Nachbar Buchenwald: Die Stadt Weimar und ihr Konzentrationslager 1937-1945 9783412329136, 3412152986, 9783412152987


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Nachbar Buchenwald: Die Stadt Weimar und ihr Konzentrationslager 1937-1945
 9783412329136, 3412152986, 9783412152987

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Jens Schley Nachbar Buchenwald

Jens Schley

Nachbar Buchenwald Die Stadt Weimar und ihr Konzentrationslager 1937-1945

§ 1999

BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Schley, Jens: Nachbar Buchenwald : die Stadt Weimar und ihr Konzentrationslager 1937 - 1945 / Jens Schley. -Köln ; Weimar ; Wien : Böhlau, 1999 ISBN 3-412-15298-6

© 1999 by Böhlau Verlag G m b H & Cie, Köln Alle Rechte vorbehalten Satz: MS-Satz Meyer, Neunkirchen-Seelscheid Lithographien: Peukert G m b H , Köln Druck und Bindung: MVR-Druck, Brühl Gedruckt auf säurefreiem, chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 3-412-15298-6

Inhalt

1. Einleitung 1.1. 1.2. 1.3.

Zugang Zur Geschichte der Stadt Weimar zwischen 1920 und 1937 Die Errichtung des KL Buchenwald 1937

2. Die Beziehungen zwischen der Stadt Weimar und dem KL Buchenwald 2.1. Der verwaltungstechnische Bereich 2.1.1. Die Eingemeindung des Lagers 2.1.2. Die Zusammenarbeit mit kommunalen Behörden und Institutionen 2.1.3. Infrastrukturelle Einbindungen 2.1.4. Konflikte 2.2. Der wirtschaftliche Bereich 2.2.1 Arbeitseinsatz von Häftlingen in Weimar 2.2.2. Handelsbeziehungen zwischen Weimar und Buchenwald 2.3. Der juristische Bereich 2.4. Der soziale Bereich

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37 38 40 43 57 64 70 71 79 86 93

3. Die Weimarer Bevölkerung und das KL Buchenwald

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4. Stadt und Lager nach der Befreiung

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Epilog Danksagung

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Anhang Tabellen Anmerkungen Quellen- und Literaturverzeichnis Bildnachweise Abkürzungen

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„Die vielzuvielen waren keine SS-Männer, sondern Arbeiter, Kartothekführer, Techniker, Tippfräuleins - und nur eine Minderheit unter ihnen trug das Parteiabzeichen. Sie waren, nehmt alles nur in allem, für mich das deutsche Volk. Was um sie und mit uns geschah, das wußten sie genau . . . " Jean

Améry

1. Einleitung

1.1. Z u g a n g Am Sonntag, dem 15. April 1945, vier Tage nach der Besetzung Weimars durch amerikanische Truppen, wurde der tags zuvor von den amerikanischen Besatzungsbehörden als Oberbürgermeister der Stadt Weimar eingesetzte ehemalige stellvertretende Bürgermeister Erich Kloss überraschend zum General der dritten amerikanischen Armee, George S. Patton, gerufen. Patton befahl dem kommissarischen Oberbürgermeister, für den nächsten Tag, 12 Uhr mittags, mindestens tausend Weimarer Bürger zwischen 18 und 45 Jahren, „davon die Hälfte Männer und die Hälfte Frauen, und zwar ein Drittel aus den einfacheren, zwei Drittel aus den wohlhabenderen Schichten, und so viel wie möglich Parteigenossen"', für eine Besichtigung des Konzentrationslagers Buchenwald bereitzustellen. Die Weimarer Bevölkerung, so Patton zu Kloss, sollte sich von den Zuständen in Buchenwald mit eigenen Augen überzeugen, „bevor diese geändert werden" 2 . Kloss gab den Befehl an die Weimarer Polizeibeamten weiter, die jeweils acht bis zehn Personen, „vorzugsweise aus den besseren Stadtvierteln", am nächsten Vormittag zum „Stellplatz" am Hauptbahnhof beordern sollten. Am darauffolgenden 16. April hatten sich gegen 10 Uhr ein- bis zweitausend Weimarer Bürger vor dem Bahnhof versammelt. Kloss notierte: „ F r a u e n und M ä d c h e n im lebhaften Geplauder, neugierig und erwartungsvoll, auch bei den Männern keine mißmutige Miene."

Gegen Mittag begann der Marsch nach Buchenwald, die Marschkolonne zog sich weit auseinander. „ D a die Sonne schien", so Kloss, „glich das Ganze einem Frühlingsausflug". 3 In Buchenwald angekommen, wurden die Weimarer Bürger auf dem Appellplatz des Lagers in Kolonnen zu je 100 bis 150 Personen aufgeteilt und anschließend von amerikanischen Offizieren durch das Lager geführt. Man zeigte ihnen das Krematorium mit den Einrichtungen zum Zertrümmern der Schädeldecke und die Haken zum Erhängen von Häftlingen, den „ B o c k " zum Auspeitschen der Häftlinge und den Pfahl, an dem Häftlinge mit nach hinten gebogenen Armen gequält wurden. Weiter mußten sie in der Fleckfieberversuchsstation

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(Block 46) den Lampenschirm aus Menschenhaut und die Schrumpfköpfe ansehen, die sich der erste Kommandant des Konzentrationslagers Buchenwald, Karl Koch, hatte anfertigen lassen. Sie sahen den „Bunker", in dem Häftlinge gefoltert wurden und sie wurden durch einzelne Häftlingsbaracken geführt. Allgegenwärtig war das Elend in Buchenwald. Seit Anfang 1945 waren fast täglich Transporte aus den Vernichtungs- und Konzentrationslagern des Ostens, die sich in Auflösung befanden, in Buchenwald angekommen. Die Häftlinge, die diese Transporte überlebten, wurden in das Kleine Lager 4 gebracht, dessen Lebensbedingungen sich durch die Uberfüllung extrem verschlechtert hatte. In den ersten drei Monaten des Jahres waren ca. 14.000 Menschen in Buchenwald gestorben. A m 7. April 1945 wurde mit der Evakuierung des Lagers begonnen, in dem sich zu diesem Zeitpunkt 48.000 Menschen befanden. Ungefähr 28.000 von ihnen wurden auf Transporte geschickt, die meisten starben an Erschöpfung, wurden von den begleitenden SS-Wachtruppen erschossen oder kamen in Massakern um. Am 11. April 1945 waren noch 21.000 Häftlinge in Buchenwald. 5 John Glustrom, einer der amerikanischen Soldaten, die Buchenwald am 11. April 1945 erreichten, war erschüttert über den Zustand der überlebenden Häftlinge: 6 „ M y first impression of it was the odor. T h e stench of it was all over the place and there were a bunch of very bewildered, lost individuals w h o c a m e to me pathetically at the d o o r in their u n k e m p t u n i f o r m s to see what w e w e r e doing and w h a t w a s going to be d o n e about them. T h e y were staying at the c a m p even though their guards and staff had fled because they didn't k n o w where to g o or what to do. T h e y had heard news that the Americans had taken over that area and they were waiting f o r s o m e b o d y to turn their lives back straight again and they w e r e just lost souls at that time. Well, m y feeling was that this was the m o s t shattering experience of m y life."

An jedem Punkt ihrer Besichtigung erhielten die Weimarer Bürger einen erläuternden Vortrag über das Gesehene durch einen amerikanischen Offizier. Zusätzlich konnten sie sich bei den anwesenden Häftlingen über das Gezeigte informieren. Der mit den amerikanischen Truppen mitreisende Sonderkorrespondent des „Daily Telegraph", George Gyfe, schrieb unter der Überschrift: „40 die each day in freed C a m p of Buchenwald" über die Besichtigung des Konzentrationslagers Buchenwalds: 7 „ [ . . . ] E i n e kleine Weile später sah ich eine M e n g e Zivilisten aus [einer] Baracke hintereinander h e r a u s k o m m e n , Männer, Frauen, J u n g e n s und Mädchen. Einige Frauen und M ä d c h e n kamen weinend heraus. D i e s e Zivilisten, 1.000 an der Zahl, waren D e u t s c h e aus Weimar, die von A m e r i k a n e r n eskortiert wurden, damit sie begreifen, was der N a z i s m u s bedeutete. Sie mußten weitere Greueltaten sehen, bevor sie nach

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Hause gingen. In einem Krematoriumsgebäude sahen sie durch die offenen Türen von 6 Brennöfen die teilweise verbrannten Uberreste von menschlichen Wesen, so wie sie die Nazikerkermeister verlassen hatten. Außerhalb des Gebäudes sahen sie einen Haufen Leichen der Männer, die in den letzten 24 Stunden im Lager gestorben waren. [ . . . ] Man sagte den Deutschen, daß dieser Haufen immer noch weniger schrecklich wäre als der Haufen von 127 Leichen, die die Nazis im Freien aufgestapelt hatten, ehe sie flohen, angeblich weil sie keine Kohlen hatten. Aber der entsetzliche Eindruck all dessen, was in Buchenwald geschehen war, verstärkt sich noch weit mehr, wenn man die Opfer sieht, die nach all ihren schrecklichen Erfahrungen am Leben geblieben sind. [ . . . ] Uberall sah man halbverhungerte Männer, die fast bis zum äußersten des Menschenmöglichen ausgebeutet worden waren. Alle hatten hervorstehende Rippen, dünne Beine und Arme und eingefallene Wangen. Aber ein noch ergreifenderer Anblick war der von 900 Knaben unter 14 Jahren vieler Nationalitäten. Sie kamen mit Vätern ins Lager, die jetzt tot sind oder durch die Verlegung nach unbekannten Bestimmungsorten vermißt werden. Diese Jungen sehen wie alte Männer aus und benahmen sich vielfach auch so. Sie hatten eine gelbe oder sehr blasse Gesichtsfarbe und einen gespannten Ausdruck, waren abgemagert, ernst und schweigsam." Für Bürgermeister Kloss, der selbst mit nach Buchenwald marschiert war, waren die „hunderte von völlig zum Skelett abgemagerten Menschen auf den Holzpritschen der Baracken" Grund, die bisher als „propagandistischen Betrug" der Amerikaner abgelehnten Beweise f ü r die Verbrechen in Buchenwald doch zu akzeptieren: 8 „Von hier aus [gesehen] gewann das Übrige an Glaubwürdigkeit, insbesondere unter Heranziehung dessen, was mir früher über Quälereien erzählt worden war." Zu einem Eingeständnis der von den amerikanischen Offizieren während der Besichtigung immer wieder vorgetragenen moralischen Schuld der Weimarer Bürger und der Behauptung, die Weimarer hätten Kenntnis von den Vorgängen in Buchenwald haben müssen, 9 war Kloss jedoch nicht bereit, obwohl er seine anfänglich ablehnende Einstellung zu der Notwendigkeit einer „Zwangs-Besichtigung" Buchenwalds geändert hatte: „Die Besichtigung hatte bei mir das Ergebnis gezeitigt, daß ich die Anordnungen des Generals nicht nur billigen mußte, sondern sogar erwog, ob man nicht wirklich eine ausgesuchte Anzahl von unbelehrbaren Nationalsozialisten und die 120Prozentigen zu einer Besichtigung zusammenbringen mußte." 10 Die auf den „Buchenwald-Marsch" direkt folgenden Reaktionen der Weimarer Bürger waren angesichts der nun offenbar gewordenen Verbrechen in Buchenwald von massiver A b w e h r geprägt. Die „narzißtisch gekränkten"" Bürger der Stadt versuchten, ihr Wissen zu leugnen und mögliche Schuld von sich zu weisen. Für die Artikulation und Begründung dieser Abwehrhaltungen war die Stadt nach der weltöffentlichen Kennt-

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nisnahme der Verbrechen in Buchenwald 12 auf die kleine Gruppe noch moralisch legitimierter bzw. scheinbar legitimierter Weimarer Bürger angewiesen, die in den Tagen nach der Besichtigung Buchenwalds ihre Stimme zur Ehrenrettung der Stadt Weimar und zum Schutz ihrer Bürger erhoben. Zwei Tage nach der Besichtigung des Lagers gab Bürgermeister Kloss im Auftrag von vier Stadthonoratioren eine Erklärung ab:13 „[...] In Verfolgung der von den Besatzungsbehörden am [16.] April 1945 veranlaßten Besichtigung des ehemaligen Konzentrationslagers Buchenwald sind mir aus allen Schichten der Bevölkerung Weimars zahlreiche mündliche und schriftliche Äußerungen zugegangen. In diesen Äußerungen wird neben der allgemeinen Empörung über das Geschehene die bestimmte Erwartung ausgedrückt, daß auch die gegen deutsche Mitbürger in Buchenwald begangenen Verbrechen und Mißhandlungen unnachsichtlich gesühnt werden. [...]" Eingebracht wurde die Erklärung u. a. vom Direktor des Goethe-Nationalmuseums Hans Wahl und dem Generalsekretär der Deutschen Schillerstiftung, dem Schriftsteller Heinrich Lilienfein. Der mit dieser Erklärung begonnene Versuch, die Schuld Weimarer Bürger an den Zuständen in Buchenwald abzuwälzen, wurde vier Tage später mit einer Erklärung der evangelischen Kirche fortgesetzt. A m Sonntag, dem 22. April 1945, ließ der Weimarer Propst und Superintendent Kade anläßlich des Gottesdienstes folgenden Text verlesen: 14 „Am vergangenen Montag sind Hunderte von Bewohnern unserer Stadt zu einer Besichtigung des Konzentrationslagers Buchenwald aufgefordert worden. Dort sind Vorgänge ans Licht gekommen, die uns bisher völlig unbekannt waren. Wir verurteilen die Grausamkeit und den Sadismus, mit denen Menschen behandelt und vielfach zu Tode gequält worden sind. Das alles ist nur möglich gewesen auf dem Boden einer Geisteshaltung, die mit dem Christentum völlig gebrochen hat und unter der wir als Kirche auch sonst schmerzlich gelitten haben. So dürfen wir vor Gott bekennen, daß wir keinerlei Mitschuld an diesen Greueln haben. Unser ganzes Volk aber rufen wir zu dem Gott, der der heilige Gott ist und vor dem es gilt:,Irret euch nicht! Gott läßt sich nicht spotten.' " Dieser Wissensverleugnung folgte neun Tage später ein umfassender Versuch zur Rettung der Stadt Weimar. A m 1. Mai 1945 schrieben der neue Oberbürgermeister der Stadt Fritz Behr 15 , der Superintendent Kade, der katholisch-römische Dechant Breitung und der Leiter der Weimarer Kulturstätten Hans Wahl gemeinsam an den amerikanischen Militär-Gouverneur Mayor William M. Brown einen Brief, „die Stadt Weimar und das KZ Buchenwald" betreffend: 16 „Die Aufdeckung der Vorgänge im Konzentrationslager Buchenwald hat zu der Frage der Schuld oder Mitschuld der Einwohner der Stadt und des Landkreises

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Weimar Anlaß gegeben. Aus Presse- und Rundfunknachrichten der alliierten Mächte geht hervor, daß die Auffassung vertreten wird, die Einwohnerschaft von Weimar und Umgebung habe von den Greueln in Buchenwald Kenntnis gehabt und dazu geschwiegen; sie sei daher als moralisch mitschuldig anzusehen. Dieser harte Vorwurf trifft die Einwohnerschaft der alten Kulturstadt Weimar auf das schwerste; um so schwerer, als er zu Unrecht erhoben erscheint und in einem Nichtvertrautsein mit den Verhältnissen im nationalsozialistischen Deutschland seine Ursache hat. [ . . . ] D e r Oberbürgermeister und die unterzeichneten Stellen fühlen sich daher verpflichtet, den Gefühlen der Einwohnerschaft der Stadt und des Landkreises Weimar durch den obigen Bericht 1 7 Ausdruck zu geben. Sie appellieren an das Gerechtigkeitsgefühl der Welt, wenn sie bitten, diesen Ausführungen Glauben zu schenken und die alte Kulturstadt Weimar nicht mit einem Makel zu behaften, den sie nicht verdient hat.[...]"

Das Bestreben, Weimar vom „Makel Buchenwald" zu lösen, die Vorgänge in Buchenwald institutionell und personell von der Stadt Weimar abzutrennen und so eine Mitverantwortung und Schuld für das Geschehen im Lager abzulehnen bzw. zu verdrängen, prägten in den ersten Wochen nach der Befreiung des Lagers den Umgang der Stadt mit dem Konzentrationslager. Die ersten Reaktionen der Weimarer waren von der Angst vor Vergeltung bestimmt. 18 Fungierte die „alte Kulturstadt Weimar" in diesen Abwehrreaktionen noch als Schutzschild, hinter dem sich die eigene Verstrickung verstecken ließ, so ging es in den Folgemonaten und -jähren, als Vergeltung nicht mehr zu befürchten war, um die Rettung des Schutzschildes selbst, um den nachhaltigen Beweis der historischen Unvereinbarkeit der Orte Weimar und Buchenwald.' 9 Entworfen wurde ein G e schichtsbild, in dem die Stadt Weimar das Kontinuum, das Lager Buchenwald aber nur Episode sein sollte. Das „kulturelle Herz Deutschlands" mit seinen großen Figuren der Klassik und Aufklärung sollte die Dominante in der Geschichtserinnerung bleiben, während Buchenwald der Vergangenheit angehörte. Fragen nach der Koexistenz von Weimar und Buchenwald in den Jahren 1937 bis 1945 wurden nicht mehr gestellt, angesichts der propagierten Unvereinbarkeit der beiden Orte waren sie auch nicht mehr nötig. Lediglich der „Sieg" der guten Traditionen Weimars über die „kurze, schmerzliche Episode" auf dem Ettersberg mußten immer wieder benannt werden. 20 Geschaffen wurde eine Ebene der Erinnerung, auf der eine tatsächliche Auseinandersetzung nicht mehr stattfinden konnte und auf der es auch keiner moralischen Verantwortung mehr bedurfte. Bestärkt wurde dieser Umgang mit der eigenen Geschichte durch die M y stifizierung des Ortes Buchenwald in der D D R . Auch hier wurde nur eine, wenn auch wahre Geschichte erzählt: die des antifaschistischen Widerstandskampfes im Konzentrationslager Buchenwald. Im Sinne der

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ideologischen Legitimationsstrategie der D D R gehörte diese Geschichte in ein Geschichtsbild, in dem sich Ernst Thälmann mit Goethe und dem klassischen Weimar vereinte.21 Geschichten, die nicht in dieses Bild paßten, konnten nicht erzählt werden. Dazu gehörte die gemeinsame Geschichte des Lagers Buchenwald und der Stadt Weimar, die bis heute kaum dokumentiert ist und verschwiegen wird. 22 Volkhard Knigge beschrieb als Resultat dieses konstruierten Geschichtsbildes ein „Bermuda-Dreieck, in dem historisches Erklären und Verstehen der Koexistenz von Stadt und K Z ins Nichts fallen und überflüssig werden." 23 Dabei war die Koexistenz von Stadt und Konzentrationslager typisch und funktionsimmanent für den Kosmos des Systems der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Kein Lager konnte existieren ohne ein dichtes N e t z von infrastrukturellen, verwaltungstechnischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu seiner Umwelt. Eingebettet in dieses N e t z von Beziehungen entwickelten sich eine Vielzahl von sozialen Verbindungen zwischen Lager und Umwelt, die als Interaktionsfeld wirkten. In diesem Bereich erfüllten die Konzentrationslager von Beginn an ihre indirekte repressive Funktion: die Drohung mit dem Lager, die ein ungefähres Wissen über das Wesen dieser Lager mit einschloß. 24 Eugen Kogon hat in seiner Beschreibung des Systems der deutschen Konzentrationslager erstmals den Rahmen dieses Beziehungsgeflechts beschrieben, um hauptsächlich eine Frage zu stellen: „Was hat der Deutsche von den Konzentrationslagern gewußt?" 2 5 Dies war auch die zentrale Frage des 16. April 1945 in Buchenwald. Imre Kertész, der im Juni 1944 nach Buchenwald kam und hier am 16. April 1945 die Weimarer bei ihrer Besichtigung des Lagers beobachtete, schrieb fünfzig Jahre später: 26 „Mit Händen und Füßen bedeuteten sie den amerikanischen Offizieren, daß sie von all dem nichts gewußt hätten. [...] Ich denke, sie haben nicht gelogen. In den acht Jahren, während derer das Lager bestand, haben sie die Häftlinge täglich auf dem Weg zur Zwangsarbeit sehen müssen, haben ihr Elend sehen können; so haben sie alles gewußt; andererseits aber hatten sie dieses Wissen einfach nicht zur Kenntnis genommen - und so dennoch nichts gewußt."

Was haben sie also wissen können? Erich Kloss gehörte nach eigener Aussage im Winter 1943 als Dienstverpflichteter zu einer Gruppe von Weimarer Hygienikern und Ministerialbeamten des Thüringer Innenministeriums, die mehrmals das Lager Buchenwald besichtigten, um hier die Vorkehrungen gegen Typhus zu kontrollieren. 27 Er hatte bei diesen Kontrollbesuchen auch Gelegenheit, mit Häftlingen zu sprechen, vermied dies aber aus Angst vor Konsequen6

zen. Seine Tochter Andrea traf sich Ende 1944 des öfteren mit „dem Schwiegervater eines SS-Mannes, der in Buchenwald gedient hatte und sich zu den Fliegern gemeldet hatte, um aus Buchenwald entlassen zu werden". Dabei wurde auch über Einzelheiten des Lageralltags gesprochen - „das meiste haben wir dabei für unglaubhaft gehalten". 28 Stadtamtmann Heyne, der im Auftrage Kloss' für eine britische Parlamentsdelegation einen Bericht über die Nahrungsmittellieferungen nach Buchenwald verfaßte, um so die Unschuld der Weimarer Bürger am Hunger der Häftlinge darzustellen, 29 war als Leiter des Ernährungamtes der Stadt Weimar neben dem Thüringischen Landesernährungsamt ab August 1939 für die korrekte Versorgung Buchenwalds mit Lebensmitteln zuständig. Er arbeitete teilweise direkt mit der Häftlingsselbstverwaltung zusammen, hier mit dem Kapo des SS-Kantinenbetriebes, Ernst Karl Gärtig. Heyne wurde als „aufrechter demokratischer Antinazibürger" 3 0 von den deutschen Häftlingen Willy Tichauer und Herbert Sandberg, die in den ersten Tagen nach der Befreiung Weimar besuchten, für das neu zu besetzende Amt des Bürgermeisters vorgeschlagen. 31 Zumindest sollte er aber zu einem Antinazikomitee gehören, welches politische deutsche Häftlinge gemeinsam mit Weimarer Bürgern gründen wollten. Zu dieser Gruppe gehörte auch der Bäckermeister Arno Schmidt und der Spediteur Werner Staupendahl, beide in Weimar ansässig. Sie hatten während des Krieges in ihren Firmen Häftlinge zu Bau- und Hilfsarbeiten eingesetzt. 32 Ab 1938 übernahm Staupendahl auch Sachgut-Transporte von und nach Buchenwald, unter anderem aus den Konzentrationslagern Mauthausen und Ravensbrück. 33 Bei einem der Treffen zur Gründung eines Antinazikomitees ging es um die Frage, ob die Weimarer Bürger etwas von den „Greueln in Buchenwald" gewußt hatten: 34 „Die Herren drückten sich feige um die Frage herum. Nur einer oder zwei waren aufrichtig genug zuzugeben, daß sie die Sachen doch zum größten Teil gewußt haben, aber, wie sie sagten, nichts dagegen unternehmen konnten." Vieles von dem, was die Weimarer am 16. April 1945 in Buchenwald gesehen hatten, konnten sie tatsächlich nicht wissen. Es lag im System des Konzentrationslagers begründet, Einzelheiten über das Wesen und Wirken des ihm innewohnenden Terrors nicht nach außen dringen zu lassen. 35 Die von den Amerikanern in Buchenwald gemachten Filmaufnahmen belegen, daß für viele Weimarer die Besichtigung des Lagers ein Schock war: In den Gesichtern spiegelt sich Entsetzen und Abscheu, viele Frauen weinten, einige fielen in Ohnmacht. 36 Vieles andere jedoch haben sie wissen können. Weimarer Bürger haben die Häftlingstransporte beobachtet, die vor dem Bahnhof in Weimar auf Lastkraftwagen verladen wurden. Der Leichenwa7

gen, der auf dem Weg vom Konzentrationslager zum Krematorium auf dem städtischen Friedhof durch Weimar einen Teil seines Inhaltes verloren haben soll, war über Wochen Stadtgespräch in Weimar. Diese Beobachtungen wurden jedoch schon während der Existenz des Lagers Buchenwald verdrängt und anläßlich der Besichtigung Buchenwalds erneut abgestritten. Diese doppelte Verleugnung, 37 die weit über den April 1945 andauerte, verhinderte gemeinsam mit der bereits benannten „Rettungskonstruktion" 38 eine Auseinandersetzung mit der gemeinsamen Geschichte der Stadt Weimar und des Lagers Buchenwald. Der Häftling Rolf Weinstock, seit Anfang 1945 in Buchenwald, schrieb in seinen Erinnerungen an den 16. April 1945 über die Weimarer Bürger bei der Besichtigung des Lagers Buchenwald: 39 „Immer und immer wieder fragten sie sich und schauten sich an: [.. .],Wie konnte so etwas geschehen, acht Kilometer von Weimar entfernt?'"

Die Frage ist trotz ihrer häufigen Wiederholung in den folgenden Jahren bis heute unbeantwortet geblieben. Die folgende Studie beschäftigt sich mit der gemeinsamen Geschichte der Stadt Weimar und des Konzentrationslagers Buchenwald in den Jahren 1937 bis 1945. Sie untersucht, welche Beziehungen und Kontakte die räumliche Nähe von Konzentrationslager und Stadt auslöste, in welchen Bereichen sich diese Beziehungen entwickelten und wie sie auf das Verhältnis zwischen Stadt und Konzentrationslager wirkten. Die grundlegende Frage ist dabei die nach der Nachbarschaft, in der sich die gemeinsame Geschichte von Stadt und Lager manifestierte: Wie gestaltete sich diese Nachbarschaft der Stadt Weimar und des Konzentrationslagers Buchenwald, wie ging die Stadt mit dem Konzentrationslager um? Zur Beantwortung dieser Frage soll das Beziehungsgeflecht zwischen Stadt und Lager sowohl hinsichtlich seines Umfanges und der an ihm beteiligten Institutionen und Personen beschrieben als auch in Bezug auf seine Bedeutung für das Nachbarschaftsverhältnis analysiert werden. Drei Aspekte stehen dabei im Vordergrund: (1) Die Einrichtung eines Konzentrationslagers mit seiner komplexen Infrastruktur, mit den nach sozialen und wirtschaftlichen Funktionen abgegrenzten Bereichen ähnelte in seiner Gesamtheit einer eigenständigen Stadt. 40 Diese Stadt war jedoch als eigenständiges, von der Außenwelt abgeschnittenes Gebilde nicht überlebensfähig. Zahlreiche Beziehungen zur Umwelt sicherten die Existenzfähigkeit des Lagers ab. Dies betraf die lebenserhaltenden Funktionen 4 1 genauso wie die teilweise Einordnung der Lagerverwaltung in bereits bestehende Verwaltungsstrukturen der 8

U m w e l t . H i n z u kam die zeitweise bzw. dauerhafte Delegation von A u f gaben, die aus der spezifischen F u n k t i o n des K o n z e n t r a t i o n s l a g e r s resultierten. 4 2 In der F o l g e entstand ein Beziehungsgeflecht, welches die U m w e l t mit dem K o n z e n t r a t i o n s l a g e r verband und das Lager in seiner E x i s t e n z absicherte. D i e B e r ü h r u n g s p u n k t e dieses Beziehungsgeflechtes durchbrachen den abgeschlossenen R a u m des K o n z e n t r a t i o n s l a g e r s , indem sie die einzelnen, für sich isolierten B e r e i c h e des Lagers mit der A u ß e n w e l t verbanden. 4 3 D i e K e n n t n i s dieses Beziehungsgeflechts korrigiert das G e s c h i c h t s b i l d eines K o n z e n t r a t i o n s l a g e r s als „exterritorialem O r t " und stellt das Lager z u r ü c k an seinen W i r k u n g s p u n k t mitten in der Gesellschaft. (2) D e r nationalsozialistische Staat war geprägt vom „Nebeneinander einer noch beibehaltenen, jedoch nur auf , A b r u f ' fortgeltenden Staatlichkeit und einer außernormativen Führergewalt, deren Willen im Zweifelsfalle immer den Ausschlag gab". 4 4 D i e beiden Pole dieses Dualismus von Partei und Staat bekämpften sich einerseits und bildeten so den G r u n d a n t agonismus des nationalsozialistischen Staates, 4 5 andererseits ergänzten sie einander und bedingten durch die mit der Gleichzeitigkeit dieses G e g e n satzes und der Ideologisierung politischer Entscheidungsprozesse permanent entstehenden Systemkrisen die außerordentliche D y n a m i k politischer Prozesse im Dritten Reich. 4 6 Diese Charakterisierung des nationalsozialistischen Staates ist nicht neu, 4 7 sie wird hier verwendet, um auf einen wesentlichen Aspekt der Nachbarschaft von Stadt und Konzentrationslager aufmerksam zu machen. M i t dem Aufbau des Konzentrationslagers B u chenwald rückten einige Verwaltungsbereiche des Lagers auch in den Verantwortungsbereich kommunaler und landesstaatlicher Behörden. Diese, ihrem Verständnis nach normenstaatlichen Institutionen, versuchten, die ihnen zufallenden Verwaltungsbereiche des Lagers in noch bestehende rechtsstaatliche Strukturen einzuordnen und ihrer Aufgabe nach steuernd oder aber kontrollierend auf das Lager zu wirken. Dies widersprach jedoch grundlegend dem Selbstverständnis der SS, die eine von der staatlichen Verwaltung und staatlichen N o r m e n völlig unabhängige Machtstruktur aufgebaut hatte. 4 8 Weimarer Behörden reagierten jedoch trotz dieser A b schottung auf Krisen im Lager, sie verlangten Mitspracherecht und wollten K o n t r o l l f u n k t i o n e n wahrnehmen. So übten sie einen Veränderungsdruck auf das Lager aus und trugen zu einer Krisenbewältigung und Stabilisierung des Lagers im Sinne einer Systemregulierung bei. 4 9 In diesen K o n f l i k ten zeigt sich die direkte Fortsetzung der außernormativen Machtstruktur des Lagers in den Beziehungen zur Stadt. D e n n indem Weimarer Behörden ihren Aufgabenbereich in den Dienst des Lagers stellten, machten sie sich mitverantwortlich an Prozessen der M a c h t - und Gewaltausübung, die in

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Buchenwald begannen und in Weimar ihre letztendliche verwaltungstechnische Umsetzung erfuhren. (3) Imre Kertész maß der Frage nach dem Wissen der Weimarer Bevölkerung über das Konzentrationslager Buchenwald eine „universale Dimension" 50 innerhalb des Konfliktes um die jüngste Vergangenheit der Stadt bei. Die Frage nach dem Wissen und der darin verborgenen Frage nach der Mitverantwortung ist bis heute virulent. Eine Beschreibung der Beziehungen zwischen Weimar und Buchenwald muß daher auch diese Frage thematisieren. Es läßt sich jedoch vom heutigen Standpunkt aus schwer bis gar nicht ermitteln, welches konkrete Wissen die Weimarer Bevölkerung während der Existenz des Lagers vom selbigen haben konnte und tatsächlich hatte. Zu komplex sind die Bereiche, die auf bereits aufgenommenes Wissen wirkten, zu uneinsehbar die Wege, auf denen die Informationsweitergabe erfolgte. Diese Frage wird auch diese Studie nicht beantworten können. Sie wird sich aber mittels der Beschreibung des Beziehungsgeflechts zwischen Weimar und Buchenwald um eine Annäherung bemühen und die Verhaltensweisen und Handlungsstrategien der Weimarer Bürger angesichts des nahen Konzentrationslagers beschreiben. Denn wie für ganz Deutschland gilt auch für Weimar, daß die Konzentrationslager und der mit ihnen verbundene Terror einerseits als Bestandsgaranten der „Volksgemeinschaft" Zustimmung in der deutschen Bevölkerung fanden," andererseits jedoch als diffus bekannte Terroreinrichtungen gegen bestehende ethische Wertvorstellungen verstießen und bei den Trägern dieser Wertvorstellungen Widerstandsverhalten hätten bedingen müssen. An Hand der handelnden Personen im Beziehungsgeflecht Weimar-Buchenwald soll untersucht werden, inwiefern dieses Verhältnis von Zustimmung und Ablehnung den Umgang der Bevölkerung mit dem Konzentrationslager formte und was schließlich überwog. Ziel der Untersuchung ist es zum einen, am Beispiel Weimar und Buchenwald die Einbettung der Konzentrationslager in die Infrastruktur ihrer Umwelt, die gegenseitige Durchdringung sowie die Akzeptanz der Lager in der Gesellschaft zu zeigen. 52 Weiter soll die Studie mit der konkreten Beschreibung der Beziehungen zwischen Stadt und Lager ein Beitrag für eine notwendige Diskussion der Geschichte Weimars in der Zeit des Nationalsozialismus leisten. 53 Die Untersuchung verzichtet schließlich auf eine Diskussion der Metapher „Weimar-Buchenwald". Die Frage nach der Verwendbarkeit der nach 1945 geschaffenen Geschichtsbilder des scheinbar ungleichen Paares stellt sich erst nach Kenntnis ihrer gemeinsamen Beziehungen.

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1.2. Zur Geschichte der Stadt Weimar zwischen 1920 und 1937 „Nachmittags von 2 Ά Uhr an marschiert das Hakenkreuzheer in Zugkolonne mit Standarten auf dem Theaterplatz vor dem Nationaltheater auf. Zwei Musikkapellen stehen beim Schiller-Goethe Denkmal und spielen ohne Unterbrechung Armeemärsche. Rings steht ,Volk'; auf dem Balkon des Nationaltheaters Ludendorff, umgeben von völkischen Abgeordneten und Damen. Die Hakenkreuztruppen, etw a 3000 Mann, bilden ein Carré; die Mitte des Platzes bleibt leer. Nach beendetem Aufmarsch verschwinden die Fahnen und erscheinen nach einigen Minuten wieder auf dem Balkon des Nationaltheaters, w o jetzt zwei Dutzend blutrote Hakenkreuzfahnen den Hintergrund zu Ludendorff im schwarzen Gehrock bilden." 54

Diese Beschreibung eines Aufmärsche der Nationalsozialisten vor dem Deutschen Nationaltheater in Weimar stammt nicht, wie man vermuten könnte, aus den frühen dreißiger Jahren; der Eintrag im Tagebuch des Diplomaten, Schriftstellers und Mäzens H a r r y Graf Kessler über das „Hakenkreuzheer" in Weimar datiert vielmehr auf den August 1924. N a tionalistisch und völkisch agierende Gruppen waren in den zwanziger Jahren nichts Ungewöhnliches in Weimar. Die Stadt hatte sich seit der Jahrhundertwende zu einem Zentrum konservativer und antimoderner Strömungen in Thüringen entwickelt, darüber hinaus übten der seit 1885 blühende Goethe-Kult und die beginnende mythische Verklärung des Ortes eine starke Anziehungskraft auf Intellektuelle aus ganz Deutschland aus, die in Weimar zum einen den Ort der „Wiedergeburt" Europas 55 , zum anderen den Ort einer „deutschen" oder gar „germanischen Renaissance" 5 6 sahen. In der Stadt selbst hatte sich nach den traumatischen Erfahrungen des ersten Weltkrieges und der Revolution Existenzangst breit gemacht. Insbesondere die für das politische Klima wichtigen bürgerlichen Schichten suchten nach politischen Alternativen und Auswegen aus der als bedrohlich empfundenen Situation. Diese Angst, die sich mit dem Selbstverständnis der Stadt als musealer Wallfahrtsort verband und daher hauptsächlich auf Besitzstandswahrung orientiert war, führte seit Beginn der zwanziger Jahre zu einer breiten Akzeptanz konservativer und völkischer Ideologien in Weimar und half den parteipolitischen Entsprechungen dieser Ideologien seit 1924 zu immer stärkeren und beständig nach rechts marschierenden Mehrheiten. Es war jener „Extremismus der Mitte", der wie in anderen deutschen Kleinstädten auch in Weimar die Auflösung der gleichnamigen Republik vorbereitete. 57 Der Nationalversammlung, die im Februar 1919 vom unruhigen Berlin in die thüringische Provinzstadt geflüchtet war, trat in der Stadt eine „prononciert konservative, monarchistische und

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völkisch-nationale Bewegung entgegen, die erfolgreich' an der Zerstörung der ersten Republik in der Provinz arbeitete". 58 Weimar als Landeshauptstadt Thüringens war Teil jenes viel beschriebenen Experimentierfelds für die Nationalsozialisten. 59 Hier gab es nicht wie anderswo eine mit Gewalt und politischem Druck durchgesetzte Machtergreifung der Nationalsozialisten im März 1933; in Weimar fand wie in ganz Thüringen eine „vorgezogene Machtübernahme" 6 0 im Sommer 1932 statt, die im wesentlichen unter der Zustimmung und mit der breiten Akzeptanz der Weimarer Bevölkerung seit Ende der zwanziger Jahre schleichend abgelaufen war und im Jahr 1933 lediglich ihren vorläufigen Abschluß fand. Weimar war zwischen 1918 und 1933 und darüber hinaus Bühne und Ort politischen Handelns zugleich. Die NSDAP, die 1926 ihren zweiten Parteitag nach ihrer Neugründung 1925 in Weimar abhielt, benutzte die Stadt einerseits als Symbol für jenen Ort, an dem 1919 die Republik gegründet wurde und deren Untergang sie nun betrieb, andererseits wähnte sie hier das Herz deutscher Kultur und begann 1937 mit einer U m gestaltung der Stadt zu einer nationalsozialistischen Kultstätte. Hitler weilte mehr als 40mal in der Stadt, die Rufe der fanatischen Weimarer Bürger vor dem Hotel Elephant („Lieber Führer, komm heraus/Aus dem Elephanten-Haus.") gehören heute zur schmerzlichen Erinnerung der Stadt an einen Führerkult, der in Weimar ein extremes Maß erreichte. Aber Weimar war in der Zeit des Nationalsozialismus nicht nur der Fremdbestimmung ausgesetzt, auf die man sich nach 1945 gern berief. Das politische und geistige Klima der Stadt half den Nationalsozialisten bei ihrem Weg zur Macht, darüber hinaus war es Ausdruck für die Akzeptanz nationalen und völkischen Gedankenguts durch die Mehrheit der Bevölkerung - hier insbesondere bei den Funktionseliten in Politik und Kultur - vor und nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Weimar hatte sich, im Gegensatz zu den aufstrebenden Industriestädten Jena und Erfurt, seit der Jahrhundertwende zu einer Beamten- und Pensionärsstadt entwickelt. Die Entscheidung, nach der Gründung des Landes Thüringen am 1. Mai 1920 den Sitz der Landesregierung nach Weimar zu verlegen, verstärkte diesen Trend. Durch die Verlegung und Schaffung neuer Dienststellen und einiger Landeszentralen, den Aufbau der Landesministerien und den Umzug der meisten Landesparteizentralen nach Weimar wuchs die Zahl der Verwaltungsangestellten und Beamten in der Stadt stark an. Waren 1918/19 nur 25 Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung als Staatsangestellte und Beamte tätig, so waren es zehn Jahre später bereits 36 Prozent und 1939 sogar die Hälfte aller Beschäftigten. 61 Diese soziale und kulturelle Wertegemeinschaft, die Weimars politische 12

Entwicklung ab 1920 entscheidend mitprägte, wurde verstärkt durch eine beständig größer werdende Gruppe von meist wohlhabenden Rentnern und Pensionären, die in dem sich entwickelnden musealen Wallfahrtsort Weimar ihren idealen Ruhesitz erblickten. Der Zuzug dieser Gruppe war so stark, daß der Verwaltungsbericht Weimars 1924 aufgrund der rapide gefallenen Einkommenssteuererträge bereits von der „Rentnerstadt Weimar" sprach. 62 Beide Entwicklungen führten zu einem starken Anwachsen der Gesamtbevölkerung der Stadt. Innerhalb von vierzehn Jahren vergrößerte sich die Einwohnerzahl von ca. 37.000 Einwohnern im Jahre 1914 auf ca. 50.000 Einwohner im Jahr 1928.63 Dieses starke Bevölkerungswachstums Weimars bis 1933 lief jedoch nicht wie im restlichen Thüringen vor dem Hintergrund einer Industrialisierung ab. Obwohl mit der Gründung der Waggon-Fabrik 64 im Jahr 1898 auch in Weimar ein zaghafter Prozeß der Industrialisierung begann, konnte die Stadt nie an die aufstrebenden Industriezentren in Thüringen anschließen. Von dem enormen Strukturwandel, der sich in der Wirtschaft Thüringens seit der Jahrhundertwende vollzog und im Ergebnis eines der stärksten industrialisierten Gebiete Deutschlands mit einer „Branchenvielfalt, Verkehrs- und Standortdichte [und] ohne die Ballungsgebiete und extrem strukturschwachen Zonen anderer Regionen" 65 schuf, blieb Weimar mit seinen vielen kleinen Handwerksbetrieben und einigen landwirtschaftlichen Betrieben weitestgehend ausgeklammert. Gegen Ende des Ersten Weltkrieges gab es in Weimar 38 mittlere Handwerksbetriebe, nur vier von ihnen beschäftigten über hundert Arbeiter. 66 Zu nennenswerten industriellen Neugründungen kam es in Weimar auch in den zwanziger Jahren nicht. Einzig bestimmender Großbetrieb blieb in den Folgejahren und unter dem Einfluß nationalsozialistischer Rüstungspolitik die Waggon-Fabrik bzw. die daraus hervorgegangenen Wilhelm-Gustloff-Werke. Angesichts dieses schwach entwickelten Industriesektors war die Stadt auf einen funktionierenden Handel und den Fremdenverkehr angewiesen. Die Zahl der in der Stadt der deutschen Klassik ankommenden Besucher stieg zwischen 1923 und 1930 jährlich um 5,6 Prozent an. In den Folgejahren bis 1938 verringerte sich dieses Wachstum aufgrund der langfristigen Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise jedoch auf eine jährliche Zunahme von 0,4 Prozent. 67 Als weitere Einnahmequelle versuchte Weimar immer wieder, Militär in der Stadt anzusiedeln. 68 Das Geschäftsleben der Stadt, geprägt von langjährigen „Traditionsgeschäften", hatte sich neben dem kaufkräftigen Tourismus hauptsächlich auf die finanzstarke Mittelschicht der Stadt konzentriert und einen starken Ausbau erfahren. Der Handel der Stadt war weit gegliedert, es gab eine große Zahl von Spezialgeschäften und seit den zwanziger Jahren auch einige große Kaufhäuser. 69 Ein auf landwirtschaft13

liehe Erzeugnisse spezialisierter Großhandel konnte sich aufgrund der ungünstigen Lage Weimars zwischen den Handelszentren Erfurt und Jena erst nach dem durch die Stadt finanzierten und durch Häftlinge des KL Buchenwald umgesetzten Bau einer Großmarkthalle im Jahr 1942 entwickeln. Die schwach entwickelte Wirtschaftsstruktur der Stadt mit vielen kleinen Handwerksbetrieben und die stark ausgeprägte und sozial privilegierte Mittelschicht der Stadt ließen Weimar von den Zusammenbrüchen der Wirtschaft 1923 und 1929 nicht unberührt, die Auswirkungen der beiden großen Wirtschaftskrisen der zwanziger Jahre konnten hier jedoch trotz erheblicher Notsituationen schneller als anderswo überwunden werden. Bei den Zusammenbrüchen des Arbeitsmarktes 1923 und 1929/30 gab es keine nennenswerten Unterschiede zur Gesamtentwicklung in Thüringen und im Deutschen Reich, in beiden Fällen war in Weimar aber zuerst und hauptsächlich die kleine Gruppe der Arbeiter der Stadt betroffen und erreichte erst mit einiger Verzögerung die weitaus größere Gruppe der Angestellten und Beamten. 70 Wesentlich härter trafen die Stadt die direkten Folgen der Inflation. Zu den deutlichen Verlierern der Inflation und der Währungsreform zählten in Weimar der gewerbliche Mittelstand, die mittelständische Schicht der Rentiers, die Pensionsbezieher und die Beamten und Angestellten im öffentlichen Dienst, deren Kaufkraft und Einkommen rapide sanken. 71 Die Wirtschaftskrise der Jahre 1923/24 war in Weimar von Geschäftsschließungen und erheblichen Verlusten bei den privaten Kapital- und Spareinlagen geprägt. 72 Der massenhafte Einkommensverlust der berufstätigen Bevölkerung, der damit verbundene Statusverlust und die Existenzangst vieler Angehöriger des Mittelstandes, die tiefe Verunsicherung der um ihre Spareinlagen betrogenen Pensionäre und die aufgrund des Boykotts der Landwirtschaft einsetzende Nahrungsmittelkrise mit ihren typischen Schlangen vor den Läden schufen in der Stadt ein politisches Reizklima, welches auch hier wie in ganz Thüringen im Herbst 1923 zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen führte, die sich jedoch weniger dramatisch als der Kapp-Putsch drei Jahre zuvor gestalteten, der nach der gewaltsamen Auflösung einer Versammlung vor dem Volkshaus der Stadt am 15. M ä r z 1920 acht Menschenleben gefordert hatte. 73 Trotz dieser hauptsächlich von der Arbeiterschaft der Stadt getragenen Erhebungen war die wirtschaftliche und politische Verunsicherung des Mittelstandes das eigentliche Signum der Krise in der thüringischen Kleinstadt. Der Eindruck, daß sich das Reich auf Kosten der Vermögen des Mittelstandes sanierte, 74 prägte sich tief bei den Betroffenen ein und ließ in der Folge das in Weimar existierende breite liberal-konservative Bündnis der Stadt langsam nach rechts driften. Die Arbeitslosigkeit blieb auch in den Folgejahren ein 14

dauerhaftes Problem, die ab 1925 ständig steigenden Zahlen ließen die Sozialkosten der Stadt in die Höhe schnellen 75 und trieben Weimar in eine Finanzkrise. Verschärft wurde die Situation durch die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise (1929), die Weimar neben der Schließung vieler kleiner Handwerksbetriebe hauptsächlich einen starken Rückgang des Fremdenverkehrs brachte (die Zahlen sanken bis 1934 um 40 Prozent). Die Stadt wurde der desolaten Situation ihrer Finanzen und der steigenden sozialen Not ihrer Bevölkerung nun nicht mehr Herr. 1933 wurde Weimar in die Reihe der Thüringer Notstandsgemeinden aufgenommen, Anfang des Jahres gab es eine Hungerdemonstration. In Weimar gab es Anfang 1933 12.000 Unterstützungsbedürftige, darunter 4.500 Arbeitslose und 1.700 J u gendliche ohne Existenz. 76 Lediglich die Baubranche hatte in den Krisenjahren einen leichten Aufschwung zu verzeichnen. Weimar hatte aufgrund des starken Bevölkerungswachstums eine enorme Wohnungsnot zu bewältigen, an vielen Stellen entstanden neue Beamtenwohnhäuser, hinzu kamen im Rahmen der Notstandsarbeiten durchgeführte Neubauten. 77 Erleichterung brachten der Stadt auch die Goethe-Feiern des Jahres 1932, die neben einem erneuten Anschwellen des Besucherstroms Weimar wieder in den Mittelpunkt nationalen Interesses stellten. Die politische Spitze des Reiches war nach Weimar gereist, um anläßlich des hundertsten Todestages Goethes für die bereits darnieder liegende Weimarer Republik zu werben. Dem Weimarer Bürgertum reichte diese offizielle Reichsgedächtnisfeier jedoch nicht, um seinen politischen Ort zu bekunden. Es feierte parallel eine „Stunde der deutschen Volksgemeinschaft". 78 Unter dem Eindruck der sozialen, politischen und wirtschaftlichen Krisen der zwanziger Jahre hatte sich das bürgerliche Milieu Weimars in zahlreichen Vereinen, Verbänden und Institutionen versammelt, in deren traditionellen Organisationen, die bereits seit der Mitte des 19. Jahrhunderts bestanden, 79 es auf die in Weimar ansässigen Schriftsteller, Philologen, Publizisten, Verleger und Buchhändler traf. Dieses „literarische Weimar", das sich mit der klassischen Literatur und ihren Weimarer Wirkungsstätten beschäftigte und sich ihrer Pflege widmete, kurzum sich der Rettung des klassischen Weimar verschrieben hatte, war gekennzeichnet „von überwiegend konservativen und nationalen Tendenzen, die partiell mit völkischen und latent antisemitischen Ideen eine dominante geistige Gemengelage bildete", 80 welche den Rechtsruck des Weimarer Mittelstandes erklärt. In Weimar versuchte nur ein kleiner Teil des Bürgertums in den neuen demokratischen Strukturen Fuß zu fassen, während der weitaus größere und in der politischen Richtung relativ geschlossene Teil die Bewahrung alter Strukturen bis hin zur Wiederherstellung der Monarchie zu erreichen suchte. Es waren insbesondere die DVP und die DNVP, die mit ihrer Ab15

lehnung demokratischer R e f o r m e n und der Forderung nach einer Wiederherstellung der Monarchie beim Weimarer Bürgertum großen Anklang fanden, während der linke und liberale Parteienblock in Weimar nur bei Reichstagswahlen Z u s t i m m u n g finden konnte. 3 1 In Weimar gab es keinen politischen Konsolidierungsprozeß für die junge Republik. D i e Ablehnung des „Weimarer S y s t e m s " erfolgte in der Gründungsstadt der R e p u blik p r o m p t und ist nicht nur mit den frühen und tiefen Verunsicherungen und Existenzängsten des Mittelstandes zu erklären. Die weitgehende O b struktion des Bürgertums gegenüber der Republik seit 1919 begründete sich auch in der spezifischen Gestalt des O r t e s Weimar als mythenhaftes kulturelles und politisches S y m b o l , dessen Bewahrung quer durch die sozialen Schichten auf der R a n g o r d n u n g der politischen Themen in Weimar stets obenan stand. D i e Angst, dieses Symbol könnte angesichts der veränderten sozialen, wirtschaftlichen und politischen Strukturen Schaden nehmen, trieb in Verbindung mit den Verunsicherungen durch die extremen sozialen und politischen U m w ä l z u n g e n seit 1918 das Weimarer Bürgertum in ein wertkonservatives Korsett. D i e seit dem ersten Auftreten der M o derne in Weimar beobachtbaren Bestrebungen, Weimar als „Seele aller echten Bildung und K u l t u r " 8 2 in ihrer überkommenen „Reinheit" zu erhalten und von modernen Einflüssen zu befreien, führte das Bürgertum der Stadt ohne U m w e g e z u m völkisch-konservativen Lager, das in Weimar vor diesem Hintergrund seit 1920 die stärkste politische Kraft war. 83 Unterstützt wurde das Weimarer Bürgertum in seiner politischen A u s richtung durch die evangelische Kirche, die wesentlichen Einfluß auf das politische L e b e n der Kleinstadt Weimar besaß. 84 D i e Kirche Weimars stand den politischen K ä m p f e n zwischen 1920 und 1933 nicht unbeteiligt gegenüber, die kirchlichen und politisch-kulturellen Kreise waren vielmehr traditionell eng miteinander verbunden bzw. identisch und repräsentierten gemeinsam das beschriebene konservative K l i m a der Stadt. 8 5 D e r Protestantismus fühlte sich auch in Weimar von den Folgen der Revolution von 1918 getroffen, die das landesherrliche Kirchenregiment beendete und die Kirche unvorbereitet in eine parteipluralistische und religiös zunehmend indifferente Gesellschaft entließ. D e r Verlust des politischen Machtpartners und der wachsende Einfluß der Linksparteien sowie die Stärkung des politischen Katholizismus im Reich wurden als B e d r o h u n g empfunden und bestärkten weite Teile der ohnehin in ihrem sozialen Status verunsicherten Weimarer Kirchenmitglieder in ihrer Ablehnung der d e m o kratischen Republik und der H i n w e n d u n g zu den rechtsliberalen und konservativen Parteien. 8 6 Weimar gehörte früh zu den H o c h b u r g e n der „Deutschen C h r i s t e n " in Thüringen, 8 7 die hier bei den Landeskirchentagswahlen am 22. Januar 1933 mehr als ein Drittel und bei den von Hitler

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initiierten Nachfolgewahlen im Juli des gleichen Jahres sogar mehr als zwei Drittel aller abgegebenen Stimmen auf sich vereinigen konnten. 8 8 Dieser Schulterschluß von rechter Politik und Religion und der starke Wertekonservatismus des Weimarer Mittelstandes ermöglichten auch dessen frühes Interesse für die NSDAP. Die Partei, die sich in Thüringen seit Februar 1922 zu organisieren begann und in Weimar unter Hans Severus Ziegler 8 9 im Februar 1925 k u r z nach ihrer N e u g r ü n d u n g und der Verlegung der Landesparteizentrale unter dem ersten Gauleiter A r t u r Dinter 9 0 und dem Gaugeschäftsführer und späteren Gauleiter Fritz Sauckel 91 eine Ortsgruppe bildete, fand in dem beschriebenem antidemokratischen und völkischen Klima der Stadt schnell Rückhalt im Bürgertum. 9 2 Es waren die Kreise des „literarischen Weimar" mit ihren völkischen und antisemitischen Protagonisten, die den Nationalsozialisten in der Stadt früh eine H e i m a t boten bzw. an ihrem A u f b a u direkt mitwirkten. Für das mehrheitlich national-konservativ eingestellte Weimarer Bürgertum w a r sowohl das „Samm e l s u r i u m antisozialistischer, antisemitischer und antidemokratischer Ideen" 9 3 der zahlreichen nationalistischen und völkischen Vereine 94 sowie der rechtskonservativen D N V P als auch zunehmend die extreme Ideologie der N S D A P eine wichtige Integrationsideologie. Prägend wirkten dabei die Utopievorstellungen von einer „deutschen Volksgemeinschaft", die einen A u s w e g aus der sozialen und politischen Krise des Mittelstandes versprachen und darüber hinaus als Modell für eine neue politische O r d n u n g ohne die „undeutschen" demokratischen Politikformen der Republik dienen sollten. 95 Die in den zwanziger Jahren zahlreichen rechten Aufmärsche mit Uniformen, Fahnen, militärischen Grußformeln und die an die Zeit des Großherzogs erinnernden Rituale im Kulturleben der Stadt verkörperten die Suche der „patriotischen Bürger" nach politischen Alternativformen und ihren Protest gegen die politischen und sozialen U m w ä l z u n g e n . W i e anderswo bildete auch in Weimar die N S D A P für das Bürgertum lediglich „eine neue, erfolgversprechende Variante längst bekannter und etablierter Ideen, Politikformen und U b e r z e u g u n g e n ; der Schritt von der D V P [und der D N V P ] zur N S D A P w a r klein und leicht, völkische Ü b e r z e u g u n g e n und Politik waren schon seit den frühen zwanziger Jahren eine politische Option des Bürgertums. Letztlich wechselte das Milieu nur seine politische Repräsentanz, blieb im übrigen jedoch unangetastet." 9 6 Dieses Verhalten, welches eben nicht mit einer A u f g a b e des eigenen sozialmoralischen M i lieus einherging, ermöglichte neben dem frühen Wechsel des Bürgertums nach rechts auch den „schleichenden Machtübergang" der Nationalsozialisten in Weimar, der ohne eine Zerstörung der bürgerlichen Mentalitäten erfolgte. 9 7 Es waren hauptsächlich bzw. fast ausschließlich die konservativen und völkischen Elemente der Parteiideologie, die in Weimar A n h ä n g e r fan-

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den, während das Charisma einer jungen, unverbrauchten und revolutionären Partei in Weimar auf Ablehnung stieß. Die NSDAP war für das Weimarer Bürgertum vor allen Dingen eine Partei, in der es seine Hoffnungen auf eine Wiederherstellung der alten Privilegien und eine Restaurierung des Symbols Weimar repräsentiert sah, während es der „modernen Bewegung" NSDAP, die ihre Vorstellungen des „neuen Deutschland" ab 1937 in Weimar mit dem Beginn des Ausbaus der Stadt zu einer nationalsozialistischen Kultstätte manifestieren wollte, ablehnend gegenüberstand. Diese Illusion einer Machtteilung währte lange. Im Dezember 1932 - die Nationalsozialisten hatten im Sommer in Thüringen die Macht übernommen - traten NSDAP, DNVP und DVP gemeinsam zu den Stadtratswahlen an. Zur Reichsgründungsfeier im Januar 1933 marschierten die Konservativen und die Nationalsozialisten noch gemeinsam durch Weimar, jedoch zwei Wochen später, beim Marsch anläßlich der Machtübernahme Hitlers in Berlin, befanden sich die konservativen Vereine bereits im Troß von SA, SS und Hitlerjugend. 98 Die Etablierung nationalsozialistischer Macht in Weimar verlief reibungslos. Unter der Tätigkeit des ersten nationalsozialistischen Ministers in einer Landesregierung Deutschlands, dem thüringischen Innen- und Volksbildungsminister Wilhelm Frick," begannen mit Hilfe eines von Frick erarbeiteten Ermächtigungsgesetzes („Kampf gegen marxistische Verelendung") 100 in Thüringen bereits ab März 1930 die ersten „Gleichschaltungsmaßnahmen", die zum Vorbild für die ab März 1933 laufende „Gleichschaltung" im Reich werden sollte. Mittels des Gesetzes wurde hauptsächlich die Unterwanderung der Polizei mit Nationalsozialisten betrieben, die in Weimar mit der Ernennung zweier NSDAP-Mitglieder zum Weimarer Polizeidirektor bzw. dessen Stellvertreter ihren Höhepunkt feierte. Gleichzeitig erhielt NSDAP-Gauleiter Sauckel eine Liste mit 371 neueinzustellenden Polizisten zur Uberprüfung vorgelegt. Weiter ließ Frick zwei Landräte in den Wartestand versetzen, einer davon war SPDMitglied, gleiches geschah leitenden Beamten im Volksbildungsministerium. Hier mußten zwei Oberregierungsräte (SPD-Mitglieder) ihre Plätze räumen, aufgenommen hingegen wurden drei „ehrenamtliche Referenten" mit NSDAP-Parteibuch, darunter Ziegler. 101 Die kommunale Selbstverwaltung Weimars bekam diese Säuberungsmaßnahmen mit der Neubildung der Stadt- und Kreisräte im April 1933 auf Grund des „Gleichschaltungsgesetzes" 102 zu spüren. Wie auch auf Länderebene wurden die Stadtparlamente neu gebildet, wobei KPD und SPD nicht mehr zugelassen wurden. An die Stelle des im April 1933 letztmalig gewählten Stadtrates traten mit Einführung der „Deutschen Gemeindeordnung" (DGO) im Januar 1935 24 Ratsherren, die nicht mehr gewählt, sondern durch den Reichsstatthal18

ter Sauckel eingesetzt wurden. In diesem Gremium, das in seiner Zusammensetzung die Symbiose von Nationalkonservativen und Nationalsozialisten verkörperte, wurden ab 1937 auch alle Fragen der Beziehungen zwischen den kommunalen Institutionen Weimars und dem KL Buchenwald besprochen. 103 Erst im Sommer 1937, und auch dies zeigt das lange Nebeneinander von Nationalkonservativen und Nationalsozialisten, wurde der seit 1920 (!) amtierende national-konservative Weimarer Oberbürgermeister Mueller104 durch einen Nationalsozialisten ersetzt.105 Am 14. Juni 1937 ließ Sauckel über den Bürgermeister Thomas mitteilen, daß Mueller ihn um seine „Beurlaubung" gebeten habe. Gleichzeitig bat er die Ratsherren, „etwaigen Gerüchten über die Ruhestandsversetzung des Oberbürgermeisters entgegenzutreten und in der Bevölkerung aufklärend zu wirken." 106 Abschließend ließ Sauckel erklären, daß er dem Gremium demnächst einen neuen Kandidaten vorstellen werde. Nachdem Sauckel als neuen Oberbürgermeister den Rechtsanwalt Otto Koch107 aus Ingolstadt vorgeschlagen hatte, wurde dieser nach seiner nichtöffentlichen Vorstellung am 17. September 1937 „ernannt" und am 1. Oktober 1937 in sein Amt eingeführt. 108 Die kommunalpolitischen Themen blieben in den Jahren nach 1933 bis Kriegsanfang dieselben. Die Stadt hatte weiterhin mit einer desolaten Haushaltssituation und einer großen Wohnungsnot zu kämpfen. Das Problem fehlender Wohnungen wurde nach 1933 von den Nationalsozialisten durch ein extrem forciertes und politisch instrumentalisiertes Wohnungsbauprogramm 109 bis 1938 weitgehend gelöst. Diese zum Teil umfangreichen Baumaßnahmen mußten finanziell von der Stadt getragen werden, so daß die schwierige Haushaltssituation der Stadt auch nach dem Rückgang der Arbeitslosigkeit und der damit verbundenen relativen Entlastung des kommunalen Haushaltes seit 1936 bis zum Kriegsbeginn 1939 andauerte. 110 Die schwierige Haushaltssituation ließ die Stadt neuen finanziellen Belastungen stets abwehrend gegenüberstehen; ein Umstand, der sich auch auf das Verhältnis Weimars zum KL Buchenwald auswirkte." 1 Die wirtschaftliche N o t Weimars konnte in den Jahren bis 1937 überwunden werden, 1938 hatte Weimar wieder den Zustand der relativen Vollbeschäftigung erreicht.112 Das „NS-Wirtschaftswunder" gelang in Weimar neben den zentralen Wirtschaftsbelebungsmaßnahmen 113 mittels des starken Ausbaus der Waggon-Fabrik, die seit 1936 zur Rüstungsfabrik umgebaut wurde. Nach der Arisierung der Suhler Simson-Werke, einer in Thüringen mit Monopolfunktion ausgestatteten Waffenfabrik (Maschinengewehrproduktion), wurde im Mai 1936 die in Weimar ansässige nationalsozialistische Wilhelm-Gustloff-Stiftung gegründet.114 Im gleichen Jahr kauften die Berlin-Suhler-Waffen- und Fahrzeugwerke G m b H 19

die inzwischen konkurrenzunfähige Waggon-Fabrik auf. Sie wurde in die Gustloff-Stiftung eingegliedert und weitgehend auf Waffenproduktion umgestellt. Der Betrieb, 1937 nach dem Stiftungsführer und thüringischen Gauleiter Fritz Sauckel benannt und als NS-Musterbetrieb geführt, erfuhr in den Folgejahren einen starken Ausbau 1 1 5 und vergrößerte ständig die Belegschaftszahlen. 116 Die ehemalige Waggon-Fabrik war damit der mit Abstand größte Arbeitgeber Weimars geworden. Mit den wieder anziehenden Zahlen des Fremdenverkehrs ab 1934 begann sich auch die Lage des Handels zu verbessern. Die Gründung des K L Buchenwald im Juli 1937 stand daher in Weimar nicht wie vier Jahre zuvor in Dachau für Konjunkturhoffnungen, 117 die Gewerbetreibenden gingen zu dem neuen Wirtschaftsfaktor zunächst sogar auf Distanz. 118 Ähnlich der reibungslosen politischen Machtübernahme erfolgte auch die Instrumentalisierung der Kulturstadt Weimar für die NS-Ideologie. Die Indienstnahme Weimars als Mythos für eine nationale und totalitäre Idee hatte - unter tatkräftiger Mithilfe der Weimarer Kulturelite - bereits vor 1933 begonnen, nach 1933 wurde sie lediglich forciert. Die Stadt entwickelte sich verstärkt zum Aufmarschplatz der Nationalsozialisten, die möglichst alle Teile ihres Ideologiekonzeptes durch die in Weimar inkarnierten Werte der Klassik aufwerten wollten. Die Vereinnahmung gipfelte in der Schaffung eines „Neuen Weimar". 1935 wurde Weimar zur Gauhauptstadt des „Mustergaues Thüringen" ernannt, mit dem Beginn des Aufbau des Gauforums 1 1 9 ein Jahr später und der Planung weiterer Monumentalbauten, 120 dem weiteren Ausbau des 1933 gegründeten Thüringer „Amtes für Rassewesen" 1 2 1 und der regelmäßigen Zelebrierung großer Aufmärsche und Treffen von Reichsverbänden der Partei in der Stadt 122 sollte Weimar zu einem „sinn- und machtvollen Denkmal für Reich und Führer" 1 2 3 werden. Dies sollte der kleinen Gauhauptstadt zu einer besonderen Stellung im Reich verhelfen. Zu diesem „neuen Weimar" gehört auch das 1937 errichtete K L Buchenwald, mit dem Sauckel starke SS-Verbände bei Weimar stationieren konnte. Das Jahr 1937, in dem die Baustelle zum Gauforum konkrete Formen an- und das K L Buchenwald seinen Betrieb aufnahm, steht für eine wichtige Zäsur in der Stadtgeschichte Weimars. So wie sich im ganzen Reich das NS-Regime auf den Höhepunkt seiner Integrationskraft und Beliebtheit befand und aus dieser Perspektive heraus an einen beschleunigten Umbau des Reichs zu einem NS-Staat ging, so wurde in Weimar die innere Stabilisierung für einen beschleunigten Aufbau des „Mustergaus Thüringen" und seiner Gauhauptstadt benutzt. Man konnte sich dabei auf den Konsens mit der Stadtbevölkerung, demonstriert in Massenaufmärschen, verlassen. Daß sich hinter dieser Fassade glänzender Feiern, Rituale und 20

neuer politischer Erfolge auch der Umbau Weimars zum Teil eines Ü b e r wachungs- und Herrschaftsstaates vollzog, focht die Stadtbevölkerung nicht an. Insbesondere die Kulturelite der Stadt hatte nichts gegen eine Verschärfung der Rassenpolitik und eine Ausweitung des Terrorapparates einzuwenden. Zufriedengestellt mit der Aufwertung Weimars zum neuen Wertezentrum des Reiches, nahm sie alles hin, was den Sinn der Symbole der Stadt pervertierte. N u r wenn das entstehende „neue Weimar" den musealen Charakter der Stadt zu verletzen drohte, regte sich Widerstand gegen die „Fremdbestimmung" Weimars. Der Bau des G a u f o r u m s wurde mit seiner brutalen Zerstörung alter Stadtbebauung als solch ein Akt der Fremdbestimmung empfunden, 1 2 4 ebenso die Errichtung des KL Buchenwald, welches zunächst den N a m e n Ettersberg tragen sollte. Die im Sommer 1934 gegründete NS-Kulturgemeinde (NSKG) 1 2 5 hatte sich kurz vor ihrer Auflösung im September 1937 an den Inspekteur der Konzentrationslager und SS-Wachverbände, Theodor Eicke gewandt. Dieser berichtete Himmler daraufhin, daß „die angeordnete Bezeichnung ,K. L. Ettersberg' nicht angewendet werden kann, da die N . S.-Kulturgemeinde in Weimar hiergegen Einspruch erhebt, weil Ettersberg mit dem Leben des Dichters Goethe im Zusammenhang steht." 126 Aus diesem und anderen G r ü n d e n erfolgte am 28. Juli die U m b e n e n n u n g des Lagers in „KL Buchenwald". 1 2 7 Ortsverbandsobmann der N S K G , die sich im wesentlichen als eine „Theaterbesuchsorganisation" verstand, war der seit 1929 in Weimar lebende Schriftsteller und Lektor Dr. H a n s Joachim Malberg, der bis 1933 Feuilletonredakteur verschiedener Thüringer Zeitungen war und nach 1950 den Weimarer Kinderbuchverlag Gebr. Knabe als Cheflektor leitete. 128 Vorsitzender des Spielplanausschusses der N S K G war der Literaturwissenschaftler und Herausgeber Prof. Max Hecker, der von 1924 bis 1936 die Herausgabe des „Goethe-Jahrbuches" leitete, an der „Sophienausgabe" der Werke Goethes mitarbeitete und ein weltweites Renommee als Begründer der Weimarer Goethephilologie genoß. 129 Auch die weiteren Mitglieder der N S K G entstammten z u m größten Teil den Kreisen des „literarischen Weimar". Es blieb bei diesem Einspruch gegen den N a m e n des Konzentrationslagers, er ist die einzig bekannte Reaktion der Stadt auf den Bau des Lagers. Während die Errichtung des KL Buchenwald im Zusammenhang mit den anderen Gebilden des „neuen Weimar" als Akt der Fremdbestimmung kritisiert wurde, hatte man gegen das Konzentrationslager als O r t der Garantie einer „deutschen Volksgemeinschaft" nichts einzuwenden.

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1.3. Die Errichtung des K L Buchenwald 1937 Bereits Anfang März 1933, vier Jahre vor Errichtung des Konzentrationslagers Buchenwald, wurde in der Nähe Weimars als erstes Konzentrationslager in Deutschland überhaupt, das „Sammellager N o h r a " für inhaftierte KPD-Funktionäre in drei Räumen des zweiten Stockwerkes im Hauptgebäude der Heimatschule „Mitteldeutschland" eingerichtet. 130 Hier waren 200 Gefangene untergebracht, bewacht von den Schülern der Heimatschule, die als Hilfspolizisten agieren durften; ihr Direktor Pirch war mit der Beaufsichtigung des Lagers beauftragt. 131 Einige der Gefangenen wurden zeitweilig in einer Halle des nahegelegenen Flugplatzes Nohra untergebracht. Sie mußten hier auf dem kalten Betonfußboden kampieren, jegliche ärztliche Hilfe wurde ihnen verweigert. Für die Verpflegung der Häftlinge war das Thüringer Wirtschaftsamt im Ministerium des Innern zuständig, welches im März und April 1933 für das Sammellager Nohra 5.429 Verpflegungstage zählte, was auf durchschnittlich 95 Gefangene schließen läßt.132 Nohra, eines der zahlreichen „regionalen Lager unter staatlicher Kontrolle", 133 wurde im Juli 1933 wie viele andere Lager auch im Zuge der Konzentration der Schutzhäftlinge in größeren Lagern aufgelöst. 134 Nachfolger in Thüringen war das Konzentrationslager in Bad Sulza, welches am 2. November 1933 eröffnet wurde und wie Nohra dem Thüringischen Ministerium des Innern unterstand. 135 Das Lager war in einem Gebäude untergebracht, das bis dahin als Hotel und Textilfabrik genutzt worden war. Hier wurden im ersten Geschoß männliche Schutzhäftlinge, im zweiten Geschoß weibliche Schutzhäftlinge sowie die Werkstätten untergebracht. Insgesamt sollte das Lager 250 Insassen beherbergen, tatsächlich bewegten sich die Zahlen in den folgenden Jahren bis 1937 aber lediglich zwischen 100 und 120 Häftlingen. 136 Als Kommandant wurde bis Juli 1936 der Kriminalsekretär Carl Haubenreißer eingesetzt, ihm unterstanden als Wachpersonal ca. 80 SA- und SS-Leute. Im Monat seiner Errichtung hatte das K L Bad Sulza zwischen 50 und 60 Häftlinge; vorwiegend „frühere kommunistische Landtagsabgeordnete und führende Funktionäre der K P D " , aber auch andere „Personen, bei denen eine längere Schutzhaft erforderlich" 137 erschien. Bad Sulza, welches im Zuge der zweiten Reorganisationsphase des KL-Systems am 1. April 1936 der alleinigen SS-Verwaltung übergeben wurde, war bis 1937 das einzige Konzentrationslager in Thüringen und dazu bestimmt, alle thüringischen Schutzhäftlinge aufzunehmen. Nach seiner Auflösung im Sommer 1937 blieb das ehemalige Lager zunächst ungenutzt, bis es ab 1940 als KriegsgefangenenMannschafts-Stammlager (Stalag) IXc der Wehrmacht für französische Kriegsgefangene weitergenutzt wurde. 22

Wie in Bayern, so gab es auch in Thüringen keine Konkurrenz zwischen den von SA- und SS-Mannschaften bewachten Lagern und den Innen- und Justizbehörden, da sowohl Nohra als auch Bad Sulza der Staatsaufsicht unterstanden. 138 Himmler hatte auch in Thüringen als Leiter des selbständigen, von der allgemeinen Landesverwaltung abgetrennten Geheimen Staatspolizeiamtes in Weimar 139 die Einweisungsbehörde und als Leiter der Politischen Polizei die Wacheinheiten des KL Bad Sulza unter seiner Kontrolle und konnte in dieser Funktion Eingriffsversuche der thüringischen Justiz- und Innenbehörden abwehren. Im Mai 1934 beauftragte Himmler den Dachauer Lagerkommandanten Theodor Eicke, 140 das in allen Ländern außer Preußen bereits zentralisierte Lagersystem zu reorganisieren und in Preußen ein einheitliches Lagersystem aufzubauen. 141 Trotz rückläufiger Häftlingszahlen beabsichtigte Himmler mit Billigung Hitlers, die Konzentrationslager aus ihrer Funktion eines vorläufigen Repressionsinstrumentes zur Etablierung des Regimes herauszulösen und zu Dauereinrichtungen mit dem Zwecke der präventiven Inhaftierung aller Regimegegner unter alleiniger Herrschaft der SS umzuformen. Eicke löste das seit März 1933 bestehende Lager Oranienburg auf und organisierte die Lager Lichtenburg, Esterwegen sowie das Columbia-Haus in Berlin um. Dabei stand neben einem rigorosen Personalwechsel und der weiteren Abschottung der Lager gegenüber der U m welt die Umstrukturierung der inneren Lagerverwaltung nach dem „Dachauer Modell" 142 im Vordergrund. Am Ende dieser ersten Umbauphase der Konzentrationslager, in deren Folge im Sommer 1934 auch das spätere zentrale Lenkungs- und Kontrollinstrument der Konzentrationslager, die „Inspektion der Konzentrationslager" mit Theodor Eicke an der Spitze entstand, 143 bestanden im Frühsommer 1935 neben einigen kleineren Lagern - die nicht als Konzentrationslager unter SS-Verwaltung geführt wurden - 144 die Lager Esterwegen, Lichtenburg, Moringen, Dachau und Sachsenburg mit ungefähr 3.600 Häftlingen. Obwohl mit diesem Umbau der Lager die innenpolitische Sicherung des Regimes auch für nationalsozialistische Maßstäbe weitgehend umgesetzt schien, wurde der weitere Ausbau des Systems der Konzentrationslager vor dem Hintergrund fortgesetzter Machtkämpfe - insbesondere zwischen Himmler und dem Reichsinnenminister Frick - von Himmler weiterbetrieben. 145 Wiederum mit Hitlers Billigung konnte Himmler im Laufe des Jahres 1935 durchsetzen, daß die bisherigen Konzentrationslager beibehalten bzw. durch größere ersetzt und die Wachtruppen in den Lagern vergrößert und um „stehende Truppen" zur „Lösung von Sonderaufgaben polizeilicher Natur" und „für den Mobilmachungsfall" 1 4 6 ergänzt wurden. Darüber hinaus erlangte Himmler mit seiner am 17. Juni 1936 vollzogenen 23

und bereits im Oktober 1935 zugesagten Ernennung zum „Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei" die alleinige Kompetenz über die gesamte Polizei im Reich. Dieser zweite Funktionswandel des Systems der Konzentrationslager, der die Lager nun nicht mehr nur zu Orten der „politischen Gegnerbekämpfung" machte, sondern im Sinne einer „rassischen Generalprävention" 147 auch alle jene zu Gegnern der „Volksgemeinschaft" erklärte, die als „minderwertig" galten, wurde durch den Aufbau über das Reich verteilter großer Konzentrationslager eingeleitet. Sie sollten zusätzlich Raum für die Schulung und Kasernierung der Totenkopfverbände 148 bieten und für die im Kriegsfall geplanten Massenverhaftungen „aller Staatsfeinde" genügend Raumkapazitäten bereitstellen.' 49 Vorgesehen war ein Konzentrationslager in der Nähe von Hamburg, dessen Bau nicht realisiert werden konnte, ein Lager im Zentrum des Reiches in der Nähe Berlins (1936: Sachsenhausen), der Ausbau des Lagers Dachau sowie der Neubau eines großen Konzentrationslagers in Mitteldeutschland, mit dessen Realisierung erst 1937 mit der Errichtung des KL Buchenwald begonnen wurde. 150 In diesem Sinne wurden die 1936 bestehenden fünf Sturmbanne der SS-Wachverbände zu drei Standarten (später Totenkopfregimenter) zusammengefaßt und nach und nach auf die neuen Standorte verteilt: Standarte I in Oberbayern, Standarte II in Brandenburg, Standarte III in Thüringen.' 51 Mit Abschluß dieser Umbauphase war ein zentral geleitetes System von Konzentrationslagern entstanden, welches sich nicht mehr auf die politische Gegnerbekämpfung beschränkte, sondern auch der Ausgrenzung und Verfolgung all der Menschen diente, „die nicht dem Idealbild der rassisch definierten Volksgemeinschaft entsprachen" und darüber hinaus die Ausschaltung „jedes auch nur mutmaßlichen innenpolitischen Gegners für den Zeitpunkt des zu dieser Zeit vom Deutschen Reich geplanten Angriffkrieges"' 52 ermöglichen sollte. Die Planungen, Thüringen als Ort für das dritte große Konzentrationslager auszuwählen, kamen den bereits beschriebenen Vorstellungen Sauckels von einem „Mustergau Thüringen" entgegen. Sauckel wollte in der Nähe der Landeshauptstadt Weimar starke SS-Verbände stationieren. Nur zwei Monate, nachdem zwischen Himmler und Hitler die wesentlichen Entscheidungen zum weiteren Ausbau des KL-Systems gefallen waren, traf der nunmehr in seiner Position gestärkte Theodor Eicke mit dem thüringischen Gauleiter am 20. Mai 1936 zusammen, um die Errichtung eines Konzentrationslagers in Thüringen zu besprechen. Eicke, der für die Finanzierung des neuen Lagers zunächst keinerlei Gelder zur Verfügung hatte, drängte auf eine rasche Umsetzung des Vorhabens, nachdem Himmler sich mit der Verlegung des preußischen KL Lichtenburg nach Thürin24

gen einverstanden erklärt hatte. Für die Errichtung des Lagers, das neben 3.000 Gefangenen auch eine Kaserne für den II. SS-Totenkopfsturmbann „Elbe" aufnehmen sollte, kalkulierte Eicke eine Neubausumme von 1,2 Millionen Reichsmark, die allerdings das Land Thüringen selbst aufbringen sollte. 153 Er wies Sauckel, der zunächst nur an einem Ausbau des bestehenden Lagers Bad Sulza interessiert war, auf die Möglichkeit einer Staatsanleihe über den Weg einer direkten „Führerentscheidung" während der „Tage von Weimar" 154 hin, mit der Thüringen finanziell entlastet werden könnte. Im anderen Falle, so Eickes Drohung, „wird sich die Auflösung des Gefängnisses Bad Sulza nicht aufhalten lassen, da die Verwaltungs- und Transportkosten zu dem tatsächlichen Nutzen und Zweck dieser Einrichtung in keinem Verhältnis stehen." 155 Ob Sauckel anläßlich des Besuchs Hitlers in Weimar im Juli 1936 die Angelegenheit überhaupt zur Sprache brachte oder ob sich Hitler zunächst nicht entscheiden wollte, ist ungewiß, jedenfalls ruhte das nach wie vor nicht gelöste Problem bis Ende Oktober 1936. Erst am 27. Oktober meldete sich Eicke wieder bei Sauckel, der immer noch am Ausbau des Lagers Bad Sulza festhielt. Eicke sprach nun bereits von 6.000 Gefangenen und einer benötigten Fläche von 60 Hektar. Sauckel bekam von Eicke nun ein Ultimatum gesetzt: „Es haben sich bereits mehrere preußische Städte um die Verlegung und Zuweisung dieses Lagers bemüht und Mittel hierfür in Aussicht gestellt. Die Verlegung des Lagers muß bis Frühjahr [1937] durchgeführt sein. Aus diesem Grunde bitte ich um Mitteilung, ob Thüringen an der Neueinrichtung eines Konz.-Lagers weiterhin festhält, andernfalls würde ich die auf preußischem Staatsboden gebotenen Gelegenheiten ins Auge fassen." 156 Während Sauckel auch nach diesem Schreiben am Ausbau des KL Bad Sulza festhielt und entsprechende Pläne dem Chef der Reichskanzlei Lammers zur Genehmigung vorlegte, 157 ließ er gleichzeitig seinen Oberregierungsrat Hellmuth Gommlich 158 nach einem geeigneten Terrain für einen Neubau suchen. Gommlich schlug Eicke im November 1936 das Staatsgut Magdala vor, daß jedoch wegen seiner landwirtschaftlichen Bedeutung nicht in Frage kam. Ein anderer Vorschlag, ein neues Lager in der Nähe Bad Berkas zu errichten, fand ebenfalls keine Zustimmung bei Eicke. 159 Nachdem auf diesem Weg keine Einigung erzielt werden konnte, traf man sich am 27. April 1937 im SS-Hauptamt Berlin. Auf dieser Besprechung, an der neben Eicke, Pohl, Best und weiteren SS-Oberführern auch Gommlich teilnahm, wurde beschlossen, einen Neubau in Thüringen zu verschieben und erst ein neues Lager in der Nähe von Halle zu errichten. Trotzdem bat Eicke Gommlich, ihm weitere Vorschläge für ein Lager in Thüringen zu machen. 160 Gommlich, der erkannte, daß diese Entscheidung die Existenz 25

eines Konzentrationslagers in Thüringen überhaupt gefährdete, versuchte, mit einer extrem beschleunigten Standortsuche den Neubau eines K L in Thüringen zu retten. N o c h am selben Tag beauftragte Gommlich die Geologische Landesanstalt Jena mit der Suche nach einem Gelände in der Nähe Weimars in der „Größe von 75 ha (schlechter Boden oder auch Wald), in dessen Nähe sich abbaufähiger Lehm- oder Tonboden befindet. Die Lagerinsassen sollen im Rahmen des Vierjahresplanes mit der Herstellung von Ziegeln beschäftigt werden." 161 Die Antwort der Geologen erhielt er binnen zweier Tage: „Ettersberg-Hottelstedt". A m 29. April 1937 schrieb er an Eicke, an der „Nordwestecke des Staatlichen Forstes Ettersburg" ein entsprechendes Gelände mit Lehm- und Tonlagern gefunden zu haben. Gleichzeitig teilte er Eicke Sauckels Einverständnis für einen Neubau mit. 162 Vor allen staatlichen Stellen hatte Gommlich für diesen Standort nach der Absage Magdala diesmal die Zustimmung der Landesbauernschaft vorsorglich eingeholt: 163 „In einer gemeinsamen B e s p r e c h u n g hat mir die L a n d e s b a u e r n s c h a f t die E r k l ä r u n g abgegeben, daß die Errichtung des Lagers an d e m von mir vorgeschlagenen Platze ihre vollste Z u s t i m m u n g findet und sie dringend d a r u m bittet, den Plan s o schnell wie möglich zu verwirklichen. Abgesehen davon, daß in der N ä h e des Lagers abbaufähige Lehmschichten vorhanden sind, liegt das L a g e r insofern günstig, als v o n dort aus die in nächster N ä h e (nordwestlich und westlich) liegenden H a u p t r ü b e n felder - etwa 5.000 ha - zu erreichen sind. D a s geplante L a g e r liegt insofern sehr günstig, als es v o m Mittelpunkt der Stadt Weimar k n a p p 10 k m entfernt ist."

Eicke gab am 5. Mai 1937 telefonisch seine Zustimmung zum neuen Standort, besichtigte am 18. Mai 1937 gemeinsam mit Pohl das Gelände, sprach nunmehr von 8.000 Gefangenen und 1.300 SS-Leuten Wachpersonal und teilte Sauckel auf diesem Wege seinen Beschluß mit, das neue K L nach Weimar zu verlegen. 164 Für die nun folgende Errichtung des Lagers, dessen Fläche sich zum Teil auf Waldflächen unter Verwaltung des Thüringischen Forstamtes Ettersburg und zum anderen Teil auf einer Vielzahl von privaten und landwirtschaftlich genutzten Grundstücken befand, waren umfangreiche Grundstücksankäufe durch das Reichsinnenministerium notwendig, die wiederum von Gommlich durchgeführt worden. 165 Insgesamt wurden 369.568,17 R M für den Grunderwerb ausgegeben, davon entfielen ca. 240.000,00 R M auf den Ankauf des Geländes vom Thüringischen Forstamt, 166 46.189,02 RM auf den Ankauf von 28 landwirtschaftlich und privat genutzten Grundstücken 167 sowie 79.522,65 R M auf den später erfolgenden Ankauf eines Wohngeländes für die SS. Die Grundstücksankäufe zogen sich auch wegen der notwendigen Einschaltung weiterer Behörden 168 bis Anfang 1938 hin, eine Schlußabrechnung erfolgte erst am 3. März 1938.169

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Mit dem IKL-Befehl Eickes vom 7. Juli 1937 wurde die unmittelbare Errichtung des Lagers eingeleitet. Das K L Bad Sulza wurde mit Wirkung vom 9. Juli 1937 aufgelöst, die dortigen 120 Häftlinge in das K L Lichtenburg gebracht. Das K L Sachsenburg sollte zum 16. Juli 1937 aufgelöst werden. Am 28. Juli 1937 erhielt das neue Lager seinen endgültigen Namen: „Konzentrationslager Buchenwald/Post Weimar". 170 Der erste Sturmbann des neuen 3. SS-Totenkopfverbandes „Thüringen" erreichte Buchenwald am 10. Oktober 1937, insgesamt wurden 1937 1.178 Angehörige der SS in Buchenwald stationiert. 171 Nach der Errichtung Buchenwalds und dem Abschluß des Ausbaus des K L Dachau bestanden nun mit Dachau, Sachsenhausen und Buchenwald drei große Konzentrationslager in Deutschland, die insgesamt Platz für 15.000 bis 20.000 Häftlinge bieten sollten. Die Stadt Weimar war an dem Entscheidungsprozeß, der zur Verlegung des neuen Konzentrationslagers in die Nähe Weimars führte, nicht beteiligt, sie wurde erst in Fragen der Eingemeindung und der Versorgung des Lagers eingeschaltet. Auch im Fall Buchenwald hatte wie bei der Gründung des Lagers Dachau im März 1933 die Lagergründung ohne Rückgriff auf den spezifischen wirtschaftlichen und soziopolitischen Hintergrund der Stadt Weimar stattgefunden. 172 Die ersten Häftlinge kamen Mitte Juli 1937 nach Buchenwald. 173 Es waren 149 Gefangene aus dem K L Sachsenhausen. Ende August 1937 hatte das Lager bereits über 1.000 Häftlinge und am Ende des Jahres 1937 waren bereits mehr als 2.500 Männer in Buchenwald inhaftiert. Die Häftlingsgesellschaft bestand im ersten Jahr hauptsächlich aus Vorbeugungshäftlingen und Schutzhäftlingen. 174 Dies änderte sich kurzfristig durch die Einlieferungen jüdischer Häftlinge im Herbst 1938 175 sowie durch die Verhaftungsaktionen unmittelbar vor und nach Kriegsbeginn 1939176. Die Einlieferungsschübe hatten mit den von ihnen verursachten extremen Ausnahmesituationen im Lager langfristige Folgen für die Weiterentwicklung des Lagers und übten einen hohen Veränderungsdruck auf die Häftlingsgesellschaft aus. Überdies hatten sie eine totale Uberforderung der Lagerverwaltung, einen exzessiven Terror der SS, und mit dem Kollaps von Teilen der Infrastruktur auch Epidemien zur Folge, die die Umwelt erreichten. 177 Mit der Aktion „Arbeitsscheu Reich" (ASR) 1 7 8 erreichte das Lager bereits im ersten Halbjahr 1938 die erst für später geplante Lagerstärke von über 6.000 Häftlingen. Nach der Einlieferung politischer Häftlinge im Spätsommer 1939, dem Rückgang der Zahlen der ASR-Häftlinge 179 sowie der Reduzierung der Gruppe der Berufsverbrecher ab Winter 1938/39 wurde die seit 1938 wachsende Gruppe der politischen Häftlinge 27

endgültig zur stärksten Gruppe des Lagers und blieb in ihrer Stabilität bis Kriegsende trotz des zahlenmäßigen Ubergewichts anderer Gruppen die bedeutendste Häftlingsgruppe des Lagers. Bis Mitte 1942 änderte sich an dieser zahlenmäßigen Zusammensetzung der Lagergesellschaft nichts mehr, auch die seit 1938 bzw. seit Kriegsbeginn in Buchenwald eintreffenden ausländischen Häftlinge - polnische, tschechische und niederländische Juden sowie Polen, Niederländer und sowjetische Kriegsgefangene 180 - hatten keinen Einfluß auf die Häftlingsgesellschaft; die als sogenannte „Reichsdeutsche" geführten Häftlinge aus Deutschland und Osterreich bildeten die absolute Mehrheit in der Häftlingsgesellschaft. I8, Im Zuge der Entscheidungen zum Arbeitseinsatz der Häftlinge außerhalb der Konzentrationslager, der damit ab 1943 erfolgenden Gründung von Außenlagern und die zu diesem Zweck durchgeführten massenhaften Zwangsrekrutierungen von Zivilarbeitern in ganz Europa 182 stiegen die bis Mitte 1942 auf 8.000 gesunkenen Zahlen langsam und ab Mitte 1943 sprunghaft an.183 Im August 1944 überschritt das Hauptlager seine absolute Höchstgrenze der Aufnahmefähigkeit, dies führte erstmals seit Kriegsbeginn zu einem völligen Kollaps der Infrastruktur des Lagers. 184 Mit dem Zusammenbruch der Konzentrationslager im Osten und Westen und dem weiterem Ausbau des Außenlagerkomplexes wurde Buchenwald mit 110.000 inhaftierten Menschen im Januar 1945 das größte noch bestehende Konzentrationslager. 185 Konnte die seit Mitte 1944 andauernde Uberlast des Hauptlagers noch mit der Gründung weiterer Außenlager abgefedert werden, so gelang dies ab Anfang 1945 nicht mehr. Die Lebensbedingungen im Hauptlager verschlechterten sich ab Januar 1945 rapide und führten insbesondere im sogenannten Kleinen Lager zu apokalyptischen Zuständen. 186 Kennzeichnend für die Häftlingsgesellschaft nach Kriegsbeginn bleibt eine ständig wachsende multinationale Zusammensetzung. Waren es in den Jahren bis 1942 Österreicher, Tschechen, Polen und Russen, deren Gruppen sich ständig vergrößerten, so wurden in den folgenden Jahren bis Anfang 1945 unter dem Zeichen eines „totalen Krieges" und eines gigantischen Zwangsarbeitseinsatzes Menschen aus fast allen europäischen Ländern nach Buchenwald verschleppt. Darüber hinaus stieg die Gruppe der jüdischen Häftlinge wieder an, sie war Anfang 1945 die größte Häftlingsgruppe. Demgegenüber stand eine sich zwar permanent verkleinernde, aber in ihrer Präsenz im Lager relativ stabile Gruppe der sogenannten „reichsdeutschen" politischen Häftlinge, unter denen die deutschen Kommunisten entscheidenden Einfluß auf die „Häftlingsselbstverwaltung" des Lagers hatten. 187 Buchenwald, als Musterlager gegründet, war gekennzeichnet durch eine ausdifferenzierte Lagergesellschaft. Einer kleinen Elite von Funktionshäftlingen und Häftlingsprominenz und einem in der ersten Lager28

phase extrem korrupten und gewaltbereiten Aufsichts- und Wachpersonal der SS stand eine große und differenzierte Gesellschaft der Häftlinge gegenüber, deren einzelne Gruppen seit Lagergründung und verstärkt ab Kriegsbeginn unter dem Vernichtungsdruck der SS standen. Zwischen diesen Gruppen bildete sich ein komplexes Geflecht von Machtausübung und Uberlebensstrategien mit vielfältigen Abhängigkeiten und Rivalitäten heraus. Eingeteilt in ein rassisch bestimmtes System der Klassifikationen, gekennzeichnet über eine mehrfach erweiterte Taxonomie von Farben, Winkeln und Kennzeichen, wurden die Häftlinge - ihrer Individualität beraubt - in eine Hierarchie der Macht eingeordnet, die gleichzeitig eine Rangordnung der Uberlebenschancen darstellte.188 Die als „Untermenschen" klassifizierten Häftlingsgruppen der Juden, Sinti und Roma, der Russen und der sowjetischen Kriegsgefangenen standen dem Tod ebenso nahe wie die der „sozialen Abweichler", der „Asozialen" und der „175er" - der Homosexuellen. Sie wurden nicht bekämpft, sondern vernichtet.189 Die Willkür der absoluten Macht des Lagers, verdeutlicht in einer anomischen Lagerordnung und verkörpert über die stunden- und tagelangen Zählappelle, Mißhandlungen, Erschießungen, Hinrichtungen und den öffentlichen Vollzug von Strafmaßnahmen, ließ jedoch den Terror der SS für die gesamte Häftlingsgesellschaft allgegenwärtig bleiben. Die „Laboratorien der Macht" verlangten in ihrem Anspruch die totale Beherrschung eines jeden Häftlings. 190 So blieb trotz der Machtfülle einiger Häftlingsfunktionäre und einer gegen Kriegsende weitverzweigten und schlagkräftigen illegalen Widerstandsbewegung 191 die Lager-SS als Machtzentrum bestehen, die jederzeit über den Tod eines jeden Häftlings entscheiden konnte und auch die Veränderungen der Lagerrealität bestimmte. Die Lager-SS war einerseits militärisch organisiert und hierarchisiert sowie mit klaren formalen Befehlsstrukturen und einer spezialisierten Bürokratie versehen, andererseits war sie bestimmt von Abhängigkeitsverhältnissen, die von persönlicher Autorität und dem auf allen Ebenen durchgesetzten „Führerprinzip" geprägt waren und die die formale Hierarchie oft durchbrachen. Kennzeichnend für die Buchenwalder SS war in der ersten Lagerphase eine unter ihr herrschende Kameraderie,iK in deren Schatten sich ein extremes Maß von Korruption und mit Billigung und Delegation durch die Hierarchie auch ein hohes Maß von Gewalt entwickeln konnte. Ihr gegenüber stand eine dezentralisierte und mit einem relativ geringen Personalaufwand umgesetzte formale Verwaltungsstruktur des Lagers, die mit einer funktionalen Arbeitsteilung und -delegation die Machtausübung und Verwaltungsarbeit dezentralisierte, flexibilisierte sowie die Grenzen zwischen SS-Verwaltung und „Häftlingsselbstverwaltung" verwischte und damit in vielen Fällen Opfer-Täter-Verhältnisse ver29

drehte. Die Verwaltung Buchenwalds war wie in allen großen Lagern in fünf Abteilungen aufgebaut: die Kommandantur (Abt. I), die Politische Abteilung (Abt. II), das Schutzhaftlager (Abt. III), die allgemeine Verwaltung (Abt. IV) und der Lagerarzt (Abt. V). 193 Die Kommandantur hatte als höchste Verwaltungsinstanz die Oberaufsicht über alle Dienst- und Personalangelegenheiten, gegenüber den anderen Verwaltungsabteilungen - insbesondere gegenüber der politischen Abteilung - besaß sie jedoch nur ein eingeschränktes Weisungsrecht. Für die Institutionen der Umwelt war die Kommandantur die zentrale Anlaufstelle für alle Verwaltungs- und Konfliktfragen, die alle Beziehungssysteme der einzelnen Lagerabteilungen bündelte und nur in Ausnahmefällen den direkten Kontakt Weimarer Behörden mit den einzelnen Lagerabteilungen gestattete.' 94 Die intensivsten Beziehungen zur Umwelt hatte die Abteilung IV, die sowohl für die Instandhaltung der Gebäude, den Fuhrpark als auch für die Verwaltung des Häftlingseigentums und für die Versorgung des gesamten Lagers mit Lebensmitteln und Bekleidung zuständig war. Die Abteilung IV war mit ihren enormen Ansammlungen ökonomischen Kapitals auch Ausgangspunkt für die Korruption unter der SS. Viele Lebensmittel und Bekleidungsgegenstände erreichten das Häftlingslager nie, die hier verwalteten Wertgegenstände der Häftlinge wurden in vielen Fällen unterschlagen. Durch die Willkür, mit der die Verwaltungsabteilung über die Versorgung des Häftlingslagers mit Lebensmitteln entschied, übte auch sie gezielt Terror aus. Der oft als Strafe oder lediglich mit Korruption motivierte Essensentzug für das Häftlingslager brachte lausenden Menschen den Tod. 195 Kennzeichnend waren die ständigen Rivalitäten zwischen den relativ selbständigen Abteilungen, deren teilweise irrationale Struktur trotz einer extremen Bürokratisierung des Lageralltags in Krisensituationen zu ernsthaften Verwaltungsengpässen führte. Die Lagerverwaltung war nach innen in ihrer Machtausübung flexibel und in der lückenlosen Verwaltung der Verbrechen auch äußerst effektiv, gegenüber der Umwelt, deren Einbeziehung in die autonome Verwaltungsstruktur nicht vorgesehen war, agierte sie jedoch konflikt- und störanfällig. Die nach außen vorgenommene, nach innen jedoch nicht durchgesetzte Bündelung aller Kompetenzen beim Lagerkommandanten machte Verwaltungsangelgenheiten zwischen Umwelt und Lager stets zu langwierigen und konfliktbeladenen Prozessen. Kennzeichnend war auch die in diesem Ausmaße nur in Buchenwald zu beobachtende Korruption unter der SS, die nach ihrer Aufdeckung und im Zuge des generellen Strukturwandels der Konzentrationslager im Jahr 1942 zu einem vollständigen Austausch der Führungsgruppe führte. 196 Darüber hinaus brachten die Gewaltexzesse des Herbstes 1938 eine starke Veränderung in der Häftlingshierarchie zugunsten der politischen Häftlinge mit sich. 197

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D i e Lager-SS stellte ihrem eigenen Organisations- und Machtapparat eine spiegelbildliche „Häftlingsselbstverwaltung" 1 9 8 gegenüber, die einerseits Funktionen der Verwaltung übernahm, andererseits über diese F u n k tionen selbst Macht ausüben konnte und diese zur Absicherung des sozialen Status und der Uberlebenschancen auch ausübte. 1 9 9 A n der Spitze der „Häftlingsverwaltung" standen die Lagerältesten, von denen es in B u chenwald zunächst zwei, ab 1938 drei gab. Sie traten als verantwortliche Vertreter der Häftlinge gegenüber der Lagerführung auf, wurden jedoch gleichzeitig von der SS zur Durchsetzung von Anordnungen benutzt. D i e Lagerältesten setzten relativ eigenverantwortlich die Blockältesten ein, diese wiederum bestimmten die Stubenältesten und Stubendienste und waren f ü r die Organisation des „Blockalltags" zuständig. Die Arbeitskommandos wurden von K a p o s geleitet und kontrolliert, die den jeweiligen SSK o m m a n d o f ü h r e r n direkt unterstanden und von der Arbeit meist befreit waren. Mit Verstärkung des Arbeitseinsatzes außerhalb des Lagers ab 1942 wurde die F a c h k o m p e t e n z der K a p o s zu einem entscheidenden Kriterium für ihre A u s w a h l , sie hielten in den Betrieben meist den Kontakt zu den Zivilarbeitern und Meistern. N e b e n den Lagerältesten entwickelten sich die Schreibstube und die Arbeitsstatistik zu den wichtigsten Teilen der „Häftlingsselbstverwalt u n g " . In der Schreibstube wurden die N e u z u g ä n g e registriert und in die einzelnen B l o c k s eingewiesen. Weiter w u r d e hier die Häftlingskartei geführt, die Verpflegungszuteilung geplant und die Tagesrapporte mit der Häftlingsstärke aufgestellt. Dies waren Vorgänge, die für den einzelnen Häftling von lebenswichtiger Bedeutung sein konnten. Einen ähnlichen hohen Einfluß besaß die zweite zentrale Häftlingsbehörde, die Arbeitsstatistik. Hier wurden die A r b e i t s k o m m a n d o s zusammengestellt und Transportlisten vorbereitet, in denen allgemeine Vorgaben über die Anzahl der angeforderten Arbeitskräfte mit der Benennung konkreter Personen präzisiert wurden. Mit erheblichem Einfluß waren die Funktionshäftlinge in den Versorgungseinrichtungen und Magazinen des Häftlingslagers sowie des SS-Bereichs ausgestattet. Offiziell für die Versorgung des Lagers und der SS zuständig, für den Betrieb und die Verwaltung der Küche, Wäscherei und der Magazine verantwortlich, hatten sie Z u g a n g zu wichtigen Lebensgütern, die sie zu teilweise umfangreichen Handelsaktionen und zur eigenen Protektion nutzten. In Buchenwald wurde dieser Bereich, der einen engen K o n t a k t zur U m w e l t des Lagers hatte, für illegale Tätigkeiten genutzt. Zentraler O r t des Widerstandes war jedoch der Krankenbau des Lagers. Von der SS wegen Seuchengefahr gemieden, konnten hier verfolgte Häftlinge geschützt und der O r t ungestört für illegale Treffpunkte genutzt werden.

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U m den Zusammenhalt unter den Häftlingen zu behindern und potentielle Widerstandsversuche im Keim zu ersticken, achtete die SS anfangs darauf, die Funktionsposten in der Häftlingshierarchie möglichst nicht mit politischen Häftlingen und nicht gruppenidentisch zu besetzen. In Buchenwald waren die beiden ersten Lagerältesten sogenannte „Berufsverbrecher", gleiches traf für eine ganze Gruppe von Blockältesten, Kommandoführern und Funktionshäftlingen im Verwaltungsbereich zu. Nach den Gewaltexzessen des Herbstes und Winter 1938/39 wechselte die SS die „Häftlingsselbstverwaltung" fast vollständig aus, da die Selbstverwaltung sich selbst aktiv an den Bereicherungen beteiligt hatte, was die SS als ernstzunehmende Konkurrenz empfand. Alle wichtigen Häftlingsfunktionen waren ab Mitte 1939 in der Hand der politischen deutschen Häftlinge, w o bei wiederum die meisten von ihnen KPD-Funktionäre waren, die angesichts des Bedarfs einer „vermittelnden Zwischenschicht" gegenüber der mit Kriegsbeginn nun internationaler werdenden Häftlingsgesellschaft auf offene Duldung bei der SS stießen. Diese Zusammenarbeit wurde jedoch mit dem Uberfall Deutschlands auf die Sowjetunion im Juni 1941 und den damit verbundenen Vernichtungsaktionen auch an deutschen politischen Häftlingen in Buchenwald beendet. 200 Der darauffolgende, erbittert geführte Kampf zwischen „Roten" und „Grünen" 201 um die Machtpositionen im Lager wurde erst im Juni 1943 zugunsten der politischen Häftlinge entschieden. 202 Mit der Internationalisierung des Lagers, die die deutschen Häftlinge weiter mit der deutschen SS zusammenrücken ließ, 203 übernahmen die politischen Häftlinge endgültig alle Funktionsstellen des Lagers und bauten ihre illegale militärische Widerstandsorganisation zu einem schlagkräftigen Instrument aus. Die für Buchenwald bestimmende kommunistische Häftlingsorganisation blieb für die Beziehungen des Lagers zur Umwelt zunächst ohne Bedeutung. Die häufigen Kontakte zwischen den privilegierten Buchenwalder Funktionshäftlingen und Weimarer Bürgern zwischen 1942 und 1945 im Rahmen des Arbeitseinsatzes bzw. im Rahmen der Handelsbeziehungen zwischen Lager und Stadt prägten jedoch das Bild vom Konzentrationslager in der Stadt mit. Darüber hinaus trug die straffe Organisation der deutschen und politischen Häftlinge unmittelbar nach der Befreiung Buchenwalds dazu bei, daß die Verhältnisse in Buchenwald geordnet blieben und die Stadt von den befürchteten Plünderungen verschont blieb. Buchenwald sollte von Anbeginn an, ähnlich den anderen Neugründungen der Jahre 1936-1938, den Wirtschaftsbestrebungen der SS dienen. Der Arbeitseinsatz der Häftlinge erfolgte bis Kriegsbeginn jedoch neben einigen kleineren Arbeitskommandos außerhalb des Lagers fast vollständig im Rahmen des Aufbaus Buchenwalds, in den SS-eigenen Lagerwerkstät32

ten und in der DEST-Filiale in Berlstedt. 2 0 4 Dieser Arbeitseinsatz wurde als weiteres Repressionselement von der SS genutzt, entsprechend hart waren die Arbeitsbedingungen beispielsweise im Steinbruch, der sich ohnehin in der weiteren Lagergeschichte als Straf- und Hinrichtungsort etablierte. N a c h der vorläufigen Beendigung dieser Arbeiten im Winterhalbjahr 1939/40 ging die Zahl der beschäftigten Buchenwalder Häftlinge beständig zurück. 2 0 5 D i e SS reagierte auf diese „Beschäftigungskrise" mit einer U m organisation ihrer Arbeitsverwaltung im H e r b s t 1941, die mit einer Zentralisierung den direkten Zugriff der SS-Führung auf den Arbeitseinsatz der Häftlinge ermöglichen und einer A u s d e h n u n g des SS-Wirtschaftsbereichs für die erwarteten Friedenszeiten dienen sollte. 2 0 6 Infolge dieser ersten Umorganisation wurde in Buchenwald zunächst ab Juli 1941 am A u f bau des Lagers weitergearbeitet, die SS versuchte hier mit der A u s b i l d u n g von Bauarbeitern und dem Beginn von Massivbauten ihren eigentlichen wirtschaftlichen Kompetenzbereich auszuweiten. Gleichzeitig wurde versucht, mit der Erfassung sämtlicher Arbeitskräfte den Arbeitseinsatz der Häftlinge in der R ü s t u n g s p r o d u k t i o n und in Privatunternehmen auszuweiten. Dies machte sich beim Einsatz der Häftlinge in A r b e i t s k o m m a n d o s im Stadtkreis Weimar mit Beginn des Jahres 1942 durch einen starken Anstieg der hier tätigen A r b e i t s k o m m a n d o s bemerkbar. Standen diese ersten Umorganisationen noch allein im Zeichen der Wirtschaftsbestrebungen der SS, so erfolgten die Umstrukturierungen des Frühjahrs 1942 vor dem Hintergrund des Verlaufs des Zweiten Weltkriegs. N a c h dem Scheitern des Blitzkrieges im O s t e n und der Kriegserklärung der U S A im D e zember 1941 drängte die N S - F ü h r u n g auf eine deutliche Steigerung der Rüstungsproduktion. Speer, im Februar 1942 zum „Generalbevollmächtigten für Rüstungsaufgaben im Vierjahresplan" ernannt, konzentrierte die R ü s t u n g s p r o d u k t i o n zunehmend in Großbetrieben und drängte Himmler, die in seinen Konzentrationslagern inhaftierten potentiellen Arbeitskräfte für die Rüstungsindustrie bereitzustellen. 2 0 7 H i m m l e r versuchte zunächst, u m die Lager eine eigene Rüstungsindustrie hochzuziehen. Als Modellfall sollte eine bei Buchenwald entstehende Gewehrfabrik dienen - das im Frühjahr 1942 errichtete G u s t l o f f Werk II erprobte den Einsatz von H ä f t lingen in der Waffenproduktion. 2 0 8 A u f g r u n d des hinhaltenden Widerstands der Industrie, die sich gegen eine S S - K o n k u r r e n z wehrte, konnte H i m m l e r diese Pläne jedoch nicht verwirklichen, vielmehr setzte sich die Praxis durch, die Häftlinge zu den Rüstungsbetrieben zu schaffen und in der N ä h e der Betriebe Außenlager der jeweiligen Stammlager zu errichten. N a c h der vor diesem Hintergrund ablaufenden erneuten Umorganisation des Arbeitseinsatzes nahm die Zahl der Arbeitseinsätze ab Mitte 1942 langsam, nach dem „Stalingrad-Schock" beschleunigt und in Verbindung mit

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dem „Auffüllen" der Konzentrationslager durch Zwangsarbeitskräfte aus ganz Europa explosionsartig zu. Im Zuge des Arbeitseinsatzes wurden verstärkt beständige Außenkommandos in der Nähe großer Rüstungsbetriebe gegründet. Die Stammlager verwandelten sich vor dem Hintergrund dieser Entwicklung zu Durchlaufbetrieben, die die aus ganz Europa unter der Ägide des „Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz" - des thüringischen Gauleiters Fritz Sauckel - zusammengetriebenen Häftlinge nur kurzzeitig aufnahmen und an die zahlreichen Außenlager weiterschickten. Buchenwald hatte bis März 1945 insgesamt 130 solcher Außenlager. An dem Arbeitseinsatz von Häftlingen und Kriegsgefangenen in kleinen „Wirtschafts- und Privatbetrieben" änderte sich nach den Umstrukturierungen im Frühjahr 1942 nichts, er wurde im Gegenteil weiter ausgebaut. Die Firmen bestellten „ihre" Häftlinge unter Angabe des Verwendungszweckes weiterhin direkt beim Arbeitseinsatzführer des Lagers, die anfallenden Kosten wurden ebenfalls über den Arbeitseinsatzführer abgerechnet. Lediglich die Prioritäten wurden mit dem Einsatz von Häftlingen in der Rüstungsindustrie stärker beachtet: die Befriedigung des Bedarfs der sogenannten „kriegswichtigen Betriebe" stand nun stets an vorderster Stelle.209 Die Entscheidungen zum massenhaften Arbeitseinsatz der Häftlinge bedeutete für die Beziehungen zur Umwelt einen „Nachbarschaftsschub". Aufgrund des Arbeitseinsatzes ergaben sich viele neue und in ihrer Intensität gesteigerte Kontakte mit der Bevölkerung, da die Häftlinge mit Verlauf des Krieges in wesentlich größerer Anzahl in Weimar tätig waren. Beide Seiten, die Stadt und das Lager, rückten angesichts des „totalen Krieges" zusammen. Die Verwaltungsbeziehungen wurden aufgrund des Arbeitskräftemangels in der Stadt und der Bestrebungen nach Verwaltungsvereinfachung enger geknüpft, gleichzeitig wuchs in der Bevölkerung die Ungewißheit und Angst gegenüber einem fremden Lager vor der Stadt, dessen Insassen nun mehrheitlich keine Deutschen mehr waren. Für die Umwelt war das KL Buchenwald nur in von der SS bestimmten Bereichen zugänglich, der Machtraum Konzentrationslager mit seinen Funktionsorten, sozialen Zonen und Machtbereichen blieb stets dem absoluten Machtanspruch der SS unterworfen. Der Stacheldrahtbereich als innere Zone des Lagers war gegenüber der Außenwelt am deutlichsten abgeschirmt. Er war umgeben von einem elektrisch geladenen Stacheldrahtzaun, alle 75 Meter erhob sich ein Wachturm, welcher mit einem schwenkbaren Maschinengewehr versehen war.210 Innerhalb des Stacheldrahtbereiches befanden sich die Häftlingsunterkünfte, alle zum Häftlingsalltag gehörenden Einrichtungen sowie die zentralen Machtinstrumente der SS wie der Bunker und das Krematorium. Der Zugang zu 34

diesem inneren Bereich wurde genau geregelt und kontrolliert. Nur über das Torgebäude war in der Regel der Eintritt in den Stacheldrahtbereich möglich. 211 Als Verbindung zur Umwelt spielte das Torgebäude jedoch nur eine marginale Rolle. Lagerfremde, egal aus welchem Grund sie in Buchenwald erschienen, wurden durch die das gesamte Lager umgebende Postenkette abgefangen. Das Betreten des inneren Bereichs des Lagers war so nur in Ausnahmefällen und nur in Begleitung der SS möglich. Das Kommandanturgelände schloß sich dem Stacheldrahtbereich an. Innerhalb dieses Bereiches konnten sich die über die Postenkette passierenden Personen relativ frei bewegen. Zentrale Eintrittspunkte zum Lager durch Lagerfremde waren die Schlagbäume an der Straße nach Weimar und nach Hottelstedt. Hier mußten die Kraftfahrer aus Weimar, die in Buchenwald Lebensmittel und Produkte aller Art anlieferten, ihre Zivilausweise vorzeigen, 212 wurden Besuchsgruppen und Weimarer Bürger empfangen, die das Lager oder den Falkenhof, eine Art Heimtiergehege, besichtigen wollten. Die Postenkette bildete somit eine wenig bis gar nicht durchlässige Grenze des Lagers Buchenwald zur Außenwelt. Ihre „Schleusen" - die Schlagbäume - ließen nur bestimmte Personengruppen in den Lagerbereich hinein. Im Gegensatz zum Lagergelände, dessen Grenzen gegen den Willen der SS fast nicht zu durchdringen waren, verschmolz der Standortbereich, der Wohnort der SS, mit der Umwelt und hatte keinen festen Eintrittspunkt. 213 Neben den Häusern für die SS-Führerfamilien innerhalb des Kommandanturbereichs wurde mit der Errichtung des Lagers eine zweite SS-Siedlung gebaut, die sich weit außerhalb des Lagergeländes an der Straße zwischen Weimar und Ramsla befand. 214 Des weiteren wohnten einige SS-Angehörige direkt in Weimar und in den zum Stadtkreis Weimar gehörenden Ortschaften. 215

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2. Die Beziehungen zwischen der Stadt Weimar und dem KL Buchenwald

„Das in meinem letzten Lagebericht erwähnte Konzentrationslager Buchenwald wird immer größer und ist zur Zeit mit 3.000 Mann belegt, soll aber, wie mir der Kommandant sagte, im Laufe des nächsten Jahres auf 10.000 Mann Belegungsfähigkeit ausgebaut werden. Ich habe mich mit ihm in Verbindung setzen müssen, weil seine Einlieferungen das Gerichtsgefängnis Weimar zu verstopfen drohten. [ . . . ] Interessant ist, daß die Weimarer Bevölkerung über den Bau des Lagers gar nicht erfreut ist und daß die Gewerbetreibenden keine Lust haben, mit ihm Geschäfte zu machen. Man freut sich, wenns einmal einem Häftling gelingt, auszureißen." 1 „Die schwerste Sorge der Einwohner war vielleicht nicht einmal eine Beschiessung Weimars, die ja bei der schwachen Verteidigung nur gering zu sein brauchte, sondern die Gefährdung durch die Buchenwald-Häftlinge. [ . . . ] Es war klar, daß die SS-Bewachungsmannschaften im letzten Augenblick fliehen würden, um der Rache der Inhaftierten zu entgehen; dann mußten von den freiwerdenden Kriminellen die schwersten Verbrechen befürchtet werden. ( . . . ) Ich hatte meine 30-jährige Tochter Andrea, die ihre kunsthistorische Doktorarbeit hatte abbrechen müssen und im Studenteneinsatz zum Wohlfahrtsamt Weimar beordert war, veranlaßt, einen Rucksack marschfertig zu packen, um nach Rudolstadt oder Wernigerode zu fliehen, wenn die Buchenwälder sich über Weimar ergiessen würden." 2 D i e beiden Zitate markieren den A n f a n g und das E n d e der N a c h b a r schaft zwischen der Stadt W e i m a r und d e m K o n z e n t r a t i o n s l a g e r

Bu-

chenwald. W a r e n die W e i m a r e r Bürger über den B a u des Lagers zunächst „gar nicht erfreut", so arrangierten sie sich mit d e m neuen N a c h b a r n in den nächsten Jahren t r o t z d e m . D i e E i n b i n d u n g B u c h e n w a l d s in die Infrastruktur der Stadt, die umfangreichen Verwaltungsbeziehungen, die die B e h ö r d e n Weimars z u m L a g e r aufbauten, die t r o t z aller Skepsis bereits im S o m m e r 1 9 3 7 beginnenden Wirtschaftskontakte z u m Lager, die sich nach Beginn des Arbeitseinsatzes der Häftlinge außerhalb der Lager im J a h r 1942 sprunghaft weiterentwickelten u n d der ebenfalls v o n Anbeginn an schwunghafte H a n d e l mit dem Lager - all dies schuf ein breites und dichtes Beziehungsgeflecht zwischen W e i m a r und B u c h e n w a l d , in dessen R a h men sich eine g r o ß e A n z a h l von sozialen K o n t a k t e n entwickelte.

Am

Schlußpunkt dieser gemeinsamen B e z i e h u n g in den J a h r e n 1 9 3 7 bis 1 9 4 5 stand seitens der W e i m a r e r B ü r g e r die A n g s t v o r dem E n d e des Lagers.

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Eine Angst, die sicherlich nicht nur aus der vermuteten „Gefährdung durch die Buchenwalder Häftlinge" genährt wurde, sondern auch aus den engen Kontakten resultierte, die Stadt und Lager inzwischen eingegangen waren und in deren Ausgestaltung sich die Grenzen von Verantwortung und Distanz sowie von Wissen und Ahnungslosigkeit in einem dichten Geflecht verwischt hatten. In vier Bereichen entwickelten sich die intensiven und vielfältigen Beziehungen zwischen Weimar und Buchenwald: auf verwaltungstechnischer, wirtschaftlicher, juristischer und sozialer Ebene. 3 Die räumliche Nähe von Konzentrationslager und Stadt verschaffte den Beziehungen Weimars zum Lager die Kommunikationsebene, mittels derer sich ein Beziehungsgeflecht entwickeln konnte, welches alle vier Bereiche in einem Netz von Abhängigkeiten, Arbeitsverhältnissen und sozialen Kontakten verwob. A m deutlichsten läßt sich dieses Beziehungsgeflecht mit dem Begriff der Nachbarschaft beschreiben. Es benennt die räumliche Nähe, in der sich Nachbarn zueinander befinden. Diese räumliche Nähe schafft Beziehungen, die das Verhältnis der Nachbarn zueinander prägen. Im folgenden wird mit den belegbaren Kontakten und Beziehungen zwischen den Nachbarn Weimar und Buchenwald in den genannten vier Bereichen ihr Verhältnis zueinander beschrieben.

2.1. Der verwaltungstechnische Bereich Verwaltungsinstitutionen nehmen in aller Regel zwei Hauptaufgaben wahr. Sie setzen Dienstleistungs- und Kontrollfunktionen um, die ihnen der Gesetzgeber zugewiesen hat. In diesem Sinne haben sie für die Einhaltung gegebener Rechtsnormen zu sorgen und zur Gestaltung, Lenkung und Sicherung sozialer, wirtschaftlicher und kultureller Lebensbereiche beizutragen. Diese Beschreibung klassischer normenstaatlicher Verwaltungsinstitutionen kollidiert mit der Realität des nationalsozialistischen Doppelstaates, der von „Staatszentralismus und Partikularherrschaft" 4 geprägt war und in dem die auf vielen Ebenen durchgesetzte „Führergewalt" weder an „Normen positiven Rechts noch unbedingt an das Sittengesetz gebunden [war], sondern den Anspruch erhob, beide gegebenenfalls zu suspendieren, wenn ihr angeblicher geschichtlicher Auftrag oder das sogenannte Lebensgesetz des Volkes dies forderten." 5 Trotz dieses totalen Herrschaftsanspruches bestanden die normenstaatlichen Institutionen im wesentlichen in ihrer alten Verfassung fort. Sie versuchten sich einerseits der außernormativen Struktur anzupassen, andererseits kämpften sie gegen ihre Machtbeschneidung an. 38

Die verwaltungstechnischen Kontakte der Stadt zum Lager bewegten sich in diesem Rahmen, der zum einen von Machtkämpfen und Kontrollversuchen, zum anderen von Anpassung und willfähriger Aufgabenausführung geprägt war. Die kommunalen Behörden der Stadt Weimar waren klassische normenstaatliche Institutionen. Sie konnten gegenüber dem Lager mit seiner außernormativen Machtstruktur auf ein zentrales Element ihrer Legitimation - das der Rechtmäßigkeit - kaum mehr verweisen. Daraus ergibt sich die Frage nach dem verbleibenden Sinn ihrer Tätigkeit gegenüber dem Konzentrationslager. Nach welchen Kriterien arbeiteten die Behörden der Stadt angesichts eines Konzentrationslagers, welches mit seiner autonomen und wenig an Gesetze gebundenen Machtstruktur den Einfluß und die Kontrolle durch Institutionen ausschloß, die der Rechtsstaat gebildet hatte? 6 Im Anschluß an die These Martin Broszats, nach der die normenstaatlichen Institutionen im Dritten Reich „zwar den Eigenwillen partikularer nationalsozialistischer Machthaber und die Ausnahmeherrschaft von Sondergewalten nicht verhindern konnten, aber doch um den Ausnahmezustand herum den Verwaltungsstaat so weit in Ordnung zu halten vermochten, daß Rechtsvakuum und Regellosigkeit keine regimegefährdenden Ausmaße annahmen" 7 , soll im folgenden bei den Behörden, die ihre Kontrollfunktion gegenüber dem Lager aufrecht erhielten, nach der konkreten Umsetzung dieser Kontrollen gegenüber dem Konzentrationslager gefragt werden. Denn durch ihre Kontrollfunktion und ihre Aufsichtspflicht hielten sie, gegen den Widerstand des Konzentrationslagers, das Machtsystem des Lagers insofern stabil, als sie seine außernormative Dynamik abbremsten und regelten. 8 Neben dieser stabilisierenden Regelfunktion ist als zweites Signum der verwaltungstechnischen Beziehungen zwischen Weimar und Buchenwald der Rückzug Weimarer Behörden auf ihre Dienstleistungsfunktion zu nennen. In der bereitwilligen und oftmals von vorauseilendem Gehorsam begleiteten Ausführung ihrer Dienstleistungen gegenüber dem Lager machten sich die Weimarer Behörden mitverantwortlich für die Geschehnisse in Buchenwald, denn sie überließen ehemals rechtlich gebundene und kontrollierte Räume der außernormativen Gewalt des Lagers. Die sich im Lager etablierende Machtstruktur fand in der Zusammenarbeit mit den Weimarer Behörden ihre Fortsetzung. Die nach hier delegierten Aufgaben, die von den Weimarer Behörden in der Regel ohne jede Uberprüfung ihrer Rechtsbasis ausgeführt wurden, bedeuteten den letztendlichen Vollzug von Macht und Gewalt. Die Weimarer Behörden waren zwar äußerst selten die Exekutive, die Gewalt anordnete oder Macht ausübte, sie waren aber „sehr wohl in der Lage, die fühlbare Gewalt weiterzugeben, sie fühlbar zu machen und endlich jemanden mit ihr zu belasten, der sie zu leiden hat." 9

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Es bleibt festzustellen, daß es sich hierbei um Mitverantwortung handelt. Die Weimarer Behörden bildeten zwar nur einen Teil der Beziehungen des K L Buchenwald zur Umwelt, denn die Beziehungen, mit denen das Lager seine Machtfunktionen absicherte, waren wesentlich umfangreicher und in ihrer Existenz nicht an die unmittelbare Nachbarschaft der Stadt Weimar zu Buchenwald gebunden. So ließ das Lager zwar zunächst seine Opfer im städtischen Krematorium verbrennen, wechselte aber bereits ein Jahr vor Beginn der systematischen Vernichtungsaktionen im Herbst 1941 diesen Ort gegen ein eigenes Krematorium aus, um autonomer von der Öffentlichkeit und der Kontrolle durch Weimarer Behörden agieren zu können. Trotzdem bleibt die Mitverantwortung als solche bestehen, sie kann in ihrer Bedeutung mit dem Verweis auf die eigene Ohnmacht angesichts herrschender Machtverhältnisse auch nur wenig relativiert werden. Denn in der Zusammenarbeit von Stadt und Lager verzahnten sich außernormative Machtausübung und normenstaatliche Verwaltung, unter Beteiligung Weimarer Bürger, die als Mitarbeiter der Behörden der Stadt vom Lager übertragene Aufgaben ausführten.

2.1.1. Die Eingemeindung des Lagers „ N a c h der Errichtung des K - L a g e r s am Ettersberg hat sich die N o t w e n d i g k e i t herausgestellt, das K - L a g e r einem G e m e i n d e b e z i r k zuzuteilen. A u s Zweckmäßigkeitsgründen und mit Rücksicht darauf, daß das Lager in seiner gesamten Verwaltung engstens mit der Stadt Weimar und den in Weimar ansässigen Dienststellen und B e h ö r d e n verbunden ist, wird der Antrag gestellt, das L a g e r d e m Stadtkreis Weimar einzugliedern." 1 0

Mit diesem Schreiben des Oberregierungsrats Hellmuth Gommlich beginnen Anfang September 1937 die Verhandlungen um die Eingemeindung des neuen Konzentrationslagers, die sich trotz der Ermahnungen Gommlichs zur Eile" über mehrere Monate hinzogen und zu einem zähen Streit darüber führten, zu wem das Lager letztendlich gehören sollte und welche Verpflichtungen Weimar gegenüber dem Lager nach einer Eingemeindung zu erfüllen hatte. Dabei gingen die beteiligten Beamten im Stadt- und Landkreis Weimar sowohl vom Kostenfaktor Konzentrationslager als auch von den finanziellen Vorteilen aus, die eine Eingemeindung des Lagers bringen konnte. Der Weimarer Stadtkämmerer Graebert verlangte vor einer positiven Entscheidung über den Antrag Gommlichs auf Eingemeindung des Lagers nach Weimar eine genaue Klärung der finanziellen Auswirkungen. Weiter fragte er, „welche Zweckmäßigkeitsgründe für die Eingemeindung des K-Lagers maßgebend sein können." 12 Auf einer darauf 40

anberaumten Sitzung, an der neben Gommlich und Graebert auch der Weimarer Bürgermeister Karl Thomas, Lagerkommandant Koch und der Architekt und Bauleiter des Lagers Robert Riedl 13 teilnahmen, versuchte Gommlich, die Ängste der Stadt vor neuen Kosten zu entkräften. 14 Alles, so Gommlich, was innerhalb des Lagers an Einrichtungen vorgesehen sei, würde von der SS bezahlt und auf eigene Kosten unterhalten. Die Stadt müsse nicht für Wasser- und Stromzufuhr sowie für die Müllbeseitigung sorgen, dies sei mit den entsprechenden Landesbehörden geklärt bzw. würde vom Lager selbst geleistet. Eine Gaszufuhr sei nicht von Nöten, denn daran bestehe in Buchenwald kein Bedarf. Für die Familienangehörigen der SS würde diese selbst sorgen, ein zusätzlicher Wohnbedarf für Weimar entstehe somit nicht. Auch eine eigene Schule sei für die Kinder der SS-Angehörigen geplant, diese müsse jedoch frühestens 1943 gebaut werden. Eine Verkehrsanbindung nach Weimar wolle man schaffen, aber mit Fahrzeugen der SS betreiben. Auf die Frage eines eigenen Friedhofs für Buchenwald ging Gommlich ebenfalls ein. Ein solcher sei nicht nötig, denn die Gestorbenen würden im Lager verbrannt. Die Stadt müsse sich auch keine Sorgen wegen entlassener Häftlingen machen. Diese bekämen bei der Entlassung einen Fahrschein zu ihrem letzten Wohnort und hätten sich dort umgehend zu melden. Auf die Frage nach dem verbleibenden Sinn einer Eingemeindung Buchenwalds nach Weimar betonte Gommlich, daß sie dem Wunsch des Reichsstatthalters Sauckel entspreche, der so einen Zusammenhang zwischen Stadt und Lager herstellen wolle. Weiter könne man mit der Eingemeindung des Lagers auch die Gemeinden Nohra, Tröbsdorf, Gaberndorf, Schöndorf und den gesamten Ettersberg der Stadt Weimar eingliedern, was der Stadt zusätzliche Steuereinnahmen bringen würde. Auch die vorher für eine Eingemeindung vorgesehen Orte Hottelstedt und Ottstedt, beide südwestlich nur wenige Kilometer vom Lager entfernt, hätten ihrerseits erklärt, auf alle Ansprüche aufgrund der nicht vollzogenen Eingemeindung zu verzichten. 15 Nach dieser sehr kostengünstigen Prognose für Weimar und wegen des erklärten Wunsches Sauckels stand einer Zustimmung des Stadtrates zur Eingemeindung nichts mehr im Wege. Nachdem die Weimarer Ratsherren am 17. September 1937 in nichtöffentlicher Sitzung ihr „grundsätzliches Einverständnis" zur Eingemeindung geäußert hatten,' 6 folgte am 25. September der Landrat Hofmann mit seiner Zustimmung zur Ausgliederung des betreffenden Gebietes aus dem Landkreis Weimar. Hofmann wandte sich aber gegen die geplante gesamte Einflurung des Staatsforstes am Ettersberg, da der Landkreis für die Versorgung des Lagers mit Trinkwasser verantwortlich bleiben sollte und zu diesem Zwecke auch im Gebiet des Staatsforstes Baumaßnahmen plante, deren Durchführung nach einer Ein41

gemeindung des Gebietes nach Weimar rechtlich höchst kompliziert geworden wäre. 17 Nachdem Weimar in diesem Punkt nachgab und die Einflurung des Waldes zurückstellte, meldeten sich kurz vor Vollzug der Eingemeindung Mitte November 1937 die beiden leer ausgegangenen Gemeinden Ottstedt und Hottelstedt und verlangten von Weimar Entschädigung für die anstehenden Steuerausfälle und eine eindeutige Klärung der Zuständigkeiten für die Verwaltungsaufgaben gegenüber dem Konzentrationslager, denn Buchenwald war inzwischen nicht mehr bereit, für alle Aufgaben selbst aufzukommen. 1 8 Der folgende, innerhalb von vierzehn Tagen beigelegte Streit zwischen Stadt, Gemeinden und Lager führte zu einer neuen Klärung der Aufgaben- und Steuerverteilung zwischen Weimar, Buchenwald und dem Landkreis: 19 Die von Ottstedt geforderte Entschädigung für den Grundsteuerausfall in Höhe von 89,- R M jährlich durch Gebietsabtretungen an Buchenwald wurde von Weimar nicht anerkannt, da das Konzentrationslager keine Grundsteuern zu entrichten hatte. 20 Weimar hatte für alle Verpflichtungen einzustehen, die mit der Eingemeindung Buchenwalds entstanden. Dies betraf neben der temporären Übernahme von Dienstleistungen alle Arten von Baumaßnahmen für die Zufahrtswege zum Lager, 2 ' die „Beschulung" der Kinder der SS-Angehörigen (Weimar sollte hier u.a. für den regelmäßigen Transport der Kinder zu den Schulen sorgen) und Fürsorgemaßnahmen für pensionierte Verwaltungsbeamte des Lagers. Gegen letzteres verwahrte sich die Stadt jedoch, da sie eine Betreuung durch die SS selbst annahm. Heftig umstritten blieb die Frage der Wasserver- und Abwasserentsorgung. Der Landkreis beanspruchte die Wasserversorgung Buchenwalds und die damit verbundenen Einnahmen für sich und wollte lediglich von Fall zu Fall entscheiden, ob eine andere Wasserbehörde zuständig sein sollte. Bei einer solchen Entscheidung werde die Stadt, so die Drohung Weimars, nicht mehr den vereinbarten Feuerschutz für das Lager übernehmen. Geklärt wurde dieses Problem erst unter dem Eindruck der Typhuskrise im Herbst/Winter 1938/39. Weimar wurde als für Buchenwald verantwortliche Wasserbehörde eingesetzt und mußte jetzt allerdings auch für den Ausbau der Abwasseranlagen Buchenwalds sorgen. 22 Da die Stadt die Hoheit über das Kreiswassergruppenwerk behielt, erklärte sie sich als Ausgleich grundsätzlich bereit, auf die Weimar zustehenden Zuschläge von 1 Prozent der Grunderwerbssteuer zu Gunsten des Landkreises zu verzichten, falls erworbene Grundstücke für das Kreiswassergruppenwerk zur Verfügung gestellt würden. Schließlich sollte Hottelstedt einen Ausgleich für die abgetretenen Waldflächen durch das thüringische Finanzministerium erhalten, eine Entschädigung wurde jedoch nie bezahlt. Damit war die Aufgabenverteilung genau gegenteilig zur Ankündigung 42

Gommlichs zwei Monate zuvor geregelt. Weimarer Behörden waren ab jetzt allein für alle kommunalrechtlichen Aufgaben zuständig, die sich aus der Nähe des Konzentrationslagers ergaben. Mit Wirkung vom 1. April 1938 wurde Buchenwald in den Stadtkreis Weimar eingemeindet. Gleichzeitig wurden die Standesamtsbezirke der Stadt entsprechend erweitert und Buchenwald in den Amtsgerichtsbezirk Weimar eingeliedert.23 Nach diesen negativen Erfahrungen blieb die Stadt bei weiteren Eingemeindungsfragen des Lagers sehr vorsichtig. Ende 1938 sollte gemeinsam mit der SS-Siedlung Ettersburg ein zusätzliches Grundstück eingemeindet werden, welches Buchenwald zum Zwecke der Erweiterung des Häftlingslagers erworben hatte. Oberbürgermeister Koch wies die mit Eingemeindung beauftragten Stadtbeamten darauf hin, daß „vor jeder Eingemeindung [...] unbedingt, und zwar mit Rücksicht auf die Finanzen der Stadt, die Bedürfnisfrage geklärt sein [muß]". 24 Einem Antrag des Lagers auf weiteren Ankauf von Gelände im Januar 1941 für ein Stadion, eine Schwimmhalle und weitere Sportanlagen des Lagers kam die Stadt nicht nach, sie verschleppte den Vorgang erfolgreich bis in den April 1945. 25 Auch gegen den Neubau des Gustloff-Werkes II in unmittelbarer Nähe des Lagers stemmte sich die Stadt. Weimar könne, so Oberbürgermeister Koch auf einer Besprechung zum Neubau am 18. April 1942, eine weitere Ausdehnung des Lagers nicht mehr dulden.26 Zum einen sei der Ettersberg in den Planungen zur „Neugestaltung der Gauhauptstadt" als zukünftiger „Volkspark" für die Weimarer Bevölkerung vorgesehen, zum anderen müßten „nach den schlimmen Erfahrungen der Abwässerfrage" 27 alle Fragen einer Erweiterung des Lagers genauestens geprüft werden. Deswegen möge doch ein anderes Gelände gefunden werden. Kochs Einwände blieben erfolglos, mit dem Bau der ersten Baracken wurde bereits wenige Tage später am geplanten Standort begonnen.

2.1.2. Die Zusammenarbeit mit kommunalen Behörden und Institutionen Die Zusammenarbeit der Lager-SS mit den Behörden der Stadt Weimar begann unmittelbar nach der Errichtung des Lagers, als Buchenwald über verschiedene eigene Einrichtungen noch nicht verfügte und so auf die Hilfe der Stadt angewiesen war. Mit dem Aufbau des Häftlingskrankenbaus 1938 und des lagereigenen Krematoriums 1940 wurden wichtige Beziehungen abgebrochen und die daraus resultierenden Aufgaben vom Lager autonom übernommen. Die mit Kriegsbeginn einsetzende amtliche Regelung der Lebensmittelversorgung Buchenwalds und die daraus folgende Anbindung des Lagers an das Ernährungsamt Weimar ließen Stadt und Lager jedoch weiterhin eng zusammenarbeiten. Insgesamt kann davon ausge-

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gangen werden, daß sich die Behördenbeziehungen zum Kriegsende hin steigerten, ein Prozeß, der durch den Arbeitseinsatz von Zivilisten in der Verwaltung Buchenwalds noch verstärkt wurde. Die Zusammenarbeit der Behörden Weimars mit Buchenwald war von jener „wohlgesonnenen Zweckneutralität" geprägt, die auch in Dachau zu beobachten war und die hier wie dort die Behörden bis auf wenige Ausnahmen zu einer selbstauferlegten Beschränkung des eigenen Einflusses bewegte. 28 Demgegenüber standen zahlreiche Konflikte, die ihre Ursache in zumeist strittigen Kompetenzfragen hatten. Friedhof29 Im August 1937 ereigneten sich in Buchenwald die ersten Todesfälle. Von August 1937 bis Mitte 1940 - dem Zeitpunkt der Inbetriebnahme des Krematoriums in Buchenwald - wurden die Toten des Lagers im Krematorium des Friedhofs Weimar eingeäschert. 30 Die Stadt Weimar hatte sich am 4. August 1937 in Beantwortung einer Anfrage des KL-Kommandanten Koch vom 29. Juli 1937 damit einverstanden erklärt, „die Einäscherung der in Frage kommenden Leichen gegen Zahlung eines Pauschalbetrages von 2 0 , - R M " im Krematorium des städtischen Friedhofs vorzunehmen. 3 ' Die Leichen wurden im Lager in einen Leichenschuppen gebracht, der sich in der Nähe des Lagerzoos befand, und anschließend mit einem Lastwagen nach Weimar gefahren. Ab Sommer 1938 wurden als Leichenträger im Lager nur Juden eingesetzt, deren „Aufgabe darin bestand, die Toten in Decken einzuwickeln und sie mit Hilfe anderer Häftlinge auf einer Bahre zum Lagertor zu tragen, wo [sie] dem dienstführenden Scharführer den Abgang aus dem Lager zu melden hatten. Dieser stellte dann die Zahl fest, so gleichgültig wie ein Fabrikspförtner, der die auslaufenden Kolli 32 kontrolliert. Hierauf wurde die tote Menschenfracht in längliche Holzkisten gezwängt, mit Sägespänen überschüttet, der Deckel mit einem einfachen Haken verriegelt und alles auf ein Lastauto verladen, das zum Krematorium nach Weimar fuhr." 33 Die zahlreichen Leichentransporte von Buchenwald nach Weimar blieben der Bevölkerung nicht verborgen, es gab Gerüchte um einen Transport, der bei seiner Fahrt durch das Weimarer Stadtgebiet einige Leichen verlor. Nach der Einäscherung der Leichen verblieben die Urnen zunächst in der Urnenkammer des Krematoriums. Auf Antrag der Angehörigen erfolgte die Übersendung zum Heimatfriedhof gegen eine Gebühr von 3 , - RM, Voraussetzung war der Nachweis einer eigenen Grabstätte. Da sich viele Angehörige mit der Bitte um eine Ubersendung der Urne zunächst an den Lagerkommandanten direkt wandten, gab es sowohl bei der Übersendung der Urnen als auch bei der Rückerstattung der Kosten immer wieder Probleme. Die dem Friedhofs-

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amt mit der Einäscherung entstehenden Kosten in Höhe von 20,- RM pro Leiche wurden monatsweise in Soll-Listen gegenüber dem Konzentrationslager abgerechnet, die Kosten für die Uberführung der Urne an den Heimatfriedhof mußten die Angehörigen direkt an die Stadthauptkasse entrichten. 34 Die für eine Verschickung der Urnen von der Post vorgeschriebenen Kartons wurden u.a. von dem Weimarer Buchbinder Friedrich Gutmann hergestellt, er lieferte die Urnenkartons sowohl an den Friedhof Weimar als auch später direkt an das KL Buchenwald. 3 5 Für die Kosten der Überführung der Leichen zum städtischen Friedhof kam das Lager selbst auf. Formal unterlagen für den Zeitraum der Einäscherung im Krematorium Weimar die oben beschriebenen Vorgänge den gesetzlichen Regelungen des Deutschen Reiches. Diese schrieben im „Gesetz über die Feuerbestattung" vom 15. Mai 1934 u . a . vor, daß eine Feuerbestattung nur mit Willen des Verstorbenen oder seiner Angehörigen erfolgen kann, 36 daß eine solche Bestattung nur mit Genehmigung der Polizeibehörde durchgeführt werden darf und daß eine unnatürliche Todesursache ausgeschlossen sein muß. 37 In der praktischen Umsetzung dieses Gesetzes begingen die beiden beteiligten Seiten jedoch offenen Rechtsbruch. In der Vereinbarung vom 4. August 1937 wurde der Lagerkommandant darauf hingewiesen, daß bei der Überführung einer Leiche ein Formular einzureichen sei, das die amtliche Sterbeurkunde, den Nachweis einer natürlichen Todesursache und eine Erklärung der Polizeibehörde des Sterbeortes enthalten sollte, mit der die „Herbeiführung des Todes durch strafbare Handlung" ausgeschlossen wird. Der „Einfachheit halber" wurden der Vereinbarung einige dieser Formulare mit Hinweisen zum Ausfüllen beigefügt. Diese Hinweise befanden sich im eklatantem Widerspruch zum Gesetz: „Ziffer 1 des Formulars ist von der Kommandantur des Konzentrationslagers auszufertigen [ . . . ] . " Hier hätten eigentlich die Angehörigen des Verstorbenen als Antragsteller auftreten müssen. Der folgende Passus „Eine kirchliche Feier soll am . . . stattfinden. Ich versichere ausdrücklich, daß ich als Verwandter zur Stellung dieses Antrags berechtigt bin und die Feuerbestattung den Wünschen des Verstorbenen entspricht" wurde einfach durchgestrichen. „Ziffer 2 [ist] vom zuständigen Staatsbeamten [auszufüllen]." Dieser Teil wurde entgegen den Bestimmungen des Gesetzes nicht von einem zuständigen Amtsarzt, sondern vom Standortarzt oder einem Lagerarzt des Lagers Buchenwald ausgefüllt. 38 „Ziffer 4 [ist] von der Polizeibehörde des Sterbeortes [auszufüllen]." Die hier notwendigen Angaben über Todesursache und den Ausschluß eines natürlichen Todes wurden nicht gemacht, dieser Teil des Antrags blieb einfach leer. 39 45

Damit waren die Angehörigen aus dem gesetzlich vorgesehenen Verfahren ausgeschlossen und die SS hatte mit dieser Praxis alle Möglichkeiten, die tatsächlichen Todesursachen der Häftlinge zu verschleiern. Der Vorgang des Tötens in Buchenwald wurde so durch das Friedhofsamt der Stadt Weimar sanktioniert. Die Angehörigen hatten bei diesem Verfahren nur noch eine fiktive Möglichkeit, den Toten noch einmal zu sehen, denn die Einäscherung erfolgte in der Regel kurze Zeit nach der erteilten Genehmigung und die Nachricht über den Tod erreichte die Hinterbliebenen meist erst nach der Einäscherung. 40 Weiterhin sorgte die Praxis, daß lediglich der Lagerkommandant Anträge auf Einäscherung stellen konnte und so die Möglichkeit der Uberführung der Leichen an ihren Heimatort entfiel, immer wieder für Irritationen zwischen dem Friedhofsamt und dem Lager, denn einige der Angehörigen wandten sich direkt an das Friedhofsamt Weimar und verlangten eine Uberführung. Das Friedhofsamt stellte daraufhin fest, daß sich „bei Überführungen die Hinterbliebenen rechtzeitig mit der Kommandantur in Verbindung setzen müßten." 41 Da die Särge mit den toten Häftlingen bereits in Buchenwald verschlossen wurden, kontrollierte das Friedhofsamt auch nicht, ob bei den Leichen persönliche Gegenstände vorhanden waren. Diese weitere fehlende Kontrolle nutzte die SS, um sich an den toten Häftlingen zu bereichern, die persönlichen Wertgegenstände galten als verschollen. Am 29. Januar 1938 wandte sich beispielsweise Anna W. aus Frankfurt-Sossenheim beschwerdeführend an das Friedhofsamt Weimar. Ihr Mann war am 1. Dezember 1937 in Buchenwald verstorben und im Krematorium Weimar eingeäschert worden. Die Urne wurde nach Frankfurt überführt, jedoch ohne die Wertgegenstände, die ihr Mann bei seiner Inhaftierung bei sich trug: seinen Ehering und eine Geldbörse. Das Friedhofsamt antwortete auf die Anfrage: „Die Leichen werden im K. L. mit einem Sterbehemd bekleidet. Einlegung [in] und Schliessung [des Sarges] erfolgt im K. L. Herrn Winkler 42 ist nichts von einem Ringe und Geldbörse bekannt." 43 Die vom Friedhofsamt Weimar geduldete Praxis der Rechtsbeugung führte immer wieder zu Protesten der Angehörigen. So weigerte sich die Witwe des in Buchenwald am 26. September 1938 verstorbenen Musikers Konrad L., die Urne mit der Asche ihres verstorbenen Mannes entgegenzunehmen. Vielmehr kündigte sie dem Reichspropagandaministerium in Berlin an, selbst nach Weimar zu kommen und hier eine Beisetzung ihres Mannes mit einer „besonderen Feier" zu veranlassen. Um jedes Aufsehen zu vermeiden, übernahm die Stadt Weimar sofort alle Kosten zur Überführung der Urne und stellte diese der Witwe kostenlos zu. 44 Nur in einigen Ausnahmefällen wurde auf die gesetzlichen Bestattungsvorschriften nicht verzichtet. Dies galt hauptsächlich für Todesfälle, bei denen die nach46

folgenden Proteste wegen eines Ausschlusses der Angehörigen auch zu Unruhe in der Bevölkerung hätten führen können. Nach dem Tod des in Buchenwald inhaftierten evangelischen Pfarrers Paul Schneider 45 wurde die Leiche einen Tag später seiner Witwe in einer Autogarage im Lager kurz vorgeführt. 46 Gleiches geschah nach dem Tod des SPD-Reichstagsabgeordneten Ernst Heilmann, 47 dessen Leiche von der SS ebenfalls aufgebahrt und der Witwe und der Tochter Heilmanns vor der Verbrennung gezeigt wurde. 48 Aufgrund der schnell ansteigenden Todeszahlen in Buchenwald 4 9 war der Friedhof Weimar ab Anfang 1938 hauptsächlich mit der Einäscherung verstorbener Häftlinge des Lagers beschäftigt. Zwischen April 1938 und März 1939 waren 90 Prozent aller Bestattungen auf dem Friedhof Feuerbestattungen, und dies waren fast ausschließlich Einäscherungen im Auftrag des KL Buchenwald. Der Verbrennungsofen des Krematoriums hielt dieser starken Belastung nicht stand, er mußte im Dezember 1938 wegen der zu starken Beanspruchung repariert werden. Im Verwaltungsbericht des Friedhofes für den Zeitraum 1938/39 wurde der eigentliche Grund für diese hohe Belastung aber verschwiegen: „Die hohe Feuerbestattungsziffer bei Männern erklärt sich aus besonders ergangenen Maßnahmen." 5 0 Angesichts der steigenden Todeszahlen forderte die Lager-SS bereits im April 1938 ein eigenes Krematorium für Buchenwald. Mit der Durchführung des Baus der einzelnen Verbrennungsöfen wurde die Firma Topf & Söhne aus Erfurt beauftragt, die zu diesem Zeitpunkt in Dachau ein Krematorium fertigstellte und zunächst Buchenwald, Sachsenhausen, Flossenbürg und Mauthausen und dann die Vernichtungslager im Osten mit Krematorien ausrüstete. 51 Der erste Verbrennungsofen (Doppelmuffelofen) wurde im November 1940 in Buchenwald fertiggestellt, bereits ein Jahr später wurde die gesamte Anlage zu einem großen Krematorium umgebaut, welches zwei Dreimuffelöfen der Firma Topf & Söhne enthielt. Die Errichtung und der Umbau des lagereigenen Krematoriums 1940/41 stehen im direkten Zusammenhang mit den Vernichtungsaktionen des Herbstes 1941, bei denen die SS nun Wert auf größte Verschwiegenheit legte. 52 Die Erfurter Ofenbauer lieferten unmittelbar nach Fertigstellung des ersten Verbrennungsofens am 14. November 1940 270 Urnen und 570 Urnendeckel nach Buchenwald, bereits im Mai 1940 hatte sie einen Kasten Urnenstempel an das Lager gesandt. Der Buchbinder Gutmann lieferte zwischen Juni 1940 und Juli 1941 1.899 Urnenkanons nach Buchenwald, die zur Verschickung der Urnen benötigt wurden. 53 Auch der Friedhof Weimar bemühte sich Ende 1938 um einen neuen Verbrennungsofen. Am 21. Dezember 1938 beschloß der Stadtrat den Neubau eines Verbrennungsofens für das Krematorium, beauftragt wurde die Firma Topf & Söhne aus Erfurt. 54 47

Neben der Einäscherung verstorbener Häftlinge w u r d e der Friedhof Weimar auch zur Pflege der Gräber verstorbener SS-Angehöriger genutzt. 55 Nach dem Tode der SS-Männer Kallweit 5 6 und Hartmann im Verlaufe des Jahres 1938 wurden sie auf dem Hauptfriedhof beigesetzt. Zur Pflege und Instandsetzung der Gräber sollten zwei Häftlinge eingesetzt werden. Dies stieß jedoch auf den Widerstand der Lagerkommandantur, denn „es ist nicht möglich bei dem Mangel an Leuten die Gräber durch Häftlinge instand setzen zu lassen, da einmal die Leute zur Bewachung fehlen, zum andern es aber ein schlechtes Bild geben würde, wenn die Häftlinge unter Bewachung die Gräber in Ordnung bringen." Daher w u r de angeordnet, das Grab des SS-Rottenführers Hartmann vom Kommandanturstab Buchenwald herzurichten und ab dann von der Friedhofsverwaltung zu einem jährlichen Kostensatz von 10,- R M pflegen zu lassen. Die Pflege aller anderen Gräber von SS-Angehörigen, für die auf dem Friedhof ein spezieller Ehrenhain angelegt wurde, 5 7 erfolgte direkt durch die III. SS-Totenkopfstandarte „Thüringen". Trotz der zitierten Ablehnung waren auf dem Friedhof auch Häftlinge zur Arbeit eingesetzt, über die Art ihrer Arbeit und den Zeitraum des Arbeitseinsatzes konnte jedoch nichts ermittelt werden. 5 8 Standesamt59 Mit Wirkung vom 12. November 1937 w u r d e das KL Buchenwald dem Standesamt Weimar zugeordnet. Bis zur Errichtung eines eigenen Standesamtes am 1. April 1939 registrierte das Standesamt Weimar alle Personenstandsvorgänge innerhalb Buchenwalds - also hauptsächlich Sterbefälle. 60 Danach erfolgte die Registrierung im „Sonderstandesamt Weimar II" in Buchenwald. Das Standesamt befand sich im Kommandanturbereich des Lagers, sein genauer Standort ist nicht bekannt. Erster Standesbeamter in Buchenwald w a r der SS-Hauptscharführer Bräuning, er w u r d e spätestens 1940 abgelöst durch den SS-Hauptscharführer Fricke. Fricke betreute mit seinen beiden Stellvertretern, dem SS-Unterscharführer Wagner und dem SS-Hauptscharführer Rudolf, das „Sonderstandesamt Weimar II" bis April 1945. Sie alle unterstanden in ihrer Funktion als Standesbeamte nicht dem Kommandanten des Lagers, sondern dem Oberbürgermeister Weimars und dem leitenden Standesbeamten der Stadt Fleischhauer. Die Aufsicht Fleischhauers über die Arbeit seiner Kollegen in Buchenwald beschränkte sich hauptsächlich auf die Prüfung der korrekten Führung der Zweitbücher 6 ' des Lagers. Bei der Prüfung insbesondere der Sterbebücher entdeckte Fleischhauer immer wieder falsche oder fehlerhafte Eintragungen, auf deren Berichtigung er drängte. So kritisierte der Weimarer Standesbeamte im Januar 1941, daß die Anzeige des Todes eines Häftlings nicht w i e

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vom Gesetz vorgesehen durch einen Angehörigen, sondern in der Regel durch den Kommandanten des Lagers erfolge. Seien die Angehörigen verhindert, so Fleischhauer, dann müsse die zuständige Polizeibehörde den Tod anzeigen. Nur in öffentlichen Gefangenen-, Kranken- sowie Pflegeund Entziehungsanstalten sei der Leiter der Anstalt zur Todesanzeige ermächtigt. Die Einordnung eines Konzentrationslagers sei in dieser Beziehung unklar. Eine Anfrage seines Kollegen Fricke in den Lagern Sachsenhausen und Dachau ergab, daß auch hier nicht geregelt sei, wer den Tod eines Häftlings anzeigen dürfe. 62 Dies veranlaßte Fleischhauer zu einer grundsätzlichen Nachfrage beim Reichsverband der Standesbeamten Deutschlands in Berlin. Dessen Vorsitzender Knost erklärte, bei Konzentrationslagern handele es sich um öffentliche Gefangenenanstalten, daher sei eine Todesanzeige durch den Lagerkommandanten in Ubereinstimmung mit dem Gesetz. Allerdings, so Knost, solle der Lagerarzt als anzeigende Person auftreten. So werde dem Gesetz Rechnung getragen, nach dem im Sterbebuch nicht erkennbar sein soll, daß jemand „in einer Anstalt, in der eine mit Freiheitsentzug verbundene Maßregel der Besserung und Sicherung vollzogen würde", 6 3 gestorben sei. Fricke, Fleischhauer und der Weimarer Oberbürgermeister Koch einigten sich nach diesem Hinweis auf folgenden Sachverhalt: 64 „Im Lager Buchenwald sei es so, daß die Sterbefälle sich in fast allen Fällen ausschließlich im Krankenrevier ereigneten, das unmittelbar einem A m t s a r z t unterstünde, der auch allein die V e r a n t w o r t u n g f ü r das, was im K r a n k e n r e v i e r geschehe, trüge. Jedenfalls w ä r e n die K r a n k e n r e v i e r e [ . . . ] f ü r die SS-Gefolgschaft und f ü r die Häftlinge getrennt [...]. Die K r a n k e n r e v i e r e hätten also [...] der Ansicht des Lagerkommandanten nach den C h a r a k t e r einer öffentlichen Krankenanstalt, so daß o h n e weiteres die schriftliche A n z e i g e des Leiters, des Amtsarztes o d e r seines Stellvertreters, genügen müsse f ü r A n m e l d u n g e n v o n Todesfällen."

Gemäß dieser Vereinbarung wurde beschlossen, daß in Zukunft folgender Eintrag in den Sterbebüchern verwandt wurde: „Eingetragen auf Grundschriftlicher Anzeige des Leiters des Krankenreviers Weimar-Buchenwald". 65 War durch diese Regelung der Verwaltungsstaat um den Ausnahmezustand herum wieder in Ordnung gebracht, ergab sich weiterer Klärungsbedarf bei der Angabe von Todesursachen. Deren Angabe, so Fleischhauer, sei so zu wählen, daß nicht auf eine Hinrichtung geschlossen werden könne. 66 Daher seien Todesursachen wie „Exekution auf Befehl des Reichsführers SS" oder „Tod durch vier Infanteriefernschüsse in den Rücken" zu vermeiden und durch andere zu ersetzen. Ab Mitte 1942 wurde das Verhältnis zwischen den Weimarer und den Buchenwalder Standesbeamten schwieriger, denn das Standesamt des La49

gers war aufgrund der nun schnell steigenden Todeszahlen hauptsächlich ausländischer Häftlinge nicht mehr in der Lage, die von Fleischhauer unnachgiebig geforderte korrekte Führung der Personenstandsbücher zu gewährleisten. Fricke teilte Oberbürgermeister Koch als dem Vorgesetzten Fleischhauers im Mai 1942 mit, daß die von letzterem geforderten Nachermittlungen zum letzten Wohnort und dem Beruf des Verstorbenen „zwecklos" seien, da diese von der SS nicht registriert würden. Ab 1943 verschärfte sich die Lage im Standesamt des Lagers weiter, denn die Standesbeamten konnten bei den Eintragungen nicht mehr dem Tempo der Todesfälle in Buchenwald standhalten. 67 Fricke erhielt im Juni 1944 zwei Häftlinge, später drei Häftlinge zur „Aufarbeitung der Rückstände". Weiter verlangte Fricke nach der zeitweiligen Versetzung Wagners zur Kommandantur des Lagers Aushilfe aus der Stadt Weimar. Oberbürgermeister Koch beschied die Anfrage ablehnend, denn „nach den seinerzeitigen Vereinbarungen [ist] die Stellung des Standesbeamten und seines Hilfspersonals Angelegenheit des Kz. Lagers Buchenwald." 6 8 Nach der jährlich erfolgenden Prüfung der jeweiligen Zweitbücher des Standesamtes II durch Fleischhauer wurden diese von dem Weimarer Buchbindermeister Oswald gebunden und im Weimarer Standesamt verwahrt. Die Erstbücher verblieben in Buchenwald und wurden hier Anfang April 1945 von der SS vernichtet. 69

Städtisches

Krankenhaus

Seit August 1937 wurden bis zur Einrichtung des Häftlingskrankenbaus im Sommer 1938 in häufiger Folge kranke und verletzte Häftlinge aus dem Lager Buchenwald in das Städtische Krankenhaus Weimar eingeliefert. Sie kamen mit Schußwunden, Verletzungen durch die Arbeit oder Infektionskrankheiten. Den behandelnden Ärzten war so der Alltag im Konzentrationslager genau gegenwärtig. So wurde am 4. September 1937 gegen 12 Uhr der Häftling Heinrich K. ins Krankenhaus eingeliefert. K. hatte einen Durchschuß im Oberbauch. Trotz sofortiger Operation verstarb der Häftling gegen 24 Uhr. 70 Am 6. Oktober 1937 kam der Häftling Heinrich W. in das Weimarer Krankenhaus. W. hatte sich im Steinbruch an der Hand verletzt. Da die Wunde in Buchenwald nicht versorgt wurde, entzündete sich die Hand und die Wunde eiterte. Auch Angehörige der SS wurden im Städtischen Krankenhaus behandelt. So erschien am 18. Oktober 1937 der SS-Scharführer Lorenz S. zur stationären Behandlung. Diagnose: „Stirnfurunkel". Neben dieser ärztlichen Behandlung, die nach Fertigstellung des Krankenbaus im Lager zurückging und im großen Umfang erst nach den Bombenangriffen im August 1944 wieder aufgenommen wurde, 71 führte das städtische Krankenhaus auch Sterilisationen an Häftlingen durch. 72 Die 50

Häftlinge, deren Sterilisation von einem Erbgesundheitsgericht 73 beschlossen wurde, waren meist nur für wenige Tage in Buchenwald inhaftiert und wurden dann in das Städtische Krankenhaus Weimar zur Sterilisation verlegt. 74 Die erste Sterilisation wurde am 14. September 1937 im Städtischen Krankenhaus vorgenommen, sie betraf den Häftling Kurt L. aus Chemnitz. 75 1938 wurden im Weimarer Krankenhaus insgesamt 221 Häftlinge sterilisiert, weitere Sterilisationen sind über die Fertigstellung des Krankenreviers in Buchenwald hinaus bis zum 14. September 1939 nachweisbar. 76 Auffallend ist, daß keiner der nach erfolgter Sterilisation auszufüllenden ärztlichen Berichte tatsächlich ausgefüllt und unterschrieben wurde, lediglich Name des Häftlings, Geburtsdatum und -ort, Datum des Gerichtsbeschlusses und das dazugehörige Aktenzeichen sowie das zuständige Konzentrationslager wurden eingetragen. U m einen solchen Vorgang der Sterilisation mit allen beteiligten Personen und Behörden genau wiederzugeben, sei als ein Beispiel der Fall des damals 59jährigen Greizer Färbereiarbeiters Paul G. beschrieben: 77 Die Unfruchtbarmachung des Paul G. wurde am 23. März 1938 auf Antrag des Lagerarztes des KL Buchenwald durch das Erbgesundheitsgericht Jena beschlossen, dem u. a. die beiden Weimarer Ärzte Arndt und Wichmann angehörten. G. war zu diesem Zeitpunkt Häftling in Buchenwald. Er sollte wegen „angeborenen Schwachsinns" sterilisiert werden. Diese Diagnose ergab sich aus einem Gutachten der Psychatrischen und Nervenklinik in Jena, nach dem G. „ein von Haus aus geistig minderwertiger Mensch [ist], dessen Wissens- und Lebenseinstellung primitiv und dessen Urteilsvermögen schwach entwickelt ist. Das Gesamtbild seiner Persönlichkeit ist das eines Schwachsinnigen im klinischen Sinne." Da sein „Schwachsinn", wie man aus den „gleichen Eigenschaften" seiner beiden bereits unfruchtbar gemachten Söhne schließen könne, angeboren sei, erschien den Gutachtern eine Unfruchtbarmachung notwendig, denn „gegen seine Fortpflanzungsfähigkeit bestehen keine Bedenken." Am 12. Mai 1938 wurde G. in das Städtische Krankenhaus eingeliefert, am gleichen Tag erfolgte seine Sterilisation und der Rücktransport nach Buchenwald. Neben den Verbindungen des Städtischen Krankenhauses zum KL Buchenwald pflegte auch das evangelische Krankenhaus „Sophienhaus" in Weimar Kontakte zum Lager. Hier erschienen SS-Leute zur Blutspende, die mit 30,- R M vergütet wurde und zu einer Lebensmittelzulage („Kräftigungszuschuß") in Höhe von 10,- RM berechtigte. 78

Wohlfahrtsamt

Weimar (Amt für

Volkswohlfahrt)

Paradoxerweise kümmerte sich das Wohlfahrtsamt Weimar - eine Einrichtung der NS-Volkswohlfahrt (NSV) 79 - auch um die Angehörigen von Wei51

marer Bürgern, die im KL Buchenwald inhaftiert waren. Dies geschah jedoch nur auf Antrag und unter der Bedingung, daß die zu Unterstützenden für die NSV einen „Wert" darstellten, der eine Unterstützung im Kontext der NS-Ideologie als lohnenswert für die gesamte „Volksgemeinschaft" erscheinen ließ. In diesem Sinne wurden alle Antragsteller auf ihre „Volksgesundheit" untersucht. Die meisten Antragsteller wandten sich direkt an das Wohlfahrtsamt oder an den Reichsstatthalter Sauckel, dessen Büro zunächst eine „erbgesundheitliche und weltanschauliche Prüfung" der Antragsteller veranlaßte, bevor es über eine Förderung entschied. 80 So wandte sich im Juli 1938 Frau Gertrud A. an den Reichsstatthalter mit der Bitte um finanzielle Unterstützung." Ihr Mann, der Schmied Walter Α., war am 15. Juni 1938 als „Arbeitsscheuer" nach Buchenwald eingeliefert worden. Die Familie hatte 5 Kinder, seine Frau war im neunten Monat schwanger. Gertrud A. wurde aufgrund ihres Antrags eine einmalige Unterstützung in Höhe von 2 5 , - R M zuerkannt. Gleichzeitig bat das Büro Sauckels um eine Auskunft, die Familie A. betreffend. In seiner Antwort verneinte das Wohlfahrtsamt eine weitere bevorzugte Unterstützung der Familie, denn diese werde bereits durch die NSV mit Lebensmittelgutscheinen im Wert von 5 , - R M wöchentlich unterstützt. Außerdem sei die Familie nach einem Gutachten des „Amtes für Volksgesundheit" als bedenklich einzustufen. Eine Anfrage beim Wohlfahrtsamt konnte jedoch auch zu einer Einweisung in das KL Buchenwald führen. Bereits 1934 wandte sich Richard E. aus Weimar, Vater von sieben Kindern, mit der Bitte um finanzielle Unterstützung an Sauckel. Daraufhin ordnete das Wohlfahrtsamt am 6. Juli 1934 eine Untersuchung der ganzen Familie auf „Erbgesundheit und Erbtüchtigkeit" an. E. wehrte sich dagegen. In der darauf folgenden Auseinandersetzung wurden der Familie die Kinder entzogen und für einige Zeit in das Kindererholungsheim nach Liebsburg bei Weida gebracht. Anna E., Frau von Richard E., wurde mit der Einlieferung in eine psychiatrische Anstalt gedroht. Da auch diese massiven Drohungen die Familie nicht zum Einlenken bewegen konnten, wurde Richard E. durch die Gestapo am 13. Juni 1936 verhaftet, zunächst in Weimar inhaftiert und anschließend in das KL Bad Sulza eingewiesen. Nach der Auflösung des KL Bad Sulza wurde E. nach Buchenwald überführt. Am 7. Januar 1939 bat Anna E. in einem erneuten Schreiben an Sauckel, ihren Mann aus der Haft zu entlassen. Sauckel ließ den Vorgang von der Gestapo prüfen, die eine baldige Entlassung nach „ausreichender Schutzhaft" zusagte. Ob im Wohlfahrtsamt - wie von einer Zeitzeugin berichtet - auch Häftlinge zur Arbeit eingesetzt wurden, kann an Hand der eingesehenen Quellen nicht bestätigt werden. 82 52

Krankenkassen

und Versicherungen

Die Landesversicherungsanstalt Thüringen wie die Allgemeine Ortskrankenkasse Weimar standen gleich den Landesversicherungsanstalten anderer Länder über den Postweg in Kontakt zum Lager Buchenwald. In der Regel ging es hierbei um die Versicherungsangelegenheiten von inhaftierten Weimarer und Thüringer Bürgern. 83

Ernäbrungsamt Bis zum Kriegsbeginn unterlag die Versorgung des Konzentrationslagers mit Lebensmitteln keiner Aufsicht durch Behörden der Stadt Weimar. Es bestanden zwar feststehende Verpflegungssätze, deren Einhaltung wurde jedoch nicht durch Weimarer Behörden überprüft. 84 Auch die Belieferung des Lagers mit Lebensmitteln lenkten oder beaufsichtigten die Behörden der Stadt in keiner Weise. Bis Kriegsbeginn übernahmen Weimarer und auswärtige Lebensmittelhändler die Versorgung Buchenwalds, unter ihnen trat der Weimarer Kaufmann Thilo Bornschein als wichtigster Lieferant für das K L Buchenwald hervor. Er wurde im September 1939 von der Lager-SS als Alleinversorger Buchenwalds eingesetzt, da die sich mit Kriegsbeginn ergebenden Änderungen in der Lebensmittelversorgung des Lagers eine Bündelung an nur einen Lebensmittelhändler für die Lager-SS sinnvoll erscheinen ließen. Das nunmehr zur Kontrolle und Organisation der Lebensmittelrationierung eingesetzte Ernährungsamt 85 war ab August 1939 zuständig für die Zuteilung von Lebensmitteln an Buchenwald. Richtlinie für die vom Ernährungsamt ausgegebenen Bezugsscheine, mit denen das Konzentrationslager bis 1942 über Bornschein und nach dessen Verhaftung 86 hauptsächlich über die Raiffeisengenossenschaft Weimar Lebensmittel anfordern konnte, bildeten hierbei die sogenannten „Verpflegungsportionssätze", die in insgesamt 70 „Zuteilungsperioden" von Januar 1940 bis 1945 mehrmals geändert wurden und neben festgelegten „Normalverpflegungssätzen" auch die Möglichkeit enthielten, zusätzliche Verpflegungsätze für „Schwerarbeiter" bzw. „Lang- und Nachtarbeiter" zu beziehen. Aus den vorliegenden Unterlagen des Ernährungsamtes und den Aussagen des ab 1942 in Buchenwald als Verwaltungsführer eingesetzten SSSturmbannführers O t t o Barnewald 87 im Dachauer Buchenwaldprozeß 88 1947 läßt sich die Zusammenarbeit von Ernährungsamt Weimar und K L Buchenwald wie folgt beschreiben: 89 Die vom Reichsministerium für Landwirtschaft und Ernährung bestimmten Wochenrationen für Häftlinge wurden gleich den Bestimmungen für die Zivilbevölkerung alle 28 Tage (eine Zuteilungsperiode) festgesetzt. Drei Tage vor Beginn einer neuen Pe-

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riode informierte das Reichsministerium die Landesernährungsämter, welche wiederum die Ernährungsämter in den Kreisen informierten. Das für Buchenwald verantwortliche Ernährungsamt Weimar gab die jeweils neuen Rationen der Lagerverwaltung bekannt. In Buchenwald wurden die Ernährungsportionen entsprechend der Lagerstärke hochgerechnet, nach den einzelnen Kategorien - Normalverpflegung und Schwerarbeiterzulage sowie ab Mitte 1943 auch Transportverpflegung - aufgeteilt und die daraus resultierenden Anforderungen anschließend dem Ernährungsamt gemeldet. 90 Dieses kontrollierte die Anforderungen an Hand der vom Lager gleichzeitig übermittelten Angaben zur Lagerstärke und zum Arbeitseinsatz der Häftlinge auf ihre Richtigkeit, versah die nach Produktklassen getrennten Anforderungsbögen mit Unterschrift und Stempel und schickte sie an das Lager zurück, welches nun die Lebensmittel bei Großhändlern anfordern konnte. Bei diesen Berechnungen kam es ab 1941 immer wieder zu vom Lager bewußt verursachten fehlerhaften Berechnungen und falschen Angaben der Anzahl der Schwerarbeiterzulagen. Bereits im Februar 1941 überschritt Buchenwald die Höchstsätze für Schwerarbeiterzulagen, was jedoch vom Ernährungsamt zunächst durch die bezugsscheinfreie Abgabe von Fertigsuppen und Freibankfleisch unterstützt wurde. 91 Auch im Laufe des Jahres 1944 gab Buchenwald die Zahl der Häftlinge mit Schwerarbeiterzulage zu hoch an.92 Nachdem dieser Betrug in den Abrechnungen Buchenwalds durch das Weimarer Ernährungsamt entdeckt wurde, 93 veranlaßte das Thüringische Landesernährungsamt im Dezember 1944 eine umfangreiche Prüfung des Arbeitseinsatzes der Häftlinge des KL Buchenwald in den Gustloff-Werken und in den Außenkommandos des Lagers in und um Weimar. Ziel dieser Kontrollen war, die tatsächliche Zahl der schwerarbeitenden Häftlinge herauszufinden. Nachdem durch diese Kontrolle der Betrug bestätigt wurde, ging die Anzahl der Schwerarbeiterzulagen für Buchenwald ab Februar 1945 drastisch zurück. Im DachauProzeß sagten Barnewald und der Verwalter des Lebensmittelmagazins in Buchenwald SS-Hauptscharführer Pack aus, daß auch nach dieser Uberprüfung die Kontrollen der tatsächlich anwesenden Häftlinge mit Berechtigung der Schwerarbeitszulage durch das Ernährungsamt Weimar bis April 1945 weitergingen und alle Außenkommandos in Weimar und U m gebung umfaßten. Dabei drängte das Ernährungsamt die SS immer wieder zur Einhaltung der geltenden Vorschriften. 94 Diese Aussagen und die Änderung der Lebensmittelzuteilung im Februar 1945 zeigen, daß die Erklärung der Stadt im April 1945, das Ernährungsamt Weimar hätte keinerlei Einfluß auf die Geschehnisse in Buchenwald gehabt, nicht der Wahrheit entsprachen. Zwar hatte Stadt54

amtmann Heyne als verantwortlicher Leiter des Ernährungsamtes sicherlich keinerlei Möglichkeiten, direkt auf die Verteilung der Lebensmittel im Lager einzuwirken, jedoch besaßen er und sein Vorgesetzter Thein vom Landesernährungsamt mit den Kontrollen im Gustloff-Werk und den Außenkommandos des Lagers Buchenwald in Weimar weitreichende Kompetenzen und Einflußmöglichkeiten, die ihnen einen relativ großen Einblick in die Realität des Lageralltags gestatteten. Die mit den Kontrollen einhergehenden Gerüchte in Weimar, die die angeblich sehr gute Versorgung der Häftlinge Buchenwalds mit Lebensmitteln zum Thema hatten, bildeten einen wichtigen Teil der Entschuldungsstrategie Weimars im April 1945. In dem Bericht der Stadt an den amerikanischen Militärgouverneur Brown vom 1. Mai 1945 beschäftigt sich ein ausführlicher Punkt mit der Versorgung von Stadt und Lager mit Lebensmitteln während des Krieges. Die penible Auflistung aller Rationen dient zum Beweis der Behauptung, daß die Lebensmittelrationen des Lagers gleich den Rationen für die Zivilbevölkerung und in Einzelbereichen auch höher gewesen seien. Autor dieser Auflistung war Stadtamtmann Heyne. 9 5

Schlachthof Für die Versorgung des K L Buchenwald mit Fleischwaren und Freibankfleisch war neben anderen privaten Metzgereien aus Weimar und dem Umland sowie den Thüringer Fleischwerken Weimar auch der seit 1899 als städtischer Dienstleistungsbetrieb geführte Schlachthof der Stadt zuständig. Oberbürgermeister Koch führte in seinem Verwaltungsbericht 1941 aus, daß die Arbeit des Schlachthofs „unter besonders schwierigen Verhältnissen" vor sich ging, da dieser „nicht nur die Stadt Weimar, sondern auch zahlreiche Kasernen, wie das Lager Buchenwald u. a. zu beliefern hat." 9 6 Ab 1939 waren im Schlachthof Häftlinge zur Arbeit eingesetzt. 97 Feuerwehr Bis zur Aufstellung einer eigenen Lagerfeuerwehr 98 im Frühjahr 1939 wurde der Brandschutz für Buchenwald von der Weimarer Berufsfeuerwehr übernommen. Die Ausbildung der lagereigenen Feuerwehr erfolgte durch SS-Leute und durch Angehörige der Berufsfeuerwehr Weimar; ausgebildet wurden sowohl Häftlinge als auch SS-Angehörige. 99 Auch nach dem Aufbau der Lagerfeuerwehr Buchenwald wurde die Weimarer Berufsfeuerwehr zu Löscheinsätzen herangezogen, insbesondere nach den Bombenangriffen im August 1944 auf das Gustloff-Werk II. Andererseits wurde der Aktionsradius der Buchenwalder Feuerwehr nach dem Bombenangriff im August 1944 auf Weimar und Erfurt ausgedehnt, die Fahrzeuge der La-

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gerfeuerwehr waren an der Kreuzung Straße nach Buchenwald/Ramslaer Straße stationiert.' 00 Ab September 1942 waren Häftlinge bei der Berufsfeuerwehr in Weimar eingesetzt. 101

Banken Zur Bewältigung seines umfangreichen Finanzverkehrs richtete das KL Buchenwald 1937 mehrere Girokonten bei Weimarer Banken ein. Bei der Reichsbankstelle Weimar eröffnete Buchenwald drei Konten, die alle mit der Kennzahl 76 begannen. Bei der Städtischen Sparbank Weimar wurde für das Lager ein Girokonto geführt. 102 Die Konten bei der Reichsbanknebenstelle Weimar waren nach verschiedenen Verwendungszwecken aufgeteilt. Das Konto Nr. 76/1468 diente zur Einzahlung von Häftlingsgeldern, auf das Konto Nr. 76/1463 wurden die Gewinne aus dem Arbeitseinsatz der Häftlinge eingezahlt. 103 A m 6. April 1945 wies das erste Konto ein Guthaben von 2.812.154,62 RM aus. Weiter besaß Buchenwald ein besonderes Konto bei der Städtischen Sparbank in Weimar, welches im April 1945 einen Kontostand von 77.530,- R M aufwies. 104 Da das Konto zur Häftlingsgeldverwaltung auch von den Angehörigen der Häftlinge für Uberweisungen benutzt wurde, war die Reichsbanknebenstelle Weimar auch für die Korrespondenz mit den Angehörigen zuständig, wenn Geldbeträge auf Grund des Todes oder des Transportes von Häftlingen in ein anderes Lager nicht mehr zugestellt werden konnten. 105

Kulturstätten

Weimars

(Schillerhaus)106

Anfang des Jahres 1942 beschloß Oberbürgermeister Koch gemeinsam mit den Direktoren der Museen Weimars, angesichts drohender Bombenangriffe auf Weimar die wichtigsten Kulturgüter der Stadt in Sicherheit zu bringen. 107 Von besonders unersetzlichen Gegenständen sollten Kopien angefertigt werden, diese Maßnahme diente auch zur Aufrechterhaltung des Tourismus in Weimar. Am 17. Februar empfahl der Weimarer Polizeipräsident Paul Hennicke auf einer Sitzung zum Schutz der Möbel, von Goethes Arbeitszimmer, von seinem Schlafzimmer sowie von Schillers Bett, Schreibtisch und Stuhl Zweitstücke anfertigen zu lassen. Der Polizeipräsident „wies Wege", so Oberbürgermeister Koch in seinem Protokoll der Sitzung, „wie dies möglich sei und sagte seine persönliche Mithilfe zu." 108 Hennicke hatte empfohlen, die Möbelkopien durch Häftlinge des KL Buchenwald herstellen zu lassen. In einem ersten Schritt zur Umsetzung des Vorhabens wurde der Modelltischler im Stadtbauamt, Fritz Eckhardt, von Koch und dem Direktor des Goethe-Nationalmuseums Hans Wahl beauftragt, Maße von den Möbeln des Schiller- und des Kirms-Krackow-Hauses zu nehmen und die für eine Verpackung dieser Möbel notwendigen 56

Holzkisten zu entwerfen. Am 13. April 1942 kam Koch auf das Angebot Hennickes zurück und bestellte über ihn beim K L Buchenwald 40 Holzkisten zur Verpackung von Möbeln und Büchern aus dem Schillerhaus und von Gegenständen aus dem Museum für Ur- und Frühgeschichte. Weiter sollten die Häftlinge von folgenden Möbeln des Schillerhauses Kopien herstellen: Schreibtisch, Bett und Spinett aus dem Arbeits- und Sterbezimmer Schillers, der kleine Nähtisch aus dem Empfangszimmer sowie je ein Stuhl aus jedem der drei Zimmer im zweiten Geschoß des Schillerhauses. 109 Die Originalmöbel wurden daraufhin nach Buchenwald gebracht und im Keller der Werkstätten der Deutschen Ausrüstungswerke (DAW) in Buchenwald sichergestellt. 110 Hier begannen die Häftlinge mit der Herstellung der Holzkisten und der Zweitstücke. Am 12. Juni 1943 meldete die SS, daß fast alle Möbelkopien fertiggestellt seien. Als erstes wurden die Stühle und ihre Kopien nach Weimar zurückgebracht, am 19. Oktober 1943 folgte der Schreibtisch Schillers. Am gleichen Tag ordnete Oberbürgermeister Koch an, eine Tafel an einem der Türpfosten zu Schillers Arbeits- und Sterbezimmer mit folgendem Hinweis anzubringen: „Die Möbel in Schillers Arbeits- und Sterbezimmer sind getreue Nachbildungen der in Sicherheit gebrachten Originale." 111 Am 15. November 1943 wurde mit der Fertigstellung der Kopie des Spinetts die Arbeit in Buchenwald abgeschlossen. Am 1. Dezember 1943 bedankte sich Stadtbaurat Lehrmann anläßlich der Rücklieferung des Originalspinetts bei der SS in Buchenwald für die gute Zusammenarbeit: 112 „Ich möchte und K o p i e n Gleichzeitig stungswerke

die Gelegenheit nicht versäumen, Ihnen für die gediegenen Arbeiten der Möbel aus d e m Sterbezimmer von Schiller bestens zu danken. m ö c h t e ich darüber hinaus den Leistungen der Deutschen A u s r ü erste A n e r k e n n u n g aussprechen."

Die Originalmöbel und die sichergestellten Bücher aus dem Schillerhaus wurden bis zum Ende des Krieges gemeinsam mit weiteren Gegenständen aus den anderen Museen Weimars im Keller des NietzscheArchivs sichergestellt. Im April 1946 schaffte Fritz Eckhardt die Möbelkopien auf den Dachboden des Rathauses. Hier blieben sie bis 1953 stehen und wurden dann an das Schillerhaus zurückgegeben. 113 2.1.3. Infrastrukturelle Einbindungen Ähnlich der abwartenden Haltung Weimars bei der Eingemeindung des Lagers verhielten sich die Weimarer Behörden auch bei der Einbindung Buchenwalds in die Infrastruktur der Stadt, die diesbezüglichen Verwaltungsakte und Initiativen gingen ausschließlich vom Oberregierungsrat 57

Gommlich und vom Lager selbst aus. Wenn auch die Einbindungen in ihrem Resultat die dichte Vernetzung von Lager und Umwelt belegen, bleibt eine permanente Zurückhaltung der Stadt zu konstatieren, die mit jeder zusätzlichen Einbindung Buchenwalds auch neue Kosten befürchtete. So blieb die Organisation der Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung des Lagers mit Konflikten beladen, auch der Anschluß Buchenwalds an das Eisenbahnnetz konnte nur gegen den Widerstand der Stadt durchgesetzt werden. Andere, kostenneutrale Einbindungen, verliefen hingegen reibungslos und gingen zum Teil auf die Initiative der Stadt zurück. Weimar stand mit allen seinen Einrichtungen der SS offen, die Nutzung der Infrastruktur der Stadt durch das Lager war selbstverständlich und stieß nirgends auf Widerstand. Strom-, Wasser- und Gasversorgung,

Abwasserbeseitigung

Seinen gesamten Strom bezog Buchenwald ab Sommer 1937 vom Kraftwerk Gispersleben in der Nähe Erfurts, mit dem ein entsprechender Vertrag abgeschlossen wurde. Gispersleben lieferte hochgespannten Strom nach Buchenwald, dieser wurde hier in einer eigenen Transformatorenstation heruntergespannt. Wegen des Stromverlustes beim Transformieren und der Hauptbeziehungszeit des Stroms nach Mitternacht (für die elektrisch geladenen Stacheldrahtzäune) erhielt das Lager vom Kraftwerk für den Stromverbrauch einen Rabatt, der durchschnittliche Bezugspreis lag bei fünf Pfennigen. Buchenwald rechnete Ende 1937 mit einem jährlichen Stromverbrauch von einer Million Kilowattstunden." 4 Die Stromversorgung erfolgte unabhängig von Weimar, Buchenwald war nicht an das Stromnetz der Stadt angebunden. Die Errichtung der Gustloff-Werke II führten zu einer starken Erhöhung des Strombedarfs, der aber weiter mit den Lieferungen aus Gispersleben abgedeckt wurde. Die Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung Buchenwalds gestaltete sich von Anbeginn an aufgrund der Höhenlage Buchenwalds schwierig. 1 ' 5 Ein ganzes Jahr bis Mitte 1938 behalf sich die SS mit Provisorien. Das Wasser wurde zum Teil mit Tankwagen nach Buchenwald gebracht, zum Teil verlegte man Rohre zu bestehenden Bächen und Quellen. Entsprechend schlecht war die Qualität des Wassers in Buchenwald, welches im Mai 1938 als nicht trinkbar galt.116 Da es in der Nähe keine größeren nutzbaren Wasservorkommen gab, sich Stadt und Landkreis nicht auf eine Klärung der Kompetenzen bei der Wasserversorgung einigen konnten und das Lager seinerseits jede Kostenbeteiligung eines neu zu errichtenden Wasserwerks für Weimar und Buchenwald ablehnte," 7 wurde bereits 1937 mit dem Bau einer ca. 20 km langen eigenen Wasserleitung von Tannroda nach Buchenwald begonnen, die eine autarke Versorgung des Lagers mit

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Wasser sicherstellen sollte. Sowohl die dafür notwendigen Baumaterialien als auch technisches Zubehör wurde von Weimarer Firmen" 8 und Spezialfirmen aus ganz Deutschland geliefert, für den Bau wurden Häftlinge eingesetzt. Bei Tonndorf in der Nähe Tannrodas wurden zwei Tiefbrunnen-Pumpwerke errichtet, mittels einer bei Daasdorf 1 1 9 gebauten Druckerhöhungsanlage gelangte das Wasser in den Wasserhochbehälter des Lagers. Die Fördermenge betrug etwa 3.400 bis 5.000 Kubikmeter pro Tag. Diese eigene Anlage war jedoch erst Ende 1942 fertig. Bis dahin war für die Wasserversorgung des Lagers die Wasserwerksverwaltung Weimar und das Kreisgruppenwasserwerk in Ettersburg zuständig, welches Wasser mit einem provisorisch angelegten Rohrsystem nach Buchenwald lieferte. Im Geschäftsjahr 1938/39 gab Weimar 134.558 Kubikmeter Wasser an Buchenwald ab, dies waren knapp sieben Prozent des gesamten Wasserverbrauchs der Stadt. 120 Ahnlich schwierig gestaltete sich die Abwasserbeseitigung. Eine Entsorgung in das Abwassersystem der Stadt Weimar entfiel wegen der zu überwindenden Höhenunterschiede und der ohnehin überlasteten Kläranlage Weimars. 121 Daher wurden zunächst einfache Abortgruben eingerichtet, ab Mitte 1938 wurden die Abwässer über eine etwa 4,5 Kilometer lange Abwasserleitung zur Vippach (einem Seitenarm der Unstrut) geleitet und in der Nähe Berlstedts 122 in einem ca. 10 Hektar großen Verregnungsgelände aufgefangen. Der Abwasserleitung war ein Sandfang vorgeschaltet, in dem die Abwässer gesammelt wurden und erst bei Erreichen eines bestimmten Höchststandes in die Abwasserleitung abflössen. Angesichts des Einlieferungsschubs im November 1938 erwiesen sich sowohl der Sandfang als auch das Abwasserrohr in seinen Dimensionen (20 cm Durchmesser) als viel zu klein. Die Abwässer ergossen sich immer wieder den N o r d hang des Ettersberges hinab in den Synderbach, der von mehreren in Buchenwalds Nachbarschaft gelegenen Orten zur Wassergewinnung genutzt wurde. Auf diesem Wege gelangten auch Krankheitserreger in die Wasserläufe außerhalb des Lagers und verhalfen den zunächst lagerinternen Seuchen der Jahre 1938/39 zu einer Ausbreitung in den Buchenwald umgebenden Dörfern. Mit dem Auftreten der Seuchen in Buchenwald und unter dem Druck Weimarer Behörden wurde im Frühjahr 1939 unter Aufsicht des Gesundheitsamtes und der Wasserbehörde der Stadt Weimar mit dem Ausbau einer größeren Kläranlage im Lager begonnen, die im Juni 1941 betriebsbereit, jedoch mit den Häftlingstransporten des Jahres 1943 bereits wieder total überlastet war. Für Buchenwald bestand bis zur Auflösung des Lagers im Sommer 1945 keine Gasversorgung. Im Laufe des Jahres 1943 bemühte sich die SS jedoch um einen Gasanschluß für das Lager. Ein erster Vertragsentwurf 59

zwischen der „Ferngasversorgung Provinz Sachsen-Thüringen A G " und der SS lag Ende Februar 1944 vor. Geplant war der Bau einer Ferngasleitung von Weimar zum Lager, für die die SS anteilig 60.000,- RM bezahlen sollte. Für den laufenden Kubikmeter Gas sollte das Lager fünf Pfennige bezahlen. Zu welchem Zwecke die SS eine Gasversorgung benötigte, geht aus den verschiedenen Vertragsentwürfen nicht hervor. Ein Vertragsabschluß kam aufgrund der Kriegsereignisse nicht mehr zustande. 123

Post- und

Fernmeldewesen

Bis zur Einrichtung einer Poststelle in Buchenwald wurde der Postverkehr des Lagers über die Postämter der Stadt Weimar abgewickelt. Vermutlich im Oktober 1938 erhielt Buchenwald eine eigene Poststelle. 124 Das Postamt befand sich nach Angabe des damaligen Verwaltungsführer Buchenwalds, SS-Sturmführer Weichseldörfer, „im linken Eingangsgebäude des K. L. Buchenwalds". Die deutsche Reichspost, die für das Postamt Buchenwald zwei Postbeamte stellte, mietete die Räume für monatlich 12,- R M an und bezahlte für die Wintermonate monatlich 8,- R M Heizkosten. Das Postamt Kohlstraße in Weimar war zusätzlich mit der Abwicklung der Postgeschäfte Buchenwalds betraut. 125 Das KL Buchenwald war an das Telefonnetz der Stadt Weimar angeschlossen und auch im Telefonbuch der Stadt eingetragen. 126 Die Kommandantur des Lagers war unter der Sammel-Nr. 6311 zu erreichen, der Lagerkommandant hatte die Durchwahl 83, der Lagerarzt die Durchwahl 106.

Straßen- und

Wohnungsbau

Die Verbindung zur Umwelt des Lagers bildete neben der Straße nach Hottelstedt der Höhenweg von der Ettersburger Straße entlang des Kammes des Ettersberges zum Lager, der im Laufe des Jahres 1937 als Straße ausgebaut und nach dem nahegelegenen Bismarckturm 127 „Bismarckstraße" oder „Staatsstraße" genannt wurde. 128 Ein Jahr später verbreiterte man die sechs Meter breite Straße auf acht Meter, um der „besonderen Verwendung des K. L. Buchenwald in bestimmten Fällen" zu genügen. 129 Bis zur Inbetriebnahme der Eisenbahnverbindung im Juni 1943 führten über diese Straße alle Häftlingstransporte, erreichten die Lieferanten das Lager Buchenwald und verkehrte eine Buslinie, die auch die Besucher des SS-Falkenhofes nach Buchenwald brachte - die von den Häftlingen „Blutstraße" genannte Trasse war praktisch die Verbindungslinie des Lagers zu den Einrichtungen der Umwelt. Bereits im November 1937 erwarb die SS ein Wohngelände für die SSAngehörigen Buchenwalds an der Straße Weimar-Ramsla, die spätere „SSSiedlung II". 130 Die SS kaufte dieses Gelände für 70.000,- R M von der 60

Stadt. Die Wohnhäuser in der Siedlung wurden ab 1938 allein durch Häftlinge errichtet, während des Baus waren Schikanen und Brutalität gegenüber den Häftlingen an der Tagesordnung. 131 Nach der Fertigstellung der Häuser wohnten hier die Familien der höheren SS-Führer Buchenwalds, die „Lagerspitze" wohnte in der SS-Führersiedlung innerhalb des Lagergeländes. Weitere Mitglieder der Lager-SS hatten ihre Wohnungen direkt im Weimarer Stadtgebiet, was jedoch aufgrund der Wohnungsnot der Stadt eine Ausnahme blieb. 132

Anbindung an den öffentlichen

Nahverkehr

Bereits Ende August 1937 bemühte sich die Firma August Wickler aus Gaberndorf 133 um die Einrichtung einer Omnibuslinie zwischen Weimar und Buchenwald. Es dauerte jedoch noch knapp zwei Jahre, bis eine regelmäßige Buslinie zwischen dem Lager Buchenwald und der Stadt Weimar eingerichtet wurde. Den Zuschlag für den Betrieb der Strecke erhielt nicht die Firma Wickler aus Gaberndorf, sondern die kommunale Verkehrsgesellschaft Weimar, die sich ebenfalls seit 1937 um eine Ausweitung ihres Liniennetzes nach Buchenwald bemüht hatte.134 Die Busse verkehrten ab 15. April 1939 zwischen der Reichsstatthalterei (Fürstenplatz) und der Station „Buchenwald (Lager)" sechsmal täglich, die Fahrtzeit betrug ca. dreißig Minuten, eine einfache Fahrt kostete 40 Pfennig. 135 Da die Busse in den normalen Linienplan der Weimarer Verkehrsgesellschaft eingebunden waren, kann davon ausgegangen werden, daß sie auch Zivilisten zur Verfügung standen. 136 Bis zum direkten Anschluß Buchenwalds an das Eisenbahnnetz im Juni 1943 kamen die meisten Häftlingstransporte per Eisenbahn am Hauptbahnhof Weimar an. Sie wurden hier auf Lastkraftwagen verladen oder mußten zu Fuß den ungefähr sechs Kilometer langen Weg vom Bahnhof zum Lager Buchenwald zurücklegen. Einige der Transporte per Eisenbahn verkehrten nach dem „Kursbuch für die Gefangenenwagen". Der Bahnhof Weimar war hier als „Bhf. für KZ.-Lager Buchenwald" eingetragen. 137 Des weiteren wurde Buchenwald von den Weimarer Taxiunternehmen bedient. Die Taxifahrer wurden meist telefonisch von der SS nach Buchenwald gerufen, um SS-Angehörige nach Weimar zu bringen. Bei ihrer Ankunft in Buchenwald mußten sie jedoch des öfteren feststellen, daß die „Besteller nicht mehr anwesend waren, sondern in der Zwischenzeit eine andere Fahrgelegenheit nach Weimar benutzt hatten." Die Weimarer Taxifahrer beschwerten sich deswegen Ende 1939 bei Polizeipräsidenten Hennicke über die fehlende Moral der SS.138 Mit den Taxis wurden auch entlassene Häftlinge zum Bahnhof Weimar befördert. Ende 1939 November nutzte die SS die Weimarer Taxibetriebe für Sammeltransporte der wieder entlassenen jüdischen Häftlinge nach Weimar. 139 61

Eisenbahnanschluß140 Im Januar 1942 begannen im Zusammenhang mit der Errichtung des Gustloff-Werkes II in Buchenwald die Planungen, das Lager an das Eisenbahnnetz anzuschließen. Die ersten Überlegungen gingen von einem Nebengleis des Bahnhofs Weimar aus, welches über Gaberndorf und Daasdorf nach Buchenwald führen und hier westlich des Lagers enden sollte. Diese Überlegungen wurden jedoch wegen des zu überwindenden Höhenunterschiedes wieder verworfen. Ende 1942 wandte sich die Zentralbauleitung der SS an die Centraiverwaltung für Secundairbahnen Hermann Bachstein G m b H Weimar (CV), die bisher den Eisenbahnbetrieb auf der Strecke von Weimar nach Rastenberg 141 betrieb. Der C V wurde der Auftrag erteilt, ein Anschlußgleis von Weimar nach Buchenwald zu planen. Die SS drängte auf baldige Umsetzung dieses Vorhabens, denn mit der Anfang 1943 geplanten Fertigstellung der Werksanlagen des Gustloff-Werkes in Buchenwald mußte ein stabiler Transportfluß von Material und Produkten von und nach Buchenwald gewährleistet sein. Auch die seit Mitte 1942 verstärkt in Buchenwald ankommenden Transporte machten einen Eisenbahnanschluß notwendig, denn die SS konnte aufgrund des Treibstoffmangels in Folge des Krieges die ankommenden Häftlinge nicht wie bisher mit Lastkraftwagen vom Weimarer Bahnhof in das Lager transportieren. Die C V erarbeitete daraufhin bis März 1943 eine Streckenplanung. Diese sah eine Eisenbahnlinie vor, die vom Bahnhof Weimar-Nord 142 über Schöndorf nach Buchenwald führte, um hier in unmittelbarer Nähe der Gustloff-Werke II zu enden. 143 Himmler, der dem Bau eine hohe Priorität einräumte und sich persönlich um dieses verhältnismäßig kleine Bauprojekt kümmerte, setzte per Baubefehl den Baubeginn an allen Genehmigungsbehörden vorbei auf den 9. April 1943 fest und ordnete eine Fertigstellung des Bauvorhabens bis zum 21. Juni 1943 (also in nur zehn Wochen!) an. Zwischen der C V und dem Amt C (Bauwesen) des Wirtschaftsverwaltungshauptamtes der SS ( W V H A ) wurde ein „Anschlußgleisvertrag" abgeschlossen, der festlegte, daß die SS die Kosten für den notwendigen Neubau der Strecke zwischen Schöndorf und Buchenwald in Höhe von 320.000,- R M übernahm und für den Bau der Strecke täglich mindestens 50 Häftlinge zur Verfügung stellte, die den Bau unter extremer Arbeitsbelastung bis Mitte Juni 1943 fertigstellten. Pünktlich am 21. Juni 1943 erschienen 70 geladene Gäste, unter ihnen Himmler, Sauckel, K o m mandant Koch, der Chef der Amtsgruppe C des W V H A Hans Kammler und Vertreter der C V zur feierlichen Inbetriebnahme der Strecke. Auf dem Bahnsteig am Bahnhof Weimar-Nord spielte eine SS-Kompanie, die L o k und die Personenwagen waren mit Hakenkreuzfähnchen und Tannengrün geschmückt. 144 Nach 80 Minuten Fahrt (!) kam der Zug in Buchenwald an.

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Hier wurden die Gäste nach einem Rundgang durch das Gustloff-Werk II von Koch zu einem „Beisammensein" in seiner Führervilla eingeladen. Für die Eisenbahner der C V gab es eine Feier im „Gemeinschaftsraum". 145 Nach dieser feierlichen Einweihung konnte die Strecke jedoch aufgrund fehlerhafter Bauausführung und einer nicht vorliegenden Betriebsgenehmigung noch nicht in Betrieb genommen werden. Erst ab Frühjahr 1944 erfolgte ein regelmäßiger Bahnverkehr auf der Strecke. 146 Befördert wurden Stückgüter und Personen. 147 Neben den regelmäßig verkehrenden „Werkspersonenzügen" 148 zum Gustloff-Werk II liefen von 1944 an alle Häftlingstransporte über das neue Anschlußgleis nach Buchenwald. 149 Die C V erhielt auf dem Bahnhof Buchenwald ein Dienstgebäude, das neben der Wartung der Gleisanlagen auch dem Verkauf von Fahrkarten diente. Bei dem Bombenangriff am 24. August 1944 auf das Gustloff-Werk II wurde auch der danebenliegende Bahnhof getroffen. Erst nach vier Tagen konnten die sich in Weimar stauenden 100 Güterwagen nach Buchenwald befördert werden, darunter befanden sich 50 Waggons mit Häftlingen. Die mangelhafte Bauausführung, der nachfolgende, von ständigen Störungen begleitete Eisenbahnverkehr auf der Strecke und die Befürchtungen der Stadt, durch den geplanten weiteren Ausbau der Strecke Bauland zu verlieren, führten seit Beginn der Planungen der „Buchenwaldbahn" zu schweren Konflikten zwischen der Lager-SS und Weimarer Behörden. Sonstige

Einbindungen

Neben diesen Einbindungen, die der Grundversorgung des Lagers dienten, nutzte die SS selbstverständlich die Einrichtungen der Stadt. Sie brachte Gäste in den Hotels unter, besuchte die Gaststätten und Geschäfte Weimars. Zu dieser selbstverständlichen Nutzung gehörte auch die Integration in die politische und gesellschaftliche Struktur Weimars. Buchenwald bildete den „45. Stimmbezirk" der Stadt, „Stimmlokal: Lager Buchenwald". 150 Das Deutsche Nationaltheater richtete für die Lager-SS eine eigene „Mietreihe" (Kartenanrecht) ein, unter „C 7" konnte die „WaffenSS" Veranstaltungen im Theater besuchen. 151 Nach Kriegsbeginn 1939 wurde Buchenwald in die Schutzmaßnahmen der Stadt einbezogen. Das „KZ.-Lager" zählte zu den „politischen Behörden" der Stadt Weimar, die im Falle eines Bombenangriffes besonders zu schützen waren. Der Luftschutzwarndienst baute Buchenwald in sein Benachrichtungssystem gleichberechtigt ein, für den Fall eines Bombenangriffes sollte das Krankenrevier Buchenwalds als „Ausweichkrankenhaus" mit 120 Betten für Weimar bereitstehen. Allerdings, so führte der „Maßnahmeplan bei Fliegerangriffen" weiter aus, kann Buchenwald „nur in Anspruch genommen werden, wenn es selbst unbeschädigt bleibt." 152

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2.1.4. Konflikte Die Konflikte, die sich aus der Zusammenarbeit der Weimarer Behörden mit dem K L Buchenwald ergaben, resultierten aus der unterschiedlichen Funktion der beiden Verwaltungen, die sich hier gegenüberstanden. Während das Lager auf einer autonomen Verwaltung bestand, die sich notfalls über geltendes Recht hinwegsetzen konnte und nur im Sinne einer Arbeitsdelegation an der Zusammenarbeit mit der Umwelt interessiert war, versuchten die Behörden der Stadt, das Lager in ihren Verwaltungs- und Kontrollbereich zu integrieren. In diesem Spannungsfeld lieferten sich Lager und Stadt einen permanenten Kampf um Kompetenzen und Einfluß, der sich mit der weiteren Zersetzung der rationalen Verwaltungsstrukturen der Stadt im Verlaufe des Krieges immer mehr zugunsten des Lagers entschied. Neben vielen kleinen Konflikten und Kompetenzstreitigkeiten bestimmten hauptsächlich die Auseinandersetzungen um die chaotische Abwasserbeseitigung und der Konflikt um den Bau des Anschlußgleises für Buchenwald das Verhältnis zwischen Weimarer Behörden und Buchenwald. Die „ Typhuskrise"xil Am 2. Februar 1939 meldete der Arzt Cappeller aus Neumark 154 dem Gesundheitsamt des Landkreises Weimar, daß er vier Paratyphus-Fälle aus Ottmannshausen 155 ins Städtische Krankenhaus Weimar überweisen mußte. Zwei Tage später verstarb einer der vier Erkrankten, die sofort durchgeführte Sektion der Leiche ergab Typhus als Todesursache. Wiederum zwei Tage später wurde ein weiterer Patient aus Ottmannshausen unter Typhusverdacht in das Sophienhaus Weimar eingeliefert, gleichzeitig begann eine hektische Suche des Gesundheitsamtes nach der Ursache für die nun wahrscheinlich werdende Typhusepidemie, nachdem der Bürgermeister von Ottmannshausen berichtet hatte, daß im Dorfbach schmutzige Abwässer aufgetreten seien. Die unter Hinzuziehung des Hygienischen Universitätsinstitutes Jena durchgeführten Nachforschungen ergaben, daß der Bach zum nichtregulierten Abwassersystem des Lagers Buchenwald gehörte und die im Bach gesichteten Abwässer dem K L Buchenwald entstammten. Ein Anruf des Hilfsarztes Reinhard beim Standortarzt Buchenwald ergab, „daß dort tatsächlich Typhusfälle bekannt waren. Eine Seuchenmeldung darüber war an das Staatliche Gesundheitsamt des Landkreises nicht erfolgt." 156 Nachdem offensichtlich wurde, daß die bereits Ende 1938 aufgetretenen Typhusfälle in Ottmannshausen und Markvippach, 157 an denen eine Person gestorben war, ebenfalls ihre Ursache im Lager hatten, 158 stellte man das gesamte Gebiet mit sofortiger Wirkung unter

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Quarantäne. In Ottmannshausen w u r d e die Schule auf unbestimmte Zeit geschlossen, die Benutzung des Dorfbaches verboten und die Geschwister der erkrankten zwei Kinder innerhalb der H ö f e bzw. H ä u s e r isoliert. U n ter ihnen w a r auch die Schwester eines der Erkrankten, die n u n m e h r nicht mehr ihrer Tätigkeit beim Fleischermeister Daniel in Weimar nachgehen durfte. Da dieser w i e d e r u m u.a. mit d e m Lager B u c h e n w a l d in H a n d e l s kontakt stand, 159 mußte auch die Veterinärabteilung des Kreisamtes Weimar eingeschaltet werden, u m weitere Infektionswege auszuschalten. In den Gemeinden Hottelstedt, Ballstedt, M a r k v i p p a c h , Vippachedelhausen, N e u m a r k , Schwerstedt, Heichelheim, Ramsla, Stedten, Berlstedt, O t t mannshausen, Ettersburg, Kleinobringen und Großobringen w u r d e angeordnet, daß Trinkwasser nur aus dem Leitungsnetz des Kreisgruppenwasserwerks und ansonsten nur abgekocht genutzt w e r d e n durfte. 1 6 0 Weiter w u r d e das Betreten und Befahren des Geländes, „welches eingeschlossen w i r d von der Straße Ottmannshausen - Hottelstedt, Westrand des Waldes am Mittelberg bis N o r d w e s t e c k e des Konzentrationslagers B u c h e n w a l d Nordostgrenze des Lagers - Straße von der dicken Eiche ostwärts des Sperlingsberges - H o l z w e g nach Ottmannshausen - südlicher O r t s r a n d Ottmannshausen," außerhalb befestigter Wege verboten. 1 6 1 In der Z w i schenzeit breitete sich die Epidemie in Ottmannshausen weiter aus. A m 7. und 8. Februar 1939 w u r d e n aus d e m Ort weitere acht Verdachtsfälle gemeldet. Bis z u m 11. Februar 1939 starben von diesen insgesamt dreizehn Fällen drei Personen im Alter von zehn, z w a n z i g und v i e r u n d z w a n z i g J a h ren an Typhus. In Buchenwald waren die ersten Typhusfälle bereits Ende N o v e m b e r 1938 in Folge der katastrophalen Zustände im Lager nach den Masseneinlieferungen jüdischer H ä f t l i n g e aufgetreten. H i e r stellte der H y g i e n i k e r im SS-Sanitätsamt, SS-Sturmbannführer Dr. J o a c h i m M r u g o w s k y , der mit einer U n t e r s u c h u n g der hygienischen Zustände in B u c h e n w a l d beauftragt w u r d e , in seinem am 19. D e z e m b e r 1938 gegebenen Abschlußbericht fest: „In B u c h e n w a l d selbst waren die besten Bedingungen f ü r die A u s b r e i t u n g der Epidemie gegeben. Es herrschte die größte Wassernot, so daß auf jeden S S - M a n n täglich nur Vi Liter Wasser, auf jeden H ä f t l i n g nur % Liter kam. [ . . . ] M a n m u ß sich w u n d e r n , daß die Epidemie unter Berücksichtigung dieser überprimitiven U m s t ä n d e nicht noch größere A u m a ß e angenommen hat." 162 Insgesamt seien, so eine Mitteilung des Standortarztes an den Leiter des Gesundheitsamtes im Thüringischen Innenministerium, Karl Astel, 61 Häftlinge an Typhus erkrankt, 12 von ihnen verstarben. 1 6 3 Angesichts der Zuspitzung der Lage A n f a n g Februar 1939 in O t t mannshausen verlangte Medizinalrat Freienstein vom Gesundheitsamt des Stadtkreises Weimar eine sofortige Verbesserung der Abwasseranlagen in

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Buchenwald und kritisierte gegenüber seinem Vorgesetzten, dem Leiter des Thüringischen Innenministeriums, Staatssekretär Ortlepp, die Versäumnisse des Standortarztes in Buchenwald. Dieser habe nicht für eine Verbesserung der hygienischen und sanitären Verhältnisse in Buchenwald gesorgt und sei auch seiner Meldepflicht gegenüber dem Gesundheitsamt nach Ausbruch der Typhusepidemie nicht nachgekommen. „Infolge dieser Unterlassungen", so Freienstein „ist der Typhus in Ottmannshausen aufgetreten und hat bisher leider drei Menschen, noch dazu im jugendlichen Alter, als Opfer gefordert." 164 Karl Astel, der neben seiner Funktion als Leiter des Staatlichen Gesundheitsamtes auch das Thüringer Amt für Rassewesen leitete, beschwerte sich mit Verweis auf die engen Verbindungen zwischen Weimar und Buchenwald ebenfalls über die mangelhafte Kooperationsbereitschaft des Lagers und mahnte: „Bei der Bedeutung, die einer rechtzeitigen Mitteilung von dem gehäuften Auftreten von Typhus gerade bei der geringen Entfernung und dem vielseitigen Verkehr zwischen der Stadt Weimar und dem K. L. Buchenwald zukommt, muß ich [ . . . ] erwarten, daß die Mitteilungen sofort nach Kenntnis von Auftreten von Typhusfällen gemacht werden." 165 Der Standortarzt des Lagers 166 ließ sich von dieser Kritik nicht einschüchtern. Er weigerte sich mit dem Verweis auf „geheimzuhaltende Zustände des K. L.", genaue Angaben über die Typhusepidemie und die hygienischen Zustände des Lagers zu machen. Erst der Verweis Freiensteins, daß „solche Mitteilungen streng vertraulich behandelt und als Dienstgeheimnis betrachtet" würden und die Androhung, den Fall an Himmler weiter zu reichen, ließen den Standortarzt einwilligen und darüber hinaus einer Verbesserung der Abwasseranlagen Buchenwalds zustimmen. 167 Das Lager erklärte sich bereit, für eine bessere Wartung des Sandfangs zu sorgen und eine zweite Abwasserableitung so einzubauen, daß ein Uberlauf nunmehr nicht mehr möglich sei. Weiter wurde die SS angewiesen, das Abwasser im Sammelbecken ausgiebig zu chloren. Grundsätzlich vereinbarten beide Seiten den Bau einer größeren Kläranlage für das Lager. Damit beauftragt wurde das Thüringische Innenministerium, welches wiederum die Wasserbehörde und das Bauamt der Stadt Weimar mit der Planung und Durchführung dieses Projektes betraute. Die in diesem Zusammenhang geplanten ersten Besichtigungen der Abwasseranlagen des Lagers durch Mitarbeiter des Bauamtes und der Wasserbehörde fielen mit dem Ausbruch einer Ruhr-Epidemie im Lager zusammen. Nach dem zweiten Einlieferungsschub im Oktober 1939 brach die Lagerhygiene erneut zusammen, bis Anfang November 1939 erkrankten über zweihundert Häftlinge - meist Polen - an Ruhr, mindestens 72 von ihnen verstarben. 168 Auch diese Seuche fand ihren Weg über die Lagergrenzen hinaus. Am 3. November 1939 meldete das Gesundheitsamt aus Ott66

mannshausen eine Ruhrerkrankung. Insgesamt erkrankten bis Mai 1941 sechs Menschen in Ottmannshausen an Ruhr, Todesfälle waren diesmal jedoch nicht zu beklagen. Die Lagerführung zeigte sich nach den Erfahrungen des Jahresanfangs nun wesentlich kooperativer. Die Benachrichtigung des Gesundheitsamtes erfolgte prompt und umfassend. Darüber hinaus wandte man sich ein halbes Jahr später, als die Ruhrepidemie immer noch nicht erloschen war, mit der Bitte um Hilfe nach Weimar. Astel, der das Lager am 6. Mai 1940 besucht hatte, wurde von Lagerkommandant Koch gebeten, die Firma Raiffeisen aus Weimar mit dem Transport von Stroh nach Buchenwald zu beauftragen. 169 Angesichts der im Lager herrschenden chaotischen Zustände war man im November 1939 jedoch nicht bereit, die mit der Besichtigung der A b wasseranlagen beauftragten Beamten in das Lager einzulassen. Man schob eine Anordnung Eickes als Begründung vor, nach der ein Betreten des Lagers zwecks Ermittlungen nur mit Genehmigung Himmlers möglich sei. Oberbürgermeister Koch beklagte sich nach dieser Weigerung am 3. November 1939 bei Ortlepp über die mangelnde Kooperationsbereitschaft des Lagers und verlangte eine umgehende Verbesserung der Beziehungen zum Lager, „da andernfalls die Stadtverwaltung Weimar keine Verantwortung wegen weiterer Gefährdung der Gesundheit der um das Lager wohnenden Bevölkerung mehr übernehmen kann." Weiter betonte Koch, daß er „aus grundsätzlichen Erwägungen" darauf bestehen werde, „daß den zuständigen staatlichen Behörden für ihre staatlichen Aufgaben in jedem Falle ohne weiteres der Zutritt zum Lager gewährt und ihnen jeder notwendige Einblick zur Erledigung staatlicher Dienstgeschäfte ermöglicht werden" muß. 170 Aufgrund dieser Beschwerde und nach Rückgang der chaotischen Zustände in Buchenwald wurde das Verbot wieder aufgehoben, so daß die Abwasseranlagen bis 1943/44 in regelmäßigen Abständen durch Weimarer Beamte in vorheriger Absprache mit der Lagerkommandantur kontrolliert werden konnten.' 71 Die SS behielt sich aber das Recht vor, Kontrollen nur dann zuzulassen, wenn dies der Zustand des Lagers ihrer Meinung nach erlaubte. So wurde im Februar 1945 nach erneutem Auftreten von Typhus in Buchenwald und Umgebung eine geplante Kontrolle der Kläranlage des Lagers durch das Gesundheitsamt, den Oberbürgermeister Weimars und den Landrat von der Lagerleitung verboten. Auch zu diesem Zeitpunkt herrschten in Buchenwald katastrophale hygienische Zustände. Die Seuchengefahr, die von Buchenwald für die umliegenden Dörfer ausging, konnte auch durch den Bau einer neuen Kläranlage, die 1941 in Betrieb ging, nicht gebannt werden. Im Dezember 1944 meldete das Gesundheitsamt erneut einen Typhusfall, diesmal aus Vippachedelhausen. 67

Wiederum war als Verursacher das K L Buchenwald verantwortlich, dessen Kläranlage angesichts der in Buchenwald ankommenden Häftlingsströme völlig überlastet war. Oberbürgermeister Koch wandte sich erneut an Ortlepp und resümierte, daß sich seit 1939 in der schwierigen Zusammenarbeit mit dem Lager nichts geändert habe. Er bat deswegen das Innenministerium, selbst tätig zu werden. 172 Dieser Bitte schloß sich auch der Leiter des Weimarer Gesundheitsamtes Freienstein an, „da mit den zuständigen verantwortlichen Stellen der SS, wie die Erfahrung gezeigt hat, die notwendige Zusammenarbeit von der unteren Verwaltungsbehörde aus nicht zu erreichen ist." 173 Streit um die

„Buchenwaldbahn"

Bezogen sich die Auseinandersetzungen bei der Frage nach der Bekämpfung der Seuchengefahr in Buchenwald hauptsächlich auf die Frage des Mitspracherechts und der Kontrollmöglichkeit des Lagers durch Weimarer Behörden, so ging es bei den Konflikten um die zum größten Teil an den staatlichen und kommunalen Behörden vorbei geplanten und gebauten „Buchenwaldbahn" um das grundsätzliche Verhältnis der Stadt zum Lager. Die Auseinandersetzungen begannen mit der endgültigen Planung der Bahnstrecke im März 1943 und führten sechs Jahre nach Errichtung des Lagers Buchenwald erstmals zu einer grundsätzlichen Diskussion über die Existenz des Lagers bei Weimar. Sauckel hatte sich im Vorfeld der Planungen gegenüber Himmler energisch dagegen verwahrt, den in seinen „Neugestaltungsplänen" für Weimar und Umgebung relevanten Ettersberg mit seinen Waldbeständen für den Neubau einer Bahnstrecke freizugeben. 174 Auch dem Bau des Lagers habe Sauckel 1937 nur zugestimmt, da „sich trotz aller Bemühungen kein anderer Platz für das Lager fand." Einzig akzeptable Stelle für das Lager sei für Sauckel damals der Nordwesthang des Ettersberges gewesen, denn „seit altersher ist der Ettersberg das Ziel der erholungssuchenden Weimarer Bevölkerung". Deswegen könne Sauckel einer Genehmigung der nun geplanten Bahnstrecke auf keinen Fall zustimmen, da er „der Weimarer Bevölkerung den wertvollen Waldbestand erhalten müsse". 1 7 5 Himmler, der den Baubeginn bereits befohlen hatte, traf sich aufgrund der Ablehnung seiner Pläne am 2. März 1943 mit Lagerkommandant Koch, Oberbürgermeister Koch und Staatssekretär Ortlepp sowie weiteren Beamten Thüringer Ministerien und Weimarer Behörden in Weimar, um eine rasche Genehmigung seines Bauprojektes zu erreichen. Nachdem ihm Oberbürgermeister Koch, Sauckel und Ortlepp erneut ihre „grundsätzliche" Ablehnung einer Bahnverbindung zum Lager auf der vorgeschlagenen Route mitteilten, drohte Himmler kurzerhand mit einer Auflösung Buchenwalds. 1 7 6 68

Ortlepp lenkte daraufhin sofort ein und befürwortete den Bau der Bahn. Oberbürgermeister Koch gab sich mit dieser schnellen Aufgabe Ortlepps nicht zufrieden und trug Himmler noch einmal detailliert die „Bedenken der Stadt Weimar gegen die Linienführung" vor. Dieser fragte daraufhin Koch, „ob ich [Koch] den Platz für das Lager für günstig hielte. Ich erklärte dazu, daß nach den Neugestaltungsplänen der Ettersberg als Volkspark vorgesehen sei. Dieser Wald sei die einzige große nahegelegene Erholungsstätte für Weimar, die ohne Benutzung einer Bahn zu Halbtags- oder Tagesausflügen besucht werden kann. [ . . . ] Der Ettersberg sei die Lunge der Stadt! Ich hielt den Platz für ein K.Lager nicht für günstig, doch seien diese Erörterungen rein theoretische, da das Lager ja nun im größten Ausmaß seit Jahren dort erstellt sei und gar nicht mehr weggedacht werden könne." Himmler ließ sich von diesem hinhaltenden Widerstand der Stadt, die um ihr beliebtes Ausflugsziel fürchtete, nicht beeindrucken und setzte wie beschrieben zwei Wochen nach dieser Besprechung per Befehl den Baubeginn für die „Buchenwaldbahn" fest. Nach der provisorischen Fertigstellung der Bahn im Sommer 1943 ergab sich aufgrund der ansteigenden Zahl der Häftlingstransporte bald die Notwendigkeit, entweder den Hauptbahnhof oder den Nordbahnhof Weimar um mehrere Ubergabe- bzw. Ladegleise zu erweitern, um so einen Stau der Transportwagen auf dem Weimarer Bahnhof zu vermeiden. Nachdem sich die Reichsbahn geweigert hatte, den Hauptbahnhof entsprechend zu erweitern, blieb im Sommer 1944 nur eine Erweiterung des Nordbahnhofs. 177 Die für die Erweiterung des Bahnhofs notwendigen Grundstücksankäufe betrafen vor allen Dingen Kleingärtner in unmittelbarer Nähe des Nordbahnhofs, deren Proteste gegen den Verlust ihrer Gärten ohne Erfolg blieben. 178 Auch dieser Erweiterungsbau wurde wie zuvor der Bau der Bahnstrecke ohne eine Baugenehmigung begonnen. Ebenfalls problematisch blieb die Beförderung der Häftlinge, denn für die neue Bahnstrecke gab es lange Zeit keine landespolizeiliche Genehmigung. Der Betreiber der Strecke, die CV, erklärte sich nicht bereit, den Transport der Häftlinge in eigener Verantwortung zu übernehmen, da aufgrund der fehlenden Abnahme der Strecke die C V keine gesetzliche Haftplichtversicherung in Anspruch nehmen konnte. Da aber sowohl die Weimarer Polizei, die die Häftlinge für Luftschutzmaßnahmen brauchte und aufgrund des Treibstoffmangels nicht mehr in der Lage war, sie selbst vom Lager mittels Lastkraftwagen für die Arbeiten in der Stadt abzuholen, als auch die SS auf eine rasche Durchführung der Häftlingstransporte drängte, wurden die rechtlichen Voraussetzungen einfach geändert. Die Verantwortung für alle Bahnbewegungen auf der Strecke übernahm die SS, die C V blieb lediglich Betreiber der Strecke. 179

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2.2. Der wirtschaftliche Bereich Weimarer Firmen bemühten sich unmittelbar nach Gründung des K L Buchenwald um wirtschaftliche Kontakte zum Lager. Der Antrag der Firma Wickler aus Gaberndorf auf Einrichtung einer Buslinie zwischen Weimar und Buchenwald und die Tätigkeit der Weimarer Baufirma Grosch, die im Sommer 1937 für den Aufbau des Lagers Lieferwagen bereitstellte sowie den Transport und die Weiterverarbeitung der gefällten Buchenbaumstämme übernahm, belegen das frühe Interesse der Weimarer Gewerbetreibenden an dem neuen Wirtschaftsstandort vor der Stadt. 180 Im Unterschied zu Dachau, wo die Stadt aufgrund ihrer wirtschaftlichen N o t sehr offensiv um Wirtschaftsbeziehungen zum Lager buhlte, 181 blieb das Interesse der Weimarer Firmen an Beziehungen zum Konzentrationslager aber mäßig. Für viele von ihnen blieb Buchenwald nur ein weiterer Kunde, den sie sporadisch belieferten. Lediglich einzelne Firmen stellten sich in ihren Aktivitäten ganz auf das Lager ein, insgesamt gesehen hatten die Weimarer Gewerbetreibenden „keine Lust", mit dem Lager Geschäftsbeziehungen anzubahnen. 182 Der Wirtschaftsstandort Weimar in seiner spezifischen Struktur hatte sich 1937 wieder erholt. Konjunkturschwerpunkt für die Gewerbetreibenden war ab 1937 die Stadt selbst. Hier wurde im Rahmen der „Neugestaltung" Weimars mit den beschriebenen großen Baumaßnahmen begonnen, gleichzeitig erlebte der Fremdenverkehr eine neue Blüte. Etwas anders entwickelte sich der Arbeitseinsatz der Häftlinge in der Stadt. Zwar blieb auch hier der Umfang zunächst eng begrenzt, doch nach der Umstrukturierung des Arbeitseinsatzes im März 1942 steigerten sich die Zahlen der im Weimarer Stadtgebiet eingesetzten Häftlingskommandos enorm. Den zwölf Häftlingskommandos, die im Verlaufe des Jahres 1941 in Weimar arbeiteten, standen 1942 mindestens 32 Kommandos gegenüber, bis 1945 wurden insgesamt 96 verschiedene Arbeitskommandos in Weimar eingesetzt. 183 Wichtigste Arbeitsorte waren neben den zahlreichen Baustellen der Stadt die Gustloff-Werke in Weimar und das 1942/43 errichtete Zweitwerk in Buchenwald. Hier arbeiteten im September 1944 knapp 5.000 Häftlinge, hinzu kamen 2.100 ausländische Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene. 184 Zusätzlich zum K L Buchenwald mit seinem sich ständig vergrößernden Außenlagersystem bestanden in Weimar mindestens drei Lager für ausländische Zwangsarbeiter, deren Insassen mehrheitlich ebenfalls in den Gustloff-Werken eingesetzt wurden. 185 Neben dem organisierten Arbeitseinsatz in Rüstungsbetrieben und Weimarer Behörden wurden die Häftlinge in kleinen und nur zeitweiligen Kommandos direkt bei Weimarer Privatbetrieben eingesetzt. Diese hatten

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mit der für sie neuen Form des Arbeitskräfteeinsatzes keine Berührungsängste, im Gegenteil: Sie erkannten bald die großen wirtschaftlichen Vorteile, die ein Einsatz von Häftlingen mit sich brachte. Außer einem geringen Entgelt mußten keinerlei Lohnnebenkosten wie Versicherungen u. ä. bezahlt werden, auch für die Versorgung kam das Lager auf. Angesichts des Umfangs, den der Häftlingseinsatz bis März 1945 im Stadtgebiet Weimar hatte, kann im Unterschied zu den Handelsbeziehungen zwischen Weimar und Buchenwald festgestellt werden, daß der Arbeitseinsatz von Häftlingen zumindest in den letzten Kriegsjahren von hoher wirtschaftlicher Bedeutung für die Stadt Weimar war. Für einige Bereiche wie die Baubranche wurden die billigen Arbeitskräfte aus Buchenwald unersetzlich. Im Rahmen der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Weimar und Buchenwald entwickelte sich eine große Anzahl sozialer Kontakte zwischen Stadt und Lager. In keinem anderen Bereich des Beziehungsgeflechts war die gegenseitige Durchdringung so stark. Weimarer Arbeiter beaufsichtigten im Gustloff-Werk und in den Weimarer Firmen Häftlinge und arbeiteten mit ihnen zusammen. Bei ihrem Einsatz in Weimarer Behörden wurden sie von den hier arbeitenden Beamten angeleitet. Die Bürger der Stadt konnten die Häftlinge bei der Arbeit im Stadtgebiet beobachten. Hier gab es unterschiedliche Formen der Hilfe und des Gesprächs, hier erfolgte für viele Weimarer die direkte Konfrontation mit Buchenwald. 2.2.1. Arbeitseinsatz von Häftlingen in Weimar Der Arbeitseinsatz von Häftlingen in der Stadt Weimar war einem mehrmaligen Wandel unterworfen. Bis 1941 wurden die Häftlinge nur zögerlich und in begrenztem Umfang an Weimarer Firmen und Behörden „vermietet". Im Vordergrund stand der Einsatz der Häftlinge bei Baumaßnahmen im Zusammenhang mit der Errichtung des KL oder im Rahmen städtischer Bauvorhaben. Insgesamt können für diesen Zeitraum zwanzig verschiedene Arbeitskommandos im Weimarer Stadtgebiet nachgewiesen werden. 186 Die Häftlinge waren neben der Arbeit im Rahmen des Lageraufbaus bereits zu diesem frühen Zeitpunkt zur Arbeit an Weimarer Betriebe abgegeben worden. So beschäftigten die Baufirmen Majewski & Thiele und Fischer ab Dezember 1938 Häftlinge bei Ausschachtungsarbeiten für das Lager, 187 Ende 1938 wurden über 350 Häftlinge im Rahmen des Aufbaus der „Willy-Marschler-Siedlung" eingesetzt.' 88 Die Häftlinge wurden in der Regel früh aus dem Lager nach Weimar gefahren, an ihrer Arbeitsstelle von SS-Leuten bewacht und abends zurück in das Lager geführt. Fachlich un-

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terstanden sie der Aufsicht der in den Betrieben arbeitenden Zivilisten. 189 Die Firmen forderten die Häftlinge entweder direkt bei der Lagerkommandantur an oder ab Kriegsbeginn 1939 über die Inspektion der K L in Berlin-Oranienburg. Für den Häftlingseinsatz bezahlten sie pro Häftling und Tag (8 Stunden Arbeitszeit) 3,- R M für Hilfsarbeiter und 5,- R M für Facharbeiter. 190 Die Kosten wurden den Firmen über einen der Arbeitsdienstführer oder den Verwaltungsführer des Lagers in Rechnung gestellt. Als erstes ständiges Arbeitskommando in Weimar wurde im Dezember 1938 das Kommando „Polizei Weimar" eingerichtet. Die Häftlinge arbeiteten auf der Baustelle zum Neubau einer Polizeikaserne in der Harthstraße191 und am Bau einer Polizeioffiziersschule, daneben wurden sie jedoch hauptsächlich in den beiden Kommandos „Schuhmacher und Schneider" und „Werkstatt K-Staffel" eingesetzt. 192 Mit Kriegsbeginn standen den Häftlingen in den Polizeiwerkstätten immer weniger Polizisten gegenüber, diese wurden nach und nach durch Reservisten ersetzt. „Diese Schichtung", so der deutsche politische Häftling August Bergmann, „brachte es mit sich, daß unsere Behandlung durchaus erträglich war [...] und eine gewisse Fühlungnahme mit der Zivilbevölkerung eintreten konnte." 193 Das Arbeitskommando „Polizei Weimar" bestand bis Januar 1945. Zwischen 1937 und 1941 entstanden weitere ständige Häftlingskommandos, deren Arbeit zwar unmittelbar mit der Verwaltung des Lagers zusammenhing, die aber trotzdem im Weimarer Stadtgebiet eingesetzt waren. Zu nennen sind hier die Kommandos „Arbeitskommando Weimarfahrer", „Arbeitskommando Weimar", „Ablader Weimar" und „Auflader Weimar". Alle diese Kommandos dienten dem Transport verschiedener Stückgüter sowie von Post und Stroh zwischen Weimar und Buchenwald. Obgleich der Arbeitseinsatz noch in den Anfängen steckte, war der Gewinn, den die SS aus der Ausbeutung der Häftlinge erzielte, bereits im „ersten Häftlingseinsatzjahr" 1940 beachtlich. Zwischen März 1940 und März 1941 betrugen die Einnahmen aus dem Einsatz der Häftlinge des K L Buchenwald in den Wirtschaftsbetrieben der SS und den SS-Dienststellen 230.493,60 R M , die „Vermietung" von Häftlingen an Privatbetriebe erbrachte 16.578,00 RM. 1 9 4 Bereits vor der grundlegenden Umstrukturierung des Häftlingseinsatzes im März 1942 steigerten sich die Zahlen der Arbeitskommandos in Weimar, die nun mit der „Vermietung" von sowjetischen Kriegsgefangenen ab Oktober 1941 auch verstärkt bei Weimarer Privatfirmen arbeiteten. Zwischen 1941 und 1945 wurden sowjetische Kriegsgefangene im Staatsgut Oberweimar, auf den Baustellen der Sächsisch-Thüringischen Straßenbaugesellschaft in Weimar, zu Schneeräumungsarbeiten in Gelmeroda, von den Weimarer Firmen Edwin Meyer und Hans Walther, bei dem Weimarer 72

Obst- und Gemüsegroßhändler Mennong sowie bei der Speditionsfirma Staupendahl eingesetzt, die ab 1938 die Belieferung des Lagers mit Produkten aller Art übernommen hatte. Hier arbeiteten im November und Dezember 1941 mindestens fünfzehn sowjetische Kriegsgefangene und zwischen 1942 und März 1945 ständig vier Häftlinge. Sie mußten auf dem Güterbahnhof Weimar Kohle, Lebensmittel und andere Güter für das Lager Buchenwald ausladen. Nach Angaben des Enkels des damaligen Firmeninhabers Werner Staupendahl wurden die Häftlinge gut behandelt: „[Mein Vater] 195 hat für die Häftlinge täglich ein warmes Mittagessen gekocht, ihnen etwas zu trinken gegeben, auch täglich eine Zigarette. Und manchmal hat er den Häftlingen auch ein Bier besorgt, was nun allerdings streng verboten war." 196 Der Einsatz von Russen war für die Firmen wesentlich preiswerter, für sie mußten teilweise nur 2 , - R M pro Arbeitstag bezahlt werden, denn der gesundheitliche Zustand der Gefangenen war nach oft wochenlangen Fußmärschen und der schlechten Behandlung im Lager sehr schlecht.' 97 Die Bevölkerung Weimars hatte Mitleid mit den „Russenkommandos". „Sie erregten", so der Weimarer Geschäftsinhaber Horst S., „Abscheu in der Bevölkerung. Als man die Russen mit ihren Fetzen von Mänteln und Holzpantoffeln durch Weimar trieb, fragten viele, ob es nicht möglich wäre, denen richtige Kleidung zu geben, und wer so etwas dulde." 198 Die Organisation des Häftlingseinsatzes änderte sich im Oktober 1941. Der Arbeitseinsatz wurde nun über den „Schutzhaftlagerführer E" - in Buchenwald der SS-Untersturmführer Philipp Grimm - zentral geleitet. Bei ihm machten die Firmen ab jetzt ihren Bedarf geltend, über ihn erfolgten die Abrechnungen. Im Rahmen dieser zweiten Phase des Häftlingseinsatzes arbeiteten über hundert Häftlinge auf der Baustelle am Gauforum, sie wurden hier hauptsächlich für Ausschachtungs- und Räumungsarbeiten eingesetzt. Die weitere Umstrukturierung des Arbeitseinsatzes im März 1942 führte zu einer extremen Steigerung des Arbeitseinsatzes. Die zur gleichen Zeit vollzogene fachliche Unterstellung des Arbeitseinsatzes unter das W V H A , Amt D (zuständig für die Verteilung der Häftlinge auf die Betriebe) brachte auch in Weimar eine baldige Konzentration des Arbeitseinsatzes auf die Rüstungsbetriebe mit sich. Zum wichtigsten „Arbeitgeber" der Häftlinge wurden die Gustloff-Werke in Weimar und Buchenwald. Aufgrund der in Buchenwald ab 1942 verstärkt und ab 1943/44 massenhaft ankommenden Menschentransporte führte dies aber für die Kategorie der „Privatbetriebe", die nun gegenüber den „kriegswichtigen Betrieben" bzw. den „Rüstungsbetrieben" in ihrer Bedeutung für den Häftlingseinsatz zurückgestuft wurden, zu keinerlei Konsequenzen. 199 Im Gegenteil, der Einsatz von Häftlingen in diesen nicht „kriegswichtigen Be73

trieben" weitete sich auch nach dem März 1942 aus. A b Ende 1942 wurden die Kosten für den Einsatz der Häftlinge in der Privatwirtschaft einheitlich geregelt und nun auch mit vorgedruckten „Forderungsnachweisen" ( F N ) abgrechnet. Pro Tag und Häftling entrichteten die Unternehmen 4,- RM für Hilfsarbeiter und 6,- R M für Facharbeiter. 200 Für die kleinen Firmen, die aufgrund ihrer Nähe zum Lager nicht auf eigene Außenkommandos angewiesen waren, wurde der Arbeitseinsatz von Häftlingen durch diese Preispolitik in Verbindung mit dem eigenen Arbeitskräftemangel und der geringen Selbstbelastung immer attraktiver. Die Weimarer Firmen und Behörden bedienten sich nun regelrecht der billigen Arbeitskräften des Lagers. Zwischen 1942 und 1945 waren die Häftlinge bei mindestens 60 verschiedenen Weimarer Firmen und Behörden eingesetzt. Das Spektrum reichte vom „Rüstungskommando" der Wehrmacht in der Cranachstraße, wo Häftlinge zum Zerlegen von abgestürzten Flugzeugen eingesetzt wurden, bis zum Hotel Elephant, wo im März 1945 zehn Häftlinge im Hotelbetrieb eingesetzt waren. Hauptarbeitsorte der Häftlinge in Weimar waren zwischen 1942 und 1945 neben den Gustloff-Werken die Baustelle „Buchenwaldbahn" mit mindestens sieben Kommandos und die Baustelle „Großmarkthalle Weimar". 201 Wie selbstverständlich die Stadt inzwischen mit den potentiellen Arbeitskräften umging, zeigt die Umsetzung des letztgenannten Bauvorhabens. 202 Der Bau der mit kommunalen Mitteln finanzierten Halle begann im Mai 1942, anhand der in einer „Arbeitsgemeinschaft des Bauhandwerks, Großmarkthalle Weimar" zusammengeschlossenen zehn Weimarer Baufirmen läßt sich ablesen, daß alle Bauphasen mit Hilfe der Häftlinge realisiert wurden. Zu Beginn der Baumaßnahmen wirkte das „Unternehmen für Beton- und Eisenbetonbau W. Kilbert", welches im Mai 1942 die Arbeitsleistung von 269 Häftlingen abrechnete. Im September 1942, als die Halle im Rohbau fertiggestellt war, folgte der Parkettleger Emil Gottschalk und das Stuck- und Kunsteisengeschäft Ernst Lungwitz, die gemeinsam mit anderen Firmen den Innenausbau der Halle übernahmen. Den Abschluß bildete im Dezember 1942 die „Firma für Heizungs- und Lüftungsbau Carl Deiring", die mit Hilfe von Häftlingen den Einbau der Heizungsanlagen besorgte. Der Neubau wurde dank des umfangreichen Häftlingseinsatzes nach nur einjähriger Bauzeit im April 1943 abgeschlossen. Weitere ständige Kommandos in den Jahren 1942 und 1945 waren das Kommando „Gauleitung Thüringen der N S D A P " , hier arbeiteten 1942 dreißig Häftlinge und zwischen 1943 und 1945 zwei Häftlinge, sowie „Gauleiter Sauckel", in dessen Haushalt spätestens ab September 1943 ständig zwei Häftlinge eingesetzt waren. Mit den Maßnahmen zur „totalen Kriegsführung" ab Februar 1943 74

wurden die Arbeitskräfte des Lagers für die Stadt immer wichtiger. Häftlinge übernahmen in Weimar zunehmend Aufgaben bei städtischen Behörden, wurden nach den Bombenangriffen im August 1944 und Februar 1945 in der gesamten Weimarer Innenstadt zu Räumungsarbeiten und als „Bombensucher" eingesetzt, 203 arbeiteten unter Leitung der Weimarer Traditionsfirma Wilhelm Bischoff am Ausbau der Luftschutzanlagen der Stadt und wurden bereits im Juni 1942 dem Weimarer Flakschutz für Aushilfsarbeiten zur Verfügung gestellt. Die Häftlinge gehörten nun fest zum Bild einer Stadt, die von den Folgen des Krieges eingeholt wurde. Allein die Namen der zehn Häftlingskommandos, die Ende März 1945 in Weimar zur Arbeit eingesetzt wurden, zeigt die nunmehr enge Verflechtung von Stadt und Lager: „Friedhof Weimar", „Bombensucher", „Oberbürgermeister", „Sophienschule", „Stadtbaumat", „Elephant Weimar", „Hofapotheke Weimar", „Straßenbau Weimar", „Bahnhof Weimar" und „Reichsbahn Weimar". 204 Insgesamt stand dieser, wenn auch umfangreiche und für den Erhalt infrastruktureller Einrichtungen bedeutende Häftlingseinsatz 205 spätestens ab 1944 in keinem Verhältnis mehr zu dem Arbeitseinsatz in den Rüstungsbetrieben. Am 24. Juni 1944 standen beispielsweise den 1.070 in Weimar eingesetzten Häftlingen (ohne Gustloff-Werke) insgesamt 58.341 Häftlinge gegenüber, von denen 25.199 in Rüstungsbetrieben und 13.250 im Rahmen der Baumaßnahmen der Waffen-SS eingesetzt waren. 206 Zum größten Einsatzort für die Häftlinge entwickelte sich das Gustloff-Werk I in Weimar („Fritz-Sauckel-Werk") (FSW) und ab 1943 das Gustloff-Werk II in Buchenwald. Himmler hatte im März 1942 Staatsrat Schieber beauftragt, die Übernahme von Rüstungsproduktionen durch die SS an zwei Beispielen in den Lagern Buchenwald und Neuengamme „durchzuexerzieren", um so die Handlungsspielräume der SS gegenüber privaten Rüstungsfirmen auszuloten. 207 Schieber, der im Rüstungsministerium Albert Speers das Rüstungslieferamt leitete, 208 handelte für die im Fall Buchenwald ausgewählten Gustloff-Werke Weimar umgehend. Bereits im Monatsbericht März 1942 wurde für das FSW vermeldet: „Es ist vorgesehen, im Konzentrationslager Buchenwald durch Einsatz der dort befindlichen Häftlinge eine Montage des Κ 98 k [Karabiner] aufzuziehen. Mit der Erstellung der dafür erforderlichen Baracken ist bereits begonnen worden." 209 Einen Monat später kam die Produktion der Karabiner in den Baracken 210 in Gang, während sich die gleichzeitig laufenden Verhandlungen zwischen SS und den Gustloff-Werken über den Aufbau eines eigenen Werkes in der Nähe Buchenwalds in die Länge zogen. Sauckel als Stiftungsführer der Werke verwahrte sich gegen die drohende Konkurrenz durch die SS. Schließlich einigte man sich, daß die SS „als Bauherr in Er75

scheinung trat und die Bauten nach Fertigstellung an die Gustloff-Werke vermietet wurden." 211 Daraufhin wurde im Juli 1942 mit der Errichtung von 13 Werkshallen in unmittelbarer Nähe des Lagers begonnen. Elf Hallen wurden für die Rüstungsproduktion der Gustloff-Werke und zwei Hallen für die „Mittelbau" errichtet, die sich mit der Produktion von Zubehör (Steuerteilen) für die V-Waffen beschäftigte. Der Aufbau wurde von der SS als Projekt X bezeichnet, in einem Kommando gleichen Namens waren Häftlinge zum Aufbau der Hallen eingesetzt. 212 Bis zur Fertigstellung der Hallen wurde die Produktion der Karabiner in den bereits errichteten Baracken weitergeführt, ab Frühjahr 1943 erfolgte nach Fertigstellung der ersten acht Werkshallen die industriemäßige Aufnahme der Produktion im Gustloff-Werk II. Vereinbart war die Steigerung der Produktion von monatlich 10.000 auf 55.000 Karabiner, hinzu kam die Produktion von automatischen Sturmgewehren und Geschützteilen. Entsprechend stieg die Zahl der eingesetzten Häftlinge. Im März 1942 arbeiteten 163 Häftlinge in den Baracken, im Juni 1943 betrug die Anzahl der Häftlinge im Werk II bereits 1.088. Die Zahlen stiegen bis Juli 1944 auf 4.824 Häftlinge, hinzu kamen 2.268 ausländische Zwangsarbeiter und 1.074 deutsche Arbeiter und Angestellte, die sowohl im Werk I als auch im Werk II Buchenwald eingesetzt waren. 213 Himmler versuchte trotz der bestehenden Vertragsregelungen, weiterhin die Oberhoheit über das Werk zu erlangen. Im März 1943, also noch vor Anlauf der vollen Produktion im Werk II, wandte er sich mit der Beschwerde an Speer, daß die Produktivität im neuen Werk deutlich unter den Erwartungen liege.214 Weiter schlug er vor, doch wieder zu dem alten Verfahren zurückzukehren und das Werk ganz der SS zu unterstellen: „(...) Insgesamt bitte ich Sie zu überlegen, und zu prüfen, ob es nicht doch besser wäre, wenn die Firmen an uns die Fachkräfte abstellen und wir in dem Tempo, das wir gewöhnt sind, als selbstverantwortliche Leute arbeiten können." 215 Speer erteilte ihm jedoch mit Verweis auf die ablehnende Haltung der Industrie gegenüber der SS eine weitere Absage. Es blieb bei der bereits 1942 zwischen Himmler und Speer getroffenen Vereinbarung, in der Regel nicht die Industrieunternehmen mit ihren Fachkräften an die Konzentrationslager zu verlagern, sondern umgekehrt in der Nähe der Rüstungsfirmen Nebenlager der K L zu gründen. Folgerichtig wurden die im Werk I in Weimar eingesetzten Häftlinge direkt in einem „Häftlingssonderlager" im Werk untergebracht, die Häftlinge verblieben hier auch nach Arbeitsende. Das Lager stand unter Kontrolle des SS-Oberscharführers Merker. Uberstellungen von Häftlingen zwischen den Werken liefen unter Aufsicht der SS, die so die tatsächliche Kontrolle über den Arbeitseinsatz behielt. 216 Für die Häftlinge war der Arbeitsalltag in beiden Werken hart. Sie wur76

den in Tag- und Nachtschichten eingeteilt, eine Arbeitsschicht dauerte zwischen zehn und zwölf Stunden und war lediglich durch eine halbstündige Pause unterbrochen. Gearbeitet wurde von Montag bis Sonnabend, lediglich der Sonntag war - gegen den Willen der SS - arbeitsfrei. 217 Das Verhältnis der im Werk I und II arbeitenden deutschen Zivilarbeiter zu den Häftlingen gestaltete sich ambivalent. Einige von ihnen versuchten, jeglichen weitergehenden Kontakt zu vermeiden, andere nahmen trotz eines bestehenden Verbots 218 Verbindung zu den Häftlingen auf, vereinzelt sind auch Hilfeleistungen zu beobachten. So konnte mit Hilfe des Obermeisters Eck bereits Anfang 1943 eine von Häftlingen geführte A m bulanz im Werk II eröffnet werden, die sowohl Häftlinge als auch Zivilisten behandelte. 219 Der Arbeiter Karl Werner kam der Bitte eines tschechischen Häftlings nach und erreichte die Verlegung von vier Häftlingen in das Gustloff-Werk, die eigentlich für einen Transport nach Dora vorgesehen waren. 220 Neben diesen Hilfeleistungen schlössen die Zivilarbeiter vereinzelt kleine Geschäfte mit den Häftlingen ab. Sie ließen sich von den Häftlingen Bügeleisen, elektrische Kochplatten, Heizkörper und andere Dinge, darunter auch Kunstgegenstände, anfertigen. 221 Heinz H., Sohn des damaligen Werksmeisters im Werk II, berichtet, daß die Häftlinge seinem Vater damals ein vierrädrigen Handwagen und dem Sohn ein kleines Wägelchen zum Spielen gebaut haben. Als Gegenleistung brachte der Vater den Häftlingen oft Brot oder andere Lebensmittel mit. 222 Diesen kleinen Geschäften und den vereinzelten Hilfeleistungen stand das scharfe Vorgehen der Werksleitung und einzelner Arbeiter des Werks gegen vermutete Arbeitsbummelei und Sabotage gegenüber. Im September 1943 hatte der Betriebsführer beider Werke, Walter Hornig, alle Werksangehörigen angewiesen, jeden Verdacht der Sabotage sofort zu melden und „falls ein deutsches Gefolgschaftsmitglied ein Einschreiten oder eine sofortige Meldung unterläßt, setzt es sich einer empfindlichen Bestrafung aus." 2 2 3 Unmittelbar nach der Befreiung des Lagers im April 1945 beschuldigten Häftlinge verschiedene Zivilarbeiter, sie während der Arbeit im Werk II geschlagen oder gegenüber der SS oder der Werksleitung angezeigt zu haben. So hatte der Meister Franz R. häufig Häftlinge zur Meldung gebracht „oder gar selbst geschlagen und mißhandelt, da sie seiner Ansicht nach zu wenig arbeiteten. [ . . . ] Während der Arbeitszeit verbot er, Wasser aus der Wasserleitung zum Kochen oder Waschen zu entnehmen." 2 2 4 Der Arbeiter S. aus Halle 13 im Werk II kam der Aufforderung seines Betriebsführers nach und erstattete gegen verschiedene Häftlinge Anzeige wegen Sabotage. Außerdem denunzierte er Häftlinge: „Er schnitt Maschinenriemen ab, um die Sohlen seiner Familie zu reparieren und erstattete Anzeige gegen Häftlinge, daß von ihnen Riemen ins Lager weggeschafft

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wurden." 2 2 5 Der Angestellte H. aus Halle 3 im Buchenwalder Werk ließ von seiner Mißhandlung eines polnischen Häftlings auch dann nicht ab, als ihn ein Kapo für die Bestrafung von Häftlingen als nicht zuständig erklärte: „Ich habe genug, wenn ich eure Arbeit sehe. Wenn Sie noch ein Wort reden, mache ich über Sie Meldung beim Kommandanten!" 226 Mit Verlauf des Krieges änderte sich jedoch auch das Verhalten vieler Meister und Vorarbeiter gegenüber den Häftlingen. Im August 1944 stellte der Halbmonatsbericht zur Stimmung unter den deutschen Zivilarbeitern der Werke I und II fest, daß „die Überwachung der Ausländer und Häftlinge von Seiten der deutschen Führungskräfte nicht mit der Sorgfalt durchgeführt wird, wie dies bisher der Fall war. [ . . . ] Französische Zivilarbeiter wie auch Kriegsgefangene legen ein dreisteres Auftreten an den Tag als noch vor wenigen Wochen." 227 U m trotz der immer wieder kritisierten schlechten Arbeitsmoral der Häftlinge die Produktionszahlen in die Höhe zu treiben, wurde im Dezember 1943 in beiden Werken ein Prämiensystem eingeführt, nach dem die Häftlinge pro Woche eine Geldprämie zwischen 1,50 R M („bei Einhaltung der vorgegebenen Stückzahl") und 10,- R M („für qualifizierte Arbeiten") erhalten konnten. 228 A m 24. August 1944 wurden die Werksanlagen des Gustloff-Werkes II bei einem Bombenangriff fast vollständig zerstört. Die Häftlinge mußten während des 15 Minuten dauernden Bomardements an ihren Arbeitsplätzen bleiben. 315 von ihnen kamen ums Leben, 525 wurden schwer und 900 leicht verletzt. 229 Die Rüstungsproduktion im Werk II war damit weitgehend lahmgelegt. Nach dem Bombenangriff am 9. Februar 1945 wurde auch das Werk I soweit zerstört, daß eine Aufnahme der Produktion nicht mehr möglich war. Bei dem Angriff kamen 91 Deutsche, 93 Zwangs- und Ostarbeiter und 300 Häftlinge ums Leben, ebensoviele Häftlinge wurden verwundet. 230 Bis zur Fertigstellung der Werkhallen für die „Mittelbau" im GustloffWerk II waren Häftlinge des Lagers Buchenwald zu einem weiteren, viel kleineren Rüstungskommando in der Marienstraße in Weimar eingesetzt. 231 Sie produzierten hier im Auftrage der Firma Siemens Kabelschuhe für die V2. Dem Kommando, welches jeden Morgen bis zum Bahnhof Buchenwald gebracht wurde und von hier aus zu Fuß zur Marienstraße marschierte, gehörten 80 Häftlinge an. Das Kommando blieb auch nach Aufnahme der Produktion im Werk II bestehen, wurde jedoch zahlenmäßig verringert. Bei Luftangriffen wurden die Häftlinge unter Bewachung zum Schutz vor den Bomben auf den nahegelegenen Stadtfriedhof oder in den zentralen Luftschutzbunker in den Parkhöhlen gebracht, der zu diesem Zweck auch von Weimarer Bürgern aufgesucht wurde. 232 78

2.2.2. Handelsbeziehungen zwischen Weimar und Buchenwald Zwischen 1937 und 1945 belieferten Weimarer Firmen Buchenwald mit einer breiten Produktpalette. Das Spektrum reichte von Lebensmitteln bis hin zu Gegenständen wie Urnenkartons oder Rohrstöcken. Weimarer Firmen übernahmen den Transport von Stückgütern von und zum Lager Buchenwald und hielten den Personenverkehr zwischen Stadt und Lager aufrecht. Unter den Firmen, die in Geschäftskontakt zu Buchenwald standen, finden sich so alte Weimarer Traditionshäuser wie die 1835 gegründete Buchbinderei Max Lüttich, die Buchenwald mit Packpapier versorgte, die seit 1873 bestehende Bürohandlung Paul Henß, die nach Buchenwald einen Arbeitstisch und einen Stuhl verkaufte oder die seit 1875 bestehende Stadtbrauerei Deinhardt, die Bier für die SS nach Buchenwald lieferte und deren Leergut sich noch heute auf einer Abfallhalde hinter dem „Kleinen Lager" finden läßt. 233 Paul Borkmann, der 1930 die seit 1876 in Weimar ansässige Druckerei seines Vaters Rudolf Borkmann übernahm, lieferte Packpapier nach Buchenwald und versorgte das Lager mit Formularvordrucken, u. a. für die Berechnung der Lebensmittelrationen, für die Häftlingsgeldverwaltung, für allgemeine Rechnungen und für Fernschreiben. Borkmann druckte seit 1926 sämtliche NSDAP-Schriften der Stadt. 234 1945 wurde Paul Borkmann, ein glühender Anhänger der NSDAP, verhaftet, seine Firma wurde 1948 enteignet. 235 Zu den Lieferanten des Lagers gehörte auch das Geschäftshaus des Weimarer Kaufmanns Hans Kröger, der 1938 ein repräsentatives Kaufhaus an der Nordseite des Marktes erworben hatte. Das Kaufhaus hatte zuvor der Geraer Firma Hermann Tietz gehört, die hier seit 1887 ein Einzelhandelsgeschäft für Garn-, Knopf-, Posamentier-, Weiß- und Wollwaren betrieben und an gleicher Stelle 1905 ein Kaufhaus eröffnete. 1938 wurde die Familie Tietz durch den anhaltenden B o y kott jüdischer Geschäfte zur Aufgabe gezwungen, das Vermögen der Familie ging an eine Treuhandgesellschaft über und wurde von dieser an Hans Kröger verkauft. 236 Kröger lieferte u. a. Kleiderbügel, Gummistempel und Säcke nach Buchenwald. Die seit dem 16. Jahrhundert in Weimar existierende Hof-Apotheke befand sich ebenfalls im Handelskontakt mit Buchenwald. Hier wurden von den SS-Lagerärzten Medikamente verschiedenster Art bestellt und abgeholt. D e r Kapo des SS-Kantinenbetriebes Ernst Karl Gärtig 237 fuhr im Rahmen seiner Versorgungsfahrten für das Lager Buchenwald des öfteren bei der Hofapotheke vorbei, um hier Medikamente für den Häftlingskrankenbau einzukaufen. Der Besitzer der Apotheke Julius Hoffmann 2 3 8 habe, so Gärtig, ähnlich wie ein Apotheker Mohr aus Neumark der Widerstandsorganisation des Lagers mit illegalen Medikamentenlieferungen geholfen. 239 Bei Hoffmann waren Ende März 1945

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auch 40 Häftlinge beschäftigt, die in der bei dem Bombenangriff vom 9. Februar 1945 völlig zerstörten Apotheke zu Aufräumungsarbeiten eingesetzt wurden. 240 In der Nord-Apotheke in der Zunkelstraße in Weimar ging der SS-Lagerarzt Hans Eisele 241 regelmäßig Medikamente einkaufen. Insgesamt läßt sich der Geschäftskontakt von mindestens 40 Weimarer Firmen zum KL Buchenwald nachweisen. Die Geschäftsbeziehungen zwischen Stadt und Lager waren eng und zahlreich, im Gegensatz zu der infrastrukturellen Einbindung des Lagers trugen sie jedoch nur bedingt zur Gesamtversorgung Buchenwalds bei. Das 1937 errichtete Lager versorgte sich hauptsächlich über die eigenen SS-Betriebe in Buchenwald und Einrichtungen anderer Lager,242 der weitere Bezug von verschiedenen Produkten erfolgte neben ortsansässigen Firmen auch über Firmen des Umlandes und aus ganz Deutschland. Für den Bau der Wasserleitung von Tonndorf nach Ettersburg, der zwischen September 1938 und Februar 1939 erfolgte, lieferten beispielsweise insgesamt 107 Firmen Baumaterialien, technische Geräte und weiteres Material, 22 von ihnen hatten ihren Sitz in Weimar. 243 Eine Ausnahme bildete jedoch die Lebensmittelversorgung des Lagers. Hier war Buchenwald von Anfang an auf die Zusammenarbeit mit den Bauern der umliegenden Dörfer und den Weimarer Lebensmittelhändlern angewiesen. Nachweislich der überlieferten Rechnungs- und Quittungsbücher der einzelnen Lebensmittelhändler und des Weimarer Spediteurs Staupendahl, der regelmäßig Lebensmittel zum Lager transportierte, kann davon ausgegangen werden, daß die Lebensmittelversorgung des Lagers zwischen 1937 und 1945 fast komplett über Weimarer Firmen und die Bauern der umliegenden Dörfer erfolgte. 244 Hauptorganisator dieser Lieferungen und für einen langen Zeitraum praktisch Alleinversorger Buchenwald war der Weimarer Lebensmittelhändler Thilo Bornschein. 245 Er begann mit seinen Lieferungen nach Buchenwald bereits im Juli 1937 und trat zwischen September 1939 und November 1942 als Alleinversorger des Lagers auf. Bornschein hatte nach einer Lehre an einer kaufmännischen Handelsschule 1933 das Kolonialwarengeschäft des Vaters in der Horst-Wessel-Straße (heute: FriedrichEbert-Straße) übernommen. 1933 war der 28jährige Kaufmann aber hauptsächlich politisch aktiv. Bornschein war 1921 dem Jungdeutschen Orden beigetreten und bereits 1923 zur N S D A P übergewechselt. Er gehörte dem sogenannten Weimarer „Rollkommando" an, daß nach dem Verbot der NSDAP 1923 in Weimar Jagd auf Mitglieder der KPD machte und nach Wiederzulassung der N S D A P den Saalschutz übernahm. Bornschein stieg in der Ortshierarchie der Partei schnell auf und wurde noch vor 1933 als Ortsgruppenleiter eingesetzt, nach 1933 übernahm er die Ortsgruppe „Am Platz Adolf Hitlers". Nach der Machtübernahme wur80

den Bornschein zahlreiche kommunale Ehrenämter verliehen, er war Beisitzer beim Oberversicherungsamt Gotha, Beisitzer beim Arbeitsgericht Apolda und Vertrauensobmann der Weimarer Kleingärtner gegenüber dem Stadtrat, dem er ab 1935 als Ratsherr angehörte. Etwa einmal im Monat nahm er als Schöffe an Sitzungen des Weimarer Amts- und Landgerichts teil. Im Gegensatz zu seiner Karriere in der Partei liefen die Geschäfte in seinem Lebensmittelladen schlecht. Den bisherigen Jahresumsatz von 18.000,- RM konnte er nach Übernahme des Geschäftes nicht mehr erreichen. Bornschein führte dies auf die im Norden der Stadt zahlreich wohnenden „Gegner aus der Kampfzeit" zurück, die das Geschäft seit 1933 gemieden hätten. Auch der Abriß von Häusern im Zuge der Baumaßnahmen am Gauforum war in Bornscheins Augen für den Umsatzrückgang seines Geschäftes verantwortlich. Ab 1935 bemühte er sich daher um Ausgleichsgeschäfte. Er erhielt einen Exklusiv-Vertrag mit dem „Deutschen Haus" 246 für Lieferungen von Kaffee. Weiter versorgte er die Weimarer Gauwache der NSDAP und ein Arbeitslager bei den Kasernenbauten an der Ettersburger Straße mit Lebensmitteln. Ab Juli 1937 belieferte er aufgrund seiner guten Kontakte zur Weimarer Gauwache auch das KL Buchenwald. Bornschein erwarb sich hier das Wohlwollen der SS, da er sie in ihren Wünschen trotz erheblicher Anfahrtsprobleme aufgrund des noch nicht ausgebauten Höhenwegs zum Lager stets zufriedenstellte. Ab 1938, spätestens jedoch ab Beginn des Jahres 1939 bevorzugte ihn die SS bei der Vergabe von Aufträgen wesentlich. 247 Aufgrund seiner nunmehrigen zentralen Rolle bei der Versorgung des Lagers wurde er im Sommer 1939 vom „Ernährungssicherungsamt" (dem Vorläufer des späteren Ernährungsamtes) beauftragt, sowohl die Versorgung des Häftlingslagers als auch der SSVerbände zu übernehmen. Insbesondere erhielt er den Auftrag, das Lager mit Graupen, Reis, Teigwaren, Hülsenfrüchten, Kaffee, Tee, Marmelade, Zucker und Sauerkraut zu beliefern. Mit dem 1. September 1939 übernahm Bornschein allein die vollständige Versorgung des Lagers, er erhielt die vom Weimarer Ernährungsamt überprüften Bezugsscheine für das Lager und besorgte daraufhin die angeforderten Lebensmittel. Das Landesernährungsamt erklärte aufgrund dieser Bedeutung Bornscheins für die Versorgung Buchenwalds mit Lebensmitteln sein Einzelwarengeschäft am 4. April 1940 zum „Wirtschaftsbetrieb" und sicherte ihm die Unterstützung bei allen Fragen zu. Sein Personal bekam die begehrten „Uk-Stellungen". 248 Im September 1941 wurde Bornschein zur Waffen-SS in Buchenwald einberufen, schloß daraufhin seinen Kolonialwarenladen in Weimar, behielt aber die Versorgung des Lagers aufrecht. In Buchenwald war er zunächst im Magazin, dann im SS-Führerheim beschäftigt, führte hier das 81

Küchentagebuch und war verantwortlich für die Berechnung der Verpflegungsstärke der SS. Die Umsätze seines Geschäfts hatten sich seit 1934 von 1 4 . 2 5 0 - R M auf 5 0 0 . 0 0 0 - R M im Jahr 1941 erhöht, Bornschein war innerhalb von nur sieben Jahren Dank des Konzentrationslagers von einem kleinen Ladeninhaber zu einem der größten Weimarer Lebensmittelhändler geworden. 249 Wie bedeutend Bornschein in der Zwischenzeit für Buchenwald geworden war, zeigt die Bitte des SS-Richters Konrad Morgen an die Weimarer Gewerbepolizei, im Falle einer Schließung des Gewerbes von Bornschein „unter allen Umständen dafür Vorsorge zu treffen, daß [ . . . ] im K. L. Buchenwald keine Versorgungsschwierigkeiten auftreten". 250 Im Herbst 1942 lief in Weimar das Gerücht um, daß Bornschein „mit zwangsbewirtschafteten Lebensmitteln und Mangelware verbotenen Handel treibe, daß er weiter Vorräte an verknappten Waren in seinem von ihm im Jahre 1940 gekauften Privathaus ,Am Horn' untergebracht habe". 251 In der darauffolgenden Durchsuchung des Geschäftes von Bornschein und seiner Privatwohnung wurden große Mengen an Lebensmitteln (u. a. 1.500 Obst- und Gemüsekonserven), Zigaretten, Spirituosen und Seife sichergestellt. Bornschein hatte sich, obwohl er sein Einzelhandelsgeschäft im September 1941 geschlossen hatte, weiter von Lieferanten mit inzwischen kontingentierten Produkten beliefern lassen. Ihnen gegenüber hatte er die Schließung seines Geschäftes verschwiegen. Auch dem Ernährungsamt wurden die Bestände seines Warenlagers ab September 1941 nicht mehr angezeigt. 252 Bornschein benutzte die so angehäuften Waren zum einen für den Schwarzhandel in Weimar, zum anderen zur weiteren Versorgung der SS in Buchenwald. So lieferte er Genußmittel wie Schokolade und Spirituosen, die dem Lager aufgrund der Kriegswirtschaftsverordnung gar nicht mehr zustanden. Gleichzeitig mit den Durchsuchungen seiner Geschäftsräume veranlaßte das Finanzamt Weimar eine Betriebsprüfung. Dabei stellte sich heraus, daß Bornschein die Kosten der nach Buchenwald für das Häftlingslager gelieferten Lebensmittel als zu hoch angegeben hatte. Auf diese Weise seien ihm, so stellten verschiedene Gutachter fest, Übergewinne in Höhe von 85.839,23 R M entstanden. 253 Daß diese Preisüberschreitungen bewußt geschahen und offenbar von der Lagerverwaltung gebilligt wurden, 254 zeigte der Vergleich zum gleichzeitig von Bornschein belieferten SS-Führerheim und der SS-Kantine Buchenwald, bei denen Bornschein die gleichen Produkte zu niedrigeren Preisen abgab. Während des Gerichtsprozesses gegen Bornschein und seine Frau erklärte Bornschein, „daß er im Hinblick darauf, daß durch die Verwaltung des Konzentrationslagers eine Prüfung der Preise nicht erfolgte, er die Preise genommen habe, die er habe bekommen können." 255

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Weiter wurde er der Unterschlagung und Steuerhinterziehung bezichtigt. So ließ Bornschein sich einige Lebensmittellieferungen an das Lager in bar bezahlen und vermerkte die erzielten Einnahmen nicht in seinen Geschäftsbüchern. In diesem Punkt wurde Bornschein auch in die Korruptionen Kochs im Rahmen der „Kantinengemeinschaft Dachau" 256 eingebunden. Bornschein lieferte an die Kantinengemeinschaft über den Weimarer Bäckermeister Kurth in erheblichem Umfang Gebäck. Alle beteiligten Seiten verzichteten bei diesen Lieferungen auf Rechnungen und Quittungen, so daß sowohl Bornschein als auch die Kantinengemeinschaft die entstandenen Kosten frei angeben konnten und die Lager-SS beim Weiterverkauf an die Häftlinge Phantasie-Preise nehmen konnte. Die daraus erzielten Gewinne führte der im Lager mit der Führung der Kasse der Kantinengemeinschaft beauftragte Häftling Meiners direkt an den Kommandanten Koch ab. Wo die übermäßigen Gewinne verblieben, konnte das Gericht auch in Anbetracht größerer Neuerwerbungen (Wohnhaus „Am Horn", Gemälde, Möbel) und bestehender finanzieller Belastungen (Abfindung eines unehelichen Kindes) nicht vollständig aufklären. Der Verdacht auf die Zahlung von Schmiergeldern sowohl an städtische Verwaltungsbeamte als auch an Mitglieder der Lager-SS wurde nur sehr vorsichtig angedeutet und nicht weiter behandelt. In Anbetracht seiner vernachlässigten „Vorbildfunktion" als Ortsgruppenleiter der NSDAP und aufgrund des öffentlichkeitswirksamen Themas fiel die gegen ihn verhängte Strafe hoch aus. Bornschein wurde zu neun Jahren Zuchthaus und zu einer Geldstrafe von 270.000,- RM verurteilt, seine Frau erhielt eine Gefängnisstrafe von einem Jahr und 6 Monaten und hatte darüber hinaus 3.000,- R M Strafe zu zahlen. Dem Strafantritt konnte sich Bornschein aufgrund seiner Mitgliedschaft in der SS und der damit verbundenen Unterstellung unter SS-Gerichtsbarkeit entziehen. Mit Wirkung vom 28. Januar 1944 wurde er aus der NSDAP ausgeschlossen, bereits am 11. September 1943 widerrief der Stadtrat seine Bestellung als Ratsherr. 257 Nach 1945 verlieren sich die Spuren Bornscheins, er tauchte erst in den fünfziger Jahren wieder in Westdeutschland auf. Nach der Verhaftung und Verurteilung Bornscheins mußte die Lebensmittelversorgung des Lagers umgestellt werden. Bis zur Befreiung Buchenwalds rückte die Weimarer Raiffeisengenossenschaft an Bornscheins Stelle. Deren Leiter, Georg Uslar, war nun für die Organisation hauptsächlich der Gemüse- und Obstlieferungen an das Lager zuständig und arbeitete hier eng mit Karl Gärtig zusammen. Gärtig gelang es, über die gute Zusammenarbeit mit Uslar zusätzliche Kartoffel-, Erbsen- und Mehllieferungen für das Lager zu organisieren. Hierfür datierten Uslar und Gärtig 83

die Ankunft bzw. den Abtransport von Fremd- und Zwangsarbeitern - für deren Versorgung die Raiffeisengenossenschaft ebenfalls zuständig war zurück bzw. vor, stellten aber trotzdem die entsprechenden Lebensmittelmengen in Rechnung. 258 Bornschein war nicht der einzige Weimarer Gewerbetreibende, der seine Lieferkontakte zum K L Buchenwald für persönliche Vorteile ausnutzte. Im Oktober 1940 meldete die Weimarer Gestapo dem Thüringer Wirtschaftsministerium, daß „in der Stadt Weimar wilde Gerüchte über das Verhalten des Fleischwarengeschäfts Daniel" umgingen und sie sich deshalb in die vom Landesernährungsamt laufenden Ermittlungen gegen Daniel eingeschaltet habe. 259 Karl Daniel, der in Weimar eine Fleischerei besaß und darüber hinaus im Apoldaer Schlachthof der Thüringer Fleischwerke arbeitete, hatte Fleisch ohne Lebensmittelmarken an die Bevölkerung Weimars und zahlreiche Gaststätten der Stadt abgegeben und - was auf die Bevölkerung sehr beunruhigend gewirkt hatte - minderwertige und schlechte Wurst verkauft. Letzteres geschah auch gegenüber dem K L Buchenwald, an das Daniel u. a. in der Zeit von Februar 1944 bis April 1945 610.000 kg Wurst geliefert hatte. 260 Diese Wurst war mitunter so schlecht, daß sie von Häftlingen nicht mehr verzehrt werden konnte. Daniels Wurst wurde im Lager als „Gummiwurst" bezeichnet und erregte sogar das Mißfallen der SS. D e r Kapo der Häftlingsküche, Erich Voigt, sagte dazu 1949 im sogenannten „Daniel-Prozeß" 2 6 1 aus: „Einmal war die Wurst derartig schlecht, daß sich sogar der SS-Lagerarzt bei unserem Küchenchef beschwerte und Karl Daniel gerufen wurde, um ihm die Beanstandungen mitzuteilen. Dieser sagte: ,Was soll ich mit der Wurst, behaltet sie und ich rechne sie Euch nur zur Hälfte an.'" 2 6 2 Während die Abgabe von schlechten Wurstwaren an die Bevölkerung von der Gestapo und dem Landesernährungsamt intensiv untersucht wurde und gegen Daniel schließlich eine Geldstrafe in H ö h e von 20.000,- R M verhängt wurde, blieben die Lieferungen verdorbenen Fleischs nach Buchenwald ungeahndet, sie tauchten in den Untersuchungsberichten nicht einmal auf.263 Erst 1949 kamen sie im Rahmen des „Daniel-Prozesses" zur Sprache. Auch die Großhandlung für Tabakwaren Sömmering & Söhne in der Röhrstraße benutzte das Lager als Umschlagplatz für illegale Geschäfte. Karl Gärtig kam auf seinen Versorgungsfahrten mit Vertretern dieser Firma zusammen, die ihm 1944 anboten, aus jugoslawischen Beutebeständen eine Million Zigaretten an das Lager zu verkaufen. Gärtig gelang es, den Leiter der SS-Kantinenverwaltung Schmidt von diesem Geschäft zu überzeugen, wobei vereinbart wurde, daß ein Teil der Zigaretten mit Häftlingsgeldern erworben werden sollten. Gärtig kaufte daraufhin die entsprechende Menge Zigaretten und schmuggelte sie zum Großteil in das

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Häftlingslager. Ein weiterer Teil der Zigaretten wurde zur Bestechung der SS benutzt. 264 Der Inhaber der Firma, Otto Sömmering, seine Tochter Charlotte als auch die Kontoristin der Firma, Margarete Vetterlein, wurden im März 1944 wegen des verbotenen Tauschhandels von Tabakwaren gegen Nahrungs- und Genußmittel, Spinnstoffe und „andere bezugsbeschränkte Erzeugnisse oder Mangelwaren" verhaftet und nach einem Prozeß vom Sondergericht Weimar 265 zu Gefängnis- und Geldstrafen verurteilt. 266 Margarete Sömmering, die Frau des Firmeninhabers, nahm sich nach einen Teilgeständnis bei der Polizei am 10. Mai 1944 das Leben. In der Urteilsbegründung hieß es: „Auch in der Stadt Weimar hatte es sich herumgesprochen, daß man bei Sömmerings Eier und Speck mitbringen müsse, dann könne man Rauchwaren so viel haben, wie man wolle." 267 Die Möglichkeit, die mit Kriegsverlauf knapper werdenden Lebensmittel auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen, wurde auch seitens des Lagers genutzt. Kurz nach Beginn der Ermittlungen gegen Koch erfuhr der in Buchenwald recherchierende SS-Richter Morgen, daß die Häftlinge Freudmann und May gemeinsam mit dem SS-Hauptscharführer Blank 268 in Weimar Fleisch auf dem Schwarzmarkt verkauften. 269 Zu einer weiteren Recherche kam es jedoch nicht, da SS-Lagerarzt Waldemar Hoven die beiden Häftlinge inzwischen umgebracht hatte. 270 Insgesamt nahm die Intensität des Handels mit dem Lager gegen Kriegsende aufgrund der beständig steigenden Häftlingszahlen weiter zu. Mit ihr stieg auch die Anzahl der Kontakte zwischen Handelstreibenden und dem Lager. Die meisten Firmen, die mit Buchenwald in Handelskontakt standen, brachten ihre Produkte selbst nach Buchenwald oder ließen sie über Speditionsfirmen in das Lager schaffen. Die Fahrer der Firmen und die Fuhrunternehmer drangen hierbei am weitesten in das Lager vor. Nach einer Kontrolle an den Schlagbäumen fuhren sie bis in das Häftlingslager zur Häftlingskantine oder in den SS-Kasernenbereich zum Wirtschaftsgebäude der SS. Ihre Beifahrer durften nicht mit in den Lagerbereich fahren, sie mußten an den Schlagbäumen warten. 271 Die SS achtete auf eine strenge Kontrolle der in Buchenwald ankommenden Lieferfahrzeuge und legte den Zivilisten eine Schweigepflicht auf. Im Mai 1941 erließ Kommandant Koch einen entsprechenden Kommandanturbefehl: 272 „1. Betreff Ausweise: Z u m Betreten des Lagerbereiches K L . Buchenwald haben nur noch folgende A u s weise Gültigkeit: 1. Rote Lagerausweise f ü r K o m m a n d a n t u r a n g e h ö r i g e 2. Blaue A u s w e i s e f ü r A n g e h ö r i g e der D A W und f ü r Zivilisten 2 7 3 3. G r ü n e Ausweise f ü r B e w o h n e r der SS-Siedlung I.

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Der blaue Ausweis hat bei Zivilisten nur in Verbindung mit der weißen Armbinde Gültigkeit. Kraftfahrer und die Postbeamten des KL. Buchenwald tragen keine Armbinden. [...] 2. Betreff Schweigepflicht: Ich weise nochmals ausdrücklich darauf hin, daß es eine Selbstverständlichkeit ist, über alle Angelegenheiten des Dienstes und über alle Dinge, die das Konzentrationslager in irgend einer Weise betreffen, strengste Verschwiegenheit zu bewahren." Die Armbinden für die Zivilisten waren wie die Ausweise numeriert, der Verlust eines Ausweises wurde mit 10,- R M bestraft. 274 Nach der Ablieferung ihrer Waren durften die Fahrer das SS-Kasino besuchen. Der Bauer C. aus Hottelstedt, der in den Herbst- und Wintermonaten im Auftrag der Weimarer Kartoffelgroßhandlung Gans täglich zweimal Kartoffeln nach Buchenwald brachte und in der Häftlingsküche mit Häftlingen selbst auslud, trank im Kasino „einen Schnaps oder ein Bierchen", bevor er weiterfuhr. C. bemühte sich auch um Kontakt zu den Häftlingen. In der Schreibstube, in der seine Lieferungen quittiert wurden, sprach er ab und zu mit den dort arbeitenden Häftlingen. Diesen steckte er auch regelmäßig Zigaretten zu. 275 Auch der Weimarer Kohlenhändler und Fuhrunternehmer Wilhelm Klawitter kam bei seinen Lieferungen nach Buchenwald mit den Häftlingen in Kontakt, wie der Häftling Josef Schappe berichtet: „Beim Abladen von Kies [ . . . ] klemmte sich ein Häftling im Sommer 1943 einen Finger. Als der Fahrer dem Häftling Leukoplast zum Verbinden gab, forderten der Oberscharführer Halder [ . . . ] und der Unterscharführer Thamke den Fahrer auf, dem Häftling lieber vor den Bauch zu treten, anstatt ihm zu helfen. Klawitter gab den SS-Leuten aber die Antwort:,Dafür seid Ihr da, ich bin kein SS-Mann.' Klawitter erhielt deshalb ein 8tägiges Verbot, den Kommandanturbereich wieder zu betreten." 276

2.3. Der juristische Bereich Das Konzentrationslager Buchenwald blieb seit seiner Errichtung für die Justizbehörden des Landes Thüringen und der Stadt Weimar unerreichbar. Zwar unterstand das Lager der Gerichtsbarkeit des Amtsgerichts Weimar, praktisch hatte diese Unterstellung jedoch keine Auswirkungen auf das Geschehen in Buchenwald. Die weiterbestehende formelle Zuständigkeit beispielsweise bei der Untersuchung von Fällen nicht natürlichen Todes im Lager ging durch die Einführung einer eigenen SS- und Polizeigerichtsbarkeit 277 analog der Wehrgerichtsbarkeit im Sommer 1939 verloren. Trotz dieser fehlenden Einflußmöglichkeiten hielten die Justizbehörden ihren Status als eigentlich zuständige Kontrollinstanz aufrecht und versuchten 86

gelegentlich, ihren Kontrollanspruch durchzusetzen. Einen Rechtsschutz für die Häftlinge, der sich jedoch nie auf Geschehnisse im Lager erstreckte, boten Weimarer Rechtsanwälte, die einzelnen Häftlingen bei der Klärung von Rechtsangelegenheiten zur Hilfe kamen und ihre Verteidigung vor Weimarer Gerichten übernahmen. Während sich die Justizbehörden im wesentlichen auf eine Zuschauerrolle gegenüber Buchenwald beschränkten, verstand sich die Weimarer Polizei als nachgeordnete Dienstbehörde des Lagers. Sie sorgte unmittelbar nach Errichtung des Lagers für den Transport der Häftlinge nach Buchenwald und stellte das Gerichtsgefängnis der Stadt für die Inhaftierung von Häftlingen zur Verfügung, die auf ihren Weitertransport nach Buchenwald warteten oder in Weimar ihrer Gerichtsverhandlung entgegensahen. Bei der Suche nach flüchtigen Häftlingen übernahm die Weimarer Polizei die Handlungsführung. Zusammenarbeit der Weimarer Polizei mit dem KL Buchenwald Nach Errichtung des Lagers war die Weimarer Polizei für den Transport der Häftlinge vom Weimarer Bahnhof zum Lager zuständig. Bei größeren Häftlingstransporten übernahm die SS die Bewachung der Häftlinge und ihren Transport mittels Lastkraftwagen. Kleinere Transporte übernahm die Polizei. Sie transportierte die Häftlinge zunächst in einem offenen Streifenwagen zum Lager. Ab August 1937 erfolgten die Transporte mit einem geschlossenen Gefangenentransportwagen, der speziell für diesen Zweck der Weimarer Polizei vom Thüringer Innenministerium zur Verfügung gestellt wurde. 278 Die in Weimar ankommenden kleinen Häftlingstransporte - meist Uberstellungen von Zuchthäusern oder Gefängnissen - wurden nach ihrer Ankunft in Weimar in der Regel durch die Polizei vom Bahnhof zum Gerichtsgefängnis in die Watzdorfstraße und von hier am nächsten Tag nach Buchenwald gebracht. Rolf Kralovitz, der im Oktober 1943 in Leipzig mit anderen Juden von der Gestapo verhaftet und in das K L Buchenwald eingewiesen wurde, berichtete über seine Ankunft in Weimar und den Weitertransport nach Buchenwald: 279 „Wir standen im K o r r i d o r des Polizeipräsidiums von Weimar [...]. E s war am frühen A b e n d . D i e G e s t a p o b e a m t e n , die uns von L e i p z i g gebracht hatten, waren im Z i m m e r der Wache. Wir hatten unsere R u c k s ä c k e und K o f f e r an die Wand gestellt. Eine grün gestrichene und abblätternde B ü r o k o r r i d o r w a n d . Kein Mensch bewachte uns, o b w o h l wir G e f a n g e n e waren. D a n n ging die T ü r der Wache auf und ein Polizeibeamter führte uns in den Keller. D i e s w a r kein einfacher Keller, sondern das Polizeigefängnis. [...]

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Schlüssel rasselten am Eingang. Zwei Polizisten, mit dem Gewehr über der Schulter, erschienen im fahlen Licht des Ganges. ,Die vier Juden von gestern raus. Mit Sachen.' [ . . . ] Die Polizisten führten uns die Treppe vom Keller hinauf. Wir traten auf die Straße. [ . . . ] A n der anderen Straßenseite hob sich ein Kastenwagen im Morgennebel ab. Es w a r das Gefangenentransportauto ,die grüne Minna'. ,Na los, einsteigen': Bis auf ein kleines Fensterchen, vollkommene Finsternis da drinnen. [ . . . ] Die Tür wurde aufgerissen.,Aussteigen'. Und eine andere Stimme schrie: ,Sind die Vögel noch nicht draußen?'. Wir standen auf einem großen, hell erleuchteten Platz. Rechts von uns w a r eine Gruppe SS-Leute angetreten. Vor uns lag ein Gebäude, durch dessen Durchfahrt wir jetzt geführt wurden. Es war das Tor von Buchenwald." Im N o v e m b e r 1937 b e r i c h t e t e d e r T h ü r i n g e r G e n e r a l s t a a t s a n w a l t W u r m s t i c h ü b e r eine d r o h e n d e „ V e r s t o p f u n g " d e s G e r i c h t s g e f ä n g n i s s e s in W e i m a r d u r c h H ä f t l i n g e . „ A n m a n c h e n T a g e n " , so W u r m s t i c h , saßen „bis zu 25 M a n n " i m W e i m a r e r G e f ä n g n i s u n d n a c h A n g a b e n d e s L a g e r k o m m a n d a n t e n K o c h sollte ab 1938 „ d u r c h s c h n i t t l i c h m i t 4 0 M a n n z u r e c h n e n " sein. W u r m s t i c h v e r s u c h t e , diese „ u n e r w a r t e t e Z u n a h m e in d e n l e t z ten W o c h e n " d u r c h Ä n d e r u n g e n d e s D i e n s t p l a n e s i m G e r i c h t s g e f ä n g n i s z u regeln. 2 8 0 I m J a n u a r 1939 b e k l a g t e er e r n e u t d i e U b e r b e l e g u n g des W e i m a r e r G e f ä n g n i s s e s u n d f ü h r t e d a r ü b e r h i n a u s die s t a r k e B e l a s t u n g seiner S t a a t s a n w ä l t e an, d i e „auf E r s u c h e n a u s w ä r t i g e r S t a a t s a n w a l t s c h a f t e n ö f ters H ä f t l i n g e v e r w a r n e n m u ß t e n " . 1943 w a r e n i m W e i m a r e r G e r i c h t s g e f ä n g n i s a u c h die A n g e k l a g t e n i m K o r r u p t i o n s f a l l K o c h z e i t w e i l i g inhaftiert, 2 8 ' g e m e i n s a m m i t d e m z u d i e s e r Zeit e b e n f a l l s a n g e k l a g t e n T h i l o B o r n s c h e i n , d e s s e n F r a u sich m i t Ilse K o c h e i n e Z e l l e teilte. 2 8 2 R o l f K r a l o v i t z traf bei s e i n e r e i n t ä g i g e n H a f t i m G e r i c h t s g e f ä n g n i s auf z w e i d e r A n g e k l a g t e n : 2 8 3 „,Weeste überhaupt, wer da drinnen is', wendet sich Theo [Zellennachbar von Kralovitz] jetzt an mich: ,Das ist der größte Totschläger von Buchenwald. Der Bunkerchef, Hauptscharführer Martin Sommer'. -,Was, ein SS-Mann im Gefängnis?' frage ich. ,Ha, die haben es zu toll getrieben. Nicht, weil zu viele Häftlinge erschlagen worden sind. Nein, die haben auch Dinger gedreht, die dem Himmler und seinen Leuten in Berlin nicht gefallen haben. Eine ganze SS-Clique wurde da oben in Buchenwald wegen Korruption verhaftet. Ein Teil von denen sitzt hier unten in den Nebenzellen.' Unsere Tür wurde aufgeschlossen und der Wachtmeister winkte mir und meinen drei .Reisegefährten' z u . , K o m m t mal raus'. Vor der Zelle standen auf einem Klapptisch vier dampfende Schüsseln. [ . . . ] An der anderen Seite, vor einer geöffneten Zellentür, stand eine Frau in den Türrahmen gelehnt. Sie war ziemlich groß, vollschlank und hatte rote Haare. Die aufgeworfenen Lippen lächelten zynisch. ,Was habt ihr denn heute wieder für ,nen Fraß', beschwerte sie sich. ,Nicht mal anständig satt werden kann man hier'. Wie ich von Theo erfuhr, war es Ilse Koch, die ,Hexe von Buchenwald' [...]."

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Unmittelbar nach Errichtung des Lagers versuchte die Weimarer Polizei, als Ermittlungs- und Uberwachungsbehörde gegenüber Buchenwald tätig zu werden. Die Errichtung des Lagers wurde von der Kriminalpolizeistelle Weimar im Juli 1937 per Foto umfassend dokumentiert, am 20. Oktober 1937 fand eine Besichtigung des Lagers durch die Polizeiverwaltungen Altenburg, Gotha, Gera, Jena, Zella-Mehlis und Weimar statt. U m „kräftiges Schuhzeug (Stiefel)" wurde gebeten. 284 Als am 13. August 1937 der Häftling Hermann Kempek verstarb, versuchte die Polizei in Buchenwald ermittelnd tätig zu werden - und scheiterte, wie der deutsche Häftling Karl Reimann schreibt: 285 „[...], nach dem Arbeitsbeginn krachten plötzlich mehrere Schüsse. Ein Maurer, mit einer Rolle Dachpappe auf der Schulter lag in seinem Blute. Ein Revierförster von Ettersberg, der sich auf einem Streifzug befand, hatte den Vorfall beobachtet und Anzeige an die Weimarer Behörde erstattet. Die Mordkommission von Weimar rückte mit Knipsapparaten und Meßinstrumenten an und hatte sich eine Anzahl Polizeibeamte mitgebracht, die den Tatort absperrten, und wollten ihres Amtes walten. Der Lagerführer Weissenborn kam im Galopp angeritten, schlug mit der Reitpeitsche auf den Toten ein und sagte: ,Laßt das Schwein liegen. Wer hat Euch überhaupt hierherbestellt, hier bestimmen wir. Laßt Euch ja nicht wieder hier oben sehen!'"

In der Folge beschränkte sich die Polizei Weimar in ihrer eigenen Ermittlungstätigkeit auf die Fahndung nach geflohenen Häftlingen. Sämtliche Fälle wurden in die „Meldeblätter der Kriminalpolizeistelle Weimar" aufgenommen und landes- und reichsweit zur Fahndung ausgeschrieben. So wurde am 19. Oktober 1937 unter der Tagebuch-Nr. 2566/37 die Flucht des Vorbeugehäftlings F. aus Buchenwald vier Tage zuvor gemeldet. 286 Nach einer Personenbeschreibung des Häftlings („trägt graubraunen oder blauen Gefangenenanzug mit grünen Streifen auf Brust, Rücken und Beinen") folgte der Hinweis: „Festnahme!" Am 26. Oktober 1937 wurde gemeldet, daß F. „durch einfachen Diebstahl in Hopfgarten graugrünen Gummimantel mit verchromten Schnallen, graue Cordhose und graue Sportmütze" erlangt habe. „Trägt diese Kleidungsstücke, Sträflingshose aufgefunden, Fluchtrichtung Erfurt." A m 14. Dezember 1937 wird schließlich gemeldet, daß sich F. vermutlich im Ausland befindet. Die beiden Häftlinge Bargatzky und Forster, die im Mai 1938 einen SS-Mann erschlagen hatten und anschließend flüchteten, wurden mit Hilfe der Weimarer Kriminalpolizei gesucht und schließlich wiederaufgegriffen. In Einzelfällen ging die Kriminalpolizei der Stadt Anzeigen von SS-Angehörigen nach. Am 6. Januar 1945 gab der SS-Hauptscharführer Hans Rudolf eine Anzeige gegen Unbekannt auf. 287 Seine Ehefrau hatte ihm am 27. Dezember 1944 mitgeteilt, daß sie ihm nach Buchenwald ein Neujahrs89

päckchen mit „Mohnstriezel, Früchtebrot, Keksen, Vanillegebäck, Pilzchen aus Nüssen und Schokolade mit kleinen silbernen Hufeisen, einen Fliegenpilz rot mit kleinen weißen Tupfen und eine Glückwunschkarte" geschickt habe. Das Paket war jedoch bei Rudolph nicht angekommen, vielmehr hatte Rudolph einen am 1. Januar 1945 in Weimar abgestempelten Brief bekommen, in dem ein beschriebener Zettel mit der Aufschrift lag: „Der Inhalt des Paketes war gut, nur leider nicht zum rauchen!" Die Polizei ermittelte wegen Diebstahl, die Ermittlungen führten zu dem Niederländer van der B., der als Zwangsarbeiter in Weimar im Postamt in der Kohlstraße Dienst tat und hier u. a. für die Verteilung der Post nach Buchenwald zuständig war. B. konnte aber der Diebstahl nicht nachgewiesen werden, weitere Ermittlungen wurden eingestellt. B. befand sich bereits in Untersuchungshaft. Er war nach einer Denunziation wegen „abträglicher Bemerkungen gegenüber Deutschland" aufgrund des Heimtückegesetzes288 verhaftet worden. Man warf ihm u. a. vor, über das KL Buchenwald gesprochen zu haben, was B. aber vor Gericht als unzutreffend widerlegen konnte. Ob die Weimarer Polizei auch zur Bewachung von Häftlingen eingesetzt wurde, kann aufgrund der vorliegenden Quellen nicht verifiziert werden.

Beobachtungen

und Einflußnahme

durch die Thüringer

Justizbehörden

In den ersten beiden Jahren nach Errichtung des Lagers berichteten der Weimarer Oberstaatsanwalt Seesemann 289 und der Thüringer Generalstaatsanwalt Wurmstich in ihren monatlichen Berichten an das Reichsjustizministerium ausführlich über die Entwicklung Buchenwalds, über beobachtete Rechtsverstöße im Lager und ihre Reaktion hierauf. 290 Wurmstich war bei seiner Beurteilung der Vorgänge im Lager und bei der SS von Beginn an skeptisch: „Welchen Einfluß das Lager auf die Tätigkeit der Staatsanwaltschaft und auf die nächsten Vollzugsanstalten haben wird," so Wurmstich im November 1937, „muß abgewartet werden." Gleich anschließend gesteht der Generalstaatsanwalt indirekt seine eigene Handlungsohnmacht ein: „In den ersten Wochen sind sieben Häftlinge auf der Flucht von den Wachposten erschossen worden. Die Verfahren sind eingestellt worden." Aber, so Wurmstich weiter, „die Zusammenarbeit zwischen der Lagerleitung und der Staatsanwaltschaft war bisher gut." U m seiner Kritik gegenüber Buchenwald abschließend noch mehr Gewicht zu verleihen, verweist er auf die Weimarer Bevölkerung, die „über den Bau des Lagers gar nicht erfreut" sei.291 Im März 1938 verschärfte der Thüringer Oberlandesgerichtspräsident Bruno Becker diese Kritik. Auch er berief sich dabei auf die Weimarer Bevölkerung: 292 90

„Daß man notorische kommunistische und bolschewistische Führer sicher verwahrt, versteht man im Volke, nicht aber, daß immer noch Menschen in Konzentrationslagern ohne Urteilsspruch verschwinden, die man keineswegs als Verbrecher ansieht. In solchen Verwaltungsakten, die leicht als Willkür empfunden werden, sollte mehr Zurückhaltung geübt werden."

Der Weimarer Oberstaatsanwalt Seesemann beschränkte sich in seinen Berichten auf die Vermeidung der monatlichen Todeszahlen und Erschießungen in Buchenwald, wobei die anfangs sehr genauen Zahlen immer vager werden. Im Januar 1938 meldete Seesemann, daß „im Konzentrationslager Buchenwald nach wie vor Erschiessungen von Schutzhäftlingen" auf der Flucht vorkommen. 293 Im März 1938 berichtete er über eine weitere Erschießung eines Häftlings und den Selbstmord von zwei SSAngehörigen, „und zwar ein SS-Scharführer, der Unterschlagungen begangen hatte und der Adjutant des Lagerkommandanten, der wegen Trunkenheit zur Rechenschaft gezogen worden war." 294 Zur peniblen Erfassung der Todesfälle durch Erschießung hatte Reichsjustizminister Gürtner die Ober- und Generalstaatsanwälte aufgefordert. Er versuchte damit, bei Himmler eine Abänderung der Dienstvorschriften in den Lagern zu erreichen, die den Bewachern als Alibi galten, Häftlinge willkürlich zu erschießen. Gürtner hatte mit seinen Bemühungen Anfang März 1938 Erfolg. Himmler gab an die SS den Befehl, daß in den Lagern in Zukunft nur noch im äußersten Notfall geschossen werden dürfe. 295 Wurmstich berichtete daraufhin, daß „die Erschießungen in den letzten Monaten bedeutend nachgelassen" hätten. Aber, so Wurmstich weiter, seit dem 13. Mai 1938 seien wieder fünf Häftlinge erschossen worden. Er empfahl daher dem Reichsjustizministerium, sich „das Lager einmal anzusehen. Nur dann lassen sich die Erschießungen richtig beurteilen." 296 Himmler hatte seinen Befehl vom März am 16. Mai 1938 für nichtig erklärt, denn dieser habe „durch zu große Milde" zum Tod eines „meiner anständigen Männer" geführt. 297 Anlaß für die Rücknahme des Befehls war die Ermordung des SS-Manns Albert Kallweit in Buchenwald. Die Häftlinge Emil Bargatzky und Peter Forster hatten Kallweit am 13. Mai 1938 mit einem Spaten erschlagen und waren anschließend geflüchtet. Der einmalige Fall, der großes Aufsehen im In- und Ausland erregte und auch in Weimar schnell zum Stadtgespräch avancierte, führte in Buchenwald zu Racheakten der SS. Die Häftlinge bekamen einen dreitägigen Essensentzug, wahllos herausgegriffene Häftlinge wurden von der SS gequält, zwei wurden erschossen. 298 Bargatzky wurde bereits am 22. Mai 1938 in Stendal gefaßt, am 28. Mai 1938 von einem Sondergericht verurteilt und am 4. Juni 1938 öffentlich vor dem versammelten Häftlingslager gehängt. Die Leiche

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wurde zur Abschreckung 24 Stunden hängen gelassen. Es war die erste öffentliche Hinrichtung nach Einführung des Reichsstrafgesetzbuches in Deutschland überhaupt. 299 Peter Forster, dem es gelang, bis in die Tschechische Republik zu fliehen, wurde von der Hacha-Regierung ausgeliefert und am 21. Dezember 1938 in Buchenwald gleich Bargatzky öffentlich vor dem angetretenen Häftlingslager gehängt. Kallweit wurde unter Teilnahme von Himmler, Sauckel und weiterer Stadtprominenz am 14. Mai 1938 in Weimar auf dem Hauptfriedhof beigesetzt. An der Beerdigung nahm auch Oberstaatsanwalt Seesemann teil, der gemeinsam mit dem Weimarer Staatsanwalt Desczyk und „in enger Fühlungnahme mit der Kriminalpolizei und der Lagerleitung" die Ermittlungen im Fall Kallweit leitete. 300 Seesemann war als leitender Staatsanwalt des Amtsgerichts Weimar für Ermittlungen in Buchenwald zuständig. Weiter fiel die Verwarnung von Häftlingen im Auftrage auswärtiger Staatsanwaltschaften in seinen Zuständigkeitsbereich. Seesemann verwarnte entweder vor Ort selbst oder ließ in seinem Auftrag Weimarer Staatsanwälte nach Buchenwald fahren und die Verwarnungen vornehmen. 301 Ende des Jahres 1942 gab es noch einmal Streit zwischen Weimarer Justiz und Buchenwald, der die sofortige Einlieferung von Häftlingen in das Lager betraf, die wegen Heimtücke oder unerlaubten Verkehr mit Ausländern verurteilt wurden. Seesemann pochte hier auf sein Mitspracherecht. 302

Weimarer Rechtsanwälte

im Kontakt mit

Buchenwald

Weimarer Rechtsanwälte bemühten sich um Buchenwalder Häftlinge, vertraten sie vor Gericht oder halfen ihnen bei der Klärung wichtiger Angelegenheiten. Eine führende Rolle spielte hierbei der Weimarer Rechtsanwalt Liebeskind, der Häftlinge bei ihren Prozessen vor Weimarer Gerichten und Tribunalen der SS verteidigte. 303 Andere Weimarer Rechtsanwälte halfen Häftlingen bei der Vorbereitung ihrer Entlassung aus dem Lager. So wurden dem Schweinfurter Paßamt von einem Weimarer Rechtsanwalt und Notar sechs Paßbilder „im Auftrage des Schutzhäftlings Otto Israel Breitfeld" übersandt. Breitfeld, der im Zuge der „Judenaktion" im November 1938 nach Buchenwald kam, wurde hier am 15. Mai 1939 entlassen, die Ubersendung der Bilder war eine Voraussetzung für seine Entlassung. Breitfeld, der nach Shanghai auswandern wollte, verpaßte aufgrund seiner verlängerten Buchenwaldhaft (Lagersperre nach Ausbruch der Typhus-Epidemie) eine Schiffspassage von Triest nach Shanghai, für die der Weimarer Notar die Paßbilder besorgt hatte. Eine spätere Ausreise gelang Breitfeld nicht mehr, nach seiner Enteignung im Sommer 1940 wurde sein Wunsch nach Auswanderung verweigert. Sein weiteres Schicksal ist unbekannt. 304 92

2.4. Der soziale Bereich Die Kontakte zwischen Umwelt und Konzentrationslager schufen ein Interaktionsfeld, welches von der Bereitschaft der in ihm handelnden Menschen geprägt war, das Konzentrationslager als zwar besonderen, von ihnen nicht gewollten und nur temporären, insgesamt jedoch als „normalen" O r t zu behandeln. Diese Bereitschaft schuf die Voraussetzungen für aktive und zum beiderseitigen Nutzen ausgebaute soziale Beziehungen der Umwelt zum Lager. Die Kontakte zwischen Stadt und Lager öffneten wenn auch von beiden Seiten kontrolliert - den abgeschlossenen O r t K o n zentrationslager, sie gewährten der Weimarer Bevölkerung Einblicke in den Alltag des Lagers und gaben beiden Seiten die Möglichkeit, mit den stets bewußt ausgestalteten Beziehungen das Lager als „normalen O r t " in ihr Gewissen zu integrieren. Auf dieser Grundlage entwickelten sich die zahlreichen privaten und offiziellen Kontakte zwischen der SS Buchenwalds und der Weimarer Bevölkerung. Die Angehörigen der SS waren in das gesellschaftliche Leben Weimars integriert, sie nutzten die Weimarer Einkaufsmöglichkeiten, gingen hier essen und pflegten einen regelmäßigen Kontakt zu ihren Freundeskreisen in der Stadt. Die Stadt versuchte, das zahlenmäßig stark anwachsende SS-Regiment des Lagers in Weimar zu integrieren. Sie schuf feste Freizeitangebote für die SS und berücksichtigte die Lagerleitung stets bei politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Höhepunkten. Die SS, die sonst um eine Abschottung ihres Machtraums bemüht war, wurde bei der Initiierung gesellschaftlicher Beziehungen auch selbst aktiv. Sie präsentierte Buchenwald als einen Stadtteil Weimars mit Erholungsangeboten für die Bevölkerung der Stadt. Buchenwald sollte in Weimar als ein von der SS geschaffenes „Musterlager" präsent sein. Auf der anderen Seite standen heimliche und seltene Kontakte zwischen Häftlingen und Weimarer Bürgern, die sich zumeist aus dem Arbeitseinsatz der Häftlinge in der Stadt ergaben. Diese Kontakte gestatteten den Weimarern Einblicke in die Realität des Lagers, welche das Bild vom „normalen O r t Buchenwald" nicht vermittelte. N u r wenige Häftlinge ausnahmslos sogenannte Funktionshäftlinge des Lagers - kamen aufgrund ihrer relativen Freiheit in intensiveren Kontakt mit Weimarer Bürgern, diese Kontakte prägten jedoch das inoffizielle Bild Buchenwalds in Weimar entscheidend und waren Ausgangspunkt für die weitere Zusammenarbeit unmittelbar nach der Befreiung Buchenwalds.

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Kontakte zwischen Weimarer Bürgern und Häftlingen Sieht man von den zahlreichen Gelegenheiten ab, bei denen Weimarer Bürger die Häftlinge beobachten konnten, 305 hatten sie kaum Möglichkeiten, mit den Häftlingen in Kontakt zu treten. In der Aufbauzeit des Lagers kam es noch vor, daß Angehörige der Häftlinge und Weimarer Bürger an der Lagergrenze (Stacheldrahtzaun) mit Häftlingen zusammentrafen. Lagerkommandant Koch befahl den Wachposten im Mai 1938 „erhöhte Aufmerksamkeit", denn „es häufen sich die Fälle, daß Angehörige von hier einsitzenden Häftlingen versuchen, an die Lagergrenze und an die Arbeitsstellen heranzukommen, um eventuell mit den Häftlingen in Verbindung zu treten." „Zivilisten", so Koch weiter, sollten aufgefordert werden, weiterzugehen. „Leisten sie dieser Aufforderung nicht Folge, so sind sie festzunehmen und dem Lagerkommandanten vorzuführen." 306 Der deutsche Häftling Felix Amann berichtet, daß er seiner Frau und seinen Kindern im Juni 1942 per Brief seinen Arbeitsort auf einer Kirschplantage in der Nähe Gaberndorfs mitgeteilt und sie aufgefordert habe, ihn dort zu treffen. Dies sei dann auch zweimal geschehen. Sein Bericht bleibt der einzige Hinweis auf Kontakte in unmittelbarer Lagernähe, für den angegebenen Zeitpunkt (Sommer 1942) stellt das geschilderte Treffen eine absolute Ausnahme dar.307 Viele der meist im Rahmen des Arbeitseinsatzes der Häftlinge entstehenden Kontakte blieben sporadisch, es gab vereinzelt Gespräche zwischen Häftlingen und Firmenangestellten und wie beschrieben kleine Hilfeleistungen und Tauschgeschäfte. Lediglich die Funktionshäftlinge des Lagers konnten sich teilweise so frei bewegen, daß ein tieferer Kontakt möglich war. Karl Gärtig war ab 1942 in seiner Funktion als Kapo des SSKantinenbetriebes zu ausgedehnten Versorgungsfahrten für die SS unterwegs. Diese Fahrten, stets in Begleitung von SS-Wachleuten, führten ihn gemeinsam mit dem Kapo der SS-Friseurstube Franz Eichhorn 308 auch nach Weimar. Hier sollten die beiden Häftlinge nach dem Bombenangriff auf Buchenwald am 24. August 1944 bei der Glaserei Gentner Ersatz für das im Lager zerstörte Fensterglas beschaffen. Die beiden Häftlinge, die in Zivilkleidung unterwegs waren, lernten in der Firma Gentner die Tochter des Firmeninhabers Marga Gentner und deren Freundin Ursula Böber kennen. Aus dieser ersten Begegnung entwickelte sich ein herzliches Verhältnis. Auf den weiteren Fahrten nach Weimar nutzten Gärtig und Eichhorn ab September 1944 jede Gelegenheit, in der Glaserei in der Meyerstraße Marga Gentner und Ursula Böber zu treffen. Die Häftlinge übergaben den Frauen Briefe zum Weiterversand, Zeichnungen des Lagers und Negative der Fotos, die der deutsche Häftling Rudolf Opitz 309 von Exeku-

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tionen in Buchenwald gemacht hatte. Ursula Böber versteckte die Zeichnungen und die Fotos auf dem Dachboden des Hauses der Eltern in Schöndorf. 310 Zwischen Franz Eichhorn und Marga Gentner entwickelte sich aus diesen Begegnungen im Herbst 1944 eine dauerhafte Beziehung. Sie heirateten nach Kriegsende. Kontakte zwischen Weimarer Bürgern und der SS Die Trennung zwischen dem Dienst im Lager und dem privaten Alltag begann für die SS bereits mitten in Buchenwald. Die meisten SS-Angehörigen, die im Lager Häftlinge schikanierten, folterten und zu Tode quälten, führten außerhalb des Lagers ein oft kleinbürgerliches Leben. Dieser Trennung waren auch die Kontakte der SS zur Weimarer Bevölkerung unterworfen. Die Weimarer lernten so nur die „ganz gewöhnlichen, netten" 3 " SS-Männer kennen, mit der Realität des Lagers hatten diese Beziehungen kaum etwas zu tun. Auf dieser Grundlage entwickelte sich eine hohe Dichte von privaten Kontakten. Die Hausfrau Anna S. aus Taubach bei Weimar pflegte seit 1941 einen intensiven Kontakt zu SS-Oberscharführer Peter Merker, der im Häftlingslager des Weimarer Gustloff-Werkes als Lagerleiter eingesetzt war. Anna S. und Merker waren „fast jede Woche gesellschaftlich zusammen." 312 Edith W. aus Buttstädt 313 arbeitete vom 15. Januar 1944 bis zur Befreiung des Lagers in Buchenwald als Sekretärin des Verwaltungsführers Barnewald. Sie hat Barnewald in dieser Zeit „als Menschen wie als Vorgesetzten schätzen gelernt." Bei Unterschlagungen von Häftlingseigentum und der Mißhandlung von Häftlingen habe sie Barnewald nie beobachten können, „dabei hätte ich täglich Gelegenheit gehabt, solche Dinge zu sehen oder zumindest von ihnen zu hören, wenn sie tatsächlich vorgekommen wären." 314 Otto Müller, der Eigentümer der Nord-Apotheke in der Zunkelstraße in Weimar, wurde regelmäßig von dem SS-Lagerarzt Hanns Eisele 315 aufgesucht. Der Apotheker und der SS-Arzt, der von den Häftlingen der „Spritzendoktor" oder „Weißer Tod" genannt wurde, führten bei diesen Besuchen lange Gespräche. Müller, der Eisele als einen „höflichen, bescheidenen [und] vornehmen Menschen" schätzte, sprach mit dem Arzt zunächst über Unverfängliches: „Meine Liebe zu den heimatlichen Bergen seines Schwarzwaldes brachte uns einander näher, so daß wir uns über nicht dienstliche Angelegenheiten unterhielten." Später wurde jedoch auch über das Lager gesprochen. Als im Sommer 1941 der in Weimar beliebte Pfarrer Alexander Wessel von der Gestapo verhaftet und nach Buchenwald gebracht wurde, 316 sprach Müller Eisele darauf an und versuchte den Arzt von der Unschuld Wessels zu überzeugen. Eisele, der Wessel wegen eines Leistenbruches operiert hatte, versprach, sich um Wessel besonders zu

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kümmern. „Er [tat dies], aber nicht in einer gönnerhaften Weise, sondern als etwas Selbstverständliches." Kurz darauf konnte Eisele, der zur gleichen Zeit im Lager mehrere Hundert Häftlinge mit Evipan-Spritzen getötet hatte, 317 die Genesung Wessels vermelden. Müller dankte ihm, worauf Eisele entgegnete, „daß wäre doch selbstverständlich, daß er die Unglücklichen unterstütze und ihnen ihr Los erleichterte, wo er nur könne." 318 Die Schülerin Antonie S. wurde von einer Tochter eines höheren SSFührers nach Buchenwald zum Geburtstag eingeladen. Sie ist dieser Einladung aber aufgrund der Einwände ihres Vaters nicht gefolgt, der Gefahren für seine Tochter durch die dort einsitzenden Häftlinge und durch die sehr junge SS-Mannschaft sah.319 Der erste Lagerkommandant Karl Koch soll in Weimar eine Beziehung zu einer Tänzerin unterhalten haben. 320 Ilse Koch schrieb im Dezember 1942 an Richard Glücks, 321 sie habe anonyme Hinweise von „zahlreichen Seitensprüngen" Kochs in Weimar erhalten. 322 Fritz H. ging gemeinsam mit dem Sohn des Schutzhaftlagerführers Jakob Weiseborn ab 1938 in eine Klasse. Uber Buchenwald haben die beiden befreundeten Schüler jedoch nicht gesprochen. „Wir waren damals noch Kinder, das hat uns auch nicht interessiert." 323 Zum Teil resultierten die Beziehungen auch aus verwandtschaftlichen Kontakten. Ob überhaupt und in welchem Umfang es zu Eheschließungen zwischen Weimarer Frauen und SS-Männern kam, ist nicht bekannt. 324 Der Schutzhaftlagerführer Hermann Florstedt 325 hatte bereits vor 1933 in Weimar die Tochter des Inhabers der Firma Gummi-Wille, Charlotte Wille, geheiratet. 326 Florstedt, der 1925 nach Eisleben übersiedelte und sich hier wie zuvor in Weimar mit Gelegenheitsjobs über Wasser hielt, kam 1939 mit seiner Frau als SS-Obersturmführer nach Weimar zurück, er wurde in Buchenwald als Führer des Wachblocks eingesetzt. 1940 wurde er Schutzhaftlagerführer des Lagers. Mit seiner Frau wohnte Florstedt in einer der SS-Führervillen in unmittelbarer Nähe des Lagers. Florstedts erhielten des öfteren Besuch von der Schwester Charlottes. Diese war entsetzt über die Brutalität Florstedts, der den in seinem Haushalt beschäftigten Häftling regelmäßig verprügelte. Charlotte Florstedt versuchte ihre Schwester zu beruhigen: „Männe [wird] ihn nicht in Deiner Anwesenheit, wie sonst immer, mit der Reitpeitsche verprügeln." 327 Regelmäßig blieben Bekannte der SS-Angehörigen über Nacht im Lager. Lagerkommandant Koch verbat wiederholt diese Übernachtungen, zuletzt wies er im August 1939 daraufhin, „daß es strengstens untersagt ist, irgend welche Angehörige oder Bekannte mit in das KL. Buchenwald zu bringen und sie hier übernachten zu lassen." 328 Das Erscheinungsbild einer „ungehobelten" und arroganten SS-Truppe bestimmte wie in Dachau auch in Weimar das Verhalten der Bevölkerung 96

gegenüber der SS, wenn sie außerhalb der Dienstzeit in Gruppen in Weimar auftrat.329 Die Lagerleitung versuchte dieses Bild zu korrigieren, indem sie der SS-Truppe für ihr Auftreten in der Öffentlichkeit Vorgaben machte und Zuwiderhandlungen gegen diese Vorgaben hart bestrafte. „Der SS-Mann", so Lagerkommandant Koch in einem Befehl vom 1. Oktober 1940, „hat Stolz und Würde zu zeigen und durch sein soldatisches Beispiel zum Ausdruck zu bringen, dass er der Träger des 3. Reiches ist." 330 In diesem Sinne erfolgten die speziellen Vorgaben für den Ausgang nach Weimar. Der Besuch der Lokale „Gaststätte Pilsner", „Bräustübl" und „Deutscher H o f " in Weimar wurde verboten, da diese für die SS „nicht geeignet" seien.331 Weiter forderte Koch seine Truppe 1938 per Kommandanturbefehl zum Boykott der noch bestehenden jüdischen Geschäfte in Weimar auf. Das Schuhwarenhaus der Geschwister Strauss, das Kaufhaus Sachs & Berlowitz, das Gardinenhaus Julius Wiener, das Schuhgeschäft Ludwig Leopold und der Schreibwaren- und Puppenladen Hedwig Hetemann sollten von der SS nicht aufgesucht werden, gleiches galt für den jüdischen Zahnarzt Dr. Wiener. 332 Mehrmals verwarnte Koch seine Truppe wegen ihres ungebührlichen Verhaltens im Schloßpark Ettersburg. SS-Angehörige hatten, offenbar in angetrunkenem Zustand, bei ihrem Heimweg von Ettersburg nach Buchenwald den ihnen untersagten Weg durch den Schloßpark vorbei an der „Hermann-Lietz-Schule" 333 benutzt und dabei „sinnlos in der Gegend herumgeschossen." 334 Tätliche Ubergriffe seitens der SS wie in Dachau gab es in Weimar aber nicht. 335 Offizielle Kontakte zwischen Stadt und Lager Seit Einheiten des 3. SS-Totenkopfverbandes mit „klingendem Spiel" am 10. Oktober 1937 in Weimar einmarschierten, hier am Fürstenplatz von Sauckel begrüßt wurden und danach in ihren neuen Standort K L Buchenwald einzogen, war die SS in Weimar präsent. 336 Keine Feier, kein Aufmarsch und keine große Propagandaaktion fand ab jetzt ohne sie statt. Ihre Funktion hierbei war klar definiert: Gemeinsam mit den verschiedenen Organisationen der N S D A P sollte auch die SS ihren Propagandabeitrag für das Bild einer vollkommenen „Volksgemeinschaft" leisten. In dieser Hinsicht war ihre vollständige Integration in das politisch-kulturelle Leben der Stadt selbstverständlich. Am 4. Dezember 1937 war die Buchenwalder SS erstmals in Weimar anwesend, um gemeinsam mit Weimarer Politikern für das Winterhilfswerk der nationalsozialistischen Volkswohlfahrt zu sammeln. Auf dem Theaterplatz gab das Musikkorps des 3. SS-Totenkopfverbandes anläßlich der Sammlung ein „Platzkonzert", weitere Militärkapellen spielten vor

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dem Hauptbahnhof, in der Schillerstraße und auf dem Karlsplatz. An insgesamt 56 Stellen in der Stadt standen die „führenden Männer Weimars" bereit, um für das Winterhilfswerk zu sammeln, unter ihnen die gesamte Lagerspitze Buchenwalds. Lagerkommandant Koch forderte gemeinsam mit dem Baumeister und Ratsherren Fritz Taudte in der Schützengasse die Passanten zum Geldspenden auf, weiter vorn am Theaterplatz sammelten Sauckel und der Intendant des Nationaltheaters, Hans Severus Ziegler. Der Schutzhaftlagerführer Buchenwalds, SS-Obersturmbannführer Arthur Rödl 337 stand mit dem Oberregierungsrat Apetz in der Rittergasse, während auf dem Marktplatz Oberbürgermeister Koch, Gauamtsleiter Escher und der SS-Sturmbannführer Grosch um Spenden baten. In der Schlageterstraße (heute Heinrich-Heine-Straße) schließlich stand der SSSturmbannführer Hierthes 338 gemeinsam mit dem Ministerialdirigenten Walther, die weiter unten in der Schwanseestraße vom Sanitätsoberführer der NSFK 339 Zehde und dem Direktor des Goethe-Museums Hans Wahl unterstützt wurden. 340 Einen Monat später, am 8. Januar 1938, veranstaltete das Musikkorps des 3. SS-Totenkopfverbandes Buchenwald in Weimar einen großen „bunten Abend". Zu dem Platzkonzert waren neben der SS „zahlreiche Weimarer und Weimarinnen [anwesend], die einen genußreichen und unterhaltsamen Abend erlebten". Der Eindruck, den das Musikkorps in Weimar hinterließ, war derart positiv, daß der Berichterstatter der Allgemeinen Thüringischen Landeszeitung (ATLZ) den Wunsch äußerte, das Orchester bald wieder in Weimar begrüßen zu dürfen. „Reicher, verdienter Beifall wurde den Musikern und ihrem Leiter [SS-Unterscharführer Günther Klück] zuteil."341 Das Orchester der Buchenwalder SS kam bereits Ende Januar 1938 wieder nach Weimar, um gemeinsam mit dem Gebietsmusikzug der HJ, dem Ensemble des Deutschen Nationaltheaters und den Thüringer Sängerknaben in der Weimarhalle „einen großen Abend für die Winterhilfe" zu veranstalten. „Die SS-Männer ernteten", so der Reporter der ATLZ, „das letzte an Beifall, was aus den begeisterten Weimarern noch herauszuholen war."342 Auch den Abend für das Winterhilfswerk im Februar 1939 in der Weimarhalle gestalteten SS und H J gemeinsam. „Der Saal", so die ATLZ, „war schon lange vor Beginn dicht besetzt. Auf den Rängen drängten sich die Menschen und viele begnügten sich mit einem Stehplatz, so daß bereits das äußere Bild der Halle die enge Verbundenheit unserer Einwohnerschaft mit der SS und der H J in eindringlicher Weise bewies." 343 Auf dem Reichsparteitag in Nürnberg erhielt die 3. SS-Totenkopfstandarte „Thüringen" von Hitler eine neue Standarte verliehen, gleichzeitig wurde die Sturmbannfahne der Truppe „geweiht". Entsprechend dieser Ehrung wurde der Rückmarsch der SS nach Weimar in der Stadt zelebriert. 98

A m 16. September 1938 empfing Weimar die SS-Truppe mit einem großen Aufmarsch auf dem Fürstenplatz. Die Weimarer Schüler erhielten an diesem Tag schulfrei, damit sie an dem Aufmarsch teilnehmen konnten. 344 Bei derartigen Anlässen schmückte sich Weimar mit der SS, verdeutlichtete sie doch am stärksten den Aufstieg der kleinen Stadt zur Machtmetropole in Thüringen. U m sich die SS gewogen zu halten, war die Parteispitze Weimars stets bemüht, die SS-Führer in Buchenwald mit kleinen Aufmerksamkeiten zu überraschen. Als zentrales Mittel dieser Politik der kleinen Gaben fungierten die Dispositionsfonds der NS-Industriestiftung der Gustloff-Werke. Sauckel als Stiftungsführer der Werke stellte seinem Verwaltungs- und Stiftungsratsvorsitzenden Schieber jährlich zwei Fonds in Höhe von je 25.000,- R M zur Verfügung. Über diese Gelder konnte Schieber frei verfügen, um damit im „Interessenbereich der Stiftung liegende finanzielle Anliegen" zu unterstützen. 345 1939 kaufte Schieber mit diesen Geldern beispielsweise 150 Fahrräder für die „HJ-Italienfahrt", finanzierte mit 117,- R M eine Todesanzeige für den im Januar 1939 bei einem Autounfall verunglückten Gauwirtschaftsberater Otto Eberhardt und spendete 2.000,- R M an den Weimarer SS-Abschnitt 27. Regelmäßig wurden mit Geldern aus den Fonds Kinderwagen für neugeborene Kinder von Parteimitgliedern angeschafft. Ende April 1939 erhielt auch Lagerkommandant Koch anläßlich der Geburt seiner Tochter Gisela einen Kinderwagen aus der Fabrikation der Suhler Kinderwagenfabrik, Modell 720, elfenbeinfarben. 346 U m den Bau einer eigenen Wasserleitung für Buchenwald in den Jahren 1938/39 möglichst rasch abzuschließen, spendierte die Weimarer N S D A P Führung gemeinsam mit der Gustloff-Stiftung dem Lager fünf Mannschaftszelte zur Unterbringung der Häftlinge an der Baustelle bei Tannroda. 347 Die Zelte wurden zum Preis von 9.750,- R M bei einer Kasseler Segeltuchfirma gekauft und von der Speditionsfirma Staupendahl nach Buchenwald gebracht. Koch bedankte sich am 10. Oktober 1938 bei Otto Eberhardt, der die Schenkung als Verwaltungsratsvorsitzender der Gustloff-Stiftung organisiert hatte, für die „kameradschaftliche Unterstützung und Bemühungen". 348 Ende Oktober 1938 beschloß der Verwaltungsrat eine weitere Schenkung für die Buchenwalder SS, denn „bei wiederholten Besichtigungen des Lagers Buchenwald wurde die Notwendigkeit herausgestellt, für die Freizeit der dort in der Verwaltung tätigen Parteigenossen etwas besonderes zu schaffen." Auf Vorschlag des Weimarer Polizeipräsidenten Hennicke kaufte die Stiftung zwei Reitpferde samt Sattelzeug für knapp 3.000,- R M , „die in einem zum Lager Buchenwald gehörigen Stall untergebracht und dem gesamten Führerkorps zur Verfügung" gestellt wurden. 349 Lagerkomman99

dant Koch dachte jedoch nicht daran, die Pferde der SS-Führung in Buchenwald zur Verfügung zu stellen, er versuchte zunächst, mit den Pferden Geschäfte zu machen. Am 16. November 1938 teilte Koch dem „lieben Kamerad Eberhardt" mit, daß er eines der beiden Pferde für 900,- R M wieder verkauft und sich ein anderes Pferd („Allerliebste") in Höhe von 1.600,- R M gekauft habe, „ein Betrag, den man auch für ein anständiges Pferd anlegen muß." Koch forderte Eberhardt auf, die bleibende Differenz von 700,- R M auf sein Konto bei der Städtischen Sparbank Weimar zu überweisen und gleichzeitig für eine Versicherung der beiden Pferde zu sorgen. 350 Der brüskierte Eberhardt übernahm zwar den Differenzbetrag, war aber nicht zu einer Übernahme der Versicherungskosten bereit: „Laufende Verpflichtungen kann ich leider in diesem Zusammenhang nicht übernehmen. Ich bitte Sie deshalb, wenn Sie die beiden Pferde versichern sollten, mich mit den entstehenden Ausgaben nicht zu belasten." 351 Koch blieb jedoch bei der Frage der laufenden Kosten hartnäckig. Durch mehrmaliges Insistieren konnte er erreichen, daß die Stiftung ab Januar 1939 auch die Futterkosten übernahm. 352 In Buchenwald wurde für die Pferde eine Reithalle gebaut, die praktisch Koch und seine Frau Ilse allein benutzten. 353 Ilse Koch nahm nach Anschaffung der Pferde Reitunterricht in Weimar.354 Für die kleinen und großen Aufmerksamkeiten aus Weimar revanchierte sich die SS mit Geschenken für die Weimarer Naziprominenz. Hersteller der Kunstgegenstände, die die SS in Weimar verschenkte, waren in der Regel Häftlinge. So sollte Polizeipräsident Hennicke im Winter 1943 ein von Häftlingen gefertigtes Rauchzimmer erhalten, nachdem Oberbürgermeister Koch das Geschenk abgelehnt hatte, da er ein solches Zimmer schon besaß. D a auch Hennicke schon in Besitz eines Rauchzimmers war, ging das Geschenk schließlich an den Leiter der Raiffeisengenossenschaft Georg Uslar. 355 U m Buchenwald der Stadt als „Musterlager" zu präsentieren, führte die SS für ausgewählte Personengruppen Besichtigungen im Lager durch. Dies tat sie verstärkt nach Bekanntwerden der Korruption und dem damit verbundenen Austausch der Lagerleitung im Januar 1942, um Buchenwald vom Image des „vollkommen versauten Lagers" zu befreien. 356 Besonders Angehörige der Wehrmacht besichtigten das Lager ab 1942, aber auch Lehrgänge von Polizisten und SS-Rekruten wurden durch das Lager geführt. Regelmäßig kamen Offiziersanwärter der Luftwaffe vom nahegelegenen Stützpunkt Nohra zur Besichtigung des Lagers, im Oktober 1944 wurde eine Gruppe von Krankenschwestern des Deutschen Roten Kreuzes durch Buchenwald geführt. 357 Stefan Heymann, Blockältester im Block 3 (junge jüdische Häftlinge) berichtet, ein „besonderer C l o u " sei ein „Be100

such von Jugendabordnungen faschistischer Länder" gewesen, „die zu einer ,Kulturtagung' in Weimar zusammen waren, und sich in Buchenwald neudeutsche Kultur besahen." 358 Der Häftling A l f r e d Bunzol erlebte im September 1939 als Kranker im Häftlingskrankenbau die Führung einer deutsch-amerikanischen Ärzte-Delegation durch den SS-Standortarzt Ding-Schuler. 35 ' Regelmäßiger Teilnehmer dieser Besichtigungen w a r der Betriebsführer der Weimarer Gustloff-Werke I und II, Walter Hornig. Er empfing kleine Gruppen von Wehrmachtsangehörigen, die er oder andere Mitglieder der Werksleitung durch das Werk II in Buchenwald führte. Nach der Führung äußerten die Besucher häufig den Wunsch, nun auch noch das Lager selbst sehen zu wollen: 3 6 0 „Ich [Hornig] rief also Pister an und bat, [die Besucher] zur Besichtigung von Buchenwald bringen zu dürfen. Niemals hat der Kommandant meine Bitte abgelehnt. Spontan fragte er, wann ich kommen wurde und empfing uns am Eingang des Lagers. Er begrüßte uns mit dem Hitlergruß. Es erfolgte die Vorstellung. Dann fragte er die Besucher stets: ,Was wünschen die Herren besonders zu sehen?' Als erstes wurde von allen ohne Ausnahme das Krematorium genannt, wo man wohl Vergasungen vermutete. Ohne Zögern führte uns der Kommandant an den Werkshallen vorbei, vorbei an dem Kasino, einem barackenähnlichen schmalen Langbau, zum Krematorium. Die Augen der Besucher weiteten sich ob des Erstaunens über den kleinen Bau, etwa in der Größe eines schmalen Zimmers von etwa 15 Quadratmetern. Beim Eintreten sah man neben der Tür einen schmalen Backsteinbau [...]. Das .war der Ofen, der mit dem Hebel geöffnet und geschlossen werden konnte, wie dies früher bei Kohleöfen der Fall war. Im Ofen selbst sah man wenige Reste von verbranntem Holz, die bei jedem Besuch etwas verschieden waren, weil wahrscheinlich inzwischen wieder ein Häftling gestorben und im Sarg verbrannt worden war. [...] Der Rest des Krematoriums war ausgefüllt von zwei Tischen aus rohem Holz und einem Regalbrett darüber. Auf diesen standen den Toten entnommene Lungen, die von einer hellbraunen eines Nichtrauchers bis hin zu einem schwarzen Klumpen eines Kettenrauchers stammten, der wahrscheinlich an Lungenkrebs gestorben war. Zwischen den Tischen konnten zwei Männer stehen, was bei Besuchen ausprobiert wurde. Wir gingen dann an den Kasernenbauten [Häftlingsblocks] vorbei, die einen sauberen Eindruck machten. Wenn ein Besucher eintreten und Häftlinge sprechen wollte, konnte er dies jederzeit tun. Der Kommandant blieb auf der Straße. Ich ging aus Neugierde auch mit in die Stuben. In den Räumen befanden sich wie damals bei uns im Freikorps sechs mal zwei Betten übereinander, mit blau-weiß karierten Bettbezügen, die vorschriftsmäßig glatt gestrichen waren wie bei uns Soldaten. In jedem Haus saß ein Schuster oder ein Schneider auf einem kleinen Podest

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und reparierte Schuhe bzw. Kleidung. Einige Häftlinge saßen auf den Hockern oder standen herum. Wenn jemand sie ansprach, antworteten sie und gaben den Grund ihres Hierseins an, ob es sich um Kommunisten oder Kriegsdienstverweigerer handelte. N u r solche mit grünem Dreieck zuckten meistens mit der Schulter. Bei ihnen handelte es sich um Verbrecher. [...] Die Besichtigung ging dann weiter bis zu den landwirtschaftlichen Anlagen und zurück, w o wir auf der linken Seite Häuser in Siedlungsform für die SS-Offiziere und das Kommandantenhaus sahen. Zuvor aber besuchten wir das Archiv [Effektenkammer]. Ein großer hallenförmiger Bau, in welchem in Querreihen die Personalakten der einzelnen Häftlinge nach Nummern geordnet hingen. In jeder Reihe standen Häftlinge und hefteten etwas ein. [...] Dann besichtigten wir die Küche. Es war vormittags und das Essen noch nicht fertig gekocht. Die Kessel und Geräte blitzten vor Sauberkeit, so daß ein General erklärte, daß in einer Infanteriekaserne diese Sauberkeit nicht zu erreichen sei, weil die Einrichtung viel primitiver wäre. Endlich traten wir vor der Küche in einen wunderbar sauberen Verkaufsraum, der sehr einer heutigen Metzgerei ähnelte. Wände und Fußboden waren klein getäfelt. Die Waren lagen unter Vitrinen. Hier konnten sich Häftlinge gegen Lagergeld kaufen, was es gab. D a lagen Schinken, ungarische Salami, Käse, Olsardinen, Tabakwaren etc. Nichts unterlag einer Beschränkung. [...] Im Kommandantenhaus wurde meistens ein französischer Kognak gereicht und eine abschließende Unterhaltung gepflegt. Dabei kam immer wieder die große Enttäuschung, speziell von Front-Offizieren und Generälen zum Ausdruck. Sie verstanden nicht, warum zwischen der feindlichen Propaganda und den Fakten, von denen sie soeben Kenntnis genommen hatten, eine solch große Diskrepanz bestand. Sie waren sichtlich erleichtert." E u g e n K o g o n , seit 1939 in B u c h e n w a l d inhaftiert, hat diese B e s i c h t i g u n g e n freilich a n d e r s erlebt: 1 6 1 „Die Lagerführung entwickelte dabei [bei den Besuchen] eine merkwürdige Praxis: einerseits verschleierte sie die Zusammenhänge, andererseits zeigte sie besondere Schaustücke. Einrichtungen, die auf Marterungen der Häftlinge hinweisen konnten, wurden bei den Führungen übergangen, derartige Gegenstände versteckt. So kam zum Beispiel der berüchtigte 'Bock', wenn er auf dem Appellplatz stand, so lange in eine Wohnbaracke, bis die Besucher wieder gegangen waren. Einmal vergaß man anscheinend die Vorsichtsmaßnahme; auf die Frage eines Besuchers, was das für ein Instrument sei, erwiderte einer der Lagerführer, ein Modell der Tischlerei zur Herstellung besonderer Formen. Auch Galgen und Pfähle zum Aufhängen wurden stets beiseite geräumt. Herumgeführt wurden die Besucher vor allem in den .Musterbetrieben': Revier, Kino, Bücherei, [Effekten-] Kammer, Wäscherei und in der Landwirtschaft [Gärtnerei und Wirtschaftshof]. Kamen sie wirklich einmal in einen Wohnblock, dann in der Regel in den der sogenannten ,Kommandier-

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ten', 362 w o die Friseure für die SS und die SS-Kalfaktoren sowie besonders privilegierte Häftlinge lagen, der deshalb auch nie überfüllt und immer sauber war. In der Gärtnerei oder in den Kunstwerkstätten erhielten die SS-Besucher Geschenke als ,Andenken'."

Das Lager wurde nicht nur von Gruppen, sondern auch von Einzelpersonen besucht. Verwandte und Bekannte der SS-Führung des Lagers kamen häufig während der Urlaubszeit zu Besuch ins Lager, wie andere Besucher auch blieben die meisten einen Tag in Buchenwald und beobachteten auch den Abendappell. 363 Gegenseitige

Freizeitangebote

Zum „normalen Ort Buchenwald" gehörte, daß die Stadt ihr geliebtes Freizeitdomizil Ettersberg weiter nutzen konnte. Die Lagerleitung bemühte sich um entsprechende Angebote, gleichzeitig sah sie hier eine lukrative Einnahmequelle. Was aus heutiger Sicht in Kenntnis der Realität des Lagers befremdlich wirkt, war damals fester Bestandteil des Alltags von SS und Stadtbevölkerung. Weimarer Bürger besuchten auch nach der Errichtung des Lagers den Berg, gingen hier, so weit dies aufgrund der Absperrungen möglich war, wandern. Bei den Kindern galten die „Teufelslöcher" - die heutigen Ringgräber der Mahnmalsanlage - als gute R o delanlagen im Winter. Ein beliebtes Ausflugsziel war vor und nach der Errichtung des Lagers der 1901 errichtete 43 Meter hohe Bismarckturm, der eine weite Aussicht über den Ettersberg gestattete und neben dem sich eine Imbißmöglichkeit befand. Ende August 1939 veranstaltete die Buchenwalder SS auf den Ettersberg ein Sommerfest für die Weimarer Bevölkerung. Rund um den Bismarckturm wurden Buden und Tanzpodeste aufgebaut, das Musikkorps der SS spielte zum Tanz auf. Die SS zeigte in ihrem Programm sportliche Leistungen. Höhepunkt der Feier war ein römisches Wagenrennen auf umgebauten Maschinengewehr-Wagen, dargeboten von der 6. Kompanie der 3. SS-Totenkopfstandarte. Für die zahlreich anwesenden Weimarer und Angehörigen der SS wurde das Fest, welches nur wenig entfernt vom Häftlingslager stattfand, ein voller Erfolg: 364 „Es war wirklich ein Sommerfest! Die Sonne brannte kräftig auf die Rasenflächen, als sich die ersten Gäste gegen 16 Uhr einfanden. Die Führer und Männer der 3. SSTotenkopfstandarte waren mit ihren Familien, Freunden und Bekannten zusammengekommen, um nach langem und hartem Dienst wieder einmal ein Fest der Freude zu erleben. Jeder hatte seinen Teil dazu beigetragen, das Fest recht schön zu gestalten. Da waren drei riesige Tanzpodien und ein ebensolches für die Musik aufgestellt. Eine große Zahl von Glücksbuden, Schieß- und Würstchenbuden umrahmten den weiten Festplatz. Überall brunzelte und dampfte es. Zwei riesige Ochsen wurden am Spieß gebraten - wem lief da nicht das Wasser im Munde zu-

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sammen? Über allem standen schlanke Tannen mit Festkränzen und ergaben zusammen mit den bunten Kinderballons und den farbenfrohen Sommerkleidern der Frauen und Mädchen ein strahlendes Bild der Lebensbejahung." Die Hauptattraktion des späten Abends war der Bismarckturm, der im Licht zahlreicher Scheinwerfer erstrahlte. Für den Erhalt des Turmes sollten später auch Häftlinge sorgen. Im Oktober 1943 wandte sich der Weimarer „Bismarckverein" mit der Bitte an Lagerkommandant Pister, Häftlinge zur Behebung von Schäden am Turm einzusetzen. 365 A b Mai 1940 konnten die Weimarer neben dem Ettersburger Schloßpark, in dessen Nähe sich noch heute ein damals aufgestellter Wanderwegweiser befindet, der auch nach Buchenwald verweist, 366 ein Wildtiergehege besuchen, welches die SS im Lagergelände errichtet hatte. A m 14. Mai 1938 hatte Himmler anläßlich einer Besichtigung des Lagers befohlen, einen „SS-Falkenhof" zu errichten. 367 Anlehnend an die Jagdbräuche des Mittelalters und ganz im Sinne des Germanenkults der SS eingerichtet, sollte ungefähr 500 Meter südlich vom Häftlingslager ein Ort entstehen, an dem „die altehrwürdige Kunst der Deutschen Falknerei" gepflegt werden sollte. 368 Bis zur Fertigstellung im Frühjahr 1940 wurden zwei Adlerhäuser, sieben geräumige Käfige, ein Kaminhaus als Jägerunterkunft und ein Wohnhaus für den „SS-Falkner" errichtet. 369 Zum Falkenhof gehörte auch ein Tiergehege, in dem Hirsche, Damhirsche, Rehe und Wildschweine, ein Mufflon, Füchse, Fasanen, Pfaue, Hühner, Kaninchen und andere Tiere gehalten wurden. 370 A m 24. Juli 1940 wurde der Falkenhof zufällig von einer britischen Fliegerbombe getroffen, die das Adlerhaus beschädigte und zum Ärger der SS den Seeadler „Knauth" tötete. 371 Da sich der Falkenhof in unmittelbarer Nähe der SS-Führersiedlung und innerhalb des Lagergeländes befand, wurde die Besichtigung des Wildgeheges durch Zivilisten genau geregelt. Öffnungszeit war sonntags von 14.30 Uhr bis 17.30 Uhr, zur jeden vollen Stunde gab es Führungen. Die Eintrittskarten kosteten für Erwachsene 50 Pfennige, Kinder und „Uniformierte" bezahlten 20 Pfennige. Insgesamt acht Wachposten waren zur Kontrolle der Besucher eingesetzt, wer sich außerhalb der Wege befand, sollte zur Feststellung seiner Personalien festgenommen werden. Für alle anwesenden SS-Männer galt Schweigepflicht, Auskünfte durften nur in Bezug auf den Falkenhof gegeben werden. 372 Zwischen Mai und Dezember 1941 nahm die SS über Eintrittsgelder für den Falkenhof 600,R M ein, dies läßt auf mindestens 1.200 Besucher des Falkenhofs in diesem Zeitraum schließen. 373 Der Besuchsverkehr „insbesondere für Sonntage in der Zeit vor dem Kriege und der ersten Zeit nach Kriegsausbruch" wird als „rege" beschrieben. 374

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Abb. 1: Wegweiser in Ettersburg, März 1997

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Abb. 7: Ausweis für Zivilisten, berechtigt zum Betreten des K L Buchenwald, o h n e Datum

D e r Verlust des Ausweises be ziehungsweise der Armbinde wird w e g e n Fluchtbegünstigung u. mit RM.1Q.-fürdie Ausstellung eines neuen Ausweis e s bezw; Armbinde bestraft.



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Abb. 8: Auftrittsorte des Deutschen Nationaltheaters Weimar, Spielzeit 1942/43

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