Mittelalterbilder im Nationalsozialismus 9783050094915, 9783050060965

Die Erinnerung an das Reich der mittelalterlichen Könige und Kaiser nahm in der nationalsozialistischen Geschichts- und

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German Pages 203 [204] Year 2013

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Table of contents :
Vorwort
Wilhelm Pinder über Deutsche Dome
Alfred Stanges Buchreihe. Deutsche Malerei der Gotik. Ein Stils als geschichtliches Schicksal
»Der gotische Mensch will sehen«. Die Schaufrömmigkeit und ihre Deutungen in der Zeit des Nationalsozialismus
»Eine Epoche ähnlich jener des zu Ende gehenden Mittelalters«. Die kulturkritische Auseinandersetzung mit dem Mittelalter in der Weimarer Republik
»Urgestalt des deutschen Formerlebnisses«. Mittelalter und Moderne in der Kunstkritik nach 1933
»Der zarte Tyrann aus der sandsteinstadt Würzburg«. Ein Beitrag zur Riemenschneider-Rezeption
Überblendungen. Das Mittelalter im Kulturfilm des Nationalsozialismus
The High Middle Ages on Display in the Exhibition Deutsche Größe (1940–1942)
Bildhafte Zeichen der Macht als sakrale Symbole in der atheistischen Diktatur. Zur Funktionalisierung der Reichskleinodien durch die Nationalsozialisten
Nürnberg – die »deutscheste aller deutschen städte«? Das bild des spätmittelalterlichen Nürnberg in der nationalsozialistischen Propaganda
Die »Heimholung der bei Tannenberg erbeuteten Fahnen«. Rezeption und Instrumentalisierung einer mittelalterlichen Schlacht in der NS-Kunstpropaganda
Ordensburg und Völkermord. Zur Kunstgeschichtspolitik der SS
Register
BiLdnachweiS
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Mittelalterbilder im Nationalsozialismus
 9783050094915, 9783050060965

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Mittelalterbilder iM NatioNalsozialisMus

iX

HaMburger ForscHuNgeN zur KuNstgescHicHte studien, theorien, Quellen Herausgegeben vom Kunstgeschichtlichen seminar der universität Hamburg

Mittelalterbilder iM NatioNalsozialisMus Herausgegeben von Maike steinkamp und bruno reudenbach

akademie Verlag

die drucklegung wurde großzügig gefördert durch die

bibliografische information der deutschen Nationalbibliothek die deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische daten sind im internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© akademie Verlag gmbH, berlin 2013 ein Wissenschaftsverlag der oldenbourg gruppe www.akademie-verlag.de das Werk einschließlich aller abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der grenzen des urheberrechtsgesetzes ist ohne zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die einspeicherung und bearbeitung in elektronischen systemen. layout und satz: Petra Florath druck und bindung: beltz bad langensalza gmbH, bad langensalza dieses Papier ist alterungsbeständig nach diN/iso 9706. isbN 978-3-05-006096-5

inhaltsverzeichnis

Maike SteinkaMp und Bruno reudenBach Vorwort Bruno reudenBach Wilhelm Pinder über Deutsche Dome

Vii

1

iriS Grötecke alfred stanges buchreihe Deutsche Malerei der Gotik. ein stils als geschichtliches schicksal

13

Gia touSSaint »der gotische Mensch will sehen«. die schaufrömmigkeit und ihre deutungen in der zeit des Nationalsozialismus

31

deBBie Lewer »eine epoche ähnlich jener des zu ende gehenden Mittelalters«. die kulturkritische auseinandersetzung mit dem Mittelalter in der Weimarer republik

49

Maike SteinkaMp »urgestalt des deutschen Formerlebnisses«. Mittelalter und Moderne in der Kunstkritik nach 1933

63

Jeannet hoMMerS »der zarte tyrann aus der sandsteinstadt Würzburg«. ein beitrag zur riemenschneider-rezeption

75

nicoLa VaLeSka weBer Überblendungen. Das Mittelalter im Kulturfilm des Nationalsozialismus

89

Vi inhaLtSVerzeichniS

wiLLiaM J. dieBoLd the High Middle ages on display in the exhibition Deutsche Größe (1940–1942)

103

anneLieS aMBerGer bildhafte zeichen der Macht als sakrale symbole in der atheistischen diktatur. zur Funktionalisierung der reichskleinodien durch die Nationalsozialisten

119

aLexander SchMidt Nürnberg – die »deutscheste aller deutschen städte«? das bild des spätmittelalterlichen Nürnberg in der nationalsozialistischen Propaganda

137

toMaSz torBuS die »Heimholung der bei tannenberg erbeuteten Fahnen«. rezeption und instrumentalisierung einer mittelalterlichen schlacht in der Ns-Kunstpropaganda

153

chriStian weLzBacher ordensburg und Völkermord. zur Kunstgeschichtspolitik der ss

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reGiSter

187

BiLdnachweiS

191

Vorwort

in einem kurzen beitrag in der zeitschrift Völkische Kultur konstatierte Wilhelm Pinder anfang 1934, dass die Kunstgeschichte lange zeit einem falschen Weg gefolgt sei, habe sie doch geglaubt, erst mit der renaissance sei die »wahre Kunst« wiedergeboren worden. seit einigen Jahrzehnten habe sich jedoch durch eine Wissenschaft, welche sich aus »leidenschaftlicher liebe zu deutschland ihre Fragen nach unserem Herkommen stellte«1, ein völlig anderes geschichtsbild ergeben: »diese liebe zu deutschland musste sich des Verstandes bedienen. Weil sie dies tat und sich nicht verkaufte, fand sie etwas völlig anderes – was sie nun nicht hindert, sondern gerade ermächtigt, noch ein ungeheures arbeitsfeld vor sich zu sehen. sie fand, daß das Mittelalter eine vorbildlich große zeit gewesen ist, weil in ihm die Kunst noch diente, weil sie Verehrung war und darum ohne weiteres stil hatte, und daß die Kunst stil hatte, weil die Menschen ihn besaßen. sie fand, daß deutschland – nicht durch die angebliche schöpfung der gotik, die ja wirklich nordfranzösisch ist, sondern u. a. durch seinen großartigen schöpferischen Widerstand gegen diese – einen erstaunlich hohen anteil an der leistung des Mittelalters hat.«2

tatsächlich war das Mittelalter spätestens seit dem ende des 19. Jahrhunderts mehr und mehr in den blick der kunsthistorischen Forschung geraten. anders als in der Kunst der renaissance oder des barock, die man dem einfluss italiens oder Frankreichs zuschlug, sahen die Forscher in ihm die anfänge »deutscher« Kunst begründet. Herausgearbeitet wurde der »deutsche« Formwille, die schöpferische eigenständigkeit der deutschen Kunst, die in den mittelalterlichen bauten und objekten ihren ersten und reinsten ausdruck gefunden hätten. die Nation oder auch der stamm wurden zu trägern eines spezifischen Kunstwollens erhoben, in dem sich die geistigen eigenarten des jeweiligen Volkes spiegelten.3 bei diesen zum teil völkisch-nationalistischen interpretationen ging es nicht zuletzt darum, sich einer nationalen künstlerischen tradition zu versichern, die der Frankreichs oder italiens wenn nicht überlegen, so doch zumindest ebenbürtig war.

Viii Vorwort

spätestens nach dem verlorenen ersten Weltkrieg galt das Mittelalter auch als Vorbild und Folie für eine neu zu schaffende, nationale und volksverbundene Kunst der gegenwart. dabei wurde es nicht nur von den Vertretern der avantgarde in anspruch genommen, sondern ebenso von völkisch-konservativen Kreisen, die es, wie Paul schultze-Naumburg in seinen schriften Kunst und Rasse (1928) oder Kampf um die Kunst (1932), gegen die »entartungen« der modernen Kunst ins Feld führten.4 Nicht zuletzt diese inanspruchnahme macht deutlich, wie sehr die mittelalterliche Kunst – wie das gesamte Mittelalter – spätestens seit dem beginn des 20. Jahrhunderts mehr und mehr zu einer Projektionsfläche spezifischer Vorstellungen und Wünsche erhoben wurde. Viele dieser gerade in der zeit der Weimarer republik virulenten denkmuster und ideen blieben wie die damit verbundene begrifflichkeit auch nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933 lebendig.5 generell nahm das Mittelalter, die erinnerung an das reich der mittelalterlichen Könige und Kaiser in der nationalsozialistischen geschichtspolitik eine herausragende stellung ein. das reich Karls des großen und die Jahrhunderte der »deutschen Kaiserzeit«, die zeit der ottonen, salier und staufer, galten als erste Phase »deutscher größe« und als Vorwegnahme und historische rechtfertigung des von den Nationalsozialisten angestrebten »großgermanischen reiches«.6 dabei hatten die vielfachen schwärmereien vom mittelalterlichen reich schon lange vor den 1930er Jahren begonnen, wobei dessen beschwörung bei aller Heterogenität und Mystifizierung stets auch einen starken gegenwartsbezug hatte, der sich am augenfälligsten in arthur Moeller van den brucks rede vom »dritten reich« manifestierte.7 diese zusammenhänge sind von den geschichts- und sozialwissenschaften gründlich erforscht.8 ein interessenschwerpunkt der kunsthistorischen Wissenschaftsgeschichte war demgegenüber zunächst die emigrations- und exilforschung, die Hinwendung zu den biografien vor allem jüdischer gelehrter, ihrer entlassung, Verfolgung, Vertreibung oder ermordung in der zeit des Nationalsozialismus.9 daneben und mit dem interesse an biografien eng verknüpft ist als ein zweiter schwerpunkt vorangehender Forschung die beschäftigung mit den institutionen der Kunstgeschichte zu identifizieren. Viele deutsche universitäten haben inzwischen ihre Ns-geschichte erforscht und offen gelegt, und damit fast immer auch die geschichte ihrer kunsthistorischen institute.10 Wir wissen viel über das Verhalten der Protagonisten, über politische einflussnahme, über Karrieren, intrigen und Netzwerke und ebenso über die Veränderung oder Neuformierung der Kulturinstitutionen, über die von ihnen betriebenen, verhinderten oder eingestellten aktivitäten.11 auf dieser basis ist erst in den letzten Jahren auch ein verstärktes interesse an der wissenschaftlichen Praxis zu verzeichnen, daran, was eigentlich publiziert wurde und welche themen, leitideen und Paradigmen dabei maßgebend waren.12 unser Kenntnisstand ist nach berufsfeldern – Museum, denkmalpflege und universität – unterschiedlich, insgesamt aber sicherlich noch nicht hin-

ix Vorwort

reichend.13 dies gilt auch für die rezeption des Mittelalters in dieser zeit. Vielleicht hat dieses defizit auch damit zu tun, dass der umgang der Nationalsozialisten mit mittelalterlicher Kunst schon recht früh an sehr prominenten beispielen umfassend dokumentiert worden ist. erinnert sei an berthold Hinz’ untersuchung zum bamberger reiter 1970 oder die Willibald sauerländers zu den Naumburger stifterfiguren anlässlich der staufer-ausstellung 1977.14 dem sind weitere studien gefolgt, zum beispiel die Wolfgang ullrichs zur Naumburger uta, aber auch zu den umwidmungen der braunschweiger oder der Quedlinburger stiftskirche.15 Neben diesen gut belegten, seither allgemein präsenten und immer wieder angeführten beispielen aber ist nur sehr selten und punktuell eine analyse der gegenstände, begriffe, Methoden und deutungsmuster angegangen worden, mit denen mediävistische Kunstgeschichte in der zeit des Nationalsozialismus operierte. das ideologisch gefärbte bild vom Mittelalter, das Wissenschaftler wie Wilhelm Pinder, Hans Jantzen oder Hubert schrade zeichneten und das nicht selten auch direkte bezüge zur aktuellen politischen situation aufwies, ist beispielsweise noch kaum hinreichend analysiert, von schriften weniger bekannter Namen ganz zu schweigen. dieses defizit zu beheben, scheint auch deshalb dringend geboten, weil in den 1920er und 1930er Jahren geprägte sehweisen und deutungen nicht nur in der unmittelbaren Nachkriegszeit, sondern gelegentlich noch bis heute wirksam sind. Man muss nur darauf hinweisen, dass bis heute alfred stanges vielbändige Deutsche Malerei der Gotik als grundlegend zitiert wird und für zitierfähig gehalten wird. zu der ja keineswegs neuen Problematik der Kontinuitäten gehört aber auch, dass die Kunstgeschichte als Wissenschaft in der zeit des Nationalsozialismus einen Professionalisierungsschub erfuhr, auf den schon Heinrich dilly hingewiesen hat.16 Mit der Professionalisierung der kunsthistorischen arbeitsmittel waren große leistungen der dokumentation verbunden ebenso wie der soliden sachforschung, die unter anderem das Publikationswesen des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft auszeichnete. dies wird an einer reihe großer, teilweise schon in den 1920er Jahren begonnener Publikationen manifest, wie den corpus-Werken des Vereins, dem Handbuch für Kunstwissenschaft, der Propyläen-Kunstgeschichte oder dem Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Werke, die auch heute noch in gebrauch sind.17 aber dilly hat auch gefolgert, dass mit der Publikations- und Forschungspolitik der Verein der nationalsozialistischen Kunstpolitik entgegenkam: »[…] er beschleunigte die durchsetzung formaler professioneller standards und ließ der Willkür bei der Wahl der zu ermittelnden sachverhalte und der damit zu betrauenden Personen weiten spielraum.«18 doch geht es in der vorliegenden Publikation nicht allein um die mediävistische Kunstgeschichte der Ns-zeit, sondern auch um ihr Verhältnis zur Populärliteratur oder zu anderen Formen und Medien nationalsozialistischer Kulturpolitik. schon 1970 hat Martin Warnke beklagt, dass »die Kunstgeschichte diesen wichtigen und sehr ernst zu nehmenden sektor ihrer öffent-

x Vorwort

lichen Wirksamkeit« ignoriere – ein urteil, das nach wie vor gültig ist.19 dabei ist die befassung mit dieser seite der Wissenschaft gerade für unser thema unabdingbar. schon 1934 hatte sich der 1933 neu gewählte Vorstand des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft die Popularisierung der Wissenschaft programmatisch auf die Fahnen geschrieben: »eine Wissenschaft, die nicht in Fühlung mit dem leben bleibt, ist zur erstarrung verurteilt.«20 Neben der abteilung für das denkmäler- und corpus-Werk wurde eine zweite gebildet, die sich dieser Popularisierung widmen sollte und der Karl Koetschau und alfred stange vorstanden. Vorgesehen waren die Publikation einer fünfbändigen deutschen Kunstgeschichte und ein buch, das »die Kunstdenkmäler in enge beziehung zur deutschen geschichte und zur eigenart der deutschen stämme« bringen sollte.21 in diesen zusammenhang gehört auch das reihenwerk Deutsche Kunst, das zu seinen abonnenten Hitler zählte und in dem in monatlichen lieferungen reproduktionen von »Meisterwerken« erschienen, jährlich 144 tafeln mit Kurzkommentaren von Kunsthistorikern.22 daneben zeigte sich die ideologiegetränkte rezeption mittelalterlicher Kunst in der indienstnahme von themen, Personen, Kunstwerken oder bauten. Künstler wie tilmann riemenschneider oder Veit stoss, objekte wie die reichskleinodien oder ganze städte wie Nürnberg wurden vereinnahmt und im sinne der Ns-ideologie interpretiert, umgewertet und für propagandistische zwecke instrumentalisiert. dies geschah auf verschiedenen ebenen: in romanen, ausstellungen – wie beispielsweise der groß angelegten Propagandaschau Deutsche Größe –, in Festzügen, theaterstücken oder den zahlreichen Kultur- und spielfilmen der Ns-zeit. der Nationalsozialismus bemächtigte sich aber auch ganz handgreiflich der mittelalterlichen tradition, indem er sakralbauten im sinne der Ns-Ästhetik purifizierte und damit eine aufladung und umwertung erreichte,23 oder, wie im Fall von Nürnberg, durch abrisse und Neubauten ein idealisiertes, mittelalterliches stadtbild wiedererstehen lassen wollte. auch nach 1945 verlor das interesse am Mittelalter, trotz dessen Vereinnahmung durch die Nationalsozialisten, mitnichten an dominanz. ganz im gegenteil lebten Methoden und deutungsmuster weiter fort. der Kunst des Mittelalters galt die Erste Deutsche Kunsthistorikertagung 1948 in brühl, bei der Hans Jantzen zum Vorsitzenden des Verbandes gewählt wurde.24 ein Jahr zuvor war Jantzens Ottonische Kunst erschienen, und schon 1950 eröffnete in München die ausstellung Ars sacra.25 das anliegen der vorliegenden Publikation ist es vor allem, die kritische analyse der begriffe, Methoden und deutungsmuster, mit denen mediävistische Kunstgeschichte in der Ns-zeit operierte, anzugehen und voranzutreiben. es kann dies allerdings nur ein baustein sein an einem Panorama der Mittelalterrezeption in der zeit des Nationalsozialismus, das auch die Vorläufer, aber auch die über 1945 hinausgehenden Kontinuitäten umfasst. der band geht auf die vom Kunstgeschichtlichen seminar der universität Hamburg, vom 30. september bis 2. oktober 2010, veranstaltete tagung Mittelalterbilder im Nationalsozialismus zurück.

xi Vorwort

Wir danken den referenten und autoren für ihre teilnahme und dafür, dass sie ihre beiträge für die Veröffentlichung in diesem band zur Verfügung gestellt haben. gedankt sei auch den zahlreichen Helfern, die uns bei der Vorbereitung und durchführung der tagung unterstützt haben, namentlich Marianne Pieper vom Warburg-Haus sowie den studentischen Hilfskräften sophia Kunze, Friderike schulze-grotkopp, die auch die grafische gestaltung des tagungsprogramms übernahm und Jochen Vennebusch, der zusammen mit Karin becker auch das register erstellte. Herzlich gedankt sei auch der Fritz thyssen stiftung und dem Verein der Freunde und Förderer des Kunstgeschichtlichen seminars e.V. für die großzügige finanzielle unterstützung, ohne die die tagung nicht hätte realisiert werden können. bruno reudenbach und Maike steinkamp Hamburg, Januar 2013 1 Wilhelm Pinder: Deutsche Kunst, in: Völkische Kultur 1/1934, s. 37–42, s. 40. 2 ibid. 3 die Herausarbeitung von nationalen spezifika in den bildenden Künsten war insbesondere in den 1920er und 1930er Jahren ein internationales Phänomen und nicht auf deutschland beschränkt. zu den Nationalstildebatten vgl. lars olof larsson: Nationalstil und Nationalismus in der Kunstgeschichte der zwanziger und dreißiger Jahre, in: lorenz dittmann (Hrsg.): Kategorien und Methoden der deutschen Kunstgeschichte 1900–1930, stuttgart 1985, s. 170–184. 4 Vgl. Paul schultze-Naumburg: Kunst und Rasse, München 1928 u. id.: Kampf um die Kunst, München 1932. 5 Vgl. otto gerhard oexle: Das Mittelalter und das Unbehagen der Moderne. Mittelalterbeschwörungen in der Weimarer Republik und danach, in: id.: Geschichtswissenschaften im Zeichen des Historismus. Studien zur Problemgeschichte der Moderne, göttingen 1996 (Kritische studien zur geschichtswissenschaft, bd. 116), s. 137–162. 6 Vgl. dazu u. a. Hans-ulrich thamer: Mittelalterliche Reichs- und Königstraditionen in den Geschichtsbildern der NS-Zeit, in: Krönungen. Könige in Aachen. Geschichte und Mythos (hrsg. von Mario Kramp), ausstellungskatalog, aachener rathaus, domschatzkammer und aachener dom, 2 bde., Mainz 2000, bd. 2, s. 829–837 sowie id.: Das Heilige Römische Reich als politisches Argument im 19. und 20. Jahrhundert, in: Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation. 962–1806. Altes Reich und neue

Staaten 1495 bis 1806 (hrsg. von Heinz schilling, Werner Heun und Jutta götzmann), ausstellungskatalog, deutsches Historisches Museum berlin, dresden 2006, 2 bde., bd. 2, s. 383–395. 7 Vgl. arthur Moeller van den bruck: Das Dritte Reich, berlin 1923. 8 Vgl. u. a. Peter Moraw u. rudolf schieffer (Hrsg.): Die deutschsprachige Mediävistik im 20. Jahrhundert, Ostfildern 2005 (Vorträge und Forschungen. Konstanzer arbeitskreis für Mittelalterliche geschichte, 62) sowie die verschiedene beiträge in: Hartmut lehmann u. otto gerhard oexle (Hrsg.): Nationalsozialismus in den Kulturwissenschaften, 2 bde., göttingen 2004 (Veröffentlichungen des Max-Planck-instituts für geschichte). 9 als erstes wurden nach Jahrzehnten des Verschweigens und Vergessens Wissenschaftsemigration und exil umfassender bearbeitet und dokumentiert, unter anderem in Hamburg mit einem Projekt zur kunstgeschichtlichen Wissenschaftsemigration im rahmen eines dFgschwerpunktprogramms. Vgl. die daraus hervorgegangenen Publikationen von Karen Michels: Transplanierte Kunstwissenschaft. Die deutschsprachige Kunstgeschichte im amerikanischen Exil, berlin 1999 (studien aus dem Warburg-Haus, band 2); ulrike Wendland: Biographisches Handbuch deutschsprachiger Kunsthistoriker im Exil. Leben und Werk der unter dem Nationalsozialismus verfolgten und vertriebenen Wissenschaftler, München 1999. 10 Vgl. u. a. Jutta Held u. Martin Papenbrock (Hrsg.): Kunstgeschichte an den Universitäten im Nationalsozialismus, göttingen 2003 (Kunst und

xii Vorwort

Politik. Jahrbuch der guernica-gesellschaft 5) sowie Nikola doll, christian Fuhrmeister u. Michael H. sprenger (Hrsg.): Kunstgeschichte im Nationalsozialismus. Beiträge zur Geschichte einer Wissenschaft zwischen 1930 und 1950, Weimar 2005. 11 Viele Materialien sind durch das Netzwerk Geschichte der Kunstgeschichte im Nationalsozialismus verfügbar gemacht, und durch das Karlsruher Projekt Kunstgeschichte im Nationalsozialismus sind nicht nur Bibliografien wichtiger Hochschullehrer, sondern auch Vorlesungsverzeichnisse dokumentiert worden. Vgl. Geschichte der Kunstgeschichte im Nationalsozialismus (www. welib.de/gkns/), eine Kooperation der kunsthistorischen institute der Humboldt universität berlin sowie bonn, Hamburg und München, sowie die am institut für Kunst- und baugeschichte des Karlsruher institut für technologie erarbeitete Dokumentation zur Lehr- und Forschungstätigkeit an kunstgeschichtlichen Universitäten in Deutschland zwischen 1933 und 1945 (www.kg.ikb.kit. edu/2639). 12 Vgl. ruth Heftrig, olaf Peters u. barbara schellewald (Hrsg.): Kunstgeschichte im »Dritten Reich«. Theorien, Methoden, Praktiken, berlin 2008 (schriftenreihe zur modernen Kunsthistoriographie, bd. 1). 13 zur Forschungssituation vgl. daniela bohde: Kommentar zu Hubert Locher und Lena Bader: »Wissenschaftsgeschichte der Kunstgeschichte« – Grenzen und Möglichkeiten eines Rahmenwechsels (Kunstgeschichte. texte zur diskussion 2009-1, urn:nbn:de:0009-23-18361, www.kunstgeschichteejournal.net/kommentare/2009/bohde (1. März 2012). 14 Vgl. berthold Hinz: Der Bamberger Reiter, in: Martin Warnke (Hrsg.): Das Kunstwerk zwischen Wissenschaft und Weltanschauung, gütersloh 1970, s. 26–47 sowie Willibald sauerländer: die Naumburger Stifterfiguren – Rückblick und Fragen, in: Die Zeit der Staufer. Geschichte, Kunst, Kultur (hrsg. von reiner Haussherr u. christian Väterlein), ausstellungskatalog, Württembergisches landesmuseum, 5 bde., stuttgart 1979, bd. 5, 169–245. 15 Vgl. Wolfgang ullrich: Uta von Naumburg. Eine deutsche Ikone, berlin 1998 (Kleine kulturwissenschaftliche bibliothek, 59); Karl arndt:

Mißbrauchte Geschichte. Der Braunschweiger Dom als politisches Denkmal (1935/45), in: Niederdeutsche Beiträge zur Kunstgeschichte 20/1981 u. 21/1982 s. 189–223 u. s. 213–244; Katharine ruf: Der Quedlinburger Dom im Dritten Reich, in: Kritische Berichte 12-1/1984, s. 47–59; tim lorentzen: Ideologische Usurpation: die nationalsozialistische Umgestaltung der Stiftskirchen zu Braunschweig und Quedlinburg als Zeichenhandlung, Wolfenbüttel 2005, gerhard straehle: Der Naumburger Meister in der deutschen Kunstgeschichte. Einhundert Jahre deutsche Kunstgeschichtsschreibung 1886 1989, München 2009. 16 Vgl. Heinrich dilly: Deutsche Kunsthistoriker 1933–1945, München 1988, s. 42. 17 Vgl. u. a. Handbuch der Kunstwissenschaft, begründet von Fritz burger fortgeführt von albert-erich brinckmann, München 1913–1939; Propyläen-Kunstgeschichte, berlin 1923–1944 oder Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, begründet von otto schmitt, weitergeführt vom zentralinstitut für Kunstgeschichte, stuttgart 1937. 18 Vgl. dilly 1988, s. 42 (wie anm. 16). 19 Martin Warnke: Weltanschauliche Motive in der kunstgeschichtlichen Populärliteratur, in: id. 1970, s. 88–108, s. 88 (wie anm. 14). 20 Zeitschrift des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft 1/1934, s. 76 zitiert nach dilly 1988, s. 37 (wie anm. 16). 21 ibid. 22 Vgl. Deutsche Kunst. Meisterwerke der Baukunst, Malerei, Bildhauerkunst, Graphik und des Kunsthandwerks (hrsg. von ludwig roselius in Verb. mit georg biermann), bremen 1935–1943. siehe dazu auch dilly 1988, s. 52 f (wie anm. 16). 23 allgemein dazu ursula clemens-schierbaum: Mittelalterliche Sakralarchitektur in Ideologie und Alltag der Nationalsozialisten, Weimar 1995. 24 Vgl. Beiträge zur Kunst des Mittelalters. Vorträge der ersten deutschen Kunsthistorikertagung auf Schloss Brühl 1948, berlin 1950. 25 Vgl. Willibald sauerländer: Von der »Sonderleistungen Deutscher Kunst« zur »Ars Sacra«. Kunstgeschichte in Deutschland 1945–1950, in: Walter H. Pehle u. Peter sillem (Hrsg.): Wissenschaft im geteilten Deutschland. Restauration oder Neubeginn nach 1945, Frankfurt am Main 1992, s. 177– 190.

Bruno reudenBach

Wilhelm Pinder über Deutsche Dome

Wilhelm Pinder, unstrittig einer der einflussreichsten und berühmtesten Kunsthistoriker der NS-Zeit, steht, spätestens seit Robert Suckales Referat auf dem Kunsthistorikertag 1986 in Berlin und der daran anschließenden Kontroverse in den Kritischen Berichten, im Meinungsstreit.1 Den einen galt und gilt er, immer wieder zitiert, allein als »Hitlers Kunsthistoriker«2, als vom »Nationalsozialismus zum Kunstpapst erkoren«3, während andere für eine differenziertere Sicht plädieren und Pinder nicht nur als einen »der Exponenten des nationalistischen Sündenfalls der Kunstgeschichte«4 sehen, sondern auch als »Wortführer der um historische Korrektheit bemühten Kunstwissenschaftler«5. Immer wieder angeführt werden auch sein Einsatz für die Kunst der Moderne oder seine gelegentlichen Kontroversen mit Offiziellen des Regimes.6 So unbestreitbar sich für diese Positionen jeweils Belege anführen lassen, so zweifelhaft ist es, wenn dabei Vergehen hier gegen Verdienste dort aufgerechnet werden und damit auch, wenn auch nur en passant und zwischen den Zeilen, ein apologetischer Tonfall ins Spiel kommt.7 Im Folgenden geht es daher auch nicht um eine Gesamtwürdigung Pinders oder gar um ein moralisches Urteil, das auf Verurteilung, Freispruch oder das Prädikat »widersprüchliche Persönlichkeit« hinausläuft, zumal allgemeine Urteile dieser Art für die kritische Analyse konkreter Positionen und Publikationen wenig hergeben. Freilich, Widersprüche sind nicht nur gelegentlich zu konstatieren zwischen den ideologischen Vorgaben in Pinders Schriften und seinem institutionellen und politischen Handeln; zu Recht wurde auch darauf aufmerksam gemacht, dass er sich selbst in seiner Befassung mit mittelalterlicher Kunst »methodisch nicht exakt verorten [lasse], er lebte die Paradoxie […] und transzendierte sogar den eigenen Widerspruch«.8 Innerhalb dieses Panoramas soll hier nun eine bisher häufig erwähnte, aber noch kaum näher analysierte Facette von Pinders wissenschaftlicher und publizistischer Tätigkeit etwas näher in den Blick genommen werden, die insofern von Belang ist, als sie seine Frühzeit betrifft. Sicherlich war Pinder der Kunsthistoriker der NS-Zeit mit der größten öffentlichen Resonanz, und er war dies, weil er sich wie kein Zweiter auf dem Felde der Populärliteratur betätigte. Für

2 Bruno reudenBach

den Blick auf die wissenschaftliche Praxis der Kunstgeschichte und auf die kunstgeschichtliche Mediävistik der zwanziger und dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts, und für die Frage nach den Einflüssen des dabei erzeugten Mittelalterbildes auf die in der Öffentlichkeit propagierten Vorstellungen von Mittelalter und Geschichte ist Pinder, der hoch angesehene Fachvertreter und populäre Erfolgsautor, daher eine paradigmatische Gestalt. In der Literatur über Pinder fehlt selten der Hinweis, dass er »der wohl meistgelesene Fachvertreter während der Nazi-Zeit« gewesen ist.9 Wenn dies stimmt, dann war Pinder meistgelesen weniger durch seine wissenschaftlichen als vielmehr durch seine populärwissenschaftlichen Publikationen, insbesondere als Autor der Blauen Bücher. Die Fachwissenschaft allerdings hat diese bis auf den heutigen Tag kaum gelesen.10 Im Jahre 1910 erschien im Verlag Karl Robert Langewiesche in Düsseldorf ein schmaler Band, der auf dem äußeren Umschlag Deutsche Dome betitelt war, auf dem inneren Titelblatt Deutsche Dome des Mittelalters. Er umfasste einen Bildteil mit 95 ganzseitigen Abbildungen und einen kurzen Einleitungstext von wenigen Seiten, verfasst von Wilhelm Pinder.11 Der Band geriet innerhalb kurzer Zeit zum Bestseller, der nicht weniger als 27 Auflagen erlebte. Mit jeweils nur marginalen Änderungen wurde er noch bis 1969 mit einer Gesamtauflage von bis dahin 455.000 Exemplaren verlegt und erst 1984 durch eine Neuausgabe mit Begleittext von Hans Erich Kubach ersetzt. Karl Robert Langewiesche verstand sich als »Kulturverleger«, sein Verlagsprogramm setzte auf »Volksbildung«.12 Seit 1907/1908 verlegte er eine Sachbuchreihe, die nach ihrem Erscheinungsbild, blau kartoniert mit blauem Schutzumschlag, die Blauen Bücher genannt wurde.13 In dieser Reihe also erschienen Pinders Deutsche Dome; es folgten zahlreiche weitere Bände, unter anderem Deutscher Barock (1912), Deutsche Burgen und feste Schlösser (1913) oder Deutsche Wasserburgen (1932). Pinder wurde zum Erfolgsautor des Langewiesche Verlags.14 Es ist nicht weiter überraschend, dass die von Pinder verfassten und herausgegebenen Blauen Bücher einer nationalen Kunstgeschichte gewidmet waren, dass es dabei um »deutsche« Kunst ging. Damit bewegte er sich nicht nur im Rahmen des Verlagsprogramms, sondern auch im Mainstream der Kultur- und Geisteswissenschaften des frühen 20. Jahrhunderts, die weitgehend, und nicht nur in Deutschland, davon bestimmt waren, die kulturellen und mentalen Unterschiede zwischen Nationen zu benennen, die Abgrenzung zwischen ihnen zu betreiben und in der Kunst National-Stile zu bestimmen.15 Die Wurzeln des auf das Nationale gerichteten Interesses reichten bekanntlich bis ins 19. Jahrhundert zurück und mündeten im frühen 20. Jahrhundert unter anderem in einem diffusen und heterogenen völkisch-nationalistischen Ideenreservoir für die nationale Identitätsfindung, aus dem sich auch Pinders Zugriff auf die Kunstgeschichte speist. Dabei kommen dem Mittelalter als Epoche und der Architektur als Gattung besondere Bedeutung zu. Für eine mit dem Interesse an Nationalcharakteren und -stilen betriebene Kunstgeschichte bot sich das Mittelalter und insbesondere das frühe Mittel-

3 Wilhelm Pinder üBer Deutsche Dome

alter schon deshalb als exemplarischer Gegenstand an, weil für diese Zeit namentlich bekannte Künstler nicht zu identifizieren waren, jedenfalls aus dem damaligen Blickwinkel nicht. Umso mehr und umso leichter konnte für die Kunst dieser Zeit ein Kollektiv – Nation, Volk, Stamm – in Anspruch genommen werden. Dieses Muster liegt schon Pinders Einleitung zu den Deutschen Domen zugrunde; explizit formuliert hat er es 25 Jahre später in seinem Beitrag zur Wölfflin-Festschrift mit dem Titel Architektur als Moral. Dort heißt es: »Innerhalb der Kunstgeschichte, auf die wir zurückblicken können, scheint die Gesinnung, die ein Kunstwerk bezeugt, immer um so mehr die einmalige einer Persönlichkeit geworden zu sein, je später dieses Kunstwerk war; je früher es war, desto mehr scheint es von einem allgemeineren Ganzen auszusagen.«16

Dieser Vorstellung folgend dominierte im frühen Mittelalter das Allgemeine; hier galt besonders, dass das Kunstwerk die Gesinnung eines »allgemeineren Ganzen« bezeuge, und diese Zeugniskraft war nach Ansicht Pinders nun Sache gerade der Architektur. »Wir blicken auf die Zeit zurück, da Architektur noch Sprache und Volksgesicht war, Bauen ein heiliger und allgemeiner Vorgang. […] was auch entstand, das klang, das stimmte. Es war vor allem Sprache.«17

Mit der Metapher von der Architektur als »Volksgesicht« bediente sich Pinder einer Denkfigur, mit der rassenphysiognomische Vorstellungen in die Kunstund Stilgeschichte übertragen wurden, einer Denkfigur, die entsprechend »am eindeutigsten in der national, völkisch oder rassisch argumentierenden Kunstgeschichte« seit den zwanziger Jahren virulent war.18 1910 in Deutsche Dome war vom »Volksgesicht« noch nicht explizit die Rede, wohl aber von der Architektur als Klang, durch die Anliegen des Allgemeinen zum Ausdruck gebracht werden. »Das Bauen der mittelalterlichen Völker war mehr, als was wir Bauen nennen. Es war die stärkste Art gehobenen Ausdrucks, der sich an alle wenden konnte. Die Architektur überstieg die Forderungen des praktischen Bedürfnisses um eines allgemeineren Amtes willen. Sie übernahm es, drängende Anliegen, die nach erhabener Form verlangten, vorzutragen. Bauwerke wuchsen, wo heute Musik geschaffen wird.«19

Das Allgemeine, von dem Architektur als »klingendes Volksgesicht« spricht, ist in Deutsche Dome bestimmt als das »Reich«.20 Im völkischen Geschichtsbild und später auch in dem des Nationalsozialismus bildete das mittelalterliche »Reich« ein für das eigene politische Handeln Orientierung bietendes Ideal, groß, geeint und machtvoll, und, erst recht nach dem Ersten Weltkrieg, historische Legitimation, wenn es galt, diesen angeblich historischen Zustand wieder herzustellen. Für Generationen, und dies auch schon lange vor der NS-Zeit, verkörperten Herrschaft und Reich der mittelalterlichen Kaiser das, was man in der eigenen Gegenwart vermisste und herbeisehnte: Deutschland

4 Bruno reudenBach

als ein großes, geeintes und machtvolles Reich, das in der Mitte Europas das Schicksal des Kontinents bestimmen sollte. Das mittelalterliche Kaiserreich, die Zeit der Karolinger-, der Ottonen- und zuletzt der Staufer-Herrschaft, sah man als vergangene Erfüllung dieser Hoffnung an und ebenso als Orientierung bietendes Ideal und historische Legitimation des von dieser Vorstellung bestimmten, eigenen politischen Handelns. Der Anspruch auf eine deutsche Vormachtstellung in Europa gründete in einer angeblichen Reichstradition, ein Thema, das in unzähligen populärwissenschaftlichen Schriften, aber auch in der Belletristik verbreitet wurde. Auch im nationalsozialistischen Geschichtsbild trat das »großdeutsche« Reich in die direkte Nachfolge des mittelalterlichen Reiches, insbesondere in das der Ottonen, und die Ostmission der sächsischen Herrscher diente der NS-Propaganda als direkte historische Parallele und Rechtfertigung des Krieges gegen die Sowjetunion. Das mittelalterliche Reich lieferte die Folie für das »Dritte Reich«.21 Im frühen Mittelalter lagen demzufolge die Anfänge der deutschen Nation und damit auch der deutschen Kunst. Der Vorstellung von Architektur als Ausdrucksorgan folgend, fügten sich auch die »drängenden Anliegen«, die Pinder in die Architektur einzelner Epochen hineinlas, in diesen Rahmen. Sein Text ist dabei bestimmt von völkischen und rassistischen Denkfiguren, seine Sprache voll aggressiver Motive und militaristischer Bilder. Wenn später immer wieder Pinders »Sprachmacht« gerühmt wird22, so zeigt sie sich hier in seinen Anfangsjahren von einer abstoßend-brutalen Seite. In seiner weitgehend chronologisch vorgehenden Einleitung zu Deutsche Dome widmet sich Pinder zunächst der Basilika, »aber die kirchliche Grundform war noch nichts Germanisches. Im frühen Mittelalter steckt noch viel späte Antike«.23 Eigentlich stehe hinter der römischen Basilika aber der Orient, »älter, reicher, unerschöpflicher Geheimnisse voll«. Wenn die Germanen, die keine »innigen Schwärmer« waren, sich der Basilikaform bedienten, dann »aus Lust am festen Ausdruck«24, womit sie ihr, der Basilika, eine ganz eigene Gestalt gaben. So sei die Basilika zu den Deutschen gekommen »als Kloster, fast als Burg«.25 Getragen wurde diese Transformation von der Elite des Volkes, der Geistlichkeit, die »den orientalischen Gedanken des Christentums auf ihre Art verstand«.26 Diese Volkselite offenbart für Pinder schon in der Frühzeit den Nationalcharakter, und die entsprechenden Beschreibungsmuster reklamieren nebenher für die deutsche Nation schon Expansionsansprüche im Westen, vor allem aber im Osten. »Diese Geistlichkeit aber, ohne Zweifel damals der expansivste, angriffsfroheste, frischeste Teil des Volkes, in allen wirklichen Spitzen durchaus blutvoll und kriegerisch, bewahrte eben jene einzige Aufgabe, an der die Formkraft der Nation sich bildete, den einen, immer wieder zu errichtenden Raum, den die Vornehmheit eines geistigen Zweckes über jeden Nutzbau erhob. Hierzu drängten die jungen Kräfte. In dieser steinernen Sprache redet die ganze frühe deutsche Welt, ihre draufgängerische Derbheit und ihre alpdruckhaft düsteren

5 Wilhelm Pinder üBer Deutsche Dome

Gefühle, ihr ungestümes Selbstbewußtsein und ihre zeitweilige Hingabe an große Zwecke.«27

Nur am Rande sei angemerkt, dass die Rede von der steinernen Sprache der Architektur, von den Steinen, die sprechen, auch leitmotivisch Texte zur nationalsozialistischen Kultur- und Architekturpolitik durchzieht.28 In einer Rede Hitlers von 1933 heißt es: »Selbst wenn ein Volk erlischt und Menschen schweigen, dann werden die Steine reden«.29 Letztlich lässt sich dieses Motiv verfolgen bis zu Aktivitäten des SS-Ahnenerbes, insbesondere die des Mitbegründers Herman Wirth, der für seine Rassentheorien und bei der Suche nach »heiligen« Texten der nordischen Rasse auf archäologischen und vorgeschichtlichen Expeditionen Abgüsse germanischer Felssymbole und Runen herstellen ließ.30 Für Pinder kündet schon die steinerne Sprache der frühmittelalterlichen Baukunst vom deutschen Nationalcharakter – Derbheit, ungestümes Selbstbewusstsein und Hingabe an große Zwecke. Deshalb musste sich auch die nordische Form der Basilika, »fast als Burg«, von den südlichen, letztlich orientalischen Vorläufern unterscheiden. »So notwendig, wie die alte südliche Basilika sich ganz und gar im Sinne ihres inneren Raumes erschöpft, so deutlich wandte sich die nordische, trotzig, wuchtig, einsam nach außen, mit fester Stirne dem wilden Lande zugekehrt, in das sie hineingerodet war. Und immer blieb der deutsche Kirchenbau am stärksten er selbst, wo er so gleichsam in Kampfesstellung stand, wie gewappnet, Gesicht nach dem Feinde, während es auf Erden vorwärts ging, ja selbst unter allgemeinem Rückzuge noch in innerlichem Wachstum verharrend.«31

Unverkennbar ist hier Pinders Sprache von der bereits erwähnten Metaphorik geprägt, dass Architektur ein Gesicht und eine Sprache habe. In der »steinernen Sprache« des frühesten Kirchenbaus, »Gesicht nach dem Feinde«, ist demnach die historische Bestimmung der Deutschen bereits artikuliert. Nur wenige Jahre nachdem Pinder diesen Text in Deutsche Dome publizierte, wird Heinrich Wölfflin in seinen Kunstgeschichtlichen Grundbegriffen davon sprechen, dass es an der Zeit sei, in der »geschichtlichen Darstellung der Baukunst Europas […] die nationalen Physiognomien« herauszuarbeiten.32 In Architektur als Moral bedient sich dann auch Pinder selbst, wie oben zitiert, der Metapher vom »Volksgesicht«.33 In nuce ist sie aber gerade mit ihrer Verbindung von Stilgeschichte und Rassentheorie schon in seinem Text von 1910 angelegt und in einer anthropomorphisierenden Beschreibungsform ausgemünzt. Es ist diese sprachliche Figur, die unversehens den Übertrag aus dem frühesten Mittelalter in die Gegenwart ermöglicht. Sie macht aus jeder frühmittelalterlichen Kirche einen Soldaten im Schützengraben – oder im Gegenzug: Die Deutschen Dome des Mittelalters vermitteln den Auftrag, sich in Kampfesstellung zu begeben. »Das Betrachten wird wieder zum Handeln«, wie es in Architektur als Moral heißt.34 Damit koinzidiert eine Form der Rezeption dieser

6 Bruno reudenBach

frühen Architektur, die Pinder zufolge ein geradezu körperliches Nacherleben des »architektonischen Willens« verlangt: »In uns selbst regt sich die Hebung und Senkung, die Weitung und Verengung des Raumes wie eine eigene körperliche Spannung und Befreiung, wie ein eigener innerer Atem.«35

Die Deutung historischer Architektur wird auf diese Weise zur Handlungsanweisung für die Gegenwart, wie sich auch an der Charakterisierung einzelner Bauwerke zeigt: »Man sieht der Front von Gernrode auch nach den Veränderungen des 12. Jahrhunderts den keineswegs einladenden, sondern kriegerisch abweisenden Ernst der Ottonenzeit an. Wie stämmig, wie ›gar nicht umzuwerfen‹ sich damals die deutschen Kirchen in die Erde gruben, davon gibt vielleicht die grandios klotzige Westseite des Mindener Domes noch ein spätes Beispiel.«36

Kaum zufällig findet hier die Stiftskirche in Gernrode besondere Erwähnung, liegt doch für Pinder in der Zeit der Ottonen der eigentliche Beginn Deutschlands. Nach der noch im Banne der Spätantike stehenden Karolingerzeit erscheinen ihm das 10. und 11. Jahrhundert als »stärkste und beinahe deutscheste Epoche«.37 Auch später, 1935, in Pinders zweibändigem Werk Vom Wesen und Werden deutscher Formen, dessen erster Band Die Kunst der deutschen Kaiserzeit betitelt ist, ist das 10. Jahrhundert das Jahrhundert des reinen Deutschtums. Das Kapitel »Die Ottonische Kunst« beginnt mit den Sätzen: »Die erste Frucht aus Karls des Großen Staat ist das Ottonische. Es ist das erste künstlerische Zeugnis einer nunmehr verwirklichten rein deutschen Volkseinheit. Es bedeutet zugleich die unbedingt größte Kunst, die jene Zeit ringsum gesehen hat: die ersten Schritte des jungen Volkes bezeugten auf der Stelle das Genie«.38

Die Herstellung der »Volkseinheit« schreibt Pinder den sächsischen Königen zu; die Sachsen bezeichnet er als einen großartigen deutschen Stamm, »der übrigens steinerner gebaut hat auch in wirklichen Kirchen und Türmen als irgendein anderer.«39 Deshalb ist ottonische Architektur eine Verkörperung des Deutschtums, die Pinder allerdings 25 Jahre nach Deutsche Dome etwas weniger aggressiv und militaristisch charakterisiert als 1910. Doch auch in Die Kunst der deutschen Kaiserzeit ist der frühmittelalterlichen Architektur die Zukunft bereits eingeschrieben: »Die kraftvolle Betonung der Mitte ist das Ottonische und zugleich das Deutsche. Ein Volk, das solche wuchtigen Massen ballt, wird niemals auf eine gotische Verdünnung und Aufsplitterung als ein wesentliches Ziel zugehen. Die Zeit, die in der steinernen Sprache der Baukunst diesen deutschen Charakter schon für die Zukunft festlegt, ist die gleiche, die dieses Volk auch staatlich selbständig hingestellt hatte«.40

7 Wilhelm Pinder üBer Deutsche Dome

Hier klingt bereits die Positionierung der deutschen Architektur gegen die französische des 12. und 13. Jahrhunderts an. Wird die ottonische Architektur gegen Osten in Stellung gebracht, so die staufische gegen Westen. Pinder lässt die deutschen Dome gleichsam gegen Frankreich aufmarschieren, Jahre vor dem berühmten von Emile Mâle angezettelten Streit zwischen französischen und deutschen Kunsthistorikern über die Leistungen oder Defizite deutscher Kunst.41 Letztlich kann Pinder der französischen Architektur Innovationskraft und Modernität nicht absprechen, allerdings ist sie das Werk von »unvergnüglichen Asketen«, die sich gegen »die bunte, herb-heitere und reiche Bildung des Bauwerks« in Deutschland wandten.42 »Der erbitterte Kampf, den in den alten deutschen Klöstern die weltfrohe Bildung des unterliegenden Zeitalters gegen die unvergnüglichen Asketen führte […] wirkte in dem unbewussten, aber dauerhafteren Leben der Baukunst weiter. Diese konnte so schnell nicht den Geist eines Zeitalters aufgeben, in dem das ganze Volk groß und führend gewesen war. Und in dieser ritterlichen Stellung hat sie einige ihrer kostbarsten Schöpfungen errichtet, stolz und heiter, reizvoll und großartig, aber wirklich unmodern.« 43

Aber dennoch: »Der neuen Richtung gelangen in Deutschland die reinsten Harmonien, solange sie sich unerkannt dem Kaisertum in seinem höchsten Glanze verband«44 und »der Speyerer Dom redet in der neuen Sprache noch die kaiserlichen Worte. […] Das stolze Langhaus scheint mit der Majestät eines Kriegsschiffes von West nach Ost zu ziehen, um dem Rheinstrome selbst seinen prachtvollen Bug zuzuwenden«.45 Nicht zuletzt diese militaristischen Implikationen, die auch hier immer wieder in Pinders Architekturverständnis durchscheinen, sind es, die ihn selbst bei der nicht bestrittenen Modernität der französischen Architektur dennoch die deutsche in ein helleres Licht stellen lassen. »Französische Logik ist es, den Kirchenraum in der Westwand wie mit einem Gesichte nach außen blicken, ihn eine Stirnwand gewinnen zu lassen. Der deutsche Bau dagegen, oft nach zwei Seiten auseinandergetrieben […], ja zuletzt mit dem deutlichen Bestreben, allseitig auszustrahlen, kann sich nicht physiognomisch in einer Wand nach außen kehren. Er muß über die Mehrfältigkeit der Richtungspunkte eine vertikale Bindung suchen – was dem Franzosen die Stirnfläche, muß ihm der Gipfelpunkt sein.«46

Pinders Sicht auf die frühmittelalterliche Baukunst setzt ganz auf angeblich weltgeschichtliche Kräfte und anthropologische Konstanten, die sich zu Nationalcharakteren formen und in Architektur artikulieren: Die Baukunst als materielle Ausmünzung des Deutschen. Sprachlich stellt Pinder diese Indienstnahme der Architektur für politische Belange durch anthropomorphisierende Beschreibungen her, die der mittelalterlichen Architektur menschliche Eigenschaften zusprechen. Diese Baukunst ist kämpferisch, stolz und »gar nicht umzuwerfen«, allseitig ausstrahlend, vor allem aber gegen Feinde

8 Bruno reudenBach

gerichtet und expansiv. Pinders Dome verteidigen oder reklamieren Ansprüche auf Territorien, sie agieren gleichsam in den Raum, behaupten sich, erobern und untermauern Besitzansprüche. Pinders Einleitungstext zu dem Bildband Deutsche Dome liegt ein Verständnis zugrunde, das Geschichte und näherhin Kunstgeschichte in Dienst nimmt, um die kontinuierliche Wirkmacht nationaler Charaktere zu erweisen und damit auch das politische Handeln in der Gegenwart zu legitimieren. Ernst Krieck, einer der Vordenker nationalsozialistischer Geschichts- und Kulturpolitik, schrieb 1934 in einem programmatischen Aufsatz, dass es Aufgabe der Historiker sei, im historischen Wandel »die Stetigkeit des Grundcharakters, den weiträumigen Sinnzusammenhang zwischen einer fernen Vergangenheit und einer weitgesteckten Aufgabe deutscher Zukunft zu zeigen. […] Geschichte ist verwirklichte Politik, Politik ist aufgegebene Geschichte.«47 Man kann sagen, dass Pinder diesem Anspruch schon 1910 nachgekommen ist. Seine in hoher Auflage verbreitete Deutung deutscher Dome und mittelalterlicher Architekturgeschichte war in hohem Maße anschlussfähig an das von den Nationalsozialisten propagierte Geschichtsbild mit seinen Konsequenzen für die Gegenwart, bis hin zu dem in der Architektur angeblich immer schon ausgedrückten Expansionsdrang der Deutschen. Auch wenn Pinder später in Die Kunst der deutschen Kaiserzeit von 1935 keineswegs mehr so grobschlächtig argumentierte wie in der kurzen Einleitung von 1910, die Grundzüge seines 1910 formulierten Mittelalterbildes blieben in vielerlei Hinsicht dieselben. Die Ableitung aktueller Handlungsmuster aus historischen Sachverhalten wird 1935 noch viel direkter als 1910 deutlich, beispielsweise in Pinders Sicht auf Karl den Großen.48 Dessen Leistungen bezieht er unmittelbar auf das zeitgenössische Führerideal. Karl habe nicht nur der nordischen Kunst »Formenruhe« und »Formengröße«, sondern auch »uns« eine »notwendige Aufgabe der europäischen Zukunft« durch ein »eisernes Willensdiktat« aufgezwungen. »Ausgeatmet war schon vieles, als unter Kaiser Karl ein eisernes Willensdiktat uns die ungewohnten, aber notwendigen Aufgaben der europäischen Zukunft im ersten Umriss vorlegte. […] Der geschichtliche Augenblick, von dem an die Möglichkeit sichtbar wird, aus der nordischen Kunst eine deutsche herauszuheben […], ist zugleich ein Augenblick des Willenseingriffs und einer durch ihn [Karl den Großen] […] erzwungenen Formenruhe und Formengröße. Man darf erwarten, dass gerade das heutige Erlebnis des Deutschen schließlich zu einem Verständnis, ja sogar einer tiefen Würdigung des karolingischen Willensdiktates führen wird. Auch heute ist - wieder! - eine Lage da, in der diktiert werden muss.«49

In den vorangehenden Beobachtungen und Überlegungen ging es vor allem darum, einen Aspekt von Pinders publizistischer Tätigkeit näher in den Blick zu nehmen, seine populärwissenschaftlichen Publikationen. Dieses Anliegen ist mit der exemplarischen Vorstellung von Deutsche Dome noch keineswegs

9 Wilhelm Pinder üBer Deutsche Dome

hinreichend erfüllt. Es bedarf der Analyse auch anderer Bände der Blauen Bücher und es bedarf vor allem einer näheren Bestimmung des Ortes, den diese Bände im weiten Feld des populärwissenschaftlichen und belletristischen völkischen Schrifttums einnehmen. Wenn ein Großteil von Pinders Bedeutung und Einfluss gerade auf diese Publikationsform zurückgeht, dann muss man festhalten, dass das in Deutsche Dome vermittelte Mittelalterbild auch ohne eine explizit nationalsozialistische Begrifflichkeit eine hohe Affinität zu nationalsozialistischen Anliegen aufweist. Damit lieferte Pinder Denkmuster und Ideen, derer man sich in den dreißiger Jahren leicht bedienen konnte und die von den Lesern zugleich mühelos in das von den Nationalsozialisten propagierte Gedankengut überführt werden konnten.

1 Vgl. Robert Suckale: Wilhelm Pinder und die deutsche Kunstwissenschaft nach 1945, in: Kritische Berichte 14-4/1986, S. 5–17; Klaus-Heinrich Meyer: Der Deutsche Wilhelm Pinder und die Kunstwis­ senschaft nach 1945, in: Kritische Berichte 15-1/1987, S. 41–48; zu dieser Kontroverse schon Heinrich Dilly: Deutsche Kunsthistoriker 1933–1945, München u. Berlin 1988, S. 8; Überblick über die Pinder-Rezeption bei Birte Pusback: »Denn Archi­ tektur ist Moral!« Wilhelm Pinder und der National­ sozialismus, in: Wojciech Balus u. Joanna Wolanska (Hrsg.): Die Etablierung und Entwicklung des Faches Kunstgeschichte in Deutschland, Polen und Mitteleuropa (anlässlich des 125­jährigen Grün­ dungsjubiläums des ersten Lehrstuhls für Kunstge­ schichte in Polen), Warschau 2010, S. 467–489; die verschiedenen Positionen zuletzt referiert von Horst Bredekamp: Wilhelm Pinder, in: id. u. Adam S. Labuda (Hrsg.): In der Mitte Berlins. 200 Jahre Kunstgeschichte an der Humboldt­Universität, Berlin 2010 (humboldt-schriften zur kunst- und bildgeschichte 12), S. 295–309, S. 295–301, ibid. S. 308 f. die ältere Literatur. 2 Hans Eckstein: Hitlers Kunsthistoriker, in: Die Neue Zeitung, 17. Dezember 1945, Feuilletonund Kunst-Beilage; Bredekamp 2010, S. 298 (wie Anm. 1). 3 Werner Weisbach: Geist und Gewalt, Wien u. München 1956, S. 333. 4 Bredekamp 2010, S. 298 (wie Anm. 1). 5 Suckale 4/1986, S. 12 (wie Anm. 1). 6 Ibid. S. 9 u. S. 11 ff ; Bredekamp 2010, S. 298– 301 (wie Anm. 1). 7 So ist bei Daniela Stöppel von einer »Annäherung an den Nationalsozialismus« die Rede.

Vgl. Daniela Stöppel: Wilhelm Pinder (1878–1947), in: Ulrich Pfisterer (Hrsg.): Klassiker der Kunstge­ schichte, Bd. 2: Von Panofsky bis Greenberg, München 2008, S. 7–20, S. 18. Den berüchtigten Satz »Das Ausscheiden der jüdischen Kunstgelehrten aus Forschung und Lehre befreite von der Gefahr eines allzu begrifflichen Denkens, dessen Richtung – dem Wesen unserer Kunst so fremd wie dem unserer Wissenschaft – der Auswirkung rein deutscher Forschung hinderlich sein konnte«, der sich in Pinders Beitrag in der Festschrift zu Hitlers 50. Geburtstag findet (Deutsche Wissenschaft. Arbeit und Aufgabe, Leipzig 1939, S. 13), nennt Bredekamp 2010, S. 297 (wie Anm. 1) eine »hässliche Äußerung.« 8 Anja Schürmann: Rechte und linke Ideologi­ sierungen. Wilhelm Pinder und Richard Hamann be­ schreiben staufische Kunst, in: Ruth Heftrig, Olaf Peters u. Barbara Schellewald (Hrsg.): Kunstge­ schichte im »Dritten Reich«: Theorien, Methoden, Praktiken, Berlin 2008 (Schriften zur modernen Kunsthistoriographie 1), S. 245–259, S. 248. 9 Dilly 1988, S. 8; Suckale 4/1986, S. 5 (wie Anm. 1): »der meistgelesene Kunsthistoriker überhaupt. Allein die von ihm verfassten Blauen Bücher haben eine Auflage von weit über 2 Millionen.« Zu Mittelalterbildern in populärer Sachliteratur der NS-Zeit vgl. Gordon Wolnik: Mittel­ alter und NS­Propaganda. Mittelalterbilder in den Print­, Ton­ und Bildmedien des Dritten Reiches, Münster 2004 (Geschichte 60), S. 211–226, allerdings ohne Erwähnung Pinders und der Blauen Bücher. 10 Auch Marlite Halbertsma: Wilhelm Pinder und die deutsche Kunstgeschichte, Worms 1992

10 Bruno reudenBach übergeht diesen Teil von Pinders Publikationstätigkeit. 11 Vgl. Wilhelm Pinder: Deutsche Dome des Mittelalters, Düsseldorf u. Leipzig 1910. 12 Gabriele Klempert: »Die Welt des Schönen«. Eine hundertjährige Verlagsgeschichte in Deutsch­ land. Die Blauen Bücher 1902–2002, Königstein im Taunus 2002. 13 Vgl. Sandra Conradt: »Die Blauen Bücher« und »Der Eiserne Hammer«. Die Fotobildbandreihen des Karl­Robert­Langewiesche­Verlages von 1902 bis 1931, am Beispiel ausgewählter Kunst­ und Natur­ bände, Diss. Göttingen 1999. 14 Vgl. Klempert 2002, S. 72–75 (wie Anm. 12). 15 Vgl. Lars Olof Larsson: Nationalstil und Na­ tionalismus in der Kunstgeschichte der zwanziger und dreißiger Jahre, in: Lorenz Dittmann (Hrsg.): Kate­ gorien und Methoden der deutschen Kunstgeschichte 1900–1930, Stuttgart 1985, S. 170–184; Jutta Held: Kunstgeschichte im »Dritten Reich«. Wilhelm Pinder und Hans Jantzen an der Münchner Universität, in: id. u. Martin Papenbrock (Hrsg.): Kunstgeschichte an den Universitäten im Nationalsozialismus, Göttingen 2003 (Kunst und Politik 5), S. 17–59, S. 28. 16 Wilhelm Pinder: Architektur als Moral, in: Festschrift Heinrich Wölfflin zum siebzigsten Ge­ burtstage, Dresden 1935, S. 145–151, S. 146. 17 Ibid. S. 148. 18 Daniela Bohde: Kunstgeschichte als physio­ gnomische Wissenschaft. Eine Denkfigur der deutsch­ sprachigen kunsthistorischen Literatur zwischen 1920 und 1950, Habilitationsschrift Frankfurt am Main 2009, S. 81–113, Kap. V.: Die nationale Physio­ gnomie der deutschen Kunst und der Rassenstil, S. 81. Ich danke Daniela Bohde für die Überlassung des unveröffentlichten Manuskriptes. 19 Pinder 1910, S. V (wie Anm. 11). 20 Vgl. Wolnik 2004, S. 67–72, S. 119–125 (wie Anm. 9); Hans-Ulrich Thamer: Mittelalterliche Reichs­ und Königstraditionen in den Geschichtsbil­ dern der NS­Zeit, in: Krönungen. Könige in Aachen – Geschichte und Mythos (hrsg. v. Mario Kramp), Ausstellungskatalog Aachen, Mainz 2000, Bd. 2, S. 829–837; Bruno Reudenbach: »Die Kunst der deutschesten Epoche«. Zur völkisch­nationalsoziali­ stischen Deutung frühmittelalterlicher Kunst, in: Victoria von Flemming (Hrsg.): Modell Mittelalter, Köln 2010, S. 10–24, S. 18–23. 21 Dies betrifft insbesondere die Expansion in den Osten, vgl. Josef Ackermann: Heinrich Himmler als Ideologe, Göttingen 1970, S. 195–203;

Gerd Althoff: Die Beurteilung der mittelalterlichen Ostpolitik als Paradigma für zeitgebundene Geschichts­ bewertung, in: id. (Hrsg.): Die Deutschen und ihr Mittelalter, Darmstadt 1992, S. 147–164; Wolnik 2004, S. 143–188 (wie Anm. 9). 22 Bredekamp 2010, S. 296 (wie Anm. 1), auf S. 295 ist von der »Inspiriertheit seiner Sprache« die Rede; Suckale 14-4/1986, S. 5 (wie Anm. 1): »ein Sprachkünstler, Schüttelreimer und Sprachspieler«, aber auch ibid. S. 11: »die sonst so sensible Sprache wird holzig und hohl, wenn es um die Nation geht«; Schürmann 2008, S. 248 (wie Anm. 8): »Die suggestive Kraft seiner Sprache«. 23 Pinder 1910, S. V (wie Anm. 11). 24 Ibid., S. VII. 25 Ibid., S. VI. 26 Ibid., S. V. 27 Ibid., S. V. 28 Vgl. den Beitrag von Christian Welzbacher in diesem Band, S. ¢¢. 29 Adolf Hitler: Reden zur Kunst­ und Kultur­ politik. 1933–1939 (hrsg. u. komm. v. Robert Eikmeyer, Einführung v. Boris Groys), Frankfurt am Main 2004, S. 53; Wolfgang Martynkewicz: Salon Deutschland. Geist und Macht 1900–1945, Berlin 2009, S. 462. 30 Vgl. Michael H. Kater: Das »Ahnenerbe« der SS 1935–1945. Ein Beitrag zur Kulturpolitik des Drit­ ten Reiches, Stuttgart 1974, S. 42; Heather Pringle: The Masterplan. Himmler´s Scholars and the Holo­ caust, New York 2006, S. 53–62. 31 Pinder 1910, S. VI. 32 Heinrich Wölfflin: Kunstgeschichtliche Grund­ begriffe. Das Problem der Stilentwicklung in der neueren Kunst, München 1915, S. 273; dazu Bohde 2009, S. 81 f. (wie Anm. 18). 33 Vgl. Pinder 1935, S. 146 (wie Anm. 16). 34 Pinder 1935, S. 146 (wie Anm. 16). 35 Pinder 1910, S. V (wie Anm. 11). 36 Ibid., S. VII. 37 Ibid. 38 Wilhelm Pinder: Vom Wesen und Werden deutscher Formen. Geschichtliche Betrachtungen, Bd. 1: Die Kunst der deutschen Kaiserzeit bis zum Ende der staufischen Klassik, Leipzig 1935, S. 114. 39 Ibid. S. 116. 40 Ibid. S. 124. 41 Heinrich Dilly: Emile Mâle (1862–1954), in: id. (Hrsg.): Altmeister moderner Kunstgeschichte, Berlin 1990, S. 133–148, S. 142 f. 42 Pinder 1910, S. VIII (wie Anm. 11).

11 Wilhelm Pinder üBer Deutsche Dome Ibid. Ibid. 45 Ibid., S. IX. 46 Ibid., S. X. 47 Ernst Krieck: Das rassisch­völkisch­politische Geschichtsbild, in: Volk im Werden 2/1934, S. 287– 298, zitiert nach Klaus Schreiner: Führertum, Ras­ se, Reich. Wissenschaft von der Geschichte nach der nationalsozialistischen Machtergreifung, in: Peter Lundgreen (Hrsg.): Wissenschaft im Dritten Reich, Frankfurt am Main 1985, S. 163–252, S. 165. 48 Suckale 14-4/1986 Versuch S. 12 (wie Anm. 1), der Kunst der deutschen Kaiserzeit geradezu subversive, die NS-Ideologie untergrabende Qualitäten zuzuschreiben, weil das Buch »für den nur oberflächlich vertrauten Betrachter als nationalistisches Manifest« zu lesen sei, »dem mit der Rosenberg’schen Geschichtsideologie 43

44

Vertrauten zeige es sich aber als Versuch, dem Wikingerwahn das Wasser abzugraben, die Ehre Karls des Großen zu retten, der als Sachsenschlächter abgetan wurde usw.« geht wohl doch fehl. Die Revision des Karls-Bildes und die Absage an Versuche, Rebellen gegen das Reich, wie Widukind, zu Helden der deutschen Geschichte zu machen, war von Hitler selbst, ebenfalls schon 1935, initiiert worden. Später hat sich Hitler direkt in die Nachfolge Karls des Großen gestellt; vgl. Max Kerner: Die politische Instrumentalisie­ rung Karls des Großen im 19. und 20. Jahrhundert, in: Thomas Kraus u. Klaus Pabst (Hrsg.): Karl der Große und sein Nachleben in Geschichte, Kunst und Literatur (Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 104/105, 2002/2003), S. 231–276, S. 265 f.; Wolnik 2004, S. 114–116 (wie Anm. 9). 49 Pinder 1935, S. 59 (wie Anm. 38).

IrIs Grötecke

Alfred Stanges Buchreihe Deutsche Malerei der Gotik Ein Stil als geschichtliches Schicksal

Die kunsthistorische Rezeption eines alten »Grundlagenwerks« Die wissenschaftliche Beschäftigung mit der mittelalterlichen Tafelmalerei in Deutschland geht heute einer Vielfalt von Fragen nach, die stilanalytische und ikonografische Untersuchungen, Erzählforschung, frömmigkeits- und funktionsgeschichtliche Arbeiten sowie Analysen der im Bild dargestellten Lebenswelt und deren mediale Vermittlung umfasst. Dieses erst in den letzten 20 Jahren breiter entwickelte Forschungsfeld einer Rekontextualisierung der Bilder in ihre historischen Wahrnehmungs-, Deutungs- und Gebrauchszusammenhänge unterscheidet sich von älteren Ansätzen, die vor allem Stilbestimmung, Stilwanderungen und Fragen der Zuschreibung von Tafeln und Retabeln an bestimmte Werkstätten und Künstler in den Mittelpunkt stellten. Diesbezüglich hat die elfbändige, von 1934 bis 1961 erschienene Buchreihe Deutsche Malerei der Gotik1 von Alfred Stange lange Zeit das Erkenntnisinteresse und das Selbstverständnis der Forschenden geprägt: Ihre Werkstatt-Zusammenstellungen und ihre Propagierung von Stilverläufen in geografisch bestimmbaren Räumen stellten maßgebliche Arbeitsmodelle für nachfolgende Autoren und Autorinnen bereit, und ihre Datierungsergebnisse sowie die qualitative Beurteilung der Künstler wurden und werden auch heute noch mit nur wenigen Korrekturen sowohl in der stilgeschichtlich arbeitenden Literatur übernommen als auch in Studien benutzt, die solche Ergebnisse als Grundinformationen in andere Forschungszusammenhänge übertragen. Die Buchreihe gewann einen Teil ihrer Attraktivität durch ihre breite Materialpräsentation, die auch unbekanntere, bis dahin in der Fachliteratur nicht abgebildete Werke einschloss. Gleichzeitig bot ihre Einfügung der Werke in ein lückenloses Ordnungsmodell von weiteren Kunstlandschaften eine Systematisierung an, die zur stilistischen Lokalisierung von längst aus ihren ursprünglichen Zusammenhängen entfernten Werken immer wieder genutzt werden konnte. Nach dem Abschluss der Deutschen Malerei der Gotik 1961 wurden deren Ergebnisse in das zwischen 1967 und 1978 entstandene Kritische Verzeichnis übernommen, welches die Werke ohne wissenschaftliche Diskussion und ohne Abbildungen kunstlandschaftlich und chronologisch in Listen

14 IrIs Grötecke

Zeitraum:

Band:

titel:

erschienen:

reprint:

1250–1350

1

Die Zeit von 1250 bis 1350

1934

1969

1350–1400

2

Die Zeit von 1350 bis 1400

1936

1969

1400–1450

3

Norddeutschland in der Zeit von 1400 bis 1450

1938

1969

1400–1450

4

südwestdeutschland in der Zeit von 1400 bis 1450

1951

1969

1450–1515

5

köln in der Zeit von 1450 bis 1515

1952

1969

1450–1515

6

Nordwestdeutschland in der Zeit von 1450 bis 1515

1954

1969

1450–1500

7

Oberrhein, Bodensee, schweiz u. Mittelrhein in der Zeit von 1450 bis 1500

1955

1969

1450–1500

8

schwaben in der Zeit von 1450 bis 1500

1957



1400–1500

9

Franken, Böhmen, thüringen-sachsen in der Zeit von 1400 bis 1500

1958



1400–1500

10

salzburg, Bayern und tirol in der Zeit von 1400 bis 1500

1960



1400–1500

11

österreich und der ostdeutsche siedlungsraum von Danzig bis siebenbürgen in der Zeit von 1400 bis 1500

1961



1. Publikationsschema: Alfred Stange: Deutsche Malerei der Gotik, Berlin/München 1934–1961

geordnet nochmals präsentierte.2 Das Kritische Verzeichnis ist jedoch ein Fragment geblieben, da es nicht den gesamten Objektbestand der Deutschen Malerei der Gotik umfasst, was in der allgemeinen Wahrnehmung der drei erschienenen Bände zumeist übersehen wird (Abb. 1 u. 2). Zeitlich parallel zum Erscheinen des Kritischen Verzeichnisses sind Band 1 bis 7 der Deutschen Malerei der Gotik 1969 nochmals als Reprint gedruckt worden, so dass Alfred Stanges Werk von jeder Bibliothek angekauft werden konnte und bis heute fast ubiquitär verfügbar ist. In neuerer Zeit wurden aber auch Bedenken an der Nutzung der Buchreihe geäußert, die sich vor allem auf den veralteten Kenntnisstand der Sachinformationen aus den dreißiger und fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts sowie auf die nur mäßige Qualität der schwarz-weiß-Abbildungen bezogen. Es hat

15 AlFreD stANGes BuchreIhe Deutsche Malerei Der Gotik

erschienen:

reprint:

1230 –1520

Zeitraum:

Band: 1

köln, Niederrhein, Westfalen, hamburg, lübeck und Niedersachsen

1967



1250 –1515

2

Oberrhein, Bodensee, schweiz, Mittelrhein, ulm, Augsburg, Allgäu, Nördlingen, von der Donau bis zum Neckar, hrsg. Norbert lieb

1970

2009 DVD mit hinzufügungen (privatwirtschaftl.)

1250 –1515

3

Franken, hrsg. Norbert lieb, bearb. von Peter strieder, hanna härtle

1978











? (4) + ? (5)

titel:

es fehlen von den in der Deutschen Malerei der Gotik bearbeiteten regionen: Bayern, österreich, steiermark, kärnten, tirol, Böhmen, thüringen, sachsen, Brandenburg, Mecklenburg, schlesien, Danzig, Ostpreußen, krakau, slowenien, Zips und Oberungarn, siebenbürgen

2. Publikationsschema: Alfred Stange: Die Deutschen Tafelbilder vor Dürer. Kritisches Verzeichnis, München 1967–1978

deshalb im Fach informell Überlegungen gegeben, die Bände auf einen aktuellen Wissensstand zu bringen und erneut zu publizieren. Seit 2009 wird tatsächlich der zweite Band des Kritischen Verzeichnisses zur süddeutschen Malerei – um jüngere Informationen und Abbildungen zu den Einzelobjekten ergänzt, sonst aber Stanges Text und sein Ordnungsmodell reproduzierend – in digitalisierter Form zum Kauf angeboten.3 Eine Auseinandersetzung mit dem Konzept der Buchreihe hat weder dort noch an anderer Stelle im Fach stattgefunden. Auch allgemein ist eine Überprüfung der methodischen Voraussetzungen kunstgeografischen Arbeitens4 beziehungsweise eine Befragung dieses Ansatzes auf seine immanenten Vorstellungen von Geschichte und Stilentwicklung5 nur zögerlich diskutiert worden. – Mit einer ganz anderen Ausrichtung hat die aktuelle fachgeschichtliche Aufarbeitung der Kunstgeschichte im »Dritten Reich« allerdings das wissenschaftshistorische Umfeld und die diesbezüglichen Personennetzwerke, in denen neben anderen Kunsthistorikern auch Alfred Stange agierte, klären können.6 Seine seit langem bekannte aktive Rolle in der nationalsozialistischen Wissenschaftspolitik wurde durch umfangreiche Archivstudien nochmals belegt und inhaltlich bedeutend präzisiert.7 Der wissenschaftliche Ertrag der Deutschen Malerei der

16 IrIs Grötecke

Gotik wird in der Kunstgeschichte jedoch bis heute von Stanges organisatorischer Arbeit im Nationalsozialismus getrennt, stellvertretend sei hierzu das Metzler-Kunsthistorikerlexikon zitiert: »Während in den späten 30er Jahren das politische Engagement für den Nationalsozialismus auch die kunstgeschichtlichen Arbeiten […] durchsetzte, befand sich S. [i. e. Alfred Stange] mit Deutsche Malerei der Gotik zu Beginn seiner akademischen Laufbahn noch auf fachwissenschaftlichem Terrain. Er verglich sein Werk mit Crowes und Cavalcaselles kennerschaftlichen Gesamtdarstellungen […]; seine Absicht war, die gesamte mittelalterliche deutsche Malerei: Wand-, Tafel- und Buchmalerei […] zu sichten, die Werkstätten zu umreißen und ihre stilistische Entwicklung zu beschreiben.«8

Die hier nahegelegte Politikferne der Deutschen Malerei der Gotik hält einer genaueren Überprüfung nicht stand. Allerdings geben die Texte ihre argumentative Unterstützung der politisch motivierten Kulturdeutung im »Dritten Reich« nicht auf den ersten Blick preis, da ihre Sprache relativ schlicht gehalten ist und politische Absichten vom Autor expressis verbis nicht formuliert wurden. Es ist jedoch nur eines der Ziele der vorliegenden Studie, aufzuzeigen, dass die wissenschaftliche Arbeit Alfred Stanges ebenso wie seine politische Tätigkeit auf eine nationalsozialistische Umformung des Faches Kunstgeschichte ausgerichtet war. Angesichts der sehr breiten Verfügbarkeit und der häufig unkritischen Benutzung der Deutschen Malerei der Gotik und des Kritischen Verzeichnisses in der kunsthistorischen Forschung, im Kunsthandel sowie in kulturwissenschaftlichen Bilduntersuchungen ist es notwendig, die vom Autor benutzten Arbeitsmodelle und vor allem sein Geschichtsbild zur gotischen Malerei genauer zu betrachten, denn diese in den frühen dreißiger Jahren entwickelten und über Jahrzehnte hinweg ausgeschriebenen Mittelaltervorstellungen haben auch die Forschungsergebnisse im Einzelnen mit geformt.

Mittelalterbild I: Die Verbreitung gotischer Malerei als Expansionsraum eines zukünftigen deutschen Großreichs Die elf Bände der Deutschen Malerei der Gotik bearbeiten in größtmöglicher Vollständigkeit den erhaltenen Bestand an Tafelmalerei zwischen etwa 1250 und 1515, während die Buch- und die Wandmalerei nur in den ersten beiden Bänden häufiger herangezogen und die Glasmalerei gar nicht behandelt wurde. Dadurch entstand eine umfassende gattungsspezifische Materialsammlung mit weit über 3.000 Einzelwerken, deren Anordnung einem chronologischen und einem geografischen Prinzip folgt: Band 1 und 2 behandeln die Tafelmalerei zwischen 1250 und 1350 beziehungsweise zwischen 1350 und 1400, während der anschließende Zeitraum in einen Band Norddeutschland in der Zeit von 1400 bis 1450 und einen äquivalenten Band zu Südwestdeutschland

17 AlFreD stANGes BuchreIhe Deutsche Malerei Der Gotik

aufgeteilt wurde (Abb. 1). Die folgenden vier Bände gliedern den umfangreicheren Bestand der Malerei aus der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts regional in je einen Band zu Köln, zu Nordwestdeutschland, zu Oberrhein, Bodensee, Schweiz und Mittelrhein sowie zu Schwaben. Die Bände 9 bis 11 greifen zeitlich nochmals zurück und bearbeiten den Zeitraum von 1400 bis 1500, sie widmen sich denjenigen Gebieten, die bei der Behandlung der 1. Hälfte des 15. Jahrhunderts nicht unter Nord- oder Südwestdeutschland subsummiert werden konnten, so dass ein Band zu Franken, Böhmen, Thüringen-Sachsen, ein weiterer zu Salzburg, Bayern und Tirol sowie zu Österreich und der ostdeutsche Siedlungsraum entstand. Schon die Titel der Bände indizieren eine Systematisierung des Materials in Regionen und Siedlungsräume, stärker noch wird dieses Prinzip in der Binnengliederung der einzelnen Bände sichtbar. Konzeptionell kommt dabei den beiden ersten, 1934 und 1936 veröffentlichten Büchern eine wichtige Rolle zu: Band 1 beginnt mit der Besprechung von Malerei in Köln, es folgen Kapitel zu Elsass-Breisgau, Boden- und Zürichsee, Mittelrhein, Hessen, Westfalen, Niedersachsen, Thüringen, Lübisch-sundisches Gebiet, Deutschordensland, Österreich, Steiermark und Kärnten, Böhmen, gefolgt von einem Kapitel Der Hohenfurther Altar und sein Kreis, dann Franken, Bayern, Tirol und Schwaben. Der zweite Band wiederholt diese landschaftliche Gliederung mit einer etwas anderen Schwerpunktsetzung, und die folgenden, der Malerei nach 1400 gewidmeten Bände bearbeiten das Material entlang dieser einmal angelegten weiten geografischen Grundstruktur jeweils in Teilgebieten. Alfred Stange musste den kunstgeografischen Ansatz nicht selbst entwerfen. Er konnte in seiner Arbeit auf eine Methodik zurückgreifen, die seit dem späten 19. Jahrhundert im Fach diskutiert wurde, und die nach dem Ersten Weltkrieg zunehmend als willkommenes Arbeitsinstrument angesehen wurde, um eine Definition einheimischer Architektur, Malerei und Plastik beziehungsweise eine Abgrenzung »fremder« Kunst vom Eigenen vornehmen zu können. Davon war in besonderem Ausmaß die Erforschung der mittelalterlichen Kunstwerke in unterschiedlichen nationalen Forschungszusammenhängen betroffen. Das Thema kulminierte 1933 in der kunstgeografischen Ausrichtung des Internationalen Kunsthistorikerkongresses Die Entstehung nationaler Stile in der Kunst in Stockholm.9 Die Intentionen dieser Literatur und ihre Übergänge zu einer völkischen Argumentation sind bis heute nicht ausreichend erforscht worden. In der Bearbeitung der gotischen Malerei gingen der Deutschen Malerei der Gotik in Deutschland selbst die 1913 und 1917 erschienenen Bände zur Malerei im Handbuch der Kunstwissenschaft voraus, die ebenfalls breit angelegt ihr Material in Kunstlandschaften gliederten, ohne diese jedoch wesensmäßig definieren zu wollen. Alfred Stange lehnte diese Arbeiten als wissenschaftlich unausgewogen ab und setzte sich vordergründig die ebenfalls in der Handbuchreihe publizierten Bände zur mittelalterlichen Plastik von Wilhelm Pinder zum Vorbild.10 Letztendlich ging er in seinen Ausführungen aber weder auf dessen Konzepte noch auf andere zeitgenössische Forschungsdiskurse ein, die er ohne Zweifel gekannt hat. Er begriff – die

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vorhandenen Ansätze einseitig verschärfend – die Kunstlandschaften als klar umgrenzte Gebiete mit unverwechselbaren Eigenschaften: Sie sind für ihn Stilräume, in denen eine jeweils spezifische – kölnische, westfälische, fränkische, bayerische – Malerei entstanden sein sollte. Die Landschafts-Kapitel benennen deshalb Retabel, Tafeln und Diptychen auch nicht in topografischer Absicht, sondern sie stellen typische formale Merkmale zusammen, die die Malereiproduktion eines Gebietes erkennbar geprägt, und die sogar einen über mehrere Epochen hinweg im Wesentlichen gleichbleibenden »Raumstil« geschaffen haben sollten. Geografisch breiter angelegt als ihre Vorgänger sowie in der Durchführung materialreicher und kleinteiliger durchgearbeitet wies die Buchreihe den unterschiedlichen stilistischen Ausprägungen von Tafelmalerei feste Orte auf der Landkarte zu. Das vordergründige Ziel dieses groß angelegten Versuchs war die Rückführung der Einzelwerke in ihre Entstehungsregionen und eine im Binnenvergleich abwägend getroffene Datierung der Tafeln. Dies sind zunächst Erkenntnisinteressen, die ganz allgemein große Bereiche der damaligen Forschung zur mittelalterlichen Malerei beherrschten. In der praktischen Durchführung präsentieren die Bände zum Teil große Städte wie Köln, Lübeck oder Nürnberg als Stilräume, zum Teil Landstriche wie den Mittelrhein, Westfalen, Schwaben und das Allgäu oder Territorien wie Böhmen und das Deutschordensland. Aus heutiger Sicht stellt sich die Definition solcher Gebiete, die weder im geologischen Landschaftsrelief räumliche Einheiten bildeten noch durchgehende mittelalterliche Wirtschaftsräume bezeichneten, und die auch nur im Ausnahmefall landesherrliche Territorien waren, als legitimationsbedürftig dar. Nachweise für die historische Existenz der Kunstlandschaften oder Begründungen für ihre jeweilige Ausdehnung gab der Autor jedoch nicht. Die gesamte Buchreihe ist vollständig »theoriefrei«, so dass die Prämissen, Konzepte und Erkenntnisinteressen des Autors nur aus seiner kleinteiligen Arbeit am Bild selbst erschlossen werden können. Dabei ist zu erkennen, dass sich die Benennung der geografischen Einheiten vor allem an volkskundliche und sprachgeschichtliche Raumvorstellungen anlehnt: Stilausprägungen werden von Alfred Stange als unterschiedliche »Dialekte« einer gemeinsamen Sprache (der Gotik) aufgefasst. Das regionale Vorkommen bestimmter Stilvarianten wird analog zur Sprachraumforschung mit Begriffen wie »alemannisch-schwäbischer Raum«, »niederdeutscher Sprachraum« oder gar »hessischer Dialekt« bezeichnet, ohne dass die Begrifflichkeit vollständig übernommen wird. Ähnlich wie die geschichtliche Landeskunde11 näherte sich der Autor mit seiner kunsthistorischen Untersuchung der Volkstums- und Kulturraumforschung der 1920er und 1930er Jahre an, die auf eine Darlegung der geografischen Verbreitungsgebiete von Sprachformen, Gebräuchen und bäuerlich-handwerklichen Traditionen fokussiert war und dafür häufig mit kartografischen Hilfsmitteln arbeitete.12 Der ältere kunstgeografische Forschungsansatz aus der Kunstgeschichte traf in der Kulturraumforschung auf ein stärker systematisch aus-

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gerichtetes Programm, welches Kultur ganz allgemein mit den in bestimmten Landschaften lebenden Volksgruppen verband und versuchte, Volkstumsidentitäten herzustellen. Alfred Stange erstellte in seiner Arbeit keine Landkarten, er arbeitete jedoch konzeptionell mit der kartografischen Grundstruktur, und er benutzte mit den Fragen nach der räumlichen Ausdehnung der gotischen Malerei, nach den Verbreitungswegen und -formen sowie nach den kulturellen Kontinuitäten in den einzelnen Landschaften auch die Arbeitsmodelle der zeitgenössischen Volkstumsforschung. Die Entstehungsbedingungen und Verbreitungswege von Tafelmalerei wurden auf diese Weise denjenigen von Lautverschiebungen in Dialekten, von Fest- und Jahreszeitgebräuchen etc. gleichgesetzt, ohne dass diese Übertragung der Strukturen von kollektiven nicht reflektierten Veränderungsprozessen auf die Anfertigung von einzelnen Artefakten wie Tafelbildern im Text auch nur angesprochen worden wäre. Die Erwartung, eine für jede Landschaft spezifische stilistische »Eigenart« am Material aufzudecken, bereitete dem Autor in der Durchführung allerdings erhebliche Schwierigkeiten. Die Widersprüchlichkeit des Konzepts kann hier nur anhand von wenigen Beispielen vorgestellt werden. Sie tritt gleich im zweiten Kapitel des ersten Bandes zutage, wo die Kölner Malerei als eine sich aus eigenen Traditionen entwickelnde Kunst vorgestellt wird, gleichzeitig aber die für Kölner Werkstätten wichtige Ausmalung zweier Handschriften durch Johannes von Valkenburg mit der »[…] stets nachweisbaren, engen Verbundenheit dieser Stadt mit dem Maasgebiet, mit Flandern und Artois« erklärt wird.13 Im Abschnitt zur Wand-, Tafel- und Buchmalerei der 1. Hälfte des 14. Jahrhunderts aus Nordhessen widersprechen der dort propagierten hessischen »Eigenart« der Werke deutliche, vom Autor aber abgewertete stilistische Parallelen zur englischen Buchmalerei sowie das Vorkommen stilistisch vergleichbarer Werke aus Lübeck.14 Neben der Abwertung solcher Beobachtungen boten auch die Annahme von »artfremder« Kunst auf deutschem Boden, die Vorstellung einer Beeinflussung deutscher Künstler durch »fremde« Stilströmungen und die Vorstellung von »Wanderkünstlern« rhetorische Strategien an, um die für den Autor problematischen Werke im Sinne der Vollständigkeit der Untersuchung zwar vereinnahmend benennen zu können, diese aber gleichzeitig aus den betreffenden, kunstlandschaftlich geordneten Tafelmalereibeständen auszusondern.15 Relevanz haben in dieser Geschichte der gotischen Malerei nur diejenigen Objekte, die die Kunstlandschaft bestätigen, nicht aber, um zwei weitere Beispiele zu nennen, die italienischen Werke des 14. Jahrhunderts in Böhmen oder die Rezeption der Trecento-Malerei aus der Toskana und der Lombardei in der Wandmalerei Tirols. Sie werden als »artfremde« Kunst nur knapp erwähnt und als Irrwege abqualifiziert.16 Auf diese Weise entstand ein Bild von gotischer Malerei, das stilistisch homogene Bestände vorwies, die als typisch für die einzelnen Regionen gelten sollten, und die gleichzeitig über den weiten geografischen Gesamtraum, den die Deutsche Malerei der Gotik entwarf, miteinander verbunden sein

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sollten. Aus dieser Wahrnehmung der mittelalterlichen Malerei wurden alle Fragen nach den dargestellten Themen und ihrer Wirkung ausgeblendet, ebenso die Untersuchung von Anfertigungstechniken, Fragen nach dem Gebrauch von Altarbildern und kleinen Diptychen, nach dem sozialen Status der Künstler oder den Interessen der Auftraggeber. Malerei ist in der Buchreihe nur als Sammlung von Objekten bedeutsam, die sich in größere stilistische Einheiten ordnen lassen. Eine Erforschung der konkreten historischen Entstehungsbedingungen im Einzelfall unterblieb, die »Geschichte« der Malerei besteht aus den Stilveränderungen des überlieferten Materials. Angesichts der offensichtlichen konzeptionellen und argumentativen Mängel der Texte muss der Wert der Kunstlandschaften für den Autor über die pragmatische Datierungs- und Zuschreibungspraxis hinaus an anderer Stelle gelegen haben. Für Alfred Stange war die gotische Malerei die früheste Ausprägung einer deutschen Malerei: »Zuerst am Ende des 13. Jahrhunderts setzt sich in der Malerei die neue gotische Darstellungsform allgemein durch, um dann aber allenthalben in den deutschen Gauen vieltönig gesprochen zu werden.«17

Mit ihrer Bearbeitung hoffte der Autor »[…] der Weltgeltung der deutschen Kunst damit einen Dienst zu erweisen.«18 Als »Weltgeltung« der Kunst des späten 13. und 14. Jahrhunderts wurde in der Bearbeitung vor allem deren autarke Entstehung hervorgehoben, die sich unabhängig von französischen oder englischen Vorbildern auf deutschem Boden vollzogen haben sollte. Gotische Tafelmalerei konnte auf diese Weise dem Nachweis einer eigenen nationalen Kunst dienen. Mit dem Blick auf die östlichen Grenzen des Deutschen Reichs kam die Vorstellung einer Kolonisierung kulturellen Neulandes durch die deutschen Siedler hinzu. Unter dieser allgemeinen Zielsetzung entwickelte die Deutsche Malerei der Gotik eine imaginäre Landkarte gotischer (=deutscher) Malerei. Kunstlandschaft für Kunstlandschaft wurde auf ihre Generierung von gotischer Malerei befragt. Alfred Stanges geschichtlicher Akteur ist dabei nicht ein bedeutender mittelalterlicher Herrscher oder ein einzelner herausragender Künstler sondern das deutsche Volk: Dieses schafft – geprägt durch den Boden, auf dem es lebt – einen zwar landschaftlich variierenden, insgesamt aber »deutschen Kulturraum«. Die vom Autor hergestellten Stilbilder repräsentieren diesen Kulturraum auf dem Gebiet der Malerei, sie sind gleichzeitig ein Beweismittel der nationalen Identität dieses Kulturschaffens. Damit kann ein in der heutigen Lektüre der Buchreihe weniger offensichtliches, in seinen damaligen politischen Dimensionen aber ausgesprochen wichtiges Ziel der Deutschen Malerei der Gotik benannt werden: Die kunstgeografische Systematisierung des Materials diente nicht nur einer wissenschaftsinternen Diskussion, sondern sie nahm Stellung zu aktuellen Fragen des Verhältnisses von Nation und Staatsgebiet, von Gesamtvolk und »Volksboden«. Mit der Behandlung der Kunstwerke im Elsass, in der nördli-

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chen Schweiz, im nördlichen und westlichen Polen, in Österreich, in Tschechien, im italienischen Bozen und auch den slowenischen Teilen der Steiermark und Kärntens lag mehr als ein Drittel des geografischen Grundrisses der ersten zwei Bände außerhalb der Grenzen des Deutschen Reichs in der Weimarer Republik. Die Deutsche Malerei der Gotik schloss auch diejenigen Regionen in ihre Bearbeitung ein, die bis 1918/1920 zum Deutschen Kaiserreich gehört hatten und entweder aufgrund von Volksabstimmungen oder aufgrund der Bestimmungen des Versailler Vertrags anderen Staaten eingegliedert worden waren.19 Darüber hinaus behandelte sie mit der Einbeziehung der Malerei Österreichs und einiger vor 1919 zum habsburgischen Reich gehörender Regionen in Südosteuropa20 sowie mit der Einbeziehung von Malerei in der Schweiz auch Gebiete, die nie dem Kaiserreich angehört hatten. Es entstand auf diese Weise eine Landkarte, die vom Rhein bis nach Polen oder Slowenien, von der Nord- und Ostsee bis zum italienischen Teil Tirols reichte, und die diese Gebiete, in denen häufig mehrere Nationen miteinander zusammenlebten, gleichrangig neben Gebiete wie etwa Schwaben, Westfalen oder Thüringen stellte. Die Buchreihe berührte damit brisante Themen einer in der Weimarer Republik breit diskutierten Rückgabeforderung der 1918/1920 abgetretenen Gebiete, aber auch eines Besitzanspruchs auf weitere als »deutsch« reklamierte Regionen. Sie bestätigte die Rechtmäßigkeit solcher Gebietsansprüche mit den Grundgedanken einer autarken Entstehung und einer weiten Verbreitung der gotischen Malerei. Alfred Stanges Propagierung von gotischer Malerei als »deutscher Kunst« und seine Verknüpfung der Stilausformungen mit dem Boden lieferten Argumente für die scheinbare Rechtmäßigkeit der Einverleibung der genannten Regionen in den deutschen Staat. Sein vor 1933 entwickeltes Konzept nahm gedanklich ein Großdeutsches Reich vorweg, wie es unter der nationalsozialistischen Herrschaft durch politischen Druck und kriegerische Eroberung verwirklicht werden sollte.

Mittelalterbild II: Stil-Geschichte als Schicksal der Kunst und des Volkes Neben der Verknüpfung der »Landschaften« mit den Stilausprägungen der mittelalterlichen Malerei bestimmte eine weitere Grundidee die Arbeit Alfred Stanges, nämlich die Vorstellung, dass der Verlauf der (Stil-)Geschichte ein vorbestimmter Schicksalsweg sei. Wiederum wurde der Gedanke nicht argumentierend eingeführt sondern als eine zwischen Autor und Leserschaft einvernehmliche Grundüberzeugung vorausgesetzt. Der Autor versteht unter dem »Werden« der Kunst eine Entfaltung der gotischen Malerei, deren stilistische Spezifik schon in ihren frühesten Werken im Keim angelegt sein sollte, und die mit einer ihr innewohnenden Eigengesetzlichkeit im Laufe der Zeit immer stärker hervortreten sollte. Die Vorstellung wird schon zu Beginn des ersten Bandes der Deutschen Malerei der Gotik bei der Deutung des 1260/1270

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entstandenen Quedlinburger Retabels eingeführt: Das Werk ist dem späten Zackenstil zuzuordnen, der von Alfred Stange generell aus seiner Untersuchung ausgeklammert worden ist. Dieser Stil wird vom Autor als unorganisch, unruhig und splittrig negativ bewertet, seine als rein linear aufgefassten Faltengerüste der Gewandfiguren werden als »Trümmerfeld« bezeichnet. Positiv vermerkt der Autor zum Retabel aber: »Vielmehr wird man in diesem urwüchsigen, aus dem Leben schöpfenden Naturalismus [!] ein Merkmal sächsischen Kunstschaffens […] sehen müssen. Es handelt sich um ein sehr eigenartiges, in Malerei und Skulptur gleich in Erscheinung tretendes Erlebnis der sächsischen Kunst, das […] zweifelsohne zu gotischer Formfassung hinführen muß.«21

Der Figurenstil im Quedlinburger Retabel wird hier als Ausdruck des sächsischen Stammescharakters begriffen, dessen ästhetische Entfaltung zwar durch widrige Umstände zeitlich aufgehalten werden kann, sich aber im historischen Gesamtverlauf durchsetzen muss. Es ist dieser Schicksalsgedanke, der Alfred Stange legitimiert, die »fremden Einflüsse« als historisch irrelevant abzuwerten und sich auf die »deutsche« Malerei zu konzentrieren. Die Vorstellung von einer Dynamik und Ergebnisoffenheit historischer Verläufe, die im geschichtlichen Prozess durch unterschiedliche Faktoren, Verhaltensund Handlungsebenen gleichzeitig bestimmt wurden und erst im Nachhinein als eine geschichtliche Entwicklung gedeutet werden können, lehnt er ab. In der Deutschen Malerei der Gotik werden solche, mit seinem eigenen Vorgehen konkurrierende Ansätze nicht zur Kenntnis genommen, der Autor äußerte sich jedoch in anderen Schriften aus derselben Zeit nicht nur allgemein zu den politischen Aufgaben der Kunstgeschichte im Nationalsozialismus22 sondern auch mit aller Deutlichkeit zu seinem Zugriff auf die Geschichte: »Die kunstgeschichtliche Forschung der vergangenen Jahrzehnte bemühte sich, […] vorwiegend den ewigen Wandel, das immer wieder Andersartige und Neue an den Erscheinungen zu erfassen. […] Gegenüber diesem offenbaren neunzehnten Jahrhundert […] haben wir eine grundsätzliche Wendung vollzogen, da wir erkannt haben, daß die Kräfte der Veränderung […] ihren Sinn erst gewinnen durch die Mächte der Beharrung, der Dauer, der Bindung. Diese, die verborgenen Kräfte des Blutes, der Vererbung, des angestammten Brauchtums, der Bodenverbundenheit, diese Kräfte der Dauer und Stetigkeit, die immer in derselben Richtung wirkend den Handlungen eines Menschen, einer Sippe, eines Stammes, eines Volkes, einer Rasse zu allen Zeiten […] eine bestimmte unerschütterliche Gleichartigkeit verleihen, stehen uns heute als die entscheidenden, weil ewigen Grundfesten alles geschichtlichen Seins vor Augen.«23

Diese Standortbestimmung wurde 1935 in einem Aufsatz veröffentlicht, der sich mit den Formen des Kirchengrundrisses beschäftigte und die These entwickelte, dass die christliche Kultur als eine den Germanen von den Römern

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aufgezwungene »fremde« Kultur vom »germanischen Wesen«, welches sich in der Architektur erst in der Hochromanik durchzusetzen beginne, zu trennen sei. Die hier zitierte Eingangspassage hätte auch einem der Bände der Deutschen Malerei der Gotik vorangestellt werden können. Letztere folgen demselben Gesamtkonzept einer statischen Geschichtsvorstellung, in der die Konstanten der Abstammung und der Bodenverhaftung die Menschen und ihre Kultur prägen. Das »Werden« ist hier wie dort teleologisch auf eine Entfaltung dieser prästabilisierten Charaktere reduziert. Die historische Erkenntnis – und damit auch die kunsthistorische Arbeit – muss lediglich die Bewegungen einer zu sich selbst findenden Kultur nachvollziehen. In diesem Zusammenhang ist der oben zitierte Begriff des »Urwüchsigen« signifikant, weil er die Stilentfaltung als ein naturhaftes »Werden« suggeriert. Dabei ist Alfred Stanges Vorstellung vom »Wesen« der deutschen Kultur, welches dieses »Werden« gesteuert haben sollte, wissenschaftlich nicht fassbar, noch ist diese Vorstellung rational vermittelbar; sie kann nur als gefühlte oder »geahnte« Überzeugung geteilt werden.24 Diese Geschichtsvorstellung bestimmte auch das Menschenbild in der Deutschen Malerei der Gotik: Der Autor arbeitete innerhalb der Zuschreibungsund Datierungsdiskussionen – wie viele andere Studien dieser Zeit auch – mit der Vorstellung einer Werkstatt, die einen leitenden Meister, Gesellen und Lehrlinge umfasste. Dabei verknüpfte er eine explizit hierarchisch gedachte Arbeitsteilung mit einem Qualitätsgefälle vom Meister zu den minder begabten Gesellen und Helfern, ohne dafür historische Zeugnisse nennen zu können. In einigen Werkkomplexen versuchte er dann, solche Meister als individuelle Leitfiguren der Stilentwicklung nachzuweisen, da sich in deren Werken entscheidende Neuerungen vollzogen haben sollten, die über die eigene Werkstatt hinaus später von den nachfolgenden Malern nur noch adaptiert und weiterverarbeitet worden seien. Als Beispiele für dieses Vorgehen können etwa die Deutung des Meisters des Hofgeismarer Retabels aus dem frühen 14. Jahrhundert oder des Hohenfurter Meisters angeführt werden.25 Gleichzeitig wurden die »führenden Meister« wieder an die übergeordneten Geschichtskräfte zurückgebunden und gemeinsam mit ihrer Kunst als Ausdruck einer stammesmäßigen »Eigenart« gedeutet. Der Widerspruch zwischen dem innovativen Einzelnen und dem kollektiven Stilschaffen wurde nicht thematisiert. Die mehrfache semantische Befrachtung der Beobachtungen am Material mit unterschiedlichen geschichtsideologischen Fragmenten bringt die Kunstentwicklung und den Volkscharakter auch hier vordergründig zur Deckung. Das Konzept zeigt deutliche Parallelen zu Vorstellungen von Führerpersönlichkeiten und von der Eingliederung des Einzelnen in die Volksgemeinschaft. Auf diese Weise bestätigte das in der Buchreihe favorisierte Menschenbild die angestrebte nationalsozialistische Gesellschaftsordnung der damaligen Gegenwart als historisch begründete Notwendigkeit.

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Der Autor und sein Werk Es ist davon auszugehen, dass das Konzept zu dieser umfangreichen Buchreihe lange vor 1933 entwickelt wurde, als Alfred Stange noch Privatdozent in München war. Der 1894 geborene Autor war nach seinem Studium in Berlin, das er mit einer Dissertation zur mittelalterlichen Skulptur und Malerei bei Heinrich Wölfflin 1921 abschloss, umgehend Assistent an der Münchner Universität geworden; er habilitierte sich dort 1925 mit einem Architekturthema.26 Eine Professur erhielt er erst 1934 in Erlangen, seit 1935 war er dann als Lehrstuhlinhaber in Bonn tätig. Dort entfaltete er in hochrangigen Positionen parteinaher Wissenschaftseinrichtungen einen großen Einfluss auf die gesamte Forschungssteuerung im Fach Kunstgeschichte. Das schnelle Erscheinen der ersten drei Bände der Buchreihe 1934, 1936 und 1938, die neben bekannten Werken eine große Anzahl von damals nur selten genannten und kaum bearbeiteten Tafelbildern boten, setzt eine längere Vorbereitungszeit voraus. Wie die Analyse gezeigt hat, wurden sowohl der kunstgeografische Umriss als auch die Vorstellung vom »Werden« der Kunst als Konzepte von Anfang an eingesetzt. Neben der umfangreichen Sammeltätigkeit bezüglich des Materials müssen vor der Niederschrift des ersten Bandes, dessen Vorwort auf den August 1933 datiert ist, deshalb auch gründliche Überlegungen zum Ordnungssystem und zur Deutung der Phänomene angestellt worden sein. Diese notwendig anzunehmenden Vorarbeiten zeigen, dass die völkischen Grundüberzeugungen sowie die kunstgeografische Struktur und die Vorstellungen vom Schicksal des Einzelnen, der Kunst und des Volkes nicht erst nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten, etwa im Sinne einer ideologischen Mimikry um der Karriere willen, in dieses kunstgeschichtliche »Grundlagenwerk« aufgenommen worden sind. Die geschilderte Ausrichtung der Deutschen Malerei der Gotik muss zu einem früheren Zeitpunkt vom Autor aus eigenem Antrieb entwickelt worden sein.27 Nach 1938 veröffentlichte Alfred Stange nur noch wenige größere Arbeiten, der vierte Band der Buchreihe erschien erst dreizehn Jahre später. Der Autor dürfte zwischen 1939 und 1945 vor allem mit der Vorbereitung von Forschungsprojekten und mit der Organisation der Tätigkeit des »Kunstschutzes« im besetzten Belgien und Frankreich beschäftigt gewesen sein. 1945 wurde er von der britischen Militärverwaltung seines Lehrstuhls enthoben und mit Lehrverbot belegt. Ein im Dezember 1948 beendetes Entnazifizierungsverfahren stufte ihn als »unbelastet« ein, 1949 wurde er in den Ruhestand versetzt. Das Lehrverbot blieb jedoch bestehen, und es gelang ihm trotz mehrerer Versuche in den folgenden Jahren nicht, an die Universität zurückzukehren.28 Auch im 1948 gegründeten Kunsthistorikerverband spielte er keine öffentlich sichtbare Rolle. Es ist aber zu beobachten, dass 1950 eine erneute intensive Publikationstätigkeit einsetzt.29 In dieser Situation nahm Alfred Stange vermutlich 1949/1950 auch seine Arbeit an der Deutschen Malerei der Gotik wieder auf, deren vierter Band 1951 erschien. Bis 1961 folgten dann

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fast im Jahrestakt die übrigen sieben Bände (Abb. 1). Man sieht der Buchreihe die lange Unterbrechung zwischen 1938 und 1951 nicht an: Band 4 zur südwestdeutschen Malerei zwischen 1400 und 1450 ergänzt den vor dem Zweiten Weltkrieg publizierten Band zur Malerei Norddeutschlands aus demselben Zeitabschnitt, und die folgenden Bände orientieren sich an der von Anfang an angelegten kunstgeografischen Systematik.30 Dabei wird sowohl der geografische Umfang eines großdeutschen Reichs beibehalten als auch die an den Volksstämmen orientierte Zuordnung von Stilphänomenen, lediglich die Vorstellung vom Schicksalsgang der Geschichte tritt in den jüngeren Bänden zurück. Sprachlich sind die Bände in der Begrifflichkeit und im Duktus kaum von den früheren zu unterscheiden. Im vierten Band wird zur Charakterisierung Süddeutschlands ganz selbstverständlich ein »alemannisch-schwäbisches Stammesgebiet« genannt, und die Siedlungsräume deutscher Volksgruppen gelten bis zum letzten Band von 1961 mit der erneuten Behandlung von Österreich und von Gebieten in Polen, Jugoslawien, Rumänien und Ungarn als »deutsche Kulturräume«.31 Offensiv begründen die Einleitende[n] Bemerkungen dieses Bandes den geografisch weiten Umfang der Buchreihe immer noch mit der Ideologie der Kulturträgerschaft der Deutschen, die im Osten kulturlose und wüste Räume erst zivilisatorisch durchgeformt hätten. Auch das kurz vor dem Tod des Autors im September 1968 fertiggestellte Vorwort zum zweiten Band des Kritischen Verzeichnisses verfolgt ähnliche Gedanken.32 Der Autor nimmt in der kleinteiligen Arbeit am Objekt die Beurteilungen aus den frühen Bänden nicht zurück, lediglich einige Zuschreibungen werden korrigiert. Es finden sich ganz im Gegenteil auch in den Texten der fünfziger Jahre immer wieder Verweise auf die Autarkie beziehungsweise auf die Überlegenheit der deutschen Kunst. So sei zum Beispiel Konrad Witz im Vergleich zu den niederländischen Malern der bessere Realist gewesen, und Lukas Mosers Künstlerinschrift am Tiefenbronner Altar von 1434, die vor derjenigen Jan van Eycks am Genter Altar entstanden ist, zeige den Vorrang des ersteren an.33 Der politische und moralische Zusammenbruch des »Dritten Reichs«, die eigene Suspendierung vom Hochschuldienst und die Entstehung eines wesentlich kleineren, zwischen den politischen Systemen geteilten Deutschlands haben in der Buchreihe weder im Konzept noch in der Beurteilung der Tafelmalerei Spuren hinterlassen. Mit der Publikation von acht der elf Bände in den fünfziger Jahren zeigt sich in aller Deutlichkeit die Tradierung nationalsozialistischer Kunstgeschichts- und Gesellschaftskonstruktionen in die fachwissenschaftliche Öffentlichkeit der Bundesrepublik Deutschland.34 Dies ist nicht nur für die Einschätzung eines von seinem Anliegen überzeugten einzelnen Autors von Bedeutung, sondern die Veröffentlichung und die weitestgehend positive Aufnahme der Deutschen Malerei der Gotik und des Kritischen Verzeichnisses im Fach werfen Fragen nach den äußeren Bedingungen, die diese Bücher ermöglichten, sowie nach der Wahrnehmung von Alfred Stanges wissenschaftlichen Aussagen durch die Fachkollegen auf, die hier allerdings nur noch in sehr

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knapper Form benannt werden können. Ebenso wie die ersten drei Bände der Buchreihe von der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft unterstützt worden waren, sind alle späteren Bände der Deutschen Malerei der Gotik sowie Band 2 und 3 des Kritischen Verzeichnisses mit Druckkostenzuschüssen der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert worden, die dem Autor auch Forschungsreisen finanzierte. Weiterhin erhielt er private und institutionelle Unterstützung von verschiedenen Seiten und konnte zeitweise staatlich finanzierte Stipendiaten und Stipendiatinnen aus dem Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München für seine Arbeit einsetzen.35 – In der inhaltlichen Rezeption und der zustimmenden Zitation der Einzelergebnisse durch die nachfolgenden Autoren werden die ideologischen Konzepte nicht berührt. Die Herkunft und die politische Zuspitzung des Ansatzes werden durchgehend mit Schweigen übergangen, obwohl zumindest die gleichaltrigen Kollegen seine Vorstellungen vom »Werden« der deutschen Kunst und Geschichte durchaus verstanden haben müssen. Ob sie diese Überzeugungen teilten oder ob andere Gründe wie etwa die Kollegialität mit dem vom Hochschuldienst Suspendierten oder die Furcht vor dessen umfassendem Wissen über Personalvorgänge in der NS-Zeit hier ausschlaggebend gewesen sind, muss in zukünftigen Untersuchungen über die personalen Netzwerke noch geklärt werden. Bei einer heutigen wissenschaftlichen Konsultation der Buchreihe muss man sich allerdings Rechenschaft darüber ablegen, dass man nicht – an den ideologischen Zwecken vorbeisehend – die in der Deutschen Malerei der Gotik genannten Werke einfach im Sinne eines Corpus der Tafelmalerei in die eigene Forschung übernehmen kann, denn die Auswahl und die Bewertung der Tafeln dienten dem Nachweis einer einheitlichen nationalen gotischen Malerei auf einem »deutschen Kulturboden«. Dafür wurde eine Materialgrundlage für den behandelten geografischen Großraum durch die Hervorhebung beziehungsweise die qualitative Abwertung bestimmter Werke oder durch ihre Definition als »fremd« erst hergestellt. Die Homogenisierung des Stilbildes zog darüber hinaus die stillschweigende Exklusion aller stilistisch ähnlichen Werke außerhalb des avisierten deutschen Großreichs nach sich, so dass letztere im Text nicht einmal genannt, geschweige denn in die Untersuchung einbezogen wurden. – Die Isolierung der einzelnen Werke aus ihren konkreten Entstehungszusammenhängen hat in einem zweiten Schritt ein insgesamt ausgesprochen inhaltsarmes Mittelalterbild entstehen lassen. Sie führte dazu, die Tafeln, Retabel und Fragmente ausschließlich über den Stil miteinander zu verknüpfen und eine Stilentwicklung als »Geschichte« der Malerei zu präsentieren. Erst diese Herauslösung der Werke aus allen Handlungszusammenhängen ermöglichte es, ein unabänderliches, sich aus dem »Wesen« von Volk und Kultur entfaltendes Schicksal als Urheber geschichtlicher Entwicklungen auszugeben. Dass diese Vorstellung wie auch weitere Konzepte Alfred Stanges vorrational gesetzt wurden und methodisch defizitär sind, wird heute kaum noch bestritten werden können. Die lange Tradierung einer solchen

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Malereiforschung, in der die Menschen als handelnde – und damit die Geschichte gestaltende – Subjekte gar nicht vorkommen, zeigt aber die uneingestandene Faszination an solchen eindimensionalen Erklärungsmodellen.

1 Vgl. Alfred Stange: Deutsche Malerei der Gotik, 11 Bände, Berlin u. München 1934–1961 (im Folgenden DMG). – Für Hinweise und den interessanten Gedankenaustausch im weiteren Umfeld dieses Aufsatzes möchte ich sehr herzlich Sibylle Appuhn-Radtke, Ulrike Gärtner, Ralf Peters, Stephan Klingen und Christian Fuhrmeister danken. 2 Vgl. Alfred Stange: Die deutschen Tafelbilder vor Dürer. Kritisches Verzeichnis, 3 Bände, München 1967–1978, Bd. 2 und 3 hrsg. von Norbert Lieb (im Folgenden KV). 3 Vgl. Bernd Konrad u. Alfred Stange: Die deutschen Tafelbilder vor Dürer, Band II. Kritisches Verzeichnis mit Abbildungen und Ergänzungen. Interaktive Datenbank auf DVD, Selbstverlag 2009. Das Werk wird trotz seines hohen Preises und der z.T. fragwürdigen Qualität der Abbildungen in einzelnen Bibliotheken auch angekauft. 4 Zur Feststellung der methodischen Defizite der Kunstgeografie vgl. Reiner Haussherr: Kunstgeographie und Kunstlandschaft. Zum Stand der Diskussion, in: Kunst in Hessen und am Mittelrhein 9/ 1969, Beiheft, S. 38–44; id.: Kunstgeographie – Aufgaben, Grenzen, Möglichkeiten, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 34/1970, S. 158–171 sowie Harald Olbrich: Was bleibt nach der Demontage kunstgeographischer Mythen?, in: Lothar Lambacher u. Frank M. Kammel (Hrsg.): Die mittelalterliche Plastik in der Mark Brandenburg. Protokollband des Internationalen Kolloquiums, 2. bis 4. März 1989, Staatliche Museen zu Berlin, Bodemuseum; Berlin 1990, S. 7–11; ferner Gerd Simons: Kunst, Region und Regionalität. Eine wissenschaftstheoretische und exemplarische Studie zum Ertrag regionaler Perspektiven in der Kunstgeschichte, Aachen 2001, bes. Kap. 1, S. 17–80. 5 Vgl. etwa Katarzyna Murawska-Muthesius (Hrsg.): Borders in art. Revisiting »Kunstgeographie«. Proceedings of the Forth Joint Conference of Polish and English art historians, Warschau 2000; Robert Born, Alena Janatková u. Adam Labuda (Hrsg.): Die Kunsthistoriographien in Ostmitteleuropa und der nationale Diskurs, Berlin 2004 (Humboldt-Schriften zur Kunst- und Bildgeschichte 1); Simone Hespers: Kunstlandschaft. Eine terminologische und

methodologische Untersuchung zu einem kunstwissenschaftlichen Raumkonzept, Stuttgart 2007; Peter Kurmann u. Thomas Zotz (Hrsg): Historische Landschaft – Kunstlandschaft? Der Oberrhein im späten Mittelalter, Sigmaringen 2008; Iris Grötekke: Mittelalterforschung und wissenschaftliche Reform nach 1968: Kunstgeographie zwischen Kontinuität, Umkodierung und Auflösung; in: Martin Papenbrock u. Norbert Schneider (Hrsg.): Kunstgeschichte nach 1968, Göttingen 2010 (Kunst und Politik. Jahrbuch der Guernica-Gesellschaft 12), S. 99–116. 6 Exemplarisch seien einige wichtige Sammelbände genannt: Jutta Held u. Martin Papenbrock (Hrsg.): Kunstgeschichte an den Universitäten im Nationalsozialismus, Göttingen 2003 (Kunst und Politik. Jahrbuch der Guernica-Gesellschaft 5); Nikola Doll, Christian Fuhrmeister u. Michael H. Sprenger (Hrsg.): Kunstgeschichte im Nationalsozialismus. Beiträge zur Geschichte einer Wissenschaft zwischen 1930 und 1950, Weimar 2005; Martin Papenbrock (Hrsg.): Kunstgeschichte an den Universitäten in der Nachkriegszeit, Göttingen 2006 (Kunst und Politik. Jahrbuch der Guernica-Gesellschaft 8); Nikola Doll, Ruth Heftrig u. Olaf Peters (Hrsg.): Kunstgeschichte nach 1945. Kontinuität und Neubeginn in Deutschland, Köln 2006; Ruth Heftrig, Olaf Peters u. Barbara Schellewald (Hrsg.): Kunstgeschichte im »Dritten Reich«. Theorien, Methoden, Praktiken, Berlin 2008 (Schriftenreihe zur modernen Kunsthistoriographie, Bd. 1). Zum wissenschaftsgeschichtlichen Umfeld siehe Michael Fahlbusch: Wissenschaft im Dienst der nationalsozialistischen Politik? Die »Volksdeutschen Forschungsgemeinschaften« von 1931–1945, BadenBaden 1999; id.: Völkische Wissenschaften und Politikberatung im 20. Jahrhundert. Expertise und »Neuordnung« Europas, Paderborn 2010; Frank Rutger Hausmann: Deutsche Geisteswissenschaft im zweiten Weltkrieg. Die »Aktion Ritterbusch« (1940– 1945), Dresden 1993; id. (Hrsg.): Die Rolle der Geisteswissenschaften im Dritten Reich 1933–1945, München 2002. 7 Hier sind vor allem die Arbeiten von Nikola Doll zu nennen, von denen auch die vorliegende

28 IrIs Grötecke Studie profitiert hat. Vgl. Nikola Doll: Die »Rhineland-Gang«: Ein Netzwerk kunsthistorischer Forschung im Kontext des Kunst- und Kulturgutraubes in Westeuropa, in: Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste Magdeburg (Hrsg.): Museen im Zwielicht. Ankaufspolitik 1933–1945, Magdeburg 2002, erw. Aufl. 2007, S. 63–90; id.: Politisierung des Geistes. Der Kunsthistoriker Alfred Stange und die Bonner Kunstgeschichte im Kontext nationalsozialistischer Expansionspolitik, in: Burkhard Dietz, Helmut Gabel u. Ulrich Tiedau (Hrsg.): Der Griff nach dem Westen. Die »Westforschung« der völkischnationalen Wissenschaften zum nordwesteuropäischen Raum (1919–1960), Münster 2003, Bd. 2, S. 979–1015; id.: »[…] das beste Kunsthistorische Institut Grossdeutschlands.« Das Kunsthistorische Institut der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn im Nationalsozialismus, in: Doll/Fuhrmeister/Sprenger 2005 (wie Anm. 6), S. 49-60. 8 Metzler Kunsthistoriker Lexikon. Zweihundert Porträts deutschsprachiger Autoren aus vier Jahrhunderten (hrsg. von Peter Betthausen, Peter H. Feist u. Christiane Fork), Stuttgart u. Weimar 1999, s. v. »Stange, Alfred« (Peter Betthausen), S. 394– 397, S. 395. Die 2. erweiterte Auflage von 2007 veränderte diesen Passus nicht. 9 Vgl. zur Kunstgeografie und ihrer Kritik die Literatur in Anm. 4 und 5, zur Tagung 1933 vgl. Ludwig Heydenreich: Der XIII. Internationale Kongress für Kunstwissenschaft in Stockholm, in: Kunstchronik 2/1933, S. 410–414. 10 Vgl. Fritz Burger, Hermann Schmitz u. Ignaz Beth: Die deutsche Malerei vom ausgehenden Mittelalter bis zum Ende der Renaissance, Bd. I, 1 u. 2, Berlin 1913/1917 (Handbuch der Kunstwissenschaft). Stanges Rekurs auf Pinder führt bezüglich des kunstgeografischen Ansatzes in die Irre, denn dessen Interessen zielten weniger auf eine erschöpfende landschaftliche Gliederung, sondern vor allem auf eine exemplarische Thematisierung des psychologischen Ausdrucks und der Wirkung von Skulptur; vgl. Wilhelm Pinder: Die deutsche Plastik vom ausgehenden Mittelalter bis zum Ende der Renaissance, Bd. 1 u. 2, Potsdam 1924 u. 1929 (Handbuch der Kunstwissenschaft). Zu seiner Bewertung des Handbuches vgl. das Vorwort in Stange, DMG, Bd. 1, 1934, S. IX. 11 Auf Stanges Beziehungen zum 1920 gegründeten Institut für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande in Bonn verweisen schon Haussherr 1970 (wie Anm. 4), S. 160 f.; Doll 2002

(wie Anm. 7), S. 66 f. und Doll 2003 (wie Anm. 7), S. 996 f. In den Texten der Deutschen Malerei der Gotik gibt es jedoch kaum Hinweise auf diese Zusammenarbeit. Zur Theoriebildung und den Aktivitäten des Instituts selbst siehe die Beiträge von Martina Pitz, Hans-Paul Höpfner, Marlene Nikolay-Panter und Karl Ditt in: Dietz/Gabel/ Tiedau 2003 (wie Anm. 7). 12 Zur Kulturraumforschung im Überblick vgl. Thomas Kleinknecht: »Kulturraum« und »Volksboden« in der Wissenschaftskritik, in: Dietz/ Gabel/Tiedau 2003 (wie Anm. 7), S. 53–66. 13 Stange, DMG, Bd. 1, 1934, S. 15; dort wird auch das Konzept des »Raumstils« anhand der Kölner Malerei eingeführt, ibid., S. 11. 14 Ibid., S. 79-86. 15 Vgl. für die Konsequenzen exemplarisch das Kapitel Franken, in dem die frühesten erhaltenen Tafeln in Heilsbronn und Nürnberg aufgrund ihres »italienischen Erlebnisses« (gemeint ist die Rezeption von Stilformen des Klosterneuburger Altars) aus der fränkischen Tafelmalerei ausgeschieden wurden: »Ihre Art war nicht bodenständig und blieb Episode.«, Stange, DMG, Bd. 1, 1934, S. 201. Nur so ließ sich für die zeitlich nachfolgende, stilistisch anders orientierte Malerei ein einheitlicher Charakter der Kunstlandschaft Franken aufrecht erhalten. 16 Zu Böhmen vgl. ibid., S. 164–173, zu Tirol ibid., S. 210–213. 17 Ibid., S. IX 18 Ibid., S. XI. 19 Gestritten wurde um Elsass-Lothringen (1871 von Deutschland annektiert, 1919 an Frankreich gegeben), Böhmen (bis 1918 im Habsburgerreich, dann mit Mähren, Slowakei und Sudentenland Teil der Tschechoslowakischen Republik), Danzig und Westpreußen (Teile von Westpreußen wurden 1919 zur neuen Polnischen Republik geordnet, Danzig dem Völkerbund unterstellt) sowie Schlesien (Ostoberschlesien wurde 1921 ebenfalls dem neuen polnischen Staat nach Volksabstimmung zugeordnet). 20 Der Versailler Vertrag sprach 1919 ein Vereinigungsverbot zwischen Österreich und Deutschland aus, die österreichische NSDAP versuchte jedoch schon 1934, das Land mit einem (fehlgeschlagenen) Putsch an Deutschland anzuschließen. Ebenfalls 1919 sind der südöstliche Teil der Steiermark an Jugoslawien, Teile Kärntens nach einer Volksabstimmung 1920 ebenfalls

29 AlFreD stANGes BuchreIhe Deutsche Malerei Der Gotik an Jugoslawien und an Italien sowie der südliche Teil Tirols an Italien abgetreten worden. 21 Stange, DMG, Bd. 1, 1934, S. 1 f. 22 Vgl. Alfred Stange: Kunstwissenschaft, in: Deutsche Wissenschaft. Arbeit und Aufgabe, Festschrift zu Adolf Hitlers 50. Geburtstag, Leipzig 1939, S. 9–10; id.: Die Bedeutung des Werkstoffes in der deutschen Kunst. Mit einem Anhang über Stil, Geschichte und Persönlichkeit, Bielefeld u. Leipzig 1940. 23 Alfred Stange: Arteigene und artfremde Züge im deutschen Kirchengrundriss, in: Zeitschrift des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft II/1935, S. 229–252, S. 229. 24 Diese irrationale Komponente tritt auch in der Dissertation Paul Piepers klar zutage, die eine nachträgliche theoretische Grundlegung von Alfred Stanges Konzept der Kunstgeografie erarbeiten sollte und von diesem und Paul Clemen betreut wurde. Die Schrift endet mit einem Bekenntnis zum Staunen vor der Eigengesetzlichkeit der Entfaltung der deutschen Kunst. Vgl. Paul Pieper: Kunstgeographie. Versuch einer Grundlegung, Berlin 1936. 25 Vgl. Stange, DMG, Bd. 1, 1934, zu Hofgeismar S. 80-83, zum Hohenfurter Meister, S. 174– 180; siehe auch die Passagen zum Maler des Klosterneuburger Retabels, in dessen Seele Neigungen zur italienischen Kunst mit seinem angestammten nordischen Wesen gerungen haben sollten, vgl. ibid., S. 151–153. 26 Vgl. Alfred Stange: Deutsche Kunst um 1400. Versuch einer Darstellung ihrer Form und ihres Wesens, München 1923 (Dissertation 1921); id.: Die deutsche Baukunst der Renaissance, München 1926 (Habilitation 1925). 27 Eine Studie zu Alfred Stanges wissenschaftlicher Tätigkeit in den 1920er Jahren ist in Vorbereitung. 28 Zur wissenschaftlichen Vita vgl. die genannten Publikationen von Doll (wie Anm. 7),

zur Tätigkeit in Frankreich bes. Doll 2003, zum Entnazifizierungsverfahren Doll 2005, S. 55 f. 29 Für das Jahr 1950 sind vier Publikationen nachweisbar. Vgl. Alfred Stange: Der Marientod in der Marienkapelle, in: Kölner Domblatt 3/4/1950 (Doppelheft), S. 23–29; id.: Das frühchristliche Kirchengebäude als Bild des Himmels, Köln 1950; id.: Konrad von Soest als europäischer Künstler, in: Westfalen 28/1950, S. 101–106; id.: Konrad von Soest: Ausstellung im Schloss Cappenberg, in: Weltkunst 20–16/1950, S. 10. Danach erschienen parallel zur Arbeit an der Deutschen Malerei der Gotik und populären Texten zwischen drei und sechs weitere wissenschaftliche Publikationen pro Jahr. 30 Es gibt Indizien für eine Umstrukturierung und für Kürzungen des ursprünglichen Publikationsplanes, die in der Erreichbarkeit des Materials nach 1945 begründet gewesen sein könnten, die das Gesamtkonzept aber nicht veränderten. 31 Zu Südwestdeutschland vgl. Stange, DMG, Bd. 4, 1951, S. 1–4. Der letzte Band beinhaltet die Kapitel Wien und Niederösterreich, Steiermark, Kärnten, Oberösterreich, Slowenien, Danzig und Ostpreussen, Brandenburg, Krakau, dann Zips und Oberungarn sowie Siebenbürgen. 32 Vgl. Stange, DMG, Bd. 11, 1961, S. 1–3, und Stange, KV, Bd. 2, 1970, S. 7. 33 Vgl. Stange, DMG, Bd. 4, 1951, zu Konrad Witz S. 127–147, wo der Vergleich zu den Niederländern immer wieder gesucht wird; zu Lukas Moser ibid., S. 91–101, die Künstlerinschrift Jan van Eycks entstand ein (!) Jahr später. 34 Vgl. dazu auch verschiedene Beiträge in Papenbrock 2006; Doll/Heftrig/Peters 2006; sowie Heftrig/Peters/Schellewald 2008 (alle wie Anm. 6). 35 Vgl. vorläufig die Angaben in den Vorworten des Kritischen Verzeichnisses, hier steht eine Veröffentlichung der rekonstruierbaren Personennetzwerke noch aus.

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»Der gotische Mensch will sehen« Die Schaufrömmigkeit und ihre Deutungen in der Zeit des Nationalsozialismus

»Der gotische Mensch will sehen, auch wenn er betet«1 – in diesem Diktum des Historikers Heinrich Schiffers aus dem Jahr 1937 spiegelt sich weit mehr als nur ein uns heute befremdlich erscheinendes Gotikbild aus den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts.2 Allein der proklamierte »gotische Mensch« wirkt schon problematisch, doch fast noch mehr irritiert in diesem Zusammenhang sein besonderes Bedürfnis, nämlich das Bedürfnis des Sehens beim Beten. Ebenso wenig leuchtet die dafür von Schiffers genannte Ursache ein: der »Geist der Gotik«.3 Wenn auch die Terminologie des »gotischen Menschen« aus den 1920er und 1930er Jahren stammt und heute obsolet ist, hat sich die daran gekoppelte visuelle Konnotation erhalten. Bis heute wird in der kunsthistorischen Forschung von einem Bedürfnis nach Sehen gesprochen, das sich angeblich in dieser Epoche Bahn bricht. Dieses Bedürfnis nach Sehen beim Beten wird zumeist unter dem Begriff der »Schaufrömmigkeit« verhandelt. Diese »Schaufrömmigkeit« hat sich nicht nur längst vom ideologisch geprägten »gotischen Menschen« und dem gotischen Zeitgeist gelöst, sondern auch in den mediävistischen Disziplinen fest etabliert. Unter Schaufrömmigkeit versteht man heute, so Thomas Lentes, »den sehenden Kontakt mit gleich welcher Heilsmaterie – ob der geweihten Hostie bei der Elevation, den Reliquien bei der ostensio oder den Bildern«. Durch »heilbringende Schau« suchten sich spätmittelalterliche Fromme des Heils zu vergewissern.4 In Lexika und Handbüchern wird die Schaufrömmigkeit als historisches Faktum behandelt. So findet man im Lexikon des Mittelalters zum Lemma »Heiltumsweisung« folgende Erklärung: Das Aufkommen der Heiltumsweisungen im Spätmittelalter habe »mit der sich wandelnden Reliquienverehrung im Rahmen der ›gotischen‹ Frömmigkeitsentwicklungen zu tun. Die Liturgiewissenschaft nennt diesen Zug seit einem halben Jahrhundert ›Schaudevotion‹«.5 Aber nicht nur die Liturgiewissenschaft kennt die Schaudevotion, auch ein Historiker wie Peter Dinzelbacher verwendet in seinen Publikationen, zum Beispiel dem Handbuch der Religionsgeschichte im deutschsprachigen Raum, Begriffe wie Schaufrömmigkeit, Schaufreudigkeit, Schaubedürfnis oder schlicht Schau, um bestimmte visuelle Frömmigkeits-

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formen zu charakterisieren.6 In der mediävistischen Germanistik ist diese Auffassung ebenfalls verbreitet. So bezeichnet Horst Wenzel in seinem Werk Sehen und Hören, Schrift und Bild die Laienfrömmigkeit des hohen Mittelalters als Schaufrömmigkeit.7 Diese heute üblichen allgemeinen Definitionen und Anwendungen des Begriffs können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Formel von einer »gotischen Schaufrömmigkeit« ein interessengeleitetes Konstrukt darstellt. In einem hochgradig ideologisch aufgeladenen Kontext entstanden, war es Projektionsfläche und Instrument unterschiedlicher Vorstellungen und Verwendungen. Eine kritische Revision des Begriffs, seiner Entwicklung und seines Entstehungskontextes ist vonnöten. Das an die Schaufrömmigkeit geknüpfte Ideenkonglomerat, gewoben aus einem angeblich neu aufkeimenden Sehbedürfnis und einer Stil- und Epochenbezeichnung, der Gotik, war zum Zeitpunkt seines Entstehens gegen Ende des 19. Jahrhunderts alles andere als neutral und wertfrei. Fixpunkt dieses als neu proklamierten Sehbedürfnisses war die Ära des ausgehenden Mittelalters, die Gotik. Der Epochenbegriff »Gotik« wurde vielfach politisch in Anspruch genommen.8 Die sich schon im 19. Jahrhundert anbahnende, mit der Gründung des Deutschen Kaiserreichs weitgehend etablierte nationale Vereinnahmung der gotischen Epoche sollte sich in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts im Sog eines militanten Nationalismus, der zunehmend totalitäre Züge annahm, weiter zuspitzen.

Die Gotik im deutsch-nationalen Diskurs Die Diskussion um den Begriff »Gotik« und den »gotischen Menschen« sei an den Werken von zwei in den 1920er und 1930er Jahren äußerst populären Autoren exemplarisch aufgezeigt. Hier zeichnen sich bestimmte Tendenzen ab, die sich später problemlos in die nationalsozialistische Ideologie eingliedern ließen, wenn sie auch zunächst nur deutsch-national gefärbt waren. Die Rezeption dieser und anderer Schriften fiel, wie in einem weiteren Schritt gezeigt werden soll, in nationalistisch orientierten katholischen Kreisen auf fruchtbaren Boden. Diese bürgerlichen, aber vor allem monastisch katholischen Kreise waren die Geburtshelfer der »gotischen Schaufrömmigkeit«. Zunächst aber ein Blick auf das in der Zeit der Weimarer Republik geprägte Verständnis von »Gotik« und »gotischem Mensch«. Wilhelm Worringer, bis 1945 Lehrstuhlinhaber in Königsberg, publizierte zwar zwischen 1933 und 1945 keine Zeile,9 beteiligte sich aber in seiner 1911 publizierten und vielfach aufgelegten Habilitationsschrift Formprobleme der Gotik an der völkisch-national gefärbten Debatte um den Gotikbegriff. Worringer versteht Gotik zwar nicht als Epochen- oder Stilbegriff, sondern als »zeitlose, universal wirkende Kraft«10, dennoch wird in seiner Schrift ein nationales Anliegen deutlich. So charakterisiert er den »gotischen« als »nordischen« Menschen und unterscheidet ihn vom »klassischen«, griechischen Menschen.11 Gotik sei, so Wor-

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ringer 1911 in seinem Resümee, »im tiefsten Grunde eine Rassenerscheinung, die in der innersten Konstitution der nordischen Menschheit verwurzelt ist und deshalb auch durch die nivellierende europäische Renaissance nicht entwurzelt werden konnte.« Einige Sätze weiter beschließt er den Passus mit den Worten: »Denn die Germanen […] sind die conditio sine qua non der Gotik.«12 Was sich als »Andienen an völkische Kreise« liest, kann, und darauf hat Peter Cornelius Claussen aufmerksam gemacht, als Versuch gelesen werden, »die sich widersprechenden Thesen einer Gotik als deutsch-nationalem Stil und einer Gotik als universaler Kraft in Einklang zu bringen«.13 Dieser Verstrickung erliegt auch ein weiterer Bestseller, der 1917 publiziert, in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg noch höhere Auflagen erzielte als Worringers Schrift.14 Es handelt sich um den Band Der Geist der Gotik des Kunstpublizisten Karl Scheffler. Ohne Worringer zu nennen, greift er auf dessen Ideen zurück und setzt seinen Gotikbegriff in Gegensatz zur klassischen Kunst: »Der gotische Geist tritt überall, wo er sich manifestiert, befruchtend, revolutionierend auf, aber er muß das Harmonisieren, er muß die Kultur des Glücks dem weiblichen griechischen Geist überlassen. Er steht so recht in seiner Glorie da in unruhigen Zeiten, wenn neue Ideen gären, wenn Probleme zu lösen und Aufgaben gewaltsam zu bewältigen sind. Ihm ist die Heroenzeit des Geistes gemäß.«15

Nach Scheffler ist es der Künstler, dessen »schöpferische Kühnheit« die Gotik präge.16 Allerdings relativiert Scheffler diesen Gedanken wieder: bei der gotischen Kathedrale weise zwar alles einzelne auf etwas Individuelles, sie sei aber ein Gemeinschaftswerk, hinter dem »einigend ein großer, leidenschaftlicher Kollektivwille« stehe.17 Auch Scheffler, nicht frei von nationalistischen Tönen, verortet die Heimat des »Geistes der Gotik« im Norden: »Die Rasse, die die neue Formenwelt geschaffen hat, wohnte in den nördlichen Ländern Europas […].Dieser Gedanke [der Gedanke des Gotischen] ist germanischen, in engerem Sinne fränkischen Ursprungs.«18 Die von Scheffler ins Spiel gebrachten Stichwörter Gemeinschaft und Kollektiv erfreuten sich in nationalkonservativen katholischen Kreisen der Zwischenkriegszeit großer Beliebtheit. Dort entstand das Konzept der Schaufrömmigkeit mit einer anderen Bewertung der Gotik. In diesen Kreisen gab man der Romanik den Vorzug vor der Gotik. Heinrich Lützeler, ab 1934 zunächst Privatdozent, nach dem Zweiten Weltkrieg bis zu seiner Emeritierung 1970 Professor für Kunstgeschichte an der Universität Bonn, lieferte aus kunsthistorischer Perspektive den ideologischen Nährboden für das Romanik- und Gotikverständnis jener konservativ-katholischen Bewegung, die in Deutschland als »Liturgische Bewegung« bekannt wurde. Lützeler selbst gehörte der Bewegung Renouveau catholique (katholische Erneuerung) an, die ähnliche Ideen wie die Liturgische Bewegung vertrat.19 In der von Romano Guardini, einem der führenden Persönlichkeiten der Liturgischen Bewegung,

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herausgegebenen Zeitschrift Die Schildgenossen publizierte Lützeler im Jahrgang 1933/34 einen Aufsatz mit dem Titel Das Selbstbild des Deutschen in der christlichen Kunst.20 Im Gegensatz zu vielen anderen Kunsthistorikern seiner Zeit band er seine völkischen Gedanken nicht an die Gotik, sondern an die Epoche der Romanik. Voraussetzung war für Lützeler ein deutscher »Gottesstaat«. Sein Merkmal sei »die Festigkeit im Stammlichen. Es ist ja klar, daß die christliche Kunst eine stammlich gebundene Kunst ist, die stets die Grundwerte von Blut und Boden selbstverständlich geachtet und viele Hochbilder deutscher Rassigkeit geschaffen hat«.21 Dieser Staat müsse von einer »rassisch edlen«, »voranschreitenden Elite« gelenkt werden.22 Als weltlicher Herrscher, der diesen auf Gott ausgerichteten Staat führt, komme, so Lützeler, nur »der Beste seines Volkes, der Edelste der Rasse nach, der Tapferste in der Willenskraft, der Träumerischte in der Seele, der Demütigste im Geist« in Frage.23 Sein steingewordenes Bild schien ihm der Bamberger Reiter, das »Sinnbild des klassischen Deutschen«.24 Viele von Lützerlers Ideen sind mit der nationalsozialistischen Ideologie kompatibel, wenn auch sein Gedanke eines auf Gott gründenden Staates ihn bei den Nationalsozialisten verdächtig machen musste. Als Sinnbilder einer deutschen Volksgemeinschaft galten ihm besonders die rheinischen Dome. Zugleich kennzeichnet er die Gotik als individualistisch und spricht sich für die romanische Kirchenarchitektur aus, die ihm eine »steinerne Staatsgemeinschaft im Kirchenbau«25 war: »sie versinnbildlichen geradezu eine Ordnung von Staat und Gemeinschaft; sie stellen unserem Volk eine großartige Gliederung der Schichten und Stände als Aufgabe vor Augen. Die Gliederung wird deutlich von dem am Innen- wie Außenbau ablesbaren Verhältnis des Teils zum Ganzen. Es sind nicht primär Einzelheiten gegeben, die sich individualistisch hervordrängten; es ist auch nicht Räumen für Einzelbeter wie im gotischen Kapellenkranz […] Einfluß gelassen. […] Sie [die Kirche] hält sich sowohl vom Individualismus wie von der Unterdrückung des Einzelnen durch das Ganze fern. Jeder Einzelteil ist ganz und ausgeprägt er selber, gleichwohl eingeordnet ins Ganze. Welch ein wunderbares Sinnbild der Volksgliederung – gegen die beiden Krankheiten unserer Zeit, den Individualismus und die Vermassung: der einzelne frei und selbständig im wohlgeordneten Ganzen lebend! Dies Ganze baut sich hierarchisch, d. h. in einer gestuften Ordnung auf, in der alles einzelne auf den Hauptaltar zielt.«26

»Die tiefste staatliche Sehnsucht unserer Zeit« drücke sich, so Lützeler, in den romanischen Kirchen aus.27 Ganz offensichtlich versucht Lützeler wie viele andere Christlich-konservative dieser Zeit christliche Weltanschauung und nationalsozialistische Wertvorstellung miteinander zu verknüpfen. Als Kunsthistoriker goß er diesen Versuch in das Bild der romanischen Kirchenarchitektur, die er in Maria Laach oder Kölns romanischen Kirchen verwirklicht sah.

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Maria Laach und die Schaufrömmigkeit Dieses ideologische Gedankengut wurde von der national-konservativen katholischen Liturgischen Bewegung geteilt,28 deren Zentrum in der von Lützeler favorisierten Benediktinerabtei Maria Laach lag, die nicht nur eine monastische Gemeinschaft war, sondern auch ein Treffpunkt katholischer Akademiker.29 In den Gemeinden fungierte die Liturgische Bewegung als Vermittlungsorgan liturgischer Reformideen, die dort sogleich große Durchschlagskraft entfalteten, so dass der Kirchenhistoriker Arnold Angenendt feststellen kann: »In ganz Deutschland erreichte das kirchliche Leben […] im Jahre 1934 seinen absoluten Höhepunkt.«30 Diese Strömung war keineswegs unpolitisch, denn – so der Soziologe Arno Klönne – »in den Jahren um 1933 [kam es] zu einer Mischung von kirchlicher und politischer Symbolik, deren Tragweite bis heute kirchengeschichtlich gern verschwiegen oder beschönigt wird. Gottesdienst, völkische Mythologie und soldatische Leitbilder gerieten ins Unentwirrbare«.31 Einer der führenden Köpfe dieser Bewegung war der einflußreiche und kunstsinnige Abt von Maria Laach, Ildefons Herwegen.32 Er kann als spiritus rector des Theorems der gotischen Schau und ihrer spezifischen Frömmigkeit gelten. Zu seinem Freundeskreis gehörten der Passauer Historiker Anton Mayer und der Theologe und Religionsphilosoph Romano Guardini. Ildefons Herwegen war schon in der Weimarer Republik und zu Beginn der Diktatur der nationalsozialistischen Ideologie verbunden. Er bediente sich sogar ihres Vokabulars, etwa in Veröffentlichungen mit Titeln wie Weihe der Volksgemeinschaft durch die Kirche (1928) oder schlicht Führertum (1934).33 Schließlich bezeichnete Herwegen im Mai 1933 »Adolf Hitler als einen großen Führer und als Vater der Nation«; wenig später, im Juli 1933, behauptete er auf einer großen Tagung des Katholischen Akademikerverbandes mit hochkarätigem Publikum – unter anderem war der ehemalige Reichskanzler und amtierende Vizekanzler Franz von Papen anwesend: »Was auf religiösem Gebiet die liturgische Bewegung ist, ist auf politischem Gebiet der Faschismus.«34 Seine in einem Brief vom 1. März 1933 bekundete Auffassung, »die nationalsozialistische Partei habe kein kirchenfeindliches Programm«,35 sollte er allerdings in den nachfolgenden Jahren als Irrtum erkennen.36 Der seinerzeit prominente Abt stand gesellschaftlich weit oben. Um Maria Laach versammelte er einen »losen Kreis von Ideologen und Politikern, die sich für einen an mittelalterlichen Vorbildern orientierten autoritären Ständestaat einsetzen wollten«.37 Auch Fritz Thyssen gehörte diesem Kreis an.38 In diesen konservativ-kirchlichen Kreisen griff man nicht nur die nationalsozialistischen Ideen gern auf, hier wurde auch die Idee der Schaufrömmigkeit geboren. In Maria Laach schätzte man romanische Architektur und byzantinische Mosaikkunst, in der sich das »Gemeinschaftsleben der Christen«39 spiegele, aber auch »Gemeinschaft durch gemeinsame liturgische Betätigung«40 entstehe. Im Gegensatz zur Romanik kenne die Gotik »denn auch keine Raum-

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bildung mehr, die der Ausdruck der liturgischen Gemeinschaftsauffassung wäre«.41 Abt Herwegen lehnte die Gotik als »individualistische Kunstäußerung« dezidiert ab,42 habe sie doch zur »Selbständigkeit des subjektiven Elementes geführt«.43 Vor diesem Hintergrund entwickelte Herwegen 1926 eine neue Deutung mittelalterlicher Andachtsfrömmigkeit, die in dem von ihm und dem Maria Laacher Kreis nicht geschätzten Zeitalter der Gotik entstanden sei. Diese Art der Frömmigkeit ist ihm Ausdruck eines verderblichen Individualismus: »Ein menschliches Ergreifen des Heiligen, das Schauen, wird zu einem wichtigen Moment der Andacht. Der bisher geschlossene Reliquienschrein wird geöffnet, die Metallwand durch Glas ersetzt, Schaugefäße: Ostensorien, Monstranzen treten als neue kirchliche Geräte auf. Auch des eucharistischen Christus will man durch Schauen teilhaftig werden. […] Die mit dem 12. Jahrhundert aufkommende Elevation der Wandlung dient dem gleichen Zweck: ›der Schau‹. […] Die aktive Teilnahme an der eucharistischen Feier war fast ganz verschwunden.«44

Individuelle Schau und Schauen kennzeichnen nach Herwegen spätmittelalterliche Frömmigkeitsübung und stehen für eine Entwicklung, in der sich die sichtbare Dekadenz der gotischen Epoche spiegele, der »die Kirche […] in ihren [wahren] Vertretern lange widerstanden« habe.45 Diese Idee fiel auf sehr fruchtbaren Boden. Zunächst machte es sich der Historiker Anton L. Mayer zur Aufgabe, Herwegens Thesen Popularität zu verschaffen. Mayer war mit dem Maria Laacher Kreis verbunden und lehrte ab 1930 als Professor für Geschichte und Kunstgeschichte an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Freising, ab 1938 bis zu seiner Emeritierung 1956 in Passau.46 1938 publizierte Mayer einen Beitrag in der Festschrift zum silbernen Amtsjubiläum Herwegens als Abt von Maria Laach mit dem Titel Die heilbringende Schau in Sitte und Kult.47 In diesem später viel zitierten Aufsatz erklärte er Herwegen zum Urheber des Begriffs der Schaufrömmigkeit: »Es war wohl eine der Schriften von Ildefons Herwegen, die zum erstenmal in einem großen, liturgiegeschichtlichen Zusammenhang die Bedeutung des körperlichen Schauens als eines neuen kultbildenden und frömmigkeitswandelnden Faktors innerhalb des Mittelalters und des Abendlandes betonte und gleichzeitig treffend charakterisierte.«48

Auf Grundlage der von Herwegen angestoßenen Debatte über die ästhetische Qualität der Liturgie49 vollzog sich eine neue Bewertung liturgischen Sehens. Anton Mayer unterschied 1938 in direktem Anschluss an Herwegen drei Arten des visuellen Wahrnehmens:50 Die erste Art des Schauens, als Glaubens- oder Mysterienschau bezeichnet, bezieht sich auf die Messe. Im Altarsakrament vergegenwärtigt sich Tod und Auferstehung Christi, was den (inneren und äußeren) Augen die volle Bedeutung des Sakraments erschließt.51

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Im Idealfall vollzieht sich diese Schau als Gemeinschaftserlebnis einer um den Altar versammelten (Mönchs)gemeinde. Gemäß der in Maria Laach entwickelten Vorstellungen trat bereits im Hochmittelalter eine Pervertierung dieser Glaubensschau ein, indem das gläubige Sehen von der Gemeinschaft gelöst und Sache des Einzelnen wurde. So entstand – zweitens – das individuelle Schauen der Mystiker. Als Zeugnisse der Kunst gelten Herwegen (und im Anschluss Mayer) in diesem Zusammenhang Andachtsbilder wie der Schmerzensmann.52 Drittens entstand das ebenso individuell von den Laien praktizierte sensationslüsterne Blicken auf das Heilige – die Schaufrömmigkeit. Von einem Seh- und Schaubedürfnis getrieben, trachteten gemäß dieser Vorstellungen die Gläubigen danach sich magisch wirksame heilige Gegenstände – etwa Reliquien oder die elevierte Hostie – optisch einzuverleiben. Die hehre, innere, in der Gemeinschaft vollzogene Glaubensschau degenerierte zu einer rein äußerlichen, körperlichen Schau, die sich diesem Theorem zufolge im späteren Mittelalter, also der Gotik, ausbreitete. Anton Mayer bezog 1938 den Begriff der Schaufrömmigkeit oder Schaudevotion auf die pervertierte Schaulust des Volkes, um so die Frömmigkeit im Zeitalter der auch von ihm nicht geschätzten Gotik zu erklären. Die (vermeintlich) in der Gotik grassierende individualistische Schaufrömmigkeit galt ihm und den von der Liturgischen Bewegung Beeinflussten als dekadent, subjektiv und einzelnen Objekten – wie etwa der Reliquie – verhaftet. Dieser »Drang zum Sehen«53 (Sedlmayr) in der Gotik schien Mayer auch jenem nach kollektiver Bindung strebenden Zeitgeist nicht gemäß, der nicht zuletzt auch von den Nationalsozialisten propagiert wurde: »Wir können aber auch feststellen, […] daß es sich bei der Schausehnsucht und Schaulust gegenüber den heiligen Dingen […] um ein Verlangen des Zeitgeistes, also einer zunächst außerkirchlichen, rein menschlichen, an die Masse gebundene Macht handelt.«54

Mayer stand mit solchen Äußerungen nicht allein. So behauptete 1937 der eingangs erwähnte Heinrich Schiffers im Zusammenhang mit Heiltumsweisungen: »Der gotische Mensch will sehen, auch wenn er betet«,55 um dann den »Geist der Gotik« für diesen Wandel verantwortlich zu machen. Der in den 1930er Jahren entdeckte »gotische Mensch« ist, dem »Zeitgeist der Gotik« verpflichtet, einsames Glied einer »Masse«, die keinen lebendigen Gemeinschaftsgeist besitzt, sondern nur noch aus Einzelnen besteht. In der Zeit des ausgehenden Mittelalters, so lautet die These, sei der Wille zur Gemeinschaft zerbrochen. Übrig bleibt der Einzelne. Seine Seh- und Schaulust ist individualistisch; sie orientiert sich nicht mehr an der männerbündischen geistlichen Elite der Klöster, ihrem spirituellen Führertum und ihrer gemeinschaftsbildenden Liturgie. Wahre Gemeinschaft ist mit der Romanik verbunden – eine These, die von Kunsthistorikern wie Heinrich Lützeler unterstützt wurde.

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Gemeinschaft in Kirche und Nationalsozialismus Das in Maria Laach und der Liturgischen Bewegung an das Zeitalter der Romanik geknüpfte Bild einer Gemeinschaft fand ihr Pendant in nationalsozialistischem Gedankengut. Neben der gemeinsamen deutschnationalen Ausrichtung war es ein wesentliches ideelles Bindeglied zwischen beiden Bewegungen. Der Gemeinschaftsbegriff wurde zwar inhaltlich unterschiedlich gefüllt, wies aber dennoch beachtliche strukturelle Übereinstimmungen auf. Gemeinschaft bedeutet, so das Historische Wörterbuch der Philosophie, »allgemein ein Verbandsverhältnis von Personen auf der Grundlage eines gemeinsamen Verhältnisses zu Sachen. Daneben kann das Wort alle anderen, insbesondere sach- und zweckfreien Weisen menschlichen Zusammenlebens bezeichnen«.56 Sowohl die Liturgische Bewegung als auch die Nationalsozialisten stellten die Gemeinschaft über das Individuum, welches sie als Glied der Gemeinschaft ansahen, in das es sich einzuordnen hatte. Kirche und Volk stehen höher als der Einzelne. Die Kirche, insbesondere ihre liturgische Versammlung, galt der Liturgischen Bewegung als vorrangige Gemeinschaft.57 Die als zentral angesehene Liturgie erfülle »das Verlangen nach wahrer Gemeinschaft, objektiver Norm und Geistigkeit«; in ihr erlebe man »die Gemeinschaft aller in Christus«, was schließlich in dem Wunsch nach »Befreiung vom eigenen Ich und Heimkehr zum Herrn« münde.58 Individualismus stehe dem Gemeinschaftserleben der Liturgie, wie es bei den »alten Christen« gepflegt wurde, entgegen, denn: »Zu sehr lagert der Geist des Individualismus, der Zersplitterung in lauter Einzelwesen auf der gesamten Kultur, als daß wir die Kirche als Gemeinschaft so tief innerlich erlebten wie die alten Christen.«59 Nach Ildefons Herwegen durfte die Messe nicht mehr Anlass für individuelle Andachtsübungen der Besucher sein; vielmehr musste eine feiernde Gemeinschaft gestiftet werden. Diese sollte durch gemeinsames Singen entstehen. Wenn sich die ganze Gemeinde am Gesang beteiligt, mag vielleicht der Vortrag an Qualität verlieren, doch er würde, so Herwegen, »gewiß an Eindrucksfähigkeit infolge der Gemeinschaftsübung gewinnen«.60 Diese 1924 geäußerten Gedanken zu Gemeinschaft und Individualismus ließen sich ohne große Mühe mit nationalsozialistischen Ideen verbinden. Als Beleg mag die 1934 erschienene Schrift Katholische Kirche und deutsches Volkstum dienen; dort schreibt der Verfasser, Wilhelm Berning, Bischof von Osnabrück: »Lange genug hat in der Geschichte der Völker der Individualismus […] die Menschen beseelt. Jetzt gilt es, die ganze Aufmerksamkeit und Kraft auf die Förderung des Gemeinwohls zu richten. Gemeinwohl heißt Bindung an die Gesamtheit der Menschen, der Dinge und der Ideen. Es heißt Rückkehr zu den Bindungen des Blutes, d.h. der erbbiologischen Zusammenhänge, wie zu den Bindungen des Geistes.«61

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Dem Erhalt »deutschen Volkstums« dient nach Berning der Einfluss des (katholischen) Christentums auf dessen Keimzelle, die christliche Familie: »Solange das Familienleben gesund ist, solange in ihm die Schönheit des Zusammenseins überhöht und vertieft wird durch den Opfersinn der Religion, solange muß auch ein Volkstum blühen, das wir einem größeren organischen Gebilde vergleichen können, in dem das Ganze von den einzelnen Zellen abhängt. Wer die stärksten Kräfte bereitstellt für die Reinerhaltung des christlichen und deutschen Familienlebens, der verdient den ersten Rang in der Leistung für das Volkstum.«62

Dieser erste Rang gebührt nach Ansicht Bischof Bernings selbstverständlich der Katholischen Kirche, die, gesichert durch das Reichskonkordat von 1933, sich von der »vergangenen liberalistischen Kulturepoche« löst und zum neuen Staat steht.63 Wörtlich zitiert der Bischof Adolf Hitler und überläßt ihm sogar das Schlusswort: »Der Kampf gegen eine materialistische Weltauffassung und für die Herstellung einer wirklichen Volksgemeinschaft dient ebenso sehr den Interessen der deutschen Nation wie denen unseres christlichen Glaubens.«64 Tatsächlich wurden Christentum und Kirche von Hitler zunächst vor allem in Hinblick auf die Reichsbildung und Volkwerdung der Deutschen begrüßt.65 Durch Äußerungen dieser Art und das 1933 geschlossene (heute noch geltende) Reichskonkordat sah die Katholische Kirche ihre Interessen gesichert – eine Fehleinschätzung, wie sich später herausstellen sollte. Kirche und Staat betrachteten sich in je eigener Weise als Gestalter einer Gemeinschaft. Dabei sah sich die Kirche nicht nur als Glaubensgemeinschaft, sondern auch in der Verantwortung für die Sicherung einer (erb)gesunden deutschen Volksgemeinschaft sowie einer Sprach- und Kulturgemeinschaft.66 Diese Gemeinschaften, insbesondere die begriffliche Bestimmung der Volksgemeinschaft, waren zugleich ein zentrales Anliegen nationalsozialistischer Ideologie. Volksgemeinschaft wurde zur »tragenden Grundlage der Existenz des Volkes erhoben. Volks-Gemeinschaft ist zuerst rassisch-völkisch gegründete Schicksalsgemeinschaft, aus der Wehr-Gemeinschaft und Arbeits-Gemeinschaft folgen«.67 Unmissverständlich wurde schon in den frühen 1930er Jahren deutlich gemacht, dass Gemeinschaft nach Maßstäben der Disziplin geordnet und nach dem Prinzip »Führer und Gefolgschaft« strukturiert ist.68 Innerhalb der Gemeinschaft ist der Einzelne, wie Adolf Hitler in einer Rede zum Erntedankfest 1937 betonte, »nur ein Teil eines gesamten Größeren«.69 Der durch Disziplin und Führerschaft geprägte Gedankenkreis war den Mönchen von Maria Laach, aber auch dem Weltklerus, durchaus vertraut, waren doch diese selbst streng hierarchisch organisiert und auf eine Führergestalt – Christus – ausgerichtet. Auf dem Katholikentag von 1933 formulierte der schon genannte Bischof Berning: »In unserer heiligen katholischen Kirche haben wir das Führerprinzip bereits von dem Stifter unserer Kirche Jesus Christus erhalten.«70 Wie von Seiten der Kirche der Gedanke des Führertums aufgegriffen wurde, bedienten sich die Nationalsozialisten des kirchli-

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chen Vokabulars. So übernahmen sie den Ordensgedanken in ihre (Partei) Ideologie, den sie als »eine durch die Grundsätze des Führertums und der Kameradschaft in Glauben und Gehorsam eng zusammengeschlossene Gemeinschaft« definierten.71 Sowohl Kirche und Klerus als auch die Nationalsozialisten empfanden sich als elitäre Kräfte mit hierarchischer Struktur und einem Gemeinschaftsbild, das auf einen Führer hin ausgerichtet war und das Individuum zurückdrängte. Zwar wurde die Führergestalt jeweils anders besetzt, doch wiesen Struktur und Organisation Parallelen auf. Innerhalb der Liturgischen Bewegung und von Kunsthistorikern wie Heinrich Lützeler, die diesen Ideen verpflichtet waren, wurden die gotischen Sakralräume zwar als Gemeinschaftsräume erkannt, doch lebten sich gemäß ihrer Vorstellungen in ihnen individualistische Bestrebungen aus, die sich unter anderem in einem »Wunsch nach Schau«, nach dem Sehen des Heiligen, ausdrückten. Für sie waren hochmittelalterliche, romanische Kirchenräume das adäquate Abbild einer Gemeinschaft.72 Diese negative Bewertung der Gotik wurde jenseits dieser konservativ-katholischen Kreise ignoriert. Mittelalterliche Sakralarchitektur, verkörpert in den prominenten deutschen Domen, galt Adolf Hitler als Symbol einer deutschen Volksgemeinschaft.73 Sie waren die »erhebenden Dokumente eines Gemeinschaftslebens«74, an deren Stelle allerdings nunmehr als Signum einer neuen, nationalsozialistischen Gemeinschaft die Parteibauten der NSDAP treten sollten, so die Meinung eines NS-Oberbaurats im Jahr 1941.75 Diese, wie viele Gedanken des Nationalsozialismus, waren schon weit vor 1933 populär. So sprach Karl Scheffler 1917 bereits von dem »Charakteristikum des Geistes der Gotik überhaupt: er lebt sich in Massenkundgebungen aus«.76 Die Politisierung der Sakralbauten im Nationalsozialismus und deren gemeinschaftsformende Wirkung wurden von einigen der führenden Kunsthistoriker des Dritten Reiches propagiert und auf ein akademisch-wissenschaftliches Fundament gestellt. So galt zum Beispiel Alfred Stange das einheitliche Raumbild der gotischen Hallenkirche als Abbild »gleichberechtigter Kameradschaft«.77 Auch die beiden einander auf dem Münchener Lehrstuhl für Kunstgeschichte nachfolgenden Kunsthistoriker Wilhelm Pinder und Hans Jantzen äußerten sich entsprechend.78 Pinder sah in den mittelalterlichen Kirchen »deutschbürgerlichen«79 Zusammenhalt demonstriert, und Jantzen sprach vom »bürgerlichen Gemeinsinn und städtischem Selbstbewußtsein«, der in ihnen zum Ausdruck käme.80 In diese (positive) Bewertung der Gotik und ihrer Sakralbauten floss die von Herwegen entwickelte und von Mayer propagierte, aus einem negativen Gotikbild geschöpfte Idee der Schaufrömmigkeit ein.

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Schaufrömmigkeit in der kunsthistorischen Forschung 1938 wertete Anton Mayer im Gefolge von Herwegen die Gotik ab und geißelte die in dieser Zeit aufkommende Schaufrömmigkeit, die sich in den gotischen Kirchen mit ihrer spezifischen Raumgestalt auslebte, als individualistisch.81 Das Wegfallen der Krypten sei dem »Schauenwollen« geschuldet: die Reliquien würden sichtbar (in Reliquiaren) auf dem Altar plaziert und nicht mehr in Krypten aufbewahrt.82 Dieses gedankliche Konstrukt, gesponnen aus einem Gemeinschaftsideal, einem postulierten »Willen zum Sehen« und der Ablehnung der Gotik als Epoche und Stil konnte sich nicht durchsetzen. Bereits in den 1930er Jahren wurde es sehr verkürzt wiedergegeben, wenn zum Beispiel Heinrich Schiffers lediglich davon spricht, dass »der gotische Mensch sehen will«. In diesem Ausspruch schwingen auch völkische Untertöne mit, wurde der »gotische Mensch« doch vielfach mit dem »deutschen« Menschen gleichgesetzt, da die Kunst der Gotik in der Zeit des Nationalsozialismus vor allem als deutsche Kunst verstanden wurde.83 Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahmen zunächst Hans Sedlmayr und Hans Jantzen in ihren Publikationen zur gotischen Kathedrale die in den 1930er Jahren durch Herwegen und Mayer entwickelten Vorstellungen vom Wandel zur Schaufrömmigkeit im späten Mittelalter. Allerdings sparen sie dabei die negative Bewertung des »Wunsches nach Schau«84 aus und benutzen das Theorem der Schaufrömmigkeit nur noch, um bestimmte bauliche Veränderungen im Kathedralbau zu erklären. Der konservative österreichische Katholik und Nationalsozialist Hans Sedlmayr, von 1936 bis 1945 Ordinarius für Kunstgeschichte an der Universität Wien, hatte ab 1951 als Nachfolger von Hans Jantzen bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1964 den Lehrstuhl in München inne.85 Bereits in den 1940er Jahren bereitete er eine Studie vor, die er aber erst nach seiner Entlassung aus dem Universitätsdienst (1946) im Jahr 1950 publizieren konnte: den bis in die neunziger Jahre aufgelegten wissenschaftlichen Bestseller Die Entstehung der gotischen Kathedrale. Sedlmayr beruft sich darin auf Herwegen und Mayer, deren Gedankengut bei ihm immer wieder anklingt.86 So spricht er davon, »wie sehr in der Kathedrale alles von der ›Schau‹ bestimmt ist«, auch gehe »der aufkeimende neue Wille zum Lichtraum Hand in Hand […] mit dem Bedürfnis nach der Schau des Heiligen, die sich auf alles erstreckt: auf die Hostie, auf die Reliquien, auf den Charakter der Bilder, und in der Kathedrale auch auf das gebaute Himmelsbild, das Kirchengebäude«.87 Auch Hans Jantzen, seit 1935 bis zu seiner Emeritierung 1951 Nachfolger von Wilhelm Pinder auf dem Lehrstuhl für Kunstgeschichte in München, folgte dieser Spur.88 Ebenso wie sein Amtsnachfolger Sedlmayr89 konstatiert er in seinem 1957 erstmals erschienenen und 1987 zuletzt aufgelegten (und immer noch erhältlichen) Werk Kunst der Gotik eine »Wandlung in der Frömmigkeit«, der er ein ganzes Kapitel widmet.90 So schreibt er, dass »die Chorarchitektur der gotischen Kathedrale […] dem Schauverlangen mit einer

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gesteigerten Machtentfaltung im Aufstieg des farbig erglühenden Raumes weit entgegen« komme.91 Jantzen beruft sich in seinen Ausführungen auf Josef Andreas Jungmann, der seinerseits in seiner weit rezipierten Geschichte der Messe Missarum Sollemnia 1948 das Diktum vom »Schauverlangen« übernimmt.92 Die Infiltration des »Schauverlangens«, des »Drangs zum Sehen«, von nationalkonservativen katholischen Kreisen zur Behebung einer damals aktuellen innerkirchlichen Krise entwickelt, war von nun an nicht mehr aufzuhalten und ist bis heute in der Diskussion um bestimmte Phänomene spätmittelalterlicher Kunst präsent. So stellt beispielsweise Christof Diedrichs in seiner Dissertation aus dem Jahr 2001 ausdrücklich das Konzept der Schaudevotion in seinen Dienst. Unter dem programmatischen Titel Vom Glauben zum Sehen. Die Sichtbarkeit der Reliquie im Reliquiar. Ein Beitrag zur Geschichte des Sehens beruft er sich direkt auf Herwegen und Mayer und wiederholt deren Thesen.93

Fazit So aktuell die Denkmuster um das Schauen und die (völkische) Gemeinschaft in der Gotik im Deutschland der 1930er Jahre gewesen sind – inhaltlich vermögen sie nicht viel zu erklären. Unentwirrbar verschränkt der Begriff der Schaufrömmigkeit Befund und Deutung, was seinen durchschlagenden Erfolg begründen mag. Die in den 1920er und 1930er Jahren erfundene sensationslüsterne Schausucht als Motor spezifischer Kunstentwicklungen entpuppt sich als Negativfolie, mit der bestimmte nationalkonservative katholische Ideen zur Behebung einer damals aktuellen innerkirchlichen Krise Kontur gewinnen sollten. Man sprach vom dekadenten Willen zur Schau und den damit verbundenen Frömmigkeitsübungen, nicht ohne daraus Orientierung für die eigene Existenz in brisanter Zeit zu schöpfen. Die Ursachen für den keineswegs zu bestreitenden historischen Wandel von Bildwerken und Bildern wurde nicht namhaft gemacht, geschweige denn ernsthaft untersucht, sondern von einem schillernden Begriff übertüncht. Nahezu gleichzeitig verwandelt sich die Kategorie der Schaufrömmigkeit in der Kunstgeschichte zur Positivfolie. Ihre Vertreter werteten den Begriff rigoros um, um bestimmte Phänomene des gotischen Kirchenbaus, des darin verwendeten Kirchengeräts oder der raumgreifenden Liturgie zu erklären. Dabei handelt es sich beim Theorem der Schaufrömmigkeit um ein reines Konstrukt, das sich weder auf gesicherte Beobachtung noch auf mittelalterliche Praxis zurückführen lässt. Das um die sogenannte Schaufrömmigkeit gesponnene Ideenkonglomerat ist mit dem ideologischen Ballast der NS-Zeit – bestehend aus Gedanken zu Gemeinschaft, Individualität und Führerschaft – untrennbar verbunden. Die Kunstgeschichtsschreibung des Nationalsozialismus machte die »deutsche Gotik« zu einer Schlüsselepoche und verlieh dem Terminus der Schaufrömmigkeit die nötige Schubkraft. Nicht umsonst sind es die einflußreichen Ordinarien Sedlmayr und Jantzen, deren nationa-

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listische Einstellung unbestritten ist, die nach dem Zweiten Weltkrieg in ihren Werken zur gotischen Kathedrale den Willen zur »Schau« aufleben lassen und ihm damit den Weg zu einer breiten Rezeption eröffnen. Bis heute ist das Theorem der Schaufrömmigkeit in der mediävistischen Literatur, vor allem der Kunstgeschichte und Theologie, anzutreffen. Doch es mehren sich kritische Stimmen. Folgt man der Spur neuerer Forschungen, so ist das Konzept brüchig und überflüssig. Das ab dem 13. Jahrhundert vermehrt auftretende Zeigen sakraler Materie – etwa der Hostie und der Reliquien – erfordert eine andere und subtilere Erklärung als das Wiederholen letztlich nichtssagender Formeln wie der immer wieder konstatierte »Wille zur Schau«.94 Eine gaffende, unreflektierte Schaulust als alleinige Ursache anzunehmen, wie es seit den 1930er Jahren allzu oft repetiert wurde, wird der multisensuellen Realität des Mittelalters nicht gerecht.

1 Heinrich Schiffers: Aachener Heiligtumsfahrt. Reliquien – Geschichte – Brauchtum, Aachen 1937, S. 134. 2 Heinrich Schiffers (1894–1955) war als promovierter Historiker von 1934 mit kriegsbedingten Unterbrechungen bis zu seinem Tod 1955 Direktor des Aachener Diözesanarchivs. Zur Biografie Schiffers vgl. Wilhelm Mummenhoff: Nachruf auf Dr. Heinrich Schiffers, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 68/1956, S. 476–478. 3 Schiffers 1937, S. 134 f (wie Anm. 1). 4 Thomas Lentes: So weit das Auge reicht. Sehrituale im Spätmittelalter, in: id. u. Barbara Welzel (Hrsg.): Das »Goldene Wunder« in der Dortmunder Petrikirche. Bildgebrauch und Bildproduktion im Mittelalter, Bielefeld 2004, S. 241–258, S. 242. 5 Lexikon des Mittelalters, hrsg. v. Norbert Angermann, Bd. IV, München 1989, Sp. 2033–2034, Sp. 2033, s. v. »Heiltumsweisung« (Wolfgang Brückner). 6 Vgl. Handbuch der Religionsgeschichte im deutschsprachigen Raum. hrsg. u. verf. von Peter Dinzelbacher, Paderborn 2000, S. 67–70; Peter Dinzelbacher: Die Realpräsenz der Heiligen in ihren Reliquiaren und Gräbern nach mittelalterlichen Quellen, in: id. u. Dieter R. Bauer (Hrsg.): Heiligenverehrung in Geschichte und Gegenwart, Ostfildern 1990, S. 115–174, S. 136 u. S. 145. 7 Vgl. Horst Wenzel: Sehen und Hören, Schrift und Bild – Kultur und Gedächtnis im Mittelalter, München 1995, S. 99 ff. 8 Zum Stil- und Epochenbegriff vgl. Metzler Lexikon Kunstwissenschaft, hrsg. v. Ulrich Pfiste-

rer, Stuttgart 2003, S. 126–129, s. v. »Gotik« (Bruno Reudenbach). 9 Dieses beredte Schweigen wird sicher zu Recht als »inneres Exil« gewertet. Vgl. Ingrid Schulze: Wilhelm Worringer und die bürgerliche Opposition gegen den großdeutschen Nationalismus auf dem Gebiet der Kunstgeschichtsschreibung, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Martin Luther-Universität Halle-Wittenberg 18/1969 (Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe), S. 65–85, S. 79 f. 10 Peter Cornelius Claussen u. Urs Lengwiler: »Abstraktion und Einfühlung« und »Formprobleme der Gotik«: Wilhelm Worringers frühe Schriften, in: Georges Bloch- Jahrbuch des Kunsthistorischen Instituts der Universität Zürich 9–10/2002/2003, S. 231235, S. 232. 11 Vgl. Wilhelm Worringer: Formprobleme der Gotik, München 1920, S. 20 u. S. 53. 12 Ibid., S. 126 f (wie Anm. 11). 13 Claussen/Lengwiler 2002/2003, S. 233 (wie Anm. 10). 14 Vgl. die Angaben von Daniela Mondini u. Lino Sibillano: »Der Geist der Gotik«. Eine Schrift von Karl Scheffler, in: Georges Bloch- Jahrbuch des Kunsthistorischen Instituts der Universität Zürich 9–10/2002/2003, S. 236–239, S. 238 mit Anm. 40 sowie Magdalena Bushart: Der Geist der Gotik und die expressionistische Kunst. Kunstgeschichte und Kunsttheorie 1911–1925, München 1990, S. 130. 15 Karl Scheffler: Der Geist der Gotik, Leipzig 1917, S. 50. 16 Ibid., S. 29 (wie Anm. 15). 17 Ibid., S. 33 (wie Anm. 15).

44 Gia ToussainT Ibid., S. 91 (wie Anm. 15). Vgl. Frank-Lothar Kroll: Intellektueller Widerstand im Dritten Reich. Heinrich Lützeler und der Nationalsozialismus, Berlin 2008, S. 55 f. 20 Vgl. Heinrich Lützeler: Das Selbstbild des Deutschen in der christlichen Kunst, in: Die Schildgenossen 13/1933/34, S. 320-329. 21 Ibid., S. 324 (wie Anm. 20). 22 Ibid., S. 325 (wie Anm. 20). 23 Ibid. (wie Anm. 20). 24 Ibid., S. 326 (wie Anm. 20). Zum Bamberger Reiter als Führerpersönlichkeit vgl. auch Heinrich Lützeler: Die christliche Kunst Deutschlands, Bonn 1936, S. 203–206; S. 230–235 u. S. 255–258. 25 Ursula Clemens-Schierbaum: Mittelalterliche Sakralarchitektur in Ideologie und Alltag der Nationalsozialisten, Weimar 1995, S. 163. 26 Lützeler 1933/34, S. 327 (wie Anm. 20). 27 Ibid., S. 328 (wie Anm. 20) 28 Die Liturgische Bewegung hatte ihre Blütezeit in den Jahren zwischen 1918 und 1939. Sie steht für das Bestreben, innerhalb der katholischen Kirche die Liturgie zu erneuern, ihre Feier zum Höhepunkt katholischen Lebens zu erheben und nicht zuletzt zu ihrem Verständnis beizutragen; vgl. Theodor Maas-Ewerd: Was wollte die Liturgische Bewegung? Zu den liturgischen Entwicklungen in den Jahren zwischen den beiden Weltkriegen, in: Erbe und Auftrag 69/1993, S. 223–246. 29 Die römische Kurie stand der Liturgischen Bewegung skeptisch gegenüber. Vom Apostolischen Nuntius und späteren Papst Pius XII., Eugenio Pacelli, sind 1929 folgende Worte überliefert: »Die Bewegung wandte sich bisher vornehmlich an die Intellektuellen, und ihr unterscheidendes Merkmal liegt darin, dass sie nicht nur eine Einführung in die Liturgie der Kirche darstellt, sondern darüber hinaus ein System des religiösen Lebens. Nun scheint, dass dieses System, wenigstens so, wie es von einigen überspannten Befürwortern [alcuni fautori più esagerati] vorgeschlagen wird [zuvor nennt Pacelli die Namen der Maria Laacher Herwegen, Casel und anderen], nicht ein uneingeschränktes Lob verdient.« Eugenio Pacelli: Die Lage der Kirche in Deutschland 1929, bearb. von Hubert Wolf u. Klaus Unterburger, Paderborn 2006, S. 110–111. 30 Arnold Angenendt: Liturgik und Historik. Gab es eine organische Liturgie-Entwicklung?, Freiburg 2001, S. 74. Vgl. auch Marcel Albert: Ildefons Herwegen, in: Sebastian Cüppers (Hrsg.): Kölner 18

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Theologen. Von Rupert von Deutz bis Wilhelm Nyssen, Köln 2004, S. 357–387, S. 367. 31 So war die Rede vom »christlich-deutschen Jüngling, gewachsen aus Schwert und Kreuz«, ebenso wurde die Blut-und-Boden-Ideologie propagiert, denn »aus deutschem Blut und Boden, Willen und Wesen sollten Volkstreue und Gottestreue […] zu einem ›sacrum imperium‹ zusammenschmelzen«. Arno Klönne: Die Liturgische Bewegung: »erblich« belastet?, in: Hansjakob Becker u.a. (Hrsg.): Gottesdienst – Kirche – Gesellschaft. Interdisziplinäre und ökumenische Standortbestimmungen nach 25 Jahren Liturgiereform, St. Ottilien 1991, S. 13–21, S. 19 f. 32 1874–1946; Abbatiat von 1913 bis zu seinem Tod. Zur Biografie von Herwegen vgl. Albert 2004, S. 357–387 (wie Anm. 30). 33 Vgl. ibid., S. 372 (wie Anm. 30). 34 Zitiert nach Albert 2004, S. 374 (wie Anm. 30). 35 Ibid., S. 373 (wie Anm. 30). 36 Dank seiner Verbindungen zu höheren Militärs gelang es ihm zwar Maria Laach vor der Aufhebung zu bewahren, sich persönlich und seine Gemeinschaft sah er jedoch immer wieder Schikanen ausgesetzt. Vgl. Marcel Albert: Die Benediktinerabtei Maria Laach und der Nationalsozialismus, Paderborn 2004, S. 204–207; zu persönlichen Schikanen vgl. u. a. S. 179 ff. 37 Vgl. Albert 2004, S. 372 (wie Anm. 30). 38 Vgl. ibid., S. 372 (wie Anm. 30). 39 Ildefons Herwegen: Von christlichem Sein und Leben, Berlin 1931, S. 192. 40 Zur Abwertung der Gotik durch die Schule von Maria Laach vgl. grundlegend Ambrosius Stock: Das Kirchengebäude, in: Die betende Kirche, hrsg. von der Abtei Maria Laach, Berlin 1924, S. 31–64, bes. S. 55–57, S. 56. 41 Stock 1924, S. 56 und weiter S. 57: »Weiter als die Gotik konnte man sich nicht vom liturgischen Gemeinschaftsideal entfernen … Eine Gesundung war nur auf dem Weg einer Neuschöpfung möglich, die auf die alten Bauprinzipien zurückgriff.« 42 Herwegen 1931, S. 193 (wie Anm. 39). 43 Ildefons Herwegen: Kirche und Seele. Die Seelenhaltung des Mysterienkultes und ihr Wandel im Mittelalter, 2. Aufl. München 1928, S. 22 f. 44 Ibid., S. 24 (wie Anm. 43). Herwegen greift, zumindest was die Öffnung der Reliquiare betrifft, einen Gedanken des Jesuiten Stephan Beissel auf, der bereits 1892 behauptete: »Weil aber

45 »Der GoTische Mensch will sehen« das Volk die Reliquien sehen wollte, brachte man an jenen Reliquiaren […] Öffnungen an, durch welche der Inhalt sichtbar wurde.« Stephan Beissel: Die Verehrung der Heiligen und ihrer Reliquien in Deutschland bis zum Beginne des 13. Jahrhunderts, Freiburg 1892, Nachdruck Darmstadt 1976, S. 88. 45 Anton L. Mayer: Die heilbringende Schau in Sitte und Kult, in: Odo Casel (Hrsg.): Heilige Überlieferung. Ausschnitte aus der Geschichte des Mönchtums und des heiligen Kultes. Dem hochwürdigen Herrn Abte von Maria Laach Dr. theol. et iur. h. c. Ildefons Herwegen zum silbernen Amtsjubiläum, München 1938, S. 234–262, S. 245. 46 Zur Biografie Mayers (1891–1982), einer, wie es in einem neuen biografischen Abriss heißt, »offensichtlich vergessenen Gestalt der Wissenschaftsgeschichte« vgl. Benedikt Kranemann: Anton L. Mayer (1891–1982), in: id. und Klaus Raschzok (Hrsg.): Gottesdienst als Feld theologischer Wissenschaft im 20. Jahrhundert. Deutschsprachige Liturgiewissenschaft in Einzelporträts, Bd. 2, Münster 2011, S. 701–710, S. 701. 47 Bereits 1926 hatte Anton L. Mayer: Die Liturgie und der Geist der Gotik, in: Jahrbuch für Liturgiewissenschaft 6/1926, S. 68–97 veröffentlicht und Gedanken Herwegens aufgenommen, die im 1938 erschienen Aufsatz vertieft wurden. Vgl. Mayer 1938 (wie Anm. 45). 48 Ibid., S. 234 (wie Anm. 45). 49 Vgl. Ildefons Herwegen: Das Kunstprinzip der Liturgie, Paderborn 1916. 50 Vgl. Mayer 1938, S. 234–262, bes. S. 235 (wie Anm. 45) zu den drei Formen des Schauens – »die mystische Schau, die Mysterienschau und die körperliche bzw. magische Schau«. 51 Vgl. Odo Casel: Antike und christliche Mysterien, in: id.: Das christliche Kultmysterium, Regensburg 1948 [1927], S. 95-116, S. 102 f: »Die Mystik [= Kultmystik] vollzieht sich nicht in individuellen, rein innerlichen Anstrengungen, sondern in gemeinsamer Handlung, die aber auch zur Schau hinführt, jedoch nicht zu quietistischer Innenschau, sondern zu objektiver Gottesepoptie.« Casel bezieht sich auf das, was Mayer 1938 (wie Anm. 45) Mysterienschau nennt. 52 Herwegen 1928, S. 27 (wie Anm. 43) bezieht sich in seinen Ausführungen ausdrücklich auf einen »neuen Forscher«, der sich als Wilhelm Pinder entpuppt, der zu dieser Zeit das Institut für Kunstgeschichte an der Universität Leipzig leitete.

53 Hans Sedlmayr: Die Entstehung der Kathedrale, Wiesbaden 2001 [Zürich 1950], S. 232. 54 Mayer 1938, S. 245 (wie Anm. 45). 55 Heinrich Schiffers: Aachener Heiligtumsfahrt. Reliquien – Geschichte – Brauchtum, Aachen 1937, S. 134. 56 Historisches Wörterbuch der Philosophie, hrsg. von Joachim Ritter, Bd. III, Darmstadt 1974, Sp. 239–243, Sp. 241, s. v. »Gemeinschaft« (M. Riedel). 57 Vgl. Ambrosius Stock: Wesen und Bedeutung der Liturgie, in: Die betende Kirche 1924, S. 5–30, S. 6 (wie Anm. 40) sowie das unter Anm. 59 angeführte Zitat von Herwegen. 58 Rudolf Michael Schmitz: Aufbruch zum Geheimnis der Kirche Jesu Christi. Aspekte der katholischen Ekklesiologie des deutschen Sprachraums von 1918 bis 1943, St. Ottilien 1991, S. 104. Schmitz entnimmt diese Zitate von Apologeten der Liturgischen Bewegung aus den Jahren 1924 (J. Kramp) und 1930 (H. Dausend). 59 Stock 1924, S. 9 (wie Anm. 57). Ähnlich hat sich Ildefons Herwegen bereits 1918 in seinem Vorwort der für die Liturgische Bewegung wegweisenden Schrift Romano Guardinis Vom Geist der Liturgie (Freiburg 1918) geäußert: »Das Individuum, durch Renaissance und Liberalismus großgezogen, hat sich […] ausgelebt. Es sieht ein, daß es nur im Anschluß an eine ganz objektive Institution zur Persönlichkeit reifen kann. Es verlangt nach der Gemeinschaft.« Zitiert nach Richard Faber: Politischer Katholizismus. Die Bewegung von Maria Laach, in: Hubert Cancik (Hrsg.): Religions- und Geistesgeschichte der Weimarer Republik, Düsseldorf 1982, S. 136–158, S. 153. 60 Ildefons Herwegen: Die Feier der heiligen Messe, in: Die betende Kirche 1924, S. 140–181 und A9–A10, hier A10, Anm. 13 (wie Anm. 40). 61 Wilhelm Berning: Katholische Kirche und deutsches Volkstum, München 1934, S. 9. 62 Ibid., S. 15 (wie Anm. 62). 63 Ibid., S. 15 u. S. 41 (wie Anm. 62). 64 Adolf Hitler am 23. März 1933, zitiert nach Berning 1934, S. 41 (wie Anm. 61). 65 Vgl. Gordon Wolnik: Mittelalter und NSPropaganda. Mittelalterbilder in den Print-, Ton- und Bildmedien des Dritten Reiches, Münster 2004, S. 67. 66 Vgl. Berning 1934, bes. S. 9–18 (wie Anm. 65): Kapitel »Katholische Kirche und deutsche Blutsgemeinschaft«, in dem die rasseideologischen Gedanken positiv aufgegriffen werden. Die fol-

46 Gia ToussainT genden beiden Kapitel beschäftigen sich mit der »Katholischen Kirche und deutschen Sprachgemeinschaft« (S. 19–28) und der »Katholischen Kirche und deutschen Kulturgemeinschaft« (S. 2938). 67 Cornelia Schmitz-Berning: Vokabular des Nationalsozialismus, Berlin u.a. 1998, S. 261. Der zitierte Passus ist dem Philosophischen Wörterbuch von 1943 entnommen. 68 Ibid., S. 261 (wie Anm. 67). 69 Die gesamte Rede Hitlers zum Erntedankfest 1937 wurde von Utz Maas analysiert. Vgl. Utz Maas: »Als der Geist der Gemeinschaft eine Sprache fand.« Sprache im Nationalsozialismus – Versuch einer historischen Argumentationsanalyse, Opladen 1984, S. 59. 70 Zitiert nach Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945, Frankfurt am Main 20052, S. 43. 71 Schmitz-Berning 1998, S. 448 (wie Anm. 67). 72 Entsprechend äußerte sich Heinrich Lützeler: »Das starke Gemeinschaftsgefühl des hohen Mittelalters erklärt es, daß diese Zeit sich gerade in architektonischen Schöpfungen entladen mußte; ist doch die Architektur in ausgesprochenem Maße Kunst der Gemeinschaft: durch sie geschaffen und für sie bestehend.« Lützeler 1936, S. 252 (wie Anm. 24). 73 Popularisiert wurden die deutschen Dome vor allem durch Schriften wie die von Wilhelm Pinder: Deutsche Dome des Mittelalters, Königstein 1910, die als Massenauflage in der Reihe der Blauen Bücher bis in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts unverändert aufgelegt wurden. 74 Adolf Hitler, zitiert nach Clemens-Schierbaum 1995, S. 157 (wie Anm. 25). 75 Vgl. Clemens-Schierbaum 1995, S. 157 f (wie Anm. 25). 76 Scheffler 1917, S. 33 (wie Anm. 15). 77 Alfred Stange: Arteigene und artfremde Züge im deutschen Kirchengrundriß, in: Zeitschrift des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft 2/1935, S. 229–252, S. 247. 78 Wilhelm Pinder war von 1927−1935 in München tätig. Ihm folgte 1935 Hans Jantzen nach, der bis 1951 das Münchener Ordinariat inne hatte. 79 Wilhelm Pinder: Sonderleistungen der deutschen Kunst, München 1944, S. 30. 80 Hans Jantzen: Geist und Schicksal der deutschen Kunst, Köln 1935, S. 32.

81 Das von den Maria Laacher Theologen programmatisch geforderte heilbringende Schauen fand außerhalb der Liturgischen Bewegung und ihrer Pastoralliturgik kaum ein Echo und lebt nur als Gedankensplitter in der kunstgeschichtlichen Forschung fort. Daran ändern auch die 1971 von einem Maria Laacher Prior neu herausgegebenen und von der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft 1978 noch einmal nachgedruckten Schriften Mayers nichts. Vgl. Anton L. Mayer: Die Liturgie in der europäischen Geistesgeschichte. Gesammelte Aufsätze, hrsg. von Emmanuel von Severus, Darmstadt 1971 (Nachdruck 1978). Mayers Ideen sind in der Theologie noch nicht ganz vergessen. Vgl. Arnold Angenendt: Das Frühmittelalter, Stuttgart 20013³, S. 64–65. Sie werden aber gerade von Angenendt kritisch beurteilt, vgl. id.: Liturgik und Historik, Freiburg 2001, S. 64 f. 82 Vgl. Mayer 1938, S. 244 (wie Anm. 45). 83 Die Gotik wurde im Nationalsozialismus (und davor), zumindest was den Sakralbau anging, wenn nicht ereignisgeschichtlich, so doch ideengeschichtlich als deutsch verstanden. Pinder wurde nicht müde in seinen Publikationen deren genuin deutsche Leistungen zu betonen. Vgl. Jutta Held: Kunstgeschichte im »Dritten Reich«. Wilhelm Pinder und Hans Jantzen an der Münchner Universität, in: Kunst und Politik. Jahrbuch der Guernica-Gesellschaft 5/2003, S. 17−59, S. 28−32. 84 So eine Kapitelüberschrift in Sedlmayr 2001, S. 311 ff (wie Anm. 53). 85 Zur Persönlichkeit Sedlmayrs sowie seiner Verstrickung mit dem Nationalsozialismus vgl. Metzler Kunsthistoriker Lexikon, hrsg. v. Peter Betthausen u. a., Stuttgart 2007², S. 401−404, s. v. »Sedlmayr, Hans« (Peter H. Feist); Hans Aurenhammer: Hans Sedlmayr und die Kunstgeschichte an der Universität Wien 1938–1945, in: Kunst und Politik. Jahrbuch der Guernica-Gesellschaft 5/2003, S. 161−194; Jutta Held: Hans Sedlmayr in München, in: Kunst und Politik. Jahrbuch der Guernica-Gesellschaft 8/2006, S. 121−169. 86 Vgl. Sedlmayr 2001, S. 312 f (wie Anm. 53). Vgl. auch id.: Kunst und Wahrheit. Zur Theorie und Methode der Kunstgeschichte, Mittenwald 1978, S. 85 ff. 87 Sedlmayr 2001, S. 232 (wie Anm. 53). 88 Zur Persönlichkeit von Jantzen vgl. Jutta Held: Hans Jantzen an der Münchner Universität (1935−1945), in: Christian Drude u. Hubertus Kohle (Hrsg.): 200 Jahre Kunstgeschichte in Mün-

47 »Der GoTische Mensch will sehen« chen, München 2003, S. 154−167 sowie Metzler Kunsthistoriker Lexikon 2007 (wie Anm. 85), S. 208−211, s. v. »Jantzen, Hans« (Peter Betthausen). 89 1951 folgte Sedlmayr in München Jantzen nach – eine Berufung, die nicht ohne Widerstand blieb. Vgl. Willibald Sauerländer: Der Münchner Protest gegen die Berufung Hans Sedlmayrs im Frühjahr 1951, in: Drude/Kohle 2003, S. 182−198 (wie Anm. 88). 90 Hans Jantzen: Kunst der Gotik. Klassische Kathedralen Frankreichs. Chartres, Reims, Amiens, erweiterte und von Hans-Joachim Kunst kommentierte Neuausgabe, Berlin 1987 (1957), S. 30 ff. 91 Ibid., S. 31 (wie Anm. 90). 92 Josef Andreas Jungmann: Missarum Sollemnia, Bd. 2, Freiburg 1958 (Wien 1948), S. 256. 93 »Im Angesicht der neuen Reliquiare [gemeint sind Reliquiare mit Sichtfenstern] steht der Betrachter als Subjekt dem Objekt seiner Be-

trachtung gegenüber. Der Akt des Anschauens birgt dabei mit der Möglichkeit, sich dem Heiligen ungewöhnlich stark anzunähern, die Gefahr, eine im Kirchenraum vormals weitgehend unbefriedigte Schaulust zu bedienen und auf diese Weise aus dem Gläubigen den ›Schaulustigen‹ werden zu lassen.« Christof L. Diedrichs: Vom Glauben zum Sehen. Die Sichtbarkeit der Reliquie im Reliquiar. Ein Beitrag zur Geschichte des Sehens, Berlin 2001, S. 9. 94 Es gibt viele Möglichkeiten und Ansätze den fundamentalen Wandel in der Kunstproduktion zu erklären. Vgl. beispielsweise Lentes 2004 (wie Anm. 4) und Norbert Schnitzler: Illusion, Täuschung und schöner Schein, in: Klaus Schreiner (Hrsg.): Frömmigkeit im Mittelalter, München 2002, S. 221−242 sowie Gia Toussaint: Kreuz und Knochen. Reliquien zur Zeit der Kreuzzüge, Berlin 2011, S. 9−23.

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»Eine Epoche ähnlich jener des zu Ende gehenden Mittelalters« Die kulturkritische Auseinandersetzung mit dem Mittelalter in der Weimarer Republik

Das Bild der Weimarer Republik als außerordentlich produktives »Labor der Moderne« ist ein bekanntes.1 Die Erforschung der Kultur der Weimarer Moderne hat auf positive Art und Weise den engen Fokus auf das politische Scheitern der Republik historiografisch erweitert.2 Dem etablierten Geschichtsbild der Weimarer Republik, als eine durch Krise, Zersplitterung und Versagen gezeichnete Zeit, steht ein aus historischer Sicht affirmatives Kulturbild einer dynamischen Moderne gegenüber. Hier sind rasender Fortschritt, Technik, Mode, das Spektakel und die Banalität der Massenkultur, Kommerz, Demokratie, befreite Sexualität ebenso wie eine Rationalisierung und Säkularisierung des öffentlichen Lebens tonangebend. Viel seltener aber wurde das Verhältnis der deutschen Avantgarde der Weimarer Republik zur deutschen Geschichte und Tradition untersucht.3 Der Umgang von Künstlern und Kritikern des linken Spektrums mit der Politik, Kultur und Theologie der deutschen Vergangenheit, insbesondere des Spätmittelalters und der Reformationszeit, ist Gegenstand dieses Beitrags. Besonders auffällig in dieser Zeit sind die in linken Künstlerkreisen deutlichen Spannungen zwischen der Suche nach dem Neuen und der Sehnsucht nach dem Alten. Dies geht weit über Stilfragen hinaus. Vielmehr ging es um dringende soziale und kulturpolitische Dinge. Der Arbeitsrat für Kunst wurde im deutschen Revolutionsmonat November 1918 von Adolf Behne, Walter Gropius, Bruno Taut und anderen gegründet. Seine »zwei großen Aufgaben« waren, laut Behne, die »Rückgewinnung der Einheit der Kunst und Rückgewinnung der Einheit zwischen Kunst und Volk.«4 Bruderschaft, kollektive Arbeit, die Verbindung von Irdischem und Himmlischem, von Weltlichem mit Geistigem: All das verkörperte für viele Künstler der Avantgarde symbolisch das große »Werk«, der gotische Dom.5 Die bekannteste Darstellung dieses Ideenkomplexes sowie der Hoffnung auf eine Einheit der Künste im revolutionären Deutschland ist die leuchtend gotisch-expressionistische »Kathedrale des Sozialismus« von Lyonel Feininger. Gropius wählte Feiningers Holzschnitt zum Sinnbild seines Gründungstextes des Bauhauses im Jahr 1919 (Abb. 1).

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1. Lyonel Feininger: Kathedrale des Sozialismus, Titelblatt zum Programm des Staatlichen Bauhauses in Weimar, 1919, Holzschnitt, Edinburgh, Scottish National Gallery of Modern Art

Der kulturpolitischen Diskussion um die grundsätzliche Position der Kunst und des Künstlers in Deutschland fehlte zwar oft ein Konsens, jedoch sind zwei Hauptthemen dominant: erstens die umstrittene Position der Kunst im Allgemeinen und die des Künstlers in der modernen Gesellschaft; zweitens die Suche nach einem »anderen Deutschland« mit Hilfe einer, aus sozialistischer Sicht, brauchbaren, identitätsstiftenden Kulturgeschichte, die sich deutlich vom Deutschnationalismus und jeglichem »Rassengermanentum« unterscheiden sollte. Darüber wurde in einer unübersehbaren Fülle in großen und kleinen Zeitschriften, Büchern und Pamphleten diskutiert. Manifeste und Flugblätter kündigten von den künstlerischen Zielen. Selbst zwei der in den

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ersten Nachkriegsjahren wichtigsten Stichwörter – »Gotik« und »Expressionismus« – waren bereits Begriffe, die weniger mit Stil zu tun hatten als mit subjektiven Auffassungen wie der »Ausprägung des deutschen Geistes« oder gar »Lebensprinzipien«.6 In Anspielung auf sakrale Bruderschaften der mittelalterlichen Zeit forderte der Arbeitsrat für Kunst zum Bespiel den »festen Zusammenschluß in der Form eines Ordens«.7 Der Arbeitsrat überlebte jedoch nicht lange; er wurde 1921 aufgelöst. Es wird häufig behauptet, dass besonders nach 1923 das Interesse an solchen, von der »Gotik« geprägten Bestrebungen unter dem Zeichen einer nüchternen »Sachlichkeit« nachließen. Auffällig ist aber, wie das Verhältnis zwischen alter und neuer Kunst weiterhin viele Kritiker und Künstler intensiv beschäftigte. Die Rezeption des Mittelalters basierte dabei zumeist auf einer nur grob definierten Vorstellung von diesem, die häufig nur wenig oder nichts mit der geschichtswissenschaftlichen Forschung zu tun hatte. Damals wie heute haben die zahlreichen populären Klischees und der etwas wahllose Gebrauch der Begriffe »Mittelalter« und »Gotik« so manchen seriösen Historiker verärgert.8 Die Tendenz, das »Mittelalter« gegen die Moderne, also gegen das »Heute« auszuspielen, findet man dabei nicht nur in Deutschland. Sie hat eine ebenso große Tradition in vielen anderen europäischen Ländern.9 In Deutschland entwickelten sich aber teilweise radikalisierte Ansichten über die kulturpolitische Kraft des »Mittelalters«, in dem sich sowohl Hoffnungen als auch Klagen über eine unerreichbare, vereinigende deutsche Identität spiegelten.10 In den Kriegs- sowie in den Weimarer Jahren waren prominente – und oft umstrittene – Publikationen Treibstoff sowohl für den Glauben an ein Weiterleben der Gotik als auch für die Ablehnung dieses Gedankens. Beispiele hierfür sind einige Schriften Wilhelm Worringers, vor allem seine Habilitationsschrift Formprobleme der Gotik von 1911, oder Karl Schefflers populärwissenschaftliches Buch Der Geist der Gotik von 1917. Der Einfluss insbesondere von Worringer auf Künstler und Theoretiker der Zeit, angefangen bei den Künstlern des Blauen Reiters und den Dadaisten bis hin zu Ernst Bloch, Walter Benjamin und vielen anderen, darf nicht unterschätzt werden.11 Dass der Expressionismus sich der mittelalterlichen Vergangenheit bediente um soziale, politische und spirituelle Ideale heraufzubeschwören, ist weitestgehend bekannt. Auffällig ist aber, dass schon in einer der ersten größeren Publikationen über den Expressionismus etwas erkennbar ist, was besonders bei konservativen und nationalistischen Schriften häufig zu finden ist, nämlich die Vorstellung einer »belagerten«, von äußeren Strömungen bedrängten, Gotik – sei es vom Ausland oder von den Dissonanzen der modernen Zeit: Paul Fechters Buch Expressionismus (1914) war eine frühe, ja bahnbrechende Untersuchung zu dieser künstlerischen Richtung. Er schrieb sie zu einem Zeitpunkt, an dem sich der Begriff des Expressionismus noch weitgehend auf ein breites, internationales Spektrum der modernen Kunst bezog. Bereits bei der Sonderbund­ ausstellung in Köln 1912 hatte Fechter begonnen, seinen Gedanken zur neuen Kunst besonders aus Frankreich und Deutschland eine nationalistische Rich-

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tung zu geben.12 Doch erst in seinem Buch von 1914 wies Fechter deutlich auf eine Verbindung zwischen dem Expressionismus in Deutschland und dem Mittelalter hin. Er sprach von der »alten gotischen Seele, die trotz Renaissance und Naturalismus noch immer fortlebt […] und die unverwüstlich trotz allem Rationalismus und Materialismus immer wieder ihr Haupt erhebt.«13 Hier sei bemerkt, dass anthropomorphische Konzepte der Gotik als lebende »Seele« oder gar Lebewesen in dieser Zeit ein Topos waren.14 Fechters Buch wurde mit großem Interesse von vielen Künstlern und Schriftstellern der Avantgarde gelesen. Auch Hugo Ball, der spätere Gründer des Dadaismus in Zürich, widmete sich 1914 in München der Lektüre, was sich anhand eines Notizbuches aus seinem Nachlass feststellen läßt.15 Fechters Text war Teil einer sich entwickelnden Deutungstradition, deren Hauptmerkmale von verschiedenen politischen Strömungen aufgegriffen wurden. Sie können wie folgt zusammengefasst werden: 1.) das Orten einer »Einheit« in der Kunst im Zeitalter des Mittelalters; 2.) die »innere Notwendigkeit« der mittelalterlichen (sowie auch expressionistischen) Kunst; 3.) die Verbindung der Kunst mit dem »Geist«; 4.) formale Merkmale wie beispielsweise die Betonung der Linie16 und 5.) das »Drängen nach erhöhter Ausdrucksfülle« und der Hang zum »Traum eines Gesamtkunstwerks«.17 Genau diese Eigenschaften erwiesen sich als durchaus einsetzbar in einem vergleichenden Diskurs zu den implizit unterlegenen Qualitäten des französischen Impressionismus.18 Schon während des Ersten Weltkrieges also wurde ein idealisiertes Konzept der »Gotik« oder des »Mittelalters« zum Maßstab für die qualitative Wertung des Expressionismus: Durch die vermeintliche »Seelenverwandtschaft« zwischen ihm und der Gotik, ließen sich Attribute wie Integrität, Tiefe, Gefühl und Seele dem Expressionismus rhetorisch leichter zuschreiben und sich gleichzeitig der Unterschied zum »oberflächlichen«, »materialistischen« Impressionismus deutlicher machen. Und umgekehrt: Wer die Mängel des Expressionismus entlarven wollte, wies für gewöhnlich auf die geistige Entfernung des »falschen« Expressionismus vom »echten« Mittelalter hin. Schon 1917 stellte der Kritiker Adolf Behne in den Sozialistischen Monatshef­ ten polemisch die Frage: »Wem gehört die Gotik?«19 Das Wesentliche an seinem Text war der Versuch, die Gotik vor dem »germanischen Nationalismus« zu retten. Behne zufolge gab es zwei ideologische Auffassungen über die Gotik. Er unterschied zwischen dem, der über die »Nationalität« des gotischen Stils stritt und daran festklammerte und demjenigen, der »die Gotik als Kunst und als Form liebt«. Letzterer hätte es gar nicht nötig, um die Gotik zu streiten, denn »er weiß, dass die Gotik keine nationale, nicht einmal eine europäische Angelegenheit ist sondern eine kurze Blüte morgenländischen Geistes auf europäischem Boden.«20 Mit Entsetzen blickte Behne auf die Kunsthistoriker und »guten Patriot[en]«, die in der norddeutschen Backsteingotik beispielsweise den »Urbegriff alles Kernig-Deutschen am reinsten verkörpert« sehen wollten. Und er klagte spöttisch über das nationalistische Ziel der »Beschlagnahme der Gotik für die Germanenseele.«21 Das Bedürfnis unter linken Kri-

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2. Titelseite von Julius Langbehn und Momme Nissen: Dürer als Führer, München 1928, Privatsammlung

tikern, die Gotik vor einer derartigen nationalistischen »Beschlagnahme« zu schützen, hielt lange an. Im Jahr 1922 schrieb Felix Stössinger, bekannt als Redakteur der Freien Welt der USPD, einen mehrteiligen Aufsatz unter dem Titel Was ist uns Frankreich?. Erschienen in der vielgelesenen Zeitschrift Die Weltbühne, schilderte Stössinger die Gotik polemisch als »übernational« und »überindividuell«. Er sah in der »Gegenüberstellung von Renaissance gleich Romanisch, Gotik gleich Germanisch nichts als eine wahrhaft germanische Tölpelei.«22 Und im Dürerjahr 1928, dem Erscheinungsjahr von Julius Langbehns (posthum erschienener) völkisch-nationalistischen Schrift Dürer als Führer (Abb. 2), schrieb Rudolf Jardon wiederholt gegen Deutungen der Gotik als germanischem »Urerlebnis« und für eine internationale Auffassung der Gotik: »Trotz seinen schlechten Verbindungen ist der Geist des Mittelalters universaler und europäischer als das heutige Europa mit seinen internationalen D-Zügen und Fluglinien.«23 Behnes 1917 geäußerte Sorgen waren berechtigt. Versuche einer »Beschlagnahme der Gotik für die Germanenseele« waren tatsächlich in der konservativ-nationalistischen Kunst- und Kulturpresse häufig zu finden,24 zum Beispiel in Zeitschriften wie Deutschlands Kunst, die im selben Jahr wie Behnes Aufsatz in Leipzig auf den Markt kam. Herausgeber war der »Bund der Freunde

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Deutscher Kunst«. Der Fokus der Zeitschrift lag auf Künstlern wie Hans Thoma, Epochen wie die des Mittelalters und der Reformation und, mit zunehmender Tendenz, auf Angriffen gegen die Moderne. Auf dem Umschlag jeder Ausgabe war ein Holzschnitt von Bruno Héroux, Professor an der Akademie der Künste in Leipzig, abgebildet: Zwei männliche Hände halten, aus Wolken herausragend, eine strahlende Kristallkugel. Vermutlich sollte man die Hände als die eines überirdischen, göttlich-schaffenden Künstlers verstehen, den Kristall als die leuchtende, überzeitliche »deutsche Kunst« (Abb. 3). Die erste Ausgabe enthielt ein Vorwort von Hans Thoma. Das Ziel des Bundes und der Zeitschrift wurde erst im zweiten Band deutlich: »Mit freudigem Stolz auf eine größere Zukunft hoffend, will [der Bund der Freunde Deutscher Kunst] allem Gekünstelten, aller Auslandsfäulnis, und allen krankhaften Auswüchsen der Kunst entgegentreten.«25 Zielgruppe der Zeitschrift Deutschlands Kunst – die, wie man anmerken muss, während des Krieges entstand – war der patriotische Laie. Ebenso stammten die Aufsätze, soweit festzustellen ist, eher von begeisterten Laien – sogenannten »Freunden« deutscher Kunst – als von professionellen Kunsthistorikern. Der Schwerpunkt lag oft auf der deutschen und angewandten Kunst des vierzehnten bis sechzehnten Jahrhunderts. Als »gute deutsche Kunst« etwas jüngerer Herkunft wurden dem Leser die Arbeiten von Wilhelm Leibl, Arthur Kampf, Anselm Feuerbach und anderen empfohlen. Eine Feindschaft gegenüber der »neuen« – das heißt der modernen und expressionistischen – Kunst Deutschlands zeigte sich schon ab dem ersten Heft: Es endete mit einer Parole gegen die »Verwilderung der deutschen Kunst«. Der Autor griff namentlich die Werke von Conrad Felixmüller, die »grotesken Malversuche« Erich Heckels sowie Schmidt-Rottluffs und eines gewissen »Eugen Kirchner« an, vermutlich Ernst Ludwig Kirchner.26 Interessant – aus kulturpolitischer Sicht – ist das intellektuelle Niveau der Zeitschrift. Es ist niedrig.27 Die Zeitschrift zeigt nicht nur eine anti-moderne, sondern auch eine äußerst anti-intellektuelle Haltung auf. Sie setzt in anderen Beiträgen bereits eine Taktik ein, die in späteren, nationalsozialistischen Kunstpublikationen häufig zu finden ist. Sie soll einen bestimmten Lesertypus ansprechen, nämlich den »gesunden«, »unverbildeten Normalmenschen«,28 der sich beispielsweise vor dem Futurismus, Expressionismus und Kubismus »an die Stirn fasst.« Dessen Gegenbild in dieser Zeitschrift ist der »übermoderne« »Salonheld«.29 Zahlreiche Historiker, Germanisten und Kunsthistoriker haben bereits auf die Signifikanz der als unterbrochen empfundenen Geschichte Deutschlands sowie die ebenso als unterbrochen empfundene Tradition der deutschen Kunst hingewiesen. In dieser Deutungstradition gelten die Reformation und der Erste Weltkrieg als zwei der wichtigsten »Brüche«. Bernd Hüppauf spricht von einer durch den Ersten Weltkrieg verursachten »Massenerfahrung eines radikalen Bruchs in der europäischen Zivilisation.«30 Hans Belting sieht in dem Zeitalter der Reformation den »Keim zur Spaltung der deutschen Kunst,

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3. Umschlag der Zeitschrift Deutschlands Kunst 1/1917, Berlin, Staatsbibliothek

die zu ihrem Schicksal geworden ist«.31 Und für den Germanisten Richard Sheppard sind Schriften zwischen 1914 und 1940 von so unterschiedlichen Autoren wie Oswald Spengler, Hugo Ball und Walter Benjamin durch »dehnbare, dezentralisierte, nichtlineare oder apokalyptische Auffassungen von Zeit und Geschichte« gekennzeichnet.32 Obwohl die Betrachtungen von Fechter, Behne, Stössinger, Westheim oder die der Zeitschrift Deutschlands Kunst aus sehr unterschiedlichen politischen Lagern stammen, haben sie eins gemeinsam: Sie schildern ein utopisches Bild des »deutschen« oder europäischen Mittelalters, das vor allem von Zuständen der Einheit geprägt ist. Diese vermutete Einheit – national, international, kommunal – diente somit völlig verschiedenen Gruppen als idealisierter Gegenpol zur modernen Zeit, der unterbrochenen Geschichte und sozialen Zersplitterung. Zahlreiche Quellen deuten also darauf hin, dass die Faktoren, die den mittelalterlichen Künstler zu einem Vorbild der Avantgarde der Nachkriegszeit werden ließen, in erster Linie nicht ästhetischer oder stilistischer Art waren. Bei theoretischen sowie gängigen Darstellungen dieser Zeit war besonders

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das Bild des anonymen mittelalterlichen Künstler-Handwerker ein wichtiges.33 Häufig wurde in den Schriften über die Jahre des »radikalen Bruchs« zwischen 1914 und 1918 geklagt, dass der Krieg neben aller anderen Zerstörung auch den Verlust von »handwerklichen guten Traditionen« verursacht habe.34 Der Wiedergewinn handwerklichen Könnens sowie kollektiver Arbeit in Werkstätten – beides Gründungsprinzipien des Bauhaus in Weimar und auch für andere Einrichtungen wichtig – hatte also auch eine symbolische Bedeutung. Vor allem unter links-orientierten Künstlern und Kritikern verkörperte der Handwerker den Gipfel sowie, mit seinem Verschwinden, gleichzeitig den Untergang der Integrität des Künstlers. Der Handwerker war, aus dieser Sicht, der letzte Schöpfer eines gemeinschaftlichen, nicht-autonomen Kunstwerks. Er war der letzte, der in Einklang mit dem Geist und mit der Materie arbeitete: das heißt, mit einer allumfassenden Glaubensdoktrin, und inmitten der Gemeinschaft.35 Dass 1919 der Arbeitsrat für Kunst in Berlin seinen Mitgliedern ernsthaft per Umfrage die Frage stellte, ob es erstrebenswert sei, die »anonyme« Kunstproduktion einzuführen – etwa das Ersetzen des Künstlernamens durch ein Signet – beweist die Anziehungskraft dieses Ideals der mittelalterlichen Künstler-Handwerker für die Reformatoren der Nachkriegszeit.36 Deutlich wird, dass das Ideal des mittelalterlichen, anonym Schaffenden eine dialektische und zeitkritische Funktion besaß. Er bildete das Gegenstück zu dem für viele nicht mehr tragbaren, »reinen« Künstler. Er stand für die Aufhebung der autonomen zugunsten einer zweckgebundenen Kunst. Anhand vieler Quellen wird ersichtlich, dass dieser Ideenkomplex während der gesamten Epoche der Weimarer Republik wichtig blieb. Er überlebte den Expressionismus und löste sich, meiner These zufolge, sogar zum Teil von den Stilfragen und von der Frage des »Erbes«, an der so viele – besonders sozialistische und kommunistische Kunstdebatten – scheiterten. Franz Wilhelm Seiwert, führendes Mitglied der Kölner Progressiven, Katholik und unorthodoxer Kommunist, bezog beispielsweise seine eigene Identität als Künstler auf das Mittelalter. Während der 1920er Jahre bis zu seinem Tod 1933 identifzierte er sich künstlerisch mit der Kölner Malerschule und dem Rheinischen Mittelalter. Auf die Gruppe um Seiwert bezogen, sprach man von der neuen »Kölner Malerschule auf proletarischem Goldgrund.«37 Eine Bemerkung Carl Oskar Jathos, der Seiwert kannte, ist ebenso bezeichnend, er schrieb: »Seiwert war in den letzten zwölf Jahren nicht mehr ›freier Künstler‹, so wenig wie die Männer vor 500 Jahren es waren, die ihre Tafeln und Skulpturen für den Altardienst schufen. Seine Kunst war Dienst geworden, Dienst am Sozialismus, wenn auch an seinem Sozialismus.«38 Spätmittelalterliche Künstler wie Albrecht Dürer oder Matthias Grünewald dienten Seiwert dagegen nicht als Vorbild – und das, obwohl sie zu dem Zeitpunkt einen sehr hohen Bekanntheitsgrad hatten (Abb. 4).39 Seiwerts Interesse am 16. Jahrhundert war politischer Natur – in seinem großen Bild Der deutsche Bauernkrieg (1932) und in manchen Schriften wurde dieses Interesse besonders

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4. Werbepostkarte der Firma Lyra »Albrecht Dürer Zeichenstifte«, Nürnberg, 1928, Privatsammlung

thematisiert. Mit dem Interesse an den gesellschaftlichen Verhältnisse des Mittelalters verwandt war die abstraktere Idee einer erlösenden Einheit von Material und Geist in der mittelalterlichen Kunst. Der Kunstkritiker und Historiker Wilhelm Hausenstein erkannte dies. In seinem langen, 1921 veröffentlichten Essay über Paul Klee gab er seine Antwort auf eine Schlüsselfrage: »Warum suchten alle den Richtpunkt ihrer Künste außerhalb des zunächst Gegebenen? Weshalb in der Gotik? Nicht so sehr zuliebe der Gotik, nicht so sehr am Ende dem Metaphysischen zuliebe, als dem – Physischen: sie suchten die Substanz einer organischen Gegenständlichkeit – eines Dings, eines Menschen.«40

Solche Ideen waren Komponenten in einem verführerischen Bild, welches gut gegen das der bürgerlichen Kunst einsetzbar war und einen Nachhall in Walter Benjamins Kunstwerk­Essay (1936) oder Peter Bürgers Theorie der Avantgarde aus den frühen 1970er Jahren fand.41 Der Humor einer Bemerkung von George Grosz und Wieland Herzfelde aus dem Jahr 1925 funktionierte gerade wegen des Anachronismus des »mittelalterlichen« Künstlers: »Die Vorstellung,

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Grünewald hätte seinen Isenheimer Altar bei Cassirer ausgestellt, beleuchtet kraß die problematische Stellung des Künstlers in der heutigen Gesellschaft.«42 Meiner Ansicht nach ist der Aspekt des Scheiterns ebenso wichtig. Es geht um die unüberbrückbaren Hindernisse zwischen der expressionistischen Praxis in der Moderne und dem ersehnten »Anschluß […] an die große Ahnengeschichte spiritueller Kunst«.43 In einem wichtigen Vortrag, im März 1919 im Kölnischen Kunstverein gehalten und in der Zeitschrift Genius veröffentlicht, reflektierte Wilhelm Worringer: »Ganz bewußt orientiert sich der Expressionismus an all den Vergangenheitskünsten, die – wie er es sieht – vor dem Sündenfall der Individualisierung liegen. Gotizismus, Orientalismus, Exotismus, Barbarismus, Primitivismus.«44

Der Frust am »Heutigen« ist bei Worringer spürbar: Für ihn lag die Verzweiflung und Tragik des Expressionismus letzten Endes in dem Zustand, über den Grosz und Herzfelde sich wenige Jahre später bitter lustig machen sollten. Das heißt: Ebenso wie die Vorstellung eines Grünewalds bei Cassirer nur lächerlich sein konnte, wurzelte auch das Problem des Expressionismus in seiner Heimatlosigkeit. In der Tat: Worringers Erkenntnis über den »Widersinn«, »diese Grübeleien einer tiefsinnige[n] Bildscholastik in die gute Stube zu hängen oder in teppich-geschmückte Ausstellungsräume gegen Eintrittsgeld zusammenzusperren«, löste für ihn »[e]in Gelächter und eine schmerzliche Scham« aus.45 Vor seinem Kölner Publikum fuhr er fort: »Das ist es: Diese Kunst ist letzten Endes heimatlos geworden. Diese Bilder sind nicht für Zimmer gemalt, sie sind nicht für Ausstellungen gemalt, sie sind gemalt als Bilderschmuck für jene unsichtbare Kathedrale des Geistes, die sich über uns türmt. […] Die andern, die früheren, die hatten ihre Kathedralen […] Der moderne Spiritualismus […] ihm blieb nur die unsichtbare Kathedrale.«46

Ein paar Jahre nach Worringers Vortrag, 1921, wurde in der Kunstzeitschrift Der Cicerone ein Foto abgedruckt. Es zeigt Emil Noldes Abendmahl (1909) (Abb. 5). Das Gemälde war 1913 von Max Sauerlandt für das Städtische Museum für Kunst und Kunstgewerbe in Halle erworben worden und war damit, laut Andreas Hüneke, die erste »programmatische Erwerbung eines figürlichen Hauptwerks von Nolde für ein kommunales Museum«.47 Das Foto zeigt Noldes Werk in dem »mittelalterlichen Raum« des nach dem Ersten Weltkrieg wieder eröffneten und renovierten städtischen Museum in Halle. Selbst auf dem alten nebligen Foto fällt die für damals gewagte Hängung auf.48 Als er im Cicerone darüber berichtete, war Kurt Gerstenberg begeistert: »Ihre Farben [der mittelalterlichen Altäre im Raum], blinken sanft«, schrieb er, »ihr Gold schimmert zart, und zwischen ihnen erscheint auf einer Wand, nein, leuchtet und phosphoresziert Noldes Abendmahl. Und so, isoliert auf einer weiß getünchten Wand, löst es erst seine geheimste Wirkung aus, wie sie in einer kalkweißen holsteinischen Dorfkirche nicht glücklicher sein könnte.«49

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5. Der Raum für mittelalterliche Kunst des Moritzburgmuseums in Halle, in: Der Cicerone 13­8/1921, Bonn, Bibliothek des Kunsthistorischen Instituts der Universität

Die Präsentation wirft die Frage auf, ob mit dieser programmatischen Hängung dem von Worringer beschriebenen Dilemma der Museumskuratoren und der »Heimatlosigkeit« des Expressionismus begegnet werden sollte. Dank der physischen sowie implizit geistigen Nähe von Noldes Abendmahl zu den tatsächlichen Objekten des spätmittelalterlichen christlichen Rituals, so Gerstenberg, kann dieses Erlebnis des Werks im säkularen Museum sogar demjenigen im sakralen Raum der Kirche vergleichbar sein. Im Jahr 1931 schrieb George Grosz: »Mir ist oft, als lebten wir in einer Epoche ähnlich jener des zu Ende gehenden Mittelalters«.50 Die »Mittelalterbilder« der Künstler und Kritiker der Weimarer Republik waren sehr unterschiedlich. Mehr als bloß ein einzelnes »Wunschbild« – wie ein Kritiker es formulierte – war involviert.51 Aus heutiger Sicht können im Fall der Avantgarde die hier geschilderten Faktoren sogar helfen produktiv die Metapher der »Avantgarde«, als ihrer Zeit immer voraus, selbst in Frage zu stellen.52 Konservativen und nationalistischen Künstlern und Kritikern waren jedoch die vermuteten Verbindungen zwischen einer konfliktbeladenen Gegenwart und Vergangenheit nicht weniger wichtig. Die affirmative Hervorhebung des

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explizit deutschen Mittelalters, die Träume von einer Erneuerung der nationalen Kunst sowie die Projektion einer ethisch-moralischen Vorreiter- und Vorbildfunktion des altdeutschen Künstlertums lagen fern von den avantgardistischen Zielen einer sozialen Erneuerung durch die Kunst. Der konservative und nationalistische Diskurs zwischen 1918 und 1933 bediente sich des »deutschen Mittelalters«, um gegen die zeitgenössichen Umstände und die »moderne Kunst« – vor allem gegen den Impressionismus, den Expressionismus, die abstrakte Kunst und den Dadaismus – zu klagen. Das Verhältnis zwischen solchen unterschiedlichen aber doch verwandten Interpretationen ist komplex. Vor allem aber bildet es den historischen Kontext für die bereits erkannte »Beschlagnahme der Gotik durch die Germanenseele«, die nach 1933 zum Programm der Nationalsozialisten wurde.

1 Der Aufsatz ist Teil eines weiter gefassten Forschungsprojektes. Für die großzügige Unterstützung dieser Arbeit in Form eines Stipendiums gilt mein Dank der Alexander von Humboldt Stiftung und meinem Gastgeberinstitut, der Abteilung Kunstgeschichte am Institut für Kunstgeschichte und Archäologie der Universität Bonn. Robert Gerwarth: The Past in Weimar His­ tory, in: Contemporary European History 15/1/2006, S. 1–22, S. 2. 2 Vgl. ibid (wie Anm. 1). 3 Zwei wichtige Beiträge zum Thema sind: Otto Gerhard Oexle: Das Mittelalter und das Unbe­ hagen an der Moderne. Mittelalterbeschwörungen in der Weimarer Republik und danach in: id.: Geschich­ tswissenschaft im Zeichen des Historismus, Göttingen 1996, S. 137–162; Magdalena Bushart: Der Geist der Gotik und die expressionistische Kunst. Kunstgeschichte und Kunsttheorie 1911–1925, München 1990. 4 Adolf Behne: Die »Ja! Stimmen« (Werbeprospekt), 1919, zitiert nach Abeitsrat für Kunst (hrsg. von Manfred Schlösser), Ausstellungskatalog, Akademie der Künste, Berlin 1980, S. 114. 5 Vgl. F[ranz] W[ilhelm] Seiwert: Es kommt auf das Fundament an! in: Die Aktion 10/1920/43–44, S. 613-515. 6 Rudolf Jardon: Deutschtum als Kraft und Ge­ fahr, in: Die Tat 20-1/1928, S. 47–54, S. 47; Felix Stössinger: Was ist uns Frankreich? in: Die Welt­ bühne 17/1922, S. 419-421, S. 419. 7 Ja! Stimmen des Arbeitsrates für Kunst, 1919, Nachdruck in Abeitsrat für Kunst 1980, S. 18 (wie Anm. 4).

8 Eine allgemeine Sehnsucht nach einem »authentischen« Mitttelaltererlebnis scheint hochaktuell zu sein. Vgl. Valentin Groebner: Geht es ein bißchen echter? in: Frankfurter Allgemeine Sonn­ tagszeitung, 19. September 2010, S. 63. 9 Vgl. Wolf Lepinies: The Seduction of Culture in German History, Princeton 2006, S. 9–11. 10 Vgl. Justus H. Ulbricht: »Kunstwerk« versus »Zerrbild«. Der Kampf gegen das Bauhaus im Kontext antiavantgardistischer Kunst­ und Kulturkritik, in: Hellmut Th. Seemann u. Thorsten Valk (Hrsg.): Klassik und Avantgarde. Das Bauhaus in Weimar 1919–1925, Göttingen 2009, S. 304–325, S. 317 f. 11 Vgl. Neil H. Donahue (Hrsg.): Invisible Ca­ thedrals: The Expressionist Art History of Wilhelm Worringer, Pennsylvania 1995; Paul Frankl: The Gothic. Literary Sources and Interpretations through Eight Centuries, Princeton 1960, S. 669–680; Bushart 1990 (wie Anm. 3); Claudia Öhlschläger: Ab­ straktionsdrang. Wilhelm Worringer und der Geist der Moderne, München 2005. 12 Vgl. Paul Fechter: Die Ausstellungen des Son­ derbundes in Köln in: Vossische Zeitung, 4. Juli 1912, zitiert nach Bushart 1990 (wie Anm. 3), S. 102–103. 13 Paul Fechter: Der Expressionismus, München 1914, S. 28. 14 Vgl. z. B. Wilhelm Pinder: Vom Ausdruck­ swert der Mittelalterlichen Kirche, in: Genius 3/1921, S. 66–72. 15 Das Notizbuch befindet sich im Nachlass Emmy Hennings/Hugo Ball, Berlin, Robert-Walser-Stiftung, Schweizerisches Literaturarchiv der Schweizerischen Nationalbibliothek.

61 »eine epoche ähnLich jener Des zu enDe gehenDen MitteLaLters« 16 Vgl. dazu z.B. Heinrich Höhn: Über Sinn und Form des frühen deutschen Holzschnittes, in: Die Rheinlande. Monatsschrift für deutsche Kunst und Dichtung 32-1/1922, S. 17–24; Walter Passarge: Die Stellung des Holzschnitts in der expressionistischen Kunst, in: Der Cicerone 11–15/1919, S. 480–486. 17 Gustav Pauli: Der Krieg und die deutsche Kunst, Vortrag vom 20. November 1914, Hamburg 1915, S. 9. Vgl. Gesamtkunstwerk Expressionis­ mus (hrsg. von Ralf Beil u. Claudia Dillmann), Ausstellungskatalog, Mathildenhöhe Darmstadt, Ostfildern, 2010. 18 Fechter gehörte nach dem Ersten Weltkrieg zu den »Jungkonservativen« der nationalistischrevolutionären Bewegung. In München war er Teil des Kreises um Arthur Moeller van den Bruck, der vor allem als Autor des Buches Das Dritte Reich (1923) bekannt wurde. In den 1920er und 1930er Jahren etablierte sich Fechter als Redakteur einiger großer anti-republikanischer Zeitschriften und war später Teil des konservativen Ringens um das kulturpolitische Erbe des Expressionismus in den ersten Jahren des nationalsozialistischen Regimes. Er war zwischen 1933 und 1940 Mitherausgeber der Deutschen Rundschau. 19 Adolf Behne: Wem gehört die Gotik? in: Sozi­ alistische Monatshefte 23–22/1917, S. 1126–1129. 20 Ibid., S. 1127 (wie Anm. 19). 21 Ibid. (wie Anm. 19). 22 Felix Stössinger: Was ist uns Frankreich? in: Die Weltbühne 17/1922, S. 419–421, S. 419. 23 Jardon 1928, S. 49 (wie Anm. 6). 24 Vgl. z. B. Johannes Günther: Das deutsche Mittelalter und die Gegenwart, in: Der Wächter 4-1/ 1921, S. 35–37. 25 Hans Wolfgang Behm (z. Zt. im Felde): Un­ ser Weg. Ein Frontwort zum Wesen deutscher Kunst, in: Deutschlands Kunst 2–1/1918, S. 1–4, S. 4. 26 F. A. Gießler: Zur Verwilderung der deutschen Kunst, in: Deutschlands Kunst 1–1/1917, S. 50–51, S. 50. 27 Zum Beispiel liest man über die »helle Freude vor diesen [mittelalterlichen] Bildern mit den seltsamen Menschen.« Der Autor fügt hinzu, dass ihre »körperliche Gestaltung mehr als einmal die Frage aufdrängt, ob denn die Leute von 1500 anders gebaut waren, als die von 1900.« Robert Volz: Deutsche Kunst im Zeitalter der Refor­ mation, in: Deutschlands Kunst 1–1/1917, S. 3–22, S. 13.

28 V. A. Arnold: Der Expressionismus und seine Parteigänger, in: Deutschlands Kunst 2–2/1918, S. 49–50, S. 50. 29 Behm 1918, S. 4 (wie Anm. 25). 30 Bernd Hüppauf: Der erste Weltkrieg und die Destruktion von Zeit, in: Hartmut Eggert, Ulrich Profitlich u. Klaus R. Scherpe (Hrsg.): Geschichte als Literatur, Stuttgart 1990, S. 207–225, S. 208. 31 Hans Belting: Identität im Zweifel. Ansichten der deutschen Kunst, Köln 1999, S. 134. 32 Richard Sheppard: Modernism – Dada – Postmodernism, Evanston 2000, S. 68: »elastic, decentred, nonlinear or apocalyptic views of time and history«. 33 Vgl. z. B. Lothar Schreyer: Handwerk und Geistwerk, in: Der Sturm 12–11/1921, S. 185–86; Pinder 1921 (wie Anm. 14). 34 Martin Knauthe: Die Kuntswerkstätten der Stadt Halle in: Das Wort (Halle), 15. April 1923, S. 4. 35 Zu den Vorstellungen von Kunst als Ausdruck der »Gemeinschaft« nach 1933 vgl. Oexle 1996, S. 155–158 (wie Anm. 3). 36 Ja! Stimmen 1919, S. 15 (wie Anm. 19). Die Idee des Künstlersignets fand allerdings unter den befragten Künstlern nur laue Begeisterung – von denjenigen, die die Umfrage beantworteten, gab es nur eine Stimme, die ausdrücklich dafür war – und die kam bezeichnenderweise von einer der nur zwei befragten Frauen, der Hagener Bildhauerin Milly Steger. 37 Zu Seiwerts Begriffswahl der »Neukölnischen Malerschule« als eine Rückbeziehung auf die alt-kölnische »namenlosen proletarischen Künstler«, vgl. Uli Bohnen: Franz W. Seiwert. Leben und Werk, Ausstellungskatalog, Kölnischer Kunstverein, Köln 1978, S. 21. 38 Carl Oskar Jatho: Franz Wilhelm Seiwert, Recklinghausen 1964, S. 17 (Hervorhebung im Original). 39 Vgl. Keith Moxey: Impossible Distance: Past and Present in the Study of Dürer and Grünewald, in: The Art Bulletin 86-4/2004, S. 750–763. 40 Wilhelm Hausenstein: Kairuan oder die Ge­ schichte vom Maler Paul Klee, München 1921, S. 94. 41 Vgl. Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, Frankfurt am Main 1963; Peter Bürger: Theorie der Avantgarde, Frankfurt am Main 1974, S. 64: »Die sakrale Kunst (Beispiel: Kunst des Hochmittelalters) dient als Kultobjekt. Sie ist voll eingebunden in die gesellschaftliche Institution Religion.

62 Debbie Lewer Produziert wird sie handwerklich-kollektiv. Auch die Rezeptionsweise ist kollektiv institutionalisiert.« 42 George Grosz u. Wieland Herzfelde: Die Kunst ist in Gefahr, 1925 in: George Grosz: Ein­ trittsbillett zu meinem Gehirnzirkus. Erinnerungen, Schriften, Briefe, Leipzig 1988, S. 96. 43 Wilhelm Worringer: Kritische Gedanken zur neuen Kunst (Vortragstext), in: Genius 1/1919, S. 221–236, S. 232. 44 Ibid. S. 232 (wie Anm. 43). Ähnlich heißt es bei Seiwert: »der wasserspeier des alten doms zeigt an, daß der sündenfall der individuellen vereinzelung begriffen ist.« Franz Wilhelm Seiwert: drei plastiken zeigen die dialektische entwick­ lung der kunst, in: a bis z, April 1930, S. 25–26, S. 26 (Durchgängige Kleinschreibung im Original). 45 Worringer 1/1919, S. 234 (wie Anm. 43). 46 Ibid. (wie Anm. 43). 47 Andreas Hüneke: Querverbindungen. Zum Beziehungsgeflecht zwischen den Museumsreformern, in: »Das schönste Museum der Welt«. Museum Folk­ wang bis 1933. Essays zur Geschichte des Museum Folkwang, Göttingen 2010, S. 107–123, S. 115.

48 Vgl. dazu Maike Steinkamp: Eine wahrhaft deutsche Schöpfung. Der Kampf um Emil Noldes »Abendmahl« vom Kaiserreich bis zur frühen DDR in: Uwe Fleckner (Hrsg.): Das verfemte Meister­ werk. Schicksalswege moderner Kunst im »Dritten Reich«, Berlin 2009, S. 283–306. Laut Steinkamp war die Hängung des Abendmahls im Mittelaltersaal »nur eine Interimlösung«, S. 291. 49 Kurt Gerstenberg: Neuerwerbungen des Städtischen Museums in Halle a. S., in: Der Cicerone 13-8/1921, S. 253–257, S. 253. (Hervorhebung der Verfasserin). 50 George Grosz: Unter anderem ein Wort für deutsche Tradition, in: Das Kunstblatt 15-3/1931, S. 79-84, S. 79. 51 Franz J. Böhm: Mittelalter und Gegenwart, in: Die Tat. Monatsschrift für Gestaltung neuer Wirk­ lichkeit 20-1/1928 (April), S. 55–58, S. 56. 52 Walter Grasskamp charakterisiert den Begriff wie folgt: »Avantgardismus ist die Suggestion, daß wahre Zeitgenossen ihren Zeitgenossen immer voraus sind. Man pumpt sich Geltung aus der Zukunft, in dem man sie festschreibt.« Walter Grasskamp: Entfernung von der Truppe. Avantgarde als Metapher, in: Neue Rundschau 106-4/ 1995, S. 15–19, S. 15.

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»Urgestalt des deutschen Formerlebnisses« Mittelalter und Moderne in der Kunstkritik nach 1933

Im Oktober 1933 veröffentlichte der Kunsthistoriker Paul Ferdinand Schmidt in der völkisch-nationalen Zeitschrift Deutsches Volkstum einen Aufsatz unter dem Titel Die Urgestalt des deutschen Formerlebnisses.1 In diesem konstruierte der Autor eine Traditionslinie der deutschen Kunst, die von der frühmittelalterlichen Ornamentik, über die Romanik, Gotik und Romantik bis zur Gegenwart führte. Das Ziel des Artikels bestand vor allem darin, das aktuelle Kunstschaffen, welches für ihn der Expressionismus darstellte, als spezifisch deutsch zu legitimieren.2 Schmidt war mit dieser Rückbindung der Moderne insbesondere an die Kunst des Mittelalters nicht allein. Schon seit der Weimarer Republik hatte das Mittelalter immer wieder als Projektionsfläche für künstlerische und kulturelle Neuentwürfe der Gegenwart fungiert, die sich in dem Wunsch nach einer neuen Epoche der »Ganzheit«, »Gemeinschaft« und dem Verlangen nach Gewissheit und wahrer Erkenntnisse äußerten.3 Auch in den 1930er Jahren galt das Mittelalter für eine Vielzahl von Kunsthistorikern und Kritikern als Referenzpunkt, um damit nicht zuletzt ihre Auffassungen von den Aufgaben und dem Aussehen einer zeitgenössischen deutschen Kunst im Nationalsozialismus zu begründen. Dies galt sowohl für die Vertreter eines konservativen Modernismus, zu denen auch Paul Ferdinand Schmidt zählte, als auch für die völkisch-nationalen Kräfte innerhalb der NSDAP, wie Paul Schultze-Naumburg oder Alfred Rosenberg. Allerdings unterschied sich die Art und Weise, wie die Kunst des Mittelalters von diesen beiden Lagern für die Gegenwart instrumentalisiert wurde. Während die völkische Kunstkritik in der Gegenüberstellung von mittelalterlicher Plastik und moderner Kunst den Verfall der Moderne vor Augen führen wollte, nutzten die pro-modernen Kräfte die Kunst des Mittelalters, um die Ähnlichkeiten zwischen ihr und dem von ihnen propagierten Expressionismus herauszustellen. Beiden Lagern war dabei gemein, dass sie in der Kunst des Mittelalters den Beginn einer spezifisch deutschen oder »nordisch-germanischen« Kunsttradition verwirklicht sahen, die ihrer Meinung nach auch in späteren Zeiten – wie beispielsweise im Barock oder der Romantik – immer wieder Gestalt annahm.

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Auch Paul Ferdinand Schmidt griff in seinem Aufsatz von 1933 diese Traditionslinie auf. Der Kunsthistoriker hatte sich vor allem in den 1920er Jahren in Büchern und Ausstellungen für die Moderne und insbesondere den Expressionismus eingesetzt.4 Schon in dieser Zeit hatte er die »nordisch-germanischen« Wesenszüge der deutschen Kunst herauszuarbeiten versucht und die Nivellierung nationaler Spezifika zugunsten einer Internationalisierung in der aktuellen Kunst verurteilt.5 Diesen Internationalisierungsdrang vieler Künstler und Kunsthistoriker kritisierte er auch 1933 in seinem Beitrag im Deutschen Volkstum. Für ihn bestand dadurch eine grenzenlose Unklarheit über die Herkunft und das Wesen der Kunst.6 Diese Unklarheit versuchte Schmidt in seinem Artikel mit einem Blick auf die »eigentümlich germanische Form der Kunst« auszuräumen, deren Ursprung er in der Ornamentik der Völkerwanderungszeit begründet sah. In ihr offenbare sich, so Schmidt, eine Weltanschauung, die man auch in späteren Jahrhunderten in verschiedenen Ausformungen immer wieder dann antreffe, »wo germanisches Gefühl seinen Ausdruck suche«.7 Dieses germanische Gefühl sah Schmidt in einem tief verwurzelten Pessimismus und Mißtrauen gegenüber der Wirklichkeit begründet, aus dem einzig die Religion Erlösung versprach. Für die Kunst bedeutete dies einen Hang zur Transzendenz und Abstraktion. Dies implizierte gleichzeitig eine Zurückweisung naturalistischer Darstellungsformen, die er im Gegensatz zu dem seiner Meinung nach abstrahierenden, germanisch/nordischen Formverständnis, als romanisch interpretierte, eine Beurteilung, die nicht neu war. Schon in kunsthistorischen Abhandlungen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts unterschied man oftmals zwischen einem nordischen und romanischen Stilempfinden, welches durch die jeweiligen geografischen, klimatischen und ethnischen Bedingungen eines Landes oder einer Region definiert wurden.8 Im Hinblick auf die Kunst der Moderne wurde die Herausarbeitung eines spezifisch nordischen Formempfindens vor allem durch Wilhelm Worringers 1908 erschienenes Buch Abstraktion und Einfühlung geprägt. Dabei stellte Worringer selbst in seinem Buch überhaupt keine Parallele zur Kunst der Gegenwart her. Vielmehr beschränkte er sich in seiner Analyse auf die vorchristliche und mittelalterliche Ornamentik, wobei er den »nordischen Völkern« den Hang zu einer linear-geometrischen, anorganischen Formensprache bescheinigte, die durch unheimliches Pathos und stärkste Ausdruckskraft geprägt sei.9 Die Kunst der Romanen interpretierte er hingegen als harmonisch, rational und vom Naturvorbild geprägt. Der von Worringer proklamierte »nordische« Drang zur Abstraktion und zum empathischen künstlerischen Ausdruck, war von den Verfechtern und Künstlern des Expressionismus in den 1910er und 1920er Jahren begeistert aufgenommen worden, erschienen seine Worte doch als Legitimation für den gewünschten Bruch mit dem abfällig als »Naturalismus« erachteten Impressionismus, für das neuerweckte Interesse am Primitiven und der Wiederentdeckung antiklassischer Stile, wie beispielsweise dem Barock.10 Auch in Schmidts Aufsatz findet man viele Argumente

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Worringers wieder, obwohl es diesem in seinem Buch nicht um die Bestimmung eines spezifisch deutschen Stils ging. Anders dagegen bei Schmidt: Mit seinem Artikel aus dem Jahr 1933 wollte er unmißverständlich aufzeigen, dass die deutsche Kunst aus einer ausdrucksmächtigen, antinaturalistischen mittelalterlichen Formensprache erwachsen war, die trotz wiederkehrender Einflüsse einer, wie er schrieb, »blutsfremden«, aber formal überlegenen Kunst aus dem Süden und Westen, immer wieder in Erscheinung trat, wie in der Spätgotik, dem Rokoko oder der Romantik.11 Das Offenlegen dieses Umstandes sah Schmidt gerade zum aktuellen Zeitpunkt für mehr als nötig an, galt es doch den »immer wieder und heute besonders gefährlich sich erhebenden Zweifel an der Berechtigung ›unnatürlicher‹, ›deformierender‹ Gestaltung zu beseitigen«. Es sei einfach nicht wahr, dass Kunst sich immer an der Naturform orientiere. Zur Unterstreichung seiner Behauptung führte Schmidt unter anderem die romanische Ornamentik, Plastik und Wandmalerei auf, in der jene »abstrakte Schreckenslinie« der »Urgestalt aus der Völkerwanderungszeit« sich selbstständig fortentwickelt habe, die »in der für das rationalistische Gemüt Befremdende, für uns das Selbstverständliche die starke Deformation der Naturformen in der Menschen- und Tierdarstellung« zeige. Und zwar nicht, so Schmidt weiter, aus »technischer Unbehilflichkeit« sondern aus »Verachtung des Augenscheins«.12 Gerade in jüngster Zeit hätten Künstler »germanischer Rasse« wie van Gogh und Munch und ebenso Nolde, Schmidt-Rottluff oder Barlach das Ideal der Vergeistigung aller Dinge wieder aufgegriffen und eine neue Form für die »germanische Weltanschauung« geschaffen. Für Schmidt griffen die Expressionisten also genau die Merkmale der Kunst auf, die bereits im Mittelalter angelegt waren und die er zuvor als typisch »nordisch« beschrieben hatte. Es verwundert daher kaum, dass er zum Abschluss seines Beitrags eine direkte Analogie zwischen beiden herstellte. Er schrieb: »Sie [die Expressionisten] sind die Erben des Geistes, der romanische und spätgotische Säulenheilige und Gemarterte geschaffen hat; Blut von ihrem Blute, so nahe der Identität, daß man oft und leicht ihre Werke in Ausschnitten gegeneinander austauschen und einem unbefangenem Betrachter vorlegen könnte zur vergeblichen Beantwortung der Frage: was gehört hier dem vierzehnten oder fünfzehnten Jahrhundert an – und was ist zwanzigstes Jahrhundert? Die Antwort lautet aber schlechthin: dies ist zeitlos, nordisch, deutsch, germanisches Blut.«13

Mit dieser Gleichsetzung von formalen Kriterien in der bildenden Kunst und ethnischen Zuschreibungen versuchte Schmidt den zu dieser Zeit von Seiten der Nationalsozialisten bereits stark unter Beschuss geratenen Expressionismus als deutsche Ausdruckskunst zu legitimieren. Schmidt war mit diesem Ansinnen nicht allein. Eine Reihe von Kunsthistorikern und Kritikern, die zum Teil bereits in den 1920er Jahren eine nationale Lesart des Expressionis-

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mus verfolgt hatten, setzten sich nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933 weiterhin für ihn ein. So auch Alois Schardt, der im Sommer 1933 – wenn auch nur für kurze Zeit – die Leitung der Nationalgalerie in Berlin übernommen hatte und der, ähnlich wie Schmidt, in seinen Vorträgen und Schriften eine Parallele zwischen dem Mittelalter und der Kunst des Expressionismus zog. In beiden sah er die Wesensmerkmale der deutschen Kunst, so der Titel seiner unveröffentlichten Denkschrift aus dem Sommer 1933, am eindrücklichsten verwirklicht.14 Auch er betrachtete das Ornament als »Grundzug deutschen Wesens«, welches den »gegenständlichen Naturalismus im irrationalen Sinne« umzuformen verstand, sich während des gesamten Mittelalters trotz »Überfremdungen« weiter durchzusetzen vermochte und sich in den gotischen Domen, den Arbeiten von Meister Bertram und Franke, von Altdorfer bis zum »deutschen Dürer« und den Werken von Matthias Grünewald zeigte.15 Ähnlich wie Schmidt unterschied Schardt zwischen einem nordischen und romanischen Formverständnis. So dürfe es nicht das Ziel sein, Grieche oder Römer zu werden oder romanische Gefühlsinhalte in romanischer Formensprache darzustellen; niemals könne das romanische eine Weiterbildung des nordischen Schönheitsideals sein. Vielmehr müsse sich das deutsche Volk, welches sich in der bildenden Kunst jahrhundertelang als minderwertig und unterentwickelt empfunden habe, seiner »eigenen Art« bewusst werden.16 Die Ablehnung des romanischen Formverständnisses war vor allem eine Absage an die Kunst der Renaissance, die, laut Schardt, wesentliche Teile des deutschen Gefühls- und Empfindungslebens hinweggeschwemmt habe.17 Nicht nur Schardt stigmatisierte die Kunst der Renaissance als »undeutschen« Kulturimport und lastete ihr die Zersetzung der vorgeblich ganzheitlichen Natur des »deutschen« Mittelalters an. Ganz im Gegenteil war seine Beurteilung eine durchaus gängige Interpretation, die spätestens seit der Romantik und den Nationalstildebatten des ausgehenden 19. Jahrhunderts nicht nur im Hinblick auf die künstlerische Avantgarde immer wieder angeführt wurde.18 Bei der Ablehnung der Renaissance ging es nicht zuletzt darum, sich von einem künstlerischen und kunsthistorischen Idealbild zu befreien und eine eigene kulturelle Identität aufzubauen.19 Der eigene Kulturraum, die Beschaffenheit der Landschaft, die klimatischen Bedingungen ebenso wie die »Wesensart« des Volkes oder der Rasse wurden zum zentralen Analysewerkzeug. Der künstlerische Ausdruck wurde – vor allem in den Texten der 1930er Jahre – als schicksalshaft, als Spiegel des inneren Wesens und der völkischen Zugehörigkeit interpretiert, die Zeiten der »Überfremdung« als Übergangserscheinungen bis zur Rückkehr zum eigenen Stil gewertet. So habe man, wie der Kunstkritiker Bruno E. Werner 1934 feststellte, über die Jahrhunderte bemerkt, wie fern die deutsche Kunst dem Wollen nach Schönheit oder reizvoller Wirklichkeitswiedergabe gestanden habe. Man habe erkannt, dass die mangelnde »Richtigkeit« mittelalterlicher Kunst aus einem »tiefen inneren und jenseitigen Erlebnis entsprang, dessen Stil nicht Unvermögen war, sondern Ausdruck des Nicht-Anders-Könnens, des Nicht-Anders-Wollens«.20

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1. Titelseite der Zeitschrift »Kunst der Nation« 3–1/1935

Für viele der pro-modernen Kritiker hatte erst der Expressionismus diese »Wesensmerkmale« nach langer Zeit wieder zum Vorschein gebracht. Selbst innerhalb der NSDAP hatte sich im Sommer 1933 eine kulturelle Opposition aus jungen Künstlern und Kritikern formiert, welche in der Kunst eines Barlach, Nolde oder Schmidt-Rottluff eine neue deutsche Ausdruckskunst aus dem Geiste des Mittelalters verwirklicht sah.21 Eines ihrer Sprachrohre war die im November 1933 gegründete Zeitschrift Kunst der Nation. Sie verstand sich als Forum für die moderne Kunst im Nationalsozialismus und publizierte vor allem Artikel zum zeitgenössischen Kunstschaffen oder zur aktuellen Kunstdiskussion.22 Aber auch kunsthistorische Beiträge waren vertreten, wobei diese fast ausschließlich die Kunst des Mittelalters, die Dürerzeit oder die Romantik behandelten. Auch sie müssen, wenngleich sie zumeist nicht direkt auf das aktuelle Kunstschaffen Bezug nahmen, als Versuch einer Legitimierung der Moderne im NS-Staat angesehen werden.23 Genauso verhielt es sich mit den großformatigen Abbildungen, die jede Titelseite der Kunst der Nation zierten. Diese standen zumeist in keinem direkten Zusammenhang mit den

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auf der Seite abgedruckten Artikeln. Trotzdem war ihre Platzierung nicht zufällig. Besonders deutlich tritt dieser Umstand auf der Titelseite der Kunst der Nation vom Januar 1935 zu Tage, kurz vor der Einstellung des Blattes (Abb. 1). Zu sehen ist eine Detailansicht der spätmittelalterlichen Tumba Johanns III. von Nassau-Saarbrücken und seinen beiden Ehefrauen – abgebildet ist Johanna von Loon-Heinsberg – die sich in der Stiftskirche St. Arnual in Saarbrücken befindet (nach 1470). Die Schwarz-Weiß-Fotografie wird bereits durch den auffälligen seitlich abgedruckten Schriftzug »Deutsche Ehre – Deutsche Treue« in einen nationalen Kontext gestellt. Darüber hinaus bildet sie den Referenzpunkt zu dem darunter abgedruckten programmatischen Artikel des Herausgebers des Blattes, William König, in dem dieser aufrief, den Kampf um das »große herrliche Kunstschaffen der Deutschen« nicht aufzugeben. Wie aus dem Beitrag hervorgeht, hieß dies für ihn, nicht einem am fotografischen Abbild orientierten Kunstverständnis anzuhängen, sondern weiterhin für die Durchsetzung der modernen Kunst im NS-Staat zu kämpfen.24 Dazu war es jedoch zu diesem Zeitpunkt schon zu spät. Einen Monat nach Erscheinen des Aufrufs wurde die Zeitschrift auf Grund des politischen Drucks eingestellt. Bereits ein halbes Jahr zuvor hatte sich Adolf Hitler auf dem Reichsparteitag in Nürnberg im September 1934 in seiner Rede zur Kultur explizit gegen die Kunst der Moderne ausgesprochen, nicht ohne dabei auch auf das Mittelalter zu verweisen.25 In der nationalsozialistischen Geschichtspolitik galt das Mittelalter als Zeit der nationalen Stärke und »völkischen« Einheit. Erst mit dessen Ende, so Hitler in seiner Rede, sei es zu nationaler Zerrissenheit der Völker und zusätzlich noch zu geistiger Wirrnis gekommen, wodurch anstelle einer »gesunden, weil im eigensten inneren Wesen verankerten Kulturempfindung und Kunstauffassung« ein mechanisch kopierter Stil getreten sei.26 Für Hitler erwuchsen Kunst und Kultur aus einem »rassischen« Empfinden, aus dem »inneren Wesen« eines Volkes – eine Auffassung, die durchaus auch von den pro-modernen Kritikern vertreten wurde. Allerdings zeigte sich für Hitler dieses Eigene nicht in der Kunst der Moderne. Im Gegenteil, er verurteilte sie als Modeerscheinung, die durch ihr »wildes Durcheinander von tiefst Empfundenem und mechanisch Kopiertem, von genial Verarbeitetem und frech Vorgetäuschtem« den Stempel der Entartung trug.27 Bereits 1932 hatte der Architekt und Rassentheoretiker Paul SchultzeNaumburg in seinem Buch Kampf um die Kunst eine ähnliche Abwertung der Moderne vorgenommen.28 Bestehende Ressentiments aus den 1910er und 1920er Jahren aufnehmend, verurteilte er die moderne Kunst als internationalistisch und »Verhöhnung des deutschen Menschentums«. Um seine Ansichten zu stützen, stellte er den aktuellen Entwicklungen Werke aus früheren Jahrhunderten gegenüber, wobei er insbesondere der Kunst des Mittelalters eine Vorbildfunktion einräumte. Als Fallbeispiel zog er unter anderem den Bamberger Reiter (um 1230) heran, den er als »Heldengedicht auf die Nordische Rasse« beschrieb. Es seien solche Menschenbilder, so Schultze-

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2. Seite aus Paul SchultzeNaumburgs »Kampf um die Kunst« (1932) mit einer Abbildung des Bamberger Reiters und Oskar Kokoschkas Liebespaar von 1913

Naumburg, in denen der »nordische Mensch« seine Führer erkenne und noch heute »das edelste Vorbild kraftvollen und männlichen Wesens« erblicke.29 Um den Unterschied zu den von ihm als »degeneriert« klassifizierten Werken der Moderne zu verdeutlichen, stellte er in seinem Buch eine Abbildung des Bamberger Reiters in direkten bildlichen Vergleich zu Oskar Kokoschkas Liebespaar von 1913, wobei letzteres Gemälde stellvertretend für alle modernen Kunstwerke stand und im Text nicht einmal eine explizite Erwähnung fand (Abb. 2). Die Schönheit und Vollendung der mittelalterlichen Plastik, sollten die »Deformationen« und körperlichen Unzulänglichkeiten des zeitgenössischen Werkes umso deutlicher herausstellen. Schultze-Naumburg bestritt nicht, dass es Parallelen zwischen der Kunst des Mittelalters und der zeitgenössischen Kunst gab, wie die pro-modernen Kritiker immer wieder betonten. Allerdings sah er diese Parallele nur in den mittelalterlichen Grotesken verwirklicht, in denen man jedoch keinesfalls Werke sehen dürfe, so SchultzeNaumburg, in der die »Gesittung eines Volkes ihr Zielbild« erblickt habe.30 Auch bei den Modernen fände man manchmal Darstellungen, die mit großer Begabung gewissen »Entartungserscheinungen des Lebens« Ausdruck verlie-

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hen. Doch zeuge es von Ahnungslosigkeit, wenn man dabei – als Beispiel zeigte er Barlachs Bronze Stehende Bäuerin von 1921 – von »Nordischer Kunst« spreche, würde in dem gezeigten Werk doch überzeugend zum Ausdruck gebracht, durch welche Abgründe der »leiblich und seelisch schwer entartete Mensch mongoloiden Blutes« vom »Nordischen Menschen« getrennt sei (Abb. 3).31 Wie aus dem angeführten Zitat ersichtlich wird, zeigte sich für Schultze-Naumburg in der künstlerischen Darstellung eines Werkes die Rassenzugehörigkeit und Verfassung eines Künstlers, die gleichsam Rückschlüsse auf den Zustand des jeweiligen Volkes zuließen.32 »Nordisch« waren dabei für ihn Werke, die dem »nordischen«, für ihn klassischen Schönheitsideal entsprachen und in ihrer künstlerischen Vollendung gleichzeitig das »deutsche« Wesen verkörperten. Ähnlich hatte bereits Alfred Rosenberg, der Leiter des 1929 gegründeten Kampfbundes für Deutsche Kultur, in seinem 1930 erschienenem Hauptwerk Der Mythus des 20. Jahrhunderts argumentiert. So war für Rosenberg das »Wesen der germanischen Kunst« durch ein ethnisch determiniertes Schönheitsideal und eine »seelisch-rassische« Haltung bestimmt, die sie von der Kunst anderer Völker unterschied.33 Das »nordische« Schönheitsideal zeichnete sich für ihn dabei in einer hohen schlanken Gestalt, mit blitzenden hellen Augen, hoher Stirn und mit kraftvoller, aber nicht übermäßiger Muskulatur aus. Dieses Ideal zeigte sich, laut Rosenberg, unter anderem in den Köpfen der Stauferkönige und dem Magdeburger Reiterstandbild. An diesen Kunstwerken könne man erkennen, dass dort »Inneres und Äußeres ein enges, seelisches-rassisches Geschlecht« ergeben, wie es sich in tausend Formen immer wieder zeige, und was man, wenn es auftrete, als große Kunst empfinde.34 Die emphatische Ausdruckskraft und der Abstraktionsdrang, die die Befürworter der Moderne für die »nordische«, deutsche Kunst reklamierten, fanden in den Interpretationen von Schultze-Naumburg oder Rosenberg keinen Niederschlag. Sie wurden im Gegenteil von völkischer Seite stark angegriffen. So empörte sich Alfred Rosenberg 1934 in seiner Schrift Revolution in der bildenden Kunst über die Versuche »mancher Kunstgelehrter«, die von einer »ekstatischen Willenhaftigkeit« des Deutschen sprachen und sich bemühten, gerade diese Ekstase mit Beispielen aus allen Jahrhunderten als besonders »nordisch-deutsch« herauszustellen.35 Nie, so Rosenberg weiter, sei die germanische Kunst ekstatisch oder willkürlich gewesen, vielmehr sei sie in ihrer inneren Treue zum »geliebten Wesen« stets naturnah geblieben.36 Von daher lebe derjenige, der der »germanischen Kunst heute die Ekstase als ihr Wesen zuschreiben möchte, […] noch in der ganzen kranken Bewegung der letzten 50 Jahre« und es helfe nichts, wenn man als rettenden Begriff den Expressionismus als eine besonders völkisch-nationale Kunst hinstelle. Stattdessen finde man das deutsche Wesen, in »Stein gemeißelt, schöner als alle Ekstasen, im Bamberger Reiter, im Staufer-Denkmal zu Magdeburg« ebenso wie in Holbeins Madonna, dem gotischen Dom oder der romantischen Malerei eines Caspar David Friedrich.37

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3. Doppelseite aus Paul Schultze-Naumburgs »Kampf um die Kunst« (1932) mit Abbildungen mittelalterlicher Grotesken und einer Fotografie von Ernst Barlachs Stehende Bäuerin (1921)

Rosenbergs Position war nicht unumstritten. Sein Buch von 1934 fiel in eine Zeit, in der die Diskussionen um die Ausrichtung der Kunst im nationalsozialistischen Staat zumindest offiziell noch nicht entschieden waren. Die parteiinternen Machtkämpfe zwischen Joseph Goebbels und Alfred Rosenberg weckten bei vielen pro-modernen Kritikern immer noch die Hoffnung, dass der Expressionismus und die in seiner Tradition stehende Malerei im »Dritten Reich« noch eine Chance haben könnte. Die Rückbindung an das Mittelalter – an die Zeit »deutscher Größe« – half dabei eine Traditionslinie deutscher Kunst zu zeichnen, welche den Expressionismus als scheinbar notwendige Konsequenz aus der Entwicklung der deutschen (Kunst-) Geschichte auslegte. Die bereits bestehenden Interpretationen des Expressionismus als nationale, deutsche Kunst aus den 1920er Jahren wurden dabei fortgeführt, wenn auch radikalisiert und stärker mit ethnischen Argumenten untermauert. Doch auch die völkische Kunstkritik bediente sich des Mittelalters um ihre Vorstellungen von einer zeitgenössischen Kunst im Nationalsozialismus mit Hilfe von Beispielen aus früheren Jahrhunderten zu unterstreichen – und zwar mit Vorstellungen, die sich maßgeblich von denen der pro-modernen Kritik unterschieden. Erstaunlich ist jedoch, wie sehr sich die Argumente der beiden Lager ähnelten. Von beiden wurde das Mittelalter als Zeit nationaler

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Einheit und Stärke verklärt und die Kunst als genuiner Ausdruck der »nordischen« Seele und des deutschen Formempfindens hervorgehoben. Sie wurde als Ideal einer gemeinschaftsverbundenen, »arteigenen«, »rassenspezifischen« Kunst gewürdigt, deren Charakteristiken auch in späteren Jahrhunderten immer wieder in Erscheinung getreten seien. Doch auch wenn sich die Argumentationsmuster und Kategorien wie »Rasse« und »Nordisch« ähnelten, muss beachtet werden, dass sie von den beiden Lagern unterschiedlich hergeleitet und dementsprechend anders begriffen wurden. So wurde »Rasse« von den völkischen Kreisen rein biologistisch verstanden, wodurch es nicht zuletzt möglich wurde, neben der Kunst des Mittelalters, auch die der Hellenen und der italienischen Renaissance als »artverwandt« und somit als Vorbild zu verstehen. Demzufolge gehörten die Künstler zwar unterschiedlichen Völkern an, entstammten jedoch, so die völkischen Interpreten, »blutsmäßig« aus einer Wurzel. Hingegen verstanden die national-konservativen Modernisten »Rasse« vornehmlich als kulturell-geografisches Phänomen. Gemein war den Kritikern aus beiden Lagern jedoch der Wunsch aufzuzeigen, dass das künstlerische Ideal der mittelalterlichen Kunst – welches gleichzeitig auch als ein politisches Ideal verstanden wurde – im zeitgenössischen Kunstschaffen erneut sichtbar wurde und damit nicht zuletzt auch dem politischen Anspruch bildhaften Ausdruck verlieh. Doch während die völkische Kunstkritik dieses Ideal in einer volkstümlichen am Naturvorbild orientierten allgemeinverständlichen Kunst verwirklicht sah, setzten die Befürworter der Moderne auf eine abstrahierende, expressive und vergeistigte Ausdruckskunst aus der Tradition des Expressionismus. Letztlich fanden die Ansichten der pro-modernen Fraktion kein Gehör. Spätestens mit der Aktion »Entartete Kunst« 1937 wurde die Moderne endgültig dem Blick der Öffentlichkeit entzogen und durchweg als »degeneriert« diffamiert. Was sich durchsetzte, war eine eklektizistische Genremalerei, die in traditionalistischen Darstellungen und in einem realistisch-verklärenden Abbild des »heldischen nordischen Menschen« (Schultze-Naumburg) ihr Ideal erblickte.

1 Das Deutsche Volkstum war 1917 aus der Zeitschrift Bühne und Welt hervorgegangen und bediente vor allem ein national-konservatives, bürgerliches Lesepublikum, das der Moderne jedoch nicht ganz unaufgeschlossen gegenüberstand. Vgl. Ascan Gossler: Publizistik und konservative Revolution. Das »Deutsche Volkstum« als Organ des Rechtsintellektualismus 1918–1933, Hamburg 2001. 2 Vgl. Paul Ferdinand Schmidt: Die Urgestalt des deutschen Formerlebnisses, in: Deutsches Volkstum 15–20/1933 (2. Oktoberheft), S. 848–852.

3 Vgl. Otto Gerhard Oexle: Das Mittelalter und das Unbehagen der Moderne. Mittelalterbeschwörungen in der Weimarer Republik und danach, in: id.: Geschichtswissenschaften im Zeichen des Historismus. Studien zur Problemgeschichte der Moderne, Göttingen 1996, S. 137–162, S. 150 f. 4 Paul Ferdinand Schmidt war von 1919 bis 1924 Direktor der Städtischen Kunstsammlungen in Dresden, wo er eine beeindruckende Abteilung für Gegenwartskunst aufbaute. Sein Engagement für die Moderne wurde schnell unterbunden, 1924 wurde er aus seinem Amt entlassen. Vgl. Gisbert Porstmann: Paul Ferdinand

73 »UrgeStalt deS deUtSchen ForMerlebniSSeS« Schmidt und sein Engagement für die Moderne in den Städtischen Sammlungen, in: Dresdner Hefte 77-1/2004, S. 10–16. 5 Vgl. Paul Ferdinand Schmidt: Die Kunst der Gegenwart, Berlin 1922, S. 88 u. S. 85. 6 Vgl. Schmidt 1933, S. 848 (wie Anm. 2). 7 Ibid. 8 Zum Begriff der »nordischen« Kunst und seiner Verwendung vgl. Susen Krüger Saß: »Nordische Kunst« Die Bedeutung des Begriffs während des Nationalsozialismus, in: Ruth Heftrig, Olaf Peters u. Barbara Schellewald (Hrsg.): Kunstgeschichte im »Dritten Reich«. Theorien, Methoden, Praktiken, Berlin 2008, S. 224–244. 9 Vgl. Wilhelm Worringer: Abstraktion und Einfühlung. Ein Beitrag zur Stilanalyse, München 1981 [1908], S. 149 u. S. 151. Worringer führte das spezifisch »nordische« Kunstschaffen auf die abweisenden klimatischen Bedingungen im Norden zurück. 10 Zum Verhältnis von Mittelalter, insbesondere der Gotik, und dem Expressionismus vgl. Magdalena Bushart: Der Geist der Gotik und die expressionistische Kunst. Kunstgeschichte und Kunsttheorie 1911–1925, München 1990. 11 Vgl. Schmidt 1933, S. 851 (wie Anm. 2). 12 Vgl. ibid., S. 849. 13 Ibid, S. 852 14 Vgl. Alois Schardt: Wesensmerkmale der deutschen Kunst, unveröffentlichtes Manuskript, Juni 1933, Los Angeles, The Getty Center for the History of Art and Humanities, Archives of the History of Art, Alois J. Schardt Papers, #910172. Ich danke Olaf Peters für das zur Verfügung stellen des von ihm transkribierten Manuskripts. Eine Veröffentlichung des Textes sowie anderer Schriften von Alois Schardt ist in Vorbereitung. Vgl. Ruth Heftrig, Olaf Peters u. Ulrich Rehm (Hrsg.): Alois J. Schardt – ein Kunsthistoriker zwischen Weimarer Republik, »Drittem Reich« und Exil in Amerika, Berlin 2013 (in Vorbereitung). Teile der im Manuskript verarbeiteten Gedanken wurden von Alois Schardt in Vorträgen einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt, die, glaubt man den zeitgenössischen Pressebesprechungen, sich einer großen Resonanz erfreuten. Vgl. u. a. Bruno E. Werner: Was ist deutsche Kunst? Vortrag von

Prof. Alois Schardt, in: Deutsche Allgemeine Zeitung, 11. Juli 1933. 15 Vgl. Werner 1933 (wie Anm. 14). 16 Vgl. Schardt 1933, S. 10 u. S. 1 (wie Anm. 14). 17 Vgl. ibid., S. 32 18 Vgl. Lars Olof Larsson: Nationalstil und Nationalismus in der Kunstgeschichte der zwanziger und dreißiger Jahre, in: Lorenz Dittmann (Hrsg.): Kategorien und Methoden der deutschen Kunstgeschichte 1900–1930, Stuttgart 1985, S. 169–184, S. 170. 19 Vgl. Justus H. Ulbricht: »GermanischeDichterische Monumentalkunst« und »nordischer Expressionismus«, in: Karlheinz Barck u. Richard Faber (Hrsg.): Ästhetik des Politischen – Politik des Ästhetischen, Würzburg 1999, S. 59– 77, S. 67. 20 Vgl. Bruno E. Werner: Vom bleibendem Gesicht der deutschen Kunst, Berlin 1934, S. 130. 21 Vgl. [ohne Autor]: Deutsche Kunst ringt um Ausdruck, in: Die Weltkunst 32/1936 (6. August), S. 2–3. 22 Zur Zeitschrift Kunst der Nation vgl. Stefan Germer: Kunst der Nation. Zu einem Versuch die Avantgarde zu nationalisieren, in: Bazon Brock u. Achim Preiß (Hrsg.): Kunst auf Befehl? Dreiunddreißig bis Fünfundvierzig, München 1990, S. 21–40. 23 Vgl. u. a. Johannes Jahn: Die Entdeckung der deutschen Kunst, in: Kunst der Nation 2-2/1934 (1. Januar), S. 1-2; Georg Gustav Wießner: Norden und Süden, in: ibid. 2–5/1934 (1. März), S. 1; Wilhelm Pinder: Vom Wikingertum unserer Kultur im Spiegel der neueren deutschen Kunstentwicklung, in: ibid. 2–13/ 1934 (1. Juli), S. 1. 24 Vgl. William König: Nicht gegeneinander, sondern miteinander!, in: Kunst der Nation 3-1/1935, S. 1. 25 Vgl. Adolf Hitler: Kunst verpflichtet zur Wahrhaftigkeit, Rede auf der Kulturtagung der NSDAP auf dem Reichsparteitag in Nürnberg, 5. September 1934, abgedruckt in: Adolf Hitler: Reden zur Kunst- und Kulturpolitik 1933–1939, hrsg. von Robert Eikmeyer, Frankfurt am Main 2004, S. 63-96, S. 68. 26 Vgl. ibid., S. 68. 27 Vgl. ibid., S. 69. 28 Vgl. Paul Schultze-Naumburg: Im Kampf um die Kunst, München 1932. Seine Thesen

74 Maike SteinkaMp aus dem Buch stellte Schultze-Naumburg darüber hinaus in zahlreichen Vorträgen in ganz Deutschland einem breiten Publikum vor. Auch dort fungierte der Bamberger Reiter und andere Hauptwerke der hochmittelalterlichen Epoche, wie ein Rezensent von einem dieser Vortragsabende schrieb, als positive Beispiele gegenüber besonders schwer verständlichen Künstlern der Moderne. Dies habe den Erfolg gehabt, so der Rezensent, dass das Publikum sich vor Lachen biege. Vgl. B. D.: Herr Schultze aus Naumburg, in: Weltkunst 5–9/ 1930 (1. März), S. 8. 29 Vgl. Schultze-Naumburg 1932, S. 14 f (wie Anm. 28).

Vgl. ibid., S. 21. Vgl. ibid. 32 Vgl. ibid., S. 34. 33 Vgl. Alfred Rosenberg: Der Mythus des 20. Jahrhunderts. Eine Wertung der seelische-geistigen Gestaltenkämpfe unserer Zeit, München 1934 [1930], S. 277 ff. 34 Vgl. ibid, S. 291 f. 35 Vgl. Alfred Rosenberg: Revolution in der bildenden Kunst?, München 1934, S. 6. 36 Vgl. ibid., S. 8 f. 37 Vgl. ibid., S. 7 f. 30 31

Jeannet Hommers

»Der zarte Tyrann aus der Sandsteinstadt Würzburg« Ein Beitrag zur Riemenschneider-Rezeption

Mit der Wiederentdeckung seines Grabsteines durch Carl Gottfried Scharold im Jahre 1822 erhielt Tilman Riemenschneider (um 1460–1531) Eingang in die kunstwissenschaftliche Forschung. Das Interesse galt (und gilt) dabei nicht nur seinen Werken, sondern angesichts des Topos von dem in Vergessenheit geratenen mittelalterlichen Bildschnitzer ebenso dem Leben und Charakter des Künstlers, der sich als Mitglied des Rates der Stadt Würzburg in den Bauernkriegen auf die Seite der Bauern stellte.1 Obwohl Justus Bier bereits im Jahr 1925 warnte, dass die »scheinbar leichte Zugänglichkeit seiner Kunst […] eine ganze Reihe ungeschulter Kunstliebhaber [verlockte] sich an seiner Biographie zu versuchen«2, musste Vincent Mayr noch im Jahr 2004 darauf hinweisen, dass »der Großteil aller Lexikonartikel über ihn mehr als die Hälfte ihrer Zeilenzahl für Riemenschneiders Leben und Engagement benötigen«.3 Nach dem von Bier begonnenen mehrbändigen Werkverzeichnis entstanden vor allem nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten, in den 1930er und 1940er Jahren, die ersten umfassenden Monografien zu Riemenschneider, wie jene von Fritz Knapp, Theodor Demmler, Kurt Gerstenberg und Hans Kauffmann.4 Dennoch zeigt sich sowohl an der Anzahl der Seiten, die man Riemenschneider widmete, als auch an den zu ihm getätigten Äußerungen, dass er im Gegensatz zu Albrecht Dürer, Matthias Grünewald, Hans Holbein und vielen anderen mittelalterlichen Künstlerpersönlichkeiten in der nationalsozialistischen Kunstgeschichte eine sehr viel geringere Bedeutung hatte.5 Dies gilt erstaunlicherweise vor allem für die Schriften von Wilhelm Pinder, obwohl die Auffassung, dass gerade er zur Rezeption Riemenschneiders als »deutschen« Künstler des Spätmittelalters erheblich beigetragen hat, bis heute vorherrscht.6

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Tilman Riemenschneider in der kunstgeschichtlichen Forschung (1925–1945) Die Bedeutung von Riemenschneider in der Kunstgeschichte der 1920er bis 1940er Jahre zeigt sich exemplarisch an den Einleitungsworten von Hans Kauffmann anlässlich einer Rede an der Kölner Universität: »Es ziemt sich gewiß, in dieser Vortragsreihe nicht nur der überragenden Gipfel, die sich über Jahrhunderte hinweg grüßen, sondern auch der breiteren Schichten zu gedenken, in denen deutsche Wesensart vielfältig aufgekeimt ist und fortwirkende Gestalt angenommen hat. Drum sei dieser Stunde einem großen Künstler gewidmet, der nicht zu den ganz großen Bahnbrechern gehört, der aber für die Fülle der Begabungen zeugen mag, derer sich Deutschland zu allen Zeiten hat erfreuen können, zumal um 1500, einer Epoche kräftigster Selbstdarstellung der Volksindividualitäten in der europäischen Kunst.«7

Riemenschneider wird bei Kauffmann nicht als »überragender Gipfel« des Spätmittelalters gewürdigt, sondern steht für die Vielfältigkeit der deutschen Kunst um 1500, welche als »Kunst der Bürgerzeit« von besonderem Interesse war. Angesichts einer an nationalen Charakteren interessierten Kunstgeschichte schien es nach der von Bier organisierten Gedächtnisausstellung von 1931 beinahe unumgänglich, Riemenschneider als Stellvertreter für diese Kunstepoche heranzuziehen.8 Auch Gerstenberg betont in seiner Monografie von 1941, dass Riemenschneider »keiner der ganz großen, umfassenden Genien« sei, doch dass er wie kaum ein anderer die »Gewalt des Leidens, dessen immer wiederkehrender Orgelton am Ausgang des Mittelalters die Menschen mit düsterer Schwermut erfüllte«, in seine Kunst aufgenommen habe.9 Dass Riemenschneider nahezu paradigmatisch für die historischen, gesellschaftlichen und künstlerischen Bedingungen seiner Zeit herangezogen wurde, erklärt, warum Hubert Schrade in seinem Beitrag in Die großen Deutschen von 1935 einen nicht unwesentlichen Teil seiner Ausführungen auf die Voraussetzungen dieser Zeit verwendet.10 Erklärbar wird dadurch auch, warum Riemenschneider bei Pinder erstmals in seinem 1940 erschienenen dritten Band Vom Wesen und Werden deutscher Formen ausführlicher behandelt wird.11 Der Titel des Bandes verweist schon darauf, dass Dürer im Mittelpunkt seines Interesses stand und es ihm maßgeblich darum ging die »Geniezeit um 1500« darzulegen, wie es im Vorwort heißt.12 Doch nachdem Pinder sich in seinem Buch zum Problem der Generation in der Kunstgeschichte Europas (1926) gegen eine »anonyme Kunstgeschichte« und für ein Modell der »Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen« ausgesprochen hatte, durfte Riemenschneider als »verbindlicher Anreger und Lenker« in seiner Zusammenstellung der deutschen Kunst von 1940 selbstverständlich nicht fehlen.13 Bereits zuvor hatte Pinder über Riemenschneider geschrieben: »Der Eindruck seiner Formenwelt muß verblüffend gewesen sein; selten haben größere Meister eine solche indivi-

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duenvernichtende Wirkung für eine ganze Kunstprovinz gehabt, wie dieser zarte Tyrann für die unterfränkische.«14 Es sei eine »Lebenstatsache«, dass Riemenschneider ein »fast ganz ausschließlicher Vertreter dieses Stils« sei.15 Wahrscheinlich war er deswegen für Pinder weniger geeignet, um einen bedeutenden Rang innerhalb der Kunst um 1500 einzunehmen. Vielmehr verdeutlichte Riemenschneider für ihn eine »erste Andeutung des Gesamtreichtums«16 der deutschen Kunst, oder wie es in ähnlicher Weise bei Hans Weigert heißt, die »Weite und Tiefe des geistigen Reiches der Deutschen.17 Eine herausragende Stellung von Riemenschneider innerhalb dieser Kunstepoche stellte beinahe einzig Fritz Knapp heraus, der damalige Leiter des Instituts für Kunstgeschichte an der Universität Würzburg.18 Für ihn war Riemenschneider »einer der ersten und besten deutschen Meister«. Er hatte – so heißt es weiter – »gar nicht den Ehrgeiz, etwas anderes als ein deutscher Handwerker zu sein, während Albrecht Dürer stolz auf seine Herrenkleidung war«.19 Diese Würdigung Riemenschneiders leitet sich folglich in erster Linie aus seiner handwerklichen Tätigkeit als Bildschnitzer ab, die ihn mit der handwerklichen Tätigkeit der Bauern gleichsetzt, weswegen auch Theodor Demmler die »echte Volkstümlichkeit«20 seiner Kunst lobte.

»Aus Meisterwerken grüßt und spricht der Wald als deutsches Angesicht«21 Wilhelm Pinder hatte in seiner Festrede zum Friedrichstag der Preußischen Akademie der Wissenschaften am 29. Januar 1942 das Holz als »Sonderleistung der deutschen Kunst« herausgestellt: »Die ältesten und großartigsten Andachtsbilder sind in Holz geschnitzt. Holzplastik ist mehr als für irgendein anderes Europäervolk für das deutsche bezeichnend.«22 Dass das Holz dem »germanisch-deutschen Menschen« von Natur aus nahe stehe, hatte auch Alfred Stange in Die Bedeutung des Werkstoffes für die deutsche Kunst betont: »Die besondere handwerkliche Begabung, die Liebe zum Kleinen, die dem Deutschen eignen (sic), und seine besondere künstlerische Phantasie können uns die tieferen inneren Voraussetzungen dieser unerschütterlichen Verbundenheit zum Holz verständlich machen.«23

Das Holz war damit eng mit der deutschen Kunst verknüpft,24 auch wenn es zugunsten einer verstärkten Monumentalisierung in der öffentlichen Skulptur des Dritten Reiches hinter der Bronze zurücktrat und zum »Altarmaterial« erklärt wurde.25 Eine Wertschätzung des Holzes findet sich auch in Hanns Springers Film Ewiger Wald von 1936, in dem die Geschichte der Deutschen von der Bronzezeit bis zur Gegenwart als eine Geschichte des deutschen Waldes geschildert wird.26 Das Holz wird in dem Film zum einheimischen »deutschen« Material erklärt und erhält zugleich einen monumentalen und ewigen Charakter. Der Wald sei das Vorbild für die Kathedralen, so heißt es, und dies wird in der

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1. Tilman Riemenschneider: Eva, 1491/1494, Sandstein, Würzburg, Mainfränkisches Museum, ursprünglich am Südportal der Marienkapelle

entsprechenden Szene dadurch veranschaulicht, dass die senkrecht angeordneten Baumstämme mit den Pfeilern einer Kathedrale überblendet werden.27 Erst durch diese Argumentation werden dem Holz die Monumentalität und Ewigkeit zugesprochen, die ansonsten Stein- und Bronzeskulpturen vorbehalten war. Besonders die Szene, in der ein mittelalterlicher Bildschnitzer Skulpturen fertigt, ist in unserem Zusammenhang bezeichnend. Gezeigt werden mehrheitlich Skulpturen von Riemenschneider, unter anderem die zu dieser Zeit häufig publizierten Holzskulpturen des heiligen Sebastian und der heiligen Barbara. Die erste Skulptur, an der der Künstler in der Szene arbeitet, ist allerdings Riemenschneiders Eva vom Portal der Würzburger Marienkapelle (Abb. 1). Bekanntermaßen ist diese aus Sandstein, doch wird sie im Film als Holzfigur dargestellt.28 Dieser visuell vollzogene Materialwechsel ist insofern entscheidend, als dass hierdurch die Relevanz die dem Material Holz zugesprochen wurde offenkundig wird.

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2. Tilman Riemenschneider: Adam, 1491/1494, Sandstein, Würzburg, Mainfränkisches Museum, ursprünglich am Südportal der Marienkapelle

»Der zarte Tyrann aus der Sandsteinstadt Würzburg« Die Szene des mittelalterlichen Bildschnitzers in Springers Ewiger Wald erinnert an einen entscheidenden Satz bei Wilhelm Pinder: »Nun treffen wir, wie auch sonst öfters, den Meister der zartesten, gleichsam lautlosesten Holzbearbeitung als Bildhauer [Hervorhebung im Original] in Sandstein!«29 Pinder hatte in zahlreichen Ausführungen betont, dass Würzburg eine »[b]is in die Landschaft hinein, bis in ihre fast unheimlich nackten kubischen Formen, […] eine Stadt plastischen Wesens«30, ja, immer schon eine »ausgemachte Sandsteinstadt«31 gewesen sei. Es ist offensichtlich, dass Pinder, auch wenn er zuvor das Holz als »Sonderleistung der deutschen Kunst« herausgestellt hatte, dem Sandstein eine weitaus höhere Wertschätzung entgegenbrachte. Dementsprechend haben nur wenige Holzskulpturen Riemenschneiders Eingang in die kunstwissenschaftliche Diskussion der 1930er/1940er Jahre gefunden, obwohl er sicher mehr als die Hälfte seiner Skulpturen in Holz fertigte. Generell wurde Riemenschneider in erster Linie dann besonders hervorgehoben, wenn seine »Volksnähe« gefragt war: sei es als Handwerker oder als regio-

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naler Vertreter der deutschen Kunst um 1500. Für eine Fortschrittsgeschichte der deutschen Kunst, im Sinne einer Herleitung der deutschen Kunst aus dem »Germanischen« oder »Nordischen«, dagegen war Riemenschneider nicht nur aufgrund seiner Themen, sondern vor allem aufgrund seiner Materialwahl wenig geeignet.32 Während in der heutigen Forschung insbesondere die großen Schnitzretabel von Rothenburg op der Tauber, Münnerstadt oder Creglingen hervorgehoben werden, waren es in den 1920er bis 1940er Jahren – außerhalb der Monografien – vorwiegend Einzelfiguren aus Stein, wie die Grabmäler des Konrad von Schaumberg und der Bischöfe Lorenz von Bibra und Rudolf von Scherenberg sowie Adam und Eva vom Südportal der Würzburger Marienkapelle. Diese Auswahl hängt maßgeblich mit der Bedeutung der Einzelfigur zusammen, die in der Skulptur des Dritten Reiches verstärkt in den Mittelpunkt trat.33 Vor allem in den Gesichtern der Figuren versuchte man das Wesentliche der Werke Riemenschneiders zu erfassen, denn diese galten gemeinhin als besonders geeignet, um vom »Sein und Wesen der Gestalt eine vollkommene Vorstellung zu geben«.34 Paul Schultze-Naumburg ging sogar noch einen Schritt weiter und benutzte in seinem Buch Kampf um die Kunst von 1932 den Vergleich des Bamberger Reiters und Riemenschneiders Adam um zu zeigen, dass die Gesichter sich nicht mit der Mode wandelten, sondern dass »der Leib, den die Rasse gestaltet, […] unverändert [bleibt], solange er sich rein fortpflanzt« (Abb. 2).35 Während Schultze-Naumburg Riemenschneider für seine rassentheoretischen Ausführungen heranzog, sahen andere in den Gesichtern der Skulpturen dagegen oftmals den Charakter des Bildhauers und seine Herkunft bestätigt. Obwohl Riemenschneider wahrscheinlich in Osterrode im Harz aufwuchs und seine Ausbildung möglicherweise in Straßburg bei Niclas Gerhaerdt van Leyden erhielt, er also kein gebürtiger Würzburger war, verband man mit ihm die fränkische Kunstlandschaft.36 Bereits Bier betonte 1925, dass Riemenschneider mit seinen Werken der »kindlich-frommen, leicht entzündbaren Gemütart« der Würzburger entgegenkomme.37 Und in einem Vergleich von Veit Stoß und Riemenschneider heißt es in Weigerts Geschichte der deutschen Kunst: »In beiden Meistern verdichtet sich der Geist ihrer Stämme: in Stoß die feurige Dramatik der Mittelfranken, in Riemenschneider die den Mittelrhein nahe weiche Lyrik der Niederfranken.«38

Eine solche Charakterisierung der mainfränkischen Kunst und damit der Werke Riemenschneiders findet sich nahezu in allen Publikationen jener Zeit. Dabei ist es unerheblich, ob die ihm zugeschriebene »weiche Lyrik« aus seiner Herkunft herrührte, seine Ausbildung in Straßburg dafür die entscheidenden Impulse lieferte, es sich gar um eine allgemeine Strömung des Mittelalters handelte oder seine Verwurzelung im Mainfränkischen so stark war, dass er diese wie selbstverständlich übernahm, wie Adolf Feulner und Theodor Mül-

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3. Tilman Riemenschneider: Detail aus der Predella, vermeintliches Selbstbildnis, um 1505 bis 1510, Lindenholz, Creglingen, Herrgottskirche

ler noch 1953 herausstellten.39 Es ist daher bezeichnend, dass man in der Darstellung von Jesus im Tempel in der Predella des Creglinger Retabels ein Selbstbildnis Riemenschneiders annahm, welches entsprechend der Forschung den lyrischen Charakter des Bildhauers widerspiegle (Abb. 3).40 Schon die Zeitgenossen bezeichneten Riemenschneider als »fürsichtigen ersamen meyster«41 und so verwundert es nicht, dass man ihn – ganz im Gegensatz zu Stoß – den »liebenswürdig-zartesten aller deutschen Meister« nannte.42 Er sei ein »Lyriker der Plastik«43, der »zarte Tyrann«44 mit einer »liebenswerten Persönlichkeit«45, ein »Landfremder, der in der Plastik das Untermainfränkische zum Charakter erhob«.46 Das Holz, in dem sich »zarteste Stimmungen […] zum Schwingen bringen«47 ließen, war hierfür das geeignete Material.

Tilman Riemenschneider als Bauernkämpfer Vehemente Kritik an einer solchen Charakterisierung übte der westfälische Schriftsteller Max Wegner, der durch seine völkisch-nationalen Romane und Erzählungen bekannt wurde.48 Die kunstwissenschaftliche Einordnung des

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Künstlers entspräche, so Wegner, nicht dem eigentlichen Wesen Riemenschneiders. Dieser sei kein zarter oder hilfloser Typ gewesen, der in die Strömungen seiner Zeit hineingeworfen worden sei, sondern ein entschlossener Kämpfer für die unterdrückten Bauern, ein Kämpfer für Recht und Freiheit.49 Es ist bekannt, dass Riemenschneider als Bürger und Mitglied des Rates der Stadt Würzburg die aufständischen Bauern unterstützte, als sich diese 1525 vor der Stadt gegen Fürstbischof Konrad II. von Thüngen versammelten, der oberhalb der Stadt auf der Festung Marienberg residierte. Bei den Kämpfen starben zahlreiche Bauern und die Anführer, darunter Riemenschneider, wurden nach ihrer Niederlage »gefenglich uf den Berg gefuret« und am 22. Juni 1525 »vom hencker hart gewogen und gemartert«.50 Bis heute existiert die Legende, dass Riemenschneider in der Gefangenschaft die Hände gebrochen wurden, doch auch wenn bis zu seinem Tod im Jahr 1531 kein weiteres Werk quellenkundlich nachzuweisen ist, fehlen für die gebrochenen Hände sämtliche Beweise.51 Warum Riemenschneider sich den Bauern anschloss ist nicht gesichert, doch bot sein Engagement den idealen Ausgangspunkt, um den Topos von Riemenschneider als Freiheitskämpfer und Bauernbefreier in den Massenmedien des Nationalsozialismus zu etablieren. Kaum ein anderer Künstler des Spätmittelalters wurde in so zahlreichen historischen Romanen, Erzählungen, Filmen und Opern seit den 1920er Jahren aufgegriffen.52 Obwohl diese nicht zwingend nationalsozialistisch-völkisch ausgerichtet sind, werden darin bestimmte Gedanken nahezu stereotyp aufgenommen: die Unterdrückung und wirtschaftliche Not der Bauern, das gewaltsame Vorgehen der Obrigkeit sowie der charismatische, nachdenkliche aber ebenso entschlossene Charakter Riemenschneiders.53 Die bekannteste – und neben dem Roman von Felix Wilhelm Beielstein radikalste – Erzählung ist Die gebrochenen Hände. Eine Tilman Riemenschneider-Erzählung von Max Wegner.54 Die Beliebtheit dieser Erzählung zeigt sich in den zahlreichen Auflagen und Wiederabdrucken. So wurde sie kurz nach ihrem Erscheinen in Auszügen in Die Kameradschaft abgedruckt, einem Blatt für Heimabendgestaltung der Hitlerjugend und war die literarische Vorlage für ein Schauspiel, das 1941 auf der Freilichtbühne im westfälischen Lünen uraufgeführt wurde.55 In der Schlüsselszene der Erzählung beschließt Riemenschneider, während er auf die halbfertigen Skulpturen in seiner Werkstatt blickt, die Bauern in ihrem Kampf gegen die Obrigkeit zu unterstützen, um seine Skulpturen aus den Händen der Kirche zu befreien.56 Trotz des Entschlusses plagen den Künstler – so heißt es weiter – zahlreiche Zweifel. Und doch entgegnet er abschließend dem Tod, dass all das Blut und Leid keineswegs umsonst gewesen sei, sondern, dass man gezeigt habe »wie man anfängt, gezeigt wie man glaubt … nun müssen die Lebenden für die Toten weiterglauben! […] An das Reich, das auf diese Erde kommt, das tausendjährige deutsche Reich … an den Morgen, an das Leben … und … Bruder … an dich!«57 Wegner schildert Riemenschneider als eine in weiten Teilen prägnante Führerpersönlichkeit und schreibt damit gewissermaßen einen epischen Gegenentwurf zu der von der Kunstgeschich-

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te verfolgten Interpretation des zarten und lyrischen Plastikers. Die große wirtschaftliche Not der Bauern und ihre Unterdrückung durch die Obrigkeit hätten den mittelalterlichen Bildschnitzer gezwungen, sich auf die Seite der Bauern zu stellen und sich damit gegen den Fürstbischof zu stellen, von dessen beiden Vorgängern, Rudolf II. von Scherenberg und Lorenz von Bibra, er zahlreiche Aufträge erhalten hatte. Mit der dennoch bisweilen, von Wegner beschriebenen, nachdenklichen und vorsichtigen Art des Protagonisten, wird das Scheitern des Bauernkrieges vorweggenommen, ein Kampf, der nun von den Nationalsozialisten fortgeführt werden müsse.58 Wegners Erzählung reiht sich ein, in eine Vielzahl von historischen Erzählungen und Romanen über die Bauernkriege. Im Gegensatz zu den Bauernromanen, in denen das Landleben und die Dorfgesellschaft als eine Art nationalsozialistischer Mikrokosmos verherrlicht werden, werden die Bauern in diesen Romanen als unterdrücktes Volk geschildert, welches sich von der Obrigkeit befreien muss. Dass der »Neuadel aus Blut und Boden«59, wie die Bauern vom Leiter des Parteiamtes für Agrarpolitik und »Reichsbauernführer« Richard Walther Darré bezeichnet wurden, innerhalb der nationalsozialistischen Ideologie eine außerordentliche Stellung innehatten, muss nicht ausführlich dargelegt werden. Die Bauern seien, so heißt es in einem Handbuch für den nationalpolitischen Unterricht, »eine Gruppe von Menschen, die noch im gesunden, unverdorbenen ›heidnischen‹ Sinne lebt und von den verderblichen Einflüssen der Entwicklungsepochen wenig berührt ist, die infolge ihrer Verbundenheit mit der alten, heiligen, deutschen Erde am besten geeignet ist, ihr Leben bejahungsreich der Wirzeit und ihrem Lebensstil anzupassen«.60 Eine solche Auffassung bekräftigt, warum Riemenschneider als mittelalterlicher Bildschnitzer in den Massenmedien äußerst beliebt war, denn – im Gegensatz zu den Malern – arbeitete er mit seinen Händen und mit Materialien der Natur, wie es die Bauern taten. Dabei war es vor allem der kämpferische und heroische Charakter Riemenschneiders, der in den populären Medien zum Ausdruck gebracht werden sollte.61 Aus der ansonsten vagen Biografie des Künstlers, entstand das (fiktive) Bild des gutmütigen und nachdenklichen Mannes, der durch die Not der Bauern zum Prototyp des Künstler-Führers und folglich zum »deutschen Gesicht« wurde.62 Dies sollte für die kunstwissenschaftliche Forschung nicht gelten. Aufgrund seiner regionalen Sonderstellung und dem »lyrischen Ausdruck« seiner Skulpturen eignete er sich nicht dafür die Gesamtentwicklung der deutschen Kunst zu präsentieren, sondern lediglich um das Wesen der mainfränkischen Kunstlandschaft oder die »Genienzeit der Kunst um 1500« aufzuweisen. Dementsprechend gab es nur sehr wenige Forscher – allen voran Fritz Knapp und Alfred Stange – für die Riemenschneider nicht nur nahezu gleichwertig neben anderen Künstlern seiner Zeit bestehen konnte, sondern für die er vor allem durch seine Materialwahl und seinen »zarten und lyrischen Ausdruck« volksnah erschien und die übrigen Künstler des Spätmittelalters überragte.

84 Jeannet Hommers 1 Zu Riemenschneider vgl. die beiden Ausstellungskataloge zum 1300-jährigen Bestehen der Stadt Würzburg im Jahr 2004 mit ausführlicher Biografie: Tilman Riemenschneider – Werke seiner Blütezeit (hrsg. v. Claudia Lichte), Ausstellungskatalog, Mainfränkisches Museum, Würzburg, Regensburg 2004 und Tilman Riemenschneider – Werke seiner Glaubenswelt (hrsg. v. Jürgen Lenssen), Ausstellungskatalog, Museum am Dom, Würzburg, Regensburg 2004. 2 Justus Bier: Tilman Riemenschneider. Die frühen Werke, Würzburg 1925, S. V. 3 Vincent Mayr: Der »Deutsche Perugino«. Beobachtungen und Gedanken zum RiemenschneiderBild des 19. und 20. Jahrhunderts, in: Silvia Glaser u. Andrea M. Kluxen (Hrsg.): Musis et Litteris. Festschrift für Bernhard Rupprecht zum 65. Geburtstag, München 1993, S. 423–434, S. 427. 4 Vgl. Justus Bier: Tilman Riemenschneider, 4 Bde., Würzburg 1925–1978; Fritz Knapp: Tilman Riemenschneider. Würzburgs großer Bildschnitzer, Paderborn u. a. 19312; id.: Riemenschneider, Bielefeld u.a. 1935; Theodor Demmler: Die Meisterwerke Tilman Riemenschneiders, Berlin 1936; Kurt Gerstenberg: Tilman Riemenschneider, Wien 1941; Hans Kauffmann: Tilman Riemenschneider, Köln 1943. Ein regelrechter Publikationsschub erfolgte mit der Veröffentlichung der beiden Bände der Monografie von Justus Bier (1925 und 1930), der von ihm kuratierten Gedächtnisausstellung in Würzburg zum 400. Todestag (1931), dem Ankauf einer Madonna des Mainfränkischen Museums (1956) und der Ausstellung zum 450. Todestag (1981). Vgl. Martin Seelkopf: Tilman Riemenschneider im Spiegel der Literatur. Ausstellung im Neubau der Universitätsbibliothek Am Hubland aus Anlaß des 450. Todestages des Würzburger Bildhauers, Würzburg 1981 und Johann Konrad Eberlein: Bibliographie zu Leben und Werk Tilman Riemenschneiders, in: Beiträge zur fränkischen Kunstgeschichte 3/1998, S. 171–220. 5 In Pinders 250seitigem Handbuch der Kunstwissenschaft erhält Riemenschneider gerade einmal drei Seiten. Vgl. Wilhelm Pinder: Die deutsche Plastik vom ausgehenden Mittelalter bis zum Ende der Renaissance, 2. Teil, Wildpark-Potsdam 1929 (Handbuch der Kunstwissenschaft 11), S. 414–418. Bei Hans Weigert sind es von mehr als tausend Seiten gerade mal etwas mehr als zwei, wohingegen Dürer mehr als fünfzig Seiten erhält. Vgl. Hans Weigert: Geschichte der deutschen

Kunst von der Vorzeit bis zur Gegenwart, Berlin 1942, S. 315–317. 6 Zur Rezeption Riemenschneiders im Allgemeinen vgl. Seelkopf 1981 (wie Anm. 5); Mayr 1993 (wie Anm. 4); Till-Holger Borchert: A Shifting Critical Fortune, in: Tilman Riemenschneider. Master Sculptor of the Late Middle Ages (hrsg. v. Julien Chapuis), Ausstellungskatalog, National Gallery of Art, Washington, The Metropolitan Museum of Art, New York, New Haven u. New York 1999, S. 117–142; Lichte 2004 (wie Anm. 1). Zur Rezeption im Nationalsozialismus vgl. Keith P. F. Moxey: History, Fiction, Memory: Riemenschneider and the Dangers of Persuasion, in: Tilman Riemenschneider. 1460–1531 (hrsg. v. Julien Chapuis), New Haven u.a. 2004. S. 203-213. 7 Kauffmann 1943, S. 3 (wie Anm. 4). 8 Vgl. Borchert 1999, S. 140 f. (wie Anm. 5); Justus Bier (Hrsg.): Tilman Riemenschneider. Ein Gedenkbuch. Zur Erinnerung an die vierhundertjährige Wiederkehr seines Todestages, Augsburg 1931. 9 Gerstenberg 1941, S. 8 u. S. 6 (wie Anm. 4). 10 Vgl. Hubert Schrade: Tilman Riemenschneider, in: Die großen Deutschen. Neue deutsche Biographie in vier Bänden 1/1935, S. 343-354, S. 343 f. 11 Vgl. Wilhelm Pinder: Vom Wesen und werden deutscher Formen. Geschichtliche Betrachtungen, Bd. 3 (Die deutsche Kunst der Dürerzeit), Leipzig 1940, S. 199–206. Pinder hatte in früheren Schriften die Blütezeit Würzburgs im 14. Jahrhundert herausgestellt und betont, dass danach der Niedergang dieser Region begann. Vgl. Wilhelm Pinder: Mittelalterliche Plastik Würzburgs. Versuch einer lokalen Entwicklungsgeschichte vom Ende des 13. bis zum Anfang des 15. Jahrhunderts, Würzburg 1911. 12 Pinder 1940, S. 9 f (wie Anm. 11). 13 Wilhelm Pinder: Das Problem der Generation in der Kunstgeschichte Europas, Berlin 1926, S. 33 sowie Pinder 1940, S. 200 (wie Anm. 11). Vgl. weiterführend Marlite Halbertsma: Wilhelm Pinder und die deutsche Kunstgeschichte, Worms 1992, S. 61–81 u. Sabine Fastert: Pluralismus statt Einheit. Die Rezeption von Wilhelm Pinders Generationenmodell nach 1945, in: Nikola Doll, Ruth Heftrig u. a. (Hrsg.): Kunstgeschichte nach 1945. Kontinuität und Neubeginn in Deutschland, Köln, Weimar u. Wien 2006, S. 51–65. 14 Pinder 1929, S. 414 (wie Anm. 5). 15 Ibid. Vgl. Paul Pieper: Kunstgeographie. Versuch einer Grundlegung, Berlin 1936 (Neue deut-

85 »Der zarte tyrann aus Der sanDsteinstaDt Würzburg« sche Forschungen. Abteilung Kunstwissenschaft und Kunstgeschichte, Bd. 61), S. 94. 16 Pinder 1929, S. 500 (wie Anm. 5). 17 Weigert 1942, Vorwort, o. S (wie Anm. 4). 18 Vgl. Knapp 1931 (wie Anm. 5); Fritz Knapp: Nürnberg und Würzburg um 1500. Albrecht Dürer, Lukas Cranach, Matthias Grünewald und Tilman Riemenschneider, in: Das Bayerland 46/1935, S. 33– 44. In diesem Aufsatz betont Knapp unter anderem Riemenschneiders Vormachtstellung innerhalb der fränkischen Kunstlandschaft. 19 Knapp 1931, S. 7 (wie Anm. 4). 20 Demmler 1936, S. 5 (wie Anm. 4); vgl. ebenso Theodor Demmler: Tilman Riemenschneider, Berlin 1923, S. 4. 21 Begleittext in dem Film Ewiger Wald, 1936, Regie: Hanns Springer und Rolf von SonjewskiJamrowski, 34:31. 22 Wilhelm Pinder: Sonderleistungen der deutschen Kunst. Festrede zum Friedrichstag der Preußischen Akademie der Wissenschaften am 29. Januar 1942, Berlin 1942, S. 8. Vgl. auch Wilhelm Pinder: Sonderleistungen der deutschen Kunst, München 1944, S. 74. 23 Alfred Stange: Die Bedeutung des Werkstoffes für die deutsche Kunst. Mit einem Anhang über Stil, Geschichte und Persönlichkeit, Bielefeld u. Leipzig 1940, S. 15. 24 Zur Nationalisierung von Holz, vgl. Monika Wagner: Der Holzstil. Expressionistische Beiträge zur »neuen deutschen Kunst«, in: Matthias Krüger u. Isabella Woldt (Hrsg.): Im Dienst der Nation. Identitätsstiftungen und Identitätsbrüche in Werken der bildenden Kunst, Berlin 2011 (Mnemosyne. Schriften des Internationalen Warburg-Kollegs, Bd. 2), S. 61–76; Gottfried Korff: Holz und Hand. Überlegungen zu einer »deutschen« Werkstoffkunde in der Zwischenkriegszeit, in: Monika Wagner u. Dietmar Rübel (Hrsg.): Material in Kunst und Alltag, Berlin 2002 (Hamburger Forschungen zur Kunstgeschichte. Studien, Theorien, Quellen, Bd. 1), S. 163–183. 25 Joachim Petsch: Kunst im Dritten Reich. Architektur, Plastik, Malerei, Alltagsästhetik, 2. veränd. und erw. Aufl., Köln 1987, S. 38. 26 Vgl. Johannes Zechner: »Ewiger Wald und ewiges Volk«. Die Ideologisierung des deutschen Waldes im Nationalsozialismus, Freising 2006, S. 55–67. 27 Vgl. dazu auch den Beitrag von Nicola Weber in diesem Band. Den Vergleich von Wald und gotischer Kathedrale diskutierte bereits Alfred

Rosenberg: Der Mythus des 20. Jahrhunderts. Eine Wertung der seelisch-geistigen Gestaltenkämpfe unserer Zeit, München 31932, S. 361 f. 28 Dies ist wie auf den Fotografien aufgrund der schwarz-weiß Produktion zunächst nicht zu erkennen, sondern dürfte nur dem Betrachter, der die wohl berühmteste Skulptur Riemenschneiders oftmals publiziert gesehen hat, deutlich werden. 29 Pinder 1940, S. 168 f (wie Anm. 11). 30 Wilhelm Pinder: Die deutsche Plastik vom ausgehenden Mittelalter bis zum Ende der Renaissance, 1. Teil, Wildpark-Potsdam 1924 (Handbuch der Kunstwissenschaft 11), S. 200. 31 Pinder 1929, S. 415 (wie Anm. 5). Vgl. ebenso Wilhelm Pinder: Die Kunst der ersten Bürgerzeit bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts, Leipzig 1937 (Vom Wesen und Werden deutscher Formen. Geschichtliche Betrachtungen, Bd. 2), S. 119; Pinder 1940, S. 168 f (wie Anm. 11). 32 Dem entspricht auch, dass man oftmals in der Holzansichtigkeit der Retabel und Skulpturen das »Malerische« im Werk Riemenschneiders bestätigt sah. Vgl. Georg Dehio: Geschichte der deutschen Kunst, 2. Bd., 4. durchgearbeitete Fassung, Berlin u. Leipzig 1930, S. 262; Pinder 1929, S. 415 (wie Anm. 5); Gerstenberg 1941, S. 7 (wie Anm. 4). Auch die neuere Forschung betont das »grapho-plastische« Moment der Holzsichtigkeit im Werke Riemenschneiders. Vgl. u.a. Jan Nicolaisen: Die Verwendung der Kupferstiche Martin Schongauers in der Schnittwerkstatt Tilman Riemenschneiders, in: Le beau martin. Etudes er mises au point. Actes du colloque organisé par le Musée d’Unterlinden à Colmar (hrsg. v. Albert Châtelet), Colmar 1994, S. 251–284. 33 Dies ist unter anderem auch für die Rezeption mittelalterlicher Bildwerke zu beobachten: man denke nur an die Reiter aus Bamberg und Magdeburg oder an die Stifterfigur der Uta von Naumburg. Vgl. Pinder 1944, S. 48 (wie Anm. 22); Pinder 1942 (wie Anm. 22). 34 Hubert Schrade: Das deutsche Gesicht in Bildern aus acht Jahrhunderten deutscher Kunst, München 1937, S. 3. 35 Paul Schultze-Naumburg: Kampf um die Kunst, München 1932, S. 16. 36 Vgl. Alfred Stange: Zur Kunstgeographie Frankens, Erlangen 1935; Pieper 1936 (wie Anm. 15). Zum Nationalstil und dem Problem der Kunstgeographie, vgl. einführend Halbertsma 1992,

86 Jeannet Hommers S. 105–119 (wie Anm. 13) sowie Rainer Haussherr: Überlegungen zum Stand der Kunstgeographie, in: Rheinische Vierteljahresblätter 30/1965, S. 351– 372 und Lars Olof Larsson: Nationalstil und Nationalismus in der Kunstgeschichte der zwanziger und dreißiger Jahre, in: Lorenz Dittmann (Hrsg.): Kategorien und Methoden der deutschen Kunstgeschichte 1900–1930, Stuttgart 1985, S. 169–184. 37 Bier 1925, S. 7 (wie Anm. 2). Auch Karl Adelmann schrieb 1910: »Seine Gestalten, in der engen Gebundenheit ihrer Formen und des Ausdrucks, würden in Nürnberg oder Ulm, neben den Schöpfungen eines Stoß, Krafft oder Syrlin gewiß nur geringe Figur gemacht haben. In ihnen steht uns die köstliche Ausblüte derjenigen Kunsttätigkeit vor Augen, die sich nur in der stilleren Atmosphäre eines deutschen Pfaffennestes entwickeln konnte.« Karl Adelmann: Tilman Riemenschneider, in: Walhalla. Kulturbilder aus der deutschen Vergangenheit und Gegenwart 6/1910, S. 1–113, S. 2 zitiert nach Lichte 2004, S. 119 (wie Anm. 1). 38 Weigert 1942, S. 315 (wie Anm. 5). 39 Adolf Feulner u. Theodor Müller: Geschichte der deutschen Plastik, München 1953 (Deutsche Kunstgeschichte, Bd. 2), S. 383. 40 Der Würzburger Bildhauer Hans Haffenrichter fertigte in den 1930er Jahre ein entsprechendes Porträt des mittelalterlichen Bildschnitzers. Vgl. Werner Rittich: Innerer Auftrag: Bildnis Tilman Riemenschneider, in: Völkische Kunst 1/1935, S. 306–312. 41 Zitiert nach Georg Anton Weber: Til Riemenschneider. Sein Leben und Wirken. 3. sehr verb. und verm. Aufl., Regensburg 1911, S. 25 f. 42 Knapp 1931, o. S. (wie Anm. 4). Noch in einem Artikel anlässlich der Würzburger Ausstellung im Jahr 2004 ist zu lesen, dass dieser »Mann, der eher grobschlächtig wirkt« in Wirklichkeit »der Feingeist seiner Zunft, ein begnadeter Schnitzer und Steinmetz« war, ein »Meister der leisen Töne.« Petra Bosetti: Ein Seelenforscher im Altarraum, in: art 4/2004, S. 76–81, S. 78. 43 Pinder 1940, S. 199 (wie Anm. 11). 44 Pinder 1929, S. 414 (wie Anm. 5). 45 Theodor Demmler: Tilman Riemenschneider, Berlin 1923, S. 4. 46 Schrade 1/1935, S. 345 (wie Anm. 10). 47 Stange 1940, S. 31 (wie Anm. 23). 48 Vgl. August Kracht: Max Wegner. Ein junger westfälischer Dichter, in: Heimat und Reich 9/1940, Bd. 7, S. 239–241.

49 Vgl. Max Wegner: Tilman Riemenschneider. Der Mensch, das Werk und seine Zeit, in: Nationalsozialistische Monatshefte 99/1938 (Juni), S. 515–525; Max Wegner: Die gebrochenen Hände. Eine TilmanRiemenschneider-Erzählung, Stuttgart 1937, S. 32. 50 Martin Cronthal: Die Stadt Würzbug im Bauernkriege, hrsg. v. Michael Wieland, Würzburg 1887, S. 90 ff., zitiert nach Hans-Peter Trenschel: Tilman Riemenschneider im Spiegel der zeitgenössischen Überlieferung – Versuch einer Annäherung an einen fürsichtigen ersamen meyster, in: Lenssen 2004, S. 41–54, S. 50 (wie Anm. 1). 51 Dass man Riemenschneider während der Folter die Hände gebrochen habe, sei laut Trenschel eine »romanhafte Phantasie späterer Autoren«. Vgl. Trenschel 2004, S. 50 (wie Anm. 50). Es ist nicht geklärt, woher diese Überlieferung stammt, doch scheint sie erstmals in einem Roman von August Sperl aufgegriffen worden zu sein. Vgl. August Sperl: Der Bildschnitzer von Würzburg, Berlin u. Leipzig 1925, S. 164. Detailreich ausgeführt wurde dies dann bei Wegner und Heinrich Steinitz. Vgl. Wegner 1937 (wie Anm. 49); Karl Heinrich Stein [Heinrich Steinitz]: Tilman Riemenschneider im deutschen Bauernkrieg. Geschichte einer geistigen Haltung, Wien 1937. Dass die Folter von der Forschung verschwiegen oder verharmlost werde, kritisiert Wegner 99/ 1938, S. 520 (wie Anm. 49). Dort findet sich auch der Hinweis, »ein anderer Biograph« hätte bereits von den gebrochenen Händen berichtet. Wer dies ist, ließ sich bislang nicht klären. 52 Vgl. u. a. C. Hirundo [Constanze Bomhard]: Till Riemenschneider. Eine Erzählung aus dem 16. Jahrhundert, Leipzig 1902; Sperl 1925 (wie Anm. 51); Ludwig Bäte: Tilman Riemenschneider. Novelle, Wernigerode 1928; Felix Wilhelm Beielstein: Die große Unruhe. Ein Tilman-Riemenschneider-Roman, Berlin 1934; Luise George Bachmann: Meister, Bürger und Rebell. Das Lebensbild Tilman Riemenschneiders, Paderborn 1937; Wegner 1937 (wie Anm. 49); Riemenschneider – Der Meister von Würzburg, 1938, Regie: Walter Hege; Riemenschneiders Werke in Franken, 1938, Regie: Walter Hege; Paul Johannes Arnold: Tilman Riemenschneider. Der Lebensroman eines großen deutschen Meisters, Berlin 1938; Casimir von Pászthory: Tilman Riemenschneider, Oper, (1942), Deutsche Ur- bzw. Wiederaufführung am 22. Januar 2004 am Mainfranken Theater Würzburg.

87 »Der zarte tyrann aus Der sanDsteinstaDt Würzburg« 53 Diese Stereotypen werden ebenfalls in aktuellen historischen Romanen aufgenommen. Vgl. Tilman Röhrig: Riemenschneider, München 2007. 54 Wegner 1937 (wie Anm. 49). 55 Vgl. Tilman Riemenschneider kämpft für Recht und Freiheit, in: Kameradschaft. Blätter für Heimabendgestaltung in der Hitlerjugend, hrsg. v. d. Reichsjugendführung der NSDAP, Amt für weltanschauliche Schulung, Ausgabe B, Folge 3, Berlin 1938, S. 2–16; Die gebrochenen Hände, Schauspiel, Freilichtbühne Lünen, 1941, Autor: Max Wegner. Besonders aussagekräftig ist der Wiederabdruck in dem Roman Die Frucht wächst im Gewitter. Matthias Grünewald, Tilman Riemenschneider, Jörg Ratgeb. Drei Erzählungen, Stuttgart 1940. Es handelt sich hierbei um eine Sammlung von Erzählungen Wegners, in der die propagandistische Ausrichtung in der Verknüpfung der drei Künstler offensichtlich wird. 56 Vgl. Wegner 1937, S. 28 f (wie Anm. 49). 57 Ibid., S. 65. 58 Die Bauernkriege waren seit dem Gedenkjahr 1925 Gegenstand wissenschaftlicher Arbeiten und wurden als eine bedeutende Vorstufe des nationalsozialistischen Staates angesehen. In ihnen zeige sich erstmals ein »Kampf der Deutschen um das Reich«, wie es Günther Franz in seinem 1933 erstmals veröffentlichten Buch Der deutsche Bauernkrieg formulierte. Günther Franz: Der deutsche Bauernkrieg, München u. Berlin 1933, S. 288. Der Grund für das Scheitern der Bauern im 16. Jahrhundert liege in der Disziplinlosigkeit, der regionalen Zersplitterung in einzelne sogenannte »Haufen« und dem Fehlen eines Führers. Vgl. Heinrich Himmler: Die Schutzstaffel als antibolschewistische Kampforganisation, München 1936, S. 14; Adolf Mertens: Der deutsche Bauer, Frankfurt am Main 1935 (Der nationalpolitische Unterricht. Ein Handbuch für den Lehrer, Bd. 5), S. 10. Die einzelnen Bauernanführer des

16. Jahrhunderts, die zwar einen einheitlichen Führer nicht ersetzen konnten, galten demzufolge als diejenigen, die den Wunsch nach einem einheitlichen Reich erstmals zu erreichen versuchten. Es verwundert daher kaum, dass man einige Divisionen der Waffen-SS nach bekannten Bauerführern wie Florian Geyer oder Götz von Berlichingen benannte. Vgl. Friedrich Winterhager: Bauernkriegsforschung, Darmstadt 1981, S. 187–194. 59 Richard Walther Darré: Neuadel aus Blut und Boden, München 1930. 60 Mertens 1935, S. 2 (wie Anm. 58). 61 Dies entspricht auch dem Grundschema der Künstler-Filme im Nationalsozialismus, in denen sich charismatische Künstlerpersönlichkeiten gegen die Gesellschaft stellen und von zahlreichen Schicksalsschlägen heimgesucht werden. Vgl. Reiner Ziegler: Kunst und Architektur im Kulturfilm 1919–1945, Konstanz 2003, S. 113 f.; Barbara Schrödl: Architektur, Film und die Kunstgeschichte im Nationalsozialismus, in: Nikola Doll, Christian Fuhrmeister u. Michael H. Sprenger (Hrsg.): Kunstgeschichte im Nationalsozialismus. Begleitpublikation zur Wanderausstellung »Kunstgeschichte im Nationalsozialismus«, Weimar 2005, S. 305–324; Manuel Köppen: Der Künstlerfilm in Zeiten des Krieges, in: id. u. Erhard Schütz (Hrsg.): Kunst der Propaganda. Der Film im Dritten Reich, Berlin u. a. 2007, S. 57-87. 62 Dies bezeugt zugleich der auf den Zensurkarten vermerkte Text für den Anfang der beiden Filme Riemenschneiders Werke in Franken und Riemenschneider – der Meister von Würzburg unter der Regie von Walter Hege: »Aus dem Mittelalter ragen die Werke Tilman Riemenschneiders in unsere Zeit als die Schöpfungen eines Mannes, der wie kaum ein anderer, das ureigenste und ewige Gesicht des Deutschen in den ihm von seiner Zeit gestellten Aufgaben lebendig werden ließ.« Zitiert nach Ziegler 2003, S. 116 f (wie Anm. 61).

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Überblendungen Das Mittelalter im Kulturfilm des Nationalsozialismus

Die Geschichte wurde, ebenso wie historische Persönlichkeiten, Kunst und Architektur von den Nationalsozialisten als ideologischer Bedeutungsträger für ihre Zwecke funktionalisiert. Diese Vereinnahmung konnte – auch medial – auf ganz unterschiedliche Weise geschehen. Zu nennen wären hier beispielsweise die nationalsozialistische Aneignung der Dolchstoßlegende, die Instrumentalisierung der Dome in Quedlinburg und Braunschweig als Weihestätten des Nationalsozialismus, aber auch die Spielfilm-Biografien von Künstlern wie Rembrandt van Rijn oder Friedrich Schiller.1 Ein übergreifendes Merkmal dieser Geschichtsrezeption ist, dass ihre Argumentation immer auf die Gegenwart hin ausgerichtet war. Die Adaption der Vergangenheit diente in erster Linie dazu, einen Bezug zum Nationalsozialismus herzustellen. Während die Weimarer Republik nach der Machtübernahme als verhasste »Systemzeit« diffamiert wurde, galt das Mittelalter im Nationalsozialismus als »Epoche höchster kultureller Leistungen der Deutschen«2 an die es anzuknüpfen, beziehungsweise die es zu übertreffen galt. Bedenkt man, dass der Film neben dem Radio im Nationalsozialismus das wichtigste Propagandainstrument der Machthaber war, so kann es kaum verwundern, dass unter den zwischen 1933 und 1945 von der deutschen Filmindustrie produzierten Spielfilmen, Wochenschauen und Kulturfilmen auch solche zu finden sind, die direkt oder indirekt das Mittelalter thematisieren.3

Die Filmproduktion 1933 bis 1945 Der Film bot die Möglichkeit, nationalsozialistisches Gedankengut zu transportieren, zur Zerstreuung und Unterhaltung beizutragen und nebenbei noch Profit abzuwerfen.4 Regimegegner, politisch anders denkende und jüdische Filmschaffende wurden nach 1933 aus dem Filmgeschäft verdrängt, die Filmindustrie und -kritik gleichgeschaltet. Das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda übernahm unter der Leitung von Joseph Goebbels die Kontrolle über die Kulturproduktion und damit auch über die Filmbranche. Die »negative« Filmzensur – als Eingriff staatlicher Instanzen nach der

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Fertigstellung des Werkes – wurde ersetzt durch die politisch-ideologische, künstlerische und finanzielle Aufsicht des Filmherstellungsprozesses.5 So war der gesamte Prozess des Filmschaffens im Nationalsozialismus Teil einer politisch ausgerichteten Propagandamaschinerie. Doch die eindeutig propagandistischen »Tendenzfilme« machten nur einen relativ kleinen Teil der Gesamtproduktion aus. Propaganda sollte »unsichtbar« in der medialen Unterhaltung aufgehen.6 Das Besondere der nationalsozialistischen Filmpolitik lag gerade in ihrer »Dynamik zwischen Unterhaltung und Ideologie, Lust und Macht.«7 Eine vollständige Verschränkung von Erzählkino, Kulturpolitik und nationalsozialistischer Ideologie hat es nie und sollte es vielleicht auch nie geben. Auch nach ihrer Verstaatlichung blieb die Filmherstellung dem privatwirtschaftlichen Denken von Angebot und Nachfrage verpflichtet. Vor diesem Hintergrund erscheint es dann auch nicht mehr paradox, dass das Kino dieser durch Repressionen und Kontrolle geprägten Zeit wirtschaftlich eine sehr erfolgreiche Form der filmischen Massenunterhaltung in Deutschland gewesen ist.8 Im letzten Friedensjahr 1938 erreichten die Besucherzahlen einen Rekord und mit Beginn des Zweiten Weltkrieges stiegen die Zahlen weiter an.9 Ganz offensichtlich entsprach diese Form der Unhaltung den Bedürfnissen des Publikums. Anders als heute war neben der Unterhaltung damals auch die tägliche Berichterstattung Teil des Kinoprogramms, das sich neben dem Hauptfilm aus einem Beiprogramm aus Wochenschau und Kulturfilm zusammensetzte. Am 17. Juli 1934 erließ der damalige Präsident der Reichsfilmkammer, Fritz Scheuermann, eine Anordnung, die der Förderung des Kulturfilms dienen sollte und einen Spielzwang von Kulturfilmen festlegte, die von der Filmprüfstelle als »künstlerisch«, »volksbildend«, »kulturell« oder »staatspolitisch wertvoll« prädikatisiert worden waren.10 Während der Spielfilm auf Unterhaltung und Zerstreuung setzte, waren die Kulturfilmemacher bemüht, den jeweiligen Stoff sowohl didaktisch als auch populärwissenschaftlich, zum Teil auch unterhaltsam zu vermitteln. Der Kulturfilm deckte eine breit gefächerte Themenpalette von Natur, Wirtschaft, Kunst und Handwerk über Technik bis hin zu Militaria und Politik ab.11 Der Begriff »Kulturfilm« ist seit den 1920er Jahren und bis in die 1950er Jahre die übliche generische Bezeichnung für dokumentarische beziehungsweise nicht-fiktionale Kurzfilme in Deutschland.12 Als »Kulturfilm« wurde im Nationalsozialismus – nach der Definition von Jeanpaul Goergen, der sich auf »populärwissenschaftliche Abhandlungen« und »offizielle Verlautbarungen« zu dieser Gattung zwischen 1933 und 1945 beruft – »ein Film angesehen, der, in Abgrenzung zum Spielfilm, keine fortlaufende Spielhandlung um ihrer selbst willen enthält und auch nicht, in Abgrenzung zur Wochenschau, über Tagesereignisse berichtet.«13 Zwischen 1918 und 1945 wurden in Deutschland circa 20.000 Filme dieser Art gedreht, davon circa 2.000 bis 3.000 zwischen 1933 und 1945.14 Der Kulturfilm ging zunächst aus den Bestrebungen der Kinoreformbewegung der

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1910er Jahren hervor, »die das kommerzielle Unterhaltungskino ablehnte und eine pädagogisch sinnvolle Nutzung des neuen Mediums einforderte.«15 Mit der finanziellen Beteiligung der Regierung an dem 1917 gegründeten Filmkonzern Ufa (Universum Film AG) wurde auch der »Kulturauftrag« des Films verankert und am 1. Juli 1918 eine eigene Kulturfilmabteilung eingerichtet.16 Während eine zunehmende Verstaatlichung der Spielfilmproduktion im Zuge der Gleichschaltung der deutschen Filmwirtschaft zwischen 1933 und 1935 zu beobachten ist, blieb der Kulturfilm bis 1940 von dieser Entwicklung weitgehend verschont. Bis zu diesem Zeitpunkt stand die Herstellung von Kulturfilmen, zumindest theoretisch, auch noch kleinen und mittleren Filmproduktionen offen.17 Die indirekte Lenkung der Kulturfilmproduktion, über die Prädikatisierung und die Filmprüfstelle als beratende Instanz, wurde dann mit Kriegsbeginn durch eine direkte ersetzt. Am 1. August 1940 wurde die deutsche Kulturfilmzentrale eingerichtet und somit das Kulturfilmschaffen unmittelbar dem Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda unterstellt.18 Diese zentrale Behörde steuerte und kontrollierte die Auswahl der Themen und ihre filmische Umsetzung. Die Kulturfilmproduzenten waren verpflichtet, ihr Filmvorhaben vor Drehbeginn dem Ministerium zur Genehmigung vorzulegen.19 Im Zweiten Weltkrieg wurden die dokumentarischen Filme und Wochenschauen für die Kriegspropaganda eingesetzt.20 Viele Kulturfilmregisseure setzten ihre bereits in den 1920er Jahren begonnene Arbeit zwischen 1933 und 1945 fort.21 Auch formal wurde an ein Formenspektrum und an Techniken angeknüpft, die sich bereits vor dem Ersten Weltkrieg herausgebildet und sich in den darauf folgenden Jahren weiter entfaltet hatten. Besonders beliebt waren Städte-, Kultur- und Landschaftsbilder sowie Reise-, Expeditions- und Tierfilme.22 Die Bilder wurden in der Regel ohne Ton gedreht. Die Attraktivität der Kulturfilme sollte durch den nachträglich zugefügten Kommentar, den künstlerischen Einsatz von Geräuschen und die – in vielen Fällen eigens für die Filme komponierte – Musik gesteigert werden. Nicht selten wurden Überblendungen, Doppelbelichtungen, Trickblenden und Animationen eingesetzt.23 Der Kulturfilm war Übungs- und Erprobungsfeld für neue Techniken und gestalterische Formen. Künstlerische und formale Experimente waren ausdrücklich erwünscht.24

Der »Domfilm« »Als den Glauben wir verloren Der den Vätern heilig galt Hat deutsche Art ihn neu geboren In der Dome Allgewalt.«25

Adolf Hitler hatte immer wieder auf die Bedeutung der mittelalterlichen Dome als Zeugen einstiger Größe verwiesen und sie damit zum Maßstab für die kulturellen Leistungen der Gegenwart gemacht.26 Die monumentalen Bauten

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des Mittelalters wurden von den Nationalsozialisten als Abbilder der mittelalterlichen Reichsstruktur, dem Führungswillen der deutschen Herrscher sowie des Gemeinschaftsbewusstseins des deutschen Volkes interpretiert.27 Damit wurde an eine Rezeptionsgeschichte mittelalterlicher Bauten angeknüpft, die sich bis in die Romantik zurückverfolgen lässt.28 Der Dom als Kulturfilmsujet wurde maßgeblich von Rudolf Bambergers Film Die steinernen Wunder von Naumburg von 1932 geprägt und in den folgenden Jahren immer wieder aufgenommen. Wie Reiner Ziegler vom »Domfilm« als einem Genre der Gattung Kulturfilm zu sprechen, scheint mir jedoch zu weit gegriffen.29 Es handelt sich zum einen um eine eher geringe Gesamtzahl von Filmen, zum anderen – und dies ist entscheidend – liegen diese Filme in einer sowohl inhaltlichen, vor allem aber formalen Varianz vor.30 Wenn im Folgenden dennoch vom »Domfilm« die Rede sein wird, dann als ein Oberbegriff für Filme, deren Gemeinsamkeit die (unterschiedliche) Darstellung von sakraler Architektur, deren Fassade und Innenausstattung ist. In Die steinernen Wunder von Naumburg stehen neben der Domfassade die Skulpturen im Vordergrund. Generell liegt auf der Darstellung der figürlichen Ausstattung der Bauwerke oft ein Schwerpunkt. Das ist unter anderem der Dreidimensionalität der Plastiken geschuldet, die sich, anders als mit der Fotografie, im Medium Film räumlich besonders eindrücklich abbilden lassen. Die steinernen Wunder von Naumburg beginnt mit einer Folge von Außenansichten; der Blick über die Dächer der Stadt auf den Dom führt die Betrachter im Sinne der filmischen Konvention des Establishing Shots in den Ort des Geschehens ein. Begleitet werden diese Einstellungen von einem Voice-OverKommentar: »Den Naumburger Dom, ein Bauwerk aus dem 12., 13. Jahrhundert, wird man heute nur mit den Augen unserer Zeit und beherrschenden Gedanken der Gegenwart aus betrachten. Wenn heute der Naumburger Dom im Mittelpunkt unseres Interesses steht und uns gegenwärtig in unseren Empfindungen besonders nahe kommt, so liegt der Grund darin, dass Naumburg für uns heute die Stätte bedeutet, an der das gewaltigste bildhauerische Genie des deutschen Mittelalters gewirkt hat. Sein Name ist uns nicht überliefert und unbekannt, aber seine Werke sprechen zu uns.«31

Die Kamera nähert sich dem Dom an, bis sie durch eine sich öffnende Tür in dessen Inneres gleitet. Aufnahmen der Naumburger Stifterfiguren Ekkehard und Uta leiten eine längere Folge von Einstellungen ein, die von Orgelmusik unterlegt – Werke von Johann Sebastian Bach –, die figürliche Ausgestaltung und das Kirchenschiff zeigen. Auf eine kunsthistorische Einordnung der Plastiken wird verzichtet. Auch der Kommentar bricht an dieser Stelle ab. Rückblickend hat der Kameramann des Films Curt Oertel seine Motivation, den Film zu drehen, so beschrieben: Da »die größten Kulturgüter ortsgebunden in Museen und Sammlungen« aufbewahrt werden, solle der Film dazu dienen, Werke der Bildenden Kunst einem breiten Publikum zugänglich zu machen.32

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1. Überblendung: Gotische Kirchturm- und Tannenspitze. Standbild aus »Ewiger Wald«, D 1936, Regie: Hanns Springer, Rolf von Sonjewski-Jamrowski

2. Überblendung: Jesu Christi und Allegorie des Todes. Standbild aus »Über uns der Dom«, D 1934, Regie: Rudolf Bamberger

Die filmische Formenvielfalt, mit der dies geschehen konnte, lässt sich bereits am Oeuvre Bambergers ablesen. Während Die steinernen Wunder von Naumburg als beispielhaft für den populärwissenschaftlich belehrenden »Domfilm« gilt, kann Bambergers letzter deutscher Film Über uns der Dom von 1934 als Sonderfall gelten. Der 13 Minuten lange Kulturfilm zeichnet sich durch die häufige Verwendung von Überblendungen und eine zuweilen avantgardistisch/ expressionistisch anmutende Filmästhetik aus (Abb. 1 u. 2).33 Wie der Untertitel Ein Film von den Bildwerken des Mainzer Doms andeutet, konzentriert sich der Film auf eine zunächst beliebig erscheinende Aneinanderreihung von Ausschnitten der im Mainzer Dom befindlichen Skulpturen. Erst auf den zweiten Blick und unter Berücksichtigung des dem Film vorangestellten Textes erschließt sich ein weiterer Sinnzusammenhang.34 Die assoziative Montage präsentiert Jesus Christus als Hirte und Heiland sowie als Triumphator über den Tod. Der Film endet mit der filmisch umgesetzten Himmelfahrt Mariens, wobei zunächst die von dem Hl. Martin und dem Hl. Bonifatius flankierte gotische Marienstatue im Mittelschrein des Mainzer Marien-Altars (Figuren 1507, Gehäuse und Seitenflügel 1874) gezeigt wird. Die aus dem 19. Jahrhundert stammenden Seitenflügel des Altars werden ausgespart. Die ohnehin sehr dynamische Kameraführung wird durch die Bewegung der Skulpturen ergänzt. Zu diesem Zweck wurden die Figuren auf eine drehbare Scheibe gestellt, so dass auch eine 360º-Darstellung möglich war. In der letzten Einstellung des Films werden die Kamera- und Objektbewegung in einer Überblendung kombiniert. Die Kamera gleitet die Kirchenwand empor, gleichzeitig wird die im zweiten Bild der Überblendung sichtbare Marienstatue gegen den Uhrzeigersinn aus der Profil- in eine Frontalansicht gedreht. Die Skulptur wird so auf der einen Bildebene mit der Bewegung den Betrachtern zugewandt und steigt gleichzeitig durch die vertikale Kamerabewegung auf der anderen Bildebene

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»gen Himmel«. Durch den Verzicht auf jeglichen Kommentar und die gleichmachende Inszenierung der gezeigten Skulpturen werden zeitliche Differenzen – es werden sowohl spätgotische als auch barocke Figuren gezeigt – wie materielle Unterschiede eingeebnet. Über uns der Dom wurde nach seiner Uraufführung von der Fachpresse begeistert besprochen.35 Die filmische Form, die diejenige des belehrenden Kulturfilms zu Gunsten einer assoziativen symbolhaften Montage aufbricht, blieb jedoch die Ausnahme. Der Film wurde nach seiner Uraufführung relativ schnell wieder aus dem Verleih gezogen. Über die dafür ausschlaggebenden Gründe kann nur spekuliert werden; möglicherweise gab die jüdische Abstammung Bambergers, vielleicht aber auch die christlich religiöse Botschaft des Films den Ausschlag. Die formale, experimentelle Gestaltung erscheint als Grund hingegen weniger zutreffend, da Experimente und Innovationen im Kulturfilm ja als durchaus erwünscht galten. Auch der Bamberger Dom – eines der bekanntesten deutschen Baudenkmäler – war Gegenstand des Kulturfilms. Das steinerne Buch. Ein Film von den Bildwerken des Bamberger Doms von 1938 geht auf eine bereits seit 1923 bestehende Zusammenarbeit zwischen dem Kunsthistoriker Wilhelm Pinder und dem Fotograf, Kameramann und Kulturfilmer Walter Hege zurück. Hege verzichtete in dem Film auf einen Voice-Over-Kommentar oder Textinserts und bindet den virtuellen Domrundgang stattdessen in eine fiktive Rahmenhandlung ein: ein namenlos bleibender Zimmermann und ein Student sind nach Bamberg gereist, um den Dom zu sehen. Ganz im Sinn der Forderung, die Spielhandlung im Kulturfilm dem eigentlichen Thema unterzuordnen, agieren die Figuren nicht als Individuen, sondern bleiben gesichtsund namenlose Funktionsträger, die nur über ihre Berufe identifizierbar sind. Der Fokus liegt auf der dramatischen Inszenierung von Architektur und Skulptur. Der erste Akt des Films spielt bei Nacht und ist damit durch eine künstliche Beleuchtungssituation gekennzeichnet. Die Skulpturen werden im Schein der Lampe des Küsters – so suggeriert es die Spielhandlung – ausschnitthaft sichtbar. Der zweite Teil des Films präsentiert die Bildwerke im vorgeblich natürlichen Tageslicht. Die Innenaufnahmen in den Domen waren nur mit einem erheblich technischen Aufwand zu realisieren. Die schweren Kameras mussten über Schienen bewegt werden. Wegen der geringen Lichtempfindlichkeit des Filmmaterials war die Ausleuchtung des Kirchenschiffs mit starken Scheinwerfern unerlässlich.36 Durch die unmittelbare Nähe zu den Objekten wird eine Verortung der gezeigten Elemente im Raum unmöglich. Besonders auffällig ist das Spiel mit Licht und Schatten, das Ähnlichkeiten mit der Inszenierung der Körper in dem zweiteiligen Olympia-Film (Fest der Völker, Fest der Schönheit, D 1936-1938) von Leni Riefenstahl aufweist, an dem Hege als Kameramann mitarbeitete. Mittels Spotlights werden Schwerpunkte innerhalb der gezeigten Skulpturen und Reliefs gesetzt. Durch die Hell/Dunkel-Kontraste wird die mystische Stimmung des Films betont, die zudem durch die getragene Musik – die Wolfgang Zeller schrieb, der unter

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3. Der Bamberger Reiter. Standbild aus »Das steinerne Buch«, D 1938, Regie: Walter Hege

anderem auch für die Musik zu dem von Goebbels forcierten Propagandafilm Jud Süß (D 1940, Regie: Veit Harlan) verantwortlich war – unterstützt wird. Die Apotheose bilden Aufnahmen des Bamberger Reiters (Abb. 3). Die Folge von unterschiedlichen Einstellungen des Standbildes wird mit den Worten des Küsters eingeleitet: »In dieser Zeit, da überall Zerfall und Zwietracht herrschte, schuf einer der großen Bildhauer die Gestalt, nach der die Sehnsucht unseres Volkes verlangte, den Reiter!«37

Der Reiter wird zum Sinnbild einer heroischen Lebensauffassung stilisiert und während die Figuren im Film aufgrund ihrer angelegten Struktur nicht als Identifikationsfiguren für die Betrachter dienen können, ist die Inszenierung des Standbildes vorbehaltlos auf Identifizierung angelegt. Das Reiterstandbild hatte bereits vor 1933 »Bildkonjunktur«38 und findet sich auch in anderen Kulturfilmen der 1930er und 1940er Jahre wieder, so zum Beispiel in dem Ufa-Kulturfilm Die Bauten Adolf Hitlers (D 1938, Regie: Walter Hege). Paul Schultze-Naumburg, der Hege 1933 als Professor an die von ihm geleiteten Weimarer vereinigten Kunstlehranstalten berief, rühmte den Bamberger Reiter und die Statue der Naumburger Markgräfin Uta im Sinne einer völkischnationalsozialistischen Auslegung als ideologische Leitbilder.39

Künstlerporträts posthum In dem Kulturfilm Peter Parler – Dombaumeister zu Prag (D 1941) verknüpft der Regisseur Werner Buhre die Baugeschichte des Doms mit der Biografie Parlers und verbindet so Elemente des »Domfilms« mit denen eines Künstlerporträts. Die erste Einstellung zeigt die Bildnisbüste Parlers im Veitsdom. Durch die geschickte Ausleuchtung wird die Büste aus ihrem Zusammenhang gelöst und erscheint fast frei stehend vor einem verschatteten Hintergrund. Darüber

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wird der in gotischer Schrift gehaltene Filmtitel »Peter Parler« geblendet. Diese erste Einstellung, die den Zuschauern die abstrakte Vorstellung von dem längst verstorbenen Meister vergegenwärtigen soll, wird schwarz abgeblendet, es folgen der vollständige Filmtitel und die Credits. An dieser Stelle werden die Kunsthistoriker Karl Maria Swoboda und Otto Kletzl, von denen die »Sachbeiträge« zu dem Film stammten, genannt. Sowohl Kletzl, als auch Swoboda hatten bereits zu Peter Parler veröffentlicht.40 Die Zusammenarbeit beziehungsweise die Beratung der Kulturfilmer durch Kunsthistoriker war nicht ungewöhnlich. Die langjährige Kooperation von Hege und Pinder wurde bereits erwähnt, der Kulturfilmpionier Hans Cürlis war selbst promovierter Kunsthistoriker. Der Film ist ganz einem lehrreichen Anspruch verhaftet. Der didaktische Impetus zeigt sich vor allem in der keineswegs üblichen Korrelation von Bild und Kommentar. Die auf der Kommentarebene in der Regel als Vergleich herangezogenen Beispiele – wie der Wiener Stephansdom – werden den Zuschauern auch auf der Bildebene nicht vorenthalten. Überblendungen werden hier als Verbindung schaffendes Element der Montage genutzt und arbeiten so der belehrenden Argumentation zu. Auf Musik wird in dem circa 16 Minuten langen Film fast vollständig verzichtet. Die Credits und der einführende Text werden in gotischer Schrift auf einer altertümlich anmutenden Papierrolle präsentiert: Eine Authentisierungsstrategie, die auf die mittelalterliche Lebenswirklichkeit Parlers verweisen soll. Um den Betrachtern das weitere Vorgehen Parlers nach der Übernahme des von Matthias von Arras begonnenen Baus zu verdeutlichen, wird eine Animation des Dom-Grundrisses eingefügt (Abb. 4). Im Kommentar heißt es dazu: »Den herkömmlichen Grundriss der Kathedrale, nach welchem sein Vorgänger den Bau begonnen hatte, musste er übernehmen. Aber seine erste Tat schon sprengte ihn an einer wesentlichen Stelle. Stürmisch schiebt er die überlieferte Form bei Seite und schafft sich Raum.«41

Die Wiederholung der Bedeutung Parlers für die Baugeschichte Prags wird als Beleg für die deutsche Kulturgeschichte Böhmens funktionalisiert. Peter Parler wird als eine herausragende aber durchaus verallgemeinerbare Einzelpersönlichkeit generiert, als Pionier einer neuen deutschen Kunstgesinnung, die von seinem Sohn und seinen Schülern durch den böhmisch-mährischen Raum hinaus in die Bauhütten des Reiches getragen wurde. Im Kontext der Annexion Tschechiens durch deutsche Truppen im März 1939 diente der Film damit auch der Legitimation territorialer Ansprüche. Die mittelalterliche Vergangenheit als Vorform deutscher Kulturleistung am Beispiel einer Künstlerpersönlichkeit und seiner Werke thematisieren auch die beiden 9 Minuten langen Kulturfilme Riemenschneider – Der Meister von Würzburg und Riemenschneiders Werke in Franken (D beide1938, Regie: Walter Hege). Die formale Vorgehensweise ist in beiden Filmen dieselbe. Eine Stadtansicht führt in den Ort des Geschehens ein. Außenaufnahmen zeigen

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4. Grundriss Animation. Standbild aus »Peter Parler – Dombaumeister zu Prag«, D 1941, Regie: Werner Buhre

die Kirchen, in denen sich die Skulpturen und Altarretabel befinden oder ursprünglich befunden haben. Begleitet von einem erklärenden Kommentar und mit Musik unterlegt fährt die Kamera die Reliefs und Skulpturen ab, Schwenks und Montage erzeugen einen narrativen Zusammenhang. Für die Repräsentation Riemenschneiders greifen die Filme auf das sogenannte Selbstbildnis in der rechten Nische der Predella des Marien-Retabels (1505– 1508) in Creglingen zurück. Auch hier soll das vermeintliche Abbild des Meisters die filmische Immersion, das Eintauchen der Rezipienten in die mittelalterliche Welt des Bildschnitzers unterstützen. Durch die Montage werden Werkeinheiten rekonstruiert – so zum Beispiel für das ursprünglich für die Kirche in Münnerstadt geschaffene Magdalenen-Retabel (1490–1492) –, die tatsächlich nicht mehr bestanden. Die sich in unterschiedlichen Sammlungen befindlichen Teile des Retabels – die Seitenflügel, die vier Evangelisten und die Magdalena im Haarkleid – werden im Film zusammengeführt. Raum und Zeit werden überwunden und die sich in Berlin und München befindlichen Einzelteile als Einheit präsentiert. Als Medium der Dokumentation von Sehenswürdigkeiten und Schauobjekten konnte der (Kultur-)Film den Zuschauern eine virtuelle Reise, die Illusion eines Raumerlebnisses und die Vorstellung von mittelalterlichen Kunstwerken ermöglichen. Der »Domfilm« zielte darauf ab, einen Eindruck des – wenn man so will – »Gesamtkunstwerkes« von Architektur und Skulptur zu vermitteln. Analog zu der völkisch, »rassisch« geprägten Kunstgeschichtsschreibung wird die mittelalterliche sakrale Architektur als Zeuge einstiger Größe und als Grundlage der deutschen Kulturnation verstanden. Filme, in deren Zentrum eine Künstlerpersönlichkeit des Mittelalters und deren Arbeiten stehen, propagierten die Vorstellung, die hohe Kultur – als ein Charakteristikum des deutschen Volkes – zeige sich in den Leistungen von Einzelpersönlich-

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keiten. Die Popularisierung des Mittelalterbildes im Kulturfilm war dabei geprägt durch Allgemeinverständlichkeit und Zugänglichkeit bei gleichzeitiger affektiver Verankerung. Atavistische Mittelaltermythen wurden mit moderner Montage und Tricktechniken wie der Animation verbunden. Für den Kulturfilm im Nationalsozialismus – das hat Heinz B. Heller am Beispiel von Walter Ruttmann herausgearbeitet – gilt, was Jeffrey Herf als »reactionary modernism«42 beschrieben hat; demnach basierte der Nationalsozialismus auf einer Koexistenz von gesellschaftlicher Modernisierung und Reaktion.43

Kontinuität: Die Funktionalisierung der Vergangenheit für die Gegenwart Auch in dem filmisch eher konventionellen Städte- und Landschaftsporträt Auf den Spuren der Hanse (D 1934) von Walter Hege wird auf den stolzen Charakter der gotischen Bauten verwiesen. Die mittelalterliche sakrale Architektur wird als Sinnbild der Macht der Hanse in dieser Zeit stilisiert. Interessant ist an dieser Stelle jedoch eine ganz andere Strategie der Mittelalterrezeption im Kulturfilm. Eine Einstellung zeigt den Kirchturm von St. Marien in Lübeck, von dem sich gerade ein kaum gesicherter, lediglich mit einem Hammer ausgerüsteter Dachdecker abseilt. Der Kommentar erklärt: »Wie vor 500 Jahren wacht der Dachdecker über die von Meeresstürmen umtobten Türme und Dächer. Und die mittelalterlichen Reparaturmethoden sind heute noch in Betrieb.«44 Die Luftaufnahme des Kirchturms muss einen beträchtlichen technischen und logistischen Aufwand bedeutet haben, der wenige Jahre zuvor noch nicht denkbar gewesen war und auf die modernen technischen Implikationen der Gattung verweist. Inhaltlich wird mit dieser Einstellung und dem Kommentar dagegen auf die handwerkliche Tradition von Arbeitsabläufen vom Mittelalter bis in die Gegenwart verwiesen. Traditionelle Elemente wurden durch neue Formen und betont modern vermittelt. Eine ähnliche Vorstellung von der Kontinuität handwerklicher Arbeitsabläufe vom Mittelalter bis in die 1930er/1940er Jahre findet sich in dem Film Steinmetz am Werk (D 1940, Regie: Walter Hege). Die Bautätigkeit des nationalsozialistischen Staates wird kulturell in eine Linie mit derjenigen der Gotik gestellt. Das Mittelalter wird als Setting oder Chiffre für das primär gegenwartsbezogene Thema funktionalisiert, mittelalterliche Kunst, Architektur, Handwerk und Bräuche werden mit dem eigentlichen – zeitgenössischen – Gegenstand des Films in einen kontinuierlichen Zusammenhang gebracht. Der Hinweis auf die Verwendung mittelalterlicher Steinmetzzeichen verweist, ebenso wie der auf tradierte Reparaturmethoden, auf die Wiederaufnahme und Erhaltung mittelalterlicher Sitten. Auf diese Weise wird das von den Nationalsozialisten ausgerufene »Dritte Reich« bewusst in die Tradition des »Ersten Reichs«, dem römischen Reich deutscher Nation, gestellt. Ähnlich wie Parler und Riemenschneider wurden im Kulturfilm auch dem Bildhauer Josef Thorak Innovationskraft und geniale Züge zugeschrieben.

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5. Josef Thorak in seinen privaten Wohnräumen. Standbild aus »Schöpferische Stunde – Josef Thorak«, D 1938, Regie: Hans Cürlis

Die Exposition des Films Schöpferische Stunde – Josef Thorak (D 1938, Regie: Hans Cürlis) zeigt den zeitgenössischen Bildhauer in seinem privaten Wohnraum. Die minutiöse Gestaltung der Mise-en-Scène versetzt das Setting zunächst in eine – wenn auch unbestimmte – mittelalterliche Vergangenheit (Abb. 5). Die anschließende Großaufnahme der Anna Selbdritt-Gruppe45 kommentiert der Sprecher mit den Worten: »Thorak liebt die Werke der großen deutschen Vergangenheit.« Eine Detailaufnahme zeigt daraufhin Thoraks Hände, wie sie tastend die Oberfläche der Plastik abfahren: »Zärtlich tastet seine Hand die Formen dieser über 4 Jahrhunderte alten Gruppe ab.«46 Die Fähigkeit des populären Bildhauers, sich in die Welt des Mittelalters einzufühlen und diese als Inspiration zu nutzen, wird auch in dem Kulturfilm Josef Thorak – Werkstatt und Werk von 1943 (Regie: Arnold Fanck, Hans Cürlis) hervorgehoben. Der Film zeigt Thorak zusammen mit den Steinmetzen in seinem Atelier in Schwabingen. Bilder von den im Garten aufgestellten Skulpturen kommentiert der Sprecher: »Dort ist das Standbild des Schöpfers des Isenheimer Altars, Matthias Grünewald, hingerissen vom inneren Gesicht.« Die Skulptur wird in einer Nahaufnahme gezeigt. »Die Gefühlswelt des Menschen des späten Mittelalters ist Thorak nicht fremd.«47

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Überblendung: Mittelalterbilder zwischen Popularisierung und ideologischer Aneignung Die Instrumentalisierung der mittelalterlichen Kunst, des Handwerks oder von Traditionen funktionierte in den Kulturfilmen zum einen über die direkte Bezugnahme zum künstlerischen, handwerklichen Schaffen der Gegenwart, zum anderen über die filmische Generierung eines historisch gewachsenen Herrschaftsraumes, einem kulturellen Vorbild als Vorform des nationalsozialistischen Staates. Dabei konnten die Filmemacher offensichtlich ein massentaugliches »rassisch« und national geprägtes Verständnis des Mittelalters bei den Zuschauern voraussetzen. Dies zeigt abschließend die entkontextualisierte geradezu ikonische Verwendung des Bamberger Reiters und der Naumburger Stifterfigur Uta als Beispiel für den »Schönheitsbegriff des nordischen Menschen«48 in dem perfiden Propagandafilm Der ewige Jude (Regie: Fritz Hippler), der 1940 in die Kinos kam.49 Der Film greift damit offensichtlich auf ein populäres Verständnis vom Mittelalter zurück, das auch in den vorgestellten Kulturfilmen propagiert wurde. Durch die filmische Verwendung von nunmehr zum Zeichen gewordenen Artefakten sollten Vorstellungen vom Mittelalter aktiviert werden, die damit letztlich für eine Argumentation funktionalisiert werden konnten, die ausschließlich auf Hass und Mord abzielten. Die mittelalterliche Vergangenheit steht zu der filmischen Schilderung im Kulturfilm in einem spezifischen Referenzverhältnis. Dieses Verhältnis oszillierte zwischen der Popularisierung von herausragenden kulturellen Leistungen und der bewussten Aneignung und Instrumentalisierung von diesen, ebenso wie zwischen dem didaktischen Anspruch und einer experimentellen filmischen Formensprache. Die Rezeption des Mittelalters im Kulturfilm des Nationalsozialismus lässt sich damit metaphorisch als Überblendung beschreiben, die als Tricktechnik des Films emotional aufgeladene, symbolische Bilder für abstrakte Argumente liefert, Parallelen zwischen unterschiedlichen Bildern verdeutlicht und Differenzen zwischen zwei Bildern betonen kann.

1 Vgl. Ursula Clemens-Schierbaum: Mittelalterliche Sakralarchitektur in Ideologie und Alltag der Nationalsozialisten, Weimar 1995 sowie die Filme Rembrandt (D 1942, Regie: Hans Steinhoff), Friedrich Schiller – Triumph eines Genies (D 1940, Regie: Herbert Maisch). 2 Clemens-Schierbaum 1995, S. 37 (wie Anm. 1). 3 Vgl. Sabine Hake: Film in Deutschland. Geschichte und Geschichten seit 1895, Reinbek bei Hamburg 2004, S. 109. Die bisher umfassendste Untersuchung über Kunst und Architektur im Kulturfilm hat Reiner Ziegler vorgelegt. Vgl. Rei-

ner Ziegler: Kunst und Architektur im Kulturfilm 1919–1945, Konstanz 2003. Gordon Wolnik spricht von insgesamt nicht einmal zwei Dutzend Filmen, in denen ausschließlich das Mittelalter thematisiert wird. Vgl. Gordon Wolnik: Mittelalter und NS-Propaganda. Mittelalterbilder in den Print-, Bild- und Tonmedien des Dritten Reiches, Münster 2004, S. 400. 4 Vgl. Hake 2004, S. 109 (wie Anm. 3). 5 Vgl. Boguslaw Drewniak: Der deutsche Film 1938–1945. Ein Gesamtüberblick, Düsseldorf 1987, S. 24 f.

101 ÜberbleNduNgeN 6 »Unsichtbar« bezieht sich auf die viel zitierte Äußerung Goebbels: »Nicht das ist die beste Propaganda, bei der die eigentlichen Elemente der Propaganda immer sichtbar zutage treten, sondern das ist die beste Propaganda, die sozusagen unsichtbar wirkt, das ganze öffentliche Leben durchdringt, ohne daß das öffentliche Leben überhaupt von der Initiative der Propaganda irgendeine Kenntnis hat.« Joseph Goebbels: Rede anlässlich der Kriegstagung der Reichsfilmkammer, Berlin, 15. Februar 1941 zitiert nach Gerd Albrecht: Nationalsozialistische Filmpolitik. Eine soziologische Untersuchung über die Spielfilme des Dritten Reichs, Stuttgart. 1969, S. 468 f. 7 Hake 2004, S. 109 (wie Anm. 3). Vgl. auch Stephen Lowry: Pathos und Politik. Ideologie im Spielfilm des Nationalsozialismus, Tübingen 1991, S. 13. 8 Vgl. Lowry 1991, S. 4 (wie Anm. 7). 9 Vgl. Klaus Kreimeier: Die Ufa-Story. Geschichte eines Filmkonzerns, München u. Wien 1992, S. 320 sowie Hake 2004, S. 123 (wie Anm. 3). 10 Vgl. Jeanpaul Goergen: Der giftige, giftige Apfel. Kulturfilm im Nationalsozialismus, in: Ramón Reichert (Hrsg.): Kulturfilm im »Dritten Reich«, Wien 2006, S. 29–44, S. 30. Die Prädikatisierung war mit einem teilweisen oder sogar vollständigen Erlass der Vergnügungsteuer verbunden. Ibid., S. 31. 11 Vgl. Drewniak 1987, S. 50 (wie Anm. 5). 12 Vgl. Peter Zimmermann u. Kay Hoffmann: Formen und Tendenzen des dokumentarischen Films in und zwischen den Weltkriegen, in: id. (Hrsg.): Triumph der Bilder. Kultur- und Dokumentarfilme vor 1945 im internationalen Vergleich, Konstanz 2003, S. 11 sowie Kay Hoffmann: Zwischen Bildung, Propaganda und filmischer Avantgarde. Der Kulturfilm im internationalen Vergleich, in: Reichert 2006, S. 15–28, S. 15 (wie Anm. 10). 13 Goergen 2006, S. 32 f (wie Anm. 10). 14 Vgl. Ramón Reichert: Kulturfilm im »Dritten Reich«. Ein Vorwort, in: id. 2006, S. 7–13, S. 12 (wie Anm. 10) sowie Peter Zimmermann u. Kay Hoffmann: Vom Nazi-Kino zum Film im Dritten Reich. Perspektivenwechsel in der Filmwissenschaft, in: id. (Hrsg.): Geschichte des dokumentarischen Films in Deutschland, Bd. 3, »Drittes Reich« 1933–1945, Stuttgart 2005, S. 38–44, S. 38. 15 Vgl. Hoffmann 2006, S. 18 (wie Anm. 12). 16 Vgl. Reichert 2006, S. 13 (wie Anm. 14). 17 Vgl. Ziegler 2003, S. 100 f (wie Anm. 3).

Vgl. Goergen 2006, S. 39 (wie Anm. 10). Vgl. Ziegler 2003, S. 100 f (wie Anm. 3). 20 Vgl. Zimmermann/Hoffmann 2003, S. 13 (wie Anm. 12). 21 Vgl. Hoffmann 2006, S. 23 (wie Anm. 12). 22 Vgl. Zimmermann/Hoffmann 2003 S. 11 (wie Anm. 12). 23 Vgl. Kay Hoffman: Unbekannte Bilderwelten. Technische Innovationen und ästhetische Gestaltung. Blendende Tricks, in: Zimmermann/Hoffmann 2005, S. 190–194, S. 190 (wie Anm. 14). 24 Vgl. Zimmermann/Hoffmann 2003, S. 11 (wie Anm. 12). 25 Zitiert nach Ewiger Wald (D 1936, Regie: Hanns Springer, Rolf von Sonjewski-Jamrowski, 73 min). 26 Vgl. Reiner Ziegler: Vom Dom zur Reichshauptstadt Germania, in: Zimmermann/Hoffmann 2005 (wie Anm. 14), S. 348–352, S. 348 sowie Ziegler 2003, S. 160 (wie Anm. 3). 27 Vgl. Clemens-Schierbaum 1995, S. 37 (wie Anm. 1). 28 Vgl. ibid., S. 11. 29 Vgl. Ziegler 2003, S. 60 (wie Anm. 3). 30 Zum Begriff des Genres in der Filmwissenschaft siehe u. a. Knut Hickethier: Genretheorie und Genreanalyse, in: Jürgen Felix (Hrsg.): Moderne Film Theorie, Mainz 2002, S. 62–97. 31 Zitiert nach Die steinernen Wunder von Naumburg (D 1932, Regie: Rudolf Bamberger, 19 min). 32 Curt Oertel: Auf dem Weg zu neuen »Erlebnislagen«, in: Berliner Tageblatt, 12. Januar 1936, 3. Beiblatt, zitiert nach Ziegler 2003, S. 55 (wie Anm. 3). Oertel wurde nach 1938 als der eigentliche Urheber des Films gehandelt. Vgl. ibid., S. 315 f. Rudolf Bamberger wurde 1945 in Auschwitz ermordet. Vgl. Hans-Michael Bock (Hrsg.): Cine Graph. Lexikon des deutschsprachigen Film, München, s.v. »Rudolf Bamberger«. 33 Überblendungen verbinden räumlich oder zeitlich auseinander liegende Einstellungen und Sequenzen. Filmische Überblendungen entstehen aus einer Überlappung von zwei Bildern. Während das Bild aus Einstellung eins abgeblendet wird, wird das Bild aus Einstellung zwei gleichzeitig aufgeblendet. 34 In der Begleitbroschüre zu Über uns der Dom heißt es zu dem Punkt »Fassungen«: »Musik mit eingesetzten Anfangstiteln, die in jeder Sprache geliefert werden können.«, zitiert nach Zieg18

19

102 Nicola Valeska Weber ler 2003, S. 164 (wie Anm. 3). Bei der im Filmarchiv des Bundesarchivs gesichteten Fassung handelt es sich entgegen des Katalogeintrags um die finnisch/schwedische Fassung des Films. Der den Aufnahmen vorangestellte Text lautet ins Deutsche übersetzt: »Mächtig erhebt sich der Tempel, die Türme strecken sich hoch aus der Dunkelheit zum Licht, wir treten ein in eine andere Welt – unter eine andere Sonne. Über den Gräbern schwebt der alles beherrschende Geist des Todes. Aber den ewigen Tod überwand Christus. In Herrlichkeit erhebt sich sein Thron der Allmächtigkeit. In Seligkeit harrt die Schar der Heiligen – Und die heilige Maria, die Jungfrau und Mutter, sie schwebt vom Altar, die Mauern weichen – Der Tempel steigt in die Höhe zu Gott.« Für die Übersetzung des schwedischen Texte ins Deutsche danke ich Ulrik Ludwig. 35 Vgl. Ziegler 2003, S. 163 (wie Anm. 3). 36 Vgl. ibid., S. 160. 37 Zitiert nach Das steinerne Buch. Ein Film von den Bildwerken des Bamberger Doms. (D 1938 Regie: Walter Hege, Spielleitung Curt Wessel, 21 min). 38 Friedrich Kestel: Walter Hege (1893–1955) »Rassenkunstphotograph« und/oder »Meister der Licht-

bildkunst«?, in: Fotogeschichte 29/1988, S. 65–75, S. 66. 39 Vgl. ibid., S. 68. 40 Vgl. Ziegler 2003, S. 173 (wie Anm. 3). 41 Zitiert nach Peter Parler – Dombaumeister zu Prag (D 1941, Regie: Werner Buhre, 16 min). 42 Jeffrey Herf: Reactionary Modernism. Technology, Culture, and Politics in Weimar and the Third Reich, Cambridge 1984. 43 Vgl. Heinz B. Heller: »Stählerne Romantik« und Avantgarde. Beobachtungen und Anmerkungen zu Ruttmanns Industriefilmen, in: Zimmermann/ Hoffmann 2003, S. 105–118, S. 107 (wie Anm. 12). 44 Zitiert nach Auf den Spuren der Hanse (D 1934, Regie: Walter Hege, 55min). 45 Die Provenienz der Figurengruppe konnte nicht geklärt werden. 46 Zitiert nach Schöpferische Stunde – Josef Thorak (D 1938, Regie: Hans Cürlis, 13min). 47 Zitiert nach Josef Thorak – Werkstatt und Werk (D 1943, Regie: Arnold Fanck, Hans Cürlis, 13min). 48 Zitiert nach Der ewige Jude (D 1940, Regie: Fritz Hippler, 66 min). 49 Vgl. Ziegler 2003, S. 247–252 (wie Anm. 3).

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The High Middle Ages on Display in the Exhibition Deutsche Größe (1940–1942)

Deutsche Größe was the largest and most important cultural-historical exhibition of the National Socialist era. An early reviewer said that it was »Doubtless the most innovative and impressive, the most spectacular and imposing show of this sort there has ever been in Germany.«1 Despite this, the show is not nearly as well known as other Nazi-sponsored museum exhibitions such as Entartete Kunst or the annual Große Deutsche Kunstausstellung. It has never been the subject of a comprehensive study.2 Deutsche Größe, on view from 1940 through 1942, surveyed »German greatness« from the era of the barbarian migrations through to Hitler’s seizure of power. Given this chronological range, the Middle Ages played an important role in the show. In this article I examine the ways in which the Middle Ages and, especially, medieval art were exhibited in Deutsche Größe; in particular, I concentrate on the show’s presentation of the era of the Saxon, Salian, and Staufen rulers.3 The Nazis’ understanding of history was always ideological, but it was not therefore monolithic. Because the Middle Ages was a complex and problematic period for the Nazi conception of the past, a study of Deusche Größe’s presentation of that era provides interesting information about the ways the Nazis used history. Deutsche Größe was organized by Alfred Rosenberg in his role as »the Führer’s representative for the supervision of the entire spiritual and philosophical schooling and education of the National Socialist Party,« the grandiose and potentially almost limitless title Hitler gave Rosenberg, one of his earliest supporters, in 1934.4 While Rosenberg’s gargantuan title may cause us to smile, we should not underestimate the seriousness with which he undertook his task. Rosenberg recognized that cultural products such as exhibitions and books were crucial because they expressed ideology, which he believed was all-important. Already in 1934, just one year after the Nazi seizure of power, Rosenberg said that the Nazi revolution was already over from the political standpoint, but was »culturally just at its start.« From his belief that the Nazis needed to reshape minds as well as to seize political power, he concluded that a new sense of history was required, what he called a »new spiritual family

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tree.«5 This is precisely the idea that animated his organization of Deutsche Größe. To fulfill its mission of changing thought in Nazi Germany, Rosenberg’s office took on a wide range of activities. One of these was surveying book publication, with the intention both of censoring undesirable books and promoting desirable ones. To promote favored books, the Amt Rosenberg began in 1934 to organize exhibitions of books related to broad themes in German history. Starting in 1936, these exhibitions became prestigious enough to be held annually in Nuremberg to coincide with the annual Nazi party rally there. They also became more elaborate, including not only books, but works of art, maps, and explanatory texts.6 Deutsche Größe was the most ambitious of these exhibitions carried out by the Amt Rosenberg. The show was originally planned to open in conjunction with the Nuremberg rally of 1940. When the Nazis decided not to gather that year because of the war, Deutsche Größe was moved to Munich. It opened on November 8, 1940 in the exhibition rooms of the Deutsches Museum. This city and this date signaled the exhibition’s high status. November 8th was an exceptionally prestigious date in the Nazi calendar, the eve of the Party festivities commemorating the 1923 Munich putsch. In keeping with that high status, the show’s patron was Rudolf Heß, Hitler’s deputy. Deutsche Größe was seen by 127.000 people in Munich. It had been planned as a traveling exhibition and so, after closing in Munich, it went to Prague, Magdeburg, Breslau, Brussels, and Strasbourg before it finally closed in August of 1942. An additional 430.000 people saw it in those cities.7 The primary organizing force behind Deutsche Größe was Hans Hagemeyer. Hagemeyer, an employee of the Amt Rosenberg, had been associated with Rosenberg as early as 1929 in the Kampfbund für Deutsche Kultur and worked for him in a variety of roles from then until 1945.8 Karl Alexander von Müller, the Munich ordinarius for history, wrote a long essay for the catalogue. Although most of the texts in the catalogue are unsigned, among the medievalists who are named in the catalogue as »scholarly collaborators« (»wissenschaftliche Mitarbeiter«) were Otto Brunner, Kurt Holter, Fritz Rörig, Edmund Stengel, and Franz Petri, all of whom went on to have successful post-War II careers in the Federal Republic of Germany or Austria.9 Because of the Nazi Party’s intellectual and financial sponsorship of the exhibition, the show was deeply and frankly ideological. As the reviewer in the official Nazi art journal put it: »Here, for the first time, an exhibition has been carried through entirely from the political perspective.«10 In his speech opening the exhibition, Rosenberg described its aspirations: »It is not the goal of the exhibition ›Deutsche Größe‹ to bring before our eyes the full range of German history in all its highs and lows and with its full richness of actors; a future time of peace may later undertake that great task. We, instead, have given ourselves the task of choosing from the immense whole the

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1. unknown photographer: The exhibition »Deutsche Größe«, room 4: Das altdeutsche Kaiserreich – Die Zeit der Sachsen und Salier, photo, venue unknown, 1940–1942, Hans Hagemeyer (ed.): Deutsche Grösse, Munich 1944, p. 63

historically most significant powers and the decisive figures of the great eras, lifting them up as a focus of unmediated perception so that they will have an immediate place in our consciousness.«11

These are lofty goals, but how to achieve them? Or, as another reviewer of the show asked: »The invisible, the abstract, thoughts, ideas, powers, forces must be made visible. But what could, what should, one exhibit?«12 The organizers of Deutsche Größe answered this fundamental question in ways both traditional and innovative. The show had sixteen rooms, with fourteen of them presenting German history chronologically from the migration of tribes into Germany in the early Middle Ages through to the present day, the Großdeutsches Reich Adolf Hitlers.13 Rooms two through six were devoted to the Middle Ages; this article will concentrate on rooms four and five. The subject of both of these was Das Altdeutsche Kaiserreich, with one gallery concentrating on the Saxon and Salian rulers, the other on the Staufen. A good idea of the exhibition’s curatorial principles is conveyed by a view of the Saxon and Salian room; in the background, through the doorway, is the Staufen gallery ( fig. 1). Each room of Deutsche Größe was designed to echo, but not to copy fully, an architectural monument from the period displayed in the room. In this case, the building that provided the inspiration was Speyer

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Cathedral, an arch from which is copied in the doorway.14 More generally, the gallery’s floor, composed of irregularly shaped stones rather than the square or rectangular flooring we would expect in a modern museum, is meant to evoke the Middle Ages, even if it does not copy any particular building. I know of no precedent for this design technique, the use of architectural reference as opposed to precise copying, before Deutsche Größe. It was one of the show’s features that made its organizers most proud. In his speech at the exhibition’s opening, Rosenberg referred to the »galleries that do not (in the style of old museums) have a sentimental, antiquarian character, but rather through architectonic reference make clear the stylistic character of a particular era […]«15 This room also shows several other features that characterize the exhibition design of Deutsche Größe. The equestrian statue known as the Magdeburger Reiter dominates the center of the room. In the back corner, more difficult to make out, is another thirteenth-century image, of Henry II from the façade of Bamberg Cathedral. Deutsche Größe, like modern cultural-historical exhibitions, thus displayed a range of objects from the past: not only works of art, but also documents and other kinds of artifacts. Surprisingly, however, what was shown in Munich and the other cities to which the exhibition traveled were not the original objects, but only reproductions. Deutsche Größe included no original objects from the Middle Ages or any other era. This was true not only for large-scale works like the Magdeburger Reiter, but for every object in the exhibition. This had not been the original intention, which was to display a mixture of originals and reproductions. It was only at the end of September 1940, just six weeks before the show was to open, that Rosenberg’s office learned that, because of British threats to bomb Munich, Hitler had forbidden the display of any originals in the show.16 In the end, an astounding 1.800 reproductions were made for the exhibition. Rosenberg quickly turned the necessity of displaying reproductions into a virtue. He wrote: »We found ourselves forced—it turned out entirely to the good for the exhibition—to make facsimiles of all the originals so that the conception of the entire exhibition could be realized. The show thus took on a very unified and modern character and, almost unintentionally, an entirely new model for exhibition design was indeed created.«17

The modeling of Deutsche Größe’s galleries on architectural monuments and the complete absence of originals are two of the exhibition’s most unusual characteristics. Other features of the show are more familiar. For example, it was extremely didactic; although large-scale, three-dimensional objects were included, Deutsche Größe also had an extremely wide range of illustrative material. Another view of the Saxon and Salian gallery shows maps, photographs of works of art – including manuscripts showing Henry IV and Pope Gregory VII –, and large-scale reproductions of imperial coins (fig. 2). Indeed,

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2. Erika Schmauss: The exhibition »Deutsche Größe«, room 4: Das altdeutsche Kaiserreich – Die Zeit der Sachsen und Salier, photo, venue unknown (probably Munich), 1940 or 1941, Karlheinz Rüdiger: Deutsche Grösse. Ein Beispiel künstlerischer Ausstellungsgestaltung, in: Die Kunst im Deutschen Reich 5/1941, p. 40

Deutsche Größe was so didactic that it did not refrain from including in this gallery modern depictions of historical events, such as a painting of Henry I fighting the Magyars.18 The organizers of Deutsche Größe were thus concerned with exhibiting the course of German history, not of German art. This is also apparent from their choice of medieval objects to include in the show. We have seen that the Magdeburger Reiter, a statue made during the reign of the Staufen, was exhibited in the room on the Saxon and Salian kings. This was no mistake by the exhibition makers. They believed, as many now do as well, that the statue from Magdeburg depicted Otto the Great. What was important to them was that a »great« Saxon ruler such as Otto be represented in the exhibition in an impressive manner, even if the representation itself was made several centuries after the king lived. For the same reason, the statue of Henry II from Bamberg was in this gallery, even though art historians classify the thirteenth-century sculpture as a work of art from the era of the Staufen, not of the Saxon or Salian rulers.

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In its display of the Middle Ages, Deutsche Größe thus emphasized subject over style. This is to some degree surprising, for style was the dominant concept in German art history at the time. Deutsche Größe certainly did not reject style entirely as an organizing principle; it is only the belief that style is a telling sign of distinctive national and period characteristics that explains the decision to choose a characteristic building of the age as a model for each room in the exhibition. Similarly, the label accompanying a photograph of the bronze doors from Hildesheim elsewhere in the Saxon-Salian room expressed a belief in a defining period style when it declared that the doors »vividly embody Ottonian art. […] Germanic strength of feeling triumphs over classical tradition in this, the first monumental bronze casting in German art, a work whose narrative style is great and strong, like that of the Heliand.«19 Organizers of historical exhibitions, however, face constraints other than art-historical notions of style. These constraints produce tensions; an example is Deutsche Größe’s presentation of the Magdeburger Reiter. The label accompanying the statue began: »This wonderful image is a knightly emblem of the German emperors.«20 This is a statement not about Otto the Great or his era, but more about the era in which the sculpture was created, since medieval knighthood is a development more associated with the thirteenth century than with the tenth. Normally, a different thirteenth-century statue, the Bamberger Reiter, played the role of symbol of chivalric knighthood in the German historical and art-historical imagination.21 Indeed, it is odd that the Bamberg statue, which had iconic status for much of the twentieth-century, and certainly during the National Socialist era, was not included here or elsewhere in Deutsche Größe. But one of the reasons the Bamberg equestrian statue was, despite its fame, less suited to the exhibition than the Magdeburger Reiter was the historical and political goals of Deutsche Größe. For the planners of the exhibition, it was important that the statue of Otto was from Magdeburg. As its label told viewers: »It stands in the city from which the German knights and settlers rode towards the East.«22 German expansion to the East, a major part of National Socialist policy, was of special interest in 1940, when the exhibition opened, and continued to be of relevance during the years in which the show was on display, when the Second World War raged in the East. Many different rooms of Deutsche Größe gave special attention to figures from the past who were seen to prefigure Nazi Eastern expansion; these included Otto the Great, Albrecht the Bear, the Teutonic Knights (Deutschritterorden), and, as we shall see, Henry the Lion. Furthermore, Otto the Great as represented in the Magdeburger Reiter was more than just an exemplar of German expansion to the east. He was one of the most important figures to represent the entire concept of »German greatness« (Deutsche Größe). As the label put it: »In this statue we see a symbol of the imperial magnificence and power of Otto the Great, the founder of Magdeburg. His achievements were the creation of a

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3. unknown photographer: The exhibition »Deutsche Größe«, room 4 (foreground) and 3: Das fränkische Reich (background), photo, venue unknown (probably Munich), 1940 or 1941, H[ans] Biberger: Deutsche Geschichte—Deutsche Größe, in: Deutsche Technik 9/1941, p. 201 unified German state organized on feudal principles, the alliance of Italy with Germany, the subjugation of the papacy and the attainment of the imperial crown, and the Germanization of the Slavic East.«23

A concentration on the great men of the past has a long tradition in historiography and in exhibition making. Even today, many historical exhibitions are organized around historical figures or dynasties. In the Nazi era, this kind of organization was especially common because of the National Socialist belief that Hitler’s role as Führer was prefigured in the past by earlier German leaders. This idea was repeated again and again in Nazi writing about the past and found expression in the design of Deutsche Größe (fig. 3). A view from the Carolingian gallery into the Saxon and Salian gallery indicates clearly the axis of early medieval Führergestalten established by Deutsche Größe. The axis starts in the foreground on the floor with the tomb of the Saxon duke Widukind and proceeds through the small equestrian statue of Charlemagne on the gallery’s back wall to culminate with the Magdeburger Reiter. The formal and iconographic parallels between the equestrian statues of the emperors Charlemagne and Otto make their relationship especially clear.

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This image of the Carolingian gallery introduces the issue of the precise ideological current of Deutsche Größe and its relationship to other Nazi-era representations of the Middle Ages. When the Nazis looked to the Middle Ages for models, they often found pairs of rivals. One of these antithetical pairs was Widukind and Charlemagne. Early in the Nazi era, Widukind tended to be favored over Charlemagne, especially by radical Blut und Boden thinkers such as Rosenberg. Rosenberg and his allies praised Widukind as a true Saxon who rejected Christianity, while Charlemagne was vilified as a »butcher of the Saxons« (Sachsenschlächter). Other Nazis, however, favored Charlemagne. For them, Widukind’s paganism and Saxon heritage were signs of his parochialism; as Nazi political and military interests progressed from dominance in Germany to dominance in Europe, European emperors such as Charlemagne were seen as more important than Saxon dukes such as Widukind. In 1936, Hitler decided that Charlemagne and Widukind were both to be treated as great figures of the past. It is that position that is manifested in Deutsche Größe, with Widukind’s large, centrally-placed tomb balanced by the gallery’s overall design, copied from Charlemagne’s palace chapel at Aachen.24 The room of Deutsche Größe devoted to the Staufen had to confront an almost precisely identical situation: the rivalry between Henry the Lion and Friedrich Barbarossa. Like the Widukind/Charlemagne debate, this one had a long history. Historically, it went back to the High Middle Ages itself, when the cousins had famously disagreed about whether Henry would support Barbarossa militarily. Historiographically, the disagreement went back to the nineteenth-century, when a key part of the debate between the historians Heinrich von Sybel and Julius Ficker concerned whether the German emperors, such as Barbarossa, were right to have pursued dominance in Italy, or whether Henry the Lion’s desire to expand eastward, rather than southwards, was the proper one.25 At the time of German unification, Barbarossa was clearly the figure with whom to be identified. In the nineteenth-century images from the imperial palace at Goslar, for example, Wilhelm I was depicted as Barbablanca in parallel to his red-bearded medieval predecessor. But for many Nazi thinkers, especially early in the regime, Henry the Lion was a much superior model. In his Mythus des 20. Jahrhunderts, one of the most important Nazi accounts of the value of history, Rosenberg wrote: »Henry the Lion is one of the greatest men in our history. With the full force of a strong personality he tried to put a stop to the insane Italian campaigns and began the settlement of the East, thus laying the foundation for a future German Empire and creating the first secure bases for preserving and strengthening the German people.«26

It was this attitude that led to the transformation, begun in 1935, of Braunschweig Cathedral, where Henry the Lion was buried, into a German national shrine.27 But by 1940, the time of Deutsche Größe, rising German aims for European domination made other models attractive, especially the medieval

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4. Müller & Sohn: The exhibition »Deutsche Größe«, room 5: Das altdeutsche Kaiserreich – Die Zeit der Staufer, photo, venue unknown (probably Munich), 1940 or 1941, Karlheinz Rüdiger: Deutsche Grösse. Ein Beispiel künstlerischer Ausstellungsgestaltung, in: Die Kunst im Deutschen Reich 5/1941, p. 39

5. unknown photographer: The exhibition »Deutsche Größe«, room 5: Das altdeutsche Kaiserreich – Die Zeit der Staufer, photo, Brussels, 16 March 1942, Brussels, CEGES-SOMA

6. unknown photographer: The exhibition »Deutsche Größe«, room 5: Das altdeutsche Kaiserreich – Die Zeit der Staufer, photo, venue unknown, 1940-1942, Hans Hagemeyer (ed.): Deutsche Grösse, Munich 1944, p. 82

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German Empire. Thus, in a Tischgespräch of 1942, Hitler attacked Henry the Lion as a Kleinsiedler and said: »One thing is certain: if we want to rise to global power, we need to call on the era of the German Empire […] the most powerful period, aside from ancient Rome, the world has ever seen […] 500 years of uncontested world rule.«28

Unlike the Widukind/Charlemagne dispute, into which Hitler intervened forcefully and publicly, the Henry the Lion/Barbarossa debate was left more open. It thus becomes an interesting question: how was Deutsche Größe to represent Henry the Lion and Barbarossa? Figures four through six show different installations of the Staufen room ( fig. 4–6). While Deutsche Größe was not installed exactly the same way in every city to which it traveled, these views make clear that the room’s large-scale decoration consisted of three major elements. The arcades from the Staufen palace at Bad Wimpfen provided the architectural motif for the gallery, while the two large works of art reproduced were the lion from Braunschweig and the tomb of Archbishop Wichmann from Magdeburg cathedral. The twelfth-century lion statue from outside Burg Dankwarderode, closely associated with Henry the Lion, dominated the gallery. This is apparent from figure 6 and from a view of the opening of Deutsche Größe in Brussels ( fig. 7), in which the crowd is fascinated by the lion.29 The visual dominance of the Braunschweig lion was mirrored textually in Deutsche Größe’s label for the statue: »Bold and powerful, Henry’s chivalric symbol stands in front of his castle, Dankwarderode.« The text goes on to call Henry »the most successful figure in the Middle Ages in dealing with the East« (der erfolgreichste Ostpolitiker des Mittelalters) and to quote from Helmold’s twelfth-century Chronica slavorum, which says that Henry, »more than any duke before him, broke the power of the Slavs, placed a bridle on them, and now leads them wherever he wishes.«30 Barbarossa, unlike Henry the Lion, found no monumental representation in Deutsche Größe. His absence is striking because there were opportunities for him to play a bigger role. Barbarossa, for example, was often at the palace at Wimpfen, which provided the gallery’s architectural theme, but the catalogue identifies Wimpfen only as a »Hohenstaufliche Pfalz« from the period after 1200 and so explicitly passes up the chance to connect it directly with Barbarossa, who died in 1190.31 Wichmann was identified in the label on his tomb as an »advisor« to Barbarossa.32 The Magdeburg archbishop was thus presented as a stand-in for the emperor and so serves, in part, to counterbalance the dominance of Henry the Lion. But, in the exhibition, Wichmann’s tomb was itself partially offset by a photograph of the tomb of Henry the Lion and Matilda from the cathedral at Braunschweig, recently converted into a cult site by the Nazis. The label text, continuing Deutsche Größe’s glorification of Henry, notes that this is an »idealized image of [Henry] the Lion, representing him with sword and church as the Staufen-era colonizer.«33

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7. unknown photographer: The exhibition »Deutsche Größe«, room 5: Das altdeutsche Kaiserreich – Die Zeit der Staufer, photo, Brussels, 16 March 1942, Brussels, CEGES-SOMA

Visually at least, Deutsche Größe thus favored Henry the Lion over Barbarossa. Another sign of this is the surprising lack of emphasis the show gave to the Reichskleinodien, the imperial insignia of the Holy Roman Empire that had been transported by Hitler from Vienna to Nuremberg soon after the annexation of Austria. The imperial insignia were included in the show, although, as with everything else in Deutsche Größe, it was not the originals that were displayed, but copies. But, in this case, the reproductions would have been spectacular, since they were not the papier mâché or plaster reproductions used elsewhere in the exhibition, but rather the impressive Aachen copies of the imperial insignia, made of precious metals and jewels, that had been crafted earlier in the century.34 Yet the catalogue for Deutsche Größe, which included the insignia in the Saxon and Salian room, draws little attention to them and they were not featured in photographs or press accounts of the exhibition. That Deutsche Größe favored Henry over his imperial cousin is not entirely surprising, since the exhibition’s designers were employees of the Amt Rosenberg and so would likely follow their leader’s position. But it is interesting to note that even Rosenberg by now was being careful, at least verbally. November of 1940 saw not only the opening of Deutsche Größe in Munich, but also the dedication of Braunschweig Cathedral as »a sacred German pilgrimage site« (Weihe- und Wallfahrtsstätte). Rosenberg spoke at that dedication, just as he did

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at the opening of Deutsche Größe (it is a sign of Hitler’s declining interest in Henry the Lion that he did not appear at Braunschweig in 1940, though he had taken an active financial and intellectual role in the Braunschweig project just a few years earlier). As in the exhibition, Rosenberg praised the value of looking to the past »precisely because it is not past,« since history lives on in the people of the present.35 Given the speaker and, especially, the venue, we would have expected Rosenberg’s speech to be full of praise for Henry. And, while Rosenberg does praise him, for originating the colonization of the East, which laid the basis for »the security of the food supply for the German people,« he also praised Barbarossa. »Against Henry stood his opponent. He also had to defend his rights. He had to represent the idea of the German empire and emperor that was his to transmit, for he knew they would be foundational to Germany’s future. We recognize that he could have acted no differently than he did.«36 This kind of equivocation is not rousing praise for Barbarossa, but neither is it the kind of condemnation found in a 1940 biography of Henry the Lion which ends: »Whoever today speaks of the German Reich does not say Friedrich Barbarossa but rather, now and forever, says Henry the Lion!«37 There are places where Deutsche Größe engaged in the kind of balancing act between Henry and Barbarossa that characterized Rosenberg’s 1940 Braunschweig speech. For example, the legend in the exhibition accompanying a map of the territories ruled by the Staufen says that, for Barbarossa, »Germany was the basis and origin of his imperial politics« while, »at the same time, politics in the East reached their high point under Henry the Lion.«38 This is a clear statement of the Nazi compromise position on the battling cousins, but it is significant that it is expressed only verbally. In contrast, the exhibition’s visual message that Henry was superior to Barbarossa is closer to Elster’s explicit championing of Henry over Barbarossa. While the presentation of the Middle Ages in Deutsche Größe was of course propagandistic and ideological, the exhibition was not entirely predictable in the way it represented the past. Although the Nazis had available a reading of the Middle Ages that saw the period as pagan and Germanic, they also had available another and very different (but equally Nazi) view of the era, one which saw it as fusing pagan and Christian, Germanic and Mediterranean, and encompassing both the post-1918 borders of Germany and those established through Hitler’s military conquests of 1939 and 1940. It is the tension between these two views and their attempted reconciliation that is expressed in Deutsche Größe’s complex presentation of the Middle Ages. It is important to recognize that the complexity of interpreting the period does not derive simply from the unique peculiarities of Nazi historiography. In the twentiethcentury, the Middle Ages were often an object of fascination; the era was represented nostalgically, as an ideal period of social, religious, and ideological harmony; reviled as thoroughly anti-modern; or, most typically, perceived as some combination of these extremes. Germany, with its rich medieval heritage and its exceptionally turbulent modern history, has been the site of some of

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the most striking, and therefore most interesting, twentieth-century confrontations with and uses of the Middle Ages.39 Like all modern interpretations of this distant, strange, and fascinating period, Deutsche Größe continually struggled to make sense of the era and to use it.

1 »Zweifellos die einzigartigste und eindrucksstärkste, anschaulichste und imposanteste Schau dieser Art, die es jemals in Deutschland gegeben hat.« Peter Trumm: Deutsche Größe—Vermächtnis und Anspruch, in: Münchner Abendblatt, 8. November 1940, p. 3. All translations from German are by the author. 2 There are moderately extended discussions of Deutsche Größe in Christoph Kivelitz: Die Propagandaausstellung in europäischen Diktaturen, Bochum, 1999, pp. 205–208; Hans-Ulrich Thamer: Geschichte und Propaganda. Kulturhistorische Ausstellungen in der NS-Zeit, in: Geschichte und Gesellschaft 24/1998, pp. 349–381, p. 355 f.; Karen Schönwälder: Historiker und Politik, Frankfurt am Main, 1992, pp. 234–237; André Gob: »Deutsche Grösse.« Une exposition à la gloire de l‘Empire allemand en 1942 à Bruxelles«, in: Jean-Pierre Legendre et al. (ed.): L’archéologie nationale-socialiste dans les pays occupés a l’ouest du Reich, Gollion 2007, pp. 337–349 and William J. Diebold: The Early Middle Ages in the Exhibition »Deutsche Grösse« (1940–1942), in: Alyce Jordan u. Janet Marquardt (ed.): Medieval Art and Architecture after the Middle Ages, Cambridge, 2009, pp. 363–386. 3 This article forms part of a book-length project on the exhibition of early medieval art in twentieth-century Germany; it is a pendant to a previous article (Diebold 2009, n. 2) in which I examined Deutsche Größe’s presentation of the early Middle Ages. 4 »Beauftragter des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP.« 5 »geistesgeschichtlich erst am Beginn […] neue Ahnenreihe der Geister.« Alfred Rosenberg: Der Kampf um die Weltanschauung, in: Thilo von Trotha (ed.): Gestaltung der Idee, Munich 1938, p. 35 f. cited from Karl Arndt: Mißbrauchte Geschichte: Der Braunschweiger Dom als politisches Denkmal (1933/45), in: Niederdeutsche Beiträge zur Kunstgeschichte 20/1981 and 21/1982, pp. 213–244 and pp. 189–223, p. 206.

6 For a useful, if uncritical history, see Bernhard Payr: Das Amt Schrifttumspflege. Seine Entwicklungsgeschichte und seine Organisation, Berlin 1941, especially pp. 35–40. 7 These statistics were compiled by Rosenberg’s office for a 1942 report and so may be inflat­ ed. Berlin, Bundesarchiv, NS 8/247, pp. 290–293. 8 Hagemeyer has not yet been the subject of a thorough study. Quite full biographical information about him is found in the pension and personnel files of the Amt Rosenberg, Berlin, Bundes­ archiv, NS 15/5. 9 See the list of participating scholars in Ausstellung Deutsche Größe, exhibition catalogue, 3. edition, Berlin 1940/1941, p. 398. Petri’s name is not on this list, but he contributed an essay to Ausstellung Deutsche Grösse, exhibition catalogue, Brussels 1942, the catalogue produced to accompany the Brussels showing of Deutsche Größe. 10 »Hier wurde zum erstenmal eine Ausstellung ausschließlich unter politischen Gesichtspunkten durchgeführt.« Karlheinz Rüdiger: Deutsche Grösse. Ein Beispiel künstlerischer Ausstellungsgestaltung, in: Die Kunst im Deutschen Reich 5/1941, pp. 35–43, p. 41. 11 »Es ist […] nicht die Aufgabe der Ausstellung ›Deutsche Größe‹, nun die ganze deutsche Geschichte in allen ihren Höhen und Tiefen und mit all ihrem Reichtum der Persönlichkeiten von unserem Auge vorüberziehen zu lassen. Dieses große Werk mag später eine kommende Friedenszeit gestalten. Wir haben uns hier aber die Aufgabe gestellt, aus der ungeheuren Fülle die geschichtsmächtigen Kräfte und entscheidenden Gestalten der großen Epochen herausergreifen und sie als Blickpunkt für die unmittelbare Anschauung in unser Bewußtsein zu erheben.« Berlin, Bundesarchiv, NS 8/62, pp. 189–208, pp. 201– 203. This appears to be the typescript from which Rosenberg delivered the speech; the underlined passages, italicized in the translation, represent handwritten or typed underlinings in this text.

116 William J. DiebolD 12 »Unsichtbares, Abstraktes, Gedanken, Ideen, Mächte, Kräfte mußten sichtbar gemacht werden, aber was konnte, was sollte man zeigen?« Peter Trumm: Vermächtnis und Anspruch, in: Das Reich, 17 November 1940, p. 26. 13 Cf. Deutsche Grösse 1940/1941, p. 5 for a list of rooms (n. 9). 14 In other cases, as for example the Carolingian room modeled on the palace chapel at Aachen, this design technique achieved a more dramatic effect. Cf. the illustration in Diebold, 2009 (n. 1), fig. 3. 15 »Räume, die nicht nach dem Beispiel alter Museen einen antiquarisch sentimentalen Charakter haben, sondern nur durch eine architektonische Andeutung das Stilgefühl der bestimmten Epoche abgrenzen.« Berlin, Bundesarchiv, NS 8/62, pp. 189–208, p. 205. On the editing principles used to present this text, see annotation 11. 16 Memorandum of telephone call from Martin Bormann to Amt Rosenberg, 26 September 1940, Berlin, Bundesarchiv, NS 8/247. 17 »So sahen wir uns gezwungen — und es ist der Ausstellung durchaus zum guten gereicht — die Originale alle nachbilden zu lassen, damit der Plan der ganzen Ausstellung verwirklicht werden konnte. Die Ausstellung hat dadurch gerade einen sehr einheitlichen und modernen Zug bekommen, und nahezu unfreiwillig ist tatsächlich ein ganz neues Muster für die Ausstellungsform geschaffen worden.« Alfred Rosenberg to Schwarz, 28 January 1941; Berlin, Bundesarchiv NS 1/945. 18 Reproduced in Hans Hagemeyer (ed.): Deutsche Grösse, München 1944, p. 68. 19 »verkörpern eindringlich die ottonische Kunst. […] Germanische Gefühlstärke setzt sich gegen antike Überlieferung durch, zugleich ein erstes monumentales Broncewerk der deutschen Kunst, dessen Erzählungsstil groß und stark ist wie im alten Heliandsliede.« Hagemeyer 1944 (n. 18), p. 89. Similarly, a wall text accompanying images of Burg Münzenberg and the cathedrals of Mainz, Worms, and Limburg, claims that »Die stolze Kühnheit, Weltfreudigkeit und schöpferische Kraft der Stauferzeit finden in der Baukunst ihren Ausdruck, in den Domen sowohl wie in den Pfalzen und Burgen.« Ibid., p. 94. 20 »Das herrliche Bildwerk ist ein ritterliches Sinnbild des deutschen Kaisertums.«. Ibid., p. 86.

21 The classic study of this phenomenon is Berthold Hinz: Der »Bamberger Reiter,« in: Martin Warnke (ed.): Das Kunstwerk zwischen Wissenschaft und Weltanschauung, Gütersloh 1970, pp. 2644. See also Wolfgang Ullrich: Der Bamberger Reiter und Uta von Naumburg, in: Etienne Francois u. Hagen Schulze (ed.): Deutsche Erinnerungsorte I., München 2001, pp. 322–334 and Carsten Busch: Der Bamberger Reiter. Ein Lesebuch, Bamberg 2002. 22 »Es steht auf dem Boden der Stadt, von der aus deutsche Ritter und Kolonisten gen Ostland ritten.« Hagemeyer 1944, p. 86 (n. 18). 23 »In diesem Standbild sehen wir ein Symbol der Kaiserherrlichkeit und Macht Ottos des Großen, des Gründers Magdeburgs. Sein Werk war: Die Schaffung eines deutschen Einheitsstaates auf dem Boden der Lehnverfassung, die Verbundenheit Italiens mit Deutschland, die Unterwerfung des Papsttums und die Erlangung der Kaiserkrone, die Germanisierung des slawischen Ostraumes.« Ibid., p. 86 f. 24 For fuller discussion of this historical ideology as expressed in Deutsche Größe, cf. Diebold 2009 (n. 2). 25 This debate has been discussed many times. A full and nuanced account, with special relevance to the representation of Barbarossa and Henry the Lion, is Gerhard Schildt: Heinrich der Löwe im Geschichtsbild des 19. und 20. Jahrhunderts, in: Wolf-Dieter Mohrmann (ed.): Heinrich der Löwe, Göttingen 1980, pp. 466–489. I have also relied on Stephanie B. Berg: Heldenbilder und Gegensätze. Friedrich Barbarossa und Heinrich der Löwe im Urteil des 19. und 20. Jahrhunderts, Münster 1994. 26 »als einer der größten Männer unserer Geschichte erscheint Heinrich der Löwe, der mit der ganzen Macht einer starken Persönlichkeit den Wahnsinnsfahrten nach Italien Einhalt zu gebieten versuchte, die Siedlung des Ostens begann, somit den ersten Grundstein legte für ein kommendes Deutsches Reich und die ersten Sicherheiten schuf für die Erhaltung und Stärkung des deutschen Volkstums.« Alfred Rosenberg: Der Mythus des 20. Jahrhunderts, 53.–54. edition, Munich, 1935, p. 479 cited from Berg 1994, p. 196 (n. 25). Already by 1937, »Wahnsinnsfahrten« had been softened to the more sober »Eroberungsfahrten;« Alfred Rosenberg: Der Mythus des 20. Jahrhunderts, 107.–110. edition, Munich 1937, p. 479.

117 The high miDDle ages on Display in The exhibiTion Deutsche Grösse (1940–1942) Cf. Arndt 1981 and 1982 (n. 5). »Eines ist jedenfalls sicher: Wenn wir überhaupt einen Weltanspruch erheben wollen, müssen wir uns auf die deutsche Kaisergeschichte berufen […]. Die Kaisergeschichte ist das gewaltigste Epos, das — neben dem alten Rom — die Welt je gesehen hat […] 500 Jahre lang war das unbestritten die Herrschaft der Welt.« Henry Picker: Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier 1941–1942, Stuttgart 1976, p. 102 cited from Berg 1994, p. 223 (n. 25). 29 For interesting arguments about how the Braunschweig lion’s impressive appearance partially accounted for the great interest in Henry the Lion, cf. Viola Düwert: Der eherne Löwe im Wandel der Geschichte. Das Motiv des Löwendenkmals im deutschen Schulbuch des 19. und 20. Jahrhunderts, in: Jochen Luckhardt and Franz Niehoff (ed.): Heinrich der Löwe und seine Zeit, Munich 1995, Vol. 3, pp. 83–87. 30 »Wuchtig und kühn steht das Wappentier Heinrichs vor seiner Burg Dankwarderode. […] [Heinrich der Löwe] hat mehr als alle Herzöge vor ihm die Kraft der Slawen gebrochen, ihnen den Kappzaum angelegt und lenkt sie nun, wohin er will.«. Deutsche Grösse 1940/1941, p. 101 (n. 9). 31 Ibid. 32 Ibid., p. 102. 33 »Idealbild des Löwen, das ihn mit Schwert und Kirche, als den staufischen Kolonisator, dar­ stellt.« Ibid., p. 104. 34 On these copies, cf. Rüdiger Haude: »Es ist ja hier das reine Hindernisrennen.« Die Nachbildung der deutschen Reichskleinodien durch die Stadt Aachen in den Jahren 1914–1920, in: Mario Kramp 27

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(ed.): Krönungen. Könige in Aachen—Geschichte und Mythos, Mainz 2000, pp. 819–827. 35 Reichsleiter Alfred Rosenberg sprach während der Kulturpolitischen Feierstunde im Braunschweiger Staatsdom am 23. November 1940, in: Die kulturpolitische Tagung des Deutschen Gemeindetages in Braunschweig 1940, Braunschweig o.J., p. 20. 36 »Sicherung der Ernährungsgrundlage des deutschen Volkes. […] Heinrich gegenüber stand sein Gegner. Er hatte auch seine Rechte zu verfechten. Er hatte die deutsche Reichsidee und Kaiseridee, die er überliefern mußte, zu vertreten und wußte, daß sie eine bildende Kraft für Deutschlands Zukunft abgeben mußte. Und wir erkennen, daß auch er nicht anders handeln konnte, als er getan hat.« Ibid., p. 21, cited from Arndt 1982, p. 208 (n. 5). 37 »Wer heute Deutsches Reich sagt, sagt nicht Friedrich I. Barbarossa, sondern sagt Heinrich der Löwe heute wie immerdar!« Hanns Martin Elster: Heinrich der Löwe. Eine politische Tragödie in Deutschland, Hamburg 1940, p. 376, cited from Berg 1994, p. 199 (n. 25). 38 »Deutschland ist die Grundlage und Ausgangsstellung seiner Reichspolitik. […] Zugleich erreicht unter Heinrich dem Löwen die Ostpolitik ihren Höhepunkt.« Deutsche Grösse 1940/ 1941, p. 103 (n. 9). The map is reproduced in Hagemeyer 1944, p. 85 (n. 18). 39 As an introduction to this topic see the stimulating essay by Otto Gerhard Oexle: Das Mittelalter und das Unbehagen an der Moderne. Mittelalterbeschwörungen in der Weimarer Republik und danach, in: Susanna Burghartz et al. (ed.): Spannungen und Widersprüche. Gedenkschrift für Frantisek Graus, Sigmaringen 1992, pp. 1–29.

Annelies Amberger

Bildhafte Zeichen der Macht als sakrale Symbole in der atheistischen Diktatur Zur Funktionalisierung der Reichskleinodien durch die Nationalsozialisten

Die Insignienweisungen in den Festzügen zum »Tag der Deutschen Kunst« 1938 und 1939 Am 10. Juli 1938 veranstalteten die Nationalsozialisten in München zum Tag der Deutschen Kunst einen Festzug, der fast durch die gesamte Innenstadt führte und der von zahlreichen Zuschauern auf Tribünen und am Straßenrand besucht wurde.1 Mit der fotografischen Dokumentation wurden verschiedene Fotostudios beauftragt, darunter die Studios Götz und Penz,2 aus deren Beständen auch zwei Bilder überliefert sind, die im Rahmen dieses Aufsatzes von Interesse sind (Abb. 1 u. 2). Denn sie zeigen eine Festzugsabteilung, die 1938 als neue Unterabteilung der schon seit dem Vorjahr existierenden Abteilung Neue Zeit hinzugekommen war: Österreich oder die sogenannte Ostmark. Neben Personifikationen, Stadtabbreviaturen und Sinnbildern wurde das seit dem 15. März 1938 annektierte Österreich auch durch die Insignien des Heiligen Römischen Reiches (Deutscher Nation) vertreten.3 In einer beinahe schmucklosen Glasvitrine wurden Kopien der Insignien von Mitwirkenden getragen, die in nicht sicher zuordenbare Kostüme eines Ritterordens gekleidet waren.4 Auf einem unteren Podest der Vitrine wurden Globus, Szepter und Schwert präsentiert, auf dem oberen thronte die Krone. Der Schrein selbst befand sich auf einem fahrbaren Gestell, das mit adlergeschmückten Textilien verkleidet war. Der Schrein verlieh den Insignien die Aura von Reliquien, deren Kostbarkeit durch ihn zugleich geschützt und hervorgehoben wurde. Im Festzug vom 16. Juli 1939 wurden die Insignien in derselben Abteilung mitgeführt. Die Festzüge kamen während ihres Verlaufs am Odeonsplatz vorüber, wo die imperiale Symbolik der Insignien auf die ebenfalls imperial ausgestattete Ehrentribüne Adolf Hitlers traf. Vor der Tribüne waren Standarten mit dem Reichsadler aufgestellt, die Baldachinrückwand war ebenfalls mit einem Reichsadler geschmückt. Der amerikanische Journalist Ernest Pope schrieb: »Hitler and every other Nazi figure familiar to newspaper readers sit on chairs under their purple-and-gold canopy, clapping their hands at each

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1. Foto Götz: Festzug zum Tag der Deutschen Kunst, Abteilung »Neue Zeit« mit den Insignien an der Ehrentribüne am Odeonsplatz, München 1938, Fotografie, München, Stadtarchiv

2. Maria Penz: Festzug zum Tag der Deutschen Kunst, Insignienabteilung, München 1939, Fotografie, München, Stadtarchiv

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garish symbol«.5 Beim Festzug von 1937 salutierte hier der Barbarossa-Darsteller des Festzuges Hitler – eine schauspielerische Geste von Bedeutung, da sie Hitler in die Kaisergenealogie mit einschloss.6 Ein Programmheft, von dem mehrere zehntausend Exemplare verkauft wurden,7 erklärte die einzelnen Abteilungen des Festzuges im Sinne der Machthaber. Zu den Insignien hieß es dort: »Von Fackelträgern und Reiterinnen geleitet, werden unter gläsernem Schrein die Reichsinsignien sichtbar, Szepter, Apfel und Krone. In ihnen grüßen wir das schicksalsreichste und ehrwürdigste Kleinod des Festzugs; es ist fast ein Jahrtausend alt, seit 1813 ein sorgsam gehütetes Schaustück der Burgschatzkammer zu Wien«.8

Im Programmheft findet sich keine Anspielung auf den Anschluss Österreichs. Etwas anders verhält es sich hingegen im Völkischen Beobachter, dort interpretierte der Reporter die Festzugsabteilung mit den Insignien folgendermaßen: »Die Heimkehr der Ostmark zum Reich hat den Gedanken einer Gruppe der Ostmark in einem prachtvollen Werk verwirklicht. Eine Reitergruppe in Rot und Silber, die beim Ostmarkwagen vorausreitet, bildet die Spitze eines überaus farbenprächtigen Zuges. Sie gleichen einer Fanfare, die der symbolischen Rückbringung der Reichskleinodien auf einem Wagen schwarzsilberner und karmesinroter Tönung ankündigt«.9

Man kann aus diesem Kommentar herauslesen, dass die Annexion Österreichs durch die Mitführung der Reichskleinodien, die nach der damals gängigen Sprachregelung »heimgekehrt« waren, versinnbildlicht werden sollte. Doch symbolisierten die Insignien tatsächlich in erster Linie die »Heimkehr der Ostmark«, wie auch die neuere Forschungsliteratur vorgibt?10 Schließlich handelte es sich um die Königs- und Kaiserinsignien des Heiligen Römischen Reiches, die von Vertretern verschiedener Dynastien getragen wurden. Die österreichische Linie der Habsburger hatte dieses Amt erst seit Ferdinand I. (1503-1564) inne. Auch wenn man den Einwand gelten lässt, dass die Nationalsozialisten nicht nach historischer Genauigkeit strebten, sondern sich ihre eigene Geschichtscollage schufen, stellt sich die Frage, ob die Insignien nicht vielmehr auch für die Nationalsozialisten das Kaisertum an sich symbolisierten und sie nur deshalb in die Ostmark-Abteilung eingegliedert wurden, weil Wien ihr letzter Aufenthaltsort war und ihre »Rückholung« in das Deutsche Reich, die Rückholung des Kaisertums anzeigen konnte.

Insignienweisungen vor 1938 Die Münchner Festzüge von 1938 und 1939 stellten in der Insignien-Propaganda der Nationalsozialisten nur zwei von mehreren Höhepunkten dar. Ihr Erfolg liegt auch in der Tatsache begründet, dass Kunstwerke gezeigt wurden,

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deren Ästhetik und Bedeutung vielen nicht gänzlich unbekannt waren. Denn das regelmäßige Vorzeigen der Reichskleinodien begann schon Jahre vor den Festzügen. Genaugenommen schon im Jahr der Machtübernahme 1933, und selbst damals konnten die Nationalsozialisten eine bereits bestehende Tradition aufgreifen. Mit der Abdankung von Franz II. als römisch-deutscher Kaiser am 6. August 1806 verloren die Insignien zwar ihre Personengebundenheit, nicht jedoch ihre allgemeine Symbolik für König- und Kaisertum. Das wird vor allem an den nie ausgeführten Entwürfen sichtbar, die Wilhelm I. nach seiner Proklamation zum Kaiser des preußischen Reiches Deutscher Nation am 18. Januar 1871 in Versailles in Auftrag gab: Sie waren eindeutig am Vorbild der Reichsinsignien in Wien orientiert.11 Der Hohenzollernkaiser Wilhelm II. war es dann, der die von der Stadt Aachen für 1915 geplante Ausstellung unterstützte, mit der die hundertjährige Herrschaft Preußens im Rheinland gefeiert werden sollte.12 Zu diesem Zweck und vor allem, weil die Insignien aus Wien nicht ausgeliehen wurden, gab man die Anfertigung von Kopien aus edlen Materialien bei dem Düsseldorfer Goldschmied Paul Beumers und dem Aachener Goldschmied Bernhard Witte in Auftrag.13 Der Beginn des Ersten Weltkrieges verhinderte die Ausstellung und bedingte einen Materialmangel, so dass die Krone und das Reichskreuz vermutlich teilweise mit Perlen- und Edelsteinimitaten fertiggestellt wurden.14 Allerdings erwägten kaiserliche Kreise eine Aufbewahrung der Wiener Reichskleinodien auf der Burg Trifels unter abwechselnder Bewachung von deutschen und österreichischen Soldaten. Auch Hitler wollte 1937 in den Ausbau der Trifels investieren.15 Nach dem Ersten Weltkrieg und in den Jahren bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten wurden die Aachener Kopien dann jedoch häufig gezeigt.16 So wurden sie 1918 bei vier Besuchen von Kaiser Wilhelm II. und hochrangigen Militärs im Aachener Rathaus besichtigt. 1925 fand in Aachen und Köln die Jahrtausendausstellung anlässlich der Teilung des fränkischen Reiches statt, wo die Aachener Kopien als Symbole der nationalen Einheit Deutschlands vorgeführt wurden. 1928 wurde die neue Kleinodienkammer im Aachener Rathaus eröffnet, die 1934 neu geordnet und um weitere Objekte ergänzt wurde. 1928 waren im Römer in Frankfurt die 1912 im Auftrag der Stadt angefertigten Kopien zu sehen.17 Im Jahr 1930 wurden während der Aachener Heiltumsfahrt beinahe 11.000 Postkarten mit dem Motiv der Reichskleinodien verkauft und 1931 besuchten annähernd 56.000 Menschen die Kleinodienkammer in Aachen. Allein die Zahl der Veranstaltungen, Besucher und Rezipienten von Bildern der Insignien zwischen 1918 und dem Beginn der 1930er Jahre zeigt, dass deren Bekanntheit schon vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten in gewissem Maße gewährleistet war. Diese konnten also nahtlos an die Tradition anknüpfen. Am 27. Juli 1933 wurde Hermann Göring, zum damaligen Zeitpunkt preußischer Ministerpräsident, zum Ehrenbürger der Stadt Aachen ernannt. Zu diesem Anlass zeigte man im Krönungssaal des Rathauses die

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3. Paul Iribe: Großmutter Germania und Rotkäppchen Marianne, aus: Le Témoin 1– 4/1933, 31. Dezember 1933

Kopien von Krone und Reichskreuz, »die Symbole der weltlichen und der geistlichen Macht«.18 Die Zuordnung der Machtbereiche auf je eines der Zeichen zeugt von der Unkenntnis oder bewussten Negation der mittelalterlichen Deutung. Nur einen Monat später, vom 30. August bis 3. September 1933 fand in Nürnberg der Reichsparteitag statt. Während dieser Zeit wurde der Heiltumsschrein mit den Aachener Kopien im Rathaus gezeigt, auf dem Hauptmarkt stand eine Nachbildung des Heiltumsstuhls.19 Am 29. Oktober desselben Jahres eröffnete man in Aachen die Ausstellung Aachener Land im Kampf 1918–1933. Die Krone, die der Westdeutsche Beobachter als diejenige Karls des Großen titulierte, galt als Symbol für die »Verbundenheit des nationalsozialistischen Volksstaates mit der uralten Reichsidee«.20 In Frankreich zog man aus diesen Vorgängen bald Schlüsse: Der Zeichner Paul Iribe veröffentlichte am 31. Dezember 1933 in seiner Zeitschrift Le Témoin eine Zeichnung, in der er die Sicht der Franzosen auf die Dinge am Beispiel des Märchens vom Rotkäppchen auf den Punkt brachte (Abb. 3).21 Eine füllige Germania mit dicken Zöpfen und feistem Gesicht liegt mit verschränkten Händen im Bett. Ein breites Lachen macht Raubtierzähne sichtbar, auf dem Kopf trägt sie die Reichskrone, um den Hals ein Hakenkreuzamulett. Neben dem Bett steht Rotkäppchen mit einem mit Brot und Wein gefüllten Korb am Arm. Durch die Kokarde im Haar und ein kleines Kreuz an einem Halsband ist sie leicht als französische Marianne identifizierbar. Sie fragt ihre Großmutter verwundert: »Grandmère Germaine, comme vous avez de longues dents…«. Jeder Franzose dürfte die Antwort gekannt haben.

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Im folgenden Jahr wurden die Aachener Kopien in einer Ausstellung in Berlin gezeigt, die Deutsches Volk – Deutsche Arbeit betitelt war und 750.000 Besucher verzeichnete.22 Sie wurden in einem dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation gewidmeten Raum ausgestellt. Die anderen Räume führten den Besucher vom Mittelalter über Brandenburg-Preußen und die Regierung Bismarcks bis zum »Dritten Reich«. Am letzten Tag der Ausstellung, dem 3. Juni 1934, besuchte Hitler sie nachts, um »mit besonderem Interesse […] die Reichskleinodien zu betrachten«.23 Wenige Tage später strahlte der Reichssender Köln am 8. Juni ein Interview mit dem Intendanten Heinrich Glasmeier, dem Direktor des Suermondt-Museums Aachen, Felix Kuetgens sowie dem Aachener Stadtrat Ferdinand Kremer aus.24 Während des Gesprächs über die Reichskleinodien wurden die Aachener Kopien neben das Mikrofon gelegt, ein ungewöhnlicher Fall in dem Bildzeichen ihre Aura auditiv ausstrahlten. Im Gegensatz dazu mussten die Herrscher im Spätmittelalter mit der audiovisuellen Weisung Vorlieb nehmen, wenn in Nürnberg die Insignien gezeigt und der Schreizettel verlesen wurden.25 Das Publikum musste in diesem Fall mit einem Ablass gelockt werden, um nach Nürnberg zu pilgern. Den Nationalsozialisten hingegen machte die neueste medientechnische Errungenschaft des Rundfunks die Verbreitung ihrer Propaganda möglich, ohne dass die Adressaten mobil werden mussten. Zum Reichsparteitag in Nürnberg vom 5. bis 10. September desselben Jahres wurden die Aachener Kopien erneut herangezogen, denn in Wien hatte man die Ausleihe der Originale wieder einmal abgelehnt. Die Kopien bildeten nun den herrscherlichen Rahmen bei der Rede Hitlers im Rathaus.26 Direkt hinter der Rednertribüne war der Heiltumsschrein aufgestellt. Krone, Szepter, Reichsapfel, Reichs- und Zeremonienschwert befanden sich in der Vitrine, die zu Hitlers rechter Seite stand, Reichskreuz, Heilige Lanze, Reichsevangeliar und Stephansbursa in der Vitrine zu seiner Linken. Hinter dem Heiltumsschrein war der doppelköpfige Adler des vergangenen Reiches mit der rudolfinischen Krone angebracht, die seit 1804 Krone des österreichischen Kaisertums war. Hinter der Vitrine mit der Krone befand sich das große Wappen mit dem Adler der freien Reichsstadt Nürnberg. Die linke Vitrine mit dem Kreuz und den anderen christlichen Zeichen war vom kleinen Wappen der Stadt Nürnberg hinterfangen. Das Rednerpult war mit dem Adler der Nationalsozialisten und dem Hakenkreuz bestückt, die gesamte »Herrschaftsbühne« von einem Baldachin umfangen. Diese Inszenierung Hitlers sollte sich bei den Festzügen in München wiederholen, nur waren die Insignien dort nicht statisch eingebunden, sondern dynamisch innerhalb des Zeremoniells. Die Inszenierung der Insignienkopien auf dem Reichsparteitag von 1934 wurde bereits von den Zeitgenossen in dem Sinne interpretiert, dass Hitler als »Erbe tausendjährigen groß-deutschen Herrschertums« und die Insignien als Zeichen des 1.000jährigen Heiligen Deutschen Reiches galten.27 Auch dem Völkischen Beobachter waren die Reichskleinodien schon 1934 einen Bericht wert. Aus einem Artikel vom Tag vor der Eröffnung des Reichs-

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parteitages in Nürnberg geht hervor, dass man bereits 1934 von einer »Rückkehr« der Insignien aus Wien zumindest träumte. Das NS-Blatt druckte einen Text des Schriftstellers Wilhelm Raabe (1831–1910) mit den einleitenden Worten ab: »Die folgenden Abschnitte entnehmen wir der Legende ›Des Reiches Krone‹, in der Wilhelm Raabe unmittelbar vor Ausbruch des 70er Krieges seinem Verhältnis zum deutschen Reichsgedanken, der heiligen Verbundenheit von Reich und Volk und deutscher Seele, symbolischen Ausdruck gab. Die hier wiedergegebenen Auszüge erzählen vom Zug des Reichsheeres nach dem Karlstein in Böhmen, auf dem die Reichskleinodien im Jahre 1422 gegen die Belagerung der Hussiten verteidigt wurden, und von der feierlichen Einbringung der zurückgewonnenen Kleinodien in die alte Reichsstadt Nürnberg«.28

Nachdem die Identität von Reich und Volk im kurzen Vorwort proklamiert ist, folgen die Abschnitte aus Wilhelm Raabe: »Seit dem Jahre 1350 lagen des Volkes uralte Kleinodien auf dem Karlsteine, den nun im Jahre 1422 die Prager mit aller Macht […] berannten, auf daß sie des Deutschen Reiches Krone in ihre Gewalt brächten und des deutschen Volkes Schmach […] vollendeten, wenn sie sich seiner hochheiligsten Heiligtümer nach ihrem Willen bemächtigt haben würden. Um die Krone, den Mantel, das Schwert und Zepter Caroli Magni bewegte sich aber das Herz von Nürnberg am heftigsten, denn das war die größte Ehr der teuren Stadt, daß sie vordem gewürdiget gewesen war, die Kleinodien zu bewahren; und um sie wieder zu erlangen, hätte doch ein jeglicher, so gering oder stumpf von Sinnen er sein mochte, Blut und Leben mit Freuden hingegeben.«29

Aus diesen Zeilen könnte man fast so etwas wie eine frühe Aufforderung zur »Befreiung« der Insignien aus Wien herauslesen, wo sie sich 1934 ja noch befanden. In Raabes Legende machen sich Tapfere der Stadt Nürnberg zur Rettung der Insignien auf. Und selbst »die schlechtesten Gesellen im Heer setzten ihre letzte Kraft ein für des Reiches Krone […]. Wir wollten alle sterben um die Kleinodien Caroli Magni […] und sind durchbrochen durch die feindlichen Haufen […] und haben den Karlstein zu Gesicht bekommen, wie das erste Kreuzesheer die Zinnen der heiligen Stadt Jerusalem! […] wir erretteten dem deutschen Volke seine Heiligtümer vor der äußersten Schmach in der Fremden Hand, und wir brachten sie heraus aus dem Böhmerland, daß sie für eine bessere Zeit dem Reiche unversehret blieben!«30 Auch hier findet sich wieder eine im Grunde eindeutige Aussage: Die Insignien sollen in einer besseren – zukünftigen – Zeit wieder wirksam werden. In Raabes Legende allerdings werden die Insignien feierlich in Nürnberg empfangen, ganz im Gegensatz zur »Rückkehr« im Jahre 1938, wo sie zuerst nachts und beinahe heimlich mit einem Sonderzug aus Wien in Nürnberg ankamen, um erst später die ihnen gebührende Präsentation in der ehemaligen Katharinenkirche der Dominikaner und späteren Meistersingerschule zu erfahren.

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»Zu Tausenden und Zehntausenden […] sind wir der Krone entgegengezogen: ein größerer Tag ist seit Menschengedenken nicht in den Chroniken der Stadt verzeichnet worden […]. Da hat kein Unterschied zwischen den Leuten gegolten […] vor des heiligen deutschen Volkes Krone, Zepter, Schwert und Apfel, vor dem heiligen Eisen des Speeres, der Christi Brust eröffnete, vor den fünf Dörnern aus seiner Dornenkrone sind alle gleich gewesen, alle Brüder und Schwestern im Erdenjammer. Während sie knieten, die Krone zu erwarten, bin ich mit den Genossen und dem Volke ihr vor das Tor hinaus entgegengezogen.«31

Für Raabe waren sie, wie auch später für die Nationalsozialisten, heilige Zeichen der heiligen deutschen Volksgenossen: die Königs- und Kaiserkrone waren heilige Zeichen des sozialistischen Kollektivs, eine absurde Umkehrung von deren Bedeutung. Die Ankunft der Aachener Kopien in Nürnberg zeigte der Völkische Beob­ achter am folgenden Tag an und erklärte deren Aufgabe: »Begleitet vom Kustos der Aachener Städtischen Museen […] sind nunmehr die Nachbildungen der Reichskleinodien in Nürnberg eingetroffen […]. Nicht um musealischer Schaulust zu genügen, nicht um einen sensationellen Anziehungspunkt zu schaffen, haben die wertvollen Stücke die Reise nach Nürnberg unternommen. Just gerade so, wie sie in Aachen in dem Gebäude, das einst als kaiserliche Pfalz und später als Rathaus der Bürger oftmals die Krönungsgäste der alten Kaiserherrlichkeit in seinen Mauern sah, allezeit als Sinnbilder vergangener Größe galten, so auch heute in Nürnberg. Umweiht von purpurnen Stoffgehängen werden sie im alten, ehrwürdigen Festsaal des Rathauses zur Seite des Führers strahlen und gleißen, wenn dieser beim großen Empfang von Partei und Staat zu seiner Gefolgschaft, den erlesenen Vertretern aus allen Teilen der Nation sprechen wird: Als Sinnbilder der 1000jährigen im Volksstaate Adolf Hitlers zu neuer Wirklichkeit und Größe und Bedeutung auferstandenen Gedanken vom Heiligen Deutschen Reich!«32

Auch im darauffolgenden Jahr sollten die Insignien wieder eine wichtige Rolle spielen. Willy Liebel, der nationalsozialistische Oberbürgermeister der Stadt Nürnberg, hatte anlässlich des Reichsparteitages von 1935 eine individuelle Aktion vorbereitet, die eine Insignie in den Mittelpunkt stellte. Am 10. September überreichte er Hitler eine Kopie des Zeremonienschwerts (Abb. 4).33 Bei der Übergabe handelte es sich noch um die Aachener Kopie, denn ein eigens von Liebel bei Bernhard Witte in Auftrag gegebenes Exemplar wurde nicht rechtzeitig fertig. Hitler erhielt es erst zum Jahresende, nachdem beide Kopien in Aachen ausgestellt worden waren. Zur Übergabe der Aachener Kopie am 10. September 1935 sprach Liebel: »Das Kleinod, das die alte Reichsstadt Nürnberg dereinst Jahrhunderte hindurch als ein Symbol der Einheit, Größe, Macht und Stärke der deutschen Nation in ihren Mauern hüten und bewahren durfte, würdig nachgebildet aus

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4. Unbekannter Fotograf: Willy Liebel überreicht Hitler die Aachener Kopie des Zeremonien­ schwerts, Nürnberg, 1934, Foto­ grafie, Aachen, Stadtarchiv

edelstem Material, lege ich in Nürnbergs Namen als ein Geschenk der Stadt in Ihre Hände: das Deutsche Reichsschwert dem Führer aller Deutschen, der Deutschland wieder einig, stark und frei gemacht!«34

Das Zeremonienschwert wurde zum Reichsschwert uminterpretiert. Das eigentliche Reichsschwert war als Mauritiusschwert mit einer christlichen Legende verbunden, auf die die Nationalsozialisten sicher keinen Wert legten. Der Begriff »Reichsschwert« jedoch dürfte von Bedeutung für sie gewesen sein, da so die Kontinuität zum »Dritten Reich« hergestellt werden konnte. Wie sehr mit dieser Gabe auch das nationalsozialistische Menschenbild verknüpft wurde, zeigen verschiedene Publikationen aus den Jahren 1934 und 1939. Fritz Traugott Schulz, Hauptkonservator, und Heinrich Kohlhaußen, Direktor des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg sowie der Lehrer Franz Bauer interpretierten das Schwert als Zeichen der Vormundschaft des Mannes über die Frau, die der uneingeschränkten Gewalt des Mannes unterliege.35 Mittels des Schwertes – dies macht der Text von Kohlhaußens außerdem deutlich – wurde eine ideelle Genealogie vom Germanentum zum mittelalterlichen Kaiserreich konstruiert, wobei letzteres wiederum in das eigene vom Germanentum bestimmte Weltbild einbaut wurde:

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»Zeugen eines weltgeschichtlichen Aktes sind die Krönungshandschuhe und das Zeremonienschwert, Brautgaben für die Hochzeit des jugendlichen Stauferkaisers Heinrich VI. mit der Erbin Siziliens, Konstanze, im Jahre 1185 […]. In der Gabe eines Schwertes an den Bräutigam ist noch germanischer Rechtsbrauch wirksam, der die vormundschaftliche Gewalt des Mannes über die Frau versinnbildlicht.«36

Die Aachener Insignienkopien standen auch in den folgenden Jahren immer wieder im Rampenlicht.37 Am 16. Februar 1936 besuchte der schwedische Asienforscher Sven Hedin Aachen und besichtigte die Insignien. Im Januar 1937 lief in den Kinos der Film Schatzkammer von tausend Jahren, in dem die Insignien gezeigt wurden. Und am 14. September 1938 wurden sie bei einem Besuch von französischen Mitgliedern der »Handwerkskammer Seine« im Aachener Rathaus präsentiert.

Die Insignien aus Wien in Nürnberg Obwohl die Insignien auch in anderen Kontexten gezeigt wurden, erfuhren sie ihre weitreichendste Inszenierung bei den Reichsparteitagen. Waren bei den Parteitagen von 1933 und 1934 nur die Kopien zu sehen gewesen, bekamen 1938 die Originale aus Wien ihren großen Auftritt. In einer Nachtaktion waren sie vom 29. auf den 30. August 1938 von Wien nach Nürnberg gebracht worden.38 Man stellte sie in der profanierten Katharinenkirche der Dominikanerinnen, der sogenannte Meistersingerkirche, auf (Abb. 5). Gleichsam als Altarbild wurde der Krönungsmantel, umrahmt von der Stola, im Chorscheitel aufgestellt. Davor, anstelle eines Altarstipes, befand sich die Vitrine mit Krone, Reichsapfel, Szepter und Schwert. In der Mitte des Kirchenschiffes war der Heiltumsschrein in Längsrichtung und parallel zum Schiff aufgestellt. Der Blick wurde so vom Heiltumsschrein nach vorne gelenkt, wo er zunächst von dem querrechteckigen Altartisch und den Kerninsignien unterbrochen wurde. Der Höhe- und Endpunkt der Inszenierung war die noch größere querrechteckige über den Chorstufen aufgestellte Vitrine mit dem Krönungsmantel im Chorscheitel. Die weiteren Insignien mit Reichskreuz, Reichsevangeliar und Krönungstunika waren in Vitrinen an den Seiten des Mittelschiffes aufgestellt. Das Programmheft beschrieb die Ausstellung folgendermaßen: »Der herrliche gotische Bau ist ohne Schmuck geblieben. Im Chor der Kirche sind in gläsernem Schrein Krone, Reichsapfel, eines der beiden Zepter und das Schwert ausgestellt. Darüber leuchtet der goldbestickte scharlachrote Kaisermantel. Die übrigen Teile des alten Reichsschatzes sind in gläsernen Schreinen zwischen den mächtigen Säulen des Kirchenschiffes, in dem das Führerkorps der Partei und die höchsten Vertreter der Reichs- und Staatsbehörden ihren Platz haben, ausgestellt.«39

Als besonders eindrucksvoll wurde die Beleuchtung dargestellt:

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5. Unbekannter Fotograf: Die Reichskleinodien in der ehemaligen Katharinenkirche, Nürnberg 1938, Fotografie, Heinrich Kohlhaußen: Die Reichskleinodien, Nürnberg 1939, Tf. 26 »Die Kleinodien fanden in der Meistersingerkirche Aufstellung. Wer diese wundersame Schatzkammer des Deutschen Reiches gesehen hat, ist tief berührt von dem Glanz und der Herrlichkeit, die hier in Erscheinung tritt. Den hohen, verdunkelten Kirchenraum bestimmen die hell erleuchteten Vitrinen mit den Krönungsgewändern und den Reichsheiligtümern, die in der Längsrichtung des Raumes zum Chor der Kirche führen, wo Schwert, Krone, Reichsapfel und Zepter auf edlem Samt als tausendjährige Zeugen des großen Deutschen Reiches zu sehen sind. Dahinter erstrahlt weit ausgespannt in purpurrotem Seidenstoff mit geheimnisvoller Goldstickerei der Kaisermantel, das großartige Bild wunderbar abschließend.«40

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Wie schon bei der Schilderung des Festzuges von 1938 wurde auch hier eine sakrale Aura der Insignien betont. Diese entstand durch eine Semantik, die einen mittelalterlichen Reliquienschrein suggestiv vor Augen führte, und durch die Lichtregie, die den Eindruck von Eigenlicht hervorrief. Hitler besichtigte die Insignien in der Katharinenkirche publikumswirksam im November 1938. Im darauffolgenden Jahr fand eine entsprechende Vorstellung im Rathaus statt, als am 5. September 1939 der Reichsparteitag eröffnet wurde. Die Faszination, die die Insignien auf Hitler ausübten, reichte weiter zurück. In Mein Kampf hatte er 1925 geschrieben: »Die zu Wien bewahrten Kaiserinsignien einstiger Reichsherrlichkeit scheinen als wundervoller Zauber weiter zu wirken als Unterpfand einer ewigen Gemeinschaft«.41

Die endgültige Bestimmung der Insignien wäre gemäß Hitlers Willen ihre Präsentation während der gesamten Dauer der Parteitage in der Kongresshalle auf dem Reichsparteitagsgelände und sonst im Nürnberger Vorzimmer des Führerbüros gewesen.42 Zudem sollten die Insignien aus Wien in das Eigentum des Deutschen Reiches übergehen.43 Der Kriegsverlauf machte diese Pläne zunichte.44 Nachdem etwa 200.000 Menschen die Insignien in der ehemaligen Katharinenkirche besichtigt hatten, wurden sie nach Kriegsausbruch verpackt und zuerst in Nebenräumen der Kirche, dann im Tresor des ehemals jüdischen Bankhauses von Anton Cohn versteckt. 1940 brachte man sie in einen Kunstbunker unter der Kaiserburg, wo sie regelmäßig konservatorisch begutachtet wurden. Ende März 1944 wurden sie in einen Luftschutzbunker am Paniersplatz verlegt. Diese von Liebel geplante und mit anderen ausgeführte Aktion diente vor allem dazu, die Insignien nicht den Amerikanern in die Hände fallen zu lassen. Die Amerikaner waren denn auch bis Anfang August 1945 damit beschäftigt, das Versteck ans Licht zu bringen. Anfang Januar 1946 gab man die Insignien auf Anordnung der Alliierten nach Wien zurück. Die Aachener Kopien waren 1938, als die Originalinsignien aus Wien nach Nürnberg kamen, allerdings nicht funktionslos geworden. Im November 1940 wurde im Deutschen Museum in München die Ausstellung Deutsche Größe eröffnet, in der sie im Raum Das altdeutsche Kaiserreich. Die Zeit der Staufer zu sehen waren, wo sie an die 657.000 Besuchern sahen.45 Weitere Stationen der Ausstellung waren bis zum August 1942 Prag, Magdeburg, Breslau, Brüssel und Straßburg. Im Januar 1944 waren sie im Rahmen eines Durchhaltefilms von Veit Harlan zu sehen.46 Der ursprüngliche Wunsch, die Originale im Film zu zeigen, war abgelehnt worden. Zwischen diesen Präsentationen befanden sich die Aachener Kopien aus Sicherheitsgründen in Schloss Bückeburg (Niedersachsen), auf der Albrechtsburg (Meißen) und in Siegen. Dort wurden sie dann auch von den Amerikanern entdeckt, die sie zuerst für die Originale hielten.47 Nach dem Krieg gingen die Ausstellungen der Insignien fast bruchlos weiter. Gezeigt wurden jetzt beinahe ausnahmslos die Aachener Kopien, die Ori-

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ginale befanden sich ja wieder in Wien.48 Als Nürnberg 1950 sein 900jähriges Stadtgründungsfest feierte, stellte man die Frankfurter Kopien im »Ausstellungsrundbau« aus, der Ruine der Kongresshalle.49 Ein kritisches Nachdenken über die Bedeutung der Insignien und deren Funktionalisierung während des Nationalsozialismus blieb – und bleibt teilweise noch immer – aus.

Die Bedeutung der Insignien und ihre Funktionalisierung durch die Nationalsozialisten Die Königs- und Kaiserinsignien des Heiligen Römischen Reiches (Deutscher Nation), die sich heute im Kunsthistorischen Museum in Wien befinden, waren über Jahrhunderte mit einer Symbolik behaftet, deren sich auch die Nationalsozialisten für ihre Zwecke bedienten.50 Diese Symbolik erklärte sich ursprünglich und über einen langen Zeitraum aus ihrer theologisch bestimmten Herkunft. Sie waren nicht nur äußere Zeichen der Königs- oder Kaisermacht, sondern von Gott verliehene Insignien, die dem Herrscher bei seiner Krönung überreicht wurden. Bei der Übergabe jeder Insignie musste der Herrscher versprechen, die damit in der Benediktionsformel verbundenen Pflichten zu erfüllen. Die Machtübertragung von Gott an den irdischen Herrscher erfolgte visuell durch die Insignien, verbal durch die in den Krönungsordines überlieferten Gebete und Weiheformeln.51 Die Insignien waren also sakrale Zeichen. Die den Insignien immanente Symbolik eigneten sich die Nationalsozialisten an, indem sie deren sakrale Aura für ihre eigenen Ziele einsetzten. Im Unterschied zur mittelalterlichen Deutung der Insignien gründete diese Aura jedoch nicht mehr ausschließlich in deren theologischer Bestimmung, vielmehr wurde sie mit Begriffen wie »Einheit« und »Reich« verbunden. Bisher galt die Einbindung der Reichskleinodien in die visuelle Propaganda der Nationalsozialisten vor allem als Symbol für den »Anschluss der Ostmark«, eine Ansicht, die meiner Meinung nach revidiert werden muss. Im Jahr 1938, nach der Annexion Österreichs, erteilte Hitler den Befehl, die Insignien von Wien nach Nürnberg zu bringen.52 Die Planungen der Nationalsozialisten für deren symbolische Nutzung gingen jedoch darüber hinaus. So sollten die Insignien nicht, wie Heinrich Kohlhaußen, der Direktor des Germanischen Nationalmuseums, es wünschte, als Museumsobjekte präsentiert, sondern auf dem Reichsparteitagsgelände zu den Reichsparteitagen ausgestellt und damit in ihrer Symbolik aktiviert werden. Es wäre erstaunlich, wenn der Anschluss Österreichs eine so zentrale Rolle auf den Reichsparteitagen eingenommen hätte. Obwohl der Anschluss für die Nationalsozialisten kein unbedeutendes Ereignis war, war er doch nur eine Etappe in der von Hitler angestrebten Einigung Europas. Mehrfach fiel in den zeitgenössischen Interpretationen und Beschreibungen der Insignien der Begriff »Reich«, womit eine der wichtigsten Rezeptionsebenen der Nationalsozialisten im Hinblick auf die Insignien erkennbar

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sein dürfte. Die Insignien waren die Dingsymbole, die die Linie zwischen dem ersten, dem Heiligen Römischen Reich, dem zweiten, dem wilhelminischen Kaiserreich, und dem dritten, dem nationalsozialistischen Reich, herstellten.53 Dass die legendäre Krone Karls des Großen Symbol für die »Verbundenheit des nationalsozialistischen Volksstaates mit der uralten Reichsidee« war, wurde schon im Umkreis der Ausstellung Aachener Land im Kampf 1918–1933 (1933) verbreitet.54 Und auch Alfred Rosenberg galt Hitler als »Erbe der politischen Kraft Karls des Großen«.55 Weshalb nicht auch dessen legendäre Krone? Die Einbindung Hitlers in eine ideelle Kaisergenealogie war im Rahmen der Mittelalterrezeption durch die Nationalsozialisten ein besonders geschickter Schachzug: Man wies regelmäßig die Kaiserinsignien und im Festzug von 1937 erwies der große Kaiser des Mittelalters, Friedrich I. Barbarossa, seinem »Nachfolger« die Ehre eines Grußes. Auch Willy Liebel, die vermeintlich treibende Kraft hinter dem Raub der Insignien aus Wien, konnte das von ihm verfolgte Ziel nur durch die Unterstützung Hitlers erreichen. Für Liebel bot die »Heimholung« der Insignien nach Nürnberg vor allem die Chance, seine persönliche Karriere voranzutreiben; das Interesse der Nationalsozialisten an den Insignien weckte er nicht.56 Dieses bestand bereits, bevor Liebel aktiv wurde. Die Insignien sollten die kaiserliche Geschichte Nürnbergs als Stadt der Reichstage wachrufen, in deren Tradition sich die Nationalsozialisten dezidiert stellten: Die Verbindung der Reichsparteitage mit den Insignienweisungen – die auch im Mittelalter regelmäßig stattgefunden hatten – zeigt dies ganz deutlich. Die Idee einer möglichen Aktualisierung des mittelalterlichen Kaisertums auch in der Realpolitik war meiner Meinung nach wenigstens in Gedankenspielen der Nationalsozialisten vorhanden.57 Wie ersichtlich wurde, ging die Einvernahme der Insignien durch die Nationalsozialisten weit über die in der Forschung bisher angenommene Eroberungssymbolik hinaus, wenn sie diese auch eindeutig mit einschließt. Die Inanspruchnahme der Insignien war ein gezielter Rückgriff auf das Mittelalter in Gestalt einer Herrschaftsform, der die Nationalsozialisten selbst möglicherweise in ihrem eigenen Machtanspruch näher standen, als dies bislang in Erwägung gezogen wurde.

Der vorliegende Aufsatz resultiert aus meinen Forschungen zu Funeralinsignien im Rahmen eines DFG-Projektes an der Hochschule für Philosophie SJ in München. 1 Vgl. Zweitausend Jahre Deutsche Kultur. Fest­ zug zum Tag der Deutschen Kunst 1938, Programmheft, München 1938 sowie München 1939, München, Stadtarchiv, ZS 487/1, Tag der Deutschen Kunst. Die Veranstaltungen dauerten vom 8. bis 10. Juli 1938. Vgl. auch Stefan Schweizer: »Unserer

Weltanschauung sichtbaren Ausdruck geben«. Natio­ nalsozialistische Geschichtsbilder in historischen Fest­ zügen zum »Tag der Deutschen Kunst«, Göttingen 2007; id.: Die historischen Festzüge zum Tag der Deutschen Kunst in München. Der Kanon deutscher Kunst in akademischen, populären und propagandi­ stischen Geschichtsimaginationen des Nationalsozia­ lismus, in: Ruth Helftrig, Olaf Peters u. Barbara Schellewald (Hrsg.): Kunstgeschichte im »Dritten Reich«. Theorien, Methoden, Praktiken, Berlin 2008,

133 bildhAfte Zeichen der mAcht S. 260–279; Michael Hermann: »2000 Jahre deut­ sche Kultur« – historische Festzüge im nationalsozia­ listischen München, in: Oberbayerisches Archiv 121/1997, S. 361–386, bes. S. 373, S. 380 u. S. 383; Wolfgang Hartmann: Der historische Festzug zum »Tag der deutschen Kunst«, in: Berthold Hinz u.a. (Hrsg.): Die Dekoration der Gewalt. Kunst und Me­ dien im Faschismus, Gießen 1979, S. 87– 99. 2 Die Bestände befinden sich im Stadtarchiv München. Mit dem Namen Penz dürfte die Pressefotografin Maria Penz gemeint sein. 3 Zur Bezeichnung vgl. Lexikon des Mittel­ alters, Bd. 4, hrsg. v. Robert Auty, München u. Zürich 1989, »Heiliges Reich« (Peter Moraw), Sp. 2025-2028; Stefan Weinfurtner: Wie das Reich heilig wurde, in: Bernhard Jussen (Hrsg.): Die Macht des Königs. Herrschaft in Europa vom Früh­ mittelalter bis in die Neuzeit, München 2005, S. 190– 204, bes. S. 190–191. Vgl. auch die Darstellungen bei Schweizer 2007, S. 206 f. (wie Anm. 1) sowie Ernest R. Pope: Munich Playground, New York 1941, S. 56-58. Pope war damals der einzige amerikanische Journalist in München. 4 Um Kopien handelte es sich sicher. Vermutlich waren es die Aachener Kopien, die auch sonst bei verschiedenen Veranstaltungen ausgestellt waren. Dass in den Festzügen die Originale gezeigt wurden, wie Schweizer 2007, S. 206 (wie Anm. 1), annimmt, erübrigte sich 1938 schon aus chronologischen Gründen; die Insignien kamen erst Ende August aus Wien. Die Originale sind wie folgt zu datieren: Krönungsmantel: 1133, Palermo; Krone: 2. Hälfte 10. Jh./Anfang 11. Jh., westdeutsch; Reichsapfel: um 1200, Köln (?); Szepter: 1. Hälfte 14. Jh., deutsch; Zeremonienschwert: vor 1220, Palermo; Stola: 2. Viertel 14. Jh., Italien. Vgl. Kunsthistorisches Museum Wien. Welt­ liche und geistliche Schatzkammer (hrsg. von Hermann Fillitz), Katalog, Wien 42000 (Nr. 143, 151, 153, 161, 162, 163). 5 Pope 1941, S. 57 (wie Anm. 3): »Hitler und die anderen den Zeitungslesern bekannten Nazis sitzen auf Stühlen unter ihrem purpurgoldenen Baldachin und klatschen bei jedem auffälligen Symbol in die Hände.« 6 Vgl. ibid.: »Barbarossa saluting Hitler as he passes the canopy«. Vgl. Schweizer 2008, S. 268 (wie Anm. 1). 7 Vgl. ibid., S. 266–267. 8 Zweitausend Jahre Deutsche Kultur 1938, S. 23. Vgl. Schweizer 2007, S. 206 (wie Anm. 1).

9 Erwin Bauer: Deutschlands Ruhm vor aller Welt. Der Festzug zum Tag der Deutschen Kunst – ein Symbol des schöpferischen Geistes, in: Völkischer Be­ obachter, süddts. Ausg., 51. Jg., Nr. 189, 8. Juli 1938, S. 7 (Sonderbeilage). Die Beilage wurde zwei Tage vor dem Festzug veröffentlicht und dürfte auf das bereits gedruckte Programm Bezug nehmen. 10 Vgl. Schweizer 2007, S. 206 u. S. 218 (wie Anm. 1): »Ihre Repräsentation innerhalb des historischen Festzugs versinnbildlicht nicht nur die scheinbare Legitimität des ›Anschlusses‹, sondern auch dessen historische Dimensionen« (Zit. S. 206). 11 Vgl. Die Attribute des Neuen Deutschen Rei­ ches. Abgebildet, beschrieben und erläutert von Rudolf Maria Bernhard von Stillfried-Alcantara, Berlin 21874. 12 Vgl. Werner Tschacher u. Dirk Tölke: Denk­ mäler der Geschichte: Die Nachbildungen der Reichs­ kleinodien im Krönungsfestsaal des Aachener Rat­ hauses, Aachen 2002, S. 23. 13 Vgl. Arpad Weixlgärtner: Geschichte im Wi­ derschein der Reichskleinodien. Historisches Geleite durch die Wiener Schatzkammer, Baden bei Wien u. Leipzig 1938, S. 86 sowie Rüdiger Haude: »Es ist ja hier das reine Hindernisrennen.« Die Nachbildungen der deutschen Reichskleinodien durch die Stadt Aachen in den Jahren 1914­1920, in: Krönungen. Kö­ nige in Aachen – Geschichte und Mythos (hrsg. v. Mario Kramp), Ausstellungskatalog, Aachener Rathaus, Domschatzkammer, Aachener Dom, Mainz 2000, Bd. 2, S. 819–827. 14 Vgl. Haude 2000, S. 822–824 (wie Anm. 13). Aufgrund schriftlich festgehaltener Aussagen von Paul Beumers. 15 Vgl. Ernst Kubin: Die Reichskleinodien. Ihr tausendjähriger Weg, Wien u. München 1991, S. 199. 16 Eine Übersicht zu allen Ausstellungen und sonstigen Veranstaltungen mit den Aachener Kopien bei Tschacher/Tölke 2002, S. 23–25 u. S. 72–73 (wie Anm. 12). Eine Übersicht aller heute existenten Kopien der Reichsinsignien bei Jan Keupp, Peter Pohlit u. a.: »… die keyserlichen zey­ chen…«. Die Reichskleinodien – Herrschaftszeichen des Heiligen Römischen Reiches, Regensburg 2009, S. 87–96. 17 Vgl. Weixlgärtner 1938, S. 90 (wie Anm. 13); Katalog der Jahrtausendausstellung der Rheinlande in Köln 1925 (hrsg. v. Wilhelm Ewald u. Bruno Kuske), Ausstellungskatalog, Ausgabe A, Köln 1925,

134 Annelies Amberger S. 24-32, Ausgabe B, Köln 1925, S. 17-20; Amt­ licher Führer durch die historische Jahrtausend­ Ausstellung in Aachen, Mai bis Juli 1925 (hrsg. v. Albert Huysken), Ausstellungskatalog, Aachen 1925, S. 5–17 (Abb. 1–3); Tschacher/ Tölke 2002, S. 23–25 (wie Anm. 12). 18 Westdeutsches Grenzblatt, 28. Juli 1933, zitiert nach Tschacher/Tölke 2002, S. 26 u. S. 72 (wie Anm. 12). 19 Vgl. Gerhard Rechter: Die Reichsinsigni­ en in Nürnberg 1938­1946, in: Nürnberg – Kai­ ser und Reich, Ausstellungskatalog, Staatsarchiv Nürnberg, Neustadt a. d. Aisch 1986, S. 99–111. 20 Westdeutscher Beobachter, 1933, zitiert nach Tschacher/Tölke 2002, S. 26 (wie Anm. 12). 21 Le Témoin 1–4/1933 (31. Dezember). Vgl. Krönungen 2000, Bd. 2, Kat-Nr. 10.49 (Mario Kramp), S. 871 f (wie Anm. 13). 22 Vgl. Tschacher/Tölke 2002, S. 26 (wie Anm. 12) sowie Kubin 1991, S. 217 (wie Anm. 15) zu einer im April 1934 getätigten Anfrage aus Berlin nach Wien, die Originalinsignien für eine Ausstellung ausgeliehen zu bekommen, die abschlägig beschieden wurde. 23 Aachener Anzeiger, 8. Juni 1934, zitiert nach Tschacher/Tölke 2002, S. 26 (wie Anm. 12). 24 Vgl. Tschacher/Tölke 2002, S. 72 (wie Anm. 12). 25 Die Heiltumsweisungen fanden von 1424 bis 1525 statt. Vgl. Julia Schnelbögl: Die Reichskleinodien in Nürnberg 1424–1523, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 51/1962, S. 78–159. 26 Vgl. Tschacher/Tölke 2002, S. 27 (wie Anm. 12); Peter Heigl: Der Reichsschatz im Na­ zibunker. The Imperial Regalia in the Nazi Bun­ ker, Nürnberg 2005, Abb. S. 20. 27 Zitiert nach Tschacher/Tölke 2002, S. 27 (wie Anm. 12). Dort keine weiteren Angaben. 28 Wilhelm Raabe: Um des Reiches Krone. Wie die Stadt Nürnberg sich die deutschen Reichskleinodien zurückgewann, in: Völkischer Beobachter, süddts. Ausg., 47. Jg., Nr. 247, 4. September 1934, Beiblatt [1. Seite]. 29 Ibid. 30 Ibid. 31 Ibid.

32 Carl Ernst Köhne: Die Reichskleinodien in Nürnberg, in: Völkischer Beobachter, süddts. Ausg., 47. Jg., Nr. 248, 5. September 1934, S. 1 [Titelblatt] – S. 2. 33 Vgl. Tschacher/Tölke 2002, S. 28 (wie Anm. 12). Liebel gilt als wichtigster Initiator des Raubes der Insignien 1938 aus Wien nach Nürnberg. Vgl. Kubin 1991, S. 15–25 u. S. 32-38 (wie Anm. 15) sowie Harald Lamprecht: Eine Kopie zum Trost. Die »Rückkehr« der Reichskleinodien, in: Nürnberg Heute 49/1990, S. 38–41, bes. S. 41. 34 Willy Liebel, 10. September 1935, zitiert nach Franz Bauer: Die Reichskleinodien der Deutschen. Erinnerungsgabe aus Anlaß des 50. Ge­ burtstages unseres Führers Adolf Hitler am 20. April 1939, Nürnberg 1939, S. 106. Das Zeremonienschwert galt als das Schwert Karls des Großen. 35 Vgl. Fritz Traugott Schulz: Die deut­ schen Reichskleinodien, Leipzig 1934, S. 28; Bauer 1939, S. 25 (wie Anm. 34); Heinrich Kohlhaußen: Die Reichskleinodien, Nürnberg 1939, S. 7 u. S. 15. 36 Kohlhaußen 1939, S. 7 u. S. 15 (wie Anm. 35). 37 Vgl. Tschacher/Tölke 2002, S. 73 (wie Anm. 12). 38 Vgl. Kubin 1991, S. 28–32 (wie Anm. 15). 39 Hanns Kerrl (Hrsg.): Reichstagung in Nürnberg 1938. Der Parteitag Großdeutschland, bearb. v. Kurt Maßmann, Berlin 1938, S. 60– 61. 40 Ludwig Zankl: Das lebendige Symbol des Reiches, Nürnberg 1942, S. 22–23. 41 Adolf Hitler: Mein Kampf, München 1933, S. 11; siehe auch Heigl 2005, S. 26 (wie Anm. 26). 42 Vgl. Klaus-Peter Schroeder: Die Reichs­ kleinodien in Wien. Ein Beitrag zur »großdeut­ schen« Rechts­ und Zeitgeschichte, in: Zeitschrift der Savignystiftung für Rechtsgeschichte, germ. Abt. 108/1991, S. 323–346, S. 324; Klemens Gsell: Die Rechtsstreitigkeiten um den Reichs­ schatz. Das Rechtsproblem aus rechtshistorischer und aktueller Sicht, Diss. Erlangen-Würzburg 1999, S. 140-141. Vgl. zudem Kubin 1991, S. 32 (wie Anm. 15) u. Bauer 1939, S. 110 (wie Anm. 34). 43 Vgl. Tschacher/Tölke 2002, S. 29 (wie Anm. 12); Kubin 1991, S. 36-37 (wie Anm. 15).

135 bildhAfte Zeichen der mAcht Bei Kubin auch der Abdruck eines entsprechenden Gesetzentwurfs, der wegen des Kriegsbeginns nicht mehr zur Annahme kam. 44 Vgl. Heigl 2005, S. 42 sowie S. 45–61 (wie Anm. 26); Kubin 1991, S. 38–41 u. S. 219– 237 (wie Anm. 15); Volker Schlier u. Corine Schleif: Die heilige und die unheilige Lanze. Von Richard Wagner bis zum World Wide Web, in: Franz Kirchweger (Hrsg.): Die heilige Lanze in Wien. Insignie – Reliquie – »Schicksalsspeer«, Wien 2005 (Schriften des Kunsthistorischen Museums 9), S. 111–143, bes. S. 113–123. 45 Vgl. Tschacher/Tölke 2002, S. 30 (wie Anm. 12). Zur Ausstellung Deutsche Größe vgl. auch den Aufsatz von William J. Diebold in diesem Band. 46 Vgl. Tschacher/Tölke 2002, S. 30 u. S. 73– 74 (wie Anm. 12). 47 Vgl. ibid., S. 30. 48 Vgl. ibid., S. 74–75. Tschacher und Tölke listen etwa 15 Veranstaltungen in den Jahren zwischen 1945 und 1958 auf. 49 Vgl. Clemens Wachter: Kultur in Nürn­ berg 1945–1950. Kulturpolitik, kulturelles Leben und Bild der Stadt zwischen dem Ende der NS­ Diktatur und der Prosperität der fünfziger Jahre, Nürnberg 1999 (Nürnberger Werkstücke zur Stadt- und Landesgeschichte 59), S. 356–357 u. S. 362–363. Seit 1990 ist Nürnberg im Besitz eigener, von der Goldschmiedin Gerdi Glanzner angefertigter Kopien von Krone, Szepter und Reichsapfel. Sie sind aus vergoldetem Silber und Edelsteinen hergestellt. Vgl. Lamprecht 1990, S. 38–41 (wie Anm. 33). 50 Ein unverzichtbares Standardwerk zu den Insignien ist immer noch Percy Ernst Schramm: Herrschaftszeichen und Staatssym­ bolik. Beiträge zu ihrer Geschichte vom dritten bis zum 16. Jahrhundert, 4 Bde., Stuttgart 1954– 1956, Nachträge aus dem Nachlass, München 1978 (Schriften der MGH, Bde. 13.1–4). Vgl. auch Joachim Ott, Krone und Krönung. Die Verheißung und Verleihung von Kronen in der Kunst von der Spätantike bis um 1200 und die geistige Auslegung der Krone, Mainz 1998. 51 Vgl. Richard A. Jackson (Hrsg.): Ordines coronationis Franciae. Texts and Ordines for the Coronation of Frankish and French Kings and Queens in the Middle Ages, 2 Bde., Philadel-

phia 1995 u. 2000; Reinhard Elze: Die Ordines für die Weihe und Krönung des Kaisers und der Kaiserin. MGH Fontes iuris germanici antiqui in usum scholarum ex Monumentis Germaniae Hi­ storicis separatim editi, Bd. IX, Hannover 1960. 52 Vgl. Schweizer 2007, S. 206 u. S. 218 (wie Anm. 1); siehe auch Reichstagung in Nürnberg 1938, S. 60 u. S. 61 (wie Anm. 39). 53 Für Kubin kommt das in der Wahl des ständigen Ausstellungsortes, der Kongresshalle, zum Ausdruck. Vgl. Kubin 1991, S. 32 (wie Anm. 15). 54 Westdeutscher Beobachter, ohne nähere Angaben, vermutlich um den 29. Oktober 1933, zitiert nach Tschacher/Tölke 2002, S. 26 (wie Anm. 12). 55 Alfred Rosenberg: Gestaltung der Idee. Blut und Ehre II. Band. Reden und Aufsätze von 1933–1935 (hrsg. von Thilo von Trotha), München 51938, S. 111; siehe auch Max Kerner: Die politische Instrumentalisierung Karls des Großen im 19. und 20. Jahrhundert, in: Zeit­ schrift des Aachener Geschichtsvereins: Karl der Große und sein Nachleben in Geschichte, Kunst und Literatur, hrsg. von Thomas Kraus u. Klaus Pabst, 104/105-2002/2003, S. 231–276, S. 266; Bruno Reudenbach: Die Kunst der »deutschesten Epoche«. Zur völkisch­nationalso­ zialistischen Deutung frühmittelalterlicher Kunst, in: Victoria von Fleming (Hrsg.): Modell Mit­ telalter, Köln 2010, S. 10–24. 56 Auch in jüngerer Zeit scheint die Erklärung der Ereignisse mehr vom Lokalpatriotismus geprägt als von den historischen Fakten. So schreibt Lamprecht 1990, S. 41 (wie Anm. 33): »Von 1933 an wurde […] Willy Liebel nicht müde, immer wieder die Reichskleinodien samt Heiltümern für Nürnberg zu fordern. Er intervenierte bei Hitler, und 1938 war er am Ziel: Die Reichskleinodien kamen zurück […]. Hitler machte sie zu seinen eigenen Symbolen«. Diese Interpretation überschätzt die Bedeutung des Oberbürgermeisters eindeutig. 57 Aus Platzgründen kann diese These hier nicht weiter ausgeführt werden. Sie ist an anderer Stelle ausführlich (Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft 38/2011, S. 271–334) und in einem umfassenderen historischen Zusammenhang dargelegt.

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Nürnberg – die »deutscheste aller deutschen Städte«? Das Bild des spätmittelalterlichen Nürnberg in der nationalsozialistischen Propaganda

Die nationalsozialistische Propaganda bezog sich in vielfältiger, aber auch etwas beliebiger Weise auf das spätmittelalterliche Nürnberg. Die angeblich »deutscheste aller deutschen Städte«1 war in der Frühzeit der nationalsozialistischen Bewegung ein wichtiges Sprungbrett, um von der damals sogenannten »Hauptstadt der Bewegung« München aus Geltung als deutschlandweite Partei zu erlangen. Schon 1923 fand in Nürnberg ein »Deutscher Tag« rechtsnationaler Kreise statt, 1927 und 1929 hielt die NSDAP in Nürnberg ihre ersten Parteitage ab. Ab 1933 fanden jährlich im September aufwendig inszenierte Reichsparteitage statt, die ein Programm von fast einer Woche boten und eine halbe Million Menschen nach Nürnberg strömen ließen. Das mittelalterliche Stadtbild wirkte dabei als zentrale Kulisse für die Selbstdarstellung des nationalsozialistischen Staates. In Nürnberg hatten die Nationalsozialisten vermeintlich Großes, wenn nicht das Größte vor. Sie wollten mit dem Reichsparteitagsgelände in Ergänzung zur alten Stadt ein sogenanntes »neues Nürnberg« bauen, das aus Aufmarschflächen und Versammlungshallen bestehen sollte. Die Mittelachse des Reichsparteitagsgeländes bildete die 1939 fertiggestellte Große Straße: »Sie zielt genau auf die Burg von Nürnberg hin, die als Silhouette von jeder Stelle der Straße aus zu sehen ist. […] Das ist eine Lösung von tiefer symbolischer Wirkung, deutsche Gegenwart und deutsche Vergangenheit als Zielund Richtpunkt einer großen Straße, die nur einem feierlichen Ereignis dient, das im Leben eines Volkes große Bedeutung hat.«2

– so der Redakteur Wilhelm Lotz. Die Große Straße stellte damit eine visuelle und ideologische Verbindung zwischen der Kaiserburg auf der einen und der (geplanten) Haupttribüne des Märzfeldes auf der anderen Seite her. Das Märzfeld war für Schaumanöver Vorführungen der Wehrmacht geplant. Die Haupttribüne des Märzfeldes sollte, als eigentliches Gegenüber der Kaiserburg, eine Skulpturengruppe bekrönen, in deren Mitte eine zwölf Meter hohe Skulptur des Bildhauers Josef Thorak

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vorgesehen war. Sie sollte eine Siegesgöttin darstellen, die einen Siegerkranz emporhielt. Der Sieg im Kampf, der Sieg im Krieg und der Endsieg der NSBewegung wurden so in Bezug zum mittelalterlichen Nürnberg gesetzt.3 Die Nationalsozialisten haben damit nicht irgendeine, sondern die von 1933 bis 1938 jährlich stattfindende zentrale und wichtigste Propagandaveranstaltung des Jahres an ein herausragendes mittelalterliches Baudenkmal angebunden. Die deutschen Kaiser waren jedoch nicht in einem einfachen Sinn Vorbild für die Führung des NS-Staates, sondern vor allem eine willkommene, weil leicht zu instrumentalisierende Kulisse. Letztlich bauten sich die Nationalsozialisten ihr besonders deutsches Nürnberg Schritt für Schritt neu – ideologisch und als reales Baugebilde. Obwohl die Nationalsozialisten also etwas Neues schaffen wollten, ein neues, sehr viel größeres Deutschland auf Kosten der Völker und Staaten im Osten, kamen sie auch beim Bauprojekt Reichsparteitagsgelände nicht ohne Anleihen an das alte Nürnberg aus. Nürnberg war in der ideologischen Konstruktion dieser »invented tradition«4 ein Konzept mit vielen Versatzstücken. Dieses neu konstruierte Nürnberg-Bild sollte mit dem Schlagwort »Von der Stadt der Reichstage zur Stadt der Reichsparteitage« die Gegenwart in eine historische Linie zur mittelalterlichen Vergangenheit stellen.5 So versuchte sich die neue politische Bewegung der Nationalsozialisten in Nürnberg etwas zu holen, was sie nie besaß: Würde, Kultur und echte historische Tradition. Dieses ideologische Konstrukt hatte zahlreiche praktische Folgen: Publikationen und Ausstellungen wurden entsprechend gestaltet, Kunstgegenstände nach Nürnberg gebracht und die Nürnberger Altstadt im nationalsozialistischen Sinn bereinigt, was massive bauliche Veränderungen bedeutete. Wie vieles in ihrer Ideologie, so haben die Nationalsozialisten auch den Nürnberg-Mythos nicht neu erfunden. Romantisch entdeckt wurde Nürnberg als »vormals weltberühmte Stadt«, welcher »die feste Spur unsrer alten vaterländischen Kunst eingedrückt« sei, Ende des 18. Jahrhunderts von zwei Studenten aus Erlangen – Ludwig Tieck und Wilhelm Heinrich Wackenroder. Letzterer hatte die Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders verfasst, aus denen die genannten Zitate in ihrer altertümlichen Sprache stammen.6 Die Grundsteinlegung zum Dürerdenkmal 1826, dem ersten Künstlerdenkmal in Deutschland, war eine weitere wichtige Etappe auf dem Weg, die Altstadt insgesamt als Symbol für deutsche Kunst, für große deutsche Geschichte zu sehen. Hierzu passten die Gründung des Germanischen Nationalmuseums 1852, der ausufernd verwendete neugotische Stil und – damit zusammenhängend – eine Konzeption des Denkmalschutzes, welche mittelalterliche Bauelemente romantisch nachempfand und nachbaute. Als Richard Wagners Oper Die Meistersinger von Nürnberg 1868 uraufgeführt wurde, war der Nürnberg Mythos schon voll ausgebildet.7 Ein wichtiges Kennzeichen bei der Herausbildung des Nürnberg-Mythos war die Verehrung altdeutscher Kunst, personalisiert in den deutschen Mei-

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stern, allen voran Albrecht Dürer und Hans Sachs. Dürer sahen viele schon vor dem Nationalsozialismus in einer nationalistischen Verengung als Verkörperung des Deutschen in der Kunst schlechthin, als eine Art Führer in der deutschen Kunst.8 Die Nationalsozialisten griffen dieses Dürerbild auf. 1933 erhielt Hitler als Begrüßungsgeschenk den Stich Ritter, Tod und Teufel (1513) überreicht. Oberbürgermeister Willy Liebel sagte bei der Übergabe des Kupferstichs: »Er sei geweiht dem Ritter ohne Furcht und Tadel, der als Führer in dem neuen deutschen Reich der alten Reichsstadt Nürnberg Ruhm aufs neu in alle Welt getragen und gemehrt.«9

Hans Sachs dagegen, vor allem vermittelt durch die Meistersinger-Oper, stand für die Volksgebundenheit der deutschen Kunst, also für das Gegenteil dessen, was unter Avantgarde zu fassen ist. Auch bei ihm setzten die Nationalsozialisten nur eine nationalistisch gefärbte Interpretation von diesem fort und ließen zum Reichsparteitag die Oper Meistersinger von Nürnberg entsprechend inszenieren.10 Der abschließende Akt auf der Festwiese wurde im Nürnberger Opernhaus in einer Art Reichsparteitagskulisse inszeniert. In Fortsetzung des romantischen Nürnberg-Kultes versuchten die Nationalsozialisten, auch Dürer und Sachs als deutsche Meister für ihre Propaganda zu instrumentalisieren.11 Wichtiger als die »deutschen Meister« war aber die Altstadtkulisse, die sich besonders leicht in die Bildpropaganda der Nationalsozialisten einbauen ließ. Die Regisseurin Leni Riefenstahl hat mit ihrem 1934 gedrehten Film Tri­ umph des Willens den wohl eindrucksvollsten nationalsozialistischen Propagandafilm jenseits der Spielfilmproduktion geschaffen. Er ging weit über den bis dahin bekannten dokumentarischen Stil der Wochenschauen hinaus. In ihrem Film konnte Riefenstahl sich auf den Nürnberg-Mythos beziehen und nutzte diesen auch intensiv. Ähnlich wie Albert Speer sich beim Reichsparteitagsgelände mit der Ausrichtung der Großen Straße zur Kaiserburg auf das alte Nürnberg bezog, lehnte sich auch Leni Riefenstahl an den bekannten Mythos der mittelalterlichen Stadt an. Zu Beginn des Films schwebt Hitler mit seinem Flugzeug über Nürnberg ein, um sich im Anschluss daran – analog zum Einzug des Kaisers in früheren Zeiten – in einem offenen Mercedes auf eine Art Triumphzug durch die Stadt zwischen jubelnden Menschenmassen hindurch bis zu seinem Domizil Hotel Deutscher Hof zu begeben. Der Filmschnitt kontrastiert Hitler und die ihm zujubelnden Menschen mit Ansichten der mittelalterlichen Stadt. Die Kamera umkreist den Grübelbrunnen, zeigt mittelalterliche Bauskulpturen, die Stadtmauern und immer wieder Fachwerkhäuser. Der Film schwelgt in einer altdeutschen Gemütlichkeit der Butzenscheiben, engen Gassen und spitzgiebeligen Dachlandschaften. Allerdings entfernt sich der Film im weiteren Verlauf immer weiter von diesen Motiven: Hitler, andere Protagonisten der NS-Bewegung, die Marschkolonnen und die wenigen schon errichteten Bauensembles des Reichsparteitags-

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1. Heinrich Hoffmann: Marschkolonnen beim Reichsparteitag 1934 an der Sebaldus-Kirche, 1934, Fotografie, Heinrich Hoffmann: Der Parteitag der Macht, Berlin 1934

geländes treten in den Vordergrund. Jugendliche und Männer marschieren sozusagen in die neue Zeit. Die Stadt Nürnberg selbst spielt keine wichtige Rolle mehr, vielmehr wird sie dargestellt als eine Art Rückzugsraum für Alte, Kinder und Frauen, als Schutzraum für das Gemüt abseits des Kampfes. Gegen Ende des Filmes verbindet sich beides zu einer Einheit: die Marschkolonnen nehmen die Altstadt in Besitz, sie durchdringen sie unter dem Jubel des Publikums vollständig.12 Eine ähnliche Vorgehensweise lässt sich auch für die Bildpropaganda von Hitlers Hausfotografen Heinrich Hoffmann konstatieren. Hoffmann nutzte altbekannte Nürnberg-Motive: er fotografierte Hitler auf der Burg, Hitler vor der Frauenkirche am Hauptmarkt, SA-Kolonnen vor Fachwerkhäusern oder

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2. Plakat zum ersten Reichsparteitag der NSDAP in Nürn­ berg 1927, abgedruckt in: Führer zum Reichsparteitag 1927, München 1927, Nürnberg, Dokumentationszentrum Reichs­ parteitagsgelände

die Hitlerjugend musizierend vor dem Hans-Sachs-Haus. Aber mit dem zunehmenden baulichen Fortschritt des Reichsparteitagsgeländes schoben sich Motive mit den neuen Gebäuden in den Vordergrund. Nürnberg blieb als Kulisse jedoch unverzichtbar, wie die Bildunterschriften »Durch Nürnbergs alte Mauern marschiert die neue Zeit« oder »Die neue Zeit im alten Rahmen« in Hoffmanns Bildband zum Reichsparteitag 1934 zeigen (Abb. 1).13 Auch die Plakat- und vor allem die Postkartenproduktion nutzten die mittelalterliche Stadt als populäres Motiv und kombinierten etwa die Nürnberger Kaiserburg mit einschlägiger nationalsozialistischer Symbolik – und dies bereits zum ersten Reichsparteitag 1927 (Abb. 2). Auf einer farbigen Festpostkarte des Hoffmann-Verlags von 1937 schwebte der nationalsozialistische Adler mit

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Hakenkreuz über der Kaiserburg. Im Hintergrund sieht man die Strahlen des Lichtdoms, einer Lichtinszenierung Albert Speers für die Reichsparteitage ab 1936.14 Weniger offensichtlich zur Bildpropaganda des Nationalsozialismus gehören die Aufnahmen der Altstadt von Nürnberg durch die Staatliche Bildstelle Berlin. Die vor allem in den Jahren 1933 bis 1935 entstandene Dokumentation der Baudenkmäler der Nürnberger Altstadt mit über 1200 hochwertigen Schwarz-Weiß-Fotografien folgte jedoch auch dem Ziel, »die Liebe zu der kerndeutschen Stadt, die heute dank der klarblickenden und zielsicheren Tatkraft von Deutschlands Führer wieder ein Brennpunkt deutschen Lebens […] geworden ist«, zu überliefern.15 1935 in Berlin ausgestellt und 1937 als Buch veröffentlicht, stellen diese Aufnahmen den ersten und zugleich letzten Versuch dar, das Bauensemble der Nürnberger Altstadt nahezu vollständig visuell zu überliefern. Weniger als zehn Jahre später waren nur noch Ruinen übrig von der Altstadt, welche die Fotografen der Bildstelle interpretierten als »Welt gebauten Deutschtums, wie sie das Mittelalter nicht noch einmal hervorgebracht hat.«16 Adolf Hitler war allerdings weit weniger eindeutig von Nürnberg und seinem Mythos begeistert, als es die lokalen Größen der nationalsozialistischen Bewegung vor Ort wahrhaben wollten. In seiner Proklamation zum Reichsparteitag 1929 in Nürnberg sprach er nur beiläufig von »der alten Reichsstadt Nürnberg« als einem »wundersamen Schrank deutscher Kunst und Kultur«17 – ohne dies jedoch mit dem politischen Konzept der Nationalsozialisten zu verbinden. Der Empfang im Nürnberger Rathaus war ab 1933 für Hitler die Bühne, um sich zur Stadt zu äußern. Dies lag nahe an diesem historischen Ort und wurde unterstützt durch entsprechende Inszenierungen im Rathaussaal und Geschenken mit historischem Symbolwert. Die meist sehr kurzen Äußerungen Hitlers zum mittelalterlichen Nürnberg bei diesen Empfängen ließ Oberbürgermeister Liebel von einem ortsansässigen Künstler zusammen mit anderen positiven Zitaten bekannter Personen zu Nürnberg auf Pergament schreiben und schenkte dieses Konvolut in einer Schmuckkassette Hitler zum 50. Geburtstag. Die Zitatsammlung wurde auch als Buch in aufwendiger Ausstattung gedruckt.18 Dies änderte jedoch nichts daran, dass der Empfang im Nürnberger Rathaus eine der weniger wichtigen Veranstaltungen bei den Reichsparteitagen war und die Reden Hitlers zu diesem Anlass in vielen zeitgenössischen Publikationen nicht abgedruckt wurden. Trotz der großen Erwartungshaltung von Nürnberger Seite bezog Hitler in der Proklamation zum Reichsparteitag 1933 den Plan, »für alle Zukunft die Reichsparteitage an dieser Stelle zu feiern«, nicht vorrangig auf die mittelalterliche Tradition der alten Reichsstadt, sondern auf den sogenannten Deutschen Tag von 1923 in Nürnberg, wo – so Hitler – »in dieser Stadt zum ersten mal in Deutschland unter Führung des Nationalsozialismus ein überwältigender Aufmarsch« stattgefunden habe.19 Immerhin bekundete Hitler in freundlichen Worten beim Empfang im Rathaus:

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»Wir wollen damit zugleich anknüpfen an die große Vergangenheit und bekunden, dass unsere Bewegung nichts anderes ist als die Fortsetzung nicht nur deutscher Größe, sondern auch deutscher Kunst und deutscher Kultur«.20

Hitlers spärliche Äußerung zu Nürnberg lautete 1934: »Wir fühlen uns hier heimisch und glücklich wie im eigenen Hause«. Ein Jahr später betonte Hitler, dass sich Nürnberg »zusehends zur Stadt der neuen deutschen Erhebung« erweitere und 1936 hob er den »wunderbaren Kontrast zwischen der alten und der neuen Schönheit« Nürnbergs hervor, die schon bald »miteinander verschmolzen sein wird zu einer Gesamtbewertung, die eben Nürnberg heißt.« Bei der Proklamation zum Reichsparteitag 1937 schließlich stellte Hitler die angeblich »zauberhafte Verbindung« heraus zwischen »dem Erbe einer einzigartigen reichen Vergangenheit und den Dokumenten einer ebenso einzigartigen glorreichen Gegenwart und Zukunft«21 Hitler wollte also keineswegs hinter der historischen Tradition zurückstehen, sondern nahm die (kurze) Geschichte der nationalsozialistischen Bewegung ebenso wichtig wie das mittelalterliche Erbe und instrumentalisierte dieses für die eigene Propaganda. Im Jahr 1938, beim letzten Reichsparteitag, stellte Hitler Nürnbergs mittelalterliche Tradition dann etwas deutlicher in eine Reihe mit den Traditionsbeständen der nationalsozialistischen Bewegung. Er bezeichnete die »altehrwürdige Herrlichkeit« der alten Reichsstadt als »dem Wesen des neuen Reiches so tief verwandt«. Und weiter: »In keiner anderen deutschen Stadt verbinden sich Vergangenheit und Gegenwart des Großdeutschen Reiches zu solch symbolischer Einheit und Ausdruckskraft wie in Nürnberg, der alten und zugleich neuen Reichsstadt. […] Heute ist Nürnberg, die Stadt der Reichsparteitage, der steingewordene Ausdruck deutscher Kraft und deutscher Größe in einem neuen deutschen Reiche!«22

Hitlers anfängliche Zurückhaltung war also einer deutlichen Betonung der historischen Rolle Nürnbergs gewichen. Dies hatte viel zu tun mit den inzwischen zumindest teilweise realisierten Bauten auf dem Reichsparteitagsgelände. Die »werdende Tempelstadt der Bewegung«23, die Bauvisionen Hitlers und Speers, waren nun im Südosten Nürnbergs auch sichtbar. Dem alten Nürnberg stand das neue Nürnberg der Nationalsozialisten aber als reales Baugebilde nicht nur gegenüber, sondern sollte im Endausbau die alte Stadt durch Größe und Monumentalität schließlich übertrumpfen. Andere Protagonisten der nationalsozialistischen Bewegung hatten gegenüber Hitlers Bild vom mittelalterlichen Nürnberg eine etwas abweichende Haltung. Der bekannte antisemitische Hetzer und Gauleiter Frankens, Julius Streicher, sah Nürnberg als »Hauptstadt des Frankenlandes«24 und landete mit diesem Konzept im propagandistischen Abseits. Er spielte kaum eine Rolle bei der Konstruktion eines nationalsozialistischen Nürnberg-Bildes. Joseph Goebbels nahm Nürnberg als alte Stadt nur beiläufig wahr, ebenso wie andere

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Führungsfiguren des Regimes. Das treibende Element mit viel praktischer Durchschlagskraft bei der Konstruktion einer Traditionslinie von der »Stadt der Reichstage zur Stadt der Reichsparteitage« war Nürnbergs Oberbürgermeister Willy Liebel.25 Für die nationalsozialistische Stadtverwaltung war die Konstruktion eines in ihrer Vorstellung besonders deutschen Nürnberg ein vorrangiges Anliegen. Liebel ergriff hier in vielfältiger Weise Initiativen, welche ein bereinigtes, »entschandeltes«, widerspruchsfreies und antimodernes Stadtbild zum Ziel hatten. Die Bauverwaltung, die lokale Kulturszene und der Denkmalschutz zogen mit. Man beseitigte Werbetafeln und -schriften, verlegte den Nürnberger Christkindlesmarkt auf den Hauptmarkt, produzierte neue Festdekorationen und erfand das Nürnberger Christkind. Für viele Häuser in der Altstadt wurde Dekorationsmaterial zur Feier der Reichsparteitage der NSDAP angefertigt, von kleinen Fähnchen und Girlanden bis zu Gobelins für herausragende Baudenkmäler wie der Frauenkirche auf dem Hauptmarkt. Das entscheidende Projekt zur Konstruktion eines der nationalsozialistischen Ideologie entsprechenden mittelalterlichen Nürnberg war jedoch die »Entschandelung« der Stadt im Rahmen der sogenannten »schöpferischen Denkmalpflege«. Man baute angeblich störende Schaufensterfronten und Hausfassaden um und fügte neues Fachwerk, Dachgauben und andere Bauelemente ein, die es teilweise so nie gegeben hatte, die aber alt wirkten. Betroffen waren hier unter anderem die Nürnberger Burg und das Heilig-GeistSpital. Zur »Entschandelung« in nationalsozialistischem Sinn gehörten aber nicht nur Projekte der »schöpferischen Denkmalpflege«, sondern auch der Abriss der Nürnberger Synagoge am Hans-Sachs-Platz.26 Auf Anregung von Oberbürgermeister Liebel hatte der bayerische Ministerpräsident Ludwig Siebert den Auftrag erteilt, das Innere der Kaiserburg für repräsentative staatliche Zwecke umzugestalten, das heißt für Empfänge des Landes Bayern. Die früheren Wohnungen bayerischer Könige (seit 1806) wurden in Ehrenwohnungen für Hitler und seine Gefolgschaft umgebaut. Leitbild war das, was man in den dreißiger Jahren als original definierte. Beseitigt wurde deshalb binnen einen Jahres fast alles, was im 19. Jahrhundert in romantisierend-historistischer Art unter dem Architekten Karl Alexander Heideloff ein- und umgebaut worden war. Neugotik war das Feindbild, gegen das man die Vorstellung eines rustikalen Mittelalters setzte. Der Architekt des Burgumbaus Rudolf Esterer richtete nach eigenem Bekunden zunächst ein »wüstes Trümmerfeld« im Inneren der Burg an, durch das dann aber angeblich das »wahre Bild der alten Kaiserburg« hervortrat.27 Im Prinzip baute man jedoch neu und entwickelte »schöpferisch«, was aus nationalsozialistischer Sicht echtes Mittelalter war. Genutzt hat Hitler seine Ehrenwohnung nie.28 Elf Jahre später, 1945, war von dieser nationalsozialistisch-rustikalen Burganlage als Folge des Bombenkrieges nichts mehr übrig. Beim Wiederaufbau war die nationalsozialistische Neukonstruktion der Burg jedoch wiederum Leitbild. Julius Lincke, der Assistent Rudolf Esterers, der die Renovierung

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1933/1934 verantwortet hatte, baute neu auf. Erneut entstand ein bereinigter Raumeindruck, der, da man im Prinzip von den Grundmauern neu aufbauen musste, noch wesentlich karger ausfiel. Wie skurril und letztlich auch ideologieaufgeladen beim Wiederaufbau der Burg vorgegangen wurde, zeigt der Umgang mit dem Söller, einem balkonartigen Vorbau ganz im Westen der Burg. Nach Meinung Linckes war er ein »störender, kleinlicher« Zubau der Neugotik, war aber im Zuge der Neugestaltung 1933/1934 belassen worden, da er für das Schlafzimmer »im Bedarfsfalle« die Aussicht auf Stadt und fränkische Landschaft bot.29 Es war der Balkon Hitlers, den dieser wohl nur bei der Neueröffnung der Burg 1934 betrat, um zu einer jubelnden Menschenmenge hinab zu grüßen. Beim Wiederaufbau wurde dem Söller diese Funktion als Bühne Hitlers zum Verhängnis. Obwohl er als einer der wenigen Teile der Burg erhalten geblieben war, wurde er dennoch beseitigt – aus demselben Grund, aus dem man ihn 1934 erhalten hatte: es bestand eine direkte Verbindung zu Hitler. Ähnliche Vorgänge kann man bei der Kaiserstallung, einem anderen Teil der Nürnberger Burganlage beobachten, die man im Nationalsozialismus als neue »Reichsjugendherberge« unter vollständiger Veränderung der Bausubstanz einrichtete. Im Zuge dessen baute man nie vorhandene altdeutsche Kamine ein, hängte schmiedeeiserne Leuchter auf und richtete für den Reichsjugendführer Baldur von Schirach ein »Führerzimmer« ein, das mit 400 Jahre alten Brettern getäfelt wurde, die beim Abriss der Bausubstanz im Inneren angefallen waren. Auch hier galt nach der Totalzerstörung im Bombenkrieg das rustikale Mittelalter-Leitbild weiter und der Architekt blieb derselbe – Julius Lincke. Die Kehrseite von diesem »schöpferischen« Neubau eines angeblich originalen Mittelalters war die Möglichkeit gegen Bauten vorzugehen, welche die Nationalsozialisten als störend empfanden, wie die Nürnberger Synagoge am Hans-Sachs-Platz. Hier gelang es der Nürnberger Stadtverwaltung unter Ausnutzung des Gesetzes zur Neugestaltung der deutschen Städte, im August 1938 die Synagoge abreißen zu lassen. Der Beginn des Abrisses wurde mit einer großen öffentlichen Kundgebung und einer Ansprache Julius Streichers gefeiert. An der Polemik gegen die Synagoge als fremdartigen, orientalischen oder wahlweise byzantinischen Bau beteiligte sich – neben den üblichen nationalsozialistischen Akteuren – auch der Kunsthistoriker Wilhelm Schwemmer. Dieser argumentierte, zwei Jahre vor dem Abriss der Synagoge, dass auch im mittelalterlichen Nürnberg »kein Platz für fremde Formensprache« gewesen sei. »Nur deutsches Wesen galt« – so Schwemmer. Die Synagoge zerstöre die harmonische Wirkung des Hans-Sachs-Platzes völlig.30 Der Abriss der Synagoge war das deutlichste und destruktivste Fanal der Konstruktion eines nationalsozialistischen Nürnberg-Bildes. Bezeichnenderweise wurde an dieser Stelle nichts gebaut und es gab auch keine Planungen dafür. Die Synagoge aus dem Jahr 1874 war um vieles älter als manch anderer Bau der Altstadt, den die Nationalsozialisten nicht abrissen. Motivation war

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hier weniger der fremde Stil oder städtebauliche Überlegungen, sondern schlichter Judenhass. Nürnbergs Hauptsynagoge war eine der wenigen Synagogen in Deutschland, die vor der Reichskristallnacht 1938 zerstört wurden – und zwar nicht nachts, sondern tagsüber vor aller Augen als Teil einer Propagandaveranstaltung der Nationalsozialisten. Das wohl symbolträchtigste Projekt des Oberbürgermeisters Willy Liebel war die sogenannte »Rückholung« der Reichskleinodien aus Wien nach Nürnberg.31 Bereits zum Reichsparteitag 1933 ließ er eine Nachbildung des Heiltumsstuhls vor dem Raschbacherschen Haus am Hauptmarkt 15 aufstellen zur Erinnerung an die mittelalterliche Heiltumsweisung an diesem Ort. Den Heiltumsschrein lies er aus dem Germanischen Nationalmuseum in den Nürnberger Rathaussaal bringen, um dort Hitler zur Eröffnung des Reichsparteitages zu empfangen. Ein Jahr später, 1934, versuchte Liebel für die Eröffnung des Parteitages die Originale in Wien zu entleihen, musste sich aber mit den Aachener Kopien begnügen. 1935 erhielt Hitler als Geschenk eine Kopie des Reichsschwertes. Begleitet wurde das Projekt der Rückholung von Publikationen, welche die Geschichte der Reichskleinodien einem breiten Publikum nahe brachten.32 Nach der Einverleibung Österreichs in das nationalsozialistische Deutsche Reich konnte die »Rückholung« dann endlich in die Tat umgesetzt werden. Ende August wurden die Reichskleinodien per Sonderzug von Wien nach Nürnberg geschafft. Liebel ließ die Abholung in einem eigenen Fotoalbum dokumentieren, welches er an die Beteiligten als Geschenk verteilen lies.33 Zum Reichsparteitag 1938 waren die Reichskleinodien dann in der Nürnberger Katharinenkirche ausgestellt (Abb. 3). Auf ausdrücklichen Wunsch Hitlers sollten die Symbole des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation nicht etwa museal im Germanischen Nationalmuseum ausgestellt werden, sondern als Staffage für die nationalsozialistische Propaganda später in der damals noch im Bau befindlichen Kongresshalle auf dem Reichsparteitagsgelände präsentiert werden. Die Ausstellung in der Katharinenkirche war nur als Zwischenstation gedacht. Mit einem beispiellosen Aufwand wurde ab 1933 versucht – insbesondere von lokalen Größen –, das mittelalterliche Nürnberg als »Stadt der Reichstage« zum idealen Vorbild der neuen »Stadt der Reichsparteitage« zu machen. Vor Ort begann eine hektische Betriebsamkeit, vor allem von Seiten des nationalsozialistischen Oberbürgermeisters Willy Liebel. Man wollte die Bedeutung und Rolle Nürnbergs historisch stützen und baulich festigen. Dies wurde publizistisch durch zahlreiche Veröffentlichungen von Seiten der Stadt und von Seiten meist lokal agierender Wissenschaftler unterstützt. Ein extremes Beispiel neben den hier bereits erwähnten Autoren Franz Bauer, Wilhelm Schwemmer, Fritz Traugott Schulz und Julius Lincke ist Gottlieb Schwemmer, ein als Kunsthistoriker dilettierender Nürnberger Regierungsbaurat. In Aufsätzen und seinem Buch Nürnberg, das Bild einer politischen Stadt interpretierte Schwemmer Nürnberg als »männliche Stadt«, als »Ausdruck eines unvergleichlichen politischen Willens«, als eine »dem Reichsgedanken verschwo-

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3. Heinrich Hoffmann: SS­Wachen vor der Vitrine mit der Reichs­ krone in der Nürnberger Katharinenkirche 1938, Titelblatt, Heinrich Hoffmann (Hrsg.): Parteitag Großdeutschland, Berlin 1938

rene Stadt«.34 In seinen »kraftvollen Zeiten« sei Nürnberg immer »ausgesprochen judenfeindlich« gewesen und habe sich immer »verzweifelt gegen die Juden gewehrt« – tatsächlich wurden hunderte Juden bei Pogromen ermordet. Diese politische Kraft sei Voraussetzung für die »Blüten der Kultur«, die nur entstehen könnten, wenn der »Stamm tief genug im Boden wurzelt«.35 Die mittelalterliche Kunst und auch die Kunst der Renaissance waren für Schwemmer in erster Linie Ausdruck dieses politischen (auch nationalen und deutschen) Willens und eines Geistes, der sich alles selbst erschuf, weil er keine Gunst der Örtlichkeit vorfand. Der Kunsthistoriker August Nagel ergänzte in einem Aufsatz, dass die angeblich zu prächtigen und nicht ins einheitliche

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Stadtbild passenden Bürgerhäuser Peller- und Fembohaus »zum großen Unbehagen des Rates der Stadt von Fremdlingen erbaut worden« seien.36 Hauptkonservator Heinrich Höhn vom Germanischen Nationalmuseum feierte schließlich die »vier Großmeister Altnürnberger Kunst« – Adam Kraft, Veit Stoß, Peter Vischer und Albrecht Dürer – als Meister einer »mit Herz und Geist belebten Form von ewigem Bestand und Wert«. Dies sei »deutsche Form überhaupt«.37 Zum Reichsparteitag 1937 fand im Germanischen Nationalmuseum die Ausstellung Nürnberg, die deutsche Stadt. Von der Stadt der Reichstage zur Stadt der Reichsparteitage statt, veranstaltet vom Hauptamt für Schrifttumspflege (Abb. 4).38 Die Schau mit originalen Objekten, Urkunden, Dokumenten und Büchern bis hin zum aktuellen Schrifttum zu den Reichsparteitagen und zur NS-Bewegung, stellte eine Art offizielle Anerkennung dieser erfundenen Traditionslinie dar. Den Höhepunkt dieser konstruierten Bezugslinie bildete jedoch die Überführung der Reichskleinodien von Wien nach Nürnberg anlässlich des Reichsparteitages 1938. Dennoch existierte »Nürnberg« als Idealbild für die NS-Bewegung nicht von Anfang an. Das nationalsozialistisch bereinigte Nürnberg musste, wie dargelegt, erst konstruiert und propagandistisch entwickelt werden. Hitler nahm erst spät und sehr zurückhaltend eine Traditionslinie zum mittelalterlichen Nürnberg in seine Reden auf. Das eigentliche Leitbild war im Nationalsozialismus nicht die bildende Kunst oder die Pflege eines mittelalterlichen Erbes, sondern das Bauen. Bauliche Veränderungen, die bereinigte Altstadt ebenso wie die Neubauten des Reichsparteitagsgeländes, waren die Basis dafür, sich überhaupt auf das mittelalterliche Stadtbild einzulassen. Dieses stand aus nationalsozialistischer Perspektive für ein politisch-nationales Konzept, für deutsche Größe und auch – obwohl dies etwas widersprüchlich ist – für altdeutsche Gemütlichkeit. Mittelalterliche Kunst interessierte in diesem Zusammenhang nicht wirklich. Sie diente in erster Linie als Dekoration und als Projektionsfläche der nationalsozialistischen Ideologie. Als Teil einer erfundenen Tradition wurde sie instrumentalisiert und nicht in erster Linie als Kunst rezipiert. Härte nicht Weichheit, Einheitlichkeit statt Vielgestaltigkeit, karge Arbeit statt Luxus, angebliche Klarheit statt Ornament, eine neu inszenierte Rustikalität und eine kräftige Portion Antisemitismus bestimmen baulich und publizistisch das nationalsozialistische Bild des mittelalterlichen Nürnberg. Wie gleichgültig den Nationalsozialisten die Nürnberger Altstadt tatsächlich war, zeigt beispielhaft Joseph Goebbels. Am 4. Juni 1944 hielt der Propagandaminister eine Rede auf dem Nürnberger Hauptmarkt. Es hatte die ersten Bombenangriffe und die ersten Zerstörungen auch in der Altstadt gegeben, aber noch stand Nürnberg relativ unzerstört da. Nach dem anfänglichen Bedauern über die Zerstörungen in einer Stadt, die so sehr mit der NS-Bewegung verbunden sei, betonte Goebbels die Notwendigkeit des Krieges und stellte anschließend folgende Überlegung an:

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4. Plakat zur Ausstellung »Nürnberg die deutsche Stadt«, 1938, Nürnberg, Stadtarchiv

»Wenn ich so eine Stadt überblicke mit ihren zerstörten Straßen und Teilen, mit ihren verkohlten Häuserruinen, und ich überschlage kurz: Wieviel Arbeitskräfte und wieviel Zeit und wieviel Material ist nötig, um das mit unseren Baumethoden wieder in Ordnung zu bringen? – so kann ich sagen: Na für Nürnberg knapp ein Jahr. […] Was bedeutet ein Jahr in der Geschichte Nürnbergs […]? Gar nichts! Spielt keine Rolle. «39

Tatsächlich hat der Wiederaufbau von Nürnberg Jahrzehnte gedauert, in Ordnung gebracht war nichts und die noch als geschlossenes Bauensemble erhaltene und letztmalig fotografisch dokumentierte Altstadt ist nach dem propagandistischen Missbrauch durch die Nationalsozialisten mit ihnen untergegangen. »Nürnberg« steht seitdem nicht mehr nur für ein romantisch

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verklärtes Bild einer alten, verwinkelten vormals weltberühmten deutschen Stadt, sondern ist ebenso die Stadt, welche eine ideale Bühne für die Selbstdarstellung der Nationalsozialisten bot.

So Oberbürgermeister Willy Liebel 1938, zitiert nach Hanns Kerrl (Hrsg.): Reichstagung in Nürnberg 1938. Der Parteitag Großdeutschland, Berlin 1939, S. 28. 2 W[ilhelm] Lotz: Das Reichsparteitagsgelände und seine Bauten, in: Der Baumeister 35/1937, S. 304–309, S. 309. 3 Zum Reichsparteitagsgelände vgl. Alexander Schmidt: Geländebegehung. Das Reichspartei­ tagsgelände in Nürnberg, Nürnberg 2002; Eckart Dietzfelbinger u. Gerhard Liedtke: Nürnberg – Ort der Massen. Das Reichsparteitagsgelände. Vorge­ schichte und schwieriges Erbe, Berlin 2004. 4 Eric J. Hobsbawn: Das Erfinden von Traditi­ onen, in: Christoph Conrad u. Martina Kessel (Hrsg.): Kultur & Geschichte. Neue Einblicke in eine alte Beziehung, Stuttgart 1988, S. 97–111. 5 So zum Beispiel ein zeitgenössischer Reiseführer. Vgl. Friedrich Bock: Nürnberg. Von der Stadt der Reichstage zur Stadt der Reichsparteitage, Stuttgart 1938. 6 Vgl. Wilhelm Heinrich Wackenroder: Her­ zensergießungen eines frommen Klosterbruders, Berlin 1796, zitiert nach Katja Czarnowski: Nürnberg – »Gemauerte Chronik« oder »Abfallhaufen der Ge­ schichte«?, in: Constanze Carcenac-Lecomte u. a. (Hrsg.): Steinbruch. Deutsche Erinnerungsorte, Frankfurt am Main 2000, S. 167–185, S. 171. 7 Zum Nürnberg-Mythos vgl. Ludwig Grote: Die romantische Entdeckung Nürnbergs, München 1967; Werner K. Blessing: Nürnberg – ein deutscher Mythos, in: Helmut Altrichter, Klaus Herbers u. Helmut Neuhaus (Hrsg.): Mythen in der Geschich­ te, Freiburg 2004, S. 371–398. 8 Vgl. u. a. die einflussreichen Veröffentlichungen von Momme Nissen: Dürer als Führer, in: Kunstwart, 1. Maiheft 1904, S. 93–102 und Julius Langbehn: Dürer als Führer, München 1928. 9 Ansprache des Nürnberger Oberbürgermeisters Willy Liebel zur Begrüßung Hitlers beim Reichsparteitag 1933, 30. August 1933, Stadtarchiv Nürnberg C 7/886, zitiert nach Siegfried Zelnhefer: Die Reichsparteitage der NSDAP. Ge­ schichte, Struktur und Bedeutung der größten Propa­ 1

gandafeste im nationalsozialistischen Feierjahr, Nürnberg 1991, S. 66. 10 Vgl. Richard Wilhelm Stock: Richard Wag­ ner und die Stadt der Meistersinger, Nürnberg 1938, S. 23–35 (»Das Festspiel der Reichsparteitage«). 11 Zur Entwicklung des Kults um Dürer und Sachs vgl. Alexander Schmidt: Große Kunst und Dürerschnitzel. Nürnberger Dürerfeiern zwischen nationalem Pathos, künstlerischem Anspruch und Geschäftstüchtigkeit, in: I believe in Dürer, Ausstellungskatalog, Kunsthalle Nürnberg, Nürnberg 2000, S. 11–23; Nürnberger Dürerfeiern 1828/1928, Ausstellungskatalog, Museen der Stadt Nürnberg und Stadtarchiv Nürnberg, Nürnberg 1971; Alexander Schmidt: »Wo Sachs gesungen hat«. Zum Hans­Sachs­Gedenken in Nürnberg im 19. und 20. Jahrhundert, in: Pirckheimer­Jahrbuch 10/1997, S. 157–186. 12 Vgl. Jürgen Trimborn: Riefenstahl. Eine deut­ sche Karriere, Berlin 2003, S. 198–237. 13 Rudolf Herz: Hoffmann & Hitler. Fotografie als Medium des Führer­Mythos, München 1994, S. 231. 14 Vgl. Abbildungen bei Schmidt 2002, S. 148 u. S. 152 (wie Anm. 3) mit verschiedenen Burgmotiven sowie S. 216 mit der Kaiserburg als Hintergrundmotiv für eine antisemitische Karikatur in Julius Streichers Hetzblatt Der Stürmer. 15 Staatliche Bildstelle Berlin (Hrsg.): Das alte Nürnberg in neuen Lichtbildern. Ausstellung zum 50jährigen Bestehen der Staatlichen Bildstelle, Berlin 1935, S. 7. 16 Friedrich Kriegbaum: Nürnberg. Aufgenom­ men von der staatlichen Bildstelle, Berlin 1937, S. 13. 17 Adolf Hitler: Manifest von 1929, in: Julius Streicher (Hrsg.): Reichstagung Nürnberg 1933, Berlin 1934, S. 19–25, S. 23. 18 Ohne Autor: Die Stadt der Reichsparteitage, des deutschen Reiches Schatzkästlein, Nürnberg 1939, o. S. 19 Adolf Hitler: »Ein Reich der Ehre, Treue und Anständigkeit!« Proklamation anlässlich der Eröff­ nung des Parteikongresses, in: Streicher: 1934, S. 41– 72, S. 52 (wiw Anm. 17).

151 nürnberg – die »deutScheSte Aller deutSchen Städte«? 20 Die Stadt der Reichsparteitage 1939, o. S. (wie Anm. 18). 21 Alle Zitate in ibid. 22 So Adolf Hitler 1938, zitiert nach Kerrl 1939, S. 32 (wie Anm. 1). 23 So Julius Streicher 1937, zitiert nach Hanns Kerrl (Hrsg.): Reichstagung in Nürnberg 1937. Der Parteitag der Arbeit, Berlin 1938, S. 53. 24 Julius Streicher bei der Eröffnung des Parteikongresses 1934, zitiert nach Hanns Kerrl (Hrsg.): Reichstagung Nürnberg 1934, Berlin 1934, S. 84. 25 Vgl. Siegfried Zelnhefer: Willy Liebel, Ober­ bürgermeister der »Stadt der Reichsparteitage Nürn­ berg«. Eine biografische Skizze, in: Jahrbuch für frän­ kische Landesforschung 60/2000, S. 660– 680. 26 Vgl. Alexander Schmidt: Saubere Altstadt. »Entschandelung« und Zerstörung der Nürnberger Altstadt im Nationalsozialismus, in: Bauen in Nürn­ berg 1933–1945. Architektur und Bauformen im Na­ tionalsozialismus, Ausstellungskatalog Stadtarchiv Nürnberg, Nürnberg 1995, S. 130–152. 27 Rudolf Esterer: Die Wiederinstandsetzung der Kaiserburg in Nürnberg, in: Das Bayerland 22/1934, S. 703–711, S. 703; vgl. Birgit Friedel: Der Wieder­ aufbau der Nürnberger Burg, in: Wiederaufbau in Nürnberg, Ausstellungskatalog, Stadtarchiv Nürnberg, Museen der Stadt Nürnberg, Nürnberg 2010, S. 215–221, S. 218. 28 Zum Umgang mit der Burg im Nationalsozialismus vgl. Birgit Friedel: Der Wandel des Mit­ telalterbildes, in: Mythos Burg, Ausstellungskatalog, Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg 2010, S. 365; id.: Die Nürnberger Burg. Geschichte, Baugeschichte und Archäologie, Petersberg 2007, S. 155 f. 29 Julius Lincke: Die Wiederinstandsetzung der Nürnberger Kaiserburg im Jahre 1934, in: Der Burg­ wart. Jahrbuch der Vereinigung zur Erhaltung deut­ scher Burgen, 1935, S. 12–19, S. 17.

30 Wilhelm Schwemmer: Nürnberg, ein Inbe­ griff Deutschlands. Die Stadt der Reichsparteitage im Spiegel ihrer Bauwerke von einst bis heute, in: Frän­ kische Tageszeitung, 12. September 1936. 31 Vgl. Wilhelm Schwemmer: Die Reichskleino­ dien in Nürnberg 1938–1945, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 65/1978, S. 397–413; Peter Heigl: Der Reichsschatz im Nazi­ bunker, Nürnberg 2005. Zu den Reichskleinodien vgl. auch den Beitrag von Annelies Amberger in diesem Band. 32 Fritz Traugott Schulz: Die deutschen Reichs­ kleinodien, Leipzig 1934; Eberhard Lutze: Die deut­ schen Reichsinsignien und Reichskleinodien, Ansbach 1938; Franz Bauer: Die Reichskleinodien der Deut­ schen, Nürnberg 1939. Alle genannten Autoren gehören zur Nürnberger Kulturszene der 1930er Jahre. 33 Ein Album befindet sich im Bestand des Dokumentationszentrums Reichsparteitagsgelände Nürnberg, DZ-Ph 1239. 34 Gottlieb Schwemmer: Nürnberg, das Bild ei­ ner politischen Stadt, Potsdam 1937, S. 4 f. 35 Ibid., S. 7. 36 August Nagel: Altnürnberger Bürgerhäuser, in: Bauen, Siedeln, Wohnen 19/1939, S. 1131–1140, S. 1132. 37 Heinrich Höhn: Die vier Großmeister der Alt­ Nürnberger Kunst: Adam Kraft, Veit Stoß, Peter Vischer und Albrecht Dürer, in: Das Bayerland 46/ 1935, S. 34. 38 Vgl. Amt für Schrifttumspflege (Hrsg.): Nürnberg, die deutsche Stadt. Von der Stadt der Reichstage zur Stadt der Reichsparteitage, Nürnberg 1937. 39 Joseph Goebbels: Rede auf dem Nürnberger Hauptmarkt am 4. Juni 1944, zitiert nach Helmut Heiber (Hrsg.): Goebbels­Reden, Bd. 2, Düsseldorf 1983, S. 337.

Tomasz Torbus

Die »Heimholung der bei Tannenberg erbeuteten Fahnen« Rezeption und Instrumentalisierung einer mittelalterlichen Schlacht in der NS-Kunstpropaganda

»Der 19. Mai 1940, der Tag der Heimkehr alter Ordenssymbole in die Burg des Ostens, wird immer ein großer Tag in der Geschichte Marienburgs sein, denn er fällt in die Zeit der größten geschichtlichen Wende des deutschen Volkes. Unter heftigen Wehen der Menschheit wird eine neue Zeit geboren. Dieser größte aller Kriege ist ein Krieg gegen den Krieg, ist ein Marsch des Rechtes gegen das Unrecht, ist ein gigantischer Kampf für ein neues Europa, für ein Europa mit einer neuen Raumordnung, die ein Zusammenleben der Völker in Frieden gewährleistet.«1

Am 18. und 19. Mai 1940 wurde im besetzten polnischen Krakau sowie in Marienburg (Malbork), im damaligen Reichsgau Westpreußen, eine prunkvoll inszenierte Feier veranstaltet, bei der die Kopien der 1410 von Polen erbeuteten Banner in den einstigen Hochmeistersitz des Deutschen Ordens »heimgeholt« wurden. Es war die größte propagandistische Veranstaltung, mit der sich der NS-Staat im östlichen Europa feiern ließ. Zwei umfangreiche Gelegenheitsschriften 2 schildern das Programm des Festes, das als »die äußerliche Krönung einer politischen Entwicklung im Osten, die sich über sechs Jahrhunderte erstreckt hat«, apostrophiert wurde.3 Die Schriften enthalten Reden von NS-Politikern sowie historische Kommentare und malen – auch mittels Gedichten – eine Zukunftsvision Deutschlands. Sie geben nicht nur Aufschluss über die Ideengeber, Protagonisten und Zeugen der Feier, sondern bieten vielmehr die Chance, die Einstellung des NS-Staates zum Mittelalter zu rekonstruieren und die Funktion zu bestimmen, die das Wiederaufleben der mittelalterlichen Geschichte zu erfüllen hatte.4 Wie sich zeigen wird, wurde das historische Ereignis, auf das sich jene »Heimholung« bezog, in einer verzerrten Weise wiedergegeben, da die gesamte Veranstaltung einer klaren politischen Zielsetzung untergeordnet war und die »Echtheit« der Überlieferung nur eine sekundäre Rolle spielte. Den Grund beziehungsweise den Vorwand für den nationalsozialistischen »Festakt« lieferte die Schlacht bei Tannenberg: Bei dieser zahlenmäßig größten Schlacht des Mittelalters in Zentraleuropa unterlag 1410 auf den Feldern

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rund um Tannenberg und Grünfelde – polnisch Grunwald – der Deutsche Orden den vereinigten polnischen und litauischen Truppen. Es war eine Niederlage, die den Orden finanziell ruinierte und die Brüche in der anachronistischen theokratischen Staatsstruktur offenbarte. Eine lange Periode des Niederganges des Deutschordensstaates Preußen begann, die 1525 in dessen Auflösung mündete. Da Polen bereits vor der Schlacht bei Tannenberg die Taufe des litauischen Großfürsten Jogailo und seinen Untertaner erwirkt hatte, war die vorgebliche Mission des Deutschen Ordens an der Ostsee, und damit seine eigentliche Legitimation, obsolet geworden, so dass die Unterstützung Preußens von Seiten des westeuropäischen Rittertums ausgeblieben war. In der Auseinandersetzung ging es um die politische Vormachtstellung im Nordosten Europas, zwischen Preußen einerseits und dem im Entstehen begriffenen vereinigten polnisch-litauischen Jagiellonenstaat andererseits und nicht etwa um nationale Beweggründe, die dem Krieg im 19. Jahrhundert untergeschoben worden sind. Im November 1410 hatte König Wladislaw II. Jagiello insgesamt 51 der bei Tannenberg und eine der bei Krone an der Brahe (Koronowo) erbeuteten Fahnen als Siegestrophäen vor dem Grab des Heiligen Stanislaus im Krakauer Wawel-Dom anbringen lassen. Später kamen noch fünf weitere aus einer späteren Schlacht hinzu. Ergänzt um andere, in den folgenden Kriegen gegen den Deutschen Orden erbeutete Fahnen wurden sie im Kodex Banderia Prutenorum von dem wichtigsten Chronisten Polens, Jan Długosz, Ende des 15. Jahrhunderts zeichnerisch festgehalten und beschrieben.5 Dies begründete ihren »postumen« Ruhm – die Originale selbst sind spätestens im 18. Jahrhundert zu Staub zerfallen – und ließen sie zum Bestandteil des im Folgenden thematisierten polnischen »Grunwald«-Mythos werden, der in zahlreichen Schlachtendarstellungen des 19. und 20. Jahrhunderts ausgedrückt ist.

Die »Feier« und ihre Adressaten Der Kodex von Długosz gab die Vorlage, nach der 1937 insgesamt 32 Fahnen neu hergestellt wurden. Der Ideengeber, der Architekt Adolf Szyszko-Bohusz, der damals die Sanierung des Königschlosses auf dem Wawel in Krakau leitete, wollte sie in dem sogenannten Senatorensaal des Krakauer Königschlosses präsentieren, wozu es aber aufgrund des Kriegsbeginns 1939 nicht kommen sollte (Abb. 1).6 Anders als 14 von den neu hergestellten Fahnen, die die deutsche Besatzung Polens versteckt überdauerten und heute in der Sammlung des Wawel-Schlosses zu sehen sind, gerieten 18 Fahnen in die Hände der NS-Besatzungsmacht, was damals als deren »Befreiung aus der polnischen Knechtschaft« bezeichnet wurde.7 Als der Generalgouverneur Hans Frank seine Residenz in der Krakauer Königsburg 1939 einrichtete, fielen ihm die Fahnen auf, und er liess sie in seinem Kabinett aufstellen.8 Er, der zu den promovierten NS-Größen zählt und für seine Feste auf dem Wawel und die dort abgehaltenen Kulturveranstaltungen bekannt gewesen ist,9 war auch der

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1. Szyszko-Bohusz: Senatoren-Saal mit den Ordensfahnen im Königschloss auf dem Wawel in Krakau, Entwurf, vor 1939, Privatbesitz

Hauptverantwortliche für das Fest, dessen Planung er seit Januar 1940 vorantrieb.10 Adolf Hitler hatte – nachdem ihm vermutlich Staatsminister und Chef der Präsidialkanzlei Otto Meissner das Thema referrierte – über die Rückführung der Fahnen entschieden.11 Er war jedoch nicht der Ideengeber der Feier. Für den »Führer« spielte die Geschichte des Deutschen Ordens nur eine marginale Rolle, er erwähnt ihn kaum in seinen Schriften und Reden, so dass er lediglich die Erlaubnis für die Durchführung der Feierlichkeiten erteilt haben mag.12 Für seine Ideen gewann Frank im Januar 1940 den NS-Ideologen Alfred Forster, der ab 1930 die NSDAP in der Freien Stadt Danzig leitete und ab Herbst 1939 als Gauleiter der Provinz Danzig-Westpreußen amtierte.13 Die Details der Umsetzung lagen in der Regie von Carl Lang und dem Oberst Bernhard Ramcke, den Schriftleitern der Ostdeutschen Monatshefte.14 Aufschluss über den Ablauf der Zeremonie geben zeitgenössische Quellen.15 Ihnen zufolge führte am 18. Mai 1940 eine Wehrmachtsabteilung die Fahnen aus dem Senatoren-Saal des Wawel in Krakau. Nach einem kurzen Salutschießen im Schlosshof marschierte man »in feierlicher Weise durch ein Spalier zum Krakauer Bahnhof«16 genauer gesagt zum Südteil des Bahnhofs, der nur für die Deutschen reserviert war (Abb. 2). Die Fahnen, der sie eskortierende Trupp sowie die Gäste mit Frank an der Spitze und vermutlich der General Johannes Albrecht Blaskowitz17 fuhren anschließend nach Zoppot (Sopot), wo sie am Nachmittag vor »Fronten der angetretenen Formationen der Partei« vom Gauleiter und Reichsstatthalter Alfred Forster, dem von 1939

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2. Unbekannter Fotograf: Der »Abmarsch der Fahnen« aus dem Wawel – über das Grodzka-Tor, 18. Mai 1940, Fotografie, Privatarchiv

bis 1943 amtierenden Danziger Stadtkommandanten Heinrich Strack, dem Präsidenten des Danziger Regierungsbezirkes Fritz Hermann und dem Bürgermeister Zoppots, Erich Temp, empfangen wurden.18 Dann fuhren sie durch die fahnengeschmückte Stadt zum Quartier des Generalgouverneurs, dem Kasinohotel (Grand Hotel). Den restlichen Tag füllten Militärehren, Begrüßungsreden, eine Besichtigung von Gdingen (Gdynia, damals Gotenhafen), die sich Frank ausdrücklich gewünscht hatte, sowie ein »kameradschaftliches Beisammensein« aus. Am folgenden Tag wurden Frank und Forster an der Grenze des Marienburger Bezirks zunächst vom Präsidenten des Marienwerders Regierungsbezirks Otto v. Keudell, dem Kreisleiter und Landrat Walter Neufeld sowie von Oberst Hermann Bernhard Ramcke, dem ranghöchsten in der Stadt statio-

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3. Unbekannter Fotograf: Fahneregiment vor der Marienburg, 19. Mai 1940, Fotografie, Privatarchiv

nierten Militär, begrüßt. Die bereits am Vortag dorthin gebrachten »mißbrauchten heiligen Symbole des Deutschtums« wurden aus dem sogenannten Neuen Rathaus hinausgeführt und in Begleitung einer Wehrmachtsabteilung über das Neue Tor und an dem mittelalterlichen Rathaus vorbei auf die Burg verbracht, der früheren Residenz der Hochmeister des Deutschen Ordens (Abb. 3). Der Weg – die von hunderten Hakenkreuzfahnen verzierte »Straße des deutschen Glaubens« – endete an einer Ehrentribüne am Eingang zum Mittelschloss, an der die Generäle Fedor von Bock und Max von Schenkendorff den Vorbeimarsch der Fahnenkompanie abnahmen. Das Stimmungsbild lautete: »Ein Frühlingswind fasst die Fahnentücher, dass sie flattern und knattern, als wollten sie der alten Burg den Gruß der Wiederkehr entbieten.«19 Das Fahnenregiment hielt anschließend den Einzug in den Großen Remter der Marienburg, in dem der von allen Hörfunkstationen Deutschlands über-

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tragene Festakt beginnen konnte.20 In dem dunklen Raum, der nur von hunderten Kerzen beleuchtet wurde, spielte die Danziger Oper die CoroliansOuvertüre Beethovens, dem, neben der Egmont-Ouvertüre, meistgespielten Musikstück Beethovens der NS-Epoche. Es wurden Gedichte vorgetragen, wie die Heimkehr der Banner des Danziger Hansulrich Röhl, und ein Chor sang Lieder des frankophoben Ernst Moritz Arndt, darunter seine Zeile »die Freiheit und das Himmelreich gewinnen keine Halben«. Den Höhepunkt der Feierlichkeiten bildete die Rede Franks. Darin hieß es: In »diesem unvergleichlich großartigen Augenblick, da sich der Aufbau eines neuen Jahrtausends deutscher Sendung entfaltet, in diesem Weihesaal der stolzen Marienburg,« in der »die Symbole einer schweren Schicksalsstunde des deutschen Kampfes im Osten« zu hängen kommen, »mögen diese Zeichen in dem freien Luftstrom der werdenden deutschen Größe ihre Kraftsymbolik bewahren. […] Aus dem Osten steigt das Licht empor.« Die »Weichsel ist nicht mehr Deutschlands Grenze, sondern Deutschlands Strom.«21 Dann übergab Frank die Fahnen sowie drei blank gezogene Schwerter und eine Ausgabe der Banderia Prutenorum symbolisch an Forster (Abb. 4). Dieser revanchierte sich mit einer weiteren Rede, in der er den Tag als einen Wendepunkt für die Geschichte des Deutschen Ostens darstellte: »Der Kampf zwischen dem Deutschtum und dem Polentum hat seinen endgültigen Abschluss gefunden. Mit der Übernahme der Feldzeichen entsteht für uns eine große Verpflichtung: Das gesamte Ostland muß restlos deutsch werden!«22

Nach der Landeshymne trug man die Fahnen feierlich wieder aus dem Rathaussal hinaus. 17 von ihnen wurden in den Großen Flur des Hochmeisterpalastes gehängt, die achtzehnte, – die des Hochmeisters, – legte man in der Annenkapelle auf die Grabplatte Heinrichs von Plauen, dem Komtur von Schwetz. Der spätere Hochmeister des Deutschen Ordens hatte nach der Schlacht von Tannenberg den Fall der Marienburg verhindert, woran die Gäste mit einer Schweigeminute erinnerten. Auf dem Hof des Mittelschlosses standen während der Veranstaltung vier Wehrmachtsabteilungen. Die Platzierung der Soldaten war Teil einer bewussten Inszenierung, die die gesamte, bis ins Detail minutiös geplante Feier auszeichnete. Es waren jene Truppen, die im September 1939 im Polenfeldzug gekämpft hatten und mit dem »Eisernen Kreuz« geehrt worden waren. Da der Ursprung des »Eisernen Kreuzes« im Wappen des Deutschen Ordens lag, sah man darin eine Bestätigung der Kontinuitätsthese: »So schließt sich der Ring der großen deutschen Geschichte. Mit der Kreuzfahne des Hochmeisters hat die junge Wehrmacht des Großdeutschen Reichs Adolf Hitlers im Zeichen des eisernen Kreuzes die befreiten Banner der alten Ordensritter zurückgeführt in ihre Burg, in die Burg deutschen Glaubens im Osten.«23

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4. Unbekannter Fotograf: Festakt im Großen Remter, 19. Mai 1940, Fotografie, Privatarchiv

Mit der Platzierung der Fahnen in der Burg endete der Festakt. Frank trat die Heimreise nach Krakau an, auf der er die 1939 berühmt gewordene Brücke in Dirschau (Tczew), die Deutschordensburgen Mewe (Gniew), Schwetz (Świecie), Graudenz (Grudziądz) und Thorn (Toruń) besichtigte und in Bromberg (Bydgoszcz) die Opfer des »Blutsonntags« ehrte, »des Tages, an dem mehrere hundert deutscher Volksgenossen zu Blutzeugen ihres Deutschtums wurden« und bei der »sich polnisches Untermenschentum […] zum letzten mal erweisen konnte, ehe dies Land wieder deutsch und frei wurde.«24 Bis 1945 wurden die Fahnen im Hochmeisterpalast der Marienburg häufig und in wechselnden Ausstellungen präsentiert – danach verschwanden sie.25 Soweit der gut rekonstruierbare Ablauf der »Heimholung der Fahnen«. Auch die politische Funktion des Spektakels lässt sich leicht nachvollziehen: Es fand am zehnten Tag des Westfeldzuges statt, als Guderians Panzerverbände bei Noyelles den Ärmelkanal erreichten, wodurch die Benelux-Staaten von Frankreich getrennt wurden und die Briten in das Desaster von Dünkirchen zogen. Die Niederlage der westeuropäischen Mächte zeichnete sich ab. Einer der Helden des Marienburger Festaktes, General Fedor von Bock, sollte bereits am 14. Juni 1940 die Ehrenparade der siegreichen Wehrmacht vor dem Arc de Triomphe in Paris abnehmen.26 Frank und Forster, die sicher das Datum des Angriffes im Westen kannten, legten die »Heimholung« auf Tage, an denen

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5. Unbekannter Fotograf: Festakt in der Marienburg, 1910, Fotografie, Marienburg Schlossmuseum

eine solche Manifestation des Nationalbewusstseins besonders nötig erschien: Sie sollte die patriotischen Gefühle der Ostdeutschen entfachen, worauf die häufigen Bezugnahmen auf die Kämpfer an der Westfront in den Propagandaschriften hinweisen.27 Betrachtet man die Adressaten der Feier, war diese eine rein innerdeutsche Angelegenheit: Das Spalier zum Bahnhof in Krakau bildeten die Vertreter der kleinen deutschen Beamtenschicht des Generalgournements. Die Polen waren in der polnischsprachigen Presse noch nicht einmal über die Feier informiert worden und hatten weder am Königsschloss noch am Bahnhof Einlass.28 Dies war ein Unterschied zu den propagandistischen Veranstaltungen anderer Epochen, beispielsweise die Enthüllung des Tannenberg-Denkmals in Krakau 1910, der Festakt in der Marienburg mit Wilhelm II. im selben Jahr, die Weihe des Tannenberg-Denkmals bei Hohenstein 1927 oder die polnischen Propaganda-Shows auf den Grunwald-Feldern nach 1945 (Abb. 5).29 Der Adressat bei diesen Veranstaltungen war »der Deutsche«, »der Pole« oder »der Russe«.

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Es ging stets darum, den jeweiligen Gegner zu überwältigen, seine Schwäche oder seine ethische Unterlegenheit (umschrieben als Heimtücke oder Niedertracht) vorzuführen. Anders in dem Krakau-Marienburger Festumzug des Jahres 1940. »Die« Polen waren hier nicht einmal Zaungäste, die von der Größe und Macht des Feindes überzeugt werden sollten. Sie sollten schlicht das Feld räumen was auch im Programm der Feier nachzulesen ist: »Ostland muss restlos eingedeutsch werden«.30 Die Fahnen standen für das »kampfbewußte zielklare Mannestums der Vorkämpfer deutscher Kultur, deutscher Macht und deutscher Führung in diesem Ostraum.«31 Daher gehört die »Heimholung« nur scheinbar in den Kontext der deutsch-polnischen Auseinandersetzungen mittels der Kunst, in denen es stets um ein wechselseitiges Verhältnis ging.

Der »völkische« Umgang mit der mittelalterlichen Überlieferung Neben der Adressatenfrage stellt sich beim Umgang des NS-Regimes mit der mittelalterlichen Überlieferung die Zielfrage. Schon an der Inszenierung der Feierlichkeiten erkennt man, dass das Mittelalter und der Deutsche Orden in den Dienst des Völkischen gestellt wurden und, wenn nötig, den nationalsozialistischen Zielen so angepasst wurden, dass es ihrer Vision der Vergangenheit entsprach. Vorherrschend waren die Thesen von den sogenannten Feindesnationen und die Kontinuitätsthese. Ihnen zufolge befanden sich Deutschland und Polen in einem permanten Kampf gegeneinander und ihre tausendjährige Nachbarschaft bestehe demnach nur aus einer Abfolge von Kriegen. Was heute als fruchtbare Symbiose einer »Tür an Tür«-Nachbarschaft gesehen wird,32 war der NS-Auslegung zufolge ein tausendjähriges Ringen zweier Völker. Die auf Nationen fixierte Sichtweise der Geschichte war seit der Reichsgründung in Deutschland vorherrschend und – als eine Reaktion darauf – ebenso im geteilten Polen. Die Propagandakunst seit 1871 überstrapazierte den Begriff der Kulturarbeit im Osten und den eines Dranges nach Osten.33 Als Revanche für die Niederlage des Deutschen Ordens bei Tannenberg 1410 wurde im Kaiserreich die Schlacht südlich von Allenstein 1914 angesehen, in dem der spätere Feldmarschall Hindenburg die russische Armee vernichtend schlug. Auf den Vorschlag von Erich Ludendorff nannte man sie die (zweite) Tannenberg-Schlacht.34 Dabei spielte es in der Propaganda der Zeit weder eine Rolle, dass die Schlacht mindestens 30 Kilometer nordöstlich von Tannenberg ausgetragen wurde, noch dass man dieses Mal russischen und nicht polnischlitauischen Gegnern gegenüber gestanden hatte. Sieht man von Plakaten des Deutschen Ostmarkenvereins ab, wurde in der darstellenden Kunst des späten Kaiserreichs und der Weimarer Republik allerdings keine Verbindung zwischen der Gegenwart und dem Deutschen Orden hergestellt. So nehmen die Architekten Walter und Johannes Krüger in den Jahren 1924 bis 1927 beim Bau des Tannenberg-Denkmals, des »germanischen Stonehenge«35, nicht etwa

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die Formen von Deutschordensburgen als Vorbild, sondern Castel del Monte Friedrichs II. Der Nationalsozialismus mit seinem vulgären sozialen Darwinismus, in dem sich schwächere Völker einem stärkeren unterzuordnen oder schlicht verschwinden zu haben,36 hatte dem Deutschen Orden gegenüber ein ambivalentes Verhältnis. Er passte einerseits ideal in die Ideologie des zu erobernden Lebensraumes im Osten. So nannte man die Schulungsstätte für die NS-Eliten »Ordensburgen«. Die Referenz erfolgte aber lediglich in der schriftlichen Propaganda und bei der Ortswahl der wichtigsten »Ordensburg«. Sie sollte in Marienburg, unweit der mittelalterlichen Deutschordensburg, entstehen. Obwohl bereits seit 1804 der Wiederaufbau der Marienburg unter dem Vorzeichen der »Restaurierung eines deutschen Denkmals«37 stand und die NS-Propaganda diese Sichtweise noch überhöhte, indem sie die Marienburg als »Burg deutschen Glaubens und deutscher Kraft« in der sich »deutsche Wesenheit plastisch gestaltet«38 bezeichnete, lehnten sich die Entwürfe der Marienburger NS-Ordensburg nicht an ihrem mittelalterlichen Vorbild an. Generell war die architektonische Gestaltung der ab 1936 verwirklichten Ordensburgen, – Vogelsang in der Eifel, Sonthofen im Allgäu und Krössinsee (heute Złocieniec) in Hinterpommern, – ein Potpourri aus modernen BauhausElementen und dem offiziellen neoklassizistischen Heimatstil. Bezüge auf die Bauweise des mittelalterlichen Ordens fehlen fast gänzlich.39 Ausgeblieben sind auch weitere, bereits geplante Maßnahmen, bei denen man sich explizit auf dem Deutschen Orden berufen wollte, wie, so Rosenbergs Idee, die Gründung eines neuen Deutschen Ordens für die NS-Eliten.40 Andererseits hatte sich der noch immer existierende Deutsche Orden zu einer karitativen Einrichtung gewandelt, ein Widerspruch zur Vision einer militanten Vereinigung. Vermutlich deswegen ließ Hitler im Jahr 1938 den »Ordo fratrum domus Sanctae Mariae Theutonicorum Ierosolimitanorum« auflösen. Die Bildung eines Kults um den Deutschen Orden verhinderte natürlich auch der Makel seiner Niederlage. Wenn die bloße Stärke über das Schicksal von Nationen entscheidet, wie ließ sich dann ein Mythos um den Deutschen Orden kultivieren? Diesem Widerspruch steuerte man durch die Kontinuitätsthese entgegen: Durch das Eingliedern des Deutsche Ordens in das 1.000-jährige Ringen der Deutschen und Slawen um Macht und Land, wodurch eine Narration geschaffen werden konnte, in der die »jahrhundertlangen Irrwege« – Tannenberg 1410, die Auflösung des Deutschordensstaates 1525, die politische Situation des Königlichen Preußens innerhalb Polen-Litauens oder in der Zwischenkriegszeit, in denen das »polnische Untermenschentum über die Deutschen herrschte« – einen gerechten Rächer in der Person Adolf Hitlers gefunden hatten.41 »Mit kurzen, schnellen Schlägen wurden unerträgliche Fesseln unserer Entwicklung gesprengt und unnatürliche Bindungen zerrissen.«42 Unter dieser Prämisse war der September 1939 und die symbolische »Heimholung der Fahnen« die »Erfüllung der Sehnsucht der guten Deutschen aller

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Zeiten […]«. Damit konnte mühelos eine Verbindung zwischen dem Mittelalter und der Gegenwart konstruiert werden, in der die Deutsche Ordensgeschichte »wesensgleiche Züge mit der Geschichte unseres Volkes im Nationalsozialismus« aufzeigte.43 Dieser schicksalhafte Geschichtsverlauf wurde von vielen Zeitgenossen empfunden; man denke nur an Bernhard Schmid, seit 1922 Hauptdenkmalpfleger der Marienburg, der 1940 jene Verbindung herstellte: »1939 führte uns Adolf Hitler zum Siege über den Gegner von 1410, zur Befreiung des ganzen Ordenslandes.«44

Symptomatisch für diese nationale Deutung des Mittelalters und dessen Instrumentalisierung sind deutliche Brüche und Fälschungen, die in dem Fest von 1940 besonders deutlich zu Tage treten. Betrachtet man die Feierlichkeiten mutet es wie eine Binsenwahrheit an, dass die Fixierung auf das Nationale mit der Wirklichkeit des Mittelalters wenig gemeinsam hatte. Tatsächlich ging es in den Kriegen des 15. Jahrhunderts um die politische Vormachtstellung in diesem Teil Europas, nicht um die Ethnie der Untertanen. Das beste Beispiel ist das deutsch sprechende Danzig, das sich aus wirtschaftlichem Kalkül heraus 1454 dem polnischen König unterordnete und de facto den anschließenden 13-jährigen Krieg Polens gegen den Deutschen Orden finanzierte. Aber auch im Detail musste man bei der »Feier der Heimholung« zu Geschichtsklitterungen greifen, damit diese glaubwürdig inszeniert werden konnte. Als Hans Frank im Oktober 1939 in Krakau die Ordensfahnen sah, war es ihm nicht bewusst, dass es sich dabei um Nachbildungen aus den 1930ern Jahren handelte.45 Die Nachricht darüber ereilte Frank von dem Danziger Historiker Erich Kaiser jedoch noch bevor die Ideen zur »Heimholung der Fahnen in die Marienburg« Gestalt annahmen. Man entkräftete diese Tatsache mit dem Argument, dass jene Kopien den Polen ebenso wichtig seien wie die Originale; es sei ein »Akt symbolischer Genugtuung für die ihnen angetane Schmach, dass ihre Nachbildungen den polnischen Händen entrissen wurden und nun durch die junge Wehrmacht des ewigen deutschen Reiches heimgeleitet sind in die Marienburg.«46 Für den durschnittlichen Zuschauer der Feier blieb diese Tatsache gleichwohl verborgen.47 Ähnlich verfuhr man mit den anderen Requisiten, die in die Marienburg »zurückgebracht« wurden. Bei der Banderia Prutenorum fehlte zum Beispiel konsequent ein Hinweis auf seinen Autor Jan Długosz, immerhin der wichtigste Chronist der polnischen Monarchie. Herausgestellt wurde nur der als »deutscher Maler« apostrophierte »Stephan Durink« [eigentlich Stanislaus Durink], der in dem Codex die Fahnen geschaffen hatte.48 Darüber hinaus überreichte Frank Forster, wie bereits erwähnt, drei blank gezogene Schwerter. Diese hatte er in den Sammlungen des CzartoryskiMuseums in Krakau vorgefunden. Sie wurden umgedeutet zu jenen Schwertern, »die den toten Recken an dem heissen Julitag 1410 aus den kalten steifen Händen entwunden wurden«. Der damaligen NS-Lesart zufolge, waren es die

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Schwerter des Hochmeisters und des Hochmarschalls des Ordens gewesen.49 In Wirklichkeit fehlt jeglicher Hinweis, dass diese Schwerter etwas mit dem Deutschen Orden zu tun hatten. In Polen wecken die Schwerter andere Assoziationen. Die Ende des 15. Jahrhunderts von Jan Długosz’ verfasste Chronik berichtet von der Überbringung zweier blanker Schwerter an den polnischen König unmittelbar vor der Tannenberg-Schlacht durch Herolde des Ordens, deren hochmütiger Rede und der schlagfertigen Antwort des Königs, dass man genug Waffen habe, diese aber auch noch nehme, um damit den wahren Feinden des Kreuzes entgegen zu treten.50 Dem Ereignis, bei dem es wohl um die Aufforderung zu einem gerechten Kampf ging, ist eine Mythosbildung in Wort und Bild in der polnischen Überlieferung beschieden. Schon bald nach der Schlacht wurde die Begebenheit als Symbol deutscher Arroganz aufgefasst und fungierte als solche bis ins 20. Jahrhundert. Jene zwei parallel ausgerichteten Schwerter wurden zum Zeichen, das sämtliche Hinrichtungsstellen der Polen durch NSBesatzer in Polen zwischen 1939 und 1945 markiert beziehungsweise auf diese verweist. Aber allem Anschein nach war dieser Topos den Regisseuren des Festes nicht bekannt; zumindest haben sie daraus kein propagandistisches Kapital geschlagen. In den Schriften und Zeitungsberichten zur »Heimholung« fehlt von diesem Mythos jedenfalls jegliche Spur.

Wirkung und Funktion der »Heimholung« »Und man sieht ganze Heere vorbeimarschieren, die nur aus Fahnenträgern bestehen und nichts sind als Fahnenheere, ein weites, vom Wind bewegtes, wogendes Meer von Standarten, Abzeichen, Bannern, Symbolen und Wimpeln. Und nachts vollenden Scheinwerfer dieses übermenschliche Schauspiel; sie tauchen die Fahnen – den Schaft, das Tuch und die Bronzefiguren der Fahnenspitzen – in flammendes Licht und lassen die Menschenmassen, dunklem Ziel geweiht, in der Finsternis der Erde versinken.«51

Diese literarische Übertragung der NS-Festzüge, passt gut zu der hier thematisierten »Heimholung der Fahnen«. Auch wenn es das Marienburg-Fest in der öffentlichen Wirkung nicht mit den großen Parteitagsumzügen in Nürnberg oder der Parade während der Olympiade in Berlin 1936 aufnehmen kann,52 gehört es doch derselben Kategorie an. Als immerhin größter Festumzug im Osten Europas reiht er sich mit seinen flatternden Fahnen und den aus dem Dunkeln des Marienburger Großen Remters im Kerzenlicht angeleuchteten Protagonisten in die Ästhetik der NS-Propaganda ein. Fahnenparaden im Licht von Fackeln und Kandelabern nahmen neben der neoklassizistischen Architektur und akademischen Malerei einen wichtigen Platz in der visuellen Selbstdarstellung NS-Deutschlands ein, wie kaum ein anderes Medium sollten sie die Macht des Staates verkörpern. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass in diesem Umgang mit Licht irrationale und para-

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religiöse Gefühle angesprochen werden sollten. Diese Propaganda-Spektakel, die seit einiger Zeit zum Objekt der kunsthistorischen Forschung geworden sind, waren eine Kunst für die Masse.53 »Denn eine Kunst, die nicht auf die freudigste und innigste Zustimmung der gesunden breiten Massen des Volkes rechnen kann, sondern sich nur auf kleine – teils blasierte – Cliquen stützt, ist unerträglich. Sie versucht das gesunde, instinktsichere Gefühl eines Volkes zu verwirren, statt es freudig zu unterstützen […].«54

Die Hervorhebung einer »mittelalterlichen Ästhetik«, in denen Fahnen und Schwerter im Halbdunkel dramatisch präsentiert wurden, kam in dem egalitären und populistischen Vorgehen des Regimes mit seinen manipulativen Methoden zum Ausdruck. Neben der beabsichtigten Wirkung eines visualisierten Mittelalters, spielt hier auch das inhaltliche Programm eine wesentliche Rolle. Es zeigt letztlich die Instrumentalisierung der Geschichte im Kontext des deutsch-polnischen Nationalitätenkampfes. Die Fahnen stellten dabei die Verbindung zwischen der frisierten Vergangenheit und der Gegenwart her: »Über die Banner des Ordens flattern nun die Siegeszeichen der Nation. Sie wehen über den Schlachtfeldern des Polenfeldzuges, über denen in Norwegen, Holland, Belgien und Frankreich. Wo immer sie auch zum Himmel steigen: die Freiheit des deutschen Ostens ist ihr Ruf!«55

Hier wird Krieg als Ausdruck der Vorsehung und als immanente Antriebskraft für die Rasse oder die Nation verherrlicht. Die Reflexion, wie dabei mit dem Mittelalter umgegangen wurde, bringt die Beschäftigung mit der »Heimholung der Fahnen« auf eine breitere Vergleichsebene. Die Krakau-Marienburger Feier war nur eine von vielen Veranstaltungen im NS-Staat, bei denen das Mittelalter rezipiert wurde. Durch die Verwendung echter oder echt nachempfundenen Requisiten, deren Präsentation durch Hell-Dunkel Effekte in ihrer Dramatik gesteigert wurden, einerseits sowie durch den inhaltlich evozierten Bezug zum 15. Jahrhundert in Rede und Schrift andererseits, wurde ein Bild des Mittelalters ins Leben gerufen, das freilich nicht der Rekonstruktion des Vergangenen diente. Vielmehr – hier weist die »Heimholung der Fahnen« Ähnlichkeiten zu anderen Mittelalterrezeptionen, wie dem Barbarossa-Kult, den Aachener oder Münchener Umzügen auf –, war die Veranstaltung von Anfang an durch die Tagespolitik instrumentalisiert. Dadurch, dass eine Schlacht in einem Spektakel aufgerufen und damit symbolisch ein später Sieg der einstigen Niederlage entgegengestellt wurde, konnte der Machtanspruch Deutschlands in Europa bekräftigt werden. Das Mittelalter wurde hier zur Staffage degradiert, vor dem sich der NS-Staat als großer Sieger feiern ließ.

166 Tomasz Torbus 1 Friedrich Albert Meyer: Marienburg – Stadt und Burg des Glaubens! Ordensbanner ziehen ein in die Burg des Ostens, in: Heimkehr der Fahnen: Bericht von der feierlichen Einholung der Fahnen des Deutschen Ritterordens von der Burg zu Krakau in die Marienburg, 19. Mai 1940, Danzig (Kafemann) 1940, S. 20–25, S. 22 f. Mein Dank für das Lektorat des voliegenden Aufsatzes gilt Helker Pflug. 2 Vgl. Reichspropagandaamt Danzig-Westpreußen (Hrsg.): Feier der Einholung der Fahnen des Deutschen Ritterordens von der Burg zu Krakau, dem Sitz des Generalgouverneurs für die besetzten polnischen Gebiete in die Marienburg im Reichsgau Danzig-Westpreußen, Danzig (Kafemann) 1940; Heimkehr der Fahnen 1940 (wie Anm. 1). 3 Hanns Strohmenger: Von Burg zu Burg. Vom Sinn der Fahnenübergabe zu Marienburg, in: Heimkehr der Fahnen 1940, S. 17–19, S. 17 (wie Anm. 1). 4 Ein polnischer Beitrag des Autors stellt teilweise andere Aspekte der Feier in den Vordergrund. Vgl. Tomasz Torbus: »Uroczysty powrót sztandarów z Wawelu do Malborka« – uwagi do nazistowskiej sztuki i stosunku do grunwaldzkiej historii [»Feier der Einholung der Fahnen des Deutschen Ritterordens von der Krakauer Burg in die Marienburg« – Anmerkungen zur NS-Propagandakunst und der Einstellung des Regimes zur Tannenberg-Schlacht], in: »Na znak świetnego zwycięstwa.« W sześćsetletnią rocznicę bitwy pod Grunwaldem [»Als Zeichen eines grandiosen Sieges.« Zum 600ten Jubiläum der Tannenberg-Schlacht] (hrsg. von Dariusz Nowacki), Ausstellungskatalog, Wawel-Schloss, Kraków 2010, 2 Bde., Bd. 1, S. 207–220. Vgl. darüber hinaus Hartmut Boockamnn: Heimkehr der Fahnen…, in: 800 Jahre Deutscher Orden (hrsg. von Gerhard Bott u. Udo Arnold), Ausstellungskatalog, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Gütersloh u. München 1990, S. 491; Sven Eckdahl: Tannenberg/Grunwald – Ein politisches Symbol in Deutschland und Polen, in: Udo Arnold (Hrsg.): Deutscher Orden 1190–1990, Lüneburg 1997 (Tagungsberichte der Historischen Kommission für ost- und westpreußische Landesforschung 11), S. 241–302, S. 274–278; Tomasz Torbus: Deutschordens-Ideologie in der polnischen und deutschen Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts, in: Matthias Weber (Hrsg.): Preußen in Ostmitteleuropa. Geschehensgeschichte und Verstehensgeschichte, München 2003 (Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa 21), S. 209–257, S. 223 f. (mit Abb. 14).

5 Vgl. Jan Długosz: Banderia Prutenorum (hrsg. v. Zdzisław Pietrzyk mit einer Einführung v. Krzysztof Stopka), Proszówki, Kraków 2009. 6 Vgl. Sven Ekdahl: Die »Banderia Prutenorum« des Jan Długosz, eine Quelle zur Schlacht bei Tannenberg 1410, Göttingen 1976. 7 Hans Frank: Rede des Generalgouverneurs und Reichsministers Dr. Frank bei der Übergabe der Fahnen der deutschen Ordensritterheere auf der Marienburg am 18. Mai 1940, in: Heimkehr der Fahnen 1940, S. 7–10, S. 8 (wie Anm. 1). 8 Vgl. ibid., S. 10. Zur »deutschen« Krakauer Burg vgl. Borchardt u. Goetting: Die Krakauer Burg. Idee und Geschichte, in: Feier der Einholung 1940, S. 15–17 (wie Anm. 2). Zum Wawel in der NS-Zeit vgl. Adolf Szyszko-Bohusz: Wawel pod okupacją niemiecką. Wspomnienia z lat 1939–1945 [Wawel unter deutscher Besatzung. Memoiren aus den Jahren 1939–1945], in: Rocznik Krakowski 31 (Kraków w latach okupacji 1939–1945. Studia i materiały. Kraków 1949–1957), S. 153–182; Bronisława Łukaszewiczowa: W tragicznych latach na Wawelu [In den tragischen Jahren auf dem Wawel], in: Rocznik Krakowski 50/1980, S. 185–202; Adolf Szyszko-Bohusz: Wspomnienia z lat 1939–1945 [Memoiren 1939–1945], Handschrift und eine Msch, Wroclaw, Archiwum Muzeum Architektury we Wrocławiu, sign. MAŁ IIIb-276/1-2. 9 Zu Frank vgl. Niklas Frank: Der Vater – Eine Abrechnung (Vorwort von Ralph Giordano), München 1987; Dieter Schenk: Hans Frank. Hitlers Kronjurist und Generalgouverneur, Frankfurt am Main 2006; Andrzej Mężyński: Les collections du musée Frédéric Chopin de Lyon acquises par le Generalgouvernement de Pologne en 1942. Une surprenante transaction, Vortrag auf der Tagung »Livres et bibliothèques scientifiques dans les territoires occupés et annexés par l’Allemagne nationalesocialiste«, Université Marc Bloch Strasbourg, 21.–22. November 2008, zitiert nach der Besprechung von Peter Borchardt, H-SozKult, 24. Januar 2009; Curzio Malaparte: Kaputt, Wien 2005. 10 Vgl. Albert Forster: Rede des Gauleiters und Reichsstatthalters Albert Forster, in: Heimkehr der Fahnen 1940, S. 11–16, S. 11 (wie Anm. 1) sowie [ohne Autor]: Erste Siegeszeichen des Krieges in der Marienburg. Generalgouverneuer Dr. Frank: »Aus allen Himmelsrichtungen werden die anderen folgen«, in: Königsberger Allgemeine Zeitung, 19. Mai 1940, S. 2. In den Artikeln wird der Brief Franks an Forster vom 16. Januar 1940 erwähnt, in dem die-

167 Die »HeimHolung Der bei Tannenberg erbeuTeTen FaHnen« ser die »Feier der Heimholung« als Idee formulierte. 11 Forster 1940, S. 11 (wie Anm. 10). Möglicherweise hat sich Forster in der Titulatur geirrt, und der Referent war der Staatssekretär und Chef der Reichskanzlei Hans Heinrich Lammers, der bei Hitlers bekannter Abneigung gegen Bürotätigkeit und Aktenstudium dem Kanzler politische Programmpunkte erläuterte und seine mündliche Entscheidungen zu bestimmten Themen einholte. 12 Vgl. Adolf Hitler: Mein Kampf, München 91932. Dort werden die Ordensritter nur einmal erwähnt (S. 154 mit der Überschrift »Mit England gegen Russland«): »Wollte man in Europa Grund und Boden, dann konnte dies im großen und ganzen nur auf Kosten Rußlands geschehen, dann mußte sich das neue Reich wieder auf der Straße der einstigen Ordensritter in Marsch setzen, um mit dem deutschen Schwert dem deutschen Pflug die Scholle, der Nation aber das tägliche Brot zu geben. Für eine solche Politik allerdings gab es in Europa nur einen einzigen Bundesgenossen: England.« 13 Vgl. Dieter Schenk: Hitlers Mann in Danzig. Gauleiter Forster und die Verbrechen in Danzig-Westpreußen, Bonn 2000. 14 Der erstgenannte war Major und Standortoffizier in Marienburg, der zweite »Kommandeuer des Inf. Regiments Nr. 69, Standort Marienburg«. Vgl. Rüdiger Ruhnau: Von Krakau nach Marienburg. Das Schicksal der Deutschordens-Banner, in: Der Westpreusse 500-2/2007, S. 26–27. 15 Die folgende Darstellungen sind dem Aufsatz von Friedrich Albert Meyer entnommen. Vgl. Meyer 1940, S. 20–25 (wie Anm. 1). 16 Ibid., S. 21. 17 Erwähnt wird Blaskowitz lediglich von der Tilsiter Memelwacht vom 28. April 1940, ob er tatsächlich an der Feier teilgenommen hat ist unsicher. 18 Meyer 1940, S. 22 (wie Anm. 1). 19 Alle Zitate des Absatzes aus Meyer 1940, S. 22 f (wie Anm. 1). 20 Vgl. Forster 1940, S. 15 (wie Anm. 10). 21 Frank zitiert nach Meyer, 1940, S. 24–25 (wie Anm. 1). 22 Forster zitiert nach ibid., S. 23 (wie Anm. 1).

Meyer 1940, S. 25 (wie Anm. 1). Hanns Strohmenger: Mit Generalgouverneur Dr. Frank durch den Reichsgau. Eine Fahrt durch das Land der Burgen, in: Heimkehr der Fahnen 1940, S. 26–30, S. 29 (wie Anm. 1). Die Zahl der Opfer der polnischen Ausschreitungen ist hier mit mehreren Hunderten interessanterweise korrekt angegeben, obwohl damals schon die Version Himmlers von 58.000 umgebrachten Volksdeutschen im Umlauf gebracht worden war, die eine in die Tausende Opfer gehende Vergeltungsaktionen nach sich zog. Stellvertretend für die umfangreiche Literatur vgl. Martin Broszat: Nationalsozialistische Polenpolitik 1939–1945, Stuttgart u. a. 1961; Hugo Rasmus: Pommerellen, Westpreussen. 1919–1939, München u. a. 1988; Włodzimierz Jastrzębski: Der Bromberger Blutsonntag. Legende und Wirklichkeit, Pozna n´ 1990; Günter Schubert: Das Unternehmen »Bromberger Blutsonntag«. Tod einer Legende, Köln 1989. 25 Informationen und Archivbilder von Rainer Zacharias, Marienburg, dem an dieser Stelle zu danken ist. Vgl. auch Rainer Zacharias: Symbol Marienburg. Überformungen eines mittelalterlichen Bauwerks, in: Udo Arnold, Mario Glauert u. Jurgen Sarnowsky (Hrsg.): Preußische Landesgeschichte. Festschrift für Bernhard Jähnig zum 60. Geburstag, Marburg 2001, S. 513–528. 26 Vgl. Klaus-Jürgen Müller: Das Heer und Hitler. Armee und nationalsozialistisches Regime 1933–1940, Stuttgart 1969; Rudolph-Christoph Freiherr von Gersdorff: Soldat im Untergang, Berlin 1977; Generalfeldmarschall Fedor von Bock: Zwischen Pflicht und Verweigerung – Das Kriegstagebuch (hrsg. von Klaus Gerbet), München 1995. 27 U. a. bei Strohmenger 1940, S. 19 (wie Anm. 3). 28 Vgl. Andrzej Chwalba: Kraków w latach 1939–1945 [Krakau in den Jahren 1939–1945], Kraków 2002 (Dzieje Krakowa 5) sowie Łukaszewiczowa 1980. Das Interesse der Krakauer an der Feier war ohnehin gering. Frank nutze den durch den Frankreichfeldzug entstandenen Windschatten der Weltöffentlichkeit und startete die sogenannte »Ausserodentliche Befriedungsaktion« (AB-Aktion), bei denen Tausende Vertreter der polnischen 23

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168 Tomasz Torbus Eliten in die Konzentrationslager verschleppt oder ermordet wurden. 29 Vgl. Eckdahl 1976 (wie Anm. 4); Torbus 2003 (wie Anm. 4); Wolfgang Wippermann: Der Ordensstaat als Ideologie, Berlin 1979; id.: Der »Deutsche Drang nach Osten«. Ideologie und Wirklichkeit eines politischen Schlagwortes, Darmstadt 1981. 30 Forster 1940, S. 25 (wie Anm. 10). 31 Frank 1940, S. 7 (wie Anm. 7). 32 Vgl. Tür an Tür. Polen und Deutschland 1000 Jahre Kunst und Geschichte (hrsg. von Małgorzata Omilanowska in Zusammenarbeit mit Tomasz Torbus), Ausstellungskatalog, Martin-GropiusBau, Berlin u. Köln 2011. 33 Vgl. Wippermann 1979 (wie Anm. 29); Wippermann 1981 (wie Anm. 29); Torbus 2003 (wie Anm. 4). 34 Bruno Schumacher: Geschichte Ost- und Westpreußens, Augsburg 71993, S. 290. 35 Jürgen Tietz: Das Tannenberg-Nationaldenkmal. Architektur, Geschichte, Kontext, Berlin 1999, S. 11. 36 »Wer leben will, der kämpfe also, und wer nicht streiten will in dieser Welt des ewigen Ringens, verdient das Leben nicht«, Adolf Hitler: Mein Kampf, München 91932, S. 149 u. S. 317, zitiert nach Ian Boyd White: Der Nationalsozialismus und die Moderne. Architektur, in: Kunst und Macht im Europa der Diktatoren 1930 bis 1945 (hrsg. von Dawn Ades, Tim Benton, David Elliot u. a.), Ausstellungskatalog, London, Barcelona u. a. 1996, S. 258–269, S. 266. 37 Es gibt zahlreiche Schriften, die sich mit den ideologischen Vorzeichen des Wiederaufbaus der Marienburg im 19. und 20. Jahrhundert befassen. Stellvertretend seien hierfür genannt: Hartmut Boockmann: Die Marienburg im 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1981; Elisabeth Castellani-Zahir: »Das Schloss bleibt stehen!«: vom Ärgernis zum Nationaldenkmal 1772 bis 1992. Die Marienburg im Spiegel der europäischen Burgenrenaissance, in: Forschungen zu Burgen und Schlössern 6/2001, S. 107–122. 38 Meyer 1940, S. 22 f (wie Anm. 1). 39 Vgl. Harald Scholtz: Die NS-Ordensburgen, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 15/1967, S. 269–298; Tomasz Torbus: Die nationalsozialistischen Ordensburgen. Baugeschichte – Funktion – Formensprache, in: Detelf Karg (Hrsg.): Bildung und Denkmalpflege. 78. Tag für Denkmalpflege. Jahrestagung der Vereinigung der Landesdenkmalpfleger

in der Bundesrepublik Deutschland, Worms 2010, S. 166–172. 40 Vgl. Alfred Rosenberg: Der Mythus des 20. Jahrhunderts. Eine Wertung der seelisch-geistigen Gestaltenkämpfe unserer Zeit, München 1941, S. 520–522, S. 546. 41 Vgl. Meyer 1940, S. 24 (wie Anm. 1). 42 Wolfgang Dieverge: Einleitung, in: Heimkehr der Fahnen 1940, S. 5 (wie Anm. 1). 43 Ibid., S. 5. 44 Bernhard Schmid: Marienburg, in: Heimkehr der Fahnen 1940, S. 22 (wie Anm. 1). 45 Vgl. Adolf Szyszko-Bohusz: Wspomnienia, Handschr., o. S. 46 Forster 1940, S. 16 (wie Anm. 10). 47 Ekdahl 1976, S. 55 (wie Anm. 6). 48 An zahlereichen Stellen in: Feier der Einholung 1940 (wie Anm. 2) sowie in Heimkehr der Fahnen 1940 (wie Anm. 1). Erneut zitiert in Ruhnau 2007, S. 26 (wie Anm. 14). Hier, im Jahr 2007 (!), ist die Rede vom »deutschblütigen« Maler Stephank Durink. Zum »pictor et illuminator Regis« During vgl. Tadeusz Dobrowolski: Życie, tworczość i znaczenie społeczne artystów polskich i w Polsce pracujących w okresie późnego gotyku (1440– 1520) [Leben, Schaffen und die gesellschaftliche Bedeutung der polnischen und in Polen lebenden Künstler im Zeitalter der Spätgotik (1440–1520)], Wrocław, Warszawa, Kraków 1965. S. 77–79. 49 Meyer 1940, S. 23 (wie Anm. 1). 50 Vgl. Jan Długosz: Roczniki czyli kroniki sławnego Królestwa Polskiego [Jahrbücher oder Kroniken des berühmten Königreiches Polen] (hrsg. von Jan Dąbrowski), Bd. 1–12, Warszawa 1961–2006, S. 101– 104. 51 Michel Tournier: Der Erlkönig, Berlin (Ost) 1989, S. 335. 52 Vgl. Eric Hobsbawm: Einführung, in: Kunst und Macht 1996, S. 11–15 (wie Anm. 36). 53 Vgl. u. a. Stefan Schweizer: Unserer Weltanschauung sichtbaren Ausdruck geben. Nationalsozialistische Geschichtsbilder in den historischen Festzügen zum Tag der deutschen Kunst, Göttingen 2007; id.: Die historischen Festzüge zum Tag der Deutschen Kunst in München. Der Kanon deutscher Kunst in akademischen, populären und propagandistischen Geschichtsimaginationen des Nationalsozialismus, in: Ruth Heftrig, Olaf Peters u. Barbara Schellewald (Hrsg.): Kunstgeschichte im »Dritten Reich«. Theorien, Methoden, Praktiken, Berlin 2008 (Schriften zur modernen Kunsthistoriographie 1), S. 260–

169 Die »HeimHolung Der bei Tannenberg erbeuTeTen FaHnen« 279; Hans-Ulrich Thamer: Mittelalterliche Reichsund Königstraditionen in den Geschichtsbildern der NS-Zeit, in: Krönungen. Könige in Aachen? Geschichte und Mythos (hrsg. von Mario Kramp), Ausstellungskatalog, Bd. 2, Frankfurt am Main 2000, S. 829–837.

54 Adolf Hitler: Rede zur Eröffnung der »Großen Deutschen Kunstausstellung«, München 1937, in: Kunst und Macht 1996, S. 258–269, S. 339 (wie Anm. 36). 55 Strohmenger 1940, S. 19 (wie Anm. 3).

Christian WelzbaCher

Ordensburg und Völkermord Zur Kunst­ und Geschichtspolitik der SS

»Im Mittelalter – in ihm allein; die Behauptungen von solchem Ehrgeiz späterer Zeiten sind törichte Verleumdungen – hat der hochmütige Gedanke in Schwär­ mern gelebt und Gläubige geworben: ein deutsches Weltreich zu gründen. […] Es ist zu aller Glück – auch zu dem unseren – nie zu mehr als flüchtiger Gestal­ tung solchen Phantoms gekommen. Die Weltreiche eines Alexander und Napo­ leon haben im raschen Zusammenbruch mit der einzigartigen Person ihres genialen Begründers warnend gezeigt, was es mit Glück und Dauer des Welt­ reiches auf sich hat.«*

»Kumulative Radikalisierung« lautet eine zum geflügelten Wort avancierte Formulierung, mit der der Historiker Hans Mommsen die sich kontinuierlich verschärfende Umsetzung nationalsozialistischer Rassepolitik zwischen 1933 und 1945 charakterisierte.1 Erst die gegenseitige Befeuerung von Ideologie und Partei, von Beamtenschaft und Militär habe, vor allem in den Kriegsjahren ab 1939, zum geplanten Massenmord geführt und den Holocaust ermöglicht. Der Blick auf die SS indes, die 1925 als nationalsozialistische Parteipolizei und Elitetruppe gegründete »Schutzstaffel«, zeigt von einer solch kumulativen Entwicklung wenig, dafür eine von Beginn an bestehende »fanatische« Radi­ kalität. Der »völkische Orden« war angetreten, die »arische Rasse«2 ideologisch, militärisch, biologisch zu verteidigen – was gleichzeitig bedeutete, »Nicht­ arier« zu unterwerfen, zu versklaven und zu töten. Die SS verdichtete Ideo­ logeme der völkisch­nationalen Strömungen, die in der Lebensreform um 1900 und bereits in der Zeit der Befreiungskriege, in den Schriften von Johann Gottlieb Fichte, Ernst Moritz Arndt und deren Interpreten, wurzelten und nutzte diese Konstrukte als Grundlage für ihr Handeln. Seit ihrer Entstehung war die »Schutzstaffel« eine Organisation mit weit­ reichender Autonomie, die mit der Machtübernahme einen zunehmend paral­ lelen Status zu Staat und Partei einnahm, dabei die staatliche Exekutive der Polizei direkt vereinnahmte. Ihre Eigenständigkeit untermauerte eine beson­ dere Symbolik, die anfing bei den Rängen der Mitglieder, die eigene Bezeich­

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nungen und Codes kannten, und die bis zu einer Geschichtspolitik reichte, die parallel und autonom zu anderen NS­Organisationen entwickelt und durch­ gesetzt wurde. Die SS unterhielt eigene Forschungsinstitute, verlegte Buch­ reihen, Periodika, Zeitungen und beschäftigte Wissenschaftler, etwa aus Archäologie, Geschichte und Kunstgeschichte, deren Aktivitäten seit 1935 im vielgliedrigen Dachverband der Stiftung »Ahnenerbe« zusammengefasst waren. Der Runenkult, verbildlicht in der SS­Insignie (sog. doppelte »Sig­Rune«) oder der stilisierten Schrift des »Ahnenerbe«­Emblems, verdeutlicht eines der Hauptinteressen der SS­Geschichtspolitik: den Versuch, die »germanischen«, »nordischen« Stämme – was immer damit gemeint war – in ein Modell der Weltgeschichte einzugliedern und ihre Bedeutung gegenüber der griechisch­ römischen Antike aufzuwerten.3 In der Kulturpolitik der SS spielt die klassi­ sche Antike daher eine äußerst nachgeordnete Rolle – während umgekehrt auf Staats­ und Parteiebene gerade diese Referenzepoche konsequent bemüht wurde, um als allgemeinverständliche Chiffre den Ewigkeitsanspruch des Regimes zu kommunizieren.4 Die geschichtspolitische Sonderstellung der SS bedeutete freilich nicht Konkurrenzlosigkeit innerhalb des NS­Systems. Im Gegenteil war das »Ahnen­ erbe« einem immensen Druck ausgesetzt, denn der NS­Parteiideologe Alfred Rosenberg unterstützte über den von ihm geleiteten Kampfbund für Deutsche Kultur den Reichsbund für Deutsche Vorgeschichte (heute: Deutsche Gesell­ schaft für Vorgeschichte), der das »Ahnenerbe« stetig befehdete und so zur Ausweitung seiner Aktivitäten anspornte. Die aufwendigen, filmisch beglei­ teten SS­Grabungen im dänischen Haithabu und in Tibet versuchten erklär­ termaßen an die legendären Expeditionen des 19. Jahrhunderts – gemeint war wohl Heinrich Schliemanns Trojaerkundung – anzuknüpfen.5 Auch das Mittelalter war ein historisches Feld, das von zahlreichen Staats­ und Parteiorganisationen des »Dritten Reiches« gleichzeitig bearbeitet wurde. Die institutionelle Konkurrenz innerhalb des NS­Systems spiegelt sich hier auf geschichtspolitischer Ebene. Diese Situation hat der Künstler Hubert Lan­ zinger, unfreiwillig, in einem Schlüsselwerk dargestellt. Das Gemälde Der Bannerträger (1934/1936) zeigt Adolf Hitler als Gralsritter (Abb. 1) – eine absur­ de Darstellung, interessant jedoch im Hinblick auf die diensteifrige Entoura­ ge außerhalb des Bildraumes, die bei der Interpretation dieses Werks zwangs­ läufig mitgedacht werden muss. Man kann sich die Gruppen im Gefolge des »Führers« in ständigem Zwist um ihren Anteil an der Gralsfindung, um ihre Stellung in der Nähe des »Heilsbringers« ausmalen. Die selbsternannten Sa­ trapen umschwärmen den »Bannerträger«, und während ein geordneter, hie­ rarchisch strukturierter Zug infolge interner Konkurrenzen immer wieder umgebildet werden muss, bleibt einzig der Bezugspunkt fix: jener mysteriöse Ritter Hitler, der sich als Bildtypus der NS­Ikonografie wohl deswegen nicht weiterverbreiten konnte, weil er schon zeitgenössisch die Betrachter an eine Lohengrin­Travestie erinnerte. Wenngleich Lanzingers bildlich­allegorische

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1. Hubert Lanzinger: Der Bannerträger, 1934/1936, Öl auf Holz, 153,5 × 153,5 cm, beschädigt, Washington, D.C., German War Art Collection, U.S. Army Center of Military History, Army Art Collection

Darstellung des »Bannerträgers« einmalige Ausnahme im Bezug auf eine »mittelalterliche« Inszenierung Adolf Hitlers blieb6, lassen sich in der politi­ schen Propaganda zahlreiche Zitate finden, die für Hitler und den National­ sozialismus im Allgemeinen weiterhin die märchenhaften Assoziationsräume der Begriffe »Mittelalter« und »Rittertum« nutzten. »Wie der Ritter unbekümmert um Tod und Teufel, mit dem Blick geradeaus auf sein Ziel losreitet, so wollen wir unseren Weg weitergehen in ruhiger Sicher­ heit, den Kompaß unseres nationalsozialistischen Gewissens in der Brust, den Blick auf unser hohes Ziel gerichtet.«7

Wenn in diesem Satz der Reichsarbeitsdienstführer Konstantin Hierl eine komplexe, rund 1.000 Jahre dauernde historische Epoche auf Allgemeinplätze reduziert und das Mittelalter auf einen prä­nationalsozialistischen Menschen­ typus, auf die »gotische Seele«8, den faustischen Ritter sowie auf die Assozia­ tionskette »Adel«, »Kampf«, »Scholle« und »Rasse« verkürzt, so beanspruchte

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er damit die Schaffung eines entsprechenden neuen Menschentypus im Natio­ nalsozialismus – wohlgemerkt in seinem ureigenen Machtbereicht, dem Reichsarbeitsdienst. Vergleichbare Legitimität für ihre Arbeit destillierten auch Robert Ley, der Leiter der Deutschen Arbeitsfront, Alfred Rosenberg und andere Parteifunktionäre aus Deutungen des Mittelalters. Kein NS­Stratege war dabei jedoch so konsequent, wie Heinrich Himmler, der als »Reichsfüh­ rer­SS« seit 1929 die ideologische, kultur­ und geschichtspolitische Stoßrich­ tung seiner Organisation vorgab. Als Münchner Lehrersohn bekam Himmler (1900–1945) von Kindesbeinen an ein Bewusstsein für Geschichte und Abstammung vermittelt.9 Der erb­ biologisch geprägte Rassenwahn, der Himmlers Denken frühzeitig beein­ flusste, war mit einer historischen Komponente – der Abstammung – integral verbunden. »Es gilt«, so Himmler 1939, »den deutschen Menschen wieder hin­ einzustellen in den ewigen Kreislauf von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, von Vergehen, Sein, Werden, von Ahnen, Lebenden und Enkeln.«10 Gegenwart und Zukunft einer »Rasse« waren dieser Ansicht nach immer an ihre Geschichte geknüpft. Diese Obsession, festgeschrieben im Parteipro­ gramm der NSDAP, verwandelten die Nürnberger Gesetze von 1934 in Staats­ doktrin: Der Zwang zum »Ariernachweis« überführte die Nation in eine unfreiwillige Gemeinschaft dilettierender Historiker, die ihre Daseinsberech­ tigung aus der Vergangenheit herzuleiten hatten – ein »Spiel« auf Leben und auf Tod, von der SS überwacht. Die innerparteiliche Konkurrenz in der NSDAP bei der Deutung und Instrumentalisierung von Geschichte führte gleichzeitig zu einem bizarren Wettlauf in den Wissenschaften. Himmler spornte die Vertreter des »Ahnen­ erbes« an, andere Forschergruppen mit Entdeckungen zu überflügeln. Eugen Dollmann, promovierter Historiker, Wölfflin­Schüler, SS­Mitglied und Chef­ übersetzer der NS­Führungsriege in Italien, registrierte bei Himmler einen unbändigen Entdeckerdrang. Bei einem Italienaufenthalt 1942, auf dem Doll­ mann den »Reichsführer­SS« begleitete, urlaubte Himmler in Taormina auf Sizilien, um den Spuren der »Siculer, jenen weitgehend unbekannten Urein­ wohner der Insel« zu folgen, die, »zumindest teilweise germanischer Abkunft« gewesen sein sollen.11 Zurück in Rom richtete Himmler eine SS­Exkursion nach Cosenza ein und begab sich auf die Suche nach dem Grab des Alarich, fuhr jedoch nach mangelndem Erfolg weiter, um am Monte Latteo Überreste des Ostgotenfürsten Teja finden zu lassen. In diesen und anderen Fällen war Himmler nicht ursächlich aus kulturel­ lem Interesse gereist. Vielmehr verband er in Italien, Spanien, Osteuropa oder im Reichsgebiet politische und militärische Aufenthalte mit dem Bedürfnis nach Untermauerung der Rassenideologie, auf der stetigen Suche nach Quel­ lenmaterial, dessen Inbesitznahme die SS von Organisationen anderer NS­ Kader unterscheiden sollte.12 Angeblich versuchte Himmler sogar zwei Mal, 1936 und 1943, eine der ältesten Handschriften von Tacitus’ Germania zu erwerben.13 Diese kaum überschaubare Vielzahl an Aktivitäten des »Ahnen­

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erbes« hat zur Mythenbildung geführt, die bis heute in rechtsradikalen oder esoterischen Foren fröhliche Urständ feiert.14 Wichtiger als die Entwirrung von Wahrheit und Fiktion ist an dieser Stelle jedoch zunächst der Blick auf eine andere Ebene: Auf jene Mentalität hinter den archäologischen und kunsthis­ torischen Ambitionen. Wie andere NS­Protagonisten – Göring, Rosenberg, Hitler, Goebbels oder Ley – begriff auch Himmler die Geschichte nicht nur im ideellen, sondern auch im materiellen Sinne als »Selbstbedienungsladen«, der für jede Gelegenheit attraktive Angebote bereithielt. Dass es bei der Verein­ nahmung historischer Artefakte auf wahre Besitzansprüche nicht ankam hat die Forschung zu Kunstraub­ und Restitution in den letzten Jahren gelehrt.15 Die tödlichen Konsequenzen aktiver Geschichtspolitik wurden ab Septem­ ber 1939 offenbar. Der sogenannte »Blitzkrieg« brachte durch seine militä­ risch­strategische Orientierung ein Thema auf den Plan, das die Nationalso­ zialisten bereits geraume Zeit umtrieb. Schon in seinem Buch Mein Kampf hatte Hitler »einen Strich unter die außenpolitische Richtung unserer Vor­ kriegszeit« angekündigt: »Wir setzen dort an, wo man vor sechs Jahrhunderten endete. Wir stoppen den ewigen Germanenzug nach dem Süden und Westen Europas und weisen den Blick nach dem Land im Osten.«16

Sechs Jahrhunderte – das war der vage Blick zurück in jenes auf wenige Leit­ linien vereinfachte Mittelalter, das dem Nationalsozialismus zur Analogie­ bildung mit der Gegenwart diente. Der Überfall auf Polen und der Feldzug gegen Sowjetrussland erhielten damit einen historischen Subtext. Himmler, der seine Rolle bei der »rassischen« Säuberung und Kolonisie­ rung der »Ostgebiete« als neuinstallierter Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums untermauerte, plünderte Geschichte und Kunstge­ schichte mit der ihm eigenen Radikalität und formte Teilaspekte des Mittel­ alters zu einer Art Privatmythologie der SS um. Himmlers Namensgleichheit mit den Königen Heinrich I. (um 876 bis 936) und Heinrich dem Löwen (um 1130 bis 1195) – zentrale Figuren für die mittelalterliche Ostkolonisation und den Versuch der Einigung des kleinstaatlich geprägten Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation – diente dabei als Ausgangpunkt für den eigenstän­ digen Kult. Am 2. Juni 1936 – zur tausendsten Wiederkehr des Todes von Heinrich I. – wurde am Ort der Grablegung des Sachsenkönigs, in der Krypta der Qued­ linburger Stiftskirche, vor hochrangigen Staats­ und Parteifunktionären eine Feier abgehalten, die ganz im Zeichen der SS stand. Sie bildete den Auftakt zu den jährlichen »König­Heinrich­Feiern«, die bis einschließlich 1944 stattfinden sollten. Himmler deutete als Festredner den historischen »Führer« Heinrich aus und ordnete ihm durch Analogieschlüsse zur Gegenwart eine Rolle als Ahne des Nationalsozialismus zu.17 Mit schlagender gestischer Verknappung fasste er seine Argumentation zusammen: Er salutierte dem toten König mit dem gereckten Arm des »Hitlergrußes« (Abb. 2).

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2. Unbekannter Fotograf: Heinrich Himmler am Grab Heinrichs I. anlässlich der Heinrichsfeier 1938, 1. Juli 1938, Fotografie, Berlin, Bundesarchiv

Nach dem Ende der Feier begannen archäologische Maßnahmen. Sie gal­ ten den Gebeinen Heinrichs, nach denen bereits im Vorfeld gesucht worden war, allerdings ohne Ergebnis. Nun setzte Himmler für die Grabungen den Geologen, Vorgeschichtler und SS­Mann Rolf Höhne ein, seit 1934 Leiter der Abteilung Vorgeschichte im Reichssicherheitshauptamt. Höhne sicherte 1937 in Quedlinburg zahlreiche Knochen und deklarierte sie als Überreste Hein­ richs I., sehr zur Freude Himmlers, der mühseliger Analyse ohnehin eine »induktive« Methode vorzog, bei der Forscher finden, was sie suchen. Trotz des offiziellen Erfolgs der Grabung blieb Skepsis selbst in den eige­ nen Reihen bestehen. Alfred Thoß, Historiker und SS­Mitglied, dessen im »Blut und Boden«­Verlag erschienene Heinrichsbiografie rasch drei Auflagen erlebte, urteilte 1943: »So können auch heute, nachdem die Grabstätten […] erneut gründlich unter­ sucht und in einen würdigen Zustand versetzt worden sind, nur Mutmaßun­ gen angestellt werden.«18

Mutmaßungen waren freilich Grundlage genug für handfeste Maßnahmen, die letzte Zweifel zerstreuen und Eindeutigkeit herstellen sollten: Bis 1938 wurden Krypta und Stiftskirche zur profanen SS­Weihestätte umgebaut, eine permanente SS­Ehrenwache an Heinrichs Grab inklusive. Die Insignien der Staatsmacht traten an die Stelle religiöser Symbole, Adler und Runen prang­

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3. Quedlinburg, Stiftskirche St. Servatius nach dem Umbau (Blick nach Osten), 1940, Fotografie, Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Halle

ten, wo Reliquien, Kruzifixe und Altäre gestanden hatten, heidnisch­pseudo­ sakrale Staats­ und »Ordens«­Rituale verdrängten den christlichen Kult (Abb. 3). Obwohl die Denkmalpflege die erheblichen Eingriffe kritisierte deck­ te sich ihre Auffassung in einem entscheidenden Punkt mit der Neugestal­ tung: die historistischen Ausmalungen und Einbauten des späten 19. Jahr­ hunderts, die als unmittelalterlich und geschmäcklerisch galten, wurden getilgt, um dem Bau nun eine »authentische«, purifizierte Fassung zu verlei­ hen.19 Quedlinburg dokumentiert die geschichtspolitische Radikalität der SS in der Praxis: die Uminterpretation historischer Zeugnisse in situ, die Manipu­ lation von Originalsubstanz und die damit einhergehende Zerstörung kom­ plexer Quellenbefunde und früherer Zeitschichten. Himmler und seine Wis­ senschaftler setzten alles daran, die Vergangenheit nach ihrem Bilde zu formen – und sie taten dies auf Kosten der Vergangenheit, derer sie sich bemächtigten.

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Dass der Quedlinburger Weg gängige Praxis war zeigt der Umgang mit dem Braunschweiger Dom, der Grablege von Himmlers zweitem Namens­ und Tatenpatron, Heinrich dem Löwen. Auch hier kam es zur Exhumierung der Gebeine, zu Grabungen und Untersuchungen, flankiert von Gedenkfeiern, die in die Umgestaltung des Bauwerks mündeten.20 Der Künstler Wilhelm Doh­ me überzog dabei die Frieszone über den Arkaden des Hauptschiffs mit Sgra­ fitti, eine durch die Förderung der Handwerks­ und Volkskunst in den 1930er Jahren stark verbreitete Technik, die hier im Stil eines monumentalisierten Art déco erscheint – formal also »modern«, jedoch thematisch rückwärtsgewandt durch die Gleichsetzung von Mittelalter und Nationalsozialismus. Rittertum, Ostexpansion, Grenzsicherung und »Rasse« sind die Leitmotive dieses Zyklus, der dem romanischen Bauwerk gleichsam eintätowiert wurde (Abb. 4).21 Im Falle der Wewelsburg bei Paderborn, die Himmler ab 1934 zum Haupt­ quartier und Stammsitz der SS ausbauen ließ, führten die Maßnahmen zu einer Aushöhlung der vorhandenen Bausubstanz. In mehrjährigen Bauarbei­ ten wurde das Schloss aus dem 17. Jahrhundert mediävalisiert. Zur Legitimie­ rung des Ausbaus verwarf Himmler Grabungsergebnisse von 1924, ließ auf Basis »neuer« Befunde die Ursprünge der Burg in die Zeit Heinrichs I. um 930 datieren und die Innenräume in einem archaischen, pseudomittelalterlichen Stil umrüsten – eine a­historische Stimmungsarchitektur, deren Allusionen durch ihre Nutzung näher codiert wurden.22 Auf der Wewelsburg gab es einen »Gerichtssaal«, die Küche wurde von »Burgmaiden« geführt, im Kerker sperr­ te die SS zeitweilig Juden aus der Umgebung ein, ehe sie ins Konzentrations­ lager verbracht wurden. Mit perfide inszenierter »Wiederholung der Geschichte« versuchte die SS, die Geschichtspolitik anderer NS­Organisationen zu überbieten und die Kon­ kurrenz innerhalb des faschistischen Machtsystems auszustechen. Doch während Himmler die Wewelsburg zum Pendant mittelalterlicher Ordens­ burgen erkor, sie als Stammsitz und Zentrum einer zweiten, »völkisch­ras­ sisch« motivierten Ostkolonisation und Hort des Heinrichskultes ausbauen ließ, hatten auch Robert Ley und Alfred Rosenberg die Idee der Ordensburg für sich beansprucht. Rosenberg plante mit der »Hohen Schule der Partei« am Chiemsee eine Kaderschmiede für Parteifunktionäre – allerdings in dezidiert klassizistischen Formen –, Ley bezeichnete seine DAF­Schulungszentren auch direkt als Ordensburgen: Vogelsang in der Eifel (Entwurf: Clemens Klotz), Krössinsee in Pommern (Entwurf: Clemens Klotz) und Sonthofen im Allgäu (Entwurf: Hermann Giesler). In den Anlagen von Sonthofen und Vogelsang verschmolzen dabei Elemente von Burgentypologie und Heimatstil. Die Archi­ tekten verwendeten »traditionelle« Baumaterialien wie Holz, Ziegel, Natur­ stein und gruppierten die Bauten malerisch in die Landschaft ein, so dass sie historisch gewachsen wirkten. Die erfundene Tradition solcher Bauten – kaum mehr als ein neuer Historismus, der mit romantischen Mittelaltervorstellungen spielte –, übertrumpfte die SS konsequent. Statt Neubauten zu errichten, drang sie in historische Orte ein und definierten sie in ihrem Sinne neu.

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4. Wilhelm Dohme: Zug der Soldaten nach Osten, Sgraffito, Teilansicht, Mittelschiffarkaden, 1937–1938, Braunschweiger Dom, 1940, Fotografie, 1937–38, Braunschweig, Dom, Privatbesitz

Diese Orte aufzuspüren, ihren bis heute sichtbaren Veränderungen nach­ zugehen, sie in das geschichtspolitische System von NS und SS einzuordnen wäre ein eigenes umfangreiches Forschungsvorhaben. Drei weitere Beispiele mögen genügen. Beim Umbau des Klosters Lorch zur »Bauernhochschule« war die SS maßgeblich beteiligt. Himmlers italienischer Übersetzer Eugen Dollmann berichtet von Plänen, ein nicht näher bezeichnetes apulisches Hohenstaufenkastell als SS­Führerschule zu nutzen. Nach dem »Anschluss« Österreichs beschlagnahmte die SS 1939 den Sitz des deutschen Ritterordens in Wien. Himmler kommentierte diesen Akt: »Ich habe einen festen Willen, das, was gut war an diesem Orden, Tapferkeit, unerhörte Treue zu der Idee, die man verehrt, Organisationsfähigkeit, Hinaus­ reiten ins Weite und Hinausreiten nach dem Osten, das davon zu überneh­ men.«23

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Seither avancierte der Deutsche Orden neben den beiden Heinrichs zum drit­ ten geschichtspolitischen Leitmotiv im Mittelalterbild der SS. Als Anfang 1940 die von der SS durchgeführte Umsiedlung der Baltendeut­ schen ins Reichsgebiet für abgeschlossen erklärt wurde, meldete Das schwarze Korps unter der Überschrift Die volksdeutsche Wanderung kurz und bündig: »Wir beenden einen geschichtlichen Abschnitt, in dem das deutsche Volk nach der Völkerwanderung und nach der Reichsgründung Karls des Großen den Auftrag erfüllte, als Nachfolger und Bewahrer der nordischen Kultur Hellas und Roms Gestalter einer europäischen Kultur zu sein. Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation pocht in besserer Gestalt nun als das heilige Reich der Deutschen an die Pforten der Zukunft [Hervorhebung im Original].«24

Mit anderen Worten: Die SS, als Exekutive des totalitären Rassestaates, voll­ zog die Neugründung des Reiches im Sinne eines neugermanischen, profanen Deutschordens nach – durch eine erneute Kolonisation des »deutschen Ostens«. Himmler persönlich schrieb wenige Wochen später zu diesem Sachverhalt einen kurzen Text für das Das Schwarze Korps. Der Beitrag war keine politische Darstellung, sondern eine kunsthistorische Erörterung mit dem harmlosen Titel Deutsche Burgen im Osten. Darin heißt es zunächst: »Große Zeiten eines Volkes finden den letzten Ausdruck innerer Kraft und Stärke in ihren Kulturwerken. Eine Wahrheit steht am Anfang und am Ende jeder geschichtlichen Epoche: Wenn die Menschen schweigen, reden die Stei­ ne.«25

Die Auffassung, Architektur sei ein dreidimensionales Propagandamedium – ein »Wort aus Stein« – hatte Adolf Hitler bereits 1933 formuliert.26 Himmler nutzte die Formel, die eigentlich auf die neuen »Bauten des Glaubens« – so Gerdy Troost über Parteiarchitektur27 – gemünzt war, um sie in die Vergan­ genheit zu projizieren, als ob bereits frühere Epochen im Sinne totalitaristi­ scher Kulturpolitik gehandelt hätten. »Große Zeiten sprechen noch mehr zur Zukunft in Stein […]«. Ihre Monumente mahnen, »sich zu ermannen und von dem uralten, durch das Blut tapferer Vorfahren eroberten, durch die Kultur vergangener Geschlechter geheiligten Boden wieder Besitz zu ergreifen.«28 Doch von welchen Geschlechtern künden die Burgen im Osten? Zu wem spre­ chen die »steinernen Zeugen«? Um Konsequenzen aus Himmlers Auffassung zu ziehen, war zunächst eine Analyse der Bauten notwendig. Die Kunstgeschichte der Zeit bot hierzu ein eigenes Modell an, das sich mit der Frage von Zentrum und Peripherie, Leitkultur, Orts­ und Volksgruppen­ gebundenheit von Stilen und Formen auseinandersetzte, die sogenannte Kunstgeografie. Die Faktoren Landschaft und Wirtschaft waren hier in die Betrachtung von Kunstwerken einbezogen worden, um zu verdeutlichen, dass kulturelle Hochphasen immer an soziale, politische und damit geogra­ fische Rahmenbedingungen geknüpft seien. Der Kunsthistoriker Paul Pieper

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erklärte dazu in seinem Grundlagenwerk Kunstgeographie 1936, es sei ein Irr­ tum gewesen, anzunehmen, »die großen landschaftlichen Typen des Bauern­ hauses seien im engeren und eigentlichen Sinne bodenständig und an Klima und Baumaterial gebunden, während das Bürgerhaus, je mehr es sich von diesen Typen entferne, um so eher in überlandschaftliche Kunstbeziehungen, also dem ›Zeitstil‹, verflochten sei. Die Grundlage für diesen Irrtum bildete die alte Auffassung von dem Herauswachsen der bürgerlichen Bevölkerung aus der bäuerlichen.«29 Das Modell einer klassenlosen Volksgemeinschaft, die »Rasse« über »Stand« setzte – scheint nach Ansicht Piepers auch in Epochen ständischer Ordnung kulturelle Wirkung gehabt zu haben – eine Annahme, die sich leicht auf unterschiedlichste Kontexte übertragen ließ, etwa auf die »Deutschen Burgen im Osten«, wie Himmler vorführt: »Die Burgen von Allenstein, Heilsberg, Marienwerder und Neidenburg waren durch sieben Jahrhunderte hindurch für alle Generationen des alten Ordens­ landes Ostpreußen – dieser Keimzelle des preußisch­deutschen Staates – eben­ so sehr die Zeugen wehrhafter Eroberung und zähester Verteidigung als auch die Sinnbilder hoher deutscher Kultur.«30

Und mehr noch: die kunstgeografische Analyse macht die historische Domi­ nanz »deutscher« Kultur im slawischen Raum erst sichtbar. Denn auch »die nach dem deutschen Vorbild von Vasallenvölkern in Masowien und Polen erbauten Burgen von Zichenau, Chenziny bei Kielce und Mirow bei Tschen­ stochau taten […] kund, daß sie von deutschen Menschen geschaffen sind und inmitten unserer Äcker entstanden sind.«31 Himmler zergliedert in wenigen Sätzen die Beispiele mittelalterlicher Profanarchitektur nach einem genauen System, um nach Zuschreibung der Bauherren­ und Trägerschaft und kunst­ geografischer Einordnung geschichtspolitische Konsequenzen zu begründen: »Die Steine haben nicht umsonst geredet… – die Äcker sind wieder deutsch.«32 Bei der Umsetzung ihrer angeblich historischen Sendung schreckte die SS nicht davor zurück, ganze Kulturlandschaften umzuinterpretieren, umzu­ pflügen und neu zu erschaffen. Dies zeigte ihr brutales Wüten, das mit dem Polenfeldzug neue Dimensionen annahm. Parallel zu den Massenmorden an der einheimischen Bevölkerung, den Umsiedlungsaktionen zwischen Gene­ ralgouvernement und den neuen, auf ehemals polnischem Gebiet errichteten Gauen, wurden Dörfer und Städte niedergebrannt, abgerissen und neugebaut. Die »germanische« Neu­ oder, wie sie hieß, »Rückbesiedlung« nach dem Exo­ dus der Slawen fand ihr Pendant in der kulturellen Umcodierung des Terrains; typisierte Musterhöfe im Heimatstil sollten auf ihre Weise die »deutsche« Tradition der »Ostgebiete« verkörpern.33 Nach dem Angriff auf die Sowjet­ union bündelte die SS ihre siedlungspolitischen Absichten im sogenannten »Generalplan Ost«, der im November 1941 vorlag.34 Rund zwei Monate vor der Wannseekonferenz, auf der die Vernichtung der europäischen Juden beschlos­ sen wurde, kündigte die SS an, das ehemals polnische, russische, baltische, ukrainische und weißrussische Gebiet in den nächsten 25 bis 30 Jahren mit

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»Volksdeutschen« zu besiedeln. Für die Neukolonisation war die Vertreibung von 31 Millionen Einwohnern nichtdeutscher Herkunft eingeplant. Kunstgeografie und Geschichtspolitik, Ordensburg und Völkermord: die­ se Elemente scheinen zusammenzugehören in einem totalitären System, das Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft vereinnahmen wollte. Und dennoch: Ist es wirklich so einfach? Zweifellos, die (kunst­)geschichtspolitischen Be­ standteile des Nationalsozialismus im Allgemeinen und der SS im Besonde­ ren legen eine übergeordnete Systematik nahe. Jede Analyse des nationalso­ zialistischen Geschichtsbildes – also auch des Mittelalterbildes – sollte jedoch einer Feststellung eingedenk bleiben, die der Biograf Peter Longerich pars pro toto für seinen Gegenstand Himmler herausstellte: »Zwar durchzieht sein Denken und Handeln eindeutig eine bestimmte Kon­ stante – das Leitmotiv des ewigen Kampfes ›germanischer Helden‹ gegen ›asia­ tische‹ Untermenschen –, doch war dieses Weltbild so allgemein und vage gehalten, dass er es in ganz unterschiedlicher Form auf die jeweilige politische Situation zuschneiden konnte. Diese Flexibilität, Ideologie mit Machtpolitik zu verbinden, war seine eigentliche Stärke.«35

Anders ausgedrückt: Wer Geschichte bis zur Unkenntlichkeit klittert, indem er sie einer gegenwärtigen politischen Absicht unterwirft, hat zu Geschichte kein Verhältnis außer einem instrumentellen. Er mischt, interpretiert, kom­ piliert, löscht und erfindet neu, wie es ihm passt. Und genauso wird er, wenn nötig, Geschichte als Legitimationsstrategie vollständig verwerfen. In seiner legendären, zuerst 1942 erschienen Analyse des Nationalsozialis­ mus Behemoth widmet der emigrierte Historiker Franz Neumann der Geschichts­ politik einige Zeilen. Er kam dabei auf das Thema der »Reichsidee« zu spre­ chen, jener inszenierten Erfüllung des Mittelalters im Nationalsozialismus, die auch im Zentrum dieses Beitrags steht: »Die Reichsidee geht auf das Heilige Römische Reich zurück, fand ihren neuen Ausdruck in den größten literarischen Werken des modernen Deutschland, und sie beflügelt ›den kleinen Mann‹. Welche Waffe hätte sich besser und rascher umformen und den Zwecken des neuen Reiches anpassen lassen als diese?«

Neumann beantwortet seine rhetorische Frage: »Freilich war dieser Schritt äußerst kühn, denn die Reichsidee ist in Wirklich­ keit mit dem Nationalsozialismus unvereinbar. Alfred Rosenberg war einmal ehrlich genug, dies auszusprechen. Der Nationalsozialismus, so schrieb er, ist nicht etwa Erbe des Heiligen Römischen Reiches, sondern im Gegenteil Erbe der Kämpfe des deutschen Volkes gegen den Universalismus jenes Reiches.«36

Hätte die Geschichtspolitik des Nationalsozialismus auf Fakten basiert – und nicht auf der eigenen Ideologie – so hätte man das Vorbild Mittelalter nach Meinung Neumanns schlichtweg verwerfen müssen. Denn »selbst in seiner Zeit versank das mittelalterliche Reich in einem Labyrinth der Widersprüche.«

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Das Heilige Römische Reich blieb »als organisierende Kraft einer deutschen Nation, bis auf wenige Jahre, nur ein Mythos.«37

* Rudolf Presber: Das Deutschland-Buch. Zum Geleit, Berlin 1930, S. VI. 1 Vgl. zuletzt Hans Mommsen: Forschungskontroversen zum Nationalsozialismus, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 14/15­2007, S. 14–21. Hierzu auch Michael Wildt: Die Epochenzäsur 1989/90 und die NS-Historiographie, in: Zeithistorische Forschungen 5­3/2008, Online­Ausgabe, URL: http:// www.zeithistorische­forschungen.de/16126041­ Wildt­3­2008. 2 Vgl. Hans F. K. Günther: Rassekunde des deutschen Volkes, München 1933. 3 Vgl. Franz Altheim und Erika Trautmann­ Nehring: Kimbern und Runen. Untersuchungen zur Ursprungsfrage der Runen, Berlin­Dahlem ²1941 sowie weitere Schriften von Altheims, Rudolf Siemsens, Richard von Kienles, Gerhard Julies Wais u. a. vor allem in der 1929 gegründeten Zeit­ schrift Germanien, die 1935 vom »Ahnenerbe« übernommen wurde. Zum Bezug von »Ahnen­ erbe«, Rassismus und Völkermord vgl. Heather Pringle: The master plan. Himmler’s Scholars and the Holocaust, New York 2006. Zur NS­Geschichtspo­ litik vgl. Frank­Lothar Kroll: Utopie als Ideologie. Geschichtsdenken und politisches Handeln im Dritten Reich, Paderborn 1998. Zur SS­Symbolik vgl. Andreas Koop: NSCI. Das visuelle Erscheinungsbild der Nationalsozialisten 1920–1945, Mainz 2008. 4 Christian Welzbacher: »Die geheiligten Bezirke unseres Volkes«. Antikenrezeption in der Architektur des Dritten Reiches als Beispiel für das nationalsozialistische Historismuskonzept, in: Manuel Baum­ bach (Hrsg.): tradita et inventa. Beiträge zur Rezeption der Antike, Heidelberg 2000, S. 495–513 und Hans­Ernst Mittig: Antikebezüge nationalsozialistischer Propagandaarchitektur und -skulptur, in: Beat Näf (Hrsg.): Antike und Altertumswissenschaft in der Zeit von Faschismus und Nationalsozialismus, Mandelbachtal 2001, S. 245–265. Himmlers Ver­ such, das Ungleichgewicht zwischen germani­ scher Vorzeit und griechisch­römischer Antike zu nivellieren, soll Hitler Unbehagen bereitet haben: »Warum stoßen wir die ganze Welt da­ rauf, daß wir keine Vergangenheit haben? Nicht genug, daß die Römer große Bauten errichteten, als unsere Vorfahren noch in Lehmhütten haus­

ten, fängt Himmler nun an, diese Lehmdörfer auszugraben und gerät in Begeisterung über je­ den Tonscherben und jede Steinaxt, die er findet. Wir beweisen damit nur, daß wir noch mit Stein­ beilen warfen und um offene Feuerstellen hock­ ten, als sich Griechenland und Rom schon auf höchster Kulturstufe befanden.« Albert Speer: Erinnerungen, Berlin 1969, S. 108. Vgl. auch Adolf Hitler: Monologe im Führerhauptquartier 1941–1944. Die Aufzeichnungen Heinrich Heims, Bindlach 1988, S. 263 ff. 5 Vgl. Herbert Jankuhn: Die Ausgrabungen von Haithabu (1937–1939). Vorläufiger Grabungsbericht, Berlin­Dahlem 1943. Zur repräsentativen Absicht hinter der Grabung vgl. ohne Autor: Warum SSTibet-Expedition?, in: Das schwarze Korps, Nr. 29, 20. Juli 1939, S. 4. 6 Tobias Ronge bezeichnet Lanzingers Bild als »die einzige von Hitler offiziell genehmigte Darstellung seiner Person in historischem Kos­ tüm« und weist nach, dass es in einer Fassung als Wandmosaik die Aula der Universität Inns­ bruck ausschmückte. Vgl. Tobias Ronge: Das Bild des Herrschers in Malerei und Grafik des Nationalsozialismus. Eine Untersuchung zur Ikonografie von Führer- und Funktionärsbildern im Dritten Reich, Münster 2010, S. 129 f. Ein Überblick zur hier ver­ handelten Thematik bietet zudem Gordon Wol­ nik: Mittelalter und NS-Propaganda. Mittelalterbilder in den Print-, Ton- und Bildmedien des Dritten Reiches, Münster 2004. 7 Spaten und Ehre. Das Handbuch der deutschen Jugend im Reichsarbeitsdienst, Heidelberg 1938, o. S. Hierls Zitat steht unter der Abbildung von Albrecht Dürers Grafik Ritter, Tod und Teufel. Vgl. weiterhin Konstantin Hierl: Ausgewählte Schriften und Reden, München 1941 sowie die Memoiren id.: Im Dienst für Deutschland, Heidelberg 1954. Dürers Holzschnitt wurde an verschiedenen Stellen emblematisch eingesetzt, darunter ganz­ seitig mit der Bildunterschrift: »Albrecht Dürers Symbol – Erfüllung in Adolf Hitler« in: Das schwarze Korps, Nr. 16, 20. April 1939, S. 25. 8 Zur Instrumentalisierung des Begriffs »go­ tisch« vgl. etwa Karl Scheffler: Der Geist der Gotik, Berlin 1917 und Franz Bock: Die Germanische Go-

184 Christian WelzbaCher thik, München 1932. 9 Vgl. Katrin Himmler: Die Brüder Himmler. Eine deutsche Familiengeschichte, Frankfurt am Main 2005. Himmlers Taufpate war Prinz Hein­ rich von Bayern, da der Vater als Erzieher im Dienst des bayerischen Fürstenhauses gestan­ den hatte. 10 Heinrich Himmler: Geleitwort zur Denkschrift »Die Forschungs- und Lehrgemeinschaft Das Ahnenerbe«, Offenbach 1939, o. S. 11 Eugen Dollmann: Dolmetscher der Diktatoren, Bayreuth 1963, S. 58–60. Zum eigenen Werde­ gang S. 219. Dollmann zeichnet mit arrogantem Gestus Himmler als spießbürgerliche Karikatur. In den 1960er Jahren bediente er den halbseide­ nen, an »Nazi­Sensationen« interessierten Pres­ semarkt. Vgl. Eugen Dollmann: Der Orden unter dem Totenkopf. Heydrich warf Goldstücke unter das Sofa, in: Der Spiegel 20­4/1967, S. 62–63 und 10/1967, S. 77–94. 12 Die Aktivitäten des »Ahnenerbes« in Spa­ nien wurden besonders ausführlich untersucht, vgl. Francisco Alonso Gracia: El sueño de una generación. El crucero universitario por el Mediterráneo de 1933, Barcelona 2006 und id.: La arqueología durante el primer franquismo (1939–1956), Barcelo­ na 2009. 13 Zur Rezeption der Tacitusschrift vgl. Mi­ chael Werner: Die »Germania«, in: Hagen Schulze u. Etienne François (Hrsg.): Deutsche Erinnerungsorte, Bd. 3, München, 2001, S. 569–586. 14 Vgl. etwa die »Indiana­Jones«­Filme, die Dokumentation Der heilige Gral. Hitler, Himmler und der schwarze Orden der SS oder die Website www.trojaburg-ev.de. Eine kritische Reflexion bietet Uta Halle: »Die Externsteine sind bis auf weiteres germanisch!« Prähistorische Archäologie im Dritten Reich, Bielefeld 2002. 15 Vgl. unter der zahllosen Literatur beispiel­ haft die Publikationen der Schriftenreihe der Forschungsstelle »Entartete Kunst«. 16 Adolf Hitler: Mein Kampf, 2 Bde., 2. Bd., München 191933, S. 742. 17 Vgl. Heinrich Himmler: Rede des Reichsführers-SS im Dom zu Quedlinburg am 2. Juli 1936, Berlin 1936. Darüber hinaus vgl. Tim Lorentzen: Ideologische Usurpation. Die nationalsozialistische Umgestaltung der Stiftskirchen zu Braunschweig und Quedlinburg als Zeichenhandlung, Wolfenbüttel 2005, Christian Mühldorfer­Vogt (Hrsg.): Geschichte und Propaganda. Die Ottonen im Schatten des National-

sozialismus, Halle an der Saale ²2008 und Uta Hal­ le: 936: Begräbnis Heinrichs I. – 1936: die archäologische Suche nach den Gebeinen in Quedlinburg und die NS-Propaganda, in: Mitteilungen der deutschen Gesellschaft für Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit 16/2005, S. 15–21 sowie Peter Longerich: Heinrich Himmler. Biographie, München 2008, S. 282. 18 Alfred Thoß: Heinrich I. Der Gründer des deutschen Volksreiches, Berlin 1943, S. 176 f. 19 Zu diesen Strategien vgl. Ursula Clemens­ Schierbaum: Mittelalterliche Sakralarchitektur in Ideologie und Alltag der Nationalsozialisten, Weimar 1995, Susanne Fleischner: Schöpferische Denkmalpflege. Kulturideologie des Nationalsozialismus und Positionen der Denkmalpflege, Münster 1999 und Michael S. Falser: Zwischen Identität und Authentizität: zur politischen Geschichte der Denkmalpflege in Deutschland, Dresden 2008. 20 Vgl. Richard Schmidt: Heinrich der Löwe. Seine Stellung in der inneren und in der auswärtigen Politik Deutschlands, München und Berlin 1936. Auf Seite zwei der Studie, die Heinrichs politi­ sche Widersprüchlichkeit zum Gegenstand hat, heißt es: »Das Ereignis der Grabesöffnung hat auf die heldenhafte, aber problematische Persön­ lichkeit des starken Welfen, der auch in den letz­ ten Jahrzehnten niemals ganz aus der geschicht­ lichen Erörterung verschwunden ist, erneut und mit besonderer Intensität die Aufmerksamkeit gelenkt.« 21 James A. van Dyke u. Christian Fuhrmeis­ ter: Zeitlose Kunstwerke und moderne(s) Gestalten im Braunschweiger Dom, in: Deutsche Kunst 1933– 1945 in Braunschweig – Kunst im Nationalsozialismus, Hildesheim, Zürich u. New York 2000, S. 48–65; Karl Arndt: Mißbrauchte Geschichte. Der Braunschweiger Dom als politisches Denkmal 1935/45, in: Heinrich der Löwe und seine Zeit, Herrschaft und Repräsentation der Welfen 1125–1235 (hrsg. von Jochen Luckhardt u. Franz Niehoff), Ausstellungskata­ log, Herzog­Anton­Ulrich­Museum, 3 Bde., Bd. 3, München 1995, S. 88–95; Jochen von Grumbkow: Die Umgestaltung des Grabmals Heinrichs des Löwen im Dom zu Braunschweig 1935 bis 1940, in: Braunschweigisches Jahrbuch 79/1998, S. 167–216. 22 Die Baupläne sind veröffentlicht in Karl Hüser: Wewelsburg 1933 bis 1945. Kult- und Terrorstätte der SS. Eine Dokumentation, Paderborn 1982. Vgl. Jan Erik Schulte: Die SS, Himmler und die Wewelsburg, Paderborn u. a. 2009.

185 Ordensburg und VölkermOrd 23 Zitiert nach Longerich 2008, S. 283 (wie Anm. 17). 24 Die volksdeutsche Wanderung, in: Das schwarze Korps, Nr. 2, 11. Januar 1940, S. 6. 25 Heinrich Himmler: Deutsche Burgen im Osten, in: Das schwarze Korps, Nr. 1, 23. Januar 1941, S. 4. 26 Hitler benutzte bei seiner Rede zur Eröff­ nung der 1. Deutschen Architektur­ und Kunst­ handwerksausstellung München im Haus der Deutschen Kunst am 22. Januar 1938 die später von Himmler geborgte Formulierung: »Jede große Zeit findet ihren abschließenden Werteausdruck in ihren Bauwerken. Wenn Völker große Zeiten innerlich erleben, so gestalten sie diese Zeiten auch äußerlich. Ihr Wort ist dann überzeugender als das gesprochene: Es ist das Wort aus Stein.« zitiert nach Max Domarus: Hitler. Reden und Proklamationen 1932–1945. Kommentiert von einem deutschen Zeitgenossen, Wiesbaden 1965, S. 778. 27 Gerdy Troost: Das Bauen im Neuen Reich, Bayreuth 1938, S. 14. 28 Himmler 1941, S. 4 (wie Anm. 25). 29 Paul Pieper: Kunstgeographie. Versuch einer Grundlegung, Berlin 1936, S. 19 f. Pieper übertrug die Methodik von Josef Nadlers Literaturgeschichte der deutschen Stämme und Landschaften (Regens­

burg 1912–1918) auf die Kunstgeschichte. Vgl. Katarzyna Murawska­Muthesius (Hrsg.): Borders in art. Revisiting Kunstgeographie, Norwich 1998 u. Thomas DaCosta Kaufmann: Towards a geography of art, Chicago 2004. 30 Himmler 1941, S. 4 (wie Anm. 25). 31 Ibid. 32 Ibid. 33 Vgl. Paul B. Jaskot: The Architecture of Oppression. The SS, Forced Labor and the Nazi Monumental Building Economy, London u. New York 2000, insb. S. 114–139. Vgl. auch Hermann Hen­ selmann u. Günther Wentzel: Aufbau im Osten. Wiederaufbau zerstörter Gehöfte im Wartheland, in: Bauwelt 34­9/10/1943, S. 1. Den Hinweis auf Hen­ selmanns Beitrag verdanke ich Elmar Kossel, Florenz. 34 Vgl. Isabel Heinemann u. Patrick Wagner: Wissenschaft – Planung – Vertreibung. Neuordnungskonzepte und Umsiedlungspolitik im 20. Jahrhundert, Stuttgart 2006. 35 Longerich 2008, S. 769 (wie Anm. 17). 36 Franz Neumann: Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933–1944, Neuaus­ gabe, Frankfurt am Main 1984, S. 171 f. 37 Ibid.

Register

Adelmann, Karl 86 Alarich 174 Albrecht der Bär 108 Alexander der Große 171 Altdorfer, Albrecht 66 Angenendt, Arnold 35, 44, 46 Arras, Mathias von 96 Arndt, Ernst Moritz 158, 171 Bach, Johann Sebastian 92 Ball, Hugo 52, 55 Bamberger, Rudolf 92, 93, 94, 101 Barlach, Ernst 65, 67, 70 Bauer, Franz 127, 146 Beethoven, Ludwig van 158 Behne, Adolf 49, 52, 53, 55 Beielstein, Felix Wilhelm 82 Beissel, Stephan 44 Belting, Hans 54 Benjamin, Walter 51, 55, 57 Berning, Wilhelm 38, 39 Beumers, Paul 122 Bibra, Lorenz von 80, 83 Bier, Justus 75, 76, 80, 84 Bismarck, Otto von 124 Blaskowitz, Johannes Albrecht 155 Bloch, Ernst 51 Bock, Fedor von 157, 159 Bonaparte, Napoleon 171 Bredekamp, Horst 9 Brunner, Otto 104 Buhre, Werner 95 Bürger, Peter 57 Casel, Odo 44, 45 Cassirer, Ernst 58

Cavalcaselle, Giovanni Battista 16 Claussen, Peter Cornelius 33 Clemen, Paul 29 Cohn, Anton 130 Crowe, Joseph Archer 16 Cürlis, Hans 96, 99 Darré, Richard Walther 83 Demmler, Theodor 75, 77 Diedrichs, Christof 42 Dinzelbacher, Peter 31 Długosz, Jan 154, 163, 164 Dohme, Wilhelm 178 Dollmann, Eugen 174, 179, 184 Dürer, Albrecht 53, 56, 66, 75, 76, 77, 84, 138, 139, 148, 183 Durink, Stephan (Stanislaus) 163, 168 Elster, Hanns Martin 114 Esterer, Rudolf 144 Eyck, Jan van 25, 29 Fanck, Arnold 99 Fechter, Paul 51, 52, 55, 61 Feininger, Lyonel 49 Felixmüller, Conrad 54 Ferdinand I. 121 Feuerbach, Anselm 54 Feulner, Adolf 80 Fichte, Johann Gottlieb 171 Ficker, Julius 110 Forster, Alfred 155, 156, 158, 159, 163, 167 Frank, Hans 154, 155, 156, 158, 159, 163, 166, 167 Franz II. 122 Franz, Günther 87

188 register Friedrich I. Barbarossa 110, 112, 113, 114, 117, 121, 132, 165 Friedrich II. 162 Friedrich, Caspar David 70 Gerstenberg, Kurt 58, 59, 75, 76 Geyer, Florian 87 Giesler, Hermann 178 Glasmeier, Heinrich 124 Goebbels, Joseph 71, 89, 95, 101, 143, 148, 175 Goergen, Jeanpaul 90 Gogh, Vincent van 65 Göring, Hermann 122, 175 Götz von Berlichingen 87 Grasskamp, Walter 62 Gregor VII. 106 Gropius, Walter 49 Grosz, George 57, 58, 59 Grünewald, Matthias 56, 58, 66, 75, 99 Guardini, Romano 33, 35, 45 Guderian, Heinz 159 Haffenrichter, Hans 86 Hagemeyer, Hans 104, 116 Harlan, Veit 95, 130 Hausenstein, Wilhelm 57 Heckel, Erich 54 Hedin, Sven 128 Hege, Walter 87, 94, 95, 96, 98 Heideloff, Karl Alexander 144 Heinrich der Löwe 108, 110, 112, 113, 115, 117, 175, 178, 184 Heinrich I. 107, 175, 176, 178, 180 Heinrich II. 106, 107 Heinrich IV. 106 Heinrich VI. 128 Heinrich von Bayern 184 Heinrich von Plauen 158 Heller, Heinz B. 98 Helmold von Bosau 112 Herf, Jeffrey 98 Hermann, Fritz 156 Héroux, Bruno 54 Herwegen, Ildefons 35, 36, 37, 38, 40, 41, 42, 44, 45 Herzfelde, Wieland 57, 58 Heß, Rudolf 104 Hierl, Konstantin 173 Himmler, Heinrich 167, 174, 175, 176, 177, 178, 179, 180, 181, 182, 183, 184, 185

Hindenburg, Paul von 161 Hippler Fritz 100 Hitler, Adolf 1, 5, 9, 11, 35, 39, 40, 68, 91, 103, 104, 106, 109, 110, 112, 113 114, 119, 121, 122, 124, 126, 130, 131, 132, 135, 139, 140, 142, 143, 144, 145, 146, 148, 155, 158, 162, 163, 167, 172, 173, 175, 180, 183, 185 Hoffmann, Heinrich 140, 141 Höhn, Heinrich 148 Höhne, Rolf 176 Holbein, Hans 70, 75 Holter, Kurt 104 Hüneke, Andreas 58 Hüppauf, Bernd 54 Iribe, Paul 123 Jagiełło, Władysław II. 154 Jantzen, Hans 40, 41, 42, 46, 47 Jardon, Rudolf 53 Jathos, Carl Oskar 56 Johann III. von Nassau­Saarbrücken 68 Jungmann, Josef Andreas 42 Kaiser, Erich 163 Kampf, Arthur 54 Karl der Große 6, 8, 11, 109, 110, 112, 123, 132, 180 Kauffmann, Hans 75, 76 Keudell, Otto von 156 Kirchner, Ernst Ludwig 54 Klee, Paul 57 Kletzl, Otto 96 Klönne, Arno 35 Klotz, Clemens 178 Knapp, Fritz 75, 77, 83, 85 Kohlhaußen, Heinrich 127, 131 Kokoschka, Oskar 69 König, William 68 Konrad II. von Thüringen 82 Konrad von Schaumberg 80 Kraft (Krafft), Adam 86, 148 Kremer, Ferdinand 124 Krieck, Ernst 8 Krüger, Johannes 161 Krüger, Walter 161 Kubach, Hans Erich 2 Kuetgens, Felix 124

189 register Lammers, Hans Heinrich 167 Lang, Carl 155 Langbehn, Julius 53 Langewiesche, Karl Robert 2 Lanzinger, Hubert 172, 183 Leibl, Wilhelm 54 Lentes, Thomas 31 Ley, Robert 174, 175, 178 Liebel, Willy 126, 130, 132, 134, 135, 139, 142, 144, 146 Lincke, Julius 144, 145, 146 Longerich, Peter 182 Loon­Heinsberg, Johanna von 68 Lotz, Wilhelm 137 Ludendorff, Erich 161 Lützeler, Heinrich 33, 34, 35, 37, 40, 46 Mâle, Emile 7 Maler des Klosterneuburger Retabels 29 Mayer, Anton L. 35, 36, 37, 40, 41, 42, 45, 46 Mayr, Vincent 75 Meissner, Otto 155 Meister Bertram 66 Meister des Hofgeismarer Retabels 23 Meister Franke 66 Meister von Hohenfurt 23 Moeller van den Bruck, Arthur 61 Mommsen, Hans 171 Moser, Lukas 25 Müller, Karl Alexander von 104 Müller, Theodor 80, 81 Munch, Edvard 65 Nagel, August 147 Neufeld, Walter 156 Neumann, Franz 182 Leyden, Niclas Gerhaerdt van 80 Nolde, Emil 58, 59, 65, 67 Oertel, Curt 92, 101 Otto der Große 107, 108, 109, 116 Papen, Franz von 35 Parler, Peter 95, 96, 98 Penz, Maria 133 Petri, Franz 104, 115 Pieper, Paul 29, 180, 181 Pinder, Wilhelm 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 17, 28, 40, 41, 45, 46, 75, 76, 77, 79, 84, 94, 96 Pius XII. (Pacelli, Eugenio) 44 Pope, Ernest 119, 133

Raabe, Wilhelm 125, 126 Ramcke, Hermann Bernhard 155, 156 Riefenstahl, Leni 94, 139 Riemenschneider, Tilman 75, 76, 77, 78, 79, 80, 81, 82, 83, 84, 85, 86, 87, 96, 97, 98 Rijn, Rembrandt van 89 Röhl, Hansulrich 158 Rörig, Fritz 104 Rosenberg, Alfred 11, 63, 70, 71, 103, 104, 106, 110, 113, 114, 115, 132, 162, 172, 174, 175, 178, 182 Ruttmann, Walter 98 Sachs, Hans 139 Sauerlandt, Max 58 Schardt, Alois 66, 73 Scharold, Carl Gottfried 75 Scheffler, Karl 33, 40, 51 Schenkendorff, Max von 157 Scherenberg, Rudolf II. von 80, 83 Scheuermann, Fritz 90 Schiffers, Heinrich 31, 37, 41, 43 Schiller, Friedrich 89 Schirach, Baldur von 145 Schliemann, Heinrich 172 Schmid, Bernhard 163 Schmidt­Rottluff, Karl 54, 65, 67 Schmidt, Paul Ferdinand 63, 64, 65, 66, 72 Schrade, Hubert 76 Schultze­Naumburg, Paul 63, 68, 69, 70, 72, 74, 80, 95 Schulz, Fritz Traugott 127, 146 Schwemmer, Gottlieb 146, 147 Schwemmer, Wilhelm 145, 146 Sedlmayr, Hans 37, 41, 42, 47 Seiwert, Franz Wilhelm 56, 62 Sheppard, Richard 55 Siebert, Ludwig 144 Speer, Albert 139, 142, 143 Spengler, Oswald 55 Sperl, August 86 Springer, Hanns 77, 79 Stange, Alfred 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 28, 29, 40, 77, 83 Steger, Milly 61 Steinitz, Heinrich 86 Stengel, Edmund 104 Stoß, Veit 79, 81, 86, 148 Stössinger, Felix 53, 55 Strack, Heinrich 156 Streicher, Julius 143, 145

190 register Suckale, Robert 1 Swoboda, Karl Maria 96 Sybel, Heinrich von 110 Syrlin, Jörg 86 Szyszko­Bohusz, Adolf 154 Tacitus 174 Taut, Bruno 49 Teja 174 Temp, Erich 156 Thoma, Hans 54 Thorak, Josef 98, 99, 137 Thoß, Alfred 176 Thyssen, Fritz 35 Tieck, Ludwig 138 Troost, Gerdy 180 Valkenburg, Johannes von 19 Vischer, Peter 148

Wackenroder, Wilhelm Heinrich 138 Wagner, Richard 138 Wegner, Max 81, 82, 83, 86, 87 Weigert, Hans 77, 80, 84 Wenzel, Horst 32 Werner, Bruno E. 66 Westheim, Paul 55 Wichmann (Erzbischof) 114 Widukind 11, 109, 110, 112 Wilhelm I. 110, 122 Wilhelm II. 122, 160 Wirth, Herman 5 Witte, Bernhard 122, 126 Witz, Konrad 25 Wölfflin, Heinrich 3, 5, 24, 174 Worringer, Wilhelm 32, 33, 51, 58, 59, 64, 65, 73 Ziegler, Reiner 92

Bildnachweis

Lewer: 1. Edinburgh, Scottish National Gallery of Modern Art, © VG Bild-Kunst, Bonn 2013; 2. Julius Langbehn und Momme Nissen: Dürer als Führer, München 1928, Titel. 3. Berlin, Staatsbibliothek 4. Privatsammlung; 5. Bonn, Bibliothek des Kunsthistorischen Instituts der Universität. Steinkamp: 1. Berlin, Kunstbibliothek; 2. und 3. Paul Schultze-Naumburg: Kampf um die Kunst; München 1932, S. 13, 21 u. 22. Hommers: 1. Theodor Demmler: Die Meisterwerke Tilman Riemenschneiders, Berlin 1936, S. 11; 2. u. 3. Fritz Knapp: Riemenschneider, Bielefeld u. a. 1935, Abb. 16. u. Abb. 1. Weber: 1., 2., 3., 4., 5. Berlin, Bundesarchiv. Diebold: 1. u. 5. Hans Hagemeyer (ed.): Deutsche Grösse, Munich 1944, S. 63 u. 82; 2. u. 4. Karlheinz Rüdiger: Deutsche Grösse. Ein Beispiel künstlerischer Ausstellungsgestaltung, in: Die Kunst im Deutschen Reich 5/1941, S. 40 u. S. 39; 3. H[ans] Biberger: Deutsche Geschichte— Deutsche Größe, in: Deutsche Technik 9/1941, S. 201; 5. u. 7. Brüssel, Centre for Historical Research and Documentation on War and Contemporary Society (CEGES-SOMA), Foto 10426 u. Foto 10481. Amberger: 1. u. 2. München, Stadtarchiv; 3. Le Témoin, 1–4/1933 (31. Dezember); 4. Aachen, Stadtarchiv, Depositum Witte Nr. 57 (Register R); 5. Heinrich Kohlhaußen: Die Reichskleinodien, Nürnberg 1939, Tf. 26. Schmidt: 1., 2., 3. Nürnberg, Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände; 4. Nürnberg, Stadtarchiv. Torbus: 1 Privatarchiv Torbus; 2., 3. u. 4. Privatrchiv Rainer Zacharias, Preetz; 5. Fotoarchiv, Muzeum Zamkowe w Malborku. Welzbacher: 1. Washington, D.C., German War Art Collection, U.S. Army Center of Military History, Army Art Collection; 2. Berlin, Bundesarchiv; 3. Halle/Saale, Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie; 4. Privatbesitz.