Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg [28]

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Mitteilungen des

Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg. Herausgegeben mit Unterstützung des Stadtrats Nürnberg im Auftrag des Vereins von

Dr« Emil Reicke, Archivdirektor.

Achtundzwanzigster Band. Mit 45 Tafeln und 3 Abbildungen im Text.

NÜRNBERG VERLAG VON J. L. SCHRÄG (in Kommission) 1928.

FESTSCHRIFT des

Vereins für Geschichte der Stadt Nürnbergzur

400 jährigen Gedächtnisfeier Albrecht Dürers

Mit zwei bisher unbekannten Stücken, einem Autograph und einer kleinen Zeichnung von Dürer

NÜRNBERG VERLAG VON J. L. SCHRÄG (in Kommission) 1928.

Druck

you

G. P. J. Bieling-Dietz, Bayerische Hofbuchdruckerei, Nürnberg

Inhalt. Abhandlungen: Albrecht Dürer als Künstler und als Mensch. Sein Leben und sein Schaffen im Umriß dargestellt von Dr. Theodor Hampe. Mit 5 Tafeln und 1 Abbildung im Text . . 1—67 Die Buchmalerei in den beiden Dominikanerklöstern Nürn­ bergs. Von Dr. Karl Fischer-Nürnberg. Mit 32 Ab­ bildungen auf 17 Tafeln..................................................69—154 Sebald Schreyer vornehmlich als Kirchenmeister von St. Sebald. Von Dr. Theodor Hampe...............................155—207 Der Nürnberger Patrizier Christoph Fürer der Ältere und seine Denkwürdigkeiten 1479—1537. Von Professor Johann Kamann. Mit 3 Tafeln...................................... 209—311 Kleinere Mitteilungen: Die künstlerischen Vorstufen von Dürers vier Aposteln. Von Universitätsprofessor Dr. Friedrich Haack, Erlangen. Mit 1 Tafel........................................................................... 313—319 Die Nürnberger Burg, wie Dürer sie sah. Von Hans Seibold. Mit 8 Tafeln.......................................* . . . 320—333 Die Örtlichkeit von Dürers „Drahtziehmühle“. Von Dr. Justus Bier. Mit 4 Tafeln und einer Abbildung im Text 334—339 Der Nürnberger Kunstraub im Jahre 1801. Von Dr. Heinrich Huber,München................................................ 339—349 Die Reliefs am Sebaldusgrab. Von Dr. Justus Bier. Mit 6 Tafeln............................................................................. 349—35^ Zur Frage der Bemalung von Schnitzwerken. Von Dr. Reinhold Schaffer............................................................. 358—363. Albrecht Dürers Gedächtnis im Briefwechsel Willibald Pirckheimers. Von Dr. Emil Reicke. Mit einer Tafel (ein bisher unveröffentlichtes Dürerautograph) sowie einer Abbildung im Text (eine unbekannte Dürerzeichnung) 363—406 Bücherbesprechungen: Dürers Rosenkranzfest und die Fugger. Konrad Peutinger, der Begleiter Dürers, von Albert Gümbel. Straßburg, J. H. Ed. Heitz. 1926. (Studien zur deutschen Kunstge­ schichte. Heft 234). — Der kursächsische Kämmerer De­ genhart von Pfeffingen, der Begleiter Dürers auf der

^Marter der zehntausend Christen“, von demselben. Ebd. 1926 (Studien etc. Heft 238). — Sebastian Schedel, der Dürersche Unbekannte im Pradomuseum? Von demselben. Ebd. 1927 (Studien etc. Heft 242). — Dürers Bildnisse des Ehepaares Thurzo, von demselben. Ebd. 1928. (Stu­ dien etc. Heft 256). — Dürer’s „Katharina Fürlegerin“, von demselben. Ebd. 1928. (Studien etc. Heft 258). Sämtlich besprochen von Dr. Emil Reicke.....................407—414 Mit Albrecht Dürer nach Heroldsberg und Kalchreuth. Von Otto Mitius (Sonderabdruck aus: Erlanger Heimat­ buch 1924). Erlangen, Junge, 1924. Besprochen von Dr, Friedrich Bock..................................................................415 h Beiträge zur Sprache Albrecht Dürers. Dissertation der Universität Halle von Erich Hartmann. Halle 1922. Besprochen von Dr. Friedrich Bock................................. 4i6f. Albrecht Dürer, Deutschlands größter Künstler. Von Fried­ rich Häack. Lpz., 1928 (Wissenschaft und Bildung 250). Besprochen von Dr. Reinhold Schaffer.............................417 f. Nürnberg. Von Paul Johannes Ree. Bd. 5 der Folge „Be­ rühmte Kunststätten“. 6. Auflage, durchgesehen von Dr. Theodor Hampe. .. 1926. E. A. Seemann in Leipzig. Besprochen von Professor Dr. Fritz Traugott Schulz . 418 f. Die St. Sebalduskirche zu Nürnberg. Von Walter Fries. 10. Bd. der Folge „Deutsche Bauten“, hrsgg. von Max Ohle. Burg bei Magdeburg, o. J. Besprochen von Professor Dr. Fritz Traugott Schulz................................................. 4I9fDie St. Lorenzkirche in Nürnberg. Von Kurt Gerstenberg. 11. Bd. der Folge „Deutsche Bauten“, hrsgg. von Max Ohle. Burg bei Magdeburg, o. J. Besprochen von Pro­ fessor Dr. Fritz Traugott Schulz......................................... 420L Justus Bier, Tilmann Riemenschneider. Die frühen Werke (Kunst in Franken, hrsgg. von R. Sedlmaier, I). Würz­ burg, 1925. Besprochen von Dr. Reinhold Schaffer . . 420—424 Die Einführung der Reformation in der Stadt Hersbruck. Auf Grund der Akten dargestellt von D. Dr. Schornbaum, Dekan in Roth. München, 1928. (Einzelarbeiten aus der Kirchengeschichte Bayerns, hrsgg. vom Verein für baye­ rische Kirchengeschichte, IX. Band). Besprochen von Dr. Emil Reicke......................................................................424—426

Albrecht Dürer als Künstler und als Mensch Sein Leben und sein Schaffen im Umriß dargestellt von

Dr. Theodor Hampe. Mit 5 Tafeln und einer Abbildung im Text.

Tafel 1.

Albrecht Dürers Selbstbildnis vom Jahre 1500. Gemälde in der Alten Pinakothek in München.

Das Reich der Kunst ist eine zweite Welt, Doch wesenhaft und wirklich wie die erste, Und alles Wirkliche gehorcht dem Maß. (Grillparzer.)

an braucht gewiß nicht in Nürnberg geboren zu sein, braucht auch nicht seit Jahrzehnten seinen Wohn­ sitz in der Stadt Albrecht Dürers zu haben, braucht nicht Tag für Tag an dem im Sommer vielfach von Fremden umlagerten wohlerhaltenen Hause des großen Meisters am Tiergärtnertor vorüberzugehen und noch dazu die reiche Kupferstichsammlung der Stadt und des Germanischen Museums in seiner besonderen Obhut zu haben und würde doch, wenn man überhaupt die ganze Bedeutung der Kunst als Kulturfaktor erkannt hat, zumal in dem gegenwärtigen Jahre 1928, das Be­ dürfnis empfinden müssen, sich mit dem großen Genius, dem deutschesten der Künstler in jener gewaltigen Epoche des Über­ gangs vom Mittelalter zur neueren Zeit, auseinander zu setzen, ein näheres Verhältnis zu ihm zu gewinnen. Um so mehr aber muß dies Bedürfnis und der Drang, die starken inneren Ein­ drücke nach außen zu projizieren, natürlich da hervortreten, wo sich im täglichen Verkehr mit den Schöpfungen seines Geistes und im Studium der Quellen zur Erkenntnis seiner Umwelt und seines Erdenwallens allmählich ein Bild des Meisters in immer festeren Strichen gestaltet hat. So ist denn auch für mich das Dürerjahr, das freilich seine Schatten lange vorausgeworfen hat, lediglich der äußere Anlaß gewesen, meine Auffassung von dem Menschen Dürer und von seiner Kunst, von seiner menschlichen und künstlerischen Persönlichkeit genauer zu präzisieren, mir über die eigene Stellung zu dem Ge­ feierten klar zu werden. Und mehr als einen solchen kurzen Rechenschaftsbericht, eine Art von Glaubensbekenntnis, beabsich­ tige ich auch hier nicht abzulegen. Es wäre ja auch Vermessen-

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heit, in Form einer kurzen Abhandlung, einer Betrachtung zu des Meisters Gedächtnis, Wesentliches zur tieferen Erkenntnis seiner Kunst wie seiner Persönlichkeit beitragen zu wollen. Denn falls man nicht neue Quellen solcher Erkenntnis zu erschließen in der Lage ist, gilt gerade von der Dürer-Forschung, wie sie sich in tausenden von Büchern und Schriften und Aufsätzen niedergeschlagen hat, fast bereits zu einer Dürer-Philologie ge­ worden ist und im Laufe des Jubiläumsjahres sicherlich noch ganz gewaltig anschwellen wird, mehr als von manchem anderen Wissensgebiet das Goethe-Wort: Wer kann was Dummes, wer was Kluges denken, Das nicht die Vorzeit schon gedacht Aber trotz dieser schier unübersehbaren Fülle der DürerLiteratur und trotzdem wir dank der zahlreichen eigenen Auf­ zeichnungen, die uns der Künstler hinterlassen hat, und bei der pietätvollen Verehrung, die ihm nun mehr als vier Jahrhunderte ohne Unterbrechung entgegenbringen, über seine Entwicklung und über sein Schaffen weit besser unterrichtet sind als über die meisten seiner Zeitgenossen und Mitstrebenden, so ist gleich­ wohl sein Leben und Wirken noch auf Schritt und Tritt von Problemen und schwer aufzuhellenden Unklarheiten durchsetzt; und in Anbetracht der Größe des Stoffes ist es nur zu wohl zu begreifen, wenn hier jeder neue Fund von der gesamten gebildeten Welt mit lebhaftem Anteil aufgenommen, ja mit Jubel begrüßt wird. I.

Gleich die Abstammung des Meisters, die Rassen- und Blut­ mischungsfrage, auf die heute ein so großes Gewicht gelegt zu werden pflegt, ist noch immer in tiefes Dunkel gehüllt. Dürer selbst sagt in seiner Familienchronik, daß sein Geschlecht aus Ungarn stamme, sein Vater Albrecht Dürer der Ältere in einem Dörfchen //Eytas“ nicht weit von der kleinen Stadt «Jula“ (heute Gyula) geboren sei. Dort hätten seine Vorfahren Ochsen- und Pferdezucht getrieben. Aber bereits sein Großvater Anton Dürer sei uknabenweis“ nach Gyula gekommen und habe daselbst das Goldschmiedehandwerk gelernt. In diesem Berufe sei ihm sein Sohn wie auch ein Enkel »mein Vetter Niclas Dürer, der zu Cöln sitzt, den man nennt Niclas Unger", gefolgt. Auf seiner

5 Reise in die Niederlande besucht Dürer 1520 in Köln diesen Vetter, der übrigens von Nürnberg dorthin verzogen war, in Nürnberg seine eigentliche Ausbildung als Goldschmied erhalten hatte. Namentlich die ungarische Wissenschaft ist nun sehr ge­ schäftig gewesen, den Andeutungen, die in diesen Angaben enthalten sind, weiter nachzuspüren. Man will die Trümmer des ehemaligen Dorfes Ajtös in der Nähe von Gyula, das heute ein Städtchen von 15,500 Einwohner ist, im Bekeser Komitate aufgefunden haben und glaubt annehmen zu dürfen, daß dort, auf der Puszta Ajtös, vom 14. bis 16. Jahrhundert nur Magyaren seßhaft gewesen seien. Man hat auch, wie denn ajtö auf unga­ risch »Tür" bedeutet, Ajtösi also etwa mit »der aus Tür gebürtige", der Türer oder Dürer zu übersetzen wäre, ein ungarisches Adelsgeschlecht Ajtösi von Ajtös daselbst nach­ gewiesen und auf Grund eines Lesefehlers in der Familienchronik (»aus feinem Geschlecht" anstatt »aus seinem Geschlecht") den Ursprung der Dürer aus diesem Adelsstamme herzuleiten ver­ sucht, Dagegen ist geltend gemacht worden, daß bei dem ausgeprägten Standesbewußtsein zumal des ungarischen Adels ein magyarischer Edelmann es wohl niemals geduldet haben würde, daß sein Sprößling ein Handwerk und sei es das hoch geachtete Goldschmiedehandwerk erlerne; und gegenüber der Unsicherheit aller sonstigen Vermutungen und Überlegungen bleiben doch als feste Anhaltspunkte lediglich die Angaben der Familienchronik und die Übereinstimmung des Orts- und Familien­ namens, zu der auch auf das prächtig stilisierte Holzschnitt­ wappen des Meisters aus dem Jahre 1523 mit dem weitgeöffne­ ten Tor über einem heraldischen Dreiberg hinzuweisen wäre, bestehen. Denn Zuverlässiges über diese Frage ist natürlich auch aus einer physiognomischen oder rassenkundlichen Betrach­ tung der verschiedenen Dürer-Bildnisse nicht zu gewinnen, und es geht doch über subjektive Empfindung kaum hinaus, wenn Ferdinand Laban bei dem jetzt in Braunschweig befindlichen Buchsmodell zu der Hans Schwarz’schen Dürer-Medaille des Jahres 1520 an den Typus eines magyarischen Hirten aus der Pußta gemahnt wurde. In des Meisters Selbstbildnissen begegnet uns kein Zug, der an ungermanische Art erinnern könnte, in seinem handschriftlichen Nachlaß findet sich weiter keinerlei

6 Anspielung auf eine nichtdeutsche Abstammung, dagegen manche Stelle, die zeigt, daß er sich ganz und gar als Deutscher fühlte; und in welch eminentem Sinne Dürers Kunst und seine Kunst­ auffassung deutschem Wesen, deutschem Gemütsleben, deutscher Religiosität entsprechen, hat neuerdings insbesondere Hans Preuß in seinem tiefgründigen Buche »Die deutsche Frömmigkeit im Spiegel der bildenden Kunst" treffend dargetan. So ist denn aus der jedenfalls nicht ganz einfachen Blutmischung mit Max J. Friedländer eigentlich nur zu folgern, »daß Abrecht Dürer, der Maler, zu einem Teil als ein Fremder in der fränkischen Stadt, ihren Gebräuchen vergleichsweise frei gegenübergestanden sei und das Abbiegen von der Gewohnheitsstraße um so leichter gewagt habe". Die Schlacken des provinziell Eingeengten haften seinem Werke zu keiner Zeit an, ein offener Blick, ein aufge­ schlossener Sinn, dem nichts Menschliches fremd ist, bekundet sich überall und hat seinem künstlerischen Schaffen die Welt­ weite, die überragende Bedeutung, den Ewigkeitswert verliehen. II. Wie aber kam es, so müssen wir uns an dieser Stelle fragen, daß gerade Nürnberg der ständige Wohnsitz, die Heimat dieses Genius deutscher Kunst geworden und bis zu seinem Erlöschen am Montag nach Palmarum, dem 6. April, 1528 geblieben ist? Man kann nicht sagen, daß die Atmosphäre der fränkischen Metropole, daß die Sinnesart ihrer Bewohner an sich einer machtvollen Entwicklung der hohen Kunst als einer aus der schöpferischen Phantasie erblühenden zweiten Welt, «doch wesenhaft und wirklich wie die erste", in besonderem Maße günstig gewesen wäre. Die Unfruchtbarkeit des sandigen Bodens, auf dem die Stadt gegründet war, ließ ein sinnenfrohes Genießen, ein Schwärmen in höheren Sphären nur schwer aufkommen. Sie verwies das Geschlecht, das sich hier nieder­ gelassen hatte, das hier aufwuchs, vielmehr von vornherein auf harte, entsagungsvolle Arbeit, wenn es sich im Kampfe des Lebens behaupten wollte. So standen denn die großen Handels­ häuser, die schon im 14. Jahrhundert das Ansehen und den Reichtum Nürnbergs wesentlich geschaffen hatten, an Rührigkeit, Umsicht und Fleiß niemandem nach. Die gleiche, man kann

7 wohl sagen: aus der Not und aus dem Wettbewerb geborene Betriebsamkeit und eine «spitzige Vernunft“, um mit dem alten Ouad von Kinkelbach zu reden, eigneten von früh an auch dem sich in der Folgezeit immer stärker differenzierenden Hand­ werkerstande, und der fränkische Bauer in weitem Umkreis um die ehemalige Reichsstadt sucht noch heute an Einfachheit der Lebensgewohnheiten und Anspruchslosigkeit seines Gleichen in deutschen Landen. Aber alle diese vortrefflichen Eigenschaften, die zwar den Erfindungsgeist stärken mochten und sich in diesem Sinne auch tatsächlich zumal beim Altnürnberger Handwerk in erstaunlicher Weise bewährt haben, würden doch bei der Nüchternheit der Lebensauffassung, der sie entsprangen, einer wirklichen Kunst­ blüte schwerlich den Boden bereitet haben, wenn nicht eine Reihe anderer bedeutsamer Momente in solcher Richtung wirksam ge­ worden wären. Da ist vor allem die festgefügte Verfassung des Freistaates, die als vorbildlich für Sicherheit und Ordnung sorgend in dem besten Rufe stand und von weither und auf allen Gebieten tüchtige Kräfte anzog und zu fesseln wußte. Daß sich dabei nach einer bald unterdrückten Aufstandsbewegung um die Mitte des 14. Jahr­ hunderts eine eigentlich zünftische Organisation nicht hatte ent­ wickeln können, das Regiment und eine weitgehende Bevormun­ dung der einzelnen Handwerke Jahrhunderte lang fest in den Händen des patrizischen Rates verblieben war, ist der Entfaltung der Kunst, die durchweg aus dem Handwerk erwuchs und ja nichts anderes als auf das Geistige gerichtetes diszipliniertes Können im Sinne eines Bildners bedeutet, sicherlich nur zu gute gekommen. War doch der reichsstädtische Rat in seiner besten Zeit mit allen Mitteln bestrebt, das Gemeinwohl zu fördern, das Ansehen der Stadt zu heben, und wenn er auch innerhalb der eigenen Körperschaft kein Hervordrängen der Persönlichkeit dul­ dete, so konnten doch aufstrebende Talente wiederholt auf seinen Schutz und seine Hilfe rechnen. Für solche starke individuelle Be­ gabungen bot das Institut oder richtiger der Begriff der «freien Kunst“, worunter etwa Gewerbefreiheit für außergewöhnliches, sich in ein Handwerk nur schwer einfügendes Können zu ver­ stehen ist, eine besonders förderliche Handhabe. Rechnet man

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die tiefe Religiosität der Zeit hinzu, die sich in der Epoche der Spätgotik vielfach zu peinigenden Angstgefühlen und Weltunter­ gangsideen verdichtete, aber im klargeistigen Nürnberg doch nur ganz ausnahmsweise zu fanatischen Verstiegenheiten ausgeartet ist, und bedenkt man den Wetteifer der wohlhabenden Familien in Stiftungen zur Ehre Gottes, wofür die Dome von St. Sebald und St. Lorenz, die Frauenkirche, der Schöne Brunnen, der Tuchersche und der Imhoffsche Altar, und nachmals das Schreyersche Epitaph (1492) und das Sakramentshäuschen (1499) von Adam Kraft, Veit Stoß’ Englischer Gruß (1517—19) und Peter Vischers Sedaldusgrab (1508—1519) die beredtesten Zeugeq sind, so läßt sich ermessen, eine wie starke Anziehungskraft die blühende und mächtige Reichsstadt namentlich auch auf Künstler­ naturen ausüben mußte. Dichter, Schriftsteller, Reisende, ein Enea Silvio Piccolomini, der nachmalige Papst Pius II., Conrad Celtis, Antonio de Beatis als Begleiter des Kardinals Luigi d’Aragona (1517), Helius Eobanus Hessus (1532), Daniel Eremita (1609), Mathias Quad von Kinkel­ bach (1609), sind denn auch voll des Lobes über Nürnberg und seine ingeniösen Meister. Es ist in der Menschheitsgeschichte nahezu ohne Beispiel, wie sich hier zu Ausgang des 15. Jahr­ hunderts in der Stadt, die damals kaum 25000 Einwohner zählte, zu den großen schöpferischen Geistern in solcher Fülle Scharen kunstsinniger Handwerker gesellten. So erwerben beispielsweise in den drei Jahrzehnten von 1463 bis 1494 nicht weniger als 117 Plattner in Nürnberg das Meisterrecht und die Zahl der Goldschmiedewerkstätten wird nicht viel geringer gewesen sein. Verzeichnen doch noch die Nürnberger Totenbücher des 17. Jahrhunderts unter den etwa hundert Künstlern und Kunsthand­ werkern, die in der zweiten Hälfte des Jahre 1632 der Pest zum Opfer fielen, allein zwanzig und bei dem großen Sterben vom Juli bis Dezember 1634 sogar achtundzwanzig Goldschmiede und Juweliere, obgleich der Höhepunkt der Entwicklung damals bereits längst überschritten war. Gerade diesem Kreise angehörend, tauchen aus der Wende vom Mittelalter zur neuen Zeit auch jetzt noch immer neue Namen auf, die sich in den Retorten der fort­ schreitenden Forschung zu achtungswerten Künstlerpersönlich­ keiten verdichten. Ich denke dabei u. a. an die Verfertiger des

9 Reichskleinodienschreines, die Goldschmiede Hans Scheßlitzer, genannt Schnitzer, und Peter Ratzko, an Paulus Müllner, der etwa von dem Würzburger Rat den Auftrag erhielt, nach einem von Tilman Riemenschneider herrührenden Lindenholzmodell eine Büste des hl. Kilian in Silber zu treiben, und der weiterhin nament­ lich für den Kurfürsten von Sachsen und den Kardinal Albrecht von Brandenburg beschäftigt gewesen ist, an den bedeutenden Siegelschneider Benedikt Braunskorn den Älteren (f 1534) u. a. m. III. Eben der hohe Stand der Goldschmiedekunst in Nürnberg und ihre besondere Schätzung wird für den Vater Dürers gewiß mit ein Grund gewesen sein, sich hier dauernd niederzu­ lassen. Es darf als urkundlich bezeugt angesehen werden, daß Albrecht Dürer der Ältere schon bald nach dem Verlassen der ungarischen Heimat um das Jahr 1444 erstmalig nach Nürnberg gekommen ist und sich länger daselbst aufgehalten hat. Erscheint doch zu jenem Zeitpunkt sein Name unter den jungen Bürgers­ söhnen und Handwerksgesellen, die sich als Büchsen- und Arm­ brustschützen bei dem verunglückten Zuge der Nürnberger gegen die Veste Lichtenburg der Ritter Hans und Fritz von Waldenfels, mit denen die Stadt damals in Fehde lag, gebrauchen ließen. Und da zur gleichen Zeit auch bereits der Name des Hieronymus Holper in der Liste der geschwornen Meister der Goldschmiede vorkommt, so ist die Vermutung Albert Gümbels, dem wir diese archivalischen Nachweise verdanken, es habe vielleicht schon damals eine Anknüpfung des jungen Goldschmieds mit seinem späteren Schwiegervater Holper stattgefunden, ersterer wohl gar seine Lehrzeit bei dem angesehenen Meister absolviert, nicht ganz von der Hand zu weisen. 1455 ist er dann, nachdem er »/lang in Niederland gewest bei den großen Künstlern", wie sein Sohn berichtet, zum zweitenmal nach Nürnberg gekommen, hat »/dem alten Holper eine lange Zeit" — wir dürfen vielleicht hinzusetzen: aufs neue — gedient und 1467 mit der erst fünfzehn­ jährigen Tochter seines Lehrherrn, Barbara, «einer hübschen geraden Jungfrau", Hochzeit gehalten. In der Wohnung des jungen Paares in dem nach der heutigen Winklerstraße gehen­ den Hinterhause des Patriziers Hans Pirckheimer ist der große

10 Künstler, den wir in diesem Jahre feiern, als das dritte von im ganzen 18 Kindern, von denen fünfzehn in jüngeren Jahren wieder starben, am 21. Mai 1471 zur Welt gekommen. Man denkt unwillkürlich an Washington Irvings nachdenkliche Bemerkung gelegentlich seiner Schilderung von Shakespeares armseligem Ge­ burtshaus in Stratford, diesem «wahren Nest für den Genius, der seine Freude daran zu haben scheint, seine Sprößlinge in Seitenwinkeln auszubrüten". Dürers Vater, «ein künstlicher reiner Mann", wie der Sohn von ihm schreibt, der «sein Leben mit großer Mühe und schwerer harter Arbeit zugebracht", ist uns seinem Aussehen nach vor allem aus dem von 1490 datierten Bildnis in den Uffizien zu Florenz, daneben noch aus einer ganzen Reihe von Kopieen nach •einem anderen, verloren gegangenen Dürerschcn Original bekannt. Von den bezeugten Gemälden des Meisters sind ja trotz aller Verehrung und Pflege höchstens zwei Dritteile auf uns gekommen. Auf dem Uffizienbilde nun hat Dürer dem Vater einen Rosen­ kranz in die Hände gegeben, womit offenbar die tiefe Frömmig­ keit des Dargestellten angedeutet sein sollte, der nach den Worten des Sohnes «ein geduldiger Mann, sanftmütig und gegen jeder­ mann friedsam, gar dankbar gegen Gott, weltlichen Freuden ab­ geneigt, kein Freund vieler Worte und gottesfürchtig war". Über die Kunst des Vaters hat sich Dürer abgesehen von der einen Bemerkung, daß er ein «künstlicher" d. h. kunst­ reicher, kunstverständiger Mann gewesen, nicht weiter geäußert. Aber wir besitzen von seiner Hand in der Albertina zu Wien noch eine Silberstiftzeichnung, die den alten Meister mit einem offenbar in Silber gedachten Landsknechts- oder FahnenträgerFigürchen in der Rechten zeigt. Schon dieses Blatt beweist, daß sich der Goldschmied Albrecht Dürer weit über den Durch­ schnitt seiner Handwerksgenossen erhoben hat. Dies wird auch und zwar in erhöhtem Maße durch die Akten bestätigt, die den tüchtigen Goldschmied vielfältig erwähnen. Die mancherlei Ämter, die ihm übertragen werden, wie das des Silberzeichnens und Goldstreichens, das Amt des «Aufziehers und Versuchers" d. h. etwa Abwägers und Probierers der Münze, nämlich der Hellerschrötlinge, sowie das Geschwornenamt sprechen deutlich dafür, und nicht minder künden davon zahlreiche Notizen, die

11 von kostbaren Werken seiner Hand berichten und sich durch die Aufzeichnungen des Kirchenmeisters Sebald Schreyer über seine für St. Sebald gelieferten Arbeiten noch ansehnlich ver­ mehren ließen. Im Original nachzuweisen ist leider bisher keines der Erzeugnisse des alten Dürer gewesen. Jedenfalls läßt sich nach der ganzen Herkunft und bei so~ erfolgreicher Tätigkeit, die doch auch, wie der Sohn hervorhebt, dauernd den Unterhalt für die große Familie aufzubringen ver­ mocht hatte, nur zu wohl begreifen, daß, als Albrecht der Jüngere heranwuchs, von gar keinem anderen Handwerk als von dem der Goldschmiede für ihn die Rede sein konnte. So kam er denn aus der Schule, wo er schreiben und lesen gelernt, ohne weiteres in die Werkstatt des Vaters, wo er nun säuberlich zu arbeiten lernte. Dann aber, heißt cs in Dürers Selbstbiographie weiter, »/trug mich meine Lust mehr zu der Malerei, denn zum Gold­ schmiedwerk. Das hielt ich meinem Vater vor. Aber er war damit nit wohl zufrieden, denn ihn reute die verlorene Zeit, die ich mit der Goldschmiedelehre hätte zugebracht. Doch ließ er mirs nach (d. h. gab er schließlich nach), und da man zählt nach Christi Geburt 1486 an St. Endrestag (30. November), versprach mich mein Vater in die Lehrjahr zu Michael Wolgemut, drei Jahre ihm zu dienen". Man kann indessen doch nicht sagen, daß die Zeit, die Dürer der Erlernung des Goldschmiedehandwerks gewidmet hatte, für ihn und für die deutsche Kunst eine verlorene gewesen sei. Es haben sich ganz im Gegenteil sehr gewichtige Stimmen, allen voran diejenige des einstmaligen gefeierten Wiener Universitäts­ lehrers Franz Wickhoff, dahin geltend gemacht, daß der junge Dürer in der väterlichen Offizin recht eigentlich den gediegenen handwerklichen Grund gelegt habe, der die Solidität, um nicht zu sagen: die Gesetzmäßigkeit seiner künftigen Entwicklung ver­ bürgt hätte, und daß insbesondere die Bedeutung, welche die Graphik, zumal der Kupferstich, in seinem Leben und Schaffen gewinnen sollte, die tonangebende Richtung und Tiefenwirkung, die er dieser seiner höchsten Kunst zu geben verstanden hat, ohne jene Vorstufe, ohne die in der Werkstatt des Vaters erworbenen technischen Kenntnisse kaum denkbar gewesen wären.

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»Besehen wir", sagt Wickhoff, »das erste Werk, das uns von dem genialen Knaben erhalten ist, das Selbstbildnis des Dreizehnjährigen in der Albertina (Taf. 2). Wir meinen eines jener Halbfigürchen zu erblicken, das sich auf goldenem Aste den Pracht­ gefäßen des väterlichen Handwerks enthebt. Was war nicht älles zu lernen in einer solchen Goldschmiedewerkstattr! Model­ lieren und Gießen, Schweißen und Treiben, Zeichnen und Stechen, Nieliieren und Emaillieren, die Grundlagen für Plastik und Malerei, die Freude an der Form und an der Farbe in ihrer glänzendsten und sattesten Verkörperung in Schmelz und farbigen Steinen". Und in der Tat: wie Dürer in jener frühen, noch etwas un­ beholfenen, aber in ihrer Unmittelbarkeit doppelt liebenswürdigen, ja rührenden Silberstiftzeichnung von 1484 bereits in die Gebiete der Graphik oder selbst der Malerei hinüberwechselte, so lassen sich andererseits nie völlig gelöste Beziehungen zur edlen Gold­ schmiedekunst durch sein ganzes Leben verfolgen. Beredte Zeugen sind dafür vor allem die mannigfaltigen, sorgfältig ausgeführten Entwürfe oder Vorzeichnungen für Tafel­ aufsätze, Tischfontänen, Becher, Ohrringe, Anhänger, Schließen und andere Gegenstände in Edelmetall, die wir von seiner Hand besitzen und zu denen sich auch noch mit ähnlichem Zweck verschiedene Ornamententwürfe, insbesondere zu Ätzungen oder Tauschierarbeiten zu Plattenrüstungsteilen gesellen. Besondere Meisterstücke sind unter den ersteren dieser Zeichnungen der Entwurf zu einem gotischen Tafelaufsatz in den Sammlungen des Britischen Museums (Lippmann Nr. 223) mit einer Menge von Figürchen, Kriegsknechten, Landleuten, Jägern, Hirten, und von einer Statuette des heiligen Ritters Georg bekrönt, und die leicht mit Ocker lavierte Tusch-Federzeichnung eines prachtvollen Doppelbechers aus dem Jahre 1526 in der Albertina. So sind auch manche seiner auf metallurgischem Boden er­ wachsenen Versuche und Ansätze, seine noch immer nicht ganz klar umrissene Tätigkeit als Plakettist und Medailleur, seine Kaltnadel­ arbeiten und Radierungen, von welch letzteren Wickhoff mit Recht hervorhebt, daß noch die Graphik Rembrandts auf ihnen fuße, gewiß nicht lediglich aus dem Geist und Künstlertum der Re­ naissance zu erklären, sondern gehen zum guten Teil auf die Erfahrungen und Anregungen in derWerkstatt seines Vaters zurück.

£» Ettliche Unterricht zur Befestigung der Städt’, Schloß und Flecken", wie alle diese Werke mit zahlreichen Holz­ schnitten ausgestattet. Auch der große Doppelholzschnitt: Die Belagerung einer Festung (B. 137) gehört in den Kreis dieser Studien und zeugt mit der Befestigungslehre und dem kürzlich von Emil Reicke mit einem ausführlichen Kommentar veröffent­ lichten Gutachten Dürers über die Bedachung der Kirche des Klosters Gnadenberg (vgl. Zeitschrift für Bauwesen, 76. Jahrgang 1926 Heft I) wiederum für die unendliche Vielseitigkeit dieses seiner ganzen Mentalität nach echten Renaissancemenschen. 1528 endlich kamen noch die »»Vier Bücher von menschlicher Proportion" im Druck heraus, während andere Teile des geplanten Malerbuches »»Ein’ Speiß der Malerknaben", ein figurenreiches Fechtbuch, das erst Friedrich Dörnhöffer 1910 im Wiener Hof­ jahrbuch herausgab, vielleicht auch ein Buch über das Turnierwesen, wozu gleichfalls eine Anzahl Handzeichnungen und Holzschnitte sich erhalten haben, Fragment bleiben mußten und zu seiner Zeit nicht mehr zur Veröffentlichung gelangt sind. Schon das Erscheinen seiner Proportionslehre hat Dürer nicht mehr erlebt. In der Karwoche, am Montag nach Palmarum, den 6. April 1528, ist er, der längst vom Tode Gezeichnete, nach nahezu übermenschlichem Wirken eingegangen in die ewige Nacht, in den ewigen Frieden, und wenige Tage hernach auf Nürnbergs

65 berühmtem Johannisfriedhof zu seiner letzten Ruhe bestattet worden. Auch die Totenmaske, die seine Berufsgenossen, die Künstler von dem edlen Antlitz genommen haben, ist uns nicht erhalten geblieben; aber sein Werk leuchtet in strahlender Jugendschöne durch die Jahrhunderte weiter. XII. Ich habe es in Vorstehendem versucht, von Albrecht Dürer dem Künstler und dem Menschen ein knapp umrissenes Bild zu zeichnen und dabei lediglich die Höhepunkte seines Lebens wie seines Schaffens etwas stärker bezeugt. Für diese wie jene Seite seines Wesens aber hätte selbstverständlich noch manch wichtigesMoment und manch wertvoller Zug hervorgehoben werden können und eigentlich müssen. So wäre selbst in dem gewählten engen Rahmen unter wiederholtem Hinweis auf seine Vielseitig­ keit als Künstler wohl noch ein Wort über Dürers Tätigkeit als Plastiker von nöten gewesen, die indessen, obgleich früh­ zeitig von Quellenschriftstellern bezeugt, doch bis auf den heutigen Tag einigermaßen problematisch geblieben ist. »Kein gewaltiger Künstler", heißt es einmal in dem großen ästhetischen Exkurs am Ende des dritten Buches der Proportionslehre, dem auch die meisten der obigen Zitate entnommen sind, »soll auf eine Art allein gehen, sondern er soll in vielerlei Weg und zu aller­ lei Art geübt und darin verständig sein"; und nach dem seinem Zeitalter entsprechenden künstlerischen Expansionsbestreben, ja nach der unseren Meister ganz offenbar beherrschenden Sehn­ sucht nach einem Allmenschentum etwa im Goetheschen Sinne werden wir doch wohl annehmen dürfen, daß er nicht nur die Zeichnungen zu den Medaillen und Plaketten, die mehr oder weniger deutlich in nächster Beziehung zu ihm stehen, sondern daß er auch die Modelle in Holz oder Solnhofer Stein vermut­ lich selbst gefertigt habe. So für das Silberrelief mit dem reiz­ vollen Frauenakt, jetzt im Metropolitan-Museum zu New-York, so für die vom Rat der Stadt Nürnberg Dürer 1521 in Auftrag gegebene, aber schließlich nicht zur Ausgabe gelangte Medaille auf Kaiser Karl V. und für noch sechs weitere, von 1508 bis 1517 datierte Medaillen, die sich jetzt recht übersichtlich im IV. Bande der Klassiker der Kunst in Gesamtausgaben (4. Auflage S. 399 bis 403) zusammengestellt finden. Der Kaiser-Medaille am nächsten 5

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verwandt ist darunter die Denkmünze auf Willibald Pirckheimer mit ihrer reich dekorierten Rückseite, von deren italienisierenden Wappendarstellung, dem Birkenbaum auf geteiltem Schild, sich die Vorzeichnung im Kupferstichkabinett des Germanischen Muse­ ums befindet. Von besonderer Kraft und Eindringlichkeit ist dann vor allem das leider auch in Bezug auf die Dargestellte noch völlig unaufgeklärte, jedenfalls aber fälschlich als Agnes Dürerin bezeichnete Frauenbildnis, wovon ein Steinrclief, ver­ mutlich das Modell, die Sammlung Vogel in Chemnitz bewahrt, während sich ein Silberguß in den Sammlungen Goethes zu Weimar erhalten hat. Der Vielseitigkeit, die das Renaissance-Ideal vom echten Künstler forderte, entsprechen endlich auch die Versuche unseres Meisters in der Dichtkunst, seine wiederum nur in Abschriften auf uns gekommenen Reime, die, wenn auch vielfach ungewandt und holperig — daran ist zum Teil auch die Zeit schuld —, nicht selten eine tiefe Lebensweisheit bekunden. Dürers Verhältnis zur Poesie ähnelt einigermaßen demjenigen Goethes zu den graphischen Künsten. Und nicht minder wäre natürlich zur tieferen Erforschung und gründlicheren Darlegung seines Menschentums vor allem auch ein genaueres Eingehen auf das Verhältnis zu seinem Weibe, zu Frau Agnes, über das wir freilich nicht allzu viel Sicheres vernehmen oder erschließen können, am Platze gewesen. Daß dies Verhältnis vermutlich kein besonderes inniges war, dürfen wir vielleicht schon aus diesem Schweigen abnehmen. Aber daß Frau Agnes eine tüchtige Hausfrau gewesen, die wohl auch umsichtig und sparsam hinter dem finanziellen Betriebe stand, und daß die Ehegatten in Frieden und Eintracht mit einander gehaust haben, ist doch auch aus mancherlei Andeutungen zu entnehmen. Auch von der Bescheidenheit des großen Meisters, wie auch von seinem Ehrgeiz, seinem stolzen Selbstbewußtsein hätten sich noch manche charakteristische Züge anführen lassen und nicht minder für seinen »unersättlichen Wissensdurst" (Friedländer a. a. O. S. 47), seinen lebhaften Anteil an den Ereignissen derZeit, seinen Sinn für Witz und Humor. Aus dem letzten Lebensjahre stammt sein nach Heinrich Röttinger nunmehr endgültig dem Erhard Schön zuzu­ schreibendes Bildnis mit dem kurz und rund abgeschnittenen Haar in

Tafel 5.

Dürer im letzten Lebensjahre. Nach einem Holzschnitt von Erhard Schön.

Dürermedaille von Mathis Gebel 1527.

67 etwas derbem Holzschnitt, das sicher auf die Medaille des Matthis Gebel von 1527 zurückgeht (vgl. die beiden Abbild, auf Taf. 5). Nicht tragisch, wie man wohl auf Grund falscher Voraus­ setzungen und Annahmen hat behaupten wollen, ist sein Lebens­ abend zu Ende gegangen, sondern in der Wonne unverminderten Schaffens und, soweit sich aus seinen Werken ein Schluß auf sein Leben ziehen läßt, in vollkommener Harmonie. So dichtet auch Freund Pirckheimer in seinerElegia in obitum Alberti Düreri: »Omnia Durero dederat fortuna secunda, Ingenium, formam, cum probitate fidem“ w Alles hatte ein gütig Geschick unsrem Dürer gegeben: Geist und Schönheit, dazu Glauben und redlichen Sinn". Was er, falls er länger gelebt, noch unternommen, was er noch ferner geschaffen haben würde, bleibt in ewiges Dunkel gehüllt. Wollen wir aber im Rückblick auf die Gesamterscheinung Albrecht Dürer eine Formel auf ihn finden, so läßt sich etwa sagen, daß er als Künstler größer gewesen sei, denn als Maler, aber als Mensch noch größer denn als Künstler, und Herrlicheres kann doch wohl keinem Sterblichen nachgerühmt werden.

Die Buchmalerei in den beiden Dominikanerklöstern N ürnbergs V

Von

Dr. Karl Fischer-Nürnberg.

Inhalt Seite

Übersicht der abgekürzt angeführten Literatur....................... 72 Verzeichnis der Handschriften, der Schreiber und der Buchbinder 73 Einleitung........................................................................................ 79 Kap. 1. Die Buchmalerei in Nürnberg bis 1400................... 82 Kap. 2. Die Buchmalerei bis 1430 im Predigerkloster. r. Die Handschriftengruppeum Konrad Wyser. . . 90 2. Die Miniaturen der Postilla des Nicolaus de Lyra zwischen 1420 und 1430............................... 94 Kap. 3. Die Beziehungen der Nürnberger Buchmalerei zur Prager Schule................................................................. 97 Kap. 4. Die Wiedereinführung der strengen Observanz im Katharinenkloster in ihrer Bedeutung für die Buchmalerei 109 Kap. 5. Die Buchmalerei im Predigerkloster um die Mitte des Jahrhunderts (1440—1460). 1. Zwei Bildnisinitialen um 1440....................................119 2. Die Miniaturen zweier Handschriften des Johannes Nider und ihre Einwirkungen auf das Augustiner­ kloster .........................................................................121 3. Die Miniaturen der Handschriften des Konrad Starck um 1450.............................................................. 129 4. Bildnisinitialen bis gegen 1460..................................... 132 Kap. 6. Die Buchmalerei im Katharinenkloster von 1450 bis 1470. 1. Die Illuministin Barbara Gwichtmacherin .... 137 2. Margarete Karteuserin und die Miniaturen ihrer Handschriften.................................................................. 144 3. KalligraphischerSchmuck imKatharinenkloster . 149 Kap. 7. Das Ende der klösterlichen Buchmalerei in Nürnberg 151

Übersicht der abgekürzt angeführten Literatur. Bock, Predigerkloster — Bock, Friedrich: Das Nürnberger Predigerkloster. Beiträge zu seiner Geschichte. In: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg. Heft 25, Nürnberg 1924, S. 145 —213. Bredt, Katalog — Bredt, E. W.: Katalog der mittelalterlichen Miniaturen des Germanischen Nationalmuseums. Nürnberg 1903. Burger — Burger, Fritz: Die deutsche Malerei vom ausgehenden Mittelalter bis zum Ende der Renaissance. 2 Bände. In: Handbuch der Kunstwissenschaft. Berlin-Neubabelsberg (1923/24). Dvorak — Dvorak, Max: Die Illuminatoren des Johann von Neumarkt. In: Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen des allerhöchsten Kaiserhauses. Bd. 22, Heft 2, Wien 1901. Falk — Falk, Franz: Der Stempeldruck vor Gutenberg. In: Festschrift zum 500jährigen Geburtstag von Johann Gutenberg. 23. Beiheft zum Centralblatt für Bibliothekswesen. Leipzig 1900. Fries, Katharinenkloster — Fries, Walter: Kirche und Kloster zu St. Katharina in Nürnberg. In: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg. Heft 25, 1924, S. 1 —143. Gehhardt •=. Gebhardt, Karl: Die Anfänge der Tafelmalerei in Nürnberg. Studien zur deutschen Kunstgeschichte. Heft 103, Straßburg 1908. Jostes — Jostes, Franz: Meister Eckhart und seine Jünger. Collectanea Friburgensia. Fase. IV. Freiburg (Schweiz) 1895. Irmischer,Katalog = Irmischer, Johann Konrad: Handschriftenkatalog der Kgl. Universitäts-Bibliothek Erlangen. Frankfurt und Erlangen 1852. Leitschuh und Fischer, Katalog: Leitschuh, F., und H. Fischer: Katalog der Handschriften der Kgl. Bibliothek zu Bamberg. Bamberg 1895 bis 1906. Martin — Martin, Henry: La Miniature Frangaise du XIII. au XIV. siöcle. Paris und Brüssel 1923. Petzet, Katalog — Petzet, Erich: Die deutschen Handschriften Nr. 1 —200 der Staatsbibliothek in München. (Catalogus codicum manuscriptorum bibliothecae Monacensis. Bd. V, 1) München 1920. Raspe = Raspe, Theodor: Die Nürnberger Miniaturmalerei bis 1515. Studien zur deutschen Kunstgeschichte, Heft 60. Straßburg 1905. Kirchenlexikon — Wetzer und Weltes Kirchenlexikon . . . begonnen von Jos. Hergenröther . . . Freiburg 1882—1903. Würfel, Todenkalender = Würfel, Georg Andreas: Toden-Kalender des St. Katharina-Klosters in Nürnberg. Altdorf 1769. Weitere Literatur wird jeweils am Ort genau nachgewiesen.

Anhang. Verzeichnis der Handschriften. a) nach Herkunft: 1. Aus der Bibliothek des ehemaligen Predigerklosters in Nürnberg. Cent. IV, 53 Gottfried de Trano: Super titulos decretalium. Italienische Hs. des XIV. Jahrh., latein., Pergt. 233 Bll., 337:225 mm. S. 96. Cent. III, 74 Johannes lector: Summa confessorum. Hs. des XIV. Jh., latein., Pergament, 345 Bll., 337:235 mm. S. 83 f. Cent. I, 2—4 Biblia latina, Ende des XIV. Jh., geschrieben von Hainricus. Bd. r: gebd. von Konrad Förster und Johann Eysteter 1447, Pergt. 215 Bll., 500:344 mm. Bd. 2: gebd. von Konrad Förster und Wilhelm Krug 1447, Pergt., 197 Bll., 500:343 mm. Bd. 3: gebd. von Konrad Förster und Wilhelm Krug, 1447, Pergt. 230 Bll., 499:352 mm. S. 85 h Cent. I, 55 Augustinus: Sermones. Schreiber Konradus Wyseraus Eichstätt, 1417, latein., Pergt. 156 Bll., 335:245 mm. S. 91 f. Cent. I, 13 Thomas de Aquino: Liber IV. sententiaium, geschr. von Konrad Wyser 1418, latein., Pergt , 211 Bll., 471:325 mm. S. 91 ff. Cent. II, 1 Albertus Magnus: De mirabili scientia dei. Bd. 1 geschr. von Konrad Wyser 1420, latein., Pergt, 161 Bll., 380:269 mm. S. 92, 94. Cent. II, 2 Albertus Magnus: — Bd. 2, geschr. von Johannes Schwartz 1417/18, latein., Pergt, 162 Bll., 403:293 mm. S. 91 f. Cent. I, 32 Nikolaus de Lyra: Postillae Bd. 1, geschr. von Friedrich Cratzer 1421, latein., Pergt., 227 Bll., 385:272 mm. S. 94fr. Cent. I, 33 —------ Bd. 2, geschr. 1386 (Schreibfehler?), latein., Pergt. 229 Bl., 367:270 mm. S. 94 ff. Cent. I, 34---------- Bd. 3 (1420 — 30), latein., Pergt, 196 Bll., 367:274 mm. S. 94 f., 135 f. Cent. I, 35---------- Bd. 5 (1420—30), latein., Pergt, 180 Bll., 379:266 mm. S. 94 ff. Cent. III, 5 Eusebius Caesariensis: Historia ecclesiastica, 1430, latein., Pergt., 261 Bll., 337:250 mm. S. 106. Cent. I, 96 Katholikon, geschr. von Konrad Wyser (um 1430) latein., Pergt, 272 Bll., 555:375 mm. S. 92, 109. Cent. III, 6 Historiae tripartitae a Socrate, Sozomeno et Theodorito, (1430—35) latein., Pergt., 144 Bll. 338:260 mm, gebd. 1435 von Konrad Förster. S. io6f. Cent I, 56 Augustinus: De civitate dei (um 1440), gebd. 1447 von Konrad Förster, latein., Pergt., 213 Bll., 368:275 mm. S. ii9f. Cent. III, 27 Albertus Magnus: De animalibus (um 1440), gebd. 1440 von Konrad Förster und Peter Hausen, latein., Pergt., 255 Bll ,403:290 mm. S. 120 f.

74 Cent. II, 9 Nider, Johannes: Praeceptorium divinae legis (1440—48), gebd. 1448 von Konrad Förster und Johann Eysteter, latein., Pergt., 155 Bll., 337:260 mm. S. 121 ff. Cent. II, 8 —, —: Sermones (1440 — 50) gebd. von Konrad Förster und Johann Eysteter 1451, latein., Pergt., 172 Bll ,350:260 mm. S. 121 ff. Cent. I, 100 Vocabularium rerum legalium (Mitte 15. Jh.), latein., Pergt., 325 Bll, 362:268 mm. S. 124, Anm. 1. Cent. III, 2 Josephus: Antiquitates, geschr. 1446 von Konrad Starck, latein., Pergt , 198 Bll., 409:292 mm. S. 130 ff. Cent. I, 37 Albertus Magnus: Postilla super Marcum, desgl. super Johannem, geschr. 1447 von Konrad Starck, gebd. 1450 von Konrad Förster und Johann Eysteter, latein., Pergt., 195 Bll, 370:271 mm. S. 130 ff Cent. I, 39 Hugo Cardinalis: Postilla super Lucam, geschr. 1450 von Konrad Starck, gebd. 1451 von Konrad Förster und Johann Eysteter, latein., Pergt., 150 Bll., 350:262 mm. S. 130 ff. Cent. III, 78 Johannes de Geminiano: Sermones de Sanctis, geschr. 1453 von Konrad Starck, gebd. 1454 von Konrad Förster und Johann Eysteter, latein., Pergt., 179 Bll., 349:258 mm. S. 13066 Cent. I, 36 Albertus Magnus: Postilla super Matthaeum (1445 —1450) gebd. 1452 von Konrad Förster und Johann Eysteter, latein., Pergt., 153 Bll., 370:270 mm. S. 130 fr. Cent. I, 38 Hugo Cardinalis: Postilla super Johannen! (1445 —1450), gebd. 1452 von Konrad Förster und Joh. Eysteter, latein., Pergt., 121 Bll., 350:260 mm. S. 130 fr. Cent. I, 47 Augustinus: Quaestiones veteris et novi testamenti (1445 — 50), gebd. 1452 von K. Förster und Joh. Eysteter, latein., Pergt., 141 Bll., 369:271 mm. S. 130 fr. Cent. II, 18 Jordanus de Ligburg(!): Postillae, 1464, latein.,Pergt., 168 Bll., 364:270 mm. S. 131, Anm. 1. Cent. III, 29: Bertorius: Repertorium morale, Bd. I (um 1460), gebd. 1460 von Wilhelm Krug und Johann Wirsing, latein-, Pergt., 322 Bll., 468:316 mm. S. 132 fr Cent. III, 30 — — —, Bd. II (um 1460), gebd. 1462, latein., Pergt., 194 Bll., 470:316 mm. S. 143 f. Cent. III, 70 Salve regina, Bd. I, geschr. 1458 von Konrad Kellermann, latein., Pergt, 298 Bll., 363:270 mm. S. 152 f. Cent. III, 71 — —, Bd. III, geschr. 1459 von Peter Trünckel, latein., Pergt, 295 Bll., 364:270 mm. S. 144 f. 2. Aus der Bibliothek des ehemaligen Katharinenklosters in Nürnberg. Cent. VII, 79 (Katalog) Notel, wie man soll zu Tisch lesen 11450-60), deutsch, Papier, J46 Bll., 208:146 mm. S. 11 off. Cent. VII, 8 Lateinischer Curs von der hl. Dreifaltigkeit, latein. und deutsch, Pergt., 162 Bll., 102:74 mm. S. nof. Cent. IV, 37 (Sammelband von Predigten, Anfang 15. Jh.) Papier, 134 Bll., 295:213 mm. S. iii. Leipz. Kl. I, 39 (Ämterbuch) 1431, gebd. 1436 von Konrad Förster, latein. und deutsch, Pergt., 237 Bll., 365:265 mm. S. 109.

75 Cent. IV, 44 u. Germ. Museum, Kupferstichsammlung 282: Die 24 Alten (um 1430), deutsch, Papier, 359 Bll., 295:210 mm. S. mff. Cent. VI, 43 k Psalter, 1434, deutsch, Papier mit Pergt., 259 Bll., 202:137 mm. S. 117 f. Cent. III, 40 Die biblia der Armen (das ander buch), geschr. 1445 von K(unigunde) N(iklas) deutsch, Papier mit Pergament, 285 Bll., 293:206 mm. S. 118. Cent. III, 41 Die bibel der Armen (daz dritt new buch), geschrieben 1437, deutsch, Papier mit Pergt-, 259 Bll., 302:210 mm. S. 118 f. Cent. III, 42 Das funft Buch der bibel (um 1440), Lederschnittband, deutsch, Papier mit Pergt., 143 Bll., 310:213 mm. S. 136h Cent. III, 43 Das VI. Buch der bibel, 1443 geschr. von K(unigunde) N(iklas), deutsch, Papier mit Pergt., 355 Bll., 293:207 mm. S. 149. Leipz. Kl. I, 42, Bd. I Breviarium, Sommerteil, geschr. 1452 von Margarete Karteuserin, gebd. 1457 von K. Förster und Johann Wirsing, illuminiert von Barbara Gwichtmacherin, Pergt., 288 Bll, rund 50:36,5 cm. S. 138 ff. Leipz. Kl. I, 42, Bd. II — Winterteil, geschr. 1446 von Anna Grumperger, gebd. 1453 von K. Förster u. J. Eysteter, Pergt., 241 Bll. rd. 50 : 36,5 cm. S. 131 f. Cent. III, 86 Missale, pars hiemalis, geschr. 1452 von Margarete Kar­ teuserin, gebd. 1452 von Konrad Förster und Joh. Eysteter, latein., Pergt., 187 Bll., 363:250 mm. S. 139, 146, 150. Cent. III, 87 — pars aestivalis, geschr. 1463 von Margarete Karteuserin, lat., Pergt., 148 Bll., 362:250 mm. S. 147, 151. Cent. V, 10a Elsbeth Stagel: Das Leben der Schwestern zu Töß (um 1455) Papier m. Pergt., 148 Bll., 283:198 mm. S. 140 ff. Cent. VI, 43 g Legende des hl. Vincentius, 1462, Papier mit Pergt., deutsch, 267 Bll., 221 : 155 mm. S. 141. Cent. V, App. 34p Antiphonarium, geschr. 1458 von Margarete Kar­ teuserin, latein., Pergt., 89 Bl., 573:400 mm., gebd. 1460 von Wilh. Krug und Joh. Wirsing. S. 142, 147 ff. Cent. V, App. 34q —, geschr. 1459 von M. Karteuserin, latein., Pergt, 54 Bll., 575:402 mm. S. 142, 147 ff Cent. V, App. 34r —, geschr. 1460 von M. Karteuserin, gebd. 1461 von Wilh. Krug und Joh. Wirsing, Pergt., latein., 72 Bll., 612 : 432 mm. S. 147, 151* Cent. V, App. 34s geschr. 1461, von M. Karteuserin, latein., Pergt., 61 Bll., 613:431 mm. S. 147, 151. Cent. V, App. 34t —, geschr. von M. Karteuserin 1465, latein., Pergt., 57 Bll., 584:400 mm. S. 148, 151. Cent. V, App. 34 u —, geschr. 1467 von M. Karteuserin, lat., Pergt., 67 Bll., 615:413 mm. S. 147. Cent. V, App. 34V —, geschr. 1468 von M. Karteuserin, latein., Pergt., 63 Bll., 599:410 mm. S. 148. Cent. V, App. 34 w —, geschr. 1470 von M. Karteuserin, lat., Pergt., 73 Bll., 591 :4°5 mm. S. 148. Cent. IV, 93 Von kayserlichen rechten, 1432, deutsch, Papier, 106 Bll., 304 : 213 mm. S. 149. Bamberg, Ms. hist. 154 Leben der hl. Katharina von Alexandria 1451, s. Leitschuh und Fischer, Katalog, S. 252 f., S. 150.

76 Cent. IV. 19 Die 24 collationes der Aitväter, 1451, geschr. von Kuni­ gunde) N(iklas), Papier mit Pergt., 343 Bll., 294: 209 mm. S. 150. München, Cgm. 127, Gebetbuch, deutsch, 1476, s. Petzet, Katalog, S. 230 f. S. 151.

München, Cgm. 177, Breviarium lat., (um 1500), s. Petzet, Katalog, S. 322 ff. S. 151.

3. Aus der Bibliothek des ehemaligen Ägidienklosters in Nürnberg. Cent. III, 50 Liber consolationurn sacrae theologiae, geschr. 1427/28 von Bartholomäus de suebisch Hall, latein., Pergt., 163 Bll., 386:290 mm. S. 105 f. Cent. III, 8 Socrates etc., Historia tripartita . .., geschr. 1457 von Leonhard Graus, latein., Pergt-, 112 Bll., 370:273 mm. S. 107. Cent. I, 65 Gregorius papa: Omelia super Ezechiel, geschr. 1463 von Sigismund Schuel de Patavia, latein., Pergt., 123 Bll., 338:247 mm. S. 107 f.

4. Aus der Bibliothek des ehemaligen Augustinerklosters in Nürnberg. Cent. III, 3 Josephus: Antiquitates (1450—60) latein., Pergt. mit Papier, 149 Bll., 372:273 mm. S. 125ff. Cent. III, 1 Eusebius: Ecclesiastica historia. .., geschr. 1467, von Konrad Streicher, latein., Pergt., 193 Bll., 370:275 mm. S. 125 ff. Cent. I, 68 Bernhard von Clairvaux: Sermones (1450—60) lat., Pergt., 105 Bll., 368:270 mm. S. 129.

5. Aus dem Heiliggeist-Spital in Nürnberg. Stadt-Archiv Nürnberg, Cod. man. fol. 15: Großisches Stiftungsregister (um 1400), deutsch, Pergt., 30 Bll., 300:225 mm. S. 89.

6. Aus dem Besitz des Dr. Johannes Lochner, Propst zu St. Sebald in Nürnberg. Cent. III, 60 Johannes Calderinus: De ecclesiastico interdicto (1460 — 70), latein., Pergt., 93 Bll., 324:230 mm. S. 126 ff.

7. Aus dem Augustinerstift Neunkirchen a. Brand. Bamberg, Ms. Bibi. 9, Bd. 1—3: Bibel in 3 Bänden, lat., geschr. 1389 von Konrad Alex von Eggolsheim, siehe Leitschuh und Fischer, Katalog, S. 8 f. S. 88 ff.

8. Aus der Bibliothek des Zisterzienserklosters Heilsbronn. Erlangen, U. B., Ms. 674: Johannes de Nova domo: Commentarium aureum super II. partem Alexandri, Pergt., lat., zweite Hälfte 15. Jahrh. s- Irinischer, Katalog, Nr. 674. S. 135.

9. Vorbesitzer unbekannt. Cent. I, 14 Lectionarium, Anf. 15. Jahrh., böhmisch, latein., Pergt., 176 Bll., 489:350 mm. S. 100 f.

77 Cent. I, i Biblia latina, geschr. 1410 von Benedictus Korczek, Pergt., 266 Bll., 585:402 mm. S. 102 ff. Cent. I, 5 Biblia latina (um 1420, böhmisch), Pergt., 183 Bll., 523 : 357 mm. S. 97 ff-

Cent. V, 86 Biblia latina, geschr. 1431 von Matthias, licentiatus artium liberalium studii Pragensis, Pergt., 393 Bl., 225:150 mm. S. 105. Nürnberg, German. Museum, Kupferstichsammlung Nr. 221: Äbtissin, s. Bredt, Katalog S. 101. S. 134 h —,-------Nr. 79 — 81: Rankenfragmente, S. 136. b) Nach d erzeitigen Besitzern. Nürnberg, Stadtbibliothek: Cent. I, 1; 2-4; 5; 13; 14; 32; 33; 34; 35; 36; 37; 38; 39; 47; 55 , 56; 65; 96; 100. Cent. II, 1; 2; 8; 9; 18. Cent. III, 1; 2; 3; 5; 6; 8; 27; 29; 30; 40; 41; 42; 43; 50; 60; 70; 71; 74; 78; 86; 87. Cent. IV, 19; 37; 44; 53; 93. Cent. V, 10a; 86. Cent. V, App. 34 p—w. Cent. VI, 43g; 43k. Cent. VII, 8; 79. Nürnberg, Stadtarchiv: Cod. man. fol. 15 (Spital). Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Kupferstich­ kabinett: Nr. 79 — 81; 221; 282. Bamberg, Bayer. Staatsbibliothek: Ms. Bibi. 9, Bd. 1—3. Ms. hist. 154. Erlangen, Universitätsbibliothek: Ms. 674. Leipzig, Deutsches Museum für Buch und Schrift: Kl. I, 39; 42, Bd. 1. 2. München, Bayer. Staatsbibliothek: Cgm. 127; 177.

Verzeichnis der Schreiber. Bartholomaeus de suebisch Hall: Cent III, 50 (142; 28). Graus, Leonhard: Cent. III, 8 (1457). Gruinberger, Anna: Leipzig, Kl. I, 42, Bd. 2 (1446). Hainricus: Cent, I, 2—4 (Ende 14. Jahrhundert). Imhoff, Margarete: Cent. III, 86 (1452) Karteuserin, Margarete: Leipzig Kl. I, 42, Bd. 1 (1452). Cent. III, 86 (1452) Cent. III, 87 (1463) Cent V, App. 34 p--w (1458—1470). Kellermann, Konrad: Cent. III, 70 (1458). Konrad Alex von Eggolsheim: Bamberg, Ms. Bibi. 9, Bd. 1-3 (1389) Korczek, Benedictus: Cent. I, 5 (1410). Kratzer, Friedrich: Cent. I, 32 (1421). Matthias licentiatus: Cent. V, 86 (1431). Niklas, Kunigunde: Cent. III, 40 (1445) Cent. III, 41 (1437) •Cent. III, 43 (um 1440) Cent. IV, 19 (145 1 )• Schuel de Patavia, Sigismund: Cent. I, 65 (1463). Schwartz, Johannes: Cent. II, 2 (1417/18). Starck, Konrad: Cent. I, 37 (1447) h 3$ (145°) Cent. III, 2 (1446) III, 78 (1453). Streicher, Konrad: Cent. III, 1 (1467). Trünckel, Peter: Cent. III, 71 (1459). Wyser, Konrad: Cent. I, 13 (1418) Cent. I, 55 (1417) Cent. I, 96 (um 1430) Cent. II, 1 (1420).

Verzeichnis der Buchbinder. Förster, Konrad: Cent. I, 2; 56. Cent. III, 6; 74. Leipz. Kl. I, 39. Förster, Konrad, und Johann Eysteter: Cent. I, 2; 36; 37; 38; 39; 47. Cent. II, 8; 9. Cent. III, 78; 86. Leipz. Kl. I, 42, Bd. 2. Förster, Konrad, und Peter Hausen: Cent. III, 27 Förster, Konrad, und Wilhelm Krug: Cent. I, 3; 4. Förster, Konrad, und Johann Wirsing: Leipz. Kl. I, 42, Bd. r. Krug, Wilhelm, und Johann Wirsing: Cent. III, 29 Cent. V, App. 34r.

Einleitung. Im Gegensatz zu der Nürnberger Tafelmalerei, die nicht nur für die Zeit nach 1500, sondern auch von ihren Anfängen bis zur Renaissance häufig und eingehend behandelt wurde, ist die Buchmalerei bisher nur wenig beachtet worden. In der geringen Zahl von Arbeiten, die sich mit ihr befaßten, wird das Haupt­ augenmerk auf das 16. Jahrhundert gerichtet. So kommt es, daß die Buchmaler dieser Zeit, Elsner und die Familie Glockendon und besonders die Randzeichnungen Albrecht Dürers häufig be­ arbeitet sind. Von den Werken der vorhergehenden Zeit wußte man im allgemeinen nur die Miniaturen der Margarete Karteu­ serin zu nennen (vergl. S. 144ff.)Nur Theodor Raspe *) hat den Versuch einer Geschichte der Nürnberger Miniaturmalerei von ihren Anfängen bis 1515 mit Ausschluß Dürers und der Hauptwerke der Glockendon ge­ macht. Aber auch in seiner Arbeit nehmen die Jahre 1500 — 1515 einen verhältnismäßig breiten Raum ein, während die an inter­ essanten Miniaturen überaus reiche 1. Hälfte des 15. Jahrhunderts nur summarisch und mehr aufzählend behandelt ist*2). Dabei beschränkt sie sich nur auf einen kleinen Teil der in Betracht kommenden illuminierten Handschriften, es scheint, daß die große Zahl der nicht berücksichtigten Werke gar nicht eingesehen worden war. Wohl nur darauf ist es zurückzuführen, daß dem Verfasser die Schulzusammenhänge in den einzelnen Klöstern vollständig entgangen sind. Die vorliegende Arbeit hat sich die Aufgabe gestellt, den Anteil der beiden Dominikanerklöster Nürnbergs, des Männer­ klosters, meist Predigerkloster genannt, und des Dominikanerinnen­ klosters zu St. Katharina, an der Nürnberger Buchmalerei fest­ zustellen, ihn in seiner Entwicklung zu verfolgen, die gefundenen *) Raspe, Theodor: Die Nürnberger Miniaturmalerei bis 1515. Dissertation, München 1905, und Studien z. deutsch. Kunstgesch., Heft 60, Straßburg 1905. 2) Burger urteilt Seite 307: unvollständig und mehr katalogisierend.

80 Gruppen in Beziehung zu setzen einerseits zu der Buchmalerei der anderen Klöster der Stadt, andererseits, wo angängig, zu der Tafelmalerei Nürnbergs, und die Einwirkungen fremder Schulen zu erforschen. Aus der Zahl der illuminierten Handschriften treten die Bände der beiden fraglichen Klöster deutlich hervor. Jedes hat seine besondere Charakteristik und eigene Entwicklung, trotzdem aber können sie schwerlich in der Betrachtung getrennt werden, da Wechselwirkungen zwischen beiden, die schon äußerlich durch die Ordenszugehörigkeit und durch das Beichtverhältnis verbunden waren, unausbleiblich waren und auch des öfteren festgestellt werden können. Die Dominikanerklöster bieten für Nürnberg die einzige geschlossene Entwicklungsreihe vom Ende des 14. bis in die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts. Die eingehende Bearbeitung des reichen Bestandes an Miniaturen für eine Geschichte der ganzen Nürnberger Buchmalerei muß hier beginnen, dann können die übrigen Klöster (besonders Ägidien- und Kartäuserkloster), die Buchmalerei im Heiliggeistspital und in den Kirchen St. Lorenz, Sebald und Martha, die nur ein lückenhaftes Material bieten, be­ handelt werden. Da wo diese Miniaturen zu den Dominikaner­ klöstern in Beziehung treten, wird zwar schon hier darauf hin­ gewiesen, dennoch sollte sich der gegenwärtigen Arbeit eine systematische Bearbeitung jener Gruppen anschließen. Zahlreiche Einzelminiaturen, meist aus Handschriften herausgeschnitten und im Kupferstichkabinett des Germanischen Museums aufbewahrt, werden hier nur behandelt, soweit sie nachweislich aus den Domini­ kanerklöstern stammen oder dieser Entwicklungsreihe nahestehen1). So soll die Herausstellung der Buchmalerei in den Nürn­ berger Dominikanerklöstern keine Loslösung aus der gesamten Nürnberger Buchmalerei bedeuten, sondern der Anfang sein einer eingehenden Bearbeitung dieses großen Gebietes. Bei der Zuteilung der einzelnen Bände an ihre Ursprungs­ klöster konnte ich mich für das Predigerkloster auf die Arbeit des Direktors der Stadtbibliothek Nürnberg, Dr. Friedrich Bock2), 1) Bredt hat sie in seinem Katalog (1903) eingehend beschrieben und ihre Nürnberger Herkunft im allgemeinen festgestellt. 2) Siehe Bock, Predigerkloster S. 174.

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für das Katharinenkloster auf diejenige des Konservators am Germanischen Museum, Dr. Walter Fries, stützen1). Bock hat das Werk des Buchbinders und Predigermönchs Konrad Förster aus Ansbach in seinem ganzen Umfang festgestellt. Durch die Stempelinschriften dieses Klosterhandwerkers kann ein großer Teil der Bände seines Klosters einwandfrei erkannt werden2). Fries hat die Bibliothek des Katharinenklosters in ihren Resten wiederhergestellt und dadurch die Grundlage für das Erkennen der diesem Kloster zugehörigen Miniaturen geschaffen. Das handschriftliche Material, das der vorliegenden Arbeit zugrunde liegt, findet sich zum weitaus größten Teil in der Stadtbibliothek Nürnberg. Darüber hinaus benützte ich Hand­ schriften aus dem Stadtarchiv Nürnberg, dem Deutschen Museum für Buch und Schrift in Leipzig, den Bayerischen Staatsbiblio­ theken in München und Bamberg und der Universitätsbibliothek Erlangen. Einige Einzelblätter mit Miniaturen bewahrt das Kupfer­ stichkabinett des Germanischen Nationalmuseums zu Nürnberg auf. Den Direktionen dieser Bibliotheken und Museen sei für die Erlaubnis zur Einsichtnahme, Bearbeitung und photographischen Aufnahme gebührender Dank gesagt. Die Behandlung des Stoffes dieser Arbeit wäre nicht möglich gewesen ohne die Förderung und das unermüdliche Interesse, das Herr Dr. Friedrich Bock, Direktor der Stadtbibliothek Nürnberg, mir entgegengebracht hat. Ich kann ihm dafür nur bescheidenen Dank abstatten. Besonders verpflichtet bin ich meinem akademischen Lehrer, Herrn Universitätsprofessor Dr. Friedrich Haack in Erlangen. Seine Unterstützung, seine vielseitigen Anregungen und sein Interesse ermöglichten es mir, auf Grund der vorliegenden Arbeit an der Universität Erlangen zu promovieren. Karl Fischer. *) Siehe Fries, Katharinenkloster S. 134 ff. 8) Bock beabsichtigt eine Arbeit über Konrad Förster herauszugeben.

Kapitel I.

Die Buchmalerei in Nürnberg bis 1400. Die Buchmalerei in Nürnberg kam erst in spätgotischer Zeit zur Entfaltung. Aus dem 13. Jahrhundert ist nur eine Handschrift erhalten, die von Frater Berthold, einem ehemaligen Lektor in Nürnberg, 1292 und 1294 gefertigt und reich mit meist' sym­ bolischen Bildern versehen ist1). Diese Handschrift steht in so weitem zeitlichen Abstand von den Miniaturen der beiden Domini­ kanerklöster, daß sie kaum irgendwelche Einwirkungen auf diese ausgeübt hat, mindestens fehlen weitere Bindeglieder. Von einem jüdischen Machsor aus dem Jahre 1331 nimmt Raspe2) 1905 ohne irgend einen Zweifel Nürnberger Provenienz an, trotzdem Bernhard Ziemlich, Rabbiner an der israelitischen Gemeinde Nürn­ berg, bereits 1886 vom Standpunkt der jüdischen Ritusforschung den Nürnberger Ursprung ablehnt und lieber Regensburg an­ nehmen möchte3). Auch eine Kreuzigung aus der ersten Hälfte des 14. Jahr­ hunderts, die Raspe vermutungsweise mit Nürnberg in Zusammen­ hang bringt4), und eine Legende der hl. Maria Magdalena aus dem Klarakloster zu Nürnberg5), vermögen nicht eine lebhaftere Illuminationstätigkeit in Nürnberg zu bezeugen. Tatsächlich zeigt das, was sich an Buchmalerei vor 1400 in Nürnberg erhalten hat, wenig Entwicklung und Eigenart. Von ausschlaggebender Bedeutung für die Kenntnis der Nürnberger Buchmalerei vom 12. bis 14. Jahrhundert wäre wohl die alte Bibliothek des um 1140 *) Gotha, Herzogi. Bibliothek, membr. foJ. LVI. s. Raspe S. 7. 2) Stadtbibliothek Nürnberg, Cent. IV, 100. s. Raspe S. 5 3) Siehe Ziemlich, Bernhard: Das Machsor Nürnberg. Ein Beitrag zur Erforschung des Ritus . . . Berlin 1886. — Raspe bezieht sich lediglich auf Murr, Christoph Gottlieb: Beschreibung der vornehmsten Merkwürdigkeiten in der . . . Reichsstadt Nürnberg . . . Nürnberg 1778, S. 68. 4) Nürnberg, Germanisches Museum Nr. 65 (s. Bredt, Katalog S. 53 f., hier als „fränkisch“ bezeichnet); vgl. Raspe S. 8. ö) Bamberg, Staatsbibliothek, Ms. hist. 159 (s. Leitschuh u. Fischer, Katalog Bd. 1, Abt. 2 S. 260 ff ); vgl. Raspe S. 10.

83 gegründeten Ägidienklosters gewesen, doch war diese schon vor 1418 durch die Mönche verschleudert worden1). Die Geschichte der beiden Dominikanerklöster bietet für die Zeit vor 1400 ein wenig interessantes Bild2). Die historischen Nachrichten sind nur spärlich und beschränken sich zumeist auf Ablässe, Grundbesitz oder Altarweihen. Über das Leben der Klosterinsassen, über ihre geistigen Leistungen, über die Pflege von Kunst und Wissenschaft, besonders über die Bibliothek er­ fährt man nichts. Daß die Klöster schon in dieser Zeit eine Bibliothek besaßen, darf man als sicher annehmen, da die Con­ stitutionen jedem Konvente die Errichtung einer Bücherei vor­ schrieben3). Erhalten hat sich davon nur wenig. Etwa aus der Mitte des 14. Jahrhunderts stammt ein Band4), dessen Initialen für die weitere Entwicklung von Bedeutung sind. Die Frage ob diese Handschrift im Kloster selbst geschrieben ist oder ob sie fertig auswärts gekauft wurde, läßt sich nicht mehr vollständig klären. Hier bietet der Einband keine Hand­ habe zur Bestimmung. Der Codex wurde 1433 von Konrad Förster gebunden, woraus man lediglich schließen kann, daß er um diese Zeit im Besitz des Klosters war. Der Eintrag auf dem unteren Rand von Bl. Ir, der Nicolaus Schreiber als Stifter be­ zeichnet5), gibt keine nähere Auskunft über das Alter der Hand­ schrift, da seine Schrift nicht mit der des Textes gleichzeitig ist, und zeigt lediglich, daß sie spätestens 1428 in den Besitz des Klosters gekommen sein muß. Das Pergament dieses Bandes ist b Die Reichenbacher Mönche, welche das Kloster reformieren sollten, fanden 1418 nur noch 2 Bücher in der Bibliothek vor (s. Bartsch, Karl: Über einen alten Handschriftenkatalog. In: Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit. Neue Folge Bd. 6, Nürnberg 1859, Sp. 205). 2) Das Predigerkloster war Mitte der 70er Jahre des 13. Jahrhunderts (s. Bock, Predigerkloster S 151), das Katharinenkloster 1295 gegründet worden (s. Fries, Katharinenkloster S. 5). 3) Siehe Constitutiones fratrum S. Ordinis Praedicatorum. Editio nova. Paris 1886 S. 590 ff.: „Declaratio VIII. De libris et bibliothecis. Declaramus quod, cum ordo noster ob praedicationis officium et proximorum salutem sit ab initio principaliter institutus, illa debemus diligenter et sollicite procurare, quae noscuntur ad promotionem studii et profectum sacrae scientiae pertinere. Cum igitur librorum copia necessario ad hoc ipsum coadjuvet et ad profectum promoveat,erigenda estin quolibetConventuBibliotheca communis“.(Paduae 1308). 4) Stadtbibi. Cent. III, 74: Johannes Lector, summa confessorum. 5) Hoc volumen et . .. comparata sunt de pecuniis Nycolai Screiber pro anniversario perpetuo Nurembergensi in conventu ordinis predicatorum celebrando. Nicolaus Schreiber starb 1428 (s. Kern, Theodor: Nürnberger Denkwürdigkeiten des Konrad Herdegen. 1409-1479. Erlangen 1874, S. 18). 6*



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sonst nicht in Nürnberg gebräuchlich, es ist dünn und glatt zu­ bereitet, während in den Nürnberger Klöstern meist ein stärkeres zur Verwendung kam, dessen Oberfläche samten bearbeitet ist. Macht so das Pergament den Nürnberger Ursprung fraglich, so weist der Stil des Initialschmuckes mindestens auf starken fran­ zösischen Einfluß hin. Der Randschmuck, der sich auf drei Seiten des Textes entlangzieht, weist ganz den Charakter auf, wie ihn Martin in seinem Werk über die französische Buchmalerei be­ schreibt1). Die so geschmückten Handschriften sind in Frank­ reich häufig. Der Randschmuck kann nach Martin als der Stempel einer Schule, der Schule der Ile-de-France, gegen Ende des 13. und in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts gelten. Im 14. Jahrhundert waren in Deutchland französische Hand­ schriften sehr verbreitet. Sie wurden in großer Zahl aus Frank­ reich (Paris) eingeführt, wie überhaupt die Beziehungen zu der französischen Wissenschaft überaus lebhaft waren. Nicht zuletzt wurden solche vom Dominikanerorden gepflegt, dessen wichtigste Hochschule die Universität Paris war. Für die beiden Nürnberger Klöster lassen sie sich vorläufig nicht im einzelnen nachweisen, von dem Nürnberg benachbarten Zisterzienserkloster Heilsbronn aber ist bekannt, daß die begabtesten Mönche bis weit in die zweite Hälfte des Jahrhunderts besonders in Paris studierten2). Man muß eine Reihe von Handschriften aus dem Besitz dieses Klosters3), deren Miniaturen ohne Zweifel französischen Ursprung verraten, mit den Pariser Studien der Mönche in Zusammen­ hang bringen. Ebenso aber wird man aus dem Besitz französi­ scher Handschriften für das Nürnberger Predigerkloster auf Be­ ziehungen zum Westen, Rhein und Frankreich, schließen müssen4). *) Siehe Martin S. 21: „Je veux parier des filets-bordures qui se voient ä la gauche des colonnes. Formes de lignes tres fines, rouges et bleues ou simplement rouges, les filets-bordures s’6tendent sur toute la hauteur de la colonne, serrant de pres le texte. Ils sont eux-memes accompagnes d’une ligne exterieure faite de J alternes bleus et rouges“ (vergl. ebd. Fig. XXIII). 2) Siehe Muck, Georg: Geschichte von Kloster Heilsbronn ... Nördlingen 1879, Bd. 1 S. 104 und 127. — Von 1385 an wird Paris von der Universität Prag abgelöst. 8) Jetzt: Erlangen, Univers. Bibi. Ms. 166, 170, 224, 344 (s. Irmischer, Katalog unter denselben Nummern). 4) Als Beleg hierfür nenne ich folgende Handschriften mit französischem Ursprung aus der Bibliothek des ehemaligen Predigerklosters: Nbg, St. Bibi. Cent. III, 94—97 Vinzenz von Beauvais: Speculum historiale 4 Bde, 1 Bd. verschollen, 14. Jahrhundert.

85 Eine der typischsten französischen Neuerungen sind Genre­ szenen in den Ranken des Randes. Eine Heilsbronner Hand­ schrift (UB. Erlangen Ms. 166) zeigt auf dem unteren Rand eine ähnliche Hasenjagd, wie eine von Martin abgebildete französische Handschrift: Les Decades de Tite-Live (Bibi. St.-Genevieve, 777, fol. 3161). Im Vergleich zu diesem Prachtwerk französischer Miniaturmalerei bieten die Heilsbronner Bände nur handwerks­ mäßige Erzeugnisse. Die Liviushandschrift zeigt das Streben nach möglichst naturgetreuer Darstellung mit einer schon ins einzelne gehenden Ausarbeitung der Landschaft, während die Heilsbronner zwar die Formen der Meisterhandschrift nachahmt, in den Ge­ stalten aber weniger naturalistisch, sondern mehr flächenhaft bleibt. In den Farben zeigen beide die größte Übereinstimmung. Eine Hasenjagd weist auch die Initiale S auf Bl. 2v der Nürnberger Handschrift Cent. III, 74 auf. Der Schmuck ist hier we­ sentlich einfacher und beschränkt sich auf kalligraphische Technik. Der Buchstabenschaft ist wechselweise rot und blau gegeben, dazwischen rein ornamental — wie es der Charakter dieser Art kalligraphischen Schmuckes bedingt — und, durch Blattranken verbunden, Hund und Hase ausgespart. Der Innenraum des Buch­ staben S ist viergeteilt und wechselweise rot und violett mit feinen Linien geometrisch aufgeteilt. Der Randschmuck wird von den obenerwähnten dünnen Fäden und Schnörkeln gebildet, auf denen sich winzige Vogelgestalten tummeln. An den Ecken der Schriftsäulen bildet er kleine Medaillons, in denen aus schwarzem oder violettem Grund groteske Tiergestalten ausgespart sind, wie sie für die Ausschmückung einfacher Bände im 14. Jahrhundert in ganz Europa geläufig wurden2). Medaillons haben in besonderem Maße die drei Bände einer Bibelhandschrift3) aus dem Ende des 14. Jahrhunderts aufzuweisen. Der Initialschmuck ist auch hier ganz auf die kalligraphische Technik beschränkt. Der Buchstabenkörper ist der Träger einer Nbg. St. Bibi. Cent. II, 5 Petrus Lombardus: IV libri sententiarum. I4.jahrh. —,— Cent. II, 27 Thomas de Aquino: Quaestiones. 14. Jahrhundert. —,— Cent. IV, 55 — 69 Biblia cum adnotationibus. 15 Bde, wurden 1405 in Straßburg gekauft. *) Siehe Martin, Farbentafel 3: Hasenjagd, „Miniature de l’epoque de Charles Vu (1356—1380). 2) Siehe Dvorak S. 47. 3) Nbg, St. B. Cent. I, 2—4. s. Raspe S. 8 ff., vgl. Burger S. 305.

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phantastischen Ausschmückung, wobei die krause germanische Formenphantasie sich mit den grotesken französischen Drolerieen verbindet. Fratzen, Ungeheuer, halb Mensch, halb Tier, ver­ einigen sich — oft ineinander verschlungen — mit verschieden­ artigem Blattgeranke, das aus Maul und Schwänzen der Ungeheuer herauswächst. Das Ganze ist aus den halbteilig zinnoberrot und kobaltblau gegebenen Buchstabenschäften ausgespart. Die Teile zwischen den Schäften werden mit geometrisch­ mäandrischen Linienornamenten ausgefüllt, die gleichfalls häufig in Blattgeranke endigen. Der Randschmuck zeigt dieselben Jähnlichen Formen mit den feinen Schnörkeln, wie die französi­ schen Handschriften und die Nürnberger Handschrift Cent. III, 74. Sie werden häufig noch vermehrt durch Spiralen, Voluten und kleine, auf Kreisbögen aufgereihte Ringe. Der erste Band des 3 bändigen Werkes (Cent. I, 2) zeichnet sich durch große Sorgfalt in der Ausführung aus. Die Regel­ mäßigkeit und Feinheit der Füllornamentik zeugen von einer den Pinsel sicher und vorsichtig führenden Hand. Die bald spiralig gewundene, bald natürlich rankende Linienführung teilt den Raum geschickt auf. Die Drolerieen in den großen Medaillons am unteren Rand (bis zu 5,7 cm Durchmesser) sind kräftig hingesetzt, ohne übertrieben derb zu wirken. Während die Zeichnungen dieses Bandes einheitlich gut durch­ geführt sind, zeigen die Initialen des 2. und 3. Bandes ein etwas anderes Bild. Den Drolerieen und Fratzen im Buchstabenkörper an die Seite tritt neben Tieren der Natur (Löwe Bd. III, Bl. 57 r, 104r, 130v, Jagdszene mit Hase und Hunden Bd. III, Bl. Ir; vgl. Abb. l) mehr ein einfaches Bogen- und Stufenornament, das den Buchstabenkörper ziemlich gleichmäßig in ein blaues und rotes Feld teilt. Dennoch läßt sich keine klare Scheidung zwischen den Bänden feststellen, da Buchstaben der Art des 1. Bandes noch weiterhin eingestreut sind. Die Ornamentik der Zwischen­ felder verliert in den beiden letzten Bänden mehr und mehr ihren feinen Filigrancharakter und macht kräftigen Formen Platz. Auch die im 1. Band vorherrschenden rein geometrischen Orna­ mente werden seltener, an ihre Stelle treten stilisierte Blüten­ ornamente, straußähnlich zusammengebunden. Im 1. Band waren Rot und Blau die einzigen Farben, in den letzten Bänden tritt

87 nun Grün, Ocker und Schwarz hinzu, die, sparsam verwendet, dennoch zur Belebung des Gesamtbildes beitragen. Der Illuminist aber wird durch diese Neuerung zu einer großen Verein­ fachung seiner Ornamentmotive verführt. Die Initialen büßen an Reichtum und Schönheit ein. Des öfteren werden die Zwischen­ partien mit runden Feldern gefüllt, die wechselnd blau, schwarz oder rot grundiert je ein ziemlich naturgetreues Blatt (Ahorn, Efeu, Eiche) zeigen, jedoch meist unmotiviert im Bilde stehen und so wenig untereinander verbunden sind, daß sie den Rahmen der jeweiligen Initiale zu brechen drohen. Auch die einfarbige oder genetzte Grundierung, im 1. Band nur in den Randmedaillons angewandt, trägt jetzt im Initialraum verwendet zu einer Verarmung der Ornamente bei. Die Netz­ linien sind flüchtig und wirr gezeichnet, die Farben ungleich­ mäßig und fleckig aufgetragen. Im zweiten und dritten Band erscheinen auch menschliche Gestalten. Sie ersetzen zunächst die den Randschmuck unten abschließenden Medaillons. In diesem Falle ist die Randleiste mit weitem Schwünge auf den unteren Rand herübergezogen, darauf aufgesetzt ist eine profilierte Bank, die einem Propheten oder König als Sitz dient. Später treten diese Gestalten auch in den Zwischenfeldern der Buchstaben auf und stehen hier meist vor einfarbigem oder genetztem Grund. Nur bei den letzten vier Gestalten des 3. Bandes ist dieser durch einen breiten schwarzen Kontur ersetzt (Abb. 2). Die Bedeutung, die diese Figuren in einer sonst rein kalligraphisch ausgestatteten Handschrift haben könnten, geht vollständig verloren durch die Unfähigkeit des Zeichners, die Probleme der Körperformung und Proportion zu lösen. Zusammenfassend sei festgestellt, daß die Initialen des ersten Bandes in einem Gusse entstanden sind und von einer einzigen Hand zeugen. Mögen auch die Linienornamente in den Buch­ stabenzwischenräumen bei einzelnen Initialen einförmig wirken, so tritt dieser Mangel hinter der kunstvollen Ausführung zurück. Im 2. und 3.Band dagegen herrscht ein gröberer Ton. Der Anteil des ersten Illuministen tritt in den Hintergrund. Die Gleichmäßig­ keit der Schrift bezeugt in allen drei Bänden einen Schreiber1), Der Schlußvermerk des Schreibers lautet: Qui me scribebat Hainricus nomen habebat.

88 ob dieser auch an den Initialen mitgearbeitet hat, ist nicht mehr festzustellen. Über die Herkunft der Bände ist nur das sicher, daß sie im Besitze des Predigerklosters in Nürnberg waren. Gebunden wurden sie laut Inschrift der Einbände im Jahre 1447 in der Nürnberger Dominikaner-Buchbinderei, Schrift und Initialien sind jedoch noch ins 14. Jahrhundert zu setzen. Einen Anhaltspunkt für die Datierung bietet eine dreibän­ dige Bibelhandschrift aus dem Augustinerstift Neunkirchen am Brand1), die 1389 von Konrad Alex von Eggolsheim geschrieben ist. Ihre Miniaturen bedeuten bereits eine Weiterbildung von der rein kalligraphischen Technik zu einer mehr malerischen Behandlung der Initialen. Sind in der Nürnberger Handschrift Cent. I, 2, dem ersten Band der Bibel, nur die Farben rot und blau verwendet und treten auch im 2. und 3. Band gelb, grün und schwarz noch nicht sehr stark hervor, so kommt in den Bänden aus Neunkirchen eine bunte Farbenreihe zur Anwendung, die den Miniaturenschmuck sehr lebendig gestaltet. Die Drolerieen der Initialkörper sind nicht mehr rein flächig, sondern durch gestrichelte Schatten plastisch hervorgehoben. Die Titelseite des 1. Bandes ist besonders ausgezeichnet. Ein wichtiger Fortschritt gegenüber der Nürnberger Bibel ist der Randschmuck, der alle 4 Seiten des Textes umschließt. Er ist reich geschnörkelt, die J-Formen sind in zahlreiche Spiralen, Kreise und Linien aufge­ löst, die Medaillons wirken besonders bunt durch ihre halbteilige Grundierung in Grün und Violett. Die robust-sinnliche Natur des Illuministen, die Burger2) hervorhebt und die in den zahl­ reichen figürlichen Darstellungen der Neunkirchener Bände präch­ tig zum Ausdruck kommt, steht im Gegensatz zu den Initialen besonders des 1. Bandes der Nürnberger Bibel. Hier verfiel der Illuminist der filigranmäßigen Feinheit französischer Manier, seine Initialen sind kunstvoll und voll Sorgfalt, lassen aber frische Ur­ wüchsigkeit ganz vermissen. In Neunkirchen dagegen hat die ausgeprägte Eigenart des Illuministen die französischen Orna­ mentformen hinter den derben, aber lebensvollen deutschen Phan*) Bamberg, Staatsbibliothek. Ms. bibl. 9, Bd. 1 — 3; s. Leitschnh und Fischer, Katalog S. 8 f. 2) Siehe Burger S. 304k, Abb. 377, 376.

89 tasiegestalten zurücktreten lassen. Der zweite an der Nürnberger Bibelhandschrift tätige Illuminist versucht zwar scheinbar auch sich von französischem Einfluß freizumachen, seine Formen aber werden nicht frisch und urwüchsig, sondern roh und ungeschickt. Daß zwischen dem Augustinerstift Neunkirchen, das nur etwa 20 km im Norden der Stadt liegt, und den Nürnberger Klöstern Beziehungen unterhalten wurden, ist wohl anzunehmen, ob solche aber bei den beiden besprochenen Bibelwerken zum Ausdruck kommen, kann bei dem Fehlen weiterer Miniaturen nicht ent­ schieden werden. Burger glaubt beide Werke in die Einflußzone Bambergs setzen zu müssen, wie er im allgemeinen den « kirchlichen Mittelpunkten in Franken, voran Bamberg" in der Miniaturmalerei die größere Rolle zuschreibt, »Bamberg vielleicht die größte". Tat­ sächlich aber scheint sich kein weiteres Bibelwerk, keine größere liturgische Handschrift aus den Jahrzehnten um die Wende des 14. Jahrhunderts erhalten zu haben, die bedeutendere Miniaturen aus Bamberger Klöstern enthielte, sodaß die Stellung Bambergs kaum so ausschlaggebend gewesen sein dürfte, wie Burger annimmt. Die Formen des 1. Bandes der Nürnberger Bibelhandschrift liegen einer Reihe von Bänden zugrunde, die für das HeiliggeistSpital in Nürnberg um 1400 geschrieben sind1):2 die halbteilig rot und blau gegebenen Buchstabenschäfte mit den Drolerieen und Blattrankenornamenten, die in den gleichen Farben gehaltene Schnörkelrandverzierung und die daran angehängten Medaillons, die hier abweichend von der Gepflogenheit der Bibelhandschrift nichtmitDrolerieen, sondern mit spiraligen Ornamenten geziert sind. Die künstlerisch sehr minderwertigen Miniaturen dieser „Spi­ talbücher" führt Burger*) auf die Einwirkungen der böhmischwenzelschen Kunstepoche zurück, die kalligraphischen Ornamente der Medaillons und Buchstabenschäfte lassen sich ganz in die Entwick­ lung dieser Zierform in Nürnberg einreihen, die, wie oben festgestellt, ihre Anregungen vielleicht unmittelbar aus Frankreich nahm, von woher auch die böhmische Buchmalerei stark beeinflußt wurde3). Von größerer Bedeutung für Nürnberg wird die böhmische Buch­ malerei erst im 3. Jahrzehnt des folgenden Jahrhunderts (s. Kap. 3). J) Nürnberg, Stadtarchiv, Cod. man. fol. 3. 4. 15. 16. 2) Siehe Burger S. 305. 3) Siehe Dvorak S. 46 f. Abb. 3. 4.

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Kapitel II.

Die Buchmalerei bis etwa 1430 im Predigerkloster. 1. Die Handschriftengruppe um Konrad Wyser. In der Buchmalerei des Nürnberger Predigerklosters, über­ haupt in der gesamten Nürnberger Buchmalerei klafft nach den kalligraphischen Initialen des Hainricus (s. oben S. 87 Anm. l) eine Lücke, die nur mangelhaft durch einige Handschriften mit meist schlecht gezeichneten und unbedeutenden Schreiberini­ tialen ausgefüllt wird. Ob dies mehr auf Vernichtung und Ver­ schleuderung oder auf Abtretung an andere Klöster zurück­ zuführen ist, bleibt zweifelhaft!). Die äußere Lage des Klosters gegen Ende des 14. Jahrhunderts macht einen Verfall der Kloster­ bibliothek wohl wahrscheinlich. Der Ausbruch des Schismas als Folge der Papstwahl von 1378 war von tiefgreifender Wirkung für den Orden. Dieser spaltete sich 1380 in zwei Parteien, deren eine (die französische, spanische, aragonische, sizilische und schottische Provinz) zu Clemens VII. und seinem Nachfolger hielt (Benedikt XIII.), während die übrigen Provinzen, darunter die deutsche, zu den Anhängern Urbans VI. und seiner Nachfolger zählten*2). Der Zerfall der Ordenseinheit, das Fehlen einer zentralen Leitung blieb nicht ohne schädigende Folgen für das Leben der einzelnen Klöster. Die strenge Observanz der Regel des hl. Dominikus lockerte sich. Der moralisch-sittliche und besonders der geistige Niedergang des Klosterlebens mußte sich auch im Buchwesen auswirken. In den Resten der Bibliothek des Nürnberger Prediger­ klosters sind nur wenig Bände vor 1400 erhalten. Während aber die Codices aus der folgenden Zeit sich auszeichnen durch klare sichere Schrift, sorgfältige Bearbeitung des Pergaments, dauerhafte Bindung, überhaupt liebevolle Pflege des Bücher­ bestandes erkennen lassen, vermißt man diese Vorzüge bei den Handschriften der vorangegangenen Zeit. Die Schrift ist oft Ö Siehe Bock, Predigerkloster S. 189. 2) Siehe Heimbucher, M.: Die Orden und Kongregationen der katholischen Kirche. Bd. 2, Paderborn 1907. S. 120.

91 wirr und ungleichmäßig, der Zustand der Codices schadhaft, der Initialschmuck nicht nur primitiv, sondern flüchtig, die Zeichnung der Buchstaben mit wenigen Ausnahmen unsicher» die Farbe unsauber. Erst nach der Reform des Klosters, die auf Betreiben des Rates der Stadt Nürnberg 1396 und in den folgenden Jahren von dem Ordensgeneral Raymund von Capua nicht ohne heftigen Widerstand der Betroffenen durchgeführt wurde *), bekundet das Vorhandensein zahlreicher im Kloster geschriebener und illumi­ nierter Bände eine rege Tätigkeit der Mönche und ein ausge­ dehntes wissenschaftliches Streben*2). Das volle Ansehen und die frühere geistige Machtstellung konnte das Kloster erst wieder erlangen, als der 1417 auf dem Konzil zu Konstanz gewählte Papst Martin V. im Jahre 1418 mit der Beilegung des kirchlichen Schismas auch die Einheit unter den Dominikanern wieder herstellte3). Es kann kein Zufall sein, sondern muß als ein Zeugnis angesehen werden der Bedeutung, welche diese Papstwahl für den Orden hatte, wenn aus dem Jahre 1418 zwei Handschriften erhalten sind, die in der Nachschrift ihrer Schreiber dies Er­ eignis besonders betonen4). Zugleich sind diese Bände durch Miniaturen ausgezeichnet. Der eine enthält die Schrift des Thomas von Aquin: Super quartum librum sententiarum5) und ist 1417/18 von Konrad Wyser geschrieben, der andere Band6), Albertus Magnus: Summa de scientia dei, wurde gleichzeitig von Johannes Schwarz beendigt. Beide Bände sind von einer Hand illuminiert. Ob diese mit einem der Schreiber identisch ist, bleibt unsicher. Während Johannes Schwarz in keiner weiteren Handschrift genannt wird, besitzt die Stadtbibliothek noch vier von Konrad Wyser geschrie­ bene Bände. In seinen 1417 (Cent. I, 55), 1418 (Cent. I, 13) *) Siehe Bock, Predigerkloster S. i S 3 * 2) Ebd. S. 190. 3) Siehe Heimbucher, M.: Die Orden und Kongregationen der katholischen Kirche. Bd. 2 Paderborn 1907 S. 120. 4) Stadt-Bibl. Cent. 11,2 (Bl. 155 r) „ . . . fuit incepta anno domini 1417 videlicet concilii Constanciensis anno quarto in novembri tempore electionis Martini papae V.w 5) Stadt-Bibl. Cent. I, 13. 6) Stadt-Bibl. Cent. II, 2.

92 und 1420 (Cent. II, l) beendigten Handschriften nennt er sich //civis Eystetensis", in der vierten um 1430 geschriebenen Hand­ schrift (Cent. I, 96) schreibt er »ab Eystet natus". Der Gegen­ satz dieser beiden Einträge zusammen mit der sicheren Herkunft der Bände aus dem Predigerkloster, dazu noch die Unwahr­ scheinlichkeit, daß für das Kloster außerhalb desselben Hand­ schriften gefertigt wurden, läßt den Schluß zu, daß Wyser ein Bruder des Nürnberger Dominikanerkonvents war1). Während der älteste der vier Wyserbände nur unbedeu­ tende Initialen aufweist, enthalten die 1418 und 1420 gefertigten Handschriften Miniaturen, die zwar in nahem stilistischen Ver­ hältnis zu einander stehen, aber doch von verschiedenen Illuministen gemalt sind. Ein ganz anderes Bild bieten die Initialen des letzten um 1430 entstandenen Bandes (s. S. 109). Nicht allein der zeitliche Abstand läßt den Unterschied so groß erscheinen, es ist ein ganz anderer Geist, der diese Initialen beseelt und der keinesfalls auf einen der beiden vorhergehenden Illuministen zurückgeführt werden kann. Bereits oben wurde festgestellt, daß die 1418 vollendeten Handschriften Cent. II, 2 (Schreiber: Schwarz) und I, 13 (Schreiber: Wyser) von einer Hand ausgemalt sind. Die Initiale E auf Blatt lr der ersteren (Abb.3) zeigt eine Darstellung der Schöpfung. Der durch den Querbalken des E in zwei Hälften geteilte Initial­ grund ist rotviolett gegeben, oben wächst das Brustbild Gott­ vaters aus dem Balken hervor, ein ziegelrotes Untergewand und ein grüner Mantel kleiden ihn. Das hagere Gesicht ist grob und ausdruckslos gezeichnet, es wird von Haar und Bart dunkel­ blond gerahmt. Zwei Finger der rechten Hand sind segnend ausgestreckt, mit den andern Fingern und mit der Linken hält die Gestalt ein Spruchband mit den Worten: fiat lux. Im untern Teil des Initialraumes schweben drei Engel, die Hände anbetend erhoben. Kompositionen belangreicher ist die Miniatur der zweiten Handschrift (Cent. I, 13)2). Hier ist der Mittelschaft und der sich rechts und links anschließende Zwischenraum eines M Träger *) Siehe Bock, Predigerkloster S. 177 ff. Hier wird Wyser nicht auf­ geführt, offenbar hält ihn Bock für einen bürgerlichen Schreiber. 2) Vgl. Raspe S. 19 f. Abb. s. Fränkische Heimat Bd. 5, 1926. S. 214.

93 des Bildes. Geschickt nützt der Maler den durch den Buchstaben gegebenen Raum aus. Im Mittelschaft steht Christus bis an die Hüfte im Wasser des Jordan, das aber die untere Körperhälfte verschwommen durchscheinen läßt. Der nackte Körper ist nicht anatomisch durchgebildet. Er ist schmal und hoch, erscheint noch länger durch das Anpressen der Oberarme und die vor der Brust betend zusammengelegten Hände. Das Antlitz ist nicht fein ausgearbeitet, dennoch möchte man in den geradeaus blickenden großen Augen den Versuch des Malers erkennen, die Feierstimmung der Handlung zum Ausdruck zu bringen. Bei Johannes allerdings vermißt man jede Anteilnahme. Seine Gestalt füllt den rechten Buchstabenzwischenraum, mit seiner Rechten greift er in die Mitte hinein und tauft Christus aus einer Flasche, wie sie von Pilgern getragen wurde. Über sein >/härenes Gewand" ist ein roter Mantel gelegt, dessen Wurf in langen Falten ungebrochen zu Boden fließt. Dieselben geraden Parallelfalten zeigt das Gewand Christi, das links, von einem Engel gehalten, lang herabschwebt *). Der Buchstabenkörper der beiden Miniaturen (E mit Schöp­ fung und M mit Taufe Christi) ist dunkelblau gegeben. Mit dünnem Pinsel weiß auf diesen Grund aufgesetzt treten plastisch Akanthusranken hervor, deren wohlabgewogene Windungen ein sicheres Formgefühl verraten. Beide Buchstaben stehen auf Blattgoldgrund, während aber die M-Initiale durch eine schmale Leiste quadratisch gerahmt ist, ist das Gold der Initiale E unregelmäßig gezackt in der Art der französischen Dornblattmuster. Weitere französische Anklänge weisen die Initialen nicht auf. Während gerade die französische Buchmalerei ausgezeichnet ist durch wohlabgetönte Farben und durch feine FormuAg der Gesichtszüge, sind diesen Miniaturen grobe Züge, breite Nasen, kräftige Lippen und Backenknochen eigentümlich. Einen merk­ würdigen Eindruck macht die Zusammenstellung der Farben. Der violettrote Grund mit dem sich gegenseitig abstoßenden Grün und Gelb geben dem Bild eine düstere Schwere, die noch durch das tiefe Blau des Buchstabenschaftes betont wird. 1) Raspe setzt diesen „überirdisch idealen Mystizismus“ im Gewand­ faltenstil im Anschluß an Kugler (Kleine Schriften zur Kunstgeschichte I. Stutt­ gart S. 46) in Beziehung zur Kölner Schule. Daß solche Beziehungen vorhanden waren, scheinen mir auch die Miniaturen der Postilla Nicolai de Lyra II Cent. I, 34) zu bestätigen (s. S. 94 ff.).

94 Einen ähnlichen rotvioletten Ton als Grundfarbe *) verwen­ det der Illuminist der Initiale M vom Jahre 1420, jedoch wird der Farbenwert durch die schwachgoldene Tapetenornamentik angenehm gewandelt. Wie bei der Taufe Christi (Cent. I, 13) ist der Buchstabe mit Gold grundiert und schmal gerahmt, auch die Komposition des Bildes zeigt verwandte Züge. Im Mittel­ schaft oben blickt Gottvater aus Wolken auf Albert den Großen, der im Raum links kniend die Offenbarung Gottes empfängt und diese einem sitzenden Mönche in die Feder diktiert. Die beiden Gestalten sind durch ihre Ordenstracht als Dominikaner, Albert außerdem durch die Mitra als Bischof bezeichnet. Während die beiden vorbesprochenen Miniaturen ohne jede plastische Vorstellung gemalt sind — die Gestalten sind nicht modelliert und liegen mit dem Buchstaben und dem Initialgrund vollständig in einer Ebene — sind hier die Körper wesentlich besser herausgearbeitet. Das Vorgreifen vor den einen Buch­ stabenschaft und das entsprechende Zurücktreten hinter den anderen und die so entstehende Drehung, besonders ausgeprägt bei Albertus, bewirkt eine wesentliche Vertiefung des Bildes. Die Andeutung eines umschließenden Raumes fehlt noch. 2. Die Miniaturen der Postilla Nicolai de Lyra etwa zwischen 1420 und 1430. Von den drei mit Miniaturen geschmückten Bänden dieses Werkes12) — von Geldern verschiedener Stifter hergestellt — kommen für kunstgeschichtliche Würdigung nur zwei in Betracht (Cent. I, 34 und I, 35). Der Bilderschmuck des dritten Bandes (Cent. I, 32) ist mehr technischer Art und künstlerisch belanglos. Die Postille über Jesaias (Cent. I, 34) zeigt auf Blatt 9 v (Abb. 4) Gottvater mit Krone, Reichsapfel und Zepter, auf einer gotischen Steinbank thronend. Die Zeichnung ist ungelenk, die Hände breit, der Körper steif, die Brust flach, der Kopf ohne Hals, 1) Stadt-Bibl. Cent. II, i Albertus Magnus, Summa de scientia dei. Teil i (Schreiber: Konrad Wyser, Bl. i r.). 2) Von den ursprünglich 5 Bänden sind nur noch 4 erhalten (Cent. I, 32. 33* 34* 35)- Cent I, 33 hat nur kalligraphische, unbedeutende Initialen; die Jahreszahl 1386, die hier der Schreibereintrag angibt, muß ein Schreibfehler sein, da Schrift und Gesamtanlage des Bandes zweifellos aus dem 15. Jahr­ hundert stammen.

95 die Farbengebung erinnert etwas an die Handschriftengruppe um Konrad Wyser (s. S. 90 ff«), Rot und Rotviolett nebeneinander, dazu Blau und Grün und Gelb erzeugen einen ähnlichen Eindruck. Die Formung der Gesichtszüge aber, die größere Plastik, die durch spitz aufgesetzte Licht- und Schattenstriche bewirkt wird, bedeutet einen Fortschritt. Neu ist auch der Versuch der Raum­ andeutung durch Ausarbeitung des Hintergrundes. Der Illuminist mag das Innere einer Kirche im Sinn gehabt haben, kommt aber über eine stark abgekürzte Andeutung von Kreuzgewölbe und Fenster nicht hinaus. Diese neuartige Gestaltung scheint zunächst keinen Anklang gefunden zu haben, denn in der nächsten Miniatur (Bl. 28 v) verzichtet der Illuminist vollständig auf die Darstellung des Raumes. Er malt die Szene Jesaia und Hiskia (jesaia 38, 1 ff.) ohne Boden und Hintergrund auf das leere Blatt, sodaß Bett, Bank und der Prophet in der Luft zu schweben scheinen. Hier fällt noch mehr als vorher die vorzügliche Durch­ arbeitung der freilich derben Gesichtszüge auf. Wie weit bei der Gestaltung Prager Einfluß1) wirksam ist, oder ob mehr an rheinische Kunstströmungen zu denken ist, kann erst entschieden werden, wenn die Durchforschung der oberdeutschen Buchmalerei im Einzelnen soweit vorgeschritten ist, daß man die gesamten Zusammenhänge überblicken kann. Das Fehlen des Randschmuckes, der in Böhmen schon vielseitige Ausbildung erfahren hatte, macht eine Einwirkung von dort her unwahrscheinlich. Fast an romanische Vorbilder gemahnen die beiden symbo­ lischen Darstellungen der Vision des Ezechiel auf Bl. 71 v und 72 r desselben Bandes. Die beiden Blätter machen durch die Kraft ihrer Farben, durch die straffe Komposition und die wuchtige Wiederholung der Evangelistensymbole starken Ein­ druck. Im einzelnen ist die Zeichnung schwach und weniger durchgebildet als bei den vorhergehenden Miniaturen. Am weitesten vorgeschritten ist die Miniatur des 5. Bandes (Cent. I, 35), die kurz vor 1430 entstanden sein dürfte. Die Initiale P mit dem Apostel Paulus auf Bl. lv (Abb. 5) ist vorzüglich und sorgfältig durchgearbeitet. Trotzdem die Gestalt des Paulus *) Vgl. Raspe S. 23.

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sich in Proportion, Gesichtsbildung und Faltengebung dem Nürn­ berger Stil anschließt, hat die Miniatur einen fremdartigen Charakter. Die Farben, dieses Rot, das Violett und Blau, sind in Nürnberg ungewohnt, die Ornamentik des Randschmuckes voll­ ständig unbekannt. Die Miniatur dürfte ein treffendes Beispiel sein dafür, wie ein tüchtiger Illuminist, vielleicht unbefriedigt von dem, was ihm die bodenständige Schule bot, nach fremden Anregungen aus­ blickt und diese dann mit eigenen Formen durchdringt. Die Bibliothek des Predigerklosters barg manchen Band, dessen Illuminationen einen strebenden Maler anregen konnten. Die Vorlage des Drachenkopfes im Schaft des P kann heute nicht mehr nachgewiesen werden**), die Quelle für die Blatt­ ornamentik im Schaft und Randschmuck und für die Farben­ gebung muß eine italienische Handschrift gewesen sein. Die Stadtbibliothek hat noch 5 Bände italienischen Ursprungs, die aus dem Besitz des Predigerklosters stammen. Vier von ihnen waren sicher bereits um 1430 in der Kloster-Bibliothek2). Ob nun gerade die Miniaturen dieser Bände als Vorlage für die Paulus-Initiale gedient haben, kann nicht entschieden werden, doch beweist besonders die Initiale P auf Bl. 145 r der Hand­ schrift Cent. IV, 53 durch ihre Ähnlichkeit in Farbe und Blatt­ ornamentik die nahe Beziehung. Die Initiale auf Blatt 1 r des fünften Postillenbandes (Cent. 1,35) steht weiter von der italienischen Beeinflussung entfernt, doch auch hier ist der Randschmuck nicht bodenständig nürnbergisch. Die Ranke des Randes auf goldenen Grund zu malen, steht in Nürnberg vereinzelt da. Das Tasten nach neuen Formen, das diese Miniaturen zeigen, beweist, wie unsicher man in Nürnberg besonders dem Randschmuck gegenüberstand. Die klaren, kalten Formen der italienischen Ornamentik genügten offenbar dem Nürnberger Ge­ schmack nicht. Man suchte in der Folge Anlehnung an die Prager Schule, deren lebendigere Ranken sich in Nürnberg einbürgerten. *) Man darf hier an eine deutsche Handschrift des frühen 14. Jahr­ hunderts denken. *) Die Stempel des Einbandes sind für diese Zeit typisch.

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Kapitel III.

Die Beziehungen der Nürnberger Buchmalerei zur Prager Schule. Der Randschmuck tritt gegen 1430 in der Nürnberger Buch­ malerei als Neuerung auf. Er wurde bisher nur als kalligraphische Linien- und Schnörkelverzierung angetroffen und bildet sich nun in malerischer Form aus. In seinen unfreien Bewegungen, seinen Stengeligen, trockenen Formen zeigt er von Anbeginn eine für Nürnberg charakteristische Eigenart. Es scheint, daß die neue Zierform durch eine Reihe von Handschriften nach Nürnberg gelangte, deren vorzüglichste eine mit zahlreichen, farbenprächtigen Miniaturen und Ornamentinitialen geschmückte Bibel ist1). Burger2) bezeichnet sie als die wichtigste und schönste fränkische Handschrift vom Anfang des 15. Jahr­ hunderts. Sie selbst gibt über Ort und Zeit der Entstehung keine Auskunft. Der Einband stammt aus der ersten Hälfte des Jahrhunderts. Die Stempel der Blindpressung haben zwar große Ähnlichkeit mit denen des Nürnberger Buchbinders Konrad Förster, des Dominikanermönchs, sind aber nicht die gleichen. Auch die Bindung des Codex weicht von der in Nürnberg gebräuchlichen ab3). Auffallend ist, daß hier die Bibel, das heilige Buch, ent­ gegen dem Brauch in einer zur Kursive hinneigenden Schrift ge­ schrieben ist, die auch sonst manche Flüchtigkeiten und Schreiber­ gewohnheiten erkennen läßt. Dennoch kann man daraus nicht schließen, der Codex sei nicht im Kloster, sondern von profanen Schreibern hergestellt, da eine große Zahl klösterlicher Hand­ schriften oft noch wesentlich schlechter geschrieben ist (z. B. Bände des Katharinenklosters). l) Stadt-Bibl. Cent. I, 5. Dieser Band ist von mir eingehend beschrieben worden in: Fischer, Karl: Eine Bibelhandschrift des 15. Jahrhunderts in der Stadtbibliothek Nürnberg (Cent. I, 5), Mitteilungsblatt der Städtischen Volks­ bildungskurse mit O. Z. Jahrg. 2. 1927, Heft 3, S. 4—7* * *) Siehe Burger S. 305 Taf. XXIII, Abb. 1 — 3. 8) Die Einbände dieses Codex und der Bibelhandschrift Cent V, 86 (s. S. 105), deren Prager Ursprung durch Eintrag bezeugt ist, haben nicht nur seitlich, sondern auch oben und unten je eine Schließe. Sie ergänzen so Loubiers Annahme (s. Loubier, Hans: Der Bucheinband von seinen Anfängen bis zum Ende des 18. Jahrh. 2. Aufl. Leipzig 1926, S. 90), diese Eigenart sei speziell für italienische und spanische Bände charakteristisch, dahin, daß auch böhmische Bände — wohl unter dem Einfluß Italiens — gelegentlich am oberen und unteren Schnitt Schließen tragen. 7

98 Die einzige Grundlage für eine örtliche Zuteilung bietet die Malerei. Die Buchmalerei wurde in Nürnberg in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, soweit sich erkennen läßt, ausschließlich von klösterlichen Miniatoren bestritten. Die Mönche und Nonnen waren zum weitaus größten Teil Nürnberger oder doch aus Franken gebürtig, dessen östliche Grenze nach OberpfalzBöhmen zu das Gebiet der Reichsstadt bildete. Kaufmannschaft und Handwerk machten die Bedeutung der Stadt aus. Wohlstand, ja Reichtum ließ das Kunstgewerbe zu großer Blüte gelangen!). Das künstlerische Schaffen zeigt eine gewisse Trockenheit in Formen und Farben. Der derbe, schwerblütige Charakter des fränkischen Bauern läßt sich nicht verleugnen. Sprühender Witz geht dem Franken ab, sein Humor ist urwüchsig, sein Sinn real, seine Phantasie oft ins Groteske gesteigert. Er besitzt nicht das leichte Blut des Rheinländers, nicht die Eleganz des DeutschBöhmen, der Grundzug seines Wesens ist nüchterne Gediegen­ heit, die der fränkischen Kunst ihren Stempel aufdrückt. Die Miniaturen der Bibelhandschrift Cent. I, 5 sind überaus fein durchgearbeitet, die Gestalten besitzen in Haltung und Be­ wegung eine in Nürnberg unbekannte Eleganz, die gewandte Zeichnung, der Stil der Falten, die Pracht der Ornamentik zeugen von einer Sicherheit, die nur auf der festen Überlieferung einer künstlerisch hochstehenden Schule begründet sein kann. Diese Schule kann nicht in Nürnberg tätig gewesen sein, ohne weitere Lebenszeugnisse hinterlassen zu haben. Auch in den Nachbar­ städten Bamberg und Nördlingen, die Burger*2) ohne genügende Begründung als Ursprung in Erwägung zieht, ist keine ähnliche Schule nachgewiesen. In Prag dagegen waren Illuministen tätig, deren Arbeiten damals in Franken hoch geschätzt waren3). *) Murr, Christoph Gottlieb von: Versuch einer Nürnbergischen Kunst­ geschichte vor der Zeit Albrecht Dürers, Stück i, in: Murr, C. G.: Journal zur Kunstgeschichte und zur allgemeinen Literatur. Teil 2. Nürnberg 1776, S. 54 ff. Murr zählt für das Jahr 1370 11 urkundlich genannte Goldschmiede, für dasjahr 1421 wieder 11 Goldschmiede auf, betont aber, daß noch mehr in Nürnberg gewesen sein müßten. 3) Siehe Burger S. 305. 8) Kehrer, Hugo: Die gotischen Wandmalereien in der Kaiserpfalz zu Forchheim (Abhandlungen der K. bayer. Akademie der Wissenschaften, Philos.philolog. und historische Klasse. Bd. XXVI, Abt. 3), S. 10, München 1912, führt die Fresken der Kaiserpfalz zu Forchheim z. T. auf die Kenntnis der Miniaturen der sogenannten Wenzelbibel zurück.

99 Burgers Auffassung über die Handschrift kann ich nicht teilen. Er glaubt, daß ihre » allgemeinen stilistischen Grundlagen aus dem Schwäbischen bezw. der oberrheinischen Gegend stammen" und möchte dies durch Gegenüberstellung der Nürnberger Bibel und einer lateinischen Bibel aus St. Blasien*) erhärten. Franken war immer ein Durchgangsland und in Nürnberg, dem Stapel­ platz und lebhaften Handelsknotenpunkt, kamen auch rheinische Anregungen zur Geltung*2),3 hier aber, glaube ich, muß man die stilistische Verwandtschaft, die beide Handschriften besitzen8), mehr auf die Ausstrahlungen der böhmischen Miniaturkunst zurück­ führen, die in ganz Oberdeutschland wirksam waren. Der unter Karl IV. einsetzende wirtschaftliche und kulturelle Aufschwung Böhmens, die Gründung der Universität, die nicht nur französische und italienische Lehrer, sondern auch einen Strom von Studierenden nach Prag zog, hatte für die Prager Kunst eine hohe Blüte zur Folge. Ein ganz neuer Stil entwickelte sich, der auf dem Gebiet der Buchmalerei zuerst in den Hand­ schriften zutagetritt, die sich um den wliber viaticus" des Kanzlers Johann von Neumarkt4) gruppieren. Die Kunst Prags, überwiegend deutsch inmitten slawischen Landes, bildete die deutsche Richtung weiter, nahm aber, wie es die Absicht Karls IV. war, Anregungen aus ganz Europa auf5). In der Buchmalerei kann man neben französischem und italie­ nischem Einfluß besonders die Einwirkungen des kurz blühenden Kulturkreises von Avignon erkennen, wo sich während der »baby­ lonischen Gefangenschaft" der Kirche (1309—1377) eine Syn­ these der italienischen und französischen Kultur anbahnte. Karls Nachfolger Wenzel (1378—1419) hat sich um die Miniaturmalerei besondere Verdienste erworben. Auf seine Ini­ tiative geht eine Reihe von Handschriften zurück6),* deren bex) Karlsruhe, Badische Landesbibliothek, lat. Bibel, St. Blasien Nr. 2. Vgl. Burger S. 305 und Taf. XXIII. 2) Einwirkungen vom Oberrhein machen sich um 1430 in der Buchmalerei des Katharinenklosters geltend, s. S. H2ff. 3) Den Karlsruher Codex kenne ich nur aus den Abbildungen bei Burger. 4) Prag, Landesmuseum, Handschrift XIII. A. 12, vgl. Dvorak, S. 35 ff. 5) Siehe Bernath, M.: Die Malerei des Mittelalters, in: Woltmann« Woermann, Geschichte der Malerei. Leipzig 1916 S. 190 ff. ’ 6) Siehe Schlosser, Julius: Die Bilderhandschriften König Wenzels I. in: Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen des allerhöchsten Kaiserhauses Bd. XIV, Wien 1893, S. 214 ff. 7*

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kannteste die sog. Wenzelbibel ist1). Für die Nürnberger Hand­ schriften besonders wichtig sind die Goldene Bulle2) und eine astrologische Handschrift des Avennarres 3), da die lateinische Bibel (Cent. I, 5) zu diesen beiden Handschriften in stilistisch naher Beziehung steht4). An Pracht und Üppigkeit allerdings muß diese hinter jene zurücktreten, ihre Akanthüsranken sind neben der figurenreichen Randmalerei der Goldenen Bulle5) fast ärmlich zu nennen, aber ein Vergleich im einzelnen bestätigt die Annahme. Die Pracht und Sorgfalt der Gewänder und Teppiche, der Falten­ behang der Kniee sind dieselben hier und dort. Der Randschmuck stimmt in den Grundzügen überein: die farbenprächtigen Fleuronnees, die goldenen Fruchtknoten, die Form der Akanthusblätter. In Nürnberg, München und Wien finden sich die dünnen schilfähnlichen Goldranken, Adler und Adlerflügel im Gezweig, ebenso die geometrischen Tapetenmuster. Sie haben dieselben düsterschweren Farben Schwarz, Gold, Purpur, Violett. Zu den schlanken Gestalten der Nürnberger Bibelhandschrift gibt Jacobi6) eine treffende Parallele aus der Avennarreshandschrift. Die Bibelhandschrift Cent. I, 5 ist nicht das einzige Zeug­ nis böhmischer Buchmalerei in Nürnberg. Sie bildet den Mittel­ punkt einer Handschriftengruppe, unter deren Miniaturen eine nahe Verwandtschaft besteht. Der stilistisch älteste und primitivste Band ist ein Lektionar7), das zwischen den Lektionen für den Tag des Matthäus und das Fest des Thomas von Aquin die Translatio Wenceslai feiert. Dadurch wird der Geltungsbereich dieses Lektionars auf die östlichen Diözesen beschränkt, bei denen dieser Tag gefeiert wird: auf Breslau, Gnesen, Krakau, Olmütz und Prag8). Bei den engen Beziehungen, die Nürnberg in kul­ tureller und künstlerischer, wirtschaftlicher und politischer Hinsicht 0 Wien, Hofbibliothek. Nr. 27159—64. *) Ebd. Nr. 338. 8) München, Staatsbibliothek Clm. 826. 4) Von der Wiener Goldenen Bulle erhielt ich dies von Herrn Direktor Dr. Bock (Nürnberg) bestätigt, die Münchener Handschrift des Avennarres konnte ich selbst einsehen. 5) Abbildungen davon bei Schlosser, J.: Die Bilderhandschrift König Wenzels I. Taf. XXIV, des Avennarres ebd. S. 258, 259, 267. 6) Siehe Jacobi, Franz: Die deutsche Buchmalerei in ihren stilistischen Entwicklungsphasen. München 1923 S. 59, Abb. 37. 7) Stadt-Bibl. Cent. I, 14. 8) Siehe Grotefend, H.: Die Zeitrechnung des deutschen Mittelalters und der Neuzeit. Bd. 2, Abt. 1, Hannover 1892, S. 24, 53, 91, 138, 152.

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mit Prag unterhielt, kann nur das Gebiet dieser Diözese in Betracht kommen. Die Miniaturen des Codex Cent. I, 14 sind Provinzarbeit. Die Qualität der Darstellung, die sich in der Hauptsache auf die ent­ sprechenden Tagesheiligen mit ihren Attributen beschränkt, ist gering. Die Zeichnung ist unbeholfen, die Farben — mit wenig künstlerischem Gefühl gewählt — sind verschwommen und unklar. Nur wenige Darstellungen bieten Interessantes, so die Ge­ burt Christi (Bl. 12v). Die Maria ist anatomisch unmöglich, ihr Gesicht völlig teilnahmlos mit steifem Lächeln. Unproportioniert und unperspektivisch ist die Architektur einer Kirche (Bl. 99r; Abb. 6). Wenn Jacobi1) auf ein »/zunehmendes Verständnis für Darstellung der Architektur und der Perspektive im 14. Jahrhundert" hinweist und dies durch die Abbildung einer Miniatur aus einer Legenda aurea vom Jahre 1362 (München, Cgm. 6 fol. 97) belegt, so kann man hier von dem dort gezeigten Verständnis für Raum und Verhältnisse wenig verspüren. Die am besten ausgeführte Miniatur ist die Initiale auf Bl. 1 r (Abb. 7). Der im Zwischenraum dargestellte Prophet er­ innert in seiner Gedrungenheit an den Stil der Tonapostel aus St. Jakob in Nürnberg2). Aber die Lebendigkeit im Ausdruck und die Freiheit der Haltung, welche die Apostel auszeichnen, müssen wir bei der Handschrift vermissen. Die Haltung des Propheten ist unfrei, zusammengeduckt, der Kopf sitzt ohne Hals zwischen hoch­ gezogenen Schultern. Die Gesten der Hände aber sind denen der Tonapostel ähnlich, auch die Körperverhältnisse stimmen überein. Die Länge des Kopfes verhält sich zur Gesamtlänge wie 1 zu 4. Wenn Pinder die »»Proportion, die Köpfe, die weich schwellende Gewandbildung" des nürnbergisch - böhmischen Meisters der Tonapostel als allgemein böhmisch berührt mit der »»Atmosphäre der parlerischen Hüttenplastik" in Zusammen­ hang bringt, so darf man die vorliegende Handschrift auch stilistisch dem Kreis der Prager Schule nahestellen. *) Siehe Jacobi, F.: Die deutsche Buchmalerei in ihren stilistischen Ent­ wicklungsphasen. München 1923, S. 56, Abb. 33. 2) Siehe Nürnberg, Germanisches Museum, Katalog Nr. 91 —96; Josephi, Walter: Die Werke plastischer Kunst (Katalog des Germanischen Museums) Nürnberg 1910, Taf. VIII und IX, und Pinder, Wilhelm: Die deutsche Plastik des 15. Jahrhunderts. München 1924, Taf. I, S. I2f.

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Die Verzierungen des Randes, die Linienführung, Farben, Fleuronnees und Goldbeeren stehen in engem Zusammenhang mit einer weiteren Bibelhandschrift*), die durch Schlußeintrag (Bl. 266v) auf das Jahr 1410 datiert und von Benedictus Korczek geschrieben ist *2). Die Anfangsbuchstaben der einzelnen Bücher sind zu gemalten Initialen ausgestaltet, teils rein ornamental, teils mit figürlichen Darstellungen geziert. Der Buchstabe ist quadratisch, von schmalen Streifen gerahmt, deren Farben wechselweise mit denen der Schäfte und des Grundes hellblau bis violett, lila, rot, hellgrün bis meergrün sind. Die Buchstabenschäfte sind einfarbig gehalten, das Akanthusornament hebt sich durch Beigabe von Weiß (bei grüner Grundfarbe von Ocker) hervor. Der Raum zwischen den Run­ dungen der Buchstaben und dem Rahmen ist durch Blattgold ausgefüllt. Die Mittelfelder sind einfarbig grundiert. Zu den schon oben genannten Farben tritt ein tiefes Purpur hinzu, das ver­ bunden mit dem darauf gezeichneten silbernen oder goldenen Blatt- oder Teppichornament einen vornehm gedämpften Ton gibt. Die figürlichen Darstellungen sind in ihrer Güte verschieden. Die beste ist die F-Initiale auf Bl. 1 r (Abb. 8). Die Miniatur stellt wie üblich an dieser Stelle den hl. Hieronymus dar auf blauem Grund mit feinem goldenen Rankenwerk; der Kirchenvater ist mit scharlachrotem Gewand bekleidet, den Kardinalshut hat er aufgesetzt. In prächtigen, edel geschwungenen Falten fließt das Gewand zu Boden. Das Weiß der Innenseite, das an Brust, Ärmeln und Falten zu Tage kommt, gibt dem Wurf plastische Lebendigkeit. Auch die Gesichtszüge sind gut charakterisiert. Die graue Schattengebung läßt sie deutlich hervortreten und gibt den Eindruck eines an Askese gewöhnten Mannes. Im Vergleich zu dieser, durch Feinheit der Zeichnung hervorragenden Bildnisinitiale fallen die übrigen figürlichen Dar­ stellungen ab. Sie sind gröber durchgeführt, jedoch bieten sie viel Charakteristisches. Der Illuminist war bestrebt, Begeben­ heiten der hl. Schrift zu verbildlichen. Er zeigt u. a. auf Bl. 90 v 0 Nbg. Stadt-Bibl. Cent. I, i. 2) „Finita est haec biblia per manum Benedicti filii Martini dicti korczek feria V post festum Sancti Tbomae anno Domini 1410“.

103 den kranken Hiskia und den Prophet Jesaia. Das Gold der Krone und die prunkvolle Decke stehen in sprechendem Gegen­ satz zur »/rauhen Haut"1) des Propheten, der mit mahnender Geste auf den König einredet. Drastisch ist die Darstellung von Hiob auf Blatt 122 r. Nackt sitzt er auf einem Haufen Asche, hinter ihm droht sein Weib mit erhobener Geißel. In Bewegung, Gesichtsausdruck und Kleid (ein kaltes Blau mit Weiß) ist sie das Bild eines herrischen Mannweibes, während die Armseligkeit des Hiob durch die Nacktheit und Magerkeit trefflich charakteri­ siert ist. Der Psalm 69 (Salvum me fac Deus: quoniam intraverunt aquae usque ad animam meam . . .) bietet Anlaß zur Illustrie­ rung der Errettung des Jonas aus dem Rachen des Fisches (Bl. 137 r; vgl. Abb. 9). DieSzene ist eigenartiginden unteren und mitt­ leren Bogen einer Initiale S komponiert. Den unteren Bogen füllt ein ungeheurer Fisch aus, aus dessen Rachen der nackte Prophet ans Land steigt und sich, dem mittleren Bogen des S folgend, weit vorwärts vorbeugt. Die schlechte Verkürzung und die Steifheit der Beuge geben der Gestalt ein gezwungenes Aussehen. Bei allen nackten Gestalten dieser Handschrift fällt diese Unge­ lenkigkeit, etwas Starres und Unfreies auf. Eine Madonna mit dem Kinde leitet das Hohe Lied ein (Bl. 152 v). Warm leuchtet aus dem goldenen Strahlengrund in meergrüner Umrahmung der rote Nimbus der Maria und des Kindes. Die Mutter zeigt dem Kind ein Spielzeug, jenes erhebt liebkosend die Hände zur Mutter, aus deren Antlitz ihm ein sorg­ lich-liebevoller Blick begegnet. Weniger die Zeichnung, auch nicht die Farben machen dieses Bild so anziehend, vielmehr die mütterliche Innigkeit, die aus dem Blick der Maria strahlt. Durch besonders ausdrucksvolle Zeichnung der Gesichtszüge hebt sich die Darstellung des Matthäus auf Bl. 215r (Abb. 10) hervor. Die hohe Stirn, die edle Nase, das schöne Oval des Gesichts, besonders der durchgeistigte Blick geben dem Evangelisten etwas Gotterfülltes, man fühlt, er bringt eine frohe Botschaft. Nicht wenig tragen zu diesem Eindruck die Farben bei. Die ganze Initiale steht in grünem Leistenrahmen, die Ornamentik des Schaftes ist blau, ziegelrot mit gold der Initialgrund, darauf Buch der Könige II, Kap. 2.

104 scharlachrot Flügel und Gewand des Evangelisten. Das Antlitz aber, von blondem Gelock umgeben, wird hervorgehoben durch einen dunkelblauen, mit Goldstrahlen durchwirkten Heiligen­ schein. Drei weitere Initialen müssen erwähnt werden. Sie bieten zwar in der Darstellung nichts Bemerkenswertes, stehen zum Teil sogar unter dem Durchschnitt der Handschrift, doch macht die Art des Faltenwurfes sie interessant. König David (Bl. 75 v), Salomo (Bl. 145r) und der Evangelist Lucas (Bl. 227 v) sind jeder sitzend dargestellt. Das Ende des Gewandes ist auf der rechten Seite der Figur über die Sitzbank geworfen. So unmotiviert, ja fast störend dies ist, so findet sich dieser Faltenbausch noch mehr gesteigert und zum Ornament ausgestaltet in den Minia­ turen der Bibelhandschrift Cent. I, 5. Auch in der Nürnberger Tafelmalerei aus dem Anfang des Jahrhunderts ' lassen sich Ansätze dieser Eigentümlichkeit auffinden (Meister der Moritz­ kapelle, Maria mit dem Jesuskind und dem kleinen Johannes. Vgl. Neuerwerbungen des Germ. Museums in Nürnberg, 1921—24, Tafel 2, Nürnberg 1925). Ein weiteres stilistisches Kennzeichen für den böhmischen Ursprung der Miniaturen ist die Randverzierung, die allen Initialen des Codex mehr oder minder reich gemeinsam ist. Manchmal aus dem Buchstabenschaft herauswachsend (z. B. F, Blatt 1 r), häufig aber ohne jede innere Verbindung nur äußerlich an die Umrahmung angesetzt, windet sich eine einfache Akanthusranke am Rand oben und unten, deren klare Biegungen und von feinem Rhythmus geführte Linien an italienische Formen gemahnen. Die Ranken, die meist nur eine Seite des Schriftsatzes rahmen und nur vereinzelt auf den oberen und unteren Rand überzu­ greifen versuchen, laufen oft einfach geschwungen aus, manchmal rollen sie sich zu Fleuronnees zusammen, wie sie in böhmischen Handschriften geläufig sind (s. Dvorak, Abb. 10 und Tafel XX). Ein besonderes Kennzeichen für die böhmisch-avignonesischen Schulzusammenhänge sind die goldnen Tröpfchen (Bl. Ir, 3r, 15 v, 43 r, 59 r, 67 r, 75 v und 82 v), die bei verschiedenen Ranken aus den Ansatzstellen herauswachsen, manchmal aber auch die Ranke selbst unterbrechen (vgl. Dvorak, Tafel XI, Fig. 19, Fig. 20).

105 Den drei vorbeschriebenen Handschriften schließt sich eine vierte an, welche ihren Prager Ursprung urkundlich bezeugt1). Sie ist zeitlich und stilistisch die jüngste. Die Grundlagen ihrer Initialornamentik sind noch ganz dieselben wie die der besproche­ nen, doch löst der Schmuck des unteren Randes die strengen Formen der Akanthusranke auf und bereichert sie mit stilisierten Blüten. Da zu der Zeit ihrer Entstehung sich in Nürnberg die böhmische Ranke schon eingebürgert hatte, kommt diese Hand­ schrift für die Beurteilung der ersten Nürnberger Ranken nicht mehr in Frage, doch liefert sie den Beweis, daß tatsächlich Handschriften aus Prag für Nürnberg erworben worden sind 2). Wann die beiden Handschriften Cent. I, 1 und I, 5, die als unmittelbare Vorbilder der Nürnberger Buchmalerei in Be­ tracht gezogen werden müssen, hieher kamen und welches Kloster sie in seine Bibliothek aufgenommen hat, läßt sich nicht mehr feststellen. Die Bände gehören auf jeden Fall zu dem Bestand der Stadtbibliothek, der nach Einführung der Reformation aus den aufgehobenen Klöstern übernommen wurde. Es ist von Bedeutung, daß im Predigerkloster und im Ägidienkloster in Nürnberg mit dem beginnenden zweiten Viertel des 15. Jahrhunderts eine lebhafte Illuminationstätigkeit einsetzte, und daß sich bei den in der Folge entstandenen Miniaturen der Randschmuck, die Ranken der Buchstabenschäfte und die Verzierung des Innenraums bei mehr oder minder selbständiger Weiterbildung meist auf die Ornamente der beiden böhmischen Handschriften zurückführen lassen, sodaß man annehmen kann, daß diese kurz nach 1420 nach Nürnberg gelangt sind3). Der neue Stil tritt in Nürnberg zuerst in einer Handschrift des Ägidienklosters auf. Ein //über consolationum sacrae theologiae" vom Jahre 1427/28 verrät in seinem reichen Initial­ schmuck die Kenntnis der böhmischen Handschriften4). Während *) Nbg. Stadt-Bibl. Cent V, 86: Haec biblia finita est per Mathiam licentiatum artium liberaüum studii Pragensis. Anno 1431. 2) Für die Erwerbung von Tafelbildern in Prag gibt Gebhard, Karl: Die Anfänge der Tafelmalerei in Nürnberg (Studien zur deutschen Kunstgeschichte. Heft 103) Straßburg 1908, S. 30, einen urkundlichen Beleg. 8) Burger datiert die Handschrift I, 5 mit Rücksicht auf die von ihm ange­ nommene fränkische Abstammung „um 1430“. Einmal als böhmisch erkannt, muß sie um 1420 angesetzt werden. 4) Nbg. Stadt-Bibl. Cent. III, 50 Bl. 2 r.

106 aber die Ranken des Randschmuckes in ihrer kräftigen Bewegung schon eine Weiterbildung bedeuten, zeigt eine wecclesiastica historia" des Eusebius vom Jahre 1430 aus dem Predigerkloster1) einen kleinen Rückschritt gegenüber dem böhmischen Rand­ schmuck. Die Formen der Rankenblätter sind zwar die gleichen, die Bewegungen der Ranken sind jedoch steifer und stengeliger und haben nicht die feine Wellung der Vorbilder2). Umgekehrt darf das Einstreuen einzelner stilisierter Blüten als eine Weiter­ bildung angesehen werden. Der Wurf der Gewandfalten des hl. Hieronymus auf Bl. 8v steht in enger Beziehung zum Faltenstil der Bibel des Schreibers Korczek (Cent. I, l). Die Zeichnung bleibt allerdings hinter jenen Formen zurück, die an sich ungeschickte Modellierung wird durch allzu dick aufgetragenes Rot des Mantels völlig zerstört. Beson­ ders hervorgehoben sei der Faltenbausch auf der rechten Seite des Heiligen (vgl. S. 104 f.). Auf dem Blattgoldgrund, der links ähnlich der Miniatur in der Handschrift des Schreibers Schwarz (Cent. II, 2, siehe S. 91 f.) ausgezackt ist, hebt sich schwach eine Architektur ab, jedoch nur durch wenige Striche angedeutet. Bedeutend selbständigere Arbeiten sind die beiden Miniaturen der »/historiae tripartitae a Socrate, Sozomeno et Theodorito" 3). In ihren aus den Ecken der Rahmenquadrate herauswachsenden Blattranken und Fleuronnees zeigen sie noch die Grundformen der böhmischen Handschrift, jedoch steht die erregte Bewegung der Ranken hier zu der sicheren Ruhe dort in ausgeprägtem Gegensatz. Die Gestalten haben nur noch die Leuchtkraft der Farben mit der böhmischen Buchmalerei gemein. Die Proportion, die Zeichnung und die Charakteristik ist bereits ausgeprägte Nürnberger Eigenart, die nun etwa für die folgenden drei Jahr­ zehnte festgelegt ist. Keine Spur von graziler Schlankheit ist zu finden, nicht das turmartige In-die-Höhe-streben der Körper4), hier herrscht bodenständige Breite, in der Miniatur mit den drei J) Nbg. Cent. III, 5 (Bl. 256 v: Anno 1430 comparatus per fratres predicatores in Nuremberg pro libraria eorundem). 2) Vgl. Raspe S. 24. 3) Cent. III, 6, Bl. 2 r; der Codex ist von Förster 1435 gebunden und dürfte kurz vorher entstanden sein. 4) vgl. Fischer, Karl: Eine Bibelhandschrift des 15. Jahrhunderts in der Stadtbibliothek Nürnberg (Cent. I, 5) in: Mitteilungsblatt der Städtischen Volks­ bildungskurse mit O. Z. Nürnberg, 1927 Heft 2 S. 4 — 7*

107 Gelehrten betont das Gesims der Banklehne noch die wagrechte Querteilung. Mit behäbiger Sicherheit sitzen die drei Männer zu­ sammen auf der Bank, jeder sein Buch vor sich auf den Knieen haltend. Mit erstaunlicher Lebendigkeit ist das Blättern und wissen­ schaftliche Diskutieren gelungen, besonders bei den beiden äußeren Gestalten. Dagegen sind die Köpfe ohne Hals zwischen die Schultern gesetzt, das Gesicht ist derb modelliert, kräftige Backen­ knochen, dicke Lippen und breite Nasen treten hervor, die Bart­ haare sind mit dünnem Pinsel gezeichnet. Trotz der Vorzüge dieser Miniatur ist es verwunderlich, daß sie noch über 20 Jahre später (1457) bei einem Illuministen des Ägidienklosters Nachahmung findet1). Vielleicht haben die Schottenmönche das Exemplar des Predigerklosters2) zum Ab­ schreiben benützt und zugleich die Komposition der Miniatur entlehnt. Die gelehrten Kirchenhistoriker sitzen auf dem Bild aus dem Ägidienkloster äußerlich in ganz derselben Weise neben­ einander. Dem Kopisten aber fehlen die prächtigen Farben seines Vorbildes, auch zeigt er durch die Steifheit seiner Gestalten und durch das Ungeschick, mit dem diese ihre Bücher halten, daß er die feine Charakteristik seines Vorbildes nicht verstanden hat. Weniger glücklich wirkt im Predigerband die zweite Miniatur auf derselben Seite(Abb. 11). Hier dediziertSozomenos seine Kirchen­ geschichte dem Kaiser Theodosius. Die räumliche Tiefe, die diese Szene erfordert, geht über die Gestaltungskraft des Illu­ ministen hinaus. Auch dieses Scheitern ist für die Buchmalerei der Nürnberger Dominikanerklöster charakteristisch. Bis weit in die zweite Hälfte des Jahrhunderts hinein mißlingt jeder Versuch, aus der Fläche hinein in die Tiefe zu gestalten und so die Illu­ sion des Raumes hervorzurufen. Erst um 1463 wird dies in Nürnberg zum ersten Mal erreicht und zwar im Ägidienkloster bei einem »Gregor im Gehäuse" (Abb. 12)3). Wenn auch hier die Perspektive noch nicht modern gesehen ist, so wird doch die Vor­ stellung des Raumes bewirkt. Durch das liebevolle Eingehen *) Nbg. Stadt-Bibl. Cent. IJI, 8 : Historiae tripartitae a Sozomeno, Socrate et Theodorito. 2) Die ähnliche Einteilung der Schrift läßt dies als sicher annehmen. 8) Nbg. Stadt-Bibl. Cent. 1, 65, Bl. 6 r. Gregorius Papa: Omeliae super Ezechiel (scriptae sunt per me Sigismundum schuel de patavia . .. monasterii sancti Egidii in Nuremberg 1463).

108 auf Einzelheiten, von der Fensterbank und den Butzenscheiben bis zur Landschaft, auf die der Blick durch das Fenster in die Ferne gelenkt wird, erweist sich das Bild als ein würdiger Vor­ läufer des Dürerschen Hieronymus-Kupferstiches (B. 60). Während sich die klösterliche Buchmalerei bis gegen Ende der zwanziger Jahre stilistisch nicht in Anteile der einzelnen Klöster zerlegen läßt1), tritt nun als Folge der Befruchtung durch böhmische Handschriften eine Zweiteilung der Entwicklung ein. Die Gruppe, welche zuerst sich selbständig zur Geltung bringt, bilden die Handschriften des Ägidienklosters, dem sich späterhin noch das Kartäuserkloster anschließt. Die Malerei dieser Bände bleibt im allgemeinen eng mit den Vorbildern verbunden, sie bevor­ zugt rein ornamentale Initialen und hat keine eigentliche Weiter­ entwicklungmehr aufzuweisen. Die Ornamentik sucht weniger selb­ ständige Formen, sie bildet mehr die einmal übernommenen bis zur größten Sicherheit und Sauberkeit aus. Daß aus dieser Schule eine so gute und bis ins Einzelne durchgearbeitete Miniatur hervorgehen konnte, wie der »Gregor im Gehäuse", ist neben der Begabung des Illuministen vor allem der strengen Genauig­ keit der Schule zu danken. Einen ganz anderen Charakter zeigt die Gruppe des Prediger­ klosters, die um die Mitte des Jahrhunderts auch das Augustiner­ kloster einbezieht. Hier wird die böhmische Bevormundung schnell überwunden; was man aus ihr gelernt hatte, war die gegen früher reichere Ornamentik, ganz neu war der Akanthusrandschmuck hinzugekommen, vor allem aber wußte man nun Farben zu behandeln. Der farbige Unterschied zwischen den Miniaturen der Wysergruppe (s. S. 90ff.) und denen der historiae tripartitae zeigt dies deutlich. Die Prediger-Illuministen verstanden es, diese Mittel mit Sorgfalt und Geschick auch in neuen Formen zu gebrauchen. Die Weiterbildung des Randschmuckes beruht in Nürnberg ganz auf ihren Arbeiten (siehe Kap. 5, 2). Besonders pflegten sie die Bildnis-Initiale, die sie bis zu porträtmäßiger Sicherheit ausbildeten. Die Zeit kurz nach 1430 muß noch als eine Zeit der Un­ sicherheit und Ausbildung der eigenen Form angesehen werden. x) Durch die besondere Art der Einbände und häufig durch die Einträge der Schreiber läßt sich die Provenienz meist eindeutig festlegen.

109 So schließt sich das wKatholikon Johannis de Janua"*) in der Ornamentik der Buchstabenschäfte und der Initialzwischenräume mehr der Gruppe der Ägidienhandschriften an. Allerdings hat die Initiale Z auf Blatt 270 v als Grundierung ein ins Violette spielendes Weinrot, mit goldenen Sternen übersät, wie es im Katharinenkloster in der Folge häufig verwandt wurde. Aber die eigene Entwicklung zeigt sich im Randschmuck. Die saftigen böhmischen Ranken sind magerer geworden. Aber sie sind zugleich gerundeter in ihren Bewegungen und häufig zu Spiralen eingerollt. Besonders lebendig aber wird das Gezweig durch die zahlreichen stilisierten Blüten, deren bunte Farben zwischen den Ranken leuchten. Denselben Charakter zeigt der Randschmuck eines Ämterbuches aus dem Katharinen-Kloster *2). Auch in den Bildnis-Initialen hat dies den Stil des Predigerklosters ausgeprägt (Abb. 13). Die Gestalten fallen durch sorgfältige Ausführung (Bl. 199 v) und große Sicher­ heit der plastischen Durchführung auf. Die Buchstabenschäfte sind kräftig hervorgehoben, das Blattornament darauf tritt fast reliefartig hervor. Da auch der Einband 1436 von dem Prediger­ mönch Konrad Förster hergestellt worden ist, wird man annehmen können, daß dieser Band im Predigerkloster ausgemalt wurde.

Kapitel IV.

Die Wiedereinführung der strengen Observanz im Katharinenkloster in ihrer Bedeutung für die Buchmalerei. Das Nürnberger Dominikanerinnen-Kloster zu St. Katharina wurde im Jahre 1428 durch den Generalmagister des Ordens Bartholomäus Texerius unter Mithilfe des Priors Johannes Nider vom Nürnberger Männerkonvent zur strengen Observanz zurück­ geführt3). Bei dem heftigen Widerstand der Nonnen, die bei *) Nbg. Stadt-Bibl. Cent. I, 96, geschrieben von Konrad Wyser (vgl. S.92). 2) Leipzig, Deutsches Museum für Buch und Schrift, Kl. 1,39 (vgl. Falk, Franz: Der Stempeldruck vor Gutenberg, in: Festschrift zum 500jährigen Geburtstag Johann Gutenbergs. 23. Beiheft zum Centralblatt für Bibliothekswesen. Leip­ zig 1900 S. 7 2 ff. 8) Siehe Schieler, Karl: Magister Johannes Nider. Mainz 1885 S. 156 ff. Fries, Katharinenkloster S. 23 ff. und Jostes S. XVI ff.

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ihren Verwandten in Rat und Bürgerschaft der Stadt Unter­ stützung fanden, wäre diese Reform ohne Mithilfe des einzigen bis dahin reformierten Frauenklosters des Ordens, Schönenstein­ bach bei Gebweiler im Elsaß, unmöglich gewesen. 10 Schwestern dieses Konvents, zum Teil Nürnbergerinnen von Geburt, siedelten hierher über und besetzten nicht ohne Schwierigkeiten alle wichtigen Ämter im Kloster. Unter der neuen Priorin Gertrud Gwichtmacherin, die von 1428 an 40 Jahre lang das Kloster leitete, nahm dieses einen bedeutenden Aufschwung, sodaß es selbst bald Ausgangspunkt für die Reformierung weiterer Domini­ kanerinnenklöster werden konnte 1). Der nun waltende neue Geist kam in großem Maße der Bibliothek zugute2). Nicht nur läßt sich eine starke Vermehrung durch Schenkungen und erhöhte Tätigkeit im Abschreiben feststellen, sondern die Bibliothek wurde in den folgenden Jahren geordnet, es wurde ein Katalog angelegt, der besonders die zur Tischlektüre geeigneten Werke aufführt. Daß sich dieses wertvolle Dokument, das zugleich häufig auch den Namen der Schreiberin angibt, überhaupt über die Herkunft der Bände Rechenschaft ablegt, in einer Hand­ schrift der Stadtbibliothek Nürnberg erhalten hat3), ist für die Kenntnis der klösterlichen Kultur, insbesondere für die Beur­ teilung der Buchmalerei von großer Wichtigkeit. Das wenige, was sich aus der Zeit vor der Reform erhalten hat, geht über einen primitiven Dilettantismus nicht hinaus. In einem kleinen Gebetbuch aus dem Anfang des 15. Jahrhun­ derts findet sich auf der letzten Seite eine Federzeichnung in Schwarz, Rot und Grün, welche die hl. Katharina mit dem Rad vor blüten-und sternbesätem Grund darstellt (Abb. 14)4). Diese un­ beholfene Zeichnung ist in einen Rahmen gestellt, der durch die 1) 1436 wurde Tulln a. D. (Oesterreich), 1443 Pforzheim, 1451 Bamberg von hier aus reformiert. 2) Fries, Katharinenkloster, hat ausführlich über die Bibliothek gehandelt. 8) Nbg. Stadt-Bibl. Cent. VII, 79, vollständig abgedruckt bei Jostes S. 113 ff. Derselbe Katalog liegt auch den Ausführungen von Fries, Katharinenkloster, S. 47 ff.» 134 ff. zugrunde. 4) Nbg. Stadt-Bibl. Cent VII, 8, Bl. 162 v, Format 9:5 cm (Alte Biblio­ theksnummer 0. XXVIII). Fries, Katharinenkloster, S. 56 setzt dieses Bild noch ins 14. Jahrhundert. Die große Verwandtschaft der Blüten mit den Ornamenten der kalligraphischen Initialen des zweiten Drittels des 15. Jahrhunderts in diesem Kloster, auch die Sterne des Grundes, die für die spätere Zeit charakte­ ristisch werden, besonders aber die Schrift des dem Bilde vorangehenden Teiles der Handschrift weisen auf das 15. Jahrhundert.

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erhobene Rechte mit dem Rad durchbrochen wird. Doch ist dies nicht auf das Bestreben nach plastischer Wirkung, sondern auf das Ungeschick der Zeichnerin zurückzuführen. Daß das Bild von einer Nonne des Katharinenklosters stammt, darf man bei dem Vorwurf und der Art der Ausführung mit Sicherheit annehmen. Weniger bestimmt kann dies von den Zeichnungen um 1410—20 zu einem Predigtbuch1) behauptet werden, da es in dem alten Katalog von diesem Band heißt: «Das puch procht swester Kungunt Schreiberin2) herein". Trotzdem möchte ich auch diese mystischen Passionszeichnungen für das Katharinen­ kloster in Anspruch nehmen, nicht nur, weil auch hier das Rosettenornament häufig verwendet ist, sondern weil der Stil der Darstellung ganz der primitiven Art der Nonnen entspricht. Diese Zeichnungen gewinnen Interesse im Vergleich zu einer Miniatur, die um 1430 entstanden sein dürfte und Johannes auf Patmos darstellt3). Die Kluft, die diese von den vorher­ gehenden trennt, ist erstaunlich. Die Zeichnungen dort sind beherrscht von jener mystischen Symbolik, ohne jede räumliche und körperliche Gebundenheit, die der mittelalterlichen Kunst wesentlich war4), hier in der Miniatur zeigt sich ein anderer Geist. Die Umwelt tritt als gleichgeordneter Bildfaktor auf. Während noch in den nur wenige Jahre früheren Miniaturen der Postilla des Nicolaus de Lyra (s. Kap. II, 2) der Raum kaum eine Rolle spielt, sehen wir hier den Johannes nach neuzeitlicher An­ schauung bildmäßig natürlich als Teil des Ganzen in eine Landschaft gefügt, die doch, selbst wieder mitschwingend, sich der visionären Erregung unterordnet. Die Abkehr von der raumlosen Malerei des Mittelalters, die Erweiterung des Bildes in die Tiefe bedeutet für Nürnberg eine ganz neue Art des Sehens. Es darf nicht wundernehmen, wenn diese neue Art in Nürnberg noch ver1) Nbg. Stadtbibi. Cent. IV, 37 (nicht VI, 37 wie bei Fries S. 56). 2) Kunigunde Schreiber, Tochter des Hermann Groß und Witwe des Nicolaus Schreiber (s. S. 83), starb am 15. Februar 1470 als Klosterfrau zu St. Katharina, nachdem sie über 40 Jahre im Kloster war. S. Kern, Theodor: Nürnberger Denkwürdigkeiten des Konrad Herdegen 1409—79, Erlangen 1874, S. 16, 43. 3) Nürnberg, Germanisches Museum Nr. 281, vgl. Raspe S. 21 und Bredt, Katalog S. 118 ff. Abb. s. Burger S. 306, Abb. 380 a. *) Siehe Dehio, Georg: Geschichte der deutschen Kunst. Bd. 2 Text, Berlin und Leipzig 1921 S. 166.

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einzelt blieb. Zu sehr herrschte noch die Tradition*). Das illuminierte Buch, ähnlich der Malerei in der Kirche, diente der Andacht, für die weniger kühne Neuschöpfungen als vielmehr die üblichen Formen förderlich waren. Daß aber hier und dort in deutschen Landen der neue Stil zum Durchbruch kam, der in den Niederlanden durch den Genter Altar der Brüder van Eyck und früher schon, Ende des 14. Jahrhunderts, im Altar Melchior Broederlams (tätig 1381 —1409) in Dijon und in Burgund in den Miniaturen zum Gebetbuch des Herzogs von Berry zur Herrschaft gelangt war, das beweisen der Tiefenbronner Altar des Lukas Moser aus Rottweil (1431) und die Werke des Meisters Francke inHamburg. Der Nürnberger Johannes-Miniatur schließt sich in Format (210 :160 mm) und äußerer Aufmachung (rechteckige Umrahmung durch kräftige rote Streifen) eng eine zweite Miniatur (Abb. 15) an: Christus in der Mandorla und die 24 Alten (vgl. Offenbarung Johannes IV, 4)*2). Mit der letzteren wieder stehen in vollständigem stilistischem Einklang die 23 Miniaturen der Handschrift Cent. IV, 44 (die 24 Alten betitelt), von denen jede einen dieser Greise darstellt. Der Handschriftenkatalog der Stadtbibliothek Nürnberg — aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts — verzeichnet unter der Nummer Cent. IV, 44: . . . continet duas tabulas . . . quarum alter imaginem Joannis exhibet, flexis genubus orantis, altera Jesum, circumdatum quatuor et viginti his senibus“. 1922 entdeckte man, daß diese beiden Blätter herausgeschnitten worden und verschwunden waren. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die beiden Miniaturen des Germanischen Museums (Nr. 282) die hier fehlenden sind. Sie gehören also mit den 23 Miniaturen der einzelnen ;/Alten“ zu einer Handschrift mit der alten Bibliotheks­ nummer J, X. Diese hat ein Format (29,5:21 cm), das im Katharinenkloster häufig, vorzugsweise aber von der Schreiberin Kunigunde Niklas verwendet wurde. Sie ist auf das gleiche 9 Siehe Glaser, Kurt: Zwei Jahrhunderte deutscher Malerei. München 1916, S, 39 ff. 2) Beide Miniaturen sind Einzelblätter (Germanisches Museum Nr. 282) aus einer, laut Besitzereintrag auf der Rückseite des Johannesblattes, dem Katharinenkloster gehörigen Handschrift mit der klösterlichen Bibliotheksnummer J. X. Sie sind bei Bredt, Katalog S. 118 ff. eingehend beschrieben. Zum Band J. X. verzeichnet der klösterliche Katalog: Item ein puch daran stet die XXIIII alten, das hat uns die alt Hans Grolatin geschickt, der alten Kunczin Imhoff swester. Vgl. Jostes S. 134. Ueber die Datierung der Handschrift hat Fries, Katharinenkloster, gehandelt (S. 56 f).

113 gerippte Papier mit demselben Wasserzeichen (Ochsenkopf mit Rosette) geschrieben. Die Anlage der Schrift in Rot und Schwarz, die Farbe der Tinte, die Linierung und die Blattzählung ist ganz die im Kloster übliche, sodaß man annehmen darf, der Codex sei von einer Nonne selbst geschrieben. Auch die Miniaturen möchte ich als das Werk einer Nonne aus dem Katharinenkloster ansehen1), da es kaum wahrscheinlich ist, daß eine so umfangreiche Illuminationsarbeit bei der nachge­ wiesenen künstlerischen Betätigung der Nonnen2) außerhalb des Klosters in Auftrag gegeben wurde. In dem alten Bibliotheks­ katalog (Cent. VII, 79) findet sich zwar der auf S. 112, Anm. 2 erwähnte Zusatz über die Herkunft der Handschrift, doch darf hier wohl darauf hingewiesen werden, daß dieser Katalog 20 bis 30 Jahre später verfaßt ist und daher für die älteren Bücher kaum ganz zuverlässig sein wird. Die Johannes-Miniatur muß als eines der bedeutendsten Blätter nicht nur des Katharinenklosters, sondern auch der ganzen Nürnberger Buchmalerei aus jener Zeit angesehen werden. Zwar zeigt der Gesichtsausdruck wenig Anteilnahme, aber die Spannung der Szene drückt sich in der Bewegung des Johannes aus; die Gestalt bricht von links bis in die Bildmitte herein, der rote Überwurf führt in einer zügigen, durch parallele Quer­ falten noch hervorgehobenen Linie von der Mitte in die linke untere Ecke, wo er noch einmal scharf umgebogen wird. Das eine Mantelende ist von der Schulter herabgeglitten und flattert nach. Der Körper des Johannes ist weit vorgeneigt, die Hände sind betend, fast erschrocken erhoben. Die Lebendigkeit des Bildes sucht der Illuminist noch durch die Landschaft zu steigern; ein tief eingerissenes Wiesental, rechts und links hochragende Felsen, teils von Baumgruppen, links von einer Burg gekrönt und überwölbt von einem tiefblauen Himmel. *) Wenn ich hier mit Raspe S. 20 übereinstimme, so muß doch betont werden, daß sich die Herkunft absolut sicher nicht feststellen läßt. Raspe geht auf diese Schwierigkeit nicht ein, da ihm weder der alte Bibliothekskatalog noch die Arbeit von Jostes noch auch die Handschrift Cent. IV, 44 bekannt gewesen zu sein scheint. 2) Schon seit der Wende des 14. Jahrhunderts haben die Nonnen in üer Bildteppichwirkerei beachtenswerte Leistungen gezeitigt. S. Fries, Walter: Fränkische Bildteppiche im Germanischen Museum in Nürnberg, in: Zeitschrift für bildende Kunst. Jahrg. 60 1926 S. 125 ff. 8

114 Die Farbe ist die Stärke des Illuministen. Er meidet scharfe Kontraste und grelle Lichter. Das sämige Weiß des ausge­ sparten Pergaments gibt den Lichtstellen eine angenehme weiche Tönung und mildert den Übergang zu den tiefschwarzen Schatten der Felsschlucht. Trotzdem nichts von eigentlicher Perspektive zu verspüren ist, muß man doch von einer Wirkung in die Tiefe sprechen. Zwar ist noch an dem Schema der Anordung über­ einander festgehalten1), aber durch die geschickte Abtönung der Farben nach oben bis zu dem weichen Weiß des Pergaments auf der Höhe der Felsen wird eine wirkungsvolle Plastik erzielt. Technik und Stil dieser Landschaft haben Burger2) ver­ anlaßt auf direkten französisch-burgundischen Einfluß zu schließen und auf die, sowohl Broederlam als auch Paul von Limburg zugeschriebenen Miniaturen in Chantilly hinzuweisen. Tatsächlich zeigt die bei Burger, Abb. 152, wiedergegebene Landschaft in dem Altarwerk des Melchior Broederlam in Dijon und die Ab­ bildung 148 der Miniatur aus dem Stundenbuch des Jean de France, duc de Berry (1404 und 1408) viel verwandte Züge. Soweit sich aus den schlechten Reproduktionen entnehmen läßt3), scheint besonders ein Vergleich des Aufbaues der Felsen die Burgersche Ansicht zu bestätigen. Es läge allerdings näher für die Nürnberger Johannes-Miniatur weniger direkte Beein­ flussung aus Burgund als den Umweg über Böhmen anzunehmen. Dort weist Burger4) dem zu Anfang des Jahrhunderts tätigen Meister von Wittingau engste, ja persönliche Beziehungen zu Broederlam nach. Der Weg aber von Burgund über Böhmen nach Nürnberg ist langwieriger. Das zeigen einerseits die Landschaften der von mir etwas früher, von Burger sogar gleich­ zeitig angesetzten böhmischen Bibel (Cent. 1,5, s. oben, S. 97 ff.), die noch keine selbständige Bedeutung haben, während anderer­ seits die Imhoffsche Madonna, auf 1449 ansetzbar, noch in die *) Siehe Jacobi, Franz: Die deutsche Buchmalerei in ihren stilistischen Entwicklungsphasen. München 1923 S. 58 u. Abb. Taf. II. 2) Siehe Burger S. 306 und Anm. 17 auf S. 308. 8) Die technisch besseren Reproduktionen bei Martin Taf. CXIX und CXX zeigen keine hierauf bezugnehmende Landschaft, dagegen sei auf die Miniaturen Taf. CIX, CX (Text S. 101) aus „Livre de la chasse de Gas ton Phebus". gleichfalls aus dem beginnenden 15. Jahrhundert, mit verwandten Landschaften, hingewiesen. 4) Siehe Burger S. 136 und 179 Anm. 10.

115 Einflußzone der böhmischen Schule um den Meister von Wittingau gesetzt wird 1). Da die Johannes-Miniatur schon um 1430 entstanden ist, können die in ihr zutagetretenden französischburgundischen Anregungen nicht über Böhmen, sondern nur direkt aus dem Westen nach Nürnberg gelangt sein. Das geht nicht nur aus den stilistischen Erwägungen hervor, sondern wird auch durch die geschichtlichen Tatsachen wahrscheinlich gemacht. Die Übersiedlung der Nonnen von Schönensteinbach nach Nürn­ berg und die damit verbundene Reorganisation des klösterlichen Lebens darf als Bestätigung der von Burger festgestellten Beziehungen zum Oberrhein und Burgund gelten. Aber von »französierendem Renegatentum“ zu sprechen, scheint mir doch verfehlt zu sein. Die Anwendung dieses an modernen Verhält­ nissen gebildeten Wortes auf die anspruchslose Malweise der Nonnen ist ganz unglücklich. Die Nonnen haben gewiß An­ regungen aufgegriffen, wo sie sich boten. Das war im Mittelalter selbstverständlich. Aber wie sehr sie es verstanden, fremde Formen mit eigenem Gut zu verarbeiten, das zeigt gerade die Patmos-Miniatur deutlich. Burger selbst räumt ein, daß die Landschaft fränkisch sei. Solche Täler und Felsen, ähnliche Baumgruppen und Burgen sind dem Franken aus seiner Heimat geläufig. Ebenso ist die Bildung der Gesichtszüge des Johannes typisch fränkisch: die groben Backenknochen, die kräftig betonte Kieferpartie, die etwas vorspringende untere Gesichtshälfte. Noch stärker tritt die nürnbergisch-fränkische Charakteristik hervor in den Köpfen der 24 Alten auf dem Blatt: Christus in der Mandorla, umgeben von den 24 Alten. Die Ausführung ist hier gröber, die Komposition in den überlieferten Bahnen. Die oberrheinisch-burgundischen Züge treten ganz zurück, Zusammen­ hänge mit der böhmischen Schule werden deutlich. Die Gestalt Christi zeigt wieder eine starke Anlehnung an die Miniaturen der Bibel Cent. I, 5, die oben als böhmisch erkannt wurde. Besonders deutlich wird die Verwandtschaft mit dem König Salomo dort auf Blatt 86 v. Das Untergewand des schmalen Körpers ist um die Hüfte gegürtet, die Falten sind in eben derselben J) Siehe Neuwirth in Springer: Frühchristliche Auf!., bearb. v. Joseph Neuwirth. Stuttgart 1921 geschichte Bd. 2) S. 462. Vgl. Gebhardt S. 76'f., Abb. Malerschule von Nürnberg im 14. und 15. Jahrhundert. ii.

Kunst und Mittelalter. (Handbuch der Kunst­ bei Thode, Henry: Die Frankfurt 1891, Taf. 4. 8*

116 Weise über den Knieen aufgehängt, an ihren Umschlägen leuchtet unter dem weißlichen Rotviolett das Gelbgrün des Mantels hervor. Eine symmetrische Dreiecksfalte verbindet die beiden Kniee, auch der Faltenbausch an der rechten Seite fehlt nicht, doch ist die Faltung massiger, nicht so ins einzelne fein durchgeführt. Gute Durcharbeitung läßt diese Miniatur überhaupt vermissen. Die Zeichnung der Falten ist grob, die Farben sind nicht sorgfältig und genau aufgetragen. In den Gesichtszügen wird der Abstand von dem böhmischen Illuministen noch bedeutender. Die feinen graziösen Züge dort sind hier bäurisch derb vergröbert. Das Antlitz Christi ist am sorgfältigsten gearbeitet. Das schwarze Haar, ein wenig mit Grau gemischt, gibt ihm einen feierlichen Zug, in den Mienen aber ist die Charakterisierung nicht geglückt. Die beab­ sichtigte hohe Wölbung der Stirne wirkt mehr als weißer Fleck, die Augen sind starr nach vorwärts gerichtet, Nase und Mund gleichgültig gezeichnet. Die Plastik, die dem Christusantlitz so sehr fehlt, ist in den dieMandorla umrahmenden «Alten" fast zur Karrikatur gesteigert. Für das wenig entwickelte Können der Nonnen ist dieser Gegen­ satz bezeichnend. Die Technik der Gesichtsbehandlung, mit kräftig aufgesetzten Lichtpartien auf Stirn, Nase, Haar und Bart, die breiten Nasen, hervorstehenden Backenknochen, kräftigen Unter­ kiefer, mit wulstigen Lippen und groben Zähnen, ebenso die übertrieben redenden Gesten, die den Mangel an Ausdrucksmög­ lichkeit im Gesicht überbrücken sollen, sind für eine Reihe späterer Miniaturen aus dem Katharinenkloster richtunggebend (s. S. 137 ff.)* Die 23 übrigen Miniaturen dieser Handschrift (Abb. 16) zeigen je einen «Alten", technisch und stilistisch übereinstimmend mit der vorhergehenden Miniatur und zweifellos von derselben Hand gefertigt. Die Gestalten der Greise sind in ganzer Figur gegeben, die Proportionen gedrungen, die Köpfe breit und ver­ hältnismäßig groß. Die Körper wirken untersetzt, aber sie sind von den weißen Gewändern zu sehr verhüllt, um plastisch her­ vortreten zu können. Die Falten sind massig und schwer. Die Illuministin ist sichtlich bemüht in Haltung und Bewegung Ab­ wechslung zu bieten. Trotzdem sie aber alle erdenklichen Gesten und Stellungen verwendet, muß sie einförmig wirken, da es ihr nicht gelingt, die Gestalten individuell zu charakterisieren; sie bleibt

117 im Äußerlichen stecken. Dieser Eindruck wird noch dadurch verstärkt, daß für sämtliche Miniaturen gleichmäßig der Boden olivgrün, der Grund blau ist. Der allen gemeinsame rote Rahmen ist von auffälliger Breite. Zeitlich nahe steht den besprochenen die Miniatur (Abb. 17) in einem Psalter aus dem Jahre 14341). Es ist durchaus möglich, daß dieses Bild — David mit der Harfe darstellend — im Kloster gemalt ist. Die zierlichen Hände, besonders aber die stoffliche Behandlung des Vorhanges und des Ruhebettes machen die An­ nahme einer Nonne als Urheberin glaubhaft. Für die Phantasie­ armut des Nürnberger Schulstils ist das Gewand des David be­ zeichnend. Dem schweren Goldbrokat des Mantels gelingt es nicht, fürstliche Pracht vorzutäuschen, denn der Schnitt dieses Gewandstückes ist so nüchtern, der Faltenwurf so plump, daß jede königliche Würde verloren geht. Es ist merkwürdig, wie sich hier Gutes und Mißlungenes paart, wie der Hals aus dem Körper wächst, wie der Kopf darauf aufgesetzt ist; das zeugt von guter Beobachtung, das Gesicht aber unter der schweren Krone kommt nicht über kleinbürgerlich beschränkte Züge hinaus. Auch hier gibt die Farbe dem Bild seinen besonderen Charakter. Das Rot des Untergewandes und der Brokat des Mantels wird wirkungsvoll grundiert von dem wundervollen Smaragdgrün des Vorhanges und des Ruhebettes. Während letzteres aber in der Zeichnung mißlungen ist, ist das Herabhängen des Vorhanges durch geschickte Schattierung der Falten klar charakterisiert. Das Ganze ist rahmenartig von den Wänden eines Zimmers umgeben, sodaß die an sich nicht bedeutende Miniatur durch den Versuch, den Raum in ein wirkliches Verhältnis zum Körper des Königs zu bringen, an Interesse gewinnt. Allerdings kommt die Illuministin nicht über Andeutungen hinaus. Die räumliche Tiefe wird durch den Vorhang dicht hinter David so sehr ab­ gekürzt, daß die Wände des Zimmers mehr den Eindruck einer Umrahmung machen. Die Miniatur »/Johannes auf Patmos" muß als eine Einzel­ erscheinung, als ein frühes Aufleuchten einer Kunst, die erst in *) Nbg. Stadtbibi. Cent. VI, 43 k aus dem Besitz des Katharinenklosters, jedoch im Katalog nicht verzeichnet. Diese Handschrift ist laut Eintrag auf Bl. 71 r im Jahre 1434 geschrieben.

118 der zweiten Hälfte des Jahrhunderts zur Reife kommt, betrachtet werden. Die zeitlich folgenden zwei Jahrzehnte haben im Katha­ rinenkloster nichts von Bedeutung hervorgebracht. Die Nonnen des Klosters entwickelten in dieser Zeit eine lebhafte Tätigkeit im Abschreiben. Die hervorragendste und fleißigste unter den Schreiberinnen war die Nonne Kunigunde Nicklas1). Sie war etwa vom Jahre 1437 bis zu ihrem Tode 14572) als Schreiberin tätig. Eine kleine Zahl ihrer Handschriften ist mit Miniaturen oder ornamentalen Initialen geschmückt. In zwei Bänden3) finden sich kleine Zettel mit Anweisungen für die Ausmalung der Ini­ tialen, die auf die betreffenden Seiten mit Faden aufgenäht sind. Damit ist zwar erwiesen, daß die Schreiberin nicht auch zugleich die Illuministin ist, diese selbst aber läßt sich nicht mehr fest­ stellen. Es liegt nahe, in ihr eine Nonne des Klosters anzu­ nehmen, was stilistisch zu rechtfertigen wäre. Die Miniaturen sind anspruchslose Erzeugnisse eines auch für damalige Zeit be­ schränkten Gemütes4), doch scheint es mir übertrieben, von «so abstoßender Roheit" zu sprechen, «daß für uns jede Er­ bauung verlorengehen würde"5). Die Miniaturen sollten in der Hauptsache Material zur Veranschaulichung der biblischen Hand­ lung bieten. Darum kommt hier im Gegensatz zu Johannes auf Patmos und Christus in der Mandorla das rein Sachliche zu aus­ schließlicher Behandlung. Darauf weist schon der Text der auf­ gehefteten Zettel hin, der in knappster Form den Gegenstand des Bildes angibt6). Es scheint, daß die Illuministin nicht ein­ mal den Bibeltext gelesen, sondern sich nur an die Anweisungen gehalten hat, denn die Bilder zeigen nicht immer das notwendige Verständnis für die biblische Handlung. So einfältig diese wieder­ gegeben ist, so kindlich ist auch die Technik der Zeichnung. *) Die stattliche Zahl der von ihr geschriebenen Codices, die Fries, Katharinenkloster S. 52 ff. dem alten Katalog des Klosters entnimmt, könnte noch durch eine Reihe von Handschriften vermehrt werden, die teils das Signum der Nonne (K. N.) tragen, teils ihr aus anderen Gründen zugeschrieben werden können. 2) Siehe Würfel, Todenkalender S. 35. 8) Nbg. Stadtbibi. Cent. III, 41: „daz dritt (new) buch der bibel" und Cent. III, 40: „das ander buch der bibel“. 4) Walther, Wilhelm: Die deutsche Bibelübersetzung des Mittelalters, Teil 2, Braunschweig 1891 Sp. 312 weist dies an den Miniaturen der Handschrift Cent. III, 41 nach. 5) Siehe Raspe S. 29. 0) Z. B. Salvum me fac malt einen nacktten man der da sleuft aus eim visch und pet vor einer kirchen. Bl. 175 v.

119 Voll ursprünglicher Freude ist der Pinsel gehandhabt. Ungehemmte Lust an bunten Farben hat ein Kolorit hervorgebracht, dessen Reichhaltigkeit und Leuchtkraft überrascht. Die Nonne weiß die Farben geschickt zu verwenden. Die Abstufung ihres Orange vom satten, düsteren Weinrot bis zu hell leuchtendem Gelb in Verbindung mit Blau des Initialschaftes und Grün des Bodens machen den Haupt’ wert der Miniatur aus. Bei der böhmischen Bibel (Cent. I, 5) wurde schon auf eine architektonisch-konstruktive Behandlung der Kleidung hingewiesen, dieselbe pfeilerartige Gewandbehand­ lung vom Knie abwärts finden wir hier bei der Gestalt des alten Tobias (Bl. 72 v), noch deutlicher aber wird die Abhängig­ keit bei dem Bilde der Judith (Bl. 60 r). Auch hier sehen wir die turmartig emporwachsenden Beine und die dürren Arme wieder. Daß eine so geschickte Komposition wie die Errettung des Jonas aus dem Rachen des Fisches (Bl. I75v; vgl. Abb. 18) nicht eigene Erfindung der Nonne sein kann, geht aus dem Vergleich mit den übrigen Miniaturen hervor; es ist das best ausgeführte Bild des Bandes, aber gerade deshalb auch nicht so charak­ teristisch für die Arbeitsweise der Nonne. Die Malereien zu dem »ander puch der bibel“ (Cent. III, 40) entbehren jedes künstlerischen oder historischen Wertes. Auch sie dürften im Kloster entstanden sein, die Illuministin aber zeigt sich ohne jede malerische und künstlerische Begabung.

Kapitel V.

Die Buchmalerei im Predigerkloster um die Mitte des Jahrhunderts (etwa 1440 — 1460). 1. Zwei Bildnis-Initialen um 1440. Die plastische Hervorhebung des Buchstabenkörpers und die roliefmäßige Bearbeitung seines Ornamentschmuckes zeigt in ähnlicher Weise wie die Initialen des Ämterbuches (Kl. I, 39 Lpz., s. S. 109) die Initiale (Abb. 19) einer Handschrift des Augu­ stinus: De civitate dei1). J) Nbg. Cent. I, 56 Bl. 2r. Der Codex ist 1447 von Konrad Förster gebunden.

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Der Heilige ist im Zwischenraum der Initiale dargestellt mit Bischofsmütze und -stab. Den Körper umhüllt ein grüner, goldbordierter Mantel, darunter wird ein rotes Gewand sicht­ bar. In der Rechten hält der Kirchenvater ein blau gebundenes, mit Goldbeschlägen versehenes Buch. Die Gesichtszüge sind ohne besondere Charakteristik, oberflächlich und weich gearbeitet, die Augen sind starr in die Höhe gerichtet; dort schwebt über dem Bischof, wohl als Vision gedacht, das Bild des Gottesstaates, den sich der Nürnberger Mönch bezeichnenderweise als eine mit Mauern und Türmen bewehrte Stadt vorstellt. Die Dächer und Zinnen leuchten in purem Gold. Die Ranke des Randes ist leicht geringelt, flüchtig gearbeitet und für das Bild nur von geringer Bedeutung. Die Hauptsache ist hier die farbige Wirkung, die beweist, daß man tatsächlich, wie bereits gesagt, in Nürn­ berg von der böhmischen Buchmalerei gelernt hat, daß es aber doch gelungen war eigene Wege zu finden1). Man sieht hier nicht die schwere Pracht der böhmischen Miniaturen, die Zu­ sammenstellung der Farben ist heiterer, das dunkle Weinrot wird belegt durch Goldranken, das Gold der Dächer und Zinnen der Stadt, die Borte und das helle Grün des Mantels, dazu das Blau des Bucheinbandes ergeben eine frische Buntheit, die noch betont wird durch eine senkrechte Buchstabenreihe L. O. R. I. O. (Gloriosissima), in der jeder Buchstabe in Gold auf farbigem Grund steht. Der stumpfblaue Buchstabenkörper wirkt durch unruhige Lichter und durch schwarze Schattenstriche wie ein Steinrelief. Wesentlich anders ist die Initiale (Abb. 20) mit dem Bildnis des Albertus Magnus in dessen Schrift »/de animalibus“ ausgearbeitet2). Albertus sitzt auf einem Lehnstuhl mit gotischer Fiale. Wenn auch sein Körper anatomisch nicht richtig gesehen — die Unter­ schenkel sind im Verhältnis viel zu lang — und auch die Verkürzung von Stuhl und Oberschenkeln nicht gelungen ist, so zeigt doch diese Gestalt ein bedeutend größeres Können des Illuministen. Das Antlitz ist mit Orangeton gut modelliert. Die lebhaften Augen prägen sich unter den gewölbten Lidern natürlich aus. Kopf und *) Die selbständige Entwicklung dürfte wohl mitbegründet sein durch die Tätigkeit des bedeutenden Priors Johannes Nider (Prior 1427 — 29) im Kampf gegen die Hussiten (s. Schieler, K.t Johannes Nider, int Kirchenlexikon Sp. 345). 2) Nbg. Cent. III, 27 Bl. ir. Der Band wurde von Förster und Peter Hausen 1440 gebunden.

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Hals wachsen wohlgestaltet aus den Schultern heraus, wodurch sich der Illuminist weit über den Durchschnitt Nürnbergs erhebt. Der Körper allerdings — von einem weißen Dominikanergewand umhüllt — zeigt eine unmögliche Schlankheit, die manche Ver­ wandtschaft mit den alttestamentlichen Königsgestalten der Bibel Cent. I, 5 hat. Als bodenständig erweist sich die Faltengebung von Mantel und Gewand. Mit der ornamentalen Pracht böhmischer Miniaturen haben diese Falten nichts gemein, sie sind knittrig und ungeordnet, sie fließen nicht zu Boden, sondern bleiben steif und unnatürlich stehen, wie von Papier. Besonders fällt die Fältelung des Ge­ wandes zwischen den Füßen auf. Diese gleichmäßige Aneinander­ reihung dreieckiger Falten findet sich, noch mehr zum Schema erstarrt, beiden beiden Illuministen Niderscher Werke wieder1), und scheint dem Illuministenkreis des Nürnberger Predigerklosters in den zehn Jahren von etwa 1440 bis 50 eigentümlich zu sein. 2. Die Miniaturen zweier Schriften des Johannes Nider und ihre Einwirkungen auf das Augustinerkloster. Zeitlich und stilistisch schließen sich eng an das Bildnis des Albertus Magnus die beiden Miniaturen der Handschriften Johannes Nider: Praeceptorium divinae legis2) und Johannes Nider: Sermones de sanctis3) an. Die Entstehungszeit des Präceptoriums läßt sich eng um­ grenzen. Der Band wurde laut Inschrift auf dem Vorderdeckel im Jahre 1448 gebunden4). Die beiden anderen Schriften, die sich dem Niderschen Werk anschließen — de docta ignorantia und de conjecturis — wurden von Nicolaus de Cusa im Jahre 1440 verfaßt5). Da Cusanus im Jahre 1442 selbst auf dem Reichstag in Nürnberg weilte, ist die Annahme naheliegend, daß bei dieser Gelegenheit seine Werke dem Nürnberger Clerus bekannt wurden *) Siehe unten und Abb. 21. 2) Nbg. Stadtbibi. Cent. II, 9, im folgenden „Praeceptorium“ genannt. 8) Nbg. Stadtbibi. Cent. II, 8, folgend „Sermones“ genannt. Abb. siehe Fränkische Heimat, Bd. 5, 1926, S. 215. 4) „Anno domini 1448 über iste est ligatus per fratres Conradum forster et johannem eysteter conventus nurembergensis ordinis predicatorum.“ 5) Ygl. die Artikel: Nicolaus von Cusa von A. Esserin: Kirchenlexikon, Spalte 306 ff. und Cusanus, Nicolaus von R. Schmid in Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche, hrsg. v. Albert Hauck. Leipzig 1898 S. 360 ff.

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und unsere Handschrift in der Folgezeit nach 1442, aber vor 1449 gefertigt sein dürfte. Nur das erste Blatt des Bandes ist mit Malerei ausgestattet (Abb. 21). Im Innenraum einer Initiale D ist ein Dominikaner darge­ stellt. Ein langer, schwarzer Mantel umhüllt die Gestalt. Er läßt am Hals, an den Händen und unten ein blaues Futter hervorblicken. Die Hände, die ein aufgeschlagenes Buch halten, haben gleich­ zeitig das Gewand hochgerafft. Dadurch entsteht unter der rechten Hand eine ausgeprägte Falte, die sich nach unten zu verbreitert. Nach rechts hin schließt sich ihr, etwas zurück­ tretend, eine dreieckige Bauschfalte an. Das weiße Untergewand, das unter den hochgezogenen Falten hervortritt, ist in regel­ mäßig aneinandergereihte Falten gelegt, die sich dem Zuge der Obergewandfaltung im allgemeinen anschließen, trotzdem aber, ähnlich der oben besprochenen Miniatur in Cent. III, 27 unnatür­ lich und papieren wirken. Der Mönch, der sich durch ein schwarzes Käppchen als Magister charakterisiert, ist kurz und gedrungen. Die ganze Gestalt hat etwas unbeholfenes, auch die Gesichts­ züge sind nicht sehr geschickt gebildet. Trotzdem aber prägt sich in ihm eine bezeichnende Charakteristik aus. Die mageren Hände können kaum das Buch halten, der Kopf ist leidend zur Seite geneigt, der zittrige Körper scheint sich nur mit Mühe aufrecht zu halten, leicht angegrautes Haar, das unter der Mütze hervorquillt, deutet das Alter an. Der Mönch steht auf einem grünen Wiesenteppich vor dunkelrotem, mit Goldranken orna­ mentiertem Grund. Der Körper der Initiale ist Blattgold mit Resten einer schwachen Deckfarbenverzierung. Das Ganze ist noch einmal von einem Rahmen umgeben, der deutlich durch Schattierung und perspektivische Einsicht an den Rundungen des Buchstabens als Mauerlücke oder Fenster gekennzeichnet ist. Die ganze linke Textseite entlang läuft ein gerader grüner Stab. Er endigt oben in einer Blüte, den unteren Abschluß bildet ein roter Blumenkelch, dem eine neue Ranke entsprießt; hart nach rechts umgebogen, bildet sie den Schmuck des unteren Randes. Der Randstab wird durch zwei abwechselnd blau und rote Akanthusranken mit dem Initialkörper verbunden. Die eine

123 wächst aus dem unteren Ende des D-Schaftes heraus und schlingt sich mehrmals um den Randstab nach unten, die Zwischenräume zwischen Stab und Ranke sind mit Blattgold ausgefüllt. Die andere Ranke, dem oberen Ende des D entspringend, schlingt sich nur einmal um den Randstab nach oben und setzt sich dann selbständig auf dem oberen Rande fort. Es ist auffallend, daß die Initiale der Sermones des Johannes Nider (Cent. II, 8) fast den gleichen Mönch und Magister zeigt, wie die oben besprochene Cent. II, 9. Die Handschrift, die laut auf­ gedruckter Inschrift erst 1451 von den oben Anm. 4 S. 121 genannten Buchbindern gebunden wurde, dürfte auch einige wenige Jahre nach Cent. II, 9 geschrieben worden sein. Ein Vergleich der beiden Miniaturen läßt erkennen, daß sie, aller­ dings mit Unterschieden in der Auffassung, doch den gleichen Mann darzustellen beabsichtigen. Da beide Bände Werke des ehemaligen Priors am Nürnberger Predigerkloster, Johannes Nider, enthalten, dürfte kein Zweifel bestehen, daß hier das Bildnis dieses auch nach seinem Tode hochverehrten Mannes gegeben ist, womit seine Werke würdig eingeleitet sindJ). Das in der Charakterisierung stärkere Bild ist das des Illuministen der älteren Handschrift (Präceptorium, Cent. II, 9). Dort ist der Prior ein von Krankheit geschwächter Mann*2), wie er wohl im Gedächtnis der Ordensbrüder geblieben sein mag, die seinen Tod mit erlebt haben. Dem Illuministen der Sermones schwebt mehr ein Idealbild des Toten vor. Er dürfte Nider kaum gekannt haben und kopiert daher in vielen Einzelheiten seinen Vorgänger: die grauen Haarlocken unter dem Magister­ käppchen, das blaue Futter des Mantels, dieselbe Haltung der Arme und Hände, die Finger mit dem vortretenden Daumen, die Gesichtszüge. Er weiß zwar die Formen gewandter wieder­ zugeben, ist geschickter in Zeichnung und Farbengebung, aber sein Bild läßt die Eigenart des persönlichen Erlebnisses, welche die ältere Miniatur auszeichnet, vermissen. Stilistisch ist er fortgeschrittener, zeigt sich aber doch abhängig von seiner Vor*) Siehe Bock, Predigerkloster S. 170 Anm. 65. Hier wird zuerst auf diese Wahrscheinlichkeit hingewiesen. 2) Siehe Schieler in: Kirchenlexikon Sp. 346. Nider starb nicht in Kolmar, wie Schieler angibt, sondern in Nürnberg, wo er in der Dominikanerkirche be­ graben wurde (s. Bock, Predigerkloster S. 170).

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läge. Diese kann naturgemäß nur die Praeceptorium-Handschrift gewesen sein. Keinesfalls kann sie auf eine «Original-Hand­ schrift " mit uaußerdeutschem Ursprung" zurückgehen, wie es Raspe annehmen möchte1). Bei der Bedeutung, die Nider als Prior des Nürnberger Klosters hier hatte, brauchte man seine Schriften nicht aus außerdeutschen Quellen zu schöpfen. Im älteren Band wirft der Mantel des Priors eine breitere, hervortretende Falte, im jüngeren dagegen ist er knitteriger und ungeordneter gebrochen, aber die drei parallelen Falten der Alba sind getreu kopiert, ohne aber so wie dort der Faltung des Obergewandes angepaßt zu sein. So stehen sie noch steifer und unverbundener unter dem Mantel hervor. Trotzdem hat auch der Prior der jüngeren (Sermones) Handschrift einen besonderen Charakter. Die Gestalt in ihrer breiten Behäbigkeit und selbstsicheren Zufriedenheit kann man fast nicht mehr gotisch nennen. Mag man in der Miniatur des Praeceptoriums den Ausdruck von Entsagung, von Hingebung an den Willen Gottes sehen, hier wird mit dem Streben nach neuer Form schon das keimende Ich-Bewußtsein gestaltet, das in ausgesprochenem Maße erst den Bildnissen der Renaissance charakteristisch ist. Einen ganz neuen Weg beschreitet der jüngere Illuminist mit der Füllung des Initialgrundes. Noch der ältere hat einen einfarbigen Grund mit dünnem Goldrankenornament, der jüngere aber bricht mit dieser Überlieferung. War die ältere Ornamentik mehr zeichnerisch ausgeführt, so tritt hier die Farbe hervor. Der Grund der Initiale ist in blaue und goldene Felder schach­ brettartig aufgeteilt. Die Bevorzugung des Koloristischen wird noch betont durch das Rot des Buchstabenkörpers, das Gold ist in die Ecken des Rahmens gedrängt. Auch im Schaft zeigt sich eine wesentliche Neuerung. Während bisher der Körper entweder mit Blattgold ausgelegt war oder ein gleichmäßig sich *) Siehe Raspe S. 24 f. Er schreibt zu Cent. II, 8: „Wenn sich die Erfindungsfreiheit des Illuministen bei der Bildnisinitiale nicht in gleicher Weise geltend macht wie bei der Ornamentik, so hängt es mit einer wahr­ scheinlichen Anlehnung an das Bild der Originalhandschrift zusammen. Die Figur des Theologen, der Faltenwurf der Alba und vor allem der kassetten­ artige Untergrund stehen nicht nur dem Nürnberger Schulstil gänzlich fern, sondern deuten auf außerdeutschen Ursprung“. Die Handschrift II, 9 ist Raspe nicht bekannt.

125 emporrankendes Akanthusornament aufwies, findet sich hier in der Mitte des Schaftes eine Maske, von deren Scheitel sich je eine Blattranke nach oben und unten schlingt. Den Blattgoldkörper allerdings verwendet auch dieser Illuminist in einer zweiten Initiale auf Bl. 124 r. Der Initialgrund ist auch hier schachbrettartig aufgeteilt. Diese beiden Initialen der jüngeren Handschrift stehen in ihrer Umrahmung im Gegensatz zur älteren Cent. II, 9. Sie vermeiden die diesem Illuministen charakteristische Fenster­ umrahmung. Trotzdem hat die Leiste auf Bl. 1 r dieselbe stein­ graue Farbe und eine ähnliche Ornamentierung. Die Farbe der Rahmenleiste der zweiten Initiale ist hellgrün. Etwas weiter über seinen Vorgänger geht der jüngere Illuminist in der Entwicklung des Randschmuckes hinaus. Die Grundlage bildet noch die Seitenleiste wie bei der älteren Initiale. Eine Weiterbildung aber bedeutet die Ranke des unteren Randes. Sie zeigt einen freieren Schwung der Bewegung und ist lebhafter in den Farben. Der eingerollte Blütenzweig auf Blattgoldgrund geht noch zurück auf die Fleuronnees der böhmischen Hand­ schriften. Der eigenartige Mauerlückenrahmen der älteren NiderMiniatur findet sich wieder in dem Codex Cent. III, 31). Dieser Band ist nicht aus dem Besitz des Predigerklosters. Die Stempel des Einbandes weisen vielmehr auf das Augustinerkloster hin. Die 1467 datierte Handschrift Cent. III, 1 — laut Besitzereintrag aus dem Augustinerkloster — hat die Stempel fortlaufend an­ einander gereiht. In Cent. III,3 sind sie einzeln in Rautenfelder verteilt. Diese Art der Blindpressung ist in Nürnberg die ältere, die um die Mitte des Jahrhunderts durch die Reihenstempel all­ mählich abgelöst wird. In allzu großem Abstand dürften die beiden Handschriften Cent. III, 3 und Cent. III, 1 nicht entstanden sein, da sie beide Werke des Flavius Josephus enthalten und man aus der Übereinstimmung der einzelnen Schriftzüge, der Schreiber­ manieren und Initialformen den gleichen Schreiber annehmen darf2). Damit ist für die Herkunft der größeren Initialen nichts A) Die Handschrift enthält: Josephus, Antiquitates judaicae. 2) Cent. III, i enthält: Eusebius, ecclesiasica historia und Josephus, Bellum judaicum. Der Schreiber nennt sich auf Bl. 192V: „explicit . . . per Conradum Streicher Anno domini 1467“.

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gewonnen. Es ist nicht ausgeschlossen, daß das Augustinerkloster Handschriften von einem Predigermönch ausmalen ließ, wie dies vom Katharinenkloster bereits angenommen wurde. Die stilistische Verwandtschaft der älteren Nider-Handschrift und der älteren Streicherschen ist so nah, daß ich in den Miniaturen eine Hand annehmen möchte. Der Mauerrahmen der Buchstaben ist nicht der einzige Vergleichspunkt. Auch der Randschmuck zeigt dieselben Grund­ lagen. Meist ist wieder der gerade Randstab verwendet, der durch eine mehrfach gewundene Akanthusranke mit der Initiale verbunden ist. Aus seinen oberen Kelchblättern wächst ein geschuppter Stempel, der auf dem oberen Rand hart umgebogen ist und dort als Kletterranke endet. Etwas reicher ist der Schmuck des unteren Randes, doch fällt auch hier wie bei dem älteren Nider die unbeholfene, trockene Linienführung auf. Zwar versucht der Illuminist sich von der Stableiste des Randes ganz frei zu machen und seiner Ranke selbständige, gerundetere Schwünge zu geben (Bl. 61 v, 78 v), nach Vorbildern, die ihm von anderen Nürnberger Illuministen gegeben wurden1), er verfällt aber stets in die ihm eigentümlichen eckigen und unbe­ holfenen Bewegungen. Diese Stilart scheint in Nürnberg keines­ wegs allgemein verwendet, sie bleibt vielmehr auf nur vier erhaltene Handschriften beschränkt und kann daher als Eigenart eines ganz engen Schulkreises betrachtet werden, der vom Predigerkloster aus auf das Augustinerkloster übergreift, zuletzt in einer Handschrift aus privatem Besitz erscheint2) und damit sein Ende findet, während die gerundete Art, die zu den reichen, mit naturalistischem Beiwerk üppig verzierten Ranken des ausgehenden Jahrhunderts weiterleitet, im Predigerkloster keine Vertreter hat. Der Nider-Schulkreis ist nicht ohne weitere Entwicklung. Der Fortschritt zeigt sich zuerst auf einigen Blättern der Hand­ schrift Cent. III, 3 in den Blütenkelchen des Randstabes. Zunächst noch rein ornamental wird hier mit der Ranke eine verzerrte Maske verbunden. Weiterhin wird der Illuminist freier und sicherer in der Linienführung und Farbengebung des unteren *) Die gerundete Art zeigt sich in derselben Handschrift Cent. III, 3 auf Bl. 1 r, 2 r, die beide wohl von einer anderen Hand stammen. In den Domini­ kanerklöstern kommt diese Ranke nicht vor. *) Nbg. Stadtbibi. Cent. III, 60 (s. weiter unten S. 127).

127 Randschmuckes, besonders aber tritt der Fortschritt in den Tiergestalten zutage, die häufig den Rand beleben. Unwirklich, den gotischen Drolerieen nahe verwandt, sind sie auf Bl. 48 r und 54 r. Dagegen muß man den mit seinen Flügeln schlagen­ den Schwan auf Bl. 56 r als ganz naturalistisch getreu ansprechen. Mit Glück ist die rührende Unbeholfenheit eines neugeborenen Kalbes in dem Einhorn (Bl. 71 r, s. Abb. 22) getroffen1), während der Löwe (Bl. 78 v) trotz seiner Pranken mehr einem ungefährlichen Hünd­ chen gleicht. Sehr gut ist der Greif (Bl. 119r) durchgebildet, der mit der Wucht seiner von den Krallen bis zu den Flügel­ spitzen straff durchgeführten Bewegung das dämonische Wesen dieses Sagentieres trefflich zum Ausdruck bringt. Sein Bestes gibt der Illuminist auf Bl. 143 (Greif mit Fledermausflügeln, s. Abb. 23). Kopf und Hals des Tieres sind unter der Last des Rankenstabes zusammengeduckt, aber als ein breitgewölbter Schild umspannen die Flügel schützend den Körper des Tieres und sind so die eigentlichen Träger der Last. Das Ganze ruht sicher auf den kräftigen, krallenbewehrten Füßen des Greifen. Einen erheiternden Gegensatz zu dieser Kraftanstrengung bilden die beiden Vögel, die mit philosophischer Gemütsruhe auf bunten Zweigen sitzen. Sie bilden die Überleitung zu dem schon oben erwähnten Codex (Cent. III, 60), dessen Malerei auf Bl. 2 r wieder einen großen Fortschritt bedeutet2). Hier bedeckt der Randschmuck die vier Seiten des Textes. Die Ranke, die in gleicher Weise wie bei den übrigen Miniaturen dieser Reihe aus dem linken Randstab herauswächst, sendet oben einige Kletterschößlinge auf die vierte Seite, unten reicht sie zunächst nur bis zur Mitte der Seite, wird aber hier von einem Wappen abgelöst, das auf goldenem Grund drei Hände mit je einem silbernen Fisch zeigt. Dasselbe Wappen findet sich in einem Fenster der Lorenzkirche (5. Chorfenster von links), das laut Inschrift von dem Propst Petrus Knorr gestiftet ist3). *) Hierher gehört auch ein sehr lebendig geglücktes Fohlen im Randschmuck einer Handschrift des Predigerklosters, Cent. I, ioo Bl. 316 r. 2) Nbg. Stadtbibi. Cent. III, 60: Johannis Calderini Tractatus de ecclesiastico interdicto. 3) Vgl. Siebmachers großes und allgemeines Wappenbuch. Bd. 5.: Bürger­ liches Wappenbuch, hersg. v. O. T. v. Hefner. TI. 1 Taf. 31, S. 26; ferner Raspe S. 33 und Thode, Henry: Die Malerschule von Nürnberg im 14. und 15. Jahrhundert, Frankfurt 1891, S. 177.

128 Da die Handschrift spätestens kurz nach Knorrs Tod (1479) im Besitz des Propstes Lochner von St. Sebald1) war, dürfte der Band wohl zu Lebzeiten Knorrs hergestellt worden sein, aus stilistischen Gründen später als die Handschrift Cent. III, 3. Das Wappen ist gerahmt von hellgrünen Rankenzweigen, die sich auf der vierten, rechten Textseite fortsetzen, hier ge­ schmückt mit leicht stilisierten Blüten, und bis etwa zur Mitte der Seite reichen. Kann man schon aus den Zierformen der Handschrift Cent. III, 3 ein Streben nach naturalistischer Wieder­ gabe finden, hier tritt dies deutlich zu Tage. Der Raum auf dem rechten Rand zwischen der oberen und unteren Ranke wird aus­ gefüllt durch einen mit ausgebreiteten Flügeln fliegenden Stieglitz, der im Schnabel einen Rosenzweig trägt. Die Bewegung des Fliegens ist beim Vogel nicht ganz erfaßt, umso feiner ist das Heckenröschen ausgeführt. Der Illuminist folgt hier verhältnis­ mäßig spät dem Zeitgeschmack, der sich schon etwa seit einem Jahrzehnt mehr naturgetreuen Formen zugewandt hat. Der Randschmuck der vorbesprochenen Handschriftenreihe stellt eine geschlossene Entwicklung dar. Charakteristisch ist allen die gerade Stableiste auf dem linken Rand, um die sich eine einfache Akanthusranke schlingt. Der Stab schließt manch­ mal mit einer Zirbelnuß ab, häufig treibt er eine neue Ranke, die sich dann auf den oberen oder unteren Rand hinüberstreckt. In den Nider-Handschriften (Cent. II, 9 und II, 8) greift diese nur zögernd und in dürftigen Windungen vorwärts. Freier wird die Bewegung in Cent. III, 3. Hier treten zuerstMasken in den Blüten­ knospen auf. Vereinzelte Blüten zeigen das Streben nach Natur­ treue, das sich in den Tieren des Randes verstärkt offenbart, am deutlichsten aber im Rosenzweig und in dem Stieglitz der Handschrift Cent. III, 60 zum Ausdruck kommt. Die Behandlung der Initialen gibt — mit Ausnahme der jüngeren Nider-Handschrift — ein einheitliches Bild. Das auf­ fallendste Charakteristikum ist die Rahmung des Buchstabens durch ein Fenster. Der Schaft ist überwiegend Blattgold. Der. Illuminist hält hier an der älteren Stilart fest, er versucht zwar in Handschrift Cent. III, 3 des öfteren, vielleicht angeregt durch die 0 Besitzereintrag auf der Innenseite des Rückdeckels: Johannis Lochneri. .. Sancti Sebaldi Nurnbergae . . . prepositi. Die beiden Daten nach Will, Georg Andreas: Nürnbergisches Gelehrtenlexikon. Bd. i, S. 297ff. u. 477.

129 Arbeit des jüngeren Nider-Illuministen, die Akanthusranke auf farbigem Grund zu verwenden, kehrt aber doch in Cent. III, 60 zu dem ihm eigentümlichen Blattgold zurück. Die Ornamente seiner Buchstabenfüllungen sind nicht sehr gewandt. Die Goldranken auf einfarbigem Grund sind grob auf­ getragen und plump in der Linienführung. Es macht sich auch hier dieselbe etwas trockene Phantasielosigkeit geltend, wie sie für den Randschmuck charakteristisch ist. Auf eine zweifellose Beeinflussung durch den jüngeren NiderIlluministen (Cent. II, 8) gehen die Schachbrettmuster in einigen Buchstabenzwischenräumen zurück. In einer Initiale (Cent. III, 3, Bl. 48 r) erstrebt er mit Glück dessen farbige Wirkung. Die Farben sind selbständig gewählt, das Muster der Ausschmückung jedoch entlehnt. Weniger gelungen ist diese Zierform in den Ini­ tialen auf Bl. 96r und 193v. Wenn Raspe glaubt, kassettenartiger Initialgrund stehe dem Nürnberger Schulstil gänzlich fern (s. S. 124 Anm. l), so hat er nur einen Teil der in Betracht kommenden Handschriften durch­ gesehen. Wird seine Ansicht schon durch die beiden Handschriften Cent. II, 8 und III, 3 entkräftet, so zeigt ganz im Gegenteil die plastische und perspektivische Weiterbildung in den Handschriften Cent. I, 68 !) und Cent. III, 1, daß das Kassettenmuster in Nürnberg sehr beliebt gewesen sein muß. Cent. I, 68, die ältere der beiden Handschriften, zeigt auf Bl. Ir im Zwischenraum einer H-Initiale auf Dunkelblau ein blaues Kassettenmuster, das durch hellere und dunklere Tönung und durch strichweise aufgesetzte weiße Lichter plastisch hervor­ gehoben ist. Cent. III, 1 hat dieses Motiv in vielfältiger Art an­ gewandt (Abb. 24). Die Kassetten gehen perspektivisch in die Tiefe und sind bald rechteckig, bald rautenförmig angeordnet. Meist sind sie einfarbig, in reicher Farbenleiter gehalten: Grün, Braunorange, Rotviolett, Gelb, Rot, Blau. Die Farben sind nicht grell, sondern matt und körnig, wie die der jüngeren Nider-Handschrift. 3. Die Miniaturen der Handschriften des Konrad Starck. Die Bildnismalerei findet um die Mitte des Jahrhunderts ihre besondere Pflege in den Handschriften des Schreibers Konrad J) Nbg. Stadtbibi. Cent. I, 68: Bernhard von Clairvaux, Sermones. 9

130 Starck1). Sechs Bände sind in der Stadtbibliothek Nürnberg er­ halten, die teils mit seinem Namen signiert2), teils aus der Über­ einstimmung der Schrift ihm zuzuteilen sind3). Die Miniaturen dieser Bände sind von zwei Illuministen gefertigt. Dem einen fällt der größere Anteil zu (s. in Anm. 2 und 3 die Nummern 2, 3, 5 und 6), die Miniaturen des ersten, 1446 geschriebenen Bandes sondern sich ab und bilden mit der Initiale einer Hand­ schrift des Augustinus (de genesi ad litteram)4)*eine 6 eigene Gruppe, deren Illuminist sichtlich an die Tradition anknüpft (Abb. 25). Er gibt den Körper seiner Initiale Q (Cent. III, 2, Bl. 159r) in Blatt­ gold mit jetzt nur noch schwach erkennbarer Deckfarbenver­ zierung (vgl. Cent. II, 9), der Buchstabe steht in einem weinroten Rahmen, dessen Blätterschmuck durch starke Verwendung von Deckweiß so plastisch hervorgehoben ist, daß wieder der Eindruck eines Reliefs erzielt wird, wie er schon oben beschrieben wurde. Die Gestalt des Mönchs im Innenraum der Initiale zeigt einige Ver­ wandtschaft mit dem Bildnis des Johannes Nider in den Sermones (Cent. II, 8). Die Formen sind rundlich und weich, die Behäbigkeit drückt sich hier in dem schweren pelzverbrämten Mantel aus. Während aber dort Mantel und Untergewand in häufigen Falten gebrochen sind, fließen diese hier glatt und ungehemmt zu Boden. In derselben Art, aber weniger gut, ist die Initiale O mit dem heil. Augustin auf Bl. lb r in der Handschrift Cent. I, 47 ausgearbeitet. Beide Gestalten zeichnen sich durch ihre natür­ liche Proportion, durch lebendige Gesichtszüge und geschickte Gewandbehandlung aus. *) Siehe Bock, Predigerkloster S. 182. 2) 1. Cent. III, 2 Josephus: Antiquitates; geschrieben 1446, Einband später (1559). 2. Cent. I, 37 Albertus Magnus: Postilla super Mar cum und Postilla super Johannem; geschrieben 1447, gebunden von Konrad Förster und Johannes Eysteter 1450. 3. Cent. I, 39 Hugo Cardinalis: Postilla super Lucam; geschrieben 1450, gebunden von Konrad Förster und Johannes Eysteter, 1450. 4. Cent. III, 78 Johannes de Geminiano: Sermones de sanctis; ge­ schrieben 1453, gebd. v. K. Förster und J. Eysteter 1454, ohne Miniaturen. 3) 5. Cent. I, 36 Albertus Magnus: Postilla super Mathaeum; gebd. von K. Förster und J. Eysteter 1452. 6. Cent. I, 38 Hugo Cardinalis: Postilla super Johannem; gebd. von K. Förster und J. Eysteter, 1452. 4) Nbg. Stadtbibi. Cent. I, 47 gbd. v. K. Förster und J. Eysteter 1452^

131 Interessant ist der Randschmuck, den der Illuminist in den beiden Bänden verwendet. Am ausgeprägtesten zeigt er sich in der Initiale I auf Bl. 2r der Josephus-Handschrift (Cent. III, 2). Ein großer Fisch1), der den Körper des I füllt, trägt in seinem Maul einen Rankenzweig, der sich bald teilt und dann als breite Ranke sich den oberen und linken Textrand entlang windet. Zwei gleiche Blätter wachsen aus dem Schwanz des Tieres und vereinigen sich mit der oberen Ranke zu einem reichbewegten, in bunten Farben leuchtenden Schlung, der deutlich die Ab­ hängigkeit von den in Kap. 3 besprochenen Formen der böhmi­ schen Ranke zeigt. Die Ranke im Augustinus-Band (Cent. I, 47) ist in gleicher Weise ausgeführt, noch vermehrt durch vereinzelte stilisierte Blüten und dünne, den Kletterranken ähnliche Ausläufer. Diese dünnen Ranken finden sich noch in bedeutendem Maße in der vierbändigen Gruppe der Handschriften des Konrad Starck. Die fünf Miniaturen dieser Gruppe2) weisen keine Entwicklung auf und scheinen kurz hintereinander um 1450 gemalt worden zu sein. Sie sind fast schematisch gestaltet, jeder Buchstabe ist in Blattgold aufgelegt, drei Initialen sind dunkelblau, eine purpur und eine grün grundiert. Der Buchstabenkörper umschließt eine männliche Gestalt in Dominikanertracht, jedesmal nach halb­ rechts gewendet, mit einem roten, blauen oder grünen Buch in der Hand. Nur durch die Kopfbedeckung werden die Gestalten charakterisiert: die Bischofsmütze der Miniaturen der Handschrift I, 36 und 37 gibt den Albertus Magnus zu erkennen, der Kardinals­ hut (Cent. I, 38 und 39) identifiziert Hugo Cardinalis (Hugo de St. Cher). Haltung, Geste, Gesicht und Gewandfalten sind voll­ ständig gleichmäßig ausgeführt und ohne individuelles Leben. Die Bilder machen den Eindruck einer Kopie, der Illuminist war wohl ein sorgfältiger und vorsichtiger Maler, jedoch fehlte ihm Phantasie und eigene Gestaltung vollständig. Ursprünglich und gewandt dagegen sind die Miniaturen des Winterteiles eines Breviariums aus der Bibliothek des Katharinen­ klosters3), von denen die Malereien des Predigerklosters so ab*) Dasselbe Thema wiederholt die Handschrift Cent. II, 18 (Johannes de Ligburg [Quedlinburg): Postillae et sermones de evangeliis). Der Fisch hält hier eine Libelle im Maul. 2) Nbg. Stadtbibi. Cent. I, 37 hat zwei Miniaturen (Bl. ir u. 56r), die übrigen Bände je eine. 8) Leipzig,Deutsch.Museumf. Buchu.Schrift, Kl.II, 42Bd.2.Vgl.FalkS.74ff*

132 hängig sind, daß man wohl jene als Vorlage annehmen muß. Es ist nicht zu glauben, daß die Initialen des Breviars, die stets einfarbig, aber mit prächtigen Farben (Purpur, Ziegelrot, Gold­ staub und Blattgold) quadratisch grundiert sind, in einem der beiden Dominikanerklöster entstanden sind, aber auch keiner der übrigen Illuministengruppen Nürnbergs kann man diese Art Minia­ turen zuschreiben. Diese schmalen, hart geschnittenen Gesichts­ züge haben etwas fremdes an sich, das noch durch die Ranken des Randes betont wird. Es sind nicht die in Nürnberg gebräuch­ lichen langgezogenen Akanthusblätter, der Randschmuck besteht hier aus einzelnen Rollblättern, die auf Stengel aufgereiht sind. Da die Schreiberin wahrscheinlich keine Nonne des Klosters war1), darf man vielleicht auch annehmen, daß der Schmuck der Handschrift von einem Laien stammt und er somit eines der frühesten Zeugnisse profaner Miniaturkunst wäre. Wie weit der Stil der Initialen von auswärts beeinflußt ist, läßt sich noch nicht feststellen. Die Ranken des Randschmuckes besitzen einige Ver­ wandtschaft mit der Art, die in Augsburg in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts gebräuchlich war2).* Eine Beeinflussung von dort her kann man um 1450 wohl noch nicht annehmen, da sich die Augsburger Buchmalerei erst von der Mitte des Jahrhunderts an entfaltete8), und aus der ersten Hälfte nur ganz geringe Reste vorhanden sind, die keine lebhaftere Illuminiertätigkeit erschließen lassen. 4. Bildnisinitialen bis gegen 1460. Der erste Band eines Repertorium morale4),* editum ** a fratre Petro Berthorii (sic), ordinis sancti Benedicti, hat auf Blatt 1 r eine Miniatur, die mit zu den besten des Predigerklosters gehört. Der Körper einer Initiale A umschließt das Bild eines Benediktiner­ mönchs, das wohl den Verfasser darstellt (Abb. 26). Er sitzt vor einem Holzpult mit aufgeschlagenem Buch, dessen Seiten durch die *) Der Eintrag der Schreiberin auf Bl. i r lautet: Nach christi gepurt MCCCC in dem XLVI iar hat diß hoch geschriben fraw anna grumpergerin czu nutz dem closter czu sant kathrin in Nürnberg prediger ordens, pit got für sie. Anna Grumberger ist nicht im Totenkalender des Klosters verzeichnet (s. Würfel Todenkalender). *) Siehe Bredt, Katalog S. 64 ff. 8) Siehe Bredt, E. W.: Der Handschriftenschmuck Augsburgs im 15. Jahr­ hundert (Studien zur deutschen Kunstgeschichte Heft 25) Straßburg 1900, S. 9. 4) Der Band ist gebunden 1460 von Wilhelm Krug und Johann Wirsing. Nbg. Stadtbibi. Cent. III, 29.

133 linke Hand gehalten werden. Die Rechte macht eine leicht dozierende Bewegung. Der Körper ist halb nach rechts gewendet, die Verkürzung von der rechten Schulter über die Brust nach der linken Seite ist sehr gut beobachtet und räumlich richtig wiedergegeben. Weniger gut durchdacht ist die Beuge der Knie und die Sitzstellung der Beine. Dem Problem der Verkürzung der Oberschenkel ist der Illuminist ausgewichen, indem er den Querbalken A mitten durch den Körper laufen läßt. Die Unter­ schenkel sind zu kurz geraten, die Füße sehr klein und spitz. Das Gewand ist einfach gefaltet, nur die auf den Nacken zurück­ geschlagene Kapuze zeigt reichere Faltung, doch läßt sie den Hals unbedeckt. Im Gegensatz zu den unbeholfenen, unfreien Ge­ stalten, die für die Nürnberger Buchmalerei im allgemeinen charak­ teristisch sind, trägt dieser Mönch seinen Kopf hoch und frei. Die Haltung zeigt eine unbewußte Sicherheit, das Gesicht hat gar nichts Beengtes. Die Augen sind nicht starr oder verdreht, vielmehr ist der Blick natürlich und lebendig. Besonders hervor­ gehoben sei die Plastik des Auges, die unter den Lidern deutlich wird. Das Gesicht ist in Halbprofil gegeben, Nase, Augen, Mund sind mit schwarzen feinen Linien gezeichnet. Die Lichtpartien sind flächig mit spärlichem Weiß aufgelegt, die Schatten ganz zart in fleischfarbenem Ton gehalten. Diese kontrastarme Schat­ tierung gibt den Zügen weichen und jugendlichen Charakter, die freie Haltung des Kopfes, der sichere Blick, die wohlgebildete Nase, der kleine Mund und besonders die hohe Stirn, die kaum von der engen Kappe bedeckt wird, lassen einen geistig bedeu­ tenden Mann vermuten. Diese Gesichtsbildung, die jugendlich runden Züge haben einige Verwandtschaft mit den auf einem Nürnberger Bildteppich des Germanischen Museums dargestellten Dominikanermönchen. Der Teppich gehört der zweiten Gruppe von Nürnberger Wirk­ teppichen an1), die in den Jahren nach 1450 im Katharinenkloster zu Nürnberg hergestellt wurden. Die Verwandtschaft ist zwar zu allgemein, um eine engere Beziehung zwischen den illuminierenden Mönchen und den wirkenden Nonnen sicher fest­ stellen zu können, doch ist die Annahme immerhin sehr nahe­ liegend. Fries stellt bei den Katharinennonnen eine »merkliche *) Siehe Fries, Katharinenkloster S. 125 ff.

134 Verdunkelung der Palette" fest, auch die Tönung der Miniatur ist auffallend düster. Zu dem satten Dunkelblau des Grundes, dem schwärzlichen Grün der Wiese und der graubraunen Kutte steht nur das frische Gesicht des Mönches im Gegensatz. Der dunkle Ton ist auch im Randschmuck ausgeprägt. Dieser besteht aus zwei langgezogenen Akanthusranken, die, durch einen wulstigen Ring zusammengerafft, vom linken oberen Eck des Initialquadrates aus ihren Anfang nehmen. Die eine Ranke windet sich am oberen Schriftrand entlang, die andere führt an der linken Seite hinab bis über die Mitte. Die Farben sind dunkel: trübes Grün wechselt mit stumpfem Rot und schwärz­ lichem Blau. Ganz besonders düster ist ein Schwarzgrau, das, obwohl nicht reichlich angewandt, doch auch die anderen Farben um einige Grade dunkler erscheinen läßt und so dem ganzen Farbenbild seinen Stempel aufdrückt. In die Ansatzstellen der Blätter sind goldene, jetzt oxydierte, Fruchtknoten mit strahlenden Fäden eingelegt. Neben stilisierten Pflanzengebilden sind auch natürliche Blumen angewendet (eine rote Rose, eine blaue Kornblume und das zarte Köpfchen einer Glockenblume). In der Buchmalerei der Nürnberger Predigerklöster steht diese Miniatur vereinzelt da. Eine ähnliche Farbenstimmung ist nur noch einmal in Nürnberg zu finden, in einer Miniatur im Germanischen Museum *), deren Herkunft jedoch nicht gesichert ist. Es ist ein Blattfragment aus einem Missale mit Bildnis­ initiale S. Die dargestellte heilige Äbtissin mit Stab, wahr­ scheinlich eine Franziskanerin, könnte die hl. Klara sein, doch fehlt ihr das Ciborium als gewöhnliches Attribut, wofür sie ein Buch in der Hand hält*2). Die beiden Miniaturen haben nicht nur die düsteren Farben gemeinsam, sondern sie zeigen sich auch in der Bildung der Gesichtszüge verwandt. Das Gesicht der Äbtissin ist blaß, die Schatten, wie auch die zarte Röte der Wangen sind sehr fein gemalt. Die Zeichnung von Mund, Nase, Augen und Brauen ist in derselben Technik ausgeführt wie die des Berthorius, die Lider *) Siehe Bredt, Katalog Nr. 221 ,.15. Jahrhundert. Mitte. Vielleicht Nürnbergisch, leichter böhmischer Einfluß". 2) Siehe Künstle, Karl: Ikonographie der Heiligen. Freiburg 1926 S. 163 ff.

135 sind ebenfalls leicht gewölbt und lassen das Auge plastisch da­ runter erscheinen. Trotzdem sind die beiden Miniaturen nicht von einer Hand gemalt. Sie sind in der seelischen Auffassung zu sehr verschieden. Die Äbtissin zeigt mehr die Einstellung des älteren Nider-Illuministen. Ihr Körper verschwindet fast unter der Last des Ge­ wandes. Das Gesicht ist klagend zur Seite geneigt, die ganze Haltung ist unsicher und müde, die gotische S-Linie ist deutlich erkennbar. Breit und sicher dagegen ist die Gestalt des Berthorius gezeichnet. Hier finden wir schon körperliche Plastik und räum­ liche Tiefe. Letzere wird durch das Auflegen des Ellenbogens auf den Querbalken des A besonders betont. Es ist dies die von dem jüngeren Nider-Illuministen eingeleitete neuere Strömung. Der Behandlung des Randschmuckes des Berthorius-Illuministen kommt sehr nahe eine Initiale aus dem Zisterzienser­ kloster Heilsbronn1). Sie läßt sich ganz in den Rahmen der Nürnberger Entwicklung eingliedern. Der Buchstabenschaft auf dem ersten Textblatt der Handschrift (der Codex ist nicht pagi­ niert) trägt den herkömmlichen Akanthusschmuck, der durch aufgesetzte gelbe Lichter und durch dunkle grüne Schatten plastisch aus dem grünen Mittelton herausgearbeitet ist. Der Zwischenraum ist rot grundiert und mit dünner Goldranke orna­ mentiert. Der Randschmuck, teils mit den Buchstaben verwach­ sen, teils abgeschnitten und auf den Rand verstreut, lehnt sich in Form und Farbe der etwa 10 Jahre älteren Handschrift (Repertorium morale, Bd. I) in Nürnberg an. Wir finden dasselbe langgezogene Blatt und die finstere, schwärzliche Farbe. Nur in allgemeinem stilistischem Zusammenhang mit den vorbesprochenen Handschriftengruppen steht die Initiale D auf Bl. 111 v der Postilla des Nikolaus de Lyra, Bd. III (Cent. I, 34; s. S. 94). Der Band selbst und seine übrigen Miniaturen stammen aus den Jahren zwischen 1420 und 1430. Diese Initiale aber ist erst nach der Mitte des Jahrhunderts gefertigt worden. Sie steht auf weinrotem Grund mit sorgfältiger Ornamentierung. Das Goldrankenwerk ist mit dünnem Pinsel und sicherer Hand aufh Jetzt Erlangen, Universitätsbibi. Ms. 674: Johannis de Nova Domo, Commentarium aureum super II. partem Alexandri; Schreiber: Marcus de Husen, 1468; vergl. Irmischer S. 189.

136 getragen, der Initialkörper blau mit hellem unregelmäßigem Rollblattornament gegeben. Der Prophet Daniel1), mit einem Spruchband in der Hand, sitzt auf einem Sockel. Er hat zwar durch das grüne Kleid mit gelb aufgesetzten hellen Partieen und durch den Turban in Orange einen orientalischen Charakter; aber man darf hier natürlich nicht an einen Einfluß des Ostens denken, vielmehr entspricht die kurze Gestalt, die Haltung und die Bildung des Gesichtes ganz dem Nürnberger Schulstil. Tech­ nisch ist der Prophet gut behandelt, der Mund ist deutlich geformt, durch leichte Senkung der Augenlider versucht der Illuminist lebhaften Ausdruck zu erzielen, dennoch aber glückt es ihm nicht, wirkliches Leben zu gestalten. Der Randstab ist durch goldene Punkte eingeteilt und wechselnd blau, rot und grün gemalt. Die großlinige, zügige Ranke des unteren Randes mit ihren fast blattartigen Stengeln kann als Vorläufer zu Blattrankenfragmenten im German. Museum2) gelten. Man findet hier die Grunlage zu den reichen Bewegungen dort. Die Farben sind dieselben: »ein sehr sattes Blau, ein leuchtendes Blutrot", auch »die Lichter und Schatten sind meist durch feine, sehr sorgfältige Schraffierung der im Spektrum nächstliegenden Farbe aufgesetzt". Die gleiche Hand erkennt man in den Verzierungen auf Bl. 7rund v des 5. Buches einer deutschen Bibel aus dem Katha­ rinenkloster3). Es ist auffallend und scheint für diesen Illuministen bezeichnend zu sein, daß er für seine Zierformen Hand­ schriften früherer Zeit vorzog. Diese Handschrift ist als ein Teil eines sechsbändigen Bibel Werkes um 1440 geschrieben4). Aus dieser Zeit dürften auch die zahlreichen flüchtigen kalligraphischen Initialen stammen. Der Schmuck auf Blatt 7 muß aus stilistischen Gründen in das dritte Viertel des Jahrhunderts gesetzt werden. Vor 1450 trifft man Vögel so naturwahr, wie sie hier zur Bele­ bung in den Ranken erscheinen, in Nürnberg nicht an. Die Grund*) Nicht König David wie bei Raspe S. 23. 2) Siehe Bredt, Katalog Nr. 79—81 „um 1480 . . . von Augsburg be­ einflußt“. *) Nbg. Stadtbibi. Cent. III, 42. 4) Siehe Jostes S. XXIV Anm. 1 und S. 115. Fries, Katharinenkloster. S. 52 und 134, teilt diesen Codex irrtümlich dem vierbändigen Bibelwerk zu, das von der Nonne Kunigunde Niklas geschrieben ist, während er tatsächlich der 5. Band einer sechsbändigen Bibel ist, von unbekannter Hand geschrieben.

137 formen des Randschmuckes, seine Malweise und die Technik der Schraffierung zeigen völlige Übereinstimmung mit dem der oben besprochenen Daniel-Initiale. In dem lebhaften Schwung der Bewegungen und Linien aber zeigt er sich bereits vorge­ schrittener und erweist sich besonders durch die in die Ranken verstreuten Vogelgestalten als sicher jüngeren Ursprungs. In der Entwicklung von den einfachen urhythmischen" Linien der Postillenhandschrift zu den späteren, von Bredt um 1480 angesetzten reichbewegten Ranken im Germanischen Museum bedeutet diese ein wertvolles Zwischenglied, das den Beweis liefert, daß diese Entwicklung in Nürnberg selbst vor sich ging. Wenn es auch nicht wahrscheinlich ist, daß diese Ranken eben­ falls dem Pinsel desselben Meisters entstammen, so macht doch das Vorhandensein der drei unter sich so eng verwandten Minia­ turen, die sich über drei Jahrzehnte hinstrecken und eine ge­ schlossene Reihe darstellen, eine unmittelbare Beeinflussung durch den Augsburger Stilkreis unwahrscheinlich. Die Entwicklung der Ranke von einfachen zu reichen Formen schreitet in gleicher Weise in ganz Oberdeutschland vorwärts und kann gegen Ende des Jahrhunderts nicht mehr als Merkmal einer örtlich begrenzten Schule aufgefaßt werden.

Kapitel VI.

Die Buchmalerei im Katharinenkloster von 1450—1470. 1. Die Illuministin Barbara Gwichtmacherin. Es wurde schon darauf hingewiesen, daß es zu den Aus­ nahmen gehört, wenn der Name eines klösterlichen Illuministen überliefert ist, da sich meist nur der Schreiber am Ende des Buches zu nennen pflegt. Der Vorliebe des Nürnberger Domini­ kanerbuchbinders Konrad Förster und seiner Werkstattgenossen, Bucheinbände mit Inschriften zu zieren, ist es zu danken, daß der Name einer der Nonnen, die sich mit dem Ausmalen der Bücher beschäftigten, auf uns gekommen ist.

138 Auf dem Rückendeckel des 1. Bandes eines Breviars aus dem Katharinenkloster1) findet sich eine Inschrift in der späteren der beiden, von Förster gebrauchten Typen: Lectionarius iste scriptus est per sororem Margaretham Karteuserin et illuminatus per Barbaram Gvvichtmacherin monasterii sanctae Catherinae in Nuremberg deo gracias. Barbara Gwichtmacherin war wie Margarete Karteuserin eine Nonne des Katharinenklosters. Wahrscheinlich gehörte sie derselben Familie an wie die Priorin Gertrud Gwicht­ macherin. Über ihr Leben ist nur bekannt, daß sie am 12. August 1491 im Kloster gestorben ist2). Durch ihre Miniaturen tritt diese Nonne aus der Zahl ihrer Schwestern hervor. Wenn ihre Arbeiten auch nur in diesem einen Bande bezeugt sind, so kann man doch eine Reihe anderer Miniaturen ihr stilistisch zuschreiben. Es wird allerdings nicht immer eindeutig festzustellen sein, ob wirklich ihre Hand tätig war, oder ob eine Schülerin sich ihren stilistischen Eigenarten anzugleichen suchte. Für die Beurteilung der klösterlichen Buch­ malerei ist die Entscheidung von geringer Bedeutung, denn gerade hier ordnet sich das persönliche Schaffen mehr als irgendwo der gemeinsamen Arbeit ein. Der Stilkreis der Nonne tritt klar hervor und läßt sich etwa von 1450 bis in die 60er Jahre verfolgen. Das Hauptwerk ist das erwähnte Leipziger Breviar. Der Band ist laut Eintrag auf Bl. lv im Jahre 1452 von Schwester Margareta Karteuserin geschrieben, da er 1457 von Konrad Förster und Johannes Wirsing gebunden wurde, ist er also zwischen 1452 und 57 ausgemalt worden. In 12 großen, mit Bildschmuck gezierten Initialen (Abb. 27) ist die Möglichkeit gegeben, den Stil der Nonne und die ihrem Können gezogenen Grenzen zu erkennen. Man vermißt an ihr jeden freien und kräftigen Zug. Ängstliche Linienführung beherrscht die Zeichnung. Die Bewegungen sind kleinlich und unbeholfen, die Proportionen kurz und gedrungen, Gesicht, Hände und Gesten haben etwas puppenhaft Ungeschicktes. Wo man überhaupt von Kompositionen sprechen darf (vgl. Tod der Maria), bleibt sie 0 Jetzt Leipzig, Deutsches Museum für Buch und Schrift, Kl. I, 42, Bd. I; vgl. Falk S. 72 ff. 2j Siehe Würfel, Todenkalender S. 28. Der Kalender nennt außer Ger­ trud und Barbara noch Anna Gwichtmacherin.

139 ohne eigene Erfindung ganz im Rahmen der von der Tafelmalerei gewohnten Formen. Man kann jedoch den Miniaturen nicht gerecht werden, wenn man sie einzeln als Bild für sich betrachtet. Sie sind trotz ihrer Bezugnahme auf den Text nicht eigentlich Illustrationen, vielmehr wirken sie nur in ihrer ganzen Folge, sie müssen mit Schrift, Raum- und Seiteneinteilung zusammen als Einheit be­ trachtet werden. Trotzdem gerade hier Schreiberin und Illuministin als verschiedene Persönlichkeiten bezeugt sind, muß man hervor­ heben, wie sehr Schriftbild und Miniaturen zu einem geschlossenen Ganzen verschmolzen sind. Es ist ein Zeichen von künstlerischem Feingefühl, daß sich die Illuministin, die — das erweist die aus­ drückliche Nennung auf dem Einband — wegen ihrer Malerei im hohen Ansehen stand, sich ganz dem Stil der Schreiberin einzuordnen wußte. Sie geht nicht über das eigentliche Wesen der Buchmalerei hinaus, sie will nur schmücken und dieser Zweck ist in hohem Grade erreicht. Über alles Ungeschick und alle Mängel in Zeichnung und Komposition setzt die Farbe hinweg. Aus der bunten Zusammen­ stellung spricht eine frische, lebensfreudige Lust am Kolorieren. Vor allem liebt die Nonne blumenreiche Ornamente, mit Blüten­ sternen — weiß, rot, blau, orange, gold in reicher Abwechslung — sind die Mäntel der Heiligen und der Gottesmutter besetzt. Saft­ grüne Wiesen, mit bunten Gräsern und Blumen übersät, bezeichnen fast durchwegs den Boden. Ja sogar den Tod der Maria (Bl. 162 v) scheint sich die Nonne auf einer Wiese vorzustellen. Selbst da, wo der Initialgrund nur durch kalligraphisches Linienornament gegeben ist, wird dieses, entgegen der allgemeinen Gepflogenheit, durch Blütenkronen unterbrochen. Dieselbe Hand, die diese Malereien schuf, erkennt man in einer Initiale A (Bl. 20r) des Winterteils eines Missale1), das laut Inschrift auf Bl. lv im Jahre 1452 von Margarete Karteu­ serin und Margarete Imhoff geschrieben wurde. In das geo­ metrische Ornament des Initialraumes sind zwei menschliche Ge­ stalten gemalt, die hl. Katharina mit Schwert und Rad und eine anbetend knieende Dominikanerin. Der blaue, mit Blüten besetzte Mantel der Heiligen, die auffälligen roten Tupfen auf den l)

Nbg. Stadtbibi. Cent. III, 86.

140 Bäckchen der Gestalten, die sich auf den Drolerieen des Initial­ schaftes wiederholen, die ungeschickte und doch zierliche Mal­ weise sind ganz der Stil des Hauptwerkes der Barbara Gwichtmacherin. Die kindlich unberührte Frische, die sich bei aller künst­ lerischen Beengtheit in den Malereien der Nonne geltend macht, scheint so recht der Ausdruck des Geistes zu sein, der im Kloster herrschte. Einfach und echt dürfte die Frömmigkeit der Nonne gewesen sein, frei von grüblerischer Meditation und abhold jenem ungesunden mystisch-ekstatischen Leben, das sich in zahl­ reichen Nonnenklöstern breit gemacht hatte *). Dieser Gegensatz tritt am klarsten in den Miniaturen zu dem »Leben der Schwestern zu Töß" von Eisbet Stagel*2) hervor. Diese Geschichten voll gottseliger, stets bereiter Hingabe an das Wunder Gottes, »durch­ leuchtet von einer ungeahnten Kraft des Gefühls"3), sind ganz ohne jedes mystische Erleben, ohne jede, dem Inhalt sich an­ nähernde Gestaltungskraft illustriert. Hier wollte die Nonne Illustrationen zum Text liefern, die aber vollständig mißlungen sind. Die Illuministin scheiterte an ihrer Phantasielosigkeit und an dem Mangel jeglicher Gestaltungsfähigkeit. Das zeichnerische Unvermögen läßt die Gestalten steif und unproportioniert er­ scheinen (Abb. 28). Meist sind nur eine oder zwei Nonnen auf einem Bilde dargestellt, die bald kniend, bald stehend, im Gebet versunken sind oder Gespräche führen (vgl. Bl. 36 r, 46 r). Stets aber sind es die gleichen ausdruckslosen, hölzernen Gesichter, dieselben eckigen, ungelenken Bewegungen, welche die durch äußere Mittel (Buch, Lesepult, Gebärde) versuchte Abwechslung im Keime ersticken. Einigemale wagt sich die Nonne an die Darstellung der legen­ dären Vorgänge im Text. Aber sie versagt und bringt nur unverständliche und unzusammenhängende Szenen heraus (vgl. Bl. XXIXr, XXIXv, LXXXVr). *) So Engelthal, Weiler, Töß. Vgl. Jostes, S. XVII „ . . .das Katharinen­ kloster in Nürnberg, das sich der mystischen Bewegung gegenüber ausschließlich rezeptiv verhielt“. 2) Stadtbibi. Cent. V, ioa. Diese Handschrift ist bibliographisch be­ schrieben und kritisch behandelt bei: Eisbet Stagel: Das Leben der Schwestern zu Töß, herausggb. v. Ferd. Vetter (Deutsche Texte des Mittelalters Band 6) Berlin 1906; auf Taf. II Abb. V, Bl. 3r der Handschrift. 8) Siehe Eisbet Stagel, das Leben der Schwestern zu Töß, übertragen von C. Günther. Erlenbach bei Zürich, 1921 S. 101.

141 Die Handschrift dürfte bald nach 1454 geschrieben sein1). Die Miniaturen rühren keinesfalls von der Hand der Barbara Gwichtmacherin, doch sind sie im Zusammenhang mit ihr ent­ standen, sodaß man wohl von einer »Schülerin" sprechen darf. Das zeichnerische Können der Illuministin steht weit unter den Miniaturen des Leipziger Breviars der Gwichtmacherin, aber die Abhängigkeit von dieser tritt häufig zutage. Am auffallend­ sten ist die Übereinstimmung in der Zeichnung der Gesichts­ züge. Wir finden hier dieselben puppenhaften Köpfe wieder mit den rot gemalten Bäckchen. Auch die bunten Blumenteppiche sucht diese Illuministin zu kopieren (Bl. 34 r), doch wird sie durch ihr geringes Können zu einer so starken Ver­ einfachung gezwungen, daß die farbenfrohe Buntheit der Gwicht­ macherin fast ganz verloren ist. Wenn hier ein einfarbig rot­ violetter Grund mit gelben Sternen zum erstenmal auftritt, so dürfte doch auch diese Neuerung auf die Gwichtmacherin selbst zurückgehen, da auch sie diese Grundierung verwendet (siehe Cent. V, App. 34 q, Bl. 4r, Abb. 29). Auch die Miniatur mit dem hl. Vincentius, einer „Legenda sancti Vincentii"2) muß auf eine Schülerin der Gwichtmacherin zurückgeführt werden. Die illuminierende Nonne hat sich wohl den hl. Dominikus der Meisterin (siehe Leipzig Kl. I, 42, Bd. I) als Vorbild genommen, doch bleibt auch hier die Ausführung hinter der Vorlage zurück. Abweichend von der Gepflogenheit ist der Randschmuck behandelt: Um einen gelben Stab ist eine gleichfarbige, stengelige Ranke geschlungen, deren spärliche blaue Blüten und pfeilförmige Blätter mehr den ähnlichen Formen der kalligraphischen Initialen dieser Stilgruppe entnommen sind. Die Randranke der Gwichtmacherin ist anders geartet. Das Breviar in Leipzig bietet auch hier die einzig sichere Beglau­ bigung. Die Grundlage, von der die Bewegungen dieser Ranken ausgehen, bilden die Formen der Niderschen Handschriftengruppe. Die Nonne Barbara Gwichtmacherin war auch an der künst­ lerischen Ausgestaltung des großen Antiphonarienwerkes tätig3). J) Der Text des dem Schwesternbuch vorausgehenden „Leben der Eisbet Stagel“ ist 1454 von Johannes Meier O. P. verfaßt. S. Eisbet Stagel: Leben der Schwestern zu Töß. Hrsg. v. Vetter S. XIII. 2) Nbg. Stadtbibi. Cent. VI, 43 g Bl. 2r, geschrieben 1452. 8) Nbg. Stadtbibi. Cent. V. App. p—w (1458—1470) s. S. 1471h

142 Ihre Ranke wird im 1. Band auf Bl. 20 v gefunden *). Sie geht vom oberen und unteren Schaft einer Initiale P aus und erstreckt sich auf den linken Rand nach oben und unten und greift noch auf den unteren Rand über. Der Buchstabe selbst steht auf dunkelrotem Grund mit Goldranken. Die Miniatur stellt die Geburt Christi dar mit Joseph und Maria. Auf den grünen Wiesenboden ist eine strahlende Golddecke gebreitet, auf der das Christkind liegt. Das Ärmchen streckt es zur Mutter aus, die in stillem Entzücken mit anbetend gefalteten Händen vor ihm kniet. Einfachst sind die Züge der Maria gezeichnet, das kleine rote Mündchen und die roten Tüpfchen auf den Wangen lassen die Art der Gwichtmacherin erkennen. Trotz aller Mängel der Ausführung liegt in dem Ausdruck dieses Gesichtes eine Demut, Frömmigkeit und Lieblichkeit, die überraschen muß. Das technische Können der Nonne ist größeren Szenen nicht gewachsen, hier aber zeigt sie, daß auch eine kindlich ungeübte Hand, wenn sie nur aus tiefem Fühlen heraus gestaltet, Ergreifendes schaffen kann. Selbst Ochs und Esel nehmen teil an dem Glück der Mutter. Joseph allerdings ist mißlungen. Seine schmächtige Gestalt, seine schwächlichen Gebärden sind ohne Leben und Inhalt. Der Stall ist angedeutet durch ein offenes Balkengerüst, mit Schindeln gedeckt, die Rückwand ist mit Steinen vermauert, aber durch das Fenster dieser Wand und durch die offenen Seiten des Gebäudes lacht ein weiß und blauer Frühlingshimmel. Im 2.Band hat die Nonne die Miniatur (Abb. 29) auf Bl. 4r gemalt2). Diese stellt im Innenraum einer Initiale D vor weinrotem; sternenbesätem Grund den Apostel Andreas ans Kreuz gebunden dar. Während die Form des Buchstabens und die Zeichnung der Drolerieen, die aus dem Blau der Schäfte ausgespart und dünn schattiert sind, eine gewisse Sicherheit der Pinselführung zeigen, ist das Miniaturbild selbst roh ausgeführt. Die Balken des Kreuzes sind nicht eigentlich diagonal gestellt, sie laufen nicht in einem Mittelpunkt zusammen, sondern sind unregelmäßig verschoben, die Glieder dagegen, die darauf gebunden sind, *) Randschmuck und Miniatur auf Bl. 6 v desselben Bandes stammen von anderer Hand. 8) Nbg. Stadtbibi. Cent. V, App. 34 q (1459).

143 sind zu einem möglichst diagonalen Schema gezwungen, in dem jede Proportion zu gründe geht. Die Körpermitte wird durch einen um die Hüfte geschlungenen Strick bezeichnet. Von hier aus strecken sich Arme und Beine gleich lang nach oben und unten aus. Zwischen den Armen sitzt der Kopf ohne Hals unmittelbar auf dem Rumpf. Die Hände gleichen denen einer Holzpuppe. Hölzern sind auch die Gesichtszüge mit dem typischen kleinen Mündchen. Die Füsse sind ohne jede plastische Model­ lierung. In senkrechten steifen Falten, durch dünne weiße Streifen und eine Wellenlinie am unteren Saum primitiv ange­ deutet, fällt das Gewand herab, jegliche Körperform gleich einem Vorhang verdeckend. Obwohl der Wert der Nonne Barbara Gwichtmacherin mehr im Wollen als im tatsächlichen Können zu suchen ist, so hat sie doch nicht nur in dem beschränkteren Kreis ihres auch eigenen Klosters Schülerinnen besessen, sondern sie scheint einen Illuministen des Predigerklosters stark beeinflußt zu haben. Von diesem Illuministen sind zwei Miniaturen erhalten. Die eine (Abb. 30) findet sich auf Bl. lb r im 2. Band des Repertorium morale*). Der Blattgoldkörper eines G umschließt die Gestalt eines Heiligen in der Ordenstracht der Dominikaner. Das weiße Unter­ gewand fällt in ungebrochenen Falten zu Boden, darunter stehen die Spitzen der Schuhe hervor. Der schwarze Mantel, mit Gold­ borte gesäumt, ist besonders an den Armen und um den Hals knitterig gefältelt. Das Gesicht, in Halbprofil nach rechts gegeben, ist kaum vom Hals abgesetzt und primitiv gezeichnet. Seine Plastik, Mund, Nase, Licht und Schatten sind in der selben Weise wie die der Gwichtmacherin ausgeführt. In der unter dem Mantel gehaltenen Hand hat der Heilige ein Buch, grün gebunden, mit Messingbeschlägen. Darauf ruht die Rechte, den Zeigefinger erläuternd ausgestreckt. Der Boden, grün mit schwarzen Punkten und Strichen, ist als Wiese gedacht. Der Hintergrund, zugleich auch die Umrahmung des Buchstabens, ist dunkelrot mit Goldranken. An den linken Ecken des Rahmenquadrates ist die Ranke durch Wülste an den Buchstaben angesetzt. Rot, grün und *) Nbg. Stadtbibi. Cent. III, 30, gebunden 1462 (Bd. 1 s. S. 132 ff. Cent. III, 29.)

144 gelb mit goldenen Tröpfchen und stilisierten Blüten schlingt sie sich an der linken Textseite entlang um einen blauen Randstab und wächst darüber hinaus auf den oberen und unteren Rand weiter. Unten endigt sie in einer phantastischen gelbschuppigen Traubenblüte mit grünen Kelchblättern. Die zweite Miniatur desselben Illuministen ist die Initiale O des dritten Teiles eines Salve regina cum expositione Francisci de Retza1). Die Farbe der Miniatur hat denselben speckigen Charakter, auch die ganze Anlage des Buchstabens weicht nicht wesentlich ab, nur ist der Schaft hier grün mit heller Blattrandung, während er dort blattgold aufgelegt ist. Die Miniatur stellt Maria im Strahlenkranz dar, den nackten Jesusknaben im Arm. Die Figur bietet nichts Besonderes, eine der vielen Madonnen an den Ecken der Nürnberger Häuser wird als Vor­ bild gedient haben. Die Madonna ist hier ganz von vorn gesehen. Gibt dies allein schon der Figur eine steifere Haltung, so wird die Unbelebtheit noch erhöht durch den allzu starken Farbenauftrag des nachtblauen Mantels, der jede feinere Falten­ modellierung zudeckt, während in der Berthoriushandschrift II die Masse des Grauschwarz der Mönchskutte günstig durch die Farben aufgeteilt wird. Das Grün des Bucheinbandes, die Gold­ borten und das weiße Untergewand bedeuten dort eine wirkliche Belebung des düsteren Grau der Kutte und des dunkeln Grün des Wiesenteppichs. Auch hier ist eine ähnliche Wirkung beabsichtigt, die schmale Goldborte aber wird von dem starken Blau übertönt, das Rot der Unterseite des Gewandes ist so dick aufgetragen, daß es völlig aus dem Rahmen des Bildes heraus­ fällt. Das Kind, das mit dem einen Arm nach der Mutter greift, ist wenig ausgebildet, für die geringe Modellierung des Madonnen­ antlitzes ist die Technik der Nonne Barbara Gwichtmacherin angewendet, in deren Stil auch der Randschmuck des Blattes ausgeführt ist. 2. Margarete Karteuserin und die Miniaturen ihrer Handschriften. Die Nonne Margarete Karteuserin war bisher die bekann­ teste Nürnberger Miniaturmalerin der 2. Hälfte des 15. Jahrl)

Nbg. Stadtbibi. Cent. III, 71, geschrieben 1459 von Peter Trünckell.

145 hunderts !). Ein Bibliothekar der Stadtbibliothek hat sie in einer Geschichte dieser Bibliothek zuerst in die Literatur eingeführt*2). Seine Angaben wurden von einer Reihe bibliographischer Autoren des 17. und 18. Jahrhunderts übernommen3), und auch Murr hebt die Nonne als Illuministin hervor4). Seine Arbeiten bildeten wieder die Quelle für Sigharts bayerische Kunstgeschichte, wo der Nonne »/unbedeutende Gemälde und Initialen" zugeschrieben werden5). Vielleicht hat Sighart die für seine Kunstgeschichte weniger wichtigen Miniaturen nicht selbst eingesehen, Raspe aber hat sie eingehend studiert. Auch ihm fällt zwar die große Verschiedenheit in Stil und Technik der der Karteuserin zuge­ schriebenen Miniaturen auf, doch meint er dies auf Verschieden­ heit der Vorlagen zurückführen zu können6). Neuestens hat Herzog Luitpold in Bayern in seinem Werk über die fränkischen Bildteppiche diese Auffassung noch einmal übernommen7). Die Ansicht, die Karteuserin habe die von ihr geschriebenen Bände auch selbst illuminiert, wird zum Teil schon durch die bezeugte Tätigkeit der Barbara Gwichtmacherin an dem Breviar von 14528) widerlegt. Auch im l.und 2. Bande des Antiphonarien­ werkes9)10wurde die Hand der letzteren nachgewiesen. Ein Ver­ gleich vollends aller von Margarete Karteuserin als Schreiberin *) Siehe Raspe S. 28 ff. 2) Siehe Säubert,Joh. :HistoriaBibliothecaeReip.Noribergensis. . .Nürnberg 1643 S. 95. 3) Siehe Wagenseil, J. Chr.: De Sacri Rom. Imperii Libera Civitate Noribergensi Commentatio. Altdorf 1697 S. 79 und Sincerus, Theophilus: Nachrichten von lauter alten und raren Büchern. Stück 1. S. 281. 4) Siehe Murr, Christoph Gottlieb von: Beschreibung der vornehmsten Merkwürdigkeiten in des H. R. Reichs freyen Stadt Nürnberg . . . Nürnberg 1778 S. 77 und ders.: Memorabilia Bibliothecarum Publ. Norimbergensium. . . Teil 1. Nürnberg 1786 S. 251. 5) Siehe Sighart, J.: Geschichte der bildenden Künste im Königreich Bayern. Abtlg. 2. München 1863 S. 653. ®) Raspe (S. 29) glaubt sogar den Besitzstand der Klosterbibliothek als „Lehrmittel“ für die Nonne heranziehen zu können, wir sind aber über diese Bibliothek hinreichend unterrichtet durch den erhaltenen Katalog und die Arbeiten von Jostes und Fries, aus denen hervorgeht, daß die Bibliothek nur vereinzelt auswärtige Bücher enthielt, der größte Teil der Bände war von den Nonnen selbst geschrieben, ein Teil stammte aus Nürnberger Familienbibliotheken und war von den eintretenden Nonnen eingebracht worden, Handschriften französischen oder italienischen Ursprungs lassen sich im Katharinenkloster nicht nachweisen. 7) Siehe Luitpold Herzog in Bayern: Die fränkische Bildwirkerei, Text­ band S. 48. München 1926. 8) Leipzig, Deutsches Museum für Buch und Schrift Kl. I, 42 Bd. I, s. o. S. 137 ff. 9) Nürnberg, Stadtbibi. Cent. V, App. 34 p u. q. Siehe S. 141 ff. 10

146 signierten Handschriften ergibt nicht einen Anhaltspunkt für die Möglichkeit einer einzigen Illumination. Lediglich die Schrift und die einfachen kalligraphischen Initialen zeigen durchgehends einheitliches Gepräge und zeugen davon, daß die Schreiberin eine Meisterin in ihrer »Kunst" war. Die Buchstaben ent­ behren nicht einer gewissen Monumentalität. Sie sind kräftig und sicher aufgesetzt; wie sie in dem Wechsel von Text und Notenschrift und ihrem farbigen Rythmus (schwarz, rot, blau) die Seite füllen, das läßt auf einen ausgeprägten Geschmack und auf künstlerisches Fühlen schließen. Man findet hier gerade das, was durch die Mechanisierung des Buchgewerbes vollständig verloren gegangen war und erst in neuerer Zeit wieder angestrebt wird: einen durch Farbe, Form und Aufteilung abgerundeten und künstlerisch geschlossenen Schriftspiegel. In diesem Sinne darf man die Nonne Karteuserin auch in die kunstgeschichtliche Betrachtung der Buchmalerei hereinbeziehen. Durch die Beschrän­ kung auf die Kalligraphie, wo sie Vorzügliches leistete, zeigt sie sich als wahre Künstlerin im Gegensatz zu den Illuministen ihrer Handschriften, welche die Arbeiten der Nonne nicht immer zum besten schmückten. Die früheste der erhaltenen Handschriften der Nonne Kar­ teuserin ist der Winterteil eines Missale vom Jahre 1452 *). Die Initiale auf Bl. 20r wurde schon oben als das Werk der Barbara Gwichtmacherin erkannt. Das Kanonblatt (Bl. 120v) dagegen ist von anderer Hand (Abb. 31). Von einer Dritten stammt die kleinere Miniatur auf Bl. 121 r. Beide stellen die Kreuzigung mit Maria und Johannes in der aus zahlreichen Holzschnitten und Tafel­ bildern bekannten Weise dar. Der Unterschied der Ausführung, der die beiden trennt, läßt darauf schließen, daß das kleinere, das nicht nur jeder Technik entbehrt, sondern auch ohne alle künstlerische Wirkung, ohne jeden seelischen Gehalt bleibt, zwar das Machwerk einer Nonne vorstellen dürfte, daß aber das große, mehr repräsentative Kanonblatt von einer Hand außerhalb des Klosters herrührt. Wenigstens findet sich in den Resten der Nürn­ berger Klosterbibliotheken keine Miniatur, die man mit dieser in Beziehung setzen könnte, auch eine ähnliche Randranke wird nicht angetroffen, trotzdem sie sich durch ihre stengelige Form *) Nürnberg, Stadtbibi. Cent. III, 86.

Siehe S. 139.

147 ganz dem Nürnberger Stil eingliedert. Die Miniatur selbst hat in ihrer Anlage einigen Anklang an die Kreuzigungsgruppe des Halleraltares in der Sebalduskirche!), doch läßt sie vollstän­ dig die dort so charakteristische Ausarbeitung vermissen. Der Vergleich erweist nur die Bedeutungslosigkeit des Illuministen. Der Sommerteil dieses Missales wurde erst 1463 von Margarete Karteuserin vollendet12). Das Kanonblatt fehlt hier, die kleine Minia­ tur auf Bl. 159r ist keine selbständige Nürnberger Arbeit. Wäh­ rend der violette Tapetengrund des Gekreuzigten nur als eine Geschmacksverirrung angesehen werden kann, verdient der Rand­ schmuck größtes Interesse. Das zarteste Gold des Rankenorna­ ments, durchbrochen von blauem, grünem und goldenem Blatt­ werk, von bunten Blumen und Vögeln belebt, ist ganz der Stil der flämischen Illuministen in der ersten Hälfte des 15. Jahr­ hunderts, der sich am Hofe der Herzoge von Burgund ausge­ bildet hatte und sich von da aus auch nach Deutschland ver­ breitete 3). Das eigentliche Lebenswerk der Nonne sind die acht Bände Antiphonarien4), an denen sie von 1458 bis 3 470 arbeitete. Fünf von ihnen weisen Miniaturen mit bildlichen Darstellungen auf, drei sind nur mit kalligraphischen und ornamentalen Initialen geziert. An den Bildnisinitialen waren vier verschiedene Hände tätig. Der Anteil der Barbara Gwichtmacherin wurde schon besprochen (s. S. 141 ff). An dem teilweise von ihr ausgemalten 1. Band vom Jahr 1458 war noch ein zweiter Illuminist tätig, dessen thronender Gottvater, von Engeln umgeben, zu den wert­ volleren Werken der Nürnberger Buchmalerei gehört. Der Falten­ wurf des roten Gewandes ist zwar recht steif, mit Sorgfalt und einigem Geschick dagegen ist das Antlitz modelliert. Durch ein sinnfälliges Mittel wird die Allmacht Gottes zum Ausdruck gebracht, indem der vor ihm knieende König (David) mehr als Däumling, denn als Herrscher dargestellt wird. Äußerst wirkungs­ voll rahmen die polierten Blattgoldschäfte das Bild. 1) Gebhardt, S. 8o bis 95. G. setzt diesen Altar in die 40er Jahre. 2) Nürnberg, Stadtbibi. Cent. III, 87, s. Raspe S. 29 u. 30. 8) Vergl. die Miniaturen des Meisters der Goldrankengebetbücher (1. Hälfte 15. Jahrh.), Simon Marmions (tätig seit 1458 in Valenciennes) und des Jean le Tavernier (um 1450) in Winkler, F.: Die vlämische Buchmalerei des 15. und 16. Jahrhunderts. Leipzig 1925 S. 25, 39h, 59f., Taf. 5, 11, 31. 4) Nürnberg, Stadtbibi. Cent. V, App. 34 p—w. Vergl. Raspe S. 30f. 10*

148 Der in Band V tätige dritte Illuminist hat sich zwei Szenen aus dem Leben der Maria zum Vorwurf genommen: Die Ver­ kündigung (Bl. 2v) und Christi Geburt (Bl. 23 r Abb. 32), doch bieten diese Malereien nichts bemerkenswertes. Die Auferstehung Christi, in Bd. VII (Bl. 3r), ist wegen ihrer kompositionellen Anlehnung an den Wolfgangsaltar der Lorenz­ kirche interessant1). Zwar «frei von groben Verzeichnungen und koloristischen Unmöglichkeiten"2) ist die Anbetung der Könige des 4. Illuministen im letzten Band, doch wirkt das Bild viel­ leicht gerade dadurch tot und langweilig. Mienen, Bewegungen und Farben sind starr und ausdruckslos, sogar die Landschaft, die der Illuminist durch blauen Himmel und wenige Bäume an­ zudeuten sucht, erstarrt in einer geraden Horizontlinie. Viel interessanter als diese malerischen Versuche und für die Weiterentwicklung von Wichtigkeit ist der Randschmuck besonders des 5. Bandes (Cent. V, App. 34t). Im Vergleich zur Ranke der Gwichtmacherin bedeutet schon der Randschmuck der Gottvater-Miniatur des 2. Bandes einen Fortschritt, der damit auch für das Katharinenkloster die Lösung von den gebundenen Formen der Nider-Gruppe zu freieren, gerundeteren Bewegungen, wie sie schon Konrad Starck im Predigerkloster anwandte, bringt. Im Jahre 1465 aber übernimmt das Katharinenkloster die Führung. Die vereinzelten Tiergestalten genügen nicht mehr, die Ranke wird nun ausgestattet mit kleinen, genrehaften Szenen aus dem bäuer­ lichen Leben, die mit guter Beobachtung und treffendem Humor ausgeführt sind. Zuerst in Nürnberg treten hier die Formen auf, die zu Anfang des folgenden Jahrhunderts zur Herrschaft kommen im » Gänsebuch "-Missale der Lorenzkirche und den Miniaturen Jakob Elsners3), ihre Vollendung aber in den Randzeichungen Dürers zum Gebetbuch Kaiser Maximilians finden, um dann von der Illuministenfamilie Glockendon4) in aller Breite ausgeschlachtet zu werden. *) Siehe Gebhardt S. 8if., Taf. 82 b. 2) Siehe Raspe S. 30. 3) Siehe Raspe S. 48 ff., 52 ff., 59 ff. 4) Nürnberg, Stadtbibi. Hertel Ms. 9 und Bredt, E. W.: Zur Geschichte der Nürnberger Kleinmeister und Miniatoren (J. Glockendon und S. Beham) in: Zeitschrift für Bücherfreunde, Jahrg. 6 1902,3, Bd. 2 S. 179 und ders.: Das Glockendonsche Missale der Nürnberger Stadtbibliothek ein künstlerisches Kopialwerk, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg. Heft 16, 1904, S. 481 ff.

149 3. Kalligraphischer Buchschmuck im Katharinenkloster. Während sich im allgemeinen die kalligraphische Initial­ malerei im 15. Jahrhundert örtlich nicht gliedern läßt, weil ihre Formen überall Gemeingut geworden waren, hat sich in dem Zeitraum einiger Jahrzehnte, etwa von 1440 bis 1470 im Katharinen­ kloster ein eigener Stil entwickelt. Es ist nicht erkennbar, ob die Ausbildung dieser Sonderformen auf die Tätigkeit einer Schreiberin oder einer Illuministin zurückzuführen ist, doch kann man zwei Gruppen unterscheiden, deren eine mehr um die Schreiberin Kunigunde Niklas, tätig bis etwa 1451, deren zweite um die Illuministin Barbara Gwichtmacherin und Schreiberin Margarete Karteuserin — von 1452 bis 1470 tätig — gereiht ist. Die ersten Versuche werden im «VI. puch der Bibel“1) vom Jahre 1443 deutlich. Eine große Zahl kalligraphischer Initialen schmückt diesen Band, die zwar in der äußeren Form nicht über das Mittelmaß hinausgehen, die aber im einzelnen manche Besonderheit der Ornamente als selbständige Erfindung der Nonne aufweisen. Den Buchstaben fehlt der sonst übliche geometrisch-pflanzliche Schmuck des Zwischenraums. In der Initiale D auf Bl. 40 v ist zwar der Anfang dazu gemacht, die Zeichnerin beließ es aber bei einigen violetten Strichen und hat dann auf diese Zierform verzichtet. Ein großer Teil der Buchstaben ist einfarbig blau gemalt, die Ornamentlinie bleibt im Schaft ausgespart. Ein anderer Teil ist zweifarbig rot und blau gegeben, wobei das Rot durch seinen öligen Glanz auffällt. Dem gewöhnlichen Bogenornament und den Zickzacklinien tritt eine neue Wellenlinie, ähnlich der Fischblase verschoben, zur Seite. Neben den bekannten Drolerieen findet man vereinzelt einen Fisch im Buchstabenkörper ausgespart. Die Illuministin dürfte diese Erfindung wohl von der Fisch-Blattranke einer Handschrift »Von den kaiserlichen rechten"2) aus der Bibliothek ihres Klosters entlehnt haben, die 1432 geschrieben und von Katharina Tücher ins Kloster gebracht worden war. Die für den älteren Teil der ganzen Gruppe wichtigste Form ist eine Ranke, die große Ähnlichkeit mit dem Efeu hat, J) Nürnberg, Stadtbibi. Cent. III, 43, geschrieben v. K(unigunde) N(ikJas). 2) Stadtbibi. Nürnberg, Cent. IV, 93, alte Bibliotheksnummer K. II. S. Jostes S. 137.

150 jedoch durch ihre spießigen Stengel und herzförmigen Blätter mehr den Namen „Pfeilkraut" verdient. Sie wird entweder langgezogen oder wellenförmig verwendet, wirkt aber stets mager und trocken. Auch die Vereinigung mit einer Rosette vermag diesen Eindruck nicht zu verwischen, gelegentliche Beigaben von Rot machen das Ornament etwas lebendiger. Diese Ornamente bilden die Grundlage, von der aus die kalli­ graphischen Initialen dreier Handschriften weitergebildet sind. Auf Bl. 2r des «Lebens der Schwestern zu Töß" (St. B. Cent. V, 10 a) wird die wellige Efeuranke wieder angetroffen. Die Rosetten sind hier reicher ausgeschmückt, auch auf den vorher vernachlässigten Randschmuck ist nun Wert gelegt. In roten Linien mit viel ver­ schnörkelten Spiralen zieht er sich am Rande hin. Auch der Ini­ tialzwischenraum wird mit rotengeometrischenLinien ornamentiert. Pfeilkraut und Rosette im Schaft finden sich auch in einem Codex «Von der hochwirdigen Junck fraw sant katherina"1) Äußerst kräftig und sicher erscheint die Initiale J auf Bl. 3 der //Collaciones der altveter"2), die in der gleichen Weise ornamentiert ist. Die weiteren Initialen dieses Bandes zeichnen sich durch eine eigenartige Vereinigung von Feder- und Pinsel­ technik aus. Die durchwegs kalligraphisch mit Schnörkeln gezierten Initialen sind teilweise grün ausgemalt, im Zwischen­ raum finden sich vereinzelt Säulen, mit Guirlanden umwunden (vgl. Bl. 188 v). Der breite grüne Streifen, mit dem einige Buchstaben äußerst kräftig gerahmt sind, erinnert sehr an die Miniaturen der «Alten" der Handschrift Cent. IV, 40 (siehe S. 116) und dürfte wohl auch mit diesen in stilistischemZusammenhang stehen. Da in den kalligraphischen Initialen Grün nur selten ver­ wendet wird, fällt es auf, daß eine grüne Eichblattranke in einer zweifarbig rot und blauen Initiale der Handschrift Cent. III, 86 (Missale, Bd. I) Bl. Il7r (s. S. 139, 146) aus dem Jahre 1452 vorkommt. Die Initialen dieses Bandes bilden den Übergang der Bamberg, Staatsbibi. Ms. hist. 154, s. Leitschuh und Fischer, Katalog S. 136. Wichtiger ist der Holzschnitt in dieser Handschrift, den M. Weinberger, Die Formschnitte des Katharinenklosters zu Nürnberg, München 1925, be­ handelt. Daß der Band von Marg. Karteuserin geschrieben ist, wie Leitscbuh annimmt, halte ich für unwahrscheinlich; Schrift und Initialen, besonders der Text des Schreibereintrags weisen mehr auf die Gruppe der Kunigunde Niklas. 2) Nürnberg, Stadtbibi. Cent. IV, 19, 1451 geschrieben von K(unigunde) N(iklas).

151 älteren zur jüngeren kalligraphischen Handschriftengruppe. Sic. weisen noch zahlreiche Rosetten- und Efeumuster auf, doch sind auch schon naturalistisch ausgearbeitete Tiere in den Schäften zu finden (Bl. 114r Adler, 114v Bär), während die ältere Gruppe nur Tierfratzen verwendet. Das Bemühen, von den altertümlichen Drolerieen loszukommen und den Gestalten natürliches Aussehen zu verleihen, ist das Merkmal der jüngeren Gruppe, neben der auch die Formen der älteren vertreten sind. Die Drolerieen nehmen noch immer einen breiten Raum ein, in den großen repräsentativen Initialen werden sie sogar ausschließlich verwendet1), wo sie in den kleineren Initialen Vorkommen, überbieten sie sich an grotesken und bizarren Formen. Die bunte Sammlung von Gestalten, die hier vertreten ist, die Menschen und Tiere, die Schiffe, Kirchen und Burgen dürfen wohl als ein Ausdruck des Strebens gelten, welches das ausgehende Mittelalter beherrschte, die Umwelt in ihrer ganzen Fülle bis ins Kleinste zu begreifen und darzustellen.

Kapitel VII.

Das Ende der klösterlichen Buchmalerei in Nürnberg. Die acht Bände Antiphonarien sind das letzte größere Werk, das nicht nur in den Nürnberger Dominikanerklöstern, sondern in den Nürnberger Klöstern überhaupt geschaffen worden ist. Über das Jahr 1470 hinaus läßt sich in Klöstern nur noch ver­ einzelt Buchmalerei nachweisen. Zwar bewahrt die bayerische Staatsbibliothek in München zwei Handschriften auf, die zu dem Katharinenkloster in enger Beziehung stehen: ein Gebetbuch »vermutlich für eine Nonne in Nürnberg geschrieben und 1476 gemalt"2) und ein »Breviarium Romanum der Katharina Muffel von Eschenau, Klosterfrau zu St. Katharina in Nürnberg (1477—1517), um 1500"3). Beide *) Siehe Antiphonarium Nürnberg, Stadtbibi. Cent. V, App. 34 p (Bl. 20v) q (Bl. 4O, r (Bl. 5r, 28 v), s (Bl. 2 7r), Missale Cent. III, 87, BI. 16 v Antiphon. Cent. V, App. 34 t Bl. 3ir. 2) München, Staatsbibi. Cgm 127, s. Petzet, Katalog S. 230, und Raspe S. 34 t und Taf. II. 3) München, Staatsbibi. Cgm. 177, s. Petzet, Katalog S. 322ff.

152

Werke sind aber keinesfalls im Kloster entstanden. Die zeichnerische Gewandtheit und routinierte Ausführung, die reichhaltigen Formen der Ranke und die Lebendigkeit der Gestalten des Randschmuckes lassen sich zu keiner Miniatur klösterlichen Ursprungs in Be­ ziehung setzen. Vielmehr scheint mir, besonders aus dem ersten Band, die Art der Wohlgemutschen Schule zu sprechen, ein­ deutige Parallelen lassen sich dazu allerdings nicht finden1). Die Nonnen des Katharinenklosters scheiterten an ihrer zeichnerischen Unfähigkeit. Im Predigerkloster aber hat die Buch­ malerei noch eine letzte Blüte erreicht, die alle Möglichkeiten dieser mönchischen Kunst zusammenfaßt und in ihrer stilistischen Reinheit als ein typisches Beispiel gewertet werden kann. Begeistert von einer innerlichen Glaubensbewegung seiner Zeit2), die die Jungfrau Maria noch mehr als bisher in den Mittel­ punkt der Gebetsversenkung stellte, hat der Illuminist eine Maria in der Glorie geschaffen, deren Reichtum und Pracht ganz jene überschwengliche Verehrung der Mutter Gottes zum Ausdruck bringt. Die Miniatur ist mit größter Sorgfalt gemalt3). Maria mit Nimbus, Krone und Szepter hat das Christuskind auf dem Arm, ist umgeben von einer leuchtenden Gloriole mit vier Engeln und tritt aus den Wolken hervor. Sie steht auf dem mittleren Bogen der Initiale S. Zu ihren Füßen kniet betend die Schar der Mönche, deren massige Häufung in bewußtem Gegensatz zur himmlischen Erscheinung steht. Das Bild ist frei von jedem auf­ dringlichen Realismus und gibt trotz seiner Mängel in der Durch­ bildung der einzelnen Gestalten4) einen geschlossenen Eindruck. Die Darstellung ist ganz auf Wirkung in der Fläche angelegt, jede Andeutung eines Hintergrundes fehlt, ein leuchtendes Rot mit haardünnen Goldranken bildet den Grund. Eine kleine An­ deutung räumlicher Tiefe bedeutet das Hinausragen der Maria über den Initialrand und das Zurücktreten zweier Engel dahinter. Rein ornamental dagegen ist durch eine Wellenlinie die Wolke angedeutet, aus der die Himmelskönigin hervortritt. J) Vergl. den König David in Cgm. 127 (Bl. ijr) mit den Königsgestalten des Peringsdorffer-Altars im Germ. Museum. 2) Siehe Kirchenlexikon, Artikel: Rosenkranz Sp. I275ff. 3) Nürnberg, Stadtbibi., Cent. III, 70 Bl. ibr, geschrieben 1458. Abb. s. Das Schöpfrad 1928 bei S. 24. Erlangen 1927. 4) Die gedrungene Proportion der Maria, besonders auch die Zeichnung ihrer Züge schließen sich der Nürnberger Tradition an.

153

Die Miniatur bedeutet den Höhepunkt der Buchmalerei im Predigerkloster, über den hinaus es keine Entwicklung mehr gab. Das plötzliche Abbrechen der klösterlichen Buchkunst kann nicht nur in dem Aufkommen des Buchdruckes zu suchen sein. Der Grund liegt tiefer. Die Wandlung, die in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts der Zeitgeschmack durchmachte, dürfte wohl viel dazu beigetragen haben. Was zu Anfang des Jahrhun­ derts noch kühne Neuschöpfung war, hat sich nach und nach in der Breite des Volkes eingebürgert. Nun forderte man, was sich früher nur schwer durchsetzen konnte. Die raumlose Malerei der Fläche genügte nicht mehr der neuen Anschauungsweise: man wollte Mensch, Ding und Handlung in natürlicher Umgebung sehen. Hatte vorher die Phantasie des Beschauers selbsttätig mitgearbeitet und sich aus Baum und Fels die Landschaft, aus Tür und Balken das Haus bauen müssen, so wurden jetzt Bilder verlangt, bis ins Kleinste ausgearbeitet, auf denen all das wieder­ zufinden war, was man in der Natur und im täglichen Leben sah. Diesen Forderungen hielt der einfache Dilettantismus der Mönche und Nonnen nicht stand. Es fehlte diesen die Schule, Erlebtes und Erschautes in der neuen Weise ins Bild zu bringen, es fehlte aber der Klosterzelle insbesondere das neue Erleben der Natur selbst, die neue Anschauung des Lebens. Man ver­ glich wohl Eigenes mit den Erzeugnissen der weltlichen Illuministen und erkannte die eigene Unzulänglichkeit. Wann die Buchmalerei durch Weltliche in Nürnberg hoch­ gekommen ist, darüber läßt sich Sicheres nicht sagen. Briefund Kartenmaler kommen bereits seit 1397 in den Bürgerbüchern vor1), daß das //Handwerk" in der zweiten Hälfte des 15. Jahr­ hunderte schon ausgebildet war, darauf läßt eine Eingabe schließen, welche die Brief- und Kartenmaler an den Rat der Stadt um Erteilung einer //Ordnung" richteten, die aber zweimal (1477 und 1482) ablehnend verbeschieden wurdea). Die größte Umwälzung auf dem Gebiete der Buchproduk­ tion und der Buchillustration brachte die Verbreitung des Buch*) Siehe Murr, Christoph Gottlieb v.: Versuch einer Nürnbergischen Kunst­ geschichte vor der Zeit Albrecht Dürers. Stück i. In: Journal zur Kunst­ geschichte und allgemeinen Literatur, hersg. v. Murr. Teil 2. S. 99. 2) Siehe Hampe, Theodor: Nürnberger Ratsverlässe über Kunst und Künstler. Bd. I. Wien und Leipzig 1904 Nr. 136, 258.

154 druckes mit beweglichen Lettern. Verhältnismäßig spät hat die Kunst Gutenbergs in Nürnberg Einlaß gefunden. Während sich in Bamberg bereits um 1460, in Straßburg, Augsburg und Köln in den 60er Jahren Druckereien niedergelassen hatten, stammt der erste Druck in Nürnberg aus dem Jahre 1470. Nun aber gelangte Nürnberg bald zu einer hervorragenden Stellung im Buchwesen Deutschlands1). Die Offizin Anton Kobergers errang sich Weltruhm. Daß Koberger seine Druckwerke in eigener Werkstätte durch Illuministen ausschmücken ließ2), dürfte für den Aufstieg der weltlichen Illuminierkunst von größter Bedeu­ tung gewesen sein. Mit Kobergers Namen ist der Anfang der berühmten Nürnberger Illuministenfamilie Glockendon verknüpft. Im letzten Viertel des Jahrhunderts werden größere Hand­ schriften immer seltener. Auch die Klöster gaben es mehr und mehr auf, ihren Bücherbedarf in mühseliger Arbeit selbst zu schreiben, in ihren Bibliotheken bürgerte sich das gedruckte Buch ein. Aus den Resten der Klosterbibliotheken läßt sich erkennen, daß in dieser Zeit besonders das Augustinerkloster größere Ankäufe von Druckwerken machte. Durch die Einrichtung einer eigenen Druckerei im Jahre 1479 versuchte dieses mit der neuen Zeit Schritt zu halten. Da aber nur wenige Werke aus der Offizin der »Fratres Eremitarum Sancti Augustini“ erhalten sind, scheinen die Mönche diese Versuche bald wiederaufgegeben zu haben3). Es wäre Gegenstand einer eigenen Untersuchung, festzu­ stellen, ob die Miniaturen und Initialen der aus den Bibliotheken der Nürnberger Klöster erhaltenen frühen Drucke dort selbst oder von privater Hand ausgemalt worden sind. Diese Arbeit müßte auch die Buchmalerei in den Bibliotheken der Pfarreien St. Lorenz, Sebald, Ägidien, Hl. Geist zum Vergleich mit heran­ ziehen und könnte dadurch neue Aufschlüsse über die Tätigkeit der profanen Illuministen und die Entwicklung ihrer Kunst geben. *) Siehe Scholtenloher, Karl: Die Entwicklung der Buchdruckerkunst in Franken bis 1530, in: Neujahrsblätter, hrsg. von der Gesellschaft f. Fränkische Geschichte. Würzburg 1910, S. t i ff. *) Siehe Hase, Oskar: Die Koberger . . . Leipzig 1885 S. 112 ff. 8) Burger, Conrad, nennt in seinem Registerband zu L. Hains Repertorium Bibliographicum S. 215 im ganzen 7 Drucke aus der Druckerei der „Fratres ordinis heremitarum S. Augustini“ und zwar drei aus den Jahren 1479—80, drei undatierte und einen aus dem Jahre 1490.

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/Vo ei0. Item von 55 steinexen zu stelheln, als ich in versprochen hab, zu 18 ^ facit...........................................................................................#5 33 ^ o. Item von 1200 spitzen ye von 100 spitzen 18 ^ zu Ion geben, fac. mit 6 ^ trinkgeltz.............................................................................. ® 7 4 8. (Bl. 160) „Item pfincztag nach Nativitatis b. virginis 12. septemb. [12. Sept. 1493] meister Ulrich Pildschniczer von den kragstein mitsamt dem gespreng der harnnaffen [s. S. 183 Anm.] im korkirchen, peden sagrern, auf Sant Kathrein kor und den alten sarch neben dem sagrerer zu vergulden: 30 fl., und seinen gesellen zu trinkgelt 1 fl. Mer für 19V2 pücher zwischgolt und V2 puch silber, so darzukummen sind: 29 fl. R.; und des gemelten golds ist kummen zu dem kor bei 13 pucher, zu der kirchen und S. Kat. kor bei 4 puchern, zu dem neuen sagrerer bei 1 puch und zu S. Sebolcz sarch neben dem sagrer bei 2 puchern; Summa;.............................#5 500 Dem Foliobande im Nürnberger Stadtarchiv liegt noch ein loses Heft von 6 Folioblatt bei, in dem das Einnehmen von Sonntag Sant Walburgen Abend (30. April 1503) bis zur Übergabe des Amtes an »Lasarus Holtschuher, angeenden kirchenmeister, mit sambt dem aus­ geben verrechent wurt. 1503“. Unter den Ausgaben: (Bl. 3) „Item Sebolten Nachtigaln, dem Organisten zu Sant Sebolt, fl. 3. Item Mer teinWetz stein, dem golds chm id,umb oblatprot#5i2. (Bl. 4) „Item von zweien puchern einzubinden herrn Conraden Sörgler, vicari zu Sant Laurenczen auf unser liben frauen altar.....................#5 8 (Bl. 5) „Item so hab ich den kram auf dem kirchhof unter der schul und neben der stigen, so die Kepnerin gehabt hat, untermachen lassen, also das zwen krem daraus worden sind, inmaßen etwen und vor alter auch gewest sind, und davon gegeben meister Hannsen Volckel, zymermann......................................................................................#53^3. Item etliche gütter und anders in Sant Sebolts sal- und ander pucher zu schreiben................................................................. fl. 2 #5 6 ^ 18.

Der Nürnberger Patrizier

Christoph Fürer der Altere

und seine Denkwürdigkeiten T479—!537 ▼

Von

Professor Johann Kamann.

14

Im März 1884 hielt ich in dem damals noch jungen Verein für Geschichte der Stadt Nürnberg einen Vortrag über Christoph Fürer den Älteren und seine Denkwürdigkeiten. Die nachstehende Abhandlung, durch neues Quellenmaterial und die Resultate der inzwischen erschienenen einschlägigen Literatur ergänzt, schließt sich in ihren Grundzügen dem genannten Vortrag an. Schon vor neun Jahrzehnten hat der um die Erforschung der Nürn­ berger Lokalhistorie hochverdiente G. W. K. Lochner in einer biographischen Skizze: Aus dem Leben Christoph Fürers des Älteren (Geschichtliche Studien, Nürnberg, Campe, 1836, 8° S. 68—92; vgl. auch Allgemeine Deutsche Biographie VIII, S. 206) die Bedeutung dieses Mannes hervorgehoben, sich dabei aber fast ausschließlich mit dessen Stellung zu den gewaltigen religiösen und kirchlichen Bewegungen seiner Zeit beschäftigt. Zur Vervollständigung des Lebens- und Charakterbildes Fürers zeigen diese Blätter neben den genannten Beziehungen den Werdegang desselben durch Lehr- und Wanderjahre zum vollen­ deten Kaufmann, seine Tätigkeit im Kriege und als Ratsherr im Dienste der Vaterstadt. Vornehmlich möchten sie auf die noch wenig bekannten Denk­ würdigkeiten Fürers hinweisen und die wichtigsten Teile derselben zu würdigen versuchen. Dazu gehören außer den fragmentarischen Lebenserinnerungen seine Ratschläge, Bedenken und Gutachten politischen, staatswirtschaftlichen und kriegstechnischen Inhalts, solche über die Reform des Reichsmünzwesens, über den Türken­ krieg, und andere, zum Teil für den Kaiser und die Reichsstände bestimmt, welche Fürer vielfach schon die Anerkennung seiner Zeitgenossen eintrugen. Als Hauptquelle dienten die im Familienarchive der Fürer von Haimendorf verwahrten zwei Foliobände, das Geschlechts­ und das sogenannte Geheimbuch (s. Abschn. IV), welche mir vor Jahren der damalige Geschlechtsälteste, der leider so früh ver­ storbene Herr Premierleutnant Karl von Fürer in liberaler Weise zur Verfügung stellte; außerdem wurden noch verschiedene Akten des Nürnberger Staatsarchivs und des Münchener Ge­ heimen Staatsarchivs zu Rate gezogen* Hinweise auf diese und die benützte Literatur finden sich in den Anmerkungen. 14*

I.

Aus Christoph Fürers Heimat und Jugendzeit. — Die Lehrund Wanderjahre des Nürnberger Kaufmanns im 15. und 16. Jahrhundert. — Waffenspiele und kriegerische Übungen der Nürnberger Patrizier. — Im Landshuter Erbfolgekrieg und auf dem Römerzug Maximilians I. — Christoph Fürer als Ratsherr; diplomatische Sendung an das kaiserliche Hof­ lager. — Als Nürnbergs oberster Kriegshauptmann gegen Ulrich von Württemberg. Zu den bedeutendsten Gliedern des seit dem Ende des 13. Jahrhunderts in Nürnberg ansässigen Geschlechtes der Fürer gehörte unstreitig Christoph Fürer, gewöhnlich der Ältere genannt. Er entstammte der Ehe des angesehenen Kaufherrn Siegmund Fürer, der 1501 als der erste seines Geschlechtes in den engeren Rat seiner Vaterstadt gewählt worden war und der Anna Tücher, die ihm das Besitztum Haimendorf bei Lauf zubrachte, nach welchem die Familie Fürer von Haimendorf noch heute ihren Namen führt. Christoph wurde am 9. Mai, einem Sonntage, 1479 zu Nürnberg geboren. Die Reichsstadt stand noch auf der Höhe ihrer materiellen und geistigen Macht. Die geordneten Verhältnisse in ihrem Staatsleben, die durch glückliche Kämpfe mit inneren unruhigen Elementen und eifer­ süchtigen Nachbarn errungene Selbständigkeit, der auf dem Handel und der blühenden Gewerbtätigkeit beruhende Wohlstand ihrer Bürger sowie die hervorragenden Leistungen in den Künsten und Wissenschaften, an die gefeiertsten Namen geknüpft, trugen Nürnbergs Ruhm weit über die Grenzen Deutschlands hinaus. Auf die geistige Entwicklung des jungen Christoph haben ohne Zweifel diese Verhältnisse einen glücklichen Einfluß ausgeübt. Er erhielt von seinen Eltern eine treffliche Erziehung und wie die meisten für den Handel bestimmten Patriziersöhne die damals übliche kaufmännische Vorbereitung. Eine Zeit lang be­ suchte er die mit dem Heiliggeistspital verbundene lateinische Schule, dann den mehr auf einen praktischen Beruf hinzielenden

213 Unterricht des deutschen Schreibmeisters Leonhard Hirschfelder, des Guldenschreibers, wie man ihn in Nürnberg nannte, sowie die Rechenschule des Ruprecht Kolberger1). Die Schreib- und Rechenschulen in Nürnberg, urkundlich seit dem Anfang des 15. Jahrhunderts nachweisbar, wohl aber schon früher vorhanden, hatten bei dem wachsenden Bildungsbedürfnis in den weiteren Kreisen des Volkes einen großen Zulauf. Die damalige »teutsche Schul“ war allerdings anfangs nach ihrer inneren Einrichtung und ihrem materiellen Bestände rein privaten Charakters und zum Teil noch von Personen minderer Qualität geleitet, die bei ihrer Lehrtätigkeit weniger auf die Leistungen als auf ihre Einnahmen sahen. Am Ende des 15- Jahrhunderts fanden sich jedoch unter den Nürnberger Schreib- und Rechenmeistern schon manche treffliche Lehrer, deren glücklicher Einfluß auf die heranwachsende Jugend unverkennbar ist2). Außer dem bekannten älteren Johann Georg Neudörfer (1497 — 1563), der die deutsche Schönschreibkunst zur höchsten Blüte erhob und seiner geschick­ ten Lehrmethode bald allerwärts Geltung verschaffte, war auch der erwähnte Lehrer Christoph Fürers, Ruprecht Kolberger, ein gesuchter Rechenmeister höheren Stils. Von ihm wird auch seine geschickte Mitwirkung bei der Herstellung der für das Abwiegen und die Verzollung bestimmter aus- und eingehender Waren so wichtigen Nürnberger öffentlichen Waagen rühmend erwähnt. Nach dem Muster der in Venedig, Lyon und Antwerpen schon früher vorhandenen Handelsschulen erweiterten wohl auch einzelne Nürnberger Rechenmeister ihren Lehrplan und richteten gewissermaßen eigene Fachkurse für die zum Geschäftsleben bestimmte Jugend ein. Ihr Unterricht erstreckte sich auf kauf­ männisches Rechnen, Buchhaltung sowie Handelskorrespondenz und bald erschienen auch im Nürnberger Buchhandel geeignete Führer, welche dem angehenden Kaufmann wichtige Winke und Regeln für den damals komplizierten Handelsbetrieb darboten. h Vgl. die eingehende Studie von Aibert Gümbel, Der Rechenmeister und Wagmacher Ruprecht Kolberger in Nürnberg 1470—1505 in den Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg Bd. XXVI, 279 ff. 2) Reicke, E., Lehrer und Unterrichtswesen in der deutschen Vergangen­ heit. — Bösch, H., Der Kaufmann in der deutschen Vergangenheit. Beide Bände in den Monographieen zur deutschen Kulturgeschichte, herausggb. von G. Steinhausen. Leipzig, Diederichs (mit vielen Abbildungen).

214 Fremde lebende Sprachen wurden weder in jenen Privat- noch in einer der Nürnberger Trivialschulen gelehrt; erst im 17. Jahr­ hundert begegnen wir hiefür in der Reichsstadt eigenen Lehrern ’). Die dem Kaufmann so wichtigen Sprachkenntnisse mußte er im Auslande zu gewinnen suchen. In den Briefen treubesorgter Eltern an ihre in der Fremde weilenden Söhne finden wir immer wieder die ernste Mahnung zur Erlernung der fremden Sprache und zum fleißigen Besuche der welschen Schule. Bei den süd­ deutschen und den Nürnberger Groß-Kaufleuten herrschte seit altersher schon der Gebrauch, die Söhne für einige Jahre zu Geschäftsfreunden ins Ausland zu schicken, während sie wiederum deren Familienangehörige in ihre eigenen Kontore zur weiteren Ausbildung aufnahmen. Das Durchschnittsalter zum Eintritt in die kaufmännische Lehre betrug damals etwa 13 Jahre; die hiebei gestellten Bedingungen waren je nach persönlichen Ver­ hältnissen, nach Begabung und Entgelt sehr verschieden; die Lehrzeit erstreckte sich auf drei, häufig sogar auf acht Jahre. Nach unseren heutigen Begriffen war dieselbe selbst für reiche Patriziersöhne eine langdauernde, strenge, vielfach harte Schule. Die Briefe junger Nürnberger sind oft voll von Klagen über die unwürdige Behandlung in der Lehre, so z. B. daß man sie sogar zu den niedrigsten Diensten verwende2). Und welchen Strapazen und Gefahren waren sie später als Diener und Faktore unter anderem bei der Begleitung von Warenzügen durch Unbequem­ lichkeiten aller Art, durch das Ungemach der Witterung und feindliche Angriffe ausgesetzt! Die Hohe Schule für den Kaufmann des 15. und 16. Jahrhunderts war unstreitig Venedig, die mächtige Beherrscherin des Mittelmeeres, der reiche Stapelplatz an dem belebten Wege nach dem Orient und zu den Schätzen Indiens. Die Nürnberger Kaufleute unterhielten schon seit dem 14. Jahr­ hundert rege Beziehungen zu Venedig, wohin sie vornehmlich *) Vgl. meine Einleitung zu Paulus Behaims Briefwechsel in den Mittei­ lungen des Germanischen National-Museums in Nürnberg. 1894. 1. u. 2. Im J. 1638 zahlte Friedrich Lukas Behaim für seinen Sohn an den französischen Sprachmeister Mr. Nicolo für den monatlichen Unterricht 3 fl. 165 7 wird für Nürnberg die französische Schule des Kaspar Kiehl erwähnt. Noch 1756 war in den Lehrplänen des Nürnberger Gymnasiums kein Platz für das Französische, noch 1803 wurde der Unterricht hierin nur privatim erteilt. Vgl. Steiger, Das Melanchthongymnasiums in Nürnberg. München, Oldenbourg. 1926. 8°. S. 119ff. 2) Kamann, Aus Paulus Behaims Briefwechsel in den Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg, III, 73 ff.

215 die Erzeugnisse ihres heimischen Gewerbefleißes — Nürnberger Tand — auf den Markt brachten, während sie wiederum Speze­ reien, Gewürze, Samt- und Seidenstoffe sowie Gold- und Glas­ waren über die Alpen zurückführten. In dem im 13. Jahrhundert von der Republik gegründeten und 1505 erweiterten Fondaco, dessen ausgedehnte Räume die Wohnungen der deutschen Kauf­ leute, sowie das deutsche Kauf- und Lagerhaus enthielten, spielten die Nürnberger neben den Augsburgern, Ulmern und Regens­ burgern eine bedeutende Rolle; man lebte nach heimischen Sitten und wachte mit Eifersucht darüber, daß man nicht in seinen erworbenen Rechten beeinträchtigt wurde. Wo konnte auch der angehende Jünger Merkurs einen tieferen Einblick in den damals so komplizierten Handelsbetrieb gewinnen als in Italien? Venedig hatte am Ende des 15. Jahrhunderts den Gipfel seiner politischen und geistigen Herrschaft, seines Reichtums und seiner glänzenden Kunstleistungen erreicht. Hier gewann der junge Kaufmann neben großzügigen Fachkenntnissen auch feine Weltbildung, Geschmack und Kunstsinn. Von manchen Nürnberger Patriziern wissen wir, daß sie durch den Aufenthalt in Italien ihre rechtswissenschaft­ liche Schulung und politische Reife sowie große Erfahrungen im Kriegswesen erlangten, Eigenschaften, die sie dann später als Glieder des heimischen Stadtregimentes mit Erfolg zu verwerten wußten. Die großen Entdeckungen am Ende des 15. Jahrhunderts übten zunächst auf die Handelsbeziehungen Nürnbergs zu Italien noch keinen entscheidenden Einfluß aus, weil man sehr bald die Bedeutung der neuen Handelswege sowie die der rasch empor­ strebenden Hafenplätze am Atlantischen Ozean besonders an der Nordsee erkannte und die veränderten Verhältnisse günstig für sich auszunutzen verstand. In verschiedenen Städten der Pyre­ näenhalbinsel wie in Barcelona, Saragossa, Lissabon, in Frank­ reich sowie in den Niederlanden, besonders in Antwerpen oder, wie die Deutschen sagten, in »Antdorf“, befanden sich bereits Nürnberger Warenlager, diese wurden mehrfach erweitert und neue erstanden. Viele junge Nürnberger erhielten nun dort ihre kaufmännische Ausbildung; außer Venedig werden in dieser Hinsicht noch Mailand und Genua, Paris und Poitiers, London und auf dem Handelswege nach Osten Breslau, Krakau und Wilna genannt.

216 » Als ich ungefähr dreizehn Jahre gewesen," schreibt Christoph Fürer in seinen Lebenserinnerungen, «bin ich im Sterben, der (während der Pest in Nürnberg) ungefähr des 1492. Jahrs gewest, zum Gnadenberg, als mir mein Vater Stiefel, Sporn, Pferd und alle Zugehör (gekauft), mit Martin Grazen, einem Bürger, der süßen Wein schenkte, aufgesessen und gegen Venedig geritten, allda ich drei Jahre lang in Versprechnus Hansen Heßleins, Heinrich Wolfen Diener, gewesen bin und alle Jahre einem Welschen 24 Dukaten in die Kost gegeben hab"1). Schade, daß Fürers Briefe aus seinen Lehr- und Wander­ jahren nicht mehr erhalten sind. Sein Aufenthalt in Italien fällt in die Zeit der schärfsten politischen Gegensätze und der großen Kämpfe Karls VIII. von Frankreich um den Besitz Mailands und Neapels, in welche auch Maximilian I. verwickelt war. »In solchen Jahren", meint Fürer, wist durch Welschland viel Ziehens von deutschem Kriegsvolk gewesen, mit dem ich in Kundschaft kam; deswegen ich den Krieg nichts weniger als die Kaufmannschaft hoch liebte. Obgleich mich mein Vater aufs Kriegen nie ge­ wiesen noch gezogen hat, empfing ich doch damals in meiner Jugend eine Kriegswurzel, die mir mein Lebenlang nie entging". Mit andern Worten, Fürer hätte unter dem Eindruck jener kriegerischen Ereignisse in seiner nahen Umgebung damals am liebsten die Schreibstube mit dem freien Leben im Heerlager vertauscht, wenn die Ausführung dieses Wunsches, von den unzu­ reichenden jugendlichen Kräften abgesehen, nicht dem schärfsten Widerspruch der Eltern begegnet wäre. Nach vollendeter Lehr­ zeit kehrte Christoph nach Nürnberg zurück. Aber schon bald finden wir ihn wieder in welschen Landen; der Vater hatte ihm 3000 Dukaten mitgegeben, um sie dort gewinnreich anzulegen. wUnd es ging mir damit glücklich", schreibt der Sohn befriedigt, wgewann wohl daran; wie wohl, wo mir mein Vater gefolgt und ein klein länger damit gehalten, hätte er viel ein mehreres daran gewonnen."

*) ln den Rechnungen Michel BehaimS des Älteren VII. für seinen 1491 —1494 in Venedig weilenden gleichnamigen Vetter finden sich folgende Posten (Behaimsches Archiv im Germanischen Nationalmuseum): 1493. Item ich hab zalt meiner mutter für den Michel das kostgelt für 20 wochen, ein jar 40 fl R. in die kost machen die 20 wochen facit 150 R. 3 $56 Item ich hab zalt für zwo gestickt seyde hauben dem Michel gein Venedig facit summa 6 *tb.

217 Christoph Fürer sollte nunmehr seine Tätigkeit einem ihm bisher weniger vertrauten Zweige von Handelsgeschäften zuwen­ den. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts waren verschiedene Nürnberger Bürger, darunter die Fürer an dem Betriebe und der Ausbeutung des Mansfelder und Thüringer Bergbaues bezw. der dortigen Kupferschmelzwerke mit größeren Kapitalien beteiligt1). In den Saigerhütten (Saigern = eine leichterflüssige Substanz von einer schwerer flüssigen trennen) zu Gräfenthal in Thüringen, in Steinach, Schwarza, Mansfeld, Eisfeld, Arnstadt und Luderstadt (Ludwigsstadt in Oberfranken) wurde aus dem Roh­ kupfer durch Vermengung mit Blei das leichter schmelzbare Silber sowie das Garkupfer gewonnen. Jenes gelangte größten­ teils in die Münzstätten, dieses war ein gesuchter Handelsartikel, dessen Vertrieb weit über die deutschen Grenzen hinaus der Nürnberger Kaufmann mit Geschick in die Hand nahm. Die Beteiligung der Nürnberger an dem Mansfelder Saigerhandel bewirkte, daß das dort gewonnene Kupfer bei dem seit altersher berühmten Handwerk der Kupfer- und Rotschmiede in Nürn­ berg immer mehr eingeführt wurde und das bisher meist ver­ arbeitete böhmische und Tiroler Metall verdrängte; bald ent­ standen sogar in der nächsten Umgebung der Reichstadt eigene Saigerhütten zur Erzeugung des Garkupfers. Die älteste Saiger­ hütte zur Ausnützung des Mansfelder Kupfers war in Gräfenthal. In den dortigen Saigerhandel hatte Siegmund Fürer der Ältere 1497 zugunsten seines älteren gleichnamigen Sohnes die Summe von 8000 fl. eingelegt und darüber nähere Bestimmungen für seinen Todesfall getroffen. Den jüngeren Sohn Christoph schickte der Vater nach Gräfenthal. //Als ich ungefähr im 18. in 19 Jahre gewesen", erzählt jener, wthät mich mein Vater gein Gräfenthal auf die Hütten; und als sie (d. h. die Handelsgesell­ schaft) einen Diener zu Eisleben hatten mit Namen Sigmund Müller, so von ihnen kam, ward ich gein Eisleben geschickt der End den Handel zu verwalten. Indes thät sich Sebalt Melber, so der Arnstetten diner war, vielleicht aus meiner Furcht und daß er nicht wohl Rechnung thun kunnt, aus dem Land, ließ *) Vgl. Möllenberg, Walter, Die Eroberung des Weltmarktes durch das mansfeldische Kupfer. Gotha, Perthes 1911. 8° und desselben Urkunden­ buch zur Geschichte des mansfeldischen Saigerhandels im 16. Jahrhundert. Halle a. d. S , 1915. 8°. Urkunde Nr. 9.

218 den Handel also waislos, derhalben ich denselbigen zusamt dem Gräfenthaler Handel ausrichten mußte". Christoph zeigte sich in seiner verantwortungsreichen Stellung den ihm sich entgegen­ stellenden Schwierigkeiten durchaus gewachsen. Seine Tätigkeit vermehrte nicht nur den jährlichen Gewinn der Gesellschaft, sondern legte hier auch den Grund zu seinen späteren gediegenen hüttenmännischen Kenntnissen sowie zu dem reifen Urteil über manche staatswirtschaftliche und finanztechnische Fragen, welche damals zur materiellen Gesundung des tiefgeschwächten deutschen Reichskörpers allenthalben erhoben wurden. In dem Vertrage mit der Arnstädter Hüttengesellschaft ver­ pflichtete sich Fürer am 1. Mai 1501 drei Jahre lang dem Handel vorzustehen wzu Nürnberg, Meyßen und Frankfurt mit Kaufen, Verkaufen und Schuld einzubringen, getreulich wie ihm befohlen". Er sollte außer dieser seiner Faktorei keinen weiteren Handel treiben für andere, was der Arnstädter Gesellschaft zu Nachteil, Schaden oder Schmälerung dienen könnte. Die Kosten der Geschäftsreisen übernahm die Gesellschaft; als jährliche Beloh­ nung erhielt Christoph Fürer die Summe von 100 fl. Rhein. Interessant ist die Vertragsbestimmung, welche die Gesellschaft zur Bezahlung eines Lösegeldes im Höchstbetrage von 200 fl. verpflichtete, wenn Fürer auf seinen Geschäftsreisen in die Hände von Räubern und Plackern fiel1). Da am 1. September 1501 bereits der alte Siegmund Fürer starb, traten dessen beide Söhne Siegmund und Christoph am 26. Mai 1502 als Teilhaber in die Arnstädter Saigergesellschaft. Deren Betriebskapital betrug damals 31 500 fl., wozu die Fürer die Summe von 7000 fl. einlegten. Der eigentliche Leiter, ja die Seele des ganzen Handelsbetriebes blieb bis zu seinem 1537 erfolgten Tode Christoph Fürer, der von Nürnberg aus die Haupt­ kupfermärkte von Mansfeld, Magdeburg, Frankfurt, Aachen, Köln, Antwerpen u. a. besuchte und auch zeitweise auf den Hütten­ werken der Gesellschaft verweilte. Die hervorragende kauf­ männische Tätigkeit Fürers und dessen Verdienste um die Er­ oberung des Weltmarktes durch das mansfeldische Kupfer hat Walter Möllenberg in seinem trefflichen Buche (s. S. 9 Anm. l) J) Vertrag im Fürerschen Geschlechtsbuch a. a. O. Fol. 563. Vergl. auch Möllenberg, Urkundenbuch, S. 9.

219 eingehend und anziehend geschildert. Die hier niedergelegten Resultate Möllenbergs stützen sich auf ein umfangreiches Quellen­ material, das er in seinem weiteren Werk: Urkundenbuch zur Geschichte des mansfeldischen Saigerhandels veröffentlichte. Diese Urkunden geben uns ein interessantes Bild von der Entwick­ lung der einzelnen Handelsgesellschaften, namentlich der unter Fürers Leitung stehenden Arnstädter Hütte sowie der durch Graf Albrecht von Mansfeld und Jakob Welser gegründeten Leutenberger Gesellschaft. Auf die Bemühungen Christoph Fürers um den Zusammenschluß dieser Gesellschaften sowie auf das durch ihn 1534 zustande gebrachte Kupfersyndikat aller mansfel­ dischen Saigerhütten werden wir noch kurz zurückkommen. »Von dannen an bis in das 33. Jahr meines Alters, als ich mich verheirath", schrieb Fürer etwa zum Jahre 1509, »hab ich allerlay, so einem jungen weltlichen Gesellen zustehet, versucht. Erstlich hab ich mir ein Rüstung auf vier Pferd mit Küris, Parsten [?], guten Sätteln und Knechtharnisch schlagen lassen, welches der­ maßen vormals dem Ernst und Nutz und nicht dem Schein nach nicht viel war gesehen worden". Mit Vorliebe beteiligte er sich an den kriegerischen Aufzügen und Waffenspielen der Patrizier, wozu namentlich die Anwesenheit der Fürsten auf den Reichs­ tagen und den althergebrachten Festlichkeiten vielfach Gelegen­ heit bot. In den heimischen Chroniken wird ein Scharfrennen er­ wähnt, das Fürer 1506 mit seinem Jugendfreunde, dem späteren ein­ flußreichen Nürnberger Diplomaten und Kriegshauptmann Christoph Kreß hielt »dem Thumer zum Trotz, welchen sie schimpflich ver­ achtet wegen seines gethanen Rennens und Fehlens und der beurischen Federbüsch. Sie räumten aber bede Sättel". Hans Thumer, dem wir übrigens auch sonst bei reichsstädtischen Fest­ lichkeiten begegnen, gehörte einer sehr begüterten Kaufmanns­ familie an, die von ihrem Reichtum allenthalben viel Aufsehens machte. »Der obengenannte Thumer", heißt es, »hatte viel Neider und waren der Ehrbaren wenig, die mit ihm Gemeinschaft hatten, dessen sein übermäßige Pracht eine Ursache war". In den Jahren 1509, 1510, 1515, 1520 und 1522 versuchte sich Christoph Fürer rühmlich im Gesellenstechen sowie im Scharfrennen; zweimal »ritt er im Heiltum", d. h. er beteiligte sich an den mit der öffentlichen Ausstellung der Reichsheilig­ tümer verbundenen großen Festaufzügen.

220 Beim Einzuge des Erzherzogs Ferdinand in Nürnberg am 3. August 1521 befehligte er das zu dessen Empfang aufgestellte 5000 Mann starke reichsstädtische Fußvolk und 10 Fähnlein. Aber auch dem «Nutz und Ernst" waren Fürers Waffen geweiht. An dem für die Erweiterung des reichsstädtischen Gebietes wichtigen Landshuter Erbfolgekrieg 1504 nahm er als Freiwilliger «außerhalb des Rats Besoldung und eigner Zehrung" teil und folgte dem Nürnberger Heere auf dem durch den Konstanzer Reichstag 1507 beschlossenen Römerzug Maximilians. Aber es zeigte sich, daß der König mit den ihm von den Reichs­ ständen karg zugemessenen Mitteln und den schwachen mili­ tärischen Kräften wenig ausrichten konnte. Während Maximilian bald nach Deutschland zurückkehrte, um seine Rüstungen zu ver­ stärken, focht sein Heer und darunter Christoph Fürer «zu Roß als Küraßier" über ein Jahr lang gegen Venedig bei Padua, Vicenza und Parma in erbitterten aber entscheidungslosen Kämpfen. Im Herbst 1519 unternahm der Schwäbische Bund seinen zweiten Krieg gegen den tyrannischen Württemberger Herzog Ulrich, dem es inzwischen geglückt war sich in einem Teile seines Landes wieder festzusetzen. Die Reichsstadt Nürnberg, seit 1500 Mitglied des Schwäbischen Bundes, mußte auch an diesem Zuge teilnehmen und übertrug die Führung ihres Heeres dem kriegsgewandten Ratsgenossen Christoph Fürer, welcher von der Bundesversammlung neben Ulrich Neidhard von Ulm auch zu einem Kriegsrate und Obristen der reichsstädtischen Kontingente gewählt wurde. Auf die Schilderung seiner Erleb­ nisse auf diesem Feldzuge und auf die Bedeutung der Tätigkeit Fürers werden wir noch kurz zurückkommen. Am 28. Januar 1512 vermählte er sich mit Katharina Imhoff, der Tochter des ein­ flußreichen Ratsherrn Hans Imhoff und der Katharina Muffel, aus welcher Ehe die jetzige Familie der Fürer von Haimendorf in direkter Linie abstammt. Nach dem Ehevertrag vom Montag nach Erhardi 1512 brachten Katharina Imhoff 800 fl (später 6179 fl 1 u 21 /^), Fürer 1000 fl in die Ehe; die Eltern der Braut versprachen altem Nürnberger Brauch gemäß, ihre Tochter «nach Ehren zu kleiden" und die Neuvermählten «ein Jahr in Kost zu halten". Katharina war eine treffliche Hausfrau und Mutter, mit der Christoph Fürer, wie man aus seinen Bekenntnissen

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ersieht, glückliche Jahre verlebte. Seiner Ehe entsprossen sech­ zehn Kinder, darunter Christoph, der Vater des gleichnamigen, durch seine viel gelesenen Reisebeschreibungen wohlbekannten Palästinafahrers sowie des Jakob Fürer, der 1587 mit einer kaiserlichen Gesandtschaft dem Sultan Geschenke nach Konstan­ tinopel überbrachte und dort an der Pest starb. An Ostern 1513 wurde Christoph Fürer in den Rat seiner Vaterstadt gewählt. Nach seinen späteren Geständnissen trat er dieses Amt nur ungern an, weil es ihn zunächst von seinen eigentlichen Berufsgeschäften abzog, er sich auch bei seinem geraden Bürgersinn ohne jede Ehrsucht nicht vordrängen wollte. Im Rate erkannte man aber bald die Fähigkeiten und die rege Arbeitskraft des neuen Mitgliedes; von 1519 bis 1528 bekleidete er u. a. das seinen kriegstechnischen Neigungen zusagende Amt eines Stadtzeugmeisters, in welchem er der Reichsstadt in manchen schwierigen Fällen wertvolle Dienste leistete. Mehrfach wurde er auch zu diplomatischen Unterhandlungen verwandt, und in den häufigen Streitfällen der Reichsstadt namentlich mit den Ansbacher Markgrafen galt neben Christoph Kreß auch Fürer als angesehener Friedensvermittler. Bemerkenswert ist sein Auf­ enthalt am Hoflager Maximilians in Linz 1515 und im Haupt­ quartier bei Donauwörth, »als dieser gegen den Adel zu Franken ziehen wollt". Der Zweck dieser diplomatischen Gesandtschaft läßt sich aus den Akten teilweise erkennen. Nebensächlich erscheint doch wohl der Auftrag zur Befreiung eines von streifenden Reisigen des bayerischen Herzogs Ludwig gefangenen Nürnberger Kaufmanns Hans Schramm. Vor allem sollte die Gesandtschaft dem Kaiser über die 1514 erfolgte, weit über die Mauern Nürnbergs Aufsehen erregende Absetzung des zweiten Losungers Anton Tetzel berichten und das strenge Verfahren des Rats gegen diesen zu rechtfertigen suchen. Es ist bekannt, wie der hoffärtige, streitsüchtige, wenig beliebte Ratsherr wegen mehrfacher Verletzung von Ratsgeheimnissen, Annahme von unberechtigten Geschenken, Mißbrauch der Amtsgewalt zugunsten seiner Ver­ wandten aller seinen Würden entsetzt und mit lebenslänglicher Haft auf dem Turme (er starb darin 1518) bestraft wurde. Da die Bemühungen seiner Familie beim Rat um eine Milderung des Strafurteils ergebnislos blieben, so wandte sich diese zugleich mit

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ihrem einflußreichen Gönner, dem Markgrafen Friedrich von Ansbach, an den Kaiser. Der Rat wollte also durch seine Ge­ sandtschaft an den Kaiserhof verhindern, daß dort eine dieser Sache ungünstige Entscheidung getroffen würde. In diesem Sinne äußerte sich der Rat in einem Briefe an seinen Bundesgesandten Linhart Groland d. d. Montag nach Martini 1515 (Briefbuch 1515 Fol. 225, Staatsarchiv Nürnberg): »Wir sind bericht, daß die kais. Mayestät in kurzen tagen nach Augsburg körnen solt; sein wir sorgfältig, daß Baumgärtner bei ir Mayestät um entledigung Tetzeis handeln mocht, wie er kürzlich durch schrift auch in Insbruck getan. Ist unser beger, dich nach der zeit zu Augs­ burg neben unsren ratsherr Christoph Fürer zu enthalten bis auf weiter bescheid". Der Rat wünschte einen sofortigen Be­ richt über den Stand der Angelegenheit und daß er mit Fürer «des kanzlers hilf und Jorg Vogels gebrauche", d. h. daß sie mit Geschenken an den mächtigen Kanzler Cyprian von Serntein und den kaiserlichen Kammerdiener Georg Vogel nicht sparen sollten. Dieses Mittel zur raschen Erledigung wichtiger Ange­ legenheiten am kaiserlichen Hofe erwies sich damals als sehr probat und wurde ohne Skrupel allenthalben angewandt. Gerade ein Jahr vorher, 1514 bei den Verhandlungen zu Linz über die Entschädigungsfragen aus der Fehde des Götz von Berlichingen mit Nürnberg und dem Hochstift Bamberg, spielten die Geldge­ schenke eine große Rolle; auch die Reichsstadt verstand es sich mit denselben die Gunst mächtiger Persönlichkeiten zu erwerben.

II. Christoph Fürers religiöse und kirchliche Anschauungen. — Die Beziehungen der Familie Fürer zu den Birgittenklöstern in Gnadenberg i. d. Oberpfalz und Maihingen im Ries. — Ein bautechnisches Gutachten Albrecht Dürers für Christoph Fürer über das Gnadenberger Kirchendach. — Fürers Stellung zur Lehre Luthers und zu der Kirchenpolitik des Nürnberger Rates. Christoph Fürer war eine sittlich ernste, religiös angelegte, aber kritische Natur. Bei den Sorgen des Alltags und trotz seiner ausgedehnten, anstrengenden Berufstätigkeit hatte er immer wieder das Bedürfnis und die Muße, in sein inneres Seelenleben sich zurück­ zuziehen und über die höchsten Fragen der Menschheit nachzu-

223 sinnen. Er beschäftigte sich gern mit theologischen Fragen und verfolgte als treuer Patriot mit Liebe und weitem Blicke die Zustände des engeren und weiteren Vaterlandes, in seinem Geiste stets auf Mittel bedacht, wie man jene, wenn nötig ver­ bessern und dem allgemeinen Volkswohl dienstbarer machen könnte. Den frommen Sinn hatte Christoph von seinen Voreltern geerbt, die im 15. Jahrhundert mehrere treffliche und würdige Vertreter des geistlichen Standes aufweisen. Die Fürer waren besonders dem durch die heilige Birgitta von Schweden gegrün­ deten Orden des heiligsten Erlösers zugetan, jener merkwürdigen geistlichen Genossenschaft, die im ganzen die Augustinerregel befolgte und aus zwei Konventen, dem der Brüder mit einem Prior und dem der Schwestern mit einer Äbtissin an der Spitze bestand. Letzterer war auch die Sorge für die wirtschaftlichen Bedürfnisse der Konvente anvertraut und sie vertrat dieselben auch in rechtlicher Hinsicht nach außen hin. Durch die eigen­ artige Bauart der Birgittenklöster wurde die strenge Klausur der beiden Konvente selbst in der gemeinschaftlich benutzten Kirche besonders begünstigt und gewährleistet1). Von dem 1370 gestifteten Kloster Wadstena am Wettersee aus hatte sich der Birgittenorden namentlich über Nord- und Westeuropa verbreitet und zählte im 15. Jahrhundert gegen 70 blühende Niederlassungen. Das Mutterkloster der süddeutschen Birgittinerinnen war das 1426 von Katharina, der Gemahlin des Pfalzgrafen Johann, einer pommerschen Prinzessin und Schülerin der heiligen Birgitta, gestiftete Gnadenberg, in der bayerischen Oberpfalz gelegen2). Gnadenberger Birgitten besiedelten das 1472 durch den Grafen von Oettingen ihnen überlassene Kloster Maria Mai (Maihingen im Ries) und ein weiteres zu Altomünster in Ober­ bayern, 1489 durch Hedwig vonPolen, die Gemahlin des bayerischen Herzogs Georg des Reichen, gegründet. Altomünster besteht noch heute, aber nur in einem weiblichen Konvent weiter fort. l) Hager, G, Die Klosterruine von Gnadenberg und die Architektur des Birgittenordens. Verhandlungen d. Hist. Ver. d. Oberpfalz u. Regensburg. Bd. 48. (1896), S. 113 ff. z) Binder, G., Geschichte des Birgittenklosters Gnadenberg i. d. Ober­ pfalz. Ebd. S. 17 ff.

224 Durch strenge Zucht und eine gesegnete Wirksamkeit ge­ langte Gnadenberg bald zu hohem Ansehen; es gewann in der Bürgerschaft der nahegelegenen Reichsstadt Nürnberg viele groß­ herzige Gönner, die mit Vorliebe ihre Kinder dem friedlichen Kloster im Schwarzachtale als gottgeweihte Glieder überließen. Die vielfachen regen Beziehungen der Fürer zu Gnadenberg sind durch eine Reihe von Abhandlungen bereits bekannt, so daß ich mich nur auf die wichtigsten Momente beschränken will. Die Beziehungen der Fürerischen Familie zu dem Kloster wurden besonders rege, als 1461 die Töchter des Siegmund Fürer, Barbara und Katharina, dort den Schleier nahmen und erstere 1489 als Abtissin gewählt worden war. Zwanzig Jahre lang führte Barbara (f 29. Aug. 1509) zielbewußt und mit fester Hand das Regiment des Klosters1). Es war dieses für sie keine leichte Aufgabe, in der Erwägung, daß die stiftungsmäßigen Einkünfte zur Lebens­ führung der beiden stets wachsenden Konvente von jeher nur notdürftig ausreichten. Die Sorgen der Äbtissin wuchsen, als der Landshuter Erbfolgekrieg 1504 heftig in der Oberpfalz wütete und auch ihrem Kloster schweren Schaden an der Kirche, an Gebäuden und Feldern zugefügt hatte. Hilfesuchend wandte sich die Äbtissin an ihre Verwandten und Freunde nach Nürnberg, das nach dem Friedensschlüsse mit einem Teile der oberpfälzischen Lande auch die Vogteirechte über Gnadenberg von 1504—1521 erhielt. Barbara Fürer hatte sich in ihren Erwartungen nicht getäuscht; mehrere Nürnberger Patrizierfamilien, ihre Neffen Sieg­ mund und Christoph voran, halfen ihr mit beträchtlichen Mitteln über diese schweren Zeiten hinweg und gerade Christoph stand der bedrängten Äbtissin und deren Nachfolgerin bei der Wieder­ herstellung der Klostergebäude mit Rat und Tat treu zur Seite2). Dies gilt besonders für die Jahre 1517 bis 1520, als ein neues Schwesternhaus entstand und der imposante Hallenbau der Gnadenberger Kirche jene einzigartig schöne Ergänzung und Vollendung erhielt, deren Trümmer heute noch unsere Bewun­ derung erregen. Bei dieser Gelegenheit zeigte es sich, daß ein 0 S. Lochner, G. W. K., Barbara Fürerin, Äbtissin zum Gnadenberg, in den Historisch politischen Blättern, Bd. 49, S. 533ff. 2) S. auch meine Abhandlung: Aus dem Briefwechsel der Nürnberger Patrizierfamilie Fürer von Haimendorf mit dem Kloster Gnadenberg i. d. Ober­ pfalz 1460—1540. Yerh. d. Hist. Ver. f. Oberpf. u. Regensb. Bd. 45.

225 Teil des alten ungemein hohen Kirchendaches schadhaft geworden war und daher erneuert werden mußte. Christoph Fürer wandte sich damals an Albrecht Dürer um ein bautechnisches Gut­ achten, das kürzlich Archivdirektor Dr. Emil Reicke als Original in einer Sammelhandschrift für das Stadtarchiv Nürnberg erwer­ ben konnte und in einer interessanten dankenswerten Abhandlung mitgeteilt hatl). Das mit Zeichnungen versehene Gutachten Dürers tritt für die vollständige Niederlegung des hohen Dachstuhlcs ein, weil er zu schwer, feuergefährlich, unnütz und zu kostspielig sei; aus praktischen Gründen rät er zu einem niedrigen Zeltdach mit »einem Spitz" in der Mitte, das am besten den Unbilden der Witterung trotze. Der Vorschlag des berühmten Künstlers fand jedoch die Ablehnung Fürers und des Klosters; ob außer den neu entstehenden Kosten ästhetische Gründe oder der Gegensatz des Dürerschen Gutachtens zu der in der Birgitten­ regel vorgeschriebenen Bauart der Ordenskirchen sie dazu be­ stimmten, wissen wir nicht. Der alte, sehr hohe Dachstuhl, wozu ehedem, wie eine Nachricht lautet, dreitausend Baum­ stämme verwendet wurden, blieb bestehen und man begnügte sich mit einer gründlichen Ausbesserung der vorhandenen Schäden. »Dürers Ruf", schreibt Reicke, »als außerordentlich vielseitiger Künstler und insbesondere auch als Bausachverständiger, um nicht zu sagen Architekt, ist durch unser Gutachten, auch wenn es — und offenbar mit Recht — nicht befolgt wurde, von neuem bekräftigt, ja recht eigentlich bewiesen worden". Christoph Fürer weilte damals häufig bei den Bauten in Gnadenberg; er sorgte mit seinem Bruder Siegmund für geeig­ nete Arbeitskräfte, für Baumaterial und vor allem dafür, daß die Bautätigkeit aus Geldmangel nicht ins Stocken geriet. Es dürfte der Wahrheit ziemlich entsprechen, wenn einige Quellen berichten, daß die beiden Brüder auf die Bauten des Klosters 2500 Goldguldcn verwandt hätten. Rechnet man ihre sonstigen Spenden, die Stiftungen für Jahrtage, Altarzierden, Glasgemälde, Paramente und dergl. hinzu, so konnte am 9. August 1535 die Äbtissin Ursula Braun mit Recht an Christoph Fürer schreiben: x) Reicke, Emil, Albrecht Dürer als Architekt und die Klosterkirche in Onadenberg (Oberpfalz) in der Zeitschrift für Bauwesen, 76. Jabrg. Heft 1. Hochbauteil 1—3. S. 23 ff. Berlin, Hackebeil. 1926. 15

226 »Von euch und all den euren ist dem Kloster dreimal mehr Hilfe und Gutes geschehen als von den Stiftern". Auch das Tochterkloster Gnadenbergs, Maria Mai (Maihingen im Ries), wo eine Verwandte Fürers, die reiche Witwe Katha­ rina Lemlin, eine Tochter Paul Imhoffs, noch mit 50 Jahren als Nonne eintrat, erfreute sich der Fürsorge Nürnberger Freunde1). Zu den vielfach aus dem Vermögen der Lemlin bestrittenen Neu- und Umbauten des Maihinger Klosters steuerte auch ihr Oheim, der einflußreiche Ratsherr Hans Imhoff manche Summen bei, und Christoph Fürer war dort wie in Gnadenberg ein treuer Berater und Förderer. In Maihingen entstand 1517 ein neues Schwesternhaus; die Äbtissin hätte den Bau desselben am liebsten den Nürnberger Meistern Michel (?) oder Simon (Simon Rößner Steinmetz?) und Mathes (wohl der städt. Zimmermann Mathes von Sachsen) übertragen, weshalb sich die Lemlin an Hans Imhoff mit der Bitte wandte, mit Christoph Fürer darüber zu berat­ schlagen. »Lieber Vetter", schreibt sie, »darum bitte ich dich gar freundlich, ob du uns als viel zu Liebe wollst tun und wollest uns noch zweihundert Gulden leihen und zu der Rech­ nung wieder nehmen, daß man den Zeug macht, alles vor dem Winter zusammenzechen (zusammenbringen), daß man, alsbald die Wettertage (wärmeres Wetter) angingen, anhub zu bauen, sollten wir leben und gesund sein; wan es muß Meister Michel öfters (hernach) die Kirche zum Gnadenberg gewölben. Es meint die würdige Mutter, sie wolle es ihm überhaupt andingen, ihm und Meister Mathes; sie hat je eine gute Hoffnung, sie wolle alles zusammen schicken, daß es dann flugs von statten gehe2) . . . " Christoph Fürer riet der Äbtissin von den viel­ beschäftigten Nürnberger Werkleuten schon wegen der höheren Kosten ab und verwies sie an ihre heimatlichen Meister. Am 6. März 1517 antwortete ihm Katharina Lemlin: »Dein Brief ist mir nun worden, darinnen die würdige Mutter und ich deine Meinung wohl vernommen haben und gefällt der würdigen l) Die Briefe der Katharina Lemlin mit den Nürnberger Verwandten habe ich veröffentlicht in der Zeitschrift für Kulturgeschichte von G. Stein­ hausen, Bd. VI, 249 ff. Bd. VII, 170 ff. als: Briefe aus dem Birgittenkloster Maihingen (Maria-Mai) im Ries. 1516-1522. Berlin, Felber, 1899h 8°. *) Katharina Lemlin an Hans Imhoff, 22. August 1516, a. a. O. S. 272. 280 ff.

227 Mutter dein Rat ganz wohl und will dir also folgen und will bei ihren Nachbarn bleiben und hat gar einen feinen Meister bestellt mit Rat und Hilfe Jungherr Walter von Hirnheim . . . Er ist des Grafen Joachim (von Öttingen) und seiner Schwester,, der Äbtissin von Kirchen (Kirchheim), Werkmann; versehe mich, man werde ihm es nach dem Taglohn lassen machen. Ich glaube gleichwohl, daß sich Meister Mathes und Meister Simon nicht gerne von Nürnberg so weit machen; es werde ihnen denn ihre Mühe wohl gelohnt, das dann nicht unbillig ist. So ist es nicht minder, es möchte hier einen Nachteil bringen, wenn sie ihren Gesellen so viel mußten geben, daß sich die hiesigen darnach möchten richten, wie du dann schreibst. Und dankt dir die würdige Mutter, der ganze Konvent und ich gar fleißig aller deiner Mühe und Arbeit, die du von unser wegen gehabt hast ..." Die Jahre 1519 —1526 bilden einen charakteristischen Wende­ punkt in der Geschichte der Reichsstadt Nürnberg, aber auch in dem innneren Leben Christoph Fürers. Er wurde hervorge­ rufen durch die gewaltigen kirchlichen, politischen und sozialen Bewegungen, die damals Deutschland in seinen Grundfesten er­ schütterten. Christoph Fürer war kein Gelehrter, aber ein viel­ seitig gebildeter, scharf denkender Mann, der jenen religiösen, kirchlichen Kämpfen nicht gleichgültig gegenüberstand. Er prüfte die alte und die neue Lehre und in ehrlichem Forschen nach Wahrheit rang er sich zu einer persönlichen Überzeugung hin­ durch, an der er trotz allen äußeren Widerständen festhielt, die er aber bei seiner Friedfertigkeit, im Übereifer etwa, auch nie­ mandem aufzudrängen suchte. Seit 1512 gehörte Fürer mit seinem Bruder Siegmund jenem Kreise hochgebildeter Männer an, wie Willibald Pirckheimer, Christoph Scheurl, Anton Tücher, Dürer u. a., die mit großer Verehrung an dem zeitweise in Nürnberg zur Klostervisitation weilenden Generalvikar der Augustiner Johann Staupitz hingen, dessen vielbesuchte Predigten über die wahre Reue, die Bedeutung der guten Werke und dergleichen zur Be­ trachtung über manche damals aktuellen theologischen Fragen anregten. Durch Staupitz und besonders durch den Prior des Wittenberger Augustinerklosters Wenzeslaus Linck, der ersteren 1517 nach der Reichsstadt begleitete, später zur neuen Lehre 16*

228 sich bekannte und als Pfarrer des Heiliggeistspitals bei der Durchführung der Reformation in Nürnberg eine umfangreiche Tätigkeit entfaltete, gelangte bald der Name ihres Ordensgenossen Martin Luther zu hohem Ansehen. Fürer begrüßte das Auftreten des kühnen Augustinermönches gegen die unwürdige Anpreisung und Ausnützung des Ablasses. Der Nürnberger Rat hatte zwar im 15. Jahrhundert schon öfter und noch 1516 gegen die allzu­ häufige Verkündigung von Ablässen in seinem Gebiet und die übertriebenen Geldforderungen der Kurie entschieden Stellung genommen; dieses hinderte ihn aber nicht, für seine Zwecke, namentlich auch bei kirchlichen Bauten und caritativen Einrich­ tungen, immer wieder in Rom um Gewährung von solchen nach­ zusuchen. Bei den eigenen Handelsbeziehungen zu Sachsen und dem literarischen Verkehr Nürnbergs mit Wittenberg und Ingol­ stadt gelangte Fürer rasch in den Besitz der lutherischen und auch der gegnerischen Schriften, was ihn dann zur eifrigen Nachprüfung in der Bibel und zu manchem Meinungsaustausch mit den Freunden veranlaßte. An dem 1525 vom Nürnberger Rat veranlaßten, für dessen fernere Kirchenpolitik so folgenschweren Religionsgespräche hat auch Christoph Fürer gleich seinem Bruder Siegmund teilgenommen, ohne aber mit den dort gefaßten Be­ schlüssen übereinzustimmen. Solange Luther mit der Beseitigung der Mißbräuche auf Reformen bedacht war und nicht wichtige Glaubenssätze sowie die Einigkeit der Kirche antastete, blieb Fürer ein treuer Anhänger. Bald entfernte er sich aber immer mehr von der Sache des Wittenbergers. Schon die ungewöhnliche Schärfe in dessen Schriften machte ihn mißtrauisch; die Lehren von der allein rechtfertigenden Kraft des Glaubens, von der Unfreiheit des menschlichen Willens, der Prädestination und der beschränkten Bedeutung der guten Werke stießen ihn ab. Die ganze Entwicklung der neuen kirchlichen Verhältnisse im Reiche und in der Vaterstadt entsprachen nicht seinen gehegten Er­ wartungen. Als dann der Nürnberger Rat nach vielfachem Schwanken sich als unumschränkten Herrn auch auf dem kirchlichen Gebiet betrachtete und mit Strenge althergebrachte Einrichtungen aufhob, als durch andere Umwälzungen wie im Bauernkrieg die sozialen und sittlichen Bande sich lösten, die Verwirrung der Geister immer höher stieg, da empörte sich sein Inneres und

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schmerzlich enttäuscht wandelte er unabhängig von den lauten Stimmen der Meinungen den Weg des eigenen Gewissens. Damals reifte auch in ihm der Entschluß, sich von allen öffentlichen Ämtern zurückzuziehen. Es ist psychologisch interessant, aus Fürers Selbstbekenntnissen zu ersehen, wie er sich als Laie die damals aktuell gewordenen theologischen Fragen zurecht­ legte und sie im Gegensätze zur neuen Lehre, aber auch manch­ mal nicht mehr im Einklang mit der alten, zu lösen suchte. Über seine Stellung zur Reformation Luthers spricht er sich öfters dahin aus, daß er sich zwar stets gütlich und gern der Billigkeit und der ordentlichen Obrigkeit unterworfen, daß er aber niemals »/alles Fürhaben, so der römische Stuhl samt seinen Anhängern gelehrt und gepflogen, für göttlich und christlich ange­ sehen habe. Diese Dinge wären zu viel auf eigne Gewalt, Pracht und Geldgeiz" gerichtet gewesen. »/Deshalb", schreibt er, »»habe ich nie lieberes gehört, als da Martin Luther erstlich wider solche ungeschickte Gewalt und Ablaßkaufen begann zu predigen. Als aber er, Luther, nicht bei selbigem allein blieb, sondern weiter ging und lehrte, der Mensch hätte keinen freien Willen, sondern alles, was er täte, es wäre gut oder böse, das müßte also und könnte aus Not nicht anders geschehen, mache die Werke der Menschen mehr Sünde denn nötig, schrieb die Selig­ keit allein dem Glauben an Christo zu, beruhet auf dem, daß Gott ohne Mittel und Zutun des Menschen denselben wollte selig oder unselig haben, welche Artikel dann meinem Geiste, wie vorher erzählt, daß diese christlich sein sollen, aus viel, Beweg­ gründen nicht wollten eingehen. Sondern ich mußte bei mir urteilen, daß dieser letzlicher einiger Artikel, von Luther dar­ getan, weit und viel mehr dann alle römische Mißbräuche uns Schaden und Nachteil zufügen würden, angesehen, daß es alles Gottesfurcht und Gewissen des Menschen würde wegnehmen, wie dann geschehen, also und dermaßen, daß [es] der Christenheit viel [erträglicher gewesen, den römischen Geiz neben Gehorsam und Einigkeit (so damals war) zu behalten, dann die jetzige luthe­ rische Lehre bei Verlierung und Aufhebung aller Tugend, Ge­ wissen und Gottesfurcht, wie jetzt vor Augen ist, anzunehmen*). 1533.

‘) Brief Fürers an Georg Witzei, d. d. Mittwoch nach Simon und Juda Geheimbuch Fol. 654.

230 Und an einer anderen Stelle1) kommt Fürer auf denselben Gegen­ stand zurück, indem er schreibt: «Ich glaube nicht, daß der all­ mächtige Gott uns dießen Mönch, den Luther, gesandt hat, uns einen besonderen Weg zum Himmel zu weißen und zu lehren, sondern allein darum, den Groll und Feindschaft wider die Geist­ lichkeit in den gemeinen Mann zu bringen, daraus dann ihr Straf und Lohn folgen wird". Diese und ähnliche Urteile zeigen die tief erregte Stimmung gegen kirchliche Mißbräuche, die unselige Geldwirtschaft der römischen Kurie sowie das verweltlichte Treiben namentlich unter der höheren Geistlichkeit. Nicht minder lassen sie aber auch die große Enttäuschung und Unzufriedenheit erkennen, welche man damals über das Schwinden der gesetzlichen Ordnung und die Zer­ rüttung der christlichen Lebensführung empfand, für welche viele die neuen Glaubenslehren in ihrer Verbreitung und Auswirkung ver­ antwortlich machten. Diese Anschauung Fürers findet sich, in milderer Form ausgedrückt, auch in der Einleitung zu seinem dem Speyerer Reichstag 1529 übergebenen Ratschlag über die Türken­ hilfe wieder (Geheimbuch fol. 609). Übrigens steht er damit, soweit Nürnberger in Betracht kommen, nicht allein da; dieselben Klagen erhoben auch, wie bekannt, Willibald Pirckheimer, Christoph Scheurl u. a. Noch schärfer wie diese urteilt der gleichzeitige Anton Kreutzer in seiner vielverbreiteten, beachtenswerten Nürn­ berger Chronik; er ist ein scharfer Beobachter aller wichtigen Er­ eignisse in der Vaterstadt und im Reiche und versteht es, sie seit dem Jahre 1487 selbständig und interessant aufzuzeichnen. Mit Fürers religiösen und kirchlichen Anschauungen stimmt Kreutzer meist überein; seine Darstellung der kirchlichen Veränderungen in Nürnberg seit 1524 wird jedoch durch manche leidenschaftlich geführte Polemik und sarkastische Bemerkung .über die neu­ gläubigen Prediger beeinträchtigt. Da Lochner sich in der erwähnten Abhandlung bereits ein­ gehend mit der Stellung Fürers zur Lehre Luthers beschäftigt hat, so wird es genügen, hier nur noch einige charakteristische Äußerungen aus seinen Selbstbekenntnissen heranzuziehen. Das Wort «Glauben" erscheint Fürer nicht so «hochgültig und groß" und er will ihm auch nicht soviel Kraft, Verdienst x) Fürers Brief an Katharina Lemlin,a. a.O.S. 198 S auch Gehe imb. Fol 603 ff.

231 und Seligkeit zuweisen, wie es die neue Lehre tut. Der Glaube ist ihm ein Zeiger und Anleiter des Willens Gottes; so wenig der Leib ohne den Geist lebt, so wenig mag der Glaube ohne die Liebe Frucht, Gedeihen und Wohlfahrt haben (Geheimbuch Fol. 647). wich wollte doch gerne wissen", meint Fürer, »was die rechte Eigenschaft, Kraft und Natur des Glaubens bei einem Päpstlichen, Lutherischen, Zwinglischen, Mohametischen oder Juden ist, ob er bei einem jeden eine besondere oder aber bei ihnen allen eine einige Wirkung hat. . . Wo ich den Glauben sollte beurteilen, so wollte ich ihn anders nicht als einen Handzeiger, so im Feld einem den Weg weist, achten und halten, nämlich als einen Anheber des mosaischen, christlichen oder muhamedanischen Gesetzes .. . Sobald ein Christ Christum für gerecht und wahrhaft glaubt, soll er dem Glauben nicht sonderlich fast mehr nachfolgen, weil er dadurch Gott noch Christus weder größer noch kleiner machen kann, sondern auf die Lehre Christi gehen und derselben nachfolgen, nämlich dem Nächsten Barm­ herzigkeit erzeigen". Den wahren Glauben wolle und könne er nicht beschreiben; es sei dieses niemand möglich, weil niemand vom Himmel gekommen, der es gesehen und gehört. Wer sich dessen untersteht, ist ihm ein großer Tor und ein kleinmütiger Mann, wenn er sich des die Schrift oder Menschen bereden läßt, so er doch billig sehen und vor die Hand nehmen sollte, wie so vielfältig die Schriften wider einander sind, auch das große Gefecht und vielerlei Part der Menschen, deren ein jeglicher will der Gerechte sein und doch nimmer mehr mit Grund der Wahrheit entschieden werden mag... Den rechten wahren Glauben finde man nicht auf dem Papier noch im Maul, sondern im Herzen des Menschen, wohin ihn Gott mit dem Finger des heiligen Geistes geschrieben hat, nicht bei dem großen Haufen, sondern bei dem kleinen Häuflein. In Deutschland seien aus einem Glauben wohl sechserlei oder mehr Sekten hervorgegangen, wund unangesehen, daß sie sich alle aufs Evangelium berufen und sich einer Geschrift gebrauchen, so sind sie doch selbs an einander feinder und gehasser, dann sie den Türken und Heiden sein". Unter diesen Umständen rät Fürer jedermann, daß er sich während der Zeit solchenUngewitters nicht des leiblichen und fleischlichen Glaubens,

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sondern des Glaubens, darin nicht Worte, sondern die Frucht gespürt wird, gebrauche und annehme, demselben getreulich und einfältig nachfolge und lebe, »der dich nicht wie der luterisch Glaube wird fröhlich heißen springen". Es sei der Welt nützlicher und der Schrift ähnlicher, wenn man mit einem furchtsamen, zitternden und doch hoffenden als mit einem ge­ wissen, sichern und fröhlichem Herzen vor dem Richterstuhle Gottes erscheine. Nicht der Glaube mache die Liebe gut, sondern die Liebe den Glauben recht, bezeuge Paulus im 1. Korinther­ brief; die Liebe preise auch der Apostel vor der Hoffnung und dem Glauben, aus ihr entspringen die guten Werke. Liebe und Glauben sind zwei geschiedene und nicht ein einig Ding, wie Luther sagt. Der Schwerpunkt in dem Zwiespalt zwischen der alten und neuen Lehre liegt nach Fürers Meinung in der von der Gnade Gottes und dem Gesetz, welche nicht von einander zu trennen sind. Der Predigt der neuen Lehrer, daß wir allein aus Gnaden selig würden, stehe der Ausspruch Augustins ent­ gegen: wSo kein freier Wille ist, wie urteilt denn Gott die Welt?" Es ist unglaublich, daß Gott einen Menschen wohne sein Verbrechen will verdammt haben; so er dann nichts tun kann, so kann er auch nicht verbrechen". Eine solche Lehre tauge nichts; sie trüge uns die Verspottung und Verkleinerung unseres Evangeliums bei den Juden, Türken und Heiden ein. Sie erzeuge alle Leichtfertigkeit, Gottlosigkeit und nehme alles Gewissen, Gottesfurcht und alle guten Sitten. Gerade die Lehre über die Willensfreiheit des Menschen beschäftigte Fürer im besonderen Maße. Der bekannte Theologe Georg Witzei, der eine Zeitlang dem Luthertum angehörte und wieder zur alten Kirche zurückgekehrt war, hatte gerade damals mehrere Schriften über die Rechtfertigung und die guten Werke veröffentlicht. Fürer kannte ihn von seinem häufigen Aufenthalt in Eisleben her und bat ihn um eine ausführliche Darlegung dieser Materie. Witzeis Hinweise auf Augustinus und Erasmus bestärkten Fürer nur noch mehr in seinen alten Anschauungen. Ein beachtenswerter Einblick in Fürers theologische Ge­ dankenwelt, welche auch so manche schwierige, ja unlösbare Frage umfaßte, gewähren u. a. seine sog. vier Frageartikel

233 (Geheimbuch Fol. 653 v, vgl. Lochner a. a. O. S. 91). »Können“, so fragt er u. a.} «in allen Völkern der ganzen Welt, welche den einigen Gott ehren und anbeten und ihrem Nächsten dienstlich, mitleidig und freundlich sind, etliche derselben selig werden, ungeachtet ob sie von Christo nicht Wissen gehabt oder noch Wissen haben?“ Man sollte ihm doch mit dem kürzesten, damit es auch der Laie verstehe und behalte, angeben, was doch der Welt einiger, rechter Weg zur Seligkeit wäre und ob außer derselbigen angezeigten Mittel und Wege es keinen anderen gebe, durch den man selig werden könnte. Bei all diesen grübelnden Erörterungen namentlich über den Unterschied zwischen dem wahren und falschen Glauben u. a. lag für Fürer, der es auch selbst fühlen mochte, die Gefahr nahe, daß er sich entweder von der alten Kirche wegwandte und sich einer der Sekten anschloß, oder aber bei einer ge­ wissen Lauheit die Gleichberechtigung und Gleichwertung aller monotheistischen Religionen anerkannte. Sein überlegender Geist wußte auch diese Klippen zu überwinden. In der Überzeugung, daß weder er noch sonst jemand alle diese schwieligen Rätsel lösen könnte, verzichtete er bald selbst auf seine unfruchtbaren theologischen Spekulationen sowie auf die vielfach sich wider­ sprechenden Belehrungen anderer. Er blieb ein Gegner Luthers, »/weil seine Lehre zu keinen Tugenden noch guten Sitten anreizt und sie von unserer höchsten geordneten Obrigkeit aufs härteste verboten ist. Wissen auch, daß sie derselben noch zum höchsten entgegen und wider ist, welchem wir billig folgen sollen, die­ weil doch die alte Lehre dem armen Nächsten mehr als diese jetzige Lehre zugetragen und ersproßen hat". Trotz mancher freien theologischen Ansicht trennte sich Fürer nicht von der alten Kirche und mahnte überhaupt von jeder übereilten Los­ lösung ab. »»Ich will aber einer jeden Obrigkeit raten“, schreibt er schon vor seinem Austritt aus dem Nürnberger Rate in seinem »Bedenken vom Glauben“, »»daß sie von einem Glauben, darin ihre Väter und Vorfahren lange Jahre gewesen, leichtlich nicht abfallen und für sich allein ein Besonderes machen; es habe ein Schein und Ansehen, wie gut es immer wolle, sondern man befehle es einer gemeinen Versammlung oder dem einigen Haupt,

234 der es, so es der Wille Gottes ist, wohl ins Werk kann bringen und den Spreuer vom Korn scheidet (Geheimbuch Fol. 645, Lochner a. a. O. S. 83). In den sonstigen kirchlichen Reformfragen nahm Fürer, wie damals so viele, eine abwartende Stellung ein; er erhoffte von einem allgemeinen Konzil eine klare Darlegung aller strittigen Glaubenssätze, eine durchgreifende Reform an Haupt und Gliedern sowie eine wirkliche Versöhnung der Geister und den Frieden in der ganzen Christenheit. Die Entscheidungen einer allge­ meinen Kirchenversammlung, wozu man aus allen Ländern «erfahrene, gelehrte, gerechte, uneigennützige, wahrheitsliebende und nicht hochfertige" Männer berufen sollte, hält Fürer höher als alle Schriften «so alle einzigen Lehrer seit Christi Geburt gelehrt und gehalten haben, denn ein Mann ist mir kein Mann; aber der Versammlung hat Gott zu binden und zu entbinden Macht und Gewalt gegeben". Eine derartige Versammlung könnte auch unter dem Beistände Gottes in ihren Aussprüchen nicht irren und man müßte, um die Einheit der Christenheit nicht zu gefährden, jener gehorchen. War Fürer schon darüber erbittert, als Klemens VII. sich in der Ligue von Cognac 1526 mit Frankreich und Venedig gegen den Kaiser verband, so noch mehr, als der Papst unter den veränderten politischen und kirchlichen Verhältnissen die Berufung eines allgemeinen Konzils immer weiter hinausschob und auch die alt- und neugläubigen Reichsstände bei ihren unfruchtbaren unerquicklichen Verhandlungen über die Konzils­ frage nicht zu einer Einigung kamen. Nach dieser Richtung zielt wohl auch Fürers scharfes Urteil über jede der beiden Religionsparteien, das sich in seinem Briefe an Kaiser Karl V. noch kurz vor der Eröffnung des Augsburger Reichstages 1530 findet (Geheimb. Fol. 623). Mit besonderer Freude begrüßte er die Ankunft des Kaisers in Deutschland. «Allergroßmächtigster Herr", schreibt er, «ich hab das heilig Evangelium für die Hand genummen, da es sagt: es wird werden ein Hirt und ein Schafstall. Das verstehe ich gerade aufs Zeitliche; dann im Himmel ist von je und je gewißlich niemand zweifelt, ein einige Gottheit gewest, derhalb es dahin nicht, sondern aufs Zeitliche muß verstanden werden. Zu solchem lassen sich die

235 Läufte und Gelegenheiten aller Dinge dermaßen ansehen, daß ich zu Gott, meinem Schöpfer, hoffe, dieselbige Zeit gereid hie und du werdest der sein, dem die göttliche Müdigkeit dieselbigen Gnade werde mitteilen, die Sache mit göttlicher Hilfe dahin bringen, davon die Alten gesagt haben, es werde die Zeit kommen, daß ein Gott, ein Gesetz, ein Glaube, ein Herr, eine Münze und ein Recht sein wird ..." Fürer erwartet von dem Kaiser den inneren und äußeren Frieden des Reiches; dann wäre es ihm leicht »die ganze christ­ liche Kirche in eine rechte neue christliche Ordnung zu bringen, welche, zu sorgen, leider jetzt weder von den alten noch den neuen Christen in rechter christlicher Lehre noch Ordnung ist. Alsdann ist es ohne Sorge und Zweifel, seine kaiserliche Majestät treibe den Wüterich, den Türken, nicht allein aus Ungarn, sondern aus ganz Europa und bringe die Kirche zu Konstantinopel wieder zu rechtem christlichen Glauben ..." (Geheimbuch Fol. 621). Am höchsten stand zeitlebens bei Fürer das Evangelium der reinen uneigennützigen Liebe zu Gott und dem Neben­ menschen. Aus ihm erwuchsen sein werktätiges Christentum und sein friedfertiges Wesen gegen jedermann. Es verdient erwähnt zu werden, daß er sowohl mit der Familie seines Bruders Sieg­ mund, dessen Wirksamkeit mit der Neugestaltung des Nürnberger Armenwesens und der Durchführung der Reformation Luthers in Nürnberg enge verknüpft ist, sowie mit seinen ehemaligen neugläubigen Ratskollegen in Eintracht lebte. In einem Punkte näherten sich noch die Anschauungen Fürers denen des Witten­ berger Reformators, nämlich über das Klosterwesen. In den beiden bereits erwähnten Briefen an Katharina Lemlin in Maihingen vom 29. Dezember 1525 und an Ursula Seckendorf in Gnaden­ berg vom 3. Mai 1526 schrieb er, daß ihn die Schriften Luthers über das Klosterwesen zur Heranziehung der »Evangelien und Epistel" veranlaßt hätten. Er verwunderte sich, daß man das Klosterleben bisher als das »Göttlichste und Vollkommenste" geachtet, während doch Christus dasselbe mit keinem Worte erwähnt oder Ordensleute eingesetzt habe, Wohl spreche er davon, daß man Vater und Mutter verlassen solle, und zu dem reichen Jüngling: »Verkaufe was du hast und gib es den Armen, folge mir nach!" Dadurch weise er uns aber nicht auf den Müßiggang

236 und das Betteln, sondern auf die Arbeit und den tatkräftigen Beistand der Armen und Verlassenen. Christi Gebot verlange auch nicht das viele Beten oder das Tragen von Kleidern einer bestimmten Form oder Farbe; es verwerfe unsere Sorgen für Nahrung und Kleidung, da der himmlische Vater selbst wisse,, was wir bedürfen. Das Ordensleben hält er nicht für den »/ge­ recht, gestracks Weg zum Himmelreich"; es dünkt ihm, »/daß noch an vielen Orten in Klöstern zuviel auf ihre Selbstwerk,, die doch mehr aus eigenem Gesuch, dann der Liebe geschehen,, gebaut wird, dann dieselbigen die Werke nicht allein für sich, sondern auch andern Personen gedenken mitzuteilen". Durch diese Anschauung, daß die Verdienste guter Werke nicht fürbittweise auch andern zugewendet werden können, stand Fürer eigentlich nicht mehr auf dem Boden der alten Kirche. Fürer war aber nur theoretisch ein Gegner des klösterlichen Lebens* und nichts hinderte ihn, den alten Gönner des Birgittenordens, die bisherigen freundschaftlichen Beziehungen mit Gnadenberg und Maihingen auch weiter zu erhalten. Als seit 1525 die Sakra­ mente der alten Kirche in Nürnberg nicht mehr gespendet wurden, lud die Äbtissin ihn und seine Familie zum Empfang derselben noch am 6. Juli 1535 nach Gnadenberg ein1), und in einem weiteren Briet schrieb sie: »»Ich versieh mich, daß Kranzleute sollen euch nicht mehr anfechten, denn unser gnädiger Herr Herzog Friedrich (Friedrich II., Bruder Ludwigs V., der die Regierung der Rheinpfalz und der Ober­ pfalz übernahm), hat einem erbaren Rat geschrieben, daß man uns bei Wahrheit lasse bleiben. Mir ist es eine sondere Pein, daß man also euch angefochten hat". Im Gegensatz zu seinem Bruder Siegmund und zu dessen Gemahlin Barbara Holzschuher unternahm er nicht jene wiederholten kränkenden Bekehrungsversuche in Gnadenberg, sondern er mißbilligte sogar jeden gesetzwidrigen Austritt aus dem Kloster. «Wiewohl ich mich erhoffe", schreibt Fürer an Ursula Seckendorf in Gnadenberg, »/es geschehe bei euch nicht (d. h. daß ihr allzusehr auf eure eigenen guten Werke pochet), so habe ich euch doch solches nicht unangezeigt wollen lassen, nicht darum, daß ihr oder euersgleichen aus dem Kloster sollt kommen. Dann dieweil der allmächtige Gott es anfangs derÜ S. Kamann, Aus dem Briefwechsel der Nürnberger Familie Fürer von Haimendorf mit dem Kloster Gnadenberg, a. a. O. S. J und 25.

237 maßen geschickt, zweifelt mir nicht, daß ihr Gott kein gefälligeres Werk könnt oder möcht erzeigen als die übrige Zeit eures Lebens in diesemKloster zu vergehen". Seine Verwandte, KatharinaLemlin, welche nach der Verwüstung des Klosters Maihingen durch die Bauern 1525 mit ihren Schwestern nach Öttingen floh, wo sie sich der Armen und Kranken annahmen, lud Christoph Fürer nach Nürnberg ein. »/Gefällt dir das Wesen hier nicht", meint er, »»so halte dein Wesen eine Zeitlang zum Gnadenberg auf dem Hof heraus, allda du den armen Leuten kannst behilflich sein. Dieses Thun kann [auf] die Länge nicht bestehen, sondern es wird, wie obstehet, eine Reformierung der Geistlichkeit bringen; sobald dieses geschehen ist, wollen wir, also ich zu Gott hoffe, bald einen christlichen, löblichen, fruchtbaren Glauben über­ kommen, das ich zu dem allmächtigen Gott hoffe, du auch ich das erleben wollen. . ." Wie Fürer sich diese Reformierung der Geistlichen dachte — und er meint doch auch hier die der ver­ schiedenen Orden — teilt er uns weiter nicht mit. Übrigens folgte Katharina Lemlin seiner Einladung nicht; mit den geringen ihr gebliebenen Mitteln half sie mit an der Aufrichtung ihres alten Klosters und nahm die Sorgen um den Fortbestand des­ selben wieder auf sich, bis der Tod sie aus schmerzlicher Krank­ heit 1533 erlöste. Die Drangsale des Nürnberger Klosters St. Klara unter der neuen Kirchenpolitik des Stadtregiments hat uns die gelehrte, glaubensstarke Äbtissin Charitas Pirckheimer in düsteren Farben treuherzig geschildert'). Ihre Denkwürdigkeiten darüber enthalten auch eine eingehende Darstellung jener beklagenswerten Vorgänge im Klarakloster am 14. Juni 1525, als dort in Gegenwart mehrerer Ratsmitglieder einige Nonnen gegen ihren Willen und unter Gewaltanwendung von den Eltern dem Konvente entrissen wur­ den. Schon vorher hatte als Abgesandter des Rates Siegmund Fürer dessen Beschlüsse über den freiwilligen Austritt von Ordens­ leuten u. a. dem Klarakloster verkündet; die Ausführung der­ selben war aber stets an dem festen Widerstand der zielbewußten Äbtissin und ihres gesamten Konventes gescheitert. Zu jenen ]) Höfler, C., Der hochberühmten Charitas Pirkbeimer, Äbtissin von St. Clara zu Nürnberg, Denkwürdigkeiten aus dem Reformations-Zeitalter. Bamberg 1852. 8°.

238 Nonnen, welche am Vorabende des Fronleichnamfestes von ihren Eltern zurückverlangt wurden, gehörte auch Margaretha Tetzel, die Tochter des Ratsherrn Friedrich Tetzel. Ihre Mutter Ursula war die Schwester des Siegmund und des Christoph Fürer; sie wird neben anderen Patrizierinnen bei jenen aufregenden Szenen vor dem Klarakloster in den Denkwürdigkeiten der Äb­ tissin wenig vorteilhaft erwähnt. Die Fürer verlangten mit « Droh­ worten " die freiwillige Herausgabe der Margaretha Tetzel. Sie selbst wären, so erklärten sie, durch das klare Evangelium und die Predigt so unterrichtet, daß sie mit gutem Gewissen ihr Kind nicht im Kloster lassen könnten; mit «Verwerfung des geist­ lichen Standes und Schmähung alles unsers Thuns und Lassens", schreibt die Äbtissin. Die Tochter sollte wenigstens vier Wochen im Hause der Mutter weilen, damit man sie im wahren Glauben unterrichte und sie das Evangelium hören könnte, wie man es in der Stadt predige. Margaretha Tetzel ging auf alle diese Vor­ schläge nicht ein; immer wieder suchte sie durch inständige Bitten und durch die Vermittlung ihrer beiden anwesenden Oheime Siegmund und Christoph Fürer die Mutter von ihrem harten Entschlüsse abzubringen. Aber es war alles dieses ver­ geblich und es erfolgte nun ihre bekannte erzwungene Weg­ nahme aus der stillen Klosterzelle ins Elternhaus.

III. Christoph Fürers Austritt aus dem Nürnberger Rats­ kollegium. — Fürer, Christoph Kreß und der bayerische Kanzler Leonhard Eck. — Die Bedeutung Fürers im Thüringisch-Mansfelder Hüttenwesen und Saigerhandel. — Fürers Beziehungen zu Herzog Albrecht von Preußen. — Fürers Fürsorge für seine Familie und sein Geschlecht. — Charaktereigenschaften, letzte Lebensjahre, Tod und Begräbnis. Es ist begreiflich, daß Christoph Fürer, der mit seinen religiösen und politischen Anschauungen im Ratskollegium und auch sonst nicht zurückhielt, manchmal in eine schwierige Lage geraten mußte. Da er sich wohl öfter gegen die strengen Anordnungen des Rats auf dem kirchlichen Gebiete wandte, stieß er auf den heftigen Widerstand seiner Kollegen; Fürer

239 und die wenigen altgläubigen Mitglieder fühlten bald selbst, daß ihr Einfluß verloren war. Allerlei Gerüchte über stürmisch verlaufene Ratssitzungen und kirchenpolitische Erörterungen innerhalb der Nürnberger Bevölkerung, namentlich deren Haltung im Bauernkrieg, mochten damals nach außen gedrungen sein. Der bayerische Kanzler Leonhard Eck wußte für das Jahr 1525 darüber seinem herzoglichen Herrn mancherlei zu berichten. Eine interessante Äußerung in dieser Hinsicht über Christoph Fürer enthält ein Brief des bayerischen Kanzlers an Herzogs Wilhelm IV. vom 27. Februar 1525. Der Nürnberger Kriegshauptmann Christoph Kreß befand sich damals im Kampfe gegen die auf­ rührerischen Bauern und kam beim Schwäbischen Bundesrat häufig mit dem bayerischen Kanzler zusammen. In seinem Brief an den herzoglichen Herrn schrieb nun Eck1): »/Muß Euer fürst­ lichen Gnaden einen guten Schwank anzeigen. Als diese Tag im Rat und außerhalb dieser Aufruhr halben disputiert und angezeigt worden, daß die lutherischen Prediger daran schuldig, als auch niemand widersprechen mag, ist mir Christoph Kreß in viel Reden zugefallen und daneben auch zu verstehen gegeben, daß es seinen Herrn nicht mehr möglich sei, Wendung zu thun. Und versteh wohl, daß es der neuen Lehr halb unter den Ratsherrn nicht gleich. Ich merk auch, daß der Kreß und etliche anderen dawider sind und unter anderen Reden sagt er: Als er jetzt (von Nürnberg) allher reiten wollen und ihrer etliche auf dem Platze bei einander gestanden, der und ander Sachen halben Rede gehalten, wie sich dann zuträgt, hätte Christoph Fürer öffentlich angefangen und zu ihm, dem Kressen, gesagt, so er zu mir komme, solle er mir sagen und bitten, daß ich und alle Räthe Eurer fürstlichen Gnaden rathen wollten, die Lutherischen nicht eindringen zu lassen und daß Euer fürst­ lichen Gnaden und derselben Landschaft treulich davor ver­ hütet wurden (das gleichwohl nicht allen gefallen), denn es wäre nichts Gutes daran". Daß Fürer eine derartige Warnung an den ihm persönlich bekannten bayerischen Herzog gelangen ließ, kann man wohl *) Vgl. Jörg, J. E., Deutschland in der Revolutionsperiode 1522 - 1526 aus den diplomatischen Correspondenzen und Originalakten bayer. Archive dar­ gestellt. Regensburg 1851. S. 152. 157.

240 annehmen, dagegen ist es nicht sicher, ob der ganze Bericht des schlauen Kanzlers den wirklichen Mitteilungen des Nürn­ berger Diplomaten und Kriegsherrn Christoph Kreß gerecht wird. Wenn Leonhard Eck auch Christoph Kreß als einen ausgesprochenen Gegner Luthers bezeichnet, so entspricht dieses nicht den historischen Tatsachen. Bei seinen verschiedenen Unterredungen konnte dem bayerischen Kanzler unmöglich ver­ borgen bleiben, welches große Interesse Kreß an der Sache Luthers nahm. Wie wir aus den weiteren Korrespondenzen des Kanzlers mit Herzog Wilhelm ersehen hat Eck öfter kirch­ liche Fragen mit Kreß besprochen, der ihm sogar die neuesten lutherischen Schriften zustellte oder mit dem Inhalte bekannt machte. Auch verwandte sich Kreß bei dem Kanzler dringend für die Befreiung eines Bürgers, der wegen seiner lutherischen Gesinnung in München festgehalten wurde. Christoph Kreß hat sich sehr bald dem neuen Bekenntnis angeschlossen und ist demselben auch treu geblieben, wovon sein Verhalten als Nürnberger Gesandter auf den verschiedenen Bundes- und Reichs­ tagen Zeugnis ablegt. Allerdings mochte es dem ehrlichen und klugen Kreß seit 1523 manchmal schwer fallen, die wechselnde Haltung seiner Vaterstadt in den politischen und kirchlichen Fragen, welche zuweilen den neugläubigen Reichsständen und 0 Aus den Bundeshandlungen im Lande zu Schwaben de anno 1523 — 1525 Nr. 11. (Bundssachen de anno 1523—1525 im Geheimen Staatsarchiv München) kommen noch zwei Briefe des bayerischen Kanzlers Dr. Leonhard Eck an Herzog Wilhelm für uns in Betracht. In dem einen vom Freitag nach Luciae (18. Dez.) 1523 schreibt derselbe „Dr. Luther hat ein deutsch predigt geschrieben und drucken lassen, wie die unlerthanen iren Obrigkeiten untertenig sein sollen. Das hat mir Christof Kreß zugestellt“. In dem andern vom 8. Februar 1525 heißt es: „Ich pin von dem Kressen allhie gepeten worden, pey euer f. gn. zu fördern, das der Tichtl auß fangknus kum und doch daneben von dem Kressen vermerkt, das er für die luterisch sey und dermassen ich gedenke, Tichtl mocht sich gein Nürnberg thon. Wollen demnach euer f. gn. pedacht sein, wenn er ausgelassen, das im eingepunden werde, sein leyb und gut ausserhalben eurer fürstlichen gnaden willen und wissen zu verucken, dann daran nit wenig gelegen sein will“. Die Dichtei waren ein Münchener Geschlecht und auch am Starnberger See begütert (Schloß und Hofmark Tutzing). Vielleicht ist hier der herzog­ liche Pfleger von Starnberg, Bernhard Dichtei gemeint, ein in Nürnberger Han­ delskreisen wohlbekannter Mann, der wegen seiner lutherischen Gesinnung 1524 in München gefangen gehalten wurde. Dessen Tochter Sibylla war seit 1526 mit dem Nürnberger Ratsherrn Hieronymus Baumgartner verheiratet. S. Mitt. d V. f. Gesch. der Stadt Nürnberg X, 245 f. Ein Augustin Tichtel von München „jeezt burger in Nürnberg“ wird von Pankraz Schwenter in seiner Chronik zum Jahre 1522 erwähnt. (Ebd. XIII, 284. Vgl auch J. F. Roth, Gesch d. nbgischen Handels I, S. 372ff.

241 selbst dem Wittenberger Reformator verdächtig erschien, genügend zu rechtfertigen. Soviel steht aber fest: wenn Nürnberg in den für die Befestigung der neuen Lehre so wichtigen Jahren 1529 und 1530 sicherer und klarer auftrat, wenn es sich noch recht­ zeitig für die unverkürzte Annahme der Augsburger Bekenntnis­ schrift entschloß, so hat hiezu auch die unentwegte Mitwirkung seines Gesandten Christoph Kreß wesentlich beigetragen *). Und doch war dieser persönlich allen dogmatischen Streitigkeiten abhold, wie wir dieses aus seinem Briefe vom Speyerer Reichs­ tag 1529 an seinen Freund Christoph Fürer ersehen*2). Fried­ fertigen Sinnes mißbilligte er gewiß manche rücksichtslos durch­ geführten Ratsbeschlüsse gegen die Altgläubigen sowie beson­ ders gegen die reichsstädtischen Klöster. In dieser Hinsicht weiß uns Charitas Pirckheimer einen köstlichen Fall zu berichten. Der Nürnberger Rat hatte bestimmt, daß die der neuen Lehre zuneigenden Mönche und Nonnen ihre Klöster ungehindert ver­ lassen könnten, die verbleibenden dagegen ihre Ordenskleider mit weltlichen vertauschen müßten. Vergebens baten diese um Zurücknahme dieser drückenden Auflage. „Die Frauen zu Pillenreut", schreibt die Äbtissin von St. Klara, „hatten sich gar hoch beschwert ihr Ordenskleid hin­ zulegen; hätt ihre Schafferin Magdalena Kressin3) ihren Bruder, Herrn Christoph Kressen, der dazumal ein Burgherr war, ge­ beten, er sollte ihr helfen, daß sie ihr Kuttelein möchten anbehalten. Der hat zu den Ratsherrn gesprochen: „„Ich hab meiner Schwester geheißen, habe sie nicht an einer Kutte (genug), daß sie drei übereinander lege. Ich will sehen wer es ihr wehren will oder die abziehen."" Da meinet man", so tröstete die Äbtissin sich und ihre Ordensgenossen, „wenn sie es behielt, so würden wir der Sache auch genießen, wenn wir anders einträchtig auf einer Meinung verharrten". Diese Episode erinnert an die Antwort, *) Vgl. Schornbaum, K.,*die Politik der Reichsstadt Nürnberg vom Ende des Reichstages zu Speyer 1529 bis zur Übergabe der Augsburgischen Kon­ fession r530, in den Mitt. d. V. f. Gesch. d. Stadt Nürnberg XVII, S. 178ff. ;Nutzen und Frommen" angelegt werden. Wie bereits bekannt, wurde Fürer schon als Ratsherr und auch sonst, namentlich durch die Reichsversammlungen, mit vielen Fürsten, einflußreichen Staats­ männern und anderen hohen Persönlichkeiten bekannt; er nützte aber diese Beziehungen nicht zu seinem Vorteil aus. Der Bruder des Kaisers, König Ferdinand I., war ihm besonders gewogen. So schrieb ihm vom Speyerer Reichstag d. d. 19. April 1529 Christoph Kreß1), wie er, Fürer, durch seinen Ratschlag über die J) S. Mitt. d. V. f. Gescb. d. St. Nürnberg.

V. S. 227.

249 Münz- und Türkenfrage beim Könige große Ehre, Lob und Dank, Gnade und viel Ruhm erlangt hätte, «Es ist schade, daß ihr nicht arm sein sollt, welches ich euch doch nicht gönnen wollte, dann gewißlich ein armer Geselle durch das Stück und diesen Handel reich und zu einem großen Herrn werden möcht; und weiß soviel, daß königliche Majestät euch gerne sehe, hätte und unterhielt und euch, was möglich wäre, gewähret. Darum wollet darnach bedacht sein, wie mir an euch nicht zweifelt, was ihr an sein Majestät begehret, daß ihr des bei ihm statt und weg finden und wohl nutz machen könnt; dann zu Hof soll man nichts vergessen oder dahinden lassen". Bei Fürer fruchtete dieser Rat nicht. Als in höherem Aufträge Matthias von Trau­ dorf bei Fürer anfragen ließ, ob er bei der Verbesserung seines Familienwappens eine Krone oder einen Turnierhclm vorziehe, antwortete dieser in einem Briefe an Leonhard Stockheimer (Geschlechtsbuch Fol. 569 v) «Mein Gemüt nicht steht eine Krone noch Turnierhelm zu haben, denn ich nicht will andern Ursach geben, solches auch durch Fürbitte oder Geld zu er­ langen, dieweil es eine vergebene Hoffart ist, die mehr Neid und Haß als Nutzen und Frommen gebiert. Derhalben begehre ich nicht mehr dann ein Stück von einem Adler, wie ich dann habe anfangs begehret in mein Wappen zu setzen". Zur Begrün­ dung seiner Bitte wies er auf seine kriegerische Tätigkeit in Italien, im Landshuter und im Württemberger Kriege hin, wo er dem Kaiser «mehr aus Ehre und getreuen Gemüt als von Nutzen wegen" getreulich gedient habe. So blieb Christoph Fürer zeitlebens der einfache bescheidene Mann, der sich mit Stolz als freier Bürger fühlte und sich als solcher in seinem Tun und Lassen stets bewährte. Mitten aus einem arbeits- und mühevollen Leben schied Christoph Fürer nach kurzer Krankheit unerwartet am Sonntage, den 29. April 1537 nahezu achtundfünfzigjahre alt. Sein Testament1) J) Aus Christoph Fürers Testament, Geschlechtsb. Fol. 264 ff.: ... So der allmechtig, mein gott und Schöpfer, nach seinem willen, zu dem ich mich gentzlich ergebe, mich aus diesem leben und jamertal wirt nemen, so ist erst meine pedt an meine liebe hausfrau und kinder, sie wollen meinen leib in meinem hauß aufgepart, den andern tag früe gepart auf einem wagen mit ver­ decktem tuch laßen laden und denselbigen one alles gepreng oder vergleitung allein mit zweyen zu roß, so mitreiten sollen, zu der statt aus des nechsten gein Genadenberg fürn und allda vor unseren altar begraben lassen, den closter-

250 enthielt genaue Bestimmungen über eine einfache Trauerfeier und zugleich die Angabe, warum er nicht in der Nürnberger Geschlechtsgruft, sondern in Gnadenberg ruhen wollte. Sein Leichnam wurde aus Haimendorf «von den Obristen und viel guten Leuten ehrlich belaitet“ nach Gnadenberg geführt und in der großenteils aus Mitteln seines Geschlechtes neuerstan­ denen Klosterkirche vor dem Fürerischen Altäre beigesetzt. Durch die Zerstörung des herrlichen Gotteshauses 1635 ist Fürers Grabstätte in tiefen Schutt versunken. Am treffendsten zeichnet G. W. K. Lochner die charakteristische Persönlichkeit Christoph Fürers in dem Schlußsatz zu seiner biographischen Skizze: »Nürnberg verlor an ihm einen Bürger, der im Krieg und Frieden, im Rat und auf dem Markte, am Kaiserhofe und im ehrbaren Bürgerhaus seine Zierde und seine Stütze war und dessen jederzeit, wenn man die tüchtigsten und edelsten Männer jener Zeit nennt, mit ehrender Erwähnung gedacht werden muß" ]). leutcn 50 fl. meint halben schenken, die zu irer notturft im closter zu verzern. Und daß ich nit zu Nurmberg wil begraben ligen, kumt nit aus verenderung der begrebnuß, sunder darauß, daß ich Heber pei den gehorsamen irren dan bey den ungehorsamen, eigennützigen wil begraben ligen. Der almechtige gott schicks mit meiner seel nach seinem göttlichen willen; ich beger und pidt umb genad und parmherzigkeit und keiner gerechtigkeit . . .« S. auch meine Abhandlung: Aus dem Briefwechsel der Nürnberger Patrizierfamilie Füier von Haimendorf mit dem Kloster Gnadenberg 1460—1540. Separatabdr. a. d. Verh. des Hist. Vereins der Oberpfalz und Regensburg, Bd. XLV. S. 7 ff. J) Christoph Scheurl charakterisiert in seiner „Kurtzen Beschreibung der Fürer stammen, Geschlechts, Heyraten und Freundschaft etc.“ (Archiv der v. Scheurl, früher im Germ. Nationalmuseum Nürnberg) Christoph Fürer u a. folgendermaßen : »Er war ein scharfsinniger köpf, hat des bauens großen verstand, was so sinnreich und anschlegig, daß er ganz Nürnberg auf einen tisch entwarf und eines jeden bürgers hauß anzeiget. Und verfasset keys. May. und dem heiligen reich zu wolfart und aufnemen undertheniger getreuer mainung etlich fürschlag, mitel und weg. . . Er w*ar des Raths anno 1513 bis auf 1528, das er sich des beharrlich erweret; herrn Christoffen Kreßen, gemeiner statt und kriegshaupt­ mann, was er ein angenehmer Schwager, teglicher und lieber freund. Unerbaren bösen Sachen was er gehaß und feind, hat sich weder gold noch silber bewegen lassen, hohes oder niederes Stands zu heucheln, fuchsschwentzen oder federklauben. Seiner mainung wie Paulus 1. Teß. 2 leret, beharret er standhaft, ob tausend dawider gewesen weren, bis er eins beßern bericht ward. Neue geschrei, opinion und leren annam er sehr langsam, volget Christo Mathei 24: So euch jemand wird sagen, hie oder dort ist Christus, solt ihrs nit glauben 4. Es folgen dann noch die Bibelstellen Jeremias 7 : »Ihr solt nit vertrauen in der lügner wort, wenn sie sagen, des Herrn tempel, des Herrn tempel“. „Er west wol, daß gottswort nit aufm ermel stehet, sonder in getreuer vleißiger haltung seiner heiligen gebot, davon Ezechiel 19: »Wer in gottes geboten wandelt, der ist gerecht, der wird leben und nit sterben, wie Christus, Mathäus am 7., selbs sagt“.

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IV. Christoph Fürers Denkwürdigkeiten. Geschlechts- und Geheimbuch der Fürer von Haimendorf. — Christoph Fürers fragmentarische Lebenserinnerungen. — Seine Ratschläge, Bedenken für den Kaiser, den König, die Stände des Reiches sowie den Nürnberger Rat über Religion, politische, kriegs- und staatswirtschaftliche An­ gelegenheiten. In den bisherigen Abschnitten haben wir die wichtigsten Züge aus Christoph Fürers Leben, seine Bedeutung als Kaufmann, Ratsherr und Krieger sowie seine charakteristische Stellung zu den religiösen und politischen Bewegungen seiner Zeit dargestellt. Es erübrigt noch, seine zahlreich hinterlassenen Aufzeichnungen kennen zu lernen, von denen wir nur einzelne für seine Lebens­ geschichte heranzogen. Abgesehen von einem weitverzweigten Briefwechsel und einer kürzeren Familiengeschichte nehmen hierin seine noch wenig bekannten Gutachten, Bedenken und Ratschläge theologischen, politischen, staatswirtschaftlichen und kriegstech­ nischen Inhalts, zum Teil für Kaiser und Reich bestimmt, den ersten Rang ein. In ihnen spiegeln sich die gewaltigen Ereig­ nisse seiner Zeit oft in scharfen Zügen wider, und sie dürfen mit Recht als beachtenswerte Denkwürdigkeiten zur Geschichte des 16. Jahrhunderts bezeichnet werden. In dem Familienarchiv der Fürer zu Haimendorf sind die Originalaufzeichnungen Christophs des Älteren leider nur zum Teil noch vorhanden; dagegen finden wir für dieselben dort Ab­ schriften, meist dem 17. Jahrhundert angehörig. Man darf es als eine glückliche Tat betrachten, daß nämlich in den Jahren 1630 und 1631 ein Nachkomme Christophs, der gleichnamige Christoph Fürer von und zu Haimendorf auf Oberwolkersdorf, des älteren geheimen Rats und dritter Obrister Hauptmann der Reichsstadt Nürnberg, alle ihm zugänglichen, auf die Geschichte und den Besitzstand seines Geschlechts bezüglichen wichtigen Urkunden, Akten und Briefe sammelte, sichtete und sie durch seinen Amanuensis Melchior Lößl, Registrator der Nürnberger Ratskanzlei, abschreiben ließ. Es sind drei stattliche Foliobände in schwarzem Leder, ehedem mit reicher Goldpressung und Wappenschildern sowie mit kunstvollen Klausuren und Eckspangen versehen. Jeder

252 Band enthält gegen 700 Blätter. Die Schrift ist tadellos. Für die Lebensgeschichte Christoph Fürers wurde von uns das Ge­ schlechtsbuch1), für die übrigen Denkwürdigkeiten das Geheim­ buch2) herangezogen. Der dritte Band, meist den Familienbesitz­ stand und die Rechtsverhältnisse desselben enthaltend, blieb für unsere Zwecke außer Betracht. Noch kurz vor seinem Tode, 1536, verfaßte Christoph Fürer der Ältere eine gedrängte Geschichte seines Geschlechtes, « weicher­ maßen ers in büchern und briefen gefunden, auch wie ers von seinem vatern gehört hat" (Geschlechtsbuch Fol. 553). Höchst­ wahrscheinlich wurde er hiebei, wie so mancher Patrizier damals, von dem um die kritische Erforschung der Nürnberger Ge­ schlechterhistorie verdienten Humanisten und Ratskonsulenten Dr. Christoph Scheurl angeregt. Denn gerade dieser hatte sich bei seinen genealogischen Arbeiten über die ihm verwandte Familie der Tücher auch mit dem Fürerischen Geschlechte beschäftigt und eine «Beschreibung der Fürer stammen etc." dem Siegmund Fürer zugeeignet. Wenn Fürer als Ausgangs­ punkt seines Geschlechtes Straßburg bezeichnet, woher es nach dem Tode Karls des Großen wegen der durch französische Umtriebe hervorgerufenen Unruhen und aus Anhänglichkeit an Deutschland nach den Städten Speyer, Worms und Mainz auswanderte, so beruft er sich auf die Familientradition. Das Bestreben, ein Geschlecht in möglichst ferne Zeiten zurück­ zuversetzen und ihm dadurch eine größere Bedeutung zu ver­ leihen, ist erklärlich; wir begegnen diesem Verfahren nicht allein in den damaligen sondern vornehmlich in den späteren *) Geschlechtsbuch der Fürer von Haimendorf; von derselben Ankunft, Stammen, Geburt, Heirat und Sippschaft, auch Leben, Wandel und Absterben. Beschrieben durch Christoph Fürer von und zu Haimendorf auf Oberwolkersdorf, des eitern geheimen Rats und dritten Obristen-Hauptmann der hl. Reichsstadt Nürnberg. Im Jahr nach Christi unsers liebsten Herrn, Erlösers und Seligmachers Geburt 1631. 717 Folioseiten. *) Geheimbuch über die in gemainer Fürerischen Versperr verwahrte brief­ liche Urkunthen von dem burklicken Gepeu und Befestigung des Fürerischen Stamhauß Haymendorf etc. etc Letzlich von Fürerischen Ratschlägen und Missionen an Kayser, König, Churfürsten und Herrn. Alles in zwanzig Haupt­ titel abgeteilt und zusammengetragen durch Christoph Fürer von und zu Haymen­ dorf, des Eltern gehaimen Rats und dritten Obristen-Hauptmann der löblichen freyen Reichsstadt Nürnberg im Jahr nach Christi unsers allerliebsten Herrn und Seligmachers Geburt 1630. Geschrieben durch seinen Ammanuensis Melchior Lösel, Registrator der Ratskanzlei. 664 Folioseiten.

253 Familienchroniken immer wieder. Über den Zeitpunkt und unter welchen Verhältnissen sich sein Geschlecht in Nürnberg nieder­ gelassen hat, ist Christoph Fürer wenig unterrichtet. »Das kan ich, noch nimand wißen, dan, da man 1335 gezehlet hat, da seint zwen Fürer in Nürnberg gewest", schreibt er. Erst mit diesem Jahre steht er auf urkundlichem Boden; und doch wissen wir, daß die Fürer schon 1274 in Nürnberg wohnten. Bei der Beurteilung der einzelnen Geschlechtsgenossen und ihrer Lebens­ verhältnisse stützt er sich, wenn immer möglich, auf urkund­ liche Belege, ermangeln diese, so fügt er treuherzig hinzu: wist mir nit wissent" oder whab das nit erfahren". Er ist sichtlich bestrebt, sein Urteil namentlich über die ihm zeitlich näher stehenden Geschlechtsgenossen und deren Lebensverhältnisse möglichst objektiv zu gestalten; nichts hält ihn ab, dasselbe in einzelnen Fällen sogar mit einer gewissen Schärfe auszudrücken. Für die Zeitverhältnisse interessant sind die Nachrichten über seinen Ahnherrn Siegmund Fürer I. (1400—1450). Derselbe hatte schon frühzeitig Kriegsdienste genommen, in Mähren gegen die Böhmen gekämpft und 1450 an der Schlacht der Nürnberger bei Pillenreut gegen den Ansbacher Markgrafen teilgenommen. Von ihm rührte auch jene « sonderliche Kriegsordnung" her, welche er noch kurz vor seinem Tode dem Rate der Vaterstadt über­ gab1), von der der Enkel rühmte, daß daraus gemeiner Stadt Nürnberg viel Gutes ersprossen wäre. Den biographischen Notizen über seinen Vater Siegmund II. reiht Christoph Fürer seine eigenen Lebenserinnerungen an. Sie sind ziemlich kurz gehalten und lückenhaft. Mit Vorliebe verweilt er bei den Lichtpunkten seiner Jugend, den kaufmännischenLehr- und Wander­ jahren, seiner Teilnahme an Kampfspielen sowie der kriegerischen Tätigkeit in Italien und vornehmlich in Württemberg 1519. Als oberster Hauptmann des Nürnberger Kontingentes im Schwäbischen Bundesheer während des Herbstfeldzuges 1519 gegen Herzog Ulrich wäre Christoph Fürer für eine größere Beschreibung des Württemberger Krieges entschieden befähigt und berufen gewesen. Stand er doch mitten im Kampfe und und unterrichtete den Rat stets eingehend über den wechselnden ’) S. über diese Kriegsordnung Reiche, E., im Sonntags-Kurier (Unter­ haltungsbeilage zum Fränkischen Kurier, Nürnberg Nr. 30/31. 26. Juli 1926).

254 Gang der Ereignisse aus dem Feldlager. Wie wir aus Einträgen im Fürerischen Geschlechtsbuch ersehen, hat er auch wichtiges Quellenmaterial gekannt, aber zu einer eigentlichen größeren Darstellung des Krieges kam er nicht mehr. So erzählt denn der 56jährige Kriegsmann im Rahmen seiner Lebens­ geschichte schlicht von den gewonnenen Eindrücken und den persönlichen Erlebnissen während des Feldzuges. Nach Inhalt und kritischer Behandlung des Stoffes stehen diese Denkwürdig­ keiten Fürers entschieden hinter Augustin Kölners Beschreibung des zweiten Württemberger Feldzuges zurück. Hervorzuheben ist jedoch Fürers anschauliche und lebhafte Darstellung einzelner kriegerischer Operationen, wie der Erstürmung des Hedelfinger Berges und des dortigen Burgstalles; er hat auch hier wie sonst eine besondere Vorliebe für philosophische und moralische Nutz­ anwendungen, welche er auf bestimmte historische Ereignisse anwendet *). Wie dürftig und kühl sind die Notizen Fürers in der Selbst­ biographie zum Jahre 1515 über seine Ratsbotschaft an das Hof­ lager Maximilians I. und welche tief patriotischen, begeisterten Worte für die kaiserliche Majestät findet er in seinem Bedenken «vom Kaiser", das er dem Nürnberger Rate zueignete! Zwischen dem Kaiser und den Reichsstädten waren damals die Beziehungen überhaupt sehr rege. Bei seinen Mißerfolgen in der äußeren Politik, von den Fürsten und dem Adel verlassen, richtete Maxi­ milian immer wieder seine Blicke auf die reichen Gemeinwesen, die er durch allerlei Vorrechte an sein Interesse zu ketten suchte und die er, obgleich selbst machtlos, in ihrem Kampfe mit selbst­ süchtigen Reichsständen und rauflustigen Plackern zu schützen versprach. Auf seinen Besuch am Kaiserhofe und dem Empfang durch den leutseligen Maximilian kam Fürer in seinen Denk­ würdigkeiten noch öfters zurück, wie jener der Nürnberger Ge­ sandtschaft versicherte, daß die Treue der Städte gegen das Reichsoberhaupt die einzige Rettung ihrer Selbständigkeit wäre, «dieweil dann von Art alle deutschen Fürsten und aller Adel *) Vgl. meine Abhandlung: Nürnberger Ratskorrespondenzen zur Ge­ schichte des Württemberger Krieges 1519, namentlich Christoph Fürers Denk­ würdigkeiten über den zweiten Bundesfeldzug gegen Herzog Ulrich (Württemb Vierteljahrshefte f. Landesgeschichte. Neue Folge XIII. Stuttgart 1904. S 233/270).

255 den großen Städten und Reichtum der Bürger feind sein, Tag und Nacht trachten, wie die zu dämpfen und zu unterdrücken sein möchten; derhalben dann die Städte außerhalb ihrer selbst niemand haben, der sie schützen oder schirmen kann, dann der Kaiser". Schöne und gewiß auch wohlgemeinte Worte Maximilians, denen aber bei seiner großen Machtlosigkeit wenig Taten folgen konnten. Immerhin bewirkten derartige Versprechungen gar oft, daß die Reichsstädte der chronisch gewordenen Geldnot des Kaisers durch Darlehen und erhebliche Geschenke zu Hilfe kamen. Es ist zu bedauern, daß Fürers Selbstbiographie so frühe ab­ bricht; sein unerwarteter Tod mochte ihrer Fortsetzung ein Ziel ge­ setzt haben. Eine eigeneDarstellung der wichtigsten Lebensperiode, seiner Handelstätigkeit, des Ratsherrnamtes, seiner Beziehungen zu bedeutenden Persönlichkeiten und den gewaltigen Bewegungen seiner Zeit wäre gewiß von besonderem Reiz und mit manchem historischen Gewinn verbunden gewesen. Glücklicherweise be­ sitzen wir nun zu all den genannten Fragen in dem Fürerischen Geschlechts- und dem Geheimbuch Abschriften der wichtigsten Aktenstücke, Gutachten, Ratschläge und Korrespondenzen, welche die fragmentarische Selbstbiographie ergänzen und uns ein ab­ schließendes Bild von Christoph Fürers ausgedehnter Lebenstätig­ keit gewähren. Nach ihrer Abfassungszeit geordnet sind es u. a. diese: 1. Christoph Fürers Ratschlag über die Reichsmünze, so er kais. Statthalter und Räten des kais. Regiments zu Nürnberg übergeben (30. Dez. 1523). Geheimbuch Fol. 583—586. 2. Fürers Verzeichnis und Rechnung des Geschützes und der Munition bei dem Fränkischen Kriegszug, als der Schwäbische Bund die räuberischen Schlösser zerbrach, welche er Christoph Kreß auf den Ulmer Bundestag mitgab (um Michaelis 1523). 3. Was die Regenten der Stadt Nürnberg tun und meiden sollen (um 1528). Geheimb. Fol. 643ff. 4a. Fürers Ratschlag, wie eine ansehnliche beharrliche Hilfe wider die Türken vorgenommen und ohne sondere Be­ schwerung der Stände im Reich in das Wesen gebracht werden möchte, welche er nach Speyer zu der Reichsversammlung geschickt den 8. April 1529. Geheimb. Fol. 603 ff.

256 4 b. Fürers Anschlag des Geschützes und der Artillerie zu dem Kriegszug wider den Türken, als derselbe vor Wien ge­ legen. 1529. Geheimb. Fol. 633—639. 5. Ratschlag Chr. Fürers wider den Türken, sonderlich wider Frankreich und die ungehorsamen Stände des römisches Reiches, so er Kaiser Karl V, als er noch in Spanien war, überschickt. 1530. 6 a. Ratschlag Chr. Fürers zu Erhaltung Friedens und Rech­ tens im Reich wider den Türken und der Bauern Aufruhr, so er Kaiser Karl V und den Kurfürsten auf ihr Begehren bei dem Reichstag zu Augsburg übergeben hat. 1530. Geheimb. Fol. 619 ff. 6 b. Ratschlag auch auf das Geschütz, weichergestalt ein allge­ meiner Zug wider den Türken von gemeinen christlichen Landen aufzubringen, so Christoph Fürer über vorigen Ratschlag wider den Türken, so er zu Speyer auf dem Reichstag 1529 über­ gab und dann dem Reichstag zu Augsburg auf Begehren über­ reicht 1530. Geheimb. Fol. 616ff. 7. Chr. F. Sendbrief neben seinem Münzvorschlag an König Ferdinand I. 1531. Geheimb. Fol. 588. 8. Diskurs Chr. F. von der Ehre und Würde Deutschlands, auch von der Wahl der römischen Kaiser und Warnung vor den Königen in Frankreich (ohne Datum). Geheimb. Fol. 630ff. 9. Ratschlag Chr. F. an Herrn Karl V., römischen Kaiser, und Herrn Ferdinand I., ungarischen und böhmischen König, wider die ungehorsamen Stände des Reiches, so Fürer der röm. königl. Majestät durch seinen Sohn Christoph nach Prag gesandt (17. Juli 1534). 10. Ratschlag Chr. F. wider den König von Frankreich für Kaiser Karl V., als er mit einem Heer nach Frankreich zog. 1536.. 11. Ratschlag Chr. F. an Herrn Christoph von Ebleben, der mit 100 Edeln mit Karl V. nach Frankreich zog. 1536. 12. Fürers Schreiben und Gutachten an Christoph Kreß und Klemens Volkamer auf den Städtetag zu Ulm von dem Bund der Kreisstände des Reiches, wider die Aufruhr der Bauern (ohne Datum). Geheimb. Fol. 635ff. 13. Fürers Schreiben und Bedenken auf Herrn Klemens Volkamers Ratschlag von den Bündnissen der Kreisstände zu

257 Deutschland, von dem Könige von Frankreich und dem Zwiespalt des Glaubens in Deutschland. 9. April 1537. Seine «Ratschläge, Bedenken, Missive an Kaiser, König, Kurfürsten, Stände und Privatpersonen, von Religion, Kriegsund politischen Sachen" in dem Geheimbuche Fol. 583—635 sind merkwürdige Schriftstücke, die Fürer schon vielfach die Anerkennung seiner Zeitgenossen eintrugen. Wegen des mir in diesem Hefte der Vereinszeitschrift gebotenen beschränkten Raumes können nur die wichtigsten zur näheren Betrachtung hcrangezogen und einige derselben im Anhang aus dem Fürerischen Geheimbuch mitgeteilt werden. In dem aus vier Abschnitten bestehenden Bedenken: «Was die Regenten der Stadt Nürnberg tun und meiden sollen", findet der scheidende Ratsherr gar ernste Worte für seine Kollegen; es zeigt zugleich die tiefe Auffassung Fürers von den Pflichten eines solchen Amtes und wirft interessante Streiflichter auf das Wesen und Wirken des damaligen Stadtregimentes. Die eigentliche Regierung gebührt, so hebt Führer besonders hervor, seit altersher den ratsfähigen Geschlechtern, aber nur den tüchtigen Gliedern derselben. Fänden sich bei den einzelnen Familien keine geeigneten Männer zum Ratsherrnamt, so rät er, neue ehrbare Geschlechter «wo nicht im Herkommen von 200 Jahren, von 100" heranzuziehen. Ein ehrbarer Wandel der Ratsherren, Klugheit, friedfertiger Sinn und Gerechtigkeit bieten die größte Gewähr für die Ordnung und Eintracht sowohl im Stadtregiment als in der Bürgerschaft. Dadurch entstehe auch das auf Vertrauen gegründete gegenseitige ersprießliche Ver­ hältnis, welches für das allgemeine Wohl eine größere Gewähr biete als das geschriebene Gesetz. An den Ratsverhandlungen hat Fürer mancherlei auszusetzen; man befasse sich u. a. dort oft zu lang mit geringfügigen Händeln, während die reifliche Erledigung wichtiger Staatsangelegenheiten auf sich warten ließe. Der übertriebene Aufwand des gemeinen Bürgers namentlich an Kleidung, Schmuck und üppiger Lebenshaltung gibt Fürer Veranlassung zu ernsten Klagen; jener spare zu wenig für die Zeit der Not und er falle dadurch allzu früh dem Stadtalmosen anheim. Von allen seinen Mitbürgern verlangt er Liebe, Treue und Gehorsam für das Reichsoberhaupt, «das sich je und je 17

258 gut städtisch erzeigt hat", und er gibt zugleich die Mittel an, wie diese Pflichten gefördert und erhalten werden. Über die materiellen Vorteile der in Nürnberg tagenden Reichsversammlungen scheint man damals in der städtischen Bevölkerung geteilter Meinung gewesen zu sein, indem man durch jene nicht nur eine allgemeine Teuerung der wichtigsten Lebensbedürfnisse, sondern auch allerlei Verwicklungen mit den zahlreichen fremden Gästen befürchtete. Diesen Anschauungen tritt nun Fürer mit der Behauptung entgegen, daß Nürnberg nicht minder durch die Reichstage als durch den Handel »ins Gepäu, Wesen und Zunemen ist kommen" und aus jenen stets großen Nutzen gezogen habe. Eine Reihe seiner Vorschläge sucht die bisherigen, für die Dauer der Reichstage erlassenen Polizeiordnungen zu verbessern, zu ergänzen und eine strengere Handhabung derselben zu fordern. Christoph Fürers theologisehe Anschauungen und «Bedenken" kennen wir bereits aus seiner Lebensgeschichte und aus Lochners mehrerwähnter Schrift, die wir im Anhang noch durch einige weitere Stücke ergänzen. Fürers Ratschlag über die Reichsmünze ])Die Klagen über die zunehmende Zerrüttung des Münzwesens war am Ende des 15. Jahrhunderts immer allgemeiner geworden und überall erscholl der laute Ruf nach einer einheitlichen Münz­ ordnung und einer strengeren Durchführung derselben in den deut­ schen Landen. Über den Goldguldenfuß, soweit er im weiteren Ver­ kehr maßgebend war, hatten die Fürsten zwar schon lange unter sich Vereinbarungen getroffen, denen die Kaiser auch als Reichsgesetze Geltung zu verschaffen suchten, aber für die gesunde Ordnung der vielgestaltigen und an Metallwert immer mehr sich ver­ ringernden Silbermünze geschah von jeher sehr wenig. Was nützte es, daß die älteren Reichstagsabschiede immer wieder *) Wir folgen hier den Akten über das Münzwesen auf den Reichstagen seit 1522ff. im Geheimen Staatsarchiv zu München. Fürers Münzvorschlag findet sich hier als Kopie in dem herzogl. bayerischen Akt, Kasten blau 270/3 fol. 244—251 mit der Überschrift: „Die muntz belangend14. Vgl. auch Deutsche Reichstagsakten IV. 509. Anm. 3. Jüngere Reihe IIIB. Ich habe die Münchener Kopie mit der aus dem Fürerischen Archiv verglichen und die Abweichungen der ersten im Text (S. Anhang) mit M vermerkt. Von der einschlägigen Literatur wurden namentlich benutzt: Pückert, Das Münzwesen Sachsens 1518—1545* x- Habilitati­ onsschrift, Leipzig 1862,8°, Möllenberg, W„ Die Eroberung des Weltmarktes durch das mansfeldische Kupfer. Gotha 1911. 8° und dessen Urkundenbuch, vgl. S. 217-

259 die Notwendigkeit eines einheitlichen Korns für die Silbermünzen betonten, in den maßgebenden eigennützigen Kreisen der zahl­ reichen Münzherrn kümmerte man sich nicht um diese Vorschriften; bei der Machtlosigkeit der Kaiser, bei der allbekannten Ver­ schleppungspolitik auf den Reichsmünztagen wurden die Verhält­ nisse mit jedem Jahre trostloser. Der Reichstag zu Worms 1521, wo entsprechend der Wahl­ kapitulation Karls V. auch eine feste Münzordnung zustande kommen sollte, zeigte so recht das erbärmliche Gebaren der an dieser Regelung zunächst beteiligten Kreise genau wie schon wenige Jahre vorher die Reichstage in Freiburg, Lindau und Köln. Der Wormser Reichstagsabschied 1521 klagt mit Recht: wEs hat uns der tägliche Fall der Münze, der je länger je mehr gemeinem Mann zu Schaden erwächst, bewegt das nottürftig Einsehen zu tun und die Münze beider Gold und Silbers in ein statthaftig Wesen, zu richten“ *). Der kaiserliche Befehl an die Münzherrn, zu einer weiteren Tagung ihre Wardeine und Sachverständigen nach Worms zu senden, blieb ebenso erfolglos wie der Vor­ schlag, während dieser Zeit das Prägen aller Gold- und Silber­ münzen außer der Münzstätte zu Hall in Tirol zu unterlassen. Die Kämpfe der Reichsstädte mit den Reichsständen wegen der Unterdrückung der großen Handelsgesellschaften und ihrer Monopolien, die Einführung eines allgemeinen Reichszolles, aus dem hauptsächlich die Kosten des neugeschaffenen Reichsregi­ mentes und des Reichskammergerichtes bestritten werden sollten, sowie die kirchliche Frage drängten damals andere wichtige Angelegenheiten, namentlich auch jene über die Münze, in den Hintergrund. Die deutschen Handelsstädte, Nürnberg voran, ver­ standen es, durch große materielle Versprechungen den Kaiser Karl V. auf ihre Seite zu ziehen, so daß dieser die Einführung des Reichszolls und die damit verbundenen Gesetze über die großen Handelsgesellschaften überhaupt nicht genehmigte; die Handelsstädte waren es aber naturgemäß auch wiederum, welche im eigenen Interesse die Frage nach einer baldigen festen Münz­ ordnung im Schoße der übrigen Reichsstände nicht zur Ruhe kommen ließen. Das Reichsregiment zu Nürnberg hatte zwar *) S. Akten über das Münzwesen auf dem Reichstage zu Worms, 1521» im Geh. Staatsarchiv München. Kasten schwarz (Pfälzische Akten) 156/23 fol. 231 fl. 17

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260 1522 die Gutachten verschiedener Münzmeister als vorbereiten­ des Material zur beabsichtigten Münzordnung eingeholt, sonst aber keine entscheidenden Schritte getan. Auf dem Städtetag zu Eßlingen 1522 versprach man den heftigen Beschwerdender handeltreibenden Stände gegenüber zu sorgen, »wie die bösen Münzen aus dem Land und , das Gold wieder hereingebracht, gute Münze dem Gold gemäß durch das ganze Reich, sonder­ lich deutscher Nation geschlagen und erhalten, daß auch in­ sonderheit der guten Münze zerbrochen und aus dem Land zu führen, zu erkennen und ein gleicher Silberkauf gesetzt werde, denn ohne das keine beständige Münze bleibe". Der gutachtiche Bericht der münzverständigen Kommission, welcher dem kleinen Ausschuß des Nürnberger Reichsregiments zur Beratung vorlag, ist auch deshalb interessant und läßt die vorhandenen Mißstände so recht in grellem Licht erscheinen2). Vor allem hieß es darin, daß dem Reiche der größte Nachteil erwachse, weil die Einheit der Münze nach Gewicht und Feingehalt fehle und die Münzherren, jeder »auch sonder Schrot und Korn münze". Die Münze im ganzen Reiche müsse in wenig Schrot und ein Korn gebracht werden. Man setzte sodann die einzelnen Arten der Silbermünzen fest und bestimmte für die Ausgabe der neuen Münzen weine ziemliche Zeit, damit jeder, der ge­ ringe Münze hat, dieselben mit dem wenigsten Nachteil ver­ schieben könnte, auch die Münzherrn und Münzmeister sich darnach zu richten wüßten und sich doch mittlerzeit zu münzen enthalten". Da nur die strengste Handhabung der neuen Ordnung für den Erfolg bürge, setzte man genaue Vorschriften über die Mischung und Prägung von Silbermünzen fest, über die Pflichten der Münzmeister, Probierer und Stempelschneider u. a. mehr. Mindestens einmal im Jahre müßte eine gemeine Probation und Rechtfertigung der gemeinen Reichsmünze in jedem der Kreise stattfinden. Ein Münzmeister oder Wardein, welcher der Pflicht­ vergessenheit überführt, sollte nicht allein «als ein ehrloser, treu­ loser und meineidiger, boshafter und falscher Berauber des ge­ meinen Nutzens sondern auch als ein Lästerer der kaiserlichen 2) S. Akt z. Nürnberger Reichstag 1522/23 Fol. i87ff. Geheimes Staats­ archiv München. Die Verordneten des kleinen Ausschuß haben sich auf Ver­ lesung des Ratschlages der Münz halber bedacht und unterred wie nachfolgt.

261 Majestät zum Tod mit Verlust aller und jeder seiner Habe und Güter gestraft werden, dawider ihm keinerlei ewige oder künf­ tige Freiheit, Fried noch Geleit fürtrage, schütze oder schirme". Die Obrigkeiten solcher Münzmeister seien verpflichtet, solche Strafen zu vollziehen, widrigenfalls sie selbst der Acht verfielen und ihre Münzfreiheit endlich und ewiglich verlören. Besonders wichtig erschien dem Münzausschuß ein Beschluß über den Silber­ kauf, die Taxen für die Herstellung von Münzen, den Schlag­ schatz u. a. Die Festsetzung derselben sollte im Einvernehmen mit den sich im Besitz von Silberbergwerken befindenden Reichs­ ständen geschehen, damit »die Satzung des Silberkaufs nicht zu hoch, sondern am gleichsten und leidenlichsten geschehe", denn daraus werde walle gute Ordnung und Satzung der Münz halber folgen". Der Münzausschuß setzte nun dem ihm vor­ liegenden Gutachten entsprechend die Erfurter Mark Silbers auf 8 fl. (an Gold) fest und verlangte, daß deshalb vom Reichstag aus mit Sachsen, Österreich, Salzburg u. a. in Unterhandlungen getreten werde. Zur weiteren Beratung berief man die Münz­ verständigen für den 17. Mai 1523 nach Nürnberg. Wegen der geringen Teilnahme konnte aber damals »nichts stattliches ge­ ratschlagt oder aufgericht" werden; man verlegte daher die Tagung auf Martini 1523 und auch jetzt kam nichts ersprießliches zu stände1). Christoph Fürer hatte sich schon längst mit allen wichtigen, auf die neue Münzreform bezüglichen Fragen beschäftigt; als Großkaufmann war er mit seinen Landsleuten ein Gegner der neuen Reichszölle und als Saigerhändler in seinem eigenen Interesse auch gegen die Herabsetzung des Silberpreises, wie er sich in der vorgeschlagenen Höhe von 8 fl. die Mark aus­ drückte. Im Gegenteil, er befürwortete eine Erhöhung des SilberJ) Auf dem Tage zu Oberwesel (3. Juli 1523) hatten vier Kurfürsten ihre Anschauung über die Münzordnung dahin ausgesprochen, daß die Ordnung noch nicht in beständiges Wesen zu bringen wäre, man hätte sich dann zuvor des Silberkaufes bei denen, so Bergwerke besäßen, wie Sachsen, Salzburg u. a. ver­ einigt, damit dem Silber ein gewisser Kauf und Wert gesetzt werde. „Zum andern ist auch Erinnerung geschehen was demnach ihre gn. Herrn die Chur­ fürsten an ihren Privilegien und Freiheiten, die sie bisher vor anderen Ständen gehabt, durch diese gemeine Münze beeinträchtigt wird und daher wegen der Privilegien auf einen Tag Jakobi weiter zu verhandeln*. S. Abschied der vier Kurfürsten zu Oberwesel, Dienstag nach Visit. Mariae 1523 (Reichstagshandl. 1523/24 Kasten blau 104 4 Geh. Staatsarchiv München).

262 preises und sprach zu den Mansfeldischen Grafen und in Kreisen von Reichsständen, die er auf dem Reichstage sowie beim Reichs­ regiment zu Nürnberg kennen gelernt und die dem Erzherzog Ferdinand näher standen, von seinen Plänen, deren Verwirk­ lichung dem Reiche auch ohne die beabsichtigten Zölle reich­ liche Mittel zur Unterhaltung des Regimentes und des Kammer­ gerichts darboten. So überreichte er denn, von einigen einfluß­ reichen Persönlichkeiten aufgemuntert, am 30. Dezember 1523 dem k. Statthalter und den Räten des kaiserl. Regimentes in Nürnberg seinen merkwürdigen Ratschlag über die Reichsmünze. Dieser wandte sich zunächst gegen die Reichszölle, da Deutschland ohnehin schon mit »großen Zöllen, Mauten, Taxen, Gleiten und anderen Beschwerungen" belastet wäre, die sowohl den eigenen Untertan als auch fremde Nationen in ihrem Handel schädigen. Deutschland besitze die meisten Silberbergwerke und die anderen Länder müßten dieses Metall von daher beziehen, da sie solches nicht entbehren könnten. Unter allen Umständen könnte das Silber leicht eine Preiserhöhung erfahren und zwar so, daß zu Gunstsn des Reichs auf jede Nürnberger Mark ein halber oder ein Gulden geschlagen werde. Die Münzherren bezw. die Inhaber von Silberbergwerken sollten sich verpflichten, zehn Jahre lang oder länger kein Silber zu vermünzen, sondern, die gesamte Silberproduktion nach dem derzeitigen, in Nürnberg oder Frankfurt geltenden Preise an das Reich zu verkaufen. Statt der bisherigen vielen Münzstätten im Reiche dürften nur fünf oder sechs, etwa in Schwaz und Innsbruck, in Freiberg, Annaberg, Eisleben und Nürnberg das Silber unter der strengen Aufsicht der Wardeine vermünzen. Die Schaffung einer einheitlichen Reichs­ münze sei besonders empfehlenswert. Nach Berechnung der Münz­ kosten in jedem Jahre müßte dem Reich von jeder vermünzten feinen Mark ein halber oder ein ganzer Gulden zufließen. Neben den Vorschlägen über das Ausprägen der bestimmten Münzsorten gibt Fiirer noch verschiedene Mittel an, um die Ausfuhr ungemünzten Silbers aus dem Reiche zu verhindern. Außer einem kaiserlichen Dankbrief erhielt Fürer noch eine eigene » Regimentsverschreibung". Diese versprach ihm und seinen Erben, falls seine Vorschläge durch den Kaiser, das Regiment, die Stände oder sonst jemand anders in des Reiches Namen über

263 kurz oder lang zur Durchführung kämen, »von allem Aufheben oder Einkommen, so durch diese seine angezeigte und vorge­ nommene Wege und Vorschläge jährlich fallen und eingebracht wären, je von huntert Gulden desselben jährlichen Gefälls einen Gulden, die Summe solchs fallenden Einkommens mehre oder mindere sich mit der Zeit", als besondere Provision. Zur Einlösung dieses Versprechens an Fürer kam es nicht; das Schicksal seines Vorschlages erfüllte sich bald, denn er ge­ langte trotz der Fürsprache einflußreicher Männer nicht einmal zur eigentlichen Beratung in den Reichstagskollegien. Aus allen Münzverhandlungen der letzten Jahrzehnte kann man leicht er­ kennen, warum die meisten der mit dem Münzregal begabten Stände nicht einer derartigen Umgestaltung zustimmten und ihre Rechte auch nicht einmal auf kurze Zeit dem Reiche überließen. »So einfach der Vorschlag (Fürers) und modern", sagt Möllen­ berg (Die Eroberung des Weltmarkts durch das mansfeldische Kupfer a. a. O.)1) »/für jene Zeit war er zu radikal; vor den zahllosen großen und kleinen Münzherren konnte er keine Gnade finden. Den reichen Profit aus der Verschlechterung der Münzen wollten die ehrenwerten Väter eines Geschlechts der Kipper und Wipper nicht aufgeben. Selbst die Städte lehnten Fürers Gedanken ab, sogar die Vertreter seiner Vaterstadt waren dagegen". Wenn Fürer mit seinen Vorschlägen auch vom Reiche abgewiesen war, so versuchte er nunmehr die aus denselben gewonnenen Ideen praktisch bei dem Saigerhandel zu verwerten und hiefür die im Besitze von Silberbergwerken stehenden sächsischen Fürsten zu gewinnen. Es zeigte sich bei den Verhandlungen Fürers mit denselben, daß dessen Münzvorschlag ihnen aus persönlichen Interessen doch nicht so unsympathisch war, wie sie sich vorher ausgesprochen hatten. Hofften sie doch, besonders Graf Albrecht von Mansfeld und Herzog Georg von Sachsen, bei Verwertung der Fürerischen Pläne aus ihren Bergwerksbetrieben einen größeren Nutzen durch eine Preissteigerung des Silbers zu erzielen. Auf einer Tagung zu Naumburg (5. Sept. u. 4. Dez. 1524) erklärten sich die Räte für die Erhöhung des Preises der Brandmark, d. h. von 153/4 L. J) Vgl. auch Pückert, W., a. a. O. S. 65 ff. über die Ablehnung des Füre­ rischen Münzvorschlages, sodann über die Verhandlungen mit den sächsischen Fürsten u. a. S. 77 ff.

264 feines Silber, auf 10 fl. Man wollte aber zunächst noch zuwarten, was der gerade in Eßlingen noch tagende Münzauschauß über die Aufrichtung der neuen Münzreform beschloß, und noch weitere Reichsstände für diese Pläne zu gewinnen suchen. Die Naumburger Versammlung hatte nämlich noch keine Kenntnis von der inzwischen fertig gestellten Münzordnung in Eßlingen. Ihre be­ schlossenen Befehle an die nach Eßlingen abzusendenden War­ deine, dort für eine ganz silberne Münze im Reiche zu wirken, gegen den Silberankauf unter 10 fl. für die Mark zu protestieren und von den Entschlüssen der sächsischen Fürsten zu schweigen, konnten nicht mehr zur Ausführung kommen. Es ist interessant, zu erfahren, wie diese Sonderbestrebungen der sächsischen Großen durch das Verhalten der Räte Herzog Georgs später überhaupt scheiterten. Auf einer wegen des Silberkaufes angesetzten Tagung am 24. November 1526 nahmen diese auf Weisung ihres Herrn hin einen geradezu entgegengesetzten Standpunkt in den von ihnen bisher gebilligten Fragen ein; sie verlangten für alles weitere die Mitwirkung und Genehmigung des Kaisers und der Reichs­ stände. Die herzoglichen Gesandten sollten sogar vertraulich die Räte des Königs Ferdinand von den bisherigen Sonderverhand­ lungen unterrichten und vor den Vorschlägen, »die allein von den Nürnbergern kämen", warnen. Am 10. November 1524 war von der sachverständigen Kommission zu Eßlingen eine Reichsmünzordnung erlassen worden. Auf Grund derselben hatte das Regiment eine neue Vorlage aus­ gearbeitet, die so bald als möglich dem Reichstag zur weiteren Beratung und Beschlußfassung überwiesen werden sollte. Zunächst wollte man noch das Urteil von Münzverständigen der hiezu berechtigten Stände auf der Speyerer Tagung am St. Jakobstage 1525 hören. Dort mußten sich diese über die Vorlage mit dem Regimente und den übrigen Gesandten einigen, //damit wenigstens etliche Jahre lang eine gleichmäßige, beständige, richtige, wahr­ hafte Münze im hl. Reiche angerichtet und erhalten werden möge" Vergebens erhofften das Reichsoberhaupt und das *) Vgl. hiezu die Akten im Münchener Geh. Staatsarchiv, Kasten schwarz 186/8 Fol. 20; Münzverhältnisse, in den Pfalz-Neuburger Akten Bd. 210/5 Fol3ioff. wMünzordnung, wie die durch das ganz römisch reich aus hinfüro ge-

265 Regiment eine endliche Lösung der verwickelten Münzverhält­ nisse. Nicht nur in Speyer, sondern auch bei den nächsten Münztagen erschienen so wenig berechtigte Vertreter, daß eine fruchtbringende Verhandlung überhaupt unmöglich war. Man fiel wieder in die alte Verschleppungspolitik, die Unzufriedenheit mit den Bestimmungen der Eßlinger Münzordnung wuchs, und die münzberechtigten Stände kümmerten sich auch nach ihrer Publizierung wenig um jene. Noch zweimal empfahl Christoph Fürer mit Hilfe des Königs Ferdinand seinen nur wenig veränderten Münz*Vorschlag den Reichsständen zur Annahme, auf dem Reichstag zu Speyer 1529 und dem zu Augsburg 1530. Aber auch hier wie da mußte er eine Enttäuschung erleben. Dem Münzausschuß war zwar in Speyer das Gutachten Fürers zur Beratung überwiesen worden mit der ausdrücklichen Mahnung, »/daß kaiserliche Majestät aller Stände Münze zu ihrer Majestät Hände nehmen und schlagen ließ, und aus dem Überschuß derselben Münzen Regiments- und Kammergerichts Unterhaltung folge, wie solches ferner aus eines Bürgers von Nürnberg Verzeichnis mag verstan­ den werden"! Von einer ersprießlichen Tätigkeit der Münz­ kommission sehen wir jedoch in den Akten wenig; sie verschob die ganze Angelegenheit zunächst auf eine weitere Tagung und dann auf die Reichsversammlung zu Augsburg 1530, wohin Christoph Fürer durch ein Schreiben im Namen des Kurfürsten­ kollegiums berufen wurde (Brief vom Samstag nach Maria Mag­ dalena 1530). Man wollte ihn dort zunächst über mehrere dem Speyerer Reichstag 1529 übergebenen Gutachten über die Türken­ hilfe »»hören und mit ihm dann weiter Red und Handlung haben". Es war ihm dabei auch Gelegenheit geboten, wieder auf seinen Münzvorschlag zurückzukommen. Dieser fand jedoch unter den anderen Verbesserungsentwürfen zur Eßlinger Münzordnung nur geringe Beachtung. Eigennützige Kräfte waren in den letzten Jahren ohnehin tätig, die finanzwirtschaftlichen Pläne Fürers durch Wort und Schrift in Mißkredit zu bringen, was diesen dann ver­ halten werden soll“. Hiezu 16 Artikel, etliche Vorschläge gegen diese neuen Münzen, etc. Akten über die Reichshandlungen zu Speyer 1529. Geh. Staatsarchiv Mün­ chen Kasten blau 103/I Fol. 33 ff. Ratschlag über des Reiches Müntzen zu Speyer gemacht 1529, 1531. Kasten schwarz 157/4 Fol. 126ff., i5off. ebenso über die Reichstagsverhandlungen zu Augsburg 1530, 157/5 Fol. 127 ff.

266 anlaßte, dem König Ferdinand am 12. Februar 1531 die Grund­ losigkeit der gegnerischen Behauptungen nachzuweisen. Der Ab­ schied des Münztages zu Speyer vom 8. April 1531, der nach dem Augsburger Reichstagsbeschluß von Vertretern des Kaisers, der Fürsten, der Kreise und den Besitzern von Gold- und Silber­ bergwerken beschickt werden sollte, um die Eßlinger Münzord­ nung nach den Regimentsvorschlägen endgültig festzusetzen, klagt über eine solch geringe Beteiligung, daß nichts Ersprießliches gehandelt und //endlich nichts beschlossen" wurde. Dieses kann man auch von manchen der vielen Münzversammlungen während des 16. Jahrhunderts sagen. Auf eine 1551 erlassene Münzord­ nung folgte bereits unter Ferdinand I. 1559 eine neue, die übrigens, wenn auch in sehr bescheidenem Maße, den Einfluß der Fürerischen Vorschläge zeigen dürfte. Wurden auch diese im ganzen von den Ständen immer wieder abgelehnt, so haben sie doch zur Klärung der verwickelten trostlosen Münzverhält­ nisse bei ihren weiteren Verhandlungen wesentlich beigetragen. Mit dem Vorschlag einer einheitlichen deutschen Münze war Fürer den Ideen seiner Zeit weit voraus geeilt; er blieb ein Traum noch drei Jahrhunderte hindurch und erst das neuerstandene Kaiserreich hat ihn zum allgemeinen Nutzen verwirklicht.

Fürers Ratschlag zur Gewährung von Mitteln zur Kriegs­ führung gegen die Türken ohne besondere Beschwerung der Reichsstände. Den Reichstagen zu Speyer 1529 und zu Augsburg 1530 vorgelegt. Seit der Einnahme Konstantinopels und dem Vordringen der Türkenheere waren seit der Mitte des 15. Jahrhunderts die Grenzen des weiten Deutschen Reiches stets schwer bedroht. Trotz der wachsenden Gefahr war es auf den verschiedenen Reichstagen nicht gelungen, bei der Uneinigkeit der Stände und der schwerfälligen Art der Steuerbewilligung wirksame Vor­ kehrungen zu treffen sowie die genügenden Heereskräfte aufzu­ bringen, um den Erfolgen des gewaltigen Feindes entgegenzu­ treten1). Im raschen Siegeslauf hatten die Türken 1521 Belgrad *) Erst auf dem Wormser Reichstag 1521 gelang es Karl V., eine Wehr­ verfassung für das Reich zu stände zu bringen, welche im Anschluß an die Vorarbeiten des Konstanzer Reichstages 1507 eine neue Reichsmatlikei aufstellte d. h. ein Verzeichnis, was ein jeder der Reichsstände im Kriegsfall —

— 267 — erobert; Ungarn und die deutschen Grenzen standen offen. In rührenden Worten bat eine Gesandtschaft unter dem Grafen »zu Frangenbein“ (Frangipani) von Kroatien die 1522 in Nürnberg versammelten Reichstände um schleunige Hilfe gegen die Türken, die ihr armes Vaterland unausgesetzt verwüsteten; nur der kleinste Teil der Bevölkerung wäre noch übrig, der andere in die Sklaverei geführt. König Ludwig von Ungarn könnte sie nicht mehr be­ schützen. Für die erschütternde Erzählung von den Greueltaten des christlichen Erbfeindes hatten die Stände nur leere Worte des Trostes. Die geringe Bewilligung von 20000 Mann zum Schutze Wiens und von 3000—4000 Reitern nebst dem Kriegs­ material, dessen Kosten man meist den Ungarn aufbürdete, ge­ nügte in keiner Weise1). Kein Wunder, daß unterdessen die Türken in ihren Eroberungen immer größere Fortschritte machten, umso mehr, als selbst die bewilligten Heeresabteilungen nicht rechtzeitig Aufstellung fanden und viele Stände mit der Erlegung ihrer Geldbeiträge zögerten. Eine besondere Beratung über eine raschere Bereitstellung von Mitteln zu einer weilenden Hilfe" fand auch auf dem Nürnberger Reichstag 1524 statt, aber diese zunächst bei einem Römerzug des Kaisers — an Mannschaft und an Geld zu leisten hatte. Wie hoch diese Leistungen nach der neuen Matrikel zunächst waren, läßt sich schwer bestimmen; es dürften 2500 Pferde und 12000 Fuß­ kämpfer gewesen sein. Diese Zahl drückt aber nur das sog. Simplum aus, den einfachen Betrag, der nach Bedürfnis verdoppelt, verdreifacht, ja versechsfacht werden konnte. Die Unterhaltung des Simplums bei 14500 Mann Kriegsvolks berechnet sich für die in den späteren Lehnrechtsbüchern festgesetzte Heerfahrts­ zeit von 6 Wochen — bei einem vierwöchentlichen Monatssold von 10—12 ge­ wöhnlichen Gulden (4 gewöhnl. rhein. fl. — 1 Goldgulden) für den Reiter und vier Gulden für den Fußsoldaten auf etwa 118000 bis 128000 Gulden. Diese Summe, welche aber häufig nicht einmal zur Hälfte zusammenkam, wurde als Römermonat bezeichnet und vom Jahre 1521 bis zum Ende des Reiches bei allen Kriegssteuern der Berechnung zu Grunde gelegt. Nach: Egelhaaf, G., Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. 3. Aufl. Gekr. Preisschrift, Berlin 1893. 8°. S. 163ff. ’) Reichstagsverhandlungen 1523/24 Kasten blau 104/4 Fol. 2°4 Geh. Staatsarchiv München. Ebenda Reichshandlungen zu Speyer 1526 Fol. 92, 120, 219, 229ff-* 247. Reichstagshandlungen zu Speyer 1529 und zu Augsburg 1530, Kasten schwarz 157/4. Ratschlag der beharrlichen Hilfe wider den Türken zu Augsburg gemacht, Fol. 25ff. 1523, 1524, 1526 und 1529 wurden 20000 Mann Fußvolk und 4000 Reiter zur eilenden Hilfe gegen die Türken bestimmt; so 1523 dem König von Ungarn 1 ‘/a Viertel des Fußvolkes auf 3 Monate, inner­ halb eines Monats in Geld zu leisten also 90000 fl. Auf dem Nürnberger Reichstag 1524 wurden die zwei Viertel von den 20000 Mann Fußvolk, die im Jahre vorher den Ungarn zugesagt worden, jetzt aufs neue zugesprochen, doch in Mannschaft, nicht in Geld, und zwar auf 6 Monate. Alles dies kam aber bei dem saumseligen Verhalten der Stände nicht voll zur Ausführung. Vgl. auch v. Buchholz, F. B., Geschichte der Regierung Ferdinands I., Band IV, S. 561 ff.

268 verzögerte sich, weil die Reichsstädte sich weigerten, fast allein die nötigen Summen vorzustrecken, während die übrigen Stände nur die Pflicht zur Rückerstattung anerkennen wollten. Damals wurde im verordneten Ausschuß die Vorlage einer ^allgemeinen Türkensteuer entworfen, die, wenn sie angenommen worden wäre, tatsächlich bedeutende Mittel zur kräftigen Kriegs­ führung geboten hätte. Diese Türkensteuer sollte sich auf alle Berufsstände bis zum Dienstboten herab erstrecken; wäre dieses aber nicht genehm, so müßten vor allem die geistlichen und welt­ lichen Fürslen, Grafen und Herren, der Adel, Städte und Stifte Bürger, Bauern und Juden herangezogen werden. Auch von den Gefällen etlicher nach Gelegenheit in jedem Stift eingezogener Kanonikate und Präbenden sowie aus der Zurückhaltung aller Palliengelder, Annaten usw. in Deutschland erhoffte man eine er­ kleckliche Summe. Kaum waren aber diese Vorschläge in der Öffentlichkeit bekannt geworden, als sich bei vielen Ständen namentlich in geistlichen Gebieten der größte Widerstand zeigte. Wie man aus dem Abschied des Nürnberger Reichstages vom 28. August 1524 ersieht, geschah dort in der Erledigung der Türkenfrage doch sehr wenig; man hörte nichts als Klagen über die übermäßige Höhe der geforderten Kriegssteuer und das durch die kirchliche Spaltung genährte Mißtrauen unter den Ständen wuchs. Auch die Städte kamen wieder auf ihre alten Vorwürfe zurück, daß die ihnen aufgebürdeten Steuern in keinem Verhältnisse zu jenen der Fürsten stünden, und beschlossen die­ selben, w dieweil solch Anschlag wider Bedacht den Städten zumal unerträglich und unmöglich", nicht zu bewilligen, dagegen eines »/gemeinen Pfennigs" wegen weiter zu verhandeln. Die schwere Niederlage der Ungarn mit dem Heldentod ihres Königs Ludwig in der Schlacht bei Mohacs (August 1526) rüttelte wenn auch nur vorübergehend die Stände doch zu einer größeren Tätigkeit auf. Die zuletzt bewilligten Summen für neue Heereskräfte waren zwar großenteils immer noch nicht flüssig, aber man drang darauf, daß dieselben angesichts der drohenden Gefahr möglichst rasch in Augsburg, Nürnberg und Frankfurt erlegt würden. Alle Hoff­ nung zur Gewinnung neuer Mittel für die weilende Hilfe" setzte man zunächst auf den Reichstag zu Speyer 1526. Die Deutschen möchten doch, so führten die Artikel zu der beharrlichen Hilfe

269 aus, bei diesen Drangsalen »die großen Grimm, Neid und Bitter­ keit, darin wir jetzt gegen einander stehen und sich vornehmlich der Zweiungen und Uneinigkeit des Glaubens und der Zeremonien hätten zugetragen, abstellen und fallen lassen, uns christlich und freundlich gegen einander erzeigen und jeder mit dem andern Geduld und Mitleid tragen . , . durch die Einigkeit werde auch dem grausamen Vorgehen und dem geschwinden erschrecklichen Anschlag des wütenden Türken entgegengetreten. Die von Erzherzog Ferdinand dringend geforderte Hilfe zur Rückerobe­ rung der durch die Türken eingenommenen ungarischen Städte wurde zunächst abgeschlagen. Man wies darauf hin, daß man fast gegen die Türken nichts vornehmen könnte, //weil es nicht nur die deutsche Nation betrifft, auch in derselben Vermögen nicht stände, dem allein stattlich zu begegnen oder entgegen zu sein, sondern auch bei andern christlichen Königen und Poten­ taten die notgedrungene Hilfe zu suchen. Zunächst müßte der Kaiser danach trachten, daß ein gemeiner Frieden der Christen­ heit so viel als möglich oder doch zum wenigsten ein Anstand der jetzt schwebenden Irrungen und der Uneinigkeit der christ­ lichen Häupter und Stände auch sonst in deutscher Nation er­ langt werden". Durch den Aufschub des Wormser Ediktes bis zu einem Konzil auf dem Speyerer Reichstag wurden die neugläubigen Stände in der Türkenfrage zwar entgegenkommender, aber das alte Mißtrauen verblieb sowohl in Speyer wie auf der spärlich besuchten Tagung zu Regensburg 15271). Immerhin bewilligte man zu den von *) Der Landgraf Philipp von Hessen schrieb, Marburg, 3. Februar 1527, an Pfalzgraf Ludwig, daß man die Türkenhilfe nicht zu bewilligen schuldig sei, weil sie nicht gegen die Türken, sondern für Ungarn verwendet werde, dann d. d. Ziegenhain Jakobi 1537 an den Bischof von Worms. Über die Türken­ hilfe dürfe nicht auf gesonderten Kreistagen, sondern nur auf Reichstagen ver­ handelt werden. Zuerst müßten der religiöse Friede im Reiche hergestellt werden, die Prozesse beim Kammergericht aufhören, bis man die Türkenhilfe gewäh­ ren könne. Denn wie beschwerlich, wie sorglich das sei, aus seinem Lande zu ziehen, sich mit Hilfe zu entblößen und täglich selbst Backenstreiche und Ver­ lust seiner Lande, Leute und was er vermag, müssen gewärtig sein, kann einer der vernünftig, wohl erkennen . . . Die bewilligte Hilfe zu Augsburg und Regens­ burg sei geleistet worden, niemand wäre weiter verpflichtet. Der Kaiser solle nach seiner Verpflichtung das Kammergericht selbst unterhalten. Den Evange­ lischen sei beschwerlich, zum Unterhalt des Kammergerichts beizutragen; nur dann wollten sie daran teilnehmen, wenn man das Gericht mit Personen besetzte, „die allen Teilen unverdächtig4 wären (S. Geh. Staatsarchiv München ad Käst, blau 103/r, 1527 — 1529).

270 früher her noch ausstehenden Summen etwa 240,000 fl. für einige Monate. So nahte das Jahr 1529 heran und die Gefahr eines türkischen Einfalls in Deutschland war um so größer, als die Ungläubigen mit Zapolyas Hilfe den Erzherzog Ferdinand besiegt hatten und Ungarn vollständig unterworfen dalag. Die Unterhandlungen mit dem Sultan scheiterten und Soliman rückte am 9. April 1529 mit einem gewaltigen Heere gegen Deutschland. Wien wurde be­ lagert und die türkische Flotte kreuzte an der sizilischen Küste. Am 9. April 1529 übersandte Fürer, angeregt und empfohlen durch seinen Freund, den Diplomaten Christoph Kreß, einen Vorschlag an den Erzherzog Ferdinand bezw. den Speyerer Reichstag, auf welchem Weg rasch die Mittel zu einem erfolg­ reichen Heereszug gegen die Türken gewonnen werden könnten. Dringend mahnt er zunächst die Stände zur Einigkeit und be­ schwört sie bei der schweren Not des Reiches, in den Verhand­ lungen über die eilende Türkenhilfe doch alle kirchlichen Streitig­ keiten ruhen zu lassen. Da der Entscheidungskampf gegen die gewaltige Türkenmacht ohne Zweifel nicht so rasch erfolgte, so will Fürer im Gegensatz zu dem bisherigen Modus der Geld­ bewilligung nach den sog. Römermonaten, keine solche knapp zugemessenen kurzfristigen und unsicheren Mittel für Sold und den Unterhalt des Heeres, sondern feste laufende Einnahmen auf etliche Jahre hinaus. Für die augenblicklichen Verhältnisse ge­ nüge die Aufstellung eines Heeres von 25000 deutschen Fuß­ knechten und 13000 Reitern aus den verschiedenen Teilen des Reiches, die man nach Bedürfnis später noch durch Schweizer Landsknechte und Spanier ergänzen könne. Bei einem wirk­ lichen Bestand von 18000 Fußknechten berechnet Fürer den Sold und den gesamten Aufwand des Heeres monatlich auf 150000 fl., im Jahre auf achtzehnmal einhunderttausend Gulden. Wie sollte nun diese Summe aufgebracht werden? Etwa durch Zölle? Fürer, ein Gegner der geplanten, dann durch die Städte zu Fall gebrachten allgemeinen Reichszölle, ist für eine Konsum­ steuer auf bestimmte Lebensbedürfnisse, für einen Ausfuhrzoll auf deutsche Produkte, die das Ausland absolut benötigt und daher samt dem Aufschlag allein bezahlen müsse. Er kommt hierbei auf seinen uns bekannten Münzvorschlag zurück, worin

271 er auf das deutsche Silber einen dem deutschen Reiche zu­ fließenden Zoll oder Schlagschatz legen will. Da der Ertrag da­ raus nur ein- bis zweimal hunderttausend Gulden abwerfe, so genüge dieser wohl zu den Bedürfnissen des Regimentes und des Reichskammergerichts, aber nicht für die Türkenhilfe. Auch von dem sog. gemeinen Pfennig in der Form, wie er in der bereits erwähnten Vorlage 1524 erschien, erwartet er nicht viel, weil seine Beibringung viel zu weitläufig und der Ungehorsam der Untertanen gegen ihre Obrigkeiten immer noch im Wachsen sei. Ebenso geringfügig erscheine die Judensteuer, dagegen ver­ spricht er sich von einer den Geistlichen in den Stiftern sowie den reichen Edelleuten und Bürgern billigerweise aufgelegten Steuer erkleckliche Summen. Es mutet ganz modern an, wenn sich Fürer vor allem für eine Salzsteuer einsetzt. Er berechnet, daß eine Steuer von einem Groschen d. h. 12 ^ oder 3 Kreuzern auf 20 It Salz, das Quantum welches jedermann während eines Jahres etwa konsumiere, fast die Hälfte der für die Türkenhilfe benötigten Mittel einbringe. Derselbe Steuersatz oder Zoll käme auch bei den in Seeland anfahrenden französischen Schiffen, mit Seesalz beladen, sowie bei der Salzausfuhr von Polen nach Schlesien zur Anwendung. An jedem Orte des Reiches, wo Salz gewonnen wird, treffe immer auf 420 U Salz ungefähr 1 fl. Steuer; als Zentralrechnungsstätte eigne sich am besten Nürnberg, weil es in der Mitte Deutschlands gelegen sei, viele mit den Handelsgeschäften nach auswärtigen Städten wohl ver­ traute Leute besitze und der Verkehr mit Geld und Wechseln von da aus am raschesten und sicher erfolgen könne. Einen noch höheren Betrag als die Salzsteuer liefere nach Fürers Berechnung eine Getränkesteuer auf Wein oder zugleich auch auf Bier; für beide Fälle gibt er an, wie die Kontrolle bei der Erhebung dieses »Umgeldes" in den einzelnen Bezirken und Orten des Reiches zu handhaben sei. Von jedem Quantum Wein werde der zehnte Teil als Steuer nicht in Natur, sondern nach dem Werte des Getränkes in Münze erhoben. Eine Vertrauenskommission stelle zur bestimmten Zeit überall in den Kellern die Weinquantitäten fest samt ihrem Werte und sorge für die Einhebung der Steuer alle drei Monate. Damit nicht genug, Fürer kommt noch auf ein eigentümliches Mittel.

272 Er will, daß in allen deutschen Landen die Maß um den zehnten Teil verkleinert gereicht und mit einem Nagel versehen werde, damit die, welche solchen Wein jetzt verzapfen, ihres Bezahlens und Ausgebens auch wieder Erstattung erhalten und den Wein nicht höher als vorher dürfen schenken, also daß niemand in diesem Falle beschwert werde, außer, der solchen Wein trinkt, dem würde der zehnte Trunk abgebrochen. „Das achte ich", meint Fürer, »in einer solchen Not nicht für eine große Be­ schwerung". Als letzten Weg zur Beschaffung neuer Mittel zum Türkenkrieg, zugleich als Ergänzung und Erleichterung des schon erwähnten Vorschlags auf dem Nürnberger Reichstage 1524, bezeichnet Fürer die Besteuerung der Geistlichen in den Stiftern, des Adels und der Bürgerschaft für die Dauer des Heeres­ zuges auf ein Zehntel ihres Einkommens. Der Kaufmann, oder derjenige, welcher »werbenden" Handel treibt, könnte ohne be­ sondere Beschwerde dieses leisten. »Feiernde" Barschaft, Silber­ geschirr, Kleider, Kleinode, Getreide, womit man nicht handelt, Harnische, Werkzeuge, Ackerbau und die damit zusammen­ hängenden Wiesen, Wasser und Hölzer seien steuerfrei. Nur auf den »vererbten, gewissen, auf hebenden Zinsen" liege die entsprechende Steuerabgabe, welche aber die »Aufgeber" selbst aus ihren eigenen Mitteln bezahlen müßten und die sie nicht etwa auf ihre Untertanen abwälzen dürften, weil die Armen schon ohnehin den Aufschlag auf Salz und Getränke mit ihnen trügen. Fürers Vorschläge fanden bei Ferdinand und dessen Räten eine freundliche Aufnahme. »Wir wollen also darauf mit Gnaden bedacht sein", schrieb Ferdinand am 17. April, »und uns ver­ sehen, so wir in künftiger Zeit deiner dienste zum Anrichten und Fördern dieses Werkes oder in anderen Sachen notwendig, du werdest dich gutwillig erzeigen". Dem Briefe war ein ver­ goldeter Becher, 6 Mark schwer, beigefügt. Trotz der heran­ nahenden schweren Türkengefahr beeilte sich der Speyerer Reichs­ tag nicht mit der Erledigung der »eilenden Hilfe". Lienhard Stockheimer meldete aus Speyer am Eritage nach Misericordias domini 1529 an Fürer, daß in dieser Hinsicht noch gar nichts geschehen wäre; man hätte nur seinen Vorschlag »der Silber halber" vorgenommen und besichtigt. Die Verhandlungen des Reichstages wandten sich meist den kirchlichen Fragen zu; als

273 durch die Aufhebung des 1526 in Speyer gefaßten Beschlußes über das Wormser Edikt die Protestation neugläubiger Stände erfolgte, fand man keine Lust und Zeit mehr, sich weiter mit der Hilfe gegen die Türken zu beschäftigen. Man begnügte sich mit der Bewilligung knapper Summen für drei bis sechs Monate sowie der Verwendung von 4,000 Reitern im Kampfe der Ungarn an der Grenze des Reiches und überließ die ganze Sorge dem ständigen Ausschuß, welcher im Notfall größere Mittel anfordern sollte. Vergebens verlangte Ferdinand von den Ständen, daß sie die Hälfte der Kosten für 100 Geschütze trügen. Inzwischen hatte Kaiser Karl in Italien den Kampf mit den alten Feinden siegreich bestanden; im Oktober 1529 brach auch der türkische Ansturm auf Wien an dem zähen Widerstand der tapferen Verteidiger zusammen und der Sultan zog sein durch das Schwert und Krankheit dezimiertes Heer zurück. Am Ende des Jahres 1529 bestand der Friede mit Frankreich, Italien und England; der Kaiser hoffte nun auf dem für den 8. April 1530 nach Augsburg ausgeschriebenen Reichstag nicht nur die un­ befriedigenden Zustände des Reiches zu verbessern, die kirch­ liche Frage zu regeln, sondern namentlich auch dort die Mittel zu einer wirksameren Bekämpfung der Türkengefahr zu erlangen. In mehreren weiteren //Ratschlägen" an den Kaiser und die Stände wies Christoph Fürer auf den geeigneten Zeitpunkt hin, um nun in Verbindung mit den christlichen Mächten die Türken zu Wasser und zu Land anzugreifen und die vom Sultan unter­ jochten Völker in Asien, Afrika und an den europäischen Küsten zum Aufstand zu bewegen. Der Entwurf seines Kriegsplanes umfaßte viele Einzelheiten; er verteilte die erforderlichen Heeres­ kräfte auf die verschiedenen Völkerschaften, bestimmte ihr Ope­ rationsfeld, berechnete die Anzahl der Geschütze und vergaß dabei selbst nicht die Ausrüstung einer »/Armada" gegen den gefürchteten Seeräuber Barbarossa. Christoph Fürer befand sich, wie bereits erwähnt, selbst auf dem Augsburger Reichstag, um seine Sache über die Türkenhilfe u. a. vor dem hiezu bestimmten Ausschuß, zu dem auch mehrere Kurfürsten gehörten, zu ver­ treten und zu fördern. Die Kommission hatte den Vorschlag des Regimentes zu Eßlingen, der auf den früheren Entwürfen von Augsburg, Worms und Nürnberg basierte, in 5 Hauptartikeln, 18

274 zusammengefaßt und dabei ohne Zweifel auch denjenigen Fürers vom Speyerer Reichstag 1529 in Betracht gezogen. Die eilende Türkenhilfe wurde von dem Ausschuß damals auf 30000 Mann Fußvolk und 5000 Reiter, die Unterhaltungskosten derselben sowie die Ausgaben für die Artillerie, für Munition u. a. für ein ganzes Jahr auf drei Millionen Gulden berechnet. Diese Summe sollte aber nicht, wie Fürer vorschlug, durch eine Salz- und Getränkeauflage, sondern durch eine allgemeine Türkensteuer, den sog. gemeinen Pfennig aufgebracht werden, zu deren Be­ willigung die Städte schon früher eine größere Geneigtheit zeigten. Daß diese einer Getränkesteuer überhaupt abhold waren, läßt sich daraus erklären, daß sie vielfach schon selbst das Umgeld auf Wein u. a. gelegt hatten und auf einen geschmälerten Ertrag desselben für den Stadtsäckel nicht so leicht verzichteten. Aber auch die Fürerschen Vorschläge für die allgemeine Türkensteuer fanden nur teilweise Beachtung; während diese, um genügende Mittel für die Türkenhilfe aufzubringen, vom Einkommen und dem beweglichen Vermögen einen höhern Steuersatz erstrebten, ging die Kommission in manchen Punkten fast auf die Hälfte desselben herab. Die Stände bewilligten nun für 3 Jahre je 20000 Fußkämpfer und 4000 Reiter, jedoch unter der Voraussetzung, daß der Kaiser mit dem Pabste und allen christlichen Mächten wegen eines ge­ meinsamen Kriegszuges gegen die Türken verhandeln werde. Als eilende Hilfe wurde, falls die Türkennot stiege, zunächst für 6 bis 8 Monate 40000 Mann Fußvolk und 8000 Reiter be­ stimmt. (Vgl. v. Buchholz a. a. O. IV. S. 561 ff.) Übrigens kamen alle diese in Augsburg gefaßten Beschlüsse über die Türkenhilfe zunächst nur teilweise zur Ausführung. Dieses geschah erst auf den Reichstagen zu Regensburg und Nürnberg, wo am 29. Juli 1532 den Protestanten zum erstenmal die vertragsmäßige Anerkennung ihrer religiösen Anschauungen und Einrichtungen bis zu einem allgemeinen Konzil zu teil wurde. Dadurch erklärten sich die neugläubigen Reichsstände zur Ge­ währung von reicheren Mitteln für die Türkenhilfe bereit. Als die Gefahr eines Einfalls von Ungarn aus immer höher stieg, bewilligten die Stände statt der unsprünglich zugesagten 30 bis 40 tausend Fußknechten deren zwar nur 20000 und 4000 Reiter,

275 welche aber durch die Heranziehung kaiserlicher und königlicher Kämpfer, darunter Deutsche, Böhmen, Italiener und Spanier, zu einem stattlichen Heere von über achtzigtausend Mann anwuchs. Auf dem Sammelplatz von Wien war der Kaiser selbst zur Musterung erschienen. Im Hinblick auf diese kampfbereite, wohlausgerüstete Heeres­ macht wagte der Sultan keine Schlacht; nach der vergeblichen Berennung von Graz zog er sich überall sengend und brennend nach Osten zurück. So war Deutschland wie drei Jahre zuvor wieder gerettet. Die Deutschen nutzten aber ihre gewonnenen Vorteile durch einen Einmarsch in Ungarn und die Niederwer­ fung der türkischen Lehensherrschaft dort nicht aus. Dieses wäre zweifellos von weittragender Wirkung gewesen und hätte dem Reiche gar manchen fruchtlosen Kampf mit dem Erbfeinde der Christenheit für die Folge ersparen können.

Fast die meisten Denkschriften Fürers über die allgemeinen Zustände Deutschlands und die politischen Verhältnisse des Reiches gehören den letzten zehn Jahren seines Lebens an. Unter dem Eindruck der Rückeroberung Württembergs durch Philipp von Hessen und Herzog Ulrich sandte er am 17. Juli 1534 an Karl V. und König Ferdinand einen Ratschlag gegen die ungehorsamen Stände des Reiches. »Es sollte billig" schrieb er darin, weinen jeden getreuen und ehrenhaften Deutschen erbarmen und zu Herzen gehen, das ungeschickte Leben und Wesen, so dieser Zeit ohne alle Not im Reich umschwebt und wandert wie man denn leider mit der Auflehnung wider unsere Obrigkeit in jetziger württembergischen Empörung gesehen hat". Einzelne Stände hätten, um das Land Württemberg einzunehmen, einen Aufruhr erregt und ohne Zweifel dem Kaiser und König viel Neid und allerlei Praktiken bereitet; ohne das französische und englische Geld wäre dieser württembergische Kriegszug unmöglich zu­ stande gekommen. Fürer rät dem Kaiser nun, ein Heer von etwa 12000 Mann aus Italien und Deutschland zu führen, das durch weitere Hilfsvölker der gehorsamen Reichsstände sicher­ lich vermehrt werde. Durch eine solche Macht könnte er ohne Furcht vor den inneren und äußeren Feinden Friede, 18*

27 6 Ordnung und Gehorsam im Reiche herstellen. Um den Unter­ nehmungen der widerspenstigen Stände zu begegnen, die dem österreichischen Geblüt zum Schimpf sogar vor der Wahl eines anderen römischen Königs nicht zurückschreckten, erschien Fürer noch ein weiteres Mittel beachtenswert. Er meinte nämlich, ob man nicht die Reichsstädte samt den freien Großen und dem Adel so in Schein und Namen des Kaisers in einem Bund zusammen brächte, wallein darauf, ob einer von seiner Freiheit gedrungen wird, daß ihm alsdann Beistand von den andern ge­ schehe". Wäre dieser Bund auch anfangs klein, so gewänne er durch den Beitritt neuer Glieder später eine Bedeutung im Reiche. Auf alle diese trostlosen Verhältnisse namentlich auch über die Beziehungen widerspenstiger Reichsstände zu Frankreich kam Fürer noch öfter in seinen Diskursen und Bedenken tadelnd zurück. Das Mißtrauen gegen Frankreich verließ ihn selbst nicht, als man im Reiche vielfach hoffte, daß der Kaiser nach dem Frieden mit Franz I. 1529 gemeinsam mit seinen ehemaligen Feinden die Türkenmacht zertrümmern würde. Konnte Fürer auch damals noch nicht wissen, daß der französische König längst schon im Ein­ verständnis mit den Türken gegen Karl V. stand, so fügte er doch seinem bereits erwähnten Kriegsplan für den Kaiser die Befürchtung bei, daß möglicherweise Franz I. und England sich an einem derartigen Unternehmen gegen den Sultan überhaupt nicht beteiligten und ersterer dasselbe durch allerlei Praktiken zu verhindern suchen würde. Mit schroffen Worten geißelte er die hinterlistige und Ver­ tragsbrüchige Haltung Franz’ I., als der Kaiser 1536 gegen diesen nach Frankreich zog1)*- »Es hat mir nie gefallen, daß man in den verlaufenen Jahren so lange mit dem König von Frankreich in Deutschland gekriegt und gezankt hat, denn ob­ wohl wir am Ende oftmals gesiegt, haben wir uns doch solcher Siege nicht zu nutze gemacht, dann die Sache dahin gerichtet gewesen, daß wir uns der Feinde und nicht die Feinde unser haben wehren müssen". Dadurch, daß der Kaiser sich selbst nun an die Spitze des Heerzuges gestellt, ist die Sache beim Haupt und rechtem Ort angefangen. Fürer warnte vor den *) Ratschlag Christoph Fürers wider den König von Frankreich für Kaiser Karl V., als er mit einem Heere nach Frankreich zog. 1536. Geheimb. Fol. 626 ff.

277 weiteren Tücken des Feindes; wund lauten des Franzosen Worte so süß wie sie wollen, so glaube ich, daß er auf Erden keine größere Freude hat, als wenn er sehe, daß Deutschland unter sich selbst zerstört, verwüstet und verderbt ist. Wenn es halb öde daliege, so wär ihm dieses sein hübscher Rosengarten. Denn gewiß ist der Franzose der Person des Kaisers, besonders seinen Ländern und seiner Gewalt feind; er denkt Tag und Nacht, wie er sie möchte zerbrechen und verderben, ungeachtet, daß die kaiserliche Mayestät dieselben nicht mit Krieg oder Macht an sich gebracht, sondern von seinen Eltern her sie ererbt hat. Er hat auch seinen Geiz und Gierde nie gezeigt, daß er Florenz, die hübscheste Stadt der Welt, besitzen wollte, er hat Mailand, das schönste Herzogtum der Welt, gehabt und dieses wiederum von sich gegeben. Obgleich nun der Franzose dieser Sorge vor ^dem frommen Kaiser ledig, ist es doch gewiß, daß er von seinen falschen, bösen, untreuen Unternehmungen nicht abstehen wird; wenn dieser Kaiser stürbe, würde er gegen einen andern, so er auch mächtig wäre, ebenso handeln. Deshalb kann ich nicht allein diesen, sondern alle Könige von Frankreich nicht anders als den Erbfeind Deutschlands bezeichnen ..." In dem Heere des Kaisers nach Frankreich 1536 befand sich auch Christoph von Ebleben mit einer Schar von 100 jungen Edeln. Diesem gab Fürer auf dessen Wunsch, wie schon vorher gar manchem Kriegsmann, aus dem Schatze seiner persönlichen Erfahrungen eine Reihe sanitärer Verhaltungsmaßregeln mit für den Marsch und das Lagerleben. »Wenn ihr erhitzt seid und im Schweiß, so entblößet den Leib nicht zu empfangen die Kühlung, sondern tut dieses in geschlossenen oder genestelten Kleidern. Wechselt öfter das Hemd und trinkt nicht in die Hitze hinein. Hütet euch vor den weißen oder gelben süßen Weinen, welche voller Fieber und Ruhr sind und haltet euch meist an die roten. Diese sind gesund, halten den Leib trocken, sodaß er der schlimmen Tages- und Nachtfeuchtigkeit besser Widerstand leisten kann, und erhitzen nicht so wie die weißen Weine". Eine besondere Vor­ sicht rät Fürer dem Ritter beim Trinkwasser an, welches am Lager­ platz durch die vielen Menschen und Tiere getrübt und verun­ reinigt werde; dadurch entstehe häufig die Ruhr. Am wirksamsten gegen dieselbe erscheint ihm der Genuß von Knoblauch.

278 Von den eigentlichen Arzneien gegen die Pest hält er nicht viel, zweckmäßiger als diese ist ihm ein allerdings seltsames, drastisches, aber ekeliges Hausmittel, das er in Kriegsläuften selbst erprobt und von alten Kampfgenossen erfahren hat. Fast bis zum letzten Tage seines Lebens (f 29. April 1537) beschäftigte sich Christoph Fürer mit den inneren und äußeren Angelegenheiten des Reiches und der Vaterstadt, worüber er vielfach von befreundeten heimischen Reichs- und Bundestags­ gesandten auf dem laufenden gehalten wurde. Noch am 9. April 1537 schrieb er für Klemens Volckamer sein Bedenken von den Bündnissen der Kreisstände, von dem Könige von Frank­ reich und dem Zwiespalt des Glaubens. Es ist dieses eigentlich eine Replik auf den uns nicht erhaltenen Vorschlag des auf Bundes- und Städtetagen viel verwandten Klemens Volckamer über die oben genannten Verhältnisse im Reiche. Es scheint, daß dieser hierin auch das Verhalten des Landgrafen Philipp von Hessen gegen die Unterhaltungskosten des Reichskammer­ gerichtes und »»in den nassauischen Sachen" sowie dessen Be­ ziehungen zu Frankreich herangezogen hat. Fürers Schriftstück ist in pessimistischer Stimmung verfaßt und voll düsterer Ahnungen über die Zukunft des Reiches und des deutschen Volkes. Lassen wir ihn darüber selbst sprechen. »Dieser Ratschlag Volckamers war dafür gut", schreibt Fürer, »weil der König von Frankreich die Einigkeit der Deutschen nicht mag leiden, welches dann zu Lebzeiten Maximilians, wie man weiß, gerade wie jetzt, geschehen und mancher deutsche Fürst wie Pfalz, Geltern, Lüneburg und Württemberg darob ersoffen ist; deshalb soll er billig ein Erbfeind deutschen Landes von den edeln Deutschen ungeachtet des Pöbels Mißtrauen, so fremder Herrschaft be­ gierig ist, genannt werden. »/So nun zwei Bünde in Deutschland wären, als ein schwä­ bisch, österreichisch und bayerischer, ein rheinisch, fränkisch, hessischer und vielleicht noch einer als ein sächsisch-meißener Bund, das würde dem Franzosen seine böse Praktiken nehmen, mit einzelnen Reichsständen giftige Anschläge anzuzetteln. Mit der Zeit müßte Frankreich unter das Joch der deutschen Dienst­ barkeit kriechen und um Papst, Venedig, Welschland und Schweizer wäre es getan.

279 2. Bei diesen Bünden bleiben die Deutschen bei ihrer Frei­ heit und werden von ihnen selbst und von keinem fremden Volke regiert. 3. So könnte ein jeder Stand in seinem althergebrachten Wesen erhalten bleiben, weil in jedem Bunde geistliche und weltliche Fürsten, Städte, gemeine freie Grafen und Edelleute seien. 4. Man hätte keinen Aufruhr unter den Untertanen mehr zu fürchten, wenn ein solcher in einem Bundesgebiete sich er­ hebe, müsse der andere oder der dritte Bund rechtzeitig dagegen einschreiten. 5. Dieses wäre ein Anfang zu einer guten Ordnung im Reiche, gegen welche sich die Stände jetzt sträuben, denn ein jeder will jetzt selbst gerne regieren und nicht regiert werden. Die großen Herren und Herrschaften sehen vor großer Blind­ heit ihren Feind nicht hinter der Türe stehen; der große Pöbel­ haufe ist so blind, daß er statt mit seiner gewählten Herrschaft, dem Kaiser, zufrieden [zu sein], sich eher die Erbherrschaft fressen läßt. Also gehen wir im Reiche jetzt irre; gerade wie das Vieh, laufen und schreien wir viel mehr nach unserm Verderben als nach unserm Gedeihen. 6. Wenn der Erbfeind durch seine Tücken von uns nichts gewinnen kann und er aulhört uns zu befehden, wodurch dann das Reich zur Ruhe und Ordnung käme, zweifele ich nicht, daß aus den drei Bünden ein Bund entsteht. Das wäre ein erwählter und erkorener Kaiser, der zu jeder Zeit, wenn er sein Amt nicht verstünde, wieder entsetzt werden könnte . . . wich bin leider besorgt, daß wir eine andere Buße für unsere Sünden empfangen, als nämlich sauer um süß, damit der Buße[?]; wer nie arm gewesen, der weiß nicht, was Reichtum ist, als ich erachte, es sei verloren und wir sollen nicht mit der Ordnung, sondern durchs Verderben und Unordnung wie mein Ratschlag, den ich der königlichen Majestät zu Speyer überantwortet, in sich haltet, gereformiert werden, wiewohl es nicht gewiß ist. Man soll sich auch darauf nicht verlassen, sondern in aller wegen zu rathen, ob solches nachmals möcht ins Werk gebracht werden. Daß ich aber Sorge trage, daß nichts aus solchem werde und wir Buße um unsere Sünden empfangen, geschieht

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deshalb, weil jetzt bei unserem Zwiespalt des Glaubens und durch das viele Gegeneinanderschreiben männiglich bei sich selbst, wo er anders selbst gewollt, die Wahrheit und den rechten Weg bei sich selbst wohl hat ermessen mögen. Aber desungeachtet sieht man, daß der nicht aus Liebe und Billig­ keit, sondern nur zu Wollust und Eigennutz angenommen und gebraucht wird. Und will doch ein jeder zu beiden Teilen ein Christ und selig sein; er will auch solches nicht hoffen, sondern er will es gewiß haben ungeachtet, daß er ohne alle Gottes­ furcht allein sein Fleisch und Lust nach wie ein anderes Vieh ohne alles Mitleid des Nächsten lebt. Was Vermessenheit und Gotteslästerung dieses ist und ob es auch ungestraft kann bleiben, das will ich einem jeden zu ermessen geben. »Daß aber solches geschehen und nicht ausbleiben wird, dazu bewegen mich drei Sachen, als drei Giftkörner oder Würmer, die in etlichen Jahren in Deutschland gewachsen und aufgegangen sind, daran alle Fürsten, der Adel und die Obrigkeit auf dem Lande und in Städten, fürchte ich, den Tod fressen, nämlich: Das erste ist die Erfindung des Buchdrucks; durch die Menge der Bücher und die vielen des Hin- und Herscheltens ist der gemeine Mann so viel gewahr worden, daß unserer Menschen Händel, wie sie Namen haben mögen, viel mehr Schein als Wahrheit ist und allein Überredens gegolten hat, welches alles vormals bei den Gelehrten in Schulen ist vergraben oder ver­ borgen gelegen, wie viel davon zu reden wäre. Das andere Kraut oder Wurm ist, daß Gott uns einen wittenbergischen Mönch, nicht weiß ich, ob es zum Verderben oder zum Heil geschehen, gegeben hat. Dieser hat das alte gefangene Ge­ wissen, so los, frei, unnötig und ledig gemacht, daß in allem Deutschland schier keine Gottesfurcht, Gewissen, Entsetzung der Sünde mehr ist, wie dann das die öffentliche Getat genug­ sam Zeugnis gibt, also kurz davon zu reden, daß allein den fleischlichen Begierden Raum gegeben, der Bosheit die Türe geöffnet und der Weg gezeigt worden, dermaßen, daß ein jeder ohne Scheu und Furcht lieber nehmen als geben will. Ich will hiemit die alten geistlichen Mißbräuche, die billicher mit Ordnung als Unordnung gereinigt werden sollten, nicht für göttlich noch recht erkannt, noch gesprochen haben. Drittens,

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so erregt sich ein Fürst im Reich, dessen Namen wohl kann erraten werden, der befreundet sich mit den Zunftmeistern in den großen Städten; er wird ihnen, so befürchte ich, das Schwert zu führen in die Hand geben. Darob hüten sich nicht allein die andern weltlichen und geistlichen Fürsten, sondern er selbst, alle hohen Stände und in Summe aller Adel, die Obrigkeit in Städten, Schlössern und Flecken also, daß wir zugleich alle graue Röcke tragen werden. Dieweil aber des Adels wehrende Hand, solange die Welt steht, sich nicht wird trotzen noch meistern lassen und die weiten ebenen Länder, welche nicht Gebirge, noch Inseln oder eine andere Um­ schließung, wie Schweiz, Friesland oder Dietmarsen besitzen, durch sich selbst . . . des Überzugs der Völker sich nicht erwehren mögen, ist kein Zweifel, daß obgleich aller Adel und die Obrigkeit in Deutschland sollte umkommen, daß darum der gemeine Mann [nicht] in Frieden und unüberzogen bleiben werde. Sondern es würden sich eher Spanien, Ungarn, Böhmen und andere grobe Völker aufmachen, Deutschland, das in sich selbst zerteilt und von Kriegsvolk oder Rüstung gekommen, über­ ziehen, inmaßen vor Jahren die Longobarden, Gothen und und Vandalen, Italien und Spanien getan haben, denen ein solch ungeruhtes, heusliches Volk in Deutschland nicht Wider­ stand leisten möge. Alsdann würden die Mauern um die Städte wieder eingerissen und niedergeworfen, die zerbrochenen Schlösser wieder aufgebaut, dazu wir unsere Lenden und Rücken brauchen müssen, sie dieselben groben Völker anstatt unseres Adels für Herren und sie uns für Eigenleute, wie dann die Eigenschaft also herkommt, halten müssen. Alsdann wäre erst die rechte Zeit, in dem Spiegel unserer Taten zu sehen, deren niemand genossen, sondern männiglich hohen und niederen Standes zum Verderben und ewiger Dienstbarkeit gebracht hätten. Der all­ mächtige Gott, bitte ich, wolle uns in gnädigem Schutze erhalten, Amen".

Anhang.

Aus Christoph Fürers Denkwürdigkeiten. I.

Christoph Fürers Lebenserinnerungen (Fragment)1). Fürerisches Geschlechtsbuch, Fol. 555ff. Ich Christof Fürer, des andern Sigmund Fürers sohn von der Tucherin, am 9. tag may zwischen ein und zweyen gein tag im 1479. jar geborn, hab mein leben und wesen geführt wie nachfolgt: Erstlich bin ich zu Nurmberg im spital in die lateinische schul ge­ gangen, darnach bald herausgenumen undzueim teutschen [lehrer], genannt der guldenschreiber, gelassen worden, von dannen in die rechenschuel zu einem, genannt Kolberger gelassen worden. Und als ich ungever 13 jar alt gewest, bin ich im sterben, der ungever des 1492. jars gewest, zum Gnadenberg, als mir mein vater stiffel, sporn, pferd und alle zugehör [gekauft] sambt mit Martin Grazen, einen burger, so süßen wein schenkte, auf­ gesessen und gen Venedig geritten, aldaich drey jar lang in versprechnus Hansen Heßleins, Heinrich Wolfen diener, gewest bin und alle jar einem Welschen 24 ducaten in die cost gegeben hab. Gleich der zeit zog der hoch rath [?] könig Carl von Frankreich durch Mailand, Welschland und gewann das königreich Neapolis; und als er widerumb heraus wolt ziehen, hetten kayser Maximilian, der könig von Engeland, könig von Hispania, herzog von Mayland und Venedig einen bund zusammen gemacht. Und wiewol die Venediger ein groß volk beysamen hetten, die frisch und ge­ ruhet waren, und Frankreich einen kranken, schwachen häufen hetten, noch dannocht künden und mochten sie ihn, den könig, in der schiacht bey Pontrenel nit erlegen, sonder er zog mit allem seinem geschüz die nacht nach der schiacht den [so] herzog von Orliens, so nach im könig ward und vor Naverra lag, entgegen, in welchem allein die Schweizer *) Über die Behandlung des Textes sei Folgendes bemerkt: Demselben liegt, da die Originalhandschriften Christoph Fürers nicht vorhanden, eine Ab­ schrift des 17. Jahrhunderts zugrunde, in welcher, wie gewöhnlich, in bezug auf Verdoppelung und Häufung von Konsonanten große Willkür herrscht. Um den Text lesbarer zu gestalten' wurde dieser, soweit es die Grammatik erlaubt vereinfacht. Eigennamen erhielten große, alle übrigen Wörter i. a. kleine Anfangs­ buchstaben; v und w wurden selbst bei Diphthongen in u aufgelöst, das ein v oder w vertretende u in den betr. Konsonanten verwandelt, ß und s nach der heutigen Rechtschreibung behandelt. Die in der Handschrift wenig be­ achtete Zeichensetzung (Interpunktion) wurde in moderner Weise geregelt.

283 und Deutschen das best beim Franzosen theten; aber kurz darnach war solch königreich Neapolis widerum durch die Teutschen, (Fol. 555 v) so kayser Maximilian den Spaniern von Tri[e]st aus gein Neapolis zuschickt, widerum erobert, das also noch in der Spanier hand und gewalt ist. In solchen jarn ist durchs Welschland viel ziechens von teutschen kriegsvolk gewest, mit denen ich in kuntschaft kam, derwegen mir der krieg nichts weniger dann die kaufmannschaft hoch tet lieben, derwegen ungeacht, daß mich mein vater auf kriegen nie ge wist noch gezogen hat, empfieng ich doch damals in meiner jugent ein kriegswurzel, die mir mein leben lang nie entging. Als ich wiederumb aus Welschland gein Nurmberg kam, schickte mich mein vater das ander jar widerumb hin­ ein, gab mir 3000 ducaten, die solt ich ime zu gut anlegen, das ich dann thet und ging mir damit gelicklich, gewann wol daran; wiewol, wo mein vater mir gefolgt und ein klein lenger damit gehalten het, so het er viel ein merers daran gewunnen. Als ich ungever 18 in 19 jar gewest, thet mich mein vater gen Grefenthal auf die hütten; und als sie einen diener zu Eißleben hetten, mit namen Sigmund Müller, so von ihnen kam, ward ich gein Eißleben geschickt, der end den handel zu ver­ walten. Indes thet sich Sebalt Melber, so der Arnstetter diener was, vielleicht aus meiner forcht und daß er nit wol rechnung thun kunt, aus dem land, ließ den handel also waislos, derhalben ich denselbigen zusambt dem Grefenthaler handel ausrichten mußte. Und als ich alda bey zweyen jarn was, viel kuntschaft mit dem grafen und ihren edelleuten het, damit ich dann ihrer zehent halb viel zu thun hett und ich auch mer reuterisch, dann mich mein vater gelert hette, zog ich auf meiner schwester einer hochzeit gen Nurmberg. Indes starb mein vater seliger und ward mir der ganze Arnstetter handel zu Nurmberg an statt meines vaters zu verwalten befohlen, welches ungever umb die 21 jar meines alters sein mocht. Von dannen an bis in das 33. jar meines alters, als ich mich verheyrath, hab ich allerlay, so einen jungen weltlichen ge­ sellen zustehet, versucht: Erstlich hab ich mir ein rüstung auf 4 pferd mit küris, parsten, guten sätteln und knechtharnisch schlagen lassen, welches dermaßen vormals dem ernst und nuz und nicht dem schein noch nicht viel wasen gesehen worden; welche rüstung ich in 3 veldzügen, als bayrischen krieg, im zug an den Gallirn [Geldern] und den zug gen Padua, Vicenz und Parma, nachfolgend in der ehe einen zug ins land zu Wirdenberg über 600 fußknecht und 130 pferd oberster, als der von Würtemberg widerumb het eingenommen, wie ich hernach würd sagen. Ein gesellenstechen hab ich thun, darin ich under acht Stechern den 4. dank erstochen hab, als nemblich Sebastian Haller, Gott weis wie, den ersten, Jörg Haller den andern, Wolf Behem den dritten, ich den vierten, Hans Ebner, Simon Imhoff, Hans Turner und Lienhard von Ploben warn. (Fol. 556:) Zweymal hab ich scharpf gerand: mit Hansen Ebner, fielen wir beede; mit Christof Kreßen, fielen wir beede; mit Sigmund Pfintzing, viel das pferdt ungeacht, daß es geheifert was, mit mir zu boden und

284 mein spieß möcht ihme nicht gereichen, wiewol es nicht mit gefert, sondern durch unachtsam ubersehen ward, dann wir allen zeuch also ungemessen aus der harnischcammer namen. Im hailtumb bin ich zwir geritten: einst als ein ainspenninger reuter, als sich Anthoni Tetzeis Unglück gegen den Wilhelm Haller anfieng; das andermal, daß ich durch mein zuthun aufbracht, daß unser 14 küriser mit belägerten be­ deckten hengsten dermaßen gerüst, das vor noch nachmals in keiner statt mer ist von bürgern gehört oder gesehen worden. Eine solche rüstung war damals unter den bürgern. Anno 1505, als ein sterben zu Nurmberg was, bin ich mit Hansen Ebner Spaniern ins Niderland, als kayser Maximilian vor ... im Gallern lag, geritten, darnach in Frankreich biß gen Paris, alda riett er nach Lion, ich widerumb aufs Niderland, Hessen gein Arnstatt und Grefenthal, alda mein bruder was, that zu Antdorf einen kauf mit Claus von Stachteuch umb 2000 taler kupfer. Anno 1512, im 33. jar meines alters bin ich ehrlich mit Hansen Imhoffs tochter beygelegen; deseiben jars hab ich mein alt herkommen purgstall zu Haymendorf anfangen zu pauen. Anno 1513 ward ich einer des Raths. Anno 1515 ward ich als ein rathsbotschaft zu kayser Maximilian gesand. Anno 1515 bin ich neben herrn Lienhard Groland zu kayser Maximilian gegen Schwebisch Wert, als kays. Majestät an den adel zu Franken ziehen wolt, gesand worden. Anno 1519 bin ich, als der von Wirtemberg das land, so im der pund abgewonnen, widerumb zum theil erobert, mit volk als eins Raths obrister gesant worden. . .!) (Fol. 558) Anno 1520, als ein sterb zu Nürm berg war, ließ ich mein weib mit den kindern von hier nach Arnstatt ziehen; als ich über kurze tag hinach ried [und] auf die hätten kam, war mir ein junger sohn, genannt Henslein, an der pestilentz gestorben. Mein hausfrau, so groß leibs ging mit einer tochter, Berblein genannt, so zu Haymendorf im andern sterben gestorben, trug meinen sohn Cristof, so die krankheit groß an eim pain het, am arm, als ich zum hütthof hinein ried. Was leid und betrübeus mir das gemacht hat, das hab ein jeder bey im zu bedenken. Mein sohn Cristof kam, gott hab lob, wiederumb auf. Also theten wir uns gein Ertfurt. Es war eben zur zeit als der großmechtig, dieser jetzig kayser Carol zu kayer erwelt wart. Also zoch ich hinab gen Andorf, Prüsel und Hol in Henne­ gau und herauf gein Ach auf die Krönung und von dannen widerumb zu haus ... *) Es folgt nun die Beschreibung des zweiten Feldzuges des Schwäbischen Bundes gegen Ulrich von Württemberg, die ich bereits in den Württemberg gischen Vierteljahrsheften f. Landesgeschichte, Neue Folge XIII 1904. 233 ff veröffentlicht habe.

285 2.

Die Schlacht vor Pavia in Welschland. Anno 1525 (24. Febr.)2) Geschlechtsbuch Fol. 559ff. Das volk, so kayß. mayt. vor Pavia in der schiacht gehabt: 700 kürißer allerley volks, 1400 geringe pferd 11 000 landsknecht 5000 Spanier 500 Itahaner. Drey Spanier haben saumesel, darauf ob 43000 cronen, erwischt. Der Franzoß hat gehabt: 1400 kürißer 500 leibartschir 3000 leichte pferd 9300 Schweizer 6000 landsknecht 14000 Caskonier 8000 Italianer 32 haubtstück und 11 große stück, so in der statt Mailand erobert sind worden. 2) Unter den im Geschlechtsbuch mitgeteilten Aufzeichnungen Christoph Fiirers befindet sich auch eine kurze Schilderung der Schlacht von Pavia. Die Überschrift zu derselben lautet: „Die Schlacht vor Pavia in Welschland, anno 1492 (sic!) zwischen kays. mayt. Maximiliano dem ersten (!) und königl. mayt. Carolo aus Frankreich (!) durch Christoph Fürer, der dazumal kays. mayt. mit etlichen pferden uf seinen selbst aigenen sold gedient, kurtzlich beschrieben“. Der gebildete Bearbeiter des Fürerischen Geschlechtsbuches (vgl. über ihn S. 251) hat diese Überschrift mit ihren groben historischen Verstößen gewiß nicht ge­ kannt oder nicht beachtet; sie fällt daher seinem Amanuensis, dem Registra­ tor Melchior Lößl, zu Last. Christoph Fürer hat zwar während des mißglückten Römerzuges Maximilians „im Zuge an den Gallirn und gegen Padua, Vicenz und Parma“ längere Zeit in Italien gekämpft, aber nicht an der Schlacht von Pavia 1525 teilgenommen Er war damals schon durch seine ausgedehnte Handelstätigkeit und als Ratsherr in Nürnberg festgehalten. Das hindert aber nicht, daß Fürer diese Schilderung der Schlacht selbst niedergeschrieben, wie er sie in einem der damals vielverbreiteten fliegenden Blätter vorfand oder aus dem Munde von Kämpfern erfuhr. Seine Quelle vermag ich nicht anzugeben. Der Bericht des in der Schlacht von Pavia besonders hervortretenden Grafen Nikolaus von Salm denn als solchen bezeichnet Fürer ihn selbst - stimmt vielfach mit andern gleichzeitigen deutschen Quellen, namentlich mit den offi­ ziellen Mitteilungen des Vicekönigs Lannoy von Neapel und des Georg von Frundsberg überein; ausführliche, behandelt er die Umstände, unter denen die Gefangennahme des französischen Königs erfolgte. Darnach war es, trotz der entgegengesetzten Behauptung nicht deutscher Quellen, doch der Graf von Salm, der das Pferd des Königs durch das Schwert zu Fall gebracht und dadurch die Gefangennahme veranlaßt hat. Dieses bestätigt auch ein Brief des Erzherzogs Ferdinands I an seinen Bruder Karl V., worin er den Grafen von Salm be­ sonders empfiehlt, weil er eine Ursache gewesen, daß die Schlacht geliefert und auch mit „eigner Hand das Pferd des Königs von Frankraich getötet und gut

286 (Fol. 559 v:) Graf Niclaus von Solms [Salm] zeigt an, als sie in die gerten durch die mauern, so bey 2 schuch dick gewest, gebrochen und darüber in gerten kumen, haben sie 3 häufen landsknecht und 1500 Spanier schützen gehabt. Indes sein das franzößisch geschütz so heftig in sie gangen, daß es fast alle häufen getrent und er über 80 pferd nit bey ihm behalten; und in solchem großen schießen sey ihr geschütz dahinden blieben. Da das der Franzoß gesehen, ist er aus seinen vorteil auf unser geschütz zugeruckt, vermeinet uns zu übereilen. Da hat graf Niclaus mit seinen pferden in des Franzoßen häufen, darin er selbst gewest und bey 800 kürißer innen gehabt, getroffen und sich mit seinen reutern durch den häufen geschlagen und nit mer dann 4 edelleuth, 14 geraißig und bey 46 pferd wund und tod verlorn, die 15 schützen auf der seiten wol ge­ troffen, die 15 c knecht im [ihm] grofen Niclaus in sein luck nachgetrungen, daß die Franzosen nit haben miigen wider zusamen kumen. Die frantzesischen landsknecht haben mit einer laufenden Ordnung mit herrn Jeorgen von Frontsperg turftiglich getroffen. Als das Marx Sittich [Graf Sittich von Ems] gesehen, hab er mit seim andern häufen landsknecht be[i]seitz in die landsknecht auf die fenlein getroffen und denselbigen häufen also geschlagen. Indes sey der französische raißiger gezeug sambt der Schweizer häufen gewichen und sich der könig ungever mit 100 kürißern in die flucht gegeben. Dem sey er ungever mit 40 pferden schier V* meil nachgehengt und sich mit gewalt zum könig getrungen, hat auch er, der graf, bey 14 hengsten mit seinem schefflein erstochen, bis er zum könig körnen, ob dem der herr von Pöllitze sambt dem herrn von Momeransi [Marschall Montmorency] fast hart gehalten, dermaßen, daß graf Niclaus in aufenthalt den von Pöllitz gestochen und dem von Mome­ ransi sein roß gefeit hat. Und ob solchem hat der könig grafen Niclausen mit dem schwert oben durch seinen rechten Schenkel gestochen, aber ungeacht solcher wunden hat graf Niclaus dem könig seinen hengst, so unverdeckt gewest, zwir mit dem schwert durchstochen, das schwert under die ugsen [Füße ?] gethan und dem könig mit seinem arm umb den hals gefallen. Indes sey des königs hengst hinder sich auf den arsch als ein hund geseßen, über ein lang weil erst nieder auf den könig gefallen, hab der könig gesagt: O Gott vom himmel, und den grafen gebeten, ihne nit zu erwürgen. Und als er also unter dem toden roß gelegen, sind ir seins achtens wol hundert körnen, denen allen der könig die hand geboten und gefengknus gelobt hat, die ihne geplündert, etlich clainot vom hals, federn und anders, auch die Stegreif vom sattel geschnitten und entwant haben. Indeme ist der vicere [Vizekönig Lannoy von Neapel] körnen, ihne lassen unter dem pferd herfür nemen, ihn in kayß. mayt. hand gefangen genummen, den könig auf ein klein (Fol. 560) und loyal dem Kaiser gedient habe“. Ygl. F. v. Buchholz, Geschichte der Regierung Ferdinands I., Bd. II S. 277, besonders aber die Studie: M. Mayr. Zur Kritik zeitgenössischer Quellen über die Schlacht von Pavia 1525 in der Festschrift Georg v. Hertling z. 70. Geburtstag von der Görres-Gesellschaft etc. dargebracht 1913, Kempten, Kösel, 40 S. 329 ff.

287 praun pferdlein lassen setzen und ihne gefragt, ob er wiß, wer ihne gegefangen hab. Dem der könig geantwort: einer in einem schwartzen harnisch und auf einem weißen türkisch roß gesessen und gefragt, wer er sey, dem . . . geantwort, sey etn graf und des alten kayßers diener gewest. Darauf der könig gefragt, ob es der von Solms [Salm] sey, da­ rauf vicere ja gesagt. Darauf der könig gesprochen: O, man hat mich wol vor ihm gewarnt; dartzu weiter gesagt: O, schweig, o, schweig, jetzt habt ihr mich auch betzalt, wie ihr andern fürsten mer gethan habt und vor mir. Ich bitt euch, ihr wollt die landsknecht, so ihr gefangen habt, genediglich von euch körnen lassen, dann sie haben redlich und ritter­ lich an mir gethan. Indem ist der von Wurban [Bourbon] kumen, zum könig gesagt: Gnedigster könig, ich het mich nit versehen, auf diesen tag einen solchen gast zu finden, den ich so mit groß freud gesehen hab. Und so es Gott also geschickt hat, sol es euer mayt. Gott bevehlen, so es nit anders sein mag und nach gestalt der sach kayß. mayt. und des haus Österreich zuvor ausgenumen; was ich euch dann dienen kann undmag, das will ich mit allem fleiß thun. Hat der könig geantwurt: Ich bin euer person nie feind gewesen; hat Wurban gesagt: Das wollen wir jetzt sten lassen, und euer mayt. sey nur fröhlich, will euer mayt. gut gesellschaft leisten. Es kan jetzt auf die zeit nit anders gesein; ihr seit eines großmechtigen löblichen kaysers gefangner, der euer mayt. wol wird wissen zu halten, wie es sich gebürt. Und damit also dahin gezogen und ihne ins läger vor Pavia, da er vor in gelegen, gefürt, hat der könig seinen palast viel anders, dann vor gewest, gestaffiert funden. Der herr von Allanson und der herr von Vandam seint am ersten über die prucken des Irsins [Ticino?] geflohen, haben die eine schiffbruk abwerfen laßen, damit sie davon kommen. So ist die gewaltig flucht auf die prucken gangen, vermaint alda uberzukommen, hat eirer den andern von der prucken hinab gestoßen und ertrenkt.

3.

Fürers Bedenken an den Nürnberger Rat, Was die regenden der statt Nürmberg thun und meiden sollen. Geheimbuch Fol. 643. Einem erbarn Rath hier hat mein anherr, der alt Sigmund Fürer hinder dem rathaus, der eine Negelin von Weißenburg gehabt, dem gott genad, in zeit des Nürnberger kriegs ein verzeichnete kriegsordnung geschenkt und ubergeben, daraus dann gemeiner statt Nürmberg viel guets ist ersproßen *). Und dieweil ich Christof Fürer gedachten meinen Vaterland auch etwas hinder mir wolt lassen als derselbigen statt Nürmberg zu irem nutz und mir zu einem gedechtnuß, will ich *) Vgl. Reicke, zitiert auf Seite 253.

288 des, soviel (Fol. 643 V) mir Gott die gnad gibt und mich gutz und nutz bedunkt zu sein, ein wenig davon anzeigen thun. Und erstlich will ich an ein erbarn Rath anfahen, in welchen unzweifel ein jeder bidermann geneigt ist, frume, erbare, redliche man lieber, dann untreue, neidische hertzen zu wehlen. Dann was also mit untreuen, neidischen gemiied befleckt, solche machen gern sich und ander mit ihnen Unglückschaft. Es ist unzeitlich [?], daß solcher Rath, inmaßen wie mit alter ist herkummen, mit alten erbarn geschlechten besetzt wird. Wo aber in denselbigen alten geschlechten nit tügliche zu solchem ampt gefunden wurden, daß man dann neue erbare geschlecht, wo nit im herkumen von 200 jarn, von 100 jarn, dorzu gepraucht (wurden). Dann wie man ein sach kan zu weitleuftig machen, also kann man auch ein solch wol zu eng und zu eigennützig machen. Dann weil gemeine statt Nurmberg, gott hab lob, im reichtum, groß und macht, dann wie sie gewest, nit hat abgenommen, also sollen billich auch die geschlecht auch nit abnemen und der minder, dann der je gewest ist, bleiben, dann sie eine zier und eher den stätt sind; weil dann die teglich absterben, soll man billich dagegen ander an ihr stat zu solchen rathsampten zu­ lassen, wie das ein jeder erbars gemüets (das) wol kann achten und erkennen. Diese rathspersonen sollen, und sunderlich die alten herren, eines erbarn, dapfern wandeis und wesens sein, damit diejenigen im Rath ein schäm . . . aufsehen irer handlung müssen haben ... auch daß ir wesen dem gemeinen burger ein ansehen und schein gibt und daß einer deshalben mer Unterlast dann durch die verpot der gesetz. Also wo unter gemeinen bürgern oder burgerin köstlichkeit, von der man in alleweg sein soll, entstund, oder sich die wenigen in bracht hoher, dann die merern, herfiir brechen wollten, durch sich selbst oder ihre kinder, gegen denen soll man sich mißfellig stellen, sie bisweilen belachen oder durch ander weg, das denselbigen Verbrechern zu schäm gereichen mag, sich ertzeigen, dann man alle sach nit kann durch gesetz, zumal, so die in personen nit unterscheid machen, hinlegen. Es ist auch viel adelicher, das volk dahin zu bringen, damit ihr natur sie mer dann die forcht des gesetz von solchen lästern und ubelstand abzich. Dann was soll das vor ein wesen sein, so der handwerksman dem burger­ meister gleich gehet und, eher 3 jar vergehet, liegt er im spital. Solchs ist gemeiner statt, dem regiment und den unverstandenen groben esel ein schand und bey fremden ein grosse Verachtung. (Fol. 644) Und als weit ich mein tag gewest, hab ich es in keiner reichs- noch fürsten­ statt mer als in Nurmberg gesehen, und bedunkt mich, ein handwerks­ mann stund viel baß an, daß er sich auf Silbergeschirr und nit auf upige kleidung züch, damit, so in ein not anstieß, daß er etwas einzubueßen het und nit also pald das almußen fressen must. Wiewol ich mermals hab hören loben eintrechtigkeit der ratherrn, so acht ich doch nit fürbaß, daß sie parteysch seien, damit ein jeder einen forchten bey im sitzen hat, dann menschen sind menschen; die billigkeit soll dannocht alle zeit bei den meiern bleiben.

289 Wo die jungen rathsherrn in dem, das ihn befohlen wird, nit fleißig sind, solten sie die alten dorumb zu red setzen und sich die alten also halten, damit sie die jungen strafen künden und sie, die jungen, die straf von ihnen zu guet aufnemen. Man handelt oft bisweilen in großen, dapfern, wichtigen Sachen, daran gemeiner statt groß gelegen, gleich so schieinig als in einen gantz gering Sachen, das dann nit sein soll. Dann, heit man oft in eim geringschetzigen gerichtshandel einen Rath viel stund und zeit auf, was viel mer soll man das in großen tapfern Sachen tun, die man in ein beden­ ken nemen und nit gleich auf einen tag in maßen geringer hendel sameln solle, dann man sich der zeit in großen hendeln weniger dann im geringen soll vertrießen laßen.

Schimpflich1) ist es gegen frembten leuten ... alten herrn bisweilen allein oder . . . inen hinden nachgehen; der halben wer . . . auf die 3 haubtleut, auf jeden 2 reißig . . . bescheiden wern, die mit ihnen vom haus heim und von heimet wiederumb zu rath oder an mark gingen. Denen kund ein zimliche besoldung darumb gegeben werden; es kund auch unter den knechten umbgehen.

Von den reichstägen. Geheimbuch Fol. 646 2). Hiervor hab ich geschrieben vom Reich und der römischen keyser liehen majestät, unsers allergnedigsten herrn. Nun will ich hie von denselbigen reichstägen schreiben und sagen, wie hievor geschrieben, daß Nürmberg nichts minder durch die reichstäg als durch den handel ins gepeu, wesen und zunemen ist kumen. Dann wiewol jetzt allerley mag gered werden, also daß einer die reichstäg zu Nürmberg zu halten lobt und der gemeinen statt nützlich acht, so seien doch ir wol gegen, die es schelten, nachdem und es eines jeden sach ein gestalt hat. Ich kann aber bey mir nit anders achten und erkennen, dann daß diese reichstäg in der gemein der statt Nürmberg nur groß zutreglich seien, dann sie nutz und keinen nachteil gebirn, angesehen, daß wein und hier, prot, fleisch, fisch und alles kochet nichts teurer, dann es vorhin ist, würd. Dann obwol vögel, wiltpret, köstliche fisch und solche speis, das mer ein genesch, dann speiß soll genennet werden, etwas teurer wird, daran ist nit gelegen, dann ein jedes erbars menscb, das nach ehren tracht und ihm und sein kinden zur beßerung haushelt, one das außerhalb der gastungen sich solcher speiß sollen entschlagen. Ob denn auch gleich heu und stro etwas aufschlecht, liegt auch nit an, dann die, so mit ihrn pferden handeln und die zum verdienst gebrauchen, wissen solchs darauf zu schlagen; weiche dann pferd zu ihrm lust halten, die mögen sie ver­ kaufen und zu endung der reichstäg, so die pferd gewönlich wolfeil sein, widerumb andere kaufen. *) Der Schluß z. T. unleserlich in der Handschrift und auch sonst unklar. *) Die Abschnitte ,,Vom Kaiser“ und ,,Glauben betreffend“ (Geheim­ buch Fol. 644 V —645) sind bei Lochner a. a. O. S. 81 — 84 bereits abgedruckt. 19

290 Alle reichstäg, soviel mir deren in Nürmberg gedenkt, seind sie alle in dem, das besser zehren und besser kaufen an aller notturft, dann in andern Stetten, gewest, gelobt worden und haben über nichts clag geführt, wo man sich anders auch ein wenig höflich gegen ihnen gehalten hat. In solchen tagen wer von nöten, daß man leut vom Rath oder sunst erbarn leuten verordnet, die zwischen den heren und den bürgern, was einer die wochen zu zins von einem haus betzahln, nachdem dann das haus schön oder köstlich und des gesinds viel oder wenig. .. dar­ nach solt es gemacht und gedingt werden, dann keineswegs solt es von allerley gezenk wegen bis zum end gespart werden. Ein erbar Rath soll der zeit ihre ketten an den gassen sambt den schlossen darzugehöret und den feuerpfannen bey den bürgern, die sie im gewalt haben, besich­ tigen und mit fleiß, wie man es damit halten soll, befehlen, dergleich die schloßgattern, die wacht auf der gassen auch besichtigen und bestellen lassen, wie man das in der kriegsstuben nach lengs verzeichnet hat. Ein offen beruf vom Rathaus sollte beschehen, wo einer oder mehr burger mit einen oder mehr hofgesintz uneinig wurden, daß bei großer straf verboten wird, kein burger den andern zuzuspringen, damit die rottirung und. .. möcht verbleiben. Dann one das möcht ein großer jammer, wie alle kriegsleut gut wissen haben, daraus folgen. Es solt auch solchs bey allen fürsten und Obrigkeiten gesucht und gebeten werden, damit die marschalk solches ihrn undertanen auch bey harter straf ver­ baten. Solches geschieht billig; die kays. may. hat des auch nit beschwer, solchs selbst bey den Stenden handeln zu lassen. Auf der trinkstuben soll auch nach guten Ordnungen getracht werden damit niemand vervorteilt oder sunst beigeweltigt werde. Allen wirthen soll gesagt werden, daß sie die gest im nehmen gleichmeßig hielten; dartzu solt ihn der haber und stallmiet nach gestalt der Sachen gesatzt werden, desgleichen auch die gemeinen mal, es wollts dann einer besser haben.

4. Bedenken Christof Fürers, daß die concilia, Synoden, versamblung und ausschuß der christlichen, gottseligen und gelerten leut in der Christheit von nöten und hoch zu halten seind, wider Lutheri lehr, (Geheimbuch Fol. 647). Daß die gesetz und gebot der versandeten menschen als des richters nit zu verwerfen noch zu verachten, sunder von nöten und, wol zu reden, hoher dann die schrift zu halten sind, daß der glaub nit so ein hochwichtig ding sei, wie das von den neuen lerern furgegeben wurd, sunder daß die lieb mer art und eigenschaft dann der glaub mit ir bringt, also daß der glaub allein ein zeiger und anleiter des willens gottes sey, und als wenig der leib one den geist mog leben haben, so wenig mag der glaub ohne die lieb frucht gedeyn und wolfart haben.

291 Die herrschaft zu Venedig hat vor alten jarn auf begern eines erbarn Raths der stat Nurmberg ein verzaichnete Ordnung, welcher maßen den armen verlassen waisen, denen vater und mutter gestorben, durch ein sunderlich ambt solle furgestanden und bevormundet werden, zugeschickt, welchen dann viel jar zu Nurmberg und noch bisher ist nachgegangen worden. Aber neben uberschickung dieser Ordnung haben gemelte Venediger geschrieben, wiewol dieselbig ihr uberschickte Ordnung ihrs fürhaltens nit wol zu bessern möcht sein, so sey doch allemal ein guter richter besser dann ein guets gesetz damit beschlossen. Solch wort, daß ein guter gerechter richter besser sein, wann ein guets gerechts gesetz, acht ich, mög auf erdrich niemand mit grund widersprechen. Wiewol nun das auf weltliche und nit auf geistliche hendel zu versteen und gemaint ist worden, so ist doch diesem verner auch wol nachzu­ schreiben, daß es nit allein im weltlichen, sunder auch im geistlichen möcht gesagt werden, dieweil Christus das bestätigt und sagt: Der ge­ recht bedarf keins gesetz (Fol. 647 V). Daraus ist zu erseen, daß der gerecht mer ist wann das gesetz. Ein guter richter soll mains Verstands diese drey naturen an im haben: Erstlich soll er gelert und erfarn sein, zum andern sein gerecht und nit eigennützig, zum dritten vernünftig, warhaftig und nicht hoch­ fertig. Wo nun solche leuth in der Christenheit, wie dann deren in allen landen zu bekumen weren, zu häufen kernen, wolt ich mer von ihrem geist, dann sie aussprechen wurden, halten, dann von allen Schriften, so alle eintzige lerer seit Christ gebürt gelert und gehalten haben, dann ein mann ist in mir kein mann. Aber der Versammlung hat gott zu binden und zu entbinden macht und gewalt geben. Wiewol nun die Vernunft, frumkeit und gerechtigkeit der menschen von jetzigen neuen lerern aufs heftigst verworfen werden und schlecht nur ein liedlein: Christus hat alles gethanu singen können, so kann ich doch weder im alten noch neuen Testament nit finden, daß dem also sey oder also mög verstanden werden, sunder das widerwertig ist durch die jungkfrauen mit dem öl zu beweißen, also daß Gott und Christus die Vernunft (welche nit eigennutzigkeit kann genannt werden) viel mer preiset und lobet dann verwirfet. Deshalb muß noch aus not der jetzig weltlich mißver­ stand viel mer durch das aussprechen der vernünftigen mund dann durch die schrift und buchstaben geurteilt werden. Es ist ja dar im ewangelion beweißlich, daß Christus zu der Versammlung der kirchen sagt: „Was ihr hie auf erden binden werd, das soll im himel gepunden sein; hinwiderumb: was sie hie auflösen, das soll im himel auf­ gelöst sein1. Hie kann ichs nit anders deuten, dann daß Gott der ver samlung als dem ausschuß der kirchen den gewalt gegeben hat; er wurd auch sunder zweifei, wie er auch gesagt, mitten unter ihnen sein, der halber sich irrung und fehls nit ist zu besorgen. Ich wolt auch gern sagen, daß eine solche samlung der menschen, man nannte sie nun consilium oder wie man wolt, nit iren kund. 19*

292 Und ob sie gleich heut etwas und über acht tagen dem zugegen ein widerwerdiges Schlüßen, so sollte es doch bey mir nit geirrt, sunder eins jeden tags das seinig gerecht gewest sein, und sunderlich, so solt es den undertanen der kirchen, ob die häubter gleich ime zu viel teten, nit zu verdamnus und schaden gedeyen, sunder die straf sollte denen, so an solchem, das sie vielleicht ihnen zu gut aus eigennutzigkeit ge­ macht, schuldig heimgehen, dann menschen sind bisweilen auch menschen. Es seind auch die veter lerer und (Fol. 648) menschen gewest. Darumb, sollten allenthalben jetzt alle gerichtsschöpfen alle zeit von einen jeden untüchtigen urtel willen entsatzt und weg gethan werden, so wurden alle gericht abgehen und waislos. Es ist sich je alle zeit sicherliger auf ein gemeine Versammlung, so von allen landen berumbt, beruft und zusamengekumen, dann auf eintziger lehrer lehr zu verlassen. Darumb acht und halt ich eine solche Versammlung für so kreftig und stark, daß sie nit allein in alten irrigen Sachen zu urteilen, sunder daß sie sünd zu machen und sünd zu verzeihen gewalt und macht haben, wie sich dann das nach art gelegenheit der leuft und der menschen zu jeder zeit zutrugen. Also verstehe ich in den fal Christum ; daraus schleuß ich, daß dem aussprechen der menschen versamblung, wie gehört, weiter dann aller schrift, sie heiß, wie sie wol, zu gehorchen sey. Dann welcher die schrift allein will auslegen, der hat seinen eigenrichter im hertzen sitzen; dem sollen ja nit ander leut folgen, obgleich er derselbig ihm selbst folgen wollte, dann one das wurden die land, will geschweigen die weit nimmermer eins; derhalb Christus on zweifei vergebens nit gesagt hat: man soll der obrigkeit gehorsam sein, sie sey gut oder boeß; hat solchs nit mit ausnemen christlicher oberkeit, sunder schlecht in ein gemein gered. Darumb soll es in ein gemein auch ausgelegt und verstanden werden, zumal so ihme die Vernunft zufeit. 5-

Christoph Fürers rathschlag über die reichsmüntz, so er key. Statthalter und räthen des key. regimentes zu Nurmberg ubergeben, den 30. Decembris anno 1523. Geheimbuch Fol. 583. Münchener Kodex im Geh. Staatsarchiv (M.) Fol. 245. Vgl. S. 258J). Alle menschliche regiment, pollicey und gute Ordnungen, wue*2) die bestendig bleiben sollen, müssen durch dise zwey mittel, fridens und ]) Wie Pückert (vgl. S. 258 Anm.) mitteilt, findet sich im Königsberger Staats­ archiv eine Abschrift des Fürerischen Münzvorschlags mit eigenhändigen Korrek­ turen des Verfassers d. d. 26. Nov. 1524 und von diesem an den Hochmeister Albrecht von Preußen übersandt. Eine Denkschrift über Fürers Plan von 1524 aus dem Dresdener Archiv erwähnt gleichfalls Pückert. Die in den Fußnoten angege­ benen abweichenden Lesarten beziehen sich alle auf den Münchener Kodex. 2) wie

293 rechtens, als die wesentlichen hauptstuck ’), auch execution der beeder erhalten werden; und des geben nit allein die historien2), so die großesten und weisesten regiment der weit und was menschlichem wesen anhangen mag, beschriben haben, sonder auch die teglich erfarenheit öffentlich ge" zeugknus. Dann wue3) lande und leut in fiiden sitzen, wue3) die underthanen und handierenden versichert werden, wue3) ordentlich gleichmeßig recht gehalten wurd, da müssen auch alle ding fridlich sein, wachsen und zunemen, herwiderumb im unfriden und bey nachlassung pillichs rechtens, alle ding, wie großmechtig und gewaltig die sein, mit der zeit vergeen. Dann ein Ordnung bringt die andern; so verursacht dagegen ein Unord­ nung die andern, wie ein jeder verstendiger das bey ihme selbst, obwol die exempel teglicher erfarungen nit vor äugen waren, befunden wurdet4). Wiewol nun Teutschland für andere nation mit großen schweren zollen, mauten, tatzen, gleiten und andern beschwerungen, die doch5) allein zu [verjsicherung6) der Straßen und des gemeinen manns, der die auch zalet7), genommen werden sollen, belegt sein, so wurdet8) doch ungeachtet des alles an keinem ort der Christenheit, vermutlich auch bei den ungläubigen, weniger frid und recht gebraucht, erhalten und gehandhabt, dann bey den Teutschen. Das ist auch allen denen, so frembde königreich, oberkeiten, lande und gewalt teglich besuchen, unverborgen; zu was verleymung, schaden, verderben und nachteil das teutscher nation reicht, was spot, schimpf und Verachtung auch solchs bey andern nationen pisher verursacht hat, ist mer dann offenbar. Und obwol bisher gemeine des Reichs oberkeiten und stende zu gehalten reichsversamblungene; viel weg und mittel bedacht, deshalben auch im reich anschlag10) furgenommen, fride und recht dadurch zu underhalten, so ist doch jedesmals der ungleichen anschleg1") und dann der ungehorsam halb gegen den gehorsamen (Fol. 584) soviel mangels ein­ gefallen, daß solche Unterhaltung in keinem bestendigen wesen blieben ist Solt dann ein gemeiner reichszoll auf etliche waren geschlagen und genommen werden, wie vor äugen gewesen ist, das wil11) der vorigen vielfeltigen zoll und aufschlag12) halben nit allein gegen des Reichs undertanen und frembden nationen beschwerlich und unleidlich13, sunderauch 2) *) 3) 4) 5)

stucken alten historien wie M. Fol. 245 V wirdt

6) Sicherung

7) zollend 8) wirdt 9) reichstagsversamblungen 10) anslege u) Fol. 246. 12) aufslege. 13) unleidenlich.

294 in ander weg so weitläufig vor äugen erscheinen, daß sich gar nit zu ver­ muten, daß der') in sein rechte würkung gebracht, viel weniger im end beharrt werden möcht. Weil aber aus der not nit umbgangen weiden mag nach teglichen und den weniger beschwerlichisten mittein zu geden­ ken, durch die ein jerlichs einkumen dem Reich gemacht und frid und recht dardurch underhalten werd, so hab ich als ein getreuer des Reichs underthan guter meinung und dem heiligen Reich zu nutz und ehren auf nachvolgende wege gedacht. Meniglich weiß, daß teutsche land und die so dem heiligen Reich sind zugethan, fiirnemblich die land zu Beheim, von dem allmechtigen gott mit keinem großem schätz dann mit den metallen begabt ist, als silber, kupfer, zinn, pley und andere. Aber wie dem, so find man in andern landen außerhalb silbers alle obangezeigte metalle auch; also wue*2)*man einige zoll oder auflag auf dieselben solt slagen, dardurch würden die berkwerk: ) in teutschen landen geschwecht und die andern als zu HUngarn und Tenmark, auch andern orten gesterkt. Aber silber findet man die meng in keinem andern land dann im hei­ ligen Reich, sonder alle umbligende christliche und unchristliche land (müssen aus teutschen land)4) mit silber gespeist und versehen werden. Dieweil man dann silbers in denselben allen landen mynder dann des golds und einiger kaufmannsware gerathen kann, so mag solch silber wol ein auf lag als nemlich die Nurmberger mark einen halben oder gantzen guldin auf ir tragen. Solche betzahlung aber will sich durch keinen zoll leiden, aus Ursachen, daß diese wäre dein und gut zu ver­ schlagen und durchzubringen ist; zum andern, daß die land, wie vor gemelt, weitleufig sind5) und alle end und ort zu bestellen, ein merklich groß gelt costen wurd. Solches alles zuvurkommen ist nachvolgender kurtzer weg zu wandern. Dieweil jetzt auf diesem reichstag alle meine gnedigst und gnedig herrn, die churfürsten, auch andern stend des Reichs allhie zu Nürn­ berg durch sich (Fol. 584 V) selbs, oder ire gesandten erscheinen werden daß alsdann allein dieselben, in deren fürstenthumb, herrschaft oder ge­ bieten silber gefiel (und gemacht wird)6), willigeten und dem Reich zu gefallen und gutem zusagten, deren silber keins mer zu vermüntzen, sunder dieselben alle in des Reichs muntz zehen jar lang oder mer zu ver­ kaufen umb ein nembliche summa gelts, wie und was sie jetzt zu Nürmberg oder Frankfurt ungeverlich mügen gelten; dargegen sollten sie bare betzalung empfangen, also daß dieselben fürsten und herren, denen man die silber in ihr cammern als zinßtheil antwort, eins solchen verkaufens keinen schaden, sunder des7) mer nutz, dann dieselbigen ires müntzens bisher gehabt, wurden haben. ») 2) 8) 4) 8) 6) 7)

er. wie. Fol. 246 V. Das in Klammern Stehende fehlt im M-Kodex. seint. Das in () Stehende fehlt im M-Kodex. sunder mer nutz.

295 Und so dieser weg furgenommen wird, must das Reich fünf oder sechs müntz haben, als nemlich zu Österreich zwo, als zu Schwatz eine, zu Innspruck eine, im Meichsen zwo, als eine zu Freyberg und Sant Annaberg, eine zu Eißleben und eine zu Nürnberg oder wie und wo man beßers raths wurd '). Also daß die muntzen aufs nechst dem berk­ werk gelegt wurden, damit die silber mit dem ehesten vermuntzt*2) und die muntz dem berkherrn3) und berkvolk kunt betzalt werden. Wiewol nun Nurmberg kein sunder berkwerk gelegen, so wer es doch den saigerhütten, auf denen man das silber von den mansfeltischen und andern kupfern saigert, auch andern im Reich einzigen [?] silberwerken als ein handierende statt, nit ungelegen. Solch muntz alle musten durch geschickte, redliche muntzmeister und wardein versehen und alle uncost, den man aufs genauest solt rechnen, sambt eim halben oder gantzen gülden von jeder fein mark silbers, so des Reichs verordenten solt be­ tzalt, und sunst keinerley geschlagen und gerechent werden, wie dann dasselbig wol und gut zuthun ist, und darauf must die muntz jeder gattung gestellt und gemacht werden. Der fürsten und herrn rentmeister oder andere, so sie zu solchen ambtern gebraucht, sollten auch jerlich des Reichs verordente[m] anzeigen thun, was und wievil feiner mark sie dasselbig jar den muntzmeistern geantwort hetten, damit er, der verordente des Reichs, soviel halb oder gantz gülden vom muntzmeister anzunemen hette4), wie dann dem allem gute Ordnung und weg zu finden ist, welches jetzt umb kurtz willen umbgangen wird. Item die königlich wird zu Beheim, dieweil derselbig ein churfürst ist, acht (Fol. 585) ich, daß er mit belehnung dem Reich nit wenig verwandt und verpflicht sei; nachdem dann derselbig zu Beheim allerley silber­ werk mag haben, dartzu auch dis jetzig der Schlicken neu berkwerck im Joachimstal der cron on mittel ist underthan, das leichtlich bey ir mayt. erlangt und erhebt wurd, alle solche ire silber in eine oder zwo müntz an gelegene ort bemelter maßen zu antworten, und ob man gleich derselben seiner königlichen würde den dritteil oder die helft der nutzung des, das ir in irem königreich gefürt5), ließ zusteen, acht ich, daß es zu beeden seiten mit nutz zu thun were. Solche vorbemelte alle silber möchten diesermaßen 6) vermunzt werden: Nemlich die erst silber zur schwartzer muntz: als patzen, funfzehen für ein gülden, halbpatzen, dreißig für ein gülden, creutzer, sechzig für ein gülden; pfennig, drithalben[!] für ein creutzer; die meichsnischen und düringischen und7) hartzsilber nach weis[s]er muntz als8) SchreckenÄ) 2) 3) 4) 5) •)

bessern rath wurd haben. Fol. 247 v. bergwerken. Fol. 248. gefiel. dermaßen 1) Fol. 248 v 8) oder

296 beiger, siben auf ein gülden; sechser, zwey und viertzig auf ein gülden, pfennig, sechs für ein schwertgroß[?] *). Die behemisch muntz könt geschlagen werden: 24 weiß groß*) auf ein gülden. Doch wolt ich raten, daß man in vorbemelten muntzen die zwen theil oder zum wenigsten die hellt aller silber zu groschen, einer auf einen gülden, und die ander helft oder theil zu allerley gattung, groschen und pfennig vermuntzt het; darumb, so kein ungemuntzt silber aus dem Reich würd geen und alle umbligende land silbers nit möchten geraten, es dahin kumen wurd, daß die gemuntzten groschen aus dem land in alle land gefuret12)3 und sunderlich die allergrobst muntz am meisten, auf die nit viel arbeit geet, und so man sie bricht und wider vermuntzt oder Verarbeit, wer der verlust dester geringer8) und doch dem Reich davon als viel als von der andern kleinen muntz bezalt werden, dann ein jedes stuck in seinem werthe seinen zoll oder schlagschatz 4) auf im trug. Item auf solche5) *muntz, als nemlichen die schwartze muntz soll gepreget und geschlagen werden auf die einen seiten des Reichs adler, auf der andern seiten das wappen von Oesterreich; die meichsnisch muntz solt auf der einen seiten mit dem adler, auf der andern seiten mit meiner gnädigsten und gnädigen herren von Sachsen wappen ge­ preget werden. Die behemisch muntz auf die ein seiten das Reich, auf die andere seiten der cron Beheim wappen. (Fol. 585 V) Item die silber, so gen Eißleben, in der grafschaft Mannßfelt gelegen, gelifert wurden, darauf solt geschlagen werden der adler und auf die andere seiten das wappen Mannßfeld. Item was von silbern gen Nurmberg geantwort wird, darauf solt8) auf die ein seiten der adler und auf die andere seiten der statt wappen gepreget werden; und darumb geschehen, ob einicher fehle7) an dem wert der muntz, es wer im schrot oder körn, gefunden wurde, daß man am beyzeichen kennen könnt, in welcher muntz das gemuntzt wer worden, dieselben darumb haben zu besprechen. Solche obgemelte Ordnung wird dem Reich nit allein nützlich, sunder auch bey allen christlichen und unchristlichen landen, in die solche muntz kumen wurd, löblich und allen Teutschen eerlich sein; hab gantz kein zweifei, die muntz wurd durch die weit ausgehen. Für das ander, so schnitt8) es ab im Reich alle geringe muntz, die dann von tag zu tage, wie vor äugen ist, je mehr geringert wurde, und wue nit durch ein solchs mittel ein einsehen geschieht, so wurd sie in 1) grosch 2) wurden 3) weniger 4) auflag

ö) Fol. 249.

®) geslagen werden der adler und . . . 7) ungerecht 8) schneidt

297 kurtzen jarn, viel mehr dann diese neue möcht sein, geringer und wurde das Reich keinen nutz noch aufheben davon haben, das durch diesen weg fürkumen und die muntz in einem steten wesen bleiben, auch sunder zweifei mer steigen dann fallen wurd. Damit wer der weg und Ordnung der muntze, davon man viel gerathschlagt hat, auch gefunden. Und ist sich in diesem furnemen gantz nichte zu besorgen, daß landen noch leuten in teutschem Jand einicher nachteil daraus erwachsen werd, (dann unangesehen solch ringerung, so wurd)1) die muntz, ehe jar und tag verging, würdiger, dann sie jetzt ist. Dann eine jede wäre2), so sie in wenig henden ist, wirdet wirdig; das erscheint bei der specerei, so in des königs von Portugal henden gestanden und zum theil noch stehet. Allein möcht sich im anfang ein mangel wollen erscheinen, das ist der: die umbliegenden land umbs Reich möchten solchs aufschlags des silbers sobald nit gewar werden, derhalb sie selbst auch sobald mit irer muntz oder ihrem habenden silber nit möchten in hoherung steigen; so dann der kaufmann mit willen nit gern feyert und die silber nit möcht be­ kommen, specerei und andere wäre, so man ins Reich furet, damit zu verzollen und zu vergleichen,3)4 wer zu sagen: sie, die kaufleut, möchten die goldgulden aus dem Reich zu gegenzahlung solcher be­ nannten wäre schicken, derhalben anfangs golds in unsern (Fol. 586) landen mocht mangeln; wiewol es keins Zweifels darf, es würd in kurtz alles wider herein kumen, mocht man dannocht solchs zu furkummen ein verbot bey verlierung leibs und guets lassen ausgeen, kein gold inwendig zweyen oder dreyen jarn die nechsten aus dem reich zu schicken. Daß aber das golt aus dem Reich5)*nit mag bleiben, sunder widerumb ins Reich geführt und umb gemuntzte silber gegeben muß werden, ge­ schieht darumb, daß, wie hievor stehet, alle frembde land des silbers, so in teutschen landen gefeit, nicht sich mugen äußern und des viel weniger dann des golds geraten, aus ursach, daß man mit dem gold allein große summa und werde und nit deinen teglichen werth betzalen kan. Aber mit der silbermüntz kann man große und geringe summa betzalen; zudem, so wurd dieselbig muntz zum teglichen gebrauch wol hundertmal, do gold nit drei oder viermal ausgeben, betzalt und ge­ braucht wurd. Item, es wer von nöten mit höchstem vleiß zufurkummen, kein ungemuntzt silber aus dem reich zu furen®/ bei penen, wie man zu rath wurd. Item7), wolt meinen gnedigst und gnedigen herrn das gefallen, ein einiche muntz durchs gantz Reich zu schlagen, wer gantz wole und x) das in ( ) Stehende fehlt in M. 2) Fol. 250. 3) verglaitten 4) sorgen 5) Fol. 250v. •) Dann an den orten, da wenig silber gefallen, möcht desterp1] gefurt . . . und die silber, dieweil daselbst kein aufgerichte müntz ist, verslagen werden. Darzu sollen ain jar oder zwey verboten sein, kein alte gernüntzte muntz aus dem Reiche zu furen bey penen, wie man zu rat wurd. 7) Fol. 251.

298 besser, dann dreyerley muntz zu schlagen, wär1) es allein an'2) aufheben der zins bei den herrschaften und Untertanen keinen mangel gewonnen, dann es an den deinen zinsen einem nemen, dem andern geben wurd. Ttem solche vorgemelte verpot kunt man auch dahin ziehen, wue ein verdacht auf ein gesellschaft oder auf einige person ging, daß der fiscal macht het, dieselben oder ire diener zu der purgation zu erfordern, dergleichen dabei auch eine suma lassen laut werden, einem zu geben, der einen solchen verprecher anzeigt. Durch solche vorangezeigte wege kann man im Reich und sunst durch keinen andern unschaden und nachteil des lands und der leut gelt aufbringen, welcher weg sunst auch in der Christenheit in keinem land sunder schaden desselben fürgenommen werden mag. Item wurdet von nöten sein, mit ernst ob dem gemuntzlen reinischen gold3) (Fol. 586 v) zu halten, also daß man weder im schrot noch körn an demselben reini­ schen gülden solt fallen, sondern daß die inmaßen, wie jetzt des Reichs einung vermag, nemlich 73 auf die mark4), die 18 grat und 4 gren halten, sollen geschlagen werden, welches dann ein jeder stand, so gold muntz recht het, erlaubt und zugelassen sein solt. Doch obangezeigtermaßen, dann es sunst dem Reich merklich abtreglich sein wurd, wue im gold gefallen solt werden. Christof Fiirer. 6

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Christoph Fürers ratschlag der muntz sambt andern nütz­ lichen aufheben im Reich zu machen. Anno 1530°. Geheimbuch 589. Dieser nachvolgender ratschlag bringt erstlich einigung der miintz und schneit ab allen betrug derselbigen. Zum andern macht er römischen keyser und königliche mayestet ein dapfer aufheben, frid und recht im Reich dardurch zu erhalten. Zum dritten macht er römischer kayserl. mayestet und allem Teutschland ein bekantnus und rum in der gantzen weit. Zum vierden pringt und macht er ein erhaltung der silber und kupferbergwerk in teutschen landen, welchs unser Teutschen gröster schätz ist. Zum fünften macht er das ganz Teutschland reich. Zum sechsten, so bringt er einichen menschen im Reich umb einen pfennig kein schaden. Zum sibenden bin ich sunder zweifei, daß nieman leb, der mir solches auflößen oder mit grund, daß es nit gut sei, widersprechen mögen. !) wo 2) on 8) So die Münchener Handschrift statt der Nürnberger: ob dem gantzen römischen gold. 4) Münchener Handschrift 13 auf die mark. 6) Er wurde hier nicht abgedruckt, weil er sich im ganzen mit dem von 1523 deckt.

299 7*

Rathschlag Christoff Furers wie ein ansehenliche beharr­ liche hulf wider den Türken furgenomen und one sondere beschwerung der stend im Reich in das wesen gebracht werden möcht, welchen er nach Speyer zu der reichsversamblung geschickt, den 8. April 1529. Geheimbuch Fol. 603. Wir sollen billig sorgen, die zeit werde sich herzu nahen, daß der almechtig Gott uns Teutschen umb unserer Sünden willen hertiglich strafen werde, angesehen, daß zu dieser zeit bey uns minder gueter tugenten sind dann vorher immer gehört noch gesehen ist worden. Das kumbt meines achtens aus deme, daß wir vorher bis jetzt auf etliche jar einen einhelligen glauben gehabt, darin man sich nit, wie jetzt, ersucht und erforschet, sunder wir haben schlechtlich und einfeltiglich glaubt; das haben nit allein die layen, sunder auch das merer thail der priester, so das gottswort gepredigt, dermaßen gelert, glaubt und gehalten. Wiewol nun der römischen kirchen zu Rom gemuet villeicht mit viel mißgebreuchen, auch mit mer zeitlichen ehren, dann christlichen tugenden umbgeben gewest, seien daraus allenthalben vilerlei mißgebreuch entstanden; solchs ist aber alles gegen diesem leben, so jetzt allenthalben im Reich sonderlich teutscher nation ist, nit zuvergleichen, dann mancher, so gleich in eim mißgebrauch gewest, hat es so weit nit verstanden und hat es durch solchen ankumenden gebrauch zum thail für ein billichkeit gehalten, derohalb mag sich unwißent nit so hohe als mit wissen versündet werden. Dieweil dann aus dem ubermeßigen predigen des ablaß anfenglich diese jetzige zweiungen erwachsen, derohalben man zu beiden tailen in viel merklich Schriften ist kumen und so weit, daß meniglich durch die menig derselbigen anzeig viel der alten geistlichen geübten mißgebreuch, die etwa mer nach gelt, dann nach dem hail des menschen gerochen haben, gewar und wissent ist worden. Aber ungeachtet desselben, auch daß sie es selbs erkennet und verstanden, haben sie das alles wollen anhalten und zu sorgen, darin mer die zeitlichen ehre und nutz, dann die billigkeit gesucht, daraus dann der geistlichkeit viel neids und haß von ge­ meinem volk ervolget, hat auch den almechtigen Gott ob dieser blindheit ungezweifelt höchlich erzürnet. Hinwiderumb hat Luther das gemain volk mit seinen freyen, süeßen, lieblichen, angenemen und sicheren predigen und schreiben so frölich, frey, ungottsfürchtig und wild gemacht, daß in ihnen alle lieb und gehorsam der oberkeit, auch guete sitten und brüderliche lieb erloschen und nichts dann allein das aigennutzig hertz und alle wollustigkeit belieben ist, (Fol. 603 V) wie dann das ihre getaten gezeugnus gegeben haben und noch teglich geben. Darzu haben aus e;nem glauben wohl vier oder fünferlei sekten gefolgt und unangesehen, daß sie sich alle aufs evangelium berufen und sich einer geschrift ge-

300 brauchen, so sind sie doch selbs aneinander veinter und gehasser, dann sy den Türken oder haiden sein. So dann zu baiden seiten durch die viel Schriften das guet und boese genugsam ist angezeigt worden, und zu allen tailen nit zum göttlichen und billichen, sunder zum zeitlichen und lieblichen und doch in schein des evangelium und christlichen wil gegriffen werden, wer kan dann anderst erkennen, dann daß die weit jetzt von zeitlichs lusts wegen der göttlichen warheit wißentlich verlaugnet. Wie könnden und mugen wir Gott größer und höher lestern! Dann welcher den willen seines herrn weise und thut den nit, der würdet viel schleg leiden müssen. Derhalben ist nit unzeitlich zu besorgen, daß wir Teutschen mit [nit?] verschuldet einer den andern zu strafen, sunder wir sollen villeicht mit einem groben, ungläubigen volk, das ob unserm toben und verderben gottslone zu erlangen vermaint, gestraft und verderbt werden. Dieweil aber die barmhertzigkeit Gottes großer ist, dann alle unsere sunde, sollen wir an derselben nit verzagen, sunder mit einhelliger stim und proceßionen sein göttlich majestet anrufen, umb Verzeihung bitten und darnach mit fleis und ernst unser werlich hande an das werk legen, ungezweifelter hoffnung, der almechtig, barmherzig, ewig, guetig Gott werde unserm werk hail verleihen, nit allein diesem volk widerstand zu thun, sonder daß wir sie als ein grob, uncristlich, unnatürlich, viechisch volk gantz und gar erlegen, ihren gewalt und namen austilgen und die vertruckten christlichen kirchen zu Constantinopel, wie dann viel proviceien vor langen jarn darvon gesaget, widerumb erledigen und aufrichten, auch manchen fromen christlichen könig, fürsten und herrn, so von diesem wieterich in das elend gewaltiglich verjagt worden, widerumb in ihr ehre und gewalt setzen, die undergetruckten volker wider zu ihren freiheiten bringen; so das geschehe, o wie groß lob und ehr dem heiligen römischen Reich und sunderlich teutscher nation in aller weit wurde nachgesagt werden! Dieweil dann aus diesem zergenglichen jamerthal nicht besseres dann ein guet geiucht bracht mag werden, solt demnach billich ein jedlich christlich haubt, solchs alles zu bedenken und zu verhüeten, sein und seiner undertanen verderblichen schaden nicht ansehen, noch sich tauern lassen, zu diesem werk zu geben sein gepiirte ? Zudem, so hat der almechtig Gott uns Teutschen mit zweyen haubten als römi­ scher keyßerlicher mayestet (Fol. 604) und ihrer kays. mayt. brucler, konigl. mayt. zu Hungarn und Beheim etc. Statthalter im heiligen Reich, sunderlich begnadet, die mit keinem laster befleckt sind, mit allen ehr­ lichen und gueten tugenden, die kayser und königen wol anstehen, gezieret. Darzu hat die göttlich craft sie beede bisher mit wunderbarlichen und unmenschlichen siegen, wol zu reden, wider der weit gewalt erhalten, dardurch der allmechtig Gott ungezweifelt uns und der weit zu erkennen gibt, daß diese zway heubter die sollen sein, so diese und ander aigen gewaltig wieterich sollen dempfen, ein jeden, wie der billich sitzen soll, setzen und alle stende der Christenheit wiederumb in refor-

301 mierung und recht wesen zu bringen. Dieweil dann die zeit vor äugen und daß diese zway haubter neben dem Reiche mit ihren aigen erbkönigreichen und landen zu wasser und zu lande diesem furnehmen mit des Reichs hulf einen tapfern beystand thun mugen, welchs dermaßen in langer zeit so statlich und mit so wenig heubtern nit geschehen hat mögen, will ich als der wenigst den barmhertzigen, ewigen Gott bitten, daß sein almechtigkeit auf gegenwertigen reichslag allen stenden sein göttlich gnad wolle verleihen und sie dermaßen erleuchten, daß sie die kleinen zeitlichen irrungen, so sie gegen einander möchten haben, wellen dießmals fallen lassen und ainmütlich sich eines guten entschließen in betrachtung, daß wir Teutschen alle uns bas eines solchen gewalts, ehe wir verderbt, erwehren künden, dann so der Türkh das halb thail der teutchen land zu verderb und under sich gebracht. Dartzu ist wissentlich, daß er kein haubt als könig oder fürsten nit mag gedulden, sunder sie müssen getötet oder vertiiben werden. Solchs will ich zu Gott hoffen, es werde alles betracht und getreulich nach dem besten erwegen und, wie auch diesem volk mit gelt und leuten begegnet mög werden, be­ dacht, dieweil ich dann, wiß Gott, nit von meins nutz noch meiner ehren wegen, sonder aus lieb meines Vaterlands und unsers heilsamen glaubens diesem thun mehrmals nachgedacht und in meinem ainfeltigen gemüete mit schnellem wege gelt aufzubringen on gezank, dann wie ich den hernoch antzeige, erfinden mugen undertheniger Zuversicht, königl. mayt. auch churfursten, fürsten und ander stende des heiligen Reichs werden mir solchs, ob ich des rechten wegs gefehlet het, nit in Ungnaden und argen aufnemen, auch mir solches zu keiner boßheit, sunder meiner unerfarnheit schuld zumessen. Demnach ist nun menschlich zu reden, wie man nit allein jetzt, sunder auch künftig vor diesem tirannischen volk der Türken zu bleiben sey, und erstlich ist meins achtens nit genüge, jetzt dieser zeit ein heer zu roß und fueß aufzubringen, dem Türken entgegen zu ziehen, den hinder sich zu treiben oder ime gleich ein schiacht abzugewinnen; dan solt man ime darauf nit nachvolgen, die enge (Fol. 604V) der gebirg und bevestigung der ortschloß widerumb erobern und in unsern gewalt bringen, were zu besorgen, so wir Christen abziehen und uns zertrennen, sie die Türken, so mit ainigung und gehorsam mer dann wir geschickt, dadurch ein größer volk und gelt aufgebracht wurden, [würden] uns mit einem neuen heer uberziehen. So wir uns dann vorhin verzeret heten, wer zu besorgen, wir wurden gar schwerlich oder langsam ein volk zum andern mal auf­ bringen und daraus volgen, daß die letzer not großer, dann die erst sein wurde, also daß beßer gewest, den ersten zug gantz underlassen zu haben. Deshalb mus meines achtens davon geredet werden, wie die wege zu finden sind, sovil volks, so man gegen einer solchen macht vermaint zu bedörfen, nit allein etlich monat aufzubringen, sunder, wie solch volk etliche jar mit gelt, sold und der artollerey underhalten mug werden» dann wo nit ein beharrlicher zug gegen diesem volk furgenommen, wurdet es, wie vorstehet, zu besorgen, kein guet ende nemen.

302 Item erstlich ist zu glauben, daß die cron Beheim als ein guet land leichtlich die wege finden muge, solche sechs, sieben bis achttausend man zu fueß, darunter tausend pferd sein sollen, aufzubringen und für und für, als lang not thete, mit sold zu underhalten, welche Beheim in der Wagen­ burg, als die so viel geschutzs gebrauchen, auch der ende den raum im velde haben, gegen diesem ploßen, schnellen volk ser nutz* sein wurden. Dann so sie die Wagenburg zu schütz und deckung irer schützen haben, mugen sie ihre handgeschütz bas, dann der landsknecht schützen, so frey stehen müssen, gebrauchen. Zu dem sind sie mit harnisch wol angethan, standhaftig, fliehen nit leichtlich, müssen durch die not geschlagen werden, welchs von den Türken beschwerlich beschehen kan. Dieses volk möcht man den ersten angriff under allem fußvolk thun und den nechsten auf des Türken geschütz und hertz zu dringen, das zu erobern, lassen, wie dann davon mer gesagt soll werden. Item das königreich Hungern als die, so den veinden gesessen, solten under inen sunderlich anlag machen, sechs, sieben bis in achttausend raisige pferd mit geringer rüstung aufzubringen, welche sie als ein groß land auch leichtlich erhalten künden; sie, auch der Behaim, werden wol wege zu finden wissen, durch was mittel ein jedes land, es sey auf die herdstet oder sunst a-ifzulegen, ein solch geld jerlich zu machen sein will, das ich ihnen die wege nit antzuzeigen weise. Das römisch Reich teutscher nation suite zu solchem zug sechzehen, achzehen bis in (Fol. 605) zwantzig tausend manne oder soldner zu fuß halten, darzu fünf, sechs bis in sieben tausend pterd, gerüst nach dem teutschen, als sechsischen und frenkischen siten; und diese alle solten von Teutschlande erhalten werden, wie ich das hernoch anzeigen will. Item der könig. mayt. zu Hungern und Beheim erbland teutscher nation, als alle ober- und under- österreichischen lande, Hunkau, Preußgau, Elsas und Wirtemberg etc., die sollen das geschütz mit samt aller artollerey und monitzion erhalten, welch geschütz alles benennet, die sold und uncosten darauf gerechent und hiebey vertzeichent zu vernemen ist. „Das alles thut in einer suma den monat bey 20000 fl.; die kann man auf diese angezeigte land nach vermuge ir jedes schlagen, die person des konigs, die posten, auch die potschaften und ander zweiflich uncost soln auch billich von ihnen erhalten werden. An diesem volk als fünf und zwaintzig tausent zu fuß und dreizehn tausent zu roß achtet ich genug zu sein und viel besser dann daß ir noch so viel warn; dann wiewol wir auf der Tunau(?) gespeiset mugen werden, so acht ich doch unangesehen deselbigen, die überflüßig meng wurde einen zadel(?), daraus krankheit und anders entstünde, mit sich bringen. Zu dem, so kunt man sovil guts volks nit bekumen; soll man dann viel loses und untüchtiges volk mitbringen, lassen sich dieselben viel und groß häufen schicklich und gewinlich in der schiacht nit gebrauchen, sunder daß, wie vilmalen gehört, ein häufen freunde den andern aus der Ordnung bringet Dieweil dann diese zahl volks vorhin so groß, also daß an (ohne)

303 zvveifel zu glauben ist, daß kein man jetzt lebt, der in der Christenheit dergleichen häufen gesehen hette, ist er aigentlich, wo uns Gott nit sonder­ lich strafen will, groß genug. Denn gewißlich, wo man sagt von vierzigtausent kriegsvolk, so man die mustert, den troß herdan thuet, findet man ir über achzehen oder zwanzig tausent nit. Derohalb muß man sich diejenen, so von viel tausenten sagen, nit erschrecken lassen, dann sie viel besser und leichter zu nennen dann zu erlangen und zu erhalten sind. Zu dem so kan der Türk nit mer volks dann, die zu erneren sein, mit sich bringen, angesehen, daß er aus eim armen land wider den wasserstrom sein volk speißen und versehen muß. Wo nun under solchem teutschem fußvolk die helft ander volck dann landsknecht, ob die Schweitzer oder Spanier wärn, das wäre sehr guet, dann einem jedem kriegsverstendigen ist guet wißen, was von diesem volk furgenummen wurdet, so der gewalt auf ihnen allein stehet; man hat es erfarn und gesehen bey leben weiland könig Maximilian hochlöblicher gedechtnuß zu Stulweißenburg, zu (Fol. 605 V) Landau in Bayern und andern orten mer. Und ist gantz kein zweifei, ein ainig volk einer nation allein, es wern Teutsch oder Spanioln gewest, hett diese jar hero so große getaten zu Mayland, Genua, Rom, Neapolis nit gethan. Dann diesen wege treibt ains das ander, will keins das letzer sein, ains die ehr vor dem andern erlangen, das sonst alles verbliebe, wiewol man sich zwischen ihnen aufruhr im leger mus besorgen, zumal, ehe man sie an die feind führet, und letzt, so kann man doch solchs mit schlagen der leger wol verhüeten, zudem, so were der geraisig zeug so stark, daß er alltzeit einem thail stark genug were. Darumb ist in [ihnen ?] diß stuck wol in gueter acht zu haben, wil man anders nit ere, leibe, guet, land und leut in ein sundere fare und wagnus setzen. Zu Unterhaltung bestimbts teutsch volks mußte man alle monat haben auf achzehentausend fußknecht oder soldner zwey und sibentzig tausent gülden, auf die sechstausend geiaisigen zu zwölf gülden den monat für sold und schaden gerechent, thuets auch zway und sibentzig tausent gülden. Das lauft zu häuf, hundert und vier und viertzig tausent gülden den monat; so rechen ich unkost der amptleut, posten,furlon und anderes des monats auf sechstausent gülden, also daß man alle monat anderthalb hundert tausend gülden must haben. Das wer, so man dreißig tag für ein monat dienet, des jars achzehenmal hundert tausent gülden, die man jerlich zu erhaltung angezeigts volks haben mueste. Die durchleuchtigen, hochgebornen fürsten, meine gnedige herrn, hertzog Wilhelm und hertzog Ludwig in Bairn, als christlichen fürsten, so mit ihren landen und leuten den feinden und diesem zuge gesessen und sunder zweifei gern ein ubrigs thun wurden, denselben möcht in­ sonderheit die proviandmeisterey bevolhen werden, damit die in ihren fürstenthumben dermaßen bestellt und geordnet wurde, daß an lieferung nit mangel und die auch umb einen leidlichen und ziemlichen pfennig gegeben möcht werden, darumb wurdet sonder zweifei der almechtig Gott nit allein ir person und das löblich hauß Bairn, sunder auch irer

304 f. g. undertanen hie und dort dester mer glucks und belonung geben. Daß dieselbigen Kirsten sambt dem stift zu Salzburg ire grentz gegen Friaul und Crobaten besetzen solten, des werden ire fürstliche gnaden sunder zweifei wol erwegen und bedenken mügen. Wie nun auch, durch was wege und mittel solch vorangezeigt gelt zu erhaltung (Fol. 606) dieser meng teutsch volks mug erlangt werden, davon ist auf diesem reichstag meines achtens die gr^ßt notturft zu reden. Und ist wol zu vermuten, daß nach langem bedenken und bereden dieses thuen vielleicht auf einen tapferen zoll im Reiche möcht wellen gestellt werden. Dieweil aber dasselbige jetzt in eile der nechste weg meins Verstands nit sein will, so zeig ich das hiemit an, etlich Ursachen, dieweil doch diese einige sache fast die ursach diß angesetzten reichstages ist, und bitt dieselben ohn Verdruß anzuhören.

Ob zolle in Teutschland aufzubringen sein. Zolle, so namhaft sein und etwas tapfers tragen sollen, die sein in keinem land fürzunemen, es sey dann dasselbige land enge mit gebirgen und wassern beschlossen, damit die zolle nit umbfaren und die wahre, so vertzollt werden solten, nit aus den zollstetten geführt mögen werden, für ains. Zum andern, so kann man füglich einen tapfern zol auf kein andere wahre schlagen, dann auf die wäre, so aus demselbigen land gehet, die auch andere land nit haben und doch daran nit geraten mügen Dann soll man zoll auf die wäre, so man zu verkaufen in dasselbig land führt, schlagen, so dann der kaufmann nit umbsonst mühe und arbeit wil haben, sonst lieber feyert, schlecht erderhalb solchen uncost auf die wahre, so mues 'alßdann der, so desselbigen herrn underthan ist und die wahre verbraucht, solchen zolle bezahlen, also was dem herrn zugehet, das gehet dem underthan ab. So man aber den zoll auf die wahre schlecht, so aus dem land gehet, die mues der frembde auslender und nit der inwoner betzahlen, es were dann also ein wäre, der man aus andern landen auch bekumen möchte; dann so man dieselbig war aus andern landen auch bekumen mage und villeicht neher dann diese, so bleibt diese wahr unverkauft, wo man anders, wie billich, den uncosten darauf wil rechnen, oder sie mues anfengklich vom Verkäufer so wolfail gegeben werden, daß abermals solcher zoll über sein selbs underthanen und nit über frembde leut gehet. Darumb ist zu merken, daß die zolle auf kein ander wäre, denn die, so nit mügen umbfuret und so in andern landen nit künden gefunden mugen, geschlagen werden. Da solchs die warheit, so findet man in der Christenheit nit mehr) dann drey namhaft groß z die: den ersten hat der könig von England, den schlecht er auf die wolle, so aus dem königreich gehet. Dieweil dann dergleichen (Fol. 606 v) wolle in der Christenheit, ja auch sunst nit ist und man der zu guetem gevvant nit geraten und anderer orten nit bekumen mögen, wirdet derohalb solch genieß und auf heben dem könig, welchs doch nit seine underthanen, sundern diejenen, so das tuch zer­ reißen und frembde außlender sind, betzahlen mueßen. Der ander zole ist

305 zu Venedig. Dieselben Venediger haben sich mit dem soldan und Türken also gehalten, daß sie keiner andern nation leute mit schiffen gen Ale­ xandria oder gen Damaschco, welchs die aufsperrte und handelstette der haidenschaft sind, nit laden noch kaufen lassen. Sie, die Venediger, haben auch, wo sie dieselben frembden außerhalb der iren auf dem meere ankumen, sie irer gueter beraubt und haben es also in einen ainigen gewalt vil jar here gebracht, also so solche specerey zu inen und fort in teutsche land geführt ist worden, hat man vom hundert ein merklichen zol geben müßen, welchs auch nit sie, sunder die Teutschen, Polen und Behaim betzahln haben müssen. Den dritten zoll hat der könig von Portugal in kurzen jarn mit der schiffung in India überkumen, welcher den pfeffer und mehr war in sein hände gebracht, daß er den zum theil, wie er selbs will, gibt und einen überschwenglichen gewinn daran hat, den auch nit seine leut, sunder die, so den pfeffer essen, bezahlen müssen. Außerhalb dieser dreyen zollen acht ich. man finde weder in welschen landen, Frankreich, Hispanien, teutschen landen, Hungern, Poln noch Beheim keinen tapferen Zoll. Das kumbt aus deme, daß sie kein sondere wahr haben, der man nit geraten noch und aus anderen landen nit be­ kummen kan. Wiewol nun das heilig römisch Reich auch ein war, als nemlich das silber hat, das in andern landen nit zu bekumen, des auch die Christenheit, ja auch Teutschen ein zoll oder schlagschatz mag gelegt und betzahlt werden, wie dann königl. mayt. zu Hungern und Beheim als keyserlichem Statthalter, auch den regimentsräthen zu Nürnberg im 23. jar ein rathschlag übergeben und zugestellt worden ist. Dieweil aber derselbig über hundert oder zwaymalhundert tausent gülden jetztmals nit zu bringen ist, wurdet es zu dieser großen hülf nichts ersprießen, mueste derhalb nach andern wegen gedacht werden. (Fol. 607) So man aber gleich diesen weg wolt fürnemen, villeicht zu erhaltung reichsregiment und cammergericht, müste es nit zalsweise an örtern teutsches lands, sunder auf den silberberkwerken, der etwan sechs oder sibene sein fürgenommen worden, denn Teutschland, wie vor gemelt, ist ein weitläufig, den meisten tail eben und unbeschlossen land, hat allenthalb soviel herrschaft und stette aneinander stoßen, daß. in welche statt ein zol gelegt, dieselbig statt wer damit verderbt; dann man dieselbig umbfarn würde, das ire nachbarn wol leiden möchten und dardurch die straß zu inen bringen. Sollt man dann in alle stett und flecken Zöllner setzen, wer vil zu weitläuftig und möcht den uncosten nicht ertragen, derohalb es mit dem zoll im Teutschland verloren, und man laß nur ob, dann es schwer­ lich zu erlangen und bestendig kann noch mag bleiben. Soli man dann ein gemeine anlag auf der reichsstende underthanen thuen, als einen gemeinen pfennig oder wie es namen hat, so ist es fast weitläufig, auch der ungehorsam acht haben. Zudem ist der groll des underthans groß gegen der oberkeit; derohalb wurdet unbezwungen schwerlich etwas namhaftigs von ihnen gebracht werden, zudem daß man sich von neuem gefars von ihnen besorgen müst. Soll man dann auf die Juden etwas schlagen, das 20

306 tragt nit aus, wurdet auch nichts thuen. Schlecht man dann auf die geistlickkeit etwas, das wurdet bey ihnen schwerlich mit willen verlangt werden, wiewol, dieweil dieses thuen den feind unsers glaubens, des sie vor andern beschützer sein sollen, betrifft, auch zu beschützung irer selbs beschicht; were nit unbillig, daß sie gleich darein bewilligten. Wann sie das thun wolten, mußt man einem jeden bistumb, soweit sein Obrig­ keit ging, ein suma gelts jerlichen auflegen. Könnte man weg finden, den reichen edelleuten und bürgern etwas aufzulegen, das beschehe auch nit unbillig, denn yeder reich billich mehr denn der arm gemein mann thuen sollte, so es ihnen am meisten zu guet kumbt, wie hernach weiter davon gemeldet wurdet. In summa bey uns Teutschen ist gelts und volks genug, dem Türken (Fol. 607 v) wider­ stand zu thun, allein fehlt es uns an der gehorsam und Ordnung. Darumb erfolgt, so es gleich vorhanden, daß. mans doch weder mit willen noch mit Unwillen nit herausbringen kan, dan keiner will den peutel aufthuen, obgleich die not vor äugen ist. Derhalben mus man nach wegen ge­ denken, gelt zu machen, dermaß und gestalt, daß der, so es gibt solchs nit weiß oder sicht, so thuet es ime nit wehe, es lauf als hohe als es wolle. Wiewol nun hohe zu bewegen, frembde oder neue beschwerungen auf den gemainen man zu legen, angesehen, daß man aus solchem gewonlich einen beharrlichen gebrauch macht, so erfordert doch in dieser wichtigen sach die hoch und unvermeidlich notturft, nit zu underlassen, auch nit, bis die feind im lande sind, zu warten, sunder bey zeit, dieweil dieser gewaltiger herr, der in den siegen hochmütig worden, nit wurdet außen bleiben, statlich darzuzuthun, gelt und volk zu machen, ine zu begegnen und künftigen schaden zu verhueten. Dieweil dann solcher zug und uncosten nit kann noch mag vermiten bleiben, wir wolten uns dann alle zu ewiger verderblicher dienstbarkeit geben und solch gelt vorerzelter weise auf frembde land nit zu bringen ist, volgt daraus die noth, solch gelt under uns Teutschen selbs aufzu­ bringen und anzulegen, durch wege, die am geringsten und schleunigsten wern und also: Ich kann bey mir nit engern wege, gelt von etwer, des man nit gerathen müeg, zu bringen finden, dann von saltz; das kann niemant empern, geraten noch ein tag, will geschweigen, ein wochen. Derhalb so auf sovil saltz, als ein mensch des jars ungeverlich darf, ein groschen, das wer 12 pfg. oder 3 kreutzer geschlagen wurde, das treffe ein persohn des monats 1 pfg. an. Wiewol nun in diesem all zwischen den personen des reichen und armen kein underschid könnt gemacht werden, so ist doch solche anlag so gering und leicht^ daß keinem petler vor der kirche, wie arm der were, verdrießen sollt, einen solchen trangsal zu entfliehen, alle wochen, ich will geschweigen alle monat 1 pfg. zu geben, dann der je leichtlich gewunnen, erobert, oder erspart mag werden. Solchs achtet ich, es soll in teutschen auch andern landen, in welche das (Fol. 608) teutsch saltz gehet, ein solch

307 überschwenklich gelt machen, daß von der helft der suma nit viel solt feien, welchs aus der gaistlichkeit als der bistumben büchernfolk[?] mügen ungeverlich erkundigt werden; dann unzweifelig ihr jeder weis beiläufig, wievil und sonderlich der beichtpersonen eines jeden orts gewest und noch sind. Wie man nun solch auflag vom saltz thuen und was orten das bezalet weiden müste, das zeig ich an, wie hernach volgt: Item erstlich in Seeland oder daselbst umb, alda die schiff aus Frankreich mit dem meersalz anfarn, der end müst noch große eines jeden schiffs als ungeverlich auf 20 saltz, soviel ungever ein mensch des jars bedarf, ein groschen, das wer von 4 c. 20 % ein gülden Rh. genommen werden; diesen schiffen gebe man darnach einen zollbrief, daß sie hienach faren, wohin sie wollten. Sunst acht ich nit, daß an ainichen ort salz in das Reich, sunder eher daraus geführt wurdet, allein aus Polen möcht etlichs in die Schlesien geführt werden. Derhalb müst in Teutschland an einen jeden ort, da salz gemacht wurdet, ein oder zwo personen gesetzt werden, allemaln von 420 pfund salz ungeverlich 1 fl. zu nemen, oder man könnt ein nemliche summa auf ein jedlichs stuck saltz, so gewönlich in einer große gemacht werden, diesem gemeß schlagen, dasselbig auch unverschonet von jeder­ mann, er stunde zu, wem er wollt, nemen ungeverlich. Dieses ist meins achtens der kurtzest und schieinigst weg, gelt in eil aufzubringen. Dem kunnte gen Nurmberg ein leger oder rechenstat, ungeverlich mit fünf personen und eim Schreiber, diese zoll alle einzunemen, gesetzt werden, dann Nurmberg in mitte des Teutschlands gelegen, auch mit allerley hendeln in allen stetten und orten Teutschlands ver­ traute und bekande leut haben; darumb es nit allein mit potschaften, sunder mit Übersendung des gelts und machung der Wechsel der ende am gelegensten ist. Darzu ist es auch von dannen fortan nach Hungern zu senden an keinem ort fueglicher noch gelegner, kann mit geringer mühe und costen, an keinem ort schieiniger dann alda aufgericht werden, welche personen nit allein das gelt aus allen zollstetten, sunder auch die rechnung von eim jeden ort empfahen musten und die hinwiderumh des Reichs verordneten thun sollten. Ob nun von den herrschaften des saltzwerk wolt gesagt werden, es bracht (Fol. 608 v) dieser aufsatz iren salzwerken schaden und nachteil, solchs ist guet zu verantworten. Dann dieweil kains orts verschonet wurdet, darzu kein ort genediger oder herter, dann das ander gehalten und an eim wie am andern ort genumen, kann es derohalb keinem tail umb einen pfennig weder mer noch minder dann dem andren ob noch zu tragen. Dann man das saltz, es sey teuer oder wolfail, nit mag ge­ raten und hat deshalb kein beschwerung irenhalb; darzu kan mans abstellen, wann man will. Den andern halben theil zu erlangen, den möcht man mit aufsatz eines umgelts auf das getrank zuschlagen, es wer nun auf wein allein, oder auf wein und bier; das könnt meines achtens nit wol füglicher, dann durch nachvolgende weg beschehen: 20*

308 Erstlich mus man denken nach einem wege, wie solch gelt einzu­ bringen sey, daß darin niemants gefelet (?) noch umbgangen werde, darzu, daß es an keinem ort und auch von niemant zwifach genommen noch erfordert werde, welchs sich nach den herrschaften und oberkeiten nit wil thun lassen, angesehen, daß dieselben an viel orten zertrennet, zerteilet und gemenget sind. Aber nach der geistlichen, als der stiften Obrigkeiten, acht ich, es sey am bequemsten zu bekummen, angesehen das in solcher geistlichen oberkeit ir jeder die seinen dar und lauter mit allen kirchen getailt weiß und keiner dem andern in die sein greift, darumb und die­ weil das Reich in sechs kreis getailet ist, möcht man sechs regiment, als in jedem gezirk eins, verodnen, nemblich wie volgt: Item im ersten krais als dem kleinsten sind diese stift: Bamberg, Würzburg und Eystet; dise könnt gen Nurmberg an das ober Reichs­ regiment neben andern Sachen gezogen und ausgericht werden. Der ander gezirk, darin Saltzburg, Regenspurg, Freising, Passau, Kimsee, Gurck, Seckau und Sarcant ligen, möcht sein regiment zu Saltz­ burg oder Regenspurg haben, besetzt mit 3 oder 5 personen. In dem dritten gezirk, darin Chur, Costentz, Augspurg, Genf, Lusan, Trient und Brichsen ligen, mocht das regiment in Costenz oder Ulm gelegt werden. In dem vierten gezirk, darin Mainz, Cöln, Trier, Worms, Speyer, Fol. 609) Straßburg Baßei und Bisantz ligen, möcht ein regiment zu, Maintz oder Frankfurt gelegt werden. Im fünften gezirk, darin Baderborn, Lütich, Utrecht, Münster, Osnabrück, Munden, Metz, Thul, Camerich und Verdun ligen, möcht das regiment in Cöln gelegt werden. In dem sechsten und größten craiß, darin Magdeburg, Bremen, Hildesham, Halberstatt, Merspurg, Naumburg, Meissen, Brandenburg, Havelburg, Lübeck, Werden, Ratzenburg, Schleßwigk, Camin, Schwerin und Libus ligen, möcht das regiment in Leipzig, als in denselben landen die gewerbigist statt, gelegt [werden]. In diesen allen angezeigten orten und villeicht auch in Preußen solt der zehent, das wer von zehen maßen ein maß, und von zehen aimern ein aimer gegeben werden in allem getrenk, daßelbig sol nit mit wein oder bier betzalt werden, sondern mit gelt, wie hernach volgt: Erstlich sollen in eim jeden bistumb drey erber, redlich personen außerkiesen werden, die alles, das in demselben stift also gefiele, einnemen und ires kraiß obersten zuschicken sollen. Dabey soll auch in demselben und jeden stift, in einer jeden pfarr oder flecken oder dorf, alda ein pfarr were, zwo redlich personen, daselbst seßhaft, zusambt dem pfarrer verordnet werden, denen auch zimlich Verehrung beschehen möcht solch gelt einzunemen und das den obersten in gemeltem stitf zuzuschicken. Item die gesetzten personen der stift und aller pfarren sollten zu­ gleich an allen örtern auf montag nach dem neuen jarßtag anheben, alle wein in allen kellern, als weit eines jeden pfarr inne hete, gehen, dieselben

309 sovil sie den bey einem jedlichen funden, klar beschreiben und, sovif sie ungeverlich derselben zeit werth vvere, den zehenden theil desselben gelts von demselbigen in jarsfrist, als alle viertail jars den viertel teil von ihnen empfahen unnachleßlich. Item so ein hecker oder ein ander wein under den raifen oder faßweise verkauft, wie demselben hecker oder andern der einer verkauft wurdet, so soll der kaufer noch schuldig sein, sovil der wein in einer summa lief, noch von io gülden einen, von io groschen einen, von io pfennig einen dem Verkäufer hinüber zu geben, schuldig sein.

Item diesem kaufman, fuhrman oder andern, so den wein zu ver­ kaufen an ander stette und orte bringen, denen soll auch über das, wie sie ihne verkaufen, der (Fol. 609) kaufer sunderlich zu geben schuldig sein, von 10 gülden einen, von 10 pfund eins, von 10 pfennig einen, on Weigerung; solchem mit ernst nachzukumen, solt ein jedliche welt­ liche obrigkeit, so jedes orts die hohen gericht het, derselbigen end über die underthan schleunig verhelfen. Item damit solcher zehend nit zu groß und überschwengklich au dene, so den wein trinkt, geschlagen werde, so soll in allen teutschen, anden die maß umb den zehenden tail kleiner, wann sie vor gewest, gemacht und gereichet und mit einem nagel verzaichnet werden, damit die, so solchen wein anjetz auszapfen, irs bezahlns und ausgebens auch widerumb erstattung kriegen und den wein nit hoher denn vorhin dürfen schenken, also daß in diesem fall niemant beschwert, dann dem, der solchen wein trinkt, dem wurdet der zehend trunck abgebrochen, das achte ich in einer solchen note nit für ein große beschwerung. Item, sofern man auf das bier auch zins oder ungelt setzen wollte, so sollen in einer jeden pfarr alle preupfannen, so darinnen waren, geeichet und was der zehend teil piers werth wer, zu gelt angeschlagen werden; sovil preu aus solchen pfannen beschehen, sovil gelts solten die verordenten empfahen und dasselbig, sambt underschiedlicher und aigentlicher anzeig, den vorgemelten oberherrn desselben stifts zusenden. Item welcher auch ein vaß biers kauft, der soll schuldig sein, über das gelt, so solch vas bier machen wurde, den zehenden gülden, pfund und pfennig hinüber zu bezahlen und furtan das bier auch nach der kleinen maß außzapfen, also daß derselbig des auch nit schaden truege. Item also solten die verordneten der pfarren solch gelt, so in irer pfarr von weinen und bier gefiele, irem obersten desselben stifts on Ver­ zug zuschicken. Dieselben sollten dasselbig gelt ihren kraisverordneten alsdann aufs erst zustellen; deßgleichen solten die kraisverordnete dem obersten regiment in Nurmberg oder wo das gehalten wurde, on alles verziehen auch übersenden oder Wechsel machen.

Item, nachdem hie gesetzt worden, daß dieses thun des monats nach dem neuen jar seinen anfang haben soll, das verstet sich für das künftig jar; aber für dieses jetzig jar mag man es anfahen, wann man will und wie man das räthig wurdet.

310 Item von allen französischen weinen, so in die niderland, auch allen (Fol. 6io) welschen weinen, die in die oberland kumen, soll der zehend tail des werts für zoll genummen werden. Item der dritte weg, gelt zu machen, das möcht man nach angezaigter austailung der Stift auf die geistlichkeit den adel und die burgerschaft schlagen und von ihnen den zehenten tail irs aufhebens, allejar, so lang diser zug weret, nemen, und also oft einer zehen gülden einkummens hete, der solt ein gülden geben, und treffe von eim gülden sechs kreuzer. Und welcher kaufmanns- oder ander werbend handel heten, der solt, so oft er hundert gülden in werth hete, einen halben gülden davon, das wer dreißig kreutzer, geben, doch von feiernder paarschaft, Silbergeschirr, kleidern, cleinoden, getraid, weinen, damit man nit handelt, harnisch und Werkzeug, sol man nichts geben. Darzu solt man von keinem ackerpau, holtzern, wißen und waßers nichts geben, sunder allein von den vererbten, gewissen aufhebenden zinßen; dieselbigen solten die autheber von -dem irn bezaln und das nit widerumb auf ihre undertanen schlagen noch legen dürfen, angesehen, daß die armen vorhin im saltz und getrenk den reichen zugleich die auflag geben müssen. Und wievol denselbigen armen pauersvolk aufs fleisch, viech und keß etwas viel sallzwerks geet, so kann doch derselbig solchs widerumb auf keß und putter, dieweils ein jeder zugleich geben muß, im verkaufen auch schlagen; dann dieweil ein solch dapfer groß ding sich mit allem thun nit will in kloben messen lassen, muß man ein kleins nit ansehen, sunder das gotlichst, schieinigst und gebräuchlichst für die hand nemen und bedenken, daß solchs zu aller zeit, wann man dieser großen not nit mer besorgen dürft, widerumb kund abgestellt wurden. Bitt gantz underthenigs fleiß, ob ich hie rinnen jemand zu nachteil geraten, die woln mir, wie hievorn gebeten, verzeihen. Damit geb der almechtig, ewig gütig Gott, was nutz und gut sei, amen.

Schlußwort* Den für meine Abhandlung bestimmten Raum in dieser Zeitschrift habe ich bereits überschritten. Die Veröffentlichung noch einiger wichtiger Stücke der Denkwürdigkeiten Fürers bleiben daher einem späteren Hefte der »Mitteilungen" Vor­ behalten. Der Abhandlung sind drei Porträts Christoph Fürers des Älteren in Nachbildungen beigegeben, nämlich eine Medaille von 1526 (vgl. Wills Münzbelustigungen, II, S. 97 und Lochner, Ge-

311 schichtliche Studien, S. 70—72), ein im Besitz der Familie v. Fürer befindliches Ölgemälde, das offenbar auf diese Medaille zurück­ geht, und ein Kupferstich von Hans Troschel nach einer Vorlage (Holzschnitt, Gemälde?) von H. W.(?). Das Ölgemälde wurde gütigst von dem Familienältesten, Herrn Generalmajor a. D. Friedrich Fürer ven Haimendorf, zur Verfügung gestellt, wofür ihm auch an dieser Stelle noch be­ sonders gedankt sei. Der Meister des Gemäldes ist unbekannt.

Medaille auf Christoph Fürer d. Ä. von 1526

Ramann, Fürer

Tafel i

;i& (mmmmäwi Tqß0(rrÄÄe:/Almanus" für’s Haupt-Unterscheidungszeichen hielte, indem alle übrigen Worte auch auf dem Pariser Exemplare, und in solchem statt «Alman9Ä stehet: »Norimbergensis“. Wenn Se. Exzellenz der Herr Minister Freiherr von Zwackh nicht der Meinung wären, daß man nun diese ganze Sache auf sich beruhen lassen solle (wozu Hochderselbe wohl seine guten Gründe haben dürfte), so würde ich glauben, daß die Behörde in Mainz die Auslieferung des Gemäldes nicht beanstanden werde.. . Uibrigens halte ich das Mainzer Gemälde für keine Copie; solches ist blos ein zweyte s Exemplar desselben Gemäldes

342 vom nemlichen Meister; solches könnte für eine Copie blos in der Hinsicht gelten, weil derselbe Meister dies zweite Exem­ plar nach seinem ersten Gemälde gefertiget hatte; aber selbst in dieser Hinsicht wäre es keine eigentliche Copie, da solche mit dem ersten Gemälde nicht völlig übereinstimmt, z. B. das durch die Bäume sehende Gesicht des Meisters nicht hat, das im Pariser Gemälde ist; vielleicht sind auch noch andere Differenziert, die sich nur beurtheilen ließen, wenn man beyde Exemplarien neben einander hätte. Eine Rahm hat das Mainzer Gemälde nicht, so wie alle von Paris nach Mainz gekommenen Gemälde ohne Rahmen dastehen. Wahrscheinlich blieben die Rahmen zu Paris, weil solche die Kosten des Transportes würden vermehret haben und sie den Mehrbetrag nicht werth waren"1). Hermann kennt also außer dem Nürnberger, bezw. Mainzer Exemplar von Dürers Adam und Eva noch eine in Paris be­ findliche Wiederholung der berühmten Dürerschen Tafel, während ihm anscheinend die übrigen Ausfertigungen der Tafel in Madrid, Florenz usw. nicht bekannt sind. Wenn es sich hier nicht um einen unerklärlichen Irrtum Hermanns handelt, müssen wir also an­ nehmen, daß zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch eine jetzt ver­ schollene Ausfertigung zu Paris vorhanden und bekannt war. Ob­ wohl die ohnehin schon sehr verworrenen Verhältnisse bezüglich des Dürerschen Tafelbildes durch diesen Brief nicht nur nicht geklärt, sondern noch mehr kompliziert werden, glaubte ich ihn doch hier anführen zu sollen. Auf Grund des Hermannschen Gutachtens stellte der Stadtkommlssär von Nürnberg, v. Kräcker, unterm 10. Januar 1815 beim Ministerium des Äußern in München den offiziellen Antrag auf Rückerstattung des Dürerschen Gemäldes. Inzwischen hatte aber schon der bayerische Gesandte in Frankfurt, von Zwackh, an den Minister des Auswärtigen, Montgelas, am 1. Januar 1815 einen Brief gesandt, in dem er aus politischen Gründen von der 5 Zu diesem Bericht stimmt schlecht die Behauptung des Mainzer städti­ schen Bibliothekars Lehne, Hermann habe sich nach Besichtigung des Gemäldes von Adam und Eva in der Mainzer Stadtbibliothek davon überzeugt, daß die Angaben, dasselbe stamme aus Nürnberg, grundlos seien. Vgl. Glauning a. a. O. S. 226. Von einem Pariser Gemälde weiß Glauning in seinen sehr dankenswerten Ausführungen nichts zu berichten.

343 weiteren Verfolgung der Nürnberger Ansprüche entschieden abriet. Zwackh geht auf die bisher geschehenen Schritte ein und fährt so­ dann fort; n ... ich hätte gewunschen, daß diese Vorstellung unter­ blieben wäre. Die Preußen nun aufmerksam gemacht sprechen vielleicht mit Ostreich das ganze als von den Franzosen Erobertes an. Allein ein noch wichtigerer Grund veranlaßt mich die Re­ klamation, wenn würklich auch Nürnberger Stücke vorhanden seyn sollen, Euer Exzellenz zu begutachten, dermalen nicht fort­ zusetzen. Fürst Wrede schreibt mir vom 15ten v. M. ich sollte keinen Stoff den Mainzer Einwohnern zum Mißvergnügen gegen Bayern geben, höhere Politik erfordere nun dieses. .. Des Her­ mann Reklamation hat aber, wie mir gemeldet wird, große Sen­ sation unter den Bürgern von Mainz gemacht, indem sie hohen Werth auf die Schenkung des Kaisers legen". Demgemäß erging am 27. Januar 1815 vom Ministerium des Äußern die Weisung an den Kommissär der Stadt Nürnberg, «dem p. Hermann aufzutragen, sich aller weiteren Reklamation zu enthalten", aber zugleich dem Geheimrat v. Zwackh in Frank­ furt alle nötigen Behelfe zuzusenden, welche dieser benötige, um die Sache bei einer schicklichen Gelegenheit zur Sprache zu bringen. Die Sache wurde aber von Zwackh nicht mehr zur Sprache gebracht und ruhte nun vorläufig.

Im Herbst 1815 war endlich die Mission Thierschs in Paris nach unsäglichen Schwierigkeiten zu einem glücklichen Ende ge­ diehen. Die Pariser Behörden waren angewiesen, die aus Bayern entführten Gemälde und Bücher, soweit sie in Paris vorhanden waren, herauszugeben, und am 5. Oktober 1815 konnte Georg von Dillis, der Inspektor der Münchener Zentralgemäldegalerie, der zur Übernahme der Gemälde nach Paris beordert worden war, in einem eigenhändig angefertigten Verzeichnis den Rück­ empfang von 28 einzeln aufgeführten Gemälden bayerischer Her­ kunft unterschriftlich bestätigen. Von diesen 28 Gemälden werden 26 als von München und Schleißheim, eines von Zweibrücken her­ rührend bezeichnet und als 28. wird dann angegeben: u Albert Dürer, Das Bildniß des Künstlers. Brustbild auf

344 Holz. Aus Nürnberg weggenommen". Anscheinend in der gleichen Handschrift des Inspektors Dillis, aber mit anderer Tinte befin­ det sich dabei noch der Zusatz: wNB. Das Original befindet sich in der Gallerie zu München". Es kann also keinem Zweifel unter­ liegen, daß dieses der Stadt Nürnberg gehörige Gemälde von Dillis empfangen und mit den andern bayerischen Bildern nach München zurückgebracht wurde, woselbst am 14. Dezember 1815 die sechs mit den reklamierten Kunstschätzen beladenen Wagen eintrafen. Ob das letztgenannte Gemälde, das Selbstbildnis Dürers dar­ stellend, an die Stadt Nürnberg wieder zurückgegeben wurde und ob es mit der jetzt im Germanischen Museum zu Nürnberg (Katalog von 1909 Nr. 175) aufbewahrten Kopie des Dürerschen Selbstporträts identisch ist, kann ich vorläufig noch nicht sicher entscheiden. Die Direktion des Germanischen Museums glaubte auf meine Erkundigung hin die Frage verneinen zu müssen, da die Stadt Nürnberg »laut Ausweis des Städtischen Kataloges sich immer in diesem Besitz befunden" habe. Doch ist das Fehlen einer darauf bezüglichen Angabe im Katalog meines Erachtens noch kein schlüssiger Beweis, da die Kopie ja auch nach meiner Annahme »immer" und nur mit der kurzen Unterbrechung von 14 Jahren (1801 - 1815) im Besitz der Stadt Nürnberg gewesen ist. Auch hätte Dillis, der Vorstand der Münchener Zentral­ gemäldegalerie, der aus seinem Reklamationsgeschäft her die Kopie aus Nürnberg und die Rechtsansprüche der Stadt Nürn­ berg auf Rückgabe derselben sehr wohl kannte, der überdies, wie wir gesehen haben, in seiner Empfangsbestätigung vom 5. Oktober 1815 die Nürnberger Tafel gewissenhaft abgesondert von den übrigen Gemälden an letzter Stelle unter ausdrücklicher Bezeich­ nung ihrer Herkunft aufführt, an der Zurückhaltung der Kopie gar kein Interesse gehabt, da ja bekanntlich in der Münchener Galerie schon seit 1805 das Origina 1 vorhanden war]). Außer­ dem erhebt sich die Frage: Nach welcher Vorlage hätte denn die jetzt im Germanischen Museum hängende Kopie hergestellt werden können, da doch das Original schon früher der Stadt Nürnberg entfremdet und seit 1805 in München, die Kopie aber von 1801 bis 1815 in Paris war? Aus diesen Gründen neige *) Glauning a. a. O. S. 213.

345 ich der Annahme zu, daß die in Nürnberg vorhandene Kopie mit der aus Paris zurückerhaltenen identisch ist. Ob allenfalls im Archiv der Münchener Staatsgemäldesammlungen Aufzeichnungen von Dillis über die Rückgabe der Kopie nach Nürnberg vor­ handen sind, konnte ich nicht feststellen, da dieses Archiv nicht ohne Weiteres zugänglich ist1). . Auch über die Schicksale der anderen vier Nürnberger Bilder enthalten die Akten wertvolle Aufschlüsse. Dillis erhielt nämlich vom Generalsekretariat des Louvremuseums (Musee Royal de Paris) eine in französischer Sprache abgefaßte genaue Übersicht über die von Kommissär Neveu an das Museum abgelieferten Gemälde (Etat des tableaux). In dieser Übersicht sind die an Dillis zurückgegebenen Stücke mit roter Tinte unterstrichen. Auch Dürers Selbstporträt befindet sich selbstverständlich unter den unterstrichenen Stücken. Besonders wertvoll in der Über­ sicht ist für uns die Rubrik: Destination actuelle de ces tableaux, in der bei allen Gemälden der damalige Aufbewahrungsort an­ gegeben wird. Nach Aufführung der 72 aus München usw. ent­ führten Gemälde heißt es bezüglich der Nürnberger Bilder: Hotel de ville de Nuremberg. 73. 74. 75. 76. 77.

Albert Dürer. Hemskerke. Albert Dürer. George Pens. Kupetzki

Adam et Eve (Copie) Musee de Mayence. St. Luc peignant La Yierge Musee de Rennes. Son portrait par Lui meme Musee Royal. Portrait de l’alchemiste Jamnizer Musee de Gen&ve. Son portrait par Lui meme . Musee Royal.

Bezüglich des zuletzt aufgeführten Gemäldes ist von anderer (an­ scheinend Dillis’) Hand und mit anderer Tinte bemerkt: //NB. im Museum zu Braunschweig"; auch hat Dillis in seinem Berichte vom 20. Oktober 1815 aus Paris an das Ministerium des Äußern nochmals ausdrücklich erwähnt, daß er das Gemälde von Kupetzky, obwohl im amtlichen Pariser Verzeichnis als im Louvre befindlich bezeichnet, deswegen nicht zurückerhalten habe, weil es an die Provinzialsammlung nach Braunschweig abgegeben worden sei. Es steht also nach diesen offiziellen und mit anerkennenswerter Genauigkeit und Offenheit abgefaßten Angaben der Direktion des Louvremuseums unzweifelhaft fest, daß das Dürerbild Adam und Eva (das vom Louvremuseum ausdrücklich als Kopie *) Danach wäre also Glauning, der mir aber sonst dem richtigen Zu­ sammenhang nahe zu kommen scheint (a. a. O. S. 214), zu berichtigen.

346 bezeichnet wird) nach Mainz, Heemskerck nach Rennes, Pencz nach Genf und Kupetzky nach Braunschweig verbracht wurde. Daß eine Reklamation dieser in Provinzial­ museen verbrachten Gemälde nicht mehr erfolgte, hat seinen Grund darin, daß der bayerische Staat von einer Rückforderung der an Provinzialmuseen (sowie auch in französische Kirchen) abgegebenen Gemälde auf Grund eines Gutachtens des anscheinend nicht sehr energischen Dillis mit Ministerialentschließung vom 11. Oktober 1815 vorläufig abzusehen angeordnet hatte, da die Kosten der Herbeischaffung der Bilder unverhältnismäßig hoch sein würden und ihr Kunstwert verhältnismäßig gering sei. Letztere Anschauung ist indes nach dem heutigen Stande kunstgeschicht­ licher Betrachtung sicher unrichtig, befand sich doch z. B. unter den an das Museum zu Lyon abgegebenen die berühmte An­ betung der Heiligen Drei Könige von Rubens, die noch heute in der Münchener Alten Pinakothek schmerzlich vermißt wird. Für die Beurteilung der heutigen Rechtslage ist die damalige Unterlassung einer weiteren Reklamation ohne Bedeutung, da der bayerische Staat keineswegs für alle Zeiten auf die Gemälde verzichten zu wollen erklärte, übrigens auf die der Stadt Nürnberg gehörigen Stücke gar nicht mit Rechtswirksamkeit hätte verzichten können. Es besteht daher heute noch der Rechtsanspruch der Stadt Nürnberg auf die ihr widerrechtlich ent­ zogenen Gemälde. Die Stadt Nürnberg, die anscheinend von dem Schicksal ihrer Bilder keine Kenntnis erhielt und nur von ihren früheren Reklama­ tionen her von der Existenz der Dü r e r s ch en Ta fe 1 in Mainz wußte, setzte ihre Bemühungen, wenigstens wieder in den Besitz dieser Tafel zu kommen, noch lange Jahre fort1). Die Zuständig­ keit in dieser Sache war unterdessen vom Ministerium des Äußern auf das Ministerium des Innern übergegangen, so daß die zu meinen Ausführungen hier ausschließlich benutzten Akten des Ministeriums des Äußern leider etwas lückenhaft sind. Es erfolgten zunächst Reklamationsgesuche des Stadtmagistrats Nürnberg vom 6. Februar und 8. Oktober 1822, der Gutachter *) Die Angabe Glaunings (a. a. O. Seite 228 unten), daß man sich in Nürnberg schon mit der im Jahre 1815 erfolgten Abweisung beruhigt hätte, widerlegt sich also durch meine obigen Ausführungen.

347 Hermann, der inzwischen zum Ministerialrat vorgerückt war, taucht wieder auf, und am 8. Januar 1829 (!) erfolgte nachstehende Ent­ schließung des Ministeriums des Innern: „Die k. Regierung des Rezatkreises empfängt in der Anlage das Duplikat einer Eingabe des Nürnberger Stadtmagistrates vom 8. Ok­ tober 1822, die Bitte desselben um diplomatische Verwendung zur Restituirung eines Bildes von Albrecht Dürer betr. mit dem Auf­ träge, demselben zu eröffnen, daß eine diplomatische Einschreitung zur Erwirkung der Zurückgabe des im Jahre 1801 aus Nürnberg nach Frankreich abgeführten Bildes von Albrecht Dürer, welches sich gegenwärtig in der Galerie der Stadt Mainz befinden soll, insölange nicht stattfinden könne, als die Identität des Nürnberger Bildes mit dem Mainzer Bilde nicht hergestellt ist. Hiebey ist dem Magistrate zu bemerken, daß erhaltenen Notizen gemäß auf dem gegenwärtig in Mainz befindlichen Bilde der Baum der Erkenntniß auf der linken Seite der Eva angebracht sey und sich nur hinter derselben ein Ast in die Mitte des Bildes erstrecke, während doch der Magistrat in oben allegirtem Berichte selbst an­ führt, daß sich auf dem von Nürnberg abgeführten Bilde dieser Baum zwischen beyden Stammältern befunden habe, woraus sich er­ gibt, daß schon hiedurch der Beweis der Identität beyder Bilder unmöglich wäre und das Nürnberger Bild etwa noch in Frank­ reich aufzusuchen sein müßte“.

Diese wohl unzutreffende Auffassung des Ministeriums scheint der Stadtmagistrat Nürnberg, dem man das Zeugnis nicht ver­ sagen kann, daß er in dieser Sache äußerst rührig war, durch eine alsbaldige neuerliche und am 7. April 1830 wiederholte Vorstellung an das Ministerium des Innern widerlegt zu haben, denn am 9. Oktober 1830 erging an die k. bayerische Gesandt­ schaft zu Paris der Auftrag, »bei der Direktion des Museums zu Paris auf geeignete Weise sich Auskunft über den Ursprung des fraglichen Bildes zu Mainz und das fernere Schicksal des Nürn­ berger Gemäldes von der Zeit seiner Überbringung nach Paris an zu verschaffen". Von der bayerischen Gesandtschaft zu Paris traf die Antwort ein, daß auf Grund der Angaben des Direktors der k. französischen Museen durch den k. b. Gesandten am groß­ herzoglich hessischen Hofe, Staatsminister Frhr. von Lerchenfeld, der Versuch gemacht werden könnte, das fragliche Gemälde zu reklamieren. Hierauf stellte am 29. Januar 1832 das Mini­ sterium des Innern an das Ministerium des Äußern das Ersuchen, die Reklamierung des Gemäldes auf diplomatischem Wege zu be-

348 treiben, »nachdem nun die Identität des zu Mainz befindlichen Bildes von Albert Dürer mit dem von dem Nürnberger Magistrate reklamierten Gemälde aus den Acten hervorgeht". Tatsächlich erging am 7. Februar 1832 an den Gesandten am hessischen Hofe, Frhrn. von Lerchenfeld, der Auftrag, da »die Identität dieses Bildes mit dem in der städtischen Gallerie von Mainz befindlichen . . . durch die diesfalls zu Paris eingeholte verlässige Erkundigung. . . hinlänglich konstatiert ist.. . daß dessen Vindikazion, nach dem wohlbegründeten Gesuche der Stadt Nürnberg bei dem großh. hessischen Ministerium eingeleitet werde". Über den weiteren Verlauf dieser Reklamation vielleicht ein andermal.

Bezüglich der aus Nürnberg entführten Inkunabeln nimmt Glauning a. a. O. Seite 237 f. ohne weiteres an, daß sie in die Pariser Nationalbibliothek verbracht wurden und daß die dort laut Katalog vorhandenen Druckwerke dieser Art mit den aus Nürnberg entführten identisch seien. Die Annahme Glaunings ist möglich, vielleicht sogar wahrscheinlich, unbedingt zwingend ist sie aber nicht, da Neveu (und der französische General Lecourbe) die der Pariser Bibliothek fehlenden Werke ja auch in ausgiebigem Maß aus den Beständen der Hof- (jetzt Staats-) bibliothek zu München, aus verschiedenen Salzburger Bibliotheken und aus den Klosterbibliotheken zu Tegernsee, Polling und Rotten­ buch beizubringen sich bemühten. Neveus Desideratenliste, auf Grund welcher er bei seinen Beutezügen vorging, ist heute noch in den Akten erhalten (Catalogue des principales editions du Quinzieme Siede, qui manquent ä la Bibliotheque Nationale de France). Auch aus anderen deutschen Ländern und aus Italien waren infolge der glücklichen Kriegszüge Frankreichs große Bücherschätze in Paris zusammengeströmt. Als daher Friedrich Thiersch bei seiner erfolgreichen Reklamation im Jahre 1815 in die Depots des Pariser Nationalbibliothek geführt wurde, waren von ein und demselben Werk häufig fünf, ja noch mehr Exemplare vorhanden, welche später teilweise wieder an Provinzialbiblio­ theken abgegeben wurden. Vollständige Sicherheit über das Vor­ handensein von Nürnberger Wiegendrucken ließe sich — außer aus deq etwa noch erkennbaren Signaturen der Nürnberger

349 Bücher — aus den damaligen Erwerbskatalogen der Pariser Nationalbibliothek gewinnen. Diese Erwerbskataloge aus der Kriegszeit, für die vorwürfige Frage natürlich von unschätzbarer Bedeutung, wurden im Jahre 3815 Thiersch zur Einsicht vor­ gelegt. Er konnte an Hand derselben die aus München und Salzburg entführten Bücher ohne Schwierigkeit wieder auflinden. Die Bücher aus den Klöstern Tegernsee, Polling und Rottenbuch waren dagegen in den Erwerbskatalogen nicht verzeichnet, so daß Thiersch zu der wohl zutreffenden Vermutung gelangte, sie seien gar nicht an die Nationalbibliothek gekommen, sondern schon vorher von militärischen und anderen Bücherfreunden, als welche besonders Lucien Bonaparte, General Lecourbe und auch Talleyrand bezeichnet werden, für ihre eigenen Sammlungen wegge­ nommen worden. Bezüglich der Nürnberger Bücher spricht sich Thiersch überhaupt nicht aus. Da Thiersch sonst bei der ganzen Reklamationsangelegenheit mit unermüdlichem Fleiß und größter Genauigkeit zu Werke gegangen ist, kann ich mir nur denken, daß er, seiner ganzen Einstellung nach mehr auf die Rückforderung der Werke südbayerischer Provenienz bedacht, im Drange der Geschäfte die Reklamation der Nürnberger In­ kunabeln tatsächlich vergessen hat1). Dr. Heinrich Huber, München.

Die Reliefs am Sebaldusgrab2). Mit 6 Tafeln.

Aufbau des Sebaldusgrabes. Inmitten der weiten Halle des Sebalder Chors erhebt sich jener seltsame, um das Grab des heiligen Sebaldus errichtete Bronzetempel, der durch Jahrhunderte hindurch mit der Erinnerung an den Stadtheiligen auch die Namen Peter Vischers und seiner b Gelegentlich eines Besuches in Paris im Jahre 1900 habe ich in der Nationalbibliothek dortselbst vergebens nach den Büchern gesucht, die im Ka­ talog der Solgerschen Bibliothek, die schon 1801 einen Bestandteil der Nürn­ berger Stadtbibliothek bildete, als „von den Franzosen mitgenommen“ bezeich­ net sind. Wenigstens habe ich kein mir dort vorgelegtes Exemplar desselben Titels mit Sicherheit als aus der Solgerschen Bibliothek stammend feststellen können. A. d. H. 2) Der Artikel ist zugleich ein Zeichen der Erinnerung an die 400. Wieder­ kehr des Todestages Meister Peter Vischers d. Ä. (7. Januar 1529).

350

Söhne als der Künstler, die ihn schufen, im Volke wachgehalten hat. Unzählige Male ist vor diesem Märchenwald von Formen das Glück des Entdeckers verspürt worden, der sich in dem phantastischen Reichtum des Denkmals von Fund zu Fund fort­ ziehen läßt, heimlich geleitet von der klaren und strengen Ord­ nung, die den Bau als Ganzes beherrscht und sich bis in die Austeilung des kleinsten Gliedes herab auswirkt. Nicht asymme­ trisch ist über die architektonische Form der figürliche Schmuck hingestreut, er ist trotz aller Fülle so ausgeteilt, daß die Tek­ tonik des ganzen Baues wie der einzelnen Form wirksam wird und mit dem klaren Wohllaut des Geordneten zum Betrachter spricht, in ihm das Gefühl ruhiger Ausgeglichenheit erweckt. Wir sind heute kaum mehr fähig, das Werk in solchem Sinne aufzufassen, wie es seine Schöpfer ihm zugedacht haben. Unser Auge ist viel mehr gewohnt, auf den malerischen Reiz des Formgeflechtes und des Lichtspiels, das sich über die Höhen und Tiefen der architektonischen Glieder hinwegspinnt, zu achten, als auf Maß und Stufung, Entsprechung und Zusammenspiel der plastisch begriffenen Form. Nun stellen sich dem Versuch, den architektonischen Bau des Sebaldusgrabes in seiner Struktur zu begreifen, noch ganz besondere Schwierigkeiten in den Weg. Das Werk ist nicht aus einem Guß; unter renaissancemäßig gehaltenen, in italienischen Formen entwickelten architektonischen Formen, deren Umriß mit dem Wohllaut des Begrenzten zu uns spricht, lebt eine andere gotische Gestalt des Denkmals, die — vollendet — ein gewaltiger, bis in die Gewölbe des Chors hinaufragender Bronzetabernakel geworden wäre. Als dieser Bau zu dem umgeformt wurde, was heute vor uns steht, wäre es ein Leichtes gewesen, die Spuren des Zusammenstoßes neu angeformter Teile und des schon Vor­ handenen zu beseitigen. Sie sind aber im Gegenteil mit aller Deutlichkeit gewahrt; neue Form schiebt sich in und über die alte, ohne Verschleifung oder den Versuch des Ausgleichs. Hierin wirkt spätgotische Freude am Ineinanderstecken und Verschachteln, am Durchkreuzen und Verkanten hart ihre Individualität behauptender Formen nach. Aber der neuen Tektonik, der neuen Bindung und Mäßigung der Form ist das nicht entgegen. Einmal erfaßt, ist es ein Mehr in der Vielfältigkeit der Unterteilungen, die große

351 bindende Ordnung, der das Ganze unterworfen ist, wird dadurch nicht gestört. Das Bauwerk schließt sich als dreitürmiger Tabernakel um den Sarkophag, der über hohem Sockel thront. Der Sockelbau wie der ihn umgreifende Tabernakel erheben sich über einer Platte, die auf Füßen, die als Schnecken und Delphine gestaltet sind, über dem Boden ruht. Vor den hohen Pfeilern, die den Schrein umgeben, stehen auf kandelaberartigen Säulen die zwölf Apostel, über ihnen als Pfeilerkrönung an den Fußpunkten der Baldachine zwölf Propheten, über dem mittelsten Baldachin das segnende Christkind. Um den Sockel sind vier Reliefs — je zwei auf den Längsseiten — mit Wundertaten des Heiligen ausgeteilt, vor den Schmalseiten stehen in Nischen die Gestalt des Heiligen und die des alten Peter Vischer selbst als des Hauptes der Werk­ statt, die »Got dem Allmechtigen zu lob und Sanct Sebolt dem Himelfürsten zu Eren" dies Werk vollbracht hat. Auf der Fuß­ platte sitzen in der Mitte der Schmal- und Längsseiten die vier Kardinaltugenden, an den Ecken vier Heldengestalten. Mit diesen acht Figuren an den tektonisch wichtigsten Punkten der Fuß­ zone ist noch Bezug genommen auf den Sinn des Baues als Heiligendenkmal, sie sind als Verkörperungen der Eigenschaften St. Sebalds aufzufassen. Der übrige Schmuck aber ist blos Bei­ werk, Drölerie, in der sich die Phantasie des Künstlers frei ergeht und ihren Einfällen munteren Lauf läßt. Ist also die Aus­ deutung dieses Beiwerks, das zumal in den Reliefs der Säulen­ postamente, manches Rätsel aufgibt, nicht vordringlich für das Verständnis des Ganzen, so verlangt der Beobachter doch un­ bedingt Erklärung jener Vorgänge, die auf den großen Reliefs um den Sockel des Sarkophags geschildert sind. Diese Reliefs zu betrachten ist dem Beschauer keineswegs leicht gemacht. Sie liegen versteckt hinter dem Ständergerüst des Tabernakels, das Schrein und Sockel vergittert, ihre Mitten sind von den Hauptpfeilern überschnitten. Der Betrachter muß also aus Teileindrücken das Gesamtbild des Reliefs gewinnen, nur im geistigen Bild steht es als Ganzes vor Augen. Auch die Gestalten an den Schmalseiten des Sockels, der heilige Sebaldus und Peter Vischer d. Ä., sind dem Blick verstellt: gerade vor den Figurennischen, in den Mitten zwischen den Hauptpfeilern,

352 erheben sich bailusterartige, tellergekrönte Ständer als Träger schlanker Rundstäbe, die in die Scheitel der die Hauptpfeiler bindenden Spitzbogen emporstoßen. Auch hier muß der Be­ schauer aus den möglichen Schrägansichten den eigentlichen Be­ griff der Figur als plastischer Ganzheit bilden. Jedes der vier Reliefbilder steht in einer rundbogigen Rahmung, die eine vorderste Relieffläche andeutet, aus der die einzelnen Gestalten nirgends heraustreten. Der Reliefsockel, der der plastischen Darstellung die nötige Bühne gewährt, hält sich nicht in der Schicht der übrigen Rahmung, sondern schweift aus der Tiefe nach vorn. Zudem tritt er in den Mitten der Teil­ felder, die der überschneidende Hauptpfeiler dem Blick frei­ gibt, eckig verkröpft aus und schafft so zwei, leicht vortretende, von einem kleinen Säulchenpaar unterstützte Sockel als Stand für die Hauptfiguren der Kompositionen, die sich an diesen Stellen in hohem Relief aus dem Grunde abheben, während die Mitten der Reliefs, in flacherem Reliefgrad gehalten, wie zurückgedrängt durch den überschneidenden Pfeiler erscheinen. Sämtliche Reliefs enthalten nur Figur, keine Raumandeutung, keinen Hintergrund, die Gestalten erscheinen vor neutraler Fläche.

Deutung des Brot- und Weinwunders und der Bekehrung des Ketzers. Was geht nun in diesen vier Scenen vor sich? Die bisherige Literatur hat sich für gewöhnlich mit ganz knappen Kennzeich­ nungen der Darstellungen begnügt: Brot- und Weinwunder, Be­ strafung des Ungläubigen, die brennenden Eiszapfen, die Heilung des Blinden. Ein ausführliches Eingehen auf den Inhalt der Reliefs findet sich in Feulners schönem Buch über das Sebaldusgrab ’) aber die Quelle, die Feulner Vorgelegen hat und der er seine Deutung entnimmt, enthält Widersprüche zu den Vischerschen Darstellungen, die sie für die Erklärung der Reliefs wertlos macht. Man kann aber die Quelle zeigen, aus der Vischer geschöpft hat: es ist die große klassische Ausgabe der Heiligenleben, die 1488, im Jahre des ersten Entwurfs des Sebaldusgrabes, in der Kobergerschen Offizin zu Nürnberg erschien. Die Erzählungen der Wundertaten Sankt Sebalds, die sich in dieser Ausgabe der Heiligenleben finden, geben die widerspruchsb Adolf Feulner, Peter Vischers Sebaldusgrab in Nürnberg, München 1924, S. 29 ff.

Das Sebaldusgrab von Süden

Bier, Sebaldusgrab

Tafel

t

Brot- und Wein wunder Relief am Sebaldusgrab. Nach einem Gipsabguß. Bier, Sebaldusgrab

Tafel 2

Bekehrung des Ketzers Relief am Sebaldusgrab. Bier, Sebaldusgrab

Nach einem Gipsabguß. Tafel 3

Eiszapfenwunder Relief am Sebaldusgrab.

Bier, Sebaldusgrab

Nach einem Gipsabguß.

Tafel 4

Blindenheilung Relief am Sebaldusgrab. Nach einem Gipsabguß.

Bier, Sebaldusgrab

Tafel 5

Der Blinde mit dem Fischbecken Aus dem Blindenheilungs-Relief am Sebaldusgrab. Nach dem Original. hier, Sebaldusgrab

Tafel 6

353 lose Erklärung zu den Vischerschen Reliefs. Es hat ein hohes Interesse, zu sehen, wie aus der Erzählung der bildkräftige Moment gewonnen und zu anschaulicher Wirkung in den Reliefs verdichtet ist. Zunächst das linke Relief der Südseite des Sockels mit dem Brot- und Weinwunder. Die Legende berichtet: „Zu einem mal da kam Willibaldus und sein bruder Wunibaldus und sant Dyonisius der ewangelier zu sant Sebalt und giengen mit­ einander in den wald und sprachen zu sant Sebalt : uns hungert gar ser und haben nichts daz wir essen. Da sprach er: ir solt nit sorgen, wann got der lest die seinen nit, wann er speyset in der wüst funftausent menschen von fünf brott und zweyen vischen. Da gieng sant Sebalt von in wol als verr, als man mit einem steyn gewerfen mag, und bat gott daz er sy fursehe. Da kam ein engel von hymel und bracht in ein weyß brot. Das nam er under seinen mantel und danket got der genaden und gieng wider zu seinen gesellen und fraget sy, wie sy sich gehabten. Da sprachen sy: wir sein gar krank vor hunger. Da stieß sant Sebalt seinen stab in die erden und sprach zu in: zwacht [waschet] ewer hend und esset dann. Da sprachen sy: nun haben wir nichts, daz wir essen, warumb sollen wir dann die hend zwahen. Da thet sant Sebalt das brot herfur und hieß sy got danken. Da wurden sy gar fro und dankten got seiner genaden, und sassen da nyder und assen. Da sprach sant Sebalt zu Dyonisio: thu das legelein [Fässlein] herfür, da wir die vordem nacht wein inn hetten. Da sprach er: ich trank in allen auß. Da sprach er aber zwir [zweimal] nach einander: gib es her­ für und zeuch das zepflein. Da sprang der wein herauß, daz er im die schoß alle naß macht, als vol was das legelein guts weins. Da assen sy das gut brot, daz schmecket in ir yeglichs mund, als in ge­ lüstet, und trunken den guten weyn, und dankten gott, das sye als genug hetten“.

Das Relief nimmt das zeitliche Hintereinander des Brot- und Weinwunders in eine Handlung zusammen. Sebaldus ist mit dem Engelsbrot in Händen zu den hungernden Freunden herangetreten und bricht es, den Blick darauf gewandt, in Stücke, während Dionysius auf seinen Befehl den Zapfen aus dem Weinfäßchen zieht, das er iih Schoß hält. Die beiden Brüder Willibald und Wunibald, ganz Aug und Ohr bei der wunderbaren Handlung, danken mit ehrfürchtig gefalteten Händen Gott für seine Gnade. Sebaldus als der Wundertäter ist als die handelnde Hauptfigur von den übrigen drei Gestalten abgesetzt, diese schließen sich ihm gegenüber zur Gruppe, auch gibt der straff um den Körper gezogene Mantel mit dem flatternden Zipfel und die in schnellen23

354 dem Bogen gespannte Kontur von Standbein und Rücken, die sich durch das Brechen des Brotes begründet, der Gestalt Spannung und Kraft. Ihr Gegenpart ist der stehende Gefährte gegenüber, der — wie Sebaldus ins reine Profil gestellt — mit Ernst und Andacht den Blick auf den Wundertäter richtet. Die Strenge seiner aufrechten Haltung, verstärkt durch den steilen Falten­ wurf des Rockes, mildert der zurückgesetzte rechte Fuß und die Schräge des in den Arm gelegten Stabes. Die mittlere Gruppe der beiden Sitzenden ist gegenüber diesen stehenden Gestalten in flacherem Relief gehalten, die Erdstufe, die ihren Sitz bildet; kaum angedeutet. Die beiden Männergestalten neigen sich leicht gegeneinander, das Wunder, daß das vorher leere Legel mit Wein gefüllt befunden wird, spiegelt sich in dem andächtigen und erstaunten Blick des neben Dionysius sitzenden Beters deut­ lich. Die asketische Strenge St. Sebalds wird dadurch bezeichnet, daß er barfuß neben seinen beschuhten Genossen steht. Wir kommen zum zweiten Relief, der Bekehrung des Ketzers, wie es füglicher, anstatt »Bestrafung des Ungläubigen" genannt werden sollte. Nach der Legende geschah folgendes: „Zu einen zeyten da prediget sant Sebalt, da stund ein ketzer under in auff. Der sprach, sein lere und sein predig wer falsch Da rüffet ei* den almechtigen got an und bat in, das er im sein genad thet und im hulf, das der christengelaub gesterkt wurd. Da erhört in unser herr, und zehand thet sich das erdrich auff und verschlickt den ketzer biß an den mund. Da gewan er rew, und rufft sant Sebalt an und bat in, daz er gott für in bet, das er als gar iemerlichen nit verdurb und sprach: ich will alles das geren gelauben, das ein cristen sol gelauben. Da thet er gut wider übel und rufft unsern herren mit grossem ernst an. Da erhört in unser herr aber und für der ketzer auß der erden. Da bekerten sich alle die menschen zu cristen gelauben, die daz zeychen sahen“.

Sebaldus steht gegenüber der Volksmenge; zu der er ge­ predigt hat, und ruft mit gefalteten Händen in großem Ernst zu Gott, der vor den Füßen des Volkes den Ketzer in die Erde versinken läßt. Schreiend und klagend wirft der schon bis zu den Hüften Eingesunkene die Arme in die Höhe. Ein Jüngling mit langem, lockigem Haar, in gegürtetem Mantel, ist zu Sebaldus getreten und legt Fürbitte für den Ketzer ein, mit begütigender Gebärde sucht er dem Schrecken wirkenden Gebot Einhalt zu tun, während seine Rechte den Heiligen, dessen Blick den

355 Himmel sucht, auf den Versinkenden hinweist. Über diesen beugt sich ein Mann, bestürzt die Hände hebend. Neben ihm weist ein Vornehmer in breitkrempigem Barett und pelzbesetztem Mantel mit sprechender Gebärde auf Sebaldus hin, zeigt den Hinzugetretenen mit ausgestrecktem Finger den Bewirker des Wunders. Vier Gestalten — hinter den besprochenen beiden Männern erscheinen noch zwei — geben eng gedrängt und überschnitten vom Rahmen den Eindruck der Volksmenge. Sebaldus, als Gestalt kaum herausgehoben, wirkt durch die auf ihn gerichteten Gesten, vor allem durch die auf ihn gerichtete jammernde Gebärde des Versinkenden, der sich gegen ihn wendet. Auch stützt ihn die Senkrechte des Stabes, den er hinter sich in die Erde gestoßen hat. Eine Wandertasche ist an den Stab gehängt, ein Pilgerhut darüber gestülpt, ohne daß er zum Aus­ weichen aus der Senkrechten gebracht würde. Das Bedeutende* steil Ragende ist auch in Sebalds Mantelwurf mit dem dreimal wiederholten gabeligen Faltenmotiv gesucht. Daß Sebald dies­ mal am rechten Rand des Bildfeldes steht, geschah um 'der Ent­ sprechung zu dem linken Relief des Brot- und Weinwunders willen: die kompositioneile Anlage der Reliefpaare sucht die symmetrische Entsprechung, im südlichen wie im nördlichen Reliefpaar bilden die Gestalten St. Sebalds die rahmenden Figuren. Deutung des Eiszapfenwunders und der Blindenheilung. Das dritte und vierte Relief auf der Nordseite des Sockels* das Wunder der brennenden Eiszapfen und der Blindenheilung* gehören im Gang der Erzählung zusammen. Die Legende be­ richtet über diese Wunder St. Sebalds: „Darnach da kam er zu Nureinberg und setzet sich in den wald. Daz was umb weynnachten und was gar kalt. Und geng einsmals in die stat und kam in eines wagners hauß und was gar krank und bat in, das er im eyn feuer machet. Wann in froß gar übel. Da sprach er: ich hab nicht holz. Wann er wolt im keyn feuer lassen machen. Da bat sant Sebalt die frawen, das sy iren man bete, dazer ir gund, dz sy im ein feuer machet, das thet sy. Da wolt irs der man nit erlauben. Da sprach sant Sebalt: liebe fraw, bringt mir der eyßzapfen von dem tache, das ich ein feuer mache. Da sprach dye fraw: hörst du, lieber man, der man ist krank, er abredt [redet irr]. Da sprach sant Sebalt aber: tu als ich dich gebeten hab. Da bracht im die fraw der eißzapfen von dem tach, dy legt sant gebald 23*

356 aufif die kolen und bat unsern herren, das er sein genad erzeyget und sein wunder ließ sehen. Da erhört in unser herr und ward zehand ein gut feuer auß dem eyß. Da daz der man sah und ander leut auch, da lobten sy gott und bekanten sein heyligkeit daran. Und der man bat in, das er im vergeh, das er im keyn fewer hett gemacht. Da vergab ims sant Sebalt, und sprach zu im: gee aufif den markt und kauff mir visch. Da sprach er: daz will ich geren thun, waz mir darumb geschieht. Wann es waren desselben mal herren auf der bürg, die hatten bey den äugen [bei Strafe des Biendens] verboten, das nyemant solt visch kaufifen, sye hetten denn vor gekaufift. Dennoch gieng der man aufif den markt und kaufift visch. Daz ward den herren gesagt, da stach man im seine äugen auß, da schrey er und sprach: du schalk, das hab ich von dir. Da sprach er: es hat gott an dir gerochen, daz du an mir hast gethan, nun gee mit mir an die stat, da man dir die äugen außstach. Das thet der blind. Da hub sant Sebalt dye äugen aufif von der erden und satzt sy dem wagner wider ein und machet in wolgesehent mit der hilf gottes. Da ward er gar fro und bekant wol, daz er ein heyliger man waz. Darnach sprach sant Sebalt: gee noch hin und kaufif visch. Da sprach er: das wil ich geren thun, was mir darumb geschieht. Und gieng- wider aufif den markt. Da sprachen die menschen zu im: bist du nit der arm man, dem man die äugen außstach. Da sprach er: ya ich bins. Da sprachen sy: wer hat dich gesund gemacht, und wie thust du so gar törlich daz du herwider kumbst. Da sprach er: der mich gesehent hatt gemacht, der ist eyn heyliger man, der hat michherwider gesandt. Und saget da den leuten, wieheylig er waz“.

So wenig wie in den bisher besprochenen Reliefs ist im Relief des Eiszapfenwunders irgend eine Raumandeutung vor­ handen. Auf einem Hocker, an dem er seine Wandertasche nieder­ gelegt hat, sitzt zusammengekauert St. Sebald und wärmt Hand und Fuß an dem Feuer, das aus den Eiszapfen prasselt. Die Schwäche der Krankheit drückt sich in der gebückten Haltung und dem Anziehen des Beines aus, dessen Fuß er gerade an der Flamme wärmt und das sich nicht selbst zu tragen weiß, das die unterm Knie anfassende Hand halten muß. Ihm gegenüber steht der Wagnermeister, in seiner knickerigen Hal­ tung und durch die auf die Geldtasche gelegte Hand als der Geizhals gekennzeichnet. Er weist dem hinzutretenden Mann, der mit der Hand die Wärme prüft, Sankt Sebald als den wunder­ baren Entfacher des Feuers. Die Frau des Wagners kniet neben ihrem Mann vor dem Feuer und legt Eiszapfen zu. Auch sie hält die Hand über die wärmende Flamme.

357 Die vierte Szene spielt an der Gerichtsstatt. Sorglich führt ein Mann den Wagner herein, der in der Hand noch den Kessel mit den Fischen trägt, vorsichtig Fuß vor Fuß setzt, den Kopf mit dem tastenden Ausdruck des Blinden leise vorgeschoben. Mit rüstigem Schritt und hilfbereiter Gebärde kommt ihm Sebald entgegen, der die Augäpfel vom Boden aufgelesen hat und sie in der erhobenen Hand hält, bereit, sie dem Blinden einzusetzen. Hinter diesem steht weinend, abgewandten Hauptes, seine Frau, mit leiser Hand sorglich ihren Gatten berührend. Hinter dem Heiligen, der in wehendem Mantel erscheint, steht sein Stab in die Erde gestoßen, daran die Pilgertasche gelehnt. Ein Wort noch zur Deutung Feulners. Nach seiner Quelle geht das Weinwunder in einem Haus vor sich, Dionys holt im Keller den Wein. Es ist wahrscheinlich, daß die Sitzenden dann nicht auf einer Erdwelle, sondern auf einer Bank oder dergleichen plaziert worden wären, wenn Vischer diese Quelle Vorgelegen hätte. Die dritte und vierte Szene soll bei einem Wirt spielen, als dieser trotz des Verbotes der Nürberger Burgherrschaft dem kranken Heiligen einen Fisch gegeben hat, wird er geblendet. Von dem Gang auf den Markt ist keine Rede. Aber warum er­ scheint dann der Wirt im vierten Relief mit dem Fischkessel? Über die Zuteilung der Reliefs an die Söhne Vischers d. Ä. Eine Frage wäre noch aufzugreifen, die Frage, ob alle vier Reliefs von einer Hand sind, und welchem oder welchen der Vischer sie zufallen. Meller, der neueste Vischerbiograph1), der auf die Deutung der Reliefs nicht eingeht und sich in der Be­ zeichnung an Feulners Angaben hält, glaubt, was die Zuweisung angeht, nur das Relief mit der Bekehrung des Ketzers aus der Reihe ausscheiden zu müssen, und, während er die übrigen drei Peter d. J. zuteilt, gibt er dieses dem Hans Vischer. Das hat viel für sich, man braucht nur die Deckplatte des Doppelgrab­ mals der Kurfürsten Joachim und Johann Cicero im Berliner Dom, ein bezeichnetes Werk Hans Vischers vom Jahr 1530, mit der Gestalt des Sebaldus in dem genannten Relief zu vergleichen. Das untersetzt Breitbeinige, der harte einfache Faltenwurf, Modellierung, Ausdruck und Bartform des Kopfes, das geht bei der Figur der *) Simon Meller, Peter Vischer d. Ä. und seine Werkstatt, Lpz. 1925 S. 178ff

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Deckplatte1) und dem Sebaldus nah zusammen. Aber ob die übrigen drei Reliefs wirklich alle drei von der Hand Peters des Jüngeren sind, steht dahin. Das unvergleichlich stimmungsvolle Blindenheilungsrelief gewiß, das verbürgt die weinende Frauen­ gestalt, eine Schwester der Eurydice der berühmten Plakette im Berliner Museum; auch das Relief mit dem Wein- und Brotwunder scheint von seiner Hand. Anders aber mutet das Relief mit dem Eiszapfenwunder an. In der knieenden Matrone erkennt man die zarte Frauengestalt des Blindenheilungsreliefs kaum wieder. Auch der Wagnermeister hüben und drüben ist ein anderer Mann. Nicht weicher Fluß der Bewegung, sondern eine harte, fast spät­ gotische Charakterisierungskunst. Mir scheint die Hand dieselbe, die das Eisensche Epitaph in St. Egidien geformt hat, nach Meilers Hypothese Paul Vischer. Die Frage der Zuteilung der Reliefs an die einzelnen Mit­ glieder der Familie Vischer kann nicht in raschem Entscheid gelöst werden, dafür ist der gemeisame Stil der Werkstatt, wie er sich in der steten Zusammenarbeit herausbilden mußte, zu stark Herr über die Sprache der einzelnen Individualitäten ge­ worden. Aber die Frage bleibt offen und ihre Lösung muß vom Gesamtwerk der Vischerschen Werkstatt aus immer neu versucht werden, bis die Aufteilung der Werke unter den Vater und die Brüder so einleuchtend klar gelungen ist, daß eine Überein­ stimmung im Urteil sich zu bilden vermag. Dr. Justus Bier.

Zur Frage der Bemalung von Schnitzwerken. Das erste große Werk Tilmann Riemenschneiders, der Münnerstädter Altar, fällt durch seine Farblosigkeit auf. In ganz Mittel- und Süddeutschland waren bis dahin die Schnitzaltäre gefaßt worden. Bier2) weist darauf hin, daß die Unterlassung am Münnerstädter Werk nicht etwa in Geldschwierigkeiten ihren Grund hatte; diese mögen die Verwirklichung des künstlerischen Gedankens erleichtert haben, letzte Triebkraft für die Nichtfassung war ein anderes neues ästhetisches Empfinden. Durch die Farb*) Abbildung bei Meller, S. 207. 2) Bier, Justus, Tilmann Riemenscheider. Würzburg 1925, S. 12 ff.

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losigkeit und durch ein zweites Neue am Altar, die Einansichtigkeit, sollte weine größere künstlerische Geschlossenheit und Gestuftheit" erreicht werden. Das Licht sollte, entgegen der differenzierenden Wirkung von Gold und Farbe, in den nach einer gewissen Vereinheitlichung strebenden Willen des Künstlers gestellt werden, wie es bisher nicht der Fall war. Die Schnitz­ arbeit am Kunstwerk selber wurde feiner und seelenvoller, weil der zur Fassung nötige Auftrag von Kreide entfiel. Neuer Träger des ästhetischen Empfindens wurde das Licht, das in buntem Wechsel oder großen Gängen auf den sorgfältig gearbeiteten Oberflächen der Figuren spielte. Dazu kam der eigene Reiz des Materials. Das Illusionistische von Gold und Farbe wurde auf solche Weise benommen. Daß diese Kunstauffassung zunächst nur die eigentlichen Künstler ergriff, liegt in der Natur der Sache. Die große Masse hatte für die neue, feinere Wirkung noch wenig Verständnis. Auch der Münnerstädter Altar, bei dem noch die äußeren Seiten der Flügel wegen der Einansichtigkeit leer geblieben waren, fand offenbar nicht den Beifall der Menge. Veit Stoß, dessen Eidam Georg Trümmer Münnerstädter Bürger war, bekam 1502 den Auftrag, den Hochaltar «zu vassen, zu malen, vergulden und außzubereyten‘ ‘. Noch vor seiner Brandmarkung am 4. Dezember 1503 nahm Stoß die Arbeit auf, die er dann wohl nach seiner Flucht aus Nürnberg im Jahre 1504 vollendete. Interessant ist nun die Frage, ob Veit Stoß in künstlerischer Anschauungsweise hinter Tilmann Riemenschneider zurückge­ blieben war, oder ob er die nachträgliche Bemalung nur in sach­ licher Wertung der Gegebenheiten auf Wunsch der Münnerstädter Auftraggeber vornahm. Sein eigenes erstes großes Werk, der Altar für die Marienkirche in Krakau, war von vornherein auf Fassung angelegt. Des Meisters Bruder Matthias Stoß half an der Bemalung mit1), war vielleicht sogar zu diesem Zweck von Veit nach Krakau gerufen worden. Auch ein Steinrelief des Meisters zu Krakau mit der Ölbergsszene zeigte bei Entfernung des spä­ teren Ölfarbenstriches beträchtliche Reste einer alten Bemalung2) Die Marmorgrabmäler indes, die Stoß weiterhin an seiner öst0 Loßnitzer, Max, Veit Stoß, Leipzig 1912, S. 38.

2) Ebd. S. 52.

360 liehen Wirkungsstätte herstellte, das Grabmal König Kasimir Jagellos und das des Erzbischofs Sbigneus Oiesniki von Gnesen, wiesen von vornherein jede Bemalung von sich. Der rote ungarische Marmor, aus dem die Denkmäler hergestellt wurden, wirkte schon durch die Feinheit und Kostbarkeit des Materials. Veit Stoß müßte ein zu schlechter Beobachter gewesen sein, hätte sein Auge sich den Wirkungen des Lichtganges über die glänzen­ den, polierten Marmorflächen hin verschlossen; ja es wäre ihm geradezu ein Wesentliches seiner eigenen Kunst verborgen ge­ blieben. Wie wenig dies der Fall war, zeigen die drei Sandstein­ reliefs, die der Meister nach seiner Übersiedlung nach Nürnberg (1496) im Auftrag Paul Volckamers für die Sebaldkirche schuf. Nach dem Vorbild des Krakauer Reliefs hätte man auch hier eine Bemalung erwarten können. Trotzdem ist auf Farbe ver­ zichtet, obwohl der Lichtgang auf dem matten Material weniger sicher schreitet als auf dem geglätteten Marmor. Nur die Lippen waren leicht getönt und vielleicht die Augensterne eingezeichnet1). Indes bedeutet die Unterlassung der Fassung an Steinreliefs nichts Neues. Auffallend aber mußte es erscheinen, daß Stoß auch die beiden großen Holzfiguren zu beiden Seiten oberhalb der Reliefs offenbar ohne Fassung ließ2). Sie stellen den auferstandenen Christus und seine Mutter dar, die freilich noch so verhärmte Züge trägt, daß man die Gestalten vielfach als Schmerzensmann und Schmerzensmutter bezeichnete. Das Wertvolle für unsere Frage liegt aber darin, daß bei der Wiederherstellung an der Plinte die Jahreszahl 1490 zum Vorschein kam, also eine sichere Datierung vorliegt. Veit Stoß hat darnach schon vor Bemalung des Münnerstädter Altars eigene Schnitzwerke von Holz unge­ faßt gelassen. Er kam wie Riemenschneider aus der Spätgotik über den Weg der Steinplastik, unbeeinflußt vom Würzburger Meister, zum gleichen Ergebnis der Farblosigkeit, stellte wie jener die natürliche Wirkung des Materials und des Lichtganges in seinen Dienst. Für die nachträgliche Bemalung des Münnerl) Ebd. S. 91. *) Vgl. Hoffman, Friedrich Wilhelm, Die Sebalduskirche in Nürnberg, Wien 1912, S. 159.

361 Städter Altars waren also ohne Zweifel Wünsche des breiten Publikums maßgebend, dem die Augen für Farblosigkeit noch nicht aufgegangen waren. Gefährlich indes wäre der Schluß, Stoß sei weniger Künstler­ idealist gewesen als Riemenschneider, da er den Tatsächlich­ keiten des Lebens mehr Rechnung trug. Ohne Zweifel hätten die Münnerstädter auch nachträglich die Fassung des Altars an Riemenschneider übertragen können, zumal sie keinen Grund hatten mit seinem Werke unzufrieden zu sein. Allein Veit Stoß war in der Faßmalerei wohl ausgebildet, während Tilmann Riemenschneider nicht über die gleiche Fertigkeit verfügte und fremde Kräfte zu Hilfe nehmen mußte. Riemenschneider also hätte von vornherin mit einer Teilung der für den Altar ausgeworfenen Summe rechnen müssen, die bei Unterlassung der Bemalung ungeschmälert in seine Tasche floß. Auch nach der Münnerstädter Malerei, die sich zugleich auf die leeren Außenflügel des Altars erstreckte, hat Stoß von Be­ malung eigener Werke abgesehen; es sei nur an die Andreas­ statue in St. Sebald zu Nürnberg und an den prachtvollen Rochus in Florenz erinnert. Loßnitzer stellt sogar für die erste Nürn­ berger Zeit eine Vorliebe des Künstlers für unbemalte Holz­ statuen fest1). Er täuscht sich aber, wenn er glaubt, die spätesten Werke Stoßens seien durchweg bemalt oder doch für Fassung bestimmt gewesen. Zwar hat Stoß beispielsweise sogar noch die steinerne Paulusstatue des Anton Kreß in St. Lorenz bemalt, wohl ebenfalls auf Wunsch des Auftraggebers, sein letztes großes Werk aber, der Altar für die Salvatorkirche in Nürnberg, war sicher nicht auf Fassung berechnet. Hier hatte er sich nicht den Wünschen und dem Geschmack eines Auftraggebers zu fügen, weil dieser sich selbst dem Künstlerwillen des Meisters unter­ ordnete. Es war Veits ältester Sohn Andreas, der dem Vater den Altar in Auftrag gab2). Im Jahre 1520 war er auf Wunsch des Nürnberger Rates als Prior an das Karmelitenkloster in Nürnberg berufen worden. Noch im gleichen Jahre bestellte er bei seinem Vater für die Klosterkirche St. Salvator einen Altar, der heute von seinem Standort in der Oberen Pfarr zu Bamberg J) Loßnitzer, S. 169. *) Schaffer, Reinhold, Andreas Stoß, Breslau 1926, S. 22.

362 gewöhnlich Bamberger Altar genannt wird1). Der Meister lieferte das eigenhändige Werk vertragsmäßig nach drei Jahren ab, »wann es ist nit ein werk, das in einem jahr hat kinnen gemacht werden durch ain ainzige hand"2). Der Prior aber ließ in das von ihm neu angelegte Anniversarium eintragen: wBruder Andreas Stoß aus Krakau, Doktor der Rechte und Prior dieses Klosters, ließ durch seinen Vater, Meister Veit Stoß, die Tafel im Chor mit einem neuen Antlitz schmücken 1523. Kein Prior soll sie leichthin mit Farben bemalen. Den Grund dafür werden ihm alle kunstverständigen Meister dieses Zweiges sagen können. Die Tafel soll nur geöffnet werden an Weih­ nachten, Ostern und Pfingsten mit den zwei folgenden Tagen, an Himmelfahrt, Dreifaltigkeitsfest, Allerheiligen, Erscheinungs­ fest des Herrn, Fronleichnam, Kirchweih und an allen Festen der seligen Jungfrau Maria. Am gleichen Tage soll sie unmittel­ bar nach der zweiten Vesper wieder geschlossen werden. Zwei­ mal im Jahre soll sie gereinigt werden. Und es sollen keine großen Kerzen auf den Altar gestellt werden wegen des Rauches. Zwei kleine Kerzen genügen. Die übrigen sollen fern vom Altar ihren Platz finden"3). Damit ist auch der unwiderlegliche schriftliche Nachweis erbracht, daß die Bemalung aus künstlerischen Erwägungen heraus unterlassen wurde. Das frischgeschnitzte Lindenholz mit seinem Lichtspiel sollte für sich wirken.und die Einwirkung von Kerzen­ rauch und Zeit möglichst hintangehalten werden. Ohne Zweifel ist die Weisung des Priors nach dem Willen des Vaters erfolgt. Ueber die Schicksale des Altars s. Schaffer, S. 113 ff. 2) Schaffer, S. 23. Es sei hier ausdrücklich auf die Wichtigkeit dieser Stelle aufmerksam gemacht. Da Werk, Herstellungszeit und Eigenhändigkeit bezeugt sind, lassen sich auch für andere Werke Rückschlüsse auf die Eigen­ händigkeit ziehen, wenn nur Werk und Herstellungszeit bekannt sind. **) Nürnberg Stadtbibliothek, Anniversarium des Karmelitenklosters. Der lateinische Text lautet folgendermaßen: Frater Andreas Stoesius, decretorum doctor,. prior huius monasterii, Cracouiae oriundus, tabellam in choro sitam nova facie iussit pergenitorem suum, magistrum Vitum Stoesium ornari MDXX11I. Nullus prior faciat eam coloribus pingere faciliter. Causam sibi narrabunt omnes arteficiosi magistri in illa arte. Nota: aperiatur tabula solum in festo nativitatis domini, pasche, penthecostes et duobus diebus sequentibus, ascensionis, trinitatis, omnium sanctorum, epiphanie domini, corporis Christi, dedicationis ecclesei ac in omnibus festivitatibus beate Marie virginis. Eo die mox finitis vespersi secundis claudatur. Et omni anno binies mundetur. Et ne magna lumina super altare propter fumum. Sufficiunt due pave candele de cera. Alie vero extra altare locentur.



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Daß die neue künstlerische Anschauungsweise noch lange nicht allgemeinen Anklang gefunden hatte, zeigt die Tatsache, daß überhaupt eine Weisung, zumal an die Prioren, nötig war und daß die Gründe für die Nichtbemalung offenbar nur den Künst­ lern selbst geläufig waren. Dem Meister Veit stand wohl die Erinnerung an seine Bemalung des Münnerstäater Werkes vor der Seele, als er selbst unter dem Zwang der Verhältnisse gegen seine künstlerische Überzeugung gehandelt haben mochte. Seinem eigenen Werke sollte durch eine Weisung des bestellenden Priors und Sohnes ein ähnliches Schicksal erspart bleiben. Durch die klare Nachricht des Andreas Stoß fallen alle Ver­ mutungen in sich zusammen, daß die Bemalung unterblieben sei wegen der infolge der Reformation knapper fließenden Geldmittel. Die Notiz aus dem Nürnberger Karmelitenkloster erscheint auch deshalb so wertvoll, weil in der Literatur, so weit sie zu über­ blicken ist, sich bisher kein ähnlicher Nachweis findet, der sich aus der Zeit in gleicher Weise so bestimmt über die prinzipielle Seite der Frage ausspricht. Eine dankbare Aufgabe aber wäre es wohl, die Frage nach der Bemalung bis zum Ausgang des Mittelalters für das ganze deutscheKunstgebiet in einer eingehenden Untersuchung zu verfolgen. Reinhold Schaffer

Albrecht Dürers Gedächtnis im Briefwechsel Willibald Pirckheimers. Im Folgenden gebe ich eine nach Möglichkeit vollständige Zusammenstellung aller Stellen, wo Dürer in der Korrespondenz Pirckheimers erwähnt wird. Wir sehen daraus, wie der Künstler schon zu seinen Lebzeiten geschätzt, ja geliebt und nach de» ver­ schiedensten Seiten hin in Anspruch genommen wurde. Manches davon ist ja wohl schon bekannt, eine Aufführung auch an dieser Stelle erschien aber um so unerläßlicher, als die hier einschlägigen Zitate sonst meist nur in der Übersetzung gegeben werden. Hier bieten wir lateinischen Originaltext und in der Regel die Über­ setzung zugleich, letzteres mit Rücksicht auf uns aus Künstlerkreisen

364 geäußerte Wünsche. Von Bedeutung für unsere Kenntnis von Dürers Lebensführung, seinen Charakter usw. sind namentlich seine Erwähnungen in den Briefen des Bamberger Kanonikus Dr. Lorenz Beheim, die ich größtenteils schon vor Jahren einmal, allerdings auch nur übersetzt, veröffentlicht habe1), die aber, trotzdem dies in einer vielgelesenen Zeitschrift geschah, nur wenig Beachtung gefunden haben. Aber auch sonst werden für diese oder jene Frage unsere Beiträge nicht wertlos sein. Meine Quelle ist hauptsächlich der Nachlaß Pirckheimers in der Nürnberger Stadtbibliothek, in dem mir ja auch die wesent­ lichste Grundlage zu meiner bevorstehenden Herausgabe des Pirckheimerbriefwechsels geboten ist. Briefe aus anderen bisher un­ bekannten Quellen kommen sonst nur wenige in Frage, stärker ist die Zahl derjenigen Schreiben, deren Original leider verloren gegangen ist und die uns daher nur in älteren Drucken vor­ liegen. Namentlich die zwischen Pirckheimer und Erasmus ge­ wechselten Briefe sind meistens von diesem Schicksal betroffen worden. Die Ausgaben der Opera Pirckheimeri von Melchior Goldast, Frankfurt 1610, abgekürzt Gold., sowie der Opera omnia des Erasmus, Tomus III (2 Teile Leyden 1703, abgekürzt Erasm. Opp.) mußten hier Ersatz bieten, jetzt sind sie freilich, für unsere Zwecke wenigstens nahezu, durch die ausgezeichnete kritische Ausgabe der Erasmusbriefe von P. S. Allen überholt worden2). Wo es nicht ausdrücklich anders bemerkt ist, sind sämt­ liche mitgeteilten Stellen aus den noch vorhandenen Originalen genommen. Die Wiedergabe der eigenen Briefe Dürers an Pirck­ heimer lag nicht im Plane dieser Zusammenstellung, für sie sei auf Lange-Fuhse, Dürers schriftlicher Nachlaß, Halle 1893, sowie auf Ernst Heidrich, Albrecht Dürers schriftlicher Nachlaß, Berlin 1908, verwiesen. Die Pirckheimerpapiere der Stadtbibliothek sind mit der Abkürzung Pirckh. wiedergegeben, P. bedeutet Pirck­ heimer. Im 18. Jahrhundert wurde eine größere Anzahl Briefe der Korrespondenz von dem Altdorfer Professor Joh. Heumann herausgegeben, unter dem Titel: Documenta literaria varii argn*) Neue Nachrichten über Albrecht Dürer (Beilage zur Allgemeinen Zeitung. München, 5. April 1905, Nr. 80). *) Opus epistolarum Des. Erasmi Roterodami, denuo recognitum et auctum per P. S. Allen, M. A., D. Litt., Oxford, 1906 ff., bis jetzt 6 Bände, die bis 1527 gehen (abgekürzt Allen).



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menti, Altorfii 1758, deren längere, für sich paginierte Einleitung als Commentatio isagogica bezeichnet ist (abgekürzt Heum. und Heum. Comm. isag.). 1. Pirckheimer an Conrad Celtis, Nürnberg, 14. März 1504. Lat. Abschrift im Codex epistolaris Celticus der Wiener Staatsbibliothek. Hs. 3448. 4°, fol. 155. Turer te salutat.

Dürer läßt Dich grüßen.

2. Sebastianus Hircanus an P., Augsburg, 31. Jan. [Jahr unbe­

stimmt, jedoch wohl sicher nach 1504, aber kaum nach 1514]. Pirckh. 268. Meo denique nomine omnibus filiabus vestris, pictoriae artis architecto et matri suae charissimae totique domui vestrae me plurimum comendabitis1). Empfehlt mich bestens allen euren Töchtern, dem Meister aller Malerkunst, seiner teuren Mutter und eurem ganzen Hause.

3. Dr. decret. Lorenz Beheim, Kanonikus zu St. Stephan in Bamberg2), an P. Bamberg, 9. Februar 1506. Pirckh. 375, 2. Quid agat ubive sit noster Albertus Dwrer, me cerciorem facito ipsumque salutato3). Was macht und wo befindet sich unser Albrecht Dürer? Erzähle mir das und grüße ihn.

4. C. Fuchs (wohl Conrad Fuchs von Ebenhofen, der seit 1506 mit Anna Riedler, einer Augsburger Geschlechterin, ver­ mählt war) an P., Augsburg, 11. [16.?] Febr. 1507. Pirckh. 66. Ich hab euch den Albrecht Dürer yetz mal nit lang hie aufgehalten [wohl auf seiner Rückreise von Venedig].

5. Lorenz Beheim an P., [Bamberg]

13. Februar 1507.

Pirckh. 375, 13. Saluta nomine meo nostrum Albertum Dürer. Veilem scire, quidnam lucratus sit4). Grüße mir unsern Albrecht Dürer. Ich möchte wissen, wieviel er verdient hat.

6. Lorenz Beheim an P. [Bamberg] Pirckh. 375. 14.

21. Februar 1507.

*) Dürers Mutter starb am 16. Mai 1514, s. Lange-Fuhse, S. 13. Daß hier Dürer gemeint ist, ist wohl zweifellos. Hircanus, den ich sonst nirgends finde, scheint eine Art Goldmacher gewesen zu sein, jedenfalls hielt ihn z. B. ein Anton Welser in Augsburg, nach dem Inhalt unsers Briefes zu schließen, für geheimer Künste fähig. a) Vgl. Emil Reicke, Der Bamberger Kanonikus L. B., Pirckheimers Freund {Forschungen zur Geschichte Bayerns. XIV. Bd. 1906, S. 9 ff.). 8) In demselben Briefe klagt Beheim auch über eitrige Geschwüre usw., wie diejenigen hätten, die an dem morbus gallicus, der Franzosenkrankheit leiden. Dürer, der damals schon in Venedig war, scheint darüber von P. be­ nachrichtigt worden zu sein, denn am 25. April 15ob schreibt er dem Freunde: Mir ist leid für herr Lorentz. Beheim war stark syphilitisch. 4) sc. in Venedig.

366 Intellexi ex nonnullis, bene fuisse vos debachatos per hoc carnisprivium induxisseque istic peregrina spectacula, utpote ballete taliane [italiane] et alias mille repraesentaciones, usque in hodiernum. Placet .. . Profecto, si existimassem, vos tarn hillares fore per haec bachanalia, non defuissem. Fuissem et ego tecum debachatus. Sed, quia praeteritum est, de futuro cogitandum est. Non restat iam nisi poenitenciae locus ... Salutes meum, ymo nostrum Barbatum, ut puto, Albertum Thurer. Ich höre von verschiedenen Seiten, ihr habt euch schön ausgetobt in diesem Fasching. Ihr hättet dort fremde Schauspiele eingeführt wie italienische Ballette *) und andere tausend Vorführungen [veranstaltet] bis zum heutigen Tage*2). Das gefällt mir... Wahrhaftig, hätte ich geahnt, daß ihr so fröhlich sein würdet in diesen Bacchanalien, so hätte ich nicht gefehlt und ich hätte auch mit dir herumgetollt. Aber da das nun vorvorbei ist, muß man an die Zukunft denken. Jetzt ist nur Zeit noch zur Buße ... Grüße meinen, vielmehr unsern Barbatus (das wird er doch noch sein)8), den Albrecht Thurer.

7. Lorenz Beheim an P., [Bamberg] 1. März 1507. Pirckh. 375, 15. Commenda me multiphariam nostro Alberto Dürer. Last mich wissen, ob er noch sein part spitz und tre [drehe]. Empfiehl mich zu vielen Malen unserm Albrecht Dürer etc.

8. Lorenz Beheim an P., [Bamberg] 7. März 1507 4).5 Pirckh. 375, 16. Salvum iubeas Albertum Türer. Ipsum sollicita nomine meo, ut mihi respondeat. Veilem enim ante Pasca conficere hunc [?] illam picturam Quod autem specula pulchra attulerit, placet. Utinam reperire inter ea possemus, in quo pulchri appareremus. Non enim potui me continere a risu multo, cum legi verba tua. Habet adhuc barbam suam turpem et deformem; et iam rideo. Grüße den A. D. Mahne ihn in meinem Namen, daß er mir ant­ worte. Ich wünschte nämlich, daß er noch vor Ostern jene Malerei fertig mache6). Daß er aber schöne Spiegel mitgebracht hat, das freut *) Vgl. dazu Ambros, A. W., Geschichte der Musik, IV3 161 ff. 2) Fastnacht war 1507 am 16. Februar. Man machte aber damals nicht immer gleich mit Aschermittwoch Schluß. 8) Beheim vermutet, daß Dürer noch bebärtet sei, auch nach seiner venetianischen Reise. Der Bart war damals etwas Ungewöhnliches und zumal für einen Mann, der, wie Beheim lange in Italien gewesen war, Stilwidriges. Uebrigens ist anzunehmeii, daß Dürer sich bei den Fastnachtslustbarkeiten zusammen mit Pirckheimer recht wacker beteiligt habe. Von Venedig zurück war er ja wohl schon vor Mitte Februar 1507, vgl. Nr. 4. Möglich daß er sogar selbst die italienischen Tänze in Nürnberg eingeführt hat, für die sich übrigens Pirck­ heimer, wie aus seinem Briefwechsel mit Cochlaeus hervorgeht, auch später leb­ haft interessierte. Vgl. Heümann, Comm. isag. p. 21 sqq. 4) S. Anm. zu Nr. 9. 5) Welche Malerei gemeint ist? Wahrscheinlich die in Nr. 10 erwähnte.

367 mich. Ach wenn wir doch auch einen darunter fänden, in dem wir schön erschienen. Ich habe mich nämlich vielen Lachens nicht enthalten können, als ich Deine Worte las. Er hat also noch immer seinen gar­ stigen und mißgestalteten Bart! Und schon wieder muß ich lachen

9. Lorenz Beheim an P., [Bamberg] 8. März 1507 *). Pirckh.

375, 17. Salvum iubeas nostrum Albertum Dwrer. Et quid sit de sua barba, fa me lo sapere. Grüße unsern A. D. Und was ist mit seinem Bart? Laß es mich wissen.

1 o. Lorenz Beheim an P., [Bamberg] 19. März 1507. Pirckh. 375, 18. De Alberto nostro. Non credo, quod opus sit magna apud eum sollicitacione, si quidem sua sponte promptus est. Neque velim rem magnam aut laboriosam. Solummodo un designo, quod sapiat quasi quandam antiquitatem, prout sibi in proximis litteris depinxi2). Sed sua barba bechina3) impeditur, quam sine dubio torquendo crispat quottidie, ut dentes aprinos extantes assimilando repraesentet. Ma il gerzone suo abhorret, scio, la barba sua. Itaque studendum sibi foret, ut glaber appareret. Sed satis de his. Was unsern Albrecht betrifft, so glaube ich nicht, daß es bei ihm großen Bittens bedarf, wenn er überhaupt von selber dazu bereit ist. Ich will ja auch keine große oder mühsame Arbeit. Nur eine Zeichnung möchte ich, die irgend etwas Antikes enthält, wie ich es ihm in dem letzten Brief aufgezeichnet habe. Doch sein Schnabelbart hindert ihn, den er gewiß täglich dreht und kräuselt, daß er gleich Eberzähnen von ihm absteht. Aber sein Knabe (Lehrling?) fürchtet, ich weiß es, seinen Bart. Daher sollte er schon danach trachten, daß er glatt erscheine. Doch genug hiervon.

11. Lorenz Beheim an P., [Bamberg] 23. Mai 1507. Pirckh. ad 375, 8. Calculavi et Alberto nostro suam nativitatem, quam sibi etiam mitto; ipse tibi monstrabit, et credo, quod bene erexerim, quia conveniunt omnia. Habet Q ascendens, ideo macer; quia in fine ^4) in ascendente, ideo lucratur et [quia] in domo g, ideo ex ingenio picturae, maxime quia £ in domo Veneris, ideo delicatus pictor, et [quia] Q in domo g, ideo ingeniosus amator. cj) tarnen separata a pf ideo quasi abhorrent, tarnen nihil curant; quia autem § applicat 3> quae est in signo bicorporeo, ideo multas appetit; quae quidem 3 applicat {3 significans ablacionem. Et quia quinque planetae sunt in 1/t coeli, ideo facta eius et opera sunt manifesta. J) Das Datum entweder in diesem oder in dem vorhergehenden Briefe muß aus hier nicht zu erörternden Gründen falsch sein. Nr. 9 gehört tatsächlich vor Nr. 8. 2) Dieser Brief, gemeint ist wohl einer an Dürer, ist nicht erhalten. 8) bechina wohl von becco, der Schnabel. 4) s. Anm. 1 auf S. 368.

368 Et quia (J in