Herculine Barbin, dite Alexina B. erneut herausgegeben und um ein Dossier mit Zeitdokumenten ergänzt (Daten zur lebensgeschichtlichen Kontextualisierung, die konkreten Gutachten und sich im sexualwissenschaftlichen Diskurs fortschreibenden Fallbesprechungen, zeitgenössische Pressemeldungen, persönliche Dokumente wie Sittlichkeitszeugnis, Empfehlungsschreiben, Geburtseintrag mit nachträglicher Personenstandsberichtigung). 1980 folgt die amerikanische Ausgabe (Herculine Barbin: Being the Recently Discovered Memoirs of a Nineteenth-Century French Hermaphrodite), erweitert um ein Vorwort Foucaults, das das Egodokument innerhalb des sexualwissenschaftlichen Diskurses des ausgehenden 19. Jahrhunderts und der von ihm entworfenen Genealogie einer Geschichte der Sexualität kontextualisiert. Die 1998 von Wolfgang Schäffner und Joseph Vogl herausgegebene deutsche Ausgabe schließlich vervielfältigt das Textkonvolut um eine Literarisierung der Fallgeschichte durch den deutschen Psychiater Oskar Panizza und um ein Nachwort der beiden Herausgeber, das Barbins autobiografisches Zeugnis nun in einer diskursgeschichtlichen Erzählung sexualpathologischer Verschiebungsprozesse verortet und den Text auf seine Mitwirkung in diesem Diskurs hin liest. Foucaults Gebrauch des Textes als Kronzeuge sexualpathologischer Diskursformation des 19. Jahrhunderts und dessen kritische Relektüre durch Judith Butler sind die prominentesten Etappen in einem anhaltenden Lektüreprozess, der die Aufzeichnungen als „Diskursfragment“ hervortreten lässt, das als „Effekt und Element“ im sexualpathologischen Wissen des 19. Jahrhunderts und seiner kritischen Durcharbeitung im 20. Jahrhundert wirksam wird und das einer um die Frage nach dem „wahren Geschlecht“ kreisenden sexualwissenschaftlichen, gerichtsmedizinischen und anatomischen Diskursproduktion eingeschrieben ist, der es gleichzeitig vorausgeht und folgt, wie Vogl und Schäffner in ihrem Nachwort nachzeichnen. Barbins Aufzeichnungen stellen somit einen grundsätzlich schon von all den anderen Stimmen durchzogenen Text dar, der in „verschiedenen Verwendungsweisen gleichzeitig vorkommt“54, ohne von seinem autobiografischen Moment je ganz losgelöst zu sein. Die Aufzeichnungen selbst gliedern sich in zwei Teile: Der erste, umfangreichere folgt linear erzählt Herculine Barbins Leben als Klosterschülerin und Lehrerin in einem Mädchenpensionat bis zum Zeitpunkt ihrer Personenstandsänderung im Alter von 22 Jahren und der dadurch erzwungenen Aufgabe 54 Schäffner/Vogl 1998, S. 219.
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ihres bis dahin bestimmenden Lebenszusammenhangs. Der zweite, fragmentarische Teil schildert Abel Barbins Leben als Eisenbahner in Paris in lose aneinandergereihten Reflexionen, Anklagen, Ereignisvignetten. Zwischen beide Teile ist eine Klammer gespannt, die die ineinander verlaufenden Ordnungen der Zweigeteiltheit und der gleichzeitigen Gedoppeltheit von Barbins Selbstverortung in einer chronologisch angeordneten Ereignislogik in Szene setzt, die als Aussageort des autobiografischen Selbst eine Zäsur markiert, die bedeutsamen Brüche und Inkohärenzen aber ausspart: „Ich bin allein! Mit meiner Ankunft in Paris beginnt ein neuer Abschnitt meiner doppelten und merkwürdigen Existenz. Nachdem ich zwanzig Jahre unter jungen Mädchen aufgezogen worden war, wurde ich zunächst für knapp zwei Jahre Zimmermädchen. Mit sechzehneinhalb Jahren trat ich als Lehramts-Schülerin in der Ecole normale von … ein. Mit neunzehn Jahren erhielt ich mein Unterrichtsdiplom; wenige Monate später leitete ich ein im Arrondissement von … recht angesehenes Pensionat; ich verließ es mit einundzwanzig Jahren. Das war im April. Am Ende desselben Jahres war ich in Paris bei der Eisenbahn …“ (S. 111)
Die Ereignisse werden chronologisch gereiht, als ledigliches Ineinanderfolgen lebensgeschichtlicher Etappen, das weder eine Kausallogik noch einen bedeutsamen Bruch konstruiert. Auguste Tardieus biografische Zusammenfassung hingegen, die er einleitend zu den Aufzeichnungen Barbins herausgibt, führt über den Begriff des Opfers ein narratives Modell ein, in dem die durch Barbins Text etablierte Chronologie der Ereignisse einem pathologisierenden Blick unterworfen wird, der dem schreibenden Ich Affekte als Kausalerklärungen für eine Ereigniskette zuschreibt: „Wir werden das Opfer eines derartigen Irrtums sehen [irrtümliche Festlegung des Personenstandes bei der Geburt], das zwanzig Jahre in den Kleidern eines Geschlechts verbracht hat, das nicht das seine ist, im Kampf mit einer Leidenschaft, die sich selbst nicht kennt; das endlich durch den Ausbruch seiner Gefühle gewarnt, dann seinem wahren Geschlecht zugeführt wird und zugleich ein deutliches Bewußtsein seiner körperlichen Gebrechen erlangt, das seines Lebens überdrüssig wird und ihm durch Selbstmord ein Ende setzt.“ (S. 175)
Hier wird Barbin als tragisches Subjekt figuriert, dessen Handlungs- und Empfindungsweisen sich nachträglich zu einer in sich kohärenten Fallgeschichte amalgamieren lassen, in der die Brucherfahrung insofern sinnkonstituierend wirkt, als sie das Ergebnis des gerichtsmedizinischen Gutachtens bestätigt und dessen Notwendigkeit sicherstellt. Der nachträglich konstruierte bedeutsame Bruch durch die Entdeckung eines „wahren Geschlechts“ weist dadurch nicht nur dem Irrtum und seiner Korrektur ihren Sinn zu, sondern dient zur Legitimation der wissenschaftlichen Analyse ebenso wie zum Aufbau des an das eigene Gutachten herangetragenen Erwartungshorizonts. Dasselbe Modell über-
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nimmt der Autopsiebericht von E. Goujon, der in einem weiteren Schritt Barbins Selbstaussage als Zeugnis heranzieht, das die Vollständigkeit und durch diese Vollständigkeit garantierte Endgültigkeit des Gutachtens erst in sein Recht setzt, wo es doch von diesem eigentlich selbst bestätigt werden soll: „Die Beobachtung, von der ich berichte, ist sicher eine der vollständigsten, die die Wissenschaft in dieser Art besitzt, weil das Individuum, das deren Gegenstand ist, sozusagen von der Geburt bis zum Tod hat verfolgt werden können und weil die Untersuchung seines Leichnams und die Autopsie mit aller wünschenswerten Sorgfalt unternommen werden konnten. Vollständig ist diese Beobachtung vor allem aufgrund des außergewöhnlichen Umstandes, daß besagte Person Sorge getragen hat, uns ausführliche Erinnerungen zu hinterlassen, durch die sie uns Einblick in alle Einzelheiten ihres Lebens und in all ihre Eindrücke aus den verschiedenen Phasen ihrer physischen und geistigen Entwicklung gegeben hat. Diese Erinnerungen sind umso wertvoller, als sie auf ein Individuum verweisen, das über eine gewisse Bildung verfügt […] und das sich bemühte, sich über die verschiedenartigen Eindrücke, die es empfing, Rechenschaft abzulegen.“ (S. 184)
Goujon kommt zwar zu dem Schluss, dass alle vorangegangenen Gutachten wie auch Barbins Aufzeichnungen durch den Autopsiebericht bestätigt, das heißt erst durch die Autopsie in ihrer Aussagekraft legitimiert werden können: „Nach der Durchführung der Autopsie konnte das erste Urteil berichtigt werden, das für den größten Teil seines Lebens über sein Geschlecht entschieden hatte; und es konnte die Genauigkeit der Diagnose bestätigt werden, die ihn zuletzt an seinen wahren Platz in der Gesellschaft gestellt hatte.“ (S. 185)
Die Evidenzleistung der Autopsie aber kommt von ihrer Angewiesenheit auf die Aufzeichnungen Barbins nicht los, ist ihre Aussagekraft doch für ihre Vollständigkeit an den rückversichernden Abgleich mit den Selbstaussagen gebunden. Diese gegenseitige Durchdringung der Texte verweist nicht nur auf die Gleichzeitigkeit ihres Auftretens und ihre Dialogizität in der Formierung eines sexualpathologischen Wissens, sondern auch auf einen Transformationsprozess innerhalb dieser Wissensproduktion, der sich ebenso als Bruchereignis nacherzählen lässt. So verorten Vogl und Schäffner Herculine_Abel Barbins Aufzeichnungen diskursgeschichtlich an einem Wendepunkt in der Geschichte des sexualpathologischen Diskurses, an dem sich eine bedeutsame Verwerfung abzeichnet: Das anatomisch-psychophysische Modell eines „wahren Geschlechts“ (Hermaphrodit) wird durch das psychopathologische Modell eines abweichenden geschlechtlichen Identitätsprinzips (Homosexueller) abgelöst. Sabine Mehlmann zeichnet diesen Prozess der schrittweisen Entkoppelung von physischem Körper und Geschlecht diskurshistorisch als Verschiebung des Körperlichen ins Imaginäre nach, in dem die begründende Materialität des Körpers letztlich als bedeutungsproduzierende, zu entziffernde Leerstelle wie-
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der eingesetzt wird. Der zunächst im biologischen Zweigeschlechtermodell „sexuierte Körper“55, der die Krise anatomisch-physiologischer Begründungsargumentation aufzeigt und zu weiteren Beschreibungsmodellen antreibt, wird in der psychosexuellen Differenzierung der Geschlechter zu einem „unzuverlässigen Körper“56, der sich gerade über seine Unschärfe als fixer Bezugspunkt für die Bestimmung der Geschlechtergrenze eignet und das Versprechen auf die Abschließbarkeit wieder einsetzt. So geht das anatomische Modell noch von der Idee einer Kohärenz des psychophysischen Geschlechts aus, in der die hermaphroditische Monstrosität nicht bedrohendes Chaos, sondern eine notwendige Anomalie darstellt, die bestimmten Gesetzen gehorcht, weshalb der im Hermaphroditen figurierte Irrtum als Begründungsfigur einer natürlichen Zweigeschlechtlichkeit herangezogen werden kann und umso diskursmächtiger wird, je mehr die beiden Geschlechtspole verunsichert und innerdiskursiv schrittweise über die unabgeschlossene Diskussion der letztendlich festlegenden anatomischen Determinanten durch eine binatorische Reihe von Mischungsverhältnissen ersetzt werden. Somatische und psychische Konstanten diffundieren hingegen im psychopathologischen Modell zu einer Art inneren Androgynie. Diese ermöglicht es, über die Pathologisierung eine zweigeschlechtlich und asymmetrisch-hierarchisch strukturierte Geschlechterdifferenz zu stärken, in der die Geschlechtermischformen in ein binäres Geschlechtermodell rückübersetzt werden können, in dem sich nicht nur der hermaphroditische Zweifel suspendiert hat, sondern in dem sich die produktive Verwirrung auf das Feld undurchschaubarer psychischer Vorgänge mit vagen anatomischen Ursprüngen verschiebt, die die grundsätzliche Zweigeschlechtlichkeit nicht mehr angreift.57 Über die diskursinternen Verschiebungen hinausgehend stellt die sich gerade formierende Psychoanalyse wissenschaftsgeschichtlich betrachtet die Deutungsmacht der Gerichtsmedizin massiv infrage, und erst diese Abkehr vom Untersuchen anatomischer Determinanten hin zur Entzifferung von Sexualempfindungen, Geschlechtstrieben und Fantasien bringt die wirklichkeits- und subjektkonstituierende Macht der Selbstaussage hervor, die zuvor der Evidenz der Autopsie untergeordnet war. An dieser Überschneidung zweier Episteme sexualpathologischen Wissens lesen Vogl und Schäffner Barbins Zeugnis als Beleg und Widerlegung zeitgenössischer Thesen von der Korrelation und Diffusion von anatomischen und psychologischen Geschlechtsmerkmalen, die der Hermaphrodismus zunächst verkörpern, dann entkräften soll, ohne die ihnen inhärenten Widersprüchlichkeiten und Paradoxien aufzulösen: „Ihre/Seine Er55 Mehlmann, Sabine: Unzuverlässige Körper. Zur Diskursgeschichte des Konzepts geschlechtlicher Identität. Taunus: Ulrike Helmer Verlag 2006, S. 80ff. 56 Ebd., S. 269f. 57 Vgl. ebd., S. 351.
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innerungen sprechen die Sprache des wahren Geschlechts und zugleich die eines Geheimnisses, eine Sprache, die die Autopsie vorwegnimmt und deren Signifikanten zur Herzensschrift metaphorisiert.“58 Für die Erzählung selbst konstatieren Schäffner und Vogl zwei gegenläufige narrative Bewegungen, an denen sich der eben aufgezeigte Transformationsprozess der Ablöse des Paradigmas des Hermaphroditen durch jenes des Homosexuellen widerspiegelt: Auf der figurativen Ebene löst Barbins Selbstaussage den Beweis der in den sexualpathologischen Texten konstatierten These ein, dass anatomische Anomalie zu moralischer und psychischer Verwirrung führe. Erst mit der Richtigstellung durch die Entdeckung des „wahren Geschlechts“ könne ein mühsamer Prozess körperlicher, psychischer und moralischer Integration einsetzen, der die anatomisch-physiologische Begründung der Geschlechtsidentität auch im affektiven Erleben und Selbstsetzen nachträglich herstellen muss und aus dem die vorangegangenen Irritationen erst als bedeutend interpretiert werden können. Die glättende psychische Innensicht als Geständnis der Irritation folgt demnach einer „Poetologie des medizinisch-juristischen Wissens“59 bis in die kleinsten narrativen Etappen: „In konsequenten Deduktionen reiht Herculine Barbin die Traurigkeiten und Melancholien, das Befremden und Fremdsein bis hin zur Evidenz eines noch unerkannten Geschlechts, das als heimliche Natur und Naturgewalt die Lektüre des Textes zur Entzifferung von Symptomen wendet.“60
In der narrativen Anordnung und Durchschreitung der biografischen Ereignisse entlang einer Logik der graduellen Steigerung und Intensivierung führt der Text rhetorisch den Prozess schleichender psychischer Fragmentierung vor, die sich erst nachträglich durch die Entdeckung der heimlichen Ursache als Effekt einer ebenso nachträglich konstitutierten Reihe von Ereignissen verstehen und in einen Kausalzusammenhang bringen lässt, der durch den Moment der Unterbrechung eingesetzt wird, den der Text als erzwungene Beichte vor den Präfekten, als Verhör und Untersuchung durch die Ärzte wiedergibt. Der Topos der Ortlosigkeit, mit dem die Aufzeichnungen einsetzen (die falsche Frau) und abbrechen (der Tod, das endgültige Zugeständnis an das Ausgeschlossensein aus der subjektkonstituierenden Geschlechtertypologie: der rudimentäre Mann), ruft die vom sexualpathologischen Diskurs der Zeit konstatierte Gleichzeitigkeit von eindeutigem Geschlecht und einer notwendigen, weil dieses unterbrechenden und intensivierenden Zweideutigkeit auf. Bestätigt werden der Irrtum, die Berichtigung, die Vorstellung eines anatomischen Schicksals, die Unvermeidlichkeit der Richtigstellung und Klärung hin auf ein 58 Schäffner/Vogl 1998, S. 242. 59 Ebd., S. 244. 60 Ebd.
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„wahres Geschlecht“ und die Unabschließbarkeit dieses Prozesses. Damit versichert die Erzählweise nicht nur Herculine_Abels Position an der Grenze, sondern auch die diskursimmanente Notwendigkeit der Brechung, da sich die Argumentation nur über die Behauptung der Gleichzeitigkeit von Widersprüchen legitimieren kann und die sie letztlich außer Kraft setzende Vereindeutigung abwehren muss: „Er/sie verkörpert das Gesetz nicht, da er/sie sich nicht signifikantengetreu in den symbolischen Strukturen der Anatomie naturalisieren kann; gerade in seiner/ihrer Empörung aber zeugt er/sie von der Fatalität dieses Gesetzes, das nur solche Widerstände zuläßt, die dieses Gesetz selbst reproduzieren.“61
Es ist ein doppeltes Gesicht, die falsche Frau und der rudimentäre Mann, das die Prosopopöie hier über das Ver- und Entdecken eines Irrtums zeigt. Auf der defigurativen Ebene entziehen sich die Aufzeichnungen dieser scheinbaren Beweislogik durch Zurücknahme und Inzweifelziehen der glättenden narrativen Bewegung, was Vogl und Schäffner als Fluchtbewegung des Textes, an anderer Stelle dann als „suizidäre Bewegung der Erzählung“62 kenntlich machen. Der permanente Wechsel des grammatischen Genus in den Selbstbezeichnungen übernimmt den wissenschaftlichen Zweifel und die notwendige Zweideutigkeit als Selbstapostrophierung, ebenso wie die erzählte Vervielfältigung der Unmöglichkeiten affektiver Besetzung und gelebter Leidenschaften an der Möglichkeit zweifelt, Begehren überhaupt repräsentieren zu können, und somit Foucaults Anreiz zur Diskursivierung des Sexes den sprachlichen Entzug und eine Repräsentationsverweigerung entgegensetzt. Was darin aufscheint, sind nicht nur die Zurückweisung beider Geschlechtsidentitäten und das Bestehen auf einer Selbstbehauptung im Zweifel, die zunächst über das Entziehen stattfindet, sondern auch ein gegen die Zurichtung der sexualpathologischen Texte gerichtetes monströses Sprechen einer misslingenden Selbst-Setzung als vielstimmige, verstümmelte, stumme Stimme. Rhetorisch gewendet als Katachrese, die defiguriert.
Der unauflösbare, amphibische Rest Die beiden auseinanderlaufenden Erzählbewegungen lassen sich deshalb über ihre Diskursgeschichte abbildende Funktion hinaus als Moment des „Neither/ Both“ fassen, in dem sich die interne Subversion des Textes (und aller weiteren Texte, die sich als Lektüren, Kommentare, Entgegnungen am Weiterwirken 61 Ebd., S. 244f. 62 Ebd., S. 246.
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dieser Aufzeichnungen beteiligen) permanent fortschreibt, die Geschlechtsbinarität als Voraussetzung der Selbstaussage sowohl bestätigt als auch bis zu dem Punkt vervielfältigt, an dem sie letztlich sinnlos wird. Der in den gerichtsmedizinischen Gutachten zur dominanten, entscheidenden Bruchszene figurierte Moment der Entdeckung, der Untersuchung und des Geständnisses erscheint in Barbins Aufzeichnungen als ein Bruch unter vielen, dem keine herausragende Bedeutsamkeit eines ereignishaften Kerns zugesprochen wird. Gegen die Vorstellung des sinnbestimmenden Bruchs setzt der Text eine Abfolge von Brucherfahrungen, die eine Reihe von Bedeutungsverschiebungen innerhalb einer permanenten Wiederholung der Selbstapostrophierung lostreten, die sich nicht auf einen abschließenden Sinn hin lesen lassen. Konkret beschreibbar wird dieses Verfahren der Bedeutungstransformation an der Aufsplitterung der Entdeckungsszene und ihrer Konsequenzen in der gegenseitigen Bezugnahme der autobiografischen Aufzeichnungen und der Gutachten aufeinander. So schildert Barbins Text zwar die erste ärztliche Untersuchung, spart aber die obsessive Detailgenauigkeit aus, die die medizinischen Gutachten im Dossier wuchern lassen und zur Beweisgrundlage einer auf eine endgültige Klärung abzielenden Brucherzählung heranziehen, und gibt stattdessen die Handlungsweisen, die Reaktionen des Arztes sowie Barbins eigene Wahrnehmungen und die mit ihnen verbundenen Affekte in ihrer Unschärfe wieder : „Meine Antworten auf seine Fragen stellten ihn vor ein Rätsel, statt ihm Aufklärung zu geben. Er wollte mich untersuchen. Wie man weiß, genießt ein Arzt gegenüber einer Kranken gewisse Privilegien, die ihm niemand abstreiten würde. Während dieses Eingriffes hörte ich ihn seufzen, als hätte ihn seine Untersuchung nicht befriedigt. […] Sein verzerrtes Gesicht verriet eine außerordentliche Unruhe. ,Ich bitte Sie‘, sagte ich zu ihm, ,lassen Sie mich. Sie töten mich!‘ […] Den armen Mann erfaßte eine schreckliche Erregung! Abgerissen drangen die Sätze aus seinem Mund, als hätte er Angst, sie auszusprechen. Ich hätte ihn hundert Fuß tief unter die Erde gewünscht!!!“ (S. 82f.)
Die autobiografische Selbstaussage macht den Moment der Verwirrung und der Zurückweisung einer vereindeutigenden, abschließenden Interpretation bedeutsam und markiert die Gewalttätigkeit des Aktes, die erzwungene Inbesitznahme ebenso wie die darauf antwortende Wut als Akt des Widerstandes („Sie töten mich!“). Im zweiten, von Chesnet verfassten gerichtsmedizinischen Gutachten findet sich eine Schilderung derselben Szene, die das Ereignis psychologisierend und entsubjektivierend in einen Diskurs über Barbin überträgt, der sie_ihn als ganze Person festschreibt und darüber nicht nur die Selbstbehauptung gänzlich aufhebt, sondern auch die Unschärfen in die Logik einer sich selbst vergewissernden, auf Klärung abzielenden Selbstanalyse überträgt:
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„Alexina aber war dennoch über diese Geheimnistuerei besorgt, deren Gegenstand sie zu sein glaubte, sowie über einige Worte, die der Arzt während der Untersuchung fallen ließ; sie begann deshalb, auf sich selbst aufmerksamer zu achten, als sie es bis dahin getan hatte. Beim täglichen Umgang mit fünfzehn- und sechzehnjährigen Mädchen empfand sie Erregungen, deren sie sich kaum erwehren konnte. So manches Mal begleiteten unerklärliche Gefühle ihre nächtlichen Träume, sie fühlte sich feucht und fand am Morgen in ihrer Wäsche gräuliche wie gestärkt scheinende Flecken. Überrascht und beunruhigt gestand Alexina ihre so neuartige Gemütsverfassung einem Geistlichen ein, der zweifellos nicht weniger erstaunt war und ihr riet, eine Reise, die sie zu ihrer Mutter nach R… machen sollte, zu benutzen, um den Rat des Monseigneurs einzuholen.“ (S. 177f.)
Darauf folgt eine genaue Beschreibung aller äußeren und inneren Geschlechtsmerkmale, die die Leerstelle in den autobiografischen Aufzeichnungen deskriptiv füllt und als Grundlage für eine „faktenbasierte“ und darüber stichhaltig gemachte Festlegung auf das männliche Geschlecht herangezogen wird, die sowohl das körperliche Mischungsverhältnis als auch die unaufgelöste Verschränkung von Begehren, anatomischen Merkmalen und Bestimmungswidersprüchen als Argument für die umso eindeutigere Geschlechtsidentität deutet: „Was schließen wir aus den vorangehenden Fakten? Ist Alexina eine Frau? Sie hat eine Vulva, große Schamlippen, eine weibliche Urethra, die unabhängig von einer Art nicht durchbohrtem Penis ist. Sollte der nicht vielleicht eine monströs entwickelte Klitoris sein? Eine Vagina ist vorhanden, die zwar sehr kurz und sehr eng ist; aber was ist es dann, wenn es keine Vagina ist? All das sind entschieden weibliche Merkmale, gewiß: doch Alexina hat nie die Regel gehabt; die ganze Erscheinung des Körpers ist männlich, bei meinen Untersuchungen konnte ich keinen Uterus finden. Ihr Geschmack, ihre Neigung zieht sie zu Frauen hin. Nachts folgt auf wollüstige Gefühle ein Samenerguß, ihre Wäsche wird davon fleckig und hart. Kurz, es lassen sich ovale Gebilde und ein Samenstrang in einem geteilten Skrotum ertasten. Dies sind die wahren Zeugen des Geschlechts; daraus können wir jetzt folgern und sagen: Alexina ist ein Mann, zweifellos hermaphroditisch, doch mit deutlicher Dominanz des männlichen Geschlechts.“ (S. 180)
Der Moment der Untersuchung durch Chestnet wiederum findet sich auch in Barbins Aufzeichnungen kommentiert. Hier wird die Rolle Chestnets als Bürge dieser von ihm konstatierten „wahren Zeugen des Geschlechts“ markiert, der auf keinen Widerspruch mehr antwortet und sich der uneingeschränkten, alleinigen Sinnzuweisungsmacht versichert hat. „Es mißfiel mir, wie er ungebeten in meine teuersten Geheimnisse vordrang, und ich antwortete nicht sehr gewählt auf einige seiner Bemerkungen, die ich als Verletzung auffaßte. ,Sie müssen‘, sagte er da zu mir, ,in mir jetzt nicht nur einen Arzt, sondern auch einen Beichtvater sehen. Ich muß alles sehen, also muß ich auch alles wissen. Der Augenblick ist schwer für Sie, vielleicht mehr als Sie denken. Ich muß für Sie guten Gewissens bürgen können, zunächst gegenüber Monseigneur, und ohne Zweifel auch
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gegenüber dem Gesetz, das mich als Zeugen anrufen wird.‘ Ich erspare es mir, hier auf jede Einzelheit der Untersuchung einzugehen, nach der die Wissenschaft sich zufrieden gab. Es war nun seine Aufgabe, einen Irrtum, der jenseits aller gewöhnlichen Regeln begangen worden war, berichtigen zu lassen. Dafür mußte ein Urteil zur Richtigstellung meines Personenstandes angestrengt werden.“ (S. 91f.)
Lapidar verweigert Barbin hier das Zitieren der in den Gutachten erstellten anatomischen Detailbestimmungen und stellt den Zynismus dieses Unterfangens aus („nach der die Wissenschaft sich zufrieden gab“). Die hier erneut formulierte Selbstbehauptung über die eigene Verletzlichkeit, in der sich der schon in der ersten Szene der ärztlichen Untersuchung formulierte Widerstand weiterschreibt, kippt in weiterer Folge in eine Passage, in der die von außen erzwungene Geschlechtskorrektur im Text unmerklich zur Selbstverpflichtung wird: „Für Augenblicke fragte ich mich, ob ich nicht Spielball eines unmöglichen Traumes war. Dieses unvermeidliche Ereignis, das ich vorhergesehen und sogar herbeigesehnt hatte, erschreckte mich jetzt wie eine empörende Ungeheuerlichkeit. […] Ach, ich konnte damals all diese Überlegungen nicht anstellen. Der Weg war frei; ich wurde vom Gedanken an die Pflicht getrieben, die erfüllt werden mußte. Ich ging ohne Berechnung vor.“ (S. 93)
Die selbstangeeignete Pflichterfüllung, die die durch die Ärzte erzwungene Richtigstellung als eigene Entscheidung annimmt (vorhergesehen und herbeigesehnt), hebt den Zweifel an der grundsätzlichen Möglichkeit zu Selbstbestimmtheit nicht auf (Spielball in einem unvermeidlichen Ereignis zu sein). Im Geständnis der Geliebten Sara gegenüber aber, das zu einem Abbruch der Liebesbeziehung zwischen Herculine_Abel und Sara führt, scheint die Aneignung als freie Selbstsetzung vollzogen: „Sie sprach nicht; aber ihr erloschener Blick schien mir die wichtige Entscheidung, die ich ohne sie getroffen hatte, wie ein Verschulden vorzuwerfen. […] [D]u verzehrst dich nach einer freien, unabhängigen Existenz, die ich dir nicht geben kann“ (S. 94). Die Freiwilligkeit konstatiert sich nachträglich über den Vorwurf im Blick Saras. In ihm wird unausgesprochen entschieden, was die Passagen, die dieser Szene vorangehen, noch im Unentschiedenen lassen. Unter ihrem Blick wird ein auf das männliche Geschlecht vereindeutigter und verbriefter Subjektstatus zur bewusst vollzogenen, beziehungsunterbrechenden und die Selbstauskunft bestimmenden Selbstpositionierung. Erst der aus der Rückschau formulierte Kommentar zu dieser Begegnung verweist auf die Erzwungenheit dieser vereindeutigenden Selbstapostrophierung und die damit verbundene anhaltende Brüchigkeit der Selbst- und Objektsetzung: „Aus unendlichem Verlangen nach dem Unbekannten wurde ich egoistisch, denn ich konnte nicht um die teuren Bande trauern, die ich aus eigenem Willen zerriß. Später
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sollte ich bitter bereuen, was ich damals als zwingende Pflicht ansah. Die Welt sollte mich bald lehren, daß ich aus dummer Schwäche gehandelt hatte, und mich dafür grausam bestrafen.“ (S. 94)
Die Aufzeichnungen schildern in weiterer Folge die Berichtigung der Geschlechtszugehörigkeit, das juridische Vollziehen der Personenstandsberichtigung und den damit einhergehenden endgültigen Bruch mit der bisherigen Lebenswelt: „Das war nun erledigt. Das Standesamt erlegte mir auf, von nun an jener Hälfte der Menschheit anzugehören, die das starke Geschlecht genannt wird. Ich, der ich bis zum einundzwanzigsten Jahr unter scheuen Gefährtinnen in Klöstern erzogen worden war, ließ wie Achill eine wunderbare Vergangenheit hinter mir und betrat den Kampfplatz, nur mit meiner einen Schwäche und meiner tiefen Unerfahrenheit gegenüber Menschen und Dingen bewaffnet!“ (S. 103)
Steuern Barbins Aufzeichnungen dieser Episode der ärztlichen Untersuchungen und Geständnissituationen auf die den Zweifel nicht abschließende, sondern ins Mythologische überhöhende Personifikation des verwundeten Achill zu, so endet Chesnets Gutachten mit der Auslöschung des Singulären der Fallgeschichte hin auf eine Gattung des Hermaphroditischen, die einem Gesetz des Monströsen folgt, das wiederum für die wissenschaftliche Selbstverständigung produktiv gemacht wird und sich nicht weiter um die Selbstaussage und ihr spezifisches Potenzial der Irritation kümmert: „Ihre Geschichte ist in wesentlichen Teilen die beinahe vollständige Wiederholung eines Falls, den Marc in dem Dictionnaire des sciences m8dicales im Artikel HERMAPHRODITE berichtet, und der auch von Orph8e im ersten Band seiner M8decine l8gale zitiert wird“ (S. 181). Was im Gutachten über die Verschiebung in eine Gattung des Monströsen als Bruch konserviert und unschädlich gemacht wird, lässt sich in den Aufzeichnungen nicht stillstellen. Nicht das plötzlich eintretende, schockhafte Ereignis der Entdeckung führt zu einer Unterbrechung, die für den ganzen Text bedeutungskonstitutiv wird. Denn die Figur der Prosopopöie, die zu sprechen ermächtigt, die Stimme verloren gehen lässt und im permanenten Prozess der De/ Figuration unterbricht, indem sie endlos verschiebend wiederholt, die Gesichter verleiht und wieder zergliedert, maskiert oder demaskiert nichts, was eigentlich ist. Auch nach de Man kann das, was ist, immer nur Maske sein, nämlich über den Prozess der Apostrophierung des Abwesenden, dem über die Figur der Prosopopöie ein Gesicht, eine Maske verliehen wird. Gerade weil sich Setzung und gesetzte Figur ausschließen, unterbricht sich diese performative, auf Wiederholung angewiesene Setzung einer Figur oder Maske permanent selbst. Die Maske wird die immer schon unterbrochene Bedingung der Möglichkeit des Subjekts. Ähnlich argumentierend, jedoch eine andere Stoßrichtung verfolgend,
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verfahren Vogl und Schäffner bei ihrer abschließenden Deutung in ihrem Nachwort, indem sie mit dem Begriff der Scham die erzwungene und zugleich notwendige, weil selbstsetzende De/Maskierung implizit einführen. In einem bedeutsamen Bruch mit der eigenen diskursgeschichtlichen Textinterpretation bringen sie die auseinanderstrebenden figurativen und defigurativen Textbewegungen in der Scham als Lese- und Verstehensfigur zusammen und binden den Text so an das zweite bedeutungsstiftende Bruchereignis zurück, das Sterben Barbins: „Nur als Opfer ist Herculine Barbin zum Subjekt ihres Wissens geworden, und dies ist eine Wendung, an der ihre Niederschrift jedem Zugriff entgeht. Diejenige, die spricht, ist zugleich der, über den gesprochen wird, und beide finden schließlich zusammen in der Scham, deren Geste den Text durchzieht und sagt: Es war ein Mißverständnis, und ich werde daran zugrunde gehen.“63
Ihre Deutung lässt sich auf jene Stelle in Barbins Aufzeichnungen rückbeziehen, die im Geständnis Sara gegenüber den Bruch zwischen beiden Lebensentwürfen markiert und im Text selbst die Wendung hin auf den zweiten, fragmentarischen Teil einleitet: „Ich lebte nicht mehr. Die Scham allein, die ich in meiner gegenwärtigen Stellung empfand, hätte ausgereicht, damit ich mit meiner Vergangenheit brach, die mich erröten ließ“ (S. 94). Vogl und Schäffner kontextualisieren die Figur nicht weiter, psychoanalytisch gefasst aber schwingt in der Scham die Maske mit, in der doppelten Logik, die dem Schamkonflikt eingeschrieben ist: Als paradigmatische Figur des Maskierens und des Gesichtsverlustes, des Gesichtverleihens und der erzwungenen Verstummung, ist die Scham jener affektive Komplex, an dem die Grenzen des Selbst verhandelt, bewacht oder (wieder-)errichtet werden, womit das (psychische) Überleben erst garantiert wird.64 Mit Bettine Menke lässt sich diese Figur des sprechenden Unterbrechens in ihrer Bezogenheit auf den ihr eingeschriebenen Fluchtpunkt, den Tod, ganz grundsätzlich auf das rhetorische Verfahren autobiografischen Schreibens rückwenden: „Der autobiographische Diskurs ist ein Diskurs der Selbstrestaurierung, ,restoration in the face of death‘ und insofern Prosopopöie, die Figur des Sprechens von jenseits des Grabes, die produziert, was sie verhindern oder zumindest verschleiern will, den Tod als Stummheit.“65 63 Schäffner/Vogl 1998, S. 246. 64 Vgl. Wurmser, L8on: Die Maske der Scham. Die Psychoanalyse von Schamaffekten und Schamkonflikten. Magdeburg: Klotz Verlag 2013, S. 126: „Die Scham als Haltung – pudor – behütet das getrennte private Selbst mit seinen Grenzen […]. So beschützt sie die Integrität des Selbst als Abwehr gegen übermäßiges Ausgesetzt- und Bloßgestelltsein und Neugier, während sie gleichzeitig den die Gemeinschaft leitenden Idealen und zusammenhaltenden Formen […] durch die Sanktionen der Lächerlichmachung und der Schande dient.“ 65 Menke 1988, S. 39, Hervorhebung A.B.
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Die rhetorische Strategie der Verstimmlichung als Prosopopöie ist restaurativ oder restitutiv. Sie bleibt darin aber aporetisch, weil das, was sie restauriert oder restituiert, nur Realitäts-Effekt und leer ist.66 Menke treibt den Gedanken noch weiter, indem sie beide Figuren, Prosopopöie und Katachrese, nicht nur als gegeneinander strebend, sondern als ineinander wirkend kenntlich macht. Die Prosopopöie als Katachrese des Gesichts impliziert demnach den Effekt des Leeren, Unheimlichen und Monströsen: „Insofern in der Prosopopoiia der Gestus, die Abwendung, mit der das Sprechen einsetzt, schon geschehen, aber nicht mehr präsentiert ist, fungiert sie heimlich als Katachrese, die Katachrese als ihr Unheimliches, als die Wiederkehr des verdrängten Faktums der Sprache.“67
Die Verbindung der Figuren ist unterbrechend, denn das, was die Prosopopöie zu verdecken versucht (als Gesicht/Stimme/Geschlecht/Genre), wird von der Katachrese defiguriert, als stumme Stimme einer mißlingenden Selbstsetzung. Mit Warminski lässt sich die katachrestische Bewegung eines Angriffs auf das Selbst, die im Gestus des Gesichtverleihens konstitutiv wird, in ihrer monströsen Dimension schärfen: „This self-mutilation – a mutilating of the self that is not the self ’s own because it is a self-mutilation ,proper‘ to, constitutive of language, which is not a self or a subject […] but it is operative in every catachresis (and hence, by extension, in every figure). Catachresis peoples the landscape with monsters and mutants.“68
Der katachrestische Aspekt und Effekt der Prosopopöie bevölkert die Erde mit Monstern und Geistern, mit „Zwischenwesen“ von Mann und Frau, Mensch und Tier. Ebendieses Bild des Amphibischen als monströse Verwirrung der Grenze zwischen Mensch und Tier ist es auch, das im zweiten, fragmentarischen Teil von Barbins Aufzeichnungen in der Metapher des Reptils aufgerufen wird. Sie zieht gegen die zuvor im Text behauptete Gedoppeltheit/Zweigeteiltheit eine grundsätzliche Vermischung ein, in der die Angewiesenheit beider narrativer Bewegungen aufeinander metaphorisch verdichtet wird, anstatt sie auflösen oder entscheiden zu wollen: „Geh Verfluchter, geh wieder an dein Werk! Die Welt, die du anrufst, war nicht für dich geschaffen. Und du warst nicht für sie geschaffen. Alle Schmerzen haben in diesem unermeßlichen Universum Platz, nur für deinen wirst du vergeblich einen Winkel suchen. Er gehört dort nicht hin. Er verkehrt alle Gesetze der Natur und der Menschen. Der Hort der Familie ist dir verschlossen. Dein Leben selbst ist ein Skandal, vor dem die Jungfrau, der scheue Jüngling erröten würden. Unter den entehrten Frauen, die mich 66 Vgl. Menke 2000, S. 151. 67 Ebd., S. 171. 68 Warminski 1987, S. lx.
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angelächelt und mit ihren Lippen meine berührt haben, ist wohl keine, die vor meinen Umarmungen nicht schamvoll zurückgewichen wäre, als hätte sie ein Reptil berührt. Nun gut! Ich werde niemanden verfluchen! Ja, ich habe mitten unter euch gelebt ohne die geringste Spur zu hinterlassen.“ (S. 111f.)
Die Wiederholung der Verirrung/Verwirrung/Abweichung in der Selbstaposthrophierung ist erzwungen und wird weiter aufgeschoben. Darin enthalten bleiben die Unaufgelöstheit und die gegenseitige Angewiesenheit der SelbstSetzung und der Selbst-Entsetzung. Der permanente Versuch der Aneignung über das restaurative Sich-selbst-Wiederherstellen durch das Schreiben der Aufzeichnungen, oder auch nur die bloße Existenz des Textes, der nach dem Suizid gefunden wird und somit in ein unaufgelöstes Verhältnis zu einer lebensgeschichtlichen Ereignishaftigkeit eingewoben bleibt (der Text kommt von seinem Ereignis nicht los, den Selbstmord nachträglich zu kommentieren und vom Selbstmord eingefasst zu sein, erst daraus wird das Argument einer suizidären Bewegung des Textes schlüssig), wird durch die defigurative Kraft des Sprechens selbst unterbrochen, nie aber suspendiert. Die Metapher des Reptils klagt an, verstört „in der Gestalt der Nicht-Gestalt, in der unförmigen, stummen, embryonalen und schreckenerregenden Form der Monstrosität“69, die, hier wiederholend mit Derrida, eng mit der Frage nach dem Menschen verknüpft ist, „nach dem ,wir‘ […], das seinen rätselhaften Inhalt an ein Geschlecht vergibt“. So zeigt sich, dass Alexinas_Abels „Menschlichkeit“ brüchig und bruchstückhaft zugleich „auf eine recht monströse Weise bestimmt [ist], in Abweichung von der Norm“70 – in der permanenten, unterbrechenden Abweichung ohne Abschluss. Ihre/seine Spur findet sich dennoch oder gerade deshalb „mitten unter uns“, in uns, zeugnishaft, diskurseröffnend und subversiv zugleich.
Literatur Babka, Anna: Unterbrochen. Gender und die Tropen der Autobiographie. Wien: Passagen, 2002. Babka, Anna / Bidwell-Steiner, Marlen: „Begriffe in Bewegung. Gender, Lesbian Phallus und Fantasy Echoes“, in: Bidwell-Steiner, Marlen / Babka, Anna (Hg.): Obskure Differenzen: Psychoanalyse und Gender Studies. Gießen: Psychosozial-Verlag, 2013, 239–269. Braidt, Jutta: Permanente Parekbasen. Zur rhetorischen Verfaßtheit der Geschlechter. Wien: Diplomarbeit, Institut für Vergleichende Literaturwissenschaft, 1996.
69 Derrida, Die Schrift und die Differenz, S. 442 (franz. S. 428). 70 Derrida, Geschlecht (Heidegger), S. 53, 56 bzw. 82, Hervorhebung A.B.
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Indigestible Biographies: Limits to the Narrative Processing of Life
Biography – ‘the story of a person told by someone else’1 – brings life into narrative form. In this article, I consider some of the fractures and failures that can attend this process, the places where the biographical text reveals life’s resistance to narrative. Drawing on perspectives from feminist biography and metabiography, I discuss various theoretical approaches to such moments of resistance. I then turn to a source of metaphor that was favoured in discussions of biography and historiography in the late nineteenth and early twentieth centuries: the digestive system. The final section of the article demonstrates the versatility of digestion and its discontents as a metabiographical figure, with particular reference to Lytton Strachey and Friedrich Nietzsche. Moments of narrative rupture or failure in biography become conceptualisable as instances of life’s non-assimilability to narration: in biography, narrative bites off more of life than it can chew.
Resistance to Narration 1: The Non-Event In 1761 Johnson appears to have done little.2
James Boswell’s Life of Samuel Johnson, LL.D, from which the above quotation is taken, occupies a uniquely significant place in the modern biographical canon, casting a long shadow for a variety of reasons. In methodological terms, Life of Johnson, first published in 1791, consolidated many aspects of existing biographical practice and set standards that would define approaches to biography over the following two centuries. The claims to comprehensiveness; the apparatus of verifiability ; the chronological structure; the stated aim of preservation and memorialisation; and the assumption and assertion of the subject’s great1 Lee 2009, p. 2. 2 Boswell 1953, p. 253.
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ness as the underpinning rationale for the entire project – all of these elements of Boswell’s approach combined to determine the biographer’s task as the genre began to enjoy an era of unprecedented cultural centrality.3 Yet the terse sentence quoted above, which, in its original context, is thrown into such sharp relief by the otherwise mellifluous, often overblown prose surrounding it, serves as a starting point for reflection on the limits of a narrative conception of biography. The quotation forces us to confront some of the staple ingredients of biography under the sign of their own negation: event, action, anecdote, achievement, contribution, production: biography as the narrative account of a doing being. Here, Johnson is, but does nothing, or nothing much; here, the narrative memorialisation of the ‘hero as man of letters’ (as Thomas Carlyle was later to call Johnson)4 threatens to break down, however briefly. The statement of Johnson’s non-doing throws up the question of how nonaction, the non-event, the non-anecdote, might function in a biographical narrative as a moment of rupture or failure. Such moments suggest a departure from one of biography’s fundamental assumptions: that life becomes narratable through the recounting of the actions and achievements of an individual subject. The 1761 sentence destabilises this basic biographical tenet; the text seems, momentarily, to resist the genre’s underlying premise, and the ‘What did he do?’ question that legitimises the biographical enterprise suddenly reveals itself as unanswerable or misconceived. Of course, Boswell’s formulation, his use of the word ‘appears’, indicates that what we may be dealing with here is an absence of recorded and transmitted information, a gap in the archive. On the other hand, there may simply have been little or nothing to report. Either way, this moment in Boswell’s otherwise verbose text draws attention to the relationship between biographical narratives and life traces, the archival and other resources on which biographies draw. This is a relationship of dependency and manipulation, evidence of which the biographical text does its best to suppress. Johnson may or may not have done little in 1761 (six pages’ worth, out of a total of 1,383 pages in the Oxford University Press edition), and not much more in 1762 (twelve pages), but we hear what he did in 1763 at some length (the same edition runs to 66 pages for that year)5 because the record of it exists – carefully researched and reconstructed by Boswell himself, through letters, conversations, and memories, and sedimented by the generations of biographers that follow him. The evidence, documentary and otherwise, and the contingency of its survival, preservation and accessibility, dictate the content of 3 For an overview of the cultural centrality of biography from the late eighteenth century onwards, particularly in the English-speaking context, see France/St Clair 2002; Ellis 2000; Hamilton 2007; Fetz 2009; Hemecker 2009; and Lee 2009. 4 Carlyle 1995, pp. 133–158. 5 Boswell 1953, pp. 271–337.
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the narrative. Yet biographical texts tend to gloss over their reliance on contingency, preferring to smooth the motley collection of information retained in the archive into an illusory whole or, as David Nye argues in his groundbreaking antibiography on Thomas Edison, an object of contemplation, a fetish.6 Like the fetishised commodity, the biographical text suppresses the knowledge of its own construction and production. It presents itself less as a thing made than as a thing discovered. It is written and read as an account of the life where in fact it is a narrative formed, constituted, from the life’s traces – which is not the same thing. This tension between life’s traces and life ‘stories’ reflects a more basic tension between narrative and materiality. Time and again, biographers recount the thrill – a mark of the fetish – unleashed by the encounter with material objects, places, buildings, artefacts, which were inhabited, used, touched by the subject. We read Eunice Lipton on her encounter with traces of the life of Victorine Meurent;7 Richard Holmes on the virtual presence of his Romantic subjects in the various locales to which he makes his biographical pilgrimages;8 Brian Boyd on the experience of seeing the butterfly samples caught and described by Vladimir Nabokov.9 The material life traces exert an auratic fascination because they have outlived the subject. Used as evidence for biography, they are cast in the role of a mute witness, speaking wordlessly for the dead. The auratic charge of material evidence also applies to the encounter with the subject’s handwriting, an object of biographical research which in the digital age is increasingly confined to historical subjects. We can speak in this context of a basic materialism of biography which sets it apart from other prose genres; as I have argued elsewhere, the material and spatial bodily presence that haunts biographical discourse as absence accounts for the marked reliance of biographical writing on metaphors from the visual arts, particularly portraiture and sculpture.10 But if these mute material objects and traces ‘speak’, what do they say? Can the biographer interpret them, and how does she legitimise her position as their ventriloquist? How do biographers justify their confidence that life traces, properly interpreted, can give rise to a reliable, or at least plausible, account of a life? And what happens, in narrative terms, when the relationship between trace and story becomes intractable, fractured, or opaque?
6 7 8 9 10
Nye 1983. Lipton 1999. Holmes 1985. Boyd 2011. N& Dhfflill 2009, pp. 473–500.
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Reflecting On Biographical Narration: Metabiography Any biographical text aims to provide a narrative constituted from knowledge of an individual, yet this knowledge is internally differentiated into various knowledge types. Biographical theory, and reflection on biography in general, is concerned with the difference between knowing a fact and knowing a person, or between knowing about a person and knowing a person. (Other languages fare better than English, as far as marking these distinctions is concerned, with conna%tre and savoir, kennen and wissen, for example, allowing for greater clarity.) If we accept Boswell’s claim that Johnson did little in 1761, what conclusions does this allow us to draw about Johnson, regarding this year or any year? The spectre of the non-narratable non-event – the doing of little or nothing – leads us to confront some of the epistemological problems of biography, including the promise that a successful biography will, to paraphrase Richard Holmes, ‘resolve a human mystery’.11 Life traces do not in and of themselves unravel an enigma. Rather, they elicit a variety of possible readings. In recent years the attempt to reflect systematically on the epistemological faultlines along which biography is precariously located has begun to go by the label metabiography. If, to repeat Hermione Lee’s pithy definition quoted at the outset, biography is ‘the story of a person told by someone else’,12 metabiography is a hermeneutics of biography, a reflexive or critical approach to interpreting the stories of people told by other people. The term itself is of fairly recent coinage – more recent than analogous terms such as metafiction (Patricia Waugh) and metahistory (Hayden White) – and, as is often the case with neologisms, it is newer than the phenomenon it names. Theoretical reflection on biography accompanies biographical practice throughout its history.13 A recent prominent example of metabiography is Nicolaas Rupke’s work on Alexander von Humboldt.14 Rupke’s approach corresponds roughly to the method of comparative biography outlined by Richard Holmes.15 This line of metabiographical research traces the evolution of biographical treatments of a particular subject, reading biographies of that subject diachronically and contrastively in order to reveal shifting priorities and diverging understandings. Comparative metabiographical studies of this kind show how biographical material such as anecdotes – Roland Barthes’ ‘biographemes’ – is mediated through the historical and cultural context of their reception and retelling, generating a complex, layered biographical discourse as it travels across time: a 11 12 13 14 15
Holmes 2000, p. 375. Lee 2009, p. 2. I discuss metabiography at greater length in N& Dhfflill 2012, pp. 279–289. Rupke 2008. Holmes 2002, pp. 7–18.
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well-known example is that of Jane Austen fainting at the news that she is to leave her family home, an incident given exemplary metabiographical treatment by Hermione Lee in her essay ‘Jane Austen Faints’.16 As the field of biographical study on such figures and incidents becomes saturated, they emerge as fertile areas of metabiographical enquiry. The metabiographical reading focusses its attention not so much on the anecdote itself – on verifying or disproving it – as on the way in which it has become subject to various narrative strategies and representational-ideological agendas. Metabiography, then, develops critical perspectives on the cultural and ideological investments of biography and seeks new pathways through established or congested biographical discourses. Where a biographer aims to form a coherent narrative out of information about a past life, thus remaining within a more or less representationalist or reconstructive paradigm, a metabiographer reads biographies as forms of discursive practice that raise wider questions around textuality, memorialisation, life-course models, uses of the past, and the narrative interpretation of its traces. The metabiographer seeks to break with biographical convention, eschewing the familiar paradigms of reconstruction, narration, re-animation, in which the biographer’s aim and the reader’s expectation is that the subject will be ‘brought to life’ and become somehow ‘knowable’ through the telling of a story. Instead of using the life traces as the raw material of a life story and thus as means to an end, the metabiographer focusses on the conditions under which these life traces are constituted and preserved. A metabiographical perspective thus helps us to avoid the following kind of trap: The laburnum and lilac were out along the Cam; roses bloomed again outside King’s Chapel; the early peaches dropped from the walls of the Senate House; the scorpions reared their heads in the sunlight of the Great Court and all Cambridge came alive with the scents and colours of an early English summer. It was to be his last term.17
Or : It was pleasant to imagine himself a successful playwright. Wearing a deerstalker hat, tortoiseshell spectacles, a carnation in his button-hole, he would stroll down Piccadilly with an elastic tread, swinging his cloak. He drank tea at Rumpelmayer’s, picked his way nimbly through picture galleries, whirled along in taxis…Or perhaps he should be a biographer?18
These two examples come from Michael Holroyd’s biography of Lytton Strachey, and demonstrate what can happen when biographers allow themselves poetic licence in their attempt to set the scene of the subject’s everyday existence at a 16 Lee 2005, pp. 64–85. 17 Holroyd 1994, p. 111. 18 Holroyd 1994, p. 256.
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particular time. The result is narratologically problematic – who is supposed to be speaking here? We are left with the sense of a simulation, Holroyd pretending to have had access to Strachey’s impressions, inner thoughts, and mental landscape, and yet we cannot enter into the same relationship with this text as we would with a piece of illusionistic fiction, because we know that most of the time, Holroyd is keen to impress upon us that his is an account of ‘what actually happened’, of Strachey’s life ‘as it really was’. The peculiar tension created here between fiction and fact throws us back on the problem of how to interpret the latter : the scenes ask more questions than they answer. What did it mean to wear a deerstalker hat at this time? Was the buttonhole carnation a coded signal to fellow gay men? How much did tea at Rumpelmayer’s cost, what percentage was it of the average industrial wage, and who was footing the bill seeing as Strachey was still a free floating bohemian with an at best uncertain income? How and why did evidence of the trips to Rumpelmayer’s enter the archive when evidence of other activities was not preserved? And perhaps most importantly – what traces do these jaunts around London and Cambridge, the self-stylisation as an Edwardian dandy, leave in Strachey’s texts? How is biographical experience rendered productive in the creative act of writing? This is not to suggest that Holroyd, who belongs to the generation of professional British biographers who came to prominence from the 1970s onwards – others include Peter Ackroyd, Victoria Glendinning, Hilary Spurling, and later Hermione Lee – fails to reflect on such questions. Holroyd’s Strachey, particularly in the new version reworked in the 1990s from the original two-volume version of 1967–8, made a groundbreaking contribution to the study of Bloomsbury and English modernism, not least in terms of opening up the cultural history of homosexuality as a topic for serious scholarship. Yet as the examples above show, the biographer’s concern with atmosphere and illusionistic scene-setting in the reconstruction of everyday life can lead the resulting text onto the very narratological and epistemological minefield that metabiography seeks to reconnoitre.
Resistance to Narration 2: The Biographical Mundane The pitfalls of Holroyd’s prose alert us to the tensions within biographical narrative between the scholarly reconstruction of documented life events, the synthesis and interpretation of this material; and the attempt to position it within broader horizons of meaning, whether cultural, historical, social, or aesthetic. The biographer constantly seeks to go beyond the chronicle of what is known or supposed to have happened to address the question of how it becomes meaningful to later readers. The processes whereby biographical material is
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rendered meaningful deserve particular scrutiny wherever this material is concerned with the mundane details of everyday life, the repetitive cycles of bodily reproduction, household management, domestic labour. To remain with the aforementioned example, Holroyd’s biography of Strachey : notwithstanding its narratological sleights of hand, this text achieves a fine balance between a concern with the subject’s cultural contribution and distinctive position within the Bloomsbury group and aesthetic and sexual avant garde, on the one hand, and an appreciation of the politics and import of the everyday or mundane. On the relationship between Strachey and the artist Dora Carrington, Holroyd writes: she had set out to make herself indispensable to him, and gradually she became indispensable. She was his housekeeper, his confidante, his nurse, his messenger, his loving friend. […] She would see to it that he had measured doses of quinine, Bemax and Sanatogen and sensible clothes and plenty of cushions and Extract of Malt and rhubarb powder and eucalyptus oil and all the other supports and syrups the world had to offer.19
In narratological terms, following G8rard Genette, the mundane is the domain of iterative narration: the non-eventful, non-remarkable, repetitive actions of the everyday may not be deemed worthy of repeated narration, but in their implied cumulative effect they are constitutive of life itself. In Holroyd’s account, it is Carrington’s everyday ministrations to Strachey that facilitate the latter’s literary production. Her mundane domestic and emotional labour is a prerequisite to his intellectual work, in a way that impacts problematically on her own tragic artistic subjectivity. Determining the boundaries of the mundane is no straightforward matter. Because of its etymological root in mundus, the world, and the consequent secondary meaning ‘wordly’, ‘of the world’, the word mundane is a notorious false friend in terms of its secondary meanings and cognates in other languages. It is used here in the primary sense in English of everyday, quotidian, routine – with a hint of banality and non-eventfulness: the Oxford English Dictionary suggests ‘humdrum, prosaic, lacking interest’ as synonyms. The problem for biography is immediately apparent. The dominant biographical paradigm conceptualises life as something fundamentally narratable, as a story that not only can be told, but is worthy of being told. Many of the details of everyday life, however, are non-narratable, storyless, or resistant to narration. It is this very mundanity, this resistance to narration, that threatens – or promises, depending on one’s point of view – to rupture the biographical ‘life as story’ paradigm. Yet for many biographers and readers, the minute reconstruction of the 19 Holroyd 1994, pp. 407–8.
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subject’s everyday domestic conditions – knowing how they lived and slept, what they ate and wore – is central to the whole point of biography or even is its point. There is a strong case to be made for this view of the mundane from the point of view of social history : details of the daily lives of past generations, including material culture and the prevailing division of labour, are immensely informative as manifestations of social structure, markers of class and group identity, and so on. However, the priorities of social history are not always reconcilable with those of biography, a fact which accounts for the often tense relationship between these two very different approaches to the past. “Human beings are too important to be treated as mere symptoms of the past”, wrote Strachey in his preface to Eminent Victorians in 1918. Broadly speaking, the social historian treats the biographical record as a point of entry into the social reality of the past; whereas for the biographer, the archival traces of the subject’s life provide the building blocks from which the story of that life is to be (re-)constructed. Of course, it is possible to combine these approaches – one thinks of Carolyn Steedman’s biography of her own mother,20 or Claire Tomalin’s The Invisible Woman,21 which is as much a reconstruction of the experiences and conditions faced by nineteenth-century actresses living at the edge of respectability as it is a biography of Ellen Ternan. But the focus of biography, by and large, is on the individual life as an end in itself rather than as a means to the end of social analysis. Readers go to biography asking ‘what was she like?’ rather than ‘who else was she like?’. Where biographers seek out the mundane, it is in an effort to communicate a sense of the texture of the subject’s lived experience. When details of everyday existence, from diet, health, and finances to the division of labour within the household are presented, their combined effect is to create an illusion of intimacy with the subject. The mundane thus serves two distinctive or competing agendas within biography, the auratic versus the democratic: on the one hand, the otherwise unremarkable details of daily life are legitimated as narratable by dint of their association with the auratic subject; while on the other, the subject is normalised and rendered unremarkable through their association with the universal business of bodily reproduction and daily maintenance, becoming ‘just a person like any other’. The mundane details of the everyday domestic conditions of culturally prominent individuals, their living arrangements, diet, finances, health, exercise regimen, travel arrangements seem to bring the elite ‘down to earth’, in keeping with the debunking and pedestal-toppling claims made for much modern biography, precisely since Strachey : the good and the great, the cultural elite, the geniuses and political leaders are, in their everyday lives and bodily 20 Steedman 1987. 21 Tomalin 1991.
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realities, ‘just like you and me’. In fact, however, biography’s narration of the everyday often turns out on closer inspection to involve a ‘hallowing’ of detail, a transfiguration of the mundane: the iconic figure endows everyday detail with a spurious significance or aura. The suggestion that if James Joyce ate it, drank it, or wore it, we want to read about it, enhances rather than diminishing Joyce’s place in the pantheon of cultural heroes which conventional biography does so much to create and perpetuate. The representation of the mundane in biography thus stands in a relationship of peculiar tension to the highly political questions of cultural prominence and historical visibility. The radical gesture of explicitly thematising the repetitive work of bodily reproduction and maintenance may not be so radical after all if it is enlisted in the service of the auratic ‘Great Man’ model of biography. The portrayal of the everyday in a biographical text raises these political questions and it is important to distinguish between those biographies which explicitly thematise this political dimension and those in which it remains under-theorized, constituting the political unconscious of the text. An alternative approach to the mundane, one that disrupts the intractable tension between auratic and democratic presentation, is to consider it not in terms of the illusory intimacy or bodily presence it seems to promise, but narratologically – as a site of resistance to narrative. As noted above, the mundane aspects of a life are less narratable than other aspects, possibly even non-narratable. They resist full integration into a goal-directed, teleological story with beginning, middle, end. It is the preponderance of the mundane that gives many biographies their cumulative, paratactical structure, the – often frustrating – sense they convey that their major linking conjunction is not ‘because’, or ‘despite’, or ‘therefore’, but ‘and then…and then…and then’. The importance – and yet difficulty – of representing repetitive, tedious, daily actions in a written or cinematic narrative is realised by experimental feminist texts such as Doris Lessing’s novel The Golden Notebook (“I must-dress-Janetget-her-breakfast-send-her-off-to-school-get-Michael’s-breakfast-don’t-forgetI’m-out-of-tea-etc.-etc.”)22 or Chantal Akerman’s 1975 film Jeanne Dielman, 23 Quai du commerce, 1080 Bruxelles. Such experiments – which are motivated by the feminist agenda of making occluded domestic labour visible – throw down a challenge to biography. How can biographical texts do justice to the repetitive aspects of (particularly domestic) life and labour, and why this might be a desirable alternative to the more conventional focus on artistic production, achievement, and work in the public sphere? The approaches of Lessing, Akerman, even Peter Handke in his biography of his own mother,23 draw attention to the variety of agendas that can be served by 22 Lessing 1993, S. 298. 23 “Auftischen, abräumen; “Sind jetzt alle versorgt?” Vorhänge auf, Vorhänge zu; Licht an,
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the minute detailing of the everyday, whether in non-biographical or biographical texts. The radical text insists that the reproduction of the body is narratively non-productive or non-assimilable. By contrast, for most biographers the daily round serves as a kind of foil or backdrop, against which the extraordinary, the event, the achievement, is thrown into relief. In the case of writers and artists – those prominent cultural figures who form the subject of choice for conventional biographies in the ‘Great Man’ mould (a mould which is not essentially recast through the inclusion of ‘Great Women’) – the mundane is of interest because it constitutes the conditions and the context for the creation of the artwork (or other historically visible achievement). It is in the portrayal of the mundane, then, that biography can most powerfully inform our understanding of the relationship between the reproductive labour of daily life and the productive labour of art. Of course, the chosen formulation here, the ‘reproductive labour of daily life’ versus the ‘productive labour of art’, deliberately sets up a questionable dichotomy recalling the feminist perspectives of earlier times (such as Simone de Beauvoir’s distinction between transcendence and immanence or Nancy Chodorow’s concern with the reproduction of social roles). Aspects of quotidian existence such as diet, clothing, and housing arrangements are in fact productive in the broader sense – of subjectivities, values, realities. Nevertheless, there are strategic advantages to be gained from retaining the reproductive/productive distinction, not only because it has been of immense importance to feminist and gender theory, but also because it remains insufficiently theorised in many biographies. Furthermore, no consideration of the relationship between production and reproduction is complete without reference to the increasingly significant role of consumption as a cultural and social practice and a factor in identity : consumption is, we now acknowledge, a form of identity-production and political action, while also forming part of the reproductive activity of daily life. The full import of consumption – not only with regard to the cultural practices of consumer society, but in the more concrete senses of ingestion and the alimentary – for biography remains to be worked out. In what follows, the dimension of consumption in its relationship to biographical narratives and narrative failures is addressed in a tentative, exploratory way.
Licht aus; […] zusammenfalten, auseinanderfalten; ausleeren, füllen; Stecker rein, Stecker raus.” Handke 1972, p. 57. On this text as a feminist biography, see 2009, pp. 311–363.
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Food for Thought: On the Relation of the Digestive and the Biographical What could be more mundane, more quotidian – in the sense that it has to happen every day, several times a day – than the alimentary? What could be more resistant to narration than the digestive process? Biography’s attempt to ground cultural production in the body and in the minutiae of daily life involves a recognition of the alimentary in the representation of historical subjects which, in turn, provokes a range of discursive engagements with nourishment, ingestion, digestion, and dyspepsia, starting with the body but quickly moving beyond it. So where we read, for example, in a biography of George Eliot that the author’s travels in France and Spain in 1867 were curtailed by the delicate stomach of her partner George Lewes, because as Eliot put it ‘a suggestion of oil and garlick in his food would cause him endless gastric miseries’,24 we are reminded of the insistent needs, habits and discomforts of the body that accompany, underpin and potentially derail literary production and cross-cultural engagement. Where Lytton Strachey exclaims with his customary panache in the course of his researches on his only female Eminent Victorian, Florence Nightingale, that his biographical subject is ‘proving distinctly indigestible’, and elsewhere where he states that to engage in biographical research is to ‘pass a person through your mind, with all the documents, and see what comes out’,25 our attention is drawn to the digestive system as a metaphorical resource; but the context in which these remarks occur, namely in biographical documents pertaining to Strachey, reminds us of the permeability of the boundary between the metaphorical and the real. As SilkeMaria Weineck puts it, ‘the fertility of the digestive metaphor depends precisely on the degree to which it is not quite a metaphor’.26 Digestion as metaphorical resource lay close to hand in the case of Strachey ; as is well documented, he suffered from a range of complaints affecting the digestive system, including haemorrhoids so severe that they required him on occasion to carry a large air cushion around with him wherever he went, including into court on the occasion of a tribunal concerning his conscientious objection during World War I.27 Or, in a third example, where we read Friedrich Nietzsche’s characterization of Thomas Carlyle’s life as ‘a heroic-moral interpretation of dyspeptic conditions’ (‘diese heroisch-moralische Interpretation dyspeptischer Zustände’),28 we are 24 25 26 27 28
Eliot 1985, p. 399. Holroyd 1994, p. 318, p. 422. Weineck 2006, pp. 35–43 (here p. 42). Holroyd 1994, p. 348. ‘Ich las das Leben Thomas Carlyles, diese Farce wider Wissen und Willen, diese heroischmoralische Interpretation dyspeptischer Zustände. – Carlyle, ein Mann der starken Worte
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drawn in two directions simultaneously – back to the suffering body of Thomas Carlyle himself, for whom dyspepsia was ‘that first and greatest, that sum total of all worldly tortures’,29 but also forward into the philosophy of history elaborated by Nietzsche, in which figures of healthy digestion versus digestive malfunction, of excess consumption followed by bloating and surfeit, are immensely productive. It is no coincidence that digestive metaphors abound in the biographical context. For one thing, biography affirms the centrality of the living – thus, eating – body. The digestive cycle literally lies at the core of the biographer’s concern – whether explicit or disavowed – with mundane bodily existence. For another, at the figurative and discursive level, in terms of sources, knowledge, and information, biographical texts must navigate between situations of feast or famine, surfeit or lack. To call upon Strachey once more, his preface to Eminent Victorians rails against the ‘ill-digested masses of material’ that characterise the voluminous biographies of the Victorian age. The metaphor recurs wherever matter seems resistant to form, right down to the present day – the complaint that biographical material is ‘insufficiently digested’, or that the resulting text is ‘indigestible’, frequently features in reviews of biographies in scholarly and literary journals, for example. Furthermore, the moments of resistance to narration that I have sought to elucidate in the earlier sections of this article – the non-event, the archival silence, the quotidian and banal – could also be described as biographically ‘indigestible’, insofar as they are not conducive to narrative processing: they do not nourish the narrative account of life. Thinking with Strachey, then, and also mobilizing one of Nietzsche’s most fertile metaphors, we can conceptualise narration, and especially biographical narration, as a kind of digestive process, one that is susceptible to moments of failure and malfunction, to the epistemological dyspepsias that were so fundamental to the Nietzschean diagnosis of cultural malaise. My concluding thoughts are offered in the spirit of a first step towards a long-overdue cultural history of the trope of dyspepsia. Sustained attention to this trope beyond the scope of the reflections formulated here may yield new insights into consumption and processing as these relate to the workings of the digestive system and its discontents. The aim of such a project would be to ascertain systemic homologies between the material or biological level and cognate cultural phenomena, the better to probe the various and distinctive pathologies that attend the latter. Dyspepsia’s metaphorical potential is tapped by Nietzsche in a number of und Attitüden, ein Rhetor aus Not, den beständig das Verlangen nach einem starken Glauben agaziert und das Gefühl der Unfähigkeit dazu (– darin ein typischer Romantiker!)’. Nietzsche, 1999, vol. 6, p. 119. 29 Carlyle 2013, p. 273.
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texts; the second of the Unzeitgemässe Betrachtungen, Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben, may serve as an example. Nietzsche begins this meditation or ‘thought out of season’ (the title depends on the translation) with a reflection on ‘symptoms of our time’, or cultural pathologies. Chief among these are cultural practices devoted to preserving traces of the past, telling stories about them, cultivating attitudes towards them, for example through historical knowledge and research. For our current purposes, we can include biography among these. The metaphors Nietzsche deploys to address what he sees as the kernel of this problem are repeatedly drawn from the realm of ingestion and digestion. The first claim he makes is that the culture of his time is suffering from a consuming (‘verzehrend’) historical fever : it is not just that people are consuming history with such voracity that they are failing to digest it, but also that history itself is somehow consuming or wasting, laying waste to, the living. His polemical diagnosis of this problem is well known, and requires little elaboration here.30 The bulk of this Untimely Meditation is taken up with distinguishing between three different ways of engaging with the past – the monumental, the antiquarian, and the critical – and with exposing the devitalising tendencies that inhere in each of the three, the ways in which they are, variously, inimical to vitality and to life itself. What is of interest in the context of these concluding reflections on biographical indigestibility, and indigestible biography, is the prevalence of digestive imagery in Nietzsche’s text. He begins by telling the reader to consider the herd that is grazing past (‘die Herde, die an dir vorüberweidet’); these animals, part of Nietzsche’s vast bestiary, are summoned to embody the non- or ahistorical life, the life lived in total absence of, and oblivion to, history. The herd engages in four activities on a cyclical basis: jumping around or perhaps gambolling (‘umherspringen’); eating; resting; and digesting. The polar opposite of the herd animal (at least, in this context – as we know, the herd animal has different connotations in other texts by Nietzsche) is the person whose perception and feeling is dominated by the historical, but interestingly it is again a digestive metaphor, and a non-human one at that, that is deployed to dramatise the predicament of the person consumed by, because only able or willing to consume, history : Ein Mensch, der durch u. durch nur historisch empfinden wollte, wäre […] dem Tiere [ähnlich], das nur vom WIEDERKÄUEN u. immer wiederholtem WIEDERKÄUEN leben sollte.31
This image of the chewing of the cud, or rumination, complicates and enriches the digestive metaphor further ; while absent from the human digestive system, 30 For a fuller discussion, see Weineck 2006. 31 Nietzsche 1999, vol. 1, p. 250.
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rumination, whereby that which is already partially digested is brought up and chewed over again and again, is, despite its proximity to the abject, not always negatively connoted once we begin to think digestion figuratively. In fact, the metabiographical reflections discussed in section ii) above might be construed as a form of rumination on the biographical – a bringing up again of what has already been consumed, in order the better to process it. The first two attitudes or approaches to history that Nietzsche diagnoses, the monumental and the antiquarian, are also characterized through digestive metaphors. The monumentalists are accused of spoiling their own palates through excessive cultivation of a misplaced piety and thus refusing the sound nutrition of true art (‘so bilden sie ihre Zunge und ihren Geschmack aus, um aus ihrer Verwöhntheit zu erklären, warum sie alles das, was ihnen von nahrhafter Kunstspeise angeboten wird, so beharrlich ablehnen’);32 while the antiquarians, who if anything come under even heavier fire than the monumentalists, are depicted as indiscriminate omnivores whose curiosity for all things ancient leads them to gorge themselves on the mouldering dust of bibliographical irrelevancies.33 The discussion culminates in another unforgettable image from the Nietzschean bestiary, that of conventional modern education likened to a rabbit swallowed whole by a snake: all the snake can do is lie very still in the sun, avoiding all unnecessary movement, until the digestive process has run its course. In all of this Nietzsche never condemns any of these basic attitudes outright, as the balance in his title between Nutzen and Nachteil suggests; he insists on the positive aspects of both monumental and antiquarian approaches to history, but sees their contemporary manifestations as pathologically hypertrophied and thus inimical to life. If we wish to consume history without risking a dyspeptic flare-up, we must consume it out of hunger, otherwise we will end up, and this is Nietzsche’s diagnosis of the modern condition, dragging a monstrous number of indigestible knowledge stones around with us (‘eine ungeheuere Menge von unverdaulichen Wissenssteinen’):34 ‘die natürliche Beziehung einer Zeit, einer Kultur, eines Volkes zur Historie ist – hervorgerufen durch Hunger, regulirt durch den Grad des Bedürfnisses.’35 The digestive metaphor supports the quest for a balanced approach to the traces of the past, as it furnishes a wealth of analogies through which to frame problems of sufficiency and 32 Nietzsche 1999, vol. 1, p. 264. 33 “Der Mensch hüllt sich in Moderduft; es gelingt ihm, selbst eine bedeutendere Anlage, ein edleres Bedürfnis durch die antiquarische Manier zu unersättlicher Neubegier, richtiger Altund Allbegier herabzustimmen; oftmals sinkt er so tief, daß er zuletzt mit jeder Kost zufrieden ist und mit Lust den Staub bibliographischer Quisquilien frißt.” Nietzsche 1999 vol. 1, p. 268. 34 Nietzsche 1999, vol. 1, p. 272. 35 Nietzsche 1999, vol. 1, p. 271.
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excess, sustenance and debilitation, voraciousness and discrimination. In fact, one wonders whether deconstruction’s long preoccupation with the pharmacy – as the site upon which the poison / remedy binary is so productively and eloquently undone – might not have overshot its mark and fared better in the kitchen, or indeed the stomach. Nietzsche is of course not alone in his use of digestive figures in accounting for the relationship between historical knowledge and contemporary life. As noted earlier, Strachey’s attack on Victorianism, and particularly on Victorian historiography and biography, is replete with references to the indigestibility and stodginess of the grandparental generation’s approach to, and representation of, the past. It is precisely this sense of digestive malfunction in the historical consciousness of previous generations that prompts Strachey, and the Bloomsbury modernists with him, to reinvent biography as a slimmed-down, impressionist genre, liberated from the indigestible surfeit of life traces, and rendered appetizing and bite-sized.
Conclusion In the foregoing, I have sought to pose the question of biography as both narrative and non-narrative. Biographies are, of course, narratives: they are life stories, the attempt to render life as story. But they also point to narrative’s limits and limitations. Biography consolidates the divisions between production, reproduction and consumption: it is a vehicle for the cultural inscription of these divisions. Yet while it upholds them, it can also trouble them, through its insistence on the connection between cultural contributions in spheres such as the arts, politics and public life, on the one hand, and the mundane reproductive work of bodily maintenance, on the other. The metabiographical eloquence of the digestive system brings a further dimension to biography’s concern with those aspects of bodily existence that are resistant to narration. Where biographical research and narration is conceptualised in terms of the processing and consumption of the traces of past lives, conditions of surfeit, satiety, indigestibility, or lack are evoked to suggest the pathologies or failures of the biographical enterprise. Notwithstanding the genre’s theoretical deficits and continued ideological investments in the ‘Great Man’ paradigm of the individual historical agent, biographies play an important role in rendering visible the too often invisible bodily mundane, and draw our attention, almost despite themselves, to those aspects of life as process – including metabolic process – that cannot be readily assimilated into narrative.
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Trinh T. Minh-ha
Mother’s Talk. Mutter(s) GeRede1 als Erzählkunst des Lebens
Mother’s Talk Wenn die Erinnerung auszieht, um Reisig zu sammeln, kehrt sie mit dem Bündel zurück, das ihr zusagt. (Birago Diop)
„Die törichtesten Tore von allen Tieren, die fliegen, laufen und schwimmen, die törichtesten Tore von allen Tieren, die unter der Erde, im Wasser und in der Luft leben, sind ohne jeden Zweifel die Kaimane, jene Kreaturen, die zu Land kriechen und auf dem Grund des Wassers laufen […] und zwar weil sie das beste Gedächtnis der Welt besitzen sollen.“2 Mit diesen Worten beginnt der senegalesische Dichter und Erzähler Birago Diop die Geschichte von der Kaimanmutter3. Mit diesen Worten greift er eine alte Erzählung seiner Vorfahren auf, die er einem anderen Erzähler zuschreibt – dem griot (Geschichtenerzähler, Sänger und Genealogen) Amadou Koumba. Und um die Angelegenheit weiter zu komplizieren – Amadou Koumba wiederum behauptet, er gebe nur wieder, was er von einem weiteren Erzähler in Erinnerung behalten habe: „,Das ist nicht meine Meinung‘, sagte Amadou Koumba, ,sondern das, was Golo der Affe behauptet. Mögen alle darin übereinstimmen, dass Golo das ungehobeltste Ge1 Der Text erschien unter dem Titel „Mother’s Talk“ zuerst in Nnaemeka 1997 und wurde wieder abgedruckt in Minh-ha 2011. „Talk“ wird hier provisorisch als GeRede übersetzt, um auf die Bandbreite verschiedener Sprechweisen und Stimmen hinzuweisen, die dem Ausdruck im Verlauf des Textes zuwachsen. Diese zugleich verschränkende wie auch ironisierende Klammer lässt sich im Deutschen nicht einheitlich wiedergeben, grundiert aber die sich entfaltende Erzählung bzw. den hiermit fortgesponnenen Akt des Erzählens (A. d. Ü.). 2 Diop 1998, S. 41. Die Übersetzung wurde teilweise modifiziert. 3 Obwohl die englische Übersetzung, aus der Trinh Minh-ha zitiert, den Titel der Erzählung als „Mother Crocodile“ wiedergibt, ist nicht unerheblich, dass es sich genauer um „Mamancaiman“ handelt: caiman bezeichnet nicht nur eine Unterart der Alligatoren, sondern meint im Französischen auch einen (akademischen) Repetitor, einen Vermittler von verdichtetem Wissen (A. d. Ü.).
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schwätz von sich gibt, als Griot macht er doch manchmal sehr vernünftige Bemerkungen, wie manche meinen, oder er tut wenigstens so, als habe er vernünftig gesprochen, nach Meinung der anderen.‘“
Torheit und Erinnerung Das Sprechen brachte drei als männlich identifizierte Stimmen zusammen, um zugleich ihre Einigkeit zu vertagen. Die Geschichte stellt sich als Klatsch dar, der von Erzähler zu Erzähler zirkuliert. Der Erzähler-Mann (Diop) weist den/die Leser/in warnend darauf hin, dass er nur Amadou Koumba zitiere, der alles wiederum von Golo-dem-Affen-Männchen habe. Von Beginn an stellt sich also die Frage nach der wahren Quelle solchen Geredes: Wenn der/die Leser/in nicht beurteilen kann, ob Golo „vernünftige Sachen“ sagt oder einfach die Führung übernimmt, indem er andere davon überzeugt, er sei der Urheber, wessen Auffassung wird dann präsentiert? Im Fortlauf der Geschichte nimmt der Erzählprozess zunehmend reflexive Züge an, und dem/der Leser/in drängt sich immer mehr die Frage auf, welcher Erzähler eigentlich der wahre Affe ist. Wer ist hier letztlich der Dumme? Genau hierin liegt die Macht der Umwege, die die Weber des Erzählnetzes hervorragend beherrschen. Durch die Magie der Worte müssen sie die überlieferten Aussagen wiedergeben und zugleich die Funktion des Erzählens erfüllen: Dessen Aufgabe erschöpft sich nicht im Überbringen einer Botschaft, sondern es lädt auch zu weiterem Sprechen im Umkreis dieser Botschaft ein. Das hinausgezögerte Thema der Erzählung, die mit Hassliebe gezeichnete Figur, die die männlichen Erzähler mit Spott bedenken und über die sie zugleich nur mit großer Vorsicht sprechen, ist die ausdauerndste aller Geschichtenerzähler_innen: Mama Kaiman, Diassigue. Die Klangfülle einer Erzählung resultiert aus ihrer Fähigkeit, durch Umwege und unvermittelte Abschweifungen voranzuschreiten. Niemand verstand dies besser als Diassigue, die ihre Kinder mit Geschichte/n von Männern/Menschen4 aufzog – „nicht von Kaimanen, denn Kaimane haben keine Geschichte/n“, wie Mutter immer in Erinnerung rief. Und nie vergaß sie ihre eigene Erinnerung mit dem zu verweben, woran sich bereits ihre Mutter, ihre Großmutter und ihre Urgroßmutter erinnert hatten. Daher war Diassigue, Mama Kaiman, bekannt für ihr besonders gutes Gedächtnis. „Und sosehr er es bedauerte, musste auch Golo dies im Grunde seines Herzens zugestehen“, schreibt Diop. Was aber Golos Behauptung über die Torheit von Mama Kaiman betrifft, es „war schwer zu sagen, ob sie als Lob oder als Tadel gemeint war“. Am traurigsten an dieser ganzen Angelegenheit ist freilich, dass 4 Im Original his/stories of men (A. d. Ü).
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Diassigues eigene Kinder, die kleinen Kaimane, mit der Zeit die Meinung des Affen über ihre Mutter übernahmen und glaubten, Golo spreche die Wahrheit. „Sie dachten, manchmal rede ihre Mutter vielleicht doch zu unsinnig daher.“ So will es die Erzählung, die uns im Weiteren berichtet, dass Diassigue, die alles-insich-aufnehmende Beobachterin, sich so hervorragend erinnerte, weil sie ihre Zeit damit zubrachte, den Bewegungen des Lebens zu folgen, von ihrem Bau im Schlamm aus oder an den sonnigen Flussufern, mit geduldigem Ohr für den Tratsch der Frauen und anderer Lebewesen, um so alle Neuigkeiten und Geräusche ihrer geschwätzigen Umwelt zu sammeln.
Weisheit und Erinnerung -
Hier, eine Geschichte! Es ist eine Geschichte. Es ist geschehen! Sie wurde bereits erzählt.
Wenn (die) Mutter ihre Kinder um sich scharte und ihnen erzählte, was sie und ihre Vorfahrinnen (Vor-Mütter) gesehen hatten, kamen diese aus dem Gähnen nicht heraus. Denn während sie von großen Kaiman-Heldentaten träumten, bekamen sie nur Geschichten von schwarzen und weißen Menschen/Männern zu hören. Die Mütter, die „Königreiche auf- und untergehen“ gesehen hatten, waren nur darauf fixiert, von den Zeiten zu erzählen, wenn der Fluss, nach dem Kommen und Gehen der Menschen/Männer, rot war vor Leichen. Und woran sie sich erinnerten: Orte, Ereignisse und Vorbeiziehende, war für die Kaimane tatsächlich nicht mehr oder weniger von Belang als die Geschichte der Männer, der Kriege und der Massaker, die Männer an anderen Männern verübt hatten. Eines Tages, so sagt man, habe Diassigue eilig ihre Kinder zusammengesucht, um sie aus dem Bau zu scheuchen, nachdem sie dreimal von den Krähen beunruhigende Nachrichten erhalten hatte, denn „der Emir von Trzara hat den Wolof den Krieg erklärt“. Auf die Frage ihres jüngsten Sohnes: „Was kümmert es uns Kaimane, ob die Wolof von Wolo gegen die Mauren von Trzara kämpfen?“, antwortete sie: „Mein Kind, trockenes Gras kann grünes Gras in Brand setzen. Lass uns gehen!“ Die Kleinen aber folgten ihrer Mutter nicht. Nach sieben Tagen fürchterlicher Kämpfe – um Diops Fabel abzukürzen – siegten die Wolof über die Mauren und verschleppten deren Thronfolger, der an der rechten Seite verwundet war, in ihr Reich. Sämtliche Priester und Medizinmänner wurden beschworen, sich um den jungen entführten Prinzen zu kümmern, doch nichts half. Letztlich kam eine sehr alte Frau an den Hof, die „das wirksame Heilmittel
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verordnete. Dieses Heilmittel war ,dreimal täglich frisches Gehirn eines jungen Kaimans auf die wunden Stellen‘.“ Nach den Worten des Kritikers/Theoretikers Mohamadou Kane „ist die Erzählung allen Ländern zugehörig“5. Als „unverfälschter Spiegel der Empfindsamkeit und Weisheit Afrikas“ ist sie von allen literarischen Genres am weitesten verbreitet. Und dieser extremen Beweglichkeit ist zu verdanken, dass Theoretiker_innen sie zu dem Genre erkoren haben, das nicht nur das ländliche Leben am besten abbilde, sondern das wegen seiner Kontinuität und Vielseitigkeit auch kulturelle und ethnische Grenzen überschreite. Während die Erzählung einerseits ihren spezifischen Ton durch die lokalen Ereignisse, Bräuche und Landschaften bewahrt, funktioniert sie andererseits als ein entpersonalisierendes, ja generalisierendes Mittel, das geeignet ist, Gespräche über eine moralische Belehrung zu initiieren. Jede Gesellschaft hat ihre eigene Schatzkammer, aus der die Kultur ihre Lebendigkeit schöpft – und gerade durch das Geschichtenerzählen soll man mit dem Genius eines Volkes in Berührung kommen. Geschichten (wieder) zu erzählen bedeutet, „in die konstante Wiedererschaffung der Welt, der Gemeinschaft, der Menschheit einzutreten“6. Deshalb bringt das Reden Unmögliches in Reichweite. Es trägt dazu bei, den Horizont der Vorstellungskraft zu erweitern, die Grenze zwischen Wirklichkeit und Fantasie beständig zu verschieben und – durch die Gabe des sogenannten Übernatürlichen und Ungewöhnlichen – die Grenzen all dessen infrage zu stellen, was als „üblich“ und „glaubwürdig“ gilt.
Das Geschlecht der Weisheit Nichts scheint in der Erzählung von Mama Kaiman selbstverständlicher als das geschlechtlich gebundene Bild von Weisheit. Diassigue wird hier als geschwätzige Person und weise Matrone gleichermaßen gezeichnet. Das GeRede der Mutter ist typischerweise ärgerlich bis unsinnig und erscheint zugleich von gefährlicher Hellsicht und fürsorglicher Umsicht. In seinem Beharren auf Erinnerung zielt es darauf, die Unmoral der männlichen/menschlichen Geschichte/n zur Schau zu stellen und zu reinszenieren. Die scharfe Trennlinie, die zwischen der Welt der Kaimane und derjenigen der Männer/Menschen gezogen wird, scheidet nicht nur Tiere von Menschen, sondern auch Muttererzählerinnen von Vatererzählern, Kriegsflüchtige von Kriegstreibern, Weisheit von Torheit. Die afrikanische Folklore ist übervoll von Geschichten und Sprichwörtern, deren Moral darauf abhebt, die Männer vor der vermeintlich heimtückischsten 5 Kane 1971, S. 37. 6 Abrahams 1983, S. 22.
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Schwäche der Frauen zu warnen: ihrer Indiskretion. „Schenke der Frau deine Liebe, niemals aber dein Vertrauen“7, gilt beispielsweise immer noch als einer der besten Ratschläge, die ein Mann einem anderen Mann erteilen kann. Vollkommen unfähig, ihre Zungen im Zaum zu halten, wenn sie ein Geheimnis bewahren sollen (in einer Welt, in der das Männliche als Norm gilt), lassen Frauen nach dieser Schilderung „ihre Zungen sehr viel härter arbeiten als ihre Hände“, und ständig sieht man sie reden wie ein Wasserfall. Die Weisheit bildet hier das Herzstück des Kampfes zwischen Erinnerung und Vergessen. Ohne sie wäre Geschichte dazu verurteilt, sich blind zu wiederholen – und der Zugang zu den Kräften des Über-Natürlichen wäre verstellt, denn das sogenannte unwirkliche Universum bliebe den Menschen verborgen, abgeschirmt durch den Schleier des Wirklichen. Die Fähigkeit, über die wahrnehmbaren Erscheinungen hinauszuschauen, bedeutet, zu verstehen, dass „ein Ding immer es selbst und mehr als es selbst ist“8. Das gleichsam eintönige Wissen der Mutter über die Geschichte/n der Männer/Menschen ist in der Tat kein gewöhnlicher Klatsch. Im dörflichen Umfeld kann leeres Gerede zur Kartierung des sozialen Terrains beitragen, während sogenanntes übles Gerede unter Umständen Zwietracht in der Gruppe sät. Diassigues geschichtsgesättigte Beschreibungen hingegen, das Werk einer über Generationen von Müttern erfolgten Arbeit des Zusammentragens, lassen sich weder auf die üblichen interpersonalen Formen des Austauschs unter Frauen noch auf eine übelwollende, entzweiende Absicht reduzieren. Im Gegenteil, wenn diese Erzählungen die Taten großer Männer in Schwarzafrika ins Gedächtnis riefen, dann vor allem um die Kontinuität von Gewalt und Krieg in der männlichen Welt zu zeigen; Kriege, vor denen bereits ihre Großmutter aus ihrer Heimat, dem Fluss Senegal, geflohen war, um auf ihrer Suche nach friedlichen Gewässern auch andernorts überall bloß weiteres Töten und weitere Leichen vorzufinden. Wie nicht anders zu erwarten, gelang es den ehrwürdigen Reden der Mutter nicht, die ihnen gebührende Achtung (bei den Männern) zu erlangen. (Bezeichnenderweise war das Kind, das Diassigues Entscheidung, bei Ausbruch des Krieges zu flüchten, infrage stellte, ihr jüngster Sohn.) Was von Mutter zu Tochter glaubwürdig war, kann im Überlieferungsprozess der männlichen/menschlichen Geschichte/n (an Kaimane) (zeitweise) unglaubwürdig erscheinen. „Eine Frau wird neunundneunzig Lügen finden, aber mit der hundertsten wird sie sich verraten“, lautet ein Sprichwort der Hausa;9 und eine Vielzahl von Redensarten der Fulani warnt: „Wenn deine Mutter Essen bereitet hat, iss; wenn sie einen 7 Diop 1998, S. 40. 8 Als repräsentative Äußerung der afrikanischen Auffassung des Übernatürlichen zitiert bei Kane 1971, S. 68. 9 Jablow 1961, S. 127.
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Plan für dich ausgeheckt hat, weigere dich“, denn: „Der Mann, der dem Plan einer Frau folgt, muss untergehen.“ Oder anders: „Man traue Frauen nicht“, denn: „Eine Frau ist das frische Wasser, das tötet, die Untiefe, die hinabzieht.“10 In vielen afrikanischen Volksmärchen wird männliche Weisheit daher deutlich von weiblicher abgesetzt. Die Weisheit, wie sie Männern zugeschrieben wird, trägt üblicherweise zum Erhalt der sozialen Gruppe bei, während die Weisheit, wie sie Frauen zukommt, durchwegs mit einer unheilvollen, übernatürlichen Macht gleichgesetzt wird. Oft stehen ihr, die in fast jeder Erzählung in Gestalt einer „sehr, sehr alten Frau“ auftritt, Kräfte zur Verfügung, die gleichermaßen schädlich wie wohltätig sind, schwarze-wie-weiße Magie. Sie kann willentlich Wunder wirken, heilen und Träume wahr werden lassen – aber sie kann ebenso töten, bestrafen und unwiederbringliche Verluste beibringen. Sobald sie den Tod beim Namen ruft, tritt er ein.
Reden, mehr (als) reden - Eine Geschichte kommt! - Eine Geschichte. - Lass sie gehen, lass sie kommen. … - Ruf sie zurück! - Sie hat bereits begonnen. Sie lässt sich nicht zurückrufen. Die zerstörerische Weisheit bleibt ein Vorrecht der Frauen. Eine so klare (wenn auch uneingestandene) moralische Implikation mag entzweiende Wirkung haben, aber selbst in ihrer Entzweiung sollte sie für weiteres Reden offen bleiben, ganz im Sinne der Funktion, die dem Geschichtenerzählen in afrikanischen Kontexten zukommt. So ließe sich aus der Erzählung der Mama Kaiman einfach die Moral ziehen: „Höre immer auf die Weisheit der Alten.“ Aber eine für die Genderfrage offene Lesart derselben Erzählung kann sich mit einer solch geschlechtslosen Verallgemeinerung kaum zufriedengeben. Der/die Leser/in erinnert sich stattdessen daran, dass uns durch eine verschobene männliche Stimme die Geschichte einer weiblichen Figur erzählt wurde, der es ihrerseits nicht gelang, ihre Kinder mit den Märchen von wundersamen Männern zu fesseln (genauso wenig wie sie es verstand, sich in Erzählungen von großen Kaimantaten zu ergehen). Und als sich die Geschichte ihrem „letzten Wort“ näherte, traf der/die Leser/in wieder ganz unvermittelt eine weitere weibliche Figur an – sei es nur „eine sehr, sehr alte Frau“ –, die den jungen entführten 10 Gaden 1931, S. 15f.
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Prinzen erfolgreich heilte, indem sie die jungen Kaimane ihrem Untergang weihte. Sobald die heilenden Worte eines Fluchs ausgesprochen sind, können sie nicht mehr zurückgenommen werden. Deshalb warnt SIE zuerst, bevor SIE entsprechend handelt: Denn wer auch immer ihre Worte in guter Absicht beherzigt, wird von IHR geheilt; während sie diejenigen, die sie zurückweisen, vergessen oder mit üblen Absichten verwenden, unwiderruflich bestraft. Dass die Kaimane ihrer Mutter nicht folgten, ist vor allem darauf zurückzuführen, dass sie auf die unmittelbare Glaubwürdigkeit der Worte von Golo-dem-AffenMännchen vertrauten und ihr Weitblick am Schirm des Wirklichen seine Grenze fand (an der illusorischen Trennung zwischen der Welt der Tiere und derjenigen der Menschen). Oder anders gesagt: Sie haben sich in ihrem Urteil über ihre Mutter auf die Seite der Männer/Menschen gestellt (ungeachtet ob es sich um Lob oder Tadel handelte), und damit blieb ihnen die Erkenntnis versagt, dass Mutters Rede zwar Gerede war, aber eben auch mehr als das. Ho! Ruf die Frauen ruf die Frauen Ich wusste nicht was es heißt eine Frau zu sein wenn ich es gewusst hätte Ich hätte mich in einen Vogel verwandelt im Busch hätte ich mich nicht in einen Vogel verwandeln können im Busch ich hätte mich in eine Hirschkuh verwandelt im Busch verheiratet zu sein ist ein Unglück unverheiratet zu sein ist ein Unglück ein Kind zu haben ist ein Unglück kein Kind zu haben ist ein Unglück ich hätte mich in eine Hirschkuh verwandelt im Busch ruf die Frauen ruf die Frauen ich wusste nicht was es heißt eine Frau zu sein11
11 Ein Lied von Frauen aus Mali, aufgenommen in Luneau 1981, S. 156.
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Dem Sprechen obliegt es, die ganze Ambivalenz von Mutterschaft offenzulegen. Das Bemuttern wird nur so lange verherrlicht, wie Frauen entweder gewissenhaft ihrer Rolle als Hüterinnen des Status quo und Beschützerinnen der etablierten Ordnung nachkommen oder in der märchenhaften Gestalt der Glücksfee erscheinen, die harmlose Wünsche, Träume und Begehren zu erfüllen versteht. Insofern sich Weisheit als eine auf Diskretion basierende Form des Wissens begreifen lässt, wird sie von Unklugen nicht leicht als Wissen erkannt. In einem System von Machtverhältnissen, das von akkumulierbarem Faktenwissen abhängt, lässt sie sich weder ermessen noch kontrollieren. Das Bedürfnis, die Weisheit der Frauen durch die Mutterrolle in Schach zu halten und einzuschränken, bildet daher eine Konstante in sozialen Institutionen quer durch alle Kulturen – und in vielen afrikanischen Kontexten gilt die Rolle der Gebärerin nach wie vor gewissermaßen als Testfall für die Weiblichkeit der Frau. Von einer Generation zur nächsten wird von Müttern verlangt, ihre Pflicht als „Hüterin der Tradition“, die jede Lebensfreude unterbindet, immer perfekter zu erfüllen – besonders wenn es um Angelegenheiten ihres(ihrer) eigenen Geschlechts(-identität) geht. Das Los der Frau besteht bekanntermaßen darin, schwanger zu werden, zu gebären, zu nähren und, vor allem, ihre Kinder zu belehren. So kreist das Märchen von Mama Kaiman, wie könnte es anders sein, um Diassigues Rolle als Erzieherin. Für die Fehler ihrer Kinder werden, was die Wissensvermittlung betrifft, einzig und allein die Frauen verantwortlich gemacht. Ganz gleich wie unfehlbar Diassigues Gedächtnis gewesen sein mag, als sie die historischen Taten großer Männer nacherzählte, da es ihr nicht gelang, ihren eigenen Nachwuchs vom Wert der mütterlichen Worte zu überzeugen, brachte sie der gesamten Spezies der Kaimane den unausrottbaren Ruf ein … hirnlos zu sein.
Das Erzählen und die Textur der Erinnerung In all seiner Indiskretion und Unbesonnenheit ist mütterliches Wissen stets diskret und besonnen. Die Mutter kann am Reden scheitern (wie es Frauen öfter passiert, sofern reden bedeutet, sich in eine patriarchale, soziosymbolische Ordnung einzufügen), und sie kann so „unbesonnen“ sein, dass ihre männlichen Kameraden genötigt sind, sich mit tausend Strategien zu rüsten, um die „Geheimnisse der Männer“ zu verteidigen. (Will ein Mann nicht seinen eigenen Niedergang herbeiführen, sollte er Frauen nicht trauen, denn „sie wissen nicht, was wesentlich ist“, bekräftigt ein senegalesischer Mann.) Aber ihr Wort wird paradoxerweise als Wort der Wahrheit bewahrt – das besagt, was gewesen ist, was ist und was sein wird. Oder wie ein Sprichwort der Fulani lautet: „Die Rede, die im Bauch verbleibt, ist das Kind deiner Mutter, die Rede, die dir über die
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Lippen geht, ist das Kind deines Vaters.“12 Was das GeRede der Mutter daher auszeichnet, ist eine Strategie der Umwege, die mal offenkundig, mal verborgen scheint. Wie ein Historiker versieht Diassigue ihre Geschichte mit faktischen Namen, Orten und Ereignissen, und hinter diesen Figuren der direkten, verifizierbaren Beschreibungen großer Männer findet das indirekt Geäußerte Schutz. Aber als der Zeitpunkt kam, ihre Kinder vor der drohenden Gefahr des Menschenkrieges zu warnen, zog die mütterliche Weisheit die verborgene Wahrheit vor, indem sie offen eine indirekte Antwort gab: „Mein Kind, trockenes Gras kann grünes Gras in Brand setzen.“ In der öffentlichen Politik des Gedächtnisses kursiert eine reduzierte Auffassung von Erinnerung. Offenbar wird das Erinnern immer der Vergesslichkeit entgegengestellt und mit dem Vermögen gleichgesetzt, vormals Gelerntes zu vergegenwärtigen. Also, so will es die Erzählung, führt die Vernachlässigung der Erinnerung zu einem Hirnverlust – daher kommt die berüchtigte beispiellose Torheit derer, die es wagen, sich dem Erinnern zu widersetzen, hier : die Kaimanfamilie. Kehrt man diese Logik jedoch im Sinne des Affen um, geht das Reden weiter. Wenn nämlich umgekehrt die Torheit der Kaimane gerade dem Umstand ihres ausgezeichneten Gedächtnisses geschuldet wäre, müsste jeder, der die Geschichte vom Gedächtnis der Kaimane bewahrt und weitergibt, selbst … abgrundtief töricht sein. Also zum Beispiel die Geschichtenerzähler und Kommentatoren, die loben und tadeln, die sprechen, um zum Sprechen anzuregen, die schreiben, um zu weiterem Schreiben einzuladen, und die über mütterliches Erinnern nur lachen können, indem sie auch über sich selbst und ihre Rolle lachen – als Speicher schöpferischer Traditionen und als Übermittler des Genius eines Volkes. Wird die Geschichte, die ihre Einbildungskraft entzündet, einmal in Umlauf gebracht, kann sie nicht zurückgerufen werden und wandelt sich fortwährend. Mutter(s) GeRede, eine Behauptung der Sanftmut, lässt sich nicht fassen, denn Freundlichkeit gehört keiner Ordnung an; sie steht an den Grenzen der Moral der Geschichte. Indem sie spricht, überschreitet sie Grenzen, sie erinnert (sich) an die Textur der Erinnerung – und wenn sie verliert, verliert sie, ohne (etwas) zu verlieren. Was für manche ein Hirnverlust, bedeutet für andere die Heilung einer offenen Wunde. Nicht zuletzt heißt es in weiser Einsicht, dass „Dichtung immer ein bisschen töricht sein muss“ (Puschkin).13 Und damit endet meine Geschichte.
12 Zit. nach Gaden 1931, S. 148. 13 Zit. nach Tarkovsky 1987, S. 116.
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Literatur Abrahams, Roger D.: African Folktales. New York 1983. Diop, Birago: Geistertöchter. Die Geschichten des Amadou Koumba (Les Contes d’Amadou Koumba, Paris 1961). Übersetzt von Christel Dobenecker und Horst Schulz, überarbeitet von Gudrun Honke. Wuppertal 1998. Gaden, Henri: Proverbes et maximes peuls et toucouleurs. Paris 1931. Jablow, Alta: Yes and No: The Intimate Folklore of Africa. New York 1961. Kane, Mohamadou: Birago Diop: L’Homme et l’œuvre. Paris 1971. Luneau, Ren8: Chants de femmes au Mali. Paris 1981. Minh-ha, Trinh T.: elsewhere, within here. immigration, refugeeism and the boundary event. New York 2011. Nnaemeka, Obioma (Hg.): The Politics of M(Othering): Womanhood, Identity and Resistance in African Literature. London 1997, S. 26–32. Tarkovsky, Andrey : Sculpting in Time: Reflections on the Cinema. New York 1987.
Ins Deutsche übersetzt von Kathrina Menke und Matthias Schmidt
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Voice over I Voice over I1 Stimme, Spuren über dem Ich
Luft (oder deine Zunge) Und Sinnlichkeit? Sinnlichkeit folgt den Hörenden. Für manche erfreut sie, bewegt, weckt Begehren; für andere sät sie Zweifel, irritiert und wird letztlich zurückgewiesen, als zur weiblichen Seite gehörig. Aus den Tiefen des …, auf der äußersten Oberfläche, verrät sie all meine Geheimnisse. Ich kann sie nicht hören, ohne mich entblößt zu fühlen. Wem ist sie zuge-hörig?
A voice. Over. I. – Eine Stimme. Vor-Über. (Augen)Ich.2 Stimme: an den Grenzen dieser Beziehung zum Körper, von innen heraus, zwischen Abwesenheit und Anwesenheit, Begehren. Die Stimme des Namens, der auf dem Bild erscheint, ist eine Erfindung. Der/die Sprecher_in, der/die Nachrichtensprecher_in, der/die Erzähler_in hat eine fiktive Identität, denn Ich ist eine Fiktion von Identität. Nicht alles von dem, was gesehen, gehört, gerochen, geschmeckt und gefühlt wird, ist repräsentierbar, denn Ich repräsentiere/t 1 Zuerst erschienen in Fagin 1998, S. 261–266. Der Text entstand in Verbindung mit einer von mir eingesprochenen Voice-over-Performance für Steve Fagins Video The Machine That Killed Bad People (120 Min., 1990) und wurde wieder abgedruckt in Minh-ha 2011, S. 79–83. 2 Wie im Titel, so spielt Trinh hier mit einer zweifachen Doppeldeutigkeit: Over verweist einerseits auf das Voice-over-Verfahren, bei dem die Tonaufnahme einer Stimme „über“ eine Film- oder Tonspur gelegt wird; andererseits lässt sich over auch als „vorüber“ lesen, also neben dem Hinweis auf die mediale Abweichung auch als Markierung der zeitlichen Uneinholbarkeit der erklingenden Stimme. Dieses Intervall setzt sich fort im homophonen Changieren von „I/eye“, „Ich/Auge“. Während die Bedeutungsbreite von eye fortwährend mitklingt, wo von „I“ bzw. „Ich“ die Rede ist, wird nur dort auch mit Auge übersetzt, wo der englische Text ausdrücklich eye nennt (A. d. Ü.).
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Ich nicht. Ich lese, was mir aufgetragen wurde, und plötzlich höre Ich meine eigene Stimme. Ich bin (k)eine andere als das Auge, das Ich repräsentiert/e, oder das repräsentierte Ich. Die verfälschende Zunge muss daher geschnitten werden, beschnitten, bearbeitet. Auszugsweise inszeniert. Planvoll umgesetzt. Lautstark ab-gespielt, immer unterbrochen in ihrem Atmen. Eine Stätte der Liebe, eine Träne auf die Stille. Stimme beschwört Vergewaltigung herauf. Unnahbar, weckt sie sexuelle Begierden. Lügt sie? Nein, Identität und Nichtidentität berühren sich in der gestellten Frage; sie interagieren im selben Klangraum. Womöglich ist es zu schwierig, jenes Wort auszumachen, in welchem sie lügt/liegt, und so bleibt die Frage: welches Ich im erregten Auge? Ein Ich, das liest, ein Ich, das hört, oder ein Ich, das du hörst? Was sich über das Auge, das Bild, behauptet – die nicht abgebildete Stille hätte beides zu sein: eine abwesende Präsenz und eine anwesende Absenz. Das lesende Auge/Ich ist letztlich mehr Ich, als das Ich, das Ich sagt. Eine Stimme existiert im Schwingen ihres Tones. Aus ihrer Materialität – körperlich, erotisch und unbewohnbar – erwächst eine Welt in den entworfenen Zwischenräumen der Bilder, Worte, Musik und Stille. Die Bequemlichkeit, mit der man zusammenfasst, erklärt, klassifiziert, anpasst, neutralisiert und depersonalisiert, also ko-optiert und zerstört, ruft eher Enttäuschung und Ekel hervor. Setze erneut ein (Bitte um mehr). Ich höre mich selbst, losgelöst von mir selbst, im Raum der Klangzeit. Dort spricht sich etwas aus, auf das ich mir keinen Reim machen kann, und mit jedem freigesetzten Wort spüre Ich, wie mein Ich ins Taumeln gerät, abgestoßen von dem Klang, der Form gewinnt in der Höhlung meines Halses. Mein, mein(ig)es; oftmals bewegt von einer drängenden Begierde – weniger die durch diese Engführung Klang werdende, Form werdende Welt zu de-formieren, als einfach loszulassen. Wenn nur die Worte erklingen können (wenn man sie nur erklingen ließe) oder sterben. Dann können sie quellen, Ich kann meinen Körper mitschwingen lassen und ihm vielleicht auch einschreiben: Hier spricht man nicht; hier ächzt, stöhnt und seufzt man; man atmet. Sträubt sich. Wird matt, unhörbar. Liebende, die zu Klang werden, zu Tieren werden, ähneln sich so stark. Es gibt dort kein Ich mehr, nur Seufzen, Seufzen, Ächzen, Ächzen, Atmen. Nichts Originelles, nichts Persönliches – aber alles zutiefst intim. Die einzigartige, unersetzliche, un-persönliche Intimität. Hier kann man nur nach Luft schnappen, wenn man seinen Weg hinaus durch den langen, stickigen, vollgeräumten Gang der intentionalen Bedeutung findet. Lass deine Zunge über deine Lippen gleiten.
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Erde (oder deine Lippen) Stimme hat kein Gedächtnis. Frei von Kontext und Entwicklung, liest sie blind, „alles verstehend, was andere lesen, aber nichts von dem, was sie liest“ (um ein Zitat meiner selbst zu zitieren). Ich ist immer vergangen. Das Auge der Stimme ist ein abwesendes Auge, noch nicht Subjekt, nicht recht Objekt. In meiner eigenen Stimme würde Ich abweichen von der Bedeutung. Stimme würde in UnSinn abgleiten, sich dem Schrei, dem Lachen, dem Ruf, dem Lied annähern. Den Onomatopoetika eines liebenden Körpers, die liebkosen, Begehren hörbar machen. Stimme also, nicht in den Worten, sondern in ihren Klängen, in der Art ihres Klingens und wie sie den Raum prägt, den sie durchmisst. Eine halb hörbare, halb verstummte Bewegung von Lust, Durst und Hunger wird projiziert, eingefangen – nicht um das aufzudecken, was nicht gesehen werden kann oder abwesend bleibt, sondern das, was sich der Repräsentation nicht von sich aus darzubieten scheint. Liebend. Wenn das Nicht-Repräsentierbare seinen Platz findet im Verhältnis von Wort, Klang, Stille und Bild – oder Timbre, Tonfall, Dynamik und Dauer –, kann Bedeutung nur an den Grenzen von (zwischen) Sinn und Un-Sinn zirkulieren. Man hört weiter (zu), mit geschlossenen Augen. Kommt außer Atem, wenn die Zeit stillzustehen scheint. Hier, wo die Luft dünn wird … ein Schwinden. Alle Lichter verblassen. Erkenntnis, Intuition und andere Sinnesvermögen geben ihren Scharfsinn auf, lassen Raum für ein überfokussiertes In-. Intensität. Immer unklarer, wenn die Lippen sich berühren, immer unschärfer, wenn die Geräusche verhallen, verformt in ihren Konturen, kaum wiedererkennbar – und überhaupt noch-nicht/nicht-ganz abgeschlossen. Die Stimme verschiebt sich weiter, unvollständig, beständig anwachsend, entstehend, sich über den Sinn hinausstreckend, über die Sicht, über den Genuss, auf Unsicherheit und Unerwünschtheit, auf ihre eigene Gefährdetheit zu. Den eigenen Tod. Atem. Eine Gegenwart, ein Anwesendes ohne Anwesenheit. Eine (wieder) aufgezeichnete Stimme. Ein Verlust von/an Subjektivität. Was, wenn das als „wahr“, „authentisch“, „persönlich“ Gehörte nichts weiter wäre als eine geisterhafte Projektion, ein ent-körperter Klang eines in seinen eigenen Klang verliebten Körpers? Schlucke (hinunter) und befeuchte deine Lippen. Wenn Bedeutung eintritt und sich niederlässt, gib acht, wird Stimme sich ihrer „Bedeutsamkeit“ bewusst, ihrer Rolle als Hüterin von Wahrheit und Wissen. Stimme wird zu Jemandes Stimme. Sie zentriert. Erhält eine bestimmte Funktion, denn sie ist da, um zu informieren, um „Fakten“ festzustellen, um Neuigkeiten zu berichten, um nicht- und noch-nicht-bedeutsamen Ereignissen Be-Deutung zu verleihen. Sie erfüllt ihre wertvolle Aufgabe und wird wieder Stimme über alles, ganz und gar
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(voice all over). Offensichtlich verortet, verborgen allwissend.3 Oder ist es doch umgekehrt? Wieso klingt sie, als käme sie gleichsam aus dem Off ? Sonderbarerweise wirkt es gerade befremdlich, wenn sie wahr klingt. Kein Zweifel, sie (oder alles) ist ganz feucht.
Wasser (oder dein Speichel) Und Sinnlichkeit. Kann irgendetwas trockener klingen? Sinn-loser? Schlucke, schwelge, reinige deine/unsere Kehle. Die Spucke landet auf dem Gehsteig, auf dem Boden eines Restaurants, in einem Zug, einem Bus, feinsäuberlich neben einem Fuß, zwischen zwei Sitzen eines Kinos. Ihr Anblick ist schwerlich inspirierend. Dabei … Beständig leckend und schleudernd fährt die Zunge mit ihrer liebsten Tätigkeit fort, die gesamte Fläche der Lippen, der Wangen, des Kinns und des Halses zu benetzen. Verlangt es dich nach mehr (Wasser)? Noch einmal insistiere ich: Und Sinnlichkeit? Deine ausgetrockneten Lippen. Immer begierig nach der Feuchtigkeit, die sich weigert zu bleiben oder sich auszubreiten. Sinnlichkeit gehört nicht dem Sichtbaren und Hörbaren zu, sie artikuliert sich kaum. Sie liebkost. Manchmal hört man sie zu gut; sie überwältigt. Dann wieder umwirbt man sie vergebens. Sie bleibt abwesend, gerade noch da, schon irgendwo anders. Wenn sie kommt, geht sie; und kehrt Wochen später zurück, unvermutet. Indem sie eine Resonanz erzeugt, die zarter ist als Klang und beharrlicher als die Sicht, ist sie eine Physik der Stimme, an Präzision und Intensität der Unendlichkeit eines fünfgliedrigen Rhythmus vergleichbar. Die im Inneren aufgestauten Ströme und Flüsse werden freigesetzt und treten nach außen. Die gehörte Stimme ist eine akustische Glyphe, ein Zeichen für die innere Erfahrung von Tonhöhe, Lautstärke und Rhythmus. Ohne Übung wird sie leicht von Schlamm überdeckt. Man müsste sie dann reinwaschen, um sie erneut schwingen zu lassen. Das Erwachen für Klang und Stimme kann eine innige Liebe für die grundlegenden Elemente der Musik und die ursprünglichen Schaffensrichtungen wecken – Norden, Süden, Osten, Westen und die Mitte oder das leere Zentrum. Von den fünf Rauschzuständen, denen man leicht zum Opfer fällt, wie es in vielen Teilen Asiens heißt, ist Musik der fünfte – neben den vier anderen: Schönheit, Wohlstand, Macht und Wissen. Musik ist gleichermaßen die Quelle der Kreativität und das Mittel, sie zu empfangen. Dein Speichel heilt und zerstört. Spendet Leben und zersetzt es. Erzeugt, regeneriert, benetzt, weicht auf oder beleidigt. Sicherlich erregt und beruhigt, erweckt und tötet er Begierde. Die Leidenschaft, die Kunst, Speichel zu übertragen. Die Wissenschaft 3 Das Wortspiel mit over lässt sich im Deutschen nicht wiedergeben. Im Original: „Overtly situated, covertly omniscient.“
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und die Erotik des Atmens. Die Sanftheit-werdende-Gewalt dieser Bewegung ohne Gedächtnis zwischen Rezeptivität (im Schaffen) und Kreativität (im Empfangen). Anziehung und Abstoßung sind, letztlich, ganz Musik.
Licht (oder die Art, wie du dich bewegst) Stimme gestaltet physischen wie erzählerischen Raum gleichermaßen. Mit ihr wird Begehren hörbar, rhythmisch. Atem manifestiert sich als Wort, als Klang, als Musik, und auch Stille wird wieder in das Bild eingeführt. Die Stimme bringt hervor (oder hinaus), sie reproduziert nicht. Sie fungiert als Klang-Seher, ihre Rhythmen übersetzen weniger die heraufbeschworenen Realitäten als das innere Leben ihrer eigenen, konstitutiven Elemente. Hier kommt man nicht umhin, blind zu lesen. Oder zu erblinden, während man sich selbst sprechen hört. Timbre, Tonfall und Rhythmus können eine Unzahl von Eindrücken beseelen – visuell, taktil, räumlich, zeitlich. Kannst du es sehen? Einige Hörer/innen/Seher/innen, die Stimme nur als Information und Kommunikation auffassen, überschreiten diese Schwelle niemals. Sie hören nicht. Haben nichts gehört. Eher im Entziffern gefangen denn offen für das Empfangen, finden sie Bedeutung im Gesagten, dem All-zu-Sichtbaren. Sie? Ich. Auch Ich höre mich selbst bedeutungsvoll sprechen, wenn ich mich daranmache, (eine) andere Stimme(n) zu repräsentieren. Und auch mir geschieht es, dass ich einen Augenblick ohne Bedeutung vergesse; nicht verstehen verhindert nicht unbedingt zu verstehen. Die zwei, wie Do¯gen in Erinnerung ruft, sind wie Frühling und Herbst, ineinander verliebt. Da der Himmel als Ganzes in einem Wassertropfen sichtbar wird, verfällt man nicht oft angesichts eines Bildes ins Träumen. Man begegnet einer Stimme und schifft sich zu einer Reise ohne Wiederkehr ein. Man hört, bevor man überhaupt Beobachter_in-Hörer_in wird. Eine Reise wird nicht durch die projizierten Klänge und Bilder ausgelöst, sondern durch jene musikalische Empfänglichkeit, die einem erlaubt, sich vor dem Ereignis darauf einzustimmen, auf die Sanftheit einer werdenden Stimme – ein Geist in Bewegung. In dieser zwielichtigen Träumerei wird das Ohr, zwischen Sinn und Klang, geleitet von „ungeformten“ zu noch-nicht-geformten Worten, von artikulierten zu un-artikulierten Andeutungen, von stillen Einsätzen zu halb gesprochenen, halb gesungenen Lauten und Konsonanten. Und die Reise setzt ihren Weg fort, erweist sich als Ort der Vergänglichkeit und der Verfügbarkeit, als Spiel zwischen Ab-/Ausbruch und Verzückung. In den komplexen Harmonien schwebt die Stimme gleichsam im Raum der Bilder, der selbst wie ausgesetzt scheint in dem, was er zeigt und sagt. Ein langer Ton beispielsweise ist kein langweiliges, eindimensionales Ereignis, sondern eine Mannigfaltigkeit von Augenblicken, die sich wild zwischen dem Rohen und
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dem Gekochten verschieben. Dieses Dunkle im Schwingen des Tons: ein Duft von Körperflüssigkeit, der Wohlgeruch eines vertrauten Atems. Melodie verliert ihre zentrale Rolle, wenn Lust aufkommt im Schatten der Fähigkeit, die verschiedensten Klangorte zu bereisen, ein Timbre in seiner Fülle wiederzugeben oder die Dynamik der Obertöne zu erkunden. Sensibilität für Timbre und Tonfall, Unter- und Obertöne erhält die Aufmerksamkeit für die subtilsten Veränderungen in Licht und Farbe, Schatten und Schattierung. Die Töne, mit denen du sprichst, sind wie eine Vielzahl von Samen, ausgestreut im Raum, den du in deiner Bewegung durchmisst. Letztlich hört man nie damit auf, dem Rhythmus einer Stimme zu lauschen, weder bewusst noch unbewusst. Wenn der Rhythmus nicht funktioniert, funktioniert die Stimme nicht. Nichts kommt zusammen, nichts fällt auseinander ; nur die Stagnation und Monotonie einer geistlosen Äußerung eignet sich für das Lesen und Hören. Es gibt so viele Stimmen, wie es „Seelen“ gibt, heißt es oft. Man mag zu einer bestimmten Tonhöhe, einem bestimmten Klang und einem bestimmten Timbre geboren sein, aber das „Natürliche“ wird „magisch“, wenn es, nach Art der Natur, entwickelt und kultiviert wird. Sich in der erotischen Wissenschaft des Atmens zu üben bedeutet vielleicht, zu erlernen, wie man einfache Tätigkeiten ausführt: einen Klang erzeugen, ein Wort sagen, innehalten, still sein. Mit anderen Worten: den Atem den eigenen Rhythmus finden lassen, die Stimme ihren Weg. Kraftvoll in ihrer Verletzlichkeit. Magisch in ihrer Einfachheit.
Literatur Fagin, Steve (Hg.): Talking With Your Mouth Full. Durham 1998. Hamacher, Werner : „Der Satz der Gattung: Friedrich Schlegels poetologische Umsetzung von Fichtes unbedingtem Grundsatz“, in: MLN 5, 1980, 1155–1180. Minh-ha, Trinh T.: elsewhere, within here. immigration, refugeeism and the boundary event. New York 2011.
Ins Deutsche übersetzt von Matthias Schmidt
Mieke Bal
Breaking the Narrative: The Madame B Project and Historical Loyalty
Breaking Away from Fidelity, Moving to Loyalty Between the video project that is the subject of this paper and its source of 150 years ago, as well as inside each, breaks, ruptures, multiply ; yet, I will argue that these ruptures are also the glue that binds. Ruptures are pervasive; the fundamental fragmentation of language itself guarantees the impossibility to avoid rupture. However, this can be denied or repressed, and it can be endorsed and fruitfully used as a tool. For over a decade now I have been making video art as a complement, resource, and inspiration for my academic work. This is mostly done in a collaboration with British artist Michelle Williams Gamaker. We make videos to get a grip on contemporary culture “in becoming”. That culture is by definition not yet adequately documented. The (collective) process of filmmaking does not carry the burden of that temporal lag. The first result of this approach was a range of experimental documentaries on questions of migration. From there, we began to examine the question of mental illness (“madness”) in the social domain, which yielded a feature film, A Long History of Madness, and a series of video installation pieces exhibited several times in its first year. Although this work comprised documentary elements, it was fundamentally made as a fiction; we call it a “theoretical fiction”. These artworks are all focused on narratives of breaks (the migratory subjects who break with their past and background) or on broken narratives, caused by trauma (the madness project).1 We then felt compelled to undertake an examination of the literary, philosophical and cultural actuality of Flaubert’s 1856 prophetic masterpiece Madame Bovary. In this paper, I address the paradoxical way our project keeps breaking with its source of inspiration, only to find that, 150 years ago, Flaubert had come up with similar ways of breaking with traditions, primarily narrative traditions. Our work is based on two concepts that imply different kinds of 1 Mieke Bal/Michelle Williams Gamaker : A Long History of Madness, 2011, 120 min., Colour.
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breaks: anachronism as a way of thinking, and quotation as a way of imaging. The former breaks up the linearity of history ; the latter, the linearity of narrative. That Flaubert’s novel breaks with many devices of his predecessors is well known. His alleged realism is full of breaks, for example, when focalization is inconsistent, so that no one is safe from the contagion of Emma’s plight. What we can do in the twenty-first century with a novel written a century and a half ago, making it relevant for the present and thus breaking with its historical contemporaneity, as the novelist did with his own sources, is what I attempt to map out. First of all, it is important to note that we refrain from calling our project an “adaptation” of Flaubert’s novel. I could say we break with the adaptation tradition, rather than with Flaubert. The issue of what is traditionally called “fidelity” makes the notion of adaptation problematic. Although adaptation studies militate against the obsession with fidelity, it is both ineradicable and important; on the condition that we inflect it slightly differently. While working on A Long History of Madness with the author of our source text, MHre Folle (1998), FranÅoise Davoine, who also took on the roles of consultant and lead actress, we learned how a film “adaptation” can and cannot stay close to its source. We continually wondered if we were betraying the book when we decided to eliminate elements: books tend to be too long for a “faithful” film – or worse, when we changed a scene entirely because the literary version was not visually compelling. We sought to be loyal to the thrust of the book even if that loyalty compelled us to betray it in many ways. Submitting all drafts to the author, we were surprised and delighted to hear her say time and again that we had not betrayed but rather enriched her book. This, it appeared, is what a serious engagement with a book and its time, modes of expression, and political force, rather than its other aspects, must end up doing. Through this experience I became interested in the paradoxes of establishing bonds through rupture. Fidelity, a term heavily connoted by sexual mores, has come to denote exclusivity. A parasynonym that we find more helpful is “loyalty”. This is not an exclusive term. Although we are keenly aware of, and constantly return to, the brilliant literary means the author of Madame Bovary has put to work, the central issue of the novel as well as of our project is the bond between the work and its time. This is where our loyalty to the novel lies; it is also the goal of our breaking with it. Flaubert wrote in, about, and for his present. This contemporariness is our starting point: we make this work for our present. This entails a necessary break with the novel as story, its anecdotes, language, environmental descriptions, temporal and local “couleur locale” and its many events. It entails, however, a loyalty on the most profound level, which requires these numerous breaks. This is the only way to be (non-exclusively) loyal to Flaubert’s text by not being faithful to it; loyalty supersedes fidelity. The intertextual
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dialogue between Flaubert’s text and our work, then, is entirely based on breaking with it, and ultimately, breaking it up.
Anachronism and Quotability Our first break is with history. Our project is not reconstructing nineteenthcentury habits, discourses and costumes. We start from the premise that anachronism is indispensable because the image, remade every time someone sees it, is in constant transformation, and at the same time it stands outside of standard time. It unfolds in the tempo of those who see it. The activity of readinghearing-seeing stories is itself by necessity anachronistic: one reads for oneself, and in the present. It is a bit like memory : one performs an “act of memory” in the present, even if the content of the memory took place in the past. We have learned from our previous project that, as ordinary as this idea may be, it is important when one considers the possibility of helping traumatised people or people otherwise affected by the past, to reconnect to the present of their lives. In other words, to help overcome past ills, anachronism is necessary. This also holds for a present cultural understanding of a character from a novel written a long time ago. When we reread Flaubert’s novel for the purpose of the present project, we realised the novel – not necessarily its author – is more than protofeminist: prophetic, radical, of a progressive vision even today hard to understand, and exuberantly audio-visual; even cinematic at times. This is, indeed, anachronistic to the core. Breaking with chronology, with historical linearity, then, became our mode of loyalty. To cast the novel in the past, as costume dramas tend to do, would be to go against its most characteristic feature: a rigorous contemporaneity shaped its citational writing. Flaubert recorded not only views but also fragments of discourse, clich8s he called id8es reÅues, from which to stitch the fabric of his novel. Hence, his text is not just full of breaks; fragmentary, breaks are an essential component of its writing. The genre of the historical costume drama breaks with everything Flaubert’s novel is, and stands for : a fierce engagement with its own time. Such “faithful” adaptations put the novel safely at a distance and encourage an arrogant “we know better” attitude towards its major themes and central character. A major paradoxical aspect of the novel concerns its visuality. The writing is such that reading entails seeing. This is potentially a break with narrative literature as it is traditionally written and perceived. It is, moreover, the making of its contemporaneity, for the image is in the present tense. This visuality is noticeable in the predominance of description and its narratively arbitrary appearances; the sparing use of dialogue; and the replacement of dialogue by not
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only narration but also that ambiguous mode, Free Indirect Discourse (FID); and its structuring through montage. Free Indirect Discourse is a good example. This form wilfully confuses the categories of “who speaks?” with that of “who perceives?” In other words, it confuses “voice” with “focalisation”. If the perception is visual, the mode gives access to visuality in literature. FID facilitates a multiplication of subjectivities. These properties make the novel itself “immersive”, a term usually reserved for exhibition, not novels; hence an immersive exhibition is an appropriate response to it. Not, that we tried to visualize what the novel describes. Rather, it is the mode of seeing – in movement and multiplicity – that we attempt to do justice. As with the other aspects of both novel and video project, bond and rupture go hand in hand. In order to make an immersive response to the immersive novel, we had to break with its most fundamental feature, which is that it is and remains a narrative. The immersive quality of Flaubert’s text subsists in its tendency to move from narration to FID without warning, transition, or clear indication. Every time the reader is led to see a passage, situation, or view through Emma’s eyes, in mid-sentence this becomes unclear. This makes his novel a broken narrative. But this breaking of a mode mid-sentence also glues the reader – and our viewer – to the possibility of being touched by the perception; it makes them vulnerable to the character and her misfortunes. These modes, especially through such unmotivated shifts, share a tendency to tell through images, allowing a dynamic between the proclaimed objectivity of “realism” and the fundamental subjectivity ; or solidarity with the latter by means of the former. This subjectivity is where character and reader-viewer meet, breaking up the solipsistic existence of characters. This has far-reaching consequences that, for me, pertain to the political. For, while healing the rupture between characters and readers, or in our case, viewers, the “madness” of the main character and the mistakes that lead to her demise become “contagious”, but do not entail identification. A clear example of anachronistic quotation is our incorporation of William Kentridge’s opera Refuse the Hour (2012). This opera ridicules political issues, most powerfully colonialism, in relation to time coordination across the globe. We quote Flaubert’s choice to stage the re-encounter between Emma and L8on at the opera, as well as his interest in misunderstanding, while using an opera that was vastly different from the one he invoked. We sought an artwork that would, through its sheer brilliance, solicit from the public an endorsement as well as a grasp of the depth of Emma’s incapability to think socially ; beyond the mirror, so to speak. Moreover, just as Flaubert did with Lucia di Lammermoor, we selected fragments that, like Donizetti’s successful opera, broached subjects close to home for Emma. One is the singer’s line “being thin is not dying”, which
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speaks to Emma’s tendency to eating disorders. These choices are both affiliations with Flaubert and “discussions” with his work from social issues in the present. All these figures of loyalty we call quotations make our work as anachronistic as the novel itself is. This kind of anachronism is a form of dialectic historical thinking, rather than those unreflected projections to which historians are rightfully allergic.
Immersive Exhibition as Break-Up of Narrative The different ways we have broken (with) Flaubert’s novel in loyalty to it, join forces in the chosen art form. We call our project an immersive exhibition. This term comprises the shifty focalisation, the visualization that counters narrative, the relationship between figures and their images with the viewers, and all other minor and major interventions. With the term “immersive exhibition” we refer to an artistic form wherein form and meaning, technique and ambiance collaborate to solicit a participatory presence of the spectators. This seems to resemble the sense of identification in literature or cinema, but without the sentimentalist and manipulative lures that so often come with it; “empathic unsettlement”, rather than unthinking merging and appropriation.2 In this way, we interpret the confusing, unorthodox way Flaubert deploys FID and sliding focalisation. Breaking up the narrative, breaking up the story-line, through exhibiting fragments of Emma’s life while both images and sound “leak” among the pieces, is our way of shaping the way Flaubert presented his novel through breaking it up. For, the immersive exhibition provides an analogy for literature’s serialisation of narrative fiction, presenting contiguous (typically chronological) instalments. In 1856, Flaubert serialised Madame Bovary in the Revue de Paris. Wandering through the museum, the viewer comes across installments of Emma’s life. While not following the content of a chapter, the scenes impart “updates” as you travel through the space. As in the serialisation, the narrative is broken; unlike the serialised novel, our immersive exhibition does not prescribe an order, thus offering anti-chronological alternatives through the space. The videos themselves and their installation in a gallery space have in common the underlying process of editing, or montage. Montage is a spatial form: the juxtaposition of fragments that, together, form a new whole, but between which gaps remain. Further, in multiple-screen installations, a montage between screens over-determines the montage between clips. Whereas the latter montage is frequently made invisible by “seamless” edits, the former is meant to be seen. 2 LaCapra 2001, e. g. p. 41, p. 47, p. 71.
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This turns it into a tool to develop a semiotics of lateral montage. This produces a foregrounded “installation-ness” that emphasizes the political potential of the contact or live space that installation is.
Quoting the Performative Image: the Look as Motor of the Narrative The concept of the immersive exhibition activates interaction with the viewer from the start. After a sound installation by Sara Pinheiro, as a prelude that makes the transition from outside to inside, the first installation posits the effect intended for the entire show. On one screen (left) the viewer sees Charles having his morning coffee and preparing for his rounds. His body language suggests boredom. On the opposite screen we see Emma tending to farm animals. At first, she seems to do so with genuine affection, but after a while, her facial expression subtly changes, and her actions become futile. She begins to show signs of boredom, of disconnection from her chores and signs that she is beginning to interrogate her life. These images depict states that, while announcing the need for things to happen, also foreground visuality. Slowly, after three minutes, we begin to perceive a change. As Charles raises his eyes and looks out the window again, Emma walks through a meadow to the doctor’s house. Her furtive, suggestive look heralds the start of a flirtatious interest. She looks at the phantom-like apparition of a man at the upper floor window where he looks in a somewhat voyeuristic manner. Two socially ambiguous looks begin to have consequences as they cross, but because the two screens are disposed face-to-face, the visitor cannot view them at the same time. He or she will therefore be naturally inclined to follow the incipient action, exercising some form of activity as a result. This activity – which visitors can notice both in themselves and in others – breaks the spell of fiction and makes them aware of the dynamic and bodily nature of looking. The activity thus stimulated comprises an awareness of the nature of the two looks as different and perhaps complementary, and possibly a partial identification with either one; or with the difficulty of choosing. This visual analysis of the performative look also implies a self-reflexive aspect. That art can have performative efficacy is well known. But that the very look one casts on images can result in existential, even ontological change, furnishes a well-known argument with a ground that, while reinforcing it, also implies the spectator in that efficacy. For that aspect, we can return to theories of reception proposing that art, like literature, needs recipients to function. This is a priori a phenomenological argument. But our dual installation proposes more: that the
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performative efficacy of an image depends on the look one casts on the other means that the very ontology of the visual is fundamentally dialogic. For us, the “quotable” essence of chapters 2 and 3 of the novel was the slow awakening of the performative look, as everything emerges from that look. This “explains”, in visual-immersive form, the social functioning of looking itself. Emma begins to exist when Charles sees her – with everything else in its wake. Thus Charles shows that where a touch of voyeurism and a touch of flirting meet, change can happen. The two kinds of look are socially active and also subject to judgement. But the combination of performativity and immersion makes such judgements uncomfortable and instead, stimulate reflection. This comes close to Lacanian ideas, in particular his concept of the cultural screen that determines what we can see and how we see it, but it can be taken more generally than that. It is in this sense that we have, we believe, been “loyal” to Flaubert’s writing in terms of its potential of what we today, in the wake of French art historian Hubert Damisch, call the “theoretical object”. With this term Damisch suggests that an artwork can itself incite us to theoretical reflection, even indicate the manner in which we can theorise (it). With this first installation, then, we aim to analyse and stimulate reflection on the social importance of looking; its decisive dialogic performativity.
Indistinction The deployment of the audio image is a second example of the paradox of anachronistic loyalty as “quotation”. The sounds – murmuring, bells tolling, sheep bleating and cows mooing, Emma pleading, love-talking, and screaming: in the novel there is an entire network of sounds characterised by indistinction. They are all reiterative, durable, routine. Sara Pinheiro’s installation Emma’s Soundscape, at the entrance to the exhibition, offers a focalized version of this indistinction. This, too, activates the viewer, who will in the exhibition begin to recognize sounds that in the Soundscape seemed rather abstract. In Pinheiro’s words, this preparatory installation offers “an exercise in audio focalisation” (personal communication). There are certain a priori considerations we must mention at this point. Firstly, Flaubert was not keen on dialogue. For us, Flaubert’s reluctance, even hostility, toward dialogue yielded the first paradox we faced. The paradox is that the novel is practically entirely “citational” – consisting of quotations “without quotation marks” as Roland Barthes had it. We can also say : consisting of clich8s drawn from the bottomless well of cultural ways of seeing and saying, or interdiscursive fragments. Flaubert specialised in making clich8s or “id8es recues”
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the fabric of his texts. This was the textual substantiation of his loathing of the culture of his time. It is also why the novel is so broken up. Flaubertian indistinction also plays out visually, through the twinning of Emma to abject doubles of herself. This is most clearly represented by the figure of the beggar, male in Flaubert but, because of the doubling function, female in our work. She turns up as an uninvited guest at Emma’s wedding and reception, and later while Emma is on her deathbed, she expresses the grief in the room, like a professional mourner. Her appearances constantly break up the intimacy of the familial or neighbourly circles. This twinning also extends to Emma’s indissoluble tie to Homais the pharmacist, who acts out or mirrors some of Emma’s manias. Like Emma, and her abject self the beggar, Homais too “breaks down” and ends up in the water, a potentially volatile space that physically immerses the body that cannot be contained, in this case Emma and Homais at their most abject. Water is also an inherently indistinguishable space, without border or line, continuously ebbing, flowing and engulfing; de-structuring: rather than breaking up, messing up the narrative. This audio-visual motif “quotes” the novel’s audio indistinction. The quotational effect is quoted, in turn, as the visitor has already heard the sounds in Pinheiro’s installation, and hence, might recognise them while encountering them.
Quoting Narrative Condensation: the Voice that Kills Indistinction also characterizes narrative itself, especially when it summarizes situations. One example is a transmutation or “imaging” of the famous sentence: “His conversation was flat like a sidewalk”. It is rightly famous: devastating for Charles in Emma’s eyes – if we consider the sentence a case of FID – but, as Jonathan Culler (1976) and others have argued, nothing is less definite than precisely that free-floating discourse. According to Culler, unmooring discourse and thus precluding facile judgemental attitudes is precisely Flaubert’s project. It is ours as well. This short sentence is a prime instance of the economy of words that comes with the fragmented discourse. This is telling as a characterisation of the narrative aesthetic. The usage of the generic noun “conversation” accompanied by a verb in the imperfect which, here, has nothing of Flaubert’s frequently aberrant use of that tense but simply expresses the reiteration of routine, implies, precisely, many words – an infinite number of words that end up, like a load of stones, bludgeoning one to death. This sentence needed including not only as a narrative expression of a non-event – what Genette called “Flaubert’s silences” (1966) – but also as a presentation of the boredom that will kill Emma. It causes,
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in other words, a reversal in the narrative economy and its dynamic between narration and description. For us, it was a necessary reversal between literature and cinema, in order to be “loyal” to the novel by betraying it. The iterative character of the flat conversation implies that the sentence, the perception Emma has of its content and the slide towards the adventure that follows: all this cannot easily be audio-visualised. To experiment, to make film a laboratory where we explore what storytelling is and can do, we only talked with the actors, then filmed without rehearsal. Rather than giving our actor lines or a quotation to repeat, we asked them to run with the sentence and use it as a starting point for improvisation. This method yielded images that constituted a sense-based expression of narrative content that is not illustrative, but that remains quotational across media. Marja Skaffari, the Finnish actress playing Emma, shows in her face the visual echo of the improvised discourse of Charles, played by French actor Thomas Germaine. Between the two characters the sonic image, thus, functioned like the visual performative image described above. We edited this almost exclusively with Emma’s face: it is here that the boredom inscribes itself with more and more exasperation. It is also where FID can take shape, even if Charles is the one who talks exclusively. Instead of his face we see his shoulder, blurred and dark, as if looming over Emma like a shadow, in what is called a “dirty close-up”. Like the emerging contact out of two socially dubious looks in the first piece, the two characters produce the boredom, ending in horror, together. It is the spectator who, seeing and feeling such horror, reads the face and, in a certain sense, allows the boredom to become visible. At the end, Emma screams and Charles asks, astonished: “But what’s the matter?” (“C ¸ a va?”) as if he could transform boredom into an illness, he would be able to save his marriage. Not so much later, a Viennese doctor invented a way of considering such boredom an illness indeed, which is why the slight rise to hysteria in Germaine’s superb acting seemed well fitted as a break with the tradition that genders hysteria feminine. The visual image, here, of Emma’s increasingly frustrated face, is the product of the voice, of words, of the single-sided conversation, that Flaubert, also assigning it to a single speaker (“sa conversation”) has characterised so perfectly. Charles is, again, the generator, the character who brings about an invisible event: the one that transforms Emma, barely awoken to life, into a living cadaver, entering an agony that takes up the remainder of the story. Her husband does not cause this agony but facilitates it as its instrument. The veritable cause is the expectation, the passivity, of she who is captured by a system she fails to understand, but one that has been instilled into her from an early age. This system, where commodities are invested with emotion and love is for sale, is what kills her. And it has not ceased to kill or otherwise damage
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people. Charles, Rodolphe and L8on are part of this system, and in this they resemble one another, in spite of their individual difference of being boring, nasty or na"ve. How to render a resemblance among three men, if they each have the mission to save Emma from boredom via their contrast with the man of routine? Their rescue expeditions fail precisely because the men are too alike. But Flaubert doesn’t say this. We have quoted this Flaubertian “unnarratable” as follows. First, the same actor plays the three men; then, Emma and her men don’t speak the same language. The former decision was motivated by the obvious but unexpressed fact that the young woman is not in love with anyone in particular but rather with Love itself – its lures, its illusions, its push to make passive and dependent. The latter decision does justice to the undeniable and “unnarratable” fact that Emma and her men don’t understand each other.
Quoting Capitalism as Madness Indistinction is the most adequate weapon against sentimental identification as well as historical distancing. When we see Emma on her shopping sprees, a certain madness is undeniable. But since this is a social issue – the lures of capitalism investing commodities with sentiment – we make this a collective madness. The shopkeepers, real estate agent, and the mother-in-law who becomes so paranoid that she begins to follow Emma: all contribute to the madness of this reversal of values. In accordance with our interest in making this issue quite central, our mode of visual storytelling in this respect is confrontational, on the level of characters as well as between the installation and its visitors. Our quest to incorporate the contemporary as a strategy of anachronism led us to use clips from YouTube to vocalise some of the ongoing economic and social concerns in the world. During Emma’s depression after the end of her affair with Rodolphe, she turns to mindless television to numb her pain. For this scene, we turned to American chat shows, online agony aunts and even images from old British sex education films for our content, in particular current daytime television psychologist Dr Phil, who expounds on the possibility of identifying a “cheating gene”. Flaubert’s novel presents us with a thematic exploration of the cultural conspiracy that turns business into an emotional issue, and love into a business venture. In the words of sociologist Eva Illouz, capitalism around the turn of the twentieth century had become an emotionally managed enterprise (2007). Flaubert had seen it coming; he had also seen its deadly quality. Emma’s feverish overspending and excessive desire for excitement exhausted her long before she
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killed herself. The responsibility is collective and systemic rather than individual. In the novel, considerations of money run through the text with regularity. There is a range of confrontations between Emma and her mother-in-law, focusing on Emma’s spending. But prior to that, Madame Bovary Senior had already more or less sold her son to his first wife, expecting financial gain from the match. And when riding towards father Rouault’s farm for his first visit, we hear about the farmer’s wealth. At this very early stage, then, the intermingling of money and love is already staged, and the venality of all concerned suggested. This makes futile any attempt to lay the blame squarely on Emma, and offered us an opportunity to visualise temptation itself. “Immersion” both embodies lure and offers the tools to take critical distance from it. Hence, no appeal to identification; instead, the freedom at once to empathise, criticise, and enjoy. One could consider our anachronistic quotations of artworks posterior to Flaubert’s novel a process of retrospective affiliation, in which the temporality of our search is reversed to find associations with works by other artists. Here, some quotations in our work in relation to experimental filmmaker Maya Deren’s Ritual in Transfigured Time (1946) and At Land (1944) help understand how this works. Deren’s films often depict space by showing the threshold between societal borders, intercutting wild or natural space with the realm of high society or the bourgeoisie. In Ritual, a woman enters a room in which a party is in full swing. Deren traps her in the throng by using freeze-frames to fix her position amongst the crowd. What plays out is an increasingly violent choreography, in which the crowd’s initial engagement with the woman is abandoned to the society buzz in which they no longer see but only brush past her. In our work, as Emma and Charles enter a reception in Paris, the guests freeze as these two outsiders enter their world, an inherently cruel act of social severance. Another example from Deren comes from At Land, in which she climbs up a tower of driftwood, to arrive at a dinner table lined with guests. Deren subsequently crawls along the table, intercutting her journey along it with images of her crawling amongst dense foliage: Deren’s “inappropriate” behaviour is mirrored in Emma’s own strange behaviour at the table. Later we have Emma appear as a ghost, unseen by the others, including Charles, another nod to Deren, but also a loyalty to the novel. These visual quotations can be seen as a “politics of allusion”. To see these allusions to the ending we must be willing to give up on narrative streamlining and consider the image as double by definition. An allusion is not a metaphor ; instead of replacing one thing with another, an allusion enfolds the alluded into what we see. Allusions operate not on an “either/or” structure but on a “both … and” or “as well as” inclusive model. And as Emma eats white icing sugar, we allude to Emma’s upcoming tendency
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to bulimia – part of a cycle of acquisition, excess and rejection exemplified by food and luxury goods. Bulimia itself can already be a poison in that it is unhealthy, but in combination with the spending craze, it ruins her also financially. If, then, sugar is a kind of poison, it also alludes formally to the white powder of the arsenic that will destroy Emma physically. Meanwhile, in her glamorous ball gown, at this ultimate moment of illusion Emma is profoundly isolated, ostracized, and unhappy. It is not her individual, romantic madness, but one for which society is collective responsible. Two screens of the four-screen scene “Passion and Disappointment” are devoted to the theme of money : the lure of capitalism and the disapproval of both the mother-in-law and Charles. On one of these screens, three episodes condense the issue that recurs throughout the novel. In one, “Emma goes shopping”, these excursions have a dream-like quality, where bliss and nightmare come dangerously close to each other. Three areas of worldly goods appear on her horizon: food, clothing and real estate. She shops for gourmet foods, expensive appetisers and other unnecessary items. She fills her shopping basket and puts it down to continue browsing. When she returns, the basket is empty. Her mother-in-law, unseen by her, has placed the goods back on the shelves. This sequence is repeated to enhance its dream-like quality and again the question which of the two is madder remains unresolved. In a second shopping scene, already mentioned, Emma enters a fantastic designer palace in Paris. Here, the emphasis is on the emotional, affective quality of the interaction between salesman and customer. Emma, slightly insecure and desirous, is affectively surrounded and reassured by a skilled clothier, who knows how to make her feel admired, beautiful, and loved – on the condition that she buy his expensive items. The dreamy quality emanates from the shop’s d8cor, as well as the man’s affectionate behaviour. The d8cor is architecturally fanciful, and to impress the customer more, an entire wall consisting of flashing television screens is raised to reveal the garments on offer. Emma selects a few expensive items, but the spell is broken when her credit card is rejected. Despondent, she leaves the shop, only to be confronted by a shadowy figure who whispers a scurrilous suggestion into her ear : she returns home to steals her husband’s credit card. Happily, she returns to the shop and pays the bill. When she leaves, the shadowy figure and the salesman exchange a thumbs-up gesture. We will see this mysterious man again in the scene “The End”. He is an amalgam of the crooked characters in the novel who lead Emma to ruin: Lheureux the salesman and money lender, Binet the tax collector, and Guillaumin the notary. In a third excursion into capitalism, Emma looks for a new, more stylish house. The palatial house she visits is so over-the-top that associations with the hyperbolic are inevitable. The real estate agent who shows her around and avoids
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answering her question about the price, alludes to the shrewd Lheureux who, in the novel, keeps saying that the things he proposes really don’t cost much, and that they will talk about money later. Emma runs up the stairs, visits the roof garden, and in the attic has a vision of the hated mother-in-law, visualising the pull of caution to which Emma is not indifferent. Boldly confident for once, she kisses the vision. However, whereas in these three sequences a certain happiness, however precarious and fleeting, accompanies the dreaminess, in each a harsh reality hits back. The food disappears, the clothes run up to such an amount that Charles becomes wise to Emma’s deception, and the house is, of course, out of the question. These images are confrontational. First, they show the untenability of ephemeral excitement, and the ease with which boredom sets in again. Emma’s facial expressions say it all. We give shape to these contrasts, on a screen where hardly any dialogue occurs, through silent confrontations. Second, the older woman looks so disapprovingly at Emma in her new clothes that Emma shouts at her to leave. The silent confrontation is rather long, and confronts the spectator with a need to take sides as well as to ponder its impossibility. And third, Charles finds the bank statements that Emma has hidden behind a painting, and confronts her. The madness is encompassing; and as Emma will say at her deathbed, no one in particular is to blame.
Quotationism We have given examples of quotations in the broadest possible sense. That itself is a gesture of quotation. For Flaubert spins his novel out of the conviction that nothing can be new; that everything has already been said and done. Making his text a fabric of d8j/-dits is his way of conveying this citationality of all discourse – and that includes, of course, visual discourses. It makes Emma a victim of social framing; set-up by the discourses of seduction she cannot escape. The fact that the novel consists of interdiscursive quotations deprives it of the unity that unbroken narratives offer their readers or viewers as a lure. “Quotation” stands at the intersection of iconography and intertextuality. It refers to the ready-made quality of signs, which a writer or image-maker finds available. First, according to classical narrative theory, direct discourse, or the “literal” quotation of the words of characters, is a form that reinforces mimesis. Second, as fragments of “real speech”, they authenticate the fiction. Third, rather than serving reality, they serve a reality effect (Barthes), which is in fact the opposite – a fiction of realism. Thus they function like shifters, allowing the presence of multiple realities within a single image. Fourth, in Bakhtinian dialogism, quotations stand for the utter fragmentation
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of language itself. They point in the directions from which the words have come. This conception of quotation turns the precise quotation of utterances into the borrowing of discursive habits. And this interdiscursivity accounts for pluralised meanings – typically, ambiguities. Finally, stipulating the impossibility of reaching the alleged, underlying earlier speech, deconstructionism emphasises what the quoting subject does to its object. Whereas for Bakhtin the word never forgets where it has been before it was quoted, for Derrida it never returns there without the burden of the excursion through the quotation. We can now add that no narrative can be unbroken; it can only deceptively make-believe. If our work is loyal to Flaubert it is in this aspect, rather than in any of the historically correct fidelities so arduously pursued in most films adapted from this novel. By making historical dramas out of what is all around us today, the historical costume dramas, anachronistic in their pursuit to avoid anachronism, most filmmakers have been blind to the fundamental contemporaneity of this novel. In so doing, they miss the warnings it holds for our own situation today.
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Kurzbiographien
Anna Babka ist assoziierte Professorin am Institut für Germanistik der Universität Wien. Von 2006 bis 2011 war sie Hertha-Firnberg sowie Elise-RichterStelleninhaberin des FWF. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen zum einen im theoretisch-methodologischen Bereich. Zentrale Felder sind kulturwissenschaftlich informierte Literaturtheorie, komparatistische Theorie und Methodik, Gattungstheorie, Theorie der Autobiografie, Rhetorik, Gendertheorie und Queertheorie sowie postkoloniale Theorie. Zudem beforscht sie ein breites Spektrum deutschsprachiger Literatur, u. a. Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts, Literatur der Jahrhundertwende, österreichische/deutsche Nachkriegsliteratur und Gegenwartsliteratur. Mieke Bal is a cultural theorist and critic, based at the Amsterdam School for Cultural Analysis (ASCA), University of Amsterdam. Her areas of interest range from biblical and classical antiquity to 17th century and contemporary art and modern literature, feminism and migratory culture. Mieke is also a video artist, her internationally exhibited documentaries on migration include Separations, State of Suspension, Becoming Vera and the installation Nothing is Missing. Arno Böhler ist Universitätsdozent am philosophischen Institut der Universität Wien und Gründer des Philosophie-Performance-Festivals Philosophy On Stage. An der Universität für angewandte Kunst Wien leitet er das Forschungsprojekt (AR275-G21) Künstler-philosoph_innen. Philosophie ALS künstlerische Forschung (2014–2017), gefördert vom Österreichischen Wissenschaftsfonds. Forschungsaufenthalte: Universität Bangalore, Universität Heidelberg, New York University, University of Princeton. Gastprofessuren: Universität für Musik und darstellende Kunst Wien; Hochschule der Künste Bremen, Universität für angewandte Kunst Wien u. a. Forschungsschwerpunkte: Arts-based-philosophy, Ästhetik, Geschichte der Philosophie, Poststrukturalismus, Indische Philosophie. Website: http://homepage.univie.ac.at/arno.boehler/
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Kurzbiographien
Marlen Bidwell-Steiner ist habilitierte Romanistin an der Universität Wien. Von 2010 bis 2015 hatte sie eine Elise-Richter-Habilitationsstelle (FWF Österreichischer Wisseschaftsfonds) inne und gegenwärtig ist sie Senior Lecturer für Hispanistik und Gender Studies. Zuvor war sie lange Jahre Leiterin des Referats Genderforschung an der Universität Wien. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen Literatur der Frühen Neuzeit in der westlichen Romania; das Verhältnis von fiktionalen und faktionalen Texten; die Geschichte von Leib-Seele-Vorstellungen und der Emotionen; Literatur & Psychoanalyse; Metapherntheorien, Gender Studies. Thomas Eder ist Literaturwissenschaftler und lebt in Wien. Er ist Leiter des Referats für Publikationen und Grafik im Bundeskanzleramt der Republik Österreich, Lehrbeauftragter am Institut für Germanistik der Universität Wien, Leiter der Sparte Literatur im kunsthaus muerzzuschlag, redaktionelle Mitarbeit bei der Zeitschrift „Wespennest“. Forschungsschwerpunkte: Kognitive Literaturwissenschaft, Literaturtheorie sowie Kunst und Literatur der (Neo-)Avantgarden. Zahlreiche Publikationen u. a. zur Wiener Gruppe, zu Elfriede Jelinek, Heimrad Bäcker, Franz Josef Czernin und zur Theorie der Metapher. Ursula Knoll ist OeAD-Lektorin am Institut für Germanistik der Karlsuniversität Prag und Dissertantin an der Universität Wien. Forschungsaufenthalte am USHMM Washington DC und an der Universität Arabajewa, Kirgisistan. Neben ihren wissenschaftlichen Projekten arbeitet sie als (Theater)Autorin in Wien, u. a. bei den Wiener Wortstätten. Wolfgang Müller-Funk, Univ. Prof. für Kulturwissenschaften 1999–2002 an der Univ. Birmingham, zahlreiche Gastprofessuren, ab 2009 an der Univ Wien. Zahlreiche Fellowships (u. a. Georg Brandes Institut Kopenhagen, GCSC Gießen, Trinity College, Dublin, GZO Leipzig, Universidade Catolica, Lissabon, NehruUniv. New Delhi, New School for Social Research, New York). Er war Koordinator des fakultären Forschungsprojekts Broken Narratives an der Univ. Wien. Kritiker und Essayist. 2013 Ehrenkreuz der Republik Österreich für Wissenschaft und Kunst. Forschungsschwerpunkte: Kulturtheorie, Narratologie, Romantik und klassische Moderne, Formen essayistischen Schreibens, Central European Studies. Henrik Skov Nielsen is professor at the University of Aarhus, Denmark. His research has attempted to contribute to conversations about three areas of narrative theory : first person narration; unnatural narratology ; and fictionality. He heads the research group Narrative Research Lab (http://nordisk.au.dk/for
Kurzbiographien
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skning/forskningscentre/nrl/intro/), and “Centre for Fictionality Studies” (http://fictionality.au.dk/). Ansgar Nünning ist Gründungsdirektor des im Rahmen der Exzelleninitiative geförderten „International Graduate Centre for the Study of Culture“ (GCSC) und Professor für Englische und Amerikanische Literatur- und Kulturwissenschaft an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Forschungsschwerpunkte: Englische Literatur und Kultur vom 18.–21. Jahrhundert, Literatur- und Kulturtheorie, Erzählforschung, Cultural Memory Studies, Kulturwissenschaften Vera Nünning ist seit 2002 Professorin für Englische Literatur- und Kulturwissenschaft an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, 2006–2010 Vizepräsidentin der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg für Internationale Beziehungen, Vizepräsidentin des Konsortiums der Türkisch-Deutschen Universität in Istanbul. Forschungsschwerpunkte: Englische Literatur- und Kulturgeschichte vom 18.–21. Jahrhundert, Erzähltheorie und Kognitionsforschung, Kulturwissenschaften. Matthias Schmidt studierte Philosophie und Germanistik in Wien, wo er als ¨ sterreichischen Akademie der Wissenschaften promoDOC-Stipendiat der O viert, unter dem Arbeitstitel: „Versehrtes Erkennen. Differenzsensible Schreibstrategien im Exil bei Walter Benjamin und Siegfried Kracauer.“ 2012 war er Visiting Scholar an der UC Berkeley (Rhetoric). Forschungsschwerpunkte sind u. a.: Literaturtheorie, Differenztheorien, Rhetorik, Gestus, Exil, Avantgarde, Theoretisierungen von Pornographie. Eva Schörkhuber ist Literaturwissenschafterin und Autorin; derzeit arbeitet sie als ÖAD-Lektorin an der Philosophischen Fakultät der Comenius-Universität in Bratislava und als Dissertantin am Institut für Germanistik der Universität Wien; Forschungs- und Schreibinteressen: Archive, Literaturtheorie, postnationale Entwicklungen, Kanonfragen. Trinh T. Minh-ha ist Professorin für Gender & Women’s Studies und Rhetorik (Film) an der University of California (Berkeley), unabhängige Filmemacherin, Autorin, Komponistin, Theoretikerin der Gender- und Postcolonial Studies. Ihre Arbeiten, die zahlreiche Bücher, Filme und Kunstinstallationen umfassen, wurden weltweit mehrfach mit prestigereichen Preisen ausgezeichnet. Ihr Klassiker Woman, Native, Other wurde von Kathrina Menke ins Deutsche übersetzt, von Anna Babka eingeleitet und herausgegeben („Postkolonialität und Feminismus schreiben“, 2010 bei Turia & Kant).