Mutterschutz und Elternzeit für Abgeordnete [1 ed.] 9783428580927, 9783428180929

Die Arbeit befasst sich mit der bislang juristisch weitgehend ungeklärten Frage des Mutterschutzes und der Elternzeit fü

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German Pages 438 Year 2020

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Mutterschutz und Elternzeit für Abgeordnete [1 ed.]
 9783428580927, 9783428180929

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Beiträge zum Parlamentsrecht Band 81

Mutterschutz und Elternzeit für Abgeordnete

Von

Kathrin Wahlmann

Duncker & Humblot · Berlin

KATHRIN WAHLMANN

Mutterschutz und Elternzeit für Abgeordnete

Beiträge zum Parlamentsrecht Herausgegeben von Professor Dr. Horst Risse, Berlin Professor Dr. Utz Schliesky, Kiel Professor Dr. Christian Waldhoff, Berlin

Band 81

Mutterschutz und Elternzeit für Abgeordnete

Von

Kathrin Wahlmann

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover hat diese Arbeit im Jahre 2020 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2020 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Rimpar Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0720-6674 ISBN 978-3-428-18092-9 (Print) ISBN 978-3-428-58092-7 (E-Book)

Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Diese Arbeit widme ich allen Abgeordneten mit kleinen Kindern.

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde am 15. Mai 2020 von der Juristischen Fakultät der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover als Dissertation angenommen. Ihr liegt der rechtliche und tatsächliche Stand vom 18. Dezember 2019 zugrunde. Die Idee für dieses Werk beruht auf einem biographischen Anlass: Als ich im Mai 2014 als Mitglied des Niedersächsischen Landtages meine zweite Tochter zur Welt brachte, gab es dort weder Mutterschutz noch Elternzeit für Abgeordnete. Die Fortführung meines Abgeordnetenmandates gelang allein deshalb, weil mein Ehemann ein Jahr lang Elternzeit nehmen konnte – im Jahr 2014 für Väter eine Seltenheit – und durch die Hilfe meiner Eltern bei der Betreuung unserer erstgeborenen Tochter Lilith. Bis zur Sommerpause 2014 wurde im Landtag zum Ausgleich meines Fehlens das sogenannte Pairing vereinbart; danach nahm ich meine parlamentarische Arbeit wieder vollumfänglich auf. Während der Sitzungen wartete mein Mann mit unserer neugeborenen Tochter Luise in einem Büro hinter dem Plenarsaal darauf, dass ich zu Stillpausen aus dem Plenum oder aus einem Ausschuss kam. Auch bei den zahlreichen Außenterminen hielt er das Baby stets im Hintergrund bereit. Dank meiner Position als Vorsitzende des Unterausschusses für Justizvollzug und Straffälligenhilfe kam Luise daher unter anderem in das zweifelhafte Vergnügen, bereits im Alter von wenigen Monaten mehrere niedersächsische Justizvollzugsanstalten von innen gesehen zu haben. Nach meiner Entscheidung gegen eine erneute Landtagskandidatur und für eine Rückkehr in meinen ursprünglichen Beruf als Richterin am Landgericht packte mich das wissenschaftliche Interesse: Gibt es bundesweit keinen Mutterschutz und keine Elternzeit für Abgeordnete? Wenn nein: Besteht nicht ein entsprechendes grundrechtliches Gebot? Und falls dies der Fall ist: Wie könnte man entsprechende Regelungen in der Parlamentswirklichkeit umsetzen? Mit der rechtswissenschaftlichen Beantwortung dieser Fragen befasst sich die vorliegende Arbeit. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Prof. Dr. Veith Mehde, Mag.rer.publ., der meine Arbeit hervorragend betreut und meine Anfragen stets zügig und gewinnbringend beantwortet hat. Seine Schnelligkeit und Gedankenschärfe bei der Durchsicht meiner Arbeit haben mich ebenso beeindruckt wie erfreut. Auch bei Frau Prof. Dr. Frauke Brosius-Gersdorf, LL.M., bedanke ich mich sehr herzlich für die zeitnahe Erstellung des Zweitgutachtens. Darüber hinaus danke ich dem Deutschen Bundestag für die freundliche Gewährung eines Druckkostenzuschusses. Den Parlamentsverwaltungen, dem Staats-

8

Vorwort

gerichtshof des Landes Hessen und dem Hessischen Hauptstaatsarchiv danke ich für die Beantwortung meiner Auskunftsersuchen. Die entsprechenden Antwortschreiben sind, ebenso wie Auszüge aus der Akte Az. P.St. 783 des Staatsgerichtshofes des Landes Hessen, in einem gesonderten Anlagenband niedergelegt, der bei der Juristischen Fakultät der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover eingesehen werden kann. Meinem Ehemann Carsten Wahlmann danke ich dafür, dass er sich in der späteren Phase der Arbeit sowohl als juristisch versierter Diskussionspartner als auch zum Korrekturlesen bereitfand. Für Letzteres bedanke ich mich auch bei meinem Vater Wilhelm Rühl. Meinen Eltern Roswitha und Wilhelm Rühl danke ich schließlich nicht nur für ihre Unterstützung bei der Kinderbetreuung, sondern insbesondere dafür, dass sie mir in meiner Kindheit und Jugend einen unerschütterlichen Glauben daran verliehen haben, auch groß erscheinende Aufgaben erfüllen zu können. Ohne diese Überzeugung und einen festen Durchhaltewillen wäre diese Doktorarbeit neben Richteramt, Familie, Haus und Ehrenämtern nicht möglich gewesen. Hasbergen, im Mai 2020

Kathrin Wahlmann

Inhaltsverzeichnis Einleitung

25

A. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Mutterschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Elternzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25 25 28

B. Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Institutionalisiertes Fehlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ruhendes Mandat ohne Nachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ruhendes Mandat mit Nachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Übertragung des Stimmrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Pflicht zum Pairing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Teilnahme per Fernabstimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Teilzeitoption: Mandats-Sharing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31 32 32 32 33 33 34 34

C. Bisheriger Stand der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Mutterschutz und Elternzeit de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verfassungsrechtliches Gebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Einzelne Regelungsoptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Institutionalisiertes Fehlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ruhendes Mandat ohne Nachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ruhendes Mandat mit Nachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Übertragung des Stimmrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Pflicht zum Pairing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Teilnahme per Fernabstimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ergebnis zum bisherigen Stand der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35 35 37 39 39 39 40 41 42 42 43

D. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

43

Erster Teil Ausgangslage

46

Erstes Kapitel Aktuelle Regelungen zu Mutterschutz und Elternzeit in deutschen Parlamenten A. Deutscher Bundestag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Mutterschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

47 47 47

10

Inhaltsverzeichnis II. Elternzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52

B. Baden-Württemberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Mutterschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Elternzeitregelung: „Familienzeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ausgleich des Fehlens aus Gründen des Mutterschutzes/der Familienzeit: Pairing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Folgen der Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

52 52 53 54 55

C. Bayern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 I. Mutterschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 II. Elternzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 D. Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 I. Mutterschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 II. Elternzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 E. Brandenburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 F. Bremen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 G. Niedersachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 H. Rheinland-Pfalz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 I. Mutterschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 II. Elternzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 I. Sachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 I. Mutterschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 II. Elternzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 J. Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Schleswig-Holstein und Thüringen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 K. Sachsen-Anhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67

Zweites Kapitel Das Abgeordnetenmandat

67

A. Historische Entwicklung des Abgeordnetenmandats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 B. Abgeordnetenmandat als Beruf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 C. Kernelemente des Abgeordnetenmandats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das repräsentative Mandat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das gleiche Mandat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das freie Mandat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Begrenzung der Mandatsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Einfachgesetzliche/Untergesetzliche Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verfassungsrechtliche Pflicht zur Mandatswahrnehmung . . . . . . . . . . .

73 73 75 76 76 77 78 79

Inhaltsverzeichnis

11

aa) Repräsentationsprinzip/Funktionsfähigkeit des Parlaments . . . . . bb) Begriff des Amtes der Abgeordneten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ergebnis zur Pflicht zur Mandatswahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . .

80 84 85

D. Abgeordnetenmandat und Beamtenverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Formales Beamtenverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Beamtenähnliche Stellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

86 86 86

E. Abgeordnetenmandat und Beschäftigungsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

89

F. Abgeordnetenmandat und arbeitnehmerähnliche Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

92

G. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

93

Drittes Kapitel Mutterschutz

93

A. Historische Entwicklung des Mutterschutzes in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . 94 I. Industrialisierung und Kaiserzeit: Mutterschutz für (Fabrik-)Arbeiterinnen 94 II. Weimarer Republik: Mutterschutzgesetz 1927 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 III. Unter nationalsozialistischer Herrschaft: Mutterschutzgesetz 1942 . . . . . . . 97 IV. Zwischen 1945 und 1949: Abbau des Mutterschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 V. In der Bundesrepublik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 VI. Das aktuelle Mutterschutzgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 VII. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 B. Anwendbarkeit des Mutterschutzgesetzes auf Abgeordnete . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Direkte Anwendbarkeit des Mutterschutzgesetzes auf Abgeordnete . . . . . . . II. Anwendbarkeit über die MuSchEltZV/über landesrechtliche Verordnungen III. Analoge Anwendbarkeit des Mutterschutzgesetzes auf Abgeordnete . . . . . . 1. Planwidrige Regelungslücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vergleichbarkeit der Interessenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Analoge Anwendbarkeit der MuSchEltZV/der landesrechtlichen Verordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Regelungslücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Planwidrigkeit der Regelungslücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vergleichbarkeit der Interessenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

102 103 104 104 104 109 112 112 112 113 114

Viertes Kapitel Elternzeit

114

A. Historische Entwicklung der Elternzeit in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 I. Vom Mutterschaftsurlaub zum Erziehungsurlaub nach dem BErZGG . . . . . 115 II. Vom Erziehungsurlaub zur Elternzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117

12

Inhaltsverzeichnis III. Neuordnung der familienpolitischen Leistungen: Elterngeld nach dem BEEG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 IV. Elterngeld Plus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 V. Elternzeit nach dem aktuellen BEEG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120

B. Anwendbarkeit der Elternzeit nach dem BEEG auf Abgeordnete . . . . . . . . . . . . . I. Anwendbarkeit der §§ 15, 20 BEEG auf Abgeordnete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anwendbarkeit des BEEG auf Abgeordnete über den Umweg des Elterngeldes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bundestag und Länderparlamente mit Ausnahme von Baden-Württemberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Baden-Württemberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Exkurs: Elterngeld für Abgeordnete nach dem BEEG . . . . . . . . . . . . . . . . a) Keine Erwerbstätigkeit nach § 2 Abs. 1 Satz 2 BEEG i.V. m. § 2 EStG b) Keine analoge Anwendbarkeit von § 2 Abs. 1 Satz 2 BEEG i.V. m. § 2 EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Anwendbarkeit der §§ 15, 20 BEEG analog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Anwendbarkeit des BEEG über die MuSchEltZV/über landesrechtliche Verordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Analoge Anwendbarkeit der MuSchEltZV/der landesrechtlichen Verordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

121 121 122 122 123 123 123 124 125 125 126 126

Fünftes Kapitel Zusammenfassung, Auswirkungen und Handlungsbedarf

127

A. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 B. Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Individuelle Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Mutterschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Individuelle Folgen der fehlenden Auszeit vom Mandat . . . . . . . . . . . . aa) Schwangerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Wochenbett . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Folgen des eigenmächtigen Fernbleibens in Parlamenten ohne Mutterschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verfassungsrechtliche Möglichkeit des eigenmächtigen Fernbleibens von Sitzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Faktische Probleme des ungeregelten Fehlens der Abgeordneten . (1) Abhängigkeit vom Wohlwollen der übrigen Abgeordneten . . (2) Vor- und außerparlamentarische Aktivitäten . . . . . . . . . . . . . . . (3) Knappe Mehrheitsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Eigener Anspruch/äußere Konflikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

128 129 129 129 129 130 133 133 134 135 135 136 137

Inhaltsverzeichnis (5) Finanzielle Restriktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Auswirkungen fehlenden Mutterschutzes auf andere politisch aktive Frauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Parlamente mit mutterschutzartigen Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Elternzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Parlamente ohne Elternzeitregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Elternzeitregelung Baden-Württemberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Parlamentarische Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unterrepräsentanz jüngerer Eltern in Parlamenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Konsequenzen für das Parlament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13 138 139 139 140 140 143 144 144 145

C. Handlungsbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 Zweiter Teil Verfassungsrechtliches Gebot zur Einführung von Mutterschutz und Elternzeit für Abgeordnete – Das „Ob“

149

Erstes Kapitel Grundrechtsberechtigung der Abgeordneten

149

A. Rein parlamentarisches Handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 B. Situationen ohne Parlamentsbezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 C. Hybridsituationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Amtshaftungslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anwendung auf Mutterschutz/Elternzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Lösung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Nebentätigkeitsurteil . . . . 1. Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anwendung auf Mutterschutz/Elternzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Schwerpunktlösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anwendung auf Mutterschutz/Elternzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ergebnis zur Grundrechtsberechtigung der Abgeordneten bzgl. Mutterschutz/Elternzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

153 154 154 154 155 155 156 158 158 160 160

Zweites Kapitel Mutterschutz A. Verfassungsrechtlicher Mutterschutz, Art. 6 Abs. 4 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Schutz- und Fürsorgeauftrag des Art. 6 Abs. 4 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Persönlicher Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Adressat des Anspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

161 161 163 163 164

14

Inhaltsverzeichnis IV. Inhalt und Reichweite des Schutz- und Fürsorgeanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schutz vor körperlicher Überlastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schutzbedürftigkeit (auch) weiblicher Abgeordneter . . . . . . . . . . . . . . . b) Einengung gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums: Wesensgehalt des Art. 6 Abs. 4 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schutz vor beruflichen Nachteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schutz des ungeborenen Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Kein Vorrang von Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Kollidierendes Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Fakultative Schutzfristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsatz der Gleichheit der Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Grundsatz der Gleichheit des Mandats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Repräsentationsprinzip/Funktionsfähigkeit des Parlaments . . . . . . . . . e) Gebot der Gleichberechtigung, Art. 3 Abs. 2 und 3 Satz 1, 1. Alt. GG f) Allgemeiner Gleichheitssatz, Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Zwischenergebnis zu fakultativen Schutzfristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Obligatorische Schutzfristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Freiheit des Mandats/Teilhaberechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Kollision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Funktionsfähigkeit des Parlaments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Praktische Konkordanz: Mutterschutz, Art. 6 Abs. 4 GG . . . . (a) Generelle Eignung des Art. 6 Abs. 4 GG als Rechtfertigungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Dennoch: Keine Auflösung der verfassungsrechtlichen Konfliktlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Geschlechtsbezogene Diskriminierung, Art. 3 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 GG aa) Kollision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Funktionsfähigkeit des Parlaments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Gebot der Gleichberechtigung, Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG . . . . (3) Praktische Konkordanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Generelle Eignung des Art. 6 Abs. 4 GG als Rechtfertigungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Dennoch: Keine Auflösung der verfassungsrechtlichen Konfliktlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zwischenergebnis zu obligatorischen Schutzfristen . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Ergebnis zu Art. 6 Abs. 4 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

165 166 166 167 169 171 172 173 174 174 176 178 179 180 182 182 183 183 184 184 185 185 186 186 187 190 190 191 192 192 193 193 193 196 196

B. Elternrecht, Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196

Inhaltsverzeichnis

15

I. Vorgeburtlicher Mutterschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Nachgeburtlicher Mutterschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Kollidierendes Verfassungsrecht/fakultativer oder obligatorischer pränataler Schutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ergebnis zu Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

197 199

C. Gebot der Gleichberechtigung, Art. 3 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Staatliche Verpflichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kollidierendes Verfassungsrecht/fakultativer oder obligatorischer prä- oder postnataler Schutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ergebnis zu Art. 3 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

201 201

D. Allgemeiner Gleichheitssatz, Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Prüfungsumfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Personenbezogenheit/Beeinflussbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ähnlichkeit zu den Kriterien des Art. 3 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . c) Erschwerung des Gebrauchs grundrechtlich geschützter Freiheiten . . d) Ergebnis zum Prüfungsumfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verfassungsrechtlich legitimes Ziel der Ungleichbehandlung . . . . . . . b) Hilfsweise: Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Hilfsweise: Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Hilfsweise: Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . III. Folge des Gleichheitsverstoßes und Ergebnis zu Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . . .

205 205 207 207 208 209 210 211 211 211 212 212 213 215

201 201

204 205

E. Ergebnis: Verfassungsrechtliches Gebot der Einführung von Mutterschutzfristen für Abgeordnete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 Drittes Kapitel Elternzeit A. Familienrecht/Elternrecht, Art. 6 Abs. 1 i.V. m. Abs. 2 Satz 1 GG . . . . . . . . . . . . I. Grundsätzliches Recht zur eigenen Betreuung des Kindes . . . . . . . . . . . . . . . II. Gebot zur Einführung einer Elternzeitregelung für Abgeordnete . . . . . . . . . III. Kollidierendes Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gleichheit der Wahl/Unmittelbarkeit der Wahl/Repräsentationsprinzip/ Funktionsfähigkeit des Parlaments/Gleichheit des Mandats/Gleichberechtigungsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Allgemeiner Gleichheitssatz, Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . b) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verfassungsrechtlich legitimer Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

217 217 217 219 223

224 225 225 226 227

16

Inhaltsverzeichnis bb) Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ergebnis zu Art. 6 Abs. 1 i.V. m. Abs. 2 Satz 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

227 227 228 231

B. Allgemeiner Gleichheitssatz, Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Prüfungsumfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verfassungsrechtlich legitimes Ziel der Ungleichbehandlung . . . . . . . b) Hilfsweise: Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Hilfsweise: Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Hilfsweise: Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . III. Folge des Gleichheitsverstoßes und Ergebnis zu Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . . .

231 231 233 233 234 234 235 236 237 238

C. Ergebnis: Verfassungsrechtliches Gebot der Einführung von Elternzeitregeln für Abgeordnete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239

Dritter Teil Lösungsansätze – mögliche Regelungsoptionen und ihre verfassungsrechtliche Zulässigkeit – das „Wie“

240

Erstes Kapitel Regelungsoptionen

240

A. Grundsätzliche Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Festzulegende Dauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Starre Fristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Flexible Fristen mit festzulegender Dauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Flexible Fristen ohne festzulegende Dauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Höchstdauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Höchstdauer des Mutterschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Höchstdauer der Elternzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ergebnis: Grundsätzliche Voraussetzungen einer Mutterschutz- bzw. Elternzeitregelung für Abgeordnete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

240 241 242 245 246 247 247 249

B. In Betracht kommende Regelungsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Institutionalisiertes Fehlen unter unverändertem Fortbestand des Mandates . II. Ruhendes Mandat ohne Nachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ruhendes Mandat mit Nachfolge auf Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zielsetzung und Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

251 251 252 254 254 255

250

Inhaltsverzeichnis

17

IV. Übertragung des Stimmrechts (bei ruhendem Mandat oder ersatzlosem Fehlen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 V. Pflicht zum Pairing (bei ruhendem Mandat oder ersatzlosem Fehlen) . . . . . 257 VI. Teilnahme per Fernabstimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 Zweites Kapitel Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

259

A. Institutionalisiertes Fehlen unter unverändertem Fortbestand des Mandates . . . . 259 B. Ruhendes Mandat (ohne und mit Nachfolge) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Allgemeine Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bisherige Regelungen zum ruhenden Mandat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ruhendes Mandat mit Nachfolge in Bremen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ruhendes Mandat mit Nachfolge in Hamburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ruhendes Mandat mit Nachfolge in Hessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Einführung durch § 40a LWG Hessen a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Nichtigkeit durch Urteil des StGH Hessen vom 7. Juli 1977 . . . . (1) Unmittelbarkeit der Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Vorherigkeit des Wahlgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Gleichheit der Wahl und allgemeiner Gleichheitssatz . . . . . . (4) Freies Mandat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ruhendes Mandat mit Nachfolge in Rheinland-Pfalz . . . . . . . . . . . . . . e) Ruhendes Mandat mit Nachfolge in Bayern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Diskussionsstand zum Institut des ruhenden Mandats . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Grundsatz der Gleichheit des Mandats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Grundsatz der Freiheit des Mandats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Demokratisches Repräsentationsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Abgrenzung: Mandatsruhe von Regierungsmitgliedern/kindesbedingte Mandatsruhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gemeinsamkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gemeinsamkeiten unabhängig von einer Nachfolge . . . . . . . . . . . bb) Gemeinsamkeiten bei der Mandatsruhe ohne Nachfolge . . . . . . . cc) Gemeinsamkeiten bei der Mandatsruhe mit Nachfolge . . . . . . . . . b) Unterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ruhendes Mandat ohne Nachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grundsatz der Gleichheit der Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Grundsatz der Gleichheit des Mandats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Allgemeiner Gleichheitssatz, Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Mandatsruhe zum Zwecke des Mutterschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

260 260 261 263 264 267 267 269 269 270 271 272 272 274 275 276 277 279 280 281 281 281 282 282 282 284 284 287 289 290 290

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Inhaltsverzeichnis b) Mandatsruhe zum Zwecke der Elternzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Rechtlich relevante Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Mandatsruhe zum Zwecke des Mutterschutzes: Art. 3 Abs. 2 und 3 Satz 1, 1. Alt. GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Grundsatz der Freiheit des Mandats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Repräsentationsprinzip/Funktionsfähigkeit des Parlaments . . . . . . . . . . . . 8. Ergebnis zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Mandatsruhe ohne Nachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ruhendes Mandat mit Nachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Eintritt in die Mandatsruhe und Nachrücken der Nachfolgeperson . . . b) Ende der Mandatsruhe und Ausscheiden der Nachfolgeperson . . . . . . aa) Keine Auswahl der Gewählten durch externe Instanz . . . . . . . . . . (1) Ruhendes Parlamentsmitglied ist keine externe Instanz . . . . . (2) Keine Auswahl in Bezug auf rückkehrendes Mitglied . . . . . . . (3) Keine Auswahl in Bezug auf ausscheidendes Mitglied . . . . . . bb) Keine Korrektur der Wahlentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Keine beliebige Auswechselbarkeit der Nachrückenden und Ausscheidenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Ursprungsmitglied vor Nachfolgemitglied gewählt . . . . . . . . . . . . . 2. Grundsatz der Gleichheit der Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Grundsatz der Gleichheit des Mandats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtlich relevante Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verfassungsrechtlich legitimierter Grund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Mandatsruhe zum Zwecke des Mutterschutzes . . . . . . . . . . . . . (2) Mandatsruhe zum Zwecke der Elternzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Mandatsruhe ohne befristete Nachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Nachfolgemandat ohne Befristung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Ursprungsmitglied wird Titularabgeordnete/r . . . . . . . . . . . . . . (4) Nachfolgeperson wird Titularabgeordnete/r . . . . . . . . . . . . . . . (a) Auswirkungen auf die Nachfolgeperson . . . . . . . . . . . . . . . (b) Auswirkungen auf das Parlament/die parlamentarische Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Gewicht der Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Keine drohende Abberufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

291 291 292 293 295 296 297 297 297 298 299 300 300 302 303 304 306 307 308 308 308 309 309 310 311 311 312 312 313 314 315 315 316 318 318 319 319

Inhaltsverzeichnis

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(b) Verkürzte Mandatszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Während des Mandats: gleiche Rechtsstellung wie die übrigen Abgeordneten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Während des Mandats: bessere Rechtsstellung als fraktionslose Abgeordnete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (e) Keine Auswirkungen auf das Parlament/die Gesellschaft (f) Nachteil wird durch Vorteil relativiert . . . . . . . . . . . . . . . . (g) Ergebnis zum Gewicht der Ungleichbehandlung . . . . . . . (2) Abwägung mit der Bedeutung des verfolgten Ziels . . . . . . . . (a) Bzgl. des Mutterschutzes: Art. 3 Abs. 1 und 2, Art. 6 Abs. 2 und 4 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Art. 6 Abs. 4 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Art. 3 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (cc) Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (dd) Art. 6 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (ee) Zwischenergebnis zur Abwägung mit dem Ziel des Mutterschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Bzgl. der Elternzeit: Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG sowie Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG . . . . . . . . . . . . . . (bb) Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (cc) Zwischenergebnis zur Abwägung mit dem Ziel der Elternzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Bzgl. Mutterschutz und Elternzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Funktionsfähigkeit des Parlaments . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Wahrung des Wählerwillens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gesamtschau und Ergebnis zur Vereinbarkeit mit der Gleichheit des Mandats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Grundsatz der Freiheit des Mandats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Entscheidung zur Annahme des befristeten Mandates . . . . . . . . . . . . . b) Keine jederzeitige Abberufbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zeitliche Begrenzung des Mandats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Herbeiführung des Verlustes des eigenen Mandates . . . . . . . . . . . . . . . 5. Repräsentationsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Ergebnis zum ruhenden Mandat mit Nachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

320

C. Übertragung des Stimmrechts (bei ruhendem Mandat oder ersatzlosem Fehlen) I. Französisches Vorbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bestimmung des Vertretungsmitgliedes durch Verhinderte/n . . . . . . . b) Bestimmung des Vertretungsmitgliedes nach objektiven Kriterien . . .

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Inhaltsverzeichnis 2. Grundsatz der Gleichheit des Mandats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verfassungsrechtlich legitimierter Grund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ergebnis zur Übertragung des Stimmrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

350 350 350 351 351 352 355

D. Pflicht zum Pairing (bei ruhendem Mandat oder ersatzlosem Fehlen) . . . . . . . . . I. Herkunft und Sinn des Pairings . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer Pflicht zum Pairing . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsätzlicher Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Generell: Keine willkürliche Auswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erste Stufe: Auswahl der verpflichteten Fraktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zweite Stufe: Auswahl des verpflichteten Mitglieds . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsatz der Freiheit des Mandats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Beschränkbarkeit des Stimmrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Legitimer Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Freiwilliges Pairing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Befristete Nachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Fernabstimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Übertragung des Stimmrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Gewicht der Kollision mit der Mandatsfreiheit . . . . . . . . . (b) Abwägung mit der Bedeutung des verfolgten Ziels . . . . . (aa) Aufrechterhaltung der Mehrheitsverhältnisse . . . . . . (bb) Art. 3 Abs. 1 und 2, Art. 6 Abs. 1, 2 und 4 GG . . . . . (a) Bzgl. Mutterschutz: Art. 3 Abs. 2, Art. 6 Abs. 2 und 4 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Art. 6 Abs. 4 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Art. 3 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (gg) Art. 6 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Bzgl. Elternzeit: Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG sowie Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG . . . . . . (bb) Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

355 356 360 361 361 361 362 362 363 364 364 366 366 366 367 367 367 368 369 370 370 371 371 372 373 374 375 376 377 377 380

Inhaltsverzeichnis

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cc) Ergebnis zur Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der Freiheit des Mandats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Grundsatz der Gleichheit des Mandats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Verfassungsrechtlich legitimierter Grund . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Gewicht des Gleichheitsverstoßes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Abwägung mit der Bedeutung des verfolgten Ziels . . . . . IV. Ergebnis zum obligatorischen Pairing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

381 382 382 382 383 383 383 384 384 385 386

E. Teilnahme per Fernabstimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zeitliche Unmittelbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bei geheimen Abstimmungen: Geheimhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. In Betracht kommende Übertragungseinrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Offene Abstimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Geheime Abstimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

387 387 388 389 390 390 390 391

Ergebnis zum dritten Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 Vierter Teil Rechtspolitische Bewertung/Reformvorschlag/Ausblick

393

Erstes Kapitel Auswirkungen der einzelnen Regelungsmodelle

393

A. Auswirkungen auf die betreffenden Abgeordneten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Entlastung im Plenum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Entlastung in parlamentarischen Gremien außerhalb des Plenums . . . . . . . . III. Allgemeine Entlastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ergebnis zu den Auswirkungen auf die betreffenden Abgeordneten . . . . . . .

393 394 395 396 397

B. Auswirkungen auf die Parlamente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Änderung von Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Auswirkungen auf die übrigen Abgeordneten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Institutionalisiertes Fehlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ruhendes Mandat ohne Nachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ruhendes Mandat mit Nachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Pflicht zum Pairing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

398 398 399 399 400 401 401

22

Inhaltsverzeichnis 5. Teilnahme per Fernabstimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Ergebnis zu den Auswirkungen auf die übrigen Abgeordneten . . . . . . . . . III. Verwaltungsaufwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ergebnis zu den Auswirkungen auf die Parlamente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

402 402 402 404

C. Auswirkungen auf die Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404 Zweites Kapitel Reformvorschlag

405

Drittes Kapitel Ausblick

407

A. Parität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408 B. Work-Life-Balance/Mandats-Sharing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 C. Mutterschutz und Elternzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435

Abkürzungsverzeichnis BaWü BayAbgG BEEG Begr. BremVerf BremWahlG BT-Drs. Bü BüWG bzw. CDU CSU d. d. A. DVP Einf. FDP FrUrlV NRW GVK HmbVerf HmbVerfG insb. IPA LT-Drs. MdB MuSchEltZV NDR RhPfVerf SächsAbgG SMS sog. SPD TAN u. a. u. ä. usw.

Baden-Württemberg Bayerisches Abgeordnetengesetz Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz Begründer Verfassung der Freien Hansestadt Bremen Bremisches Wahlgesetz Bundestagsdrucksache Bürgerschaft Gesetz über die Wahl zur Hamburgischen Bürgerschaft beziehungsweise Christlich Demokratische Union Deutschlands Christlich-Soziale Union in Bayern e.V. der/die/das/des/den/dem der Akte Deutsche Volkspartei Einführung Freie Demokratische Partei Freistellungs- und Urlaubsverordnung Nordrhein-Westfalen Gemeinsame Verfassungskommission Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg Hamburgisches Verfassungsgericht insbesondere Interparlamentarische Arbeitsgemeinschaft Landtagsdrucksache Mitglied des Bundestages Mutterschutz- und Elternzeitverordnung Norddeutscher Rundfunk Verfassung des Landes Rheinland-Pfalz Sächsisches Abgeordnetengesetz Short Message Service sogenannte(r) Sozialdemokratische Partei Deutschlands Transaktionsnummer und andere/unter anderem und ähnliche(s) und so weiter

24 v. VerfGH VerfHE Verh. d. RT VOBl. Vor

Abkürzungsverzeichnis von/vom Verfassungsgerichtshof Verfassung des Landes Hessen Verhandlungen des Reichstags Verordnungsblatt Vorbemerkung

Im Übrigen wird auf Kirchner, Hildebert (Begr.)/Böttcher, Eike (Bearb.): Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 9. Auflage, Berlin/Boston 2018 Bezug genommen.

Einleitung A. Problemstellung I. Mutterschutz „Mir ist besonders wichtig, dass wirklich jede Mutter und jedes Kind von diesem Schutzgedanken erfasst wird.“ 1

So lauteten die Worte der damaligen Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Manuela Schwesig, bei der Verabschiedung der jüngsten Reform des Mutterschutzgesetzes im Jahr 2017 im Deutschen Bundestag. Auch die Gesetzesbegründung klingt ähnlich: „Mit der Reform soll berufsgruppenunabhängig ein für alle Frauen einheitliches Gesundheitsschutzniveau in der Schwangerschaft, nach der Entbindung und während der Stillzeit sichergestellt werden.“ 2 Mutterschutz für alle Frauen? Den Selbstständigen, für die das Mutterschutzgesetz nach wie vor nicht gilt, werden zumindest Lösungen in Aussicht gestellt.3 Aber wie steht es eigentlich um die weiblichen Abgeordneten im Bundestag und in den Länderparlamenten selbst? Während die jüngste Gesetzesnovelle den persönlichen Schutzbereich des Mutterschutzgesetzes über den ursprünglichen Bereich der Arbeitnehmerinnen hinweg erheblich ausweitete, so dass dieses nun unter anderem auch Schülerinnen, Studentinnen, Praktikantinnen, Freiwilligendienstlerinnen, in einer Behindertenwerkstatt beschäftigte Frauen mit Behinderung sowie arbeitnehmerähnliche Personen erfasst, ist es fraglich, ob Mitglieder des Deutschen Bundestages und der Landtage nach geltender Gesetzeslage ebenfalls Mutterschutz genießen. Zwar existieren in einigen Parlamenten mutterschutzähnliche Regelungen;4 zudem nehmen viele weibliche Abgeordnete faktisch unmittelbar vor und nach der Geburt eines Kindes wenig bis gar keine parlamentarischen Termine wahr. Dagegen setzen andere weibliche Abgeordnete die parla1 Redebeitrag der Bundesministerin Schwesig anlässlich der zweiten und dritten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Mutterschutzrechts, Stenographischer Bericht der 228. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 30. März 2017, Plenarprotokoll 18/228, S. 22970. 2 Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Mutterschutzrechts, Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 18/8963, S. 1. 3 Redebeitrag der Abgeordneten Yüksel (SPD) anlässlich der ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Mutterschutzrechts, Stenographischer Bericht der 182. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 6. Juli 2016, Plenarprotokoll 18/228, S. 17953D. 4 Vgl. dazu ausführlich im ersten Teil, erstes Kapitel, S. 47 ff.

26

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mentarische Tätigkeit jedoch bereits wenige Tage nach der Geburt ihres Kindes wieder fort.5 Ob auf diese Weise ein wirksamer Schutz der (werdenden) Mutter und des (ungeborenen) Kindes gewährleistet ist, darf in Frage gestellt werden. Dies weckt wissenschaftliches Interesse. Gibt es de lege lata Mutterschutz für Abgeordnete? Und wenn nicht, besteht gegebenenfalls eine an die Gesetzgebung – also ironischerweise an die Abgeordneten selbst – gerichtete Pflicht, Mutterschutzregelungen für Abgeordnete einzuführen? Dieses umfassende Thema wurde in Deutschland noch nicht rechtswissenschaftlich diskutiert. Wirft man auf der Suche nach Antworten auf diese Fragen einen Blick ins Grundgesetz, so drängt sich Art. 6 Abs. 4 GG geradezu auf: „Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft. “

Die Formulierung „jede Mutter“ lässt bereits vom Wortlaut her keinen Interpretationsspielraum offen: Trägerin dieses Grundrechts ist jede Frau, die im biologisch-medizinischen Sinne Mutter ist.6 Das Grundgesetz unterscheidet weder nach Herkunft, noch nach Ob und Art der Berufsausübung, noch nach Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe – und erst recht nicht nach der Mitgliedschaft in einem Parlament. Gegenüber Art. 119 Abs. 3 WRV wurde Art. 6 Abs. 4 GG bewusst konkret gefasst: Der Schutz wird nicht mehr allgemein auf „die Mutterschaft“ bezogen, sondern auf „jede Mutter“.7 Es stellt sich daher die Frage, ob sich hieraus auch eine Verpflichtung der staatlichen Gemeinschaft ergibt, schwangere und jüngst niedergekommene Abgeordnete gesetzlich zu schützen. Darüber hinaus ergeben sich auch Fragen im Hinblick auf das Gebot der Gleichberechtigung von Mann und Frau aus Art. 3 Abs. 2 GG sowie auf das Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG. Eine Annäherung an die Schließung dieser auch 70 Jahre nach Verabschiedung des Grundgesetzes noch offenen Forschungslücke ist indes nicht nur von verfassungsrechtlichem Interesse. Durch die zwar langsame, aber stetige Zunahme der Präsenz auch jüngerer Frauen in den Volksvertretungen ist das Thema auch von aktueller rechtspraktischer und politischer Relevanz. Frauen nehmen immer häufiger und selbstverständlicher an wirtschaftlicher und politischer Macht teil – und ebenso wie ihre männlichen Kollegen dies seit jeher betreiben, wollen auch sie deshalb nicht zwangsläufig auf eine Familie verzichten.8 Dies ist indes mit unterschiedlichsten Schwierigkeiten verbunden. Während es bei der einen Parlamentarierin toleriert wird, dem Parlament einige Wochen vor und nach der Geburt fernzubleiben, steht die andere Parlamentarierin vor der 5

McKay, in: Parliamentary Affairs 2011, 714, 722. Coester-Waltjen, in: von Münch/Kunig, Art. 6, Rn. 104; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 6, Rn. 69. 7 BVerfGE 32, 273, 277. 8 Schmidt, Vereinbarkeit, S. 15. 6

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Wahl, entweder hierdurch ihr beruflich-politisches Fortkommen zu riskieren oder unmittelbar nach der Geburt wieder im Parlament zu erscheinen und dadurch möglicherweise die eigene Gesundheit und die des un- bzw. neugeborenen Kindes zu gefährden. Bei einigen Abgeordneten wartet das durch eine Begleitperson betreute Baby im Nebenraum darauf, in Sitzungspausen gestillt zu werden,9 während im Thüringer Landtag eine Abgeordnete, die ihr sechs Wochen altes Kind mit in die Sitzung brachte, aus diesem Grund vom Landtagspräsidenten des Saales verwiesen wurde.10 Die Frage nach dem Mutterschutz für Abgeordnete betrifft jedoch nicht nur die betroffenen Frauen und ihre un- bzw. neugeborenen Kinder. Sie soll auch nicht als typisches „Frauenthema“ verstanden werden – schließlich hat sie Einfluss auf die Zusammensetzung unserer Parlamente und damit auf Entscheidungen von gesamtgesellschaftlichem Ausmaß. Denn wenngleich es sich bei den Abgeordneten um eine zahlenmäßig vergleichsweise kleine Personengruppe handelt, so ist sie gleichwohl an Relevanz im Hinblick auf unterschiedlichste gesellschaftliche Entwicklungen der bundesdeutschen Gesellschaft nicht zu unterschätzen. Wie im Folgenden noch zu zeigen sein wird, begründet der fehlende Mutterschutz ein Hemmnis für jüngere Frauen mit eventuellem Kinderwunsch, sich um ein Parlamentsmandat zu bewerben oder im Parlament zu verbleiben. Gleichzeitig wird für andere jüngere Parlamentarierinnen ein negativer Anreiz gesetzt, sich im Mandat für ein Kind zu entscheiden. Dies kann dazu führen, dass jüngere Mütter im Vergleich zu der gesellschaftlichen Größe, die sie außerparlamentarisch darstellen, in den Parlamenten signifikant unterrepräsentiert sind,11 obschon sie durch ihre Orientierung auf mehrere Lebensbereiche Erfahrungen und Potentiale in die Berufspolitik einbringen,12 die dieser ansonsten mutmaßlich fehlen. Gleichzeitig beklagen sich Presse, Bevölkerung und Politikerinnen und Politiker aller Parteien darüber, dass die Zusammensetzung der Parlamente kein Abbild der Bevölkerung darstelle: Neben der Zusammensetzung nach Herkunft und beruflichem Hintergrund wird vor allem kritisiert, dass die Parlamente im Schnitt zu alt und zu männlich seien.13 Nahezu jede größere Partei strebt danach, junge

9 So das zweitgeborene Kind der Verfasserin im Niedersächsischen Landtag der 17. Wahlperiode. 10 Thüringer Landtag, 6. Wahlperiode, Sitzungsprotokoll der 124. Sitzung vom 29. August 2018, S. 4 ff. 11 Vgl. unten im ersten Teil, fünftes Kapitel, B. II. 1., S. 144 f. 12 Vgl. Kürschner/Siri, Vereinbarkeit, S. 7. 13 Bzgl. des 19. Deutschen Bundestages: „Größer und männlicher – das ist der neue Bundestag“, in: Spiegel Online vom 26. September 2017, http://www.spiegel.de/politik/ deutschland/deutscher-bundestag-das-neue-parlament-ist-groesser-und-maennlicher-a1169640.html, zuletzt aufgerufen am 12. Dezember 2019; bzgl. des norddeutschen Raumes: „NDR Recherche: Immer weniger Frauen in der norddeutschen Politik“, NDR

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Menschen für die Mitarbeit zu gewinnen und bemüht sich im Rahmen von Mentoringprogrammen und Fördermaßnahmen um deren Qualifizierung für höhere politische Aufgaben. Besonders die Förderung junger Frauen steht dabei im Fokus der in den Parlamenten vertretenen Parteien: Qualifizierte junge Frauen sollen befähigt werden, Parlamentsarbeit zu leisten. Angesichts der negativen Steuerungswirkung eines fehlenden Mutterschutzes dürfte jedoch davon auszugehen sein, dass der Mangel an jungen Menschen, insbesondere an jungen Frauen, in den Parlamenten zumindest nicht primär auf deren mangelnder Qualifikation, sondern vielmehr auf dem Umstand beruht, dass sich ein Parlamentsmandat und ein Familienwunsch nur schwer miteinander vereinbaren lassen. Die Frage nach dem Mutterschutz für Abgeordnete betrifft daher im gesellschaftspolitischen Sinne Kernthemen unserer Demokratie: Wie ausgewogen soll die Zusammensetzung unserer Parlamente sein? Wie sehr dürfen (oder müssen) die Rechte der Abgeordneten den Rechten der durch sie vertretenen Menschen angeglichen sein? Wie steht es um die Familienfreundlichkeit und die Work-LifeBalance derjenigen Institutionen, die andere Akteure – insbesondere Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber – durch Gesetze zur Familienfreundlichkeit und zur Verbesserung der Work-Life-Balance verpflichten? Die vorliegende Arbeit nähert sich dem Thema auf verfassungsrechtlicher Ebene an, um sodann unterschiedliche rechtspolitische Lösungswege aufzuzeigen. II. Elternzeit Eine sich an einen möglichen Mutterschutz für Abgeordnete logisch anschließende Frage ist die nach einer Elternzeit für Abgeordnete. Nach § 15 Abs. 1 BEEG14 haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die mit ihrem Kind in einem Haushalt leben und dieses selbst betreuen und erziehen, einen Anspruch auf Elternzeit bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes.15 Während der Elternzeit ruhen die Hauptpflichten aus dem Arbeitsverhältnis; nach § 18 BEEG besteht Kündigungsschutz, so dass nach Ablauf der Elternzeit ein Rückkehranspruch in das ursprüngliche Arbeitsverhältnis gilt. Um die betreffenden Familien wirtschaftlich in einem gewissen Umfang abzusichern, gewähren §§ 1 ff. BEEG einen Anspruch auf Elterngeld in einkommensabhängiger Höhe.

über Presseportal vom 28. November 2917, https://www.presseportal.de/pm/6561/379 9931, zuletzt aufgerufen am 12. Dezember 2019. 14 Gesetz zum Elterngeld und zur Elternzeit (Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz – BEEG) vom 5. Dezember 2006 (BGBl. I S. 2748), zuletzt geändert durch Art. 6 Abs. 9 d. Gesetzes vom 23. Mai 2017 (BGBl. I 2017, S. 1228). 15 Nach § 15 Abs. 2 S. 2 BEEG kann ein Anteil von bis zu 24 Monaten auf den Zeitraum zwischen dem dritten Geburtstag und der Vollendung des achten Lebensjahres des Kindes übertragen werden.

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Entsprechende Regelungen bestehen für Beamtinnen und Beamte, Richterinnen und Richter sowie Soldatinnen und Soldaten.16 Die Elternzeit ist zwar historisch gesehen eine Fortentwicklung aus dem Mutterschutz, jedoch deutet bereits der Begriff auf einen großen inhaltlichen Unterschied hin: Während der Mutterschutz bereits aus rein biologischen Gründen ausschließlich Frauen betrifft, kann Elternzeit von beiden Elternteilen in Anspruch genommen werden. Vor dem Hintergrund der anhaltend niedrigen Geburtenzahlen in Deutschland verfolgte die Einführung des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes das Ziel, einen Beitrag zur finanziellen Sicherheit junger Familien zu leisten und Paaren die Wahlfreiheit zwischen verschiedenen Lebensentwürfen mit Kindern zu gewähren.17 Den jungen Eltern sollte ein Schonraum eröffnet werden, um ohne finanzielle Nöte in das Familienleben hineinzufinden und sich vorrangig der Betreuung ihrer Kinder widmen zu können.18 Gleichzeitig wollte der Staat dafür Sorge tragen, dass die Wahrnehmung der Erziehungsaufgabe nicht zu beruflichen Nachteilen führt und dass sowohl Müttern als auch Vätern eine Rückkehr in den Beruf ebenso möglich ist wie ein Nebeneinander von Beruf und Erziehung einschließlich eines beruflichen Aufstiegs.19 Die Elternzeit und das Elterngeld sind mittlerweile feste Institutionen. Im Leistungszeitraum 2015 bis 2018 nahmen von den im Jahr 2015 geborenen Kindern insgesamt 95 % der Mütter und immerhin 35,8 % der Väter Elterngeld in Anspruch.20 Wenngleich Väter sich in der Regel noch für eine zeitlich kürzere Inanspruchnahme von Elternzeit entscheiden, ist die Tendenz der Väterbeteiligung deutlich steigend.21

16 Vgl. für Bundesbeamtinnen und -beamte: Verordnung über den Mutterschutz für Beamtinnen und Beamte des Bundes und die Elternzeit für Beamtinnen und Beamte des Bundes (Mutterschutz- und Elternzeitverordnung – MuSchEltZV) vom 12. Februar 2009 (BGBl. I 2009, S. 320), zuletzt geändert durch Art. 1 der Verordnung vom 9. Februar 2018 (BGBl. I 2018, S. 198). 17 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD, Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des Elterngeldes vom 20. Juni 2006, BT-Drs. 16/1889, S. 1. 18 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD, Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des Elterngeldes vom 20. Juni 2006, BT-Drs. 16/1889, S. 2. 19 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD, Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des Elterngeldes vom 20. Juni 2006, BT-Drs. 16/1889, S. 14 f. mit Verweis auf BVerfGE 99, 216, 234 und 88, 203, 260. 20 Statistisches Bundesamt: Öffentliche Sozialleistungen, Statistik zum Elterngeld, Beendete Leistungsbezüge für im Jahr 2015 geborene Kinder, Januar 2015 bis September 2018, Erscheinungsfolge: jährlich, erschienen am 11. Januar 2019, Tabelle Nr. 20. 21 Statistisches Bundesamt: Öffentliche Sozialleistungen, Statistik zum Elterngeld, Beendete Leistungsbezüge für im Jahr 2015 geborene Kinder, Januar 2015 bis September 2018, Erscheinungsfolge: jährlich, erschienen am 11. Januar 2019, Tabelle Nr. 21.

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Nach § 2 BEEG haben auch Selbständige einen Anspruch auf Elterngeld, wenn sie ihre Arbeit ganz oder teilweise ruhen lassen. Damit haben auch sie die Möglichkeit, sich in den ersten Monaten nach der Geburt ganz oder teilweise um ihr Kind zu kümmern. Anders verhält es sich bei Abgeordneten in Bund und Land: Während eine Art Mutterschutz zumindest in einigen deutschen Parlamenten faktisch in unterschiedlicher Art und Weise praktiziert wird,22 ist eine Elternzeit für Abgeordnete dem deutschen Parlamentarismus weitgehend fremd – mit einer Ausnahme: Der Landtag von Baden-Württemberg hat im Jahr 2014 die Möglichkeit einer Beurlaubung zum Zwecke der Kinderbetreuung für die Dauer von längstens sechs Monaten in seiner Geschäftsordnung verankert.23 Diese Regelung betrifft allerdings nur die Teilnahme an Plenar- und Ausschusssitzungen; ansonsten bleibt das Abgeordnetenverhältnis mit allen Rechten und Pflichten unverändert bestehen. Damit die Mehrheitsverhältnisse im Plenum auch im Falle der Inanspruchnahme der neugeschaffenen Regelung gewahrt bleiben, haben sich die Fraktionsvorsitzenden im Landtag von Baden-Württemberg darauf geeinigt, das sogenannte Pairing24 anzuwenden.25 Interessanterweise war der erste Nutzer der elternzeitähnlichen Regelung ein Mann – und das, obwohl die Regelung ursprünglich durch eine weibliche Abgeordnete (und junge Mutter) angestoßen worden war.26 In allen anderen deutschen Parlamenten fehlt jegliche Regelung, die mit einer Elternzeit vergleichbar wäre. Die Konsequenzen für die Zusammensetzung der Parlamente ähneln denen des fehlenden Mutterschutzes für Abgeordnete: Eltern minderjähriger Kinder, insbesondere Mütter, sind im Vergleich zu ihrem Gesamtanteil und Gewicht in der Bevölkerung sowohl im Deutschen Bundestag als auch in den Länderparlamenten deutlich unterrepräsentiert.27 Was der Gesetzgeber von Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern selbstverständlich erwartet – nämlich mit der Situation umzugehen, dass Arbeitsverhältnisse aus Gründen der Elternzeit ruhen, mit allen Konsequenzen, die dies für einen Betrieb haben kann – das mag er sich selbst nicht zumuten.28 Die deutschen Par22

Vgl. dazu ausführlich im ersten Teil, erstes Kapitel, S. 47 ff. Bekanntmachung über die Änderung der Geschäftsordnung des 15. Landtages von Baden-Württemberg vom 28. November 2014 (GBl. Baden-Württemberg 2014, S. 794). 24 Vgl. zum Pairing zusammenfassend im ersten Teil, erstes Kapitel, B. III., S. 54 f. sowie ausführlich im dritten Teil, zweites Kapitel, F., S. 257 ff. 25 Protokollnotiz, in: Beschlussempfehlung und Bericht des Ständigen Ausschusses, LT-Drs. BaWü 15/5505, S. 2. 26 „Elternzeit für Abgeordnete im Landtag – bei vollen Diäten“, in: Online-Ausgabe der Badischen Zeitung vom 27. November 2014, https://www.badische-zeitung.de/sued west-1/elternzeit-fuer-abgeordnete-im-landtag-bei-vollen-diaeten–95371352.html, zuletzt aufgerufen am 12. Dezember 2019. 27 Vgl. unten im ersten Teil, fünftes Kapitel, B. II. 1., S. 144 ff. 28 Mit Ausnahme des Landtages von Baden-Württemberg, siehe oben. 23

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lamente sind in Bezug auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf – trotz aller Errungenschaften, die sie für die allgemeine Bevölkerung in diesem Bereich erzielt haben – keine sonderlich guten Vorbilder. Auch im Hinblick auf eine Elternzeit für Abgeordnete steht eine verfassungsrechtliche Diskussion noch aus. Insbesondere die in diesem Zusammenhang zuvörderst zu klärende Frage, ob sich aus dem Grundgesetz ein an den Staat gerichtetes Gebot zur Schaffung von Elternzeitregelungen für Abgeordnete ergibt, wurde bislang noch nicht öffentlich juristisch diskutiert. Ansatzpunkte für eine derartige verfassungsrechtliche Pflicht zur Einführung einer Elternzeit für Abgeordnete könnten sich aus dem in Art. 6 Abs. 1 GG geschützten Familienrecht in Verbindung mit dem Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG sowie aus dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ergeben. Diese auch gesellschaftspolitisch relevanten Forschungslücken verfassungsrechtlicher Gebote zur Einführung von Mutterschutz und Elternzeit für Mitglieder deutscher Parlamente – oder verneinendenfalls zumindest deren verfassungsrechtlicher Zulässigkeit – gilt es zu füllen. Die vorliegende Untersuchung macht es sich daher zur Aufgabe, einen ersten Beitrag hierzu zu leisten.

B. Lösungsansätze Hieraus ergibt sich zunächst die Frage nach einem etwaigen verfassungsrechtlichen Gebot bzw. der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Schaffung von Mutterschutz und Elternzeit für Abgeordnete – also die Frage nach dem „Ob“ entsprechender Regelungen. Sofern diese Frage zu bejahen ist – sofern also entweder ein entsprechendes Gebot besteht oder aber die Einführung derartiger Regelungen zumindest verfassungsrechtlich zulässig ist – stellt sich aus parlamentsrechtlicher Sicht darüber hinaus die Frage nach dem „Wie“: Wie können Mutterschutz und Elternzeit für Abgeordnete tatsächlich geregelt werden und welche verfassungsrechtlichen Implikationen sind damit verknüpft? Welche Regelungsoptionen wären überhaupt verfassungsrechtlich zulässig? Und welche der verfassungsrechtlich zulässigen Optionen begegnen schließlich welchen rechtspolitischen Herausforderungen? Bei der Annäherung an die Frage, welche Regelungsoptionen überhaupt in Betracht kommen, kann das Verfahren bei Mutterschutz und Elternzeit in der allgemeinen Arbeitswelt als Orientierungspunkt dienen: Entweder fehlt die betreffende Person ersatzlos oder es wird für die Zeit der Absenz eine Vertretung eingesetzt. Überträgt man dies auf Abgeordnete, so ergeben sich indes sowohl konstitutionelle als auch parlamentspraktische Besonderheiten, die eine genaue verfassungsrechtliche Prüfung erfordern.

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I. Institutionalisiertes Fehlen Die auf den ersten Blick einfachste Lösung ist das ersatzlose, gesetzlich oder untergesetzlich normierte Fehlen des betreffenden Parlamentsmitgliedes für einen bestimmten Zeitraum. Diese Option, die bereits mit einem relativ geringen Regelungsaufwand umsetzbar ist, kann jedoch Folgeprobleme bergen: Fehlt ein Parlamentsmitglied einer regierungstragenden Fraktion, so kann dies bei knappen Mehrheitsverhältnissen zu einer Änderung ebendieser im Plenum und im Ergebnis sogar zu einem Regierungswechsel führen. Wie noch zu zeigen sein wird, kann diese Gefahr die Bereitschaft eines Mitglieds einer entsprechend betroffenen Fraktion, Mutterschutz oder Elternzeit in Anspruch zu nehmen, eher gering ausfallen lassen. In anderen Konstellationen kann sich diese Option jedoch anbieten. II. Ruhendes Mandat ohne Nachfolge Ähnlich stellt sich die Möglichkeit der Schaffung eines ruhenden Mandats ohne Nachfolge dar. Auch bei dieser Regelungsoption fehlt das mutterschutz- bzw. elternzeitwillige Parlamentsmitglied für einen bestimmten Zeitraum ersatzlos. Im Gegensatz zum einfachen institutionalisierten Fehlen ruhen bei dieser Variante jedoch die Rechte und Pflichten aus dem Mandatsverhältnis, so dass ein etwaig auf das betreffende Mitglied wirkender innerer oder äußerer Druck, gleichwohl parlamentarische Termine wahrzunehmen, gegenüber dem einfachen institutionalisierten Fehlen entfallen oder zumindest gemindert sein dürfte. Im Sinne einer echten kindesbezogenen Auszeit dürfte sich dies durchaus positiv auswirken. Zu bedenken ist jedoch, dass auch das ruhende Mandat ohne Nachfolge in Parlamenten mit knappen Mehrheitsverhältnissen die Gefahr der Änderung ebendieser birgt. Darüber hinaus ändert sich durch das Ruhen des Mandats auch die gesetzliche Mitgliederzahl des Parlaments. Dies kann nicht nur eine Verschiebung der Mehrheitsverhältnisse bewirken; vielmehr besteht im Falle der Mandatsruhe eines Mitgliedes einer sehr kleinen Fraktion im Extremfall sogar die Gefahr, dass deren Fraktionsstatus entfällt, was wiederum negative Auswirkungen auf alle übrigen (dann ehemaligen) Fraktionsangehörigen hätte. III. Ruhendes Mandat mit Nachfolge Will man das Parlament zahlenmäßig in voller Stärke erhalten, so ist über das Ruhen des Mandates und das zeitlich begrenzte Nachrücken einer Ersatzperson nachzudenken. Eine dieser Überlegung verwandte Konstellation existiert in den Verfassungen der Freien Hansestadt Bremen29 (Art. 108 Abs. 2 BremVerf) und 29 Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen vom 21. Oktober 1947 (Brem. GBl. 1947, S. 251), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 2. Oktober 2018 (Brem. GBl. 2018, S. 433), im Folgenden: BremVerf.

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der Freien und Hansestadt Hamburg30 (Art. 39 HmbVerf): Beide sehen die Unvereinbarkeit eines Regierungsamtes mit der Mitgliedschaft in der Bürgerschaft vor und bestimmen das obligatorische Ruhen des Bürgerschaftsmandates eines Senatsmitgliedes sowie die Nachfolge in dieses ruhende Mandat. Dieses Institut ist rechtlich nicht unumstritten.31 Es erscheint dennoch lohnenswert, den Gedanken des ruhenden Mandates mit Nachfolge gerade in Bezug auf eine Mutterschutz- und eine Elternzeitregelung in den Blick zu nehmen, zumal sich die Fallgestaltung deutlich von der der sogenannten „Ministerabgeordneten“ 32 unterscheidet. Im Folgenden wird zu zeigen sein, dass sich die Haupteinwände gegen das ruhende Mandat eines Regierungsmitgliedes nicht auf Abgeordnete, die Mutterschutz oder Elternzeit in Anspruch nehmen wollen, übertragen lassen. IV. Übertragung des Stimmrechts Als weitere Option ist zu überlegen, das Stimmrecht des zum Zwecke des Mutterschutzes oder der Elternzeit fehlenden Mitgliedes auf ein anderes Parlamentsmitglied zu übertragen. Als Vorbild hierfür könnte das französische Modell der Stimmrechtsdelegation nach Art. 27 Abs. 3 Satz 1 der französischen Verfassung33 in Verbindung mit der Ordonnanz Nr. 58-1066 vom 7. November 195834 dienen. Es wird zu prüfen sein, ob dieses im deutschen Recht bislang unbekannte Institut mit den grundgesetzlichen Vorgaben, insbesondere zum Abgeordnetenstatus, vereinbar ist. V. Pflicht zum Pairing Zur Wahrung der durch die Wahl zum Ausdruck gekommenen Stimmabstände der Fraktionen ist darüber hinaus auch die Vereinbarung einer Pairingregelung, ähnlich derjenigen, die im Landtag von Baden-Württemberg getroffen wurde, 30 Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg vom 6. Juni 1952 (HmbBl I 1952, S. 100-a), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 20. Juli 2016 (HmbGVBl. 2016, S. 319), im Folgenden: HmbVerf. 31 Vgl. ausführlich unten im dritten Teil, zweites Kapitel, B. I., S. 261 ff. 32 So bezeichnet u. a. der Staatsgerichtshof des Landes Hessen (P. St. 783) ein zum Mitglied der Landesregierung gewähltes Landtagsmitglied – wenngleich es sich bei einem Mitglied der Landesregierung nicht ausschließlich um einen Minister oder eine Ministerin handeln muss, sondern auch um den Ministerpräsidenten oder die Ministerpräsidentin handeln kann. 33 Constitution du 4 octobre 1958, texte intégral en vigeur à jour de la révision constitutionnelle du 23 juillet 2008, online verfügbar unter: https://www.conseil-consti tutionnel.fr/le-bloc-de-constitutionnalite/texte-integral-de-la-constitution-du-4-octobre1958-en-vigueur, zuletzt aufgerufen am 12. Dezember 2019. 34 Ordonnance n ë 58-1066 du 7 novembre 1958 portant loi organique autorisant exceptionnellement les parlementaires à déléguer leur droit de vote, modifié par loi organique N ë 2010-837 du 23 juillet 2010 – art. 3, online verfügbar unter: https://www. legifrance.gouv.fr/affichTexte.do?cidTexte=LEGITEXT000006069198, zuletzt aufgerufen am 12. Dezember 2019.

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vorstellbar. Eine rechtliche Verpflichtung erwächst aus einer herkömmlichen Pairingabrede indes nicht. Es stellt sich daher die Frage, ob die Einführung einer Rechtspflicht zum Pairing zulässig wäre. VI. Teilnahme per Fernabstimmung Des Weiteren ist es denkbar, die Teilnahme des in Mutterschutz oder Elternzeit befindlichen Parlamentsmitgliedes per Fernabstimmung vorzusehen. Dies stellt indes lediglich eine abgeschwächte Form des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit dar, denn in diesem Fall bleibt das betreffende Mitglied dem Parlament nur räumlich fern, ist aber gleichwohl gehalten, an Abstimmungen teilzunehmen und die nötige inhaltliche Vorbereitung dieser Abstimmungen zu leisten. Im Zuge zunehmender Digitalisierung erscheint diese Option jedoch nicht unpraktikabel, so dass sie im Rahmen der folgenden Untersuchung ebenfalls auf ihre verfassungsrechtliche Zulässigkeit überprüft werden soll. VII. Teilzeitoption: Mandats-Sharing Schließlich ist grundsätzlich eine weitere Option vorstellbar, die es Eltern mit kleinen Kindern zumindest zeitweise ermöglichen kann, Erziehungsaufgaben wahrzunehmen, ohne das Parlamentsmandat zu vernachlässigen: Angelehnt an Teilzeitmodelle in der allgemeinen Arbeitswelt könnte im Sinne einer verbesserten Work-Life-Balance – also einer Mandats-Lebens-Balance – auch ein Teilzeitmodell für Abgeordnete erwogen werden. In Deutschland bislang noch nicht öffentlich diskutiert35 aber gleichwohl vorstellbar ist beispielsweise ein „MandatsSharing“, bei dem bereits im Rahmen der Wahl in einigen Wahlkreisen oder auf einigen Listenplätzen ein aus zwei Personen bestehendes Abgeordneten-Tandem gewählt wird.36 Beide Teile dieses Tandems wären jeweils reguläre, vollwertige Abgeordnete, würden sich aber die Abstimmungsteilnahme sowie die Ausschusstermine und die Wahlkreisarbeit teilen. Dieses Modell eignet sich indes nicht für einen Mutterschutz oder eine Elternzeit im hier verstandenen Sinne; es stellt nämlich keine vorübergehende kindes-

35 Der einzige publizierte Vorschlag dazu stammt von der Verfasserin selbst: Wahlmann, Interview im NDR Fernsehen, „Hallo Niedersachsen“, vom 8. März 2018; Wahlmann, Interview im Rundblick, Ausgabe 50/2018 vom 13. März 2018, „Elternzeit für Abgeordnete – warum gibt es das eigentlich noch nicht?“, https://www.rundblickniedersachsen.de/elternzeit-fuer-abgeordnete-warum-gibt-es-das-eigentlich-noch-nicht/, zuletzt aufgerufen am 12. Dezember 2019. 36 So Wahlmann, Interview im NDR Fernsehen, „Hallo Niedersachsen“, vom 8. März 2018; Wahlmann, Interview im Rundblick, Ausgabe 50/2018 vom 13. März 2018, „Elternzeit für Abgeordnete – warum gibt es das eigentlich noch nicht?“, https://www. rundblick-niedersachsen.de/elternzeit-fuer-abgeordnete-warum-gibt-es-das-eigentlichnoch-nicht/, zuletzt aufgerufen am 12. Dezember 2019.

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bezogene Auszeit vom Mandat dar. Zum einen würde sich das Mandats-Sharing über die gesamte Dauer einer Wahlperiode erstrecken und wäre damit nicht vorübergehend. Zum anderen stellt es keine Auszeit im Sinne eines Mutterschutzes oder einer Elternzeit dar, denn auch im Rahmen eines Teilzeitmandates würden dieselben mandatsbezogenen Obliegenheiten bestehen wie bei einem Vollzeitmandat – nur eben in zeitlich geringerem Umfang. Die durch Mutterschutz und Elternzeit bewirkte parlamentarische Pause, die es dem betreffenden Parlamentsmitglied ermöglicht, sich in der Spätphase der Schwangerschaft und kurz nach der Kindesgeburt ausschließlich um die Schwangerschaft oder um das Neugeborene zu kümmern, lässt sich daher allein durch ein familienbedingtes MandatsSharing nicht erreichen. Obschon diese Option, die im Übrigen auch interessante verfassungsrechtliche Fragestellungen birgt,37 auch vor dem Hintergrund der Üblichkeit von Teilzeitbeschäftigungen im allgemeinen Arbeitsleben durchaus von gesellschaftspolitischer Relevanz und für einige Parlamente überlegenswert sein kann, muss die rechtliche Prüfung dieser Option daher einer anderen verfassungsrechtlichen Ausarbeitung vorbehalten bleiben. Die vorliegende Untersuchung beschränkt sich demgegenüber auf die vorgenannten Modelle, die allesamt den betreffenden mutterschutz- bzw. elternzeitwilligen Abgeordneten eine parlamentarische Auszeit (wenn auch je nach gewähltem Modell in unterschiedlichem Umfang) gewähren.

C. Bisheriger Stand der Forschung I. Mutterschutz und Elternzeit de lege lata Rechtliche Fragen rund um einen Mutterschutz und eine Elternzeit für Abgeordnete wurden bislang in Deutschland nahezu gar nicht wissenschaftlich diskutiert. Dieser Befund beginnt bereits bei der Frage, ob Abgeordnete de lege lata einen Anspruch auf Mutterschutz nach dem Mutterschutzgesetz oder anderen gesetzlichen oder untergesetzlichen Vorschriften haben. Obschon einzelne Parlamente – wie im Folgenden zu zeigen sein wird – ihren parlamentarischen Regelungen möglicherweise eine Geltung des Mutterschutzgesetzes auf ihre Mitglieder zugrundelegen,38 geht die überwiegende Mehrheit der Volksvertretungen ohne entsprechende Diskussion davon aus, dass Abgeordnete keinen gesetzlichen Mutterschutz genießen.39 Eine kurze Erwähnung fand die Frage indes in einem Gutachten des Parlamentarischen Beratungsdienstes des Landtages Brandenburg aus dem Jahr 2017. Der 37 Insbesondere wären die Vereinbarkeit mit der Gleichheit der Wahl sowie mit der Freiheit und der Gleichheit des Mandats zu diskutieren. 38 Vgl. dazu, insbesondere zum mutterschutzrechtlichen Status quo im Deutschen Bundestag, unten im ersten Teil, erstes Kapitel, A. I., S. 47 ff. 39 Vgl. dazu unten im ersten Teil, erstes Kapitel, C. ff., S. 57 ff.

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Beratungsdienst war gebeten worden, zu verschiedenen Fragen Stellung zu nehmen, die sich mit möglichen Befreiungen der Landtagsabgeordneten von Teilnahme- und Anwesenheitspflichten in besonderen Lebenslagen wie längerer Krankheit, Mutterschutzzeiten, Kinderbetreuung und der Pflege von Angehörigen befassten. In seinem daraufhin veröffentlichten Gutachten40 begnügte sich der Parlamentarische Beratungsdienst in Bezug auf die Geltung des Mutterschutzgesetzes41 und des BEEG jedoch mit der schlichten Feststellung, dass Abgeordnete weder unter den im ersteren noch unter den im zweiteren Gesetz aufgezählten Personenkreis fielen und daher vom Geltungsbereich keines der beiden Gesetze umfasst seien.42 Weitere Veröffentlichungen zur Anwendbarkeit der geltenden mutterschutzund elternzeitrechtlichen Gesetze auf Mitglieder deutscher Parlamente gibt es bis dato nicht. Auch eine Darstellung der bislang in den einzelnen Parlamenten geltenden Rechtslage bzw. einer gegebenenfalls geübten parlamentarischen Praxis fehlt bislang. In Bezug auf einen Mutterschutz für Abgeordnete kann jedoch in einigen Teilbereichen eine Parallele zu Selbständigen gezogen werden, auf die das Mutterschutzgesetz de lege lata ebenfalls keine Anwendung findet. Diesbezüglich ist auf Hepps Dissertation „Mutterschutz für GmbH-Geschäftsführerinnen“ 43 zu verweisen, die sich mit der insoweit geltenden Rechtslage44 für Geschäftsführerinnen von Gesellschaften mit beschränkter Haftung auseinandersetzt und diese anhand der Grundrechte des Art. 6 Abs. 4 GG sowie des Art. 3 Abs. 1 und 2 GG prüft. Im Rahmen ihrer Untersuchung stellt Hepp fest, dass die Exklusion der GmbH-Geschäftsführerinnen aus dem Geltungsbereich des Mutterschutzgesetzes eine Verletzung aller vorbezeichneten Grundrechte darstelle.45 Ob hieraus ein an die Gesetzgebung gerichtetes Gebot zur Schaffung entsprechender Regelungen auch für GmbH-Geschäftsführerinnen resultiert, prüft sie indes nicht explizit – jedoch wird in der Zusammenfassung und abschließenden Würdigung der Arbeit

40 Platter, Julia, Landtag Brandenburg, Parlamentarischer Beratungsdienst (Hrsg.): Befreiung von Teilnahme- und Anwesenheitspflichten für Abgeordnete im Zusammenhang mit besonderen Lebenslagen wie Mutterschutzzeiten und Kinderbetreuung, Potsdam 2017. 41 Dabei legte der Parlamentarische Beratungsdienst indes noch die vor der zum 1. Januar 2018 in Kraft getretenen Reform des Mutterschutzgesetzes geltende Rechtslage zugrunde. 42 Platter, S. 11 f. 43 Hepp, Christine: Mutterschutz für GmbH-Geschäftsführerinnen. Rechtslage de lege lata im Lichte verfassungsrechtlicher und europäischer Vorgaben, Frankfurt am Main u. a., 2016. 44 Auch Hepp, Mutterschutz, legte noch die vor der zum 1. Januar 2018 in Kraft getretenen Reform des Mutterschutzgesetzes geltende Rechtslage zugrunde. 45 Hepp, Mutterschutz, S. 163, 186 f. und 191 f.

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eine gesetzgeberische Pflicht zur Neuregelung des Mutterschutzes für GmbH-Geschäftsführerinnen postuliert.46 Mit einer ähnlichen Problemstellung in Bezug auf Selbständige im Allgemeinen befasst sich Knigges Dissertation „Mutterschutz (auch) für Selbständige?“ 47, die jedoch einen ungleich stärkeren europarechtlichen Schwerpunkt aufweist. Die tatsächlichen Herausforderungen, die Abgeordneten dann begegnen, wenn sie im Laufe ihres Mandats Eltern – insbesondere Mutter – werden, wurden indes vereinzelt politik- bzw. sozialwissenschaftlich untersucht. Insoweit sei insbesondere auf Schmidts Dissertation „Vereinbarkeit von politischer Karriere und Familie“ 48 sowie auf die Beiträge von Kürschner/Siri „Politik mit „Kind und Kegel“. Zur Vereinbarkeit von Familie und Politik bei Bundestagsabgeordneten“ 49 und von McKay „Having it all? Women MPs and Motherhood in Germany and the UK“ 50 verwiesen. II. Verfassungsrechtliches Gebot Auch die Frage eines an den Staat gerichteten verfassungsrechtlichen Gebots zur Einführung von Mutterschutz und Elternzeit für Abgeordnete wurde in Deutschland noch nicht öffentlich rechtswissenschaftlich diskutiert. Zwar besteht sowohl zu den Grundrechten, auf die sich ein solches Gebot gegebenenfalls stützen könnte – nämlich insbesondere zu Art. 6 Abs. 1, 2 und 4 sowie Art. 3 Abs. 1 und 3 GG – als auch zum Abgeordnetenverhältnis im Allgemeinen mitsamt den sich daraus ergebenden Rechten und Pflichten eine lange Forschungstradition und demgemäß auch eine große Bandbreite an Rechtsprechung und Literatur.51 Gleichwohl ist festzustellen, dass das Abgeordnetenver46

Hepp, Mutterschutz, S. 302 f. Knigge, Kirsten: Mutterschutz (auch) für Selbständige? Umsetzungsbedarfe und -perspektiven des Art. 8 der RL 2010/41/EU zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen, die eine selbständige Erwerbstätigkeit ausüben, und zur Aufhebung der RL 86/713/EWG in Deutschland, Berlin, 2019. 48 Schmidt, Sabine: Vereinbarkeit von politischer Karriere und Familie. Untersucht anhand einer Umfrage von Mitgliedern des Deutschen Bundestages der 16. Legislaturperiode, Diss. rer. pol., Berlin, 2014. 49 Kürschner, Isabelle/Siri, Jasmin: Politik mit „Kind und Kegel“. Zur Vereinbarkeit von Familie und Politik bei Bundestagsabgeordneten, München, 2011, online verfügbar unter: https://digital.zlb.de/viewer/rest/image/15775472/AA_58_Politik_02.pdf/ full/max/0/AA_58_Politik_02.pdf, zuletzt aufgerufen am 12. Dezember 2019. 50 McKay, Joanna: Having it all? Women MPs and Motherhood in Germany and the UK, in: Parliamentary Affairs 2011, S. 714 ff. 51 Vgl. exemplarisch zu Art. 3 GG: Boysen, in: von Münch/Kunig, Art. 3, Rn. 1 ff. und Rn. 115 ff.; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 3, Rn. 1 ff. und Rn. 10 ff.; Langenfeld, in: Maunz/Dürig, Art. 3 Abs. 2, Rn. 25 und Rn. 54 ff.; Burghart, in: Leibholz/Rinck, Art. 3, Rn. 1 ff. und Rn. 2601 ff.; Krieger, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Art. 3, Rn. 9 ff. und Rn. 53 ff.; Richter, in: Merten/Papier, Bd. V, § 126, Rn. 34 ff. und passim. Exemplarisch zu Art. 6 GG: Aubel, Mutterschutz, passim, dessen Dissertation 47

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hältnis bislang noch nicht zu den gegebenenfalls Mutterschutz und Elternzeit gewährenden Grundrechten ins Verhältnis gesetzt wurde. Die Prüfung, ob sich aus den vorbezeichneten Grundrechten eine an die Gesetzgebung gerichtete Pflicht zur Einführung von Mutterschutz und Elternzeit für Abgeordnete ergibt, steht daher noch aus. Zumindest im Hinblick auf die grundsätzliche Frage der Grundrechtsberechtigung von Abgeordneten kann unter anderem auf die Dissertation von Gausing „Das Abgeordnetenmandat zwischen Staat und Gesellschaft – Zum Verhältnis der Grundrechte von Bundestagsabgeordneten zu Art. 38 Absatz 1 Satz 2 GG“ rekurriert werden, die sich im Kern mit dem Spannungsfeld zwischen den Statusrechten und den Grundrechten der Abgeordneten befasst.52 Darüber hinaus bestehen im Hinblick auf die mögliche grundrechtliche Betroffenheit zumindest der mutterschutzwilligen Abgeordneten gegebenenfalls leichte Parallelen zur entsprechenden Betroffenheit von GmbH-Geschäftsführerinnen bzw. Selbständigen im Allgemeinen, so dass auch diesbezüglich auf die oben genannten Dissertationen von Hepp und Knigge Bezug genommen werden kann.

die ausführlichste Darstellung des Art. 6 Abs. 4 GG bietet; Badura, in: Maunz/Dürig, Art. 6, Rn. 1 ff. und 143 ff.; Burghart, in: Leibholz/Rinck, Art. 6, Rn. 1 ff. und Rn. 751 ff.; Coester-Waltjen, in: von Münch/Kunig, Art. 6, Rn. 1 ff. und Rn. 104 ff.; Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Art. 6, Rn. 3 ff., Rn. 43 ff. und Rn. 65 ff.; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 6, Rn. 1 ff. und Rn. 66 ff.; Hepp, Mutterschutz, passim; Knigge, Mutterschutz, passim; Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 6 Abs. 1, Rn. 77 ff. und Art. 6 Abs. 4, Rn. 278 ff. Exemplarisch zum Abgeordnetenverhältnis: Abmeier, Befugnisse, passim; Achterberg, in: JA 1983, 303 ff.; von Arnim, in: DÖV 2007, 897 ff.; Badura, in: Bonner Kommentar, Art. 38, Rn. 48 ff. und passim; Badura, in: Festschrift für Schneider, S. 153 ff.; Badura, in: Schneider/Zeh, § 15, passim; Böttger, in: EuR 2002, 898 ff. (bzgl. der Europaabgeordneten); Butzer, in: BeckOK Epping-Hillgruber, Art. 38, Rn. 48 ff.; Cornils, in: JURA 2009, 289 ff.; Demmler, Abgeordnete, passim; Dress, Ruhendes Mandat, passim; Frenz, in: JA 2010, 126 ff.; Häberle, in: NJW 1976, 537 ff.; Henke, in: DVBl. 1973, 553 ff.; Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 48, Rn. 28 ff.; Kluth, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Art. 38, Rn. 19 ff. und Rn. 68 ff.; Morlok, in: Dreier, Art. 38, Rn. 26 ff., Rn. 79 ff. und Rn. 135 ff.; Müller, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 38 Abs. 1, Rn. 1 ff., Rn. 44 ff. und Rn. 135 ff.; Leibholz, Gutachten, passim; Lohmeier, in: DVBl. 1977, 405 ff.; du Mesnil de Rochemont/Müller, in: JuS 2016, 504 ff. und 603 ff.; Nell, in: JZ 1975, 519 ff.; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 38, passim; Platter, S. 6 ff.; Roth, in: Umbach/ Clemens, Art. 38, Rn. 25 ff. und Rn. 103 ff.; H.-P. Schneider, in: Benda/Maihofer/Vogel, § 13, Rn. 36 ff.; H.-P. Schneider, in: Denninger/Hoffmann-Riem/Schneider/Stein, Art. 38, Rn. 4 ff., Rn. 19 ff. und Rn. 60 ff.; P. Schneider, Gutachten, passim; Schreiber, in: Friauf/Höfling, Art. 38, Rn. 89 ff., Rn. 170 ff. und passim; Schuldei, Pairing, passim; Steiger, Gutachten, passim; Stern, Bd. I, § 24, I.; Trute, in: von Münch/Kunig, Art. 38, passim; Wefelmeier, Repräsentation, passim; Wiese, in: AöR 1976, 548 ff.; Wiefelspütz, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, § 12, passim; Wilhelm, in: SKV 1975, 354 ff. 52 Gausing, Bettina: Das Abgeordnetenmandat zwischen Staat und Gesellschaft. Zum Verhältnis der Grundrechte von Bundestagsabgeordneten zu Art. 38 Absatz 1 Satz 2 GG, Berlin, 2018.

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III. Einzelne Regelungsoptionen Der Forschungsstand zu den einzelnen in Erwägung gezogenen Regelungsoptionen unterscheidet sich zum Teil gravierend. 1. Institutionalisiertes Fehlen

Das institutionalisierte Fehlen unter unverändertem Fortbestand des Mandats, das der Landtag von Baden-Württemberg im Jahr 2014 in seiner Geschäftsordnung verankert hat,53 wurde bislang vorwiegend politisch, kaum jedoch rechtswissenschaftlich, diskutiert.54 Eine kurze juristische Bewertung erfuhr diese Regelung indes in dem oben erwähnten Gutachten des Parlamentarischen Beratungsdienstes des Landtages Brandenburg: Dieser stellte schlicht fest, es beständen keine verfassungsrechtlichen Einwände gegen die Übernahme der badenwürttembergischen Regelung in die Geschäftsordnung des Landtages Brandenburg.55 2. Ruhendes Mandat ohne Nachfolge

Das ruhende Mandat wurde bislang isoliert betrachtet – also ohne Nachfolgeoption – noch nicht diskutiert. Zwar lehnen einige Autoren, insbesondere in der Kommentarliteratur, das ruhende Mandat pauschal als unvereinbar mit dem Grundsatz des gleichen Mandats, dem Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl oder dem Grundsatz des freien Mandats ab. Dabei ergibt sich jedoch aus dem jeweiligen Sinnzusammenhang und den Verweisen, dass keiner der Autoren da53

Vgl. ausführlich unten im ersten Teil, erstes Kapitel, B., S. 52 ff. Beschlussempfehlung und Bericht des Präsidiums des Landtages von Baden-Württemberg, LT-Drs. 16/1641; Redebeitrag der Abgeordneten Graner (SPD), Landtag von Baden-Württemberg, Plenarprotokoll 15/113 vom 26. November 2014, S. 6807; Redebeitrag des Abgeordneten Schebesta (CDU), Landtag von Baden-Württemberg, Plenarprotokoll 15/113 vom 26. November 2014, S. 6808; Redebeitrag des Abgeordneten Dr. Kern (FDP/DVP), Landtag von Baden-Württemberg, Plenarprotokoll 15/113 vom 26. November 2014, S. 6809; Redebeitrag des Abgeordneten Dr. Bullinger (FDP/DVP), Landtag von Baden-Württemberg, Plenarprotokoll 15/113 vom 26. November 2014, S. 6810; „Kinderzimmer statt Plenarsaal möglich“, in: Online-Ausgabe der Stuttgarter Nachrichten vom 17. Juli 2014, https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.elternzeitfuer-abgeordnete-kinderzimmer-statt-plenarsaal-moeglich.295ae678-eb7d-4910-87fe-d99 3d8796477.html, zuletzt aufgerufen am 12. Dezember 2019; „Politiker aus allen Fraktionen fordern Elternzeit“, in: Online-Ausgabe der WELT vom 25. November 2014, https://www.welt.de/politik/deutschland /article134721573/Politiker-aus-allen-Fraktio nen-fordern-Elternzeit.html, zuletzt aufgerufen am 12. Dezember 2019; „Elternzeit für Abgeordnete im Landtag – bei vollen Diäten“, in: Online-Ausgabe der Badischen Zeitung vom 27. November 2014, https://www.badische-zeitung.de/suedwest-1/elternzeitfuer-abgeordnete-im-landtag-bei-vollen-diaeten–95371352.html, zuletzt aufgerufen am 12. Dezember 2019; „Pampers statt Parlament“ im: Online-Auftritt des Deutschlandfunks vom 27. November 2014, https://www.deutschlandfunk.de/elternzeit-pampersstatt-parlament.680.de.html?dram:article_id=304520, zuletzt aufgerufen am 12. Dezember 2018. 55 Platter, S. 25. 54

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mit das Ruhen des Ursprungsmandates meint, sondern sich tatsächlich auf das Mandat und die Stellung der in das ruhende Mandat nachrückenden Person bezieht.56 3. Ruhendes Mandat mit Nachfolge

Die umfangreichste Diskussion besteht zum ruhenden Mandat mit Nachfolge. Im Zusammenhang mit einem Urteil des Staatsgerichtshofes des Landes Hessen vom 7. Juli 197757 entspann sich eine – insbesondere gemessen an der geringen Beachtung, die das Thema bis dahin erfahren hatte – vergleichsweise rege, insgesamt aber dennoch überschaubare Diskussion um die Verfassungsmäßigkeit des ruhenden Mandats.58 Die umfangreichste Auseinandersetzung fand sie in Dress’ Dissertation „Das ruhende Mandat“ 59 aus dem Jahr 1985; in der Folgezeit fand die Thematik nur noch sporadisch Erwähnung. Dabei befasst sich die Debatte bislang nahezu ausschließlich mit dem ruhenden Mandat eines in die Regierung gewählten Parlamentsmitgliedes einschließlich der Nachfolge in dieses Mandat. Eine Auseinandersetzung mit der Zulässigkeit des zum Zwecke des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit ruhenden Mandates fand bislang, wenn auch in einem vergleichsweise kurzen Abschnitt, ausschließlich in dem oben erwähnten Gutachten des Parlamentarischen Beratungsdienstes des Landtages Brandenburg statt.60 Dabei geht das Gutachten jedoch von einer Nachfolge aus, die jederzeit durch eine willkürliche Rückkehr des Ursprungsmitgliedes beendet werden kann.61 Mit 56

Vgl. dazu unten im dritten Teil, zweites Kapitel, B. II. 2., S. 275 ff. Urteil des Staatsgerichtshofes des Landes Hessen vom 7. Juli 1977, Az. P.St. 783, Rn. 78, Volltextveröffentlichung online verfügbar auf der Seite Bürgerservice Hessenrecht des Landes Hessen: https://www.lareda.hessenrecht.hessen.de/bshe/document/ LARE190022035, zuletzt aufgerufen am 12. Dezember 2019. Auszugsweise abgedruckt in NJW 1977, 2065 ff.; im Folgenden: StGH Hessen, P.St. 783. 58 Vgl. insbesondere Achterberg/Schulte, in: von Mangoldt/Klein/Starck, 5. Auflage 2005, Art. 38 Abs. 1, Rn.57 f.; Badura, Staatsrecht, Teil E, Rn. 28; Bernzen/Sohnke, Art. 38a, Rn. 5; Butzer, in: BeckOK Epping/Hillgruber, Art. 38, Rn. 106.2; David, Art. 39, Rn. 13 ff.; Dreier, in: ders., Art. 28, Rn. 62; Dreier, in: Schmidt, Vielfalt des Rechts, S. 113, 124 f.; Gralher, in: ZRP 1977, 156, 157; Harich, in: Fischer-Lescano/ Rinken u. a., Art. 109, Rn. 9 ff.; Herdegen, in: Isensee/Kirchhof, Bd. VI, § 129, Rn. 37; Magiera, in: Sachs, Art. 38, Rn. 88; Mehde, in: Maunz/Dürig, Art. 28 Abs. 1, Rn. 117 und 120; Morlok, in: Dreier, Art. 38, Rn. 79; von Münch, in: NJW 1998, 34 ff.; Nell, in: JZ 1975, 519 ff.; Neumann, Art. 108, Rn. 4; Lohmeier, in: DVBl. 1977, 405 ff.; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 38, Rn. 37; Preuß, in: Kröning/Pottschmidt/Preuß/Rinken, S. 343 ff.; Rosenau, in: ZParl 1988, 35 ff.; Sacksofsky, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, § 6, Rn. 40; Schreiber, in: Friauf/Höfling, Art. 38, Rn. 95; Thieme, Art. 38a, Nr. 3; Trute, in: von Münch/Kunig, Art. 38, Rn. 33; Versteyl, in: Schneider/Zeh, § 14, Rn. 37; Wilhelm, in: SKV 1975, 354 ff. 59 Dress, Thomas: Das ruhende Mandat. Entstehung, Erscheinungsformen und verfassungsrechtliche Problematik eines Instituts des Parlamentsrechts, Diss. iur., Hamburg, 1985. 60 Platter, S. 8–10. 61 Platter, S. 9 f. 57

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der Option einer gegebenenfalls von vornherein festgelegten Dauer des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit und den daraus resultierenden Wertungsunterschieden befasst es sich nicht. Ohne (durchaus gebotene) Differenzierung setzt es ein zum Zwecke des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit ruhendes Mandat mit dem – im Folgenden noch darzustellenden – ruhenden Mandat von sogenannten Ministerabgeordneten gleich. Überdies übernimmt das Gutachten auch die Begründung des Hessischen Staatsgerichtshofes, der im Jahr 1977 eine damalige hessische Regelung in Bezug auf das ruhende Mandat von sogenannten Ministerabgeordneten für mit der Verfassung des Landes Hessen unvereinbar erklärt hatte,62 ohne jegliche Anpassung auf ein sich hiervon deutlich unterscheidendes Institut des zum Zwecke des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit ruhenden Mandates mit Nachfolge. Auch ein eventuell bestehendes an die Gesetzgebung gerichtetes verfassungsrechtliches Gebot zur Einführung kindesbezogener parlamentarischer Auszeiten wird in dem Gutachten nicht thematisiert. Im Rahmen dieser moderaten Kritik wird freilich nicht übersehen, dass das Gutachten für die praktische Verwendung im politischen Raum bestimmt und damit an einen bestimmten Prüfungsumfang gebunden sein mag. Gleichwohl ist festzustellen, dass eine detaillierte Prüfung der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Mandatsruhe mit Nachfolge zum Zwecke des Mutterschutzes und der Elternzeit noch fehlt. 4. Übertragung des Stimmrechts

Die Übertragung des Stimmrechts findet zwar gelegentlich Erwähnung; eine vertiefte Auseinandersetzung mit eventuellen verfassungsrechtlichen Herausforderungen, die dieser Option begegnen könnten, fand jedoch bislang nicht statt. Ganz überwiegend wird die Abstimmung der Abgeordneten im Parlament als unvertretbare Handlung63 und eine Vertretung im Amt als unzulässig betrachtet.64 Etwas ausführlicher thematisiert wird die Möglichkeit der Stimmrechtsdelegation lediglich in Schuldeis Dissertation „Die Pairing-Vereinbarung“ 65. Schuldei prüft diese Option unter Bezugnahme auf ausländische Vorbilder66 in einem kurzen Abschnitt als Alternative zu der den Schwerpunkt seiner Untersuchung bildenden Pflicht zum Pairing.67 62

StGH Hessen, P.St. 783. Jellinek, System, S. 346. 64 StGH Hessen, P.St. 783., Rn. 91; Wahlprüfungsgericht Rh-Pf, AS Rh-Pf 3, 399, 403; Butzer, in: BeckOK Epping-Hillgruber, Art. 38, Rn. 111; Platter, S. 8; Wiefelspütz, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, § 12, Rn. 6. 65 Schuldei, Marcus: Die Pairing-Vereinbarung, Berlin, 1997. 66 Schuldei, Pairing, S. 131 f., nimmt dabei Bezug auf das im britischen Oberhaus bis 1868 ausgeübte „proxy voting“ sowie auf die Praxis im französischen und im luxemburgischen Parlament. 67 Schuldei, Pairing, S. 131–134. 63

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Einleitung 5. Pflicht zum Pairing

Wenngleich das Pairing als solches sowohl Eingang in einige gängige parlamentsrechtliche Veröffentlichungen68 als auch in Einzelbeiträge 69 gefunden hat, hat sich bis dato jedoch ausschließlich die vorgenannte Dissertation Schuldeis ausdrücklich mit der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit einer gegebenenfalls einzuführenden Rechtspflicht zum Pairing befasst. Schuldei stellt die Pflicht zum Pairing den Grundsätzen des freien und des gleichen Mandats gegenüber und hält im Ergebnis beide Grundsätze für gewahrt.70 Als Alternativen zum (verpflichtenden) Pairing erachtet er die Übertragung des Stimmrechts, das punktuelle Nachrücken (ohne Mandatsruhe des verhinderten Mitgliedes) und die Briefabstimmung für zulässig.71 6. Teilnahme per Fernabstimmung

Auch die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer Teilnahme per Fernabstimmung wurde – unabhängig von hier nicht relevanten technischen Gegebenheiten – bislang nur von Schuldei geprüft. Dabei beschränkt sich der Autor zwar in seiner vorbezeichneten Dissertation auf die Abstimmung per Briefpost;72 in einem im Jahr 1999 erschienenen Aufsatz73 bezieht er hingegen den Einsatz missbrauchsungefährdeter Computer- und Telefontechnik mit ein.74 Der Umstand, dass er gleichwohl nicht von einer simultanen Verfolgung der Plenarsitzung durch das fehlende Mitglied – etwa per Live Stream – und dementsprechend auch nicht von einer simultanen Abstimmungsteilnahme ausgeht, dürfte dem damaligen Stand der Technik geschuldet sein. Gleichwohl hält er die Möglichkeit der Fernabstimmung nicht nur für zulässig, sondern sogar für verfassungsrechtlich geboten, um das situativ bedingt andernfalls nicht wahrnehmbare Stimmrecht der abwesenden Abgeordneten zu wahren.75

68 Butzer, in: BeckOK Epping/Hillgruber, Art. 38, Rn. 106.3; Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 38, Rn. 210; Klein/Krings, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, § 17, Rn. 68; Kluth, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Art. 38, Rn. 77; Versteyl, in: Schneider/Zeh, § 14, Rn. 38. 69 Baddenhausen-Lange, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, WF I – 4/97, S. 6; Butzer/Henkenötter, in: ZG 1995, 328 ff.; Kremer, in: Festgabe für Werner Blischke, S. 9, 17; Platter, S. 19 f.; Röttger, in: JuS 1977, 7 ff.; Thiele, Entscheidungsfindung, S. 470 ff. 70 Schuldei, Pairing, S. 190. 71 Schuldei, Pairing, S. 188 f. 72 Schuldei, Pairing, S. 108 und 134 ff. 73 Schuldei, Marcus: Briefabstimmung für Abgeordnete, in: ZRP 1999, 424 ff. 74 Schuldei, in: ZRP 1999, 424, 425. 75 Schuldei, in: ZRP 1999, 424, 427.

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IV. Ergebnis zum bisherigen Stand der Forschung Insgesamt ist festzustellen, dass sowohl zur bisherigen Rechtslage und zur geübten Praxis in den Parlamenten als auch zu einem möglicherweise an die Gesetzgebung gerichteten verfassungsrechtlichen Gebot zur Einführung von Mutterschutz und Elternzeit für Abgeordnete bislang wenig bis gar nicht rechtswissenschaftlich geforscht wurde. Auch im Bereich der einzelnen, hier in den Blick genommenen Regelungsoptionen bestehen noch viele offene Fragen; zudem sind viele Aspekte der Regelungsoptionen bislang noch gänzlich unbearbeitet. Die vorliegende Arbeit soll daher einen ersten Beitrag dazu zu leisten, diese Forschungslücken zu schließen.

D. Gang der Untersuchung Bevor über mögliche Regelungsoptionen eines Mutterschutzes und einer Elternzeit für Abgeordnete nachgedacht werden kann, ist zuallererst die geltende Rechtslage zu klären. Die vorliegende Ausarbeitung befasst sich daher zunächst mit der Ausgangssituation im Deutschen Bundestag und den Länderparlamenten. Neben der kodifizierten Gesetzeslage wird dabei insbesondere auch – soweit vorhanden – die geübte Parlamentspraxis, die sich insbesondere aus den im Rahmen dieser Untersuchung eingeholten schriftlichen Auskünften der Parlamente selbst ergibt, dargestellt. Sodann richtet sich der Blick auf die Frage, ob es unabhängig von den gegebenenfalls in den einzelnen Parlamenten bestehenden Bestimmungen oder Gepflogenheiten möglicherweise bereits nach geltendem Recht bundeseinheitliche Mutterschutz- und/oder Elternzeitregelungen für Abgeordnete gibt. Ausgangspunkt hierfür ist die rechtliche Einordnung des Abgeordnetenverhältnisses, dessen Kernmerkmale daher zunächst kursorisch dargestellt werden. Im Anschluss daran erfolgt eine Darstellung der geltenden Rechtslage zum Mutterschutz und zur Elternzeit in der Bundesrepublik Deutschland, der zur besseren rechtlichen Einordnung die Illustration der jeweiligen historischen Entwicklung vorweggeht. Dieser Klärung der Grundlagen schließt sich die Untersuchung an, ob die geltenden Mutterschutz- und Elternzeitregelungen auch auf Abgeordnete – entweder direkt oder analog – anwendbar sind. Bereits an dieser Stelle kann als Ergebnis vorweggenommen werden, dass beides nicht der Fall ist. Es ist daher von Interesse, wie sich die fehlende Anwendbarkeit der bereits existierenden Mutterschutz- und Elternzeitregelungen sowohl auf die betreffenden Abgeordneten selbst als auch auf die Parlamente – und damit verbunden auf die Gesellschaft – auswirkt. Aus dem Ergebnis der Prüfung ergibt sich ein Handlungsbedarf, der abschließend dargestellt wird. Der zweite Teil der Arbeit baut auf dem Ergebnis des ersten Teils auf. Er befasst sich mit der Frage, ob ein verfassungsrechtliches Gebot zur Einführung von Mutterschutz und Elternzeit für Abgeordnete besteht. Unter Zugrundelegung der

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im ersten Teil erarbeiteten Grundzüge des Abgeordnetenverhältnisses sowie der bestehenden Mutterschutz- und Elternzeitregelungen konzentriert er sich auf eine detaillierte Prüfung der verfassungsrechtlichen Grundsätze, aus denen sich eine Pflicht des Staates zur Schaffung entsprechender Regelungen ergeben könnte. Hinsichtlich der Einführung eines Mutterschutzes für Abgeordnete kommen dabei insbesondere die verfassungsrechtliche Mutterschutzregelung des Art. 6 Abs. 4 GG, das Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, das in Art. 3 Abs. 2 GG normierte Gebot der Gleichberechtigung von Frau und Mann und der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG in Betracht. In Bezug auf ein verfassungsrechtliches Gebot der Schaffung von Elternzeitregelungen für Parlamentsmitglieder sind insbesondere das Familienrecht des Art. 6 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG sowie der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG in Erwägung zu ziehen. Nachdem sich der zweite Teil der Untersuchung also mit dem „Ob“ eines an den Staat gerichteten Gebots zur Einführung von Mutterschutz und Elternzeit für Abgeordnete befasst hat, konzentriert sich der dritte Teil auf das „Wie“. Soweit nämlich eine entsprechende verfassungsrechtliche Verpflichtung besteht, stellt sich die Frage, welche Optionen sich zur Einführung derartiger Regelungen anbieten und welche davon verfassungsrechtlich zulässig sind. Im dritten Teil der vorliegenden Ausarbeitung werden daher mehrere in der gegenwärtigen Parlamentspraxis umsetzbare Regelungsmodelle vorgestellt und sodann eingehend auf ihre verfassungsmäßige Zulässigkeit geprüft. Diejenigen Optionen, die dieser verfassungsrechtlichen Kontrolle standhalten, werden sodann im vierten Teil einer rechtspolitischen Bewertung unterzogen, innerhalb derer insbesondere die Auswirkungen des jeweiligen Regelungsmodells auf die einzelnen Abgeordneten, auf das jeweilige Parlament im Ganzen sowie auf die Gesamtgesellschaft näher beleuchtet werden. Diese Bewertung mündet in einem je nach gesellschaftspolitischem Umfeld des jeweiligen Parlaments ausdifferenzierten Reformvorschlag. Der abschließende Ausblick richtet den Blick auf die der deutschen Parlamentslandschaft bevorstehenden strukturellen Veränderungen. Gerade in der jüngeren Vergangenheit hat sich gezeigt, dass die allgemeine Arbeitswelt eine Wandlung im Hinblick auf eine gesteigerte Work-Life-Balance, eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie eine größere Beteiligung von Frauen an Führungspositionen vollzieht. Mit einer entsprechenden Gesetzgebung verlangt die Politik der Gesellschaft eine Änderungsbereitschaft ab, die sie sich selbst jedoch bislang nicht oder nur rudimentär zumutet. Indes zeigt die aktuelle Diskussion um die Einführung der gesetzlichen Parität in den Parlamenten,76 dass auch 76 Inklusives Parité-Gesetz – (Drittes Gesetz zur Änderung des Brandenburgischen Landeswahlgesetzes) vom 12. Februar 2019 (GVBl. Brandenburg vom 12. Februar 2019, Teil I, S. 1 f.); BT-Drs. 19/7487 vom 1. Februar 2019, Antwort der Bundesregie-

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die Volksvertretungen sich im Sinne eines modernen Arbeitsumfeldes für die Abgeordneten an die gesellschaftlichen Gegebenheiten des 21. Jahrhunderts werden anpassen müssen. Als Baustein, um diese Entwicklung, die die Politik im Übrigen maßgeblich befördert hat, auch für die Parlamente selbst nachzuvollziehen, bietet sich die Einführung von Mutterschutz und Elternzeit für Abgeordnete an. Die vorliegende Ausarbeitung möchte einen entsprechenden Diskussionsprozess anstoßen und zugleich als Grundlage dazu dienen, die sich im Entscheidungsprozess ergebenden Fragen in einen verfassungsrechtlichen und rechtspolitischen Kontext einzuordnen.

rung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Willkomm, Bauer, Thomae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP – Drucksache 19/7059; Bayerischer Landtag, Plenarprotokoll 18/8 vom 5. Februar 2019, S. 479 ff.; Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg, Plenarprotokoll 21/94 vom 27. Februar 2019, S. 7221 ff.; Niedersächsischer Landtag, 18. Wahlperiode, Stenographischer Bericht der 44. Sitzung vom 27. März 2019, S. 3987 ff.; vgl. unten im vierten Teil, drittes Kapitel, A., S. 408 f.

Erster Teil

Ausgangslage Abgeordnete als Eltern kamen bis vor wenigen Jahrzehnten fast ausschließlich als Väter oder als Mütter bereits älterer und somit selbständiger Kinder vor. Noch im Jahr 1970 gab es im Deutschen Bundestag keine einzige weibliche Abgeordnete unter 40 Jahren.1 Vor dem Hintergrund der biologisch begrenzten Zeitspanne der Gebärfähigkeit der Frau dürfte die Wahrscheinlichkeit, dort auf viele weibliche Abgeordnete mit kleinen Kindern zu treffen, gering gewesen sein. Auch gegenwärtig sind Abgeordnete mit kleinen Kindern weit in der Minderzahl. Gleichwohl gibt es sie: Abgeordnete, die während der laufenden Legislaturperiode Eltern werden; manche von ihnen sogar im gleichzeitig ausgeübten Ministeramt, wie das Beispiel der ehemaligen Bundesfamilienministerin Kristina Schröder zeigt. Wie in solchen Fällen mit den Wechselwirkungen zwischen der Schwangerschaft bzw. der Betreuung eines neugeborenen Kindes und dem Parlamentsmandat verfahren wird, ist in Deutschland nicht einheitlich geregelt. Der Deutsche Bundestag hat in § 14 seines Abgeordnetengesetzes (AbgG Bund)2 eine Art Mutterschutzregelung fixiert, deren Wortlaut darauf hindeutet, dass der Gesetzgeber eine Geltung des Mutterschutzgesetzes für Abgeordnete zugrunde legt. Ähnliche Regelungen finden sich in wenigen Länderparlamenten. In der Mehrzahl der Landtage bestehen hingegen weder Regelungen zum Mutterschutz noch zur Elternzeit. Als Grundlage weiterer Überlegungen werden daher zunächst die derzeit in den deutschen Volksvertretungen geltenden Mutterschutz- und Elternzeitregelungen dargestellt. Im weiteren Verlauf soll geprüft werden, ob es – unabhängig von der in den einzelnen Parlamenten geübten Praxis – de lege lata bereits bundeseinheitliche Mutterschutz- und bzw. oder Elternzeitregelungen für Abgeordnete gibt. Die Erörterung dieser Frage setzt indes die Kenntnis der Rechtsnatur des Abgeordnetenverhältnisses voraus. Die Kernmerkmale der parlamentarischen Tätig1 Internetauftritt des Deutschen Bundestages, Dokumente, http://www.bundestag.de/ dokumente/textarchiv/2010/30648360_familie_mandat/202324, zuletzt aufgerufen am 12. Dezember 2019. 2 Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Deutschen Bundestages (Abgeordnetengesetz – AbgG) vom 18. Februar 1977 in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. Februar 1996 (BGBl. I 1996, S. 326), zuletzt geändert durch Art. 12 des Gesetzes vom 5. Januar 2017 (BGBl. I 2017, S. 17).

1. Kap.: Regelungen zu Mutterschutz und Elternzeit in deutschen Parlamenten

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keit werden darüber hinaus auch im weiteren Verlauf für die Einordnung der gegebenenfalls de lege ferenda zu entwickelnden Mutterschutz- und Elternzeitmodelle Relevanz entfalten. Dementsprechend befasst sich das zweite Kapitel dieses ersten Teils mit der rechtlichen Verortung des Abgeordnetenstatus. Im Anschluss daran leitet ein Blick auf die Entwicklung und den persönlichen Geltungsbereich der allgemeinen Mutterschutz- und Elternzeitregelungen zu der entscheidenden Frage über, ob die geltenden Normen auf Parlamentarierinnen und Parlamentarier Anwendung finden. Zum Abschluss dieses ersten Teils werden die Auswirkungen der geltenden Rechtslage auf die Parlamente, die einzelnen Abgeordneten und die Gesellschaft beleuchtet. Erstes Kapitel

Aktuelle Regelungen zu Mutterschutz und Elternzeit in deutschen Parlamenten Als Ausgangspunkt weiterer Überlegungen wird zunächst dargestellt, ob es im Deutschen Bundestag und bzw. oder in den Länderparlamenten Regelungen gibt, die Abgeordneten eine Art Mutterschutz oder Elternzeit gewähren. Soweit keine schriftlichen Regelungen existieren, wird aufgezeigt, ob es immerhin ungeschriebene Regeln im Sinne einer parlamentarischen Praxis gibt, nach denen in Fällen der Schwangerschaft oder der Geburt von Kindern Abgeordneter verfahren wird.

A. Deutscher Bundestag I. Mutterschutz Eine ausdrückliche gesetzliche Mutterschutzregelung eigens für die Mitglieder des Deutschen Bundestages, in der die Voraussetzungen, der Schutzumfang und die Dauer der Schutzfristen geregelt wären, existiert nicht. Gleichwohl nehmen Bundestagsabgeordnete in unterschiedlichem Umfang eine Art Mutterschutz nicht näher spezifizierter Art in Anspruch. Der Deutsche Bundestag selbst verweist zur Frage des Mutterschutzes für Abgeordnete auf § 14 AbgG Bund.3 Tatsächlich kann aus dieser Vorschrift zumindest hergeleitet werden, dass der Bundestag grundsätzlich vom Bestehen mutterschutzrechtlicher Regeln für seine Mitglieder ausgeht. Das vom Bund gewählte, recht versteckte Konstrukt des aus § 14 Abs. 1 Satz 6 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 2 AbgG Bund abgeleiteten Mutterschutzes bedarf der kurzen Erläuterung: Nach § 12 Abs. 1 AbgG Bund erhalten die Bundestagsabgeordneten neben der Abgeordnetenentschädigung eine Amtsausstattung, die nach § 12 Abs. 2 AbgG 3 Schriftliche Auskunft des Deutschen Bundestages vom 31. Januar 2018, S. 1, siehe Anlage.

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1. Teil: Ausgangslage

Bund unter anderem eine monatliche Kostenpauschale für den Ausgleich von Bürokosten für Wahlkreisbüros, für Mehraufwendungen in Berlin und auf Reisen, für Fahrtkosten in Ausübung des Mandates und für sonstige mandatsbedingte Kosten beinhaltet. Diese Kostenpauschale wird nach § 14 Abs. 1 AbgG Bund gekürzt, wenn ein Mitglied des Bundestages seine Anwesenheit an einem Sitzungstag nicht nachgewiesen hat. Eine Kürzung erfolgt nach § 14 Abs. 2 AbgG Bund auch dann, wenn ein Mitglied des Bundestages an einer namentlichen Abstimmung oder einer Wahl nicht teilnimmt. Eine Ausnahme von beiden Kürzungsregeln gilt nach § 14 Abs. 1 Satz 6 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 2 AbgG Bund aber „während der Mutterschutzfristen infolge Schwangerschaft oder wenn ein Mitglied des Bundestages ein ärztlich nachgewiesen erkranktes, in seinem Haushalt lebendes Kind, das das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, mangels anderer im Haushalt dafür zur Verfügung stehender Aufsichtspersonen persönlich betreuen muss“. Offenbar leitet der Deutsche Bundestag aus dieser Ausnahme von der Kürzung der Kostenpauschale „während der Mutterschutzfristen infolge Schwangerschaft“ einen Mutterschutz für seine Mitglieder ab. Dieses Verfahren wirft indes Fragen auf. Zum einen ist unklar, ob § 14 AbgG Bund für den Mutterschutz konstitutiv sein soll oder ob er lediglich auf bereits bestehende, anderweitig normierte Mutterschutzregeln – diesbezüglich kommt insbesondere das Mutterschutzgesetz4 in Betracht – verweisen will. Fraglich ist also, ob die Norm selbst den Rechtsanspruch auf Mutterschutz darstellen soll oder ob das AbgG Bund von einer grundsätzlichen Geltung des Mutterschutzgesetzes ausgeht, so dass § 14 AbgG Bund lediglich eine zusätzliche Sonderregelung bezüglich der Erhaltung der den Abgeordneten gewährten Kostenpauschale darstellte. Systematisch und vom Regelungsgehalt her wäre eine konstitutive Regelung in § 14 AbgG als Grundlage eines Mutterschutzanspruches ungewöhnlich; zudem geht der Umfang des Mutterschutzes hieraus nicht hervor. Daraus ergibt sich eine zweite Unklarheit: Aus dem Wortlaut des § 14 Abs. 1 Satz 6 AbgG Bund wird nicht ersichtlich, was genau mit der Formulierung „während der Mutterschutzfristen infolge Schwangerschaft“ gemeint ist. Demzufolge ist unklar, wie diese „Mutterschutzfristen“ bemessen sein sollen. Das Gesetz selbst gibt keinerlei Hinweise auf Dauer oder Inhalt von Mutterschutzfristen. Auch eine Bezugnahme auf das Mutterschutzgesetz oder andere Regelungen fehlt. Wenn aber das Fernbleiben von Sitzungen und Abstimmungen während einer „Mutterschutzfrist“ nach § 14 AbgG Bund eine Rechtsfolge auslöst – nämlich den Erhalt der Kostenpauschale (im Gegensatz zur eigentlich erfolgenden Kürzung) – so ist davon auszugehen, dass die Bundestagsverwaltung für alle betref4 Gesetz zum Schutz von Müttern bei der Arbeit, in der Ausbildung und im Studium (Mutterschutzgesetz – MuSchG) vom 23. Mai 2017 (BGBl. I 2017, S. 1228).

1. Kap.: Regelungen zu Mutterschutz und Elternzeit in deutschen Parlamenten

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fenden Abgeordneten einheitliche Mutterschutzfristen zugrunde legt. Es stellt sich daher die Frage, welche dies sind. Eine genetische Auslegung des Abgeordnetengesetzes bringt diesbezüglich keine Erkenntnisse: Mit dem dreiundzwanzigsten Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes vom 10. November 20015 führte der Deutsche Bundestag quasi en passant die oben genannte Mutterschutzregelung für Abgeordnete sowie die Betreuungsregelung für Abgeordnete mit pflegebedürftigen kranken Kindern ein. Vorrangig befasste sich die Gesetzesänderung mit der Umstellung der in dem Gesetz aufgeführten Beträge von Deutscher Mark in Euro; darüber hinaus wurde der hier gegenständliche Passus zum Erhalt der Kostenpauschale in den bereits bestehenden § 14 eingefügt. Erstaunlicherweise enthalten weder der Gesetzentwurf6 noch die verabschiedete Gesetzesfassung eine Begründung für diese Neuerung; die Gesetzesergänzung wird im Begründungsteil lediglich ohne jegliche Erläuterung erwähnt. Gleiches gilt für die Beschlussempfehlung des zuständigen Ausschusses; auch hier wird die Änderung ohne Erklärung lediglich in einem Halbsatz angesprochen. Dort heißt es schlicht: „Die Beträge zur Kürzung der Kostenpauschale nach den §§ 14 und 15 AbgG sollen zudem auch angesichts der Entwicklung der Kostenpauschale erhöht werden, wobei eine Kürzung in Zukunft für Abgeordnete entfallen soll, die während einer Mutterschutzfrist oder der erforderlichen Betreuung eines erkrankten Kindes unter 14 Jahren nicht an den Sitzungen des Deutschen Bundestages teilnehmen können.“ 7

Im Deutschen Bundestag wurde zu dem Gesetzentwurf weder in erster, noch in zweiter oder dritter Lesung gesprochen.8 Auch im Bundesrat wurde er ohne jegliche Debatte gemeinsam mit mehreren weiteren Tagesordnungspunkten und sogar ohne Erwähnung des Gesetzestitels beschlossen.9 Aus der Genese des Änderungsgesetzes ist demnach nicht ersichtlich, warum die Änderung zum Mutterschutz und zur Wahrnehmung elterlicher Aufgaben in das Gesetz eingefügt wurde und ob im Vorfeld eine Debatte dazu stattgefunden hat. Immerhin zeigt der Umstand, dass der Antrag von den Fraktionen aller zum damaligen Zeitpunkt im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien gestellt wurde, dass man sich in der Zielsetzung offenbar einig war. Angesichts des Fehlens jeglicher öffentlichen Debatte und angesichts des deutlichen Übergewichts der währungsrechtlichen Regelungen in der Gesetzesbegründung ist der Entstehungsgeschichte des Gesetzes jedoch kein Hinweis auf eine bestimmte Dauer der Mutterschutzfrist zu entnehmen. 5

BGBl. I 2001, S. 2990. Gesetzentwurf der Fraktionen SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen, F.D.P. und PDS vom 19. Juni 2001, BT-Drs. 14/6311. 7 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (1. Ausschuss) vom 29. Juni 2001, BT-Drs. 14/6507, S. 3. 8 1. Beratung: BT-Plenarprotokoll 14/176, S. 17259B; 2. Beratung: BT-Plenarprotokoll 14/182, S. 17921C–17921D; 3. Beratung: BT-Plenarprotokoll 14/182, S. 17921D. 9 BR-Plenarprotokoll 767, S. 461D–462A. 6

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1. Teil: Ausgangslage

Eine grammatikalische Auslegung der Formulierung „während der Mutterschutzfristen“ deutet darauf hin, dass der Gesetzgeber vom Bestehen von Mutterschutzfristen ausgeht, auf die er sich in § 14 Abs. 1 Satz 6 AbgG Bund lediglich bezieht. Eine Einordnung in die Systematik mutterschutzrechtlicher Regelungen zeigt, dass es im Kern nur ein Gesetz gibt, das den Mutterschutz für die große Mehrzahl aller Frauen regelt, und zwar das Mutterschutzgesetz. Für Beamtinnen, Richterinnen und Soldatinnen, die vom persönlichen Anwendungsbereich des Mutterschutzgesetzes ausgenommen sind, bestehen Spezialvorschriften, die auf das Mutterschutzgesetz verweisen.10 Es besteht daher eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass der Bundesgesetzgeber sich in § 14 Abs. 1 Satz 6 AbgG Bund auf die Mutterschutzfristen nach dem Mutterschutzgesetz bezieht. Dies zugrunde gelegt, verwundert allerdings die Wendung „infolge Schwangerschaft“. Denn Mutterschutzfristen nach dem Mutterschutzgesetz gehen zwangsläufig mit einer Schwangerschaft einher. Das Mutterschutzgesetz spricht insofern auch nicht von „Mutterschutzfristen infolge Schwangerschaft“, sondern unterscheidet in Schutzfristen vor und nach der Entbindung. Geht man davon aus, dass der Gesetzgeber im Sinne der Gesetzesklarheit vorgegangen ist und den Zusatz „infolge Schwangerschaft“ bewusst gewählt hat, so würde dies darauf hindeuten, dass hiermit nur der vorgeburtliche Mutterschutz nach dem Mutterschutzgesetz gemeint ist. Die nachgeburtliche Schutzfrist beruht nämlich nicht mehr unmittelbar, sondern nur noch mittelbar auf der Schwangerschaft; unmittelbar beruht sie auf dem entscheidend situationsändernden Ereignis der Geburt. Ihr Ziel ist nach § 1 Abs. 1 MuSchG der Schutz der Gesundheit der (nun nicht mehr schwangeren) Frau und ihres neugeborenen Kindes. Eine Analyse der im Internet publizierten Parlamentspraxis zeigt indes, dass der Deutsche Bundestag offenbar auch nachgeburtlichen Mutterschutz gewährt: Auf der Seite der Initiative „Eltern in der Politik“, die von einer interfraktionellen Gruppe von Bundestagsabgeordneten mit kleinen Kindern betrieben wird, heißt es, weibliche Abgeordnete müssten „nach Ende des Mutterschutzes, in der Regel acht Wochen nach der Geburt, wieder voll einsteigen“.11 Dementsprechend kann wohl davon ausgegangen werden, dass die Formulierung „infolge Schwangerschaft“ in § 14 Abs. 1 Satz 6 AbgG Bund keine Beschränkung des Mutterschutzes auf die Zeit der Schwangerschaft beinhaltet. Vielmehr ist nach der gelebten Parlamentspraxis zu vermuten, dass sie keine eigenständige Bedeutung hat und somit überflüssig ist.

10 Vgl. für Bundesbeamtinnen und -beamte: Verordnung über den Mutterschutz für Beamtinnen und Beamte des Bundes und die Elternzeit für Beamtinnen und Beamte des Bundes (Mutterschutz- und Elternzeitverordnung – MuSchEltZV) vom 12. Februar 2009 (BGBl. I 2009, S. 320), zuletzt geändert durch Art. 1 der Verordnung vom 9. Februar 2018 (BGBl. I 2018), S. 198. 11 http://www.eltern-in-der-politik.de, zuletzt aufgerufen am 12. Dezember 2019.

1. Kap.: Regelungen zu Mutterschutz und Elternzeit in deutschen Parlamenten

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Über § 14 AbgG Bund hinaus existieren keine mutterschutzrechtlichen Regelungen für Mitglieder des Deutschen Bundestages.12 Dementsprechend gibt es keine Bezugnahme auf die weiteren Schutzvorschriften des Mutterschutzgesetzes wie Ruhezeiten, Verbot der Arbeit zu bestimmten Zeiten oder in einem bestimmten Umfang, Verbot der Sonntags- und Feiertagsarbeit, Freistellung für Untersuchungen und zum Stillen und dergleichen. Ferner bleibt unklar, ob es sich bei der nachgeburtlichen Schutzpflicht auch im Rahmen des Abgeordnetenverhältnisses um eine absolute Schutzpflicht – wie in § 3 Abs. 2 MuSchG normiert – handelt oder ob die Abgeordnete freiwillig auch innerhalb der ersten acht Wochen nach der Geburt eines Kindes ihrem Mandat nachgehen kann. Festzustellen ist in diesem Zusammenhang, dass sich die Mutterschutzregelung des § 14 AbgG Bund ohnehin nur auf die Teilnahme an Sitzungen, namentlichen Abstimmungen und Wahlen des Deutschen Bundestages bezieht. Die vorparlamentarische Arbeit der Abgeordneten im Wahlkreis, in Arbeitskreisen, im Kontakt mit Presse und Öffentlichkeit, Verbänden und Interessensgruppen wird hiervon nicht umfasst. Hinsichtlich der finanziellen Ansprüche der die Mutterschutzregelung wahrnehmenden Abgeordneten ist davon auszugehen, dass ihnen die bislang gewährten Leistungen nach dem Abgeordnetengesetz auch während der Inanspruchnahme von Mutterschutz zustehen. Insofern wird erneut auf den Kontext der Mutterschutzregelung im vierten Abschnitt „Leistungen an Mitglieder des Bundestages“ Bezug genommen: Wenn gemäß § 14 Abs. 1 AbgG Bund sogar die Kostenpauschale, die grundsätzlich im Falle der Abwesenheit an Sitzungstagen gekürzt wird, während der Mutterschutzfristen weiterhin gezahlt wird, so ist anzunehmen, dass dies erst recht für die den Bundestagsabgeordneten darüber hinaus zustehenden Leistungen, insbesondere für die Abgeordnetenentschädigung, gilt. Insgesamt ist anhand offen zugänglicher Materialien nicht zu klären, ob das Abgeordnetengesetz von einer Erstreckung des Anwendungsbereiches des Mutterschutzgesetzes auch auf Bundestagsabgeordnete ausgeht oder ob den Mitgliedern des Bundestages durch das Abgeordnetengesetz selbst Mutterschutzfristen gewährt werden, die zeitlich an § 3 MuSchG angelehnt sind. Sollte die letztgenannte Variante zutreffen, so ist darüber hinaus auch der Inhalt und die konkrete Ausgestaltung des Mutterschutzes unklar. Faktisch wird den Bundestagsmitgliedern jedenfalls während an § 3 MuSchG angelehnter Fristen gestattet, den Sitzungen des Deutschen Bundestages fernzubleiben, ohne dass dies mit einer Kürzung der Kostenpauschale sanktioniert würde. 12 Die schriftliche Auskunft des Deutschen Bundestages vom 31. Januar 2018 siehe Anlage, verweist zur Frage des Mutterschutzes ausschließlich auf § 14 AbgG; darüber hinaus sind offiziellen Quellen keine weiteren Mutterschutzregelungen für Abgeordnete zu entnehmen.

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1. Teil: Ausgangslage

II. Elternzeit Eine Elternzeitregelung für Mitglieder des Deutschen Bundestages besteht nicht.13

B. Baden-Württemberg I. Mutterschutz Der Landtag von Baden-Württemberg hat im Jahr 2014 eine untergesetzliche Mutterschutzregelung in seiner Geschäftsordnung verankert, die eine Befreiung von der Teilnahmepflicht an Plenar- und Ausschusssitzungen vorsieht.14 Grundsätzlich unterliegen die Mitglieder des Landtages von Baden-Württemberg nach § 7 Abs. 1 Satz 1 des Baden-Württembergischen Abgeordnetengesetzes15 (AbgG BaWü) bei bestimmten Sitzungen der Anwesenheitspflicht. Ausnahmen hiervon regelt die Geschäftsordnung. Nach § 75 Abs. 1 Satz 1 und 2 der Geschäftsordnung des Landtages von Baden-Württemberg16 (GO LT BaWü) kann der Präsident für die Dauer von bis zu vier Wochen von der Teilnahmepflicht befreien; über längere Befreiungen entscheidet das Präsidium. Die neu eingefügte Mutterschutzregelung findet sich im nachfolgenden Absatz 2. Sie lautete zunächst: „Beantragt eine Abgeordnete innerhalb der gesetzlichen Mutterschutzfristen Urlaub, ist dieser vom Präsidenten zu gewähren.“

Zwischenzeitlich wurde eine sprachliche Anpassung vorgenommen: Vor dem Hintergrund der Überlegung, dass es sich bei der Befreiung von der Teilnahmepflicht zum Zwecke des Mutterschutzes nicht um Urlaub im Sinne von Erholungsurlaub handelt, wurde die aktuell geltende Fassung des § 75 Abs. 2 GO LT BaWü wie folgt formuliert:17 „Einem Antrag einer Abgeordneten auf Befreiung von der Teilnahmepflicht innerhalb der gesetzlichen Mutterschutzfristen ist vom Präsidenten stattzugeben.“

Auch die baden-württembergische Regelung definiert keine eigenen Mutterschutzfristen. Vielmehr bezieht sie sich auf „die gesetzlichen Mutterschutzfristen“ ohne ein konkretes Gesetz zu benennen. Damit ist die Norm indes klarer als 13 Schriftliche Auskunft des Deutschen Bundestages vom 31. Januar 2018, S. 1, siehe Anlage. 14 Bekanntmachung über die Änderung der Geschäftsordnung des 15. Landtages von Baden-Württemberg vom 28. November 2014 (GBl. Baden-Württemberg 2014, S. 794). 15 Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Landtags (Abgeordnetengesetz) vom 12. September 1978 (GBl. Baden-Württemberg 1978, S. 473), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22. Februar 2017 (GBl. Baden-Württemberg 2017, S. 77). 16 Geschäftsordnung des Landtags von Baden-Württemberg in der Fassung vom 1. Juni 1989 (GBl. Baden-Württemberg 1989, S. 250), zuletzt geändert durch Beschluss vom 9. März 2017 (GBl. Baden-Württemberg 2017, S. 174). 17 Beschlussempfehlung und Bericht des Präsidiums des Landtages von Baden-Württemberg, LT-Drs. 16/1641.

1. Kap.: Regelungen zu Mutterschutz und Elternzeit in deutschen Parlamenten

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die für die Bundestagsabgeordneten geltende Regelung des § 14 AbgG Bund. Denn während Letztere sich lediglich auf vage „Mutterschutzfristen infolge Schwangerschaft“ bezieht, spricht § 75 Abs. 2 GO LT BaWü zumindest von „gesetzlichen Mutterschutzfristen“. Da derzeit nur ein einziges Gesetz Mutterschutzfristen festlegt – nämlich das Mutterschutzgesetz – ist im Sinne einer grammatikalisch-systematischen Auslegung davon auszugehen, dass die badenwürttembergische Vorschrift sich auf die Mutterschutzfristen nach dem Mutterschutzgesetz bezieht. Zwar handelt es sich bei der Befreiung aus Mutterschutzgründen um eine obligatorische Regelung („einem Antrag (. . .) ist vom Präsidenten stattzugeben“). Im Unterschied zum Mutterschutz nach dem Mutterschutzgesetz wird der entsprechende Schutz für baden-württembergische Landtagsabgeordnete jedoch nur auf Antrag gewährt. Dies gilt auch für den nachgeburtlichen Mutterschutz. Insoweit besteht ein immenser Unterschied zur nachgeburtlichen Schutzfrist des § 3 Abs. 2 MuSchG: Bei Letzterer handelt es sich nach dem klaren Wortlaut um eine absolute Schutzfrist. Das bedeutet, dass die Frau auch dann nicht während der Schutzfrist beschäftigt werden darf, wenn sie es ausdrücklich wünscht. Ein derartiger Schutz besteht für baden-württembergische Landtagsabgeordnete hingegen nicht: Sofern sie keinen entsprechenden Antrag stellen, besteht für sie unmittelbar nach der Geburt Anwesenheitspflicht. Die Mutterschutzregelung geht allerdings nicht mit einem Verzicht auf die Kürzung der Kostenpauschale einher. Zwar enthält § 7 Abs. 4 AbgG BaWü Fälle, in denen der Abzug trotz Fehlens nicht vorgenommen wird. Anders als noch im Rahmen der Plenardebatte zur Änderung der Geschäftsordnung angenommen,18 gehört die Regelung des § 75 Abs. 2 GO LT BaWü jedoch de lege lata nicht dazu. Die Kostenpauschale wird also auch dann gekürzt, wenn die Abgeordnete zum Zwecke des Mutterschutzes durch die Präsidentin bzw. den Präsidenten von der Sitzungsteilnahme befreit wurde. Angesichts der Tatsache, dass das AbgG BaWü auch deutlich nach der Einführung der Mutterschutz- und Elternzeitregelungen noch Änderungen erfuhr,19 die die Letztere nicht bei der Kürzung der Kostenpauschale berücksichtigten, ist davon auszugehen, dass eine andere Rechtslage derzeit nicht gewollt ist. II. Elternzeitregelung: „Familienzeit“ Gleichzeitig mit der Einführung der Mutterschutzregelung verankerte der Landtag von Baden-Württemberg in § 75 Abs. 3 seiner Geschäftsordnung auch eine dort als Familienzeit bezeichnete Regelung. Der neue Passus lautete zunächst: 18 Redebeitrag des Abgeordneten Schebesta (CDU), Landtag von Baden-Württemberg, Plenarprotokoll 15/113 vom 26. November 2014, S. 6808. 19 Zuletzt wurde das AbgG BaWü durch Gesetz vom 22. Februar 2017 (GBl. BadenWürttemberg 2017, S. 77) geändert.

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1. Teil: Ausgangslage „Zum Zwecke der Kinderbetreuung kann der Präsident Abgeordnete auf Antrag für längstens sechs Monate nach der Geburt des Kindes für die Plenar- und Ausschusssitzungen beurlauben.“

Nach einer sprachlichen Anpassung, die ebenfalls vom Begriff des Urlaubs Abschied nimmt, lautet die Regelung nunmehr:20 „Zum Zwecke der Kinderbetreuung kann der Präsident Abgeordnete auf Antrag für längstens sechs Monate nach der Geburt des Kindes von der Teilnahmepflicht an Plenar- und Ausschusssitzungen befreien.“

Bei dieser Regelung handelt es sich mithin im Gegensatz zu der Mutterschutzregel um eine Kann-Vorschrift; die Genehmigung eines entsprechenden Antrages steht im Ermessen des Landtagspräsidenten. Die Abgeordnetenentschädigung wird bei Inanspruchnahme der Befreiung weiterhin gewährt.21 Auf die Kürzung der Aufwandspauschale verzichtet das AbgG BaWü indes – wie auch bei der Befreiung zum Zwecke des Mutterschutzes – nicht. III. Ausgleich des Fehlens aus Gründen des Mutterschutzes/der Familienzeit: Pairing Im Zusammenhang mit der Neufassung des § 75 GO LT BaWü befassten sich die Fraktions- und Arbeitskreisvorsitzenden im Landtag von Baden-Württemberg mit der Problematik, dass das mutterschutz- oder familienzeitbedingte Fehlen von Abgeordneten zu einer Verschiebung der Mehrheitsverhältnisse im Parlament führen kann. Sie trafen daher eine Pairing-Regelung folgenden Inhalts, die in einer Protokollnotiz niedergelegt wurde: „Vereinbarkeit von Familie und Mandat Die Fraktionsvorsitzenden stimmen überein, ihre Mitglieder sollten unter Berücksichtigung der freien Ausübung des Mandats dafür Sorge tragen, dass sich durch die Inanspruchnahme der neu zu regelnden Möglichkeiten auf Urlaub innerhalb der gesetzlichen Mutterschutzfristen und für längstens sechs Monate nach der Geburt des Kindes die Mehrheitsverhältnisse nicht ändern und entsprechend Pairing vorgenommen wird.“ 22

Unter Pairing versteht man eine rechtlich unverbindliche Vereinbarung zwischen einer regierungstragenden Fraktion und einer Oppositionsfraktion in einem Parlament, die insbesondere bei knappen Mehrheitsverhältnissen Relevanz entfal20 Vgl. dazu Beschlussempfehlung und Bericht des Präsidiums des Landtages von Baden-Württemberg, LT-Drs. 16/1641. 21 Kritik hieran: Redebeitrag des Abgeordneten Dr. Kern (FDP/DVP), Landtag von Baden-Württemberg, Plenarprotokoll 15/113 vom 26. November 2014, S. 6809; Redebeitrag des Abgeordneten Dr. Bullinger (FDP/DVP), Landtag von Baden-Württemberg, Plenarprotokoll 15/113 vom 26. November 2014, S. 6810. 22 Landtag von Baden-Württemberg, Drs. 15/5505, Beschlussempfehlung und Bericht des Ständigen Ausschusses vom 17. bzw. 24. Juli 2014, S. 2.

1. Kap.: Regelungen zu Mutterschutz und Elternzeit in deutschen Parlamenten

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tet.23 Ziel des Pairings ist es, die durch die Wahl vorgegebenen – und durch nachfolgende Koalitionsbildung konkretisierten – Mehrheitsverhältnisse auch dann zu wahren, wenn ein Parlamentsmitglied aus bestimmten Gründen fehlt.24 Das Pairing kann für einzelne Abstimmungen oder für einen längeren Zeitraum vereinbart werden und ist in vielen deutschen Parlamenten regelmäßiger parlamentarischer Brauch. In der Pairingvereinbarung wird festgelegt, dass ein Mitglied einer Fraktion der einen Seite des Parlaments als Ausgleich für das Fehlen eines Parlamentsmitglieds der anderen Seite nicht an einer oder mehreren Abstimmungen teilnimmt.25 Theoretisch ist eine derartige Regelung auch andersherum möglich – also indem ein Mitglied einer regierungstragenden Fraktion als Ausgleich für ein fehlendes Parlamentsmitglied einer Oppositionsfraktion nicht an der Abstimmung teilnimmt. Da die Oppositionsfraktionen jedoch – von Ausnahmefällen abgesehen – in der Regel nicht über eine Abstimmungsmehrheit verfügen, ist ein Pairing für ein fehlendes Oppositionsmitglied regelmäßig nicht erforderlich. Dementsprechend gehen Pairingabkommen auf den ersten Blick meist zu Lasten der beteiligten Oppositionsfraktion. Es handelt sich beim Pairing jedoch zum einen um ein Gebot der Fairness, mit dem sich die verzichtende Fraktion öffentlich als besonders entgegenkommend darstellen und zudem zum Ausdruck bringen kann, dass ihr besonders an der Wahrung des Wählerwillens gelegen ist.26 Zum anderen ist die Pairingzusage in der Regel mit einem (aktuellen oder erwarteten) Entgegenkommen der begünstigten (meist Regierungs-)Fraktion auf anderem Gebiet (beispielsweise bei der Reihung der Tagesordnungspunkte, der Zustimmung zu Anträgen usw.) verbunden. Eine Pairingvereinbarung, die sich – wie hier gegenständlich – auf eine Mutterschutz- oder Familienzeitregelung bezieht, lässt zudem nach außen hin die besondere Familienfreundlichkeit der beteiligten Fraktionen erkennen. Eine rechtliche Bindungswirkung entfaltet sie indes nicht. IV. Folgen der Regelung Die baden-württembergischen Mutterschutz- und Familienzeitregelungen sind rein deklaratorisch:27 Zwar wird schwangeren und jüngst Eltern gewordenen Abgeordneten eine Teilnahmebefreiung aus Gründen des Mutterschutzes oder zum Zwecke der Kinderbetreuung gewährt. Rechtliche Folgen sind hieran jedoch nicht geknüpft. Auch bei einer durch den Landtagspräsidenten erteilten Befreiung von der Teilnahmepflicht nach § 75 Abs. 2 und bzw. oder Abs. 3 GO LT

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Ausführlich zum Pairing siehe unten im dritten Teil, zweites Kapitel, D., S. 355 ff. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 38, Rn. 210. 25 Versteyl, in: Schneider/Zeh, § 14, Rn. 38; ähnlich Klein/Krings, in: Morlok/ Schliesky/Wiefelspütz, § 17, Rn. 68. 26 Butzer/Henkenötter, in: ZG 1995, 328, 332. 27 Landtag von Baden-Württemberg, Drs. 15/5505, Beschlussempfehlung und Bericht des Ständigen Ausschusses vom 17. bzw. 24. Juli 2014, S. 4. 24

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1. Teil: Ausgangslage

BaWü wird nicht auf die Kürzung der Kostenpauschale nach § 7 Abs. 1 bis 3 AbgG BaWü verzichtet. Insofern wird die nach § 75 Abs. 2 und 3 GO LT BaWü genehmigte Abwesenheit nicht anders behandelt als eine Abwesenheit ohne jegliche Begründung. Auch andere rechtliche Vorteile der Regelung sind nicht ersichtlich. Es stellt sich daher die Frage, warum ein betreffendes Landtagsmitglied überhaupt einen Antrag im Sinne von § 75 Abs. 2 und bzw. oder 3 GO LT BaWü stellen sollte. Der Grund hierfür liegt eindeutig im politischen Bereich: In Zeiten knapper Mehrheitsverhältnisse erhalten die betreffenden Abgeordneten durch die an die Befreiung nach § 75 Abs. 2 und 3 GO LT BaWü geknüpfte Pairing-Regelung politisch die Möglichkeit, einer Abstimmung fernzubleiben, ohne dadurch den Verlust der Abstimmungsmehrheit zu riskieren.28 Dadurch wird insbesondere den Abgeordneten der Parlamentsmehrheit der Druck der eigenen Fraktion (bzw. der des Koalitionspartners) genommen, jederzeit im Landtag anwesend sein zu müssen, um auch bei unvorhergesehenen Abstimmungen stets die Mehrheit zu sichern. Darüber hinaus gewährt die Teilnahmebefreiung auch eine grundsätzliche politische Rechtfertigung gegenüber der Öffentlichkeit und der eigenen Partei: Durch die präsidentiell genehmigte Absenz dürfte die Legitimation, sich für einen begrenzten Zeitraum ausschließlich um die Schwangerschaft und das Neugeborene zu kümmern, erheblich steigen. Auch dem Landtag von Baden-Württemberg ging es mit den getroffenen Regelungen in erster Linie darum, ein politisches Signal für eine Vereinbarkeit von Familie und Mandat zu setzen.29 Erwartungsgemäß löste die Änderung der Geschäftsordnung ein zwar kurzes, aber reges Presseecho aus.30 Bereits in der Bera28 Ähnlich der Redebeitrag der Abgeordneten Graner (SPD), Landtag von BadenWürttemberg, Plenarprotokoll 15/113 vom 26. November 2014, S. 6807 sowie der Redebeitrag des Abgeordneten Dr. Schmidt-Eisenlohr (Grüne), Landtag von Baden-Württemberg, Plenarprotokoll 15/113 vom 26. November 2014, S. 6809. 29 Redebeitrag der Abgeordneten Graner (SPD), Landtag von Baden-Württemberg, Plenarprotokoll 15/113 vom 26. November 2014, S. 6807; Redebeitrag des Abgeordneten Schebesta (CDU), Landtag von Baden-Württemberg, Plenarprotokoll 15/113 vom 26. November 2014, S. 6808; Landtag von Baden-Württemberg, Drs. 15/5505, Beschlussempfehlung und Bericht des Ständigen Ausschusses vom 17. bzw. 24. Juli 2014, S. 2 und 4. 30 Exemplarisch: „Kinderzimmer statt Plenarsaal möglich“, in: Online-Ausgabe der Stuttgarter Nachrichten vom 17. Juli 2014, https://www.stuttgarter-nachrichten.de/in halt.elternzeit-fuer-abgeordnete-kinderzimmer-statt-plenarsaal-moeglich.295ae678-eb7d4910-87fe-d993d8796477.html, zuletzt aufgerufen am 12. Dezember 2019; „Politiker aus allen Fraktionen fordern Elternzeit“, in: Online-Ausgabe der WELT vom 25. November 2014, https://www.welt.de/politik/deutschland/article134721573/Politiker-ausallen-Fraktionen-fordern-Elternzeit.html, zuletzt aufgerufen am 12. Dezember 2019; „Elternzeit für Abgeordnete im Landtag – bei vollen Diäten“, in: Online-Ausgabe der Badischen Zeitung vom 27. November 2014, https://www.badische-zeitung.de/sued west-1/elternzeit-fuer-abgeordnete-im-landtag-bei-vollen-diaeten–95371352.html, zu-

1. Kap.: Regelungen zu Mutterschutz und Elternzeit in deutschen Parlamenten

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tung des Ständigen Ausschusses zu diesem Thema hatte die Erstunterzeichnerin des Antrages klargestellt, dass die Regelungen rein deklaratorisch seien; Abgeordnete dürften ohnehin Sitzungen fernbleiben, ohne jemandem dafür eine Erklärung abgeben zu müssen.31 Der politische Druck, die eigene Fraktion bei Abstimmungen nicht im Stich zu lassen und im Wahlkreis präsent zu sein, werde ohnehin dafür sorgen, dass von der Möglichkeit, sich beurlauben zu lassen, kein übermäßiger Gebrauch gemacht werde.32 Auch in der darauffolgenden Plenarsitzung wurde die Freiheit des Mandats betont;33 jedes Parlamentsmitglied werde in Zukunft selbst darüber entscheiden, ob es einen solchen Antrag nach der Geschäftsordnung stelle.34 Der erste Abgeordnete, der eine der neugeschaffenen Regelungen in Anspruch nahm, war übrigens ein Mann: Der Abgeordnete Dr. Kai Schmidt-Eisenlohr ließ sich kurz nach der Änderung der Geschäftsordnung für die Dauer von zwei Monaten nach § 75 Abs. 3 GO LT BaWü von der Teilnahmepflicht an Plenar- und Ausschusssitzungen befreien.35 Die Arbeit im Wahlkreis ließ er indes nicht vollständig ruhen.36

C. Bayern I. Mutterschutz Der Bayerische Landtag geht klar davon aus, dass seine Mitglieder aufgrund des dem Abgeordnetenverhältnis zugrundeliegenden freien Mandats nicht vom letzt aufgerufen am 12. Dezember 2019; „Pampers statt Parlament“ im: Online-Auftritt des Deutschlandfunks vom 27. November 2014, https://www.deutschlandfunk.de/eltern zeit-pampers-statt-parlament.680.de.html?dram:article_id=304520, zuletzt aufgerufen am 12. Dezember 2019. 31 Landtag von Baden-Württemberg, Drs. 15/5505, Beschlussempfehlung und Bericht des Ständigen Ausschusses vom 17. bzw. 24. Juli 2014, S. 4. 32 Landtag von Baden-Württemberg, Drs. 15/5505, Beschlussempfehlung und Bericht des Ständigen Ausschusses vom 17. bzw. 24. Juli 2014, S. 2 und 4. 33 Redebeitrag der Abgeordneten Graner (SPD), Landtag von Baden-Württemberg, Plenarprotokoll 15/113 vom 26. November 2014, S. 6808; Redebeitrag des Abgeordneten Schebesta (CDU), Landtag von Baden-Württemberg, Plenarprotokoll 15/113 vom 26. November 2014, S. 6808. 34 Redebeitrag des Abgeordneten Schebesta (CDU), Landtag von Baden-Württemberg, Plenarprotokoll 15/113 vom 26. November 2014, S. 6808. 35 „Elternzeit für Abgeordnete im Landtag – bei vollen Diäten“, in: Online-Ausgabe der Badischen Zeitung vom 27. November 2014, https://www.badische-zeitung.de/sued west-1/elternzeit-fuer-abgeordnete-im-landtag-bei-vollen-diaeten–95371352.html, zuletzt aufgerufen am 12. Dezember 2019; Redebeitrag des Abgeordneten Dr. SchmidtEisenlohr (Grüne), Landtag von Baden-Württemberg, Plenarprotokoll 15/113 vom 26. November 2014, S. 6808 f. 36 „Deshalb dürfen Abgeordnete keine Elternzeit nehmen“, in: Spiegel Online vom 31. August 2018, http://www.spiegel.de/karriere/madeleine-henfling-warum-abgeordne te-keine-elternzeit-nehmen-duerfen-a-1225892.html, zuletzt aufgerufen am 12. Dezember 2019.

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1. Teil: Ausgangslage

Anwendungsbereich des Mutterschutzgesetzes erfasst werden.37 Auch landesrechtliche Schutzvorschriften, die mit den Regeln des Mutterschutzgesetzes in Zeiten der Schwangerschaft, der Entbindung und der Stillzeit vergleichbar wären, existieren in Bayern nicht. Gleichwohl hat der Bayerische Landtag im Jahr 2017 eine mutterschutzähnliche Regelung für seine Mitglieder getroffen. Zwar war deren Einführung im Gegensatz zur baden-württembergischen Regelung von weniger Medieninteresse begleitet, was an der wenig prominenten Behandlung als einer von mehreren Unterpunkten eines mehrere Gesetze umfassenden Änderungsgesetzes38 gelegen haben dürfte. Während der Landtag von Baden-Württemberg eine untergesetzliche Regelung wählte, entschied sich der Bayerische Landtag jedoch für eine Änderung des Abgeordnetengesetzes. In Anlehnung an § 14 AbgG Bund wurde auch in Bayern die Kürzung der Kostenpauschale in den Fokus genommen: Nach Art. 6 Abs. 2 des Bayerischen Abgeordnetengesetzes (BayAbgG)39 erhalten die Mitglieder des Bayerischen Landtages eine monatliche Kostenpauschale zum Ausgleich mandatsbedingter Aufwendungen. Art. 7 Abs. 1 und Abs. 2 BayAbgG sehen eine Kürzung der Kostenpauschale bei der Nichtteilnahme an Sitzungen, namentlichen Abstimmungen oder einer geheimen Wahl vor, es sei denn, das Mitglied des Landtags nimmt gemäß Art. 7 Abs. 1 BayAbgG zur selben Zeit im Auftrag des Landtags an einer sonstigen Veranstaltung teil. Durch die Neufassung des Art. 7 Abs. 4 BayAbgG wurde nunmehr eine Ermäßigung der Kürzung der Kostenpauschale während nicht näher bestimmter Mutterschutzfristen eingeführt. Der neugeschaffene Art. 7 Abs. 4 Satz 1 BayAbgG lautet: „Während der Wahrnehmung von Mutterschutzfristen oder ab dem 15. Tag einer ärztlich attestierten Arbeitsunfähigkeit finden die Abs. 1 und 2 insoweit Anwendung, als nur eine hälftige Kürzung erfolgt.“

Welche Mutterschutzfristen mit der Regelung gemeint sind, bleibt anhand des reinen Wortlauts ebenso unklar wie bei der Regelung des § 14 Abs. 1 Satz 6

37 Schriftliche Auskunft des Bayerischen Landtages vom 5. Februar 2018, S. 1, siehe Anlage. 38 Gesetz zur Änderung des Gesetzes über kommunale Wahlbeamte und Wahlbeamtinnen, des Bayerischen Abgeordnetengesetzes und des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder der Staatsregierung vom 24. April 2017 (GVBl. Bayern 2017, S. 81). 39 Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Bayerischen Landtags – Bayerisches Abgeordnetengesetz (BayAbgG) – in der Fassung der Bekanntmachung vom 6. März 1996 (GVBl. Bayern 1996, S. 82, BayRS 1100-1-I), zuletzt geändert durch § 2 des Gesetzes vom 24. April 2017 (GVBl. Bayern 2017, S. 81).

1. Kap.: Regelungen zu Mutterschutz und Elternzeit in deutschen Parlamenten

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AbgG Bund. Insbesondere ist hier auch weder von „gesetzlichen Mutterschutzfristen“ wie in Baden-Württemberg die Rede, noch wurde, wie im Bund, die Formulierung „während der Mutterschutzfristen“ gewählt. Grammatikalisch deutet der Begriff der Mutterschutzfristen zumindest darauf hin, dass kein frei gewählter Zeitraum gemeint ist, den jede betreffende Abgeordnete individuell für sich festlegt. Insoweit ist angesichts der Verwendung des Begriffs der Fristen vielmehr davon auszugehen, dass ein bestimmter oder zumindest bestimmbarer Zeitraum des Schutzes gemeint ist. Eine genetische Auslegung der Vorschrift erlaubt indes eine Festlegung des Schutzzeitraumes. Im Gesetzentwurf heißt es, die Ausnahmeregelung des Art. 7 Abs. 4 BayAbgG werde „auch auf Fälle der Wahrnehmung von Mutterschutzfristen, also sechs Wochen vor der Entbindung und bis zum Ablauf von acht Wochen, bzw. bei Früh- und Mehrlingsgeburten bis zum Ablauf von zwölf Wochen nach der Entbindung, erweitert“.40

Insoweit entsprechen die Schutzfristen denen des § 3 MuSchG. Die hälftige Kürzung, die im Übrigen auch beim Fernbleiben wegen Krankheit eintritt, soll dabei keine Strafe für die Nichtteilnahme an einer Sitzung darstellen; vielmehr soll der Abzug den nicht entstandenen Kosten bei Abwesenheit Rechnung tragen.41 Abgesehen von diesen Abzügen soll auch einer in Mutterschutz befindlichen Abgeordneten die Kostenpauschale im Übrigen erhalten bleiben, um den regelmäßig auch in Mutterschutzzeiten erforderlichen Betrieb ihres Abgeordnetenbüros im Wahlkreis aufrechtzuerhalten und dort gegebenenfalls auch bestimmte Aufgaben wahrzunehmen, die einen Grundaufwand an Kosten erfordern.42 Ausgehend von dem Ziel, das Volk durch eine möglichst große Bandbreite an Abgeordneten im Landtag zu vertreten, wollte der bayerische Gesetzgeber mit der Änderung seines Abgeordnetengesetzes die Vereinbarkeit von Familie und

40 Gesetzentwurf der Abgeordneten Kreuzer, Zellmeier, Brendel-Fischer u. a. (CSUFraktion) zur Änderung des Gesetzes über kommunale Wahlbeamte und Wahlbeamtinnen, des Bayerischen Abgeordnetengesetzes und des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder der Staatsregierung, Bayerischer Landtag, Drs. 17/14995, S. 5. 41 Redebeitrag des Abgeordneten Halbleib (SPD), Bayerischer Landtag, Plenarprotokoll 17/101 vom 6. April 2017, S. 6960; Redebeitrag des Abgeordneten Meyer (Freie Wähler), Bayerischer Landtag, Plenarprotokoll 17/101 vom 6. April 2017, S. 6961; Gesetzentwurf der Abgeordneten Kreuzer, Zellmeier, Brendel-Fischer u. a. (CSU-Fraktion) zur Änderung des Gesetzes über kommunale Wahlbeamte und Wahlbeamtinnen, des Bayerischen Abgeordnetengesetzes und des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder der Staatsregierung, Bayerischer Landtag, Drs. 17/14995, S. 5. 42 Gesetzentwurf der Abgeordneten Kreuzer, Zellmeier, Brendel-Fischer u. a. (CSUFraktion) zur Änderung des Gesetzes über kommunale Wahlbeamte und Wahlbeamtinnen, des Bayerischen Abgeordnetengesetzes und des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder der Staatsregierung, Bayerischer Landtag, Drs. 17/14995, S. 5 f.

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1. Teil: Ausgangslage

Landtagsmandat verbessern und damit gleichzeitig die Bereitschaft junger Frauen zur Bewerbung um ein Landtagsmandat erhöhen.43 Die Mitglieder des Bayerischen Landtages beziehen ihre Abgeordnetenentschädigung nach Art. 5 BayAbgG auch im Falle des Fernbleibens von Sitzungen infolge Schwangerschaft, Entbindung oder Stillzeit in voller Höhe weiter; zudem wird die nach Art. 6 BayAbgG gewährte Kostenpauschale abzüglich der in Art. 7 BayAbgG vorgesehenen Kürzungsbeträge weiter ausgezahlt.44 II. Elternzeit Eine Elternzeit für Mitglieder des Bayerischen Landtages ist weder schriftlich normiert noch existieren entsprechende ungeschriebene Regeln.45

D. Berlin I. Mutterschutz Die Rechtslage im Abgeordnetenhaus von Berlin ist mit derjenigen in Bayern vergleichbar. Auch dort besteht kein Mutterschutz im Sinne der absoluten Mutterschutzfristen des Mutterschutzgesetzes; der Umfang der Mandatsausübung während der Schwangerschaft und nach der Entbindung steht im Ermessen der Abgeordneten.46 Die Leistungen nach dem Landesabgeordnetengesetz47 (LAbgG Berlin) werden grundsätzlich auch im Falle eingeschränkter Mandatsausübung weitergezahlt.48 Eine mutterschutzähnliche Regelung ergibt sich insoweit – ähnlich wie bei § 14 AbgG Bund – aus der Ausnahme von der Kürzung der Kostenpauschale: Auch die Berliner Abgeordneten erhalten neben der Abgeordnetenentschädigung eine Kostenpauschale zur Unterhaltung eines externen Büros sowie zur Deckung

43 Gesetzentwurf der Abgeordneten Kreuzer, Zellmeier, Brendel-Fischer u. a. (CSUFraktion) zur Änderung des Gesetzes über kommunale Wahlbeamte und Wahlbeamtinnen, des Bayerischen Abgeordnetengesetzes und des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder der Staatsregierung, Bayerischer Landtag, Drs. 17/14995, S. 5. 44 Schriftliche Auskunft des Bayerischen Landtages vom 5. Februar 2018, S. 1 f., siehe Anlage. 45 Schriftliche Auskunft des Bayerischen Landtages vom 5. Februar 2018, S. 2, siehe Anlage. 46 Schriftliche Auskunft des Abgeordnetenhauses von Berlin vom 31. Januar 2018, S. 1, siehe Anlage. 47 Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Abgeordnetenhauses von Berlin (Landesabgeordnetengesetz – LAbgG) vom 21. Juli 1978, zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 7. April 2017 (GVBl. Berlin 2017, S. 294). 48 Schriftliche Auskunft des Abgeordnetenhauses von Berlin vom 31. Januar 2018, S. 1, siehe Anlage.

1. Kap.: Regelungen zu Mutterschutz und Elternzeit in deutschen Parlamenten

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sonstiger mandatsbedingter Aufwendungen (§ 7 Abs. 2 LAbgG Berlin). Diese Pauschale wird im Falle der Nichtteilnahme an Ausschuss- und Plenarsitzungen nach § 8 Abs. 1 LAbgG Berlin gekürzt. Um schwangere Abgeordnete und solche, die jüngst ein Kind geboren haben, hierdurch nicht zu benachteiligen, wurde bereits im Jahr 1999 eine Ausnahme von dieser Abzugsregelung geschaffen, die in § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 LAbgG Berlin niedergelegt ist. Diese Vorschrift lautet: „Der Abzug unterbleibt, wenn das Fernbleiben in den von Mutterschutzfristen erfassten Zeitraum vor und nach der Entbindung fällt.“

Diese Berliner Variante der Bezugnahme auf – nicht näher bestimmte – Mutterschutzfristen ähnelt der Regelung des Bayerischen Abgeordnetengesetzes. Wenngleich die Berliner Regelung immerhin verdeutlicht, dass sowohl Zeiten vor als auch nach der Geburt eines Kindes umfasst sind, bleibt auch hier nach dem reinen Wortlaut unklar, welche genauen Mutterschutzfristen mit der Regelung gemeint sind. Grammatikalisch ist angesichts der Verwendung des Begriffs der Mutterschutzfristen auch hier davon auszugehen, dass ein bestimmter oder zumindest bestimmbarer Zeitraum des Schutzes gemeint ist. Das Abgeordnetenhaus selbst, das in dieser Angelegenheit sowohl für die Rechtsetzung als auch für die Rechtsanwendung zuständig zeichnet, wendet als Fristen nach § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 LAbgG Berlin die Fristen des Mutterschutzgesetzes entsprechend an.49 Auch außerhalb dieser an das Mutterschutzgesetz angelehnten Fristen gleicht das Berliner Abgeordnetengesetz schwangerschaftsbedingte Fehlzeiten aus, indem die Kürzung der Kostenpauschale in derartigen Fällen unterbleibt. Sofern etwa bei einer Abgeordneten außerhalb dieser Fristen schwangerschaftsbedingte gesundheitliche Beeinträchtigungen eintreten, die bei Erwerbstätigen zu einem Beschäftigungsverbot führen, wird dies als Arbeitsunfähigkeit im Sinne des § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 LAbgG Berlin gewertet, so dass die Kostenpauschale vollumfänglich erhalten bleibt.50 II. Elternzeit Hinsichtlich einer Elternzeit von Mitgliedern des Berliner Abgeordnetenhauses bestehen weder gesetzliche Vorschriften noch eine entsprechende ungeschriebene Praxis.51

49 Schriftliche Auskunft des Abgeordnetenhauses von Berlin vom 31. Januar 2018, S. 1, siehe Anlage. 50 Schriftliche Auskunft des Abgeordnetenhauses von Berlin vom 31. Januar 2018, S. 2, siehe Anlage. 51 Schriftliche Auskunft des Abgeordnetenhauses von Berlin vom 31. Januar 2018, S. 2, siehe Anlage.

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1. Teil: Ausgangslage

E. Brandenburg Für Mitglieder des Landtages Brandenburg sind weder Mutterschutz noch Elternzeit gesetzlich geregelt; auch eine stetige Parlamentspraxis hat sich hierzu nicht herausgebildet.52 Im Jahr 2017 wurde der Parlamentarische Beratungsdienst des Landtages Brandenburg gebeten, zu verschiedenen Fragen Stellung zu nehmen, die sich mit möglichen Befreiungen der Landtagsabgeordneten von Teilnahme- und Anwesenheitspflichten in besonderen Lebenslagen wie Mutterschutzzeiten und Kinderbetreuung befassten. In seinem daraufhin am 31. Mai 2017 veröffentlichten Gutachten53 vertrat der Parlamentarische Beratungsdienst im Kern die Auffassung, Abgeordnete schuldeten aufgrund der ihnen gewährten Mandatsfreiheit keine Dienste und bedürften daher auch keiner Freistellung vergleichbar einer Arbeitnehmerin bzw. einem Arbeitnehmer oder einer Beamtin bzw. einem Beamten.54 Mangels Arbeitnehmer- oder Beamteneigenschaft der Abgeordneten könnten sie auch keine Freistellungsansprüche aus den allgemeinen Arbeitnehmerschutzgesetzen herleiten.55 Allenfalls gegen eine rein deklaratorische Freistellung im Sinne der baden-württembergischen Regelung sah der Parlamentarische Beratungsdienst keine verfassungsrechtlichen Einwände.56 Der Landtag Brandenburg sah sich in der Folge nicht zu einer Einführung von Mutterschutz- oder Elternzeitregelungen für Abgeordnete veranlasst.57

F. Bremen Für Mitglieder der Bremischen Bürgerschaft sind weder Mutterschutz noch Elternzeit schriftlich normiert. In Bezug auf den Mutterschutz gibt es jedoch geübte ungeschriebene Regeln, die inhaltlich mit den Regelungen des Mutterschutzgesetzes übereinstimmen.58 Eine derartige Parlamentspraxis existiert im Hinblick auf eine Elternzeit nicht; gleichwohl besteht unter den Bürgerschaftsmitgliedern Konsens, bei Terminfest52 Schriftliche Auskunft des Landtages Brandenburg vom 7. August 2018, S. 1, siehe Anlage. 53 Platter, Landtag Brandenburg, Parlamentarischer Beratungsdienst (Hrsg.): Befreiung von Teilnahme- und Anwesenheitspflichten für Abgeordnete im Zusammenhang mit besonderen Lebenslagen wie Mutterschutzzeiten und Kinderbetreuung, Potsdam 2017. 54 Platter, S. 7, 14 ff. und 24. 55 Platter, S. 13 und 24. 56 Platter, S. 24 f. 57 Schriftliche Auskunft des Landtages Brandenburg vom 7. August 2018, S. 1, siehe Anlage. 58 Schriftliche Auskunft des Landtages der Freien Hansestadt Bremen – Bremische Bürgerschaft – vom 31. Januar 2018, S. 1, siehe Anlage.

1. Kap.: Regelungen zu Mutterschutz und Elternzeit in deutschen Parlamenten

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legungen und ähnlichem auf Mütter und Väter mit kleinen Kindern Rücksicht zu nehmen.59 Bestrebungen zur Regelungen von Mutterschutz und bzw. oder Elternzeit für Mitglieder der Bremischen Bürgerschaft sind nicht bekannt.60

G. Niedersachsen Auch in Niedersachsen ist ein Mutterschutz für Landtagsabgeordnete nicht schriftlich geregelt.61 Informell besteht jedoch zumindest in den Zeiten unmittelbar vor und nach der Geburt eines Kindes nicht die Erwartung an die betreffende Abgeordnete, an Ausschuss- oder Plenarsitzungen teilzunehmen.62 Dies ist indes nicht an bestimmte, etwa an das Mutterschutzgesetz angelehnte, Fristen geknüpft, sondern wird von Fall zu Fall unterschiedlich betrachtet und hängt auch vom gesundheitlichen Zustand der (werdenden) Mutter und des (neugeborenen) Kindes ab.63 Bei knappen Mehrheitsverhältnissen wurde im Rahmen parlamentarischer Fairness bislang in Zeiten, in denen Abgeordnete der regierungstragenden Fraktionen aufgrund der Geburt eines Kindes oder aufgrund langwieriger Erkrankungen abwesend waren, zur Wahrung der bestehenden Mehrheitsverhältnisse auf informeller Ebene Pairing vereinbart.64 Elternzeitregelungen bestehen für Mitglieder des Niedersächsischen Landtages bislang weder in Form geschriebener Regeln noch im Sinne einer geübten Parlamentspraxis.65 Konkretisierte Bestrebungen zur Einführung eines Mutterschutzes oder einer Elternzeit für Abgeordnete sind dem Niedersächsischen Landtag bislang nicht bekannt.66 59 Schriftliche Auskunft des Landtages der Freien Hansestadt Bremen – Bremische Bürgerschaft – vom 31. Januar 2018, S. 1, siehe Anlage. 60 Schriftliche Auskunft des Landtages der Freien Hansestadt Bremen – Bremische Bürgerschaft – vom 31. Januar 2018, S. 1, siehe Anlage. 61 Schriftliche Auskunft des Niedersächsischen Landtages vom 1. Februar 2018, S. 1, siehe Anlage. 62 Eigene Erfahrung der Verfasserin aus dem Niedersächsischen Landtag der 17. Wahlperiode. 63 Eigene Erfahrung der Verfasserin aus dem Niedersächsischen Landtag der 17. Wahlperiode. 64 Schriftliche Auskunft des Niedersächsischen Landtages vom 1. Februar 2018, S. 1, siehe Anlage. 65 Schriftliche Auskunft des Niedersächsischen Landtages vom 1. Februar 2018, S. 1, siehe Anlage. 66 Schriftliche Auskunft des Niedersächsischen Landtages vom 1. Februar 2018, S. 1, siehe Anlage. Im Frühjahr 2019 gab es zwar eine entsprechende Initiative der Landtagspräsidentin Dr. Andretta, mangels einer interfraktionellen Einigung hat diese jedoch noch keinen Eingang in konkrete Vorschläge gefunden, siehe dazu auch „Andretta für

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1. Teil: Ausgangslage

H. Rheinland-Pfalz I. Mutterschutz In Rheinland-Pfalz gibt es zwar keine Bestimmung, die ausdrücklich eine Gewährung von Mutterschutz für die weiblichen Mitglieder des dortigen Landtages vorsieht; auch sind dort keine Bestrebungen, eine derartige Regelung einzuführen, bekannt.67 Gleichwohl hat der Landtag Rheinland-Pfalz eine der bayerischen Regelung vergleichbare Bestimmung im Hinblick auf die Kürzung der Tagegeldpauschale bei Fehlzeiten getroffen: Nach § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 des Abgeordnetengesetzes Rheinland-Pfalz (AbgGRhPf)68 erhalten Abgeordnete eine sogenannte monatliche Tagegeldpauschale für Mehraufwendungen am Sitz des Landtages und auf Reisen. Diese Pauschale wird gemäß § 7 Abs. 1 AbgGRhPf gekürzt, wenn ein Parlamentsmitglied an bestimmten Sitzungen nicht teilnimmt. Eine Ausnahme hiervon gilt nach § 7 Abs. 4 AbgGRhPf: Während der Abzug in bestimmten, von § 7 Abs. 4 Satz 1 AbgGRhPf normierten Fällen vollständig unterbleibt, verringert er sich nach § 7 Abs. 4 Satz 2 AbgGRhPf auf 10,23 Euro „während der Mutterschutzfristen oder wenn ein Aufenthalt in einem Krankenhaus oder in einem Sanatorium oder eine Arbeitsunfähigkeit ärztlich nachgewiesen wird.“

Auch bei dieser Regelung ist aus dem Wortlaut nicht erkennbar, welche genauen Mutterschutzfristen gemeint sind. Eine Bezugnahme auf das Mutterschutzgesetz oder andere Vorschriften fehlt ebenso wie eine eigene Festlegung bestimmter Fristen. Grammatikalisch ist angesichts der Formulierung „der Mutterschutzfristen“ auch hier davon auszugehen, dass auf bestimmte, bereits andernorts festgelegte, Fristen verwiesen wird. Der Landtag Rheinland-Pfalz selbst, der in dieser Frage sowohl Gesetzgeber als auch Anwender der Vorschrift und somit für die Auslegung der Vorschrift maßgeblich ist, versteht unter den Mutterschutzfristen nach § 7 Abs. 4 Satz 2 AbgGRhPf den Zeitraum, der in § 3 Abs. 1 und 2 MuSchG festgelegt ist.69 In dem Zeitraum, der den Schutzfristen nach dem Mutterschutzgesetz entspricht, wird demnach eine Nichtteilnahme der betreffenden Abgeordneten nicht als frei Elternzeit-Regelung für Abgeordnete“, in: Rundblick, Ausgabe 88/2019 vom 10. Mai 2019, https://www.rundblick-niedersachsen.de/andretta-fuer-elternzeit-regelung-fuer-ab geordnete/, zuletzt aufgerufen am 12. Dezember 2019. 67 Schriftliche Auskunft des Landtages Rheinland-Pfalz vom 1. März 2018, S. 1 f., siehe Anlage. 68 Landesgesetz über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Landtags RheinlandPfalz (Abgeordnetengesetz Rheinland-Pfalz – AbgGRhPf) vom 21. Juli 1978, zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 4. April 2017 (GVBl. Rh-Pf 2017, S. 78). 69 Schriftliche Auskunft des Landtages Rheinland-Pfalz vom 1. März 2018, S. 2, siehe Anlage.

1. Kap.: Regelungen zu Mutterschutz und Elternzeit in deutschen Parlamenten

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gewählte Abwesenheit gewertet, sondern als zum Schutz von (werdender) Mutter und un- oder neugeborenem Kind erforderlich anerkannt.70 II. Elternzeit Eine Elternzeit für Mitglieder des Landtages Rheinland-Pfalz ist weder schriftlich normiert, noch gibt es hierzu ungeschriebene Regeln im Sinne einer geübten Parlamentspraxis. Bestrebungen, eine Elternzeit für Abgeordnete im Landtag Rheinland-Pfalz einzuführen, sind nicht bekannt.71

I. Sachsen I. Mutterschutz Für Mitglieder des Sächsischen Landtages existieren keine Mutterschutzregeln; entsprechende Initiativen zur Einführung eines Mutterschutzes für Abgeordnete sind nicht bekannt.72 Im Rahmen einer geübten Parlamentspraxis gelten die betreffenden Abgeordneten während der Fristen, die das Mutterschutzgesetz in seinem Geltungsbereich vorsieht, jedoch als beurlaubt.73 Dies hat – ähnlich wie in Bayern und in Rheinland-Pfalz – eine Verminderung des Abzugs von der Kostenpauschale an Plenartagen zur Folge: Nach § 6 Abs. 2 des Sächsischen Abgeordnetengesetzes (SächsAbgG)74 erhalten die Mitglieder des Sächsischen Landtages eine monatliche Kostenpauschale zur Abgeltung der mandatsbezogenen Mehraufwendungen, die sich hinsichtlich ihrer Höhe nach der Entfernung der Hauptwohnung des Parlamentsmitgliedes vom Sitz des Landtages bemisst. Diese Kostenpauschale wird nach § 8 Abs. 2 Satz 3 SächsAbgG – ebenfalls der Höhe nach entfernungsabhängig – gekürzt, wenn ein Landtagsmitglied sich bei einer Sitzung, für die Anwesenheitspflicht besteht, nicht in die Anwesenheitsliste einträgt. Der einzubehaltende Betrag erhöht sich gemäß § 8 Abs. 2 Satz 5 SächsAbgG jeweils um 45 Euro, wenn ein Mitglied des Landtages sich an einem Plenarsitzungstag nicht in die Anwesenheitsliste eingetragen hat und nicht beurlaubt war. Dank der Be70 Schriftliche Auskunft des Landtages Rheinland-Pfalz vom 1. März 2018, S. 2, siehe Anlage. 71 Schriftliche Auskunft des Landtages Rheinland-Pfalz vom 1. März 2018, S. 2 f., siehe Anlage. 72 Schriftliche Auskunft des Sächsischen Landtages vom 6. Februar 2018, S. 1, siehe Anlage. 73 Schriftliche Auskunft des Sächsischen Landtages vom 6. Februar 2018, S. 1, siehe Anlage. 74 Abgeordnetengesetz i. d. F. der Bekanntmachung vom 4. Juli 2000 (SächsGVBl. 2000, S. 326), zuletzt geändert durch Art. 21 des Gesetzes vom 29. April 2015 (SächsGVBl. 2015, S. 349).

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1. Teil: Ausgangslage

handlung der entsprechenden Abgeordneten als beurlaubt unterbleibt dieser zusätzliche Abzug von der Kostenpauschale während der im Mutterschutzgesetz vorgesehenen Schutzfristen. II. Elternzeit Elternzeitregeln für Mitglieder des Sächsischen Landtages existieren nicht; auch in dieser Hinsicht sind keine entsprechenden Bestrebungen bekannt.75 Bei Anzeige einer Elternzeit gelten die entsprechenden Abgeordneten jedoch im Rahmen einer geübten Parlamentspraxis ebenfalls als beurlaubt,76 so dass sich auch in diesem Fall eine Verminderung des Abzugs von der Kostenpauschale an Plenartagen ergibt.

J. Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Schleswig-Holstein und Thüringen Die Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg77 sowie der Hessische Landtag78, der Landtag Mecklenburg-Vorpommern79, der Landtag NordrheinWestfalen80, der Landtag des Saarlandes81, der Schleswig-Holsteinische Landtag82 und der Thüringer Landtag83 kennen weder geschriebene noch ungeschriebene Regeln im Hinblick auf einen Mutterschutz oder eine Elternzeit für ihre Mitglieder. Auch Bestrebungen, derartige Regelungen einzuführen, sind dort nicht bekannt.

75 Schriftliche Auskunft des Sächsischen Landtages vom 6. Februar 2018, S. 1, siehe Anlage. 76 Schriftliche Auskunft des Sächsischen Landtages vom 6. Februar 2018, S. 1, siehe Anlage. 77 Schriftliche Auskunft der Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg vom 21. Februar 2018, S. 1, siehe Anlage. 78 Schriftliche Auskunft des Hessischen Landtages vom 26. Januar 2018, S. 1 f., siehe Anlage. 79 Schriftliche Auskunft des Landtages Mecklenburg-Vorpommern vom 19. Februar 2018, S. 1 f., siehe Anlage. 80 Schriftliche Auskunft des Landtages Nordrhein-Westfalen vom 24. Januar 2017 (gemeint sein dürfte der 24. Januar 2018), siehe Anlage. 81 Schriftliche Auskunft des Landtages des Saarlandes vom 5. Februar 2018, S. 1, siehe Anlage. 82 Schriftliche Auskunft des Schleswig-Holsteinischen Landtages vom 26. Januar 2018, S. 2, siehe Anlage. 83 Schriftliche Auskunft des Thüringer Landtages vom 5. Februar 2018, S. 1, siehe Anlage.

2. Kap.: Das Abgeordnetenmandat

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K. Sachsen-Anhalt Der Landtag von Sachsen-Anhalt hat bislang weder Mutterschutz- noch Elternzeitregelungen normiert.84 Ob es daneben im Rahmen der Parlamentspraxis geübte ungeschriebene Regeln hinsichtlich eines Mutterschutzes oder einer Elternzeit für Mitglieder des Landtages von Sachsen-Anhalt gibt, hat der Landtag von Sachsen-Anhalt auf Anfrage ebensowenig mitgeteilt wie die Antwort darauf, wie im Fall einer Schwangerschaft oder im Falle der Geburt eines Kindes praktisch verfahren wird und ob dem Landtag Bestrebungen bekannt sind, mit denen ein Mutterschutz oder eine Elternzeit für Mitglieder des Landtages von Sachsen-Anhalt geregelt oder eine bestehende Regelung geändert werden soll. Auch seine Internetseite, auf die der Landtag von Sachsen-Anhalt insoweit verweist,85 gibt hierüber keinen Aufschluss. Das Abgeordnetengesetz von Sachsen-Anhalt (AbgG LSA)86 enthält keine Kürzungen der nach dem dortigen § 8 gewährten Kostenpauschale, so dass auch über diesen Weg keine mutterschutzähnliche Regelung existiert. Mithin ist davon auszugehen, dass weder eine diesbezügliche geübte parlamentarische Praxis noch entsprechende Bestrebungen zur Einführung von Mutterschutz und bzw. oder Elternzeit für Mitglieder des Landtages von Sachsen-Anhalt bestehen. Zweites Kapitel

Das Abgeordnetenmandat Nachdem der Umgang des Deutschen Bundestages und der Länderparlamente mit der besonderen Lebenslage der Geburt eines Kindes von Abgeordneten dargestellt wurde, soll sich – insbesondere vor dem Hintergrund, dass einige Parlamente offenbar von der Geltung bestimmter Mutterschutzfristen für Abgeordnete ausgehen – nun der Blick darauf richten, ob es unabhängig davon de lege lata bereits bundeseinheitliche Mutterschutz- und bzw. oder Elternzeitregelungen für Abgeordnete gibt. Die Erörterung dieser Frage setzt indes die Kenntnis der Rechtsnatur des Abgeordnetenverhältnisses voraus, die daher Inhalt dieses zweiten Kapitels sein soll. Ohne einen Anspruch auf eine vollständige Charakteristik des Abgeordneten84 Schriftliche Auskunft des Landtages von Sachsen-Anhalt vom 6. Februar 2018, siehe Anlage. 85 Schriftliche Auskunft des Landtages von Sachsen-Anhalt vom 6. Februar 2018, siehe Anlage. 86 Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Landtages von Sachsen-Anhalt (Abgeordnetengesetz Sachsen-Anhalt – AbgG LSA) i. d. F. der Bekanntmachung vom 14. Juni 2002, zuletzt geändert durch § 2 des Gesetzes vom 8. Dezember 2016 (GVBl. LSA 2016, S. 356, 357).

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1. Teil: Ausgangslage

status zu erheben, werden die für die weitere Einordnung erforderlichen Kernmerkmale der parlamentarischen Tätigkeit dargestellt. Der Deutsche Bundestag ist vor dem Hintergrund des Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG, nach dem alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht, das zentrale Staatsorgan der Bundesrepublik Deutschland.87 Seine Mitglieder werden nach Art. 38 Abs. 1 GG in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt; sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen. Auch die Volksvertretungen der Länder haben nach Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorzugehen. Es stellt sich die Frage, was dies für die Tätigkeit der Abgeordneten in Bund und Ländern bedeutet. In Art. 48 Abs. 2 Satz 1 GG wird das Abgeordnetenmandat als „Amt“ bezeichnet. Folgt daraus, dass es sich bei dem Mandat um eine Form des Beamtenverhältnisses handelt? Oder sind die Abgeordneten gar abhängig Beschäftigte? Was sind die Kernelemente des Abgeordnetenverhältnisses? Die Beantwortung dieser Fragen bildet die Grundlage für die im weiteren Verlauf vorzunehmende Einordnung des Abgeordnetenverhältnisses unter verschiedene Regelungen des Mutterschutzes und der Elternzeit nach geltendem und nach gegebenenfalls zu schaffendem Recht.

A. Historische Entwicklung des Abgeordnetenmandats Das Tätigkeitsbild der Abgeordneten unterliegt einer stetigen Entwicklung. Sowohl Umfang als auch Bedeutung des Mandates sind mit der zunehmenden Entscheidungskompetenz der Parlamente erheblich gewachsen. Noch in der konstitutionellen Monarchie des 19. Jahrhunderts war der Einfluss der deutschen Parlamente unter der Vormachtstellung der Exekutive88 stark begrenzt; die Abgeordneten nahmen dementsprechend eine eher untergeordnete Honoratiorenstellung ein.89 Ausgehend von dem Argument, dass eine finanzielle Entschädigung der parlamentarischen Tätigkeit mit der Würde, der Unabhängigkeit und dem personalen Eigenwert der Abgeordneten als Volksvertreter unvereinbar sei, übten diese ihre Tätigkeit ehrenamtlich und unentgeltlich aus.90

87 Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 38, Rn. 30; Schmahl, in: Austermann/Schmahl, Vor § 1, Rn. 2; Wiefelspütz, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, § 12, Rn. 1. 88 Wiese, in: AöR 1976, 548. 89 Weber, Politik als Beruf, S. 58 f. – Morlok/Krüper, in: NVwZ 2003, 573, 574 bezeichnen die Abgeordneten im Kaiserreich gar als gesellschaftlich rückangebundenen Störfaktor. 90 Vgl. die Darstellung in BVerfGE 4, 144, 149; vgl. außerdem umfassend zur Diätenfrage die Dissertation von Urban „Die Diätenfrage – Zum Abgeordnetenbild in Staatsrechtslehre und Politik 1900–1933“, Tübingen, 2003.

2. Kap.: Das Abgeordnetenmandat

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Tatsächlich war die Unentgeltlichkeit der Amtsausübung insbesondere ein machtpolitisches Mittel, um den Durchbruch des allgemeinen, gleichen Wahlrechts zu erschweren: Der sogenannte vierte Stand – die Arbeiterklasse – sollte nach dem Willen der Staatsführung und des bislang den Großteil der Abgeordneten stellenden Großbürgertums nicht in die Lage versetzt werden, wirtschaftlich abkömmlich zu werden und Parlamentsmandate zu übernehmen.91 Erst seit 190692 erhielten die Mitglieder des Reichstages eine Entschädigung, die die Entschließungsfreiheit der Abgeordneten sichern und es den Reichstagsmitgliedern ermöglichen sollte, die sich aus ihrem repräsentativen Abgeordnetenstatus ergebenden Rechte und Pflichten in Freiheit auszuüben.93 Mit der Stärkung der Bedeutung der Parlamente für den demokratisch-parlamentarischen Verfassungsstaat rückten auch die Abgeordneten in den Vordergrund des politischen Geschehens.94 Entsprechend nahm auch die zeitliche Inanspruchnahme der Parlamentarier 95 durch ihr Mandat zu. Bereits im Jahr 1905 beschrieb der Publizist und Politiker Hellmuth von Gerlach in seinem Buch „Das Parlament“, dass fast nur noch Berufspolitiker in der Lage seien, die nötige Zeit für die Erlangung eines Reichstagswahlkreises zu erübrigen.96 Damit korrespondierend sprach Max Weber in seinem im Jahr 1919 gehaltenen Vortrag „Politik als Beruf“ von hauptberuflichen Politikern, die sowohl für die als auch von der Politik lebten.97 Auch Art. 37 Abs. 2 und Art. 38 Abs. 1 der Weimarer Reichsverfassung98 bezogen sich explizit auf den „Abgeordnetenberuf“. Dies deutet darauf hin, dass bereits zu Zeiten der Weimarer Republik zumindest das Reichstagsmandat überwiegend im Sinne eines Hauptberufes ausgeübt wurde. Diese Professionalisierung der Abgeordneten nahm in bundesrepublikanischer Zeit noch zu. Bereits in den ersten Jahrzehnten der neugeschaffenen Republik wurde die Tätigkeit der Mitglieder des Deutschen Bundestages zu einem „den vollen Einsatz der Arbeitskraft fordernden Beruf.“ 99 Auch die parlamentarische 91 Stern, Bd. I, § 24, II. 2. b) ç), Urban, Diätenfrage, S. 2 und 8; Weber, Politik als Beruf, S. 36 f., Wiese, in: AöR 1976, 548, 550; ähnlich Austermann, in: Schüttemeyer/ Schmidt-Jortzig, S. 118 f. 92 Gesetz betreffend die Gewährung einer Entschädigung an Mitglieder des Reichstages vom 21. Mai 1906 (RGBl. 1906, S. 468). 93 BVerfGE 4, 144, 150; Badura, in: Schneider/Zeh, § 15, Rn. 63. 94 Stern, Bd. I, § 24, I. 1. 95 Die hier gewählte rein männliche Form resultiert aus dem Umstand, dass das Parlament zu dieser Zeit ausschließlich aus männlichen Abgeordneten bestand. Erst mit der Wahl zur Deutschen Nationalversammlung am 19. Januar 1919 erhielten Frauen erstmalig das aktive und passive Wahlrecht auf nationaler Ebene. 96 von Gerlach, Parlament, S. 25. 97 Weber, Politik als Beruf, S. 35. 98 Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919 (RGBl. 1919, S. 1383). 99 BVerfGE 32, 157, 164.

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1. Teil: Ausgangslage

Arbeit in den Ländern verlangte einen Großteil der Arbeitskraft der Abgeordneten.100 Eine ausführliche Statusbeschreibung der Tätigkeit von Landtags- und Bundestagsabgeordneten gab das Bundesverfassungsgericht im Jahr 1975 im Rahmen seines sogenannten Diätenurteils.101 Danach war die zeitliche Inanspruchnahme durch die mit einem Mandat verbundenen Aufgaben bereits zu damaliger Zeit so umfangreich, dass die Arbeit keinesfalls innerhalb der sonst üblichen Wochenarbeitszeit von 40 Stunden erledigt werden konnte. Die Abgeordneten wurden sowohl innerhalb des Parlaments durch Plenar- und Ausschusssitzungen als auch in der Fraktion und in der Partei durch unterschiedliche Sitzungen und andere Aufgaben sowie im Wahlkreis durch Veranstaltungen diverser Art in Anspruch genommen. Sofern Abgeordnete versuchten, neben ihrem Mandat ihrem ursprünglich ausgeübten Beruf nachzugehen, waren nach Einschätzung der in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht zu Rate gezogenen Experten Wochenarbeitszeiten von 80 bis 120 Stunden für Bundestagsabgeordnete und 60 bis 100 Stunden für Landtagsabgeordnete typisch und unumgänglich.102 Das Bundesverfassungsgericht ordnete die Abgeordnetenentschädigung daher als eine Alimentation des Parlamentsmitgliedes und seiner Familie für die Inanspruchnahme durch das zur Hauptbeschäftigung („full-time-job“) gewordene Mandat ein.103 Bereits ein Blick in die Drucksachen und die Plenarprotokolle des Deutschen Bundestages und der Länderparlamente zeigt, dass der Umfang und die Komplexität der in den Volksvertretungen behandelten Gegenstände seit den 1970er Jahren deutlich zugenommen haben. Hinzu kommt eine erhebliche Steigerung der zeitlichen Inanspruchnahme der Abgeordneten als Kehrseite der eigentlich der Entlastung dienenden Digitalisierung: War das Parlamentsmitglied früher ausschließlich per Post und per Festnetztelefon zu erreichen – was in Sitzungswochen eine Konzentration auf die Sitzungsgegenstände ermöglichte – so wird von heutigen Abgeordneten eine jederzeitige Verfügbarkeit erwartet. Im Zeitalter des Smartphones und der sonstigen mobilen Endgeräte akzeptieren Presse, Bürgerinnen und Bürger sowie eigene Mitarbeitende es nur schwer, wenn die erwartete Antwort auf eine Anfrage nicht binnen kürzester Zeit erfolgt.104 Durch schnelle Antwortmöglichkeiten hat sich zudem das Aufkommen der elektronischen Post im Vergleich zu der vor einigen Jahrzehnten versandten papierenen Post vervielfacht. Ging das Bundesverfassungsgericht bereits in seinem soge100

BVerfGE 32, 157, 164. BVerfGE 40, 296 ff. 102 BVerfGE 40, 296, 312. 103 BVerfGE 40, 296, 314. 104 Eigene Erfahrungen der Verfasserin aus der Mandatstätigkeit in der 17. WP des Niedersächsischen Landtages sowie aus den Berichten von Mitgliedern des Deutschen Bundestages der 17., 18. und 19. WP. 101

2. Kap.: Das Abgeordnetenmandat

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nannten Nebentätigkeitsurteil aus dem Jahr 2007 davon aus, dass Bundestagsabgeordnete ihrem Mandat das Doppelte der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit widmen,105 so dürfte sich die Arbeitsbelastung angesichts der beschriebenen technischen Entwicklung zumindest nicht verringert haben.106 Legt man die Endlichkeit der Stunden eines jeden Tages zugrunde, so ist von einer zusätzlichen Verdichtung der Arbeit auszugehen.

B. Abgeordnetenmandat als Beruf Angesichts des dargestellten Umfangs und der Art der Tätigkeit wird man die Wahrnehmung des Parlamentsmandats im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts107 als (haupt-)berufliche Tätigkeit einordnen können.108 Diese Einordnung wird auch nicht dadurch gehindert, dass die Abgeordnetentätigkeit auf der Wahl in ein freies Abgeordnetenmandat beruht. Verfassungsrechtlich fällt unter den Begriff des Berufs im Sinne des Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG jede auf Dauer angelegte, der Schaffung und Erhaltung der Lebensgrundlage dienende Betätigung, die nicht schlechthin gemeinschädlich ist.109 Dabei muss die Tätigkeit nicht unbedingt einem bestimmten traditionell oder rechtlich fixierten Berufsbild entsprechen; auch frei gewählte untypische Betätigungen sind vom Berufsbegriff umfasst.110 Die Abgeordneten in Bund und Ländern üben ihr Mandat im Rahmen der Vertretung des Volkes bei der Wahrnehmung der staatlichen Macht aus. Sie kanalisieren den Prozess freier Willensbildung und Entscheidungsfindung und vollführen mit der Erfüllung ihres öffentlichen Amtes eine der wichtigsten staatlichen Aufgaben. Ungeachtet der bisweilen negativen öffentlichen Meinung über Berufspolitikerinnen und Berufspolitiker besteht an der Gemeinnützigkeit ihrer Tätigkeit kein Zweifel. 105

BVerfGE 118, 277, 325. Im Ergebnis auch Schmahl, in: Austermann/Schmahl, Vor § 1, Rn. 17. 107 BVerfGE 32, 157, 164; 40, 296, 311, 314; 118, 277, 325; vgl. auch Wiefelspütz, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, § 12, Rn. 37. 108 Vgl. dazu auch den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und eines Gesetzes zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes vom 11. Februar 2014, BT-Drs. 18/477, S. 8, der die Abgeordnetentätigkeit als „Beruf sui generis“ bezeichnet; Schmahl, in: Austermann/Schmahl, § 11, Rn. 26. Die Berufseigenschaft Abgeordneter ausdrücklich bejaht wird auch von Epping, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 66, Rn. 19 und Mann/Wortmann, in: JuS 2013, 385, 387; ähnlich H.-P. Schneider, in: Denninger/Hoffmann-Riem/Schneider/Stein, Art. 38, Rn. 36. Schreiber, in: Friauf/Höfling, Art. 38, Rn. 69 bezeichnet die Abgeordnetentätigkeit ausdrücklich als Beruf, will diesen jedoch nicht unter Art. 12 Abs. 1 GG fassen. Ebenso Schmitt Glaeser, in: ZRP 2006, 10, 11, der die Abgeordnetentätigkeit als „faktische Berufsausübung“ tituliert. 109 BVerfGE 7, 377, 397; 97, 228, 252 f. 110 BVerfGE 7, 377, 397. 106

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1. Teil: Ausgangslage

Die Abgeordnetentätigkeit dient darüber hinaus auch – vollständig oder teilweise – dem Lebensunterhalt der Volksvertreterinnen und Volksvertreter. Nach Art. 48 Abs. 3 Satz 1 GG haben die Abgeordneten des Bundes Anspruch auf eine angemessene, ihre Unabhängigkeit sichernde Entschädigung. Dies bedeutet nicht nur, dass die Entschädigung eine ausreichende Existenzgrundlage für die Abgeordneten und ihre Familien bieten muss. Vielmehr ergibt sich aus dem Erfordernis der Angemessenheit, dass die Entschädigung der Bedeutung des Amtes und der damit verbundenen Belastung und Verantwortung gerecht werden muss; zudem ist der hohe Rang, der den Abgeordneten im Verfassungsgefüge zukommt, zu berücksichtigen.111 Tatsächlich ist die Höhe der Abgeordnetenentschädigung so bemessen, dass sie für einen Großteil der Bundestagsabgeordneten als Haupteinnahmequelle zur Erhaltung ihrer Lebensgrundlage dienen dürfte.112 Mit Ausnahme der sich als Teilzeitparlamente verstehenden Volksvertretungen der Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen stellt sich dies auch in Bezug auf die Länderparlamente entsprechend dar. Zudem ist das Mandat auch auf eine gewisse Dauer angelegt. Angesichts der periodisch wiederkehrenden Wahlen kann ein Parlamentsmitglied sich zwar nicht darauf einstellen, das Mandat länger als eine Wahlperiode auszuüben. Die Einordnung einer Tätigkeit als Beruf setzt jedoch keine Fristlosigkeit voraus. Entscheidend ist lediglich, dass die auf den Erwerb gerichtete Beschäftigung sich nicht in einem einmaligen Erwerbsakt erschöpft.113 Dieses Kriterium ist durch die umfangreiche fortgesetzte Tätigkeit der Abgeordneten über die Dauer (in der Regel zumindest) einer Legislaturperiode hinweg zweifellos erfüllt. Wenngleich das Abgeordnetenmandat keinem der traditionellen, typischen Berufsbilder entspricht – deren Konstrukt sich ohnehin spätestens seit der Zeit um die Jahrtausendwende in einem stetigen Erosionsprozess befindet – so wird man die Tätigkeit des Parlamentsmitgliedes nach dem Vorgesagten durchaus unter den Begriff des Berufes subsumieren können.114 Die besondere, sich aus dem Grundgesetz ergebende Stellung des Parlamentsmitgliedes als Scharnier zwischen Volk und Staat115 steht dem nicht entgegen. 111

BVerfGE 40, 296, 315. In der laufenden 19. WP des Deutschen Bundestages erhalten die Bundestagsabgeordneten seit dem 1. Juli 2019 eine monatliche Entschädigung in Höhe von 10.083,47 Euro, vgl. dazu die Unterrichtung durch den Präsidenten des Deutschen Bundestages, BT-Drs. 19/10014. 113 BVerfGE 97, 228, 253. 114 Schmahl, in: Austermann/Schmahl, § 11, Rn. 26; Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und eines Gesetzes zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes vom 11. Februar 2014, BT-Drs. 18/477, S. 8. 115 Von einer Scharnierfunktion spricht auch Gausing, Abgeordnetenmandat, S. 15 m.w. N. und passim; als „Bindeglied zwischen Staat und Gesellschaft“ bezeichnet BVerfGE 118, 277, 340 das Parlamentsmitglied; ebenso die Meinung der Dissenter: 112

2. Kap.: Das Abgeordnetenmandat

73

C. Kernelemente des Abgeordnetenmandats Das einzelne Parlamentsmitglied ist Inhaberin bzw. Inhaber eines besonderen öffentlichen Amtes (für die Mitglieder des Deutschen Bundestages: Art. 48 Abs. 2 GG) und vom Vertrauen der Wählenden in ein freies Mandat berufen.116 Die Zugehörigkeit zum Parlament berechtigt das Mitglied zur Geltendmachung der parlamentarischen Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte;117 ihm kommt eine verfassungsrechtliche Stellung als Organwalterin bzw. Organwalter des Organs Parlament zu.118 Jede und jeder Abgeordnete ist mit einem eigenen verfassungsrechtlichen Status ausgestattet, der das Recht beinhaltet, unmittelbar am Verfassungsleben teilzunehmen.119 Konzentriert man sich auf die zentralen Wesensmerkmale des Abgeordnetenstatus, so rückt neben der Repräsentation des Volkes und der Gleichheit der Abgeordneten insbesondere die Freiheit des Mandats in den Fokus. I. Das repräsentative Mandat Das Repräsentationsprinzip findet seinen Niederschlag im ersten Halbsatz des Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG. Hiernach sind die Abgeordneten des Deutschen Bundestages Vertreter des ganzen Volkes. Die Verfassungen der Bundesländer enthalten überwiegend entsprechende Regelungen.120 Der Begriff der Vertretung ist dabei selbstredend nicht im rechtsgeschäftlichen oder prozessualen Sinne zu verstehen,121 sondern beinhaltet vielmehr eine Legitimation der Abgeordneten, die gleichzeitig untrennbar mit einer Verpflichtung gegenüber den Wählenden verbunden ist – es besteht sozusagen ein „Verantwortungs- und Rechtfertigungszusammenhang“ 122. Auf der einen Seite gibt das BVerfGE 118, 277, 379, abweichendes Votum der Richter Hassemer, Di Fabio, Mellinghoff und Landau. 116 Stern, Bd. I, § 24, I. 3. 117 Stern, Bd. I, § 24, I. 4. 118 Achterberg, in: JA 1983, 303; Cornils, in: JURA 2009, 289, 294; Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 48, Rn. 30; Müller, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 38 Abs. 1, Rn. 69; Schreiber, in: Friauf/Höfling, Art. 38, Rn. 69; Stern, Bd. I, § 24, I. 4. 119 BVerfGE 2, 143, 164; 60, 374, 379; Badura, in: Schneider/Zeh, § 15, Rn. 58; H.-P. Schneider, in: Benda/Maihofer/Vogel, § 13, Rn. 45. 120 Exemplarisch: Art. 27 Abs. 3 Satz 1 Verfassung des Landes Baden-Württemberg; Art. 13 Abs. 2 Satz 1 Verfassung des Freistaates Bayern; Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg; Art. 77 Verfassung des Landes Hessen; Art. 12 Satz 1 Niedersächsische Verfassung. 121 Badura, in: Festschrift für Schneider, S. 153, 156; Morlok, in: Dreier, Art. 38, Rn. 33 und 150; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 38, Rn. 41; M. Schröder, Parlamentsrecht, S. 274; ähnlich Müller, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 38 Abs. 1, Rn. 46. 122 Trute, in: von Münch/Kunig, Art. 38, Rn. 73; ähnlich: Schmahl, in: Austermann/ Schmahl, Vor § 1, Rn. 5.

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1. Teil: Ausgangslage

Repräsentationsprinzip den Abgeordneten die Berechtigung, als Volksvertreterinnen und Volksvertreter selbständig Entscheidungen zu treffen; auf der anderen Seite müssen sie den Wahlberechtigten gegenüber für ihre Entscheidungen geradestehen.123 Durch den Zwang der Abgeordneten, sich gegenüber dem Wahlvolk zu rechtfertigen, wird eine Verantwortlichkeit geschaffen, die bewusst vom freien Mandat umfasst ist.124 Die Verantwortlichkeit zwischen Wählenden und Gewählten ist dabei jedoch keine rechtliche, sondern eine politische – was jedoch eine Verstärkung durch gesetzliche oder innerparlamentarische Regelungen nicht ausschließt.125 Die grundgesetzlich normierte Vertretung des ganzen Volkes impliziert die Pflicht, bei jedweden politischen Entscheidungen die Interessen aller Menschen im Lande im Blick zu halten – nicht etwa nur die der Bevölkerung des eigenen Wahlkreises oder der Anhängerinnen und Anhänger einer bestimmten Partei oder Interessenvereinigung.126 Dabei wird das Volk nicht durch das einzelne Parlamentsmitglied repräsentiert, sondern durch die Gesamtheit der Abgeordneten als Parlament.127 Das Volk als Ganzes stellt jedoch keine homogene Masse dar: Praktisch ist es kaum vorstellbar, dass alle Bürgerinnen und Bürger in einer politischen Frage derselben Meinung sind. Eine „öffentliche Meinung“ ist ein bloßes Konstrukt; sie ist nie als Einheit vorhanden, daher bedarf es der steten Interpretation, was die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger will.128 Erschwerend kommt hinzu, dass sich die – konstruierte – öffentliche Meinung naturgemäß laufend ändert und an gesellschaftliche Entwicklungen anpasst. Die demokratische Repräsentation beruht daher bereits ihrer Natur nach nicht auf einem statischen, sondern vielmehr auf einem prozeduralen Konzept: Vor dem Hintergrund der ständigen Veränderung der öffentlichen Meinung obliegt es den Abgeordneten mithin, die in einem stetigen Kommunikationsprozess an sie herangetragenen Anliegen, Vorstellungen und Meinungen fortwährend entgegenzunehmen, abzuwägen und ge-

123 Butzer, in: BeckOK Epping/Hillgruber, Art. 38, Rn. 20; Demmler, Abgeordnete, S. 69 f.; im Ergebnis ähnlich: Wefelmeier, Repräsentation, S. 131 f. 124 BVerfGE 112, 118, 134; Hofmann/Dreier, in: Schneider/Zeh, § 5 Rn. 44. 125 Trute, in: von Münch/Kunig, Art. 38, Rn. 73. 126 Achterberg, in: JA 1983, 303; Cornils, in: JURA 2009, 289, 295; Demmler, Abgeordnete, S. 84 ff.; du Mesnil de Rochemont/Müller, in: JuS 2016, 504, 505; Frenz, in: JA 2010, 126, 127; Grote, Verfassungsorganstreit, S. 158 f.; Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 38, Rn. 192; H.-P. Schneider, in: Benda/Maihofer/Vogel, § 13, Rn. 41; H.-P. Schneider, in: Denninger/Hoffmann-Riem/Schneider/Stein, Art. 38, Rn. 4; Stern, Bd. I, § 24, IV.1. 127 BVerfGE 44, 308, 315 f.; 56, 396, 405; 80, 188, 218; 102, 224, 237; Badura, in: Schneider/Zeh, § 15, Rn. 6; Grote, Verfassungsorganstreit, S. 164; Wiefelspütz, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, § 12, Rn. 7. 128 Henke, in: DVBl. 1973, 553, 559; ähnlich: Wefelmeier, Repräsentation, S. 126 ff.

2. Kap.: Das Abgeordnetenmandat

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gebenenfalls in den parlamentarischen Prozess einzubringen.129 Die Vertretung des Volkes beinhaltet dementsprechend nicht die bloße Wiedergabe eines theoretischen Volkswillens. Die Abgeordneten sind vielmehr gehalten, eine eigene Meinung zu bilden und zu vertreten. Das einzelne Parlamentsmitglied gibt im Parlament dementsprechend keine Erklärungen des Volkes ab, sondern vertritt seine eigenen Überzeugungen;130 es handelt im eigenen Namen und in eigener Verantwortung aufgrund seines durch die Wahl erlangten besonderen Rechtsstatus.131 Aus dem Gedanken des Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG kann jedoch die Pflicht hergeleitet werden, dabei nach dem eigenen Gewissen der Pflicht zur Vertretung des Volkes zu genügen.132 II. Das gleiche Mandat Nach dem Grundsatz des gleichen Mandats haben alle Mitglieder eines Parlaments die gleichen Rechte und Pflichten.133 Diese formelle Gleichheit gewährleistet allen Abgeordneten das Recht auf gleiche Teilhabe am parlamentarischen Willensbildungsprozess;134 zugleich sichert sie auch die Freiheit des Mandats und vermeidet Abhängigkeiten und Hierarchien – über das in einem Parlament unabdingbare Maß hinaus – innerhalb der Volksvertretung.135 Die formale Gleichstellung der Abgeordneten resultiert aus dem Gedanken, dass die Repräsentation des Volkes nicht durch einzelne Mitglieder, sondern durch ihre Gesamtheit als Organ Parlament wahrgenommen wird.136 Gleichzeitig wird der Grundsatz des gleichen Mandats neben der Herleitung aus dem Repräsentationsprinzip auch auf das Prinzip der Wahlrechtsgleichheit zurückgeführt: Es wird davon ausgegangen, dass die Gleichheit der Wahl (Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG) auf einer zweiten Stufe demokratischer Willensbildung im Status und in der gleichen Mitwirkungsbefugnis aller Abgeordneten fortwirkt.137 Dies sichert die gleiche Teilhabe aller Bürgerinnen und Bürger am demokratischen Entschei129

Ähnlich Grote, Verfassungsorganstreit, S. 161 f. Achterberg, in: JA 1983, 303; Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 38, Rn. 41; Wiefelspütz, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, § 12, Rn. 18. 131 Henke, in: DVBl. 1973, 553, 559; ähnlich: Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 38, Rn. 192. 132 Cornils, in: JURA 2009, 289, 295; Demmler, Abgeordnete, S. 51 ff.; Wiese, in: AöR 1976, 548, 560. 133 Morlok, in: Dreier, Art. 38, Rn. 169; Wiefelspütz, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, § 12, Rn. 23; ähnlich Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 38, Rn. 51. 134 BVerfGE 96, 264, 278; Frenz, in: JA 2010, 126, 127; Müller, in: von Mangoldt/ Klein/Starck, Art. 38 Abs. 1, Rn. 80. 135 BVerfGE 102, 224, 239; Badura, in: Bonner Kommentar, Art. 38, Rn. 59. 136 BVerfGE 40, 296, 317 f.; 84, 304, 325; 96, 264, 278; 102, 224, 237; 130, 318, 342; Roth, in: Umbach/Clemens, Art. 38, Rn. 113. 137 BVerfGE 102, 224, 238; 112, 118, 134; 130, 318, 352; im Ergebnis auch Grote, Verfassungsorganstreit, S. 164 f. 130

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1. Teil: Ausgangslage

dungsprozess: Nicht nur die Wahlberechtigten sind untereinander zu (annäherungsweise) gleichen Anteilen an der Auswahl der Abgeordneten beteiligt – auch die so durch das Volk gewählten Abgeordneten haben grundsätzlich einen gleichen Anteil an den parlamentarischen Entscheidungen. Obschon nicht jede Bewerbung um ein Mandat zum Erfolg führt, hat damit jede und jeder Wahlberechtigte die Chance auf die gleiche Teilhabe am demokratischen Prozess. Die demokratische Repräsentation in den deutschen Parlamenten ist damit egalitär.138 Differenzierungen oder Beschränkungen dürfen Gesetze oder Geschäftsordnungen nur zum Schutz vorrangiger Verfassungsgüter vornehmen.139 III. Das freie Mandat 1. Wesen

Eng mit dem Grundsatz des repräsentativen und dem des gleichen Mandats verknüpft ist der Grundsatz des freien Mandats. Die Freiheit des Mandats kommt für die Bundestagsabgeordneten in der Formulierung des Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG zum Ausdruck, nach dem die Mitglieder des Deutschen Bundestages „an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen“ sind.140 Die Verfassungen der Länder enthalten vergleichbare Regelungen.141 Das freie Mandat stellt gewissermaßen den Schlüsselbegriff des Abgeordnetenstatus dar.142 Aufgrund seiner bereits auf einzelne Verfassungen des vorvergangenen Jahrhunderts zurückgehenden Tradition gehört es gleichsam zum „Erbgut des demokratisch-parlamentarischen Systems“.143 Die Unabhängigkeit und Weisungsfreiheit der Abgeordneten bilden die Wurzel der Willensbildung, die letztlich zu Beschlüssen des Parlaments und damit zur Politik des Staates bzw. eines Landes führt.144 Das Prinzip der Mandatsfreiheit richtet sich sowohl gegen den Staat als auch gegen Private und schützt die Abgeordneten vor allem, was den

138

Badura, in: Schneider/Zeh, § 15, Rn. 16. Badura, in: Schneider/Zeh, § 15, Rn. 16; ähnlich: Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 38, Rn. 218; Morlok, in: Dreier, Art. 38, Rn. 175. 140 Morlok, in: Dreier, Art. 38, Rn. 153; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 38, Rn. 46. 141 Exemplarisch: Art. 13 Abs. 2 Satz 2 Verfassung des Freistaates Bayern; Art. 27 Abs. 2 Satz 3 Verfassung des Landes Baden-Württemberg; Art. 76 Abs. 1 Verfassung des Landes Hessen; Art. 12 Satz 2 Niedersächsische Verfassung; Art. 30 Abs. 2 Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen. 142 Stern, Bd. I, § 24 IV. 2 m.w. N.; ähnlich du Mesnil de Rochemont/Müller, in: JuS 2016, 504, 505, die das freie Mandat als „essentielles Merkmal der parlamentarischrepräsentativen Demokratie“ bezeichnen. 143 Klein, in: Maunz-Dürig, Art. 38, Rn. 188 m.w. N.; zur Mandatsfreiheit der Mitglieder des Preußischen Landtages vgl. Meyer/Anschütz, § 105 Nr. 1. 144 Bericht und Empfehlungen der Unabhängigen Kommission zu Fragen des Abgeordnetenrechts, in: Schüttemeyer/Schmidt-Jortzig, S. 26. 139

2. Kap.: Das Abgeordnetenmandat

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Bestand des Mandats oder ihre freie Willensbildung beeinträchtigen könnte.145 Verträge und verpflichtende Erklärungen, die sich auf die Mandatsausübung beziehen, sind daher nichtig.146 Dieser Maßstab gilt grundsätzlich auch im Verhältnis zwischen dem Parlamentsmitglied und seiner Fraktion; gleichwohl wird den Fraktionen das Recht zugestanden, zugunsten eines möglichst geschlossenen Auftretens sogenannte Fraktionsdisziplin147 (im Gegensatz zum unzulässigen Fraktionszwang) herbeizuführen und dazu auch Sanktionen bis hin zum Fraktionsausschluss einzusetzen.148 Dagegen hat die Partei, über deren Wahlvorschlag die betreffende Person in das Parlament eingezogen ist, weder die Möglichkeit, durch Parteitagsbeschlüsse oder ähnliches auf das Parlamentsmitglied einzuwirken, noch kann die Partei Abgeordnete während der Wahlperiode abberufen (sog. Recall).149 2. Begrenzung der Mandatsfreiheit

Die Freiheit des Mandats wird allerdings nicht schrankenlos gewährleistet, sondern kann durch andere Rechtsgüter von Verfassungsrang – wie beispielsweise die Repräsentations- und Funktionsfähigkeit des Parlaments – begrenzt werden.150 Die Ausgestaltung und Beschränkung der Rechte einzelner Abgeordneter ist jedoch kein Selbstzweck. Vielmehr dürfen Abgeordnetenrechte nur insoweit eingeschränkt werden, als dies für die gemeinschaftliche Wahrnehmung der Vertretung des Volkes durch das Parlament als Ganzes erforderlich ist.151 Dem Parlament als Ganzem ist daher in Art. 40 Abs. 1 Satz 2 GG die sogenannte Geschäftsordnungsautonomie152 zugewiesen.153 Sie gibt dem Parlament das Recht, 145 Badura, in: Schneider/Zeh, § 15, Rn. 9; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 38, Rn. 47 f.; ähnlich auch Risse/Witt, in: Hömig/Wolff, Art. 38, Rn. 22. 146 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 38, Rn. 48; Roth, in: Umbach/Clemens, Art. 38, Rn. 108. 147 Auch: Fraktionsloyalität, vgl. Schmahl, in: Austermann/Schmahl, Vor § 1, Rn. 14, Fn. 107; Wiefelspütz, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, § 12, Rn. 20. 148 Badura, in: Schneider/Zeh, § 15, Rn. 21; Risse/Witt, in: Hömig/Wolff, Art. 38, Rn. 22; Roth, in: Umbach/Clemens, Art. 38, Rn. 109; Wiefelspütz, in: Morlok/ Schliesky/Wiefelspütz, § 12, Rn. 20; Stern, Bd. I, § 24, IV. 3. d); ähnlich du Mesnil de Rochemont/Müller, in: JuS 2016, 504, 506; a. A. Achterberg, in: JA 1983, 303, 304. 149 StGH Hessen, P.St. 783, Rn. 112 m.w. N.; Badura, in: Schneider/Zeh, § 15, Rn. 22; Dress, Ruhendes Mandat, S. 105; Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 38, Rn. 197 ff.; Stern, Bd. I, § 24, IV. 3. a). 150 BVerfGE 80, 188, 219; 99, 19, 32; 130, 318, 348; Burghart, in: Leibholz/Rink, Art. 38, Rn. 511; Morlok, in: Dreier, Art. 38, Rn. 159 ff.; Risse/Witt, in: Hömig/Wolff, Art. 38, Rn. 23; H.-P. Schneider, in: Denninger/Hoffmann-Riem/Schneider/Stein, Art. 38, Rn. 43; Stein, Verantwortlichkeit, S. 536; Wiefelspütz, in: Morlok/Schliesky/ Wiefelspütz, § 12, Rn. 29. 151 BVerfGE 80, 188, 219. 152 Die Verfassungen der Länder enthalten vergleichbare Regelungen. Exemplarisch: Art. 20 Abs. 3 Verfassung des Freistaates Bayern; Art. 69 Abs. 3 Verfassung des Landes Brandenburg; Art. 99 Verfassung des Landes Hessen; Art. 85 Abs. 1 Verfassung für Rheinland-Pfalz.

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1. Teil: Ausgangslage

den einzelnen Abgeordneten zur Sicherung seiner – des Parlaments – Arbeitsfähigkeit Schranken aufzuerlegen.154 Diese durch die Geschäftsordnung vorgenommenen Beschränkungen müssen indes im Einklang mit der Verfassung stehen und dürfen die Mandatsfreiheit nicht unverhältnismäßig beeinträchtigen.155 Für die hier gegenständliche Frage nach Mutterschutz und Elternzeit für Abgeordnete ist insbesondere von Bedeutung, ob es mit dem freien Mandat vereinbar ist, Abgeordneten in Bezug auf ihre Mandatswahrnehmung – insbesondere in Bezug auf den Umfang und den Zeitpunkt ihrer Mandatswahrnehmung – Pflichten aufzuerlegen. Die Beantwortung dessen bildet die Basis für die im weiteren Fortgang an mehreren Stellen zu erörternde Frage nach einer Anwesenheitspflicht für Abgeordnete; darüber hinaus entfalten die Kenntnisse der Grundlagen des freien Mandats auch Relevanz für die Frage der Beschränkbarkeit der Mandatszeit und des Stimmrechts. a) Einfachgesetzliche/Untergesetzliche Regelungen Der Bundestag und die Länderparlamente haben im Rahmen der ihnen zugewiesenen Autonomie derartige Abgeordnetenpflichten auf unterkonstitutioneller Ebene geschaffen: Sie haben die Rechte und Pflichten der Abgeordneten in den jeweiligen Abgeordnetengesetzen, in den Geschäftsordnungen und in gesonderten Verhaltensregeln konkret ausgestaltet. Die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Deutschen Bundestages sind im Abgeordnetengesetz des Bundes (AbgG Bund) näher geregelt. Zentrale und im Hinblick auf die Mandatsfreiheit durchaus diskutable Vorschrift hinsichtlich der Pflichten der Bundestagesabgeordneten ist § 44a AbgG Bund: Nach dessen Absatz 1 steht die Ausübung des Mandats im Mittelpunkt der Tätigkeit eines Mitglieds des Bundestages. Unbeschadet dieser Verpflichtung bleiben Tätigkeiten beruflicher oder anderer Art neben dem Mandat nach § 44a Abs. 1 Satz 2 AbgG Bund grundsätzlich zulässig. Nach §§ 44a Abs. 4, 44b AbgG in Verbindung mit den nach § 44b AbgG Bund erlassenen Verhaltensregeln156, die als Anlage zur Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages157 (GO BT) veröffentlicht worden sind, unterliegen die Abgeordneten umfangreichen Anzeige- und Veröffentlichungspflichten.158 153

Roth, in: Umbach/Clemens, Art. 38, Rn. 114. Badura, in: Schneider/Zeh, § 15, Rn. 46. 155 Badura, in: Schneider/Zeh, § 15, Rn. 46. 156 Verhaltensregeln für Mitglieder des Deutschen Bundestages, Anlage I zur Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages. 157 Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juli 1980 (BGBl. I 1980, S. 1237) zuletzt geändert durch Bekanntmachung vom 12. Juni 2017 (BGBl. I 2017, S. 1877). 158 Verfassungsrechtliche Bedenken bzgl. derartiger Offenlegungspflichten (bezogen auf den Landtag Nordrhein-Westfalen) äußert Schnapp, in: NWVBl. 2006, 401 ff. 154

2. Kap.: Das Abgeordnetenmandat

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Nach § 13 Abs. 2 GO BT sind die Bundestagsmitglieder zudem verpflichtet, an den Arbeiten des Bundestages teilzunehmen. Obschon der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages die Auffassung vertritt, bei der Teilnahmepflicht des § 13 Abs. 2 GO BT handle es sich nicht um eine Rechtspflicht, sondern um ein bloßes Nobile Officium,159 wird an jedem Sitzungstag eine Anwesenheitsliste ausgelegt, in die sich die Mitglieder des Bundestages einzutragen haben. Im Falle einer Nichteintragung und der Nichtbeteiligung an einer namentlichen Abstimmung wird – sofern kein Entschuldigungsgrund nach § 14 AbgG vorliegt – die dem Parlamentsmitglied grundsätzlich zustehende Kostenpauschale nach § 14 AbgG gekürzt. Die Beteiligung an der parlamentarischen Arbeit wird demnach überwacht und die Absenz mit drohenden finanziellen Nachteilen sanktioniert. Die Abgeordnetengesetze der Bundesländer enthalten teilweise vergleichbare Regelungen.160 b) Verfassungsrechtliche Pflicht zur Mandatswahrnehmung Fraglich ist jedoch, ob auch eine verfassungsrechtliche Pflicht besteht, das Mandat auf eine bestimmte Art und Weise und zu bestimmten Zeiten wahrzunehmen. Das Grundgesetz selbst gibt hierzu keine eindeutige Antwort. Ein Blick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zeigt indes, dass dieses zwischen seinen beiden insoweit wohl bedeutendsten Urteilen einen vergleichsweise deutlichen Sprung vom Zugeständnis der vollkommenen Mandatsfreiheit hin zu einer relativ strikten Einschränkung derselben vollzogen hat: Noch in seinem sogenannten Diätenurteil ging das Bundesverfassungsgericht von einem maximalen Selbstbestimmungsrecht der Abgeordneten hinsichtlich der Mandatsgestaltung aus. Ein Parlamentsmitglied schulde keine Dienste, sondern nehme sein Mandat unabhängig wahr.161 Demgemäß gestand das Gericht dem Mitglied einer Volksvertretung sogar die Freiheit zu, seine Aktivitäten im Parlament, in der Fraktion und der Partei sowie im Wahlkreis „bis über die Grenze der Vernachlässigung hinaus einzuschränken“.162 In seinem sogenannten Nebentätigkeitsurteil, das auf einer Pattentscheidung des in zwei gleichgroße Lager gespaltenen Senats beruht, vertrat die entscheidungstragende Hälfte der Richter hingegen die Ansicht, die Abgeordneten seien verpflichtet, in einer Weise und einem Umfang an den parlamentarischen Auf-

159 Baddenhausen-Lange, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, WF I – 4/97, S. 8. 160 Exemplarisch: Art. 7 Abs. 1 und Abs. 2 BayAbgG; § 8 Abs. 1 LAbgG Berlin; § 7 Abs. 1 AbgGRhPf; § 8 Abs. 2 Satz 3 SächsAbgG. 161 BVerfGE 40, 296, 316. 162 BVerfGE 40, 296, 312; so auch Platter, S. 8.

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1. Teil: Ausgangslage

gaben teilzunehmen, die deren Erfüllung gewährleisteten.163 Die Freiheit der Abgeordneten garantiere nicht die Freiheit von Pflichten, sondern nur die Freiheit darüber zu entscheiden, auf welche Art und Weise diese Pflichten erfüllt werden: Die Abgeordneten entscheiden hiernach nicht über das „Ob“, sondern nur über das „Wie“ ihrer Mandatswahrnehmung.164 Die dissentierenden Richter gingen demgegenüber von einem ungleich autonomeren Leitbild des freien Mandates aus: Es bestehe zwar die grundsätzliche Pflicht, das Mandat tatsächlich auszuüben; eine Einflussnahme auf Art, Dauer und Umfang der Mandatsausübung sei jedoch jeglicher rechtlichen Kontrolle entzogen und ausschließlich dem politischen Raum überantwortet.165 Unter Bezugnahme auf das oben genannte Diätenurteil des Bundesverfassungsgerichts166 ging das abweichende Votum davon aus, dass es den Parlamentsmitgliedern von Verfassungs wegen freistehe, ihre Arbeit inner- und außerhalb des Parlaments nach eigenem Ermessen bis über die Grenze der Vernachlässigung hinaus einzuschränken.167 Es stellt sich daher die Frage, ob eine derartige verfassungsrechtliche Pflicht der Abgeordneten zur Mandatswahrnehmung besteht. Bejahendenfalls stellt sich insbesondere auch die Frage, wie weit eine solche Pflicht reichen kann und ob das Verfassungsrecht die Abgeordneten zur Anwesenheit im Parlament verpflichtet. aa) Repräsentationsprinzip/Funktionsfähigkeit des Parlaments Zieht man das Grundgesetz zu Rate, so kommt zur Begründung einer solchen Verpflichtung insbesondere das in Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG zum Ausdruck kommende Repräsentationsprinzip – in Verbindung mit dem Erfordernis der Funktionsfähigkeit des Parlaments – in Betracht. Im Rahmen einer repräsentativen Demokratie liegt es naturgemäß im Interesse der Bevölkerung, dass die gewählten Abgeordneten die Vertretung des Volkes auch tatsächlich wahrnehmen.168 163 BVerfGE 118, 277, 325; so auch du Mesnil de Rochemont/Müller, in: JuS 2016, 504, 506; Wiefelspütz, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, § 12, Rn. 34; ähnlich Müller, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 38 Abs. 1, Rn. 94. 164 BVerfGE 118, 277, 326; so auch Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 38, Rn. 47. 165 BVerfGE 118, 277, 345 f., abweichendes Votum der Richter Hassemer, Di Fabio, Mellinghoff und Landau. 166 BVerfGE 40, 296 ff., insbesondere S. 312. 167 BVerfGE 118, 277, 345, abweichendes Votum der Richter Hassemer, Di Fabio, Mellinghoff und Landau. 168 BVerfGE 118, 277, 324; Demmler, Abgeordnete, S. 51; du Mesnil de Rochemont/ Müller, in: JuS 2016, 504, 505; Kluth, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Art. 38, Rn. 69. Darüber hinaus sieht Demmler, Abgeordnete, S. 77 f., in der Befassung der Abgeordneten mit den Anliegen der Bevölkerung die einzige Rechtfertigung für die zahlenmäßige Größe des Deutschen Bundestages. Müller, in: von Mangoldt/Klein/ Starck, Art. 38 Abs. 1, Rn. 94, erachtet in der umfangreichen Teilnahme an den Arbeiten des Parlaments die alleinige Rechtfertigung für die Finanzierung des Lebensunterhalts der Abgeordneten aus Steuermitteln.

2. Kap.: Das Abgeordnetenmandat

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Fraglich ist jedoch, ob aus diesem Interesse der einen Seite auch eine verfassungsrechtliche Pflicht der anderen Seite resultiert. Eine solche Auslegung des Grundsatzes des freien Abgeordnetenmandats erscheint zumindest diskussionswürdig, denn die Übergänge von einer Pflicht zur Mandatswahrnehmung hin zu einer Pflicht, das Mandat auf eine bestimmte Art und Weise wahrzunehmen, sind im Einzelfall fließend. So muss etwa berücksichtigt werden, dass ein großer Teil der Abgeordnetentätigkeit traditionell außerhalb des Plenums geleistet wird –169 etwa im Vorfeld politischer Entscheidungen in Arbeitskreisen und Ausschüssen sowie auch in der Arbeit im und für den Wahlkreis. Hat nun ein Parlamentsmitglied einen wichtigen Termin im Wahlkreis und bleibt dafür einer Parlamentssitzung fern, so wird damit isoliert betrachtet die Funktionsfähigkeit des Parlaments nicht gefährdet. Nehmen aber zur selben Zeit so viele Abgeordnete Wahlkreistermine anstelle der Parlamentssitzung wahr, dass das Parlament nicht beschlussfähig ist, so ist dessen Funktionsfähigkeit – zumindest bezogen auf den betreffenden Sitzungstag – nicht gewährleistet. Gleichwohl wird man daraus keine Verpflichtung der Abgeordneten herleiten können, Parlamentssitzungen in jedem Fall vorrangig vor allen anderen Terminen zu besuchen, auch wenn bei Nichtwahrnehmung des Alternativtermins Nachteile drohen. Denn das wäre indes eine inhaltliche Einflussnahme auf die Arbeit der Abgeordneten. Darüber hinaus kann die Nichtteilnahme an bestimmten Sitzungen eine politische Aussage beinhalten; etwa dann, wenn Abgeordnete der Wahl einer bestimmten Person in ein Amt oder auch der Abstimmung über bestimmte Inhalte nicht beiwohnen wollen und ihr Fernbleiben öffentlichkeitswirksam politisch vertreten. Ebenso ist das geschlossene Verlassen des Saales durch eine ganze Fraktion nach bestimmten Ereignissen (etwa einer als unerhört empfundenen Rede) ein durchaus gängiges politisches Stilmittel. Auch in diesem Fall tragen die entsprechenden Abgeordneten zumindest für die betreffende Sitzung nicht zum ordnungsgemäßen Ablauf derselben bei. Gleichwohl nehmen sie an der das Parlament oder die vertretene Gebietskörperschaft betreffenden Politik aktiv teil. Ihre Teilnahme kann unter Umständen sogar weitaus wirkungsvoller sein als diejenige (denklogisch möglicher) Abgeordneter, die zum selben Zeitpunkt zwar physisch im Parlament anwesend sind, deren psychische Beschäftigung mit dem Abstimmungsgegenstand aufgrund paralleler Beschäftigung mit anderen Inhalten jedoch bezweifelt werden kann. Im Rahmen des grundgesetzlich verbürgten freien Abgeordnetenmandates muss es daher möglich sein, auch bewusst an einer Sitzung nicht teilzunehmen.170 Geht man davon aus, dass dies zulässig ist, so muss allerdings den Abge-

169 170

BVerfGE 44, 308, 317; 80, 188, 221. Kluth, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Art. 38, Rn. 72.

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1. Teil: Ausgangslage

ordneten die Entscheidung darüber überlassen werden, aus welchem Grund sie der Sitzung fernbleiben. Die Entscheidung einer übergeordneten Instanz darüber, ob der Grund des Fernbleibens – beispielsweise ein Termin mit einem Minister im eigenen Wahlkreis – wichtig genug war, um das Fehlen zu rechtfertigen, würde weit in die Mandatsfreiheit eingreifen und wäre mit dieser schwerlich in Einklang zu bringen. Gleichwohl wird nicht verkannt, dass die Freiheit des Mandats durchaus in ein Spannungsfeld mit der Repräsentations- und Funktionsfähigkeit des Parlaments geraten kann.171 Es liegt auf der Hand, dass ein Parlament, das regelmäßig nicht beschlussfähig ist, seiner Aufgabe als Volksvertretung nicht genügt. Auch ist davon auszugehen, dass es dem Ansehen des Parlaments schaden und das Vertrauen in die getroffenen Entscheidungen schwächen würde, wenn eine große Anzahl der gewählten Parlamentarierinnen und Parlamentarier ein Desinteresse an der parlamentarischen Tätigkeit zur Schau trüge. Eine parlamentarische Demokratie lebt zumindest auch davon, dass sich das Volk überwiegend durch das von ihm gewählte Parlament repräsentiert fühlt. Grundsätzlich ist daher davon auszugehen, dass das Volk nur dann angemessen repräsentiert wird, wenn das Parlament als Ganzes an der Willensbildung beteiligt ist.172 Dementsprechend muss wohl von einer grundsätzlichen Verpflichtung der Abgeordneten in ihrer Gesamtheit, für die Funktionsfähigkeit des Parlaments Sorge zu tragen, ausgegangen werden. Diese kann jedoch auch dann gewährleistet sein, wenn einzelne Abgeordnete fehlen – entscheidend kann nur sein, dass das Parlament insgesamt funktionsund repräsentationsfähig ist. Ob und wie ein Parlamentsmitglied, das sein Mandat über die Grenze der Vernachlässigung hinaus nicht wahrnimmt, dies gegenüber der Öffentlichkeit, seiner Wählerschaft, seiner Partei und Fraktion und den übrigen Abgeordneten rechtfertigen kann und ob durch eine derartige Vernachlässigung die Chancen für eine erneute Aufstellung und eine Wiederwahl schwinden,173 ist eine hiervon zu unterscheidende, praktische politische Frage. Wird dieses Verhalten eines einzelnen Parlamentsmitgliedes kompensiert, so steht die demokratische Funktion der Volksvertretung jedenfalls nicht in Frage. Allerdings gilt Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG nicht nur für das Parlament als Ganzes, sondern auch für jedes einzelne seiner Mitglieder.174 Auch wenn das Volk nicht durch einzelne Abgeordnete, sondern durch das Parlament als Ganzes repräsentiert wird,175 so kann diese Gesamtrepräsentation doch nur gelingen, wenn 171

BVerfGE 80, 188, 219; 84, 304, 321; 96, 264, 279; 118, 277, 326. BVerfGE 56, 396. 173 Vgl. auch BVerfGE 40, 296, 312. 174 Demmler, Abgeordnete, S. 89; Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 38, Rn. 192. 175 BVerfGE 44, 308, 315 f.; 56, 396, 405; 80, 188, 218; 102, 224, 237; Badura, in: Schneider/Zeh, § 15, Rn. 6; Grote, Verfassungsorganstreit, S. 164; Risse/Witt, in: Hömig/Wolff, Art. 38, Rn. 21; Wiefelspütz, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, § 12, Rn. 7. 172

2. Kap.: Das Abgeordnetenmandat

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zumindest die überwiegende Mehrheit der Abgeordneten dazu beiträgt. Eine repräsentative Demokratie lebt nur von tatsächlicher Repräsentation. Insofern liegt es nicht nur im Interesse des Wahlvolkes, tatsächlich im Parlament vertreten zu werden, sondern entspricht auch „dem Prinzip der repräsentativen Demokratie (. . .), daß der Abgeordnete sein ihm anvertrautes Amt tatsächlich ausübt.“ 176 Dem einzelnen Parlamentsmitglied obliegt damit zumindest die Verpflichtung, im Zusammenwirken mit den übrigen Abgeordneten die gelungene Repräsentation des Volkes sicherzustellen. Das bedeutet aber eben nicht, dass jedes einzelne Mitglied einem ständigen Anwesenheitszwang unterliegt. Das Ziel der Wahrung der Repräsentations- und Funktionsfähigkeit des Parlaments ist auch dann erreicht, wenn einzelne Abgeordnete nicht am Entscheidungsprozess teilnehmen. Aus den genannten Prinzipien kann daher nur die Pflicht resultieren, sich mit den übrigen Abgeordneten im Falle der Absenz dahingehend abzusprechen, dass die Beschlussfähigkeit grundsätzlich gewährleistet ist; die Beschlussunfähigkeit bei einzelnen Sitzungen hemmt indes noch nicht die generelle Funktionsfähigkeit des Parlaments. Dabei kann diese zu fordernde Sicherstellung der grundsätzlichen Beschlussfähigkeit auch beinhalten, dass ein einzelnes Mitglied dem Parlament längere Zeit fernbleibt. Dem Erfordernis, das anvertraute Amt tatsächlich auszuüben, ist auch dann genüge getan, wenn das Parlamentsmitglied anderweitig zum Funktionieren des Gesamtsystems der Volksvertretung beiträgt. Der aus dem Repräsentationsprinzip hergeleitete „Verantwortungs- und Rechtfertigungszusammenhang“ 177 ist rein politischer – nicht rechtlicher – Natur. Zur Tätigkeitskontrolle oder -bewertung der Arbeit der Abgeordneten ist allein die Wählerschaft berufen. Sie allein entscheidet über eine eventuelle Wiederwahl.178 Eine Bewertung der Abgeordnetenleistung durch das Präsidium, den Ältestenrat oder ein vergleichbares Gremium ist – auch soweit sie nur die Quantität der Sitzungsteilnahme betrifft – mit dem Grundsatz des freien Mandats nicht vereinbar. Im Übrigen entspräche eine verwaltungsähnliche Kontrolle der ordnungsgemäßen Mandatswahrnehmung auch nicht dem Leitbild einer weisungsfreien Volksvertretung.179 Die Forderung, Abgeordnete müssten ihr Mandat so wahrnehmen, dass es ihnen zeitlich unmöglich sei, daneben einer anderen Tätigkeit nachzugehen,180 lässt von der Freiheit des Mandats nicht mehr viel übrig. Die Formulierung „an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen 176

BVerfGE 56, 396, 405. Trute, in: von Münch/Kunig, Art. 38, Rn. 73; ähnlich: Schmahl, in: Austermann/ Schmahl, Vor § 1, Rn. 5. 178 Badura, in: Festschrift für Schneider, S. 153, 154. 179 BVerfGE 118, 277, 345, abweichendes Votum der Richter Hassemer, Di Fabio, Mellinghoff und Landau. 180 BVerfGE 118, 277, 325. 177

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1. Teil: Ausgangslage

unterworfen“ aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG deutet im Gegenteil auf eine sehr weitreichende Freiheit der Mandatswahrnehmung hin. Eine rechtliche Verpflichtung, sich mit bestimmten oder gar allen im Parlament behandelten Themen zu befassen, besteht nicht; vielmehr unterliegt es der Eigenverantwortung und der freien Entscheidung der Abgeordneten, in welchem Umfang sie sich mit einzelnen parlamentarischen Themen befassen181 und wie sie ihre Arbeit im Einzelnen zeitlich gewichten. Aus dem in Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG zum Ausdruck kommenden Repräsentationsprinzip – in Verbindung mit dem Erfordernis der Funktionsfähigkeit des Parlaments – resultiert daher keine generelle Anwesenheits- und Teilnahmepflicht einzelner Abgeordneter, sondern allein die Verpflichtung, im Zusammenwirken mit den übrigen Abgeordneten die Funktionsfähigkeit und die Repräsentationsfunktion des Parlaments sicherzustellen. bb) Begriff des Amtes der Abgeordneten Es stellt sich jedoch die Frage, ob aus dem Begriff des Amtes, das Art. 48 Abs. 2 Satz 1 GG den Abgeordneten zuweist, darauf geschlossen werden kann, dass das Parlamentsmitglied konkreten Pflichten zu Art und Umfang der Mandatsausübung unterliegt. Ein Amt ist der einer natürlichen Person durch Rechtsvorschriften zur pflichtgemäßen Ausübung zugewiesene Wirkungskreis.182 Die Verwendung des Amtsbegriffes könnte daher darauf hinweisen, dass die Abgeordneten ihre Tätigkeit pflichtgemäß auszuüben haben. Teilweise wird daher auf eine Gemeinwohlbindung des Mandates geschlossen.183 Tatsächlich liegt es in der Natur der Sache, dass im Rahmen einer parlamentarischen Demokratie das Parlament im Mittelpunkt steht – und nicht einzelne Parlamentarierinnen und Parlamentarier. Das Parlament als Ganzes repräsentiert das Volk.184 Parlamentsentscheidungen werden durch die Volksvertretung als Kollegialorgan im Zusammenwirken der Mehrheit der Abgeordneten getroffen. Das Parlament existiert weder zum Selbstzweck noch zur Befriedigung individueller Bedürfnisse der Gewählten. Vielmehr ist seine Aufgabe die Vertretung des Volkes bei der Wahrnehmung grundgesetzlich festgelegter Aufgaben. Daraus kann 181 BVerfGE 44, 308, 316; 118, 277, 345 f., abweichendes Votum der Richter Hassemer, Di Fabio, Mellinghoff und Landau. 182 Badura, in: Schneider/Zeh, § 15, Rn. 59. 183 von Arnim, in: DÖV 2007, 897, 902; Demmler, Abgeordnete, S. 51; Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 48, Rn. 31; Wiefelspütz, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, § 12, Rn. 6; ähnlich Klein, in: Isensee/Kirchhof, Bd. III, § 51, Rn. 1. 184 BVerfGE 44, 308, 315 f.; 56, 396, 405; 80, 188, 218; 102, 224, 237; Badura, in: Schneider/Zeh, § 15, Rn. 6; Grote, Verfassungsorganstreit, S. 164; Risse/Witt, in: Hömig/Wolff, Art. 38, Rn. 21; Wiefelspütz, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, § 12, Rn. 7.

2. Kap.: Das Abgeordnetenmandat

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nur der Schluss gezogen werden, dass das Abgeordnetenamt unabhängig von der Person des jeweiligen Parlamentsmitgliedes und im Interesse des Volkes dergestalt auszuüben ist, dass es einen Beitrag zum parlamentarischen System leistet.185 Gleichwohl darf auch in diesem Zusammenhang die grundlegende Wirkung des freien Mandats nicht außer Acht gelassen werden. Der demokratische Parlamentarismus nach dem Grundgesetz ist offen gestaltet.186 Auch wenn das Parlamentsmitglied verpflichtet ist, das Wohl des Ganzen im Blick zu behalten,187 so ist es doch in der Ausgestaltung seiner Tätigkeit autonom.188 Der Begriff des Amtes darf nicht dahingehend überinterpretiert werden, dass Pflichten in den Abgeordnetenstatus hineingedeutet werden, die das Grundgesetz ansonsten nicht vorsieht.189 Das Amt des Parlamentsmitgliedes besteht in seinem Mandat. Soweit aus der Verwendung des Amtsbegriffes auf eine Verpflichtung der Abgeordneten, das Wohl des Volkes oder des Landes bei ihrer Tätigkeit zu berücksichtigen,190 geschlossen werden kann, so ist diese Verpflichtung ohnehin bereits durch die Gewissensbindung und die Bindung an das Repräsentationsprinzip abgedeckt. Eine weitergehende Verpflichtung der Abgeordneten kann aus der Formulierung des Art. 48 Abs. 2 Satz 1 GG demnach nicht hergeleitet werden. cc) Ergebnis zur Pflicht zur Mandatswahrnehmung Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Begrenzung der Mandatsfreiheit durch andere Rechtsgüter von Verfassungsrang mit Bedacht vorgenommen werden muss. Eine pauschale Anwesenheits- oder Teilnahmepflicht vermögen diese Rechtsgüter nicht zu rechtfertigen. Einzelne, differenzierende Regelungen können gleichwohl zulässig sein. Die gesetzliche Verpflichtung der Bundestagsabgeordneten, die parlamentarische Arbeit in den Mittelpunkt ihrer Tätigkeit zu stellen, unterliegt folgerichtig auch keiner behördlichen oder gerichtlichen Kontrolle; Rechenschaft hat ein Parlamentsmitglied ausschließlich im politischen Raum abzulegen.191

185

Wiefelspütz, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, § 12, Rn. 6. Badura, in: Bonner Kommentar, Art. 38, Rn. 62; Badura, in: Schneider/Zeh, § 15, Rn. 59. 187 Stern, Bd. I, § 24, IV. 2. a). 188 BVerfGE 40, 296, 312; 44, 308, 316; 118, 277, 345 f., abweichendes Votum der Richter Hassemer, Di Fabio, Mellinghoff und Landau; Platter, S. 8. 189 Vgl. kritisch zum Amtsbegriff bezogen auf Abgeordnete: M. Schröder, Parlamentsrecht, S. 142 ff. und 280 ff. 190 Henke, in: DVBl. 1973, 553, 559; ähnlich von Arnim, in: DÖV 2007, 897, 902 f. 191 BVerfGE 118, 277, 337; ähnlich Badura, in: Festschrift für Schneider, S. 153, 158. 186

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1. Teil: Ausgangslage

Gleichwohl ergibt sich aus dem in Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG zum Ausdruck kommenden Repräsentationsprinzip in Verbindung mit dem Erfordernis der Funktionsfähigkeit des Parlaments immerhin die Verpflichtung aller Abgeordneten, im Zusammenwirken mit den übrigen Mitgliedern desselben Parlaments die Funktions- und Repräsentationsfähigkeit und damit die demokratische Funktion der Volksvertretung sicherzustellen. Solange diese gewährleistet ist, ist dementsprechend auch eine längere Abwesenheit einzelner Abgeordneter verfassungsrechtlich unbedenklich. Diese wird insoweit durch die aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG resultierende Mandatsfreiheit garantiert.

D. Abgeordnetenmandat und Beamtenverhältnis Ungeachtet der verfassungsrechtlichen Vorgaben an die Mandatsfreiheit unterliegt das Abgeordnetenmandat zahlreichen, oben bereits dargestellten Strukturierungen durch Abgeordnetengesetze, Geschäftsordnungen und Verhaltensregeln. Angesichts dieser starken Reglementierung des Mandats stellt sich die Frage, ob dieses dadurch zu einer Art Beamtenverhältnis geworden ist – mit der hier relevanten Folge, dass dann das Mutterschutzgesetz über die Mutterschutz- und Elternzeitverordnung auch auf Abgeordnete anwendbar sein könnte. I. Formales Beamtenverhältnis Die Begründung formaler Beamtenverhältnisse durch die Mitgliedschaft in einem Parlament scheitert indes bereits an deren gesetzlichen Voraussetzungen: Sowohl nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 Bundesbeamtengesetz (BBG)192 als auch nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG)193 bedarf es zur Begründung eines Beamtenverhältnisses einer Ernennung. Diese erfolgt gemäß § 10 Abs. 2 Satz 1 BBG bzw. nach § 8 Abs. 2 Satz 1 BeamtStG durch Aushändigung einer Ernennungsurkunde. Eine derartige förmliche Ernennung der Abgeordneten zu Beamtinnen und Beamten erfolgt zweifellos nicht, so dass die durch die Mitgliedschaft im Parlament vermittelte Beamteneigenschaft von Abgeordneten bereits aus diesem Grunde ausgeschlossen ist. II. Beamtenähnliche Stellung Auch eine beamtenähnliche Stellung der Abgeordneten ist zu verneinen. Zwar spricht die starke Beschränkung der Mandatsfreiheit – insbesondere die Vorgaben von Umfang und Ort der Mandatswahrnehmung – für eine Entwicklung der 192 Bundesbeamtengesetz vom 5. Februar 2009 (BGBl. I 2009, S. 160), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 29. November 2018 (BGBl. I 2018, S. 2232). 193 Gesetz zur Regelung des Statusrechts der Beamtinnen und Beamten in den Ländern vom 17. Juni 2008 (BGBl. I 2008, S. 1010), zuletzt geändert durch Gesetz vom 8. Juni 2017 (BGBl. I 2017, S. 1570) m. W. v. 15. Juni 2017.

2. Kap.: Das Abgeordnetenmandat

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freien Abgeordneten hin zu einer Art Mandatsbediensteten.194 Darüber hinaus könnte auch die durch Art. 48 Abs. 3 GG garantierte finanzielle Entschädigung der Abgeordneten auf ein beamtenähnliches Verhältnis hindeuten. Sowohl der Deutsche Bundestag als auch die Volksvertretungen der Flächenländer verstehen sich als Vollzeitparlamente und gewähren den Abgeordneten eine Entschädigung, die diese in die Lage versetzt, davon auch ohne ein weiteres Einkommen ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.195 Daraus könnte man – wie das Bundesverfassungsgericht es in seinem sogenannten Diätenurteil getan hat – den Schluss ziehen, aus der ehemaligen Entschädigung für ein Ehrenamt sei „die Bezahlung für die im Parlament geleistete Tätigkeit geworden“, die Abgeordneten bezögen nunmehr „aus der Staatskasse ein Einkommen“,196 sie erhielten eine „Vollalimentierung“ 197. Dieser Ansatz verwundert jedoch insbesondere deshalb, weil das Bundesverfassungsgericht im selben Urteil die Auffassung vertritt, ein Parlamentsmitglied schulde rechtlich keine Dienste, sondern nehme das Mandat in Unabhängigkeit wahr; auch unterstehe es nicht den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums; vielmehr würden diese Grundsätze überhaupt nicht berührt.198 Die Abgeordneten seien keine Beamten geworden, sondern vom Vertrauen der Wähler berufene Inhaber eines öffentlichen Amtes, Träger des freien Mandates und Vertreter des ganzen Volkes geblieben.199 Diese Interpretation des Abgeordnetenstatus hat trotz der erst später gefassten aktuellen Ausgestaltung des Abgeordnetengesetzes und der Geschäftsordnung des Bundestages nicht an Gültigkeit verloren. Denn die aktuellen Fassungen der die Rechte und Pflichten regelnden gesetzlichen und untergesetzlichen Normen sind zwar geltendes Recht. Grundlage für die Bestimmung des Abgeordnetenstatus ist jedoch zuvörderst die Verfassung. Die sich hieraus ergebende Freiheit des Mandats kann zwar durch andere Rechtsgüter von Verfassungsrang – insbesondere die Repräsentations- und Funktionsfähigkeit des Parlaments – limitiert werden. Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG verbietet es jedoch geradezu, irgendjemandem einen Rechtsanspruch auf im Parlament zu leistende Dienste der Abgeordneten zu gewähren.200 Dementsprechend ist auch die sanktionsbewehrte Pflicht zur Teilnahme an Sitzungen des Parlaments nicht unbedenklich. Nach dem Grundsatz des freien Mandats bestimmen Abgeordnete selbst, wie viel Zeit sie für ihr 194 BVerfGE 118, 277, 348 f., abweichendes Votum der Richter Hassemer, Di Fabio, Mellinghoff und Landau. 195 Siehe oben im zweiten Kapitel, B., S. 71 ff. 196 BVerfGE 40, 296, 314. 197 BVerfGE 40, 296, 315. 198 BVerfGE 40, 296, 316. 199 BVerfGE 40, 296, 314. 200 BVerfGE 40, 296, 334, abweichende Meinung des Richters Vizepräsident Seuffert.

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1. Teil: Ausgangslage

Mandat aufbringen und wie viel dieser Zeit sie in Sitzungen, im Wahlkreis, in der inhaltlichen Vorbereitung, mit der Bearbeitung von Anfragen, mit Bürgerinnen und Bürgern, in Parteiveranstaltungen oder mit der Presse, etwa in Talkshows, verbringen.201 Nach dem Grundgesetz sind Abgeordnete keiner Präsidentin, keinem Präsidenten, keinem Präsidium und keinem Ältestenrat verantwortlich, sondern ausschließlich ihrem Gewissen. Abgeordnete schulden keine Dienste.202 Rein praktisch besteht indes eine politische Kontrolle durch die allgemeine Öffentlichkeit: Insbesondere dann, wenn das Parlamentsmitglied eine Wiederwahl anstrebt, wird es sich zumindest in einem gewissen Ausmaß an den Erwartungen der nominierenden Parteigremien und der Wählerinnen und Wähler orientieren. Daraus ergibt sich jedoch keinerlei rechtliches Bindungsverhältnis. Das freie Mandat als Bollwerk ihrer Unabhängigkeit203 stellt sicher, dass die Abgeordneten gegenüber niemandem einer Pflicht zu einer bestimmten Art und Weise der Mandatsausübung unterliegen. Weder die Reglementierung des Mandats durch gesetzliche und untergesetzliche Regelungen noch die Zahlung einer Entschädigung in einer den Lebensunterhalt der Abgeordneten sichernden Höhe führen demnach zur Begründung eines beamtenähnlichen Status der Parlamentsmitglieder. Im Hinblick auf die Entschädigungszahlung ist im Übrigen festzuhalten, dass diese gerade keine Gegenleistung für geleistete Parlamentsarbeit darstellt – was sie in die Nähe eines arbeitsrechtlichen Anspruchs rücken würde – und darüber hinaus auch nicht aus der Fürsorgepflicht eines Dienstherrn resultiert – was eine Nähe zum Beamtenverhältnisses begründen könnte.204 Die Diäten stellen im Gegensatz dazu eine Art Umlage des durch das Parlament repräsentierten Volkes dar, die die Abgeordneten von Belastungen befreit, die ihnen aufgrund der Teilnahme an Gemeinschaftsaufgaben entstehen.205 Sie, die Diäten, beruhen auf den Grundprinzipen der repräsentativen Demokratie.206 Im Übrigen unterscheiden sich Beamtenverhältnis und Abgeordnetenmandat auch dadurch grundlegend, dass die Beamtin oder der Beamte dem Dienstherrn – 201 Im Ergebnis auch BVerfGE 118, 277, 326 und 336 f.; Kluth, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Art. 38, Rn. 72. 202 BVerfGE 40, 296, 316; 76, 256, 341; 118, 277, 326; Badura, in: Bonner Kommentar, Art. 38, Rn. 63; Müller, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 38 Abs. 1, Rn. 93; Kluth, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Art. 48, Rn. 13; Grote, Verfassungsorganstreit, S. 159. 203 Badura, in: Schneider/Zeh, § 15, Rn. 15. 204 BVerfGE 40, 296, 334, abweichende Meinung des Richters Vizepräsident Seuffert. 205 Kluth, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Art. 48, Rn. 9. 206 BVerfGE 4, 144, 150; 20, 56, 103; 96, 264, 278; 102, 234, 238; Kluth, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Art. 48, Rn. 9; Kunig, in: von Münch/Kunig, Art. 33, Rn. 63.

2. Kap.: Das Abgeordnetenmandat

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als Korrelat zur Alimentation – grundsätzlich auf Lebenszeit die volle Arbeitskraft zur Verfügung stellt,207 während das Parlamentsmitglied grundsätzlich nur für die Dauer einer Wahlperiode gewählt wird.208 Die Mandatszeit stellt in der Regel einen atypischen Abschnitt außerhalb der bisherigen und gegebenenfalls auch künftigen Berufslaufbahn der Abgeordneten dar.209 Obwohl in der Öffentlichkeit das Bild des Berufspolitikers dominiert, der gewissermaßen sein gesamtes Erwachsenenleben im Parlament verbringt („Kreißsaal, Hörsaal, Plenarsaal“), spricht die Statistik eine andere Sprache: Zum Ende der 18. Wahlperiode von 2013 bis 2017 betrug die durchschnittliche Mitgliedschaft der Bundestagsabgeordneten 10,07 Jahre, also nur rund zweieinhalb Legislaturperioden.210 Für die überwiegende Mehrzahl der Abgeordneten stellt die Parlamentsmitgliedschaft daher nur einen zeitlich untergeordneten Teil ihres Berufslebens dar. Insgesamt ist das Parlamentsmitglied damit geradezu der Gegenentwurf zur Beamtin bzw. zum Beamten.211

E. Abgeordnetenmandat und Beschäftigungsverhältnis Im Anschluss daran stellt sich die Frage, ob das Abgeordnetenmandat als Beschäftigungsverhältnis im Sinne von § 7 Abs. 1 SGB IV212 verstanden werden kann. In § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV ist Beschäftigung als nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis, legaldefiniert. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. § 7 Abs. 1 SGB IV dient insbesondere der Abgrenzung der unselbständigen von der selbständigen Tätigkeit; ob es sich dabei um eine privatrechtliche oder eine öffentlich-rechtliche Tätigkeit handelt, ist dabei ebenso unerheblich wie die Frage, was vertraglich vereinbart wurde.213 Arbeit im Sinne des Sozialversicherungsrechts ist jede planmäßige wirtschaftliche Betätigung, die zur Befriedigung

207 Battis, in: Sachs, Art. 33, Rn. 73; Kluth, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Art. 33, Rn. 147. 208 BVerfGE 76, 256, 342. 209 BVerfGE 76, 256, 342. 210 Datenhandbuch des Bundestages, 3. Alters- und Sozialstruktur, https://www.bun destag.de/blob/272478/b50d5a9e85f5f6714f001fe7f27b408f/kapitel_03_04_dauer_der_ mitgliedschaft_im_bundestag-pdf-data.pdf, zuletzt aufgerufen am 12. Dezember 2019. 211 Ähnlich Abmeier, Befugnisse, S. 39 m.w. N.; Stern, Bd. I, § 24 I. 3. 212 Sozialgesetzbuch, Viertes Buch (SGB IV) – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – Artikel I des Gesetzes vom 23. Dezember 1976 (BGBl. I 1976, S. 3845) in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. November 2009 (BGBl. I 2009, S. 3710, 3973; I 2011, S. 363), zuletzt geändert durch Artikel 7a des Gesetzes vom 18. Juli 2017 (BGBl. I 2017, S. 2757). 213 Knospe, in: Hauck/Noftz, K § 7, Rn. 2.

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1. Teil: Ausgangslage

eines Bedürfnisses dient; hierunter fallen im Übrigen auch ehrenamtliche Tätigkeiten.214 Die Nichtselbständigkeit der Arbeit ist durch die persönliche Abhängigkeit der Arbeitenden geprägt.215 Dabei bemisst sich die persönliche Abhängigkeit im Wesentlichen nach der Eingliederung der betreffenden Person in einen Betrieb oder eine Verwaltung und nach dem damit einhergehenden Direktionsrecht der Arbeitgeberin bzw. des Arbeitgebers.216 Hierfür ist wiederum maßgeblich, ob die betreffende Person ihre Tätigkeit und ihre Arbeitszeit im Wesentlichen frei gestalten kann oder ob sie insofern einem Weisungsrecht unterliegt – wobei Letzteres im Bereich höherwertiger Tätigkeiten auch stark eingeschränkt sein kann.217 Je freier die betreffende Person bei der Gestaltung der Arbeit ist, desto gewichtiger wird das Merkmal der Eingliederung in die übergeordnete Organisation: Die Weisungsgebundenheit reduziert sich in diesem Fall auf die funktionsgerechte, dienende Teilhabe am Arbeitsprozess.218 Legt man ausschließlich das Abgeordnetengesetz, die Geschäftsordnung des Bundestages und die Verhaltensregeln für Mitglieder des Bundestages zugrunde, so ist eine starke Eingliederung der Bundestagsabgeordneten in die Arbeitsorganisation des Bundestages festzustellen: Die Abgeordneten haben die Ausübung des Mandats gemäß § 44a AbgG Bund in den Mittelpunkt ihrer Tätigkeit zu stellen. Nach § 13 Abs. 2 GO BT sind sie verpflichtet, an den Arbeiten des Bundestages teilzunehmen. Die Beteiligung an der parlamentarischen Arbeit wird kontrolliert und die Absenz mit der Kürzung der Kostenpauschale sanktioniert. Tätigkeiten und Einkünfte neben dem Abgeordnetenmandat sind anzuzeigen; sie werden von Seiten des Bundestages veröffentlicht. Gleichwohl kann nicht von einem Weisungsrecht eines übergeordneten Gremiums ausgegangen werden. Zwar erscheint eine Eingliederung in die übergeordnete Organisation Bundestag auf den ersten Blick naheliegend: Schließlich repräsentieren die Abgeordneten das Volk nicht jeweils einzeln, sondern nur gemeinsam mit den übrigen Abgeordneten als Parlament im Ganzen.219 Einzelne Abgeordnete können dementsprechend keine Entschließung und kein Gesetz verabschieden; dies ist ausschließlich im Zusammenwirken mit anderen Abgeordne214

Knospe, in: Hauck/Noftz, K § 7, Rn. 20. Knospe, in: Hauck/Noftz, K § 7, Rn. 21. 216 Ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, vgl. dazu BSG, Urteil vom 31. März 2017 – B 12 R 7/15 R – Rn. 21, zitiert nach juris, m.w. N. 217 BSG, Urteil vom 19. Juni 2001 – B 12 KR 44/00 R –, SozR 3-2400 § 7 Nr. 18, SozR 3-4300 § 27 Nr. 1, SozR 3-2600 § 1 Nr. 8, Rn. 14, zitiert nach juris; BSG, Urteil vom 31. März 2017 – B 12 R 7/15 R – Rn. 21, zitiert nach juris, m.w. N. 218 BSG, Urteil v. 31.3.2017, B 12 R 7/15 R, SozR 4-2400 § 7 Nr. 30, Rn. 21; Urteil v. 29.6.2016, B 12 R 5/14 R, USK 2016-48, Rn. 14; BSG, Urteil vom 31. März 2015 – B 12 R 1/13 R–, SozR 4-2400 § 14 Nr. 19, Rn. 18, zitiert nach juris. 219 BVerfGE 56, 396, 405; 102, 224, 237; Badura, in: Schneider/Zeh, § 15, Rn. 6; Schmahl, in: Austermann/Schmahl, Vor § 1, Rn. 5; Wiefelspütz, in: Morlok/Schliesky/ Wiefelspütz, § 12, Rn. 7. 215

2. Kap.: Das Abgeordnetenmandat

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ten als übergeordnetes Organ möglich. Das einzelne Mitglied leistet mithin nur einen Teilbeitrag zur Gesamtleistung des Parlaments. Ungeachtet dessen ist eine Einordnung des Abgeordnetenmandats als Beschäftigungsverhältnis auf der Basis des Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG klar zu verneinen. Das Parlamentsmandat unterscheidet sich vom Beschäftigungsverhältnis bereits durch seine eindeutige verfassungsrechtliche Grundlage. Zwar ist es für die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses unerheblich, was vertraglich vereinbart wurde und ob es sich um eine privatrechtliche oder eine öffentlich-rechtliche Tätigkeit handelt.220 Dennoch setzt das Beschäftigungsverhältnis als Wesensmerkmal notwendigerweise immer eine vertragliche Beziehung zwischen einer arbeitgebenden Person und einer arbeitnehmenden Person voraus. Eine solche Vertragsbeziehung besteht zwischen den Abgeordneten und dem Parlament, dem Staat oder einem anderen übergeordneten Organ jedoch nicht. Niemand ist Arbeitgeberin oder Arbeitgeber der Abgeordneten. Die Abgeordneten schulden keine Arbeitsleistung und keine Dienste, sondern nehmen ihr Mandat in Unabhängigkeit wahr.221 Die ihnen gewährte Abgeordnetenentschädigung wird nicht aufgrund eines arbeitsrechtlichen Anspruchs gezahlt; sie ist auch nicht als Gegenleistung für die im Parlament geleistete Arbeit zu verstehen, sondern als grundgesetzlich gewährte, angemessene Leistung zur Sicherung der Unabhängigkeit der frei gewählten Abgeordneten (Art. 48 Abs. 3 GG).222 Insofern basiert die Ablehnung der Beschäftigteneigenschaft der Abgeordneten auf ähnlichen Erwägungen wie die Ablehnung der Beamteneigenschaft: Das vom Grundgesetz in seinem Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG gezeichnete Bild des frei gewählten Parlamentsmitgliedes, das weisungsfrei entscheidet und nur seinem Gewissen unterworfen ist, entspricht weder dem eines Beamten223 noch dem eines abhängig Beschäftigten. Der Grundsatz des freien Mandats garantiert den Abgeordneten die freie Verfügungsmacht über ihre Zeit und ihren Arbeitseinsatz. Auch wenn das Mandat im Zuge seiner zunehmenden Professionalisierung224 regelmäßig die volle Arbeitskraft fordert,225 sind Abgeordnete de iure niemandem Rechenschaft schuldig.226 Die Rechtfertigung erfolgt allein im politischen Bereich gegenüber der Öffentlichkeit, der Partei, den Wählerinnen und Wählern.

220

Knospe, in: Hauck/Noftz, K § 7, Rn. 2. BVerfGE 40, 296, 316; 76, 256, 341; 118, 277, 326; Badura, in: Bonner Kommentar, Art. 38, Rn. 63; Müller, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 38 Art. 1, Rn. 93; Grote, Verfassungsorganstreit, S. 159; Kluth, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Art. 48, Rn. 13. 222 BVerfGE 40, 296, 316. 223 Vgl. oben im ersten Teil, zweites Kapitel, D., S. 86 ff. 224 Wiefelspütz, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, § 12, Rn. 36. 225 BVerfGE 40, 296, 311. 226 Badura, in: Schneider/Zeh, § 15, Rn. 15. 221

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1. Teil: Ausgangslage

Obschon die Abgeordneten nur gemeinsam als Parlament das Volk repräsentieren und obschon sie auch ihre Entscheidungsbefugnisse nur gemeinschaftlich ausüben können227 und somit einzeln jeweils als untergeordneter Baustein an einem großen Ganzen mitwirken, kann dies nicht als dienende Teilhabe an einem Arbeitsprozess verstanden werden. Abgeordnete mögen zwar in einem politischen Sinne dem Volk dienen. Juristisch gesehen sind sie jedoch niemandem zum Dienst verpflichtet228 und dienen daher auch keiner übergeordneten Organisation, sondern nehmen im Rahmen ihres öffentlichen Amtes und als Inhaberinnen und Inhaber eines freien Mandats am Prozess der parlamentarischen Entscheidung teil.229 Das Abgeordnetenmandat stellt somit kein Beschäftigungsverhältnis dar.

F. Abgeordnetenmandat und arbeitnehmerähnliche Personen Vor dem Hintergrund der durch das Grundgesetz kreierten Stellung der Abgeordneten als Innehabende eines besonderen öffentlichen Amtes, die das Mandat unabhängig wahrnehmen, fallen Parlamentsmitglieder auch nicht in den Bereich der arbeitnehmerähnlichen Personen. Bei der Bestimmung des Begriffs der arbeitnehmerähnlichen Person hilft die Begründung des Gesetzentwurfes zur Neuregelung des Mutterschutzrechts mit einem Verweis auf § 5 Abs. 1 Satz 2 des Arbeitsgerichtsgesetzes (ArbGG)230.231 Dieser enthält indes keine entsprechende Definition, sondern gibt lediglich einen Hinweis auf die wirtschaftliche Unselbständigkeit der betreffenden Person. Nach der gängigen arbeitsrechtlichen Definition sind arbeitnehmerähnliche Personen Dienstleistende, die mangels persönlicher Abhängigkeit keine Arbeitnehmer sind, jedoch wegen ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit vom Dienstnehmer sozial schutzbedürftig sind.232 Sie sind nicht in eine fremde Betriebsorganisation eingegliedert, erbringen ihre Dienstleistung aber nicht am Markt, sondern nur gegenüber bestimmten Unternehmen.233 227 BVerfGE 56, 396, 405; 102, 224, 237; Badura, in: Schneider/Zeh, § 15, Rn. 6; Schmahl, in: Austermann/Schmahl, Vor § 1, Rn. 5; Wiefelspütz, in: Morlok/Schliesky/ Wiefelspütz, § 12, Rn. 7. 228 BVerfGE 40, 296, 316. 229 BVerfGE 118, 277, 324 und 326. 230 Arbeitsgerichtsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juli 1979 (BGBl. I 1979, S. 853, 1036), zuletzt geändert durch Art. 5 Abs. 4 des Gesetzes vom 8. Oktober 2017 (BGBl. I 2017, S. 3546). 231 Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Mutterschutzrechts, Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 28. Juni 2016, BT-Drs. 18/8963, S. 51. 232 BAG, Beschluss vom 16. Juli 1997 – 5 AZB 29/96, NZA 1997, 1126, 1127; BAG, Beschluss vom 21. Dezember 2010 – 10 AZB 14/10, NZA 2011, 309, 310; Vogelsang, in: Schaub, § 10, Rn. 1. 233 Vogelsang, in: Schaub, § 10, Rn. 2.

3. Kap.: Mutterschutz

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Zwar stellt die Abgeordnetenentschädigung für viele der Abgeordneten die einzige Einnahmequelle dar, so dass eine wirtschaftliche Abhängigkeit der meisten Abgeordneten von diesen Diäten bejaht werden kann. Der Grad dieser wirtschaftlichen Abhängigkeit ist auch durchaus mit der in einem Arbeitsverhältnis herrschenden Abhängigkeit vergleichbar. Eine arbeitnehmerähnliche Person zeichnet sich jedoch zudem dadurch aus, dass sie einer dritten Person Dienstleistungen schuldet, die nach ihrer soziologischen Typik mit denen einer Arbeitnehmerin bzw. eines Arbeitnehmers vergleichbar sind.234 Wie oben dargestellt, schulden Abgeordnete aber niemandem Dienste, sondern sind – jedenfalls nach dem Grundgesetz – in der Gestaltung ihres Mandates frei. Eine Einordnung als arbeitnehmerähnliche Personen scheidet somit ebenfalls aus.

G. Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass das Abgeordnetenmandat verfassungsrechtlich insbesondere durch Art. 38 Abs. 1 GG geprägt ist: Diese Norm ist gewissermaßen seine Magna Charta.235 Hiernach haben die Abgeordneten eine zentrale Stellung236 als vom Vertrauen der Wählenden in ein freies Mandat berufene Inhaberinnen und Inhaber eines besonderen öffentlichen Amtes.237 Ihr eigener verfassungsrechtlicher Status gewährt ihnen die unmittelbare Teilnahme am Verfassungsleben.238 Kernelemente des Abgeordnetenstatus sind die Repräsentation des Volkes und die Freiheit des Mandats; dabei sind alle Abgeordneten formal mit den gleichen Rechten und Pflichten ausgestattet. Kraft der verfassungsrechtlichen Ausgestaltung ihres Mandates sind Abgeordnete weder Beamte noch unselbständig Beschäftigte noch arbeitnehmerähnliche Personen. Vor dem Hintergrund des maßgeblich durch die Mandatsfreiheit und das Repräsentationsprinzip geprägten verfassungsrechtlichen Status stellt das Abgeordnetenmandat eine Rechtsfigur sui generis dar. Drittes Kapitel

Mutterschutz Nach der Verortung der Rechtsnatur des Abgeordnetenmandates wird nunmehr der Fokus darauf gerichtet, ob die geltenden bundeseinheitlichen Regeln des 234 235 236 237 238

BAGE 14, 17. Schreiber, in: Friauf/Höfling, Art. 38, Rn. 170; Stern, Bd. I, § 24, IV. 3. Wiefelspütz, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, § 12, Rn. 6. Stern, Bd. I, § 24, I. 3. BVerfGE 2, 143, 164; 60, 374, 379; Badura, in: Schneider/Zeh, § 15, Rn. 58.

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1. Teil: Ausgangslage

Mutterschutzes – und im nachfolgenden Kapitel auch die der Elternzeit – auf Abgeordnete anwendbar sind. Der persönliche Schutzbereich der deutschen Mutterschutzregelungen wurde seit ihrer Entstehung im vorvergangenen Jahrhundert erheblich erweitert. Um den aktuellen Geltungsbereich des Mutterschutzgesetzes, der durch die jüngste, am 1. Januar 2018 in Kraft getretene, Reform239 noch einmal erheblich ausgedehnt wurde, besser einordnen zu können, ist es notwendig, einen kurzen Blick in die Geschichte des Mutterschutzes zu werfen. Dieser Rückblick wird im weiteren Fortgang auch im Rahmen der Auslegung aktueller Regelungen Relevanz entfalten, wobei insbesondere der persönliche Geltungsbereich und die Dauer der Schutzfristen von besonderem Interesse sein werden.

A. Historische Entwicklung des Mutterschutzes in Deutschland I. Industrialisierung und Kaiserzeit: Mutterschutz für (Fabrik-)Arbeiterinnen Der gesetzliche Schutz der Mutter und ihres un- oder neugeborenen Kindes hat in Deutschland eine über einhundertvierzigjährige Tradition. Seine Anfänge liegen in der sozialen Misere der Arbeiterfamilien in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts. Waren Schwangere und Wöchnerinnen sowie ihre (ungeborenen) Kinder in vorindustrieller Zeit im Regelfall durch den Verbund der Großfamilie versorgt und unterstützt worden, so brachen diese gewachsenen Strukturen durch die massenhafte Landflucht im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts für Millionen von Deutschen zusammen.240 Im Zuge der Fahrt aufnehmenden Industrialisierung wurden insbesondere im letzten Drittel des Jahrhunderts zunehmend Frauen bei körperlich harten und hygienisch unzureichenden Arbeitsbedingungen als Arbeiterinnen eingesetzt.241 Arbeitsschutz, Sozialversicherungen für Arbeiterinnen und Arbeiter oder einen speziellen Schutz für Schwangere und Wöchnerinnen gab es zu diesem Zeitpunkt noch nicht.242 Insbesondere Ärzte machten diesen fehlenden Schutz ebenso wie die ungenügenden Sicherheits- und Hygienebedingungen für eine hohe Anzahl von Frühgeburten und eine hohe Säuglingssterblichkeit verantwortlich243 und forderten entsprechende Schutzvorschriften.244 239 240 241 242 243 244

BGBl. I 2017, S. 1228 ff. Heilmann, A. Einleitung, Rn. 1. Edel, Mutterschutz, S. 22 f. Edel, Mutterschutz, S. 23 m.w. N. Edel, Mutterschutz, S. 24 ff. m.w. N. Buchner/Becker, 7. Auflage 2003, Einf. MuSchG, Rn. 5; Meisel, S. 5.

3. Kap.: Mutterschutz

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Zudem geriet die Führung des Deutschen Reiches durch die sich zunehmend organisierende Arbeiterbewegung unter starken Druck.245 Vor dem Hintergrund eines drohenden Arbeiteraufstandes sowie einer Enquete über die Verhältnisse in der Fabrikarbeit,246 die zahlreiche Missstände aufdeckte,247 verabschiedete der Reichstag im Jahr 1878 mit der Novelle der Gewerbeordnung248 eine erste mutterschutzrechtliche Regelung. Unter dem Abschnitt VII. „Verhältnisse der Fabrikarbeiter“ normierte § 135 Abs. 4 GewO nunmehr: „Wöchnerinnen dürfen während drei Wochen nach ihrer Niederkunft nicht beschäftigt werden.“

Dieser rudimentäre Mutterschutz betraf indes nur Fabrikarbeiterinnen – obschon ein Großteil der erwerbstätigen Frauen zu diesem Zeitpunkt noch in der Hauswirtschaft oder der Landwirtschaft beschäftigt war.249 Als Grund für die Beschränkung auf Fabrikarbeiterinnen wird vermutet, dass für die Reichsführung nicht etwa soziale Verbesserungen für die betreffenden Frauen und Kinder im Mittelpunkt standen, sondern der eigene Machterhalt und die Eindämmung des zunehmenden Einflusses der politisch organisierten Arbeiterbewegung.250 Die außerhalb der Fabriken arbeitenden Frauen hatten offenbar keine entsprechend starke Lobby, die es ermöglicht hätte, zumindest ein Mindestmaß an Schutzvorschriften durchzusetzen. Eine Änderung der Gewerbeordnung im Jahr 1908251 brachte erstmalig einen Schutz für werdende Mütter. Nach dem neuen § 137 Abs. 6 GewO durften Arbeiterinnen vor und nach der Niederkunft im Ganzen acht Wochen lang nicht beschäftigt werden, wobei sich der nachgeburtliche Schutz auf mindestens sechs Wochen erstreckte. Darüber hinaus wurde der Geltungsbereich nach § 134i GewO über Fabrikbetriebe hinaus auf alle Betriebe ausgedehnt, die mindestens zehn Arbeiter beschäftigten. Die Reichsversicherungsordnung vom 19. Juli 1911252 erweiterte den Kreis der Pflichtversicherten auf Feldarbeiterinnen, Dienstbotinnen,

245 Hepp, Mutterschutz, S. 69; Die Arbeiterschaft hatte sich zunehmend auch politisch formiert, nämlich in dem im Jahr 1863 gegründeten Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein und in der im Jahr 1869 gegründeten Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, die sich im Jahr 1875 zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands – seit dem Jahr 1890 Sozialdemokratische Partei Deutschlands – zusammenschlossen, vgl. dazu Müller, S. 190. 246 3. Bericht der Kommission für Petitionen, Anlage Nr. 60 Verh. d. RT, 1. Legislaturperiode, S. 351 ff. 247 Hepp, Mutterschutz, S. 69 f. m.w. N. 248 Gesetz betreffend die Abänderung der Gewerbeordnung vom 17. Juli 1878 (RGBl. 1878, S. 199). 249 Hepp, Mutterschutz, S. 67 m.w. N. 250 Hepp, Mutterschutz, S. 70. 251 RGBl. 1908, S. 667. 252 Reichsversicherungsordnung vom 19. Juli 1911 (RGBl. 1911, S. 509).

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1. Teil: Ausgangslage

Heim- und Wanderarbeiterinnen, Büroangestellte, Schauspielerinnen, Musikerinnen, Lehrerinnen und Erzieherinnen. II. Weimarer Republik: Mutterschutzgesetz 1927 Mit der am 31. Juli 1919 in Weimar beschlossenen ersten demokratischen deutschen Verfassung erlangte der Mutterschutz erstmalig Verfassungsrang. In Art. 119 Abs. 3 der Weimarer Reichsverfassung wurde im zweiten Hauptteil „Die Grundrechte und Grundpflichten der Deutschen“ im zweiten Abschnitt „Das Gemeinschaftsleben“ normiert: „Die Mutterschaft hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge des Staates.“

Dieses Grundrecht auf Mutterschutz wurde gleichwohl nur als reiner Programmsatz betrachtet – als Zukunftsrecht, das lediglich eine Aussicht auf zukünftige Gesetze bot, bis zu deren Erlass der „Anspruch“ nicht geltend gemacht werden konnte.253 Ein konkretes Gesetz, das im Übrigen das erste Mutterschutzgesetz im eigentlichen Sinne darstellte,254 wurde erst im Jahr 1927 geschaffen. Es beruhte nicht unmittelbar auf dem verfassungsrechtlichen Auftrag des Art. 119 Abs. 3 WRV, sondern ging vielmehr auf ein Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO)255 vom 29. Oktober 1919256 zurück, das von Deutschland im Jahr 1927 ratifiziert wurde.257 Im Zusammenhang mit dem Ratifizierungsbeschluss beschloss der Reichstag am 16. Juli 1927 auch das Gesetz über die Beschäftigung vor und nach der Niederkunft258 (Mutterschutzgesetz 1927). Ihm entsprach sozialversicherungsrechtlich bereits die Änderung der Reichsversicherungsordnung vom 9. Juli 1926259. Nach dem neuen Mutterschutzgesetz bestand ein relatives Beschäftigungsverbot in den sechs Wochen vor der voraussichtlichen Niederkunft und ein absolutes Beschäftigungsverbot in den sechs Wochen nach der Niederkunft. Der persönliche Schutzbereich des Mutterschutzgesetzes von 1927 umfasste alle Arbeitneh253

Badura, in: Maunz/Dürig, Art. 6, Rn. 143. Heilmann, A. Einleitung, Rn. 12. 255 Englisch: International Labor Organization, ILO. 256 Übereinkommen Nr. 3 betreffend die Beschäftigung der Frauen vor und nach der Niederkunft (RGBl. II 1927, S. 497). 257 Gesetz über das Washingtoner Übereinkommen betreffend die Beschäftigung der Frauen vor und nach der Niederkunft vom 16. Juli 1927 (RGBl. II 1927, S. 497). Die Ratifikation wurde am 31. Oktober 1927 beim Sekretariat des Völkerbundes eingetragen, das Gesetz trat also gemäß seinem Art. 8 an diesem Tag für Deutschland in Kraft, vgl. Bekanntmachung vom 26. November 1927 (RGBl. II 1927, S. 1124). 258 RGBl. I, 1927 S. 184, geändert durch Gesetz vom 29. Oktober 1927 (RGBl. I 1927, S. 325). 259 RGBl. I 1926, S. 407. 254

3. Kap.: Mutterschutz

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merinnen, die der Krankenversicherungspflicht unterlagen. Die Beschäftigten in der Land- und Forstwirtschaft, in der Tierzucht und Fischerei sowie in der Hauswirtschaft waren jedoch nach § 1 Abs. 2 des Gesetzes weiterhin aus dem Kreis der geschützten Arbeitnehmerinnen ausgenommen. III. Unter nationalsozialistischer Herrschaft: Mutterschutzgesetz 1942 Der durch den Rüstungsboom im Jahr 1935 bereits erhöhte Arbeitskräftebedarf steigerte sich nach Kriegsbeginn im Jahr 1939 durch die massenhafte Einziehung wehrfähiger Männer enorm, so dass nun erhebliche Anstrengungen unternommen wurden, um die Frauenerwerbsquote zu erhöhen.260 Gleichzeitig bestand innerhalb der nationalsozialistischen Parteispitze ein gewisses ideologisches Unbehagen gegen einen verstärkten Einsatz von Frauen in der Arbeitswelt, so dass ein neues Mutterschutzgesetz261 geschaffen wurde, um die befürchteten Nachteile zu kompensieren.262 Das Mutterschutzgesetz von 1942 weitete den Geltungsbereich von den gewerblichen Arbeiterinnen auf alle in Betrieben und Verwaltungen jeder Art beschäftigten Frauen aus.263 Zudem wurde der Reichsarbeitsminister ermächtigt, einzelne Vorschriften auch auf die in der Hauswirtschaft und in der Heimarbeit Beschäftigten sowie die in der Landwirtschaft tätigen Ehefrauen der Landwirte und mithelfenden weiblichen Familienangehörigen auszudehnen (§ 1). Das nachgeburtliche Beschäftigungsverbot wurde für stillende Mütter auf acht Wochen – nach Frühgeburten auf zwölf Wochen – verlängert (§ 3). IV. Zwischen 1945 und 1949: Abbau des Mutterschutzes Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde das Mutterschutzgesetz von 1942 gebietsweise ganz oder teilweise aufgehoben.264 Dies hatte negative finanzielle Auswirkungen auf die betroffenen Frauen, die indes für die hier gegenständliche Ausarbeitung ohne Belang sind, so dass von einer weiteren Darstellung Abstand genommen wird.265 260

Edel, Mutterschutz, S. 74 ff. m.w. N. Gesetz zum Schutze der erwerbstätigen Mutter (Mutterschutzgesetz) vom 17. Mai 1942 (RGBl. I 1942, S. 321). 262 Edel, Mutterschutz, S. 79 ff. m.w. N.; vgl. auch die Präambel zum Mutterschutzgesetz (RGBl. I 1942, S. 321). 263 Allerdings galt das Gesetz nunmehr nur noch für deutsche Staatsangehörige oder Volkszugehörige, die keine Jüdinnen waren. 264 Köst, Vorgeschichte des Gesetzes, S. 27. 265 Die durch die Erhöhung des Wochen- und Stillgeldes entstehenden Mehraufwendungen hatte das Deutsche Reich den Krankenkassen nach § 14 Abs. 3 Satz 2 des Mutterschutzgesetzes 1942 i.V. m. dem Erlass vom 16. Juni 1943 erstattet. Nach dem Zusammenbruch des Reiches entfielen diese Erstattungszahlungen, was die Kranken261

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1. Teil: Ausgangslage

V. In der Bundesrepublik Mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland gaben die Mütter und Väter des Grundgesetzes in dessen Art. 6 Abs. 4 ein klares Bekenntnis zum Schutz der Mütter ab: „Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.“

Dabei fiel die Entscheidung gegenüber Art. 119 WRV bewusst auf eine konkretere Formulierung des Art. 6 Abs. 4 GG: Der Schutz wird hier nicht – wie in der Weimarer Fassung – abstrakt „der Mutterschaft“, sondern dezidiert „jeder Mutter“ zugesprochen.266 Nach einem ersten Anlauf im Jahr 1949267 nahm der Deutsche Bundestag den Entwurf eines neuen Mutterschutzgesetzes am 12. Dezember 1951 einstimmig an;268 das neue Mutterschutzgesetz trat sodann am 24. Januar 1952 in Kraft.269 Es umfasste alle Frauen, die in einem Arbeitsverhältnis standen, sowie Heimarbeiterinnen und ihnen Gleichgestellte, wenn diese am Stück mitarbeiteten. Auch die im Haushalt als Arbeitnehmerinnen beschäftigten Hausgehilfinnen und Tagesmädchen waren grundsätzlich vom Geltungsbereich des Gesetzes umfasst; ihnen kam indes nur ein eingeschränkter Schutz zugute. Mit der Formulierung „Frauen, die in einem Arbeitsverhältnis stehen“ sollten Beamtinnen vom Geltungsbereich ausgeschlossen werden; zudem wurde die ursprünglich im Gesetzentwurf vorgesehene Ausweitung des Geltungsbereiches auf „alle erwerbstätigen Frauen in den Betrieben und Verwaltungen, in der Hauswirtschaft, Land- und Forstwirtschaft und auf alle Heimarbeiterinnen“ aus Kostengründen abgelehnt.270 Im Gesetzgebungsverfahren wurde jedoch betont, dass die Beschränkung des Mutterschutzes auf Arbeitnehmerinnen nicht von Dauer sein kassen zum Anlass nahmen, nicht mehr die erhöhten Beträge, sondern nur noch die zuvor geltenden Leistungen nach der Reichsversicherungsordnung auszuzahlen. Den vielfältigen Forderungen, die Leistungen nach § 7 des Mutterschutzgesetzes 1942 wieder einzuführen, stimmten die Militärregierungen nicht zu, dazu: Bulla/Buchner, 4. Aufl., Einf., Rn. 21; Edel, Mutterschutz, S. 87, 95 m.w. N. Im Gegenteil kam es sogar zu einer weiteren Verschlechterung der Rechtslage der werdenden Mütter: So hob der Wirtschaftsrat den Sonderkündigungsschutz für Schwangere im Jahr 1949 zu Gunsten der Unternehmen weitgehend auf, vgl. Gesetz des Wirtschaftsrates vom 29. Juli 1949, zitiert nach Edel, Mutterschutz, S. 95. 266 BVerfGE 32, 273, 277; Burghart, in: Leibholz/Rinck, Art. 6, Rn. 751. 267 Antrag der Abgeordneten Ollenhauer und Genossen vom 5. Oktober 1949, BTDrs. 1/79. 268 Deutscher Bundestag, 1. WP, Protokoll über die 180. Sitzung vom 12. Dezember 1951, S. 7518 ff.; dem Beschluss liegt ein Antrag der Fraktion der SPD vom 18. Juli 1950, BT-Drs. 1/1182, zugrunde. 269 Gesetz zum Schutze der erwerbstätigen Mutter (Mutterschutzgesetz) vom 24. Januar 1952 (BGBl. I 1952, S. 69). 270 Bericht der Abgeordneten Dr. Rehling (CDU), Deutscher Bundestag, 1. WP, Protokoll über die 180. Sitzung vom 12. Dezember 1951, S. 7519.

3. Kap.: Mutterschutz

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sollte; mittelfristig plante der Deutsche Bundestag ein für alle Mütter geltendes „Gesetz zum Schutz von Mutter und Kind“.271 Aus der Entstehungsgeschichte des Mutterschutzgesetzes ist mithin zu erkennen, dass der Gesetzgeber ursprünglich eine Verbesserung der Lage aller Mütter – nicht nur der der Arbeitnehmerinnen – intendiert hatte.272 Ein derartiges Gesetz zum Schutze aller Mütter lässt jedoch bis zum heutigen Tage auf sich warten. Inhaltlich lehnte sich das Mutterschutzgesetz von 1952 – das im Übrigen nach wie vor die Basis des aktuell geltenden Mutterschutzgesetzes bildet – stark an das Mutterschutzgesetz von 1942 an. Frauen durften nunmehr sechs Wochen vor und sechs Wochen nach der Geburt nicht beschäftigt werden; für stillende Mütter betrug die Schutzfrist nach der Niederkunft acht, bei Frühgeborenen zwölf Wochen. Während die Schwangere vor der Geburt freiwillig der Arbeit nachkommen konnte, bestand nachgeburtlich ein absolutes Beschäftigungsverbot. Zudem durften werdende Mütter nach § 8 des neugeschaffenen Gesetzes grundsätzlich keine Mehr-, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit leisten. Seit seinem Inkrafttreten im Jahr 1952 unterlag das Mutterschutzgesetz im Zuge des gesellschaftlichen Wandels mehreren Modernisierungen. Mit Gesetz vom 18. April 1968 erfolgte eine Neufassung des Mutterschutzgesetzes273, durch die die nachgeburtliche Schutzfrist von sechs auf acht Wochen (bei Früh- und Mehrlingsgeburten auf zwölf Wochen) angehoben wurde. Zudem wurde die Schlechterstellung der Tagesmädchen und Hausgehilfinnen abgeschafft. Darüber hinaus verschärfte das neue Mutterschutzgesetz den Bereich der Beschäftigungsverbote (§§ 4, 6) und bestimmte die Grenzen der Arbeitszeiten neu (§ 8). Durch die Verordnung über den Mutterschutz für Frauen in der Laufbahn der Offiziere des Sanitätsdiensts vom 22. Januar 1976274 wurde (rückwirkend zum 1. Oktober 1975) der Mutterschutz im Beamtenrecht ausgebaut. Eine wesentliche Erweiterung erfuhr der Mutterschutz durch das Gesetz zur Einführung eines Mutterschaftsurlaubs vom 25. Juni 1979275. Hierdurch wurde Arbeitnehmerinnen erstmalig die Möglichkeit gewährt, über den Ablauf der Schutzfrist hinaus für einen Zeitraum von sechs Monaten ab der Niederkunft eine Freistellung von der Arbeit unter gleichzeitiger Weiterzahlung des Mutterschaftsgeldes in Höhe von bis zu 750,– DM zu erlangen. Der mutterschutzrechtliche Kündigungsschutz des § 9 wurde für diejenigen, die Mutterschaftsurlaub in Anspruch nahmen, von bisher vier auf nunmehr maximal acht Monate nach der Niederkunft ausgedehnt. 271 Bericht der Abgeordneten Dr. Rehling (CDU), Deutscher Bundestag, 1. WP, Protokoll über die 180. Sitzung vom 12. Dezember 1951, S. 7519. 272 Hepp, Mutterschutz, S. 79. 273 BGBl. I 1968, S. 315. 274 BGBl. I 1976, S. 176. 275 BGBl. I 1979, S. 797.

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1. Teil: Ausgangslage

Bereits wenige Jahre später wurde eine in Deutschland bislang unbekannte Elternschutzvorschrift eingeführt: Mit dem im Jahr 1985 verabschiedeten Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG)276 wurde der Mutterschaftsurlaub zum Erziehungsurlaub. Von nun an hatten erstmalig auch Väter die Möglichkeit, ihre Erwerbsarbeit zum Zwecke der Betreuung ihres Kindes ruhen zu lassen. Die Einzelheiten dieses neugeschaffenen Instituts sowie deren weitere Entwicklung werden im folgenden vierten Kapitel dieses ersten Teils erörtert; an dieser Stelle soll es um den reinen Mutterschutz gehen. Weitere Verbesserungen des Mutterschutzes brachte das Gesetz zur Änderung des Mutterschutzrechtes vom 20. Dezember 1996277. In Umsetzung der EGRichtlinie 92/85/EWG vom 19. Oktober 1992278 wurden Arbeitsschutz und Beschäftigungsverbote ausgeweitet. Außerdem wurde die Schlechterstellung der in Familienhaushalten beschäftigten Frauen (Hausangestellten) als nicht mehr zeitgemäß abgeschafft.279 Die nachfolgenden Korrekturen am Mutterschutzgesetz waren eher von untergeordneter Bedeutung. VI. Das aktuelle Mutterschutzgesetz Aktuell erfuhr das Mutterschutzgesetz indes eine recht weitreichende Reform: Durch das am 1. Januar 2018 in Kraft getretene Gesetz zur Neuregelung des Mutterschutzes vom 23. Mai 2017280 wurde der persönliche Geltungsbereich des Gesetzes erheblich erweitert. Erklärtes Ziel der Reform war es, für alle Frauen – unabhängig von ihrer Berufsgruppe – ein ausreichendes einheitliches Gesundheitsschutzniveau in der Schwangerschaft, nach der der Entbindung sowie während der Stillzeit sicherzustellen.281 Nach seinem § 1 Abs. 2 Satz 1 gilt das Mutterschutzgesetz für Frauen in einer Beschäftigung im Sinne von § 7 Absatz 1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV)282. Nach § 1 Abs. 2 Satz 2 MuSchG gilt dieses nunmehr unabhängig davon, ob ein solches Beschäftigungsverhältnis vorliegt, auch für folgende Personen: 276

Gesetz über die Gewährung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub (Bundeserziehungsgeldgesetz) vom 6. Dezember 1985 (BGBl. I 1985, S. 2154). 277 BGBl. I 1996, S. 2110. 278 ABl. EG Nr. L 348 S. 1. 279 Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 13/2763, S. 1. 280 BGBl. I 2017, S. 1228. 281 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Mutterschutzrechts, BT-Drs. 18/8963, S. 1. 282 Viertes Buch Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. November 2009 (BGBl. I 2009, S. 3710, 3973; I 2011, S. 363), zuletzt geändert durch Art. 7a des Gesetzes vom 18. Juli 2017 (BGBl. I 2017, S. 2757).

3. Kap.: Mutterschutz

101

1.

Frauen in betrieblicher Berufsbildung und Praktikantinnen im Sinne von § 26 des Berufsbildungsgesetzes,

2.

Frauen mit Behinderung, die in einer Werkstatt für behinderte Menschen beschäftigt sind,

3.

Frauen, die als Entwicklungshelferinnen im Sinne des EntwicklungshelferGesetzes tätig sind,

4.

Frauen, die als Freiwillige im Sinne des Jugendfreiwilligendienstegesetzes oder des Bundesfreiwilligendienstgesetzes tätig sind,

5.

Frauen, die als Mitglieder einer geistlichen Genossenschaft, Diakonissen oder Angehörige einer ähnlichen Gemeinschaft auf einer Planstelle oder aufgrund eines Gestellungsvertrages für diese tätig werden, auch während der Zeit ihrer dortigen außerschulischen Ausbildung,

6.

Frauen, die in Heimarbeit beschäftigt sind, und ihnen Gleichgestellte im Sinne von § 1 Absatz 1 und 2 des Heimarbeitsgesetzes, soweit sie am Stück mitarbeiten,

7.

Frauen, die wegen ihrer wirtschaftlichen Unselbstständigkeit als arbeitnehmerähnliche Person anzusehen sind und

8.

Schülerinnen und Studentinnen, soweit die Ausbildungsstelle Ort, Zeit und Ablauf der Ausbildungsveranstaltung verpflichtend vorgibt oder die ein im Rahmen der schulischen oder hochschulischen Ausbildung verpflichtend vorgegebenes Praktikum ableisten.

Der Gesetzgeber meint mit der Novelle des Mutterschutzgesetzes ein einheitliches Schutzniveau für alle Frauen283 mit Ausnahme der Beamtinnen, Richterinnen und Soldatinnen geschaffen zu haben – für die vorbezeichneten Personengruppen soll das Schutzniveau außerhalb des Mutterschutzgesetzes durch gesonderte Bundes- bzw. Landesvorschriften sichergestellt werden.284 Gleichwohl ist das Mutterschutzgesetz auch in der aktuell geltenden Fassung zumindest nicht auf Selbständige, Freiberuflerinnen und GmbH-Geschäftsführerinnen anwendbar. VII. Zusammenfassung Der gesetzliche Mutterschutz in Deutschland wurde seit seinen Anfängen im vorvergangenen Jahrhundert sowohl in seinem persönlichen Geltungsbereich als auch in seinem Schutzumfang erheblich erweitert. Waren vom persönlichen Gel283 Redebeitrag der Bundesministerin Schwesig anlässlich der zweiten und dritten Beratung des Gesetzentwurfs, Stenographischer Bericht der 228. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 30. März 2017, Plenarprotokoll 18/228, S. 22970. 284 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Mutterschutzrechts, BT-Drs. 18/8963, S. 2.

102

1. Teil: Ausgangslage

tungsbereich zunächst nur Fabrikarbeiterinnen umfasst, so wurden einige Jahrzehnte später zunehmend weitere Berufsgruppen hinzugefügt, bis er sich generell auf Arbeiterinnen und später auf alle Arbeitnehmerinnen einschließlich der in Heimarbeit Beschäftigten erstreckte. Die Neufassung des Mutterschutzgesetzes im Jahr 1952 war nach dem ursprünglichen Willen des Gesetzgebers eigentlich darauf ausgelegt, den Mutterschutz auf alle Mütter auszudehnen; aus finanziellen Gründen blieb es zunächst jedoch bei der Geltung für Arbeitnehmerinnen. Eine umfangreiche Erweiterung des persönlichen Schutzbereiches brachte die aktuelle Reform aus dem Jahr 2018; seit dieser sind unter anderem auch Schülerinnen, Studentinnen, Praktikantinnen, Freiwilligendienstlerinnen, in einer Behindertenwerkstatt beschäftigte Frauen mit Behinderung sowie arbeitnehmerähnliche Personen von der Geltung des Mutterschutzgesetzes umfasst.

B. Anwendbarkeit des Mutterschutzgesetzes auf Abgeordnete Angesichts des erheblich verbreiterten Anwendungsbereiches des novellierten Mutterschutzgesetzes stellt sich die Frage, ob dieser auch Parlamentarierinnen umfasst. Sollte dies nicht der Fall sein, so kommt unter Umständen eine Anwendbarkeit des Mutterschutzes nach Maßgabe der Mutterschutz- und Elternzeitverordnung285 in Betracht. Letztere regelt die Anwendbarkeit bestimmter Normen des Mutterschutzgesetzes für Bundesbeamtinnen.286 Die Länder haben vergleichbare Verordnungen für Landesbeamtinnen erlassen.287 Im Folgenden werden daher zunächst die persönlichen Anwendungsbereiche des Mutterschutzgesetzes und der Mutterschutz- und Elternzeitverordnung näher eingegrenzt, um dann bestimmen zu können, ob Parlamentsmitglieder dem Geltungsbereich der dargestellten Regelungen – direkt oder analog – unterfallen.

285 Verordnung über den Mutterschutz für Beamtinnen des Bundes und die Elternzeit für Beamtinnen und Beamte des Bundes (Mutterschutz- und Elternzeitverordnung – MuSchEltZV) vom 12. Februar 2009 (BGBl. I 2009, S. 320), zuletzt geändert durch Art. 1 der Verordnung vom 9. Februar 2018 (BGBl. I 2018, S. 198). 286 Entsprechende Regelungen finden sich auch auf Landesebene. Da sie hinsichtlich ihrer Voraussetzungen der MuSchEltZV stark ähneln, wird zugunsten der Übersichtlichkeit auf eine gesonderte Darstellung verzichtet. 287 Exemplarisch: §§ 3 ff. der Verordnung über die Freistellung wegen Mutterschutz für Beamtinnen und Richterinnen, Eltern- und Pflegezeit, Erholungs- und Sonderurlaub der Beamtinnen und Beamten, Richterinnen und Richter im Land Nordrhein-Westfalen (Freistellungs- und Urlaubsverordnung NRW – FrUrlV NRW) vom 15. Oktober 2013 (GV NRW S. 576), zuletzt geändert durch Art. 1 der Verordnung vom 19. Dezember 2017 (GV NRW 2017, S. 1004), in Kraft getreten am 1. Januar 2018.

3. Kap.: Mutterschutz

103

I. Direkte Anwendbarkeit des Mutterschutzgesetzes auf Abgeordnete Im Hinblick auf den neugefassten persönlichen Geltungsbereich des Mutterschutzgesetzes ist eindeutig festzustellen, dass die Aufzählung des § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 bis 6 und Nr. 8 MuSchG jedenfalls keine Abgeordneten beinhaltet. Auch die Anwendbarkeit des Mutterschutzgesetzes über die Einordnung als Beschäftigte im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 MuSchG oder als arbeitnehmerähnliche Personen im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 7 MuSchG scheidet aus, denn wie oben festgestellt, sind Abgeordnete weder abhängig Beschäftigte noch arbeitnehmerähnliche Personen. Darüber hinaus bietet auch § 1 Abs. 4 MuSchG keine Möglichkeit zur Ausweitung des in den Schutzbereich einbezogenen Personenkreises auf Parlamentsmitglieder. Nach § 1 Abs. 4 MuSchG gilt das Mutterschutzgesetz für jede Person, die schwanger ist, ein Kind geboren hat oder stillt. Die Absätze 2 und 3 gelten dabei entsprechend. Zwar legt die Formulierung „jede Person“ nahe, dass keine Frau vom Geltungsbereich des Gesetzes ausgeschlossen sein soll. Eine systematisch-teleologische Auslegung ergibt jedoch, dass Absatz 4 keine Ausweitung des persönlichen Schutzbereiches bezwecken will. Wäre dies der Fall, dann hätte es der Aufzählung der in den Anwendungsbereich fallenden Frauengruppen in Absatz 2 nicht bedurft. In diesem Fall hätte Absatz 4 anstelle des Absatzes 2 gesetzt werden können. Dass der Gesetzgeber offenbar beide – neuen – Absätze für notwendig erachtete, kann nur bedeuten, dass sie sich nicht widersprechen, sondern einander ergänzen sollen. Die Bezugnahme auf die Absätze 2 und 3 der Vorschrift deutet darauf hin, dass von den in den Absätzen 2 und 3 genannten Personen all diejenigen gemeint sind, die schwanger sind, ein Kind geboren haben oder stillen. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass der Schutzbereich des Mutterschutzgesetzes ohnehin nur im Falle der Schwangerschaft, der Geburt und der nachgeburtlichen Phase einschließlich der Stillzeit eröffnet ist, erschließt sich die Notwendigkeit dieses Absatzes 4 nicht ohne Weiteres. Offenbar handelt es sich um eine Klarstellung des Schutzbereiches – nicht im Sinne einer Ausweitung auf weitere Personen, sondern in Bezug auf die Lebenslagen, in denen das Gesetz Anwendung finden soll. Dies lässt sich auch aus dem Bericht des zuständigen Ausschusses mit Beschlussempfehlung an den Bundestag ableiten: Zur Erläuterung der Neueinfügung des Absatzes 4 heißt es dort, mit dieser Änderung solle die Intention des Mutterschutzgesetzes verdeutlicht werden, dass Personen dann vom Mutterschutzgesetz erfasst werden, wenn sie nachweislich schwanger seien, ein Kind geboren hätten oder stillten.288 Mithin ergibt sich aus § 1 Abs. 4 MuSchG keine 288 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 29. März 2017 zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung Drucksache 18/8963, BT-Drs. 18/11782, S. 31.

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1. Teil: Ausgangslage

Erweiterung des personellen Schutzbereiches des Mutterschutzgesetzes auf Abgeordnete. Eine direkte Anwendung des Mutterschutzgesetzes auf Abgeordnete ist daher ausgeschlossen. II. Anwendbarkeit über die MuSchEltZV/ über landesrechtliche Verordnungen Auch über den Umweg der Mutterschutz- und Elternzeitverordnung oder vergleichbare landesrechtliche Regelungen ist das Mutterschutzgesetz nicht auf Abgeordnete anwendbar. Die Mutterschutz- und Elternzeitverordnung regelt die Anwendbarkeit bestimmter Normen des Mutterschutzgesetzes auf Beamtinnen des Bundes sowie bei bundesunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts (vgl. § 1 MuSchEltZV). Die Länder unterhalten entsprechende Verordnungen in Bezug auf ihre Landesbeamtinnen.289 Voraussetzung für die Eröffnung ihres Anwendungsbereiches ist also das Vorliegen eines Beamtenverhältnisses. Ein solches liegt bei Abgeordneten jedoch nicht vor.290 Vor dem Hintergrund des durch eine demokratische Wahl begründeten Status als Inhaberin oder Inhaber eines freien Mandates ist das Parlamentsmitglied geradezu der Gegenentwurf zur Beamtin bzw. zum Beamten.291 III. Analoge Anwendbarkeit des Mutterschutzgesetzes auf Abgeordnete Möglicherweise ist das Mutterschutzgesetz jedoch analog auf Abgeordnete anwendbar. 1. Planwidrige Regelungslücke

Das setzt zunächst das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke voraus. Das Mutterschutzgesetz ist auf Abgeordnete nicht direkt anwendbar, auch ansonsten bestehen keine ausdrücklichen gesetzlichen Mutterschutzregelungen für Abgeordnete. Eine ausdrückliche Mutterschutzregelung enthält allein § 75 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Landtages von Baden-Württemberg; allerdings ist die Wirkung auch dieser Regelung weniger rechtlicher, sondern vorwiegend politischer Natur. Demzufolge liegt eine Regelungslücke vor. 289 Exemplarisch: §§ 3 ff. der Verordnung über die Freistellung wegen Mutterschutz für Beamtinnen und Richterinnen, Eltern- und Pflegezeit, Erholungs- und Sonderurlaub der Beamtinnen und Beamten, Richterinnen und Richter im Land Nordrhein-Westfalen (Freistellungs- und Urlaubsverordnung NRW – FrUrlV NRW) vom 15. Oktober 2013 (GV NRW 2013, S. 576), zuletzt geändert durch Art. 1 der Verordnung vom 19. Dezember 2017 (GV NRW 2017, S. 1004), in Kraft getreten am 1. Januar 2018. 290 Vgl. oben im ersten Teil, zweites Kapitel, D., S. 86 ff. 291 Vgl. oben im ersten Teil, zweites Kapitel, D., S. 86 ff.; ähnlich Stern, Bd. I, § 24 I. 3.

3. Kap.: Mutterschutz

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Es stellt sich jedoch die Frage, ob die Regelungslücke auch planwidrig ist. Aus der Entstehungsgeschichte des Mutterschutzgesetzes wird deutlich, dass der personelle Anwendungsbereich der Mutterschutzregeln kontinuierlich erweitert wurde. Waren zunächst nur Fabrikarbeiterinnen umfasst, so wurden einige Jahrzehnte später zunehmend weitere Berufsgruppen hinzugefügt, bis sich der Schutz generell auf Arbeiterinnen und später auf alle Arbeitnehmerinnen einschließlich der in Heimarbeit Beschäftigten sowie seit dem 1. Januar 2018 auch auf diverse weitere Gruppen erstreckte.292 Dabei wird anhand der Genese deutlich, dass sich der Gesetzgeber – zumindest bis zur aktuellen Reform – jeweils bewusst für eine Abgrenzung der vom Schutzbereich umfassten Personen entschied. So erstreckte sich der im Jahr 1878 durch den damaligen § 135 Abs. 4 GewO normierte Mutterschutz bewusst ausschließlich auf Fabrikarbeiterinnen – obschon ein Großteil der erwerbstätigen Frauen zu diesem Zeitpunkt noch in der Hauswirtschaft und in der Landwirtschaft beschäftigt war.293 Mit der Einführung dieses rudimentären Mutterschutzes erfüllte das Kaiserreich das Mindestmaß dessen, was notwendig war, um die politischen Forderungen nach dem Schutz der Fabrikarbeiterinnen und ihrer Kinder zu befriedigen und dem zunehmenden Einfluss der Arbeiterbewegung Einhalt zu gebieten.294 Ein zusätzlicher Schutz der außerhalb der Fabriken arbeitenden, politisch oder gewerkschaftlich kaum organisierten Mehrheit der Frauen wurde als politisch nicht erforderlich erachtet.295 Es ist mithin davon auszugehen, dass der damalige Gesetzgeber gezielt nur einen Teil der arbeitenden Frauen erfassen wollte. Dies änderte sich vom Grundsatz her auch nicht durch die im Jahr 1911 erfolgte Erweiterung des Personenkreises. Das erste Mutterschutzgesetz im eigentlichen Sinne, das Mutterschutzgesetz 1927296, erweiterte den Schutzbereich erheblich und umfasste nun alle versicherungspflichtigen Arbeitnehmerinnen; jedoch waren die Beschäftigten in der Land- und Forstwirtschaft, in der Tierzucht und Fischerei sowie in der Hauswirtschaft weiterhin aus dem Kreis der geschützten Arbeitnehmerinnen ausgenommen.297 Auch diese Ausnahme geschah bewusst: Anträge von Abgeordneten der

292

Vgl. oben im ersten Teil, drittes Kapitel, A., S. 94 ff. Hepp, Mutterschutz, S. 67 m.w. N. 294 Hepp, Mutterschutz, S. 70. 295 Vgl. oben im ersten Teil, drittes Kapitel, A. I., S. 94 ff. 296 Gesetz über die Beschäftigung vor und nach der Niederkunft vom 16. Juli 1927 (RGBl. I 1927, S. 184), abgeändert durch Gesetz vom 29. Oktober 1927 (RGBl. I 1927, S. 325). 297 Vgl. dazu § 1 Abs. 2 des Gesetzes über die Beschäftigung vor und nach der Niederkunft vom 16. Juli 1927 (RGBl. I 1927, S. 184). 293

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1. Teil: Ausgangslage

KPD, den Mutterschutz auf alle versicherungspflichtigen Arbeitnehmerinnen zu erweitern,298 wurden vom Reichstag abgelehnt.299 Auch in bundesrepublikanischer Zeit war man sich der Beschränkung des (nunmehr erweiterten) persönlichen Schutzbereiches auf Arbeitnehmerinnen bewusst: Die ursprünglich im Gesetzentwurf vorgesehene Ausweitung des Geltungsbereiches auf „alle erwerbstätigen Frauen in den Betrieben und Verwaltungen, in der Hauswirtschaft, Land- und Forstwirtschaft und auf alle Heimarbeiterinnen“ wurde im Hinblick auf die Finanzierbarkeit abgelehnt.300 Das vom Deutschen Bundestag mittelfristig geplante, für alle Mütter geltende „Gesetz zum Schutz von Mutter und Kind“ 301 kam nicht zustande. Fraglich ist jedoch, ob auch im Rahmen der aktuellen Novelle des Mutterschutzgesetzes die Ausgrenzung bestimmter Personengruppen aus dem persönlichen Geltungsbereich als geplant bezeichnet werden kann. Grundsätzlich kann bei aktuellen Gesetzen davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber alle Eventualitäten bedacht hat. Anders als bei bereits seit Jahrzehnten geltenden Normen, die unter Umständen mit zwischenzeitlich eingetretenen Änderungen der tatsächlichen Gegebenheiten nicht Schritt gehalten haben und dadurch eher Raum dafür lassen, eine im Laufe der Zeit entstandene nachträgliche Regelungslücke im Wege der Analogie zu füllen, ist bei neuen Vorschriften grundsätzlich anzunehmen, dass sie all das, was zu regeln ist, abdecken. Das aktuell geltende Mutterschutzgesetz umfasst neben Beschäftigten im Sinne von § 7 Abs. 1 SGB IV auch eine Vielzahl weiterer Personengruppen. Abgeordnete (wie auch Selbständige) sind von der Aufzählung des § 1 Abs. 2 Satz 2 MuSchG jedoch nicht umfasst. Dabei stellt die Vorschrift von ihrer Formulierung her eine abschließende, nicht hingegen eine beispielhafte Aufzählung dar. Insoweit spricht die enumerative Aufzählung der vom aktuellen Mutterschutzgesetz umfassten Personen für eine bewusste Entscheidung der Gesetzgebung, die nicht genannten Personengruppen – also auch die Abgeordneten – von der Regelung auszunehmen. Gleichzeitig besteht jedoch eine Diskrepanz zwischen dem Gesetzestext des § 1 MuSchG und der Begründung des der Norm zugrundeliegenden Gesetzentwurfs der Bundesregierung. Denn trotz der allem Anschein nach abschließenden, einige Frauen ausschließenden, Aufzählung der erfassten Personengruppen heißt 298 Antrag der Abgeordneten Stoecker, Arendsee, Overlach und Genossen, Reichstag IV 1928, Drucksache Nr. 129 vom 2. Juli 1928. 299 Reichstag, Protokoll der 63. Sitzung vom 24. April 1929, S. 1664, dazugehörige Diskussion im Reichstag S. 1655–1664. 300 Bericht der Abgeordneten Dr. Rehling (CDU), Deutscher Bundestag, 1. WP, Protokoll über die 180. Sitzung vom 12. Dezember 1951, S. 7519. 301 Bericht der Abgeordneten Dr. Rehling (CDU), Deutscher Bundestag, 1. WP, Protokoll über die 180. Sitzung vom 12. Dezember 1951, S. 7519.

3. Kap.: Mutterschutz

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es im Gesetzentwurf wörtlich: „Mit der Reform soll berufsgruppenunabhängig ein für alle Frauen einheitliches Gesundheitsschutzniveau in der Schwangerschaft, nach der Entbindung und während der Stillzeit sichergestellt werden.“ 302 Die Gesetzesbegründung geht also davon aus, dass alle Frauen vom Schutz umfasst sind; sie widerspricht somit dem Gesetzestext. Dementsprechend erlaubt eine Gesamtbetrachtung des Gesetzentwurfs keinen klaren Rückschluss darauf, ob der Ausschluss einzelner Gruppen erwerbstätiger Frauen absichtlich oder versehentlich erfolgte. Es stellt sich daher die Frage, ob „dem Gesetzgeber“, also den Mitgliedern des Deutschen Bundestages, bei der Verabschiedung des Gesetzes bewusst war, dass das neugefasste Gesetz tatsächlich nicht alle Frauen umfasst. Anhaltspunkte hierfür geben die beiden dem Gesetzesbeschluss vorangegangenen Debatten im Deutschen Bundestag. Hierin fand die Ausgrenzung der Selbständigen immerhin kurze Erwähnung in einem einzelnen Redebeitrag303 – zumindest teilweise war man sich im Rahmen der Gesetzesberatung also der Nichtgeltung des Mutterschutzes für Selbständige bewusst. Die Exklusion von Abgeordneten war indes nicht Gegenstand der Debatte. Im Gegenteil führte die damalige Familienministerin Manuela Schwesig in der zweiten und dritten Beratung des Gesetzentwurfs sogar – im Einklang mit dessen schriftlicher Begründung – aus: „Mir ist besonders wichtig, dass wirklich jede Mutter und jedes Kind von diesem Schutzgedanken erfasst wird.“ 304 Auf den ersten Blick verwundert es, dass die Abgeordneten bei der Beschlussfassung offenbar überwiegend von einer Geltung des Mutterschutzgesetzes für ausnahmslos alle Frauen (bzw. teilweise für alle Frauen mit Ausnahme der Selbständigen) ausgingen – ohne zu berücksichtigen, dass sie selbst als das Gesetz beschließende Abgeordnete von dessen Geltungsbereich ausgenommen sind. Gemeinhin darf wohl angenommen werden, dass Entscheidende die zu treffenden Entscheidungen – bewusst oder unbewusst – auch auf eine eigene Betroffenheit hin überprüfen. Vorliegend besteht jedoch die Besonderheit, dass den Bundestagsmitgliedern gemäß § 14 Abs. 1 Satz 6 i.V. m. Abs. 2 Satz 2 AbgG Bund in Verbindung mit der dort geübten Praxis während an § 3 MuSchG angelehnter Fristen gestattet wird, den Sitzungen des Deutschen Bundestages fernzubleiben, ohne dass dies

302 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Mutterschutzrechts, BT-Drs. 18/8963, S. 1. 303 Redebeitrag der Abgeordneten Yüksel (SPD) anlässlich der ersten Beratung des Gesetzentwurfs, Stenographischer Bericht der 182. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 6. Juni 2016, Plenarprotokoll 18/182, S. 17953. 304 Redebeitrag der Bundesministerin Schwesig anlässlich der zweiten und dritten Beratung des Gesetzentwurfs, Stenographischer Bericht der 228. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 30. März 2017, Plenarprotokoll 18/228, S. 22970.

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1. Teil: Ausgangslage

mit einer Kürzung der Kostenpauschale sanktioniert würde. Daher ist es zum einen denkbar, dass die Abgeordneten bei der Novelle des Mutterschutzgesetzes entweder – irrig – davon ausgingen, dass das Mutterschutzgesetz auch für Abgeordnete gilt. Zum anderen ist es ebenso denkbar, dass sie von einer Normierung eines Mutterschutzes für Abgeordnete im AbG Bund und damit von einer Entbehrlichkeit der Geltung des Mutterschutzgesetzes für Abgeordnete ausgingen. Die erste Annahme wäre falsch, denn das Mutterschutzgesetz umfasst keine Abgeordneten. Die zweite Annahme wäre nicht zu Ende gedacht, denn das AbgG Bund regelt nur die Rechtsverhältnisse der Bundestagsabgeordneten, nicht aber die Rechtsverhältnisse der Abgeordneten der Länderparlamente. Die Landtagsabgeordneten sind weder vom Geltungsbereich des Mutterschutzgesetzes noch von dem des AbgG Bund erfasst. Als dritte und letzte Option verbleibt die Möglichkeit, dass den das neue Mutterschutzgesetz beschließenden Abgeordneten zwar bewusst war, dass dieses nicht auf Abgeordnete anwendbar ist, sie dies jedoch im Rahmen der Aussprache bewusst unerwähnt ließen bzw. sogar betonten, dass das Gesetz auf alle Frauen Anwendung finde. Für diese letzte Option bestehen jedoch keine Anhaltspunkte. Mithin kann angenommen werden, dass dem Deutschen Bundestag bei der Gesetzgebung nicht bewusst war, dass er Abgeordnete aus dem Geltungsbereich des Mutterschutzgesetzes ausgenommen hat und dass – zumindest in Bezug auf die Länderparlamente – kein gesetzlicher Mutterschutz für Abgeordnete besteht. Dementsprechend stellt sich die Frage, ob der Deutsche Bundestag Abgeordnete in den Geltungsbereich des Mutterschutzgesetzes aufgenommen hätte, wenn ihm dies bewusst gewesen wäre. Dafür spricht der Umstand, dass die Bundestagsabgeordneten selbst – wohl auf der Grundlage des § 14 Abs. 1 Satz 6 i.V. m. Abs. 2 Satz 2 AbgG Bund in Verbindung mit einer geübten Parlamentspraxis – Mutterschutz in Anspruch nehmen. Insofern wäre es folgerichtig, auch den Abgeordneten anderer Parlamente Mutterschutz zu gewähren. Andererseits besteht die Regelung des § 14 Abs. 1 Satz 6 i.V. m. Abs. 2 Satz 2 AbgG Bund bereits seit einigen Jahren, ohne dass der Bundestag bislang Anlass gesehen hätte, den Mutterschutz für seine Mitglieder auch im Mutterschutzgesetz zu verankern. Eine (zusätzliche) Aufnahme der Abgeordneten in das Mutterschutzgesetz wurde offenbar für nicht erforderlich gehalten. Möglicherweise wären die Bundestagsabgeordneten bei Kenntnis der Sachlage auch der Auffassung gewesen, dass der Mutterschutz für die Mitglieder der Länderparlamente entsprechend über die Abgeordnetengesetze der Länder zu regeln sei. Im Übrigen besteht in den Parlamenten in der Regel eine gewisse Scheu, vor den Augen der Öffentlichkeit Vergünstigungen in eigener Angelegenheit zu beschließen, so dass auch nicht auszuschließen ist, dass die Aufnahme der Abgeordneten in das Mutterschutzgesetz aus diesem Grund unterblieben ist. Aus den Gesetzgebungsmaterialien lassen sich für keine der Varianten Anhaltspunkte finden.

3. Kap.: Mutterschutz

109

Insgesamt lässt sich nicht feststellen, ob der Deutsche Bundestag Abgeordnete in den Schutzbereich des Mutterschutzgesetzes aufgenommen hätte, wenn ihm bewusst gewesen wäre, dass diese – insbesondere die Abgeordneten der überwiegenden Anzahl der Länderparlamente – hiervon nach dem aktuell geltenden Gesetz nicht umfasst sind. Dementsprechend kann auch nicht festgestellt werden, ob die dem Mutterschutzgesetz immanente Regelungslücke planwidrig ist. Dies kann jedoch letzten Endes dahinstehen, denn es fehlt jedenfalls an der für die Annahme einer Analogie erforderlichen Vergleichbarkeit der Interessenlage. 2. Vergleichbarkeit der Interessenlage

Eine Analogie setzt neben dem Bestehen einer planwidrigen Regelungslücke voraus, dass sich die beiden Sachverhalte in allen wesentlichen Merkmalen gleichen. Der im Gesetz niedergelegte Sachverhalt ist der persönliche Geltungsbereich des Mutterschutzgesetzes. Er umfasst neben Beschäftigten im Sinne von § 7 Abs. 1 SGB IV auch Auszubildende, Praktikantinnen, Schülerinnen, Studentinnen, behinderte Frauen, die in einer entsprechenden Werkstatt beschäftigt sind, Entwicklungshelferinnen, Freiwilligendienstleisterinnen, Diakonissen und Gleichgestellte, in Heimarbeit Beschäftigte und Gleichgestellte sowie arbeitnehmerähnliche Personen. Ihnen allen ist gemein, dass sie sich aufgrund eines Rechtsverhältnisses in einem Abhängigkeitsverhältnis zu derjenigen Person oder Einrichtung, mit der das ihren Status nach § 1 Abs. 2 MuSchG begründende Rechtsverhältnis besteht, befinden. Dabei kann dieses Rechtsverhältnis öffentlich-rechtlicher Natur sein – wie etwa beim Besuch einer Schule – oder aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages bestehen – wie etwa beim Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses. Alle hier gegenständlichen Rechtsverhältnisse haben gemein, dass die betreffenden Frauen in der Regel entweder dem Direktionsrecht, der Weisungsbefugnis und bzw. oder der Aufsicht einer anderen Person oder Einrichtung unterliegen. Die Leistungen, die sie im Rahmen dieses Rechtsverhältnisses erbringen, sind insoweit unselbständig, als sie in der Regel im Wesentlichen auf Geheiß des Arbeitgebers oder der Einrichtung erfolgen. Im Gegenzug gewährt der Arbeitgeber oder die Einrichtung ihnen eine Gegenleistung, die entweder in der Zahlung einer finanziellen Vergütung oder aber stattdessen oder zusätzlich in der Gewährung einer Ausbildung, eines Betätigungsfeldes oder in der Ermöglichung der zum Erlernen eines Berufes notwendigen Orientierung und Praxiserfahrung bestehen kann. Von dieser Leistung sind die betreffenden Frauen in der Regel zumindest zu einem gewissen Grad in ihrer Lebensgestaltung abhängig. Das Mutterschutzgesetz gewährleistet den Schutz der betreffenden Frau und ihres Kindes in der besonderen Lebenslage von Schwangerschaft, nachgeburtli-

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1. Teil: Ausgangslage

cher Phase und Stillzeit (§ 1 Abs. 1 Satz 1 MuSchG). Es bezieht sich auf das Rechtsverhältnis der Frau zum Arbeitgeber bzw. zu der Einrichtung, zu der die in § 1 Abs. 2 MuSchG vorausgesetzte Beziehung besteht. Damit reagiert das Mutterschutzgesetz auf das aus der Rechtsbeziehung resultierende Abhängigkeitsverhältnis und trägt Sorge dafür, dass diese Abhängigkeit nicht einseitig ausgenutzt wird. Gerade in Bezug auf dieses Abhängigkeitsverhältnis unterscheiden sich die vom persönlichen Schutzbereich des Mutterschutzgesetzes erfassten Frauen maßgeblich von den Abgeordneten in Bund und Ländern. Die Parlamentarierinnen nehmen als vom Willen der Wählerschaft in ein besonderes öffentliches Amt berufene Trägerinnen eines freien Mandats am Prozess der parlamentarischen Entscheidung teil.305 Sie schulden keine Arbeitsleistung und keine Dienste, sondern nehmen ihr Mandat in Unabhängigkeit wahr.306 Eine Vertragsbeziehung zwischen ihnen und dem Parlament, dem Staat oder einem anderen übergeordneten Organ besteht nicht. Zwar erhalten die Abgeordneten ebenfalls finanzielle Leistungen in Form der Abgeordnetenentschädigung. Diese wird jedoch nicht aufgrund eines arbeitsrechtlichen Anspruchs gezahlt; sie ist auch nicht als Gegenleistung für die im Parlament geleistete Arbeit zu verstehen, sondern als grundgesetzlich gewährte, angemessene Leistung zur Sicherung der Unabhängigkeit der frei gewählten Abgeordneten (Art. 48 Abs. 3 GG).307 Die Interessenlage der Parlamentarierinnen ist also insofern nicht mit der Interessenlage der in § 1 Abs. 2 MuSchG enumerierten Frauen vergleichbar, als Erstere in keinerlei rechtlichem Abhängigkeitsverhältnis stehen. In dieser Hinsicht stehen die Abgeordneten den ebenfalls vom persönlichen Geltungsbereich des Mutterschutzgesetzes ausgenommenen Selbständigen näher als den dort aufgeführten, eher abhängigen Personen. Dabei wird nicht verkannt, dass die Abgeordnetenentschädigung in tatsächlicher Hinsicht für viele der Parlamentsmitglieder die einzige Einnahmequelle darstellt, so dass eine wirtschaftliche Abhängigkeit der meisten Abgeordneten von diesen Diäten durchaus bejaht werden kann. Der Grad dieser wirtschaftlichen Abhängigkeit ist auch durchaus mit der in einem Arbeitsverhältnis herrschenden Abhängigkeit vergleichbar. Auch unterscheiden sich die psychische und die physische Lage von Abgeordneten kurz vor und nach der Geburt eines Kindes kaum bis gar nicht von der vergleichbarer Frauen des von § 1 Abs. 2 MuSchG umfass305

BVerfGE 118, 277, 324 und 326. BVerfGE 40, 296, 316; 76, 256, 341; 118, 277, 326; Badura, in: Bonner Kommentar, Art. 38, Rn. 63; Müller, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 38 Abs. 1, Rn. 93; Grote, Verfassungsorganstreit, S. 159; Kluth, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Art. 48, Rn. 13. 307 BVerfGE 40, 296, 316. 306

3. Kap.: Mutterschutz

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ten Personenkreises. Auch sie und ihr un- oder neugeborenes Kind sind schutzbedürftig. Gleichwohl unterscheiden sich die Abgeordneten nach den Vorgaben des Grundgesetzes jedoch von ihrer soziologischen Typik grundlegend von der abhängig Beschäftigter, so dass die Interessenlage letztlich nicht vergleichbar ist. Ungeachtet aller Bestimmungen in Abgeordnetengesetzen, Geschäftsordnungen und Verhaltensregeln statuiert Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG308 eine großzügige Freiheit der Abgeordneten in der Wahrnehmung ihres Mandats.309 Auch die gesetzliche Verpflichtung der Bundestagsabgeordneten, die Mandatsausübung in den Mittelpunkt ihrer Tätigkeit zu stellen, unterliegt dementsprechend keiner behördlichen oder gerichtlichen Kontrolle.310 Wie im Rahmen der Darstellung der Kernelemente des Abgeordnetenmandats bereits herausgearbeitet wurde, ergibt sich aus dem in Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG zum Ausdruck kommenden Repräsentationsprinzip in Verbindung mit dem Erfordernis der Funktionsfähigkeit des Parlaments zwar die Verpflichtung aller Abgeordneten, im Zusammenwirken mit den übrigen Mitgliedern desselben Parlaments die Funktions- und Repräsentationsfähigkeit und damit die demokratische Funktion der Volksvertretung sicherzustellen. Soweit diesem Erfordernis genüge getan wird, ist jedoch auch eine längere Abwesenheit einzelner Abgeordneter verfassungsrechtlich unbedenklich.311 Dementsprechend obliegt es rein verfassungsrechtlich der Entscheidungshoheit der schwangeren oder jüngst niedergekommenen Abgeordneten, ob und in welchem Umfang sie kurz vor und nach der Geburt ihres Kindes das Parlamentsmandat wahrnimmt. Wenngleich der völligen Vernachlässigung des Mandats in vielen Fällen tatsächliche Hindernisse, wie etwa drohende beruflich-politische Nachteile, entgegenstehen, so beruht dies auf rein faktischen, nicht jedoch auf rechtlichen Vorgaben. Rein verfassungsrechtlich verbleibt es hingegen beim weitreichenden Grundsatz des freien Mandats, der als „Erbgut des demokratisch-parlamentarischen Systems“ 312 die Abgeordneten geradezu als Gegenentwurf zu den dem Direktionsrecht, der Weisungsbefugnis oder der Aufsicht einer anderen Person oder Einrichtung unterliegenden Personen statuiert. Im Gegensatz zu den dem Mutterschutzgesetz unterfallenden Personen ist die Abgeordnete verfassungsrechtlich niemandem verpflichtet und niemandem Rechenschaft schuldig. Der Status der freien Parlamentarierin unterscheidet sich dementsprechend aus 308 Die Verfassungen der Länder enthalten vergleichbare Regelungen, exemplarisch: Art. 13 Abs. 2 Satz 2 Verfassung des Freistaates Bayern; Art. 27 Abs. 2 Satz 3 Verfassung des Landes Baden-Württemberg; Art. 76 Abs. 1 Verfassung des Landes Hessen; Art. 12 Satz 2 Niedersächsische Verfassung; Art. 30 Abs. 2 Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen. 309 Vgl. zur Mandatsfreiheit ausführlich oben im ersten Teil, zweites Kapitel, C. III., S. 76 ff. 310 BVerfGE 118, 277, 337. 311 Vgl. oben im ersten Teil, zweites Kapitel, C. III. 2. b), S. 86. 312 Klein, in: Maunz-Dürig, Art. 38, Rn. 188 m.w. N.

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1. Teil: Ausgangslage

verfassungsrechtlicher Sicht grundlegend vom Status der von § 1 Abs. 2 MuSchG umfassten Frauen. Mangels einer vergleichbaren Interessenlage der beiden Personengruppen lassen sich weibliche Abgeordnete daher nicht im Wege eines Analogieschlusses in den Geltungsbereich des Mutterschutzgesetzes integrieren. Demzufolge ist das Mutterschutzgesetz weder direkt noch analog auf Abgeordnete anwendbar. IV. Analoge Anwendbarkeit der MuSchEltZV/ der landesrechtlichen Verordnungen Möglicherweise sind jedoch die Mutterschutz- und Elternzeitverordnung bzw. die entsprechenden landesrechtlichen, sich auf den Mutterschutz für Landesbeamtinnen beziehenden, Verordnungen analog auf Abgeordnete anwendbar. 1. Regelungslücke

Sowohl die Mutterschutz- und Elternzeitverordnung, die die Anwendbarkeit bestimmter Normen des Mutterschutzgesetzes auf Beamtinnen des Bundes sowie bei bundesunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts regelt (vgl. § 1 MuSchEltZV), als auch die entsprechenden landesrechtlichen Verordnungen setzen zu ihrer Anwendbarkeit das Vorliegen eines Beamtenverhältnisses voraus. Wie festgestellt, sind Abgeordnete jedoch keine Beamtinnen und Beamten313 und damit nicht von der MuSchEltZV umfasst. Darüber hinaus existiert – mit Ausnahme des vorwiegend politische Wirkung entfaltenden § 75 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Landtages von Baden-Württemberg – keine ausdrückliche gesetzliche Mutterschutzregelung für Abgeordnete, so dass eine Regelungslücke besteht. 2. Planwidrigkeit der Regelungslücke

Fraglich ist indes, ob diese Regelungslücke auch planwidrig ist. Weder der entstehungsgeschichtliche Kontext der Mutterschutz- und Elternzeitverordnung noch der ihrer Vorgängernormen, der Mutterschutzverordnung314 und der Elternzeitverordnung,315 geben einen Hinweis darauf, dass irgendeine Gruppierung

313

Vgl. oben im ersten Teil, zweites Kapitel, D., S. 86 ff. Verordnung über den Mutterschutz für Beamtinnen (Mutterschutzverordnung – MuSchV), Geltung ab dem 1. Januar 1964, neugefasst durch Beschluss v. 11. November 2004 (BGBl. I 2004, S. 2828), aufgehoben durch Art. 4 d. Verordnung v. 12. Februar 2009 (BGBl. I 2009, S. 320). 315 Verordnung über die Elternzeit für Bundesbeamtinnen, Bundesbeamte, Richterinnen und Richter des Bundes (Elternzeitverordnung – EltZV), Geltung ab dem 1. Januar 1986, neugefasst durch Beschluss v. 11. November 2004 (BGBl. I 2004, S. 2841), aufgehoben durch Art. 4 d. Verordnung v. 12. Februar 2009 (BGBl. I 2009, S. 320). 314

3. Kap.: Mutterschutz

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außerhalb der Beamtinnen und Beamten zum personellen Anwendungsbereich der Verordnung hätte hinzugefügt werden sollen. Es ist demnach davon auszugehen, dass der Verordnungsgeber all diejenigen Personen, die nach seinem Willen von der Verordnung erfasst werden sollen, tatsächlich auch erfasst hat. Angesichts des Umstandes, dass die Verordnung ihre letzte Änderung erst vor kurzer Zeit – nämlich durch Art. 1 der Verordnung vom 9. Februar 2018316 – erfuhr, kann auch nicht vom Vorliegen einer nachträglich entstandenen planwidrigen Regelungslücke ausgegangen werden: Abgeordnete, die Kinder gebären, gab es bereits vor der ersten Fassung der MuSchEltZV – und erst recht vor der letzten Änderung der Verordnung. Von einer nach Erlass der Verordnung eingetretenen Änderung der tatsächlichen Gegebenheiten kann daher nicht gesprochen werden. Es ist keinerlei Hinweis darauf ersichtlich, dass eine Ausweitung des personellen Geltungsbereiches bei der Änderung der Verordnung beabsichtigt war, aber versehentlich unterblieben ist. Mithin ist davon auszugehen, dass die Verordnungen im Hinblick auf die durch die Verordnungsgeber erstrebte jeweilige Regelung, nämlich die Anwendbarkeit bestimmter Normen des Mutterschutzgesetzes auf Beamtinnen, vollständig sind. Es besteht demnach keine planwidrige Regelungslücke. 3. Vergleichbarkeit der Interessenlage

Darüber hinaus ist auch die Interessenlage nicht vergleichbar, denn wie bereits festgestellt, ist die Abgeordnete aufgrund ihrer verfassungsrechtlichen Stellung als vom Volk gewählte Trägerin des freien Mandats geradezu der Gegenentwurf zur Beamtin.317 Eine analoge Anwendbarkeit der gerade auf Beamtinnen und Beamte zugeschnittenen MuSchEltZV bzw. der entsprechenden landesrechtlichen Verordnungen scheidet daher auch aus diesem Grund aus. Die MuSchEltZV und die entsprechenden landesrechtlichen Verordnungen dienen dazu, bestimmte Regelungen des Mutterschutzgesetzes auch auf Beamtinnen anwenden zu können. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass Beamtinnen in den Lebenslagen der Schwangerschaft, der Geburt und der nachgeburtlichen Phase einschließlich der Stillzeit ähnlich schutzbedürftig sind wie diejenigen Frauen, auf die das Mutterschutzgesetz direkt anwendbar ist. Denn Beamtinnen unterliegen ihrem Dienstherrn gegenüber umfangreichen Dienst- und Treuepflichten. Nach § 61 Abs. 1 Satz 1 BBG318 haben Bundesbeamtinnen sich ihrem Beruf mit vollem persönlichen Einsatz zu widmen. Dementsprechend dienen die vorgenannten beamtenrechtlichen Verordnungen dazu, die Beamtinnen in der Zeit kurz 316 317

BGBl. I 2018, S. 198. Vgl. oben im ersten Teil, zweites Kapitel, D., S. 86 ff.; ähnlich Stern, Bd. I, § 24

I. 3. 318 Bundesbeamtengesetz vom 5. Februar 2009 (BGBl. I 2009, S. 160), in der Fassung vom 8. Juni 2017 (BGBl. I 2017, S. 1570).

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1. Teil: Ausgangslage

vor und nach der Geburt eines Kindes von ihren Pflichten freizustellen, um den Schutz von Mutter und Kind zu gewährleisten. Gerade hinsichtlich dieser Pflichten unterscheiden sich Abgeordnete jedoch von den Beamtinnen. Zwar unterliegen auch Parlamentarierinnen in Bezug auf die Anwesenheit und die Ausübung des Mandats diversen gesetzlich geregelten Verpflichtungen. Der Grundsatz des freien Mandats gewährt den Abgeordneten jedoch in Bezug auf die Mandatsausübung eine ungleich weiterreichende Freiheit als diejenige, die Beamtinnen und Beamten im Rahmen ihrer Dienstausübung zusteht. Insoweit ist die physische und psychische Schutzbedürftigkeit der Abgeordneten kurz vor, während oder nach der Geburt eines Kindes zwar mit der entsprechenden Schutzbedürftigkeit von Beamtinnen vergleichbar. Vor dem Hintergrund der den Abgeordneten gewährten Mandatsfreiheit haben diese jedoch weitaus größere Gestaltungsmöglichkeiten hinsichtlich der Wahrnehmung der ihnen obliegenden Aufgaben. Die Schutzbedürftigkeit der Abgeordneten beruht dementsprechend insbesondere auf politischen Verpflichtungen, die mit den rechtlichen Dienstverpflichtungen der Beamtinnen nicht vergleichbar sind. Insgesamt sind die Interessenlagen der beiden Personengruppen daher nicht vergleichbar. Eine analoge Anwendung der MuSchEltZV sowie der entsprechenden landesrechtlichen Verordnungen ist demzufolge abzulehnen. V. Ergebnis Sowohl das Mutterschutzgesetz als auch die beamtenrechtlichen Verordnungen, die eine Anwendbarkeit des Mutterschutzgesetzes auf Beamtinnen anordnen, sind also weder direkt noch analog auf Abgeordnete anwendbar. Viertes Kapitel

Elternzeit Als Fortentwicklung aus dem Mutterschutz war die zunächst als Mutterschaftsurlaub eingeführte, dann als Erziehungsurlaub und schließlich im Jahr 2007 grundlegend umgestaltete und umbenannte Elternzeit ein in Deutschland bis zu ihrer Einführung unbekanntes Rechtsinstitut, das sich gleichwohl großer Akzeptanz erfreut: Wie bereits einleitend angesprochen, nahmen im Leistungszeitraum 2015 bis 2018 von den im Jahr 2015 geborenen Kindern insgesamt 95 % der Mütter und immerhin 35,8 % der Väter Elterngeld in Anspruch.319 319 Vgl. oben in der Einleitung, A. II., S. 29; Statistisches Bundesamt: Öffentliche Sozialleistungen, Statistik zum Elterngeld, Beendete Leistungsbezüge für im Jahr 2015 geborene Kinder, Januar 2015 bis September 2018, Erscheinungsfolge: jährlich, erschienen am 11. Januar 2019, Tabelle Nr. 20.

4. Kap.: Elternzeit

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Zur besseren Einordnung der Elternzeitvorschriften soll die historische Entwicklung der Elternzeit im Folgenden kurz dargestellt werden. Sodann wird überprüft, ob die Elternzeit nach dem BEEG auf Abgeordnete anwendbar ist.

A. Historische Entwicklung der Elternzeit in Deutschland I. Vom Mutterschaftsurlaub zum Erziehungsurlaub nach dem BErZGG Ein erster Vorläufer der heutigen Elternzeit wurde bereits mit dem Mutterschaftsurlaub im Jahr 1979 eingeführt.320 Betraf der bisherige Mutterschutz nur die Schwangerschaft und wenige Wochen nach der Geburt eines Kindes, so wurde Arbeitnehmerinnen nunmehr erstmalig die Möglichkeit gewährt, sich über den Ablauf der Schutzfrist hinaus für einen Zeitraum von sechs Monaten ab der Niederkunft von der Arbeit freistellen zu lassen. Während dieser Zeit des Mutterschaftsurlaubes erhielten sie ein Mutterschaftsgeld in Höhe von bis zu 750,00 DM. Seiner Bezeichnung entsprechend konnte der Mutterschaftsurlaub ausschließlich von Müttern in Anspruch genommen werden. Dementsprechend stellte die im Jahr 1985 vollzogene Umwandlung des Mutterschaftsurlaubes in den Erziehungsurlaub eine wirkliche Neuerung dar: Aufgrund des neuen Bundeserziehungsgeldgesetzes (BErzGG)321 hatten erstmalig auch Väter die Möglichkeit, ihre Erwerbsarbeit zum Zwecke der Betreuung ihres Kindes ruhen zu lassen. Nach § 1 BErzGG bestand der Anspruch auf Erziehungsgeld für all diejenigen, die mit einem nach dem 31. Dezember 1985 geborenen Kind, für das ihnen die Personensorge zustand, in einem Haushalt lebten und keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübten. Das Erziehungsgeld wurde nach § 4 Abs. 1 BErzGG vom Tag der Geburt bis zur Vollendung des zehnten Lebensmonats, für Kinder, die nach dem 31. Dezember 1987 geboren wurden, bis zur Vollendung des zwölften Lebensmonats, gezahlt. Während der Schutzfristen gezahltes Mutterschaftsgeld wurde dabei auf das Erziehungsgeld angerechnet (§ 7 BErzGG). Das Erziehungsgeld betrug nach § 5 Abs. 1 BErzGG 600,– DM monatlich; vom Beginn des siebten Lebensmonats des Kindes an wurde das Erziehungsgeld allerdings nach § 5 Abs. 2 und 3 BErzGG gemindert, sofern bestimmte Einkommensgrenzen überschritten wurden. Nach §§ 15 und 20 BErzGG konnte Erziehungsurlaub nur von Erziehungsberechtigten in Anspruch genommen werden, die in einem Arbeits- oder Ausbildungsverhältnis standen oder in Heimarbeit beschäftigt bzw. den in Heimarbeit Beschäftigten gleichgestellt waren.

320

BGBl. I 1979, S. 797. Gesetz über die Gewährung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub (Bundeserziehungsgeldgesetz – BErzGG) vom 6. Dezember 1985 (BGBl. I 1985, S. 2154). 321

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1. Teil: Ausgangslage

Das BErzGG sollte es Eltern ermöglichen, ihr Kind in seiner ersten Lebensphase selbst zu betreuen und zu erziehen. Dabei legte die Gesetzgebung die Annahme zugrunde, dass die gesamte spätere Entwicklung eines Kindes von der ersten Lebensphase abhänge und es hierfür von großer Bedeutung sei, dass das Kind durch die Mutter oder den Vater betreut werde.322 Das mit dem Erziehungsurlaub verbundene Erziehungsgeld sollte es den Eltern ermöglichen, im Anschluss an die Mutterschutzfrist ganz oder teilweise auf eine Erwerbstätigkeit zu verzichten; dabei wurde ihnen die Entscheidungsfreiheit darüber gewährt, wer von ihnen das Kind betreuen sollte.323 Das Erziehungsgeld war keine Lohnersatzleistung, sondern eine besondere Anerkennung der Erziehungsleistung der Familie.324 Zudem sollte es schwangeren Frauen, die sich aus wirtschaftlichen Gründen in einer Konfliktsituation befanden, die Entscheidung zugunsten des Kindes erleichtern.325 Im Unterschied zum früheren Mutterschaftsurlaubsgeld setzte das Erziehungsgeld keine vorherige Arbeitnehmereigenschaft voraus, so dass auch Selbständige, nicht Erwerbstätige und im Betrieb des Partners mithelfende Elternteile vom Geltungsbereich umfasst waren.326 Der Erziehungsurlaub konnte indes gemäß §§ 15 und 20 BErzGG nur von Erziehungsberechtigten in Anspruch genommen werden, die in einem Arbeits- oder Ausbildungsverhältnis standen oder in Heimarbeit beschäftigt bzw. den in Heimarbeit Beschäftigten gleichgestellt waren. Was sich zunächst wie eine Einschränkung des persönlichen Anwendungsbereiches liest, erklärt sich bei näherer Betrachtung bereits daraus, dass nur die vorbezeichneten Berufsgruppen in einem Vertragsverhältnis stehen, kraft dessen sie eine Arbeitsoder vergleichbare Leistung schulden. Wer hingegen etwa selbständig tätig oder erwerbslos ist, unterliegt keinen vertraglichen Pflichten, die zum Zwecke des Erziehungsurlaubes suspendiert werden könnten. Auch Selbständige mussten, um Erziehungsgeld beziehen zu können, ihre Erwerbstätigkeit nach § 1 Abs. 1 Nr. 4, § 2 BErzGG reduzieren. Auch sie genossen dementsprechend eine Form des Erziehungsurlaubes, ohne dass sie freilich im Sinne der §§ 15 ff. BErzGG einen entsprechenden Anspruch gegen einen Vertragspartner gehabt hätten. 322 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes über die Gewährung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub (Bundeserziehungsgeldgesetz – BErzGG), BT-Drs. 10/3792, S. 13. 323 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes über die Gewährung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub (Bundeserziehungsgeldgesetz – BErzGG), BT-Drs. 10/3792, S. 13. 324 Lenz/Wagner, in: Rancke, Vor § 1 BEEG, Rn. 1. 325 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes über die Gewährung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub (Bundeserziehungsgeldgesetz – BErzGG), BT-Drs. 10/3792, S. 13. 326 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes über die Gewährung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub (Bundeserziehungsgeldgesetz – BErzGG), BT-Drs. 10/3792, S. 13.

4. Kap.: Elternzeit

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Im Jahr 1989 wurden sowohl die Bezugsdauer für das Erziehungsgeld als auch die Dauer des Erziehungsurlaubes auf 18 Monate erhöht;327 im Jahr 1991 erfolgte sodann eine weitere Erhöhung auf 24 Monate.328 Im Jahr 2000 wurden die seit 1986 unveränderten Einkommensgrenzen heraufgesetzt, der Bezug wurde flexibilisiert, Teilzeitarbeit während des Erziehungsurlaubes wurde erleichtert und es wurde die Möglichkeit geschaffen, den Erziehungsurlaub teilweise oder vollständig gemeinsam mit dem Partner zu nehmen.329 Gerade die Erleichterung der Aufrechterhaltung der Erwerbstätigkeit verbesserte die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.330 II. Vom Erziehungsurlaub zur Elternzeit Nur wenige Monate später wurde der Begriff des Erziehungsurlaubes in allen diesen enthaltenden bundesrechtlichen Vorschriften geändert und durch den Begriff der Elternzeit ersetzt.331 Das BErzGG wurde entsprechend neu gefasst.332 Dem lag die Erwägung zugrunde, dass der Begriff des Erziehungsurlaubes in der Bevölkerung oft zu Missverständnissen führe: Er verknüpfe die Kinderbetreuung und die Arbeit in der Familie mit der Vorstellung von Freizeit und Muße und beeinflusse darüber hinaus möglicherweise Vorbehalte von Vätern gegenüber der Inanspruchnahme dieser Zeit.333 Man ging davon aus, dass der neue Begriff der Elternzeit die gemeinsame Verantwortung der Eltern für die Kindesbetreuung stärker verdeutliche.334 Der rechtliche Gehalt des alten und neuen Begriffs änderte sich dadurch nicht.

327 Gesetz zur Änderung des Bundeserziehungsgeldgesetzes und anderer Vorschriften vom 30. Juni 1989 (BGBl. I 1989, S. 1297). 328 Zweites Gesetz zur Änderung des Bundeserziehungsgeldgesetzes und anderer Vorschriften vom 6. Dezember 1991 (BGBl. I 1991, S. 2142). 329 Drittes Gesetz zur Änderung des Bundeserziehungsgeldgesetzes vom 12. Oktober 2000 (BGBl. I 2000, S. 1426). 330 Buchner/Becker, Vor §§ 1–14 BEEG, Rn. 5. 331 Gesetz zur Änderung des Begriffs „Erziehungsurlaub“ vom 30. November 2000 (BGBl. I 2000, S. 1638). 332 Gesetz zum Erziehungsgeld und zur Elternzeit (Bundeserziehungsgeldgesetz – BErzGG) vom 1. Dezember 2000 (BGBl. I 2000, S. 1645). 333 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 14/4133 – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Begriffs „Erziehungsurlaub“, BT-Drs. 14/4266. 334 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 14/4133 – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Begriffs „Erziehungsurlaub“, BT-Drs. 14/4266.

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1. Teil: Ausgangslage

III. Neuordnung der familienpolitischen Leistungen: Elterngeld nach dem BEEG Die Inanspruchnahme von Erziehungsurlaub bzw. Elternzeit und Erziehungsgeld nahm gleichwohl im Laufe der Jahrzehnte stetig ab.335 Das Erziehungsgeld verringerte die Probleme junger Familien kaum, bot den meisten Eltern keine ausreichende finanzielle Absicherung und gewährte damit letztlich auch nicht die angestrebte Wahlfreiheit zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf.336 Infolgedessen beschloss der Deutsche Bundestag mit dem Gesetz zur Einführung des Elterngeldes vom 5. Dezember 2006337 eine Neuausrichtung dieser familienpolitischen Leistung. Unter der Prämisse, dass die mangelnde Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie die hohen, durch das Erziehungsgeld kaum aufgefangenen, finanziellen Belastungen zu einem Rückgang der Geburten führten,338 sollte das neugeschaffene BEEG sich stärker an den veränderten Lebenswelten junger Menschen orientieren.339 Wie bereits einleitend festgestellt, wollte die Gesetzgebung den Eltern einen Schonraum eröffnen, in dem sie ohne finanzielle Probleme in ihr Familienleben hineinfinden und sich vorrangig der Betreuung ihrer Kinder widmen konnten.340 Das neugeschaffene Elterngeld sollte die wirtschaftliche Existenz beider Elternteile gleichermaßen sichern und so eine echte Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen.341 Anstelle eines Erziehungsgeldes in Höhe von 300,00 Euro wurde nun ein Elterngeld in einkommensabhängiger Höhe gewährt: Nach § 2 Abs. 1 BEEG wurde ein Elterngeld in Höhe von 67 Prozent des in den zwölf Kalendermonaten vor der Geburt des Kindes durchschnittlich erzielten Einkommens aus Erwerbstätigkeit bis zu einem Höchstbetrag von 1.800,00 Euro monatlich gezahlt. Personen, die zuvor nicht erwerbstätig waren, erhielten den Grundbetrag in Höhe von 300,00 Euro (§ 2 Abs. 5 BEEG). Neu waren die sogenannten Partnermonate: Nach § 4 BEEG war ein Elterngeldbezug von insgesamt 14 Monaten pro Kind vorgesehen. Das Elterngeld wurde jedoch nur dann volle 14 Monate lang ausbezahlt, wenn jeder Elternteil 335

Lenz/Wagner, in: Rancke, Vor § 1 BEEG, Rn. 2. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des Elterngeldes, BT-Drs. 16/2454, S. 1; Lenz/Wagner, in: Rancke, Vor § 1 BEEG, Rn. 2. 337 BGBl. I 2006, S. 2748. 338 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des Elterngeldes, BT-Drs. 16/2454, S. 1. 339 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des Elterngeldes, BT-Drs. 16/2454, S. 2. 340 Vgl. oben in der Einleitung, A. II., S. 29; Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des Elterngeldes, BT-Drs. 16/2454, S. 2; ähnlich: Othmer, in: Roos/Bieresborn, BEEG § 1, Rn. 6. 341 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des Elterngeldes, BT-Drs. 16/2454, S. 2; ähnlich: Othmer, in: Roos/Bieresborn, BEEG § 1, Rn. 6. 336

4. Kap.: Elternzeit

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mindestens zwei Monate lang Elternzeit in Anspruch nahm. Mit dieser Regelung wollte die Gesetzgebung insbesondere die Väter dazu anregen, einen Teil der Erziehungsaufgaben zu übernehmen. Die deutlich gestiegene Väterbeteiligung gibt diesem Ansatz recht: Nahmen vor der Einführung des BEEG nur etwa fünf Prozent der Väter Elternzeit in Anspruch,342 so waren es, wie bereits eingangs festgestellt,343 bezogen auf den Leistungszeitraum 2015 bis 2018 bereits 35,8 % der Väter der im Jahr 2015 geborenen Kinder.344 Wenngleich Väter sich in der Regel noch für eine zeitlich kürzere Inanspruchnahme von Elternzeit entscheiden, ist die Tendenz der Väterbeteiligung deutlich steigend.345 Unabhängig vom Elterngeldbezug konnten Eltern, die mit ihrem Kind in einem Haushalt lebten und es selbst betreuten und erzogen, nach § 15 BEEG bis zum dritten Lebensjahr des Kindes Elternzeit in Anspruch nehmen. Mit Zustimmung des Arbeitgebers war ein Anteil von bis zu zwölf Monaten auf die Zeit bis zur Vollendung des achten Lebensjahres des Kindes übertragbar. Dabei konnte die Elternzeit gemäß § 15 Abs. 3 BEEG auch anteilig, von jedem Elternteil allein oder von beiden Elternteilen gemeinsam beansprucht werden. Auch Teilzeitarbeit war während der Elternzeit möglich. IV. Elterngeld Plus Nach mehreren kleineren Änderungen wurde mit dem Gesetz zur Einführung des Elterngeldes Plus mit Partnerschaftsbonus und einer flexibleren Elternzeit im Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz vom 18. Dezember 2014346 ein neuer Anreiz zum Teilzeiterwerb während der Elternzeit geschaffen. Der Deutsche Bundestag reagierte damit auf mehrere Studien, denen zufolge mehr als die Hälfte der Mütter gerne zu einem früheren Zeitpunkt wieder ins Erwerbsleben zurückkehren wollte und mehr als die Hälfte der Väter nach eigener Auffassung noch zu wenig Zeit für ihre Kinder hatte.347 342 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD, Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des Elterngeldes, BT-Drs. 16/1889, S. 14; von einem Frauenanteil von „95 % oder mehr“ sprechen Lenz/Wagner, in: Rancke, Vor § 1 BEEG, Rn. 2. 343 Vgl. oben in der Einleitung, A. II., S. 29. 344 Statistisches Bundesamt: Öffentliche Sozialleistungen, Statistik zum Elterngeld, Beendete Leistungsbezüge für im Jahr 2015 geborene Kinder, Januar 2015 bis September 2018, Erscheinungsfolge: jährlich, erschienen am 11. Januar 2019, Tabelle Nr. 20. 345 Statistisches Bundesamt, https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/ 2019/04/PD19_145_22922.html, zuletzt aufgerufen am 12. Dezember 2019. 346 BGBl. I 2014, S. 2325. 347 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) a) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung – Drucksachen 18/2583, 18/2625 – Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des Elterngeld Plus mit Partnerschaftsbonus und einer flexibleren Elternzeit im Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz, b) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Brantner, Dörner, Gehring, weiterer Abgeordneter und der

120

1. Teil: Ausgangslage

Zusätzlich zu den grundsätzlich weiter geltenden Elterngeldregelungen nach dem bisherigen § 4 Absatz 2 Satz 2 BEEG wurde ein sogenanntes Elterngeld Plus mit einem Partnerschaftsbonus eingeführt. Seitdem kann jeder Partner anstelle eines Monats Elterngeld zwei Monate lang Elterngeld Plus in Anspruch nehmen. Paare können demzufolge bis zu 14 Monate lang gleichzeitig Elterngeld beziehen und dabei bis zu 30 Wochenstunden arbeiten. Alleinerziehende können das Elterngeld Plus im gleichen Maße allein nutzen wie Paare und dementsprechend einschließlich der Partnermonate bis zu 28 Monate lang Elterngeld Plus in Anspruch nehmen. Der Partnerschaftsbonus besteht aus vier zusätzlichen Monaten Elterngeld Plus je Elternteil. Er kann während oder im Anschluss an den Elterngeldbezug eines Elternteils bezogen werden. Darüber hinaus kann nach § 15 Abs. 2 Satz 2 BEEG ein Elternzeitanteil von bis zu 24 Monaten zwischen dem dritten und dem achten Geburtstag des Kindes in Anspruch genommen werden. Die Zustimmung des Arbeitgebers ist nicht mehr notwendig. Auch darüber hinaus wurden zugunsten der Eltern mehrere Erleichterungen in das BEEG eingefügt. V. Elternzeit nach dem aktuellen BEEG Die Elternzeit nach dem aktuellen BEEG dient dazu, die Erwerbstätigkeit vorübergehend unter Gewährung von Kündigungsschutz zu unterbrechen, um sich der Betreuung und Erziehung des Kindes (unter bestimmten Voraussetzungen auch eines Enkelkindes) zu widmen. Nach § 15 BEEG hat jeder Elternteil Anspruch auf Elternzeit bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres seines Kindes. Ein Anteil von bis zu 24 Monaten kann zwischen dem dritten Geburtstag und dem vollendeten achten Lebensjahr des Kindes in Anspruch genommen werden. Die Mutterschutzzeit wird dabei auf die Elternzeit der Mutter angerechnet. Die Elternzeit kann, auch anteilig, von jedem Elternteil allein oder von beiden Elternteilen gemeinsam genommen werden. Während der Elternzeit darf die die Elternzeit in Anspruch nehmende Person nicht mehr als 30 Wochenstunden im Durchschnitt des Monats erwerbstätig sein. Da es sich bei der Elternzeit um einen Anspruch einer Arbeitnehmerin bzw. eines Arbeitnehmers gegen die arbeitgebende Person handelt, erstreckt sich der persönliche Anwendungsbereich der Elternzeit nach §§ 15 ff. BEEG zwangsläufig auf Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (§ 15 Abs. 1 BEEG), Auszubildende, in Heimarbeit Beschäftigte sowie ihnen Gleichgestellte (§ 20 BEEG). Das Elterngeld hingegen hat einen ungleich größeren Adressatenkreis und bezieht auch Selbständige mit ein: Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 BEEG hat Anspruch auf

Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 18/2749 – Echte Wahlfreiheit schaffen – Elterngeld flexibler gestalten, Drucksache 18/3086 18, S. 1.

4. Kap.: Elternzeit

121

Elterngeld, wer einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat, mit seinem Kind in einem Haushalt lebt, dieses Kind selbst betreut und erzieht und keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt. Nach § 1 Abs. 2 BEEG sind darüber hinaus bestimmte im Ausland lebende Personengruppen in den Geltungsbereich mit einbezogen. Somit steht das Elterngeld nicht nur den unter §§ 15 und 20 BEEG genannten Personen, sondern auch Beamtinnen und Beamten, Selbstständigen, Erwerbslosen, Hausfrauen und Hausmännern zu.348 Während Erwerbslose, Hausfrauen und Hausmänner ohnehin keiner Erwerbstätigkeit nachgehen und dementsprechend auch keinen Bedarf nach dem Ruhen einer etwaigen Tätigkeit haben, erhalten Selbständige über den Umweg über das Elterngeld eine faktische Elternzeit. Denn Elterngeld wird auch ihnen nach § 1 BEEG nur gewährt, wenn sie ihr Kind selbst erziehen und betreuen und keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausüben. Auch wenn sie als Selbständige keinem Vertragspartner zu Diensten verpflichtet sind, so erhalten sie unter dem Erfordernis der (vollen oder teilweisen) Erwerbstätigkeitspause die Gelegenheit der gemeinsamen Familienzeit mit ihrem Kind. Beamtinnen und Beamte des Bundes haben nach § 6 MuSchEltZV Anspruch auf Elternzeit entsprechend § 15 Abs. 1 bis 3 sowie §§ 16 und 27 Abs. 1 Satz 1 BEEG. Für Landesbeamtinnen und -beamte gelten die wesentlichen Vorschriften des BEEG über entsprechende landesrechtliche Verordnungen.349

B. Anwendbarkeit der Elternzeit nach dem BEEG auf Abgeordnete Es stellt sich nunmehr die Frage, ob die Elternzeit nach dem BEEG auch für Abgeordnete gilt. I. Anwendbarkeit der §§ 15, 20 BEEG auf Abgeordnete Legt man den Wortlaut der §§ 15 Abs. 1, 20 BEEG zugrunde, so ist dort unmissverständlich geregelt, dass ein Anspruch auf Elternzeit nur von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern (§ 15 Abs. 1 BEEG), Auszubildenden, und in Heimarbeit Beschäftigten sowie ihnen Gleichgestellten (§ 20 BEEG) geltend gemacht werden kann.

348

BMFSFJ, Elterngeld, S. 10. Exemplarisch für Baden-Württemberg: § 40 Verordnung der Landesregierung über die Arbeitszeit, den Urlaub, den Mutterschutz, die Elternzeit, die Pflegezeiten und den Arbeitsschutz der Beamtinnen, Beamten, Richterinnen und Richter (Arbeitszeitund Urlaubsverordnung – AzUVO) vom 29. November 2005 (GBl. Baden-Württemberg 2005, 716), zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes vom 18. Juli 2017 (GBl. BadenWürttemberg 2017, S. 334, 338). 349

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1. Teil: Ausgangslage

Wie oben festgestellt, sind Abgeordnete keine Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.350 Auch eine Einordnung als Auszubildende, in Heimarbeit Beschäftigte oder den Letzteren Gleichgestellte scheidet eindeutig aus. II. Anwendbarkeit des BEEG auf Abgeordnete über den Umweg des Elterngeldes Ungeachtet der Beschränkung der Elternzeit auf die vorbezeichneten, in den §§ 15 Abs. 1 und 20 BEEG aufgezählten Personengruppen sind, wie oben dargestellt, darüber hinaus auch Selbständige zumindest rechtlich in der Lage, ihre Erwerbstätigkeit nicht oder reduziert auszuüben und durch den dadurch ermöglichten Bezug von Elterngeld faktisch doch in den Genuss einer Art Elternzeit zu kommen.351 Möglicherweise lässt sich dieser Gedanke auch auf Abgeordnete übertragen – mit der Folge, dass über den Umweg des Elterngeldes auch eine faktische Elternzeit für Abgeordnete hergeleitet werden könnte. Die Anspruchsberechtigung im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 BEEG ergibt sich allein aus dem Umstand, dass ein Elternteil seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat, mit seinem Kind in einem Haushalt lebt, dieses Kind selbst betreut und erzieht und keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt. Damit schließt das BEEG Abgeordnete nicht per se vom Bezug des Elterngeldes aus. Erforderlich ist nur, dass sie – wie alle anderen betreffenden Eltern auch – die in § 1 Abs. 1 Satz 1 BEEG normierten Voraussetzungen erfüllen. 1. Bundestag und Länderparlamente mit Ausnahme von Baden-Württemberg

Für den Deutschen Bundestag und die Länderparlamente ist die Hilfskonstruktion einer Elternzeit über den Umweg des Elterngeldes jedoch untauglich. Denn parlamentsrechtlich ist eine zeitweise Nichtausübung des Abgeordnetenamtes im Sinne einer Elternzeit, etwa im Rahmen eine Mandatsruhe oder ähnlichem, in diesen Volksvertretungen de lege lata gerade nicht vorgesehen. Auch eine planmäßige Reduzierung der Abgeordnetentätigkeit auf etwa ein halbes Mandat ist nicht möglich. Das Parlamentsmitglied ist also nach bislang geltendem Recht nicht in der Lage, zum Zwecke der Kinderbetreuung nicht oder planmäßig reduziert berufstätig zu sein.

350

Vgl. oben im ersten Teil, zweites Kapitel, E., S. 89 ff. Vgl. oben im ersten Teil, viertes Kapitel, A. V., S. 120 ff. Ob Selbständige individuell tatsächlich wirtschaftlich in der Lage sind, ihre Tätigkeit vorübergehend zu verringern oder gar zu unterbrechen, ist eine hiervon zu unterscheidende praktische Frage. 351

4. Kap.: Elternzeit

123

2. Baden-Württemberg

Für die Mitglieder des Landtages Baden-Württemberg ist das Konstrukt einer Elternzeit über den Umweg des Elterngeldes hingegen nicht erforderlich, denn sie können ohnehin nach § 75 Abs. 3 GO LT BaWü zum Zwecke der Kinderbetreuung für längstens sechs Monate nach der Geburt des Kindes von der Teilnahmepflicht an Plenar- und Ausschusssitzungen befreit werden. Eine Befreiung über diese Zeitspanne von sechs Monaten hinaus ist auch nach baden-württembergischem Recht nicht möglich, so dass über diese Zeit hinaus dasselbe gilt wie für die übrigen Parlamente. Insgesamt steht der Konstruktion der Gewährung von Elternzeit über den Umweg des Elterngeldes daher derzeit geltendes Parlamentsrecht entgegen. 3. Exkurs: Elterngeld für Abgeordnete nach dem BEEG

In diesem Zusammenhang kann jedoch colorandi causa festgestellt werden, dass Abgeordnete nach der geltenden Gesetzesfassung – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen (Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt in Deutschland und eigene Kindesbetreuung und -erziehung im eigenen Haushalt) – gleichwohl Anspruch auf Elterngeld nach §§ 1 ff. BEEG haben. a) Keine Erwerbstätigkeit nach § 2 Abs. 1 Satz 2 BEEG i.V. m. § 2 EStG Auffällig ist in diesem Zusammenhang nämlich, dass das Abgeordnetenmandat nicht als Erwerbstätigkeit im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BEEG gilt. Dabei ist § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BEEG nämlich im systematischen Zusammenhang mit § 2 Abs. 1 Satz 2 BEEG zu betrachten, der die bemessungsrelevanten Einkunftsarten aufzählt. Hiernach errechnet sich das Einkommen aus Erwerbsarbeit aus Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG)352 sowie aus Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb und selbständiger Arbeit nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 EStG. Daraus kann abgeleitet werden, dass es sich bei der in § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BEEG genannten Erwerbstätigkeit um eine der in § 2 Abs. 1 Satz 2 BEEG aufgezählten Tätigkeiten handeln muss. Die Abgeordnetenentschädigungen fallen steuerlich jedoch nicht unter die vorbezeichneten Einkommensarten, sondern werden gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 7 in Verbindung mit § 22 Nr. 4 EStG als sonstige Einkünfte behandelt. Demnach bezie-

352 Einkommensteuergesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 8. Oktober 2009 (BGBl. I 2009, S. 3366, 3862), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 25. März 2019 (BGBl. I 2019, S. 357).

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1. Teil: Ausgangslage

hen Abgeordnete kein Einkommen im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BEEG. In der Konsequenz sind Abgeordnete in ihrer Eigenschaft als solche also generell nie erwerbstätig im Sinne des BEEG. Bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen, also bei einem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland und bei eigener Kindesbetreuung und -erziehung im eigenen Haushalt, haben sie nach dem Gesetzeswortlaut also immer Anspruch auf Elterngeld – auch dann, wenn sie gleichzeitig ihr Mandat ausüben und eine Abgeordnetenentschädigung beziehen. b) Keine analoge Anwendbarkeit von § 2 Abs. 1 Satz 2 BEEG i.V. m. § 2 EStG Auch die Voraussetzungen einer Analogie sind zu verneinen, denn es fehlt bereits an einer planwidrigen Regelungslücke.353 Zwar kann die Nichtberücksichtigung der Abgeordnetenentschädigung durchaus als Regelungsdefizit klassifiziert werden. Dieses ist jedoch nicht planwidrig. Dies zeigt sich bereits daran, dass die Gesetzgebung bei der Festlegung der bemessungsrelevanten Einkunftsarten nicht nur die sonstigen Einkünfte gemäß §§ 2 Abs. 1 Nr. 7, § 22 Nr. 4 EStG unberücksichtigt gelassen hat, sondern beispielsweise auch Einkünfte aus Kapitalvermögen sowie aus Vermietung und Verpachtung. Vor dem Hintergrund, dass die Gesetzgebung die bemessungsrelevanten Einkunftsarten auch im Rahmen der Elterngeldnovelle im Jahr 2014 nicht um die vorbezeichneten großen Einkommensblöcke erweitert hat, kann eine bloße Nachlässigkeit ausgeschlossen werden. Vielmehr muss davon ausgegangen werden, dass die genannten Einkommensarten – und damit auch die als sonstige Einkünfte eingestuften Abgeordnetenentschädigungen – bewusst nicht in das BEEG aufgenommen wurden. Insoweit sind Abgeordnete in Bezug auf die bemessungsrelevanten Einkunftsarten mit denjenigen Personengruppen vergleichbar, die, ohne berufstätig zu sein, ihren Lebensunterhalt anderweitig, beispielsweise durch regelmäßige Kapitaleinkünfte, bestreiten. Auch diese Personen haben, soweit ihre Einkünfte die Höchstgrenze des § 1 Abs. 8 BEEG nicht überschreiten, bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen einen Anspruch auf Elterngeld, obwohl sie gleichzeitig zum Elterngeldbezug weiterhin Einkünfte beziehen. Vor dem Hintergrund der Elterngeldberechtigung dieser Personengruppen sowie vor dem Hintergrund der Elterngeldberechtigung weiterer nicht erwerbstätiger Personen wie Hausfrauen, Hausmännern und Langzeitarbeitslosen, wird auch deutlich, dass die Gesetzgebung den Elterngeldbezug nicht auf diejenigen Personen beschränken wollte, die zugunsten von mehr gemeinsamer Zeit mit ihren Kindern vorübergehend auf Er353 Im Ergebnis auch: LSG München, Urteil vom 4. Dezember 2018 – L 9 EG 12/17, Rn. 37 ff., online verfügbar unter: https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/ Y-300-Z-BECKRS-B-2018-N-41138?hl=true, zuletzt aufgerufen am 12. Dezember 2019.

4. Kap.: Elternzeit

125

werbseinkommen verzichten. Sinn und Zweck des Elterngeldes ist offenkundig nicht allein der Ausgleich für finanzielle Einbußen infolge einer Reduktion der Berufstätigkeit, die eigens zum Zwecke der Ausweitung der Zeit mit dem eigenen Kind erfolgt. Dementsprechend widerspricht auch die Elterngeldberechtigung von Abgeordneten, die gleichzeitig eine Abgeordnetenentschädigung beziehen, nicht der Gesamtkonzeption des Elterngeldes. Es kann somit davon ausgegangen werden, dass keine planwidrige Regelungslücke besteht. Eine analoge Anwendung von § 2 Abs. 1 Satz 2 BEEG i.V. m. § 2 EStG scheidet daher aus. Abgeordnete deutscher Parlamente haben daher bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 BEEG auch bei gleichzeitigem Fortbezug der Abgeordnetenentschädigung einen Anspruch auf Elterngeld nach dem BEEG. Die hiervon zu trennende rechtspolitische Frage, wie sich dieser Anspruch – ebenso wie die Elterngeldberechtigung bei Einkünften aus Kapitalvermögen sowie aus Vermietung und Verpachtung – in die Grundsätze einer sparsamen öffentlichen Haushaltsführung einfügen lässt, mag sich der Deutsche Bundestag im Rahmen seiner Eigenschaft als gesetzgebende Gewalt stellen. III. Anwendbarkeit der §§ 15, 20 BEEG analog Die §§ 15 und 20 BEEG sind auch nicht analog auf Abgeordnete anwendbar. Insoweit fehlt es in jedem Fall an der für eine Analogie erforderlichen Vergleichbarkeit der Interessenlage der beteiligten Personengruppen. Wie bereits im Rahmen der Prüfung einer potentiellen analogen Anwendbarkeit des Mutterschutzgesetzes festgestellt, unterscheiden sich Abgeordnete nach den Vorgaben des Grundgesetzes von ihrer soziologischen Typik grundlegend von der abhängig Beschäftigter.354 Noch stärker als von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern unterscheiden sie sich von Auszubildenden, in Heimarbeit Beschäftigten oder den diesen Gleichgestellten. Zu diesen letzteren Personengruppen bestehen nahezu keine Überschneidungen. Dementsprechend bleibt für eine Analogie kein Raum. IV. Anwendbarkeit des BEEG über die MuSchEltZV/ über landesrechtliche Verordnungen Auch über den Umweg der Mutterschutz- und Elternzeitverordnung oder vergleichbare landesrechtliche Regelungen ist das BEEG nicht auf Abgeordnete anwendbar. Sowohl die Mutterschutz- und Elternzeitverordnung als auch die entsprechenden Länderverordnungen setzen zur Eröffnung ihres Anwendungsbereiches das Vorliegen eines Beamtenverhältnisses voraus. Ein solches liegt bei Abgeordneten jedoch nicht vor.355 354 355

Vgl. oben im ersten Teil, zweites Kapitel, E., S. 89 ff. Vgl. oben im ersten Teil, zweites Kapitel, D., S. 86 ff.

126

1. Teil: Ausgangslage

V. Analoge Anwendbarkeit der MuSchEltZV/ der landesrechtlichen Verordnungen Es wurde bereits festgestellt, dass die MuSchEltZV und die entsprechenden landesrechtlichen Verordnungen nicht analog auf Abgeordnete anwendbar sind, weil es insoweit an einer planwidrigen Regelungslücke fehlt.356 Dies gilt auch in Bezug auf die ebenfalls in der MuSchEltZV und diversen Landesverordnungen normierte Anwendbarkeit des BEEG. Auch in diesem Zusammenhang ist davon auszugehen, dass der Verordnungsgeber all diejenigen Personen, die nach seinem Willen von der Verordnung erfasst werden sollen, tatsächlich auch erfasst hat. Weder der entstehungsgeschichtliche Kontext der Mutterschutz- und Elternzeitverordnung noch der ihrer Vorgängernormen, der Mutterschutzverordnung und der Elternzeitverordnung, geben einen Hinweis darauf, dass irgendeine Gruppierung außerhalb der Beamtinnen und Beamten eigentlich zum personellen Anwendungsbereich der Verordnung hätte hinzugefügt werden sollen. Es ist demnach davon auszugehen, dass der Verordnungsgeber all diejenigen Personen, die nach seinem Willen von der Verordnung erfasst werden sollen, auch erfasst hat. Darüber hinaus ist nach der erst kurz zurückliegenden letzten Änderung der MuSchEltZV durch Art. 1 der Verordnung vom 9. Februar 2018 auch keine zwischenzeitliche relevante Änderung der tatsächlichen Verhältnisse eingetreten. Demnach ist davon auszugehen, dass die Verordnungen im Hinblick auf die durch die Verordnungsgeber erstrebte jeweilige Regelung, nämlich die Anwendbarkeit bestimmter Normen des Mutterschutzgesetzes und des BEEG auf Beamtinnen und Beamte, vollständig sind. Es besteht demnach keine planwidrige Regelungslücke. Im Übrigen fehlt es angesichts der enormen Unterschiede zwischen dem verfassungsrechtlichen Abgeordnetenstatus einschließlich der Freiheit des Mandats und dem verfassungsrechtlichen Beamtenstatus mit seinen Dienst- und Treuepflichten auch hier an einer Vergleichbarkeit der Interessenlage. Eine Anwendbarkeit der Elternzeitvorschriften des BEEG ist daher auch nicht über eine analoge Anwendung der MuSchEltZV oder die entsprechenden landesrechtlichen Verordnungen möglich. VI. Ergebnis Weder das BEEG noch die beamtenrechtlichen Verordnungen, die eine Anwendbarkeit des BEEG auf Beamtinnen und Beamte anordnen, sind also direkt oder analog auf Abgeordnete anwendbar.

356

Vgl. oben im ersten Teil, drittes Kapitel, B. IV., S. 112 ff.

5. Kap.: Zusammenfassung, Auswirkungen und Handlungsbedarf

127

Fünftes Kapitel

Zusammenfassung, Auswirkungen und Handlungsbedarf A. Zusammenfassung Die bisherigen Untersuchungen haben gezeigt, dass weder das Mutterschutzgesetz noch das BEEG direkt oder analog auf Abgeordnete des Deutschen Bundestages und der Länderparlamente anwendbar sind. Auch die Bestimmungen des Beamtenrechts, die die Regelungen der vorgenannten Gesetze auf die Dienstverhältnisse der Beamtinnen und Beamten übertragen, finden keine Anwendung auf das Abgeordnetenmandat. Die Analyse der in den jeweiligen Parlamenten geltenden geschriebenen und ungeschriebenen Regeln verdeutlicht darüber hinaus, dass in zehn Bundesländern keinerlei Mutterschutz für Abgeordnete besteht. Dies betrifft die Parlamente der Länder Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen. Für den Niedersächsischen Landtag bestehen zwar keine schriftlichen Mutterschutzregelungen; im Rahmen einer parlamentarischen Praxis wird jedoch zumindest in den Zeiten unmittelbar vor und nach der Geburt eines Kindes das Fernbleiben der betreffenden Abgeordneten toleriert. Gehörte die fehlende Abgeordnete einer Regierungsfraktion an, so wurde das mutterschutzbedingte Fernbleiben bei knappen Mehrheitsverhältnissen bislang auf informeller Ebene durch Pairingvereinbarungen ausgeglichen. Im Deutschen Bundestag sowie in den Parlamenten der Länder Bayern, Berlin, Rheinland-Pfalz und Sachsen sind die Voraussetzungen und der Umfang eines Mutterschutzes für die jeweiligen Abgeordneten zwar nicht ausdrücklich schriftlich normiert. Insoweit steht der Umfang der Mandatsausübung während der Schwangerschaft und nach der Entbindung auch in diesen Ländern im Ermessen der Abgeordneten. Alle vorgenannten Volksvertretungen privilegieren jedoch diejenigen Mitglieder, die in den im Mutterschutzgesetz normierten vor- und nachgeburtlichen Schutzfristen fehlen, beim Abzug von der jeweiligen Kostenpauschale. Hierdurch wird signalisiert, dass das Fehlen einer Abgeordneten kurz vor und nach der Geburt ihres Kindes vom Parlament toleriert wird. In diesem Zusammenhang wird die Nichtteilnahme der Abgeordneten in den Parlamenten von Bayern, Berlin und Rheinland-Pfalz während der Zeiten, die den Mutterschutzfristen nach dem Mutterschutzgesetz entsprechen, nicht als frei gewählte Abwesenheit gewertet und insoweit einer ärztlich nachgewiesenen Arbeitsunfähigkeit gleichgestellt. Die Mitglieder des Sächsischen Landtages gelten im Rahmen einer geübten Parlamentspraxis während der Fristen, die das Mutterschutzgesetz in seinem Geltungsbereich vorsieht, als beurlaubt.

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1. Teil: Ausgangslage

Eine ausdrückliche Mutterschutzregelung enthält allein die Geschäftsordnung des Landtages von Baden-Württemberg. Nach deren § 75 Abs. 2 muss der Landtagspräsident eine Abgeordnete auf Antrag während bestimmter, an § 3 MuSchG angelehnter, Fristen von der Teilnahmepflicht befreien. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang indes, dass die Befreiung von der Teilnahmepflicht zum Zwecke des Mutterschutzes nicht vor einer Kürzung der Kostenpauschale schützt: Diese Kürzung wird trotz Teilnahmebefreiung bei jedem Fehlen vorgenommen. Die Mutterschutzregelung hat demnach keine rechtlichen Folgen, sondern rein deklaratorischen Charakter. Nichtsdestoweniger kann ihr ein politischer bzw. praktischer Nutzen für die betreffenden Abgeordneten und den Landtag insgesamt nicht abgesprochen werden. Auch eine Elternzeitregelung enthält ausschließlich die Geschäftsordnung des Landtages von Baden-Württemberg. Diese enthält in ihrem § 75 Abs. 3 eine dort als Familienzeit bezeichnete Regelung, nach der ein Landtagsmitglied zum Zwecke der Kinderbetreuung auf Antrag für längstens sechs Monate nach der Geburt des Kindes von der Teilnahmepflicht an Plenar- und Ausschusssitzungen befreit werden kann. Im Gegensatz zur baden-württembergischen Regelung zum Mutterschutz handelt es sich hierbei um eine Kann-Vorschrift; die Genehmigung liegt im Ermessen des Landtagspräsidenten. Wie die baden-württembergische Mutterschutznorm hat auch die entsprechende Familienzeitregelung einen deklaratorischen Charakter. Rechtliche Folgen sind mit der Teilnahmebefreiung nicht verbunden. Auch diese Vorschrift hat jedoch einen politischen bzw. praktischen Nutzen. Sowohl der Mutterschutz als auch die Elternzeit für Mitglieder des badenwürttembergischen Landtages sind durch eine allgemeine Pairingvereinbarung flankiert. Weitere Elternzeitvorschriften für Abgeordnete bestehen nicht. Weder der Deutsche Bundestag noch die übrigen 15 Länderparlamente haben entsprechende Regelungen getroffen. Auch ungeschriebene Regeln im Sinne einer geübten Parlamentspraxis existieren diesbezüglich nicht. Schließlich sind auch in keinem deutschen Parlament konkretisierte Bestrebungen im Sinne von Gesetzesinitiativen und dergleichen zur Einführung einer Elternzeit für Abgeordnete bekannt.

B. Auswirkungen Die Auswirkungen der fehlenden oder allenfalls rudimentären Regelungen zu Mutterschutz und Elternzeit in den deutschen Volksvertretungen stellen sich je nach dem in den Fokus genommenen Wirkungsbereich naturgemäß recht unterschiedlich dar.

5. Kap.: Zusammenfassung, Auswirkungen und Handlungsbedarf

129

I. Individuelle Auswirkungen Hinsichtlich der Wirkungen auf die einzelnen Abgeordneten und ihre Kinder ist sowohl zwischen Mutterschutz und Elternzeit als auch innerhalb dieser Kategorien zwischen den Parlamenten ohne und den Parlamenten mit entsprechenden Regelungen zu unterscheiden. 1. Mutterschutz

a) Individuelle Folgen der fehlenden Auszeit vom Mandat Soweit eine Frau trotz der Geburt eines Kindes ihre berufliche Tätigkeit ohne oder nur mit sehr kurzer Pause fortführt, kann dies diejenigen negativen Folgen auf Mutter und Kind haben, die das Mutterschutzgesetz in seinem Geltungsbereich durch die Verhängung von Schutzfristen zu verhindern sucht. Nach seinem § 1 Abs. 1 Satz 1 schützt das Mutterschutzgesetz die Gesundheit der Frau und ihres Kindes am Arbeits-, Ausbildungs- und Studienplatz während der Schwangerschaft, nach der Entbindung und in der Stillzeit. Im Umkehrschluss kann bei Nichteinhaltung entsprechender Schutzfristen auf eine sowohl körperliche als auch psychische Überbeanspruchung von Mutter und Kind und demnach auch auf die Gefahr entsprechender gesundheitlicher Schäden geschlossen werden.357 Doch nicht allein der Rückschluss aus der Existenz des Mutterschutzes nach dem Mutterschutzgesetz gebietet eine besondere Rücksichtnahme auf die (werdende) Mutter und ihr un- bzw. neugeborenes Kind – dies käme einem Zirkelschluss gleich. Vielmehr ist festzustellen, dass sich die besonderen körperlichen und seelischen Anforderungen an Frauen in der Schwangerschaft und nach der Geburt eines Kindes nicht nach deren beruflicher Tätigkeit unterscheiden lassen. aa) Schwangerschaft Unabhängig davon, ob eine Frau ein Abgeordnetenmandat innehat oder ob sie abhängig beschäftigt, verbeamtet, selbständig oder erwerbslos ist, stellt bereits die Schwangerschaft regelmäßig eine große körperliche Belastung für die betreffende Frau dar. Zudem bergen Schwangerschaft und Geburt auch gesundheitliche Risiken für Mutter und Kind.358 Mit zunehmender Schwangerschaftsdauer ist die betreffende Frau weniger resistent gegenüber zusätzlichen Beanspruchungen von außen; auch Stress sollte vermieden werden.359 Dies gilt nicht allein zum Schutz der werdenden Mutter, sondern auch zum Schutz des ungeborenen Kindes: Einer wissenschaftlichen Studie der Hans-Berger-Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum Jena zufolge kann ein erhöhtes mütterliches Stressniveau Spuren im 357 358 359

Ähnlich Heilmann, A. Einleitung, Rn. 7. BVerfGE 103, 89, 103. Dudenhausen/Pschyrembel, S. 65.

130

1. Teil: Ausgangslage

kindlichen Gehirn hinterlassen, die im späteren Leben des Kindes einen Risikofaktor für Depressionen und andere Krankheiten darstellen.360 Zudem hat die schwangere Frau neben der Erschwernis aufgrund des steigenden Leibesumfanges unter anderem eine stärkere Beanspruchung der inneren Organe, eine schnellere Erschöpfungsneigung, eine Auflockerung der Bänder, eine stärkere Neigung zur Ohnmacht sowie diverse weitere körperliche Einschränkungen zu erdulden.361 Hieraus resultiert die medizinische Notwendigkeit eines besonderen gesundheitlichen Schutzes der werdenden Mutter und ihres ungeborenen Kindes – und zwar unabhängig von deren beruflicher Tätigkeit.362 Dabei birgt eine ununterbrochene Mandatsausübung durch schwangere Abgeordnete gerade vor dem Hintergrund ihrer regelmäßig hohen zeitlichen Belastung363 in den letzten pränatalen Wochen gesundheitliche Risiken für Mutter und Kind. Die häufig von morgens bis in die späten Abendstunden andauernden Plenarsitzungen stellen ebenso wie die in der Regel mit dem Mandat verbundene Reisetätigkeit eine hohe Belastung für die Schwangere und das Ungeborene dar. Durch die darüber hinaus bei vielen Abgeordneten erforderlichen weiten Fahrten oder Flüge zwischen dem Wahlkreis und dem Sitz des Parlaments auch kurz vor dem Geburtstermin steigt im Übrigen die Gefahr einer Geburt auf freier Strecke, was ein zusätzliches Risiko für Mutter und Kind darstellt. Ebenso wie die dem Mutterschutzgesetz unterfallenden Frauen durch ebendieses vor derartigen Gesundheitsrisiken geschützt werden, erfordert die Sondersituation der fortgeschrittenen Schwangerschaft daher bereits aus medizinischen Gründen auch einen entsprechenden Schutz weiblicher Abgeordneter und ihrer ungeborenen Kinder. Die an die Abgeordneten gestellte Verpflichtung, das Mandat während der Spätschwangerschaft uneingeschränkt wahrzunehmen, stellt sich hingegen als gesundheitliches Risiko für Mutter und Kind dar. bb) Wochenbett Auch nach der Geburt bedarf es einer Schonzeit von etwa sechs bis acht Wochen, in der sich die durch Schwangerschaft und Geburt am Körper der Frau entstandenen Veränderungen zurückbilden: Während des Puerperiums (Wochenbettes) erfolgen Rückbildungs- und Wundheilungsvorgänge, die Laktation (Milchabgabe) setzt ein und wird aufrechterhalten und schließlich kommt es zur Wie360 Ergebnis einer Studie der Hans-Berger-Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum Jena, zitiert nach Spiegel Online vom 18. Oktober 2013, „Stress in der Schwangerschaft hinterlässt Spuren im Baby-Hirn“, http://www.spiegel.de/gesundheit/schwan gerschaft/stress-in-der-schwangerschaft-hinterlaesst-spuren-im-gehirn-a-928555.html, zuletzt aufgerufen am 12. Dezember 2019. 361 Knigge, Mutterschutz, S. 68 f. m.w. N. 362 Knigge, Mutterschutz, S. 71. 363 Vgl. oben im ersten Teil, zweites Kapitel, A., S. 70 f.

5. Kap.: Zusammenfassung, Auswirkungen und Handlungsbedarf

131

deraufnahme der Ovarialtätigkeit (Eisprung).364 Insgesamt benötigt der Körper der betreffenden Frau einige Wochen der Pflege und der Schonung, um sich von den Anstrengungen der Schwangerschaft und der Geburt zu erholen und wieder zur vormaligen Konstitution zurückzufinden.365 Auch psychisch wird die Frau durch die körperlichen Beeinträchtigungen regelmäßig beeinflusst,366 zudem erfolgt eine natürlich bedingte starke Konzentration auf das Neugeborene. Medizinischerseits wird empfohlen, das Neugeborene mindestens vier bis sechs Monate lang zu stillen.367 Die seelische Komponente dieser Anpassungsphase des Wochenbettes wird häufig unterschätzt; während dieser für die Mutter regelmäßig sehr intensiven Zeit entwickelt sich jedoch die Beziehung zwischen Mutter und Kind.368 Mit der Geburt des noch absolut unselbständigen Neugeborenen entstehen neue Aufgaben, Pflichten und Verantwortungen, die eine Umstellung der Lebensplanung und der Lebensführung erfordern.369 Die anfangs noch rhythmuslosen Anforderungen des Neugeborenen nach Nahrung und körperlicher Zuwendung gebieten eine nahezu vollständige Ausrichtung der Tages- und Nachtplanung auf die Bedürfnisse des Kindes. Gerade in den Fällen, in denen das Kind – wie medizinisch empfohlen –370 gestillt wird, muss sich die Mutter in den ersten Wochen oder Monaten hierzu zu jeder Tages- und Nachtzeit bereithalten. Auch die Körperpflege und die Zuwendung zur Befriedigung des Nähebedürfnisses des Neugeborenen sowie zur Förderung seiner geistigen und seelischen Entwicklung bedürfen eines immensen zeitlichen Aufwandes. Auch diese während des sogenannten Wochenbettes auf Mutter und Kind einwirkenden Anpassungsvorgänge ergeben sich unabhängig von der Profession der Mutter. Aus medizinischer Sicht erfordert der körperliche und seelische Ausnahmezustand jedoch die Rücksichtnahme und den Schutz der Frau und ihres neugeborenen Kindes.371 Ein unmittelbares Weiterarbeiten nach der Geburt stellt darüber hinaus nicht nur eine hohe körperliche Belastung für die Mutter, sondern regelmäßig auch eine psychische Belastung für die gesamte Familie dar. Ein ru-

364

Dudenhausen/Pschyrembel, S. 363; Wolff, in: Balzer/Friese/Graf/Wolff, S. 322. Knigge, Mutterschutz, S. 70; allgemein zum Wochenbett Dudenhausen/Pschyrembel, S. 363 ff.; Wolff, in: Balzer/Friese/Graf/Wolff, S. 322 ff. sowie zu den physiologisch bedingten Komplikationen, die im Wochenbett auftreten können Dudenhausen/ Pschyrembel, S. 377 ff.; Wolff, in: Balzer/Friese/Graf/Wolff, S. 324 ff. 366 Aubel, Mutterschutz, S. 127. 367 Dudenhausen/Pschyrembel, S. 375. Zudem haben Langzeitstudien ergeben, dass eine mindestens dreimonatige Stilldauer die Brustkrebsgefahr der Mutter senkt, Wolff, in: Balzer/Friese/Graf/Wolff, S. 330. 368 Knigge, Mutterschutz, S. 70. 369 BVerfGE 103, 89, 103. 370 Dudenhausen/Pschyrembel, S. 373. 371 Knigge, Mutterschutz, S. 70 f. 365

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1. Teil: Ausgangslage

higes Ankommen und Kennenlernen von Eltern und Kind in der neuen Familiensituation ist so nicht möglich. Erfahrungsgemäß ist der überwiegenden Mehrzahl der Mütter nach neun Monaten der Schwangerschaft jedoch daran gelegen, zumindest in den ersten Wochen viel Zeit mit ihrem neugeborenen Kind zu verbringen; durch eine ununterbrochene Weiterarbeit wird diesem Bedürfnis erheblich zuwidergehandelt. Die nachgeburtliche Schutzpflicht im Geltungsbereich des Mutterschutzgesetzes ist dementsprechend als absolutes Beschäftigungsverbot ausgestaltet: Nicht einmal dann, wenn die Mutter vor Ablauf von acht Wochen nach der Geburt wieder arbeiten möchte, darf sie beschäftigt werden. Damit trägt das Gesetz der Vorbeugung der andernfalls drohenden schweren Nachteile für Mutter und Kind Rechnung. Diese bestehen jedoch unabhängig von der beruflichen Situation der betreffenden Frau. Auch Parlamentarierinnen und ihre neugeborenen Kinder sind dementsprechend unmittelbar nach der Geburt vergleichbar schutzbedürftig wie andere berufstätige Frauen und deren Neugeborene. Wird ihnen dieser Schutz verwehrt, so drohen die oben dargestellten körperlichen und seelischen Nachteile. Darüber hinaus ergibt sich bei weiterarbeitenden Abgeordneten die Problematik zu entscheiden, wo das Neugeborene während der Parlamentsarbeit und der weiteren politischen Termine verbleibt und wer sich darum kümmert. Stillt die Abgeordnete das Kind, so wird es überwiegend in ihrer Nähe bleiben müssen. Dies kann nicht nur aufgrund der vielen Ortswechsel sehr belastend für ein noch empfindliches Neugeborenes sein. Vielmehr ist eine Mitnahme des Kindes auch nicht zu allen Terminen möglich. Dies betrifft nicht nur Betriebsbesichtigungen und dergleichen; auch in manchen Parlamenten ist die Mitnahme von Säuglingen nicht gestattet. So wurde eine Thüringische Landtagsabgeordnete, die ihr sechs Wochen altes Kind im Tragetuch mit in den Plenarsaal brachte, genau aus diesem Grund durch den Landtagspräsidenten des Saales verwiesen.372 In derartigen Fällen muss die Mutter das Neugeborene zumindest während der Wahrnehmung von Terminen durch jemand anderen betreuen lassen – gegebenenfalls unterbrochen von Stillpausen. Auch soweit vereinzelt etwaige psychische Auswirkungen einer eventuellen ganztätigen Fremdbetreuung unmittelbar nach der Geburt mit einbezogen werden, ist nicht ersichtlich, dass für neugeborene Kinder von Abgeordneten etwas anderes gelten kann als für neugeborene Kinder von Arbeitnehmerinnen, Studentinnen oder Praktikantinnen. Sofern man diesbezüglich von negativen Folgen ei372 Thüringer Landtag, 6. Wahlperiode, Sitzungsprotokoll der 124. Sitzung vom 29. August 2018, S. 4 ff.; „Abgeordnete erscheint mit Baby – und wird des Sitzungssaals verwiesen“, in: Spiegel Online vom 29. August 2018, http://www.spiegel.de/poli tik/deutschland/thueringen-abgeordnete-muss-wegen-babys-sitzungssaal-verlassen-a-12 25578.html, zuletzt aufgerufen am 12. Dezember 2019.

5. Kap.: Zusammenfassung, Auswirkungen und Handlungsbedarf

133

ner Mutterentbehrung ausgeht,373 würden diese unabhängig vom Beruf der Mutter bestehen. Aus medizinischer Sicht gibt es jedenfalls Hinweise darauf, dass bestimmte Interaktionen der Mutter mit dem Säugling entwicklungsfördernd wirken.374 Insgesamt kann festgestellt werden, dass eine ununterbrochene Mandatswahrnehmung in der Spätzeit der Schwangerschaft und in den ersten Wochen nach der Geburt mit hohen Belastungen sowie mit physischen und psychischen Gefahren für die betreffende Abgeordnete und ihr un- bzw. neugeborenes Kind einhergeht. b) Folgen des eigenmächtigen Fernbleibens in Parlamenten ohne Mutterschutz Angesichts der oben dargestellten negativen Auswirkungen einer ununterbrochenen Mandatswahrnehmung über Spätschwangerschaft, Geburt und Wochenbett hinweg stellt sich die Frage, welche individuellen Auswirkungen ein eigenmächtiges Fehlen der betreffenden Parlamentarierin in einem Parlament ohne Mutterschutzregelungen zeitigen kann. Diesbezüglich ist zunächst entscheidungserheblich, ob die Abgeordnete rechtlich berechtigt ist, ihr Mandat aus eigenem Entschluss für eine gewisse Zeit nicht wahrzunehmen. aa) Verfassungsrechtliche Möglichkeit des eigenmächtigen Fernbleibens von Sitzungen Das Abgeordnetengesetz des Bundestages und die überwiegende Anzahl der Abgeordnetengesetze der Länderparlamente sehen eine Anwesenheitspflicht der Abgeordneten bei bestimmten Sitzungen vor. In den Parlamenten, in denen keine Mutterschutzregelung existiert, hat die Abgeordnete also dem Gesetz nach ihr Mandat ungeachtet von Schwangerschaft und Geburt fortlaufend wahrzunehmen: nicht nur bis kurz vor der Geburt, sondern rein nach dem Gesetz auch während und unmittelbar nach der Geburt. Zwar ist sie verfassungsrechtlich Trägerin des freien Mandates. Der Grundsatz der Mandatsfreiheit wird jedoch vielfach dahingehend ausgelegt, dass die Abgeordnete nur über das „Wie“, nicht aber über das „Ob“ ihrer Mandatsausübung entscheiden darf.375 Dies zugrundegelegt berechtigt der Grundsatz des freien Mandats sie nicht zu der Entscheidung, die Mandatsausübung in den Zeiten, die den Arbeitnehmerinnen und Beamtinnen als Mutterschutzzeiten zustehen, auszusetzen. Sofern man dieser Auffassung folgt, berechtigt auch der Status der Abge-

373

In Bezug auf GmbH-Geschäftsführerinnen: Hepp, Mutterschutz, S. 180 m.w. N. A. Schneider, Interaktion, S. 171. 375 BVerfGE 118, 277, 326; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 38, Rn. 47; vgl. oben im ersten Teil, zweites Kapitel, C. III. 2. b), S. 80. 374

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1. Teil: Ausgangslage

ordneten als Trägerin des freien Mandates sie nicht, eine Art selbstgewährten Mutterschutz wahrzunehmen. Legt man den Grundsatz des freien Mandates hingegen – wie es hier vertreten wird – weiter aus, so trifft das einzelne Parlamentsmitglied keine bestimmte Anwesenheitspflicht.376 Vielmehr ist von einer grundsätzlichen Verpflichtung aller Abgeordneten in ihrer Gesamtheit auszugehen, für die Funktionsfähigkeit des Parlaments Sorge zu tragen. Diese kann jedoch auch dann gewährleistet sein, wenn einzelne Abgeordnete fehlen – entscheidend ist allein, dass das Parlament insgesamt funktions- und repräsentationsfähig ist. Dem einzelnen Parlamentsmitglied obliegt damit insbesondere die Verpflichtung, im Zusammenwirken mit den übrigen Abgeordneten die gelungene Repräsentation des Volkes sicherzustellen.377 Soweit eine schwangere Abgeordnete also plant, an Sitzungen des Parlaments und seiner Ausschüsse zu bestimmten Zeiträumen vor, während und nach der Geburt nicht teilzunehmen, muss sie sich mit den übrigen Abgeordneten dahingehend verständigen, dass die Beschlussfähigkeit des Parlaments jederzeit gewahrt ist. Nach der hier vertretenen weiteren Auslegung der Mandatsfreiheit hat die Abgeordnete also zumindest aufgrund ihres Status als Inhaberin eines freien Mandates die verfassungsrechtliche Möglichkeit, den durch das Parlament festgelegten Sitzungen für einige Zeit fernzubleiben, sofern dadurch nicht die Funktionsfähigkeit des Parlaments insgesamt beeinträchtigt wird. Ungeachtet der Frage, ob die verfassungsrechtlich gewährte Mandatsfreiheit – wie hier – weiter oder enger ausgelegt wird, sind jedoch die geltenden (Abgeordneten-)Gesetze und sonstigen Rechtsvorschriften zu beachten. Wenn also beispielsweise nach § 44a Abs. 1 AbgG Bund die Ausübung des Mandats im Mittelpunkt der Tätigkeit eines Mitglieds des Bundestages zu stehen hat und wenn die Bundestagsmitglieder nach § 13 Abs. 2 GO BT zudem verpflichtet sind, an den Arbeiten des Bundestages teilzunehmen, so gelten diese Vorschriften für alle Bundestagsabgeordneten – unabhängig von ihrer Rechtsauffassung zur Mandatsfreiheit. De lege lata besteht daher in der überwiegenden Mehrzahl der Parlamente keine rechtlich zulässige Möglichkeit des Fernbleibens zur Inanspruchnahme einer Art Mutterschutz. bb) Faktische Probleme des ungeregelten Fehlens der Abgeordneten Sofern die Abgeordnete hingegen in derartigen Fällen eigenmächtig entscheidet, das Mandat während der Spätschwangerschaft und kurz nach der Kindesgeburt nicht wahrzunehmen, so ist dieses Fehlen in aller Regel mit tatsächlichen Problemen behaftet – und zwar unabhängig davon, ob die Mandatspause toleriert wird oder nicht. 376 377

Vgl. oben im ersten Teil, zweites Kapitel, C. III. 2. b) aa), S. 80 ff. Vgl. oben im ersten Teil, zweites Kapitel, C. III. 2. b) aa), S. 84.

5. Kap.: Zusammenfassung, Auswirkungen und Handlungsbedarf

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(1) Abhängigkeit vom Wohlwollen der übrigen Abgeordneten Auch wenn man davon ausgeht, dass eine schwangere oder jüngst niedergekommene Abgeordnete rein verfassungsrechtlich berechtigt ist, einigen Sitzungen des Parlaments nach Absprache mit ihren Kolleginnen und Kollegen fernzubleiben, so stellt dies dennoch ein ungeregeltes, außerplanmäßiges Fehlen dar. Die entsprechende Parlamentarierin hat auch in diesem Fall keinen Anspruch darauf, von der Arbeit zu pausieren – so wie dies etwa nach dem Mutterschutzgesetz vorgesehen ist. Selbst wenn eine vorübergehende Parlamentspause faktisch durch das Kollegialorgan Parlament toleriert wird, so handelt es sich dabei eben nur um ein bloßes Dulden eines eigentlich so nicht vorgesehenen – in einigen Parlamenten sogar regelwidrigen – Zustandes. Darüber hinaus ist die betreffende Parlamentarierin selbst für diese bloße Duldung auf das Entgegenkommen ihrer Kolleginnen und Kollegen angewiesen. Auch die Länge der Parlamentspause hängt dementsprechend vom guten Willen der übrigen Parlamentsmitglieder ab und kann von Fall zu Fall variieren. Einen entsprechenden Anspruch hat die Abgeordnete nicht; sie befindet sich damit unter Umständen in der prekären Lage, trotz unmittelbar bevorstehender oder gerade erfolgter Kindesgeburt den Anforderungen des Parlaments genügen und zu den dortigen Gremiensitzungen erscheinen zu müssen – mit allen oben beschriebenen psychischen und physischen Nachteilen für sich selbst und das un- bzw. neugeborene Kind. (2) Vor- und außerparlamentarische Aktivitäten Zudem bezieht sich die Pause ausschließlich auf die Aktivitäten im Parlament selbst. Diese machen jedoch nur einen Teil der Abgeordnetentätigkeit aus. Abgesehen von Abgeordneten in Sonderstellungen (wie Fraktionsvorsitzenden, Parlamentarischen Geschäftsführerinnen und ähnlichen) beträgt der Anteil der Arbeit außerhalb des Parlaments – also im Wahlkreis, mit Vereinen, Verbänden und Interessengruppen, innerhalb der Partei und dergleichen mehr – für die meisten Abgeordneten in Bund und Ländern mindestens die Hälfte der Arbeit, teilweise sogar weit mehr. Im Gegensatz zu den vom Parlament festgelegten Sitzungen steht den Abgeordneten die Einteilung und zeitliche Dimensionierung dieser vor- und außerparlamentarischen Termine frei. Gleichwohl wird man im Rahmen des Repräsentationsprinzips davon ausgehen müssen, dass auch in diesem Bereich die Abgeordneten in ihrer Gesamtheit ein gewisses Aktivitätsniveau zeigen müssen. Denn die Repräsentation des Volkes durch das Parlament setzt voraus, dass die Abgeordneten sich hinreichend mit den Belangen der Menschen auseinandersetzen – sei es nun mit den Belangen einzelner Bürgerinnen und Bürger oder mit den Belangen von Personengruppen. Insoweit ist von der Verpflichtung der Abgeordneten, die Repräsentationsfähigkeit des Parlaments zu wahren, auch auf eine grundsätzliche Verpflichtung, die Ansprechbarkeit der Abgeordneten im vor- und

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1. Teil: Ausgangslage

außerparlamentarischen Bereich zu gewährleisten, zu schließen. Dies zugrundegelegt, sind schwangere Abgeordnete, die eine geburtsbedingte Auszeit planen – sofern keine Elternzeitregelung besteht – verpflichtet, wenigstens ein Mindestmaß an Vertretung bei außerparlamentarischen Angelegenheiten sicherzustellen. Wie dies im Einzelnen geregelt ist – ob durch Mitarbeitende oder durch andere Abgeordnete – ist letztlich eine Frage des Einzelfalls, die die betreffende Abgeordnete nach eigenem Ermessen regeln kann. Dabei ist indes zu berücksichtigen, dass die Abgeordnete auch bei der Suche nach Vertreterinnen und Vertretern für außerparlamentarische Verpflichtungen und Termine auf den guten Willen ihrer Kolleginnen und Kollegen angewiesen ist. Sofern sich keine Vertretung finden lässt, ist die Abgeordnete vor die Wahl gestellt, entweder die entsprechenden Termine ersatzlos abzusagen oder sie trotz ihrer medizinischen Ausnahmesituation wahrzunehmen. Im ersten Fall drohen ihr politische Nachteile, im zweiten Fall drohen ihr und dem Kind die oben beschriebenen körperlichen und seelischen Nachteile. (3) Knappe Mehrheitsverhältnisse Sofern keine Mutterschutzregelungen bestehen, ist zudem zu beachten, dass trotz der verfassungsrechtlichen Möglichkeit, die Mandatsarbeit größtenteils einzuschränken, gleichwohl hohe faktische Hürden bestehen können, die die Abgeordnete von der Wahrnehmung einer geburtsbedingten Auszeit abhalten können. So kann es bei knappen Mehrheitsverhältnissen gerade auf die Stimme der (werdenden) Mutter ankommen, um in einer Abstimmung zu obsiegen oder sogar den Bestand der Regierung zu wahren. Aus Rücksichtnahme auf Mutter und Kind wird Abgeordneten in einigen Volksvertretungen in bestimmten parlamentarischen Konstellationen kurz vor und nach der Geburt eines Kindes das Fernbleiben von Sitzungen gewährt, indem eine Pairingvereinbarung getroffen wird.378 Hierauf besteht jedoch weder ein Anspruch, noch erwächst hieraus eine Bindung: Eine Pairingvereinbarung kann jederzeit widerrufen werden;379 zudem zieht auch der Bruch einer ursprünglich erteilten Pairingzusage keine Rechtsfolgen nach sich, so dass das Fehlen der Abgeordneten kurzfristig wieder ins Gewicht fallen kann.380 Im Übrigen wird in einigen Parlamenten ein Pairing nur ausnahmsweise und von Fall zu Fall vereinbart.381 In derartigen Fällen, also beim Fehlen einer verlässlichen Pairingverein378 Bezogen auf den Niedersächsischen Landtag: schriftliche Auskunft des Niedersächsischen Landtages vom 1. Februar 2018, S. 1, siehe Anlage. 379 Thiele, Entscheidungsfindung, S. 472. 380 Exemplarisch: Deutscher Bundestag, 13. Wahlperiode, Plenarprotokoll der 160. Sitzung vom 27. Februar 1997, S. 14391; Deutscher Bundestag, 15. Wahlperiode, Plenarprotokoll der 75. Sitzung vom 13. November 2003, S. 6461; Landtag NordrheinWestfalen, Plenarprotokoll 15/37 vom 30. Juni 2011, S. 3674 ff. 381 Bezogen auf den Landtag Brandenburg: Platter, S. 19, Fn. 54.

5. Kap.: Zusammenfassung, Auswirkungen und Handlungsbedarf

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barung, wird der Abgeordneten ein vor- und nachgeburtlicher Schutzzeitraum daher faktisch verwehrt. Denn zum einen ist der Abgeordneten erfahrungsgemäß selbst politisch daran gelegen, dass ihre eigene Fraktion nicht ihretwegen wichtige Abstimmungen verliert und dadurch an der Umsetzung der in Aussicht genommenen Vorhaben gehindert ist. Erst recht wird erfahrungsgemäß die übergroße Mehrheit der Abgeordneten nicht wollen, dass einzig aufgrund ihres eigenen Fehlens die von ihnen getragene Regierung stürzt. Dementsprechend haben schwangere Abgeordnete bei knappen Mehrheitsverhältnissen dann, wenn kein Pairing vereinbart wurde, regelmäßig bereits ein eigenes politisches Interesse daran, an wichtigen Entscheidungen trotz kurz bevorstehender oder kurz zurückliegender Geburt teilzunehmen. Zum anderen liegt es nahe, dass eine Abgeordnete selbst in dem Fall, in dem sie am Erhalt der Mehrheit wider Erwarten kein eigenes politisches Interesse hat, im Falle knapper Mehrheitsverhältnisse durch Druck von außen zur Sitzungsteilnahme bewegt wird: Denn in diesem Fall ist anzunehmen, dass die eigene Fraktion bzw. ein etwaiger Koalitionspartner und die dahinterstehenden Parteien erheblich auf die betreffende Parlamentarierin einwirken, um die politischen Ziele der Regierung und der sie tragenden Fraktionen verwirklichen zu können. (4) Eigener Anspruch/äußere Konflikte Auch bei klaren Mehrheitsverhältnissen können sowohl der eigene Anspruch als auch Konflikte innerhalb und außerhalb des Parlaments eine schwangere oder jüngst Mutter gewordene Abgeordnete davon abhalten, eine verfassungsrechtlich nach einer Auslegung mögliche, aber ansonsten nicht geregelte geburtsbedingte Mandatsauszeit zu nehmen. Zunächst ist davon auszugehen, dass die große Mehrheit der Abgeordneten an sich selbst den Anspruch stellt, ihr Amt gewissenhaft wahrzunehmen und das Volk im Allgemeinen und ihren Wahlkreis im Besonderen angemessen zu vertreten. Auch wenn es Ausnahmen hiervon geben mag, so sorgt bei den meisten Abgeordneten ein gewisser politischer Idealismus, in vielen Fällen gepaart mit dem Ehrgeiz auf ein politisches Fortkommen und die Aussicht auf eine mögliche Wiederwahl dafür, sich in einem Ausmaß in das Mandat einzubringen, der das zeitliche Engagement der meisten Arbeitnehmenden weit überschreitet.382 Bereits der eigene Anspruch, das Mandat ordnungsgemäß auszufüllen, wird daher bei vielen Abgeordneten dafür sorgen, im Falle fehlender Mutterschutzregelungen dem Parlamentsbetrieb nicht einfach aufgrund eigenen Entschlusses fernzubleiben. 382 Vgl. zum zeitlichen Einsatz der Abgeordneten BVerfGE 40, 296, 312; 118, 277, 325; Schmidt, Vereinbarkeit, S. 216 f.

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1. Teil: Ausgangslage

Darüber hinaus werden vielfältige äußere Ansprüche an Abgeordnete gestellt: Durch die eigene Fraktion, durch den Koalitionspartner, durch die Partei, durch Wählerinnen und Wähler, durch Vereine, Verbände, Kirchen, Interessensgruppen, durch Hauptverwaltungsbeamte der im Wahlkreis liegenden Gemeinden, durch Presse und Öffentlichkeit und dergleichen.383 Soweit keine mutterschutzartige Regelung besteht, werden diese Personen und Personengruppen in der Regel erwarten, dass eine Abgeordnete auch kurz vor und nach der Geburt eines Kindes jederzeit als Ansprechpartnerin, Rednerin oder Interessenvertreterin zur Verfügung steht. Auch wenn bei einigen die grundsätzliche Bereitschaft bestehen mag, der Betreffenden einen gewissen Schonzeitraum zu gewähren, so kann dies nicht allgemein angenommen werden. Im Übrigen kann auch die Befürchtung, bei einer längeren Absenz von wichtigen internen Entscheidungen ausgeschlossen zu werden oder nur noch in der Rolle der Mutter, aber nicht mehr auf Augenhöhe als gleichwertige Abgeordnete wahrgenommen zu werden, die Abgeordnete davon abhalten, eine ungeregelte selbstgewährte Mandatsauszeit zu nehmen.384 Gerade Parlamentarierinnen, die jüngst Mutter geworden sind, müssen (und wollen) häufig durch verstärkten Einsatz unter Beweis stellen, dass sie nach wie vor belastbar und einsatzfähig sind.385 Andernfalls droht der Eindruck, man sei als Mutter nicht in der Lage, die Abgeordnetenpflichten ordnungsgemäß zu erfüllen.386 Einige weibliche Abgeordnete kehren daher bereits wenige Tage nach der Geburt eines Kindes in das Parlament zurück.387 (5) Finanzielle Restriktionen Zudem unterliegt eine Abgeordnete, die trotz fehlender Mutterschutzregelungen eine gewisse Zeitlang geburtsbedingt auf die Mandatsausübung verzichtet, unter Umständen auch – wenn auch vergleichsweise geringen – finanziellen Einschränkungen. Je nach Rechtslage in den einzelnen Bundesländern sehen einige Abgeordnetengesetze eine Kürzung der Kostenpauschale im Falle der Nichtteilnahme an Sitzungen vor. Die bevorstehende oder kurz zurückliegende Geburt

383

Schmahl, in: Austermann/Schmahl, Vor § 1, Rn. 13. Eigene Erfahrung der Verfasserin aus der 17. Wahlperiode des Niedersächsischen Landtages. 385 Kürschner/Siri, Vereinbarkeit, S. 26, Schmidt, Vereinbarkeit, S. 10. 386 Bätzing-Lichtenthäler, „Elternzeit für Bundestagsabgeordnete?“, in: Politik und Kommunikation, Online-Ausgabe vom 19. September 2014, https://www.politik-kom munikation.de/ressorts/artikel/pro-kontra/elternzeit-fuer-bundestagsabgeordnete-14686, zuletzt aufgerufen am 12. Dezember 2019. 387 McKay, in: Parliamentary Affairs 2011, 714, 722 erwähnt in diesem Zusammenhang Katherina Reiche, MdB, die nur eine Woche nach der Geburt ihres Kindes ihre Abgeordnetentätigkeit wieder aufnahm. 384

5. Kap.: Zusammenfassung, Auswirkungen und Handlungsbedarf

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eines Kindes wirkt insoweit nicht in allen Parlamenten als Ausnahme von der Kürzung.388 c) Auswirkungen fehlenden Mutterschutzes auf andere politisch aktive Frauen Neben den Auswirkungen auf diejenigen Abgeordneten, die während des Mandats Mutter werden, können auch Auswirkungen auf Abgeordnete ohne Kinder beobachtet werden. So ergaben Studien, dass die fehlende Möglichkeit, sich in den ersten Lebenswochen und -monaten vorrangig selbst um das eigene Neugeborene zu kümmern, zumindest einige weibliche Abgeordnete davon abhält, während der Mandatszeit ein Kind zu bekommen.389 Darüber hinaus ist auch vorstellbar, dass ehrenamtlich politisch aktive jüngere Frauen, die potentiell für die Kandidatur um ein Parlamentsmandat in Betracht kämen, eine solche im Hinblick auf die fehlende Möglichkeit jeglicher familienbedingten Auszeit gar nicht erst anstreben.390 d) Parlamente mit mutterschutzartigen Regelungen Im Gegensatz zu den vorgenannten Situationen bietet eine mutterschutzähnliche Regelung für die betreffenden Abgeordneten den entscheidenden Vorteil, dass sie sich weder sich selbst gegenüber noch gegenüber Parlament, Fraktion, Partei und Öffentlichkeit dafür rechtfertigen müssen, ihr Mandat kurz vor und nach der Geburt ihres Kindes nicht aktiv auszuüben. Insoweit ist davon auszugehen, dass sie sich während dieser Zeit in einem tatsächlichen Schutz(zeit)raum bewegen, innerhalb dessen nicht die plötzliche Anforderung an sie herangetragen wird, doch kurzfristig zwei Wochen nach der Entbindung mehrere hundert Kilometer weit zum Parlamentssitz zu reisen, um dort an einer Abstimmung teilzunehmen. Gleichwohl sind einige der mutterschutzähnlichen Regelungen nicht mit einer Ausnahme von der Kürzung der Kostenpauschale verknüpft, so dass die betreffende Abgeordnete trotz der Bewertung ihrer Abwesenheit als entschuldigt Abzüge von der Kostenpauschale hinnehmen muss.391 Soweit die Kostenpauschale Fahrtkosten und Mühewaltung bei der Vor- und Nachbereitung von und der Teil388

Vgl. oben im ersten Teil, erstes Kapitel, B. I., C. I., H. I. und I., S. 52 ff. McKay, in: Parliamentary Affairs 2011, 714, 727; Schmidt, Vereinbarkeit, S. 8 und 214 f. 390 Hiervon geht der Antrag der Abgeordneten Anneke Graner (SPD), Charlotte Schneidewind-Hartnagel (GRÜNE), Volker Schebesta (CDU), Dr. Timm Kern (FDP/ DVP), Hans-Ulrich Sckerl (GRÜNE) und Dr. Stefan Fulst-Blei (SPD) zur Vereinbarkeit von Familie und Landtagsmandat in Baden-Württemberg aus: Landtag von BadenWürttemberg, Drs. 15/5500 vom 16. Juli 2014, S. 2. 391 Vgl. oben im ersten Teil, erstes Kapitel, B. I., C. I., H. I. und I., S. 52 ff. 389

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1. Teil: Ausgangslage

nahme an Sitzungen abdeckt, erscheint dies gerechtfertigt – denn ein entsprechender Aufwand fällt bei der Nichtteilnahme schließlich nicht an. Soweit die Kostenpauschale jedoch Fixkosten wie etwa die Büromiete abdeckt, entsteht durch deren Kürzung ein echter finanzieller Nachteil für die betreffende – entschuldigt fehlende – Abgeordnete. Bei den mutterschutzähnlichen Regelungen im Deutschen Bundestag und mehreren Länderparlamenten handelt es sich durchweg um eine Art freiwilligen Mutterschutz, nicht hingegen um Beschäftigungsverbote im Sinne des Mutterschutzgesetzes. Dementsprechend können und sollen die bestehenden Regelungen nicht davor schützen, dass Abgeordnete ihre Mandatsarbeit freiwillig bereits kurz nach der Geburt wieder aufnehmen. Insoweit können auch hier ein entsprechender Druck von außerhalb oder innere Motive der Abgeordneten dazu führen, dass die gewährte Schutzzeit nicht in Anspruch genommen wird. Ungeachtet dessen stellt jedoch bereits die grundsätzliche Erwartung des Parlaments, dass Abgeordnete in den Zeiten, in denen sie als Arbeitnehmerin in die Schutzfristen des Mutterschutzgesetzes fallen würden, ihr Mandat nicht wahrzunehmen brauchen, einen erheblichen Vorteil für die betreffenden Abgeordneten dar: Denn insoweit fällt der Erwartungsdruck, bereits wenige Tage nach der Geburt eines Kindes gegebenenfalls wieder zwischen 60 und 80 Wochenstunden zur Verfügung stehen zu müssen. 2. Elternzeit

a) Parlamente ohne Elternzeitregelung Die fehlende Existenz von Elternzeitregelungen in allen deutschen Parlamenten mit Ausnahme des Landtages Baden-Württemberg hat zunächst einmal ganz schlicht zur Folge, dass Abgeordnete, die Eltern werden, keinerlei Elternzeit in Anspruch nehmen können. Damit werden sie anders behandelt als nahezu alle übrigen Eltern in Deutschland. Wie oben bereits festgestellt, resultiert die Elternzeit zwar aus einem Anspruch einer Arbeitnehmerin oder eines Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber bzw. einer Beamtin oder eines Beamten gegen den Dienstherrn; das Elterngeld steht jedoch grundsätzlich auch Selbständigen, Erwerbslosen, Hausfrauen und Hausmännern zu.392 Da der Bezug des Elterngeldes das Nichtausüben einer Erwerbstätigkeit oder eine Reduzierung derselben voraussetzt, kommen so auch Selbständige über den Umweg über das Elterngeld in den Genuss einer faktischen Elternzeit.393 Ausschließlich Abgeordneten außerhalb des Landtages Baden-Württemberg wird nach geltender Rechtslage keinerlei Auszeit im Sinne einer Eltern- oder Familienzeit ermöglicht. Dadurch wird ihnen die Gelegenheit verwehrt, ihr Kind 392 393

Vgl. oben im ersten Teil, viertes Kapitel, A.V., S. 120. Vgl. oben im ersten Teil, viertes Kapitel, A.V., S. 121.

5. Kap.: Zusammenfassung, Auswirkungen und Handlungsbedarf

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in dessen ersten Lebensmonaten überwiegend selbst zu betreuen und zu erziehen. Dabei war der Bundestag selbst bei der Einführung des Erziehungsurlaubes davon ausgegangen, dass die gesamte spätere Entwicklung eines Kindes von der ersten Lebensphase abhänge und es hierfür von großer Bedeutung sei, dass das Kind durch die Mutter oder den Vater betreut werde.394 Obschon allgemein hervorgehoben wird, dass die Mutterschaft und die Erziehungsleistung der Eltern die besondere Anerkennung der Gesellschaft verdienen,395 gibt es für Abgeordnete außerhalb des Landtages von Baden-Württemberg nach geltender Rechtslage also keine Möglichkeit, die Betreuung und Erziehung ihres Kindes in den ersten Lebensmonaten vorrangig selbst zu übernehmen. Zwar gilt hier – ebenso wie in Bezug auf einen Mutterschutz für Abgeordnete -dass Abgeordnete nach der hier vertretenen weiteren Auslegung der Mandatsfreiheit keiner bestimmten Anwesenheitspflicht unterliegen; vielmehr ist von einer grundsätzlichen Verpflichtung aller Abgeordneten in ihrer Gesamtheit auszugehen, für die Funktionsfähigkeit des Parlaments Sorge zu tragen.396 Ungeachtet dieser verfassungsrechtlichen Berechtigung, dem Parlamentsbetrieb bei Wahrung der Funktionsfähigkeit des Parlaments eigenmächtig fernzubleiben, fordern jedoch diverse unterkonstitutionelle Regelungen gleichwohl die Anwesenheit der Abgeordneten, so dass auf diesem Wege dennoch eine Präsenzpflicht besteht. Im Übrigen ist auch dann, wenn Abgeordnete der Volksvertretung kraft ihrer Mandatsfreiheit eigenmächtig fernbleiben dürfen, davon auszugehen, dass sämtliche politischen Nachteile, die bereits mit einem eigenmächtigen Fehlen während der nach dem Mutterschutzgesetz vorgesehenen Schutzfristen einhergehen,397 erst recht für das selbstgewählte Fehlen eines Parlamentsmitgliedes während eines Zeitraums von mehreren Monaten nach der Geburt eines Kindes gelten: Ist eine Pairingvereinbarung bereits für den Fall der Niederkunft einer Abgeordneten – die diese objektiv an der Sitzungsteilnahme hindern dürfte – in manchen Parlamenten kaum zu erzielen, so wird dies umso mehr für die reine Betreuung eines Kindes gelten. Fehlendes Pairing erzeugt jedoch bei knappen Mehrheitsverhältnissen sowohl innerlichen als auch äußerlichen Druck, die Anwesenheit im Plenum über das Bedürfnis der Familie zur eigenen Betreuung des Kindes zu stellen.

394 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes über die Gewährung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub (Bundeserziehungsgeldgesetz – BErzGG), BT-Drs. 10/3792, S. 13. 395 BVerfGE 88, 203, 258f.; 99, 216, 234; Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes über die Gewährung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub (Bundeserziehungsgeldgesetz – BErzGG), BT-Drs. 10/3792, S. 13; Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des Elterngeldes, BR-Drs. 426/06, S. 31. 396 Vgl. oben im ersten Teil, zweites Kapitel, C. III. 2. b) aa), S. 84. 397 Vgl. oben im ersten Teil, fünftes Kapitel, B. I. 1. b), S. 133 ff.

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1. Teil: Ausgangslage

Geht man bereits für die Zeit unmittelbar vor und nach der Geburt eines Kindes von einem äußeren Druck zur Mandatswahrnehmung aus,398 so wird dies umso mehr für die sich daran anschließenden ersten Lebensmonate des Kindes gelten. Dies gilt erst recht für männliche Abgeordnete, die eine Auszeit zur Kinderbetreuung nehmen wollen. Vor dem Hintergrund der vielfach noch vorherrschenden, stereotypen Auffassung, dass auch das Baby einer Abgeordneten zu seiner Mutter gehöre,399 mag die Bereitschaft zu akzeptieren, dass sich auch ein männlicher Abgeordneter für einige Zeit eigenmächtig aus dem politischen Leben zurückzieht, um sich der Betreuung seines Kindes zu widmen, eher gering ausfallen. Denn anders als in herkömmlichen Berufen besteht für Mitglieder des Deutschen Bundestages und fünfzehn der Länderparlamente ja gerade keine formelle Möglichkeit einer geregelten Elternzeit, die allein durch ihre Existenz und dadurch bedingte Inanspruchnahme bereits für eine Steigerung der Akzeptanz sorgen könnte.400 Auch innerhalb des Kollegialorgans Parlament ist davon auszugehen, dass die eigenmächtige Inanspruchnahme einer Auszeit zur reinen Kinderbetreuung im Regelfall auf eine noch geringere Akzeptanz stoßen wird als das eigenmächtige Fernbleiben der Schwangeren oder Wöchnerin kurz vor und nach der Geburt. Selbst dann, wenn ein Mitglied die Parlamentsarbeit nicht einmal vollständig ruhen lässt, sondern nur punktuell für sich in Anspruch nimmt, sein Kind zu pflegen und zu betreuen, wird dies vom politischen Umfeld häufig nicht akzeptiert.401 Das politische Tagesgeschäft birgt in stetiger Wiederkehr Angelegenheiten, die vermeintlich der sofortigen Klärung bedürfen und die jederzeitige Verfügbarkeit aller Abgeordneten erfordern. Die aktive Mutter- oder Vaterschaft wird daher in der Berufspolitik häufig als Indiz dafür gewertet, dass das betreffende Parlamentsmitglied seine politischen Pflichten nicht mehr ordnungsgemäß erfüllen kann.402 Sofern ein Parlamentsmitglied sich also ohne oder gegen den Willen der übrigen Abgeordneten – insbesondere der eigenen Fraktion – für mehrere Monate aus der Politik zurückzieht, hat es erfahrungsgemäß mit negativen Konsequenzen im Hinblick auf ein weiteres politisches Fortkommen zu rechnen. Im Übrigen sind die Folgen der fehlenden parlamentarischen Elternzeit vergleichbar mit denen des fehlenden parlamentarischen Mutterschutzes (mit Ausnahme der medizinischen Folgen des fehlenden Mutterschutzes).403 398

Vgl. oben im ersten Teil, fünftes Kapitel, B. I. 1. b) bb), S. 134 ff. McKay, in: Parliamentary Affairs 2011, 714, 727; Schmidt, Vereinbarkeit, S. 13. 400 Vgl. zur gesellschaftlichen Akzeptanz der Elternzeit infolge der gesetzlichen Regelungen Klenner/Lott, S. 32 f. 401 Kürschner/Siri, Vereinbarkeit, S. 22. 402 Bätzing-Lichtenthäler „Elternzeit für Bundestagsabgeordnete?“, in: Politik und Kommunikation, Online-Ausgabe vom 19. September 2014, https://www.politik-kom munikation.de/ressorts/artikel/pro-kontra/elternzeit-fuer-bundestagsabgeordnete-14686, zuletzt aufgerufen am 12. Dezember 2019. 403 Vgl. oben im ersten Teil, fünftes Kapitel, B. I. 1. b) bb), S. 134 ff. 399

5. Kap.: Zusammenfassung, Auswirkungen und Handlungsbedarf

143

b) Elternzeitregelung Baden-Württemberg Ähnlich wie die bestehenden mutterschutzähnlichen Regelungen bietet auch die dort als Familienzeit bezeichnete Regelung des Landtages von Baden-Württemberg den Vorteil, dass die betreffenden Abgeordneten keinem oder einem geringeren Rechtfertigungsdruck ausgesetzt werden, wenn sie einige Monate in der Politik pausieren, um sich der Betreuung ihres Kindes zu widmen. Denn diese ausdrückliche Regelung sendet das politische Signal, dass eine Vereinbarkeit von Familie und Landtagsmandat in Baden-Württemberg gewollt ist.404 Die Genehmigung des Landtagspräsidenten, sich für einen begrenzten Zeitraum ausschließlich um das Neugeborene zu kümmern, dürfte insoweit für eine auch nach außen hin ausreichende Legitimierung der Politikpause sorgen. Insoweit entfällt auch der potentielle Vorwurf der Wählerschaft, wenn ein Parlamentsmitglied nach der Geburt eines Kindes vorübergehend pausiert: Denn die Institutionalisierung und Etablierung einer Elternzeit für Abgeordnete minimiert das Risiko der Kritik, das entsprechende Parlamentsmitglied würde seinen parlamentarischen Pflichten eigenmächtig nicht nachkommen.405 Auch die mit der Elternzeitregelung verknüpfte generelle Pairingvereinbarung im Landtag Baden-Württemberg trägt zu einer Akzeptanzsteigerung der Familienzeit für Abgeordnete bei. Denn erst dadurch wird insbesondere den Abgeordneten der Parlamentsmehrheit der Druck genommen, jederzeit im Landtag anwesend zu sein, um auch bei unvorhergesehenen Abstimmungen stets die Mehrheit zu sichern. Gleichwohl ist die baden-württembergische Familienzeit nicht mit einer Ausnahme von der Kürzung der Kostenpauschale verknüpft, so dass das betreffende Landtagsmitglied trotz der Teilnahmebefreiung durch den Präsidenten Abzüge von der Kostenpauschale hinnehmen muss.406 Die Akzeptanz der baden-württembergischen Elternzeit für Abgeordnete wird maßgeblich davon abhängen, ob sie tatsächlich von vielen Abgeordneten in Anspruch genommen wird oder nicht. Da sie – wie auch die allgemeine Elternzeit nach dem BEEG – optional ist, steht es den Abgeordneten frei, ob und für welche Dauer (innerhalb des Höchstzeitraums von sechs Monaten) sie Elternzeit in An404 Redebeitrag der Abgeordneten Graner (SPD), Landtag von Baden-Württemberg, Plenarprotokoll 15/113 vom 26. November 2014, S. 6807; Redebeitrag des Abgeordneten Schebesta (CDU), Landtag von Baden-Württemberg, Plenarprotokoll 15/113 vom 26. November 2014, S. 6808; Landtag von Baden-Württemberg, Drs. 15/5505, Beschlussempfehlung und Bericht des Ständigen Ausschusses vom 17. bzw. 24. Juli 2014, S. 2 und 4. 405 Bätzing-Lichtenthäler „Elternzeit für Bundestagsabgeordnete?“, in: Politik und Kommunikation, Online-Ausgabe vom 19. September 2014, https://www.politik-kom munikation.de/ressorts/artikel/pro-kontra/elternzeit-fuer-bundestagsabgeordnete-14686, zuletzt aufgerufen am 12. Dezember 2018. 406 Vgl. oben im ersten Teil, erstes Kapitel, B. II., S. 53.

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1. Teil: Ausgangslage

spruch nehmen. Der erste Nutznießer der baden-württembergischen Familienzeit beanspruchte diese etwa nur für die Dauer von zwei Monaten und ließ auch seine Wahlkreisarbeit dabei nicht vollständig ruhen.407 Sofern die Regelung nicht oder kaum in Anspruch genommen und es damit unüblich wird, als Mitglied des Landtages von Baden-Württemberg Elternzeit zu nehmen, dürfte die Hemmschwelle für elternzeitwillige Abgeordnete, einen entsprechenden Antrag zu stellen, steigen. Auch ein entsprechender innerer oder äußerer Druck kann einen Einfluss auf die Inanspruchnahme ausüben. II. Parlamentarische Auswirkungen Neben den Auswirkungen auf (potentielle) Abgeordnete und auf ihre gegebenenfalls neugeborenen Kinder hat das Fehlen bzw. die spärliche Existenz von Regelungen zu Mutterschutz und Elternzeit für Abgeordnete auch Effekte in Bezug auf die Parlamente. 1. Unterrepräsentanz jüngerer Eltern in Parlamenten

Festzustellen ist, dass jüngere Menschen, insbesondere jüngere Frauen, in deutschen Parlamenten deutlich unterrepräsentiert sind. Besonders verschärft findet sich diese Situation, wenn man Abgeordnete mit kleinen, bereits aufgrund ihres Alters betreuungsbedürftigen, Kindern in den Blick nimmt. Da die statistischen Angaben zum persönlichen Hintergrund der Abgeordneten in der Regel auf freiwilliger Basis erfolgen, ist eine vollständige Erfassung aller deutschen Bundestags- und Landtagsabgeordneten mit Kindern nicht möglich. Zudem finden sich in den veröffentlichten bzw. in den den Parlamentsverwaltungen vorliegenden statistischen Daten nur wenige Angaben zum jeweiligen Alter der Kinder. Unter Berücksichtigung der zeitlich begrenzten Gebärfähigkeit der Frau und der typischen Phase der Familiengründung rücken jedoch insbesondere bei den weiblichen Abgeordneten diejenigen unter 40 Jahren in den Blick. Vor dem erwähnten biologischen Hintergrund ist die Wahrscheinlichkeit, dass deren Kinder noch im betreuungsbedürftigen Alter sind, größer als bei älteren Abgeordneten. Zudem liegt der Fokus dieses Abschnitts gerade auf der Unterrepräsentanz junger Frauen bzw. junger Eltern in den deutschen Parlamenten. Ein Querschnitt der Rückmeldungen aus den deutschen Parlamentsverwaltungen ergibt, dass derzeit rund 30 % der Abgeordneten weiblich und rund 70 % der Abgeordneten männlich sind. Der Anteil der weiblichen Abgeordneten unter 407 „Elternzeit für Abgeordnete – bei vollen Diäten“, in: Online-Ausgabe der Badischen Zeitung vom 27. November 2014, https://www.badische-zeitung.de/suedwest-1/ elternzeit-fuer-abgeordnete-im-landtag-bei-vollen-diaeten–95371352.html, zuletzt aufgerufen am 12. Dezember 2019; Redebeitrag des Abgeordneten Dr. Schmidt-Eisenlohr (Grüne), Landtag von Baden-Württemberg, Plenarprotokoll 15/113 vom 26. November 2014, S. 6808 f.

5. Kap.: Zusammenfassung, Auswirkungen und Handlungsbedarf

145

40 Jahren beträgt etwa 5 %; der Anteil der männlichen Abgeordneten unter 40 Jahren beträgt etwa 9,5 %. Nur etwa 1,95 % der Abgeordneten sind weibliche Abgeordnete unter 40 Jahren mit einem oder mehreren Kindern; der Anteil der männlichen Abgeordneten dieser Altersgruppe mit einem oder mehreren Kindern beträgt etwa 4,3 %.408 Sicherlich ist diese geringe Beteiligung junger Eltern in den deutschen Parlamenten nicht monokausal auf das Fehlen von Elternzeit und Mutterschutz zurückzuführen. Angesichts der hohen zeitlichen Belastung und der unregelmäßigen Arbeitszeiten von Bundestags- und Landtagsabgeordneten ist jedoch festzustellen, dass das Amt der Abgeordneten bereits ohne die besondere Lebenslage in den Monaten rund um die Geburt eines Kindes nicht gerade als familienfreundlich zu bezeichnen ist.409 Studien zufolge entscheidet sich zumindest ein Teil der jüngeren weiblichen Abgeordneten aufgrund der von ihnen angenommenen mangelnden Vereinbarkeit von Familie und Mandat bewusst gegen Kinder.410 Gleichzeitig ist davon auszugehen, dass sich potentielle Mandatsbewerberinnen mit Kinderwunsch aus ähnlichen Erwägungen zugunsten eines Kindes gegen eine Kandidatur entscheiden.411 Die Auskünfte aus den deutschen Parlamentsverwaltungen ergeben entsprechend auch eine vergleichsweise hohe Kinderlosigkeit der jüngeren Parlamentarierinnen: Nach den Rückmeldungen der Verwaltungen liegt der Anteil der kinderlosen weiblichen Abgeordneten unter 40 Jahren bei 61,4 %. Wenngleich sich unter diesen Frauen auch solche befinden dürften, die in Zukunft noch ein oder mehrere Kinder bekommen können, so zeigt sich hier doch ein signifikanter Unterschied zum Anteil kinderloser Frauen in der allgemeinen Bevölkerung: Nach dem Mikrozensus 2016 (Ausgabe 2017) liegt dieser im Bundesgebiet durchschnittlich bei etwa 20 %.412 2. Konsequenzen für das Parlament

Nach Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG sind die Abgeordneten des Deutschen Bundestages Vertreter des ganzen Volkes. Die Verfassungen der Länder enthalten größ408 Schriftliche Auskünfte des Bayerischen Landtages, der Bremischen Bürgerschaft, des Hessischen Landtages, des Landtages Mecklenburg-Vorpommern, des Niedersächsischen Landtages, des Landtages Nordrhein-Westfalen, des Landtages Rheinland-Pfalz, des Landtages des Saarlandes, des Sächsischen Landtages und des Schleswig-Holsteinischen Landtages, siehe Anlage. 409 Kürschner/Siri, Vereinbarkeit, S. 16 ff. und 28 f. 410 McKay, in: Parliamentary Affairs 2011, 714, 727; Schmidt, Vereinbarkeit, S. 8 und 214 f. 411 Vgl. oben im ersten Teil, fünftes Kapitel, B. I. 1. c), S. 139. 412 Statistisches Bundesamt, Kinderlosigkeit, Geburten und Familien, Ergebnisse des Mikrozensus 2016, Ausgabe 2017, https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressekonferen zen/2017/Mikrozensus-2017/pressebroschuere-mikrozensus.pdf?__blob=publicationFile, zuletzt aufgerufen am 12. Dezember 2019.

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1. Teil: Ausgangslage

tenteils vergleichbare Regelungen.413 Die Abgeordneten repräsentieren also das Volk in seiner Gesamtheit. Dieser Repräsentationsgedanke verlangt zwar keine „ständestaatlich inspirierte Vertretung nach gesellschaftlichen Gruppen“, er setzt aber voraus, dass die Abgeordneten in der Gesellschaft verankert sind, den dort gebildeten Willen der Wählerschaft aufnehmen und ihn in ihre parlamentarische Arbeit einfließen lassen.414 Zwar wird man aus dem Demokratieprinzip nicht den Anspruch bestimmter Bevölkerungsgruppen herleiten können, entsprechend ihrem Anteil an der Wahlbevölkerung proportional im Parlament vertreten zu sein.415 Dem Demokratieprinzip ist bereits dann genüge getan, wenn alle Wahlberechtigten in gleicher Weise die Möglichkeit haben, aktiv und passiv an der Wahlvorbereitung im Sinne der Aufstellung von Wahlvorschlägen sowie an der späteren Wahl selbst teilzunehmen; das Parlament braucht insoweit kein genaues Spiegelbild der Wahlberechtigten darzustellen.416 Doch auch wenn eine Spiegelbildlichkeit vom Demokratieprinzip nicht explizit gefordert ist, so schließt dies nicht aus, dass eine solche der Demokratie durchaus dienlich sein kann.417 Dahinter steht der Gedanke, dass Menschen unterschiedlichen Alters, Geschlechts und beruflichen Hintergrundes, die sowohl regional als auch sozial aus unterschiedlichen Bereichen stammen, eine Vielzahl individueller Erfahrungen und Sichtweisen in das Parlament einbringen, die sich gegenseitig ergänzen und inspirieren können. Wenn man bestimmten Bevölkerungsgruppen durch die Gestaltung des Parlamentslebens faktisch den Zugang zum Parlament oder das spätere Abgeordnetendasein erschwert, dann darf zumindest in Zweifel gezogen werden, ob dies dem Gedanken der repräsentativen Demokratie noch entspricht. Zum Teil werden Demokratien, in denen Frauen deutlich unterrepräsentiert sind, als defizitär bezeichnet.418 Zumindest aber hat die Unterrepräsentanz junger Menschen, insbesondere junger Frauen, und darüber hinaus die erst

413 Exemplarisch: Art. 27 Abs. 3 Satz 1 Verfassung des Landes Baden-Württemberg; Art. 13 Abs. 2 Satz 1 Verfassung des Freistaates Bayern; Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg; Art. 77 Verfassung des Landes Hessen; Art. 12 Satz 1 Niedersächsische Verfassung. 414 BVerfGE 118, 277, 340, abweichendes Votum der Richter Hassemer, Di Fabio, Mellinghoff und Landau. 415 Bayerischer Verfassungsgerichtshof, Entscheidung vom 26. März 2018, Vf. 15VII-16, Rn. 110, NVwZ-RR 2018, 457, 465. 416 Bayerischer Verfassungsgerichtshof, Entscheidung vom 26. März 2018, Vf. 15VII-16, Rn. 110, 123, NVwZ-RR 2018, 457, 465, 467; die Spiegelbildlichkeit des Parlaments undifferenziert bejahend aber Morlok/Krüper, in: NVwZ 2003, 573, 574. 417 Ähnlich auch Häberle, in: NJW 1976, 537, 542; Payandeh, in: ZRP 2018, 189. 418 Bieber, Frauen in der Politik, S. 21 m.w. N.; ähnlich: Abels/Ahrens/Blome, in: APuZ 42/2018, 28.

5. Kap.: Zusammenfassung, Auswirkungen und Handlungsbedarf

147

recht auffällige Unterrepräsentanz junger Eltern, insbesondere junger Mütter,419 Auswirkungen auf die Parlamente. Zwar müssen Abgeordnete aller Parlamente sich regelmäßig in neue Themengebiete einarbeiten, zu denen sie bis dahin noch keine Berührungspunkte hatten. Dementsprechend ist davon auszugehen, dass sie sich grundsätzlich auch in die Belange anderer, im Parlament nicht oder kaum vertretener Bevölkerungsgruppen hineinversetzen können. Gleichzeitig haben auch die derzeit unterrepräsentierten jungen Abgeordneten, insbesondere die jungen weiblichen Abgeordneten mit Kindern oder Kinderwunsch, vielfältige politische Interessen und Schwerpunkte abseits von Themen rund um Frauen, Familie und Kinder. Nur weil eine Abgeordnete jung und weiblich ist, muss sie sich noch lange nicht für Politikfelder interessieren, die typischerweise mit Frauen in Verbindung gebracht werden oder in denen Frauen im Fokus stehen. Gleichwohl gibt es Hinweise darauf, dass weibliche Abgeordnete eher für die Interessen von Frauen eintreten als männliche Abgeordnete.420 Dies legt den Schluss nahe, dass die Berücksichtigung der Interessen von Eltern und ihren Kindern eher einen Widerhall im Parlament finden, wenn dort auch Personen in der aktiven Elternphase vertreten sind.421 Sind diese Personengruppen hingegen unterrepräsentiert, so besteht zumindest die Gefahr, dass ihre Interessen im Rahmen der Gesetzgebung nicht hinreichend berücksichtigt werden. Angesichts der Schnelllebigkeit der gesellschaftlichen Entwicklungen im Bereich von frühkindlicher Bildung, Erziehung und der damit verbundenen Institutionen kann eine derartige Prägung als aktiver Elternteil auch nicht durch Erfahrungen älterer Abgeordneter mit bereits erwachsenen Kindern ersetzt werden. Das Volk begibt sich damit der Chance, dass seine Vertretung Elternerfahrungen als wichtige Ressource nutzt. Angesichts des großen Anteils, den Familien mit minderjährigen Kindern in der Bevölkerung ausmachen, birgt dies die Gefahr eines echten Politikdefizites in der Arbeit der Parlamente. Darüber hinaus unterliegen die Parlamente, soweit sie weder Mutterschutz noch Elternzeit für Abgeordnete gewähren, einem Glaubwürdigkeitsdefizit. Wenn Abgeordnete aller im Bundestag vertretenen Parteien einen verbesserten Mutterschutz fordern,422 für sich selbst und für ihre Kolleginnen aus den Länderparlamenten aber eine Ausnahme machen, dann wirkt das wenig überzeugend. Wie ernst ist es dem Gesetzgeber mit der Gesunderhaltung von Mutter und (ungeborenem) Kind, wenn er dies nicht einmal für sich selbst in Anspruch nimmt? Abgeordnete machen die Gesetze – auch diejenigen zur Familienförderung. Sie 419

Vgl. oben im ersten Teil, fünftes Kapitel, B. II. 1., S. 144 f. McKay, in: Parliamentary Affairs 2011, 714, 730 m.w. N. 421 McKay, in: Parliamentary Affairs 2011, 714, 730. 422 Stenographischer Bericht der 228. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 30. März 2017, Plenarprotokoll 18/228, S. 22970 ff. 420

148

1. Teil: Ausgangslage

haben daher eine gesellschaftliche Vorbildfunktion. Wenn sie wollen, dass Menschen – auch vor dem Hintergrund des demographischen Wandels – durch eine verbesserte Vereinbarkeit von Familie und Beruf dazu animiert werden, mehr Kinder zu bekommen, dann sollten sie selbst mit gutem Beispiel vorangehen. Dies setzt indes erhebliche Verbesserungen von Familie und Berufspolitik voraus: Gefordert ist deshalb insbesondere die Einführung von Mutterschutz und Elternzeit für Abgeordnete.

C. Handlungsbedarf Aus den dargelegten Auswirkungen auf Individuen, Parlamente und Gesellschaft ergibt sich ein klarer rechtspolitischer Handlungsbedarf zur Einführung von Mutterschutz- und Elternzeitregelungen für Abgeordnete.

Zweiter Teil

Verfassungsrechtliches Gebot zur Einführung von Mutterschutz und Elternzeit für Abgeordnete – Das „Ob“ Nachdem im Vorangegangenen herausgearbeitet wurde, dass die Einführung von Mutterschutz- und Elternzeitregelungen für Abgeordnete in Bund und Ländern sinnvoll wäre, wird nunmehr geprüft, ob auch eine verfassungsrechtliche Pflicht des Staates besteht, entsprechende Regelungen zu treffen. Anders ausgedrückt: Besteht ein verfassungsrechtliches Gebot zur Einführung von Mutterschutz und Elternzeit für Abgeordnete? Erstes Kapitel

Grundrechtsberechtigung der Abgeordneten Als verfassungsrechtliche Direktive für ein solches Gebot kommen in erster Linie Grundrechte in Betracht. Dies wirft jedoch die Frage auf, ob Abgeordnete überhaupt grundrechtsberechtigt sind. Das Prinzip der Demokratie als staatlich organisierte Selbstherrschaft bringt es mit sich, dass Bürgerinnen und Bürger als Souverän in die Ausübung staatlicher Funktionen eingebunden sind.1 Aufgrund der besonderen Stellung der Parlamentsmitglieder als Scharnier zwischen Staat und Gesellschaft sowie aufgrund des Hinzutretens der besonderen Abgeordnetenrechte – insbesondere der durch Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG gewährten Mandatsfreiheit – ist keine klare Zuordnung der Abgeordneten entweder zur gesellschaftlichen oder zur staatlichen Sphäre möglich; die Frage ihrer Grundrechtsberechtigung wird daher als unklar betrachtet.2 Diese Unklarheit beruht insbesondere auf der prägenden Wirkung der Schlüssel-3 und Leitnorm4 des Art. 1 Abs. 3 GG: Hiernach binden die nachfolgenden Grundrechte neben der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auch die gesetzgebende Gewalt – also die Parlamente – als unmittelbar geltendes 1

Kielmannsegg, Grundrechte, S. 454. Mit einer ausführlichen Betrachtung dieser Fragestellung beschäftigt sich die Dissertation von Gausing, Abgeordnetenmandat. 3 Stern, Bd. III/1, § 72, Nr. I. 2, S. 1187. 4 BVerfGE 31, 58, 73; Dreier, in: ders., Art. 1 Abs. 3, Rn. 27; Gausing, Abgeordnetenmandat, S. 115; Stern, Bd. III/1, § 72, Nr. II. 4, S. 1195. 2

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2. Teil: Verfassungsrechtliches Gebot zur Einf. v. Mutterschutz/Elternzeit

Recht. Aus dieser Bindung aller Staatsgewalt könnte die Überlegung abgeleitet werden, dass die Abgeordneten jedenfalls im Rahmen ihrer ureigenen Tätigkeit als Volksvertretung, die im inneren Kern die Gesetzgebung beinhaltet, grundrechtsgebunden und gerade nicht grundrechtsberechtigt sind.5 Abseits ihres Mandates führen Abgeordnete jedoch in der Regel ein Privatleben außerhalb des Parlaments, in dem sie dem Staat gegenübertreten wie alle übrigen Mitmenschen. Es stellt sich daher die Frage, ob sie in derartigen Situationen ebenso grundrechtsberechtigt sind wie der sprichwörtliche „Jedermann“. Schließlich sind die in der parlamentarischen Welt häufig vorkommenden Hybridsituationen unter die Lupe zu nehmen: Wie bereits festgestellt, sind Abgeordnete neben der rein gesetzgeberischen oder kontrollierenden Tätigkeit mit zahlreichen weiteren vor- und außerparlamentarischen Aufgaben befasst,6 bei denen eine Wirkung auf ihre persönliche Sphäre und damit ein Grundrechtsbezug zumindest vorstellbar ist. Ferner darf nicht verkannt werden, dass es auch im Rahmen der gesetzgeberischen Aktivitäten äußere Umstände geben kann, die nur mittelbaren Einfluss auf die Legislativtätigkeit nehmen und dabei einem Grundrechtsbezug unterliegen können. Zu denken ist hierbei etwa an besondere Gegebenheiten im Sitzungssaal – wie etwa ein angebrachtes Kruzifix oder die Erlaubnis, im Sitzungssaal zu rauchen – oder eben an Anliegen der Parlamentsmitglieder selbst, die zwar das Mandat als solches betreffen, aber keinen unmittelbaren Einfluss auf die Gesetzgebung nehmen – wie etwa die hier gegenständliche Frage eines Mutterschutzes oder einer Elternzeit für Abgeordnete.

A. Rein parlamentarisches Handeln Recht einfach zu kategorisieren ist die reine Parlamentstätigkeit der Abgeordneten, also diejenigen Äußerungen, Handlungen und Entscheidungen, die die Abgeordneten im kollegialen Zusammenwirken gerade als Parlament vornehmen. Derartige Handlungen, die den Anspruch erheben können, autorisiert im Namen aller Bürgerinnen und Bürger der jeweiligen Gebietskörperschaft getroffen zu werden, sind von der Grundrechtsbindung des Art. 1 Abs. 3 GG umfasst.7 Die Abgeordneten handeln in diesem Fall als umfassend an die Grundrechte gebundene staatliche Gewalt. Vor dem Hintergrund der grundrechtlichen Funktion, die Freiheitssphäre der Einzelnen gegen staatliche Eingriffe zu schützen und den Bürgerinnen und Bürgern zugleich die freie aktive Mitwirkung am Gemeinwesen zu gewährleisten, können staatliche Institutionen selbst jedoch nicht gleichzeitig 5

Ähnlich auch Gausing, Abgeordnetenmandat, S. 115 f. Vgl. dazu auch die Statusbeschreibung der Tätigkeit von Landtags- und Bundestagsabgeordneten im sog. Diätenurteil des BVerfG, insb. BVerfGE 40, 296, 312; vgl. dazu auch oben im ersten Teil, zweites Kapitel, B., S. 70 f. 7 BVerfGE 128, 226, 244. 6

1. Kap.: Grundrechtsberechtigung der Abgeordneten

151

Adressatinnen und Berechtigte von Grundrechten sein.8 Diese rollenmäßige Unterscheidung von grundrechtsverpflichtetem Staat und grundrechtsberechtigtem Staatsvolk trifft auch die mit der Wahrnehmung von Staatsaufgaben betrauten natürlichen Personen – hier die Abgeordneten – im Rahmen ebendieser staatlichen Tätigkeit.9 Soweit die Abgeordneten also dezidiert als Legislativorgan handeln, sind sie dementsprechend im Rahmen dieser Funktionsausübung nicht selbst grundrechtsberechtigt.10 Die Geltendmachung von Abgeordnetenrechten, die sich auf die Mitwirkung an der Gesetzgebungs- und Kontrollfunktion des Parlaments beziehen, ist umfassend über die aus dem Abgeordnetenstatus des Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG resultierenden Mitwirkungs- und Teilhaberechte abgedeckt.11 Dies schließt auch vorbereitende parlamentarische Tätigkeiten wie etwa die Teilnahme an Plenardebatten und die Abstimmung in Ausschüssen mit ein.12

B. Situationen ohne Parlamentsbezug Diametral entgegengesetzt verhält es sich in Situationen ohne jeglichen Parlamentsbezug. Außerhalb ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit treten Abgeordnete dem Staat in gleicher Weise gegenüber wie Nichtabgeordnete. In dieser rein privaten Sphäre sind sie gleichermaßen mit staatlichem Handeln konfrontiert wie die übrige Bevölkerung – etwa durch die Belastung mit Steuern, Gebühren und Beiträgen –; ebenso treten sie dem Staat als Begehrende staatlicher Maßnahmen gegenüber – etwa im Hinblick auf die Erteilung einer Baugenehmigung. In diesen Fällen handeln die Abgeordneten daher gerade nicht als Legislative und damit als Staat, sondern befinden sich in einer bürgerlichen Gegenposition zu diesem. Weder aus dem Verfassungsrecht noch aus einfachgesetzlichen Vorschriften ist ein Grund ersichtlich, der dafür sprechen könnte, den Abgeordneten in dieser Situation als dem Staat gegenüberstehende Dritte den Grundrechtsschutz zu verwehren. Es ist daher anerkannt, dass Abgeordnete in ihrer Eigenschaft als Privatpersonen grundsätzlich grundrechtsberechtigt sind.13 8

BVerfGE 21, 262, 270. Gausing, Abgeordnetenmandat, S. 56; ähnlich Kielmannsegg, Grundrechte, S. 455; bezogen auf Amtswalter im Allgemeinen Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Bd. IX, § 190, Rn. 156. 10 Abmeier, Befugnisse, S. 248. 11 Grote, Verfassungsorganstreit, S. 181 f. 12 Kielmannsegg, Grundrechte, S. 455. 13 Gausing, Abgeordnetenmandat, S. 20 f.; Vitzthum, in: Merten/Papier, Bd. II, § 48, Rn. 48; zur grundsätzlichen Grundrechtsberechtigung von Abgeordneten auch Häberle, in: NJW 1976, 537, 540; Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 38, Rn. 236a; Risse/Witt, in: Hömig/Wolff, Art. 38, Rn. 19; Schnapp, in: NWVBl. 2006, 401, 402; von einer grundsätzlichen Grundrechtsberechtigung von Abgeordneten ausgehend auch E. Klein, in: Benda/Klein, Rn. 1012; Kielmannsegg, Grundrechte, S. 456 f.; Sauer, in: Morlok/ Schliesky/Wiefelspütz, § 16, Rn. 12; Umbach, in: Umbach/Clemens/Dollinger, §§ 63, 64, Rn. 38 f.; Umbach, in: Festschrift für Zeidler, S. 1235, 1243. 9

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2. Teil: Verfassungsrechtliches Gebot zur Einf. v. Mutterschutz/Elternzeit

Auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zeigt deutlich, dass dieses von einer grundsätzlichen Grundrechtsberechtigung der Parlamentsmitglieder ausgeht. So prüfte das Gericht beispielsweise im Fall eines bayerischen Landtagsabgeordneten, der sich gegen eine Verurteilung wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit nach §§ 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB wandte, ausdrücklich die Verletzung von Grundrechten des Abgeordneten:14 Zwar war der Abgeordnete durch die in dem zugrundeliegenden Urteil ausgesprochene vorübergehende Aberkennung der Wählbarkeit und der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter mittelbar in seinem Abgeordnetenstatus betroffen; gleichwohl handelt es sich auch bei diesen Rechtspositionen um solche, die dem Abgeordnetenamt vorausgehen und grundsätzlich jeder Privatperson zukommen.15 Auch im Übrigen war der Abgeordnete ausschließlich in seinem privaten Status als Grundrechtsträger betroffen. Darüber hinaus ergibt sich die Annahme der prinzipiellen Grundrechtsberechtigung Abgeordneter auch mittelbar daraus, dass das Bundesverfassungsgericht in Organstreitverfahren von Bundestagsabgeordneten regelmäßig erörtert, ob neben der Verletzung der sich aus dem Mandat ableitenden Statusrechte auch die Verletzung von Grundrechten gegeben sein könnte.16 Dabei konnte das Parlamentsmitglied nach der früheren Rechtsprechung im Organstreitverfahren ausschließlich Rechte aus dem Abgeordnetenstatus geltend machen und wurde im Übrigen auf die Verfassungsbeschwerde verwiesen.17 Bereits dieser Haltung legte das Bundesverfassungsgericht offenkundig die grundsätzliche Grundrechtsberechtigung der Abgeordneten zugrunde: Denn der Verweis auf die Verfassungsbeschwerde zur Geltendmachung der betreffenden Grundrechte impliziert die Annahme einer prinzipiellen Grundrechtsberechtigung. Noch deutlicher wird diese Bejahung der grundsätzlichen Inhaberschaft von Grundrechten im sogenannten Nebentätigkeitsurteil18: Hier vertrat das Bundesverfassungsgericht die Auffassung, durch Abgeordnete im Wege des Organstreitverfahrens geltend gemachte Grundrechtsverletzungen seien im Rahmen der Prüfung der statusrechtlichen Regelungen abwägend zu berücksichtigen.19 Die Grundrechte Abgeordneter fließen dementsprechend in die verfassungsgerichtliche Prüfung mit ein.20 Im Übrigen ergibt sich die prinzipielle Grundrechtsberechtigung von Abgeordneten auch aus einem Erstrechtschluss im Vergleich mit dem Beamtenverhältnis: 14

BVerfGE 57, 250 ff. Vgl. zu den Voraussetzungen der Wählbarkeit in den Deutschen Bundestag Art. 38 Abs. 2 und 3 GG, § 15 BWahlG. 16 Vgl. exemplarisch BVerfGE 94, 351, 365; 99, 19, 29; 118, 277, 319 f. 17 BVerfGE 43, 142, 148; 94, 351, 365; 99, 19, 29; E. Klein, in: Benda/Klein, Rn. 1012. 18 BVerfGE 118, 277 ff. 19 BVerfGE 118, 277, 320. 20 BVerfGE 118, 277, 354 f. und 378 ff. 15

1. Kap.: Grundrechtsberechtigung der Abgeordneten

153

Auch mit dem Eintritt in das Beamtenverhältnis geht anerkanntermaßen keine Aufgabe der Grundrechtsberechtigung einher.21 Wenn dies jedoch bereits für die im Rahmen ihres Sonderrechtsverhältnisses wesentlich stärker in den Staat eingegliederten Beamtinnen und Beamten gilt, die nach den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums (Art. 33 Abs. 5 GG)22 in einem hierarchischen Dienstverhältnis mit beiderseitiger besonderer Treuepflicht stehen,23 so muss die Grundrechtsberechtigung erst recht für die aufgrund der ihnen durch Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG gewährten Mandatsfreiheit im Vergleich zum Beamtentum ungleich autonomeren und mit einer umfassenden Handlungs- und Entscheidungsfreiheit ausgestatteten Abgeordneten24 gelten. Ob das Parlamentsmitglied indessen – ebenso wie die Beamtin und der Beamte – im Rahmen seiner privaten Grundrechtsentfaltung gewissen, sich aus seinem Status ergebenden Schranken unterliegt,25 ist eine davon zu trennende Frage: Denn derartige Schranken kommen allein dann in Betracht, wenn ein Bezug zum Mandat besteht. In den hier gegenständlichen Konstellationen ohne jeglichen Mandatsbezug kann die Bindung des Art. 1 Abs. 3 GG hingegen keine Wirkung entfalten: Sobald das Parlamentsmitglied vollständig aus dem Bereich des Legislativorgans heraustritt, steht es dem Staat seinerseits als Bürgerin oder Bürger gegenüber.26 In derartigen Fällen ist das Parlamentsmitglied daher in gleichem Umfang grundrechtsberechtigt wie Nichtabgeordnete.27

C. Hybridsituationen Zwischen diesen beiden Polen der reinen Mandatstätigkeit – mit gleichzeitiger Grundrechtsbindung der Abgeordneten – und Konstellationen ohne jeglichen Mandatsbezug – mit gleichzeitiger Grundrechtsberechtigung der Abgeordneten – bewegen sich die ungleich schwieriger einzuordnenden Situationen, in denen sowohl Berührungspunkte zum Mandat als auch zur persönlichen Sphäre des betroffenen Parlamentsmitgliedes bestehen. Es stellt sich daher die Frage, ob in solchen Fällen Grundrechte geltend gemacht werden können.

21 Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 38, Rn. 236a; Morlok/Krüper, in: NVwZ 2003, 573, 575; Schröder, in: JA 2016, 641, 644; vgl. auch BVerfGE 108, 282, 297 f. 22 Vgl. dazu ausführlich Battis, in: Sachs, Art. 33, Rn. 70 ff.; Hense, in: BeckOK Epping/Hillgruber, Art. 33, Rn. 37 ff. 23 Battis, in: Sachs, Art. 33, Rn. 71. 24 Vgl. zur Mandatsfreiheit oben im ersten Teil, zweites Kapitel, C. III., S. 76 ff. und zur Abgrenzung zwischen Abgeordneten und Beamten oben im ersten Teil, zweites Kapitel, D., S. 86 ff. 25 Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 38, Rn. 236a. 26 Ähnlich Gausing, Abgeordnetenmandat, S. 117. 27 Vitzthum, in: Merten/Papier, Bd. II, § 48, Rn. 48.

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2. Teil: Verfassungsrechtliches Gebot zur Einf. v. Mutterschutz/Elternzeit

I. Amtshaftungslösung 1. Grundsätze

Teilweise wird vorgeschlagen, sich an den Grundsätzen der Amtsträgerhaftung zu orientieren28 und dementsprechend danach zu differenzieren, ob das Parlamentsmitglied in Ausübung oder bei Gelegenheit seines Mandates betroffen ist.29 Übertragen auf Parlamentsmitglieder erfolgt die Feststellung, ob eine Ausübung des Mandates in diesem Sinne zu bejahen ist, nach diesem Modell in zwei Stufen: Zunächst ist zu prüfen, ob das betreffende Verhalten überhaupt der staatlichen Sphäre zuzuordnen ist. Das soll dann der Fall sein, wenn das Parlamentsmitglied entweder seine mitgliedschaftlichen Rechte wahrnimmt oder – bei außerparlamentarischem Handeln – erkennbar als „Staat“ auftritt.30 Auf der zweiten Stufe ist sodann festzustellen, ob gerade die konkrete Verhaltensweise einen inhaltlichen Einfluss auf die Mandatsausübung nimmt.31 Infolgedessen sollen etwa das Rauchen, das Internetsurfen oder das Essen im Plenarsaal dergestalt zu klassifizieren sein, dass sie nur bei Gelegenheit der Mandatsausübung stattfinden, aber keinen eigenen Mandatsinhalt bilden; in den letztgenannten Fällen wird eine Grundrechtsberechtigung bejaht.32 So hat etwa auch der Hessische Verwaltungsgerichtshof – allerdings im Hinblick auf Mitglieder eines Kreistages –33 die Verletzung der negativen Religionsfreiheit im Sinne von Art. 4 Abs. 1 GG durch die Anbringung eines Kreuzes im Sitzungssaal angenommen.34 2. Anwendung auf Mutterschutz/Elternzeit

Dieses Modell ist auf einen Mutterschutz und eine Elternzeit für Abgeordnete zumindest auf seiner ersten Stufe nicht einfach anzuwenden. Denn anders als bei der Amtshaftung, die regelmäßig dann zum Einsatz kommt, wenn ein bestimmtes Verhalten eines Amtsträgers bemängelt wird, geht es bei einer kindesbezogenen 28

Vitzthum, in: Merten/Papier, Bd. II, § 48, Rn. 48; Stein, Verantwortlichkeit, S. 526. Gausing, Abgeordnetenmandat, S. 187 ff.; Vitzthum, in: Merten/Papier, Bd. II, § 48, Rn. 40 ff.; bezogen auf Ratsmitglieder im Ergebnis auch Martensen, in: JuS 1995, 1077, 1079. 30 Gausing, Abgeordnetenmandat, S. 188 ff. 31 Gausing, Abgeordnetenmandat, S. 191. 32 Gausing, Abgeordnetenmandat, S. 191; ebenso, aber ohne Bezug auf die Amtshaftung, Grote, Verfassungsorganstreit, S. 182; Kielmannsegg, Grundrechte, S. 456. 33 Als Teil der Exekutive sind Mitglieder von Kommunalvertretungsorganen grundsätzlich nicht ohne Weiteres mit den Mitgliedern des Deutschen Bundestages und der Länderparlamente zu vergleichen. Die Grundsätze ihrer Grundrechtsberechtigung in Situationen mit Mandatsbezug lässt sich jedoch auf die der Legislative zuzurechnenden Abgeordneten übertragen. Vgl. hierzu auch Gausing, Abgeordnetenmandat, S. 22 ff. 34 Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 4. Februar 2003 – 8 TG 3476/ 02 – veröffentlicht bei juris. 29

1. Kap.: Grundrechtsberechtigung der Abgeordneten

155

parlamentarischen Auszeit für Abgeordnete weder um eine aktive Handlung des betreffenden Parlamentsmitgliedes noch um die Duldung oder Unterlassung einer speziellen amtsrechtlichen oder mandatsbezogenen Handlung. Vielmehr sind der Mutterschutz und die Elternzeit darauf ausgerichtet, dass das Parlamentsmitglied für einen bestimmten Zeitraum gar nicht an der parlamentarischen Arbeit teilnimmt und sich damit für eine gewisse Zeit außerhalb der staatlichen Legislativaufgabe bewegt. Im Rahmen des Mutterschutzes oder der Elternzeit tritt das Parlamentsmitglied gerade nicht als Staat auf und nimmt auch seine mitgliedschaftlichen Rechte gerade nicht wahr. Gleichwohl ist zu berücksichtigen, dass sich der Mutterschutz und die Elternzeit dezidiert auf das Mandat als solches und damit auf die Zugehörigkeit zur Legislative beziehen. Die mutterschutz- oder elternzeitwillige Person tritt dem Staat gerade nicht als diesem völlig außenstehend gegenüber, sondern als diesem angehöriges Mitglied des Kollegialorgans Parlament. Auch wenn das betreffende Mitglied während der Dauer der parlamentarischen Auszeit nicht selbst in Ausübung staatlicher Gesetzgebungsgewalt auftritt, ist ein gewisser Staatsbezug daher zu bejahen. Auf der zweiten Stufe ist jedoch zu konstatieren, dass die Inanspruchnahme von Mutterschutz und Elternzeit bereits aufgrund ihrer Natur als parlamentarische Pause keinen inhaltlichen Einfluss auf die Mandatsausübung zeitigt: Während dieser Zeit nimmt das betreffende Mitglied eben nicht an den parlamentarischen Arbeiten teil und äußert daher weder einen gesetzgeberischen Willen noch nimmt es irgendeine Kontrollfunktion wahr. Folgt man dem oben beschriebenen, an den Grundsätzen der Amtshaftung orientierten Modell, so betrifft die Inanspruchnahme von Mutterschutz und Elternzeit die Abgeordneten daher nicht in der unmittelbaren Ausübung staatlicher Legislativgewalt. Dementsprechend sind die Abgeordneten vor dem Hintergrund dieses Modells bezogen auf die Gewährung von Mutterschutz und Elternzeit grundrechtsberechtigt. II. Lösung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Nebentätigkeitsurteil 1. Grundsätze

Vollkommen anders gelagert ist die Lösung des Bundesverfassungsgerichts zur Grundrechtsberechtigung von Abgeordneten in seinem sogenannten Nebentätigkeitsurteil.35 Während das Gericht in den meisten seiner Entscheidungen eine etwaige Verletzung von Grundrechten entweder mit Verweis auf die Verfassungsbeschwerde36 oder wegen der im konkreten Fall vorrangig geprüften und bejah35 36

BVerfGE 118, 277 ff. BVerfGE 43, 142, 148; 94, 351, 365; 99, 19, 29.

156

2. Teil: Verfassungsrechtliches Gebot zur Einf. v. Mutterschutz/Elternzeit

ten Verletzung von Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG37 schlichtweg außenvorließ, vertrat es im sogenannten Nebentätigkeitsurteil – wenn auch eher en passant – die Auffassung, im Rahmen des Organstreitverfahrens seien mögliche Grundrechtsverletzungen von Abgeordneten innerhalb der Prüfung der statusrechtlichen Regelungen abwägend zu berücksichtigen.38 Wie bereits beschrieben, geht das Bundesverfassungsgericht dabei auch dann von einer Grundrechtsberechtigung der Parlamentsmitglieder aus, wenn der Abgeordnetenstatus in die persönliche Sphäre der Abgeordneten hineinwirkt.39 2. Anwendung auf Mutterschutz/Elternzeit

Dieses Modell lässt sich nicht unmittelbar auf die Inanspruchnahme von Mutterschutz und Elternzeit für Abgeordnete übertragen. Denn der Schwerpunkt des Mutterschutzes und der Elternzeit liegt genau umgekehrt zu den bislang durch das Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fällen40 eher im Privatleben als im Mandat der betreffenden Abgeordneten: Bei der kindesbezogenen Parlamentspause ist es eher die persönliche Sphäre, die in den Abgeordnetenstatus hineinwirkt, als es umgekehrt der Abgeordnetenstatus wäre, der in die persönliche Sphäre hineinwirkte. Wenn also theoretisch die Einführung von Mutterschutz und Elternzeit für Abgeordnete im Wege des Organstreitverfahrens geltend gemacht würde, so wäre bereits ohne eine Vorwegnahme der eingehenden Prüfung eines verfassungsrechtlichen Gebots41 absehbar, dass die primäre Stützung dieses Begehrs auf die statusrechtlichen Abgeordnetenregelungen wenig erfolgversprechend erschiene. Vielmehr ist bereits an dieser Stelle davon auszugehen, dass sich eine Verpflichtung des Staates zur Einführung von Mutterschutz und Elternzeit für Abgeordnete eher aus den Grundrechten als aus den speziellen grundgesetzlich garantierten Abgeordnetenrechten ergeben dürfte. Der Schwerpunkt einer parlamentarischen Pause liegt gerade darin, das Mandat für einen gewissen Zeitraum nicht wahrzunehmen, so dass die aus Art. 38 Abs. 1 GG resultierenden Gleichheits-, Repräsentations- und Teilhaberechte sowie die das Parlament ansonsten begünstigenden Selbstbestimmungs- und Organisationsrechte hier gerade nicht zu Felde geführt werden können. Auch der Grundsatz des freien Mandats nach Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG kann nicht zugunsten der Einführung von parlamentarischen Mutterschutz- und Elternzeitregelungen fruchtbar gemacht werden. Zwar gewährleistet die Mandatsfreiheit, wie bereits festgestellt, den Abgeordneten jedenfalls in dem Umfang, in

37 38 39 40 41

BVerfGE 134, 141, 191. BVerfGE 118, 277, 320; ebenso Stein, Verantwortlichkeit, S. 539. BVerfGE 118, 277, 354 f. BVerfGE 43, 142 ff.; 94, 351 ff.; 99, 19 ff.; 118, 277 ff.; 134, 141 ff. Vgl. dazu unten im zweiten Teil, zweites und drittes Kapitel, S. 161 ff.

1. Kap.: Grundrechtsberechtigung der Abgeordneten

157

dem die Funktions- und Repräsentationsfähigkeit des Parlaments gewährleistet ist, das Recht, dem Parlament für längere Zeit fernzubleiben.42 Es erscheint jedoch nicht ohne weiteres möglich, aus dem Prinzip der Freiheit des Mandats einen Anspruch auf die Gewährung von Vergünstigungen herzuleiten. Beruhend auf dem Postulat der Weisungsfreiheit aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG schützt die Mandatsfreiheit die Abgeordneten sowohl vor dem Staat als auch vor Privaten, Parteien und sonstigen Gremien – und zwar hinsichtlich aller Einflüsse, die den Bestand des Mandats oder ihre freie Willensbildung beeinträchtigen könnten.43 Eine leistungsrechtliche Funktion hingegen wurde diesem Schutz bislang weder entnommen, noch ist eine solche in irgendeiner Weise zu erkennen. Auch aus dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte des Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG ergibt sich kein Ansatz, aus dem sich eine an den Staat gerichtete Verpflichtung zur Einführung bestimmter begünstigender Regelungen herleiten ließe: Die Formulierung „an Aufträge und Weisungen nicht gebunden“ deutet auf eine rein abwehrende Wirkung hin. Dieser Schluss wird auch durch einen Blick auf die Entstehungsgeschichte der verfassungsrechtlichen Mandatsfreiheit gestützt. Als bewusste Abkehr vom vorrevolutionären System der Weisungsgebundenheit, des imperativen Mandats der landständischen Deputierten, ist das freie Mandat des Grundgesetzes eine Absage an alle Versuche, die Parlamentsmitglieder als bloße Funktionsträger jeglicher Parteien, Verbände oder sonstiger Interessenvertretungen zu instrumentalisieren.44 Dementsprechend ist davon auszugehen, dass sich aus dem Grundsatz der Mandatsfreiheit des Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG kein Anspruch auf Einführung von Mutterschutz und Elternzeit für Abgeordnete herleiten lässt. Erfolgversprechender erscheint hingegen die – in den beiden folgenden Kapiteln zu prüfende – Geltendmachung von Grundrechten. Bei dem Begehren, Mutterschutz und Elternzeit für Abgeordnete einzuführen, handelt es sich demnach um eine Mischkonstellation mit dem Schwerpunkt auf der privaten Sphäre, die aber gleichwohl einen deutlichen Bezug zum Mandat der betreffenden Abgeordneten aufweist. Aus den soeben dargelegten Gründe kann dieses Begehren jedoch nicht mit den im Grundgesetz vorgesehenen Abgeordnetenrechten geltend gemacht werden. Diese Konstellation lässt sich demnach nicht direkt unter das vom Bundesverfassungsgericht in seinem sogenannten Nebentätigkeitsurteil vertretene Modell der Mitberücksichtigung von Grundrechten im Rahmen der Prüfung der abgeordnetenstatusrechtlichen Regeln fassen. Derartige Konstellationen wurden durch das Bundesverfassungsgericht bislang nicht entschieden. Gleichwohl kann aus dem im sogenannten Nebentätigkeits42

Vgl. oben im ersten Teil, zweites Kapitel, C. III. 2. b) cc), S. 86. Badura, in: Schneider/Zeh, § 15, Rn. 9; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 38, Rn. 47 f. 44 Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 38, Rn. 189; im Ergebnis auch Schreiber, in: Friauf/ Höfling, Art. 38, Rn. 171. 43

158

2. Teil: Verfassungsrechtliches Gebot zur Einf. v. Mutterschutz/Elternzeit

urteil vertretenen Modell im Wege eines Erstrechtschlusses konkludiert werden, dass das Bundesverfassungsgericht auch für Fälle wie den hier gegenständlichen von einer Grundrechtsberechtigung der Abgeordneten ausgehen dürfte. Denn wenn das Gericht bereits im Falle der vorrangigen Geltung von Abgeordnetenstatusrechten von der gleichzeitigen prinzipiellen Grundrechtsberechtigung der Abgeordneten ausgeht,45 wird man daraus schließen können, dass die Grundrechtsberechtigung erst recht dann zu bejahen ist, wenn primär gerade Grundrechte betroffen sind. Wenn das Bundesverfassungsgericht bereits dann von einer Grundrechtsberechtigung der Parlamentsmitglieder ausgeht, wenn der Abgeordnetenstatus in die persönliche Sphäre der Abgeordneten hineinwirkt, muss diese gerade und insbesondere dann anzunehmen sein, wenn die persönliche Sphäre, wie oben beschrieben, in den Abgeordnetenstatus hineinwirkt. Vor dem Hintergrund dieser Erwägungen ist also auch nach der im sogenannten Nebentätigkeitsurteil des Bundesverfassungsgerichts postulierten Auffassung46 eine Grundrechtsberechtigung der Abgeordneten im Rahmen der Inanspruchnahme von Mutterschutz und Elternzeit zu bejahen. III. Schwerpunktlösung 1. Grundsätze

Schließlich ist zu erwägen, in Mischsituationen eine klare Differenzierung zwischen den Abgeordnetenrechten und den Grundrechten vorzunehmen und die Frage der Grundrechtsberechtigung der Abgeordneten nach dem Schwerpunkt des Begehrs oder der Maßnahme zu entscheiden.47 Soweit das Parlamentsmitglied primär die aktive Beteiligung an der Gesetzgebungs- und Kontrollfunktion des Parlaments begehrt oder sich vorrangig auf seine Statusrechte bezieht, ist ein Rückgriff auf die Grundrechte demnach ausgeschlossen.48 Denn deren Geltendmachung ist bereits über die aus Art. 38 Abs. 1 GG resultierenden speziellen Freiheits-, Gleichheits-, Repräsentations- und Teilhaberechte sowie durch die Rechte aus Art. 46 und 48 GG abgedeckt.49 Beispielhaft ist etwa das Rederecht der Abgeordneten im Parlament zu nennen: Das Begehr eines Parlamentsmitgliedes, vor der Volksvertretung reden zu dürfen, bezieht sich eindeutig auf den parlamentarischen Bereich und nicht auf die Privatsphäre

45 BVerfGE 118, 277, 320; ebenso Stein, Verantwortlichkeit, S. 539; ähnlich Badura, in: Festschrift für Schneider, S. 153, 160. 46 BVerfGE 118, 277, 320. 47 Grote, Verfassungsorganstreit, S. 181 f.; im Ergebnis auch Cornils, in: JURA 2009, 289, 296 f.; Schnapp, in: NWVBl. 2006, 401, 402. 48 Grote, Verfassungsorganstreit, S. 181 f.; im Ergebnis ähnlich Badura, in: Festschrift für Schneider, S. 153, 160. 49 Grote, Verfassungsorganstreit, S. 181 f.

1. Kap.: Grundrechtsberechtigung der Abgeordneten

159

des betreffenden Mitgliedes – selbst wenn die beabsichtigte Meinungsäußerung das Mitglied auch in persönlicher Weise tangieren sollte. Dieses parlamentarische Recht ist als Teilhaberecht bereits durch Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG geschützt.50 Eines Rückgriffs auf das Grundrecht der allgemeinen Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG bedarf es daher nicht, vielmehr ist ein solcher aufgrund des parlamentarischen Schwerpunktes des Begehrs untunlich. Gleichzeitig bewirkt der Abgeordnetenstatus nach dieser Schwerpunktlösung jedoch keine pauschale Verdrängung jeglicher Grundrechtspositionen der Abgeordneten.51 Eine Grundrechtsberechtigung der Abgeordneten ist nach dieser Lösung daher dann anzunehmen, wenn vorrangig die Person des Parlamentsmitgliedes betroffen ist, also der Schwerpunkt des Begehrs im Bereich der Grundrechte liegt52 und dieses Begehr nicht auch durch die Geltendmachung von Abgeordnetenrechten erreicht werden kann.53 Entscheidend ist danach also, ob auch Nichtabgeordnete Trägerinnen und Träger der geltend gemachten Rechte sein können:54 Die Eigenschaft als Bürgerin oder Bürger – und damit als Grundrechtsberechtigte – geht im Abgeordnetenstatus nicht vollständig auf.55 Diese Lösung ähnelt der oben beschriebenen Amtshaftungslösung. Der Unterschied liegt indes darin, dass hier klarer nach der inhaltlichen Ausrichtung der betreffenden Maßnahme oder des Begehrs unterschieden wird, was die ohnehin leicht konstruiert wirkende Bezugnahme auf die Amtshaftung entbehrlich werden lässt. Insbesondere die bei der Amtshaftungslösung verwendete Unterscheidung der Merkmale „in Ausübung“ und „bei Gelegenheit“ ist in unterschiedlichen Hybridsituationen des parlamentarischen Bereiches erklärungsbedürftig: Suggeriert die Formulierung „in Ausübung“ doch, dass das Begehr bei einer Tätigkeit des Abgeordneten zu erfolgen hat. Es sind jedoch Konstellationen vorstellbar, in denen keine Handlung erfolgt, die aber dennoch einen Staatsbezug und einen inhaltlichen Einfluss auf das Mandat haben: Zu denken ist etwa an die demonstrative Nichtteilnahme an einer Sitzung. Ob diese „in Ausübung“ des Mandats erfolgt, obwohl das betreffende Parlamentsmitglied etwa zu Hause bleibt, lässt sich nur durch in Verbindung mit der zusätzlichen Anwendung des Zweistufenmodells (erstens Staatsbezug und zweitens inhaltlicher Einfluss auf die Mandatsaus-

50

Ähnlich Kielmannsegg, Grundrechte, S. 455 f. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 38, Rn. 236a; im Ergebnis auch Häberle, in: NJW 1976, 537, 540; Kielmannsegg, Grundrechte, S. 456 f.; Roth, in: Umbach/Clemens, Art. 38, Rn. 104. 52 Stein, Verantwortlichkeit, S. 526. 53 Im Ergebnis wohl auch Umbach, in: Umbach/Clemens/Dollinger, §§ 63, 64, Rn. 26. 54 Sauer, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, § 16, Rn. 12. 55 BVerfGE 118, 277, 308, Auffassung der Antragsteller; Schnapp, in: NWVBl. 2006, 401, 402. 51

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2. Teil: Verfassungsrechtliches Gebot zur Einf. v. Mutterschutz/Elternzeit

übung) subsumieren – und in diesem Fall bejahen. Die der Schwerpunktlösung immanente Frage nach der Zielrichtung des Begehrs ist dagegen eindeutiger zu beantworten. 2. Anwendung auf Mutterschutz/Elternzeit

Auch nach der Schwerpunktlösung ist eine Grundrechtsberechtigung der Abgeordneten in Bezug auf die Schaffung von Mutterschutz und Elternzeit zu bejahen. Wie soeben festgestellt, ist bereits ohne eine Vorwegnahme der Prüfung eines entsprechenden verfassungsrechtlichen Gebots zu erkennen, dass der Schwerpunkt der Inanspruchnahme von Mutterschutz und Elternzeit deutlich weiter der privaten Sphäre der Abgeordneten als der parlamentarischen Sphäre zuzuordnen ist. Die mögliche Berechtigung, aus Gründen der Schwangerschaft, der Geburt sowie der Pflege und Betreuung eines Neugeborenen oder Kleinkindes eine parlamentarische Auszeit zu nehmen, beruht nicht primär auf den aus dem Abgeordnetenstatus des Art. 38 Abs. 1 GG herrührenden speziellen Freiheits-, Gleichheits-, Repräsentations- und Teilhaberechten. Im Gegenteil bestehen Mutterschutz und Elternzeit gerade in der temporären Nichtwahrnehmung der vorbezeichneten Rechte aus dem Abgeordnetenmandat. Im Übrigen liegt das Hauptgewicht des Mutterschutzes und der Elternzeit für Abgeordnete nicht in der Freiheit, das Mandat zweckungebunden nicht wahrzunehmen – andernfalls könnten sich auch nichtschwangere Abgeordnete ohne Kleinstkinder hierauf berufen. Vielmehr liegt der Schwerpunkt gerade im gleichzeitigen Zusammenhang mit einem außerhalb des Mandats begründeten Zweck: nämlich mit der besonderen Lebenslage von Schwangerschaft, Wochenbett und zu betreuendem Kleinstkind. Diese Lebenslage ist jedoch eine solche, die auch Nichtabgeordnete ohne jeglichen Parlamentsbezug betreffen kann. Insoweit zeigt sich die Zuordnung zum privaten Bereich auch deutlich daran, dass die zur Geltendmachung der Inanspruchnahme von Mutterschutz und Elternzeit zu Felde zu führenden Grundrechte aus Art. 3 Abs. 2 sowie aus Art. 6 Abs. 1, 2 und 4 GG ebenso auch von Nichtabgeordneten geltend gemacht werden können. Mithin ist auch nach der Schwerpunktlösung eine diesbezügliche Grundrechtsberechtigung der Abgeordneten zu bejahen. IV. Ergebnis zur Grundrechtsberechtigung der Abgeordneten bzgl. Mutterschutz/Elternzeit Nach allen drei diskutierten Modellen sind Abgeordnete daher im Hinblick auf ein etwaiges an den Staat gerichtetes Gebot zur Einführung von parlamentarischem Mutterschutz und parlamentarischer Elternzeit grundrechtsberechtigt.

2. Kap.: Mutterschutz

161

Zweites Kapitel

Mutterschutz A. Verfassungsrechtlicher Mutterschutz, Art. 6 Abs. 4 GG Auf der Suche nach der verfassungsrechtlichen Grundlage eines an den Staat gerichteten Gebotes zur Einführung von Mutterschutz für Abgeordnete springt die verfassungsrechtliche Mutterschutzregelung des Art. 6 Abs. 4 GG förmlich ins Auge. Art. 6 Abs. 4 GG lautet wörtlich: „Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.“

Damit enthält Art. 6 Abs. 4 GG nicht nur einen Programmsatz, sondern auch einen bindenden Auftrag an die Gesetzgebung, dessen Ausführung nicht in deren Belieben steht.56 Der Staat wird durch Art. 6 Abs. 4 GG verpflichtet, Problemen und Schwierigkeiten zu begegnen, denen die Mutter während und nach der Schwangerschaft ausgesetzt sein kann.57 Zudem obliegt es der staatlichen Gewalt, berufliche Nachteile, die einer Frau aus der Schwangerschaft erwachsen können, nach Möglichkeit auszuschließen.58 Obschon die Struktur des Art. 6 Abs. 4 GG bislang wenig diskutiert wurde59 und eine Einordnung der Norm in die Grundrechtssystematik durchaus von grundsätzlichem Interesse ist, kann es an dieser Stelle dahinstehen, in welchem Umfang die Norm konkrete subjektiv-öffentliche Rechte im Sinne individuell gerichtlich einklagbarer Ansprüche gewährt. In der vorliegenden Ausarbeitung soll es nicht um die Geltendmachung individueller Ansprüche gegenüber der Exekutive und der Judikative, sondern vielmehr um eine Verpflichtung des Gesetzgebers zur Schaffung allgemeiner mutterschutzrechtlicher Regelungen für Abgeordnete gehen. Unbeschadet dessen kann gleichwohl festgehalten werden, dass es sich bei Art. 6 Abs. 4 GG nicht nur eine wertentscheidende Grundsatznorm60, sondern darüber hinaus auch um ein echtes Grundrecht61 handelt. Bereits die systema56

BVerfGE 32, 273, 277. BVerfGE 88, 203, 258. 58 BVerfGE 88, 203, 259. 59 Vgl. dazu insbesondere die Dissertation von Aubel, Mutterschutz, die die am tiefsten gehende zusammenhängende Darstellung des Art. 6 Abs. 4 GG bietet; Knigge, Mutterschutz, S. 279 ff. 60 Burgi, in: Merten/Papier, Bd. IV, § 109, Rn. 12; Coester-Waltjen, in: von Münch/ Kunig, Art. 6, Rn. 105; ähnlich Burgi, in: Friauf/Höfling, Art. 6, Rn. 168; von Coelln, in: Sachs, Art. 6, Rn. 92; Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 6, Rn. 289. 61 BVerwGE 47, 23, 27; BAGE 69, 1, 11; Badura, in: Maunz/Dürig, Art. 6, Rn. 145 ff.; Brosius-Gersdorf, in: Dreier, Art. 6, Rn. 211; von Coelln, in: Sachs, Art. 6, Rn. 95; Coester-Waltjen, in: von Münch/Kunig, Art. 6, Rn. 131; Hofmann, in: SchmidtBleibtreu/Hofmann/Henneke, Art. 6, Rn. 65; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 6, Rn. 66; Knigge, Mutterschutz, S. 282. 57

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2. Teil: Verfassungsrechtliches Gebot zur Einf. v. Mutterschutz/Elternzeit

tische Stellung der Norm in dem mit „Die Grundrechte“ betitelten ersten Abschnitt des Grundgesetzes spricht insoweit eine deutliche Sprache.62 Darüber hinaus kommt der grundrechtliche Charakter auch in der Formulierung „jede Mutter hat einen Anspruch“ klar zum Ausdruck:63 Die Wahl des Begriffs „Anspruch“ verdeutlicht, dass den dadurch berechtigten Personen ein subjektives Recht zugestanden werden soll – nämlich das Recht, von der Gemeinschaft Schutz und Fürsorge zu erhalten. Dieser Anspruch wird dabei ausdrücklich jeder Mutter zugestanden – insofern besteht ein deutlicher Unterschied zur Vorgängernorm des Art. 119 Abs. 3 WRV64, der lediglich „die Mutterschaft“ als Anspruchsberechtigte benannte. Dementsprechend zeigen nicht nur Wortlaut und Systematik der Norm, sondern auch die Normhistorie die Konkretisierung der durch Art. 6 Abs. 4 GG eingeräumten Rechtsmacht auf jede einzelne Mutter.65 In Abwendung von der Einordnung des verfassungsrechtlichen Mutterschutzes als bloßer Programmsatz wollte der Grundgesetzgeber durch die Schaffung des Art. 6 Abs. 4 GG jeder einzelnen Mutter den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft zusichern.66 Damit trägt das Grundgesetz dem Umstand Rechnung, dass die Mutterschaft im Interesse der Gemeinschaft liegt.67 Nur durch die Geburt kommender Generationen kann das Volk überhaupt fortbestehen.68 Nur die Geburt, Pflege und Erziehung von Kindern sichert den Erhalt der Sozialsysteme und die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft – und damit den Wohlstand der Gesellschaft im Allgemeinen.69 Die Mutterschaft stellt damit eine Leistung dar, die sowohl im Interesse jedes einzelnen als auch im Interesse der Allgemeinheit liegt und daher deren Anerkennung verlangt.70 Diesem Ziel der Bevölkerungsreproduktion dient im Übrigen auch der aus Art. 6 Abs. 4 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 GG resultierende Auftrag an den Staat, das ungeborene Leben zu schützen.71 Dieser Auftrag gebietet dem Staat nicht nur, ungeborene Kinder vor negativen Einflüssen Dritter 62

Hepp, Mutterschutz, S. 91. Badura, in: Maunz-Dürig, Art. 6, Rn. 147; Hepp, Mutterschutz, S. 90. 64 Art. 119 Abs. 3 WRV lautete: Die Mutterschaft hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge des Staates. 65 Hepp, Mutterschutz, S. 90. 66 Badura, in: Maunz-Dürig, Art. 6, Rn. 143 f. und 147; ähnlich Knigge, Mutterschutz, S. 281. 67 Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 6, Rn. 283. 68 Zum Schutz des Fortbestandes des Volkes durch Art. 6 Abs. 4 GG vgl. Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 6, Rn. 279. 69 Brosius-Gersdorf, Demografischer Wandel, S. 189. 70 BVerfGE 88, 203, 258 f.; von Coelln, in: Sachs, Art. 6, Rn. 92. 71 Zur Herleitung der staatlichen Verpflichtung zum Schutz des ungeborenen Lebens: BVerfGE 118, 203, 251, 258. 63

2. Kap.: Mutterschutz

163

zu bewahren. Vielmehr ist der Staat auch gehalten, denjenigen Gefahren entgegenzutreten, die in den Lebensverhältnissen der Mutter begründet liegen und die deren Bereitschaft zum Austragen des Kindes entgegenwirken können.72 I. Schutz- und Fürsorgeauftrag des Art. 6 Abs. 4 GG Als besondere Konkretisierung des Sozialstaatsprinzips73 beinhaltet Art. 6 Abs. 4 GG ein die spezifische Stellung der Mutter zur Geltung bringendes Schutzversprechen.74 Vor dem Hintergrund der besonderen Schutzbedürftigkeit geht Art. 6 Abs. 4 GG auch von der prinzipiellen Schutzwürdigkeit einer jeden Mutter aus.75 Dieses besondere Bedürfnis der (werdenden) Mutter und ihres un- bzw. neugeborenen Kindes nach einem wirkungsvollen Schutz sowohl während der Schwangerschaft als auch in den ersten Wochen nach der Geburt ergibt sich aus den bereits eingehend dargestellten medizinischen Risiken dieser körperlichen und seelischen Sondersituation.76 Sowohl die betreffende Frau als auch ihr Kind sind zur Vermeidung andernfalls drohender gesundheitlicher Nachteile sowohl vor zu intensiven körperlichen Belastungen als auch vor starkem Stress zu bewahren.77 Art. 6 Abs. 4 GG enthält daher einen für das gesamte private und öffentliche Recht verbindlichen Schutzauftrag, der sich sowohl auf die schwangere Frau als auch auf die gewordene Mutter erstreckt.78 Im Folgenden soll nun festgestellt werden, ob und inwieweit sich dieser Schutzauftrag auch auf weibliche Abgeordnete in der besonderen Lebenslage von Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett erstreckt. II. Persönlicher Geltungsbereich Hinsichtlich seines persönlichen Geltungsbereiches spricht Art. 6 Abs. 4 GG eine klare Sprache: Jede Mutter soll den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft beanspruchen können. Mutter im Sinne von Art. 6 Abs. 4 GG ist indes nur 72

BVerfGE 88, 203, 258. BVerfGE 115, 259, 272 m.w. N.; von Coelln, in: Sachs, Art. 6, Rn. 90; Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 6, Rn. 284. 74 Badura, in: Maunz-Dürig, Art. 6, Rn. 145 m.w. N. 75 Aubel, Mutterschutz, S. 30 f. 76 Vgl. oben im ersten Teil, fünftes Kapitel, B. I. 1. a), S. 129 ff.; ähnlich BrosiusGersdorf, in: Dreier, Art. 6, Rn. 210. 77 Knigge, Mutterschutz, S. 68 ff.; vgl. auch oben im ersten Teil, fünftes Kapitel, B. I. 1. a), S. 129 ff. 78 BVerfGE 88, 203, 259; Badura, in: Maunz/Dürig, Art. 6, Rn. 144; zur zeitlichen Dimension der Gewährleistung auch Brosius-Gersdorf, in: Dreier, Art. 6, Rn. 216 ff.; Burgi, in: Friauf/Höfling, Art. 6, Rn. 175; Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 6, Rn. 292. 73

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2. Teil: Verfassungsrechtliches Gebot zur Einf. v. Mutterschutz/Elternzeit

die leibliche Mutter, also diejenige Frau, die ein Kind empfangen hat, es austrägt oder es bereits geboren hat – denn nur sie befindet sich durch Schwangerschaft und Geburt in einer Situation besonderer Schutz- und Fürsorgebedürftigkeit.79 Angesichts der Ausrichtung des Art. 6 Abs. 4 GG auf den Schutz der Mutter bleibt eine Frau auch im Falle einer Fehl- oder Totgeburt Mutter im Sinne dieser Norm.80 Die Formulierung „jede“ lässt sprachlich keinen Spielraum. Sie bedeutet, dass ausnahmslos alle leiblichen Mütter Grundrechtsberechtigte des Art. 6 Abs. 4 GG sind.81 Eine Beschränkung auf die im Mutterschutzgesetz genannten Personen (sowie über die entsprechenden Spezialvorschriften auf Beamtinnen) kommt nicht in Betracht.82 Dementsprechend gilt Art. 6 Abs. 4 GG auch für schwangere Abgeordnete sowie für Abgeordnete, die ein Kind geboren haben. III. Adressat des Anspruchs Anders als die Vorgängernorm des Art. 119 Abs. 3 WRV, der der Mutterschaft den Schutz und die Fürsorge des Staates zusicherte, verpflichtet Art. 6 Abs. 4 GG seinem Wortlaut nach die Gemeinschaft. Diese Formulierung entlässt den Staat indessen nicht aus der Verantwortung gegenüber Müttern. Die gegenüber der Weimarer Regelung geänderte Fassung dürfte nicht in einer Abkehr von der Grundrechtsbindung des Staates, sondern eher in einer Distanzierung der Väter und Mütter des Grundgesetzes von dem Staat der nationalsozialistischen Diktatur begründet sein.83 Die Materialien zur Entstehung des Grundgesetzes lassen eine solche Abwendung von der staatlichen Verpflichtung für Art. 6 Abs. 4 GG jedenfalls nicht erkennen.84 Auch der systematische Zusammenhang mit Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG, der der staatlichen Gemeinschaft das Wächteramt über die ordnungsgemäße Ausübung des Elternrechts überträgt, deutet darauf hin, dass auch in Art. 6 Abs. 4 GG dieselbe Gemeinschaft, nämlich die staatliche, gemeint ist.85 Gleichzeitig impliziert die Verwendung des Begriffes der Gemeinschaft eine stär-

79 Aubel, Mutterschutz, S. 113; Badura, in: Maunz/Dürig, Art. 6, Rn. 153; CoesterWaltjen, in: von Münch/Kunig, Art. 6, Rn. 104; im Ergebnis auch Jarass, in: Jarass/ Pieroth, Art. 6, Rn. 69. 80 Aubel, Mutterschutz, S. 115 f.; Badura, in: Maunz/Dürig, Art. 6, Rn. 153; ohne Begründung auch von Coelln, in: Sachs, Art. 6, Rn. 96; Coester-Waltjen, in: von Münch/Kunig, Art. 6, Rn. 104; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 6, Rn. 69. 81 Aubel, Mutterschutz, S. 117; Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 6, Rn. 291. 82 Aubel, Mutterschutz, S. 118; Hepp, Mutterschutz, S. 101 f.; Hofmann, in: SchmidtBleibtreu/Hofmann/Henneke, Art. 6, Rn. 65; Knigge, Mutterschutz, S. 283. 83 Badura, in: Maunz/Dürig, Art. 6, Rn. 145. 84 Aubel, Mutterschutz, S. 142. 85 Aubel, Mutterschutz, S. 143.

2. Kap.: Mutterschutz

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kere Verpflichtung jedes einzelnen: Während der Staat als abstraktes Gebilde von einer gewissen Unpersönlichkeit geprägt ist, suggeriert die Verpflichtung der Gemeinschaft aller Staatsangehörigen – die in Summe ja ebenfalls den Staat bilden – die Mitverpflichtung der dem Staat angehörigen Menschen. Damit hebt Art. 6 Abs. 4 GG hervor, dass die Mutterschaft in die Gemeinschaft eingebettet und von dieser zu schützen ist.86 Gleichwohl kann die Gemeinschaft in rechtlicher Hinsicht keine Verpflichtete eines Anspruchs auf Schutz und Fürsorge sein.87 Anspruchsgegner bleibt dementsprechend der Staat.88 Insbesondere die Gesetzgebung ist verpflichtet, normative Handlungsgrundlagen zu schaffen, durch die jeder einzelnen Mutter Schutz und Fürsorge gewährt werden.89 IV. Inhalt und Reichweite des Schutz- und Fürsorgeanspruchs Der in Art. 6 Abs. 4 GG formulierte Anspruch auf Schutz und Fürsorge zielt zunächst einmal auf die Gesetzgebung und erst danach auf Exekutive und Judikative ab.90 Zwar haben selbstredend auch die zwei letztgenannten Staatsgewalten den Gehalt des Art. 6 Abs. 4 GG bei der Auslegung und Anwendung einfachen Rechts zu beachten; dies ergibt sich bereits aus Art. 1 Abs. 3 GG.91 Die Exekutive bedarf jedoch normativer Handlungsgrundlagen.92 Das in Art. 6 Abs. 4 GG als Anspruch titulierte Recht der Mutter ist demnach in erster Linie als ein auf die Normierung von Anspruchsgrundlagen gerichteter Verschaffungsanspruch gegen die Gesetzgebung zu verstehen.93 Die Gesetzgebung wird hierdurch verpflichtet, jeder Mutter den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft zu gewährleisten. Sie muss durch gesetzliche Regelungen Problemen und Schwierigkeiten entgegentreten, die der Mutter während und nach der Schwangerschaft begegnen können.94 Zudem obliegt es dem Staat, berufliche Nachteile, die einer Frau aus der Schwangerschaft erwachsen können, nach Möglichkeit auszuschließen.95

86 Badura, in: Maunz/Dürig, Art. 6, Rn. 145; ähnlich: Knigge, Mutterschutz, S. 283 ff. 87 Badura, in: Maunz/Dürig, Art. 6, Rn. 146. 88 Brosius-Gersdorf, in: Dreier, Art. 6, Rn. 214; Heilmann, A. Einleitung, Rn. 33. 89 Badura, in: Maunz/Dürig, Art. 6, Rn. 146; Burgi, in: Friauf/Höfling, Art. 6, Rn. 168; von Coelln, in: Sachs, Art. 6, Rn. 91. 90 Badura, in: Maunz/Dürig, Art. 6, Rn. 161; Burgi, in: Friauf/Höfling, Art. 6, Rn. 170. Brosius-Gersdorf, in: Dreier, Art. 6, Rn. 214 postuliert hingegen ohne Unterscheidung die Bindung aller drei Gewalten. 91 Aubel, Mutterschutz, S. 143. 92 Badura, in: Maunz/Dürig, Art. 6, Rn. 146. 93 Coester-Waltjen, in: von Münch/Kunig, Art. 6, Rn. 107. 94 BVerfGE 88, 203, 258; ähnlich Brosius-Gersdorf, in: Dreier, Art. 6, Rn. 221. 95 BVerfGE 88, 203, 259.

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2. Teil: Verfassungsrechtliches Gebot zur Einf. v. Mutterschutz/Elternzeit 1. Schutz vor körperlicher Überlastung

a) Schutzbedürftigkeit (auch) weiblicher Abgeordneter Die besonderen körperlichen und psychischen Belastungen und Risiken, die biologisch mit Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und Stillen verbunden sind, treffen Frauen zwar in individuell unterschiedlichem Ausmaß: Während die eine Schwangere viele Wochen lang nur mit wenigen Beschwerden zu kämpfen hat, muss die andere Schwangere aufgrund vorzeitiger Wehen oder anderer Risikofaktoren monatelang strenge Bettruhe einhalten. Diese unterschiedliche Belastung werdender und jüngst gewordener Mutter ist jedoch nicht abhängig von der Berufsgruppe, sondern von individuellen, im Einzelnen teilweise nicht vorhersehbaren gesundheitlichen Vordispositionen der Frau und der noch weniger vorhersehbaren körperlichen Disposition des Kindes. Auch weitere, während der Schwangerschaft auftretende Faktoren, die nicht im Zusammenhang mit dem Beruf der Frau stehen müssen, führen ebenso wie Umwelteinflüsse und die individuelle Wohn- und Lebenssituation der Frau zu einer individuell unterschiedlichen Beanspruchung. Für erwerbstätige Frauen mit Ausnahme von Abgeordneten und Selbständigen hat der Gesetzgeber mit dem Mutterschutzgesetz entsprechende Schutzvorschriften erlassen. Nach dem Willen der Bundesregierung soll dadurch der bestmögliche Gesundheitsschutz für schwangere und stillende Frauen gewährleistet sein.96 Neben zahlreichen Regelungen zum Gesundheitsschutz und zu Beschäftigungsverboten sind dabei insbesondere die Regelungen zu den vor- und nachgeburtlichen Schutzfristen relevant: Nach § 3 Abs. 1 und 2 MuSchG gilt in den letzten sechs Wochen vor der Geburt ein grundsätzliches und in den (mindestens) acht Wochen nach der Geburt ein absolutes Beschäftigungsverbot. Wie bereits dargestellt, zeigt ein genauerer Blick auf das Tätigkeitsbild der Abgeordneten und die damit verbundenen Belastungen deutlich, dass die Gefährdungen, die sich durch eine ununterbrochene Mandatsarbeit über die Spätphase der Schwangerschaft, die Geburt, das Wochenbett und die Stillphase hinaus ergeben, nicht geringer sind als diejenigen Gefährdungen, die das Mutterschutzgesetz für die seinem Geltungsbereich unterfallenden Frauen auszuschließen beabsichtigt.97 Darüber hinaus bleibt Abgeordneten trotz des Grundsatzes des freien Mandates in der Regel wenig Möglichkeit, sich zum Wohle der eigenen Gesundheit und der des Kindes zu schonen.98 Insbesondere in Parlamenten mit knappen Mehrheitsverhältnissen wird die eigene Fraktion bzw. gegebenenfalls die Koali96 Internetauftritt des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 3. Januar 2018: https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/service/gesetze/gesetz-zur-neurege lung-des-mutterschutzrechts/73762, zuletzt aufgerufen am 12. Dezember 2019. 97 Vgl. oben im ersten Teil, fünftes Kapitel, B. I. 1. a), S. 129 ff. 98 Vgl. oben im ersten Teil, fünftes Kapitel, B. I. 1. b) bb), S. 134 ff.

2. Kap.: Mutterschutz

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tion in der Regel die Anwesenheit aller Parlamentsmitglieder verlangen. Auch die bereits dargestellte häufig erforderliche Reisetätigkeit der Abgeordneten begründet insbesondere in der Spätphase der Schwangerschaft und in den ersten Wochen nach der Geburt ein gesundheitliches Risiko für Mutter und Kind.99 Gleichwohl ist in Anbetracht der sowohl gesetzlich als auch faktisch stark eingeschränkten Mandatsfreiheit im Zusammenhang mit vielfältigen äußeren und inneren Einflüssen davon auszugehen, dass – ohne die Existenz von Mutterschutzvorschriften – die überwiegende Mehrheit der Abgeordneten ihre Tätigkeit auch im Fall einer Schwangerschaft und der Geburt eines Kindes in einem relevanten Umfang weiter ausüben wird. Die parlamentarische Praxis zeigt, dass einzelne Abgeordnete bereits eine Woche nach der Geburt eines Kindes wieder an Sitzungen teilnehmen;100 eine Teilnahme an Sitzungen in den ersten Wochen nach der Geburt wird zum Teil als selbstverständlich betrachtet.101 Der aus medizinischer Hinsicht erforderliche Schutzzeitraum rund um die Geburt wird den betreffenden Abgeordneten mithin nicht gewährt; die entsprechenden gesundheitlichen Gefahren für Mutter und Kind werden in Kauf genommen. Das jeder Mutter gegebene Versprechen des Art. 6 Abs. 4 GG gebietet der Legislative daher, auch für Abgeordnete in Bund und Ländern Schutzvorschriften zu schaffen, die diesen in der besonderen Situation von Schwangerschaft und Geburt zumindest den gesundheitlich erforderlichen Schutz gewähren. b) Einengung gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums: Wesensgehalt des Art. 6 Abs. 4 GG Insoweit besteht auch kein unbegrenzter Gestaltungsspielraum der Gesetzgebung: Zwar ist grundsätzlich nur das „Ob“ des Mutterschutzes nach Art. 6 Abs. 4 GG als bindender Auftrag verpflichtend für den Staat;102 hinsichtlich des „Wie“ des Mutterschutzes kommt ihm hingegen grundsätzlich ein Gestaltungsspielraum zu.103 Gleichwohl darf ein Bereich elementaren Schutzes und elemen99

Vgl. oben im ersten Teil, fünftes Kapitel, B. I. 1. a), S. 129 ff. McKay, in: Parliamentary Affairs 2011, 714, 722 erwähnt in diesem Zusammenhang Katherina Reiche, MdB, die nur eine Woche nach der Geburt ihres Kindes ihre Abgeordnetentätigkeit wieder aufnahm. 101 So bekundete die Thüringer Abgeordnete Henfling, die ihren sechs Wochen alten Sohn mit in den Plenarsaal brachte: „Ich will einfach meine Arbeit machen.“ Gleichlautender Artikel, in: Online-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung vom 30. August 2018, https://www.sueddeutsche.de/politik/abgeordnete-mit-baby-im-thueringer-landtag-ichwill-einfach-meine-arbeit-machen-1.4110799, zuletzt aufgerufen am 12. Dezember 2019. 102 BVerfGE 115, 259, 271; ähnlich Burgi, in: Friauf/Höfling, Art. 6, Rn. 169; Burgi, in: Merten/Papier, Bd. IV, § 109, Rn. 14. 103 BVerfGE 37, 121, 127; Burgi, in: Friauf/Höfling, Art. 6, Rn. 169; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 6, Rn. 70; Knigge, Mutterschutz, S. 285. 100

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2. Teil: Verfassungsrechtliches Gebot zur Einf. v. Mutterschutz/Elternzeit

tarer Fürsorge nicht unterschritten werden.104 Bereits aus Art. 19 Abs. 2 GG ergibt sich, dass der Gestaltungsspielraum der Gesetzgebung dann endet, wenn ein elementarer Mutterschutz nicht mehr gewährleistet ist.105 Letzteres ist hier jedoch der Fall: Den weiblichen Abgeordneten im Bund und in den Ländern wird reinweg überhaupt kein gesetzlicher106 Mutterschutz mit klar fixierten vor- und nachgeburtlichen Schutzfristen gewährt. Einzelregelungen über den Umweg von Abgeordnetengesetzen, in denen keine klaren Schutzfristen festgeschrieben sind, bieten insoweit allenfalls einen rudimentären Schutz. Nach Art. 6 Abs. 4 GG hat jedoch ausdrücklich jede Mutter Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft. Bricht man dieses Versprechen auf das denklogisch kleinste Minimum herunter, so folgt daraus, dass jede Mutter zumindest überhaupt durch die Gemeinschaft bzw. den Staat geschützt werden muss. Dieser Schutz muss sich auf die besonderen Lebenslagen beziehen, in denen sich aus rein biologischen Gründen ausschließlich Mütter befinden können – insbesondere Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und Stillzeit. Gerade der Schutz dieser Sachverhalte kennzeichnet den Wesenskern des Art. 6 Abs. 4 GG; er unterscheidet dieses Grundrecht vom Gehalt anderer Grundrechte wie etwa dem Elternrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG.107 Allein die spezielle Konzentration des Art. 6 Abs. 4 GG auf Lebenslagen, die ausschließlich Mütter zu durchleben haben, rechtfertigt die Existenz des Art. 6 Abs. 4 GG – andernfalls wäre der Geltungsbereich auch durch andere Grundrechte abgedeckt. Es entspricht somit geradezu dem Inbegriff und dem Wesensgehalt des Art. 6 Abs. 4 GG, dass jeder Frau in der Situation rund um die Geburt ihres Kindes wenigstens ein Mindestmaß an Schutz und Fürsorge gewährt werden muss. Vor dem Hintergrund der hohen physischen und psychischen Beanspruchung durch Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und Verantwortung für das neugeborene Kind sowie vor dem Hintergrund der Gefahren, die von einer Überbeanspruchung der Mutter für die Gesundheit von Mutter und Kind drohen, ist jeder Mutter zumindest im Zeitraum um die Geburt eine gewisse Schonfrist zu gewähren. Dabei genügt es auch nicht, dass überhaupt Regelungen bestehen, die – anderen – Frauen einen elementaren Mutterschutz bieten. Vielmehr wird der Wesensgehalt des Art. 6 Abs. 4 GG individuell garantiert: Nach dem klaren Wortlaut der

104 Aubel, Mutterschutz, S. 208 m.w. N., S. 213 f. und 222 ff.; ähnlich Burgi, in: Friauf/Höfling, Art. 6, Rn. 169; Burgi, in: Merten/Papier, Bd. IV, § 109, Rn. 14; von Coelln, in: Sachs, Art. 6, Rn. 92. 105 Aubel, Mutterschutz, S. 213; Knigge, Mutterschutz, S. 286. 106 Auch in Baden-Württemberg ist der Mutterschutz nicht gesetzlich, sondern in der jeweils nur für die Dauer einer Legislaturperiode geltenden Geschäftsordnung des Landtages geregelt. 107 Aubel, Mutterschutz, S. 139; Brosius-Gersdorf, in: Dreier, Art. 6, Rn. 210; Coester-Waltjen, in: von Münch/Kunig, Art. 6, Rn. 108.

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Norm muss jeder einzelnen Mutter zumindest ein elementarer Mutterschutz gewährt werden.108 Jede (werdende) Mutter muss daher die Möglichkeit haben, sich in der Ausnahmesituation rund um die Geburt auf ebendiesen Sonderzustand zu konzentrieren, ohne deswegen berufliche Nachteile befürchten zu müssen. Diese Leistung, die der Staat der überwiegenden Mehrheit der Frauen in Deutschland gewährt, stellt genau denjenigen Schutz dar, der eben aus Art. 6 Abs. 4 GG gefordert werden kann. In den medizinisch erforderlichen Fristen, die denen des Mutterschutzgesetzes entsprechen dürften, muss daher auch Abgeordneten die Möglichkeit gewährt werden, den ihnen obliegenden Mandatspflichten nicht nachzukommen. Der gesetzgeberische Spielraum ist insoweit auf die Gewährung eines Mindestmaßes an prä- und postnatalem Schutz kanalisiert. Vor diesem Hintergrund – sowie insbesondere vor dem Hintergrund der eindeutigen Inklusion jeder Mutter – ergibt sich aus Art. 6 Abs. 4 GG ein Auftrag an die Gesetzgebung, Mutterschutzbestimmungen auch für Abgeordnete in Bund und Ländern einzuführen. 2. Schutz vor beruflichen Nachteilen

Im Übrigen bedürfen die Abgeordneten auch deshalb des durch Art. 6 Abs. 4 GG garantierten Schutzes der staatlichen Gemeinschaft, weil ihnen andernfalls durch die Schwangerschaft und die Geburt berufliche Nachteile drohen können. Solche kommen insbesondere dann in Betracht, wenn die betreffende Abgeordnete kurz vor und bzw. oder kurz nach der Geburt dem Parlamentsbetrieb oder ihren sonstigen politischen Aufgaben eigenmächtig fernbleibt. Wie bereits konstatiert, kann die irreguläre Inanspruchnahme einer eigentlich nicht vorgesehenen parlamentarischen Auszeit sowohl mit den Anforderungen des übrigen Parlamentskollegiums, der Partei, der Bevölkerung im Wahlkreis und der allgemeinen Öffentlichkeit als auch mit den inneren Ansprüchen und Befürchtungen der betreffenden Abgeordneten kollidieren.109 Auch das Bundesverfassungsgericht ging bereits im Jahr 1975 davon aus, dass es sich Abgeordnete aus praktischen Gründen nicht leisten können, die Wahrnehmung ihrer Aufgaben bis über die Grenze der Vernachlässigung hinaus einzuschränken.110 Dies gilt umso mehr in Parlamenten mit knappen Mehrheitsverhältnissen: Denn abgesehen von dem eigenen politischen Interesse der Abgeordneten am Reüssieren ihrer Partei kann – wie bereits dargelegt – der Druck, den die eigene Fraktion, die Partei oder der Koalitionspartner im Falle knapper Mehrheitsverhältnisse im Hinblick auf die Vollzähligkeit aller Abgeordneten bei bestimmten 108 109 110

Aubel, Mutterschutz, S. 229. Vgl. z. B. oben im ersten Teil, fünftes Kapitel, B. I. 1. b) bb), S. 134. BVerfGE 40, 296, 312.

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2. Teil: Verfassungsrechtliches Gebot zur Einf. v. Mutterschutz/Elternzeit

Sitzungen ausübt, enorm sein.111 Dieser Druck mag sogar objektiv nachvollziehbar sein: Denn im Falle knapper Mehrheitsverhältnisse kann der Fortbestand der Regierung von den Stimmen einzelner Abgeordneter abhängen. Das Fehlen einer schwangeren Abgeordneten unmittelbar vor der Geburt ihres Kindes kann dementsprechend zum Regierungswechsel führen. Solange weder verbindliche Mutterschutzregeln bestehen noch das mutterschutzbedingte Fehlen durch Pairing oder auf andere Weise kompensiert wird, ist es nicht unwahrscheinlich, dass eine Schwangere trotz einer unmittelbar bevorstehenden Geburt oder eine Wöchnerin, die noch unter Geburtsverletzungen leidet und ein Neugeborenes zu versorgen hat, zum Erscheinen im Parlament bewegt wird. Weigert sich die betreffende Abgeordnete, der Aufforderung Folge zu leisten und kippt aus diesem Grund die Mehrheit in einem Landtag oder im Bundestag, so kann die Nichterscheinende mit dem erheblichen Unmut ihrer Fraktionskolleginnen und -kollegen, ihrer Partei, des eventuellen Koalitionspartners und unter Umständen auch von Teilen der Öffentlichkeit rechnen. Die Chancen auf ein weiteres politisches Fortkommen innerhalb der laufenden Legislaturperiode dürften damit ebenso gesunken sein wie die Möglichkeit einer erneuten Nominierung als Kandidatin auf ein Mandat. Das eigenmächtige Fortbleiben von Sitzungen kann also das (berufs-)politische Aus der betreffenden Abgeordneten bedeuten. Solange keine Mutterschutzregelung für Abgeordnete besteht, wird dieser Druck zulasten der Gesundheit von Mutter und Kind ungehindert weiter ausgeübt werden. Erfahrungsgemäß wird es immer Abgeordnete geben, die diesem Druck aus Sorge vor beruflichen Nachteilen nachgeben und unmittelbar vor oder nach der Kindesgeburt parlamentarische Termine wahrnehmen. Ebenso wahrscheinlich wird es jedoch auch immer Abgeordnete geben, die zum Schutz ihrer Gesundheit und der ihres Kindes das berufliche Aus in der Politik in Kauf nehmen. Die Verhütung derartiger Nachteile ist indes vom Schutzversprechen des Art. 6 Abs. 4 GG gedeckt. Der Mutterschutz verfolgt das Ziel, den Widerstreit zwischen den Aufgaben der Frau als Mutter und ihrer Stellung im Berufsleben im Interesse der Gesunderhaltung von Mutter und Kind auszugleichen.112 Die gesetzgebende Gewalt muss daher auch aus diesem Grund Mutterschutzfristen für Abgeordnete einführen. Dabei ist indes zu beachten, dass bereits die Einführung eines institutionalisierten Mutterschutzes für Abgeordnete geeignet sein dürfte, die Mutter in einer Parlamentssituation mit großzügigen Mehrheitsverhältnissen aus dem Konflikt zwischen der Gesunderhaltung von Mutter und Kind auf der einen Seite und den parlamentarischen Anforderungen auf der anderen Seite zu befreien. Bereits die Einführung entsprechender gesetzlicher Regelungen dürfte die Akzeptanz einer 111 112

Vgl. z. B. oben im ersten Teil, fünftes Kapitel, B. I. 1. b) bb) (3), S. 136 f. Bezogen auf den gesetzlichen Mutterschutz: BVerfGE 37, 121, 125.

2. Kap.: Mutterschutz

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parlamentarischen Mutterschutzauszeit deutlich erhöhen.113 In Parlamenten mit traditionell knappen Mehrheitsverhältnissen wird es dagegen neben der Einführung reiner Mutterschutzvorschriften regelmäßig weiterer, flankierender Regelungen bedürfen, die die Gefahr des Mehrheitsverlustes für die regierungstragenden Fraktionen minimieren. Die hierfür in Frage kommenden Regelungsmodelle werden im dritten Teil dieser Ausarbeitung auf ihre verfassungsrechtliche Zulässigkeit überprüft und im darauffolgenden vierten Teil dieser Arbeit einer rechtspolitischen Bewertung unterzogen. Ungeachtet dessen bleibt festzuhalten, dass aus dem Schutzversprechen des Art. 6 Abs. 4 GG, berufliche Nachteile, die einer Frau aus der Schwangerschaft erwachsen können, nach Möglichkeit auszuschließen,114 jedenfalls die an die Gesetzgebung gerichtete Pflicht zur Einführung von Mutterschutzregelungen für Abgeordnete erwächst. 3. Schutz des ungeborenen Lebens

Schließlich berührt der Schutzauftrag des Art. 6 Abs. 4 GG auch die in Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG begründete Schutzpflicht des Staates gegenüber dem ungeborenen Leben.115 Dieser Auftrag erlegt dem Staat unter anderem die Pflicht auf, denjenigen Gefahren entgegenzutreten, die in den Lebensverhältnissen der Mutter begründet liegen und die deren Bereitschaft zum Austragen des Kindes entgegenwirken können.116 Aufgrund der besonderen Bedeutung, die der Geburt und Erziehung von Kindern für die Gesellschaft beigemessen wird, ist die staatliche Gewalt verpflichtet, Problemen und Schwierigkeiten nachzugehen, die der Mutter während und nach der Schwangerschaft erwachsen können.117 Der Staat hat dabei insbesondere darauf hinzuwirken, dass eine Schwangerschaft nicht aufgrund einer bestehenden oder nach der Geburt des Kindes drohenden wirtschaftlichen Notlage abgebrochen wird.118 Ein gewolltes Austragen des Kindes kann von der Mutter nur erwartet werden, wenn auch nach der Geburt eine Perspektive zur Bewältigung der Familienpflichten besteht.119 113 Vgl. dazu auch die Diskussion zur Einführung von Mutterschutz und Familienzeit im Landtag von Baden-Württemberg, der ein deutliches politisches Signal für eine Vereinbarkeit von Familie und Mandat setzen wollte: Redebeitrag der Abgeordneten Graner (SPD), Landtag von Baden-Württemberg, Plenarprotokoll 15/113 vom 26. November 2014, S. 6807; Redebeitrag des Abgeordneten Schebesta (CDU), Landtag von Baden-Württemberg, Plenarprotokoll 15/113 vom 26. November 2014, S. 6808; Landtag von Baden-Württemberg, Drs. 15/5505, Beschlussempfehlung und Bericht des Ständigen Ausschusses vom 17. bzw. 24. Juli 2014, S. 2 und 4. 114 BVerfGE 88, 203, 259; bezogen auf den Ausgleich der allgemein aus der biologischen Mutterschaft resultierenden Nachteile Brosius-Gersdorf, in: Dreier, Art. 6, Rn. 210. 115 Badura, in: Maunz/Dürig, Art. 6, Rn. 163. 116 BVerfGE 88, 203, 258. 117 BVerfGE 88, 203, 258. 118 BVerfGE 88, 203, 259; ähnlich von Coelln, in: Sachs, Art. 6, Rn. 96. 119 Coester-Waltjen, in: von Münch/Kunig, Art. 6, Rn. 109.

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2. Teil: Verfassungsrechtliches Gebot zur Einf. v. Mutterschutz/Elternzeit

Gewiss wird schwangeren Abgeordneten keine erhöhte Bereitschaft zur Abtreibung unterstellt. Dennoch ist es zumindest nicht auszuschließen, dass die Perspektive, die parlamentarische Arbeit nicht einmal in der akuten Ausnahmesituation unmittelbar vor und nach der Geburt unterbrechen zu dürfen – oder andernfalls das Ende der politischen Karriere zu riskieren – einzelne Abgeordnete vom Austragen eines Kindes abhält. Empirie liegt hierzu erwartungsgemäß nicht vor. Diese Situation dürfte als Motiv für den Abbruch einer Schwangerschaft mindestens ebenso schwer wiegen wie die vom Bundesverfassungsgericht insoweit angenommenen Gründe der ungünstigen Wohnsituation oder der angeblichen Unmöglichkeit, neben der Ausbildung oder der Erwerbstätigkeit ein Kind zu versorgen120. Der Staat ist daher bereits aus Gründen der Prophylaxe gehalten, die Bedingungen zum Austragen, Gebären und Pflegen eines Kindes für alle Frauen so zu gestalten, dass diese Situationen den Frauen – und zwar allen – bewältigbar erscheinen. Hierzu gehört in Bezug auf Abgeordnete, dass diese die Mandatsausübung zumindest im unmittelbaren Zeitraum vor und nach der Geburt aussetzen dürfen. Dementsprechend gebietet auch der dem Staat obliegende Schutz des ungeborenen Lebens die Einführung von Mutterschutzfristen für Abgeordnete. V. Kein Vorrang von Art. 3 Abs. 1 GG Die Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 4 GG ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil zwei Gruppierungen von Müttern durch die Gesetzgebung unterschiedlich behandelt werden, so dass daher gegebenenfalls vorrangig der allgemeine Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu beachten sein könnte. Zwar wird teilweise davon ausgegangen, dass die ungleiche Behandlung verschiedener Gruppen von Müttern vorrangig an Art. 3 Abs. 1 GG zu messen ist,121 wobei Art. 6 Abs. 4 GG mitunter in einem Wirkungs- und Prüfungsverbund mit herangezogen wird.122 Vorliegend steht jedoch nicht die – indes evidente – Ungleichbehandlung zwischen den weiblichen Abgeordneten einerseits und der vom Geltungsbereich des Mutterschutzgesetzes erfassten übergroßen Mehrheit der Frauen in Deutschland andererseits im Fokus. Vielmehr ist festzustellen, dass angesichts der Nichtgewährung gesetzlichen Mutterschutzes mit klar fixierten vor- und nachgeburtlichen Schutzfristen für weibliche Abgeordnete123 der Wesensgehalt des Art. 6

120

BVerfGE 88, 203, 259. Aubel, Mutterschutz, S. 71 ff.; Hepp, Mutterschutz, S. 96 f. 122 BVerfGE 65, 104, 112 f.; Aubel, Mutterschutz, S. 72 ff.; ähnlich Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 6, Rn. 71. 123 Auch in Baden-Württemberg ist der Mutterschutz nicht gesetzlich, sondern in der jeweils nur für die Dauer einer Legislaturperiode geltenden Geschäftsordnung des Landtages geregelt. 121

2. Kap.: Mutterschutz

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Abs. 4 GG betroffen ist.124 Bereits hieraus ergibt sich die Verpflichtung der Gesetzgebung, zumindest das erforderliche Mindestmaß an Mutterschutz auch für Abgeordnete zu gewährleisten. Insoweit handelt es sich hier nicht um eine Frage der Gleichbehandlung unterschiedlicher Personengruppen, sondern um den originären, unmittelbar aus Art. 6 Abs. 4 GG resultierenden Anspruch der weiblichen Abgeordneten auf Schaffung von Mutterschutzregelungen.125 Ob darüber hinaus auch der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG – gegebenenfalls im Wirkungsverbund mit Art. 6 Abs. 4 GG – eine Einführung von Mutterschutzregeln für Abgeordnete gebietet, bleibt einer separaten Prüfung vorbehalten.126 VI. Kollidierendes Verfassungsrecht Es stellt sich jedoch die Frage, ob einem verfassungsrechtlichen Gebot zur Schaffung derartiger Mutterschutzregeln kollidierendes Verfassungsrecht entgegensteht. Der verfassungsrechtliche Mutterschutz des Art. 6 Abs. 4 GG ist schrankenlos gewährleistet.127 Einschränkungen – auch im Sinne eines Untätigbleibens – sind daher nur auf der Basis kollidierenden Verfassungsrechts möglich.128 Freilich hängt die Kollision mit anderen Gütern von Verfassungsrang stark davon ab, wie die gesetzlichen Mutterschutzregelungen im Einzelnen ausgestaltet sind und von welchen Begleitregelungen sie eskortiert werden. Die in diesem Zusammenhang denkbaren einzelnen Regelungsmodelle – also das „Wie“ des Mutterschutzes – sollen aus Gründen der besseren Übersichtlichkeit indes erst im dritten Teil dieser Ausarbeitung einer detaillierten Prüfung unterzogen werden. An dieser Stelle soll es daher zunächst einmal allein um das „Ob“ des Mutterschutzes gehen – hier also konkret um die Frage, ob einem grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Gebot auf Einführung vor- und nachgeburtlicher Schutzfristen, während derer die Abgeordneten keine mandatsbezogenen Pflichten treffen, per se kollidierendes Verfassungsrecht entgegensteht. Dabei ist vor dem Hintergrund der nach dem Mutterschutzgesetz bestehenden Unterscheidung in relative (vorgeburtliche) und absolute (nachgeburtliche) Schutzfristen auch im Falle des Mutterschutzes für Abgeordnete zwischen fakultativen und obligatorischen Fristen zu differenzieren.

124

Vgl. oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, A. IV. 1. b), S. 167 f. Zu dem in derartigen Konstellationen anzunehmenden Vorrang des Art. 6 Abs. 4 GG vgl. Aubel, Mutterschutz, S. 69. 126 Vgl. unten im zweiten Teil, zweites Kapitel, D., S. 205 ff. 127 Brosius-Gersdorf, in: Dreier, Art. 6, Rn. 223; von Coelln, in: Sachs, Art. 6, Rn. 100; Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 6, Rn. 282. 128 Ähnlich Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 6, Rn. 282. 125

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2. Teil: Verfassungsrechtliches Gebot zur Einf. v. Mutterschutz/Elternzeit 1. Fakultative Schutzfristen

Zunächst ist festzustellen, ob der Einführung fakultativer Schutzfristen, also solcher Schutzfristen, bei denen die Inanspruchnahme der Entscheidung der betreffenden Abgeordneten obliegt, Verfassungsgüter entgegenstehen. Dabei kann es an dieser Stelle noch offen bleiben, ob es sich um fakultative vorgeburtliche oder um fakultative nachgeburtliche Schutzfristen handelt. Geprüft wird allgemein die Zulässigkeit von Mutterschutzfristen, die auf freiwilliger Basis in Anspruch genommen werden können. a) Grundsatz der Gleichheit der Wahl In Betracht kommt dabei eine Kollision mit dem in Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG normierten Grundsatz der Gleichheit der Wahl im Hinblick auf das aktive Wahlrecht der Wählenden. Nach Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG werden die Abgeordneten des Deutschen Bundestages in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Die Verfassungen der Bundesländer enthalten überwiegend entsprechende Regelungen.129 Im Übrigen gelten die Wahlrechtsgrundsätze gemäß Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG als objektives Recht130 auch für die Wahlen in den Ländern (sowie in den hier nicht gegenständlichen Kreisen und Gemeinden). Nach dem Grundsatz der Gleichheit der Wahl muss gewährleistet sein, dass alle Wahlberechtigten sowohl ihr aktives als auch ihr passives Wahlrecht in möglichst formal gleicher Weise ausüben können.131 Ebenso wie der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl ist der Grundsatz der Gleichheit der Wahl damit die auf das Wahlrecht bezogene inhaltliche Bestimmung des allgemeinen Gleichheitssatzes.132 Auf der Ebene der aktiv Wählenden bedeutet dies, dass die Stimme jedes und jeder Wahlberechtigten den gleichen Zählwert und die gleiche rechtliche Erfolgschance haben muss.133 In Bezug auf die Mehrheitswahl erfordert dies Wahlkreise mit einer annähernd gleichen Einwohnerzahl, so dass ein annähernd gleiches Stimmgewicht der Wahlberechtigten entsteht.134 Bei der Verhältniswahl

129 Exemplarisch: Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Verfassung des Freistaates Bayern; Art. 20 Abs. 2 Satz 2 Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern; Art. 8 Abs. 1 Niedersächsische Verfassung; Art. 31 Abs. 1 Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen. 130 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 38, Rn. 7. 131 BVerfGE 11, 266, 272; 121, 266, 295, 297; 124, 1, 18; 129, 300, 317; Burghart, in: Leibholz/Rinck, Art. 38, Rn. 71; Rinck, in: Festschrift für Zeidler, S. 1119, 1126. 132 Rinck, in: Festschrift für Zeidler, S. 1119, 1124. 133 BVerfGE 95, 335, 353 f.; Burghart, in: Leibholz/Rinck, Art. 38, Rn. 72; Magiera, in: Sachs, Art. 38, Rn. 95; Risse/Witt, in: Hömig/Wolff, Art. 38, Rn. 13; Schmahl, in: Austermann/Schmahl, Vor § 1, Rn. 3. 134 BVerfGE 95, 335, 353 f.

2. Kap.: Mutterschutz

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setzt der Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit zudem voraus, dass jede Wählerstimme den gleichen Einfluss auf das Wahlergebnis hat.135 Solange ein Parlamentsmitglied keine mandatsbezogenen Aufgaben wahrnimmt und an keinen Abstimmungen mitwirkt, nimmt es nicht an den Entscheidungen seiner Volksvertretung teil. Dementsprechend könnte man annehmen, dass das Parlament in dieser Zeit anders zusammengesetzt wäre als vom Wählerwillen vorgesehen, so dass die Wählerstimmen dementsprechend nicht den gleichen Erfolgswert hätten. Maßgeblich für die Feststellung einer Verletzung des Grundsatzes der Wahlrechtsgleichheit kann jedoch nur der Zeitpunkt der Wahl sein. Dies ergibt sich nicht nur aus dem Wortlaut, der explizit von der gleichen Wahl spricht und damit ebendiese und nicht die Parlamentskonstellation während der laufenden Legislaturperiode meint, sondern auch aus dem Sinn und Zweck dieses Wahlrechtsprinzips. Entscheidend ist nämlich, dass die Wählenden beim Wahlvorgang selbst einen annähernd gleichen Einfluss auf die Zusammensetzung des Parlaments haben. Die Wahl umfasst dabei den gesamten Wahlvorgang von der Aufstellung der Bewerbenden über die Stimmabgabe und die Auszählung der Stimmen bis zur Zuteilung der Abgeordnetensitze.136 Mit der Zuteilung der Abgeordnetensitze ist der Wahlvorgang jedoch abgeschlossen. Die nachfolgende Arbeit der Abgeordneten gehört hingegen nicht mehr zum Wahlvorgang. Der Umfang der parlamentarischen Tätigkeit der Abgeordneten ist demnach ebenso wenig vom Prinzip der Wahlrechtsgleichheit umfasst wie die Qualität der parlamentarischen Tätigkeit. Andernfalls würde der Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit auch durch den unterschiedlich großen Einfluss der Abgeordneten innerhalb des Parlaments tangiert: Wählenden, deren Wahlkreis durch eine Parlamentarische Geschäftsführerin oder gar durch die Fraktionsvorsitzende einer Regierungsfraktion repräsentiert wird, könnte dadurch ein größerer Einfluss auf die Politik zugeschrieben werden als Wählenden aus dem Wahlkreis eines einfachen Abgeordneten ohne weitere Funktionen. Dieses Phänomen wird noch dadurch verstärkt, dass sich im Laufe einer Legislaturperiode häufig mehrfache Änderungen in Bezug auf entscheidende Positionen ergeben. Das Prinzip der Wahlrechtsgleichheit wird dadurch indes nicht berührt: Aktiv Wählende haben zwar ein Recht darauf, mit annähernd gleichem Gewicht Einfluss auf die Zusammensetzung des Parlaments zu nehmen; sobald das Parlament allerdings zusammengesetzt ist, endet diese Rechtsposition. Demzufolge besteht auch kein Anspruch der Wählerinnen und Wähler darauf, dass ein Parlamentsmitglied sein Mandat in einer bestimmten Art und Weise – oder überhaupt – ausübt. Denn insofern gewährleistet Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG zugunsten der Abgeordneten die Freiheit des Mandats.137 Diese schützt nicht nur 135 136 137

BVerfGE 16, 130, 139; 95, 335, 353; 135, 259, 284. Stern, Bd. I, § 10 II 3.b); Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 38, Rn. 6 m.w. N. Zur Freiheit des Mandats oben im ersten Teil, zweites Kapitel, C. III., S. 76 ff.

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2. Teil: Verfassungsrechtliches Gebot zur Einf. v. Mutterschutz/Elternzeit

den Bestand und die tatsächliche Ausübung des Mandats138 und beinhaltet damit nicht nur die Entscheidungsfreiheit darüber, wie das Mandat ausgeübt wird. Vielmehr gehört zum Kernbestand der Mandatsfreiheit auch, das Mandat nicht anzunehmen oder später niederzulegen.139 Dementsprechend muss es – als Minus zur Mandatsniederlegung – auch von der Mandatsfreiheit umfasst sein, Mutterschutzfristen in Anspruch zu nehmen und sich für wenige Wochen von mandatsbezogenen Pflichten freistellen zu lassen. Am gleichen Einfluss aller Wahlberechtigten auf den Wahlvorgang selbst ändert sich hierdurch nichts. Der Grundsatz der Gleichheit der Wahl wird durch die Einführung fakultativer Mutterschutzfristen für Abgeordnete also nicht berührt. b) Grundsatz der Gleichheit des Mandats Möglicherweise kollidiert die durch Art. 6 Abs. 4 GG gebotene Einführung von fakultativen Schutzzeiten für Abgeordnete jedoch mit dem bereits im Rahmen der Darstellung der Kernelemente des Abgeordnetenmandats skizzierten140 Grundsatz der Gleichheit des Mandats. Spätestens seit dem sogenannten Diätenurteil des Bundesverfassungsgerichts141 ist anerkannt, dass alle Mitglieder eines Parlaments einander formal gleichgestellt sind.142 Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stehen die beiden Sätze des Art. 38 Abs. 1 GG in Bezug auf „das durch sie konkretisierte Prinzip der repräsentativen Demokratie in einem unauflösbaren, sich wechselseitig bedingenden Zusammenhang.“ 143 Die Gleichheit der Wahl wirke auf einer zweiten Stufe demokratischer Willensbildung im Status und in der gleichen Mitwirkungsbefugnis aller Abgeordneten fort.144 Dementsprechend bedürfen Ausnahmen vom formalisierten Gleichheitssatz in Bezug auf den Abgeordnetenstatus ebenso wie in Bezug auf die Wahlrechtsgleichheit eines besonderen, rechtfertigenden, zwingenden Grundes.145 Vorliegend stellt sich zunächst die Frage, ob die Möglichkeit, das Abgeordnetenmandat zum Zwecke des Mutterschutzes für einen vorbestimmten Zeitraum 138

BVerfGE 99, 19, 32. Badura, in: Bonner Kommentar, Art. 38, Rn. 63; Dress, Ruhendes Mandat, S. 151; Nell, in: JZ 1975, 519, 520. 140 Vgl. oben im ersten Teil, zweites Kapitel, C. II., S. 75 f. 141 BVerfGE 40, 296 ff. 142 BVerfGE 40, 296, 317 f.; 84, 304, 325; 96, 264, 278; 102, 224, 237; 130, 318, 342; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 38, Rn. 51 f. 143 BVerfGE 102, 224, 237 ff.; 112, 118, 134; 130, 318, 352. 144 BVerfGE 102, 224, 237 ff.; 112, 118, 134; 130, 318, 352; so u. a. auch Grote, Verfassungsorganstreit, S. 164 f. 145 BVerfGE 14, 121, 133; 29, 154, 164; 34, 160, 163; 95, 335, 376 f.; 130, 318, 352; so u. a. auch Rinck, in: Festschrift für Zeidler, S. 1119, 1127. 139

2. Kap.: Mutterschutz

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nicht auszuüben, überhaupt eine von Art. 38 Abs. 1 GG umfasste Ungleichbehandlung verschiedener Abgeordnetengruppen darstellt. Festzuhalten ist jedenfalls, dass schwangere Abgeordnete sowie weibliche Abgeordnete mit neugeborenen Kindern durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme von vor- und nachgeburtlichen Schutzfristen anders behandelt werden als die übrigen Abgeordneten. Denn die erste Gruppe ist berechtigt, das Mandat während der Schutzfristen nicht auszuüben, während diese Möglichkeit den übrigen Abgeordneten nicht zugebilligt wird. Es könnte demzufolge eine Privilegierung der mutterschutzberechtigten Abgeordneten gegenüber den übrigen Abgeordneten desselben Parlaments – oder andersherum betrachtet eine Benachteiligung der nicht mutterschutzberechtigten Abgeordneten – vorliegen. Es stellt sich jedoch die Frage, ob eine solche Konstellation vom Grundsatz der Gleichheit des Mandats überhaupt umfasst ist. Denn dieser befasst sich im Kern mit den Rechten von Abgeordneten, ihr Mandat wahrzunehmen – nicht aber damit, es für eine beschränkte Zeit nicht wahrzunehmen. Die formelle Gleichheit der Abgeordneten soll die Freiheit des Mandats gewährleisten und Abhängigkeiten und Hierarchien (über das in einem Parlament unabdingbare Maß hinaus) innerhalb der Volksvertretung vermeiden.146 Ihr Sinn und Zweck ist es, allen Abgeordneten das Recht auf gleiche Teilhabe am parlamentarischen Willensbildungsprozess zu gewähren.147 Im Falle der Nichtwahrnehmung des Mandats während prä- und postnataler Mutterschutzfristen kann indes nicht von einer Hierarchisierung des Parlaments gesprochen werden: Auch wenn den für den Mutterschutz in Frage kommenden Parlamentarierinnen eine Möglichkeit zugestanden wird, die anderen Abgeordneten nicht zukommt, so handelt es sich doch nicht um eine Besserstellung bei der Mandatsausübung. Im Gegenteil üben die im Mutterschutz befindlichen Abgeordneten das Mandat während dieser Zeit ja gerade nicht aus, so dass von einem erhöhten Einfluss innerhalb des Parlaments – etwa auf Abstimmungsergebnisse, Personalentscheidungen und dergleichen – nicht ausgegangen werden kann. Dementsprechend erfahren sie auch keine Besserstellung, sondern im Gegenteil sogar eine Schlechterstellung in Bezug auf den Willensbildungsprozess. Auch mit einer bevorzugten Besetzung bestimmter Positionen oder einer finanziellen Besserstellung ist der Mutterschutz nicht verbunden. Die nicht für die Inanspruchnahme von Mutterschutzfristen infrage kommenden Abgeordneten sind damit nicht in ihren aus dem Grundsatz der Gleichheit des Mandats resultierenden Teilhaberechten betroffen. Dementsprechend gerät die Einführung von fakultativen Mutterschutzfristen nicht mit dem Grundsatz der Mandatsgleichheit in Konflikt.

146 147

BVerfGE 102, 224, 239. BVerfGE 96, 264, 278.

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2. Teil: Verfassungsrechtliches Gebot zur Einf. v. Mutterschutz/Elternzeit

c) Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl In Betracht kommt auch eine Kollision mit dem Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl – entweder aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG direkt, aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG oder aus einer entsprechenden Vorschrift der jeweiligen Landesverfassung. Zu überlegen ist nämlich in diesem Zusammenhang, ob entweder die Inanspruchnahme einer fakultativen Mutterschutzfrist oder die Wiederaufnahme der Mandatsausübung nach dem Mutterschutz oder beide Vorgänge den Unmittelbarkeitsgrundsatz durchbrechen. Ursprünglich entsprang der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl insbesondere aus der Entscheidung gegen ein Wahlsystem, in dem Wahlmänner zwischen Wahlvolk und Wahlbewerber geschaltet waren.148 Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und allgemeiner Auffassung in der Lehre soll der Unmittelbarkeitsgrundsatz heute gewährleisten, dass die Bestimmung der Gewählten durch die Stimmabgabe erfolgt; jedes Verfahren, bei dem sich nach der Wahlhandlung eine weitere Instanz einschiebt, die die zukünftigen Abgeordneten nach ihrem Ermessen auswählt, ist durch den Unmittelbarkeitsgrundsatz ausgeschlossen.149 Hintergrund dieses Schutzes vor einer weiteren, in das Wahlergebnis eingreifenden Instanz ist insbesondere die Verhinderung eines zu großen Einflusses der politischen Parteien auf die Parlamentszusammensetzung – unter gleichzeitiger Beachtung ihrer durch Art. 21 Abs. 1 GG garantierten wichtigen Stellung im Verfassungsgefüge.150 Obschon die Parteien und Wählervereinigungen mit der Aufstellung der Wahlbewerberinnen und Wahlbewerber und mit der Reihung dieser Personen in Listen einen entscheidenden Einfluss auf die Parlamentszusammensetzung nehmen, soll am Wahltag doch nur noch das Wahlvolk entscheiden.151 Durch die reine Inanspruchnahme fakultativer vor- und nachgeburtlicher Mutterschutzfristen wird dieser Grundsatz jedoch nicht tangiert: Die Zusammensetzung des Parlaments verändert sich dadurch nicht. Selbst wenn die betreffende Parlamentarierin für die Dauer weniger Wochen keine mandatsbezogenen Aufgaben wahrnimmt, bleibt sie dennoch Abgeordnete. Da sich das Parlament hierdurch also nicht anders zusammensetzt als ursprünglich vom Wahlvolk durch die Wahl zum Ausdruck gebracht, gibt es also auch keine dritte Instanz, die sich zwischen Wählende und Gewählte schiebt. 148 BVerfGE 7, 63, 68; Burghart, in: Leibholz/Rinck, Art. 38, Rn. 371; Mehde, in: Maunz/Dürig, Art. 28 Abs. 1, Rn. 118; Meyer, in: Isensee/Kirchhof, Bd. III, § 46, Rn. 16. 149 BVerfGE 3, 45, 49f.; 7, 63, 68; Guckelberger, in: JA 2012, 561, 564; Magiera, in: Sachs, Art. 38, Rn. 88; im Ergebnis auch BVerfGE 121, 266, 307; Meyer, in: Isensee/ Kirchhof, Bd. III, § 46, Rn. 17. 150 BVerfGE 3, 45, 49; Dress, Ruhendes Mandat, S. 75 ff.; im Ergebnis ähnlich Mehde, in: Maunz/Dürig, Art. 28 Abs. 1, Rn. 118. 151 BVerfGE 3, 45, 49 f.

2. Kap.: Mutterschutz

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Etwas Anderes kann sich möglicherweise durch unterschiedliche Regelungen zum Mutterschutz ergeben. Dies bleibt jedoch der detaillierten Prüfung im dritten Teil152 dieser Ausarbeitung vorbehalten. Die reine Nichtwahrnehmung von Mandatspflichten berührt das Prinzip der Unmittelbarkeit der Wahl jedenfalls nicht. d) Repräsentationsprinzip/Funktionsfähigkeit des Parlaments Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob die Einführung von Mutterschutzfristen für Parlamentarierinnen mit dem Repräsentationsprinzip in Einklang zu bringen ist. Wie bereits ausgeführt, findet das Repräsentationsprinzip seinen Niederschlag im ersten Halbsatz des Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG.153 Hiernach sind die Abgeordneten des Deutschen Bundestages Vertreter des ganzen Volkes. Die Verfassungen der Bundesländer enthalten entsprechende Regelungen.154 Dabei ist der Begriff der Vertretung nicht im rechtsgeschäftlichen oder prozessualen Sinne zu verstehen155, sondern begründet vielmehr einen „Verantwortungs- und Rechtfertigungszusammenhang“ 156. Durch den Zwang der Abgeordneten, sich gegenüber dem Wahlvolk zu rechtfertigen, wird eine Verantwortlichkeit geschaffen, die bewusst vom freien Mandat umfasst ist.157 Wenn nun ein Mitglied des Parlaments sein Mandat zum Zwecke des Mutterschutzes für eine gewisse Zeit nicht wahrnimmt, so repräsentiert es – mangels entsprechender mandatsbezogener Handlungen – während dieser Zeit auch nicht das Volk. Wie bereits im Zusammenhang mit dem Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit festgestellt, besteht jedoch kein Anspruch der Wählerinnen und Wähler darauf, dass ein Parlamentsmitglied sein Mandat in einer bestimmten Art und Weise – oder überhaupt – ausübt.158 Einem derartigen Anspruch steht die ebenfalls aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG resultierende Freiheit des Mandats entgegen, die den Bestand und die tatsächliche Ausübung des Mandats schützt159 und damit auch die Entscheidungsfreiheit darüber beinhaltet, wie und in welchem Umfang das Mandat ausgeübt wird. 152

Vgl. unten im dritten Teil, zweites Kapitel, S. 259 ff. Vgl. oben im ersten Teil, zweites Kapitel, C. I., S. 73. 154 Exemplarisch: Art. 27 Abs. 3 Satz 1 Verfassung des Landes Baden-Württemberg; Art. 13 Abs. 2 Satz 1 Verfassung des Freistaates Bayern; Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg; Art. 77 Verfassung des Landes Hessen; Art. 12 Satz 1 Niedersächsische Verfassung. 155 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 38, Rn. 41. 156 Trute, in: von Münch/Kunig, Art. 38, Rn. 73; ähnlich: Schmahl, in: Austermann/ Schmahl, Vor § 1, Rn. 5. 157 BVerfGE 112, 118, 134; Hofmann/Dreier, in: Schneider/Zeh, § 5 Rn. 44. 158 Vgl. oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, A. VI. 1. a), S. 175. 159 BVerfGE 99, 19, 32. 153

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2. Teil: Verfassungsrechtliches Gebot zur Einf. v. Mutterschutz/Elternzeit

Im Übrigen wird das Volk nicht durch das einzelne Parlamentsmitglied repräsentiert, sondern durch die Gesamtheit der Abgeordneten als Parlament.160 Dementsprechend ist die Vertretung des Volkes nicht durch die Inanspruchnahme von Mutterschutzfristen durch einzelne Abgeordnete gefährdet. Gleichwohl resultiert – wie bereits dargelegt – aus dem Repräsentationsprinzip eine grundsätzliche Verpflichtung der Abgeordneten, die Funktionsfähigkeit des Parlaments zu gewährleisten.161 Hierzu ist es indes nicht erforderlich, dass jederzeit alle Abgeordneten an der Arbeit des Parlaments und seiner Ausschüsse teilnehmen; vielmehr ist insbesondere die Beschlussfähigkeit sicherzustellen und insgesamt zu gewährleisten, dass das Parlament seiner Aufgabe als erste Staatsgewalt nachkommt. Einer Mutterschutzfristen in Anspruch nehmenden Parlamentarierin obliegt damit die Verpflichtung, im Zusammenwirken mit den übrigen Abgeordneten die gelungene Repräsentation des Volkes sicherzustellen. Dem kann jedoch bereits dadurch Rechnung getragen werden, dass die betreffende Abgeordnete die Absicht, Mutterschutzfristen in Anspruch nehmen zu wollen, verbindlich gegenüber dem Parlament (beispielsweise gegenüber dem Präsidium o. ä.) anzeigt. Denn bereits eine solche Anzeige bietet dem übrigen Parlament die Möglichkeit, sich auf das Fehlen der betreffenden Abgeordneten für einen im Vorhinein feststehenden Zeitraum einzustellen. Dies wiederum ermöglicht es, die nötigen Vorplanungen zur Sicherstellung der ordnungsgemäßen Funktionsfähigkeit des Parlaments zu treffen – und so etwa die Vertretung in Ausschusssitzungen zu regeln und die Beschlussfähigkeit im Plenum durch das Erscheinen anderer Abgeordneter zu gewährleisten. Die Einführung von Mutterschutzfristen für Parlamentarierinnen steht daher auch im Einklang mit dem Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG zu entnehmenden Repräsentationsprinzip und dem ihm entspringenden Erfordernis der Funktionsfähigkeit des Parlaments. e) Gebot der Gleichberechtigung, Art. 3 Abs. 2 und 3 Satz 1, 1. Alt. GG Möglicherweise gerät die durch Art. 6 Abs. 4 GG gebotene Einführung fakultativer Mutterschutzfristen für Abgeordnete jedoch in einen Konflikt mit dem Gebot der Gleichberechtigung von Männern und Frauen aus Art. 3 Abs. 2 und 3 Satz 1, 1. Alt. GG. Nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 GG sind Männer und Frauen gleichberechtigt; nach Art. 3 Abs. 3 Satz 1, 1. Alt. GG darf niemand wegen seines Geschlechts benachteiligt oder bevorzugt werden. Das Grundrecht der Gleichberechtigung, das in der 160 BVerfGE 44, 308, 315 f.; Badura, in: Schneider/Zeh, § 15, Rn. 6; Grote, Verfassungsorganstreit, S. 164; Wiefelspütz, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, § 12, Rn. 7. 161 Vgl. oben im ersten Teil, zweites Kapitel, C. III. 2. b) aa), S. 84.

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Würde des Menschen wurzelt, ist von hohem Gewicht.162 Es verbietet, das Geschlecht als Anknüpfungspunkt für eine rechtliche Ungleichbehandlung heranzuziehen. Dies gilt auch dann, wenn die entsprechende Regelung nicht in direkt auf die Ungleichbehandlung abzielt, sondern in erster Linie andere Ziele verfolgt.163 Die Einführung von fakultativen Mutterschutzfristen betrifft ausschließlich weibliche Abgeordnete, während männliche Abgeordnete mangels Gebärfähigkeit bereits aus biologischen Gründen von ihrer Inanspruchnahme ausgeschlossen sind. Die Schutzfristen beziehen sich also unmittelbar auf ein Merkmal, das nur Frauen treffen kann. Damit liegt eine geschlechtsbezogene Ungleichbehandlung vor. Es besteht jedoch Konsens darüber, dass nicht jede Ungleichbehandlung, die an das Geschlecht anknüpft, gegen Art. 3 Abs. 3 GG verstößt: Differenzierungen werden zur Lösung solcher Probleme als zulässig erachtet, die naturgemäß entweder nur bei Männern oder nur bei Frauen auftreten können; dies gilt jedoch nur dann, wenn die Differenzierung zur Problemlösung zwingend erforderlich ist.164 Bei den hier gegenständlichen Mutterschutzfristen, die an eine Schwangerschaft bzw. die Geburt eines Kindes anknüpfen, ist dies offenkundig der Fall: Die körperliche und allgemeine Schutzbedürftigkeit von (werdenden) Müttern, die sich aus dem biologischen Zustand der Schwangerschaft, des Wochenbettes und der Stillzeit ergibt, erfordert eine besondere Rücksichtnahme in den Zeiten kurz vor und kurz nach der Niederkunft.165 Der Frau ist in dieser Zeit die Möglichkeit zu gewähren, sich ausschließlich auf die aktuelle Ausnahmesituation rund um die Geburt zu konzentrieren sowie körperliche Belastungen zu erdulden und die Regeneration voranzutreiben, ohne deswegen berufliche Nachteile befürchten zu müssen. Diese Problemstellung ist nur zu lösen – und damit der Nachteil, der allein Mütter trifft auszugleichen –, indem schwangeren bzw. jüngst niedergekommenen Parlamentarierinnen prä- und postnatale Schutzfristen gewährt werden. Rein biologisch bedingt werden Männer von schwangerschafts- und geburtsbedingten Beeinträchtigungen nicht betroffen und brauchen daher auch keinen entsprechenden Schutz. Für derartige Fälle, die unmittelbar an die Mutterschaft anknüpfen, durchbricht der verfassungsrechtliche Mutterschutz des Art. 6 Abs. 4 GG daher das Gebot der Gleichberechtigung von Mann und Frau aus Art. 3 Abs. 2 Satz 1 GG.166 In162

Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 3, Rn. 101. BVerfGE 85, 191, 206. 164 BVerfGE 85, 191, 207; 92, 91, 109; Boysen, in: von Münch/Kunig, Art. 3, Rn. 164; Krieger, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Art. 3, Rn. 71; Wolff, in: Hömig/Wolff, Art. 3, Rn. 13. 165 Vgl. oben im ersten Teil, fünftes Kapitel, B. I. 1. a), S. 129 ff. 166 Badura, in: Maunz/Dürig, Art. 6, Rn. 155; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 6, Rn. 67; Richter, in: Merten/Papier, Bd. V, § 126, Rn. 40; Robbers, in: von Mangoldt/ Klein/Starck, Art. 6, Rn. 287; ähnlich von Coelln, in: Sachs, Art. 6, Rn. 94. 163

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2. Teil: Verfassungsrechtliches Gebot zur Einf. v. Mutterschutz/Elternzeit

soweit kann das in Art. 6 Abs. 4 GG postulierte Gebot, der Mutter den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft zu gewähren, sogar unter dem Blickwinkel der Gleichberechtigung als Beitrag des Staates zur Beseitigung bestehender Nachteile (Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG) betrachtet werden.167 Mithin verletzt die Einführung von Mutterschutzfristen nicht das Gebot der Gleichberechtigung von Männern und Frauen aus Art. 3 Abs. 2 und 3 Satz 1, 1. Alt. GG. f) Allgemeiner Gleichheitssatz, Art. 3 Abs. 1 GG Aus ähnlichen Erwägungen kollidiert die Installierung von vor- und nachgeburtlichen fakultativen Schutzfristen für Parlamentarierinnen auch nicht mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Zwar wird einigen weiblichen Abgeordneten hierdurch die Möglichkeit eingeräumt, die parlamentarische Tätigkeit für einen begrenzten Zeitraum nicht auszuüben – während diese Option weder für männliche Abgeordnete noch für weibliche Abgeordnete außerhalb der Situation von Schwangerschaft und Geburt besteht. Die hier gegenständlichen Mutterschutzfristen knüpfen aber so explizit an ebendiesen biologisch bedingten Ausnahmezustand der Schwangerschaft und der Kindesgeburt an, dass bereits nicht von einer Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem gesprochen werden kann. Zudem sind die Schutzfristen erforderlich, um die betreffenden Parlamentarierinnen und ihre Kinder vor körperlichen (und gegebenenfalls auch seelischen) Nachteilen zu bewahren – ein Erfordernis, das in Bezug auf alle anderen Abgeordneten, die sich außerhalb dieser besonderen Lebenssituation befinden, nicht besteht. In derartigen Fällen durchbricht die verfassungsrechtlich angeordnete Begünstigung der Mutter aus Art. 6 Abs. 4 GG zur Gewährleistung eines besonderen Schutzgutes auch den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.168 Die durch Art. 6 Abs. 4 GG gebotene Einführung entsprechender fakultativer Mutterschutzfristen für Abgeordnete kollidiert daher auch nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG. Weitere Verfassungsgüter, die der Einführung fakultativer Schutzfristen entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich. g) Zwischenergebnis zu fakultativen Schutzfristen Der durch Art. 6 Abs. 4 GG garantierte Anspruch jeder Mutter auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft gebietet der Gesetzgebung daher die Einführung jedenfalls fakultativer prä- und postnataler Mutterschutzfristen für Parlamentarierinnen. 167 168

Badura, in: Maunz/Dürig, Art. 6, Rn. 155. Badura, in: Maunz/Dürig, Art. 6, Rn. 155.

2. Kap.: Mutterschutz

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2. Obligatorische Schutzfristen

Nunmehr ist festzustellen, ob der Einführung obligatorischer Schutzfristen, also solcher Schutzfristen, die für die betreffende Abgeordnete verpflichtend sind, Verfassungsgüter entgegenstehen. a) Grundsätzliches Obligatorische Schutzfristen kämen insbesondere für die Zeit nach der Niederkunft in Betracht. Die besondere Schutzbedürftigkeit von Mutter und Neugeborenem in den ersten postnatalen Wochen findet ihren Niederschlag insbesondere in der Regelung des § 3 Abs. 2 Satz 1 MuSchG: Hiernach darf der Arbeitgeber eine Frau bis zum Ablauf von acht Wochen nach der Entbindung nicht beschäftigen. In besonderen Fällen (Frühgeburt, Mehrlingsgeburt, behindertes Kind) verlängert sich die Frist nach § 3 Abs. 2 Satz 2 MuSchG auf zwölf Wochen. Diese nachgeburtliche Mutterschutzfrist steht – anders als die vorgeburtliche Frist – nach der unmissverständlichen Formulierung des § 3 Abs. 2 Satz 1 MuSchG nicht zur Disposition. Während eine schwangere Frau bis zur Geburt weiterbeschäftigt werden darf, sofern sie sich ausdrücklich dazu bereit erklärt (§ 3 Abs. 1 Satz 1 MuSchG), ist die postnatale Schutzfrist nach dem Mutterschutzgesetz eine absolute. Übertragen auf Parlamentarierinnen würde die Einführung einer solchen absoluten Schutzfrist bedeuten, dass die betreffende Abgeordnete in den ersten Wochen nach der Niederkunft keinerlei mandatsbezogener Tätigkeit nachgehen dürfte. Ob man einer frei vom Volk gewählten Abgeordneten die Wahrnehmung ebendieser aus ihrem Mandat resultierenden Rechte – wenn auch nur für die Dauer weniger Wochen nach der Niederkunft – verwehren darf, erscheint zweifelhaft. Dabei ist es in diesem Zusammenhang unerheblich, dass die genaue inhaltliche Eingrenzung der mandatsbezogenen Tätigkeit in Anbetracht der großen Bandbreite der Abgeordnetentätigkeit im Einzelfall möglicherweise nicht ganz eindeutig ist. Denn zweifelsfrei von einem derartigen absoluten Schutz umfasst wäre jedenfalls die unmittelbare Tätigkeit im Parlament selbst: Die Vorbereitung von Parlamentsentscheidungen in der Fraktion und in den Ausschüssen, die Teilnahme an Plenarsitzungen und die Abstimmung im Parlament bilden als Inbegriff der Abgeordnetentätigkeit geradezu den Kernbestand der parlamentarischen Betätigung. Der vorübergehende Entzug dieser Rechte zum Zwecke des nachgeburtlichen Mutterschutzes ist im Folgenden auf seine Vereinbarkeit mit anderen Rechtsgütern von Verfassungsrang zu überprüfen. Unproblematisch vereinbar wäre die Einführung absoluter Schutzfristen zwar mit dem Grundsatz der Gleichheit der Wahl, dem Grundsatz der Gleichheit des Mandats, dem Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl, dem Repräsentationsprinzip bzw. dem Erfordernis der Funktionsfähigkeit des Parlaments sowie den

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2. Teil: Verfassungsrechtliches Gebot zur Einf. v. Mutterschutz/Elternzeit

Gleichheitssätzen des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG und des Art. 3 Abs. 1 GG. Insoweit ergeben sich keine Unterschiede zwischen obligatorischen und fakultativen Schutzfristen; die obigen Ausführungen gelten daher sinngemäß auch auf die Einführung verpflichtender Schutzfristen für Abgeordnete. b) Freiheit des Mandats/Teilhaberechte aa) Kollision Hingegen drängt sich bereits bei der Überlegung, frei gewählten Abgeordneten die Mandatsausübung für eine gewisse Zeitspanne zu verbieten, die Kollision mit einem bestimmten Verfassungsgut geradezu auf: Der Grundsatz des freien Mandats, der zum Kernbestand des Abgeordnetenmandats gehört, gerät, in Verbindung mit den Teilhaberechten der Abgeordneten, bereits dem ersten Anschein nach mit einer Einführung obligatorischer Mutterschutzfristen für Parlamentarierinnen in Konflikt. Wie bereits im Rahmen der Darstellung der Kernelemente des Abgeordnetenmandats skizziert,169 ist das freie Mandat, das für die Bundestagsmitglieder in der Formulierung des Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG „an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen“ zum Ausdruck kommt,170 von zentraler Bedeutung für das Wesen des Abgeordnetenstatus. Es schützt die Abgeordneten vor allem, was ihre freie Willensbildung oder gar den Bestand des Mandats beeinträchtigen könnte.171 Eng mit dem freien Mandat verknüpft sind die den Abgeordneten gewährten Teilhaberechte: Sie umfassen verschiedene parlamentarische Rechte, die für eine effektive Mandatswahrnehmung unabdingbar sind172 und ohne die der Grundsatz der Mandatsfreiheit größtenteils sinnentleert wäre. So stehen den Abgeordneten unter anderem das Rederecht im Parlament, das Abstimmungs- und Beratungsrecht, das Fragerecht gegenüber der Regierung (Interpellationsrecht), das Recht der Teilnahme an vom Parlament vorzunehmenden Wahlen, das Antragsrecht, das Recht zur Kandidatur für bestimmte Positionen und schließlich das Recht, sich mit anderen Abgeordneten zu einer Fraktion zusammenzuschließen, zu.173 169

Vgl. oben im ersten Teil, zweites Kapitel, C. III., S. 76 ff. Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 38, Rn. 46; für die Länder exemplarisch: Art. 13 Abs. 2 Satz 2 Verfassung des Freistaates Bayern; Art. 27 Abs. 2 Satz 3 Verfassung des Landes Baden-Württemberg; Art. 76 Abs. 1 Verfassung des Landes Hessen; Art. 12 Satz 2 Niedersächsische Verfassung; Art. 30 Abs. 2 Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen; vgl. auch oben im ersten Teil, zweites Kapitel, C. III. 1., S. 76 f. 171 Badura, in: Schneider/Zeh, § 15, Rn. 9; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 38, Rn. 47 f. 172 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 38, Rn. 53. 173 BVerfGE 80, 188, 218 m.w. N. aus der Rspr. des BVerfG; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 38, Rn. 54 ff. 170

2. Kap.: Mutterschutz

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Häufig nicht genannt, weil als selbstverständlich vorausgesetzt, ist ein Basisrecht, das diesen Rechten notwendigerweise vorausgehen muss: Das Recht auf Anwesenheit im Parlament.174 Würde man durch die Einführung obligatorischer Mutterschutzfristen den betreffenden Abgeordneten untersagen, während einer bestimmten Zeitspanne jegliche aus dem Mandat resultierende Aufgaben wahrzunehmen, so würde man sie während dieser Zeit gleichzeitig all ihrer parlamentarischen Rechte berauben. Sie wären bereits der Grundlage aller Beteiligungsrechte, nämlich des Rechts zur Teilnahme an parlamentarischen Beratungen und Abstimmungen, verlustig – und damit zwangsläufig auch weder berechtigt noch in der Lage, ihre übrigen verfassungsrechtlich garantierten Teilhaberechte wahrzunehmen. Dies würde – zeitlich begrenzt – nicht nur einen Eingriff in die Mandatsfreiheit darstellen, sondern deren Wahrnehmung für den fraglichen Zeitraum komplett verhindern. Die Einführung absoluter Mutterschutzfristen im Sinne eines auch an die Parlamentarierinnen gerichteten Verbotes, während dieser Zeit parlamentarische Aufgaben wahrzunehmen, kollidiert also mit dem Grundsatz des freien Mandates in Verbindung mit den grundgesetzlich gewährten Teilhaberechten der Abgeordneten. bb) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Die Freiheit des Mandats wird indes nicht schrankenlos gewährleistet, sondern kann durch andere Rechtsgüter von Verfassungsrang begrenzt werden.175 Auch die Beteiligungsrechte der Abgeordneten unterliegen gewissen Beschränkungen. (1) Funktionsfähigkeit des Parlaments Dabei ist jedoch zu beachten, dass eine Beschränkung von Abgeordnetenrechten bislang nur insoweit anerkannt ist, als dies für die gemeinschaftliche Wahrnehmung der Vertretung des Volkes durch das Parlament als Ganzes erforderlich ist.176 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dürfen die Rechte der einzelnen Abgeordneten zwar im Einzelnen ausgestaltet und insoweit auch eingeschränkt werden – sie dürfen ihnen jedoch grundsätzlich nicht entzogen werden.177 Das temporäre Verbot der Mandatswahrnehmung für einen Zeitraum nach der Niederkunft wäre ein solcher – befristeter – Entzug der Mandatsrechte, der im 174 Du Mesnil de Rochemont/Müller, in: JuS 2016, 504, 505; du Mesnil de Rochemont/Müller, in: JuS 2016, 603, 605; Schmahl, in: Austermann/Schmahl, Vor § 1, Rn. 15. 175 BVerfGE 99, 19, 32; 118, 277, 324; Burghart, in: Leibholz/Rink, Art. 38, Rn. 511; Morlok, in: Dreier, Art. 38, Rn. 159 ff.; Risse/Witt, in: Hömig/Wolff, Art. 38, Rn. 23; Wiefelspütz, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, § 12, Rn. 29. 176 BVerfGE 80, 188, 219. 177 BVerfGE 80, 188, 219.

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2. Teil: Verfassungsrechtliches Gebot zur Einf. v. Mutterschutz/Elternzeit

Übrigen auch nicht für die gemeinschaftliche Wahrnehmung der Vertretung des Volkes erforderlich wäre. Im Gegenteil: Anders als etwa Einschränkungen von Abgeordnetenrechten durch Regelungen in der Geschäftsordnung, die zur Förderung des reibungslosen Ablaufes von Plenarsitzungen dienlich sein können, fördert das postnatale Teilnahmeverbot die Funktionsfähigkeit des Parlaments gerade nicht, sondern läuft ihr durch die Abwesenheit der betreffenden Abgeordneten eher zuwider. (2) Praktische Konkordanz: Mutterschutz, Art. 6 Abs. 4 GG Es stellt sich jedoch die Frage, ob der temporäre Entzug der Mandatsrechte – und damit der Eingriff in die Mandatsfreiheit – nicht auch durch andere Rechtsgüter von Verfassungsrang gerechtfertigt sein kann. Zwar ist bislang im Wesentlichen nur die Rechtfertigung zur Gewährleistung der Funktionsfähigkeit des Parlaments anerkannt. Dies dürfte jedoch auch in dem Umstand begründet liegen, dass bislang überwiegend solche Einschränkungen von Abgeordnetenrechten verfassungsrechtlich überprüft wurden, die durch Abgeordnetengesetze oder Geschäftsordnungen erfolgten und mit den Abläufen im Parlament selbst (z. B. Rede- und Antragsrechte)178 oder mit der Außenwirkung des Parlaments und seiner Mitglieder (z. B. Transparenzregelungen)179 verknüpft waren. Möglicherweise ist der durch die Einführung obligatorischer Mutterschutzfristen für Abgeordnete ausgelöste Eingriff in die Teilhaberechte der betroffenen Abgeordneten in Verbindung mit deren Mandatsfreiheit dadurch gerechtfertigt, dass der verfassungsrechtliche Mutterschutz des Art. 6 Abs. 4 GG diese Kollision im Sinne praktischer Konkordanz ausgleicht. (a) Generelle Eignung des Art. 6 Abs. 4 GG als Rechtfertigungsgrund Eine solche Auflösung des verfassungsrechtlichen Konfliktes im Sinne praktischer Konkordanz setzt zunächst die generelle Eignung des grundrechtlich gewährten Mutterschutzes des Art. 6 Abs. 4 GG voraus, einen Eingriff in die Teilhaberechte der Abgeordneten in Verbindung mit deren Mandatsfreiheit zu rechtfertigen. Als echtes Grundrecht180 steht Art. 6 Abs. 4 GG dem Grundsatz der Mandatsfreiheit und den Teilhaberechten der Abgeordneten in der verfassungsrechtlichen 178

BVerfGE 10, 4, 12 f.; 80, 188, 219. BVerfGE 118, 277, 324 ff. 180 BVerwGE 47, 23, 27; BAGE 69, 1, 11; Badura, in: Maunz/Dürig, Art. 6, Rn. 145 ff.; Brosius-Gersdorf, in: Dreier, Art. 6, Rn. 211; von Coelln, in: Sachs, Art. 6, Rn. 95; Coester-Waltjen, in: von Münch/Kunig, Art. 6, Rn. 131; Hofmann, in: SchmidtBleibtreu/Hofmann/Henneke, Art. 6, Rn. 65; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 6, Rn. 66; Knigge, Mutterschutz, S. 282. 179

2. Kap.: Mutterschutz

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Wertigkeit nicht nach. Zwar handelt es sich bei den Parlamenten um das höchste beschlussfassende Gremium der jeweiligen Gebietskörperschaft; zudem nimmt die erste Staatsgewalt als durch die Wahl legitimierte Vertretung des ganzen Volkes eine besondere Stellung im Landes- bzw. Staatsgefüge ein. Gleichwohl bekleiden aber auch die Grundrechte eine herausgehobene Stellung in der Verfassung. Es handelt sich bei ihnen um mehrdimensionale, grundlegende Rechte, die gemäß Art. 1 Abs. 3 GG alle drei Staatsgewalten als unmittelbar geltendes Recht binden. Aus Art. 1 Abs. 2 GG lässt sich ableiten, dass die Grundrechte des Grundgesetzes „auch als Ausprägung der Menschenrechte zu verstehen sind und diese als Mindeststandard in sich aufgenommen haben“.181 Über ihre weiteren Funktionen hinaus stellen sie gewissermaßen die stärksten Individualrechte des bundesrepublikanischen Rechtssystems dar. Damit dürften die Grundrechte von einer verfassungsrechtlichen Relevanz sein, die derjenigen der Funktionsfähigkeit des Parlaments und der Rechte der Abgeordneten zumindest ebenbürtig ist. Der verfassungsrechtliche Mutterschutz des Art. 6 Abs. 4 GG ist demnach generell geeignet, einen Eingriff in die Teilhaberechte der Abgeordneten in Verbindung mit deren Mandatsfreiheit zu rechtfertigen. (b) Dennoch: Keine Auflösung der verfassungsrechtlichen Konfliktlage Auch wenn damit grundsätzlich eine ungefähre Gleichwertigkeit der Verfassungsgüter besteht, so ist der verfassungsrechtlich garantierte Mutterschutz des Art. 6 Abs. 4 GG im konkreten Fall der Einführung obligatorischer Mutterschutzfristen gleichwohl nicht geeignet, den Eingriff in die Mandatsfreiheit und die Teilhaberechte der betreffenden Parlamentarierinnen auszugleichen. Die Besonderheit liegt hier darin begründet, dass gerade derjenige Schutz, der den Müttern zugutekommen soll, als Kehrseite gleichzeitig auch den Eingriff in deren Abgeordnetenrechte bewirkt. Den betreffenden Abgeordneten wird dadurch zwar auf der einen Seite ein nachgeburtlicher Schutzraum geschaffen – auf der anderen Seite wird jedoch erheblich in die ihnen verfassungsrechtlich gewährten Mandatsrechte eingegriffen. Unabhängig vom tatsächlichen physischen und psychischen Zustand von Mutter und Kind und unabhängig von jeglichen häuslichen, politischen und sonstigen Umständen wird der Abgeordneten temporär jegliches Recht der parlamentarischen Teilhabe genommen, obschon sie vom Wahlvolk zu ebendieser Teilhabe demokratisch legitimiert ist. Hier stellt sich der Schutz des Art. 6 Abs. 4 GG als Danaergeschenk dar: Dieselbe Grundrechtsträgerin, die durch die Mutterschutzregelung geschützt werden soll, wird durch ebendiesen Mutterschutz in ihrer Eigenschaft als Abgeordnete temporär von der Wahrnehmung ihrer grundgesetzlich garantierten Mandatsrechte ausgeschlossen. 181

BVerfGE 128, 326, 369.

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2. Teil: Verfassungsrechtliches Gebot zur Einf. v. Mutterschutz/Elternzeit

Zwar wird man einwenden können, dass nur obligatorische Schutzfristen die Gewähr dafür bieten, dass sie auch tatsächlich eingehalten werden. Diese Erwägung dürfte auch dem absoluten Beschäftigungsverbot des § 3 Abs. 2 MuSchG zugrunde liegen. Sie hat die durchaus überzeugende Annahme auf ihrer Seite, dass es in einem Verhältnis ungleicher Kräfteverteilung – wie etwa in einem Arbeitsverhältnis – vom guten Willen des stärkeren Parts abhängt, ob eine freiwillige Regel befolgt wird. Auch innerhalb eines Parlaments sowie in dessen Umfeld bestehen durchaus formelle und informelle Machtverhältnisse, die zu Ungunsten einzelner Abgeordneter wirken können. Insoweit ist es durchaus vorstellbar, dass im Falle eines rein fakultativen nachgeburtlichen Mutterschutzes in bestimmten Konstellationen Druck auf die betreffende Abgeordnete ausgeübt wird, schon kurz nach der Niederkunft wieder an der parlamentarischen Arbeit teilzunehmen. Vor dem Hintergrund, dass das Mandat für einen Großteil der Abgeordneten sowohl die wirtschaftliche als auch die gesellschaftliche Existenz darstellt, ist es nicht auszuschließen, dass ein Teil der Abgeordneten diesem Druck im Hinblick auf ihr weiteres politisches Berufsleben auch nachgeben würde. Die bisherige Praxis der frühen postnatalen Teilnahme an Parlamentsterminen zeigt, dass ein solcher Druck zumindest unter den bisherigen Gegebenheiten besteht.182 Diese Erwägung muss jedoch gegenüber dem gesamtstaatlichen Interesse am Grundsatz des freien Abgeordnetenmandats zurückstehen. Denn anders als eine Arbeitnehmerin in Bezug auf das Arbeitsverhältnis ist die Abgeordnete nach dem Grundsatz der Freiheit des Mandats in der Ausgestaltung ihres Mandates autonom.183 Diese Autonomie richtet sich auch gegen alle staatlichen Maßnahmen, die den Bestand und die Dauer des Mandats beeinträchtigen.184 Dabei dient die Mandatsfreiheit nicht primär der Abgeordneten als Person – auch hier unterscheidet sich das Mandat erheblich vom Arbeitsverhältnis – sondern in erster Linie ihr als Mitglied des Organs Parlament – und damit der Freiheit des Parlaments als Ganzem.185 Dementsprechend nimmt die Freiheit jedes einzelnen Parlamentsmitgliedes eine übergeordnete Rolle als Teil der Freiheit der Vertretung des Volkes ein. Diese Freiheit des Parlaments in seiner Gesamtheit, die in der Freiheit seiner Abgeordneten konkretisiert ist, darf daher keinem eventuellen Machtgefälle untergeordnet werden. 182

Vgl. z. B. oben im ersten Teil, fünftes Kapitel, B. I. 1. b) bb) (4), S. 138. Zur Entscheidungsfreiheit der Abgeordneten auch BVerfGE 40, 296, 316; 76, 256, 341; 118, 277, 326; Badura, in: Bonner Kommentar, Art. 38, Rn. 63; Grote, Verfassungsorganstreit, S. 159; Müller, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 38 Abs. 1, Rn. 93; Kluth, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Art. 48, Rn. 13; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 38, Rn. 47 ff. 184 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 38, Rn. 48 schließt dies verallgemeinernd aus BVerfGE 62, 1, 32 und BVerfGE 114, 121, 148 f. 185 Kielmannsegg, Grundrechte, S. 455. 183

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Unabhängig davon, dass die Mandatsfreiheit auch der Freiheit des Parlaments als Ganzem dient, ist es gleichwohl das einzelne Parlamentsmitglied, das diese Freiheit ausübt. Jeder Parlamentarierin und jedem Parlamentarier alleine gebührt diese Freiheit – und sie ist nur dann eine echte Freiheit, wenn das Parlamentsmitglied selbst über den Inbegriff des ihm anvertrauten Amtes, nämlich über die Frage, ob es das Mandat ausübt oder nicht, entscheiden kann. Sofern man dem Parlament und seinem Umfeld unterstellt, rein fakultative Mutterschutzfristen für Abgeordnete nicht oder jedenfalls nicht generell zu akzeptieren und gegebenenfalls auf eine Nichtinanspruchnahme solcher Mutterschutzfristen hinzuwirken, muss diese Konfliktlage anders gelöst werden als durch den Ausschluss gerade der zu schützenden Abgeordneten von ihren parlamentarischen Rechten. Denn dadurch würde einem lediglich vermuteten Akzeptanzmangel auf dem Rücken der Grundrechtsträgerin durch Einschränkung von deren Rechtsposition bereits prophylaktisch entgegengewirkt. Dieser rein vorsorgliche Eingriff in die Abgeordnetenrechte der betreffenden Parlamentarierin steht angesichts seiner besonderen Schwere in keinem angemessenen Verhältnis zu dem nur eventuell realisierbaren Schutzzweck. Denn während der zeitweise Verlust sämtlicher mandatsbezogener Rechte im Falle obligatorischen Mutterschutzes immer eintritt, ist es nur in vorher nicht abzusehenden Einzelfällen erforderlich, einer etwaigen Druckausübung auf die betreffende Abgeordnete entgegenzuwirken. Darüber hinaus ist es nicht unwahrscheinlich, dass selbst in den letztgenannten Fällen der Druckausübung einige Abgeordnete durchaus Willens und in der Lage sind, diesem Druck standzuhalten und dennoch Mutterschutz in Anspruch zu nehmen. Will die Gesetzgebung – also das Parlament – sicherstellen, dass die vorzusehenden Mutterschutzfristen auch tatsächlich beansprucht werden, so obliegt es ihr nicht, hierfür die Rechte der betreffenden Abgeordneten einzuschränken. Vielmehr obliegt es ihr dann, wenn sie die betreffenden Parlamentarierinnen trotz der Einführung fakultativen Mutterschutzes einem Anwesenheitsdruck ausgesetzt sieht, durch flankierende Maßnahmen dafür zu sorgen, dass die Nachteile der Abwesenheit einer Abgeordneten für die Fraktion ausgeglichen werden. Zu denken ist hier beispielsweise an die im dritten Teil dieser Untersuchung erörterten Modelle der Nachfolge in ein ruhendes Mandat oder des verpflichtenden Pairings.186 Der grundgesetzliche Mutterschutz des Art. 6 Abs. 4 GG ist mithin nicht geeignet, den Eingriff in die Mandatsfreiheit und die Teilhaberechte der zu schützenden Parlamentarierinnen zu rechtfertigen. Die Einführung obligatorischer Schutzfristen würde demnach einen nicht zu rechtfertigenden Eingriff in die Mandatsfreiheit in Verbindung mit den grundge186

Vgl. unten im dritten Teil, zweites Kapitel, B. III., S. 297 ff. und D., S. 355 ff.

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2. Teil: Verfassungsrechtliches Gebot zur Einf. v. Mutterschutz/Elternzeit

setzlich garantierten Teilhaberechten der Abgeordneten darstellen und wäre somit verfassungsrechtlich nicht zulässig. Angesichts dieser verfassungsrechtlichen Unzulässigkeit ist die Schaffung absoluter Mutterschutzfristen für Abgeordnete zwangsläufig erst recht nicht verfassungsrechtlich geboten. c) Geschlechtsbezogene Diskriminierung, Art. 3 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 GG aa) Kollision Im Übrigen würde der Eingriff in die Abgeordnetenrechte der betreffenden Parlamentarierinnen durch die Einführung obligatorischen Mutterschutzes auch eine geschlechtsbezogene Diskriminierung beinhalten und daher mit Art. 3 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 GG kollidieren. Wie bereits dargestellt, darf gemäß Art. 3 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 GG niemand wegen seines Geschlechtes benachteiligt oder bevorzugt werden.187 Dieser spezielle Gleichheitssatz steht in einem engen Zusammenhang zu dem in Art. 3 Abs. 2 GG fixierten Gebot der Gleichberechtigung: Danach sind Männer und Frauen gleichberechtigt; der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. Dieses Grundrecht der Gleichberechtigung wurzelt in der Würde des Menschen und ist daher von hohem Gewicht.188 Der Schutz vor geschlechtsbezogenen Ungleichbehandlungen bezieht sich dabei nicht nur auf solche Ungleichbehandlungen, bei denen die Eigenschaft als Mann oder Frau als Unterscheidungskriterium dient, sondern auch auf solche Differenzierungen, die aufgrund natürlicher Unterschiede oder gesellschaftlicher Bedingungen überwiegend Männer oder überwiegend Frauen treffen können.189 Hierzu zählen bereits aus biologischen Gründen alle Regelungen zur Schwangerschaft und zum Mutterschutz; diese betreffen ausschließlich Frauen und knüpfen demnach unmittelbar an das Geschlecht an.190 So liegt es auch bei der Schaffung absoluter Mutterschutzfristen für Abgeordnete: Das temporäre Verbot der Wahrnehmung mandatsbezogener Rechte trifft bereits aus biologischen Gründen ausschließlich Frauen. Der Differenzierungseffekt liegt im Recht zur Mandatswahrnehmung nach der Geburt eines eigenen Kindes: Während männliche Abgeordnete ihr Mandat auch dann, wenn sie Vater 187

Vgl. im zweiten Teil, zweites Kapitel, A. VI. 1. e), S. 180 ff. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 3, Rn. 101; Stern, Bd. IV/1, § 97 IV 1 b) b). 189 Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 3, Rn. 109; vgl. ausführlich zur mittelbaren Diskriminierung Richter, in: Merten/Papier, Bd. V, § 126, Rn. 71 ff. 190 BVerfGE 132, 72, 97; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 3, Rn. 108; Langenfeld, in: Maunz/Dürig, Art. 3 Abs. 2, Rn. 25; ähnlich Richter, in: Merten/Papier, Bd. V, § 126, Rn. 96 f. 188

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werden, ungehindert weiter ausüben können, ist dies weiblichen Abgeordneten, die Mutter werden, für eine gewisse Zeitspanne versagt. Die beiden Abgeordnetengruppen sind auch vergleichbar, denn nach dem Grundsatz der Gleichheit des Mandats haben alle Abgeordneten eines Parlaments die gleichen Rechte und unterliegen ebenso auch den gleichen Pflichten.191 Zwar können biologische Unterschiede grundsätzlich die Vergleichbarkeit entfallen lassen bzw. differenzierende Regelungen zulassen.192 Dies gilt jedoch nur dann, wenn sie zur Lösung von Problemen, die ihrer Natur nach entweder nur bei Männern oder nur bei Frauen auftreten, zwingend erforderlich sind.193 Das ist hier nicht der Fall: Zwar können aus biologischen Gründen nur weibliche Parlamentsmitglieder Kinder austragen und gebären. Daraus folgt jedoch nicht zwangsläufig, dass ihnen die parlamentarische Arbeit in den ersten Wochen nach der Geburt ihres Kindes untersagt werden müsste. In Betracht kommen insoweit auch andere Regelungen wie etwa die bereits beschriebene Option der fakultativen Mutterschutzfristen; ein Verbot der Mandatsausübung ist hingegen zur Problemlösung nicht zwingend erforderlich. Der biologische Unterschied der Gebärfähigkeit lässt differenzierende Regelungen zwischen weiblichen und männlichen Abgeordneten im Hinblick auf das Recht zur Mandatswahrnehmung daher nicht zu. Die Vergleichbarkeit der weiblichen und männlichen Abgeordneten in Bezug auf ihre parlamentarischen Rechte und Pflichten ist daher weiterhin gegeben. Darüber hinaus stellt das befristete Verbot der Mandatswahrnehmung auch nicht lediglich eine Differenzierung dar, sondern wirkt sich einschränkend auf die weiblichen Abgeordneten aus. Zwar dienen die absoluten Mutterschutzfristen primär dem gesundheitlichen Schutz der Parlamentarierin sowie dem ihres (ungeborenen) Kindes. Als sekundäre Folge beinhaltet die zeitweise Untersagung parlamentarischer Tätigkeiten jedoch eine Einschränkung der aus dem Mandat erwachsenden Rechte der betreffenden Abgeordneten. Mithin stellt die Einführung absoluter Mutterschutzfristen für Abgeordnete eine geschlechtsbezogene Benachteiligung weiblicher Parlamentsmitglieder dar. bb) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Fraglich ist, ob diese Benachteiligung verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist. Das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG ist vorbehaltlos gewährleistet; eine Rechtfertigung kann sich daher nur aus kollidierendem Verfassungsrecht ergeben.

191 Wiefelspütz, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, § 12, Rn. 23; vgl. oben im ersten Teil, zweites Kapitel, C. II., S. 75. 192 Boysen, in: von Münch/Kunig, Art. 3, Rn. 164. 193 BVerfGE 85, 191, 207; Heun, in: Dreier, Art. 3, Rn. 112.

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2. Teil: Verfassungsrechtliches Gebot zur Einf. v. Mutterschutz/Elternzeit

(1) Funktionsfähigkeit des Parlaments Eine Rechtfertigung zum Zwecke der Sicherung der Funktionsfähigkeit des Parlaments scheidet auch in diesem Zusammenhang aus: Denn das das postnatale Teilnahmeverbot von weiblichen Abgeordneten fördert die Funktionsfähigkeit des Parlaments nicht, sondern läuft ihr aufgrund der Abwesenheit der betreffenden Abgeordneten eher zuwider. (2) Gebot der Gleichberechtigung, Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG In Betracht zu ziehen ist jedoch eine Rechtfertigung durch das Gleichberechtigungsgebot des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG. Danach fördert der Staat die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. Vor dem Hintergrund der historisch begründeten Benachteiligung von Frauen steht dabei auch heute noch vor allem der Abbau der Diskriminierung von Frauen im Vordergrund.194 Eine Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechtes kann demnach zulässig sein, wenn faktische Nachteile, die typischerweise Frauen treffen, durch begünstigende Regelungen ausgeglichen werden.195 Dieser Grundsatz betrifft jedoch eher Konstellationen, in denen eine Ungleichbehandlung zu Lasten von Männern erfolgt: Frauen werden hiernach begünstigt, um auf die tatsächliche Gleichberechtigung der Geschlechter hinzuwirken. Bei dem Verbot der Wahrnehmung mandatsbezogener Rechte während einer obligatorischen Mutterschutzfrist verhält es sich jedoch genau entgegengesetzt: Zwar dient der Mutterschutz primär dem Schutz von Mutter und Kind. Im Fokus der hier gegenständlichen verpflichtenden Schutzfristen, während derer den betreffenden Abgeordneten die Mandatswahrnehmung untersagt ist, steht an dieser Stelle jedoch die Nebenfolge der Einschränkung der Abgeordnetenrechte weiblicher Parlamentsmitglieder. Diese Verpflichtung der Frauen zur Nichtwahrnehmung des ihnen anvertrauten Amtes kurz vor und nach der Niederkunft leistet keinen erkennbaren Beitrag zur Gleichberechtigung der Geschlechter im Sinne von Art. 3 Abs. 2 GG. Im Übrigen ist das Verbot der Mandatswahrnehmung vor dem Hintergrund der ebenfalls bestehenden Möglichkeit fakultativer Schutzfristen auch nicht erforderlich zur Erreichung des verfolgten Zwecks – nämlich der Entbindung von der Obliegenheit zur Wahrnehmung mandatsbezogener Pflichten. Das Gleichberechtigungsgebot des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG dient demnach nicht der Rechtfertigung der geschlechtsbezogenen Diskriminierung der betreffenden Abgeordneten gemäß Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG. 194 195

BVerfGE 85, 191, 207; 109, 64, 89; 113, 1, 15. BVerfGE 74, 163, 180; 85, 191, 207.

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(3) Praktische Konkordanz Rechtfertigend in Betracht zu ziehen ist jedoch auch hier ein Ausgleich der Kollision obligatorischer Mutterschutzfristen mit Art. 3 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 GG durch den verfassungsrechtlichen Mutterschutz des Art. 6 Abs. 4 GG im Sinne praktischer Konkordanz. (a) Generelle Eignung des Art. 6 Abs. 4 GG als Rechtfertigungsgrund Als echtes Grundrecht steht der grundgesetzlich garantierte Mutterschutz des Art. 6 Abs. 4 GG dem Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 GG von der Wertigkeit nicht nach. Der Mutterschutz des Art. 6 Abs. 4 GG hat zum Ziel, eine störungsfreie Geburt junger Menschen zu gewährleisten und gleichzeitig die betreffende Mutter gesundheitlich, beruflich, gesellschaftlich und wirtschaftlich abzusichern.196 Damit schützt die Norm das Individuum in einem essentiellen Bereich seines Lebens. Gleichzeitig leistet sie einen Beitrag zum Fortbestand der staatlichen Gemeinschaft: Denn die Geburt von Kindern ist unabdingbar für die Reproduktion der Gesellschaft197 und damit auch für die Wahrung des Wohlstandes und des kulturellen Erbes. Aufgrund dieses umrissenen Schutzzweckes ist der verfassungsrechtlich gewährleistete Mutterschutz dem – auf dem Gedanken der Menschenwürde fußenden und daher ebenfalls gewichtigen –198 Gleichberechtigungsgebot ebenbürtig. Der Mutterschutz des Art. 6 Abs. 4 GG ist demnach generell geeignet, eine geschlechtsbezogene Diskriminierung im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 GG zu rechtfertigen. (b) Dennoch: Keine Auflösung der verfassungsrechtlichen Konfliktlage Trotz der annäherungsweisen Gleichwertigkeit der Verfassungsgüter rechtfertigt der verfassungsrechtlich garantierte Mutterschutz des Art. 6 Abs. 4 GG die geschlechtsbezogene Diskriminierung der betreffenden Parlamentarierinnen im konkreten Fall der Einführung obligatorischer Mutterschutzfristen jedoch nicht. Wird der verfassungsrechtliche Mutterschutz durch ein Verbot mandatsbezogener Tätigkeiten vor und nach der Kindegeburt realisiert, so bewirkt der Schutz, der vor allem der werdenden Mutter zugutekommen soll, gerade deren 196 Vgl. zu Inhalt und Reichweite des Mutterschutzes oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, A., S. 165 ff. 197 Auch die Zuwanderung hat Auswirkungen auf den Fortbestand der Gesellschaft. In der Regel findet sie jedoch in zahlenmäßig geringerem Umfang statt; zudem handelt es sich dabei strenggenommen nicht um eine Reproduktion der Gesellschaft. Zum Schutz des Fortbestandes des Volkes durch Art. 6 Abs. 4 GG vgl. Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 6, Rn. 279. 198 Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 3, Rn. 101; Stern, Bd. IV/1, § 97 IV 1 b) b).

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2. Teil: Verfassungsrechtliches Gebot zur Einf. v. Mutterschutz/Elternzeit

geschlechtsbezogene Diskriminierung. Das Schutzsubjekt des einen Grundrechts ist also gleichzeitig – und gerade aufgrund dieses Schutzes – Verletzte im Sinne eines gleichrangigen Grundrechts. Dies widerspricht jedoch dem Sinn und Zweck des Mutterschutzgedankens des Art. 6 Abs. 4 GG, der die (werdende) Mutter gerade auch vor Nachteilen im Berufsleben bewahren will.199 Der von Art. 6 Abs. 4 GG bezweckte Schutz der Mutter darf sich nicht in sein Gegenteil verkehren, indem die Begünstigung gleichzeitig eine Benachteiligung der Begünstigten darstellt.200 Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber bei der Erfüllung des Schutzauftrages aus Art. 6 Abs. 4 GG auch mögliche faktische Diskriminierungen zu berücksichtigen, die von eigentlich zugunsten der Frauen gedachten Schutzgesetzen ausgehen können.201 Der Gefahr, dass sich die von ihm erlassenen Schutzvorschriften tatsächlich nachteilig auf die betreffenden Frauen auswirken können, muss der Gesetzgeber durch geeignete Regelungsmechanismen entgegenwirken.202 Vorliegend lassen sich die durch das Schutzgesetz – nämlich die Einführung obligatorischer Schutzfristen – bewirkten Nachteile für die betreffenden Frauen dadurch verhindern, dass anstelle des obligatorischen nur ein rein fakultativer Mutterschutz für Parlamentarierinnen geschaffen wird. Der vorliegend bezweckte prä- und postnatale Schutz weiblicher Abgeordneter und ihrer un- oder neugeborenen Kinder lässt sich also auch durch fakultative Schutzfristen erreichen. Wie bereits festgestellt, mag die Existenz verpflichtender Regelungen zwar eine höhere Gewähr dafür bieten, dass diese auch tatsächlich eingehalten werden, als dies bei freiwilligen Regelungen der Fall ist.203 Anders als eine Arbeitnehmerin in Bezug auf ihr Arbeitsverhältnis ist die Abgeordnete jedoch in der Gestaltung ihrer Mandatstätigkeit weitestgehend frei.204 Im Rahmen dieser Mandatsfreiheit kann ihr auch die Entscheidung darüber anvertraut werden, ob und in welchem Umfang sie kurz vor und nach der Geburt mandatsbezogenen Tätigkeiten nachgehen kann und will. Bemerkenswert erscheint in diesem Zusammenhang, dass pränatal auch schwangeren Arbeitnehmerinnen die Entscheidung obliegt, ob und wie lange sie vor der Geburt des Kindes weiterarbeiten wollen. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 MuSchG darf der Arbeitgeber eine schwangere Frau in den letzten sechs Wochen vor der Entbindung nämlich durchaus beschäftigen, soweit sie sich zur Arbeitsleistung ausdrücklich bereit erklärt. Obwohl das Mutterschutzgesetz neben dem Schutz der Mutter ja auch den Schutz des (ungeborenen) Kindes bezweckt, fällt 199 200 201 202 203 204

BVerfGE 88, 203, 259. Coester-Waltjen, in: von Münch/Kunig, Art. 6, Rn. 110 m.w. N. BVerfGE 109, 64, 90 mit Verweis auf BVerfGE 85, 191, 209. BVerfGE 109, 64, 90. Vgl. oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, A. VI. 2. b) bb) (2) (b), S. 188. Zur Mandatsfreiheit vgl. oben im ersten Teil, zweites Kapitel, C. III., S. 76 ff.

2. Kap.: Mutterschutz

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also vor der Geburt alleine die werdende Mutter die Entscheidung über die Inanspruchnahme der Schutzfrist. Dass die Gesetzgebung ihr zwar diese Entscheidung über die vorgeburtliche, nicht aber die Entscheidung über die nachgeburtliche entgeltliche Beschäftigung zugetraut hat, dürfte auf politischen Erwägungen beruhen. In der Gesundheit des Kindes kann diese Unterscheidung bezüglich der Absolutheit prä- und postnataler Schutzpflichten jedenfalls nicht begründet sein: Denn während der Schwangerschaft hat die werdende Mutter die Auswirkungen bestimmter Tätigkeiten auf das noch ungeborene Kind wesentlich schlechter im Blick und unter Kontrolle als nach der Geburt auf das Neugeborene. Zudem ist das Neugeborene zwar sehr betreuungsbedürftig; es ist aber nicht darauf angewiesen, ausschließlich durch die Mutter betreut zu werden. Mit Ausnahme des (im Übrigen nicht von jeder Mutter praktizierten) Stillens ist auch die Betreuung durch den Vater oder dritte Personen möglich und widerspricht auch nicht zwangsläufig dem Kindeswohl in dieser nachgeburtlichen Phase. Demzufolge ist aus der Dispositionsmöglichkeit der Frau über die Inanspruchnahme der pränatalen Mutterschutzfrist zu schließen, dass die Gesetzgebung bei der Schaffung des § 3 MuSchG vorrangig die Belastung der Frau und allenfalls nachrangig die des Kindes im Blick hatte. Entsprechend begründet das Bundesverfassungsgericht die Entscheidung über die pränatale Berufstätigkeit auch mit dem Argument, es könne für Schwangere psychisch günstiger sein, sich durch die bisher ausgeübte Arbeit abzulenken.205 Zur psychischen Verfassung der Frau nach der Entbindung verhält sich das Gericht dagegen nicht. Ungeachtet der medizinischen Fragwürdigkeit dieser Begründung für die Freiwilligkeit der vorgeburtlichen Schutzfristen gilt indes Folgendes: Wenn man die Entscheidung über die eigene Gesundheit den Frauen vor der Geburt zutraut, dann müsste man sie ihnen konsequenterweise auch nach der Geburt zutrauen. Der Umstand, dass die Gesetzgebung dieses im Rahmen von Arbeitsverhältnissen unterlassen hat, entfaltet keine Bindungswirkung in Bezug auf noch zu schaffende Mutterschutzregelungen für Abgeordnete. Die körperlichen Einschränkungen der (werdenden) Mütter unterscheiden sich je nach Konstitution, äußeren Einflüssen und weiteren Umständen zum Teil deutlich. Ist eine Frau individuell nur wenig beeinträchtigt, so spricht nichts dagegen, an parlamentarischen Entscheidungen teilzunehmen. Es ist davon auszugehen, dass einer Frau, der von einer großen Anzahl an Bürgerinnen und Bürgern zugetraut wurde, sie im Parlament zu vertreten, auch die Entscheidung darüber zuzutrauen ist, wann sie gesundheitlich in der Lage ist, parlamentarische Aufgaben wahrzunehmen. Dementsprechend besteht kein überzeugender verfassungsrechtlicher Grund, den betreffenden Abgeordneten die postnatale Wahrnehmung der ihnen aus dem Mandat erwachsenden Aufgaben zu untersagen. Der Mutterschutzgedanke des 205

BVerfGE 115, 259, 273 m.w. N.

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2. Teil: Verfassungsrechtliches Gebot zur Einf. v. Mutterschutz/Elternzeit

Art. 6 Abs. 4 GG rechtfertigt daher nicht die aus der Einführung obligatorischer Mutterschutzfristen resultierende geschlechtsbezogene Benachteiligung weiblicher Abgeordneter. Andere Optionen einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung der geschlechtsbezogenen Diskriminierung sind nicht ersichtlich. d) Zwischenergebnis zu obligatorischen Schutzfristen Der Einführung obligatorischer Mutterschutzfristen stehen daher in verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigender Weise andere Verfassungsgüter entgegen. Demzufolge ist sie verfassungsrechtlich unzulässig und damit konsequenterweise erst recht nicht geboten. VII. Ergebnis zu Art. 6 Abs. 4 GG Der grundgesetzlich garantierte Anspruch jeder Mutter auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft gebietet der Gesetzgebung die Einführung fakultativer prä- und postnataler Mutterschutzfristen für Parlamentarierinnen. Die Einführung obligatorischer Mutterschutzfristen würde indes in verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigender Weise mit anderen Rechtsgütern von Verfassungsrang kollidieren und wäre daher nicht nur nicht geboten, sondern bereits unzulässig. Aus Art. 6 Abs. 4 GG resultiert also ein verfassungsrechtliches Gebot zur Einführung rein fakultativer Mutterschutzfristen für Abgeordnete.

B. Elternrecht, Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG Darüber hinaus könnte sich auch aus dem verfassungsrechtlich garantierten Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG eine Verpflichtung des Staates zur Schaffung von Mutterschutzregeln für Parlamentarierinnen ergeben. Nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG sind Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Der Schutzbereich dieses Grundrechts206 umfasst insbesondere die freie Entscheidung über die Pflege – also die Sorge für das körperliche Wohl und die geistige Entwicklung – und die freie Entscheidung über die Erziehung – also die Vermittlung von Wissen und Wertorientierung – des Kindes.207 Grundrechtsträger sind 206 Brosius-Gersdorf, in: Dreier, Art. 6, Rn. 141; Coester-Waltjen, in: von Münch/Kunig, Art. 6, Rn. 61; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 6, Rn. 40. 207 Brosius-Gersdorf, in: Dreier, Art. 6, Rn. 158 f.; Burgi, in: Merten/Papier, Bd. IV, § 109, Rn. 23 f.; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 6, Rn. 42; ähnlich Badura, in: Maunz/ Dürig, Art. 6, Rn. 107.

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die Eltern, wobei dies sowohl für die leiblichen als auch für die rechtlichen Eltern des Kindes gilt.208 Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG ordnet das Elternrecht den Eltern, also zwei Personen gemeinsam zu; gleichwohl gebührt es jedem einzelnen Elternteil für sich.209 Dabei gehört es zum grundrechtlich geschützten Verantwortungsbereich der Eltern, die Rechte ihres Kindes sowohl dem Staat als auch Dritten gegenüber zu schützen.210 Hieraus könnte sich die Verpflichtung des Gesetzgebers ergeben, Müttern im Sinne der Wahrnehmung ihres Elternrechts vor- und bzw. oder nachgeburtliche Mutterschutzfristen zu gewähren. I. Vorgeburtlicher Mutterschutz Die im Elternrecht wurzelnden Befugnisse beginnen ab der Zeugung und gelten – in abnehmendem Umfang – grundsätzlich bis zur Volljährigkeit des Kindes.211 Zwar ist der Nasciturus einer Erziehung noch nicht zugänglich; die körperliche Sorge für das ungeborene Kind kann jedoch bereits pränatal ausgeübt werden. Zu denken ist hierbei etwa an die Fälle, in denen über eine medizinische Untersuchung oder Behandlung des Ungeborenen im Mutterleib zu entscheiden ist: Diese Entscheidung obliegt naturgemäß den Eltern; sie ist daher von dem durch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG gewährten elterlichen Recht zur Pflege des Kindes gedeckt. Wie bereits festgestellt, kann die Nichtexistenz jeglicher Schwangerenschutzvorschriften sich sowohl auf die Schwangere selbst als auch auf das ungeborene Kind physisch und psychisch nachteilig auswirken.212 Aufgrund des sich aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG ergebenden Vorrangs der Eltern auch bei der Sorge um das körperliche Wohl ihres Kindes213 obliegt diesen nicht nur die Pflicht, sondern auch das Recht, bereits während der Schwangerschaft schädliche Einflüsse auf das Ungeborene zu verhindern. Dieses Recht ist auch nicht bereits vollständig durch den verfassungsrechtlichen Mutterschutz des Art. 6 Abs. 4 GG abgedeckt. Denn während dieser gerade auf den vor- und nachgeburtlichen Schutz der Mutter abzielt, schützt Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG das Recht beider Elternteile auf die körperliche Sorge für das Kind; also auch das Recht des werdenden Vaters. Dass das Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG auch das Recht auf die vorgeburtliche Sorge gewährt, ergibt sich auch aus dem Umkehrschluss der vorge208

BVerfGE 92, 158, 177; 108, 82, 100. BVerfGE 92, 158, 177 f.; Brosius-Gersdorf, in: Dreier, Art. 6, Rn. 146; Burghart, in: Leibholz/Rinck, Art. 6, Rn. 556; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 6, Rn. 46 und 51. 210 Brosius-Gersdorf, in: Dreier, Art. 6, Rn. 164; Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/ Hofmann/Henneke, Art. 6, Rn. 44. 211 Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 6, Rn. 44; Robbers, in: von Mangoldt/Klein/ Starck, Art. 6, Rn. 155 ff.; a. A. Coester-Waltjen, in: von Münch/Kunig, Art. 6, Rn. 68. 212 Vgl. oben im ersten Teil, fünftes Kapitel, B. I. 1. a) aa), S. 130. 213 Burghart, in: Leibholz/Rinck, Art. 6, Rn. 571. 209

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burtlichen Inpflichtnahme der Eltern. Im Falle einer vorgeburtlichen Gefährdung des Kindeswohls durch die Mutter entspricht es der gängigen Praxis, dass das Gericht Maßnahmen nach § 1666 BGB trifft, der werdenden Mutter erforderlichenfalls gemäß § 1896 BGB einen Betreuer bestellt oder sie gegebenenfalls sogar nach dem jeweiligen Landesgesetz über die Unterbringung psychisch kranker Menschen geschlossen unterbringt.214 Wenn der Staat in diesen Fällen anstelle der Eltern unter Einschränkung persönlicher Rechte der Mutter zum Wohle des Kindes eingreifend handeln darf, dann muss den Eltern aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG spiegelbildlich auch ein entsprechendes Recht zugestanden werden, für den vorgeburtlichen Schutz des ungeborenen Kindes zu sorgen. Denn der klare Wortlaut des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG postuliert eben nicht nur eine Elternpflicht, sondern auch – und sogar in erster Linie – ein Elternrecht. Dieses Elternrecht steht den Eltern als Abwehrrecht gegen den Staat im Übrigen nicht nur in ihrer Eigenschaft als Wahrende der Kindesrechte, sondern auch um ihrer selbst Willen zu.215 Über das Abwehrrecht hinaus enthält Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG auch eine Schutz- und Förderpflicht des Staates zugunsten der Familie.216 Hieraus wird unter anderem die Aufgabe des Staates abgeleitet, die Pflege und Erziehungstätigkeit der Eltern durch wirtschaftliche Maßnahmen zu unterstützen und zu fördern.217 Wenn jedoch bereits eine wirtschaftliche Unterstützung der elterlichen Pflege verfassungsrechtlich geboten ist, so muss dies erst recht für die wesentlich grundlegendere Sorge um das gesundheitliche Wohl des Kindes gelten. Aus dem Schutz- und Förderauftrag des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG folgt demnach auch eine Pflicht des Staates, die Eltern bei der elementaren Sorge um das körperliche Wohlergehen des Kindes zu unterstützen. Zwar lassen sich aus diesem allgemeinen verfassungsrechtlichen Gebot keine konkreten Ansprüche auf bestimmte staatliche Leistungen herleiten.218 Dem Gesetzgeber steht es vielmehr frei zu entscheiden, auf welche Weise er den ihm aufgetragenen Schutz verwirklichen will; gleichwohl ist er im Rahmen seines gesetzgeberischen Spielraums gehalten, seinem Unterstützungsauftrag nachzukommen.219 Für die vorgeburtliche Sorge der Eltern um das leibliche Wohl ihres ungeborenen Kindes bedeutet dies, dass der Staat diesbezüglich wenigstens das gesundheitlich erforderliche Maß an Schutz gewährleisten muss. Dem ist er in Bezug auf die dem Mutterschutzgesetz unterfallenden Personen (und ihre Kinder 214 Vgl. auch eingehend Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Art. 6, Rn. 46. 215 Coester-Waltjen, in: von Münch/Kunig, Art. 6, Rn. 78. 216 BVerfGE 130, 240, 252 m.w. N.; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 6, Rn. 52. 217 BVerfGE 130, 240, 252; ähnlich Steiner, in: Merten/Papier, Bd. IV, § 108, Rn. 44. 218 BVerfGE 107, 205, 213; 110, 412, 445; 130, 240, 252. 219 BVerfGE 107, 205, 213.

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sowie die dazugehörigen Väter) mit dem nach diesem Gesetz geltenden Schutz nachgekommen. Für Abgeordnete gilt das Mutterschutzgesetz indes nicht; einem Großteil von ihnen kommt keinerlei Mutterschutz zu, so dass ein gesundheitlicher Schutz von Mutter und Kind nicht in jedem Fall gewährleistet ist. Aus dem Schutz- und Förderauftrag des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG ergibt sich daher auch das grundsätzliche Gebot der Einführung von vorgeburtlichen Mutterschutzregelungen für Abgeordnete. Damit wird dem berechtigten Interesse beider Elternteile am Schutz der körperlichen Unversehrtheit des im Mutterleib heranwachsenden Kindes Sorge getragen. Die konkrete Ausgestaltung der Regelungen obliegt dem Gesetzgeber. II. Nachgeburtlicher Mutterschutz Auch unmittelbar nach der Geburt steht die Erziehung des Neugeborenen noch nicht im Vordergrund; gleichzeitig sind die Eltern jedoch umso mehr bei der Pflege des Kindes gefordert. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG begründet eine umfassende Verantwortung von Mutter und Vater für die Entwicklung des Kindes, die es zu einem verantwortlichen Leben in dieser Gesellschaft befähigt.220 Diese Elternpflicht des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG stellt eine höchstpersönliche Verantwortung der Eltern dar, die gleichwohl nicht zwingend ausschließlich von ihnen selbst in eigener Person wahrgenommen werden muss.221 Vor dem Hintergrund der Erwägung, dass die Interessen eines Kindes am besten durch dessen Eltern wahrgenommen werden können,222 obliegt es diesen, die Pflege und Erziehung des Kindes nach ihren eigenen Vorstellungen zu gestalten.223 Dabei steht es ihnen frei zu entscheiden, ob und in welchem Lebensalter ihr Kind von ihnen gemeinsam, von einem der beiden Elternteile allein oder abwechselnd oder aber teilweise oder ausschließlich von Dritten betreut werden soll.224 In Zeiten hoher Fremdbetreuungsquoten von Kleinkindern mag daraus zumeist das Recht abgeleitet werden, das Kind durch Dritte betreuen zu lassen.225 Es ergibt sich jedoch ein mindestens ebenso starkes – wenn nicht aufgrund des hohen Stellenwertes, den Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG der Eltern-Kind-Beziehung beimisst, noch stärkeres – Recht der Eltern, ihr Kind selbst zu betreuen.

220

BVerfGE 99, 216, 231 m.w. N.; 80, 81, 91. BVerfGE 99, 216, 231. 222 BVerfGE 72, 122, 139 f. 223 BVerfGE 24, 119, 143; 47, 46, 69 f.; Brosius-Gersdorf, in: Dreier, Art. 6, Rn. 155 f. 224 BVerfGE 99, 216, 231 f.; 105, 1, 10 f., die diese Entscheidungsfreiheit indes aus Art. 6 Abs. 1 GG bzw. aus Art. 6 Abs. 1 i.V. m. Art. 3 Abs. 2 GG herleiten; ähnlich Brosius-Gersdorf, in: Dreier, Art. 6, Rn. 156. 225 So etwa BVerfGE 99, 216, 231 f. und 234. 221

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Dabei gilt Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG für alle Eltern, also auch für Abgeordnete. Zwar können Abgeordnete ihre Tätigkeit im Wesentlichen frei einteilen und nach eigenem Ermessen auch stark einschränken – was weiblichen Abgeordneten die grundsätzliche Möglichkeit eröffnet, nach der Geburt eines Kindes aufgrund eigenen Entschlusses die politischen Aktivitäten für einige Wochen auszusetzen. Wie bereits ausgeführt, können ihnen im Falle des eigenmächtigen Fernbleibens von der parlamentarischen Arbeit jedoch gravierende politisch-berufliche Nachteile drohen, die sich im Einzelfall sogar nachhaltig negativ auf ihre berufliche Existenz auswirken können.226 Gleichwohl kann aus dem Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG keine Verpflichtung des Gesetzgebers auf Einrichtung postnatalen Mutterschutzes für Abgeordnete hergeleitet werden. Denn obschon Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG eine Schutz- und Förderpflicht des Staates zugunsten der Familie enthält,227 folgt hieraus nicht zwangsläufig der Schluss, dass gerade der Mutter nach der Geburt eine Schonzeit gewährt werden muss. Soweit es um die reine Pflege des neugeborenen Kindes geht, kann diese – mit Ausnahme des Stillens – auch durch den Vater oder eine dritte Person wahrgenommen werden. Es ist demnach – soweit allein die Pflege des Kindes im Fokus steht – auch denkbar, dass die Mutter ihren parlamentarischen Obliegenheiten größtenteils nachkommt, während sich eine weitere Person mit dem Neugeborenen in Reichweite aufhält, so dass die Abgeordnete das Kind zwischendurch nach Bedarf stillen kann – sofern überhaupt gestillt wird. Insoweit unterscheidet sich die nachgeburtliche von der vorgeburtlichen Phase, in der insbesondere der Vater des Kindes das ihm zustehende Elternrecht auf Schutz des Ungeborenen vor negativen Auswirkungen durch mütterliche Überbeanspruchung ausschließlich über den Umweg des Schutzes der Mutter geltend machen kann. Diese Einflussmöglichkeit des Vaters ändert sich naturgemäß durch die Geburt. Ab dem Zeitpunkt der Geburt kann er – ebenso wie die Mutter – die Pflege und Erziehung des Kindes unmittelbar wahrnehmen. Der Abschirmung der Mutter vor gesundheitlichen Gefahren bedarf es dazu nicht. Das nachgeburtliche Elternrecht kann also auch ohne die Einräumung eines postnatalen Mutterschutzes ausgeübt werden. Geht es jedoch nicht ausschließlich um die Pflege des Kindes, sondern (sinnvollerweise) auch um die körperliche und seelische Integrität der Mutter, so wird diese nicht durch das Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, sondern durch den verfassungsrechtlichen Mutterschutz des Art. 6 Abs. 4 GG gewährleistet. Der durch postnatale Schutzfristen bezweckte Schutz nicht nur des Kindes, sondern auch der Mutter und gegebenenfalls auch der Mutter-Kind-Beziehung wird demnach nicht vollumfänglich von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, sondern in seiner Gesamtheit nur von Art. 6 Abs. 4 GG umfasst. 226 227

Vgl. oben im ersten Teil, fünftes Kapitel, B. I. 1. b), S. 133 ff. BVerfGE 130, 240, 252 m.w. N.; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 6, Rn. 52.

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Aus dem Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 GG erwächst daher keine Pflicht des Staates auf Schaffung nachgeburtlicher Mutterschutzfristen für Abgeordnete. III. Kollidierendes Verfassungsrecht/fakultativer oder obligatorischer pränataler Schutz Hinsichtlich der Frage, ob der nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG zu schaffende vorgeburtliche Mutterschutz für Abgeordnete fakultativer oder obligatorischer Natur sein darf bzw. soll, gelten die zu Art. 6 Abs. 4 GG ausgeführten Erwägungen entsprechend.228 Der Umstand, dass die an den Staat gerichtete Verpflichtung zur Schaffung von Mutterschutzregelungen neben Art. 6 Abs. 4 GG auch aus Art. 6 Abs. 2 GG resultiert, ändert nichts an den möglichen Kollisionen mit anderweitigem Verfassungsrecht. Demzufolge ist ausschließlich die Schaffung fakultativer Mutterschutzregelungen für Abgeordnete geboten. Die Einführung obligatorischer parlamentarischer Mutterschutzfristen würde indes – wie bereits festgestellt – in verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigender Weise mit dem Verbot geschlechtsbezogener Diskriminierung aus Art. 3 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 GG sowie mit dem aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG hergeleiteten Grundsatz des freien Mandats und mit Teilhaberechten der Abgeordneten kollidieren und wäre daher unzulässig.229 IV. Ergebnis zu Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG Das durch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG gewährte Elternrecht gebietet der Gesetzgebung also, fakultative vorgeburtliche Mutterschutzregelungen für Abgeordnete zu treffen.

C. Gebot der Gleichberechtigung, Art. 3 Abs. 2 GG I. Staatliche Verpflichtung Darüber hinaus könnte sich auch aus dem in Art. 3 Abs. 2 GG normierten Grundrecht auf Gleichberechtigung der Geschlechter ein an die Gesetzgebung gerichtetes Gebot zur Einführung von Mutterschutzregeln für Abgeordnete ergeben. Der über das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 GG hinausreichende Gehalt des Art. 3 Abs. 2 GG besteht darin, dass er ein in die Zukunft gerichtetes Gleichberechtigungsgebot aufstellt und damit auf die Angleichung der Lebensverhältnisse von Männern und Frauen abzielt.230 So beinhaltet 228

Vgl. oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, A. VI., S. 173 ff. Vgl. oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, A. VI. 2., S. 183 ff. 230 BVerfGE 15, 337, 345; 85, 191, 207; 92, 91, 109; Krieger, in: Schmidt-Bleibtreu/ Hofmann/Henneke, Art. 3, Rn. 66. 229

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2. Teil: Verfassungsrechtliches Gebot zur Einf. v. Mutterschutz/Elternzeit

das Gebot der Gleichberechtigung auch das Postulat gleicher Erwerbschancen für beide Geschlechter.231 Wie bereits dargelegt, stehen weibliche Abgeordnete vor der besonderen Situation, dass von ihnen grundsätzlich auch während der Schwangerschaft sowie kurz nach der Geburt eines Kindes ungeachtet ihres Gesundheitszustandes erwartet wird, ihren aus dem Amt resultierenden Aufgaben nachzukommen und beispielsweise an Parlamentssitzungen teilzunehmen. Geben sie jedoch dieser Anforderung nach und nehmen weiterhin an der parlamentarischen Arbeit teil, drohen ihnen und ihrem un- bzw. neugeborenen Kind unter Umständen gesundheitliche Schäden. Nehmen sie selbstverantwortet nicht daran teil, drohen ihnen unter Umständen finanzielle sowie politisch-berufliche Nachteile.232 Insoweit besteht ein Unterschied zu ihren männlichen Kollegen, die sich schon aus naturbedingten Gründen nicht in einer vergleichbaren Situation befinden können, so dass ihnen auch keine entsprechenden Nachteile drohen. Dies stellt keine Ungleichbehandlung durch den Staat dar, sondern beruht auf dem rein körperlichen Umstand der mangelnden Gebärfähigkeit der Männer. Gleichwohl könnte sich aus dem Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 2 GG die Pflicht des Gesetzgebers ergeben, die schwangerschafts- und geburtsbedingten Nachteile der Parlamentarierinnen durch geeignete Mutterschutzregelungen auszugleichen. Die Entstehungsgeschichte weist den Satz 2 des Art. 3 Abs. 2 GG als Staatsziel aus, das das Diskriminierungsverbot des Satzes 1 um einen verbindlichen Verfassungsauftrag zur tatsächlichen Durchsetzung der Gleichberechtigung ergänzt und damit in seinem Wirkungsgrad intensiviert.233 Hieraus, wie auch aus dem unmissverständlichen Wortlaut des Satzes 2, ergibt sich die Verpflichtung des Staates, die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu fördern und darüber hinaus auch auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinzuwirken. Dieser letztgenannte Kompensationsauftrag erstreckt sich auf sämtliche Bereiche und gebietet den Ausgleich von höheren Belastungen, die allein ein Geschlecht betreffen.234 Damit konkretisiert Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG das Postulat, nach dem faktische Nachteile, die typischerweise Frauen betreffen, wegen des Gleichberechtigungsgebots durch begünstigende Regelungen auszugleichen sind.235 Der Staat wird dadurch verpflichtet, aktiv in das Er-

231

BVerfGE 6, 55, 82; 85, 191, 207. Vgl. oben im ersten Teil, fünftes Kapitel, B. I., S. 129 ff. 233 Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission (GVK) vom 5. November 1993, BT-Drs. 12/6000, S. 50; Langenfeld, in: Maunz/Dürig, Art. 3 Abs. 2, Rn. 56. 234 Bericht der GVK vom 5. November 1993, BT-Drs. 12/6000, S. 50; Langenfeld, in: Maunz/Dürig, Art. 3 Abs. 2, Rn. 59. 235 BVerfGE 85, 191, 207, Bericht der GVK vom 5. November 1993, BT-Drs. 12/ 6000, S. 50. 232

2. Kap.: Mutterschutz

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werbsleben einzugreifen und auf die Herstellung der Gleichberechtigung der Geschlechter hinzuwirken.236 Hieraus ergibt sich ein an den Staat gerichtetes Gebot, Nachteile, die aus der Reproduktionsaufgabe der Frau in Verbindung mit deren Tätigkeit als Abgeordneter erwachsen, zu beseitigen. Das Austragen und die Geburt von Kindern stellen Umstände dar, die allein Frauen betreffen. Sie dienen auch nicht lediglich der Verwirklichung eigener Lebensziele der Frauen, sondern leisten in jedem einzelnen Fall einen im Ganzen unabdingbaren Beitrag zum Fortbestand der Gesellschaft und sind somit in höchstem Maße staatlich und gesellschaftlich förderungswürdig.237 Anerkannt ist die staatliche Pflicht zur Nachteilsverhütung bereits im Bereich der Kindeserziehung: Vor dem Hintergrund der insbesondere für Frauen fortbestehenden Schwierigkeit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf besteht hier weitgehender Konsens über die Verpflichtung des Staates sicherzustellen, dass die Wahrnehmung der familiären Erziehungsaufgabe nicht zu beruflichen Benachteiligungen führt.238 Besteht diese Staatspflicht jedoch bereits für die Erziehung, so muss sie sich erst recht auf die der Erziehung vorgelagerte und diese notwendigerweise bedingende Aufgabe des Austragens und Gebärens von Kindern beziehen. Dies gilt umso mehr, als Schwangerschaft und Geburt im Gegensatz zur Kindeserziehung – die auch durch den Vater oder Dritte wahrgenommen werden kann – ausschließlich durch Frauen als Mütter erfolgen. Darüber hinaus wurde bereits auf die Gefahr hingewiesen, dass politisch engagierte junge Frauen angesichts der Perspektive fehlender Mutterschutzmöglichkeiten für Abgeordnete bereits im Vorhinein von einer Kandidatur um ein Parlamentsmandat absehen.239 In diesem Fall verzichtet die betreffende Frau – zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt – zugunsten von Kind und Familie – auf eine Parlamentskarriere. Ein gleichaltriger Mann in einer vergleichbaren Situation ist hingegen von derlei Beeinträchtigungen durch Schwangerschaft und Geburt nicht unmittelbar selbst betroffen und würde zwangsläufig auch nicht aufgrund fehlender Mutterschutzregelungen auf eine Kandidatur verzichten. Selbst bei einer Jahre später dennoch erfolgenden positiven Entscheidung der Frau für eine Kandidatur hat sie durch die Verzögerung unter Umständen gegenüber einem gleichaltrigen Mann bereits Karriereschritte verpasst, die im Nachhinein nur schwer oder möglicherweise auch gar nicht mehr aufholbar sind. Im Klartext heißt dies, dass Frauen Aufstiegschancen zugunsten der Geburt eines Kindes absichtlich ungenutzt verstreichen lassen könnten. 236

Brosius-Gersdorf, Demografischer Wandel, S. 712 f. Ähnlich BVerfGE 88, 203, 259 f. 238 BVerfGE 88, 203, 260; 97, 332, 348 m.w. N.; Langenfeld, in: Maunz/Dürig, Art. 3 Abs. 2, Rn. 62. 239 Vgl. oben im ersten Teil, fünftes Kapitel, B. I. 1. c), S. 139. 237

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2. Teil: Verfassungsrechtliches Gebot zur Einf. v. Mutterschutz/Elternzeit

Dieser für Frauen nachteilige Effekt des politischen Karriereverzichtes aufgrund fehlenden Mutterschutzes kann sich durch seine Außenwirkung noch verstärken und auf andere Frauen erstrecken: Denn wenn sich in den Parteien der Eindruck verfestigt, dass politisch erfolgreiche Frauen eine politische Karriere im Hinblick auf eine mögliche Familienplanung wegen fehlenden Mutterschutzes für sich ausschließen, ziehen Parteiverantwortliche in Findungskommissionen und vergleichbaren für die Personalentwicklung zuständigen Gremien möglicherweise junge Frauen generell weniger häufig für zu besetzende Kandidaturen und ähnliche Positionen in Betracht. Das Fehlen eines Mutterschutzes für Abgeordnete hat daher negative Steuerungswirkungen auf die beruflich-politischen Entwicklungsmöglichkeiten für Frauen.240 Diese Nachteile hat der Staat nach Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG auszugleichen. Ihm obliegt es daher, dem Gleichstellungsgebot des Art. 3 Abs. 2 GG durch die Einführung von Mutterschutzfristen für Parlamentarierinnen Geltung zu verschaffen. II. Kollidierendes Verfassungsrecht/fakultativer oder obligatorischer prä- oder postnataler Schutz Hinsichtlich der Kollision der Einführung von Mutterschutzfristen für Abgeordnete mit anderweitigem Verfassungsrecht gelten die im Rahmen der Ausführungen zum verfassungsrechtlichen Mutterschutz des Art. 6 Abs. 4 GG vollzogenen Erwägungen hier sinngemäß.241 Es ist daher auch in diesem Zusammenhang eine Unterscheidung in freiwillige und verpflichtende Mutterschutzfristen vorzunehmen: Die Einführung obligatorischer Mutterschutzfristen kollidiert in verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigender Weise mit anderen Rechtsgütern von Verfassungsrang; die Einführung fakultativer Mutterschutzfristen für Parlamentarierinnen ist hingegen verfassungsrechtlich zulässig.242 Anders als in Bezug auf das Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG ist hier jedoch keine Differenzierung zwischen pränatalen und postnatalen Schutzfristen erforderlich. Denn das Elternrecht hat in diesem Zusammenhang einen anderen Bezugspunkt: Während das Recht aus Art. 6 Abs. 2 GG auch das Recht des (werdenden) Vaters umfasst und hier insbesondere die Sorge um das körperliche Wohl des un- bzw. neugeborenen Kindes in den Fokus nimmt, schützt das Gebot der Gleichberechtigung der Geschlechter aus Art. 3 Abs. 2 GG die betreffende Parlamentarierin selbst als Person. Die ihr möglicherweise aufgrund des fehlenden Mutterschutzes drohenden Nachteile entstehen sowohl in der pränatalen als auch in der postnatalen Phase, so dass sich der der tatsächlichen Durchsetzung 240 Zu einem entsprechenden Ergebnis hinsichtlich des fehlenden Mutterschutzes für GmbH-Geschäftsführerinnen kommt Hepp, Mutterschutz, S. 191. 241 Vgl. oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, A. VI., S. 173 ff. 242 Vgl. oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, A. VI. 1 und 2., S. 173 ff. und 183 ff.

2. Kap.: Mutterschutz

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der Gleichberechtigung von Frauen und Männern dienende Kompensationsauftrag auf die gesamte Phase der Schwangerschaft und auf die ersten Wochen nach der Geburt des Kindes erstreckt. III. Ergebnis zu Art. 3 Abs. 2 GG Die staatliche Verpflichtung zur Förderung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern aus Art. 3 Abs. 2 GG gebietet dem Gesetzgeber daher die Einführung rein fakultativer vor- und nachgeburtlicher Mutterschutzregelungen für Abgeordnete.

D. Allgemeiner Gleichheitssatz, Art. 3 Abs. 1 GG Darüber hinaus könnte sich auch aus dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, der die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz garantiert, ein an die Gesetzgebung gerichtetes Gebot zur Einführung von Mutterschutzregelungen für Abgeordnete ergeben. Dieses allgemeine Gleichheitsgrundrecht soll die Gleichbehandlung von Personen in vergleichbaren Sachverhalten gewährleisten; es enthält damit einen Fundamentalsatz der Gerechtigkeit.243 Das aus Art. 3 Abs. 1 GG resultierende Gebot, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln, gilt dabei nicht nur für ungleiche Belastungen, sondern auch für ungleiche Begünstigungen.244 Unzulässig ist es daher auch, einer bestimmten Personengruppe eine Begünstigung zu gewähren, einer vergleichbaren anderen Personengruppe diese Begünstigung jedoch vorzuenthalten.245 I. Verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verbietet dem Gesetzgeber indes nicht jede Differenzierung: Das Gleichheitsgrundrecht ist nur dann verletzt, wenn der Staat eine Gruppe von Normadressaten anders als eine andere behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von einer solchen Art und einem solchen Gewicht bestehen, dass dadurch die ungleiche Behandlung gerechtfertigt wäre.246 Verfassungsrechtlich relevant ist eine unterschiedliche Behandlung dementsprechend nur dann, wenn sie eine Ungleichbehandlung von „wesentlich Gleichem“ 247 darstellt. Auch eine solche kann indes durch Sachgründe gerechtfertigt sein, die dem Ziel und dem Ausmaß der Differenzierung angemessen sind.248 243

Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 3, Rn. 1. BVerfGE 110, 412, 431; 121, 108, 119; 132, 179, 188. 245 BVerfGE 110, 412, 431; 121, 108, 119; 132, 179, 188; Burghart, in: Leibholz/ Rinck, Art. 3, Rn. 71. 246 St. Rspr. des BVerfG, vgl. BVerfGE 107, 27, 46; 117, 316, 325 m.w. N. 247 St. Rspr. des BVerfG, vgl. BVerfGE 1, 14, 52; 98, 365, 385; 110, 412, 431. 248 BVerfGE 132, 179, 188. 244

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2. Teil: Verfassungsrechtliches Gebot zur Einf. v. Mutterschutz/Elternzeit

Anders als im Rahmen der Überlegungen zum verfassungsrechtlichen Gebot aus Art. 6 Abs. 4 GG ergibt sich die Ungleichbehandlung hier nicht aus einem Vergleich der unterschiedlichen Abgeordnetengruppen, sondern aus einem Vergleich der verschiedenen Müttergruppen je nach beruflicher Tätigkeit. Gemeinsamer Oberbegriff ist dabei der der Mütter, die einer beruflichen Beschäftigung oder vergleichbaren Tätigkeit nachgehen. Im Hinblick auf die hohen zeitlichen und persönlichen Anforderungen, die ein Mandat an das jeweilige Parlamentsmitglied stellt, sowie angesichts des Umfangs und der Art ihrer Tätigkeit, wird man – wie bereits erläutert –249 die Wahrnehmung des Parlamentsmandats im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts250 als berufliche Tätigkeit verorten können. Die Tätigkeit der Abgeordneten ist demnach ebenso als „Beschäftigung oder sonstige Tätigkeit“ 251 zu klassifizieren wie die in § 1 MuschG aufgeführten Rechtsverhältnisse. Dadurch, dass das Mutterschutzgesetz auf Abgeordnete keine Anwendung findet, werden also zwei Gruppen im weitesten Sinne berufstätiger Mütter unterschiedlich behandelt: Abgeordnete auf der einen Seite und die dem Mutterschutzgesetz unterfallenden Frauen auf der anderen Seite. Es stellt sich daher die Frage, ob zwischen den beiden Gruppen von Müttern Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen.252 Wie bereits einleitend dargestellt, war es das erklärte Ziel der aktuellen Reform des Mutterschutzgesetzes, für alle Frauen – unabhängig von ihrer Berufsgruppe – ein ausreichendes einheitliches Gesundheitsschutzniveau in der Schwangerschaft, nach der der Entbindung sowie während der Stillzeit sicherzustellen.253 Mit der Exklusion von Abgeordneten (und im Übrigen auch Selbständigen) hat die Gesetzgebung dieses Ziel verfehlt. Es wurde jedoch bereits festgestellt, dass sich das Schutzbedürfnis schwangerer Abgeordneter oder weiblicher Abgeordneter kurz nach der Geburt eines Kindes nicht grundlegend von dem entsprechenden Schutzbedürfnis abhängig Beschäftigter, Auszubildender, Studentinnen oder Praktikantinnen in der gleichen medizinischen Situation unterscheidet.254 Trotz der den Abgeordneten durch Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG gewährten Mandatsfreiheit können diese es sich – sofern sie anstreben, dem Parlament noch für längere Zeit anzugehören und gegebenenfalls politisch aufzusteigen – faktisch nicht erlauben, dem politischen Betrieb für rund 249

Vgl. oben im ersten Teil, zweites Kapitel, B., S. 71 ff. BVerfGE 32, 157, 164; 40, 296, 311 und 314; 118, 277, 325; vgl. auch Wiefelspütz, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, § 12, Rn. 37. 251 Vgl. § 1 Abs. 1 MuSchG. 252 Vgl. hierzu die st. Rspr. des BVerfG, vgl. BVerfGE 107, 27, 46; 117, 316, 325 m.w. N. 253 Vgl. oben in der Einleitung, A. I., S. 25; Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Mutterschutzrechts, BT-Drs. 18/8963, S. 1. 254 Vgl. oben im ersten Teil, fünftes Kapitel, B. I. 1. a), S. 129 ff. 250

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vierzehn Wochen255 eigenmächtig fernzubleiben.256 Wie bereits ausgeführt, ist eine mehrwöchige Auszeit im Zeitraum rund um die Geburt des Kindes in aller Regel nicht ohne gravierende beruflich-politische Nachteile bis hin zum Ende der berufspolitischen Laufbahn möglich. Gleichermaßen wurde jedoch festgestellt, dass eine ununterbrochene Weiterarbeit insbesondere in der Spätschwangerschaft und im Wochenbett jedoch die Gesundheit von Mutter und Kind gefährden kann.257 Ebenso wie für die dem persönlichen Geltungsbereich des Mutterschutzgesetzes unterstellten Frauen besteht mithin auch für Parlamentarierinnen das Bedürfnis, die berufliche Tätigkeit in dieser medizinischen Sondersituation einige Zeit lang auszusetzen, ohne berufliche Nachteile befürchten zu müssen. Die beiden Gruppen von Müttern sind also wesentlich gleich. Dabei werden die Mütter mit einem Parlamentsmandat gegenüber den dem Geltungsbereich des Mutterschutzgesetzes unterfallenden Müttern benachteiligt. Durch die Nichtgewährung gesetzlichen Mutterschutzes für Abgeordnete wird daher wesentlich Gleiches unterschiedlich behandelt, so dass eine verfassungsrechtlich relevante und somit rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung vorliegt. II. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung 1. Prüfungsumfang

Ob die Ungleichbehandlung der beiden Müttergruppen verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist, ist indes fraglich. Hinsichtlich der Anforderungen an den Umfang der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung nach Art. 3 Abs. 1 GG ist nach dem Regelungsgegenstand, den Unterscheidungsmerkmalen und der Intensität der Beeinträchtigung zu differenzieren.258 Hieraus ergeben sich unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zur strengen Bindung an die Erfordernisse der Verhältnismäßigkeit reichen.259 Die Ungleichbehandlung ist dabei als umso schwerwiegender zu betrachten, je mehr das Unterscheidungskriterium personen- und je weniger es sachbezogen ist, je mehr es einem der nach Art. 3 Abs. 3 GG verbotenen Kriterien ähnelt, je weniger die Betroffenen das Kriterium beeinflussen können und je mehr die Ungleichbehandlung den Gebrauch grundrechtlich geschützter Freiheiten erschwert.260

255

Vgl. dazu die Mutterschutzfristen des § 3 MuschG. Zu den Auswirkungen des eigenmächtigen Fernbleibens, auch zum Folgenden, vgl. oben im ersten Teil, fünftes Kapitel, B. I. 1. b), S. 133 ff. 257 Zu den gesundheitlichen Gefahren vgl. oben im ersten Teil, fünftes Kapitel, B. I. 1. a), S. 129 ff. 258 St. Rspr. d. BVerfG, vgl. BVerfGE 95, 267, 316 m.w. N. 259 St. Rspr. d. BVerfG, vgl. BVerfGE 107, 27, 45 m.w. N. 260 St. Rspr. d. BVerfG, vgl. BVerfGE 107, 27, 46 m.w. N.; Burghart, in: Leibholz/ Rinck, Art. 3, Rn. 71; Kingreen/Poscher, Rn. 530 f. 256

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a) Personenbezogenheit/Beeinflussbarkeit Unter dieser Prämisse ist festzustellen, dass die Ungleichbehandlung eher personen- als sachbezogen ist, denn es wird zwischen Abgeordneten und Nichtabgeordneten – jeweils in der Phase der Schwangerschaft oder kurz nach der Geburt eines Kindes – unterschieden. Dieses Unterscheidungskriterium kann von den Betroffenen auch nur bedingt beeinflusst werden. Zwar ist jedes Parlamentsmitglied frei darin, das Mandat niederzulegen. Jedoch würde das Erfordernis des Mandatsverzichts zum Eintritt in den persönlichen Geltungsbereich des Mutterschutzgesetzes die Abgeordneten in ihrer durch Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG gewährten Mandatsfreiheit berühren. Die Beeinflussung des Kriteriums ist also nur unter Inkaufnahme von Einschränkungen grundgesetzlich geschützter Werte erreichbar und somit nicht ohne Weiteres möglich. Dies gilt umso mehr, als die Ungleichbehandlung, die schließlich alle weiblichen Abgeordneten in der beschriebenen Lebenslage betrifft, zwar individuell, nicht aber grundsätzlich beeinflussbar ist: Selbst wenn eine einzelne schwangere Abgeordnete individuell entscheidet, zum Zwecke des Eintritts in den Geltungsbereich des Mutterschutzgesetzes auf das Mandat zu verzichten, so sind alle potentiell weiteren schwangeren und jüngst Mutter gewordenen Abgeordneten jedoch gleichwohl unvermindert von der Diskriminierung betroffen. Die einzelne Abgeordnete ist also zwar in der Lage, unter Aufgabe einer grundgesetzlich geschützten Position für sich persönlich die Gleichbehandlung zu erlangen. Die grundsätzliche Ungleichbehandlung der Abgeordneten auf der einen Seite und der dem Mutterschutzgesetz unterfallenden überwiegenden Mehrheit der Frauen auf der anderen Seite bleibt dabei jedoch unverändert bestehen. Im Übrigen ist festzustellen, dass, soweit man zur Beeinflussung des Kriteriums die Aufgabe des Mandats verlangt, nicht nur die grundgesetzlich geschützte Mandatsfreiheit der betroffenen Abgeordneten berührt ist, sondern auch die demokratischen Rechte des Parlaments als Ganzem. Denn die in Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG normierte Freiheit des Mandats schützt nicht das betreffende Parlamentsmitglied allein, sondern sogar zuvörderst das Parlament als Kollegialorgan: Die Wahrnehmung des Mandats beruht nicht allein auf der autonomen Individualfreiheit des Parlamentsmitgliedes, sondern dient letztlich der repräsentativen Demokratie.261 Dabei schützt die Mandatsfreiheit des Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG die Abgeordneten vor allem, das den Bestand des Mandats oder ihre freie Willensbildung beeinträchtigen könnte.262 Soweit die Beeinflussung des Unterscheidungskriteriums also den Mandatsverzicht voraussetzt, berührt die Ungleichbehandlung das Parlament als Ganzes bereits per se. 261

Ähnlich Kielmannsegg, Grundrechte, S. 454 f. Badura, in: Schneider/Zeh, § 15, Rn. 9; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 38, Rn. 47 f. 262

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Darüber hinaus kann sich zudem eine faktische Betroffenheit des Parlaments in Bezug auf seine Diversität ergeben: Wenn nämlich mehrere weibliche Abgeordnete im gebärfähigen Alter zur Eliminierung der Ungleichbehandlung auf das Mandat verzichten, kann sich die Parlamentszusammensetzung dahingehend ändern, dass jüngere Frauen dort (noch stärker als ohnehin) unterrepräsentiert sind. Dies läuft dem Idealbild pluralistischer Repräsentanz im Parlament zuwider.263 Diese zusätzliche Betroffenheit des Parlaments – bei gleichzeitiger Unbeeinflussbarkeit des Unterscheidungskriteriums – gehört zwar strenggenommen nicht zu den durch das Bundesverfassungsgericht statuierten Differenzierungsmerkmalen hinsichtlich des Prüfungsumfangs der Verhältnismäßigkeit. Gleichwohl ist festzustellen, dass die Auswirkungen der Diskriminierung in der hier gegenständlichen Konstellation über die grundrechtsberechtigte Person hinausreichen; dies dürfte die Prüfungsanforderungen zumindest nicht absenken. b) Ähnlichkeit zu den Kriterien des Art. 3 Abs. 3 GG Darüber hinaus ähnelt die Differenzierung zwischen Abgeordneten und NichtAbgeordneten dem nach Art. 3 Abs. 3 GG verbotenen Kriterium der Unterscheidung nach der politischen Anschauung. Durch diese Formalisierung des allgemeinen Gleichheitssatzes wird die politische Anschauung als Anknüpfungspunkt für Privilegierungen und Diskriminierungen ausgeschlossen.264 Der Inhalt des Abgeordnetenmandates besteht jedoch gerade darin, die eigenen politischen Ansichten in Realpolitik umzusetzen: Abgeordnete rekrutieren sich in aller Regel aus den Reihen der politisch aktivsten Mitglieder der Parteien und werden durch die Absicherung auf vorderen Listenplätzen oder durch die Wahl als Direktkandidatin bzw. Direktkandidat in ein Parlament gewählt. Die dortige parlamentarische Tätigkeit besteht in dem Versuch, die eigene politische Meinung – sowie die der eigenen Fraktion, die im Idealfall weitestgehend deckungsgleich sein dürfte – durch Parlamentsbeschlüsse in geltendes Recht umzuwandeln.265 Wenngleich das Parlamentsmitglied gemeinsam mit seinen Kolleginnen und Kollegen als Vertretung des Volkes agiert266 und sich in einem Verantwortungs- und Rechtfertigungszusammenhang267 zu den Wählenden befindet, im 263 Zu den Auswirkungen auf die Parlamente vgl. oben im ersten Teil, fünftes Kapitel, B. II. 2., S. 145 ff. 264 Leibholz/Rinck/Hesselberger, in: Leibholz/Rinck, Art. 3, Rn. 4061. 265 Vgl. zur Tätigkeit der Abgeordneten allgemein oben im ersten Teil, zweites Kapitel, S. 67 ff. 266 Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG, vgl. auch BVerfGE 44, 308, 315 f.; 56, 396, 405; 80, 188, 218; 102, 224, 237; Badura, in: Schneider/Zeh, § 15, Rn. 6; Grote, Verfassungsorganstreit, S. 164; Kielmannsegg, Grundrechte, S. 455; Wiefelspütz, in: Morlok/ Schliesky/Wiefelspütz, § 12, Rn. 7. 267 Trute, in: von Münch/Kunig, Art. 38, Rn. 73; ähnlich: Schmahl, in: Austermann/ Schmahl, Vor § 1, Rn. 5.

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Zuge dessen es gehalten ist, die Anliegen und Vorstellungen des Volkes entgegenzunehmen, abzuwägen und gegebenenfalls in den parlamentarischen Prozess einzubringen,268 so gibt das Parlamentsmitglied dennoch keine fremden Erklärungen ab, sondern vertritt seine eigenen Überzeugungen,269 handelt im eigenen Namen und in eigener Verantwortung.270 Gegenstand des parlamentarischen Handelns sind demnach also die politischen Überzeugungen der Abgeordneten, die diese zum Inhalt ihrer beruflichen Tätigkeit gemacht haben. Die Benachteiligung der werdenden oder jüngst gewordenen Mütter mit einem Parlamentsmandat gegenüber den dem Geltungsbereich des Mutterschutzgesetzes unterfallenden Müttern fällt dennoch nicht in den Schutzbereich des Art. 3 Abs. 3 GG. Denn hier werden allgemein alle Abgeordneten in der vorbezeichneten Lebenslage benachteiligt; eine Differenzierung nach der politischen Richtung findet indes nicht statt. Art. 3 Abs. 3 GG schützt jedoch nur vor Diskriminierungen und Privilegierungen, die inhaltlich an einer bestimmten politischen Anschauung anknüpfen; eine Regelung zu Lasten von Abgeordneten aller politischen Auffassungen unterfällt dem besonderen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 3 GG nicht.271 Eine direkte Anwendbarkeit des Art. 3 Abs. 3 GG ist daher ausgeschlossen. Eine solche erfordert die hier gegenständliche Festlegung des Umfangs der Verhältnismäßigkeitsprüfung jedoch auch gar nicht; vielmehr ist gerade lediglich eine Ähnlichkeit zu einem der durch Art. 3 Abs. 3 GG verbotenen Kriterien gefordert. Vor dem Hintergrund der oben geschilderten rein politischen Ausrichtung des Abgeordnetenmandates ist eine Ähnlichkeit zu dem verbotenen Kriterium der politischen Anschauung zu bejahen. Wenngleich die Diskriminierung vorliegend keine spezielle politische Ausrichtung betrifft, so richtet sie sich gleichwohl gegen diejenigen (weiblichen) Personen, die als Abgeordnete ihre politische Anschauung und ihr politisches Engagement zu ihrem Beruf und in der Regel auch zu ihrem Lebensmittelpunkt gemacht haben. Sie richtet sich also dagegen, Politik in einem Parlament zu betreiben. Eine Nähe dazu, eine bestimmte inhaltliche Politik zu vertreten, ist mithin gegeben. c) Erschwerung des Gebrauchs grundrechtlich geschützter Freiheiten Schließlich erschwert die Schlechterstellung der betreffenden Abgeordneten, die im Übrigen den besonderen grundrechtlichen Schutz des Art. 6 Abs. 4 GG 268

Ähnlich Grote, Verfassungsorganstreit, S. 161 f. Achterberg, in: JA 1983, 303; Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 38, Rn. 41; Wiefelspütz, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, § 12, Rn. 18. 270 Henke, in: DVBl. 1973, 553, 559; ähnlich: Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 38, Rn. 192. 271 Vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 3, Rn. 146 m.w. N. 269

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genießen, auch deren Gebrauch grundrechtlich geschützter Freiheiten – insbesondere die Wahrnehmung des Familien- und des Elternrechts aus Art. 6 Abs. 1 bzw. Abs. 2 Satz 1 GG. Insoweit wird auf die entsprechenden Ausführungen zu den vorbezeichneten Grundrechten verwiesen.272 d) Ergebnis zum Prüfungsumfang Die Ungleichbehandlung wiegt demnach schwer. Eine potentielle Rechtfertigung ist daher anhand einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung zu untersuchen. 2. Verhältnismäßigkeit

a) Verfassungsrechtlich legitimes Ziel der Ungleichbehandlung Wenn die Diskriminierung der Abgeordneten in der besonderen Lebenslage der Schwangerschaft und des Wochenbettes gerechtfertigt sein soll, muss sie zunächst einem durch die Verfassung legitimierten Ziel dienen.273 Bislang wurde die Einführung einer Mutterschutzregelung für Abgeordnete außerhalb von Baden-Württemberg und Bayern noch kaum im parlamentarischen Raum diskutiert;274 demnach ist davon auszugehen, dass die Nichtexistenz entsprechender Regelungen keinem speziellen Ziel dient, sondern ein rein absichtsloses Unterlassen darstellt. Würde man nach einem Ziel suchen, so könnte man es bei wohlwollender Betrachtung in dem im Demokratieprinzip im Sinne der Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG wurzelnden Erfordernis der Sicherung der Funktionsfähigkeit der Parlamente finden. Zwar ist vor dem Hintergrund der seit dem Bestehen des Parlamentarismus in Deutschland anhaltenden Unterrepräsentanz von jungen Frauen im parlamentarischen Raum275 nicht davon auszugehen, dass die Einführung von Mutterschutz für Abgeordnete die Beschlussfähigkeit der Parlamente ernsthaft gefährden würde. Denn eine solche Gefahr würde sich nur dann realisieren, wenn in einem oder mehreren Parlamenten jeweils mehr als die Hälfte der Abgeordneten nahezu zeitgleich schwanger werden und dementsprechend gleichzeitig Mutterschutz in Anspruch nehmen würde und das Parlament keinerlei Kompensationsmaßnahmen für das Fehlen der betreffenden Abge-

272

Vgl. oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, B., S. 196 ff. Zur Prüfungsanforderung des legitimen Ziels: BVerfGE 138, 136, 186; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 3, Rn. 22. 274 Vgl. zur baden-württembergischen Regelung oben im ersten Teil, erstes Kapitel, B., S. 52 ff. und zur Bayerischen Regelung oben im ersten Teil, erstes Kapitel, C., S. 57 ff. 275 Vgl. auch oben im ersten Teil, fünftes Kapitel, B. II. 1., S. 144 f. 273

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ordneten276 geregelt hätte. Angesichts des überschaubaren Mutterschutzzeitraums von wenigen Wochen vor und nach der Geburt – und erst recht vor dem Hintergrund der traditionellen wie auch aktuellen Zusammensetzung der Parlamente mit einem Altersdurchschnitt jenseits des gebärfähigen Alters der Frau –277 erscheint diese Konstellation geradezu abwegig. Gleichwohl ist eine entsprechende theoretische Gefahr bei vollkommen anderer Zusammensetzung der deutschen Parlamente denklogisch nicht mit Absolutheit auszuschließen. Die Nichtgewährung von Mutterschutz für Abgeordnete könnte also theoretisch diesem Ziel der Sicherung der Beschlussfähigkeit und damit auch der Funktionsfähigkeit der Parlamente dienen. Ein anderweitiges verfassungsmäßig legitimiertes Ziel, das mit der Schlechterstellung der weiblichen Abgeordneten verfolgt werden könnte, ist nicht zu erkennen. b) Hilfsweise: Geeignetheit Sofern hilfsweise unterstellt wird, dass der Ausschluss der Abgeordneten von der Gewährung gesetzlichen Mutterschutzes dem Ziel der Wahrung der Funktionsfähigkeit der Parlamente dient, so wäre dieser Ausschluss geeignet, um dieses gedachte Ziel zu erreichen: Zweifelsohne gewährleistet die Nichtgewährung von Mutterschutzzeiten für Parlamentarierinnen vor und nach der Geburt ihres Kindes eine höhere Anwesenheitsquote im Parlament. Sie ist damit dem unterstellten Ziel der Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Parlamente zuträglich – wenngleich dieser Effekt angesichts der beschriebenen tatsächlichen Zusammensetzung der deutschen Parlamente marginal sein dürfte. c) Hilfsweise: Erforderlichkeit Darüber hinaus müsste die Benachteiligung der Mütter im Parlament gegenüber der dem Mutterschutzgesetz unterstellten breiten Mehrheit der Mütter jedoch auch erforderlich sein, um das unterstellte Ziel der Sicherung der Funktionsfähigkeit der Parlamente zu erreichen; es dürfte also kein milderes, ebenso effektives Mittel geben.278 Den Parlamenten stehen jedoch andere, weitaus schonendere Mittel als die Verwehrung von Mutterschutz zur Verfügung, um ihre Beschluss- und generelle 276 In Betracht kommen hierfür etwa die Nachfolge in das ruhende Mandat oder die Teilnahme per Fernabstimmung, vgl. dazu unten im dritten Teil, zweites Kapitel, B. III., S. 297 ff. und E., S. 387 ff. 277 Der Altersdurchschnitt der Mitglieder des Deutschen Bundestages der aktuellen 19. Wahlperiode lag bereits zu deren Beginn bei 49,4 Jahren, Internetseite des Deutschen Bundestages, https://www.bundestag.de/blob/272474/4a216913aff5f5c25c41572 257a57e4a/kapitel_03_02_durchschnittsalter-pdf-data.pdf, zuletzt aufgerufen am 12. Dezember 2019. 278 Vgl. zu den Voraussetzungen der Erforderlichkeit z. B. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 20, Rn. 119 m.w. N.

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Arbeitsfähigkeit aufrechtzuerhalten. Dabei hat sich das Kriterium der Erforderlichkeit nicht an jeder noch so unwahrscheinlichen, rein denklogisch nicht auszuschließenden, Möglichkeit zu orientieren, sondern muss sich an den tatsächlichen und zukünftig nach allgemeiner Lebenserfahrung zu erwartenden Gegebenheiten ausrichten. Unter dieser Prämisse ist es den Parlamenten auch bei Gewährung von Mutterschutzfristen rund um die Geburt eines Kindes möglich, ihre Funktionsfähigkeit zu bewahren. Vor dem Hintergrund der erwartungsgemäß vergleichsweise überschaubaren Anzahl an gleichzeitig schwangeren Abgeordneten stehen den Parlamenten ausreichend Instrumente zur Verfügung, um die Anwesenheit eines Großteils der übrigen Abgeordneten zu gewährleisten. Kraft ihres Selbstbestimmungsrechts hinsichtlich der Organisation und des Verfahrens sowie kraft ihrer Geschäftsordnungsautonomie279 sind die Volksvertretungen berechtigt, die parlamentarischen Aufgaben so zu gestalten, dass ihren Mitgliedern die Sitzungsteilnahme und die Übernahme weiterer Angelegenheiten möglichst komfortabel gestaltet oder zumindest nicht erschwert wird. Darüber hinaus sind die Parlamente auch im Rahmen der Gestaltung ihrer Geschäftsordnung und eines Abgeordnetengesetzes befugt, Regelungen zu schaffen, die eine disziplinierende Wirkung auf ihre Mitglieder haben. Darüber hinaus oder alternativ kann die Gewährung von Mutterschutzzeiten für Abgeordnete durch Maßnahmen flankiert werden, die die Abwesenheit der betreffenden Parlamentarierin kompensieren. Zu denken ist hier beispielsweise an das Ruhen der entsprechenden Mandate mit befristeter Nachfolge oder die Teilnahme per Fernabstimmung. Die Wahl einer entsprechenden Option bleibt dem jeweiligen Parlament ebenso vorbehalten wie die entsprechende Ausgestaltung der Instrumente, deren verfassungsmäßige Zulässigkeit und rechtspolitische Qualität im dritten und vierten Teil dieser Arbeit dezidiert dargestellt werden.280 Vorweggenommen werden kann an dieser Stelle jedenfalls, dass die Abwesenheit einer Abgeordneten zum Zwecke des Mutterschutzes in verfassungsrechtlich zulässiger Weise kompensiert werden kann. Um die Funktionsfähigkeit der Parlamente zu erhalten, bedarf es daher nicht der Versagung gesetzlichen Mutterschutzes für Abgeordnete. Die Benachteiligung der weiblichen Abgeordneten gegenüber den dem Mutterschutzgesetz unterfallenden Frauen ist daher nicht erforderlich. d) Hilfsweise: Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne Unterstellt, es gäbe ein verfassungsrechtlich legitimiertes Ziel der Ungleichbehandlung und weiterhin unterstellt, Letztere wäre auch geeignet und erforderlich, um das Ziel zu erreichen, so müsste sich die Diskriminierung schließlich auch 279 Für den Deutschen Bundestag ergibt sich das Recht zur Selbstbestimmung über Organisation und Verfahren aus Art. 40 Abs. 1 GG. 280 Vgl. unten im dritten Teil, S. 240 ff., und im vierten Teil, S. 393 ff.

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am Maßstab der Angemessenheit, also der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, messen lassen. Angemessen ist eine Ungleichbehandlung dann, wenn sie nicht außer Verhältnis zum verfolgten Zweck steht.281 Bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere der Ungleichbehandlung und dem Gewicht und der Dringlichkeit der sie rechtfertigenden Gründe muss die Grenze des Zumutbaren gewahrt bleiben.282 Angesichts der vorwiegenden Personenbezogenheit des Unterscheidungskriteriums, seiner für die Betroffenen nur unter Preisgabe grundgesetzlich geschützter Rechtsgüter möglichen Beeinflussbarkeit, seiner Nähe zu einem der verbotenen Kriterien des Art. 3 Abs. 3 GG und der Erschwerung des Gebrauchs grundrechtlich geschützter Freiheiten ist festzustellen, dass die Ungleichbehandlung der beiden Vergleichsgruppen berufstätiger Mütter von schwerem Gewicht ist.283 Dem steht zwar – unterstellt, die Differenzierung wäre geeignet und erforderlich, das gedachte Ziel zu erreichen – mit dem dem Demokratieprinzip entspringenden Erfordernis der Funktionsfähigkeit der Parlamente ein hohes Gut von Verfassungsrang gegenüber. Gleichwohl ist fraglich, ob das grundrechtlich durch Art. 3 Abs. 1 GG geschützte Interesse der betroffenen Mütter an einer Gleichbehandlung dahinter zurückstehen muss. Auch im allgemeinen Berufsleben außerhalb der Parlamente müssen sowohl Wirtschaft als auch Staat mit der Möglichkeit der Inanspruchnahme von Mutterschutz umgehen. Sowohl privaten als auch öffentlichen Arbeitgebern wird insoweit zugemutet, diese Zeit anderweitig zu überbrücken und die anfallende Arbeit alternativ erledigen zu lassen. Auch im allgemeinen Wirtschaftsleben ist es denklogisch nicht ausgeschlossen, dass alle Beschäftigten eines Unternehmens gleichzeitig Mutterschutz in Anspruch nehmen. Tatsächlich ist dies gerade in kleinen Betrieben mit wenigen Beschäftigten sogar nicht unwahrscheinlich – ganz im Gegensatz zu den zahlenmäßig wesentlich stärker besetzten Parlamenten. Der Gesetzgeber räumt dem durch Art. 6 Abs. 4 GG grundgesetzlich garantierten Interesse jeder Mutter am Schutz und an der Fürsorge der Gemeinschaft jedoch einen höheren Stellenwert ein als dem durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Interesse des Arbeitgebers am reibungslosen Betrieb seines Unternehmens – und im Übrigen auch dem Interesse des Staates am störungsfreien Betrieb seiner Behörden. Gleichermaßen ist es auch den Parlamenten zuzumuten, mit der Inanspruchnahme von Mutterschutz durch seine weiblichen Abgeordneten umzugehen. Dies gilt umso mehr, als der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG auch im Lichte verfassungsrechtlichen Mutterschutzes des Art. 6 Abs. 4 GG, der verfassungsrechtlichen Gleichberechtigungsverpflichtung des Art. 3 Abs. 2 GG und des verfassungsrechtlichen Elternrechts des Art. 6 Abs. 2 GG zu betrachten 281 282 283

BVerfGE 96, 10, 21 m.w. N. BVerfGE 30, 292, 316; 113, 167, 260. Vgl. oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, D. II. 1. d), S. 211.

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ist. Art. 6 Abs. 4 GG enthält einen bindenden Auftrag an die Gesetzgebung,284 Problemen und Schwierigkeiten zu begegnen, die der Mutter während und nach der Schwangerschaft begegnen können.285 Dabei obliegt es der staatlichen Gewalt, berufliche Nachteile, die einer Frau aus der Schwangerschaft erwachsen können, nach Möglichkeit auszuschließen.286 Auch das Gebot der Gleichstellung von Mann und Frau im Arbeitsleben aus Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG verpflichtet den Gesetzgeber, Grundlagen dafür zu schaffen, dass Familie und Erwerbstätigkeit aufeinander abgestimmt werden können und die Wahrnehmung der familiären Erziehungsaufgabe nicht zu beruflichen Nachteilen führt.287 Zudem richtet der in Art. 6 Abs. 1 und 2 GG verbriefte Schutz- und Förderauftrag288 das Gebot an den Staat, eine kinderfreundliche Gesellschaft zu fördern.289 Gerade aufgrund der hohen Bedeutung für den Fortbestand der Gemeinschaft, die der generative Beitrag aller Eltern durch die Geburt und die Erziehung von Kindern innehat, muss die Förderung einer familienfreundlichen Gesellschaft anderen Verfassungsgütern vorgehen. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass dem Parlament weitere Möglichkeiten zur Sicherung seiner Funktionsfähigkeit zur Verfügung stehen, ist der Nutzen der Verwehrung einer Mutterschutzregelung für Abgeordnete dagegen überschaubar. Die demgegenüber als schwerwiegend einzuschätzende Ungleichbehandlung der beiden Müttergruppen steht daher außer Verhältnis zu dem ohnehin nur rein hypothetisch gedachten Ziel. Damit ist die Zumutbarkeitsgrenze überschritten. Die Diskriminierung der weiblichen Abgeordneten in der Schwangerschaft, unter der Geburt und im Wochenbett ist also auch im engeren Sinne unverhältnismäßig. Mithin ist die Ungleichbehandlung der beiden Müttergruppen weder erforderlich noch angemessen, um das bislang nicht ausdrücklich verfolgte, sondern lediglich denklogisch mögliche Ziel der Sicherung der Funktionsfähigkeit der Parlamente zu erreichen. Demzufolge ist sie im Ganzen verfassungsmäßig unverhältnismäßig. Es liegt also ein verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigter Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vor. III. Folge des Gleichheitsverstoßes und Ergebnis zu Art. 3 Abs. 1 GG Nach dem allgemeinen Grundsatz des Art. 1 Abs. 3 GG bindet auch der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG alle drei Staatsgewalten. Damit fordert Art. 3 Abs. 1 GG nicht nur die gleiche Anwendung des Rechts durch die 284 285 286 287 288 289

BVerfGE 32, 273, 277. BVerfGE 88, 203, 258. BVerfGE 88, 203, 259. BVerfGE 88, 203, 260; Langenfeld, in: Maunz/Dürig, Art. 3 Abs. 2, Rn. 59. BVerfGE 130, 240, 256; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 6, Rn. 52. BVerfGE 88, 203, 260.

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Exekutive und die Judikative, sondern auch die Gleichbehandlung aller Normadressaten durch die Legislative.290 Zwar hat der Gesetzgeber bei der gewährenden Staatstätigkeit, mit der der Staat aufgrund seiner freien Entschließung die Lage bestimmter Gruppen verbessern und ein bestimmtes Verhalten dieser Gruppen fördern will, grundsätzlich einen weiteren Gestaltungsspielraum als im Rahmen der Eingriffsverwaltung.291 Bei der Abgrenzung der Begünstigten ist er jedoch an den allgemeinen Gleichheitssatz gebunden.292 Ist eine begünstigende Regelung mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar, so verengt sich das Gestaltungsermessen des Gesetzgebers dahingehend, dass ihn nunmehr die Verpflichtung trifft, eine verfassungskonforme Regelung zu erlassen.293 Vor dem Hintergrund der in Art. 6 Abs. 4 GG niedergelegten verfassungsrechtlichen Verpflichtung der (staatlichen) Gemeinschaft, jeder Mutter Schutz und Fürsorge zukommen zu lassen, kommt eine Abschaffung des Mutterschutzgesetzes nicht in Betracht. Durch eine derartige Maßnahme würden die beiden Müttergruppen zwar gleichbehandelt – gleichzeitig würde der Staat jedoch dem an ihn gerichteten bindenden Auftrag, schwangerschafts- und postschwangerschaftsbedingten Problemen zu begegnen,294 zuwiderhandeln. Um eine Gleichbehandlung der hier betroffenen Müttergruppen zu erreichen, besteht demnach ausschließlich die Option, entsprechende Mutterschutzregelungen für Abgeordnete einzuführen. Auch aus dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ergibt sich daher das an die Gesetzgebung gerichtete Gebot zur Schaffung von verbindlichen, dem Mutterschutz nach dem Mutterschutzgesetz entsprechenden, Mutterschutzregelungen für Abgeordnete.

E. Ergebnis: Verfassungsrechtliches Gebot der Einführung von Mutterschutzfristen für Abgeordnete Sowohl der verfassungsrechtliche Mutterschutz des Art. 6 Abs. 4 GG als auch die verfassungsrechtliche Gleichberechtigungsverpflichtung des Art. 3 Abs. 2 GG und der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebieten dem Staat die Einführung fakultativer prä- und postnataler Mutterschutzregelungen für Abgeordnete. Darüber hinaus verpflichtet auch das durch Art. 6 Abs. 2 GG gewährte Elternrecht den Staat zur Schaffung fakultativen vorgeburtlichen Mutterschutzes.

290

Boysen, in: von Münch/Kunig, Art. 3, Rn. 29. BVerfGE 17, 210, 216; 49, 280, 283 m.w. N.; Kannengießer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, 11. Auflage 2008, Art. 3, Rn. 20. 292 Kannengießer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, 11. Auflage 2008, Art. 3, Rn. 20. 293 Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 3, Rn. 32. 294 BVerfGE 88, 203, 258. 291

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Drittes Kapitel

Elternzeit Nachdem auch die Einführung einer Elternzeitregelung für Abgeordnete in Bund und Ländern als sinnvoll erachtet wurde, ist nunmehr festzustellen, ob auch es eine verfassungsrechtliche Pflicht des Staates gibt, entsprechende Regelungen zu treffen. Zu prüfen ist daher, ob ein verfassungsrechtliches Gebot zur Einführung von Elternzeit für Abgeordnete besteht. Als Quelle entsprechender verfassungsrechtlicher Direktiven kommt der verfassungsrechtliche Mutterschutz des Art. 6 Abs. 4 GG in diesem Zusammenhang nicht in Betracht, denn eine „Elternzeit“ soll hier so verstanden werden wie im allgemeinen Sprachgebrauch üblich: als kindesbezogene Auszeit aus dem Beruf, die sowohl von Vätern als auch von Müttern in Anspruch genommen werden kann. Väter sind indes nicht vom Schutzumfang des Art. 6 Abs. 4 GG umfasst;295 dies resultiert bereits aus dem klaren Wortlaut der Norm, die explizit jeder Mutter einen Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft gewährt und sich auf keinerlei weitere Personen bezieht. Aus Art. 6 Abs. 4 GG lässt sich demnach kein Gebot an den Gesetzgeber ableiten, eine Elternzeitregelung für Abgeordnete zu schaffen. Vor diesem Hintergrund ergibt sich ein entsprechendes Gebot ebenso wenig aus dem in Art. 3 Abs. 2 GG normierten Grundrecht auf Gleichberechtigung der Geschlechter: Denn die bislang fehlende Möglichkeit für Parlamentsmitglieder, Elternzeit in Anspruch nehmen zu können, betrifft sowohl weibliche als auch männliche Abgeordnete. Ein verfassungsrechtliches Gebot zur Einführung einer Elternzeit für Abgeordnete könnte aber aus dem Familienrecht des Art. 6 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG sowie aus dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG resultieren.

A. Familienrecht/Elternrecht, Art. 6 Abs. 1 i.V. m. Abs. 2 Satz 1 GG I. Grundsätzliches Recht zur eigenen Betreuung des Kindes Art. 6 Abs. 1 GG stellt die Familie – also die tatsächliche Lebens- und Erziehungsgemeinschaft von Kindern und deren Eltern –296 unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Das Schutzgebot des Art. 6 Abs. 1 GG fordert 295 Brosius-Gersdorf, in: Dreier, Art. 6, Rn. 212; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 6, Rn. 69 m.w. N. 296 BVerfGE 108, 82, 112; 127, 263, 287; Badura, in: Maunz/Dürig, Art. 6, Rn. 60; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 6, Rn. 8; Steiner, in: Merten/Papier, Bd. IV, § 108, Rn. 43.

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2. Teil: Verfassungsrechtliches Gebot zur Einf. v. Mutterschutz/Elternzeit

vom Staat, jede familiäre Gemeinschaft in ihrem Zusammenhalt zu fördern und sie sowohl im Hinblick auf die persönliche Beziehung zwischen den Eltern und ihren Kindern als auch in ihrem wirtschaftlichen Bereich zu respektieren und zu unterstützen.297 Insofern genießt insbesondere die familiäre Verantwortung füreinander verfassungsrechtlichen Schutz.298 Hieraus folgt, dass das Familienrecht des Art. 6 Abs. 1 GG nicht nur den Eltern, sondern auch den Kindern ein Recht auf gemeinsame Zeit miteinander, auf das tatsächliche Erleben familiärer Gemeinschaft, gewährt. In Verbindung mit dem Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, nach dem Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht sind, ergibt sich hieraus die staatliche Verpflichtung, die individuell gewählte Lebens- und Erziehungsform einer jeden Familie zu respektieren. Dieses „natürliche Recht“, das den Eltern nicht vom Staat verliehen, sondern vom Grundgesetz als diesem vorgegebenes Recht anerkannt wird, beruht auf dem Leitgedanken, dass den Eltern als denjenigen, die einem Kind das Leben gegeben haben, dessen Wohl in aller Regel mehr am Herzen liegt als jeder anderen Person oder Institution.299 Wie bereits festgestellt, steht es den Eltern daher grundsätzlich frei, die Pflege und Erziehung ihres Kindes nach ihren eigenen Vorstellungen zu gestalten300 und dabei zu entscheiden, ob und in welchem Lebensalter ihr Kind von ihnen gemeinsam, von einem der beiden Elternteile allein oder abwechselnd oder aber teilweise oder ausschließlich von Dritten betreut werden soll.301 Vor dem Hintergrund des hohen Stellenwertes, den Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG der natürlichen innerfamiliären Beziehung zwischen dem Kind und seinen Eltern beimisst, ergibt sich daher das Recht der Eltern – und damit selbstredend auch derjenigen Eltern, die ein Parlamentsmandat innehaben – ihr Kind selbst zu betreuen.302 Dem korrespondiert das auch durch Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG geschützte Interesse des Kindes an der tatsächlichen Wahrnehmung der Erziehungsaufgabe durch die Eltern.303 297

BVerfGE 127, 263, 287. BVerfGE 112, 332, 352. 299 BVerfGE 59, 360, 376; Brosius-Gersdorf, in: Dreier, Art. 6, Rn. 141; Badura, in: Maunz/Dürig, Art. 6, Rn. 98. 300 BVerfGE 24, 119, 143; 47, 46, 69 f.; vgl. auch oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, B. II., S. 199. 301 BVerfGE 99, 216, 231 f., das diese Entscheidungsfreiheit indes aus Art. 6 Abs. 1 GG herleitet; ähnlich Brosius-Gersdorf, in: Dreier, Art. 6, Rn. 156. 302 Vgl. ausführlich zu den innerfamiliären Gestaltungsbefugnissen, wenngleich mit einem anderen Ansatz: Brosius-Gersdorf, Demografischer Wandel, S. 381 ff. sowie zu einem verfassungsrechtlichen Gebot der Durchsetzung der Gleichberechtigung der Familienformen aus Art. 6 Abs. 1 GG: Brosius-Gersdorf, Demografischer Wandel, S. 405 ff. 303 Vgl. auch BVerfG 133, 59, 73; 136, 382, 387. 298

3. Kap.: Elternzeit

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II. Gebot zur Einführung einer Elternzeitregelung für Abgeordnete Fraglich ist jedoch, ob sich aus diesem Recht der Eltern, ihr Kind selbst zu betreuen, auch ein verfassungsrechtliches Gebot zur Schaffung einer Elternzeitregelung für Abgeordnete ergibt. Nach der hier vertretenen weiten Auslegung der Mandatsfreiheit unterliegen Abgeordnete keiner bestimmten Anwesenheitspflicht; vielmehr ist von einer grundsätzlichen Verpflichtung aller Abgeordneten in ihrer Gesamtheit auszugehen, für die Funktionsfähigkeit des Parlaments Sorge zu tragen.304 Die Abgeordneten dürften demnach also – sofern die Funktionsfähigkeit des Parlaments gewährleistet ist – dem Parlamentsbetrieb eigenmächtig fernbleiben. Dies zugrunde gelegt, können die Abgeordneten sich zumindest nach der weiteren Auslegung der Mandatsfreiheit rein rechtlich betrachtet selbst eine Art Elternzeit gewähren, indem sie ihren aus dem Mandat resultierenden Obliegenheiten für einen gewissen Zeitraum eigenmächtig nicht nachkommen. Die im Bund und in einer Reihe von Bundesländern getroffenen einfachgesetzlichen Regelungen statuieren hingegen die Pflicht der Abgeordneten zur Teilnahme an bestimmten Sitzungen und flankieren die Durchsetzung dieser Teilnahmepflichten teilweise mit andernfalls drohenden finanziellen Nachteilen.305 Darüber hinaus verhindert rein faktisch auch das tatsächliche politische Klima im Umfeld der überwiegenden Mehrheit der deutschen Parlamente die eigenmächtige Inanspruchnahme einer mehrmonatigen politischen Auszeit von Abgeordneten zum Zwecke der Kinderbetreuung. Wird bereits das nur wenige Wochen in Anspruch nehmende Fehlen einer weiblichen Abgeordneten kurz vor und nach der Geburt eines Kindes durch andere Parlamentsmitglieder, Parteien und Öffentlichkeit vielfach äußerst kritisch beäugt, so ist dies erst recht für das mehrmonatige Fehlen zum Zwecke der Betreuung eines Neugeborenen der Fall. Umso mehr gilt dies vor dem Hintergrund einer vielfach noch vorherrschenden stereotypen Rollenauffassung, nach der ein Baby durch seine Mutter zu betreuen ist,306 für die Inanspruchnahme von Elternzeit durch männliche Abgeordnete. In der bundesdeutschen Realität des beginnenden 21. Jahrhunderts wird eine Art Elternzeit daher – außerhalb des Landtages von Baden-Württemberg – faktisch weder durch weibliche noch durch männliche Abgeordnete eigenmächtig in Anspruch genommen.307 Eine kurzzeitige politische Auszeit ist dementsprechend vom guten Willen des Parlaments, der Fraktion, der Partei und der Öffentlichkeit abhängig und wird 304

Vgl. oben im ersten Teil, zweites Kapitel, C. III. 2. b) aa), S. 84. Vgl. oben im ersten Teil, erstes Kapitel, S. 48 ff. 306 McKay, in: Parliamentary Affairs 2011, 714, 727; Schmidt, Vereinbarkeit, S. 13. 307 Vgl. zur baden-württembergischen Regelung oben im ersten Teil, erstes Kapitel, B., S. 52 ff. 305

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2. Teil: Verfassungsrechtliches Gebot zur Einf. v. Mutterschutz/Elternzeit

tatsächlich nur in Einzelfällen und nur für einen kurzen Zeitraum gewährt. Eine vom Wohlwollen anderer unabhängige, eigenmächtig in Anspruch genommene politische Auszeit zum Zwecke der Kinderbetreuung können sich daher derzeit de facto nur solche Abgeordnete leisten, die keine weitere politische Karriere anstreben. Dies steht in einem deutlichen Kontrast zur großen Akzeptanz der allgemeinen Elternzeit nach dem BEEG, die sich nicht nur aus der bereits dargestellten hohen Inanspruchnahmequote ablesen lässt.308 Vielmehr erfährt die Elternzeit auch in der Bevölkerung einen großen Zuspruch – und zwar auch in Bezug auf die Nutzung der Elternzeit durch Väter: Nach dem aktuellen Väterreport des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend bewerten 82 Prozent der Bevölkerung es als positiv, wenn auch Väter eine berufliche Auszeit nehmen oder die Arbeitszeit reduzieren, um die Kinderbetreuung zu übernehmen.309 Dementsprechend bezeichnet auch die Internationale Arbeitsorganisation ILO die neue, aktive Vaterschaft als eine der wichtigsten gesellschaftlichen Entwicklungen des 21. Jahrhunderts.310 Obschon auch in der allgemeinen Arbeitswelt, insbesondere im Bereich der hochqualifizierten Arbeitskräfte, noch punktuelle Widerstände gegen die Inanspruchnahme von Elternzeit bestehen, gibt es Hinweise darauf, dass allein die formale Existenz der Elternzeitregelungen maßgeblich zu deren gesellschaftlicher und betrieblicher Akzeptanz beigetragen hat.311 Gerade der Umstand, dass ein Rechtsanspruch auf Elternzeit besteht, hat in einigen Bereichen für deren rasche Etablierung gesorgt.312 Dies legt den Schluss nahe, dass gerade das Nichtvorhandensein einer entsprechenden Regelung im politischen Raum zumindest eine Mitverantwortung dafür trägt, dass mangels politischer und gesellschaftlicher Akzeptanz auch keine kindesbedingte Auszeit genommen wird. Wie oben konstatiert, kann das Fehlen einer Elternzeit für Abgeordnete daher bereits im Vorfeld eines Parlamentsmandates die Entscheidung junger Menschen – insbesondere junger Frauen – zugunsten einer Kandidatur um einen Sitz im Parlament verhindern.313 Ebenso kann sie einen Hinderungsgrund für junge Abgeordnete darstellen, während eines Mandatsverhältnisses ein Kind zu bekommen,314 so dass sich das Fehlen einer entsprechenden Regelung nicht nur auf 308 Vgl. dazu die bereits oben in der Einleitung, A. II., S. 29, wiedergegebene Statistik des Statistischen Bundesamtes. 309 BMFSFJ, Väterreport, S. 6. 310 ILO, Maternity and paternity at work, S. 1. 311 Klenner/Lott, S. 32 ff. 312 Klenner/Lott, S. 32. 313 Vgl. oben im ersten Teil, fünftes Kapitel, B. I. 1. c), S. 139 sowie im ersten Teil, fünftes Kapitel, B. I. 2. a), S. 142. 314 McKay, in: Parliamentary Affairs 2011, 714, 727; Schmidt, Vereinbarkeit, S. 8, 189 und 214 f.

3. Kap.: Elternzeit

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die betreffenden Abgeordneten selbst, sondern auch auf die Quote der Eltern unter den Abgeordneten und damit auf die Zusammensetzung des Parlaments auswirkt. In einem politischen Umfeld, das keine mehrmonatige Parlamentsabstinenz erlaubt, bleibt denjenigen Abgeordneten, die ihr während des Mandats geborenes Kind gleichwohl zumindest für einen gewissen Zeitraum selbst betreuen wollen, nur der Verzicht auf den Sitz im Parlament und damit – zumindest auf absehbare Zeit – ein Ausstieg aus der Berufspolitik. Neben dem mit dem Mandatsverzicht in der Regel verbundenen, zumindest vorläufigen, Wegfall der wirtschaftlichen Lebensgrundlage begibt sich das während der Legislaturperiode ausscheidende Parlamentsmitglied auch in die Gefahr seines endgültigen politischen Endes: Denn im Falle des Rücktritts eines Mitgliedes rückt das nächste Ersatzmitglied von der Landesliste in das Parlament nach – dieses stammt jedoch in der Mehrheit der Fälle nicht aus demselben Wahlkreis wie das ausgeschiedene Mitglied. In der Konsequenz ist der Wahlkreis des ausgeschiedenen Mitgliedes mit hoher Wahrscheinlichkeit für den Rest der Wahlperiode nicht mehr durch ein Parlamentsmitglied desjenigen Wahlvorschlages, dem das ausgeschiedene Mitglied angehörte, vertreten. Dies kann sowohl zum Unmut der Wählerschaft als auch zum Unmut der örtlichen Parteigliederung, die das ausgeschiedene Mitglied zur Wahl aufgestellt hatte, führen. Dementsprechend riskiert ein vorzeitig ausscheidendes Parlamentsmitglied dadurch auch in diesem Fall, später nicht erneut für die Wahl zum Parlament nominiert zu werden. Die Entscheidung einer oder eines Abgeordneten, das eigene Kind für eine gewisse Zeit selbst zu betreuen, kann daher gleichzeitig das Risiko des Endes der politischen Karriere – und damit auch des Endes eines bestimmten individuellen beruflichen Lebensentwurfes – bedeuten. Vor derartigen beruflichen Nachteilen aufgrund einer Entscheidung zugunsten der vorübergehenden Betreuung des eigenen Kleinstkindes schützen indes das Familien- und das Elternrecht des Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG. Denn grundsätzlich alle Eltern übernehmen mit der Erziehung ihrer Kinder Aufgaben, deren Erfüllung sowohl im Interesse der gesamten Gesellschaft als auch eines jeden Einzelnen liegt.315 Bereits mit der Geburt eines Kindes erbringen dessen Eltern eine generative Leistung, die im Zusammenwirken mit der Geburt weiterer Kinder unabdingbar für den Fortbestand der Gesellschaft ist.316 Die Erziehung des Kindes und dessen Begleitung bei seiner Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit innerhalb der sozialen Gemeinschaft tragen darüber hinaus maßgeblich zum Erhalt des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts und letztlich auch zum Erhalt der Sozialsysteme bei. Da es sich bei dem Schutz der Familie gemäß Art. 6 Abs. 1 GG ebenso wie beim Elternrecht 315 316

BVerfGE 88, 203, 259 f.; ähnlich Brosius-Gersdorf, in: Dreier, Art. 6, Rn. 129. Vgl. oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, A., S. 162.

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2. Teil: Verfassungsrechtliches Gebot zur Einf. v. Mutterschutz/Elternzeit

des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG um für jedermann gültige Menschenrechte handelt,317 umfasst ihr Schutz zweifelsohne auch Eltern gewordene Abgeordnete. Aus Art. 6 Abs. 2 GG folgt ein Schutz- und Förderauftrag,318 der das Gebot an den Staat richtet, eine kinderfreundliche Gesellschaft zu fördern.319 Zwar bildet diese Schutz- und Förderungspflicht nur eine direktive Bindung des Gesetzgebers, dem grundsätzlich ein weiter Gestaltungsspielraum verbleibt.320 Letzterer verengt sich jedoch in dem Maße, in dem das Schutzbedürfnis für die Familie Förderung und Ausgleich nahelegt oder erzwingt.321 Ein derartiger Interessenausgleich ist jedenfalls dann erforderlich, wenn Personen aufgrund ihrer Elternschaft berufliche Nachteile erleiden. Denn mit der Erziehung ihrer Kinder übernehmen Eltern Aufgaben, die im Interesse der Gemeinschaft liegen und Anerkennung verlangen.322 Entsprechend ergibt sich aus der Schutzpflicht des Art. 6 Abs. 1 GG zugleich auch die Aufgabe des Staates, die Kinderbetreuung in der von den Eltern gewählten Form in ihren tatsächlichen Voraussetzungen zu ermöglichen und dafür Sorge zu tragen, dass die Wahrnehmung der Kindererziehungsaufgabe nicht zu beruflichen Nachteilen führt.323 Der Staat muss dafür sorgen, dass die Rückkehr in eine Berufstätigkeit ebenso möglich ist wie ein beruflicher Aufstieg während und nach Zeiten der Kinderbetreuung.324 Wie bereits festgestellt, ist die Wahrnehmung eines Parlamentsmandats als berufliche Tätigkeit einzuordnen.325 Dies gilt umso mehr, als mit der Entscheidung, für ein parlamentarisches Mandat zu kandidieren und dieses auch anzunehmen, regelmäßig zugleich die Entscheidung fällt, den bis dahin ausgeübten Beruf – zumindest vorläufig – aufzugeben. Dabei wird nicht verkannt, dass die Abgeordnetentätigkeit auf der Wahl in ein freies Abgeordnetenmandat beruht und keinen arbeits- oder dienstrechtlichen Vorgaben unterworfen ist. Gleichwohl stellt sie für die überwiegende Mehrzahl der Abgeordneten das dar, was für Nichtabgeordnete der Beruf darstellt: Eine regelmäßige bezahlte Tätigkeit, die einen hohen zeitlichen Aufwand erfordert, auf eine gewisse Dauer ausgerichtet ist und im Übrigen auch Aufstiegschancen (bezogen auf Abgeordnete etwa in die Funktionen von Sprechern, Ausschussvorsitzenden, Obleuten, Parlamentarischen Geschäfts317 Badura, in: Maunz/Dürig, Art. 6, Rn. 63; Brosius-Gersdorf, in: Dreier, Art. 6, Rn. 99. 318 BVerfGE 130, 240, 256; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 6, Rn. 52. 319 BVerfGE 88, 203, 260. 320 Badura, in: Maunz/Dürig, Art. 6, Rn. 138; Coester-Waltjen, in: von Münch/Kunig, Art. 6, Rn. 35. 321 Badura, in: Maunz/Dürig, Art. 6, Rn. 75. 322 BVerfGE 88, 203, 258 ff.; 99, 216, 234; ähnlich Brosius-Gersdorf, in: Dreier, Art. 6, Rn. 129. 323 BVerfGE 88, 203, 260; 99, 216, 234. 324 BVerfGE 88, 203, 260; 99, 216, 234. 325 Vgl. oben im ersten Teil, zweites Kapitel, B., S. 71 f.

3. Kap.: Elternzeit

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führern, Regierungsmitgliedern, in den Fraktionsvorstand und dergleichen) bietet.326 Wird diese Berufsausübung durch die Geburt eines Kindes erschwert oder verhindert oder ist – gewissermaßen spiegelbildlich dazu – die Betreuung des eigenen neugeborenen Kindes mangels gesetzlicher Regelungen für eine (berufs-) parlamentarische Auszeit faktisch kaum bis nicht möglich, so verengt sich der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers dahingehend, dass eine gesetzgeberische Pflicht zum Tätigwerden entsteht. Der in Art. 6 Abs. 1 GG enthaltene besondere Gleichheitssatz verbietet es generell, die Familie gegenüber anderen Lebens- und Erziehungsformen schlechter zu stellen; er enthält ein Benachteiligungsverbot, das jede belastende Differenzierung, die an die Wahrnehmung des Elternrechts anknüpft, verbietet.327 Im positiven Sinne ist es eine verfassungsrechtlich vorgegebene staatliche Aufgabe, dafür zu sorgen, dass Familien ihre jeweils gewählte Form des Zusammenlebens und der gegenseitigen Sorge und Verantwortung verwirklichen können.328 Dementsprechend ergibt sich aus Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 1 GG auch für Abgeordnete das Recht, die eigenen Kinder persönlich zu betreuen, ohne dadurch Nachteile in Bezug auf das Abgeordnetenmandat zu erleiden. Dem Staat obliegt es demnach, dafür Sorge zu tragen, dass entsprechende Benachteiligungen der die eigenen Kinder für einen gewissen Zeitraum selbst betreuenden Abgeordneten unterbleiben. Demzufolge resultiert aus dem Familienrecht des Art. 6 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG das grundsätzliche verfassungsrechtliche Gebot an den Gesetzgeber, Elternzeitregelungen für Abgeordnete einzuführen. III. Kollidierendes Verfassungsrecht Es stellt sich jedoch die Frage, ob einem verfassungsrechtlichen Gebot zur Schaffung derartiger Elternzeitregeln kollidierendes Verfassungsrecht entgegensteht. Die Grundrechte der Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG sind schrankenlos gewährleistet, so dass Einschränkungen – auch im Sinne eines Untätigbleibens – nur auf der Basis kollidierenden Verfassungsrechts möglich sind.329 Analog zur Einführung von Mutterschutzregeln für Abgeordnete hängt auch die Kollision einer Elternzeit für Abgeordnete mit Gütern von Verfassungsrang 326 Vgl. zur Einordnung des Abgeordnetenmandates als Beruf oben im ersten Teil, zweites Kapitel, B., S. 71 f. 327 BVerfGE 99, 216. 328 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD, Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des Elterngeldes, BT-Drs. 16/1889, S. 14; Brosius-Gersdorf, in: Dreier, Art. 6, Rn. 121. 329 Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 6, Rn. 23 und 54.

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2. Teil: Verfassungsrechtliches Gebot zur Einf. v. Mutterschutz/Elternzeit

stark davon ab, wie die Elternzeit im Einzelnen ausgestaltet wird. Die in diesem Zusammenhang denkbaren einzelnen Regelungsmodelle sollen aus Gründen der besseren Übersichtlichkeit erst im dritten Teil dieser Arbeit detailliert erörtert werden. An dieser Stelle soll somit zunächst einmal grundsätzlich geprüft werden, ob einem verfassungsrechtlichen Gebot zur Einführung von Elternzeitregelungen für Abgeordnete per se kollidierendes Verfassungsrecht entgegensteht. Dabei soll die hier in den Fokus genommene Elternzeit auch an dieser Stelle so verstanden werden, wie es der Elternzeit nach dem BEEG entspricht und wie es im Übrigen auch im allgemeinen Sprachgebrauch üblich ist: als freiwillige mehrmonatige Auszeit aus der beruflichen – hier: parlamentarischen – Tätigkeit. Anders als beim Mutterschutz entfallen hier also Überlegungen zu einer obligatorischen Auszeit: Die Elternzeit ist rein fakultativer Natur. 1. Gleichheit der Wahl/Unmittelbarkeit der Wahl/ Repräsentationsprinzip/Funktionsfähigkeit des Parlaments/ Gleichheit des Mandats/Gleichberechtigungsgebot

Wenngleich die Elternzeit sich im Gegensatz zum Mutterschutz bereits aufgrund ihres Zweckes, nämlich der Betreuung des eigenen Kleinstkindes, nur auf einen Zeitraum nach der Kindesgeburt beziehen und sowohl durch die Mutter als auch durch den Vater erfolgen kann, ähnelt sie in ihren Auswirkungen auf das Parlament stark denen des Mutterschutzes: In beiden Fällen nimmt das betreffende Parlamentsmitglied für einen gewissen Zeitraum keine mandatsbezogenen Aufgaben wahr. Dementsprechend bestehen auch starke Parallelen hinsichtlich etwaiger Kollisionen mit anderweitigem Verfassungsrecht. So sind die bezüglich der Vereinbarkeit von Mutterschutzregeln für Abgeordnete mit dem Grundsatz der Gleichheit der Wahl, dem Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl sowie dem Repräsentationsprinzip bzw. der Funktionsfähigkeit des Parlaments ausgeführten Erwägungen ohne Weiteres auf die Vereinbarkeit einer Elternzeit für Abgeordnete mit diesen Grundsätzen übertragbar. Eine Kollision der verfassungsmäßig gebotenen Einführung von Elternzeit für Abgeordnete mit diesen Prinzipien besteht daher vom Grundsatz her nicht. Etwas anderes kann sich allenfalls aus der konkreten Ausgestaltung der Elternzeit ergeben; eine entsprechende Überprüfung der denkbaren Regelungsoptionen bleibt dem nachfolgenden dritten Teil330 dieser Ausarbeitung vorbehalten. In Bezug auf den Grundsatz der Gleichheit des Mandats ist festzustellen, dass hier zwar eine Ungleichbehandlung zweier Gruppen von Abgeordneten vorliegt: Während den Abgeordneten mit Kleinkindern bis zu einer bestimmten Altersgrenze mit der Elternzeit die Möglichkeit der gesetzlich geregelten zeitweisen Parlamentsabstinenz eingeräumt wird, haben alle anderen Abgeordneten desselben Parlaments diese Option nicht. Gleichwohl bewirkt diese Ungleichbehand330

Vgl. unten im dritten Teil, S. 240 ff.

3. Kap.: Elternzeit

225

lung keine Besserstellung der die Elternzeit in Anspruch nehmenden Abgeordneten in Bezug auf den parlamentarischen Willensbildungsprozess; ferner ist die Elternzeit auch nicht mit einer bevorzugten Besetzung bestimmter Positionen oder einer finanziellen Besserstellung verbunden und sie betrifft generell nicht die aus dem Mandat resultierenden Teilhaberechte der nicht elternzeitberechtigten Abgeordneten. Der aus Art. 38 Abs. 1 GG hergeleitete Grundsatz der Gleichheit des Mandats ist daher nicht berührt; es kommt also allenfalls eine Kollision mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG in Betracht. Etwas anderes kann sich auch in diesem Fall jedoch gegebenenfalls aus der konkreten Ausgestaltung der Elternzeit ergeben; auch hier erfolgt eine entsprechende Überprüfung der denkbaren Regelungsoptionen im nachfolgenden dritten Teil331 dieser Ausarbeitung. Ein Konflikt mit dem Gebot der Gleichberechtigung von Männern und Frauen aus Art. 3 Abs. 2 und 3 Satz 1, 1. Alt. GG scheidet bereits deshalb aus, weil die Inanspruchnahme von Elternzeit sowohl männlichen als auch weiblichen Abgeordneten gleichermaßen zusteht. 2. Allgemeiner Gleichheitssatz, Art. 3 Abs. 1 GG

Möglicherweise gerät die Einführung von Elternzeitregelungen für Abgeordnete jedoch in Konflikt mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, der die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz garantiert. Wie oben bereits dargestellt, soll dieses allgemeine Gleichheitsgrundrecht die Gleichbehandlung von Personen in vergleichbaren Sachverhalten gewährleisten; es enthält damit einen Fundamentalsatz der Gerechtigkeit.332 a) Verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verbietet dem Gesetzgeber indes nicht jede Differenzierung: Das Gleichheitsgrundrecht ist nur dann verletzt, wenn der Staat eine Gruppe von Normadressaten anders als eine andere behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und von einem so großen Gewicht bestehen, dass dadurch die ungleiche Behandlung gerechtfertigt wäre.333 Verfassungsrechtlich relevant, also einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung bedürftig,334 ist die Ungleichbehandlung nur dann, wenn sie eine Ungleichbehandlung von „wesentlich Gleichem“ 335 darstellt.

331

Vgl. unten im dritten Teil, S. 240 ff. Vgl. oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, D., S. 205; ebenso Jarass, in: Jarass/ Pieroth, Art. 3, Rn. 1. 333 St. Rspr. des BVerfG, vgl. BVerfGE 107, 27, 46; 117, 316, 325 m.w. N. 334 Kingreen/Poscher, Rn. 518. 335 St. Rspr. des BVerfG, vgl. BVerfGE 1, 14, 52; 98, 365, 385; 110, 412, 431. 332

226

2. Teil: Verfassungsrechtliches Gebot zur Einf. v. Mutterschutz/Elternzeit

Durch die Einführung von Elternzeitmöglichkeiten wird Abgeordneten mit Kindern im entsprechenden Alter die Möglichkeit eröffnet, die parlamentarischen Aufgaben für eine gewisse Zeitspanne nicht auszuüben, während den Abgeordneten ohne Kinder im entsprechenden Alter diese Option nicht zuteil wird. Somit werden zwei Gruppen von Abgeordneten desselben Parlaments unterschiedlich behandelt. Gemeinsamer Bezugspunkt der beiden unterschiedlich behandelten Vergleichsgruppen ist die Mitgliedschaft im Parlament; Unterscheidungspunkt ist die Elternschaft über ein oder mehrere Kleinkinder bis zu einer bestimmten Altersgrenze336. Die beiden Abgeordnetengruppen können als wesentlich gleich betrachtet werden, denn sowohl bei den Angehörigen der einen als auch bei den Angehörigen der anderen Gruppe handelt es sich um Mitglieder desselben Parlaments, die durch die Verfassung mit gleichen Rechten und Pflichten ausgestattet sind. Durch die Einführung einer gesetzlich legitimierten Option, den mandatsbezogenen Pflichten zum Zwecke der Kindererziehung für einen gewissen Zeitraum nicht nachkommen zu müssen, werden die elternzeitberechtigten Abgeordneten gegenüber den übrigen Abgeordneten bevorzugt. b) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Die Ungleichbehandlung der beiden Parlamentariergruppen ist aber verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Hinsichtlich der Anforderungen an die Intensität der verfassungsrechtliche Rechtfertigung nach Art. 3 Abs. 1 GG ist nach dem Regelungsgegenstand, den Unterscheidungsmerkmalen und der Intensität der Beeinträchtigung zu differenzieren.337 Wie bereits dargestellt, ergeben sich hieraus unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zur strengen Bindung an die Erfordernisse der Verhältnismäßigkeit reichen.338 Die Ungleichbehandlung ist dabei als umso schwerwiegender zu betrachten, je mehr das Unterscheidungskriterium personen- und je weniger es sachbezogen ist, je mehr es einem der nach Art. 3 Abs. 3 GG verbotenen Kriterien ähnelt, je weniger die Betroffenen das Kriterium beeinflussen können und je mehr die Ungleichbehandlung den Gebrauch grundrechtlich geschützter Freiheiten erschwert.339

336 Die Festlegung einer bestimmten Altersgrenze bleibt der Regelungskompetenz des jeweiligen Parlaments vorbehalten. Es bietet sich an, die Altersgrenzen an diejenigen des BEEG anzulehnen. 337 St. Rspr. d. BVerfG, vgl. BVerfGE 95, 267, 316 m.w. N. 338 Vgl. oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, D. II. 1., S. 207; st. Rspr. d. BVerfG, vgl. BVerfGE 107, 27, 45 m.w. N. 339 St. Rspr. d. BVerfG, vgl. BVerfGE 107, 27, 46 m.w. N.; Kingreen/Poscher, Rn. 530 f.

3. Kap.: Elternzeit

227

Die Intensität der Bevorzugung der elternzeitberechtigten Abgeordneten dürfte etwa im mittleren Bereich anzusiedeln sein: Das Abgrenzungskriterium, nämlich die Elternschaft über Kinder in einem bestimmten Alter, ähnelt keinem der nach Art. 3 Abs. 3 GG verbotenen Kriterien und erschwert auch nicht den Gebrauch grundgesetzlich geschützter Freiheiten. Es ist jedoch eher personen- als sachbezogen und die Betroffenen können das Kriterium der Ungleichbehandlung, nämlich ein Kind im entsprechenden Alter zu haben, vor dem Hintergrund ihrer individuellen Lebenssituation – und bei Frauen auch hinsichtlich ihres eigenen Lebensalters – nur bedingt beeinflussen.340 Der dadurch erforderlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung hält die Ungleichbehandlung der beiden Parlamentariergruppen indes stand: aa) Verfassungsrechtlich legitimer Zweck Die Privilegierung der elternzeitberechtigten Abgeordneten verfolgt einen durch die Verfassung legitimierten Zweck, denn sie trägt im Sinne des Familiengrundrechts des Art. 6 Abs. 1 GG und des Elterngrundrechts des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG dafür Sorge, dass auch Abgeordnetenfamilien ihre jeweils gewählte Form des Zusammenlebens und der gegenseitigen Sorge und Verantwortung verwirklichen können. Zudem gewährleistet sie auch für Abgeordnete das durch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG verbriefte Recht, die eigenen Kinder persönlich zu betreuen, ohne dadurch Nachteile in Bezug auf das Abgeordnetenmandat – also in Bezug auf ihren Beruf – zu erleiden.341 bb) Geeignetheit Zur Erreichung des vorgenannten Zweckes ist die Einführung von Elternzeitregelungen für Abgeordnete auch geeignet, denn der angestrebte Zweck – nämlich die Betreuung des eigenen Kleinstkindes durch ein Parlamentsmitglied selbst – lässt sich durch die Gewährung von Elternzeit erreichen. cc) Erforderlichkeit Die Erforderlichkeit der Elternzeiteinführung liegt darin begründet, dass es kein milderes, ebenso erfolgversprechendes Mittel gibt, durch das der Zweck 340 Vgl. dazu die Differenzierungskriterien des BVerfG, etwa in BVerfGE 95, 267, 316 f.; 107, 27, 45. 341 Vgl. oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, B. II., S. 199. Das Bundesverfassungsgericht leitet ferner aus Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG die Pflicht des Staates ab, die Pflege- und Erziehungstätigkeit der Eltern wirtschaftlich zu unterstützen, vgl. BVerfGE 130, 240, 252. In Bezug auf die aus Art. 6 Abs. 4 GG hergeleitete Pflicht des Staates, kindesbedingte berufliche Nachteile nach Möglichkeit auszuschließen vgl. BVerfGE 88, 203, 259.

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2. Teil: Verfassungsrechtliches Gebot zur Einf. v. Mutterschutz/Elternzeit

ebenso gut erreicht werden könnte: Ohne die Gewährung einer parlamentarischen Auszeit fehlen den betreffenden Abgeordneten in aller Regel die Zeit und die Möglichkeit, das eigene Kleinstkind für einen gewissen Zeitraum selbst zu betreuen. Eine gleichermaßen wirksame Alternative zur Elternzeit, die die Abgeordneten ohne Kinder im entsprechenden Alter weniger ungleichbehandeln würde, ist nicht ersichtlich. dd) Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne Schließlich ist die Einführung von Elternzeitregelungen für Parlamentsmitglieder auch im engeren Sinne verhältnismäßig: Die den elternzeitberechtigten Abgeordneten eingeräumten Vorteile stehen in einer angemessenen Beziehung zu den den übrigen Abgeordneten durch die Elternzeiteinführung zugemuteten – überschaubaren – Nachteilen.342 Nehmen ein oder mehrere Parlamentsmitglieder Elternzeit in Anspruch, so sind die übrigen Abgeordneten dadurch insoweit beeinträchtigt, als die Vertretung der fehlenden Mitglieder in den Parlamentsausschüssen gesichert und die Beschlussfähigkeit des Plenums gewährleistet werden muss. Einige der übrigen Abgeordneten werden mithin durch punktuell zu übernehmende Vertretungen zusätzlich belastet; in Einzelfällen müssen möglicherweise darüber hinaus einzelne Parlamentsmitglieder zur Sicherstellung der Beschlussfähigkeit des Parlaments auf gleichzeitig mit dem Plenum stattfindende anderweitige Termine verzichten. Zudem ergibt sich insbesondere für Abgeordnete derselben Fraktion in der Regel ein Aufgabenzuwachs durch die Übernahme von Wahlkreisterminen. All diese Aufgaben können jedoch in der Regel gleichmäßig auf mehrere Abgeordnete verteilt werden, so dass sich die individuelle Belastung in Grenzen halten lassen kann. Nicht relevant ist zudem die fehlende Eigenbegünstigung anderer Gruppen von Abgeordneten. Zwar könnten grundsätzlich auch Abgeordnete ohne Kinder im entsprechenden Kleinkindalter ein Interesse daran haben, ihr Mandat eine Zeitlang nicht auszuüben. Zu denken ist in diesem Zusammenhang beispielsweise an Abgeordnete mit zu pflegenden Elternteilen oder Ehepartnern, die vor einer vergleichbaren Schwierigkeit stehen können, die Mandatspflichten auf der einen Seite und den Betreuungsbedarf der Angehörigen auf der anderen Seite in einen angemessenen Ausgleich zu bringen. Ihr möglicherweise ebenfalls bestehendes Bedürfnis nach einer parlamentarischen Auszeit steht dem Elternzeitinteresse der Abgeordneten mit neugeborenen Kindern jedoch nicht entgegen: Denn die Einführung von Elternzeitregelungen berührt sie – über die oben beschriebenen punktuellen Zusatzverpflichtungen hinaus – nicht in ihren eigenen parlamentari342 Vgl. zu den Voraussetzungen der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne BVerfGE 30, 292, 416; 96, 10, 21; 113, 167, 260, jeweils m.w. N.

3. Kap.: Elternzeit

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schen Rechten. Soweit darüber hinaus eine parlamentarische Auszeit für Abgeordnete mit zu pflegenden Angehörigen für erforderlich gehalten wird, wäre es eine weitere gesetzgeberische Aufgabe, die Einführung einer parlamentarischen Pflegezeit – etwa in Anlehnung an das Pflegezeitgesetz – zu erwägen. Aus den gleichen Gründen erleiden auch weitere Abgeordnetengruppen mit einem potentiellen Interesse an einer Auszeit durch die Einführung von Elternzeitregelungen für Parlamentsmitglieder keinen weiteren Nachteil. Insoweit kann davon ausgegangen werden, dass unter gewissen Umständen auch Abgeordnete, die ein Unternehmen führen, in bestimmten Wirtschafts- oder Geschäftslagen ein Interesse daran hegen können, sich verstärkt um das Unternehmen zu kümmern und das Mandat für diesen Zeitraum verringert oder gar nicht wahrzunehmen. Ähnlich steht es um Abgeordnete, die ein hohes Amt innerhalb der Partei übernehmen – etwa den Parteivorsitz oder das der Generalsekretärin oder des Generalsekretärs. Auch sie sind aufgrund dieser besonderen Zusatzbelastung vorübergehend oder auf Dauer nicht in der Lage, die eigentlich zur Mandatsausübung erforderliche Zeit zur gewissenhaften Ausübung desselben aufzubringen. Auch Regierungsmitglieder mit gleichzeitigem Parlamentsmandat stehen vielfach vor der Schwierigkeit, Letzteres in den Mittelpunkt der eigenen Tätigkeit zu stellen. Abgesehen von den bremischen und hamburgischen Senatsmitgliedern343 besteht für all diese Abgeordneten jedoch nach geltender Rechtslage keine Möglichkeit einer gesetzlich geregelten Einschränkung oder eines zeitlich befristeten Pausierens des Mandats. Gerade diejenigen Abgeordneten, die neben ihrem Mandat ein höheres Parteioder Regierungsamt innehaben, werden jedoch regelmäßig fraktionsintern von Vertretungspflichten und ähnlichem ausgenommen oder sind sogar selbst gänzlich von der Teilnahme an Ausschusssitzungen und vergleichbaren Veranstaltungen befreit. Die parlamentarische Arbeit von Regierungsmitgliedern erschöpft sich größtenteils in der Teilnahme an Plenarsitzungen; sie sind demzufolge (auch) in dieser Hinsicht ihrerseits bereits gegenüber ihren Parlamentskolleginnen und -kollegen zumindest faktisch privilegiert. In der Wahrnehmung ihrer parlamentarischen Rechte sind sie durch die Einführung von Elternzeitregelungen – ebenso wie die Abgeordneten mit zu pflegenden Angehörigen – jedenfalls nicht mehr betroffen als alle übrigen nicht elternzeitberechtigten Abgeordneten. Im Übrigen ist die Bevorzugung der elternzeitberechtigten Abgeordneten auch deshalb mit dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu vereinbaren, weil das Familienrecht des Art. 6 Abs. 1 GG eine Besserstellung von Familien zwar nicht gebietet, aber gleichwohl erlaubt.344 Der durch Art. 6 Abs. 1 GG an den Staat gerichtete Auftrag zum Schutz der Familie und die den 343 Vgl. dazu nachfolgend im dritten Teil, zweites Kapitel, B. II. 1. a) und b), S. 263 ff. 344 Pieroth/Schlink, 24. Auflage 2008, Rn. 458a.

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2. Teil: Verfassungsrechtliches Gebot zur Einf. v. Mutterschutz/Elternzeit

Eltern durch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG als natürliches Recht zugebilligte Befugnis zur Pflege und Erziehung ihrer Kinder wiegen insoweit schwerer als das Interesse der übrigen Abgeordneten an der Gleichbehandlung. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund der tatsächlichen Vorteile, die mit der Einführung einer parlamentarischen Elternzeit verbunden sind sowie vor dem Hintergrund der verfassungsmäßigen Gründe, die ihre Einführung erfordern: Der generative Beitrag, den Eltern durch die Geburt sowie durch die Pflege und Erziehung von Kindern zugunsten des Fortbestandes der Gesamtgesellschaft und somit zugunsten jedes Einzelnen leisten,345 ist nicht nur im Angesicht des die Würde jedes einzelnen Menschen in den Mittelpunkt stellenden Menschenbildes des Grundgesetzes,346 sondern auch aus profanen Selbsterhaltungsgründen der bundesdeutschen Gesellschaft in höchstem Maße achtenswert und förderungswürdig. Dem aus Art. 6 Abs. 1 GG folgenden Schutz- und Förderauftrag347 des Staates entspringt daher die Verpflichtung zur Förderung einer kinderfreundlichen Gesellschaft.348 In der Annahme, dass die Interessen eines Kindes am besten durch dessen Eltern wahrgenommen werden können,349 obliegt es diesen allein, die Pflege und Erziehung des Kindes nach ihren eigenen Vorstellungen gestalten.350 Dabei steht es ihnen frei zu entscheiden, ob sie ihr Kind selbst betreuen oder es fremdbetreuen lassen.351 Dementsprechend ergibt sich aus der Schutzpflicht des Art. 6 Abs. 1 GG zugleich auch die Aufgabe des Staates, die Kinderbetreuung in der von den Eltern gewählten Form in ihren tatsächlichen Voraussetzungen zu ermöglichen und dafür Sorge zu tragen, dass die Wahrnehmung der Kindererziehungsaufgabe nicht zu beruflichen Nachteilen führt.352 Dem Staat obliegt es demnach, dafür Sorge zu tragen, dass entsprechende beruflich-politische Benachteiligungen der die eigenen Kinder für einen gewissen Zeitraum selbst betreuenden Abgeordneten unterbleiben. Vor dem Hintergrund der geschilderten Rechtslage und der tatsächlich geübten Praxis in den deutschen Parlamenten ist diese durch Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG garantierte Möglichkeit der – zeitlich befristeten – eigenen Kinderbetreuung nicht anders als durch die Einführung von Elternzeitregelungen zu erreichen. Das im Vergleich dazu auf einer eher geringfügigen Beeinträchtigung beruhende Interesse der nicht elternzeitberechtigten Abgeordneten auf Gleichbehand345

BVerfGE 88, 203, 259 f.; ähnlich Brosius-Gersdorf, in: Dreier, Art. 6, Rn. 129. BVerfGE 2, 1, 12; 39, 1, 67. 347 BVerfGE 130, 240, 256; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 6, Rn. 52. 348 BVerfGE 88, 203, 260. 349 BVerfGE 72, 122, 139 f. 350 BVerfGE 24, 119, 143; 47, 46, 69 f.; Brosius-Gersdorf, in: Dreier, Art. 6, Rn. 141. 351 BVerfGE 99, 216, 231 f.; vgl. auch oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, B. II., S. 199. 352 BVerfGE 88, 203, 260; 99, 216, 234. 346

3. Kap.: Elternzeit

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lung aus Art. 3 Abs. 1 GG muss insoweit hinter dem durch Art. 6 Abs. 1 und 2 GG gewährten Familien- und Elterngrundrecht zurückstehen. Die Bevorzugung der elternzeitberechtigten Abgeordneten gegenüber den Mitgliedern desselben Parlaments ist demzufolge mit dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Andere mögliche Kollisionen mit Verfassungsnormen sind nicht ersichtlich. IV. Ergebnis zu Art. 6 Abs. 1 i.V. m. Abs. 2 Satz 1 GG Das Familienrecht des Art. 6 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG gebietet dem Gesetzgeber folglich die Einführung von Elternzeitregelungen für Abgeordnete.

B. Allgemeiner Gleichheitssatz, Art. 3 Abs. 1 GG Darüber hinaus könnte sich auch aus dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ein an den Gesetzgeber gerichtetes Gebot zur Einführung von Elternzeitregelungen für Abgeordnete ergeben – denn durch deren bisherige Nichtexistenz werden Parlamentsmitglieder anders behandelt als die dem BEEG unterfallende große Mehrheit aller berufstätigen Eltern in Deutschland, die sich aus Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, Auszubildenden, in Heimarbeit Beschäftigten und ihnen Gleichgestellten sowie aus Beamtinnen, Beamten und Selbstständigen zusammensetzt.353 I. Verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung Anders als im Rahmen der Überlegungen zum verfassungsrechtlichen Gebot aus Art. 6 Abs. 1 und 2 Satz 1 GG ergibt sich die Ungleichbehandlung hier nicht aus einem Vergleich der unterschiedlichen Abgeordnetengruppen, sondern aus einem Vergleich der verschiedenen Elterngruppen je nach beruflicher Tätigkeit. Gemeinsamer Oberbegriff ist dabei der der berufstätigen Eltern. Wie bereits dargestellt, kann die Wahrnehmung des Parlamentsmandats im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts354 als berufliche Tätigkeit eingeordnet werden.355 Abgeordnete sind insoweit also ebenso als berufstätig anzusehen wie die dem BEEG unterfallenden Berufsgruppen. Dadurch, dass das BEEG auf Abgeordnete keine Anwendung findet, werden also zwei Gruppen berufstätiger Eltern unterschiedlich behandelt: Abgeordnete auf der einen Seite und die übrigen berufstätigen Eltern auf der anderen Seite. 353

Vgl. oben im ersten Teil, viertes Kapitel, A.V., S. 120. BVerfGE 32, 157, 164; 40, 296, 311 und 314; 118, 277, 325; vgl. auch Wiefelspütz, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, § 12, Rn. 37. 355 Vgl. oben im ersten Teil, zweites Kapitel, B., S. 71 f. 354

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2. Teil: Verfassungsrechtliches Gebot zur Einf. v. Mutterschutz/Elternzeit

Es stellt sich daher die Frage, ob zwischen den beiden Gruppen berufstätiger Eltern Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen.356 Mit der Einführung des BEEG wollte die Gesetzgebung, wie oben festgestellt,357 den Eltern neugeborener Kinder einen Schonraum eröffnen, in dem sie ohne tiefgreifende Einkommenseinbrüche in ihr Familienleben hineinfinden und sich vorrangig der Betreuung ihrer Kinder widmen können.358 Im Fokus standen hier also auf der einen Seite die Schwierigkeit junger Eltern, ihre Arbeit ohne berufliche Nachteile für einige Zeit zu unterbrechen und auf der anderen Seite das Bedürfnis dieser Eltern, sich selbst um das wenige Wochen oder Monate alte Kind zu kümmern. Durch die Schaffung der Elternzeit und des Elterngeldes nach dem BEEG legte der Staat die Grundlage für junge Eltern, diese zuvor widerstreitenden Interessen miteinander in Einklang zu bringen. Die wirtschaftliche Existenz beider Elternteilen wird dadurch gleichermaßen gesichert und die Chance der Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird erhöht.359 Wie bereits dargelegt, unterscheiden sich – insbesondere vor dem Hintergrund ihrer umfassenden mandatsbezogenen Obliegenheiten – die Schwierigkeiten von Abgeordneten mit neugeborenen Kindern nicht von denen anderer Berufstätiger in der gleichen Situation.360 Wenngleich Parlamentsmitglieder nach der hier vertretenen weiten Auslegung der Mandatsfreiheit keiner bestimmten Anwesenheitspflicht obliegen, sondern stattdessen verpflichtet sind, gemeinsam mit den übrigen Abgeordneten für die Funktionsfähigkeit des Parlaments Sorge zu tragen,361 können sie es sich – sofern sie anstreben, dem Parlament noch für längere Zeit anzugehören und gegebenenfalls politisch aufzusteigen – faktisch nicht erlauben, dem politischen Betrieb für mehrere Monate eigenmächtig fernzubleiben.362 Dementsprechend müssen sie sich in letzter Konsequenz entscheiden: Entweder Abgeordnetenberuf oder Kinderbetreuung. Das eigene neugeborene Kind über einen Zeitraum von mehreren Monaten hinweg überwiegend selbst zu versorgen, 356 Vgl. hierzu die st. Rspr. des BVerfG, vgl. BVerfGE 107, 27, 46; 117, 316, 325 m.w. N. 357 Vgl. oben in der Einleitung, A. II., S. 29 sowie im ersten Teil, viertes Kapitel, A. III., S. 118. 358 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des Elterngeldes, BT-Drs. 16/2454, S. 2 und 14; Othmer, in: Roos/Bieresborn, BEEG § 1, Rn. 6. 359 Vgl. dazu den Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des Elterngeldes, BT-Drs. 16/2454, S. 2. 360 Vgl. zu den Auswirkungen fehlender Elternzeitregelungen oben im ersten Teil, fünftes Kapitel, B. I. 2. und B. II., S. 145 ff. 361 Vgl. oben im ersten Teil, zweites Kapitel, C. III. 2. b) cc), S. 86. 362 BVerfGE 40, 296, 312; vgl. zu den Auswirkungen des eigenmächtigen Fernbleibens, auch zum Folgenden, oben im ersten Teil, fünftes Kapitel, B. I. 1. b) bb), S. 134 ff.

3. Kap.: Elternzeit

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ist in aller Regel nicht ohne gravierende beruflich-politische Nachteile bis hin zum Ende der berufspolitischen Laufbahn möglich. Im Hinblick auf die persönliche und zeitliche Einbindung in eine übergelagerte Organisation genießen Abgeordnete aufgrund der ihnen durch Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG gewährten Mandatsfreiheit zwar einen weitaus größeren beruflichen Freiraum als Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer, arbeitnehmerähnliche Personen, Beamtinnen und Beamte. Insoweit sind sie jedoch durchaus mit Selbständigen vergleichbar. Selbständige unterfallen indes dem Geltungsbereich des BEEG und erhalten über den Umweg über das Elterngeld eine faktische Elternzeit: Denn Elterngeld wird auch Selbständigen nach § 1 BEEG nur gewährt, wenn sie ihr Kind selbst erziehen und betreuen und keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausüben. Obschon Selbständige keinem Vertragspartner zu Diensten verpflichtet sind, erhalten sie unter dem Erfordernis der (vollen oder teilweisen) Erwerbstätigkeitspause die Gelegenheit der gemeinsamen Familienzeit mit ihrem Kind. Abgeordneten (außerhalb des Landtages von Baden-Württemberg) wird diese Möglichkeit trotz der vergleichbaren Interessenlage und der vergleichbaren beruflichen Situation hingegen nicht gewährt. Hier wird also wesentlich Gleiches unterschiedlich behandelt, so dass eine verfassungsrechtlich relevante und somit rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung vorliegt. II. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Ob die Ungleichbehandlung der beiden Elterngruppen verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist, ist indes fraglich. 1. Prüfungsumfang

In Bezug auf die an die Prüfungsintensität der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung nach Art. 3 Abs. 1 GG zu stellenden Anforderungen363 ist eine deutliche Parallele zur Ungleichbehandlung der Mütter unter den Abgeordneten gegenüber den dem Mutterschutzgesetz unterfallenden Frauen zu erkennen.364 Insoweit ist auch hier festzustellen, dass die Ungleichbehandlung eher personen- als sachbezogen ist, denn es wird zwischen Abgeordneten und Nichtabgeordneten – jeweils mit Kleinkindern bis zu einer bestimmte Altersgrenze – unterschieden. Dieses Unterscheidungskriterium kann von den Betroffenen auch nur bedingt beeinflusst werden. Zwar ist jedes Parlamentsmitglied frei darin, das Mandat niederzulegen. Jedoch würde das Erfordernis des Mandatsverzichts zum Eintritt in den persönlichen Geltungsbereich des BEEG die Abgeordneten in ihrer durch Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG gewährten Mandatsfreiheit berühren. Die Beeinflus-

363 364

Vgl. oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, D. II. 1., S. 207. Vgl. oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, D. II. 1., S. 207 ff.

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2. Teil: Verfassungsrechtliches Gebot zur Einf. v. Mutterschutz/Elternzeit

sung des Kriteriums ist also nur unter Inkaufnahme von Einschränkungen grundgesetzlich geschützter Werte erreichbar und somit nicht ohne Weiteres möglich. Darüber hinaus ähnelt die Differenzierung zwischen Abgeordneten und NichtAbgeordneten auch in diesem Fall dem nach Art. 3 Abs. 3 GG verbotenen Kriterium der Unterscheidung nach der politischen Anschauung der Abgeordneten, die ihre politische Gesinnung ja gerade zu ihrem Lebensmittelpunkt und zum Inhalt ihrer beruflichen Tätigkeit gemacht haben.365 Schließlich erschwert die Schlechterstellung der Abgeordneten auch deren Gebrauch grundrechtlich geschützter Freiheiten – insbesondere die Wahrnehmung des Familien- und des Elternrechts aus Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG. Die Ungleichbehandlung wiegt demnach schwer. Eine potentielle Rechtfertigung ist daher auch hier einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung zu unterziehen. 2. Verhältnismäßigkeit

a) Verfassungsrechtlich legitimes Ziel der Ungleichbehandlung Wenn die Diskriminierung der Abgeordneten mit Kindern in einem bestimmten Alter gerechtfertigt sein soll, muss sie zunächst einem durch die Verfassung legitimierten Ziel dienen. Noch weniger als die Einführung von Mutterschutzregelungen für Parlamentarierinnen wurde die Einführung einer Elternzeitregelung für Abgeordnete bislang ernsthaft im parlamentarischen Raum außerhalb Baden-Württembergs diskutiert. Demnach ist davon auszugehen, dass auch diese Ungleichbehandlung nicht von einer erkennbaren gesetzgeberischen Entscheidung getragen ist und damit keinem speziellen Ziel dient, sondern ein rein absichtsloses Unterlassen darstellt. Würde man nach einem Ziel suchen, so könnte man dieses bei wohlwollender Betrachtung auch im Fall der Elternzeit für Abgeordnete in dem im Demokratieprinzip wurzelnden Erfordernis der Sicherung der Funktionsfähigkeit der Parlamente finden. Insoweit gelten die zum Mutterschutz ausgeführten Erwägungen entsprechend.366 Auch für den Fall der Schaffung von Elternzeitregelungen für Abgeordnete ist es zwar äußerst unwahrscheinlich, aber dennoch denklogisch nicht mit Absolutheit auszuschließen, dass mehr als die Hälfte der Abgeordneten desselben Parlaments gleichzeitig Elternzeit nimmt, so dass die Arbeits- und Beschlussfähigkeit der Volksvertretung gefährdet wäre. Ein anderweitiger verfassungsmäßig legitimierter Zweck, der mit der Schlechterstellung der Abgeordneten verfolgt werden könnte, ist nicht zu erkennen. 365 Vgl. zu diesem Kriterium oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, D. II. 1. b), S. 209 f. 366 Vgl. oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, D. II. 2. a), S. 211 f.

3. Kap.: Elternzeit

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b) Hilfsweise: Geeignetheit Unterstellt, dass der Ausschluss der Abgeordneten von der Gewährung von Elternzeit dem Ziel der Wahrung der Funktionsfähigkeit der Parlamente diente, müsste dieser Ausschluss auch geeignet sein, um dieses gedachte Ziel zu erreichen. Geeignet ist eine Maßnahme dann, wenn sie den gewünschten Erfolg fördert, wobei die abstrakte Möglichkeit der Zweckerreichung ausreicht.367 Wird den Abgeordneten die Inanspruchnahme von Elternzeit versagt, so ist vor dem Hintergrund der bereits dargestellten anderweitig drohenden beruflich-politischen Nachteile davon auszugehen, dass die überwiegende Mehrheit der betreffenden Abgeordneten dem Parlament zumindest nicht aus Gründen der Kinderpflege und -betreuung fernbleiben wird.368 Die Funktionsfähigkeit des jeweiligen Parlaments wird durch das Unterlassen der Schaffung von Elternzeit für Abgeordnete also unzweifelhaft gefördert. Zwar droht eine tatsächliche Gefahr für die Funktionsfähigkeit der Parlamente nur dann, wenn in einem einzelnen Parlament mindestens die Hälfte der Abgeordneten gleichzeitig Elternzeit in Anspruch nimmt und das Parlament keine Kompensationsmaßnahmen wie etwa eine Nachfolge in das ruhende Mandat von Elternzeitabgeordneten369 vorsieht. Vor dem Hintergrund der Zusammensetzung der deutschen Parlamente erscheint dies als äußerst unwahrscheinlich. Zudem ist in Anbetracht der bisherigen Entwicklung der Altersstruktur der Volksvertretungen seit Beginn des deutschen Parlamentarismus sowie vor dem Hintergrund der Altersstrukturen der die Mandatsbewerber stellenden politischen Parteien auch nicht mit einem baldigen drastischen Umschwung im Sinne einer durchschnittlichen Verjüngung der Parlamente um mindestens zehn bis zwanzig Jahre zu rechnen.370 Dennoch ist eine solche Konstellation zumindest denklogisch nicht ausgeschlossen, so dass – bei Nichtvorhandensein jeglicher Kompensationsmechanismen – die Nichtgewährung von Elternzeit für Abgeordnete das (in diesem Zusammenhang fiktive) Ziel der Wahrung der Funktionsfähigkeit der Parlamente zumindest fördert. Die Ungleichbehandlung der Abgeordneten gegenüber den übrigen berufstätigen Eltern wäre also geeignet, um dieses hilfsweise unterstellte Ziel zu erreichen. 367

Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 20, Rn. 118 m.w. N. Vgl. zu den Auswirkungen fehlender Elternzeit für Abgeordnete auch oben im ersten Teil, fünftes Kapitel, B. I. 2., S. 140 ff. 369 Vgl. dazu unten im dritten Teil, zweites Kapitel, B. III., S. 297 ff. 370 Der Altersdurchschnitt der Mitglieder des Deutschen Bundestages der aktuellen 19. Wahlperiode lag zu deren Beginn bei 49,4 Jahren, Internetseite des Deutschen Bundestages, https://www.bundestag.de/blob/272474/4a216913aff5f5c25c41572257a57 e4a/kapitel_03_02_durchschnittsalter-pdf-data.pdf, zuletzt aufgerufen am 12. Dezember 2019. 368

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2. Teil: Verfassungsrechtliches Gebot zur Einf. v. Mutterschutz/Elternzeit

c) Hilfsweise: Erforderlichkeit Darüber hinaus müsste die Benachteiligung der Abgeordneten-Eltern gegenüber anderen Eltern jedoch auch erforderlich sein, um das unterstellte Ziel der Sicherung der Funktionsfähigkeit der Parlamente zu erreichen. Ebenso wie in der Konstellation eines Mutterschutzes für Abgeordnete stehen den Parlamenten jedoch auch in diesem Fall andere, weitaus schonendere Mittel als die Verwehrung von Elternzeit zur Verfügung, um ihre Beschluss- und generelle Arbeitsfähigkeit aufrechtzuerhalten. Wie bereits festgestellt, hat sich das Kriterium der Erforderlichkeit dabei nicht an jeder noch so unwahrscheinlichen, rein denklogisch nicht auszuschließenden, Möglichkeit zu orientieren, sondern muss sich an den tatsächlichen und zukünftig nach allgemeiner Lebenserfahrung zu erwartenden Gegebenheiten ausrichten.371 Unter dieser Voraussetzung ist festzustellen, dass den Parlamenten die Wahrung ihrer Funktionsfähigkeit auch bei Gewährung von Elternzeit für Abgeordnete möglich ist. Zum einen ist vor dem Hintergrund der traditionellen Zusammensetzung der deutschen Parlamente davon auszugehen, dass die Anzahl der jeweils gleichzeitig Elternzeit in Anspruch nehmenden Abgeordneten überschaubar sein dürfte, so dass die Funktionsfähigkeit der Parlamente ohnehin nicht gefährdet wäre. Gleichwohl steht es den Parlamenten auch in derartigen Fällen frei, die parlamentarischen Aufgaben im Rahmen ihres Selbstbestimmungsrechts und ihrer Geschäftsordnungsautonomie372 so zu gestalten, dass ihren Mitgliedern die Sitzungsteilnahme und die Übernahme weiterer Angelegenheiten möglichst komfortabel gestaltet oder zumindest nicht erschwert wird. Im Übrigen sind die Parlamente auch im Rahmen der Gestaltung ihrer Geschäftsordnungen und ihrer Abgeordnetengesetze befugt, Regelungen zu schaffen, die eine disziplinierende Wirkung auf ihre Mitglieder haben. Zum zweiten sind selbst für den äußerst unwahrscheinlichen Fall, dass die Mehrheit aller Abgeordneten in einem Parlament gleichzeitig Elternzeit in Anspruch nimmt, Maßnahmen denkbar, die die Arbeits- und Beschlussfähigkeit der Volksvertretung gleichwohl gewährleisten. In Betracht kommen auch in diesem Zusammenhang etwa das Ruhen der betreffenden Mandate mit befristeter Nachfolge oder die Teilnahme per Fernabstimmung. Auch hier bleibt die Wahl einer entsprechenden Option dem jeweiligen Parlament genauso vorbehalten wie die entsprechende Ausgestaltung der Instrumente, deren verfassungsmäßige Zulässigkeit und rechtspolitische Qualität im dritten und vierten Teil dieser Arbeit dezidiert dargestellt werden.373 Festzustellen ist jedoch bereits an dieser Stelle, dass 371

Vgl. oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, D. II. 2. c), S. 213. Für den Deutschen Bundestag ergibt sich die Selbstbestimmung über Organisation und Verfahren aus Art. 40 Abs. 1 GG. 373 Vgl. unten im dritten Teil, S. 240 ff. und im vierten Teil, S. 393 ff. 372

3. Kap.: Elternzeit

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die Abwesenheit von Abgeordneten zum Zwecke der Elternzeit in verfassungsrechtlich zulässiger Weise kompensiert werden kann. Um die Funktionsfähigkeit der Parlamente zu erhalten, bedarf es daher nicht der Versagung von Elternzeitregelungen für Abgeordnete. Die Benachteiligung der Abgeordneten gegenüber den übrigen berufstätigen Eltern ist daher nicht erforderlich. d) Hilfsweise: Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne Überdies müsste die Schlechterstellung der Abgeordneten mit Kleinkindern gegenüber anderen Berufstätigen mit Kindern im selben Alter auch angemessen, also im engeren Sinne verhältnismäßig sein. Angesichts der vorwiegenden Personenbezogenheit des Unterscheidungskriteriums, seiner für die Betroffenen nur unter Preisgabe grundgesetzlich geschützter Rechtsgüter möglicher Beeinflussbarkeit, seiner Nähe zu einem der verbotenen Kriterien des Art. 3 Abs. 3 GG und der Erschwerung des Gebrauchs grundrechtlich geschützter Freiheiten ist festzustellen, dass die Ungleichbehandlung der beiden Vergleichsgruppen berufstätiger Eltern von schwerem Gewicht ist.374 Dem steht zwar – unterstellt, die Differenzierung wäre geeignet und erforderlich, den gedachten Zweck zu erreichen – mit dem dem Demokratieprinzip entspringenden Erfordernis der Funktionsfähigkeit der Parlamente ein hohes Gut von Verfassungsrang gegenüber. Gleichwohl ist fraglich, ob das grundrechtlich durch Art. 3 Abs. 1 GG geschützte Interesse der betroffenen Eltern an einer Gleichbehandlung dahinter zurückstehen muss. Ähnlich wie im Falle des Mutterschutzes müssen im allgemeinen Berufsleben außerhalb der Parlamente sowohl Wirtschaft als auch Staat mit der Möglichkeit der Inanspruchnahme von Elternzeit umgehen. Sowohl privaten als auch öffentlichen Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern wird insoweit zugemutet, diese Zeit anderweitig zu überbrücken und die anfallende Arbeit alternativ erledigen zu lassen. Auch im allgemeinen Wirtschaftsleben ist es denklogisch nicht ausgeschlossen, dass alle Beschäftigten eines Unternehmens gleichzeitig Elternzeit in Anspruch nehmen. Tatsächlich ist dies gerade in kleinen Betrieben mit wenigen Beschäftigten sogar nicht unwahrscheinlich – ganz im Gegensatz zu den zahlenmäßig wesentlich stärker besetzten Parlamenten. Der Gesetzgeber räumt dem Interesse der Eltern an der Vereinbarkeit von Familie und Beruf jedoch einen höheren Stellenwert ein als dem durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Interesse des Arbeitgebers am reibungslosen Betrieb seines Unternehmens – und im Übrigen auch dem Interesse des Staates am störungsfreien Betrieb seiner Behörden. Gleichermaßen ist es auch den Parlamenten zuzumuten, mit der Inanspruchnahme von Elternzeit durch ihre Abgeordneten umzugehen.

374

Vgl. oben im zweiten Teil, drittes Kapitel, B. II. 1, S. 234.

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2. Teil: Verfassungsrechtliches Gebot zur Einf. v. Mutterschutz/Elternzeit

Dies gilt umso mehr, als der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG auch im Lichte des Art. 6 Abs. 1 und 2 Satz 1 GG, im Lichte des Art. 6 Abs. 2 GG und im Lichte des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG zu betrachten ist. Der in Art. 6 Abs. 1 und 2 GG verbriefte Schutz- und Förderauftrag375 richtet das Gebot an den Staat, eine kinderfreundliche Gesellschaft zu fördern.376 Der Schutzauftrag zugunsten der Familie aus Art. 6 Abs. 1 GG und die Gleichstellung von Mann und Frau im Arbeitsleben aus Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG verpflichten den Gesetzgeber, Grundlagen dafür zu schaffen, dass Familie und Erwerbstätigkeit aufeinander abgestimmt werden können und die Wahrnehmung der familiären Erziehungsaufgabe nicht zu beruflichen Nachteilen führt.377 Gerade aufgrund der hohen Bedeutung für den Fortbestand der Gemeinschaft, die der generative Beitrag aller Eltern durch die Geburt und die Erziehung von Kindern innehat, muss die Förderung einer familienfreundlichen Gesellschaft anderen Verfassungsgütern vorgehen. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass dem Parlament weitere Möglichkeiten zur Sicherung seiner Funktionsfähigkeit zur Verfügung stehen, ist der Nutzen der Verwehrung einer Elternzeitregelung für Abgeordnete dagegen überschaubar. Die demgegenüber als schwerwiegend einzuschätzende Ungleichbehandlung der beiden Elterngruppen steht daher außer Verhältnis zu ihrem hier ohnehin nur hypothetisch unterstellten Zweck. Die Zumutbarkeitsgrenze ist demzufolge überschritten. Damit ist die Diskriminierung der Abgeordneten mit Kindern bis zu einer gewissen Altersgrenze auch im engeren Sinne unverhältnismäßig. Die Ungleichbehandlung der beiden Elterngruppen ist also nicht erforderlich, um das bislang nicht von einer erkennbaren gesetzgeberischen Entscheidung getragene, sondern lediglich hypothetische Ziel der Sicherung der Funktionsfähigkeit der Parlamente zu erreichen. Darüber hinaus ist sie auch unzumutbar und damit im Ganzen verfassungsmäßig unverhältnismäßig. III. Folge des Gleichheitsverstoßes und Ergebnis zu Art. 3 Abs. 1 GG Die Folgen des Gleichheitsverstoßes entsprechen denen der verfassungswidrigen Exklusion weiblicher Abgeordneter vom gesetzlichen Mutterschutz.378 Dementsprechend ist davon auszugehen, dass sich das Gestaltungsermessen des Gesetzgebers im Falle der Unvereinbarkeit einer begünstigenden Regelung mit Art. 3 Abs. 1 GG dahingehend verengt, dass ihn nunmehr die Verpflichtung trifft, 375

BVerfGE 130, 240, 256; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 6, Rn. 52. BVerfGE 88, 203, 260. 377 BVerfGE 88, 203, 260; zum allgemeinen Gebot an den Staat, die durch Schwangerschaft, Geburt und Stillzeit verursachten besonderen Lasten der Mütter auszugleichen Brosius-Gersdorf, in: Dreier, Art. 6, Rn. 221. 378 Vgl. oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, D. III., S. 215. 376

3. Kap.: Elternzeit

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eine verfassungskonforme Regelung zu erlassen.379 Um eine Gleichbehandlung der hier betroffenen Elterngruppen zu erreichen bestehen demnach theoretisch zwei Möglichkeiten: Entweder schafft der Gesetzgeber die Elternzeit auch für die bisher nach dem BEEG zu ihrer Inanspruchnahme berechtigten Eltern ab oder er führt eine vergleichbare Elternzeitregelung für Abgeordnete ein. Dabei dürfte die Abschaffung der Elternzeit nach dem BEEG jedoch bereits deshalb kaum in Betracht kommen, weil das Institut der Elternzeit auch auf das Familienrecht des Art. 6 Abs. 1 GG und das Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG gestützt wird, so dass eine Auflösung der begünstigenden Regelungen mit diesen Grundrechten in Konflikt geriete. Darüber hinaus hat sich das Institut seit vielen Jahren in der Praxis bewährt. Insoweit besteht nicht nur ein weitestgehender politischer Konsens zu seiner Beibehaltung; vielmehr vertrauen auch (werdende) Eltern deutschlandweit darauf, Elternzeit in Anspruch nehmen zu können. Es ist daher davon auszugehen, dass eine Abschaffung der bisherigen Elternzeitregelungen nach dem BEEG sowohl rechtlich problematisch als auch gesellschaftspolitisch kaum durchsetzbar wäre. Diese Option ist daher realistischerweise auszuschließen. Dies zugrundegelegt trifft den Gesetzgeber aus dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG die als einzige weitere Option verbleibende verfassungsrechtliche Pflicht, die Ungleichbehandlung der Abgeordneten mit Kindern bis zu einer den Grenzen des BEEG entsprechenden Altersgrenze gegenüber den dem BEEG unterfallenden berufstätigen Eltern abzustellen, indem er Elternzeitregelungen für Abgeordnete einführt. Auch aus dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ergibt sich daher das an die Gesetzgebung gerichtete Gebot zur Schaffung von Elternzeitregelungen für Abgeordnete.

C. Ergebnis: Verfassungsrechtliches Gebot der Einführung von Elternzeitregeln für Abgeordnete Sowohl das Familienrecht des Art. 6 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG als auch der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebieten der gesetzgebenden Gewalt also die Einführung von Elternzeitregelungen für Abgeordnete.

379

Vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 3, Rn. 32.

Dritter Teil

Lösungsansätze – mögliche Regelungsoptionen und ihre verfassungsrechtliche Zulässigkeit – das „Wie“ Erstes Kapitel

Regelungsoptionen Nachdem sich der zweite Teil der Untersuchung also mit dem „Ob“ eines an den Staat gerichteten Gebots zur Einführung von Mutterschutz und Elternzeit für Abgeordnete befasst – und dieses bejaht – hat, konzentriert sich der nun folgende dritte Teil auf das „Wie“. Vor dem Hintergrund der oben dargelegten verfassungsrechtlichen Verpflichtung des Staates zur Schaffung entsprechender Regelungen ist nunmehr zu überlegen, wie diese Regelungen ausgestaltet werden können und welche dieser Regelungsoptionen verfassungsrechtlich zulässig sind: Denn aus dem verfassungsrechtlichen Gebot alleine ergibt sich nicht zwangsläufig die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer jeden – wenngleich möglicherweise rechtspolitisch sinnvollen – Regelungsoption.

A. Grundsätzliche Voraussetzungen Ansatzpunkt für die Auswahl möglicher Regelungsoptionen ist die Frage, wie die möglicherweise widerstreitenden Interessen der mutterschutz- bzw. elternzeitwilligen Abgeordneten auf der einen Seite und die Interessen des Parlaments als Ganzem an der reibungslosen Aufrechterhaltung seiner Funktionsfähigkeit auf der anderen Seite miteinander in Einklang gebracht werden können. Ziel muss es sein, eine für alle Seiten praktikable Lösung zu finden, die selbstverständlich zugleich verfassungsrechtlichen Anforderungen standhält. In den Fokus genommen werden daher nur solche Regelungsmöglichkeiten, die im Sinne der Funktionsfähigkeit der Parlamente – und damit mittelbar auch des Demokratieprinzips der Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1, Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG – in der tatsächlichen Parlamentspraxis des beginnenden 21. Jahrhunderts durchführbar sind und die gleichzeitig eine spürbare Verbesserung für die betroffenen Eltern-Abgeordneten mit sich bringen. Dabei fließen zwangsläufig bereits rechtspolitische Erwägungen in die Festlegung der zu überprüfenden Regelungsoptionen ein.

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I. Festzulegende Dauer Sowohl Mutterschutz als auch Elternzeit für Abgeordnete können in einem geregelten Parlamentsablauf nur funktionieren, wenn ihre Dauer von vornherein festgelegt ist. Dies ergibt sich bereits aus dem für den Deutschen Bundestag in Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG zum Ausdruck kommenden Repräsentationsprinzip in Verbindung mit dem Erfordernis der Funktionsfähigkeit des Parlaments: Wie bereits ausgeführt, verpflichtet dieses die Abgeordneten in ihrer Gesamtheit, für die Funktionsfähigkeit des Parlaments Sorge zu tragen und die grundsätzliche Beschlussfähigkeit sowie die sonstige Arbeitsfähigkeit der Volksvertretung und ihrer Organe gegebenenfalls durch Absprachen innerhalb des Kollegialorgans Parlament sicherzustellen.1 Im Rahmen eines kollegialen Miteinanders ist es dementsprechend unabdingbar, dass das mutterschutz- bzw. elternzeitwillige Mitglied bereits einige Zeit vor Antritt der parlamentarischen Auszeit mitteilt, dass es eine solche in Anspruch nehmen will und – sofern man die Entscheidung über die Dauer dem Parlamentsmitglied überlässt – wie lange diese dauern soll. Dies gilt umso mehr für den Fall, dass die Zeit des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit durch das befristete Nachrücken einer Ersatzperson kompensiert werden soll:2 In diesem Fall bedarf es eines gewissen Vorlaufes, um die zur Nachfolge berufene Person zu benachrichtigen und sie aufzufordern, binnen einer festgelegten Zeitspanne zu erklären, ob sie die Nachfolge annimmt.3 Lehnt die nächste Nachrückperson die Nachfolge ab, so ist wiederum die nächstberufene Person zu informieren und zur Erklärung aufzufordern. In Konstellationen geringer Nachfolgebereitschaft kann dies einige Wochen in Anspruch nehmen. Darüber hinaus wird die Nachfolgeperson in der Regel auch eine gewisse Zeit benötigen, um selbst gegebenenfalls Regelungen in Bezug auf den bisherigen Arbeitsplatz zu treffen und weitere Vorbereitungen in Bezug auf das neue Amt und die damit verbundene Änderung der beruflichen Situation vorzunehmen. Auch die übrigen Regelungsoptionen ohne eine befristete Nachfolge bedürfen einer gewissen Vorlaufzeit. Insoweit ist die Situation des Parlaments der Situation von Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern, deren Beschäftigte Mutterschutz oder Elternzeit in Anspruch nehmen wollen, nicht unähnlich. Das BEEG sieht dementsprechend ein Mitteilungserfordernis vor: Nach § 16 Abs. 1 Satz 1 BEEG muss die Elternzeit – abhängig vom Zeitpunkt der Inanspruchnahme – sieben bzw. dreizehn Wochen vor Beginn schriftlich vom Arbeitgeber verlangt werden. Bei Inanspruchnahme von Elternzeit bis zum vollendeten dritten Lebensjahr des Kindes muss gemäß § 16 1

Vgl. oben im ersten Teil, zweites Kapitel, C. III. 2. a) aa), S. 84. Vgl. dazu unten im dritten Teil, zweites Kapitel, B. III., S. 297 ff. 3 Beim herkömmlichen Nachrücken nach Ausscheiden eines Mitgliedes des Deutschen Bundestages beträgt die Erklärungsfrist nach § 48 Abs. 1 Satz 6 BWahlG eine Woche. 2

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3. Teil: Lösungsansätze

Abs. 1 Satz 2 BEEG erklärt werden, für welche Zeiten innerhalb von zwei Jahren Elternzeit genommen werden soll. Diese Anmeldefristen sollen dem Arbeitgeber ausreichend Zeit geben, um sich um eine Vertretung zu bemühen oder sonst notwendige Dispositionen zu treffen.4 Auch nach dem Mutterschutzgesetz stehen der Zeitpunkt und die Dauer der Mutterschutzfristen bereits vor Antritt der Schutzfristen fest. Aufgrund der in § 3 MuSchG erfolgten Orientierung am Geburtszeitpunkt und der dortigen Festlegung der Dauer der Mutterschutzfristen ist indessen keine Festlegung durch die Mutter selbst erforderlich. Die für Abgeordnete zu schaffenden Mutterschutzfristen unterscheiden sich jedoch dadurch von dem Mutterschutz nach dem Mutterschutzgesetz, dass der Grundsatz der Mandatsfreiheit ausschließlich fakultative Schutzfristen zulässt.5 Ein absoluter nachgeburtlicher Schutz, wie ihn § 3 Abs. 2 MuSchG für die seinem personellen Geltungsbereich unterfallenden Frauen festlegt, ist demnach bei Parlamentarierinnen nicht möglich. Nach den oben ausgeführten Erwägungen erfordert die Funktionsfähigkeit des Parlaments jedoch gleichwohl eine Festlegung der Dauer der jeweiligen Inanspruchnahme einer parlamentarischen Auszeit. Bereits diese Notwendigkeit eröffnet mehrere Regelungsmöglichkeiten, die sich hinsichtlich der Entscheidungsfreiheit des betreffenden Parlamentsmitgliedes unterscheiden. Insofern stellt sich sowohl für die Regelung von Mutterschutzfristen als auch für die Regelung der Dauer der Elternzeit die Frage, ob die entsprechenden Fristen starr durch den Gesetzgeber vorgegeben werden dürfen oder ob sie flexibel beanspruchbar sein müssen. 1. Starre Fristen

Eine erste Möglichkeit ist es, die Dauer des Mutterschutzes und bzw. oder der Elternzeit für Abgeordnete für alle Anspruchnehmenden verbindlich festzulegen. Das bedeutet, dass das mutterschutz- oder elternzeitwillige Mitglied dem Parlament nur mitteilen müsste, dass es Mutterschutz und bzw. oder Elternzeit in Anspruch nehmen will. Bereits durch diese Mitteilung stünde die Länge der parlamentarischen Auszeit fest. Es stellt sich jedoch die Frage, ob diese Option mit dem Grundsatz der Mandatsfreiheit, der für die Bundestagsmitglieder in Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG zum Ausdruck kommt,6 zu vereinbaren wäre. Wie oben ausgeführt, schützt die Man4 Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 16. Juni 2006, Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des Elterngeldes, BT-Drs. 426/06, S. 58. 5 Vgl. oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, A. VII., S. 196. 6 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 38, Rn. 46; für die Länder exemplarisch: Art. 13 Abs. 2 Satz 2 Verfassung des Freistaates Bayern; Art. 27 Abs. 2 Satz 3 Verfassung des Landes Baden-Württemberg; Art. 76 Abs. 1 Verfassung des Landes Hessen; Art. 12

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datsfreiheit die Abgeordneten vor allem, was den Bestand des Mandats beeinträchtigen oder ihre freie Willensbildung beeinträchtigen könnte.7 Sie wird indes nicht schrankenlos gewährleistet, sondern kann durch andere Rechtsgüter von Verfassungsrang – wie beispielsweise die Repräsentations- und Funktionsfähigkeit des Parlaments – begrenzt8 und dabei insoweit eingeschränkt werden, als dies für die gemeinschaftliche Wahrnehmung der Vertretung des Volkes durch das Parlament als Ganzes erforderlich ist; Richtmaß bleibt dabei die grundsätzliche Beteiligung aller Abgeordneten.9 Ein Ausfluss dessen ist dementsprechend auch die durch Art. 40 Abs. 1 Satz 2 GG garantierte Geschäftsordnungsautonomie,10 die dem Parlament das Recht gibt, den einzelnen Abgeordneten zur Sicherung der parlamentarischen Arbeitsfähigkeit Schranken aufzuerlegen.11 In diesem Kontext wäre es einer geordneten Parlamentsorganisation – insbesondere der Parlamentsverwaltung – sicherlich zuträglich, den Abgeordneten lediglich die Entscheidung über das Ob der Inanspruchnahme von Mutterschutz und Elternzeit freizustellen, die Dauer der Schutzfristen – im Fall der Inanspruchnahme – aber verbindlich für alle Abgeordneten einheitlich festzulegen. Eine immer gleiche Dauer und standardisierte Abläufe würden insofern die Planung der Kompensation der Abwesenheit des betreffenden Parlamentsmitgliedes erleichtern. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass die deutschen Parlamente und ihre Verwaltungen, die ohnehin mit dem mitunter unvermittelt auftretenden Ausscheiden und Nachrücken von Abgeordneten vertraut sind, auch mit den zu treffenden Regelungen bei unterschiedlich langen Mutterschutz- und Elternzeitdauern der einzelnen Abgeordneten umgehen könnten. Da die Mutterschutz- und Elternzeitphasen naturgemäß ohnehin bei jedem betreffenden Parlamentsmitglied zu individuell unterschiedlichen Zeitpunkten beginnen und enden und somit von den Parlamentsverwaltungen ohnehin einzelfallbezogen zu bearbeiten sind, stellt auch eine unterschiedlich lange Dauer insoweit keine erhebliche Arbeitserschwernis dar. Ein absolutes Erfordernis für die Wahrung der Funktionsfähigkeit der Parlamente stellen starre Mutterschutz- und Elternzeitfristen daher nicht dar. Satz 2 Niedersächsische Verfassung; Art. 30 Abs. 2 Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen. 7 Badura, in: Schneider/Zeh, § 15, Rn. 9; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 38, Rn. 47 f., zur Mandatsfreiheit auch im ersten Teil, zweites Kapitel, C. III., S. 76 ff. 8 BVerfGE 80, 188, 219; 99, 19, 32; 118, 277, 324; Burghart, in: Leibholz/Rink, Art. 38, Rn. 511; Morlok, in: Dreier, Art. 38, Rn. 159 ff.; Risse/Witt, in: Hömig/Wolff, Art. 38, Rn. 23; Wiefelspütz, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, § 12, Rn. 29. 9 BVerfGE 80, 188, 219. 10 Ähnlich Badura, in: Bonner Kommentar, Art. 38, Rn. 61. Die Verfassungen der Länder enthalten vergleichbare Regelungen. Exemplarisch: Art. 20 Abs. 3 Verfassung des Freistaates Bayern; Art. 69 Abs. 3 Verfassung des Landes Brandenburg; Art. 99 Verfassung des Landes Hessen; Art. 85 Abs. 1 Verfassung für Rheinland-Pfalz. 11 Badura, in: Schneider/Zeh, § 15, Rn. 46.

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3. Teil: Lösungsansätze

Zudem würden derartige unflexible Fristen auch gravierend in die Mandatsfreiheit der betreffenden Abgeordneten eingreifen. Würde man die Dauer des Mutterschutzes und der Elternzeit für alle Abgeordneten verbindlich gleich festlegen, so bedeutete dies, dass Abgeordnete nicht berechtigt wären, eine kürzere Parlamentsauszeit zu nehmen. Angenommen, es wäre beispielsweise eine allgemeine postnatale Schutzfrist von acht Wochen verbindlich festgelegt, eine Parlamentarierin wollte aber nur einen nachgeburtlichen Mutterschutz für die Dauer von drei Wochen in Anspruch nehmen, so wäre die betreffende Abgeordnete für die Dauer von fünf Wochen gegen ihren Willen daran gehindert, ihre mandatsbezogenen Rechte auszuüben. Ähnlich wie bei den bereits für verfassungsrechtlich unzulässig erachteten obligatorischen Schutzpflichten wäre die Abgeordnete dadurch bereits der Grundlage aller Beteiligungsrechte, nämlich des Rechts zur Teilnahme an parlamentarischen Beratungen und Abstimmungen, verlustig – und damit zwangsläufig auch weder berechtigt noch in der Lage, ihre übrigen verfassungsrechtlich garantierten Teilhaberechte wahrzunehmen. Die Mandatsfreiheit wäre damit für einen gewissen Zeitraum auf Null reduziert. Zwar kann hiergegen eingewandt werden, dass den Abgeordneten auch im Falle starrer Fristen die Entscheidung darüber freisteht, ob sie überhaupt Mutterschutz bzw. Elternzeit in Anspruch nehmen wollen. Andererseits besteht jedoch selbst im Rahmen des BEEG – deren persönlicher Geltungsbereich sich ausschließlich auf Personen bezieht, denen keine Mandatsfreiheit zukommt – die Möglichkeit, die Dauer der Elternzeit monatsweise bis zu einer Höchstgrenze frei zu wählen. Bereits Arbeitnehmende, die durch das Weisungs- und Direktionsrecht der Arbeitgeberin oder des Arbeitgebers wesentlich stärker in den Betrieb eingegliedert sind als die mit dem freien Mandat ausgestatteten Abgeordneten in den Parlamentsbetrieb eingegliedert sind, kommt diese Wahlfreiheit also zu. Demgegenüber erscheint eine starre Regelung, nach der entweder die festgelegte Frist oder gar keine gewählt wird, erst recht bei den freien Abgeordneten als übermäßige Einengung der Entscheidungsfreiheit. Darüber hinaus ist eine solche Beschränkung der Wahlfreiheit der Parlamentsmitglieder in Bezug auf die parlamentarische Tätigkeit auch systemwidrig: Abgesehen von der Begrenztheit des Mandats selbst durch die Dauer der Legislaturperiode sind die Abgeordneten frei darin, parlamentarische Funktionen, wie etwa einen Ausschussvorsitz oder die Mitgliedschaft im Präsidium, jederzeit freiwillig zu beenden. Auch solche Funktionswechsel bringen einen gewissen Aufwand für den Parlamentsbetrieb und die dazugehörige Verwaltung mit sich. Gleichwohl gebietet die Freiheit des Mandats auch die Entscheidung der Abgeordneten über die Annahme oder den Verzicht auf derartige Tätigkeiten. Ein Grund dafür, die Dauer des Mutterschutzes und der Elternzeit unflexibel für alle Abgeordneten verbindlich gleich festzulegen, ist vor diesem Hintergrund kaum ersichtlich. Im Übrigen ist die Beschränkung von Abgeordnetenrechten bislang nur insoweit anerkannt, als dies für die gemeinschaftliche Wahrnehmung der Vertretung

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des Volkes durch das Parlament oder zur Wahrung der Arbeitsfähigkeit anderer Verfassungsorgane erforderlich ist.12 Ausgehend davon, dass auch die Inanspruchnahme unterschiedlich langer Mutterschutz- und Elternzeitfristen die deutschen Parlamente nicht an den Rand ihrer Funktionsfähigkeit bringen dürfte,13 ist die Einführung starrer Fristen jedoch nicht erforderlich, um die gemeinschaftliche Wahrnehmung der Volksvertretung durch das Parlament zu gewährleisten. Die Arbeitsfähigkeit anderer Verfassungsorgane steht hier nicht in Rede. Die Einführung starrer Mutterschutz- und Elternzeitfristen, bei denen das entsprechende Parlamentsmitglied nur über die Frage des Ob, nicht aber über die Dauer der Inanspruchnahme entscheiden darf, ist also mit dem Grundsatz der Mandatsfreiheit unvereinbar und damit verfassungswidrig. 2. Flexible Fristen mit festzulegender Dauer

Eine weitere Möglichkeit wäre es, dem betreffenden Parlamentsmitglied zwar die Entscheidung über die Dauer des Mutterschutzes oder der Elternzeit zu überlassen, gleichzeitig aber eine bindende Wirkung dieser Entscheidung zu statuieren. Hierbei handelt es sich also um eine flexible Frist mit einer durch das Mitglied selbst im Vorhinein verbindlich festzulegenden Dauer. Das mutterschutzoder elternzeitwillige Mitglied hat dem Parlament nach den obigen Überlegungen folglich sowohl mitzuteilen, dass als auch wie lange es Mutterschutz und bzw. oder Elternzeit in Anspruch nehmen will. Damit es bei den Mutterschutzfristen und bei der Elternzeit dennoch bei temporären, also endlichen, Auszeiten aus dem Mandat bleibt, müsste es bei dieser Konstellation gleichwohl eine für alle Abgeordneten eines Parlaments verbindlich festgelegte Höchstdauer geben. Verfassungsrechtlich begegnet diese Lösung keinen Bedenken. Selbst wenn solche bestünden, wären sie im Sinne der Funktionsfähigkeit des Parlaments gerechtfertigt: Die Festlegung der individuellen Dauer der Mutterschutzfrist oder der Elternzeit durch das Parlamentsmitglied selbst verstößt nicht gegen den Grundsatz der Mandatsfreiheit. Zwar unterliegt das jeweilige Parlamentsmitglied bereits durch die Pflicht, sich auf eine bestimmte Zeitspanne festzulegen, einer gewissen Einschränkung seiner Entscheidungsfreiheit. Denn hiernach besteht während der Dauer der parlamentarischen Auszeit keine Möglichkeit, diese vorzeitig abzubrechen. Dies stellt jedoch keinen Eingriff in die Freiheit des Mandats dar: Dem Parlamentsmitglied allein obliegt schließlich die Entscheidung darüber, wie lange es Mutterschutz bzw. Elternzeit beanspruchen will. Es steht also in seinem eigenen Ermessen, ob und für welche Dauer es sich seiner parlamentarischen Mitwir12 BVerfGE 80, 188, 219; Morlok, in: Dreier, Art. 38, Rn. 159 ff.; Wiefelspütz, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, § 12, Rn. 29. 13 Vgl. soeben.

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3. Teil: Lösungsansätze

kungsrechte begeben möchte. Zudem beruht die durch die Notwendigkeit der Festlegung entstehende Einschränkung der Beteiligungsrechte auch hinsichtlich deren zeitlicher Dimension auf dem eigenen Entschluss des jeweiligen Parlamentsmitgliedes. Darüber hinaus wird diese Einschränkung auch durch das Erfordernis der Funktionsfähigkeit des Parlaments kompensiert und gerechtfertigt: Sowohl das ersatzlose temporäre Fehlen eines Mitgliedes als auch das temporäre Nachfolgen einer Ersatzperson erfordern vom Parlament einen erhöhten Organisationsaufwand und benötigen daher eine gewisse Vorlaufzeit, um notwendige Dispositionen zu treffen.14 Auch Parlamentskolleginnen und -kollegen, die das in Mutterschutz bzw. Elternzeit befindliche Mitglied in Gremien vertreten, haben ein berechtigtes Interesse an der Vorausplanbarkeit ihrer zeitlichen Verfügbarkeit. Gleiches gilt für diejenigen Abgeordneten, die die Sicherstellung der Beschlussfähigkeit gegen das Erfordernis der Berücksichtigung von Parallelterminen zugunsten ersterer abwägen müssen. Im Falle der geplanten Inanspruchnahme von Mutterschutz oder Elternzeit erfordert die gemeinschaftliche Wahrnehmung der Vertretung des Volkes durch das Parlament als Ganzes daher die vorherige Festlegung des Inanspruchnahmezeitraums durch das betreffende Parlamentsmitglied selbst. 3. Flexible Fristen ohne festzulegende Dauer

Schließlich wäre – entgegen den obigen Ausführungen – theoretisch auch die Gewährung flexibler Fristen ohne eine im Vorhinein festzulegende Dauer denkbar. Das mutterschutz- oder elternzeitwillige Mitglied müsste dem Parlament nach dieser Variante also nur mitteilen, dass es Mutterschutz und bzw. oder Elternzeit in Anspruch nehmen will. Die Dauer der Auszeit bliebe jedoch, bis zu einer Höchstgrenze, offen. Diese Option würde der Mandatsfreiheit der die parlamentarische Auszeit in Anspruch nehmenden Abgeordneten zweifellos vollkommen – und damit mehr als die beiden vorgenannten Optionen – entsprechen. Wie bereits festgestellt, ergibt sich aus dem für den Deutschen Bundestag in Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG zum Ausdruck kommenden Repräsentationsprinzip in Verbindung mit dem Erfordernis der Funktionsfähigkeit des Parlaments jedoch die Verpflichtung aller Abgeordneten, gemeinsam dafür Sorge zu tragen, dass die Volksvertretung ihren verfassungsmäßig und gesetzlich vorgesehenen Aufgaben nachkommen kann.15 Im denkbaren Fall des mutterschutz- oder elternzeitbedingten Fehlens mehrerer Abgeordneter erfordert dies unter Umständen Absprachen zwischen den übrigen Abgeordneten, damit die Beschlussfähigkeit des Parlaments 14 15

Vgl. oben im dritten Teil, erstes Kapitel, A. I., S. 241. Vgl. oben im ersten Teil, zweites Kapitel, C. III. 2. b) aa), S. 84.

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und seiner Organe stets gewahrt bleibt. Derartige Absprachen setzen jedoch ein gewisses Maß an Planbarkeit künftiger Sitzungen voraus – diese ist jedoch nicht gegeben, wenn das fehlende Parlamentsmitglied niemandem mitteilt, wie lange es dem parlamentarischen Betrieb fernbleiben wird. Bereits das Erfordernis des kollegialen Zusammenwirkens aller Abgeordneten zum Wohle der verfassungsmäßig gebotenen Funktionsfähigkeit des Parlamentes erfordert daher die vorherige Mitteilung des mutterschutz- bzw. elternzeitwilligen Mitgliedes, dass und wie lange Mutterschutz bzw. Elternzeit in Anspruch genommen werden soll. Darüber hinaus bergen flexible Fristen ohne festzulegende Dauer in den Fällen, in denen die Parlamente die mutterschutz- bzw. elternzeitbedingte Absenz von Abgeordneten durch die befristete Nachfolge von Ersatzpersonen kompensieren, schwerwiegende verfassungsrechtliche Schwierigkeiten. Denn in diesem Fall könnten die befristet berufenen Nachfolgeabgeordneten sich nicht im Vorhinein darauf verlassen, dem Parlament für einen bestimmten Zeitraum anzugehören, so dass sie auch ihre Arbeit nicht daran ausrichten könnten und jederzeit mit dem Ende ihrer Mandatszeit rechnen müssten. Diese jederzeitige Abberufbarkeit würde indes, wie im Folgenden noch zeigen sein wird, mit den Grundsätzen der Gleichheit und der Freiheit ihrer Mandate kollidieren.16 Insgesamt ist daher von vollkommen flexiblen Fristen, die aufgrund eines einseitigen Entschlusses des Parlamentsmitgliedes jederzeit ohne Absprache oder Mitteilung beendet oder fortgeführt werden können, Abstand zu nehmen. II. Höchstdauer Nachdem festgestellt wurde, dass flexible Fristen mit im Vorhinein verbindlich festzulegender Dauer sowohl verfassungsrechtlich zulässig sind als auch die unter dem Aspekt der Funktionsfähigkeit der Parlamente überzeugendste Variante darstellen, soll sowohl in Bezug auf den Mutterschutz als auch in Bezug auf die Elternzeit jeweils eine für alle Abgeordneten geltende Höchstgrenze vorgeschlagen werden. Die konkrete Festlegung dieser Grenzen obliegt der jeweiligen Volksvertretung im Rahmen ihrer Parlamentsautonomie17. Gleichwohl soll an dieser Stelle eine kurze Eingrenzung vorgenommen werden. 1. Höchstdauer des Mutterschutzes

Ziel von Mutterschutzfristen ist bereits per definitionem der gesundheitliche Schutz von Frauen und ihren un- oder neugeborenen Kindern in der Schwanger16

Vgl. unten im dritten Teil, zweites Kapitel, B. I. 2. b) und c) sowie 3., S. 277 ff. Vgl. zur Parlamentsautonomie Morlok, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, § 3, Rn. 52 f.; Schliesky, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, § 5, Rn. 59 ff.; Payandeh, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, § 7, Rn. 2, 6 und 24; Brocker, in: Morlok/Schliesky/ Wiefelspütz, § 34, Rn. 8 ff. und passim in Morlok/Schliesky/Wiefelspütz. 17

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3. Teil: Lösungsansätze

schaft und in der ersten Zeit nach der Geburt.18 Vor dem Hintergrund der originären Betroffenheit des verfassungsrechtlichen Mutterschutzes des Art. 6 Abs. 4 GG19 bietet es sich an, zur annäherungsweisen Eingrenzung von Mutterschutzfristen zunächst dessen Schutz- und Fürsorgeauftrag zugrundezulegen. Wie oben festgestellt, ergibt sich das Bedürfnis nach einem wirkungsvollen Schutz der (werdenden) Mutter und ihres (ungeborenen) Kindes aus den medizinischen Risiken der körperlichen und seelischen Sondersituation rund um die Geburt.20 Damit deckt der Schutzauftrag des Art. 6 Abs. 4 GG die aus diesem medizinischen Zustand resultierenden Risiken ab – es gibt jedoch keine Hinweise darauf, dass er insbesondere in Bezug auf Schutzfristen auch darüber hinausginge. Daran angelehnt ist davon auszugehen, dass auch im Hinblick auf Mutterschutzfristen für Parlamentarierinnen nur diejenigen Zeiträume vom Schutzauftrag des Art. 6 Abs. 4 GG umfasst sind, in denen der Schutz von Mutter und Kind erforderlich ist. Eine Orientierungshilfe für die erforderliche Dauer von Mutterschutzfristen gibt sodann das Mutterschutzgesetz. Mit dem Mutterschutzgesetz soll nach Auffassung der Bundesregierung der bestmögliche Gesundheitsschutz für schwangere und stillende Frauen gewährleistet sein.21 Vor dem Hintergrund der Annahme, dass der Gesetzgeber bei der Festlegung der Schutzfristen des § 3 Abs. 1 und 2 MuschG medizinische Notwendigkeiten zugrunde gelegt hat, erscheint es sinnvoll, die dortigen Zeiträume zu übernehmen. Dabei kann es sich angesichts der verfassungsmäßigen Unzulässigkeit obligatorischer Schutzfristen für Abgeordnete22 sowie aufgrund des Erfordernisses flexibler Fristen23 jedoch nur um Höchstfristen handeln. Dementsprechend wäre auch Parlamentarierinnen ein vorgeburtlicher Mutterschutzzeitraum von maximal sechs Wochen vor der Entbindung sowie ein maximaler nachgeburtlicher Mutterschutzzeitraum von acht Wochen nach der Entbindung zu gewähren. Darüber hinaus empfiehlt es sich, angelehnt an § 3 Abs. 2 Satz 2 MuSchG, die postnatale Schutzfrist bei Frühgeburten, Mehrlingsgeburten und Kindern mit Behinderung auf zwölf Wochen zu verlängern.

18 Vgl. dazu die Einleitung zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Mutterschutzrechts, Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 18/8963, S. 1. 19 Vgl. zu dem aus Art. 6 Abs. 4 GG resultierenden und an die Gesetzgebung gerichteten Gebot zur Einführung von Mutterschutz für Abgeordnete oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, A., S. 161 ff. 20 Vgl. oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, A. I., S. 163. 21 Internetauftritt des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 3. Januar 2018: https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/service/gesetze/gesetz-zur-neurege lung-des-mutterschutzrechts/73762, zuletzt aufgerufen am 12. Dezember 2019. 22 Vgl. oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, A. VII., S. 196. 23 Vgl. oben im dritten Teil, erstes Kapitel, A. I. 1., S. 245.

1. Kap.: Regelungsoptionen

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2. Höchstdauer der Elternzeit

Bei einer Elternzeit für Abgeordnete kann es sich – ähnlich wie bei der Elternzeit nach dem BEEG – nur um eine temporäre Auszeit von der parlamentarischen Tätigkeit handeln; eine dauerhafte Absenz käme hingegen einer Beendigung des Mandates gleich. Ebenso wie bei der Festlegung von Mutterschutzfristen obliegt es den Volksvertretungen auch hier, im Sinne des dem Demokratieprinzip der Art. 20 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG entspringenden Erfordernisses der Funktionsfähigkeit der Parlamente die Höchstdauer der Elternzeit für alle Abgeordneten eines Parlaments selbst verbindlich festzulegen. Ob das jeweilige Parlament sich dabei an die maximale Elternzeit des BEEG anlehnen sollte, erscheint jedoch fragwürdig: Dieses lässt in seinem § 15 Abs. 2 nämlich eine Elternzeit bis zu einer Gesamtdauer von drei Jahren zu. Zwar wäre die Festlegung einer maximal dreijährigen Elternzeit für Abgeordnete wohl nicht verfassungswidrig: Ein Verstoß gegen Grundrechte oder die Verfassungsprinzipien der Art. 38 ff. GG sowie ihre landesrechtlichen Äquivalente allein aufgrund der Höchstdauer der Elternzeit ist nicht ersichtlich. Darüber hinaus verstößt eine maximal dreijährige Parlaments-Elternzeit auch nicht gegen das Demokratieprinzip. Angesichts der relativ kurzen Zeitspanne der Legislaturperioden deutscher Volksvertretungen von vier bzw. fünf Jahren24 mag es zwar systemwidrig erscheinen, wenn ein Teil der Abgeordneten planmäßig – da dann gesetzlich so vorgesehen – bis zu drei Viertel einer Wahlperiode nicht am parlamentarischen Geschehen teilnimmt. Gleichwohl wird die Funktionsfähigkeit des Parlaments allein durch die lange Dauer der Auszeit nicht zwangsläufig berührt. Auch das Repräsentationsprinzip gebietet nicht die stetige Wahrnehmung aller anfallenden parlamentarischen Aufgaben, sondern nur die gemeinsam mit den übrigen Abgeordneten vorzunehmende Sicherstellung des Funktionierens der Volksvertretung.25 Wie sich an den regelmäßig auftretenden Fällen längerer Krankheit einzelner Abgeordneter zeigt, ist diese Sicherstellung der Funktionsfähigkeit des Parlaments jedoch auch bei einer verhältnismäßig langen Abwesenheit einiger Parlamentsmitglieder zu bewerkstelligen. Ungeachtet der verfassungsmäßigen Zulässigkeit dürfte es jedoch gesellschaftlich und politisch kaum auf eine breite Akzeptanz stoßen, wenn Abgeordnete über einen wesentlichen Teil der Mandatszeit hinweg das ihnen anvertraute Amt nicht wahrnehmen. Verfassungsrechtlich zwar nicht geboten, aber gleichwohl zu24 Die Legislaturperiode des Deutschen Bundestages und der Bremischen Bürgerschaft beträgt vier Jahre, die Legislaturperiode der übrigen Landtage beträgt fünf Jahre, vgl. für den Bund Art. 39 Abs. 1 GG sowie die entsprechenden Regelungen auf Länderebene, exemplarisch: Art. 16 Abs. 1 Satz 1 Verfassung des Freistaates Bayern; Art. 9 Abs. 1 Satz 1 Niedersächsische Verfassung; Art. 34 Satz 1 Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen. 25 Vgl. oben im ersten Teil, zweites Kapitel, C. III. 2. b) aa), S. 84.

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3. Teil: Lösungsansätze

lässig und aus rechtspolitischer Sicht anzuraten ist es daher, die Elternzeit für Abgeordnete auf eine kürzere Höchstdauer von sechs bis zwölf Monaten festzulegen. Hierdurch ist gewährleistet, dass die Elternzeit einen nur untergeordneten Teil der Legislaturperiode beansprucht. Dies widerspricht auch nicht dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Zwar werden Abgeordnete durch eine derartige Regelung schlechter behandelt als die dem BEEG unterfallenden Eltern. Die Mitgliedschaft im Parlament unterscheidet sich jedoch von anderen Berufen gravierend durch das letztlich auf dem Demokratieprinzip fußende Gebot der Periodizität der Wahl.26 Im Gegensatz zu sonstigen Berufen ist das Abgeordnetenmandat bereits von Verfassungs wegen auf eine baldige Endlichkeit angelegt. Zwar unterscheiden sich die beiden Elterngruppen insgesamt freilich nicht so sehr, dass man eine Vergleichbarkeit in Bezug auf das Erfordernis, überhaupt eine Elternzeit zu gewähren, ablehnen müsste: Im Gegenteil gebietet Art. 3 Abs. 1 GG gerade die Einführung von Elternzeitregelungen auch für Abgeordnete.27 Gleichwohl bewirken die Unterschiede des Parlamentsbetriebes im Vergleich zu anderen Berufen – etwa zu Arbeits- oder Beamtenverhältnissen – in Verbindung mit der Kürze der Wahlperiode jedoch eine mangelnde Vergleichbarkeit der beiden Elterngruppen hinsichtlich der Länge der zu gewährenden Elternzeit. Gerade vor dem Hintergrund der Periodizität der Wahl muss es der Gesetzgebung daher möglich sein, Elternzeitregelungen für Abgeordnete zu treffen, die von denen des BEEG abweichen. Als rechtspolitisch zweckmäßig erscheint eine Anlehnung an die baden-württembergische Lösung, nach der in § 75 Abs. 3 GO LT BaWü eine sogenannte Familienzeit von maximal sechs Monaten gewährt werden kann. Ungeachtet der grundsätzlichen Zulässigkeit einer längeren Elternzeit für Abgeordnete – die zu gewähren den Parlamenten daher freisteht – wird der verfassungsrechtlichen Prüfung der folgenden Regelungsmodelle daher eine flexibel zu wählende, durch das betreffende Mitglied vorher verbindlich festzulegende, parlamentarische Elternzeit mit einer Höchstdauer von sechs Monaten zugrunde gelegt. III. Ergebnis: Grundsätzliche Voraussetzungen einer Mutterschutz- bzw. Elternzeitregelung für Abgeordnete Im Ergebnis lässt sich feststellen, dass das dem Repräsentationsprinzip entspringende Erfordernis der gemeinschaftlichen Wahrnehmung der Volksvertretung durch das Parlament als Ganzes die vorherige Festlegung der Dauer der ge26

Exemplarisch: Für den Deutschen Bundestag ergibt sich dies aus Art. 39 Abs. 1

GG. 27

Vgl. oben im zweiten Teil, drittes Kapitel, B. III., S. 239.

1. Kap.: Regelungsoptionen

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planten Inanspruchnahme von Mutterschutz und bzw. oder Elternzeit durch das jeweilige Parlamentsmitglied nahelegt. Die Bestimmung der jeweiligen Höchstdauer obliegt dem Parlament. Dabei erscheint hinsichtlich eines Mutterschutzes für Abgeordnete eine Anlehnung an § 3 Abs. 1 und 2 MuschG zweckmäßig. In Bezug auf die Elternzeit für Abgeordnete bietet sich in Anlehnung an die Regelung des § 75 Abs. 3 GO LT BaWü eine Höchstdauer von sechs Monaten an. Bei der nachfolgenden Prüfung der in Betracht kommenden Regelungsoptionen wird dementsprechend davon ausgegangen, dass die Dauer des Mutterschutzes für Abgeordnete mit einer dem § 3 Abs. 1 und 2 MuSchG entsprechenden Höchstdauer frei wählbar ist, dem Parlament jedoch zuvor verbindlich angezeigt werden muss. Hinsichtlich der Elternzeit für Abgeordnete wird davon ausgegangen, dass diese innerhalb einer Höchstdauer von sechs Monaten ebenfalls hinsichtlich der Dauer frei wählbar ist, wobei der Zeitpunkt und die Dauer der Inanspruchnahme dem Parlament ebenfalls im Vorhinein verbindlich mitgeteilt werden müssen. Innerhalb dieser Voraussetzungen gibt es indes diverse Möglichkeiten, die Mutterschutzfrist und die Elternzeit für Abgeordnete zu gestalten und die temporäre Absenz des jeweiligen Parlamentsmitgliedes gegebenenfalls zu kompensieren. Diese verschiedenen Regelungsoptionen werden im Folgenden dargestellt und auf ihre jeweilige verfassungsmäßige Zulässigkeit überprüft.

B. In Betracht kommende Regelungsmodelle Unter dieser Prämisse kommen die im Nachfolgenden dargestellten Regelungsmodelle in Betracht. Dabei geht die Erläuterung der Modelle über die bereits in der Einleitung erfolgte übersichtsartige Darstellung28 hinaus und umfasst, soweit erforderlich, auch eine Festlegung der konkreten Ausgestaltung der jeweiligen Regelungsoption. I. Institutionalisiertes Fehlen unter unverändertem Fortbestand des Mandates Eine erste denkbare Regelungsoption ist diejenige, die im Bundestag sowie in einigen Länderparlamenten für den Fall des Mutterschutzes und im Landtag von Baden-Württemberg sowohl für den Mutterschutz als auch für eine sogenannte Familienzeit praktiziert wird:29 Das Parlamentsmitglied fehlt aufgrund einer gesetzlichen oder untergesetzlichen Regelung für eine gewisse Zeit ersatzlos, ohne dass sich der Abgeordnetenstatus ändert. Infolge dieses Gleichbleibens des Abge28 29

Vgl. oben in der Einleitung, B., S. 31 ff. Vgl. oben im ersten Teil, erstes Kapitel, B., S. 52 ff.

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3. Teil: Lösungsansätze

ordnetenstatus bleiben alle Rechte und Pflichten aus dem Abgeordnetenverhältnis bestehen. Insbesondere haben die betreffenden Parlamentsmitglieder – im Gegensatz zum Fall des ruhenden Mandates – jederzeit die Möglichkeit, an bestimmten Sitzungen oder Abstimmungen teilzunehmen. Dies birgt indes die Gefahr einer Umgehung des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit – sowohl aufgrund innerer Zwänge als auch aufgrund solcher, die von außen in Gestalt der Fraktion, der Partei oder der Öffentlichkeit an das betreffende Parlamentsmitglied herangetragen werden. Andererseits hat das Parlamentsmitglied selbst möglicherweise aber auch ein Eigeninteresse daran, trotz des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit an wichtigen Parlamentsereignissen wie beispielsweise an Wahlen, an einem konstruktiven Misstrauensvotum oder Vergleichbarem teilzunehmen. Unter diesem Aspekt könnte sich der unveränderte Fortbestand des Mandatsverhältnisses durchaus als Vorteil erweisen. Für den Fall, dass das betreffende Parlamentsmitglied die ihm gewährte Auszeit jedoch tatsächlich ununterbrochen wahrnimmt – und somit dem eigentlichen Zweck von Mutterschutz und Elternzeit gemäß handelt – besteht in Situationen knapper Mehrheitsverhältnisse die Gefahr, dass sich die durch die Wahl zum Ausdruck gekommenen Stimmabstände der Fraktionen bei längerem Fehlen eines oder mehrerer Parlamentsmitglieder einer regierungstragenden Fraktion ändern, so dass dadurch gegebenenfalls auch die sogenannte Regierungsmehrheit kippen kann. Dieser Effekt ist zwar durch eine Pairingvereinbarung30 vermeidbar. Kommt eine solche jedoch nicht zustande, wird die Bereitschaft zur Inanspruchnahme von Mutterschutz und Elternzeit regelmäßig eher gering ausfallen. Als Vorteil für das Parlament im Ganzen dürfte sich hingegen der Umstand darstellen, dass diese Option im Vergleich zu den nachfolgenden eines relativ geringen Organisationsaufwandes bedarf: So sind weder Ruhens- noch Nachfolgereglungen zu treffen, noch ist festzulegen, wen im Falle einer Rechtspflicht zum Pairing die entsprechende Pairingverpflichtung trifft oder wer im Falle der Stimmrechtsübertragung gegebenenfalls bei welchen Abstimmungen mit einer zusätzlichen Stimme ausgestattet ist. Ob die Option des institutionalisierten Fehlens unter unverändertem Fortbestand des Mandates einer verfassungsrechtlichen Überprüfung standhält, soll im nächsten Kapitel untersucht werden. II. Ruhendes Mandat ohne Nachfolge Eine dem reinen, institutionalisierten Fehlen verwandte Regelungsoption ist die des ruhenden Mandates ohne Nachfolge. Diese Option unterscheidet sich von 30 Vgl. zum Pairing ausführlich unten im dritten Teil, zweites Kapitel, D., S. 355 ff.; zur Pairingregelung im Landtag von Baden-Württemberg oben im ersten Teil, erstes Kapitel, B. III., S. 54 f.

1. Kap.: Regelungsoptionen

253

der vorigen indes deutlich durch ihren höheren Regelungsumfang, der sich sowohl auf das Parlament im Ganzen als auch auf die die Mandatsruhe in Anspruch nehmenden Abgeordneten und deren Fraktion auswirkt. In Anlehnung des Ruhensbegriffes an das Ruhen eines Beamten- oder Arbeitsverhältnisses soll die Mandatsruhe dabei so verstanden werden, dass die Rechte und Pflichten aus dem Mandat für eine zuvor festgelegte Dauer ausgesetzt sind. Nach dem Ende der Mandatsruhe setzt das betreffende Parlamentsmitglied die Mandatsausübung sodann fort. Damit leben auch sämtliche mandatsbezogenen Rechte und Pflichten wieder auf. Dieses Modell bietet den Vorteil einer klaren Regelung: Durch die zuvor erfolgende Festlegung des Zeitpunktes und der Dauer der Mandatsruhe können sich sowohl das ruhende Parlamentsmitglied als auch das Parlament und das gesamte politische Umfeld darauf einstellen, dass und wie lange die Volksvertretung in anderer Zahl besetzt ist. Zu beachten ist jedoch, dass sich durch die Verringerung der Parlamentsstärke eine Änderung der gesetzlichen Mitgliederzahl des Parlaments ergibt. Wie sich dieser Umstand auswirkt, ist indes eine Frage des Einzelfalls. Insbesondere sind die Folgen der Mandatsruhe ohne Nachfolge davon abhängig, wie viele Abgeordnete gleichzeitig eine kindesbedingte Parlamentspause beanspruchen und welchen Fraktionen diese Abgeordneten jeweils angehören. Vor diesem Hintergrund kann sich die Inanspruchnahme der Mandatsruhe durch ein Mitglied einer sehr kleinen Fraktion insoweit negativ auswirken, als durch die Reduzierung der Fraktionsstärke im Extremfall der Fraktionsstatus entfallen kann. Ebenso ist eine mögliche Verschiebung der Stimmabstände der Fraktionen untereinander möglich, wenngleich nicht zwingend: Auch insoweit kommt es darauf an, wie viele Abgeordnete welcher einzelnen Fraktionen die Mandatsruhe in Anspruch nehmen. Soweit entweder der Verlust des Fraktionsstatus oder eine Änderung der Mehrheitsverhältnisse im Parlament drohen, dürfte auch hier die Bereitschaft zur Inanspruchnahme von Mutterschutz und Elternzeit regelmäßig eher gering ausfallen. In diesem Fall dürfte das reine Ruhen des Mandates ohne Nachfolge wenig zielführend sein, um einen parlamentarischen Mutterschutz und eine parlamentarische Elternzeit, die nachteilsfrei in Anspruch genommen werden können, zu ermöglichen. Zumindest die Gefahr des Kippens der Regierungsmehrheit lässt sich jedoch durch eine geübte parlamentarische Praxis des Pairings verhindern. Dort, wo eine solche Pairingpraxis etabliert ist, sowie in Parlamenten mit traditionell klaren Mehrheitsverhältnissen und für Abgeordnete der Opposition ist das Ruhen des Mandats ohne Nachfolge eine überlegenswerte Option, die daher im Folgenden auf ihre verfassungsmäßige Zulässigkeit geprüft wird. Unabhängig von den soeben beschriebenen möglichen negativen faktischen Auswirkungen könnte das Ruhen des Mandats auch verfassungsrechtliche Schwie-

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3. Teil: Lösungsansätze

rigkeiten bergen, die im folgenden Kapitel einer eingehenden Prüfung unterzogen werden sollen. In diesem Zusammenhang muss sich die Mandatsruhe an den Grundsätzen der Unmittelbarkeit der Wahl, der Gleichheit der Wahl, der Gleichheit und Freiheit des Mandats sowie am Repräsentationsprinzip, am allgemeinen Gleichheitssatz und am Gebot der Gleichberechtigung der Geschlechter messen lassen. Bislang wurde das Institut des ruhenden Mandats sowohl in der Praxis als auch in der juristischen Diskussion stets mit dem temporären Nachrücken einer Nachfolgeperson verknüpft. Demgegenüber könnte eine reine Mandatsruhe ohne Nachfolge jedoch auch Vorteile bieten: Zu nennen ist hier insbesondere der geringere organisatorische Aufwand der Regelung, der sich aus dem Wegfall der Nachfolgeregelung ergibt. Dementsprechend bietet es sich an, auch diese Option der reinen, ersatzlosen Mandatsruhe einer verfassungsrechtlichen Überprüfung zu unterziehen. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass die verfassungsmäßige Zulässigkeit einer solchen ersatzlosen Mandatsruhe zum Zwecke des Mutterschutzes oder der Elternzeit in Deutschland bislang noch nicht öffentlich juristisch diskutiert wurde. III. Ruhendes Mandat mit Nachfolge auf Zeit 1. Zielsetzung und Auswirkungen

Dem schließt sich in logischer Folge als nächste Regelungsoption die des ruhenden Mandates mit befristeter Nachfolge an. Diese Option basiert auf der Zielsetzung, dass das Parlament zahlenmäßig in voller Stärke arbeitsfähig erhalten bleiben soll. Um den mutterschutz- bzw. elternzeitwilligen Abgeordneten dennoch eine parlamentsfreie Zeit zu ermöglichen, ruht das Mandat nach diesem Entwurf für einen vorher festzulegenden Zeitraum. Mit dem Eintritt in die Mandatsruhe rückt eine Ersatzperson für einen begrenzten Zeitraum in das Parlament nach. Von diesem befristeten Nachrücken zum Ausgleich der Mandatsruhe dürften sowohl positive Auswirkungen auf das Parlament als Ganzes als auch auf die mutterschutz- bzw. elternzeitwilligen Abgeordneten zu erwarten sein: Als wichtigsten Effekt bewirkt die befristete Nachfolge, dass die durch die Wahl feststehenden Stimmabstände der Fraktionen zueinander gewahrt bleiben. Davon dürfte zunächst einmal eine stabilisierende Wirkung auf das Parlament im Ganzen sowie auf die einzelnen Fraktionen ausgehen. Darüber hinaus wird auch der bei den beiden vorgenannten Optionen zu erwartende Druck auf das mutterschutzbzw. elternzeitwillige Mitglied vermieden: Aufgrund der Wahrung der Mehrheitsverhältnisse wird das betreffende Mitglied weder durch in- oder extrinsische Gründe dazu bewegt, während der Parlamentspause doch an bestimmten Sitzungen teilzunehmen (beim institutionalisierten Fehlen) noch wird es sich dazu gezwungen fühlen, aus Sorge vor einem Kippen der Regierungsmehrheit gar nicht

1. Kap.: Regelungsoptionen

255

erst Mutterschutz oder Elternzeit in Anspruch zu nehmen (beim ruhenden Mandat und beim institutionalisierten Fehlen). Darüber hinaus hat das ruhende Mandat mit Nachfolge gegenüber den vorgenannten Optionen auch positive Auswirkungen auf die übrigen Abgeordneten: Durch die Erhaltung der zahlenmäßigen Parlamentsstärke werden keine Vertretungen des in Mutterschutz oder Elternzeit befindlichen Mitgliedes erforderlich, so dass die Arbeitsbelastung der Kolleginnen und Kollegen gleich bleibt. Dies dürfte sich auch vorteilhaft auf die generelle politische Arbeitsfähigkeit des Parlaments im Ganzen auswirken. Zudem ist gegenüber dem Institut des ruhenden Mandats ohne Nachfolge, bei dem sich die gesetzliche Mitgliederzahl des Parlaments ändert, auch keine Neuberechnung der Sitze in Ausschüssen und sonstigen parlamentarischen Gremien erforderlich. Dies dürfte nicht nur die Parlamentsverwaltung und die Parlamentarischen Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer entlasten, sondern auch – zumindest in geringem Ausmaß – einen positiven Beitrag zur Stabilität der parlamentarischen Arbeit leisten. In Rechtsprechung und Literatur begegnet das bislang nur im Falle des ruhenden Mandats eines Regierungsmitgliedes bekannte Modell der Nachfolge in ein ruhendes Mandat zahlreichen Bedenken; eine Bezugnahme auf die Konstellation des Mutterschutzes oder der Elternzeit für Abgeordnete findet dabei jedoch weit überwiegend nicht statt.31 In dem nachfolgenden Kapitel soll daher eingehend untersucht werden, inwieweit sich die in Bezug auf die Nachfolge in das ruhende Mandat von sogenannten Ministerabgeordneten entwickelten Positionen auf die hier in Aussicht genommene Situation übertragen lassen und wie es um die verfassungsmäßige Zulässigkeit des hier skizzierten Modells bestellt ist. 2. Ablauf

Für dieses Modell bietet sich der folgende Ablauf an: a) Das mutterschutz- bzw. elternzeitwillige Parlamentsmitglied teilt nach näher festzuschreibenden Regeln mit, dass es für einen bestimmten – im Zeitpunkt der Mitteilung verbindlich zu benennenden Zeitraum – Mutterschutz bzw. Elternzeit in Anspruch nehmen will. b) Mit Beginn des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit bis zu deren Ende ruht das Abgeordnetenmandat des betreffenden Parlamentsmitgliedes. c) Mit Beginn der Mandatsruhe rückt eine Person nach den im jeweiligen Wahlgesetz des Bundes oder des entsprechenden Bundeslandes vorgesehenen Nachfolgeregelungen in das Parlament nach. 31 Ausschließlich Platter, S. 8 ff., setzt sich, wenn auch recht kurz, mit dieser Thematik auseinander.

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3. Teil: Lösungsansätze

d) Scheidet während der Wahrnehmung des ruhenden Mandates ein Parlamentsmitglied endgültig aus dem Parlament aus, so wird der Sitz im Parlament mit demjenigen Mitglied besetzt, das infolge der Mandatsruhe in das Parlament nachgerückt ist. Sofern mehrere Mandate ruhen, wird der freigewordene Sitz mit demjenigen Mitglied besetzt, das zuerst infolge eines Falles der Mandatsruhe in das Parlament nachgerückt ist. Infolge des dadurch erfolgten Freiwerdens des temporären Mandats rückt die nach dem jeweiligen Wahlgesetz nächstberufene Person nach. e) Mit dem Ende der Mandatsruhe nimmt das zuvor ruhende Mitglied die Mandatsausübung wieder auf. Gleichzeitig scheidet die Nachfolgeperson aus dem Parlament aus und nimmt ihren vorherigen Platz als erste Nachfolgeperson wieder ein. f) Sofern mehrere Mandate zum Zwecke des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit ruhen und dadurch mehrere Ersatzpersonen befristet nachgerückt sind, scheidet mit dem Ende der Mandatsruhe und dem Wiedereintritt eines Ursprungsmitgliedes in das Parlament diejenige Nachfolgeperson aus dem Parlament aus, die als letzte in das Parlament nachgerückt war. Diese Person nimmt zugleich ihren vorherigen Platz als erste Nachfolgeperson wieder ein. IV. Übertragung des Stimmrechts (bei ruhendem Mandat oder ersatzlosem Fehlen) Sowohl das ruhende Mandat ohne Nachfolge als auch das einfache ersatzlose Fehlen eines Parlamentsmitgliedes haben zur Folge, dass sich die Zusammensetzung des Parlaments gegenüber dem Wahlergebnis ändert: Aufgrund der Abwesenheit der Mutterschutz oder Elternzeit beanspruchenden Abgeordneten ist das Parlament vorübergehend zahlenmäßig in entsprechender Größenordnung gemindert. In den Ausschüssen kann dies durch eine Vertretungsregelung ausgeglichen werden. Wie bereits festgestellt, kann das Fehlen eines oder mehrerer Mitglieder im Plenum jedoch insbesondere im Falle knapper Mehrheitsverhältnisse zu einer Umkehrung der Mehrheit im Hause führen. Vor diesem Hintergrund ist es im Falle des ruhenden Mandates ohne Nachfolge oder im Falle des ersatzlosen Fehlens vorstellbar, das Stimmrecht des in Elternzeit befindlichen Parlamentsmitgliedes auf ein anderes Parlamentsmitglied zu übertragen. Ähnlich wie die Nachfolge in ein ruhendes Mandat dient auch diese Option der Zielsetzung, die durch die Wahl zum Ausdruck gekommenen Stimmabstände der Fraktionen untereinander auch im Falle der familienbedingten Auszeit eines Parlamentsmitgliedes zu wahren. Auch in diesem Fall sind davon positive Effekte auf die innere Stabilität und die Arbeitsfähigkeit des Parlaments, die Belastung der übrigen Abgeordneten sowie die unbeeinträchtigte Möglichkeit der Inanspruchnahme von Mutterschutz und Elternzeit durch die insoweit berechtigten Abgeordneten zu erwarten.32

1. Kap.: Regelungsoptionen

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In Bezug auf diese Regelungsoption wird insbesondere zu überprüfen sein, ob sie sich mit den Prinzipien der Unmittelbarkeit der Wahl und der Gleichheit des Mandats in Einklang bringen lässt. V. Pflicht zum Pairing (bei ruhendem Mandat oder ersatzlosem Fehlen) Eine andere Variante zur Wahrung der letztlich auf der Wahl beruhenden Mehrheitsverhältnisse im Falle des ruhenden Mandates ohne Nachfolge oder des ersatzlosen Fehlens eines Mitgliedes ist das obligatorische Pairing. Bislang ausschließlich auf freiwilliger Basis bekannt, existiert der parlamentarische Brauch des sogenannten Pairings für ebensolche Fälle der während der laufenden Legislaturperiode auftretenden Mehrheitsverschiebung durch das Fehlen einzelner Abgeordneter. Wie oben bereits kurz dargestellt, wird durch eine Pairingabrede vereinbart, dass ein Mitglied einer Fraktion der einen Seite des Parlaments (in der Regel der Opposition) als Ausgleich für das Fehlen eines Parlamentsmitglieds der anderen Seite (in der Regel einer Regierungsfraktion) nicht an einer oder mehreren Abstimmungen teilnimmt.33 Auch für den Fall des Mutterschutzes und der Elternzeit eines Parlamentsmitgliedes ist eine Pairingabrede denkbar; solche werden für die bislang praktizierten Fälle des ungeregelten tolerierten Fernbleibens von Abgeordneten aus Gründen der Kindesgeburt in einigen Parlamenten auch regelmäßig vereinbart. So war beispielsweise die Niedersächsische Landesregierung im Niedersächsischen Landtag der 17. Wahlperiode bis August 2017 durch eine Einstimmenmehrheit der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen getragen. Im Falle der Geburt der Kinder einer Abgeordneten der SPD-Fraktion sowie einer Abgeordneten der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hätte ein Fernbleiben der Abgeordneten zum Zwecke der Geburt sowie einige Zeit davor und danach ohne weitere Absprachen einen Wechsel der Mehrheitsverhältnisse im Niedersächsischen Landtag mit sich gebracht. Nach Absprache zwischen den Fraktionsspitzen erklärten sich die Oppositionsfraktionen in beiden Fällen zum Pairing bereit: Im Falle des Fehlens der Abgeordneten der SPD-Fraktion verzichtete ein Abgeordneter der CDU-Fraktion, im Falle des Fehlens der Abgeordneten der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen verzichtete ein Abgeordneter der FDP-Fraktion auf die Teilnahme an den Abstimmungen im Landtag.34 32 Vgl. dazu etwas ausführlicher oben im dritten Teil, erstes Kapitel, B. III. 1., S. 254 f. 33 Versteyl, in: Schneider/Zeh, § 14, Rn. 38; vgl. auch oben im ersten Teil, erstes Kapitel, B. III., S. 54 f. sowie ausführlich unten um dritten Teil, zweites Kapitel, D., S. 355 ff. 34 Es handelte sich dabei um die Geburt des zweiten Kindes der Abgeordneten Hamburg (Bündnis 90/Die Grünen) im Jahr 2013 und des zweiten Kindes der Verfasserin

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3. Teil: Lösungsansätze

Im nachfolgenden Kapitel soll geprüft werden, ob über die freiwilligen Pairing-Vereinbarungen hinaus auch eine Verpflichtung zum Pairing für die Fälle der Inanspruchnahme von Mutterschutz und Elternzeit eingeführt werden kann. Auch diese Option würde die Gewähr dafür bieten, die durch die Wahl zum Ausdruck gekommenen Stimmabstände der Fraktionen zu wahren, so dass die Bereitschaft zur Inanspruchnahme von parlamentarischem Mutterschutz und parlamentarischer Elternzeit voraussichtlich deutlich erhöht würde. Zudem wären auch in diesem Fall positive Auswirkungen auf die innere Stabilität des Parlaments zu erwarten. VI. Teilnahme per Fernabstimmung Eine weitere denkbare Möglichkeit, einem Parlamentsmitglied die Inanspruchnahme von Mutterschutz bzw. Elternzeit zu gewähren und gleichzeitig die Mehrheitsverhältnisse im Parlament beizubehalten, ist schließlich die Teilnahme des in Mutterschutz oder Elternzeit befindlichen Mitgliedes an Abstimmungen per Fernabstimmung. Auch in diesem Fall besteht das Ziel darin, durch die Wahrung der Stimmverhältnisse positive Auswirkungen auf die innere Stabilität und die Arbeitsfähigkeit des Parlaments und der einzelnen Fraktionen, auf die Arbeitsbelastung der übrigen Abgeordneten sowie auf die unbeeinträchtigte Möglichkeit der Inanspruchnahme von Mutterschutz und Elternzeit durch die insoweit berechtigten Abgeordneten zu erreichen.35 Das Modell der Fernabstimmung stellt indes nur eine abgeschwächte Form der parlamentarischen Auszeit dar, denn die Abstimmungsteilnahme wird regelmäßig nicht nur diejenige Zeit beanspruchen, die für die reine Abstimmung erforderlich ist. Vielmehr erfordert sie regelmäßig auch eine gewisse vorherige Zeit der Beschäftigung mit der Materie des Abstimmungsgegenstandes sowie der Koordinierung mit der eigenen Fraktion. Da diese die Option der Fernabstimmung gleichwohl zur Entlastung der betreffenden Abgeordneten beitragen kann und zudem im Zuge der zunehmenden Digitalisierung sowohl zukunftsweisend als auch durchaus praktikabel erscheint, soll sie dennoch auf ihre verfassungsrechtliche Zulässigkeit überprüft werden.

(SPD-Fraktion) im Jahr 2014, wobei hinsichtlich der Abgeordneten Hamburg anschließend noch mehrere Monate lang ein krankheitsbedingtes Pairing erfolgte. Die pairenden Mitglieder der Oppositionsfraktionen wechselten und traten größtenteils nicht namentlich in Erscheinung. 35 Vgl. dazu etwas ausführlicher oben im dritten Teil, erstes Kapitel, B. III. 1., S. 254 f.

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

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Zweites Kapitel

Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen Nachdem abgesteckt wurde, welche Optionen zur Regelung eines Mutterschutzes und einer Elternzeit für Abgeordnete vor dem Hintergrund der Funktionsfähigkeit der Parlamente und vor dem Hintergrund rechtspolitischer Erwägungen als zielführend in Betracht kommen, ist nun zu untersuchen, ob diese Regelungsoptionen verfassungsrechtlich zulässig sind.

A. Institutionalisiertes Fehlen unter unverändertem Fortbestand des Mandates Die erste denkbare Regelungsoption zur Einführung eines Mutterschutzes bzw. einer Elternzeit für Abgeordnete besteht darin, dass das betreffende Parlamentsmitglied aufgrund einer gesetzlichen oder untergesetzlichen Regelung für eine gewisse Zeit ersatzlos fehlt, ohne dass sich der Abgeordnetenstatus ändert. Diese Möglichkeit, die der Landtag von Baden-Württemberg bereits seit dem Jahr 2014 in § 75 seiner Geschäftsordnung verankert hat,36 wurde im Rahmen der Prüfung eines verfassungsrechtlichen Gebotes zur Einführung von Mutterschutz und Elternzeit für Abgeordnete bereits ausführlich erörtert.37 In dem vorbezeichneten Zusammenhang wurde geprüft, ob einer grundsätzlichen Einführung von Fristen, während derer die Abgeordneten keine mandatsbezogenen Pflichten treffen, per se kollidierendes Verfassungsrecht entgegensteht. Diese Frage wurde verneint; vielmehr konnte festgestellt werden, dass die geregelte zeitweise freiwillige Nichtwahrnehmung des Mandats aus Gründen des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit insbesondere mit dem Grundsatz der Gleichheit der Wahl (Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG)38, dem Grundsatz der Gleichheit des Mandats (Art. 38 Abs. 1 GG), dem Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl (Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG), dem Repräsentationsprinzip (Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG) bzw. der Funktionsfähigkeit des Parlaments, dem Gebot der Gleichberechtigung von Frauen und Männern (Art. 3 Abs. 2 und 3 Satz 1, 1. Alt. GG) sowie mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) vereinbar ist. Insgesamt ist zu resümieren, dass die grundsätzliche Gewährung von Mutterschutz- bzw. Elternzeitfristen für Abgeordnete verfassungsrechtlich zulässig ist.39 36

Vgl. oben im ersten Teil, erstes Kapitel, B. I und II., S. 52 ff. Vgl. oben im zweiten Teil, zweites und drittes Kapitel, S. 161 ff. 38 Für die Bundesländer gelten dieser und die folgenden Wahlrechtsgrundsätze jeweils in Verbindung mit Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG oder aus einer entsprechenden Vorschrift der jeweiligen Landesverfassung. 39 Vgl. oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, E., S. 216 und drittes Kapitel, C., S. 239. 37

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3. Teil: Lösungsansätze

Um eine ebensolche grundsätzliche Festlegung von mutterschutz- bzw. elternzeitbezogenen Fristen, während derer keine Pflicht zur Wahrnehmung parlamentarischer Aufgaben besteht, ohne dass sich indes – etwa im Sinne einer Mandatsruhe – etwas am Abgeordnetenstatus ändert, handelt es sich auch bei dieser Regelungsmöglichkeit. Nach dem oben Ausgeführten ist diese Regelungsoption daher verfassungsrechtlich zulässig.

B. Ruhendes Mandat (ohne und mit Nachfolge) I. Allgemeine Vorüberlegungen Die verfassungsrechtliche Prüfung der beiden folgenden Regelungsoptionen – nämlich die des ruhenden Mandates ohne Nachfolge und die des ruhenden Mandates mit Nachfolge auf Zeit – lässt sich angesichts der grundsätzlichen Gemeinsamkeiten dieser beiden Modelle unter den gemeinsamen Oberbegriff des ruhenden Mandates fassen. Im Rahmen dieser Prüfung wird daher aufgrund der für beide Modelle gleichermaßen geltenden Aspekte zunächst das ruhende Mandat im Allgemeinen in den Fokus genommen, bevor die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der jeweiligen Regelungsoption in den nachfolgenden Unterabschnitten III. und IV. jeweils einzeln im Detail geprüft wird. Beide der hier vorgestellten Optionen des zum Zwecke des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit ruhenden Mandats haben gemeinsam, dass die Mandatsruhe von vornherein eindeutig befristet ist: Das in die Mandatsruhe eintretende Mitglied hat sowohl den Zeitpunkt als auch die Dauer der Mandatsruhe im Vorhinein verbindlich mitzuteilen. Ein derartiges Modell der von vornherein befristeten Mandatsruhe wurde in Deutschland bislang nicht öffentlich diskutiert. Demzufolge gibt es bislang weder eine verschriftlichte Debatte zur Frage der befristeten ersatzlosen Mandatsruhe zum Zwecke des Mutterschutzes oder der Elternzeit – noch gibt es eine solche Debatte zur Frage einer befristeten mutterschutz- oder elternzeitbedingten Mandatsruhe, die durch ein Nachrücken auf Zeit kompensiert wird. Wie eingangs erwähnt,40 befasst sich zwar ein Gutachten des Parlamentarischen Beratungsdienstes des Landtages Brandenburg mit der Frage des für den dortigen Landtag ins Auge gefassten Ruhens des Mandats mit Rückkehrrecht in den Lebenslagen Elternzeit und Mutterschutz.41 Dabei geht das Gutachten jedoch von einer Nachfolge aus, die jederzeit durch eine willkürliche Rückkehr des Ursprungsmitgliedes beendet werden kann.42 Mit der Option einer gegebenenfalls von vornherein festgelegten Dauer des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit und den daraus resultierenden Wertungsunterschieden setzt es sich nicht auseinander. 40 41 42

Vgl. oben in der Einleitung, C. III. 1., S. 40. Platter, passim. Platter, S. 8–10.

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

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Zudem setzt es ein zum Zwecke des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit ruhendes Mandat ohne jegliche Differenzierung mit dem – im Folgenden noch darzustellenden – ruhenden Mandat von sogenannten Ministerabgeordneten gleich. Eine detaillierte Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des zum Zwecke des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit ruhenden Mandats ohne oder mit Nachfolge steht also noch aus. Diese verfassungsrechtliche Untersuchung braucht indes nicht im luftleeren Raum stattzufinden. Denn mit dem Institut der Nachfolge in das ruhende Mandat eines Regierungsmitgliedes existiert ein mit den hier gegenständlichen Optionen verwandtes Modell, das zumindest eine Orientierung für die verfassungsrechtliche Einordnung geben kann. Neben den Gemeinsamkeiten werden im Folgenden auch die entscheidenden Unterschiede herauszuarbeiten sein, die die beiden verwandten Modelle voneinander trennen und daher gegebenenfalls eine andere rechtliche Einordnung der hier im Fokus stehenden Mutterschutz- bzw. Elternzeitmodelle gebieten. 1. Bisherige Regelungen zum ruhenden Mandat

Die Basis zur Annäherung an die oben beschriebe Thematik bildet die Diskussion um die – jeweils mit einer Nachfolgeregelung versehenen – Regelungen zum Ruhen des Mandates von Regierungsmitgliedern auf der Ebene der Länderparlamente. Bereits zur Zeit der Weimarer Republik war das Institut des ruhenden Mandats für Abgeordnete, die gleichzeitig ein Regierungsamt wahrnahmen, in den Verfassungen der Länder Anhalt43, Bremen44, Lippe45, Mecklenburg-Strelitz46, Oldenburg47 und Schaumburg-Lippe48 verankert49. 43 § 29 der Verfassung für Anhalt vom 18. Juli 1919 i. d. F. vom 6. Oktober 1922: „Die Staatsminister dürfen nicht gleichzeitig dem Landtag angehören. Mitglieder des Landtags scheiden durch die Wahl in das Staatsministerium für die Dauer ihrer Amtszeit (§§ 30 und 37) aus dem Landtag dergestalt aus, daß für diese Zeit die nach dem Wahlgesetze berufenen nächsten Bewerber an ihre Stelle treten.“ 44 § 44 der Verfassung der Freien Hansestadt Bremen vom 18. Mai 1920: „Die Senatsmitglieder können gleichzeitig der Bürgerschaft angehören, jedoch hat ein in den Senat gewähltes Bürgerschaftsmitglied das Recht, aus der Bürgerschaft mit der Maßgabe auszuscheiden, daß es, wenn es von dem Amte eines Senatsmitgliedes zurücktritt, wieder in die Bürgerschaft als Mitglied eintritt, und daß das nach dem betreffenden Wahlvorschlage zuletzt in die Bürgerschaft eingetretene Mitglied dafür aus der Bürgerschaft ausscheidet.“ 45 Art. 27 der Verfassung des Landes Lippe vom 21. Dezember 1920: „Ein Landtagsabgeordneter, der in das Landespräsidium gewählt wird, scheidet damit aus dem Landtage für die Zeit seiner Mitgliedschaft im Landespräsidium aus. An seine Stelle als sein Vertreter im Landtage tritt für diese Zeit der nach dem Wahlgesetz berufene nächste Bewerber.“ 46 § 8 Abs. 3 des Landesgrundgesetzes von Mecklenburg-Strelitz vom 29. Januar 1919 in der Fassung vom 24. Mai 1923: „Wird ein Staatsminister zum Abgeordneten

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3. Teil: Lösungsansätze

In bundesrepublikanischer Zeit wurde das Institut des ruhenden Mandates in unterschiedlicher Ausprägung in die (überwiegend Verfassungs-)Gesetzgebung der fünf Bundesländer Bremen, Hamburg, Hessen, Rheinland-Pfalz und Bayern übernommen: Sowohl die Verfassung der Freien Hansestadt Bremen (Art. 108 Abs. 2 BremVerf) als auch die Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg (Art. 39 HmbVerf) sehen noch heute die Inkompatibilität eines Regierungsamtes mit der Mitgliedschaft in der Bürgerschaft vor. Beide Verfassungen normieren das obligatorische Ruhen des Bürgerschaftsmandates eines Senatsmitgliedes und die Nachfolge in dieses ruhende Mandat. In den Ländern Hessen und Rheinland-Pfalz bestanden ursprünglich ebenfalls Regelungen, die ein Ruhen des Landtagsmandats eines Regierungsmitgliedes und die Nachfolge in dieses Mandat vorsahen (§ 40a Landeswahlgesetz Hessen a. F.50 und Art. 81 Abs. 2 der Verfassung für Rheinland-Pfalz a. F.51). Nachdem der hessische Staatsgerichtshof die dortige Regelung jedoch mit Urteil vom 7. Juli 1977 für mit der Verfassung des Landes Hessen nicht vereinbar und nichtig erklärt hatte,52 schaffte der Rheinland-Pfälzische Landtag die dortige Regelung mit Landtagsbeschluss vom 15. Juni 1978 ebenfalls einstimmig ab.53

oder wird ein Abgeordneter zum Staatsminister gewählt, so ruht sein Amt als Abgeordneter während seiner Amtstätigkeit als Staatsminister.“ 47 § 40 der Verfassung für den Freistaat Oldenburg vom 17. Juni 1919: „IV. Die Mitglieder des Staatsministeriums können nicht zugleich Abgeordnete sein. V. Wird ein Abgeordneter Staatsminister, so scheidet er während seiner Amtszeit aus dem Landtag aus, und der nach dem Wahlvorschlage zunächst berufene Bewerber tritt als Abgeordneter ein. Tritt der Staatsminister von seinem Amte zurück, so tritt er als Abgeordneter wieder in den Landtag ein, und es scheidet der nach dem betreffenden Wahlvorschlage zuletzt eingetretene Abgeordnete aus. In derselben Weise wird verfahren, wenn ein in den Landtag gewählter Staatsminister, der wegen seines Amtes nicht als Abgeordneter hat eintreten können, später von dem Ministeramt zurücktritt.“ 48 § 30 Abs. 1 der Verfassung des Freistaates Schaumburg-Lippe vom 24. Februar 1922: „Die Mitglieder der Landesregierung dürfen nicht gleichzeitig dem Landtage angehören. Ein Landtagsabgeordneter, der in die Landesregierung gewählt wird, scheidet damit aus dem Landtage für die Zeit seiner Mitgliedschaft bei der Landesregierung aus. An seine Stelle tritt für diese Zeit der nach dem Wahlgesetz berufene nächste Bewerber in den Landtag ein.“ 49 Zum Institut des ruhenden Mandats in der Weimarer Republik Dress, Ruhendes Mandat, S. 2 ff. 50 § 40a des Landtagswahlgesetzes i. d. F. des Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des Landtagswahlgesetzes vom 28. Januar 1975 (GVBl. Hessen 1975 I, S. 20). 51 Verfassung für Rheinland-Pfalz vom 18. Mai 1947 (VOBl. Rh-Pf. 1947, S. 209) in der Fassung der letzten Änderung vom 7. Februar 1975 (GVBl. Rh-Pf. 1975, S. 49). 52 StGH Hessen, P.St. 783. 53 Landtag Rheinland-Pfalz, Stenographischer Bericht über die 53. Sitzung des Landtags Rheinland-Pfalz am 15. Juni 1978, S. 2595 ff.; 24. Landesgesetz zur Änderung der Landesverfassung (GVBl. Rh-Pf. 1978, S. 449).

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

263

Auch der Freistaat Bayern kennt ein Ruhen des Landtagsmandates mit gleichzeitigem Nachrücken des nächstberufenen Listennachfolgers (§§ 57 f. Landeswahlgesetz Bayern). Hier ist eine Mandatsruhe jedoch ausschließlich für den Fall näher bestimmter Verfahren gegen ein Landtagsmitglied vor dem Verfassungsgerichtshof bzw. im Falle einer Ungültigkeitserklärung der Wahl eines Landtagsmitgliedes vorgesehen. Im Folgenden sollen die oben bezeichneten Regelungen zum ruhenden Mandat und zur Nachfolge in ein ruhendes Mandat nebst dem hierzu vorliegenden Meinungsstand kurz dargestellt werden, um dann herauszuarbeiten, inwieweit Parallelen zu den hier vorgestellten Regelungsoptionen gezogen werden können und welche Schlüsse in Bezug auf die Mandatsruhe – samt Nachfolge – eines mutterschutz- bzw. elternzeitwilligen Parlamentsmitgliedes zu ziehen sind. a) Ruhendes Mandat mit Nachfolge in Bremen Eine Besonderheit der Stadtstaaten Hamburg und Bremen ist die in der jeweiligen Verfassung normierte Inkompatibilitätsvorschrift betreffend die Mitgliedschaft im Senat und in der Bürgerschaft – jeweils verbunden mit einer Regelung zum ruhenden Mandat. Die Inkompatibilität des Senatsamtes mit der Mitgliedschaft in der Bürgerschaft geht in der Verfassung der Freien Hansestadt Bremen bereits auf die Regelung der Bremischen Verfassung von 1920 in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 15. April 1928 zurück.54 Der dortige Inhalt des § 44 BremVerf 1920 wurde bei der Novelle der Landesverfassung im Jahre 1947 nahezu wörtlich in den neu geschaffenen Art. 108 übernommen und seither nicht geändert.55 Art. 108 BremVerf regelt in seinem ersten Absatz die Unvereinbarkeit zwischen Mandat und Regierungsamt: Nach dieser Vorschrift können Senatsmitglieder nicht gleichzeitig der Bürgerschaft angehören. Das Land Bremen verleiht damit dem Prinzip der Gewaltenteilung ein besonderes Gewicht und geht an dieser Stelle über das sowohl im Bund als auch in den übrigen Bundesländern (mit Ausnahme Hamburgs) statuierte Maß an Trennung von Regierungsamt und Parlamentsmandat deutlich hinaus.56 Von besonderem Interesse für die vorliegende Untersuchung ist in diesem Zusammenhang insbesondere das mit der oben beschriebenen Inkompatibilität verbundene Institut des ruhenden Mandats aus Art. 108 Abs. 2 BremVerf: Hiernach hat ein in den Senat gewähltes Bürgerschaftsmitglied das Recht, nach seinem Rücktritt aus dem Senat wieder als Mitglied in die Bürgerschaft einzutreten (Satz 1). Gleiches gilt, wenn ein Senatsmitglied in die Bürgerschaft gewählt 54 55 56

Brem. GBl. 1928, S. 136; Harich, in: Fischer-Lescano/Rinken u. a., Art. 108, Rn. 2. Harich, in: Fischer-Lescano/Rinken u. a., Art. 108, Rn. 2. Harich, in: Fischer-Lescano/Rinken u. a., Art. 108, Rn. 6; Spitta, Art. 108, S. 209 f.

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3. Teil: Lösungsansätze

wurde, sein Mandat aber aufgrund der Inkompatibilitätsregelung des Art. 108 Abs. 1 BremVerf ruhen lässt, für den Fall seines späteren Rücktritts aus dem Senat (Satz 1). Obwohl nicht explizit formuliert, sieht Art. 108 Abs. 2 Satz 1 BremVerf offenkundig auch ein Nachrücken aufgrund der Mandatsruhe des nunmehrigen Senatsmitgliedes vor. Denn in ebendiesem Art. 108 Abs. 2 Satz 1, in dem die Bremische Verfassung das Rückkehrrecht des ruhenden Parlamentsmitgliedes nach dessen Rücktritt aus dem Senat gewährt, schreibt sie gleichzeitig fest: „(. . .) wer an seiner Stelle aus der Bürgerschaft auszuscheiden hat, bestimmt das Wahlgesetz.“

Aus der dergestalt vorausgesetzten Folge des Ausscheidens eines Bürgerschaftsmitgliedes im Falle der Rückkehr eines zurückgetretenen Senatsmitgliedes in die Bürgerschaft ist der Schluss zu ziehen, dass bei Eintritt der Mandatsruhe durch die Wahl eines Bürgerschaftsmitgliedes in den Senat eine Nachfolgeperson dessen Mandat in der Bürgerschaft übernimmt. Dies ergibt sich auch aus dem in der Verfassung in Bezug genommenen Wahlgesetz; genauer aus dessen § 36:57 Wird ein Bürgerschaftsmitglied in den Senat gewählt, so tritt gemäß § 36 Abs. 2 Satz 1 BremWahlG der Verlust des Bürgerschaftsmandates mit der Annahme der Wahl in den Senat ein. Der dadurch freigewordene Sitz in der Bürgerschaft wird durch den nächsten Listennachfolger desjenigen Wahlvorschlages neu besetzt, aufgrund dessen der Ausgeschiedene gewählt war (§ 36 Abs. 2 Satz 1 i.V. m. Abs. 1 BremWahlG). Im Falle des Wiedereintritts eines ehemaligen Senatsmitgliedes in die Bürgerschaft nach Art. 108 Abs. 2 BremVerf i.V. m. § 36 Abs. 3 BremWahlG wird nach § 36b BremWahlG neu berechnet, welches Bürgerschaftsmitglied nunmehr zugunsten des ehemaligen Senatsmitgliedes aus der Bürgerschaft ausscheidet; in der Regel ist dies die zuletzt nachgerückte Listennachfolgeperson desjenigen Wahlvorschlages, aufgrund dessen das ehemalige Senatsmitglied gewählt worden war. b) Ruhendes Mandat mit Nachfolge in Hamburg Die Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg kennt erst seit 1971 eine der Bremischen Regelung vergleichbare Unvereinbarkeit der Mitgliedschaft in der Bürgerschaft mit einem Senatsamt, verbunden mit dem Ruhen des Mandats. Im Zuge einer vieldiskutierten Parlamentsreform, die die Änderung bzw. Einfügung von insgesamt sechs Verfassungsartikeln umfasste,58 wurde auch der neu 57 § 36 Abs. 1–3 Bremisches Wahlgesetz (BremWahlG) vom 3. Mai 1955, zuletzt §§ 11 und 58 geändert durch Geschäftsverteilung des Senats vom 2. August 2016 (Brem. GBl. 2016, S. 434). 58 Darstellung der gesamten Verfassungsreform bei Busse/Hartmann, in: JöR 1976, 200–205; Freitag/Haas, in: ZParl 1971, 29–41.

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

265

geschaffene Art. 39 – damals als Art. 38a – durch das Zweite Gesetz zur Änderung der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg59 in die Verfassung eingefügt. Die hamburgische Verfassungsreform war – wie es in derartigen Entscheidungen, die eine Zweidrittelmehrheit erfordern, nicht unüblich ist – von einem gegenseitigen Geben und Nehmen zwischen den die Regierung tragenden Fraktionen auf der einen Seite und der Opposition auf der anderen Seite geprägt.60 Auf der oppositionellen Seite erreichte die CDU-Fraktion mit der Einführung des damaligen Art. 23a HmbVerf (heute Art. 24 HmbVerf), dass die Rolle der Opposition zum ersten Mal in einer deutschen Verfassung verankert wurde;61 zudem wurden Minderheitenrechte gestärkt und die Informations- und Arbeitsmöglichkeiten der Abgeordneten insgesamt verbessert.62 Die Regierungsfraktionen von SPD und FDP erreichten im Gegenzug die Einfügung des damaligen Art. 38a HmbVerf (heute Art. 39 HmbVerf) und damit das Ausscheiden der Senatsmitglieder aus der Bürgerschaft. Über die Beweggründe hierfür wurde vielfach spekuliert;63 die Anträge zur Parlamentsreform wurden indes aus der Mitte der Bürgerschaft eingebracht und enthalten keine Begründung,64 so dass der Wille des verfassungsändernden Gesetzgebers zumindest hieraus nicht erkennbar ist. Im Ergebnis schafft die Unvereinbarkeit von Bürgerschaftsmandat und Mitgliedschaft im Senat zum einen eine klarere Trennung zwischen Legislative und Exekutive.65 Zum anderen begünstigt sie die Regierungsfraktionen zumindest zahlenmäßig: Die Bürgerschaftsmitglieder, die gleichzeitig Senatoren waren, fielen zuvor für die Arbeit in den Ausschüssen komplett und für die allgemeine Fraktionsarbeit faktisch nahezu aus,66 so dass die Übernahme der nunmehr ruhenden Mandate der Senatsmitglieder durch Nachfolgepersonen nun zu einer zumindest quantitativen Stärkung der Regierungsfraktionen führte.67 Nach Art. 39 Abs. 1 HmbVerf dürfen Mitglieder des Senats kein Bürgerschaftsmandat ausüben; Letzteres ruht nach Art. 39 Abs. 2 HmbVerf während der Amtszeit als Mitglied des Senats. Ebenso wie Art. 108 BremVerf, der der hamburgischen Verfassungsgesetzgebung als Vorbild diente,68 sieht auch Art. 39 HmbVerf 59

Gesetz vom 18. Februar 1971 (HmbGVBl. 1971, S. 21). Busse/Hartmann, in: JöR 1976, 200; David, Art. 39, Rn. 1; Freitag/Haas, in: ZParl 1971, 27, 29. 61 Busse/Hartmann, in: JöR 1976, 200 f. 62 Busse/Hartmann, in: JöR 1976, 200, 204. 63 Busse/Hartmann, in: JöR 1976, 200, 202 f.; David, Art. 39, Rn. 1; Dress, Ruhendes Mandat, S. 11; Freitag/Haas, in: ZParl 1971, 27, 30–33; Thieme, Art. 38a, Nr. 1 f. 64 Freitag/Haas, in: ZParl 1971, 27, 30. 65 David, Art. 39, Rn. 1. 66 Thieme, Art. 38a, Nr. 2. 67 Freitag/Haas, in: ZParl 1971, 27, 31 f.; Thieme, Art. 38a, Nr. 2. 68 Dress, Ruhendes Mandat, S. 10. 60

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3. Teil: Lösungsansätze

ein Nachrücken in das ruhende Mandat vor: Nach Art. 39 Abs. 3 HmbVerf bestimmt ein Gesetz, „wer das Mandat während dieser Zeit ausübt.“ Mit der Wahl dieser Formulierung begrenzt die Hamburgische Verfassung jedoch nicht zwangsläufig die Amtszeit des nachgerückten Bürgerschaftsmitgliedes auf die senatsbedingte Mandatsruhe: Die Formulierung des Art. 39 Abs. 3 HmbVerf bezieht sich ausschließlich auf diejenige Position, die durch die Mandatsruhe des nunmehrigen Senatsmitgliedes frei wird. Diese Position kann gleichwohl auch von mehreren Nachfolgepersonen nacheinander bekleidet werden.69 Durch den Bezug auf die vorhergehenden Absätze 1 und 2 des Art. 39 HmbVerf wird indes klargestellt, dass das Mandat nur solange durch Nachfolgepersonen ausgeübt werden soll, wie das ruhende Bürgerschaftsmitglied sein Regierungsamt versieht. Das Gesetz, zu dessen Erlass Art. 39 Abs. 3 HmbVerf ermächtigt, ist § 39 (ursprünglich § 38a) des Gesetzes über die Wahl zur Hamburgischen Bürgerschaft (BüWG).70 Nach § 39 Abs. 1 BüWG wird das ruhende Bürgerschaftsmandat eines Senatsmitgliedes von der nächsten noch nicht gewählten Person auf dem Wahlvorschlag ausgeübt (es sei denn, es handelt sich bei dem neugewählten Senatsmitglied um einen Einzelbewerber, § 39 Abs. 1 S. 2 BüWG). Die Nachfolge richtet sich also nach einer bereits vor der Wahl festgelegten Liste. Auch während der Wahrnehmung eines ruhenden Mandats besteht für die nachberufene Person nach § 39 Abs. 2 BüWG die Möglichkeit, bei endgültigem Ausscheiden eines weiteren Bürgerschaftsmitgliedes desselben Wahlvorschlages in ein reguläres Mandat nachzurücken. Für sie rückt sodann die nächste nunmehr nachberufene Person desselben Wahlvorschlages in das ruhende Mandat nach. § 39 Abs. 4 BüWG beantwortet die Frage, wer nach dem Ende der Mandatsruhe aus der Bürgerschaft ausscheidet. Sind mehrere Bürgerschaftsabgeordnete desselben Wahlvorschlages in den Senat gewählt und somit mehrere Ersatzpersonen in die Bürgerschaft auf die ruhenden Mandate nachberufen werden, so tritt – unterschieden danach, ob es sich um eine Personenwahl oder um eine Listenwahl handelte – die jeweils letztberufene Person von der Mandatsausübung zurück. Soweit § 39 Abs. 4 BüWG davon spricht, dass die betreffende Person „von der Ausübung des Mandats zurücktritt“, ist hiermit jedoch keinesfalls ein Verzicht im Sinne einer endgültigen Aufgabe des Mandats gemeint: Die zurücktretende Person verbleibt auf derjenigen Rangstelle des Wahlvorschlages, die sie bei der Listenaufstellung erhalten hatte71 und sichert sich damit die Chance, bei Freiwerden eines Sitzes in der Bürgerschaft erneut in diese nachberufen zu werden.

69

Vgl. dazu auch David, Art. 39, Rn. 4. Gesetz über die Wahl zur Hamburgischen Bürgerschaft (BüWG) in der Fassung vom 22. Juli 1986, zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 19. Februar 2013 (HmbGVBl. 2013, S. 48). 71 David, Art. 39, Rn. 17. 70

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

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Die dargestellten Regelungen bedeuten in der Konsequenz, dass die Nachfolge nicht in ein konkretes ruhendes Mandat erfolgt: Denn bei der Mandatswahrnehmung durch mehrere Nachberufene tritt bei Wiederaufleben des ruhenden Mandates eines bestimmten ausscheidenden Senatsmitgliedes nicht unbedingt diejenige Nachfolgeperson von der Mandatswahrnehmung zurück, die bei Beginn der Mandatsruhe ebendieses Senatsmitgliedes nachgerückt war. Ausscheidende Person ist immer die letzte nachberufene Person – eine Verknüpfung mit dem Mandat eines bestimmten Senatsmitgliedes besteht nicht.72 c) Ruhendes Mandat mit Nachfolge in Hessen aa) Einführung durch § 40a LWG Hessen a. F. Besonders in den Fokus der Öffentlichkeit rückte das Institut des ruhenden Mandats eines Kabinettmitgliedes mit gleichzeitiger Nachfolge eines Ersatzabgeordneten in dieses ruhende Mandat mit der Einführung einer entsprechenden Regelung – nämlich des § 40a73 – in das Landtagswahlgesetz des Landes Hessen.74 Sie löste eine breitere Diskussion über die verfassungsrechtliche Zulässigkeit des ruhenden Mandates aus.75 72

Im Ergebnis auch David, Art. 39, Rn. 5. § 40a Landtagswahlgesetz (LWG) in der Fassung des Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des Landtagswahlgesetzes vom 28. Januar 1975 (GVBl. Hessen 1975 I, S. 20): „(1) Ein Abgeordneter, der Mitglied der Landesregierung ist, kann gegenüber dem Präsidenten des Landtags schriftlich erklären, daß sein Mandat für die Dauer seiner Amtszeit ruhen soll. Die Erklärung ist nicht widerruflich. (2) War der Abgeordnete im Wahlkreis gewählt, so übt während seiner Amtszeit als Mitglied der Landesregierung der im Kreiswahlvorschlag benannte Ersatzbewerber das Mandat aus. (3) War der Abgeordnete auf einer Landesliste gewählt, so übt während seiner Amtszeit als Mitglied der Landesregierung der nächstberufene Bewerber das Mandat aus. Wird dieser Bewerber für gewählt erklärt, weil ein Abgeordneter während der Wahlperiode ausgeschieden ist, so übt an seiner Stelle der nunmehr nächstberufene Bewerber das Mandat aus. (4) § 40 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 gilt entsprechend. (5) Lehnt ein Bewerber die Ausübung des Mandats ab, so scheidet er auch für die Nachfolge (§ 40) aus. (6) Scheidet im Falle des Ruhens der Abgeordnetenmandate mehrerer Mitglieder der Landesregierung ein Mitglied aus der Landesregierung mit der Wirkung aus, daß das Ruhen seines Mandats endet, so tritt von mehreren aus einer Landesliste zur Ausübung des Mandats berufenen Bewerbern derjenige zurück, der als letzter berufen worden war. (7) Das Ruhen eines Abgeordnetenmandats, seine Ausübung durch einen nachfolgenden Bewerber das Ende des Ruhens und das Zurücktreten eines Bewerbers werden vom Landeswahlleiter festgestellt. § 40 Abs. 4 Satz 2 und 3 findet Anwendung.“ 74 Landtagswahlgesetz in der Neufassung vom 10. Januar 1974 (GVBl. Hessen 1974 I, S. 42). 75 Dress, Ruhendes Mandat, S. 15; Lohmeier, in: DVBl. 1977, 405; Nell, in: JZ 1975, 519. 73

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3. Teil: Lösungsansätze

Anders als Bremen und Hamburg verzichtete der Hessische Landtag darauf, die Mandatsruhe und die entsprechende Nachfolgeregelung in der Verfassung zu verankern; man beschränkte sich mit der Änderung des Wahlgesetzes auf einfaches Gesetzesrecht. Besonders bemerkenswert war dabei, dass die Gesetzesnovelle das ruhende Mandat nebst Nachfolge bereits für die laufende Wahlperiode einführte; dieser Umstand führte als einer von mehreren Bausteinen schließlich auch zur Nichtigkeitserklärung durch den Staatsgerichtshof des Landes Hessen.76 Im Übrigen unterschied sich der hessische Weg insofern von dem der vorbezeichneten Stadtstaaten dadurch, dass keine Unvereinbarkeit zwischen Regierungsamt und Landtagsmandat formuliert wurde. Nach dem damaligen § 40a Abs. 1 LWG Hessen stand es einem Parlamentsmitglied, das gleichzeitig Mitglied der Landesregierung war, frei, gegenüber dem Landtagspräsidenten (unwiderruflich) zu erklären, dass sein Mandat für die Dauer seiner Amtszeit in der Landesregierung ruhen solle. Die Absätze 2 und 3 regelten die Nachfolge in das ruhende Mandat; die Formulierung entsprach insoweit der hamburgischen Regelung: Die Nachberufenen übten das Mandat während der Amtszeit des ursprünglichen Landtagsmitgliedes in der Landesregierung aus. Dabei differenzierte § 40a Abs. 2 und 3 LWG Hessen nach direkt und über die Liste gewählten Abgeordneten: Das Mandat eines Wahlkreisabgeordneten übte während dessen Amtszeit in der Landesregierung ein im Kreiswahlvorschlag benannter Ersatzbewerber aus (Abs. 2); für ein über die Landesliste gewähltes Landtagsmitglied übte der nächstberufene Bewerber der Liste das Mandat aus (Abs. 3). Wie in Hamburg, so war auch in Hessen nicht vorgesehen, dass die Nachfolgeperson das ruhende Mandat zwangsläufig während der gesamten Mandatsruhe wahrnahm. Nach § 40a Abs. 3 S. 2 LWG Hessen bestand die Möglichkeit, dass die Nachfolgeperson aufgrund des Ausscheidens eines Landtagsmitgliedes „für gewählt erklärt“ wurde; an ihrer Stelle übte nun die nächstberufene Person das aufgrund der Mandatsruhe vakante Mandat aus. Bemerkenswerterweise fand sich diese Regelung nur in Absatz 3, der sich auf die über die Liste gewählten Abgeordneten bezog. Für die ein ruhendes Mandat wahrnehmende Ersatzperson eines Kreiswahlvorschlages bestand diese Möglichkeit (offenbar) nicht. Zumindest die über die Liste nachfolgende Person war nach der vorbezeichneten Norm jedenfalls nicht an ein bestimmtes ruhendes Mandat gebunden; sie hatte die Möglichkeit, in ein reguläres Mandat nachzurücken. Die Entscheidung der nächstberufenen Person für oder gegen die Nachfolge in das ruhende Mandat hatte nach § 40a Abs. 5 LWG Hessen weitreichende Konsequenzen: Lehnte sie die Ausübung des ruhenden Mandates ab, so schied sie auch für die reguläre Nachfolge nach § 40 LWG Hessen aus.

76

StGH Hessen, P.St. 783.

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

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§ 40a Abs. 6 LWG Hessen normierte den Fall des Ausscheidens eines von mehreren Regierungsmitgliedern mit der Wirkung der Rückkehr in ein ruhendes Mandat: In diesem Fall „trat“ von mehreren aus einer Landesliste zur Ausübung des Mandats berufenen Personen diejenige „zurück“, die als letzte berufen war. bb) Nichtigkeit durch Urteil des StGH Hessen vom 7. Juli 1977 Die vieldiskutierte hessische Wahlgesetzänderung wurde schließlich Gegenstand eines Verfahrens vor dem Staatsgerichtshof des Landes Hessen. Auf Antrag von 51 Mitgliedern der hessischen CDU-Landtagsfraktion erklärte der Hessische Staatsgerichtshof den umstrittenen § 40a LWG mit Urteil vom 7. Juli 197777 für mit der Verfassung des Landes Hessen (VerfHE)78 nicht vereinbar und nichtig. (1) Unmittelbarkeit der Wahl Zum Ersten stützte der Staatsgerichtshof des Landes Hessen sein Urteil insbesondere auf die Verletzung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Wahl nach Art. 73 Abs. 2 VerfHE.79 Unter Berufung auf die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts80 und die überwiegende Meinung im Schrifttum81 stellte er darauf ab, dass jede bei der Landtagswahl abgegebene Stimme bestimmten oder bestimmbaren Wahlbewerbern zugerechnet werden müsse, ohne dass eine Zwischeninstanz noch nach der Stimmabgabe die Abgeordneten nach ihrem Ermessen auswähle.82 § 40a Abs. 1 LWG Hessen verletze den Unmittelbarkeitsgrundsatz jedoch noch nicht durch die unwiderrufliche Ruhenserklärung des Abgeordneten, der zugleich Mitglied der Landesregierung sei, denn ebenso wie die Nichtannahme des Mandats, der Verzicht oder der Rücktritt sei auch die Ruhenserklärung nicht auf die Handlungsweise eines Dritten zurückzuführen.83 Die Möglichkeit des vorzeitigen Ausscheidens eines Gewählten sei dem Wähler ebenso bekannt wie die Person des Nachfolgers; der Vorgang des Nachrückens werde noch vom Wählerwillen umfasst; der Wechsel in der Mandatsausübung sei 77

StGH Hessen, P.St. 783. Verfassung des Landes Hessen vom 1. Dezember 1946 (GVBl. Hessen 1946 I, S. 229, berichtigt GVBl. Hessen 1947, S. 106) in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 23. März 1970 (GVBl. Hessen 1970, S. 281), zuletzt geändert durch Gesetz vom 29. April 2011 (GVBl. Hessen 2011 I, S. 182), im Folgenden: VerfHE. 79 StGH Hessen, P.St. 783, Rn. 71 ff. 80 BVerfGE 7, 63. 81 Das Urteil verweist insoweit auf Hamann-Lenz, Kommentar zum Grundgesetz, 3. Auflage 1970, Art. 38 B 3; Maunz-Dürig-Herzog, Kommentar zum Grundgesetz, 4. Auflage 1976, Art. 38, Rn. 43; von Mangoldt/Klein, Das Bonner Grundgesetz, Bd. II, 1964, Art. 38, Anm. 3, 2d; Seifert, Bundeswahlrecht, Kommentar, 3. Auflage 1976, Art. 38 Anm. 10. 82 StGH Hessen, P.St. 783, Rn. 73. 83 StGH Hessen, P.St. 783, Rn. 77. 78

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3. Teil: Lösungsansätze

zu diesem Zeitpunkt kein sich zwischen Wahlakt und Wahlergebnis schiebender Vorgang – die Ruhenserklärung sei vielmehr mit einer Verzichtserklärung vergleichbar.84 Eine Durchbrechung des Wählerwillens liege aber in der Willensentscheidung des ehemaligen Abgeordneten, nach seinem Ausscheiden aus der Landesregierung erneut in das Parlament eintreten zu wollen.85 Der Wählerwille beziehe sich für den Fall des Ausscheidens eines gewählten Landtagsabgeordneten nur unmittelbar und unteilbar auf dessen Nachfolger; der ausscheidende Abgeordnete sei vom Wähler nur solange legitimiert, als er sein Mandat auch selbst wahrnehme.86 Ohne Begründung ging der Staatsgerichtshof davon aus, dass der ein Regierungsamt innehabende Abgeordnete mit dem Wirksamwerden der Ruhenserklärung aus dem Parlament ausgeschieden sei; das Gericht setzte also ohne Angabe von Gründen die Mandatsruhe mit einem Mandatsverzicht gleich.87 Hieraus folgerte es, dass die Kundgabe seines Rückkehrwillens die Äußerung eines externen Dritten und damit eine „fremde Einflußnahme auf das Wahlergebnis“ sei.88 (2) Vorherigkeit des Wahlgesetzes Zum Zweiten stellte der Staatsgerichtshof des Landes Hessen die Verletzung des Grundsatzes der Vorherigkeit des Wahlgesetzes fest.89 Der Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes zur Änderung des Landeswahlgesetzes vom 28. Januar 1975 sei zwar auf den Tag nach seiner Verkündung und damit auf den 5. Februar 1975 bestimmt worden. § 40a LWG Hessen finde jedoch bereits auf die am 27. Oktober 1974 gewählten Landtagsmitglieder Anwendung. Die Rechtsnorm wirke daher für die Zukunft auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen ein und tangiere damit zugleich die Rechtsposition der betroffenen Landtagsabgeordneten im Ganzen.90 Damit habe die Vorschrift rückwirkende Kraft; das Unmittelbarkeitsprinzip erfordere jedoch unter anderem, dass die Mandatsverteilung, der Mandatsverlust und die Nachfolge nach den zum Zeitpunkt der Wahl geltenden Normen vollzogen würden.91 Zum Zeitpunkt der Wahl habe die Wählerschaft mit der Möglichkeit des vorübergehenden Ausscheidens bzw. der zeitweisen Mandatsausübung jedoch nicht rechnen können.92 Dadurch, dass erst nach der letzten Landtagswahl die Rückkehr84 85 86 87 88 89 90 91 92

StGH Hessen, P.St. 783, Rn. 77. StGH Hessen, P.St. 783, Rn. 78. StGH Hessen, P.St. 783, Rn. 79. StGH Hessen, P.St. 783, Rn. 79 und 108. StGH Hessen, P.St. 783, Rn. 79. StGH Hessen, P.St. 783, Rn. 83 f. StGH Hessen, P.St. 783, Rn. 83. StGH Hessen, P.St. 783, Rn. 83. StGH Hessen, P.St. 783, Rn. 83 f.

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

271

möglichkeit nach § 40a LWG Hessen eingeräumt worden sei, sei im Übrigen auch die im Zeitpunkt der Wahl festgelegte Nachfolge für ausscheidende Abgeordnete durch die Rückkehrmöglichkeit unterbrochen worden.93 (3) Gleichheit der Wahl und allgemeiner Gleichheitssatz Zum Dritten sah der Staatsgerichtshof des Landes Hessen in der Vorschrift des § 40a LWG Hessen einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichheit der Wahl nach Art. 73 Abs. 2 VerfHE und gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz nach Art. 1 VerfHE.94 Der Grundsatz der gleichen Wahl beinhalte, dass alle Landtagsmitglieder einander formal gleichgestellt seien.95 Das Mandat des nachrückenden Landtagsmitgliedes stehe jedoch – anders als die Mandate aller übrigen Abgeordneten – unter einer auflösenden Bedingung:96 Das in ein ruhendes Mandat nachfolgende Mitglied müsse jederzeit damit rechnen, durch die Entscheidung eines (dann ehemaligen) Ministers, sein Mandat wieder auszuüben, wieder aus dem Landtag auszuscheiden; es könne seine Parlamentsarbeit daher nicht bezogen auf die gesamte Wahlperiode planen und einteilen, so dass sein Status als Abgeordneter insofern ein anderer sei.97 Im Gegensatz dazu verfüge der Ministerabgeordnete98 mit der Möglichkeit, sein Mandat nach § 40a Abs. 1 LWG Hessen ruhen zu lassen, gegenüber den übrigen Abgeordneten über ein Mehr an Rechten.99 Mit der Einführung des § 40a LWG Hessen habe der Gesetzgeber also drei Gruppen von Abgeordneten geschaffen: Die unmittelbar gewählten Abgeordneten, die ihr Mandat während der gesamten Wahlperiode von vier Jahren innehätten und ausüben könnten, die Ministerabgeordneten, die ihr Mandat durch eine Ruhenserklärung vorzeitig beenden und nach Ablauf ihrer Amtszeit in der Landesregierung wieder ausüben könnten und die zur Mandatsausübung berufenen Nachfolger, die bei Wiederaufnahme des Mandats durch das ehemalige Regierungsmitglied aus dem Landtag zurückträten – oder bei Ablehnung der Nachfolge auch für die Nachfolge nach § 40 LWG ausschieden.100

93

StGH Hessen, P.St. 783, Rn. 78. StGH Hessen, P.St. 783, Rn. 85. 95 StGH Hessen, P.St. 783, Rn. 89 mit Verweis auf BVerfGE 40, 296. 96 StGH Hessen, P.St. 783, Rn. 90. 97 StGH Hessen, P.St. 783, Rn. 92. 98 Wie bereits in der Einleitung, Fn. 32, erwähnt, verwendet u. a. der Staatsgerichtshof des Landes Hessen (P.St. 783, passim) diese Bezeichnung für ein zum Mitglied der Landesregierung gewähltes Landtagsmitglied – wenngleich es sich bei einem Mitglied der Landesregierung nicht ausschließlich um einen Minister oder eine Ministerin, sondern auch um den Ministerpräsidenten oder die Ministerpräsidentin handeln kann. 99 StGH Hessen, P.St. 783, Rn. 91. 100 StGH Hessen, P.St. 783, Rn. 90. 94

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3. Teil: Lösungsansätze

(4) Freies Mandat Schließlich stellte der Staatsgerichtshof auch einen Verstoß des § 40a LWG Hessen gegen die in Art. 65, 76 und 77 in Verbindung mit Art. 79 VerfHE verankerte Garantie des freien Mandats fest.101 Dadurch, dass der Ministerabgeordnete zwischen Mandatsverzicht und Mandatsruhe wählen könne, könne er das Anwartschaftsrecht des Listennachfolgers auf ein vollwertiges, unentziehbares Mandat in ein Anwartschaftsrecht auf Eintritt in eine entziehbare Mandatsausübungskompetenz umwandeln.102 Der Nachrücker werde dadurch gezwungen, entweder den verminderten Rechtsstatus eines abrufbaren Mandatsausübers anzunehmen oder aus der Nachfolge auszuscheiden, was einen unzulässigen Druck ausübe, der mit der Rechtsstellung der übrigen Listennachfolger nicht vergleichbar sei.103 Zudem sei der Nachfolger durch die Aussicht auf die jederzeitige Abberufung ohne statusrechtlichen Schutz der möglichen Einflussnahme auf seine parlamentarischen Entscheidungen ausgesetzt.104 Jede vorzeitige Abberufung (Recall) eines Abgeordneten sei indes mit dem freien Mandat unverträglich.105 Im Übrigen seien Amt und Mandat eines Landtagsmitgliedes allein durch den Ablauf der Legislaturperiode begrenzt und nicht weiter begrenzbar. Zwar könne die statusrechtliche Stellung des Abgeordneten durch das Selbstauflösungsrecht des Landtages nach Art. 80 VerfHE, durch die Auflösung des Landtages nach Art. 114 Abs. 5 VerfHE sowie durch den Tod oder den Verzicht des Abgeordneten enden. Ansonsten könne sich ein Parlamentsmitglied jedoch auf eine vierjährige Amtszeit verlassen. Diese zeitlich festgelegte Freiheitsgarantie werde indessen durch das Institut des ruhenden Mandats sowohl vom Beginn als auch vom Ende her unterlaufen.106 d) Ruhendes Mandat mit Nachfolge in Rheinland-Pfalz Eine Regelung zum ruhenden Mandat für Abgeordnete, die der Landesregierung angehörten, fand sich ursprünglich auch in der Verfassung des Landes Rheinland-Pfalz (RhPfVerf)107. Der erst in der Schlusssitzung der Beratenden Landesversammlung eingefügte108 Art. 81 Abs. 2 RhPfVerf sah vor, dass das Mandat eines Abgeordneten, der ein Ministeramt oder dessen Stellvertretung 101

StGH Hessen, P.St. 783, Rn. 103. StGH Hessen, P.St. 783, Rn. 105. 103 StGH Hessen, P.St. 783, Rn. 105. 104 StGH Hessen, P.St. 783, Rn. 109. 105 StGH Hessen, P.St. 783, Rn. 112 m.w. N. 106 StGH Hessen, P.St. 783, Rn. 110. 107 Verfassung des Landes Rheinland-Pfalz vom 18. Mai 1947 (VOBl. Rh-Pf 1947, S. 209). 108 Süsterhenn/Schäfer, Art. 81, Nr. 1. 102

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

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innehatte, für die Dauer dieses Amtes mit der Maßgabe zum Ruhen gebracht werden konnte, dass es während der Ruhephase dem nächstberufenen Listennachfolger zustand.109 Während der Mandatsruhe standen dem Mitglied der Landesregierung oder dem Ministervertreter weder eine Entschädigung noch die Gewährung der üblichen Ausstattung zu; sie genossen auch keine Immunität.110 Der Listennachfolger trat für die Zeit der Mandatsruhe als vollberechtigtes Landtagsmitglied in das Parlament ein.111 Die Regelung diente vor allem dem Erhalt der Arbeitsfähigkeit kleinerer Regierungsfraktionen, denen bei der Ernennung eines ihrer Mitglieder zum Minister dessen Arbeitskraft für die eigentliche Parlamentsarbeit verloren ging.112 Im Jahr 1954 war Art. 81 Abs. 2 RhPfVerf in der Fassung vom 18. Mai 1947 Gegenstand eines Verfahrens vor dem Wahlprüfungsgericht beim Landtag Rheinland-Pfalz113. In dem dort zur Entscheidung vorliegenden Fall hatte ein Staatsminister, der gleichzeitig ein Landtagsmandat innehatte, gegenüber dem Landtagspräsidenten erklärt, sein Mandat gemäß Art. 82 Abs. 2 RhPfVerf zum Ruhen bringen zu wollen. In der Folge übte der nächstberufene Listennachfolger das Mandat aus, bis er dem Landtagspräsidenten etwa zwei Jahre später mitteilte, der Minister habe seinerzeit zu seinen Gunsten das Mandat ruhen lassen; nun sei er selbst jedoch aus gesundheitlichen Gründen in absehbarer Zeit nicht mehr in der Lage, dieses auszuüben. Er habe den Minister daher gebeten, das Mandat selbst wieder zu übernehmen; sein Mandat lege er hiermit nieder. Der Minister erklärte auf Nachfrage, er wolle sein Mandat wieder ausüben. Daraufhin stellte der Landtagspräsident schriftlich gegenüber dem Minister fest, dass dessen Mitgliedschaft im Landtag wieder auflebe. Hiergegen wandte sich der Beschwerdeführer, der geltend machte, der nächstberufene Listennachfolger zu sein. Das daraufhin angerufene Wahlprüfungsgericht stellte mit Urteil vom 25. März 1954 fest, dass ein Minister, der sein Abgeordnetenmandat gemäß Art. 81 Abs. 2 der rheinland-pfälzischen Verfassung zum Ruhen gebracht habe, an diese Erklärung bis zum Ablauf seiner Ministeramtszeit gebunden sei; er könne dem Listennachfolger das Mandat nicht vorher durch einseitige Erklärung entziehen und 109 Art. 81 Abs. 2 der Verfassung des Landes Rheinland-Pfalz i. d. F. vom 18. Mai 1947 lautet: „Das Mandat eines Abgeordneten, der ein Ministeramt oder die Stellvertretung innehat, kann auf seinen Antrag für die Dauer dieses Amtes mit der Maßgabe zum Ruhen gebracht werden, daß es für die Dauer des Ruhens dem nächstberufenen Listennachfolger zusteht.“ 110 Süsterhenn/Schäfer, Art. 81, Nr. 3.d). 111 Süsterhenn/Schäfer, Art. 81, Nr. 3.d). 112 Süsterhenn/Schäfer, Art. 81, Nr. 3.a). 113 Urteil des Wahlprüfungsgerichts beim Rheinland-Pfalz vom 25. März 1954, Amtliche Sammlung von Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz (AS Rh-Pf), Koblenz, Bd. 3, 1955, 399 ff.; im Folgenden: Wahlprüfungsgericht Rh-Pf, AS Rh-Pf 3.

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3. Teil: Lösungsansätze

wieder selbst übernehmen.114 Das Gericht verwies insbesondere auf den Wortlaut des Art. 81 Abs. 2 RhPfVerf, aus dem es folgerte, dass sich der Ministerabgeordnete mit der Entscheidung zugunsten der Mandatsruhe gleichzeitig für die Dauer seines Ministeramtes dieser Ruhensregelung unterworfen habe.115 Zudem bezog sich das Gericht auf den Grundsatz des freien Mandats: Wenn ein für einen Ministerabgeordneten Nachgerückter jederzeit damit rechnen müsse, dass der Minister das zum Ruhen gebrachte Mandat wieder aufnehmen und „auf diese Weise den Ersatzmann seiner Abgeordneteneigenschaft entkleiden“ könne, dann sei die Unabhängigkeit des Abgeordneten erheblich gefährdet.116 Das Ausscheiden des Nachrückers könne daher nicht vom subjektiven Entschluss des Ministerabgeordneten, sein Mandat wieder aufzunehmen, sondern lediglich von dem objektiven Tatbestand des Ausscheidens des Ministers aus seinem Amt abhängen.117 Unter dem Eindruck der Nichtigkeitserklärung der hessischen Regelung – bei der es sich anders als in Rheinland-Pfalz allerdings um eine einfachgesetzliche Regelung mit Geltung für die laufende Wahlperiode gehandelt hatte – geriet auch Art. 81 Abs. 2 RhPfVerf in die Kritik. Am 15. Juni 1978 nahm der Landtag Rheinland-Pfalz einstimmig eine Verfassungsänderung vor und schaffte den Art. 81 Abs. 2 seiner Verfassung ab.118 e) Ruhendes Mandat mit Nachfolge in Bayern Auch der Freistaat Bayern kennt die Möglichkeit des ruhenden Landtagsmandates mit gleichzeitigem Nachrücken. Die Fälle, in denen die Mandatsruhe eintritt, unterscheiden sich jedoch deutlich von den in Bremen, Hamburg, Hessen und Rheinland-Pfalz bekannten Konstellationen. Die Mandatsruhe von Mitgliedern des Bayerischen Landtages ist im dortigen Landeswahlgesetz (LWG Bayern)119 und somit lediglich durch einfaches Gesetzesrecht geregelt. Art. 19 der Verfassung des Freistaates Bayern120 enthält zwar eine – nicht erschöpfende – Aufzählung von Gründen für einen Verlust der Landtagsmitgliedschaft; das Ruhen der Mitgliedschaft regelt die Vorschrift indes 114

Wahlprüfungsgericht Rh-Pf, AS Rh-Pf 3, 399. Wahlprüfungsgericht Rh-Pf, AS Rh-Pf 3, 399, 402. 116 Wahlprüfungsgericht Rh-Pf, AS Rh-Pf 3, 399, 403. 117 Wahlprüfungsgericht Rh-Pf, AS Rh-Pf 3, 399, 403. 118 Plenarprotokoll der 53. Sitzung vom 15. Juni 1978, S. 2589; GBl. Rh-Pf Nr. 22 vom 30. Juni 1978, S. 449. 119 Landeswahlgesetz (LWG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. Juli 2002 (GVBl. Bayern 2002, S. 277, 278, 620, BayRS 111-1-I), zuletzt geändert durch § 8 des Gesetzes vom 12. Juli 2017 (GVBl. Bayern 2017, S. 362). 120 Verfassung des Freistaates Bayern in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Dezember 1998 (GVBl. Bayern 1998, S. 991, BayRS 100-1-I), zuletzt geändert durch Gesetze vom 11. November 2013 (GVBl. Bayern 2013, S. 638). 115

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

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nicht.121 Die insoweit ergänzende einfachgesetzliche Regelung durch Art. 56 ff. LWG Bayern wurde hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit der bayerischen Verfassung bislang nicht angezweifelt.122 Das Ruhen des Mandates eines bayerischen Landtagsabgeordneten unterscheidet sich insoweit von den oben vorgestellten Fallgestaltungen, als es sich nicht auf Fälle des Zusammentreffens von Abgeordnetenmandat und Regierungsamt und somit nicht auf Fragen der Gewaltenteilung oder der Parlamentsorganisation bezieht. Vielmehr dient die Mandatsruhe im Freistaat Bayern der rechtsverbindlichen Klärung spezieller Sachverhalte:123 Nach Art. 57 Abs. 1 LWG Bayern ruht die Mitgliedschaft eines Abgeordneten bei einer Anklage gegen ihn zum Verfassungsgerichtshof (Nr. 1), bei einer noch nicht rechtskräftigen Ungültigkeitserklärung der Wahl eines Abgeordneten (Nr. 2), bei einer besonderen Anordnung des Ruhens durch den Verfassungsgerichtshof in einem dort anhängigen Wahlprüfungsverfahren (Nr. 3) und im Falle der Anfechtung des Verlustes der Landtagsmitgliedschaft beim Verfassungsgerichtshof (Nr. 4). Dementsprechend befassen sich die bayerischen Regelungen mit Fällen, in denen im Raum steht, ob ein Abgeordneter das Mandat dauerhaft verliert. Der Mandatsruhe liegt die Überlegung zugrunde, dass eine Fortführung des Mandates in einer derartigen Situation nicht gerechtfertigt erscheint, ohne dass aber bereits auf den endgültigen Verlust des Sitzes erkannt werden könnte.124 Eine Nachfolgeregelung in Bezug auf das ruhende Mandat trifft das bayerische Landeswahlgesetz in Art. 58 Abs. 1 S. 1: Hiernach wird der Sitz mit dem nächstfolgenden Listennachfolger aus dem Wahlkreisvorschlag, für den der Ausscheidende bei der Wahl angetreten war, besetzt. Nimmt der in die Mandatsruhe getretene Abgeordnete seinen Sitz wieder ein, so verliert die Nachfolgeperson ihr Mandat nach Art. 56 Abs. 1 Nr. 5 LWG Bayern. Mit dieser Regelung erkennt das bayerische Landeswahlgesetz die stärkere Stellung des zu Unrecht Ausgeschiedenen an.125 Sofern ein weiterer Nachrücker für einen später ausgeschiedenen weiteren Abgeordneten einberufen wurde, scheidet im Falle des Wiederauflebens des ruhenden Mandates zunächst dieser Letztberufene aus dem Parlament aus.126 2. Diskussionsstand zum Institut des ruhenden Mandats

Wie bereits im Rahmen der Darstellung des bisherigen Forschungsstandes ausgeführt, entspann sich im Zusammenhang mit dem oben genannten Urteil des 121

Schweiger, in: Nawiasky, Art. 19, Rn. 2. Vgl. auch Schweiger, in: Nawiasky, Art. 19, Rn. 2. 123 Lohmeier, in: DVBl. 1977, S. 405, 409 klassifiziert dies – etwas ungenau – als Beantwortung einer Rechtsfrage. 124 Boettcher, in: Boettcher/Högner, Art. 56, Rn. 1. 125 BVerfGE 56, 396, 406. 126 Boettcher, in: Boettcher/Högner, Art. 55, Rn. 10. 122

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3. Teil: Lösungsansätze

Staatsgerichtshofes des Landes Hessen eine vergleichsweise rege, insgesamt aber dennoch zeitlich überschaubare Diskussion um die Verfassungsmäßigkeit des ruhenden Mandates.127 Dabei befasst sich die Debatte indes ausschließlich mit dem ruhenden Mandat eines in die Regierung gewählten Parlamentsmitgliedes einschließlich der Nachfolge in dieses Mandat.128 Eine sichtbare Kritik an der bayerischen Regelung wurde bislang hingegen nicht offenbar; auch das ruhende Mandat ohne Nachfolge wurde isoliert nicht diskutiert. Im Folgenden soll nur summarisch benannt werden, welche Streitpunkte den Kern der Diskussion um die Zulässigkeit des stets mit einer Nachfolgeregelung verknüpften ruhenden Mandates der sogenannten Ministerabgeordneten bilden. Hierbei soll noch nicht auf die einzelnen für und gegen die jeweilige Auffassung vorgebrachten Argumente eingegangen werden; vielmehr dient dieser kurze Überblick der nachfolgenden Einordnung, inwieweit die jeweiligen Positionen auch bei der verfassungsmäßigen Überprüfung der hier in Aussicht genommenen Idee des ruhenden Mandates zum Zwecke des Mutterschutzes und der Elternzeit zu berücksichtigen sind. a) Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl Hinsichtlich des ruhenden Mandates von Regierungsmitgliedern (mit Nachfolge) bezieht sich die Diskussion insbesondere auf die Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl. Die Kritik betrifft dabei vornehmlich das Ende der Mandatsruhe – also die Wiederaufnahme der Mandatsausübung durch das zuvor ruhende Parlamentsmitglied und das dadurch bedingte Ausscheiden eines Nachfolgemitgliedes. Es wird vertreten, die Rückkehr des Ursprungsmitgliedes sei eine Form des Mandatserwerbs, die sich nicht unmittelbar aus der Wahlentscheidung ableite.129 Anstelle der Wählenden entscheide entweder das rückkehrende Regierungsmitglied selbst130

127

Vgl. oben in der Einleitung, C. III. 1., S. 40. Zwar befasst sich das oben genannte Gutachten des Parlamentarischen Beratungsdienstes des Landtages Brandenburg mit dem Ruhen des Mandates zum Zwecke des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit; dabei setzt es dieses jedoch ohne jegliche Differenzierung mit dem ruhenden Mandat von sogenannten Ministerabgeordneten gleich und geht – ohne Begründung – von einer Nachfolge aus, die jederzeit durch eine willkürliche Rückkehr des Ursprungsmitgliedes beendet werden kann, Platter, S. 9 f. 129 Mehde, in: Maunz/Dürig, Art. 28 Abs. 1, Rn. 120 m.w. N.; Nell, in: JZ 1975, 519, 520; Rosenau, in: ZParl 1988, 35, 39, im Ergebnis auch Badura, Staatsrecht, Teil E, Rn. 28 mit Verweis u. a. auf HessStGH, ESVGH 27, 193, 197 = StGH Hessen, P.St. 783; Dreier, in: ders., Art. 28, Rn. 62; Magiera, in: Sachs, Art. 38, Rn. 88; Neumann, Art. 108, Rn. 4. 130 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 38, Rn. 37; P. Schneider, Gutachten, S. 46; Trute, in: von Münch/Kunig, Art. 38, Rn. 33; ähnlich Magiera, in: Sachs, Art. 38, Rn. 88. 128

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

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oder der Regierungschef 131 über die Fortdauer des Mandates der Nachfolgeperson.132 Insoweit schiebe sich die externe Willensentscheidung eines Dritten zwischen den Wahlakt und die Bestimmung der Gewählten, so dass der Unmittelbarkeitsgrundsatz nicht gewahrt sei.133 Der wesentliche Gegeneinwand besteht in dem Argument, dass die Wiederaufnahme des Mandates gerade durch denjenigen erfolge, der ursprünglich vom Wählerwillen in das betreffende Mandat berufen worden sei; der Wählerwille werde durch die Rückkehr des ursprünglichen Abgeordneten daher nicht verfälscht, sondern geradezu wiederhergestellt.134 Im Übrigen schreibe der Unmittelbarkeitsgrundsatz nicht fest, dass die auf einen Wahlvorschlag entfallenden Mandate über die Dauer einer Legislaturperiode hinweg in ihrer konkreten personellen Besetzung unverändert bestehen blieben; auch durch Nichtannahme oder Rücktritt ändere sich die Zusammensetzung des Parlaments – dies begründe aber keinen Verstoß gegen das Unmittelbarkeitsprinzip.135 Vergleichbar verhalte es sich bei dem hier gegebenen „Rückkehrautomatismus“, der das originäre Wahlergebnis wiederherstelle.136 Ferner wähle das zurückkehrende Regierungsmitglied das ausscheidende Parlamentsmitglied auch nicht nach seinem Ermessen aus: Vielmehr stehe von vornherein fest, in welcher Reihenfolge der Rücktritt von der Mandatsausübung erfolge.137 b) Grundsatz der Gleichheit des Mandats Darüber hinaus erstreckt sich die Debatte auch auf die teilweise als privilegiert empfundene Rechtsposition des in der Mandatsruhe befindlichen Regierungsmitgliedes und der zum Teil als unterprivilegiert beurteilten Rechtsposition der Nachfolgeperson gegenüber den restlichen Parlamentsmitgliedern.138 Die Vertre131 Morlok, in: Dreier, Art. 38, Rn. 79 und Schreiber, in: Friauf/Höfling, Art. 38, Rn. 95 nennen in diesem Zusammenhang ausschließlich den Bundeskanzler; gleiches gilt jedoch auch auf Länderebene für die dortigen Regierungsoberhäupter. 132 Bernzen/Sohnke, Art. 38a, Rn. 5 mit Verweis auf Nell, in: JZ 1975, 519 ff., 522; Morlok, in: Dreier, Art. 38, Rn. 79; Neumann, Art. 108, Rn. 4; Schreiber, in: Friauf/Höfling, Art. 38, Rn. 95. 133 StGH Hessen, P.St. 783, Rn. 79; Nell, in: JZ 1975, 519, 520; Sacksofsky, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, § 6, Rn. 40; Versteyl, in: Schneider/Zeh, § 14, Rn. 37. 134 Schriftsatz des Hessischen Landtages vom 8. Februar 1977 im Verfahren StGH Hessen, P.St. 783, S. 5, Bl. 175 d. A.; Schriftsatz des Hessischen Ministerpräsidenten vom 16. Mai 1977 im Verfahren StGH Hessen, P.St. 783, S. 4, Bl. 254 d. A.; Wilhelm, in: SKV 1975, 354; ohne Begründung gegen eine Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes positioniert sich von Münch, in: NJW 1998, 34, 35. 135 David, Art. 39, Rn. 19. 136 Schriftsatz des Hessischen Landtages vom 8. Februar 1977 im Verfahren StGH Hessen, P.St. 783, S. 4 f., Bl. 174 f. d. A. 137 David, Art. 39, Rn. 19. 138 StGH Hessen, P.St. 783, Rn.90 ff.; Schriftsatz des Landesanwalts bei dem Hessischen Staatsgerichtshof vom 12. Juli 1976 im Verfahren StGH Hessen, P.St. 783, S. 7,

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3. Teil: Lösungsansätze

ter dieser Position gehen dementsprechend von einer Einteilung der Abgeordneten drei Klassen mit jeweils abgestuften Rechten und Pflichten aus und rügen insoweit einen Verstoß gegen den Grundsatz der Mandatsgleichheit.139 Dagegen wird eingewandt, während der Mandatsausübung hätten alle Abgeordneten – auch die infolge der Mandatsruhe Nachgerückten – die gleichen Rechte; zudem könnten auch alle Abgeordneten ihr Amt durch Fremdbestimmung, etwa im Falle der Auflösung des Parlaments, vorzeitig verlieren.140 Im Übrigen befinde sich die Nachfolgeperson auch deshalb nicht in einer gegenüber den übrigen Abgeordneten schlechteren Rechtsposition, weil es sich bei dem Nachfolgemandat nicht um ein Vertretermandat, sondern ein Aliudmandat handle, das durch die Wahl der starren Liste begründet werde.141 Darüber hinaus bestehe auch keine spiegelbildliche Privilegierung der sogenannten Ministerabgeordneten, denn die Mandatsruhe habe erhebliche Rechtseinbußen zur Folge: Das betreffende Mitglied verliere seine parlamentarischen Mitwirkungsrechte, seine Rechte auf Indemnität und Immunität und seinen Anspruch auf Zahlung von Diäten.142 Der Kern des Abgeordnetenstatus werde durch die unterschiedliche Rechtsstellung nicht berührt; im Übrigen sei die Ungleichbehandlung sachlich gerechtfertigt: Denn dadurch, dass die Nachfolgeperson die vollen parlamentarischen Rechte erlange, sei die Effektivität der Parlamentsarbeit gewährleistet.143

Bl. 97 d. A.; Schriftsatz des Landesanwalts bei dem Hessischen Staatsgerichtshof vom 5. Mai 1977 im Verfahren StGH Hessen, P.St. 783, S. 35, Bl. 240 d. A.; Butzer, in: BeckOK Epping/Hillgruber, Art. 38, Rn. 106.2; Dreier, in: Schmidt, Vielfalt des Rechts, S. 113, 124 f.; Dress, Ruhendes Mandat, S. 216 f. und 220; Müller, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 38 Abs. 1, Rn. 64; Rosenau, in: ZParl 1988, 35, 41; Versteyl, in: Schneider/Zeh, § 14, Rn. 37; Redebeitrag des Abg. Thorwirth, LT RheinlandPfalz, Stenographischer Bericht 8. WP, 44. Sitzung, S. 2086; Redebeitrag des Abg. Haberer, LT Rheinland-Pfalz, Stenographischer Bericht 8. WP, 44. Sitzung, S. 2087 f.; Redebeitrag des Abg. Rund, LT Rheinland-Pfalz, Stenographischer Bericht 8. WP, 53. Sitzung, S. 2595; Redebeitrag des Abg. Dr. Schmitt, LT Rheinland-Pfalz, Stenographischer Bericht 8. WP, 53. Sitzung, S. 2597. 139 Badura, Staatsrecht, Teil E, Rn. 28; Dreier, in: ders., Art. 28, Rn. 62, Neumann, Art. 108, Rn. 4; ähnlich Herdegen, in: Isensee/Kirchhof, Bd. VI, § 129, Rn. 37. Achterberg/Schulte, in: von Mangoldt/Klein/Starck, 5. Auflage 2005, Art. 38 Abs. 1, Rn. 59, sprechen in Bezug auf die rückkehrberechtigten ruhenden Parlamentsmitglieder von „Abgeordnete(n) de luxe“. 140 Schriftsatz des Hessischen Landtages vom 8. Februar 1977 im Verfahren StGH Hessen, P.St. 783, S. 9, Bl. 179 d. A. 141 Schriftsatz des Hessischen Landtages vom 8. Februar 1977 im Verfahren StGH Hessen, P.St. 783, S. 10, Bl. 180 d. A. 142 Schriftsatz des Hessischen Ministerpräsidenten vom 16. Mai 1977 im Verfahren StGH Hessen, P.St. 783, S. 19, Bl. 269 d. A. 143 Schriftsatz des Hessischen Ministerpräsidenten vom 16. Mai 1977 im Verfahren StGH Hessen, P.St. 783, S. 19 ff., Bl. 269 ff. d. A.

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c) Grundsatz der Freiheit des Mandats Überdies halten die Kritiker des ruhenden Mandates mit Nachfolge und Rückkehrmöglichkeit ebendieses für unvereinbar mit dem Grundsatz des freien Mandates.144 Dabei steht insbesondere die mögliche Beendigung des Nachfolgemandates durch eine Willensentscheidung Dritter im Fokus: Durch die jederzeitige Rückkehrmöglichkeit des in der Mandatsruhe befindlichen Regierungsmitgliedes bestehe die Gefahr des aus einigen US-amerikanischen Bundesstaaten bekannten Recall:145 Das Mandat der Nachfolgeabgeordneten sei imperativ-revokativer Natur;146 bereits durch eine Drohung mit dem Entzug des Mandats oder aber durch den tatsächlichen Mandatsentzug durch einen Ministerrücktritt könne die Partei oder die Fraktion daher Einfluss auf Entscheidungen des Nachfolgemitgliedes nehmen.147 Diese Gefahr lege es nahe, dass die Nachfolgeperson Entscheidungen träfe, die nur vom Willen zum Erhalt des Mandates bestimmt seien.148 Die Gegenseite sieht das potentielle Druckmittel des Ministerrücktritts zur Disziplinierung eines Nachrückers als wenig effektiv an: Der Rücktritt eines Ministers bedeute für eine Regierung immer einen politischen Prestigeverlust und Schwierigkeiten mit dem Koalitionspartner; es sei realitätsfern, dass einem unbedeutenden Abgeordneten durch die Drohung mit einem Ministerrücktritt – zumal unter den Augen der Öffentlichkeit – Wohlverhalten abverlangt werden könne.149 Im Übrigen könne das ausscheidende Mitglied auch beim nächsten Freiwerden eines Mandats wieder in das Parlament nachrücken und dort gegebenenfalls ein unbedingtes Mandat erlangen.150 Darüber hinaus wird von den Kritikern des ruhenden Mandats moniert, dass ein Nachfolgemitglied bei Abstimmungen, die das Ausscheiden eines Regierungsmitgliedes mit ruhendem Mandat zur Folge haben könnten (z. B. Misstrauensvotum gegen die Regierung, Antrag auf Ministeranklage, Antrag auf Minister144 StGH Hessen, P.St. 783, Rn. 103 ff.; Badura, Staatsrecht, Teil E, Rn. 28; Butzer, in: BeckOK Epping/Hillgruber, Art. 38, Rn. 106.2; Herdegen, in: Isensee/Kirchhof, Bd. VI, § 129, Rn. 37; Neumann, Art. 108, Rn. 4; Schreiber, in: Friauf/Höfling, Art. 38, Rn. 95; P. Schneider, Gutachten, S. 29 ff.; Versteyl, in: Schneider/Zeh, § 14, Rn. 37. 145 StGH Hessen, P.St. 783, Rn. 112; Nell, in: JZ 1975, 519, 521; Rosenau, in: ZParl 1988, 35, 37. 146 Schriftsatz des Landesanwalts bei dem Hessischen Staatsgerichtshof vom 12. Juli 1976 im Verfahren StGH Hessen, P.St. 783, S. 8, Bl. 98 d. A. 147 Butzer, in: BeckOK Epping/Hillgruber, Art. 38, Rn. 106.2; Dress, Ruhendes Mandat, S. 162, 164 und 167; Klein, in: Maunz-Dürig, Art. 38, Rn. 209; Lohmeier, in: DVBl. 1977, 405, 407; Müller, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 38 Abs. 1, Rn. 64; Nell, in: JZ 1975, 519, 521. 148 Versteyl, in: Schneider/Zeh, § 14, Rn. 37. 149 Wilhelm, in: SKV 1975, 354, 356. 150 Lohmeier, in: DVBl. 1977, 405, 408.

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entlassung), mit einem bestimmten Abstimmungsverhalten unmittelbar den Verlust seines eigenen Mandates herbeiführe – denn mit dem Ausscheiden eines ruhenden Mandatars aus der Regierung lebe dessen Mandat wieder auf.151 Dagegen wird jedoch eingewandt, dass grundsätzlich jedes parlamentarische Verhalten eines Abgeordneten Konsequenzen bis hin zum Parteiausschluss und zum Ausbleiben der erneuten Nominierung für ein Mandat zur Folge haben könne; zudem werde auch ein Regierungsmitglied, das gleichzeitig dem Parlament angehöre, durch das Bestreben, sein Regierungsamt zu erhalten, in seiner Entscheidungsfreiheit bei gewissen Abstimmungen eingeschränkt.152 Darüber hinaus stehe auch jedes Kabinettsmitglied, das gleichzeitig Mitglied des Parlaments sei, in einer vergleichbaren Konfliktlage: Denn auch dieses Regierungsmitglied würde sich durch ein positives Abstimmungsverhalten bei einem Misstrauensvotum, einem Antrag auf Ministeranklage oder einem Antrag auf Ministerentlassung selbst um sein Ministeramt bringen; diesen Konflikt nehme das Parlamentsrecht gleichwohl hin.153 Im Übrigen mute auch die Möglichkeit der Selbstauflösung des Parlaments den Abgeordneten zu, dass sie mit der Abstimmung für eine Parlamentsauflösung den Verlust des eigenen Mandats herbeiführten; der Verfassungsgeber erwarte jedoch von Abgeordneten, nicht das Interesse am Erhalt des Mandats, sondern das Gemeinwohl zur obersten Handlungsmaxime zu machen; der bei den Abstimmungen auftretende Interessenkonflikt verletze somit nicht die Mandatsfreiheit.154 Letztlich liege im Eigeninteresse des Nachrückers am Verbleib des ruhenden Mandatars in der Regierung noch kein unzulässiger Eingriff in das freie Mandat.155 d) Demokratisches Repräsentationsverständnis Als Reaktion auf das oben bezeichnete Verfahren vor dem Staatsgerichtshof des Landes Hessen zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 40a LWG Hessen wurde darüber hinaus in einem einzelnen Aufsatz die Auffassung publiziert, das Institut des ruhenden Mandats mit Nachfolge und Rückkehrrecht verstoße gegen das demokratische Repräsentationsverständnis.156 Begründet wurde dies mit der Behauptung, dass im Falle eines ruhenden Mandates eine Beleihung bzw. Belehnung erfolge, also ein Feudal- oder auch Lehensverhältnis entstehe, das mit dem Grundgedanken der Demokratie nicht zu verein151 Lohmeier, in: DVBl. 1977, 405, 407 f.; Müller, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 38 Abs. 1, Rn. 64; Nell, in: JZ 1975, 519, 522; Preuß, in: Kröning/Pottschmidt/ Preuß/Rinken, S. 344. 152 Dress, Ruhendes Mandat, S. 158; Steiger, Gutachten, S. 106 ff. 153 Steiger, Gutachten, S. 108. 154 Dress, Ruhendes Mandat, S. 158 f. 155 Harich, in: Fischer-Lescano/Rinken u. a., Art. 109, Rn. 11. 156 Gralher, in: ZRP 1977, 156 ff.

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baren sei.157 Der Nachfolger in ein ruhendes Mandat sei ein Parlamentariertyp geringerer Qualität und könne streng genommen nicht den Wahlkreis, aus dem er stamme, vertreten – denn er habe das Mandat nicht aus eigenem Recht inne, sondern sei lediglich ein geschäftsführender Mandatar.158 Im Übrigen sei das ruhende Mandat in dem Fall, in dem die Regierung ausschließlich aus Nicht-Abgeordneten bestünde, mit dem parlamentarischen Regierungssystem nicht vereinbar: Von einem solchen könne nur dort die Rede sein, wo Parlamentarier in der Regierung vertreten seien.159 3. Abgrenzung: Mandatsruhe von Regierungsmitgliedern/ kindesbedingte Mandatsruhe

Für die weitere Untersuchung ist nun von Bedeutung, inwieweit die oben angeführten Argumente für und gegen das ruhende Mandat eines Parlamentsmitgliedes, das ein Regierungsamt übernimmt, auf das ruhende Mandat zum Zwecke des Mutterschutzes und der Elternzeit übertragbar sind, bzw. inwieweit sich die beiden Konstellationen voneinander unterscheiden. Dabei wird vor dem Hintergrund der obigen Erwägungen160 stets davon ausgegangen, dass die Dauer des Mutterschutzes für Abgeordnete mit einer dem § 3 Abs. 1 und 2 MuSchG entsprechenden Höchstdauer frei wählbar ist, dem Parlament jedoch zuvor verbindlich angezeigt werden muss. In Bezug auf die Elternzeit für Abgeordnete wird davon ausgegangen, dass diese innerhalb einer Höchstdauer von sechs Monaten ebenfalls hinsichtlich der Dauer frei wählbar ist, wobei der Zeitpunkt und die Dauer der Inanspruchnahme dem Parlament jedoch ebenfalls im Vorhinein verbindlich mitgeteilt werden müssen. a) Gemeinsamkeiten aa) Gemeinsamkeiten unabhängig von einer Nachfolge Unabhängig davon, ob eine Nachfolgeoption gewählt wird oder nicht, bestehen zwischen dem hier gegenständlichen Modell der Mandatsruhe zum Zwecke des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede zu den zuvor dargestellten Fällen der Mandatsruhe von Regierungsmitgliedern. Naturgemäß haben beide Konstellationen gemeinsam, dass in beiden Fällen das Mandat für einen gewissen Zeitraum nicht wahrgenommen wird. Darüber hinaus besteht eine weitere Gemeinsamkeit: Wie das ruhende Mandat in Bayern, 157

Gralher, in: ZRP 1977, 156, 157. Gralher, in: ZRP 1977, 156, 157. 159 Gralher, in: ZRP 1977, 156, 158; im Ergebnis auch Redebeitrag des Abg. Rund, LT Rheinland-Pfalz, Stenographischer Bericht 8. WP, 53. Sitzung, S. 2595. 160 Vgl. oben im dritten Teil, erstes Kapitel, A., S. 240 ff. 158

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das nur für diejenigen gilt, in Bezug auf deren Mandat ein spezieller Sachverhalt rechtsverbindlich zu klären ist, und wie die ruhenden Mandate derjenigen Abgeordneten, die gleichzeitig ein Regierungsamt wahrnehmen, so ist auch die Mandatsruhe zum Zwecke des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit nicht für alle, sondern nur für bestimmte Abgeordnete möglich. Das Ruhenlassen des Mandates wird hier an die Schwangerschaft bzw. die Elternschaft über Kinder in einem bestimmten Alter geknüpft. Dementsprechend ist auch in Bezug auf die Mandatsruhe zum Zwecke des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit deren Vereinbarkeit mit dem Grundsatz des gleichen Mandats zu klären. Im Übrigen handelt es sich bei dem hier vorgeschlagenen Modell des ruhenden Mandates zum Zwecke des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit um eine fakultative Regelung, die diesbezüglich mit den inzwischen abgeschafften Regelungen in Hessen und Rheinland-Pfalz vergleichbar ist. Hiervon unterscheiden sich die Fälle der obligatorischen Mandatsruhe in Bremen, Hamburg und Bayern. bb) Gemeinsamkeiten bei der Mandatsruhe ohne Nachfolge Das zum Zwecke des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit ruhende Mandat ohne Nachfolge hat darüber hinaus keine weiteren Gemeinsamkeiten mit dem gleichzeitig mit einer Nachfolgeregelung verknüpften ruhenden Mandat von Regierungsmitgliedern. cc) Gemeinsamkeiten bei der Mandatsruhe mit Nachfolge Anders verhält es sich notwendigerweise bei dem zum Zwecke des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit ruhenden Mandat mit Nachfolgeregelung. Sowohl in den Fällen der mutterschutz- bzw. elternzeitbedingten Mandatsruhe als auch bei der Mandatsruhe eines Regierungsmitgliedes nimmt ein Parlamentsmitglied sein Mandat für einen befristeten Zeitraum nicht wahr und die nächstberufene Person rückt für mindestens diesen Zeitraum in das Parlament nach. In beiden Fällen ist das Nachfolgemandat in zeitlicher Hinsicht nicht durch das Ende der Wahlperiode begrenzt, sondern kann vorher enden. Dementsprechend ist auch das hier vorgestellte ruhende Mandat mit Nachfolge zum Zwecke des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit an den gleichen Verfassungsgrundsätzen zu messen wie die bisher schon bekannten Fälle der Mandatsruhe von Regierungsmitgliedern. b) Unterschiede Die Mandatsruhe zum Zwecke des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit unterscheidet sich jedoch von den übrigen Konstellationen bereits dadurch, dass sie andere Zwecke verfolgt. Während die Mandatsruhe in Bayern der rechtsverbind-

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lichen Klärung eines speziellen Sachverhaltes dient und während zum Zwecke der Mandatsruhe eines Regierungsmitgliedes insbesondere die Aspekte der Gewaltenteilung, der Arbeitsbelastung von sogenannten Ministerabgeordneten, der Arbeitsfähigkeit kleinerer Fraktionen oder des Parlaments im Allgemeinen genannt werden, stehen in Bezug auf die Mandatsruhe zum Zwecke des Mutterschutzes der verfassungsrechtliche Mutterschutz, der Schutz der Familie, das Elternrecht, die Gleichberechtigung der Geschlechter, der allgemeine Gleichheitssatz und die Diversität der Parlamente im Vordergrund. Ähnliches gilt auch für die Zielrichtung der Mandatsruhe zum Zwecke der Elternzeit, bei der insbesondere der Schutz der Familie, das Elternrecht, der allgemeine Gleichheitssatz und ebenfalls die dadurch zu erwartenden positiven Auswirkungen auf die Parlamente im Fokus stehen. Da es sich bei der mutterschutz- bzw. elternzeitbedingten Mandatsruhe nicht um das ruhende Mandat eines Regierungsmitgliedes handelt, spielen Gesichtspunkte der Gewaltenteilung keine Rolle; zudem finden auch eventuelle Doppelbelastungen von Abgeordneten, die gleichzeitig der Regierung angehören, keine Berücksichtigung. Des Weiteren soll die Mandatsruhe zum Zwecke des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit nach dem obigen Vorschlag so ausgestaltet werden, dass das betreffende Parlamentsmitglied den Zeitpunkt und die Dauer des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit dem Parlament zuvor verbindlich mitteilen muss. Die Gesamtdauer ist zudem begrenzt: Die Maximaldauer des Mutterschutzes lehnt sich an die Fristen des § 3 Abs. 1 und 2 MuSchG an; die Höchstdauer der Elternzeit beträgt sechs Monate. Durch diese vorherige Mitteilung ist auch dem Nachfolgemitglied bereits vor Antritt des Nachfolgemandates dessen Mindestdauer bekannt: Diese entspricht nämlich exakt der Dauer des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit. Verlängern kann sie sich indes dadurch, dass ein weiteres Mandat ruhend gestellt wird und somit eine weitere Nachfolgeperson in das Parlament einzieht. Im Falle der Rückkehr eines Ursprungsmitgliedes aus der Mandatsruhe scheidet nämlich die zuletzt nachgefolgte Person aus dem Parlament aus. Die für das erste Mutterschutz oder Elternzeit nehmende Mitglied nachgerückte Ersatzperson verbleibt in diesem Fall also länger im Parlament als die Mandatsruhe desjenigen Mitgliedes, für das sie ursprünglich nachgerückt war, andauert. Diese Verfahrensweise ist an die hamburgische und die bremische Regelung angelehnt. Durch die bereits von vornherein feststehende Dauer des Nachfolgemandates entfällt die (ohnehin umstrittene) Möglichkeit, die Rückkehr des ursprünglichen Parlamentsmitgliedes als Druckmittel oder sogar als Sanktion gegen missliebige Nachfolgeabgeordnete einzusetzen. Ferner entfällt auch das – freilich eher theoretische – Problem, dass eine dritte Person, etwa die Regierungschefin bzw. der Regierungschef oder das eventuell

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3. Teil: Lösungsansätze

zurücktretende Regierungsmitglied, über die Fortdauer des Nachfolgemandats entscheiden könnte: Denn das Ende dieses Nachfolgemandats steht, vorbehaltlich der Mandatsruhe weiterer Abgeordneter, von vornherein fest. Schließlich besteht auch nicht die Gefahr, dass ein bestimmtes Abstimmungsverhalten des Nachfolgemitgliedes zu dessen eigenem Ausscheiden aus dem Parlament führen kann. Während die Nachfolgenden in das ruhende Mandat von Regierungsmitgliedern durch ein bestimmtes Abstimmungsverhalten bei einem Misstrauensvotum, einem Antrag auf Ministeranklage oder einem Antrag auf Ministerentlassung das Ausscheiden des Ministerabgeordneten und damit den Verlust des eigenen Mandates herbeiführen können, ist dies bei den Nachfolgenden in ein zum Zwecke der Elternzeit ruhendes Mandat nicht der Fall. Damit entfallen wesentliche Kritikpunkte im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Nachfolge in ein ruhendes Mandat mit den Prinzipien der Unmittelbarkeit der Wahl, der Gleichheit des Mandats und der Freiheit der Mandatsausübung. Bei der Mandatsruhe ohne Nachfolge entfallen darüber hinaus zwangsläufig alle mit der Nachfolge verbundenen Fragestellungen. II. Ruhendes Mandat ohne Nachfolge Nach der Skizzierung der Rahmenbedingungen des vorgeschlagenen Ruhensmodells zum Zwecke des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit und nach dessen Abgrenzung gegenüber den bereits bestehenden Regelungen zum ruhenden Mandat sind nunmehr die beiden insofern in Betracht kommenden Optionen – nämlich das ruhende Mandat ohne Nachfolge und das ruhende Mandat mit Nachfolge – jeweils an verfassungsrechtlichen Maßstäben zu messen. Dabei wird aus Gründen der Synergie zunächst die Mandatsruhe ohne Nachfolge in den Blick genommen. Das Ruhen des Mandates beinhaltet denklogischerweise ein Rückkehrrecht in das Mandat – andernfalls handelte es sich um einen Mandatsverzicht. Dementsprechend ist das ruhende Mandat in seiner Gesamtheit, also vom Eintritt in die Mandatsruhe bis zur Rückkehr des Ursprungsmitgliedes, zu betrachten. 1. Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl

Zunächst muss das zum Zwecke des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit ruhende Mandat einer Überprüfung am Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl standhalten. Zwar wurde im Rahmen der Prüfung eines verfassungsrechtlichen Gebotes zur Einführung von Mutterschutz und Elternzeit für Abgeordnete bereits festgestellt, dass die reine Nichtwahrnehmung von Mandatspflichten das Prinzip der Unmittelbarkeit der Wahl mangels Änderung der Parlamentszusammensetzung nicht

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

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tangiert.161 Etwas anderes kann sich jedoch dann ergeben, wenn das Mandat nicht lediglich faktisch nicht ausgeübt wird, sondern formell ruht: Die Mandatsruhe bewirkt, dass die Rechte und Pflichten aus dem Mandat für eine zuvor festgelegte Dauer ausgesetzt sind. Demzufolge ist die ruhende Mandatarin bzw. der ruhende Mandatar zwar nach wie vor Mitglied des Parlaments; die aus dem Mandat resultierenden Rechte und Pflichten bestehen für einen begrenzten Zeitraum jedoch nicht. Das in der Mandatsruhe befindliche Mitglied nimmt in dieser Zeit an keinen Entscheidungen der Volksvertretung teil, so dass die Zahl der wahlund abstimmungsberechtigten Mitglieder während der Mandatsruhe um das ruhende Mitglied verringert ist. Dementsprechend ist das Parlament sowohl rechtlich als auch faktisch in Bezug auf sämtliche Tätigkeiten und Beschlüsse um ein Mitglied reduziert. Folglich setzt sich das Parlament bei allen während dieses Zeitraums zu treffenden Entscheidungen tatsächlich anders zusammen als es sich aufgrund des Wahlergebnisses ergibt. Dieser Effekt beruht auf der Erklärung des Parlamentsmitgliedes, das Mandat ruhen zu lassen. Fraglich ist daher, ob diese Ruhenserklärung mit dem Unmittelbarkeitsgrundsatz vereinbar ist. Wie bereits ausgeführt, gewährt das Prinzip der Unmittelbarkeit der Wahl dem an einer Wahl teilnehmenden Volk die maßgebliche Entscheidung darüber, von wem es im Parlament vertreten werden will.162 Dies setzt voraus, dass die Wählenden das letzte Wort haben163 und sich keine weitere Instanz zwischen Wahlvolk und zu Wählende schiebt, die Letztere nach ihrem Ermessen auswählt.164 Mit diesem Schutz vor einer weiteren, das Wahlergebnis beeinflussenden Instanz soll vor allem ein zu großer Einfluss der politischen Parteien auf die Parlamentszusammensetzung verhindert werden – unter gleichzeitiger Beachtung der durch Art. 21 Abs. 1 GG garantierten wichtigen Stellung der Parteien im Verfassungsgefüge.165 Obschon die Parteien und Wählervereinigungen mit der Aufstellung der Wahlbewerberinnen und Wahlbewerber und mit der Reihung dieser Personen in Listen einen entscheidenden Einfluss auf die Parlamentszusammensetzung haben, soll am Wahltag doch nur noch das Wahlvolk entscheiden. Der rechtliche Einfluss der Parteien soll hingegen mit dem Beginn der Wahl abgeschlossen sein.166 Die Wahl erfolgt daher nach dem Prinzip der sogenannten starren oder auch gebundenen Listen.167 Daraus resultierend dürfen nach der Wahl (bzw. be161

Vgl. oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, A. VI. 1. c), S. 178 f. Vgl. zum Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, A. VI. 1. c), S. 178 f. 163 BVerfGE 3, 45, 49 f.; Mehde, in: Maunz/Dürig, Art. 28 Abs. 1, Rn. 118 f.; Risse/ Witt, in: Hömig/Wolff, Art. 38, Rn. 10. 164 BVerfGE 7, 63, 68; Guckelberger, in: JA 2012, 561, 564; Magiera, in: Sachs, Art. 38, Rn. 88. 165 BVerfGE 3, 45, 49; Dress, Ruhendes Mandat, S. 75 ff. 166 BVerfGE 3, 45, 49. 167 Schreiber, in: Schneider/Zeh, § 12, Rn. 35. 162

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3. Teil: Lösungsansätze

reits ab einem durch die Wahlleitung festgelegten Stichtag einige Wochen vor der Wahl) weder die Parteien noch andere Personen die Zusammensetzung oder Reihung der Listen ändern. Die diesem Prinzip zugrundeliegende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1953168 befasste sich mit der Frage, ob im Falle einer Erschöpfung der für einen Wahlvorschlag benannten Liste weitere Bewerber benannt werden können – dies wurde mit dem Hinweis auf den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl verneint. Eine Wahl sei nur dann unmittelbar, wenn die Wählerschaft nur eine bestimmte Einzelperson oder eine Liste mit im Voraus festgelegten Kandidatinnen und Kandidaten wählen könne.169 Eine Ausnahme hiervon bestehe allein bei „Nichtannahme, späterem Rücktritt oder ähnlichen Handlungen der Gewählten selbst“.170 Eine solche „ähnliche Handlung“ der Gewählten selbst, vergleichbar mit der Nichtannahme oder dem späteren Verzicht auf das Mandat, wird in Bezug auf das Ruhenlassen des Mandates wegen der Übernahme eines Regierungsamtes allgemein angenommen.171 Diese freie Willensentscheidung der gewählten Person gehöre zum Kernbestand des freien Mandats und sei daher mit dem Unmittelbarkeitsgrundsatz vereinbar.172 Wie bei der Mandatsruhe eines Regierungsmitgliedes handelt es sich auch bei der Ruhensentscheidung zugunsten des Mutterschutzes oder der Elternzeit um eine nachträgliche, erst nach der Wahlentscheidung eintretende Änderung der Zusammensetzung der Volksvertretung. Denn erst wenn das Wahlergebnis festgestellt ist und das Parlament sich konstituiert und damit seine Arbeit aufgenommen hat, hat ein Parlamentsmitglied die Möglichkeit, das Mandat ruhen zu lassen. Mit dem Eintritt in die Mandatsruhe bewirkt das betreffende Mitglied nunmehr zugleich auch eine Änderung der Parlamentszusammensetzung. Somit nimmt es mit seinem der Ruhensentscheidung zugrundeliegenden Willensentschluss zumindest für eine vorübergehende Zeit Einfluss auf das vom Wahlvolk bestimmte Wahlergebnis. Im Einklang mit der zum ruhenden Mandat von Regierungsmitgliedern genannten allgemeinen Auffassung ist jedoch davon auszugehen, dass es sich auch bei dieser Ruhenserklärung um eine dem Verzicht oder dem Rücktritt ähnliche Handlung im Sinne der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts173 handelt:174 168

BVerfGE 3, 45 ff. BVerfGE 3, 45, 51. 170 BVerfGE 3, 45, 50 mit Verweis auf BayStGH v. 11./12. Februar 1930, StGH 4–5/ 1929 = GVBl. 1930, S. 77, 87 f. 171 StGH Hessen, P.St. 783, Rn. 77; Dress, Ruhendes Mandat, S. 81; Nell, in: JZ 1975, 519, 520; Wilhelm, in: SKV 1975, 354. 172 Dress, Ruhendes Mandat, S. 83; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 38, Rn. 14. 173 Vgl. nur BVerfGE 3, 45, 50. 169

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

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Auch das in die Mandatsruhe eintretende Parlamentsmitglied verzichtet für eine bestimmte Zeit auf die Ausübung des Mandats. Dabei greift es – ebenso wie ein verzichtendes Mitglied – nicht dergestalt nachträglich in die Wahlentscheidung ein, dass etwa Personen auf der Landesliste entfernt, ausgetauscht oder ergänzt würden: An der Identität und der Listenreihenfolge der bereits vor der Wahl feststehenden zu Wählenden ändert sich durch diese nachträgliche Ruhensentscheidung nichts. Die freie Willenserklärung der gewählten Person, das Mandat zum Zwecke des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit ruhen zu lassen, steht daher im Einklang mit dem Unmittelbarkeitsgrundsatz. 2. Grundsatz der Gleichheit der Wahl

Obwohl einige Stimmen in der Literatur das Institut des ruhenden Mandats pauschal als unvereinbar mit dem Grundsatz der Gleichheit der Wahl ablehnen,175 geht aus dem jeweiligen Sinnzusammenhang und den Verweisen hervor, dass keiner der jeweiligen Autoren damit das Ruhen des Ursprungsmandates meint. Vielmehr bezieht sich die vorgetragene Unvereinbarkeit mit dem Gleichheitsgrundsatz bei sämtlichen Gegnern des ruhenden Mandats ausschließlich auf das Mandat und die Stellung der in das ruhende Mandat nachrückenden Person.176 Gerügt wird also kein Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichheit der Wahl auf der Ebene der aktiv Wählenden, sondern ein Verstoß gegen den dem Grundsatz der Gleichheit der Wahl entspringenden177 Grundsatz der Gleichheit des Mandats. Diese Kritik betrifft also nicht das Ursprungs- sondern das Nachfolgemandat. Eine verschriftlichte öffentliche Diskussion zur Frage der Vereinbarkeit des ruhenden Mandates selbst mit dem Grundsatz der Gleichheit der Wahl fand bislang nicht statt. Es stellt sich jedoch die Frage, ob das Ruhen des Ursprungsmandates gleichwohl bereits auf der Ebene der aktiv Wählenden gegen den Grundsatz der Gleichheit der Wahl verstößt. Wie bereits festgestellt, werden die Abgeordneten des Deutschen Bundestages nach Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Die Verfassungen der

174 StGH Hessen, P.St. 783, Rn. 77; Dress, Ruhendes Mandat, S. 81; Nell, in: JZ 1975, 519, 520; Wilhelm, in: SKV 1975, 354. 175 Badura, Staatsrecht, Teil E, Rn. 28; Dreier, in: ders., Art. 28, Rn. 62; Dreier, in: Schmidt, Vielfalt des Rechts, S. 113, 124 f.; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 38, Rn. 51. Dagegen positioniert sich von Münch, in: NJW 1998, 34, 35 ohne Begründung zugunsten einer Vereinbarkeit des ruhenden Mandats mit dem Grundsatz der Gleichheit der Wahl. 176 Vgl. Mehde, in: Maunz/Dürig, Art. 28 Abs. 1, Rn. 117; Versteyl, in: Schneider/ Zeh, § 14, Rn. 37. 177 Vgl. oben im ersten Teil, zweites Kapitel, C. II., S. 75.

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3. Teil: Lösungsansätze

Bundesländer enthalten überwiegend entsprechende Regelungen.178 Im Übrigen gelten die Wahlrechtsgrundsätze gemäß § 28 Abs. 1 Satz 2 GG als objektives Recht179 auch für die Wahlen in den Ländern (sowie in den hier nicht gegenständlichen Kreisen und Gemeinden). In Bezug auf die bloße Nichtwahrnehmung des Mandats zum Zwecke des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit wurde bereits festgestellt, dass diese den Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit nicht tangiert.180 Im Falle des Ruhens eines Mandates könnte sich jedoch dadurch etwas anderes ergeben, dass das entsprechende Parlamentsmitglied in dieser Zeit nicht nur keine mandatsbezogenen Tätigkeiten wahrnimmt, sondern bereits weder berechtigt noch verpflichtet ist, das Mandat überhaupt auszuüben. Dem Parlament steht damit während der Zeit der Mandatsruhe nicht nur faktisch, sondern auch rechtlich ein Mandat weniger zur Verfügung. Diejenigen Wählenden, die das ruhende Parlamentsmitglied gewählt hatten, werden demnach während der Mandatsruhe nicht durch ebendiese Person vertreten. Es ist daher zu überlegen, ob ihre Wählerstimmen gegebenenfalls einen geringeren Erfolgswert hatten als die übrigen, so dass ein Verstoß gegen das Prinzip der Wahlrechtsgleichheit gegeben wäre. Wie oben bereits dargelegt, gebietet der Grundsatz der Gleichheit der Wahl auf der Ebene der aktiv Wählenden, dass die Stimme jedes und jeder Wahlberechtigten den gleichen Zählwert und die gleiche rechtliche Erfolgschance haben muss.181 Dabei gilt jedoch auch in diesem Zusammenhang, dass der maßgebliche Zeitpunkt für die Verletzung des Grundsatzes der Wahlrechtsgleichheit nur der Zeitpunkt der Wahl sein kann.182 Dies ergibt sich nicht nur aus dem Wortlaut, der explizit von der gleichen Wahl spricht und damit ebendiese und nicht die Parlamentskonstellation während der laufenden Legislaturperiode meint, sondern auch aus dem Sinn und Zweck dieses Wahlrechtsprinzips. Entscheidend ist nämlich, dass die Wählenden beim Wahlvorgang selbst – also von der Aufstellung der Bewerbenden über die Stimmabgabe und die Auszählung der Stimmen bis zur Zuteilung der Abgeordnetensitze –183 einen annähernd gleichen Einfluss auf die Zusammensetzung des Parlaments haben. Mit der Zuteilung der Abgeordnetensitze ist der Wahlvorgang jedoch abgeschlossen; die nachfolgende Arbeit der Ab178 Exemplarisch: Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Verfassung des Freistaates Bayern; Art. 20 Abs. 2 Satz 2 Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern; Art. 8 Abs. 1 Niedersächsische Verfassung; Art. 31 Abs. 1 Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen. 179 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 38, Rn. 7. 180 Vgl. oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, A.VI. 1. a), S. 176. 181 BVerfGE 95, 335, 353 f.; Magiera, in: Sachs, Art. 38, Rn. 95; Rinck, in: Festschrift für Zeidler, S. 1119, 1126; Risse/Witt, in: Hömig/Wolff, Art. 38, Rn. 13; zum Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit vgl. oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, A.VI. 1. a), S. 174 ff. 182 Vgl. oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, A.VI. 1. a), S. 175. 183 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 38, Rn. 6 m.w. N.; Stern, Bd. I, § 10 II 3. b).

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

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geordneten gehört hingegen nicht mehr zum Wahlvorgang. Der Umfang der parlamentarischen Tätigkeit der Abgeordneten ist demnach ebenso wenig vom Prinzip der Wahlrechtsgleichheit umfasst wie die Qualität der Tätigkeit. Dementsprechend hat das weitere Schicksal der gewählten Abgeordneten keinen Bezug zum Grundsatz der Gleichheit der Wahl; die Wählenden haben mithin kein Recht darauf, dass ein Parlamentsmitglied das Mandat ununterbrochen bis zum Ende der Wahlperiode wahrnimmt.184 Im Übrigen wird das Volk, wie bereits dargelegt, nicht durch einzelne Abgeordnete repräsentiert, sondern durch die Gesamtheit der Abgeordneten als Parlament.185 Auch aus diesem Grundsatz ergibt sich, dass die Wählenden über ihre periodische Wahlentscheidung hinaus keinen Anspruch darauf haben, durch bestimmte Abgeordnete im Parlament vertreten zu werden. Dementsprechend verstößt das Ruhenlassen des Mandates, bei dem es sich um einen erst im Nachgang zur Wahl stattfindenden Vorgang handelt, im Hinblick auf die aktiv Wählenden nicht gegen den Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit. 3. Grundsatz der Gleichheit des Mandats

Hinsichtlich der Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der Gleichheit des Mandats ergeben sich für das ruhende Mandat keine Unterschiede zu den in Bezug auf ein verfassungsrechtliches Gebot zur Einführung von Mutterschutz und Elternzeit für Abgeordnete erarbeiteten Grundsätzen.186 Wie bereits im Rahmen der Darstellung der Kernelemente des Abgeordnetenmandats skizziert,187 haben nach dem aus Art. 38 Abs. 1 GG herzuleitenden Prinzip der Mandatsgleichheit, durch das die Gleichheit der Wahl auf einer zweiten Stufe demokratischer Willensbildung im Status und in der gleichen Mitwirkungsbefugnis aller Abgeordneten fortwirkt,188 alle Abgeordneten eines Parlaments das Recht auf gleiche Teilhabe an der parlamentarischen Willensbildung.189 Dieses Recht auf gleiche Teilhabe an der Willensbildung des Parlamentes erstreckt sich jedoch nicht auf die lediglich als Option ausgestaltete Möglichkeit, das Mandat zum Zwecke des Mutterschutzes oder der Elternzeit ruhen zu lassen. Zwar ist festzustellen, dass durch die Möglichkeit der mutterschutz- bzw. elternzeitbedingten Mandatsruhe zwei Gruppen von Abgeordneten unterschiedlich behandelt werden: Während schwangere Abgeordnete sowie diejenigen Abgeordne184

Vgl. oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, A.VI. 1. a), S. 175 f. BVerfGE 56, 396, 405; 102, 224, 237; Badura, in: Schneider/Zeh, § 15, Rn. 6; Wiefelspütz, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, § 12, Rn. 7; vgl. oben im ersten Teil, zweites Kapitel, C. I., S. 74. 186 Vgl. oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, A.VI. 1. b), S. 176 ff. 187 Vgl. oben im ersten Teil, zweites Kapitel, C. II., S. 75 f. 188 BVerfGE 102, 224, 237 ff.; 112, 118, 134; 130, 318, 352. 189 BVerfGE 96, 264, 278. 185

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3. Teil: Lösungsansätze

ten mit Kindern in einem bestimmten Alter die Möglichkeit haben, ihr Mandat für eine bestimmte Zeit ruhen zu lassen, wird den übrigen Abgeordneten diese Möglichkeit nicht zugebilligt. Sinn und Zweck der formalen Gleichheit der Abgeordneten ist es jedoch, die Freiheit des Mandats zu gewährleisten und Abhängigkeiten und Hierarchien (über das in einem Parlament unabdingbare Maß hinaus) innerhalb der Volksvertretung zu vermeiden.190 Der Grundsatz der Gleichheit des Mandates schützt dementsprechend zwar das Recht der Abgeordneten, ihr Mandat vollumfänglich und gleichberechtigt wahrzunehmen – sein Schutzbereich erstreckt sich hingegen nicht auf die Option, es für eine beschränkte Zeit nicht wahrzunehmen. Im Falle der Mandatsruhe zum Zwecke des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit kann im Übrigen nicht von einer Hierarchisierung des Parlaments gesprochen werden: Auch wenn den mutterschutz- bzw. elternzeitberechtigten Abgeordneten eine Möglichkeit zugestanden wird, die anderen Abgeordneten nicht zukommt, so handelt es sich doch nicht um eine Besserstellung bei der Mandatsausübung. Im Gegenteil üben die ruhenden Parlamentsmitglieder das Mandat während dieser Zeit ja gerade nicht aus, so dass von einem erhöhten Einfluss innerhalb des Parlaments – etwa auf Abstimmungsergebnisse, Personalentscheidungen und dergleichen – nicht ausgegangen werden kann. Dementsprechend erfahren sie auch keine Besserstellung in Bezug auf den Willensbildungsprozess. Auch mit einer bevorzugten Besetzung bestimmter Positionen oder einer finanziellen Besserstellung ist die Mandatsruhe nicht verbunden. Die Teilhaberechte der nicht ruhensberechtigten Abgeordneten sind daher nicht betroffen. Damit verstößt das ruhende Mandat auch nicht gegen den aus Art. 38 Abs. 1 GG hergeleiteten Grundsatz der Gleichheit des Mandats. In Betracht kommt allenfalls eine Kollision mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. 4. Allgemeiner Gleichheitssatz, Art. 3 Abs. 1 GG

Die sich aus der Berechtigung zur Inanspruchnahme einer Mandatsruhe ergebende Ungleichbehandlung der beiden Abgeordnetengruppen ist daher nunmehr am allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu messen. Dabei ist dahingehend zu unterscheiden, ob die Mandatsruhe zum Zwecke des Mutterschutzes oder zum Zwecke der Elternzeit beansprucht wird. a) Mandatsruhe zum Zwecke des Mutterschutzes Hinsichtlich der Mandatsruhe zum Zwecke des Mutterschutzes gelten die gleichen Erwägungen wie diejenigen, die zur Zulässigkeit einer grundsätzlichen Gewährung von Mutterschutzfristen für Abgeordnete angestellt wurden.191 Das zur 190 191

BVerfGE 102, 224, 239. Vgl. oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, A.VI. 1. f), S. 182 f.

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

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Regelung des Mutterschutzes gewählte Instrument der Mandatsruhe ändert insoweit nichts an der rechtlichen Bewertung. Zwar räumt die Möglichkeit der Mandatsruhe zum Zwecke des Mutterschutzes einigen weiblichen Abgeordneten eine rechtliche Option ein, die weder männlichen Abgeordneten noch anderen weiblichen Abgeordneten außerhalb der Situation von Schwangerschaft und Geburt offensteht. Dabei knüpft der Grund für die Differenzierung jedoch so explizit an ebendiesen biologisch bedingten Ausnahmezustand der Schwangerschaft und der Kindesgeburt an, dass bereits nicht von einer Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem gesprochen werden kann.192 Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Gewährung von Mutterschutzfristen in der Form der Mandatsruhe sowohl die betreffenden Parlamentarierinnen als auch ihre un- bzw. neugeborenen Kinder vor aufgrund der besonderen Lebenssituation drohenden körperlichen und gegebenenfalls auch psychischen Nachteilen bewahren soll. Dieses Erfordernis besteht im Hinblick auf männliche Abgeordnete und weibliche Abgeordnete außerhalb der besonderen Lebenssituation von Schwangerschaft und Geburt nicht. Insoweit durchbricht die verfassungsrechtlich angeordnete Begünstigung der Mutter aus Art. 6 Abs. 4 GG zur Gewährleistung eines besonderen Schutzgutes auch den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.193 b) Mandatsruhe zum Zwecke der Elternzeit Etwas anders gelagert ist das Verhältnis des Art. 3 Abs. 1 GG zu dem zum Zwecke der Elternzeit ruhenden Mandat. Da das Institut der Mandatsruhe zum Zwecke der Elternzeit sowohl von Müttern als auch von Vätern in Anspruch genommen werden kann, kann es insoweit nicht den verfassungsrechtlichen Mutterschutz des Art. 6 Abs. 4 GG für sich nutzbar machen. Gleichwohl gelten auch hier die gleichen Erwägungen wie für die grundsätzliche Vereinbarkeit einer Gewährung von Elternzeit für Abgeordnete mit dem allgemeinen Gleichheitssatz. aa) Rechtlich relevante Ungleichbehandlung Unabhängig davon, ob die Elternzeit als bloße Möglichkeit, den parlamentarischen Wahlen und Abstimmungen eher informell fernbleiben zu dürfen oder als formelle Mandatsruhe ausgestaltet ist, werden jedenfalls die elternzeitberechtigten Abgeordneten gegenüber den übrigen Abgeordneten bevorzugt.194 192 Vgl. zur Vereinbarkeit der grundsätzlichen Möglichkeit, das Mandat mutterschutzbedingt vorübergehend nicht wahrzunehmen, mit Art. 3 Abs. 1 GG oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, A.VI. 1. f), S. 182 f. 193 Vgl. auch Badura, in: Maunz/Dürig, Art. 6, Rn. 155. 194 Vgl. zur Vereinbarkeit einer elternzeitbedingten Auszeit mit Art. 3 Abs. 1 GG oben im zweiten Teil, drittes Kapitel, A. III, S. 231 ff.

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3. Teil: Lösungsansätze

Die beiden Vergleichsgruppen von Abgeordneten – nämlich die mit Kindern in einem bestimmten Alter und die ohne solche – unterscheiden sich jedoch nicht so sehr voneinander, dass nicht mehr von einer wesentlichen Gleichheit gesprochen werden könnte. Sowohl bei den Angehörigen der einen als auch bei den Angehörigen der anderen Gruppe handelt es sich um männliche und weibliche Mitglieder desselben Parlaments, die durch die Verfassung mit gleichen Rechten und Pflichten ausgestattet sind. Ein Interesse an einer vorübergehenden Auszeit können – unabhängig von einer Elternschaft – Angehörige beider Gruppen haben.195 bb) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Ebenso wie im Rahmen ihrer grundsätzlichen Gewährung ist die Schaffung einer Elternzeit für Abgeordnete jedoch auch dann gerechtfertigt, wenn sie mittels einer Ruhensregelung erfolgt. Insoweit ergeben sich allein aus dem Mittel der Mandatsruhe keine Unterschiede hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung. Dementsprechend wird wegen der Einzelheiten auf die ausführliche Darstellung im zweiten Teil dieser Arbeit verwiesen.196 Dabei sei hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne197 noch einmal auf die besondere Bedeutung des Familiengrundrechts des Art. 6 Abs. 1 GG und des Elterngrundrechts des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG hingewiesen. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass die den elternzeitberechtigten Abgeordneten eingeräumten Vorteile in einer angemessenen Beziehung zu den den übrigen Abgeordneten durch die Elternzeiteinführung zugemuteten – überschaubaren – Nachteilen stehen. Insbesondere berührt die Einführung des Instituts der Mandatsruhe zum Zwecke der Elternzeit die insoweit nicht berechtigten Abgeordneten nicht in ihren eigenen parlamentarischen Rechten: Mit Ausnahme eventuell vereinzelt zu übernehmender Vertretungen und der ohnehin geltenden Pflicht zur Sicherstellung der Beschlussfähigkeit des Parlaments unterliegen sie keinerlei Einschränkungen in Bezug auf ihre eigene Arbeit. Die Bevorzugung der elternzeitberechtigten Abgeordneten wird im Übrigen dadurch relativiert, dass ihnen durch die Gewährung der Mandatsruhe während ebendieser Zeit auch Nachteile erwachsen: Während das Mandat ruht, sind die entsprechenden Abgeordneten zwangsläufig auch der aus dem Abgeordnetenstatus resultierenden Vorteile verlustig: So haben sie naturgemäß keine parlamentarischen Mitwirkungsrechte und genießen auch nicht das Privileg der Immunität.198 Mithin bewirkt die zum Zwecke der Elternzeit gewährte Mandatsruhe eine 195

Vgl. oben im zweiten Teil, drittes Kapitel, A. III. 2. a), S. 225. Vgl. oben im zweiten Teil, drittes Kapitel, A. III. 2. b), S. 226 ff. 197 Vgl. zu den Voraussetzungen der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne BVerfGE 30, 292, 416; 96, 10, 21; 113, 167, 260, jeweils m.w. N. 198 Schriftsatz des Hessischen Ministerpräsidenten vom 16. Mai 1977 im Verfahren StGH Hessen, P.St. 783, S. 19, Bl. 269 d. A. Naturgemäß genießt das Parlamentsmit196

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

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durch damit verbundene Nachteile eingeschränkte Begünstigung der einen Abgeordnetengruppe, ohne die restlichen Abgeordneten dadurch jedoch spürbar zu beeinträchtigen. Eine solche Begünstigung der aus familiären Gründen ruhensberechtigten Abgeordneten ist durch das Familienrecht des Art. 6 Abs. 1 GG zwar nicht zwingend gefordert, aber gleichwohl erlaubt.199 Der durch Art. 6 Abs. 1 GG an den Staat gerichtete Auftrag zum Schutz der Familie und die den Eltern durch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG als natürliches Recht zugebilligte Befugnis zur Pflege und Erziehung ihrer Kinder wiegen insoweit schwerer als das Interesse der übrigen Abgeordneten an der Gleichbehandlung. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund der bereits beschriebenen tatsächlichen Vorteile, die mit der Einführung einer parlamentarischen Elternzeit verbunden sind sowie der verfassungsmäßigen Gründe, die ihre Einführung erfordern.200 Aus der Schutzpflicht des Art. 6 Abs. 1 GG ergibt sich dementsprechend die Aufgabe des Staates, die Kinderbetreuung in der von den Eltern gewählten Form tatsächlich zu ermöglichen und dafür Sorge zu tragen, dass die Erfüllung der Kindererziehungsaufgabe nicht zu beruflichen Nachteilen führt.201 Auch in Bezug auf Abgeordnete muss der Staat daher dafür sorgen, dass die Selbstbetreuung der eigenen Kleinstkinder zumindest für einen begrenzten Zeitraum ohne die Inkaufnahme beruflich-politischer Benachteiligungen möglich ist. Das Interesse der nicht elternzeitberechtigten Abgeordneten auf Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 GG muss insoweit hinter dem durch Art. 6 Abs. 1 und 2 GG gewährten Familien- und Elterngrundrecht zurückstehen. Die Bevorzugung der elternzeitberechtigten Abgeordneten gegenüber den übrigen Mitgliedern desselben Parlaments ist demzufolge mit dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. 5. Mandatsruhe zum Zwecke des Mutterschutzes: Art. 3 Abs. 2 und 3 Satz 1, 1. Alt. GG

Hinsichtlich der Mandatsruhe zum Zwecke des Mutterschutzes kommt darüber hinaus grundsätzlich ein Konflikt mit dem Gebot der Gleichberechtigung von glied während der Mandatsruhe auch keine Indemnität – mangels hierdurch geschützter parlamentarischer Aktivitäten greift dieses Institut jedoch ohnehin nicht. 199 Pieroth/Schlink, 24. Auflage 2008, Rn. 458a. 200 Zu den Folgen fehlender Elternzeitregelungen für Abgeordnete vgl. oben im ersten Teil, fünftes Kapitel, B. 2., S. 140 ff.; zum verfassungsrechtlichen Gebot an den Gesetzgeber, Elternzeit für Abgeordnete einzuführen vgl. oben im zweiten Teil, drittes Kapitel, S. 217 ff. 201 BVerfGE 88, 203, 260; 99, 216, 234; vgl. zu dem durch Art. 6 Abs. 4 GG begründeten Gebot an den Staat, die durch Schwangerschaft, Geburt und Stillzeit verursachten besonderen Lasten der Mütter auszugleichen Brosius-Gersdorf, in: Dreier, Art. 6, Rn. 221.

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3. Teil: Lösungsansätze

Frauen und Männern aus Art. 3 Abs. 2 und 3 Satz 1, 1. Alt. GG in Betracht. Dadurch, dass ausschließlich weibliche Abgeordnete ihr Mandat zum Zwecke des Mutterschutzes ruhen lassen können, werden sie ihren männlichen Kollegen gegenüber bevorzugt, so dass eine geschlechtsbezogene Ungleichbehandlung vorliegt. Ebenso wie im Rahmen der Prüfung einer allgemeinen Zulässigkeit von Mutterschutzregelungen für Abgeordnete gilt jedoch auch im Zusammenhang mit der aus diesem Zweck beanspruchten Mandatsruhe, dass nicht jede an das Geschlecht anknüpfende Ungleichbehandlung gegen Art. 3 Abs. 3 GG verstößt.202 Differenzierungen „können vielmehr zulässig sein, soweit sie zur Lösung von Problemen, die ihrer Natur nach nur entweder bei Männern oder bei Frauen auftreten können, zwingend erforderlich sind.“ 203 Dies ist bei einer Mandatsruhe, die zum Zwecke der Inanspruchnahme derartiger Fristen gewährt wird, offenkundig der Fall. Die allgemeine Schutzbedürftigkeit von (werdenden) Müttern, die sich aus dem biologischen Zustand der Schwangerschaft, des Wochenbettes und der Stillzeit ergibt, erfordert eine besondere Rücksichtnahme in den Zeiten kurz vor und kurz nach der Kindesgeburt.204 Angesichts der Tatsache, dass sich weibliche Abgeordnete in biologischer Hinsicht nicht von anderen Frauen unterscheiden und zudem mandatsbedingt hohen beruflichen Belastungen ausgesetzt sind,205 ergibt sich aus dem verfassungsrechtlich garantierten Mutterschutz des Art. 6 Abs. 4 GG der an die Gesetzgebung gerichtete Auftrag, Mutterschutzvorschriften auch für Abgeordnete in Bund und Ländern einzuführen.206 Wie bereits festgestellt durchbricht der verfassungsrechtliche Mutterschutz des Art. 6 Abs. 4 GG in derartigen Fällen, die unmittelbar an die Mutterschaft anknüpfen, das Gebot der Gleichberechtigung von Frau und Mann aus Art. 3 Abs. 2 Satz 1 GG.207 Insoweit kann das in Art. 6 Abs. 4 GG normierte Gebot, jeder Mutter den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft zu gewähren, sogar unter dem Aspekt der Geschlechtergerechtigkeit als Beitrag des Staates zur Beseitigung bestehender Nachteile (Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG) betrachtet werden.208

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Vgl. oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, A.VI. 2. c) aa), S. 191. BVerfGE 85, 191, 207; 92, 91, 109; Boysen, in: von Münch/Kunig, Art. 3, Rn. 164; Krieger, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Art. 3, Rn. 71. 204 Vgl. dazu insbesondere oben im ersten Teil, fünftes Kapitel, B. I. 1., S. 129 ff. 205 Vgl. auch dazu insbesondere oben im ersten Teil, fünftes Kapitel, B. I. 1., S. 129 ff. 206 Vgl. oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, A.VII., S. 196. 207 Badura, in: Maunz/Dürig, Art. 6, Rn. 155; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 6, Rn. 67; Richter, in: Merten/Papier, Bd. V, § 126, Rn. 40; Robbers, in: von Mangoldt/ Klein/Starck, Art. 6, Rn. 287; ähnlich von Coelln, in: Sachs, Art. 6, Rn. 94; vgl. oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, A.VI. 1. e), S. 181. 208 Vgl. Badura, in: Maunz/Dürig, Art. 6, Rn. 155. 203

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

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Die Einführung einer Mandatsruhe zum Zwecke des Mutterschutzes verletzt also auch nicht das Gebot der Gleichberechtigung von Frauen und Männern aus Art. 3 Abs. 2 und 3 Satz 1, 1. Alt. GG. 6. Grundsatz der Freiheit des Mandats

Darüber hinaus ist zu prüfen, ob sich das Ruhenlassen des Mandats zum Zwecke des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit mit dem Grundsatz des freien Mandats vereinbaren lässt. Wie bereits ausgeführt, sind die Abgeordneten des Deutschen Bundestages nach Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.209 In den Verfassungen der Bundesländer finden sich vergleichbare Regelungen.210 Diese Mandatsfreiheit schützt nicht nur den Bestand und die tatsächliche Ausübung des Mandats211 und beinhaltet damit nicht nur die Entscheidungsfreiheit darüber, wie das Mandat ausgeübt wird. Vielmehr gehört zum Kernbestand der Mandatsfreiheit auch, das Mandat nicht anzunehmen oder später niederzulegen.212 Wie bereits festgestellt,213 wird in Bezug auf das freiwillige Ruhenlassen des Mandates wegen der Übernahme eines Regierungsamtes allgemein davon ausgegangen, dass es sich dabei um eine solche „ähnliche Handlung“ der gewählten Person selbst, vergleichbar mit der Nichtannahme oder dem späteren Verzicht auf das Mandat, handelt.214 Auch das in die Mandatsruhe eintretende Parlamentsmitglied verzichtet für eine bestimmte Zeit auf die Ausübung des Mandats. Diese freie Willensentscheidung der gewählten Person gehört damit zum Kernbestand des freien Mandats.215 Ebenso verhält es sich beim Ruhenlassen des Mandats zum Zwecke des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit. Wenn bereits die Nichtannahme und der Verzicht auf das Mandat – also die endgültige Entscheidung, das Mandat für die Dauer der laufenden Legislaturperiode nicht bzw. nicht mehr auszuüben, von der Mandatsfreiheit geschützt sind,216 so muss dies erst recht für das Ruhenlassen des 209 Vgl. zum Grundsatz des freien Mandats oben im ersten Teil, zweites Kapitel, C. III., S. 76 ff. 210 Exemplarisch: Art. 13 Abs. 2 Satz 2 Verfassung des Freistaates Bayern; Art. 27 Abs. 2 Satz 3 Verfassung des Landes Baden-Württemberg; Art. 76 Abs. 1 VerfHE; Art. 12 Satz 2 Niedersächsische Verfassung; Art. 30 Abs. 2 Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen. 211 BVerfGE 99, 19, 32. 212 Dress, Ruhendes Mandat, S. 151; Nell, in: JZ 1975, 519, 520. 213 Vgl. oben im dritten Teil, zweites Kapitel, B. II. 1., S. 286. 214 StGH Hessen, P.St. 783, Rn. 77; Dress, Ruhendes Mandat, S. 81: Nell, in: JZ 1975, 519, 520; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 38, Rn. 14; Wilhelm, in: SKV 1975, 354. 215 Dress, Ruhendes Mandat, S. 83. 216 Müller, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 38 Abs. 1, Rn. 62.

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3. Teil: Lösungsansätze

Mandates zum Zwecke des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit gelten. Denn diese sind zeitlich auf wenige Monate begrenzt und stellen im Gegensatz zum dauerhaften Verzicht auf das Mandat für die kommenden bis zu vier oder fünf Jahre (je nach Parlament) ein Minus und damit eine weniger starke Inanspruchnahme der mandatsbezogenen Handlungsfreiheit dar. Die Mandatsruhe zum Zwecke des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit ist daher vom Grundsatz der Mandatsfreiheit gedeckt. 7. Repräsentationsprinzip/Funktionsfähigkeit des Parlaments

Schließlich stellt sich die Frage, ob das zum Zwecke des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit in Anspruch genommene Ruhen des Mandats ohne Nachfolge auch im Einklang mit dem aus dem ersten Halbsatz des Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG hergeleiteten Repräsentationsprinzip und dem aus ihm erwachsenden Erfordernis der Funktionsfähigkeit des Parlaments steht. Auch in Bezug auf das Repräsentationsprinzip ergeben sich keine wesentlichen Unterschiede zwischen der grundsätzlichen Absenz eines Parlamentsmitgliedes aus Gründen des Mutterschutzes oder der Elternzeit und der zusätzlichen Regelung dieser Absenz durch das Institut des ruhenden Mandates. In beiden Fällen ist im Hinblick auf das Repräsentationsprinzip entscheidend, dass das entsprechende Mitglied sein Mandat für einen begrenzten Zeitraum nicht wahrnimmt und dadurch – mangels entsprechender mandatsbezogener Handlungen – während dieser Zeit auch nicht das Volk repräsentiert. Wie oben beschrieben, erfolgt die Repräsentation des Volkes jedoch nicht durch einzelne Abgeordnete, sondern durch die Gesamtheit der Abgeordneten als Parlament.217 Dementsprechend ist die Vertretung des Volkes nicht durch die Inanspruchnahme von Mutterschutzfristen durch einzelne Abgeordnete gefährdet. Soweit aus dem Repräsentationsprinzip dennoch eine grundsätzliche Verpflichtung der Abgeordneten resultiert, die Funktionsfähigkeit des Parlaments zu gewährleisten,218 wird dem bereits dadurch Rechnung getragen, dass die Absicht, das Mandat zum Zwecke des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit ruhen zu lassen, vorher anzuzeigen und dabei auch die beabsichtigte Dauer der Mandatsruhe (bis zu einer für alle Abgeordneten geltenden Höchstgrenze) verbindlich mitzuteilen ist. Bereits eine solche Anzeige versetzt das Parlament als Ganzes in die Lage, sich auf das Fehlen der betreffenden Abgeordneten für einen im Vorhinein feststehenden Zeitraum einzustellen. Dies bietet der Volksvertretung die Möglichkeit, die notwendigen Vorkehrungen zur Sicherung ihrer Funktionsfähigkeit zu 217 BVerfGE 44, 308, 315 f.; Badura, in: Schneider/Zeh, § 15, Rn. 6; Wiefelspütz, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, § 12, Rn. 7; vgl. oben im ersten Teil, zweites Kapitel, C. I., S. 74. 218 Vgl. oben im ersten Teil, zweites Kapitel, C. III. 1. b) aa), S. 84.

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

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treffen, also beispielsweise etwaige Vertretungen in Parlamentsgremien zu regeln und die Beschlussfähigkeit im Plenum durch Absprachen grundsätzlich sicherzustellen. Das Institut des ruhenden Mandates zum Zwecke des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit steht daher auch im Einklang mit dem Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG zu entnehmenden Repräsentationsprinzip und dem ihm entspringenden Erfordernis der Funktionsfähigkeit des Parlaments. 8. Ergebnis zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Mandatsruhe ohne Nachfolge

Andere potentielle verfassungsrechtliche Unvereinbarkeiten des Ruhens des Ursprungsmandates sind nicht ersichtlich. Das zum Zwecke des Mutterschutzes oder der Elternzeit ruhende Mandat ohne Nachfolge ist demzufolge verfassungsrechtlich zulässig. III. Ruhendes Mandat mit Nachfolge Nunmehr stellt sich die Frage nach der verfassungsmäßigen Zulässigkeit des zum Zwecke des Mutterschutzes oder der Elternzeit ruhenden Mandates mit Nachfolge. Der erste Teil dieses Instituts – nämlich das ruhende Mandat des Ursprungsmitgliedes – ist identisch mit dem ruhenden Mandat ohne Nachfolge. Zu untersuchen ist dementsprechend nur noch die verfassungsmäßige Zulässigkeit des befristeten Mandates der Nachfolgeperson. 1. Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl

Auch das befristete Mandat der Nachfolgeperson ist am Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl zu überprüfen. Wie oben beschrieben, ist der Unmittelbarkeitsgrundsatz nur dann gewahrt, wenn das Wahlergebnis nach der Stimmabgabe grundsätzlich feststeht und sich keine weitere Instanz zwischen Wahlvolk und Gewählte schiebt, die Letztere nach ihrem Ermessen auswählt.219 Bei der hier gegenständlichen Fallgestaltung wurde ursprünglich das nunmehr mutterschutz- bzw. elternzeitwillige Parlamentsmitglied vom Volk gewählt – sei es direkt über den Wahlkreis oder aber über die Landesliste. Wenn dieses Ursprungsmitglied die Entscheidung trifft, das Mandat zum Zwecke des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit für einen gewissen Zeitraum ruhen zu lassen, so trifft es damit gleichzeitig die Entscheidung, das Mandat nach Ende dieser Mandatsruhe wieder auszuüben. Die Mandatsruhe bewirkt bei dieser Fallgestaltung zugleich, dass eine Nachfolgeperson zunächst in das Parlament nachrückt, nach dem Ende der Mandats219 BVerfGE 3, 45, 50; 7, 63, 68; Guckelberger, in: JA 2012, 561, 564; Magiera, in: Sachs, Art. 38, Rn. 88; vgl. oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, A.VI. 1. c), S. 178.

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3. Teil: Lösungsansätze

ruhe jedoch wieder aus dem Parlament ausscheidet. Dies gilt jedoch nur, sofern zwischenzeitlich kein anderes Parlamentsmitglied endgültig aus der Volksvertretung ausgeschieden ist – denn in diesem Fall rückt die Nachfolgeperson in das unbefristete Mandat nach – und sofern nicht zwischendurch ein anderes Parlamentsmitglied in die Mandatsruhe eingetreten ist – denn dadurch rückt eine weitere Person befristet nach: In jedem Fall scheidet bei der Rückkehr des Ursprungsmitgliedes die zuletzt nachgerückte Nachfolgeperson aus dem Parlament aus. Die Zusammensetzung des Parlaments ändert sich vorliegend zweimal: Zum ersten Mal ändert sie sich beim Eintritt in die Mandatsruhe: Das Mandat wird nun nicht mehr vom Ursprungsmitglied, sondern von der Nachfolgeperson ausgeübt. Zum zweiten Mal ändert sie sich beim Ende der Mandatsruhe: Die zuletzt nachgerückte Nachfolgeperson scheidet aus dem Parlament aus und das Ursprungsmitglied nimmt sein Mandat wieder wahr. Da sich die beiden Vorgänge rechtlich voneinander unterscheiden, sind sie sinnvollerweise getrennt zu betrachten. In Bezug auf beide Zeitpunkte stellt sich die Frage, ob das Ursprungsmitglied mit seiner Ruhensentscheidung, die zwangsläufig die spätere Rückkehr beinhaltet, eine Zwischeninstanz darstellt, die die Zusammensetzung des Parlaments nach eigenem Ermessen auswählt. a) Eintritt in die Mandatsruhe und Nachrücken der Nachfolgeperson Wie oben festgestellt, ist die Entscheidung, das Mandat ruhen zu lassen – ähnlich wie die Nichtannahme des Mandats oder der spätere Verzicht – vom Kernbestand des freien Mandats gedeckt und folglich mit dem Unmittelbarkeitsgrundsatz vereinbar.220 Gleiches gilt auch für das Nachrücken der Ersatzperson: In Anlehnung an das unbefristete Nachrücken in das Mandat eines vollständig ausscheidenden Parlamentsmitgliedes ist auch dieser Vorgang vom Wählerwillen umfasst.221 Im Rahmen des hier vorgestellten Modells können sich die Wählenden bereits vor der Wahl darauf einstellen, dass ein Fall des durch die Mandatsruhe ausgelösten Nachrückens eintreten kann. Anders als im Fall des § 40a LWG Hessen a. F., der die Mandatsruhe samt Nachfolge für die bereits laufende Wahlperiode eingeführt hatte,222 müsste der Gesetzgeber bei der Einführung einer Mandatsruhe zum 220 StGH Hessen, P.St. 783, Rn. 77; Dress, Ruhendes Mandat, S. 81 und 83; Nell, in: JZ 1975, 519, 520; Wilhelm, in: SKV 1975, 354; zur bremischen Regelung: Preuß, in: Kröning/Pottschmidt/Preuß/Rinken, S. 345; vgl. oben im dritten Teil, zweites Kapitel, B. II. 1., S. 286. 221 StGH Hessen, P.St. 783, Rn. 77; Dress, Ruhendes Mandat, S. 81 und 83; Nell, in: JZ 1975, 519, 520. 222 Vgl. oben im dritten Teil, zweites Kapitel, B. II. 1. c) bb) (2), S. 270.

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

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Zwecke des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit samt Nachfolge darauf achten, den Grundsatz der Vorherigkeit des Wahlgesetzes zu wahren. Wenn den Wählenden dementsprechend die Möglichkeit der befristeten Nachfolge bekannt ist, dann können sie – denn das ist der Hintergrund dieses Prinzips – ihre Wahlentscheidung gegebenenfalls hieran ausrichten. Ebenso wie die Wählenden bereits vor der Wahl damit rechnen müssen, dass gewählte Parlamentsmitglieder während der laufenden Legislaturperiode ausscheiden und durch die nach den wahlgesetzlichen Regelungen als nächste Nachfolgerin oder nächster Nachfolger bestimmbare Person ersetzt werden, so müssen sie nach dem hier gegenständlichen Modell damit rechnen, dass ein Parlamentsmitglied sein Mandat zum Zwecke des Mutterschutzes oder der Elternzeit ruhen lässt, für diesen Zeitraum durch die nach den Wahlgesetzen bestimmbare Nachfolgeperson in der Mandatswahrnehmung ersetzt wird und das Mandat nach Ende der Mandatsruhe selbst wieder übernimmt. In beiden Fällen steht die Nachfolgeperson aufgrund der Wahl fest: Nach den wahlgesetzlichen Regelungen ist diese Person anhand der vor der Wahl durch den jeweiligen Wahlvorschlag eingereichten Listen bestimmbar. Es gibt keine Zwischeninstanz, die die Nachfolgeperson auswählt. Die Nachfolge tritt ex lege ein. Eine Einflussnahme des den Mutterschutz oder die Elternzeit in Anspruch nehmenden Parlamentsmitgliedes auf die Nachfolgeperson ist dadurch ausgeschlossen. Seine Ruhensentscheidung stellt also keine zwischen Wählerwillen und Gewählte tretende Willensentscheidung einer externen Instanz dar.223 b) Ende der Mandatsruhe und Ausscheiden der Nachfolgeperson Es stellt sich jedoch die Frage, ob die mit dem Ende der Mandatsruhe verbundene Wiederausübung des Mandates durch das Ursprungsmitglied – unter Ausscheiden einer Nachfolgeperson aus dem Parlament – ebenfalls mit dem Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl im Einklang steht. Das hier vorgesehene Modell des mutterschutz- bzw. elternzeitbedingten Ruhens des Mandats mit Nachfolge setzt voraus, dass sowohl der Zeitpunkt als auch die Dauer der in Anspruch genommenen Mandatsruhe dem Parlament bereits einige Zeit vor deren Beginn verbindlich angezeigt werden. Bereits mit dieser Anzeige steht daher fest, dass und wann das die Mandatsruhe beanspruchende Mitglied sein Mandat später wieder wahrnehmen wird. Fraglich ist, ob dieses Ursprungsmitglied damit dergestalt auf das Wahlergebnis einwirkt, dass es sich im Sinne einer „weiteren Instanz“ zwischen Wahlvolk und gewählte Abgeordnete schiebt und Letztere nach eigenem Ermessen auswählt. 223 Dies zieht im Übrigen auch der Hessische Verfassungsgerichtshof in seiner Entscheidung hinsichtlich der Mandatsruhe sogenannter Ministerabgeordneter nicht in Zweifel, vgl. StGH Hessen, P.St. 783, Rn. 87.

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3. Teil: Lösungsansätze

Unzweifelhaft wird die Zusammensetzung der Volksvertretung durch den Entschluss eines Parlamentsmitgliedes, das Mandat ruhen zu lassen, verändert. Wie oben beschrieben, geschieht dies zum ersten Mal durch den Beginn der Mandatsruhe und den Eintritt einer Nachfolgeperson in das Parlament. Mit der Reaktivierung des Mandats durch das aus dem Mutterschutz bzw. der Elternzeit zurückkehrende Ursprungsmitglied und dem damit verbundenen Ausscheiden einer Nachfolgeperson ändert sich die Parlamentszusammensetzung zum zweiten Mal. aa) Keine Auswahl der Gewählten durch externe Instanz Nach dem Vorausgeschickten stellt sich daher zunächst die Frage, ob das Ursprungsmitglied eine externe Instanz darstellt, die von außen in die Wahlentscheidung eingreift und die Abgeordneten nach eigenem Gutdünken auswählt. Dafür könnte sprechen, dass das ursprüngliche Parlamentsmitglied bei der Entscheidung zur Mandatsruhe bereits weiß, dass es das Mandat nach dem Ende dieser Mandatsruhe wieder ausüben wird. Daraus könnte man aber nur dann einen Eingriff in die Wahlentscheidung konstruieren, wenn man davon ausginge, dass das Ursprungsmitglied als nunmehr externe Instanz sich selbst entgegen der ursprünglichen Wahlentscheidung als von außen in das Parlament eintretendes Parlamentsmitglied auswählte.224 (1) Ruhendes Parlamentsmitglied ist keine externe Instanz Das die Mandatsruhe in Anspruch nehmende Parlamentsmitglied ist jedoch keine externe Instanz. Die Annahme, bei dem ruhenden Parlamentsmitglied handle es sich um einen externen Dritten, beruht auf der irrigen Vorstellung, dass das betreffende Mitglied mit dem Wirksamwerden der Ruhenserklärung aus dem Parlament ausscheide225 und es sich beim Ruhen des Mandates in Wirklichkeit um einen Mandatsverzicht handle.226 Bereits aus dem Wortlaut ergibt sich jedoch, dass dies nicht der Fall sein kann: Die Verwendung des Begriffs der Mandatsruhe – im Unterschied zum Begriff des Mandatsverzichts – weist deutlich darauf hin, dass etwas anderes beabsichtigt ist als ein unbedingtes Ende des Mandats. Wäre ein Verzicht gemeint, hätte man den Begriff des Verzichts verwendet; der Gebrauch des Begriffs des Ruhens wäre in dem Fall überflüssig. Die explizite Verwendung des Begriffs des Ruhens kann

224 So im Ergebnis StGH Hessen, P.St. 783, Rn. 79; Sacksowsky, in: Morlok/ Schliesky/Wiefelspütz, § 6, Rn. 40; Versteyl, in: Schneider/Zeh, § 14, Rn. 37. 225 So aber StGH Hessen, P.St. 783, Rn. 79; Sacksowsky, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, § 6, Rn. 40; Versteyl, in: Schneider/Zeh, § 14, Rn. 37; im Ergebnis auch Dreier, in: Schmidt, Vielfalt des Rechts, S. 113, 124 f. 226 So aber StGH Hessen, P.St. 783, Rn. 79; Dress, Ruhendes Mandat, S. 45 und 83.

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

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also nur den Schluss erlauben, dass damit eine vorübergehende Nichtausübung des Mandats mit der Möglichkeit der späteren Wiederaufnahme gemeint ist. Auch aus einer Betrachtung der Voraussetzungen und Folgen der Mandatsruhe, wie sie in Bremen, Hamburg und Bayern normiert sind und in Rheinland-Pfalz und Hessen normiert waren, ergibt sich, dass es dort gestattet sein soll bzw. sollte, das Mandat für einen vorübergehenden Zeitraum nicht auszuüben – ohne es jedoch endgültig zu verlieren. Hätte man ein endgültiges Ausscheiden aus dem Parlament bezweckt, hätte es des Instituts des ruhenden Mandates nicht bedurft. Im Übrigen bleibt der Hessische Staatsgerichtshof eine Begründung seiner Ansicht, ein Regierungsmitglied scheide mit dem Wirksamwerden der Ruhenserklärung endgültig aus dem Parlament aus, schuldig. Ein Argument für seine Feststellung nennt er im gesamten Urteil vom 7. Juli 1977 nicht. Teilweise wird vertreten, der Begriff der Mandatsruhe sei lediglich ein terminologischer Trick, mit dem das Fortbestehen des Mandats fingiert werde.227 Das Mandat sei der Inbegriff der Rechte, die sich aus dem verfassungsrechtlichen Abgeordnetenstatus ergäben; wenn jedoch ein Parlamentsmitglied seine Rechte ruhen lasse, dann habe es kein Mandat mehr228 und scheide aus dem Parlament aus.229 Ein Ruhen des Mandates gibt es hiernach nicht. Diese Argumentation ist jedoch keine: Anstatt sich mit dem Wesen des ruhenden Mandates auseinanderzusetzen, negiert sie schlicht seine Existenz. Wie soeben festgestellt, ist mit dem Begriff des ruhenden Mandates jedoch offenkundig etwas anderes gemeint als mit dem Begriff des Mandatsverzichts. Wer endgültig und unwiderruflich auf sein Mandat verzichtet, scheidet für die Dauer der laufenden Wahlperiode endgültig und vollständig aus dem Parlament aus. Wer dagegen sein Mandat ruhen lässt, bleibt Parlamentsmitglied – mit einem ruhenden Mandat – und hat die Möglichkeit, die Mandatsausübung zu einem späteren Zeitpunkt fortzusetzen. Dass sich das Instrument des Ruhens eines Rechtsverhältnisses rechtstechnisch von dem des Verzichts auf ein Rechtsverhältnis unterscheidet, zeigt im Übrigen auch das Beispiel des Ruhens eines Richter- oder Beamtenverhältnisses. Auch in diesen Bereichen ist das Institut des Ruhens bekannt und anerkannt – und geht selbstredend nicht mit einer endgültigen Beendigung des Richter- oder Beamtenverhältnisses einher. Als Beispiel lassen sich hier etwa die Vorschriften der §§ 5 und 8 AbgG Bund anführen, die die Wahl von Beamten, Richtern, Soldaten und Angestellten des öffentlichen Dienstes in den Deutschen Bundestag regeln: Nach § 5 Satz 1 AbgG Bund ruhen die Rechte und Pflichten aus dem Dienstverhältnis eines in den Bundestag gewählten Beamten mit Dienstbezügen vom Tage der An227 228 229

Nell, in: JZ 1975, 519, 520; Rosenau, in: ZParl 1988, 35, 39. Nell, in: JZ 1975, 519, 520; Rosenau, in: ZParl 1988, 35, 39. Dress, Ruhendes Mandat, S. 45, 83 und 85; Nell, in: JZ 1975, 519, 520.

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3. Teil: Lösungsansätze

nahme der Wahl für die Dauer der Mitgliedschaft. Der Beamte hat nach § 5 Satz 3 AbgG Bund das Recht, seine Amts- oder Dienstbezeichnung mit dem Zusatz „außer Dienst“ („a. D.“) zu führen. Nach § 8 Abs. 1 und 3 AbgG Bund gilt § 5 AbgG Bund für Richter, Berufs- und Zeitsoldaten sowie für Angestellte des öffentlichen Dienstes entsprechend. Bereits aus der Berechtigung zur Weiterführung der Dienstbezeichnung mit dem Zusatz „außer Dienst“ ergibt sich, dass das Dienstverhältnis durch das Ruhen nicht beendet ist. Gleiches ergibt sich auch aus § 21 des Beamtenstatusgesetzes (BeamtStG)230, der die Gründe für eine Beendigung des Beamtenverhältnisses aufzählt. Hiernach endet das Beamtenverhältnis durch Entlassung, Verlust der Beamtenrechte, Entfernung aus dem Beamtenverhältnis nach den Disziplinargesetzen oder Eintritt oder Versetzung in den Ruhestand. Ein Ruhen des Beamtenverhältnisses ist explizit nicht genannt – und wäre nach dem oben Gesagten auch sowohl wortlaut- als auch sinnwidrig. Dieser Vergleich zeigt, dass mit dem Ruhen des Verhältnisses ein vorübergehender Zustand der Nichtausübung des Verhältnisses gemeint ist – nicht jedoch dessen endgültige Beendigung. Auch das Ruhen der Parlamentsmitgliedschaft stellt daher nicht deren endgültiges Ende für die laufende Wahlperiode dar. Sofern das ruhende Mandat für verfassungswidrig gehalten wird, muss die Begründung daher über die bloße sinnentstellende Behauptung, ein Ruhen sei in Wirklichkeit ein Mandatsverzicht, hinausgehen. Da es sich nach dem zuvor Gesagten bei der Mandatsruhe um eine vorübergehende Nichtausübung des Mandats und nicht um einen Mandatsverzicht handelt, ist das aus der Mandatsruhe zurückkehrende Parlamentsmitglied kein externer Dritter. (2) Keine Auswahl in Bezug auf rückkehrendes Mitglied Darüber hinaus trifft das aus der Mandatsruhe zurückkehrende Parlamentsmitglied auch keine Auswahlentscheidung über die Zusammensetzung des Parlaments. Nach dem hier vorgestellten Regelungsmodell hat das ruhenswillige Parlamentsmitglied den Zeitraum und die Dauer der Mandatsruhe dem Parlament zuvor verbindlich anzuzeigen. Demnach steht bereits im Zeitpunkt dieser Anzeige fest, dass und wann das betreffende Mitglied die Mandatsausübung wieder aufnehmen wird. Die Wiederaufnahme des Mandats nach dem zuvor festgelegten Zeitraum ist der Mandatsruhe also immanent. Das Ursprungsmitglied trifft somit nur eine einzige Entscheidung: nämlich die, das Mandat für einen bestimmten Zeitraum ruhen zu lassen. Durch die vorherige zeitliche Festlegung der Mandatsruhe ist die Rückkehr in das Mandat zwingende 230 Beamtenstatusgesetz vom 17. Juni 2008 (BGBl. I 2008, S. 1010), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 29. November 2018 (BGBl. I 2018, S. 2232).

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

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rechtliche Folge der Ruhensentscheidung. Eine weitere Willensbekundung erfolgt nicht. Demnach wählt das Ursprungsmitglied auch nicht sich selbst als neues Parlamentsmitglied aus. Im Übrigen handelt es sich mangels endgültigen Verzichts auf das Mandat bei dem Ursprungsmitglied auch nicht um ein neu hinzutretendes Parlamentsmitglied. Vielmehr wurde das ruhende Mitglied bereits vom Willen der Wahlberechtigten zu ihrer Vertretung in das Parlament gewählt. Die Entscheidung zur Mandatsruhe, der aufgrund des Fortbestandes des ruhenden Mandats die spätere Rückkehr innewohnt, ist auch aus diesem Grund keine Auswahl eines von außen neu hinzutretenden Parlamentsmitgliedes. (3) Keine Auswahl in Bezug auf ausscheidendes Mitglied Darüber hinaus kann auch keine Rede davon sein, dass das Ursprungsmitglied die ausscheidende Person nach eigenem Ermessen auswählen kann.231 Für jeden Fall der Mandatsruhe mit Nachfolge steht aufgrund objektiver Kriterien von vornherein (je nach Regelungsort gesetzlich oder konstitutionell) fest, wer bei Ende der Mandatsruhe aus dem Parlament ausscheidet: Es handelt sich hierbei jeweils um die zuletzt nachgerückte Person. Eine Auswahlmöglichkeit hat weder das aus der Mandatsruhe zurückkehrende Parlamentsmitglied noch sonst jemand. Die einzige Wahl, die das Ursprungsmitglied trifft, ist die ursprüngliche Entscheidung, das Mandat für einen bestimmten Zeitraum ruhen zu lassen. Dieser Entschluss, der dem Ausscheiden einer Nachfolgeperson zeitlich weit vorgelagert ist, bewirkt zugleich die Festlegung des Anfangs und des Endes der Mandatsruhe und damit auch das Nachrücken und das Ausscheiden von Nachfolgepersonen. Letztere müssen im Übrigen aufgrund der Möglichkeit der zwischenzeitlichen Ruhendstellung weiterer Mandate nicht zwangsläufig identisch sein. Über den Entschluss, das eigene Mandat ruhend zu stellen, hinaus trifft das Ursprungsmitglied keine weitere Entscheidung.232 Des Weiteren steht es nicht im Belieben des ursprünglichen Parlamentsmitgliedes, die Nachgerückten durch Wiederausübung des Mandates zu verdrängen. Zum einen handelt es sich bei der ausscheidenden Person nicht unbedingt um diejenige, die für das Ursprungsmitglied nachgerückt war – im Falle mehrerer ruhender Mandate wird es sich in aller Regel um eine andere Person handeln. Zum anderen hat das Mutterschutz oder Elternzeit in Anspruch nehmende Mitglied vorher verbindlich mitzuteilen, für welchen Zeitraum das Mandat ruhend gestellt werden soll. Die Mutterschutz- bzw. Elternzeitabgeordneten wechseln also nicht nach Belieben hin und her, sondern treten einmal in die Mandatsruhe ein und einmal wieder heraus, wobei der Zeitpunkt jeweils feststeht. Nachrücken231 232

Vgl. bzgl. der hessischen Regelung Leibholz, Gutachten, S. 68. Vgl. oben im dritten Teil, zweites Kapitel, B. I. 3. b), S. 283 f.

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3. Teil: Lösungsansätze

de Abgeordnete wissen daher zum Zeitpunkt der Nachfolge bereits, bis wann ihr Mandat mindestens dauern wird. Der Endzeitpunkt ändert sich – zugunsten der Nachrückenden – nur dann, wenn während der Wahrnehmung des ruhenden Mandats Abgeordnete endgültig aus dem Parlament ausscheiden oder weitere Abgeordnete ihre Mandate ruhen lassen. Im ersten Fall rückt das das ruhende Mandat wahrnehmende Mitglied in das unbefristete Mandat nach – ein Vorgang, der sich nicht von dem herkömmlichen Nachrücken aufgrund des endgültigen Ausscheidens eines Parlamentsmitgliedes unterscheidet. Im zweiten Fall verlängert sich seine Mandatszeit um die überschießende Dauer des zweiten (oder weiteren) ruhenden Mandates. bb) Keine Korrektur der Wahlentscheidung Durch die mit der Rückkehr verbundene Entscheidung zur Mandatsruhe nimmt das Ursprungsmitglied auch keine Korrektur des Letztentscheidungsrechts der Wählenden vor – deren Wahlentscheidung ist nach wie vor verbindlich.233 Die Reihenfolge der Liste wird durch die Rückkehr in ein zuvor ruhendes Mandat nicht verändert.234 Dieser Punkt ist im Hinblick auf die Unmittelbarkeit der Wahl von entscheidender Bedeutung: Denn die ursprüngliche Intention des Bundesverfassungsgerichts, den Einfluss der Parteien auf den Zeitraum vor der Wahl zu beschränken und sie an einer nachträglichen Ergänzung oder Änderung der Listen zu hindern,235 wird durch das hier gegenständliche Modell der Nachfolge in ein ruhendes Mandat nicht berührt. Weder eine Partei oder Wählergruppierung, noch das mutterschutz- bzw. elternzeitwillige Parlamentsmitglied oder eine sonstige Person haben nach der Wahl Einfluss auf die Reihenfolge der Liste. Dies ändert sich auch nicht durch die Rückkehr in das ruhende Mandat. Denn die nun ausscheidende Nachfolgeperson bleibt auf demselben Listenplatz, auf dem sie auch vor dem Nachrücken stand und nimmt lediglich wieder den Platz als erste Ersatzperson ein. Wenn der Wechsel bei Eintritt in die Mandatsruhe dadurch gerechtfertigt wird, dass die Ersatzperson aufgrund eindeutiger Listenbildung zum Zeitpunkt der Wahl feststeht, so muss dies auch für den umgekehrten Vorgang gelten – denn wer für das zurückkehrende Mitglied ausscheidet, steht ebenso von vornherein fest.236 Der in Bezug auf die bisher geltenden Formen des ruhenden Mandates vorgebrachte Einwand, durch das ruhende Mandat werde die Liste für die Wählenden 233 234 235 236

Zur bremischen Regelung Preuß, in: Kröning/Pottschmidt/Preuß/Rinken, S. 345. Lohmeier, in: DVBl. 1977, 405, 406. BVerfGE 3, 45, 49. Ebenso für die hamburgische Regelung David, Art. 39, Rn. 19.

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

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unberechenbar, denn die Vorhersehbarkeit der Nachrückvorgänge werde dadurch unterlaufen,237 geht fehl. Er übersieht zum einen, dass sich sowohl die Reihenfolge der Nachrückenden als auch die Reihenfolge der wieder Ausscheidenden jederzeit anhand der aufgrund der Wahl legitimierten Listen klar bestimmen lässt. Wer nachrückt und wer ausscheidet, steht jederzeit fest. Zum zweiten ist auch die in diesem Zusammenhang vorgebrachte Behauptung unzutreffend, das Grundprinzip der starren Liste, nach dem die einmal von der Wählerschaft bestätigte Liste nach der Wahl nicht mehr geändert werde, werde durch die Rückkehr in das ruhende Mandat unterlaufen.238 Wie oben festgestellt, ändert sich an der Listenreihenfolge nichts. Weder das in das ruhende Mandat zurückkehrende Ursprungsmitglied noch die Nachfolgeperson noch Dritte vermögen die Reihenfolge der Liste nach der Wahl zu ändern. Scheidet eine Nachfolgeperson aus dem Parlament aus, so nimmt sie wieder ihren Platz als erste Ersatzperson ein – dadurch ändert sich aber nichts an der ursprünglich vor der Wahl vorgenommenen Reihung der auf der Liste aufgeführten Personen. Zum dritten übersehen diejenigen, die die Ansicht vertreten, durch das ruhende Mandat werde die Liste für die Wählenden unberechenbar, die Tatsache, dass die personelle Parlamentszusammensetzung und die Nachrückvorgänge ohnehin nur bedingt vorhersehbar sind. So ist für die Dauer einer Legislaturperiode bereits nicht vorhersehbar, welche Abgeordneten dem Parlament bis zu ihrem Ende angehören werden.239 Durch Ausscheiden aufgrund von Krankheiten, Todesfällen, Schwangerschaften, anderen persönliche Herausforderungen, geänderten berufliche Perspektiven und nicht zuletzt aufgrund der Wahl von Abgeordneten in ein anderes Parlament (z. B. der Wahl von Landtagsabgeordneten in den Deutschen Bundestag), aufgrund der Ernennung von Abgeordneten zu Regierungsmitgliedern eines anderen Parlaments oder aufgrund der Wahl von Abgeordneten zu Landräten, Bürgermeistern oder anderen Hauptverwaltungsbeamten kann sich die Zusammensetzung der Volksvertretung in wenigen Jahren erheblich ändern. Auch in Bezug auf die Ersatzpersonen ist nicht vorhersehbar, wer von ihnen ein freiwerdendes Mandat überhaupt annehmen wird. Je näher das Ende der Legislaturperiode rückt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass einige der Nachfolgepersonen sich beruflich bereits anders orientiert haben, so dass ein Mandat für sie nun nicht mehr attraktiv erscheint. Darüber hinaus ist festzustellen, dass die Wahl in ein Parlament für manche Abgeordnete mit einem beruflichen Risiko verbunden ist. Auch wenn für Arbeitnehmende und Beamte ein gesetzlicher Rückkehranspruch in den bisher ausgeübten Beruf besteht, so ist 237

Dress, Ruhendes Mandat, S. 87 f. Dress, Ruhendes Mandat, S. 87 f. 239 Schriftsatz des Hessischen Ministerpräsidenten vom 16. Mai 1977 im Verfahren StGH Hessen, P.St. 783, S. 3, Bl. 253 d. A. 238

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3. Teil: Lösungsansätze

dennoch zu konstatieren, dass nicht jeder Arbeitgeber es gerne sieht, wenn einer oder eine seiner Beschäftigten für einen vorübergehenden Zeitraum ersetzt werden muss. Vor die Wahl des Nachrückens gestellte Ersatzpersonen müssen daher eine Folgenabschätzung in Bezug auf ihr berufliches Fortkommen nach dem Ausscheiden aus dem Parlament vornehmen. Je kürzer die verbleibende Zeitspanne gegen Ende der Legislaturperiode wird, desto schwächer dürften die Vorteile eines Abgeordnetenmandats gegenüber potentiellen beruflichen Nachteilen in dem noch viele Jahre oder Jahrzehnte auszuübenden Beruf häufig eingeschätzt werden. Dementsprechend ist es nicht unüblich, dass gleich mehrere der für ein Nachrücken in Frage kommenden Ersatzpersonen das Mandat ablehnen. Ob und wann eine auf der Liste aufgeführte Ersatzperson in das Parlament einziehen wird, ist für die Wählerschaft daher nicht vorhersehbar. Sofern bei der Einführung der Möglichkeit, das Mandat zum Zwecke des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit ruhen zu lassen, der Grundsatz der Vorherigkeit des Wahlgesetzes gewahrt würde – anderenfalls würde dies die Rechtswidrigkeit des Gesetzes nach sich ziehen –240 wäre diese Option auch für die Wählenden zum Zeitpunkt der Wahl bekannt. Dementsprechend könnten sie sich darauf einrichten, dass ein von ihnen gewähltes Parlamentsmitglied nach einer kurzen – im Vorhinein festgelegten – Mandatsruhe in das Parlament zurückkehrt. Was daran für die Wählerschaft bei der Wahlentscheidung unberechenbarer sein soll als das ohnehin unvorhersehbare potentielle Ausscheiden und Nachrücken von Mitgliedern – was unstreitig mit dem Unmittelbarkeitsgrundsatz vereinbar ist –,241 erschließt sich nicht. cc) Keine beliebige Auswechselbarkeit der Nachrückenden und Ausscheidenden Der durch den Staatsgerichtshof des Landes Hessen vertretenen Auffassung, der Wählerwille umfasse keine beliebige Auswechselbarkeit der Abgeordnetenanwärter,242 kann bedenkenlos gefolgt werden. Eine solche findet indes auch im Falle des ruhenden Mandates nicht statt. Wie oben festgestellt, stehen sowohl die Reihenfolge der Nachrückenden als auch die Reihenfolge der Ausscheidenden (im Falle der Rückkehr in ein ruhendes Mandat) von vornherein fest. Die Listen240 Vgl. zur entsprechenden Problematik der ehemaligen hessischen Regelung oben im dritten Teil, zweites Kapitel, B. II. 1. c) bb) (2), S. 270. 241 Wie oben festgestellt, sind die Nichtannahme und der Verzicht auf das Mandat von der Mandatsfreiheit gedeckt und daher mit dem Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl vereinbar, vgl. oben im dritten Teil, zweites Kapitel, B. II. 1., S. 286. Auch das Nachrücken der bereits im Rahmen der Wahl mitgewählten Ersatzpersonen gilt allgemein als noch vom Wählerwillen umfasst, vgl. hierzu auch die Auffassung des StGH Hessen, P.St. 783, Rn. 77 sowie oben im dritten Teil, zweites Kapitel, B. II. 1. c) bb) (1), S. 269. Im Ergebnis so auch BVerfGE 97, 317, 322; Butzer, in: BeckOK Epping/Hillgruber, Art. 38, Rn. 55; Guckelberger, in: JA 2012, 561, 564. 242 StGH Hessen, P.St. 783, Rn. 79.

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

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reihenfolge wird auch durch das Institut des ruhenden Mandates nicht verändert. Jedwede Einflussnahme auf die aufgrund der Wahl feststehende Liste ist ausgeschlossen. Eine Auswechslung der Nachrückenden erfolgt nicht. dd) Ursprungsmitglied vor Nachfolgemitglied gewählt Ferner ist auch zu berücksichtigen, dass das Ursprungsmitglied bereits in das Parlament gewählt worden war, als die nun nachgerückte Nachfolgeperson noch als Ersatzbewerberin oder Ersatzbewerber auf ein eventuelles Nachrücken in das Parlament wartete. Das Ursprungsmitglied war daher als von den Wählenden vorrangig vor dem nachgerückten Mitglied zur Mandatsausübung bestimmt worden.243 Mit der Wiederausübung des Mandates durch das Ursprungsmitglied wird daher der mit der Wahl zum Ausdruck gekommene Wählerwille wiederhergestellt, so dass dem Sinn und Zweck des Unmittelbarkeitsprinzips, dem Wählerwillen unmittelbar Geltung zu verschaffen, gerade Genüge getan wird.244 Hiergegen wird eingewandt, das Argument der Wiederherstellung des Wählerwillens ziehe die unmittelbare Wahl der nachgerückten Person in Zweifel: Wenn ihr die Qualifikation, unmittelbar in das Parlament gewählt zu sein, nicht zukomme, dann gehöre sie nicht hinein.245 Erkenne man ihr diese Qualifikation hingegen zu, dann dürfe es von diesem Zeitpunkt an bis zur nächsten Wahl niemanden geben, der noch unmittelbarer gewählt sei.246 Damit wird unterstellt, dem ursprünglichen Parlamentsmitglied werde eine „unmittelbarere“ Wahl zugeschrieben als der Nachfolgeperson. Dies ist jedoch nicht der Fall: Die Legitimation der Nachfolgeperson wird nicht bezweifelt. Auch eine Abstufung von verschiedenen Stufen der Unmittelbarkeit wird nicht vorgenommen. Der Hinweis auf die Verwirklichung des mit der Wahl zum Ausdruck gekommenen Wählerwillens befasst sich gar nicht mit einer stärker oder schwächer ausgeprägten Unmittelbarkeit. Er verweist lediglich darauf, dass das Ursprungsmitglied vorrangig von den Wählenden zu ihrer Vertretung gewählt worden war.247 Nimmt nun das aus der Elternzeit zurückkehrende Parlamentsmitglied das Mandat wieder auf, so entspricht dies dem ursprünglich mit der Wahl zum Ausdruck gekommenen Willen des Wahlvolkes. Demnach ist der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl auch bei der Rückkehr des Ursprungsmitgliedes – das weder eine externe Instanz ist, noch die Ab243

Wilhelm, in: SKV 1975, 354. Schriftsatz des Hessischen Ministerpräsidenten vom 16. Mai 1977 im Verfahren StGH Hessen, P.St. 783, S. 4, Bl. 254 d. A.; Leibholz, Gutachten, S. 68; Wilhelm, in: SKV 1975, 354. 245 Nell, in: JZ 1975, 519, 521; Rosenau, in: ZParl 1988, 35, 39. 246 Nell, in: JZ 1975, 519, 521; Rosenau, in: ZParl 1988, 35, 39. 247 Steiger, Gutachten, S. 90; Wilhelm, in: SKV 1975, 354. 244

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3. Teil: Lösungsansätze

geordneten nach seinem Ermessen auswählt – und dem damit verbundenen Ausscheiden einer Nachfolgeperson gewahrt. 2. Grundsatz der Gleichheit der Wahl

Schwierigkeiten hinsichtlich der Vereinbarkeit des befristeten Mandats der Nachfolgeperson mit dem Grundsatz der Gleichheit der Wahl auf der Ebene der aktiv Wählenden sind nicht erkennbar. Insoweit schlägt sich die Befristung des Mandats nicht auf den Einfluss der Wählerschaft auf die Parlamentszusammensetzung nieder. 3. Grundsatz der Gleichheit des Mandats

a) Rechtlich relevante Ungleichbehandlung Es ist jedoch zu prüfen, ob das befristete Nachfolgemandat mit dem Grundsatz der Gleichheit des Mandats zu vereinbaren ist. Wie bereits dargelegt, ergibt sich aus Art. 38 Abs. 1 GG die formelle Gleichstellung aller Abgeordneten eines Parlaments.248 Sie soll die Freiheit des Mandats gewährleisten und Abhängigkeiten und Hierarchien – über das in einem Parlament unabdingbare Maß hinaus – innerhalb der Volksvertretung vermeiden.249 Die Gleichheit des Mandats gewährleistet allen Abgeordneten das Recht auf gleiche Teilhabe am parlamentarischen Willensbildungsprozess.250 Festzustellen ist in diesem Zusammenhang, dass das befristete Nachrücken eine Benachteiligung der Nachfolgeabgeordneten gegenüber den übrigen Abgeordneten darstellt: Während das Mandat der Letzteren im Regelfall erst mit Ablauf der Legislaturperiode endet, ist das Mandat der Nachfolgeabgeordneten – vorbehaltlich des endgültigen Ausscheidens eines Mitgliedes oder der Mandatsruhe weiterer Mitglieder – auf die Zeit der Mandatsruhe des Ursprungsmitgliedes beschränkt. Diese Schlechterstellung der Nachfolgenden betrifft den Bestand des Mandates und damit den Inbegriff aller parlamentarischen Rechte. Damit berührt diese Ungleichbehandlung die betreffenden Abgeordneten im Hinblick auf die ihnen durch Art. 38 Abs. 1 GG gewährte Mandatsgleichheit. Im Gegensatz zu der oben erörterten Konstellation des ruhenden Ursprungsmandates stehen bei der hier gegenständlichen Ungleichbehandlung der Nachfolgepersonen ebendiese im Fokus – und nicht die gegebenenfalls schutzwürdigen ruhensberechtigten Parlamentsmitglieder. Die Differenzierung zwischen den beiden Abgeordnetengruppen – nämlich den aufgrund der Mandatsruhe Nachfolgen-

248 BVerfGE 40, 296, 317 f.; 84, 304, 325; 96, 264, 278; 102, 224, 237; 112, 118, 134; 130, 318, 342; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 38, Rn. 51 f. 249 BVerfGE 102, 224, 239; vgl. auch im ersten Teil, zweites Kapitel, C. II., S. 75. 250 BVerfGE 96, 264, 278.

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

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den auf der einen Seite und den übrigen Abgeordneten auf der anderen Seite – knüpft dementsprechend nicht unmittelbar an biologische Umstände, etwa die der Schwangerschaft und der Geburt, an. Demzufolge ist in diesem Fall nicht – wie im obigen Vergleich – eine Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem bereits aus diesem Grund ausgeschlossen.251 Die beiden Abgeordnetengruppen unterscheiden sich also weder nach dem Geschlecht noch nach einer Schwangerschaft, nach Kindern in einem bestimmten Alter oder nach sonstigen Merkmalen; das einzige Unterscheidungskriterium besteht in der grundsätzlichen Befristung des Mandats. Im Übrigen sind die beiden Abgeordnetengruppen vollkommen vergleichbar, so dass eine rechtlich relevante Ungleichbehandlung vorliegt. b) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Die Ungleichbehandlung könnte indes verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein. Ebenso wie die Freiheit des Mandats wird auch die Gleichheit des Mandats nicht schrankenlos gewährleistet, sondern kann durch andere Rechtsgüter von Verfassungsrang begrenzt werden.252 Da der Grundsatz der Gleichheit der Abgeordneten letztlich auf dem Grundsatz der Gleichheit der Wahl sowie dem Grundsatz der repräsentativen Demokratie fußt,253 bedürfen Differenzierungen in Bezug auf den Abgeordnetenstatus zu ihrer Rechtfertigung ebenso wie Differenzierungen in Bezug auf die Wahlrechtsgleichheit eines besonderen, durch die Verfassung legitimierten zwingenden Grundes254 von einem Gewicht, „das der Gleichheit der Abgeordneten die Waage halten kann“ 255. Das Erfordernis eines zwingenden Grundes bedeutet dabei jedoch nicht, dass die Differenzierung von Verfassungs wegen notwendig sein muss.256 aa) Verfassungsrechtlich legitimierter Grund Zunächst bedarf es also eines verfassungsrechtlich legitimierten Grundes. Das Gewicht dieses Grundes ist sodann in einem zweiten Schritt gegen die Mandatsgleichheit abzuwägen. Vorliegend besteht das Ziel der hier vorgenommenen Differenzierung zwischen den unterschiedlichen Gruppen von Abgeordneten in der Einführung einer Mandatsruhe zum Zwecke des Mutterschutzes und der Elternzeit.

251

Vgl. oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, A.VI. 1. e) und f), S. 181 f. BVerfGE 130, 318, 348. 253 Vgl. zum Grundsatz des gleichen Mandats oben im ersten Teil, zweites Kapitel, C. II., S. 75. 254 BVerfGE 6, 84, 92; 51, 222, 236; 95, 408, 418; 129, 300, 320. 255 BVerfGE 130, 318, 356. 256 BVerfGE 129, 300, 320. 252

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3. Teil: Lösungsansätze

(1) Mandatsruhe zum Zwecke des Mutterschutzes Mit der Schaffung der Mandatsruhe zum Zwecke des Mutterschutzes soll den betreffenden Parlamentarierinnen während der für alle anderen berufstätigen Frauen geltenden Mutterschutzfristen nach § 3 MuSchG ein Anspruch auf eine parlamentarische Auszeit gewährt werden – und zwar in formalisierter Art und Weise. Dies soll die Gesundheit von (werdender) Mutter und un- bzw. neugeborenem Kind schützen und darüber hinaus auch verhindern, dass den betreffenden Frauen aus der schwangerschafts- bzw. geburtsbedingten parlamentarischen Absenz Nachteile in Bezug auf die weitere Mandatsausübung oder die beruflichpolitische Tätigkeit erwachsen. Wie bereits im zweiten Teil dieser Untersuchung ausführlich dargestellt, gebieten sowohl der verfassungsrechtliche Mutterschutz des Art. 6 Abs. 4 GG als auch die verfassungsrechtliche Gleichberechtigungsverpflichtung des Art. 3 Abs. 2 GG und der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG dem Staat die Einführung fakultativer prä- und postnataler Mutterschutzregelungen für Abgeordnete. Darüber hinaus verpflichtet auch das durch Art. 6 Abs. 2 GG gewährte Elternrecht den Staat zur Schaffung vorgeburtlichen Mutterschutzes für Parlamentsmitglieder.257 Ähnlich wie hinsichtlich der Beschränkbarkeit des Grundsatzes der Mandatsfreiheit258 hat sich das Bundesverfassungsgericht auch hinsichtlich des Grundsatzes der formalen Gleichheit aller Abgeordneten eines Parlaments bislang noch nicht mit der Frage befasst, ob die sich aus Art. 3 GG und aus Art. 6 GG ergebenden Grundrechte derartige verfassungsrechtlich gedeckte Ziele sein können, an denen die Mandatsgleichheit gemessen werden kann. Auch im Schrifttum findet sich hierzu keine veröffentlichte Meinung. Bejaht wurde als möglicher Grund für eine Einschränkung des Grundsatzes der Mandatsgleichheit beispielsweise die Sicherung der Funktionsfähigkeit des Parlaments.259 Als Grundrechte stehen der verfassungsrechtliche Mutterschutz des Art. 6 Abs. 4 GG, die verfassungsrechtliche Gleichberechtigungsverpflichtung des Art. 3 Abs. 2 GG, der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG und das durch Art. 6 Abs. 2 GG gewährte Elternrecht der Gleichheit der Abgeordneten jedenfalls nicht nach.260 Zwar stehen sie grundsätzlich betrachtet nicht in einem konkreten Zusammenhang zum Parlamentsrecht. Jedoch wird ein solcher Zusam257 Vgl. oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, E., S. 216 und drittes Kapitel, C., S. 239. 258 Vgl. insbesondere in Bezug auf die Beschränkbarkeit der Mandatsfreiheit durch Art. 6 Abs. 4 GG oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, A. IV. 2. b) aa), S. 186 f. 259 BVerfGE 112, 118, 133 m.w. N. 260 Vgl. zur grundsätzlichen Gleichwertigkeit der Grundrechte mit der Mandatsfreiheit und den Teilhaberechten der Abgeordneten oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, A. IV. 2. b) aa), S. 186 f.

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

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menhang durch das Bundesverfassungsgericht auch nicht gefordert: Angesprochen ist nur das Gewicht des durch die Verfassung legitimierten Grundes, nicht seine mögliche Nähe zum Abgeordnetenstatus oder zum Parlamentsbetrieb. Gleichwohl ist eine solche Nähe vorliegend sogar gegeben: Denn geltend gemacht werden der Mutterschutz, das Gebot der Gleichberechtigung von Frauen und Männern, der allgemeine Gleichheitssatz sowie das Elternrecht hier nur für Abgeordnete, nicht hingegen für parlamentsexterne Personen. Insoweit besteht ein konkreter Bezug zum Abgeordnetenstatus der betreffenden Eltern und somit auch ein Bezug zum Parlamentsrecht. Als Grundrechte von hohem verfassungsmäßigen Wert sind die Rechte aus Art. 6 Abs. 3 und Abs. 4 GG sowie aus Art. 3 Abs. 1 und 2 GG daher grundsätzlich dazu geeignet, einen verfassungsmäßig legitimierten Grund zur Rechtfertigung der Ungleichbehandlung zweier unterschiedlicher Gruppen von Abgeordneten zu bilden. (2) Mandatsruhe zum Zwecke der Elternzeit Ähnlich verhält es sich mit der Einführung der Mandatsruhe zum Zwecke der Elternzeit. Diese soll es Abgeordneten ermöglichen, ihre Kleinstkinder für einen Zeitraum von bis zu sechs Monaten selbst zu betreuen, ohne ihr Mandat vollständig aufzugeben oder die Abgeordnetentätigkeit zu vernachlässigen und damit möglicherweise Restriktionen und Benachteiligungen im Hinblick auf die spätere politische Tätigkeit in Kauf nehmen zu müssen. Wie oben dargelegt, ist die Einführung von Elternzeitregelungen für Abgeordnete sowohl durch das Familienrecht des Art. 6 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG als auch durch den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich geboten.261 Auch diese Grundrechte bilden aufgrund ihres hohen verfassungsrechtlichen Stellenwertes sowie ihres besonderen Bezuges zum Abgeordnetenstatus der betreffenden Personen grundsätzlich einen verfassungsmäßig legitimierten Grund zur Rechtfertigung der Ungleichbehandlung zweier unterschiedlicher Gruppen von Abgeordneten. bb) Geeignetheit Die Befristung des Nachfolgemandates müsste auch dazu geeignet sein, das gewünschte Ziel zu erreichen. Geeignet ist eine Maßnahme dann, wenn sie den gewünschten Erfolg fördert, wobei die abstrakte Möglichkeit der Zweckerreichung ausreicht.262 Durch das ruhende Mandat zum Zwecke des Mutterschutzes soll den betreffenden Abgeordneten in der Sondersituation von Schwangerschaft, Geburt und 261 262

Vgl. oben im zweiten Teil, drittes Kapitel, C., S. 239. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 20, Rn. 118 m.w. N.

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3. Teil: Lösungsansätze

Wochenbett die Möglichkeit einer parlamentarischen Auszeit zum Schutz von Mutter und Kind gewährt werden. Das ruhende Mandat zum Zwecke der Elternzeit soll Abgeordneten mit Kindern in einem bestimmten Alter die Möglichkeit eröffnen, sich für einen Zeitraum von bis zu sechs Monaten ausschließlich der Betreuung der eigenen Kinder zu widmen. Die Verknüpfung der Mandatsruhe mit einer befristeten Nachfolge soll sicherstellen, dass das Parlament auch in der Zeit der Mandatsruhe in unverminderter Stärke besetzt ist und dass das Mandat des ruhenden Mitgliedes wahrgenommen wird, ohne dass Vertretungen innerhalb des Parlaments erforderlich werden. Dieses Ziel ist durch die gleichbleibende Vertretung des Volkes im Sinne des aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG resultierenden Repräsentationsprinzips mit der befristeten Nachfolge in das ruhende Mandat zu erreichen. Gleichzeitig wird den Eltern-Abgeordneten durch die Befristung des Nachfolgemandats die Möglichkeit gegeben, eine schwangerschafts- bzw. kindesbezogene Parlamentsauszeit in Anspruch zu nehmen, ohne endgültig auf ihr Mandat verzichten zu müssen. Die Befristung des Nachfolgemandates ist demnach zur Erreichung des gewünschten Zieles geeignet. cc) Erforderlichkeit Ferner muss die Befristung des Nachfolgemandates auch erforderlich sein, um das oben genannte Ziel zu erreichen. Das setzt voraus, dass es kein milderes, ebenso effektives Mittel gibt.263 (1) Mandatsruhe ohne befristete Nachfolge Zu überlegen ist zunächst, ob es für die Nachfolgeabgeordneten weniger belastend wäre, wenn es keine befristete Nachfolge gäbe. Mangels der Unterscheidung in befristete und unbefristete Mandate gäbe es in diesem Fall bereits denklogisch keine zwei insoweit unterschiedlich behandelten Gruppen von Abgeordneten, so dass insoweit keine Benachteiligung der Abgeordneten mit befristeten Mandaten gegenüber den Abgeordneten mit unbefristeten Mandaten stattfände. Eine Gesamtschau des Status der betreffenden Abgeordneten zeigt jedoch, dass diese mit der ihnen gewährten Option, zumindest befristet ein Parlamentsmandat wahrzunehmen, einen echten Zugewinn gegenüber ihrer ansonsten bestehenden Rechtsposition als Wartende auf der Nachfolgeliste verzeichnen können.264 Die befristete Nachfolge infolge eines ruhenden Mandats gewährt ihnen dadurch gerade einen Zuwachs an Rechten, den sie andernfalls nicht hätten. Dementsprechend wirkt sich die befristete Nachfolge für die Nachfolgeabge263

Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 20, Rn. 119 m.w. N. Schriftsatz des Hessischen Ministerpräsidenten vom 16. Mai 1977 im Verfahren StGH Hessen, P.St. 783, S. 16 f.; Bl. 266 f. d. A. 264

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

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ordneten begünstigend und nicht belastend aus. Der Verzicht auf eine befristete Nachfolge ist also kein milderes Mittel. (2) Nachfolgemandat ohne Befristung Weniger einschneidend wäre es für die Nachfolgeabgeordneten indes, wenn ihr Mandat von vornherein nicht befristet wäre, sie dieses also in jedem Fall bis zum Ende der Legislaturperiode ausüben könnten. Diese Konstellation würde bei der Rückkehr des ursprünglichen Parlamentsmitgliedes am Ende der Mandatsruhe jedoch dazu führen, dass sich die Anzahl der Abgeordneten während der laufenden Wahlperiode erhöhte. Das Verhältnis der durch das Wahlergebnis auf die einzelnen Wahlvorschläge entfallenen Stimmen zu den sich daraus jeweils ergebenden Mandaten würde hierdurch nachträglich verändert; unter bestimmten Umständen könnte sich dadurch auch eine Änderung der Mehrheitsverhältnisse ergeben. Dies widerspricht dem Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl, nach dem das Wahlergebnis nach der Stimmabgabe grundsätzlich feststehen muss und sich keine weitere Instanz zwischen Wahlvolk und Gewählte schieben darf, die Letztere nach ihrem Ermessen auswählt.265 Im Gegensatz zu der oben erläuterten Situation der (nicht gegebenen) Auswahl der Nachfolgeperson durch das Ursprungsmitglied266 kann hier von dem Dazwischentreten einer weiteren Instanz ausgegangen werden: Zwar stehen die Nachfolgepersonen aufgrund der bereits vor dem Zeitpunkt der Wahl in einem formellen Verfahren festgelegten Listenreihenfolge fest; das ruhenswillige Mitglied hat also keinen Einfluss auf die Person der Nachfolgeabgeordneten. Gleichwohl hätte es in der hier angedachten Konstellation des Verbleibs aller Nachfolgepersonen im Parlament das potentiell mutterschutz- oder elternzeitberechtigte Mitglied in der Hand, die Größe der eigenen Fraktion zu erhöhen – oder dies bewusst zu unterlassen. Denn bereits durch die Inanspruchnahme einer nur kurzen Zeitspanne des Mutterschutzes oder der Elternzeit würde ein weiteres Fraktionsmitglied nachrücken und bis zum Ende der Wahlperiode in der Fraktion verbleiben. Dies könnte ein ausschlaggebendes Kriterium für die Inanspruchnahme der parlamentarischen Auszeit sein. Wenn aber die Entscheidung über die Größe der Fraktion und damit auch die Entscheidung über die Mehrheitsverhältnisse im Parlament dem einzelnen mutterschutz- oder elternzeitberechtigten Mitglied obliegt, so stellt ebendieses Mitglied eine Instanz dar, die sich zwischen den ursprünglichen Willen der Wählenden und das daraus resultierende Machtverhältnis im Parlament schiebt. Dies ist mit dem Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl nicht zu vereinbaren.

265 266

Vgl. dazu BVerfGE 3, 45, 50; 7, 63, 68; Magiera, in: Sachs, Art. 38, Rn. 88. Vgl. oben im dritten Teil, zweites Kapitel, B. III. 1. a), S. 299.

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3. Teil: Lösungsansätze

Die von vornherein unbefristete Nachfolge in ein ruhendes Mandat ist demzufolge zwar milder als deren Befristung; sie ist für sich alleine betrachtet jedoch verfassungsrechtlich unzulässig und stellt damit im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung kein ebenso effektives Mittel dar. (3) Ursprungsmitglied wird Titularabgeordnete/r Etwas anderes könnte sich jedoch dann ergeben, wenn man dem Ursprungsmitglied nach seiner Rückkehr nur noch ein reines Titularmandat, also ein Mandat ohne parlamentarische Mitwirkungsrechte, zubilligt. Dieses Instrument wurde vereinzelt im Hinblick auf die aus der Regierung ausscheidenden Parlamentsmitglieder mit ruhendem Mandat angedacht; dabei wurde davon ausgegangen, dass die Stellung eines oder einer nicht stimmberechtigten Abgeordneten den Betroffenen die politische Möglichkeit geben würde, aus der Position des Parlamentsmitgliedes hinaus die erneute Nominierung voranzutreiben.267 Ein solches Instrument ließe es vorliegend zu, die bei Eintritt in die Mandatsruhe nachrückende Person unbedingt und unbefristet in das Parlament nachrücken zu lassen, ohne dass es zu dem andernfalls später eintretenden Anwachsen des Parlamentes und zum Verstoß gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl käme. Zu beachten ist jedoch, dass die aus dem ruhenden Mandat zurückkehrenden Ursprungsmitglieder durch eine derartige Regelung wesentlich schlechter gestellt würden: Sie würden nicht in ihre ursprüngliche Rechtsstellung zurückkehren und das Mandat nicht wie vor dem Eintritt in die Mandatsruhe weiterhin ausüben – was eigentlich dem Wesen des ruhenden Mandates entspräche. Vielmehr würden sie ihre parlamentarischen Mitwirkungsrechte verlieren und damit eine erhebliche Einbuße hinsichtlich ihres Abgeordnetenstatus erleiden. Der Wesenskern ihrer Abgeordnetentätigkeit wäre entleert. Ein solches Titularmandat ohne wesentliche Teilhaberechte am parlamentarischen Prozess dürfte für einige der zurückkehrenden Abgeordneten so unattraktiv sein, dass sie in diesem Fall das Mandat lieber vollständig aufgeben und in ihren ursprünglichen Beruf zurückkehren würden. Denn eine Berufsausübung neben einem Titularmandat kommt nur in solchen Fällen in Betracht, in denen keine Inkompatibilitäten (etwa für Beamtinnen und Beamte, Richterinnen und Richter, Angehörige des öffentlichen Dienstes, Soldatinnen und Soldaten) bestehen. Gerade vor dem Hintergrund, dass die meisten Abgeordneten mit Kleinstkindern, für die allein die Inanspruchnahme von Mutterschutz bzw. Elternzeit in Betracht

267 Epping, in: von Mangoldt/Klein, 4. Auflage 2000, Art. 66, Rn. 25; allgemein für aus der Regierung ausscheidende Regierungsmitglieder Meyer, in: Schneider/Zeh, § 4, Rn. 38.

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

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kommt, im Vergleich zum Durchschnitt aller Abgeordneten eher jünger sind,268 somit noch eine längere berufliche oder berufspolitische Laufbahn vor sich haben und sich daher auch in der Parlamentsarbeit beweisen wollen, würde die Rückkehr in ein reines Titularmandat einen politischen Hemmschuh und einen herben Einschnitt in die parlamentarische Handlungsfähigkeit darstellen. Der Verlust des Ursprungsmandates und die Rückkehr in ein reines Titularmandat konterkariert mithin das Regelungsziel der Mandatsruhe zum Zwecke des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit, die Abgeordneten mit kleinen Kindern gerade die Rückkehr in das Mandat – und damit die Möglichkeit der weiteren Ausübung dieses Mandats – nach einigen Monaten der Parlamentsabsenz ermöglichen soll. Dementsprechend ist die Umwandlung des Ursprungsmandats in ein Titularmandat kein milderes, ebenso wirksames Mittel zur Erreichung des Differenzierungszieles. (4) Nachfolgeperson wird Titularabgeordnete/r Überlegenswert ist es jedoch, das Nachfolgemandat des zuletzt nachgerückten Parlamentsmitgliedes bei der Rückkehr des Ursprungsmitgliedes in ein Titularmandat umzuwandeln. Dies würde die Nachfolgeperson davor bewahren, vollständig aus dem Parlament auszuscheiden. Sie hätte dadurch die Möglichkeit, öffentlich als Parlamentsmitglied aufzutreten, ohne dass damit Rechte und Pflichten verknüpft wären. Auch eine Vergrößerung des Parlaments wäre hiermit nicht verbunden. Gleichzeitig könnten sich durch die Außenwirkung als Titularmitglied die Chancen des nunmehr ausgeschiedenen befristeten Nachfolgemitgliedes auf eine erneute Aufstellung als Direktkandidatin bzw. Direktkandidat in einem aussichtsreichen Wahlkreis oder auf einer besseren Listenposition erhöhen. (a) Auswirkungen auf die Nachfolgeperson Es stellt sich jedoch die Frage nach den Auswirkungen einer Einführung solcher Titularmandate. In Bezug auf die Nachfolgeperson selbst stellen sich diese als eher positiv dar: Würde eine Regelung dieses Institutes des Titularmandates so ausgestaltet, dass die auf diese Weise geschaffenen Titularabgeordneten mit dem Eintritt in das Titularmandat gleichzeitig wieder ihre Anwartschaft auf die Nachfolge in ein Mandat mit Mitwirkungsrechten erringen würden – sie also ihren ursprünglichen Platz auf der Nachrückerliste wieder einnehmen würden – so hätten sie einen Vorteil gegenüber dem reinen Ausscheiden aus dem Parlament. Gleichzeitig wäre das Ziel der befristeten Nachfolge in ein zum Zwecke des Mutterschutzes 268 Die Möglichkeit einer späten Vaterschaft wird dabei nicht übersehen; gleichwohl wird davon ausgegangen, dass diese Fälle eher die Minderheit darstellen.

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3. Teil: Lösungsansätze

bzw. der Elternzeit ruhendes Mandat, nämlich die Ermöglichung des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit für Abgeordnete ohne die Vernachlässigung des Mandats und ohne Mandatsverzicht, hiermit ebenso wirksam zu erreichen. (b) Auswirkungen auf das Parlament/die parlamentarische Demokratie Die Auswirkungen auf das Parlament und auf die parlamentarische Demokratie im Ganzen sind indes deutlich negativ: Eine Kollision mit dem Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl dürfte zwar nicht gegeben sein. Zweifellos wird das Parlament durch die Titularmandate während der laufenden Wahlperiode zwar insgesamt größer als ursprünglich vorgesehen. Mangels eines Stimmrechtes der Titularabgeordneten hätten deren Mandate jedoch keinen Einfluss auf Mehrheiten und mögliche Abstimmungsergebnisse. Selbst wenn eine Fraktion überproportional viele Titularmandate generieren würde, indem überproportional viele ihrer Mitglieder ihr Mandat zum Zwecke des Mutterschutzes oder der Elternzeit ruhen ließen, dadurch ebenso viele Nachrückende in das Parlament nachfolgten und zum Ende der Mandatsruhe zu Titularabgeordneten würden, so würde dies das Verhältnis der durch das Wahlergebnis auf die einzelnen Wahlvorschläge entfallenen Stimmen zu den sich daraus jeweils ergebenden Mandaten nicht verändern. Dies ist jedoch das, was der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl schützt: Das Wahlvolk soll diejenigen, die dieses im Parlament vertreten, direkt auswählen.269 Vertreten wird das Wahlvolk indes nur durch diejenigen Abgeordneten, denen das Recht zukommt, an den parlamentarischen Prozessen und Entscheidungen teilzunehmen. Dies trifft auf die Titularabgeordneten ohne Stimmrecht nicht zu. Mangels Entscheidungsmacht vertreten sie niemanden. Demzufolge berührt ihre Einsetzung auch nicht die Unmittelbarkeitsbeziehung zwischen Wählenden und Abgeordneten. Wenngleich die Schaffung von Titularmandaten damit nicht gegen das Unmittelbarkeitsprinzip verstößt, so werfen diese Überlegungen doch die Frage auf, auf welcher Grundlage sich die Titularabgeordneten überhaupt als Parlamentsmitglieder bezeichnen dürften. Denn das, was das Mandat ausmacht – vorausgesetzt, es ruht nicht, und das tut es in diesem Fall nicht –, ist die Möglichkeit, im Parlament zu reden, Anfragen und Anträge zu stellen und insbesondere an Wahlen und Abstimmungen teilzunehmen. Ein Mandat, das jeglicher Mitwirkungsmöglichkeit entleert ist, dürfte schwerlich als solches zu bezeichnen sein. Insoweit würden sich die reinen Titularabgeordneten auch von den ruhenden Mandatarinnen und Mandataren unterscheiden. Denn Letzteren wird man in Anlehnung an das Beamten- und Richterrecht wohl auch lediglich zugestehen, die vorherige Bezeichnung als Parlamentsmitglied mit dem Zusatz „im Ruhestand“ bzw. „i. R.“ zu füh-

269

BVerfGE 3, 45, 49; 7, 63, 68.

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

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ren. Bei den Titularabgeordneten würde ein solcher Zusatz jedoch dem Sinn des Instituts zuwiderlaufen: Denn die Schaffung eines Titularmandats wäre ja gerade – wie die Bezeichnung nahelegt – dazu gedacht, die Führung des „Titels“ eines Parlamentsmitgliedes, also der Bezeichnung „Mitglied des Bundestages“, „Mitglied des Landtages“, „Mitglied des Abgeordnetenhauses“ oder „Mitglied der Bürgerschaft“ zu ermöglichen und damit eine besondere politische Stellung der betreffenden Person zu suggerieren. Diese – vermeintlich – besondere politische Bedeutung würde durch einen auf den Ruhestand der betreffenden Person hinweisenden Zusatz jedoch deutlich abgeschwächt. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass eine Aufstockung des Parlaments um Mitglieder ohne Funktion dem Vertrauen der Bevölkerung in die Abgeordneten und den Parlamentarismus nicht zuträglich wäre. Besonders zum Tragen kommen würde dies, wenn die Titularabgeordneten neben der Befugnis, sich als Parlamentsmitglied zu bezeichnen, auch einen Anspruch auf eine finanzielle Entschädigung hätten. In diesem Fall würde sich die Frage stellen, wofür diese entschädigt werden sollten. Die gesellschaftliche Akzeptanz einer Gruppe bezahlter Parlamentarier ohne Aufgaben und Kompetenzen, die keinerlei Gegenleistung für die finanzielle staatliche Zuwendung erbringen, dürfte gegen Null tendieren. Angesichts des in den vergangenen Jahrzehnten ohnehin abnehmenden Renommees des Parlamentarismus270 ist davon auszugehen, dass dies dem Ansehen der parlamentarischen Demokratie schaden würde. Auch für den Fall, dass die Titularabgeordneten keine finanzielle Entschädigung erhielten, können negative Auswirkungen auf das Ansehen des Parlaments und seiner Mitglieder im Ganzen erwartet werden. Berufspolitikerinnen und Berufspolitiker genießen in Deutschland zumindest seit mehreren Jahrzehnten ein unterdurchschnittlich gutes Ansehen in der Bevölkerung. In Umfragen zum Prestige verschiedener Berufe findet man sie regelmäßig auf den letzten Plätzen. Nur 6 % der Befragten zählten Politiker zu den Berufen, die die Befragten am meisten schätzen und vor denen sie die meiste Achtung haben – dies ergab eine Umfrage des Institutes für Demoskopie Allensbach im Jahr 2013.271 Die Gründe für dieses schlechte Ansehen können hier dahinstehen. Es kann jedenfalls davon ausgegangen werden, dass die Schaffung einer Gruppierung von Parlamentarierinnen und Parlamentariern, die keinerlei Aufgaben wahrnehmen, im Gegenzug jedoch die Bezeichnung „Mitglied des Bundestages“, „Mitglied des Landtages“, „Mitglied des Abgeordnetenhauses“ oder „Mitglied der Bürgerschaft“ tragen dürfen, eher zur Verschlechterung des Ansehens von Abgeordneten im Allgemeinen führen dürfte. Die gälte umso mehr, als die Titularabgeord270

Vgl. dazu sogleich. Zitiert nach: Online-Beitrag der Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland vom 2. Februar 2017, https://fowid.de/meldung/berufsprestige-2013-2016-node 3302, zuletzt aufgerufen am 29. November 2019. 271

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3. Teil: Lösungsansätze

neten diese Bezeichnung ohne jegliches Verdienst tragen dürften – die einzige Voraussetzung wäre, dass sie dem Parlament für eine gewisse Zeit als Nachfolgeperson in ein ruhendes Mandat angehört hätten und dass das Ursprungsmitglied sein Mandat nun wieder selbst ausübte. Es ist jedoch davon auszugehen, dass eine Schwächung des Ansehens der Abgeordneten auch die Akzeptanz parlamentarischer Entscheidungen und damit die parlamentarische Demokratie insgesamt schwächt. (c) Abwägung Diesen gravierenden Nachteilen für das Renommee der Abgeordneten im Allgemeinen, die Akzeptanz politischer Entscheidungen und damit das Ansehen der parlamentarischen Demokratie als Ganzer ständen nur geringe Vorteile der Titularabgeordneten selbst gegenüber: Auch wenn sie die Bezeichnung des Parlamentsmitgliedes führen dürften, so würde weder der eigenen Partei noch der Öffentlichkeit verborgen bleiben, dass sie ohne Mitwirkungsrechte im Parlament wären. Von ihnen als Abgeordnete getätigte Äußerungen dürften daher in einem anderen Licht betrachtet werden als die Äußerungen eines regulären Parlamentsmitgliedes, das durch seine Mitwirkungsrechte tatsächlich auf parlamentarische Entscheidungen Einfluss nehmen kann. Auch im Hinblick auf die erneute Aufstellung bei der nächsten Parlamentswahl dürften die Vorteile von Titularabgeordneten nicht mit denen von aktiven Abgeordneten gleichzusetzen sein. Während Letztere ein tatsächliches politisches Handeln vorzuweisen haben, könnten Titularabgeordnete lediglich die formale Befugnis zur Führung der Bezeichnung als Abgeordnete zu Felde führen. Der Wert dieser Befugnis dürfte als überschaubar einzuschätzen sein. Diese Vorteile wiegen die möglichen Nachteile für die parlamentarische Demokratie nicht auf. Die Umwandlung der durch das Ende der Mandatsruhe endenden Nachfolgemandate in Titularmandate stellt somit im Rahmen einer Gesamtbetrachtung kein milderes, ebenso effektives Mittel dar. Andere mildere, ebenso wirksame Mittel zur Erreichung des oben beschriebenen Regelungszwecks sind nicht ersichtlich. Die Befristung der Nachfolgemandate ist daher erforderlich. dd) Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne Schließlich muss die Ungleichbehandlung der verschiedenen Abgeordnetengruppen durch die Befristung der Nachfolgemandate auch im engeren Sinne verhältnismäßig sein, also in einem angemessenen Verhältnis zur Bedeutung des verfolgten Ziels stehen.272

272 Vgl. zu den Voraussetzungen der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne: Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 20, Rn. 120 ff. m.w. N.

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

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(1) Gewicht der Ungleichbehandlung Bei der verfassungsrechtlichen Abwägung ist zunächst das Gewicht der Ungleichbehandlung in den Blick zu nehmen. Zur Bestimmung dieses Gewichts sind mehrere, im Folgenden kurz dargestellte, Faktoren zu berücksichtigen. (a) Keine drohende Abberufung Zunächst ist festzustellen, dass hinsichtlich der Nachfolge in ein ruhendes Mandat insbesondere der unsichere Status des Nachfolgemitgliedes kritisiert wird.273 Die nachrückende Person wird in diesem Zusammenhang als Volksvertreter zweiter274 oder dritter275 Klasse, als „Mandatsverwalter“ 276 oder als „parlamentarischer Amtsverweser“ 277 bezeichnet; teilweise ist sogar die Rede vom „Wegwerfmandat“ 278 oder „Wegwerfparlamentarier“ 279. Die Nachfolgeperson sei dadurch benachteiligt, dass sie – anders als die unmittelbar gewählten Abgeordneten, die ihr Mandat während der gesamten Wahlperiode ausüben könnten – jederzeit damit rechnen müsse, dass ihr Mandat vorzeitig ende.280 Diese Kritik bezieht sich jedoch durchweg auf die Nachfolge in das ruhende Mandat eines Regierungsmitgliedes, das durch sein Ausscheiden aus der Regierung jederzeit in sein Mandat zurückkehren und die Nachfolgeperson dadurch verdrängen kann. Im Fall der Nachfolge in ein Mandat, das zum Zwecke des Mutterschutzes oder der Elternzeit ruht, steht die Dauer des Nachfolgemandates (vorbehaltlich der zwischenzeitlichen Nachfolge in ein unbefristetes Mandat oder der Mandatsruhe weiterer Abgeordneter) indes von vornherein fest. Die Nachfolgeperson scheidet daher erst zu einem vorbestimmten Zeitpunkt aus; eine jederzeitige Ab273 Dreier, in: Schmidt, Vielfalt des Rechts, S. 113, 124; Herdegen, in: Isensee/Kirchhof, Bd. VI, § 129, Rn. 37; Mehde, in: Maunz/Dürig, Art. 28 Abs. 1, Rn. 117; Neumann, Art. 108, Rn. 4; Versteyl, in: Schneider/Zeh, § 14, Rn. 37. 274 Dreier, in: Schmidt, Vielfalt des Rechts, S. 113, 124 f. 275 Rosenau, in: ZParl 1988, 35, 41; Versteyl, in: Schneider/Zeh, § 14, Rn. 37. 276 Butzer, in: BeckOK Epping/Hillgruber, Art. 38, Rn. 106.2; Klein, in: Maunz/ Dürig, Art. 38, Rn. 209; Stern, Bd. I, § 24, I 5. 277 Schriftsatz des Landesanwalts bei dem Hessischen Staatsgerichtshof vom 12. Juli 1976 im Verfahren StGH Hessen, P.St. 783, S. 8, Bl. 98 d. A. 278 Redebeitrag des Abg. Thorwirth, LT Rheinland-Pfalz, Stenographischer Bericht 8. WP, 44. Sitzung, S. 2086. 279 Redebeitrag des Abg. Haberer, LT Rheinland-Pfalz, Stenographischer Bericht 8. WP, 44. Sitzung, S. 2087. 280 StGH Hessen, P.St. 783, Rn. 90; Rosenau, in: ZParl 1988, 35, 41; Redebeitrag des Abg. Haberer, LT Rheinland-Pfalz, Stenographischer Bericht 8. WP, 44. Sitzung, S. 2088; Redebeitrag des Abg. Rund, LT Rheinland-Pfalz, Stenographischer Bericht 8. WP, 53. Sitzung, S. 2595; Redebeitrag des Abg. Dr. Schmitt, LT Rheinland-Pfalz, Stenographischer Bericht 8. WP, 53. Sitzung, S. 2597.

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3. Teil: Lösungsansätze

berufbarkeit besteht nicht. Vor Ablauf dieser vorbestimmten Zeitspanne endet das Nachfolgemandat nur in den Fällen, die für alle anderen Mandate auch gelten, etwa durch den Tod des Mitglieds, den Mandatsverzicht oder die (Selbst-)Auflösung des Parlaments. Der Status der Nachfolgeabgeordneten ist demzufolge nicht durch eine drohende Abberufung aus dem Parlament beeinträchtigt. Die Nachfolgeabgeordneten können sich dementsprechend von vornherein auf eine bestimmte Mandatsdauer einstellen und ihre parlamentarische Arbeit daran ausrichten. Auch in dem Fall, in dem zwischenzeitlich weitere Mandate ruhend gestellt werden, so dass sich das erste Nachfolgemandat entsprechend verlängert, ist die Dauer der Verlängerung frühzeitig abzusehen. Eine Beeinträchtigung der Nachfolgeabgeordneten im Sinne eines unsicheren Status ergibt sich aus der Befristung des Mandats in der hier vorgeschlagenen Variante also nicht. (b) Verkürzte Mandatszeit Eine Beeinträchtigung der Nachfolgeabgeordneten besteht jedoch in der verkürzten Dauer ihres Mandates: Denn unverkennbar ist ihre Mandatszeit für einen kürzeren Zeitraum vorgesehen als die der regulär gewählten Abgeordneten. Vorbehaltlich der Möglichkeit, durch das endgültige Ausscheiden eines Mitgliedes in ein unbefristetes Mandat nachzurücken und vorbehaltlich der Mandatsruhe weiterer Abgeordneter endet ihre Parlamentsmitgliedschaft mit der Rückkehr des Ursprungsmitgliedes aus der Mandatsruhe. Damit nimmt das ausscheidende Mitglied wieder seine vorherige Stellung als erste Ersatzperson auf der Nachrückliste ein. Festzustellen ist daher, dass die Befristung des Nachfolgemandates das betreffende Parlamentsmitglied hinsichtlich des „Ob“ der Mandatsausübung in seinen Statusrechten berührt. Ein Vergleich mit dem herkömmlichen Nachrücken in ein unbefristetes Mandat zeigt jedoch, dass auch die Mandatszeit dieser in ein unbefristetes Mandat nachgerückten Abgeordneten gegenüber der regulären Mandatszeit verkürzt ist. Denn überwiegend treten Nachfolgefälle erst im Laufe der Legislaturperiode ein, so dass die Mandatszeit der Nachfolgeabgeordneten in unbefristete Mandate vom Beginn her zeitlich begrenzt ist. Einen geringerwertigen Abgeordnetenstatus schreibt man ihnen gleichwohl nicht zu. Warum eine Begrenzung des Mandates vom Ende her einen entscheidenden Unterschied hierzu ausmachen sollte, erschließt sich nicht. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass das Nachrücken in ein unbefristetes Mandat bis kurz vor Ende der Legislaturperiode möglich ist. So betrug die Mandatsdauer eines Bundestagsabgeordneten der 18. Wahlperiode nur 16 Wochen – in die genau eine einzige Plenarsitzung fiel.281 Auch 281 „Für einen Tag im Zentrum der Macht“, in: Zeit Online, Ausgabe vom 17. September 2017, https://www.zeit.de/politik/deutschland/2017-09/thomas-jepsen-bundes tag-nachruecker-cdu, zuletzt aufgerufen am 12. Dezember 2019.

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

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dieses kurze Nachrücken ist aber im Sinne der Aufrechterhaltung der vollen Parlamentsstärke zum Zwecke der Repräsentation des Volkes (Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG) so gewollt. Entsprechendes leistet das befristete Nachrücken infolge der Mandatsruhe eines Parlamentsmitgliedes. Auch hierdurch wird das Parlament in voller Zahlenstärke erhalten; die Funktionsfähigkeit des Parlaments wird dadurch gesichert. (c) Während des Mandats: gleiche Rechtsstellung wie die übrigen Abgeordneten Während der Mandatsausübung hat das Nachfolgemitglied zudem die gleichen Rechte und Pflichten wie alle übrigen Abgeordneten auch.282 Das „Wie“ der Mandatsausübung wird durch die Befristung des Mandats also nicht berührt. Insbesondere übt das Nachfolgemitglied auch nicht lediglich – etwa im Sinne einer Stellvertretung oder eines „parlamentarischen Amtsverwesers“ 283 – ebendas Mandat des ruhenden Parlamentsmitgliedes aus, was gegebenenfalls zur Konsequenz haben könnte, dass es an dessen Weisungen gebunden wäre. Im Gegenteil: Auch das Nachfolgemitglied hat ein eigenes Mandat mit allen damit verbundenen Rechten und Pflichten inne.284 In Bezug auf die Teilhabe am parlamentarischen Willensbildungsprozess ist das aufgrund der Mandatsruhe nachgerückte Parlamentsmitglied gegenüber allen übrigen Abgeordneten daher absolut gleichberechtigt. Diese Gleichberechtigung bezüglich des parlamentarischen Prozesses bildet den Schwerpunkt des Grundsatzes der Mandatsgleichheit. Sie ist hier indes nicht tangiert. Die Mandatsgleichheit wurzelt im Recht des ganzen Volkes auf gleiche politische Mitbestimmung, die in der Wahlrechtsgleichheit mündet.285 Diese gleiche politische Teilhabe der Wählenden wird im Sinne einer Ausdehnung der Wahlrechtsgleichheit auf die Abgeordneten übertragen.286 Wenn dieser Grundsatz also das Recht der Bürgerinnen und Bürger auf gleiche politische Teilhabe auf die Abgeordneten überträgt, so bedeutet das, dass diese sowohl im Parlament als auch an den vorbereitenden politischen Entscheidungen gleichberechtigt beteiligt werden müssen. Dies ist auch bei der Nachfolgeperson in ein befristetes Mandat gewährleistet: Sie hat die gleichen Mitwirkungsrechte wie alle übrigen Abgeord282 Vgl. für die hessische Regelung: Schriftsatz des Hessischen Landtages vom 8. Februar 1977 im Verfahren StGH Hessen, P.St. 783, S. 9, Bl. 179 d. A.; Schriftsatz des Hessischen Ministerpräsidenten vom 16. Mai 1977 im Verfahren StGH Hessen, P.St. 783, S. 19 f., Bl. 269 f. d. A. 283 So aber der Landesanwalt bei dem Hessischen Staatsgerichtshof mit Schriftsatz vom 12. Juli 1976 im Verfahren StGH Hessen, P.St. 783, S. 8, Bl. 98 d. A. 284 Leibholz, Gutachten, S. 54; ähnlich: Schriftsatz des Hessischen Landtages vom 8. Februar 1977 im Verfahren StGH Hessen, P.St. 783, S. 10, Bl. 180 d. A. 285 Morlok, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, § 3, Rn. 49. 286 Morlok, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, § 3, Rn. 49.

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3. Teil: Lösungsansätze

neten. Ihre Entscheidungsmacht wird durch die verkürzte Mandatsdauer nicht eingeschränkt. Dementsprechend wird auch der Sinngehalt des Grundsatzes der Mandatsgleichheit durch die Nachfolge in ein ruhendes Mandat nicht berührt. (d) Während des Mandats: bessere Rechtsstellung als fraktionslose Abgeordnete Die Vollwertigkeit des befristeten Mandats während seiner Dauer zeigt sich im Übrigen auch an einem Vergleich mit den (unbefristeten) fraktionslosen Abgeordneten, die unbestritten ein vollwertiges Mandat ausüben. Insoweit zeigt eine Gegenüberstellung, dass die ein befristetes Mandat wahrnehmenden Abgeordneten – während ihrer Mandatszeit – den fraktionslosen Abgeordneten gegenüber sogar bessergestellt sind.287 Letztere sind gegenüber den fraktionsgebundenen Abgeordneten in mehrerlei Hinsicht benachteiligt: So bejaht das Bundesverfassungsgericht vor dem Hintergrund der Gleichheit aller Abgeordneten zwar das Anrecht eines jeden Parlamentsmitgliedes, in mindestens einem Ausschuss mitzuwirken – allerdings unter der einschränkenden Voraussetzung, dass der Zahl der Abgeordneten eine entsprechend große Zahl von Ausschusssitzen gegenübersteht, so dass die Spiegelbildlichkeit der Parlamentszusammensetzung in den Ausschüssen gewahrt ist.288 Ein Stimmrecht in dem jeweiligen Ausschuss erwächst hieraus für fraktionslose Abgeordnete allerdings nicht.289 Insoweit sind sie gegenüber den übrigen Abgeordneten entscheidend benachteiligt. Auch die Besetzung des Ältestenrates darf den Fraktionen vorbehalten bleiben.290 Dies hat in der Regel zur Konsequenz, dass fraktionslosen Abgeordneten die Mitgliedschaft im Ältestenrat verwehrt bleibt, während fraktionsgebundene Abgeordnete auch dann, wenn sie dem Parlament nur für eine vergleichsweise kurze Zeitspanne angehören, die Chance auf einen Sitz im Ältestenrat haben. Darüber hinaus muss die Geschäftsordnung eines Parlaments keine Regelung zur Mindestredezeit eines fraktionslosen Abgeordneten im Plenum enthalten. Im Gegensatz zu den üblichen konkreten Festlegungen der Redezeiten für Fraktionen genügt es, die Redezeit eines fraktionslosen Mitgliedes daran zu bemessen, welches Gewicht und welche Komplexität der Verhandlungsgegenstand aufweist und ob das fraktionslose Mitglied gleichgerichtete politische Ziele wie andere fraktionslose Mitglieder des Parlaments verfolgt und sich damit auch für diese äu287 Schriftsatz des Hessischen Ministerpräsidenten vom 16. Mai 1977 im Verfahren StGH Hessen, P.St. 783, S. 19 f., Bl. 269 f. d. A. 288 BVerfGE 80, 188, 222 ff. 289 BVerfGE 80, 188, 224 ff.; du Mesnil de Rochemont/Müller, in: JuS 2016, 603, 606; Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 38, Rn. 221. 290 BVerfGE 80, 188, 226 ff.

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

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ßert.291 Ob und wie lange ein fraktionsloses Mitglied im Parlament reden darf, wird daher jeweils fallbezogen nach dem Ermessen des dafür zuständigen Gremiums – in der Regel des Ältestenrates – entschieden. Auch das Recht, eine Gesetzesinitiative einzubringen, steht zumindest fraktionslosen Mitgliedern des Deutschen Bundestages nur dann zu, wenn sie sich mit weiteren Mitgliedern zusammenschließen und zusammen mindestens fünf Prozent der Mitglieder stellen (Art. 76 Abs. 1 GG, § 76 Abs. 1 GOBT).292 All diese Einschränkungen der parlamentarischen Rechte fraktionsloser Abgeordneter werden bislang als mit dem formalisierten Gleichheitssatz vereinbar betrachtet.293 Im direkten Vergleich dazu werden die nachgerückten fraktionsgebundenen Abgeordneten gegenüber den insoweit unabhängigen Abgeordneten bevorzugt. In Bezug auf die voraussichtliche Gesamtdauer des Mandates sind demgegenüber die fraktionslosen Abgeordneten im Vorteil. Hieran zeigt sich, dass die isolierte Betrachtung eines einzelnen Faktors des Mandates zu einer verzerrten Beurteilung der Rechte eines Parlamentsmitgliedes insgesamt führen kann. Vielmehr bedarf es einer Gesamtschau des Mandats in Gänze. Eine solche zeigt sich bei einem Vergleich der fraktionsgebundenen befristeten Abgeordneten mit den fraktionslosen unbefristeten Abgeordneten im Ergebnis offen: So kann es vorteilhafter sein, dem Parlament über die volle Länge der Legislaturperiode mit reduzierten politischen Möglichkeiten anzugehören und gegebenenfalls eine parlamentarische Randexistenz zu führen294 – andererseits können jedoch auch die Vorteile einer kurzen Parlamentszugehörigkeit mit allen durch die Mitgliedschaft in einer Fraktion vermittelten Rechten überwiegen. In jedem Fall zeigt das Beispiel der fraktionslosen Abgeordneten, dass ein Weniger an Rechten durchaus vom Grundsatz der Mandatsgleichheit gedeckt sein kann und überdies nicht zwangsläufig zu einer Entwertung des Mandats im Ganzen führt. Dieser Gedanke kann auf das befristete Mandat übertragen werden: Trotz des Malus der zeitlichen Limitierung ist das befristete Mandat während seiner Dauer ein vollwertiges Mandat, das gegenüber dem Mandat fraktionsloser Abgeordneter sogar ein Mehr an Rechten bietet. Der zeitliche Eingriff in die parlamentarischen Rechte der Nachfolgeperson wird mithin auch dadurch relativiert, dass andere – unbefristete – Abgeordnete Benachteiligungen in Bezug auf ihre Abgeordnetenrechte hinnehmen müssen, die die befristeten Abgeordneten wiederum nicht treffen.

291

BVerfGE 80, 188, 228 f. Diese Regelung ist von der Geschäftsordnungsautonomie des Deutschen Bundestages gedeckt, vgl. BVerfGE 1, 144, 153. 293 BVerfGE 1, 144, 153; 80, 188, 222 ff. 294 Vgl. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 38, Rn. 221. 292

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3. Teil: Lösungsansätze

(e) Keine Auswirkungen auf das Parlament/die Gesellschaft Zudem hat die Befristung der Mandate keinen Einfluss auf innerparlamentarische Vorgänge, auf Kompetenzzuweisungen innerhalb der parlamentarischen Gremien, auf die Debattenkultur im Plenum, auf den Prozess der demokratischen Willensbildung oder auf den demokratischen Parlamentarismus als solchen. Die Mandatsbefristung entfaltet daher keine Wirkung auf das Parlament als Ganzes, sondern nur auf die betroffenen Abgeordneten. Auch gesamtgesellschaftliche Belange werden von ihr nicht berührt. (f) Nachteil wird durch Vorteil relativiert Darüber hinaus wird der Nachteil, den die aufgrund der Mandatsruhe nachrückende Person durch diesen Vorgang erleidet, durch den diesem entgegenstehenden Vorteil nahezu aufgewogen. Wie die Parlamentserfahrung zeigt, scheidet kaum ein Mitglied während einer laufenden Legislaturperiode aufgrund einer Schwangerschaft oder zum Zwecke der Kinderbetreuung endgültig aus der Volksvertretung aus; zumindest sind keine entsprechenden Fälle bekannt.295 Solange es keine Mandatsruhe zum Zwecke des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit gibt, rückt also überhaupt niemand für ein eigentlich mutterschutz- bzw. elternzeitwilliges Parlamentsmitglied nach – weder vollständig, noch auf Zeit. Die erste Ersatzperson befindet sich in diesem Fall weiterhin auf der Nachrückliste und hat kein Mandat. Führt man die Möglichkeit, das Mandat zum Zwecke des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit ruhen zu lassen, dagegen ein, so rückt diese erste Ersatzperson zumindest auf Zeit in das Parlament nach. Scheidet sie mit dem Ende der Mandatsruhe des Ursprungsmitgliedes wieder aus dem Parlament aus (wenn nicht ein weiteres Mandat ruht oder ein Mitglied endgültig aus dem Parlament ausgeschieden ist), so nimmt sie ihre vorherige Stellung als erste Nachfolgeperson wieder ein. Sie hat also nicht an Rechten verloren, sondern ihre Rechtsposition gewahrt und zwischenzeitlich sogar erheblich an Rechten gewonnen – nämlich durch die Möglichkeit, für eine 295 Vgl. die schriftlichen Auskünfte des Deutschen Bundestages vom 31. Januar 2018, S. 2; des Bayerischen Landtages vom 5. Februar 2018, S. 2; des Abgeordnetenhauses von Berlin vom 31. Januar 2018, S. 2; des Landtages Brandenburg vom 7. August 2018, S. 1; der Bremischen Bürgerschaft vom 31. Januar 2018, S. 2; der Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg vom 21. Februar 2018, S. 2; des Hessischen Landtages vom 26. Januar 2018, S. 2; des Landtages von Mecklenburg-Vorpommern vom 19. Februar 2018, S. 2; des Niedersächsischen Landtages vom 1. Februar 2018, S. 2; des Landtages Nordrhein-Westfalen vom 24. Januar 2017 (gemeint ist vermutlich der 24. Januar 2018); des Landtages Rheinland-Pfalz vom 1. März 2018, S. 3; des Landtages des Saarlandes vom 5. Februar 2018; des Sächsischen Landtages vom 6. Februar 2018, S. 2; des Landtages von Sachsen-Anhalt vom 6. Februar 2018; des Schleswig-Holsteinischen Landtages vom 26. Januar 2018, S. 2 und des Thüringer Landtages vom 5. Februar 2018, S. 2; siehe Anlage.

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

325

gewisse Zeitspanne ein Mandat ausüben zu dürfen.296 Während der Zeit im Parlament genießt die Nachfolgeperson also ein Mehr an Rechten, das ihr als erste Ersatzperson auf der Nachrückliste nicht zugekommen wäre. Gegen eine solche Argumentation wird eingewandt, man könne die persönlichen Vor- und Nachteile der Nachfolgeperson nicht gegeneinander aufrechnen; Bezugspunkt für den Vergleich des verfassungsrechtlichen Status des Nachfolgemitgliedes sei nicht die Summe seiner persönlichen Vor- und Nachteile, „sondern seine objektiv-rechtliche Stellung als Teil eines Verfassungsorgans und Destinatär des Grundsatzes der Wahlgleichheit“. 297 Diese Auffassung verkennt jedoch, dass bei der oben vorgenommenen Abwägung nicht der oder die Nachfolgende als Privatperson im Fokus steht. Gegenstand der Betrachtung ist vielmehr zunächst die erste zur Nachfolge berufene Ersatzperson, die hier in ihrer Eigenschaft als erste Anwärterin oder erster Anwärter auf ein Nachfolgemandat betrachtet wird – nicht hingegen als Privatmensch. Darauffolgend wird der Status derselben Person als Mitglied der Volksvertretung und damit als Teil des Verfassungsorgans Parlament überprüft. Potentielle persönliche Befindlichkeiten sind dabei nicht Gegenstand der Untersuchung. Im Übrigen müssen sich die Vertreter der vorgenannten Kritik den Spiegel vorhalten lassen: Auch ihre eigene übrige Argumentation bezieht sich allein auf die als prekär298 empfundene Situation der Nachfolgeperson. Gerade in Bezug auf diese Person wird überprüft, ob sie durch einen drohenden Recall unter Druck gesetzt werden könnte, so dass durch die Einschränkung ihrer Mandatsfreiheit auch die Gleichheit ihres Abgeordnetenstatus in Frage gestellt werden könnte.299 Und gerade bezogen auf diese Person wird moniert, dass sie sich nicht wie die übrigen Abgeordneten in der Planung ihrer parlamentarischen und außerparlamentarischen Tätigkeiten auf ein bis zum Ende der Legislaturperiode andauerndes Mandat einstellen könne.300 Die rechtliche Stellung der Nachfolgeperson lässt sich zwangsläufig nur an den ihr Mandat prägenden Umständen überprüfen. Gleichwohl handelt es sich dabei um objektive Kriterien, die sich am Status der Anwartschaft auf ein Mandat bzw. am Abgeordnetenstatus orientieren und die auf alle Personen in einer vergleichbaren vorparlamentarischen oder parlamentarischen Situation zutreffen. Subjektive Kriterien werden dabei nicht herangezogen. Überdies stellt es eine unzulässige Verkürzung der Betrachtung dar, nur ein Teilstück einer Regelung herauszugreifen und als Minimierung der Rechtsstel296 297 298 299 300

Vgl. bzgl. der hessischen Regelung Steiger, Gutachten, S. 97. Dress, Ruhendes Mandat, S. 221. Morlok, in: Dreier, Art. 38, Rn. 23. Dress, Ruhendes Mandat, S. 220; Rosenau, in: ZParl 1988, 35, 41. Dress, Ruhendes Mandat, S. 220.

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3. Teil: Lösungsansätze

lung der Nachfolgeperson zu bezeichnen: Die Gesamtregelung bietet dem Nachfolgemitglied schließlich den entscheidenden Vorteil, gegebenenfalls schon lange vor dem – ungewissen – Zeitpunkt des Nachrückens in ein endgültig freiwerdendes Mandat in den Genuss der vollen parlamentarischen Rechte zu gelangen, ohne dadurch die Anwartschaft auf das Nachrücken in ein unbefristetes Mandat zu verlieren.301 Eine andere Bewertung ergibt sich auch dann nicht, wenn man als Bezugspunkt für eine eventuelle Ungleichbehandlung nicht die Nachfolgeabgeordneten, sondern alle übrigen Abgeordneten heranzieht. Denn die beiden Vergleichsgruppen unterscheiden sich insofern voneinander, als die übrigen Abgeordneten bereits unmittelbar mit der Wahl in das Parlament gewählt wurden oder aber zeitlich vor den Nachfolgepersonen unbefristet in das Parlament nachgerückt sind. Dies beruht darauf, dass sie entweder den Wahlkreis, in dem sie kandidiert haben, direkt gewonnen haben, oder dass es ihnen gelungen ist, auf der Landesliste auf einem Platz vor den nunmehrigen Nachfolgepersonen platziert zu werden. Sie waren demnach bezogen auf die Wahl erfolgreicher als die jetzt aufgrund der Mandatsruhe nachfolgenden Personen. Dies bewirkt, dass die übrigen Abgeordneten bezogen auf die Dauer des Mandats ohnehin gegenüber den Nachfolgenden bevorzugt werden: Ihr Mandat erstreckt sich grundsätzlich über die gesamte Dauer der Wahlperiode, während die Nachfolgepersonen erst dann in das Parlament einziehen, wenn dort ein Sitz frei wird. Diese zeitliche Befristung wird im deutschen Wahlrecht in Kauf genommen, um die Größe des jeweiligen Parlaments konstant zu halten. Wenn aber eine Befristung des Mandats nach vorne hin selbstverständlich zulässig ist, so erschließt sich jedenfalls nicht ohne Weiteres, warum dies nicht auch für eine Befristung des Mandats vom Ende her gelten soll. Auch hierdurch bleibt die Größe des Parlaments im Rahmen der Rückkehr des aus der Mandatsruhe zurückkehrenden Mitglieds konstant. (g) Ergebnis zum Gewicht der Ungleichbehandlung Insgesamt lässt sich feststellen, dass die befristet nachrückenden Abgeordneten gegenüber den übrigen Parlamentsmitgliedern im Ergebnis nur geringfügig benachteiligt sind. (2) Abwägung mit der Bedeutung des verfolgten Ziels Dieser Wirkung auf die Nachfolgeabgeordneten ist die Bedeutung des verfolgten Ziels gegenüberzustellen. Wie bereits festgestellt, soll den betreffenden Parlamentarierinnen mit der Schaffung der Mandatsruhe zum Zwecke des Mutterschutzes während bestimm301 Schriftsatz des Hessischen Ministerpräsidenten vom 16. Mai 1977 im Verfahren StGH Hessen, P.St. 783, S. 20, Bl. 269 d. A.

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

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ter vor- und nachgeburtlicher Schutzfristen ein Anspruch auf eine geregelte parlamentarische Auszeit gewährt werden. Diese Regelung soll die Gesundheit von (werdender) Mutter und un- bzw. neugeborenem Kind schützen und darüber hinaus auch verhindern, dass den betreffenden Frauen aus der schwangerschaftsbzw. geburtsbedingten parlamentarischen Absenz Nachteile in Bezug auf die weitere Mandatsausübung oder die (berufs-)politische Tätigkeit erwachsen.302 Mit der Einführung des zum Zwecke der Elternzeit ruhenden Mandats mit Nachfolge soll es Abgeordneten mit Kleinkindern ermöglicht werden, diese für einen gewissen Zeitraum selbst zu pflegen und zu erziehen, ohne vollständig aus dem Parlament auszuscheiden oder das Mandat so zu vernachlässigen, dass dadurch gravierende Nachteile für das weitere berufspolitische Leben entstehen.303 In beiden Fällen dient die Mandatsruhe freilich an erster Stelle dem Interesse der betroffenen Abgeordneten. Es darf jedoch nicht verkannt werden, dass darüber hinaus auch gesamtgesellschaftliche Aspekte, der Gesichtspunkt der Funktionsfähigkeit des Parlaments und der Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit zum Tragen kommen. Aufgrund der unterschiedlichen Zielsetzungen des Mutterschutzes und der Elternzeit für Abgeordnete besteht die Möglichkeit, dass sich das Gewicht des jeweiligen Zieles in Relation zur Schwere der Ungleichbehandlung der beiden Vergleichsgruppen von Abgeordneten jeweils verschieden darstellt. Es bietet sich daher an, die Verhältnismäßigkeitsprüfung zumindest im Umfang der Unterscheidung getrennt vorzunehmen. Im Anschluss daran sind dann die für beide Institute gemeinsam wirkenden Rechtsgüter mit der Ungleichbehandlung abzuwägen. (a) Bzgl. des Mutterschutzes: Art. 3 Abs. 1 und 2, Art. 6 Abs. 2 und 4 GG Hinsichtlich der Mandatsruhe zum Zwecke des Mutterschutzes ist die Ungleichbehandlung zunächst an Art. 3 Abs. 1 und 2 GG, Art. 6 Abs. 2 GG und Art. 6 Abs. 4 GG zu messen. Wie bereits festgestellt, gebieten sowohl der verfassungsrechtliche Mutterschutz des Art. 6 Abs. 4 GG als auch die verfassungsrechtliche Gleichberechtigungsverpflichtung des Art. 3 Abs. 2 GG und der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG dem Staat die Einführung fakultativer prä- und postnataler Mutterschutzregelungen für Abgeordnete. Darüber hinaus verpflichtet auch das durch Art. 6 Abs. 2 GG gewährte Elternrecht den Staat zur Schaffung vorgeburtlichen Mutterschutzes.304 Hieraus ergibt sich jedoch nicht zugleich die Verpflichtung der Gesetzgebung zur Umsetzung des Mutterschutzes für Abgeordnete durch eine bestimmte Re302 303 304

Vgl. oben im dritten Teil, zweites Kapitel, B. III. 3. b) aa) (1), S. 310. Vgl. oben im dritten Teil, zweites Kapitel, B. III. 3. b) aa) (2), S. 311. Vgl. oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, E., S. 216.

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3. Teil: Lösungsansätze

gelungsoption. Daher ist an dieser Stelle, bezogen auf die hier gegenständliche Regelungsoption der Mandatsruhe samt Nachfolge, die Ungleichbehandlung der befristet nachrückenden Abgeordneten gegenüber den übrigen Parlamentsmitgliedern mit den vorbezeichneten Grundrechten abzuwägen. Ausgeführt wurde, dass sich die Beeinträchtigung der grundsätzlich in ein befristetes Mandat nachrückenden Abgeordneten im Gesamtzusammenhang betrachtet als vergleichsweise gering darstellt.305 (aa) Art. 6 Abs. 4 GG Dem steht mit dem verfassungsrechtlich garantierten Mutterschutz aus Art. 6 Abs. 4 GG ein Grundrecht gegenüber, das es zum Schutz von Mutter und Kind gebietet, auch Parlamentarierinnen in der psychisch und physisch in besonderem Maße belastenden Lebensphase von fortgeschrittener Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett zu schützen. Insoweit wurde bereits im ersten und zweiten Teil dieser Ausarbeitung herausgestellt, dass weibliche Abgeordnete durch die biologischen Vorgänge dieser physischen Sondersituation ebenso stark belastet sind wie die übrigen, dem Schutzbereich des § 3 MuSchG unterfallenden, Frauen. Zudem wurde aufgezeigt, dass sich den Abgeordneten aufgrund der Vielzahl von an sie herangetragenen Anforderungen und politischen Erwägungen kaum eine Möglichkeit bietet, sich zum Wohle der eigenen Gesundheit wie auch zum Wohle der Gesundheit des un- bzw. neugeborenen Kindes zu schonen. Die in den Parlamenten und in deren politischem Umfeld in der Regel herrschenden Umstände und Gepflogenheiten gewähren den werdenden oder gerade gewordenen Müttern unter den Abgeordneten kaum Gelegenheit, den insoweit empfohlenen medizinischen Vorgaben zu genügen, ohne gravierende beruflich-politische Nachteile befürchten zu müssen.306 Diesen entweder beruflichen oder aber gesundheitlichen Nachteilen kann dadurch vorgebeugt werden, dass der schwangeren bzw. gerade Mutter gewordenen Abgeordneten die Möglichkeit einer Mandatsruhe gewährt wird, die zugleich mit der befristeten Mandatswahrnehmung einer Nachfolgeperson verbunden ist. Denn durch die kontinuierliche Besetzung des Mandates ist gewährleistet, dass das Parlament stets in der gleichen Zahlenstärke und stets in der gleichen Parteienkonstellation besetzt ist. Ersteres bewahrt die übrigen Abgeordneten davor, Vertretungen übernehmen zu müssen; Letzteres wahrt die durch die Wahl zum

305 Vgl. oben im dritten Teil, zweites Kapitel, B. III. 3. b) dd) (1) (g), S. 326 sowie die vorherigen Ausführungen. 306 Vgl. hierzu insgesamt oben im ersten Teil, fünftes Kapitel, B. I. 1. a), S. 129 ff. und im zweiten Teil, zweites Kapitel, A. IV. 1., S. 166 ff. sowie zur Frage der faktischpolitischen (Un-)Möglichkeit von Abgeordneten, ihr Mandat über die Grenze der Vernachlässigung hinaus einzuschränken BVerfGE 40, 296, 312.

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

329

Ausdruck gekommenen Stimmabstände der Fraktionen auch in Fällen knapper Regierungsmehrheiten. Der Druck auf die (werdende) Mutter, das Mandat trotz fortgeschrittener Schwangerschaft bzw. gerade überstandener Kindesgeburt mit hohem Einsatz fortzusetzen, dürfte dadurch entfallen. Damit würde auch dem aus Art. 6 Abs. 4 GG folgenden Gebot zur Einführung von Mutterschutzregelungen für Abgeordnete genüge getan. Das durch das Schutzversprechen des Art. 6 Abs. 4 GG gedeckte Interesse weiblicher Abgeordneter in der besonderen Lebenslage von fortgeschrittener Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett an der Vermeidung gesundheitlicher und berufspolitischer Nachteile überwiegt die vergleichsweise geringe Beeinträchtigung der in ein befristetes Mandat nachrückenden Abgeordneten daher deutlich. (bb) Art. 3 Abs. 2 GG Darüber hinaus wird das Überwiegen des Interesses an der nicht durch berufliche Nachteile belasteten Inanspruchnahme von Mutterschutzfristen auch durch das in Art. 3 Abs. 2 GG normierte Grundrecht auf Gleichberechtigung der Geschlechter gestützt. Auch dieses gebietet der Gesetzgebung die Einführung von Mutterschutzfristen für Parlamentarierinnen.307 Bereits im zweiten Teil dieser Arbeit wurde festgestellt, dass vom Fehlen eines Mutterschutzes für Abgeordnete negative Steuerungswirkungen hinsichtlich der berufspolitischen Entwicklungsmöglichkeiten für Frauen ausgehen.308 Wie insoweit ausgeführt, erscheint es angesichts der Perspektive, zur Vermeidung von beruflichen Nachteilen auch unmittelbar vor und nach der Geburt das Mandat voll ausüben zu müssen, nicht unwahrscheinlich, dass politisch engagierte junge Frauen bereits im Vorhinein von einer Kandidatur um ein Parlamentsmandat absehen und damit auf eine parlamentarische Karriere verzichten. Gleichzeitig ist es denkbar, dass Parlamentarierinnen im gebärfähigen Alter vor dem Hintergrund fehlenden Mutterschutzes auf Kinder verzichten.309 Beide Fälle können darüber hinaus auch eine negative Vorbildfunktion auf andere junge Frauen haben sowie einen negativen Eindruck der Parteien in Bezug auf die Verwendungsbreite junger politisch erfolgversprechender Frauen hervorrufen oder verstärken.310 Bereits

307

Vgl. oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, C. III., S. 205. Vgl. oben im ersten Teil, fünftes Kapitel, B. I. 1. c), S. 139 sowie im zweiten Teil, zweites Kapitel, C. I., S. 203 f.; zu einem vergleichbaren Ergebnis hinsichtlich des fehlenden Mutterschutzes für GmbH-Geschäftsführerinnen kommt Hepp, Mutterschutz, S. 191. 309 Vgl. hierzu sowie zum vorstehenden Satz oben im ersten Teil, fünftes Kapitel, B. I. 1. c), S. 139. 310 Vgl. oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, C. I., S. 203 f. 308

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3. Teil: Lösungsansätze

aus biologischen Gründen sind von dieser Problematik ausschließlich Frauen betroffen. Wie bereits konstatiert,311 resultiert aus Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG jedoch die staatliche Aufgabe, faktische Beeinträchtigungen, die in aller Regel Frauen betreffen, durch begünstigende Regelungen auszugleichen.312 Hieraus ergibt sich auch ein an den Staat gerichtetes Gebot, solche Nachteile zu beseitigen, die aus der Reproduktionsaufgabe der Frau in Verbindung mit deren Tätigkeit als Abgeordneter herrühren. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass das Austragen und die Geburt von Kindern nicht lediglich im Eigeninteresse der jeweiligen Frau und des jeweiligen Kindes liegen, sondern vielmehr einen unabdingbaren generativen Beitrag leisten und damit der Gesellschaft als Ganzer zugutekommen.313 Auch diese Aspekte wiegen deutlich schwerer als das Interesse der befristet nachgerückten Abgeordneten an einer Gleichbehandlung mit den übrigen Mitgliedern des Parlaments. (cc) Art. 3 Abs. 1 GG Ferner muss das Gleichbehandlungsinteresse der Abgeordneten mit befristeten Nachfolgemandaten sich auch am Gleichbehandlungsinteresse der schwangeren und jüngst Mutter gewordenen Parlamentarierinnen aus Art. 3 Abs. 1 GG, dem Fundamentalsatz der Gerechtigkeit,314 messen lassen. Der vergleichsweise geringfügigen Benachteiligung der Nachfolgeabgeordneten steht dabei eine schwere Ungleichbehandlung der nicht dem Mutterschutzgesetz unterfallenden Abgeordneten gegenüber. Wie oben dargelegt, ist die Ungleichbehandlung der weiblichen Abgeordneten gegenüber der weit überwiegenden Anzahl der Frauen eher personen- als sachbezogen; zudem kann das Unterscheidungskriterium – nämlich die Mitgliedschaft in einem Parlament – von den Betroffenen auch nur unter Preisgabe grundgesetzlich geschützter Werte wie der durch Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG gewährten Mandatsfreiheit beeinflusst werden. Darüber hinaus ähnelt die Differenzierung zwischen Abgeordneten und Nicht-Abgeordneten dem nach Art. 3 Abs. 3 GG verbotenen Kriterium der Unterscheidung nach der politischen Anschauung. Schließlich erschwert die Schlechterstellung der betreffenden Abgeordneten, die

311

Vgl. oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, C. I., S. 202. BVerfGE 85, 191, 207, Bericht der GVK vom 5. November 1993, BT-Drs. 12/ 6000, S. 50. 313 Vgl. oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, A., S. 162 f.; so im Ergebnis auch BVerfGE 88, 203, 258 f.; von Coelln, in: Sachs, Art. 6, Rn. 92; Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 6, Rn. 283. 314 Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 3, Rn. 1. 312

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

331

im Übrigen den besonderen grundrechtlichen Schutz des Art. 6 Abs. 4 GG genießen, auch deren Gebrauch grundrechtlich geschützter Freiheiten – insbesondere die Wahrnehmung des Familien- und des Elternrechts aus Art. 6 Abs. 1 bzw. Abs. 2 Satz 1 GG.315 Hinter dieser schwerwiegenden Beeinträchtigung der betreffenden weiblichen Abgeordneten in der besonderen Lebenslage der Schwangerschaft und des Wochenbettes, die darüber hinaus gemäß Art. 6 Abs. 4 GG unter dem besonderen Schutz der Gemeinschaft stehen, muss das eher geringfügig eingeschränkte Gleichbehandlungsinteresse der befristet berufenen Nachfolgeabgeordneten zurückstehen. (dd) Art. 6 Abs. 2 GG Schließlich fällt zugunsten der Einführung einer zumindest vorgeburtlichen Mandatsruhe mit Nachfolge auch der durch Art. 6 Abs. 2 GG gewährte und durch beide Elternteile zu beanspruchende Schutz des ungeborenen Kindes in die Waagschale. Wie bereits dargelegt, liegt es nicht nur im Interesse der schwangeren Parlamentarierin, sondern auch im Interesse des werdenden Vaters, das ungeborene Kind vor schädlichen Einflüssen durch eine übermäßige Beanspruchung der werdenden Mutter zu schützen.316 Hieraus resultiert die staatliche Verpflichtung, die schwangere Abgeordnete als Austragende des ungeborenen Kindes in einem Parlament mit knappen Mehrheitsverhältnissen vor einer Entscheidung zu schützen, durch die sie entweder ihre eigene Gesundheit und die ihres ungeborenen Kindes oder aber ihr weiteres beruflich-politisches Fortkommen gefährden muss. Gegenüber den der Abgeordneten und ihrem Kind gegebenenfalls drohenden jahrzehntelangen Nachteilen rückt das Interesse der befristet nachgerückten Abgeordneten an einer Gleichbehandlung mit den übrigen Mitgliedern des Parlaments in den Hintergrund. (ee) Zwischenergebnis zur Abwägung mit dem Ziel des Mutterschutzes Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sowohl der verfassungsrechtliche Mutterschutz des Art. 6 Abs. 4 GG als auch die verfassungsrechtliche Gleichberechtigungsverpflichtung des Art. 3 Abs. 2 GG, der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG und das durch Art. 6 Abs. 2 GG gewährte Elternrecht der mutterschutzwilligen Abgeordneten – bereits für sich betrachtet und erst recht im Zusammenwirken – das vergleichsweise geringfügige Gleichbehandlungsinteresse der befristet berufenen Abgeordneten bei Weitem überwiegen. 315 316

Vgl. hierzu insgesamt oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, D., S. 205 ff. Vgl. oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, B. I., S. 197 ff.

332

3. Teil: Lösungsansätze

(b) Bzgl. der Elternzeit: Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG sowie Art. 3 Abs. 1 GG (aa) Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG Hinsichtlich der Einführung einer mit einer Nachfolgeregelung verknüpften Mandatsruhe zum Zwecke der Elternzeit ist die Ungleichbehandlung zunächst im Lichte des durch Art. 6 Abs. 1 GG grundrechtlich gesicherten Schutzes der Familie und des durch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG grundrechtlich geschützten Elternrechtes zu betrachten. Wie im ersten und zweiten Teil dieser Untersuchung dargestellt,317 drohen einem Parlamentsmitglied, das das eigene Kind für eine gewisse Zeit überwiegend ohne Zuhilfenahme Dritter selbst betreuen will, ohne eine klar geregelte Elternzeit schwerwiegende berufspolitische Nachteile: Entweder verzichtet es auf seinen Sitz im Parlament, begibt sich damit der wirtschaftlichen Existenzgrundlage und schmälert unter Umständen auch die Chance, bei der nächsten Wahl erneut aufgestellt zu werden. Oder es vernachlässigt das Mandat, indem es dem Parlamentsbetrieb fernbleibt und auch die sonstige politische Arbeit größtenteils oder vollständig unterlässt. Auch hierdurch riskiert es den Unmut von Partei, Parlament, Presse und Öffentlichkeit und schmälert damit die Chance einer Wiederwahl oder bereits die Chance einer erneuten Aufstellung. Beide Varianten bergen das Risiko des Endes der politischen Karriere – und damit auch des Endes eines bestimmten individuellen beruflichen Lebensentwurfes. Es wurde jedoch bereits dargelegt, dass sich aus der Schutzpflicht des Art. 6 Abs. 1 GG unter anderem auch die Aufgabe des Staates ergibt, die Kinderbetreuung in der von den Eltern gewählten Form tatsächlich zu ermöglichen und dafür Sorge zu tragen, dass die Wahrnehmung der Kindererziehungsaufgabe nicht zu beruflichen Benachteiligungen führt.318 Das Familienrecht des Art. 6 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG gebietet der Gesetzgebung daher die Einführung von Elternzeitregelungen für Abgeordnete.319 Der Wert der Einführung einer Elternzeit für Abgeordnete wiegt dabei umso schwerer, als die Elternzeit nicht allein die entsprechenden Abgeordneten betrifft, die durch dieses Institut die Möglichkeit haben, eigenverantwortlich über die interfamiliär ausgeübte Lebensform zu entscheiden. Sie betrifft darüber hinaus auch die zu betreuenden Kinder, die ein Interesse daran haben können, durch einen leiblichen Elternteil betreut und erzogen zu werden. Und schließlich betrifft sie auch die Gesamtgesellschaft: Art. 6 Abs. 2 GG verpflichtet die Eltern, 317 Vgl. oben im ersten Teil, fünftes Kapitel, B. I. 1. b) bb), S. 134 ff. und 2. a), S. 141 sowie im zweiten Teil, drittes Kapitel, A. II., S. 219 ff. 318 BVerfGE 88, 203, 260; 99, 216, 234; vgl. oben im zweiten Teil, drittes Kapitel, A. II., S. 221. 319 Vgl. oben im zweiten Teil, drittes Kapitel, C., S. 239.

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

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ihre Kinder zu einem verantwortlichen Leben in dieser Gesellschaft zu befähigen.320 Daher nehmen Mütter und Väter mit der Erziehung ihrer Kinder Aufgaben wahr, die auch im Interesse der Gemeinschaft als Ganzer liegen.321 Unterstützt wird dies durch den Umstand, dass die Gesetzgebung auch bei der Einführung der – auf Abgeordnete nach aktueller Gesetzeslage nicht anwendbaren – allgemeinen Elternzeit und des Elterngeldes gesamtgesellschaftliche Interessen, und hierbei insbesondere die demographische Entwicklung, im Blick hatte.322 Die in Deutschland vergleichsweise niedrige Geburtenrate323 führt zu einer Überalterung der Gesellschaft, die nicht nur deren Lebendigkeit und Vielfalt schadet. Vielmehr sind Kinder – als spätere Erwachsene und entsprechend ausgebildete Erwerbstätige – der maßgebliche Faktor zur Sicherung der umlagefinanzierten Sozialversicherungssysteme324 und zur Behebung des herrschenden Fachkräftemangels. Nach internationalen Erfahrungen fördert die Vereinbarkeit von Familie und Beruf die Entscheidung für Kinder.325 Dementsprechend zielte auch die Einführung der allgemeinen Elternzeit vor dem Hintergrund der niedrigen Geburtenrate darauf ab, „Lebensentwürfe mit Kindern“ zu verwirklichen.326 Diese durch Art. 6 Abs. 1 und 2 GG gestützte Notwendigkeit der Gesellschaft, sich durch die Geburt von Kindern zu reproduzieren und so den eigenen Bestand zu sichern, differenziert aber ebenfalls nicht zwischen Kindern bestimmter Eltern. Sie umfasst Parlamentsmitglieder daher in demselben Umfang wie alle übrigen potentiellen Eltern. Des Weiteren kann von der Einführung einer Elternzeit für Abgeordnete auch eine Vorbildfunktion ausgehen. Insbesondere stärkt es die Glaubwürdigkeit der von vielen politischen Richtungen geforderten familienfreundlichen Politik und der Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, wenn diejenigen, die darüber entscheiden – also die Abgeordneten – dies selbst vorleben. Auch aus diesem Grund wäre es förderlich, ihnen die Möglichkeit zu eröffnen, zugunsten 320

BVerfGE 99, 216, 231. BVerfGE 88, 203, 260; Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD, Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des Elterngeldes, BT-Drs. 16/1889, S. 14; ähnlich Brosius-Gersdorf, in: Dreier, Art. 6, Rn. 129. 322 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD, Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des Elterngeldes, BT-Drs. 16/1889, S. 1 und 14 f. 323 Zum Zeitpunkt der Einführung des BEEG im Jahr 2006 hatte Deutschland mit 1,36 Kindern pro Frau eine der niedrigsten Geburtenraten der Welt, Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD, Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des Elterngeldes, BT-Drs. 16/1889, S. 1 und 15. 324 BVerfGE 103, 242, 262 f.; Badura, in: Maunz/Dürig, Art. 6, Rn. 81. 325 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD, Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des Elterngeldes, BT-Drs. 16/1889, S. 15. 326 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD, Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des Elterngeldes, BT-Drs. 16/1889, S. 15. 321

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3. Teil: Lösungsansätze

ihrer Kinder eine Zeitlang vollständig aus der aktiven Politik auszusteigen und danach wieder in das Mandat zurückzukehren – ähnlich wie es im Rahmen der allgemeinen Elternzeit für alle dem BEEG unterfallenden Personen in Bezug auf den zuvor ausgeübten Beruf der Fall ist. Angesichts des hohen Stellenwertes, den der Schutz der Familie und das Elternrecht im grundgesetzlichen Gefüge einnehmen sowie angesichts der staatlichen Verpflichtung zur Schaffung der entsprechenden Rahmenbedingungen327 und der gesamtgesellschaftlichen Bedeutung der Entscheidung für Kinder wiegen die Vorteile des zum Zwecke der Elternzeit ruhenden Mandates mit Nachfolge schwerer als der Einschnitt, den die entsprechend Nachrückenden durch die Befristung ihrer Mandate erfahren. Dies gilt umso mehr, als gerade die mit der befristeten Mandatswahrnehmung einer Nachfolgeperson verbundene Option der Mandatsruhe für eine Vielzahl von Abgeordneten überhaupt erst die Möglichkeit eröffnen würde, eine mehrmonatige Parlamentsauszeit zum Zwecke der Kinderbetreuung in Anspruch zu nehmen. Denn die Nachfolgeregelung gewährleistet die Konstanz der Parlamentszusammensetzung hinsichtlich der Verteilung der Mandate auf die Wahlvorschläge, so dass die Mehrheitsverhältnisse stets gewahrt bleiben und zudem kein oder kaum Vertretungsbedarf entsteht. Dies dürfte die Akzeptanz der Inanspruchnahme von Elternzeit im politischen Umfeld des betreffenden Parlamentsmitgliedes entscheidend erhöhen – und im Umkehrschluss den Druck, trotz erst kürzlich erfolgter Kindesgeburt auf die eigene Kinderbetreuung zu verzichten, vermindern. (bb) Art. 3 Abs. 1 GG Darüber hinaus ist die Ungleichbehandlung der befristet berufenen Nachfolgeabgeordneten auch an dem Gleichbehandlungsinteresse der elternzeitwilligen Abgeordneten aus dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu messen. Wie bereits eingehend erörtert, werden Abgeordnete durch die bisherige Nichtexistenz von Elternzeitregelungen (mit Ausnahme des Landtages von Baden-Württemberg) in verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigter Art und Weise schlechter gestellt als die dem BEEG unterfallende große Mehrheit der berufstätigen Eltern in Deutschland. Auch aus Art. 3 Abs. 1 GG ergibt sich daher das an den Staat gerichtete Gebot der Schaffung einer Elternzeit für Parlamentsmitglieder.328 Diese Ungleichbehandlung, durch die Abgeordneten die Möglichkeit der eigenen Kinderbetreuung ohne die Inkaufnahme (berufs-)politischer Nachteile weitgehend verwehrt wird, wiegt schwerer als das vergleichsweise geringe Gleichbe327 Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD, Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des Elterngeldes, BT-Drs. 16/1889, S. 14. 328 Vgl. oben im zweiten Teil, drittes Kapitel, B. III., S. 239.

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

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handlungsinteresse der Nachfolgeabgeordneten hinsichtlich der zeitlichen Begrenzung der Mandatszeit auf die Dauer der Wahlperiode. Darüber hinaus ist die Einführung einer Elternzeit für Abgeordnete nicht nur grundrechtlich geboten; vielmehr muss eine solche auch faktisch in Anspruch genommen werden können, ohne dass die betreffenden Abgeordneten beruflichpolitische Nachteile zu befürchten haben. Wie bereits dargestellt, droht ein exoder intrinsischer Druck, das Mandat auch in der besonderen Lebenssituation kurz nach der Geburt des eigenen Kindes unvermindert wahrzunehmen, insbesondere dann, wenn die Anwesenheit des betreffenden Mitgliedes zur Aufrechterhaltung der Mehrheit benötigt wird.329 Diesem Erfordernis kann jedoch wirksam durch die befristete Berufung eines Nachfolgemitgliedes begegnet werden. Die geringfügige Beeinträchtigung des Nachfolgemitgliedes – das im Übrigen zugleich die Option, in ein unbefristetes Mandat nachzurücken, behält – ist daher dem Interesse der Abgeordneten mit Kleinkindern, zumindest in geringem Umfang mit der überwiegenden Mehrheit der berufstätigen Eltern in Deutschland gleichgestellt zu werden und immerhin eine Elternzeit von bis zu sechs Monaten zugebilligt zu bekommen, unterzuordnen. (cc) Zwischenergebnis zur Abwägung mit dem Ziel der Elternzeit In der Zusammenschau mit den oben ausgeführten Erwägungen zur Bedeutung des durch Art. 6 Abs. 1 GG grundrechtlich gesicherten Schutzes der Familie und des durch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG grundrechtlich geschützten Elternrechtes ist festzustellen, dass die Vorteile des zum Zwecke der Elternzeit ruhenden Mandates mit Nachfolge die Ungleichbehandlung der beiden Abgeordnetengruppen überwiegen. (c) Bzgl. Mutterschutz und Elternzeit Darüber hinaus wird die Bedeutung des verfolgten Ziels auch durch diejenigen Werte verstärkt, die sowohl für eine Mandatsruhe mit Nachfolge zum Zwecke des Mutterschutzes als auch für eine Mandatsruhe mit Nachfolge zum Zwecke der Elternzeit gelten. (aa) Funktionsfähigkeit des Parlaments In diesem Zusammenhang ist dem Erfordernis der Funktionsfähigkeit des Parlaments eine hohe Bedeutung zugunsten der Einführung einer kindesbezogenen Mandatsruhe mit Nachfolge beizumessen. Insbesondere gilt dies für die Fälle, in denen das eigentlich mutterschutz- oder elternzeitwillige Mitglied nicht auf sein Mandat verzichtet, sondern es für eine 329

Vgl. z. B. oben im ersten Teil, fünftes Kapitel, B. I. 1. b) bb) (3), S. 136.

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3. Teil: Lösungsansätze

gewisse Zeit zum Zwecke der Kinderbetreuung vernachlässigt: Wenn sich ein Parlamentsmitglied in der besonderen Lage vorfindet, sein eigenes Neugeborenes oder Kleinkind zu betreuen und dadurch seine Abgeordnetentätigkeit über die Grenze der Vernachlässigung hinaus einschränkt, so fehlt dem Parlament dadurch die Arbeitskraft eines seiner Mitglieder. Dies mag bei einem mehrere hundert Mitglieder umfassenden Parlament kaum ins Gewicht fallen. Zu bedenken ist jedoch die geringere Größe einiger Länderparlamente, zu bedenken ist zudem die Möglichkeit, dass möglicherweise mehrere Abgeordnete gleichzeitig in die Parlamentsruhe eintreten möchten, und zu bedenken ist schließlich auch der Umstand, dass einige Abgeordnete aufgrund besonderer Funktionen330 und der damit einhergehenden weiteren Verpflichtungen ohnehin nur sehr eingeschränkt am alltäglichen Parlamentsgeschehen teilnehmen.331 In diesen Fällen kann der Ausfall von Abgeordneten die Arbeitsfähigkeit des Parlaments durchaus berühren. Wenngleich die aktuelle Struktur der deutschen Parlamente derzeit nicht erwarten lässt, dass eine solche Vielzahl an Abgeordneten gleichzeitig die Mandatsruhe zum Zwecke der Elternzeit anstreben würde, dass die Beschlussfähigkeit des Plenums gefährdet wäre,332 so kann sich die Mandatsruhe mehrerer Abgeordneter durchaus negativ auf die Arbeitsfähigkeit insbesondere kleinerer Fraktionen auswirken. Damit die durch den Wählerwillen zum Ausdruck gekommenen Mehrheitsverhältnisse auch in den Ausschüssen gewahrt bleiben, werden abwesende Abgeordnete in der Regel durch andere Abgeordnete ihrer Fraktion im Ausschuss vertreten. Diese Arbeit leisten die Vertretenden jedoch zusätzlich zu ihren eigenen Sitzungsterminen, ihrer Arbeit im Parlament, in der Fraktion, in der Partei und im Wahlkreis. Wenn nun viele Abgeordnete über einen gewissen Zeitraum eine solche Mehrfachbelastung erfahren, kann es dazu kommen, dass die zusätzlich zu den feststehenden Terminen zu leistende freiwillige individuelle Arbeit der Abgeordneten erheblich leidet. Denn abgesehen von der Wahlkreisarbeit besteht die vorparlamentarische Arbeit der Abgeordneten größtenteils in der Erarbeitung von und Mitwirkung an inhaltlichen politischen Initiativen. Auf unterschiedlichste Weise nehmen Politikerinnen und Politiker neue, innovative politische Themen auf. Diese gilt es zu prüfen, gegebenenfalls zu verwerfen und neue zu suchen, um sie dann mit anderen zu diskutieren. Wenn Themen vielversprechend erscheinen, werden hieraus Anträge, Anfragen, Gesetzesinitiativen und

330 Dies betrifft unter anderem Regierungsmitglieder, Parlamentspräsidentinnen und -präsidenten, Fraktionsvorsitzende und Parlamentarische Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer. 331 Bzgl. der Unüblichkeit der Teilnahme von Regierungsmitgliedern an Ausschusssitzungen: Schriftsatz des Hessischen Ministerpräsidenten vom 16. Mai 1977 im Verfahren StGH Hessen, P.St. 783, S. 15, Bl. 269 ff. d. A. 332 Vgl. zur Unterrepräsentanz jüngerer Frauen in den deutschen Parlamenten oben im ersten Teil, fünftes Kapitel, B. II. 1., S. 144 f.

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

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dergleichen erarbeitet. Diese werden wiederum mit Arbeitskreisen, der eigenen Fraktion, einem etwaigen Koalitionspartner und eventuell auch mit Ministerien abgestimmt und schließlich nach gegebenenfalls mehreren Runden der Diskussion und der Rückkopplung mit den beteiligten Fraktionen in das Parlament eingebracht. Gerade diese mitunter zeit-, nerven- und kräftezehrende Arbeit gehört zum Kern der Demokratie: Das Parlament ist nicht nur berufen, über Gesetzesentwürfe der Regierung abzustimmen – vielmehr sieht das in Art. 76 Abs. 1 GG normierte Initiativrecht des Bundestages vor, dass Vorschläge und Initiativen auch von den Volksvertreterinnen und Volksvertretern selbst in das Parlament eingebracht werden. Die Berufung von Nachrückpersonen in ruhende Mandate gewährleistet gerade im Fall mehrerer zeitgleich ruhender Mandate die Aufrechterhaltung einer solchen inhaltlich lebendigen Parlamentsarbeit. Sie stärkt damit auch die Effektivität der Arbeit der Volksvertretung333 und gewährleistet die Funktionsfähigkeit des Parlaments. Dies trägt zusätzlich zu dem die Ungleichbehandlung übersteigenden Wert der hier in Aussicht genommenen Mandatsruhe mit Nachfolge bei. (bb) Wahrung des Wählerwillens Schließlich wird das Gewicht des durch die hier gegenständliche Regelung verfolgten Zieles auch durch den Aspekt der Wahrung des Wählerwillens, der letztlich in den Grundsätzen der Unmittelbarkeit und der Gleichheit der Wahl aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG fußt, noch erhöht. Zwar wurde aus gutem Grund konstatiert, dass der durch Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Einfluss der Wählenden auf die Zusammensetzung des Parlaments mit dem Abschluss des Wahlvorganges endet.334 Ein Mandatsverzicht, ein Eintritt in die Mandatsruhe oder eine schlichte Nichtwahrnehmung des Mandats sind von der Mandatsfreiheit gedeckt und unterliegen daher nicht mehr der durch die Wahlrechtsgleichheit gesicherten Bestimmung der Parlamentszusammensetzung durch das Wahlvolk.335 Gleichwohl ist festzustellen, dass in Fällen der nicht durch eine befristete Nachfolge flankierten Mandatsruhe oder der schlichten Nichtwahrnehmung eines Mandats zumindest die Möglichkeit besteht, dass sich die politischen Verhältnisse im Parlament grundlegend von denen unterscheiden, die im Wahlergebnis ihren Niederschlag gefunden haben. Im Falle knapper Mehrheitsverhältnisse bis

333 Schriftsatz des Hessischen Ministerpräsidenten vom 16. Mai 1977 im Verfahren StGH Hessen, P.St. 783, S. 21, Bl. 271 d. A. 334 Vgl. oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, A. IV. 1. a), S. 175. 335 Vgl. oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, A. IV. 1. a), S. 175 sowie im dritten Teil, zweites Kapitel, B. II. 2., S. 289.

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3. Teil: Lösungsansätze

hin zu einer Einstimmenmehrheit 336 kann die reine Nichtwahrnehmung oder das reine Ruhenlassen eines Mandats ohne Nachrückperson zu einer Änderung der Mehrheit im Plenum und damit zu einem Sturz der Regierung führen. Zwar lassen die meisten Wahlergebnisse mehrere unterschiedliche Regierungskonstellationen zu; gleichwohl sind die politischen Fronten oftmals so verhärtet, dass eine Verschiebung der Mehrheitsverhältnisse einen Regierungswechsel auslöst. Angesichts der unterschiedlichen politischen Ausrichtungen der Parteien können dann auch die das gesamte Volk betreffenden Parlamentsentscheidungen in eine andere politische Richtung gehen als dies von der Mehrheit des Wahlvolkes durch die Wahl zum Ausdruck gekommen war. Vor dem Hintergrund der Bindung der überwiegenden Mehrheit der Abgeordneten an eine Partei337 ist zwar davon auszugehen, dass kaum ein Parlamentsmitglied den Sturz der von ihm getragenen Regierung riskieren wird. In Parlamenten mit knappen Mehrheiten kann daher davon ausgegangen werden, dass ein Mitglied einer Regierungsfraktion weder eine Mandatsruhe ohne Nachfolge in Anspruch nehmen noch sein Mandat schlichtweg nicht wahrnehmen wird. Nichtsdestotrotz ist es zumindest nicht auszuschließen, dass einzelne Abgeordnete die ungestörte Schwangerschaft und Geburt oder die eigene Kinderbetreuung für so wichtig erachten, dass sie sowohl eine Änderung der Mehrheitsverhältnisse als auch das Ausbleiben einer erneuten Nominierung für die nächste Wahl in Kauf nehmen. In diesem Fall kann sich die Parlamentsmehrheit, wie oben beschrieben, so ändern, dass sie nicht mehr dem ursprünglichen Wahlergebnis entspricht. Eine solche Änderung der fraktionsmäßigen Parlamentszusammensetzung wird durch die befristete Nachfolge – bei der die erste Ersatzperson desselben Wahlvorschlages nachrückt, durch den auch das Ursprungsmitglied nominiert worden war – verhindert. Zwar bietet auch diese Variante keine Garantie für den Bestand einer Regierungskoalition bis zum Ende der Wahlperiode. Gleichwohl wird hierdurch ausgeschlossen, dass es bereits durch die kindesbedingte Nichtwahrnehmung eines oder mehrerer Mandate zu einer Änderung der durch die Wahl zum Ausdruck gekommenen Mehrheitsverhältnisse kommt. Auch der Aspekt der Wahrung des Wählerwillens verstärkt damit das Gewicht des durch die Mandatsruhe zum Zwecke des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit mit befristeter Nachfolge verfolgten Ziels.

336

So etwa im Niedersächsischen Landtag der 17. Wahlperiode von 2013–2017. Auch wenn nach dem Wahlrecht die Möglichkeit besteht, als Einzelbewerber in ein Parlament gewählt zu werden, so sind in der bundesdeutschen Parlamentsrealität alle Abgeordneten parteilich gebunden und über die Wahlvorschläge ihrer jeweiligen Partei in das Parlament gewählt worden. Vgl. für die Wahl zum Deutschen Bundestag: § 19 Abs. 3 BWahlG, § 34 Abs. 1, 3 und 4 BWO. 337

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

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c) Gesamtschau und Ergebnis zur Vereinbarkeit mit der Gleichheit des Mandats In der Gesamtschau ist der verfassungsrechtliche Wert des zum Zwecke des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit ruhenden Mandates mit Nachfolge höher zu bewerten als die Benachteiligung, die die betreffenden Nachfolgeabgeordneten durch die Befristung ihrer Mandate erfahren. Dabei ist erneut zu berücksichtigen, dass die zuvorderst auf der Nachrückliste stehenden Personen nach derzeit geltendem Recht allenfalls eine verschwindend geringe Chance haben, aus Gründen der Kinderbetreuung eines anderen Parlamentsmitgliedes überhaupt in das Parlament nachzurücken – während ein befristetes Nachrücken nach der hier vorgeschlagenen Regelung durchaus wahrscheinlich wäre. Denn derzeit wäre, um einen Nachfolgefall auszulösen, der endgültige Verzicht eines Parlamentsmitgliedes auf das Mandat erforderlich. Ein solcher endgültiger Mandatsverzicht aus Gründen einer Schwangerschaft oder zur Inanspruchnahme einer Art Elternzeit ist den Verwaltungen der deutschen Parlamente jedoch bislang nicht bekannt.338 Für die erste Ersatzperson der Nachrückliste ist es de lege lata also extrem unwahrscheinlich, in ein aus solchen Gründen freiwerdendes Mandat unbefristet nachzurücken. Im Gegensatz dazu ist durchaus davon auszugehen, dass Abgeordnete bei Bestehen einer entsprechenden Rückkehroption die Möglichkeit einer Mandatsruhe kurz vor bzw. nach der Geburt ihres Kindes in Anspruch nehmen würden. Die Nachfolgeperson wird daher durch die Option des befristeten Nachrückens zwar schlechter gestellt als andere Abgeordnete. Ein Vergleich ihrer eigenen Position zeigt jedoch, dass sie durch das befristete Nachrücken sogar besser steht als zuvor: Denn für sie stellt das befristete Mandat mit allen parlamentarischen Rechten einen großen Vorteil gegenüber dem Verbleib an der Spitze der Nachfolgeliste dar.339

338 Vgl. die schriftlichen Auskünfte des Deutschen Bundestages vom 31. Januar 2018, S. 2; des Bayerischen Landtages vom 5. Februar 2018, S. 2; des Abgeordnetenhauses von Berlin vom 31. Januar 2018, S. 2; des Landtages Brandenburg vom 7. August 2018, S. 1; der Bremischen Bürgerschaft vom 31. Januar 2018, S. 2; der Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg vom 21. Februar 2018, S. 2; des Hessischen Landtages vom 26. Januar 2018, S. 2; des Landtages von Mecklenburg-Vorpommern vom 19. Februar 2018, S. 2; des Niedersächsischen Landtages vom 1. Februar 2018, S. 2; des Landtages Nordrhein-Westfalen vom 24. Januar 2017 (gemeint ist vermutlich der 24. Januar 2018); des Landtages Rheinland-Pfalz vom 1. März 2018, S. 3; des Landtages des Saarlandes vom 5. Februar 2018; des Sächsischen Landtages vom 6. Februar 2018, S. 2; des Landtages von Sachsen-Anhalt vom 6. Februar 2018; des Schleswig-Holsteinischen Landtages vom 26. Januar 2018, S. 2 und des Thüringer Landtages vom 5. Februar 2018, S. 2, siehe Anlage. 339 Schriftsatz des Hessischen Ministerpräsidenten vom 16. Mai 1977 im Verfahren StGH Hessen, P.St. 783, S. 17, Bl. 267 d. A.

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3. Teil: Lösungsansätze

Die in der Gesamtschau nur geringe Benachteiligung der befristet nachgerückten Ersatzabgeordneten wird durch die den Zweck der hier gegenständlichen Regelungsoption stützenden verfassungsrechtlichen Werte bei Weitem überwogen. Die Befristung der Nachfolgemandate ist mithin angemessen und damit insgesamt verhältnismäßig. Die Ungleichbehandlung ist also verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Im Ergebnis steht das befristete Nachfolgemandat im Einklang mit dem Grundsatz der Gleichheit des Mandats. 4. Grundsatz der Freiheit des Mandats

Auch am Grundsatz des freien Mandats muss sich das befristete Mandat der nachrückenden Abgeordneten messen lassen. Wie oben festgestellt, dient die in Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG verankerte Freiheit des Mandats dazu, die Abgeordneten vor jeglicher Art der Einflussnahme zu schützen.340 a) Entscheidung zur Annahme des befristeten Mandates In der aufgrund der Mandatsruhe ausgelösten Nachrücksituation könnte bereits die Entscheidung, ein befristetes Mandat anzunehmen, die betreffende Person vor Schwierigkeiten stellen.341 Denn angesichts der ohnehin vorzunehmenden Abwägung zwischen den Vorteilen eines Parlamentssitzes mit den Nachteilen, die gegebenenfalls durch das zeitweise Ausscheiden aus dem Herkunftsberuf drohen können, ist die begrenzte Dauer des Nachfolgemandates ein wichtiger Faktor. Während einer relativ kurzen Zeitspanne, die – je nach Beginn des Mandates – nicht unbedingt bis zum Ende der Legislaturperiode dauert, hat die Nachfolgeperson weniger Möglichkeiten, eigene politische Ideen umzusetzen. Gleichzeitig hat sie auch weniger Zeit zur Verfügung, um sich und das eigene Können im Parlament und im Wahlkreis unter Beweis zu stellen und sich so für eine erneute Kandidatur auf einem aussichtsreicheren Listenplatz oder in einem aussichtsreicheren Wahlkreis zu empfehlen. Es ist daher fraglich, ob die kurze Parlamentszugehörigkeit die eventuellen beruflichen Nachteile aufwiegt. Andererseits führt eine nur kurze berufliche Unterbrechung möglicherweise auch zu geringeren beruflichen Schwierigkeiten als eine solche, die über mehrere Jahre andauert. Dieser Aspekt könnte die Entscheidung zugunsten der Annahme eines befristeten Mandats also sogar erleichtern. Im Übrigen kann sich die Mandatszeit verlängern: Nämlich dann, wenn ein weiteres Parlamentsmitglied in die Mandatsruhe eintritt oder sogar endgültig auf 340 341

Vgl. dazu Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 38, Rn. 47 ff. Ähnlich StGH Hessen, P.St. 783, Rn. 105.

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

341

sein Mandat verzichtet. In letzterem Fall wird aus der befristeten Nachfolge eine unbefristete. Letztlich sind die etwaigen Entscheidungsschwierigkeiten der berufenen Nachfolgeperson jedoch im Hinblick auf die durch Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG geschützte Mandatsfreiheit ohne Belang – denn diese sind dem Mandat zeitlich vorgelagert. Die Freiheit des Mandats schützt jedoch nicht den Erwerb des Mandats, sondern nur seine Ausübung; es handelt sich hierbei um ein reines Institut des Parlamentsrechts.342 Dementsprechend ist die Mandatsfreiheit jedenfalls zum Zeitpunkt der Entscheidung, die Nachfolge in ein ruhendes Mandat anzunehmen oder abzulehnen, nicht berührt. b) Keine jederzeitige Abberufbarkeit Anders als bei der Nachfolge in ein ruhendes Mandat von Regierungsmitgliedern stellt sich im Rahmen der hier gegenständlichen Mutterschutz- bzw. Elternzeitregelung nicht das Problem der jederzeitigen Abberufbarkeit der Nachfolgeperson.343 Nach dem oben unterbreiteten Vorschlag soll die Mandatsruhe zum Zwecke des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit so ausgestaltet werden, dass das betreffende Parlamentsmitglied den Zeitpunkt und die Dauer des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit zuvor verbindlich mitteilen muss. Zudem ist die Gesamtdauer des Mutterschutzes an die Schutzfristen des § 3 Abs. 1 und 2 MuSchG angelehnt; die Höchstdauer der Elternzeit ist auf sechs Monate begrenzt. Durch die vorherige Mitteilung des Ursprungsmitgliedes ist auch dem Nachfolgemitglied bereits vor Antritt des Nachfolgemandates dessen Mindestdauer bekannt: Diese stimmt genau mit der Dauer der Mandatsruhe überein. Verlängern kann sie sich indes durch die Mandatsruhe oder den Mandatsverzicht weiterer Abgeordneter. Anders als die sogenannten Ministerabgeordneten hat ein Parlamentsmitglied, dessen Mandat zum Zwecke des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit ruht, aufgrund der Vorfestlegung der Dauer der Mandatsruhe auch nicht die Möglichkeit, jederzeit nach eigenem Gutdünken aus der Mandatsruhe zurückzukehren. Eine Rückkehr erfolgt vielmehr erst zu dem durch das Mitglied zuvor selbst und bindend festgelegten Zeitpunkt. Dementsprechend hat das Ursprungsmitglied es

342 BVerfGE 7, 63, 73; Dress, Ruhendes Mandat, S. 153 f.; Lohmeier, in: DVBl. 1977, 405, 408. 343 Zur Nachfolge infolge der Mandatsruhe sogenannter Ministerabgeordneter vgl. StGH Hessen, P.St. 783., Rn. 90; Rosenau, in: ZParl 1988, 35, 41; Redebeitrag des Abg. Haberer, LT Rheinland-Pfalz, Stenographischer Bericht 8. WP, 44. Sitzung, S. 2088; Redebeitrag des Abg. Rund, LT Rheinland-Pfalz, Stenographischer Bericht 8. WP, 53. Sitzung, S. 2595; Redebeitrag des Abg. Dr. Schmitt, LT Rheinland-Pfalz, Stenographischer Bericht 8. WP, 53. Sitzung, S. 2597.

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3. Teil: Lösungsansätze

auch nicht in der Hand, das Nachfolgemitglied jederzeit durch einen nachgelagerten eigenen Entschluss aus dem Parlament ausscheiden zu lassen. Dadurch ist auch die potentielle Einflussnahme der Fraktion, der Partei oder weiterer Dritter auf den Fortbestand des Nachfolgemandates ausgeschlossen. Die Gefahr der Disziplinierung der Nachfolgeperson durch die Drohung mit dem Rücktritt oder sogar dem tatsächlichen Rücktritt eines Regierungsmitgliedes mit ruhendem Mandat344 besteht in dem hier gegenständlichen Modell der Nachfolge infolge des zum Zwecke des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit ruhenden Mandates naturgemäß nicht. Eine politische Einflussnahme mit dem Druckmittel eines möglichen „Recall“ ist daher ausgeschlossen. Die aufgrund einer mutterschutz- oder elternzeitbedingten Mandatsruhe nachgerückte Person sieht sich daher nicht der Gefahr der jederzeitigen Rückkehr des Ursprungsmitgliedes ausgesetzt. c) Zeitliche Begrenzung des Mandats Kritiker des ruhenden Mandats betonen, die zeitliche Begrenzung des Mandats durch die Dauer der Legislaturperiode sei ein wesentlicher Bestandteil der Freiheit des Mandats, weil die Abgeordneten sich dadurch auf eine bestimmte Zeitspanne einrichten könnten, um ihre Vorstellungen zu verwirklichen; demnach widerspreche das ruhende Mandat der Mandatsfreiheit.345 Diese Voraussetzung der zeitlichen Begrenzung des Mandats ist im hier gegenständlichen Fall des ruhenden Mandates zum Zwecke des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit jedoch unproblematisch erfüllt: Durch die im Vorhinein erfolgte Festlegung des Zeitraumes der Mandatsruhe kann sich das Nachfolgemitglied auch hinsichtlich der Dauer seines Nachfolgemandates auf ebendiese Zeitspanne einstellen, um seine Ziele im Parlament und im Wahlkreis zu verwirklichen. Zwar mag diese Zeitspanne kürzer sein als eine vollständige Wahlperiode. Aber zum einen sind die Wahlperioden im Bundestag und in den Länderparlamenten ohnehin unterschiedlich lang – dies gab jedoch bislang noch keinen Anlass, deswegen an der Mandatsfreiheit zu zweifeln. Zum zweiten entstehen Nachrückfälle, wie bereits festgestellt, in den meisten Fällen erst während der laufenden Wahlperiode, so dass die Mandatszeit der 344 Zur Nachfolge infolge der Mandatsruhe sogenannter Ministerabgeordneter vgl. StGH Hessen, P.St. 783, Rn. 112; Nell, in: JZ 1975, 519, 521; Schriftsatz des Landesanwalts bei dem Hessischen Staatsgerichtshof vom 12. Juli 1976 im Verfahren StGH Hessen, P.St. 783, S. 8 f., Bl. 98 f. d. A.; Butzer, in: BeckOK Epping/Hillgruber, Art. 38, Rn. 106.2; Dress, Ruhendes Mandat, S. 162, 164, 167; Klein, in: Maunz-Dürig, Art. 38, Rn. 209; Lohmeier, in: DVBl. 1977, 405, 407; Rosenau, in: ZParl 1988, 35, 37; Versteyl, in: Schneider/Zeh, § 14, Rn. 37. 345 StGH Hessen, P.St. 783, Rn. 110; Lohmeier, in: DVBl. 1977, 405, 407.

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

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Nachgerückten damit ohnehin regelmäßig kürzer ist als die Legislaturperiode.346 Auch beim regulären Nachrücken in ein unbefristetes Mandat kommt es vor, dass das Ende der Wahlperiode nur noch wenige Monate beträgt. In Einzelfällen rücken Abgeordnete sogar für eine einzige Plenarsitzung in das Parlament nach.347 Doch auch in diesen Fällen wurde die Mandatsfreiheit der Nachfolgeperson bislang noch nicht in Abrede gestellt. Zum dritten besteht schließlich für alle Abgeordneten die Gefahr, dass die Wahlperiode unerwartet früh endet – etwa im Falle der (Selbst-)Auflösung des Parlaments, die ungeachtet der Mandatsfreiheit der einzelnen Abgeordneten von der gesamten Volksvertretung in Kauf zu nehmen ist. Folglich stellt auch die zeitliche Begrenzung der Nachfolge in ein ruhendes Mandat keine unzulässige Einwirkung auf die Mandatsfreiheit des nachfolgenden Parlamentsmitgliedes dar. d) Herbeiführung des Verlustes des eigenen Mandates Darüber hinaus wird in Bezug auf die infolge der Mandatsruhe von Regierungsmitgliedern nachgerückten Ersatzabgeordneten kritisiert, dass diese bei Abstimmungen, die ein Ausscheiden eines Regierungsmitgliedes mit ruhendem Mandat zur Folge haben können (z. B. bei einem Misstrauensvotum gegen die Regierung, einem Antrag auf Ministeranklage oder einem Antrag auf Ministerentlassung), unmittelbar den Verlust ihres eigenen Mandates herbeiführen können: Denn mit dem Ausscheiden eines ruhenden Mitglieds aus der Regierung lebt dessen Parlamentsmandat wieder auf.348 Diese Gefahr besteht für Abgeordnete, die aufgrund der Mandatsruhe zum Zwecke des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit nachgerückt sind, nicht. Sie können durch ihr Abstimmungsverhalten im Parlament keinerlei Einfluss auf das Ende der Mandatsruhe nehmen. Etwas anderes gilt nur für diejenigen Abstimmungen, mit denen die Legislaturperiode in Gänze beendet wird, also etwa die Selbstauflösung des Parlaments. Durch eine solche Selbstauflösung werden allerdings zwangsläufig nicht nur befristete Mandate, sondern auch alle weiteren Mandate beendet. Es handelt sich hierbei folglich nicht um eine ausschließlich das befristete Mandat belastende Sondersituation, sondern um eine alle Abgeordneten gleichermaßen treffende Gegebenheit. Im Übrigen kann grundsätzlich jedes Verhalten eines Parlaments346

Vgl. oben im dritten Teil, zweites Kapitel, B. III. 3. b) dd) (1) (b), S. 320. „Für einen Tag im Zentrum der Macht“, in: Zeit Online, Ausgabe vom 17. September 2017, https://www.zeit.de/politik/deutschland/2017-09/thomas-jepsen-bundes tag-nachruecker-cdu, zuletzt aufgerufen am 12. Dezember 2019. 348 Preuß, in: Kröning/Pottschmidt/Preuß/Rinken, S. 344; Lohmeier, in: DVBl. 1977, 405, 407 f.; Nell, in: JZ 1975, 519, 522. 347

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3. Teil: Lösungsansätze

mitgliedes Einfluss auf sein weiteres politisches Schicksal haben;349 eine Abschirmung der Abgeordneten gegen mögliche Folgen des eigenen Abstimmungsverhaltens erscheint indes nicht geboten.350 Andere Einwirkungsmöglichkeiten auf die Mandatsfreiheit sind nicht ersichtlich. Die Befristung des Nachfolgemandates eines aufgrund der Mandatsruhe zum Zwecke des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit nachgerückten Parlamentsmitgliedes ist daher mit dem Grundsatz des freien Abgeordnetenmandates vereinbar. 5. Repräsentationsprinzip

Schließlich steht die Befristung des Nachfolgemandats auch im Einklang mit dem aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG hergeleiteten Repräsentationsprinzip. Das Repräsentationsprinzip legitimiert die Abgeordneten zur Vertretung des ganzen Volkes im Parlament; gleichzeitig erlegt es ihnen im Sinne eines „Verantwortungsund Rechtfertigungszusammenhangs“ 351 die Pflicht auf, diese Vertretung auch wahrzunehmen. Dies gilt auch für die infolge der Mandatsruhe nachgerückten Ersatzabgeordneten: Während ihrer Mandatszeit sind sie vollwertige Abgeordnete mit allen parlamentarischen Mitwirkungsrechten und allen aus dem Mandat resultierenden Obliegenheiten. Im Zusammenwirken mit allen weiteren Abgeordneten vertreten sie gemäß Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG als Parlament das Volk. Zwar wurde in einem einzelnen Aufsatz die Meinung vertreten, bei dem ruhenden Mandat mit Nachfolge handele es sich um ein Feudalverhältnis, daher sei dieses Institut nicht mit dem Repräsentationsprinzip zu vereinbaren.352 Die Nachfolgeperson übe das Mandat nicht aus eigenem Recht, sondern nur geschäftsführend für einen Dritten aus; daher könne sie den Wahlkreis, aus dem sie stamme, nicht im Parlament vertreten.353 Diese Auffassung verkennt jedoch, dass die Nachfolgeperson nicht ebendas Mandat des in die Mandatsruhe eintretenden Parlamentsmitgliedes ausübt, sondern schlicht ein Mandat. Dies zeigt sich dann besonders deutlich, wenn mehrere Mandate ruhen und dadurch mehrere Nachfolgeabgeordnete nachgerückt sind. Nimmt nun eines der Ursprungsmitglieder die Mandatsausübung wieder auf, so scheidet nicht die Person aus, die bei Eintritt der Mandatsruhe des nun zurückkehrenden Mitgliedes nachgerückt war – sondern die zuletzt in das Parlament

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Dress, Ruhendes Mandat, S. 158. Harich, in: Fischer-Lescano/Rinken u. a., Art. 109, Rn. 11. 351 Trute, in: von Münch/Kunig, Art. 38, Rn. 73; ähnlich: Schmahl, in: Austermann/ Schmahl, Vor § 1, Rn. 5. 352 Gralher, in: ZRP 1977, 156, 157. 353 Gralher, in: ZRP 1977, 156, 157. 350

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

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berufene Person. Die Mandatsausübung der Nachfolgenden ist also nicht an die Mandatsruhe eines bestimmten Ursprungsmitgliedes gekoppelt. Darüber hinaus ist die Nachfolgeperson während der Mandatsausübung ein vollwertiges Parlamentsmitglied mit allen Mitwirkungsrechten – und zwar unabhängig von etwaigen Vorgaben durch den Abgeordneten, dessen Mandat ruht. Im Rahmen des Repräsentationsprinzips vertritt das Nachfolgemitglied gemeinsam mit den übrigen Abgeordneten nicht nur das Volk als Ganzes, sondern selbstredend auch die Bürgerinnen und Bürger desjenigen Wahlkreises, in dem es kandidiert hat. Dabei ist es dabei nur seinem Gewissen unterworfen, das bedeutet, es trifft eigenverantwortliche Entscheidungen. Würde man ihm dieses Repräsentationsrecht absprechen wollen, so dürften auch diejenigen, die über die Landesliste in das Parlament gewählt wurden und auch diejenigen, die infolge des endgültigen Freiwerdens eines Mandats nachrücken, den Wahlkreis, aus dem sie stammen, nicht vertreten. Denn auch ihnen ist es nicht gelungen, die Mehrheit der Wählerstimmen in einem Wahlkreis auf sich zu vereinen. Daraus würde sich ergeben, dass diejenigen Abgeordneten, die ihren Wahlkreis direkt gewonnen haben, stärker zur Vertretung des Volkes legitimiert sind als alle anderen. Eine derartige Ungleichbehandlung verbietet jedoch der Grundsatz der Gleichheit des Mandats: Ab dem Zeitpunkt des Erwerbs des Mandats sind alle Abgeordneten einander gleichgestellt.354 Eine Abstufung nach Wahlergebnissen ist mit dem Grundsatz der Gleichheit des Mandats nicht vereinbar. Dementsprechend sind die aufgrund der Mandatsruhe nachrückenden Nachfolgeabgeordneten ebenso zur Vertretung des Volkes legitimiert wie die übrigen Abgeordneten. Darüber hinaus ist vollständigkeitshalber festzustellen, dass die Behauptung, bei dem ruhenden Mandat mit Nachfolge handle es sich um ein Feudalverhältnis, geradezu verwegen anmutet. Abgesehen von dem bereits beschriebenen Umstand, dass die Nachfolgeperson nicht ebendas Mandat des Ursprungsmitgliedes wahrnimmt, weist ihre Stellung auch ansonsten keinerlei Ähnlichkeit zu einem dem Lehensherren hörigen Lehensmann oder Vasallen auf. Die Nachfolgeperson befindet sich unter keinem denkbaren Gesichtspunkt in einem Unterordnungsverhältnis zu dem Ursprungsmitglied, sie schuldet diesem weder Dienste noch finanzielle Zuwendungen und ist ihm auch ansonsten nicht unterworfen. Der Versuch, aus diesem untauglichen Vergleich einen Widerspruch zum Repräsentationsprinzip zu konstruieren, geht fehl. Andere Hinweise auf eine eventuelle Unvereinbarkeit des befristeten Nachfolgemandates mit dem Repräsentationsprinzip sind nicht ersichtlich. Die Mandatsruhe zum Zwecke des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit samt Nachfolge ist daher mit dem Repräsentationsprinzip vereinbar. 354 BVerfGE 40, 296, 317 f.; 84, 304, 325; 96, 264, 278; 102, 224, 237; 112, 118, 133; 130, 318, 342; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 38, Rn. 51.

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3. Teil: Lösungsansätze 6. Ergebnis zum ruhenden Mandat mit Nachfolge

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass das zum Zwecke des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit ruhende Mandat mit Nachfolge verfassungsrechtlich zulässig ist.

C. Übertragung des Stimmrechts (bei ruhendem Mandat oder ersatzlosem Fehlen) Die nächste auf ihre verfassungsmäßige Zulässigkeit zu überprüfende Regelungsoption – nämlich die Übertragung des Stimmrechts – bezieht sich nicht auf das Mandat des mutterschutz- bzw. elternzeitwilligen Parlamentsmitgliedes selbst. Vielmehr handelt es sich hierbei um eine Regelungsoption, die die Inanspruchnahme der parlamentarischen Auszeit eines oder mehrerer Abgeordneter – entweder im Rahmen der Mandatsruhe oder im Rahmen des institutionalisierten Fehlens – bereits voraussetzt. Die Überlegung, eine Stimmrechtsdelegation einzuführen, basiert auf der Frage, wie das Parlament – oder einzelne Fraktionen – mit dem Fehlen eines oder mehrerer Mitglieder insbesondere in Konstellationen knapper Mehrheitsverhältnisse umgehen können. Sofern kein zeitweises Nachrücken geregelt ist, hat das ruhende Mandat mit dem einfachen Fehlen ohne Statusänderung gemein, dass beide eine Änderung der Zusammensetzung des Parlaments gegenüber dem Wahlergebnis bewirken. Diese Wirkung bezieht sich insbesondere auf das Plenum, also die Vollversammlung aller Abgeordneten: Während in den Ausschusssitzungen regelmäßig Vertretungsregeln greifen, verändert das Fehlen eines oder mehrerer Mitglieder im Plenum die durch die Wahl zum Ausdruck gekommenen Stimmabstände der Fraktionen zueinander. Im Falle knapper Mehrheitsverhältnisse kann dies zu einer Umkehrung der Mehrheit im Parlament führen. Fraglich ist daher, ob Abgeordnete, die Mutterschutz bzw. Elternzeit in Anspruch nehmen wollen, ihr Stimmrecht – insbesondere für strittige Abstimmungen – zur Wahrung der Mehrheitsverhältnisse auf andere Abgeordnete übertragen können. I. Französisches Vorbild Ein Vorbild hierfür könnte das französische Modell der Stimmrechtsdelegation darstellen. Nach Art. 27 Abs. 3 Satz 1 der französischen Verfassung355 kann die Delegation des Stimmrechts der französischen Parlamentsmitglieder ausnahmsweise per Gesetz gestattet werden. Dabei kann nach dem nachfolgenden Satz 2 355 Constitution du 4 octobre 1958, texte intégral en vigeur à jour de la révision constitutionnelle du 23 juillet 2008, online verfügbar unter: https://www.conseil-consti tutionnel.fr/le-bloc-de-constitutionnalite/texte-integral-de-la-constitution-du-4-octobre1958-en-vigueur, zuletzt aufgerufen am 12. Dezember 2019.

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

347

der Regelung niemandem mehr als ein Mandat übertragen werden.356 Ausgefüllt wird diese Verfassungsbestimmung durch die Ordonnanz Nr. 58-1066 vom 7. November 1958357. Nach deren Art. 1 Satz 1 dürfen die Mitglieder des Parlaments ihr Stimmrecht nur in den dort ausdrücklich bestimmten Fällen übertragen. Im Einzelnen handelt es sich dabei um Fälle von Krankheit, Unfall, familiären Ereignissen, zeitlich beschränkten Regierungsaufträgen, Militärdienst, Teilnahme an den Arbeiten der internationalen Versammlungen (sofern ein entsprechender Auftrag durch die Assemblée Nationale oder den Senat erteilt wurde) sowie um Fälle von Abwesenheit bei außerordentlichen Sitzungen.358 Nach Art. 1 Satz 2 der Ordonnanz kann eine Delegation nicht bei einer Abstimmung erfolgen, die dazu dient, die Stellungnahme der ständigen Kommission zu einer Nominierung nach Art. 13 Abs. 5 der französischen Verfassung einzuholen.359 Nach Art. 2 der vorbezeichneten Ordonnanz muss die Stimmrechtsdelegation schriftlich vom delegierenden an das empfangende Parlamentsmitglied gerichtet sein und dem Parlamentspräsidenten vor Beginn der betreffenden Abstimmung unter Angabe des Verhinderungsgrundes und der Verhinderungsdauer mitgeteilt werden. Wird die Dauer der Verhinderung nicht mitgeteilt, so gilt eine Dauer von acht Tagen. Auf demselben Wege, wie sie begründet wird, kann die Stimmrechtsübertragung während ihrer Gültigkeitsdauer zurückgezogen werden. Im Eilfall ist die Stimmrechtsdelegation per Telegramm zulässig.360 356 Art. 27 Abs. 3 der französischen Verfassung lautet: „La loi organique peut autoriser exceptionnellement le délégation de vote. Dans Ce CAS, nul ne peut recevoir délégation de plus d’un mandat.“ 357 Ordonnance n ë 58-1066 du 7 novembre 1958 portant loi organique autorisant exceptionnellement les parlementaires à déléguer leur droit de vote, modifié par loi organique N ë 2010-837 du 23 juillet 2010 – art. 3, online verfügbar unter: https://www. legifrance.gouv.fr/affichTexte.do?cidTexte=LEGITEXT000006069198, zuletzt aufgerufen am 12. Dezember 2019. 358 Art. 1 Satz 1 der Ordonnance n ë 58-1066 du 7 novembre 1958 portant loi organique autorisant exceptionnellement les parlementaires à déléguer leur droit de vote lautet: „Les membres du Parlement ne sont autorisés á déléguer leur droit de vote que dans les cas suivants: 1 ë Maladie, accident ou événement familial grave empêchant le parlementaire de se déplacer; 2 ë Mission temporaire confiée par le gouvernement; 3 ë Service militaire accompli en temps de paix ou en temps de guerre; 4 ë Participation aux travaux des assemblées internationales en vertu d’une désignation faite par l’Assemblée nationale ou le Sénat; 5 ë En cas de session extraordinaire, absence de la métropole; 6 ë CAS de force majeure appréciés par décision des bureaux des assemblées.“ 359 Art. 1 Satz 2 der Ordonnance n ë 58-1066 du 7 novembre 1958 portant loi organique autorisant exceptionnellement les parlementaires à déléguer leur droit de vote lautet: „Il ne peut y avoir de délégation lors d’un scrutin destiné à recueillir l’avis de la commission permanente compétente de chaque assemblée sur une proposition de nomination selon la procédure prévue au cinquième alinéa de l’article 13 de la Constitution.“ 360 Art. 2 der Ordonnance n ë 58-1066 du 7 novembre 1958 portant loi organique autorisant exceptionnellement les parlementaires à déléguer leur droit de vote lautet:

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3. Teil: Lösungsansätze

II. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit Das deutsche Abgeordnetenrecht sah und sieht eine solche Stimmrechtsdelegation bislang nicht vor. Bereits in vorkonstitutioneller Zeit wurde die Abstimmung der Abgeordneten in der Volksvertretung als unvertretbare Handlung betrachtet.361 Auch unter der Geltung des Grundgesetzes wird das Abgeordnetenmandat als höchstpersönlich angesehen; danach ist eine Vertretung im Amt nicht möglich.362 Es stellt sich daher die Frage, ob die Übertragung des Stimmrechts nach französischem Vorbild gleichwohl mit dem deutschen Verfassungsrecht vereinbar ist. 1. Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl

Möglicherweise verstößt ein derartiges Institut gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl. Wie bereits ausführlich dargelegt, gewährt dieser dem Wahlvolk die maßgebliche Entscheidung darüber, von wem es im Parlament vertreten wird.363 Er setzt daher voraus, dass die Wählenden das letzte Wort haben364 und sich keine weitere Instanz zwischen Wahlvolk und zu Wählende schiebt, die Letztere nach ihrem Ermessen auswählt.365 a) Bestimmung des Vertretungsmitgliedes durch Verhinderte/n Bei der Stimmrechtsdelegation nach französischem Modell erlangt ein Parlamentsmitglied zeitweise die Möglichkeit, nicht nur das eigene, letztlich aufgrund der Parlamentswahl erworbene, Stimmrecht auszuüben, sondern darüber hinaus auch das Stimmrecht eines weiteren Parlamentsmitgliedes. Diese Verdoppelung „La délégation doit être écrite, signée et adressée par le délégant au délégué. Pour être valable, elle doit être notifiée au président de l’assemblée à laquelle appartient le parlementaire avant l’ouverture du scrutin ou du premier des scrutins auxquels l’intéressé ne peut prendre part. La notification doit indiquer le nom du parlementaire appelé à voter aux lieu ET place du délégant ainsi que le motif de l’empêchement. La délégation ainsi que SA notification doivent, en outre, indiquer la durée de l’empêchement. A défaut, la délégation EST considérée comme faite pour une durée de huit jours. Sauf renouvellement dans Ce délai, elle devient caduque à l’expiration de celui-ci. Toute délégation peut être retirée, dans les mêmes formes, au cours de SA période d’application. En cas d’urgence, la délégation et sa notification peuvent être faites par télégramme, sous réserve de confirmation immédiate dans les formes prévues ci-dessus.“ 361 Jellinek, System, S. 346. 362 StGH Hessen, P.St. 783., Rn. 91; Wahlprüfungsgericht Rh-Pf, AS Rh-Pf 3, 399, 403; Butzer, in: BeckOK Epping-Hillgruber, Art. 38, Rn. 111; Platter, S. 8; Wiefelspütz, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, § 12, Rn. 6. 363 Vgl. oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, A.VI. 1. c), S. 178. 364 BVerfGE 3, 45, 49 f.; Mehde, in: Maunz/Dürig, Art. 28 Abs. 1, Rn. 118 f.; Risse/ Witt, in: Hömig/Wolff, Art. 38, Rn. 10. 365 BVerfGE 7, 63, 68; Guckelberger, in: JA 2012, 561, 564; Magiera, in: Sachs, Art. 38, Rn. 88.

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

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des Stimmrechts beruht indes nicht unmittelbar aufgrund der Wahl: Vielmehr bestimmt das verhinderte Mitglied, wer zur Vertretung – und damit zur temporären Wahrnehmung des Stimmrechts aus zwei Mandaten – berufen ist. Wenngleich das vertretende Mitglied damit kein weiteres Vollmandat, sondern lediglich das zeitlich begrenzte Recht zur Abstimmung aus dem zweiten Mandat erlangt, so könnte hierdurch dennoch der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl berührt sein. Denn soweit das Unmittelbarkeitsprinzip dem an einer Wahl teilnehmenden Volk die maßgebliche Entscheidung darüber gewährt, von wem es im Parlament vertreten werden will,366 muss davon gerade eines der fundamentalsten aller Beteiligungsrechte der Abgeordneten, nämlich das Stimmrecht, erfasst sein.367 Es wäre nämlich sinnentstellend, wenn sich die Auswahlkompetenz der Wählenden ausschließlich auf die Auswahl von Personen unbeschadet von deren parlamentarischen Rechten bezöge. Im Zusammenwirken mit dem ebenfalls aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG hergeleiteten Grundsatz der gleichen Wahl kann sich auch die Auswahlkomponente des Unmittelbarkeitsprinzips nur auf die Wahl von mit gleichen Rechten ausgestatteten Abgeordneten beziehen. Soweit also das verhinderte Mitglied nach eigenem Ermessen entscheiden darf, wer von den übrigen Abgeordneten mit einem zusätzlichen Stimmrecht ausgestattet werden soll, wird es zu einer externen Instanz, die sich zwischen den Willen der Wählenden und die Bestimmung der Abstimmungsberechtigten schiebt. Folglich ist die Übertragung des Stimmrechts auf ein anderes Parlamentsmitglied nach dem französischen Modus mit dem Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl nicht vereinbar. b) Bestimmung des Vertretungsmitgliedes nach objektiven Kriterien Anders könnte sich die rechtliche Lage jedoch darstellen, wenn das Vertretungsmitglied nach objektiven Kriterien bestimmt wird. Vorstellbar ist in diesem Zusammenhang beispielsweise, dass in jedem einzelnen Vertretungsfall ein bereits vor der Wahl nach neutralen Merkmalen individualisierbares Parlamentsmitglied als Vertretungsperson feststeht. Die Bestimmung des konkreten Mitgliedes kann dabei anhand einer festen Reihenfolge innerhalb der jeweiligen Fraktion, in der der Vertretungsfall eintritt, erfolgen – beispielsweise nach alphabetischer Reihenfolge oder nach dem Lebensalter. So366 BVerfGE 3, 45, 49 f.; ähnlich Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 38, Rn. 100; vgl. auch oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, A.VI. 1. c), S. 178. 367 Dementsprechend zählt BVerfGE 80, 188, 218 das Stimmrecht zu den wichtigsten Abgeordnetenbefugnissen; ebenso VerfGH Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 5. November 2018, VGH A 19/18, Rn. 19, BeckRS 2018, 28185; Schuldei, in: ZRP 1999, 424, 426. Für die Abgeordneten des Europaparlaments stellt Böttger, in: EuR 2002, 898, 903 das Stimmrecht als „zweifelsohne wichtigste(s)“ Mitwirkungsrecht der Abgeordneten dar; zur Bedeutung des Stimmrechts auch Magiera, in: Sachs, Art. 38, Rn. 61.

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3. Teil: Lösungsansätze

fern die entsprechenden Regularien des Vertretungsfalles bereits vor der Wahl per Gesetz festgelegt sind, stellt dies eine Bestimmung der Vertretungsperson anhand eines objektiven, schematisierten Ablaufes dar. Das zu vertretende Mitglied trifft in diesem Fall keine Entscheidung – es zeigt lediglich seine Verhinderung an, die Nachfolge tritt hingegen von Gesetzes wegen ein. Auch eine Auswahlentscheidung durch eine andere Person oder ein anderes Gremium findet hierbei nicht statt. Demnach wird das Vertretungsmitglied nicht durch eine sich zwischen Wählende und Gewählte schiebende weitere Instanz ausgewählt. Stehen sowohl die Möglichkeit der Vertretung als auch der Modus, nach dem das Vertretungsmitglied anhand eines festen, schematischen Ablaufes bestimmt wird, bereits im Zeitpunkt der Wahl fest, so können die Wählenden dies bei ihrer Wahlentscheidung mit berücksichtigen; das potentielle Vertretungsmitglied ist damit direkt durch die Wahl legitimiert.368 Das Prinzip der Unmittelbarkeit der Wahl ist daher nicht berührt. 2. Grundsatz der Gleichheit des Mandats

a) Ungleichbehandlung Die Stimmrechtsübertragung auf ein anderes Parlamentsmitglied könnte jedoch gegen den Grundsatz der Gleichheit des Mandats verstoßen. Vertritt ein Parlamentsmitglied ein anderes bei einer oder mehreren Abstimmungen, so hat es hierbei einen doppelt so großen Einfluss auf das Abstimmungsergebnis wie die übrigen Abgeordneten. Dies widerspricht dem aus Art. 38 Abs. 1 GG entspringenden Prinzip der formalen Statusgleichheit, nach dem alle Abgeordneten eines Parlaments das Recht auf gleiche Teilhabe an der parlamentarischen Willensbildung haben.369 Dem zuwiderlaufend wäre das vertretende Parlamentsmitglied gegenüber den restlichen Mitgliedern des Parlaments bevorzugt. b) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Fraglich ist, ob diese Ungleichbehandlung verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist. Wie bereits festgestellt, kann die Gleichheit des Mandats durch andere Rechtsgüter von Verfassungsrang begrenzt werden.370 Dabei bedürfen Differenzierungen in Bezug auf den Abgeordnetenstatus zu ihrer Rechtfertigung ebenso wie Differenzierungen in Bezug auf die Wahlrechtsgleichheit eines besonderen, 368 Im Ergebnis ähnlich Schuldei, Pairing, S. 132 f., der jedoch vorschlägt, die erste Nachfolgeperson der jeweiligen Landesliste mit der Vertretung zu beauftragen. 369 BVerfGE 96, 264, 278; vgl. zum Grundsatz der Gleichheit des Mandats auch oben im ersten Teil, zweites Kapitel, C. II., S. 75. 370 BVerfGE 130, 318, 348; vgl. auch oben im dritten Teil, zweites Kapitel, B. III. 3. b), S. 309.

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

351

durch die Verfassung legitimierten „zwingenden“ Grundes371 von einem Gewicht, „das der Gleichheit der Abgeordneten die Waage halten kann“ 372. Das Erfordernis eines zwingenden Grundes bedeutet dabei jedoch nicht, dass die Differenzierung von Verfassungs wegen notwendig sein muss.373 aa) Verfassungsrechtlich legitimierter Grund Die Übertragung des Stimmrechts auf ein anderes Parlamentsmitglied würde vorliegend dazu dienen, die durch die Wahl zum Ausdruck gekommenen Stimmabstände der Fraktionen in Parlamenten mit knappen Mehrheitsverhältnissen auch in den Fällen zu wahren, in denen ein Mitglied zum Zwecke des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit das Mandat einige Zeit lang ruhen lässt oder anderweitig nicht wahrnimmt. Dabei soll die Beibehaltung der Mehrheitsverhältnisse dazu dienen, einen andernfalls auf das mutterschutz- bzw. elternzeitwillige Mitglied zu erwartenden Anwesenheitsdruck zu verhindern. Die nachteilslose Inanspruchnahme der kindesbezogenen Parlamentsauszeit soll hierdurch ermöglicht werden. Wie bereits eingehend ausgeführt, sind die Einführung von Mutterschutz- und Elternzeitregelungen für Abgeordnete durch den verfassungsrechtlich garantierten Mutterschutz des Art. 6 Abs. 4 GG, das Eltern- und Familienrecht des Art. 6 Abs. 1 und 2 Satz 1 GG, das in Art. 3 Abs. 2 GG normierte Grundrecht auf Gleichberechtigung der Geschlechter sowie den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht nur hinreichend legitimiert – vielmehr fordern diese Grundsätze sogar die Einführung von Mutterschutz und Elternzeit für Abgeordnete.374 Unter Berücksichtigung ihres hohen Wertes als Grundrechte bilden sie damit einen Grund, der der Gleichheit der Abgeordneten mindestens ebenbürtig ist.375 bb) Geeignetheit Die Stimmrechtsdelegation auf ein anderes Parlamentsmitglied derselben Fraktion ist auch dazu geeignet, die Mehrheitsverhältnisse zu wahren, denn durch die Übertragung des Stimmrechts innerhalb der Fraktion bleiben die auf die jeweiligen Fraktionen entfallenden Stimmanteile gleich. Dadurch entfällt die Gefahr, dass ein Mitglied zwecks Beibehaltung der Mehrheit an der Inanspruchnahme von Mutterschutz oder Elternzeit gehindert wird – sei es durch innere oder durch

371

BVerfGE 6, 84, 92; 51, 222, 236; 95, 408, 418; 129, 300, 320. BVerfGE 130, 318, 356. 373 BVerfGE 129, 300, 320. 374 Vgl. oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, E., S. 216 und drittes Kapitel, C., S. 239. 375 Vgl. oben im dritten Teil, zweites Kapitel, B. III. 3. b) aa), S. 309 ff. 372

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3. Teil: Lösungsansätze

(unzulässige aber gleichwohl nicht untypische) äußere Zwänge innerhalb der Fraktion oder Koalition. cc) Erforderlichkeit Fraglich ist jedoch, ob die Übertragung des Stimmrechts auch erforderlich ist, es also kein milderes, ebenso effektives Mittel zur Erreichung des Zweckes gibt.376 Die Übertragung des Stimmrechts stellt einen vergleichsweise harten Eingriff in die aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 gg hergeleitete formale Gleichheit der Abgeordneten dar. Wie bereits beschrieben, wird durch die Fortwirkung des Grundsatzes der Gleichheit der Wahl auf einer zweiten Stufe demokratischer Willensbildung im Status und in der gleichen Mitwirkungsbefugnis aller Abgeordneten377 die gleiche Teilhabe aller Bürgerinnen und Bürger am demokratischen Entscheidungsprozess sichergestellt.378 Zugleich kann festgestellt werden, dass sich auch die grundsätzliche379 Höchstpersönlichkeit der Wahl380, die sowohl durch die Wahlfreiheit als auch durch das Wahlgeheimnis des Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG abgesichert wird, als wesentlicher Bestandteil des deutschen Wahlrechts gleichermaßen auf einer zweiten Stufe in der Höchstpersönlichkeit des Stimmrechts der Abgeordneten fortsetzt. Nur durch diese Höchstpersönlichkeit ist die Gleichheit des Gewichts der Abgeordnetenmandate und damit letztlich auch die Gleichheit der Wahl gewährleistet. Obschon die Höchstpersönlichkeit des Stimmrechts der Mitglieder der deutschen Parlamente weder konstitutionell noch einfachgesetzlich ausdrücklich kodifiziert ist, ist dieser Grundsatz für das deutsche Recht so elementar, dass er in Deutschland – ebenso wie in den meisten übrigen Ländern außerhalb des französischen Einflussbereiches –381 in allen Parlamenten als selbstverständlich vorausgesetzt wird. Im Übrigen erscheint eine ausdrückliche Regelung auch bereits vor dem Hintergrund des Grundsatzes der Gleichheit des Mandats, aus dem sich die Gleichwertigkeit einer jeden Abgeordnetenstimme nach dem oben Ausgeführten unzweifelhaft ergibt, entbehrlich.

376 Vgl. zu den Voraussetzungen der Erforderlichkeit z. B. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 20, Rn. 119 m.w. N. 377 BVerfGE 102, 224; 238; 112, 118, 134; 130, 318, 352; im Ergebnis auch Grote, Verfassungsorganstreit, S. 164 f. 378 Vgl. oben im ersten Teil, zweites Kapitel, C. II., S. 75. 379 Die Zuhilfenahme von Vertrauenspersonen durch behinderte oder des Lesens unkundige Wählende nach § 14 Abs. 5 BWahlG ist gleichwohl zulässig, vgl. BVerfGE 21, 200, 206; Morlok, in: Dreier, Art. 38, Rn. 125; Roth, in: Umbach/Clemens, Art. 38, Rn. 40. 380 Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 38, Rn. 137; Magiera, in: Sachs, Art. 38, Rn. 106; Roth, in: Umbach/Clemens, Art. 38, Rn. 26. 381 Marsch, in: Marsch/Vilain/Wendel, § 5, Rn. 49.

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

353

Dementsprechend besteht sowohl in den Vollversammlungen des Deutschen Bundestages als auch in denen der Länderparlamente und auch – wenngleich es sich hierbei strenggenommen nicht um Legislativorgane handelt – in denen der bundesdeutschen Kommunalparlamente das bislang unangetastete Grundprinzip, dass jedes gewählte Mitglied nur für sich selbst abstimmen kann. Sowohl in der hierzu bislang ergangenen Rechtsprechung als auch in der entsprechenden Literatur besteht daher die übereinstimmende Überzeugung, dass die Übertragung des Stimmrechts im Sinne einer Stellvertretung sowohl bezogen auf eine außerhalb der Volksvertretung stehende Person als auch auf ein anderes Mitglied – mit der Folge der Stimmenkumulation – unzulässig ist.382 Eine Vertretung wird insoweit als mit dem Wesen der Abgeordneten nicht vereinbar erachtet.383 Insofern unterscheidet sich die Rechtslage von derjenigen in Frankreich, nach der die Stimmrechtsübertragung nicht nur innerhalb des Parlaments, sondern bereits bei der Parlamentswahl als solcher zulässig ist: Denn im Rahmen eines „vote par procuration“ kann das Stimmrecht bei der Volkswahl im Fall der Verhinderung auf eine andere Person übertragen werden.384 Wie sehr die Höchstpersönlichkeit der Stimmabgabe im Übrigen auch in der Parlamentspraxis des Deutschen Bundestages verwurzelt ist, zeigt sich besonders deutlich an einer Situation, in der es während einer Plenarsitzung zum Eklat kam: Bei einer namentlichen Abstimmung am 2. Juni 1995 warf ein Abgeordneter der CDU/CSU-Fraktion, der zu diesem Zeitpunkt als Schriftführer fungierte, nicht nur seine eigene, sondern auch die Stimmkarten zweier seiner Fraktionskollegen in die dafür vorgesehene Urne. Die Angelegenheit wurde von den Sprechern der Fraktionen der Gegenseite als unzulässig gerügt; die Angelegenheit wurde zur Beratung an den nichtöffentlich tagenden Ältestenrat verwiesen.385 Die von der Opposition gegen den Vorfall erhobenen rechtlichen Bedenken wurden jedoch deshalb nicht weiterverfolgt, weil das Einwerfen von zwei zusätzlichen Stimmkarten letztlich keinen Einfluss auf das Abstimmungsergebnis hatte.386 Gleichwohl erregte der Vorfall Aufmerksamkeit – wohl gerade aufgrund der Ungewöhnlichkeit des Vorgangs in der deutschen Parlamentshistorie. Insgesamt kann festgestellt werden, dass es den hergebrachten Grundprinzipien bundesdeutscher Demokratiepraxis widerspricht, dass ein Parlamentsmitglied über mehr als eine Stimme verfügt. 382 StGH Hessen, P.St. 783., Rn. 91; Wahlprüfungsgericht Rh-Pf, AS Rh-Pf 3, 399, 403; Butzer, in: BeckOK Epping-Hillgruber, Art. 38, Rn. 111; Platter, S. 8; Wiefelspütz, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, § 12, Rn. 6. 383 Wahlprüfungsgericht Rh-Pf, AS Rh-Pf 3, 399, 403. 384 Der Ablauf und das entsprechende Formular sind auf dem Online-Auftritt der französischen Staatsverwaltung zu finden, https://www.service-public.fr/particuliers/ vosdroits/F1604, zuletzt aufgerufen am 12. Dezember 2019. 385 Deutscher Bundestag, 13. Wahlperiode, Plenarprotokoll der 42. Sitzung vom 2. Juni 1995, S. 3418 ff. 386 Schuldei, in: ZRP 1999, 424, 425 m.w. N.

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3. Teil: Lösungsansätze

Insoweit besteht auch keine Vergleichbarkeit zu den in Art. 51 f. GG normierten Abstimmungsmodalitäten im Bundesrat. Nach Art. 51 Abs. 3 Satz 2 GG können die Stimmen eines Landes nur einheitlich und nur durch anwesende Mitglieder oder deren Vertreter abgegeben werden. Die Bundesratsmitglieder können sich also vertreten lassen. Zu beachten ist dabei jedoch, dass der Bundesrat sich anders als etwa der Bundestag nicht aus unmittelbar vom Volk gewählten Abgeordneten zusammensetzt. Vielmehr handelt es sich bei den Bundesratsmitgliedern um Mitglieder der Landesregierungen, die gemäß Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GG von Letzteren bestellt und abberufen werden. Die Bundesratsmitglieder sind auch – anders als etwa die Mitglieder des Bundestages – in ihren Entscheidungen nicht frei; vielmehr vertreten sie das sie entsendende Bundesland. Dabei erwartet das Grundgesetz gemäß seinem Art. 51 Abs. 3 Satz 2 die einheitliche Stimmabgabe und toleriert die geübte Praxis, nach der jedes Bundesland eine Stimmführerin oder einen Stimmführer für sich bestimmt.387 Eine individuelle, aus eigenem Ermessen erwachsende Abstimmungsentscheidung der einzelnen Bundesratsmitglieder findet mithin nicht statt. Diese Konstruktion der Abstimmung im Namen eines entsendenden Organs oder einer entsendenden Körperschaft bildet einen klaren Kontrast zu den vom Volk unmittelbar und frei gewählten Parlamentsabgeordneten, die – bezogen auf den Deutschen Bundestag – nach Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen sind. Die Vertretung anderer Mitglieder ist auch in Anbetracht des in Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG fixierten Grundsatzes des freien Mandats, der gewissermaßen den Schlüsselbegriff des Abgeordnetenstatus darstellt,388 nur schwer darstellbar. Zwar beinhaltet der Begriff der Vertretung grundsätzlich eine eigene Sachentscheidung, dennoch ist die Vertretung eines anderen Parlamentsmitgliedes nur dann zielführend, wenn das vertretende Mitglied im Sinne des verhinderten Mitgliedes abstimmt. Im Ergebnis dürfte daher eher von einer Abstimmung nach Weisung des verhinderten Mitgliedes, also eher von einer Botenstellung des vertretenden Mitgliedes, ausgegangen werden. Das ist jedoch mit dem freien Abgeordnetenmandat des vertretenden Mitgliedes nicht vereinbar. Vor dem geschilderten Hintergrund der Schwere des Eingriffs in die Gleichheit und in die Freiheit des Mandats stellt sich insbesondere die Einführung eines ruhenden Mandates mit Nachfolgeregelung als wesentlich mildere Maßnahme dar. Wie oben bereits eingehend erörtert, handelt es sich hierbei um eine verfassungsrechtlich zulässige Option,389 die sich im Übrigen ebenfalls zur Aufrechterhaltung der durch die Wahl zum Ausdruck gekommenen Mehrheitsverhältnisse eignet und damit den hier gegenständlichen Zweck erreicht. 387 388 389

BVerfGE 106, 310, 330. Stern, Bd. I, § 24 IV. 2 m.w. N. Vgl. oben im dritten Teil, zweites Kapitel, B. III. 6., S. 346.

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

355

Der – gerechtfertigte – Eingriff, den das ruhende Mandat mit Nachfolge in Bezug auf die Mandatsgleichheit bewirkt, stellt sich auch als wesentlich milder dar als die durch die Stimmrechtsdelegation ausgelösten multiplen Kollisionen. Während das ruhende Mandat mit Nachfolge allein die Nachfolgeabgeordneten berührt, deren Mandat – vorbehaltlich des endgültigen Ausscheidens eines Abgeordneten oder der Mandatsruhe weiterer Mitglieder – auf die Zeit der Mandatsruhe des Ursprungsmitgliedes beschränkt ist, bedeutet die Stimmrechtsdelegation einen Eingriff in die Gleichheit des Mandats aller übrigen Parlamentsmitglieder – denn im Gegensatz zu dem mit dem doppelten Stimmrecht ausgestatteten vertretenden Mitglied verfügen sie nach wie vor nur über ein einfaches Stimmrecht. Darüber hinaus stellt die Stimmrechtsdelegation nach den obigen Ausführungen zudem auch einen Eingriff in die Freiheit des Mandats sowie einen Bruch mit dem elementaren Grundprinzip der Höchstpersönlichkeit und der Unvertretbarkeit des Abstimmungsrechts dar und unterscheidet sich auch insoweit negativ vom ruhenden Mandat mit Nachfolge. Das durch eine Nachfolge flankierte ruhende Mandat ist bei gleicher Effektivität also milder als die Übertragung des Stimmrechts auf ein anderes Parlamentsmitglied. Demnach ist die Stimmrechtsdelegation nicht erforderlich, um den gewünschten Zweck zu erreichen, so dass die dadurch ausgelöste Ungleichbehandlung der Abgeordneten im Ganzen verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt ist. III. Ergebnis zur Übertragung des Stimmrechts Vor dem Hintergrund der obigen Erwägungen ist die Delegation des Stimmrechts auf ein anderes Parlamentsmitglied verfassungsrechtlich nicht zulässig.

D. Pflicht zum Pairing (bei ruhendem Mandat oder ersatzlosem Fehlen) Zum Ausgleich einer durch den Mutterschutz oder die Elternzeit eines Parlamentsmitgliedes möglicherweise hervorgerufenen Verschiebung der Mehrheitsverhältnisse kommt jedoch auch ein obligatorisches Pairing in Betracht. Auch diese Regelungsoption bietet sich insbesondere für Parlamente mit einer knappen Regierungsmajorität an. Sie bezieht sich darauf, dass das Fehlen eines oder mehrerer Mitglieder im Plenum gerade im Falle knapper Mehrheitsverhältnisse zu einer Umkehr der Mehrheit im Hause führen kann. Wie bereits festgestellt, kann diese Situation dazu führen, dass ein eigentlich dazu berechtigtes Parlamentsmitglied aus Sorge vor politischen Konsequenzen keinen Mutterschutz und bzw. oder keine Elternzeit in Anspruch nimmt. Um gleichwohl eine nachteilsfreie Inanspruchnahme von Mutterschutz und bzw. oder Elternzeit zu gewährleisten, müssen die durch die Wahl zum Ausdruck gekommenen Stimmabstände der Fraktionen untereinander gewahrt bleiben.

356

3. Teil: Lösungsansätze

In derartigen Konstellationen wird im Deutschen Bundestag sowie in einigen Länderparlamenten – indes auf freiwilliger Basis – der parlamentarische Brauch des sogenannten Pairing praktiziert.390 Wie oben bereits kurz erläutert,391 ist das Pairingverfahren eine Absprache zwischen einzelnen Abgeordneten oder zwischen sich gegenüberstehenden Fraktionen, nach der – für eine einzelne Abstimmung oder auch für einen vorher festgelegten Zeitraum – die Abwesenheit eines Parlamentsmitgliedes der einen Seite des Hauses (insbesondere einer Regierungsfraktion) durch die Nichtteilnahme eines Mitgliedes der anderen Seite des Hauses, also einer anders stimmenden Fraktion (regelmäßig durch ein Mitglied der Opposition), an der Abstimmung kompensiert wird.392 Die Opposition setzt demnach bei einer konkreten Abstimmung nur diejenige Anzahl der Mandate ein, die ihr im Verhältnis zur Regierungsmehrheit nach dem Wahlergebnis zusteht.393 Auf diese Weise werden die durch den Wählerwillen zum Ausdruck gekommenen Mehrheitsverhältnisse auch im Falle des Fehlens von Abgeordneten gewahrt.394 I. Herkunft und Sinn des Pairings Ursprünglich stammt das Pairingverfahren aus dem englischen Unterhaus (House of Commons) und wird historisch auf die Zeiten der Herrschaft Oliver Cromwells im 17. Jahrhundert zurückgeführt.395 Als Ausdruck politischen Anstands vor allem dem eigenen Whip396 gegenüber wurde das Pairing in England zur etablierten politischen Praxis; Abgeordnete durften das Parlament in Abstim390 Einige Beispiele dazu liefert Schuldei, Pairing, S. 55 ff., 74 f. und passim; bzgl. des Niedersächsischen Landtages weiterhin exemplarisch: Stenografischer Bericht der 25. Sitzung des Niedersächsischen Landtages vom 13. Dezember 2013, Plenarprotokoll 17/25, S. 2259; Stenografischer Bericht der 78. Sitzung des Niedersächsischen Landtages vom 11. November 2015, Plenarprotokoll 17/78, S. 7713; Stenografischer Bericht der 85. Sitzung des Niedersächsischen Landtages vom 20. Januar 2016, Plenarprotokoll 17/85, S. 8557; bzgl. des Landtages Nordrhein-Westfalen exemplarisch eine weitreichende Situation, in der eine Pairing-Vereinbarung gebrochen wurde: Landtag Nordrhein-Westfalen, Plenarprotokoll 15/37 vom 30. Juni 2011, S. 3674 ff. 391 Vgl. oben im ersten Teil, erstes Kapitel, B. III., S. 54. 392 Schuldei, Pairing, S. 19; Versteyl, in: Schneider/Zeh, § 14, Rn. 38; ähnlich auch Butzer, in: BeckOK Epping/Hillgruber, Art. 38, Rn. 106.3; Klein/Krings, in: Morlok/ Schliesky/Wiefelspütz, § 17, Rn. 68; Röttger, in: JuS 1977, 7. 393 Röttger, in: JuS 1977, 7, 8. 394 Baddenhausen-Lange, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, WF I – 4/97, S. 6; Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 38, Rn. 210; Kluth, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Art. 38, Rn. 77; Platter, S. 19; Röttger, in: JuS 1977, 7, 8; Schuldei, Pairing, S. 19; Thiele, Entscheidungsfindung, S. 471 f. 395 Butzer/Henkenötter, in: ZG 1995, 328, 330; Röttger, in: JuS 1977, 7; Schuldei, Pairing, S. 19. 396 „Einpeitscher“ im englischen Unterhaus, der für ein einheitliches Auftreten der Fraktion sorgen soll, in etwa mit der Position der/des Parlamentarischen Geschäftsführerin/Geschäftsführers in deutschen Parlamenten vergleichbar; vgl. auch Petersen, Parlamentarische Geschäftsführer, S. 193.

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

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mungszeiten nur verlassen, wenn sie zuvor einen Pairingpartner der Gegenfraktion gefunden hatten.397 Auch im englischen Oberhaus (House of Lords), im USamerikanischen Kongress sowie im dortigen Senat, im australischen und im neuseeländischen Parlament, in der israelischen Knesset sowie in den Parlamenten von Norwegen, Schweden, Island, Irland und den Niederlanden ist das Pairing etabliert.398 Pairings werden in diesen Ländern als freiwillige, ausschließlich politisch bindende Absprache betrachtet.399 Auch aus der Frankfurter Nationalversammlung ist ein Fall bekannt, in dem sich einzelne Mitglieder verschiedener politischer Strömungen im Hinblick auf den Weihnachtsurlaub 1848 „abgepaart“ hatten.400 In den bundesrepublikanischen Parlamenten sind Pairingvereinbarungen ein periodisch auftretendes Phänomen: Es ergibt sich bereits aus der Natur der Sache, dass Pairings ausschließlich in Zeiten knapper Regierungsmehrheiten vereinbart werden. Dementsprechend sind Pairingabsprachen im Deutschen Bundestag insbesondere seit dessen sechster Wahlperiode (1969–1972) bekannt,401 in der die sozialliberale Koalition mit einer hauchdünnen Mehrheit von nur zwei Stimmen regierte. Aus dieser Zeit datieren auch die Empfehlungen der von 1953 bis 2014 bestehenden Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft (IPA)402 zum Pairing, die in der heutigen Parlamentspraxis jedoch keine Rolle mehr spielen.403 Das Pairingverfahren, das auch heute noch insbesondere in Zeiten knapper parlamentarischer Mehrheitsverhältnisse sowohl im Deutschen Bundestag als auch in einigen Länderparlamenten regelmäßig zur Anwendung kommt, wird aufgrund seines informellen Charakters selten dokumentiert.404 In Plenarproto-

397

Schuldei, Pairing, S. 25. Baddenhausen-Lange, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, WF I – 4/97, S. 10 ff.; Schuldei, Pairing, S. 33 sowie 35 ff. und 49 ff. m.w. N.; Thiele, Entscheidungsfindung, S. 471. 399 Schuldei, Pairing, S. 52. 400 Butzer/Henkenötter, in: ZG 1995, 328, 331; Petersen, Parlamentarische Geschäftsführer, S. 199 f.; Schuldei, Pairing, S. 53, jeweils m.w. N. 401 Exemplarisch: Deutscher Bundestag, 6. Wahlperiode, Plenarprotokoll der 96. Sitzung vom 3. Februar 1971, S. 5287 f.; vgl. auch Schuldei, Pairing, S. 55 ff., der diesbezüglich aus Protokollen des Ältestenrates des Deutschen Bundestages zitiert; Thiele, Entscheidungsfindung, S. 471; „Noblesse in Bonn“, in: Die Zeit vom 28. November 1969, online verfügbar unter: https://www.zeit.de/1969/48/noblesse-in-bonn, zuletzt aufgerufen am 12. Dezember 2019. 402 Datenhandbuch des Deutschen Bundestages, Kapitel 22 Parlamentarische Vereinigungen, S. 1, online verfügbar unter: https://www.bundestag.de/blob/276494/c4df5 12aad7ad197e35d95cd56d6de78/kapitel_22_parlamentarische_vereinigungen-data.pdf, zuletzt aufgerufen am 12. Dezember 2019. 403 Butzer/Henkenötter, in: ZG 1995, 328, 331. 404 Ähnlich: Baddenhausen-Lange, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, WF I – 4/97, S. 6. 398

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3. Teil: Lösungsansätze

kollen findet sich in der Regel allenfalls bei den besonderen Abstimmungsformen (also bei namentlichen oder geheimen Abstimmungen, bei Wahlen und beim sogenannten „Hammelsprung“ 405) ein Hinweis auf eine Pairingvereinbarung.406 Denn im Rahmen von offenen Abstimmungen per Handzeichen bzw. dem Aufstehen oder Sitzenbleiben bei Schlussabstimmungen wird regelmäßig lediglich festgestellt, ob die Mehrheit der Stimmen auf „Ja“, „Nein“ oder „Enthaltung“ entfällt; eine Auszählung der Stimmen – mit der Notwendigkeit, ein Pairing offenzulegen, bildet die Ausnahme. Dementsprechend dokumentieren auch die anwesenden Pairingpartner im Falle offener Abstimmungen per Handzeichen überwiegend nicht ihre Nichtteilnahme an der Abstimmung;407 vielmehr nehmen sie in der Regel kommentarlos nicht an der Abstimmung teil oder verlassen vorher den Saal. Jenseits von namentlichen Abstimmungen findet sich das Pairingverfahren insbesondere dann im Plenarprotokoll – oder auch in der Presseberichterstattung408 – wieder, wenn eine Pairingabsprache scheitert: Dieses Scheitern bietet derjenigen Fraktion, die um ein Pairing gebeten hatte, häufig einen Anlass, um die parlamentarische Fairness der Gegenseite in Frage zu stellen.409

405 Als „Hammelsprung“ wird ein besonderes Abstimmungsverfahren bezeichnet, das dann zur Anwendung kommt, wenn der Sitzungsvorstand keine Einigkeit über das Abstimmungsergebnis herstellen kann. In diesem Fall verlassen alle Parlamentsmitglieder den Saal und geben ihr Votum dadurch kund, dass sie den Saal darauffolgend einzeln durch eine von drei Türen, die mit „Ja“, „Nein“ und „Enthaltung“ gekennzeichnet sind, betreten. Die eintretenden Mitglieder werden von den Schriftführerinnen und Schriftführern laut gezählt. Für den Deutschen Bundestag ergibt sich dieses Verfahren aus § 51 GO BT; die Geschäftsordnungen der Länderparlamente enthalten vergleichbare Regelungen. 406 Exemplarisch: Deutscher Bundestag, 8. Wahlperiode, Plenarprotokoll der 125. Sitzung vom 14. Dezember 1978, S. 9833; Deutscher Bundestag, 9. Wahlperiode, Plenarprotokoll der 14. Sitzung vom 22. Januar 1981, S. 487 und 491; Stenografischer Bericht der 25. Sitzung des Niedersächsischen Landtages vom 13. Dezember 2013, Plenarprotokoll 17/25, S. 2259; Stenografischer Bericht der 78. Sitzung des Niedersächsischen Landtages vom 11. November 2015, Plenarprotokoll 17/78, S. 7713; Stenografischer Bericht der 85. Sitzung des Niedersächsischen Landtages vom 20. Januar 2016, Plenarprotokoll 17/85, S. 8557. 407 Eine Ausnahme hierzu bilden Niederschriften des 8. Deutschen Bundestages, in denen Pairingvereinbarungen auch ohne weiteren Anlass festgehalten wurden, vgl. z. B. Deutscher Bundestag, 8. Wahlperiode, Plenarprotokoll der 69. Sitzung vom 26. Januar 1978, S. 5395 und 5493. 408 Exemplarisch: „NRW-CDU verschärft Gangart nach WestLB-Eklat“, in: Westfälische Rundschau, Online-Ausgabe vom 1. Juli 2011, https://www.wr.de/politik/nrw-cduverschaerft-gangart-nach-westlb-eklat-id4825237.html?service=amp, zuletzt aufgerufen am 12. Dezember 2019. 409 Deutscher Bundestag, 13. Wahlperiode, Plenarprotokoll der 160. Sitzung vom 27. Februar 1997, S. 14391; Deutscher Bundestag, 15. Wahlperiode, Plenarprotokoll der 75. Sitzung vom 13. November 2003, S. 6461; Landtag Nordrhein-Westfalen, Plenarprotokoll 15/37 vom 30. Juni 2011, S. 3674 ff.

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

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Die Beweggründe für eine Pairingzusage sind vielfältig. Während die Regierungsfraktion durch die Wahrung ihrer Mehrheit trotz des Fehlens eines oder mehrerer ihrer Mitglieder offenkundig vom Pairing profitiert, erschließen sich die Vorzüge für die Oppositionsfraktion nicht auf den ersten Blick.410 Gleichwohl kann auch sie Vorteile aus dem Pairing ziehen: Im allgemeinen Parlamentsverständnis stellt das Pairing ein Gebot der politischen Fairness zur Wahrung der durch die Wahl zum Ausdruck gekommenen Mehrheitsverhältnisse dar.411 Lässt eine Oppositionsfraktion sich auf eine Pairingvereinbarung ein, so kann sie sich in der Öffentlichkeit sowohl als besonders sensibel gegenüber dem Willen des Volkes als auch als besonders fair gegenüber der Gegenseite präsentieren. Letzteres gilt insbesondere dann, wenn die Regierungsfraktionen im Falle des Scheiterns einer entsprechenden Abrede gewillt sind, zur Wahrung ihrer Mehrheit auch Schwerkranke in den Sitzungssaal transportieren zu lassen.412 Darüber hinaus besteht gerade in Parlamenten mit knappen Mehrheitsverhältnissen die Chance für die Opposition, bereits bei der nächsten Wahl zu der die Regierung tragenden Parlamentsmehrheit zu werden. In diesem Fall kann auch sie darauf angewiesen sein, dass die Gegenseite in die Durchführung eines Pairingverfahrens einwilligt. Dementsprechend beruht die Fairness häufig schlicht auf dem Kalkül des wechselseitigen Gebens und Nehmens. Zudem dürfte die Opposition auch ein Interesse daran haben, in der Öffentlichkeit nicht als schlechte Wahlverliererin zu erscheinen, die durch die Verweigerung eines Pairings um jeden Preis eine kurzfristige Mehrheit erringen will.413 Im Übrigen wird vereinzelt vertreten, dass das Demokratieprinzip die Wahrung der Stärkeverhältnisse gebiete, so dass zumindest in Fällen erzwungener Abwesenheit, also beispielsweise im Krankheitsfall oder bei notwendiger Teilnahme eines Parlamentsmitgliedes an einer internationalen Veranstaltung, das Pairing von der Verfassung gefordert sei.414

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Butzer/Henkenötter, in: ZG 1995, 328, 331. Butzer, in: BeckOK Epping/Hillgruber, Art. 38, Rn. 106.3; Butzer/Henkenötter, in: ZG 1995, 328, 332; Kremer, in: Festgabe für Werner Blischke, S. 9, 17. 412 Derartige Fälle sind insbesondere aus dem Niedersächsischen Landtag bekannt. So ließ die CDU-Fraktion in der 11. Wahlperiode einen Abgeordneten mit dem Hubschrauber aus dem Krankenhaus einfliegen und mit dem Rollstuhl zur Abstimmung in den Plenarsaal schieben, vgl. dazu „Wenn der Fraktionschef zweimal klingelt“, in: Der Spiegel, Online-Ausgabe vom 10. Mai 2008, http://www.spiegel.de/politik/deutsch land/parlaments-schwaenzer-wenn-der-fraktionschef-zweimal-klingelt-a-544499-6.html, zuletzt aufgerufen am 12. Dezember 2019. Aus der 17. Wahlperiode sind der Verfasserin mindestens zwei Fälle bekannt, in denen Abgeordnete der SPD-Fraktion trotz hohen Fiebers auf Aufforderung der Fraktionsspitze an Abstimmungen teilnahmen, weil die Opposition sich dem Pairing in diesen Fällen verweigert hatte. Vgl. zu dieser Thematik auch Butzer/Henkenötter, in: ZG 1995, 328, 332; Schuldei, Pairing, S. 75. 413 Butzer/Henkenötter, in: ZG 1995, 328, 335. 414 Schuldei, Pairing, S. 103. 411

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3. Teil: Lösungsansätze

II. Verfahren Pairingabsprachen können zwischen einzelnen Abgeordneten oder zwischen den Fraktionen getroffen werden.415 Sie können sich auf eine einzelne Abstimmung oder auf einen längeren Zeitraum beziehen.416 In der derzeitigen parlamentarischen Praxis erfolgen die Absprachen aus Gründen der besseren Übersicht und Planbarkeit überwiegend durch oder unter Beteiligung der jeweiligen Fraktionsspitzen.417 Dies erklärt sich bereits aus der typischen Pairingsituation, die auf knappen Mehrheitsverhältnissen beruht. Unter solch knappen Bedingungen ist der Regierungsmehrheit naturgemäß daran gelegen, ihre Abgeordneten bei voraussichtlich strittigen Abstimmungen möglichst vollzählig im Plenarsaal zu versammeln, damit die Mehrheit gewahrt bleibt. Gleichzeitig ist der Opposition regelmäßig daran gelegen, der Gegenseite eine Abstimmungsniederlage zuzufügen. Dementsprechend sind insbesondere die Parlamentarischen Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer der Fraktionen, deren Aufgabe es unter anderem ist, Absprachen mit ihren Pendants bei den anderen Fraktionen zu treffen und bei Abstimmungen für die Anwesenheit ihrer Kolleginnen und Kollegen sowie für ein möglichst geschlossenes Auftreten zu sorgen,418 stets darauf bedacht, über alle potentiellen Pairingfälle informiert zu sein. Ein ohne Einbeziehung der Fraktionsspitze durchgeführtes eigenmächtiges Pairing kommt daher bereits aus Gründen des vertrauensvollen fraktionsinternen Umgangs miteinander selten bis gar nicht vor.419 Im Falle der Pairingabsprache durch die Fraktionen fragt die Fraktionsspitze der das Pairing gewährenden Seite in der Regel fraktionsintern, wer von den Abgeordneten bereit ist, auf die Abstimmungsteilnahme zu verzichten. Vor dem Hintergrund der vielfältigen weiteren Verpflichtungen der Abgeordneten sowie vor dem Hintergrund der parlamentarischen Fairness dürften sich in aller Regel genügend Fraktionsmitglieder dazu bereitfinden. Im Falle der Verweigerung eines Mitgliedes wird sich regelmäßig ein anderes Mitglied, das die Linie der Gesamtfraktion mitträgt, zum Pairing bereiterklären –420 notfalls die Parlamen-

415 Kluth, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Art. 38, Rn. 77; Versteyl, in: Schneider/Zeh, § 14, Rn. 38. 416 Schuldei, Pairing, S. 62 f. 417 Eigene Erfahrung der Verfasserin aus dem Niedersächsischen Landtag der 17. Wahlperiode; ähnlich: Platter, S. 19; Röttger, in: JuS 1977, 7, 8; Schuldei, Pairing, S. 61 f.; vgl. dazu Butzer/Henkenötter, in: ZG 1995, 328, 336 ff., die für die 13. Wahlperiode des Deutschen Bundestages von einer durch die Fraktionsspitze genehmigungsbedürftigen Absprache zwischen zwei Abgeordneten ausgehen. 418 Klein/Krings, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, § 17, Rn. 30; Petersen, Parlamentarische Geschäftsführer, S. 195 f. und passim; Schuldei, Pairing, S. 61. 419 Schuldei, Pairing, S. 62; sowie eigene Erfahrung der Verfasserin aus dem Niedersächsischen Landtag der 17. Wahlperiode. 420 Butzer/Henkenötter, in: ZG 1995, 328, 342.

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

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tarische Geschäftsführung oder der bzw. die Fraktionsvorsitzende selbst. Sofern nicht einmal die Fraktionsspitze selbst zum Pairing bereit wäre, würde sie es von vornherein gar nicht vereinbaren bzw. notfalls im Vorfeld der Sitzung die Vereinbarung kündigen. Die Umsetzung einer zwischen den Fraktionen getroffenen Pairingvereinbarung begegnet daher in der parlamentarischen Praxis keinerlei Problemen.421 Der konstruierte Fall, dass ein insoweit unwilliges Mitglied unter Anwendung unzulässigen Fraktionszwangs und damit unter Eingriff in das durch Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG garantierte freie Mandat zum Pairing gezwungen wird,422 ist hingegen wirklichkeitsfern und in der bundesdeutschen Parlamentsrealität unbekannt.423 Pairing findet bislang ausschließlich auf freiwilliger Basis statt.424 III. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer Pflicht zum Pairing Im Rahmen der Einführung von Mutterschutz bzw. Elternzeit für Abgeordnete stellt sich jedoch die Frage, ob eine Fraktion der Gegenseite – und damit auch ein Parlamentsmitglied der Gegenseite – zur Wahrung der Mehrheitsverhältnisse zum Pairing verpflichtet werden kann. 1. Grundsätzlicher Rahmen

Bevor eine mögliche Kollision mit anderweitigem Verfassungsrecht geprüft werden kann, muss zunächst ein Verfahren festgelegt werden, nach dem ein obligatorisches Pairing durchgeführt werden könnte. Konkret ist dabei die Frage zu klären, wie die Pairingpflicht individualisiert werden kann, welchem Parlamentsmitglied also jeweils die Abstimmungsteilnahme verwehrt würde. a) Generell: Keine willkürliche Auswahl Soll die Option des verpflichtenden Pairings ernsthaft geprüft werden, so verbietet sich jede Willkürentscheidung zur Bestimmung des nichtabstimmungsberechtigten Mitgliedes. Andernfalls scheidet das obligatorische Pairing bereits durch den Weg zur Auswahl des Pairingpartners aus. Aus diesem Grund bietet es sich nicht an, eine vom Parlament eingesetzte Person oder Personengruppe mit der freien Auswahl des Pairingpartners zu betrauen. Denn eine solche jeweils nach eigenem Gutdünken erfolgende subjektive Bestimmung der nichtabstimmungsberechtigten Person kann zu extremen Ungleichbehandlungen der Abge421

Schuldei, Pairing, S. 63. So Röttger, in: JuS 1977, 7, 8. 423 Schuldei, Pairing, S. 76. 424 Schuldei, Pairing, S. 140; Thiele, Entscheidungsfindung, S. 472; Versteyl, in: Schneider/Zeh, § 14, Rn. 37. 422

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3. Teil: Lösungsansätze

ordneten führen und damit einen Verstoß gegen den aus Art. 38 Abs. 1 GG hergeleiteten Grundsatz der Mandatsgleichheit begründen. Darüber hinaus dürfte die Auswahl der Pairingverpflichteten nach eigenem Ermessen einer Person oder Personengruppe als Dazwischentreten eines externen Dritten zwischen Wählende und Gewählte zu verstehen sein, so dass auch ein Verstoß gegen den aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG resultierenden Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl gegeben wäre. b) Erste Stufe: Auswahl der verpflichteten Fraktion Als mögliche Verfahrensweise zur Bestimmung des Pairingpartners bietet sich ein abgestuftes Verfahren an. Um die jeweils durch die Pairingverpflichtung mittelbar betroffenen Fraktionen gleichmäßig zu belasten, ist zunächst zu bestimmen, welche Fraktion der Gegenseite (also bei einem Abwesenheitsfall einer der regierungstragenden Fraktionen eine der nicht-regierungstragenden Fraktionen und umgekehrt) im konkreten Fall zum Pairing verpflichtet ist. Dies kann beispielsweise nach einem der gängigen Berechnungsverfahren erfolgen, die in den deutschen Parlamenten auch für die Zuteilung der Ausschusssitze auf die Fraktionen verwendet werden, etwa gemäß dem Verfahren nach Hare/Niemeyer, nach d’Hondt oder nach Sainte-Lague/Schepers.425 Die Berücksichtigung fraktionsloser Abgeordneter kann – zumindest solange deren Anzahl sich auf einem derartig geringen Niveau bewegt wie dies seit Beginn der bundesrepublikanischen Zeit der Fall ist – vernachlässigt werden. Eine Abkehr hiervon ist allenfalls dann zu erwägen, wenn sich die diesbezügliche Situation signifikant ändert. c) Zweite Stufe: Auswahl des verpflichteten Mitglieds In einer zweiten Stufe erfolgt dann die Bestimmung des konkreten Pairingpartners innerhalb der zum Pairing bestimmten Fraktion. Auch dabei empfiehlt sich wiederum ein abgestuftes Verfahren: Im Sinne einer größtmöglichen Wahrung der Mandatsfreiheit sollte zunächst nach freiwilligen Pairingpartnern gesucht werden. Erst wenn sich kein Fraktionsmitglied freiwillig zum Pairing bereit erklärt, ist in einem zweiten Schritt ein Mitglied zu bestimmen. Zur Vermeidung willkürlicher Entscheidungen hat dies nach objektiven Kriterien zu erfolgen. Hierbei bieten sich vielfältige Möglichkeiten: Zu denken ist etwa an die Festlegung per Losentscheid oder nach gleicher regionaler Zugehö425 Der Deutsche Bundestag beschließt zu Beginn jeder Legislaturperiode das Verfahren zur Zuteilung der Ausschusssitze. Vgl. hierzu und zur Darstellung der drei oben genannten Berechnungsverfahren den archivierten Internetauftritt des Deutschen Bundestages: https://web.archive.org/web/20130512151006/http://www.bundestag.de/bun destag/ausschuesse17/azur/index.html, zuletzt aufgerufen am 12. Dezember 2019.

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

363

rigkeit wie das fehlende Mitglied der Gegenseite.426 Ebensogut möglich wäre aber auch eine Bestimmung der nichtabstimmungsberechtigten nach Lebensalter, Dauer der Parlamentszugehörigkeit oder schlichtweg nach dem Alphabeth. Diese Verfahren können im Sinne der Gleichheit der Abgeordneten (Art. 38 Abs. 1 GG) für sich verbuchen, dass bei jedem neu auftretenden Pairingfall ein anderes Mitglied nach einer vorher festgelegten Reihenfolge zum Pairing berufen ist. Die Objektivität der Bestimmung des nichtabstimmungsberechtigten Parlamentsmitgliedes nach vorher feststehenden allgemeinen Kriterien ist bei dieser Methode gewahrt. Zudem sollte das Verfahren so gestaltet werden, dass die Versagung der Abstimmungsteilnahme für das jeweilige Parlamentsmitglied jeweils nur für einen Sitzungstag oder sogar nur für einen einzelnen Tagesordnungspunkt gilt. Angesichts der zahlenmäßigen Größe der Parlamente dürfte in diesem Fall ein längerer Zeitraum vergehen, bevor das betreffende Mitglied erneut zum Pairing verpflichtet wird. Gemessen an der Vielzahl der im Laufe einer Legislaturperiode zur Abstimmung stehenden Beratungsgegenstände wird das einzelne Parlamentsmitglied damit durch die punktuell auftretende Pairingverpflichtung nur vergleichsweise geringfügig belastet. Gleichwohl ist weiterhin zu überprüfen, ob die Rechtspflicht zum Pairing – vor dem Hintergrund dieses objektivierten Verfahrens – verfassungsrechtlich zulässig ist. 2. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit

Verfassungsrechtliche Bedenken gegenüber dem obligatorischen Pairing könnten insbesondere darin zu sehen sein, dass die Fraktionen in der deutschen Parlamentspraxis bei umstrittenen Abstimmungen zwar überwiegend geschlossene Blöcke darstellen – es aber gleichwohl nicht die Fraktionen sind, die abstimmen, sondern die einzelnen Abgeordneten. Will man ein verpflichtendes Pairing einführen, so ist nicht einer Fraktion, sondern einem konkreten Parlamentsmitglied jeweils zu verbieten, an der Abstimmung (oder an mehreren Abstimmungen eines bestimmten Zeitraumes) teilzunehmen. Dies könnte gegen den durch Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG gewährten Grundsatz der Mandatsfreiheit verstoßen. Darüber hinaus könnte eine Ungleichbehandlung derjenigen Abgeordneten, die zwingend Pairingpartner werden, gegenüber den übrigen Abgeordneten, die ungehindert an der Abstimmung teilnehmen dürfen, vorliegen, so dass auch ein Verstoß gegen den aus Art. 38 Abs. 1 GG hergeleiteten Grundsatz der Mandatsgleichheit vorliegen könnte. Im Folgenden ist das obligatorische Pairing daher an den vorgenannten Grundsätzen des freien und des gleichen Abgeordnetenmandates zu messen. 426

Schuldei, Pairing, S. 177.

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3. Teil: Lösungsansätze

a) Grundsatz der Freiheit des Mandats Wie bereits eingehend erläutert, stellt das durch Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG garantierte freie Mandat gewissermaßen den Schlüsselbegriff des Abgeordnetenstatus dar427 und schützt die Abgeordneten vor allem, was den Bestand oder die freie Ausübung ihres Mandats beeinträchtigen könnte.428 Dabei wird die Mandatsfreiheit jedoch nicht schrankenlos gewährt, sondern kann durch andere Rechtsgüter von Verfassungsrang insoweit eingeschränkt werden, als dies für die gemeinschaftliche Wahrnehmung der Vertretung des Volkes durch das Parlament als Ganzes erforderlich ist.429 aa) Beschränkbarkeit des Stimmrechts Es stellt sich daher die Frage, ob auch das durch den Grundsatz der freien Mandatsausübung geschützte Recht der Abgeordneten auf Teilnahme an parlamentarischen Abstimmungen durch andere Verfassungsgüter beschränkt werden kann. Bereits aus der Natur der Volksvertretung ergibt sich, dass das Stimmrecht der Abgeordneten eines der Kernelemente des Mandates darstellt. Nach Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG wird die vom Volke ausgehende Staatsgewalt unter anderem durch besondere Organe der Gesetzgebung ausgeübt; konkret sind dies der Deutsche Bundestag und die Länderparlamente.430 Wenngleich die Bedeutung des Deutschen Bundestages weit über die reine Gesetzgebung hinausreicht,431 so ist die wesentliche Aufgabe der Parlamente dennoch die Wahrnehmung der Staatsgewalt durch die Entscheidung über die ihm vorliegenden Gegenstände. Die Entscheidung vollzieht sich durch Beratung und anschließende Abstimmung mit dem Ergebnis eines Beschlusses im Sinne des Art. 42 Abs. 2 Satz 1 GG.432 Wie bereits dargelegt,433 stellt die Befugnis, im Parlament beschließen zu können, mithin ein wesentliches Element der Abgeordnetenrechte dar.434 Überwiegend 427 Stern, Bd. I, § 24 IV. 2 m.w. N.; vgl. zur Mandatsfreiheit oben im ersten Teil, zweites Kapitel, C. III., S. 76 ff. 428 Badura, in: Schneider/Zeh, § 15, Rn. 9; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 38, Rn. 47 f. 429 BVerfGE 80, 188, 219; 99, 19, 32; 130, 318, 348; Burghart, in: Leibholz/Rink, Art. 38, Rn. 511; Wiefelspütz, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, § 12, Rn. 29. 430 Klein, in: Maunz-Dürig, Art. 38, Rn. 30 und 42. 431 Klein, in: Maunz-Dürig, Art. 38, Rn. 30. 432 Vgl. zu den Verhandlungsgegenständen des Deutschen Bundestages § 75 GOBT sowie zum Beratungsverfahren §§ 78 ff. GOBT. 433 Vgl. oben im dritten Teil, zweites Kapitel, C. II. 1. a), S. 349. 434 Ähnlich, wenngleich mit anderem Schwerpunkt, BVerfGE 10, 4, 12; 70, 324, 355; 80, 188, 218; VerfGH Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 5. November 2018, VGH A 19/18, Rn. 19, BeckRS 2018, 28185; Schmahl, in: Austermann/Schmahl, Vor § 1, Rn. 15; Schuldei, in: ZRP 1999, 424, 426; Trute, in: von Münch/Kunig, Art. 38, Rn. 92.

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

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wird daher vertreten, dass das Stimmrecht der Abgeordneten keinerlei Einschränkungen unterliege.435 Tatsächlich gebietet der Grundsatz des freien Mandates, das Recht des einzelnen Parlamentsmitgliedes, an der parlamentarischen Willensbildung und an den entsprechenden Entscheidungen mitzuwirken, nicht grundsätzlich in Frage zu stellen und es ihm daher nicht vollständig zu entziehen.436 Das deutsche Parlamentsrecht kennt jedoch Umstände, unter denen einzelnen Abgeordneten das Stimmrecht gleichwohl für einen begrenzten Zeitraum entzogen werden darf. So können Mitglieder des Deutschen Bundestages beispielsweise wegen gröblicher Verletzung der Ordnung oder der Würde des Bundestages nach § 38 GO BT für die Dauer der Sitzung des Saales verwiesen und für bis zu 30 Sitzungstage von der Sitzungsteilnahme ausgeschlossen werden. Für die Länderparlamente existieren vergleichbare Regelungen.437 Der Grund hierfür liegt in der Wahrung der Würde des Parlaments sowie im Erfordernis der Funktionsfähigkeit des Parlaments begründet:438 Das Ansehen der Volksvertretung steht im unmittelbaren Zusammenhang mit der Akzeptanz der Demokratie im Allgemeinen und des Parlaments als ihrer zentralen Institution im Besonderen, so dass die Würde des Parlaments ein hohes Schutzgut darstellt, das zur Sicherstellung einer funktionierenden demokratischen Ordnung essentiell ist.439 Daraus ist zu schließen, dass eine Einschränkung des Stimmrechtes der Abgeordneten zumindest zeitweise durch andere Rechtsgüter von Verfassungsrang – jedenfalls durch die Würde des Parlaments und die Funktionsfähigkeit des Parlaments – gerechtfertigt sein kann.440 Insoweit besteht auch keine Vergleichbarkeit zu der Übertragung des Stimmrechts auf ein anderes Parlamentsmitglied, die hier als verfassungsrechtlich unzulässig beurteilt wurde.441 Denn im Gegensatz zu dem bereits seit vorkonstitutioneller Zeit unangetasteten und insbesondere durch das Prinzip der Mandatsgleichheit abgesicherten Grundsatz der Höchstpersönlichkeit des Stimmrechts – der im Ergebnis zu dessen Unübertragbarkeit führt – sind sowohl der Verzicht auf die Abstimmung als auch, wie soeben dargestellt, der Entzug des Stimmrechts grundsätzlich möglich.

435 Jeweils ohne Begründung Badura, Staatsrecht, Teil E, Rn. 29; Klein, in: MaunzDürig, Art. 38, Rn. 231; Kretschmer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, 11. Auflage 2008, Art. 38, Rn. 68; Magiera, in: Sachs, Art. 38, Rn. 61; Platter, S. 20. 436 BVerfGE 80, 188, 219; 84, 304, 321 f.; ähnlich auch BVerfGE 44, 308, 316 f. 437 Exemplarisch für Hamburg: § 48 Abs. 1 GOBü; für Niedersachsen: § 88 GO LT NDS; für Nordrhein-Westfalen: § 37 GO LT NRW. 438 Vgl. hierzu auch Schürmann, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, § 20, Rn. 60 ff. 439 Hamburgisches Verfassungsgericht, Urteil vom 2. März 2018 – HmbVerfG 3/17, NordÖR 2018, 189. 440 Im Ergebnis ebenso Schuldei, Pairing, S. 166 f. 441 Vgl. oben im dritten Teil, zweites Kapitel, C. III., S. 355.

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3. Teil: Lösungsansätze

bb) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Angesichts dessen stellt sich die Frage, ob es hinter dem obligatorischen Pairing aus Gründen des Mutterschutzes und der Elternzeit für Abgeordnete stehende Verfassungswerte gibt, die den Eingriff in die Mandatsfreiheit eines bestimmten Parlamentsmitgliedes verfassungsmäßig zu rechtfertigen vermögen. (1) Legitimer Zweck Der hier gegenständlichen potentiellen Einführung des obligatorischen Pairings liegt die Verschiebung der durch die Wahl zum Ausdruck gekommenen Mehrheitsverhältnisse zugrunde, die wiederum auf der Gewährung von Mutterschutz und Elternzeit für Abgeordnete beruht. Mit der Pflicht zum Pairing soll der auf den Willen der Wählenden zurückzuführende Stimmabstand der Fraktionen zueinander gewahrt bleiben.442 Dies soll insbesondere gewährleisten, dass gerade in Parlamenten mit knappen Mehrheitsverhältnissen kein innerer oder (wenngleich unzulässiger) äußerer Druck auf ein betreffendes Parlamentsmitglied ausgeübt wird, der die Wahrnehmung von Mutterschutz oder Elternzeit faktisch unmöglich machen oder zumindest erschweren würde. Letztlich kann das hier gegenständliche Pairing also die in Art. 20 Abs. 2 GG zum Ausdruck gebrachte Volkssouveränität443 sowie den verfassungsrechtlich garantierten Mutterschutz des Art. 6 Abs. 4 GG, das Eltern- und Familienrecht des Art. 6 Abs. 1 und 2 Satz 1 GG, das in Art. 3 Abs. 2 GG normierte Grundrecht auf Gleichberechtigung der Geschlechter sowie den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG für sich geltend machen. Ein durch die Verfassung legitimierter Zweck ist damit gegeben. (2) Geeignetheit Das verpflichtende Pairing ist auch dazu geeignet, den gewünschten Zweck zu erreichen: Sobald ein Parlamentsmitglied der einen Seite aus Gründen des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit nicht an parlamentarischen Abstimmungen teilnimmt, wird es durch ein Mitglied der anderen Seiten gepairt. Dadurch ist gewährleistet, dass die Stimmabstände der Fraktionen zueinander stets gleich bleiben, so dass der mit der Wahl zum Ausdruck gekommene Wille der Wählenden stets gewahrt ist und damit Sinn und Zweck des Pairings erfüllt sind.

442 Vgl. auch Schuldei, Pairing, S. 124 und 165 ff. sowie Thiele, Entscheidungsfindung, S. 472, die das Bestreben zur Wahrung der Mehrheitsverhältnisse auf das Demokratieprinzip zurückführt. 443 Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 20, Rn. 1.

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

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(3) Erforderlichkeit Das obligatorische Pairing müsste jedoch auch erforderlich sein, es dürfte also kein milderes, ebenso erfolgversprechendes Mittel geben, durch das der angestrebte Zweck ebenso gut erreicht werden kann. (a) Freiwilliges Pairing Als milderes Mittel kommt zuallererst das freiwillige Pairing in Betracht. Bereits aus der Natur der Sache ergibt sich, dass freiwillige Pairingabsprachen in Bezug auf die Mandatsfreiheit der Pairingpartner weniger einschneidend wirken als ein verpflichtendes Pairing. Die Freiwilligkeit der Abrede birgt jedoch zugleich ein Risiko in Bezug auf ihr Zustandekommen. Zudem kann sich die Pairingbereitschaft je nach politischer Lage und tonangebenden Akteuren auch kurzfristig ändern.444 Im Übrigen ist eine Pairingkultur in einigen deutschen Parlamenten bislang kaum bis gar nicht vorhanden,445 so dass eine entsprechende Entwicklung hin zu einer Pairingbereitschaft noch aussteht. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass ein freiwilliges Pairing in jedem Fall zustande kommt. Somit ist das freiwillige Pairing im Hinblick auf die Erreichung des oben beschriebenen Zwecks weniger erfolgversprechend als das verpflichtende Pairing. (b) Befristete Nachfolge Zur Aufrechterhaltung der durch die Wahl zum Ausdruck gekommenen Mehrheitsverhältnisse im Parlament eignet sich auch das oben bereits ausführlich erörterte Institut der befristeten Nachfolge.446 Allerdings setzt ein zeitlich befristetes Nachrücken voraus, dass ein Mandat für den in Aussicht genommenen Nachrückzeitraum vakant ist; Voraussetzung für die befristete Nachfolge ist also das Ruhen eines Mandates. Bei einer reinen Nichtwahrnehmung des Mandates ändert sich hingegen nichts am parlamentarischen Status des mutterschutz- bzw. elternzeitwilligen Mitgliedes; es behält also seine Berechtigung zur Wahrnehmung sämtlicher parlamentarischen Rechte. In diesem Fall besteht kein Grund zur Berufung eines weiteren Mitgliedes. Zudem würde die Schaffung eines zusätzlichen Mandates auch den hier verfolgten Zweck – nämlich die Wahrung der durch die Wahl zum Ausdruck gekommenen Stimmabstände der Fraktionen – konterkarieren. Würde man zu444 Zur jederzeitigen Widerrufsmöglichkeit einer Pairingabrede Thiele, Entscheidungsfindung, S. 472. 445 Vgl. etwa für den Landtag Brandenburg Platter, S. 19, Fn. 54. 446 Vgl. oben im dritten Teil, zweites Kapitel, B. III., S. 297 ff.

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3. Teil: Lösungsansätze

sätzlich ein weiteres Mitglied befristet als Nachfolgemitglied in das Parlament berufen, so wäre die Fraktion, der das Mutterschutz- bzw. Elternzeitmitglied angehört, personell um ein Mitglied verstärkt. Die Mehrheitsverhältnisse hätten sich also zugunsten dieser Fraktion verschoben. Für den Fall der schlichten Nichtwahrnehmung des Mandates ist das befristete Nachrückverfahren demnach nicht zur Zweckerreichung geeignet. Im Gegenteil verstieße die anlasslose Schaffung eines weiteren Mandates – und damit die Vermehrung der Mandate einer bestimmten Fraktion – gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG. Es stellt also kein milderes Mittel dar. In Bezug auf das ruhende Mandat ist die befristete Nachfolge hingegen verfassungsrechtlich zulässig.447 Sie greift allerdings – in gerechtfertigter Weise – in den Grundsatz der Gleichheit des Mandats ein,448 der von der Wertigkeit her mit dem Grundsatz der Freiheit des Mandats vergleichbar ist. Vergleicht man die Rechtsposition des durch die Befristung des Mandats belasteten Nachfolgemitgliedes mit derjenigen des zum Pairing verpflichteten Mitgliedes, so zeigt sich auch hier eine ungefähre Gleichwertigkeit der Beeinträchtigungen: Das befristet berufene Mitglied ist zwar bezogen auf die Dauer seines Mandats gegenüber den übrigen Abgeordneten benachteiligt – dafür hat es jedoch während dieser Mandatsdauer die gleichen parlamentarischen Rechte wie alle übrigen Abgeordneten und ist während dieser Zeit ein vollwertiges Parlamentsmitglied. Das zum Pairing verpflichtete Mitglied hingegen unterliegt innerhalb der Wahlperiode keinerlei Beschränkung hinsichtlich der Dauer des Mandats – dafür darf es jedoch während dieser Mandatsdauer nicht an allen Entscheidungen mitwirken. In der Gesamtschau stellt sich die befristete Nachfolge in ein ruhendes Mandat daher als in ähnlicher Art und Weise eingreifendes, nicht aber als milderes Mittel dar.449 (c) Fernabstimmung Ebenso stellt die Abstimmungsteilnahme des in Mutterschutz bzw. Elternzeit befindlichen Parlamentsmitgliedes per Fernabstimmung kein milderes, ebenso effektives Mittel zur Zweckerreichung dar. Zwar werden hierdurch die Mehrheitsverhältnisse gewahrt, ohne dass die parlamentarischen Rechte einzelner Abgeordneter beeinträchtigt werden. Es handelt sich damit um ein milderes Mittel. Bezieht man den im Hintergrund stehenden Regelungszweck, nämlich die Gewährung von Mutterschutz bzw. Elternzeit für Abgeordnete mit ein, ist die Teil447

Vgl. oben im dritten Teil, zweites Kapitel B. III. 6., S. 346. Vgl. oben im dritten Teil, zweites Kapitel B. III. 3. c), S. 339 f. 449 Zu einem anderen Ergebnis kommt Schuldei, Pairing, S. 170 f., der das Nachrückverfahren für milder, aber weniger geeignet hält als eine Pflicht zum Pairing. Dabei bezieht er sich indes auf die kurzfristige Verhinderung von Abgeordneten. 448

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

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nahme per Fernabstimmung jedoch nicht ebenso effektiv wie das Pairing. Die Wahrung des Stimmabstandes zwischen den Fraktionen wird als Teilzweck zwar erreicht. Dem eigentlich mutterschutz- oder elternzeitwilligen Parlamentsmitglied wird durch diese Option jedoch keine vollständige Auszeit gewährt. Denn der Teilnahme per Fernabstimmung ist eine ebensolche Teilnahme immanent. Auch wenn eine Entlastung der betreffenden Abgeordneten dadurch erfolgt, dass für die Abstimmungsteilnahme keine örtliche Präsenz am Parlamentsort erforderlich ist, so erfordert die Mitwirkung an Abstimmungen jeweils eine gewisse Vorbereitung des betreffenden Mitgliedes auf die zur Abstimmung stehenden Beratungsgegenstände. Im Übrigen sind die Mehrheitsverhältnisse durch das Instrument der Fernabstimmung nur dann gewahrt, wenn die auf diese Weise teilnehmenden Abgeordneten sich während der Plenarsitzungen jederzeit zur Abstimmung bereithalten. Denn der Verlauf von Plenardebatten ist nahezu unkalkulierbar. Auch an einem Tag, an dem eigentlich keine strittigen Abstimmungen vorgesehen sind, kann es jederzeit beispielsweise zu einer hitzigen Geschäftsordnungsdebatte mit anschließender kontroverser Abstimmung kommen. Dementsprechend stellt das Institut der Fernabstimmung im Rahmen des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit eine Arbeitsbelastung für die betreffenden Abgeordneten dar, die bei einer reinen Inanspruchnahme des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit – unter Umständen mit gleichzeitigem Pairing oder temporär nachrückendem Ersatzmitglied – nicht auftreten. Insgesamt ist die Abstimmungsteilnahme des in Mutterschutz bzw. Elternzeit befindlichen Parlamentsmitgliedes per Fernabstimmung daher nicht ebenso effektiv wie das Pairing. (d) Übertragung des Stimmrechts Die Übertragung des Stimmrechts auf ein anderes Parlamentsmitglied ist verfassungsrechtlich unzulässig.450 Demzufolge stellt sie kein milderes, im Hinblick auf die Zweckerreichung ebenso effektives Mittel wie das obligatorische Pairing dar. Andere Optionen, die ein milderes Mittel darstellen, mit dem der angestrebte Zweck ebenso gut erreicht werden kann, sind nicht ersichtlich. Das verpflichtende Pairing ist daher erforderlich, um die durch die Wahl zum Ausdruck gekommenen Mehrheitsverhältnisse auch in den Fällen zu wahren, in denen Abgeordnete Mutterschutz und bzw. oder Elternzeit in Anspruch nehmen, ohne dass gleichzeitig eine befristete Nachfolge besteht.

450

Vgl. oben im dritten Teil, zweites Kapitel, C. III., S. 355.

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3. Teil: Lösungsansätze

(4) Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne Die Kollision mit dem in Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG gesicherten Grundsatz des freien Mandats ist indes nur dann im Ganzen verfassungsmäßig gerechtfertigt, wenn sie auch angemessen, also im engeren Sinne verhältnismäßig, ist.451 (a) Gewicht der Kollision mit der Mandatsfreiheit Zur Beurteilung der Angemessenheit ist zunächst die Schwere der Kollision der Pairingverpflichtung mit der Mandatsfreiheit der jeweils verpflichteten Abgeordneten in den Blick zu nehmen. Nach den oben dargestellten Ausgestaltungsgrundsätzen kann das Gewicht der jeweiligen Beeinträchtigung vergleichsweise gering gehalten werden. Bestimmt man beispielsweise die nichtabstimmungsberechtigten Personen alphabetisch jeweils nur für die strittigen Abstimmungen an einem einzigen Tag oder gar zu jeweils einem einzelnen Tageordnungspunkt, so wiegt die Beeinträchtigung bei Weitem nicht so schwer, wie wenn ein Parlamentsmitglied für die Dauer der gesamten Mutterschutzzeit eines Mitgliedes der Gegenseite zum Pairing bestimmt wird. Die Versagung der Teilnahme an einer einzelnen Abstimmung wiegt zudem auch weniger schwer als etwa der – ebenfalls mögliche – Ausschluss von der Sitzungsteilnahme nach § 38 GO BT bzw. entsprechenden landesrechtlichen Regelungen.452 Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass ein derartiger Sitzungsausschluss eine Ahndung ungebührlichen Verhaltens des entsprechenden Parlamentsmitgliedes darstellt und demnach von diesem zu beeinflussen ist. Letzteres ist beim Pairing nicht der Fall: Die Nichtteilnahme an der Sitzung erfolgt zur Wahrung der infolge der Inanspruchnahme von Mutterschutz oder Elternzeit in ein Ungleichgewicht geratenen Mehrheitsverhältnisse. Das Verhalten des pairingverpflichteten Mitgliedes hat hierzu hingegen keinen Bezug. Gleichwohl ist die erzwungene Nichtteilnahme an einzelnen Abstimmungen auch ins Verhältnis zu den insgesamt innerhalb einer Legislaturperiode vorzunehmenden Abstimmungen zu setzen. In der vergangenen 18. Wahlperiode des Deutschen Bundestages wurden beispielsweise 245 Plenarsitzungen mit einer Gesamtsitzungszeit von 1.861 Stunden und 15 Minuten gehalten; hierüber wurden insgesamt 25.304 Seiten stenographische Berichte gefertigt.453 In der weit über451 Vgl. zu den Voraussetzungen der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne BVerfGE 30, 292, 416; 96, 10, 21; 113, 167, 260, jeweils m.w. N. 452 Exemplarisch: § 88 GO LT NDS; § 37 GO LT NRW. 453 Datenhandbuch des Deutschen Bundestages, Kapitel 7.3 Plenarsitzungsstatistik, online verfügbar unter: https://www.bundestag.de/resource/blob/196272/8f62af680612 b1f76080e6c9c7fbb30e/Kapitel_07_03_Plenarsitzungsstatistik-data.pdf, zuletzt aufgerufen am 12. Dezember 2019.

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

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wiegenden Mehrzahl der Sitzungen werden mehrere Tagesordnungspunkte – zum Teil in zweistelliger Größenordnung – behandelt und zum Teil in mehreren Teilabstimmungen zur Abstimmung gestellt.454 Vor diesem Hintergrund stellt sich die Hinderung der Teilnahme an einzelnen Abstimmungen als noch vergleichsweise moderat dar. Gleichzeitig ist jedoch zu berücksichtigen, dass dem zum Pairing verpflichteten Mitglied für die jeweilige Abstimmung das elementare Kernrecht der Abgeordneten genommen wird: Sein wichtigstes Mitwirkungsrecht, nämlich das Stimmrecht, wird in diesem Fall auf Null reduziert. Gleichzeitig verbleiben ihm jedoch die übrigen Rechte wie etwa das Rederecht: Auch ohne Abstimmungsteilnahme hat ein pairingverpflichtetes Mitglied also die Möglichkeit, seinen politischen Willen zum Ausdruck zu bringen und bei den übrigen Mitgliedern und in der Öffentlichkeit für seine Meinung zu werben.455 In der Gesamtabwägung stellt sich diese – gleichwohl nur punktuell auftretende – Beeinträchtigung eines der wichtigsten Abgeordnetenrechte als eher schwerwiegender Eingriff in die Mandatsfreiheit dar. Die Einführung einer Pairingverpflichtung muss daher strengen grundgesetzlichen Maßstäben genügen. (b) Abwägung mit der Bedeutung des verfolgten Ziels (aa) Aufrechterhaltung der Mehrheitsverhältnisse Bei erster Betrachtung steht dieser Kollision mit der Mandatsfreiheit der zum Pairing verpflichteten Abgeordneten auf der anderen Seite zunächst das letztlich auf das Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 2 GG zurückzuführende Interesse des Volkes an der Aufrechterhaltung der durch die Wahl zum Ausdruck gekommenen Mehrheitsverhältnisse gegenüber.456 Dieses Interesse vermag für sich genommen jedoch noch keinen Eingriff in die Mandatsfreiheit zu rechtfertigen. Denn obschon die Wählenden jeweils eine individuelle Wahlentscheidung treffen, die im vollständigen Zusammenwirken aller abgegebenen Stimmen den gebündelten Volkswillen zum Ausdruck bringt, so entscheiden sie damit nur über die Zusammensetzung des Parlaments. Der Auftrag zur Bildung einer konkreten Regierungskonstellation ist damit nicht verbunden; vielmehr eröffnet die Wahl insoweit häufig verschiedene Alternativen.457 454 Vgl. dazu die Plenarprotokolle der deutschen Parlamente, z. B. für den Deutschen Bundestag online verfügbar unter: https://www.bundestag.de/protokolle, zuletzt aufgerufen am 12. Dezember 2019. 455 Vgl. zur Bedeutung des Rederechts der Abgeordneten z. B. Klein, in: Isensee/ Kirchhof, Bd. III, § 51, Rn. 32. 456 Vgl. dazu Thiele, Entscheidungsfindung, S. 472, die das Bestreben zur Wahrung der Mehrheitsverhältnisse auf das Demokratieprinzip zurückführt. 457 Schuldei, in: ZRP 1999, 424, 425.

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3. Teil: Lösungsansätze

Obschon in der politischen Realität häufig zu beobachten ist, dass die politischen Trennlinien zwischen den sich als regierungstragende Fraktionen und als Oppositionsfraktionen gegenüberstehenden Gruppierungen so unüberbrückbar sind, dass im Falle der Verschiebung der Mehrheitsverhältnisse eher mit einer Neuwahl als mit der Bildung einer neuen Koalition zu rechnen ist,458 bewirkt die Wahl selbst ausschließlich die Bestimmung der jeweils auf die einzelnen Fraktionen entfallenden Sitze sowie die Bestimmung der einzelnen Abgeordneten. Im Übrigen ist, wie bereits festgestellt, der Einfluss der Wählenden mit der Stimmangabe beendet:459 Der durch Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit gewährt den Wählenden beim Wahlvorgang selbst zwar einen annähernd gleichen Einfluss auf die Zusammensetzung des Parlaments.460 Änderungen, die sich im Laufe der Wahlperiode ergeben, sind hiervon jedoch nicht umfasst.461 Dementsprechend haben die Wählenden keinen Anspruch darauf, dass die nach einer Wahl gebildete Koalition bis zum Ende der Legislaturperiode bestehen bleibt. Eine Einschränkung der Mandatsfreiheit der zum Pairing verpflichteten Abgeordneten lässt sich mit dem Interesse der Wählerschaft an der Kontinuität der durch die Wahl zum Ausdruck gekommenen Mehrheitsverhältnisse also nicht rechtfertigen. (bb) Art. 3 Abs. 1 und 2, Art. 6 Abs. 1, 2 und 4 GG Zu beachten ist jedoch, dass das Interesse an der Wahrung der dennoch letztlich auf der Wahl beruhenden Mehrheitsverhältnisse nur die Oberfläche derjenigen Werte darstellt, die dem durch das obligatorische Pairing bewirkten Eingriff in die Mandatsfreiheit gegenüberstehen. Dahinter stehen der ursprüngliche Grund für das Fehlen der zu pairenden Abgeordneten, nämlich die Gewährung von Mutterschutz und Elternzeit, und die diesen Grund deckenden Verfassungsgüter. Mit der Schaffung von Mutterschutzregelungen, bei denen das Fehlen der betreffenden Abgeordneten durch eine Pflicht zum Pairing kompensiert wird, soll den betreffenden Parlamentarierinnen während bestimmter vor- und nachgeburt458 Beispiele hierfür sind etwa die vorgezogene Bundestagswahl am 19. November 1972, der eine aufgrund mehrerer Mandatswechsel negativ beantwortete Vertrauensfrage des Bundeskanzler Willy Brandt vorausging, sowie die vorgezogene Wahl des Niedersächsischen Landtages am 15. Oktober 2017: Dieser Wahl war der Wechsel einer Abgeordneten der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen zur Fraktion der CDU vorangegangen, der zu einem Kippen der vorherigen Einstimmenmehrheit der rotgrünen Regierungskoalition führte. Trotz des Bestehens mehrerer Koalitionsmöglichkeiten beschloss der Niedersächsische Landtag am 21. August 2017 mit 135 von 137 Stimmen seine Selbstauflösung, vgl. dazu Stenografischer Bericht der 137. Sitzung des Niedersächsischen Landtages der 17. Wahlperiode vom 21. August 2017. 459 Vgl. oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, A.VI. 1. a), S. 175. 460 BVerfGE 121, 266, 295 und 297; 124, 1, 18; 129, 300, 317. 461 Vgl. oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, A.VI. 1. a), S. 175.

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

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licher Schutzfristen ein Anspruch auf eine geregelte parlamentarische Auszeit gewährt werden. Diese Regelung soll die Gesundheit von (werdender) Mutter und un- bzw. neugeborenem Kind schützen und darüber hinaus auch verhindern, dass den betreffenden Frauen aus der schwangerschafts- bzw. geburtsbedingten parlamentarischen Absenz Nachteile in Bezug auf die weitere Mandatsausübung oder die (berufs-)politische Tätigkeit erwachsen. Mit der Einführung des Pairings zum Ausgleich der Elternzeit soll es Abgeordneten mit Kleinkindern ermöglicht werden, diese für einen gewissen Zeitraum selbst zu betreuen, ohne vollständig aus dem Parlament auszuscheiden oder das Mandat so zu vernachlässigen, dass dadurch gravierende Nachteile für das weitere berufspolitische Leben entstehen. Wie bereits konstatiert, dürfte die Bereitschaft zur Nutzung der Mandatsruhe zum Zwecke des Mutterschutzes oder der Elternzeit, soweit sie nicht durch das befristete Nachrücken eines Ersatzmitgliedes oder durch ein (obligatorisches) Pairing flankiert ist, in Parlamenten mit knappen Mehrheiten regelmäßig eher gering ausfallen.462 Ob aus eigenem Interesse am Erhalt der Regierungsmehrheit, ob durch äußere Einflüsse oder durch eine Kombination aus beidem: Es ist davon auszugehen, dass die überwiegende Mehrheit der Abgeordneten einer regierungstragenden Fraktion nicht die Änderung der Parlamentsmehrheit und dadurch unter Umständen einen Regierungswechsel in Kauf nehmen würde, um selbst eine kindesbezogene Parlamentsauszeit zu nehmen.463 Es stellt sich daher die Frage, ob der Eingriff in die Mandatsfreiheit der zum Pairing verpflichteten Abgeordneten dadurch gerechtfertigt ist, dass die die Einführung von Mutterschutz- und Elternzeitregelungen für Abgeordnete gebietenden Verfassungsgüter diese Kollision im Sinne praktischer Konkordanz ausgleichen. Wie im Rahmen der Prüfung des befristeten Nachfolgemandates bietet sich wegen der unterschiedlichen Zielsetzung des Mutterschutzes und der Elternzeit für Abgeordnete auch hier eine Differenzierung zwischen diesen beiden Instituten an. (a) Bzgl. Mutterschutz: Art. 3 Abs. 2, Art. 6 Abs. 2 und 4 GG Hinsichtlich der Nichtwahrnehmung des Mandats zum Zwecke des Mutterschutzes ist der Eingriff in die Mandatsfreiheit der zum Pairing verpflichteten Abgeordneten zunächst an Art. 3 Abs. 2, Art. 6 Abs. 2 und Art. 6 Abs. 4 GG zu messen. Wie bereits festgestellt, ergibt sich sowohl aus dem verfassungsrechtli462 Vgl. dazu oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, A. IV. 2., S. 169 sowie zu den möglichen Folgen des eigenmächtigen Fernbleibens oben im ersten Teil, fünftes Kapitel, B. I. 1. b), S. 133 ff. 463 Vgl. dazu oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, A. IV. 2., S. 169.

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3. Teil: Lösungsansätze

chen Mutterschutz des Art. 6 Abs. 4 GG als auch aus der verfassungsrechtlichen Gleichberechtigungsverpflichtung des Art. 3 Abs. 2 GG ein an den Staat gerichtetes Gebot zur Schaffung fakultativer prä- und postnataler Mutterschutzregelungen für Abgeordnete. Darüber hinaus gebietet auch das durch Art. 6 Abs. 2 GG gewährte Elternrecht die Einrichtung vorgeburtlichen Mutterschutzes.464 (aa) Art. 6 Abs. 4 GG Zunächst steht der durch das obligatorische Pairing bewirkten Beeinträchtigung der Mandatsfreiheit mit dem verfassungsrechtlich garantierten Mutterschutz aus Art. 6 Abs. 4 GG ein Grundrecht gegenüber, das weibliche Abgeordnete und ihre un- bzw. neugeborenen Kinder in der besonders belastenden Phase von fortgeschrittener Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett in ihrer physischen und psychischen Integrität schützt.465 Wie bereits ausführlich erörtert, ist dieser für andere Berufsgruppen bereits mit Beginn der Mutterschutzgesetzgebung für essentiell erkannte Schutz für Parlamentarierinnen kaum anders als durch die Einführung expliziter Regelungen erreichbar: Denn der durch Partei, Fraktion und Öffentlichkeit erzeugte Erwartungsdruck erlaubt das eigenmächtige ungeregelte Fernbleiben von der parlamentarischen Tätigkeit in der Regel nicht.466 Dieser Druck verstärkt sich insbesondere für die Angehörigen der regierungstragenden Fraktionen umso mehr, je geringer der Überschuss der Sitze gegenüber der Opposition ist. Eine schwangere Abgeordnete muss sich in dieser Situation zwischen dem weiteren politischen Fortkommen auf der einen Seite und ihrer eigenen Gesundheit sowie der ihres Kindes entscheiden. Dieser Zwangslage kann jedoch dadurch begegnet werden, dass für strittige Abstimmungen jeweils ein Parlamentsmitglied der Gegenseite zum Pairing verpflichtet wird. Hierdurch werden die durch die Wahl zum Ausdruck gebrachten Stimmabstände der Fraktionen zueinander gewahrt, so dass die durch die Regierungsbildung zustande gekommenen Mehrheiten erhalten bleiben. Der Druck auf die (werdende) Mutter, trotz fortgeschrittener Schwangerschaft bzw. gerade überstandener Kindesgeburt mandatsbezogene Tätigkeiten wahrzunehmen, dürfte dadurch entfallen. Dem aus Art. 6 Abs. 4 GG folgenden Gebot der Schutz jeder Mutter wird damit Rechnung getragen. Gestaltet man die jeweilige Festlegung des zum Pairing verpflichteten Parlamentsmitgliedes – wie oben vorgeschlagen – so, dass alle Abgeordneten etwa gleichmäßig mit der Pairingverpflichtung belastet werden, so stellt sich der Ein-

464

Vgl. oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, E., S. 216. Vgl. oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, A. IV., S. 165 ff. 466 Vgl. dazu und zum Folgenden oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, A. IV. 2., S. 169 sowie zu den möglichen Folgen des eigenmächtigen Fernbleibens oben im ersten Teil, fünftes Kapitel, B. I. 1. b), S. 133 ff. 465

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

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griff in die Mandatsfreiheit als verhältnismäßig gering dar. Denn in diesem Fall muss jedes pairende Mitglied nur auf die Teilnahme an wenigen Abstimmungen verzichten, so dass dieser Verzicht im Vergleich zur Menge der insgesamt im Laufe einer Legislaturperiode anfallenden Abstimmungen und Wahlen nur unerheblich ins Gewicht fällt. Demgegenüber sind die weiblichen Abgeordneten in der besonderen Lebenslage von fortgeschrittener Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett ohne die Begleitung des Mutterschutzes durch ein befristetes Nachfolgemandat bzw. ohne obligatorisches Pairing schwerwiegend und teilweise auch dauerhaft von den oben geschilderten Nachteilen betroffen: So können sowohl negative gesundheitliche als auch negative berufliche Folgen über Jahre hinaus fortbestehen und die betreffende Person damit auch jahrelang beeinträchtigen.467 Dementsprechend wiegt das durch das Schutzversprechen des Art. 6 Abs. 4 GG gedeckte Interesse weiblicher Abgeordneter in der besonderen Lebenslage von fortgeschrittener Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett an der Vermeidung gesundheitlich und beruflich-politischer Nachteile deutlich schwerer als die vergleichsweise geringe Beeinträchtigung der Mandatsfreiheit der zum Pairing verpflichteten Abgeordneten. (bb) Art. 3 Abs. 2 GG Ferner dient auch das in Art. 3 Abs. 2 GG normierte Grundrecht auf Gleichberechtigung der Geschlechter als Rechtfertigungsgrund für eine Rechtspflicht zum Pairing. Wie bereits festgestellt, gehen vom Fehlen eines Mutterschutzes für Abgeordnete negative Steuerungswirkungen hinsichtlich der berufspolitischen Entwicklungsmöglichkeiten für Frauen aus.468 Darüber hinaus bestehen aufgrund der Reproduktionsaufgabe der Frau in Parlamenten ohne Mutterschutzregelungen Nachteile der weiblichen Abgeordneten gegenüber ihren männlichen Kollegen.469 Ausgeführt wurde zudem bereits, dass ohne eine Flankierung von Mutterschutzregelungen durch Regelungen, die in Parlamenten mit knappen Mehrheitsverhältnissen die Stimmabstände der Fraktionen untereinander wahren – wie etwa eine Rechtspflicht zum Pairing – aufgrund der andernfalls drohenden beruflich-politischen Nachteile regelmäßig eine geringe Bereitschaft der Parlamentarierinnen zur Inanspruchnahme von Mutterschutz bestehen dürfte.470 467

Vgl. oben im ersten Teil, fünftes Kapitel, B. I. 1., S. 129 ff. Vgl. oben im ersten Teil, fünftes Kapitel, B. I. 1. c), S. 139 sowie im zweiten Teil, zweites Kapitel, C. I., S. 203 f.; zu einem vergleichbaren Ergebnis hinsichtlich des fehlenden Mutterschutzes für GmbH-Geschäftsführerinnen kommt Hepp, Mutterschutz, S. 191. 469 Vgl. oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, C., S. 201 ff. 470 Vgl. dazu oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, A. IV. 2., S. 169. 468

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3. Teil: Lösungsansätze

Aus Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG resultiert jedoch die staatliche Aufgabe, faktische Beeinträchtigungen, die typischerweise Frauen betreffen, durch begünstigende Regelungen auszugleichen.471 Hieraus ergibt sich auch das an den Staat gerichtete Gebot, diejenigen Benachteiligungen zu beseitigen, die aus der Gebärfähigkeit der Frau in Verbindung mit deren Tätigkeit als Abgeordneter herrühren. Dieses Gebot erhält auch dadurch ein besonderes Gewicht, dass das Austragen, die Geburt und die spätere Erziehung von Kindern einen unabdingbaren generativen Beitrag zum Fortbestand der Gesellschaft leisten und damit dieser als Ganzer zugutekommen.472 Auch diese Aspekte wiegen deutlich schwerer als die im Rahmen der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit vergleichsweise schonend zu regelnde Beeinträchtigung der Mandatsfreiheit der zum Pairing verpflichteten Abgeordneten. (gg) Art. 6 Abs. 2 GG Schließlich fällt zugunsten der Einführung eines verpflichtenden Pairings zum Ausgleich eines zumindest vorgeburtlichen Mutterschutzes – in Parlamenten mit knappen Mehrheiten – auch der durch Art. 6 Abs. 2 GG gewährte und durch beide Elternteile zu beanspruchende Schutz des ungeborenen Kindes in die Waagschale. Insoweit liegt es nicht nur im Interesse der schwangeren Parlamentarierin, sondern auch im Interesse des werdenden Vaters, das ungeborene Kind vor schädlichen Einflüssen durch eine übermäßige Beanspruchung der werdenden Mutter zu schützen.473 In einer Lebenslage, in der die Gesundheit der ungeborenen Kinder schwangerer Frauen anderer Berufe durch das Mutterschutzgesetz geschützt wird, bedürfen auch die ungeborenen Kinder schwangerer Abgeordneter eines wirksamen Schutzes. Daraus folgt jedoch auch, dass schwangere Parlamentarierinnen in Parlamenten mit knappen Mehrheiten nicht vor die Entscheidung gestellt sein dürfen, entweder die Gesundheit ihres Kindes (bzw. ihre eigene Gesundheit) oder ihr weiteres beruflich-politisches Fortkommen zu riskieren. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund der Gefahr, dass gesundheitliche Nachteile unter bestimmten Umständen jahrzehntelang fortdauern und die Lebensqualität der betroffenen Person erheblich beeinträchtigen können. Gegenüber derartigen potentiellen Nachteilen stellt die vereinzelte und auf alle Abgeordneten gleichermaßen verteilte punktuelle Hinderung an der Abstimmungsteilnahme eine vergleichsweise mildere Beeinträchtigung dar. Auch der 471 BVerfGE 85, 191, 207; Bericht der GVK vom 5. November 1993, BT-Drs. 12/ 6000, S. 50. 472 Robbers, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Art. 6, Rn. 283; vgl. auch oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, A., S. 162 f. 473 Vgl. oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, B. I., S. 197 ff.

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

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aus dem Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 GG hergeleitete und durch beide Elternteile geltend machbare Schutz des ungeborenen Kindes wiegt daher schwerer als der verhältnismäßig schwache Eingriff in die Mandatsfreiheit der zum Pairing verpflichteten Abgeordneten. (b) Bzgl. Elternzeit: Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG sowie Art. 3 Abs. 1 GG (aa) Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG Hinsichtlich der Einführung einer Elternzeit für Abgeordnete ist die Beeinträchtigung der Mandatsfreiheit der zum Pairing verpflichteten Abgeordneten zunächst im Lichte des durch Art. 6 Abs. 1 GG grundrechtlich gesicherten Schutzes der Familie und des durch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG grundrechtlich geschützten Elternrechtes zu betrachten. Ohne die mit einer Rechtspflicht der Gegenseite zum Pairing verknüpfte Elternzeitregelung drohen einem Parlamentsmitglied, das das eigene Kind für eine gewisse Zeit überwiegend ohne Zuhilfenahme Dritter selbst betreuen will, erhebliche beruflich-politische Nachteile: Denn ohne eine Elternzeitregelung sind die betreffenden Abgeordneten vor die Wahl gestellt, entweder auf den Sitz im Parlament zu verzichten oder das Mandat durch schlichte Nichtwahrnehmung zu vernachlässigen. Wie bereits festgestellt, riskieren sie in beiden Fällen ihre berufliche und unter Umständen auch wirtschaftliche Existenzgrundlage.474 Besteht hingegen zwar die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Elternzeit, ist diese aber nicht durch Instrumente unterstützt, die die durch die Wahl zum Ausdruck gekommenen Sitzverhältnisse der Fraktionen wahren – wie etwa ein obligatorisches Pairing –, so stellt sich die Wirksamkeit der Elternzeitregelung ähnlich prekär dar wie die einer entsprechenden Mutterschutzregelung: Soweit Abgeordnete in Parlamenten mit knappen Mehrheitsverhältnissen befürchten müssen, durch die Inanspruchnahme von Elternzeit die eigene Regierungsmehrheit zu kippen, wird die Bereitschaft zur Nutzung der Elternzeit aller Wahrscheinlichkeit nach äußerst gering ausfallen.475 Faktisch ist die Beanspruchung einer Elternzeit im Sinne einer befristeten Auszeit zur Pflege und Erziehung des eigenen Kindes daher in solchen Fällen nicht mit der Wahrnehmung des Abgeordnetenmandates vereinbar: Die betreffenden Abgeordneten müssen sich zwischen Mandat und Elternzeit entscheiden.

474 Vgl. oben im ersten Teil, fünftes Kapitel, B. I. 1. b), S. 133 ff. sowie im zweiten Teil, zweites Kapitel, A. IV. 2., S. 169. 475 Vgl. zu den Auswirkungen des eigenmächtigen Fehlens oben im ersten Teil, fünftes Kapitel, B. I. 1. b), S. 133 ff. sowie im zweiten Teil, zweites Kapitel, A. IV. 2., S. 169.

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3. Teil: Lösungsansätze

Dies widerspricht jedoch dem Familiengrundrecht des Art. 6 Abs. 1 GG. Insoweit wurde konstatiert,476 dass sich aus dessen Schutzpflicht zugunsten der Familie auch die Aufgabe des Staates ergibt, die Kinderbetreuung in der von den Eltern gewählten Form zu ermöglichen und dafür Sorge zu tragen, dass die Erfüllung der Kindererziehungsaufgabe nicht zu beruflichen Beeinträchtigungen führt.477 Wie bereits eingehend dargestellt wurde, gebietet das Familienrecht des Art. 6 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG die Einführung von Elternzeitregelungen für Abgeordnete.478 Der Wert der Einführung einer Elternzeit für Abgeordnete wiegt dabei umso schwerer, als die Elternzeit nicht allein die entsprechenden Abgeordneten betrifft, die durch dieses Institut die Möglichkeit haben, eigenverantwortlich über die innerfamiliär ausgeübte Lebensform zu entscheiden. Denn die Option der Elternzeit betrifft darüber hinaus auch deren Kinder: Auch sie können ein Interesse daran haben, zumindest für einen gewissen Zeitraum zu Beginn ihres Lebens ausschließlich durch einen leiblichen Elternteil betreut und erzogen zu werden. Darüber hinaus ist es auch in diesem Zusammenhang von Relevanz, dass die Schaffung einer Elternzeitregelung auch die Gesellschaft als Ganze betrifft: Wie bereits ausgeführt, verpflichtet Art. 6 GG die Eltern, ihre Kinder zu einem verantwortlichen Leben in dieser Gesellschaft zu befähigen.479 Daher nehmen Mütter und Väter mit der Erziehung ihrer Kinder Aufgaben wahr, die auch im Interesse der Gemeinschaft als Ganzer liegen.480 Dass der Staat dieses Gemeinwohlinteresse an der Geburt und der Erziehung von Kindern durchaus anerkennt, zeigt sich in der Gesetzesbegründung zum Entwurf des BEEG.481 Insbesondere vor dem Hintergrund der in der Bundesrepublik Deutschland anhaltend niedrigen Geburtenrate,482 der Nutzung beruflicher Potentiale und Fähigkeiten auch von Frauen483 und der Notwendigkeit zur Sicherung der umlagefinanzierten Sozialversicherungssysteme484 zielte der Staat darauf ab, „Lebensentwürfe mit Kindern“ zu verwirklichen.485 Dementsprechend hat der Staat dafür zu sorgen, dass 476

Vgl. oben im zweiten Teil, drittes Kapitel, A. II., S. 222. BVerfGE 88, 203, 260; 99, 216, 234. 478 Vgl. oben im zweiten Teil, drittes Kapitel, A. IV., S. 231. 479 BVerfGE 99, 216, 231. 480 BVerfGE 88, 203, 260; Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des Elterngeldes, Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD, BT-Drs. 16/1889, S. 14. 481 Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des Elterngeldes, Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD, BT-Drs. 16/1889. 482 Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des Elterngeldes, Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD, BT-Drs. 16/1889, S. 15. 483 Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des Elterngeldes, Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD, BT-Drs. 16/1889, S. 14. 484 Vgl. BVerfGE 103, 242, 262 f.; Badura, in: Maunz/Dürig, Art. 6, Rn. 81. 485 Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des Elterngeldes, Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD, BT-Drs. 16/1889, S. 15. 477

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

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Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren sind und auch eine Rückkehr in den Beruf nach einer Zeit der Kindererziehung möglich ist.486 Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG differenziert dabei nicht zwischen Eltern unterschiedlicher Berufsgruppen, so dass Parlamentsmitglieder in demselben Umfang wie alle übrigen potentiellen Eltern hiervon umfasst sind. Darüber hinaus kann von der Einführung einer Elternzeit für Abgeordnete auch eine Vorbildfunktion im Sinne einer Vereinbarkeit von Familie und Beruf ausgehen. Zudem sind auch unter dem Aspekt der Diversität der Parlamentszusammensetzung positive Aspekte zu erwarten. Denn junge Eltern, die selbst Zeit mit ihrem Kind verbringen und sich deshalb auch mit den vielfältigsten kindesbezogenen Belangen, Institutionen und Anforderungen auseinandersetzen, bringen durch die Erfahrungen, die diese Lebensphase notwendigerweise mit sich bringt, neue Blickwinkel in das Parlament, die älteren oder kinderlosen Abgeordneten fehlen. Die Einbindung in den kindesbezogenen Lebensbereich mit sämtlichen dazugehörigen Facetten birgt vielfältige Innovationspotentiale für Politik und Gesellschaft.487 Dies kann sich insgesamt gewinnbringend auf die Arbeit des Parlaments auswirken. Insbesondere gewährleistet der Umstand, dass die Interessenvielfalt der Wählerinnen und Wähler im Parlament einen größeren Widerhall findet,488 eine wirksamere Vertretung des Volkes im Sinne des Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG. Das durch das Familienrecht des Art. 6 Abs. 1 GG und das Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG postulierte Gebot zur Einführung von Elternzeit für Abgeordnete kann jedoch nur dann zur Wirklichkeit gelangen, wenn ihm keine faktischen Hemmnisse entgegenstehen, die sich, wie oben beschrieben, aus knappen Mehrheitsverhältnissen ohne einen entsprechenden Ausgleich der Stimmverhältnisse ergeben können.489 Aus den vorbezeichneten Grundrechten kann daher nicht nur die rein formale, in einigen Parlamenten aufgrund der knappen Mehrheitsverhältnisse tatsächlich kaum wahrnehmbare, Elternzeiteinführung für Parlamentsmitglieder resultieren – andernfalls handelte es sich um die leere Hülle eines Rechts, die der Grundrechtsfunktion nicht gerecht würde. Aus dem Familienrecht des Art. 6 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG muss daher das Gebot folgen, die Elternzeit so zu regeln, dass sie tatsächlich ohne Nachteile wahrgenommen werden kann. Eine wirksame Möglichkeit hierzu bietet das obligatorische Pairing. 486 BVerfGE 99, 216, 234; Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des Elterngeldes, Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD, BT-Drs. 16/1889, S. 14 f. 487 In Bezug auf Frauen in der Politik Geißel, in: APuZ B31–32/2000, S. 1; Kürschner/Siri, Vereinbarkeit, S. 7. 488 In Bezug auf Frauen in der Politik Geißel, in: APuZ B31–32/2000, S. 3. 489 Vgl. z. B. oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, A. IV. 2., S. 169 ff.

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3. Teil: Lösungsansätze

In Anbetracht des hohen Stellenwertes, den der Schutz der Familie und das Elternrecht im grundgesetzlichen Gefüge einnehmen sowie vor dem Hintergrund der staatlichen Pflicht zur Schaffung der entsprechenden Rahmenbedingungen490 und der gesamtgesellschaftlichen Bedeutung der Entscheidung zugunsten von Lebensentwürfen mit Kindern wiegen die Vorteile der durch ein verpflichtendes Pairing flankierten Elternzeit für Abgeordnete schwerer als die Beeinträchtigung, die die zum Pairing verpflichteten Abgeordneten im Hinblick auf ihre Mandatsfreiheit erfahren. (bb) Art. 3 Abs. 1 GG Darüber hinaus ist die Beeinträchtigung der Mandatsfreiheit der zum Pairing verpflichteten Abgeordneten auch an dem Gleichbehandlungsinteresse der elternzeitwilligen Abgeordneten aus dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu messen. Wie bereits ausführlich dargestellt, werden Abgeordnete durch die bisherige Nichtexistenz von Elternzeitregelungen (mit Ausnahme des Landtages von Baden-Württemberg) in verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigter Art und Weise schlechter gestellt als die dem BEEG unterfallende große Mehrheit aller berufstätigen Eltern in Deutschland. Auch aus Art. 3 Abs. 1 GG ergibt sich daher das an den Staat gerichtete Gebot, Elternzeitregelungen für Parlamentsmitglieder einzuführen.491 Ebenso wie das aus Art. 6 Abs. 1 und 2 GG resultierende Gebot ist auch das aus dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG herrührende Gebot zur Einführung von Elternzeit für Abgeordnete jedoch erst dann tatsächlich erfolgreich realisiert, wenn ihm keine faktischen Hemmnisse entgegenstehen. Um nicht leerzulaufen, sondern den versprochenen Schutz wirksam zu gewähren, enthält das grundrechtliche Gebot daher auch die Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass auch in Parlamenten mit knappen Mehrheitsverhältnisse die tatsächlichen Voraussetzungen für eine Inanspruchnahme der Elternzeit ohne Nachteile geschaffen werden. Wie bereits festgestellt, bietet das obligatorische Pairing diesbezüglich eine wirksame Möglichkeit.492 Die durch das verpflichtende Pairing bewirkte Einschränkung der Mandatsfreiheit der jeweils zum Pairing bestimmten Abgeordneten kann – wie oben dargestellt – vergleichsweise moderat gehalten und nach einem objektiven Verfahren auf einzelne Abstimmungen beschränkt werden. Gemessen an der Vielzahl der im Laufe einer Legislaturperiode zur Abstimmung stehenden Beratungsgegen490 Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des Elterngeldes, Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD, BT-Drs. 16/1889, S. 14 f. 491 Vgl. oben im zweiten Teil, drittes Kapitel, B. III., S. 239. 492 Vgl. oben im dritten Teil, zweites Kapitel, D. III. 2. a) bb) (2), S. 366.

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

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stände wird das einzelne Parlamentsmitglied demzufolge durch die punktuell auftretende Pairingverpflichtung nur vergleichsweise selten belastet. Dieser Beeinträchtigung steht mit dem aus dem allgemeinen Gleichbehandlungssatz des Art. 3 Abs. 1 GG folgenden verfassungsrechtlichen Gebot zur Einführung einer in allen deutschen Parlamenten tatsächlich beanspruchbaren Elternzeit für Abgeordnete ein hohes Gut entgegen. Die insoweit bislang bestehende Benachteiligung von Abgeordneten gegenüber Eltern nahezu aller übrigen Berufsgruppen ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.493 Zudem wirkt sie sich in ausschließlich negativer Weise auf Eltern, Kind und gegebenenfalls auch auf die Gesellschaft aus. Das obligatorische Pairing hat hingegen zwar einen kurzzeitigen einschränkenden Effekt auf das insoweit verpflichtete Parlamentsmitglied; gleichzeitig – nämlich durch dieselbe Abstimmung – hat es aber den positiven Effekt der Wahrung der ursprünglich durch die Wahl zum Ausdruck gekommenen Kräfteverhältnisse im Parlament. Die negativen Wirkungen des obligatorischen Pairings werden daher also durch gleichzeitig bewirkte positive Effekte zumindest teilweise wieder ausgeglichen. Insgesamt kann daher festgestellt werden, dass auch das Gleichbehandlungsinteresse der elternzeitwilligen Abgeordneten aus dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG die Beeinträchtigung der Mandatsfreiheit der zum Pairing verpflichteten Abgeordneten deutlich überwiegt. cc) Ergebnis zur Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der Freiheit des Mandats In der Gesamtschau ist die verfassungsrechtliche Bedeutung des durch ein verpflichtendes Pairing flankierten Mutterschutzes bzw. der entsprechend flankierten Elternzeit für Abgeordnete höher zu bewerten als die Beeinträchtigung der Mandatsfreiheit der zum Pairing verpflichteten Abgeordneten der Gegenseite. Bereits einzeln betrachtet – und umso mehr im Zusammenwirken – überwiegen der verfassungsrechtlich garantierte Mutterschutz des Art. 6 Abs. 4 GG, das Eltern- und Familienrecht des Art. 6 Abs. 1 und 2 Satz 1 GG, das in Art. 3 Abs. 2 GG normierte Grundrecht auf Gleichberechtigung der Geschlechter sowie der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG die punktuelle Einschränkung der durch Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG gewährten Mandatsfreiheit bei Weitem. Die Rechtspflicht zum Pairing zur Gewährleistung der ungehinderten Inanspruchnahme von Mutterschutz und Elternzeit durch Abgeordnete auch in Parlamenten mit knappen Mehrheitsverhältnissen rechtfertigt also die Einschränkung der Mandatsfreiheit der zum Pairing verpflichteten Abgeordneten. Somit steht

493 Vgl. oben im zweiten Teil, drittes Kapitel, B. II., S. 233 ff. mit dem entsprechenden Ergebnis in III., S. 239.

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3. Teil: Lösungsansätze

das den Mutterschutz bzw. die Elternzeit für Abgeordnete flankierende obligatorische Pairing im Einklang mit dem Grundsatz der Freiheit des Mandats. b) Grundsatz der Gleichheit des Mandats aa) Ungleichbehandlung Darüber hinaus betrifft die Rechtspflicht zum Pairing neben der Freiheit des Mandats auch dessen Gleichheit. Wie bereits ausführlich dargestellt, haben nach dem aus Art. 38 Abs. 1 GG hergeleiteten Prinzip der Mandatsgleichheit alle Abgeordneten eines Parlaments das Recht auf gleiche Teilhabe an der parlamentarischen Willensbildung.494 Wird nun ein einzelnes Parlamentsmitglied zum Pairing verpflichtet, so wird dieses Mitglied gegenüber allen anderen Abgeordneten, die ungehindert an der Abstimmung teilnehmen dürfen, benachteiligt. Diese Ungleichbehandlung erstreckt sich zudem nicht auf alle Abgeordneten gleichermaßen. Denn obschon sowohl Abgeordnete der regierungstragenden Fraktionen als auch Oppositionsabgeordnete Mutterschutz bzw. Elternzeit beanspruchen können, besteht das Bedürfnis nach einem Pairing in der Regel nur im Falle des Fehlens von Abgeordneten der regierungstragenden Fraktionen: Allein durch ihr Fehlen kann die Regierungsmehrheit kippen, während das Fehlen eines Oppositionsmitgliedes die bereits bestehenden Mehrheitsverhältnisse nicht ändert, sondern im Gegenteil sogar festigt. De facto wird die Pairingpflicht daher nahezu ausschließlich Oppositionsabgeordnete treffen. Es handelt sich daher in der Praxis um eine Ungleichbehandlung zwischen den Oppositionsabgeordneten auf der einen Seite und den Abgeordneten der regierungstragenden Fraktionen auf der anderen Seite. bb) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Die Ungleichbehandlung könnte indes verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein. Wie bereits dargelegt, wird die Gleichheit des Mandats nicht schrankenlos gewährleistet, sondern kann durch andere Rechtsgüter von Verfassungsrang begrenzt werden.495 Da der Grundsatz der Gleichheit der Abgeordneten, wie oben festgestellt, letztlich auf dem Grundsatz der Gleichheit der Wahl sowie dem Grundsatz der repräsentativen Demokratie fußt, bedürfen Differenzierungen in Bezug auf den Abgeordnetenstatus zu ihrer Rechtfertigung ebenso wie Differenzierungen in Bezug auf die Wahlrechtsgleichheit eines besonderen, durch die Verfassung legitimierten „zwingenden“ Grundes496 von einem Gewicht, „das der 494 BVerfGE 96, 264, 278; Frenz, in: JA 2010, 126, 127; Müller, in: von Mangoldt/ Klein/Starck, Art. 38 Abs. 1, Rn. 80; vgl. zum Grundsatz des gleichen Mandats oben im ersten Teil, zweites Kapitel, C. II., S. 75. 495 BVerfGE 130, 318, 348. 496 BVerfGE 6, 84, 92; 51, 222, 236; 95, 408, 418; 129, 300, 320.

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

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Gleichheit der Abgeordneten die Waage halten kann“ 497. Das Erfordernis eines zwingenden Grundes bedeutet dabei jedoch nicht, dass die Differenzierung von Verfassungs wegen notwendig sein muss.498 (1) Verfassungsrechtlich legitimierter Grund Wie bereits eingehend erörtert, sind die Einführung von Mutterschutz- und Elternzeitregelungen für Abgeordnete durch den verfassungsrechtlich garantierten Mutterschutz des Art. 6 Abs. 4 GG, das Eltern- und Familienrecht des Art. 6 Abs. 1 und 2 Satz 1 GG, das in Art. 3 Abs. 2 GG normierte Grundrecht auf Gleichberechtigung der Geschlechter sowie den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht nur hinreichend legitimiert – vielmehr fordern diese Grundsätze sogar die Einführung von Mutterschutz und Elternzeit für Abgeordnete.499 Dabei ist insbesondere auch zu berücksichtigen, dass die vorbezeichneten Grundrechte nur dann ihren vollen Schutzumfang entfalten, wenn auch in Parlamenten mit knappen Mehrheitsverhältnissen die tatsächlichen Voraussetzungen für eine nachteilsfreie Inanspruchnahme des Mutterschutzes und der Elternzeit geschaffen werden. Dies ist durch die Wahrung der durch die Wahl zum Ausdruck gekommenen Stimmabstände zwischen den Fraktionen – etwa durch ein obligatorisches Pairing – zu bewirken. (2) Geeignetheit Wie oben ausgeführt, ist die Rechtspflicht zum Pairing zur Gewährleistung der ungehinderten Inanspruchnahme von Mutterschutz und Elternzeit durch Abgeordnete auch in Parlamenten mit knappen Mehrheiten geeignet. Denn erst durch die Wahrung der Mehrheitsverhältnisse entfällt diejenige Gefahr, die als Hemmnis an der Inanspruchnahme von Mutterschutz und Elternzeit durch Abgeordnete der regierungstragenden Fraktionen in knappen Parlamentskonstellationen ursächlich ist.500 (3) Erforderlichkeit Darüber hinaus bestehen keine milderen, ebenso erfolgreichen Mittel zur Zweckerreichung, so dass das obligatorische Pairing auch erforderlich ist. Insoweit wird auf die Prüfung der Erforderlichkeit des obligatorischen Pairings im Hinblick auf den Grundsatz des freien Mandats verwiesen.501 Auch bezüglich des Grundsatzes der Mandatsgleichheit gelten dieselben Erwägungen. 497

BVerfGE 130, 318, 356. BVerfGE 129, 300, 320. 499 Vgl. oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, E., S. 216 und drittes Kapitel, C., S. 239. 500 Vgl. oben im dritten Teil, zweites Kapitel, D. III. 2. a) bb) (2), S. 366. 501 Vgl. oben im dritten Teil, zweites Kapitel, D. III. 2. a) bb) (3), S. 367 ff. 498

384

3. Teil: Lösungsansätze

(4) Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne Schließlich ist die Ungleichbehandlung der zum Pairing verpflichteten Abgeordneten auch angemessen, also im engeren Sinne verhältnismäßig.502 (a) Gewicht des Gleichheitsverstoßes Festzustellen ist zunächst, dass sich das Gewicht des Gleichheitsverstoßes als vergleichsweise gering bis allenfalls mittelschwer darstellt. Die zum Pairing verpflichteten Abgeordneten der Opposition werden in Bezug auf diejenigen Abstimmungen, an denen sie nicht teilnehmen dürfen, anders behandelt als die insoweit abstimmungsberechtigten Abgeordneten; insbesondere werden sie anders behandelt als die stets zur Abstimmungsteilnahme berechtigten Mitglieder der regierungstragenden Fraktionen. Wie bereits im Rahmen der Darstellung der Kernelemente des Abgeordnetenmandats ausgeführt, besteht der Schutzzweck des Grundsatzes der formalisierten Statusgleichheit aller Abgeordneten eines Parlaments insbesondere darin, die Freiheit des Mandats zu gewährleisten und Abhängigkeiten und Hierarchien (über das in einem Parlament unabdingbare Maß hinaus) innerhalb der Volksvertretung zu vermeiden.503 Derartige Hierarchien entstehen durch die punktuelle Pairingverpflichtung jedoch nicht: Die nach einem objektiven Verfahren erfolgende Bestimmung des jeweils zum Pairing verpflichteten Mitgliedes trifft die Abgeordneten unabhängig von ihrer Stellung im Parlament. Zudem gewährleistet das Verfahren, dass das bestimmte Mitglied jeweils nur für eine einzelne Abstimmung oder einen kurzen Abstimmungszeitraum zum Pairing verpflichtet wird; im nächsten Pairingfall wird nach diesem Verfahren ein anderes Mitglied mit der Pairingpflicht belegt. Hierdurch wird sichergestellt, dass in keinem Fall die Rolle eines weniger häufig abstimmungsberechtigten – und damit unter Umständen weniger einflussreichen – Parlamentsmitgliedes zementiert wird. Auch ist in der durch die Pairingpflicht entstehenden Benachteiligung der Oppositionsabgeordneten keine Verfestigung der Oppositionsrolle festzustellen. Zwar wird der Opposition durch das verpflichtende Pairing die Chance genommen, die mutterschutz- bzw. elternzeitbedingte Abwesenheit eines Mitgliedes der regierungstragenden Fraktionen zur Erlangung eines Abstimmungssieges auszunutzen. Denn im Falle sehr knapper Mehrheiten bis hin zu einer Einstimmenmehrheit kann bereits die Abwesenheit eines einzigen Mitgliedes der regierungstragenden Fraktionen zu einer Änderung der Mehrheitsverhältnisse führen. Findet in einem

502 Vgl. zu den Voraussetzungen der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne BVerfGE 30, 292, 416; 96, 10, 21; 113, 167, 260, jeweils m.w. N. 503 BVerfGE 102, 224, 239; vgl. oben im ersten Teil, zweites Kapitel, C. II., S. 75.

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

385

solchen Fall bei einer strittigen Abstimmung kein Pairing statt – stimmen also alle Oppositionsabgeordneten mit ihrer Fraktion – so gewinnt die Opposition die entsprechende Abstimmung gegen die eigentliche Parlamentsmehrheit. Dementsprechend hat die erzwungene Nichtteilnahme an der Abstimmung in diesem Fall einen negativen Effekt auf die politische Arbeit des zum Pairing bestimmten Mitgliedes und seiner Fraktion. Ein solch außerplanmäßiger Abstimmungssieg hat jedoch nicht zwangsläufig einen positiven Einfluss auf das Abschneiden der Oppositionsfraktion bei der nächsten Wahl. Im Gegenteil kann ein Ausnutzen der mutterschutz- bzw. elternzeitbedingten Absenz eines Mitglieds einer regierungstragenden Fraktion bei vielen Wählenden sogar einen negativen Eindruck hinterlassen. Darüber hinaus ist die Opposition unabhängig vom Gewinnen oder Verlieren einzelner Abstimmungen jederzeit berechtigt, durch Parlamentsreden und durch Öffentlichkeitsarbeit die Politik der Mehrheit zu kritisieren und ihre eigene Position dagegenzusetzen, um im Hinblick auf die nächste Wahl in der Gunst der Wählerinnen und Wähler hinzuzugewinnen. Eine Perpetuierung der Mehrheitsverhältnisse über die Wahlperiode hinaus bewirkt die Pairingverpflichtung daher nicht. Schließlich ist zu beachten, dass einem zum Pairing verpflichteten Mitglied zwar das Stimmrecht, nicht aber das Rederecht entzogen wird. Auch dann, wenn es nicht an der Abstimmung teilnimmt, bleibt es dem betreffenden Parlamentsmitglied unbenommen, durch eine Rede vor dem Plenum seine Meinung zu dem jeweiligen Abstimmungsgegenstand zum Ausdruck zu bringen. Für die Außendarstellung der eigenen Arbeit kann dies sogar effektiver sein als beispielsweise die Teilnahme an nicht namentlichen und damit in Bezug auf die einzelnen Abgeordneten nicht protokollierten Abstimmungen.504 Insgesamt wirkt sich die vorübergehende Ungleichbehandlung daher eher geringfügig aus. (b) Abwägung mit der Bedeutung des verfolgten Ziels Diesem eher geringen Eingriff in die Mandatsgleichheit stehen auf der anderen Seite eine Fülle von Grundrechten gegenüber. Insoweit gelten hier dieselben Grundsätze wie bezüglich der Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der Mandatsfreiheit: Die durch das obligatorische Pairing flankierte Einführung von Mutterschutz und Elternzeit für Abgeordnete kann das verfassungsrechtlich Mutterschutzgebot des Art. 6 Abs. 4 GG, das Eltern- und Familienrecht des Art. 6 Abs. 1 und 2 Satz 1 GG, das in Art. 3 Abs. 2 GG normierte Grundrecht auf Gleichberechtigung der Geschlechter sowie den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG für sich geltend machen. 504 Vgl. zur Bedeutung des Rederechts der Abgeordneten z. B. Klein, in: Isensee/ Kirchhof, Bd. III, § 51, Rn. 32.

386

3. Teil: Lösungsansätze

Zur Vermeidung von Wiederholungen sei nur darauf hingewiesen, dass die vorbezeichneten Grundrechte die Einführung von Mutterschutz und Elternzeit für Mitglieder deutscher Parlamente nicht nur erlauben, sondern sogar gebieten: Aus ihnen ergibt sich die an den Staat gerichtete Verpflichtung, entsprechende Regelungen einzuführen.505 Dabei ist die Rechtspflicht zum Pairing deshalb erforderlich, weil die genannten Grundrechte nur dann ihren vollen Schutzumfang entfalten können, wenn auch in Parlamenten mit knappen Mehrheitsverhältnissen die tatsächlichen Voraussetzungen für eine Inanspruchnahme des Mutterschutzes und der Elternzeit ohne Nachteile geschaffen werden. Vor dem Hintergrund der oben ausgeführten Erwägungen ist festzustellen, dass der verfassungsrechtliche Wert des durch ein verpflichtendes Pairing flankierten Mutterschutzes bzw. der entsprechend flankierten Elternzeit für Abgeordnete höher zu bewerten ist als die vergleichsweise geringe Beeinträchtigung der Mandatsgleichheit der zum Pairing verpflichteten Oppositionsabgeordneten. Dabei fällt erschwerend ins Gewicht, dass das Ausnutzen der mutterschutz- bzw. elternzeitbedingt vom ursprünglichen Willen der Wählenden abweichenden Mehrheitsverhältnisse zwar zulässig ist. Gleichwohl ist es sowohl unter dem Gesichtspunkt des auf den Wählerwillen zurückzuführenden Stimmabstandes der Fraktionen untereinander als auch vor dem Hintergrund der durch die vorbezeichneten Grundrechte gebotenen Einführung von Mutterschutz und Elternzeit für Abgeordnete als nicht besonders schützenswert einzustufen. Die Rechtspflicht zum Pairing zur Gewährleistung der ungehinderten Inanspruchnahme von Mutterschutz und Elternzeit durch Abgeordnete auch in Parlamenten mit knappen Mehrheitsverhältnissen ist demnach auch in Bezug auf den Grundsatz des gleichen Mandates angemessen und damit insgesamt verhältnismäßig. Die Einschränkung der Mandatsgleichheit der zum Pairing verpflichteten Abgeordneten ist also verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Somit steht das den Mutterschutz bzw. die Elternzeit für Abgeordnete flankierende obligatorische Pairing im Einklang mit dem Grundsatz der formalisierten Gleichheit aller Abgeordneten eines Parlaments. Die Beeinträchtigung anderer Verfassungsgrundsätze ist nicht ersichtlich. IV. Ergebnis zum obligatorischen Pairing Die die Inanspruchnahme von Mutterschutz und Elternzeit für Abgeordnete ermöglichende Rechtspflicht zum Pairing nach dem oben skizzierten Verfahren ist also verfassungsrechtlich zulässig.

505 Vgl. oben im zweiten Teil, zweites Kapitel, E., S. 216 und drittes Kapitel, C., S. 239.

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

387

E. Teilnahme per Fernabstimmung Die letzte auf ihre verfassungsrechtliche Zulässigkeit zu überprüfende Option, die es ermöglicht, einem Parlamentsmitglied die Inanspruchnahme von Mutterschutz bzw. Elternzeit zu gewähren und gleichzeitig die Mehrheitsverhältnisse im Parlament beizubehalten, ist die Abstimmungsteilnahme per Fernabstimmung. Zwar stellt dies nur eine abgeschwächte Form der parlamentarischen Pause im Sinne des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit dar, denn das betreffende Parlamentsmitglied hat gerade keine vollständige Auszeit, sondern nimmt an den Abstimmungen teil. Zudem beansprucht die Abstimmungsteilnahme regelmäßig nicht nur diejenige Zeit, die für die reine Stimmabgabe erforderlich ist, sondern auch eine gewisse vorherige Zeit der Beschäftigung mit der Materie des Abstimmungsgegenstandes und der Abstimmung mit der eigenen Fraktion. In Anbetracht der Unberechenbarkeit des Verlaufes von Plenarsitzungen ist darüber hinaus an Sitzungstagen auch die ständige Abstimmungsbereitschaft des fernabstimmenden Mitgliedes erforderlich. Gleichwohl bietet diese Option Abgeordneten, die schwanger oder jüngst Eltern kleiner Kinder geworden sind, für einen begrenzten Zeitraum den Vorteil, einen Großteil der Zeit zur Pflege und Erziehung des Kindes bzw. – in Bezug auf weibliche Abgeordnete – zur eigenen Schonung und Rekonvaleszenz zu nutzen. Mit der Befreiung von der Teilnahme an vorbereitenden, parlamentsbegleitenden und repräsentativen Tätigkeiten entfällt ein Großteil der parlamentarischen Verpflichtungen. Auch die ansonsten mit der parlamentarischen Tätigkeit regelmäßig verbundenen Ortswechsel in Verbindung mit teilweise ausgeprägter Reisetätigkeit unterbleiben im Rahmen dieser Option. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Digitalisierung der Parlamente506 und der daraus entstehenden Möglichkeiten der Live-Kommunikation auch bei Ortsabwesenheit soll diese Option daher auf ihre verfassungsrechtliche Zulässigkeit geprüft werden. I. Verfahren Damit die Möglichkeit der Fernabstimmung auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüft werden kann, muss zunächst ein Verfahren bestimmt werden, nach dem eine solche Fernabstimmung durchgeführt werden könnte. Hierzu bieten sich mehrere Möglichkeiten an, die mit voranschreitendem technischen Fortschritt

506 So hat beispielsweise der Niedersächsische Landtag bereits im Jahr 2014 im Zuge der Einführung papierloser Beratungen alle Abgeordneten mit sog. Tablet-PCs und sog. Token ausgestattet, mit denen ortsunabhängig ein Zugriff auf alle Landtagsdokumente möglich ist, vgl. dazu auch: Landtag Niedersachsen, Informationspapier für Pressevertreter vom 19. Juni 2014, online verfügbar unter https://www.landtag-niedersachsen. de>ltnds>Infopapier_Internet_Tablet, zuletzt aufgerufen am 12. Dezember 2019.

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3. Teil: Lösungsansätze

fortlaufend ausdifferenzierter werden. Aus rechtlicher Hinsicht sind insbesondere folgende Kriterien entscheidend: 1. Zeitliche Unmittelbarkeit

Zunächst muss die gewählte Methode gewährleisten, dass die Fernabstimmung zeitgleich mit oder mit einem kaum wahrzunehmenden zeitlichen Versatz zu der eigentlichen Abstimmung im Plenum stattfindet. Insofern ist insbesondere eine bereits einige Zeit vor der Abstimmung im Plenum erfolgende Briefabstimmung untunlich. Zwar stehen die Tagesordnungen von Plenarsitzungen grundsätzlich einige Tage vor der eigentlichen Sitzung bereits fest.507 Zudem fällt die Entscheidung über einen bestimmten Beratungsgegenstand in vielen Fällen bereits im Vorfeld der eigentlichen Plenarsitzung in Fraktions- und Ausschusssitzungen.508 Obschon das idealtypische Parlamentsmitglied seine freie Entscheidung erst dann nach dem ausschließlichen Maßstab seines Gewissens treffen wird, wenn es alle Standpunkte gehört hat, ist in der deutschen Parlamentswirklichkeit festzustellen, dass die Schlussdebatte im Plenum hingegen vornehmlich der Präsentation der jeweiligen Standpunkte gegenüber der Öffentlichkeit dient.509 Gleichwohl wird die rechtsverbindliche Entscheidung über einen jeden Beratungsgegenstand unabhängig von gegebenenfalls im Vorfeld getroffenen Absprachen jedoch tatsächlich erst in der abschließenden Plenarsitzung getroffen. Dabei kann jede Plenarsitzung einen unvorhergesehenen Verlauf nehmen, so dass möglicherweise Änderungsanträge zur Debatte stehen, die in dieser Form zuvor nicht bekannt waren. Darüber hinaus besteht jederzeit die Möglichkeit einer ad hoc stattfindenden Abstimmung über einen Antrag zur Geschäftsordnung. Auch solche sind in aller Regel zumindest für die diesen Antrag nicht stellenden Fraktionen nicht vorher absehbar. Eine vorherige Abstimmung von abwesenden Abgeordneten – etwa per Briefabstimmung – ist in solchen unvorhergesehenen Fällen also nicht möglich.510 Hinzu kommt, dass einige – auch unvorhergesehene – Abstimmungen chronologisch aufeinander aufbauen. Die Annahme oder Ablehnung eines bestimmten Antrages zur Geschäftsordnung kann beispielsweise dazu führen, dass über einen weiteren Entscheidungsgegenstand gar nicht mehr abgestimmt wird oder dass ein bestimmter anderer Abstimmungsgegenstand zusätzlich auf die Tagesordnung genommen wird. Gerade im letzteren Fall ist eine vorherige Abstimmungsteilnahme per Briefpost bereits denklogisch ausgeschlossen. 507 Vgl. dazu § 20 GO BT; bzgl. der Praxis im Deutschen Bundestag Kabel, in: Festgabe für Werner Blischke, S. 29 ff.; Schuldei, Pairing, S. 135. 508 BVerfGE 44, 308, 319; Kremer, in: Festgabe für Werner Blischke, S. 9, 26 f. 509 Schuldei, in: ZRP 1999, 424, 427. 510 Auf die Problematik von Fällen des nicht rechtzeitig einholbaren Willens des Parlamentsmitgliedes verweist auch Schuldei, in: ZRP 1999, 424, 428, der indes nicht näher auf alternative, simultane Möglichkeiten der Abstimmung eingeht.

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

389

Auch die erst nachträglich bei dem Parlament eintreffende Stimmabgabe entbehrt in derartigen Fällen jeglichen Sinns. Die parlamentarische Debattenkultur lebt zumindest zum Teil auch von der Unvorhersehbarkeit des Sitzungsverlaufes. Wenn über jeden Antrag zur Geschäftsordnung per Briefpost aus der Ferne abgestimmt werden könnte, bedeutete dies jeweils eine Unterbrechung der Sitzung bis zur Auswertung der Fernabstimmung. Mehrere solcher mehrtägigen Sitzungsunterbrechung nacheinander – die als politisches Instrument vorstellbar wären – könnten indes den gesamten parlamentarischen Ablauf erheblich behindern. Die reguläre Teilnahme an allen im Rahmen eines Plenartages anstehenden Abstimmungen aus der Ferne ist also nur dann möglich, wenn das ortsabwesende Parlamentsmitglied den Sitzungsverlauf simultan verfolgen und auch simultan abstimmen kann. 2. Bei geheimen Abstimmungen: Geheimhaltung

Soweit eine geheime Abstimmung vorgesehen ist, muss sichergestellt sein, dass auch im Rahmen einer Fernabstimmung die Geheimhaltung gewährleistet ist. De lege lata erfolgt die geheime Abstimmung im Deutschen Bundestag nach Maßgabe des § 49 Abs. 1 GO BT. Hiernach dürften die Stimmzettel erst beim Namensaufruf vor dem Betreten der zur Gewährleistung der geheimen Wahl aufzustellenden Wahlzelle ausgehändigt werden. Die ausgefüllten Stimmzettel sind sodann in einem Wahlumschlag in die dafür vorgesehenen Wahlurnen zu legen. Eine solche papierene Abstimmung in Form einer Briefabstimmung (vergleichbar mit der Briefwahl bei den Parlamentswahlen) kommt nach dem oben Dargelegten nur dann in Betracht, wenn der zur Abstimmung stehende Gegenstand oder die zur Wahl stehenden Personen so weit im Voraus bekannt sind, dass genügend Zeit für einen postalischen Versand des Stimmzettels verbleibt. Die Geheimhaltung kann dabei zweifellos ebenso gewährleistet werden wie bei der Briefwahl im Rahmen der Volkswahlen. Dennoch bietet sich das Verfahren der Briefabstimmung aus zwei Gründen nicht an: Zum einen ist es aufgrund des zeitlichen Versatzes bei ad hoc stattfindenden geheimen Wahlen nicht anwendbar. Zum zweiten können auch bei im Vorfeld bekannten Abstimmungsgegenständen kurzfristige Entwicklungen – etwa im Zuge der Plenardebatte – stattfinden, auf die das ortsabwesende Mitglied, das seinen Stimmzettel bereits abgeschickt hat, nun nicht mehr reagieren kann. Gleiches gilt für geheime Wahlen im Parlament, bei denen kurz vor der Wahl eine Bewerbung zurückgezogen wird oder eine zusätzliche hinzutritt. Auch auf eine solche Entwicklung kann kein Einfluss mehr genommen werden, wenn der Stimmzettel des abwesenden Mitgliedes bereits unmittelbar nach der Abstimmung zur Auszählung bereitliegen muss. In Betracht kommen indes andere, die Geheimhaltung ebenfalls gewährleistende Übertragungseinrichtungen, die im Folgenden darzustellen sind.

390

3. Teil: Lösungsansätze 3. In Betracht kommende Übertragungseinrichtungen

a) Offene Abstimmungen Unter Berücksichtigung der vorgenannten rechtlichen Anforderungen an eine Fernabstimmung kommen für die offene Abstimmung – hierunter fällt auch die namentliche Abstimmung – nach derzeitigem Stand der Technik zumindest die folgenden Verfahren in Betracht: die Abstimmung per Telefon, die Abstimmung per Telefax, die Abstimmung per Konferenzschaltung via Telefon oder Videoübertragung, die Abstimmung per Email, die Abstimmung per SMS, die Abstimmung per Direktnachricht in einem Messengerdienst oder einem Live-Chat oder die Abstimmung mittels eines elektronischen Abstimmungsgerätes. Dabei ist jeweils sicherzustellen, dass die Stimmabgabe tatsächlich durch das fernabstimmende Mitglied selbst erfolgt. Dies ist indes eine tatsächliche und keine rechtliche Frage, die sich ohnehin nur in den Abstimmungsverfahren stellt, in denen das fernabstimmende Mitglied für das übrige Parlament nicht hör- und sichtbar ist – wie etwa im Falle der Abstimmung per Telefax, per Email, per SMS, per Direktnachricht via Messengerdienst, per Chat ohne Bildübertragung oder per elektronischem Abstimmungsgerät. In diesen Fällen ist es jedoch eine Frage der technischen Sicherheit, entsprechende Authentifizierungsverfahren einzuführen. Zu denken ist hier etwa an die Vergabe von Authentifizierungsnummern ähnlich dem TAN-Verfahren, die beispielsweise mit einem Token generiert oder per SMS oder per Push-TAN übertragen werden können (ähnlich dem SMSTAN-Verfahren und dem Push-TAN-Verfahren der Banken). Die Identifizierung der abstimmenden Person an einem Abstimmungsgerät kann alternativ auch durch einen Fingerabdruck auf einem entsprechenden Sensor erfolgen. Diese Sicherheitsfragen sind jedoch unabhängig von der rechtlichen Zulässigkeit der Fernabstimmung als solcher zu beantworten. Irrelevant sind sie ohnehin in den Fällen der Abstimmung per Videokonferenz oder per Telefon, in denen das fernabstimmende Mitglied offen zu sehen und bzw. oder zu hören ist. b) Geheime Abstimmungen Für geheime Abstimmungen kommen ausschließlich Verfahren in Betracht, bei denen alle Stimmen in anonymisierter Weise dargestellt werden. So ist die Geheimhaltung der Wahl beispielsweise nicht gewährleistet, wenn die anwesenden Mitglieder per handschriftlich angekreuztem Stimmzettel abstimmen, die abwesenden Mitglieder aber mittels einer elektronischen Vorrichtung. Eine Fernabstimmung bei einer geheimen Wahl ist dementsprechend nur dann möglich, wenn alle Mitglieder des Parlaments bei der Wahl das gleiche, der Anonymisierung zugängliche Abstimmungsmittel, etwa ein elektronisches Abstimmungsgerät, benutzen. Ob es nach derzeitigem Stand der Technik bereits ein oder mehrere Geräte gibt, die den entsprechenden deutschen Sicherheitsanforderungen genügen, ist

2. Kap.: Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen

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indes ebenfalls eine technische, nicht jedoch eine rechtliche Frage. Für die hier gegenständliche Prüfung der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit wird daher davon ausgegangen, dass entweder bereits zum jetzigen Zeitpunkt die technischen Möglichkeiten für eine entsprechende Geheimhaltung bestehen – oder aber dass im Zuge des technischen Fortschritts in naher Zukunft entsprechende Geräte geschaffen werden, die den erforderlichen Grad der Sicherheit gewährleisten. II. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit Die Geschäftsordnungen der deutschen Parlamente sehen derzeit keine Fernabstimmung vor. Exemplarisch sei für den Deutschen Bundestag angeführt, dass nach §§ 48 ff. GO BT die Abstimmung durch Handzeichen, durch Aufstehen oder Sitzenbleiben, durch Wahl mit verdeckten Stimmzetteln und durch namentliche Abstimmung vorgesehen ist. Zu beachten ist dabei indes, dass es sich bei den Geschäftsordnungen der Volksvertretungen lediglich um Satzungen handelt, deren Bestimmungen nur die jeweiligen Parlamentsmitglieder binden und die auch nur für die Dauer der Legislaturperiode desjenigen Parlamentes gelten, das die Geschäftsordnung beschlossen hat.511 Sie stehen daher dem Grundgesetz und den formellen Gesetzen im Rang nach.512 Der Umstand, dass die Geschäftsordnungen derzeit keine Abstimmung durch ortsabwesende Abgeordnete vorsehen, hindert daher nicht die Einführung einer solchen.513 Insbesondere lässt sich daraus keine Unvereinbarkeit mit der Verfassung herleiten. Auch im Übrigen sind keine Verfassungsgüter ersichtlich, die durch die Fernabstimmung von Abgeordneten verletzt sein könnten. Insbesondere stehen die oben dargestellten Varianten der Fernabstimmung auch im Einklang mit der Funktionsfähigkeit des Parlaments. Sie sind allesamt sowohl technisch als auch praktisch durchführbar und verursachen lediglich einen überschaubaren Personal- und Sachaufwand. Darüber hinaus ist selbst bei politisch aufgeheizten Themen nicht davon auszugehen, dass die Möglichkeit der ordnungsgemäßen Abstimmung des fernabstimmenden Mitgliedes besonders abgesichert werden muss. Zwar haben die Parlamente die Möglichkeit, in ihrem unmittelbaren Umfeld eine sogenannte Bannmeile514 zu verhängen, innerhalb derer nicht bzw. nur nach spezieller Genehmigung demonstriert werden darf. Die Bannmeile soll gewährleisten, dass das Verfassungsorgan geschützt wird und dass die Abgeordneten ihrer parlamen-

511 512 513 514

BVerfGE 1, 144, 148. BVerfGE 1, 144, 148. Ähnlich Schuldei, in: ZRP 1999, 424, 428. Auch: Bannkreis, Verbotszone, befriedeter Bezirk.

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3. Teil: Lösungsansätze

tarischen Arbeit ungehindert nachgehen können. Abgesehen von dem Umstand, dass einzelne Länderparlamente ihre Bannmeilen im Sinne der Bürgerfreundlichkeit bereits abgeschafft haben,515 tragen die Abgeordneten ohnehin das Risiko, bereits auf dem Weg zum Versammlungsort aufgehalten und so an der Abstimmungsteilnahme gehindert zu werden. Die Existenz einer Bannmeile allein vermag die ungehinderte Arbeit des Parlaments daher ohnehin nicht zu gewährleisten. Sollte im eher unwahrscheinlichen Einzelfall tatsächlich ein ortsabwesendes Mitglied durch Menschenaufläufe vor der eigenen Wohnung an der Fernabstimmung gehindert werden, so kommt der Einsatz polizeilicher Mittel in Betracht. Auch hierdurch ist die Funktionsfähigkeit des Parlaments nicht beeinträchtigt. Sonstige Kollisionen mit anderweitigem Verfassungsrecht sind nicht ersichtlich. Mithin ist die Fernabstimmung unter den oben genannten Modalitäten verfassungsrechtlich zulässig.

Ergebnis zum dritten Teil Soweit bei der Art und Weise der Ausgestaltung gewisse, oben im Einzelnen dargestellte, Rahmenbedingungen eingehalten werden, sind nach den obigen Erwägungen das institutionalisierte Fehlen unter unverändertem Fortbestand des Mandates, das zum Zwecke des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit ruhende Mandat ohne Nachfolge, das zum Zwecke des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit ruhende Mandat mit Nachfolge, das obligatorische Pairing und die Fernabstimmung verfassungsrechtlich zulässig.

515 So z. B. der Niedersächsische Landtag im Jahr 2017: Gesetz zur Änderung des Niedersächsischen Versammlungsgesetzes vom 6. April 2017 (Nds. GVBl. 2017, S. 106).

Vierter Teil

Rechtspolitische Bewertung/Reformvorschlag/Ausblick Nach der verfassungsrechtlichen Analyse steht somit fest, welche der erwogenen Optionen zur Regelung von Mutterschutz und Elternzeit im Lichte der grundgesetzlichen Bestimmungen zulässig sind. Bereits in die Festlegung der zu überprüfenden Regelungsoptionen sind umfangreiche rechtspolitische Erwägungen eingeflossen. Einer verfassungsrechtlichen Bewertung sind sodann ausschließlich diejenigen Regelungsmöglichkeiten unterzogen worden, die im Sinne der Funktionsfähigkeit der Parlamente – und damit mittelbar auch des Demokratieprinzips – in der tatsächlichen Parlamentspraxis des beginnenden 21. Jahrhunderts als praktikabel eingeschätzt wurden. Die fünf Optionen, die sich nunmehr als verfassungsrechtlich zulässig erwiesen haben, sind allesamt umsetzbar und zudem im Hinblick auf die Einrichtung einer kindesbedingten parlamentarischen Auszeit zielführend. Gleichwohl ist festzustellen, dass die unterschiedlichen Regelungsoptionen sich in ihrer Wirkung auf die betreffenden Abgeordneten, das Parlament als Ganzes sowie auf die Gesellschaft durchaus unterscheiden. Bei der Wahl einer bestimmten Option sind daher sowohl die Bedürfnisse der betreffenden Eltern als auch die individuellen Eigenheiten eines jeden Parlaments mit seinen hergebrachten parlamentarischen Bräuchen und Gepflogenheiten zu berücksichtigen. Ebenso sollten der Zeitgeist und das aktuelle und zu erwartende politische Klima in die Überlegungen mit einbezogen werden. In einem progressiven gesellschaftspolitischen Umfeld mag eine andere Lösung sinnvoll und politisch durchsetzbar sein als in einem konservativen Parlamentsmilieu. Diese unterschiedlichen Wirkungsgrade der fünf Regelungsmöglichkeiten, die im Folgenden dargestellt werden, können den Volksvertretungen als Orientierungshilfe bei der Auswahl der von ihnen umzusetzenden Option zur Einführung von Mutterschutz und Elternzeit für Abgeordnete dienen. Erstes Kapitel

Auswirkungen der einzelnen Regelungsmodelle A. Auswirkungen auf die betreffenden Abgeordneten Die Einführung von Mutterschutz und Elternzeit für Abgeordnete soll ebendiesen dienen: den Abgeordneten, die ein Kind erwarten oder vor kurzer Zeit Eltern

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4. Teil: Rechtspolitische Bewertung/Reformvorschlag/Ausblick

geworden sind. Sie sollen in die Lage versetzt werden, einen Großteil ihrer Zeit zumindest vorübergehend vorwiegend der Schonung und Rekonvaleszenz bzw. der Pflege und Erziehung des Kindes zu widmen. Dementsprechend ist auch zuallererst die Frage zu beantworten, welches der fünf verbleibenden Regelungsmodelle den Interessen dieser Eltern-Abgeordneten am meisten entgegenkommt – welches den betreffenden Abgeordneten also den effektivsten Schutz gewährt. I. Entlastung im Plenum Zunächst steht die Entlastung der betreffenden Abgeordneten hinsichtlich der Anwesenheit im Plenum im Fokus der Betrachtung. Die Untersuchung hat ergeben, dass insbesondere in Parlamenten mit knappen Mehrheitsverhältnissen der Druck, den die eigene Fraktion, die Partei, ein etwaiger Koalitionspartner oder aber auch die Öffentlichkeit im Hinblick auf die Vollzähligkeit aller Abgeordneten bei bestimmten Sitzungen ausüben, erheblich sein kann. Unabhängig von der Zulässigkeit einer solchen Druckausübung ist diese politisch durchaus nachvollziehbar: Bereits das Fehlen eines einzelnen Parlamentsmitgliedes bei einer wichtigen Abstimmung kann das Ende einer bestimmten Regierung auslösen. Vor dem Hintergrund der beruflichen und wirtschaftlichen Abhängigkeit vieler Abgeordneter vom Fortbestand des Mandats ist daher im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts davon auszugehen, dass die meisten Abgeordneten es sich in solchen Situationen aus praktischen Gründen nicht leisten können, den entsprechenden Abstimmungen fernzubleiben.1 Dies dürfte auch dann gelten, wenn dem Parlamentsmitglied eigentlich eine parlamentarische Auszeit gewährt wurde – eine gegebenenfalls plötzlich eintretende politische Situation, die die Anwesenheit der sogenannten Regierungsmehrheit erfordert, kann den Bestand der Regierung als wichtiger erscheinen lassen als die ungestörte Inanspruchnahme von Mutterschutz oder Elternzeit. Dementsprechend ist die Gewährung von Mutterschutz und Elternzeit für Abgeordnete in Parlamenten mit knappen Mehrheitsverhältnissen insbesondere für die Angehörigen der regierungstragenden Fraktionen nur dann effektiv, wenn die durch die Wahl zum Ausdruck gekommenen Stimmverhältnisse der Fraktionen auch während des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit gewahrt bleiben: Nur in diesem Fall ist das Erscheinen des abwesenden Mitgliedes unter Unterbrechung des Mutterschutzes oder der Elternzeit politisch verzichtbar. Diese Wahrung der Stimmverhältnisse wird sowohl durch das ruhende Mandat mit Nachfolge als auch durch das verpflichtende Pairing erzielt. In diesen Fällen ist die Anwesenheit des kindesbedingt abwesenden Mitglieds im Plenum nicht 1

BVerfGE 40, 296, 312.

1. Kap.: Auswirkungen der einzelnen Regelungsmodelle

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vorgesehen; es kann sich also den mit dem Mutterschutz bzw. der Elternzeit verbundenen Aufgaben widmen, ohne politische Nachteile befürchten zu müssen. Das ruhende Mandat ohne Nachfolge sowie das institutionalisierte Fehlen bieten diese Möglichkeit – soweit nicht gleichzeitig ein verpflichtendes Pairing geregelt ist – hingegen nicht. In diesen Fällen ist es daher nicht auszuschließen, dass das Mutterschutz bzw. Elternzeit beanspruchende Parlamentsmitglied durch äußere oder innere Zwänge entweder veranlasst wird, die Parlamentsabsenz zu unterbrechen oder aber von vornherein gar nicht erst Mutterschutz oder Elternzeit in Anspruch zu nehmen. Die Option der Fernabstimmung ist anders gelagert als die vorgenannten Fälle: Auch hierbei bleiben die Mehrheitsverhältnisse gewahrt. Dies liegt jedoch nicht an einer Ersatzregelung, sondern daran, dass das Mutterschutz bzw. Elternzeit beanspruchende Mitglied selbst an den Abstimmungen teilnimmt. Dadurch entfällt zwar ein etwaig auf dieses Mitglied ausgeübter Druck. Eine Entlastung findet jedoch nur eingeschränkt statt: Obschon das betreffende Mitglied vom persönlichen Erscheinen am Plenarort und somit gegebenenfalls auch von einer Reisetätigkeit entbunden ist, erfordert die Fernabstimmung einen gewissen zeitlichen Aufwand. So muss sich das fernabstimmende Mitglied aus Gründen der Unvorhersehbarkeit des Sitzungsverlaufes an Plenartagen ganztägig zur Verfügung halten, zudem setzt die Abstimmungsteilnahme auch ein gewisses Maß an Vorbereitung auf die zur Abstimmung stehenden Gegenstände, einschließlich der Abstimmung mit der eigenen Fraktion, voraus.2 Dementsprechend bewirken die Optionen des ruhenden Mandats mit Nachfolge und das sowohl beim ruhenden Mandat ohne Nachfolge als auch beim institutionalisierten reinen Fehlen einsetzbare obligatorische Pairing die größte Entlastung für das in Mutterschutz oder Elternzeit befindliche Parlamentsmitglied. II. Entlastung in parlamentarischen Gremien außerhalb des Plenums Abgesehen von der Problematik der Anwesenheit im Plenum ist auch zu berücksichtigen, inwieweit das Mutterschutz bzw. Elternzeit in Anspruch nehmende Parlamentsmitglied während dieser Zeit in den parlamentarischen Betrieb außerhalb der Plenarsitzungen eingebunden ist. Soweit das betreffende Mitglied trotz des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit dafür zuständig bleibt, in Bezug auf sämtliche Ausschuss- und sonstigen Gremiensitzungen für Vertretungen zu sorgen – was sich je nach Konstellation als schwierig gestalten kann –,3 kann dies die kindesbezogene parlamentarische Auszeit belasten. 2

Vgl. oben im dritten Teil, zweites Kapitel, E., S. 387. Vgl. etwa für den Bayerischen Landtag: Redebeitrag des Abgeordneten Zellmeier (CSU), Bayerischer Landtag, Plenarprotokoll 17/101 vom 6. April 2017, S. 8958. 3

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4. Teil: Rechtspolitische Bewertung/Reformvorschlag/Ausblick

In Betracht kommt diese Konstellation sowohl beim ruhenden Mandat ohne Nachfolge, beim institutionalisierten Fehlen sowie bei der Fernabstimmung. Bei Letzterer wird davon ausgegangen, dass diese nur für Abstimmungen im Plenum vorgesehen ist. Beim ruhenden Mandat mit Nachfolge entsteht die Problematik bereits deshalb nicht, weil mit der Nachfolgeperson auch in den Ausschüssen ein Ersatz für das Ursprungsmitglied vorhanden ist. Dies gilt auch dann, wenn im Zuge der Nachfolgeregelung die Besetzung der Ausschüsse und weiteren Gremien umgestaltet wird – denn auch in diesem Fall steht dieselbe Anzahl Abgeordneter für die Wahrnehmung der Gremientermine zur Verfügung wie vor Beginn des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit. Die Regelung des obligatorischen Pairings hat auf die Be- oder Entlastung des betreffenden Mitgliedes in den parlamentarischen Gremien keinen Einfluss – denn diese regelt nicht die Parlamentsauszeit als solche, sondern bezieht sich lediglich auf die Wahrung der Stimmabstände der Fraktionen. Die Vertretungsproblematik lässt sich jedoch dadurch lösen, dass für den Fall des Mutterschutzes und der Elternzeit hinsichtlich der Ausschüsse und sonstigen parlamentarischen Gremien allgemeine, verbindliche Vertretungsregelungen getroffen werden. Ist das der Fall, so besteht der Konflikt bei keiner der hier gegenständlichen Regelungsoptionen. Ohne eine solche Regelung ist jedoch festzustellen, dass das ruhende Mandat mit Nachfolge auch in Bezug auf parlamentarische Verpflichtungen außerhalb des Plenums die größte Entlastung für die betreffenden Abgeordneten bewirkt. Das nachrückende Mitglied ersetzt die Arbeitskraft des ruhenden Mitgliedes, so dass es weder bei Letzterem noch bei den übrigen Abgeordneten zu einer Mehrbelastung kommt. III. Allgemeine Entlastung Der Mutterschutz und die Elternzeit sollten sich grundsätzlich nicht allein auf die unmittelbare Arbeit im Parlament erstrecken. Angesichts der vielfältigen Verpflichtungen der Abgeordneten im vor- und außerparlamentarischen Raum, die mitunter einen Großteil der Abgeordnetentätigkeit ausmachen,4 kann nur dann von einer tatsächlichen Auszeit gesprochen werden, wenn das betreffende Parlamentsmitglied auch von dieser Arbeit außerhalb des Parlaments befreit wird. Zwar liegt es in der Natur der Berufspolitik, dass sich ein nicht unwesentlicher Teil der politischen Tätigkeit auch innerhalb der jeweiligen Partei sowie im Rahmen von Netzwerken unterschiedlichster Art abspielt. Diese Art von Tätigkeit, die zum Teil auch dem eigenen Machterhalt und der Erhaltung der eigenen Position innerhalb der Partei, des Parlaments und der Öffentlichkeit dient, ist natur4

Vgl. oben im dritten Teil, zweites Kapitel, B. III. 3. b) dd) (2) (c) (aa), S. 336 f.

1. Kap.: Auswirkungen der einzelnen Regelungsmodelle

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gemäß keiner Vertretung zugänglich. Im Gegenteil würde es den Interessen des abwesenden Mitgliedes in vielen Fällen sogar zuwiderlaufen, sich in derartigen Zusammenhängen überhaupt vertretbar und damit ersetzbar zu machen. Insbesondere im Hinblick auf den eher unpolitischen Teil der sogenannten Wahlkreisarbeit5 besteht aber gleichwohl die Möglichkeit der Vertretung durch ein anderes Parlamentsmitglied. Die Weitergabe und Bearbeitung von Anliegen der Bevölkerung aus dem eigenen Wahlkreis mag zwar auch der Netzwerkpflege dienen. Die reine Sachbearbeitung derselben kann jedoch auch vorübergehend durch eine Vertretung erfolgen, ohne dass ein nachhaltiger politischer Schaden zu befürchten ist. Diese Vertretung außerhalb des Parlaments ist bei dem Modell des ruhenden Mandats mit Nachfolge am einfachsten zu erreichen: In diesem Fall kann das Ersatzmitglied auch außerparlamentarisch – soweit möglich und gewünscht – die Vertretung des Ursprungsmitgliedes übernehmen. Sollte das Nachfolgemitglied räumlich weit entfernt vom Wahlkreis des Ursprungsmitgliedes wohnen, werden sich über den Einsatz elektronischer Medien entsprechende Möglichkeiten finden lassen. Andernfalls kann das Ersatzmitglied eine Vertretung durch räumlich näher verfügbare weitere Mitglieder organisieren und gegebenenfalls einen internen Lastenausgleich vereinbaren. Bei allen Modellen ohne Ersatzmitglied stellt sich die Vertretung im Wahlkreis als schwieriger dar. Das Mutterschutz oder Elternzeit in Anspruch nehmende Mitglied ist diesbezüglich auf den guten Willen der Fraktionskolleginnen und -kollegen, insbesondere aus den benachbarten Wahlkreisen, angewiesen. Soweit sich diese insoweit wenig hilfsbereit zeigen, muss das eigentlich in Mutterschutz bzw. Elternzeit befindliche Parlamentsmitglied zahlreiche Aufgaben aus dem Wahlkreis selbst erfüllen. Es erfährt in diesem Fall keine komplette Entlastung im Sinne einer wirklichen Auszeit. Am stärksten belastet bleiben die betreffenden Abgeordneten beim Modell der Fernabstimmung. Sofern in diesem Fall nichts anderes vereinbart ist, sind die mutterschutz- und elternzeitwilligen Abgeordneten nur vom persönlichen Erscheinen im Parlament entlastet; alle übrigen Aufgaben bleiben jedoch bestehen. Demnach werden die betreffenden Abgeordneten auch in Bezug auf ihre außerparlamentarischen Aufgaben am stärksten im Modell des ruhenden Mandates mit Nachfolge entlastet. IV. Ergebnis zu den Auswirkungen auf die betreffenden Abgeordneten Insgesamt kann festgestellt werden, dass die größte Entlastung für mutterschutz- bzw. elternzeitwillige Abgeordnete dasjenige Modell bietet, das während 5

Vgl. dazu etwa Patzelt, Repräsentation, S. 139 ff. und passim.

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4. Teil: Rechtspolitische Bewertung/Reformvorschlag/Ausblick

der familienbezogenen Abwesenheit für Ersatz sorgt: das ruhende Mandat mit Nachfolge. Am wenigsten Entlastung erfahren die Abgeordneten, denen lediglich die Abstimmung per Fernabstimmung zugestanden wird. Sie werden zwar vom persönlichen Erscheinen im Plenum entpflichtet; darüber hinaus bleiben jedoch all ihre parlamentarischen und außerparlamentarischen Aufgaben bestehen. Wie bereits eingangs konstatiert, stellt diese Option keinen echten Mutterschutz und keine echte Elternzeit im Sinne einer Auszeit von den mandatsbezogenen Aufgaben dar.

B. Auswirkungen auf die Parlamente Die Einführung von Mutterschutz und Elternzeit für Abgeordnete wirkt sich zwangsläufig auch auf das jeweilige Parlament aus. Dementsprechend ist die Frage in den Blick zu nehmen, wie sich die einzelnen Regelungsmodelle in ihren diesbezüglichen Wirkungen unterscheiden. I. Änderung von Normen Bei der Umsetzung derjenigen Regelungsmodelle, die ein Ruhen des Mandates (mit oder ohne Nachfolge) vorsehen, müssen zur Einführung von Mutterschutzund Elternzeitregelungen für Abgeordnete Normen eingeführt oder geändert werden. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass zumindest die Einführung einer befristeten Nachfolge unter Beachtung des Grundsatzes der Vorherigkeit des Wahlgesetzes erst für die nach der nächsten Wahl beginnende Legislaturperiode erfolgen darf. Diese Schaffung oder Änderung von Normen erfordert einen entsprechenden parlamentarischen Prozess. Der Aufwand hierfür ist jedoch als überschaubar anzusehen – zumal es sich beim Parlament gerade um ebendenjenigen Ort handelt, an dem Normen geschaffen oder geändert werden. Die Normsetzung oder -änderung zur Einführung von Mutterschutz und Elternzeit für Abgeordnete unterscheidet sich hinsichtlich ihrer Komplexität auch nicht von der Normsetzung oder -änderung in anderen, regelmäßig im Parlament vorkommenden Sachgebieten. Auch das institutionalisierte Fehlen unter unverändertem Fortbestand des Mandats ist nur dann institutionalisiert, wenn eine entsprechende Regelung getroffen wird. Mithin bedarf es auch bei der Wahl dieser Option der Schaffung oder Änderung einer gesetzlichen oder untergesetzlichen Regelung – mit dem oben beschriebenen vergleichsweise überschaubaren Aufwand. Gleiches gilt für die Einführung einer unter bestimmten Voraussetzungen eintretenden Rechtspflicht zum Pairing. Unter Berücksichtigung der mit dieser verbundenen – durch die Verfassung gerechtfertigten – Eingriffe in die Freiheit und die Gleichheit des Mandats der jeweils zum Pairing verpflichteten Abgeordneten

1. Kap.: Auswirkungen der einzelnen Regelungsmodelle

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muss das diese Option wählende Parlament die genauen Modalitäten der Pairingverpflichtung dezidiert gesetzlich festlegen. Auch diese Regelung darf im Hinblick auf den Grundsatz der Vorherigkeit des Wahlgesetzes erst mit Wirkung für die nach der nächsten Wahl beginnende Legislaturperiode ergehen. Schließlich ist auch die Teilnahme per Fernabstimmung regelmäßig zumindest in der Geschäftsordnung des jeweiligen Parlaments zu regeln. Dort finden sich in der Regel die Vorschriften zum Abstimmungsverfahren.6 Sofern die zulässigen Abstimmungsarten dort abschließend aufgeführt sind, ist die Abstimmung per Fernabstimmung dem hinzuzufügen. Auch in allen übrigen Fällen empfiehlt sich eine klarstellende Regelung. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass alle fünf verbleibenden Regelungsoptionen die Schaffung oder die Änderung von Normen gebieten. In dieser Hinsicht erfordern also alle fünf Optionen einen gleich hohen Aufwand. II. Auswirkungen auf die übrigen Abgeordneten Darüber hinaus können sich die in Frage kommenden Regelungsoptionen in unterschiedlicher Art und Weise auf die übrigen Abgeordneten auswirken, die eine solche kindesbezogene Auszeit nicht in Anspruch nehmen. 1. Institutionalisiertes Fehlen

Beim institutionalisierten Fehlen entfällt die Mandatstätigkeit des entsprechenden Mitgliedes während der Mandatsruhe. Das institutionalisierte Fehlen stellt jedoch nur dann einen tatsächlichen Mutterschutz und eine tatsächliche Elternzeit dar, wenn es sich nicht allein auf die Teilnahme an den Plenarsitzungen, sondern darüber hinaus auch auf alle weiteren Veranstaltungen des Parlaments bezieht. Dementsprechend ist eine Vertretung des abwesenden Mitgliedes in Ausschuss- und sonstigen Gremiensitzungen erforderlich. Zumindest einige Mitglieder derjenigen Fraktion, der auch das abwesende Mitglied angehört, werden dadurch zeitlich zusätzlich in Anspruch genommen. In Bezug auf außerparlamentarische Anforderungen, die an das institutionalisiert fehlende Mitglied gestellt werden, kommt es darauf an, ob und inwieweit insofern eine Vertretungsregelung vereinbart wurde: Soweit sich beispielsweise fraktionsintern Mitglieder benachbarter Wahlkreise bereiterklären, die Wahlkreistermine des betreffenden Mitgliedes zu übernehmen und die entsprechenden wahlkreisbezogenen Anfragen zu bearbeiten, bedeutet auch dies eine Mehrbelastung der vertretenden Mitglieder.

6

Exemplarisch für den Deutschen Bundestag: §§ 48 ff. GO BT.

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4. Teil: Rechtspolitische Bewertung/Reformvorschlag/Ausblick 2. Ruhendes Mandat ohne Nachfolge

Ähnlich verhält es sich beim ruhenden Mandat ohne Nachfolge. Bei diesem Institut entfällt die Mandatstätigkeit des entsprechenden Mitgliedes während der Mandatsruhe. Dadurch werden innerhalb des Parlaments Vertretungen in Sitzungen der Ausschüsse und gegebenenfalls in Sitzungen weiterer parlamentarischer Gremien erforderlich. Die Arbeitsbelastung zumindest derjenigen Parlamentsmitglieder, die die entsprechenden Vertretungen übernehmen, steigt dadurch. Auch hier bemisst sich die Zusatzbelastung der übrigen Mitglieder in Bezug auf außerparlamentarische Tätigkeiten nach der jeweils getroffenen Vereinbarung. Gravierende Folgen kann das ruhende Mandat ohne Nachfolge indes für sehr kleine Fraktionen haben, die die Schwelle zur je nach Parlament erforderlichen Fraktionsstärke gerade überschreiten: Denn in dieser Konstellation kann das Ruhen des Mandates eines Fraktionsmitgliedes die Mitgliederzahl der Fraktion dergestalt verringern, dass deren Fraktionsstatus aberkannt wird. Gerade in kleineren Parlamenten, in denen eine vergleichsweise geringe Abgeordnetenzahl zur Bildung einer Fraktion erforderlich ist,7 ist diese Gefahr durchaus im Rahmen des realistischerweise Möglichen. Der Verlust der Fraktionsrechte würde indes mittelbar einen harten Einschnitt in die Rechte der übrigen (dann ehemaligen) Fraktionsmitglieder bedeuten. Denn obschon die Fraktionen im Grundgesetz nur beiläufig in Art. 53a Abs. 1 Satz 2 GG Erwähnung finden, nehmen sie eine zentrale Stellung innerhalb des Parlaments ein. Nach § 46 Abs. 1 AbgG Bund sind die Fraktionen rechtsfähige Vereinigungen von Abgeordneten im Deutschen Bundestag, die nach § 46 Abs. 1 AbgG Bund klagen und verklagt werden können. Ihre zahlreichen Rechte sind für den Deutschen Bundestag im AbgG Bund sowie in der GOBT geregelt; für die Länderparlamente bestehen entsprechende Regelungen.8 So haben die Fraktionen nach § 50 Abs. 1 AbgG Bund zur Erfüllung ihrer Aufgaben einen Anspruch auf Geld- und Sachleistungen aus dem Bundeshaushalt. Nach § 57 Abs. 2 7 So ist die Fraktionsbildung etwa im Landtag des Saarlandes bereits durch zwei Abgeordnete möglich, § 1 Abs. 2 des Gesetzes Nr. 1379 über die Rechtsstellung und Finanzierung der Fraktionen des Landtages des Saarlandes (Fraktionsrechtsstellungsgesetz) vom 13. November 1996 (Amtsbl. 1996, S. 1402), zuletzt geändert durch Gesetz vom 14. November 2018 (Amtsbl. I S. 817). Auch in den Landtagen von Mecklenburg-Vorpommern und von Schleswig-Holstein kann eine Fraktion bereits aus vier Landtagsabgeordneten gebildet werden, vgl. dazu Art. 25 Abs. 1 Satz 1 der Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern sowie § 22 Abs. 1 Satz 1 der Geschäftsordnung des Schleswig-Holsteinischen Landtages vom 8. Februar 1991, zuletzt geändert am 6. Juni 2018 (GVOBl. Schleswig-Holstein 2017, S. 404). 8 Exemplarisch: Art. 25 Verfassung Mecklenburg-Vorpommern; §§ 5 Abs. 1, 10, 11, 37–40, 46 Abs. 1 Geschäftsordnung des Landtages Mecklenburg-Vorpommern vom 4. Oktober 2016 (GS Meckl.-Vorp. Gl. Nr. 1101-0-6); Fraktionsrechtsstellungsgesetz Saarland (passim), vgl. zu den Einzelheiten Fn. 7.

1. Kap.: Auswirkungen der einzelnen Regelungsmodelle

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Satz 1 GOBT benennen sie die Mitglieder der Ausschüsse und deren Stellvertreter. Zwar soll gemäß § 57 Abs. 1 Satz 2 GOBT grundsätzlich jedes Mitglied – also auch Fraktionslose – mindestens einem Ausschuss angehören; ein Stimmrecht der fraktionslosen Abgeordneten in dem jeweiligen Ausschuss erwächst hieraus jedoch nicht.9 Auch die Besetzung des Ältestenrates darf den Fraktionen vorbehalten bleiben.10 Schließlich ist auch die Einbringung von Vorlagen in den Bundestag für Fraktionen erleichtert: Nach § 76 Abs. 1 GOBT müssen Vorlagen von einer Fraktion oder von fünf Prozent der Bundestagsmitglieder unterschrieben sein. Mit dem Wegfall des Fraktionsstatus würden all diese Rechte für die Zeit der Mandatsruhe entfallen. 3. Ruhendes Mandat mit Nachfolge

Anders verhält es sich beim ruhenden Mandat mit Nachfolge, das sich hinsichtlich seiner Auswirkungen auf die übrigen Abgeordneten regelmäßig in engen Grenzen halten wird. Denn bei dieser Regelungsoption übernimmt das Nachfolgemitglied die Aufgaben des Ursprungsmitgliedes für die Zeit der Mandatsruhe; die übrigen Mitglieder sind davon kaum betroffen. Darüber hinaus bewirkt das befristete Nachrücken das Gleichbleiben der Fraktionsstärke der betreffenden Fraktion, so dass sich aus dieser Regelungsoption auch keine Gefahr für den Erhalt des Fraktionsstatus ergibt. 4. Pflicht zum Pairing

Die Verpflichtung der Gegenseite zum Pairing wirkt sich gar nicht direkt auf die Mitglieder derjenigen Fraktion aus, der auch das in Mutterschutz oder in Elternzeit befindliche Mitglied angehört: Denn insoweit regelt das Pairing nicht die parlamentarische Auszeit selbst, sondern schafft lediglich einen Ausgleich für das Fehlen des Mitgliedes. Wie das Fehlen innerhalb der Fraktion kompensiert wird, entscheidet sich hingegen danach, auf welcher Grundlage das betreffende Mitglied dem Parlament fernbleiben darf – also entweder nach Maßgabe des ruhenden Mandates ohne Nachfolge oder nach Maßgabe des institutionalisierten Fehlens. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen verwiesen. Die Rechtspflicht zum Pairing selbst zeigt hingegen eine – punktuell erhebliche – Wirkung in Bezug auf die Mitglieder der Gegenseite. Nur diese können zur Aufrechterhaltung der Mehrheitsverhältnisse zur Abstimmungsabstinenz verpflichtet und damit zumindest vorübergehend in ihrem parlamentarischen Recht auf Abstimmung beschränkt werden.

9 BVerfGE 80, 188, 224 ff.; du Mesnil de Rochemont/Müller, in: JuS 2016, 603, 606; Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 38, Rn. 221. 10 BVerfGE 80, 188, 226 ff.

402

4. Teil: Rechtspolitische Bewertung/Reformvorschlag/Ausblick 5. Teilnahme per Fernabstimmung

Bei der Option der Abstimmungsteilnahme per Fernabstimmung hängt der Zusatzaufwand für die übrigen Mitglieder davon ab, ob über die reine Regelung für die Abstimmungen im Plenum hinaus noch weitere Absprachen getroffen werden. Soll dem mutterschutz- bzw. elternzeitwilligen Mitglied tatsächlich eine vorübergehende parlamentarische Auszeit gewährt werden, so erfordert dies zumindest seine Vertretung in den Ausschüssen und weiteren parlamentarischen Gremien. Gegebenenfalls kann darüber hinaus auch eine Übernahme der Wahlkreisarbeit vereinbart werden. In diesem Fall gleicht die zusätzliche Arbeitsbelastung der übrigen Parlamentsmitglieder der Belastung beim ruhenden Mandat ohne Nachfolge. Soweit indes keinerlei Vertretung stattfindet, werden die übrigen Parlamentsmitglieder durch diese Regelungsoption nicht berührt. 6. Ergebnis zu den Auswirkungen auf die übrigen Abgeordneten

In Bezug auf die übrigen Parlamentsmitglieder lässt sich also konstatieren, dass das ruhende Mandat mit Nachfolge sich für das Parlamentskollegium als am wenigsten belastend darstellt. Die Pflicht zum Pairing bewirkt hingegen die größte Beeinträchtigung anderer Abgeordneter – nämlich der im Einzelfall zum Pairing verpflichteten Abgeordneten der parlamentarischen Gegenseite. Im Übrigen hängt die Beanspruchung der übrigen Abgeordneten von der konkreten Ausgestaltung ab. III. Verwaltungsaufwand Für die Parlamentsverwaltungen sind alle fünf verbleibenden Regelungsoptionen mit einem gewissen Verwaltungsaufwand verbunden. Um eine Rechtsfolge auslösen zu können – nämlich das institutionalisierte Fehlen, das Ruhen des Mandats, die Pflicht zum Pairing oder die Teilnahme per Fernabstimmung – muss das betreffende Parlamentsmitglied zunächst einmal verbindlich mitteilen, dass und wie lange es Mutterschutz oder bzw. und Elternzeit in Anspruch nehmen will.11 Die Parlamentsverwaltung hat sodann die Aufgabe, die daraus resultierenden Schritte einzuleiten. Im Falle der Nachfolge in ein ruhendes Mandat hat die Verwaltung zudem die Nachfolge entsprechend dem jeweiligen Wahlgesetz zu organisieren. In diesem Fall ist die nächste Nachrückperson zu benachrichtigen und aufzufordern, binnen einer festgelegten Zeitspanne zu erklären, ob sie die Nachfolge annimmt.12 Lehnt diese Nachrückperson die Nachfolge ab, so ist wiederum die nächstberufene Per11

Vgl. oben im dritten Teil, erstes Kapitel, A. I., S. 241 ff. Beim herkömmlichen Nachrücken nach Ausscheiden eines Mitgliedes des Deutschen Bundestages beträgt die Erklärungsfrist nach § 48 Abs. 1 Satz 6 BWahlG eine Woche. 12

1. Kap.: Auswirkungen der einzelnen Regelungsmodelle

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son zu informieren und zur Erklärung aufzufordern. Sodann sind für das Nachfolgemitglied diejenigen Regelungen zu treffen, die für jedes Parlamentsmitglied bei Eintritt in die Volksvertretung gelten, etwa diäten- und versorgungsrechtliche Regelungen, Zugangsberechtigungen und Vergleichbares. Gegen Ende der Mandatsruhe hat die Parlamentsverwaltung das Ausscheiden des zuletzt nachgerückten Nachfolgemitgliedes und die Wiederaufnahme des Mandats durch das Ursprungsmitglied zu organisieren. Im Falle der Fernabstimmung besteht die Notwendigkeit der Anschaffung und Einrichtung der dafür erforderlichen technischen Vorrichtungen. Je nach Präferenz und technischem Fortschritt kann es sich dabei um die Anschaffung von Hardware, etwa in Form spezieller Abstimmungsgeräte, handeln. Denkbar ist bei Gewährleistung der entsprechenden Sicherheitsanforderungen aber auch eine reine Softwarelösung. In jedem Fall ist sicherzustellen, dass auch geheime Abstimmungen unter Wahrung der tatsächlichen Geheimhaltung durchführbar sind. Unabhängig von der gewählten Lösung erfordert auch diese Option einen gewissen Verwaltungsaufwand. Allgemein ist festzustellen, dass sämtliche Varianten der Einführung von Mutterschutz und Elternzeit für Abgeordnete mit einem gewissen Verwaltungsaufwand verbunden sind. Dieser übersteigt jedoch nicht das Maß dessen, was bei sonstigen Neuerungen im parlamentarischen Raum üblich ist. So ist beispielsweise auch die Einführung des papierlosen Parlamentes13 mit Umstellungen, einem zunächst erhöhten Arbeitsaufwand für die Parlamentsverwaltung und im Falle der Beschaffung von elektronischen Endgeräten auch mit Anschaffungskosten verbunden. Im Übrigen sind die Parlamentsverwaltungen mit häufigem Personalwechsel unter den Abgeordneten und mit den in diesem Zusammenhang zu treffenden Schritten durchaus vertraut. So ist es nicht ungewöhnlich, dass ein nicht unbeachtlicher Teil des Parlamentes nicht nur zu Beginn einer neuen Legislaturperiode, sondern auch in deren Verlauf, wechselt. Insbesondere in solchen Wahlperioden, in denen andere Wahlen – etwa Wahlen zum Bundestag, zum Europäischen Parlament oder auch auf Ämter von Hauptverwaltungsbeamten – stattfinden, kommt es auch während einer laufenden Wahlperiode vielfach zum Ausscheiden aktueller und zum Nachrücken neuer Mitglieder. Der durch die Einführung von Mutterschutz und Elternzeit für Abgeordnete verursachte Verwaltungsaufwand dürfte dementsprechend bei allen hier gegenständlichen Regelungsoptionen unproblematisch zu bewältigen sein.

13 Wie beispielsweise im Niedersächsischen Landtag der 17. Wahlperiode, vgl. dazu auch: Landtag Niedersachsen, Informationspapier für Pressevertreter vom 19. Juni 2014, online verfügbar unter https://www.landtag-niedersachsen.de>ltnds>Infopapier_ Internet_Tablet, zuletzt aufgerufen am 12. Dezember 2019.

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4. Teil: Rechtspolitische Bewertung/Reformvorschlag/Ausblick

IV. Ergebnis zu den Auswirkungen auf die Parlamente Hinsichtlich der Auswirkungen der Einführung von Mutterschutz und Elternzeit für Abgeordnete auf die Parlamente lässt sich abschließend Folgendes konstatieren: Alle fünf in Betracht kommenden Regelungsoptionen erfordern die Schaffung oder die Änderung von Normen und verursachen damit in dieser Hinsicht einen gleich hohen Aufwand. In Bezug auf die übrigen Abgeordneten verursacht das ruhende Mandat mit Nachfolge als einzige Regelungsoption nahezu keine Beeinträchtigung. Demgegenüber bedarf es beim ruhenden Mandat ohne Nachfolge und beim einfachen institutionalisierten Fehlen der Vertretung in den parlamentarischen Gremien außerhalb des Plenums sowie gegebenenfalls auch bei der Wahlkreisarbeit. Dies belastet die Mitglieder derjenigen Fraktion, der auch das abwesende Mitglied angehört, zusätzlich. Darüber hinaus droht beim ruhenden Mandat ohne Nachfolge die Gefahr des Verlustes des Fraktionsstatus sehr kleiner Fraktionen. Bei der Abstimmungsteilnahme per Fernabstimmung hängt der Zusatzaufwand der übrigen Mitglieder hingegen davon ab, ob Vertretungsregeln getroffen werden. Das obligatorische Pairing verursacht indes eine Beeinträchtigung der zum Pairing verpflichteten Mitglieder der Gegenseite. Unbeschadet dessen bemisst sich die Beeinträchtigung der eigenen Fraktionsmitglieder nach der Grundlage der parlamentarischen Absenz, also entweder der Mandatsruhe ohne Nachfolge oder des institutionalisierten Fehlens. Darüber hinaus verursachen alle Regelungsoptionen einen gewissen zusätzlichen Verwaltungsaufwand, der jedoch für die Parlamentsverwaltungen zu bewältigen sein dürfte.

C. Auswirkungen auf die Gesellschaft Hinsichtlich der gesellschaftlichen Auswirkungen unterscheiden sich die einzelnen Regelungsmodelle insoweit, als im Falle der Gewährung einer tatsächlichen parlamentarischen Auszeit ohne persistierende Verpflichtungen und ohne die Gefahr, dass die Stimme des betreffenden Mitgliedes entscheidend für den Fortbestand der Regierung sein könnte, die Bereitschaft, Mutterschutz oder Elternzeit in Anspruch zu nehmen, größer sein dürfte als bei den insoweit weniger entlastenden Modellen. Insbesondere das ruhende Mandat mit Nachfolge, das sowohl eine inner- als auch eine außerparlamentarische Entlastung durch ein Nachfolgemitglied bietet, stellt sich als echter Mutterschutz bzw. echte Elternzeit und somit als – wenn auch in Bezug auf die Elternzeit zeitlich eingeschränktes – Pendant zu den Regelungen nach dem Mutterschutzgesetz und dem BEEG dar. Da

2. Kap.: Reformvorschlag

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diese Regelung daher den wirksamsten Schutz für Eltern und Kind bietet, ist sie nicht nur am vorteilhaftesten für die betreffenden Abgeordneten und ihre Kinder, sondern stellt zugleich auch in ihrer Außenwirkung das beste Leitbild einer familienfreundlichen Gesellschaft dar. Ungeachtet dessen ist bei allen Varianten davon auszugehen, dass sich die Einführung von Mutterschutz und Elternzeit für Abgeordnete insoweit positiv auf die Gesellschaft auswirkt, als die Abgeordneten ihrer Vorbildfunktion im Hinblick auf den Schutz der (werdenden) Mutter und des un- bzw. neugeborenen Kindes sowie auf die eigene Betreuung des Kindes in den ersten Lebensmonaten nachkommen. Zudem setzen die Parlamente damit ein positives Zeichen im Sinne der Vereinbarkeit von Familie und Mandat. Dies könnte mehr junge Menschen, und dabei insbesondere auch junge Frauen mit etwaigem Kinderwunsch, dazu bewegen, sich verstärkt politisch zu engagieren und auch für ein Parlamentsmandat zu kandidieren. Gleichzeitig können junge Abgeordnete dazu bewogen werden, sich für ein Kind zu entscheiden. Beides stärkt die Diversität der Parlamente und sorgt dafür, dass mehr junge Eltern in den Parlamenten vertreten sind. Hiervon können verstärkte Impulse zugunsten einer familienfreundlichen Politik erwartet werden, was wiederum die Position der Familien im Allgemeinen stärken kann. Gleichzeitig setzen junge Eltern in der Politik auch ein öffentliches Zeichen im Sinne einer Bejahung von Kindern. Vor dem Hintergrund des demographischen Wandels und der damit verbundenen Schwierigkeiten für Gesellschaft, Wirtschaft und Sozialsysteme können sie damit durch ihre Vorbildfunktion einen wichtigen Impuls zu einer Steigerung der Geburtenrate setzen. Wie soeben dargelegt, lässt sich dies am wirkungsvollsten durch das zum Zwecke des Mutterschutzes oder der Elternzeit ruhende Mandat mit befristeter Nachfolge erreichen. Zweites Kapitel

Reformvorschlag Wie eingehend dargelegt, gebieten sowohl der verfassungsrechtliche Mutterschutz des Art. 6 Abs. 4 GG als auch die verfassungsrechtliche Gleichberechtigungsverpflichtung des Art. 3 Abs. 2 GG dem Staat die Einführung fakultativer prä- und postnataler Mutterschutzregelungen für Abgeordnete. Ferner verpflichtet auch das durch Art. 6 Abs. 2 GG gewährte Elternrecht den Staat zur Schaffung vorgeburtlichen Mutterschutzes. Darüber hinaus gebieten sowohl das Familienrecht des Art. 6 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG als auch der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG der gesetzgebenden Gewalt die Einführung von Elternzeitregelungen für Abgeordnete.

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4. Teil: Rechtspolitische Bewertung/Reformvorschlag/Ausblick

Vor diesem Hintergrund und als Konsequenz aus den im Rahmen dieser Ausarbeitung vorgenommenen Erwägungen sind diejenigen deutschen Parlamente, in denen bislang keine entsprechenden Regelungen existieren, aufgefordert, Mutterschutz und Elternzeit für ihre Abgeordneten einzuführen. Als Optionen kommen hierfür das institutionalisierte Fehlen unter unverändertem Fortbestand des Mandates, das zum Zwecke des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit ruhende Mandat ohne Nachfolge, das zum Zwecke des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit ruhende Mandat mit Nachfolge, das obligatorische Pairing und die Fernabstimmung in Betracht. Welche der Optionen letztlich gewählt wird, obliegt dem jeweiligen Parlament. Zur Beurteilung dessen können die oben ausgeführten Auswirkungen der jeweiligen Regelungsoption auf das Parlament und seine Mitglieder herangezogen werden. Dabei kann es sich unter Umständen auch anbieten, zwischen Mutterschutz und Elternzeit zu differenzieren und diese über jeweils unterschiedliche Modelle zu regeln. So ist es beispielsweise denkbar, die relativ kurze Zeitspanne des Mutterschutzes über ein ruhendes Mandat ohne Nachfolge mit gleichzeitigem obligatorischen Pairing zu regeln, während für die etwas längere Dauer der Elternzeit das ruhende Mandat mit Nachfolge gewählt wird. Dies kommt insbesondere deshalb in Betracht, weil die Verpflichtung zum Pairing für die Abgeordneten der hiervon betroffenen Fraktionen eine gewisse Belastung darstellt, die möglichst gering gehalten werden sollte. Diese Option bietet sich daher eher für eine kürzere Zeitspanne an. Das Nachrücken infolge des ruhenden Mandates ist dagegen mit einem höheren Aufwand – insbesondere für die Nachfolgeperson – verbunden, der eher bei einer etwas längeren Zeitspanne lohnend erscheint. Das schließt ihre Anwendung auch im Rahmen des Mutterschutzes jedoch keinesfalls aus. Um tatsächlich einen wirksamen Schutz der betreffenden (werdenden) Eltern und ihrer un- bzw. neugeborenen Kinder zu gewährleisten, sollte diejenige Variante bevorzugt werden, die diese Eltern möglichst nicht dem Druck aussetzt, den Mutterschutz oder die Elternzeit aus vermeintlich alternativlosen politischen Gründen zu unterbrechen oder gar nicht erst anzutreten. In Konstellationen mit traditionell knappen Mehrheiten empfiehlt es sich daher, ein Modell zu wählen, das die durch die Wahl zum Ausdruck gekommenen Stimmverhältnisse der Fraktionen auch beim Fehlen eines Mitgliedes aufrechterhält. Das Ruhen des Mandats oder das institutionalisierte Fehlen sollten daher in solchen Fällen entweder durch eine befristete Nachfolge (im Fall des ruhenden Mandates) oder durch das obligatorische Pairing flankiert werden. Bei der Teilnahme per Fernabstimmung handelt es sich zumindest in seiner Reinform nicht um eine tatsächliche parlamentarische Auszeit und damit auch nicht um Mutterschutz oder Elternzeit im herkömmlichen Sinne. Denkbar ist jedoch, dass parlamentsintern eine Regelung oder zumindest eine Verabredung hin-

3. Kap.: Ausblick

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sichtlich der Vertretung des betreffenden Mitglieds in den parlamentarischen Gremien sowie im Wahlkreis getroffen wird. Dadurch wird das entsprechende Parlamentsmitglied von einem Großteil der mandatsbezogenen Obliegenheiten entlastet, so dass unter diesen Voraussetzungen von einem tatsächlichen Schutz der betreffenden (werdenden) Eltern und ihrer un- bzw. neugeborenen Kinder gesprochen werden kann. Sofern die Option der Fernabstimmung gewählt wird, ist eine solche Entlastung der betreffenden Abgeordneten daher anzuraten. Jedes Parlament sollte diejenige Option – oder eine Kombination mehrerer Optionen – wählen, die am besten in das jeweilige gesellschaftliche und politische Umfeld passt. Entscheidend darf hierbei jedoch nicht allein das Geringhalten der Belastung für das Parlament und seine Verwaltung, sondern insbesondere die Entlastung der betreffenden Eltern-Abgeordneten sein. Denn zugunsten ebendieser besteht ein verfassungsrechtliches Gebot zur Schaffung entsprechender Regelungen – genau diese Abgeordneten müssen daher bei der Umsetzung im Fokus des parlamentarischen Interesses stehen. Aus Sicht aller Abgeordnetengruppen eines Parlaments stellt sich das Modell des ruhenden Mandates mit befristeter Nachfolge eindeutig als beste Regelungsoption dar: Dieses Modell bietet die größte Entlastung der mutterschutz- bzw. elternzeitwilligen Abgeordneten und damit den besten Schutz für die betreffenden Familien. Gleichzeitig wirkt es sich am geringsten belastend auf die übrigen Abgeordneten desselben Parlaments aus und vermeidet zudem die Gefahr des Verlustes des Fraktionsstatus sehr kleiner Fraktionen. Vor dem Hintergrund der von diesem Regelungsmodell am wirkungsvollsten ausgehenden positiven Impulse im Hinblick auf eine familienfreundliche Gesellschaft und die damit einhergehende positive Steuerungswirkung ist das Modell des zum Zwecke des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit ruhenden Mandates mit Nachfolge daher insgesamt zu favorisieren. Drittes Kapitel

Ausblick Das verfassungsrechtliche Gebot zur Einführung von Mutterschutz und Elternzeit für Abgeordnete stellt nur einen – wenngleich wichtigen – Baustein einer von den Parlamenten bislang nur zum Teil wahrgenommenen anstehenden architektonischen Umbaumaßnahme der Volksvertretungen dar. Die deutsche Parlamentslandschaft steht an der Schwelle zu großen strukturellen Veränderungen. Seit der Einführung des Frauenwahlrechts vor nunmehr über 100 Jahren wurden hinsichtlich der Wahl, der Zusammensetzung und der Arbeitsweise der deutschen Parlamente keine bahnbrechenden Erneuerungen durchgeführt. Auch die Einführung des Grundgesetzes brachte insoweit keine wesentlichen Veränderungen mit sich. Zu beobachten ist zwar, dass die Parlamente in den vergangenen Jahrzehn-

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4. Teil: Rechtspolitische Bewertung/Reformvorschlag/Ausblick

ten zunehmend weiblicher geworden sind. Hierbei handelt es sich indes um einen schleichenden Prozess, der unabhängig von irgendwelchen Regelungen vonstattenging – und der bereits wieder im Rückgang befindlich ist: Der in der 18. Wahlperiode im Deutschen Bundestag bestehende Frauenanteil von 36,5 % fiel in der aktuellen 19. Wahlperiode auf nur noch 30,7 % zurück. Gleichwohl betreffen die gesellschaftlichen Entwicklungen, die zumindest mittelfristig auch von den Parlamenten nachzuvollziehen sein werden, nicht nur die Frage der Geschlechtergerechtigkeit, sondern gehen weit darüber hinaus. Der deutsche Parlamentarismus kann sich nun entscheiden, den gesellschaftlichen Wandel, den er initiativ mit angeschoben hat, auch selbst nachzuvollziehen. Neben der Frage der Parität betrifft dies insbesondere die Frage nach einer WorkLife-Balance und die damit zusammenhängende – und in der hier vorliegenden Ausarbeitung gegenständliche – Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf bzw. Familie und Mandat.

A. Parität In die evolutionäre Entwicklung der deutschen Parlamente ist aktuell ein geradezu revolutionär anmutender Impuls eingetreten: die gegenwärtige Diskussion um die gesetzliche Parität in den Parlamenten. Selten hat ein Landesgesetz ein derartig großes bundesweites Echo hervorgerufen wie das vom Landtag Brandenburg am 31. Januar 2019 beschlossene sogenannte Parité-Gesetz14. Dieses bestimmt unter anderem, dass die Parteien ab der kommenden Legislaturperiode Frauen und Männer gleichermaßen bei der Aufstellung der Wahllisten berücksichtigen sollen. Um dies zu erreichen, haben sie bei der Listenaufstellung ein striktes Reißverschlussprinzip bezogen auf die Geschlechter einzuhalten. Während die Einführung vergleichbarer Regelungen in den Parlamenten bereits lebhaft diskutiert wird,15 hat die Bundesregierung als Antwort auf eine Kleine Anfrage mitgeteilt, zumindest keinen eigenen Entwurf eines Paritätsgesetzes in den Bundestag einzubringen.16 Gleichzeitig findet eine rege Debatte über die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Parität und der unterschiedlichen Modelle zur entsprechenden Umsetzung statt.17 14 Inklusives Parité-Gesetz – (Drittes Gesetz zur Änderung des Brandenburgischen Landeswahlgesetzes) vom 12. Februar 2019 (GVBl. I 2019, S. 1). 15 Exemplarisch: Bayerischer Landtag, Plenarprotokoll 18/8 vom 5. Februar 2019, S. 479 ff.; Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg, Plenarprotokoll 21/94 vom 27. Februar 2019, S. 7221 ff.; Niedersächsischer Landtag, 18. Wahlperiode, Stenographischer Bericht der 44. Sitzung vom 27. März 2019, S. 3987 ff. 16 BT-Drs. 19/7487 vom 1. Februar 2019, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Willkomm, Bauer, Thomae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP – Drucksache 19/7059. 17 Exemplarisch: Brosius-Gersdorf, Ergebnisparität oder Chancengleichheit? Quotenmodelle zur Steigerung des Frauenanteils im Parlament, auf: Verfassungsblog, 25. Februar 2019; Polzin, Parité-Gesetz in Brandenburg – Kein Sieg für die Demokratie, auf: Verfassungsblog, 8. Februar 2019.

3. Kap.: Ausblick

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Damit kommt der von den Parlamenten maßgeblich mit beförderte gesellschaftliche Wandel erst mit einiger zeitlicher Verzögerung bei ihnen selbst an. Für andere Organisationen hatte der Deutsche Bundestag bereits vor mehreren Jahren eine Quotenregelung eingeführt: Mit dem Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst18 hatte der Bundestag bereits am 6. März 2015 beschlossen, dass für Aufsichtsräte von börsennotierten oder mitbestimmungspflichtigen Gesellschaften sowie für Aufsichtsgremien, in denen dem Bund mindestens drei Sitze zustehen, eine Geschlechterquote von 30 % gilt. Doch das, was der Bundestag für andere beschließt, scheint er bezogen auf sich selbst als problematischer einzuschätzen. Letztlich ist es eine Frage der politischen Glaubwürdigkeit, das, was von anderen gefordert wird, auch in Bezug auf das eigene Gremium umzusetzen.

B. Work-Life-Balance/Mandats-Sharing Ähnlich könnte es sich mit dem Thema der sogenannten Work-Life-Balance verhalten. Bereits im Jahr 2003 gab das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend eine Studie zum Nutzen der verbesserten Balance zwischen Privatleben und Beruf in Auftrag.19 Eine vom vorgenannten Ministerium gemeinsam mit mehreren großen deutschen Unternehmen und Verbänden durchgeführte Analyse der volkswirtschaftlichen Effekte kam im Jahr 2005 zu dem Ergebnis, dass eine verbesserte Work-Life-Balance nicht nur der betroffenen Person nützt, sondern auch sowohl auf der betriebswirtschaftlichen als auch auf der volkswirtschaftlichen Ebene zu positiven Effekten führt.20 Darüber hinaus wird konstatiert, dass von einer Personalpolitik, die an einer Work-Life-Balance orientiert ist, auch positive Wirkungen für die Stabilität des gesellschaftlichen Zusammenlebens ausgehen, wovon wiederum die Wirtschaft profitiere.21 Als zentraler Aspekt wird in diesem Zusammenhang die Balance von Familie und Beruf betrachtet.22 Gemeinsam mit den weiteren Akteuren fordert das Ministerium eine Veränderung der personalpolitischen Leitbilder: Mitarbeitende sollen als Menschen mit unterschiedlichen Lebensentwürfen akzeptiert und nicht auf ihre Funktion als bloße Arbeitskraft reduziert werden.23 Was die Politik bereits vor rund anderthalb Jahrzehnten von der Wirtschaft forderte, wird auf Dauer auch vor ihr selbst nicht Halt machen. Weder aus dem

18 19 20 21 22 23

BGBl. I 2015, S. 642 ff. BMFSFJ, Betriebswirtschaftliche Effekte. BMFSFJ, Work Life Balance, S. 42 und passim. BMFSFJ, Work Life Balance, S. 42. BMFSFJ, Work Life Balance, S. 4. BMFSFJ, Work Life Balance, S. 42.

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4. Teil: Rechtspolitische Bewertung/Reformvorschlag/Ausblick

Wesen der Demokratie noch aus der Parlamentsgeschichte oder aus sonstigen Umständen ergibt sich ein zwingender Grund dafür, dass Wochenarbeitszeiten von 80 bis 120 Stunden für Bundestagsabgeordnete und 60 bis 100 Stunden für Landtagsabgeordnete typisch und unvermeidbar24 sein sollen. Abgeordnete sind nicht nur Vertreterinnen und Vertreter des Volkes, sie sind auch Vertreterinnen und Vertreter aus dem Volk. Sie sind Bürgerinnen und Bürger jedweder Herkunft und Berufe – Menschen mit einem Privatleben, mit einem Freundeskreis, mit Familie, mit Haus und Garten, mit Hobbies. Ihr Beruf ist die Politik.25 Unter der Prämisse, dass von einer verbesserten Work-Life-Balance im Wirtschaftsleben positive Effekte für das Individuum, den Betrieb, die Gesamtwirtschaft sowie die Gesamtgesellschaft ausgehen,26 ist es zumindest denklogisch naheliegend, dass von einer besseren Work-Life-Balance für Abgeordnete nicht nur positive Effekte für diese selbst, sondern insbesondere auch für die politische Parlamentsarbeit und damit wiederum auch für die gesamte Gesellschaft zu erwarten sind. Darüber hinaus wird eine Änderung der Arbeitskultur gerade durch den wahlperiodischen Wechsel der Abgeordneten auch die Sicht der Parlamentsmitglieder auf ihr eigenes Arbeitsumfeld beeinflussen. Sowohl aus dem Eigeninteresse der Abgeordneten als auch aus gesamtpolitischem und gesamtgesellschaftlichem Interesse sollten die Parlamente daher zukünftig auch in diesem Bereich das, was sie von der Wirtschaft fordern, auch auf die eigene Organisation übertragen. Insbesondere sollten in diesem Zusammenhang Sitzungszeiten und Sitzungsdauern auf den Prüfstand gestellt werden;27 aber auch zahlreiche weitere Maßnahmen werden zu diskutieren sein. Sofern ein tatsächlicher Wille besteht, eine Work-Life-Balance auch im Parlament zu erreichen – also eine Mandats-Lebens-Balance – so ist konsequenterweise auch über Teilzeitmodelle für Abgeordnete nachzudenken. Vorstellbar ist beispielsweise das in der Einleitung bereits angesprochene Mandats-Sharing, bei dem bereits im Rahmen der Wahl in einigen Wahlkreisen oder auf einigen Listenplätzen ein aus zwei vollwertigen Abgeordneten bestehendes Tandem gewählt wird, das sich die Abstimmungsteilnahme sowie die Ausschusstermine und die Wahlkreisarbeit teilt.28 Ein solches Teilzeitmodell kann, muss aber nicht zwangsläufig familienbezogen sein: Neben der Kindererziehung und der Pflege von Angehörigen gibt es vielfältige weitere Gründe, die zur Inanspruchnahme 24

BVerfGE 40, 296, 312. Vgl. dazu oben im ersten Teil, zweites Kapitel, B., S. 71 f. 26 BMFSFJ, Work Life Balance, S. 42. 27 Kürschner/Siri, Vereinbarkeit, S. 32. 28 Vgl. oben in der Einleitung, B. VI., S. 34 f.; Wahlmann, Interview im NDR Fernsehen, „Hallo Niedersachsen“, vom 8. März 2018; Wahlmann, Interview im Rundblick, Ausgabe 50/2018 vom 13. März 2018, „Elternzeit für Abgeordnete – warum gibt es das eigentlich noch nicht?“, https://www.rundblick-niedersachsen.de/elternzeit-fuer-abge ordnete-warum-gibt-es-das-eigentlich-noch-nicht/, zuletzt aufgerufen am 12. Dezember 2019. 25

3. Kap.: Ausblick

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eines derartigen Teilzeitmandates veranlassen können. Die genauen Modalitäten sind eine Frage der Ausgestaltung im Rahmen des politischen Prozesses. Ein solches Mandats-Sharing wäre ein absolutes Novum in der deutschen Parlamentslandschaft. Gleichwohl würden auch in diesem Fall die Parlamente nur das nachvollziehen, was sie Wirtschaft und Verwaltung seit vielen Jahren abverlangen – Grund genug, eine solche Abgeordnetenteilzeit näher in Betracht zu ziehen. Gewiss wirft ein solches Modell verfassungsrechtliche Fragen auf, die sich je nach der konkreten Ausgestaltung des gewählten Teilzeitmodells unterscheiden. Zu diskutieren wären insbesondere die Vereinbarkeit mit der Gleichheit der Wahl sowie mit der Freiheit und der Gleichheit des Mandats. Hieraus dürften sich interessante Ansätze für eine weitere verfassungsrechtliche Ausarbeitung ergeben.

C. Mutterschutz und Elternzeit Eng mit der Work-Life-Balance verknüpft ist die Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf – was insbesondere die Möglichkeit beinhaltet, dem Beruf bzw. dem Mandat für eine begrenzte Zeitspanne fernzubleiben, um diese sodann ohne Nachteile wiederaufzunehmen. Auch in dieser Hinsicht bleiben die deutschen Parlamente bislang weit hinter den gesellschaftlichen Entwicklungen zurück. Wie ausführlich dargestellt wurde, bestehen Mutterschutzregelungen im Wirtschaftsleben bereits seit der Kaiserzeit.29 Der Mutterschaftsurlaub als erster Vorläufer der Elternzeit wurde vor immerhin über 40 Jahren, nämlich im Jahr 1979, eingeführt.30 Nun ist es an den Parlamenten, auch diese Entwicklung für ihre Abgeordneten nachzuvollziehen. Die konkrete Ausgestaltung, insbesondere die Wahl eines Regelungsmodells mit diversen denkbaren Varianten, obliegt dabei der Gestaltungsfreiheit der Parlamente. Die Frage nach dem „Ob“ der Einführung von Mutterschutz- und Elternzeitregelungen für ihre Mitglieder obliegt ihnen hingegen nicht: Insoweit hat die vorliegende Untersuchung deutlich aufgezeigt, dass dem Staat – und somit den Parlamenten als gesetzgebender Gewalt – eine aus Art. 3 Abs. 1 und 2 GG sowie aus Art. 6 Abs. 1, 2 und 4 GG resultierende verfassungsrechtliche Pflicht zur Einführung von Mutterschutz und Elternzeit für Abgeordnete zukommt. Nunmehr sind die Parlamente am Zug. Ihnen obliegt die Umsetzung. Die vorliegende Ausarbeitung mag dabei als Hilfsinstrument für die Einordnung und Bewertung der sich im Entscheidungsprozess ergebenden verfassungsrechtlichen und rechtspolitischen Fragestellungen dienen. Es bleibt mit Spannung abzuwarten, inwieweit die hier erarbeiteten Ergebnisse in der Verfassungswirklichkeit umgesetzt werden. 29 30

Vgl. oben im ersten Teil, drittes Kapitel, A., S. 94 ff. BGBl. I 1979, S. 797; vgl. oben im ersten Teil, drittes Kapitel, A.V., S. 99.

Zusammenfassung in Thesen Erster Teil

Ausgangslage 1.

Der Mutterschutz, der in Deutschland eine mehr als einhundertvierzigjährige Tradition hat, wird verfassungsrechtlich durch das Grundrecht des Art. 6 Abs. 4 GG gewährleistet: Hiernach hat jede Mutter Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft. Der Staat begegnet damit insbesondere denjenigen Gefahren und Nachteilen, die in der besonderen Lage der Schwangerschaft, der Geburt und der Stillzeit auf Frauen einwirken – und zwar sowohl in körperlicher als auch in seelischer, beruflicher und wirtschaftlicher Hinsicht. Darüber hinaus liegt dem Mutterschutz auch die Idee zugrunde, dass Mutterschaft und Kindeserziehung Leistungen sind, die im Interesse der Gemeinschaft liegen und Anerkennung verdienen.

2.

Mit der jüngsten Reform des Mutterschutzgesetzes im Jahr 2017 wurde der persönliche Geltungsbereich des Gesetzes erheblich ausgeweitet, so dass dieses nun neben Arbeitnehmerinnen unter anderem auch Schülerinnen, Studentinnen, Praktikantinnen, sowie arbeitnehmerähnliche Personen umfasst.

3.

Als Fortentwicklung aus dem Mutterschutz sind die Elternzeit und das Elterngeld mittlerweile feste Institutionen in Deutschland. Anspruch auf Elternzeit und Elterngeld haben nicht nur Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und Beamtinnen und Beamte, sondern auch Selbständige sowie Personen, die zuvor keiner beruflichen Tätigkeit nachgegangen sind.

4.

Anders verhält es sich bei Abgeordneten in Bund und Ländern: Weder vom gesetzlichen Mutterschutz noch von den elternzeitlichen Regelungen sind sie umfasst. Zwar existieren vereinzelt mutterschutzähnliche Regelungen und faktisch nehmen viele Abgeordnete unmittelbar vor und nach der Geburt eines Kindes auch wenig bis keine parlamentarischen Termine wahr. Ob dies einen wirksamen Schutz der (werdenden) Mutter und des un- bzw. neugeborenen Kindes darstellt, darf jedoch in Frage gestellt werden.

5.

Eine Elternzeit für Abgeordnete ist dem deutschen Parlamentarismus weitgehend fremd – mit einer Ausnahme: Der Landtag von Baden-Württemberg hat im Jahr 2014 die Möglichkeit einer Beurlaubung zum Zwecke der Kinderbetreuung für die Dauer von längstens sechs Monaten in seiner Geschäftsordnung verankert. Diese Regelung betrifft allerdings nur die Teilnahme an Plenar- und Ausschusssitzungen; ansonsten bleibt das Abgeordne-

Zusammenfassung in Thesen

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tenverhältnis mit allen Rechten und Pflichten unverändert bestehen. Alle anderen Parlamente kennen keine Elternzeit für Abgeordnete. 6.

Abgeordnete, die während ihrer Mandatszeit ein Kind bekommen, haben – sofern sie nicht auf ihr Mandat verzichten – keine rechtlich gesicherte Möglichkeit, die Versorgung ihres Kindes für einen gewissen Zeitraum selbst zu übernehmen. Die Vernachlässigung des Mandats dürfte im Hinblick auf die zu erwartenden negativen politischen Folgen für die überwiegende Mehrzahl der Abgeordneten keine ernsthafte Option darstellen. Dementsprechend sehen sich Parlamentarierinnen als (werdende) Mütter hohen zeitlichen und dadurch auch körperlichen Belastungen ausgesetzt. Auch männliche Abgeordnete haben (außerhalb des Landtages von Baden-Württemberg) keine Möglichkeit, sich für einen begrenzten Zeitraum vorwiegend der Betreuung ihres Kleinstkindes zu widmen.

7.

Damit stehen Abgeordnete im Hinblick auf Mutterschutz und Elternzeit schlechter als nahezu alle anderen in Deutschland lebenden (werdenden) Eltern. Diese Schlechterstellung wird auch nicht durch den Abgeordneten gewährte Vorteile wie die Freiheit des Mandats oder die ihnen zukommende Entschädigung kompensiert.

8.

Aufgrund dieser mangelhaften Vereinbarkeit von Abgeordnetenmandat und der Geburt von Kindern entscheiden sich gerade politisch aktive junge Frauen mit Kindern oder Kinderwunsch häufig gegen eine Parlamentskandidatur – gleichzeitig entscheiden sich junge Parlamentarierinnen häufig gegen ein Kind. Hieraus folgt eine Unterrepräsentanz junger Frauen in den Parlamenten. Eine Volksvertretung sollte aber zumindest anstreben, das Volk wenigstens näherungsweise von seiner Struktur her zu repräsentieren. Im übrigen haben die Parlamente einen Vorbildcharakter, den sie im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Familie und Mandat bislang überwiegend vernachlässigen. Zweiter Teil

Verfassungsrechtliches Gebot zur Einführung von Mutterschutz und Elternzeit für Abgeordnete – Das „Ob“ 9.

Als verfassungsrechtliche Direktive für ein an die Gesetzgebung gerichtetes Gebot zur Einführung von Mutterschutz und Elternzeit kommen in erster Linie Grundrechte in Betracht. Die sich in diesem Zusammenhang stellende Frage der Grundrechtsberechtigung von Abgeordneten kann im Hinblick auf die hier gegenständliche Situation bejaht werden. Der Schwerpunkt der Inanspruchnahme von Mutterschutz und Elternzeit ist deutlich weiter der privaten Sphäre der Abgeordneten als der parlamentarischen Sphäre zuzuordnen; zudem ist die besondere Lebenslage von Schwangerschaft, Wochenbett und

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Zusammenfassung in Thesen

zu betreuendem Kleinstkind eine solche, die auch Nichtabgeordnete ohne jeglichen Parlamentsbezug betreffen kann. 10. Ein entsprechendes verfassungsrechtliches Gebot, prä- und postnatale Mutterschutzregelungen auch für Abgeordnete in Bund und Ländern zu einzuführen, ergibt sich aus dem verfassungsrechtlichen Mutterschutz des Art. 6 Abs. 4 GG, der verfassungsrechtlichen Gleichberechtigungsverpflichtung des Art. 3 Abs. 2 GG und dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Darüber hinaus verpflichtet auch das durch Art. 6 Abs. 2 GG gewährte Elternrecht den Staat zur Schaffung vorgeburtlichen Mutterschutzes. 11. Der Grundsatz der Gleichheit der Wahl gemäß Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG wird durch die Einführung von Mutterschutzfristen für Abgeordnete ebenso wenig berührt wie der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl aus Art. 38 Abs. 1 Satz. 1 GG (jeweils direkt, in Verbindung mit Art. 28 Abs. 1 Satz GG oder einer entsprechenden Vorschrift der jeweiligen Landesverfassung). 12. Darüber hinaus sind auch die nicht mutterschutzberechtigten Abgeordneten desselben Parlaments nicht in dem aus Art. 38 Abs. 1 GG hergeleiteten Grundsatz des gleichen Mandats betroffen. Zwar wird den mutterschutzberechtigten Abgeordneten innerhalb bestimmter Zeiträume zugebilligt, ihr Mandat nicht wahrzunehmen, während dies für die übrigen Abgeordneten nicht der Fall ist. Ziel der formellen Gleichheit der Abgeordneten ist es jedoch, die Freiheit des Mandats zu gewährleisten und Abhängigkeiten und Hierarchien über das in einem Parlament unabdingbare Maß hinaus innerhalb der Volksvertretung zu vermeiden. Eine solche Hierarchisierung findet hier nicht statt; im Gegenteil üben die im Mutterschutz befindlichen Abgeordneten das Mandat während dieser Zeit gerade nicht aus, so dass von einem erhöhten Einfluss innerhalb des Parlaments nicht ausgegangen werden kann. 13. Die Einführung von Mutterschutzfristen für Abgeordnete steht auch im Einklang mit dem aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG hergeleiteten Repräsentationsprinzip in Verbindung mit dem Erfordernis der Funktionsfähigkeit des Parlaments. Zwar resultiert hieraus eine grundsätzliche Verpflichtung aller Abgeordneten, die gelungene Repräsentation des Volkes sicherzustellen und die Funktionsfähigkeit des Parlaments zu gewährleisten. Dem kann jedoch auch durch Absprachen und andere parlamentarische Maßnahmen Rechnung getragen werden; die jederzeitige Anwesenheit aller Parlamentsmitglieder ist indes nicht erforderlich. 14. Zudem verletzt die Einführung von Mutterschutz für Abgeordnete auch nicht das Gebot der Gleichberechtigung von Frauen und Männern aus Art. 3 Abs. 2 und 3 Satz 1, 1. Alt. GG. Zwar knüpft die Besserstellung der mutterschutzberechtigten weiblichen Abgeordneten unmittelbar ein geschlechtsbezogenes Merkmal an. Für Fälle wie den hier gegenständlichen, die unmittel-

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bar an die Mutterschaft anknüpfen, durchbricht der verfassungsrechtliche Mutterschutz des Art. 6 Ab. 4 GG jedoch das Gebot der Gleichberechtigung. Insoweit kann das aus Art. 6 Abs. 4 GG folgende Mutterschutzgebot sogar als Beitrag des Staates zur Beseitigung bestehender Nachteile gesehen werden. 15. Aus vergleichbaren Gründen liegt auch keine Kollision der Einführung von fakultativen Mutterschutzfristen für Abgeordnete mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vor. 16. Bei der gebotenen Einführung einer Mutterschutzregelung für Abgeordnete ist zu berücksichtigen, dass der in Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG statuierte Grundsatz des freien Mandats ausschließlich fakultative Schutzfristen zulässt. Die Einführung obligatorischer Mutterschutzfristen würde indes in nicht gerechtfertigter Weise gegen die Mandatsfreiheit der mutterschutzberechtigten Abgeordneten und gegen das Verbot geschlechtsbezogener Diskriminierung aus Art. 3 Abs. 3 Satz 1, 1. Alt. GG verstoßen. 17. Ferner ist auch die Einführung von Elternzeitregelungen für Abgeordnete verfassungsrechtlich geboten: Insoweit ergibt sich sowohl aus dem Familienrecht des Art. 6 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG als auch aus dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG eine entsprechende Verpflichtung an die Gesetzgebung. 18. Ohne eine Elternzeitregelung stehen Abgeordnete mit Kleinstkindern vor der Wahl, entweder das Kind auch in den ersten Lebenswochen und -monaten nicht selbst zu betreuen oder aber das Mandat eigenmächtig nicht wahrzunehmen und damit das Ende der berufspolitischen Karriere zu riskieren. Aus Art. 6 Abs. 2 GG folgt jedoch ein Schutz- und Förderauftrag, der das Gebot an den Staat richtet, eine kinderfreundliche Gesellschaft zu fördern und dafür Sorge zu tragen, dass die Wahrnehmung der Kindererziehungsaufgabe nicht zu beruflichen Nachteilen führt. Der Staat muss dafür sorgen, dass die Rückkehr in eine Berufstätigkeit ebenso möglich ist wie ein beruflicher Aufstieg während und nach Zeiten der Kinderbetreuung. Daraus folgt ein an die Gesetzgebung gerichtetes Gebot zur Einführung von Elternzeitregelungen für Abgeordnete. 19. Zwar gerät die Einführung von Elternzeit für Abgeordnete in Konflikt mit dem allgemeinen Gleichbehandlungsinteresse der nicht elternzeitberechtigten Abgeordneten aus Art. 3 Abs. 1 GG. Die eher geringfüge Beeinträchtigung dieser übrigen Abgeordneten ist jedoch aufgrund des überwiegenden Interesses der Eltern und der ihnen durch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG als natürliches Recht zugebilligten Befugnis zur Pflege und Erziehung ihrer Kinder in Verbindung mit dem durch sie erbrachten generativen Beitrag gerechtfertigt.

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Dritter Teil

Lösungsansätze: Regelungsoptionen und ihre verfassungsrechtliche Zulässigkeit – Das „Wie“ A. Grundsätzliche Voraussetzungen 20. Als Grundvoraussetzung aller einzelnen Optionen einer Mutterschutz- oder Elternzeitregelung für Abgeordnete ist zu berücksichtigen, dass das dem Repräsentationsprinzip entspringende Erfordernis der gemeinschaftlichen Wahrnehmung der Volksvertretung durch das Parlament als Ganzes die vorherige Festlegung der Dauer der geplanten Inanspruchnahme von Mutterschutz und bzw. oder Elternzeit durch das jeweilige Parlamentsmitglied nahelegt. 21. Die Bestimmung der jeweiligen Höchstdauer obliegt dem Parlament. Dabei erscheint hinsichtlich eines Mutterschutzes für Abgeordnete eine Anlehnung an § 3 Abs. 1 und 2 MuschG zweckmäßig. In Bezug auf die Elternzeit für Abgeordnete bietet sich in Anlehnung an die Regelung des § 75 Abs. 3 GO LT BaWü eine Höchstdauer von sechs Monaten an. 22. Bei der Prüfung der in Betracht kommenden Regelungsoptionen wird dementsprechend davon ausgegangen, dass die Dauer des Mutterschutzes für Abgeordnete mit einer dem § 3 Abs. 1 und 2 MuSchG entsprechenden Höchstdauer frei wählbar ist, dem Parlament jedoch zuvor verbindlich angezeigt werden muss. Hinsichtlich der Elternzeit für Abgeordnete wird davon ausgegangen, dass diese innerhalb einer Höchstdauer von sechs Monaten ebenfalls hinsichtlich der Dauer frei wählbar ist, wobei der Zeitpunkt und die Dauer der Inanspruchnahme dem Parlament ebenfalls im Vorhinein verbindlich mitgeteilt werden müssen.

B. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Regelungsoptionen I. Institutionalisiertes Fehlen 23. Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit des einfachen, institutionalisierten Fehlens unter unverändertem Fortbestand des Mandats ergeben sich keine Bedenken. Diese Option entspricht der bereits im Rahmen der Prüfung eines verfassungsrechtlichen Gebotes zur Einführung von Mutterschutz und Elternzeit für Abgeordnete erörterten Frage, ob einer grundsätzlichen Einführung von Fristen, während derer die Abgeordneten keine mandatsbezogenen Pflichten treffen, per se kollidierendes Verfassungsrecht entgegensteht. Die geregelte zeitweise freiwillige Nichtwahrnehmung des Mandats aus Gründen des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit ist demnach insbesondere mit dem Grundsatz der Gleichheit der Wahl, dem Grundsatz

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der Gleichheit des Mandats, dem Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl, dem Repräsentationsprinzip bzw. der Funktionsfähigkeit des Parlaments, dem Gebot der Gleichberechtigung von Frauen und Männern sowie mit dem allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar. II. Ruhendes Mandat ohne Nachfolge 24. Das ruhende Mandat ohne Nachfolge ist verfassungsrechtlich zulässig: Insbesondere steht es im Einklang mit dem Grundsatz der Freiheit des Mandats, denn bei der Ruhenserklärung handelt es um eine dem Verzicht oder dem Rücktritt ähnliche Handlung, die vom freien Mandat gedeckt ist. Zudem entspricht es auch dem Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl, denn das betreffende Parlamentsmitglied greift mit der Ruhenserklärung nicht dergestalt nachträglich in die Wahlentscheidung ein, dass etwa Personen auf der Landesliste ausgetauscht oder ergänzt würden: An der Identität und der Listenreihenfolge der bereits vor der Wahl feststehenden zu Wählenden ändert sich durch diese nachträgliche Ruhensentscheidung nichts. 25. Zudem ist das ruhende Mandat auch mit dem Grundsatz der Gleichheit der Wahl vereinbar. Die Wahlrechtsgleichheit bezieht sich nur auf die Wahl als solche; der Umfang der parlamentarischen Tätigkeit der Abgeordneten ist demnach ebenso wenig vom Prinzip der Wahlrechtsgleichheit umfasst wie die Qualität der Tätigkeit. Dementsprechend haben die Wählenden kein Recht darauf, dass ein Parlamentsmitglied das Mandat ununterbrochen bis zum Ende der Wahlperiode wahrnimmt. 26. Zudem kollidiert das reine Ruhen des Mandats auch weder mit dem Grundsatz der Gleichheit des Mandats noch mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG oder mit dem Repräsentationsprinzip und dem aus ihm erwachsenden Erfordernis der Funktionsfähigkeit des Parlaments. Insoweit ergeben sich für das ruhende Mandat keine Unterschiede zu den in Bezug auf ein verfassungsrechtliches Gebot zur Einführung von Mutterschutz und Elternzeit für Abgeordnete dargestellten Grundsätzen. III. Ruhendes Mandat mit Nachfolge 27. Das ruhende Mandat mit befristeter Nachfolge nach dem hier vorgeschlagenen Modell unterscheidet sich von dem bislang überwiegend diskutierten ruhenden Mandat eines Regierungsmitgliedes insbesondere dadurch, dass die Dauer der Mandatsruhe hier von vornherein feststeht, so dass die Nachfolgeperson sich von Anfang an darauf einstellen kann. Zudem hat das Ursprungsmitglied dadurch keine Möglichkeit, die Nachfolgeperson willkürlich aus dem Mandat zu verdrängen. Darüber hinaus dient das zum Zwecke des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit ruhende Mandat auch nicht der Entlastung

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kleinerer Regierungsfraktionen, sondern dem Schutz der Mutter, des Kindes und der Familie, dem Elternrecht und der Steigerung der Repräsentanz des Volkes durch eine erhöhte Diversität der Abgeordnetenschaft. 28. Dieses Modell ist mit dem Unmittelbarkeitsgrundsatz vereinbar, denn es gibt keine Instanz, die sich zwischen den Willen der Wählenden und die Bestimmung der Gewählten schiebt. Unproblematisch gilt dies für den Akt des Nachrückens, der ganz überwiegend als noch vom Wählerwillen umfasst betrachtet wird. Ohnehin hat das Ursprungsmitglied keinen Einfluss auf die Person des Nachrückers: Diese ist nach den Wahlgesetzen anhand der vor der Wahl feststehenden Listen aufgrund des Wahlergebnisses objektiv ermittelbar. Eine Einflussnahme ist ausgeschlossen. Auch beim Wiederausscheiden der Nachfolgeperson nach Ende der Mandatsruhe ist der Unmittelbarkeitsgrundsatz gewahrt. Mit der Ruhensentscheidung nimmt das Parlamentsmitglied lediglich sein Recht als Gewählte bzw. Gewählter in Anspruch, vergleichbar mit der Entscheidung über die Annahme oder Niederlegung des Mandats. Zwar unterscheidet sich die Rückkehr in das ruhende Mandat insofern von den vorgenannten Entscheidungen, als mit ihr gleichzeitig auch der Verlust des Mandats einer Nachfolgeperson bewirkt wird; hierdurch wird jedoch nicht nachträglich das letzte Wort der Wählenden korrigiert – deren Wahlentscheidung ist nach wie vor verbindlich. Die Reihenfolge der Liste wird durch die Rückkehr in ein zuvor ruhendes Mandat nicht verändert. Weder eine Partei oder Wählergruppierung, noch das Ursprungsmitglied oder eine sonstige Person haben nach der Wahl Einfluss auf die Reihenfolge der Liste. Dies ändert sich auch nicht durch die Rückkehr in das ruhende Mandat. Denn die nun ausscheidende Nachfolgeperson bleibt auf demselben Listenplatz, auf dem sie auch vor dem Nachrücken stand und nimmt lediglich wieder den Platz als erste Ersatzperson ein. 29. Auch mit dem Grundsatz der Gleichheit des Mandats ist das zum Zwecke des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit ruhende Mandat mit Nachfolge vereinbar. Zwar wird den Eltern-Abgeordneten eine Möglichkeit gewährt, die anderen Abgeordneten ohne Kinder im entsprechenden Alter nicht zukommt – nämlich das Mandat für eine gewisse Zeit nicht auszuüben. Auf die formelle Gleichheit der Abgeordneten im Sinne der Vermeidung innerparlamentarischer Hierarchien hat die Möglichkeit der Mandatsruhe jedoch keinerlei Einfluss. Wenn man dennoch von einer Besserstellung der Abgeordneten mit Kleinkindern ausgeht, so ist diese jedenfalls durch Art. 6 Abs. 1 und 2 GG verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Auch eine Schlechterstellung des Nachfolgemitgliedes kann nicht festgestellt werden. Während der Mandatsausübung hat die Nachfolgeperson die gleichen Rechte und Pflichten wie alle übrigen Abgeordneten. Zwar ist ihr Mandat zeitlich begrenzt; dies trifft jedoch auf die herkömmliche Nachfolge in

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ein freiwerdendes Mandat auch zu. Zudem wäre die Nachfolgeperson ohne das Institut des ruhenden Mandates noch gar nicht in das Parlament nachgerückt, sondern befände sich noch auf dem ersten Platz der Ersatzliste. Daher erleidet sie durch das zeitlich befristete Nachrücken keinen Nachteil. Nimmt man dennoch eine rechtlich relevante Benachteiligung der Nachfolgeabgeordneten an, so ist diese jedenfalls durch Art. 6 Abs. 1 i.V. m. Abs. 2 GG verfassungsrechtlich gerechtfertigt. 30. Auch mit dem Grundsatz des freien Mandates lässt sich das zum Zwecke des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit ruhende Mandat mit Nachfolge vereinbaren. Wenn sogar der Verzicht auf das Mandat – also die endgültige Mandatsaufgabe – von der Mandatsfreiheit gedeckt ist, so muss dies erst recht für die mildere Form des Ruhenlassens des Mandates gelten. Auch das Nachfolgemitglied ist nicht in seiner Mandatsfreiheit betroffen: Es kann sich von vornherein auf die Dauer seines Mandates einstellen und seine parlamentarische Arbeit daran ausrichten. Eine Einwirkung auf seine politische Entscheidungsfreiheit durch ein Drohen mit der Verdrängung aus dem Mandat ist aufgrund der von vornherein festgelegten Dauer der Mandatsruhe ebenfalls ausgeschlossen. 31. Das zum Zwecke des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit ruhende Mandat mit Nachfolge steht auch im Einklang mit dem Repräsentationsprinzip. Zwar nimmt das in der Mandatsruhe befindliche Mitglied seine repräsentative Verpflichtung in dieser Zeit nicht wahr. In diesem Fall übernimmt jedoch eine Nachfolgeperson die sich aus dem Mandat ergebenden Tätigkeiten, so dass das Volk ununterbrochen durch die gleiche Anzahl Abgeordneter vertreten ist. Im Ergebnis ist auch das zum Zwecke des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit ruhende Mandat mit Nachfolge verfassungsrechtlich zulässig. IV. Übertragung des Stimmrechts 32. Die Option der Übertragung des Stimmrechts bezieht sich nicht auf das Mandat des mutterschutz- bzw. elternzeitwilligen Parlamentsmitgliedes selbst, sondern setzt die Inanspruchnahme der parlamentarischen Auszeit eines oder mehrerer Abgeordneter – entweder im Rahmen der Mandatsruhe oder im Rahmen des institutionalisierten Fehlens – bereits voraus. Die Überlegung, eine Stimmrechtsdelegation einzuführen, basiert auf der Frage, wie das Parlament – oder einzelne Fraktionen – mit dem Fehlen eines oder mehrerer Mitglieder insbesondere in Zeiten knapper Mehrheitsverhältnisse umgehen können. 33. Das französische Modell der Stimmrechtsdelegation eignet sich insoweit jedoch nicht als Vorbild. Denn hierbei bestimmt das verhinderte Mitglied die

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Person des vertretenden Mitgliedes. Damit wird das auswählende Mitglied zu einer externen Instanz, die sich zwischen den Willen der Wählenden und die Bestimmung der Gewählten schiebt, so dass ein Verstoß gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl vorliegt. 34. Aber auch dann, wenn das Vertretungsmitglied nach objektiven, bereits vor der Wahl feststehenden, Kriterien bestimmt wird, verstößt die Stimmrechtsübertragung auf ein anderes Parlamentsmitglied jedoch gegen den Grundsatz der Gleichheit des Mandats: Denn wenn ein Parlamentsmitglied ein anderes bei einer oder mehreren Abstimmungen vertritt, hat es hierbei einen doppelt so großen Einfluss auf das Abstimmungsergebnis wie die übrigen Abgeordneten. 35. Dieser Verstoß ist auch nicht verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Da sich das Institut des ruhenden Mandats mit Nachfolge als milderes, ebenso effektives Mittel erweist, ist der durch die Stimmrechtsübertragung bewirkte Eingriff in die Mandatsgleichheit nicht erforderlich und damit im Ganzen ungerechtfertigt. Die Übertragung des Stimmrechts ist daher keine verfassungsmäßig zulässige Option. V. Pflicht zum Pairing 36. Zum Ausgleich einer durch den Mutterschutz oder die Elternzeit eines Parlamentsmitgliedes möglicherweise hervorgerufenen Verschiebung der Mehrheitsverhältnisse kommt jedoch auch ein obligatorisches Pairing in Betracht. 37. Bislang ist das Pairing im parlamentarischen Raum ausschließlich als freiwillige Vereinbarung bekannt. Im Rahmen der Einführung von Mutterschutz und Elternzeit für Abgeordnete stellt sich jedoch die Frage, ob eine Fraktion der Gegenseite – und damit auch ein Parlamentsmitglied der Gegenseite – zur Wahrung der Mehrheitsverhältnisse zum Pairing verpflichtet werden kann. 38. Die Einführung einer Rechtspflicht zum Pairing kann jedoch nur dann ernsthaft in Betracht kommen, wenn die Auswahl des zum Pairing verpflichteten Parlamentsmitgliedes nicht willkürlich erfolgt. Andernfalls scheitert das obligatorische Pairing bereits durch den Weg zur Auswahl des Pairingpartners am Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl sowie am Grundsatz der Gleichheit des Mandats. 39. Als mögliche Verfahrensweise zur Bestimmung des Pairingpartners bietet sich ein abgestuftes Verfahren an, in dem zunächst die entsprechend verpflichtete Fraktion und dann das konkret zum Pairing verpflichtete Parlamentsmitglied nach objektiven Kriterien bestimmt wird. Dabei sollte die Versagung der Abstimmungsteilnahme für das jeweilige Parlamentsmitglied

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jeweils nur für einen Sitzungstag oder sogar nur für einen einzelnen Tagesordnungspunkt gelten, um die Belastung für das jeweilige Mitglied gering zu halten. 40. Gleichwohl kollidiert das obligatorische Pairing mit dem Grundsatz des freien Mandats, denn das jeweils zum Pairing verpflichtete Mitglied wird zumindest punktuell in einem seiner wichtigsten parlamentarischen Rechte, nämlich seinem Stimmrecht, beschränkt. Zudem besteht ein Konflikt mit dem Grundsatz des gleichen Mandats. Der verfassungsrechtliche Wert des durch ein verpflichtendes Pairing flankierten Mutterschutzes bzw. der entsprechend flankierten Elternzeit für Abgeordnete ist dabei jedoch höher zu bewerten als die vergleichsweise geringe Beeinträchtigung der zum Pairing verpflichteten Abgeordneten, so dass die Rechtspflicht zum Pairing zur Gewährleistung der ungehinderten Inanspruchnahme von Mutterschutz und Elternzeit durch Abgeordnete demnach insgesamt verhältnismäßig ist. Auch beim obligatorischen Pairing nach dem hier vorgestellten Modell handelt es sich mithin also um eine verfassungsrechtlich zulässige Regelungsoption. VI. Teilnahme per Fernabstimmung 41. Als abschließende Option, die es ermöglicht, einem Parlamentsmitglied die Inanspruchnahme von Mutterschutz bzw. Elternzeit zu gewähren und gleichzeitig die Mehrheitsverhältnisse im Parlament beizubehalten, kommt die Abstimmungsteilnahme per Fernabstimmung in Betracht. Hierbei handelt es sich indes um keine echte Form von Mutterschutz oder Elternzeit, sondern lediglich um eine abgeschwächte Ausprägung der parlamentarischen Pause: Das betreffende Parlamentsmitglied hat gerade keine vollständige Auszeit, sondern nimmt an den Abstimmungen teil. 42. Dieses Modell ist nur dann verfassungsrechtlich zulässig, wenn die technischen Voraussetzungen für eine zeitlich unmittelbare Abstimmung getroffen werden, bei der zudem gewährleistet ist, dass die Abstimmung ausschließlich durch das insoweit berechtigte Parlamentsmitglied selbst erfolgt. Zudem muss bei geheimen Wahlen und Abstimmungen die Geheimhaltung gewährleistet sein. Soweit diese Voraussetzungen gegeben sind, begegnet die Teilnahme per Fernabstimmung keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. 43. In der Gesamtschau sind – soweit bei der Art und Weise der Ausgestaltung gewisse Rahmenbedingungen eingehalten werden – nach den obigen Erwägungen das zum Zwecke des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit ruhende Mandat ohne Nachfolge, das zum Zwecke des Mutterschutzes bzw. der Elternzeit ruhende Mandat mit Nachfolge, das institutionalisierte Fehlen unter unverändertem Fortbestand des Mandates, das obligatorische Pairing und die Fernabstimmung verfassungsrechtlich zulässig.

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Vierter Teil

Rechtspolitische Bewertung/Reformvorschlag/Ausblick 44. Hinsichtlich der Auswirkungen der jeweiligen Regelungsmodelle auf die mutterschutz- bzw. elternzeitwilligen Abgeordneten kann festgestellt werden, dass das ruhende Mandat mit Nachfolge die größte Entlastung für die betreffenden Abgeordneten bietet. Am wenigsten Entlastung erfahren die Abgeordneten, denen lediglich die Abstimmung per Fernabstimmung zugestanden wird: Sie werden zwar vom persönlichen Erscheinen im Plenum entpflichtet; darüber hinaus bleiben jedoch all ihre parlamentarischen und außerparlamentarischen Aufgaben bestehen. 45. In Bezug auf die Parlamente im Ganzen lässt sich feststellen, dass alle fünf zulässigen Regelungsoptionen einen etwa gleich hohen Aufwand verursachen, der jedoch für die Parlamentsverwaltungen zu bewältigen sein dürfte. 46. In Bezug auf die übrigen Abgeordneten verursacht das ruhende Mandat mit Nachfolge als einzige Regelungsoption nahezu keine Beeinträchtigung. Demgegenüber bedarf es beim ruhenden Mandat ohne Nachfolge und beim einfachen institutionalisierten Fehlen der Vertretung in den parlamentarischen Gremien außerhalb des Plenums sowie gegebenenfalls auch bei der Wahlkreisarbeit. Das ruhende Mandat ohne Nachfolge kann infolge der Reduzierung der gesetzlichen Mitgliederzahl des Parlaments zudem den Fraktionsstatus sehr kleiner Fraktionen gefährden. Bei der Abstimmungsteilnahme per Fernabstimmung hängt der Zusatzaufwand der übrigen Mitglieder hingegen davon ab, ob Vertretungsregeln getroffen werden. Das obligatorische Pairing verursacht indes eine Beeinträchtigung der zum Pairing verpflichteten Mitglieder der Gegenseite. Unbeschadet dessen bemisst sich die Beeinträchtigung der eigenen Fraktionsmitglieder beim Pairing nach der Grundlage der parlamentarischen Absenz, also entweder der Mandatsruhe ohne Nachfolge oder des institutionalisierten Fehlens. 47. Auch hinsichtlich der gesellschaftlichen Auswirkungen unterscheiden sich die einzelnen Regelungsmodelle insoweit, als sich insbesondere das ruhende Mandat mit Nachfolge als echter Mutterschutz bzw. echte Elternzeit darstellt und damit auch hinsichtlich seiner Außenwirkungen das beste Leitbild einer familienfreundlichen Gesellschaft darstellt. 48. Vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Gebotes zur Einführung von Mutterschutz- und Elternzeitregelungen für Abgeordnete sind nunmehr diejenigen Parlamente ohne entsprechende Regelungen aufgefordert, ihrem

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gesetzgeberischen Auftrag nachzukommen. Die Wahl der Regelungsoption obliegt dem Gestaltungsermessen des Parlaments. Dabei kann es sich unter Umständen auch anbieten, zwischen Mutterschutz und Elternzeit zu differenzieren und diese über jeweils unterschiedliche Modelle zu regeln. So ist es beispielsweise denkbar, die relativ kurze Zeitspanne des Mutterschutzes über ein ruhendes Mandat ohne Nachfolge mit gleichzeitigem obligatorischen Pairing zu regeln, während für die etwas längere Dauer der Elternzeit das ruhende Mandat mit Nachfolge gewählt wird. 49. Aus der Perspektive der Abgeordneten stellt sich das Modell des ruhenden Mandates mit befristeter Nachfolge jedoch eindeutig als beste Regelungsoption dar: Dieses Modell bietet die größte Entlastung der mutterschutz- bzw. elternzeitwilligen Abgeordneten und damit den besten Schutz für die betreffenden Familien. Gleichzeitig wirkt es sich am geringsten belastend auf die übrigen Abgeordneten desselben Parlaments aus. Angesichts der hiervon ausgehenden positiven Impulse im Hinblick auf eine familienfreundliche Gesellschaft und die damit einhergehende positive Steuerungswirkung ist dieses Modell daher insgesamt zu favorisieren. 50. Die deutsche Parlamentslandschaft steht an der Schwelle zu großen strukturellen Veränderungen. Dabei ist festzustellen, dass der von den Parlamenten maßgeblich mit beförderte gesellschaftliche Wandel erst mit einiger zeitlicher Verzögerung bei ihnen selbst ankommt. 51. Dies betrifft zunächst die geradezu revolutionär anmutende Diskussion um die gesetzliche Parität in den Parlamenten, durch die die Parlamente nur an die durch den Deutschen Bundestag selbst eingeführte Quotenregelung für Führungspositionen in bestimmten Unternehmen der Privatwirtschaft und des öffentlichen Dienstes anknüpfen würden. 52. Auch in Bezug auf die vielgepriesene Work-Life-Balance hinkt die Politik hinter den durch sie selbst geforderten Leitbildern hinterher. Dabei spricht kein zwingender Grund dafür, dass Wochenarbeitszeiten von 80 bis 120 Stunden für Bundestagsabgeordnete und 60 bis 100 Stunden für Landtagsabgeordnete unvermeidbar sein sollen. Letztlich ist es eine Frage der politischen Glaubwürdigkeit, das, was von anderen gefordert wird, auch in Bezug auf die eigene Organisation umzusetzen. Dementsprechend ist im Sinne einer Mandats-Lebens-Balance konsequenterweise auch über Teilzeitmodelle für Abgeordnete nachzudenken. Ein solches Mandats-Sharing wäre ein absolutes Novum in der deutschen Parlamentslandschaft. Hieraus dürften sich interessante Ansätze für eine weitere verfassungsrechtliche Ausarbeitung ergeben. 53. Eng mit der Work-Life-Balance verknüpft ist die Frage der Vereinbarkeit von Familie und Mandat: Vor dem Hintergrund der durch diese Untersuchung

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erarbeiteten Ergebnisse müssen die Volksvertretungen es ihren Mitgliedern nunmehr ermöglichen, dem Mandat für eine begrenzte Zeitspanne kindesbedingt fernzubleiben, um dieses sodann ohne Nachteile wiederaufzunehmen. Es ist jetzt an den Parlamenten, die bereits seit über 140 Jahren andauernden gesellschaftlichen Entwicklungen von Mutterschutz und Elternzeit auch in den eigenen Organisationen nachzuvollziehen.

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Stichwortverzeichnis Abgeordnete, fraktionslose 322–323, 401 Abgeordnetenentschädigung 47, 51, 54, 60, 70, 72, 91, 93, 110, 124–125

Bundeserziehungsgeldgesetz 100, 115 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg 66, 264

Abgeordnetenhaus von Berlin 60 Abgeordnetenmandat 68, 71–73, 86, 88– 90, 92–93, 123, 222 Abgeordnetenmandat, historische Entwicklung 68 AbgG Bund 47–48, 50–51, 53, 58, 60, 78, 90, 107–108, 134, 301 Abhängigkeitsverhältnis 109–110 Amt der Abgeordneten, Begriff 84 Amtsträgerhaftung 154 Anwesenheitspflicht 52–53, 65, 78, 133– 134, 141, 219, 232 Auswirkungen der Regelungsmodelle 393 – Auswirkungen auf die betreffenden Abgeordneten 394–396 – Auswirkungen auf die Gesellschaft 404 – Auswirkungen auf die Parlamente 398 – Auswirkungen auf die übrigen Abgeordneten 399 Auswirkungen fehlenden Mutterschutzes 128–129, 134, 136, 139 Auswirkungen fehlender Elternzeit 140, 142 Bayerischer Landtag 57–58, 274 Beamtenverhältnis 86, 88, 152, 302 BEEG 28, 30, 115, 118–126, 232, 239, 241 Beruf, Mandat als 69–72 Beschäftigungsverhältnis 89, 91–92, 100 Bremische Bürgerschaft 62–63, 263

Demokratieprinzip 146, 211, 214, 234, 237, 240, 249–250, 359, 371 Deutscher Bundestag 25, 47–49, 51–52, 67, 69–70, 72–73, 76, 78, 80, 107, 127, 142, 145, 174, 179, 287, 295, 323, 353, 356, 364–365, 370 Diätenurteil 79–80, 87, 176 Digitalisierung der Parlamente 387 Diskriminierung, geschlechtsbezogene 190, 193–194 Elterngeld 28–30, 114, 118, 120, 122– 124 Elternrecht 26, 31, 168, 196–197, 200– 201, 204, 217–218, 221, 223, 231, 239, 283, 310–311, 327, 332, 334, 351, 377–380 Elternzeit 28, 114, 117, 119–122, 140, 217, 224, 237, 239, 311, 332, 387, 393, 404, 411 Erziehungsgeld 115–118 Erziehungsurlaub 116–117 Familienrecht 31, 217–218, 221, 223, 229, 231, 239, 293, 311, 332, 351, 378–379 Fehlen, eigenmächtiges 133, 137, 142, 169–170, 219 Fehlen, institutionalisiertes 32, 39, 251, 259, 399 Fernabstimmung 34, 42, 258, 368, 387, 402 – Geheimhaltung bei geheimen Abstimmungen 389–390

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Stichwortverzeichnis

– Übertragungseinrichtungen 390 – Zeitliche Unmittelbarkeit 388 Funktionsfähigkeit des Parlaments 77, 80–84, 86, 111, 134, 141, 180, 183, 186–187, 192, 211–215, 219, 224, 232, 234–237, 240–243, 245–247, 249, 259, 296–297, 310, 321, 327, 335, 337, 365, 391–393 Gebot, verfassungsrechtliches 149, 196, 217, 219 Gebot der Gleichberechtigung 26, 180– 181, 190, 192, 201–202, 204, 293–295, 311, 351, 375 Gesellschaft, Fortbestand 203, 221, 376 Gewerbeordnung 95, 105 Gleichheit der Wahl 75, 174, 176, 183, 224, 271, 287–289, 308–309, 337, 352, 382 Gleichheitssatz, allgemeiner 31, 176, 182, 190, 205, 214–217, 225, 231, 238, 250, 283, 290–291, 310–311, 327, 330, 334, 351, 380 Grundrechtsberechtigung der Abgeordneten 151–153, 155, 158–160 Grundrechtsbindung der Abgeordneten 150 Hessischer Landtag 66, 268 Hessischer Staatsgerichtshof 40, 262, 269–271, 276, 301, 306 Kostenpauschale 48–49, 51, 53, 56, 58– 61, 65–66, 79, 90, 108, 128, 138–139, 143 Landtag Brandenburg 35, 39–40, 62, 260, 408 Landtag des Saarlandes 66, 400 Landtag Mecklenburg-Vorpommern 66 Landtag Nordrhein-Westfalen 66 Landtag Rheinland-Pfalz 64–65, 273–274 Landtag von Baden-Württemberg 30, 33, 39, 52–54, 56, 58, 251, 259 Landtag von Sachsen-Anhalt 67

Mandat – Freies Mandat 76–77, 85, 87, 91, 93, 110–111, 114, 133, 141, 157, 167, 175, 179, 184, 186–188, 208, 242, 244, 272, 274, 279, 295, 337, 340, 354, 364, 370, 377 – Gleiches Mandat 75, 176–177, 278, 289, 308–309, 321, 323, 340, 350, 362, 368, 382, 384 – Pflicht zur Mandatswahrnehmung 79– 82, 84–85, 142 – Repräsentatives Mandat 73 Mandats-Sharing 34–35, 409–411 Mehrheitsverhältnisse 30, 32, 54–56, 63, 136–137, 141, 166, 169, 252–254, 256, 313, 334, 336–338, 346, 351, 354–357, 359, 361, 366–368, 371–372, 382, 385–387, 401 Ministerabgeordnete 33, 41, 255, 261, 271–272, 274, 276, 278, 283–284, 341 Mittelpunkt 78, 85, 90, 111, 134, 229 MuSchEltZV 112–113 MuSchG siehe Mutterschutzgesetz Mutterschaftsgeld 115 Mutterschaftsurlaub 99, 115 Mutterschutz 25, 47, 94–96, 139, 141, 161, 172, 327, 387, 393, 404, 411 Mutterschutz, verfassungsrechtlicher 98, 173, 181, 186–187, 193, 283, 294, 310, 327, 374 Mutterschutzgesetz 25, 58, 94, 96–98, 100, 102, 106, 108–109, 112, 166, 169, 194, 242, 248 Nachfolge siehe Nachrücken in ein Mandat Nachrücken in ein Mandat 32, 241, 243, 254, 260, 263–264, 266, 274, 298, 303–304, 306–308, 315, 319–321, 324– 326, 335, 337, 339–340, 343, 346, 367, 373, 403 Nachteile, berufliche 161, 165, 169–171, 181, 200, 202, 207, 215, 220–222, 232, 235, 327, 332, 373, 375–377

Stichwortverzeichnis Nebentätigkeitsurteil 71, 79, 152, 155, 157–158 Niedersächsischer Landtag 63 Pairing 33, 42, 54, 63, 136, 257, 355– 363, 366–367, 369–370, 373, 380–381, 384, 394, 401 Parlamentspraxis 50, 62–63, 65–67, 108, 128, 240, 353, 357, 363, 393 Recall 77, 272, 279, 325, 342 Rechtspolitische Bewertung 393 Rederecht 158 Reformvorschlag 405 Repräsentationsfähigkeit des Parlaments 135, 157 Repräsentationsprinzip 74–75, 80, 83– 86, 93, 111, 135, 179–180, 183, 224, 241, 246, 249–250, 296–297, 312, 344–345 Risiken, gesundheitliche 129–130, 133, 166–168, 200, 202, 331, 376 Ruhendes Mandat 253, 260 – Ruhendes Mandat mit Nachfolge 32, 40, 254, 276, 297, 335, 367, 394, 396– 397, 401 – Ruhendes Mandat mit Nachfolge in Bayern 274 – Ruhendes Mandat mit Nachfolge in Bremen 263 – Ruhendes Mandat mit Nachfolge in Hamburg 264 – Ruhendes Mandat mit Nachfolge in Hessen 267 – Ruhendes Mandat mit Nachfolge in Rheinland-Pfalz 272 – Ruhendes Mandat ohne Nachfolge 32, 39, 252, 284, 400 Sächsischer Landtag 65–66 Schleswig-Holsteinischer Landtag 66 Schutz- und Förderauftrag 198–199, 215, 222, 230, 238 Schutz- und Förderpflicht 198, 200

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Schutz- und Fürsorgeanspruch 165 Schutz- und Fürsorgeauftrag 248 Schutzauftrag 163, 171, 238 Schutzfristen, fakultative 174, 176–177, 180–182, 184, 192, 201, 204, 242 Schutzfristen, flexible 245–246 Schutzfristen, obligatorische 183–194, 196, 201, 204 Schutzfristen, starre 242 Schutzpflicht 378 Schwerpunktlösung 158 Steuerungswirkung 28, 204, 375, 407 Stimmrecht, Höchstpersönlichkeit des 352–353, 365 Stimmrecht, Übertragung des 33, 41, 256, 346, 348–349, 351–353, 355, 365 Teilhaberechte 151, 156, 158, 184–187, 244, 290, 314, 371 Thüringer Landtag 27, 66 Titularabgeordnete 314–318 Titularmandat 314–316, 318 Unmittelbarkeit der Wahl 39, 178–179, 183, 224, 269, 276, 284–286, 297, 299, 304, 307, 313–314, 337, 348–350, 362, 368 Unterrepräsentanz, insb. junger Frauen in den Parlamenten 144, 146, 209, 211 Väterbeteiligung 29, 114, 119, 220 Verantwortungs- und Rechtfertigungszusammenhang 73, 83, 179, 209 Vereinbarkeit von Familie und Mandat 31, 37, 54, 56, 59, 143, 145, 148, 333, 379, 405, 408, 411 Vertreter des ganzen Volkes 68, 73, 87, 145, 179 Wesensgehalt 168, 172 Zusammensetzung des Parlaments 175, 178, 221, 256, 277, 284, 288, 298, 302, 337, 346, 371, 379, 405