Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg [12]

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Mitteilungen des

Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg. Herausgegeben im Auftrag des Vereins von

Ernst Mummenhoff, Archivrat.

Zwölftes Heft.

Mit einem Prospekt der Stadt Nürnberg von Hieronymus Braun von 1()08 auf 1H Blättern in Lichtdruck mit Titelblatt und Über* sichtsplan und mit Abbildungen im Texte.

NÜRNBERG. VERLAG VON JOH. LEONH. SCHRÄG (In Kommission.) 1898.

Inhalt Abhandlungen und Quellenpublikationen Des Hieronymus Braun Prospekt der Stadt Nürnberg vom Jahre 1608 und seine Vorläufer. Von Dr. Karl Schaefer . Die Entwicklung des Theaterwesens in Nürnberg von der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts bis 1806. Von Dr. Theodor Hampe....................................................................

Literatur: Geschichte der Reichsstadt Nürnberg von dem ersten urkund­ lichen Nachweis ihres Bestehens bis zu ihrem Übergang an das Königreich Bayern (1806) von Dr. Emil Reicke, Kustos an der Stadtbibliothek und am städtischen Archiv in Nürnberg. Mit 210 Illustrationen, 3 Vollbildern, 1 Karte und 1 Plane. (Bisher unter dem Titel: Geschichte der Stadt Nürnberg von Joh. Paul Priem, zweite Auflage, heraus­ gegeben von Dr. Reicke.) Nürnberg 1896. Verlag der Joh. Phil. Rawschen Verlagsbuchhandlung (J. Braun). 8°. X und 1078 Seiten. Von -ss.................................................. Beiträge zur bayerischen Kirchengeschichte. Herausgegeben von Dr. Theodor Kolde, ord. Professor der Kirchen­ geschichte an der Universität Erlangen. Bd. I und II. Erlangen, Verlag von Fr. Junge 1895 und 1896. 2 Bl., 288 S.; IV, 312 S. Von E. Reicke...................................... Paul Joachimsohn. Die humanistische Geschichtsschreibung in Deutschland. Heft 1. Die Anfänge. Sigismund Meisterlin. Bonn 1895. P. Hansteins Verlag. 4 Bl. und 333 S. Von Dr. Edmund Wilhelm Braun................................................. Paul Joachimsohn. Gregor Heimburg. Historische Abhand­ lungen aus dem Münchener Seminar. Herausgegeben von Dr. K. Th. Heigel und Dr. H. Grauert. 1. Heft. Bamberg 1891. C. C. Buchnersche Verlagsbuchhandlung. VIII und 328 S. Von Ludwig Rösel.............................................

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IV Wilibald Pirckheimers Schweizerkrieg. Nach Pirckheimers Autographum im Britischen Museum herausgegeben von Karl Rück. Beigegeben ist die bisher unedierte Autobio­ graphie Pirckheimers, die im Arundel-Manuskript 175 des Britischen Museums enthalten ist. München. Verlag der k. Akademie. 1895. In Kommission des G. Franzschen Verlags (J. Roth). VI und 160 S. Von E; Reicke ... Helius Eobanus Hessus. Noriberga illustrata und andere Städtegedichte. Herausgegeben von Jos. Neff. Mit Illustra­ tionen des 16. Jahrhunderts und kunsthistorischen Erläute­ rungen von Valer von Loga. Berlin, Weidmannsche Buch­ handlung. 1896. LIV und 91 S. Von Dr. Edmund Wilhelm Braun........................................................................ Das alte Nürnberger Kriminalrecht. Nach Ratsurkunden er­ läutert von Dr. jur. Hermann Knapp, k. Archivsekretär und Privatdozent der Rechte in Würzburg. Berlin. J. Guttenberg. 1896. XVIII und 307 S. Von Dr. Silberschmidt Das Merkantil-, Friedens- und Schiedsgericht der Stadt Nürn­ berg und seine Geschichte. Inaugural-Dissertation der hohen Juristen-Fakultät der Universität Erlangen zur Erlangung der Doktorwürde, vorgelegt von Theodor Heerdegen. Nürn­ berg. 1897. 49 Seiten. Von Dr. Silberschmidt............... Das Zeitalter der Fugger. Geldkapital und Kredit-Verkehr im 16. Jahrhundert von Dr. Richard Ehrenberg. Jena. Verlag von Gustav Fischer. 1896. Erster Band. Die Geld­ mächte des 16. Jahrhunderts. XV und 420 S. Zweiter Band. Die Weltbörsen und Finanzkrisen des 16. Jahrhunderts. IV und 367 S. Von Dr. Silberschmidt.............................. Die Intestaterbfolge nach Nürnberger Recht. Für die Praxis bearbeitet von Justizrat Dr. Berolzheimer, k. Advokat in Nürnberg. München. 1895. C. H. Becksche Verlagsbuch­ handlung, Oskar Beck. IX und 153 S. Von Dr. Silberschmidt Die Entstehung des deutschen Handelsgerichts. Nach archivalischen Quellen dargestellt von Dr. jur. et rer. pol. W. Silberschmidt, k. Amtsrichter. Leipzig, Verlag von Duncker und Humblot. 1894. 8°. X und 181 S. Von -ss. . . . Alt-Nürnberg. Kulturgeschichtliche Bilder aus Nürnbergs Vergangenheit. Verlag von Heerdegen-Barbeck. Nürnberg 1894 ff. Von R. Schaefer..................................................... Mummenhoff, Ernst, Die Burg zu Nürnberg. Geschichtlicher Führer für Einheimische und Fremde. Mit acht Abbil­ dungen. Nürnberg. J. L. Schräg. 1896. 8. 87 Seiten . —, —, Führer durch das Rathaus zu Nürnberg. Mit Abbil­ dungen von F. Trost und E. Lösch. Nürnberg. Heraus­ gegeben vom Stadtmagistrat Nürnberg. 1896. 8. 66 Seiten. Von F.

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Adam Krafft und die Künstler seiner Zeit. Ein Beitrag zur Kunstgeschichte Nürnbergs. Von Dr. Berthold Daun. Mit 38 Lichtdruckbildern auf 10 Tafeln. Berlin. Verlag von W. Hertz. 1897. X und 144S. Von Dr. Edm. Wilh.Braun Albrecht Dürers Wohnhaus und seine Geschichte. In Wort und Bild dargestellt im Auftrag der Verwaltung der Albrecht Dürer-Haus-Stiftung. Mit 29 Abbildungen und einer Urkunde in Lichtdruck. Nürnberg. Im Selbstverlag der Albrecht Dürer-Haus-Stiftung. 1896. 8°. VI und 71 S. Von Dr. Edm. Wilh. Braun................................................................ Peter Flötner, ein Bahnbrecher deutscher Renaissance. Auf Grund neuer Entdeckungen geschildert von Dr. Konrad Lange. Mit 12 Lichtdrucktafeln und 47 Textabbildungen. Berlin. G. Grotesche Verlagsbuchhandlung. 1897. 2. X und 180 S. Von F........................................................................... Barbara Harscherin, Hans Sachsens zweite Frau. Von Dr. Alfred Bauch. Mit sieben Abbildungen. Nürnberg. 1896. Joh. Phil. Rawsche Buchhandlung. 112 S. Von H. Stegmann Bayerische Papiergeschichte. 1. Teil. Die Papiermühlen im Gebiete der weiland freien Reichsstadt Nürnberg. Nach archivalischen Quellen verfafst, auf eigene Kosten heraus­ gegeben; im Selbstverläge von Edmund Marabini. Nürn­ berg. 1894. H7 S. — Die Papiermühlen im ehemaligen Burggrafentum Nürnberg, den brandenburg-ansbach- und bayreuthischen Landen. Nach archivalischen Quellen ver­ fafst und im Selbstverläge von Edmund Marabini. München und Nymphenburg. 1896. 176 S. Von Hans Bösch . . > Dises puchlein saget vns von allen paden die von natur heifs sein«. Von Hans Folz. Strafsburg. J. H. Ed. Heitz (Hei£z & Mündel). 1896. Von Th. Hampe....................... Die Nürnberger Bleistiftindustrie von ihren ersten Anfängen bis zur Gegenwart. Von Eduard Schwanhäufser. InauguralDissertation. Greifswald. 1893. 168 Seiten. Von Hans Bösch Festschrift zur 32. Wanderversammlung bayerischer Land­ wirte in Nürnberg vom 12. bis 14. Mai 1895. 328 S. VonC.v.T. Albrecht Dürer. Sein Leben, Wirken und Glauben. Kurz dargestellt von Anton Weber. Mit 11 Abbildungen. Regens­ burg, New-York und Cincinnati. Druck und Verlag von Friedrich Pustet. 1894. IV und 115 S. Von M..............

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Mitteilungen des

Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg. Herausgegeben im Auftrag des Vereins von

Ernst Mummenhoff, Stadtarchivar.

Zwölftes Heft, Abteilung 1. Mit einem Prospekt der Stadt Nürnberg von Hieronymus Braun ern in Lichtdruck mit Titelblatt und Ubersichtsplan und mit Abbildungen im Texte.

NÜRNBERG. VERLAG VON JOH. LEONH. SCHRÄG.

(In Kommission.)

1896.

Bei der Uebernahme der Redaktion der Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg sehe ich mich zu der Erklärung veranlafst, dafs ich die Verantwortung für den materiellen Inhalt der einzelnen Beiträge den Verfassern selbst überlassen mufs. Nürnberg, 17. November 1896.

E. Mummenhoff,

Des Hieronymus Braun Prospekt der Stadt Nürnberg yom Jahre 1608 und seine Vorläufer. Von

Dr. Karl Schaefer.

In der Einleitung zu der Veröffentlichung der Aufzeich­ nungen des Nürnberger Stadtbaumeisters Endres Tücher schlofs F. von Weech1) seine sachverständige Würdigung dieses ebenso merkwürdigen als lehrreichen Sammelwerkes mit dem Wunsche, es möchte doch das Baumeisterbuch, das so viel wertvolles Material enthält, einen berufenen Mann anregen, seine Kräfte der Erforschung der Nürnbergischen Topographie zuzuwenden. Unsere Philologen haben sich so viele Mühe gegeben, die Topographien Roms und Athens bis in die kleinsten Einzel­ heiten zu ergründen und festzustellen — sollte unser altehr­ würdiges Nürnberg nicht einer gleichen Mühe wert sein? Man darf wohl kühn behaupten, dafs es keine deutsche Stadt giebt, deren Vergangenheit und deren heutige Gestalt eine topographische Bearbeitung so sehr verlangt und auch verdient, wie gerade Nürnberg. Denn wenn die deutsche Kultur seit der Zeit des ausgehenden Mittelalters eine Centrale hat, einen Mittelpunkt, in dem sich die charakteristischen Er­ scheinungen des Zeitgeistes zuerst oder in der prägnantesten Form wiederspiegeln, in dem sich die ganze Entwicklungs- und Sittengeschichte einer deutschen Stadt am klarsten abspielt, so dafs ihre Einzelheiten als typisch für die deutsche Städte­ geschichte gelten können, so ist es die alte Reichsstadt. Und wie in ihren seit drei ein halb Jahrhunderten pro­ testantischen Kirchen Heiligenaltäre und Marienbilder, so hat l)

Bibliothek des litterarischen Vereins, Stuttgart 1862. 1

4 sie auch wie keine andere ihr turmbewehrtes Stadtbild mit seinen Baudenkmälern, mit Thor und Graben bis auf den heutigen Tag erhalten. Es sind auch Anzeichen genug vorhanden, die uns darauf hinweisen, dafs nicht nur die Freude an diesen Schönheiten, sondern geradezu ein geschichtlicher Sinn für die Erhaltung und das Studium dieser Dinge in Nürnberg schon im 16. Jahrhundert erwachte. Keine der deutschen Städte ist so oft abgebildet oder in Grund gelegt worden, wobei der Rat nicht selten der Auftraggeber war oder doch sich der fertigen Arbeit annahm; keine hat fast zwei Jahrhunderte lang so mit sichtlichem Stolz ihr Stadtbild auf der Vorderseite ihrer Münzen geführt, wie Nürnberg. Ein Plan der Stadt mit Angabe ihrer dreimaligen Erwei­ terung, aber ohne alle Gebäude oder Strafsenzüge erschien schon 1564 in Kupferstich. Da er den Akten des jahrzehnte lang sich hinausziehenden Fraisch-Prozesses zwischen der Stadt Nürnberg und den Markgrafen von Brandenburg als Beilage zugegeben und in den Akten auch erläutert war1),2 so steht fest, dafs er praktischen Zwecken zu dienen bestimmt war, und nicht aus rein sachlichen, topographischen Interessen aufgenommen wurde. Sicher ist aber, dafs er einen Dilettanten anregte, danach eine Rekonstruktion der drei Befestigungsgürtel der Stadt zu geben, die uns unter den ersten Blättern des Stromerschen Baumeisterbuchs erhalten ist und demgemäfs nicht wohl nach 1590 entstanden sein kann. Also schon in dieser Zeit war das >wissenschaftliche« Interesse an der Entwicklung des Stadt­ bildes erwacht. Begeisterte Bewunderung für die Schönheit und die stattliche GrÖfse der Stadt war vorangegangen und hatte in einer Reihe von Lobsprüchen und Gedichten der Humanisten seinen Ausdruck gefunden. Hans Sachs, der auch in seiner wunderlichen Weissagung vom Papsttum von 1527 das aller­ dings schwer wiederzuerkennende und ungeschickt gezeichnete Nürnberger Stadtbild zu einer Illustration benutzte, hat uns in seinem Lobspruch der Stadt Nürnberg vom Februar des Jahres 15308) Hie anschaulichste und ausführlichste Schilderung dieser *) Vergl. C. G. Müller, Verzeichnis von Nürnbergischen topographischhistorischen Kupferstichen und Holzschnitten 1791, Seite 14. 2) Bibliothek des Litter. Vereins, Stuttgart, Bd, CV, Seite 189.

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Art hinterlassen, die uns als Beispiel zeigen mag, was diese Zeit des Interesses und Lobes wert fand an der Stadt, die ringweifs umb sie ist haben Zwo ringkmawer, ein tieffen graben, Daran hundert achtzig und drey Thürme und viel starke pastey. Der Dichter steht auf dem Burgfelsen der Freiung: Da sach ich abwertz auff eym platz, Darauff da lag der edel schätz In einer rinckmawren im thal. Do sach ich ein unzelich zal Heuser gepawen hoch und nieder In dieser state hin und wieder Mit gibel-mawern undterschieden, Vor fewer gwaltig zu befrieden, Köstlich tachwerk mit knöpffen, zinnen. Ir uberköstlich gepew und zier, Geschmucket auff wellisch monier, Geleich als eynes fürsten saal! Schaw durch die gassen uberal, Wie ordenlich sie sein gesundert. Der sein acht und zwaintzig fünff hundert Gepflastert durch aufs wol besunnen, Mit hundert sechzehen schöpff-brunnen, Wellich stehen auff der gemein Und darzu zwölf! rörprunnen fein, Vier schlag-glocken und zwo kleine hör. Zwey thürlein und sechs grosse thor Hat die stat und eylff stayner prucken, Gehawen von grossen werk-stucken. Auch hat sie zwölf! benandter bergk Unnd zehen geordneter märck Hin und wieder in der stat, Darauf! man find nach allem rat Alierley für die gantze menig Zu kauften umb ein gleichen pfennig, Wein, körn, ops, saltz, schmaltz, kraut, ruben,

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Auch dreyzehen gemein bad-stuberi, Auch kirchen etwan auff acht ort, Darinn man predigt gottes wort. Einer der bedeutendsten Vorläufer des Meisters Sachs war der erste, der merkwürdiger Weise schon anno 1447, also Jahrzehnte, bevor wir sonst diese Gattung von Renaissanceli­ teratur in Deutschland zu finden gewohnt sind, seiner Stadt einen Lobspruch widmete: die äufseren Merkwürdigkeiten, ihre sieben Kleinode — die Mauern, der Reichsforst, Steinbruch, das Kornhaus, der schöne Brunnen und die Heiligtümer — beschäftigen Hans Rosenplüt dabei am meisten1). Ihm folgte mit einem umfangreicheren Spruch 1490 Kunz Hafs, der erste Meistersinger, aber im Gegensatz zu Rosenplüt mehr auf das Lob von Nürnbergs ausgedehntem Handel, seiner aus­ gezeichneten Verwaltung, seiner stolzen Geschlechter bedacht2). Bedauerlich ist es, dafs der breit und anschaulich erzählende Sigismund Meisterlin, der vom Rat bestellte Stadtchronist dieser Zeit, seine Absicht nicht zur Ausführung brachte, in einer »Neronperga moderna« auch eine Schilderung der Stadt und ihrer Schönheiten seiner Chronik hinzuzufügen. Auch aus der Feder der grofsen Humanisten, die, vom Rat mit Ehren und Gastgeschenken reich bedacht, das Lob der alten Reichsstadt in gelehrter Sprache verkündeten, haben wir noch eine stattliche Zahl teils sachlich gediegener, teils stark oratorischer Deklamationen, von den sparsamen Worten in Enea^ Silvios Germania und der Lobrede Scheurls bis auf Melanchthons Encomium »In laudem novae scholae«3) und die 1387 Verse umfassende »Noriberga illustrata«, die Eobanus Hesse in der Hoffnung auf goldenen Lohn anno 1532 dem Rate widmete4). Einzigartig steht unter all dieser Literatur *) Neu lierausgegeben von Lochner, Nürnberg 1854. 2) Heraüsgegeben nach dem vermeintlich einzigen Druck im Germa­ nischen Museum von Barack, 1858, der auch im Anzeiger für Kunde der deut­ schen Vorzeit, 1858 S. 140 und 1864 S. 95 darüber handelt. 3) Abgedruckt in den Lateinischen Literaturdenkmälern des XV. und XVI. Jahrh., Heft 4. 4) Neuerdings herausgegeben mit einer sachkundigen Einleitung von Joseph Neff (Donaueschingen) in Heft 12 derselben Sammlung 1896. Die Ein­ leitung enthält einiges allgemeine über diese Literaturgattung und S. XX ff. eine Zusammenstellung der auf Nürnberg bezüglichen Lobsprüche. Vgl. dafür auch Rud. Gen6e, Hans Sachs und seine Zeit. 1894.

7 das Prosawerk des Conrad Celtis »De origine, situ, moribus et institutis Noribergae libellus«, klassisch nicht nur im Titel, son­ dern auch als erste wissenschaftlich kritische Arbeit auf dem Gebiet der Nürnberger Geschichtsschreibung. Trotz dieser günstigen Vorbedingungen ist für Nürnbergs Topographie bis heute noch außerordentlich wenig geschehen, und noch weniger darf man behaupten, dafs die Zeit schon ge­ kommen wäre, in einem zusammenfassenden Werke das ganze überreiche Material zur Entwicklungsgeschichte des Stadt­ bildes zu einem erschöpfenden Werke y zusammenzufassen. Denn gar mancher wichtige Beitrag zu /einer solchen Arbeit harrt in den Archiven noch der Hebung, und selbst eine gründliche Aufnahme und fachmännische Beurteilung der heute noch erhaltenen Reste der verschiedenen Befestigungsgürtel, welche die alte Reichsstadt während sechs Jahrhunderte schirmend umgaben, steht noch aus. Als Materialsammlung oder Vorarbeiten, die deshalb leichter ihr Thema erschöpfen können, weil sie es möglichst eng begrenzten, sind wenigstens einige gediegene Publikationen vorausgegangen. Die wichtigste und inhaltreichste darunter enthält jene Aufzeichnungen, welche Endres Tücher während seiner langjährigen Thätigkeit als sachverständiger Referent beim Magistrat in allen städtischen Baufragen zu Nutzen seiner Amtsnachfolger gesammelt hat, das eingangs erwähnte Baumeisterbuch. Aufserdem sind bei ver­ schiedenen Gelegenheiten eine Reihe von alten Stadtplänen oder Stadtansichten von Nürnberg sowie einzelner Partien oder Häuser der Stadt zur Veröffentlichung gelangt, die als bildliches Quellenmaterial jenen Aufzeichnungen an die Seite zu stellen sind. Da ist von den noch vorhandenen alten Kupferplatten wieder abgedruckt die als malerische Landschaft gegebene Stadt­ ansicht von H. S. Lautensack1) vom Jahre 1552 und als Beilage zum Katalog der alten Holzstöcke hat das Germanische Museum vor kurzem zwei für die nächste Umgebung der Stadt sehr *) Die Originalkupferplatten im Besitze des kgl. Kreisarchivs in Nümberg geben nur die aus drei Blättern bestehende Ostansicht der Stadt, während die Platten der im gleichen Format gehaltenen Westansicht nicht mehr er­ halten sind. Die Neudrucke erschienen als Beilage zum zweiten Bande dieser Mitteilungen 1880 mit erläuterndem Text Seite 164 ff. Beschreibung siehe bei C. G. Müller a. a. O. S. 71.

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wichtige Karten in Neuabdrücken veröffentlicht1). Ein noch nicht zum Abschlufs gekommenes Werk, das aufser dem schon bisher gegebenen noch eine reiche Ernte für die Topographie einzelner Teile der Stadt verspricht, ist die Publikation alter mehr oder weniger bekannter Handzeichnungen und Kupfer­ stiche in dem von Barbeck herausgegebenen Alt-Nürnberg, kul­ turgeschichtliche Bilder aus Nürnbergs Vergangenheit. 1895 ff. An zusammenfassenden kritischen Arbeiten sind wir auf diesem Gebiet noch ärmer, denn aufser dem in dieser Zeitschrift B. V. enthaltenen mehr begeisterten als erschöpfenden Aufsatze von Max Bach über die Geschichte der Stadtbefestigungen, aufser den Arbeiten A. von Essenweins2), und E. Mummenhoffs3) über die Burg, und dem umfassenden Buch des letzteren, wel­ ches die Topographie und Geschichte des Rathausgebäude­ komplexes enthält, gibt es nur gelegentliche Bemerkungen da und dort zerstreut in verschiedenartigen Werken, unter denen die gelegentlich anzuführenden Notizensammlungen von J. Baader und Lochner die wichtigsten sind. Daher ist es gewifs ein allseits mit Freuden begrüfstes Unternehmen, wenn der Verein für Geschichte der Stadt Nürn­ berg dem Fundament, auf dem einmal die Topographie der alten Reichsstadt errichtet werden soll, heute einen neuen, den gewichtigsten Baustein hinzufügt mit der Veröffentlichung des im kgl. Kreisarchiv zu Nürnberg befindlichen grofsen Prospekts der Stadt, den anno 1608 der Stadtkanzlist Hieronymus Braun vollendete, an Umfang und Gewissenhaftigkeit ein grofsartiges Denkmal selbstlosen Kunstfleifses. Der begleitende Text, dessen Abfassung dem Unterzeichneten übertragen wurde, hat zunächst die Aufgabe, durch einige topographische und geschichtliche Erläuterungen in das Studium des Prospekts einzuführen; denn 0 Atlas zum Katalog der im Germanischen Museum befindlichen Holz­ stöcke des XV.—XVIII. Jahrh. Taf. 4—7 eine Karte des Nürnberger Terri­ toriums bis an die Grenzwasser von einem H. W., sehr wahrscheinlich Hans Weigel, da ein Hans Wurm in dieser Zeit in den Archivalien nicht vorkommt'; und Taf. 8—11 eine vermutlich von dem jüngeren Georg Glockendon herrüh­ rende Karte der Umgebung Nürnbergs, ebenfalls in vier Blättern. 2) Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit Bd. XXV, Seite 265 ff. und in dieser Ztschr. Bd. VII. 8) Die Burg zu Nürnberg. Schräg 1896. Man wird an dem inhaltvollen und an neuen Aufschlüssen so reichen Werkchen nur das eine bedauern, dafs es in Folge äufserer Umstände in der knappen Form eines Führers erschien.

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derselbe soll nur als Quelle gelten, die ganze Veröffentlichung will nicht eine vollständige geschichtliche Ortsbeschreibung der Stadt, sondern nur wertvollen Stoff zu einer solchen geben. Dazu treten die in fleifsiger Vorarbeit von den Herren Major a. D. Frhrn. von Imhof und k. Reichsarchivassessor Petz gesammelten Notizen über die Lebensverhältnisse und die Thätigkeit des Künstlers, dem wir die Riesenarbeit verdanken, und einiges über ähnliche gleichzeitige Bestrebungen in der alten Reichstadt. Ein vollständiges Verzeichnis der für die Topographie be­ deutsamen Pläne und Prospekte der Stadt, das man vielleicht an dieser Stelle erwarten möchte, ist dadurch überflüssig gemacht, dafs ein derartiges Buch aus der Zeit, wo man umfassende Sammelwerke der Art mit viel Gewissenhaftigkeit und Liebe zur Sache zu schreiben pflegte, bereits vorhanden ist. Es ist C. G. Müllers Verzeichnis von Nürnbergischen topographisch­ historischen Kupferstichen und Holzschnitten von 1791. Dagegen waren die zahlreichen in Archiven und Bibliotheken zerstreuten Handzeichnungen von Nürnberger Stadtansichten und Prospekten bisher noch nicht zusammengestellt und zum Teil auch noch völlig unbekannt. Und als Einleitung dieser Arbeit ergab sich mit Notwendigkeit eine Untersuchung über die ältesten Nürn­ berger Stadtansichten und die Frage nach Michel Wolgemuts Zeichnungen zur Schedelschen Weltchronik, die in letzter Zeit wiederholt von kunsthistorischer Seite aufgegriffen worden war. In das Studium der Vergangenheit Nürnbergs erst seit kurzer Zeit eingetreten, hatte der Verfasser das Glück, durch die Sachkenntnis und das liebenswürdige Entgegenkommen einer Reihe älterer Fachleute gefördert zu werden: den Herren Archivar Dr. Alf. Bauch, Direktor Hans Bösch, Major Frhr. von Imhoff, Justizrat Frhr. von Krefs, Stadtarchivar Mummenhoff, k. Reichsarchivassessor Dr. Petz, Konservator Dr. Hans Stegmann sei dafür auch an dieser Stelle ein Wort aufrichtigen Dankes gesagt.

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Das Altargemälde des Jodocus Krell in St. Lorenz. In der mittelsten Nische des Chorumgangs von St. Lorenz steht ein kleiner Flügelalter, im Mittelbilde Maria mit dem Kind zwischen den Heiligen Bartholomäus und Barbara, auf den Flügeln Jakobus der ältere und Helena und auf den Thüren der Predella, die einen Reliquienschrein bildete, eine Reihe von Heiligen in Brustbildern. Die Figuren des Hauptbildes, nicht wie bei den Altartafeln Wolgemuts in lebendige Handlung gesetzt, sondern beziehungslos wie die Statuen eines Schnitz­ altars neben einander aufgestellt, stehen vor einem bis zur Schulterhöhe reichenden rotbraunen Vorhang mit dem Granat­ muster unter einer dreibogigen Halle; über den Teppich breitet sich nun, wenig verdeckt durch die Köpfe und die durchsichtig erscheinenden Glorien der drei Heiligengestalten, in weiter Land­ schaft das Bild der Stadt Nürnberg aus. Der Standpunkt ist ge­ schickt gewählt, westlich in ziemlicher Entfernung der Stadt, etwa auf der Deutschherrenwiese, von wo sich noch durch keine Vor­ stadthäuser unterbrochen die lange Reihe der Mauertürme vom Spittlerthor über die Pegnitz hinweg bis hinauf zur Burg ent­ rollt, darüber die Kirchturmpaare von St. Lorenz und St. Sebald und die roten Ziegeldächer der Wohnhäuser;. im Vorder­ grund der ehemals sogenannte Säuweiher, die heutige Rosenau, und in der Mitte der Lauf der Pegnitz, die in einer starken Biegung zwischen Baumgruppen sichtbar wird; den Hinter­ grund bildet der dunkelbewaldete Schmausenbuck und die blauen Vorberge der Fränkischen Schweiz. Alles ist ohne Ver­ schiebungen oder Fehler in den Verhältnissen richtig beobachtet und mit erstaunlicher Sorgfalt wiedergegeben. G. Thode hat in seiner geistreichen Weise den Meister dieser Altargemälde treffend gekennzeichnet *). Michel Wolgemut, dem man in früheren Jahren ’ so gut wie alle Nürnberger Ge­ mälde aus der Generation vor Albrecht Dürer zuschrieb, und der auch als der Meister dieses Bildes galt, als man im vorigen Jahrhundert die Stadtansicht des Hintergrundes mit liebevoller Pünktlichkeit in Kupferstich übertrug, steht diesen Gemälden *) Die Malerschule von Nürnberg im 14. und 15. Jhrd. 1891. S. 189 f.

Die älteste Nürnberger Stadtansicht nach dem Krellschen Altargemälde in St. Lorenz, gestochen von J. F. Volkart 1789.

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sicher fern. Es ist vielmehr ein selbständiger, wahrscheinlich älterer Künstler, der mit viel Fleifs und ohne Gesellenhilfe diese etwas altmodischen, liebenswürdigen, ruhig dastehenden Heiligengestalten ausgeführt hat. Man hat das Gefühl, dafs der Mann seinen Stolz darein setzte, das Beiwerk des Hinter­ grunds genau so sorgfältig bis ins einzelne hinein auszumalen, wie die Gesichter seiner untersetzten Figuren mit den grofsen, langen und ungelenken Händen. Und in der That steht diese erste Stadtansicht an Sorgfalt und richtiger Wiedergabe der Natur weit über allem, was in den folgenden beiden Menschen­ altern bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts geleistet wurde. Eine genaue Zeitbestimmung für das Gemälde ist zwar gerade seines selbständigen, von der Wolgemutischen Werkstatt unabhängigen Stiles halber nicht leicht möglich, aber aus der Thatsache, dafs sein Stifter, der Geistliche Jodocus Krell, dessen recht lebendige Züge wir in der knienden kleinen Figur zu Füfsen der Maria zu erkennen haben, im Jahre 1483 starb, dürfen wir mit einiger Zuverlässigkeit die Entstehung des Altar­ werks in die Zeit um 1480 setzen, so dafs diese Stadtansicht als die älteste angesehen werden mufs. Dafs sie als solche von jeher schon gegolten hat, beweist die Unterschrift des vorerwähn­ ten Kupferstichs von 1789, nach dem auch die nebenstehende Abbildung angefertigt wurde1). Sie lautet: Prospekt der Stadt Nürnberg im XV. seculo das Original Gemälde ist in S. Laurenzii Kirche befindlich. M. Wolgemuth pinx. J. F. Volkart sc. Die topographische Ausbeute, die uns das Gemälde liefert, ist nicht eben grofs. Auf der Burg steigt der Heiden- oder, wie er in den Chroniken heifst, Margarethenturm noch hoch über das Dach der anstofsenden Kaiserburg auf und trägt noch seinen spitzen Helm mit Erkern bewehrt. Denn aus Müllners Relation von der Nürnbergischen Reichsvesten hören wir zum Jahre 1520, dafs eines bevorstehenden Reichstags wegen das Schlofs neu getüncht und gleichzeitig der Turm der Margarethen1) Dieselbe wurde von Herrn Dr. Reicke aus dessen Geschichte der Stadt Nürnberg, Joh. Phil. Rawsche Buchhandlung 1896, S. 415, in liebens­ würdiger Weise zur Verfügung gestellt. Die Aufstellung des Altars in der wenig beleuchteten Chornische und der nicht ganz intakte Zustand des Ge­ mäldes erlaubten leider keine photographische Aufnahme. Die Beschreibung des Stichs siehe C. G. Müller a. a. O. Seite 70.

13 kapelle allerlei Gefahr halben etwas abgetragen und niederer gemacht und etliche alte Bilder und Possen herabgethan wor­ den seien1). Ein merkwürdiges unerklärtes Gebäude steht oben auf dem Boden der alten Burggrafenbürg am Abhang des Burg­ berges nach der Stadt hin, wenn es nicht etwa das Bild der Walpurgiskapelle oder der unterhalb des Heidenturms gelegenen Hasenburg sein sollte. Jedenfalls mufs festgestellt werden, dafs zwischen dem hochaufragenden Luginsland und dem auf dem Bilde nicht sichtbaren fünfeckigen Turm, also an Stelle der heutigen Kaiserstallung, kein Bauwerk zu erkennen ist, und dafs andererseits das rätselhafte Gebäude auf dem Burgberg selbst, nicht am Fufse desselben gelegen ist. Da wir mit ziemlicher Bestimmtheit wissen, dafs nach dem Brand des Burg­ grafenschlosses anno 1420 so stattliche Reste an dieser Stelle nicht mehr übrig geblieben sind, und da überdies in der Zeit von 1480—93, wo Michel Wolgemut seine Ansicht der Burg zeichnete, von keinen Zerstörungen oder Bauveränderungen an diesen Teilen der Burg verlautet, bleibt es am wahrscheinlich­ sten, einen Irrtum des Zeichners anzunehmen, der allerdings bei seiner sonstigen Gewissenhaftigkeit befremden mufs. Deutlich sind die viereckigen Türme am Neuthor und am Spittlerthor mit ihren Zollhäuschen zu erkennen, ebenso der Giebel der Frauen­ kirche und die Gebäude des Deutschherrenhauses.

Michel Wolgemuts Holzschnitt im Buch der Chroniken. Es war in den letzten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts, dafs deutsche Maler anfingen, wie es die alten Niederländer vor ihnen schon geübt hatten, Landschaften aus ihrer nächsten Umgebung, naturgetreu wiedergegebene Städtebilder, in den Hintergrund ihrer Heiligengeschichten zu verarbeiten. Hans Memlings Ankunft der heiligen Ursula in Köln ist wohl das bekannteste unter den Gemälden dieser Art, die gerade in der kölnischen Malerschule des späten 15. Jahrh. am häufigsten *) Ygl. Essenwein, Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit XXV S. 289.

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begegnen. Keines dieser Werke bleibt aber der Natur so getreu, wie das der liebenswürdige Meister des Krellschen Altares in der Lorenzkirche gethan hat: man möchte glauben, die Land­ schaft müsse vor der Natur selbst auf die Leinwand gebracht worden sein, so sachgemäfs und ohne phantastische Aus­ schmückung ist das Stadtbild in die Landschaft gestellt. Keiner von den zahlreichen Nürnberger Meistern dieser Zeit hat uns etwas Ähnliches hinterlassen, weder Wolgemut, der, selbst ohne Frage ein vorzüglicher Landschaftsmaler, mehr die einfachen Wiesengründe mit ein paar Häusern oder Baum­ gruppen liebte, zwischen denen ein Bach sich durchzieht — noch einer seiner zahlreichen Werkstattgenossen. Und in der folgenden Künstlergeneration hat sich die Stellungnahme zu dieser Frage grundsätzlich geändert: so gern und so gewissen­ haft Albrecht Dürer seine landschaftlichen Studienblätter, seis in den Alpen bei Trient, seis in der Umgebung seiner Vater­ stadt, an der Natur mit Stift und Wasserfarben ausführt, in seinen Gemälden und selbst in Stichen und Holzschnitten sind sie ihm nur Motive, die er in freier Abwandlung rein nach künstlerischen Gesetzen verarbeitet. Das duftige Aquarell einer Partie der östlichen Stadtmauer in der Nähe des Hallerthürleins ist eines dieser vor der Natur entstandenen Skizzenblätter Dürers, ein Zeuge seines in der umgebenden Natur lebenden und mit ihr empfindenden Künstlergemüts. Das bekannte Stadt­ bild aber mit der darüber aufragenden Veste auf dem Kupferstich des hl. Antonius von 15IQ bleibt ein freies Phantasiegebilde des Künstlers, so bestimmt man auch die Umrisse der Burg von Nürnberg in ihm wiedererkennen wollte. Aber die Vedute im landschaftlichen Hintergrund religiöser Gemälde verschwand nicht, ohne Anregung zu hinterlassen, und der gesteigerte Wissensdrang, der dieser Zeit besonders eigene Thatsachensinn, der aus den Entdeckungsreisen kühner Seefahrer und den Früchten des Studiums eifriger Gelehrter seine Nahrung sog, liefs aus ihr die vom Bilde losgelöste Stadt­ ansicht mit lehrhaftem Zweck, zunächst als Illustration, dann als selbständiges Kunstwerk, als Einzelblatt entstehen, das in Holz­ schnitt oder Kupferstich vervielfältigt, allen zugänglich ge­ macht werden konnte.

15 Wie für fast alle deutschen Städte, so brachte auch für Nürnberg das erste derartige selbständige Stadtbild des Dr. Hartmann Schedel Buch der Chroniken, jenes erste grofse Prachtwerk weltlichen Inhalts seit Erfindung des Buchdrucks, das, damals ein litterarisches Ereignis für die ganze gebildete Welt, in seiner lateinischen Ausgabe weit über die Grenzen des Reiches hinaus bis nach Italien und Frankreich seine Käufer und Be­ wunderer fand. Um die Bedeutung der Holzschnitte und besonders der Städtebilder der Weltchronik richtig zu würdigen, ist es von Wichtigkeit, dafs wir auf die Entstehungsgeschichte des Buches etwas näher eingehen, über die neuerdings gerade einige sehr wertvolle Aufschlüsse gefunden wurden. Bisher wufste man nur, dafs am 29. Dezember 1491 der Vertrag für die Herausgabe der Weltchronik zwischen den ehr­ baren und weisen Sebolt Schreyer und Sebastian Kamermaister, die das Kapital vorschossen, einerseits und den Malern Michel Wolgemut und Wilhelm Pleydenwurff andererseits geschlossen worden war, und es blieb ein Rätsel, wie es den Herausgebern gelingen konnte, den Ungeheuern Stoff an Text sowohl wie an Illustrationen innerhalb 19 Monaten zu bewältigen, denn das Schlufswort der lateinischen Ausgabe enthält das Datum der Herausgabe in den Worten: »Consummatum autem duodecima mensis Julii. anno salutis 1493.« Und keine sechs Monate ver­ gingen, da war auch schon die deutsche Ausgabe fertiggestellt, »vollbracht am XXIII. tag des monats Decembris Nach der gepurt Christi unssers Haylands MCCCCXCIII iar.« Dafs zwar Anton Kobergers Betrieb in Bezug auf die Anzahl der beschäf­ tigten Arbeitskräfte, die ausgedehnten Verbindungen und die Schnelligkeit des Arbeitens, wenn wir die ganz veränderten Arbeitsbedingungen in Rücksicht ziehen, hinter unsern heutigen grofsen Verlagsanstalten kaum zurückstand, das dürfen wir mit Bestimmtheit annehmen. Aber wenn wir auch die Arbeitskraft des vielbelesenen Kompilators, des Dr. Hartmann Schedel, noch so hoch anschlagen, und wenn wir den Mangel an geübten Formschneidern für die Illustrationen . im damaligen Nürnberg ganz aufser acht lassen — für das einzige grofse illustrierte Werk, das bei Koberger zuvor erschienen war, die 9. deutsche Bibel

16 vom Jahre 1483, hatte man die Holzstöcke eines 10 Jahre zuvor in Köln erschienenen Drucks angekauft —, aus den weitläufigen und umständlichen Vorbereitungen, von denen ein populärer Nachfolger der Schedelschen Weltchronik, Sebastian Münster, im Vorwort seines Werkes berichtet, können wir deutlich entnehmen, dafs die Vorarbeiten zu einem so weit umfassenden Werke viel mehr Zeit und Mühe in Anspruch nahmen. »So viel der Stetten Contrafestung anbetrifft«, so erzählt Münster, »sol menglich wissen, dafs ich in dieser meiner arbeit unterstanden hab, einer jeden Statt, deren beschreibung in diesem Buch verfafst ist, gelegenheit und contrafestische gutur, so viel möglich, einzuleiben, hab auch derhalben mich mit schreiben und durch mitel Personen weyt und breyt beworben, nicht allein in teutschem Land, sondern auch in Italia, Frankreich, Engelland, Poland und Denmark. Was ich aber erlangt hab bey etlichen besonderen Personen, wird in diesem Buche mit ewigem Lob denen, so jr hilff herzu gethan, an jedem orth gemeldet. Von manchem orth ist mir auff mein anlangen kein antwort worden. Es hat sich auch manch orth beklagt, dafs es mir nicht hat mögen zu willen werden eines geschickten Malers halb. Wie denn ich auch bey etlichen grofsen Stetten erfahren hab, das nicht ein jeder Maler eine Statt in Grund legen kann«. So Münsters Vorwort. Und in einem Briefe an seinen Freund und Lehrer Pellikan in Zürich vom Jahre 1549 berichtet er über die Verarbeitung des ihm zugesandten Stoffes zu seinen Städtebildern: »Habeo Argentine duos sculptores, qui continue parant figuras«*). Thatsächlich ist auch die einzige Handzeichnung, die, für die Herstellung des reichen Illustrationsschatzes der Weltchronik angefertigt, noch erhalten blieb, die des Titelblattes, vom Jahre 1490 datiert. Deshalb dürfen wir als ziemlich sicher annehmen, dafs die Vorbereitungen zur Herausgabe dieses Prachtwerkes schon in wesentlich frühere Jahre zurückgehen, wahrscheinlich früher begonnen haben als die zum »Schatzbehalter«, und dafs der Vertrag zwischen Sebald Schreyer, Sebastian Kamermeister,» Michel Wolgemut und Wilhelm Peydenwurf von der Wende des A) Vergl. Yarrentrapp, Seb. Brants Beschreibung von Deutschland, in der Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins 1896 Seite 307 Anm. 2 und Mitteilungen des Germanischen Museums 1895 Seite 59.

17 Jahres 1487 auf 1488, dessen Existenz Hans Stegmann nachweisen konnte, sich thatsächlich auf die Herausgabe der Welt­ chronik bezieht1). Wie verhält es sich nun mit den Handzeichnungen zu den Holzschnitten der Wolgemutischen Kunstanstalt? Es hat für unser vorliegendes Thema keine sonderlich grofse Bedeutung und wäre auch wohl mehr ein geistreiches Spiel als eine Aufgabe von wissenschaftlich genügendem Erfolg, wollten wir den Anteil der beiden urkundlich für das ganze Illustrationswerk verant­ wortlichen Künstler zu teilen, das eine Michel Wolgemut, das andere seinem Stiefsohn zuzuweisen versuchen. Da wir eigent­ liche Handzeichnungen zu den Holzstöcken aufser jenem Titel­ blatt nicht besitzen, und eine ganze Reihe von mehr oder minder ungeschickten Formschneidern die zweifellos mit sicherer, wohl­ geübter Hand hingesetzten Zeichnungen in die uns heute vor­ liegenden groben und eckigen Striche übertrugen, so dafs von der persönlichen Art des Zeichners wenig mehr übrig blieb, so dürfte der ganzen Frage wenig Bedeutung zuzumessen sein. Es war um dieselbe Zeit, zu Anfang der 90er Jahre des XV. Jahrhunderts, dafs in Basel ein Schüler des alten Wolgemut Illustrationen zu einigen Lustspielen des Terenz mit dem Stift auf Holzstöcke zeichnete, die uns durch die Gunst des Zufalls erhalten blieben, ohne dafs des Formschneiders Messer an der Feinheit der Linienführung etwas verdarb. Wenn Dürer das gethan hat, dann wird auch seines Meisters Gepflogenheit so gewesen sein: der Künstler selbst zeichnete die Illustration auf das Holz und übergab sie so dem Formschneider. Des­ halb kann es nur ein Ausnahmefall sein, wenn Zeichnungen, die Holzschnitten zur Vorlage gedient haben, erhalten sind, es seien denn flüchtige Entwürfe. Wenn die imposante Darstellung des thronenden Salvators als ein sorgfältig ausgeführter Ent­ wurf zum Titelblatt der Weltchronik dagegen zu sprechen scheint — und ein Vergleich der flüssigen, leicht hingesetzten Striche *) Vgl. Mitteilungen aus dem Germanischen Museum 1895, Seite 116. Für die ganz erstaunliche Menge von Beziehungen nach weitentlegenen Orten, die Koberger für den Yerschleifs seiner Drucke zu Gebote standen, ist am lehrreichsten die zuerst von Thausing, dann auch von Thode im Anhang seiner Nürnberger Malerschule des XV. Jahrh. abgedruckte Urkunde, welche die Gewinnabrechnung unter den beteiligten Mitarbeitern an der Weltchronik enthält. 2

18 mit den eckigen Linien des Holzschnittes spricht ebenso sehr dafür, wie das glaubwürdige Datum 1490T dafs wir hier eine Vorzeichnung erkennen dürfen —, so findet diese Thatsache vielleicht ihre Erklärung darin, dafs Titelblätter den ältesten Inkunabeln fremd und erst kurze Zeit zuvor in Kobergers Offizin in Aufnahme gekommen waren, dafs also den Verlegern besonders daran gelegen sein konnte, von diesem vornehmsten Schmuck ihres Buches einen Entwurf zu sehen. Anders verhält es sich mit den Zeichnungen der übrigen Holzschnitte: für die Ansicht der Stadt Nürnberg zum mindesten gibt es eine solche nicht. Was bisher dafür in Anspruch genommen wurde, ist, wie wir später sehen werden, eine Nachzeichnung nach Wolgemuts Holzschnitt, die ein immerhin geschickter Dilettant in den Jahren 1532—35 ausführte. Eine ganz flüchtige Federskizze, die aber weder vor der Natur entstand, noch auch dem Form­ schneider zur Vorlage dienen konnte, findet sich allerdings auf Folio CX der beiden Manuskripte in der Stadtbibliothek, welche, in Format und Anordnung des Satzes den gedruckten Exemplaren der lateinischen wie der deutschen Ausgabe der Weltchronik voll­ ständig gleich, offenbar dem Setzer in der Druckerei als Vorlage zu dienen bestimmt waren und die in ihrer kunstgeschichtlichen Be­ deutung neuerdings von Hans Stegmann gewürdigt wurden. Es ist bekannt, dafs unter den Städtebildern der Welt­ chronik eine grofse Anzahl reine Phantasiegebilde sind, die sich der gläubige Leser bald als Trier, Padua oder Metz, bald als Damaskus, Perugia oder Kempten gefallen lassen mufste. Auch die übrigen — nach V. von Logas Zusammenstellung 30 an Zahl — hatten nur eine entfernte Ähnlichkeit mit der Wirklichkeit1). Koberger, der durch seine Faktoren in der ganzen Welt Be­ ziehungen unterhielt, dem in 16 verschiedenen Städten Kräme und Verkaufsgewölbe standen2), hatte genugLeute an der Hand, die ihm Skizzen zu den verschiedenen Städtebildern verschaffen *) Vgl. Loga, Die Städtebilder in H. Schedels Weltchronik, im Jahr­ buch der kgl. preufsischen Kunstsammlungen 1888. S. 93 ff. und 184 ff. Neuerdings hat derselbe Gelehrte in der Einleitung der oben angeführten Neu­ ausgabe von Eobanus Hesses Noriberga illustrata in einem kleinen Kapitel, zu den Bildern S. XLV ff. auch die gesammte Entwickelung der Stadtprospekte­ zeichnung mit Bezug auf Nürnberg kurz aber treffend behandelt. *) Vergl. Oskar Hase, Die Koberger.

Ansicht der Burg. Ausschnitt aus dem Holzschnitt der Schedelschen Weltchronik von 1493.

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*) Herr Magistratsrat Barbeck hatte die Liebenswürdigkeit, diese Ab­ bildung aus Heft I seiner mehrfach erwähnten Veröffentlichung »Alt-Nürnberg« mir zur Verfügung zu stellen, wofür auch an dieser Stelle mein Dank aus­ gesprochen sei. 2

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konnten. Aber diese mufsten in Nürnberg von Leuten, die jene Städte nie gesehen hatten, auf den Holzstock umgezeichnet und dann geschnitten werden und verloren dadurch fast alles individuelle Gepräge. Günstiger lagen die Verhältnisse für die Künstler da, wo sie schon gedruckte Vorbilder kopieren konnten, wie in der Ansicht Roms oder in denen der Stadt Venedig und der Inseln Rhodus und Candia, für welche die mit künstlerischer Sorgfalt ausgeführten Blätter aus der 1486 im Druck erschienenen Pilgerfahrt des Mainzer Dekans Bernhard von Breydenbacb benützt wurden. Am genauesten und gewissenhaftesten aber mufste naturgemäfs das Nürnberger Stadtbild ausfallen, dasWolgemut täglich vor Augen hatte; hier brauchte es keine willkürlichen Zuthaten zur Ausfüllung des leeren Vordergrundes, wie den verdorrten Baum oder die ebenfalls aus Breydenbachs Buch herübergenom­ menen Schiffe. Trotzdem beschränkt sich auch diese Ansicht auf eine Zusammenstellung weniger für das Stadtbild charakte­ ristischer Gebäude: damit nichts wichtiges ungesehen bleibe, wird ohne perspektivische Bedenken der Hintergrund ansteigend gebildet, Häuser und Türme nicht selten bedenklich ver­ schoben. Die Stadt stellt sich von der Südseite dar. Vorn streckt sich die Stadtmauer vom Spittler- bis zum Lauferthorturm • davor zur Linken das Zollhäuschen mit den Schranken und dem Dornen­ verhau als primitive Sicherung des Frauenthors, dessen Thorbau samt dem eigentümlich schräg kannelierten Flankenturm zur Rechten ganz die heutige Gestalt zeigen. Der Hauptthorturm, der wie die übrigen in den 50er Jahren des 16. Jahrh. durch den Steinmetzmeister Jörg Unger seine heutige runde Ummante­ lung erhielt, trägt noch die seit dem 14. Jahrh. üblichen höl­ zernen Dacherker, und an seiner Vorderseite prangen die drei Nürnberger Wappenschilder. Östlich davon ist die Anzahl der einfachen Befestigungstürme, die dem doppelten Mauerring vor­ gelegt sind, willkürlich vermindert und der durch Fallgitter ab­ geschlossene doppelte Einlafs der Pegnitz in die Stadt ist ganz un­ genau wiedergegeben *, denn aus den heute noch erhaltenen Bauten geht deutlich hervor, dafs dieser Teil der Stadtmauer schon zu Anfang des 15. Jahrh. im wesentlichen so wie heute bestanden

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haben mufs. Von dem inneren Befestigungsgürtel der Stadt sind nur die beiden heute noch bestehenden Thortürme zu erkennen, der Weifse und der Laufer-Schlagturm, letzterer mit seinen vier Dacherkern noch reicher ausgestattet als heute1). Der innere Frauenthorturm war schon um die Mitte des 15. Jahrhunderts verschwunden2). Am deutlichsten und offenbar auch mit der gröfsten Sorgfalt ausgeführt zeigt sich die hoch über die Stadt auf­ ragende Burg und ein nicht unwichtiges Stück ihrer Geschichte läfst sich aus dieser Zeichnung noch erkennen. Am östlichen Anstieg des Burgberges steht der hohe viereckige Quaderbau des Luginsland, den sich in dem strengen Winter 1377 die Stadt als Warte erbaut hatte, um auch an dieser Seite die Hut der Stadt selbst übernehmen zu können und wohl auch, wie die Jahrbücher berichten, »darumb, dafs man in des Mark­ grafen Purk möcht gesehen3)!« Von der alten Burggrafenburg selbst, die als Thorwacht der Kaiserburg und der Stadt zugleich die Mitte des Burghügels einnahm, steht auch damals schon nur noch der fünfeckige Turm mit seinem holzgedeckten Treppen­ aufgang an der Aufsenseite und die Walpurgiskapelle, zu der noch, wenn Mummenhoff richtig sieht, eine gedeckte,Stiege den künstlichen Aufgang über die Trümmer der niedergebrannten Burggrafenveste hinaufführte, bis 1537 der Weg den Burgberg hinan in der heutigen Weise angelegt wurde. Die ehemals dazwischen gelegenen Bauten samt dem nach der Stadt zu führenden Thor der Burggrafenburg waren 1420 von dem bayerischen Pfleger Christoph von Leimingen zerstört und seit­ dem eine Schutthalde geworden. Das stattliche Kornhaus aber, das mit seinem mächtigen Dach sich vom Luginsland bis zum »Hochturm auf der vesten« erstreckt, die sogenannte Kaisers) Die Jahreszahl 1508 an. dem schön profilierten Thorbogen gibt offen­ bar die Zeitbestimmung für die Umgestaltung der Aufsenseite dieses Turms, neben dem gerade damals Martin Landauer auf dem Grunde der alten Stadt­ mauer sein Bruderhaus Allerheiligen errichten liefs. 2) Lochners Angabe (Anzeiger für Kunde d. d. Vorzeit 1869 S. 2), dafs der Abbruch des inneren Frauenthors erst 1499 geschehen sei, mufs auf Irrtum beruhen. 8) Ich folge an dieser Stelle wie auch im Folgenden der neuesten sachkundigen Darstellung der Geschichte der Burg von E. Mummenhoff vgl. Seite 6 Anm. 3.^

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Stallung, wurde von dem Steinmetzmeister Hans Beheim erst in der Zeit vom St, Lienhartstag 1494 bis zum Tag des selben Heiligen 1495 errichtet, und vor seiner Erbauung können höchstens kleine unbedeutende Anbauten an dem fünfeckigen Turm hier einen bescheidenen Teil des Raumes weggenommen haben. Denn die im Sinne Viollet le Ducs bestechend gezeichnete Rekonstruktion A. von Essenweins im Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit1) thut den Verhältnissen Gewalt an zu Gunsten eines geistreich ersonnenen Schemas. An der eigentlichen Kaiserburg sind seit Wolgemuts Zeich­ nungen keine wesentlichen äufserlich erkennbaren Bauverände­ rungen mehr vorgenommen worden. Der Vestnerthorturm, Sinwell mit dem alten Namen, hatte von vorn herein seinen runden Unterbau mit der zu ziemlicher Höhe hinaufführenden offenen Treppe, dagegen trug er damals noch seine vier vorgekragten Dacherker, die erst 1561 beseitigt und durch den in sechs übereinander ausladenden Wülsten kräftig profilierten Aufbau und das elegant gegliederte Dach wohl unter Jörg Ungers Bauleitung ersetzt wurden. Auch der über der Margarethenkapelle aufragende Turm, der sogenannte Heidenturm, zeigt noch nicht sein heutiges erkerloses flaches Walmdach. Im übrigen hat sich der Zeichner des Schedelschen Stadtbildes darauf beschränkt, eine Menge von Giebeln und Dachfirsten um die Hauptgebäude zusammenzuschieben, aus der kaum die Türme der alten Schottenklosterkirche zu St. Egidien oder der Gebäude des Deutschherrenhauses zu erkennen sind, und in der der alte Rathausbau vollständig ver­ schwindet. *) Bd. 25, Seite 280 Tafel I. Auch V. von Loga irrt, wenn er in der gleich zu erwähnenden Zeichnung aus dem Germanischen Museum eine Dar­ stellung eines älteren, vor 1493 an Stelle der Kaiserstallung befindlichen Gebäudes erkennen- will.

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Die Nachahmer der Wolgemutischen Stadtansicht. So ungeschickt und so wenig der Wirklichkeit entspre­ chend er ausgefallen war, Michel Wolgemuts Holzschnitt war leicht zugänglich und reizte deshalb zur Nachbildung, wie noch heute auch ein schlechtes Clichd Jahrzehnte lang in den ver­ schiedensten Büchern immer wieder abgedruckt wird. Der erste, der den Holzschnitt als Vorlage benutzte, war Hans Schönsperger in Augsburg. Mit den drei Stadtwappen, den beiden Schutzheiligen St. Sebald und St. Lorenz und der Aufschrift: »Das ist das register der geseze der neuen Reformation der stat Nuremberg« hat er den Holzschnitt der dritten Auflage der Nürnberger Reformation von 1498 beigefügt1). Und bald darauf liefs er Wolgemuts Stadtbild zum zweiten Male nachschneiden für den in seiner Offizin anno 1500 hergestellten Nach­ druck der rasch beliebt gewordenen Weltchronik, »gedruckt vn volet in d. kayserlichen statt Auspurg durch Hansen Schönsperger«. Dann ward eine Wiederholung des Blattes den geschichtlichen Untersuchungen des Humanisten Conrad Celtis über Ursprung, Lage, Sitten und Regiment der Stadt Nürnberg, die, seit Jahren vorbereitet, 1502 herausgegeben wurden, in Verkleiner­ tem Mafsstab beigegeben. Auch für sein Büchlein »Quatuor libri Amorum« von 1505 gab es eine willkommene Illustration, die noch wissenschaftlich herausgeputzt wurde durch die in griechi­ scher Sprache an den vier Rändern eingeschriebenen Namen der Himmelsrichtungen. Und noch durch andere Zuthaten wurde das sehr ungeschickt geschnittene Blatt bereichert. Seit dem Erscheinen der Weltchronik war auf der Burg die Kaiser­ stallung, damals das grofse Kornhaus, mit seinem hohen Speicher­ dach vollendet worden, das mufste man, so gut es ging, ein­ flicken. Und endlich konnte man dem Stadtbild noch einen besondern Wert geben, wenn man aus der grofsen Schar der Türme die mit Stolz gerühmten fünf mit Uhren versehenen sogen. Schlagtürme hervorhob. An den drei Hauptkirchen und an den beiden alten ehemaligen Thortürmen, die seit der Er­ weiterung des Befestigungsgürtels inmitten der Stadt standen, *) Vergl. C. G. Müller a. O. S. 70.

24 hängt ein unbeholfen gezeichnetes Männchen, das mit einem Hammer die Uhr anschlägt. Dies Blatt, das durch das Er­ scheinen des Celtisschen Buches dem Jahre 1505 zugewiesen wird, diente seinerseits einem auch nur minder begabten Kupfer­ stecher als Vorbild, der es, wie es war, mit seinen Aufschriften und Glockenmännern kopierte. Nach diesem häufig zu findenden Blatt — nicht nach Wolgemuts Holzschnitt — hat auch Dr. Reicke die Abbildung in seiner Bearbeitung von Priems Geschichte der Stadt Nürnberg wiedergeben lassen. Ungefähr um dieselbe Zeit hat eine geschicktere Hand die Stadtansicht der Schedelschen Weltchronik mit entschiedenem künstlerischem Geschmack und grofser Sorgfalt zu einem grofsen Gemälde verarbeitet. Das Blatt misst 160X48 cm, ist mit der Feder sauber gezeichnet und mit Wasserfarben ausgemalt. Die Aus­ führung ist so pünktlich, die Umrisse sind von so sicherer Hand gezogen, dafs man das Blatt bisher seit C. G. Müllers Vorgang für einen Holzschnitt gehalten hat1). In einem der zahlreichen ornamental verschnörkelten Spruchbänder, welche die Bezeich­ nungen der Hauptgebäude tragen, steht oben in der Ecke mit grofsen gespreizten Buchstaben, ganz wie sie M. Wolgemut eigen waren, DAS IST NVREMBERCK und unten in der Mitte der Name des Zeichners: HANS WURM. Wir wissen nicht, wer dieser Künstler war, oder was er sonst noch gearbeitet hat, doch läfst sich aus der Tracht der zahlreichen Figuren im Vordergrund und aus der Behandlung der Bandrollen und Schriftzeichen schliefsen, dafs das Werk um 1520 entstanden sein mufs. Unter den Malern, Formschneidern, Illuministen oder Brief­ malern dieser Zeit gibt es in Nürnberg keinen seines Namens. Wenn wir daher hören, dafs der einzige Hans Wurm, den die Ratsverlässe nennen, seines Zeichens ein Windenmacher war, der 1524 als Meister aufgenommen wurde2), so dürfen wir vermutungsweise annehmen, dafs er der Künstler ge­ wesen ist. Denn sein Handwerk, das die ganze Ingenieur­ wissenschaft der damaligen Zeit umfafste, verlangte wohl auch irgendwelche Kunstfertigkeit im Zeichnen und An­ fertigen von Modellen. Übrigens würde unsere Vermutung *) Vergl. Mitteilungen aus dem Germanischen Museum 1895, S- 104. 2) Ich verdanke diese Mitteilung der Güte des Herrn Archivars Dr. Bauch.

25 erst dann Wert gewinnen, wenn wir einmal mehr als diese eine magere Thatsache aus dem Leben des Windenmachers H. Wurm wüfsten *). Nachdem neuerdings das von H. Barbeck herausgegebene Tafelwerk Alt-Nürnberg in Blatt 5 bis 8 des Heftes über die Burg eine gelungene Wiedergabe dieser monumentalsten unter den alten Stadtansichten gebracht hat, wird es hier mit einigem Nutzen geschehen können, dafs wir auf Wurms Arbeit eingehen. Angeregt wurde sie zweifellos durch Wolgemuts Holz­ schnitt," den sie im wesentlichen, was Gesamtorientierung und Beiwerk des Vordergrundes angeht, kopiert mit der un­ bekümmerten Selbstverständlichkeit dieser Zeit, die nichts von geistigem Eigentumsrecht weifs. Vorn, etwa in der Mitte, das Frauenthor mit seinen Dornenrechen, der Galgenberg mit dem Rabenstein; zu beiden Seiten das Stadtbild abschliefsend, die Spittler- und Lauferthortürme mit ihren Zollhäuschen. Aber wie er gröfser im Mafsstab, so ist er auch ausführlicher und sorgfältiger in allen Einzelheiten und naturwahrer in der Ge­ samtansicht. Denn Wolgemut hatte dem Format der Welt­ chronik zuliebe die zwei Folioseiten ausfüllende Stadtansicht in ihrer Längenausdehnung unerhört zusammengeschoben. Des­ halb ist H. Wurm für die Feststellung des wirklichen Stadtbildes wesentlich wichtiger. Hier haben wir wohl das einzige zuverlässige Bild vom damaligen Zustand des Frauenthors, dessen viereckiger Turm dem Luginsland ähnlich mit seinen fünf Stockwerken und den über Eck gestellten Erkern schlank aufsteigt bis zu dem hohen Spitz­ dach aus buntglasierten Ziegeln. Auch die Gegend des späteren Marienthors und die noch nicht mit der späteren Gleichmäfsigkeit durchgeführte Befestigungslinie an dieser Stadtseite und besonders das nun längst verschwundene Wöhrderthor mit seinem Turm und der langen Brücke davor ist hier mit augenscheinlicher Sorgfalt ausgearbeitet. Auf der Burg erkennen wir hier erst recht *) So wird dem Hans Carl, dem Sohn des bekannten Peter Carl, den wir z. B. bei dem Bau der Fleischbrücke kennen lernen, »nachdem er sich in den Niederlanden und anderen Orten als ein Ingegneur geübt« und nach Hause gekommen, das Amt Lauf in Grund zu legen befohlen. Ratsverlafs 11. März 1614. Mummenhoff Rathausbuch S. 344.

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deutlich, was bei Schedel nur eben angedeutet war, die alten Holzerker, die wohl als Pechnasen gedacht waren, und die ganze Dachbildung der Haupttürme, den Fachwerkaufbau auf dem Chor der Walpurgiskapelle, neben der noch der proviso­ rische Treppenaufgang und ein Rest aus der Ummauerung der alten Burggrafenveste mit seinem grofsen Mauerfenster zu erkennen ist*, zwischen Luginsland und dem fünfeckigen Turm steht nun schon die 1495 aufgeführte Kaiserstallung. Die beiden Haupt­ pfarrkirchen erscheinen weit nicht so ungeschickt in einander geschoben; bei St. Sebald ist die 1561 abgebrochene Mafswerkumfassung des Hochchors und an der Lorenzkirche die gotischen Fialentürmchen, die auf der Balustrade am Fufs des obersten Turmgeschosses den Übergang vom Viereck zum Achteck verklei­ den sollten, deutlich w.iedergegeben l). Und auch die übrigen Kir­ chen St. Gill, wie das Spruchband die Egidienkirche nennt, ebenfalls wie die andern mit zwei verschieden ausgebauten Turmhelmen, St. Martha und Katharina und Anna, die Spitalkirche — alle sind in ihren Hauptformen aus dem Häusergewirr richtig hervorgehoben. Unter die Nachahmungen des Wolgemutischen Holz­ schnittes ist nun auch ein Blatt zu rechnen, das in der Samm­ lung von Stadtplänen und Prospekten im Kupferstichkabinett des Germanischen Museums aufbewahrt in dem mehrfach er­ wähnten Aufsatze V. von Logas bereits in vorzüglicher Licht­ drucktafel bekannt gemacht wurde. Es ist eine getuschte Feder­ zeichnung von stattlichem Umfang, in der Technik den zahl­ reichen Blättern nahe verwandt, die z. B. in der Bibliothek zu Erlangen aus dem Kreis der Wolgemutischen Werkstätte auf­ bewahrt werden. Die Orientierung des Stadtbildes wie die Ein­ zelheiten der Zeichnung samt dem Beiwerk des Vordergrundes sind die gleichen wie in der Ansicht der Weltchronik. Nur zwei grofse Gebäude auf der Sebalder Seite der Stadt fehlen dort, die hier hervorgehoben sind, eines zwischen dem Luginsland und dem fünfeckigen Turm, also die heutige Kaiserstallung, und dann am Fufse des Burgbergs ein hoher Giebelbau, an dessen Schauseite die drei an den städtischen Gebäuden so oft wieder*) Diese Fialen sind auch auf dem Lautensackschen Kupferstich von 1552 (Beilage zu Heft II dieser Mitt.) noch deutlich zu erkennen; kein Zweifel, dafs sie vorhanden waren. Vergl. auch S. 170 des begleitenden Textes.

27 kehrenden Wappenschilder zu erkennen sind, der Reichsadler und die beiden Stadtwappen. Loga bringt nun dies letztere in Zusammenhang mit dem wahrscheinlich nur durch ein Versehen des Malers entstandenen Bauwerk, das wir auf dem Altar des Jodocus Krell am Abhang des Burgberges fanden, und das andere hält er für einen kurz vor 1493 abgebrochenen Bestand­ teil des burggräflichen Schlosses. Da nun beide Gebäude auf Wolgemuts Holzschnitt nicht »mehr« zu finden sind, müfste die Zeichnung vor dem Holzschnitt angefertigt, also sein erster Entwurf sein *). Nun läfst sich aber aus der Baugeschichte der Burg mit aller Bestimmtheit feststellen, dafs zwischen dem fünfeckigen Turm und dem Luginsland vor 1495 niemals ein Verbindungsbau bestand, weil das eine Bollwerk städtisch, das andere burggräf­ lich war und eines dem andern sogar seine feindlichen Schiefs­ scharten zuwandte *, deshalb dürfen wir, besonders in Rücksicht auf die recht geringe Genauigkeit der ganzen Zeichnung, die Wolgemuts Holzschnitt an Zuverlässigkeit gewifs nicht übertrifft, das Gebäude mit seinem hohen Speicherdach zweifellos als Hans Beheims Kornhalle, die spätere Kaiserstallung, in Anspruch nehmen. Eine richtige Beurteilung dieses immerhin merkwürdigen Blattes, das wir als dilettantenhafte Nachzeichnung der Schedelschen Ansicht bezeichnen müssen, ergibt aber erst eine in Deckfarben säuberlich ausgeführte Malerei, welche auf zwei Folioseiten des mit aufserordentlicher Liebe und mit der ganzen Sorgfalt eines fleifsigen Dilettanten ausgearbeiteten Nürnberger Geschlechterbuchs vom Jahre 1535 im kgl. Kreisarchiv ent­ halten ist2). Der 550 Blätter starke stattliche Folioband, dessen Holzdeckel mit sämischem Leder überzogen und mit vergoldeten Beschlägen geziert ist, war, wie aus den Vorbemerkungen zu erkennen ist, von dem kunstsinnigen Bürgermeister der Stadt Konrad Haller in den Jahren 1533 bis 35 angelegt und von dessen Stiefsohne H. Spalter mit einer Menge von Miniaturen versehen. Es führt als Titelbild des Stifters lebensvoll und *) Vergl. oben S. 19. Ä) Vergl. Dr. Heinrich, Archivalische Zeitschrift Bd. II, 254 ff.

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frisch behandeltes Bildnis und dann nach Familien geordnet die Wappen sämtlicher Nürnberger ratsfähigen Geschlechter mit den Lebensdaten der einzelnen; das Vorwort enthält Bemerkungen über die Entstehung des Buches und über seine Widmung an den Rat*). An die Spitze der Geschlechterwappenreihen ist nicht selten ein Miniaturbildnis des damaligen Familienältesten in architektonischer Umrahmung gestellt, in der Anordnung, wie es die deutschen Zeichner der Frührenaissance zu geben pflegten, und dazu kommt als einzige landschaftliche Darstellung die Ansicht der Stadt Nürnberg. Abgesehen von der subtilen Ausmalung mit Gold und bunten Farben stimmt das Bild Strich für Strich mit dem im Germanischen Museum befindlichen Blatte überein; dieses kann also nur eine ziemlich gleichzeitige Vor- oder Nach­ zeichnung sein, die wie jene von der Hand des kunstfertigen Stiefsohnes von Conrad Haller herrührt. Und wenn wir die Bestimmung dieser Zeichnung nun kennen und bedenken, dafs der langjährige Losunger dies Buch als ein selbstbewufstes Denk­ mal der Macht des Nürnberger Patriziats dem Rat übergab und im Rathaus niederlegen liefs, so versteht sich, dafs gerade dies Gebäude, in das die ratsfähigen Geschlechter ihre besten Männer schickten, in dem sie ihre Familienfeste zu feiern ge­ wohnt waren, auf der Stadtansicht am wenigsten vergessen wer­ den durfte: die Giebelwand des grofsen Rathaussales mit ihren drei Wappenschildern ist jenes auffallend grofs aus den übrigen Profanbauten hervortretende Bauwerk, für das Wolgemut nirgends Platz gefunden hatte, nichts anderes *2). *) »Anno 1535 hat Conrad Haller der ältere ein buch, welches er im jahr 1533 angefangen, von den alten geschlechtern in Nürnberg, von ihrem herkommen und zu wem sie gehäurothet, durch Hieronymum Spalter, seinen Stiefsohn schreiben und mit gemähl der wappen zieren lassen, welches er einem e. rath alhie verehret und heutiges tages in der losungstube in Ver­ wahrung ist.« 2) Zu den Zeichnungen, die uns die ehemalige reiche Westfront des grofsen Rathaussaales vor seiner Verbauung in die Renaissancefassade vofc 1620 veranschaulichen und die Mummenhoff in diesem Sinne in seinem Rat­ hausbuch veröffentlichte, tritt als wichtigste und gewissenhafteste noch- ein grofses Doppelblatt des Stromerschen Baumeisterbuches, das ein sorgfältig aus* geführtes und mit Staffagefiguren ausgestattetes Bild der ganzen Häuserreihe von der Fleischbrücke bis hinauf zum Rathaus gibt samt dem Marktplatz und der Frauenkirche.

29 Für die Frage nach der Topographie der Stadt geben die Malerei des Hallerbuches und die zugehörige Zeichnung im Germanischen Museum gar nichts neues • denn so sorgfältig Hans Spalter den Pinsel führte, so wenig kam es ihm im ein­ zelnen auf Naturwahrheit und Genauigkeit in der Wiedergabe des Stadtbildes an. Dagegen wird sein Name obenan stehen müssen, wenn einmal jemand die sehr interessanten Zeugnisse von der Höhe des Kunstsinns und von selbst produzierender Thätigkeit in den Kreisen des Nürnberger Patriziats am Anfang des 16. Jahrhunderts zusammenzufassen unternimmt. Denn es ist bei der Dürftigkeit ähnlicher allgemein gehaltener kultur­ geschichtlicher Nachrichten gewifs in hohem Grade zu beachten, was Johann Neudörfer in seinen Nachrichten von Künstlern und Werkleuten von Nürnberg in diesem Sinne über seine und die vor­ hergegangene Generation mitteilt. »Dieser Zeit«, sagt er, »waren viel von den oberen Geschlechtern, die ihre Lust nit allein von Künsten zu reden hatten, sondern auch verstanden, dieselbigen ins Werk zu bringen.« Er erzählt von einem Schlüsselfelder hinter St. Lorenzen, der sehr künstlich und der Architektur verständig die Visierung zu des Wolfgang Eisen Haus an der Pegnitz fertigte (vgl. Quellenschriften Bd. X S. 117), und Würfel weifs in seinem Bericht über die Kirche des hlg. Geistspitals von einem Altar mitzuteilen, den im Jahre 1542 einer der Volkamer ausführte, wobei er den Aposteln lauter Bildnisköpfe der Herren Älteren des Rats gegeben habe. Und auf die uns erhaltenen Denkmäler dieses Kunstsinns aus den Kreisen des Patriziats, auf das Pfinzingbuch und das Sammelwerk Wolf Jakob Stromers vom Ende dieses grofsen Jahrhunderts, werden wir noch zurückkommen.

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Vor der Stadtmauer. Ausschnitt aus Albrecht Dürers Aquarell, nach Lipmann.

Selbständige Stadtansichten des 16. Jahrhunderts. Unter der ansehnlichen Zahl universal veranlagter Geister, die Nürnberg zu Anfang des 16. Jahrhunderts beherbergte, hat mancher sich in Visierung oder Modell mit dem gesamten Stadt­ bild oder mit einzelnen merkwürdigen oder verbesserungs­ bedürftigen Teilen desselben, als Mauern oder Brücken, Mühlen oder andern Wasserwerken beschäftigt und seine Kunst in die Dienste des Rates gestellt. Denn so werden wir es verstehen müssen, wenn Neudörfer von dem Bildschnitzer Veit Stofs be­ richtet, er habe ihm Selbsten noch eine ganze Mappam sehen lassen, die er von erhöhten Bergen und geniederten Wasser­ flüssen, samt der Städte und Wälder Erhöhungen gemacht. Auch Jörg Pencz verfertigte im Jahre 1542 im Auftrag des Rats, der ihn lange Jahre als seinen Maler und Zeichner beschäftigte und mit einem Jahresgehalt anstellte,1) eine Visierung, eiiie Gesamt­ aufnahme der Stadt und bekam dafür nicht weniger als 120 Gulden2). Leider haben wir keine Anhaltspunkte mehr dafür, in welcher Weise der Künstler seine Aufgabe erledigt haben mag3). In seiner Art hat auch Albrecht Dürer sich mit diesen Dingen beschäftigt. Denn wenn seine Studien und Vorschläge 1) S. den Revers von Benz, mitgeteilt vonMummenhoff, Mitt. d. V. VIII, 246. 2) Vergi. die Dissertation von Kurzwelly, 1894 S. 62 und Verz. IV 23. 8) Anno 1540 macht Pencz im Aufträge des Rats ein Bild oder Conterfektur des Schlosses (?) Gent, wofür er einen Gulden bekommt. J. Baader, Beiträge zur Kunstgeschichte der Stadt Nürnberg. I S. 39.

31 bezüglich der Befestigungsbaukunst zunächst auch nur privater und theoretischer Art waren, wenn er auch manches in dem damals auch in dieser Kunst den übrigen Ländern entschieden überlegenen Oberitalien gesehen und gelernt hatte, er mufste sich doch zuvor lange und gründlich mit dem bisherigen, dem mittelalterlichen Befestigungssystem seiner Vaterstadt beschäftigt haben, und schliefslich fühlte er sich viel zu sehr als Sohn seines Nürnberg, als dafs er nicht bei seinen allgemein gütigen Erwägungen doch in erster Linie an diese Stadt gedacht hätte. Irgendwelche Aufnahmen topographischer Art, wie sie ihm als Vorarbeiten zu seinen wissenschaftlichen Studien gedient haben könnten, sind uns nicht mehr erhalten, dagegen hat er als echter Landschafter, als Mensch, der aus der einfachsten ihn umgebenden Natur das künstlerisch Wirkungsvolle heraus­ zufinden weifs, uns eine Anzahl von landschaftlichen Ansichten hinterlassen, die seine eingehende Vertrautheit mit der Um­ gebung Nürnbergs bekunden. Es sind besonders die wunder­ baren Aquarelle in der Bremer Kunsthalle und unter ihnen auch jenes köstliche Blatt, von dem wir einen Ausschnitt an den Anfang dieses Abschnittes gestellt haben, jener bekannte Blick auf die gerade an dieser Seite besonders malerische Stadt­ mauer und die darüber sich auftürmende Burg, wie er sich dem vom Spittlerthor gegen Norden nach dem Ausflufs der Pegnitz Wandernden darbietet, ein Stadtbild einzig in seiner Art und noch heute das Entzücken aller Altertumsfreunde. Viel Neues sagt uns Dürers Bild allerdings nicht. In topographischer Be­ ziehung erfahren wir nur, wie es auf dem Boden aufserhalb des Stadtgrabens damals aussah. Ein breiter Fahrweg führte wahrscheinlich um den ganzen Ring der Mauer, Reste von altem Gemäuer, denen wohl kaum fortifikatorische Bedeutung beizumessen ist, waren noch da und dort sichtbar, das Kirchlein zum Heiligen Kreuz mit den paar umliegenden Häusern von St. Johannis auf einem wenig ansteigenden Ausläufer des Burg­ hügels gelegen, schliefst nach hinten das Bild ab. Ein ebenfalls weniger für die Topographie, als für die Entwickelung der Stadtprospektezeichnung lehrreiches und in seiner sauberen Ausführung hübsches Blatt aus der Frühzeit des 16. Jahrh. besitzt auch das Kupferstichkabinet des Germanischen

32 Museums. Es ist eine in Deckfarben auf starkes Pergament gemalte Karte des Reichswaldes, der durch rote Linien in Distrikte eingeteilt wird. In der Mitte liegt die Stadt Auff eynem plan von gelbem sand, Darumb der wald gieng zirckelring, wie Hans Sachs sagt. Die heutigen Vorstädte Wöhrd, Gostenhof, St. Johannis, überhaupt was vor den Thoren der Stadt noch an Gebäuden lag, ist weggelassen Nur die Pegnitz und die Hauptstrafsen, die den Reichsforst durchziehen, sind angedeutet. Das Stadtbild selbst ist ebenfalls vereinfacht, sozusagen auf das Charakteristische beschränkt. Da das Blatt, wie die Karten dieser Zeit meistenteils, nach Süden orientiert ist, liegt im Vordergrund die Burg mit ihren Erkertürmen, der Burgamtmannswohnung und der Kaiserstallung. Das Tiergärtnerthor führt noch durch den Turm, der noch ohne den hohen Erkeraufbau erscheint, und von ihm zum Vestnerthor, wo bald darauf die starke drei­ fache kasemattierte Schanze erbaut wurde, steht noch die Burg­ mauer ohne weitere Befestigung am Graben. Die äufsere Befestigung mit den noch viereckigen Türmen und von der inneren die Über­ führung über die Pegnitz in der Nähe der Spitalkirche und natürlich die beiden Hauptkirchen, nach deren Schutzpatronen sich nicht nur die Stadt, sondern auch der ganze Reichswald in eine Lorenzer und eine Sebalder Seite teilte, sind deutlich und mit Geschick in der Perspektive von oben dargestellt, wie sie eben im 16. Jahrh. bei Karten die übliche war. Die dazwischen an­ gegebenen Privatgebäude sind gewifs nichts weiter als eine An­ deutung der Wirklichkeit. Nur das dürfte etwa für die Topo­ graphie lehrreich sein, zu sehen, dafs im Gebiet der letzten Stadterweiterung noch ziemlich ausgedehnte Bodenflächen von Gartenanlagen eingenommen werden , wenn es auch dadurch nicht glaubhaft wird, dafs zwischen dem innern und äufsern Läufer Thor nur vier Häuser gestanden haben sollen. Technisch betrachtet ist die Miniatur von 1516 eine in­ teressante Übergangsstufe von den nur etwas übereinander*) Über die lockere, von Gärten unterbrochene Bauanlage und den ganzen Vorstadtcharakter dieser zwischen der zweiten und dritten Ummauerung der Stadt gelegenen Partien hat Lochner, Anzeiger für Kunde d. d. Vorzeit 1862, in seinem Aufsatz über Nürnbergs zweite Ummauerung treffende Beobach­ tungen gemacht.

mSjjrjjM Nürnberger Stadtansicht aus einer Karte des Reichswaldes, Deckfarbenmalerei von 1516 im Germanischen Museum, 1/2 nat. Gröfse.

34 geschobenen, fast rein als Landschaft behandelten Stadtansichten der Schedelschen Weltchronik zu dem, was wir Prospekt nennen; hier haben wir schon eine richtig durchgeführte gesetzmäfsige Perspektive, eine Perspektive eigener Art allerdings, ohne Ver­ jüngung gegen den Hintergrund und mit dem Standpunkt schräg über der Stadt. Diese Darstellungsweise sollte sich mit geringen Änderungen für die ganze Folgezeit zur beliebtesten, ja einzig üblichen gestalten, da sie im Vergleich zur rein landschaftlichen von einem wirklichen Standpunkt aufgenommenen Stadtansicht den grofsen Vorzug hatte, auch die dem Beschauer abgewandte Seite deutlich erkennen zu lassen und so gewissermafsen Plän und Ansicht in eins zu verschmelzen. Diese Idealperspektive oder, wie es der Techniker nennt, isometrische Projektion lag in solchen Fällen sehr nahe, wo in der Natur ein erhöhter Standpunkt den Überblick über das ganze Stadtbild gestattete, und daher mag sie sich auch wohl eingebürgert haben. Von Nürnberg gibt es freilich eine An­ sicht von der einzigen Stelle, die einen solchen Überblick ge­ währt, von der Freiung, von wo schon Hans Sachs jene in der Einleitung angeführte Schilderung entwarf, nicht. Dagegen zeigt z. B. jener höchst merkwürdige Holzschnitt des Conradus Morant von 1548, dessen einziger bekannter Abzug in der Prospekte­ sammlung des Germanischen Museums aufbewahrt wird, was ein Künstler, ein gewissenhafter Zeichner, aus solchem Stoffe machen konnte. Der Zeichner dieses Strafsburger Prospekts hat seinen Standpunkt auf der Münsterplattform gewählt und von da aus nach allen vier Windrichtungen, genau wie er es sah, mit Ver­ jüngung nach der Ferne das Stadtbild aufgenommen und das Münster selbst, d. h. eine Zeichnung seiner Fassade, zur augen­ fälligen Veranschaulichung seines Standpunktes in die Mitte des Blattes aufgeklebt. Der gewöhnliche Prospektzeichner verein­ fachte sich diese Arbeit. Nützlichkeitsgründe vetanlafsten über­ dies noch verschiedene Änderungen in der Anordnung: das Bild wurde gedehnt, die Strafsen so verbreitert, dafs die Häuser der einen Seite nicht die der andern verdeckten. Das Bild gewinnt dadurch an Ausführlichkeit, aber die wirklichen Dimen­ sionen des Plans erfahren mehr oder minder starke Verschie­ bungen. So entsteht im Lauf des 16. Jahrh. der Typus des

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Stadtprospekts, der ein Jahrhundert lang fast die ausschliefsliche Darstellungsform des Städtebildes nicht nur in Deutschland ge­ blieben ist, von der sich nur künstlerisch begabte Zeichner, wie Merian in seinen Topographien oder für Nürnberg Hans Lauten­ sack oder Lorenz Strauch, vorübergehend lossagen, um dafür die rein landschaftlich aufgefafste malerische Stadtansicht zu pflegen. Es ist wohl keine unter den gröfseren Städten Deutsch­ lands, die nicht in dieser Zeit ihren Prospektzeichner gefunden hätte. Schon als Sebastian Münster die Herausgabe seiner Kosmographie vorbereitete, besafsen eine ganze Reihe deutscher Städte ihre offiziellen »Abkontrafetungen«, die sie ihm zur Ver­ fügung stellen konnten. Meist waren es Kupferstiche — der schwer zu behandelnde Holzschnitt hatte zu diesem Zweck bald seine allgemeine Beliebtheit eingebüfst — von grofsem Format, mit mehreren Platten gedruckt. Offenbar ging das Streben der einzelnen Städte dahin, ein möglichst stolzes, reich ausgestattetes Bild ihres mit Mauern und Thoren beschirmten Heims zu be­ sitzen, einander in der Gröfse solcher Darstellungen zu über­ bieten. Nicht selten überreichte der Kupferstecher seine Platten dem Rat und liefs sich dafür eine Verehrung geben, und manche dieser Platten haben sich im städtischen Besitze noch erhalten, so dafs neuerdings wieder Abzüge davon gefertigt werden konnten. Für die Popularität und weite Verbreitung solcher Stadt­ prospekte spricht es auch, dafs sich im Stromerschen Bau­ meisterbuch eine ziemliche Anzahl von Darstellungen des ge­ samten Stadtbildes und einzelner Teile daraus vorfinden1). Wolf Jakob Stromer war Stadtbaumeister und bekam als Sach­ verständiger in Bauangelegenheiten alle möglichen Arten von »Visirung«, Entwürfen und Studien in die Hand, wie sie bei künstlerischen Wettbewerben, aus Veranlassung von Gutachten oder auch als Empfehlung an den Rat von Architekten ein­ gereicht wurden. Diese Stücke vereinigte er während seiner mehrjährigen Amtsthätigkeit zu einem in seiner Art einzig dal) Von der Familie von Stromer in der Bibliothek des Germanischen Museums deponiert, besprochen in Lübkes Einleitung zur deutschen Renaissance.

3*

36 stehenden Sammelband, dem Baumeisterbuch. Abgesehen von jener schon in der Einleitung erwähnten versuchsweisen Rekon­ struktion der beiden Mauergürtel der Stadt enthält der Foliant auf Blatt 4 einen grofsen mit der Feder gezeichneten Stadtplan, an dem nur die Aufsenmauern perspektivisch dargestellt, wäh­ rend die Häuserviertel im Plan gegeben sind. Lehrreich wird die Zeichnung durch die Gewissenhaftigkeit, mit der die öffent­ lichen Brunnen und die Mühlen an der Pegnitz mit Gold ein­ gezeichnet und jeder Strafse und jedem Gäfschen sein Name beigeschrieben ist. Der Meister J. H. W., dessen Monogramm auf den meisten dieser Blätter auf den ersten Seiten des Buches sich findet, mag auch die beiden von Westen, von der Wöhrder Wiese her, aufgenommenen Ansichten gezeichnet haben, die auf Blatt 11, die eine mit der Jahreszahl 1600 versehen, auf­ geklebt sind. Die beiden Aufnahmen, etwas skizzenhaft mit der Feder hingeworfen etwa vom gleichen Standpunkt aus und auch von der gleichen Hand, unterscheiden sich fast nur durch die Darstellung der Haupttürme, die in einem Fall, offenbar als eine Art Rekonstruktion des alten Zustandes, viereckig und mit spitzem Dachhelm wiedergegeben sind. Topographische Be­ deutung haben diese Stücke nicht*, um so mehr die zahlreichen Einzelaufnahmen, wie die Mühlen und Wasserwerke der Pegnitz, die Thore, der Markt und die einzelnen Fassaden und Bau­ werke der Stadt, auf die gelegentlich hinzuweisen sein wird. Hier müssen wir .auch einer Art von Stadtabbildungen gedenken, die noch körperlich anschaulicher als der Prospekt, gegen die Mitte des 16. Jahrh. zuerst aufzukommen scheint, ihrer hohen technischen Anforderungen halber aber jederzeit unter ihresgleichen eine Seltenheit blieb, das Stadtmodell. Die wenigen in deutschen Sammlungen noch vorhandenen Arbeiten der Art gehören meist dem 18. Jahrh. an, deshalb dürfte das zum städtischen Kunstbesitz gehörige und im Germanischen Museum aufbewahrte Modell von Nürnberg zu den wertvollsten Seltenheiten zu rechnen sein> Der Katalog der Originalskulp­ turen gibt an, dafs es in den Jahren 1613—1616 von dem Nürnberger Stadtschreiner Wilhelm Beheim gefertigt wurde1) *) Von dem Kunstschreiner oder Tischler Beheim weifs Neudörfer Lochner S. 213, und wenig ausführlicher Doppelmayr, S. 166, viel Rühmliches

37 (Nr. 1173). Worauf diese Angaben sich stützen, war mir leider nicht zu prüfen Gelegenheit; sie haben an sich viel Wahrschein­ lichkeit, wenigstens in sofern, als das Modell aus inneren Gründen gerade dieser Zeit angehören mufs. Es ist aus Holz geschnitzt und bemalt, da und dort durch unbedeutende Ver­ letzungen etwas beschädigt, im übrigen trotz des kleinen Mafsstabs äufserst sorgfältig ausgearbeitet. Auf dem Terrain vor den Mauern ist die ringsum führende, vielleicht als eine Art gedeckten Weges zum Befestigungssystem zu rechnende Strafse und die Gartenmäuerlein deutlich zu er­ kennen. Besonders klar stellen sich da die Vorwerke und Brückenanlagen an den Hauptthoren dar: die starke im Winkel vorspringende Wöhrder Bastei, die zur Flankierung des Thores und der langen Brücke über den stark verbreiterten Graben errichtet worden war, nachdem sich diese Seite der Stadt in den Markgrafenkriegen als am meisten gefährdet herausgestellt hatte; dasLauferthor mit seinem weitläufigen Aufsenwerk, dessen äufseres Thor nochmals durch zwei kräftige viereckige Türme gesichert war; der Einflufs des Fischbachs bei den Karthäusern und der Ausflufs der Pegnitz mit dem Schleierturm und den starken Brückenwerken. Was uns besonders angeht, ist, dafs die Fleischbrücke schon mit ihren hohen Bogen über die Pegnitz gespannt ist, das Rathaus dagegen aufser dem grofsen Saalbau noch keine namhaften Anbauten erkennen läfst. Dadurch ist eine allgemeine Feststellung der Entstehungszeit des ganzen mühevollen Werkchens zwischen 1595 und 1618 schon gewonnen, die durch das Vorhandensein der 1613 errichteten Wöhrder Bastei noch weiter präzisiert wird. Beheims Modell war nicht das einzige, das Nürnberger Meister von ihrer Vaterstadt anfertigten. Von einem zweiten Stück der Art, das seitdem verschollen ist, spricht noch M. Bach in seinem mehrerwähnten Aufsatz über die Stadtbefestigung und von *

zu berichten: er war ein überaus künstlicher inventiöser Mann, zeichnete viel schöne Visirungen von Gebäuen, Portalen, Tafelwerk und dergl. Seine herr­ liche Arbeit zeiget der von Holz geschnittene zierliche praunirt verguldete Leuchter aufm Rathaussaal, den er gemacht hat, 1613; aufserdem gab er anno 1617 des Jacobi Barozzii Traktat von den fünf Ordnungen der 1596 zu Venedig am ersten in der italiänischen Sprach ediert, in deutscher Version zu Nürnberg in Folio an das Licht. Vergl. auch Rettberg Nürnberger Kunst­ leben. 176 und Mummenhoffs Rathausbuch. Dann auch Mummenhoff H. 8, S. 250.

38 einem dritten aus der Mitte des Jahrhunderts der Renaissance erfuhren wir durch die Ratsprotokolle1). Im 7. Bande der Jahresregister findet sich nämlich zum Jahre 1540 der Eintrag: »Item (dedimus) XL gülden rh. Hans Behaim maler von wegen der conterfactur Nurmberg auf ein pret gesetzt mit allen hewsern, gassen und anderm etc., so ein erbar rath von ime kauft hat pro 35 fl. und 5 fl. ime zur vererunng geben mit dem anhang, das er dergleichen nit mer machen wolle, wie er dan solches dem burgermeister angelobt hat. datum sabbato adi 11. Septembris.«

Hans Bien und die Blütezeit der Prospekt­ zeichnung. Die zeichnerische Geschicklichkeit der Steinmetzen und Architekten war in der Zeit gotischer Baukunst zum mindesten eine gering anzuschlagende- denn bei der Ausführung ihrer zierreichen Werkstücke konnten sich die Meister auf die sichere, durch generationenlange Überlieferung in der Bauhütte geschulte Hand ihrer Steinmetzen verlassen und bedurften deshalb wenig zeichnerischer Hilfsmittel. Auch in der Architektur war man im 16. Jahrh. noch nicht allgemein dazu gekommen, Aufris und Grundris zu trennen und diesen gar mit genauer Einhaltung eines Mafsstabs zur Übertragung in die Wirklichkeit einzurichten. Es bedurfte langer Zeit, bis diese uns heute so selbstverständ­ lichen Dinge durch das allgemeine Zunehmen mathematisch klarer Anschauungen sich abklärten. Erst nach Merkators Anleitungen über Projektionslehre und Aufnahmen im Terrain, nach Werken wie der vielgelesenen und mit gewissenhaften Perspektiven reich ausgestatteten Architektura des Strafsburger Festungsbaumeisters Daniel Speklin erhält der Städteprospekt seine vollendete, klar durchgearbeitete Form und erlebt in Hieronymus Braun und Mathias Merian seine klassische Blütezeit, während gleichzeitig landschaftlich hervorragend begabte Künstler, wie Hufnagel, Lorenz Straüch, derselbe M. Merian und Sibmacher, in der Vedute, der rein x) Vergl. J. Baader Beiträge zur Nürnbergischen Kunstgeschichte I. 39, Herr Archivsekretär Dr. Müller hatte die Güte, Baaders Text mit dem Original im k. Kreisarchiv nochmals zu vergleichen, wobei sich der Wortlaut bestätigte.

39 malerisch aufgefafsten Stadtansicht, uns unübertreffliche Bilder von der poesiereichen Schönheit unserer mit Kirchen und stattlichen Giebelhäusern gezierten, mit starken Mauern und Thortürmen bewehrten mittelalterlichen Städte und Städtchen hinterlassen. Diese Zeit, die Wende des 16. Jahrh., hat in Nürnberg einen Künstler hervorgebracht, von dessen gewandtem Stift noch manche vortreffliche Prospektzeichnung auf uns gekommen ist, ein wenig jüngerer Zeitgenosse Hieronymus Brauns, der es wohl verdient, hier der Vergessenheit entrissen und seiner Begabung gemäfs gewürdigt zu werden. Die Archive ergeben wenigstens einiges Lehrreiche über seine Lebensverhältnisse und seine Wanderjahre. Demnach war Hans Bien — der Steinmetz, wie er später gewöhnlich heifst, — der Sohn eines gleichnamigen Vaters und deshalb manchmal der Jüngere genannt, welcher das Ämtchen eines »Aufwarters vor der canzley« beim Rat inne hatte1). Sein Junge, der um das Jahr 1590 geboren sein mag, hatte anno 1611, als die Ratsprotokolle Vater und Sohn zum ersten Male erwähnen, offenbar noch keinen eigentlichen Beruf und dachte sich der Fürsorge des Rats zu empfehlen, indem er einen Abris der Stadt Nürnberg fertigte und durch seinen Vater den Herren Altern übergeben liefs. Man liefs ihm auch dafür 8 Guldengroschen verehren und den Stadtbaumeister er­ suchen, »ime behülflich zu sein, damit er das steinmezenhandwerk lernen möge.« Eine eigentliche Bauhütte hat es in Nürnberg trotz der vielen Kirchen und öffentlichen Bauten nie gegeben. Der Rat liefs eine so festgeschlossene Körperschaft mit ihren streng aufrecht­ erhaltenen Handwerksvorschriften und ihren von kaiserlicher Majestät jeweils konfirmierten Sonderrechten und Freiheiten in seinen Mauern nicht aufkommen. Dafür war die Peunt wohl auch im 17. Jahrh. noch der Sammelpunkt für alles, was an tüchtigen Bauleuten in der Reichstadt thätig war. Und hier an irgend welchen städtischen Nutzbauten mag auch Hans Bien seine Lehrzeit durchgemacht haben. Im März 1618 treffen wir ihn in Südwestdeutschland auf der Wanderschaft oder richtiger auf einer Studienreise zu seiner Abbildung begriffen, zu der !) Ratsprotokoll vom 26. April 16n.

Kgl. Kreisarchiv.

40 ihm der Rat ein Jahrgeld gab 1). »Seine Übung damit zu be­ zeugen«, schickte er etliche Abrisse an den Rat, Architektur­ studien vermutlich, wie sie etwa Wolf Stromer in seinem Bau­ meisterbuch gesammelt hat, und bat, ihm die bewilligte Pension noch ferner zu reichen*). In seiner Supplication war auch schon die Rede davon, dals er nach Italien zu reisen gedenke. Am 2. Juni berichtet darauf sein Vater an den Rat, sein Sohn halte sich zurZeit in Stuttgart auf und bitte, ihm mit 50 fl. zu helfen-, »er könne dieser zeit durch Tyrol in Italiam nitt kummen und werde deshalb seinen weg durch Schweizerland nehmen.« Wie lange er sich noch auf der Wanderschaft aufhielt, ob er sein Ziel, Italien, erreichte, darüber verlautet nichts. Jedenfalls war er noch nicht lange zurückgekehrt, als er am 8. Juli 1619 dem Rat in einem förmlichen Schreiben »wegen empfangener beförderung und hilf« seinen Dank sagt und zu­ gleich sich erbietet, das Meisterstück abzulegen. Man gibt ihm den Bescheid, wenn er dies gethan habe und als selbstän­ diger Meister zugelassen sei, möge er sich einige Zeit »in der Bürger Arbeit gebrauchen lassen. Wenn man dann sehe, dafs er etwas vor einem andern könne, wolle man seiner eingedenk sein.« Bien hatte sich offenbar Besseres erwartet. Seine aus­ gedehnten Studienreisen und das Interesse, das die Herren vom Rathaus bisher an ihm genommen, hatten seine Hoffnungen höher gespannt. Doch auf sein ausdrückliches Ansuchen, ihn beim Rathausbau anzustellen, bekam er zur Antwort, man könne ihn bei solchem Bau als Meister nicht gebrauchen, weil man zuvor drei Meister bei demselben habe. Wenn er aber als ein Gesell an dem Bau arbeite, wolle man ihm an Taglohn etwas zulegen, in mittels möge er bedacht sein, das Meister­ stück zu machen. Es scheint, dafs unser Künstler das Angebot des Rats thatsächlich annahm und es vorzog, als Geselle im Dienste der Stadt zu arbeiten, zumal er sich damit wohl das Anrecht auf eine Meisterstelle auf der Peunt um so sicherer zu erhalten hoffte. Trotzdem ward sein abermaliges Gesuch im 9 Das im Folgenden benützte archivalische Material, das derselbe bei Gelegenheit seiner Studien über den Rathausbau schon früher aus den Rats­ protokollen gesammelt hatte, verdanke ich der gütigen Mitteilung des Herrn Archivars Mummenhoff.

— . 41 Juni 1621, also zur Zeit, als der Rathausbau zu Ende ging und man sich nach anderer Anstellung umsehen mufste, »zur Zeit« abgelehnt, und elf Jahre später ist Hans Bien gestorben, ohne dafs er die ersehnte Ehrenstelle erreicht hätte. Seine Kunst und sein blühendes Patriziat waren jederzeit des alten Nürnbergs Stolz. Nirgends in Deutschland sind so zahlreiche und so glänzende Geschlechterbücher und Familien­ chroniken ausgeführt worden, nirgends sonst haben die Künstler — auch mancher unbedeutende darunter — so früh schon ihre begeisterten Lobredner und Biographen gefunden wie hier. Da konnte auch ein Mann von der Begabung unseres Hans Bien nicht unbemerkt bleiben. Einen Baukünstler nennt ihn Doppel­ mayr, der »anfänglich, da er nur zu geringen Arbeiten sich ge­ brauchen liefse, die Zeichenkunst von sich selbsten zu vieler Verwunderung so wohl begriff, dafs man ihn nachdeme wegen dieses seines besonderen Naturells mit allem Fleifs so wohl zum Zeichnen als der Baukunst anhielt, worinnen er weit kom­ men und treffliche Handrisse gemacht, deswegen man ihn vor vielen aestimiret. Starb 6. Aug. a. 1632.« Schon der Verfasser der Nachrichten über Nürnbergische Mathematiker und Künstler kannte also unsern Hans Bien weniger als Baumeister, von dessen Bauten er das oder jenes zu rühmen gewufst hätte, denn als Zeichner, Verfertiger von trefflichen Rissen, und thatsächlich ist keinerlei Andeutung, die uns auf eine nennenswerte selb­ ständige Bauthätigkeit des Meisters schliefsen liefse, zu finden. Dagegen sind noch eine ziemliche Anzahl von Zeugen seiner aufsergewöhnlichen Handfertigkeit auf uns gekommen, Blätter, die ihm neben Hieronymus Braun einen Platz unter den her­ vorragendsten selbständigen Meistern aus der Blütezeit deutscher Prospektezeichnung sichern. Dafs er sich auf denselben nicht immer Steinmetz, sondern gelegentlich auch Ingenieur nennt, ist bezeichnend für ihn sowohl, wie für die Zeit, wo als Bau­ meister allmählich an Stelle der aus der Schule der Bauhütte hervorgegangenen Praktiker, die nur mit Entwürfen, Werkplänen und Kostenanschlägen arbeitenden Zeichner, die Architekten im modernen Sinne, traten. Von jener ersten Probe seiner zeichnerischen Begabung, die er in Gestalt eines Gesamtprospekts seiner Vaterstadt dem

42 Rate anno 1611 überreichen liefs, wissen wir leider nichts mehr. Die mir bekannt gewordenen beglaubigten Werke seiner Hand gehören alle der Zeit nach seiner vermutungsweise an­ genommenen Thätigkeit am Rathausbau an und verraten einen Virtuosen in der Perspektive ebenso, wie in der künstlerischen Ausführung der Einzelheiten, es sind Arbeiten, die in jedem Zug die sichere Hand eines geborenen Zeichners offenbaren. Das für uns hier wichtigste Blatt befindet sich im Familien­ archiv der Freiherrn von Imhoff. Es ist ein Pergament von 87 X 75 cm mit einem säuberlich mit der Feder aus­ geführten Prospekt der Stadt und ihrer Umgebung. Der grofse Mafsstab gestattete eine ziemliche Ausführlichkeit in der Wiedergabe der einzelnen Gebäude, unter denen die öffent­ lichen und alle diejenigen, deren Baugeschichte eine Beurteilung gestattet, mit vollständiger Zuverlässigkeit dargestellt sind. Das neue Rathaus, das Zeughaus mit seiner zweitürmigen Front, die Gebäude auf der Peunt, die Fleischbrücke erscheinen in ihrer damals neuen Gestalt. Der Mauergürtel ist noch ganz der alte: weder an dem Aus- und Einflufs der Pegnitz, noch an den Thoren sind Schanzen oder Vorwerke angelegt, nur Gostenhof, die im Südwesten, an der gefährdetsten Stelle, vorgelagerte Vorstadt, zeigt eine einfache Ummauerung. Was dem Blatt eine besondere Bedeutung giebt im Vergleich zu sonst gleich­ wertigen späteren Arbeiten und auch zu dem grofsen Prospekt des Hier. Braun, ist die genaue ausführliche Einzeichnung der Gärten und Höfe, die sich rings um die Stadtmauer schliefsen, und die gewissenhafte Angabe ihrer dermaligen Besitzer. Es ist eine kulturgeschichtlich merkwürdige und Nürnberg eigen­ tümliche Erscheinung, dafs schon im Laufe des 16 Jahrhunderts das Patriziat sich vor den Thoren der Stadt mehr oder minder befestigte Landsitze mit ausgedehnten Gärten zum Sommer­ aufenthalt einrichtete, deren Anfänge wir in dem Weiherhaus auf Dürers Zeichnungen erkennen dürfen, und die schon im Anfang des 17. Jahrh. jene sonst erst durch den Hof Ludwigs XV. von Frankreich Mode gewordene Übung hier vorwegnehmen. Vielleicht war es irgend eine persönliche Beziehung, die unsern Künstler zu der gewissenhaften Darstellung dieser nächsten Um­ gebung der Stadt veranlafste, eine Beziehung, die auf den

43 mutmafslichen Besteller des Prospekts hinführte \ denn links am unteren Rande trägt eine Bandrolle die Widmung des Blattes: »Dem edlen erenvesten fürsichtigen und weisen herrn Johann Wilhelm Krefs von Krefsenstein etc. des innern raths zu Nürnberg zu underthänigen ehren dedicirt Johann Bin. Ingenieur ao. 1625.« Am Rande des Blattes sind nachträglich die Wappen­ schilder der alten ratsfähigen Geschlechter angebracht. Noch eine zweite Gesamtdarstellung der Stadt ist uns von des Künstlers Hand erhalten, eines der wichtigsten Blätter für die Geschichte der Befestigungswerke, ein Entwurf zur zeitgemäfsen Erweiterung und Verstärkung derselben aus dem Todesjahre des Künstlers 1632. Die schwere Kriegsgefahr, die der Stadt im Spätherbst 1631 von den Scharen der Kaiserlichen drohte, stellte dem Rat die Notwendigkeit vor Augen, die alten Mauern, die seit Jörg Ungers Bauten an den Thortürmen und den runden Basteien abey der Schlotfegerherberg« (am heutigen Fürtherthor) und an der Nordostecke der Stadt unverändert standen, durch moderne Erdwerke im Sinne der fortgeschrittenen Fortifikationskunst zu verstärken. Denn im Lager Tillys, der am 9. November Rothenburg in seiner Gewalt hatte und von da sich der Stadt näherte, betrieb Pappenheim den Plan, noch vor dem Hereinbrechen des Winters Nürnberg zu nehmen — fontem mali, wie er es nennt — und da Quartier zu beziehen1). Besonders gefährdet waren die Stellen am Einund Ausflufs der Pegnitz in die Stadt. Da mufsten zwei hohe Bollwerke angelegt werden, und weil Eile notthat, erging an die Bürger die Aufforderung, bei den Befestigungsarbeiten ent­ weder selbst Hand anzulegen, oder jemanden auf ihre Kosten hiezu zu verordnen. Die »Vormäuerlein« vor dem Stadtgraben und die Einfriedigungsmauern der Gärten vor der Stadt, die sich auf H. Brauns Prospekt noch in grofser Zahl erkennen lassen, wurden abgebrochen, damit man frei hinausschiefsen könne. Sehr rasch wird es mit der Ausführung dieser Anord­ nungen wohl nicht vorwärts gegangen sein, da der Winter vor *) Vergl. Donaubauer,, Nürnberg in der Mitte des dreifsigjährigen Krieges in Heft X der Mitteilungen des Vereins für Gesch. d. Stadt Nürn­ berg 1893 S. 117 ff.

44 der Thür stand und die Gefahr des Augenblickes auch bald vorüberzog. Aber mit Beginn des nächsten Jahres mufsten die Arbeiten um so sicherer in Angriff genommen werden. Zu diesem Zwecke mag Hans Bien seinen Entwurf gemacht haben, den er gewifs dem Rat vorlegte. Es ist ein Plan der alten Stadtmauern und des Terrains vor denselben samt den Vorstädten, aber ohne Angabe der Häusergruppen und Strafsen im Innern des Mauerrings. Diesen Raum nimmt ein >Stand-Zeichnus«, eine Windrose ein, neben der in genau eingehaltenem reduzierten Mafsstab eine »Scalla des Profils«, ein Querschnitt durch die geplanten Erd werke, ein­ gezeichnet ist. Das Profil verrät einen mit der niederländischen Befestigungsweise der damaligen Zeit genau vertrauten Architekten. Hinter dem wenig ansteigenden Glacie läuft ein schmaler ge­ deckter Weg und dahinter ein breiter Wehrgang, dann folgt der Graben und jenseits ein hoher einmal abgestufter Erdwall. In dieser Weise sollten zunächst die brückenkopfartigen Schanzen am Ein- und Ausfluss der Pegnitz, die im vorhergehenden Jahre wohl nur in Eile aufgeworfen worden, ausgebaut und ebenso eine Bastionierung der Stadtmauer am Frauenthor, am Eintritt des Fischbachs und am Lauferthor vorgenommen werden1). Die dreiteiligen Basteien, in denen Hans Bien diese Verstärkung auszuftihren gedachte, sind im Prinzip den in der Mitte des 16. Jahrh. an der Nordseite der Burg aufgeführten Befestigungen mit ihren spornartig vorspringenden Seitengliedern zur tieferen Bestreichung der Flanken und des Grabens nachgebildet, nur etwas offener mit senkrecht auf die Escarpe des Hauptwalls auf­ fallenden Mauern entwickelt. Mit einer weitläufigen Schanze sollte nur Gostenhof umschlossen werden, das sich ja in den Kämpfen der folgenden Jahre auch als der gefährdetste Angriffspunkt erwies, während Wöhrd unbefestigt blieb oder vielmehr seine alte einfache Ummauerung behielt. *) ln einem verräterischer Weise aus der Stadt an den kurbayerischen Sekretär Schäfer gerichteten Schreiben vom 29. Nov. 1631 heifst es z. B.: »die stadt ist bei dem Laufferthor vnd bei dem Spittlerthor gegen dem Frauen­ thor am schwechisten, kain besser mitl dann bei der nacht die zwo vorstedt, als Wöhr vnd Gostenhoff, welche gleichwohl mit volk besetzt, yberfallen; im Gostenhoff ligt die Soimische reutterey vnd fuefsvolk — hat aber kain thor, Wörth hat thor, jedoch schlecht vnd kainen graben.« Vergl. diese Mit­ teilungen X. S, 140.

45 Wie weit Biens Pläne bei der Ausführung der neuen Stadtbefestigung mafsgebend waren, läfst sich nicht recht ent* scheiden. An dem Werk selbst war es bis zum Frühjahr 1632 »schläferich daher gangen«, teils weil Nachbarn wie die Ans­ bacher Markgrafen, auf Nürnbergs Stärke neidisch, bei Gustav Adolph Einsprache erhoben, teils weil mit den Bürgern bei dieser ungewohnten Arbeit nichts auszurichten war. Auf seinen Wunsch hatte man dem König einen Stadtplan übersandt, auf dem er sich von der Anordnung der Bastionen überzeugen konnte, er schickte dafür zur Leitung der Arbeiten seinen Generalquartiermeister und Hauptingenieur Grafen Treturain an die Stadt. Es rückten die Erdwerke, deren Spuren sich heute nur mit Mühe mehr an der Pegnitz und in den Gärten vor der südlichen Stadtmauer erkennen lassen, langsam ihrer Vollendung entgegen, als Hans Bien starb1). Fast zehn Jahre vor Biens Entwurf waren zwei ähnliche, wenn auch keineswegs ebenbürtige Arbeiten entstanden, Ent­ würfe zur Stadtbefestigung, die im kgl. Kreisarchiv bewahrt werden. Der eine, sorgfältig mit der Feder gezeichnet, gibt das unregelmäfsige Viereck der alten Stadtmauer im Grundrifs und um dieselbe eine ohne Rücksicht auf die verschiedene Bodenbeschaffenheit angeordnete eliptische Kette von achtzehn gleich gebildeten Bastionen, die in gleichen Zwischenräumen von einander angeordnet werden sollten. Das entschieden dilettantisch anmutende Werk ist bezeichnet Wolff. Friedr. Löscher und ward vollendet am »4ten Xbr. 622«2). Und am 15. Januar 1623 versuchte derselbe Meister seine Kunst noch­ mals an diesem Thema, diesmal mit mehr Verständnis und einer geschickten Anpassung an die Bodenverhältnisse und die Bedürfnisse des Augenblicks. Der Entwurf, in derselben Weise ausgeführt wie das erste Blatt und wieder mit dem Namen des Meisters gezeichnet, verrät auch eine wesentlich gründlichere Kenntnis der Fortifikationskunst seiner Zeit. Eine in stumpfen Winkeln gebrochene Mauer umzieht die ganze Stadt und wird *) Über den Verlauf der Befestigungsarbeiten vergl. auch M. Bach in dieser Zeitschr. Heft V S. 92 f. 8) Kgl. Kreisarchiv Nr. 275 der Sammlung »Nürnberg und seine Pfleg­ ämter betreffende Handzeichnungen von Karten und Prospekten«.

46 durch vier starke Doppelbastionen mit Ravelins unterbrochen, die am Frauenthör, an der Südmauer nahe der Karthause, am Lauferthor und zwischen dem neuen und dem Tiergärtnerthor vorgeschoben werden sollten. An der Pegnitz endigt die Mauer jedesmal in kleinen Vorwerken von rautenförmigem Grundrifs*, Wöhrd und Gostenhof sind ebenfalls durch bastionierte Werke hereinzuziehen versucht1). Ob Wolf Löscher seine Entwürfe in städtischem Auftrag anfertigte, wissen wir nicht*, in der Zeit als die Ausführung der neuen Werke thatsächlich in Angriff genommen wurde, wird sein Name nicht mehr genannt, und auch über seine sonstige Thätigkeit erfahren wir aus den bisher bekannten Quellen nichts. Wenn wir Hans Bien, dem Steinmetzen unter den Architektur­ zeichnern seiner Zeit, eine ganz hervorragende Stelle einräumen zu müssen glaubten, so geschah das namentlich mit Rücksicht auf einige einzigartige Blätter, welche die Sammlung des Germa­ nischen Museums unter der Abteilung »Bürgerliche Architektur2)« aus dem Jahre 1625 von seiner Hand enthält. Es sind Grund­ rifsaufnahmen und Perspektiven von dem ausgedehnten Häuser­ komplex, der sich als Sitz des Deutschordens vor dem weifsen Thorturm um das alte Spital St. Elisabeth und sein Kirchlein gebildet und gerade in Biens Zeit um die Wende des 16, Jahr­ hunderts seine bauliche reiche Vollendung erfahren hatte. Zur Geschichte und Topographie dieses Stadtteils samt der Jakobs­ kirche, die durch einen gedeckten Gang mit der Comthurei ver­ bunden war, sind die Blätter von um so gröfserer Bedeutung, als die stattlichen Renaissancebauten selbst in der Mitte unseres Jahrhunderts fallen mufsten, um der Deutschhauskaserne Platz zu machen. Zu einer teilweisen Veröffentlichung der höchst lehrreichen Zeichnungen wird sich an anderer Stelle Gelegenheit bieten, hier durften sie als wichtigste Zeugen von Hans Biens Künstlerschaft nicht übergangen werden. Auch in diesem Zeitabschnitt steht unter den tüchtigsten Männern, die sich in Nürnberg mit der Aufnahme von Plänen und Prospekten beschäftigten, ein Dilettant aus dem Patriziat, *) Ebenda 276. 2) Historische Blätter 3095—3099.

47 dessen Stärke zwar, soweit wir es -beurteilen können, weniger in der künstlerischen Ausführung seiner Zeichnungen, sondern hauptsächlich in der Theorie der Feldmefskunst beruhte. Paul Pfinzing war 1554 als Sprofs der alten ratsfähigen Familie geboren, hatte manche Universität besucht und mehrere Jahre zu seiner Ausbildung auf Reisen zugebracht, bis er sich als Mathematiker in Nürnberg niederliefs und vom Rat in Dienst genommen wurde (1587). Zwei gröfsere wissenschaftliche Ab­ handlungen sind von ihm in Druck erschienen, nicht für den Buchhandel, sondern als Geschenk für Freunde bestimmt: ein »methodus geometrica oder kurtzer, wohlgegründeter und ausführ­ licher Tractat von der Feldrechnung und Messung, wie solche zu Fufs und Rofs und Wagen an allen Orthen ohne alle Mühe allein durch sonderbare behende und leichte instrumenta und ander Vorteile und Handgriffe zu gebrauchen und darzustellen 1598.« Und im folgenden Jahre: »ein kurtzer Extrakt der Geometriae und Perspektivae — hernach wie die Perspektiva in ihren Wercken auf drey Wege zu verstehen«, worin u. a. die Methoden des perspektivischen Zeichnens erörtert werden, deren sich früher ein Albrecht Dürer, H. Lautensack, Hans Lencker, Wenzel Jamnitzer bedienten1). Zum mindesten einen grofsen Teil der auf uns gekommenen Aufnahmen hat Paul Pfinzing selbst ausgeführt und mit seinem Monogramm und der Jahres­ zahl bezeichnet: es sind eine Reihe von Einzelblättern mit Karten der verschiedenen Pflegämter des reichsstädtischen Ge­ bietes, und dazu kommt der grofse Prachtband in Querfolio im kgl. Kreisarchiv, in dem der Landpfleger die unter seiner Amtsthätigkeit aufgenommenen Karten und Prospekte, die zum Teil auch in Kupfer gestochen erschienen, vereinigte. Der statt­ liche Lederband, der in der Mitte des Deckels die auf P. Pfinzing geschlagene Medaille trägt, enthält allerdings keine Blätter, die für eine geschichtliche Ortskunde der Stadt Nürnberg selbst von mafsgebender Bedeutung wären, doch durfte hier eines Mannes nicht vergessen werden, der durch seine praktischen Arbeiten wie durch seine theoretischen Unterweisungen offenbar in seiner Vaterstadt in hohem Mafse anregend gewirkt hat. *) Vergl. Joh. Geb. Doppelmayr 1730 p. 827.

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Hieronymus Braun und sein Stadtplan. Was römische und griechische Geschichtschreiber von der Entstehung so vieler Städte des Altertums zu berichten wissen, und was von ebenso vielen deutschen Städten geglaubt wurde, bevor die nötigen gründlichen ortsgeschichtlichen Untersuchungen an Stelle willkürlicher Mutmafsungen traten, das gilt für Nürn­ berg mit grofser Wahrscheinlichkeit als Thatsache: auf dem niederen, aber doch weite Flächen des waldreichen Landes zu beiden Seiten der Pegnitz beherrschenden Burghügel stand zuerst die kaiserliche Veste und an ihrem Fufs, an Stelle der heutigen Sebalduskirche, ein kleines, wie so häufig im frühen Mittelalter, St. Peter geweihtes Kirchlein, das zur Pfarre des benachbarten Ortes Poppenreuth gehörte *). Um diesen Kern gliederte sich die werdende Stadt nach dem verkehrsfördernden Flusse hin an. Ihre Hauptstrafsenzüge bestimmten sich naturgemäfs nach den schon vorhandenen Verkehrswegen, von denen der wich­ tigste in nord-südlicher Richtung von der ältesten Brücke — der nachmaligen Fleischbrücke — durch das spätere Neuthor nach Norden nach dem Main und seinen alten Bischofsstädten führte, während ein zweiter von Osten kommender zur Pegnitz­ brücke und jenseits etwa zum Lauferthor hinaus weiterführte. Dafs für die Entstehung und Anordnung des Stadtbildes der Handelsverkehr das Hauptmoment war, das dürfen wir wohl auch aus der grofsen Zahl geräumiger Plätze und Strafsenerweiterungen schliefsen, die offenbar von Ursprung an zu Marktstätten bestimmt waren. Denn dafs diese noch heute Nürnbergs Altstadt vor andern deutschen Städteanlagen des Mittelalters auszeichnende Weiträumigkeit nicht ursprünglich sei, dafs, abgesehen von den ehemaligen Kirchhöfen, etwa einige der späteren Märkte erst aus dem Abbruch ganzer Häuser­ komplexe entstanden seien, widerspricht unserer bisherigen Kenntnis mittelalterlicher Bauübung aufs entschiedenste. Eine grofse Katastrophe, der ganze Häuserviertel zum Opfer gefallen waren, oder Ereignisse, die eine Umlegung eines Strafsenzuges zur Wirkung gehabt hätten, haben das alte Nürnberg nie betroffen. *) Der Kultus des Stadtheiligen St. Sebald beginnt erst um 1070.

49 Als nach Beendigung der inneren Kämpfe, aus denen Nürnbergs Patriziat und Verfassung neu gestärkt hervorgingen, unter Karl IV. die mächtig angewachsene Stadt noch einmal mit einem starken Maüergürtel umschlossen wurde, geschah es zum dritten Male. Diese drei Ringe, die ebenso viele wichtige Haltepunkte in der Entwicklungsgeschichte der Stadt bedeuten, in ihrem Verlaufe bis ins einzelne festzustellen und, wo sie nicht mehr erhalten sind, zu rekonstruieren, ist eine der ersten Aufgaben einer Nürnberger Topographie. Die erste Umwallung, die sich ohne grofse Breiten­ ausdehnung von der Burg zur Pegnitz hinabgezogen haben mag und die, wie die Wohnhäuser dieser Frühzeit, wenig dauerhaft und widerstandsfähig gebaut, mit dem Anwachsen der Stadt wohl häufig durchbrochen und hinausgeschoben worden war, ist bis auf die letzte Spur verschwunden, und weder die Archivalien noch die alten Stadtpläne geben uns Anhaltspunkte zu einer Rekonstruktion. Nur an einer Stelle, an der Ostseite der da­ maligen Stadt, läfst sich noch vermutungsweise feststellen, wo einmal — wahrscheinlich während des ganzen XII. und XIII. Jahr­ hunderts — die Stadtmauer gegen die draufsen sich anlehnende Vorstadt abschlofs. Das Kloster der Schottenmönche zu Sankt Egidien nämlich, wie erzählt wird eine Stiftung des ersten Hohen­ staufenkaisers Konrad III. und in den ältesten Teilen seiner Kirche heute noch Nürnbergs einziges romanisches Bauwerk aufser der Burg, lag ursprünglich vor den Mauern. Wenn wir von dieser Thatsache ausgehend den Stadtteil vom Egidienberg hinab zum Flufs ins Auge fassen, also die Stelle, an der notwendig die Mauer sich befunden haben mufs, so ergibt sich, vorausgesetzt, dafs hier nicht eine gründliche Zerstörung der alten Strafsenzüge den Plan veränderte, als einzig mögliche Linie für diesen Mauerzug das in seiner markanten Richtung und seiner gleichmäfsigen Enge ganz den Charakter einer ehe­ maligen Wallgasse verratende Heugäfschen. Damit vereinigt sich nun, dafs anno 1401, wo vielleicht noch ein Stück dieser Mauer stand oder doch die Erinnerung an sie noch geblieben war, das Hintergebäude eines Hauses in der Tucherstrafse (etwa Nr. 22) als »gegen der Stadtmauer über« bezeichnet wird. Und ferner wissen wir, dafs in der Nähe am Südende des 4

50 Heugäfschens ein Thor dieser alten Stadtmauer sich befand, dessen 1493, also als es längst verschwunden war, als des Molerthores gedacht wird1). Die heutige Ebnerstrafse, für die damalige Stadt eine wichtige, diagonal vom Markte her auf die Mauer zuführende Verkehrsader, mündete offenbar auf das Thor. In welcher Weise die Mauer vom Molerthor an nach Westen hin weitergeführt war, wird dadurch einigermafsen bestimmt, dafs Konrad Grofs das Heilig-Geistspital auf den Wiesen vor der alten Stadtmauer erbaute. Am wahrscheinlichsten zog also die Mauer in der Richtung der heutigen Hans Sachsgasse vom Molerthor2) über den südlichen Teil des Marktes nach den Fleisch­ bänken und dem Schleifersteg hin.3). Als dann unter dem fördernden Einflufs, den die Vorliebe der Hohenstaufen für Nürnberg hatte, im Laufe des 13. Jahr­ hunderts sich jenseits der Pegnitz eine ganze Neustadt gebildet und auch auf der Sebalder Seite zahlreiche Kleinbürger und Hand­ werker um das Schottenkloster und vor der Westmauer ihre Häuser aufgeschlagen hatten, als man in nächster Nähe der Stadt die ergiebigen Steinbrüche entdeckt und an den Bauten der Burg und der Kirchen den Quaderbau kennen und schätzen gelernt hatte, da konnte etwa um das Jahr 1250 die zweite, grofse, einheitlich unternommene und auch in ihren heutigen Resten noch imposante neue Befestigung begonnen werden. Die mittelalterliche Befestigungsweise steht hier schon voll­ kommen ausgereift fest, die dicke Quadermauer mit dem ge­ deckten Wehrgang, unterbrochen von kleineren Verstärkungs­ türmen und grofsen, ebenfalls viereckigen Thortürmen; diese gelegentlich durch Vorwerk oder Waffenplatz verstärkt; vor der Mauer der Zwinger, der übrigens an der Ostseite nicht regelmäfsig durchgeführt gewesen zu sein scheint, und daran der breite gemauerte Graben, der Bodenbeschaffenheit wegen in Nürnberg stets trocken. An der Pegnitz zog der Wehrgang *) Vergl. darüber Lpchner, Anzeiger f. Kunde d. d. Vorzeit 1862, Spalte 2. Doch zieht der Verfasser nicht die richtigen Schlüsse aus seinen Notizen. 2) Vergl. Mummenhoff, Altnümberg, Anm. 33. 8) M. Bach in dieser Zeitschr. Bd. V. 55 F. bringt das anscheinend nach den nahen Mühlen benannte Thor irrtümlich mit der zweiten Mauer in Verbindung.

51 jeweils von Turm zu Turm auf grofsen Bogen über den Flufs, gerade wie später bei der äufseren Mauer. An der Hand von Brauns Stadtplan werden wir unten im einzelnen verfolgen, was am Anfang des 17. Jahrhunderts von diesen Werken noch vor­ handen war. Was nun aufserhalb dieser Mauer gelegen war, hiefs und galt als Vorstadt und hat merkwürdiger Weise bis auf den heutigen Tag seinen von der Altstadt deutlich zu unterscheidenden vorstädtischen Charakter in der ganzen Anlage erhalten: Wirts­ häuser, Schmiedewerkstätten und die für des Leibes Nahrung und Notdurft unentbehrlichen Metzger, Pfragner, Bäcker schlugen ihren Wohnsitz an der Landstrafse vor dem Thore auf. Dicht beim Thor selbst ward gelegentlich ein Platz für die Landfuhr­ werke freigelassen. Auch manche Handwerker, deren Gewerbe erst jetzt infolge der veränderten Bedürfnisse der Zeit eine gröfsere Anzahl von Meistern zu nähren vermochte, siedelte sich hier an, wo ihre Häuser z. B. die vordere und hintere Beckschlagergasse, die Leder- oder die Weifsgerbergasse bildeten. Was aber der Vorstadt ihre lockere, offene Bauanlage gab, das waren die zahlreichen Klöster mit ihren weiten Gärten und die Bauerngüter der Patrizier. Jedes aristokratische Element »sowohl der ratsfähigen als der kaufmännischen Ehrbarkeit« fehlte hier draufsen; denn die Wohnhäuser der Geschlechter lagen seit Alters im Herzen der Stadt, am Fufse der Burg, um das Rat­ haus und den Markt. Dagegen hatten auf der Sebalder Seite vom Fröschturm und Lauferthor östlich die Tücher, die Rieter, die Mendel, die Volkamer ihre Bauernhöfe abseits von der Landstrafse, wohl unscheinbar nach aufsen und bäuerlich ein­ gerichtet, nur ausnahmsweise zu vorübergehendem Aufenthalt von der Herrschaft benützt, mit grofsem Nutzgarten, Scheune und Gärtnerswohnung. Auch später noch, als diese Ansiedelungen längst mit der Altstadt durch den letzten Mauergürtel zu einem Ganzen zusammengeschlossen waren, bleibt ihnen auch in bürgerlicher Hinsicht noch lange die Eigenschaft der Vorstadt. »Neubürger geringeren Vermögens wurden zuerst nur in diesen Vorstädten zugelassen, und erst nach einigen Jahren wurde ihnen der Umzug in die innere Stadt erlaubt.« 45

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Die alten Mauern liefs man als deutliches Zeichen dieser Abgrenzung ruhig bestehen, nur in den verkehrsreichen Strafsen mufsten die Thortürme — am inneren Neu- und am Frauenthor — den Platz räumen. Der Graben der inneren Mauer wurde teils offen gelassen und durch wiederholte städtische Verord­ nungen vor Verunreinigung und Schuttablagerung geschützt, teils errichtete man über ihm und dem Zwinger im Laufe des 15. und 16. Jahrhunderts grofse Lagerhäuser und Keller, wie wir sie bei Braun im einzelnen kennen lernen werden. Bezeich­ nend für die ganze strenge Auffassung des Unterschieds zwischen Alt- und Neustadt ist ein von Lochner mitgeteilter Ratserlafs vom 23. Nov. 1509, worin den Weinkiesern geboten wurde, Erhärten Christan, gegen dem Schiefsgraben über sitzend, seine Weine auch zum Weisen einsetzen d. h, nach der innerhalb der Altstadt üblichen Taxe verschenken zu lassen, ungeachtet, dafs er etlichermafsen in der Vorstadt sitzt, da er doch mit der innern Stadt grenzt; sein Haus befand sich dicht am Stadt­ graben in der jetzigen Grübelstrafse* Seit der Errichtung des Luginsland auf der Burg (1367) mufs Jahrzehnte lang ununterbrochen an dem Bau der neuen Befestigung gearbeitet worden sein. Aus den Stadtrechnungen erfahren wir, dafs 1377 vor dem äufseren Lauferthor gebaut wurde. 1380 stand das Neue Thor, 1388 wird der äufsere Turm bei St. .Martha, also das Frauenthor, errichtet und 1390 bis 91 folgt das Lauferthor. Mit der Überführung der Mauer am Ein - und Ausflufs der Pegnitz scheint man später erst begonnen zu haben. 1420—22 ward an dem Schleierturm am Irherthürlein gebaut, seit 1427 wird mit Aufgebot aller Kräfte, der Bürger und Bauern an der Ausfüllung der noch vorhandenen Lücken in der Ummauerung, besonders an der Südseite der Stadt gearbeitet1), und gleichzeitig wird der Graben hinter der Burg mit dem jetzt zum ersten Male genannten Vestnerthor erneuert und aufgemauert. Im Jahre 1452 sagt Endres Tücher in seinem Baumeisterbuch, da ward der Graben um die Stadt vollbracht, daran hat man 26 Jahr gebaut und es kostet all weg *) Vergl. die einzelnen Angaben zur Bauzeit der äufseren Mauer bei Max Bach Bd. V dieser Zeitschrift Seite 65 ff.

53 ein Quaderstein an die Mauer, zu brechen, Fuhr und zu hauen 7 sty nach der Weisen Red. Was von da an auch während des ganzen folgenden Jahrhunderts bis auf die Tage Hieronymus Brauns an Nürnbergs Mauern geschah, waren bald Erneuerungs­ arbeiten, die das Hochwasser, bald Verstärkungen, die Feindes­ gefahr nötig machten. Innerhalb des weiten Mauergürtels war für Ansiedelungen noch lange Zeit Raum genug, auch das Nürnberg des 17. und 18. Jahrhunderts wuchs über diesen Ring nicht mehr hinaus. Sehen wir also zu, wie sich die Reichs­ stadt in der Blüte ihrer Macht in H. Brauns grofsem Prospekt im einzelnen darstellt. Die mit den Beständen des reichsstädtischen Archivs ins kgl. Kreisarchiv gekommene Zeichnung ist mit der Feder auf starkem Papier ausgeführt und mifst 2,60 zu 1,74 Meter. Zu beiden Seiten und über dem Stadtbild, mit dem nur wenig mehr als die nächste Umgebung der Mauern zur Darstellung kommt, haben vier grofse Kartuschenrahmen zur Aufnahme der Widmungsinschrift Platz gefunden. Das gerollte Bandwerk, das Ohrmuschelornament, die Fruchtbüschel und hübschen geflügelten Engelsköpfchen, aus denen die Rahmen gebildet sind, zeigen Braun auf der Höhe der kunstgewerblichen Zeichner seiner Zeit, wie andererseits die rhythmischen Inschriften einen immerhin gewandten, an Virgil und den Lobreden der Humanisten geschulten Lateiner verraten. Die in distychischen Versen abgefafsten Lobgedichte auf den beiden in den Ecken des Planes angebrachten Tafeln (wiedergegeben in Tafel 1 und 13) lauten: Haec facies urbis Noribergae, Teutona tellus Quam v.elut in centro iactat habere suo, Quam vetus et vere castrum imperiale Coronet A Boreae positum parte poloque minans. Invictam reddunt cura indefessa senatus Inque magistratum civica summa fides. Ditant assiduus hominum labor ipseque multis Pegnesus fluviis utilitate prior. Und andererseits fährt es fort (Taf. 13): Nobilitant summis sapientia cognita rebus, Et Marti et Musis par quod habetur honos.

54 Indigetant coelo pietas, const(ant)ia, zelus Augendo purae religionis opus. Nemo unquam tali radio descripsit eandem, Qua mundi spectat quatuor axe plagas. Imperii et mundi vive o decus, ample senatus, Et vigilent semper pax tibi et alma salus. Unterhalb des ersten dieser Schilder folgt auf Tafel 2 und 3 eine dritte Schrifttafel, deren Rahmen von einer Art Tellurium und von zwei Engelsfiguren mit den Emblemen des Fleifses und der Weisheit bekrönt wird. Sie enthält die eigentliche Widmung an den Rat und die Bürger der Stadt: Augusto amplissimoque S(enatui) P(opulo) Q(ue) N(orimbergensi) pacem et omne bonum publ(icum) precatur inventor Hieronymus Braun. Aspicite nostri proceres monumenta laboris Immo non nostri: sed summo vertice Olympi Moenia iacta deo et tereti demissa catena. Nam deus ille pater lautas cum cerneret urbes Ire suis pessum vitiis, hic respice casum et Excidium Sodomae et Solimorum, tristia dixit: »Ite quidem pessum 1 nobis nova moenia condam, Quae excipiet liquidis Pegnesus notus ab undis.« Dixit et, ut dixit, fecit, sed fecit et istud, Et facit, ut grato fument altaria nostrae Urbis thure precum cunctorum frena tenenti, Et facit, ut pacis divino munere totus Gaudeat hic populus tot iam labentibus annis, Et facit, ut magnis opibus se proferat ultra Sauromatas ditesque Indos urbs nostra. Sed istud Quomodo? Non armis, non vi bellove cruento aut Insidiis caecis, non fraude dolove, sed illos Quando senes, non bis pueros, huic praeficit urbi Cum reliquis septem, quos continet una catena, Quos rota, quos turris, quos Aethiopis nigra colla, Quos ferus aelurus, quos et iuba nigra leonis, Quos vir habens manibus peracuta harpagine ferrum, Lilia quos decorant tria*, quos de stemmate longo Patricii generis referunt insignia natos:

55 Quos pietas omnes et recti conscia virtus Quosque decus Phoebi variatis artibus atque Auf dem an der rechten Seite entsprechenden Schilde (Tafel 14 und 15) fährt das Gedicht fort: Linguis plus senis vel in una mente beatos Et celebres reddunt, ubi non datur amplius ire, Quos jus et quos fas tollunt ad sidera summa, Gloria quos Martis sires, si postulat usus, Vel Fabiis aequet, tarn sunt hi Martis alumni. Quid deus his tantis [deus est justissimus unus], Quid deus his igitur virtutibus abnuat? hinc est Ille decor nostrae patriae splendorque salusque Nempe datore deo et clavum retinentibus illis Patribus in patria, quos munera lauta Camenae Coelo delapsae et sophiae jurisque recessus Atque dei nutus iussere capescere fraena Noridos. O urbes istas, o terque quaterque Felices, quibus est facies haec optima reruml Et quibus illa quies contingit munere dio Atque probi mores populi atque ea cura senatusl Vivite felices, quos fas est vivere creti Sanguine patricio patres, quos cura salutis Attingit nostrae 1 semenque relinquite nobis Vos, ubi fata vocant [sero id quod ut accidat oro], Ingenium vestrum moresque quod exprimat atque Incrementa suae patriae quod spectet ubique. Vivite vos fidei custodesl Vive popeile Omnis, et hoc urbis scuto sit cura latere Omnibus ex aequo! huc concurrant undique vota Moenibus in nostris, pietas ut regnet et aequum! Sic patriam quando mutabimus, inter orantes Coelesti in patria cives censebimur. Audi Vota precesque deus nostras et subjice. Fiat finis. Als Verfasser dieses langen Poems ist unterzeichnet: »Magister Christophorus Reich, minister verbi divini et poeta laureatus Cal. Januarii anno 1608.€ Dieser Christoph Reich, der Verfasser der schwülstigen Gelegenheitsverse, war gebürtig von Staffelstein, hatte Theologie studiert und war dann anno

56 1601 als Diakon am neuen Spital zum Heiligen Geist angestellt worden. Später wurde er Schaffner an der Pfarrkirche St. Sebald und bekleitete im Nebenamt die Stelle eines städtischen Biblio­ thekars. 1632 starb er im Alter von 65 Jahren an der Pest. »Er hatte die lauream poeticam«, so berichtet Würfel, »und war auch ein vortrefflicher Poet, wie denn von ihm viel Hochzeitund Leichencarmina bekannt sind, dergleichen er einzeln und in Sammelbänden herausgegeben. Übrigens hatte er nach und nach zwei Weiber, und seine Tochter heirathete einen Magister Elias Ren, Diaconus zu Wöhrd1).« Tafel 5 und 9 bilden zusammen das dekorative Kopfstück des ganzen Werkes, eine mit entschiedenem Geschmack aufgebaute Komposition, in deren Mitte zwei aus den Wolken herabschwebende Engel die so oft wiederholten drei Wappenschilder halten: den noch einköpfigen Reichsadler, dessen Schild ein gekrönter Adler mit weit ausgebreiteten Flügeln und Schwert und Scepter in den Krallen bekrönt, darunter der Jungfrauenadler und der geteilte Schild mit dem halben Adler und dem fünffach schräg geteilten Felde. Um diese ganze Mittelgruppe schlingt sich eine Kette mit den Geschlechterwappen der sieben Herren Älteren des Rats vom Jahre 1608. Zunächst Christoph Fürer der Ältere, der erste Losunger, dann Christoph Tücher, Martin Haller und Hans Nützel, dessen Schild in der Mitte zwischen den beiden Stadt­ wappen zu hängen kommt, dann Jacob Stark, Jobst Friedrich Tetzel und Paulus Harsdörffer der Ältere2). Die Enden der Kette, die in den Wolken befestigt scheint, hangen an den beiden Seiten herab und tragen zwei längliche Schrifttafeln mit reichem, feingezeichnetem Rahmen aus Roll­ werk, an deren Kopf jeweils zwei Rundbilder mit Darstellungen der vier Elemente etwa im Geschmack eines Aldegrever stehen. Die zugehörigen in deutscher Sprache verfafsten Sprüche darunter, von denen wir es unentschieden lassen müssen, ob sie von Braun selbst oder auch von dem Prediger Christoph Reich herrühren, lauten: *) Vergl. Würfel: Lebensbeschreibung aller Herren Geistlichen, welche in der Reichstadt Nürnberg seit der Reformation gedient. 1756. II S. 52. 2) Herr Dr. A. Müller hatte die Güte, die Namen der Herren Älteren aus den Ämterbüchern im k. Kreisarchiv für midi einzusehen.

57 An statt des feuers mannhaffte held, Denen kein muetwill wolgefelt, Sonder nachdrucken mit ernstem straffen, Wann sonst kein mittel will erhafften. Zu dem wasser freündliche leut, Die man erzürnt zu keiner zeit, Von welchen die kunst wird geehrt Und alle ding zum besten kehrt. Für luft aber und kuelen wind Die wolberedte männer sind, Die nicht allein den rat erquicken. Sonder all sachn zur eintracht schicken. Für die erd so fest auf tugent halten Und was gerühmbt wird bei den alten, Das man die sonn ehr zurück brächt, Dann dafs man sie bereden möcht! Die Ecken über diesen Schrifttafeln füllen beiderseits Paare von schwebenden Putten, welche Geräte der Feldmefskunst und einen Lorbeerkranz in Händen tragen. Das Stadtbild selbst, dessen Südende wir auf Tafel 5 kennen lernen, ist noch nicht in der später, seit dem Ende des 17, Jahrh., allgemein üblich gewordenen Weise, nach Norden, sondern umgekehrt orientiert. Dadurch ist die Burg mit ihren Gräben und Bastionen im Vordergrund am deutlichsten zur Darstellung gekommen, während leider die auch sonst weit seltener abgebildeten Befestigungen an der Ost-, Süd- und Westseite der Stadt teils in der Ansicht stark verkürzt, teils von der Rückseite gesehen gezeichnet werden mufsten. So stellt sich die Stadtmauer am Frauenthor mit ihren starken gewölbten Stützbogen, ihren besonders zahlreichen viereckigen Ver­ stärkungstürmen und ihrem Wehrgang dar; der Zwinger ver­ schwindet samt der Aufsenmauer; in dem breiten, trockenen Graben mit seiner von Streben gestützten Futtermauer zieht sich in der Mitte ein schmaler Wassergraben, offenbar von dem wenig weiter westlich eintretenden Fischbach gespeist, hin. Der von Jörg Unger anno 1558 mit seinem runden Mantel und dem flachen

58 Dach ausgestattete Hauptturm war auch ursprünglich nicht als Thorturm, sondern nur zur Flankierung, des Eingangs bestimmt gewesen, der, zweimal im rechten Winkel gebrochen, durch das den ganzen Zwinger einnehmende Vorwerk mit seinen zwei Thoren geführt ist. Auf der Brücke erkennt man die Pfosten, an denen der äufsere Teil des Nachts aufgezogen wurde, und zwischen ihnen die Schranken des Zöllners, dessen Häuslein hart am Graben liegt. Die Mäuerlein, die vor dem Thor an der Einmündung der beiden Landstrafsen einen freien Platz lassen, ziehen dann in kleinem Abstand vom Graben längs des rings um die Mauern führenden Weges. Wir fanden sie auch auf Beheims Modell der Stadt wieder und wissen, dafs sie 1631 niedergerissen wurden, damit man besser hinausschiefsen könne. An den Thorturm lehnt sich ein jedenfalls auch noch dem frühen 15. Jahrhundert angehörendes niederes Hornwerk zur Bestreichung des Zwingers und des Grabens. Hinter dem Thor lag wohl damals schon ein städtisches Giefshaus, von dem aus noch unbebautes Gartenland bis zu dem engen Gewirr von niederen, schmalen Häuschen in der Gasse im »blauen Sterne sich ausdehnte. Taf. 6 enthält die Lorenzerkirche und ihre westliche Umgebung und als Hauptstrafsenzug die heutige Königstrafse. Diese, die breiteste und ansehnlichste von den Strafsen der Lorenzer Stadtseite, hatte jederzeit einen grofsen Verkehr. Das Zollhäuschen vor diesem Thor galt als ein einträglicher Posten gegenüber den übrigen Thorzöllnerstellen. Einen ein­ heitlichen Namen hatte die Strafse nicht; gleich hinter dem Thor hiefs sie »Bei St. Martha«, weil da das 1360 von Konrad Waldstromer gestiftete, aber schon seit 1400 der Pflegschaft des Rats überlassene Pilgrimstift St. Martha mit seinen Gärten und dem einfachen Hallenkirchlein stand. Weiterhin wurde die alte mit ihrem malerischen kleinen Chor der Strafse zugekehrte Clarakirche, damals noch durch ein Mäuerlein ein­ gefriedigt, mäfsgebend für die Benennung. Sicher eine der frühesten Ansiedelungen auf dieser Stadtseite nahm das Kloster, neben dem schon im 17. Jahrh. das städtische Leihhaus lag, mit Gärten und stattlichem Kreuzgang den ganzen Platz bis zur »Fleischgasse«, der heutigen Sterngasse, ein. Das Clara-

59 gäfschen schlofs an der Nordseite den Häuserstock ab, während in gleicher Höhe das Peuntgäfschen zu dem städtischen Bauhöf führte. Der unregelmäfsige weite Platz der Peunt wird umgeben von niederen Lager- und Wohnhäusern, doch steht an der Stadt­ mauer der stattliche viergiebelige Renaissancebau, das Wohn­ gebäude des Peuntherrn, noch nicht, und in der Mitte gewahrt man ein Bild von der hier sich entfaltenden Arbeit: ein Pferd steht an der Tränke, Leute sind mit dem Behauen, Zersägen, WegschafFen des Bauholzes beschäftigt. Die Stelle zwischen der Peunt und dem winkeligen Johannisgäfschen führt bei Braun den selten erwähnten Namen »beim Glockenstuel.« Ihr gegenüber liegt ein öffentlicher grofser Zieh­ brunnen. Nun sind wir an die Stelle gekommen, wo etwa bis zur Mitte des 15. Jahrh. der innere Frauenthorturm, benannt nach dem Kloster draufsen, stand. Der offene Platz vor dem­ selben hiefs nach seiner Verwendung der Kohlenmarkt*, an der Nordseite ist der alte Graben bei Braun, und zum Teil noch heute, recht wohl erhalten; man hatte ihn hier zum Herren­ keller umgebaut, dessen Lagerräume sich unter der Sträfse durch und unter dem ganzen »neuen Kornhaus« hinzogen. Dieses mächtige Hallengebäude, mit seinem vielstöckigen Speicherdach auch als Kornhaus oder obere Wag bezeichnet, ward 1499 unter dem städtischen Baumeister Hans Beheim über dem Graben errichtet und zeigt an der Innenseite noch die zum oberen Stockwerk führende gedeckte Freitreppe. Die engen Strafsen an der anderen Seite längs des Grabens führen die Namen »Totengäfslein« und am »Lorenzer Graben.« Sie führen beide auf den Lorenzer Platz, den Raum hinter der Pfarrkirche. Diese, die an ihrer Südseite den Pfarrhof und die spätere Armenschule verdeckt, ist mit grofsem Verständnis wieder­ gegeben, gibt aber in ihrer Erscheinung zu baugeschichtlichen Bemerkungen keine Veranlassung. Rings um sie zieht sich das niedere Kirchhofmäuerlein, und drinnen sieht man noch einige Grabplatten, Reste des seit 1518 endgültig unbenutzt gelassenen Friedhofes. Hinter dem Chore steht die kleine, in diesem Jahrhundert abgebrochene St. Annakapelle, ein schmuckloses gotisches Bauwerk. Auch vor der Westfront von St. Lorenz zieht sich noch die Kirchhofmauer hin und enthält hier den

60 im Unterbau noch wesentlich anders als heute gestalteten Tugendbrunnen, den meisterhaften Bronzegufs Benedict Wurzel bauers von 1589. Dicht nebenan, an der Nordseite des »hinter St. Lorenzen« genannten Platzes, stellt sich die Lateinschule von der Rückseite dar. Weiter östlich bildet eines der ältesten Klosterbauwerke in der Stadt »der Heilfsprunner Hof«, mit Ökonomiegebäuden und Mauern umschlossen, mit einem statt­ lichen Herrenhaus und der Nikolaikapelle ein ganzes Häuser­ viereck, ein würdiges Absteigquartier für die Äbte der alten Ansbachischen Abtei Heilsbronn. Der westlich davor gelegene Platz führte den Namen »bei der wilden Sau« und nördlich grenzten der alte Eisenmarkt und der Hafen- oder Hafners­ markt, auch hinterer Bergauer Platz genannt, an den Klosterhof. Der ganze Teil der heutigen Königsstrafse, von da, wo die wenige Jahre vor Brauns Aufnahme vollendete Renaissance­ giebelfront den Eingang zum Rofsmarkt (der Adlerstrafse) be­ zeichnet, bis zum Flufs hinab, hiefs »Bey den Parfüssern«, denn hier liegt, noch im 13. Jahrh. gegründet und im folgenden aus­ gebaut, die Ansiedelung der Franziskaner, deren gotische Kirche, an der Vorderseite von Krämen umgeben und mit einem ein­ fachen Dachreiter ausgestattet, schon im 17. Jahrh. umgebaut und heute ganz in dem bisherigen Bayerischen Gewerbemuseum aufgegangen ist. Verfolgen wir nun den Verlauf der ehemaligen Stadt­ mauer, die wir auf dem Lorenzer Platz, östlich der Kirche, ver­ lassen haben. Auf der Kalkbrücke, so genannt nach der 1597 hier erbauten Kalkhütte, führte die Strafse über den Graben, dessen südlicher Teil bis zum Herrenkeller der alte Lorenzer Schiefsgraben hiefs, während nördlich ein Weg in den Graben hinab zu dem schon 1449 hier befindlichen Marstall führte. Die beiden in der Sohle des* Grabens gelegenen Reitbahnen mit der erklärenden Staffage hat Braun ebensowenig vergessen, wie den gerade im Vorjahre fertig gewordenen Neubau der städtischen Münze, der sich auf dem ehemaligen Zwinger längs des Stadtknechts-(Nonnen-)gäfsleins hinzieht. Ein Teil der hier an und über den Graben errichteten Gebäude wird im 18. Jahr­ hundert auch als fränkisches Zeughaus erwähnt; möglich, dafs es die Räume waren, die hier auf der Mauer 1479 für die Stadt-



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knechte als Wohnungen gebaut worden waren, von denen das Gäfslein seinen Namen führte. Vor der ehemaligen Mauer bildete den Hauptgebäude­ komplex in dieser Gegend das Katharinenkloster mit seiner grofsen dreischiffigen Kirche, deren eigenartige, aus einem west­ lichen Querschiff entwickelte Fassade nie ganz zum Ausbau ge­ kommen ist. Es zog sich bis zum Flufs hinab, wo die schon im 13. Jahrh. genannte Katharinenmühle stand, und seine Gärten mit dem künstlich angelegten Fischteich, noch heute Nonnengarten genannt, erstreckten sich bis hart an die äufsere Mauer. Nach dem Kloster hiefs auch die platzartig sich er­ weiternde heutige Peter Vischerstrafse »Am Katharinengraben«. Während hier meist schmale, niedere Häuschen dicht gedrängt, fast ohne Hofraum aneinander gebaut stehen, dehnen sich zwi­ schen den Häusern nahe der Aufsenmauer noch ziemliche Gartenflächen aus. Die Befestigung, deren äufserer Teil hier ausnahmsweise wenige Verstärkungstürme besafs, hat gleich nach Beendigung des Markgrafenkriegs, in dem sie sich offen­ bar zu schwach erwiesen hatte, eine interessante Verstärkung erfahren durch eine mit starken Quadern von der Grabensohle aufgemauerte Erhöhung des Zwingers, die diesen zu einer Art Bastion macht. Die Reste dieses Bollwerks sind noch heute in dem oberen Teil des Marienthorzwingers deutlich zu erkennen. Mag sein, dafs die Abweichung von der sonst in dieser Zeit gebräuchlichen runden oder spitzwinklig vorspringenden Bildung des Hornwerks deshalb gefiel, weil es sich hier nicht um Flankierung eines Thores handelt; denn eine Überbrückung des Grabens, einen Ausgang, gab es hier nicht. Die gröfste Sorgfalt hatte man gleich bei der Anlage der Festungswerke der Stelle gewidmet, wo die Pegnitz in zwei Armen in die Stadt eintritt. Wesentliche Veränderungen sind hier auch seit der Mitte des 16. Jahrh. offenbar nicht vor­ genommen worden, sogar der Graben scheint zwischen den beiden Flufsarmen noch die alte, nicht vergröfserte Breite zu zeigen1). »Eisrösser«, die nicht nur ins Flufsbett gestellt sind, *) 1554, nach den Erfahrungen im Markgrafenkrieg wurde der ganze Stadtgraben verbreitert, die Contre-Escarpe samt dem darüber hinziehenden Laufgang erneuert. Vergl. M. Bach a. O. S. 84.

sondern sich auch über die Wiese hinziehen, schützen die Werke vor der feindlichen Macht der Natur*); doppelte Eisenstangen2) spannen sich zwischen den beiderseits am Ufer errichteten halbrund vorspringenden, durch den Wehrgang verbundenen Türmen der niederen Mauer übers Wasser. Zwei breit angelegte Türme mit offener Galerie unter dem von Pfosten getragenen Dach schirmen den Eingang zur Insel Schütt. Der aus Holzwerk errichtete Brückensteg hinter der Mauer zeigt noch ein schützen­ des Dach. Vor den Mauern mit Zäunen und niederen Mäuerlein eingefriedigte bebaute Felder und aufwärts am Flufs an der Wöhrder Wiese grofse Sägemühlen. Tafel 7. Die Insel Schütt war nie stark bebaut. Der St. Annagarten und die Bleich am oberen, die Waschhäuser am unteren Ende, an der Schuldbrücke. Dagegen standen auf der kleinen, durch zwei gedeckte Stege verbundenen Insel die Handwerkerwohnungen dicht gedrängt, besonders die Mühlen : auf der Insel selbst die Rotgiefsersmühlen mit ihren zahlreichen Wasserrädern und gegenüber die »Sandtmühl«. Was wir bisher kennen gelernt haben, bildete zusammen das fünfte von den acht Vierteln der Stadt, »bei den Barfüfsern« genannt; das vierte, das wir jetzt betretenf erstreckt sich bis zum Hauptmarkt und zur Laufergasse. In seinem äufsern Teil enthielt es die Häuser kleiner Gewerbtreibender am Hübnersplätzlein, an der Fischergasse, am Spitzenberg bis zu der Strafse »am Wöhrder Thürlein« und zur äufseren Laufergasse, ohne dafs besonders bemerkenswerte Gebäude hervortreten. Die Befestigung zeigt an der ganzen Strecke, wo sich aufserhalb die Gärten und die ersten Häuser von Wöhrd anlehnen, die alten Formen. Die vom Februar bis Oktober 1613 neben dem hohen viereckigen Thorturm errichtete Wöhrder Bastei und die ihretwegen unternommenen Umbauten an der Contrescarpe8), *) Vergl. die zu einem Gutachten über Hochwasserbeschädigungen an diesen Sicherheitsvorkehrungen gehörigen Aufnahmen im kgl. Kreisarchiv. a) Die Gundlingsche Chronik sagt in der Schilderung der Verteidigungs­ anstalten während des Markgrafenkrieges zum Jahre 1552: »Auch hat man etliche Thum und die Pastey beim Einflufs der Pegnitz mit eisernen Stangen gebunden, damit man desto sicherer grofses Geschütz darauf brauchen können.« Man wird wohl diese Worte zur Erklärung von Brauns Zeichnung anziehen dürfen. 3) Vergl. M. Bach Heft V dieser Zeitschr. S. 88 f.

wie wir sie auf Beheims Stadtmodell sahen, fehlt hier noch. Klar und anschaulich stellt sich das damals mit dem stärksten, umfangreichsten Vorwerk umgebene Lauferthor mit dem schräg geführten Thorweg der Zugbrücke und dem Zollhaus dar, vor dem die aus der Beschreibung in Tuchers Baumeisterbuch be­ kannte Schnelle, der Schlagbaum, steht. Von der alten innern Befestigungslinie lernen wir auf diesem Blatt eines der interessantesten und besterhaltenen Stücke kennen. Nördlich vom Marstall, etwas abwärts von der Katharinenmühle, beginnt die Überführung der Mauer über den Flufs mit dem Weiberschuld türm. Zu dem Wehrgang, der auf zwei Bogen über das Wasser hinführt, steigt an der Seite des Turms eine gedeckte Stiege auf, denn die Türme waren damals noch ihrer Bestimmung gemäfs »bewohnt«. Der Turm an dem rechten Ufer des Pegnitzarmes hiefs der Männerschuldturm oder auch das »MännereisenEr steht in seinem Rusticaquaderbau mit den ins Kranzgesims eingesetzten Erkern hoch heute und trägt die für die Erbauung dieser ganzen Partie der Mauer mafsgebende Inschrift: »Anno domini MCCCXXIII Kl. Maii mense. Der des turns paumaister gewesen ist Cho. Stromair. Nu hilf uns der heilig Christ. Amen« A). Von da ging die Mauer in einem Bogen, der den Zugang zur Insel Schütt vermittelte, zu dem Turm bei der Heuwage, dessen Stumpf ebenfalls noch steht, und hier wieder in zwei Bogen auf einem Wasserpfeiler, dessen Unterbau noch vorhanden, über den zweiten Arm der Pegnitz hinüber. Die Schuldbrücke, welche ursprünglich gewifs auch mit einem von Pfosten getragenen Schirmdach versehen und dann im Jahre 1485 in Stein aufgeführt worden war, lag dicht hinter der Mauer. Von dem Turm am Harsdorferhof, der mit seinem Garten hier der Spitalkirche gegenüber an Stelle der heutigen Synagoge liegt, sehen wir bei Braun Über­ reste der Mauer mit dem gedeckten Gang noch eine Strecke flufsaufwärts ziehen und dann, in rechtem Winkel gebrochen, nach Norden umbiegen*2). Daraus geht hervor, dafs die *) Vergl. Tuchers Baumeisterbuch von Lexer S. 291. Der Weiber­ schuldturm und die zugehörigen Verbindungsmauern über die Pegnitz wurden 1812 abgebrochen. 2) Vergl. auch M. Bach a. a. O, Sv $6.

64 Befestigung nie unmittelbar längs dem Flufsufer, sondern mit zweimaliger Brechung bis zum Sandbad geführt haben mufs, wo wir sie noch heute wiederfinden. Von der ehemaligen Rotschmiede­ schmelzhütte, von der auch die Wollgasse den Namen »Ulf der Schmölzhütten« führte, und dem 1583 erbauten stattlichen Re­ naissancebau des Schiefshauses, dessen Rückseite den Graben abschliefst, zog der seit 1485 den Schützen eingeräumte Schiefs­ graben. Hier stand zu Brauns Zeit noch, von einem Gitter ein­ gefriedigt, der nunmehr im neuen Rathaushof aufgestellte Bogen­ schütze Apollo auf seinem mit Delphinen und Putten gezierten Sockel, das bekannte Meisterwerk des Rotgiefsers Hans Vischer, das der Zeichner nicht versäumte anzugeben. Abgeschlossen wird der Schiefsgraben nördlich durch den Schlagturm an dem »Laufferplatz«, der in seinem Unterbau mit dem spätromanischen Blendbogen im Durchgang gewifs der Frühzeit des 13. Jahr­ hunderts angehört, dessen Oberbau aber durch den Abbruch der Erker und die plastischen Zuthaten erst anno 1561 seine heutige Gestalt bekam. Von der Stundenglocke, die — im 15. Jahrh. noch eine von den Chroniken gewissenhaft verzeichnete Seltenheit — sein Uhrwerk auszeichnete, nannte man ihn seitdem Läufer Schlagturm. Nördlich von diesem Turm steht über dem Boden des alten Grabens das Bruderhaus Allerheiligen, das seit dem Jahre 1501 von dem reichen Rotschmied Matthäus Landauer auf dem vom Rat geschenkten Grund errichtet worden war, und das in seiner an den drei hohen Fenstern kenntlichen reich ausgestat­ teten Kapelle einst das herrliche Allerheiligenbild Dürers als Altar enthielt. Das Kloster erstreckte sich bis an den Schwaberberg hin, wo der alte Stadtgraben schon 1488 eingeschüttet worden war, um für die sieben quer über den Graben gestellten Häuser1) für die eingewanderten schwäbischen Barchentweber Platz zu schaffen (Tafel 8). Der einspringende Winkel, den die Stadtmauer hier am heutigen Maxthor bildet, zeigt die Stelle, wo die alte Befestigungslinie nach der Burg hin an­ geschlossen war. Der hohe vierseitige Fröschturm mit seinem steilen Spitzdach, der erste unter den Mauertürmen der Reichs*) Daher »bei den sieben Zeilen« genannt.

65 stadt, der den modernen Verkehrsbedürfnissen zum Opfer fallen mufste, beherrschte hier als Bollwerk die Mauer und das all­ mählich abfallende Terrain der »Tuchergärten«. Den ursprünglichen Vorstadtcharakter des Stadtteils, der sich vom Schwabenberg und Dreiberg nach dem Lauferthor hin ausdehnte, haben wir in der Einleitung dieses Abschnitts bereits besprochen*, er hatte sich im Laufe des 16. Jahrhunderts verwischt. Das Viertel zwischen der Hirscheigasse und dem Kappenzipfel hatte zu Brauns Zeit ein durchaus aristokratisches Gesicht bekommen. Aus den Bauernhöfen der Patrizier mit ihren Nutzgärten und Ökonomiegebäuden waren jetzt prächtige, reich eingerichtete, palastartige Quaderbauten mit sorgfältig angelegten Baum- und Ziergärten geworden, deren geometrisch abgezirkelte Beete und Laubgänge den gröfsten Teil der Boden­ fläche einnehmen (Tafel 4 und 8). Die Herrenhäuser, unter denen das Tuchersche mit seinem dreifachen Treppentürmchen, erbaut 1533—44, und das Hirschvogelhaus mit seinen aus­ gedehnten Hintergebäuden am meisten hervortreten, lagen mit der Front an der Hirscheigasse, als letztes in der Reihe mit einem Erkertürmchen und seiner reichen Hoffassade dicht am Lauferthor der »Hautschen Hof«. Die Stadtbefestigung enthält an dieser Seite als wichtigstes Stück die 152 7 in grofsen Rusticaquadern aufgeführte runde Bastei »am Kappenzipfel«, in der Nordostecke der Stadt, schon in ihrer späteren erhöhten Ge­ stalt. Von da an nach dem Fröschturm ist die etwa um die gleiche Zeit an den meisten Teilen der Aufsenmauer ausgeführte Anlage eines gedeckten Wehrgangs, der, von Kragsteinen ge­ tragen, auf niederen Pfosten die oben abgerundete niedere Aufsenmauer krönt, klar zu erkennen, während er an der Ost­ seite bis zum Lauferthor fehlt. Das Stadtviertel, in dem wir uns befinden, seitdem wir die Laufergasse überschritten haben, war das dritte »auf dem Gilgen­ hoff«, so oder mit noch weitergehender Lautumwandlung »Dielinghoff«, wie Braun ihn nennt, hiefs der Platz vor der Egidienkirche, Dieling- oder Dillinggasse, die heutige Theresienstrafse. Das Kloster der Schottenmönche mit seinem viereckigen vom Kreuzgang umschlossenen Hof und der zweitürmigen Kirche, die im ganzen aus der ersten Hälfte des 13. Jahrh. stammte, 5

66

ward bekanntlich bis auf zwei kleine Nebenkapellen in der furchtbaren Katastrophe vom 7. und 8. Juli 1696 ein Raub der Flammen, während der heutige Bau in wohlgegliederten wirkungs­ vollen Barockformen von dem Ingenieurobristen, wie er sich nennt, C. Trost in den Jahren 1711—1718 aufgeführt wurde1). Brauns Plan gibt die anschaulichste Darstellung des alten male­ rischen Bauwerks, die mir bekannt ist. Demnach stiefs der in fünf Seiten des Achtecks schliefsende Chor mit seinen schlanken Mafs werkfenstern und Strebepfeilern an ein wahrscheinlich querschiffloses Langhaus, dessen Front durch zwei viergeschossige viereckige Türme und eine dazwischen gelegene Vorhalle gebildet wurde. Der nördliche Turm mit seinen weiten Klangarkaden im Obergeschofs und dem durchbrochenen Spitzdach enthielt den Glockenstuhl. Der Platz um das Kloster, ursprünglich wohl vom Kirchhof und von Gärten eingenommen, liegt 1608 schon voll­ ständig frei. An seiner Nordseite erheben sich über die Dächer die reichen Renaissancegiebel des Pellerhauses, dessen Hof (Tafel 8) mit seinen malerischen Arkadengängen in der Wieder­ gabe nicht recht geglückt ist, und die drei Giebel des Nachbar­ hauses, von denen der mittlere mit einer Fortuna bekrönt ist2). Das ehemals Kobergersche Haus in der Nordostecke des Platzes trägt noch nicht den Schmuck seiner hölzernen Dach­ erker. Anstofsend an das Pellerhaus finden wir an der Ecke der Strafse »hinterm Tetzek den am Ende des 15. Jahrh. er­ richteten grofsen Quaderbau des Peststadels; im übrigen ent­ halten die Gassen bis zum »Panersberg« hinauf nur kleine Bürgerhäuser. Dieser selbst gehört schon zum zweiten Stadtviertel »am Milchmarkt«, das sich bis zur Burg und zum Neuthor hinzieht. Von ihm führen in der Nordwestecke, da wo das Toppierhaus mit seinem türmchengezierten Dache steht, die untere und obere Söldnersgasse zur Kaiserstallung hinauf. Diese, H. Beheims Korn­ haus mit dem hohen Speicherdach, und die beiden anstofsenden *) Vergl. Würfels Diptycha ecclesiae Egydianae mit den Kupferstichen von Ch. Roth, darunter: Trauriger Anblick der a. 1696 den 7. und 8. Julii erbermüch eingeescherten Kirche und Gymnasii zu St. Egidien. Nürnberg 1757. 2) Der an Stelle dieses Bauwerks, von dem meines Wissens keine alte Abbildung mehr bekannt ist, in der Mitte unseres Jahrh. getretene Neubau ist eines der unerfreulichsten Beispiele moderner Scheingotik,

67 Türme Luginsland (1367) und Alt-Nürnberg liegen im Vorder­ grund des Bildes. An letzterem ist der fünfeckige Quader­ unterbau mit dem Aufsatz aus Ziegelwerk und der bekrönenden Holzgalerie deutlich zu erkennen. Die Stadtmauer davor enthält in der Linie vom Fröschturm her die drei in den stark erweiterten Graben vorspringenden, halbrund abschliefsenden »Streichwehren«, die in der Zeit zwischen 1535 und 1551 angelegt wurden, zusammen mit dem Zwinger, der hier ursprünglich nicht vor­ handen war und zwischen dem fünfeckigen Turm und der Burgamtmannswohnung noch heute fehlt. In der Darstellung der Burg, deren baugeschichtliche Veränderungen wir gelegent­ lich der früheren Prospekte schon ausführlich kennen lernten, ist die übersichtliche Klarheit in Brauns Zeichnung so grofs, dafs wir die einzelnen Bestandteile von selbst sich zusammen­ ordnen sehen. Wie die Kaiserburg durch die mit Schiefsscharten versehene Mauer, die sich um den Vestnerthorturm legt, gegen die Freiung und gegen die Burggrafenfeste sich abschliefst, so schliefst sich diese, sobald wir die Kaiserstallung weggenommen denken, aus der Burgamtmannswohnung, dem Wehrgang, der von dieser zur Walburgiskapelle und dem Turm vorführte, und dem fünfeckigen Turm, aus ihren Resten also, zu einem ab­ gerundeten Ganzen zusammen. Mit aller Deutlichkeit liegt auch die kasemattirte Burg­ bastei vor uns (Tafel 8 und 12). Der Rat hatte im Sommer 1538 den Maltesen Signor Antonio Fazuni zu seinem Baumeister berufen, der als »ein sunder künstler vnd bauverständiger mann vnd in kaiserlichen diensten bauangeber vnd Zurichter« gerühmt ward1). Lienhard Schnabel der Steinmetzmeister und Nachfolger Hans Beheims auf der Peunt, und sein Palier, der später als selbständiger Festungsbaumeister so bedeutende Jörg Unger, leiteten die Steinmetzarbeiten und die ganze Ausführung und reisten wiederholt in die Niederlande um Muster und Visierungen mitzubringen. Der ganz symmetrischen dreiteiligen Anlage des ganzen Werkes entsprechend wurde der Graben in drei grofsen Biegungen ausgehoben. In der mittleren liegt die Hauptbastion, die, mit sehr schmaler Kehle ansetzend, an der Spitze in rechtem *) Baader Beiträge II, S. 9 und M. Bach a. O. 8i.

5!

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Winkel schliefst und flankiert wird von zwei tiefer gelegten in den Schulterpunkten der grofsen Bastion ansetzenden sehr spitzwinklig zulaufenden Wehren. Zu beiden Seiten sind die Zugänge zum Tiergärtner- und Vestnerthor vollständig um­ gebaut1) über die langen hölzernen Brücken in grofsem Bogen durch die gewölbte Einfahrt geführt. 1545 am St. Ursulatag war das ganze grofsartige Werk vollendet. Unter den breiten, nach aufsen abfallenden Geschützscharten zieht ein kräftiges Wulstgesims um die wenig geneigten Mauern, die mit einer unübertrefflichen Pünktlichkeit und Sorgfalt in der Quader­ behandlung ausgeführt sind2). Im Zusammenhang mit diesem Bastionsbau, hinter dem der alte Wehrgang noch vom Tiergärtnerthor, eng an die Kaiserburg angelehnt, erhalten steht, ward auch die Verbreiterung des Zwingers und der Neubau der Aufsenmauer im Graben bis zum Neuthor durchgeführt, dessen Turm 1559 als der letzte unter den Hauptthortürmen der Stadt seinen runden Mantel erhielt und dessen aufserordentlich hohe Flankenbastei nach dem Vorbilde Fazunis 1563 vollendet wurde. Ein lebhafter Yerkehr von Fuhrwerken, Reitern und beladenen Fufsgängern läfst sich auf der Strafse von der Zugbrücke des Neuthors zwischen den Gärten in der Richtung nach St. Johannis hinaus verfolgen, wo, von Bäumen umgeben, das Heiligkreuzkirchlein mit seinem Dachreiter und dem angebauten Spital, eine Stiftung der Familie Haller vom Jahre 1360 8), sich erhebt. Den Fried­ hof mit seinen viereckigen Grabplatten, der kleinen Holzschuherkapelle und dem noch hinter dem Gräberfeld gelegenen Johannis­ kirchlein umgeben nur wenige Wohnhäuser (Tafel 16). Vor seinem Eingangsthor steht A. Krafts hoher Kalvarienberg auf einem eigenen Sockel und ihm gegenüber eine wahrscheinlich zugehörige Gruppe, die sich nicht deutlich unterscheiden läfst4), ------------------- ;-------------- -

Supplication« beigefügt, die Herren möchten sich »nit allein solche arbeit belieben und gefallen lassen, sondern ihme auch derselben hinwiederumb erspriefslich geniefsen lassen«. Zur Antwort teilte man ihm darauf mit, »er solte solch werk ohne vorwissen meiner Herren nit fürgenommen haben, denn er zu dergleichen Sachen nit, sonder zur canzlei bestellet sei, derselben solle er billiger mit mehrem vleis obwarten vnd sich davon durch solche arbeit und das stachelschiefsen2) nit lassen abhalten. Man soll auch von ime begeren, ob er kein modelle oder verjüngerung von diesem werk hab, und solchs von ime auch erfordern; alsdann solch alles zu andern dergleichen Sachen thun, und ist auf die herren losunger gestellt, was sie ime dafür verehren wollen.« Was Braun zum Entgelt für seine monumentale Arbeit erhielt, liefs sich nicht feststellen; einen so seltsamen Dank *) Ratsprotokoll 3. Dezember 1611. 2) Das Schiefsen mit der Armbrust und dem Bolzen mufs also damals wie noch heute bei den Bürgern eine beliebte Waffenübung gewesen sein, für die schon damals der »Schneppergraben« nördlich der Burg, am Fufse der grofsen Bastei einen geeigneten Raum bot. 6*

84 hatte er sich jedenfalls so wenig erwartet als wir. Aber wir erinnern uns, dafs schon Hans Beheim für sein Stadtmodell einen ähnlichen Bescheid erhielt, und die Schwur formein, nach denen die städtischen Werkmeister alljährlich verpflichtet wurden, nichts von dem, was sie im Dienste des Rats gearbeitet oder gesehen hatten — es handelt sich natürlich in erster Linie um die Be­ festigungswerke — nach aufsen zu verraten oder überhaupt ohne Bewilligung des Rats keine Nebenarbeit derart anzunehmen, beweisen dieselbe ängstliche Sorge um die Sicherheit der Stadt, deren Befestigungsbauten möglichst geheim gehalten werden sollten. Anderseits erfahren wir da, dafs Braun gerade dieses sein Hauptwerk, das durch seine Gröfse, durch die Gewissen­ haftigkeit und das künstlerische Geschick seiner Ausführung unter den Prospektzeichnungen des 17. und 18. Jahrhunderts wenig seines Gleichen findet, aus eigenem Trieb, aus Liebe zur Sache unternommen hat. Wir heute danken ihm seine That und feiern ihn als den gröfsten unter den vielen Meistern, die während dreier Jahr­ hunderte Nürnbergs Stadtbild gezeichnet haben, und wir ver­ gessen ihm darüber gern, dafs er vielleicht ein schlechter Stadtkanzlist war.

K. Schaefer.

MITTEILUNGEN DES VEREINS FÜR GESCHICHTE DER STADT NÜRNBERG.

DES HIERONYMUS BRAUN

PROSPEKT DER STADT NÜRNBERG VOM JAHRE 1608.

NACH DEM IM KGL KREISARCHIVE ZU NÜRNBERG BEFINDLICHEN ORIGINALE IN 34 GRÖSSE AUF 16 BLÄTTERN MIT TITELBLATT UND ÜBERSICHTSPLAN SOWIE MIT ERLÄUTERNDEM TEXT VON DR. KARL SCHÄFER

HERALSGEGEBEN

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VEREIN FÜR GESCHICHTE DER STADT NÜRNBERG.

NÜRNBERG. Verlag von Joh L nh. S hrag (In Kommissi n) 1896

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ÜBERSICHTSPLAN ZUM PROSPEKT DER STADT NÜRNBERG VON HIERONYMUS BRAUN VOM JAHRE

1608.

Lichtdruck v. E. Nister, Nürnberg.

Blatt I.

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Cumreliquis,Septem, qiios continetiinacatena QiiosRota,qiioslürrit>;qiio1612«, das Keinz5) für eines seiner Lieder anführt, richtig ist, so dürfen wir wohl annehmen, dafs er etwa zu An­ fang des neuen Jahrhunderts Nürnberg für immer den Rücken gewandt hat, um sein Glück anderswo zu versuchen; denn von x) Die Bedeutung des Wortes ist allerdings nicht ganz klar; vermutlich hängt es zusammen mit »backein« r= wackeln, wanken, taumeln. Vgl. Schmeller, bayer. Wörterbuch I, 201. 2) Teil II, Nr. 142, zweiter Absatz. 8) Teil II, Nr. 158. 4) Vgl. E.,Mentzel, Geschichte der Schauspielkunst in Frankfurt a. M. (Frankfurt 1882; S. 18. 5) a. a. O. 12

166 1606 an kommt sein Name in den Singschulprotokollen der Meistersinger, anstatt deren von 1598—1605 (einschl.) nur einige ganz kurze Aufzeichnungen erhalten sind1), und ebenso in den Nürnberger Ratsprotokollen bereits seit 1598 nicht mehr vor. Ein ganz anderer Mann mufs Veit Fesselmann, ein Leine­ weber seines Zeichens2), gewesen sein, über den wir allerdings nicht so mancherlei zu berichten haben. Seit 1564 stand er den von den Meistersingern im Predigerkloster veranstalteten Aufführungen als deren Leiter vor, wobei er augenscheinlich vor allem als seine Aufgabe betrachtet hat, Hans Sachsens Stücke immer aufs neue seinen Zuschauern vorzuführen. Und wenn es auch bei ihm nicht ganz ohne jede Rüge und Strafe von Seiten eines gestrengen Rates abgegangen zu sein scheint8), so hat er sich doch im allgemeinen stets der Gunst desselben in hervorragen­ dem Mafse erfreut. Das geht beispielsweise auch aus der Ver­ günstigung hervor, die er mit Michel Vogel 15 70 erhielt, nämlich im Rathaussal die »Komödie von der Zerstörung Trojas« vor den Herren des Rats agieren zu dürfen4). Mit Hans Sachs scheinen ihn enge Freundschaftsbande verknüpft zu haben, und auch bei den übrigen Meistersingern stand er in hohem Ansehen, was wir mit Sicherheit daraus schliefsen können, dafs sie ihn, wie die Singschulprotokolle ausweisen, lange Jahre hindurch immer wieder zu einem Merker gewählt haben, obgleich uns merkwürdigerweise, so viel ich weifs, weder Lieder noch ein »Ton« von ihm überliefert worden sind. Seine Verdienste um das Schauspiel galten den Genossen ohne Zweifel anstatt der wohlgefügten »Gebände«, und in jüngeren Jahren mag er überdies ein tüchtiger Sänger gewesen, wie auch später mit allen meister­ lichen Regeln wohl vertraut geblieben sein5). Mit dem Jahre 9 Vgl. indessen F. W. E. Roths Mitteilung über eine von ihm in der Seminarbibliothek zu Mainz aufgefundene Papierhandschrift des Nürnberger Meistergesangs (in Steinhausens Zeitschrift für Kulturgeschichte Bd. III, 1896, S. 280 ff.), in der ut a. Einträge von 1594 bis 1605 über gehaltene Zechsingen enthalten sein sollen, von der ich indessen noch keine Einsicht nehmen konnte. *) Teil II, Nr. 95. 3) Vgl. Teil II, Nr. 101. 4) Teil II, Nr. 120. Ygl. A. Bauch, »Barbara Harscherin«, Nürnberg 1896, S. 55, Anm. 102. 6) * Ein Zeugnis für seine Beteiligung an den Übungen der Singschule bei E. Goetze, Hans Sachsens Gemerkbüchlein in der Zeitschrift für vergleichende Literatur­ geschichte. N. F. VII (1894), S. 443. Fesselmann sang damals, wie die meisten anderen Nürnberger Singer jener Zeit, ein Lied von Hans Sachs.

167 1581 verschwindet sein Name sowohl aus den Protokollbüchern der Meistersinger wie aus den Ratsverlässen, ein nahezu sicheres Zeichen dafür, dafs er zu Anfang dieses Jahres gestorben ist. Von geringerer Bedeutung als »Spielhalter« — um einen Ausdruck der Ratsprotokolle zu gebrauchen — waren Michel Vogel und Sixt Ludel, von denen der erstere uns oben bereits in Gemeinschaft mit Fesselmann begegnet ist. Ein Steinmetz oder Bierbrauer — sein Beruf wird verschieden angegeben *) — und vermutlich ein Verwandter, vielleicht der Sohn Hans Vogels, des nach Hans Sachs begabtesten unter den Nürnberger Meister­ singern aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, ist er uns als Verfasser des geistlichen Trostliedes »Mach mich heilsam o Gotte,« das etwa 1570 bei Hans Koler in Nürnberg erschien, bekannt*2),3 hat in der Meistersinger-Genossenschaft mehrfach das Amt eines Merkers bekleidet, betrog aber schliefslich das in ihn gesetzte Vertrauen schmählich — »in seit menschengedenken noch nie dagewesener weise« sagen die Singschul­ protokolle —, indem er sich nicht nur der Unterschlagung von Geld schuldig machte, sondern auch die Dramenbücher der Gesellschaft — nach Drescher sii}d möglicherweise die Regie­ bücher für die Aufführungen gemeint — verkaufte oder ver­ setzte, kurz ihr auf Nimmerwiedersehen entfremdete. Zu Aus­ gang des Jahres 1577 wurden seine Veruntreuungen entdeckt8) und er, wie wir annehmen müssen, cum infamia aus der Gesell­ schaft der Meistersinger ausgestofsen. Aus dem Anfang des­ selben Jahres datiert auch die letzte Erwähnung Michel Vogels als Leiters von Aufführungen in den Ratsprotokollen4). Sixt Ludel, »Bürger und Nadler« 5), wird ebenso wie der etwas ältere Meistersinger Hans Lang6) und der etwas jüngere Jörg Fenitzer7) in Verbindung mit theatralischen Produktionen nur ganz sporadisch Vgl. Michels in der Vierteljahrsschrift für Literaturgeschichte III (1890', S. 40, Anm. 22. 2) Vgl. Goedeke, Grundrifs II, 193 und 259. 3) Meistersinger-Protokolle ed. Drescher S. 8. 4) Vgl. Teil II, Nr. 133. 6) Teil II, Nr. 149, aufserdem Nr. 126 und 130. 6) Teil II, Nr. 122; als Singer mehrfach genannt in Hans Sachsens Gemerk-Büchlein (a. a. O. S. 142 f.) und wohl auch noch zu der Ostersing­ schule von 1581 (Drescher S. 23: »H. L. . .«}. 7) Teil II, Nr. 173: »messerschmit.« 12*

168 genannt. Um so häufiger ist die Erwähnung namentlich Ludels und Fenitzers in den Singschulprotokollen der Meistersinger, bei dem Preissingen, das jedesmal den Inhalt sowohl des »Haupt­ singens« wie des »Singens an der Zech« ausmachte. Der Messerschmied Hans Schwendter endlich1) hätte nach Veit Fesselmanns Tode gewifs nicht übel Lust gehabt, dessen Erbschaft in der Gunst des Rates anzutreten. Ob ihm das geglückt ist, sehen wir nicht recht, da in den das Komödien­ spiel der Handwerker betreffenden Ratsverlässen von 1585 bis 1598 leider keine Namen genannt werden. Wir müssen es indessen nach einigen Andeutungen über seine Lebensführung billig bezweifeln. Denn dafs er wegen unbezahlter Losungen einmal der Stadt verwiesen und ihm dann, als er einen Teil der rückständigen Abgaben bezahlt, »die Wirtshäuser und Keller hier in der Stadt und auf ein Meil Wegs herum zwei Jahr lang verboten« werden, läfst auf keinen sehr geordneten Wandel schliefsen. Einige andere Meistersinger, wie namentlich Endres Nuding und Hans Gretschmann, die ebenfalls als Spielhalter thätig gewesen sind — rein schauspielerische Leistungen wird man wohl für die meisten Mitglieder der Genossenschaft voraussetzen dürfen —, gehören ihrer Hauptwirksamkeit nach bereits der folgenden Epoche an und finden daher besser im nächsten Kapitel ihre Behandlung. Überblicken wir die Reihe dieser Männer, die am Theater­ leben Nürnbergs bis gegen den Schlufs des 16. Jahrhunderts nach Hans Sachs den hervorragendsten Anteil gehabt haben und von mir, obgleich ich hier nur zu skizzieren habe, nicht ohne Grund mit solcher Ausführlichkeit behandelt worden sind, so werden wir mit Überraschung gewahr, wie klein im Grunde die Summe wahrhaft idealen Strebens ist, die wir hier vereinigt finden, oder, um es deutlicher zu sagen, wie manche unerfreu­ liche Erscheinung, ja anrüchige Persönlichkeit sich unter diesen Spielhaltern, die doch zugleich in einem mehr oder minder *) In Betracht kommen Teil II, Nr. 157—59, 162, 172, 174 und 175 (der hier genannte Hans Mendtler ist ohne Zweifel mit Schwendter identisch). Als Singer wird er selten genannt, zuerst zu der >singschul zu mitfasten« 1578 (Drescher S. 9).

169 nahen Verhältnis zum Meistergesang standen, befunden hat. Abgesehen von den mannigfachen Übertretungen der obrigkeit­ lichen Verbote hören wir von Schulden, von Unterschla­ gung und Diebstahl. Diese neue Phase in der Entwicklung, die etwa mit den sechziger Jahren beginnt, mufs ihren tieferen Grund in den äufseren Verhältnissen haben, und es ist nicht schwer, zu erkennen und zu kombinieren, dafs es, wie ich gelegentlich auch anderswo*) bereits betont habe, die Vernachlässigung der eigentlichen Berufstätigkeit ist, welche diese Erscheinung gezeitigt hat. Seit dem Aufkommen des Komödienspiels war der Meistergesang mehr und mehr seiner ursprünglichen Aufgabe entfremdet worden, stand nicht mehr der Gesang und eine gründliche Bibelkenntnis, das Erfinden und Bewähren neuer Töne im Mittelpunkt des Interesses der Genossenschaftsmitglieder, sondern eben das Agieren ihrer Spiele, an das ohne Zweifel mehrere Monate des Jahres hin­ durch viel Zeit und Mühe gewandt wor*den ist. Daraus erklärt es sich z. B. auch, dafs Hans Sachs während der letzten dreifsig Jahre seines Lebens keinen neuen Ton mehr erfunden hat*2)*, und dafs Männer, die sich plötzljch von Nürnberg aufmachen, um auf einer Ostermesse zu Frankfurt am Main mit Theater­ stücken und Gesängen als Spielleute aufzutreten, nicht zugleich mit aller Liebe und der alten einfachen Gesinnung ihrem Hand­ werk obliegen konnten, versteht sich beinahe von selbst. Und doch mufs in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts beim Volke wie bei dem gebildeteren Publikum Nürnbergs eine ungemeine Freude an theatralischen Produktionen, denen Hans Sachsens grofses Talent mächtig Vorschub leistete, ja ein förm­ liches Bedürfnis darnach und überhaupt eine wahre Begierde nach Schaustellungen aller Art bestanden haben. Das ergibt sich nicht nur daraus, dafs in den meisten Jahren zwei, zuweilen sogar drei Gesellschaften agierender Handwerker nebeneinander thätig gewesen sind und dabei doch wohl ihre Rechnung ge­ funden haben, sondern beispielsweise 3) auch in der aufserordent9 Hans Sachs-Forschungen, S. 403. 2) Vgl. auch Michels in der Vierteljahrsschrift für Literaturgeschichte Bd. III (1890), S. 30. 3) Auf die fortdauernden Vorstellungen welscher Springer, »venedigischer trummeter« etc. kann ich an dieser Stelle nicht aufs neue eingehen.

170 liehen Häufigkeit der veranstalteten Fechterspiele, der sogen. Fechtschulen, die, schon im vorhergehenden Jahrhundert von berufenen Fechtmeistern eifrig gepflegt, sich in dieser Zeit zu einem richtigen Sport der Handwerker, namentlich der Schuster und Messerer, entwickeln und von Seiten des Rates als eine nützliche Übung eher Förderung erfahren als hintan gehalten werden. So ist zur Zeit der höchsten Blüte dieser Erscheinung, um die Mitte des 16. Jahrhunderts, in Nürnberg fast allwöchent­ lich eine solche Fechtschule — später vielfach im Heilsbronner* hof — abgehaiten worden*). Die Meistersinger freilich scheinen in der Regel mit ihren Singschulen, Theateraufführungen etc.2) genug zu thun gehabt und sich daher mit Veranstaltung von Fechtschulen kaum abgegeben zu haben. Wenigstens ist mir, wo immer ich in den Ratsprotokollen die Notizen über Fecht­ schulen, von denen die Verlässe wimmeln, nachgeschlagen und durchgesehen habe, dabei niemals der Name eines mir als Meistersinger bekannter^ Mannes begegnet. In diesem Sinne ist die Bezeichnung Hans Sachsens als eines »Fechters«, die sich in Handschriften des 17. Jahrhunderts findet, aller Wahr­ scheinlichkeit nach unrichtig, wenn auch keineswegs aus­ geschlossen ist, dafs auch Hans Sachs gelegentlich der edlen *) Ein Beispiel solcher Einträge in den Ratsprotokollen: [1551, I, 2] I. April 1551 : Peter Umprecht auf neclistkummenden suntag ain fechtschul vergönnen und den andern dreien, weil si nit burger, dasselbig zu diesem mal ablainen. [1551, I, 12’] 6. April 1551 : Ruprechten Helm, schreinergesellen, auf nechsten suntag ein fechtschul erlauben, doch ime dabei sagen, sich gepürlich und wie fechtens recht zu halten. Den andern fünfen aber die begerten fechtschul diser zeit ablainen. [1551, I, 26’] 13. April 1551: Hansen Haiden, dem fechtmaister von Rotenburg, auf nechsten suntag ain fechtschul vergönnen und den andern vieren sollich ir begern dismals ablainen. [i55>. I. 38’] 20. April 1551: Blasius Leo, dem schuhknecht, auf nechsten suntag ain fechtschul ver­ gönnen und den andern sechsen, so auch darumb angelangt, dasselbig ietzo ablainen. [1551. !. 53] 27. April 1551: Christoffen Zainmacher, schneidergesellen, auf nechsten suntag ain fecht­ schul vergönnen und den andern dreien dasselbig ietzo ablainen. 2) Über die Thätigkeit mancher späterer Meistersinger als Hochzeitlader und Leidbitter vgl. Mitteilungen aus dem Germanischen Nationalmuseum 1894, S. 40 f.

171

Leibesübung, die bei seinen Standesgenossen damals überall im Schwange war, obgelegen hat. Ein sicherer Beweis wird dafür allerdings schwerlich erbracht werden können1). Aus allen diesen Verhältnissen erwuchsen nun aber neben dem Vorzug einer erhöhten geistigen Regsamkeit, welchen die stete Beschäftigung mit der dramatischen Dichtung und Schau­ spielkunst den betreffenden Handwerkern notwendig bringen mufste, auch jene argen Schäden, die ich durch Mitteilung von Nachrichten über die Lebensumstände dieser Leute zu beleuchten versucht habe. Manche derselben wandten, wie wir gesehen haben, im Laufe der Zeit ihrem Handwerk ganz den Rücken, um sich völlig der Dicht- und Schauspielkunst hinzugeben. Für eine solche Hingabe aber hatte die Zeit, insbesondere die hohe *) Die Frage, ob Hans Sachs auch P'echter gewesen, ist zuerst von August Hartmann, Deutsche Meisterliederhandschriften in Ungarn, München 1894, S. 39 aufgeworfen und auf Grund der Bezeichnung in zwei Pester Hand­ schriften (»ein fechter«, »approbirt fechtmeister«), besonders aber auf Grund einer von mir (Mitteilungen aus dem German. Nationalmuseum 1894 S. 40) zitierten Stelle im cod. berol. germ. 40 583, S. 249 (»fechter«), von der er annahm, dafs sie, wie der gröfste Teil des Codex, von Georg Hager herrühre, bejaht worden. Da ich a. a. O. von einer späten Handschrift gesprochen hatte — der Ausdruck Handschrift war 'allerdings irreführend, es hätte Schreiber heifsen müssen —, konnten damit natürlich nur die späteren Zusätze und Einschiebsel gemeint sein, denn die Handschrift in ihrer Gesamtheit, an der nach Georg Hager — es ist ein Sammelband — Hans Sachs den gröfsten Anteil hat, würde ich selbstverständlich nicht als spät bezeichnet haben. In­ zwischen hat K. Drescher im Euphorion (Bd. IV, S. 11 o) die Sache richtig gestellt und damit den aus jener Stelle gezogenen Schlufs entkräftet. Unrichtig ist an seinen Ausführungen nur die ihm auf seine Anfrage aus Berlin zugegangene Mitteilung, dafs meine Angabe, der Codex sei hauptsächlich von Georg Hager geschrieben, auf einem Irrtum beruhe. G. Hager schrieb von den 337 Bit., die der Codex enthält, Bl. 2 bis 9 (der modernen Numerierung zu Anfang) Bl. 1 bis 78, 83 bis 86, 101 und 102, 129 bis 132, 140’ bis 144, 146 (V2) bis 154(72), 223 bis 226, 247, 286 bis 296, 300 bis 314 (der alten Numerierung) zusammen 139 Bit. Hans Sachsens Hand zeigen Bl. 103 und 104, 107 und 108, 111 bis 122, 127 und 128, 133 bis 136, 155 und 156, 205 bis 210, 227 bis 240, 243 und 244, 251 bis 254, 257 und 258, 261 bis 266, 284 und 285 der alten Numerierung, zusammen 60 Bit., doch ist meistens jede vierte Seite frei geblieben; es sind einzelne Meister­ gesänge, je zwei Bit. umfassend, die Hans Sachs vermutlich Georg Hägers Vater nach und nach zum Geschenk gemacht hat. Valentin Wildenauer schrieb Bl. 81 und 82, 137 und 138, 159 und 160, zusammen 6 Bit. Der Rest der Handschrift rührt von 23 weiteren, verschiedenen Händen her, von denen eine dexjenigen Wildenauers sehr ähnliche noch 437a Bit. (161—204) schrieb, die anderen nur jedes Mal kleine Bruchteile. Das Ganze wurde schliefslich von einer Hand des ausgehenden 17. Jahrhunderts überall mit allerlei Zusätzen, Ergänzungen, Korrekturen, Rasuren, Überklebungen u. s. w. versehen. Diese späte Hand schrieb auch die fragliche Notiz, welche den Anlafs zu diesem kurzen Exkurs gegeben hat.

172 Obrigkeit zunächst noch kein richtiges Verständnis. Schon die knappe Weisung an Österreicher, »sich hinfüro Lieder zu machen zu enthalten«, zeugt davon. Man konnte sich nicht denken, dafs jemand die Schauspielkunst oder die Leitung theatralischer Aufführungen zum alleinigen Beruf wählen könne, und hielt dies auch für durchaus unangemessen. In denen, die es dennoch versuchten, sah man vorderhand nichts anderes als Müfsiggänger und Tagediebe und brachte namentlich fremden Ko­ mödianten, die um Spielerlaubnis nachsuchten, ein schwer zu überwindendes Mifstrauen und geringes Wohlwollen entgegen. Auch von solchen geben die Nürnberger Ratsverlässe hin und wieder Kunde, ohne dafs sich indessen immer mit Sicherheit bestimmen liefse, wie weit wir es dabei bereits mit wirklichen Berufskomödianten zu thun haben. Von den sechs italienischen Spielleuten, die 1549 darum nachsuchten, ein Spiel von Herkules agieren zu dürfen — übrigens ein sehr frühes Vorkommen italienischer Schauspieler in Deutschland —, ist bereits oben die Rede gewesen. Dafs im Oktober 1561 auch der »obriste britschenmeister in Schweitz« **) Heinrich Wire — oderWurer, wie er in den Rats­ protokollen genannt wird, — in Nürnberg »seine comedias« ein paarmal hat aufführen dürfen 2), fügt dem Bilde, das wir bisher von diesem Manne haben, einen neuen, nicht uninteressanten Zug ein. Eine Gesellschaft scheint er indessen nicht bei sich gehabt zu haben, sodafs wir also diese »Komödien« entweder als Marionettenspiele oder im weiteren Sinne des Wortes als Narrenpossen, komische Soloscenen werden auffassen müssen. Ein Fremder scheint auch Michel Schleiffer gewesen zu sein, der 1569 bereits am 21. Oktober um Spielerlaubnis einkam, aber direkt Ablehnung erfuhr3). Nicht besser erging es 1579 Jeremias Steinecke von Leipzig und Jakob Örtl von Lauf, da, wie es in der ablehnenden Antwort auf ihr Gesuch hiefs, die Herren vom Rat allbereits ihren Bürgern erlaubt hätten, ettliche Komödien zu spielen4), im April 1581 den fremden Komö*) Vgl. Goedeke, Grundrifs II, 326, Nr. 4. 8) Teil II, Nr. 88 und 89. *) Teil II, Nr. 116. *) Teil II, Nr. 149.

173 dianten, die vorhatten, eine Tragödie vom jüngsten Gericht aufzuführen*), und im März 1587 einem gewissen Christoph Hardweck, der wohl identisch ist mit jenem »Harttwick, bürger und einwoner zu Pirnau im land zu Meifsen«, welcher sich am 28. August 1585 in Lüneburg »geistlicher deutscher commedien-agirer« nennt*2). Demnach würde er noch am ersten als Berufsschauspieler oder fahrender Spielhalter in Anspruch genommen werden können. Die Begründung der Ablehnung, die er in Nürnberg erfuhr, lautete: »dieweils jetzt ausser der zeit ist« 3). Erst die englischen Komödianten, die in Nürnberg zuerst im Jahre 1593 nachzuweisen sind, haben hier durch die Über­ legenheit und den rasch verbreiteten Ruf ihrer Leistungen das Eis gebrochen. Mit ihrem Auftreten beginnt daher in der Theatergeschichte eine ganz neue Epoche.

Drittes Kapitel.

Berufsschauspieler, Wandertruppen (17. Jahrhundert).

Wenn wir in der Geschichte des Nürnberger Theater­ wesens bis gegen den Ausgang des 16. Jahrhunderts durchaus eine Sonderentwicklung vor uns hatten, die ohne wesentliche Einflüsse von aufsen in engem Raume vor sich ging und ihre hohe Bedeutung im Kreise der übrigen Sonderentwicklungen und für die Geschichte des deutschen Theaterwesens der her­ vorragenden Stellung Nürnbergs in jener Zeit, dann aber vor allem auch dem Umstande verdankt, dafs gerade hier günstige äufsere Verhältnisse mit sehr erheblichen geistigen Potenzen auf dem Gebiete der dramatischen Dichtung zusammentrafen und Zusammenwirken konnten, so sehen wir seit dem Ende des 16. Jahrhunderts das Nürnberger Theaterleben dem Strome derjenigen Entwicklung folgen, die sich von da an unter dem Zwange äufserer wie innerer Umstände in ganz Deutschland in Teil II, Nr. 161. 2) Vgl. Münchener Jahrbuch, III, 267. s) Teil II, Nr. 183.

174 annähernd gleicher Weise vollzog. Bisher ein Schmuckstück für sich, wird die dramatische Kunst in Nürnberg im Laufe des 17. Jahrhunderts mehr und mehr zu einem Gliede in der schmückenden Kette, als welche sich die Entwicklung der Schau­ spielkunst fernerhin durch das deutsche Geistesleben schlingt. Ein Glied gleicht dem andern, alle zusammen mögen sie die schönste Wirkung thun, mögen sie Absichten, Kunst und Schule ihres Verfertigers auf das deutlichste an den Tag legen • für sich allein, aus dem Zusammenhang gerissen, erscheint das einzelne Glied in seiner Form weder mehr ganz verständ­ lich noch schön. Das gleiche Bild könnte auch mit Bezug auf die bildende Kunst in Nürnberg angewandt werden, nur dafs die spezifisch nürnbergische Kunst bereits vor der Mitte des 16. Jahrhunderts ihre alte, scharf ausgeprägte Eigenart zu Gunsten einer allgemeineren Kunstübung gröfstenteils abgestreift hat. Die Ursachen dieser Entwicklung waren freilich wesent­ lich andere, als die, welche mehr denn fünfzig Jahre später das Nürnberger Theaterwesen in neue Bahnen lenkten. Der angedeuteten Thatsache gegenüber sah sich der Ver­ fasser für die Behandlung der folgenden Epochen vor die Alter­ native gestellt, entweder der Gesamtentwicklung des deutschen Theaters sein Augenmerk in umfassender Weise zuzuwenden, um im Anschlufs daran und im Zusammenhänge damit die Nürnberger Verhältnisse zu erklären, Lebenslauf und Charakter der handelnden Persönlichkeiten zu schildern, oder aber die Entwicklung im grofsen als bekannt vorauszusetzen, höchstens hie und da mit wenigen Strichen zu skizzieren und auch bezüg­ lich der Nürnberger Theatergeschichte nur bei denjenigen Ab­ schnitten und Momenten etwas länger zu verweilen, welche durch die hier zum ersten Male veröffentlichten Ratsverlässe überhaupt erst bekannt oder doch in eine neue Beleuchtung gerückt werden. In ersterem Falle wäre meine Arbeit, die sich ganz vornehmlich an den Forscher wendet und ja überdies, wie bereits im Vorwort ausgeführt wurde, auf erschöpfende Behand­ lung des Themas von vornherein keinerlei Anspruch erhebt, mit einer Masse längst bekannter und schon in den verschie­ densten Zusammenhängen verwerteter und gewürdigter Thatsachen belastet worden, was auch mit Rücksicht auf den zur

175 Verfügung stehenden Raum nicht thunlich erschien. Ich wählte daher den anderen Weg, indem ich es dem zukünftigen eigent­ lichen Geschichtsschreiber des Theaters und der dramatischen Dichtkunst in Nürnberg überlassen mufs, sowohl die Lücken in der Darstellung auszufüllen und das Bild, das von mir zumeist nur in groben Umrissen entworfen werden konnte, zu vervoll­ ständigen und zu beleben, als auch dieses Bild mit der Gesamt­ entwicklung des deutschen Theaterwesens zu verbinden, es in dieselbe einzugliedern. Gleich hinsichtlich der Persönlichkeit und Wirksamkeit desjenigen Mannes, der, wie er in seinem Leben an der Grenz­ scheide des 16. und 17. Jahrhunderts steht, uns so auch mit seinen zahlreichen dramatischen Werken aus der alten in die neue Zeit des Nürnberger Theaters hinüberleitet, mufs ich gewissermafsen mit einem Vacat beginnen. Denn über die dra­ matische Thätigkeit Jakob Ayrers, des neben Hans Sachs be­ deutendsten deutschen Schauspieldichters im 16. Jahrhundert, ent­ halten die Ratsprotokolle leider auch nicht die leiseste An­ deutung, und auch aus der Zeit seines ersten Nürnberger Aufenthalts, über den Nopitsch so merkwürdige, zum Teil unwahrscheinliche Dinge berichtet*), erfahren wir nichts über ihn. Dagegen hören wir ausführlich von einer Klage, die Ayrer einige Jahre nach seiner Übersiedlung nach Bamberg gegen die Brüder Hans Thomas und Martin Neuckam wegen Nichtherausgabe eines Legats der verstorbenen Ursula Neuckamin im Oktober 15 76 anstrengte. Die Sache, in welcher der bambergische Bürger, Stadtgerichtsprokurator und Notar von den regierenden Bamberger Bischöfen, erst Veit, dann Martin, unter­ stützt wurde, zog sich mehrere Jahre hin, und ihre Erledigung ist aus den Ratsverlässen nicht mit Sicherheit zu ersehen. Über­ haupt ist die ganze Angelegenheit nur insofern von einiger Be­ deutung, als wir daraus entnehmen, dafs Ayrer bereits in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre jene ansehnliche Stelle in Bamberg innehatte und mit Anna, einer geborenen Hammer, der Schwester eines Jeronimus Hammer, verheiratet war*2). 1593 6 Zusätze zu Wills Nürnberger Gelehrtenlexikon, I (/Teil V des ganzen Werkes) S. 41. 2) Ich bringe die betreffenden Ratsverlässe, da sie ja mit der Nün}-

176 oder 1594 zog er wieder nach Nürnberg, wie man aus einer Stelle in seiner Bamberger Chronik schliefst, wegen der Bedrängnisse, in die das Luthertum unter Bischof Neithart von berger Theatergeschichte direkt nichts zu thun haben, nicht im zweiten Teil, wo sie aufserdem auseinandergerissen werden müfsten, sondern an dieser Stelle im Zusammenhänge zum Abdruck: [1576, VI, 40’] 3. Oktober 1576: Auf Jacob Airers, statgerichtsprocurators zu Bamberg, suppliciren umb execution wider Martin Neuckam soll man seinen anwald des beclagten Neuckams darauf gegebne antwort hören lassen und vernemen, ob er mit ime sogetaner massen gedult tragen oder was er weiter begeren wolle. [1576, IX, 2. Abt. 1] 6. Dezember 1576: Dem bischof zu Bamberg soll man auf seiner f[ürstlichen] g[naden) furpitlich schreiben wegen Jacob Airers, statgerichtprocurators zu Bamberg, Hansen Thoma Neuckams darauf gegebne antwort wider einschliessen. I1577, IV, 4’J 5. Juli 1577: Herrn Veiten, bischofs zu Bamberg, furpitlich schreiben wegen Jacob Airers, statgerichtsprocurators daselbst, und Jeronymussen Hamers darauf ge­ gebne antwort sol man bedes den herren hochgelerten, so am statgericht sitzen, umb irer er| Wurmstich je bericht, wie die sach geschaffen furhalten, auch der­ selben bedenken darüber einnemen und dann sich erkundigen, ob der Airer sein burgerrecht alhie aufgesagt und ob der Hamer auch hie burger sei oder nicht. F1577» VIII, 11J 2. November 1577: Auf Jacoben Airers, procurators zu Bamberg, schreiben eines legats halb von Ursula Neuckam in sol man seinen des Airers anwald Henrichen Mulecks und Hannsen Schnitzer als Sebastian Elbsen Kinder Vormünder antwort horn lassen und die sach zu ordentlichen austrag ans statgericht weisen. [1577, IX, 20’] 8. Januar 1578: Des bischofs zu Bamberg furpitlich schreiben und Jacob Airers, burgers daselbst, eingeschlossens begern soll man bei aincm hochgelerten beratschlagen, wie der procefs mit verhörung Hansen Hetzeis anzustellen, und das bedenken widerpringen. [>577, XI, 11J 23. Januar 1578. Des herrn statrichters und schöpfen bericht und erlegte urteil, die sie am statgericht zwischen Jacoben Ayrer, procurator zu Bamberg, und die Neuckam gebrueder publiert, sol man herrn Johanns Georgen, bischoven zu Bamberg, uf seiner f. g. schreiben einschliesen und des Hansen Hetzeis ungerechter zeugschaft halb fragstuck stellen, ine fordern und darauf zu rede halten. [1577, XII, I’] 15. Februar 1578. Auf Jacoben Airers, procurators zu Bamberg, schreiben und pittlichs begern, sein hausfrau mit irer appellation gegen Hansen Thoman und Martin Neuckam, bede bürgern alhie, zuzulassen, soll man ain hochgelerten hören und widerpringen. [1577, XII, 14’] 21. Februar 1578: Auf herren doctor Cammermaistern und Freers verlesnen rathschlag solle Jeronymussen Hamer, oder wer sonst von Jacoben Ayrers oder Anna Homerin wegen umb beschaid ansuchen würdt, angezaigt werden, er solte seinen Schwager, den Ayrer, so wol der erteilten apostel, als der beschehenen appellation berichtet haben, so were ain erb. rat dises unzeitigen, vielfeltigen anlaufs uberhaben, und möchten sie gleich wol irer Sachen pesser achtung haben und mit dergleichen vergeblichen anlauf eins erb. rats verschonen, auch irer

177 Thüngen im Stifte Bamberg geriet1). Am 26. März 1605 ist er bekanntlich als »publicus notarius und der gerichten procurator« in seiner Wohnung im Heugäfschen gestorben2). In die Zeit seines zweiten Nürnberger Aufenthalts, also etwa in das letzte Jahrzehnt seines Lebens, fällt, wie allgemein und gewifs mit Recht angenommen wird3), die Abfassung seiner sämtlichen Stücke, sowohl der uns erhalten gebliebenen 69 Ko­ mödien, Tragödien und Fastnacht- oder Possenspiele, die alle mit nur einer einzigen Ausnahme4) weltliche Stoffe behandeln, als auch der verlorenen, die den zweiten, nicht erschienenen Teil der Ausgabe von 1618 bilden sollten und vermutlich vorzugs­ weise biblischen Inhalts gewesen sein werden. Diese Vermutung ist vor einigen Jahren von J. G. Robertson in seiner Dissertation »Zur Kritik Jakob Ayrers« 5) ausgesprochen worden 6), und man wird ihr beipflichten müssen, denn einmal ist es nicht wahrscheinlich, dafs ein Mann, der es sich angelegen sein liefs, den ganzen Psalter Davids »auf das fleifsigste und getreulichste« appellation und formalien halb gegen Hansen Thoman und Martin, die Neuckam gebrueder, die gepur durch ordenliche handlung fürpringen. [1580, XIII, 26] 17. März 1581: Jacob Airer, notarium zu Bamberg, soll man auf sein schreiben, soverr er selbst hie, des beclagten Peter Bauers darauf gegebenen bericht hören lassen. [ 26’ ] Woverr er aber nicht hie, die antwort dem Bauer wider zustellen und sagen, dieselbig etwas besser auszufüren, und wanns beschehen, alsdann dem Airer einschliessen. [1581, V, 2. Abt., 5’] 4. August 1581: Herren Martin, bischofen zu Bamberg, soll man auf seiner f. g. fürpitlich schreiben von wegen Jacoben Airers, procurators daselbst, Hansen Briefs und Hainrichen Meders als Ursula Neuckamin selgen testamentarien darauf gegebnen bericht und erpieten wider einschliefsen. 9 Vgl. Adelbert von Keller in den Anmerkungen zu seiner Aus­ gabe sämtlicher erhaltener Dramen Jakob Ayrers (Bibliothek des Stuttgarter literarischen Vereins, Bd. 76 bis 80), S. 3422 (im 5. Bde.); Julius Tittmann, Schauspiele aus dem 16. Jahrhundert 1 Goedeke-Tittmann, Deutsche Dichter des 16. Jahrhunderts, III. Bd.), Leipzig 1868, S. 124; Goedeke, Grundrifs, II, 545 u. a. m. 2) Helbig in Hennebergers Jahrbuch für deutsche Literaturgeschichte, Meiningen 1855. I» S. 32. Nach der von ihm mitgeteilten urkundlichen Nach­ richt dann in den verschiedenen Ayrer-Biographien. 3) Über die Chronologie der Dramen Ayrers vgl. jetzt namentlich John George Robertson, Zur Kritik Jakob Ayrers. Mit besonderer Rücksicht auf sein Verhältnis zu Hans Sachs und den englischen Komödianten, LeipzigReudnitz 1892, S. 66 ff. 4) Nr. 67 der Kellerschen Ausgabe. 5) Vgl. Anm. 3 a. d. S. •) S. 17 f.

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zum Gebrauch in Kirchen und Schulen »gesangsweis in Reimen« zu verfertigen, in seinen Dramen den biblischen Erzählungen so gut wie gar keine Beachtung geschenkt haben sollte. Dann aber waren seine Stücke aller Wahrscheinlichkeit nach in erster Linie darauf berechnet, von den einheimischen Schauspielern, d. h. den Meistersingern, aufgeführt zu werden. Schon die gelegentliche Verwendung von Hans Sachsens Rosenton in seiner »Comedia von zweien brüdern aus Syracusa« *) läfst auf eine nähere Vertrautheit mit den Meistersingern schliefsen. Dazu kommt, dafs sich in einer vermutlich von Wolf Bautner geschriebenen Meisterlieder-Handschrift der ehemals Willschen Bibliothek ein Meistergesang in Sixt Beckmessers goldenem Ton von »der juden straf über das leiden Christi« findet, welcher »dicht M. Jacob Ayrer« unterschrieben ist*2). Allerdings war Ayrer nach dem, was wir bisher von ihm wissen, kein studierter Jurist und wird auch urkundlich niemals als Magister bezeichnet. Dennoch ist weit eher anzunehmen, dafs die wackeren Hand­ werker den kaiserlichen Notarius fälschlich für einen zünftigen Gelehrten gehalten und seinem Namen dementsprechend ein M. vorgesetzt haben, als dafs es sich hier etwa um seinen gleich­ namigen Sohn handelte. Wie sollte der angesehene Rechts­ gelehrte, Doctor beider Rechte und Verfasser zahlreicher zum Teil vielfach aufgelegter juristischer Schriften, wohl dazu gekom­ men sein, den Meistersingern ein Gedicht in Beckmessers gol­ denem Ton zu dedizieren? — Endlich aber scheint, wie auch Robertson andeutet3), die Pflege und weitere Ausbildung, die Ayrer dem erst durch ihn in Deutschland eingeführten Sing*) Kellers Ausgabe Nr. 27. 2) Cod. nor. bibl. Will. III 782, S. 287. Die Handschrift, über die ich demnächst ausführlicher zu berichten gedenke, ist für die Geschichte des Meistergesangs im 17. Jahrhundert von ähnlicher Bedeutung wie die Kolmarer Liederhandschrift (cgm. 4997) für die Anfänge des Meistergesangs. Für Wolf Bautner als Schreiber spricht zunächst, dafs keine der zahlreich vorkommenden Datierungen über Bautners Todesjahr (1634) hinausgeht. Auf eine von .Schrift­ pausen begleitete Anfrage an die königliche und Universitätsbibliothek in Breslau erhielt ich in liebenswürdigster Weise die gleichfalls von einer Schriftpause begleitete Auskunft, dafs in der That, soweit man nach den eingesandten Schriftproben urteilen könne, die Handschrift des Nürnberger Codex mit der­ jenigen des Wolf Bautner in den beiden Bänden CI. IV fol. 88 b der Breslauer Universitätsbibliothek identisch zu sein scheine. 3) A. a. O. S. 52.

170 spiele zu teil werden liefs, weniger durch die »jiggs« der Eng­ länder als durch die Gepflogenheit der Meistersinger, ihre Aktionen durch Gesänge zu unterbrechen, ursprünglich veranlafst worden zu sein. Wenn er demnach, wie wir annehmen dürfen, vornehmlich mit Rücksicht auf die Meistersinger schrieb, wird er zweifelsohne auch ihrem Bedürfnis nach biblischen Dramen Rechnung getragen haben. Überhaupt findet sich in Ayrers Werken deutlich das Bestreben ausgesprochen, die alte Kunst des Hans Sachs mit der durch die englischen Komödianten neu aufgekommenen Art und Richtung zu verbinden. Das Jahr seiner Rückkehr in die Vaterstadt ist zugleich dasjenige des ersten Auftretens englischer Komödianten in Nürnberg. Die Gesellschaft des Robertus Brown gab daselbst im August (1593) Vorstellungen und bat sich, als sie zur Frankfurter Messe wieder abzog, vom Nürn­ berger Rat ein Empfehlungsschreiben aus, das ihr auch ein­ gehändigt wurde1). Schon die ungewohnte Spielzeit — jedem anderen wäre ein Gesuch, in den Sommermonaten agieren zu dürfen, jedenfalls rund abgeschlagen worden — läfst erkennen, welchen Rufes sich die englischen Spielleute damals bereits erfreuten, und neben ihrer Schauspielkunst werden die genialen Werke eines Marlowe, John Still2) u. a., von Shakespeare gar nicht zu reden, nicht wenig dazu beigetragen haben, ihnen die Gunst des Publikums im Sturme zu erobern. Wer die Nürnberger Geschichte, insbesondere die Ge­ schichte der Kunst und der künstlerischen Bestrebungen in der alten Reichsstadt kennt, der wird wissen, welch stolzes Selbst­ gefühl Regiment und Bürgerschaft namentlich im Zeitalter der Renaissance ausgezeichnet hat. Ein selbstbewufstes »Das können wir selbst« glaubt man auch aus den Ratsverhandlungen im 16. Jahrhundert vielfach durchklingen zu hören, wo es sich um die Leistungen fremder Künstler, Kunsthandwerker, Literaten *) Teil II, Nr. 201. Vgl. K. Trautmann in Schnorrs Archiv XIV (1886), S. 115 f. und E. Mentzel, Geschichte des Schauspielkunst in Frank­ furt a. M. Frankfurt 1882. S. 21 ff.. 2) Nach einer Notiz in dem Reisebüchlein eines württembergischen Kaufmanns wurden Stücke dieser beiden Dichter von Robert Browns Truppe I592 auf der Herbstmesse in Frankfurt aufgeführt (Mentzel a. a. O. S. 23).

180 — man verzeihe den leisen Anachronismus1) — Schauspieler u. s. w. handelt2). Lernen mochte ein jeder von Nürnberg, nur durfte er sich nicht beikommen lassen, zu denken, dafs er Nürnberger Künstlern auch noch etwas lehren könne. Wie manche bedeutende Geister aber auch, durch Nürnbergs Namen angezogen, daselbst im 16. Jahrhundert ihren Wohnsitz genom­ men haben, wie sehr der Rat jederzeit bestrebt gewesen ist, wirklich tüchtige Kräfte von auswärts heranzuziehen und dauernd zu gewinnen, braucht nicht verschwiegen zu werden. Nur der kleinere Teil unter den Gröfsen der Nürnberger Renaissance gehört so mit jeder Faser der fränkischen Erde an, wie etwa Hans Sachs. Was das Schauspiel betrifft, so haben wir bereits im vorigen Kapitel das kühle, ablehnende Verhalten des Rates gegen alle ge­ legentlich um Spielerlaubnis nachsuchenden fremden Komödianten kennen gelernt. Da kamen nun jene englischen Wandertruppen nach dem Kontinent, grofsgezogen unter dem Einflufs einer im Zenith stehenden dramatischen Literatur, Zeugen eines gewaltig entwickelten, mächtig überflutenden Geisteslebens ** und wiederum ist es bezeichnend für den Geist, der das alte Nürnberg beseelte, dafs sich gerade hier der Dichter fand, dessen dramatische Er­ zeugnisse es noch am ersten mit den Stücken der englischen Komödianten aufnehmen konnten. Jenes stolze »Können wir selbst« tönt uns aus Ayrers Werken, die am Ende der grofsen Zeit der Renaissance stehen, zum letzten Mal entgegen*, denn es kann kaum einem Zweifel unterliegen, dafs das Erscheinen der Engländer in Nürnberg für Jakob Ayrer der direkte Anlafs zu eigenem dramatischen Schaffen' gewesen ist, das gewissermafsen der allgemein angestaunten Kunst und den Unter­ nehmungen der Fremden das Gleichgewicht halten sollte. Man kann sich denken, welche Anerkennung seine Bestrebungen nicht nur bei seinen Freunden, den Meistersingern, sondern auch *) Ich denke in erster Linie an die zahlreichen Ehrenholde, Pritschen­ meister u. s. w., wie Hans Utz, Lienhard Flexel u. a., die bald in diesem, bald in jenem Dienst standen, bald auch in keines Herren Dienst das Land durchzogen. *) Eine Ausnahme bilden nur die Fahrenden niedrigerer Sorte, die Springer, Seiltänzer etc. Ihnen mit eigenen Kräften Konkurrenz machen zu können, ward nicht erstrebt.

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beim Nürnberger Publikum und dem Regiment der Stadt ge­ funden haben. Das Hauptzeugnis dafür bleibt freilich zunächst die grofse Zahl der Stücke, die er in rascher Folge innerhalb eines einzigen Jahrzehnts verfafst hat. Eine genaue Analyse des Strebens und der Fähigkeiten unseres Dichters hat Robertson in seiner bereits mehrfach zitierten Dissertation gegeben, die gleich mit dem die Sachlage scharf beleuchtenden Satze beginnt: »Jakob Ayrers dramatische Thätigkeit wird durch zwei bestimmte und klar erkennbare Tendenzen charakterisiert: erstens, ein Streben, der Tradition der Sächsischen Dramatik treu zu bleiben; und zweitens, einen Versuch, die neue englische Schauspielkunst auf der deutschen Bühne einzubürgern«. Auch der zeitlichen Unterscheidung dieser beiden Richtungen in Ayrers Dramatik, die Robertson annimmt, wird man beistimmen dürfen, nur in der Begründung einer solchen Unterscheidung weiche ich etwas von Robertson ab, da man, wie ich meine, nach der bisherigen Entwicklung des Theaterwesens in Nürnberg nicht annehmen kann, dafs die un­ gewohnte Erscheinung der fremden Schauspieler und ihrer Stücke nicht von vornherein den stärksten Eindruck auf Ayrer gemacht haben sollte1). Nach meiner Ansicht versuchte der Gerichts­ prokurator und kaiserliche Notar, den man sich wohl nicht allzu naiv wird vorstellen dürfen, zunächst noch einmal die deutsche Art und Kunst des bewunderten alten Meisters gegen die Engländer auszuspielen, und geriet erst allmählich und fast wider seinen Willen in ihre Bahnen, als die englische Schau­ spielkunst ihre hohe Überlegenheit über das Agieren der Meister1) Dafs das Gastspiel R. Browns und seiner Truppe 1593 »jedenfalls von sehr kurzer Dauer war« (Robertson S. 40) kann man aus den Ratsver­ lässen nicht schliefsen, denn als ihnen am 20. August die »Urkunde« über ihre Leistungen ausgestellt wird, worauf wir sie dann am 28. August wieder in Frankfurt finden, standen sie ja nicht mehr am Anfang, sondern am Ende ihres Aufenthalts und ihrer Thätigkeit in Nürnberg. Die Gesellschaften, welche in den Ratsprotokollen zum 22. April 1594 mit »Peter de Prun von Brüssel« und »Martin Koppen von Frankfurt« an der Spitze erwähnt werden (vgl. Teil II, Nr. 202), berücksichtigt Robertson nicht, obgleich auch sie augen­ scheinlich — vgl. Teil II, Nr. 203 —, als englische Spielleute bezeichnet, sich jedenfalls in der Art ihrer Produktionen nur wenig oder überhaupt nicht von solchen unterschieden. haben werden. Die gleiche Ansicht, dafs unter Prun von Brüssel und seiner Truppe nur englische Komödianten zu verstehen sein können, äufserte bereits Albert Cohn im Jahrbuch der deutschen ShakespeareGesellschaft XXI, 249. 13

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singer glänzend und immer aufs neue dargethan hatte und sich die Gunst des Publikums gänzlich von den einheimischen Schau­ spielern ab und den Fremden zuzuwenden drohte. Wir kommen darauf sogleich zu sprechen. Weder mit dem gleichen poetischen Empfinden, noch mit demselben treffenden Witz wie sein Vorbild begabt, suchte Ayrer diese Mängel zu ersetzen einmal durch verstärkte Ansprüche an die Ausstattung und den scenischen Apparat. Die pomphaften Auf­ züge, Hoffeste u. s. w., die er auf die Bühne bringt, sind dafür Zeugnis. Dann aber suchte er namentlich, einem Zuge der Zeit folgend und sich ihn zu nutze machend, sein Publikum durch Schilderung von Mordthaten und Kämpfen, durch Greuelscenen aller Art, durch Vorführung von Beschwörungen und Höllen­ spuk zu fesseln. Dabei gelangte er jedoch in der eigentlichen Technik des Dramas, im dramatischen Aufbau nicht über Hans Sachs hinaus, ja die epische Behandlungsweise, die wir bereits bei Sachs kennen gelernt haben, erfuhr in Ayrers Dramen sogar noch eine Steigerung, die in der That einer Entartung des von seinem Vorgänger geschaffenen Typus gleichkommt. Dafs dem­ gegenüber die Engländer mit ihrem überlegenen schauspielerischen Können, der packenden Gewalt ihrer tragischen Muse, dem zündenden, wenn auch derben Witz ihrer Possenspiele, insbe­ sondere aber durch die Einführung oder besser neue Verwendung der mit der eigentlichen Handlung häufig in keinem inneren Zusammenhang stehenden komischen Figur sehr im Vorteil waren, läfst sich leicht denken. Gerade diese Rolle des eng­ lischen Narren, des Clowns oder Pickelherings, mit ihren viel­ fach improvisierten Scherzen, die sich überdies bei dem genialen Thomas Sackville, dem weltberühmten »Jahn Posset«, in den besten Händen befand, erfreute sich sofort bei der schau- und allezeit lachlustigen grofsen Menge einer ungemeinen Beliebt­ heit und hat das meiste zur Popularisierung der englischen Stücke in Deutschland beigetragen. Die Gunst, welche sich der Clown so spielend errang, war es denn auch, die Ayrer bald nach dem ersten Auftreten Sackvilles zu seiner wichtigsten Konzession an die englische Schaubühne, zur Einführung des »engelländischen Jahn Possets« in seine eigenen Stücke veranlafste. Ja er fügte sogar die Figur nachträglich mehreren

183 seiner früheren Stücke, z. B. dem Zyklus seiner Römerdramen *), ein, um dieselben dadurch seinem Publikum annehmbarer zu machen. Wie diesen Untersuchungen und Ermittlungen Robertsons werden wir auch seiner Ansicht betreffs der Ayrerschen Bühne im wesentlichen zustimmen müssen, wenn auch die Stellen aus Ayrers Dramen, welche er anführt, um darzuthun, dafs der Dichter den terminus »Brücke« nicht, wie in älterer Zeit, mit demBegriff »Bühne« identifiziert, nicht als beweiskräftig gelten können. Stichhaltigere Gründe hätten sich - ich kann darauf hier nicht näher eingehen — aus verschiedenen anderen Stellen beibringen lassen, aus denen in der That hervorzugehen scheint, dafs sich in der Regel auf dem einfachen Podium, das als Vorbühne diente, im Mittelgründe der ganzen Bühne etwa, ein Gerüst, die »Brücke«, erhob, zu dem man wohl auf Treppen emporgelangte und welches den Hauptschauplatz für die Aktionen abgab. Unter dem »Loch« ohne weiteren Zusatz oder dem »Loch in der Brücke« ist zweifelsohne eine Vertiefung, bezw. Versenkung in dieser »Brücke« zu verstehen, mit dem hie und da vorkom­ menden Loch oder Löchern »unter der Brücke« die (thorartigen?) Öffnungen an der vorderen, den Zuschauern zugewandten Seite jenes Gerüstes gemeint. Völlige Sicherheit über die Art dieser Einrichtungen läfst sich freilich aus den Bühnenbemerkungen Ayrers nicht gewinnen, und so erwacht denn immer aufs neue in uns der Wunsch, es möchten aus unseren Bibliotheken und Kupferstichkabinetten noch einmal gleichzeitige Abbildungen, die geeignet wären, über diese Fragen Licht zu verbreiten, zu Tage gefördert werden. Von der Bühne der englischen Ko­ mödianten besitzen wir eine solche alte Abbildung, einen Holz­ schnitt aus dem Jahre 1597, den E. Mentzel beschreibt *2). Danach war die verhältnismäfsig tiefe, weniger breite Bühne durch einen zurückziehbaren Vorhang in einen gröfseren vorderen und einen kleineren hinteren Teil geschieden. Der vordere Teil des Schau­ platzes lag — ähnlich wie bei der Ayrer’schen Bühne - etwas niedriger als der hintere, zu dem auf dem Holzschnitt zwei Stufen hinaufführen. Die Bühne hat weder einen Vorhang, noch 9 Kellers Ausgabe Nr. I—V. 2) A. a. O. S. 38.

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Coulissen, aber von der Decke hängen fahnenartig einige Stücke Zeug herab. Immerhin bedeuten diese Einrichtungen, insbesondere die­ jenigen der Ayrer’schen Bühne — ob er sie, wie Robertson will, von den Schweizer Mysterienspielen entlehnt habe oder nicht, mufs hier unentschieden bleiben — gegenüber dem scenischen Apparat zu Hans Sachsens Zeit einen sehr wesentlichen Fortschritt, wie denn auch augenscheinlich von Ayrer und den Seinen für Verbesserung der Ausstattung und Vermeh­ rung der Ausstattungsgegenstände Sorge getragen wurde — vermutlich nicht ohne die Absicht, wenigstens hierin die Eng­ länder, die sich bei ihrer wandernden Lebensweise einen solchen Luxus nicht gestatten konnten, zu übertreffen und womöglich in der Gunst des Publikums auszustechen. So ist an ein paar Stellen von einer Brücke die Rede, die für die betreffende Situation eigens angefertigt oder doch im Bilde als eine Art Coulisse, vorhanden sein mufste, mit jenem erhöhten Teil der Bühne, »Brücke« genannt, aber schwerlich identisch istl), wird ferner mehrfach der »Zinne«, einer burgartigen Zimmermanns­ arbeit, Erwähnung gethan2), sind Teppiche, Leuchter, Fahnen und zahlreiche andere Gegenstände, wie sie eben die Handlung erforderte, in ausgedehntem Mafse zur Verwendung gekommen. Dazu mögen sich die Spielhalter, vor allem der wackere Saitenmacher Endres Nuding3), daneben Hans Gretschmann4), *) Vgl. Kellers Ausgabe, S. 223 und 406, dazu Robertson a. a. O. S. 12. 2) Vgl. Robertson, S. 14. 3) Die Vermutung, dafs Nuding ausschliefslich als Komödiant thätig gewesen sei (vgl. Th. Hampe, Benedikt von Watt im Euphorion IV 1897, S. 21, Anm. 3), wird durch die Singschulprotokolle der Meistersinger wider­ legt. In ihnen wird er zum Thomastag 1578 als Endtres Nötting zuerst ge­ nannt (ed. Drescher Bd. I S. 13), singt zuerst 1587 (S. 46) und dann mit teilweise grofsen Unterbrechungen bis zum Jahre 1624 (S. 250), in welchem er gestorben sein mag. Ein Lied ist mir von ihm nicht bekannt. Seine thea­ tralische Thatigkeit läfst sich zuerst im Jahre 1591 nachweisen, wo er mit anderen Nürnberger »Spielleuten« auf der Ostermesse zu Frankfurt a. M. er­ scheint (vgl. E. Mentzel a. a. O. S. 18 und oben S. 165). Unter den im II. Teil veröffentlichten Ratsverlässen wird er genannt in Nr. 223, 224, 228, 238, 242, 246, 247, 260, 270, 273, 281, 282, 294, 303 und 304. 4) Hans Gretschmann erscheint in den Singschulprotokollen nur äufserst selten, zuerst unterm 4. Dezember 1586 (ed. Drescher II, S. 45). In den Ratsprotokollen wird er einmal (/Teil II, Nr. 242) »ein seltsamer Gesell« ge­ nannt, »der sich Schulden halber von hinnen gethan haben soll«. Vgl. aufserdem Teil II Nr. 224, 241 u. 253 (vom 19. Dezember 1605).

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Georg und Ludwig Mack *) u. a. noch so grofse Mühe gegeben, mögen auch die besten Schauspieler unter den Meistersingern wie der Hochzeitslader Hans Deisinger*2), der Tüncher Thomas Zischer3) u. a.4) ihr Möglichstes geleistet haben: gegenüber der Kunst eines Thomas Sackville und seiner Genossen war alles umsonst. Bald sehen wir auch den Rat dem Komödienspiel der Meistersinger gegenüber eine ablehnende Haltung annehmen. 0 Ohne Zweifel Angehörige der grofsen Nürnberger Briefmalerfamilie dieses Namens, von der wir bereits oben zwei Mitglieder Hans und Barthel unter den Komödienspielern kennen gelernt haben. Ludwig habe ich nirgends gefunden; wahrscheinlich liegt in dem betreffenden Ratsverlafs (Teil II Nr. 242) nur ein Irrtum vor und ist hier ebenfalls Georg Mack gemeint. Nach dem von Joseph Baader in Zahns Jahrbüchern für Kunstwissenschaft I (1868) S. 230 ff. gegebenen Verzeichnisse Nürnberger Briefmaler kann es sich nur um den jüngeren Georg Mack handeln, den Baader zum Jahre 1582, 1601, 1610 und 1621 erwähnt. Vgl. Andresen, Der Deutsche Peintre-Graveur II, 204 ff. (»Das Werk des Georg Mack«) und Euphorion IV (1897) S. 21, Anm. 3. In den Protokollen der Meistersinger kommt Georg Mack als Sänger nicht vor; er stand aber augenscheinlich in nahen Beziehungen zu der Gesellschaft, war 1591 mit Nuding, Grillenmair u. a zusammen in Frankfurt a. M. und malte 1623 für die Meistersinger Hans Sachsens Bildnis, wofür ihm Georg Hager, wie dieser selbst schreibt, 1 fl hat ausbezahlen müssen, »doch schlechts gelt« (Singschulprotokolle ed. Drescher I., 208). 2) Vgl. über ihn Mitteilungen aus dem Germanischen Nationalmuseum 1894 S. 41 und Euphorion IV (1897) S. 22 u. 32. In den Singschulen der Meistersinger war er bis zu seinem 1617 erfolgten Tode sehr thätig; als Spiel­ halter ist er dagegen nicht bezeugt, wie denn sein Name in den auf das Theaterwesen bezüglichen Ratsverlässen nicht vorkommt. Einer auf ihre Richtig­ keit hin nicht recht kontrolierbaren Nachricht zufolge soll er indessen als Schau­ spieler besonders geschickt gewesen sein, den türkischen Kaiser — vermutlich in Ayrers »schröcklicher tragedi vom regiment und schändlichen sterben des türkischen keisers Machurpetis des andern dis namens, wie er Constantinopel eingenommen und ganz grausam tyrannisirt« (Nr. 9 in Kellers Ausgabe) — oder auch den Teufel vorzustellen. Vgl. Will im Historisch-diplomatischen Magazin I, S. 209; danach Hysel S. 25. 3) Teil II Nr. 260 (18. Dez. 1606) neben Endres Nuding als Spiel­ halter erwähnt, in den Singschulprotokollen von Ostern 1583 bis Ostern 1593 vereinzelt vorkommend. Nach Will a. a. O. (Hysel S. 25) soll der Zischer, ein Tüncher, ansehnlich und zur Rolle eines Königs oder Kaisers wie gemacht gewesen sein. Dafs damit ein späterer Hans Zischer gemeint sei, ist nicht anzunehmen, da dessen Thätigkeit als Meistersinger in eine Zeit fällt, wo es mit der Herrlichkeit theatralischer Aktionen für die biederen Handwerker bereits vorbei war. 4) Nach Will a. a. O. (Hysel S. 25) war ein gewisser Häublein »Meister in der kläglichen Rolle und brachte alle seine Zuschauer zu weinen«, spielte der Perschla, ein junger Mensch und Bürstenbinder, eine Jungfrau so gut, dafs es ihm keine Weibsperson zuvorthat. Näheres über diese Persön­ lichkeiten zu ermitteln, ist mir nicht gelungen. — Nach den Aufzeichnungen Georg Hägers (Singschulprotokolle ed. Drescher S. 208) wollten die Meister­ singer am 21. September 1623 den Lederer N. Fischer die gewünschte Sing­ schule nicht halten lassen, »weil er kein singer ist, sunder ist für ein narren im spil gebraucht worden.«

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In den Jahren 1604—1612 waren Nuding und die Seinen noch mehrfach zum Agieren zugelassen worden, wobei aber auch bereits einmal (1608) die verächtliche Bemerkung fällt, falls sie sich unterstehen sollten, über die vorgeschriebene Zeit zu spielen, »wercT man sie ins Loch einziehen und daselbst mit ihnen auch Komödien halten« 1). 1613 erfahren dann die Spielleute zu St. Martha nach längerem, vergeblichem Supplizieren eine schroffe Abweisung mit dem nicht mifszuverstehenden Schlufssatz: »wenn sie nochmals wiederkommen würden, werde man ihnen den Bescheid auf dem Turm anzeigen« 2). Ebenso werden sie ein Jahr darauf bei ihrem abermaligen Ansuchen mit Turm­ strafe bedroht, wenn sie ihr Gesuch wiederholen würden 3), und ein erneutes Supplizieren im November 1616 hatte keinen besseren Erfolg4). Schliefslich mufsten sie am 8. Februar 1620 die Marthakirche überhaupt räumen und erhielten im März auf ihr Ansuchen zur Abhaltung ihrer Singschulen die Katharinenkirche* angewiesen5), in der dann die holdselige Kunst bekanntlich noch bis zum Jahre 17 78 ein bescheidenes Dasein gefristet hat6), aber theatralische Aufführungen nicht mehr stattgefunden zu haben scheinen. Aus den folgenden Jahren berichten zwar die Sing­ schulprotokolle noch vereinzelt über solche Aufführungen, welche die Meistersinger in der Vorstadt Wöhrd veranstaltet haben 7), die Ratsprotokolle aber weisen auch fernerhin mit *) Teil II Nr. 266. 2) Teil Nr. II, 293 u. 294. 8) Teil II, Nr. 302 und 303. 4) Teil II, Nr. 304—306. 5) Vgl. Georg Hägers Aufzeichnungen in den Singschulprotokollen (ed. Drescher) I, 206 : »Anno 1620 jar den 8 februari haben wir bei sanct Marta das kierchlein raumen miesen, den meine herren haben eitel salz­ scheiben darein than, das wir gar kein raum mehr gehapt haben, also haben wir schriftlich an ein ehrvesten rat gelangen lasen und gebetten, das meine herren uns wider ein ort vergunen sol. Also ist uns die kierchen bei sanct Katharina vergunt Worten« und Wolf Bautners Meistergesang »in der Grefferei« Fritz Zorns: »Difs lied hat man vorher zusam gesungen, wie wir zu S. Catharina sind kumen« (cod. nor. bibl. Will. III, 782, S. 979), datiert vom 12.März 1620. 6) »Anno 1778 den 28. September ist das meistersingen auf gehoben worden« (Einzeichnung in das Meisterliederbuch Hs. 531 der im Germanischen Nationalmuseum deponierten Merkelschen Sammlung, welches zuletzt dem Georg Tobias Bünz gehörte). 7) Vgl. Georg Hägers Aufzeichnungen in den Singschulprotokollen (I, 207 f.): »Anno 1622..........am tag drinidattis [16. Juni] haben wir zu Wer(d) singschul und spil gehalten, haben lauter küpfers gelt eingenommen, ist als verdrunken Worten.«

187 einer einzigen Ausnahme l) nur noch Abweisungen der meistersingerischen Spielgesuche, solche freilich in ansehnlicher Zahl, auf. In zwei Fällen aus dem Dezember 1628, und Januar 1629, sind uns auch die Supplikationen der Meistersinger erhalten ge­ blieben und ihr Inhalt, besonders aber ein Vergleich der im wesentlichen gleichlautenden Schriftstücke untereinander ist nicht ohne Interesse. Nachdem, wie sie ausführen, in den letztvergangenen Jahren Pestilenz, Teuerung und Kriegsnot sie vom Agieren abgehalten hatten, versuchen sie in dem ersten der beiden Spielgesuche, sich noch aufs hohe Rofs zu setzen, deuten an, dafs sie, »vornehme Poeten« wie ihre Vorfahren, gewissermafsen das meiste Anrecht auf die Abhaltung von Spielen besäfsen, erinnern an Hans Sachs und bitten schliefslich, ihnen auch heuer das Agieren ihrer Komödien und Tragödien zu gestatten, »wie von vielen unerdenklichen jahren breüchlich gewesen«. Der Bescheid fiel ablehnend aus, und es mag ihnen dabei zu verstehen gegeben sein, ein andermal bei ähnlicher Gelegenheit den Mund weniger voll zu nehmen. Das erneute »Adi 1623 jar ... am tag drinidatis [8. Juni] hat man zu Wer(d) singschul und spil gehalten und was man aufgehoben hat ist alles aufgangen.« »Anno 1624 . . . Ady 8 tag nach drinidattis [30. MaiJ haben wir zu Wer(d) singschul und spil gehalten, hab ich empfangen 25 kreizer zu verrechnen. Das ander ist als aufgangen.« Cod. weimar. Q. 575 Bl. 186 (Philipp Hägers Hand) [wird im zweiten Bande der Singschulprotokolle folgen]: »Anno- 1636 jar den ersten tag trinitatis [12. Juni] haben wir wider zu Wer(d) nach gehaltner bredig zu singen und haben nach mittag eine commedi agiert. Volget der aufgang [r= Abrechnung]. Den samstag, als wir die bredter zu der brücken [augenscheinlich wieder identisch mit Bühne gebraucht] zu wegen bracht haben, ist uns gemein gelt geben worden 45 kreuzer, die sind den tag wider aufgangen................................................................k. 45 Dem herrn pfarrher und caplan 2 mas wein und brott . . . k. 40 Dem mesner ein mas wein............................................................k. 20 Dem rathausknecht geben................................................................k. 20 Den zween stadtknecht geben....................................................... k. 40 und ein mas wein ................................................................k. 20 den schreiner Hansen geben................................................... fl. 1 k. 12 für die anschleg zu maln geben...................................................k. 28« [Gütige Mitteilung des Herrn Dr. Drescher.] *) Am 11. Oktober 1659 wird Johann Christoph Gunrebe, der in den Singschulprotokollen der Meistersinger seit 1635 mehrfach vorkommt, »und seiner kunstbeflissenen Compagnia« erlaubt, etliche Komödien im Marstall zu agieren, offenbar ein ganz privates Unternehmen. Als er indessen im No­ vember desselben Jahres zusammen mit Jakob Schneider, ebenfalls einem Meister­ singer, abermals um eine solche Erlaubnis nachsucht, wird beiden ihre Bitte rund abgeschlagen. Ygl. Teil II, Nr. 431 und 433.

188 Spielgesuch im folgenden Monat war denn auch viel bescheidener, ja geradezu demütig gehalten. Von »vornehmen Poeten« ist hier nicht mehr die Rede, auch Hans Sachs kommt darin nicht mehr vor, statt der unvordenklichen Zeiten wird nun präziser gesagt vor »etlich und 80 jahren« und am Schlufs ist der Passus hinzugefügt, ein Rat möge grofsgünstig bedenken, »das wir maistentheils alle handwerks leuth sein und anjetzo sehr stecken thun [== stocken], also das keiner nichts zu arbeiten oder zu gewinnen hat« 1). Aber auch diese zweite Supplikation, wie eine weitere im Juli desselben Jahres, auf die wir wiederum nur aus den Ratsprotokollen2) schliefsen können, scheint völlig erfolglos geblieben zu sein. Die letzten Gesuche und die letzten ab­ schlägigen Bescheidungen dieser Art stammen aus dem Jahre 1646, wo »Heinrich Flemming und Consorten« mit ihrer Bitte um Verstattung des Agierens mit der Begründung »weilen sie die leut nit sein, die bei der jugend grofsen nuczen schaffen können«3) abgewiesen werden, und aus dem Jahre 1659 4). Die Gesellschaft der Meistersinger als solche war damals bereits seit lange aus den Ratsverlässen und damit aus den Akten zur Theatergeschichte verschwunden. Sie hatte ausgespielt, Berufs­ schauspieler, in erster Linie die englischen Komödianten, waren längst an ihre Stelle getreten. Ludwig Tieck hat in seinem »Deutschen Theater«, einem seinerzeit verdienstlichen Werke, die Vermutung ausgesprochen, dafs unter den »englischen Komödianten« von vornherein manche Deutsche, »Liebhaber des Theaters«, gewesen sein möchten, welche »auf Spekulation« nach London gereist, von dort mit 9 Kreisarchiv Nürnberg, Saal I, Lade 203, Nr. 1 Bl. 38 f. (auf dies Gesuch folgt auf Bl. 40 der in Teil II, Nr. 345 seinem Inhalte nach ange­ gebene abschlägige Ratsveriafs) und Bl. 42 f. Letzteres Gesuch vom 2. Januar 1629 (vgl. dazu Teil II, Nr. 346) trägt 9 Unterschriften, während das Gesuch vom Dezember nur mit »Die alten maistersinger alhie« unterzeichnet war. Jene Unterschriften lauten: »Görg Hager ein Schuhmacher, Thoma Grillmayer, Wolf Baudner, Casper Enderla zingiser, Simon Yoidter veilenhauer, Hans Fennizer meserschmit, Nicolaus Fürst ein haffner, Philipp Hager ein Schuh­ macher, Hans Grillmayer kammacher«. Was den bekannten Nürnberger Zinngiefser Enderlein betrifft, so ist dies das erste und einzige Mal, dafs er uns auch unter den agierenden, oder richtiger, agieren wollenden Meistersingern be­ gegnet. Er mufs damals schon ziemlich bejahrt gewesen sein (f 1033). *) Vgl. Teil II, Nr. 349a. 3) Teil II, Nr. 361. *) Vgl. Anmerkung 1 auf voriger Seite.

189 einem Vorrat von Manuskripten und einstudierten Rollen zu­ rückgekehrt seien und nun in Deutschland ihr Glück versucht hätten 1). Ich will diese Vermutung, die eine genauere Kenntnis der Dinge längst als vage und völlig unhaltbar erwiesen hat, nicht in Schutz nehmen, sondern, nur konstatieren, dafs die Geschichte der englischen Komödianten in Nürnberg ein Vorspiel gehabt hat, das wohl ein wenig zu Gunsten der Tieckschen Hypothese sprechen könnte, wenigstens auf frühe Wechselbeziehungen zwischen England und Deutschland in Sachen des Schauspiels schliefsen läfst. Bereits im Jahre 1542 warb nämlich ein Eng­ länder eine Anzahl Nürnberger Bürger und Bürgerssöhne, die als »Spielleute« bezeichnet werden, an, damit sie ihm nach England folgten. Ein Genannter des gröfseren Rats, Herr Joachim Gundelfinger2),* *machte * * * dabei den Vermittler und liefs es sich aufser Überredungskünsten, wie es scheint, auch ein Stück Geld — etwa als Vorschufs oder Viaticum — kosten. Aber die Sache kam noch rechtzeitig zu Ohren eines fürsich­ tigen wohlweisen Rates, der nun seinen Bürgern die Gefahren vorstellen liefs, die ihrer in England warten würden und sie in der That bewog, von ihrem Vorhaben abzustehen. Sie bekräf­ tigten ihre Gesinnungsänderung mit einem Eid. Gundelfinger aber erhielt vom Rat für sein unloyales Verhalten einen schweren Verweis und ward durch den Zusatz, dafs man die Spielleute auch nicht anhalten werde, ihm etwas wieder zu geben, gewissermafsen der gezahlten Gelder für verlustig erklärt8). Dafs es *) Deutsches Theater, herausgegeben von Ludwig Tieck, I. Bd., Berlin 1817, S. XXIV. 2) Joachim Gundelfinger, aus vornehmem Geschlecht, das mit den Imhof, Pirkheimer u. s. w. befreundet und verschwägert war, wurde 1535 Genannter des gröfseren Rats (Topochronographia reipublicae Norimbergensis, Hs. 7178 der Bibliothek des Germanischen Museums S. 561 f.). Zum 6. Mai 1556 [R.-R. 1556, I, 44] kommt »Joachim Gundelfingers seligen nachgelassene wittib Barbara« vor. 8) Die diesen merkwürdigen Handel betreffenden Ratsverlässe sind folgende: [1542, IX, 27] 9. Dezember 1542: Den Engellender und seine gesellen, so hie knecht aufwiklen, beschicken und schwören lassen, alle di sie hie bestellt, wider ledig zuzelen, auch keinen meiner herren buiger oder verwandten mer anzenemen, dazu sich wek zepacken und ir gelt anderfswo zuverzeren. Daneben di hieigen, so also bestellt worden, auch beschicken und inen zuziehen verpieten bei meiner herren schweren straf,

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sich in diesem Falle um Musikanten gehandelt habe, ist nicht wahrscheinlich, da uns nirgends überliefert ist, dafs die Nürn­ berger Musikanten eines hervorragenden Rufes genossen hätten, während englische Instrumentisten früh berühmt waren1). Viel mehr spricht dafür, dafs es agierende Meistersinger gewesen sind, auf die es der Engländer, von Gundelfinger aufmerksam gemacht, abgesehen gehabt hat. Sie konnten damals bereits wieder, wie wir gesehen haben, auf eine langjährige schau­ spielerische Übung zurückblicken, und die Originalität ihrer Produktionen, wie der Hans Sächsischen Stücke, die sie gaben, mag dem Fremden, wenn er vielleicht Gelegenheit hatte, einer ihrer privaten Aufführungen beizuwohnen, wohl in die Augen gestochen haben. Spekulation ist jedenfalls dabei im Spiele gewesen. Das geschilderte Vorkommnis steht allerdings ganz ver­ einzelt da; auch aus anderen Städten ist mir ein ähnlicher Fall [1542, IX, 27’] 11. Dezember 1542: Die hieigen burger und burgers söne, so sich in Engelland bestellen lassen, beschicken und schworn lassen, on meiner herren erlaupnus weder an das, noch ander ort zuziehen, mit anzeig der gefahr, so inen in Englland bevor sten wird. Deneben Jochim Gundlfingern [28] auch ein streflich red sagen, das er disen leuten gelt geben, dweil er doch des verpots gut wissen gehapt, mit Warnung, fürohin sichs zemassen. Desgleichen mit dem Englender, so hie ligt, auch handeln und fürkommen, das er niemand aufwiegle, auch nachfor­ schen, wer ime gelt hie gebe und von wes wegen, solchs widerpringen. [1542, IX, 30’] 12. Dezember 1542: Jochim Gundlfingern sein begern, di frömbden Englender das zeughaus sehen zelassen, ableinen, mit anzeig, das es jetz nit stat oder fug hab. [1542, IX,*33’] 14. Dezember 1542: Joachim Gundlfingern zuredhalten, warumb er die spilleut alhie bestellt, dweil er doch wiss, das es verpotten, in dem sein antwurt wider hören. [1542, IX, 35’] 15. Dezember 1542: Jochim Gundlfingern auf sein plosse verantwurtung der bestellten spilleut halben in Engelland ein streflich red und dabei sagen, das sichs meine herren nit wenig von ime bschwern, dweils ime, als eim burger, nit gepiirt, mit War­ nung, sich füran dergleichen zuenthalten. Das man di spilleut auch, ime was wider zegeben, nit anhalten werde. Und seint derselben spilleut namen, die er also bestellt, di aber auch wider geschworen haben, nit wek zuziehen, in eim zeddel bei diser frag ver­ zeichnet zufinden. Der erwähnte Zettel mit dem Namen der Spielleute liegt indessen leider dem Protokolle nicht mehr bei. Wer weifs, ob wir nicht die Namen mancher bekannter Meistersinger, etwa gar eines Hans Sachs, darauf gefunden haben würden! 1) Vgl. Creizenach, Die Schauspiele der englischen Komödianten (23. Bd. in Kürschners Deutscher National-Literatur) S..III.

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nicht bekannt. Für Nürnberg verstreichen, wie bereits bemerkt, noch mehr denn fünfzig Jahre, ehe in der Theatergeschichte die neue Anknüpfung mit England erfolgt, und dann* sind, so rasch wandeln sich die Zeiten, die englischen Spielleute so gut wie ausschliefslich der gebende, die nürnbergischen der empfan­ gende Teil gewesen. Über die Wanderzüge der englischen Komödianten und ihr Leben, über ihr Repertoire, die Technik ihrer Stücke und ihre Bühnenverhältnisse ist schon viel geschrieben worden, was bei der nahen Verwandtschaft des Stoffes mit Shakespeares Leben und Schaffen und bei der einschneidenden Bedeutung der neuen Erscheinung für die Entwicklung des Theaterwesens auf dem Kontinent, insbesondere in Deutschland und Österreich, nicht wundernehmen kann. Von umfassenderen Darstellungen sind hier in erster Linie die Arbeiten von Albert Cohn1), Joh. Meissner2), J. Bolte3) und W. Creizenach4) zu nennen. Daneben ist die Zahl derer grofs, die aus den verschiedensten Städten archivalisches Material zur Geschichte der englischen Komödianten beigebracht und so Steine zum Bau herangeführt haben. Trotzdem ist unsere Kenntnis dieser Geschichte, des Entstehens und Vergehens der einzelnen Truppen, ihres Zusam­ menhangs unter einander u. s. f. noch immer recht lückenhaft, und ehe man es wagen kann, an eine halbwegs abschliefsende Gesamtdarstellung zu gehen, müssen namentlich unsere Archive, zu deren Beständen ich das beste Vertrauen habe, noch weit mehr als bisher durchforscht sein. So haben denn auch die englischen Komödianten in Nürnberg bereits vor zehn Jahren in K. Trautmann ihren Historiker gefunden5), der ihr Kommen und Gehen bis zum *) Shakespeare in Germany in the XVI th and XVII th Centuries. Berlin 1865; Englische Komödianten in Köln 1592—165b im Jahrbuch der deutschen Shakespearegesellschaft XXI (1886), S. 245 ff.. 2) Die englischen Komödianten zur Zeit Shakespeares in Österreich. Wien 1884; Jahrbuch der deutschen Shakespearegesellschaft XIX (1884), S. 113 ff.. 3) Die Singspiele der englischen Komödianten und ihrer Nachfolger in Deutschland, Holland und Skandinavien (Theatergeschichtliche Forschungen VII) Hamburg und Leipzig 1893. 4) Die Schauspiele der englischen Komödianten (Kürschners Deutsche National-Literatur, 23. Bd.) Berlin und Stuttgart o. J. 5) Schnorrs Archiv für Literaturgeschichte XIV (1886), S. 113—136.

192 Jahre 1628 an der Hand der Ratsprotokolle mit Umsicht dargestellt hat. Dennoch ist auch seine Arbeit insofern unvoll­ ständig, äls er die Ratsverlässe nur bis zum Jahre 1648 durch­ gesehen hat und, da er von 1628—1648 keinen Eintrag über englische Komödianten mehr fand, annahm, dafs die Vorstel­ lungen der Engländer in Nürnberg 1628 überhaupt ihr Ende erreicht hätten. Nun beginnt aber, wie in manchen anderen Städten, so auch in Nürnberg bald nach dem Ende des dreifsigjährigen Krieges eine zweite Periode von Aufführungen »eng­ lischer Komödianten« und von dieser werde ich daher im Fol­ genden etwas ausführlicher zu handeln haben, während ich mich für die Zeit bis 1628 im wesentlichen mit dem Hinweis auf Trautmanns Arbeit und die im zweiten Teil wiedergegebenen Ratsverlässe begnügen kann. Als Thomas Sackville und seine Genossen, nachdem sie bis zum 23. Mai (1596), wie es scheint im Egidienkloster *), eine Reihe von Vorstellungen gegeben hatten, wieder abgezogen waren, stellten sich noch im nämlichen Sommer die »Diener und Hofkomödianten« Moritz’ des Gelehrten, Landgrafen von Hessen, ein, denen auch noch 14 Tage im Heilsbronnerhof zu spielen erlaubt wurde*2). Ihre Namen sind uns leider nirgends überliefert, doch ist anzunehmen, dafs diese Casseler Truppe aus der Brownschen hervorgegangen ist, wie auch, dafs sie sich nicht nur durch schauspielerische Leistungen, sondern auch durch musikalische Produktionen und gymnastische Künste aus­ gezeichnet hat 3). Zu Pfingsten 1597 erschien Thomas Sackville — Jan Gosett nennen ihn die Ratsverlässe — mit seiner Gesellschaft wieder, um eine Woche lang in Nürnberg zu agieren4) und dann alsbald nach Augsburg abzuziehen, wo ihnen Ende Mai acht Tage zu Haltung ihrer Komödien bewilligt werden5). In den folgenden Jahren mögen verheerende Krankheiten — »Sterbsläufte« heifst es in den Ratsprotokollen — die englischen !) Vgl. Teil II, Nr. 211. Dafs nur die Anfangsvorstellung dort statt­ finden durfte, ist wohl nicht anzunehmen. 2) Teil II, Nr. 213. 3i Vgl. Creizenach a. a O. S. V. 4) Teil II, Nr. 217 und 218. B) Vgl. Trautmann, a. a. O. S. 118.

193 Komödianten abgehalten haben, nach Nürnberg zu kommen. Erst im April 1600 erscheint wieder die Casseler Truppe, deren hauptsächlichste Mitglieder diesmal genannt werden. Es sind die auch sonst sehr bekannten Webster, Hüll und Machin, dazu Bernhardt Sandt, vermutlich ein Deutscher. Nur damit das Volk nicht aufs Land* laufe und auswärts sein Geld verzehre, wird ihnen erlaubt, 14 Tage lang zu agieren und eine Bühne für sie im Augustinerkloster aufgeschlagen1). In späteren Jahren findet sich in den Ratsprotokollen bei ähnlichen Anlässen mehr­ fach die Besorgnis ausgesprochen, die betreffenden Komödianten möchten, falls man sie abweisen werde, sich einfach nach dem benachbarten bambergischen Marktflecken Fürth begeben, dort ihre Aufführungen veranstalten und dadurch das Nürnberger Publikum und Nürnberger Geld aus der Stadt herauslocken. Wahrscheinlich liegt dem Ratsverlafs vom 12. April 1600 bereits der gleiche Gedanke zu Grunde. Aufser den genannten Engländern und ihren Gesellschaften, die sich auch in den folgenden Jahren noch häufig in Nürnberg haben sehen lassen, begegnen uns in den Ratsprotokollen bis 1628 nur noch zwei Namen englischer Prinzipale, nämlich des John Spencer und des Thomas Sebastian Schadleutner, einer der Genosse des andern, Schadleutner, wohl wieder ein Deut­ scher, lediglich aus dem Nürnberger Ratsverlafs vom 18. Februar 1623 bekannt2), Spencer dagegen vielleicht der berühmteste und rührigste aller wandernden englischen Komödianten. Als er im Juni 1613 zuerst nach Nürnberg kam, brachte er ein Empfehlungsschreiben des Kurfürsten Johann Sigismund von Brandenburg mit, in dessen Diensten er mit seiner Truppe eine zeitlang gewesen war, wie er schon dessen Vater Joachim Friedrich mehrere Jahre gedient hatte. In des Kurfürsten Gefolge war er auch 1611 in Königsberg bei der Feier der Belehnung Johann Sigismunds mit Preufsen zugegen gewesen und hatte mit 19 Schauspielern und 16 Musikern jenes Fest durch Aufführung einer pomphaften »türkischen Triumphkomödie« verschönern helfen3). *) Teil II, Nr. 227. 2) Teil II, Nr. 321. 3) Vgl. Meissner im Jahrbuch der XIX, 120, Creizenach a. a. O. S. IX.

deutschen Shakespeare-Gesellschaft

194 Dasselbe Stück — es ist George Peeles Drama vom Sultan Mahomet und der schönen Griechin Irene gemeint1) — gaben sie nun auch in Nürnberg, und aufserdem sind uns durch die Starksche Chronik, der wir diese Nachricht verdanken2), noch Aufführungen von Lewis Machins »Stummem Ritter« (»Philoie und Mariana«)3), und von den bisher fticlit mit Sicherheit zu identifizierenden Stücken »von Celido und Sedea«, »vom Türken« (vielleicht John Masons Drama4)) und »von der Zerstörung der Stadt Troja« durch die Spencersche Gesellschaft bezeugt. Ob mit dem zuletzt angeführten Stück etwa das von dem Engländer Henslowe zum 22. Juni 1596 in seinem Tagebuch erwähnte Troja-Drama5) oder Hans Sachsens 1554 verfafste Tragödie, bezw. eine Bearbeitung derselben gemeint ist, ergibt sich aus jener Stelle der Starkschen Chronik nicht. Für Hans Sachsens Stück spricht indessen, dafs wir dasselbe sich schon früher einer grofsen Beliebtheit erfreuen sahen*, denn aller Wahrscheinlichkeit nach war es kein anderes als dieses, welches Veit Fesselmann, wie oben erwähnt, 1570 im Rathaussaale vor dem Rat aufführen durfte6). Fügen wir noch die »sehr lustige Comoedie, genannt Die Liebes Süfsigkeit verändert sich in Todes Bitterkeit«, von der uns nur dieser Titel bekannt ist7),* 9hinzu, so ist damit bereits 9 CreizenachS. XXXII. 2) Siebenkees, Materialien zur Nürnbergischen Geschichte Bd. III (Nürnberg 1794', S. 53; Soden, Kriegs- und Sittengeschichte der Reichsstadt Nürnberg vom Ende des 16. Jahrhunderts bis zur Schlacht bei Breitenfeld (1631) 1. Teil (Erlangen 1860, S. 337; Trautmann a. a. O., S. 127. 3) Vgl. Creizenach S. XLVIII. 4) Ebenda. 6) Ebenda S. LIIL 6) Georg Gottharts 1599 im Druck erschienene Tragödie »Von Zerstörung der grofsen und vesten königlichen Statt Troia oder Ilio« (vgl. Goedeke, II, 352) kann dagegen schwerlich in Betracht kommen. Hans Sachsens Stück war es vermutlich auch, das 1563 (im Februar) von dem Schulmeister Hans Schalheimer auf dem Augsburger Tanzhause agiert wurde (Augsburger Stadtarchiv, »Acta, die Meister-Singer betr.« tom. I, Nr. 6a und 6b . Eine zusammen­ fassende Behandlung der Troja-Dramen würde ohne Zweifel manches Interes­ sante bieten. 9 Vgl. Ilysel, S. 29; Cohn, Shakespeare in Germany S. XCVI1I; Trautmann a. a. O. S. 135; Creizenach S. XXV. Es handelt sich um den mehrfach reproduzierten ältesten deutschen Theaterzettel, den die Nürnber­ ger Stadtbibliothek bewahrt. Daraus und aus der Erwähnung des Fechthauses schliefst man — freilich nicht zwingend — auf Nürnberg als den Ort der Aufführung des Stückes, die an einem Mittwoch, der 21. April, zum ersten Male stattfand. Dafs damit nicht, wie man annahm, der 21. April 1628 gemeint sein kann, der nicht auf einen Mittwoch fiel, hat Trautmann (S. 135) her-

195 erschöpft, was bisher über das Repertoire der Berufskomödianten in Nürnberg etwa bis zum Jahre 1628 beigebracht werden konnte. Denn auch die Ratsverlässe geben leider über diesen wichtigen Punkt keinerlei Aufschlüsse. Gespielt wurde von den englischen Komödianten, wie angedeutet worden ist, an den verschiedensten Orten, am häu­ figsten wohl im Heilsbronner Hof, welcher sich durch die offe­ nen Galerien, die »Gänglein«, der sich an die Kapelle anschliefsenden Baulichkeiten besonders zur Aufnahme eines gröfseren Publikums eignete. Es sind uns vom alten Heils­ bronner Hof mehrere Abbildungen erhalten geblieben, so namentlich die in Kupfer gestochene Darstellung einer Fechtschule in demselben, wobei die Zuschauer sich in allen Gale­ rien der drei Stockwerke Kopf an Kopf drängen, mühselig sogar auf den schrägen Dächern über den primitiven Arkaden des Erdgeschosses sitzen und hocken, aus den Dachfensterchen hervor, vom Turm der Kapelle herab und selbst von den Schornsteinen aus dem Schauspiele Zusehen. Wir können aus dieser Darstellung, die aus dem Jahre 1623 stammt, entnehmen, wie allmählich auch die besten, vorhandenen Räumlichkeiten gegenüber dem stetig wachsenden Andrang des Publikums zu derlei Schaustellungen nur schlecht mehr genügten; und das mag auch für den Rat ein Hauptanlafs gewesen sein, im Spät­ sommer des Jahres 1627 dem Gedanken an die Errichtung eines besonderen Fecht- und Komödienhauses auf der von der Pegnitz umflossenen Insel Schütt näher zu treten. Daneben werden freilich auch Erwägungen finanzieller Art mafsgebend gewesen sein, denn jedenfalls hoffte man von vornherein, durch den Bau eines Fechthauses der Stadt oder doch milden Stiftungen, ins­ besondere dem Spital, eine neue ergiebige Einnahmequelle eröffnen zu können. So ward denn im August 162 7 der Auftrag gegeben, einen Plan und ein Holzmodell des beabsichtigten Baues anzufertigen*1), und, sobald Beides vorlag, geprüft und im wesentlichen zweckvorgehoben. In denjenigen folgenden Jahren, in denen der 21. April auf einen Mittwoch fiel, nämlich 1630, 1638, 1647 a. S. und 1632, 1641, 1649, 1655 n. S., spielte den Ratsprotokollen zufolge nie »eine ganz neue Compagni Comoedianten,*so niemals zuvor hier zu Land gesehen« im April in Nürnberg. l) Vgl. Teil II, Nr. 336 und 338.

196 entsprechend befunden worden war, bereits im September mit der Ausführung begonnen. Aus dem folgenden Monat liegt die Supplikation eines Schwarzfärbers und Mangmeisters Valentin Reuter vor, der sich wegen des geplanten Bauwerks beschwert, weil dasselbe seiner Färberei auf der Schütt, »dieser nutzbaren und in dem römischen Reiche allerschönsten, berühmten Färberei«, Luft und Licht in einer Weise entziehen werde, dafs daraus nicht nur seinem Geschäft, sondern weiterhin auch dem ganzen hiesigen Leinwandhandel der schwerste Schaden erwachsen müsse1). Eine grofse Anzahl Leinenindustrieller, Bartholomäus Viatis und Martin Peiler an der Spitze, hatten mitunterzeichnet, und so liefs denn der Rat den Bau unterbrechen und setzte gleichzeitig eine Kommission zur Prüfung der Beschwerde nieder. Wie uns überhaupt für die Jahre 1627—31 die einschlägigen Akten gut erhalten sind, so finden sich auch über diese An­ gelegenheit noch einige weitere Schriftstücke, namentlich das Referat der Deputierten, im königlichen Kreisarchiv Nürnberg im Original vor2). Daraus ist die Erledigung der nicht un­ interessanten Sache klärlich zu ersehen. Zunächst wurde kon­ statiert, dafs Reuters Färberei, die übrigens keineswegs die vor­ nehmste, weitberühmteste, wohl erbauteste und schönste hier sei, sondern zu den schlechtesten zähle, durch den Bau des Fechthauses nur eine ganz unwesentliche Einbufse an Luft und Licht erfahren könne. Sodann kam heraus, dafs die herr­ liche Färberei ganz und gar verschuldet und Reuter zu seinem Vorgehen nur durch den ersten Hypothekengläubiger, seinen Schwager Michel Fenn, veranlafst worden sei. Auf Reuters und Fenns »unablässiges Nachlaufen und Anhalten« hatten sich dann auch die Kaufleute, von denen überhaupt nur zwei oder drei des Schwarzfärbers Kunden waren und eigentlich nur Bartholo­ mäus Viatis als zweiter Hypothekengläubiger des Reuter ein ernstlicheres Interesse an der Sache hatte, endlich zur Unter­ zeichnung der Supplikation bereit finden lassen3). Die Absicht der beiden war gewesen, den Rat zur Ablösung der Hypotheken *) Vgl. Teil II, Nr. 339 und Kreisarchiv Nürnberg, Saal I, Lade 203, Nr. 1, Bl. 1 und 2. 2) Saal I, Lade 203, Nr. I, Bl. 5 ff.. 3) Vgl. auch Teil II, Nr. 340.

197 gegen das Versprechen jährlicher Zinszahlung von seiten Reuters zu bewegen, denn Fenn brauchte das Geld notwendig, um seine neu eingerichtete Handlung in die Höhe zu bringen. Daraus wurde nun freilich nach den von der Deputation gegebenen Aufklärungen nichts, und auch die Frage, wie weit dem Färber durch den Neubau Luft und Licht genommen werde und wie er dafür könne entschädigt werden, wurde bis zur Vollendung des Werkes unerledigt gelassen1) und scheint auch dann nicht wieder zur Diskussion gekommen zu sein, zumal auch Reuter und Fenn, als sie sahen, dafs die Supplikation ihren Haupt­ zweck völlig verfehlt hatte, es für klüger gehalten haben mögen, nicht von neuem auf die etwas anrüchige Sache zurückzu­ kommen. Darüber waren wieder ein paar Monate hingegangen, und als dann zu Anfang des neuen Jahres (1628) insbesondere die wirtschaftlichen und finanziellen Seiten des neuen Unternehmens durchberaten werden sollten, waren die politischen Verhältnisse — man erinnere sich, dafs es sich um die Zeiten der ersten grofsen Erfolge Wallensteins handelt — für die protestantische Stadt so ernst und besorgniserregend geworden, dafs der Sinn dazu alsbald mangelte. So wurde denn der Bau zwar in aller Eile unter Dach gebracht, alle weiteren Erwägungen aber ver­ tagt, da es in diesen schweren Zeiten ungleich wichtiger sei, darüber nachzudenken, wie die drohenden Prüfungen durch stetiges Beten und ein bufsfertiges Leben abzuwenden sein möchten 2). Doch die Wolken, die sich am politischen Horizont zu­ sammengeballt hatten, zerteilten und verzogen sich noch einmal, und die Verhandlungen und Beratungen konnten wieder auf­ genommen werden. Auf die Einzelheiten derselben, die uns in den erwähnten Akten sehr genau überliefert sind, kann ich hier nicht näher eingehen. Erwähnt sei nur, dafs Hans Braun zum Wirt im neuerbauten Fechthause bestellt und bezüglich der Fechtschulen, Ochsen- und Bärenhetzen, Komödien und sonsti­ gen Schaustellungen und Lustbarkeiten bestimmt wurde, dafs 9 Vgl. auch Teil II, Nr. 342. 2)

Teil H, Nr. 343. 14

198 von dem Reinerträge stets nur ein Teil — etwa ein Drittel oder die Hälfte — den Fechtern, Schauspielern u. s. w. zu­ fallen, die übrigbleibende Summe indessen dem Spital zum heiligen Geist zu gute kommen solle. Über die Art der Erhebung des Eintrittsgeldes ist eine sichere Nachricht, wie es scheint, nicht mehr vorhanden, da ich einen Ratsverlafs darüber nicht gefunden habe. Ergänzend kann hier indessen das ausführliche Gutachten der Deputierten, auf welches sich dann der Rats­ verlafs vom 23. Januar 1628 bezieht, eintreten. Ich gebe aus demselben die betreffende Stelle in der Anmerkung1) wieder. Aus ihr geht zugleich hervor, dafs die Plätze je nach der Güte der »Gänge« — wir würden eher sagen Ränge — verschieden bezahlt werden sollten und man — es ist allerdings zunächst nur von den Fechtschulen die Rede — auch bereits an reser­ vierte und abonnierte Plätze für ganze Gesellschaften dachte. Für die Komödien ward der Eintrittspreis auf 6 Kreutzer fest­ gesetzt2), alles Weitere, auch der als Abgabe zu zahlende Bruch­ teil des Reinertrages, sollte von Fall zu Fall bestimmt werden. Man versprach sich namentlich aus den Fechtschulen, die noch immer ungemein beliebt waren, eine ansehnliche Ein­ nahme zum Besten des Spitals — die Deputierten veranschlagen dieselbe auf 3—4000 Gulden jährlich —, und auch die thea­ tralischen Vorstellungen der ersten Jahre weisen zumeist eine gute Frequenz und beträchtliche Reinerträge auf, worüber be­ reits T rautmann3) aus dem Rechnungsbüchlein, das bei den 1) Kreisarchiv, Fechthausakten, Nr. i, Bl. 15b: » . . . . Wie aber solch einnemen in specie anzustellen, wird es der vollendete bau erst recht an die hand geben: und könte es der fechtschulen halber bei der alten Ordnung bleiben, nemblich was die fechter zu den toren hinein, als von einer person einen kreuzer bekemen, müste dem fechtmeister [d. h. dem Unternehmer der Fechtschulej, daz übrige aber [16a], was uff den gangen und schranken gesamblet wirdt, gemeiner statt bleiben, darbei aber in acht zu nemen sein wird, weilen die gäng unterschiedlich, das man auch unterschied­ lich gelt davon einforderte. So könten auch hernach die gänglein hin und wider verschlagen, zugerichtet und unterschiedlichen gesellschafften noch über das gelt, das sie uff die gäng bezalen, zu 10, 12, 15 bis in 20 f. verlassen werden. Was aber andere comoedien, Schauspiel, ochsen- und berenhetzen anbelangt, könte mit einem jeden absonderlich, nemblich von den gefeilen unter das tor uff die helft, drittel oder quart, nach gelegenheit tractirt und gehandelt werden« etc. 2) Trautmann a. a. O. S. 134. 8) Ebenda.

199 Fechthausakten liegt, einige Mitteilungen gemacht hat. Die Auslagen an die »Büchsenmänner«, die das Geld einsammelten, an Stadtknechte, Schützen und »Provisoner«, welche die Ord­ nung aufrecht zu halten hatten, waren in der Regel nur gering, erheblicher schon die an die Schreiner, welche Balken und Dielen herliehen und daraus im Hofe des Fechthauses die ein­ fache Schaubühne zimmerten. Von diesem Hofe mit den ihn umgebenden Galerien ist uns wiederum eine ganze Reihe von Abbildungen erhalten, bald mit Ochsen- und Bärenhetzen, die von den Nürnberger Metzgern bis in den Anfang unseres Jahrhunderts häufig dem schaulustigen Volke vorgeführt worden sind, bald mit den Produktionen von »Seilfahrern« und anderen Gauklern, aber leider nie mit einer Theateraufführung als Staffage, sodafs wir auch weiterhin von dem scenischen Apparat kein klares Bild gewinnen können. Aus anderen Städten und insbesondere von derartigen Auffüh­ rungen an Fürstenhöfen sind wir darüber weit besser unter­ richtet. Nicht nur Berichte, sondern auch Abbildungen der Bühne, ganzer Scenerien und einzelner Dekorationsstücke haben sich aus dem Zeitalter Ludwigs XIV. in grofser Zahl erhalten. Sie geben uns von dem Pomp, der nun auf der Bühne, nament­ lich auch in den Kostümen entfaltet zu werden pflegte, beredte Kunde, und es ist bereits oben angedeutet worden, dafs Jakob Ayrer dem Nürnberger Theaterwesen eine ähnliche Richtung zu geben gesucht hat. Augenscheinlich nur mit geringem Erfolg*, sonst wären bei der grofsen Zahl von Kupferstechern, die Nürn­ berg während des 17. und 18. Jahrhunderts besessen hat, gewifs auch hier einmal prächtige scenische Wirkungen durch den Grabstichel oder die Radiernadel verewigt worden. Solche freilich waren überhaupt nur bei nachhaltigerer Subvention und festerer Anstellung der Schauspieler möglich. Einfach und prunklos war auch das Äufsere des neuen Gebäudes, nur dafs über dem Haupteingang die Fechtkunst, Komödienspiel und Tierhetze abgemalt und die Worte hinzu­ gefügt waren: »Gymnastica Martis et artis imperanteFerdinando II, semp. augusto, Hung. Bohem. rege, ludis gymnicis, scenicis aliisque publice faciendis, ut essent virtuti incitamento, vitiis terriculamento, civibus oblectamento, S.P.Q. Norimberg, has 14* •

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aedes F. F. 1628« *). In einem grofsen Quadrat war es an das alte Wildbad angebaut. Auf massivem, steinernem Unterbau erhoben sich die hölzernen Galerien, an der Eingangsseite zwei, an den drei übrigen Seiten je drei übereinander. Eine der Hofseiten war mit den lebensgrofsen Abbildungen zweier Eiephanten, der ersten, die Nürnberg (1520 und 1629) gesehen, geziert, an der gegenüberliegenden Wand über der zweiten Galerie eine Sonnenuhr angebracht. Darauf beschränkte sich der Schmuck des Innern, und auch die Galerien und Plätze werden vermutlich, ähnlich den provisorischen Schaugerüsten unserer Tage, wie sie bei Gelegenheit von Wettrennen, öffent­ lichen Festzügen u. s. w. errichtet werden, jedes Komforts ent­ behrt haben. So hat das Fechthaus auf der Schütt gestanden bis 1811, in welchem Jahre es von Alexander Baumann samt dem Wildbad angekauft wurde, der es niederreifsen und den Platz in einen Garten umwandeln liefs *2). Doch kehren wir zu den frühesten Zeiten seines Bestehens zurück. Am 16. Juni 1628 wurde das Haus mit einer »geistlichen Komödie« eingeweiht3). Es waren nicht die Engländer, welche sie gaben — diese haben überhaupt für die nächsten Jahrzehnte nur in den folgenden beiden Monaten noch die Vorteile und Annehmlichkeiten des neuen, an 3000 Zuschauer fassenden Spiel­ lokals genossen —, sondern es war ein Einheimischer mit seiner Gesellschaft, dem die Ehre der Eröffnungsvorstellung zu teil wurde, nämlich der »Jubilierer-Hans«, wie er in den Fechthaus­ akten gewöhnlich genannt wird, d. h. Hans Mühlgraf, Bürger und vermutlich Juwelier, Geschmeidemacher zu Nürnberg, wenn nicht etwa bei seinem Beinamen an jubilieren zu denken ist. Auch als Tanzmeister wird er gelegentlich bezeichnet4). Sein Name ist mit dem Bau des Fechthauses aufs engste verknüpft. In den Ratsprotokollen erscheint Mühlgraf zuerst im Jahre 1609, wo ihm, sowie Dietrich Carl und Jeronimus Lederer ihr Gesuch, Komödien agieren zu dürfen, abgeschlagen wird5). Nicht *) Vgl. Nürnbergs untergegangene Baudenkmale. Nürnberg 1846, Nr. XII »Das ehemalige Fechthaus«. 2) Vgl. ebendort. 8) Trautmann a. a. O. S. 133 (nach dem Rechnungsbüchlein). 4) Teil II, Nr. 326. 8) Teil II, Nr. 269.

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besseren Erfolg hatten seine eben dahin zielenden Bemühungen im Jahre 1614 1). In den Schlufs desselben Jahres fällt die merk­ würdige Geschichte seiner Eheschliefsung, die Soden berichtet. Hans Mühlgraf, sagt er, ein junger Gesell und Bürgerssohn in Nürnberg, hatte die Tochter des Bürgers Karl Sitzinger hier, Anna, bei welchem er oft ein- und ausging, heimlich ohne beiderseitiger Eltern Yorwissen und Einwilligung entführt. Der Entführer floh mit seiner Geliebten nach Neuhaus, einem vier Meilen von Nürnberg gelegenen, den Herren von Crailsheim zuständigen Flecken, und liefs sich dort einläuten. Der Flecken Neuhaus besafs von Alters her das kaiserliche Privilegium, Huren und Buben, sie mochten sein und herkommen, woher sie wollten, selbst an Freitagen und Samstagen auf ihr Begehren durch den dortigen Pfarrer trauen lassen zu dürfen. Der Gerichtsherr oder sein Vogt unter dessen Gerichtssprengel stellte über die eheliche Einläutung dann ein Zeugnis aus, welches niemand, weder Eltern noch Freunde, umstofsen durfte, sondern als gültige Trauung und folglich als unauflösbare Ehe halten und als solche betrachten mufste. Mühlgraf hielt nach der Trauung ein herr­ liches Hochzeitsmahl und feierte das Beilager in Neuhaus, freute sich seiner herzliebsten jungen Braut und ihrer Schönheit. Wohl­ gemut reisten sie miteinander nach Nürnberg zurück, wurden aber in ihren Freuden bitter gestört. Der Jubelierer Hans wurde in das Lochgefängnis, seine junge Frau aber in den Turm Lug­ insland gelegt, wo sie elf Wochen gefangen safsen. Da die beiden Liebenden nicht von einander lassen, sondern im Gegen­ teil Leib und Leben für einander opfern wollten, da sie auch nicht mehr geschieden werden konnten, so wurden sie gegen Bezahlung der Kosten am 18. (28.) Februar dieses Jahres (1615) aus ihren Gefängnissen wieder entlassen und als Eheleute anerkannt. Die nun wieder glücklich Vereinten hatten nun Zeit und Mufse genug, wie für den unterbrochenen Genufs der ehelichen Freuden, so auch für die deshalb erduldeten Leiden sich reichlich zu entschädigen 2). Das Thatsächliche an dieser Geschichte, die ich absichtlich *) Teil II, Nr. 295. 296, 297. 2) Franz Ludwig Freiherr von Soden, Kriegs- und Sittengeschichte der Reichsstadt Nürnberg I, 426.

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mit Südens eigenen Worten wiedergegeben habe, mag wahr und wohl den Ratsprotokollen entnommen sein, aus denen Soden als der erste auch eine Reihe weiterer Notizen über Hans Mühlgraf mitgeteilt hat. Die hineingetragene Mondscheinromantik verliert allerdings etwas an Duft und Glaubwürdigkeit, wenn wir aus einem anderen Ratsverlasse vernehmen, dafs Mühlgraf kurz vor jener Entführung mit einer Unzuchtstrafe belegt worden war, da er »mit Ursula Merklin sündlich zugehalten« hatte1). In der Ehe scheint er sich allerdings gebessert und auch seiner auf so seltsame Weise errungenen Frau die Treue bewahrt zu haben, denn später hören wir derartiges nicht mehr von ihm. Dennoch mag er wohl eingesehen haben, dafs er nach dem Vorgefallenen sobald nicht wieder wagen dürfe, dem Rate mit Supplikationen zu kommen. Erst zehn Jahre später reicht er aufs neue ein Gesuch, mit seiner Gesellschaft theatralische Aktionen veranstalten zu dürfen, ein, das aber abschlägig beschieden wird, da es »jetzt nicht Zeit sei, solcher Leichtfertigkeit zuzusehen«. Da er sich an dies Verbot nicht kehrte, ward er (Juli 1625) samt seinem Bruder mit Turmhaft bestraft2). Erst 1626 gelingt es ihm, die Erlaubnis für einige geistliche Spiele im Heilsbronner Hof zu erwirken; doch enthält der betreffende Ratsverlafs die ausdrückliche Weisung, sich auf diese geistlichen Spiele — welche es waren, erfahren wir leider nicht — zu beschränken und nicht etwa als intermedia, d. h. Zwischenspiele, »amatoria« einzumischen3). Das Jahr 1627, wo er unter anderm eine Komödie mit lauter kleinen Knaben agieren wollte, brachte ihm wieder, durch die Not der Zeit veranlafst, nur Ablehnungen4). Um so gröfser war der Erfolg, den ihm das folgende Jahr brachte. Der Eröffnungsvorstellung im neuerbauten Fechthause (16. Juni 1628), bei der sich noch allerlei Mängel geltend ge­ macht hatten, folgte bald eine zweite und dann noch eine dritte Aufführung desselben Stückes5). Im Juli mufste Mühlgraf das *) Teil II, Nr. 298. 2) Teil II, Nr. 325, 326, 327. 8) Teil II, Nr. 329, 330. 4) Teil II, Nr. 331, 332 und 337. 5) Teil II, Nr. 345. Nach dem im kgl. Kreisarchiv Nürnberg be­ wahrten Rechnungsbüchlein betrug der Reinertrag aus diesen drei Auffüh­ rungen (am 16., 18. und 25. Juni) für Mühlgraf, oder die Hälfte des gesamten Reinertrages, rund 305 Gulden.

203 neue Spiellokal allerdings eine Zeitlang einer Truppe englischer Komödianten zu ihren Produktionen einräumen, im August aber ward ihm aufs neue und, da das Wetter gut blieb und, wie der Ratsverlafs hinzufügt, »das Haus ohne das ledig stehet«, bis Anfang Dezember mit seiner Gesellschaft zu agieren ver­ gönnt x). Mit den Einnahmen konnte er den erhaltenen Ab­ rechnungen zufolge im allgemeinen zufrieden sein*2), und auch in den beiden folgenden Jahren 1629 und 1630, wo er — an dem Ausbleiben der Engländer trug der leidige Krieg die Schuld — das Feld ganz für sich allein hatte3), ist ihm noch mancher Gulden durch sein Agieren zugeflossen,, Offenbar in jungen Jahren starb der Jubilierer-Hans noch im Jahre 1630 oder zu Anfang des Jahres 1631, wie es scheint, in Regensburg, wohin er sich vielleicht zum Zweck theatralischer Aufführungen mit seiner Gesellschaft begeben hatte 4). Von den Genossen seiner schauspielerischen Unterneh­ mungen sind ein paar, Dietrich Carl und Jeronymus Lederer, bereits oben genannt worden. Wichtiger ist ein anderer, der sich besonders in der Rolle der lustigen Person hervorgethan zu haben scheint, nämlich der Kupferstecher Hans Ammon, der sich mit seinem Schauspielernamen Peter Leberwurst nannte. In Meyers Allgemeinem Künstlerlexikon (Bd. I, S. 660) sagt Wessely über ihn: »Hans Ammon, Maler und Kupferstecher, welchen die Sage auch zur lustigen Person einer herumziehenden Komödiantentruppe gemacht hat. Diese Sage hätte einige Wahr­ scheinlichkeit, wenn das Blatt mit »Hans Leberwurst« 5) wirklich sein Selbstbildnis vorstellte, was man jedoch ohne allen Grund angenommen hat«. Wie so häufig in solchen Fällen, behält dennoch die alte Tradition recht, wie aus den Archivalien über das Fechthaus mit Evidenz hervorgeht. Einige Male hatte sich b Vgl. Teil II, Nr. 355, 356 und die folgende Anmerkung. Teil II, Nr. 356. Nach dem Rechnungsbüchlein spielte er mit seiner Gesellschaft vom 13. August bis 2. Dezember im ganzen 17 Mal und nahm dabei für sich rund 284 Gulden ein. 3; Nach dem Rechnungsbüchlein agierte Mühlgraf im Jahre 1629 — weiter reicht das Buch nicht — am 16. und 18. Februar, 27. Mai, 1., 10., 15., 22., 24., 29. Juni, 6., 13., 20., 27. Juli, 3. und 24. August, 16., 23. und 25. November. Vgl. dazu Teil II, Nr. 359—61, 363—65 und Soden a. a. O. III, 5° un) J) 4) 5) •)

An den Stöcken am Markt und an den Kirchtürmen. Teil II, Nr. 248 -250. Nürabergisches Gelehrtenlexikon I1T, 730. Goedeke II, 146. Teil II, Nr. 276 und 277 Teil II, Nr. 301. Teil II, Nr. 311.

231 Präzeptoren geleitete Schüleraufführungen in einem Lokal »auf der Walg«*). Es folgen von zwei deutschen Rechenmeistern, Hans Bair und Endres Volckamer, mit ihren Discipeln veranstaltete Aufführungen (nach Ostern 1618)*2), dann, im Juli 1618, zwei Komödien unter Leitung des Rektors der St. Lorenzscfyule Johann Schirmer 3). Nach einem Zwischenraum von sechs Jahren hören wir zum Jahre 1624 von den privaten Aufführungen des Magisters Sophonias Hasenmüller und seiner Schüler und er­ fahren hier auch einmal, welche Stücke von ihnen agiert wurden, es waren die Aulularia des Plautus und Adelphi des Terenz4). Im folgenden Jahre erhält Magister Johann Speck die Erlaubnis zur Aufführung einiger Komödien mit der ausdrücklichen Be­ gründung, damit er seine schlechte finanzielle Lage etwas ver­ bessern und auch, was er dem Rat noch schuldig sei, bezahlen könne. Er kollidierte in seinen Bestrebungen mit dem eben um diese Zeit im Pfarrhof zu St. Lorenz widerrechtlich agierenden Hans Mülgraf, überschritt dann auch seinerseits die ihm von den Scholarchen gemachten Vorschriften und verschwindet als­ bald wieder 5). Der erste Präzeptor, welcher (am 27. August 1628) im neu­ erbauten Fechthaus auf der Schütt agiert hat, ist der Magister Gottfried Bernhardi6). Kurz zuvor (18. August 1628) war die Bitte des M. Johann Curtius, eine »Tragödie von Aufopferung des Isaaks« und eine Komödie vom alten Tobias auf dem Tuch­ hause mit seinen anvertrauten Discipulis agieren zu dürfen, vom Rat abschlägig beschieden worden 7). Die beiden Komödien, welche Bernhardi mit seinen Schülern aufführte, »vom schlagenden Priscianus« und »über die Nützlichkeit der Schulen« sind uns nicht erhalten, doch läfst der Titel einigermafsen auf den Inhalt schliefsen. Es werden die Machwerke eines recht eingetrockneten Schulfuchsen gewesen sein, und die uns noch erhalten gebliebene x) Teil II, Nr. 307—310. 2) Teil II, Nr. 312. 3) Teil II, Nr. 315. 4) Teil II, Nr. 323. 5) Teil II, Nr. 327 und 328. #) Teil II, Nr. 353. Nach dem erhaltenen Rechnungsbüchlein fand die Aufführung der beiden Stücke erst acht Tage nach erfolgter Bewilligung statt. 7) Teü II, Nr. 352.

16*

232 Supplikation Bernhardte, die ich in der Anmerkung *) zum Ab­ druck bringe, spricht keineswegs gegen eine solche Charakteristik des Mannes. Er ist zugleich für lange Zeit der letzte Vertreter der Schulkomödie, von dem die Ratsprotokolle berichten. Der dreifsigjährige Krieg wirkte augenscheinlich auch hier lähmend, und erst am 13. Mai 1645 wird »denen Praeceptoribus und Collaboratoribus bei dem Gymnasio zu St. Egidien« von neuem gestattet, zur Übung ihrer Schüler in lateinischer Sprache Ko­ mödien im Augustinerkloster aufzuführen2). Nur eines solcher Stücke wird uns in einem Ratsverlafs des folgenden Jahres genannt, es führte den Titel »de Aretino et Eugenia«, 3). In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts ist dann aufser Johann Geuder und Simon Bornmeister namentlich noch der *) Kreisarchiv Nürnberg, Fechthaus-Akten (Saal I, Lade 203. Nr. 1, Bl. 28): »Edle, ehmveste, fürsichtige, hochweise und grosgünstig hochgeehrte ge­ bietende liebe herren, mächtige förderer etc. Demnach die comoedien sind eine repraesentirung vieler alten und neuen historien gottseliger, erbarer, verstendiger und tapferer personen, so mit ihrem leben und taten der ganzen weit vorgeschienen, welche in öffentlichen Schauspielen (darin entweder die belonung der frommen oder, die straff der gottlosen vor äugen gestehet wird) menniklich fürgetragen, die spectatores nicht allein erlustigen und zu einem christlichen wandel aufmundern, sondern auch manchen verruchten bösen menschen sich zu corrigieren bewegen und antreiben, — weil aber solche correction bald von kindsbein an (nam a teneris adsuescere multum) beides daheim und in der schul soll fürgenommen werden, als hab ich von e. e. f. w. und hrl. mir anbefolene jugend 6 ganzer jar bishero pro virili nicht allein in principiis latinae linguae unterricht, sondern auch ad pietatem morumque elegantiam angewisen und gehalten, wie dessen prob in etlichen examinibus privatim geschehen. Aber damitt auch andere, so etwa solche irer eitern und praeceptorum wolgemeinte correction in wind schlagen, sich nicht ganz und gar ver­ säumen möchten, als hab ich mir fürgenommen, mit einer lateinischen comoedi de Prisciano vapulante (wie- nemblich einer latinam linguam balt recht und wol studieren könne und was für autores hiezu nötig) mit gottes hülf an meinen wenig discipulis mittwochens über 8 tag auch publice eine prob zu tun, samt angehengten schönen teutschen action de scholarui7i utilitate, erst aus dem latein von mir übersetzt. Gelanget demnach an e. e. f. w. und hrl. mein untertenigstes begeren, sie wollen grofsgünstig geruhende [28 b], solch exercitium et pium et doctum ihr nicht mifsfallen lassen und den ort, scenicis actionibus destiniert, solchem nicht verwegem, dadurch e. e. f. w. und hrl. mich, die liebe jugend und deren eitern die zeit unsers lebens ir in aller unterthenigkeit zudanken und dienen obligiert haben wird, deren gunsten ich mich sampt meinen studiis aller­ demütigst recommendiere. E e. e f. w. und hrl. untertenigster M. Godfried Bernhardj.« 2) Teil II, Nr. 372. ») Teil II, Nr. 373.

233 Magister Christoph Paul Spiels, »ein wackerer Schulmann« (f 1688), zu erwähnen1). Sein »Spielgedicht«: »Der vom Krieg gedrückte und mit Fried erquickte Teutsche« aus dem »Heilund Friedenjahr 1679« ist uns wenigstens in einem der be­ kannten, für das Publikum bestimmten Auszüge oder kurzen Inhaltsangaben erhalten geblieben 2). Ebenso ein bereits zwanzig Jahre früher von ihm verfafstes und zur Aufführung gebrachtes dramatisches Opus: »Der Lehr und Weisheit begierige Jüngling, aus der Tafel Cebetis mit nützlichen Lehren« etc.3). Das erstere Stück ist voll platter Allegorie und faden Schäfergetändels, das letztere, wie man sich denken kann, von ganz unerträglicher Lehrhaftigkeit. Spiefs war nichts weniger als ein Dichter. Dennoch scheinen gerade seine Produktionen zu ihrer Zeit in Nürnberg recht beliebt gewesen zu sein. Auch zum Jahre 1683 ist uns noch einmal sein Agieren bezeugt, aber nicht überliefert, was für ein »Schauspiel« er damals seinem Publikum geboten hat. Ganz am Ausgang des Zeitraumes, den wir hier zu be­ trachten haben, steht endlich ein nicht uninteressanter Ratsverlafs, durch welchen den Präzeptoren des Gymnasiums und anderer Schulen untersagt wird, wie es mehrfach geschehen sei, bei den Opern im Komödienhause mitzuwirken4), von denen uns aufser dem oben erwähnten »Arminius« Negeleins nur noch eine näher bekannt ist, nämlich »Alarich, vermittelst eines hoch­ deutschen Singespieles in Pulcheriam verliebt«, welche Gottsched in einem Chr. Sigm. Frobergschen Drucke vorlag5). Die Bezeichnung Oper kommt hier (1697) in den Rats­ protokollen nicht zum ersten Male vor. Schon 1686 ist von einer »musikalischen Komödie oder Opera« die Rede, die der Organist und Musicus Johann Löhner (f 1705)6) aus dem Italieni­ schen ins Deutsche übersetzt habe und nun durch die uns bereits 9 Teil II, Nr. 491 und 493. Wül-Nopitsch, Nümbergisches Gelehrtenlexikon, III, 738 f. 2) Nürnberger Stadtbibliothek: Nor. 1061. 8°. 3) Bibi. Will. IV, 87. 8°. Goedeke III, 221. *) Teil II, Nr. 556. 5) Gottscheds Nöthiger Vorrath II, 263, woselbst auch eine kurze Cha­ rakteristik dieser Oper, deren, wie es scheint, nicht ganz unbegabter Verfasser unbekannt ist. Will-Nopitsch, Nümbergisches Gelehrtenlexikon, IV, 442.

234 bekannte Truppe des Johann Christoph Götz im Komödienhause zur Aufführung bringen lassen möchte, was ihm damals auch für den Beginn des Jahres 1687 gestattet wurde. Es ist das in dem gleichen Jahre im Druck erschienene »italienische Sing­ spiel: Der gerechte Zaleukus« damit gemeint1). Der gleiche Ratsverlafs spielt überdies auf die noch frühere (hiebevor) Auf­ führung eines derartigen Werkes, also einer Oper, an, die im Augustinerkloster, dem hauptsächlichsten Lokal für die Schüler­ aufführungen des 17. Jahrhunderts, stattgefunden habe, womit kaum etwas anderes als die vorerwähnten Aufführungen von Negeleins Abraham und Isaak aus den Jahren 1683 und 1684 gemeint sein kann. An Opern im heutigen Sinne als in Musik gesetzte dramatische Dichtungen höheren Stils hat man dabei natürlich nicht zu denken. Der Arminius ist augenscheinlich nichts anderes als ein Schauspiel mit zahlreich eingestreuten meist kurzen Partien, die gesungen werden mufsten, Arien und Duetten, wie sich denn auch in der Widmung des Verfassers an Kaiser Leopold u. a. der Satz findet: »Sind diesem Arminius jemals Ehre und Glück zugefallen, so fallen sie ihm mit Haufen zu, wann Eure Kaiserl. Majestät von ihm noch heut zu Tag sagen und singen zu hören allergnädigstes Belieben zu nehmen ge­ ruhen«. Aufserdem wurden, wie man deutlich an Löhners Zaleukus sehen kann, in jener Zeit und bis ins 18. Jahrhundert hinein Oper und Singspiel zumeist als identische Begriffe ge­ braucht. Die leichten Singspiele aber, im Gegensatz zum ernsteren Musikdrama, waren ja bereits seit Ayrers Zeit auch in Nürnberg beliebt, und Stücke dieser Art werden namentlich auch die fremden Komödiantenbanden, etwa die des Italieners Nanni u. s. f., häufig genug zur Aufführung gebracht haben2). An der Einführung oder besser Einbürgerung der eigentlichen Oper in Nürnberg scheint dagegen die Schul- und gelehrte *) Teil II, Nr. 517 und 518. Gottscheds Nöthiger Vorrath S. 252. 2) Vgl. u. a. die bei Hysel (nach Will) S. 33 angeführten Stücke: »Die Eroberung Jericho unter Anführung des Israelitischen Helden Josua in einem Singspiel vorgestellet in Nürnberg, 1696«. 8° und »Die glücklick wieder erlangte Harmonie in einem Hochdeutschen Singspiel. Mit grofsg. Erl. E. H. Raths, der des H. R. R. Stadt Nürnberg aufgeführet Nürnberg 1698«. 8°, von denen ich bisher kein Exemplar zu Gesicht bekommen konnte. Auf die anderen da­ selbst genannten Stücke (zu den Jahren 1695, 1697 und 1699) wird besser im folgenden Kapitel kurz bezug zu nehmen sein.

235 Komödie einen nicht unwesentlichen Anteil gehabt zu haben, wie sie denn überhaupt im Gegensatz zu den Burlesken und öden Spektakelstücken, die sich in den Repertoires der fahren­ den Schauspieler, der Wandertruppen, von Jahr zu Jahr mehr breit machten, in erster Linie das ernste Drama gepflegt und so vielfach dem Theaterwesen eine würdigere Richtung, einen gediegeneren Anstrich gegeben hat. Eben darin bestellt ihr Hauptverdienst. Denn dadurch allein konnte das Interesse der Gebildeteren und Vornehmen für die dramatische Dichtkunst und das Theater zurückgewonnen werden, das im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts nahezu erloschen und selbst durch die Schauspielerkünste der englischen Komödianten und ihrer Nach­ folger nicht ohne weiteres zu erwecken gewesen zu sein scheint. Dieses erhöhte und vielfach bethätigte Interesse wiederum mag nicht ohne Einflufs auf die Beschlüsse beispielsweise des Nürn­ berger Rats bezüglich der Erbauung des neuen Komödienhauses im Jahre 1667 und die innere Ausstattung desselben gewesen sein. Gleich aus dem ersten Jahre seines Bestandes (1668) stammt ein in mehreren Exemplaren erhaltener »Kurzer Entwurf eines anmutigen Kinderballets welches durch 60 junge Knaben in Nürnberg vorgestellt worden« *). Der Kupferstich, der diesem Entwurf beigegeben ist, zeigt uns die Bühne, auf der das merk­ würdige Ballet ausgeführt wurde, mit einer prächtigen archi­ tektonischen Grundcoulisse, wie wir sie ähnlich aus gleichzeitigen Abbildungen französischer Theaterscenerien vom Hofe Lud­ wigs XIV. kennen. Im Punkte der Dekoration hatte man im Laufe des 17. Jahrhunderts gewaltige Fortschritte gemacht. Mit dem poetischen Gehalt der Gelehrtenkomödien war es freilich in der Regel weniger gut bestellt und ihre Tendenz auch, wie wir verschiedentlich sehen konnten, nicht sowohl eine ästhetische als vielmehr eine lehrhafte. Das mag wohl der Hauptgrund für den auffällig geringen Einflufs gewesen sein, den die Schulko­ mödie auf die Bühne der wandernden Berufskomödianten zu gewinnen vermochte, mit deren innerem Zerfall uns das nächste Kapitel in erster Linie beschäftigen wird. Ehe ich indessen dazu übergehe, mufs hier noch einer ansehnlichen Gruppe von Nürnberger Dramendichtern aus dem l)

Bibi. Will IV, 82.

236 Kreise der Gelehrten in Kürze gedacht werden, ohne welche die obige Aufzählung — mehr als eine solche zu bieten, konnte hier nicht meine Absicht sein — eine arge Lücke aufweisen, unsere Darstellung eines wesentlichen Zuges entbehren würde, und zwar um so mehr, als die Stücke dieser Dichter aller Wahrscheinlichkeit nach zeitweise geradezu den Grundstock des Repertoires der Schüleraufführungen in Nürnberg abgegeben haben. Ich meine die Dramatiker unter den Professoren der in den siebziger Jahren des 16. Jahrhunderts gegründeten nürnbergischen hohen Schule zu Altdorf. Der bekannteste unter ihnen ist vielleicht Daniel Schwenter (1585—1636), dessen nicht erhaltene Komödie von Peter Squenz Andreas Gryphius, wie er selbst erklärt, zu seinem so berühmt gewordenen Schimpfspiel umgearbeitet hat*). Nach dem Berichte des bekannten Hamburger Predigers Balthasar Schuppius in dessen »beliebtem und belobtem Krieg« scheint jenes Possenspiel Schwenters bald nach der Mitte des 17. Jahrhunderts in Nürnberg von Handwerksleuten zur Aufführung gebracht worden zu sein*2). Eine andere, zwar erhaltene, aber bisher noch ungedruckte Ko­ mödie Schwenters betitelt sich »Seredin und Violandra« 3). Neben ihm wäre dann weiter Magister Georg Mauritius der jüngere (1570—1631) zu nennen, der 1621 die deutsch geschriebene Komödie seines Vaters »Grisoldis« zu Altdorf ins Lateinische übertrug4). Der ältere Georg Mauritius (1539—1610), von dem in den Jahren 1606 und 1607 zehn Spiele und dann noch ein­ mal eine Gesamtausgabe derselben zu Leipzig im Druck erschien, gehört nur in beschränktem Sinne der Nürnberger Theater­ geschichte an. Indessen ist auch er in Nürnberg geboren und hat die letzten zehn Jahre seines Lebens als Rektor der Schule zum heiligen Geist hierselbst gewirkt5). Von sonstigen Altdorfer Professoren, die sich um die Schulkomödie Verdienste erworben haben, mögen hier schliefslich noch Michael Virdungus (1575 bis 1637), der Verfasser zweier Tragödien, Saul und Brutus *) Will-Nopitsch, Nürnbergisches Gelehrtenlexikon, III, 653 ff. a) Vgl. Gen6e, Lehr- und Wandeijahre des deutschen Schauspiels (Berlin, 1882), S. 311. 8) Will-Nopitsch 657. 4) Will-Nopitsch II, 598. Goedeke II, 406, Nr. 389. 5) Will-Nopitsch II, 596. Goedeke II, 388, Nr. 297.

in,

237 (Jena, bei Tob. Steinmann, 1596) *), Matth. Geller (1573—1620), dessen selbstverständlich lateinische Tragödie »Cyrus« 1613 im Druck erschien*2), und Wolfgang Waldungus, von dem u. a. eine Tragödie »Orestes« (1612) herrührt 3), namentlich angeführt sein. Auch Christoph Speck, von dem oben bereits die Rede war, und Abraham Boxbarter (1580—1625) waren eine Zeitlang zu Altdorf im Schuldienste thätig. Letzterer ist der Verfasser einer lateinischen Komödie »Adelphoe« (etwa nur einer Bearbeitung des Terenzschen Stückes?), die er nach Will im Jahre 1601 »mit seinen Untergebenen in Nürnberg öffentlich und mit grofsem Ruhme aufgeführt hat«. Die letzten fünfzehn Jahre seines Lebens hat er als Arzt in Windsheim gelebt4). Dafs aufser den Erzeugnissen der einheimischen Muse bei den Schüleraufführungen zu Nürnberg sowohl, wie zu Altdorf gelegentlich auch die Werke auswärtiger Dramatiker Berück­ sichtigung gefunden haben, bedarf wohl keiner besonderen Be­ tonung. Von einigen solcher Stücke, wie z. B. von Jacobus Schoeppers »Monomachia Davidis et Goliae, tragicomoedia nova simul et sacra«, von Samuel Junius’ »Lucretia«, Frischlins »Julius redivivus«, Christian Bachmanns »Melancholicus« u. a. ist uns dies auf dem Titel von Nürnberger Drucken derselben ausdrück­ lich bezeugt, von anderen, wie Cornelius Schomaeus’ »Daniel«, Gnaphaeus’ »Morosophus« etc. können wir es schon wegen der Thatsache solcher Dhicke mit einiger Wahrscheinlichkeit wenig­ stens vermuten. Dafs sie allerdings im Repertoire der NürnbergAltdorfer Schulmänner eine besonders grofse Rolle gespielt hätten, möchte ich bezweifeln. In der Regel wird den Biederen der eigene Sang wohl besser behagt haben. *) 2) 3) *)

Will-Nopitsch Will-Nopitsch Will-Nopitsch Will-Nopitsch

IV, 90 ff. Goedeke II, 115 und 142. I, 520 f. Goedeke II, 145, Nr. 86. IV, 164. I, 140.

238

Viertes Kapitel.

Verfall des Alten, Ansätze zu Neuem (18. Jahrhundert).

Bereits im Laufe des 17. Jahrhunderts hatte das Theater­ wesen in Deutschland eine Entwicklung genommen, die allmählich zu den unleidlichsten Verhältnissen führen mufste. Seit der englische Clown bei uns heimisch geworden war und seine „ wachsende Beliebtheit den Prinzipalen der fahrenden Komö­ dianten gegenüber dem durch den Krieg verarmten Volke die hauptsächlichste und sicherste Handhabe zur Erzielung guter Einnahmen bot, hatte das Possenhafte in ihren Stücken einen Umfang angenommen, der alle freieren und höheren Absichten, wie sie wahren Dichtwerken innewohnen, sehr bald verwischte und zu nichte machte. Dadurch entfremdete sich jedoch die Bühne der Wandertruppen mehr und mehr sowohl das bessere Publikum wie die besseren Kräfte unter den Schriftstellern der Nation, und es trat so im 17. Jahrhundert jener tiefgehende Rifs zwischen dem volkstümlichen Drama und dem Kunstdrama ein, dessen Entstehung und Ursachen in Literaturgeschichten und Monographien so vielfältig Gegenstand gelehrter Untersuchungen und eingehender Darstellung gewesen sind. Durch die völlig gesonderte Behandlung beider Entwicklungsreihen habe ich diese Zustände, wie sie sich zu Ausgang des 17. Jahrhunderts in Nürnberg nicht erheblich anders wie in allen anderen deutschen Städten herausgebildet hatten, schon im vorigen Kapitel an­ zudeuten gesucht. Wir sahen auf der einen Seite eine Reihe wandernder Theaterdirektoren, gleich den Mitgliedern ihrer Truppen teilweise recht zweideutige Charaktere und zweifelhafte Existenzen, die sich und ihren Leistungen bei den Gebildeteren und Vornehmen nur selten eine gewisse Achtung und Aner­ kennung zu erringen vermochten; ihre Stücke fast durchweg ungenannt und unbekannt, wie wir annehmen dürfen zum gröfsten Teil Spektakelstücke, Possen und Singspiele der niedrigsten Sorte, gewöhnlich nur in einzelnen Partien, namentlich den ein­ gelegten Liedern überhaupt ausgearbeitet ,und im Manuskript vorliegend, im übrigen dem Belieben, dem Geschmack und

239 Witz der Darsteller überlassen. Es ist die Stegreifkomödie aus der Wende des Jahrhunderts, der aufser den bescheideneren Hanswurstiaden, welche aus der aufkommenden leichten italieni­ schen Oper noch verstärkte Lebenskraft gewannen, auch die Maschinenstücke und die »Haupt- und Staatsaktionen« des 18. Jahrhunderts angehören. Einen der Hauptvertreter dieser höchst minderwertigen, meist nur flüchtig skizzierenden dramati­ schen Dichtungsart haben wir bereits in jenem Schauspieler^ Ludovici, dem Verfasser des Stückes von Karl XII., dessen Aufführung 1715 vom Nürnberger Rat unterdrückt wurde, kennen gelernt. Beschränken wir auch weiterhin unsere Betrachtung auf die Verhältnisse in Nürnberg, so läfst sich wohl behaupten, dafs seit dem Anfänge des neuen Jahrhunderts noch zwei Um­ stände wesentlich dazu beigetragen haben, eben diese Richtung in Drama und Schauspielkunst bei allen besser Denkenden in Mifskredit zu bringen, nämlich einmal der arge Mifsbrauch, der gerade im beginnenden 18. Jahrhundert von den Quacksalbern und Marktschreiern mit der dramatischen Kunst getrieben wurde, und ferner das mächtige Überwuchern des Marionettenspiels um diese Zeit. Uns muten heutzutage Ratsverlässe, in denen etwa den fremden Ärzten das Komödienspiel verboten wird, wunderlich genug an. Erinnern wir uns jedoch an so manche gleichzeitige Darstellungen von Jahrmarktscenen, so werden uns derartige Bestimmungen sofort verständlich. »Der Arzt schreit seine Pillen aus Mit grofser Prahlerei, Der Harlekin macht manchen Flauls Und lockt den.Pöbel flink herbei,« heifst das Sprüchlein unter einem solchen Blatt aus dem Anfang des vorigen Jahrhunderts, auf welchem man den fahrenden Arzt und seinen Gehülfen Hans Wurst auf ihrer unter freiem Himmel aufgeschlagenen primitiven Bühne in voller Thätigkeit sieht. Auch andere Personen, des Quacksalbers Frau und Magd, gesellen sich häufig hinzu, und nun werden zur Anlockung des Publikums, das obiger Spruch mit dem einzig richtigen Ausdruck

240 als »Pöbel« bezeichnet, ganz im Sinne der Hanswurstiaden der Berufsschauspieler jener Zeit Possenspiele voller »ärgerlichen Dinge « und »Scurrilitäten« *) auf der Bühne — noch 1723 weisen die Ratsverlässe dafür den Ausdruck »Brücke« auf*2) — aufgeführt. Zuweilen ist es auch damit noch nicht genug- der die grofsen Messen bereisende »Arzt« ist nicht nur zugleich Komödiant, sondern auch Seiltänzer, Jongleur u. s. w.3). Für diese Art der Aus­ übung ärztlicher Praxis ist unter anderm ein Ratsverlafs charakteri­ stisch, nach welchem einem fremden Arzt namens Johann Mat­ thias Görgslener auf Grund seines kaiserlichen Freibriefs und eines »Attestats von dem hiesigen löblichen Collegio medico« das »aufstehen« (d. h. auf einer Bühne stehen) und »ausschreien seiner Medicamente auf dem hiesigen Marktplatz« zwar gestattet, das Komödienagieren und Seiltanzen aber untersagt wird. Auf die von Görgslener gegen dieses Verbot eingereichte Beschwerde wird ihm dann auch das Komödienspiel zugelassen aufser Mon­ tags und Mittwochs, an welchen beiden Tagen »dergleichen Schauspiele dermalen in dem Fechthaus alhier gehalten würden«4). Man sieht daraus, dafs nicht Rücksicht auf die mifshandelte Kunst, sondern lediglich die Absicht, den einmal zugelassenen Berufskomödianten ihr sauer verdientes Brot nicht zu verkürzen, *) Teil II, Nr. 643, zweiter Absatz. 2) Teil II, Nr. 680, zweiter Absatz. 3) Als Beispiel für den gewaltigen Apparat und den Pomp, mit dem um jene Zeit die fahrenden Ärzte bisweilen auftraten, mögen, obgleich es sich dabei nicht um Nürnberger Verhältnisse handelt, zwei Stellen aus der hand­ schriftlichen Fortsetzung von Schorers Beschreibung und Chronik von Mem­ mingen (Memminger Stadtbibliothek 40 2, 44) hier Platz finden. Zum Jahre 1724 lesen wir daselbst: »Am 2. Juli kam ein berühmter Arzt an namens Joh. Chr. Hüber mit 5 Kutschen, darunter 2 sehr prächtig, hatte bei sich 50 Person, darunter Frauen und Kinder, eine Zwergin, 2 Heiducken, 2 Trompeter und verschiedene gute Musicanten, so sich auf den Waldhörnern sehr wol hören liefsen, auch 18 Pferde und 2 Kamele. Er hatte sein Theatrum auf dem Ratzengraben, verkaufte seine Waar, spielte vor und nach Comoedien, wie auch zweimal auf dem Salzstadel, hatte höfliche Leute und proper in Kleider«. Zum Jahre 1733 keifst es: »13. Juli kam der vor 9 Jahren hier gewesene Arzt Joh. Christian Hüber wieder mit vielen Leuten, darunter waren 30 Musikanten, 1 Mohr, 1 Heiduck, 1 Zwergin, 1 Seildänzer, 6 Laquaien und verschiedenes Frauenzimmer und Personen. Er hatte 14 Tage Erlaubnis und spielte alle Tag Comoedie und zwar recht methodice«. 4) Teil II, Nr. 670 (1720).

241 die Obrigkeit bei Verfügungen dieser Art leitete. Vom künst­ lerischen Standpunkt aus mochte wohl der Rat und vielfach gewifs mit Recht die wandernden Schauspielerbanden samt ihren Prinzipalen und Bühnendichtern mit Marktschreiern, Possenreifsern, Bänkelsängern und anderm fahrenden Volk in einen Topf werfen, einen wesentlichen Unterschied in den »Bestrebungen« der einen und der anderen nicht erkennen. Das gesellschaft­ liche Ansehen des Schauspielers von Profession stand zu Anfang des 18. Jahrhunderts auf der denkbar niedrigsten Stufe. Was die Marionettenspieler betrifft, so ist hier an das anzuknüpfen, was am Schlufs des ersten Kapitels über diese Artisten gesagt worden ist. Bis zum Ausgang des 17. Jahr­ hunderts in den Ratsprotokollen nur spärlich erwähnt, treten sie seit 1700 geradezu massenhaft auf. Der erste Marionetten­ spieler, von dem uns die Ratsverlässe dieser Zeit berichten, ist Johann Helferding (= Hilverding), eine in der Theatergeschichte noch recht undeutliche Persönlichkeit. Offenbar ist es derselbe, welcher, zuweilen auch als Joseph Hilverding erscheinend, 1685 zuerst als Schauspielerprinzipal in Salzburg genannt wird, 1706 mit dem berühmten Wiener Hanswurst Joseph Stranitzky und der Anna Maria Naffzerin associiert ist und um das Jahr 1725 gestorben sein mufs. Sein Sohn ist der mit dem Beinamen Pantalon de Bisognosi bekannte Peter Hilverding, der nament­ lich in der Theatergeschichte Berlins eine Rolle gespielt hat1). Unsere Notiz aus den Ratsverlässen (vom 18. Mai 1701) ist insofern von Interesse, als wir daraus ersehen, dafs Jo­ hann Hilverding gelegentlich auch als Marionettenspieler sein Wesen getrieben hat. Ein Gleiches ist uns auch von anderen Schauspielern und Theaterprinzipalen jener Zeit mehrfach be­ zeugt, und es ist leicht einzusehen, dafs eine solche Vereinigung nur schädigend auf die eigentlich schauspielerischen Leistungen einwirken konnte. Offenbar aus dieser Verbindung der Puppen­ spiele mit der Schauspielkunst um die Wende des 17. Jahrhunderts entsprang oder wurde doch wesentlich gefördert jene Manier, *) Teil II, Nr. 590. Vgl. Jos. Kürschner in der Allgemeinen deutschen Biographie Bd. XII, S. 433 ; Devrient, Geschichte der deutschen Schauspielkunst, I, 331; Die internationale Ausstellung für Musik und Theater in Wien 1892, S. 319; A. E. Brachvogel, Geschichte des Königlichen Theaters zu Berlin, Bd. I, S. 95 f. etc.

242 die sich in den Trauerspielen durch übertriebene Bewegungen und Gebärden und durch schreckliches Gebrüll, in den Burles­ ken insbesondere durch ausgiebige Prügeleien aller Art äufserte, jede feinere Durchbildung des Spiels von vornherein als zweck­ los ausschlofs und die deutsche Bühne bis über die Mitte des 18. Jahrhunderts hinaus beherrscht hat. Auch unter den übrigen Marionettenspielern, die in dieser Epoche Nürnberg besucht haben, scheinen gleich Hilverding noch verschiedene abwechselnd »heut mit Menschen und morgen mit Puppen« 1) gespielt zu haben, so Johann (oder Joseph) Euse­ bius Pichler aus Wien (1710, 1721, 1724)2), so auch der »hochfürstl. Sachsen-Waldecksche Hofkomödiant Johann Ferdinand Beck (1717, 1733)3) und vor allem Johann Franz Depee, dem am 5. November 1722 sein Gesuch »mit seiner bei sich haben­ den Bande einige Marionettenspiele und Bourlesquen aufführen zu dörfenr abschlägig beschieden wird4). Sogar Ferdinand Ölperl wird einmal (1763) als Marionettenspieler bezeichnet5), und wahrscheinlich gehören auch die beiden »Directeuren teutscher Schauspiele« Adam Wezer und J. T. A. Scheid dieser Gruppe an6). Im übrigen werden in den Ratsverlässen als Marionettenspieler noch mit Namen angeführt: Franz Sieger aus Wien (1707)7), Johann Friedrich Ginter und Heinrich Dietrich Blater (1708)8), Johann Joseph Blümmel (1714)9) Leonhard Krotter oder Crater (1715)10), Ferdinand Anton Käfs aus Wien (1720)11), Joseph Keiser (1722)12), Johann (oder Matthäus)

b Ausdruck Devrients (a. a. O. I, 330), der indessen nicht ganz wörtlich zu nehmen ist. 2) Vgl. Teil II, Nr. 619, 620, 671, 685 und 687, sowie Nr. 688 und 694, denn der Joseph Biihler oder Büchler, von dessen Schulden diese Notizen handeln, ist ohne Zweifel mit Pichler identisch. *) Teil II, Nr. 655, 656 und 698. 4) Teil II, Nr.679. 6) Teil II, Nr. 806. 6) Teil II, Nr. 809 (wo Scheid Sachsen - Hildburghausenscher Hofkomö­ diant genannt wird), 811, 812, 817 (818), 822. 7) Teil II, Nr. 606 und 607. *) Teil II, Nr. 612. 9) Teil II, Nr. 631. 10) Teil II, Nr. 636—38. n) Teil II, Nr.667, 668. 18) Teil II, Nr.674.

243 Joseph Puschmann aus Wien (1749, 1750, 1751, 1752)1), der bereits oben erwähnte Andreas Georg Jacob Schtibler (17 54)2), Franz Joseph Dallinger (l 756)3) und CorbinianPurckmayer (1763)4). Unter den nicht mit Namen Genannten findet sich auch eine Frau, eine Marionettenspielerin (1743)5). Auch unerlaubte Marionettenspiele,' von denen die Ratsverlässe natürlich nur zum Teil Kunde geben, scheinen nicht selten vorgekommen zu sein, manche auch mufsten wegen vorgefallenen Unfugs bald wieder eingestellt werden. Als Spiellokal .ist den Puppenspielern, so viel wir sehen, weder das Opernhaus, noch das alte Fecht­ haus auf der Schütt jemals eingeräumt worden. Ersteres hat auch nur Hilverding für sein »rares Marionettenspiel« überhaupt gewünscht, und damals wurde ihm seine darauf zielende Bitte auch nicht wegen der Minderwertigkeit seiner Leistungen son­ dern wegen der daselbst zu besorgenden Feuersgefahr abge­ schlagen und ihm die Wahl zwischen dem Sternhof, dem alten Ballhaus und dem Rathaus zu Wöhrd gelassen. 1701 war eben das Marionettenspiel in Nürnberg noch etwas Neues. Später haben sich die Puppenspieler in der Regel mit dem Marstall, einem Vorstadtwirtshaus oder selbsterrichteten Schaubuden, nBoutiquen aufm Marckt« begnügen und behelfen müssen. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts mehren sich — ein Zeichen für den langsam steigenden Geschmack — die Abweisungen, und es ist bezeichnend, dafs der Wiener Marionettenspieler Puschmann nach viermaligem vergeblichem Snpplizieren endlich doch noch (März 1751) die Erlaubnis zur Aufführung seiner Spiele erhält, jedoch nur, weil sich der »allhiesige RindfufsWirt« Georg Blank, dem er bei seinem letzten Hiersein ein Ansehnliches schuldig geblieben, in diesem Sinne für ihn — und für sich — verwendet hat. Ähnliche Fälle sind indessen auch in der Geschichte des eigentlichen Schauspiels dieser Zeit nicht gerade selten, und infolge der bösen Erfahrungen, die man l) Teil II, Nr. 718, 719, 723—27, 746. Vgl. auch Mentzel a. a. O. S. 197, wo er (ähnlich wie in Nr. 723—7 26 und 746) mit dem Vornamen Matthäus erscheint. Schwerlich handelt es sich dabei um zwei verschiedene Persönlichkeiten. *) TeilII, Nr. 762. 3) Teil II, Nr. 771. 4) Teil II, Nr. 808. 6) TeüII, Nr. 701.

244 machte, wurde es in Nürnberg schliefslich ganz üblich, die Wirte, bei denen sich die Schauspieler einquartiert hatten, von Ratswegen zu warnen, dafs sie denselben ja nicht zu viel borg­ ten, da sie den etwa daraus entstehenden Schaden selbst zu tragen haben würden. Auch pflegte man sie, wenn sich das Ende der Spielzeit nahte, hievon zeitig in Kenntnis zu setzen, damit sie sich danach richten und, wie es wohl heifst, »in Zeiten prospicieren« könnten. Uebrigens war nur einigen be­ stimmten Wirten, deren Gasthäuser wohl zumeist in unmittel­ barer Nähe der betreffenden Spiellokale gelegen waren, ein für allemal erlaubt, Komödianten zur Miete zu haben, und wenn ausnahmsweise auch einem anderen Gastwirt, wie 1768 dem Wirt zum Tannenbaum, diese Erlaubnis erteilt wurde, so ge­ schah dies mit dem ausdrücklichen Zusatz, dafs er es als eine oberherrliche Gnade anzusehen habe und sich nicht beikommen lassen solle, für sein Haus daraus ein Recht abzuleiten1). Eine Privatwohnung zu beziehen, war den Komödianten nicht gestattet, und auch wenn etwa der Prinzipal der Gesellschaft besonders darum nachsuchte, wurde ihm seine Bitte regelmäfsig abgeschlagen2). Erst gegen den Schlufs des Jahrhunderts trat hierin eine Ände­ rung der Anschauungen und des Herkommens ein3). So konnte es denn wohl kommen, dafs, wenn die Warnungen des Rats fruchteten und sich einmal auch die »berechtigten« Wirte nicht zur Logierung der fremden Schauspieler verstehen wollten, diese geradezu obdachlos waren, und 1752 haben sich beispielsweise der Komödiantenprinzipal Johann Schulz und die Seinen längere Zeit sowohl tags als nachts in dem ihnen für ihre Aktionen überlassenen Fechthause aufhalten müssen, was natürlich schon wegen der damit verbundenen Feuersgefahr gleichfalls ganz unerlaubt war4). Freilich kann man es auch den Wirten nicht verdenken, wenn sie sich nach Möglichkeit zu »präkavieren« suchten, denn namentlich in der ersten Hälfte des Jahrhunderts ist in den einschlägigen Ratsverlässen mehr denn je von Schul­ den und immer wieder von Schulden die Rede, welche die *) 2) 8) 4)

Teil Vgl. Vgl. Teil

II, Nr. 833, 834. Teil II, Nr. 705 und 752, dann auch Nr. 883. Teil II, Nr. 884 (1794) uncl 912 (1798). II, Nr. 750.

245

Komödianten gemacht haben und nicht bezahlen können. Daran kann wohl nicht lediglich ihr leichtsinniges Leben und die Ver­ kommenheit ihres Standes schuld sein, sondern man wird dafür auch das geringe Mafs von Wohlwollen und Anerkennung, das sie bei den besseren und bemittelteren Kreisen fanden, das allerdings wiederum in ihrer Verwahrlosung und der Minder­ wertigkeit ihrer Leistungen seinen Grund hatte, verantwortlich machen müssen. Mangel an Entgegenkommen und Unter­ stützung stand während der ersten Hälfte des Jahrhunderts mit der Erbärmlichkeit der künstlerischen Vorführungen in bestän­ diger Wechselwirkung. Gute und mit einem starken Personal versehene Banden haben sich in der That in Nürnberg nie lange halten können1). Zuweilen waren die Prinzipale der Komödiantentruppen so vorsichtig, sei es brieflich oder durch eine Mittelsperson vorher beim Rat anzufragen, ob ihr Kommen genehm sein würde und sie auf Spielerlaubnis rechnen könnten. In solchen Fällen lehnte der Rat meist von vornherein ab mit der Bemer­ kung, dafs sie auch ihr »Conto« schwerlich allhier finden wür­ den. Er wollte sich augenscheinlich nicht die geringste Ver­ pflichtung, auch keine moralische, gegen diese Fahrenden auf­ erlegen. Etwas anderes war es, wenn dieselben mit Empfeh­ lungsschreiben kamen, etwa von den Fürsten, an deren Hofe sie die letzte Zeit' über gespielt. Solche Empfehlungen hatten in der Regel guten Erfolg, nicht etwa, weil man sich von den Komödianten, welche sie einsandten oder mit sich brachten, besondere künstlerische Genüsse versprach, sondern weil es sich doch nicht geschickt hätte, von der Rekommandation durch einen hohen Herrn keine Notiz zu nehmen, und weil man sich möglicherweise dadurch Unannehmlichkeiten hätte »über den Hals ziehen« können. Den empfohlenen Komödianten ward also gewöhnlich die Erlaubnis, zunächst einige Stücke zur Probe zu agieren, dann auch meistens, eine Reihe weiterer Auffüh­ rungen anzuschliefsen, erteilt. Hin und wieder erfreut und be­ dient sich der Prinzipal mit seiner Truppe auch nur der Pro­ tektion eines ihm etwa bekannten Nürnberger Bürgers. Es 1) Hysel S. 33-

U

246 war das doch noch immer besser als nichts. So wird 1698 die fürstlich badische Komödiantenbande von dem Flötenmacher Hans Carl Denner dem Rate empfohlen, während gleichzeitig der »Novellant« Lukas Gottfried Eberl oder Eberlein, der auch später (1706) einmal den Protektor der Witwe Velten spielt, die »fürstl. zeizische Banda« rekommandiert1). Die Zeit, für welche die Erlaubnis erteilt wurde, umfafste in der Regel ein paar der Sommermonate Mai—September; bei günstigen Witterungsverhältnissen wurde auch wohl schon im April begonnen oder bis in den Oktober, November hinein gespielt, und zwar — wenn wir aus den Angaben der Theater­ zettel aus den vierziger und fünfziger Jahren auf die ganze erste Hälfte des Jahrhunderts schliefsen dürfen — von nach­ mittags 3 oder 4 Uhr bis zum Dunkelwerden. Das Spiellokal war mit wenigen Ausnahmen das alte Fechthaus. Während des Winters und in dem 1668 neu erbauten Komödien- oder Opern­ hause scheint in dieser Epoche nur sehr selten gespielt worden zu sein. Die wichtigste solcher Ausnahmen betrifft die Thätigkeit des Koburger »Opernmeisters« Kasimir Schweizeisberger im Winter 1718 auf 19, von der weiter unten noch ausführ­ licher zu handeln sein wird. Der Ruf, der dem »Operisten von Coburg« vorausging, veranlafste den Rat, die nötigsten Reparaturen im Opernhaus vornehmen zu lassen und es Schweizeis­ berger und seiner Truppe für seine musikalisch-theatralischen Produktionen einzuräumen. Anfangs hatte man zwar daran gedacht, ihm die daraus entstandenen Kosten aufzubürden, nahm aber später davon Abstand und liefs dieselben »von löbl. Bauamts wegen«, bezahlen. Dafs überhaupt derartige umfassende Reparaturen nötig waren, zeigt schon, in welchem Zustand der Verwahrlosung sich das »neue Komödienhaus« damals befand, und zahlreiche Ratsverlässe geben uns von die­ sem Zustande noch genauere Kunde. Dafs es von vornherein zu klein und höchst unpraktisch angelegt war, hören wir schon früh. Namentlich stand der Rat bei jeder Benutzung Todes­ ängste wegen der Feuersgefahr aus, da man insbesondere der Bühne und dem Raume hinter den Coulissen, falls ein Unglück *) Teü II, Nr. 561 und 591.

247 sich ereignen sollte, »wegen der engen Gelegenheit«, wie es heifst, »mit dem Löschen nicht wohl beikommen könne« 1). So wurde denn stets den fremden Komödianten auf das dringendste ans Herz gelegt, mit Feuer und Lichtern vorsichtig umzugehen, es wurden die Spritzen in Bereitschaft gesetzt, Röhrenmeister abgeordnet, welche die Nacht hindurch im Opernhause Wache halten mufsten, und wohl auch den Nachtwächtern anbefohlen, »im Vorbeigehen bei dem Opernhaus sich fleifsig umzusehen und genau acht auf dasselbe zu haben«2).* Von einer Heizvorrichtung ist aus eben diesen Grün­ den bis über die Mitte des Jahrhunderts keine Rede, und als 1762 von hoher Stelle die Setzung eines Ofens im Opernhause befürwortet wurde, stiefs dieser Plan beim Rat zunächst auf heftigen Widerstand. Die Verbesserung ward indessen doch durchgesetzt und im Monate darauf das Opernhaus sogar noch mit einem zweiten Ofen ausgestattet8). Man mufs sich im Grunde wundern, dafs überhaupt noch etwas an dies Gebäude gewandt wurde, bei dem fortwährend Reparaturen nötig waren, dessen Baufälligkeit in vielen Rats­ verlässen hervorgehoben wird und von dem es z. B. bei der Erteilung der Spielerlaubnis an Franz Gerwaldi von Wallerotti im Jahre 1755 heifst, dafs es vom löbl. Bauamt vorher noch beaugenscheinigt werden möge, »ob dessen Einsturz und daraus entstehendes Unglück nicht etwa zu besorgen sei«4). Und in diesem Hause ist noch bis zum Ausgang des Jahrhunderts und seit der Mitte desselben sogar vornehmlich, zeitweise Jahr für Jahr Monate hindurch gespielt worden. Erst 1800—1801 wurde das alte Opernhaus unter Auernheimer einer vollstän­ digen Umwandlung und Erweiterung, die einem Neubau gleich­ kamen, unterzogen5), nachdem bereits 1796 Wenceslaus Mihule einen Anlauf dazu genommen hatte, indessen, wie es scheint, infolge der unruhigen und kriegerischen Zeiten sein Projekt wieder hatte aufgeben müssen6). Dieses Auernheimersche *) 2) 8) 4) 6)

Teil II, Nr. 579 (8. Nov. 1700). Teil II, Nr. 779 (24. Dezember 1759). Teil II, Nr. 796 und 798. Teil II, Nr. 764. Vgl. Hysel S. 81 ff. Vgl. Teil II, Nr. 891 ff. (1796). 17

248 Theatergebäude ist bis 1827 in Benutzung gewesen, dann wurde es von einem »Interims-Theater« , einem Bretterhause nach Heideloffs Plänen, auf der Insel Schütt und endlich 1832 von einem inzwischen neu aufgeführten Theaterbau, demselben, welcher noch heute steht und in Benutzung ist, ab­ gelöst. Doch zurück zu der Frühzeit des 18. Jahrhunderts! Sobald ein Prinzipal vom Rat die Spielerlaubnis erlangt hatte, hatte er sein Repertoire dem löblichen Kriegsamt zur Genehmigung zu unterbreiten. Diesem waren, seit die privaten Fehden der Reichsstadt Nürnberg mit ihren Nachbarn aufgehört, verschiedene andere, insbesondere auf die auswärtigen Dinge bezügliche Obliegenheiten und so auch die Aufsicht über die Fremden in Stadt und Gebiet zugeteilt worden. Demgemäfs unterstanden ihm auch die fremden Schauspielergesellschaften, die nach Nürnberg kamen, und die meisten der einschlägigen Ratsverlässe tragen seit dem 17. Jahrhundert, anstatt wie früher mit dem Namen eines oder mehrerer deputierter Herren unter­ zeichnet zu sein, als Unterschrift die Signatur »Kriegsamt«, durch welche also die Ausführung des Verlasses und die weitere Behandlung der Sache als zum Ressort des Kriegsamts gehörig bezeichnet wird. Dafs das Kriegsamt über die von ihm gepflo­ genen Beratungen und Verhandlungen gleichfalls regelmäfsig Protokoll geführt hat, kann fast als wahrscheinlich gelten. Er­ halten haben sich jedoch, soweit ich wenigstens bisher habe in Erfahrung bringen können, diese Nürnberger Kriegsamtsakten, die ohne Zweifel noch manchen interessanten Aufschlufs über die Theaterverhältnisse des 17. und 18. Jahrhunderts geboten haben würden, nicht. Nur unbedeutende Bruchstücke sind vor­ handen. Alles übrige ist möglicherweise wie so manche andere wertvolle Dokumente der Vergangenheit zu Anfang unseres Jahrhunderts der Resignation gegenüber den sich vollziehenden Umwälzungen und dem Mangel an historischem Sinn zum Opfer gefallen und eingestampft worden. Wir bleiben also auch ferner­ hin, wenigstens für die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts, in der Hauptsache auf die Ratsprotokolle angewiesen. Aus ihren Angaben läfst sich schliefsen, dafs wöchentlich nur zwei Auf­ führungen, in der Regel Montags und Mittwochs, gestattet

249 waren1). Die Taxe, d. h. das Eintrittsgeld, das »Leggeld«, wie es später genannt wird, welches die Komödianten von den Zuschauern fordern durften, war nach Ausweis der frühesten aus dieser Epoche erhaltenen Theaterzettel nur gering, in der Regel auf den verschiedenen Plätzen 48, 30, 18 und 8 oder gar nur 30, 24, 12 und 6 Kreuzer, die zu erlegende Abgabe dagegen, wie wir aus einigen Andeutungen schliefsen dürfen, nicht unbeträchtlich. So ist 1749 von 50 fl., die von dem Prinzipal Franz Schuch wöchentlich entrichtet werden sollten, die Rede. Allerdings spielte Schuch nach den erhaltenen Theaterzetteln die Woche nicht zwei-, sondern dreimal. Immer­ hin mufste der Besuch tagtäglich schon vortrefflich sein, wenn er auf seine Kosten kommen und mit seiner Gesellschaft zu leben haben wollte. Ein Künstler aber verlangte damals so gut als wie heute und kann es verlangen, mehr zu haben, als er eben zum Leben unumgänglich braucht. Wer immer bar zu leben gewohnt ist, dem vor allem kann genug nie und nimmermehr genügen. Übrigens scheint in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahr­ hunderts noch zumeist der alte Modus, die Abgabe eines an­ ansehnlichen Bruchteils der jedesmaligen Einnahme üblich gewesen zu sein, wodurch indessen die pekuniäre Lage der Schauspieler sich nicht wesentlich günstiger als später gestaltet haben kann. Daher waren sie schon seit dem 17. Jahrhundert darauf bedacht, die Einnahmen der letzten Vorstellungen un­ geschmälert zu bekommen, und dies wurde in der Regel erreicht, indem gegen den Schlufs der Spielzeit dem Rat in einer beson­ deren Vorstellung der Dank der Schauspieler und der Schauspiel­ kunst für die gewährte Erlaubnis abgestattet wurde. Solches geschah zumeist in der Form eines eigens hiezu verfafsten Vorspieles oder Prologes, die auch in Druck gegeben und an alle Standespersonen verteilt wurden mit der höflichen Einla­ dung, die Vorstellung mit ihrer Gegenwart zu beehren, selbst­ verständlich ohne Entgelt. Aus Erkenntlichkeit für diese Auf­ merksamkeit ward dann regelmäfsig vom Rat dem löblichen Kriegsamt anheimgegeben, die Komödianten dieses und wohl 9 Vgl. namentlich Teil II, Nr. 557, 603, 670.

250 auch noch das nächste Mal frei, d. h. abgabenlos, agieren zu lassen. Ausnahmsweise wurde auch solche Erlaubnis und Ent­ lastung noch weiter ausgedehnt und beispielsweise 1755 sogar dem Kriegsamt überlassen, dem um Freigebung eines ganzen Monats ansuchenden Prinzipal Wallerotti »vel in totum vel in tantum« zu willfahren. »Jedoch soll ihm dabei bedeutet wer­ den, dafs er von dieser Nachricht nicht viel Wesens machen solle, damit andere sich nicht darauf berufen mögen« 1). Damals freilich war der Stern der dramatischen Kunst bereits wieder in langsamem Steigen begriffen und begann sich die Gunst und das ernste Interesse auch der besseren Kreise derselben aufs neue zuzuwenden. Gänzlich losgesagt hat sich das vornehmere und gebil­ detere Publikum von der Bühne der Berufskomödianten und der Vergnügung, die sie bot, allerdings wohl auch nicht in den dunkelsten Tagen der deutschen Schauspielkunst. Namentlich aus dem Anfang des Jahrhunderts hören wir noch mehrfach von dem Besuch der Komödien im Fechthaus sowohl durch die Herren des Rats mit ihren Familien, als auch durch vor­ nehme sich vorübergehend in Nürnberg aufhaltende Fremde. Diesen wie jenen pflegte wohl ein besonderes »Gänglein« als »Herrengänglein« Vorbehalten, ein weiteres, das »Gerichtsgänglein«, den Assessoren am Stadtgericht eingeräumt zu werden2). Später vernehmen wir weniger davon, ohne dafs wir indessen anzunehmen gezwungen sind, es sei damit in den zwanziger, dreifsiger, vierziger Jahren erheblich anders geworden. Um sich die faulen Stunden zu verkürzen oder nach des Tages Arbeit und Last durch derben Spafs und erdichteten Ernst er­ heitern, unterhalten, zerstreuen zu lassen, dazu war das Schau­ spiel auch auf seiner tiefsten Stufe noch immer gut genug. Genau ein Publikum von dazumal hat der Theaterdirektor in Goethes Faust bei seiner klassischen Schilderung im Sinne. Wahre Erbauung, Befriedigung des Verstandes und Herzens und Anregung zum Nachdenken über die Probleme des Lebens in einem künstlerisch fein stilisierten Abbild desselben suchte *) Teil II, Nr. 768. 2) Für diese Verhältnisse vgl. namentlich Teil II, Nr. 563 (1698), 575 (1700), 586 (1701), 592 (1706), 692 (1726).

251 niemand im Theater, und selbst was an Interesse vorhanden war, scheint in den dreifsiger und vierziger Jahren dem Erlöschen nahe gewesen zu sein. Nach Ausweis der Ratsprotokolle sind von 1732 bis 1747 nur in den beiden Jahren 1737 und 1742, das eine Mal von den königlich polnischen und kurfürstlich sächsischen Hofkomödianten unter Joseph Müller, das andere Mal von Wallerotti und seiner Truppe in Nürnberg Vorstel­ lungen gegeben worden. Es waren jene kritischen Jahrzehnte, in denen es sich entscheiden mufste, ob die volkstümliche Schaubühne und das kunstgemäfse Drama fernerhin in Deutsch­ land ein jedes seine eigenen Wege weiter wandeln sollten, oder ob zum Heile beider nach langem Wirrsal eine Einigung herbei­ geführt, der Keim zu neuem, gesundem Sprossen, Treiben und Blühen der dramatischen Kunst gelegt werden könnte. Dafs es zu einer Verständigung, einem Zusammengehen kam, lag vielleicht weniger im Gange der Entwicklung notwendig begründet, als in der Fügung, welche die rechten Menschen im rechten Augenblick und am rechten Ort .zusammenführte, sich verstehen und Zusammenwirken liefs. So hat insbesondere das Bündnis Gottscheds mit der Neuberin diese Entwicklung wesentlich bestimmt und kann als der prägnanteste Ausdruck ja gewissermafsen als das Symbol der späteren Epoche der deutschen Theatergeschichte, als das Zeichen, in welchem die­ selbe steht, gelten. Nur dafs der Anteil, den die beiden Fak­ toren, die Bühne und das regelmäfsige Drama, an der Bewegung gehabt haben, nicht überall der gleiche gewesen ist und, wäh­ rend in jenem Einzelfalle die gröfsere Bedeutung wie das gröfsere Verdienst doch wohl auf Seiten Gottscheds liegt, man im all­ gemeinen die Hebung der verkommenen deutschen Bühne während der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts als das ureigene Werk der Schauspieler selbst bezeichnen mufs. Auch in zweiter Linie würden wohl zunächst etliche Fürsten, erst dann die Ge­ lehrten hierbei in Betracht kommen. Noch im 17. Jahrhundert hatten wir das gelehrte Drama, die Schulkomödie, die sich ganz unabhängig von der Bühne der Berufsschauspieler, ja im Gegensatz zu ihr entwickelte, in Nürnberg in voller Blüte gesehen, wenn man bei einer so leder­ nen Sache überhaupt von einer Blüte reden kann. Von der

252 geringen Lebenskraft dieser Erscheinung zeugt es jedoch, dafs es damit seit dem Anfang des 18. Jahrhunderts mit einmal völlig aus ist, die Schulkomödie seitdem zum mindesten keine Rolle im Nürnberger Theaterwesen mehr gespielt hat. Dafs sie es in Privatkreisen und speziell zu pädagogischen Zwecken noch gelegentlich zu Aufführungen gebracht hat, dürfen wir aller­ dings wohl vermuten. Hat doch sogar die Handwerkerkomödie in vereinzelten Produktionen noch weiterhin ein kümmerliches Dasein gefristet, wie u. a. die Bezeichnung des Wolfgang Dorsch als Scheibenzieher und Komödiant (1715)1) oder auch die bereits im vorigen Kapitel behandelte theatralische Thätigkeit der Bortenmacher mit Georg Hengel an der Spitze zur Genüge lehrt. Mehr oder minder dilettantische Unternehmungen gehen ja stets einer jeden Kunst und Wissenschaft zur Seite, und noch 1784 hören wir in den Ratsverlässen z. B. von einer solchen Dilettantengesellschaft unter Leitung eines gewissen Johann Gottfried Bäumler, welcher damals sogar zu ihren theatralischen Vorstellungen das Opernhaus eingeräumt wurde2).* Von Nürnberger Gelehrten, die sich im 18. Jahrhundert noch in der dramatischen Dichtkunst versucht haben, sind eigent­ lich nur zwei zu nennen, nämlich der Altdorfer Professor Jo­ hann Gottfried Bernhold (1721 —1766) 8) und Julius Friedrich Scharffenstein4), von denen jedoch der letztere, Professor der occidentalischen Sprachen, wie es scheint, dem nürnbergischen Ge­ meinwesen nur wenige Jahre angehört hat. Von Bernhold rühren u. a. zwei Trauerspiele: Johanna die Heldin von Orleans (Nürnberg 1752) und Irene oder die von der Herrschsucht er­ stickte Mutterliebe (Nürnberg 1752) her, von denen das erstere nachweislich am 12. Oktober 1752 durch die J. G. Ufslersche Gesellschaft der hochfürstlich ansbachischen Hofkomödianten in Nürnberg zur Aufführung gelangt ist5). Aufserdem übersetzte er Thomsons Tragödie Sophonisba in deutsche Verse (Nürnberg 1749) und wird überdies in dem oben mehrfach citierten *) 2) *) Goedeke 4) ß)

Vgl. Hysei S. 32. Teil Nr. 856. Will-Nopitsch, Nümbergisches Gelehrtenlexikon, I, 100 und V, 83; III, 373. Will-Nopitsch, III, 486 f. und VIII, 49 f.; Goedeke III, 365. Theaterzettel in der Bibliothek des Germanischen Museums.

n,

253 Manuskript der ehemals Willschen Bibliothek als der Verfasser eines Lustspiels in drei Aufzügen, betitelt »die beschämte Thorheit«, bezeichnet1). Von Scharffenstein aus Mömpelgart haben wir keine selbständig verfafsten Dramen, sondern nur Uebersetzungen, nämlich von Voltaires »Tod Caesars« (Nürnberg 1737) — in dieser Uebersetzung wurde das Voltairesche Stück am 11. De­ zember 1748 von der Schuchischen Gesellschaft in Nürnberg gegeben2) —, ferner von Voltaires »Mariamne«, am 11. Sep­ tember 1752 von der Ufslerschen Gesellschaft nachweislich aufgeführt3), und »das Leben ist ein Traum«, vermutlich nach einer französischen4) Bearbeitung von Calderons Stück. Dieses Trauerspiel wurde im November und Dezember 1760 mehrfach von der Nuthischen Bande im Nürnberger Opernhaus gegeben5).6 Wie schon die aus den erhaltenen Theaterzetteln gewon­ nenen Nachrichten von Aufführungen eines Teiles dieser Stücke durch fahrende Schauspielertruppen lehren können, war der Bann, der die Bühne und das Drama höheren Stils so lange Jahrzehnte hindurch in unnatürlicher Zwietracht gehalten hatte, damals bereits gebrochen. Weder Scharffenstein noch Bernhold dürfen mehr als die Vertreter des Kunstdramas im Gegen­ satz zum volkstümlichen Schauspiel betrachtet werden. Der Aus­ gleich erfolgte eben in ihrer Zeit, sie selbst gehören zu den­ jenigen deutschen Gelehrten, welche ihn mit vermittelt haben, vermittelt namentlich durch Anfertigung von Übersetzungen der besseren Dramen des Auslandes, insbesondere Frankreichs und Englands. An solchen vor allem hat sich die deutsche Schau­ spielkunst zunächst herangebildet. Auch der Übersetzung von Corneilles Cinna durch Christoph Fürer (1702) ist in diesem Zusammenhänge noch einmal zu gedenken. . Dafs man, wenn man die dramatische Kunst auf eine höhere Stufe heben und die Bühne zu einem wirklichen Bil­ dungsmittel gestalten wolle, bei dem Mangel an bedeutenderen 1) Bibi. Will IV, 8i (jetzt in der Nürnberger Stadtbibliothek), Bl. 4 b und 22b. 2) Theaterzettel in der Bibliothek des Germanischen Museums. 8) Desgleichen. 4) So heifst es auf dem erhaltenen Theaterzettel: > aus dem Italienischenc, bei Goedeke III, 365. Das Stück selbst habe ich bisher nicht zu Gesicht be­ kommen können. 6) Theaterzettel in der Bibliothek des Germanischen Museums.

254 deutschen Dramen, insbesondere auch an tüchtigen Lustspielen, seine Zuflucht zu den fremden Literaturen nehmen müsse, in denen kunstfreundlichere Zustände bereits ewig junge Meister­ werke ersten Ranges in überwältigender Zahl hatten entstehen lassen, das hat unter den deutschen Theaterprinzipalen Magister Velten zuerst gefühlt und zur That werden zu lassen gesucht. Bei ihm haben wir daher wieder einzusetzen, wenn wir nun­ mehr daran gehen, uns die verschiedenen Wandlungen und Schwankungen in der deutschen Theatergeschichte des 18. Jahr­ hunderts an unserem Beispiel, Nürnberg, zu vergegenwärtigen und zu verdeutlichen. Von der unbegründeten Annahme, dafs Velten der Ver­ fasser einer im Jahre 1695 unter dem Titel: »Histrio Gallicus« in Nürnberg erschienenen Molfere-Übersetzung sei, ist man allerdings jetzt zurückgekommen*, richtig bleibt indessen, dafs er sich als der erste der Pflege Moli&res in umfassender Weise zugewandt und im ganzen zehn seiner Lustspiele auf die Bühne gebracht hat, von denen nur zwei: »l’Avare« und »l’fitourdi« schon vorher in Deutschland gegeben worden waren1). Unter den französischen Tragödien bevorzugte er diejenigen Corneilles. Zu dieser verständigen Erweiterung seines Repertoires, durch die er in der That »den auf die Gewinnung regelmäfsiger Stücke abzielenden Bestrebungen Gottscheds vorgearbeitet« hat2), kam er indessen erst in den letzten Jahren seines Lebens, nach­ dem er sich lange mit Überlegung, doch geringem Erfolge be­ müht hatte, der überwuchernden Posse und leichten italienischen Oper mit den ernsteren Haupt- und Staatsaktionen zu Leibe zu gehen, dann die Stegreifkomödie auf eine höhere Stufe zu heben. Hätte er länger gelebt, so würde der gebildete, um­ sichtige und beliebte Mann mit seiner berühmten Bande wohl noch das Erreichte zu befestigen und die dramatische Kunst noch ein weiteres Stück auf der Bahn, die er als die richtige erkannt, vorwärts zu bringen gewufst haben. Aber Magister Velten starb bereits 1692 oder 1693 im einundfünfzigsten Le­ bensjahre, wir wissen nicht, wo, und seine Erbschaft anzu­ treten, seine den Liebhabereien des damaligen Theaterpublikums *) H. A. Li er in der Allgemeinen Deutschen Biographie Bd. 39, S. 584. 2) H. A. Lier ebenda.

255 vielfach zuwider laufenden Bestrebungen weiter zu verfolgen, mangelte es den zeitgenössischen Prinzipalen sämtlich entweder an Kraft und Mut oder an Bildung und Idealität. Selbst seine tapfere Frau, die zunächst kühn in seine Fufsstapfen trat1) und ihre Truppe 1697 sogar in Erweiterung des bisherigen Titels »königlich polnische und kursächsisch hochdeutsche Hofkomö­ dianten« nennen durfte, hat trotz aller Bemühungen dem Werke des Gatten dauernden Erfolg nicht zu erringen ver­ mocht und die dramatische Kunst noch für Jahrzehnte in den alten unleidlichen und unnatürlichen Zustand zurücksinken sehen müssen. Mit was für Widerwärtigkeiten Katharina Elisabeth Velterw während ihrer Prinzipalschaft zu kämpfen gehabt hat, geht auch aus den Nürnberger Ratsverlässen, unter denen sich im ganzen 28 mit ihr beschäftigen, deutlich hervor. Nachdem sie im Februar und April des Jahres 1697 zweimal mit ihrem Gesuch, im Fechthaus agieren zu dürfen, abgewiesen worden war2), wurde ihr dies anfangs Mai auf ihr abermaliges Supplizieren »denen mehrern nach«, d. h. nach Majoritätsbeschlufs, doch noch gestattet, obwohl gleichzeitig im Komödienhaus jene Operngeselischaft, von der im vorigen Kapitel schon die Rede gewesen ist, Vorstellungen gab3). Trotz dieser Konkurrenz, in deren Gefolge Reibereien schwerlich gefehlt haben werden, scheint die »Feldische Komödiantenwittib«, die am zweiten Pfingsttag den 24. Mai mit ihren Aktionen begann, im Laufe dieses Sommers leidlich auf ihre Kosten gekommen zu sein. Wir hören wenigstens — schon ein verhältnismäfsig gutes Zeichen — nichts von Schulden, die sie während jener Zeit kontrahiert hätte. Offenbar wirkte damals die Erinnerung an ihren Gatten beim Publikum noch nach und erfreute sich die berühmte Bande noch des besten Rufes. Bis tief in den September hinein hat sie wöchentlich zwei Vorstellungen gegeben. Am 22. September fand die letzte Aufführung statt. Man gab die Tragödie »Der rechtmässig gestrafte Hunerich oder die unschuldige Mörderin 9 Vgl. ihre eigene Erklärung bei E. Mentzel, Die Geschichte der Schau­ spielkunst in Frankfurt a. M., S. 126. 2) Teil II, Nr. 551 und 553. ) Teil II, Nr. 554.

256 Rosamunda«, welche die Velten auch »aus Dankbarkeit« in Druck gegeben und von der sie eine Anzahl Exemplare dem Rat zur Austeilung an die Standespersonen hatte übermitteln lassen1). Eines derselben, ein Heft in 4°, scheint Will im vorigen Jahrhundert noch Vorgelegen zu haben. Nach ihrem Abzug aus Nürnberg verstreichen beinahe acht Jahre, ehe sich die Veltensche Bande hier aufs neue sehen läfst, und auch dann, im Frühling des Jahres 1705, scheint ihr Aufenthalt und ihre theatralische Thätigkeit in Nürnberg nur von kurzer Dauer gewesen zu sein2). Im folgenden Jahre lief der Witwe Velten, nachdem sie mehrfach zur Geduld vermahnt worden war, »bis man sehe, wie sich die Campagne anlassen werde«, schliefslich der hochfürstlich württembergische Hof­ komödiant Christian Spiegelberg, der früher selbst zu ihrer Truppe gehört hatte und später gelegentlich auch wieder mit ihr verbunden erscheint3), den Rang ab4), und auch 1707 ward ihr erst auf die energische Intercession verschiedener vornehmer Personen, darunter des regierenden Herzogs von Württemberg, die Spielerlaubnis erteilt5).6 Inzwischen hatte nun aber die Velten infolge des langen Hinhaltens, während dessen sie — wie der Ausdruck in den Ratsprotokollen in solchen Fällen wohl lautet — mit den Ihrigen in teuerer Zehrung gelegen hatte, eine ansehn­ liche Schuldenlast aufgehäuft. Jedenfalls um dieselbe möglichst rasch abtragen zu können, »unterstand sie sich« jetzt, anstatt, x) Teil II, Nr. 560. Hysel (nach Will) S. 33. Handschrift der ehemals Willschen Bibliothek IV, 81 (jetzt in der Nürnberger Stadtbibliothek), Bl. 14, woselbst auch das angegebene Datum (22. Sept.) zutrifft. Möglicherweise gleichen Inhalts — es handelt sich doch wohl um eine Version der Alboin- und Rosamunden-Sage — ist die > teutsche ganz neue wohl elaborirte historische Hauptund Staats-Comoedie«, die am 1. Juli 1750 von der Johann Michael Brennerschen Gesellschaft in Nürnberg gegeben wurde und sich betitelte: »Was ist stärker als die Tugend, was dauerhaffter als die Beständigkeit? Antwort: Die Liebe dieses [so!J verhindert, oder vergröfsert alles. Ihre Macht bauet Throne auf, und reiset es wieder ein, sie ist frey gebohren, und schmidet sich doch Selbsten Ketten, sie ist friedsam, und dennoch kriegerisch, barmherzig, und dennoch tyrannisch, regieret über Land und Meer, nähret sich in Aschen, und verzehret sich im Feuer. Vorgestellet in dem Hofe Hunrichs Eines Epicurischen Monarchens, Und in der friedsamen Einöde zweyer vom Schicksal geprefsten flüchtigen getreuen Unglücks-Kindern. Mit Hans Wurst« etc. 2) Teil II, Nr. 588. 3) Vgl. E. Mentzel a. a. O., S. 141 (10. Okt. 1711). 4) Vgl. Teil H, Nr. 589 und 592, dazu Hysel (nach Will\ S. 34. Ms. Will. IV, 81, Bl. 14. 6) Teil II, Nr. 601 und 602.

257 wie Vorschrift und Brauch war, nur zweimal, vielmehr dreimal die Woche zu agieren, was natürlich sehr bald gemerkt wurde und ihr vom Rat einen Verweis zuzog1). Drohende Feindes­ gefahr kam hinzu, und so mufste die Velten anfangs Juni 1707, nachdem sie wenig länger als einen Monat lang Vorstellungen gegeben, ihren Wanderstecken weitersetzen2). Der »Feistkuchen­ wirt« Johann Andreas Glück, der noch 200 fl. für Zehrung an sie zu fordern und sich aufserdem mit 300 fl. für sie verbürgt hatte3), hatte das Nachsehen. Er blieb aber selbstverständlich nicht müfsig. Da seine Fürbitte beim Rat, der Velten auch 1708 wieder das Agieren zu gestatten, zunächst keinen Erfolg hatte4), bat er im Sommer 1708 den Rat, sich bei den Rat­ mannen von Breslau für ihn zu verwenden, damit diese ihm zur Bezahlung der rückständigen Summe verhülfen. In Breslau nämlich hielt sich Katharina Elisabeth Velten mit ihrer Truppe, zu der wohl auch das bei dieser Gelegenheit mit ihr zusammen genannte »Komödiantenweib« Katharina Lydia Fromm gehörte, damals auf5). Es mufs aber wohl wenig zu machen gewesen sein, denn im folgenden Jahre kommt Glück auf sein früheres Gesuch zurück, dem vom Rat diesmal willfahrt wird. Lange vertröstet, ward die Velten mit ihrer Truppe 1709 zur Abtragung ihrer Passiva einer »maggelburgischen« (mecklenburgischen) Kompagnie vorgezogen und ihr die Erlaubnis erteilt, nach Pfing­ sten mit ihren Vorstellungen zu beginnen6). Ehe es indessen hiezu kam, gab es noch eine andere Schwierigkeit merkwürdiger Art zu überwinden. Kurz vor Pfingsten gelangte nämlich an den regierenden älteren Bürger­ meister ein Schreiben aus Wien, in dem über die Veltensche Komödiantenbande Klage geführt und vor ihr gewarnt wird, da ihr »Capo eines Nachrichters Sohn«, somit unehrlich sei und also ehrlichen Leuten nicht gebieten und vorgesetzt seih dürfe7). Wie mir scheint, handelt es sich hierbei um die Person des *) 2) 8) 4) 6) 6) 7)

Teil II, Teil II, Teil II, Ebenda. Teil II, Teil II, Teil II,

Nr. 603. Nr. 604. Nr. 610. Nr. 611. Nr. 613 und 614. Nr. 615.

258 Komödianten Thomas Huber, den wir auch später als den Wortführer der Velten auftreten sehen. Sie mochte wohl in­ zwischen eingesehen haben, dafs sie als Frau in den unruhigen Zeiten des langdauernden spanischen Erbfolgekrieges und des nordischen Krieges den Aufgaben, Mühen und Widerwärtigkeiten der alleinigen Prinzipalschaft auf die Länge nicht mehr ge­ wachsen sei und dafs namentlich auch die gehörige Leitung und Herrschaft über die Truppe selbst die Hand eines Mannes erfordere. Daher treffen wir sie in diesen letzten Jahren ihrer theatralischen Thätigkeit so häufig associiert mit einem männ­ lichen Kollegen, wie Anton Geifsler, Thomas Huber oder selbst, wie wir früher bereits gesehen haben, dem gewesenen Nürnberger Bortenmacher Georg Hengel — gewifs ein Zeichen für die wachsenden Schwierigkeiten, mit denen sie zu kämpfen hatte —. Wie weit nun jener Warnung aus Wien Thatsachen zu Grunde lagen, wie weit es sich etwa nur um eine verleumderische Nachricht mifsgünstig Gesinnter handelt, vermag ich nach dem mir zur Verfügung stehenden gedruckten und ungedruckten Material so wenig zu entscheiden, wie der Rat von Nürnberg seiner­ zeit trotz eingezogener Erkundigungen den wirklichen Sachverhalt ergründet zu haben scheint. Ihren Zweck erreicht hat die sonderbare Warnung jedenfalls nicht; von Pfingsten bis Ende September 1709 hat die Veltensche Bande in Nürnberg agiert. Das Dankspiel vom 23. September, das auch in der bekannten Weise im Druck erschien, handelte von Kaiser Otto I. und war »die Schaubühne des Glücks« betitelt1). Über das finanzielle Resultat dieses Jahres erfahren wir nichts Bestimmtes; doch dafs sie ihre Schulden nicht abgetragen, im Gegenteil neue zu den alten gehäuft hatte, geht wohl aus der Supplikation der beiden Wirte Zur feisten Küche und Zur Krone vom 17. Juli 1710 hervor, der Veltenschen Komödianten­ bande auch in diesem Jahr wieder das Agieren zu gestatten2). Man sollte fast annehmen, dafs zuweilen Wirte und Komödi­ anten ein abgekartetes Spiel mit dem hohen, wohlweisen Rat *) Teil II, Nr. 616. Wohl Hallmanns Stück: »Die Schaubühne des Glücks, oder die unüberwindliche Adelheid«. Vgl. Gottsched, Nöthiger Vor­ rath, S. 234. Goedecke III, 223. 2) Teü II, Nr. 626.

259 getrieben hätten. Diesmal aber blieb der Nürnberger Rat taub gegen alle Bitten auch des Thomas Huber und der Witwe Velten selbst, obgleich sogar die Ehrbaren von Augsburg ein gutes Wort für dieselben einlegten1); und auch im folgenden Jahre (1711), aus dem ihre geschäftliche Verbindung mit Georg Hengel datiert, hat sich die Velten in Nürnberg vergeblich um die Spielerlaubnis beworben2). Nach diesem Mifserfolge in Nürnberg wandten sich die Velten und Hengel, angelockt durch die Feierlichkeiten und Feste aus Anlafs der Wahl und Krönung Karls VI., nach Frankfurt a. M., wo sie — auch Christian Spiegel­ berg befand sich wieder bei ihnen — von Ende August bis Ende November unter den denkbar schwierigsten Verhältnissen und natürlich Schulden über Schulden anhäufend gespielt haben. Die fürstlich mecklenburgische Kompagnie unter der schönen Haack-Elenson trug diesmal den Sieg davon*8).* Diese letz­ ten mifsglückten Versuche und verzweifelten Anstrengungen des Jahres 1711 zeigen uns die Witwe Velten schliefslich am Ende ihrer Hoffnungen, ihrer Widerstandskraft, ihrer Laufbahn. Noch im nämlichen oder im nächstfolgenden Jahre (1712) hat sie bekanntlich zu Wien ihre einstmals berühmte Bande aufgelöst. Die in Vorstehendem mitgeteilten Bruchstücke aus dem Leben der Katharina Elisabeth Velten mögen hier die Stelle einer Schilderung des entbehrungsreichen und abenteuerlichen Lebens damaliger Schauspieler im allgemeinen vertreten. An­ deutungsweise wird zwar noch häufig auf diese schwankenden und ungesunden Verhältnisse zurückzukommen sein, denn sie haben noch lange Jahrzehnte unverändert fortbestanden. Man erinnere sich des Lebensganges der Neüberin, der Anfänge Konrad Eckhofs, Friedrich Ludwig Schröders u. a. m. Erst die Gründung stehender Bühnen in der zweiten Hälfte des 18. Jahr­ hunderts hat hier allmählich Wandel geschaffen und eine Bes­ serung der Zustände herbeigeführt. Für Nürnberg trat ein solcher Umschwung erst in der Wende des 18. Jahrhunderts (1799—1801) ein. *) Teü II, Nr. 622 und 623. 2) Teil II, Nr. 627 und 628. 8) Vgl. E. Mentzel, a. a. O., S. 139—143.

260 Von denjenigen Komödianten und Theaterprinzipalen, welche zeitweilig Mitglieder der »berühmten Bande« gewesen, beziehungsweise aus ihr hervorgegangen sind, habe ich die für die Nürnberger Theatergeschichte in Betracht kommenden bereits sämtlich gelegentlich genannt. Es sind vor allem Hermann Reinhard Richter, der nach Ausweis eines späteren Ratsverlasses*) noch 1697 mit der Velten zusammen in Nürnberg gewirkt haben mufs und 1699 und 1701 als hochfürstlich bayreuthischer Hof­ komödiant erscheint12), Christian Janetschky3), Thomas Huber4), Anton Joseph Geifsler5)6 und Christian Spiegelberg. Nur über des letzteren. theatralische Wirksamkeit vernehmen wir aus den Nürnberger Ratsverlässen Näheres, und von ihm allein soll daher hier auch etwas ausführlicher die Rede sein. Es handelt sich dabei nur um den Sommer des Jahres 1706, in welchem nach längerem Zögern der Bande des hoch­ fürstlich .württembergischen Hofkomödianten Christian Spiegel­ berg, wie oben schon angedeutet, sowohl vor derjenigen seiner alten Prinzipalin Katharina Elisabeth Velten, als auch vor der­ jenigen Gabriel Möllers als der besten dieser drei Kompagnien vom Rat der Vorzug gegeben wurde. So wenigstens müssen wir nach der Angabe des Willschen Manuskriptes (vgl. Hysel S. 34) schliefsen, der zufolge am 13. September 1706 von den württembergischen hochteutschen Hofkomödianten offenbar als ihr Dankspiel »eine Tragico-Comoedia genannt Alari Trauer­ spiel, oder die irrende Gaylheit«, vermutlich die schon oben erwähnte Oper, präsentiert wurde. Aufser diesem lernen wir aus den Ratsverlässen noch zwei Stücke des Spiegelbergschen Repertoires kennen. Am 26. Juli gaben sie den Entsatz der Stadt Barcelona, offenbar ein schnell zusammengestoppeltes Maschinen- und Spektakelstück schlimmster Sorte, zu dem »die junge Mannschaft« mit ihren Gewehren zu erscheinen eingeladen wurde und bei dem u. a. ein Feuerwerk angezündet werden 1) Teil TI, Nr. 568. 2) Ebenda und Nr. 587. Vgl. dazu Hysel (nach Will) S. 33 und 34. Nach Wüls Gewährsmann, dem Schreiber des Ms. Will. IV, 81 (Bl. 14), war 1699 am 17. Juli das Dankspiel »eine ganz neue Aktion: der gedämpfte Hoch­ mut«, 1701 am 10. Oktober ein »Alexandro de Medices« betiteltes Stück. 8) S. o. S. 221. *) Teü II, Nr. 620 und 622. 6) Teil II, Nr. 621, 624 und 625.

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sollte. Der Rat verbot jedoch auf das bestimmteste, irgend jemanden von den jungen Leuten mit seinem Gewehr einzulassen, gab aber dem Herrn obersten Kriegshauptmann anheim, den Komödianten zwölf bis fünfzehn Schützen, »die mit dem Gewehr umzugehen wissen«, zur Mitwirkung bei ihrer Aktion zur Ver­ fügung zu stellen, »damit alles Unglück verhindert werden möge« l). Dafs Feuerwerk und Schiefsen bei diesen mörderischen Stücken vielfach eine grofse Rolle spielten, ist auch sonst wohl bekannt und bezeugt, und dafs Aufführungen dieser Art in der That nicht immer ganz gefahrlos waren, geht beispielsweise auch aus einem weiter unten zu behandelnden Ratsverlafs hervor, durch welchen 1723 den Aufführungen der Witwe Haak-Elenson ein Ziel gesetzt wurde. — Das letzte der hier zu erwähnenden Stücke aus dem Repertoire Christian Spiegelbergs behandelte »die Begebenheit von dem sogenannten Dr. Fausten«, welche das ganze 18. Jahrhundert hindurch in zahllosen Variationen, die sich in erster Linie natürlich auf die Zaubereien Fausts bezogen, über die Bühne gegangen ist und geradezu als der beim Publikum beliebteste dramatische Stoff dieser Epoche bezeichnet werden kann, wie es denn z. B. in einem Avertissement Ilgeners aus dem Jahre 1768 heifst, dafs »die alten Comödianten nie glaubten, an einem Ort ihre Vorstellungen ganz und gut ohne dieses Stück (nämlich den Faust) gemacht zu haben«. »Und allemal hat ein zahlreicher Besuch bewiesen, dafs es seine ganz beson­ deren Liebhaber habe«2). Wir werden daher auch bei der Be­ trachtung der späteren in Nürnberg zur Vorführung gelangten Repertoires auf ihn besondere Rücksicht zu nehmen haben. Am 8. September 1706 wird den Komödianten die Aufführung dieses Stückes für die Zukunft untersagt, damit der Jugend nicht für­ derhin Anlafs zum Ärgernis gegeben werde3). Welche Version der Hauptbegebenheit damit gemeint war, wird sich schwer ent­ scheiden lassen ; und selbst wenn wir hören, dafs auch in Berlin um dieselbe Zeit die geistliche Oberbehörde in einer an König Friedrich I. gerichteten Bittschrift gegen die fernere Aufführung der Tragödie »des vorgegebenen Doktor Fausts« aus Gründen ’) Teil II, Nr. 594. 2) Theaterzettel im Germ. Museum. *) Teil II, Nr. 598, Absatz 2. 18

262 der Sittlichkeit und der Religiosität protestiert, bleibt es frag­ lich, ob wir dieses Stück, das Genee mit einem um jene Zeit herausgekommenen fünfaktigen Schauspiel »Doktor Faust der grofse Negromantist« identifizieren möchte1), ohne weiteres mit dem in Nürnberg aufgeführten Faust gleichsetzen dürfen. Die Wahrscheinlichkeit ist allerdings grofs, aber die Häufigkeit der Behandlung und die grofse Fülle der Versionen zwingt doch zur Vorsicht im Urteilen. Man kann schon aus den Titeln der angeführten Stücke abnehmen, dafs die Genossen und Nachfolger Veltens, vielleicht durch die für künstlerische Bestrebungen wenig günstige Lage der äufseren Verhältnisse mit dazu genötigt, es sich zunächst nicht angelegen sein liefsen, seinen Spuren zu folgen, das Ver­ mächtnis, das er ihnen hinterlassen, zu erfüllen, sondern fort­ fuhren, den Geschmack der grofsen Menge als einzige Richt­ schnur ztt betrachten. Die leeren, prunkenden und anspruchs­ vollen Spektakelstücke, das welsche Singspiel und seine Nach­ ahmungen standen nach wie vor überall in höchster Blüte, und nach wie vor führte auf der Bühne beständig Hans Wurst mit allen seinen läppischen männlichen wie weiblichen Unter- und Abarten das grofse Wort. — Dafs gerade die Oper, wie in Hamburg und anderen Städten, sich auch in Nürnberg zu jener Zeit grofser Beliebtheit erfreute, zeigt unter anderm die Aufnahme, die der bereits oben erwähnte Koburger Opernmeister Kasimir Schweizeisberger im Winter 1718 auf 19 hier fand. Ja die Thätigkeit dieses Mannes bildet sogar eines der relativ wichtig­ sten Momente in demjenigen Abschnitte der Nürnberger Theater­ geschichte, welcher die Zeit von dem Wirken und dem Aus­ gange des Magisters Velten bis zum Erscheinen der Neuberischen Truppe umfafst. Noch im Dezember 1718 hatte sich Schweizeisberger an den Nürnberger Kapellmeister Maximilian Zeidler2) mit der vor­ läufigen Anfrage gewandt, ob er, falls er mit seiner Gesellschaft komme, wohl auf Spielerlaubnis werde rechnen können. Zeidler scheint das Ansuchen mit empfehlenden Worten der »löbl. Music*) Gen6e, Lehr- und Wandeijahre des deutschen Schauspiels, S. 360. 2) Vgl. über denselben Will-Nopitsch IV, 327 und das dort citierte Werk von Mattheson.

263 Deputation« vorgelegt zu haben, die sodann im Rat darüber referierte. Der Rat liefs zustimmend antworten, machte dem »Handelsplatz«, d. h. den zur Nürnberger Börse vereinigten reichen Kaufleuten, Eröffnung von der Sache, ob sich nicht vielleicht ein Liebhaber finde, der dieselben aus seinen Mitteln zu unterstützen Lust bezeige, begann alsbald das Opernhaus in stand setzen zu lassen, hat schliefslich die Bau- und Reparaturkosten selbst ge­ tragen und so dem Koburger Operisten in einer Weise Vorschub geleistet, wie wir es sonst in den Ratsprotokollen berichtet zu finden nicht gewohnt sind1). Anfangs Februar 1719 langte Schweizeis­ berger »mit einigen Vocalisten« in Nürnberg an und hat hier vom März, wo er zum ersten Male probeweise spielte, bis anfangs Juni seine Opern gegeben mit grofsem Pomp, wie es scheint, und unter ausgiebiger Benutzung der zum Opernhaus gehörigen Flug-, Verwandlungs- und sonstigen Maschinen, zu deren »Richtund Ziehung« ihm jedesmal acht Leute aus dem Bauamtsperso­ nal zur Verfügung gestellt wurden2).* Über die Leistungen des also begünstigten Opernmeisters scheinen die Meinungen allerdings ziemlich geteilt gewesen zu sein. Das eine Mal hören wir, dafs an diesem Mann, wie ver­ laute, nichts besonderes sei und er auch mit gar schlechten Stücken zum Aufführen versehen sein solle8), das andere Mal heifst es, dafs die Operisten ihre Opern doch so aufführten, dafs man damit zufrieden sein könne4).* Dann wieder wird über die Abgeschmacktheit der Stücke geklagt und, als Schweizeis­ berger die »Opera von Lucretia der keuschen Römerin« bei Froberg im Druck erscheinen lassen will, ihm nahegelegt, doch lieber solche Opern zur Aufführung zu wählen, die bereits in Koburg gespielt und gedruckt worden seien. Wolle er aber gleichwohl bei gedachter Lucretia bleiben, so solle er, bevor er sie in den Druck gebe, die unschicklichen und abgeschmack­ ten Stellen entweder ganz streichen oder ändern6). Glücklicherweise können wir uns wenn auch nicht über die Musik, so doch über die Diktion der Texte dieser von *) 2) 8) *) 6)

Teil Teil Teil Teil Teil

II, II, II, II, II,

Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.

657 ff. 658, 662, 663. 659. 662. 661. 18*

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Schweizeisberger aufgeführten Opern selber ein Urteil bilden, da uns von den drei »Aktionen«, die in den Ratsprotokollen namhaft gemacht werden, nämlich der eben erwähnten Lucretia, der Margaretha und der Galathea1), die ersten beiden in Chri­ stian Sigmund Frobergschen Drucken, »die in ihrem Christentum standhafft gebliebene Märtyrin Margaretha« sogar datiert von 1719, also zweifellos in genau denjenigen Versionen vorliegen, in denen sie von der Operistengesellschaft Schweizeisbergers in Nürnberg gegeben worden sind2). Der Text der Margaretha, sich im Hergang ziemlich eng an die Legende anschliefsend und daher ohne eigentlich dramatische Handlung, ohne die geringste Entwicklung oder Erklärung der Charaktere, der Nei­ gungen und Leidenschaften, dafür voller Schäfer-Sentimentalität, hält sich doch hinsichtlich der eingestreuten burlesken Züge und Scenen noch innerhalb gewisser Grenzen. Allerdings singt auch hier etwa, nachdem eben der »heidnische Opfer-Pfaff« Gerob die Viorana, welche seine Tochter Margaretha heimlich zum Christentum bekehrt, in aufloderndem Zorn erstochen hat, der Diener des christlichen Ritters Georgius, Dromio, die schöne Arie: O Montag, Dienstag, Mittwoch! O Samstag, Freitag, Donnerstag 1 Was führet Gerob hier vor Klag? Was fehlet dieser Frauen doch? O weh! es fliefst das Blut hernach! O Samstag, Freitag, Donnerstag! Aber die Rolle dieses Hanswursts, der auch keine Partnerin zur Seite hat, ist nur klein, und der tragische Stoff wird doch wenig­ stens nicht ganz und gar in den Schmutz gezogen. Dies ist dagegen bei der Lucretia der Fall, obgleich wir es hier bereits, nach dem oben angeführten Ratsverlafs zu schliefsen, mit dem von den schlimmsten Geschmacklosigkeiten und Unflätereien gesäuberten Text zu thun haben. Dreimal werden Scenen von Scaramuzz und Columbine eingeschoben, die der Improvisation überlassen blieben und natürlich nur in losem oder gar keinem >) Teil II, Nr. 664. 2) Ich benutzte die von den beiden Drucken in der Nürnberger Stadt­ bibliothek befindlichen Exemplare.

265 Zusammenhang mit der eigentlichen Handlung stehen, wie I, 4: »Scaramuzz und Columbine machen ein Divertissement mit Musi* eieren und Tanzen« oder II, 2: »Scaramuzz machet sich lustig, lässet sich eine Mahlzeit zubereiten«; und für den Ton, in welchem fast das ganze Stück gehalten ist, mag der Schlufs Zeugnis ablegen. Nachdem Scaramuzz ein Couplet über das Thema: »die Geschmäcker sind verschieden« gesungen hat, welches schliefst: »Drum Columbin’ schliefs: Die Gusti sind warlich verschieden«, fährt er fort: Allein ist es auch wahr, sag Columbine ja, hat sie sich in der Form erstochen? Columbine: Der Dolch ging durch das Fleisch und traff auf keine Knochen, so machte sie noch la la la, damit hat sie das letztemahl gerochen, und ist ihr Lebens-Seil, zugleich entzwei gebrochen. Scaramuzz: Last uns bei so gestalten Dingen ihr dann das letzte Grablied singen. Chorus: Ruhe wohl du liebe Seele In des Grabes finstern Höhle, Fürchte keinen Schänder mehr, Man begrub mit dir die Ehr. Ruhe wohl du liebe Seele, In des Leibes finstern Höhle Fürchte keinen Schänder mehr. Wohin war die urwüchsige Kraft und die Biederkeit eines Hans Sachs entschwunden 1 In Schweizeisbergers Kreis gehört vermutlich auch, noch ein anderer Druck, von welchem ebenfalls, wie von der Mar­ garetha und Lucretia, sich ein Exemplar in der Nürnberger Stadtbibliothek befindet, nämlich »Der verstellte Dorindo. In

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einem Pastorello aufgeführet. Nürnberg, gedruckt bey Christian Sigmund Froberg«. O. J. 4° l). In die süfsliche Schäferzartheit und derbe Hausbackenheit, aus denen sich dieses Pastorello zusammensetzt, sind aufser einer längeren italienischen Arie noch drei Lieder, zwei in gebrochenem Deutsch,- eins im Dialekt, eingemischt, die ein Mausefallenhändler, später Messerschleifer oder der Hirt Mopsus singt. Weder der Inhalt dieser Lieder, noch die genannten Personen, die in diesen »Intermedien« offen­ bar die Stelle des Hanswursts vertreten, haben mit der eigent­ lichen Handlung das Geringste zu thun. Weitere Beiträge zum Nürnberger Theaterrepertoire dieser Epoche (bis zum Auftreten der Neuberin) liefern unter den aus den Ratsprotokollen ausgezogenen Notizen sonst nur noch die­ jenigen über das Wirken des Sachsen-hildburghausenschen Hof­ komödianten David Holzwarth und über die theatralische Thätigkßit der Bophia Haakin. Holzwarth ist mit seiner Kompagnie 1720 und 1725 in Nürnberg gewesen; ob er aber das letzte Mal, wie das erste, die Spielerlaubnis erhalten hat, ist aus den Rats­ verlässen nicht mit Sicherheit zu ersehen. Von seinen Stücken wird nur eins genannt, der »Schauplatz der Welt«, dessen Identifizierung mir bisher nicht gelungen ist2). Die alte Rivalin der Katharina Elisabeth Velten, die Witwe Elenson, die in zweiter Ehe ihren Harlekin Haak hei­ ratete, in dritter den Schauspieler Hoffmann geehelicht hat, ist nachweislich nur ein Mal, im Jahre 1723, als Direktorin der königl. polnischen und kurfürstlich sächsischen Hofkomödianten nach Nürnberg gekommen. Am dritten Pfingsttag dieses Jahres fand die erste Probevorstellung der Truppe statt, die dann etwa bis Ende August oder Anfang September im Fechthaus agiert hat3). Mit dem schauspielerischen Teil ihrer Leistungen scheint man im ganzen recht zufrieden gewesen zu sein; weniger jedoch mit dem Inhalt ihrer Stücke, die sich wohl nicht über das gewöhnliche Niveau erhoben haben werden. Eines der*) Gottsched (Nöthiger Vorrat I, 286, zum Jahr 1712) führt von diesem Stück, wie auch (I, 290, zum Jahre 1716) zu einer Oper »Lucretia, die keusche Römerin«, einen Durlacher Druck an. Ob die Frobergschen davon lediglich Nachdrucke sind, vermag ich nicht zu sagen. *) Teil II, Nr. 669 und 689. 8) Teil II, Nr. 680 ff,

267 selben handelte »von dem Nerone«, womit wohl die im gleichen Jahre (1723) von Johann Mattheson aus dem Italienischen übersetzte Oper (Musik von Orlandini) gemeint ist1)« Nament­ lich in den gröfstenteils improvisierten Intermezzos, in denen der Pickelhäring die Hauptrolle spielte, scheinen indessen auch hier wieder so manche Geschmacklosigkeiten und Unflätereien — »lasciv und skandalös« heilst es in den Ratsprotokollen2)*— vorgekommen zu sein, dafs die Geistlichen Veranlassung nahmen, von den Kanzeln gegen diese Art Komödien zu predigen und auch beim Rat dagegen Beschwerde zu führen. Als es sich dann kurze Zeit darauf wohl bei Gelegenheit der Aufführung einer wüsten und geräuschvollen Haupt- und Staatsaktion er­ eignete, dafs ein Knabe »von einem abgeschossenen Stücklein« an der Wade verletzt wurde, wovon der Stadtbader, der ihm den ersten Verband angelegt, dem Rate Anzeige erstattete, ward den Komödianten bedeutet, mit ihren Aktionen bald ein Ende zu machen und an ihren Abzug zu denken8). Übrigens ist uns durch die Mitteilungen Wills (vgl. Hysel S. 34) noch der Titel eines weiteren Stückes aus dem Nürnberger Repertoire der Haakschen Truppe bekannt, nämlich »La forza del marito« mit einem Prolog »Der richtende Paris«, vermutlich ihr Dank­ spiel, und erstere »Hauptaktion« augenscheinlich wieder eine Oper aus dem Italienischen. Damit ist aber auch unsere Kenntnis der in diesem Zeit­ abschnitt in Nürnberg nachweislich aufgeführten Stücke bereits erschöpft. Die Nachrichten über sonstige Schauspielergesell­ schaften, die Nürnberg besucht haben, wie über die des Gabriel Möller 4), des kurbayerischen Prinzipals Johann Heinrich Prunius 5), des hochfürstlich bayreuthischen Hofkomödianten Johann Wil­ helm Benecke und seiner Frau, der Victoria Clara Beneckin6), des Christian Schulz7), Georg Franz Hummel8) und anderer bieten in dieser Beziehung keine Ergänzung. Für sie kann ich *) *) 8) 4) 6) 0) 7) 8)

Goedeke III, 337, Nr. 23. Teil II, Nr. 683. Teil II, Nr. 684. Teil II, Nr. 589 und 609. Teil II, Nr. 629 und 665. Teil II, Nr. 630, 635, 651. Teil n, Nr. 672. TeilII, Nr. 682 (1723), wosichHummel »comicusHeidelbergensis« nennt.

268 mich daher hier wieder mit einem Verweis auf die einschlägigen Ratsverlässe begnügen. Ein neuer und, wie bekannt, höchst bedeutsamer Vorstofs gegen die Schäden der deutschen Bühne, die durch Veltens Anstrengungen nicht beseitigt oder auch nur wesentlich gemin­ dert worden waren, ging, wovon oben bereits die Rede gewesen ist, von dem Ehepaar Neuber aus, das im Jahre 1727 der Prinzipalin Elenson-Haak-Hoffmann (f 1725) nach Auflösung ihrer Truppe in dem polnisch-sächsischen Privilegium nach­ folgte 1). Nach den trotz des verdienstlichen Buches von RedenEsbecks noch immer sehr mangelhaften und teilweise höchst unsicheren Nachrichten über die künstlerischen Anfänge der Neuberin scheint doch einigermafsen festzustehen, dafs Johann und Friederike Karoline Neuber, bevor sie 1727 eine eigene Schauspielergesellschaft gründeten, eine Zeitlang Mitglieder der Haak-Hoffmannschen Truppe gewesen und bereits damals im Verein mit anderen Mitgliedern, namentlich Friedrich Kohlhardt, auf die Pflege des »regelmässigen« Dramas hingewirkt haben. Allerdings hatten ihre Bemühungen nur dann nachhaltigeren Erfolg, wenn etwa die Neigung des Publikums, der Obrigkeit, des Fürsten, an dessen Hofe sie spielten, solchen Bestrebungen entgegenkam, wie z. B. in Braunschweig, von wo uns frühe Aufführungen von Stücken Pradons und Corneilles bezeugt sind. Für das Ideelle an der Sache aber waren weder die HaakHoffmann noch ihr Gemahl Karl Ludwig Hoffmann, den selbst Gottsched vergeblich für seine Interessen zu gewinnen gesucht hat, zu haben. Mit grofser Freude begrüfste daher Gottsched den Amtsantritt des neuen königl. polnischen und kurfürstlich sächsischen Prinzipals, »der nebst seiner geschickten Ehegattin, die gewifs in der Vorstellungskunst keiner Französin oder Eng­ länderin etwas nachgiebt, mehr Lust und Vermögen hatte, das bis­ herige Chaos abzuschaffen und die deutsche Comödie auf den Fufs der französischen zu setzen« (Gottsched)2). In der That ward es dem jungen Leipziger Professor der Poesie leicht, in Johann *) v. Reden-Esbeck, Caroline Neuberin und ihre Zeitgenossen (Leipzig 1881J, S. 56. *) v- Reden-Esbeck, a. a. O., S. 60.

269 und Karoline Neuber die Flamme der Begeisterung für seine Absichten, die Verdrängung der unordentlichen und kunstlosen deutschen Stegreifkomödie durch die kunstgerechten Stücke der Franzosen und ihrer Nachahmer zu entfachen. Getragen von einer höheren Auffassung des künstlerischen Berufes der Bühne, haben sie sich auch durch gelegentliche pekuniäre Mifserfolge in ihrem Streben nicht beirren lassen. Nur lagen sie Gottsched — vor allem sind uns ihre an ihn gerichteten und grofsenteils erhaltenen Briefe Zeugnis dafür — immer aufs neue an, sie mit regelmäfsigen Stücken zu versehen, und Gottsched hatte viel zu thun, um alle ihre Wünsche zu befriedigen. Als erstes solcher Stücke hatte er ihnen Corneilles Cinna in der Über­ setzung des Nürnberger Ratsherrn Christoph von Fürer, der damit gewissermafsen seiner Zeit vorausgeeilt war, zur Auffüh­ rung empfohlen, und Cinna ist es leicht begreiflicher Weise auch gewesen, mit dem das Neuberische Ehepaar gleich nach Pfingsten 1731 auch in Nürnberg seine reformatorische Thätigkeit begann. Wir hören davon in einem höchst interessanten Schreiben Johann Neubers an Gottsched, datiert: »Nürnberg d. 21. Juli 1731 auf dem Läufer Platz im goldnen Röfsel«, das sich im Original in der kgl. Universitätsbibliothek in Leipzig befindet und mehrfach gedruckt ist1), weswegen eine erneute Wiedergabe hier unterbleiben kann. Nachdem er den Zweifeln Ausdruck gegeben, die er lange gehegt, ob es möglich sein werde, den Hiesigen Geschmack an den neuen regelmäfsigen Stücken in lauter Versen beizubringen, rühmt er den Verfasser des Cinna, »welcher itzo hier der vornehmste Rathsherr ist und durchgängig das gröfste Wort zu sprechen hat«. Er habe durch seinen Beifall dem Unternehmen guten Nutzen geschafft, und es stehe zu hoffen, dafs auch die Nürnberger noch Liebhaber von Leipziger Versen würden. Mit der Einnahme stehe es leidlich, wenn auch nicht zum besten, wie es bei der hiesigen Vorschrift, nur zweimal die Woche zu agieren, kaum anders zu erwarten sei. »Vielleicht (doch nicht gewifs) würden wir etliche Thaler mehr erobert haben, wenn wir lauter alte ab­ geschmackte hiesige bürgerliche Mode-Stücke aufführten. Da wir *) U. a. bei v. Reden-Esbeck $.

joi

f.

270 aber einmahl was Gutes angefangen, so will ich nicht davon lafsen so lang ich noch 1 Gr. daran zu wenden habe. Denn gut mufs doch gut bleiben« . . . Auch in diesem Briefe fehlt nicht die dringende Bitte an Gottsched, doch ja recht bald neue Stücke zu senden. Nach dem Wortlaut des Briefes könnte man geneigt sein, anzunehmen, dafs die Neuberische Truppe 1731 überhaupt zum ersten Male in Nürnberg agiert habe, wenigstens findet sich darin keine Andeutung über einen früheren Aufenthalt daselbst. Den­ noch wird uns ein solcher durch die Ratsprotokolle bezeugt. Bereits dreiviertel Jahr nach der Gründung ihrer Gesellschaft im Mai 1728 wurde der Neuberin auf ihr Ansuchen gestattet, sechs Wochen lang im Fechthause, d. h. auf einer im Hofe des Fechthauses im Freien aufgeschlagenen Bühne (wie 1731), Vorstellungen zu geben1). Damals aber bewegte sich ihr Re­ pertoire noch mehr in den alten Bahnen, war der offene Bruch mit dem Spektakelstück noch nicht erfolgt. »Erst seit dem Jahre 1730 treten die Bestrebungen zur Verbesserung des Repertoires bei der Neuberschen Gesellschaft in den Vorder­ grund« 2). Für sie wie für die Geschichte der dramatischen Kunst in Deutschland beginnt mit diesem Jahre eine neue Epoche. Freilich haben die Reformer noch harte Kämpfe zu bestehen gehabt, hat die Wage des Schicksals noch lange ge­ schwankt. Aber das Wichtigste zu einer neuen besseren Ge­ staltung der Dinge war doch bereits damals erreicht, die Ver­ bindung zwischen der Schauspielkunst und Literatur aufs neue hergestellt. Welche Stücke die Neuberische Truppe 1731 aufser dem Cinna noch in Nürnberg aufgeführt hat, ist uns nicht überliefert. Wir dürfen indessen mit gutem Grund annehmen, dafs es in der Hauptsache der schon früher in Braunschweig zur Auffüh­ rung gebrachte Cid des Corneille in der Langeschen Übersetzung (1699), sodann Ximene in der Übersetzung des Magisters Heynitz, Racines Iphigenie, von Gotsched übersetzt, Racines Berenice, übersetzt von Pantke, und vielleicht auch schon Gott­ scheds Sterbender Cato gewesen sein werden. J) Teil II, Nr. 695. 2) v. Reden-Esbeck S. 90.

271 Gottsched war unermüdlich in der Beschaffung neuer Übersetzungen, namentlich aus dem Französischen und zwar von Stücken sowohl des Corneille, Racine und Voltaire, wie auch zahlreicher kleinerer Geister, wie. des Thomas Corneille, St. Evremond, Destouches, Regnard, Marivaux u. a. Alles was einen wohlgeordneten Hergang aufwies und sich mit den Regeln des Aristoteles im Einklang befand, war ihm recht, und mit Behagen und Genugthuung konstatiert er demgegenüber in seinem »Nöthigen Vorrath zur Geschichte der deutschen Dramatischen Dichtkunst« den allmählichen Rückgang der Oper, gegen die er samt der Neuberin nicht zum wenigsten zu Felde gezogen war. Dennoch schliefst der zweite Band dieses grundlegenden und noch heute für Studien über die Geschichte des Dramas unentbehr­ lichen Buches mit der Anführung eines Singspieles: Artaxerxes Warschau 1760 *). Bald sprofsten neben den Übersetzungen auch Nachahmungen in grofser Zahl empor. Gottscheds eigene selb­ ständige dramatische Arbeiten waren nichts anderes, so wenig wie die Stücke der Quistorp, Behrmann, Derschau, Krüger, Pitschel und anderer— wer zählt die Namen? —, zu denen z. B. auch der unglückliche Adam Gottfried Uhlich gehört, der uns als Mitglied der Schuchischen Schaubühne sogleich auch in Ver­ bindung mit der Nürnberger Theatergeschichte wieder begegnen wird. Neben den Franzosen fanden nur etwa noch der Eng­ länder Addison und der Däne Holberg Gnade vor den Augen des Leipziger Literaturpapstes und behauptete sich das Schäfer­ spiel, namentlich auf Gellerts Autorität gestützt, auch in seinem Kreise und bei seinen Anhängern in einigem Ansehen. M.oliöre dagegen und namentlich Shakespeare waren hier noch so gut wie verpönt, ersterer wegen so mancher an die Hanswurstiaden erinnernder burlesker Scenen und grotesker Charaktere, Shakespeare wegen seiner zahlreichen Verstöfse gegen die ver­ meintlichen Gesetze des Dramas, insbesondere gegen die hei­ ligen und unantastbaren drei Einheiten des Aristoteles. Eine solche Einseitigkeit und Verbohrtheit des — das Beiwort »kritischen« möchte ich doch lieber unterdrücken — Urteils war wohl nötig, um dem bis zur Frivolität leichten Singx) Vgl. auch Gpedeke III, 364,

272 spiel, den ordnungslosen und teilweise improvisierten Hauptund Staatsaktionen und den niedrigen Hanswurstiaden erfolg­ reich die Spitze zu bieten; und nötig in diesem Sinne auch die Komödie der feierlichen Verbannung des Hanswursts von der Bühne, welche die Neuberin 1737 in Leipzig in Scene setzte. Ja diese Momente haben neben ihrem direkten und positiven Nutzen auch noch einen indirekten gehabt, der jenen an Be­ deutsamkeit sogar beinahe überwiegt. Einseitige und teilweise ungerechte Bevorzugung oder Zurücksetzung reizt und führt notwendig zur Opposition, die, zunächst in der Regel gleich­ falls schroff und einseitig, falls sie sich dann, häufig infolge einer neuen, einer Gegenreaktion, beruhigt und klärt, noch am ehesten das Richtige zu treffen Aussicht hat. Der Kampf ist der Vater aller Dinge, aus Streit und Widerstreit wird das Neue geboren, geht jeder grofse Fortschritt hervor. So war auch hier der Verlauf. Nicht gerade, dafs das verwahrloste volkstümliche Schauspiel den ihm hingeworfenen Fehdehandschuh aufgehoben hätte, obgleich dasselbe samt seinem Hanswurst trotz Gottsched und trotz Neuberin an manchen Orten, zu denen auch Nürnberg gehört, noch lange fortgeblüht hat; aber die Langweiligkeit und innere Unwahrheit so mancher jener regelmäfsigen Stücke bis auf Cronegk und Brawe, von welchem ersteren Lessing*) mit Recht sagt, dafs sich sein Ruhm mehr auf das gründete, was er nach dem Urteile seiner Freunde für die Bühne hätte leisten können, als was er wirklich geleistet hat, vermochten auf die Dauer weder das Publikum zu befrie­ digen, noch die Dichter fortgesetzt zu neuem und höherem Schaffen anzuregen. Es kamen Zeiten, wo sich ein Mangel an besseren dramatischen Produkten empfindlich fühlbar machte und die der alten Kost entwöhnten Schauspieler selbst zur Feder griffen, um ihr anspruchsvolles Publikum, das am liebsten täglich etwas anderes sehen wollte, zu befriedigen. Besonders trat ein solcher Rückgang in der Bewunderung der Franzosen und ihrer regelmäfsigen Stücke ein, seit Gottsched gestürzt war, d. h. im Kampf mit den Schweizern seine Autorität eingebüfst hatte und dann Lessing, mit haarscharfen Worten auf die x) Hamburgische Dramaturgie, erstes Stück (i. Mai 1767).

273 Mängel des französischen Theaters, insbesondere der Stücke Voltaires hinweisend, für die Anerkennung der schier unerreich­ baren Gröfse Shakespeares zu werben begonnen hatte. Seine Hamburgische Dramaturgie bedeutet einen weiteren Markstein in der Theatergeschichte des 18. Jahrhunderts. Nach einer kurzen Stille erscheint dann im Juni 17 73 Goethes »Götz«, der zuerst und gründlich mit allen bisher gepredigten und gepriesenen dramatischen Regeln oder doch der hergebrachten Auffassung derselben bricht, sie über den Haufen wirft und so trotz Leasings Musterdramen die an Mafslosigkeiten und Mängeln, aber auch an urwüchsiger Kraft und echter Poesie reiche Periode des Sturmes und Dranges eröffnet, die acht Jahre später mit Schillers ge­ waltigem Erstlingswerk ihren Abschlufs findet. Aus diesem Flammenbad der Geister gingen unsere grofsen Dichter geläutert und verklärt hervor als die wahren Führer, die ewigen Leit­ sterne des deutschen Volkes, zwar zunächst nicht so sehr in die Breite als in die Tiefe wirkend. Denn neben Goethe, Schiller, Lessing, neben die echten Dramatiker, treten alsbald die reinen Theatratiker, die lediglich auf den Effekt arbeiten und daher dem Geschmack der Menge nachgehen, anstatt ihm voranzuleuchten (Kotzebue u. a.), und übertreffen jene weit, namentlich an kleineren Bühnen, in äufseren Erfolgen. Es tauchen vermittelnde, popularisierende, moralisierende Bestre­ bungen »vom Schicksal bezeichnet mit: halb«: auf (Iffland u. a.), und wenn auch der Hanswurst, der sich zuletzt noch in die Pantomime flüchtet, endlich ganz von der Bühne verbannt bleibt, so dauern doch neben besseren Lustspielen, namentlich voti Wien ausgehend oder beeinflufst, Farcen aller Art beständig fort. Alle diese Richtungen, die sich noch vielfach kreuzen, alle diese Schwankungen und Wandlungen spiegeln sich auch in den Repertoiren der Nürnberger Schaubühne wieder, über die wir seit dem Jahre 1748 durch die erhaltenen Theaterzettel gut unterrichtet sind und zu deren Betrachtung ich nunmehr über­ gehe, nachdem vorher noch einmal daran erinnert sei, dafs wir aus den ersten und eigentlichen Jahren des Kampfes Gottscheds und der Seinen gegen das alte Theater nur ganz spärliche Zeugnisse schau­ spielerischer Thätigkeit in Nürnberg (von 1737 und 1742) besitzen.

274 Ich habe für das Folgende die beiden umfangreichen Sammlungen solcher Zettel im Germanischen Museum und der Nürnberger Stadtbibliothek benutzt, von denen die erstere vor allem die Zeit von 1748—1768 umfafst, die Sammlung der Stadtbibliothek sich dagegen für das letzte Viertel des 18. Jahr­ hunderts als besonders ergiebig erweist. Beide sind bisher nur in beschränktem Mafse ausgebeutet worden, denn was Hysel etwa der Sammlung der Stadtbibliothek entnahm, ist wenig genug, auch was der Katalog der Abteilung für deutsches Drama und Theater auf der Internationalen Ausstellung für Musik und Theaterwesen (Wien 1892) bietet, erschöpft den Gegenstand keineswegs, und die historisch noch wertvollere Sammlung des Germanischen Museums hat bisher nur in der ersten Hälfte der siebziger Jahre durch A. von Eye eine kurze Charakteristik erfahren*). Auf eine völlig erschöpfende Behandlung ist es freilich auch im Folgenden nicht abgesehen. Eine solche würde diese Arbeit allzu umfangreich machen. Die Entwicklung und die Wandlungen des Nürnberger Reper­ toires in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu verdeut­ lichen war mir die Hauptsache. Zu eingehenderer Betrachtung der beiden wichtigen Materialsammlungen bietet sich wohl noch einmal an anderem Orte passende Gelegenheit. Die erste Truppe, welche hier zu nennen ist, sind 1748 die kurbayerischen deutschen Komödianten unter ihrem Prinzipal Johann Schulz*2), den wir auch einige Jahre später wiederum in Nürnberg antreffen und der noch 1768 mit seiner Gesellschaft in München erscheint, wo sie im Faberbräutheater an der Sendlingerstrafse Vorstellungen geben3). Die Überlassung des Opern­ hauses zu seinen Aktionen läfst die Erwartungen erkennen, die man an sein Erscheinen knüpfte. 1748 bewegte er sich jedoch noch völlig in den Bahnen der vorgottschedschen Prinzipale. Zum grofsen Teil aus dem Italienischen übersetzte Singspiele wechselten mit pomphaften Haupt • und Staatsaktionen und niedrigen Burlesken, die gleichfalls meist aus dem Französischen *) Zeitschrift für deutsche Kulturgeschichte N. F. II (1873), S.693—707. 2) Vgl. Teil II, Nr. 702—707. *) Münchener Jahrbuch III, S. 356 f. Ich erwähne dieser Thatsache hier nur, da v. Eye a. a. O. S. 695 von der Joh. Schulzschen Truppe sagt, dafs die Geßchichte im übrigen von ihr schweige.

275 oder Italienischen übersetzt waren, ab. Mehrfach ist Johann Schulz selbst der Übersetzer, zuweilen wohl auch der Verfasser der von ihm aufgeführten Stücke. Als Proben seines Repertoires seien hier die folgenden Titel genannt, wozu man auch Eyes Aufsatz und Hysel (S. 34) vergleichen möge: »Der triumphirende Römische Adler in der unüberwind­ lichen Grofsmuth Octavii Augusti Römischen Kaysers Oder: Das Egyptische Staats-Ungeheuer in Cleopatra Königin in Egypten und das gestürzte Trium-Virat in Rom durch den ver­ ächtlichen Selbst-Mord Marci Antonii Mit Hanns Wurst seinen geplagten Kriegs- und übel belohnten Hof-Diensten«. — Demopliontes. — Artaxerxes. —Polifontes. — Cyr us. — »Eine Herrschende Frau ist des Mannes Untergang Oder Die übei­ belohnte Redlichkeit und Treue bei Hofe In dem Edelmüthigen Sohne seiner eigenen Thaten. Mit Hans Wurst dem lächer­ lichen Todengräber .... NB.: Wir können mit Grund der Wahrheit versichern, dafs diese heutige Comödie alle Satisfaction geben werde, indem sie von einer besonderen Lustbarkeit des Hanns Wursts ist«. — »Vermählung der Giocasta und des Oedipus«, — La Cena Spaventosa oder die furchtsame Nacht­ mahlzeit mit Hanswurst in acht Veränderungen. — Die merk­ würdige Krönung Caji Ulpii Trajani. — Asmodaeus, der krumme Teufel (nach Le Sage). — »Das steinerne TodtenGastmahl des Don Pietro Oder Schröck- Schau- und Denkspiegel ruchloser verkehrter Jugend in Don Juan d’Avalos. Mit Hanns Wurst . . . Avertissement: Es wird diese Materie zwar wohl von einigen Banden alhier sein aufgeführt worden, wir versichern aber, dafs unsere Ausarbeitung gänzlich von jenen unterschieden, indem diese der französischen Ausarbeitung des Herrn Moliere, wir aber der gelehrten Composition des geschickten Luca Raimondi nachfolgen.« —Zerstörung Jerusalems. — Das Car* neval der Narren. — Marinetta. — Tamerlan. — Simson (Büchlein über den ganzen Inhalt ist für zwei Kreuzer zu bekom­ men). — »Die durch die Weiber-Liebe verführte Weisheit in Dem lasterhaften Leben und erschröcklichen Ende des berühmten Erz-Zauberers Johannis Fausti Mit Hanns Wurst ..... Es wird diese bekannte Materie von einigen Panden derer Comödianten seyn vorgestellet worden, wir versichern aber, dafs es blofs die #

276 Materie seyn solle, die heute sich auf dem Theatro zeiget, und keine Seena mit anderen Vorstellungen übereinkommet•, man hat allen Schrecken, Abscheu oder was sonst dem Decoro des Theatri zuwider ist, vermieden und ist dieses Werk auf eine ganz besondere Art inventiret und ausgearbeitet worden, dafs wir hoffen, hierdurch alle Satisfaction zu geben« (17. September 1748). — Tod Karls XII. von Schweden. Einen bemerkenswerten Gegensatz zu Schulz bildet Fran­ ziskus Schuch, der vom 14. November bis 12. Dezember des gleichen Jahres 1748 und dann wieder vom 8. April bis 28. Mai 1749 mit seiner Gesellschaft in Nürnberg Vorstellungen gegeben hat1). Schuch war einer der tüchtigsten und rührigsten Theaterdirektoren seiner Zeit. Die berühmte Panzersche Porträtsamm­ lung2) bewahrt ein Bildnis von ihm, das ihn allerdings nur als Hanswurst, also in typischer Verkleidung darstellt. Darüber steht: »Castigo ridendo mores«, ein Wahlspruch, der uns zeigt, dafs er auch in der Rolle des Hanswurstes sich bereits einer höheren Aufgabe als der des blofsen Possenreifsens bewufst war. So zeigt auch sein Repertoire einen unleugbaren Fort­ schritt, ja läfst ihn bereits mit einem Fufse auf dem Boden der Gottschedschen Reformen erscheinen. Allerdings fehlt es bei ihm noch nicht an Hanswurstiaden verschiedener Grade, zu denen unter anderm z. B. »Romulus und Remus«, ein Stück, »welches durchgehends mit ungemeiner Lustbarkeit des Hannswursts ver­ mischt ist« oder »Hans Wurst, der lächerliche König von Schlaraffenland«, »welches Stück eine gesunde Moral zum Grunde hatt , gehören. Wir finden bei ihm wie bei seinem Vor­ gänger in Nürnberg noch italienische Singspiele, z. B. die »Opera comique genannt Tarquinius oder Lucretia Römana« und Spek­ takelstücke, z. B. von Käsebier: Fausts Lebenund Ende etc.; es treiben auf seiner Bühne noch Luftspringer und Schatten­ spieler ihr Wesen, und »wenn auch das Stegreifspiel bei ihm bereits ausgeschlossen zu sein scheint, so hat er als Neuig­ keit die Pantomime eingeführt, was er als grofses Verdienst

b Teil il, Nr. 708—710 und 713—717. Jetzt ein Teil der im Germanischen Museum deponierten Merkelschen Sammlung. a)

277 herauszustreichen nicht unterläfst, und dem Ballet eine selb­ ständigere Stellung gegeben«1). Dennoch bilden alle diese Aufführungen und Produktionen nur etwa ein Drittel seines reichhaltigen Repertoires, die gröfsere Hälfte desselben besteht aus regelmäfsigen Dramen Gottschedscher Observanz, von denen ich in Kürze folgende aufzähle: Voltaires Zaire. — Gottscheds Cato. — Holbergs Politischer Kannengiefser (übers, von Detharding). — Racines Iphigenie (übers, von Gottsched). — Barbier, Cor­ nelia die Mutter derGrachen (übers, von der Gottschedin). — Voltaires Tod Caesars (übers, von Scharffenstein). — Schle­ gels Canut. — Voltaires Alzire (übers, von Stüven). — Voltaires Brutus (übers, von demselben). — Grimms Banise. — Cor neilles Cid (übers, von Langen). — Destouches’ Der Ruhmredige (übers, von Schlegel). — Behrmanns Timoleon. — Moli&res George Dandin. — Racines Mithridates (übers, von Witter).. Dazu kommen einige Schäferspiele von Gottsched (Atalanta) und Adam Gottfried Uhlich (das Schäfer-Fest, Elisie, ein Schäferspiel), sowie einige Dankspiele von letzterem, der sich, wie schon oben erwähnt wurde, als Schauspieler bei der Schuchschen Truppe befand. Er war ein mit Begeisterung strebender, ideal denkender Mann, dem trotz mancher" Versündigungen gegen die Dichtkunst wohl ein besseres Los zu gönnen ge­ wesen wäre, als nach manchen Enttäuschungen erst 33 Jahre alt zu Frankfurt a.M. in Raserei zu sterben. Wie er die Schauspiel­ kunst aufgefafst wissen wollte, geht unter anderm aus den Anfangsversen seines Gedichtes »Verteidigung der Schaubühne« her­ vor, das er seinen hohen Gönnern und gütigen Freunden bei seinem Abschiede aus Nürnberg widmete. Sie lauten: »Dich Stand, der mir itzt Ehr und Unterhaltung giebt, Den nur die Dummheit hafst, und jeder Kluge liebt, Dich, Sitt- und Tugendschul, dich, Bild von unserm Leben, Dich, Bühne, soll mein Geist, dich soll mein Lied erheben«. Ohne Zweifel hat auch die tüchtige Gesinnung dieses Mitgliedes der Schuchischen Gesellschaft günstig auf die *) A. von Eye, a. a. O., S. 699. 19

278 Anschauungen und das Repertoire des Prinzipals derselben eingewirkt. Das Repertoire der folgenden Truppe des Jahres 1750, an deren Spitze Johann Michael Brenner steht und die im Fechthaus agierte1), bewegt sich wieder mehr in den alten Bahnen. Neben Gottscheds Cato, Schlegels Canut, Racines Berenice, Grimms Banise u. a. finden wir hier aufser zahlreichen Hanswurstiaden wieder den Tamerlan, den Hunerich (s. o.), einen Wallenstein, vermutlich wieder den­ jenigen des Haugwitz, den Tod Karls XII. von Schweden. Von sonstigen Stücken seien noch genannt: Titus Manlius. — Moliöres »George Dantein«. — »Der in dem vermeinten Reiche der Eliseen herumirren de Gebhard«. — »Eine durchaus lustige Haupt-und Staats-Comoedie genannt Die glorreiche Eroberung des goldenen Flüsses in der Insul Colchis durch den Thesalischen Helden Jason Oder Der durch Medeae Untreu hindergangene Phineis Printz aus Morea Sonsten genannt Der Streit zwischen Liebe und Ungeheuer. Mit Hanns Wurst.. .« — »Das befreyte Venedig. NB.: Der Grund dieses Schau-Spiels beruht auf der englischen Tragedie des Herrn Thomas Ottivay: und ist aus dem englischen Original des V. Tom. und der zu Paris im Jahre 1747 vorgestellten Immitation gezogen und im vorigen Jahr auf das deutsche Theatrum gebracht von dem berühmten Acteur Herrn Friedrich Wilhelm Weifskern zu Wien«. — »Daniel in der Löwengrube«. — »Das Fest Hocherhabener Bäume seltener Arth« als Vorspiel zum Dank. »Hierauf folget ein Ernst-Spiel genannt der Landmann«. — Gli contratti rotti mit Hans Wurst. — »Ein durch und durch lustiges Schauspiel, genannt die Macht der Zauberey Oder Das Leben und Tod des Welt-bekannten Doctor Fausts Mit Hanns Wurst... Zur Nachricht dienet, dafs dieses Schauspiel auf keine ärgerliche oder auch allzu schröckhaffte, sondern nach der neuesten und hier vielleicht noch nie­ mahlen gesehenen Art wird vorgesteliet werden und hat dahero das weichmüthige Frauenzimmer nichts schröckhaftes zu besorgen*, die darinn vorkommenden 3 Arien sind ganz neu, und ') Teil II, Nr. 722.

279 die Desperation in guten deutschen Versen abgefast, hoffen dahero einen gütigen Zuspruch«. — Der Hanswurst der Truppe, dessen Bildnis sich bei den Theaterzetteln findet, hiefs Johannes Josephus Prunian. Während der Sommermonate des Jahres 1751 und bis in den Herbst hinein spielte im Fechthaus die Truppe des Komö­ diantenehepaares Andreas und Elisabeth Weidner, die sich von der Brennerschen Gesellschaft abgezweigt hatte1), während das Opernhaus Mitte Juli einer italienischen Kompagnie unter Fran­ cesco Ferrari eingeräumt war, die vorher bereits im grofsen Saal des Gasthauses zum roten Rofs einige Vorstellungen ge­ geben hatte2). Ferrari nennt sich einmal auf einem der Theaterzettel »Impresario und vorderster ernsthafter Acteur«; von eigentlichem Ernst ist aber in seinem ganzen Repertoire so gut wie nichts zu spüren. Von den 48 Vorstellungen, die seine Truppe gab, entfallen 37 auf reine Harlekiniaden*, von den übrigenStücken seien genannt: »La serva padrona oder die herrschsüchtige Magd, ein musikalisches Drama« (Musik von Pergolese), das auffälliger Weise gleich anfangs im Opernhaus viermal hintereinander, am 19., 20., 21. und 22. Juli aufgeführt wurde, »II Pastor fido« (nach Guarini), das musikalische Singspiel von der »lächerlichen Prahlerei des Graf en Kohlenbrenner und seiner Tochter« (von Goldoni, Musik von Michele Ottone), welches zweimal, und ein Stück »Fausts Tod«, das gleichfalls zweimal gegeben wurde. Welcher Art diese Faustaufführung war, er­ gibt sich bereits aus dem vollständigen Titel: »La Morte di Fausto e la fortuna di Arlechino, Im Teutschen: Dr. Faustens Tod und Arlequins daraus erwachsendes Glück als eines Erben der Zauberkunst, deren er sich bedienet, um sich an der Columbina und Brighella, die nicht Farbe gehalten, zu rächen. Es wird sich der Harlequin seinem Herrn zu Dienst in dem Doctore verstellen, Colombine wird in ein Schaaf und Baum, Arlequin aber zusehends auf der Schaubühne in einen hölli­ schen Geist verwandelt. Es wird ferner zu sehen sein, wie die blassen höllischen Rach-Göttinnen den Arlequin in Stücken 9 Teil II, Nr. 728, 732, 735 f., 739—741, 743. 2) Teil II, Nr. 731. 733. 734, 737, 73», 742» 744-

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zerschneiden, das Eingeweide heraushaspeln und endlich sein Leib einem wilden Tiere zu Teil wird«. — Eine besondere Anziehungskraft scheint überdies eine sich bei der Gesellschaft Ferraris aufhaltende holländische Kaut­ schukdame ausgeübt zu haben, die sich fast allabendlich pro­ duzierte. In gleicher Weise rühmte sich Weidner, der übrigens be­ reits im Herbst 1750 J. M. Brenner abgelöst haben mufs, 1751 der Anwesenheit eines »in der Spring- und Voltigierkunst« sehr geschickten Holländers bei seiner Truppe. — Sein Repertoire steht so ziemlich auf der gleichen Stufe wie dasjenige Brenners, eher auf einer etwas tieferen, da »regelmäfsige« Stücke fast fehlen, Haupt- und Staatsaktionen, Burlesken und leichte Sing­ spiele stark überwiegen. Ich nenne kurz: Rodrich und Delmira. — »Das vortreffliche und welt­ bekannte Trauerspiel betitelt Don Juan«. — L’Epouse par Supercherie, Der Ehemann durch List (übersetzt von Andreas Weidner). — »Eine ganz neu verfertigte aus Scherz und Ernst bestehende, mit neuen Arien und Zauberischen Vorstellungen, wie auch durch und durch mit guter Lustbarkeit angefüllte moralische Tragödie. .. Betitult: Ex nimia Doctrina subinde interitus sequitur: Aus allzu grofser Gelehrsamkeit folget bis­ weilen der Untergang oder Die Würckung einer unmenschlichen Zauberey, in dem veränderlichen Leben und erschröcklichem Ende des Ertz-Zauberers Christoph Wagners Eines ehemaligen Schülers des Fausti, Mit des Hanns Wurst Lustigen Elend in in seinen Studenten-Diensten« etc. — »Stürtzen-Becher und Götgen Michel« (vonHoffer?). — »Ein vortreflich, wohl aus­ gearbeitetes, in 5 Actus abgetheilt und hier niemals noch ge­ sehenes recht angenehmes Schauspiel betittelt Der grofsmüthige und verliebte Brandenburger in Sachsen« etc. — Metastasios Demetrius.— Desselben Artaxerxes. — »Die Be­ lagerung der Stadt Bergen op Zoom«. — »Die Römische Lucretia in einer sogenannten Musica Bernesca vorgestellt«.— Käsebier. — Dr. Faust. — »Der Herzog vonLuxenburg und die denkwürdige Belagerung von Utrecht«. — »Das barbierende Gespenst zu Helffenburg oder Hanswurst der vermeinte Geisterbanner.« — Antigona. — Grimms

281 ßanise. — Aesopus. — Boysi’s La Famille oder das Schau­ spiel in der Freundschaft. — Als Hanswürste fungierten unter Weidner zuerst der vor­ hin bereits erwähnte Prunian, später Christian Ferdinand Schulz. Im Frühjahr 1752 erschien aufs neue Johann Schulz, dessen Spielgesuch allerdings zunächst abschlägig beschieden wurde. Indessen gelang es der Fürbitte des bambergischen Direktorial­ gesandten von Diez, ihm die Erlaubnis doch noch zu erwirken1), worauf Schulz von Mai bis August im Fechthaus 32 Vorstellungen gegeben hat. »Zur erbetenen Eröffnung des Opernhauses« aber wurde ihm »für beständig alle Hoffnung benommen«. Sein dies­ jähriges Repertoire weist gegen 1748 insofern einen gewissen Fort­ schritt auf, als unter andermauch Moli&resl’fitourdi undRacines Athalia, letztere in Johann Schulz’ eigener Übersetzung, gegeben wurden. Unter den übrigen Stücken, zumeist Hanswurstiaden und Opern, findet sich wiederum ein Faust, sodann Attilius Regulus und »das Heldensptel« Demetrius (beide wohl von Metastasio). Die mehrfach vorkommenden Pantomimen mit Musikbegleitung arrangierte und leitete, wie es scheint, Johann Josephus Prunian, einer jener »Taubenkrämer im Tempel«2), der uns nun bei der dritten Theatergesellschaft begegnet. Bald nach Schulz’ Abzug — auch ihm hatte Ferrari, unter anderm durch Aufführung eines »musikalischen Konzerts«, Kon­ kurrenz gemacht3) — traf (Ende August 1752) der hochftirstl. brandenburg-ansbachische Hofkomödiantenprinzipal Johann Gott­ fried Ufsler in Nürnberg ein, dem auf hohe Fürsprache, aber nur widerwillig, das Opernhaus für seine Aktionen verstattet wurde4). Sein Repertoire steht, wenn auch einige Hanswursti­ aden mit unterlaufen, im allgemeinen wohl auf der Höhe der Zeit, wie die Aufzählung des Wichtigsten zeigt: Corneilles Cid. — Molifcres »Legateur Das ist Das durch List erzwungene Testament«. — Voltaires Marianne (übers, von Scharffenstein). — »Andrascheck und Jura­ scheck die beiden schlesischen Räuber« mit Hans 1) Teil IT, 2) Iffland, Leipzig 1798), S. 3) Teil II, 4) Teil II,

Nr. 745 und 747, 749 f. Über meine theatralische Laufbahn (Dramatische Werke I. Bd. 20. Nr. 748. Nr. 751.

282 Wurst. — Voltaires Octavia (übers, von J. F. Camerer). — Racines Iphigenie (übers, von Gottsched). — Holbergs Kannetigiefser (übers, von Detharding); hinterher Moli£res George Dandin. — Voltaires Zaire. — Wallenstein. — Befnholds Johanna von Orleans. — Gellerts Bet­ schwester. — Corneilles Cinna (in der Fürerschen Über­ setzung). — Vorspiel: Der Anker güldener Zeit; Trauer­ spiel in Versen: Der gütige Regent (von El. Schlegel); Dankesrede; scherzvolles Nachspiel: Pantalons bezaubertes Haupt, alles an einem Nachmittag. — Grimms Banise. Ufsler hat damals nur zwei Monate lang, von Anfang September bis Anfang November (1752), in Nürnberg Vorstel­ lungen gegeben. Den Winter über blieb Nürnberg ganz ohne Theateraufführungen. Ende April 1753 aber meldeten sich zwei Banden kurbayerischer Hofkomödianten an, diejenige des Franziscus Schuch und die des Franz Gerwaldi von Walleroti, von denen die erstere auch vom Rat die Spielerlaubnis erhielt1). Da Schuch jedoch sehr bald sah, dafs er unmöglich auf seine Kosten kommen könne — nur wenige Prinzipale jener Zeit haben dies überhaupt in Nürnberg fertig gebracht —, so wandte er bereits nach vier Vorstellungen (Voltaires Alzire, Molieres L’Ücole des Femmes, Gottscheds Cato und eine Hanswurstiade mit einem »von Herrn Bibliothecario Rost zu Dresden verfertigten Schäferspiel, genannt Die gelernte Liebe, mit welchem die Schuchischen Kinder ihre Probe ablegen werden«, anstatt eines Nachspiels) der Stadt den Rücken, um sie auch später nicht wieder aufzusuchen. Da das Gesuch des italienischen Prinzipals Biagio Barzanti im August abschlägig beschieden wurde2), so blieben jene vier Vorstellungen Schuchs die einzigen in dem ganzen Jahre 1753. Besser gestaltete sich das Jahr 1 754, in welchem von Mitte Juni bis Mitte September J. G. Ufsler mit seiner Gesell­ schaft abwechselnd im Fechthaus und im Opernhause agiert3) und, abgesehen von Marionettenspielern, vom 1. Oktober an auch der »Directeur der hochfürstl. Tour und TaxischenHof-Operisten, Hieronymus Bonn«, der bekannte italienische Operistendirektor ')

Teil II, Nr. 754—756.

2) Teil II, Nr. 757.

8) Teil II, Nr. 758.

283 Girolamo Boni (Bony, Bon etc.), im Opernhause »musikalische Stücke« aufgeführt hat1). Leider sind uns nur von Ufslers und der Seinen Wirk­ samkeit die genauen Belege in den Theaterzetteln erhalten. Sein Repertoire weist diesmal gegenüber dem des Jahres 1752 eine erhebliche Zunahme der Hanswurstiaden auf, was wohl den schlechten Erfahrungen, die er und andere Direktoren mit ihren besseren Bestrebungen in Nürnberg gemacht, zuzuschreiben ist. 1754 verhalten sich die aufgeführten Burlesken der Zahl nach zu sämtlichen übrigen Stücken wie 1:2. Von diesen übrigen deckt sich etwa die Hälfte mit oben (zum Jahre 1752) bereits erwähnten. Von den neu hinzugekommenen nenne ich: »Der flüchtige Poltergeist« (mit 18 Verkleidungen der Frau Ufslerin). — »Ein ganz neues, ehemals durch den Herrn Hof-Poeten König in Drefsden verfertigtes, alsdenn in Leipzig verbessertes, jetzt aber im vorigen Jahre auf dem kaiserl. Theater in Wien aufgeführtes Trauer-Spiel in Versen Von fünff Aufzügen Unter dem Titul Sancio und Sinilde Oder Die Stärke der mütterlichen Liebe«-, als Nachspiel: »Hanfs Wurst auf der Wanderschafft«. — »Der Furchtsame oder Die aus Liebe spockendeWittwe auch Der Lebendige Geist« (aus dem Hol­ ländischen von Uhlich).— Waldmann. — Gottscheds Cato.— Thomas Morus.2) — »Schauspiel genannt Mars in tiefster Trauer, Bey den blutigen Cypressen der Schwedisch Carolinischen Leiche Oder Der Tod Carls XII. v. Schweden«. — Gott­ fried Heinrich Kochs »Der Schmarotzer Oder das Leipziger Rosenthal, Auch Der lustige Spaziergang nach Goliz«. — Vol­ taires »Alzine Oder Die Americaner«; dazu ein Vorspiel: Die Dank-Begierde (von Ufsler). — Moliöres »Kaiser aus dem Mond«.— »Schauspiel: das Alarmirte und nach einem König seufzende Corsica« etc. — Metastasios Deme­ trius. — Das Gespenst mit der Trommel (nach Addison und Destouches). — »Die Macht der Zauberey etc. ... Joannis Fausti« mit Hanswurst. — 1755 war nach 13jähriger Abwesenheit der kurbayerische Hofkomödiant Walleroti mit seiner Truppe wieder in Nürnberg *) Teil II, Nr. 759 und 761 (?). 2) Der Theaterzettel ist abgedruckt bei Hysel S. 49 f.

284 und gab von April bis Juli im Opernhaus eine Reihe von Vor­ stellungen *), während gleichzeitig Girolamo Boni im ReichsadlerWirtshaus italienische Opern aufführte2), über die mir Näheres wiederum nicht vorliegt. Von August an scheint dann auch noch ein -anderer Prinzipal italienischer Operisten, Giovanni Francesco Grossa, mit seiner Truppe eine Zeitlang in Nürnberg agiert zu haben3). Aus Wallerotis Repertoire, das, wie wir aus dem früher erwähnten ungewöhnlichen Entgegenkommen des Rates schliefsen dürfen, grofsen Anklang fand, trotzdem es zum weitaus gröfsten Teil aus Burlesken, Singspielen und Haupt- und Staatsaktionen bestand, seien besonders hervorgehoben: »Haupt und Staats-Action: Die Gütigkeit desTiti«. — Th. Corneilles Graf von Essex (übers, von Stüven). — Metastasios Themistocles. — Desselben Semiramis. — Des­ selben Regulus. — Desselben »Der weibliche StaatsMinister« (ihn spielte die Directrice). — Voltaires Oedipus.— Grimms Banise. — Die Haupt und Staats-Action Pyrrhus. — Corneilles Polyeuctes. — Die spukende Wittwe, mit Hans Wurst. — »Eine Musica Bernesca nach dem neuesten Gout: Die durch Zwang entehrte und sich mit eigener Hand das Leben raubende Römische Lucretia«. —»Eine ganz neue, extra galante und von einem ganz aparten Gout wohl ausgearbeitete Capital-Piece Genannt: Der unerschrockene und tapfere weiblicheGranadier...« etc. — Prolog*, Vorspiel: Die dankbare Schau­ spiel-Kunst; Voltaires Brutus und ein lustiges Nachspiel, alles an einem Nachmittag. — Das Wunder dieser Zeiten, Lustspiel, undZeloide, Trauerspiel nach dem Französischen des St. Foix. — »Die Unglückselige Gelehrsamkeit, dargestellet in dem Leben und verzweiffelten Ende D. Johannis Fausti, Wobei Hannfs-Wurst mit durchgängiger Lustbarkeit sich auf eine ganz besondere Art wird zu signalisiren suchen«. — Aus den Jahren 1756— 175Q liegen mir, von einigen Marionettenaufführungen abgesehen, keine Theaterzettel vor, und die Ratsprotokolle stehen damit im Einklang, sodafs man also wird annehmen müssen, dafs — infolge des siebenjährigen *) Teil II, Nr. 764—768.

*) Teil II, Nr. 763.

8) Teil II, Nr. 769.

285 Krieges — während dieser Jahre die theatralischen Unterneh­ mungen in Nürnberg beinahe gänzlich geruht haben. Hysels gegenteilige Angaben zu den Jahren 1756 und 1757 werden wohl, wie so häufig, auf einem Irrtum beruhen. Die Stücke, die der Marionettenspieler F. J. Dallinger 1 757 im grofsen Saal des Dreikönigswirtshauses gab*), weisen wieder ausnahmslos den Hanswurst auf. Eines derselben, aufgeführt am 27. Januar 1757, handelt von Dr. Faust. Das »Avertissement« dazu lautet: »Ohnerachtet diese Action schon öfters hier gesehen worden, so versichert man doch, dafs heute ganz besondere Auszierungen des Theatri, Machinen und Arien zum Vorschein kommen werden: das Morale in dieser Action bestehet in diesem, dafs die Gerechtigkeit des Himmels zwar eine Zeitlang zusehe, hernach desto schärffer straffe. NB. Ob zwar Forcht und Reue sich öfters in diesem Schauspiel zeiget, so vermeiden wir doch alles dasjenige, was etwann einem gnädigen Auditorio das geringste Entsetzen ver­ ursachen möchte. Zu besserer Gemüths-Ergötzung folgt ein lustiges Nach­ spiel«. — Auf einer äufserst niedrigen Stufe steht auch das Reper­ toire der Ferdinand Oelperlschen Gesellschaft, der nach län­ geren Verhandlungen und vielen Bedenklichkeiten in den letzten Tagen des Jahres 1759 endlich gestattet wurde, im Opernhause zu agieren*2). Oelperl begann am 2. Januar 1760 mit einer Hanswurstiade, fuhr in den folgenden Tagen mit einer eben­ solchen , dann mit einem »musikalischen Pastorell«, einer »Opera Pantomima« und einer »Haupt- und Staatsaction betitult Der Siegreiche Helden-Triumph des Römischen Kaysers Maximiliani über das herrliche Königreich Grofsbritannien vorgestellet Durch die mit Hafs und Zorn verfolgte zwey Grofs-Britannische Prinzen Heinrich und Otto« (mit Hanswurst) fort und hat von regelmäfsigen Stücken unter den 21 Vorstellungen, die er gab, nur ein einziges Mal Voltaires Alzire in der Übersetzung der Gottschedin zur Aufführung gebracht. Auch Neues von irgendwelcher Bedeutung tritt uns bei ihm nicht entgegen. Es *) Teil II, Nr. 771. 2) Teil II, Nr. 777—782.

286 war jene ohne Zweifel durch den Krieg mit heraufgeführte Zeit des Stillstandes in der dramatischen Produktion Deutschlands, und namentlich die kleineren Bühnen waren geradezu genötigt, fortgesetzt die alten, wohlbekannten Stücke zu geben. Dafür ist auch das Repertoire von Oelperls Nachfolger Johann Lind aus Gerabrunn ein Zeugnis (26. Mai bis 30. Juni 1760, 13 Vorstellungen)1), das aufser den an Zahl weit über­ wiegenden Hanswurstiaden nur folgende Stücke aufweist: Voltaires Zaire (übers, von Schwabe). — Metastasios Demetrius. — Vorspiel: »Peter Squenz der Poetische DorffSchulmeister«, dann »Rademinus, gewesener Liebling Kaiser Carls VI.«, endlich »Die in Rom wegen ihrer Ehre sich selbst entleibende altmodische Römische Amazonin Lucretia« (nach dem Französischen). — Johann Faust (mit Hanswurst). — Th. Corneilles Essex. — El. Schlegels Canut. — Tod Karls XII von Schweden. — Von dem Direktor Franz Xaver Mersch aus Dresden, der nach den Ratsprotokollen ebenfalls im Jahre 1760 mit seiner »teutschen Gesellschaft« in einer »Boutique auf dem Markt« Vorstellungen gegeben hat2), findet sich in der Sammlung des Germanischen Museums kein Theaterzettel. Anstatt dessen ent­ hält sie 27 Nummern von einer »Vereinigten Gesellschaft deut­ scher Schauspieler« — vielleicht einem gemeinsamen Unter­ nehmen Linds und Merschs? —, welche von Ende Juli bis Anfang Oktober 1760 bald im Opernhaus und bald im Fecht­ haus gespielt hat. Ihr Repertoire bewegt sich in den alten Bahnen: Voltaires Merope. — Don Jüan. — Corneilles Cid (übers, von Gottsched). — Moli&res L’fitourdi (zweimal). — T. J. Quistorps Aurelius. — Voltaires Zaire (übers, von Schwabe). — Metastasios Themistokles. — Desselben Demetrius. — El.. Schlegels Canut. — Behrmanns Timoleon. — Thomas Corneilles Graf von Essex. — »Die in den Ehren-Tempel der blühenden Gerechtigkeit dank­ sagende Demuth«, ein Vorspiel in Versen, hierauf Grimms Banise. — Aufserdem zahlreiche (14) Hanswurstiaden.— J) Teil

ir,

Nr. 785.

') Teil II, Nr. 783.

287 Auch das Repertoire des Franz Anton Nuth, der im Winter 1760 auf 61 im Opernhaus, in der Ostermesse 1761, aufserdem in einer »Boutique auf dem Markt« Vorstellungen gab1), bezeichnet keinen wesentlichen Fortschritt: Voltaires Alzire. — Poetisches Vorspiel zur Feier der Vermählung des Kronprinzen Joseph mit der Isabella von Parma und ein prosaisches Trauerspiel: Der gerechte Fürst oder RhynsoltundSapphira (aus dem Englischen übersetzt-, Martinis Trauerspiel?). — Corneilles Polyeucte. — Holbergs Kannengiefser. — »Pylades und Orest, Trauerspiel in Versen und 5 Aufzügen, von einer gelehrten deutschen Feder verfertigt.« — Destouches’ Glorieux (übers, von Schlegel). — Scfiarffensteins Das Leben ist ein Traum (aus dem Französischen: s. o.). — Voltaires Alzire. —Moli&res »Der gezwungene Doctor«. — Lillos Kaufmann von London. — Thomas Otways Trauerspiel »Die Verschwörung wider Venedig«.— Cronegks Codrus. — Voltaires Zaire. — Moli&res L’fitourdi. — Gellerts Betschwester, und eine Reihe von Hanswurstiaden, in denen zum ersten Mal auch die natürlich aus Wien stammende Figur des Lipperl, meist als lächerlicher Wahr­ sager oder Zauberer, eine grofse Rolle spielt, und einige aus dem Französischen und Italienischen übersetzte kleinere Lustspiele mit den Spafsmachern Scapin undScaramuz; auch eine Pantomime »Die Zauberei des Arlequin« mit längerer Aufzählung der dabei zur Verwendung kommenden Maschinerien, Flugwerke etc. Die nächstfolgenden Theaterzettel betreffen das Repertoire einer italienischen Opera comique aus dem Winter 1762 auf 63, wohl der gleichen Gesellschaft italienischer Operisten, welche bereits im Dezember 1761 unter ihrem Direktor Leopold Tonarelli kurze Zeit im Gasthof zu den drei Königen agiert hatte2). Bei ihrer erneuten Anwesenheit in Nürnberg ward ihnen für ihre Vorstellungen das Opernhaus eingeräumt8). Sie gaben fast ausschliefslich italienische Singspiele von GoldoniFischetti, Goldoni-Cochi, Goldoni-Ciampi, Goldoni-Brusa, Galuppi, Scolari, Pergolese und andern, mit deren Aufzählung ich mich hier wohl nicht aufzuhalten brauche. *) Teil II, Nr. 786-^-792.

2) Teil II, Nr. 794.

8) Teil II, Nr. 795 und 797.

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Zu gleicher Zeit (März, April 1763) scheint wieder Ferdinand Oelperl in einer Bretterbude auf dem Markt deutsche Schau­ spiele zur Aufführung gebracht zu haben **), wovon indessen in den von mir benutzten beiden Sammlungen keine Theaterzettel erhalten sind, und am 29. März 1763 wird auch bereits dem Prinzipal der kursächsischen Komödianten Arnold Heinrich Porsch zum ersten Mal die Erlaubnis, in Nürnberg zu agieren, erteilt2). Aus dieser Zeit seines ersten Nürnberger Aufenthalts ist uns jedoch bisher nur die Aufführung eines von Porsch selbst »verfertigten« Vorspiels: »Der Triumph des Friedens« bezeugt, das »zur feierlichen Begehung des zwischen den hohen deutschen Mächten geschlossenen glücklichen Friedens« (zu Hubertusburg), das eine Mal (5. April 1763) in Verbindung mit VoltairesL’Orphelin de laChine (übersetzt vonPorsch), das andere Mal mit Destouches’ Glorieux im Opernhause gegeben wurde, und aufserdem eine von der Prinzipalin Rosina Dorothea Porschin gehaltene Dankrede in Versen erhalten. Besser lernen wir Porschs Repertoire aus denjenigen Theaterzetteln kennen, die uns von seiner Thätigkeit während des Winters 1764 auf 65, seinem zweiten Nürnberger Aufenb halt3), erhalten geblieben sind. Dasselbe zeigt eine bedeutende Abnahme der eigentlichen Hanswurstiaden — unter 37 Zetteln haben nur 7 dergleichen Burlesken zum Gegenstände — und zeichnet sich durch eine gewisse Vielseitigkeit aus, ohne indessen sonst erheblichere Fortschritte aufzuweisen. Ich nenne die folgenden Stücke: Die feindlichen Brüder von Young (übersetzt von Porsch)* »den Beschlufs macht HansWurst mit einem lustigen Nach­ spiel«. — DerRenegat, Trauerspiel in 5 Aufzügen, »von einem berühmten deutschen Gelehrten in Versen verfertigt« (wohl das Breithauptsche Stück). — Der sächsische Prinzenraub. — Voltaires Brutus. — Moli&res L’ficole des Femmes. — Cronegks Codrus. — »Der Löwe aus Mitternacht Carl XII. König von Schweden«, Schauspiel in 5 Aufzügen .. . mehrenteilsneu componirt von Mr.Porsch«. Mit Hanswurst. — Goldonis ’) Teil II, Nr. 801 und 806. *) Teil II, Nr. 804, 805, 807. ») Teil II, Nr. 813—815.

289 Pamela. — Voltaires TOrphelin de la Chine. — Voltaires Alzire.— Desselben Mahomet. — Desselben Semiramis (über­ setzt vonPorsch). — Desselben Orest (übersetzt vonPorsch). — Destouches’ Gespenst mit der Trommel. — Corneilles Polyeucte. — »Olinth und Sophronia, 4 Akte von dem unsterblich berühmten Herrn Freiherrn von Cronegk verfertiget, der 5. aber von dem Principal hinzugefügt«. — Lillos Kaufmann von London. — Voltaires Das Caffeehaus oder die Schottländerin. — Saint Foix’ Arlequin Sauvage. — Opera buffa: Der Teufel ist los (aus dem Englischen).— Otway, Das errettete Venedig (übersetzt vonPorsch).— Voltaires Tan cred (übersetzt vonPorsch). — Desselben Mer ope. Der Nachfolger Porschs in Nürnberg, Johann Thilly, Direktor der privilegierten kaiserl.-königl. Prager Komödiantengesellschaft, der im Winter 1765 auf 66 im Opernhaus Vorstellungen gab1), zeigt dagegen — als Österreicher — wieder eine starke Vorliebe für den Hanswurst. Aufser Metastasios D emetrius, Voltaires Zaire und Alzire, Destouches’Der Ruhmredige, Schlegels Canut und einem »Vorspiel: das beglückte und von der Vorsicht beschützte Nürnberg« gab er nur Burlesken Weiskernscher Observanz. Sein Hanswurst, von dem sich unter den Theaterzetteln wieder wie früher ein Bildnis findet, hiefs Maximilianus Scholtz. Es folgte die Joseph von Kurzische Bande, die den ganzen Sommer hindurch und bis in den Herbst hinein — soviel ich sehe vom 11. Juni bis 2. Oktober 1766 — in Nürnberg spielte2). Zu »kleinen Spectacles« benutzten sie das Opernhaus, für ge­ wöhnlich aber fanden die Aufführungen, für welche dem an­ spruchsvollen kurbayerischen Hofkomödianten das Opernhaus »bei weitem zu klein«, in einem offenbar im Hofe des Fecht­ hauses auf eigene Kosten erbauten »Theatre mit Gallerien« oder »Komödienhaus« statt. Das Repertoire dieser berüchtigten Truppe des Bernardon-Kurz, die aus der Wallerotischen her­ vorgegangen war, ist eigentlich zu bekannt, als dafs ich hier ausführlicher darauf einzugehen brauchte. »Jeder, der von dem Theater etwas mehr verlangte als Ergötzung des hohen und niederen Pöbels mit Zoten und Unflätereien, bekreuzigte sich *) Teil II, Nr. 819—821. 2) Teil II, Nr. 823 - 830

290 dreimal bei dem Namen Bernardon als des Erzfeindes«1). In seinen derbkomischen Singspielen, den sogenannten »Bernardoniaden«, erreicht der Burleskenunfug seinen höchsten Gipfel2), wie man fast schon aus den Titeln dieser Stücke abnehmen kann: »Bernardon, die getreue Prinzessin Pumphia und der tyrannische Tartar-Kulikan« (eine »Tragödie«), »Opera comique betitelt die lustige Juden-Hochzeit oder Bernardon der betro­ gene Rabbiner«, »Bernardon und Bernardina die zwey Gleichen in zweyerley Geschlechtern, oder die geraubten und zuletzt glücklich gewordenen Zwillinge«, »Eine grofse Maschinen-, Fiugund Verwandlungs-Comödie betitult Die Gelsen-Insul oder die Spazen-Zauberey«, »Die Insul der gesunden Vernunft oder Bernardon der Insulaner und Fiametta die Insulanerin«, »Ber­ nardon, die versoffene Gouvernante« u. a. m. Zahlreich sind auch die Pantomimen mit eingeschobenen Ballets, welch letztere auch sonst häufig den Schlufs der Vor­ stellung bildeten und durch die Anmut und Kunst der reizenden Frau des »Vater Bernardon«, der Madame Theresina von Kurz, einer feurigen Italienerin, auf das Publikum eine besondere Anziehungskraft ausübten. Von sonstigen Stücken, unter denen nur wenige »regelmäfsige« sind, seien genannt: Metastasios Demetrius. — Goldonis Pamela (bear­ beitet von Friedr. Wilh. Weiskern). — Voltaires Alzire (über­ setzt von der Gottschedin). — »Der Furchtsame oder die Eigenschaft der Liebe in der Natur Von Herrn Philipp Hafner«. — »Pamelas Mutter, dem Abbt Chiari so glücklich nachgeahmt von Herrn Riegger Oesterreichischen Ritter«. — Cr onegks Codrus. — Desselben Olinth und Sophronia. — Rhynsolt und Saphira. — Der Freigeist, Trauerspiel in 5 Aufzügen (von Brawe). — Miss Fami oder der Schiffbruch, Trauerspiel in 3 Aufzügen. — Breithaupts Renegat. — Amalia, Trauerspiel in 5 Aufzügen*, »erst in diesem Jahr im Druck erschienen«. — Th. Corneilles Essex. — Gotthold Ephraim Lessings: Die Juden, »nicht mit der mehrfach vor­ gestellten Judenhochzeit zu vermischen« (4. Sept. 1766). — *) B. Litzmann, Frdr. Ludw. Schröder II (Hamburg und Leipzig 1894), S. 4. 2) E. Mentzel, Geschichte der Schauspielkunst in Frankfurt a. M., S. 288.

291 Wiederum mehr »der Regel bestrebte sich« dagegen die P. J. Ilgenersche Gesellschaft, die, nachdem 1767, wie es scheint, keine Theateraufführungen oder doch nur Marionettenspiele stattgefunden hatten, im Frühjahr 1768 nach Nürnberg kam und etwa bis Mitte Juni daselbst im Opernhause agiert hat1). Natürlich fehlen auch bei Ilgener die Harlekiniaden, Singspiele, Pantomimen und Ballets keineswegs völlig, aber die besseren Stücke überwiegen doch weit und unter diesen wiederum die französischen. So gab er von P. Corneille dessen Polyeucte, von Th. Corneille den Grafen von Essex, von Moliere L’fitourdi, L’ficole des maris, Le malade imaginaire und Le festin de pierre, sowie Saint Foix’ Zeloide, Destou­ ches’ Glorieux, Marmortels Aristomen und Regnards Die verliebten Thorheiten; aufserdem Lillos Kaufmann von London und Holbergs Bramarbas oder der grofssprecherische Soldat (Jacob von Tyboe) in der Übersetzung von Detharding, von deutschen Stücken, abgesehen von Possen, nur »ein von dem grofsen Dichter und Licentiaten der Rechte Herrn Krützer (gemeint ist Joh. Chr. Krüger) verfertigtes Lustspiel in Prosa und drei Aufzügen, betitult Der blinde Ehemann oder Die tugendhafte Frau«, Weifses Poeten nach der Mode, Cronegks Codrus, Behrmanns Timoleon und Faust2). J) Teil II, Nr. 832, 833. 2) »Dr. Johann Faust . . . ein lustiges Trauerspiel mit Arlequin einem lustigen Quodlibet. An den Leser. Wir hören bei Erblickung des Zettels dieses lustigen Trauerspiels schon im voraus verwundernd .diese Frage aufwerfen: Was für ein Einfall? — — Ists war? — — Schauspieler, die sich durchaus der Regel bestreben, den D. Faust? — — — Hören Sie. theuerste Gönner! unsere Verteidigung: Wir wissen, dafs dieses Stück nach seiner vorigen Gestalt ebenso weit von ihrem Geschmack als von der Regel entfernt ist: allein die alten Comödianten glaubten nie an einem Ort ihre Vorstellungen ganz und gut ohne dieses Stück gemacht zu haben, und allemahl hat ein zahlreicher Besuch bewiesen, dafs es seine ganz besondere Liebhaber habe, wie es denn erst kürzlich der Erfolg gezeigt, da es auf diese Art von der Kurzischen Gesellschaft in Frankfurt und Maynz auf­ geführt worden . . . Zweytens wollen wir dadurch beweisen, wie weit der jetzige Geschmack zur Ehre unserer Nation von den Vorigen abgewichen und 3.) darthun, dafs sich auch ungereimte Dinge vernünftig vorstellen lassen etc. Besondere Auftritte und Vorstellungen 1.) Fausts gelehrte gebundene Rede, ob das Studium Theologicum oder Nigromanticum zu erwählen. 2.) Fausts Beschwörung, in gebundener Rede, im Wald. 3.) Arlequins lustiger Krieg mit denen höllischen Geistern

292 Gegenüber solcher Ausländerei gerade der besseren Theaterdirektoren that allerdings Lessings energisches Auftreten dringend not, und die gute Wirkung desselben konnte denn auch selbst in einer so der Literatur und Kunst entwöhnten Stadt, wie es das damalige Nürnberg war, unmöglich lange ausbleiben. Leider sind wir indessen über die Theateraufführungen der nächsten Jahre bisher nur mangelhaft unterrichtet, und weder durch die Ratsprotokolle, noch durch die mir vorliegenden Theater­ zettel wird unsere Kenntnis wesentlich gefördert. Immerhin ersehen wir aus jenen, dafs 1769 noch einmal »Madame de Kurz« — ihr Gatte wird nicht erwähnt — »ihre teutschen Schauspiele« eine Zeitlang im Opernhaus zur Aufführung ge­ bracht hat1), wofür ich indessen weitere Belege (aus den Theaterzetteln) nicht beibringen kann. Im März 1770 werden die Direktoren einer Gesellschaft deutscher Schauspieler Jo­ hann Schmidt und Franz Joseph Moser noch zur Geduld ver­ wiesen und scheinen in der That nicht zum Agieren zugelassen worden zu sein2). Mit diesem Jahre nämlich beginnt für Nürn­ berg eine schwere Zeit der Teuerung, die bis 1772 anhielt und sehr wohl der Grund für ein gänzliches Unterbleiben aller theatralischen Vorführungen bis zum Jahre 1774 gewesen sein kann, ja, wahrscheinlich gewesen sein wird. Erst 1774 hören wir wieder wenigstens von Marionettenspielen. Zum Jahre 1775 führt Hysel (S. 55) die Keilische Gesell­ schaft deutscher Schauspieler an. In den Ratsprotokollen habe ich zwar nur einen verbietenden Verlafs, den Franz Gottfried 4.) Fausts Museum, Arlequin will aus Vorwitz in einem Buch lesen, aus diesem Buch kommen viele Teuffel. 5.) Präsentirt sich ein Lager, in der Mitten ein Haupt-Gezelt, worinnen Judith dem Holoferno das Haupt abschlägt, eine sehr schöne und merkwürdige Vorstellung. 6.) Die Marter des Titii. 7.) Die Enthauptung des Papiniani. 8.) Wie Aeneas seinen Vater Anchisen aus denen Flammen auf dem Rücken trägt. 9.) Wie Delila dem Simson seiner Haarlocken beraubt. 10.) Fausti Disputation mit Mephistophile. 11.) Fausti Bekehrung. 12.) Fausti Rückfall. 13.) Fausti gebundene Verzweiflungsrede. 14.) Dessen erschröckliches Ende. Den Beschlufs macht ein Ballet von Furien « *) Teü II, Nr. 835. 2) Teil II, Nr. 836.

293 Keil aus Linz und sein Spielgesuch betreffend, vom 18. August 1775 gefunden1). Jedoch ist in der Nürnberger Stadtbibliothek eine kleine Anzahl allerdings nicht mit Jahreszahl versehener Theaterzettel dieser Truppe, laufend vom 18. Januar bis 9. Februar, erhalten, die den Linzer Keil völlig in den Spuren des mutmafslichen Wieners .Kurz-Bernardon einherwandelnd zeigen. Ich nenne von den Stücken seines Repertoirs: »Die Jagd, ein Sing- und Lustspiel, von Monsieur Keil neu übersetzt«. — Operette comique: Der Spieler (aus dem Französischen). — »Der Prahler ohne Geld, ein von dem be­ kannten Schauspieler Nuth verfafstes und durchgehends zum Lachen eingerichtetes, von uns aber mit neuen Arien vermehrtes Lustspiel«. — Das Schauspiel Desperanda, »auf die Person der Madame Keilin extra ausgearbeitet« mit Hans Wurst.—- »Theodor der gräfliche Einsiedler und Seraphina die tugendhafte Hirtin; dann folget ein von Herrn Anton von Kurz verfertigtes Lust- und Singspiel von zwei Aufzügen: Bernardon der Weiberfeind oder Bernardon und Sirene«. — Auch Verse des Hanswursts der Keilschen Bande Franz Ignatius Kerber liegen diesen Theaterzetteln bei, für Nürnberg gewissermafsen der Schwanengesang dieser komischen Figur, die in der That seit ihrer Verbannung durch die Neuberin im Jahre 1737 ihr Dasein noch lange genug gefristet hatte. Ein völlig verändertes Bild bietet nun aber das nächste Repertoire der kurfürstl. bayerischen privilegierten deutschen Schauspielergesellschaft des Franz Joseph Moser, die in den Jahren 17 76 und 77 im Nürnberger Opernhaus zahlreiche Vor­ stellungen gegeben hat2). Hier begegnen uns endlich zum ersten Male auf unserer Wanderung die Meisterwerke der Heroen unserer Literatur und auch Shakespeares, die Titel allerdings noch bisweilen mit einem popularisierenden Mäntelchen angethan, woraus sich nicht eben auf ein Uebermafs von Pietät vor dem Dichterwort, auch dem Texte gegenüber, schliefsen läfst; so Lessings Mifs Sara Sampson (16. September und 7. November 1776), Minna von Barnhelm (15. April 1776 u. ö ), »Emilia Galotti oder Der übereilte Kindesmord, ein mit den beweglichsten 1) Teil II, Ni. 838. 2) Teil IT, Nr. 839 f.

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294 Auftritten vermischtes Trauerspiel« (7. August 1776 u. ö.- im ganzen viermal), Goethes »Clavigo Oder Das auf derTodtenbahre geschlossene Bündnis« (20. Januar 1777), Shakespeares Hamlet (viermal), Macbeth (übersetzt von Stephanie d. j., vier­ mal), »Das Schnupftuch Oder Othello, der Mohr von Venedig, ein neues hier gewifs noch niemahlen vorgestelltes Schauspiel« (übersetzt von J. H. Steffens, 18. August 1777). Aber diese Dramen und etwa diejenigen der Leisewitz (Julius von Tarent), Heinrich Leopold Wagner (Die Reue nach der That, 7. April 1 777) oder der älteren Geliert, Cronegk, Joh. El. Schlegel, Brawe u. a., kurz jener Dramatiker, die, wenn auch nicht in unserem Repertoire, so doch in der deutschen Literaturgeschichte einen ansehnlicheren Platz behauptet haben, bilden nur einen verschwindend kleinen Teil des Repertoires der Moserschen Gesellschaft. Der weitaus gröfste Teil der hier vertretenen Schauspieldichter ist heute höchstens den Literaturhistorikern, vielfach nur den spezielleren Fachgelehrten näher bekannt. So die Christian Felix Weifse, Stephanie d. j., Brandes und Johann Jacob Engel (seit 1786 Direktor des Ber­ liner Nationaltheaters), die den Löwenanteil an dem Moserschen Repertoire haben, so Stephanie der ältere, wie sein Bruder Schauspieler in Wien, Möller, »Mitglied der Pragerischen Ge­ sellschaft«, dessen »Graf von Walltron« lange Jahre hindurch eines der zugkräftigsten Stücke gewesen ist, Martini, Krüger, Grofsmann (»Die Feuersbrunst« •, sein vielgespieltes Familien­ gemälde: »Nicht mehr als sechs Schüsseln« erschien erst in diesem Jahre 1777), alle drei Schauspieler, ebenso wie Schika­ neder, damals Mitglied der Moserschen Gesellschaft. Nur um daran zu erinnern, eine wie grofse Zahl von Schriftstellern sich damals bereits wieder der dramatischen Poesie zugewandt hatte, nenne ich aus dem Moserschen Repertoire noch die Namen: Pfeffel (»Der Einsiedler«, Philemon und Baucis), Bertuch (Elfriede), Franz von Heufeld (seit 1769 Direktor des Wiener Theaters), O. F. von Diericke (»Eduard Montrose«), v. Gebier (»Darf man seine Frau lieben?«, »DerMinister«, Die »Osmonde«, »Klementine«), Paul Weidmann (»Die Folter«), C. H. von Ayrenhoff (Lustspiele, namentlich sein bekanntestes und seinerzeit am häufigsten aufgeführtes: »Der Postzug«), Joseph Maria Babo

295 (hier erst durch sein Erstlingswerk: »Arno, militärisches Drama in zwei Aufzügen«, vertreten), Krauseneck, Plumicke, Frdr. Wiih. Gottl. Wezel, Philipp Haffner (starb schon 1764), Breithaupt (»Der Renegat«), Romanus, Schummel, Schübler, Franz von Gugler (»Sidney undSilly«), Graf Nesselrode (»Der adliche Tag­ löhner«) und die nahezu unbekannten O. N. Baumgarten**), »Ma­ dame Hemplin in Berlin« (»Der ehrliche Schweizer«, Schauspiel in zwei Aufzügen) u. a. m. Überdies hat man sich nicht zu denken, dafs die Fran­ zosen nunmehr mit einem Schlage ganz in Mifskredit gekom­ men seien. Das Mosersche Repertoire — im ganzen 156 Theaterzettel — weist vielmehr noch eine stattliche Anzahl von Stücken Molteres, Voltaires, Th. Corneilles, Destouches’, Regnards, Merciers, Diderots (Hausvater) und auch zwei Stücke Holbergs (Bramarbas und den politischen Kannengiefser) auf, wie denn auch die Opern Metastasios noch nicht so bald verschwin­ den und die Ballets am Schlufs der Vorstellung bei Moser noch selten fehlen. Der Name Hanswurst kommt indessen nicht mehr vor. Dagegen spielt wiederum wenigstens der Arlequin mit seiner geliebten Colombine in dem Repertoire des »k. k. oesterr. allergn. priv. Directeurs« Felix Berner (7. Januar bis 28. April 1778) eine grofse Rolle, wie es denn auch für die Auffassung dieses Mannes von der Kunst bezeichnend genug ist, dafs bei der letzten Vorstellung drei Gegenstände, zwei silberne Schau­ münzen und ein Lamm, unter sämtlichen Zuschauern ausgelost wurden. Irgend eines der besseren Stücke findet sich bei ihm nicht. Das Repertoire der Schikanederschen Gesellschaft (1779)2) jedoch ist wieder dem Moserschen ziemlich ähnlich. Hier figuriert unter anderm auch Goethes G ötz (1. Juli und 25. August 1779)# Shakespeares König Lear und Lessings Phiiotas (6. Sep­ tember 1779) und finden wir neben manchem der oben angeführ­ ten Verfasser namentlich noch Götter und Benda, dazu Brocke *) »Ein vor vielen anderen sehenswürdiges, mit denen zärtlichsten Auf­ tritten versehenes, von Herrn O. N. Baumgarten in Berlin verfertigtes bürgerliches Trauerspiel Carl von Drontheim Oder Böse Gesellschaften verderben gute Sitten.« *) Teü II, Nr. 845. 20*

296 (»Gustav Wasa«) und eine ganze Reihe leichter Singspiele, wie denn Schikaneder mit seinen Bestrebungen im allgemeinen auf einem tieferen Niveau steht als sein Vorgänger und ehemaliger Prin­ zipal. Etwas wie »ein grofses tragisches Ballet in 5 Aufzügen, genannt Makbeth König von Schottland« (11. August 1779), also wohl eine richtige Pantomime, finden wir bei Moser nicht und ebensowenig Avertissements wie das zu dem Schauspiel »Der junge Siegwart«, das Schikaneder selbst aus Millers Roman dramatisiert hat1). Noch gegen Schlufs des Jahres 1779 meldete sich die Neuhausische Gesellschaft an, die dann bis anfangs Juni 1780 Vorstellungen gegeben hat2), um alsbald durch die Johann Böhmsche Truppe abgelöst zu werden3). Aus dem Repertoire der ersteren wäre höchstens Calderons »Verwirrung über Ver­ wirrung« besonders hervorzuheben, unter den von Böhm und den Seinen aufgeführten Stücken Corneilles Horazier, Grofsmanns Sechs Schüsseln, Sprickmanns Juwelen (oder Der Schmuck) und anderes zu nennen. Übrigens bedeutet sein Repertoire wiederum einen Rückschritt insofern, als Goethe, Lessing u. s. w. überhaupt nicht, Shakespeare nur einmal (Macbeth, 28. September 1780) zu Worte kommen und das französische Singspiel bei weitem vorherrscht. Aus dem Jahre 1781 liegen mir von dem Repertoire des Theaterdirektors Christoph Seipp4) keine Theaterzettel vor, sondern nur von Franz Joseph Rofsner, der sich in den letzten Tagen des Jahres mit seiner Gesellschaft in Nürnberg einstellte5). Unter ihm gehen — zum ersten Mal in Nürnberg — Stücke von Karl Gotthelf Lessing (Die reiche Frau), G. Eckert (Fritzei von Mannheim), Törring (Agnes Bernauerin), C. F. Brezner (Die 9 »Nachricht: »Siegwart?« hör ich fragen, »Siegwart? "Wo blieb denn dieses Drama bisher, dafs es nicht bekannt wurde?« »Freilich, theuerste Gönner, konnt’s nicht bekannt werden, weiPs erst kürzlich aus der Werkstatt — Apollens wünscht ich sagen zu können — gekommen ist. Mit einem Wort, ich, zwar einer der geringsten im Gefolge der Musen, nachdem ich befunden, wie beliebt der Roman Siegwart durchgehends ist, und wie viel sanfte Grazien, wie viel erhabene rührende Bilder allenthalben darin verstreut sind, habe mich gewagt, ein Stück daraus zu dramatisieren«. 2) Teil II, Nr. 846, 847. 8) Teü II, Nr. 848. 4) Teü II, Nr. 849. B) Teil II, Nr. 851.

297 Liebe nach der Mode) u. a. über die Bühne; von den Klassi­ kern nur wenig. Dafs er sie auch nur mangelhaft kennt, zeigt ein Theaterzettel: »Johann Faust, ein allegorisches Drama in fünf Aufzügen, verfafst von Herrn G. E. Lessing« — es handelt sich natürlich um Weidmanns Faust. Ziemlich unmittelbar an die Aufführungen Rofsners schei­ nen sich (August 1782) diejenigen der »Gesellschaft junger Schauspieler, Tänzer und pantomimischer Kinder unter Anlei­ tung ihres (uns bereits bekannten) Direkteurs Herrn Felix Ber­ ner« angeschlossen zu haben*). Ich brauche dieselben hier nicht aufs neue zu charakterisieren, und nur das »grofse pan­ tomimische Ballet in 3 Aufzügen, genannt Johann Faust. Mit zahlreichen Maschinerien und Verwandlungen. Musik von Herrn Wiirba von Prag« (28. Oktober 1782), das Dankspiel: »Die zum Dank aufgemunterte Thalia«, bei welchem das Theater durch 300Lampen festlicherleuchtet wurde (11. November 1782), sowie das Vorspiel: »Das wider die Schmähsucht beschützte Nürnbergische Frauenzimmer« (19. November 1782) mögen ihrem Titel nach angeführt und zugleich erwähnt werden, dafs von Berners Truppe in diesem Jahre unter andern Glucks Pilgrime von Mecca zur Aufführung gelangten. Am Ende der Spielzeit fand bei der letzten Vorstellung wieder eine derjenigen des Jahres 1778 ähnliche Verlosung statt. Das Jahr 1783 bringt dann die erste Aufführung von Schillers Räubern in Nürnberg (9. Oktober 1783) durch die Truppe des »kurfürstl. pfalzbayerischen Provinzial-Schauspiel-Direktors« Johann Appelt12),* aus dessen Repertoire sonst noch Babos Otto von Wittelsbach und Sodens (damals noch ungedrucktes) »grofses National-Schauspiel« Kaiser Heinrich IV. angeführt sein mögen. Kleinere Lustspiele und namentlich Singspiele über­ wiegen bei ihm stark. Auf Appelt folgte 1784 zunächst der »hochfürstl. markgräfl. badische Hofschauspiel-Directeur« Franz Heinrich Bulla8), der jedoch nur wenige Vorstellungen und unter andern »Das Verbrechen aus Ehrsucht«, eines jener leeren Stücke Ifflands, 1) Teil II, Nr. 852. 2) Teil II, Nr. 853, 8*4. 8) Teil II, Nr. 855. 4

298 in denen sich äufsere Natürlichkeit mit innerer Unwahrheit paart, im Opernhause gab, und dann noch im gleichen Jahre Ludwig Schmidt1), dessen Gesellschaft vorzugsweise Singspiele, aber beispielsweise auch Hr. Reinickes Trauerspiel »Carl und Louise oder Nur einen Monat zu spät«, das damals noch un­ gedruckt war, aufführte. Eines der Werke unserer Klassiker findet sich in seinem Repertoire nicht. Gleichfalls noch im Jahre 1784, am 2 7. Dezember, begann endlich die »Karlsbader Gesellschaft deutscher Schauspieler unter der Entreprise des Herrn Karl von Morocz«2) ein von vornherein auf 17 Vorstellungen berechnetes Gastspiel mit der ersten Aufführung von Schillers »Kabale und Liebe« in Nürn­ berg. Von Morocz selbst spielte den Stadtmusikanten Miller. Die Preise der Plätze waren noch immer 30, 24, 12 und 6 Kreuzer, gespielt wurde zwei- oder drei-, einige Male auch viermal die Woche, der Anfang der Vorstellungen war um 5 Uhr nach­ mittags. Von neuen, in Nürnberg bisher nicht aufgeführten Stücken gab man aufser dem genannten vor allem eine Reihe von Dramen und Übersetzungen Schröders, »berühmten Schau­ spielers in Wien«, und des durch seine Ritter-, Räuber- und Gespenstergeschichten berüchtigten Prager Schauspielers und Theaterdichters Christian Heinrich Spiefs, darunter auch dessen viel aufgeführtes Schauspiel »General Schienzheim und seine Familie« in der Bearbeitung von Plümicke und Brömel. Auch einige Stücke von Sheridan, teils von Bock, teils von Leonhardi übersetzt, und Calderons »Der Oberamtmann und die Soldaten, halb Lust- halb Trauerspiel«, nach einer französischen Bearbeitung von Stephanie dem Jüngeren übersetzt, wären hier zu erwähnen. Aus dem folgenden Jahre (1785) besitzt die Nürnberger Stadtbibliothek wieder 29 Theaterzettel von der Truppe des Ludwig Schmidt, der sich diesmal »hochfürstl. ansbach-bayreuthischer Hofkomödianti nennt. Sie gaben unter anderm Schillers Fiesko in Plümickes Bearbeitung (25. Oktober 1785), von dem Berliner Theaterdichter selbst: »ein ganz neues, hier niemals auf­ geführtes Singspiel für schwärmerische Seelen in 3 Akten, genannt 1) Teil II, Nr. 857, 858. 2) Teil II, Nr. 860, 861.

299 Louisens Geist oder Der Besuch nach dem Tode« (nach Meifsners Erzählungen und Dialogen) *), sodann zweimal Mozarts (-Bretzners) Entführung und Törrings Kaspar der Thorringer, ferner Gemmingens Hausvater, sowie Lust- oder Singspiele von Götter (-Benda), Jünger u. a. m. Über das Jahr 1786 schweigen gleichermafsen die Theater­ zettel wie die Ratsprotokolle. Im Frühling 1787 finden wir den älteren Schopf mit seiner Gesellschaft in Nürnberg*2). Sein Repertoire bezeichnet keinen weiteren Fortschritt. Die belieb­ testen Stücke, die einzigen, welche mehr als einmal gegeben wurden, waren Ifflands Jäger, die trotz aller Schwächlichkeit be­ kanntlich anregend und befruchtend auf Otto Ludwigs Genie gewirkt haben, Gotters komische Oper: Die Dorfdeputierten, des Grafen von Brühl Lustspiel: Das Findelkind und das Ori­ ginaltrauerspiel: Der Grandprofofs. Schopf wurde abgelöst von der herzogl. braunschweigi­ schen italienischen Operistengesellschaft unter Guglielmi3), die in den ersten Monaten des folgenden Jahres (1788), soviel ich sehe, ausschliefslich italienische Singspiele zur Aufführung gebracht hat, und der Mitte Juni 1788 die »deutsche junge Schauspielergesellschaft« des Bartholomäus Constantini folgte4). Ihr Repertoire bezeichnet eher einen Rückschritt als einen Fortschritt. Brandes, Engel, Schröder, dazu Spiefs und Vulpius spielen die Hauptrolle, und von besseren und bedeutsameren Stücken findet sich aufser Schillers Räubern, die zweimal gegeben wurden, nur Johann Elias Schlegels Lustspiel: Der Triumph der guten Frauen. Auch eine richtige Harlekiniade trifft man hier einmal wieder. Mit dem kurpfalzbayerischen privilegierten SchauspielDirekteur Anton Faller, der in den Jahren 1789 und 1790 mit seiner Truppe in Nürnberg Vorstellungen gab5), tritt die Nürn­ berger Theatergeschichte in das Zeichen Kotzebues, der von nun an immer mehr die Repertoires beherrscht. »Menschenhafs und Reue« wurde 1789 in Nürnberg dreimal, »Adelheid von *) Goedeke-Goetze, Grundrifs, V, 529. 2) Teil H,Nr. 862, 864. 8) Teil II,Nr. 863, 864. *) Teil II,Nr. 865. B) Teil H,Nr. 866—868.

300 Wülfingen« zweimal, »Die Indianer in England« einmal gegeben. Mehr als einmal wurden aufserdem gegeben Dittersdorfs »Apo­ theker und Doktor«, Jüngers »Revers«, Bretzners noch lange sehr beliebtes Lustspiel »Das Räuschchen«, von Brühls Lustspiel »Der Bürgermeister«, »Die Zerstörung der Bastille«, Trauerspiel in 4 Aufzügen, und »Der lustige Tag oder Figaros Hochzeit mit Chören und Tänzen aus dem Französischen des Beaumarchais«. Auch IfFland ist natürlich mehrfach vertreten. Von den Wer­ ken unserer Klassiker wurde dagegen nur Lessings Emilia Galotti und Goethes Clavigo je einmal aufgeführt. Etwas mehr kommen sie zu Wort in dem Repertoire der Häuslerschen Gesellschaft, die unter ihrem »Entrepreneur« Herrn von Baillou 1791 in Nürnberg agiert hat1). Schillers Don Carlos (5. Mai 1791), Fiesko (8. Juni 1791), »die Räuber oder der Fall des Moorischen Hauses« und Kabale und Liebe (2. August 1791) wurden von ihnen je einmal gegeben. Gröfsere Erfolge wurden indessen wiederum mit Kotzebues und Ifflands Stücken, ferner mit Dittersdorfs vorhin genannter Oper, Vincenzo Martinis Oper »CosaRara oder Schönheit und Tugend«, Weidmanns komischer Oper »Die natürliche Zauberei« (Musik von Winter), Grofsmanns komischer Oper »Adelheid von Velt­ heim« (Musik von Neefe), dem fünfaktigen Schauspiel Siegfried von Lindenberg (nach Johann Gottwerth Müllers gleichnamigem Roman) und Sodens »Ernst Graf von Gleichen, Gatte zweier Weiber«2) erzielt. Ziemlich in den gleichen Bahnen bewegt sich das Reper­ toire des Schauspieldirektors und nürnbergischen Schutzver­ wandten Franz Anton von Weber, eines ehemaligen Sprachmeisters, von dessen theatralischer Wirksamkeit in Nürnberg während der Jahre 1791 und 1792 eine ganze Anzahl der im zweiten Teil dieser Arbeit wiedergegebenen Ratsverlässe x) Teil 31, Nr. 870. 2) Die Anpreisung dieses Stückes lautet: »Beleidigung wäre es, des Herrn Grafen vortreffliche Meisterstücke, so die ganze literarische Republik und Kennerwelt dafür einstimmig erklärt haben, erst zu empfehlen, sie bedürfen keiner Anpreisung, denn Meisterstücke empfehlen sich selbst, und wer Ignez de Castro gesehen hat, braucht nichts weiter als den verehrungswürdigen Nahmen des Herrn Autors zu dem Titel dieses Stückes, um schon im Voraus von seiner Vortrefflichkeit überzeugt zu sein«.

301 handelt1). Das von seiner Gesellschaft am häufigsten gegebene Stück war Dittersdorfs Oper Hieronymus Knicker. Aus dem Jahre 1793 datiert der erste Versuch, auch die Nürnberger Bühne unter dem Namen eines »Reichsstadt Nürnbergischen National-Theaters« zu einer stehenden zu erheben. Dieser Versuch ging von den drei Direktoren der damals (und bereits Ende 1792) im Opernhaus agierenden Gesellschaft deut­ scher Schauspieler, Wetzel, Müller und Lorenz, die uns bald vereinigt, bald getrennt begegnen, aus, scheiterte aber gänzlich an der Indolenz des Rates2).* * Um derartige Neuerungen durch­ zusetzen, bedurfte es einer stärkeren Hand, eines zielbewufsteren Willens. Nach den erhaltenen Theaterzetteln der genannten drei Direktoren, sowie des Schauspielers Wilhelm Reinberg, der 1794 die Leitung der Müllerischen Truppe übernahm8) — ich zähle im ganzen 167 Vorstellungen —, entfielen auf Schillers Räuber, Cabale und Liebe, Fiesko, Lessings Minna von Barn­ helm und Emilia Galotti, Shakespeares Lear, Hamlet und Mac­ beth gleich den meisten übrigen Stücken nur je eine einzige Auf­ führung, doch ist ja allerdings nicht ausgemacht und schwer festzustellen, wieweit uns die Theaterzettel in der Sammlung der Stadtbibliothek vollständig vorliegen. Zwei Aufführungen wür­ den danach nur einige Stücke von Iffland (Herbsttag, Hage­ stolzen), Kotzebue (Indianer in England), Spiefs (Klara von Hoheneichen, Maria Stuart, Versprechen macht Schuld), Ziegler (Rache für Weiberraub, Liebhaber und Nebenbuhler in einer Person, Der König auf Reisen), Hagemann (Otto der Schütz, Ludwig der Springer, Der Fremdling), Möller (Graf von Walltron), Babo (Agnes Bernauerin), Schikaneder (Hans Dollinger, Der dumme Gärtner, Musik von Schak), Vulpius (Luftschlösser), Beck (Verirrung ohne Laster), Zschocke (Graf Monaldeschi), Karl Steinberg (Menschen und Menschen-Situationen oder die Familie Grunau), Heusler (Galerie-Gemälde), Martini (Baum der Diana, Oper) und Paesiello (Das listige Bauernmädchen, »sehr komische Oper«), vier Aufführungen von Dittersdorfs Oper Das rote Käppchen erzielt haben. *) 2) Nr. 878, sj

Teil Teil 880, Teü

II, Nr. 870—877. II, Nr. 879. Über Wetzel, Müller und Lorenz vgl. aufserdem 881. II, Nr, 881. Vgl. auch 885.

302 1794 kam auch der Schauspieldirektor Wenceslaus Mihule zum ersten Male nach Nürnberg, der dann in den Jahren 1794 bis 1796 daselbst etwa 350 Vorstellungen gegeben hat1). So viel Theaterzettel sind uns wenigstens (in der Sammlung der Stadtbibliothek) als Zeugen seines hiesigen Wirkens erhalten. Darnach wurden in der ganzen Zeit Schillers Räuber, Kabale und Liebe, Fiesko und Don Carlos je einmal, dazu »der Sonnen­ wirt oder der Verbrecher aus verlorner Ehre«2) zweimal, Shakespeares Heinrich IV. (in der Schröderschen Bearbeitung) einmal, Hamlet zweimal, Stücke von Goethe oder Lessing überhaupt nicht gegeben. Wie in den vorausgehenden Repertoires schiefsen auch hier die Opern den Vogel ab. Die gröfste Zahl von Auf­ führungen (12) vereinigt auf sich Mozarts Zauberflöte, dann folgt P. Wranitzkys romantisch-komische Oper Oberon, König der Elfen, Text von C. L. von Giesecke nach Wieland (9 Auf­ führungen), und Wenzel Müllers grofse Oper: Der Geisterseher oder das neue Sonntagskind (7 Aufführungen), sowie d’Alayracs Singspiel: Die beiden kleinen Savoyarden und Zschockes Schau­ spiel Abällino mit je 6, Wenzel Müllers grofse heroische komi­ sche Oper: Das Sonnenfest der Braminen, d’Alayracs: Die Wil­ den, und Zieglers: Weltton und Herzensgüte, mit je fünf Auf­ führungen. Daran reihen sich Dittersdorfs Hieronymus Knicker, Kotzebues Armut und Edelsinn, Ifflands Aussteuer, SchikanederSchaks: Die Zaubertrommel und Schellenkappe oder der wohlthätige Derwisch, Joseph Haydns Freibrief, Franz Kratters Mäd­ chen von Marienburg mit je 4, Haydns Wütender Roland, Kotzebues Spanier in Peru, Salieris grofse Oper: Das Kästchen mit der Ziffer, Panecks komische Oper: Die christliche Juden­ braut, Martinis Baum der Diana, Beaumont und Fletschers Rule a Wife and have a Wife, Mozarts Don Juan, Spindlers Singspiel Reinald oder Viel Lärmen um einen Schlafrock, Wenzel Müllers Zauberzitter und desselben: Die zwei Schwestern von Prag, Ifflands Dienstpflicht und Reise nach der Stadt, endlich Kratters Menzikoff und Natalie mit je 3 Aufführungen. Die l) Teil II, Nr. 882. a) »Ein neues, hier noch nie gesehenes Schauspiel in 5 Aufzügen von Herrn Schiller, Verfasser der Räuber [auf dem Theaterzettel durch Druckversehen die Worte falsch gestellt] genannt »Der Sonnenwirt« etc. vgl. GoedekeGoetze, Grundrifs V, 176.

303 zahlreichen übrigen Stücke — auch Harlekiniaden und Panto­ mimen treffen wir noch darunter — übergehe ich, wie ich mich denn auch bezüglich der Erlebnisse, Pläne und Unternehmungen Mihules in Nürnberg mit einem Hinweis auf die im zweiten Teil wiedergegebenen Ratsverlässe1) begnügen mufs. 1797 und 1798 spielten abwechselnd die augsburgische Graf Fuggersche Truppe, zeitweilig unter Leitung des Ferdinand Kindler2), und die Gesellschaft des Schauspieldirektors Cosmas Morelli3). Im Charakter schliefsen sich die Repertoires beider Truppen eng an dasjenige Mihules an. Noch eine der letzten Vorstellungen Morellis, vom 29. Januar 1798, bot zunächst ein Lustspiel in einem Aufzuge: »Die Comödie aus dem Stegreif« und hierauf »Don Jouan Tenorio oder Das steinerne Gastmahl, ein grofses tragisch-historisch-pantomimisches Ballet in 6 Aufzügen von Herrn Morelli. Abonnement suspendu«. Ebensowenig Neues oder Bedeutsames läfst sich aus dem Repertoire des Schauspiel-Direktors Louis Cella4) beibringen, doch verdient bemerkt zu werden, dafs bei ihm Schiller, Goethe oder Lessing überhaupt nicht figurieren und von Shakespeare nur einmal der Hamlet in der Schröderschen Bearbeitung zur Aufführung gelangt ist. Kotzebue, Iffland, Bretzner, Hagemann und andere führen nach wie vor das grofse Wort. Nicht selten sind auch hier von Jungheim arrangierte pantomimische Ballets, wie etwa »Ritter Urachs Abenteuer, ein ganz grofses neues panto­ mimisches Ballet in vier Aufzügen von Herrn Jungheim« u. s. f. Von der Thätigkeit des Schauspieldirektors Aloisius Fürchtegott von Hofmann5), dem, nachdem er bereits im No­ vember 1798 vergeblich um Spielerlaubnis nachgesucht, am 28. Dezember desselben Jahres vier Vorstellungen zu geben verstattet wurde, sind mir bisher keine Theaterzettel zu Gesicht gekommen. Überblicken wir noch einmal diese Repertoires, bei deren Besprechung es mir weniger um eine wissenschaftliche Durch­ dringung des Stoffes zu thun gewesen ist und bei der Beschrän*) 2) 8) *) 6)

Teil Teil Teil Teil Teil

II, II, II, II, II,

Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.

882—898. 898, 899, 899 — 901, 911, 913, 915, 917,

902, 905, 906, 908. 903, 904, 906, 907. 914, qi6. 918,

304 kung in Raum und Zeit zu thun sein konnte, als vielmehr darum, mit wenigen Strichen die Entwicklung anzudeuten und zugleich eine einigermafsen orientierende Übersicht über das in den benutzten beiden Sammlungen vorhandene Material zu geben, so wird man namentlich bei der Vergleichung mit der Entwick­ lung des Theaterwesens an so manchen anderen Orten leicht gewahr, dafs Nürnberg damals nicht mehr, wie vor Zeiten, an der Spitze dieser Entwicklungen marschierte, sondern sich im Gegenteil im Hintertreffen befand. Gewissermafsen nahm auch das Theaterwesen teil an der Stagnation, die seit lange alle Verhältnisse des öffentlichen Lebens in Nürnberg ergriffen und ihren hauptsächlichsten und tiefsten Grund in der sich von Jahr zu Jahr steigernden Finanznot des Nürnberger Freistaates hatte. Die unruhigen und kriegerischen Jahre zu Ausgang des Jahr­ hunderts mit ihren Kontributionen, Truppendurchmärschen, Ein­ quartierungen und den Franzosen in Stadt und Gebiet brachten diese Kalamität auf den Gipfel. In erster Linie stets mit Ge­ danken, Plänen und Entwürfen, wie den öffentlichen Finanzen aufzuhelfen sein möchte, beschäftigt, fehlte es dem Rat bereits zu Anfang des 18. Jahrhunderts sowohl an Zeit, wie an Lust, dann auch an der nötigen Elastizität des Geistes, sich mit Nebensächlichem eingehender abzugeben und etwa über zweckmäfsige und den Anforderungen der Zeit entsprechende Neue­ rungen in den nürnbergischen Theaterverhältnissen nachzusinnen und Beschlüsse zu fassen. So lange es irgend möglich war, blieb in solchen Sachen alles beim Alten. Daher das oben ge­ schilderte Ringen um jede kleine Verbesserung, um jeden noch so kleinen Fortschritt hinsichtlich der äufseren Verhältnisse der Bühne, beziehungsweise des Lokals oder der Schauspieler, daher der gänzliche Mangel an gröfseren und bedeutsameren Theater­ ereignissen — wäre es auch nur das Auftreten eines berühmten Schauspielers — in der alten, einst so angesehenen, reichen und kunstliebenden Reichsstadt das ganze 18. Jahrhundert hin­ durch, wenn wir von der Anwesenheit und dem Wirken des Ehepaars Neuber in Nürnbergs Mauern absehen, und endlich das lange »theatralische Nomadenleben« in Nürnberg. Unter diesen Umständen war es in der That für den Reichsadlerwirt Georg Leonhard Auernheimer, mit dem seit

305 Mitte 1798 deswegen verhandelt wird, kein leichtes Beginnen, als er hauptsächlich im Vertrauen auf die eigene Thatkraft und Ausdauer es um die Wende des Jahrhunderts unternahm, nicht nur endlich auch in Nürnberg eine stehende Bühne ins Leben zu rufen, sondern auch — und zwar schliefslich aus eigenen Mitteln — für ein angemesseneres und bequemeres Schauspiel­ haus zu sorgen. Welche Schwierigkeiten er dabei zu über­ winden hatte, wie ihm bald von Seiten des Rates, insbesondere vom »löblichen Ökonomie - Verbesserungs - und RechnungsRevisionskollegium« , bald von dem Kreisartillerie-Obristen, dann wieder von den übrigen Gastwirten, die sich durch Auernheimers »Privilegierung« benachteiligt glaubten, oder von den Stadtmusikanten und Schauspielern immer aufs neue Steine in den Weg geworfen wurden, das möge man in den Auszügen aus den Ratsprotokollen1) und dazu in Hysels Buche, das von hier an zuverläfsiger und ausführlicher wird, nachlesen. Dafs ihm trotz alledem sein Werk gelang, ja, wenn man die entgegenstehenden Faktoren in Rech­ nung zieht, überraschend gut gelang, dafs das Nürnberger Theater in den folgenden Jahrzehnten geradezu eine neue Blütezeit erleben und sich sowohl tüchtiger eigener Kräfte, zu denen vor allem Efslair und Anschütz zu rechnen sind, wie auch einer Reihe von Gastspielen erster schauspielerischer Gröfsen, eines Iffland (1802), Ludwig Devrient (1805) und anderer erfreuen durfte, ist fast einzig und allein der durch­ greifenden und zielbewufsten, oft auch rücksichtslosen Art Auernheimers zuzuschreiben; und eine eingehende Darstellung seines Unternehmens, eine Schilderung seiner Bestrebungen und Erfolge, eine Beschreibung seines Lebens und Charakters würde daher in einer erschöpfenden Geschichte des Nürnberger Thea­ ters an dieser Stelle zunächst zu entwerfen sein. Es müfste ferner auf seine Mitarbeiter, in erster Linie die Schauspieler der neu geschaffenen Nürnberger Bühne, und auf sein Repertoire eingegangen werden, es wäre der Stand der theatralischen Dekorationskunst zu Ausgang des 18. und zu Anfang des 19. Jahrhunderts, der Stand der Theaterzensur, der *) Teü II, Nr. 909, 910, 918—920, 922, 925—928, 932—941.

306 Theaterkritik in Nürnberg näher zu untersuchen und zu be­ leuchten, müfste beispielsweise der redlich strebende und offenbar nicht unbegabte Kritiker und Schriftsteller Hubert von Harrer und sein Theaterjournal, wie andere ähnliche Unternehmungen, die in Nürnberg noch in das 18. Jahrhundert zurückreichen, zu ihrem Rechte kommen u. s. f. Der Verfasser sieht sich indessen genötigt, hier jener namentlich bei unserem Nachbarn jenseits des Rheins vielfach beliebten »Forschungs«-Art Konzessionen zu machen, die es nicht selten dabei bewenden läfst, in langer, gründlich erschö­ pfender Reihe aufzuzählen, was in dem gegebenen Falle von der eindringenden Forschung alles zu geschehen hätte. Anderer­ seits aber darf er wohl für sich geltend machen, dafs er als den Hauptzweck dieser Arbeit von vornherein die Publikation und Kommentierung der auf die Nürnberger Theatergeschichte bezüglichen Ratsverlässe bezeichnet hat. Diese aber reichen nur wenig über den Zeitpunkt der Einverleibung der alten Reichsstadt Nürnberg in das Königreich Bayern (15. September 1806) hinaus, ohne dafs dieser Zeitpunkt doch zugleich einen bemerkenswerten Einschnitt in der Entwicklung des Nürnberger Theaterwesens bedeutete. Die neue Epoche, die mit der Auernheimerschen »Entreprise« beginnt, war damals noch keines­ wegs zu Ende, und so sprachen auch wissenschaftliche wie ästhe­ tische Gründe dafür, sie hier nicht mehr anzuschneiden. Den gleichfalls wechselvollen und nicht minder interessanten Ent­ wicklungsgang des Nürnberger Theaterwesens in unserem Jahr­ hundert darzulegen und zu schildern, möge vielmehr einer anderen Feder überlassen bleiben.



Literatur. Geschichte der Reichsstadt Nürnberg von dem ersten urkundlichen Nachweis ihres Bestehens bis zu ihrem Über­ gang an das Königreich Bayern (18O6) von Dr. Emil Reicke, Kustos an der Stadtbibliothek und am städtischen Archiv in Nürnberg. Mit 210 Illustrationen, 3 Vollbildern, 1 Karte und 1 Plane. (Bisher unter dem Titel: Geschichte der Stadt Nürnberg von Joh. Paul Priem, zweite Auflage, herausgegeben von Dr. Reicke). Nürnberg 1846. Verlag der Joh. Phil. Rawschen Verlagsbuchhandlung (J. Braun). 8°. X und 1078 Seiten. Es gehört zu den verwunderlichen Dingen, dafs das Ende des 19. Jahrhunderts herankommen mufste, bis der Versuch unternommen wurde, eine den Anforderungen der heutigen Kritik entsprechende zusammenhängende Darstellung der Ge­ schichte der Reichsstadt Nürnberg zu schreiben. Man sollte meinen, die Geschichte gerade dieser mächtigen und einflufsreichen Stadt hätte längst einen berufenen Historiker reizen müssen, sie in einer den Ansprüchen der modernen Geschichts­ schreibung entsprechenden Form darzustellen. Allein wir besafsen bis vor kurzem kein einziges Buch, dem man mit einigem Grund die Berechtigung zuerkennen konnte, sich Geschichte von Nürnberg zu nennen. Es waren ungenügende und un­ wissenschaftliche Darstellungen, die sich als Geschichte Nürn­ bergs ausgaben, und auch die Geschichte des alten Priem, dessen mannichfache Verdienste um seine Vaterstadt niemand wird verkleinern wollen, war doch nichts weniger als eine gründliche, erschöpfende und wissenschaftliche Schilderung der reichen Vergangenheit seiner Vaterstadt. Der Grund lag wohl vor allem darin, dafs es bis in die zweite Hälfte unseres Jahr­ hunderts hinein an den Vorarbeiten fehlte, die der Geschichts-

308 Schreiber zur Durchführung einer gröfseren, Jahrhunderte um­ fassenden Arbeit notwendig hat, und dafs sich jeder Forscher, der sich mit der Geschichte Nürnbergs abzugeben entschlofs, in Einzelforschungen verlor und verlieren mufste und so zu keinem Abschlufs kam. So entstanden wohl mancherlei schätz-» bare Einzelarbeiten, aber keine brauchbare Geschichte von Nürnberg. Erst mit der mustergiltigen Bearbeitung der Nürn­ berger Chroniken unter Professor von Hegels Leitung in den Publikationen der historischen Kommission bei der k. b. Aka­ demie der Wissenschaften wurde die Grundlage für eine wissen­ schaftliche Geschichtschreibung der alten Reichsstadt geschaffen — freilich nur für die Zeit bis 1500, für die spätere Zeit fehlen dafür auch heute noch vielfach entsprechende Quellenbearbei* tungen, was jeder Freund der Geschichte Nürnbergs auf das lebhafteste beklagt. Das oben angezeigte Buch von Dr. Reicke verdankt nun seine Entstehung nicht der eigenen Initiative des Verfassers, es ist nicht das Ergebnis jahrelanger sorgsamer Beschäftigung mit den Quellen und die Arbeit eines mit der Lokalgeschichte vertrauten Forschers*, den Anstofs zu seiner Bearbeitung hat der Wunsch des Verlegers gegeben, eine neue Auflage der vergriffenen Geschichte der Stadt Nürnberg von Joh. Paul Priem in verbesserter Gestalt erscheinen zu lassen, dem Verfasser war keine Zeit zu selbständigen Quellenstudien gelassen, er war an die im voraus bestimmten Lieferungsfristen gebunden, und er mufste sich deshalb mit einer Kompilation der bisherigen Ergebnisse der Forschungen über Nürnberger Geschichte im wesentlichen begnügen. Dafs eine unter solch erschwerenden Umständen entstandene Arbeit von Mängeln nicht frei sein kann, liegt auf der Hand, und der Verfasser hat das offen und rückhaltlos in seiner Vorrede zugegeben. Er selbst gesteht die Unselbständigkeit zu, die sich in einzelnen Partien des Buches bemerkbar macht, er erklärt auch aus der Art der Entstehung desselben die Ungleichmäfsigkeit in der Bearbeitung des Stoffes, die Breite, mit der einzelne Perioden der Vergangenheit Nürnbergs geschildert sind, und die ent­ schieden stiefmütterliche Behandlung, die andere, insbesondere die neueren Zeiten erfahren haben, er macht kein Hehl daraus, dafs ihm die Kürze der Zeit verbot, Quellenforschungen

309

und eigentliche Specialuntersuchungen anzustellen, und das zeigt sich Überall, wo gründliche und zuverlässige Vorarbeiten fehlten. Aber trotz dieser Mängel ist Reickes Geschichte der Reichs­ stadt Nürnberg als ein ganz wesentlicher Fortschritt auf dem Gebiete der Nürnberger Geschichtschreibung zu begrüfsen. Sie ist doch der erste Versuch einer auf wissenschaftlicher Grund­ lage beruhenden zusammenfassenden Darstellung der so überaus interessanten Geschichte dieses merkwürdigen Gemeinwesens und überragt ihre Vorgängerinnen durch Gründlichkeit und historische Auffassung. Dafs er sich aber dieser schwierigen Aufgabe unterzogen, rechnen wir ihm um so mehr zum Ver­ dienste an, als wir oft genug die Erfahrung machten, dafs mit­ unter eine Art von — wir möchten fast sagen — Unersätt­ lichkeit der Forscher uns längst ersehnte Arbeiten vorenthält und die Ausfüllung von Lücken in der Wissenschaft dauernd verhindert Wir teilen den Wunsch des Verfassers, dafs es ihm vergönnt sein möchte, recht bald in einer zweiten Auflage »zu seiner eigenen Befriedigung die Mängel des Buches tilgen und das ganze gleichmäfsiger, vollständiger und innerlich ausgereifter den Freunden der vaterländischen Geschichte darbieten« zu können. Wenn Herr Dr. Reicke, der sich in verhältnismäfsig sehr kurzer Zeit mit dem ihm vorher fremden, gewaltigen Stoff vertraut gemacht und ihn mit unbestreitbarem Geschick ver­ arbeitet und gruppiert hat, seinem Vorsatze treu bleibt und nun trachtet, ohne Rücksicht auf Verleger und Publikum seine Arbeit in allen ihren Teilen gewissenhaft nachzuprüfen, die bisher zu kurz gekommenen Partien und Gebiete der Nürnbergisehen Geschichte durch eigenes und selbständiges Quellenstudium zu ergänzen und dem Ganzen homogen zu gestalten, wenn er sich dabei auch in Zukunft vor der Gefahr hütet, sich zu sehr in die bisweilen nur allzu verlockenden Spezialuntersuchungen zu vertiefen, und mehr und mehr darauf beschränkt, die allgemei­ nen Gesichtspunkte festzuhalten und dem Bedürfnis nach einer übersichtlichen Geschichte gerecht zu werden, dann darf er der Zustimmung und des Dankes aller einsichtigen Geschichts­ freunde im voraus sichet sein. Der für Bücherbesprechungen in diesen Blättern zur Ver­ fügung gestellte Raum verbietet uns, auf das Buch, wie es 21

310 eigentlich gerechtfertigt wäre, im einzelnen einzugehen. Es liefsen sich ja ohnehin nur Einzelheiten herausgreifen, in denen man anderer Ansicht sein kann oder sein mufs als der Ver­ fasser, und die abweichenden Ansichten begründen, oder man müfste die oder jene Periode oder Episode der Stadtgeschichte auswählen und an ihrer Schilderung zeigen, wie der Verfasser zu Werk gegangen ist. Die Methoden, nach welchen der Ge­ schichtschreiber bei der Darstellung der Geschichte einer ein­ zelnen Stadt verfahren kann, sind ja grundverschieden, und es wird sich nicht mit Sicherheit sagen lassen, welche und ob überhaupt eine die allein richtige ist. Wie verschieden sie sind, zeigt eine Vergleichung des vorliegenden Buches mit dem im Jahre 1895 erschienenen von Ludwig RöseL »Altnürnberg, Ge­ schichte einer deutschen Stadt im Zusammenhänge der deut­ schen Reichs- und Volksgeschichte«. Schon über die Perioden, in welche die Geschichte der Reichsstadt einzuteilen ist, kann man verschiedener Meinung sein. Priem hatte in vier Kapiteln die Geschichte von der Zeit Heinrichs III. bis zum Aufstande von 1348 und dessen Folgen (1050—1350), dann die Periode von der dritten Erweiterung der Stadt*) bis zur Einführung der Reformation (1350—1525), ferner die Zeit von der Reformation bis zum Recefs des westfälischen Friedens (1525 —1650) und endlich die Zeit vom westfälischen Frieden bis zur Einver­ leibung der Reichsstadt in das Königreich Bayern (1650—1806) behandelt. Dr. Reicke hat diese Einteilung verlassen, er hat den Stoff in elf Kapitel gruppiert, wobei die neuere Zeit vom Augsburger Religionsfrieden an aus den schon erwähnten Grün­ den unstreitig zu kurz gekommen ist. Sie ist in den letzten zwei Kapiteln sehr kursorisch behandelt, womit wir selbst­ verständlich nicht einverstanden sind. Dagegen halten wir es für vollkommen gerechtfertigt, dafs der Verfasser der Kulturgeschichte einen breiten Raum in seinem Buche ein­ geräumt hat; nur gilt das eben wieder lediglich für die Blüte­ zeit der Republik. Dafs Herr Dr. Reicke die Literatur über die Nürnberger Geschichte gewissenhaft zu Rat gezogen hat, beweisen die zahlreichen Citate, die sich in den dem Buche am *) So bei Priem statt zweiter Erweiterung.

311 Schlüsse beigefügten Quellennachweisen, Nachträgen und Berich­ tigungen aüfgeführt finden. Ein gewissenhaft bearbeitetes Re­ gister erhöht die Brauchbarkeit des Werkes. Die Verlagshand­ lung hat eine Menge von Illustrationen verschiedenster Art aus Älter und neuerer Zeit beigegeben, die nicht unwesentlich dazu beitragen, die Schilderungen zu veranschaulichen. So hat das Buch eine Reihe von Vorzügen, die es nach unserer Über­ zeugung dem Leser lieb und wert machen werden. Es ist für jedermann unentbehrlich, der sich ein vollständiges Bild von der reichen Vergangenheit der Stadt Nürnberg machen will, und es ist durchaus geeignet, die Liebe und Anhänglich­ keit für das Gemeinwesen zu wecken und zu steigern, das im alten heiligen römischen Reich deutscher Nation und in der deutschen Geschichte überhaupt eine so hervorragende Rolle gespielt hat und im neuen deutschen Reiche einer zweiten, hoffentlich nicht minder rühmlichen Blütezeit entgegenreift. -ss.

Beiträge zur bayerischen Kirchengeschichte. Heraus­ gegeben von Dr. Theodor Kolde, ord. Professor der Kirchen­ geschichte an der Universität Erlangen. Bd. I und II. Erlangen, Verlag von Fr. Junge. 1895 und 1896. (2 Bl., 288 S.*, IV, 312 S.) Ein Unternehmen , dem wir gern den besten Fortgang wünschen. Wer sich mit der Erforschung der kirchlichen und religiösen Zustände früherer Zeiten innerhalb unseres engeren Vaterlandes beschäftigte — und an solchen hat es, in erster Linie natürlich in den Kreisen der Geistlichkeit, nie ganz ge­ fehlt —, war wohl nicht gar selten in Verlegenheit, an welcher Stelle er seine oft nur auf eine sehr enge Örtlichkeit sich er­ streckenden, darum aber häufig nicht weniger wertvollen Arbeiten unterbringen sollte. Sehr zu bedauern blieb es dann, wenn die Resultate solcher Forschungen in Winkelblättern niedergelegt wurden, in denen sie meist spurlos verschwanden oder wenig­ stens für die Wissenschaft so gut wie ganz verloren gingen. Aber auch, was in den lokalen Zeitschriften, etwa der histori­ schen Vereine, Aufnahme fand, verfiel leicht der Gefahr, nicht 21*

312 gehörig beachtet zu werden, da diese Zeitschriften bekanntlich nicht jene allgemeine Verbreitung zu finden pflegen, die ihnen im Interesse der historischen Forschung zu wünschen wäre. Da hat nun der rühmlichst bekannte Professor für Kirchengeschichte an der Universität Erlangen Dr. Theodor Kolde den glück­ lichen Gedanken gehabt, diese zerstreuten Kräfte — wenn nicht alle, so doch einen guten Teil derselben — zu sammeln und in einer alle zwei Monate in Heften erscheinenden Fachzeit­ schrift eine Art Centralstelle, für kirchengeschichtliche Forschun­ gen, soweit sie irgendwie die das Königreich Bayern zusammen­ setzenden Landschaften angehen, zu schaffen. Zur Zeit liegen zwei Jahrgänge dieses Sammelwerks vor uns, nicht übermäfsig stark, aber reich an Inhalt und sehr ergiebig für mannigfache Belehrung. Die Reihe der Beiträge eröffnet der Herausgeber selbst mit einer auch separat erschienenen biographischen Schil­ derung des verdienten, aber nur wenig bekannten Ansbacher Reformators Andreas Althamer. Auch sonst sind den ehemals markgräflich-brandenburgischen Gebieten verschiedene Arbeiten gewidmet. Dr. jur. Vogtherr, Regierungsaccessist in Ansbach, schildert uns die Verfassung der evangelisch-lutherischen Kirche in den ehemaligen Fürstentümern Ansbach und Bayreuth, Pfarrer R. Herold in Uffenheim das gottesdienstliche Leben im Kapitel Uffenheim vor 150 Jahren, woraus wir ebenso wie aus den Arbeiten seines Namensvetters Max Herold in Schwabach entnehmen, wie lange die liturgischen Formen der alten Kirche sich noch bis in die neueren Zeiten hinein erhalten haben. Einen willkommenen Beitrag zur Nürnberger Reformations­ geschichte, ein Gutachten der Rechtskonsulenten in der Bann­ angelegenheit Pirckheimers und Spenglers, teilt der leider durch einen frühen Tod dahingeraffte Westermayer, ehemals Pfarrer in Frohstockheim, mit. Nürnberger Verhältnisse berührt auch die Abhandlung von Pfarrer Jordan in Haundorf über das Nürnberger Heilig-Geistspital, worin die Annahme des Münche­ ner Stadtpfarrers Adalbert Huhn mit triftigen Gründen zurück­ gewiesen wird, dafs der Orden der Brüder vom heil. Geist an der Gründung und anfänglichen Leitung dieser Stiftung beteiligt gewesen sei. Von allgemeinerem Interesse sind die Denkschriften Johann Ecks zur deutschen Kirchenreformation vom Jahre 1523,

313 die Walter Friederisburg aus vatikanischen Handschriften ver­ öffentlicht hat, in denen der kampffertige Gegner Luthers mit ganz verständigen Ratschlägen zur Abschaffung der kirchlichen Mifsbräuche und mit beredten Worten wider die Sittenlosigkeit und Indolenz der deutschen Geistlichkeit auftritt. Seine schon früher vorgetragenen Ansichten über Dürers Stellung zur Re­ formation verteidigt eindringlich und mit Erfolg der Ober­ bibliothekar Zucker in Erlangen gegen die neuerlichen ultramon­ tanen Bestrebungen Webers, die den tiefsinnigen grofsen Maler ganz unhaltbarer Weise zu einem getreuen Sohne der katholi­ schen Kirche stempeln wollen. Die sonstigen Beiträge, an denen Männer wie Stieve, Kawerau, Enders, Bossert und viele andere beteiligt sind, erstrecken sich über alle Teile des Kö­ nigreichs Bayern, die Oberpfalz und die Pfalz jenseits des Rheins, über das oberschwäbische Gebiet mit Augsburg und Memmingen und über das ehemals bischöfliche Franken, aber auch die altbayerischen Lande erfahren in einigen Artikeln eine gerechte Würdigung. Von hohem Werte ist das bibliogra­ phische Material, das in den beiden Bänden niedergelegt ist, nicht nur in Gestalt zahlreicher Bücheranzeigen und mehr oder minder eingehender Besprechungen, sondern auch durch eine sehr dankenswerte Zusammenstellung des bayerischen Reichs­ archivrats O. Rieder, der, der Reihe nach die Zeitschriften der. historischen Vereine in Bayern durchgehend, alle darin enthal­ tenen irgendwie das kirchengeschichtliche Gebiet streifenden Artikel mit genauer Angabe der Band- und Seitenzahl aufführt, so dafs wir hoffen dürfen, mit der Zeit ein vollständiges Reper­ torium dieser so sehr zerstreuten Arbeiten zu besitzen. Nur dürfte es sich empfehlen, in Zukunft bei jedem neuen Heft die Angabe der excerpierten Zeitschrift zu wiederholen, jetzt kann z. B. der Leser, der nicht zugleich im Besitz des ersten Bandes unseres Sammelwerks ist, in der That nur mit Mühe feststellen, worauf sich die Auszüge auf S. 43 des zweiten Bandes beziehen. Auch dürfte in Zukunft auf den Abdruck der Urkunden noch gröfsere Sorgfalt zu verwenden sein. Druckfehler wie »putation marie« (II. Bd. S. 6) oder sinnlose Abkürzungen wie »dem frawen closter graes Ordens« (Ebd. S.294) sähe man in einer so gediegenen, auch äufserlich recht ansprechend ausgestatteten

314 Publikation lieber vermieden. Doch das sind Kleinigkeiten. Hoffen wir, dafs es den »Beiträgen zur bayer. Kirchengeschichte« auch fernerhin nicht an wackeren Mitarbeitern, die sich, wie die beiden ersten Jahrgänge zeigen, aus den Reihen der Geistlichen so­ wohl, wie auch erfreulicherweise der Historiker von Fach, insbeson­ dere der Archivbeamten, zusammensetzen, dann aber auch und vor allem nicht an der Gunst des Publikums fehlen möchte, durch die allein nur ein solches privates Unternehmen auf die Dauer erhalten werden kann. Möchte es der hier besprochenen Zeit­ schrift besser ergehen, wie den noch heute so wertvollen gleich­ falls von einem einzigen Manne ins Leben gerufenen Sammel­ werken des vorigen Jahrhunderts, eines Riederer, Will, Waldau u s. w., die meist schon nach wenigen Jahrgängen aus Mangel an Abnehmern eingehen mufsten. Noch eins, dafs die Tendenz des Unternehmens eine spezifisch protestantische ist, sagt-schon allein der Name des in diesem Sinne schon oft­ mals in den Kampf getretenen Verfassers. Dafs die »Beiträge« nicht etwa zu einer konfessionellen Streitschrift werden, davor wird sie gewifs ihr wissenschaftlicher Charakter bewahren. E. Reicke.

Paul Joachimsohn. Die humanistische Geschichts­ schreibung in Deutschland. Heft 1. Die Anfänge. Sigismund Meisterlin. Bonn 1893. P. Hansteins Verlag. (4 Bl. und 333 S.) Unter den Geschichtswerken des 15. Jahrhunderts nimmt besonders die Nürnberger Chronik des Sigmund Meisterlin die Aufmerksamkeit in Anspruch, da sich »in Form und Inhalt ein manchmal absonderlicher, aber immer anziehender Geist aus­ spricht.« Wenn auch die rein historische Quellenausbeute des Werkes eine sehr geringe ist, so ist dennoch die Persönlichkeit Meisterlins und sein Werk von historiographischer Bedeutung, und unter diesem Gesichtswinkel ist der verdiente Verfasser an seine Aufgabe herangetreten. In der Augsburger Chronik Meister­ lins glaubt er die erste Verbindung von Humanismus und Historiographie zu finden, und so bildet der vorliegende Band ein ehrendes Zeugnis unermüdlichen, unablässig thätigen Gelehrtenfleifses, das erste Stück der »humanistischen Geschichtsschreibung

315 in Deutschland«, die sich zum Ziele gesteckt hat, die Haupt­ momente der deutschen humanistischen Geschichtsschreibung in einzelnen separaten Monographien zu behandeln. Die Einleitung bildet eine kurze Darlegung der Entwick­ lung der deutschen Geschichtsschreibung, angefangen mit den mittelalterlichen Papst- und Kaiserreihen, dann über die Chronik des Strafsburgers Jakob Twinger von Königshofen, die neben diesen Reihen gleichberechtigt die Geschichte der Bischöfe und der Stadt Strafsburg behandelt bis zu den Anfängen humanistischer Geschichtsschreibung, welche besonders interes­ siert durch die Betonung des nationalen Momentes. Die fol­ genden Kapitel schildern auf breitester und wohl mit Noten belegter Grundlage die Entwicklung der Augsburger Geschichts­ schreibung und geben eine eingehende Analyse der Augs­ burger Chronik, deren Quellen und Einwirkungen. Fernerhin verfolgen wir Meisterlins Lebenswandel und Studien in Italien, St. Gallen und Murbach, wobei besonders die letztere kunst­ geschichtlich interessant ist durch die Beschreibung der jetzt verlorenen Wandteppiche dieses Klosters aus dem 12. und 13. Jahrhundert. In Franken entfaltete Meisterlin neben der Abfassung der Nürnberger Chronik eine weitere literarische Thätigkeit, er bearbeitete die Sebalduslegende und steht im engsten Zusamenhang mit den Nürnberger Humanistenkreisen. Auf die mit peinlichster Mühe ausgeführte Analyse der Nürn­ berger Chronik, sowie das Verhältnis Meisterlins zur alten Reichsstadt näher einzugehen, überschreitet den Rahmen dieser Besprechung. Es wird sich wohl noch wiederholt für den Orts­ und Specialforscher das Bedürfnis ergeben, auf das thatsächlich Neue — und es ist nicht wenig — in dem Buche Joachims­ sohns, soweit es Nürnberg betrifft, zurückzukommen. Es sei auch noch an dieser Stelle die aufserordentliche Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit der Arbeit betont, die das Buch an den meisten Stellen zu einer zwar anstrengenden und schweren, aber gewinnreichen und anregenden Lektüre macht. Dr. Edmund Wilhelm Braun.



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Paul Joachimsohn. Gregor Heimburg. Historische Abhandlungen aus dem Münchener Seminar. Herausgegeben von Dr. K. Th. Heigel und Dr. H. Grauert. 1. Heft. Bamberg 1891. C. C. Buchnersche Verlagsbuchhandlung. (VIII und 328 S.). Ueber diesen streitbaren Juristen und Staatsmann des 15. Jahrhunderts, der nebenbei auch ein rühmlicher Vorläufer des Humanismus in Deutschland gewesen, war die biographische Literatur bisher äufserst mangelhaft bestellt, und es dauerte seit dem Tode Heimburgs im Jahre 1472 fast 400 Jahre, bis eine ausführlichere, aber auch minderwertige Biographie des bedeu­ tenden Mannes, von welcher nachher die Rede sein wird, ver­ öffentlicht wurde. In den zahlreichen Flugschriften u. s. w., welche bei Gelegenheit der Kölner Wirren wegen der gemischten Ehen in und nach dem Jahre 1837 erschienen, wurde zwar von den Verfechtern der Staatsgewalt gegenüber den Prätensionen der römischen Hierarchie der Geist Gregor Heimburgs, des freimütigen, leidenschaftlichen Widersachers der römischen Kurie, öfter heraufbeschworen, auch legte im Jahre 1838 Karl Hagen, der Verfasser des Werks »Deutschlands literarische und reli­ giöse Verhältnisse im Reformationszeitalter«, eine eingehende Würdigung der Bedeutung und Verdienste des fränkischen Landsmannes in der Zeitschrift »Braga« nieder, zu einer auf Spezialforschungen ruhenden Schilderung von Gregor Heimburgs Lebensgang ist es aber auch damals nicht gekommen. Erst im Jahre 1862, also 390 Jahre nach Heimburgs Tode, erschien eine Monographie gröfseren Umfangs über Gregor Heimburg, verfafst von dem Licentiaten der evangelischen Theologie Cle­ mens Brockhaus. Das Werk ist eine höchst oberflächliche Kompilation, die hauptsächlich aus Enea Silvios »Leben Kaiser Friedrichs III*« geschöpft ist und die von den auffallendsten Fabeleien wimmelt. Was seither weiter von kleineren biogra­ phischen Arbeiten über Gregor Heimburg zu Tage kam, ist ebenfalls ungenügend. So wird z. B. in dem betr. Artikel der Allgemeinen Deutschen Biographie berichtet, dafs Gregor Heim­ burg auf dem Basler Konzil der Sekretär Enea Silvios gewesen sei, während dieser damals doch selber blofs Sekretär verschie­ dener Bischöfe war, und in einem Programm des Neuen Gym­ nasiums in Nürnberg, das von dem Humanismus in Nürnberg

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handelt, wird Gregor Heimburg sogar rum intimsten Freunde Enea Silvios gemacht, während es doch notorisch ist, dafs es niemals gröfsere Antagonisten gegeben hat als den Italiener Enea Silvio Piccolomini von Siena, den nachherigen Papst Pius II., und den deutschen Juristen Gregor Heimburg von Schweinfurt. Unter diesen Umständen ist das Erscheinen der oben angeführten Schrift von Paul Joachimsohn, die auf den um­ fassendsten Quellenstudien beruht, um so freudiger zu begrüfsen. Hinsichtlich der Komposition, der Gliederung des Stoffs und der Übersichtlichkeit des Inhalts läfst die Arbeit allerdings zu wünschen übrig, und insofern ist sie nicht geeignet, den Gegenstand einem gröfseren Leserkreis näher zu bringen, dem­ jenigen aber, der sich mit dem in der Schrift behandelten Zeit­ raum bis in die Einzelheiten der Erscheinungen näher befassen will, bietet sie eine reiche Fundgrube. Gregor Heimburgs Herkunft, Jugend und Studienzeit in Deutschland und Italien, seine erste Stellung als (laienhafter) Generalvikar des Mainzer Erzbischofs, seine Thätigkeit auf dem Basler Konzil als Beauf­ tragter desselben wie anderer Kurfürsten, sowie schliefslich als Rechtsbeistand des Kaisers Sigmund, seine umfassende und ver­ schiedenartige Wirksamkeit in Sachen der »deutschen Neutralität« und seine Gesandtschaft nach Rom, sein langdauerndes arbeits­ volles Verhältnis zur Stadt Nürnberg, sein Auftreten auf dem Kongrefs zu Mantua, sein leidenschaftliches Eintreten für den Herzog Sigmund von Tirol in dessen Streit mit Nikolaus Cusa und der römischen Kurie, sein Bruch mit dieser und seine Exkommunikation, sowie seine Schlufsthätigkeit als Rat­ geber und Freund des Königs Georg Podiebrad, endlich eine Menge dazwischen liegender kleinerer Missionen erfahren die eingehendste[und gründlichste Behandlung unter Hinweis auf die in grofser Anzahl angeführten urkundlichen und literarischen Belege. Nicht nur dem aufmerksamen Leser, sondern selbst demjenigen, der nur oberflächlich Kenntnis von der besprochenen Schrift nimmt, drängt sich die Überzeugung auf, dafs dieselbe ein Werk hin­ gebenden Fleifses ist. Es ist das Verdienst des Verfassers, dafs er in vollständigem Durchdringen des Stoffes eine erschöpfende Arbeit über Gregor Heimburg geliefert hat, der auch in Zukunft nur wenig Neues von wesentlicher Bedeutung wird hinzugefügt werden können.

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Ludwig Rösel,

318 Wilibald Pirckheimers Schweizerkrieg. Nach Pirckheimers Autographum im Britischen Museum herausgegeben von Karl Rück. Beigegeben ist die bisher unedierte Autobiographie Pirckheimers, die im Arundel-Manuskript 175 des Britischen Museums enthalten ist. München. Verlag der k. Akademie. 1895. In Kommission des G. Franzschen Verlags (J. Roth). (VI und 160 S.). Pirckheimer ist nicht selbst mehr dazu gekommen, seine Beschreibung des Schweizerkriegs von 1499, den er im Alter von 28 Jahren als einer der Anführer des Nürnbergischen Kon­ tingents mitgemacht hatte, dem Druck zu übergeben. Es be­ durfte nach seinem Tode noch eines Zeitraums von 80 Jahren, bis das als Quellenschrift vielbenützte, ehemals auch als ein Muster der historischen Kunst wohl über Gebühr gepriesene Bellum Suitense oder Helveticum in der beiläufig unglaublich wüsten Edition der Werke Pirckheimers von Melchior Goldast (Frankfurt 1610) herausgegeben wurde. Die Ausgabe des Schweizerkriegs, dem darin noch lange nicht am übelsten mitgespielt wurde, rührt übrigens nicht eigentlich von Goldast selbst her, sondern von dem einstmals hochangesehenen Altdorfer Professor und Rechts­ gelehrten Konrad Rittershusius, der das Original-Manuskript vielleicht durch einen seiner Famuli, jedenfalls einen des Lateins kundigen Mann abschreiben liefs oder, was wahrscheinlicher ist, demselben in die Feder diktierte. Diese Abschrift mit den Korrekturen und der Vorrede des Rittershusius ist noch heute unter den auf der Stadtbibliothek zu Nürnberg verwahrten nach­ gelassenen Papieren Pirckheimers (Katalognummer 363) erhalten. Das Autographum Pirckheimers selbst aber wanderte 1636 nach England, da es von dem damaligen Besitzer des Pirckheimerschen Nachlasses, Johann Hieronymus Imlioff, mit dem gröfsten Teile der Bibliothek des berühmten Humanisten an Thomas Arundel, Grafen von Surrey, verkauft wurde. Rück hat nun das unleug­ bare Verdienst, diese wertvolle Originalhandschrift im Britischen Museum, wo sie jetzt verwahrt wird, wieder aufgesucht und mit ihrer Hilfe nach den Grundsätzen moderner Kritik mit philolo­ gischer Genauigkeit eine Ausgabe des Schweizerkriegs ver­ anstaltet zu haben. Wir sind dadurch in den Stand gesetzt, uns jetzt wieder an die reine, ungetrübte Quelle des ursprüng­ lich Pirckheimerschen Textes halten zu können. Den Vergleich

319 mit der Ausgabe in den Opera erleichtert uns die gewissen­ hafte Aufführung der abweichenden Lesarten bei Rittershausen, unter denen freilich eine grofse Zahl gleich auf den ersten Blick erkennbarer Druckfehler vielleicht besser unberücksichtigt geblie­ ben wäre. Derselbe unter dem Text fortlaufende Kommentar, der diese Lesarten enthält, gibt uns auch gelegentlich erwünschte Hinweise auf die lateinische Grammatik und auf klassische Parallelstellen, wenn auch hier wiederum der Wunsch rege wird, von einem Philologen vom Fach etwas mehr geboten zu sehen. Auf die Kapiteleinteilung hätte Referent gern, verzichtet, die Bezeichnung der Reihenzahl auf jeder Seite würde genügt haben. So erschwert diese in Konkurrenz mit den Nummern der Paragraphen nur die Benützung. Doch sollen solche Aus­ stellungen der fleifsigen und verdienstlichen Arbeit, die in der Textgestaltung steckt, nicht zu nahe treten. Bedauerlicherweise leidet aber die Einleitung des Herausgebers unter dem grofsen Übelstand, dafs ihm der jetzige Aufbewahrungsort des Pirckheimerschen Nachlasses gänzlich unbekannt geblieben ist. Wieder­ holt er doch auf Seite IV des Vorworts unbefangen die irrige Bemerkung Markwarts (Wilibald* Pirckheimer als Geschicht­ schreiber, Zürich, 1886), dafs sich dieser Nachlafs nicht in staatlichen Archiven, sondern in Privatbesitz befinde. Hätte Rück auf der Nürnberger Stadtbibliothek die Abschrift des Bellum Suitense eingesehen, so würde er gefunden haben, dafs viele der von ihm an Rittershausen gerügten Verballhornungen des Textes nicht von diesem selbst herrühren, sondern erst durch Goldast in die Ausgabe von Pirckheimers Werken hin­ eingekommen sind. So um nur eins anzuführen, findet sich die sachlich und an jener Stelle auch grammatikalisch falsche Lesart quadringenta statt quadraginta nicht in der von Ritters­ hausen besorgten Abschrift, ich möchte sie überhaupt nur für einen allerdings durch Goldasts Nachlässigkeit verschuldeten Druckfehler halten. Als ein Muster von Sorgfalt und Genauig­ keit wird Rittershausens Abschrift darum nun freilich nicht gelten dürfen, aber ich glaube doch, dafs auch Rück, wenn er von ihr Einsicht nähme, den schweren Vorwurf »eines traurigen Machwerks«, den er gegen Ritterhausen erhebt, zurückziehen •würde. Man mufs eben auch manches der Zeit zugute halten,

320 die wenigstens in Bezug auf neuere Schriftsteller unsere heutige philologische Akribie nicht kannte. Und wenn Rittershausen überhaupt, wie Rück selbst zugibt, viele der durchaus unerträg­ lichen Versehen und Verschreibungen, die sich in dem Original­ manuskript Pirckheimers finden, verbessern mufste, so war für ihn die Grenze nicht immer so leicht einzuhalten, wo er ganz ungewöhnlichen, doch aber irgendwo einmal bei einem alten lateinischen Autor bezeugten Wortformen und Konstruktionen gegenüber besser Schonung geübt hätte. Nach der Ansicht des Referenten, der sich seit Jahren mit der Vorbereitung der Herausgabe von Pirckheimers Briefwechsel beschäftigt, darf man dem berühmten Humanisten in dieser Hinsicht nicht allzuviel Zu­ trauen. Es ist sehr die Frage, ob er auch nur eine der von Rück citierten klassischen Stellen mit »gutem Bedacht« nachgeahmt habe, ein gründlicher Philologe war er jedenfalls nicht. Noch mehr aber als über Rittershausen ist das meiste, was uns über Freher, der nur um ein Jahr später als Goldast, im Jahre 1611, im dritten Bande seiner »Germanicarum rerum Scriptores« gleichfalls den Schweizerkrieg herausgab, von Rück (S. 21 — 25 der Einleitung) mitgeteilt wird, vergebens gesprochen. Freher hat, wie schon allein die Übereinstimmung in den Lücken Rück hätte sagen müssen, nicht das Autographum Pirckheimers be­ nützt, sondern nur die von Rittershausen besorgte Abschrift, die 130 von Rück gezählten Stellen also, in denen Freher ab­ weichend von diesem die richtige Lesart des Originals hat, kommen — wenigstens fast ausschliefslich — Rittershausen zu gute. Übrigens sind auf letzteren, wie uns besagte Abschrift belehrt, auch die Randbemerkungen bei Freher, wodurch, wie Rück lobend hervorhebt, die Übersichtlichkeit der Schrift sehr gewinnt, zum gröfsten Teil zurückzuführen. Beiläufig, den Inhalt der Anmerkung auf Seite 21 hätte Rück bereits der ersten Ausgabe von Frehers Scriptores entnehmen können. Dagegen bestätigt sich Rücks Vermutung, dafs die beiden Stellen, die einem Schweizer anstöfsig sein könnten, wohl nicht durch Zu­ fall weggeblieben sind. Sie sind in der That in der Abschrift, höchst wahrscheinlich durch Goldasts Hand, nachträglich getilgt. Es ist an der Einleitung Rücks aber auch sonst noch etwas zu tadeln, was nicht durch seine Unbekanntheit mit dem*

321 Schicksal der Pirckheimer-Papiere entschuldigt wird. Rück hätte den Codex im Britischen Museum, in dem das Autographum des Schweizerkriegs enthalten ist, zum wenigsten da, wo sein eigenes Thema in Frage kommt, wohl etwas mehr prüfen — und auch mit gröfserer Genauigkeit beschreiben — sollen. Vielleicht wäre er dann dahinter gekommen, dafs die verschie­ denen Bruchstücke des Prooemiums und der ersten Abschnitte des eigentlichen Textes bereits einer früheren Zeit angehören, als man für die Beschreibung des Krieges in der Hauptsache wohl mit Grund annehmen darf. Denn allerdings die etwas entlegene und darum Rück — und vor ihm schon Markwart — offenbar unbekannt gebliebene Stelle bei Freytag, Virorum doctorum epistolae selectae, Lips. 1831, p. 11, auf die A. Reimann in dankenswerter Weise aufmerksam gemacht hat (Deutsche Literaturzeitung 1896, Nr. 20, S. 634), scheint mir die bis­ herigen Annahmen über die Abfassungszeit des Schweizerkriegs nicht hinreichend zu widerlegen. Wenn an jener Stelle Coch* läus in seinem an Pirckheimer gerichteten Briefe vom 9. Juni 1517 dessen Helvetica mit den Adagia des Erasmus und den Cabbalistica Reuchlins auf ein und dieselbe Stufe stellt, so glaube ich, solange nicht andere zwingende Gründe dagegen sprechen, einstweilen für die Schmeichelei des Cochläus nur die Thatsache als Grundlage annehmen zu dürfen, dafs Pirckheimer sich damals bereits mit dem Plane, eine Geschichte des Schweizer­ krieges zu schreiben, trug, allenfalls mit den Vorarbeiten dazu und ersten Anfängen der Beschreibung begonnen hatte. Es erscheint mir nicht glaublich, dafs Pirckheimer, hätte er jene Arbeit nur auch nahezu um jene Zeit bereits vollendet gehabt, sie in den vollen 13 Jahren bis zu seinem Lebensende nicht auch zum Abschlufs und zum Druck gebracht haben sollte. Auch das sonst völlige Schweigen darüber in der Korrespondenz Pirckheimers mufs befremden. Es dürfte also wohl zunächst dabei bleiben, dafs er erst in seinen letzten Lebensjahren die lange schon gehegte Absicht ausgeführt hat, jenem wichtigen historischen Ereignis, bei dem er selbst als Mithandelnder thätigen Anteil genommen hatte, eine eigene Schrift zu widmen. Daher auch — ganz abgesehen von denBemerkungen im Schlufskapitel die zahlreichen unverbesserten Mängel des Manuskripts,

322 das darum wohl auch auf andere wie einst auf Rittershausen den Eindruck machen dürfte, als sei Pirckheimer über der Arbeit gestorben* Ob Rück auf Grund der Beschaffenheit des ArundelManuskripts diese Frage hätte erledigen können, ist freilich sehr zweifelhaft, mit Hilfe seiner wenig ausführlichen Beschreibung des Manuskripts in der Einleitung ist es jedenfalls nicht möglich. Hat aber trotz aller der gerügten Mängel Rück durch seine fleifsige Ausgabe des echten Pirckheimerschen Textes unsern Dank verdient, so gebührt ihm dieser nicht minder, ja wohl in noch höherem Mafse für die sehr wertvolle Veröffentlichung der bisher unbekannten Autobiographie des Nürnberger Humanisten, die in Abschrift wie im Original in demselben Codex 175 der Arundel-Abteilung des Britischen Museums enthalten ist. Allerdings ist dieselbe bereits von Rittershausen, wie auch in dem von Hans Imhoff zusammengestellten Tugendbüchlein (Nürnberg, 1606) zu den dort mitgegebenen Schilderungen von Pirckheimers Leben ausführlich herangezogen worden. Allein beide haben sich nicht nur mancherlei Mifsverständnisse zu schulden kommen lassen, sondern, was wichtiger ist, um nicht Anstofs bei den patrizischen Familien der Stadt zu erregen, gerade jene Stellen, wo uns Pirckheimer seine Beziehungen zu seinen Widersachern im Rate schildert, mit Absicht verschwiegen. Dafs aber gerade diese jetzt zum ersten Mal veröffentlichten Partieen von beson­ derem Interesse sind, leuchtet ein. Ohne mich hier weiter auf Einzelheiten einzulassen, will ich nur bemerken, dafs es jetzt klar ist, dafs der bei Rittershausen nur mit allgemeinen Aus­ drücken angedeutete erste Widersacher, der Pirckheimer 1502 veranlafste aus dem Rat zu treten, der Losunger Paul Volckamer war. Es geht dies mit vollster Gewifsheit daraus hervor, dafs Pirckheimer, wie er schreibt, sofort nach seines Gegners durch einen Schlagflufs erfolgtem Ableben wieder in den Rat gewählt wurde. Dies geschah um Ostern 1505, Volckamer aber war kurz vorher — am 8. Februar — vom Schlage getroffen wor­ den und am nächsten Tage verschieden (Städtechroniken, Bd. XI, S. 688). Es kamen dann um die Mitte des zweiten Jahrzehnts die bekannten Anfeindungen Anton Tetzeis, dessen Persönlich­ keit durch das von Pirckheimer über seinen zweiten Haupt­ gegner erzählte von neuem bestätigt wird. Wer aber das Haupt

323 der ihm feindlich gesinnten Partei im Rat während der letzten Jahre seiner öffentlichen Thätigkeit gewesen ist, von dessen Umtrieben uns Pirckheimer auf S. 148 bis 151 seiner Auto­ biographie bei Rück Ausführlicheres zu berichten weifs, will ich hier nicht entscheiden. Wir hören von ihm, dafs er »filiorum multitudine pariter et inopia premeretur«. Nicht unwahrschein­ lich, dafs Kaspar Nützel damit gemeint ist, mit dessen von Camerarius in der Vita Philipp! Mfelanchthonis gegebener Cha­ rakteristik Pirckheimers Angaben auch sonst recht wohl ver­ einbar wären. Möglich aber auch, dafs der boshafte architectus, von dem Pirckheimer spricht, einst sein sehr guter Freund (amicissimus), der auch durch seine — Pirckheimers «— Gunst so sehr befördert worden war (plurimum creverat), der bekanntlich später von Pirckheimer so ungünstig beurteilte Ratsschreiber Lazarus Spengler war. Auch dieser hatte eine Anzahl Söhne und gehörte wohl nicht zu den Wohlhabendsten, während -man Nützel Armut nicht nachsagen kann. Nützel, dem von seiner Ehefrau 21 Kinder geboren wurden, die allerdings zumeist in frühester Jugend starben, hatte 14 Töchter und 7 Söhne. Vielleicht ist auch für filiorum filiarum zu lesen. Klein a und o in der Handschrift Pirckheimers sind nicht immer zu unterscheiden. Übrigens kommt filii auch bei klassi­ schen Autoren gelegentlich schlechtweg in der Bedeutung »Kinder« vor. Die Angabe auf S. 152 bei Rück: »Ac plerumque ita evenit, ut, quos architectus ille deprimere studeret, illos Bilibaldus protegeret potissimum« dürfte sich wohl auf die Klosterfrauen bei St. Clara beziehen, die über ihren Pfleger Kaspar Nützel seit Beginn der Reformationsbewegung in Nürn­ berg heftige Klagen zu führen hatten. Aber auch Spengler machte ja hier, wie in allen Dingen, seinen Einflufs geltend. Doch genug hievon. Wir schliefsen mit der Bemerkung, dafs die Publikation Rücks sich auch äufserlich durch guten Druck und saubere Ausstattung, die wir dem Verlag der kgl. bayer. Akademie in München verdanken, sehr zur Benützung empfiehlt. E. Reicke.

324 Helius EobanusHessus. Noriberga illustrata und andere Städtegedichte. Herausgegeben von Jos. Ne ff. Mit Illustrationen des 16. Jahrhunderts und kunsthistorischen Erläuterungen von Valer von Loga. Berlin Weidmannsche Buchhandlung. 1896. (LIVundQ IS.) In der Weidmannschen Sammlung lateinischer Literatur­ denkmäler des XV. und XVI Jahrhunderts, herausgegeben von Max Hermann, ist das oben angezeigte Bändchen als 12. der Reihe erschienen. Der treffliche Biograph des Ulrich Zasius, Gymnasialdirektor Neff in Donaueschingen, ediert in demselben neben des Eobanus Hessus Nürnberger Lobgedicht noch zwei andere lateinische poetische Städtebeschreibungen, Engelbrechts »Friburgica« (Freiburg i. B.) von 1515 und des Hermann Buschius »Lipsica« von 1521 in mustergiltiger Weise. Genau orientierende Einleitungen, bibliographische Angaben, ein Les­ artenverzeichnis und ein fortlaufender Kommentar sind dem Texte varausgestellt, aufserdem eine kurze von ausgezeichneter Sachkenntnis zeugende kunstgeschichtliche Einleitung, die der Feder des Direktorialassistenten am kgl. Kupferstichkabinet in Berlin Dr. v. Loga entstammt. Derselbe Gelehrte suchte auch die dem Texte beigegebenen Illustrationen aus, welche nach meist gleichzeitigen Stichen, Holzschnitten und Zeichnungen hergestellt sind, deren Schöpfer zum gröfsten Teil Albrecht Dürer war. Dr. Edmund Wilhelm Braun.

Das alte Nürnberger Kriminalrecht. Nach Rats­ urkunden erläutert von Dr. jur. Hermann Knapp, k. Archiv­ sekretär und Privatdozent der Rechte in Würzburg. Berlin. J. Guttenberg. 1896. (XVIII und 307 Seiten). Wenn im bürgerlichen Recht Gesetze, die vor Jahrhun­ derten erlassen worden sind, auch heute noch direkte Anwen­ dung finden und rechtsgeschichtliche Forschungen Ergebnisse zu Tage fördern , welche unmittelbar für die Praxis zu ver­ werten sind, so ist das weit weniger der Fall im Strafrecht. Seine Pflicht, die Rechtsgüter der Gegenwart zu schützen und den Missethäter bis zur Vernichtung der Existenz zu züchtigen, erfordert positive, den Anforderungen der jeweiligen Zeit ent­ sprechende Satzungen. So ist auch in Deutschland das gemeine

325 Strafrecht nach Berners Ausspruch in eine »blos geschichtliche Stellung«: zurückgedrängt worden. Wenn daher Knapps Buch auf die Judikatur der Nürn­ berger Gerichte keinen Einflufs üben kann, so wäre es doch verfehlt, die geschichtliche Bedeutung ausschliefslich zu betonen. Für den Kriminalpolitiker und den Kriminalpsychologen werden die Strafbestimmungen des Nürnberger Rats und insbesondere die strafrechtlichen Erwägungen der von Knapp treffend geschil­ derten Nürnberger Konsulenten eine reiche Fundgrube bilden. Besonders dankbar wird allerdings dem Verfasser die Ge­ schichte und insbesondere die Kulturgeschichte sein. Wer er­ wägt, wie reiche Ergebnisse in dieser Beziehung die Osenbrüggenschen Foischungen und Essays auf dem Gebiete des alamanischen Rechts ergeben haben, wie die Kenntnis des niederdeutschen Volksstamms und seiner Sitten durch die Lite­ ratur über den Sachsenspiegel gewonnen hat, der mufste sich von vornherein über eine systematische Darstellung des in Mitte liegenden Nürnberger Strafrechts freuen. Der Verfasser, der uns bereits früher mit einer Geschichte des Nürnberger Strafprozesses bis zur Einführung der Carolina (vergl. diese Mitteilungen Heft X S. 281) beschenkt hat, be­ handelt seinen Stoff in erschöpfender Weise. Dies gilt sowohl hinsichtlich der benutzten, meist archivalischen, S. XIII und XIV, soweit thunlich zusammengestellten Quellen, als bezüglich der Darstellung. In ersterer Beziehung sind besonders wichtig die zahlreichen einzelnen Ratsbeschlüsse und die denselben zur Grundlage dienenden Ratschläge des Konsulentenkollegiums, die eine höchst interessante Spruchpraxis bilden und in ihrer Wechselbeziehung den Kampf zwischen dem deutschen Gewohn­ heitsrecht und dem eindringenden römischen Recht gar oft er­ sehen lassen. Was aber die Darstellung betrifft, so hat Knapp sein Buch genau so eingeteilt, als ob er ein Bild des heute gelten­ den Strafrechts zu geben hätte. Dem besonderen Teile mit der Darstellung der Einzeldelikte geht ein allgemeiner Teil voran, welcher wiederum in zwei Hauptabschnitten das Ver­ brechen und die Strafe behandelt. Ersteres wird wieder in die subjektive und die objektive Seite zerlegt, woraus dann Einzel* Untersuchungen über die Schuld, die Schuldausschliefsung (Jugend, 22

326 Geisteskrankheit, Notwehr), Versuch und Teilnahme hervorgehen. Die Darstellung der Strafe läfst natürlich im Strafensystem die reiche Auswahl erkennen, beschäftigt sich aber auch mit den Strafmilderungs-, Strafschärfungs- und Strafausschliefsungsgründen, und selbst die Darstellung der Verbrechenskonkurrenz fehlt nicht. In der Einzeldarstellung wird dann zunächst die oft wechselnde Nürnberger Bezeichnung gegeben und weiterhin das vorhandene Material in formaler und materieller Beziehung erörtert. Der Nürnberger Historiker wird in Zukunft an diesem Buche einen nicht hoch genug zu schätzenden Ratgeber in kriminalistischen Fragen finden (man denke an die Fraifshändel, Fall Muffel und andere), und er wird die Annehmlichkeit besonders zu schätzen wissen, welche die durchsichtige Systematik des Buches bietet. Auf Einzelheiten einzugehen, ist hier nicht der Ort. Nur um die Bedeutung des Buches für die Kulturgeschichte darzuthun, möchte ich hinweisen auf die Darstellungen über Fehde und Friede (S. 141 —151), Hexerei und Zauberei (S. 272—277), auf die Bestrafung von Schülern und Studenten (S. 9 und 10), Behandlung der Narren (S. 12 f.), die Ehrennotwehr des Soldaten (S. 36), Gefangenenarbeit (das Nürnberger Brillen­ handwerk bittet 1764, alle im Loch inhaftierten Verbrecher und die Bettler im Zuchthaus zum Glasschleifen zu verwenden, damit das Nürnberger Brillenhandweik nicht durch die Fürther Kon­ kurrenz erdrückt würde, S. 75), die Stadtverweisung (S. 81—89), den Gegensatz derselben, die Eingrenzung (S. 90), die Todesund Leibesstrafen und anderes. Die Sprache ist lebhaft und eigentümlich, manchmal freilich schwer verständlich, der Gedankenstrich ist etwas zu häufig verwendet. Die Ausstattung des Buches ist tadellos. Dr. Silberschmidt. Das Merkantil-, Friedens- und Schiedsgericht der Stadt Nürnberg und seine Geschichte. Inaugural-Dissertation der hohen Juristen-Fakultät der Universität Erlangen zur Erlan­ gung der Doktorwürde, vorgelegt von Theodor Heerdegen. Nürnberg. 1897. 49. Seiten. Wie die Geschichte der einzelnen Regimenter und Batail­ lone neben ihrer lokalgeschichtlichen Bedeutung in neuester

327 Zeit wertvolle Beiträge zur Kriegsgeschichte geliefert hat, so beginnt man in den letzten Jahren auch die Schicksale einzelner Gerichte zusammenzustellen (für Preufsen sei hier auf die Ar­ beiten von Stölzel und Holtze verwiesen) und damit neue Bau­ steine zur Rechtsgeschichte zu liefern. Einer ähnlichen Aufgabe unterzieht sich der Verfasser der vorliegenden Dissertation hin­ sichtlich des Merkantil-, Friedens- und Schiedsgerichts der Stadt Nürnberg. Dasselbe verdient eine historische Betrachtung auch vollkommen, nicht etwa, weil es an Bedeutung mit dem Kammer­ gericht in Berlin, dessen Geschichte Holtze geschrieben hat, wetteifern könnte, sondern wegen seiner in die Neuzeit herein­ ragenden Eigenart. Der Verfasser beschränkt sich denn auch streng auf die Geschichte der Einrichtungen; die Personen, die am Gericht thätig waren, werden nicht herangezogen. Beson­ deren Wert hat die Arbeit, wo sie aus dem jetzt im städtischen Archiv verwahrten urkundlichen Material des Gerichts gearbeitet ist, so der Abschnitt über die Parere der Marktvorsteher (S. 18—20), die Zuständigkeitsstreitigkeiten (S. 25 — 27) und die Zeit der Subdelegationskommission (S. 50 f.), wie denn .von diesem Abschnitte ab darstellende Vorarbeiten überhaupt nicht vorhanden waren. Heerdegen schliefst in völlig zutreffender Weise mit einer Gegenüberstellung der jetzt geplanten kauf­ männischen Schiedsgerichte und der Thätigkeit der Nürnberger Marktvorsteher. Dr. Silberschmidt. Das Zeitalter der Fugger. Geldkapital und KreditVerkehr im 16. Jahrhundert von Dr. Richard Ehrenberg. Jena. Verlag von Gustav Fischer. 1896. Erster Band. Die Geldmächte des 16. Jahrhunderts. XV und 420 S. Zweiter Band. Die Weltbörsen und Finanzkrisen des 16. Jahrhunderts. IV und 367 S. Der Verfasser des vorstehend angezeigten Werkes ist den Lesern der » Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnbergs kein Fremder, sondern seine Abhandlungen über die Nürnberger Börse und über den Nürnberger Hans Kleberg, die in das »Zeitalter der Fugger« verarbeitet sind, erschienen zuerst in diesen Blättern und sind in unser aller Erinnerung. Aber von diesen Vorarbeiten, zu denen man auch 22*

328 noch Ehrenbergs Abhandlung im 30. Band der Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht zählen kann, bis zu dem grofs angelegten, mit programmatischem Vorwort versehenen Werk ist ein weiter Weg, dessen rasche und glückliche Zurücklegung noch mehr Hochachtung abnötigt, wenn man die anderweite Thätigkeit des Verfassers berücksichtigt. Allerdings so viel, wie Titel und Vorwort vermuten lassen und wie der Verfasser wohl selbst annimmt, umfafst das Werk nicht. Weil dasselbe die Geschichte der Geldbeschaffung für die Kriege des 16. Jahr­ hunderts enthält und weil Geld die Voraussetzung des Krieges und der Macht bildet, weil insbesondere ein Fugger dem Kaiser Karl V. schreiben konnte, dafs derselbe ihm seine Wahl ver­ danke und weil das zum grofsen Teile auch wahr ist, glaubt Ehrenberg in jenen grofsen Kapitalien und ihrer Geschichte die »durchgehende Linie« des Zeitalters gefunden zu haben und zu der Benennung »Zeitalter der Fugger« berechtigt zu sein (Bd. I S. 413 f.). Dementsprechend fordert er im Vorwort von dem Historiker gröfsere Beachtung der Wirtschaftsgeschichte, ein Vorwurf, der heute nicht mehr ganz berechtigt ist, und ver­ wahrt sich selbst gegen die Bezeichnung seiner Geschichtsauf­ fassung als einer »materialistischen«, da er zwar grofsen Wert auf die wirtschaftlichen Interessen lege, aber das Wirken idealer Motive in der Geschichte nicht leugne. Nun folgert die sog. »materialistische Geschichtsauffassung« aus dem gesamten wirt­ schaftlichen Zustande eines Volkes dessen Recht und Geschichte mit Naturnotwendigkeit, und wenn man die Zustände des Bürger- und Bauernstandes, der Geistlichkeit und des Ritter­ tums im 16. Jahrhundert erforscht hat, so mag man in diesen sozialen Verhältnissen, in welche Reformation, Buchdruck und Pulver hineinfielen, wohl die durchgehende Linie desjenigen Zeitalters finden, welches immer dasjenige der Reformation heifsen wird: unberechtigter noch wie die materialistische Auf­ fassung dürfte diejenige sein, das Bezeichnende dieses Zeitalters in den Kriegen desselben und dem dazu erforderlichen Gelde zu suchen. Von den Verhältnissen des kleinen Bürgers und Bauern erfahren wir bei Ehrenberg nichts. Wohl aber enthält das Werk eine ausgezeichnete Geschichte des Staatskredits, insbesondere der Staatsgläubiger im 16. Jahr-

329 hundert unter eingehendster Berücksichtigung der Technik der Staatsanleihen. Zu diesem Zwecke werden im I. Bande im 1. Kapitel die Fugger, im 2. die andern deutschen Geldmächte, im 3. die Florentiner und sonstigen toskanischen, im 4. die genuesischen, spanischen und niederländischen Geldmächte insbesondere mit Rücksicht auf ihre Darlehen an die Höfe von Habsburg und Frankreich geschildert, wozu dann im 5. Kapitel die Erörterung über Handelsgesellschaften, Syndikate und Konsortien gehört. Der Warenhandel wird wohl auch berührt, aber doch nur als Gegensatz bezw. Übergang zum Staatskreditgeschäft. Im II. Bande behandelt Ehrenberg zunächst die Weltbörsen des 16. Jahrhunderts und zwar je in einem Kapitel Antwerpen und Lyon, in einem dritten gemeinschaftlich den Kapitalverkehr an den Weltbörsen. Es folgt dann je in einem Kapitel die Schilderung der Finanzkrisen von 1557—1566 und von 1566 —1577, in einem vorletzten die Darstellung der Börsen von Genua und von Frankfurt a. M. und endlich in einem Schlufskapitel diejenige der Entwicklung des Staats­ schuldenwesens, des Handels mit Staatspapieren und der Börsen bis zur Gegenwart. Aus diesem Inhaltsverzeichnisse dürfte die Berechtigung der obigen Ausstellungen hinreichend dargethan sein. Dann aber mufs um so rückhaltloser dasjenige anerkannt werden, was der Verfasser uns in diesen beiden Bänden bietet. Mit einer hervorragenden Kenntnis der in- und ausländischen Literatur verbindet sich die in der Praxis erworbene Fähigkeit, kauf­ männische Kalkulationen zu verstehen und nachzuprüfen, in glücklichster Weise. Es ist natürlich unmöglich, den Inhalt der beiden Bände hier auch nur annähernd wiederzugeben. Für unsere Zwecke soll hier vor allem der Anteil Nürnbergs kurz hervorgehoben werden. Da mufs zunächst darauf hingewiesen werden, dafs Ehrenberg eine Thätigkeit entfaltet hat, von der ich wünschte, dafs sie dem »Vereine für Geschichte der Stadt Nürnberg« zum Vorbild diene: er hat in mühevoller Arbeit die zahlreichen Privatarchive der patrizischen Geschlechter durchforscht, deren Bestände, soweit sie der Öffentlichkeit mit­ geteilt werden können und wollen, dringend einer Aufnahme harren. Der Erfolg dieser archivalischen Forschungen zeigt

330 sich nicht nur, wie selbstverständlich, bei der Darstellung der Geschichte des betreffenden Geschlechts (Welser I, 193—209, Tucherl, 235, 249 f., Imhoff 237), sondern auch auf allgemeine Fragen, auf andere Familien etc. fallen aus Briefen, Verträgen und Tagebüchern wertvolle Streiflichter. Bezeichnender Weise wird über die Familie Tücher, die Hauptvertreterin des soliden Warengeschäfts, trotz reichen Materials im allgemeinen kurz hinweggegangen, dagegen wird die Thätigkeit des Anlehens­ gläubigers Lazarus Tücher ausführlich geschildert. Will man ein Fazit aus der Darstellung Ehrenbergs ziehen, so ist es das, dafs die Spekulation mit Staatsanleihen all die Geschlechter, die sich ihr hingegeben haben, schliefslich im 16. Jahrhundert vernichtet hat, wozu, soweit die Fugger in Betracht kommen, inzwischen Hebler (die Geschichte der Fuggerschen Handlung in Spanien 1897) neue Beiträge geliefert hat. Auch über die Weltbörsen, wo sich die Kapitalien der einzelnen für die Zwecke des Staatskredits ansammelten, brach das Unheil herein. Die Blütezeit von Augsburg und Nürnberg war für Jahrhunderte vorüber. Für die Geschichte des Staatsschuldenwesens aber werden die beiden Bände von Ehrenberg für lange Zeit ein »Standard work« bilden. Dr. Silberschmidt. Die Intestaterbfolge nach Nürnberger Recht. Für die Praxis bearbeitet von Justizrat Dr. Berolzheimer, k. Advokat in Nürnberg. München. 1895. C. H. Becksche Verlagsbuch­ handlung, Oskar Beck. IX und 153 S. Das Vorwort dieses verdienstvollen Buches beginnt mit der rechtsgeschichtlichen Bemerkung, dafs mehr denn ein Jahr­ hundert verflossen ist, seitdem die letzte Monographie über die »Intestaterbfolge nach Nürnbergischen Rechten« von Dr. Johann Christian Siebenkees, Professor der Rechte an der Universität Altdorf, am 23. August 1787 erschienen ist, und leitet daraus die Rechtfertigung ab, dafs es nicht zu früh und allerdings auch nicht zu spät ist, »wenn nun versucht wird, die Intestat­ erbfolge nach nürnbergischem Recht abermals monographisch zu behandeln«. Damit hat der Autor selbst den Mafsstab angegeben, an welchem sein Werk zu messen ist, und bei der hohen Bedeu-

331 tung, welche das Siebenkeessche Buch bis zur heutigen Zeit für das Intestaterbrecht Nürnbergs bewahrt hat, ist in der That zunächst die Frage zu beantworten, wie sich Berolzheimer zu ! seinem Vorgänger verhält» Eine Vergleichung zeigt, dafs der Nürnberger Jurist, der gewohnt war, in Zweifelsfällen seinen Siebenkees zu Rate zu ziehen, in dem neuen Buche die Einteilung des alten wieder­ findet. In einem ersten Abschnitte wird die Intestaterbfolge behandelt, wenn der Verstorbene keinen Ehegatten hinterliefs, wobei die sechs Klassen die vom Stoffe gegebenen Unterabtei­ lungen bilden, im zweiten Abschnitt die Intestaterbfolge, wenn der Verstorbene einen Ehegatten hinterliefs mit den Unter­ abteilungen : versamte Ehe, verdingte Ehe, zweite Ehe. In einem Schlufsabschnitte wird die Intestaterbfolge aufser verwandtschaft­ lichen und ehelichen Verhältnissen erörtert. Auch die Arbeit selbst schliefst sich in Ausführungen, Beispielen und Citaten soweit an Siebenkees an, als dessen Ausführungen noch gütig und praktisch sind. Hinzukommt aber, und das ist das Haupt* verdienst des Buches, eine auf genauester Kenntnis der Literatur und Judikatur, vor allem auch der Rechtsprechung der Nürn­ berger Gerichte beruhende Feststellung des geltenden Rechts, die Einführung des preufsischen Allgemeinen Landrechts; baye­ rische und Reichsgesetze haben ja vielfach auch an dem Intestat­ erbrecht der alten Reichsstadt gerüttelt. Charakteristisch für das Verhältnis der beiden Bücher ist deren § 1, in welchem die Literatur angegeben wird: Siebenkees hat 12 Bearbeiter aufzuzählen. Berolzheimer etwa 40. Sehr dankenswert ist die Behandlung des Geltungsgebiets des Nürnberger Rechts (S. 9—13), hervorzuheben sind die Ausführungen bezüglich der Gütergemeinschaft nach Nürnberger Recht (S. 19 f.) und der hieraus entspringenden Frage der Pfändung in das eheliche Vermögen für Einhandsschulden (S. 25 f»), des Erbrechts der unehelichen Kinder (S. 42 f.), der fortgesetzten Gütergemein­ schaft (S. 69 f.), Überlosung und Einstandsrecht (S. .80 £.), endlich der Exkurs über die Ausgaben der Reformation. Letz* terer läfst allerdings eine eingehende historische Einleitung, welche dem Nürnberger Intestaterbrecht seinen Platz innerhalb der verwandten Gruppen anzuweisen hätte, um so mehr ver-

332 missen, aber es mufs hervorgehoben werden, dafs hiefür noch vielfache Vorarbeiten zu pflegen sind und dafs gerade die Be­ dürfnisse der Praxis, für welche Berolzheimer sein Buch bestimmt hat, die geschichtliche Entwicklung nicht direkt fordern. Die Rechtsanwendung hat denn auch die Arbeit des bewährten Nürnberger Rechtsgelehrten mit Freuden aufgenommen und wird sich ihrer trotz bürgerlichen Gesetzbuchs noch viele Jahre mit Vorteil bedienen, aber auch die Wissenschaft mufs dem Verfasser, der seine Forschungen schwerer Berufsarbeit ab­ gerungen hat, ihren Dank abstatten. Dr. Silberschmidt. Die Entstehung des deutschen Handelsgerichts. Nach archivalischen Quellen dargestellt von Dr. jur et rer. pol. W. Silberschmidt, k. Amtsrichter. Leipzig, Verlag von Duncker und Humblot. 1894. 8°. X und 181 S. An einer Geschichte des deutschen Handelsgerichts aus früherer Zeit vor der Einführung der nach französischem Muster eingerichteten modernen Handelsgerichte hat es bisher gefehlt, und der Verfasser des oben erwähnten Buches hat sich ein unstreit­ bares Verdienst um die deutsche Rechtsgeschichte dadurch er­ worben, dafs er diese Lücke ausgefüllt und die Entstehung des deutschen Handelsgerichts gründlich untersucht und dargestellt hat. Allein dieses Verdienst zu würdigen wäre nicht Aufgabe dieser Zeitschrift. Das Buch ist aber zugleich ein äufserst wert­ voller Beitrag zur nürnbergischen Rechtsgeschichte und deshalb darf es in diesen der Geschichte der alten Reichsstadt gewid­ meten Blättern nicht unbesprochen bleiben. Wie auf so man­ chem anderen Gebiete ist die Reichsstadt Nürnberg auch auf diesem Gebiete bahnbrechend vorangegangen und hat Ein­ richtungen, die ihre handeltreibenden Bewohner im Auslande angetroffen und bewährt befunden haben, in ihr Gemeinwesen herübergenommen und weiter ausgebaut, und diese Einrichtungen sind für andere deutsche Städte und Landesteile Vorbild ge­ worden und in ihnen nachgeahmt worden. Daher ist es erklär­ lich, dafs in einem Buche über die Entstehung des deutschen Handelsgerichts das Rechtsleben der alten deutschen Reichsstadt Nürnberg einen ziemlich breiten' Raum einnimmt. Dem Ver­ fasser ist es um die Geschichte derjenigen von der Staatsgewalt

333 eingesetzten oder doch anerkannten Organe zu thun, welche die Aufgabe hatten, auf dem Spezialgebiete des Handels die ordent­ liche Gerichtsbarkeit an Stelle der gewöhnlichen Gerichte aus­ zuüben. Zur Bildung solcher Organe hat überall das Bedürfnis nach einem beschleunigten Verfahren in Handelssachen geführt, und am frühesten führt dieses Bedürfnis zu entsprechenden Or­ ganisationen in Italien mit seiner frühzeitigen Entwicklung des Städtewesens und seiner ausgebreiteten Handelsthätigkeit. In einer Einleitung, die sich mit der Entstehung der Handels­ gerichte aufserhalb Deutschlands und mit der Vorgeschichte der Handelsgerichte in Deutschland beschäftigt, gibt uns Dr. Silber­ schmidt eine Übersicht, die trotz der knappen Form so klar und vollständig ist, dafs sie jedermann mit Freude und mit Nutzen lesen und studieren wird. An diese Einleitung schliefst sich das Kapitel über Nürnberg an, das umfangreichste des Buches. Die sorgsamen Forschungen, welche der Verfasser in den Nürnberger Archiven angestellt hat, haben zu teilweise neuen und interessanten Ergebnissen geführt*, das k. Kreisarchiv und das Archiv des vormaligen Friedens- und Kammergerichts, das sich als Merkantil-, Friedens- und Schiedsgericht bis in unsere Zeit erhalten hat, boten reiche Ausbeute. Der Verfasser hat aber auch die gesamte ältere und neuere Literatur heran­ gezogen und so manche längst vergessene, aber nicht unwich­ tige Abhandlung oder Dissertation älterer Nürnberger Juristen wieder zu Ehren gebracht. Er schildert zunächst die frühesten Einrichtungen der Stadt, die Funktionen des Schultheifsen und des Schultheifsengerichts, sowie die in Bezug auf die Gerichts­ barkeit den Nürnbergern verliehenen Privilegien und die ersten Ausnahmen von dem gewöhnlichen, ordentlichen Verfahren des Stadtgerichts, die bereits in der Reformation von 1484 den »Gästen« zugestandene Abkürzung des Verfahrens und die aufserordentliche Rechtsprechung des Bürgermeisters, die sich in einer Reihe von deutschen Städten gleichfalls ausgebildet findet, wo sie den Ersatz für eine eigene Handelsgerichtsbar­ keit bildete. Mit dem Eindringen des römischen Rechts in Deutschland drang auch das Element des gelehrten Richtertums in die deutschen Gerichte ein und wenn auch der Rat der Stadt Nürnberg den Doktoren den Eintritt in seine Mitte versagte,

334 war er doch von jeher bemüht, gelehrte Juristen in seinen Dienst zu ziehen und als Ratgeber zu verwenden. Das Jahr 1497 brachte in Nürnberg eine Umgestaltung des Stadtgerichts; an der alten Überlieferung aber, wonach die Juristen nur Rat­ geber, nicht Urteiler sein sollten, wurde festgehalten, die Urteils­ findung blieb den Schöffen Vorbehalten. Die summarische Rechtsprechung des Bürgermeisters in causis liquidis et executivis blieb bestehen. Die Einführung des römisch-kanonischen Prozesses aber brachte Verzögerung der Prozesse, zu der namentlich auch die Appellation beitrug, die für die Nürnberger im Hinblick auf ihre alten Evokationsprivilegien, wonach sie aufser im Falle der Justizverweigerung nicht vor das kaiserliche Hofgericht gezogen werden konnten, höchst lästig sein mufste. Deshalb waren die Privilegien Kaiser Friedrichs III. von 1464, wonach jeder, der an den Kaiser appellieren wollte, vor dem Rate oder dessen Abgeordneten bei Meidung der Nichtigkeit der Appellation einen Gefährdeeid abzuleisten hatte, und Kaiser Maximilians I. von 1495, wonach die Appellation bei Sachen von einem Streitwert unter 30 fl. rhein. überhaupt nicht an das Reichsgericht, sondern an den Rat zu richten war, von grofser Wichtigkeit. Im Zusammenhang damit steht das erste wichtige Privileg, welches der Nürnberger Rat in Bezug auf Kaufhändel vom Kaiser Maximilian I. erwirkte, und in welchem sich die drei Grundsätze aufgestellt finden, welche auch eine spätere Zeit als Eigentümlichkeit der kaufmännischen Gerichte betrachtete, summarisches Verfahren, Beschränkung der Appellation und Laienrichtertum. Die Darstellung, wie dieses Privilegium vom 14. März 1508 erwirkt wurde, der Nachweis des Zusammen­ hangs desselben mit der damals brennenden Frage der grofsen Handelsgesellschaften und ihrer verhafsten Monopolwirtschaft und die Schilderung der durch den befähigten Propst Dr. Erasmus Topler geführten Verhandlungen gehören zu den inter­ essantesten Partien der Schrift. Es ist überaus merkwürdig, dafs dieses Privileg vollkommen in Vergessenheit geriet und und dafs erst 32 Jahre nach seiner Erlangung ein Ratskonsulent, Dr. Hepstein, auf seine Bedeutung hinsichtlich der Appellation in Kaufmannssachen aufmerksam wurde. Der Verfasser geht nun näher auf das Institut der Marktherren ein, schildert die

335 in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts in Folge der Münz­ verschlechterung eingetretenen Zustände und die Umstände, welche am 16. Juli 1621 zum Erlafs einer Banko-Ordnung führten, und wird dabei einer Persönlichkeit gerecht, die sich um die Errichtung der Nürnberger Bank nach venetianischem Muster die wesentlichsten Verdienste erwarb. Was über Endres Imhoff den jüngeren und die Entstehung der Nürnberger Giro­ bank hier mitgeteilt wird, ist im wesentlichen neu. Dem Bankoamt waren aber auch richterliche Befugnisse zugewiesen, und es ergab sich bald die Notwendigkeit, die Kompetenz desselben gegenüber dem Stadtgericht genau zu begrenzen Dies geschah durch das Dekret vom 31. März 1624, und darin wird die Grundlage zu dem zu so hohem Ansehen gelangten Nürnberger Bankogericht erkannt, das später den Namen Merkantil- und Bankogericht erhielt und bis in unser Jahrhundert hinein fun­ gierte. Wir haben von dem reichen, interessanten Inhalt des Kapitels nur ein dürftiges Bild in flüchtigen Strichen entwerfen können und vermögen auch nicht weiter auf die Geschichte des Bozener Merkantilmagistrats und auf die an anderen Orten gemachten Versuche, für Handelssachen ein besonderes Ver­ fahren einzuführen, einzugehen. Der Verfasser widmet in den weiteren Kapiteln dem Kaufgericht zu Braunschweig und dem Leipziger Handelsgericht, auf deren Entstehung das Nürnberger Vorbild von Einflufs war, sorgfältige Untersuchung, sowie den Handelsgerichten der Seestädte. Nach Besprechung des Ein­ flusses der merkantilistischen Bewegung, insbesondere der Kom­ merzkollegien und Banken und des Einflusses der Literatur und der Reichsgesetzgebung auf die Entwicklung der Handelsgerichte kommt der Verfasser schliefslich zu dem Ergebnisse, dafs als Triebfeder für alle einzelnen der behandelten Bildungen das Bestreben anzusehen ist, die Formen des ordentlichen Prozesses für den Handel abzukürzen und zu vereinfachen, dafs dagegen die Forderung des Laienelements für die Handelsgerichte hinter der des beschleunigten Verfahrens überall zurücktritt und dafs, was die Zuständigkeit des Gerichts anlangt, sich ein gemischtes System, bei dem teils der Stand der Parteien, teils der Gegen­ stand der Klagen mafsgebend war, als das dem deutschen Handelsgerichte eigentümliche nachweisen läfst. Dr, Silberschmidts

336 Arbeit verrät überall den gewissenhaften Forscher, der bemüht ist, den Dingen auf den Grund zu gehen, und die Zähigkeit besitzt, auch die entferntesten und unzugänglichsten Quellen aufzuspüren und zu Rat zu ziehen. Wir halten sie, ohne damit ihre Bedeutung für die Rechtsgeschichte im allgemeinen ver­ kleinern zu wollen, für eine überaus dankenswerte, ganz vor­ zügliche Bereicherung der Literatur über Nürnberger Rechts­ geschichte, der wir von Herzen recht viele solche Bearbeiter wünschen, nachdem sie Jahrzehnte lang vollständig brach ge­ legen ist. -ss.

Alt-Nürnberg. Kulturgeschichtliche Bilder aus Nürnbergs Vergangenheit. Verlag von Heerdegen-Barbeck. Nürnberg 1894 ff. Heft 1: Rathaus, Regiment und Rat. Heft 2: Die Burg. Heft 3: Nürnberg in Fehde und Krieg. Heft 4: Alt-Nürnbergs Bürger in Waffen. Heft 5: Turm, Thor und Wall. Heft 6: Die Handwerker. Heft 7: Kaufmann und Handel. Heft 8: Vor den Mauern der Reichsstadt. Heft 9: Die Nürnberger Land­ schaft. Angeregt durch die bei Wustmann erschienene schöne Veröffentlichung, die das alte Leipzig in Wort und Bild zur Darstellung bringt, hat hier ein echt sachkundiger und in dem reichen Material eingearbeiteter Kenner es unternommen, da und dort in Archiven und Bibliotheken zerstreute seltene Blätter an Handzeichnungen, Holzschnitten und Kupferstichen zusammenzustellen, die geeignet sind, bisher wenig bekannten, authentischen Illustrationsstoff zu den verschiedensten Gebieten der Kulturgeschichte der alten Reichsstadt zu bieten. Nicht wenige dieser Blätter sind hier zum ersten Male veröffentlicht und geben teils für die Topographie der Stadt, für die Geschichte des alten Stadtbildes und seiner hervorragendsten Gebäude, der Burg, des Rathauses, der Mauern und Thore, teils für Waffen­ wesen und Kriegführung, für Sitten und Gebräuche der reichs­ städtischen Bürger, wie sie sich in den verschiedenen Festlich­ keiten aussprechen, dann zur Geschichte der Handwerke und des Handwerkslebens, der Herrensitze, Burgen und wichtigerer Ort­ schaften im alten Nürnberger Gebiet, sowie der bemerkenswerteren

337 Kunst- und Ziergärten vor der Stadt lehrreichen Stoff an guten Abbildungen. Der Text, kurz gefafst und allgemein verständlich, hat den Tafeln nur wenig hinzuzufügen. Was man dabei zur wissen­ schaftlichen Zuverlässigkeit des Ganzen ausführlicher wünschen möchte, sind dife Angaben über Herkunft und Zustand der wiedergegebenen Originale. Jedenfalls wird das würdig des Stoffes und stattlich angelegte Werk, wenn es zum Abschlufs gekommen ist, eine der wichtigsten Quellen zur Veranschau­ lichung von Nürnbergs Vergangenheit bilden und ist deshalb mit Freuden zu begrüfsen. Denn erschöpft ist die Kultur­ geschichte der alten Reichsstadt bei weitem nicht.

R. Schaefer.

Mummenhoff, Ernst, Die Burg zu Nürnberg. Ge­ schichtlicher Führer für Einheimische und Fremde. Mit acht Abbildungen. Nürnberg. J. L. Schräg. 1896. 8. 87 Seiten. —, —, Führer durch das Rathaus zu Nürnberg. Mit Abbildungen von F. Trost und E. Lösch. Nürnberg. Heraus­ gegeben vom Stadtmagistrat Nürnberg. 1896. 8. 66 Seiten. An Bücher, die den Zweck haben, dem grofsen Publikum als Führer, Berater und Lehrer zu dienen, mag man in erster Linie drei Anforderungen stellen: sie sollen nur wissenschaftlich verläfsliche Mitteilungen bieten, anregend und frisch geschrieben sein und durch eine übersichtliche, markierte Anordnung, die ein schnelles Orientieren ermöglicht, sich auszeichnen. Wir freuen uns konstatieren zu "können, dafs die oben genannten Büchlein in vollstem Mafse und nach jeder Richtung hin diesen Anforderungen genügen. Der »Burg von Nürnberg« ist von beiden Werken, wenn wir den rein geschichtswissenschaftlichen Standpunkt einnehmen, wohl der gröfsere Wert beizulegen, da hier ein Gebiet behandelt wird, auf dem bisher noch grofse Unklarheit waltete, das noch keine umfassende und befriedi­ gende Bearbeitung gefunden hatte. Auch Mummenhoffs Führer kann, seinem Zwecke entsprechend, als erschöpfende Darstel­ lung der Burg nicht angesprochen werden, sagt der Verfasser im Vorworte ja selbst, dafs der Zweck des Büchleins die Herein­ ziehung des ganzen ihm zur Zeit bekannten geschichtlichen

338 Stoffes ausschlofs. Als Vorarbeit nehmen wir »Die Burg zu Nürnberg« in ihrer jetzigen Fassung, als Vorarbeit, die uns bereits aber unendlich viel des Neuen bietet und in grofsen Zügen Umfang, Einteilung und Einrichtung der beiden Burgen, ihre geschichtliche Entwickelung und besonders ihr Verhältnis zu einander zum ersten Male klar und übersichtlich darlegt. Und darin gerade beruht die Bedeutung des Büchleins für die Wissenschaft. Was Mummenhoff uns auf Grund seiner ein­ gehenden archivalischen und örtlichen Studien über die Hohenzollernburg bietet, über ihre Abgrenzung, ihre einzelnen Gebäude, was er über die Custodia portae und die Befugnisse der Burg­ grafen gegenüber der Kaiserburg sagt, ist völlig neu und steht zum Teil im starken Widerspruch zu der alten Anschauung. Indessen sind seine Darlegungen so klar und überzeugend, dafs sich Referent ihnen nach eingehender Prüfung rückhaltlos an­ schliefst. Wir wollen hoffen, dafs der Verfasser dem »Führer« recht bald ein umfassendes Werk über die historisch so hoch interessante Burg folgen läfst, ein Werk von gleicher Bedeutung, wie wir es von ihm über das Rathaus bereits besitzen. — Für eine zweite Auflage des Führers dürfen wir wohl den Wunsch aussprechen, dafs ein Plan der Burg beigegeben wird. Er würde zur Orientierung, wenn man nach Besichtigung der Örtlichkeit das Geschaute daheim rekapituliert, wesentlich beitragen. Dafs Mummenhoff der berufenste Verfasser zu einem Führer durch das Rathaus war, dafs dieser Führer trefflich ausfallen mufste, braucht nicht hervorgehoben zu werden für den, der das bereits erwähnte bedeutende Werk von ihm: »Das Rathaus zu Nürnberg« (Schräg. 1891) kennt. Es ist deshalb auch unnötig, hier näher auf den Führer einzugehen. Bei der bekannten gewissenhaften Arbeitsweise Mummenhoffs ist es selbstverständlich, dafs auch hier seine Forschungen seit 1891 fortgeschritten sind, dafs er diese wie die einschlägigen Ent. deckungen anderer — ich erinnere nur an die Auffindung von Dürers Entwurf für die Südwand des grofsen Rathaussaales vom Jahre 1521— getreulich im Führer verwertet hat. Einen Vorzug beider Büchlein möchte ich noch hervor­ heben: durch Einstreuen von kurzen historischen und kultur­ geschichtlichen Notizen, bisweilen auch von Sagen und Anek-

339 doten gewinnen die Führer einen anziehenden Charakter, der der Lektüre und damit auch den beschriebenen Gegenständen Kolorit und Leben verleiht. — Mit den Abbildungen des »Führers durch das Rathaus« bin ich nicht durchaus einver­ standen. Sie sind sehr ungleich. Während viele durch Auf­ fassung wie Ausführung (S. 5, 20, 30, 35, 39) in gleicher Weise sich auszeichnen, sind andere (S. 11, 34, 41) in der Strichführung zu grob und zu unklar in den Details. Denn es kommt doch hier nicht nur darauf an, ein malerisch wirkendes Bild zu erhalten, sondern zur Erläuterung des Textes gehört auch ein gewissenhaftes Durcharbeiten der Einzelheiten. Bei einer Neuauflage dürfte es sich aufserdem empfehlen, die Ab­ bildungen zu numerieren und im Text auf sie Bezug zu nehmen. Für einen Fremden, der nur einmal das Rathaus durchwandert hat, wird es sicher sehr schwer, wenn nicht unmöglich sein, sämtliche Abbildungen dem Texte richtig einzuordnen. F.

Adam Krafft und die Künstler seiner Zeit. Ein Bei­ trag zur Kunstgeschichte Nürnbergs. Von Dr. Berthold Daun. Mit 38 Lichtdruckbildern auf 10 Tafeln. Berlin. Verlag von W. Hertz. 1897. (X und 144 S.). »Über Adam Krafft ist im Laufe der Jahrhunderte viel geschrieben worden, und daher könnte die vorliegende Abhand­ lung über diesen Nürnberger Meister als eitles Bemühen er­ scheinen.« Zum gröfsten Teil treffen diese einleitenden Worte Dauns für sein eigenes Buch auch zu. Es ist meines Erachtens von vornherein ein Thema, das sich in den meisten Fällen dem Können und Erkennen eines Doktoranden noch entzieht. Aber allerdings ist es hie und da Sitte geworden, sich das Ziel möglichst hoch zu stecken und mit Hilfe eines kurzen Aufent­ haltes in loco, sowie mit Hilfe eines alles Erreichbare aufneh­ menden photographischen Apparates zu Hause, in der Reichs­ hauptstadt, das, was man eingeheimst, zu verarbeiten. Daun hat sich mit den paar hübschen neuen Resultaten, auf die ich später zurückkomme, nicht begnügt — er hätte sie kurz zusam* menstellen und so der Wissenschaft bequemer machen können — *

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sondern auch versucht, ein »Milieu« um seinen Meister zu schaf­ fen, zu dessen Schilderung ihm eben die genaue Kenntnis ein­ fach fehlt. Sie wäre das Resultat längerer Studien. Auf eine durch Herman Grimm inspirierte und von diesem mit Begeisterung begrüfste Einleitung, deren Inhalt der ist, dafs neben den grofsen Meistern, die »für den Entwicklungsgang mafsgebend sind«, auch die »Meister zweiten Grades nicht aufser Acht gelassen werden dürfen«, beginnt Daun die Vorläufer Kraffts zu schildern. Die Reihe dieser Vorläufer ist sehr dürftig, obgleich das Material allüberall zu Tage liegt. Die Deckersche Grablegung allein genügt nicht. Von den zahlreichen Fragmenten vom »Schönen Brunnen« in der Kirche des Germanischen Museums weifs der Verfasser offenbar gar nichts. Neben dem chronischen Leiden aller derjenigen, die sich auf ein neues Gebiet wagen, ohne es genau zu kennen, nämlich dem, typische Erscheinungen einer Zeit als indi­ viduelle Kunstäufserungen zu betrachten, findet man bei Daun die grundfalsche Ansicht von dem angeblich energisch und bewufst angestrebten Naturalismus und Realismus, der in Gegensatz tritt zu den »gezwungenen, gebeugten und unfreien Stellungen« und zu dem »konventionellen Ausdruck«, der »mehr einen Mangel an feinerem Verständnis der Natur zugeschrieben ist«. Es wird dabei übersehen, dafs diese Meister die Natur wohl und richtig erkannten, aber gar nicht daran dachten, sie auch realistisch zu schildern. Sie hatten einen durch den Handwerks­ gebrauch festgestellten Stil der Darstellung, die komplet­ tierende und stenographierende Prinzipien enthält. Aller­ dings enthalten die einzelnen Werke gemäfs der Individualität ihres Schöpfers realistische Momente, aber die stilisierende bewufste Darstellung blieb dennoch bestehen, da es gar nicht darum zu thun war, naturalistisch zu schaffen. Die ein­ zelnen Arbeiten Kraffts werden anschaulich und breit geschil­ dert, aber wie Dr. K. Schäfer in seiner Besprechung im Repertorium für Kunstgeschichte schon hervorhob, ohne genaue Distinktion der eigenhändigen Werke Kraffts und seiner Werk­ statt. Wer die Nürnberger Kunstgeschichte genauer kennt und beispielsweise sich vergegenwärtigt, was die umfangreichen Werkstätten Wolgemuts und Veit Stofs’ producierten und zum Teil bis nach Tirol, Polen und Ungarn exportierten, der wird

341 bei einer derartigen monographischen Untersuchung sein Haupt­ augenmerk auf Original und Schularbeit richten, gerade wie bei den Bilderuntersuchungen. Gewisse feine Merkmale des Unter­ schieds wird der künstlerisch Fühlende herausfinden, auch wenn er nicht zu der raffiniert-komplizierten Diagnose Morellis seine Zuflucht nimmt. An Neuem bringt Daun 1. eine genaue Wiedergabe der Ur­ kunden über das bekannte im Aufträge Hans Imhoffs des ältern ausgeführte Sakramentshäuschen, 2. die Thatsache, dafs Adam Krafft im Jahre 1503 in Geldverlegenheit war, denn er verpfändete laut Notiz im Imhoffschen Geheimbüchlein in diesem Jahre »3 pecher und ein paternosterle«, die er nicht mehr einlöste. Das dritte und wichtigste Resultat Dauns ist die Nach­ richt von einem Kunstwerke, das der Meister vollendet hatte, nachdem es ein Meister Symon begonnen. Da er 90 fl. da­ für forderte, weigerte sich der Auftraggeber Sebald Hornung die seiner Ansicht nach zu hohe Summe zu bezahlen. Ein Sachverständigenausschufs bestehend aus Veit Stofs, Michel Wolgemut, Peter Vischer und Peter Beheim fixierten vor Gericht die Summe von 65 fl., die Hornung dem Meister zahlen mufste. Hätte Daun mit seinem zweiten Teil abgeschlossen, so wäre es uns erspart geblieben, den dritten Teil zu lesen, der das oben erwähnte Milieu abgeben sollte. Dafs ihm die Grund­ bedingungen dazu fehlen, habe ich bereits erwähnt. So mufste er sich auf literarische Quellen und Abbildungen verlassen: es entstand eine ausgedehnte Darstellung längst bekannter Thatsachen. Dabei stofsen wir auf eine Menge von Irrtümern, die zum Teil bereits Dr. Bauch im Jahrbuch der Görresgesellschaft S. 505 nachgewiesen hat. Herrn Daun passierte unter anderm nämlich der faux pas, dafs er Veit Stofs seine Nürnberger Geburt abspricht, weil er 1477 sein dortiges Bürgerrecht auf­ gibt, während gerade der Umstand, dafs er von 1478 »unter den aufgenommenen Neubürgern nicht namhaft gemacht wird«, für jeden Unterrichteten auf das unumstöfsliche die Selbstverständ­ lichkeit seiner Nürnberger Geburt erweist. Das über Peter Vischer Gesagte enthält ebenfalls nichts Neues. Das Verhältnis des Meisters zur Antike und Renaissance ist absolut oberflächlich 23

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behandelt, desgleichen das zu Barbari, überhaupt die Barbari­ frage. Die Schedelschen Manuskripte auf der Münchener Hofund Staatsbibliothek wären einzusehen gewesen, ferner zu der Frage »Antike und Renaissanceeinflüsse in der Nürnberger Kunst« sämtliche literarische und künstlerische Äufserungen des dortigen Humanismus, z. B. die Dürerzeichnungen, die Celtisschriften etc. Und was das Gitter im Rathaus betrifft, das Vischer für die Fugger arbeitete, so existieren noch sämtliche Zeichnungen nach denselben zum Teil mit Mafsangäben von der Hand Hallers von Hallerstein. Das Kupferstichkabinet des Germanischen Museums bewahrt sie auf. Ich mufs noch auf die Illustrationen zu sprechen kommen, obgleich die Mehrzahl derselben diese Bezeichnung kaum ver­ dient, denn sie sind meist nach Amateuraufnahmen hergestellt, derartig klein und verschwommen, dafs eine stilistische Verwer­ tung derselben unmöglich ist. Und dabei sind sie auf geschmack­ lose Weise in möglichst grofser Anzahl auf die einzelnen Blätter zusammengedrängt. Ich habe mein Urteil über das Buch Dauns härter formu­ liert als ich erst beabsichtigte und als man vielleicht wünscht1). Aber prinzipielle Gründe sprachen neben den speziellen mit. Es mehrt sich die Zahl der Dissertationen, welche Themata behan­ deln, denen ein Doktorandus in den seltensten Fällen gewachsen ist. Ich weifs, es ist nicht immer die Wahl des Themas aus dem Willen der Doktoranden allein entsprungen, sogar in der Kunstgeschichte. Trotzdem oder vielleicht ebendeshalb gilt es dagegen zu frondieren. Sonst erleben wir schliefslich noch eine Dissertation: »Das Leben Raphaels«.«

Dr. Edmund Wilhelm Braun. !) Dafs Dauns Buch auch seine nicht zu leugnenden Verdienste besitzt, hat der Herr Referent ausdrücklich anerkannt. Indem wir darauf noch be­ sonders hinweisen, wollen wir zu bemerken nicht unteilassen, dafs die Mängel des Buches der zu weit gesteckten Aufgabe entspringen und an erster Stelle den Lehrern zur Last zu legen sind, welche dem Verfasser das Thema gestellt oder es doch gebilligt haben, ohne sich über dessen Umfang und Schwierig­ keiten klar geworden zu sein. D. R.

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Albrecht Dürers Wohnhaus und seine Geschichte. In Wort und Bild dargestellt im Auftrag der Verwaltung der Albrecht Dürer-Haus-Stiftung. Mit 29 Abbildungen und einer Urkunde in Lichtdruck. Nürnberg. Im Selbstverlag der Albrecht Dürer-Haus-Stiftung. 1896. 8°. (VI und 71 S.). Es ist ein begreifliches Gefühl, dafs man die grofsen Männer seines Volkes, deren Werke Allgemeinheit sind, auch in ihren vier Wänden aufsucht, dafs man ihnen menschlich näher kom­ men, das Milieu kennen lernen will, in dem sie gewirkt haben, das sie beeinflufst hat. Gerade bei Albrecht Dürer, dem uns so innig Vertrauten ist dieser Wunsch berechtigt und ein allgemeiner. Der Besuch, den sein Haus aus Heimat und Fremde erfährt, beweist es. Mit Freuden mufs deshalb der von der Albrecht Dürer-Haus-Stiftung herausgegebene Führer begrüfst werden, dessen Text mit sympathischem Enthusiasmus Justizrat Freiherr von Krefs schrieb. Die hübschen Autotypien, aus der Nisterschen Kunstanstalt hervorgegangen, wählte Pro­ fessor Fr. Wanderer aus. Das Büchlein ist sehr hübsch und anregend geschrieben und liest sich sehr angenehm. Es ent­ hält sogar, was man bei einer populären Schrift nicht erwarten dürfte, einiges Neues zur Dürerforschung. Vor allen Dingen werden die aus den Jahren 1420—1584 stammenden Urkunden über das Haus verwertet, die heute teils im Besitze der Stiftung, teils im Stadtarchiv zu Hannover sind. So konnte unter Zu­ hilfenahme anderer Quellen eine Geschichte des Hauses bis auf den heutigen Tag gegeben werden. Im Jahre 1509 kaufte Albrecht Dürer das Haus; der Kaufbrief ist im Lichtdrucke (von W. Biede) beigegeben. Die überflüssigen Hypothesen, wo Dürer gewohnt, Parterre, im 1. oder 2. Stock führt der Verfasser kurz an; er kommt zu dem einzig zulässigen Resultat, dafs das Atelier eine der Stuben im 1. oder 2. Stock mit reinem Nordlicht war. Die Biographie des Meisters ist kurz und klar; sie berührt alles Wichtige. Mit etwas zu viel Sym­ pathie ist Frau Agnes Dürerin gezeichnet. Wenn sie auch keine Xantippe war, so erscheint es mir dennoch zu optimistisch ge­ dacht, sie mit Thausing als das Ideal einer deutschen Künstlerund Hausfrau hinzustellen. Bisher unbekannt war die deutsche Übersetzung aus Christoph Scheurls Lobrede auf den Propst 23J

344 von St. Lorenz Dr. Anton Krefs (1515), die Scheurl selbst be­ sorgte (aus dem Manuskript im freiherrlich von Krefsischen Familienarchiv). Der Wunsch, mit dem das hübsche Büchlein schliefst, ist auch der unsrige. Er ist in der Illustration und ihrer Unter­ schrift auf Seite 59 enthalten und lautet: »Das Dürerhaus mit dem alten Erker, wie es war und wieder werden soll.«

Dr. Edmund Wilhelm Braun.

Peter Flötner, ein Bahnbrecher deutscher Renaissance. Auf Grund neuer Entdeckungen geschildert von Dr. Konrad Lange. Mit 12 Lichtdrucktafeln und 47 Textabbildungen. Berlin. G. Grotesche Verlagsbuchhandlung. 1897. 2. (X und 180 Seiten.) Der Übergang von der mittelalterlichen zur Renaissance­ kunst vollzieht sich in Nürnberg mit eruptiver Gewalt. Eine Reihe von hochbedeutenden Künstlern, deren Namen in allen Kulturländern guten Klang haben, leitet mit genialen Schöpfungen die neue Strömung in der deutschen Kunst ein und führt sie zum Siege. Ihr leuchtendes Beispiel facht zur Nacheiferung an, erweckt in weitesten Kreisen das lebhafteste Kunstinteresse und fördert damit auch das Kunstverständnis. Umgekehrt wie im vorigen Jahrhundert auf dem Gebiete der Literatur geht hier die eigentliche Blütezeit voran und eine Periode des Sturmes und Dranges folgt, die vornehmlich im deutschen Kunstgewerbe eine moderne Epoche herbeiführt. Die älteren Meister, ihnen voran Dürer, lösen sich von den alten Formen nicht völlig los, Hergebrachtes und Neues ringen in ihren Werken, erst die jüngeren schreiten zu reiner »welscher« oder »antiker« Formengebung fort, und ihr Führer ist, wie in Basel Holbein, so in Nürnberg Flötner. Flötner ist nicht geborener Nürnberger. Erst 1522 siedelt er (wir wissen nicht bestimmt, wo er vorher sich aufhielt) nach Nürnberg über und leistet im Jahre darauf den Bürgereid. Die Ge­ bühren werden ihm erlassen, ein Zeichen dafür, dafs er ver­ mögenslos einzog. Er war dreimal verheiratet und besafs, soviel sich feststellen läfst, einen Sohn. 1546 starb er in dürftigen

345 Verhältnissen. Die Namensform »Flötner« hat sich erst später, wahrscheinlich erst nach seinem Tode ausgebildet, während er in den gleichzeitigen Urkunden »Flattner« oder »Flettner« genannt wird. Damit im Zusammenhang stehen auch zwei Zeichen, die er neben dem Balleisen, dem Klöpfel, oder dem P.F., den häu­ figsten Signierungen seiner Werke, gern auf seinen Holz­ schnitten, Handzeichnungen und Plaketten anbringt: ein Flügel­ paar (= flattern) und ein Kothaufen (= Fladen, Unflat, Fletterer etc.). — Wenn bisher nur K. Domanig im Jahrbuch der Kunstsammlungen des k. k. Kaiserhauses 1895 auf Flötners reiche Thätigkeit als Medailleur und Schöpfer von Plaketten hinwies, während man sonst den Künstler nur als hervorragenden Meister des Ornaments kannte, so gibt K. Lange zum ersten Male ein umfassendes Bild von seiner aufserordentlich viel­ seitigen, für seine wie für die Folgezeit geradezu bestimmenden künstlerischen Bethätigung. Wir sehen, wie alle Kunstbestre­ bungen der damaligen Zeit in ihm sich vereinigen, wie er völlig in den modernen Anschauungen steht und von italienischen Vorbildern ausgehend der neuen Richtung durch seine zahl­ reichen Werke neue Wege bahnt, neue Anhänger gewinnt. Seine Hauptthätigkeit entfaltet er im und für das Kunstgewerbe als Bildhauer und Bildschnitzer, als Holzschneider und Verfer­ tiger von Plaketten, jenen kleinen Reliefs, die, meist in Blei­ güssen in den Handel gebracht, den Kunsthandwerkern als Vorlagen dienten. Die figürlichen Darstellungen zeigen vor­ wiegend weltlichen, und zwar, der Richtung jener Zeit ent­ sprechend, allegorischen oder symbolischen Charakter. Im Orna­ ment bevorzugt er die Maureske, wie sie durch die sogenannte Wyssenbachsche Folge (nach Langes überzeugenden Darlegungen durchaus sein Werk) bekannt ist. Eine Anlehnung an ein deutsches Vorbild ist nicht nachgewiesen. Von Dürer, mit dem er ja noch mehrere Jahre in Nürnberg zusammenwirkte, ist er gar nicht beeinflufst, er geht in der modernen Tendenz bewufst über ihn hinaus. Näher steht er zur Vischerschen Werkstätte, zu H. S. Beham und zu Pencz. Dagegen findet sich eine grofse Reihe von Erzeugnissen des Kunstgewerbes, besonders um die Mitte und in der zweiten Hälfte des XVI. Jahrhun­ derts, die unmittelbar unter dem Einflufs Flötnerscher Kunst

346 entstanden sind. Und noch über das XVI. Jahrhundert hinaus bis tief hinein in das Zeitalter des 30jährigen Krieges läfst sich verfolgen, wie seine Modelle wieder und wieder benutzt werden. Gehören die Medaillen Flötners zu den besten der Blütezeit dieser Kunst, haben seine meisterhaften Plaketten überhaupt erst in Deutschland den ersten Anstofs zu gröfserer Produktion und ausgedehnterem Vertriebe dieser Vorlagegattung gegeben, so zählen seine Holzschnitte zu den vorzüglichsten jener Zeit, und als Bildschnitzer wird er, nach den erhaltenen ausgeführten Dekorationen zu urteilen, überhaupt von keinem Zeitgenossen erreicht. Von den gröfseren Arbeiten, die wir nach den Lange­ schen Untersuchungen ihm zuweisen müssen, seien nur einige in Nürnberg wohlbekannte — wenn auch bisher bis auf die letztgenannte nicht als Arbeiten Flötners — angeführt: der Hirschvogelsaal in der Hirscheigasse mit dem herr­ lichen steinernen Kamine, eine Reihe von dekorativen Schnitzereien im Tucherhause und das prächtige Portal in der Nordwand des Standesamtssaales. Dazu sei noch erwähnt ein Kokosnufspokal im Besitze der Holzschuherschen Familie, eines der schönsten Stücke deutscher Goldschmiedekunst. Es ist nicht möglich, auf den aufserordentlich reichen Inhalt des Langeschen Werkes hier einzugehen. Wir danken dem Verfasser, dafs er mit seinen gründlichen und vorzüglichen Darlegungen einen bisher weit unterschätzten Nürnberger Künstler auf den ihm gebührenden Platz gehoben hat, und empfehlen das Werk als eine der besten Künstlermonographien, die wir besitzen. F. Barbara Harscherin, Hans Sachsens zweite Frau. Von Dr. Alfred Bauch. Mit sieben Abbildungen, Nürnberg. 1896. Joh. Phil. Rawsche Buchhandlung. (112 Seiten,) Die reichhaltige Literatur, welche die vierhundertjährige Wiederkehr des Geburtstages von Hans Sachs in ihrem Gefolge hatte, beschäftigte sich in der Hauptsache mit der dichterischen Produktion des grofsen Nürnberger Schuhmachers. Eine ein­ gehende, umfassende Darstellung seiner Lebensverhältnisse hat sie nicht gezeitigt. Wichtiges Material für eine spätere ein­ gehende Biographie bietet die als Nachklang des Festes

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erschienene vorliegende Schrift. Zunächst beschäftigt sie sich, wie der Titel angibt, mit Hans Sachsens zweiter Ehe, die in früherer und jüngster Zeit manchen mehr oder minder ver­ steckten Tadel dem greisen Dichter eingetragen hat wegen des auffallenden Altersunterschiedes der Ehegatten. Mit aufserordentlicher Genauigkeit, mit sorgsamen Eingehen bis auf die entlegensten Quellen stellt der Verfasser ein Bild der anmutigen Nürnberger Bürgersfrau vor Augen, die den greisen Dichter nach scheinbarer Ermattung nochmals zu reichem Schaffen be­ geisterte, seinen Lebensabend mit dem goldigen Schimmer edler Weiblichkeit umgab. Mancherlei Irrtümer, die bezüglich ihrer Person bisher obwalteten, werden aufgedeckt. Nachdem Hochzeits- und Todestag der ersten Frau des Dichters auf quellenmäfsiger Grundlage berichtigt ist, wird zunächst der durch die Hans Sachsliteratur gehende Irrtum*) über das Alter der zweiten Frau bei der Verehlichung richtig gestellt und nachgewiesen, dafs Barbara Harscherin nicht siebzehn, sondern bereits sieben­ undzwanzig Lenze zählte, als sie mit dem Nürnberger Poeten zum Altäre schritt*, dafs sie zu dieser Zeit nicht ein junges Mädchen, sondern die Witwe eines ehrsamen Meisters des Kandelgiefsergewerbes Jakob Endres war und sechs Kindern das Leben gegeben hatte. Eingehend werden die Familien­ verhältnisse der Familie Harscher, dann ihres zweiten Gemahles auseinandergesetzt und ein interessanter Einblick in das klein­ bürgerliche Handwerksleben der alten Reichsstadt in der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts vor Augen geführt. Dann finden die Verhältnisse der ungestört glücklichen Ehe, während der nur der Tod mancher naher Angehöriger den beiden Ehe­ gatten vorübergehende Trübung schuf, ausführliche Schilderung. Interessant ist die Feststellung, dafs Hans Sachs mit Eingehung des neuen Bundes, wohl beeinflufst durch die junge Frau, in seinen Theaterstücken nicht mehr als Mitwirkender oder Spiel­ leiter auftritt und auch das Merkeramt bei den Meistersingern *) In meiner Hans Sachsschrift S. 131 steht übrigens die Bemerkung: »Obschon sie allem Anschein nach noch in jugendlichem Alter stand, so ist doch die in vielen Darstellungen auftretende Angabe, sie sei erst 17 Jahre alt gewesen, weder nachweisbar noch wahrscheinlich, sondern beruht vermutlich auf einer Verwechslung mit seiner ersten Frau, die er allerdings in dem an­ gegebenen Alter heimführte.« M.

348 niederlegt. Auf die letzten Lebensjahre des Dichters weifs der Verfasser mancherlei neue Streiflichter zu werfen. Beachtung verdienen vor allem die Ausführungen über das einzige authen­ tische Porträt des Dichters von dem Nürnberger Maler Endres Herneisen, jetzt in der Bibliothek in Wolfenbüttel befindlich, von dem eine Nachbildung der Schrift vorangesetzt ist. Schliefslich wird noch berichtet über die dritte Ehe, die Barbara mit dem Nürnberger Wundarzt und Bader Hans Leutkirchner ein­ ging, die Geschichte von dessen Familie und endlich der Todes­ tag und der Begräbnisort der durch ihren zweiten Gemahl zu einer gewissen Berühmtheit gelangten und durch ihren dichterischen Gatten ja in strahlendsten Farben geschilderten Frau mitgeteilt. Dem hier in Kürze skizzierten Hauptteil schliefsen sich noch eine Reihe von urkundlichen Beilagen an, die einesteils von hohem kulturgeschichtlichen Interesse sind, andererseits ins­ besondere die schwer verfolgbare Nachkommenschaft von Hans Sachs festzustellen suchen. Auf die literarischen Verhältnisse Nürnbergs zu jener Zeit werfen insbesondere die Verweise und Warnungen, die Hans Sachs vom Nürnberger Rat erhielt, das Dankschreiben des letzteren an den Verleger des Dichters, den Augsburger Buchhändler Georg Willer, für die Widmung des zweiten Bandes der Gesamtwerke und die Ratsverlässe über einen Rechtsstreit zwischen dem Buchhändler Joachim Lochner und dem Buchdrucker Valentin Güfsler wegen des Druckes der Werke helles Licht. Die übrigen Beilagen betreffen die Ver­ mögensverhältnisse von Barbara Harscher, Nachlafs und Erben von Hans Sachs und die Familie seiner ältesten Tochter Katha­ rina, die allein die Familie fortpflanzte. Im Besitz eines Enkels derselben, des im Jahre 1633 in Zwickau verstorbenen Johann Pregel, befand sich der handschriftliche Nachlafs des Dichters. Dr. Bauch veröffentlicht das gesamte Nachlafsinventar desselben und mutmafst mit vieler Wahrscheinlichkeit, dafs in der ganz ansehnlichen Büchersammlung sich Teile der vormaligen Biblio­ thek des Hans Sachs befunden haben mögen. Wiewohl der Verfasser bei seiner Darstellung zu novel­ listischer Ausgestaltung, zu der der Stoff einen andern wohl hätte verleiten können, scharf aus dem Wege gegangen ist und sich peinlich auf das von ihm mit aufserordentlicher Gründlichkeit

349 durchgearbeitete Quellenmaterial, das manchmal vielleicht für den eigentlichen Gegenstand zu weit hergeholt erscheint, beschränkt, ist die Arbeit doch mit grofser Wärme und sichtlicher Liebe zum Gegenstand geschrieben, so dafs sie den Freunden von Sachs nicht nur, sondern überhaupt vom Leben Alt-Nürnbergs eine willkommene Lektüre bieten wird. H. Stegmann.

Bayerische Papiergeschichte. 1. Teil. Die Papier­ mühlen im Gebiete der weiland freien Reichsstadt Nürnberg. Nach archivalischen Quellen verfafst, auf eigene Kosten herausgegeben* im Selbstverläge von Edmund Marabini. Nürnberg. 1894. (147 S.). Die Papiermühlen im ehemaligen Burggrafentum Nürnberg, den brandenburg-ansbach- und bayreuthischen Landen. Nach archivalischen Quellen verfafst und im Selbstverläge von Edmund Marabini. München und Nymphen­ burg. 1896. (176 S.). In dem Vorwort des ersten Bandes dieses höchst ver­ dienstvollen Buches teilt der Verfasser mit, dafs demselben noch etwa 10 weitere Bändchen folgen werden, bis die Geschichte aller ehemals in Bayern bestandenen Papier­ mühlen erschöpft sein wird. In dem zweiten Bande findet sich der Haupttitel »Bayerische Papiergeschichte« nicht mehr auf dem Titelblatte, vielleicht weil der Verfasser seine ursprüng­ liche Absicht, ganz Bayern in dieser Weise zu behandeln, auf­ gegeben hat, vielleicht aber auch aus anderen uns nicht be­ kannten Gründen. Es können uns dieselben aber zunächst gleichgiltig sein, da in das Gebiet des Vereins doch nur die erwähnten beiden Bändchen fallen, während die etwa noch folgenden über dasselbe hinausgehen. Wie schon der Titel besagt, handelt es sich bei diesem Büchlein nicht um eine Geschichte der Papierfabrikation der betreffenden Gebiete, sondern um die Geschichte der einzelnen Papiermühlen, welche sich daselbst befanden oder ausnahms­ weise auch noch befinden. Nur für die wenigsten lagen Vor­ arbeiten vor, wie z. B. bei derjenigen des Ulman Stromer*, das meiste, was der Verfasser bietet, wird daher hier zum ersten Male

350 veröffentlicht Und wenn das Mitgeteilte bei mancher Papier­ mühle auch lückenhaft ist, auch auf ähnliche Erscheinungen, Zustände und Vorkommnisse im Papiermachergewerbe in ande­ ren Gebieten keine Rücksicht genommen wird und diese nicht zur Vergleichung und Erklärung herangezogen werden, so mufs man doch für das Gebotene dankbar sein. In der Einleitung hat es sich der Verfasser allerdings etwas leicht gemacht; die epochemachenden Entdeckungen des Professor Dr. Jos. Karabacek in Wien über den orientalischen Ursprung der Papierfabrikation, die derselbe in dem Werke »Das arabische Papier, eine historisch-antiquarische Untersuchung« (Wien 1887) veröffent­ lichte, sind ihm offenbar fremd geblieben. Er wiederholt nur das, was sich vor Karabaceks Untersuchungen in den meisten Werken über die ältere Papierfabrikation fand. In dem ersten Bändchen steht an der Spitze das Pfleg­ amt Wöhrd mit der Gleis- oder Hadermühle, dem Unternehmen Ulman Stromers, der ersten Papierfabrik im heutigen Bayern, vielleicht in Deutschland überhaupt, den Papiermühlen in Schnigling, zu Doos, beim oberen Veilhof und der Heinrichmeyerschen Papiermühle in Wöhrd. Das Pflegamt in Gostenhof ent­ hielt Papiermühlen auf der Tullnau, die gegen Ende des 16. Jahrhunderts der tüchtige Kandelgiefser Nikolaus Rumpler betrieb, in Mögeldorf, bei dem Dutzendteiche, in Röthenbach bei St. Wolfgang, in Wendelstein1), die im 17. Jahrhundert in den Besitz der Endter und damit zu besonderer Blüte gelangte, zu Mühlhof, zu Stein und auf der Weidenmühle. Im Pflegamt Altdorf fand sich nur eine Papiermühle, die zu Hagenhausen ihren Sitz hatte. Das Pflegamt Lauf zählte vier, eine in Lauf selbst, eine in Röthenbach, welch letztere heute noch besteht, eine in Grünthal, die aber erst 1828 errichtet wurde, und eine kleine Pappendeckelfabrik zu Schwaig, die nur kurze Zeit bestand. Den Beschlufs bilden einige Papiermühlen, die Nürnberger Bürgern gehörten, aber aufserhalb des nürnbergischen Gebietes lagen, nämlich die Papiermühlen zu Hirschbach und zu Sim­ melsdorf. *) Mögeldorf, Röthenbach und Wendelstein gehörten übrigens nicht zum Pflegamt Gostenhof und Mühlhof und Stein waren ganz, Wendelstein zum Teil markgräflich.

351 Die Nachrichten, weiche über die einzelnen Papiermühlen gegeben werden, sind sehr ungleich in ihrem Umfange. Es rührt dies teilweise von der längeren oder kürzeren Existenz der betreffenden Werke her, ist teilweise aber auch durch den Mangel an urkundlichem Material bei einzelnen Mühlen zu erklä­ ren. Besonderes Gewicht hat der Verfasser auf die Abbildungen gelegt und manche alte Ansichten der Papiermühlen, manches Bildnis ihrer Besitzer und anderes reproduziert. Von hervor­ ragendem Werte sind aber die Wasserzeichen der Erzeugnisse der verschiedenen Papiermühlen, von denen seither nur einige bekannt waren. Nicht weniger als 80 Wasserzeichen werden hier wiedergegeben und den betreffenden Mühlen zugeteilt. Man lernt auch eine Reihe von Papiermüllerfamilien kennen, in denen das Gewerbe von dem Vater auf den Sohn oft durch eine Reihe von Generationen sich vererbte. Die An­ gehörigen dieser Familien siedelten häufig von einer Papier­ mühle auf die andere über; sie waren vielfach miteinander ver­ schwägert und bildeten in Folge ihrer besonderen Sitten und Gebräuche, unter welchen der luxuriöse »Lehrbraten * eine be­ sondere Rolle spielte, eine ziemlich abgeschlossene Kaste. Der Lehrbraten, den ein Lehrling bei seiner Freisprechung zum Gesellen 1741 auf der Papiermühle zu Roth zahlen mufste, kostete nicht weniger als 156 fl. 41 kr., während der Aus­ gelernte auch jetzt nicht mehr als einen Thaler Wochenlohn bekam. Starr hielten die Papiermacher an dieser kostspieligen Unsitte fest, die durch den Erlafs Kaiser Karls VI. gegen die Handwerksmifsbräuche vom 16. August 1731 auf das strengste verboten war, aber dem Gesetze zum Trotz von den Papiermüllern auch dann noch beobachtet und von den an­ gehenden Gesellen verlangt wurde. Von den Papiermacherfamilien seien genannt die Knödtel, Loschge, Quinat, Pecht, Köhler, Meckenhauser, Bernhaupt, Bierdümpfel, Volkert, Wilke, Heerdegen u. s. w. Die Angehö­ rigen derselben hielten sich natürlich nicht an die damals ziem­ lich kraus durcheinander laufenden politischen Grenzen, weshalb solche auch in dem zweiten Bändchen vielfach erscheinen. Die Papiermühlen der markgräflichen Lande, die in demselben ver­ zeichnet sind, werden nach Oberämtern aufgeführt. Den Anfang

352 macht das Oberamt Schwabach mit der Oberfichtenmühle, auf welcher wohl zuerst die Fichte als Wasserzeichen benützt wurde, die dann später auch bei andern Papiermühlen vielfach in Anwendung kam, der Unterfichtenmühle, welche durch die Familie Quinat, die heute noch (seit 1714) die jetzige Fabrik besitzt, zu besonderem Rufe kam, dem Königshammer und der Papiermühle zu Penzendorf, die aber schon vollständig in das IQ. Jahrhundert fällt. Im Oberamt Burgthann fanden sich lediglich die zwei Papiermühlen zu Burgthann selbst, die obere und die untere, von welchen letztere heute noch besteht. Sie und die Unterfichtenmühle sind nur noch die einzigen aus brandenburgonolzbachischer Zeit. Das Oberamt Roth wies solche zu Roth, Georgensgmünd und Friedrichsgmünd auf, das Oberamt Onolzbach hat lediglich eine zu Weihenzell, das Oberamt Cadolzburg nur eine zu Fürth, das Oberamt Wassertrüdingen die Papier­ mühle bei Gerolfingen und das Oberamt Hohentrüdingen eine bei Wolfsbrunn. Der zweite Abschnitt dieses Bändchens behandelt die Papiermühlen des Fürstentums Bayreuth, die einzeln aufzuzählen wir wohl unterlassen können, da sie und ihre Besitzer nicht in so nahem Zusammenhang mit Nürnberg und seinem Gebiete stehen, wie die Papiermühlen von Brandenburg-Ansbach. Auch dieses Bändchen weist sauberen Druck auf gutem Papier und viele Illustrationen auf. Ebenso zahlreich sind die Wasser­ zeichen, welche die verschiedenen Papiermühlen führten. Wenn der Verfasser seine ursprünglich zu erkennen gegebene Absicht durchführt, ganz Bayern in gleicher Weise zu behandeln, so wäre die seinerzeitige Herausgabe einer separaten Sammlung aller der veröffentlichten Wasserzeichen sehr wünschenswert und würde man eine Sammlung bayerischer Wasserzeichen hie­ durch erhalten, die andere Länder noch nicht aufzuweisen haben.

Hans Bösch.

353 »Dises puchlein saget vns von allen paden die von natur heifs sein«. Von Hans Folz. Strafsburg. J.H. Ed. Heitz (Heitz & Mündel). 1896. Der vorliegende, von Paul Heitz veranstaltete Facsimiledruck von Folzens Spruch von den Bädern ist wohl in erster Linie für Bibliophilen bestimmt, denn für die Wissenschaft wäre ohne Zweifel eine genaue Kommentierung des Gedichts, nament­ lich auch der baineologischen Seite desselben, eine Unter­ suchung über seine Quellen etc. nützlicher gewesen. Auch in sprachlicher, insbesondere etymologischer Beziehung ist es mit unserer Kenntnis der volkstümlichen Dichter des 15. und 16. Jahrhunderts, allen voran Hans Sachs, noch keineswegs zum besten bestellt. Dennoch darf der Neudruck des Büch­ leins auch von dem Forscher willkommen geheifsen werden*, handelt es sich doch um die getreue Wiedergabe der Original­ ausgabe nach dem in der k. Hof- und Staatsbibliothek zu München bewahrten Exemplar in Schmalfolio. Ort, Jahr und Drucker sind nicht angegeben, doch geht der Herausgeber, der auf dem Umschlag einige einleitende Bemerkungen voraufgeschickt hat, schwerlich fehl, wenn er das Schriftchen um 1480 in Nürn­ berg gedruckt sein läfst. Der bisher allein veröffentlichte Nach­ druck, der 1504 zu Strafsburg bei dem Drucker Bartholom. Kysteiler (Kustler) herauskam (vergl. Keller, Fastnachtspiele S. 1248 —1265), läfst sich an der Hand der Originalausgabe, wie zu erwarten, an vielen Stellen verbessern. So wird Kellers übrigens naheliegende Vermutung zur letzten Zeile von S. 1249 durch unseren Facsimiledruck (»trancks 'vnd speis«) als richtig erwiesen, wird S. 1250 Zeile 7 (v. u.) erst verständlich, wenn für »dir« das richtige »die« der Originalausgabe eingesetzt wird. Ebenso ist S. 1252, 9 statt »truck« »juck« (im Reim auf »ruck«), 1252, 20 besser »anzeichen« (statt »Zeichen«), 1252, 13 (von unten) »okrafft« (anstatt »okrastt«), 1252, 12 (v. u.) »ids« (statt--»ydis«), 1252, 1 1 (V. u.) »frümlich« (statt »förmlich«), 1254, 3 »eines« (statt »einen«), 1554, 4 (v. u.) »pei perguli« (statt »perguli«), 1255, 7 »weder« (statt »wider«), 1256, 22 »ser« (statt »her«), desgl. 1256 (v. u.) »ser« (statt »her«), 1264, 6 »nempt« (statt »nem«), 1264, 7 »frech vnd frey« (statt »frech fry«), 1264, 25 »vnd such« (statt »such«), 1265, 17 »pechend«

354 (statt »gehen«) zu lesen, können auf S* 1265 die von Keller wohl als unleserlich ausgelassenen Verse 20 und 21 richtig ergänzt werden (»Dar vm wes er nit sei gelert pring seim doctor etwas vom pad«) u. s. f. Überdies enthält die Originalausgabe noch 36 Verse mehr, die in der Strafsburger Ausgabe, bezw. Kellers Abdruck, zwischen 1259, 12 (»Die es mit hitz erwermen duot«) und 13 (»Zuo baden jn der marck grofschafft«) einzufügen wären. Der gröfste Teil derselben ist Gastein gewidmet. Da­ gegen ist im Nachdruck von 1504 nur der Überschrift die ge­ nauer erklärende Zeile »Was natur sie haben vnd wie man sich dar jn halden sol« hinzugefügt. Auch abgesehen von "diesen den Inhalt betreffenden Abweichungen ermöglicht die Repro­ duktion der Originalausgabe des Folzschen Spruches manche nicht uninteressante Untersuchung und Beobachtung. Auf das, was sie zur besseren Kenntnis der Sprache Folzens beizutragen geeignet ist, kann hier natürlich nicht eingegangen werden. Es soll vielmehr nur ein ganz äufserlicher, aber darum doch nicht völlig bedeutungsloser Umstand kurz Erwähnung finden, den uns gerade der Facsimiledruck als solcher am besten veran­ schaulicht. Derselbe läfst nämlich auf das deutlichste erkennen, dafs der Drucker der Originalausgabe ein Dilettant war. Nicht selten sind die Typen undeutlich, stehen Buchstaben und Worte einer Zeile nicht in einer geraden Linie, sind die im ganzen überaus zahlreich verwandten Abkürzungsstriche über den be­ treffenden Wörtern oder auch einzelne Buchstaben fortgeblieben, ist u für n und umgekehrt n für u gesetzt und gedruckt wor­ den. Von der Letter x scheint der Drucker überhaupt kein Exemplar besessen zu haben. Die an sechs Stellen vorkom­ menden Formen »complex« oder »complexian«, wie das einmal vorkommende »hex« sind wenigstens durchweg anstatt mit einem x mit einem r gedruckt worden. Derartige Fehler hat der Nachdrucker Kustler selbstverständlich durchweg verbessert. Bezüglich der Originalausgabe aber kann wohl auf Grund dieser Beobachtungen, wie für einige andere ältere Folzsche Drucke, als wahrscheinlich angenommen werden, dafs der Dichter zu­ gleich auch der Drucker gewesen ist. — Nicht unerwähnt mag schliefslich bleiben, dafs die erste Seite der Originalausgabe und so auch des Heitzschen Facsimiledruckes mit einem Titel-

355 holzschnitt, der Darstellung eines Männer- und davon getrennten Frauenbades, geschmückt ist. Auch der Schlufsvers des Ge­ dichtes (»wünscht yn treulich hans foitz barbirer«) weicht wiederum durch das zum Schaden für das Metrum aufgenom­ mene »treulich« um eine Kleinigkeit von dem Wortlaut der Strafsburger Ausgabe von 1504 ab. Nürnberg. Th. Hampe.

Die Nürnberger Bleistiftindustrie von ihren ersten Anfängen bis zur Gegenwart. Von Eduard Schwanhäufser. Inaugural-Dissertation. Greifswald. 1893. (168 Seiten,). Zu den Nürnberger Artikeln, welche den Ruf unserer Stadt als Hauptindustrieplatz in alle Länder tragen, gehören die Bleistifte. Dafs dies heutzutage der Fall, ist vor allem dem verstorbenen Reichsrat Lothar Freiherrn von Faber zu verdanken, der zu einer Zeit, als dieser Altnürnberger Industriezweig zu ver­ sumpfen drohte, denselben durch neue maschinelle Einrichtungen hob und sich für seinen Teil von den Nürnberger Kaufleuten durch direkten Verkehr mit den Verschleifsern unabhängig machte. Die Energie und Tüchtigkeit Lothars von Faber aber fand Nachahmung, und heute ist es eine Reihe von Nürnberger Fabriken, die in Bezug auf die Güte ihrer Erzeugnisse mit den Faberschen den Vergleich ruhig aushalten kann. Über die Geschichte dieses Industriezweiges in Nürnberg war vorher nur sehr wenig bekannt*, es ist deshalb keine Phrase, wenn wir sagen, dafs das Schwanhäufsersche Werk eine Lücke ausfiillt. In der Einleitung wird kurz der Verwendung des Bleies als Schreib- und Zeichenmaterial gedacht, von welchem Metalle die heutigen Bleistifte bekanntlich kein Atom enthalten, und dargethan, wie aus dem Umstande, dafs man die chemische Beschaffenheit des Graphits nicht kannte, derselbe zu dem Namen Wasserblei und speziell in Nürnberg zu dem unglück­ lichen Namen »Bleiweifs« kam, der von der ursprünglichen Bezeichnung »schwarzes Bleiweifs« nach Weglassung des Ad­ jektivs übrig blieb. Das wirkliche Bleiweifs, die weifse Farbe,

356 wurde aus Blei und Essig in den Nürnberger Bleiweifsgärten schon im 16. Jahrhundert hergestellt. Das Buch selbst ist in drei Perioden geteilt, von welchen die erste »die Zeit des Handwerks« umfafst. In dem ersten Kapitel wird »der Kampf um Lostrennung vom Handwerk der Schreiner« behandelt. Der Verfasser glaubt, dafs die Bleistift­ macher gegen Ende des 16. oder Anfang des 17. Jahrhunderts auftreten; ein Nachweis kann hiefür aber nicht erbracht werden. Die früheste Erwähnung, welche gegeben wird, entstammt dem Jahre 1662, in welchem der Rat unterm 28. Februar verordnete: »Friederich Städtler soll man das Bleiweifsstefftmachen und führen als ein pertinenz des Schreinerhandwerks abschlagen«. Hieraus geht hervor, dafs die Bleistiftmacher, die früher ihr Gewerbe wohl als freie Kunst betrieben hatten, dem Schreiner­ handwerke zugeteilt waren. Die Veranlassung hiezu bildete die aus Holz gefertigte Fassung der Bleistifte, die Nute. Die Blei­ stiftschroter, welche den einzuleimenden Graphit oder die aus diesem Material gebildete Masse in Stempelchen zu schneiden hatten, aber gehörten nicht zum Schreinerhandwerke, sondern ihr Geschäft war eine »freie Kunst«. Die beiden Gewerbe, die also ausschliefslich auf einander angewiesen waren, gehörten nicht allein nicht zusammen, sondern waren sogar verschieden organisiert. Es ist sehr erklärlich, dafs die Bleistiftmacher eifrigst be­ müht waren, von dem Schreinerhandwerke, mit dem sie nichts zu thun hatten, wegzukommen. Aber diese Bestrebungen fanden nur wenig Gegenliebe; im Gegenteile, die Schreiner waren bemüht, die Bleistiftmacher auf den Aussterbeetat zu setzen. Dies gelang ihnen jedoch nicht. Letztere wufsten vielmehr teilweise mit ihren Forderungen durchzudringen, und 1708 wurde verordnet, dafs von den 12 Bleistiftmacherstellen künftig 10 von den Bleistiftmachern und ihren Nachkommen und nur 2 vom Schreinerhandwerk besetzt werden dürften. Mit diesem Erfolge waren die Bleistiftmacher aber nicht zufrieden; sie petitionierten weiter und weiter, und endlich im Jahre 1730 wurde die voll­ ständige Trennung der beiden Handwerke durchgesetzt. Am 3. August 1731 erhielten sie endlich die so oft schon erbetene »eigene Ordnung«. Die Schreiner hatten den Bleistiftmachern

357 nun nichts mehr darein zu reden, die höchste Stufe hatten letztere aber noch nicht erklommen: ein geschworenes Hand­ werk bildeten sie immer noch nicht, Das zweite Kapitel behandelt »die Zeit des selbständigen Handwerks«. Nach den Bestimmungen des Jahres 1708 und späteren konnte in der Regel nur ein Meistersohn wieder Meister werden. Doch wurde zuweilen auch dem einen oder andern außerhalb des Handwerks Stehenden von dem Rate die Vergünstigung erteilt, mit »sein Einshand« Bleistifte zu fertigen, Gesellen und Lehrlinge durfte er jedoch nicht halten. Starb einer von den 12 Meistern, so konnte zunächst die Witwe das Geschäft fortführen; war keine da, oder verzichtete diese, so erhielt einer von seinen Söhnen das Zeichen, das er geführt, und damit das Meisterrecht. War auch kein Sohn. vorhanden, so trat der Sohn eines anderen Bleistiftmachers ein. Hiedurch ward die Bleistiftfabrikation in wenigen Familien erblich, jeder diesen nicht Angehörende vom Meisterrecht direkt ausgeschlossen. Von 1711 bis 1785 sind unter den Meistern nur die Namen Jäger, Jenig und Städtler vertreten. Letzterer wird schon in der frühesten archivalischen Notiz über die Nürnberger Bleistift­ macher (von 1662) genannt, er wird aber auch heute noch in einer hiesigen Firma dieser Branche weitergeführt. Mit 16 Jahren wurden die Meistersöhne als Lehrlinge eingeschrieben, nach drei Jahren wurden sie Gesellen, was sie bis zum 24. Lebensjahre bleiben mufsten. Dann hatten sie ein gewisses Anrecht, Meister zu werden. Sie erhielten, wenn auch* keine Meisterstelle frei war, doch das Recht, sich zu verheiraten. Das Meisterstück bestand im »Bleiweifsschmelzen«, »Bleiweifs­ schneiden« und »Bleiweifsfassen«. Das Bindemittel des gestofsenen Graphits war damals Schwefel, Siegellack u. s. w. Die Meister­ gebühren betrugen die für jene Zeit hohe' Summe von 33 fl. 6 kr. Ferner mufste jeder Jungmeister 1708 ein Vermögen von 100 Thalern oder' wenigstens 100 Gulden aufweisen, das die Ordnung von 1731 aber nicht mehr forderte. Im Jahre 1708 war das Zeichen, welches jeder der Meister führen durfte, festgestellt. Es waren dies das Pistol, das Klee­ blatt, das Posthorn, der Stern, das Herz mit dem Pfeil, das Jägerhorn, die Rose, die Brille, die Krone, das Männlein mit

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dem Pfitschenpfeil, der Hobel und die Weintraube. Manche dieser Zeichen sind heute noch für Bleistifte in Gebrauch. Sämtliche Bleistiftmacher hatten das Recht, durch Aufdrücken eines zweiten Zeichens, des Nürnberger Adlers, ihre Erzeugnisse als »Nürnberger Arbeit« zu legitimieren. Die Werkstätte des Bleistiftmachers jener Zeit war sehr einfacher Art; aufser dem Meister arbeitete höchstens noch ein Gehilfe, meist sein Sohn. Alle die verschiedenen Manipulatio­ nen wurden von ein und derselben Person ausgeführt, die Arbeit aufser dem Hause und Frauenarbeit aber waren streng verboten. Nur die einzuleimenden Stängelchen wurden lediglich von den Bleiweifsschrotern geschnitten, die nur so halb und "halb zu dem Handwerke gehörten. Dann ergeht sich der Verfasser über das Rohmaterial, das zur Verarbeitung kam, erwähnt er die Rötelstifte, die ebenfalls in Nürnberg gefertigt wurden, und gedenkt der Kontrollmafsregeln, welche die Vorgeher anwandten, um die Güte der Erzeugnisse festzustellen. Die Bleistiftmacher scheinen im Anfang ihre Produkte in »Krämen« direkt an das Publikum verkauft zu haben, später wurde der lokale Absatz durch die Material- und Schreib­ warenhändler vermittelt. Der Absatz nach aufsen lag dagegen nahezu vollständig in den Händen der Nürnberger Grofshändler, die hier heute noch wie damals Manufakturisten genannt wer­ den. Nur von dem Bleistiftmacher Johann Jenig ist bekannt, dafs er mit seinen Stiften auswärtige Messen, namentlich die Frankfurter, bezog. Der thätige Mann erhielt auch ein kaiser­ liches Privilegium gegen die Nachahmung seines Zeichens und den Mifsbrauch seines Namens, was jedoch nicht hinderte, dafs er auf der Frankfurter Messe von Nürnberger Kaufleuten veranlafste Nachahmungen seines Fabrikates antraf. Diese Stifte wurden meist von »Stümplern« in den Orten vor der Städt: in Gostenhof, Wöhrd, St. Johannis, Steinbühl, Sündersbühl, Schweinau, Stein, Fürth, Schwabach u. s. w. ge­ fertigt, woselbst diese der Kontrolle nicht unterworfen waren, wohlfeiler lebten, daher auch billigere Arbeit liefern konnten. Die Abnehmer aber waren Nürnberger Kaufleute, welche die verbotene Ware in die Stadt hereinschmuggeln liefsen. Trotz

350 strenger Strafen nicht nur für die Stümpler, sondern auch für die Kaufleute war es nicht möglich, diese »Stümpelei«, bei welcher die Zeichen der besten Fabrikate nachgeahmt wurden, zu unterdrücken. Ja, dieselbe nahm sogar zu, während die privilegierte und geschützte Profession in der Stadt den Krebs­ gang ging, obgleich mit der Zeit — das Jahr ist nicht genau festzustellen — die Bleistiftmacher zum »geschwornen« Hand­ werk, der höchsten Stufe der Nürnberger Handwerksorganisation jener Zeit, emporgerückt waren. Die zweite Periode der vorliegenden Arbeit behandelt »die Zeit des Übergangs vom Kleinbetrieb zum Grofsbetrieb«, also die Zeit von ungefähr 1780 bis um 1810. Zu Beginn dieser Periode war das Gewerbe in der Stadt zur Bedeutungs­ losigkeit herabgesunken, es gab nur noch drei Bleistiftmacher in Nürnbergs Mauern, dagegen 16 Stümpler vor seinen Thoren. Die Stümpler hatten freie Hand, sie brauchten die für die Blei­ stiftmacher gütigen Vorschriften nicht zu befolgen; sie beschäf­ tigten Heimarbeiter, Frauen, ja selbst Kinder und zwar in ganz beliebiger, ihnen eben entsprechender und von ihnen benötigter Zahl. Dies gestattete ihnen um so mehr, auch eine speziellere Arbeitsteilung einzuführen, als in einem der Geschäfte bis zu 20 Arbeiter thätig waren. Mit Neid und Besorgnis verfolgten die Bleistiftmacher in der Stadt den Gang der Dinge. Sie erbaten sich vom Rate Mafsregeln gegen ihre Kollegen vor der Stadt; doch wehrten sich diese dagegen und hatten dabei den Rat, der weniger engherzige Ansichten hatte, auf ihrer Seite. Allmählich kamen auch die Nürnberger zur Einsicht, dafs ihnen nur die Aufhebung der sie einschränkenden Fesseln helfen könne. Sie waren dem­ entsprechend mit der am 23. November 1785 erfolgten Auf­ hebung des Artikels 9 der Bleistiftmacherordnung, welcher die Beschäftigung unzünftiger Arbeiter verbot, einverstanden." Von nun an hörte das Bleistiftmachergewerbe auf ein Handwerk zu sein. Der Arbeitgeber läfst nun auch hausindustriell beschäf­ tigte Personen für sich arbeiten, er wird in gewissem Sinne Verleger, bleibt aber in Bezug auf den Absatz seiner Produkte vollständig vom Nürnberger Kaufmann abhängig. Nun ein Hauptstein des Anstofses gefallen war, liefsen *4’

360 sich die vordem Stümpler genannten Bleistiftmacher in das Handwerk aufnehmen, gaben aber ihren Wohnsitz vor der Stadt nicht auf. Der erste, der aufgenommen wurde, war Appolt aus Sündersbühl, dessen Gesuch die ganze Neuerung veranlafst hatte. Die neuen Meister liefsen es sich aber nicht gefallen, dafs sie als »Landmeister« angesehen wurden, und das Rugsamt stellte sich auf ihre Söite und erkannte sie als vollwertig an. Über den »Rückfall in den alten zünftlerischen Geist« berichtet das zweite Kapitel der zweiten Periode. Die alte Erscheinung, dafs Männer, welche in früherer Zeit eine Insti­ tution bekämpften, nach der Teilnahme an derselben deren eifrigste Verfechter werden, wiederholte sich auch hier. Die früheren Maurer- und Schreinergesellen hielten nach ihrer Auf­ nahme in das Bleistiftmacherhandwerk atn allermeisten an der Ordnung fest, namentlich hinsichtlich der Aufnahme neuer Kollegen. Als ein Gostenhofer Bleistiftmacher namens Meinetsberger 1794 um Aufnahme in das Handwerk bat, wurde seine Bitte abgeschlagen, da er seine Stümpelei erst seit kurzer Zeit betreibe. Man mufste also sehr frühzeitig mit der Stümpelei anfangen, wenn man in das Handwerk aufgenommen werden wollte 1 Die eingetretene Reaktion veranlafste auch den Erlafs einer neuen Ordnung, die am 12. Oktober 1795 vom Rate bestätigt wurde. Sie erhob vieles zum Gesetz, was vordem nur Herkom­ men gewesen war. Eine wesentliche Verbesserung bildete gegen früher die Bestimmung, dafs einmal der älteste Meistersohn, einmal aber der älteste Gelernte auf eine erledigte Meisterstelle gelangen solle. Sie ist dem Rugsamte zu verdanken, welches auch das Ansuchen, die zugelassenen Meisterstellen auf 8 herabzusetzen, ablehnte. Dagegen konnten die Meistersöhne schon mit 22, die Gelernten aber erst mit 24 Jahren Meister werden. Dann mufste jeder Bewerber ums Meisterrecht seine ordnungsmäfsige Lehrzeit nachweisen, wodurch natürlich wieder alle Stümpler oder wenig­ stens der gröfste Teil derselben ausgeschlossen wurden. Die schwerste der Strafen der neuen Ordnung war auf Nachahmung des Zeichens oder Namens, sowie auf den Verkauf von Stiften an Stümpler oder Hausierer gesetzt*, sie betrug 25 Gulden. Als ein Ausflufs der Rückbildung in diesem Handwerke erscheint auch die auf der Bleistiftmacherherberge im Jahre 1800 vollzogene

361 Ernennung der bisher beschäftigten Arbeiter und Taglöhner zu Gesellen. Dieses Avancement wurde von dem Rugsamte nie anerkannt, die Arbeiter selbst hatten keine Lust daran gehabt. Als sie aber nun einmal Gesellen geworden waren, fühlten sie sich auch als solche; sie bildeten eine Brüderschaft und stellten die Bedingung, dafs fortan kein neuer Geselle ge­ macht werde, der nicht wirklich drei Jahre Lehrzeit auf diesem Gewerbe hinter sich habe, eine Bedingung, welche diese Leute alle selbst nicht erfüllt hatten 1 Bald sollten sie Gelegen­ heit haben, ihre Macht zu zeigen. Ein Nürnberger Bürger hatte um das Meisterrecht, ein anderer um Aufnahme als Geselle gebeten. Die Meister waren dafür, dieselben nach Ablegung eines Tentamens als Gesellen aufzunehmen, die Gesellen ver­ hielten sich aber vollständig ablehnend. Und als das Rugsamt im Sinne der Meister entschied, erhoben die »Gesellen« Protest hiegegen durch Niederlegung der Arbeit. Diese Demonstration richtete sich weniger gegen die Meister als gegen das Rugsamt. Die Gesellen waren auf ihrer Herberge versammelt; das Rugs­ amt blieb fest, zunächst auch die Gesellen. Sie drohten für den Fall der Aufnahme der beiden Gesuchsteller mit Mifshandlung und Totschlag und stellten für den nächsten Morgen das Erscheinen der gesamten Gesellenschaft vor dem Rugsamt in Aussicht. Am nächsten Tage zog die Hauptwache mit einer Verstärkung von 20 Mann auf. Aber schon am Abend des vorhergehenden Tages gelang es den Geschworenen, die Ge­ sellen zur Wiederaufnahme der Arbeit zu veranlassen. Nach manchen Zwischenfällen kam eine Einigung zu Stande, durch welche die beiden Nachsuchenden zu Gesellen gesprochen wur­ den, während die Gesellen die Anerkennung als Korporation und die Versicherung erhielten, dafs künftig jeder Geselle eine dreijährige Lehrzeit hinter sich haben müsse. Dieser Beschlufs wurde aber nicht konsequent durchgeführt' und auch sonst wufsten die Gesellen, die immer zünftlerischer wurden, ihre er­ neuten und erhöhten Anforderungen nicht durchzusetzen. Da ihre Ansprüche jenen der Meister teilweise entgegengesetzt waren, ist es nicht zu verwundern, dafs letztere 1807 wieder 9 unzünftige Arbeiter beschäftigten. Im Jahre 1796 war der Nürnberger Burgfrieden von

362 Preufsen besetzt worden. Die fünf Meister, die daselbst wohn­ ten, baten die preufsische Regierung um Errichtung einer be­ sonderen Zunft, womit die städtischen Meister sich auch ein­ verstanden erklärt hatten. Das Gesuch ward aber abgelehnt. In der Begründung der Abschlagung wird namentlich darauf hingewiesen, dafs die Stümpler den Fortschritt im Gewerbe be­ günstigten, die zünftigen Meister dagegen am Althergebrachten hingen. Wie schwer es denselben wurde, ihr Gewerbe weiter auszubilden, lehrt der Versuch, den Graphit künftig auf Wasser­ oder Rofsmühlen mahlen zu lassen, während dies vordem auf Handmühlen geschah. Einzelne Stümpler hatten bereits Wasser als Triebkraft benützt, Weidner auf der Gerasmühle hatte für verschiedene Stümpler den Graphit gemahlen, aber die Bleistift­ macher in der Stadt konnten sich über eine gemeinsame Mühle nicht einigen, so dafs die ganze Sache ins Wasser gefallen zu sein scheint. Als Nürnberg bayerisch geworden war, versuchten die Bleistiftmacher der Stadt nochmals die Stümpler in deren Umgebung zum Eintritt in das Handwerk zu vermögen. Aber alle lehnten diese Aufforderung ab. Die Absatzverhältnisse hatten sich nur wenig verändert} der Vertrieb ruhte vollständig in den Händen der Nürnberger Kaufleute. Nach Besetzung des Burgfriedens durch die Preufsen konnten jedoch die Fabrikate der Stümpler gegen Erlegung des Einfuhrzolles in die Stadt verbracht werden. Aber auch die Bezahlung des Zolles suchte man zu vermeiden und, wie es scheint, mit ziemlich häufigem Erfolg. Der Detailhandel in der Stadt mit Bleistiften von Stümplern blieb jedoch verboten*, die zünftigen Meister wachten eifersüchtig auf die Beobachtung dieser Bestimmung und nahmen häufig die Hilfe des Rugsamtes in Anspruch. Die Nürnberger Bleistifte wurden damals schon nach allen Ländern Europas vertrieben, billige Sorten selbst nach England, dem damaligen Hauptsitze der Bleistiftindustrie. Die Preise waren niedrige; gewöhnliche Sorten kosteten 2x/2 bis 8 kr. das Dutzend, bessere sogenannte englische Bleistifte 12 bis 48 kr. das Dutzend. Wie hoch sich der jährliche Umsatz belief, kann nicht festgestellt werden, auch nicht, ob die von

363 einer Seite angegebene Summe von 250 000 bis 300 000 Gulden der Wahrheit entspricht. Um die Wende des Jahrhunderts war die Lage der Nürn­ berger Bleistiftindustrie nicht besonders günstig. Die schlechte finanzielle Lage der Stadt, die fortwährenden Kriege, dann die Konkurrenz, die Nürnberg durch Conte in Paris undHardtmuth in Budweis entstand, schädigten dieselbe sehr. Die Nürnberger Bleistiftmacher oder wenigstens einzelne derselben fügten sich aber selbst den gröfsten Schaden durch schlechte Arbeit und ihre Gewissenlosigkeit zu, die es sogar zuliefs, Fabrikate in die Welt hinauszusenden, welche keine Bleimine besafsen, sondern lediglich aus einem runden Holze bestanden, das an den beiden Endflächen mit Graphit getupft war. Eine neue Epoche für die Nürnberger Bleistiftindustrie hatte der Übergang der Stadt an die Krone Bayern zur Folge*, sie führte den Übergang vom Manufakturbetrieb zur Fabrik­ industrie herbei, welche die dritte Periode der Geschichte dieses Industriezweiges bildet. Freiere Anschauungen machten sich nun geltend. 1809 wurde das Rugsamt aufgehoben. Ein Unter­ schied zwischen den zünftigen Meistern und den Stümplern bestand nicht mehr. Natürlich durfte auch jeder Fabrikant seine Erzeugnisse jedem verkaufen, der sie wollte. Gesellen gab es nicht mehr, nur Arbeiter, aber Lehrlinge wurden noch ein- und ausgeschrieben, und diese, die allein auf das Meister­ recht aspirierten, mufsten auch noch ein Meisterstück machen, was aber seit 1822 auch nicht mehr gefordert wurde. Der letzte, der zum Meister gesprochen wurde (1818), war Johann Fröscheis, der Begründer der heute noch bestehenden Bleistift­ fabrik gleichen Nameps. Die ehemaligen Stümpler vor der Stadt behielten die Führung in diesem Industriezweig bei, aber trotzdem sie mehr für Neuerungen waren als die ehemaligen zünftigen Fabrikanten in der Stadt, wurden solche doch erst spät angenommen zum grofsen Schaden der Bleistiftmacher. Der Gesellschaft zur Be­ förderung vaterländischer Industrie ist es zu danken, dafs Blei' Stiftfabrikant Städtler die von dem Franzosen Conte gemachte Erfindung, geschlemmten Thon als Bindemittel für den gleich­ falls geschlemmten und gemahlenen Graphit zu verwenden, zur

364 Herstellung seiner Bleistifte probeweise gebrauchte. Man ermunterte Städtler, in dieser Fabrikation fortzufahren, die allmählich auch in den anderen Betrieben Eingang fand. Auch jetzt liefsen die Fabrikate noch viel zu wünschen übrig. Die Veranlassung hiezu war die Abhängigkeit von den Kaufleuten, welche möglichst billig einkaufen wollten und auf welche die kleineren Fabrikanten noch vollständig, aber auch noch die gröfseren vielfach angewiesen waren. In Lothar Faber von Stein kam nun der Helfer in der Not. Er hatte einige Jahre in Paris zugebracht, und als ihn der Tod seines Vaters in die Heimat zurückrief, übernahm er in noch jugendlichem Alter die Fabrik. Er hob durch eine Reihe von Neuerungen die Leistungsfähigkeit seines Geschäftes, war der erste, der eine Dampfmaschine in der Bleistiftindustrie anwandte, verfertigte eine grofse Anzahl von Sorten und machte seine Fabrik durch persönliche Reisen in beinahe alle Länder Europas behufs An­ knüpfung direkter Handelsverbindungen von den Nürnberger Kaufleuten unabhängig. Von welchem Erfolg dieses systema­ tische Vorgehen begleitet war, ist allgemein bekannt. Die Bleistiftfabrikation schwang sich zur Grofsindustrie empor und die in Nürnberg befindlichen Fabriken beeilten sich, dem Beispiele Fabers zu folgen. Der Verfasser erzählt dann noch einiges über die Anfer­ tigung der Bleistifte, über die Änderungen in der Fabrikation während der letzten Jahrzehnte, sowie die immer weiter fort­ schreitende Verdrängung der Handarbeit durch Maschinenarbeit, welche die Hausarbeit mindert und die gesamte Herstellung der Bleistifte nach und nach in die Räume der Fabrik drängt. »Den steigenden Leistungen in der Produktion entspricht auch eine immer gröfsere Erweiterung des Absatzgebietes. So gelingt es der Nürnberger Bleistiftindustrie in den Jahren 1860 —1880 nahezu die ganze civilisierte Welt für ihre Fabrikate zu erobern. Besonders in den 70er Jahren macht sich eine grofse Ausdeh­ nung des Absatzes bemerkbar.« Das letzte Kapitel des verdienstvollen Buches behandelt die Gegenwart. Wir können darüber in einer der Ver­ gangenheit gewidmeten Zeitschrift wohl hinweggehen, obgleich auch hier manches Interessante und manche merkwürdige, lehr-

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reiche Zahlen geboten werden. Nicht erfreulich ist es, dafs in Folge der fortwährenden Steigerung der Produktion, wie zu Anfang unseres Jahrhunderts, verschiedene Fabriken dem Wahlspruche: ^Billig, wenn auch weniger gut« huldigten. Die Grofsindustrie hat auch nicht alle Kleinbetriebe aufgesogen*, es gibt deren noch eine nicht unbeträchtliche Anzahl, die natürlich keine feineren Sorten liefern können. Zum Schlufs wird der Arbeiter der Grofsindustrie gedacht und eine Reihe recht beachtens­ werter Vorschläge zur Verbesserung ihrer Lage gemacht. Der Verfasser ist der Meinung, »nicht die Idee der Familie, wo der Arbeitgeber den Vater, die Arbeiter die Kinder darstellen, wird auf die Dauer den Sieg behalten, sondern die Idee der Gleichberechtigung von Arbeitgeber und Arbeiterschaft, der Gedanke des Zusammenwirkens an dem beide umfassenden Ganzen der Arbeitsgemeinschaft »Fabrik«. Dieser Idee wird die Zukunft gehören.« Mit der Schwanhäufserschen Arbeit ist endlich einmal der Anfang zu einer Geschichte der verschiedenen Industrie­ zweige Nürnbergs gemacht, die ebenso wie die Geschichte der verschiedenen Nürnberger Handwerke noch der Be­ arbeitung harrt. Kleinere Städte, deren Gewerbe auch nicht annähernd die Bedeutung haben wie diejenigen Nürnbergs, sind in dieser Beziehung unserer Stadt weit voraus. Jeder, der die Bearbeitung der Geschichte eines der Nürnberger Handwerke übernimmt, besonders solcher, die sich durch ihre Lei­ stungen einen Namen gemacht oder die eine Spezialität der alten Reichsstadt waren, wird sich den Dank nicht nur der Freunde der Nürnberger Geschichte, sondern der weitesten Kreise erwerben. Es ist also zu wünschen, dafs Schwanhäufser recht viele Nachfolger findet, damit dann einmal auf Grund deren Arbeiten eine Geschichte der Nürnberger Gewerbe und Industrie aufgebaut werden kann.

Hans Bösch.

366 Festschrift zur 32. Wanderversammlung bayerischer Landwirte in Nürnberg vom 12. bis 14. Mai 1895. (328 S.). Die Schrift, vom damaligen Kreiskomitee des landwirt­ schaftlichen Vereins von Mittelfranken den Teilnehmern an der Wanderversammlung, worunter der erlauchte Protektor Se. kgl. Hoheit Prinz Ludwig von Bayern, gewidmet, stellt einen statt­ lichen Band von 328 Seiten dar, versehen mit 20 Abbildungen und 8 Tafeln und Karten. Redigiert und in ihrem wichtigsten, die Feldwirtschaft in der Nürnberg-Fürther Gegend schildernden Teil verfafst von Dr. Friedrich Wagner, k. Professor an der Kreislandwirtschaftsschule Lichtenhof, hat das Werk durch­ aus die Bedeutung einer grundlegenden Arbeit über die geognostischen, klimatischen, allgemein vegetativen und feldwirtschaft­ lichen Verhältnisse unserer Landschaft, sowie über Wiesenbau, Viehhaltung und Hopfenkultur einschliefslich der Entwicklung des Hopfenhandels in Nürnberg. Bei der in ihren Wirkungen unberechenbaren Fluktuation, von welcher die reichbevölkerte ländliche Nachbarschaft einer in rapidem Anwachsen begriffenen Grofsstadt sich in allen, zumal ihren wirtschaftlichen Verhält­ nissen beeinflufst sieht, wird dem Buche in nicht ferner Zeit schon auch der Wert eines geschichtlichen Marksteines zu­ kommen. Nicht glücklicher konnte in Anbetracht des Tagens der Wanderversammlung in einer Stadt von der historischen Bedeu­ tung Nürnbergs die Festschrift eingeleitet werden als durch die den eigentlich fachwissenschaftlichen Aufsätzen vorangestellte Arbeit von Stadtarchivar Ernst Mummenhoff, der unter dem Titel »Geschichtliches über Nürnbergs Umgegend« sich über die Anfänge der Besiedelung, sowie Ursprung und Entwicklung des Anbaus, des Wirtschafts-, namentlich des Feldbaubetriebs und der Gärtnerei, des Wein* und Hopfenbaus, endlich des charak­ teristischen Tabakbaus verbreitet hat. Der Name des bewähr­ ten Verfassers allein würde verbürgen, dafs auch auf diesem Gebiet eine grundlegende Bearbeitung des Gegenstandes vor­ liege. In der That mufs dieselbe dem Freunde der nürnbergischen Geschichte zu hoher Genugthuung gereichen. Nicht nur, dafs durch Mummenhoffs Arbeit wieder eine Seite der Nürn­ berger geschichtlichen, hier kulturgeschichtlichen Entwicklung im

367 prägnantesten Sinn im Geiste moderner Historiographie ans Licht gebracht ist: es ist dies auch mit dem Scharfsinn, der Feinfühligkeit und plastischen Gestaltungskraft bewerkstelligt, womit unser auf dem Boden der Nürnberger Geschichte wahr­ haft heimisch gewordener Verfasser es versteht, aus verblüffend rasch und reich zur Stelle gebrachtem Quellenmaterial gerade .diejenigen Seiten in den Vordergrund zu bringen, die für die Gestaltung des Bildes die charakteristischen sind. Die Mehrzahl der im 10. und 11. Jahrhundert genannten Ansiedlungen in der Umgebung von Nürnberg sind Königs­ güter oder zu solchen gehörige Höfe gewesen. An der Hand der Verfügungen Kaiser Karl des Grofsen über die auf seinen Hofgütern zu kultivierenden Gemüse -, Gartenpflanzen und Fruchtbäume erhalten wir die Grundlage für die landwirtschaft­ liche Entwicklung unseres dem Anbau der weitaus meisten jener Gewächse so aufserordentlich günstigen, durch frühzeitige Ent­ wässerung und Tiefkultur (Landgraben, Gewender) noch beson­ ders verbesserten Knoblauchlandes. Mummenhoff gibt eine bestimmte Begrenzung dieses in seiner räumlichen Ausdeh­ nung bisher etwas vag gebliebenen Begriffes an der Hand der Stadtrechnungen von 1442 und 1443. Danach stellen im Süden die Pegnitz, im Osten und Norden der Sebalder Forst und die Dörfer Tennenlohe, Eltersdorf und Bruck, im übrigen auf der Westseite die Regnitz die äufsersten Marken dar. Dafs die Benennung des Landstriches auf einen dereinst ausgedehnten Anbau der Knoblauchzwiebel zurückzuführen ist, erscheint als eine so präcise Schlufsfolgerung, dafs sie der direkten histori­ schen Beglaubigung nach Zeit und Umständen, für die es an Anhaltspunkten noch immer gebricht, wohl entbehren kann. Die Belastungen der Höfe mit Zinsen und Gülten, namentlich mit starkem Handlohn führten schon frühe zur Abteilung der Güter. Ein Umfang von mehr als 50 Morgen an Ackerland, Wiesmahd und Gärten gehört zu den Seltenheiten. Verhängnis­ voll für die Umgegend haben sich die Verwüstungen im Kriege der Stadt mit Markgraf Albrecht Alcibiades (1552 und 1553), dann im dreifsigjährigen Kriege erwiesen. Die Art der bau­ lichen Anlage der Hofstätten datiert in ihren wesentlichen eigenartigen Merkmalen unverändert von der Zeit des Wieder-

368 aufbaus nach jenen Kriegen. Auch die Anbauverhältnisse er­ lauben erst seit jenen Zeiten eine eingehendere zusammen­ hängendere Schilderung und zeigen, wie auch die Absatzgelegen­ heiten, eine gewisse Stabilität bis nahe in unsere Tage. Hier führt nun die Schrift das ganze Agrikulturmaterial auf, einschliefslich der schon 1588 nachweisbaren Kartoffel, des vom 3. Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts an sich findenden Tabaks, des Spargels (seit 155J), der Artischocke, die 1569 auftaucht und aus Aquileja (»zum Adler«) bezogen erscheint, des Meerrettigs seit 1695 und der ganzen Menge anderer »Spezialitäten« des Nürnberger Gemüsemarktes der guten alten Zeit, sowie der Handelsgewächse, alles nach den Jahren der ersten nachweisbaren Erwähnung. Über Gestalt und Inhalt der Patrizier- und Bürgersgärten liegen blumistisch wie pomologisch eingehende Aufschlüsse in verhältnismäfsiger Menge und bis ins 15. Jahrhundert zurück­ reichend vor. Von besonderem Interesse sind die in einem Nachtrag am Schlufs der Festschrift gegebenen Mitteilungen aus Wolf Albrecht Stromers »Edler Gartenwissenschaft« vom Jahre 1671. Es gewährt einen nicht geringen Reiz an der Hand unseres Verfassers den Flor an Rosen und Lilien und aller der zum Teil altmodisch gewordenen Blumenpracht sich zu vergegenwärtigen, deren Eindruck man noch in der eigenen Jugend in den buchsbesäumten »Rabatten« der steifangelegten Nutzgärten als hergebrachten Inbegriff gärtnerischer Vollkom­ menheit in sich aufgenommen hat. Besonders Interesse erweckt die eingehende Darstellung des Entwicklungsganges der Tabak­ kultur und der damit in Verbindung tretenden aufblühenden Fabrikations- und Handelsthätigkeit. Schon am 17. Januar 1659 finden wir ein eigenes Tabakschauamt errichtet. Schon in jenem Jahrhundert wie in der Folgezeit hat dieser Industrie- und Handelszweig, sowohl was die durch Arbeiterunbotmäfsigkeiten, als die mit der Besteuerung und den wechselnden Geschäfts­ konjunkturen bedingten anderen Schwierigkeiten anlangt, dem Rat der Reichsstadt Aufgaben gestellt', im Vergleich zu denen heute die analoge Thätigkeit der Staatsgewalt nur dem Umfange, nicht äber dem Wesen nach verschieden ist. Wenn wir auf den Eingang der ausgezeichneten Arbeit zuletzt zu sprechen kommen, so ist es um hervorzuheben, dafs

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nach unserer Meinung mit der Besprechung der nachweisbar ersten Besiedlung von Nürnbergs Umgegend der Verfasser sich ein besonderes Verdienst erworben hat. Zunächst räumt er mit der eingerosteten Annahme, wie wir glauben, gründlich auf, als seien Wenden die von altersher eingesessenen Ansiedler und Bewirtschafter unseres Knoblauchlandes. , Aus dem einfachen Hinweis auf die deutschen Namen aller in dem oben angege­ benen Umkreis dieser Landschaft in frühester Zeit auftauchende Höfe und Dörfer, sowie aus dem Fehlen irgend eines Orts­ namens slavischer Provenienz unter denselben — auch wie wir, soweit unsere Kenntnis reicht, hinzufügen möchten — unter den Flurbenennungen, zieht Mummenhoff unter Nachweisungen im einzelnen die Konsequenz, dafs es deutsche Ansiedler sind, denen die Umgestaltung unserer Umgegend in ein Kulturland von seltener Fruchtbarkeit zu danken ist. Alles was an slavischen Ortschaftsnamen uns umgibt, macht jenseits der Nord­ grenzen des Sebalder Forstes und des Schwabachflüfschens Halt. Wir haben hier wieder eine von den Pfadfindungen auf dem Gebiete unserer Lokalgeschichte vor uns, die Mummenhoffs historische Forschungen so häufig und glücklich zu Tage fördert. Im Zusammenhang damit sind dann die frühesten örtlich­ kulturellen Verhältnisse, aus deren Mitte mit einem Male wir das rasch aufstrebende Nürnberg auftauchen sehen, mit ein­ facher überzeugender Klarheit dargelegt. Gerade dieser Eingang ist es darum auch, der der Arbeit noch eine über ihren land­ wirtschaftsgeschichtlichen Wert hinausgehende Bedeutung ver­ leiht. Der Verfasser ist der Bewältigung seines Gegenstandes unverkennbar mit einer gewissen persönlichen Vorliebe obgelegen: mit um so freudigerer Genugthuung darf er sich sagen, dafs er zu dem grofseh ehrwürdigen Bau der Nürnberger Geschicht­ schreibung einen neuen wohlgefügten Eckstein beigebracht hat. C* v. T.

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Albrecht Dürer.

Sein Leben, Wirken und Glauben.

Kurz dargestellt von Anton Weber. Mit 11 Abbildungen. Regensburg, New-York und Cincinnati. Druck und Verlag von Friedrich Pustet. 1894. (IV und 115 S.) Diese Schrift wird nicht etwa ihrer wissenschaftlichen Be­ deutung oder sonstiger Vorzüge halber — man wird vergebens danach suchen — hier angeführt, sondern einzig deshalb, weil es erforderlich erscheint, an dieser Stelle darauf hinzuweisen, was sich der gröfste Künstler des Reformationszeitalters von tendenziösen Geschichtsklitterern gefallen lassen mufs. Die Bestimmung einer Volksschrift, nach allen Seiten hin in ge­ drängter und leicht verständlicher Weise und in gefälliger Form aufzuklären, erfüllt das mangelhafte, ganz unvollständige Buch in keiner Weise. Und was schlimmer ist als das: es ist eine Tendenzschrift der gefährlichsten Sorte, einzig und allein ge­ schrieben, um Albrecht Dürer für die alte Kirche zu vindizieren, geschrieben für einen bestimmten Leserkreis, der es für über­ flüssig halten mag, nach den Ausführungen eines solchen »Dürerforschers« sich noch weiter zu unterrichten. Und das ist möglich nach den Arbeiten von Zucker und Konrad Langel

M. Zugegangen sind der Redaktion noch die Nummern 9 bis 12 des 1. Jahrganges der »Monatsschrift für Gottesdienst und kirchliche Kunst« (1896 und 1897) herausgegeben von Dr. Friedr. Spitta und Dr. Julius Smend, worin Professor Dr. Hans v. Schubert eine vortreffliche Abhandlung über die älteste Nürnberger Kirchenordnung vom Jahre 1524/25 unter Beibringung eines reichen archivalischen Materials und sorgfäl­ tiger Wiedergabe der Ordnung selbst bietet, endlich noch M. J. Lehner, Kreisarchivfunktionär, Mittelfrankens Burgen und Herrensitze. Nürnberg 1895. Kommissions-Verlag von Franz Büchings Buchhandlung (A. Pfadenhauer) (2 Bl. und 322 S.).