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German Pages 425 [430] Year 2020
Karolin Wetjen
Mission als theologisches Labor Koloniale Aushandlungen des Religiösen in Ostafrika um 1900
Geschichte Franz Steiner Verlag
Missionsgeschichtliches Archiv | 31
Missionsgeschichtliches Archiv Studien der Berliner Gesellschaft für Missionsgeschichte Herausgegeben im Auftrag des Vorstandes von Andreas Feldtkeller, Irving Hexham, Ulrich van der Heyden, Klaus Hock und Gunther Pakendorf Band 31
Mission als theologisches Labor Koloniale Aushandlungen des Religiösen in Ostafrika um 1900 Karolin Wetjen
Franz Steiner Verlag
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Förderungsfonds Wissenschaft der VG WORT
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für Florian für Ferdinand für Charlotte
Geleitwort Diese Arbeit betritt Neuland. Erstmals wird hier am Beispiel der Leipziger Mission in Deutsch-Ostafrika, genauer im Gebiet der Chagga, gezeigt, dass christliche Missionen nicht nur den Alltag und die Glaubenswelten in den Kolonien veränderten, sondern auch die Wissensgeschichte der Theologie in der Metropole nachhaltig beeinflussten. Damit erweitert Karolin Wetjen die herkömmliche Perspektive, welche Missionare als Akteure in der Zivilisierungsmission oder als Wissenschaftler avant la lettre – etwa in der Linguistik oder Botanik – beleuchtete beziehungsweise der Frage nach der Bedeutung der Mission für den Kolonialismus nachging. Obschon all diese Aspekte hineinspielen, steht im Zentrum der Arbeit die Frage, wie Mission um 1900 zusammen mit afrikanischen Akteuren und Akteurinnen Vorstellungen vom Christentum auf der einen Seite und von „Heidentum“ und „Aberglauben“ auf der anderen Seite mit generierte und damit die Theologie in der Metropole nachhaltig beeinflusste. Ganz nebenbei entwickelt Karolin Wetjen einen neuen Laborbegriff, indem sie die These aufstellt, dass das Missionsgebiet insofern als Labor begriffen werden kann, als hier Christentum verhandelt, erprobt und neu konzipiert wurde. Wie genau dieses Labor aussah und welche Resonanzen es im Kaiserreich erzeugte, zeigt sie eindrucksvoll, indem sie zentrale Arbeitsgebiete der Mission in den Blick nimmt: So rekonstruiert sie, wie die Bibelübersetzungen vor Ort entstanden oder welche Neuschöpfungen der afrikanischen Sprachen hier aufgrund der konfessionellen Ausrichtung der Leipziger Mission und in Zusammenarbeit mit den intermediaries, den sogenannten Gehilfen, gewählt wurden. Genauso präzise werden die biblische Bildsprache und die missionarische Musikpolitik analysiert – beides war überraschend stark an europäischen Vorbildern orientiert, ja man mühte sich, klare Grenzen zu einer als afrikanisch bezeichneten Bildsprache und Musik zu ziehen, welche als besonders sexualisiert galt. Jede Bibelübersetzung und jedes Lied diente so auch dazu, die Grenzen zwischen Christentum und dem, was in der Mission als Aberglauben bezeichnet wurde, zu markieren und gleichzeitig die innerkonfessionellen Grenzen zu stabilisieren. Aber nicht nur die von der Mission verfassten Texte und die Musik, auch die Räume, die als sichtbare Zeichen des Christentums vor Ort eine besondere Rolle spielten, werden eingehend untersucht. Dabei wird deutlich, dass die in Deutsch-Ostafrika wie im deutschen Kaiserreich erbauten Kirchen spezielle konfessionell aufgeladene
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Geleitwort
Bildprogramme entwickelten, die sich gegenseitig beeinflussten. Abschließend werden der aufgrund seiner zahlreichen, auch in wissenschaftlichen Kreisen breit rezipierten Schriften wahrscheinlich bekannteste Leipziger Missionar, Bruno Gutmann, und seine Konzepte von „Sitten“, „Bräuchen“ und „Bindungen“ der Chagga detailliert analysiert. Deutlich wird hier, wie eng ethnologische, missionarische und politische Konzept etwa von „Sitte“ oder auch von Konzepten wie der „Volksseele“ miteinander verwoben waren. Karolin Wetjen zeigt, dass Gutmann das Bild einer Chagga-Gesellschaft kreierte, die faktisch bereits seit Längerem nicht mehr existierte, aber vorzüglich geeignet war, einen positiven Gegenentwurf zur modernen europäischen Gesellschaft zu bilden. Damit erfand er gleichzeitig ein durch modernekritische Perspektiven gekennzeichnetes Vorbild für die Gemeinden der sächsischen Heimat. Dieser neue Blick auf die Geschichte der Theologie und der Mission um 1900 verdankt sich einer radikalen Kontextualisierung der missionarischen Arbeit. Diese wird nämlich nicht nur vor dem Hintergrund der deutschen Kolonialpolitiken und der lokalen Gegebenheiten vor Ort, sondern auch im Zusammenhang mit theologischen Kontroversen und den zeitgenössischen Säkularisierungsdebatten gesehen, die im Kaiserreich zunehmend an Fahrt aufnahmen und den missionarischen Gedanken der protestantische Kirche in besonderem Maße bedrohten. Dieser neue Blick verdankt sich einer akribischen Quellenlektüre, darunter zahlreiche Missionskonferenzprotokolle genauso wie missionswissenschaftliche und ethnologische Studien der Missionare, aber auch eines theoretisch geschulten Blickes, der secular studies mit Wissens-, Kolonial- und Missionsgeschichte verbindet. Mit dieser in bester Wissenschaftsprosa abgefassten Arbeit liegt erstmals eine verflechtungsgeschichtliche und praxeologische Wissensgeschichte der Mission und der Theologie des deutschen Kaiserreichs vor. Rebekka Habermas Göttingen im Juli 2020
Inhaltsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Einleitung Missionarische Aushandlungen des Religiösen 1 1.1 1.2 1.3
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Mission als Ausweg aus der Krise Kolonialmission, Missionswissenschaft und lutherische Kirche Kirche in der Krise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1 1 Krisenwahrnehmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1 2 Die Krise im Umfeld der sächsischen Landeskirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Leipziger Missionsgesellschaft als lutherische Institution . . . . . . . . . . . . . . . 1 2 1 Die Leipziger Missionsgesellschaft als lutherisches Zentrum . . . . . . . . . . . . . . . 1 2 2 Missionare als Theologen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Missionstheologisches Interesse und die Entstehung der Missionswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 3 1 Missionswissenschaft an der Universität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 3 2 Missionswissenschaft zwischen Universitätstheologie, Kirche und Missionsgebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eine Mission im deutschen Kolonialgebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 4 1 Das Missionsgebiet am Kilimandscharo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 4 2 Beginn und Ausdehnung der Arbeit der Leipziger Mission . . . . . . . . . . . . . . . .
13 35 37 38 41 46 47 54 66 67 71 79 80 85
Grenzziehungen des Religiösen „Aberglaube“, Wissenschaft und Kolonialstaat 92 2.1 Zwischen „animistischem Geisterglauben“ und „unterreligiösem Aberglauben“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 2 1 1 Die „Religion der Landschaft Moshi“ und Klassifikationen von Religion . . . . 96 2 1 2 Religiös oder nicht religiös? Die Beschneidungsdebatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 2.2 Die Auslegung des Missionsbefehls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 2 2 1 Mission und die religionsgeschichtliche Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 2 2 2 Mission und Kolonialismus – die Frage der „Zivilisierungsmission“ . . . . . . . . 140 2 2 3 Der Fall „Rudolf Bleicken“ und die koloniale Ökonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155
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Inhaltsverzeichnis
2.3 Der Islam als „andere Weltreligion“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 2 3 1 Die Gefahr der „Islamisierung Ostafrikas“ als Topos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 2 3 2 Der Islam als Variante des „Heidentums“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 3
Religiöses Wissen in der Mission Predigt, Unterricht und Bibel 179 3.1 Die Bibel übersetzen?! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 3 1 1 Der Stellenwert der Bibel in der Mission und die Pflicht zur Bibelverbreitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 3 1 2 Sprachpolitiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 3 1 3 Die Frage nach dem Original . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 3 1 4 Die Abhängigkeit von Intermediaries und die Dialogizität der Übersetzung . . 204 3 1 5 Die gedruckte Übersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 3.2 „Heidenpredigt“ und Unterricht als Orte der Übersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 3 2 1 Inhalte der Missionspredigt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 3 2 2 Religionspädagogische Resonanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 3 2 3 Methoden und Medien der Verkündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 4 4.1 4.2 4.3
4.4
Christianity Making in der Missionsgemeinde Taufe, Kirche und Gemeindeordnung 253 Taufe als designtes Ritual . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 4 1 1 Gemeindezugehörigkeit zur Probe – die Katechumenatsordnung . . . . . . . . . . 257 4 1 2 Taufgottesdienste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 Konversionen und Gemeindebildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 4 2 1 Debatten um Gemeindeordnungen und Kirchenzucht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 4 2 2 Umsetzungen von Kirchenzucht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 Andacht und Frömmigkeit im Missionsraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 4 3 1 Eine Kirche bauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 4 3 2 Lutherische Sakralitätskonzepte in der Mission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 4 3 3 Mediale Inszenierungen von Frömmigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 Eine Gemeindetheologie aus der Mission für die heimatliche Kirche . . . . . . . . 334 4 4 1 Bruno Gutmann als Missionswissenschaftler im Sinne der Kirche . . . . . . . . . . 334 4 4 2 Gemeindeaufbau aus dem Evangelium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338
Aushandlungsprozesse des Religiösen im Missionslabor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 Quellen und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366
Inhaltsverzeichnis
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Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 Namensregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421
Abkürzungsverzeichnis ALMW BArch BBKL DOA ELCT EMDOA i. O. Kap. LkAH NDB RGG TOP TRE
Archiv des Lutherischen Missionswerks Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon Deutsch-Ostafrika Evangelical Lutheran Church in Tansania, Archiv der Norddiözese in Moshi Evangelische Missionsanstalt für Deutsch-Ostafrika im Original Kapitel Landeskirchliches Archiv Hannover Neue Deutsche Biographie Religion in Geschichte und Gesellschaft Tagesordnungspunkt Theologische Realenzyklopädie
Einleitung Missionarische Aushandlungen des Religiösen Als die Missionare der Leipziger Missionsgesellschaft im Dezember 1903 in Madschame, im Westen des von der Missionsgesellschaft unterhaltenen Missionsgebiets am Kilimandscharo, zusammenkamen, hatten sie sich intensiv auf mehrtägige Beratungen vorbereitet. Der Missionsdirektor der Gesellschaft, Karl von Schwartz, war eigens in das Missionsgebiet gereist, um die Besprechungen zu leiten. Die Tagesordnungspunkte der Konferenz, an der neben dem Direktor 13 Missionare, ein Missionsarzt, ein Missionslehrer und zwei Gehilfen teilnahmen, waren vielfältig: Sie reichten von organisatorischen Belangen bis hin zu drückenden praktisch-theologischen Fragestellungen.1 Verhandelt wurden nicht nur die Bezahlung der von der Mission eingesetzten Lehrer – bereits bekehrte Christen, die nun zur Missionierung anderer angestellt wurden –, die Kompetenzen der einzelnen Missionare oder die Frage, wo eine neue Station gegründet werden sollte, sondern auch der Umgang mit der lokalen Praxis der Jungenbeschneidung, die Organisation der „Heidenpredigt“, die Erstellung einer Katechumenatsordnung, die Gestaltung der Gottesdienste oder die Frage, ob zukünftig Diakonissen in das Missionsgebiet ausgesendet werden sollten. Die Missionare der Gesellschaft hatten für die einzelnen Tagesordnungspunkte ausführliche wissenschaftliche Vorträge und Referate ausgearbeitet, die nach ihrer Verlesung intensiv diskutiert und in Beschlüsse umformuliert wurden. Missionar Gerhard Althaus, der als Senior den Missionaren vorstand, stellte beispielsweise eine umfassende Katechumenatsordnung vor, in der er die Inhalte der Taufvorbereitung und Mindeststandards an Wissen und Verhalten zukünftiger Täuflinge festschrieb und dabei theologische Überlegungen mit Beobachtungen lokaler religiöser Praktiken zusammenbrachte. Robert Faßmann schlug eine Gemeindeordnung vor, in deren Zentrum Bestimmungen zur Durchsetzung und Anwendung der Kirchenzucht als Disziplinierungsmaßnahme für die Gemeindemitglieder stand. Missionar Emil Müller suchte eine einheitliche Gestaltung der Gottesdienste im Missionsgebiet zu erreichen, indem er die bayrische Agende in das Missionsgebiet übertrug, und plädierte beispielsweise für eine Trennung von Got1
Protokoll der Chagga-Konferenz, Dez. 1903, ALMW II.32.95.
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Einleitung
tesdiensten für Christen und sogenannte „Heiden“.2 Über die Ergebnisse der Beratungen wurde nicht nur das Missionskollegium in Leipzig informiert, das schließlich alle Beschlüsse genehmigen musste, sondern auch die Leserinnen und Leser des Leipziger Missionsblattes,3 die so Anteil an den Beschlüssen und Vorgängen in der Mission nehmen konnten. Solche Konferenzen, so lässt sich recht eingängig feststellen, dienten den Leipziger Missionaren als Treffpunkt, als Möglichkeit des Austausches und der Beratung. Sie waren zuvorderst eingerichtet worden, um ein einheitliches Vorgehen der Missionare, die auf verschiedenen Stationen im Umkreis des Kilimandscharo tätig waren, sicherzustellen und Grundzüge einer zu gründenden lutherischen Volkskirche festzulegen. Die Protokolle und Beratungen offenbaren jedoch noch etwas anderes: Trotz des vermeintlich eindeutigen Auftrags, das Evangelium zu verbreiten, ihrer theologischen Ausbildung und Erfahrung waren die Missionare immer wieder dazu gezwungen, im Kontakt mit und in Abhängigkeit von lokalen Akteurinnen und Akteuren, die sie zu missionieren suchten, Kompromisse einzugehen, auszuhandeln, Grenzen zu ziehen und zu definieren, was als „religiös“ bzw. was als „christlich“ oder „heidnisch“ galt.4 Die evangelisch-lutherische Mission zu Leipzig hatte sich in der Mitte des 19. Jahrhunderts als ein Vorposten lutherischer Theologie gegründet. Sie galt vor dem Ersten Weltkrieg als die lutherische Missionsgesellschaft. Als Nachfolgerin der bereits im 18. Jahrhundert tätigen Dänisch-Halleschen Mission hatte sie ihr Hauptmissionsgebiet in Indien.5 Als die Leipziger Generalversammlung 1892 schließlich beschloss – nicht zuletzt auf Drängen der die Mission finanzierenden Missionsvereine hin –, ein zweites beziehungsweise drittes Missionsgebiet in einer deutschen Kolonie, dem damaligen Deutsch-Ostafrika, aufzunehmen,6 fiel die Wahl auf die Gegend um den Kilimand-
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Ebd. Die einzelnen Referate sind als Beilagen dem Konferenzprotokoll angefügt. Hans Fuchs, Die 18. Konferenz der Wadschagga-Missionare, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1904), S. 116–121, 141–145. Zu dieser Fragerichtung grundlegend Talal Asad, Formations of the Secular. Christianity, Islam, Modernity, Stanford 2003. Zu diesem Missionsgebiet liegen umfangreiche Studien vor. Siehe insbesondere Andreas Nehring, Orientalismus und Mission. Die Repräsentation der tamilischen Gesellschaft und Religion durch Leipziger Missionare 1840–1940, Wiesbaden 2003, und die neueren, auch die Kontinuität betonenden Arbeiten von Heike Liebau, Die indischen Mitarbeiter der Tranquebarmission (1706–1845). Katecheten, Schulmeister, Übersetzer, Tübingen 2008; Dies , Religionsunterricht und Sprachenfrage. Zu den Auseinandersetzungen zwischen der Leipziger Mission und der britischen Kolonialregierung über die Gestaltung des Schulwesens in Südindien, in: Ulrich van der Heyden / Holger Stoecker (Hg.), Mission und Macht im Wandel politischer Orientierungen. Europäische Missionsgesellschaften in politischen Spannungsfeldern in Afrika und Asien zwischen 1800 und 1945, Stuttgart 2005, S. 101–117. Zur Geschichte dieser Kolonie siehe einführend Jutta Bückendorf, „Schwarz-weiß-rot über Ostafrika!“ Deutsche Kolonialpläne und afrikanische Realität, Münster 1997; Thorsten Altena, „Ein Häuflein Christen mitten in der Heidenwelt des dunklen Erdteils“. Zum Selbst- und Fremdverständnis protestantischer Missionare im kolonialen Afrika 1884–1918, Münster u. a. 2003; John
Einleitung
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scharo, wo die Gesellschaft das Missionsgebiet unter den Chagga von der englischen Church Missionary Society übernahm.7 Die Mission etablierte sich dort relativ schnell: Schon 1913 wurden 14 Stationen rund um den Kilimandscharo unterhalten, es gab, traut man der missionseigenen Statistik, ca. 152 meist zur Unterstützung des Unterrichts und zur Evangelisation eingesetzte „Gehilfen“ und 3663 Gemeindemitglieder – also getaufte Christen.8 Der Leipziger Missionsgesellschaft und ihrem Missionsgebiet am „höchsten deutschen Berg“,9 einem „place on the margin“,10 kam große Aufmerksamkeit in der deutschen Öffentlichkeit zu. Die Leipziger Mission war eingebunden in ein großes kirchlich-konservatives, konfessionelles Netzwerk, das Anteil an den Entscheidungen im Missionsgebiet nahm, diese rezipierte und mit der Situation der heimatlichen Kirche in Verbindung brachte. Einerseits debattierten Missionsdirektoren, Pastoren und andere Interessierte über genau diese Fragen, die auch die Missionare im Missionsgebiet umgetrieben hatten, und nahmen so Einfluss auf Entscheidungen im Missionsgebiet. Andererseits hatte gerade diese Kreise am Ende des ‚langen 19. Jahrhunderts‘ das Gefühl einer weitreichenden Krise der Kirche und der Moderne ergriffen. Angehörige des Missionsnetzwerks engagierten sich deswegen häufig auch für die Innere Mission, wie das protestantische Bemühen um vermeintlich vom Christentum abgefallene Arbeiterinnen und Arbeiter, Dienstmädchen und Handwerksgesellen in der Großstadt zusammenfassend genannt wird,11 und suchten in Rekurs auf die Erfahrungen der Äußeren Mission nach Lösungen für die Krise der heimatlichen Kirche:
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Iliffe, A Modern History of Tanganyika, Cambridge 1979; Felicitas Becker, Der Maji-Maji-Krieg in Deutsch-Ostafrika 1905–1907, Berlin 2005; Michael Pesek, Koloniale Herrschaft in Deutsch-Ostafrika. Expeditionen, Militär und Verwaltung seit 1880, Fankfurt a. M. 2005; zur Geschichte der europäischen Siedler in Deutsch-Ostafrika, die jedoch die Missionare nicht als Siedler auffasst, Philippa Söldenwagner, Spaces of Negotiation. European Settlement and Settlers in German East Africa 1900–1914, München 2006. Zur Übernahme hatten zahlreiche Konflikte zwischen den englischen Missionaren und den Vertretern der deutschen Kolonialmacht geführt. Siehe dazu Ulrike Lindner, Koloniale Begegnungen. Deutschland und Großbritannien als Imperialmächte in Afrika 1880–1914, Frankfurt a. M. / New York 2011, 208–213. Altena, Ein Häuflein Christen, 66. Iris Schröder, Der deutsche Berg in Afrika. Zur Geographie und Politik des Kilimandscharo im Deutschen Kaiserreich, in: Historische Anthropologie 13 (2005), S. 19–44; Christof Hamann / Alexander Honold, Kilimandscharo. Die deutsche Geschichte eines afrikanischen Berges, Berlin 2011. Solche Plätze „have been placed on the periphery of cultural systems of space. […] The social Other of the marginal and low cultures is despised and reviled in the official discourse of dominant culture and central power while at the same time being constitutive of the imaginary and emotional repertoires of that dominant culture.“ Rob Shields, Places on the Margin. Alternative Geographies of Modernity, London 2013, 3 u. 5. Rebekka Habermas, Mission im 19. Jahrhundert. Globale Netze des Religiösen, in: Historische Zeitschrift 287 (2008), S. 629–679; Alexandra Przyrembel, Verbote und Geheimnisse. Das Tabu und die Genese der europäischen Moderne, Frankfurt a. M./New York 2011.
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Einleitung
„Was kann die Mutterkirche von der Missionsgemeinde lernen“12 war eine der Fragen, die auf Missionskonferenzen und Zusammenkünften von Pastoren gestellt wurde. Am Beispiel der Leipziger Missionsbemühungen unter den Chagga soll im Folgenden diesen beiden Beobachtungen, also den Aushandlungen und Grenzziehungen des Religiösen und Säkularen, des Christlichen und „Heidnischen“ sowie deren Verwobenheit mit missionswissenschaftlichen Debatten und Rückwirkungen auf praktischtheologische Überlegungen um die „Krise der Kirche“ im Kaiserreich vor dem Ersten Weltkrieg nachgegangen werden. Missionare, Kolonialismus und die Frage nach Religion Zahlreiche Studien sind in den letzten Jahren erschienen, die sich – zumeist auf eine Missionsgesellschaft und ein Missionsfeld konzentriert – mit der Geschichte von Missionen auseinandergesetzt haben. Insbesondere die zumeist auf britische Missionsgesellschaften fokussierte Geschichtsschreibung hat dabei Missionarinnen und Missionare13 als Akteurinnen und Akteure verstanden, deren religiöser Auftrag sie von kolonialen Akteuren unterschied,14 deren maßgebliche Bedeutung aber innerhalb der sogenannten „Zivilisierungsmission“ als Teil von Kolonialisierung lag.15 Dabei kam
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Karl von Schwartz, Was kann die Mutterkirche von der Missionsgemeinde lernen?, in: Allgemeine Evangelisch-Lutherische Kirchenzeitung 31 (1898), S. 945–948, 970–974. Zeitgenössisch galten nur männliche Missionsangehörige als Missionare. Dem weiblichen Missionspersonal, v. a. den Ehefrauen der Missionare und dezidiert zur Missionsunterstützung ausgesandten Diakonissen und Lehrerinnen, kam dieser Titel ebenso wenig zu wie Ärzten, Missionslehrern, -handwerkern oder -ökonomen. All diese Personengruppen waren jedoch an der Missionierung beteiligt und können deswegen in einem weiteren Verständnis des Terminus ebenfalls als Missionare bezeichnet werden. Von geschichtswissenschaftlicher Seite war die Erforschung von Missionen lange Zeit bestimmt von der Frage nach dem Verhältnis von Mission und Kolonialismus. Als Agenten des Kulturimperialismus begreifen Missionare beispielsweise Horst Gründer, Mission und Kolonialismus. Historische Beziehungen und strukturelle Zusammenhänge, in: Wilfried Wagner (Hg.), Kolonien und Missionen, Münster/Hamburg 1994, S. 24–37; Ders , Christliche Mission und deutscher Imperialismus. Eine politische Geschichte ihrer Beziehungen während der deutschen Kolonialzeit (1884–1914) unter besonderer Berücksichtigung Afrikas und Chinas, Paderborn 1982; Wolfgang Reinhard, Christliche Mission und die Dialektik des Kolonialismus, in: Historisches Jahrbuch 109 (1989), S. 353–370. Mittlerweile wird hier für eine differenziertere Antwort plädiert. Siehe beispielsweise Thoralf Klein, Mission und Kolonialismus – Mission als Kolonialismus. Anmerkungen zu einer Wahlverwandtschaft, in: Claudia Kraft u. a. (Hg.), Kolonialgeschichten. Regionale Perspektiven auf ein globales Phänomen, Frankfurt a. M. / New York 2010, S. 142–161, oder auch zum Rassebegriff Richard Hölzl, Rassismus, Ethnogenese und Kultur. Afrikaner im Blickwinkel der deutschen katholischen Mission im 19. und frühen 20. Jahrhundert, in: WerkstattGeschichte 59 (2012), S. 7–34. Jean Comaroff / John Comaroff, Of Revelation and Revolution. Bd. 1: Christianity, Colonialism, and Consciousness in South Africa, Chicago 1991, legten den Grundstein für eine anthropologische Beschäftigung mit der Missionsgeschichte und haben in ihrem Blick auf Mission in vielen
Missionare, Kolonialismus und die Frage nach Religion
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den Missionen vor allem durch die Verbreitung von Vorstellungs- und Bilderwelten eine wichtige Rolle in der Popularisierung des Empire zu.16 Eine besondere Richtung dieser Forschung hat sich in der Verbindung einer wissenschafts- und wissensgeschichtlichen Perspektive herausgebildet: Missionarinnen und Missionare nahmen als Agentinnen und Agenten einer Wissensverbreitung und Popularisierung Einfluss auf die Genese zahlreicher europäischer Wissenschaftsdisziplinen,17 wie beispielsweise der Botanik, Biologie, Linguistik und Ethnologie.18
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Dingen Neuland betreten. Sie argumentieren für eine Kolonisierung des Bewusstseins, die durch die Missionare und in der „langen Unterredung“ zwischen Missionaren und lokaler Bevölkerung einsetzte. Siehe auch Dies , The Colonization of Consciousness in South Africa, in: Economy and Society 18 (1989), S. 267–296. Dieser Ansatz hat zahlreiche Kritik erfahren, weil diese Lesart von Mission entweder die theologische Bedeutung von Konversion unterschätze (Brian Stanley, Conversion to Christianity. The Colonization of the Mind?, in: International Review of Mission 92 (2003), S. 315–331) oder eine zu dichotome Perspektive auf Mission setzt, die den vielfältigen Interaktionen im Missionsgebiet nicht gerecht würde (Kirsten Rüther, The Power Beyond. Mission Strategies, African Conversion and the Development of a Christian Culture in the Transvaal, Münster 2001, 5). Noch stärker Zivilisierungsmission, Christianisierung und koloniale Entwicklung zusammendenkend: Jürgen Osterhammel, „The Great Work of Uplifting Mankind“. Zivilisierungsmission und Moderne, in: Ders. / Boris Barth (Hg.), Zivilisierungsmissionen. Imperiale Weltverbesserung seit dem 18. Jahrhundert, Konstanz 2005, S. 363–426. Insbesondere für den englischsprachigen Kontext ist dies bereits hervorragend untersucht. Vgl. die Pionierstudie von Catherine Hall, Civilising Subjects. Metropole and Colony in the English Imagination 1830–1867, Cambridge 2002, sowie die Arbeiten von Susan Thorne, „The Conversion of Englishmen and the Conversion of the World Inseparable“. Missionary Imperialism and the Language of Class in Early Industrial Britain, in: Frederick Cooper / Ann Laura Stoler (Hg.), Tensions of Empire. Colonial Cultures in a Bourgeois World, Berkeley 2001, S. 238–262; Dies , Religion and Empire at Home, in: Catherine Hall / Sonya O. Rose (Hg.), At Home with the Empire, Cambridge, UK / New York 2006, S. 143–165. Andrew Porter (Hg.), The Imperial Horizons of British Protestant Missions, 1880–1914, Gran Rapids 2003. Für den deutschsprachigen Raum Richard Hölzl, Imperiale Kommunikationsarbeit. Zur medialen Rahmung von Mission im 19. und 20. Jahrhundert, in: m&z (2016), S. 3–17; Rebekka Habermas, Colonies in the Countryside. Doing Mission in Imperial Germany, in: Journal of Social History 50 (2017), S. 502–517. Arbeiten zum colonial knowledge haben in den letzten Jahren einen dezidierten Wandel erfahren: Die Bedeutung des kolonialen Engagements für die Wissenschaften wird nicht mehr als „Einbahnstraße“ interpretiert, sondern als ein mehrdimensionaler Prozess, der der lokalen Bevölkerung einen wesentlichen Beitrag bei der Formierung von Wissen über das Koloniale und der dadurch in Europa diskutierten Wissensbestände zuweist. „Western science […] was assimilated and transformed by local and indigenous people into a body of knowledge for local empowerment.“ Roy MacLeod, Introduction, in: Osiris 15 (2000), S. 1–13, S. 4; Tony Ballantyne, Colonial Knowledge, in: Sarah Stockwell (Hg.), The British Empire. Themes and Perspectives, Oxford/Malden 2008, S. 177–197. Gegen die Vorstellung von einer kolonialen Wissenschaft oder spezifischen Formen kolonialen Wissens argumentiert wegen der stetigen Verflechtung auch Helen Tilley, Africa as a Living Laboratory. Empire, Development, and the Problem of Scientific Knowledge, 1870–1950, Chicago/London 2011. Patrick Harries, Butterflies and Barbarians. Swiss Missionaries and Systems of Knowledge in South-East Africa, Oxford 2007. Ähnlich zu Harries siehe auch Rebekka Habermas, Wissenstransfer und Mission. Sklavenhändler, Missionare und Religionswissenschaftler, in: Geschichte und Gesellschaft 36 (2010), S. 257–284, Alexandra Przyrembel, „Wissen auf Wanderschaft“. Britische Missionare, ethnologisches Wissen und die Thematisierung religiöser Selbstgefühle um 1830,
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Auffällig ist jedoch, dass trotz des Booms der Missionsgeschichte, wie er in den letzten Jahren zu beobachten war, das Themenfeld Religion, die religiöse Überzeugung der Missionare und deren theologische Lesart von Welt vor globalgeschichtlichen und postkolonialen Fragestellungen eher in den Hintergrund getreten ist19. Diese Abwesenheit von Religion als relevanter Untersuchungskategorie ergab sich erstens aus dem die Forschung zum 19. Jahrhundert lange Zeit bestimmenden Säkularisierungsparadigma. Jüngere Studien konnten zwar zeigen, dass sich das 19. Jahrhundert eher als Zeitraum verstehen lässt, in dem es zu einer Neuordnung des Religiösen und Säkularen gekommen ist,20 an der die Mission sogar massiven Anteil hatte.21 Weil aber gerade Globalisierung immer noch häufig mit einer in europäischen und eurozentrischen Termini gedachten Modernisierung verknüpft scheint, wird die Rolle von Missionen mit ihrer offensichtlichen religiösen Agenda als Agenturen globaler Vernetzung und als Mitgestalterinnen von Umbruchprozessen der Moderne eher übersehen.22
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in: Historische Anthropologie 19 (2011), S. 31–53. Dies , Verbote und Geheimnisse. Vgl. auch den Sammelband Reinhard Wendt (Hg.), Wege durch Babylon. Missionare, Sprachstudien und interkulturelle Kommunikation, Tübingen 1998, sowie Ders , Einleitung. Missionare als Reporter und Wissenschaftler in Übersee, in: Ders. (Hg.), Sammeln, Vernetzen, Auswerten. Missionare und ihr Beitrag zum Wandel europäischer Weltsicht, Tübingen 2001, S. 7–22; David Chidester, Savage Systems. Colonialism and Comparative Religion in Southern Africa, Charlottesville/London 1996; Andreas Nehring, Missionsstrategie und Forschungsdrang. Anmerkungen zu Mission und Wissenschaft in Südindien im 19. Jahrhundert, in: Heike Liebau u. a. (Hg.), Mission und Forschung. Translokale Wissensproduktion zwischen Indien und Europa im 18. und 19. Jahrhundert, Halle 2010, S. 21–32; David Livingstone, Scientific Inquiry and the Missionary Enterprise, in: Ruth Finnegan (Hg.), Participating in the Knowledge Society. Researchers beyond the University Wall, Houndsmill 2005, S. 50–64. Zur Verbindung von Mission und Körpergeschichte und insbesondere zur Medizin und Ethnologie siehe auch den Sammelband Linda Ratschiller / Siegfried Weichlein (Hg.), Der schwarze Körper als Missionsgebiet. Medizin, Ethnologie, Theologie in Afrika und Europa 1880–1960, Köln/Weimar/Wien 2016. So insbesondere Rebekka Habermas / Richard Hölzl, Mission global. Eine Verflechtungsgeschichte seit dem 19. Jahrhundert, Köln/Weimar/Wien 2014; Helge Wendt, Die missionarische Gesellschaft. Mikrostrukturen einer kolonialen Globalisierung, Stuttgart 2011. Andrew Porter bemängelte deswegen schon 2004, dass die religiöse Überzeugung der Missionarinnen und Missionare und ihre theologische Lesart von Welt bisher zu wenig Beachtung in der Forschung gefunden habe. Andrew Porter, Religion versus Empire? British Protestant Missionaries and Overseas Expansion, 1700–1914, Manchester 2004. Porter wandte sich gegen die Lesart von Missionaren als wichtigste Agenten des Kulturimperialismus. Siehe dazu bereits Ders , ‚Cultural Imperialism‘ and Protestant Missionary Enterprise, 1780–1914, in: The Journal of Imperial and Commonwealth History 25 (1997), S. 367–391. Ähnlich auch Rüther, The Power Beyond. Siehe dazu zusammenfassend Rebekka Habermas, Piety, Power, and Powerlessness. Religion and Religious Groups in Germany, 1870–1945, in: Helmut Walser Smith (Hg.), The Oxford Handbook of Modern German History, Oxford/New York 2011, S. 453–480; Benjamin Ziemann, Säkularisierung, Konfessionalisierung, Organisationsbildung. Dimensionen der Sozialgeschichte der Religion im langen 19. Jahrhundert, in: Archiv für Sozialgeschichte 47 (2007), S. 485–508. Auf diesen Aspekt der Forschung wird unten vertieft eingegangen. Habermas/Hölzl, Mission global, 14. Dies wird auch deutlich in Fragen von „Humantität“ und „Entwicklungshilfe“. Die Bedeutung von Religion für sog. Globalisierungsprozesse streichen besonders Christopher Allen Bayly, Die Geburt
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Zweitens erklärt sich die weitgehende Abwesenheit von Religion in der Beschäftigung mit Mission durch die immer noch teilweise bestehenden Grenzen zwischen den Disziplinen. Missionsgeschichte war – und ist – klassischerweise ein Teilbereich der Kirchengeschichte, in dem die institutionelle Ausbreitung der Kirche bis in außereuropäische Gebiete untersucht wird. Bis heute wird mit einer vonseiten der Theologie betriebenen historischen Erforschung von Mission zumeist ein missionswissenschaftliches, das heißt an praktischen und gegenwärtigen Fragen orientiertes Ziel verfolgt, auch wenn wichtige Vertreter einer postkolonialen Theologie23 dafür plädieren, dass die Kirchengeschichte eine globale Perspektive annehmen und den Blick für sich voneinander unterscheidende „Christentümer“ beziehungsweise für ein globales multizentrisches Christentum öffnen müsse, und dabei auch auf Ergebnisse aus den Religionswissenschaften und Area-Studies verweisen.24 Insbesondere die deutschsprachige
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der modernen Welt. Eine Globalgeschichte 1780–1940, Frankfurt a. M. / New York 2008, 400–459, bzw. im Überblick Sebastian Conrad, Religion in der globalen Welt, in: Ders. / Jürgen Osterhammel (Hg.), Geschichte der Welt. 1750–1870. Wege zur modernen Welt, München 2016, S. 559–625, heraus, auch wenn in beiden Studien Religion jeweils ein gesonderter Bereich innerhalb der umfassenderen Betrachtung eingeräumt wird. Siehe dazu v. a. die Arbeiten von Joerg Rieger, z. B. Joerg Rieger, Theology and Mission Between Neocolonialism and Postcolonialism, in: Mission Studies 21 (2004), S. 201–227, der auf bis heute bestehende Machtasymmetrien in der Mission in Zeiten des Neokolonialismus aufmerksam macht und eine stärkere Reflexion der eigenen Position seitens westlicher Missionen fordert. Siehe dazu u. a. Andrew F Walls, The Missionary Movement in Christian History. Studies in the Transmission of Faith, Maryknoll/New York 1996. Ogbo U Kalu, A Trail of Ferment in African Christianity. Ethiopianism, Prophetism and Pentecostalism, in: Klaus Koschorke (Hg.), African Identities and World Christianity in the Twentieth Century. Proceedings of the Third International Munich-Freising Conference on the History of Christianity in the Non-Western World (September 15–17, 2004), Wiesbaden 2005, S. 19–47; Klaus Koschorke, Introduction, in: Ders. / Jens Holger Schjorring (Hg.), African Identities and World Christianity on the Twentieth Century, Wiesbaden 2005, S. 9–17. Siehe auch Henning Wrogemann, Interkulturelle Theologie. Zu Definition und Gegenstandsbereich des sechsten Faches der Theologischen Fakultät, in: Berliner theologische Zeitschrift 32 (2015), S. 219–239. Vonseiten der Afrikanistik war Terence Ranger einer der ersten Historiker, der die Komplexität der afrikanischen Religionsgeschichte und ihre Verwobenheit mit Debatten um nationale Identität und kulturelles Erbe ernst genommen hat. Siehe bspw. Terence O Ranger, Protestant Missions in Africa. The Dialectics of Conversion in the American Methodist Episcopal Church in Eastern Zimbabwe, 1900–1950, in: Thomas D. Blakely u. a. (Hg.), Religion in Africa. Experience & Expression, London 1994, S. 275–313. Zentral auch Robin Horton, African Conversion, in: Africa 41 (1971), S. 85–108, und die Erweiterung Ders , On the Rationality of Conversion. Part I and II, in: Africa 45 (1975), S. 219–235, 373–399. Siehe ebenfalls Ders , African Traditional Thought and Western Science, in: Journal of the International African Institute 37 (1967), S. 50–71. Adrian Hastings beschreibt Phänomene der afrikanischen Religionsgeschichte mit dem Schlagwort „Village Christianity“ und meint damit die jeweils lokale Ausprägung des konfessionell unterscheidbaren Christentums. Adrian Hastings, A History of African Christianity. 1950–1975, Cambridge 1979, 274. David Chidester, African Christian Communities, in: Marc Juergensmeyer (Hg.), Global Religions, Oxford 2006, S. 348–356. Rüther plädiert vor diesem Hintergrund dafür, statt von Missionsgeschichte von „Christianisierungsgeschichte“ zu sprechen, „in die verschiedene christliche Auffassungen genauso wie die Sichtweisen anderer im Land ansässiger Religionen zu integrieren sind.“ Kirsten Rüther, Heidenmission – zwischen angeeignetem Christentum und Sezession – Begegnung von Religion. Eine Auseinandersetzung mit Literatur und
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Einleitung
Wissenschaftsgeschichte der Theologie bleibt jedoch häufig einem Ansatz verpflichtet, der wichtige Vordenker in den Mittelpunkt stellt.25 Für das 19. Jahrhundert führt dies zu einer weiteren Marginalisierung von Mission, waren doch an Mission interessierte Theologen häufig nicht Anhänger der gerade für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts als besonders innovativ bewerteten und deswegen besonders im Interesse der theologischen Forschung stehenden sogenannten „liberalen“ Theologie26, sondern zumeist kirchlich-konservative27 Vertreter ihres Fachs.28 Fragen nach Rückwirkungen der Mis-
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Quellen zur Christianisierung in Afrika, in: Artur Bogner u. a. (Hg.), Weltmission und religiöse Organisation. Protestantische Missionsgesellschaften im 19. und 20. Jahrhundert, Würzburg 2004, S. 163–190, 167. Vgl. v. a. die umfassenden Arbeiten von Graf, z. B. Friedrich Wilhelm Graf, Der heilige Zeitgeist. Studien zur Ideengeschichte der protestantischen Theologie in der Weimarer Republik, Tübingen 2011, sowie Ders , Protestantische Theologie in der Gesellschaft des Kaiserreichs, in: Ders. (Hg.), Profile des neuzeitlichen Protestantismus. Bd. 2,1: Kaiserreich, Gütersloh 1992, S. 12–117. Immer noch als überblickshaftes Standardwerk zur Theologiegeschichte Eckhard Lessing, Geschichte der deutschsprachigen evangelischen Theologie von Albrecht Ritschl bis zur Gegenwart. Bd. 1: 1870–1918, Göttingen 2000; Russell John Briese, Foundations of a Lutheran Theology of Evangelism, Frankfurt a. M. u. a. 1994. Der Perspektive der Theologiegeschichte folgen auch die Darstellungen zur Geschichte der Missionswissenschaft, die sich im Wesentlichen auf einzelne Personen beschränken (bspw. Hans-Ulrich Reifler, Handbuch der Missiologie. Missionarisches Handeln aus biblischer, historischer und sozialwissenschaftlicher Perspektive, Nürnberg 2009, Horst Rzepkowski, Gustav Warneck und die katholische Missionswissenschaft, in: Dieter Becker / Andreas Feldtkeller (Hg.), Es begann in Halle … Missionswissenschaft von Gustav Warneck bis heute, Erlangen 1997, S. 55–86, Arno Sames, Die „öffentliche Nobilitierung der Missionssache“. Gustav Warneck und die Begründung der Missionswissenschaft an der Theologischen Fakultät Halle, in: Dieter Becker / Andreas Feldtkeller (Hg.), Es begann in Halle … Missionswissenschaft von Gustav Warneck bis heute, Erlangen 1997, S. 11–22, Kook-il Han, Mission und Kultur in der deutschen Missionswissenschaft des 20. Jahrhunderts, Neuendettelsau 2011) oder eine überblickshafte Darstellung der Missionswissenschaft liefern, z. B. Henning Wrogemann, Interkulturelle Theologie und Hermeneutik. Grundfragen, aktuelle Beispiele, theoretische Perspektiven, Gütersloh 2012; Jan A B Jongeneel, Philosophy, Science, and Theology of Mission in the 19th and 20th Centuries. A Missiological Encyclopedia, Frankfurt a. M. u. a. 1995. Zur Entstehung dieser theologischen Ausrichtung siehe u. a. Thomas Albert Howard, Protestant Theology and the Making of the Modern German University, Oxford 2006. Diese Bezeichnung beschreibt entgegen der zeitgenössischen Begriffe, wie „modern“, „kulturprotestantisch“ etc., mit denen zumeist eine Wertung und Zuschreibung verbunden ist, ein breiteres kirchenpolitisches Spektrum, wie es eng mit Mission verbunden war, einen positiven Bezug zur Kirche hatte und in dessen Theologie die Bibel als Offenbarung im Zentrum stand. Siehe dazu auch Julia Winnebeck, Apostolikumsstreitigkeiten. Diskussionen um Liturgie, Lehre und Kirchenverfassung in der preußischen Landeskirche 1871–1914, Leipzig 2016, 20, insbesondere Anm. 12. Eine theologische Standortpositionierung nimmt auch Graf, Protestantische Theologie, vor. Auch wenn die kirchlich-konservative Theologie deutlich weniger erforscht ist, liegen doch wichtige Arbeiten zur Gänze und zu einzelnen Vertretern vor. Friedrich Wilhelm Graf, Konservatives Kulturluthertum. Ein theologiegeschichtlicher Prospekt, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche 85 (1988), S. 31–76, Ders , „Restaurationstheologie“ oder neulutherische Modernisierung des Protestantismus? Erste Erwägungen zur Frühgeschichte des neulutherischen Konfessionalismus, in: Wolf-Dieter Hauschild (Hg.), Das deutsche Luthertum und die Unionsproblematik im 19. Jahrhundert, Gütersloh 1991, S. 64–109; Winnebeck, Apostolikumsstreitigkeiten, mit wichtigen Hinweisen. Siehe auch Hans Kasdorf, Gustav Warnecks missiologisches Erbe. Eine biographisch-
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sion auf theologische oder missionswissenschaftliche Debatten wurden so bisher nur selten. Religion als Gegenstand akademischer Forschung hat jedoch eine lange Tradition. Forscherinnen und Forscher der Theologie, Soziologie, Religionswissenschaften und Geschichtswissenschaften bemühen sich seit Langem um Religion als Forschungsgegenstand; teilweise wurde in Anlehnung an die kulturwissenschaftlichen Wenden der letzten Jahre gar von einem religious turn gesprochen oder Religion als „Trendthema“ beschworen.29 Bereits seit Jahren und vor allem geprägt durch Forschungen aus dem angelsächsischen Raum wird die Säkularisierungstheorie infrage gestellt.30 Diese vermeintlich eindeutige These einer mit einer zunehmenden Modernisierung gleichzeitig fortschreitenden Säkularisierung hat sich als nicht mehr überzeugend herausgestellt.31 In zahlreichen Studien wurde gerade zur Sozialgeschichte der Religion ein
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historische Untersuchung, Gießen 1990; Thomas Schirrmacher, Theodor Christlieb und seine Missionstheologie, Wuppertal 1985; Joachim Franke, Ausbreitungsmotive in der deutschen evangelischen Missionstheologie bei Gustav Warneck, Martin Kähler, Ernst Troeltsch, Univ. Diss. Halle (Saale) 1962; Siegfried Krügel, Hundert Jahre Graul-Interpretation, Berlin/Hamburg 1966. Zu Luthardt siehe Angelika Dörfler-Dierken, Luthertum und Demokratie. Deutsche und amerikanische Theologen des 19. Jahrhunderts zu Staat, Gesellschaft und Kirche, Göttingen 2001. Wichtige Hinweise zur Herkunft, Ausbildung und Vita der Leipziger Missionare liefert Thorsten Altena, der in einer vergleichenden Studie verschiedener protestantischer Missionsgesellschaften nicht nur die Personalakten der Missionare, sondern auch deren Publikationen und Schriften im Hinblick auf ihre missionarische Motivation und ihr Afrikabild hin untersucht hat. Altena, Ein Häuflein Christen; in den anderen Arbeiten Altenas spielen die Leipziger Missionare nur eine untergeordnete Rolle. Zur Herkunft lutherischer Missionare, allerdings der Hermannsburger Mission, wichtig Rüther, The Power Beyond. Graf, Wiederkehr der Götter, 16. Max Weber formuliert die „Phrase“ von der „Entzauberung der Welt“ bspw. prominent in seinem Werk Max Weber, Wissenschaft als Beruf, München 1919. Siehe dazu auch Hartmut Lehmann, Die Entzauberung der Welt. Studien zu Themen von Max Weber, Göttingen 2009. Émile Durkheim, Über soziale Arbeitsteilung. Studie über die Organisation höherer Gesellschaften, Frankfurt a. M. 2008 [1893]. Zur Infragestellung der Säkularisierungstheorie im Überblick siehe Detlef Pollack, Säkularisierungstheorie, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 7.3.2013, URL: http://docu pedia.de/zg/Saekularisierungstheorie?oldid=125872 (zuletzt eingesehen: 8.12.18), der ihr aber weiter explanatorische Bedeutung zuschreibt. Siehe auch die von ihm vorgelegte umfassende Bibliographie: Detlef Pollack, Säkularisierung. Eine Bibliographie, Preprints and Working Papers of the Center for Religion and Modernity 4 (2014), https://www.uni-muenster.de/imperia/md/ content/religion_und_moderne/preprints/_crm_working_paper_4_pollack.pdf (zuletzt eingesehen: 10.12.18). Zum Begriff der Säkularisierung Hartmut Lehmann, Säkularisierung. Der europäische Sonderweg in Sachen Religion, Göttingen 2004, 169–175. Zur Auseinandersetzung mit der These siehe auch Hugh McLeod, Introduction, in: Ders. / Werner Ustorf (Hg.), The Decline of Christendom in Western Europe, 1750–2000, Cambridge 2003, S. 1–28, 14–15. José Casanova als derzeit einflussreichster Theoretiker des Säkularisierungsparadigmas sieht den Kern von Säkularisierung in der funktionalen Differenzierung von Religion als separater Sphäre: José Casanova, Public Religions in the Modern World, Chicago 1994. Mittlerweile differenzierter dazu: José Casanova, Public Religions Revisited, in: Hermann-Josef Große Kracht (Hg.), Christentum und Solidarität. Bestandsaufnahmen zu Sozialethik und Religionssoziologie, Paderborn u. a. 2008, S. 313–338. Eine umfassende Analyse, v. a. der Entstehung des modernen säkularen Verständnisses, liefert Charles Taylor, Ein säkulares
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wichtiger Beitrag geleistet, um der Bedeutung von Religion, religiösen Gruppen und Vereinen auf die Spur zu kommen.32 Paradigmatisch für einen Ansatz, der betont, dass „die kulturelle Prägekraft religiös codierter cognitive maps“33 keineswegs nachgelassen habe und deswegen neu vermessen werden müsse, steht die Monographie des Theologen Friedrich Wilhelm Graf, deren Titel „Wiederkehr der Götter“ ihr Anliegen auf eine eingängige Formel gebracht hat. Graf geht davon aus, dass die moderne Religionsgeschichte von einer „extrem hohen Konfliktdynamik“ geprägt sei, die unter anderem durch die Missionen befördert worden sei und die seit dem 18. Jahrhundert zu einem fortschreitenden Religionspluralismus geführt habe.34 Problematisch bleibt jedoch, dass sich Religion kaum definieren lässt.35 Die meisten Studien gehen vielmehr immer noch von einem essentialistischen, teilweise kaum definierten Begriff von Religion aus.36 Jüngst mehren sich nicht zuletzt deswegen dekonstruktivistische Ansätze, die sich von einer (akademischen) und vermeintlich eindeutigen Definition des Religiösen (oder des Säkularen) verabschieden und damit eine
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Zeitalter, Frankfurt a. M. 2009. Siehe dazu auch die Lektüre von Matthias Koenig, Jenseits des Säkularisierungsparadigmas? Eine Auseinandersetzung mit Charles Taylor, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 63 (2011), S. 649–673. Bereits in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts machte sich ein zunehmendes Unbehagen an dieser „Entzauberung der Welt“ auch aufseiten der Historiker breit. So beobachten Hugh McLeod und Werner Ustorf einen eindeutigen Niedergang des Christentums in Westeuropa: McLeod, Introduction, den sie beispielsweise an Kirchenzugehörigkeitszahlen und der Anzahl an Teilnehmerinnen und Teilnehmern an Gottesdiensten festmachen. Ebd., 2–5. „The decline of Christendom has meant that Christianity has been gradually losing its status as a lingua franca, and has tended to become a local language used by those who are professing Christians but not understood by others“ (11). Vgl. einführend Habermas, Piety, Power, and Powerlessness; Ziemann, Säkularisierung; Lucian Hölscher, Geschichte der protestantischen Frömmigkeit in Deutschland, München 2005; Helmut Walser Smith (Hg.), Protestants, Catholics and Jews in Germany 1800–1914, Oxford 2001. Graf, Wiederkehr der Götter, 279. Ebd., 18. Arthur L Greil, Defining Religion, in: Peter B. Clarke / Peter Beyer (Hg.), The World’s Religions. Continuity and Transformation, London/New York 2009, S. 135–149, 136. Der Artikel gibt zudem eine Entwicklung über verschiedene Definitionsversuche von Religion von 1873–2003. Michael Bergunder, What is Religion? The Unexplained Subject Matter of Religious Studies, in: Method and Theory in the Study of Religion 26 (2014), S. 246–286, nimmt diese Suche nach einer Definition zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen. Wilfred Cantwell Smith lehnt das Konzept der Religion gleich ganz ab. Wilfred Cantwell Smith, The Meaning and End of Religion. A New Approach to the Religious Traditions of Mankind, Minneapolis 1964. Siehe zur Begriffsgeschichte des Religiösen und Säkularen auch Lucian Hölscher, The Religious and the Secular. Semantic Reconfigurations of the Religious Field in Germany from the Eighteenth to the Twentieth Century, in: Ders. / Marion Eggert (Hg.), Religion and Secularity. Transformations and Transfers of Religious Discourses in Europe and Asia, Leiden 2013, S. 35–58, bzw. Ders , Semantic Structures of Religious Change in Modern Germany, in: Hugh McLeod / Werner Ustorf (Hg.), The Decline of Christendom in Western Europe, 1750–2000, Cambridge 2003, S. 184–197. Arthur L Greil / David G Bromley, Introduction, in: Dies. (Hg.), Defining Religion. Investigating the Boundaries Between the Sacred and Secular, Amsterdam u. a. 2003, S. 3–17, Bergunder, What is Religion, 251.
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kopernikanische Wende innerhalb der Religionswissenschaften vollziehen.37 Neuere Forschungen aus der Anthropologie und im Wesentlichen verknüpft mit den Arbeiten Talal Asads38 gehen so für die Zeit um 1900 von einer Neuordnung des Säkularen und Religiösen aus und machen damit den Blick frei für diskursive Aushandlungsprozesse und Genealogien eben dieser Narrative.39 Dabei wird von einer feststehenden Dichotomie von „säkular“ und „religiös“ Abstand genommen, vielmehr hingegen betont, dass Religion mitnichten ein universales Gut ist. Religion unterliegt einem Konstruktionsprozess40 und lässt sich nur als „imaginative formation“ verstehen, die immer wieder (auch durch ihre Ablehnung) reifiziert wird.41 Dies wird – darauf hat die Forschung hingewiesen – vor allem im Konflikt mit dem „religion’s other“42 deutlich. Dieses other meint zunächst das als „säkular“ Verstandene, aber gleichzeitig auch das „andere Religiöse“.43 Weniger starres analytisches Konzept denn heuristisches Mittel
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Richard King, The Copernican Turn in the Study of Religion, in: Method and Theory in the Study of Religion 25 (2013), S. 137–159, 152. Asad, Formations of the Secular. Manuel Borutta, Genealogie der Säkularisierungstheorie. Zur Historisierung einer großen Erzählung der Moderne, in: Geschichte und Gesellschaft 36 (2010), S. 347–376. Erst jüngst gerät auch „das Säkulare“ verstärkt in den Blick der Forschung. Siehe z. B. Tracie Matysik, Secularism, Subjectivity, and Reform. Shifting Variables, in: Geoff Eley u. a. (Hg.), German Modernities. From Wilhelm to Weimar. A Contest of Futures, London/New York 2016, S. 215–234; Rebekka Habermas (Hg.), Negotiating the Secular and the Religious in the German Empire. Transnational Approaches, New York/Oxford 2019; Hartmut von Sass, Oben ohne. Neuere Literatur zum religionskritischen, diagnostischen und religiösen Atheismus, in: Theologische Rundschau 82 (2017), S. 303– 342, mit einer luziden Analyse neuerer Forschungen zum Begriff des Atheismus. Siehe dazu auch das Forschungsprogramm an der Universität Leipzig, das dem Säkularen losgelöst vom „Westen“ und der „Moderne“ nachgehen will: Monika Wohlrab-Sahr / Marian Burchhardt, Revisiting the Secular. Multiple Secularities and Pathways to Modernity. Working-Paper, Leipzig 2017, online unter: http://ul.qucosa.de/api/qucosa%3A16726/attachment/ATT-0/; Monika Wohlrab-Sahr / Christoph Kleine, Research Programme of the HCAS „Multiple Secularities – Beyond the West, Beyond Modernities“. Working Paper, Leipzig 2016, online unter: http://ul.qucosa.de/api/qucosa %3A16727/attachment/ATT-0/ (beide zuletzt eingesehen: 30.8.2018). Freilich setzt dieser Ansatz aber „das Säkulare“ voraus und fragt nicht nach dessen Genealogie. Arvind-Pal S Mandair / Markus Dressler, Introduction. Modernity, Religion-Making, and the Postsecular, in: Dies. (Hg.), Secularism and Religion-Making, Oxford 2011, S. 3–36, 20–21. Wouter J Hanegraaff, Reconstructing „Religion“ from the Botton Up, in: Numen 63 (2016), S. 576– 605, mit Rückgriff auf Kant. Michi Knecht / Jürgen Feuchter, Introduction. Reconfiguring Religion and Its Other, in: Heike Bock u. a. (Hg.), Religion and Its Other. Secular and Sacral Concepts and Practices in Interaction, Frankfurt a. M. / New York 2008, S. 9–20. Von einer solchen Triade, allerdings in der Frühen Neuzeit, geht auch Hanegraaff, Reconstructing, 590, aus: „What actually happened during the early modern period is that ‚religion‘ and ‚the secular‘ were defining their identities on two fronts simultaneously: not just against each other, but also against a whole range of traditional non-secular beliefs and practices that were just as distasteful to Christian orthodox thinkers as they were to their secular circuits.“
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öffnet ein solches Verständnis von Religion, beschrieben als Religion Making, den Blick für Aushandlungsprozesse.44 Religion-Making in der Mission Anstatt nun für die Mission die Entstehung und Diffusion eines europäischen Religionsbegriffs zu testen oder der lokalen Ausprägung des missionarischen Christentums nachzugehen, sollen im Folgenden Konstruktions- und Aushandlungsprozesse „des Religiösen“45 mit einer Konzentration auf Praktiken, in denen in der Mission das Religiöse und Christliche verhandelt, verändert, definiert wurde, den daran beteiligten Akteuren und sie rahmenden und wechselseitig beeinflussenden Debatten in einem spezifischen mikro-historisch zu erfassenden und zudem kolonialen Umfeld analysiert werden. Religion wird als Konzept verstanden werden, das in der Mission erst ausgehandelt werden musste.46 Was Religion und was Christentum am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts – und damit in einem Zeitraum, der als besonders wichtig für die Entstehung von Religion als Konzept erachtet wird – an der Grenze und in der Aushandlung von Missionarinnen und Missionaren und afrikanischen Akteurinnen und Akteuren zeitgenössisch bedeutete, ist eine der Leitfragen der Untersuchung. Produktiv mit einbezogen werden sollen deswegen sowohl die Perspektive der Missionare und der lokalen Bevölkerung vor Ort als auch Debatten um Religion, Theologie und Kirche, wie sie im deutschen Kaiserreich, sei es in wissenschaftlichen Fachzeitschriften oder sei es in einer größeren, an Kirche interessierten Öffentlichkeit, geführt wurden. Von besonderem Interesse ist bei einer Perspektive auf diese Aushandlungen des Religiösen und davon abhängig des Christlichen bzw. Lutherischen die Frage nach Grenzziehungen, nach Vereindeutigungen und denen ihnen zugrundeliegenden Machtstrukturen: Aushandlungsprozesse des Religiösen fanden nicht nur zwischen
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Bergunder, What is Religion, 255. Hölscher, The Religious and the Secular. Wie hilfreich dies sein kann, zeigt Harjot Oberoi, The Construction of Religious Boundaries, Dehli 1997, am Beispiel der Erstellung religiöser Identitäten der Sikh in Indien. Im Folgenden werden die Anführungszeichen, die hier auf den Konstruktionscharakter verweisen, nur der besseren Lesbarkeit wegen weggelassen. Das Religiöse, das Säkulare oder auch das Christliche werden in der Studie jedoch durchgehend als konstruiert und diskursiv verhandelt im Sinne der obigen Ausführungen aufgefasst. John Peel forderte bereits eine Neubewertung der europäischen Missionen in der Zeit des Kolonialismus und plädiert für eine Perspektive auf die missionarische Begegnung, die Aushandlungsprozesse, in denen etwas Neues aus einheimischer Kultur und Evangelium entstehen kann, in den Mittelpunkt stellt. John David Yeadon Peel, Religious Encounter and the Making of the Yoruba, Bloomington, IN u. a. 2003.
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Angehörigen verschiedener religiöser Systeme statt, sondern waren von unterschiedlichen Machtverhältnissen im Kolonialismus geprägt.47 In der „missionarischen Gesellschaft“48 kamen verschiedene Akteure zusammen, die um die Deutungsmacht von Religion und Christentum rangen, sei es in der Frage, wer unter welchen Bedingungen getauft werden durfte, welche Inhalte in Missionsschulen vermittelt werden sollten oder wer für welche Vergehen aus einer bestehenden Gemeinde ausgeschlossen gehörte: Katechumenen, christliche Gemeinden, nichtchristliche Chagga, Kolonialbeamte, Siedler und nicht zuletzt die Missionare, denen es zukam, diesen Prozess der Grenzziehungen zu moderieren und zu kontrollieren. Missionare taten dies vor dem Hintergrund ihrer nationalen und konfessionellen Identität und als aktive Teilnehmer von Debatten in Missionswissenschaft und Theologie. Unter dem Schlagwort des „Christianity Making“ sollen diese Debatten in einer Analyse von Aushandlungsprozessen des Religiösen beziehungsweise des Christlichen miteinbezogen werden. Aufgegriffen werden soll dabei ein Paradigma, dass sich in den letzten Jahren für die Analyse von Austauschprozessen zwischen Kolonie und Metropole – beziehungsweise Missionsgebiet und „-mutterland“ – als fruchtbar erwiesen hat: Bereits 1997 forderten Ann Laura Stoler und Frederick Cooper die vermeintliche Dichotomie zwischen Kolonie und Metropole in der Analyse zu überwinden und stattdessen beide Räume in ein analytisches Feld zu integrieren.49 Eine Perspektive auf Beziehungsgefüge, auf Verflechtungen – entanglements –, wie sie Shalini Randeria und Sebastian Conrad vorschlagen, kann dazu beitragen, den Blick für Austauschbeziehungen und wechselseitige Transfers und Gemeinsamkeiten zu schärfen, ohne zu vernachlässigen, dass diese Beziehungen nicht immer unter Gleichen stattfanden und nicht immer aufrechterhalten wurden, sondern auch Brüche und Konflikte produzierten.50 Eine solche
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Haanegraf zeigt nicht nur, inwiefern der Begriff Religion in unserem Verständnis eng mit dem Christentum verwoben ist, sondern argumentiert ferner, dass dessen Aufstieg dem Bedürfnis nach einem tertium comparationis geschuldet gewesen sei, das erst durch das Aufeinandertreffen mit der außereuropäischen Welt in der Frühen Neuzeit entstanden sei. Hanegraaff, Reconstructing, 587–588. Zum Entstehen der komparativen Religionswissenschaft im Kontext kolonialer Eroberung grundlegend Chidester, Savage Systems. Wendt, Die missionarische Gesellschaft, 16–17. Ann Laura Stoler / Frederick Cooper, Beetween Metropole and Colony. Rethinking a Research Agenda, in: Dies. (Hg.), Tensions of Empire. Colonial Cultures in a Bourgeois World, Berkeley 2001, S. 1–56. Sebastian Conrad / Shalini Randeria, Einleitung. Geteilte Geschichten – Europa in einer postkolonialen Welt, in: Dies. (Hg.), Jenseits des Eurozentrismus, Frankfurt a. M. / New York 2002, S. 9–49. Dieser Ansatz einer Verflechtungsgeschichte lässt sich dabei als ein Ansatz einer ganzen Reihe von methodischen Überlegungen zur Globalgeschichte verstehen. Siehe dazu im Überblick Sebastian Conrad / Andreas Eckart, Globalgeschichte, Globalisierung, multiple Modernen. Zur Geschichtsschreibung der modernen Welt, in: Sebastian Conrad (Hg.), Globalgeschichte, Frankfurt a. M. / New York 2007, S. 7–49; Dominic Sachsenmeier, Global Perspectives on Global History. Theories and Approaches in a Connected World, Cambridge 2011.
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verflechtungsgeschichtliche Perspektive bedeutet aber auch, die Verflechtungen von Innerer und Äußerer Mission zu berücksichtigen. Ohne eine detailliertere Studie der Praktiken der Inneren Mission vorzunehmen, geht es im Folgenden darum, die Verbindungen, die sich vor allem in denselben Anliegen und Zielen dieser beiden Zweige des christlichen Engagements zeigen, miteinzubeziehen und Rückwirkungen der Äußeren Mission auf die Innere Mission und missionswissenschaftliche und theologische Debatten im Kaiserreich auszuloten.51 Definitionen des Religiösen und der Aufstieg der Religionswissenschaft waren bereits zeitgenössisch eng verwoben mit dem Konzept der Moderne.52 Kaum eine Gruppe, die sich am religionswissenschaftlichen Diskurs beteiligte, bringt diese Verwobenheit so deutlich zum Ausdruck wie die Gruppe der Missionare, deren religionswissenschaftliche Forschungen einerseits zur Entstehung der Religionswissenschaften maßgeblich beitrugen,53 deren Deutungen von Moderne, Kultur und Zivilisation andererseits aber durch ihre vielfältigen Publikationen in den missionseigenen (Presse-) Netzwerken eine Hoheit bis in entlegenste Winkel der ländlichen Gesellschaft des Kaiserreichs hinein erreichten.54 Missionare entwickelten „teils sehr effiziente Strategien der Mitgestaltung kultureller Modernisierung“.55 Hier lässt sich also fragen, inwiefern Missionare Vorstellungen einer „alternativen Moderne“56 mitentwickelten, indem sie im Missionsgebiet versuchten, Vorstellungen von Kirche und Gemeinde durchzusetzen, weiterzuentwickeln und in den zeitgenössischen Diskurs um die „Krise“ von Religion und Kirche in der Moderne einzuspeisen. Der Begriff des Missionslaboratoriums
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Tilley, Africa as a Living Laboratory. Rückwirkungen betonen auch die Beiträge in Frederick Cooper / Ann Laura Stoler (Hg.), Tensions of Empire. Colonial Cultures in a Bourgeois World, Berkeley 1997; Antoinette M Burton (Hg.), After the Imperial Turn. Thinking With and Through the Nation, Durham/London 2003; Catherine Hall / Sonya O Rose (Hg.), At Home with the Empire. Metropolitan Culture and the Imperial World, Cambridge 2006. Für den deutschen Fall: Sebastian Conrad / Jürgen Osterhammel (Hg.), Das Kaiserreich transnational. Deutschland in der Welt 1871–1914, Göttingen 2004; Birthe Kundrus, Phantasiereiche. Zur Kulturgeschichte des deutschen Kolonialismus [Ergebnisse einer internationalen Tagung, die im November 2001 an der Carl-vonOssietzky-Universität Oldenburg stattfand], Frankfurt a. M. u. a. 2003; Ulrich van der Heyden / Joachim Zeller (Hg.), Kolonialismus hierzulande. Eine Spurensuche in Deutschland, Erfurt 1997. Hans G Kippenberg, Die Entdeckung der Religionsgeschichte. Religionswissenschaft und Moderne, München 1997. Habermas, Wissenstransfer und Mission. Siehe dazu auch Kap. 2 dieser Studie. Zu diesen Missionspublikationen siehe u. a. Hanna Acke, Missionary Periodicals as a Genre. Models of Writing, Horizons of Expectation, in: Felicity Jensz / Hanna Acke (Hg.), Missions and Media. The Politics of Missionary Periodicals in the Long Nineteenth Century, Stuttgart 2013, S. 225–243. Graf, Wiederkehr der Götter, 48. So argumentiert beispielsweise Reinhard Wendt, Mission zwischen Modernekritik und Moderneförderung. Beispiele aus Südindien, in: Wolfgang Kruse (Hg.), Andere Modernen. Beiträge zu einer Historisierung des Moderne-Begriffs, Bielefeld 2015, S. 89–107. Aufgegriffen wird dabei das von Shmuel Eisenstadt zuerst formulierte Konzept der multiplen Modernen, Shmuel N Eisenstadt, Multiple Modernities, in: Daedalus 129 (2000), S. 1–29.
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soll diese Bemühungen bündeln und als heuristisches Mittel dienen, um die mediale Vermittlung der Aushandlungsprozesse vor Ort und die missionarische Agenda der Missionsveröffentlichungen – sei es im Missionsblatt oder in Beiträgen für eine religiöse Fachöffentlichkeit – zu fassen.57 Für eine solche dezentrierte Geschichte58 von Aushandlungsprozessen des Religiösen sind zahlreiche Informationen vonnöten, die den Kontext des hier untersuchten mikrogeschichtlichen Beispiels beleuchten. Zur Leipziger Missionsgesellschaft kann dafür auf eine ganze Reihe an Arbeiten zurückgegriffen werden, die nicht nur die institutionelle Seite der Gesellschaft betrachten, sondern auch einen ersten Überblick über die verschiedenen Missionsgebiete und die Ausdehnung der Mission in Tanganyika liefern.59 Zur Analyse der konkreten Aushandlungsprozesse vor Ort und um lokalen Umständen und Entstehungskontexten der Missionsquellen Rechnung zu tragen, ist es notwendig, ethnographisch-historische Studien heranzuziehen.60 Hierbei gilt es jedoch zu beachten, dass insbesondere ältere Studien zu einem nicht geringen Teil auf missionarischen ethnographischen Arbeiten basieren, sodass die Gefahr eines erkenntnistheoretischen Zirkelschlusses besteht.61 Dies gilt umso mehr, als insbesondere ältere Arbeiten zur Geschichte der Chagga die missionarische Perspektive zu einem 57
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Diesen Ansatz habe ich bereits ähnlich formuliert in Karolin Wetjen, Gemeinde im Laboratorium. Aushandlungsprozesse des Christentums und Kirchenzucht in der Mission am Beginn des 20. Jahrhunderts, in: Linda Ratschiller / Karolin Wetjen (Hg.), Verflochtene Mission. Perspektiven auf eine neue Missionsgeschichte, Köln/Weimar/Wien 2018, S. 89–116, 93. Siehe dazu ausführlich Kap. 1.3.2 dieser Studie. Natalie Zemon Davis, Decentering History. Local Stories and Cultural Crossings in a Global World, in: History and Theory 50 (2011), S. 188–202. Zur Leipziger Missionsgesellschaft sind hier v. a. die jeweils zu den Jubiläen erschienenen Publikationen zu nennen. Niels-Peter Moritzen, Werkzeug Gottes in der Welt. Leipziger Mission 1836– 1936–1986, Erlangen 1986; Joachim Schlegel (Hg.), 150 Jahre Leipziger Mission: Gottes Werkzeug für die Welt. Dokumentation, Erlangen 1987; Hugald Grafe, One Hundred and Seventy Five Years of Leipzig Mission. A Concise Historical Survey, Leipzig 2011. Auch Godson S Maanga, Church Growth in Tanzania. The Role of Chagga Migrants within the Evangelical Lutheran Church in Tanzania, Erlangen 2012, ist in gewisser Hinsicht diesen Studien zuzuordnen, auch wenn er aus der Perspektive eines Chagga-Pastors einen nichteuropäischen Blick auf die Missionsbemühungen wirft. Siehe dazu auch Kap. 1.4 dieser Studie mit weiteren Literaturangaben. Siehe Sally Falk Moore, Social Facts and Fabrications. „Customary“ Law on Kilimanjaro, 1880– 1980, Cambridge 1986; Dies , Past in the Present. Tradition, Land and ‚Customary‘ Law on Kilimanjaro 1880–1980, in: Timothy A. R. Clack (Hg.), Culture, History and Identity. Landscapes of Inhabitation in the Mount Kilimanjaro Area, Tanzania. Essays in Honour of Paramount Chief Thomas Lenana Mlanga Marealle II (1915–2007), Oxford 2009, S. 39–76, insbesondere zur Rechtsgeschichte der Chagga. Päivi Hasu, Desire and Death. History through Ritual Practice in Kilimanjaro, Saarijärvi 1999, untersucht Rituale, die das Leben der Chagga strukturier(t)en. Hasus Fokus liegt auf der Frage, wie das Christentum vor allem in den 1920er Jahren indigenisiert wurde. Robert B Munson, The Nature of Christianity in Northern Tanzania. Environmental and Social Change 1890–1916, Lanham u. a. 2013, widmet sich unter dem Schlagwort der „botanical proselytization“ Veränderungen der Landschaft durch die Etablierung vom Christentum während der Zeit der deutschen Kolonialherrschaft. Diese Überlegungen finden sich bereits in Wetjen, Gemeinde im Laboratorium, 18–19.
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großen Teil unkritisch übernehmen, anstatt sie zum Ausgangspunkt der Analyse zu machen.62 Besonders beachtenswert sind deswegen solche Studien, die sich kritisch mit der ethnographischen Forschung zu den Chagga auseinandergesetzt haben. So konnte Matthew Bender zeigen, dass die Bezeichnung Chagga zur Beschreibung der Bewohner der Kilimandscharo-Region ursprünglich eine Fremdbezeichnung war, die von Kolonialadministratoren von Swahili-sprechenden Händlern übernommen wurde. Erst ab 1930 habe sich im Kampf um natürliche Ressourcen, so Bender, eine gemeinsame Chagga-Identität herausgebildet.63 Im Folgenden wird deswegen, so oft es geht, die konkrete Gegend genannt, aus der die historischen Akteurinnen und Akteure stammen. Nur in solchen Fällen, in denen dies nicht möglich ist, weil die Quellen keine genauere Differenzierung zulassen, wird die missionarische Bezeichnung der Chagga, der besseren Lesbarkeit wegen ohne Anführungszeichen, genutzt. Quellen Der Aufschwung der Missionsgeschichte verdankt sich einer für die Beschäftigung mit globalhistorischen oder verflechtungsgeschichtlichen Themen besonderen Reichhaltigkeit des Quellenfundus. Missionsgesellschaften wie auch die hier im Mittelpunkt stehende Leipziger Missionsgesellschaft verfügen über ein Archiv, dessen Vielschichtigkeit und Dichte der Überlieferung die Untersuchung interdisziplinärer Fragestellungen ermöglichen.64 Der Umgang mit diesen Quellen erfordert ein heterogenes Ensemble von Methoden. So vielseitig und umfangreich das Missionsarchiv auch ist, so viele Widersprüche birgt es auch. Insbesondere der Blick der Missionierten auf die hier analysierten Christianisierungsprozesse, ihre Widersprüche und Aneignungsprozesse, können oftmals nur durch das Lesen „gegen den Strich“65 ermittelt werden. Berichte der Missionare, die an die Missionsleitung geschickt wurden, waren nicht nur
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So bezeichnet Kathleen Stahl Bruno Gutmann als „great doyen“ der Chagga-Geschichte. Kathleen M Stahl, History of the Chagga People of Kilimanjaro, London/Paris 1964, 13–14. Zur Entstehungsgeschichte der Studie siehe auch Emma Hunter, In Pursuit of the „Higher Mediavalism“. Local History and Politics in Kilimanjaro, in: Derek R. Peterson / Giacomo Macola (Hg.), Recasting the Past. History Writing and Political Work in Modern Africa, Athens 2009, S. 149–167. Matthew V Bender, Being „Chagga“. Natural Resources, Political Activism, and Identity on Kilimanjaro, in: The Journal of African History 54 (2013), S. 199–220; Hunter, In Pursuit. Matthew Bender hat jüngst eine Studie zum Wassermanagement der Chagga vorgelegt, die hier leider nicht mehr vollständig berücksichtigt werden konnte. Matthew V Bender, Water Brings No Harm: Management Knowledge and the Struggle for the Waters of Kilimanjaro, Athens 2019. Zum Missionsarchiv siehe u. a. Robert A Bickers / Rosemary Seton (Hg.), Missionary Encounters. Sources and Issues, Richmond 1996; Wetjen, Gemeinde im Laboratorium, 17–19. Siehe dazu weiterführend Patricia Purtschert, Postkoloniale Philosophie. Die westliche Denkgeschichte gegen den Strich lesen, in: Julia Reuter / Alexandra Karentzos (Hg.), Schlüsselwerke der Postcolonial Studies, Wiesbaden 2012, S. 343–354.
Quellen
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Arbeitsberichte an Vorgesetzte, in denen es sich zu rechtfertigen galt und die dadurch eine Selbstinszenierung begünstigten, sondern in hohem Maße für einen weiteren Adressatenkreis, nämlich die Leserinnen und Leser des Missionsblattes, bestimmt. Wenn man diesen medialen Inszenierungen nachgehen möchte, lohnt es sich, Quellen auch „mit dem Strich“ zu lesen, aber auch das Verschweigen, die Brüche in der Kommunikation oder Unterschiede zwischen Veröffentlichung und Bericht mit in die Analyse einzubeziehen,66 um so die „imperiale Kommunikationsarbeit“ der Mission sichtbar zu machen.67 Die vorliegende Studie basiert deswegen auf einem heterogenen Quellenkorpus. An vorderster Stelle ist die missionarische Überlieferung zu nennen, die im Archiv der Franckeschen Stiftungen lagert.68 Den hauptsächlichen Quellenbestand neben persönlichen Korrespondenzen, Berichten und Personalakten bilden die bereits erwähnten Protokolle der halbjährlich stattfindenden Missionskonferenzen, auf denen die Missionare der sogenannten Chaggamission im Missionsgebiet zusammenkamen. Auf diesen Missionskonferenzen wurden sämtliche organisatorischen Belange der Mission – unter anderem auch Konflikte mit der Kolonialverwaltung – besprochen. Ziel der Konferenzen war es, durch gemeinsame Beschlussfassungen der Missionare zu missionspraktischen Fragen, wie der Taufe, dem Katechumenenunterricht, der Beschneidungspraxis der Chagga oder der Etablierung einer Gemeindeordnung, eine gemeinsame Grundhaltung zu finden und der Mission damit ein einheitliches Äußeres zu verleihen. Diese umfangreichen Beratungsprotokolle, insgesamt mehr als tausend Seiten, die auch auf den Konferenzen gehaltene Vorträge samt einer häufig erst Wochen später eintreffenden Stellungnahme des Missionskollegiums umfassen, können deswegen Einblicke in theologische Fragen betreffende Debatten der Missionare, Konflikte zwischen den Missionaren und Problemlagen im Missionsprozess geben. Auf den Missionskonferenzen wiederkehrende oder besonders vehement diskutierte Themen werden deswegen in der vorliegenden Studie als Ausgangspunkte der Analyse herangezogen.
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Für die Leipziger Mission siehe dazu auch Karolin Wetjen, Abdrucken, Verändern, Auslassen. Das Stationstagebuch der Station Mamba im Missionsblatt der Leipziger Missionsgesellschaft um 1900, in: Geert Castryck u. a. (Hg.), Sources and Methods for African History and Culture. Essays in Honour of Adam Jones, Leipzig 2016, S. 201–220, sowie Kap. 4.3.3 dieser Studie. Hölzl, Imperiale Kommunikationsarbeit. Ich danke Prof. Dr. Adam Jones für die freundliche Bereitstellung der Digitalisate dieser Quellen und viele hilfreiche Gespräche. Verzeichnisse dieser Digitalisate liegen vor: Monika Rammelt / Antonia Witt, Digitized Records of the Evangelical Lutheran Church in Tanzania in Moshi, Leipzig 2008; Monika Rammelt, Guide to the ELCT Northern Diocese Archive in Moshi, Tanzania 1906– 1993, Leipzig 2005. Ebenfalls digitalisiert ist die umfangreiche Fotosammlung der Mission, in der zahlreiche Fotografien der Missionare und Missionsangestellten versammelt sind. Diese Sammlung ist online unter http://digitallibrary.usc.edu/cdm/landingpage/collection/p15799coll123 (zuletzt eingesehen: 10.12.2018) einzusehen.
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Während sich die Überlieferung in den Franckeschen Stiftungen häufig mit derjenigen überschneidet, die sich im Archiv der Norddiözese der evangelisch-lutherischen Kirche Tansanias in Moshi befindet, ergänzen die in Moshi lagernden Akten die Leipziger Überlieferung um solche Dokumente, die nicht in Kopie an das Missionskollegium eingesandt wurden, sondern primär der lokalen Gemeindeführung dienten; besonders die Gemeinde- beziehungsweise Ältestenratsprotokolle oder lokale Stationstagebücher ermöglichen mehr als andere Quellen, Positionen der lokalen Gemeindemitglieder auf das Christentum auszuloten. Um die Perspektive der Mission zu kontextualisieren und die in den Missionsarchiven häufig angelegte Lesart von Missionaren in „splendid isolation“69 zu überwinden, wurden zudem die in Berlin-Lichterfelde lagernden Akten der Kolonialbehörden genutzt. Durch die verschiedenen archivalischen Quellen können so häufig verschiedene Interessenslagen, Spannungen zwischen den historischen Akteurinnen und Akteuren, (verdeckte) Konflikte,70 aber auch Allianzen und Interdependenzen ausfindig gemacht werden. Die archivalischen Quellen werden ergänzt und teilweise kontrastiert durch verschiedene, vor allem periodisch erschienene gedruckte Quellen. Von besonderer Bedeutung ist das evangelisch-lutherische Missionsblatt, das als Hauptorgan der Leipziger Missionsgesellschaft seine Leserinnen und Leser über Vorgänge und Entscheidungen in der Mission informierte. Berichte im Missionsblatt wurden einer strengen Redaktion71 unterzogen und an die Bedürfnisse der Leserschaft angepasst – nicht zuletzt um deren Spendenbereitschaft, die Basis der Finanzierung der Missionsgesellschaft, zu entfachen. Diesen Redaktionsprozess zu berücksichtigen ist umso wichtiger, als letztlich einzig die Berichte im Missionsblatt für die Wahrnehmung der Mission in der religiösen Öffentlichkeit und Theologie verantwortlich waren. Missionierungs- und Christianisierungsprozesse standen nicht nur im Fokus der missionseigenen Publikationen. Wissenschaftliche Zeitschriften, wie die Allgemeine Missionszeitschrift oder das Archiv für Religionswissenschaften, diskutierten die Vorgänge in der Mission ebenso wie zahllose Beiträge und häufig in eigenen Reihen herausgegebene Schriften der verschiedenen protestantischen Missionsgesellschaften. In all diesen Zeitschriften wurden die Erfahrungen und Entscheidungen der Missionare teilweise kontrovers diskutiert und zum Gegenstand diskursiver Aushandlungsprozesse des Religiösen. Gleichzeitig wurde in diesen Magazinen und den sie herausgebenden Institutionen und Netzwerken missionswissenschaftliches Wissen72 geschaffen. Dies 69 70
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Siehe dazu insbesondere Habermas, Mission im 19. Jahrhundert, aber auch Julia Hauser, German Religious Women in Late Ottoman Beirut. Competing Missions, Leiden 2015. Zu einer Missionsgeschichte als Konfliktgeschichte siehe jüngst Siegfried Weichlein, Mission und Konflikt. Weiterführende Fragestellungen, in: Linda Ratschiller / Karolin Wetjen (Hg.), Verflochtene Mission. Perspektiven auf eine neue Missionsgeschichte, Köln/Weimar/Wien 2018, S. 239– 245. Siehe dazu bereits Wetjen, Abdrucken, und Kap. 4.3.3 dieser Studie. Siehe dazu ausführlich Kap. 1.3.2 dieser Studie.
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gilt auch für populärere Blätter einer kirchlich-konservativen religiösen Öffentlichkeit, wie der Allgemein-Evangelisch-lutherischen Kirchenzeitung,73 oder für sich stärker an eine ländliche religiöse Öffentlichkeit richtende Blätter wie die Zeitschrift Die Dorfkirche oder das Blatt der Sächsischen Landeskirche, Pilger aus Sachsen Es waren gerade diese Zeitschriften, die im lutherischen Netzwerk der Missionsgesellschaft gelesen wurden. Aufbau Die Studie gliedert sich in vier analytische Hauptteile. Inwiefern die zeitgenössisch wahrgenommene Krise der Moderne, theologische Debatten und die Bemühungen der Inneren und Äußeren Mission ineinander verwoben waren, analysiert der erste Teil. Als lutherische Missionsgesellschaft fand die Leipziger Missionsgesellschaft nicht nur Unterstützung innerhalb der recht homogenen sächsischen Landeskirche, sondern auch über die Grenzen Sachsens hinaus. Sie war zudem fest eingebunden in den Kreis älterer Missionsgesellschaften und in die Institutionen der sich formierenden Missionswissenschaft, deren Entstehung sich als Gegenbewegung zur Entstehung der Religionswissenschaft und der sich in der Theologie mehr und mehr behauptenden religionswissenschaftlichen Schule verstehen lässt. Die Konzeption der Missionswissenschaft, ihre wissenschaftliche Ausrichtung und letztlich die damit zusammenhängende Zielrichtung von Mission war es, die „Absolutheit des protestantischen Christentums“ zu beweisen. Dabei zielte die Missionswissenschaft keineswegs nur auf die Gebiete der äußeren Mission. Vor dem Hintergrund der zeitgenössisch wahrgenommenen Krise der Moderne, die für die Kirchenvertreter vor allem eine Krise der Kirche war, sollte die Missionswissenschaft auch Anregungen für die wissenschaftliche Theologie, insbesondere die Praktische Theologie, liefern und Anregungen für Pastoren bereitstellen, wie Gemeinden zu einer stärkeren Mitwirkung am kirchlichen Leben wieder ermuntert werden könnten. Wie sehr die konfessionelle und theologische Ausprägung der Missionswissenschaft und der Missionare, insbesondere der Leipziger Mission, auf Definitionen und Grenz-
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Die Allgemeine Evangelisch-Lutherische Kirchenzeitung war eng verwoben mit Einigungsprozessen der lutherischen Kirche gegen eine von Preußen intendierte Kirchenunion. Sie wandte sich v. a. an Geistliche und interessierte Gemeindemitglieder in einer Auflage von über 10.000 Exemplaren. Sie wurde von dem führenden Lutheraner und Kollegiumsmitglied der Leipziger Missionsgesellschaft Christoph Ernst Luthardt herausgegeben, der 1901 von Wilhelm Hölscher als verantwortlicher Redakteur abgelöst wurde. Auch Hölscher, Pfarrer an der Nikolaikirche und Leiter des katechetischen Seminars der Universität, war im Missionskollegium tätig und unternahm sogar 1903 in dessen Auftrag eine für die Mission wichtige Reise nach Indien, auf der er theologische Differenzen innerhalb der Missionare zu schlichten versuchte. Uwe Rieske-Braun, Zwei-Bereiche-Lehre und christlicher Staat. Verhältnisbestimmungen von Religion und Politik im Erlanger Neuluthertum und in der Allgemeinen Ev.-Luth. Kirchenzeitung, Gütersloh 1993, 178, 291.
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ziehungen des Religiösen wirkten, zeigt das zweite Kapitel. Das Kapitel hinterfragt Klassifizierungssysteme von Religion, wie sie seit der Mitte des 19. Jahrhunderts diskutiert wurden, und setzt sie mit Praktiken und Annahmen der Missionare im Missionsgebiet in Beziehung. Hier werden zunächst die religionswissenschaftlichen Beiträge der Missionare untersucht. Welche Kategorien wurden zur Beschreibung von Religion und „Heidentum“ genutzt und wie korrespondierten diese mit zeitgenössischen Klassifizierungssystemen von Religion, wie sie in der Fachöffentlichkeit diskutiert wurden? Welche Grenzen wurden gegenüber „dem Heidentum“ gezogen? Eine Analyse der Debatte um den Umgang mit Beschneidungspraktiken bei den Chagga kann zeigen, wie solche Grenzen innerhalb des hierarchisch geprägten Missionsunternehmens ausgehandelt wurden. In Auseinandersetzungen – sei es auf dem Kolonialkongress oder im Missionsgebiet – waren die Missionsvertreter daran beteiligt, die Grenzen zwischen dem Säkularen und Religiösen auszuhandeln. Indem sie eine wichtige Stellung für die Mission in den Kolonien reklamierten und dabei durchaus auch vor Maßregelungen der Kolonialbeamten, denen es an einem „christlichen Lebensstil“ zu fehlen schien, nicht zurückschreckten, forderten sie gleichzeitig im Sinne der Erlanger lutherischen Ethik eine größere Relevanz von Christentum, Religion und Kirche in der Gesellschaft des Kaiserreichs. Abgrenzungen zwischen dem Säkularen und Religiösen waren deswegen in der Mission gleichzeitig bestimmt von der theologie-politischen Stellung der Missionare, die eine Absolutheit des Christentums voraussetzte und verteidigte. Diese galt es auch in Bezug auf den Islam zu beweisen, der im missionarischen Diskurs immer stärker in die Nähe von Aberglauben und „Heidentum“ gerückt wurde. Während es im zweiten Kapitel damit vornehmlich um Aushandlungen des Religiösen geht, widmen sich die abschließenden beiden Hauptkapitel in einem weiteren Analyseschritt Aushandlungsprozessen vom Christentum im Sinne des oben ausgeführten Christianity Making. Zunächst wird im dritten Kapitel die Praxis der Bibelübersetzung und der Vermittlung des Christentums in Predigt und Unterricht in den Blick genommen. Die Bibel wurde im 19. Jahrhundert zu einem Objekt des globalen Protestantismus. Zahlreiche Bibelgesellschaften finanzierten und unterstützten Bibelübersetzungen und Drucke, und so war es auch eine der wichtigsten Aufgaben der Leipziger Missionare, das Evangelium in die lokale Sprache zu übersetzen. In die Entscheidung, in welche Sprache übersetzt werden sollte, aber auch welche Begriffe eine richtige und nutzbare Übersetzung waren, flossen sprachpolitische Überlegungen ebenso ein wie theologische Schwerpunktsetzungen und altsprachliche Probleme. Wie sehr das gedruckte Buch aber weniger ein Objekt war, das von den Missionaren erstellt wurde, als vielmehr das Produkt eines kommunikativen Aushandlungsprozesses, analysiert das dritte Kapitel. Die missionarische Verkündigung und das Übersetzen der Bibel fand keineswegs – auch wenn dieser Eindruck häufig entsteht – seinen Abschluss oder Höhepunkt im Vorliegen einer materiell greifaren Bibelübersetzung. Vielmehr fand die missionarische Verkündigung neben der Studierstube in ganz anderen Kontexten statt, in denen der christliche Glaube ebenfalls übersetzt wurde. Die Analyse eines Sta-
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tionstagebuchs macht auf Schwerpunktsetzungen und Auslassungen dieser Übersetzung aufmerksam und setzt sie mit Entwicklungen im deutschen Kaiserreich in Verbindung. Die verschiedenen Medien, die zur Übersetzung des christlichen Glaubens in der Mission eingesetzt wurden, sowie die theoretisch begründeten und praktisch gesetzten Schwerpunkte zeigen, dass die Verkündigung des Christentums beziehungsweise dessen Übersetzung in der Mission einem religionspädagogischen Programm folgten, das einerseits in der theologischen Positionierung der Missionare und deren Hoffnung auf eine neuerliche Hinwendung zu einem umfassenderen Glaubensverständnis wurzelte, andererseits aber auch durch die missionarischen Vorstellungen des „Fremden“ und „Primitiven“ bestimmt wurde. Gleichzeitig lassen sich Hinweise dafür finden, dass die Übersetzung maßgeblich von den Empfängern dieser Übersetzung gestaltet wurde, die sich die Übersetzung aneigneten und maßgeblich mitbestimmten. Ein viertes Hauptkapitel nimmt schließlich noch einmal dezidiert Praktiken in den Blick und fragt nach Konzeptionen und Umsetzungen von Gemeinde in der Mission. In dem Kapitel stehen lokale Aushandlungsprozesse im Mittelpunkt, die gleichzeitig in ihrer Verwobenheit mit Debatten in der religiösen Öffentlichkeit74 des deutschen Kaiserreichs und insbesondere der Inneren Mission analysiert werden. Missionare versuchten, so lässt sich am Beispiel der Taufe zeigen, ein Ritual in der Mission zu etablieren, das einerseits ihrer konfessionellen und theologischen Position entsprach, das aber andererseits im Missionskontext anschlussfähig und verständlich war. Im Zuge des hauptsächlich anhand von Debatten auf den Missionskonferenzen analysierten Ritualdesigns wurden immer weitere Grenzziehungen nötig, die eine „richtige“ Ausführung des Rituals sicherstellen sollten. Dafür wurde nicht nur detailliert über Inhalte, Dauer und Status des Katechumenats, also der Vorbereitungszeit auf die Taufe, sondern auch über die Ausführung dieser Handlung im Gottesdienst debattiert. Ebenso wie bei der Erstellung einer Gemeindeordnung zeigte sich am Beispiel der Taufe, wie idealisierte Vorstellungen und Konzepte in der Mission zwar als Richtschnur fungierten, diese aber bereits frühzeitig und immer wieder an lokale Kontexte angepasst werden mussten. So erstellten die Missionare zwar ohne Mitwirkung afrikanischer Akteure eine Gemeindeordnung, deren wesentlicher Kern eine auf die Sicherstellung eines als christlich markierten Lebenswandels zielende Kirchenzuchtordnung war – und griffen damit auf eigentlich zur Zeit des Kaiserreichs bereits überholte Methoden zurück –, in der Umsetzung wurde diese Kirchenzuchtordnung aber häufig unterlaufen. Gemeindeälteste, aber auch einzelne Gemeindemitglieder brachten nämlich immer stärker, und nicht zuletzt abhängig von der kolonialen Situation, ihr eige74
Unter religiöser Öffentlichkeit wird im Folgenden eine Öffentlichkeit verstanden, die es ermöglichte über Religion zu kommunizieren, geltende Deutungsmuster zu rechtfertigen und neue zu entwickeln. Religiöse Öffentlichkeit entsteht mithin erst durch die Kommunikation über Religion. Siehe dazu Andreas Hasenclever / Alexander De Juan, Religionen in Konflikten. Eine Herausforderung für die Friedenspolitik, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 6 (2007), S. 10–16, 16.
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nes Verständnis vom Christentum und von Gemeinde zu Gehör. Anhand der Themen Taufe und Kirchenzucht ebenso wie an dem Bau von Kirchen kann das Kapitel zeigen, wie Aushandlungen vom Christentum stets abhängig von lokalen Kontexten und Akteuren waren, wie sie aber gleichzeitig verwoben waren mit Debatten, wie sie im deutschen Kaiserreich geführt wurden, wurden doch gerade dort die Durchführung der „Heidentaufen“ oder die auf Mitwirkung zielende und einen sittlichen Lebenswandel sicherstellende Gemeindeordnung der Mission zu einem Vorbild für die heimatliche Kirche. Einer der bekanntesten Missionare der Leipziger Mission, Bruno Gutmann, entwickelte sogar auf der Basis seiner ethnographischen Forschungen zu den Chagga und von ihm identifizierter „urtümlicher Bindungen“ ein Konzept von Gemeinde, das ebenso so sehr für die Missionsgemeinde bestimmt war wie für die „Heimatkirche“, die dadurch ihre vermeintliche „Krise“ überwinden könnte. Es wird gezeigt, dass sich Mission nur als verflochtenes Unternehmen denken lässt, in dem ein ständiger Austausch stattfand. Die Arbeit argumentiert, dass das Missionsgebiet durch die dortigen Grenzziehungen des Religiösen und Aushandlungsprozesse des Christentums vor dem Hintergrund der theologischen und innerkirchlichen Debatten und durch seine mediale Vermittlung als Missionslabor verstanden werden kann, in dem Konzepte von Kirche und Gemeinde erprobt, verhandelt, angepasst oder neu konzipiert und schließlich als Lösungsvorschläge in die Debatte um Religion und Moderne mittels wissenschaftlich-theologischer Beiträge ebenso wie über Missions- und Kirchenzeitschriften eingespeist wurden.
1 Mission als Ausweg aus der Krise Kolonialmission, Missionswissenschaft und lutherische Kirche Als im August 1898 die neunte Allgemeine lutherische Konferenz in Braunschweig tagte, versammelten sich zahlreiche führende Lutheraner in der Stadt, um den Beweis anzutreten, dass „das Luthertum noch eine lebendige und bedeutende Macht ist“. Ursprünglich ein Verband, der sich gegen die Durchsetzung der von Preußen angestrebten Bekenntnisunion gegründet hatte, hatte sich die seit 1868 bestehende Konferenz zum Ende des Jahrhunderts hin als eine Vereinigung zahlreicher lutherischer Geistlicher, Theologen und Kirchenfunktionären zum Ziel gesetzt, die lutherische Kirche gegen den „kritisch-zersetzenden Geist“1 zu verteidigen, der rings um sich greife und die Fundamente der Kirche und des kirchlichen Lebens zerstöre. In verschiedenen Referaten, beispielsweise des Göttinger Theologieprofessors Paul Althaus über die Bedeutung der Taufe für das kirchliche Leben oder des Uslarschen Superintendenten August Hardelands über die Seelsorge, diskutierte man über Wege, das lutherische Bekenntnis zu bewahren, die lutherische Kirche zu stärken und vor allem die Gläubigen wieder für die Kirche zu gewinnen. Diesem Ziel widmete sich auch die im Rahmen eines Gottesdienstes am Abend der Konferenz gehaltene Ansprache des Leipziger Missionsdirektors, der fragte, was die Mutterkirche von der Missionsgemeinde lernen könne.2 Diese Leitfrage war zwar durchaus provokant formuliert, traf aber den Nerv der Konferenzteilnehmer, deren größte Sorge der Zustand der heimatlichen Kirchen war und die sich von der Mission neue Impulse versprachen, um einen Weg aus der von ihnen identifizierten Krise, in der sich die lutherische Kirche befände, zu finden. Es galt, nicht nur die sogenannten „Heiden“ zum Christentum zu bekehren, ja sie zu „retten“, sondern auch die „Namenchristen“, die vermeintlich vom Christentum abgefallene Arbeiterinnen und Arbeiter, Dienstmädchen und Handwerksgesellen in der Großstadt, zurück zum Christentum zu führen.
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Wilhelm Kirchberg, Bericht über die IX. Allgemeine lutherische Konferenz in Braunschweig vom 23.–26. August 1898, Braunschweig/Leipzig 1899, 18. Ebd., 55.
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1 Mission als Ausweg aus der Krise
Von Schwartz3 räumte in seinem Vortrag zwar ein, dass es in den Missionsgebieten – er bezog sich in seinem Beitrag nicht nur auf die Gebiete seiner Gesellschaft oder auf einen bestimmten Kontinent – immer noch zahlreiche Mängel gebe und dass die alte Christenheit mit ihrer langen Geschichte den jungen Gemeinden in vielem eine Vorlage böte, betonte aber, dass die Missionsgemeinden den heimischen Gemeinden durchaus in anderen, besonders wichtigen Aspekten überlegen seien, dass man also „Einiges von ihnen lernen“ könne. Die Frage sei nämlich, „warum es dort vorwärts geht, während man bei uns in der Heimat oft das unbehagliche Gefühl hat, daß man sich in der Defensive befindet, und daß man trotz aller Anstrengung eher Terrain verliert als gewinnt“.4 Konkret benannte von Schwartz die geringere Größe und stärkere Lebendigkeit der Gemeinde beziehungsweise des Gemeindelebens, die wirksame Ausübung von Kirchenzucht, den christlichen Charakter der (Schul-)Bildung und die besondere Frömmigkeit, die in der Mission herrsche und alle Bereiche des Lebens durchdringe. Als Mittel, dies zu erreichen, machte von Schwartz „Wort und Sakrament“, also die innige Predigt und die Wertschätzung der Taufe aus, betonte aber auch die Bedeutung des lutherischen Bekenntnisses.5 Tatsächlich war der Missionsdirektor von Schwartz nicht der einzige eng mit der Missionsgesellschaft verbundene Teilnehmer der Konferenz. Der Vorsitzende der Allgemeinen Lutherischen Konferenz, Graf von Vitzthum, war ebenfalls Vorsitzende des Sächsischen Hauptmissionsvereins, der die Leipziger Missionsgesellschaft finanziell unterstützte;6 der Leiter der Sektion zur Seemannsmission, Professor Hashagen, war vor seiner Berufung Lehrer am Leipziger Missionsseminar gewesen, in dem die Missionare der Gesellschaft für ihren Missionarsdienst ausgebildet wurden. Der bereits erwähnte Paul Althaus war ein Bruder eines der Missionare der Gesellschaft,7 und
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Karl von Schwartz (1847–1923) studierte Theologie in Erlangen und Berlin und war ein strenger Lutheraner. 1888 begründete er, tätig als Superintendent, die „evangelisch-lutherische Vereinigung im Lande Braunschweig“. Von 1893 bis 1911 war er Missionsdirektor der Leipziger Missionsgesellschaft. 1903 unternahm er eine Visitationsreise nach Deutsch-Ostafrika in die Chagga-Mission, deren Beginn er durchaus befürwortet hatte. Zu von Schwartz siehe Landeskirchenamt Wolfenbüttel (Hg.), Die Pastoren der Braunschweigischen Landeskirche seit Einführung der Reformation, bearb. v. Friedrich Wilhelm Freist, 2 Bde., Bd. 2, Wolfenbüttel 1974, S. 293; Jürgen Günther: Schwartz, Karl (Carl) von, Dr. In: Horst-Rüdiger Jarck, Günter Scheel (Hrsg.): Braunschweigisches Biographisches Lexikon – 19. und 20. Jahrhundert, Hannover 1996, S. 556–557. Von Schwartz, Was kann die Mutterkirche von der Missionsgemeinde lernen, 947. Ebd., 973. Carl Paul, Das Hinterland unserer Missionsgesellschaft und seine Pflege, in: Ders. (Hg.), Die Leipziger Mission, Leipzig 1914, S. 29–41; siehe dazu auch Karolin Wetjen, Das Globale im Lokalen. Die Unterstützung der Äußeren Mission im ländlichen lutherischen Protestantismus um 1900, Göttingen 2013. Paul Althaus, Aus dem Leben von D. Althaus-Leipzig, Leipzig 1928, S. 9. Die Familiengeschichte Althaus ist besonders gut erforscht wegen der beiden prominenteren Theologen. Paul Althaus, d. Ä., ein jüngerer Halbbruder des Missionars Gerhard Althaus, und auch dessen Sohn, Paul Althaus, d. J., haben in der theologie-historischen Forschung einige Aufmerksamkeit erfahren. Paul
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auch weitere Anwesende, wie der Pastor der Leipziger Nikolaikirche und Mitglied des Missionskollegiums, des oberen Leitungsgremiums der Gesellschaft, Wilhelm Hölscher, waren mit der Leipziger Missionsgesellschaft verbunden. Diese Zusammensetzung der Teilnehmer und die Tagesordnung in dieser Sitzung der Allgemeinen lutherischen Konferenz war kein Einzelfall: Kirchenvertreter, Theologen und Pastoren diskutierten im Kaiserreich allerorten über die „Krise“, in der sich die protestantische bzw. lutherische Kirche befände, und suchten nach Möglichkeiten und Lösungsvorschläge, um Gemeindemitglieder wieder zur Mitarbeit zu bewegen und zum christlichen Glauben zurückzuführen. Debatten um Innere Mission und um die Bedeutung von Kirche und Gemeinde verwiesen dabei nicht selten auf die Erfahrungen der Missionare und Missionare in Indien und Afrika. Missionsblätter, aber auch die missionswissenschaftliche Literatur sollten Kirchenvertreter zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit den Erfahrungen der Äußeren Mission anregen und Vertreter der sich als Subdisziplin der Theologie etablierenden Missionswissenschaft wurden nicht müde, auf die Vorbildfunktion der Mission zu verweisen. Für die Lutheraner, die hier auf der Allgemeinen lutherischen Konferenz zusammengekommen waren, waren insbesondere die Erfahrungen der Leipziger Mission relevant, die am Ende des 19. Jahrhunderts nicht mehr nur in Indien missionierte, sondern auch ein im Kaiserreich besonders prominente Missionsgebiet am Kilimandscharo in der Kolonie Deutsch-Ostafrika übernommen hatte. 1.1 Kirche in der Krise Das Ende des 19. Jahrhunderts war von einem umfassenden Krisengefühl bestimmt.8 Die globale „Geburt der Moderne“9 mit ihren Veränderungen, Reflexionen und Wahrnehmungen beförderte eine zeitgenössische Ambivalenz, die einerseits Fortschritt und Rationalismus feierte, andererseits aber auch zu Unbehagen und Desorientierung führte. „Daß sämtliche Lebensäußerungen der zeitgenössischen Kultur sich in krisenhafter Umgestaltung befänden und der Ausgang aus dieser Krise noch offen sei, dass haben sich die europäischen Gesellschaften des ausgehenden 19. Jahrhunderts fast
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Althaus, d. Ä., hatte zunächst einen Lehrstuhl in Göttingen, bevor er 1911 auf Anraten des Leipziger Missionsdirektors Ludwig Ihmels an die Leipziger Fakultät wechselte. Siehe beispielsweise auch die im ersten Kapitel auf die Familie eingehende Biographie Paul Althaus, d. J.: Gotthard Jasper, Paul Althaus (1888–1966). Professor, Prediger und Patriot in seiner Zeit, Göttingen 2013. Reinhardt Koselleck, Krise, in: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politischsozialen Sprache in Deutschland, hg. von Otto Brunner, Werner Conze und Reinhardt Koselleck, Bd. 3 (1982), S. 617–650, 635. Bayly, Geburt der modernen Welt.
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täglich und fast überall gleichsam vorgesagt […].“10 Besonders von dieser Krise betroffen schienen Religion, Theologie und Kirche. Der Relevanzverlust der protestantischen Theologie, der sich nicht nur in einer geschwächten Position der Theologie im Wissenschaftsbetrieb zeigte, sondern auch im zunehmenden Auseinandertreten von Theologie und Kirche sichtbar wurde, ging gleichzeitig einher mit einer allgegenwärtigen Diskussion von Religion als Teil von Kultur11 und einem (wahrgenommenen) Relevanzverlust von Kirche als Institution des Christentums. So verwundert es kaum, dass gerade solche Gruppen, die von der „Krise“ besonders betroffen schienen, nach Lösungsvorschlägen, Adaptionen und Veränderungen suchten. Dies gilt für eine konservative Elite12 dabei ebenso wie für die große Gruppe von Theologen, Pfarrern und Kirchgängern, die an der Institution der Kirche festzuhalten suchten.13 1.1.1 Krisenwahrnehmungen Bevölkerungswachstum, Neuerungen in Wissenschaft und Technik, Massenpresse und die Ausbreitung von Elektrizität hatten im 19. Jahrhundert ein neues Lebensgefühl hervorgebracht, aber auch zu zahlreichen Spannungen geführt.14 Während sich das (liberale) Bürgertum neuen Formen von Religiosität zuwandte,15 wuchs in anderen Gruppierungen, beispielsweise der Beamtenschicht und des Adels, die Skepsis gegenüber den Arbeiterinnen und Arbeitern und deren (vermeintlicher) Religionsferne. Dieses Konfliktpotenzial und die Spannungen bestimmten das Krisengefühl der evangelischen Kirchen. Als auf dem Kirchentag in Eisenach 1848 als Sammelbecken für verschiedene Vereine, die sich der sozialen Wohlfahrtspflege widmeten, die Gründung eines Centralausschusses für Innere Mission angeregt wurde, war die Zielrichtung dieses Beschlusses, die Bestrebungen und Organisationen der „freien Liebesthätigkeit“ zu vereinen und besser zu koordinieren, einem Gefühl zu verdanken, dass spätestens seit der Jahrhun-
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Volker Drehsen / Walter Sparn, Die Moderne. Kulturkrise und Konstruktionsgeist, in: Dies. (Hg.), Vom Weltbildwandel zur Weltanschaungsanalyse. Krisenwahrnehmung und Krisenbewältigung um 1900, Berlin 1996, S. 11–30, 11. Stenglein-Hektor, Theologie als ‚religiöse‘ Kompetenz. Bemerkungen zum Stichwort ‚Religion‘ in der Diskussion theologischer Enzyklopädie, Hochschulpolitik und Studienreformdebatte um 1900, in: Volker Drehsen / Walter Sparn (Hg.), Vom Weltbildwandel zur Weltanschauungsanalyse. Krisenwahrnehmung und Krisenbewältigung um 1900, Berlin 1996, S. 117–129. Prominent dazu Doron Avraham, In der Krise der Moderne. Der preußische Konservatismus im Zeitalter gesellschaftlicher Veränderungen 1848–1876, Göttingen 2008. Siehe dazu insbesondere Graf, Restaurationstheologie, und Wendt, Mission. Zahlen nach Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bd. 3: Von der „Deutschen Doppelrevolution“ bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges 1849–1914, München 1995, 494. Thomas Nipperdey, Religion im Umbruch: Deutschland 1870–1918, München 1988, 143–153. Vgl. dazu auch Habermas, Wissenstransfer und Mission, 281.
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dertwende vorherrschend war: einem Gefühl, dass sich die Gesellschaft durch die Folgen der Frühindustrialisierung, wie man sie in England beobachtete, und der Revolution, durch Migration und Medien mehr und mehr von der Kirche entfernte. Johann Hinrich Wichern strebte die Wiederherstellung der „unzerstörbaren Einheit des Lebens in Staat und Kirche, in Volk und Familie, in allen Gliederungen der christlichen Gesellschaft“ an, „um ihre rettenden, jedem Bedürfnis entsprechenden Lebenskräfte, wo oder ehe die Not nach Hilfe ruft, wirksam werden zu lassen“.16 Zahllose Journale und Flugschriften ebenso wie selbstständige Schriften und Abhandlungen thematisierten dieses Gefühl der Dechristianisierung und wetterten gegen die „herrschende Irreligiosität“ oder das „religiöse und sittliche Verderbnis unseres Zeitalters“.17 Mit dem steigenden Institutionalisierungsgrad der Inneren Mission und durch ihre überbordende mediale Präsenz verstärkte sich die Wahrnehmung einer zunehmenden Verelendung weiter Kreise, der beständigen Gefahr der Sünde und des Exzesses.18 Gerade die Großstädte, so schien es, bargen besondere Gefahren. Berlin galt in den 1880er Jahren als „the most irreligious city in the world“.19 Kirchenstatistiken wurden dazu herangezogen, diesen „Verfall“ der Kirchlichkeit, denn darum ging es als Pfeiler von Religiosität, zu belegen. Allen voran sollte die in allen Gemeinden gepflegte Abendmahlsstatistik erfassen, wie viele beziehungsweise wie wenige Gemeindemitglieder aktive Christen waren.20 Die Statistiken wurden so selbst zum Argument, die das Gefühl einer stetigen Abnahme der kirchlichen Bindekraft untermauerten und gleichzeitig verstärkten.21 Der Relevanzverlust von Religion und Sittlichkeit wurde 16
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Johann Hinrich Wichern, Die innere Mission der deutschen evangelischen Kirche. Eine Denkschrift an die deutsche Nation, Hamburg 31889 [1849], 6. Vgl. auch Gerhard Besier, Religion, Nation, Kultur. Die Geschichte der christlichen Kirchen in den gesellschaftlichen Umbrüchen des 19. Jahrhunderts, Neukirchen-Vluyn 1992, 102. Zur Geschichte der Inneren Mission mit einem Schwerpunkt auf den Centralausschuss siehe Jochen-Christoph Kaiser, Die Gründung des Central-Ausschusses für Innere Mission. Ein historisch-theologischer Rückblick, in: Ders., Evangelische Kirche und sozialer Staat. Diakonie im 19. und 20. Jahrhundert, hg. v. Volker Hermann, Stuttgart 2008, S. 18–30; Ders , Volksmission als gesellschaftliche Sinnstiftung. Der kulturelle Formierungsanspruch der Inneren Mission, in: ebd., S. 31–43, und besonders Przyrembel, Verbote und Geheimnisse. Graf, Wiederkehr der Götter, 73. Alexandra Przyrembel, Der Missionar Johann Hinrich Wichern, die Sünde und das unabänderliche Elend der städtischen Unterschichten um 1850, in: WerkstattGeschichte 57 (2011), S. 53–67, beschreibt dies sehr eindrücklich. Hugh McLeod, Being a Christian in the Early Twentieth Century, in: Ders. (Hg.), The Cambridge History of Christianity. Bd. 9: World Christianities c. 1914 – c. 2000, Cambridge 2006, S. 15–26, 21, bzw. Ders , Secularisation in Western Europe, 1848–1914, New York 2000, 193. Lucian Hölscher, Datenatlas zur religiösen Geographie im protestantischen Deutschland. Von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Zweiten Weltkrieg, Berlin/New York 2001, trägt diese Statistiken zusammen. Diese Statistiken sind ohne Zweifel wichtige sozialgeschichtliche Quellen, deren Erkenntnispotenzial für mentalitätsgeschichtliche Fragestellungen nach einer eventuell nachlassenden Prägekraft des Christentums aber zurecht infrage gestellt wurde. Graf, Wiederkehr der Götter, 84. So betont beispielsweise McLeod, Secularisation, 7, dass der Kirchenbesuch in Westeuropa zwar signifikant abnahm, dass aber dennoch die Mehrheit der Bevölkerung weiterhin Sonntagsschulen
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aber nicht bei den „Elenden“ in den Großstädten beklagt, sondern schien auch die ländliche Bevölkerung zu bedrohen. Zahlreiche Konzepte, teilweise als Pendant zur in den Städten aktiven Inneren Mission, wurden entwickelt und debattiert, um auch das „Landvolk“ zu rechristianisieren und zur inneren Umkehr anzuhalten. Ein Beispiel ist dafür die von dem Praktischen Theologen Paul Drews entwickelte Religiöse Volkskunde, deren Anliegen es war, die Distanz akademisch ausgebildeter Pfarrer zu ihren Landgemeinden zu verringern und in deren „Seelenleben“ einzudringen.22 In der zu der Bewegung gehörenden Zeitschrift Die Dorfkirche wurden nicht nur von den Beiträgern, zu denen auch Missionare der Äußeren Mission gehörten, über Heimatpflege und die Integration ländlicher Sitten und Bräuche in das Gemeindeleben diskutiert, sondern auch die Unzulänglichkeiten bäuerlicher Frömmigkeit23 beklagt oder über Innere Mission auf dem Lande nachgedacht. Gerade weil Religion als Konstituens einer funktionierenden Gesellschaft begriffen und als solches mit einem geordneten Staatswesen und sittlichem Verhalten gleichermaßen verbunden wurde, erhielt das Thema eine solch immense Aufmerksamkeit.24 Die Frage nach der Zukunft der Religion, wie sie um 1900 breit debattiert wurde, wurde deswegen als eine Frage nach der Zukunft von Kultur überhaupt wahrgenommen.25 Faktisch war es gerade die mediale Präsenz dieser „Krise“ in den verschiedenen Publikationen der Inneren Mission, in den Tageszeitungen und in öffentlich geführten Auseinandersetzungen um Theologie, die diese „Krise“ erheblich vergrößerte, wenn nicht sogar erst erschuf. Das mit der Krise verbundene Bedrohungspotenzial blieb dabei insofern nicht folgenlos, als es nicht nur zur Mitarbeit in den lokalen Initiativen der Inneren Mission aufrief und eine stetige Selbstermächtigung der bereits Tätigen lieferte, es wurde auch zum Anlass genommen, über Reformen und eine grundlegende Umgestaltung der Gesellschaft nachzudenken.26
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oder Katechismusunterweisungen besuchte, Eheschließungen weiterhin in der Mehrzahl in der Kirche stattfanden und auch die Kirche als moralische Instanz weiterhin bedeutsam blieb. Angela Treiber, Volkskunde und evangelische Theologie. Die Dorfkirchenbewegung 1907–1945, Köln/Weimar/Wien 2004, stellt heraus, dass diese Bewegung eine Reaktion auf die tiefgehenden Verunsicherungen durch die Moderne war. Rudolf Herrmann, Zur Frage der bäuerlichen Frömmigkeit, in: Die Dorfkirche. Monatsschrift für Kirche und Volkstum 1 (1907), S. 276–280. Graf, Wiederkehr der Götter, 75. Ebd., 133. So übernahmen um die Jahrhundertwende auch die fortschrittsoptimistischeren Theologen um den Deutschen Protestantenverein herum Argumente konservativer Kulturkritik und auch Ernst Troeltsch sprach von einer „schweren Religionskrisis“. Ebd., 156. Bereits vor der Jahrhundertwende wurden von führenden Lutheranern, wie Reinhold Seeberg, Ansätze zu einer Ethik entwickelt, die auf eine umfassende Umgestaltung gesamtgesellschaftlicher Konzepte drangen. Reinhold Seeberg, lutherischer systematischer Theologe, war zunächst in Erfurt, dann in Berlin tätig, wo er zum Leiter der Evangelisch-Sozialen-Konferenz nach der Affäre um Stoeckers „Scheiterhaufenbrief “ wurde. Zu Seeberg siehe Stefan Dietzel, Reinhold Seeberg als Ethiker des Sozialprotestantismus, Göttingen 2013.
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1.1.2 Die Krise im Umfeld der sächsischen Landeskirche Die protestantischen Kirchen waren im Kaiserreich gespalten. Die verschiedenen Landeskirchen bildeten nicht nur die territoriale Zersplitterung des deutschen Protestantismus,27 sondern auch dessen unterschiedliche Bekenntnisstände ab. Zwar waren solche Landeskirchen, die dem Vorbild Preußens in die Union gefolgt waren, in der Mehrzahl, es gab aber auch weiterhin rein reformierte und vor allem rein lutherische Landeskirchen, die sich dem Unionsgedanken auch aus politischen Gründen nicht beugen wollten oder in denen die Anzahl der reformierten Gemeinden entweder zu gering oder die regionale Verteilung zu wenig durchmischt war, als dass ein uniertes Bekenntnis sinnvoll oder notwendig gewesen wäre.28 Hinzu kam, dass nicht nur innerhalb der Union weiterhin um Bekenntnisstände gerungen wurde, sondern dass neben diesen konfessionellen Konflikten gleichzeitig Konflikte um Kirchenverfassung, Gemeindebeteiligung oder die generelle theologie- beziehungsweise kirchen-politische Stellung in allen Landeskirchen beziehungsweise deren Synoden ausgefochten wurden. Der Prozess der Entflechtung von staatlichen Institutionen, das Ringen um eine stärkere kirchliche Selbstverwaltung oder die Beteiligung der Gläubigen an kirchlichen Entscheidungsprozessen dauerte nicht zuletzt aufgrund dieser unterschiedlichen Gemengelagen und Interessen in den meisten Fällen bis 1918 an, und dies auch in solchen Fällen, in denen die Oberaufsicht über kirchliche Angelegenheiten schon vor der französischen Besetzung nicht mehr in den Händen des Monarchen gelegen hatte. In der Sächsischen Landeskirche war diese bereits 1697, als August der Starke zum Katholizismus übergetreten war, auf einen Geheimen Rat beziehungsweise die Minister „in evangelicis“ übergegangen. Erst 1868 aber trat eine neue Kirchenvorstands- und Synodalordnung für die evangelisch-lutherische Landeskirche in Kraft, deren Gebiet seit dem Verlust größerer Landstriche des Königsreichs Sachsen an Preußen29 deutlich verkleinert war. Die erste Landessynode versammelte sich 1871; 1873 übernahm ein Landeskonsistorium die administrative Leitung der Kirche, die aber dennoch dem Kultusministerium weiterhin unterstand. Parallel zu dieser Entwicklung hatte sich innerhalb der Landeskirche, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch vom Rationalismus beeinflusst gewesen war und in deren Gebiet es in der Oberlausitz um Herrnhut ebenfalls pietistische beziehungsweise erweckte Strömungen gab, das sogenannte „Neuluthertum“, also eine an der Reformation orientierte Auslegung des Luthertums,
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Der Zuschnitt der einzelnen Landeskirchen entsprach in weiten Teilen dem regionalen Zuschnitt der Bundesstaaten bzw. – in Preußen – den Provinzen, berücksichtigte aber auch regionale Unterschiede und konfessionelle Differenzen. In der sächsischen Landeskirche waren im Jahr 1900 von 4,2 Millionen Einwohnern 3,9 Millionen evangelisch-lutherisch. Diese Gebiete gehörten fortan zur Kirchenprovinz Sachsen.
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durchgesetzt; dies gehörte fortan zum Selbstverständnis der Kirchenleitung und der Mehrheit der Pfarrschaft.30 Ebenso wie in anderen Landeskirchen hatten sich in Sachsen spätestens seit der Mitte des 19. Jahrhunderts zahlreiche Initiativen und Verbände gegründet, die sich der Wiederbelebung des Religiösen, der Unterstützung Armer und Kranker und der Bibelverbreitung widmeten und damit der auch in der Sächsischen Landeskirche scheinbar bestehenden Dechristianisierungstendenz begegnen wollten. Zur Gründung eines Landesvereins für Innere Mission im Königreich Sachsen, in dem sich die verschiedenen Vorstände der Vereine und Einrichtungen zusammenschlossen und koordinierten, war es allerdings erst zwanzig Jahre nach der Wichernschen Initiative gekommen, was vor allem an der konfessionellen Stellung des im unierten Berlin beheimateten Centralausschusses lag.31 Denn die Notwendigkeit zur Inneren Mission schien auch in Sachsen vorhanden: Das Volksblatt der lutherischen Landeskirche, der Pilger aus Sachsen, brachte über seinen gesamten Erscheinungszeitraum immer wieder Beschreibungen der Krise. Die im Landtag debattierte Abschaffung des Epiphaniasfestes als Feiertag, „damit dieser Tag der Industrie nicht ferner verloren ginge“, wurde dann beispielsweise zum Ausgangspunkt genommen, um über die große Anzahl an „Namenschristen“ zu klagen: „Oberflächlichkeit, Aeußerlichkeit, Vergnügungssucht, Sinnenlust, das ist’s, was sie in ihrem ganzen Leben treibt, was ihr ganzes Streben erfüllt.“32 Georg Rietschel, der in Leipzig lehrende Liturgiewissenschaftler, rief zu „Einkehr“ und „Umkehr“ auf, die sich vor allem in der durch das Abendmahl konstituierten christlichen Gemeinschaft zeige. In einem Artikel über die Dorfkinder in der Großstadt wurde diese als „Sündenpfuhl“ beschrieben, in der die Jugend, die meist ohnehin keine Arbeit fände, auf die schiefe Bahn gerate: „Im besten Falle ist die Jugend doch nur das frische Blut, das den Großstädten zugeführt wird. Denn die physischen Kräfte der Großstadtbewohner sind in stetem Schwinden begriffen. Zum ‚Kulturdünger‘ ist unsere ländliche und dörfliche Jugend doch zu gut. Darum warnen auch wir unsere liebe Jugend vor dem leichtsinnigen Zuzug in die Großstadt und bitten alle Freunde der Jugend: Eltern, Geistliche, Lehrer, Arbeitgeber, alles zu tun, daß
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Gerhard Graf / Markus Hein, Kleine Kirchengeschichte Sachsens, Leipzig 2007, 40. Peggy Renger-Berka, Zwischen Erweckungsbewegung und Neuluthertum. Das Dresdner Diakonissenhaus in den ersten 30 Jahren seines Bestehens, in: Dies. u. a. (Hg.), Diakonissen – Unternehmer – Pfarrer. Sozialer Protestantismus in Mitteldeutschland im 19. Jahrhundert, Leipzig 2009, S. 35–46, 39. Dies war auch der Grund, warum dem Centralausschuss für Innere Mission innerhalb der hannoverschen Landeskirche mit Misstrauen begegnet worden war. Hans Otte, „More Churches – More Churchgoers“. The Lutheran Church in Hanover between 1850 and 1914, in: Hugh McLeod (Hg.), European Religion in the Age of Great Cities 1830–1930, London/New York 1995, S. 90–118, 96. Georg Rietschel, Erster Sonntag nach der Erscheinung. Römer 12, 1–8, Lied 410: Mein Gott, das Herz ich bringe dir usw., in: Der Pilger aus Sachsen 76 (1910), S. 9–10, 9.
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unsere Jugend in dem großstädtischen Wirrwarr nicht körperlich und moralisch zugrunde gerichtet werden.“33
Zur Stärkung seiner Leserschaft empfahl das Blatt dezidiert Literatur: So wurden die Leserinnen und Leser beispielsweise auf eine Studie aufmerksam gemacht, die „als ein kräftig Rezeptbuch gegen allerlei Krankheit des kirchlichen Sinnes“ frage, „Sind wir noch Christen“, und dabei vor allem denen Mut mache, die noch „mit Ernst Christ sein“ wollten.34 Ein Zentrum der Inneren Mission innerhalb der evangelisch-lutherischen Sächsischen Landeskirche war die im 19. Jahrhundert boomende Messe- und Universitätsstadt Leipzig.35 Religiös und konfessionell war die Stadt relativ homogen.36 Fast 95 Prozent der Einwohner waren lutherischen Glaubens.37 Wie in anderen Industriestädten auch, war die Bevölkerungszahl in der Stadt bis zum Ende des 19. Jahrhunderts massiv angestiegen.38 Im Laufe des 19. Jahrhunderts hatte sich die Stadt von etwa 30.000 auf weit über eine halbe Million Einwohnerinnen und Einwohner vergrößert.39 Die städ-
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Dorfkinder in der Großstadt, in: Der Pilger aus Sachsen 76 (1910), S. 132. Bücherbericht, in: Der Pilger aus Sachsen 76 (1910), S. 41. Leipzig wurde in den letzten Jahren häufig auch als „Kolonialmetropole“ betrachtet. Zu der Präsenz vom Kolonialen bspw. in den zahlreichen Völkerschauen in Leipzig, der Universität und der Messe siehe die Beiträge in Claus Deimel (Hg.), Auf der Suche nach Vielfalt. Ethnographie und Geographie in Leipzig, Leipzig 2009. Jochen Lingelbach, War da was? Spuren des Kolonialismus in Leipzig, in: Ulrich van der Heyden / Joachim Zeller (Hg.), Kolonialismus hierzulande, Erfurt 2007, S. 53–60. Zum Leipziger Zoo Theresa George, Lebende Bilder. Mythen „fremder“ Kulturen im Leipziger Zoo heute, Magisterarbeit, Universität Leipzig 2012. Zur Aufarbeitung der Leipziger Kolonialgeschichte gibt es außerdem seit einigen Jahren eine Initiative des Vereins „Engagierte Wissenschaft e. v.“: http://www.leipzig-postkolonial.de/index.html (zuletzt eingesehen: 31.3.2020). Martin Hein, Auf dem Weg zur lutherischen Großstadtkirche. Wandel von Kirche in Leipzig im 19. Jahrhundert, in: Enno Bünz / Armin Kohnle (Hg.), Das religiöse Leipzig. Stadt und Glauben vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Leipzig 2013, S. 307–324, 308–309. Henry Zimmermann, Von Sonderwegen und Sonderlingen. Religiöse Devianz und ihre Akteure, in: Dirk Schuster / Martin Bamert (Hg.), Religiöse Devianz in Leipzig. Monisten, Völkische, Freimaurer und gesellschaftliche Debatten. Das Wirken religiös devianter Gruppierungen im Leipzig des 20. Jahrhunderts, Stuttgart 2012, S. 9–39, untersucht verschiedene Gruppen im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. Einen Blick auf das religiöse Leben der Stadt in einer longue durée-Perspektive wirft der Tagungsband Enno Bünz / Armin Kohnle (Hg.), Das religiöse Leipzig. Stadt und Glauben vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Leipzig 2013. Frauke Gränitz, Daten und Fakten zur Leipziger Stadtgeschichte, Leipzig 2013, 349. Diese starke Stellung der Landeskirche bestand trotz eines katholischen Königshauses und zeigte sich auch in der konfessionellen Zusammensetzung der Leipziger Universität. Siegfried Hoyer, Kleine Geschichte der Leipziger Studentenschaft. 1409–1989, Leipzig 2010, 149. Nikola Schmutzler, Innere Mission in Leipzig, in: Enno Bünz / Armin Kohnle (Hg.), Das religiöse Leipzig. Stadt und Glauben vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Leipzig 2013, S. 389–412, 392. Hein, Großstadtkirche, 323. Zur Herausforderung und Veränderung von Kirchen und Religion im Zeitalter der Urbanisierung siehe den Sammelband Hugh McLeod (Hg.), European Religion in the Age of Great Cities 1830–1930, London/New York 1995.
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tische Kirchenverwaltung reagierte auf diesen Zuzug, wenn auch schleppend, mit der Gründung zahlreicher neuer Gemeinden und dem Neubau von Kirchen.40 Zwischen 1884 und 1914 wurden nicht weniger als 16 Kirchen innerhalb des nun erweiterten Stadtgebietes zu Parochialkirchen erhoben und neu erbaut beziehungsweise umfassend modernisiert.41 Spätestens seit 1848 hatte sich in der Stadt zudem ein umfassendes religiöses Vereinswesen etabliert, das von Armenfürsorge, einer eigenen Bibelgesellschaft42, über Jünglingsvereine und Herbergen zur Heimat reichte.43 1869 gründete sich der Leipziger Verein für Innere Mission, der sich mit den Folgen der Industriellen Revolution und der Sozialen Frage auseinandersetzte und sich der „Förderung christlichen Lebens- und Wirkens unter der Bewohnerschaft Leipzigs im Sinne unserer evangelischlutherischen Kirche“ widmen wollte.44 1873 wurde ein Vereinshaus der Inneren Mission eröffnet und in späteren Jahren ein Diakonissenhaus gegründet.45 So verwundert es nicht, dass sich – ähnlich wie in anderen Städten – 1894 bereits 1800 Leipzigerinnen und Leipziger für die Belange der Inneren Mission engagierten. Die Vereine bildeten ein enges Netz kirchlicher Vorfeldorganisationen, die trotz ihrer freien Organisation im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts aufgrund personeller Überschneidungen und persönlicher Kontakte mehr und mehr in der kirchlichen Gemeindearbeit aufgingen oder mit dieser eng verbunden waren. Die Arbeit dieses Leipziger lutherischen Netzwerks46 bezog sich jedoch nicht nur auf die Arbeit im Inneren der Stadt. Fest eingebunden in dieses Netzwerk war auch
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So wurde bspw. die Peterskirche, ehemals in der Petersstraße in der Nähe der Universität gelegen, 1885 an einem anderen Standort neu erbaut. Die Grundsteinlegung erfolgte 1882 auf der Grundlage eines Beschlusses des Kirchenvorstandes. Angehende Leipziger Missionare gestalteten den Kindergottesdienst für die Kirchgemeinde. Zur Geschichte der Peterskirche siehe Jens Trombke, St. Petri Leipzig. Zur Geschichte der Leipziger Peterskirche und ihrer Gemeinde, Markkleeberg 2012. Hein, Großstadtkirche, 315–316. Dieses Verfahren wandten auch andere Städte an. Siehe bspw. Lucian Hölscher / Ursula Männich-Polenz, Die Sozialstruktur der Kirchengemeinden Hannovers im 19. Jahrhundert. Eine statistische Analyse, in: Jahrbuch der Gesellschaft für niedersächsische Kirchengeschichte 88 (1990), S. 159–211. Gottfried Jäger, Die Leipziger Bibelgesellschaft 1813–1913. Bericht zur Jubelfeier im Februar 1913, Leipzig 1913. Die Bibelgesellschaft gründete sich bereits 1812. Siehe dazu Schmutzler, Innere Mission, insb. 392. Paragraph 1 der Statuten des Vereins für Innere Mission Leipzig, zit. nach ebd., 393. Zur Inneren Mission in Leipzig siehe Heinrich Schumann, Innere Mission in Leipzig, 1959. Zu den Angaben siehe Hein, Großstadtkirche, 320–321. Zu diesen religiösen Netzwerken siehe prominent Habermas, Mission im 19. Jahrhundert, für einen früheren Zeitraum auch schon, v. a. in Bezug auf Herrnhut, Hermann Wellenreuther, Mission, Obrigkeit und Netzwerke. Staatliches Interesse und missionarisches Wollen vom 15. bis ins 19. Jahrhundert, in: Pietismus und Neuzeit 33 (2007), S. 193–213. Zu Netzwerksansätzen in der Geschichtswissenschaft insgesamt im Überblick Morten Reitmayer / Christian Marx, Netzwerkansätze in der Geschichtswissenschaft, in: Christian Stegbauer / Roger Häußling (Hg.), Handbuch Netzwerkforschung, Wiesbaden 2009, S. 869–880.
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die in Leipzig ansässige evangelisch-lutherische Missionsgesellschaft, die sich der Missionierung sogenannter „Heiden“ in Indien und Ostafrika widmete. Innere und Äußere Mission waren in Leipzig spätestens seit dem Umzug der Missionsgesellschaft im Jahr 1848 von Dresden nach Leipzig eng miteinander verbunden. Zahlreiche personelle Überschneidung auf allen Ebenen der verschiedenen Vereine führten zu einem intensiven Austausch.47 So schien es fast selbstverständlich, dass auch die religiöse beziehungsweise kirchliche Medienlandschaft über beide Zweige des missionarischen Engagements parallel berichtete. Der Pilger aus Sachsen erinnerte seine Leser beispielsweise regelmäßig an die Unterstützung für die Leipziger Mission, der auch die Epiphaniaskollekte der Landeskirche zugutekam.48 Das Blatt brachte regelmäßig Nachrichten aus der evangelischen Missionsbewegung, berichtete über die Weltmissionskonferenz oder über personelle Änderungen in der Leipziger Missionsgesellschaft.49 Insbesondere in der Kategorie „Aus unserer Landeskirche“ nahmen die Vereine und Verbände zur Unterstützung der Mission einen großen Raum ein, wobei die Berichte nicht selten
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So wurden z. B. auf Vereinstagen der Inneren Mission auch Helferversammlungen für die Äußere Mission veranstaltet (Aus unserer Landeskirche, in: Der Pilger aus Sachsen 77 (1911), S. 219–220, 219). Der konservative sächsische Minister und Staatsmann Detlef Graf von Einsiedel engagierte sich beispielsweise in der Sächsischen Bibelgesellschaft, wirkte aber auch lange Jahre als Vorsitzender des 1819 gegründeten Sächsischen Missionsvereins, aus dem die Initiative zur Gründung der Leipziger Mission hervorgegangen war. Heinrich Fröhlich, der als Sekretär der Bibelgesellschaft und des Missionsvereins tätig war, übernahm schließlich die Leitung des Diakonissenhauses in Dresden Renger-Berka, Erweckungsbewegung, 37–44. Eine besondere Stellung innerhalb des lutherischen Netzwerks der Sächsischen Landeskirche nahmen der prominent im Missionskollegium tätige Leipziger Theologieprofessor Christoph Ernst Luthardt und – zeitlich etwas später – der Pastor der Nikolaikirche Wilhelm Hölscher, der für die Leipziger Missionsgesellschaft als Kollegiumsmitglied eine Inspektionsreise nach Indien unternahm, ein. Schumann, Innere Mission, 15, 18–19. Graf/Hein, Kleine Kirchengeschichte Sachsens. Siehe dazu auch Kap. 1.2.1 dieser Studie. Zu einer institutionellen Verbindung der Missionarsausbildung wie im Fall der Bethel-Mission kam es aber nicht. Siehe dazu Altena, Ein Häuflein Christen, 54–55; bzw. Ders , Grenzüberschreitungen. Zum Beziehungsgeflecht von Innerer und Äußerer Mission in den Anfangsjahren der Bethel-Mission, in: Matthias Benad / Vico von Bülow (Hg.), Bethels Mission. Bd. 3: Mutterhaus, Mission und Pflege, Bielefeld 2003, S. 147–170, der zeigt, wie sehr im Falle der Bethel-Mission das personelle und ideelle Potenzial der Inneren Mission in die Äußere Mission floss. Die Gesellschaft der Evangelischen Missionsgesellschaft für Deutsch-Ostafrika war 1890 aufgrund von personellen und finanziellen Schwierigkeiten unter den Einfluss Bodelschwinghs geraten. Siehe dazu auch Ingo Stucke, Bethel-Gemeinde und Bethel-Mission. Rückwirkungen und Einflüsse der Äußeren Mission auf die diakonische „corporate identity“ Bethels 1906–1946, in: Matthias Benad / Vico von Bülow (Hg.), Bethels Mission. Bd. 3: Mutterhaus, Mission und Pflege, Bielefeld 2003, S. 171–251. Siehe z. B. die Ermahnung, seinen Anteil an der Epiphaniaskollekte ans Pfarramt zu senden, sollte man an dem entsprechenden Gottesdienst nicht teilnehmen können: Die Kollekte für die Leipziger Mission, in: Der Pilger aus Sachsen 76 (1910), S. 3. Die Erinnerung stand direkt vor einem Missionslied. Tatsächlich war die ganze Nummer hauptsächlich der (Leipziger) Mission gewidmet und brachte neben Nachrichten über Bekehrungen in Indien auch Werbung für die verschiedenen Missionsblätter der Leipziger Missionsgesellschaft sowie eine Bekehrungsgeschichte aus Moshi. Die ebenfalls in Sachsen beheimatete Herrnhuter Mission wird in dem Blatt nicht erwähnt. Siehe dazu beispielhaft Jahrgang 76 (1910) des Blattes der Pilger aus Sachsen.
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1 Mission als Ausweg aus der Krise
von Angehörigen der Missionsgesellschaft selbst verfasst worden waren.50 Die Missionsbemühungen an den „Heiden“ und an den von der Landeskirche abgefallenen „Namenchristen“ wurden damit zu gleichwertigen Initiativen,51 um die Krise der Religion, des Christentums und nicht zuletzt der Landeskirche zu überwinden, schließlich galt es, sowohl die großstädtische Masse der „Namenchristen“ durch die Innere Mission als auch die „Heiden“ durch die lutherische Äußere Mission zu retten. 1.2 Die Leipziger Missionsgesellschaft als lutherische Institution „Wir sind bisher gewohnt gewesen, in der Leipziger Mission eine Art Centralstelle für die Bestrebungen der ev.-lutherischen Kirche Europas zu sehen […]. Die Leipziger Mission, mit ihrer mehr als fünfzigjährigen Geschichte ist für die Stärkung des lutherisch-kirchlichen Bewußtseins ein wesentlicher Faktor und für die Kraft und Einheit des Glaubenslebens in den verschiedenen lutherischen Kirchenkörpern ein lautredendes Zeugnis gewesen. Wir glauben nicht, daß wohlgetan wäre, in einer Zeit, da so wie so schon das Reißen und Spalten kein Ende ist, und da man andererseits nach kirchlicher Einheit sucht auf Wegen, auf welchen Lutheraner nicht mitgehen können, das Einheitsband zu lockern oder preiszugeben, das uns in der Leipziger Mission gegeben ist.“
In diesen Worten beschrieb ein Bericht über die Heidenmission in der Allgemeinen evangelisch-lutherischen Kirchenzeitung die besondere Stellung der evangelisch-lutherischen Missionsgesellschaft zu Leipzig, vormals Dresden. Die Missionsgesellschaft lässt sich, so deutet es dieses Zitat bereits an, zeitgenössisch als die lutherische Missionsanstalt verstehen. Sie war ein zentraler Knotenpunkt des deutschen lutherischen Netzwerks, dessen Zusammenhalt maßgeblich durch die Betonung der Konfession, aber auch durch eine spezifische Auslegung von Theologie bestimmt war. Angehörige dieses lutherischen Netzwerks – Pastoren, Theologen, Missionsunterstützerinnen und -unterstützer, Engagierte in Initiativen der Inneren Mission – trafen sich auf Konferenzen, lasen Kirchenzeitschriften und Missionsblätter und fühlten sich als Teil einer größeren internationalen Gemeinschaft.
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So z. B. Martin Weishaupt, Die Heiden werden in deinem Lichte wandeln. Ein Nachklang zum Epiphaniasfest, in: Der Pilger aus Sachsen 74 (1908), S. 12. Darauf macht nicht nur die britische Forschung aufmerksam, bspw. Hall, Civilising Subjects, sondern auch die deutschsprachige. Besonders wichtig hier Habermas, Mission im 19. Jahrhundert, Przyrembel, Wichern, bzw. Dies , Verbote und Geheimnisse.
1.2 Die Leipziger Missionsgesellschaft als lutherische Institution
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1.2.1 Die Leipziger Missionsgesellschaft als lutherisches Zentrum Die evangelisch-lutherische Missionsgesellschaft zu Leipzig52 wurde 1836 als Dresdener Missionsgesellschaft gegründet. Die Gesellschaft zählt zu den acht ältesten protestantischen deutschen Missionsgesellschaften, in deren Händen sich die deutsche evangelische Missionsarbeit um 1900 maßgeblich konzentrierte, und übernahm mit der Aussendung von Missionaren nach Indien die Nachfolge der Dänisch-Halleschen Mission. Hervorgegangen aus einem Hilfsverein für die Basler Mission schien den strengen Lutheranern der Sächsischen Landeskirche die von Basel praktizierte Abendmahlsgemeinschaft unmöglich. Eine „äußerliche Union“, die „auf Kosten der Wahrheit die inneren Unterschiede“ verdecke, wurde von den sächsischen Lutheranern abgelehnt, die stattdessen das durch Bekenntnis, Auslegung, Musik und Gottesdienst hergestellte einigende Band des Luthertums betonten.53 Schnell wurde es daher ihr Ziel,
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Während die Basler Missionsgesellschaft und auch die Berliner Missionsgesellschaft in den letzten Jahren vermehrt im Fokus der (historischen) Forschung gestanden haben (siehe z. B. die wichtigen Arbeiten von Dies , Verbote und Geheimnisse; Ulrich van der Heyden, Der Missionar Alexander Merensky als Wissenschaftler, in: Rebekka Habermas / Alexandra Przyrembel (Hg.), Von Käfern, Märkten und Menschen, Göttingen 2013, S. 49–60; Judith Becker, Conversio im Wandel. Basler Missionare zwischen Europa und Südindien und die Ausbildung einer Kontaktreligiosität, 1834–1860, Göttingen 2015; Rüther, The Power Beyond, mit einem Fokus auf Hermannsburg und Berlin), trifft dies für die Leipziger Missionsgesellschaft bisher kaum zu. Bestehende Arbeiten stammen meist aus der historisch informierten theologischen Forschung. Hier insb. Nehring, Orientalismus und Mission. Zu Indien auch Liebau, Religionsunterricht. Insgesamt lässt sich feststellen, dass die Mehrzahl der Arbeiten zur Leipziger Mission sich mit ihrer Arbeit in Indien auseinandersetzen. Studien, die sich mit allen protestantischen Gesellschaften bspw. im kolonialen Umfeld beschäftigen, behandeln die Leipziger Missionsgesellschaft jeweils in einzelnen Abschnitten, zumeist aber nur am Rande, z. B. Gründer, Mission und Kolonialismus, Johanna Eggert, Missionsschulen und sozialer Wandel in Ostafrika. Der Beitrag der evangelischen Missionsgesellschaften zur Entwicklung des Schulwesens in Tanganyika 1891–1939, Bielefeld 1970; Altena, Ein Häuflein Christen; Gründer, Christliche Mission, 220–224. Zudem liegen einzelne Arbeiten vor, die sich aus der Gesellschaft heraus, mit der Institutionengeschichte der Missionsgesellschaft beschäftigen: Hermann Karsten, Die Geschichte der evangelisch-lutherischen Mission in Leipzig von ihrer Entstehung bis auf die Gegenwart dargestellt. Erster Teil, Güstrow 1893, Ders , Die Geschichte der evangelisch-lutherischen Mission in Leipzig von ihrer Entstehung bis auf die Gegenwart dargestellt. Zweiter Teil, Güstrow 1894; Moritzen, Werkzeug Gottes in der Welt; Christoph Webers, 150 Jahre Leipziger Mission, in: Die Christenlehre (1986), S. 104–106; Paul Fleisch, Hundert Jahre lutherischer Mission, Leipzig 1936; Niels-Peter Moritzen (Hg.), Rückblicke auf zwei Menschenalter Leipziger Mission. Aus Manuskripten der Direktoren, Erlangen/Hildesheim 1985. Schlegel (Hg.), 150 Jahre, ist eine Dokumentation der Feierlichkeiten im Zusammenhang mit der 150-Jahr-Feier; Die Leipziger Mission im hundertsten Jahre ihres Bestehens. 117. Jahresbericht und Bericht über die Hundertjahrfeier mit Bildbeilage, Leipzig 1936. Neueren Datums sind die Arbeiten von Grafe, One Hundred; Ders , Die Leipziger Mission und das so genannte „Dritte Reich“. Versuch einer Bestandsaufnahme, in: Georg Gremels (Hg.), Die Hermannsburger Mission und das „Dritte Reich“, Münster 2005, S. 21–33. Das Jahresfest der Leipziger Missionsgesellschaft, in: Allgemeine Evangelisch-Lutherische Kirchenzeitung 26 (1893), S. 553–555, 553. Wie wichtig das lutherische Bekenntnis für die gesamte Institution war, zeigen die Verhandlungen um das Stimmrecht des Frankfurter Vereins, nachdem
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mit der Missionsgesellschaft eine Vertretung aller Lutheraner in Missionsangelegenheiten zu werden, was auch über große Zeiträume hinweg gelang.54 Die Organisation der Leipziger Missionsgesellschaft ähnelte den Formen anderer protestantischer Missionsgesellschaften. An der Spitze der Gesellschaft stand das Missionskollegium, das sich im Falle der Leipziger Missionsgesellschaft hauptsächlich aus lokalen Geistlichen der führenden Stadtgemeinden, Angehörigen des Leipziger Bürgertums und vor allem (Theologie-) Professoren der ansässigen Universität zusammensetzte, die häufig mehrere Jahre oder Jahrzehnte ihre Ämter ausfüllten.55 Das Kollegium bestellte den Missionsdirektor, der für die alltäglichen Leitungsaufgaben zuständig war; sein Aufgabenbereich umfasste auch die Fürsorge für angehende Missionare, sodass er zumeist als Seelsorger der angehenden Missionare fungierte und so eine hierarchisch geprägte Vertrauensbeziehung etablierte.56 Wichtige Entscheidungen durfte der Direktor nur in Absprache mit dem Missionskollegium fällen. In besonders kontroversen Angelegenheiten fungierte als übergeordnetes Entscheidungsgremium die Generalversammlung, der Vertreter aller Missionsvereine, die sich als Hilfsvereine der Missionsgesellschaft verstanden, angehörten. Diesen Missionsvereinen, die regional strukturiert waren, oblagen wiederum die für die Gesellschaft lebenswichtigen Aufgaben, Spenden zu sammeln und das Interesse an Mission innerhalb der deutschen lutherischen Kirchgemeinden aufrecht zu erhalten beziehungsweise zu schüren. Protestantische Missionsgesellschaften waren von den Kirchen offiziell unabhängig. Dies brachte es mit sich, dass Konflikte und auch weitreichende Entscheidungen immer innerhalb dieser Gremien wie auch in anderen Vereinen bzw. Verbänden debattiert und damit auch protokolliert wurden.57 Ihr Aufau bildete die weitverzweigte Vernetzung der Missionsgesellschaften ab, die im Falle der Leipziger Missionsgesellschaft
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es in Frankfurt zu einer Zusammenlegung lutherischer und reformierter Gemeinden in einem Konsistorium gekommen war. Siehe dazu Kollegium der Evang -luth Mission (Hg.), Hat Frankfurt Anspruch auf Stimmrecht in der Leipziger Mission?, Leipzig 1901. K /S , Die evangelische Heidenmission im J. 1891, in: Allgemeine Evangelisch-Lutherische Kirchenzeitung 25 (1892), S. 249–251, 251. Das Missionskollegium setzte sich neben dem Missionsdirektor und anderen Angestellten der Mission aus Kirchenfunktionären, aber auch Stadtoberen und anderen Professoren der Universität zusammen. 1901 gehörten ihm neben dem Missionsdirektor von Schwartz, dem Missionssenior Handmann und dem Missionslehrer am Seminar Pastor Hofstätter Konsistorialrat Luthardt, der Pastor Wilhelm Hölscher, der Hofrat von Zahn, Bankdirektor O. Hilbert, Buchhändler A. Rost, Reichsgerichtsrat Planck und Professor Walther an. Bis heute ist ein Vertreter der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig im Missionsausschuss des Leipziger Missionswerks vertreten. https://www.lmw-mission.de/arbeitsweise.html (zuletzt eingesehen: 2.1.2018). Siehe dazu auch Tobias Eiselen, „Zur Erziehung einer zuverlässigen, wohldisziplinierten Streiterschar für den Missionskrieg“. Baseler Missionarsausbildung im 19. Jahrhundert, in: Werner Ustorf (Hg.), Mission im Kontext. Beiträge zur Sozialgeschichte der Norddeutschen Missionsgesellschaft im 19. Jahrhundert, Bremen 1986, S. 47–120; Jon Miller, Missionary Zeal and Institutional Control. Organizational Contradictions in the Basel Mission on the Gold Coast, 1828–1917, Grand Rapids, Mich. 2003. Moritzen, Werkzeug Gottes in der Welt, 20.
1.2 Die Leipziger Missionsgesellschaft als lutherische Institution
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von den Lutheranern auf dem Land bis hin zu Theologen an den Universitäten reichte und in der es eine hohe Beteiligung von Funktionären des sächsischen Kirchenregiments gab. Eine besondere, und bisher in der Forschung immer noch unterschätzte, Bedeutung kam dabei den jeweiligen Pastoren auf dem Land zu, denen bereits zeitgenössisch zugeschrieben wurde, „die berufenen Pfleger des Missionslebens“ zu sein,58 und die nicht zuletzt deswegen häufig als Vorsitzende der Missionsvereine fungierten. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts bestand bei der Leipziger Mission durch personelle Überschneidung und konfessionelle Schwerpunktsetzung so eine besondere Nähe zur Amtskirche, die sie durchaus von anderen Missionsgesellschaften unterschied. Der für die theologische Ausrichtung der Mission prägendste Direktor war der 1844 ins Amt eingeführte Karl Graul.59 Graul organisierte nicht nur den Umzug von Dresden nach Leipzig wegen der Nähe zur dortigen theologischen Fakultät,60 er bestimmte auch den wesentlichen missionstheologischen Ansatz der Gesellschaft. Mission war für Graul „der apostolische Weg von der Kirche zur Kirche“61. Ziel der Mission sollte daher immer eine Volkschristianisierung sein; die Bekehrung Einzelner sollte nur den Ausgangspunkt bilden.62 Damit unterschied sich sein Ansatz maßgeblich von älteren Ansätzen wie beispielsweise dem Zinzendorfs, die auf die Bekehrung Einzelner statt auf Volkschristianisierung zielten. Der kirchliche Charakter der Mission äußere sich nach Graul nicht in der Übernahme der Mission von der Kirche, sondern vielmehr in dem kirchlichen Bekenntnis, das bei Graul im Zentrum der missionarischen Verkündigung stand: Das Bewusstsein eines richtigen Bekenntnisses müsse einerseits dazu führen, dass die Kirche keine Missionare zuließe, die sich nicht an dieses Bekenntnis hielten, andererseits müssten sich aber Missionare eben dieses kirchlichen Bekenntnisses bewusst sein, um heilige Handlungen, wie Taufen oder das Abendmahl, richtig erklären und aus-
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Julius Richter, Die Organisation des heimatlichen Missionswesens. Referat auf der Brandenburgischen Missionskonferenz am 11. April 1904 in Berlin, Berlin 1904, 3. Siehe zur Bedeutung der Pastoren auch Wetjen, Das Globale im Lokalen. Diese Bedeutung wurde bereits zeitgenössisch erkannt: G Hermann, Dr. Karl Graul und seine Bedeutung für die lutherische Mission, in: Missionsnachrichten der Ostindischen Mission zu Halle 18 (1867), S. 1–234. Krügel untersucht den Wandel des Graul-Bildes und geht insbesondere auf die Rezeption Grauls in der „Warneckschen Ära“ ein. Krügel, Hundert Jahre. Karsten, Geschichte, 167. Die Leipziger Universität war im 19. Jahrhundert eine der aufstrebenden und angesehensten Universitäten im deutschen Reich. Jonas Flöter, Leipziger Universitätsgeschichte. 600 Jahre Alma mater Lipsiensis, Leipzig 2009, 101; zur theologischen Fakultät im 19. Jahrhundert, ebd., 112–116. Prägend wirkte in Leipzig v. a. einer der Begründer der neulutherischen Erlanger Theologie, Adolf Harleß. Auch dessen Nachfolger, insbesondere Karl Friedrich August Kahnis, Franz Delitzsch und Christoph Ernst Luthardt, setzten diese Tradition fort. Der Kirchenhistoriker Adolf von Harnack wurde beispielsweise in Leipzig ausgebildet. Kasdorf, Warnecks Erbe, 69. Siehe dazu auch Karl Graul, Vorwärts oder Rückwärts? Die evangelisch-lutherische Mission zu Dresden an die evangelisch-lutherische Kirche aller Lande. Offene Erklärung und dringende Mahnung, Leipzig 1845, 11. Moritzen, Werkzeug Gottes in der Welt, 23.
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führen zu können.63 In den allgemeinen Grundsätzen der Gesellschaft, wie sie 1851 im Evangelisch-lutherischen Missionsblatt, der Missionszeitschrift der Gesellschaft, veröffentlicht worden waren, betonte man das lutherische Bekenntnis dementsprechend rigoros: „Unser kirchliches Bekenntnis ist der königliche Weg der Wahrheit, auf welchem unsere Missionare die lautre Mitte zu halten haben zwischen der römischen Missionspraxis einerseits, welche zur Erlangung ihres höchsten Zieles, der Zahlvermehrung ihrer Kirchglieder, neben und über einfache Heilspredigt auch die Mittel einer die Sinne blendenden Cultuspracht und reichlicher die Armuth anlockender Barmherzigkeit aufietet – und den Irrthümern und Mißbräuchen der verschiedenen Missionsgesellschaften Reformierten Bekenntnisses auf der anderen Seite, namentlich der Baptistischen Geringschätzung des Taufsacraments und der ungestümen Bekehrungswirksamkeit der Methodisten, wie nicht minder der weltförmig bequemen Repräsentationssucht der Englischen-Bischöflichen Kirche.“64
Diese konfessionelle Ausrichtung der Gesellschaft prägten auch nach dem Tode Grauls der Missionsdirektor und einzelne Kollegiumsmitglieder, die häufig entweder Theologieprofessoren der Leipziger Universität waren oder als Konsistorialmitglieder leitende Funktionen innerhalb der lutherischen Landeskirche innehatten. Formend für die ersten Jahre neben Graul wirkte vor allem Ernst Christoph Luthardt, der als Herausgeber der Allgemeinen evangelisch-lutherischen Kirchenzeitung65 und als Konsistorialrat, einer der führenden Lutheraner im Kaiserreich war und im Kollegium der Missionsgesellschaft eine einflussreiche Rolle einnahm.66 Da sich Luthardt gleichzeitig für Belange der Inneren Mission engagierte und auch in der Sächsischen Landeskirche wichtige Funktionen übernahm, kam ihm eine Vermittlerposition zu, die Missions-
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Graul, Vorwärts oder Rückwärts?, 13. Allgemeine Grundsätze der Evangelisch-Lutherischen Mission zu Leipzig, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1851), S. 357–358. Die Allgemeine Evangelisch-Lutherische Kirchenzeitung war das auflagenstärkste und einflussreichste lutherische Medium. Vgl. Dietzel, Seeberg als Ethiker, 101. Die Zeitschrift, ebenso wie die von ihm gegründete Allgemeine lutherische Konferenz, entstand als kirchenpolitische Antwort auf die durch die Vormacht Preußens entstehende Dominanz der unierten Konfession. Reiner Anselm, Lutherische Leitkultur. Kirche und Gesellschaft in der Sicht des konservativen Kulturluthertums im Kaiserreich, in: Albrecht Grözinger u. a. (Hg.), Protestantische Kirche und moderne Gesellschaft, Zürich 2003, S. 169–189, 170. Siehe dazu auch die Quellenedition Gerhard Besier (Hg.), Neulutherische Kirchenpolitik im Zeitalter Bismarcks, Gütersloh 1982. Luthardt war mehrere Jahre Dekan der Theologischen Fakultät, 1880/1881 Rektor der Universität. Er war Gründer und Redakteur der Allgemeinen Evangelisch-Lutherischen Kirchenzeitung, Herausgeber der Zeitschrift für kirchliche Wissenschaft und kirchliches Leben und des Theologischen Literaturblattes. 1868 begründete Luthardt die Allgemeine Evangelisch-lutherische Konferenz mit. Martin Hein / Helmar Junghans (Hg.), Die Professoren und Dozenten der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig von 1409 bis 2009, Leipzig 2009, 239. Zur Biografie Luthardts siehe auch Rieske-Braun, Zwei-Bereiche-Lehre, 131–134. Luthardt schied 1901 nach 44 Jahren, in denen er 28 Jahre als Protokollführer fungiert hatte, aus Altersgründen aus dem Missionskollegium aus.
1.2 Die Leipziger Missionsgesellschaft als lutherische Institution
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gesellschaft, Landeskirche und lutherisches Netzwerk miteinander verband.67 Immer wieder trat Luthardt für die Einheit der lutherischen Kirche ein.68 Die Leipziger Missionsgesellschaft wurde nicht zuletzt wegen Luthardts Engagement als „Centralstelle für die Bestrebungen der ev.-lutherischen Kirche Europas“ angesehen – ein Anspruch, den bereits Graul offensiv formuliert hatte.69 Als solche erhielt die Gesellschaft nicht nur Spenden aus lutherischen Gebieten im Deutschen Kaiserreich, sondern auch aus Skandinavien und lutherischen Gebieten Russlands.70 Trotz dieser größeren Strahlkraft kamen die meisten Spenden aber aus dem Gebiet der Sächsischen Landeskirche. „Missionsfreunde“, Unterstützerinnen und Unterstützer der Mission, arbeiteten im Sächsischen Hauptmissionsverein71 mit, der – ansässig in Dresden – die verschiedenen Angebote, das Interesse an Mission zu wecken und aufrechtzuerhalten, koordinierte und von dem maßgebliche Initiativen ausgingen, wie die Mission weiter unterstützt werden könnte. Innerhalb der Sächsischen Landeskirche schlossen sich 1889 „Missionsfreunde“ zusätzlich zur „Sächsischen Missionskonferenz“ zusammen, die sich – anders als der Missionsverein – hauptsächlich an Theologen und Pfarrer beziehungsweise (Theologie-)Studenten richtete. Neben den eigentlichen Missionsvereinen etablierten sich bis zum Ersten Weltkrieg und darüber hinaus noch weitere Vereinigungen, wie Frauenmissionsvereine, Vereinigungen für ärztliche Mission und Lehrermissionsbünde.72 All diese Verbände und Initiativen tru-
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Zur Ethik Luthardts und seiner Missionstheologie siehe Dörfler-Dierken, Luthertum, Rieske-Braun, Zwei-Bereiche-Lehre, 130–164. Ebd., 152. Altena, Ein Häuflein Christen, 19 und Anm. 38. Dieser Anspruch wurde auch auf der Hundertjahrfeier noch offensiv formuliert. So begann der damalige Leipziger Missionsdirektor Carl Heinrich Ihmels den ersten Abschnitt seines Berichts: „Als erste Tatsache dürfen wir dann aber feststellen: die Leipziger Mission ist Mission der lutherischen Kirche“ [Hervorhebung i. O., K. W.]. Leipziger Mission im hundersten Jahre, 1. K /S , Die evangelische Heidenmission im J. 1891, 251. Der Hauptmissionsverein war damit eine der wichtigsten Institutionen innerhalb der Organisation des Leipziger Missionswerks. Der Hauptmissionsverein vereinigte unter seinem Dach die verschiedenen Missionsvereine im Gebiet der Sächsischen Landeskirche. Der Jahresbericht des Hauptmissionsvereins gibt dementsprechend auch keine Mitgliederzahlen an, sondern verweist nur auf eingegangene Mittel aus den einzelnen Ephoral- bzw. Parochialmissionsvereinen, denen aber wohl häufig ebenfalls ein Pastor vorstand, so z. B. in Leipzig-Stadt der Pastor der Nikolaikirche Wilhelm Hölscher, der ja ebenfalls Kollegiumsmitglied war. Der engere (Präsidium) und weitere Vorstand (Komité) war von Angehörigen des sächsischen, zumeist des Dresdener Bürgertums und Adels besetzt. Pastoren und Superintendenten, die häufig auch Oberkonsistorialräte waren, engagierten sich ebenso in der Leitung wie Gymnasialdirektoren, Seminarleiter, ehemalige Missionare, Medizinalräte, Buchhändler oder Beamte. Otto Graf Vitzthum von Eckstädt, Hauptmann a. D., war bspw. mehrere Jahre Präsident des Missionsvereins. Für seine Tätigkeit als Präsident der Landessynode und Begründer des Sächsischen Schulvereins erhielt er eine Ehrendoktorwürde der Theologie. 1909 wurde er außerdem zum Wirklichen Geheimen Rat ernannt. Eine Liste der Vorstandsmitglieder wurde jeweils im Jahresbericht des Hauptmissionsvereins abgedruckt. Zu Letzterem siehe Karolin Wetjen, Religionspädagogische Resonanzen und die Mission. „Christianity Making“ im missionarischen Bildungsraum am Ende des 19. Jahrhunderts, in: David Kä-
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1 Mission als Ausweg aus der Krise
gen dazu bei, nicht nur die Missionsgesellschaft institutionell und finanziell zu unterhalten und zu festigen, sie waren es auch, die ein enges, nicht in seinem Einfluss zu unterschätzendes Netz um die Gesellschaft bildeten. Doch die Gesellschaft war nicht nur Teil von Netzwerken innerhalb der Sächsischen Landeskirche und Zentrum eines Unterstützernetzwerks, sondern verfügte auch über ausgezeichnete Kontakte innerhalb der protestantischen Missionsbewegung. Vertreter der Gesellschaft nahmen teil an den großen nationalen und internationalen Konferenzen zu Missionsthemen. Bereits seit Beginn der Missionsarbeit hatte sich bei den einzelnen Gesellschaften die Überzeugung herausgebildet, „Teil einer bereits existierenden, weltweiten und staatenübergreifenden Missionsbewegung zu sein“, die im Übrigen eine historische Kontinuität bis zur Dänisch-Halleschen Mission aufweise.73 Für die Leipziger Missionsgesellschaft, die wegen der Übernahme der Station Tranquebar noch mehr als andere Gesellschaften für sich reklamierte, die Nachfolgeinstitution dieser Gesellschaft zu sein, galt dies im besonderen Maße. Die Gesellschaft kann damit zur „protestantischen Internationalen“ gezählt werden, wie sie Christopher Clark und andere beschreiben.74 Leipziger Missionare korrespondierten trotz ihrer dezidierten konfessionellen Ausrichtung mit allen deutschen Missionsgesellschaften und bezogen auch im Missionsgebiet Missionsblätter anderer Missionsgesellschaften.75 Das hierdurch entstehende Gemeinschaftsgefühl ebenso wie den Wissensaustausch illustriert beispielsweise ein Vortrag des Leipziger Missionars Schachschneider auf dem Kolonialkongress 1910, der die Bemühungen der Mission insgesamt einem kolonialen Publikum vorführte.76 Die Vernetzung der Missionsgesellschaften untereinander war dabei so eng, dass sobald der enge Kreis der Mission verlassen wurde, die Homogenität der protestantischen Mission, häufig in Abgrenzung zur katholischen Mission, unterstrichen wurde.
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bisch / Michael Wermke (Hg.), Transnationale Grenzgänge und Kulturkontakte. Historische Fallbeispiele in religionspädagogischer Perspektive, Leipzig 2017, S. 23–38. Zum „Hinterland“ der Missionsgesellschaft siehe Paul, Das Hinterland unserer Missionsgesellschaft, und zu den Missionsvereinen und Initiativen auch Wetjen, Das Globale im Lokalen. Bernd Holtwick, Licht und Schatten. Begründungen und Zielsetzungen des protestantisch missionarischen Aufruchs im frühen 19. Jahrhundert, in: Artur Bogner u. a. (Hg.), Weltmission und religiöse Organisationen. Protestantische Missionsgesellschaften im 19. und 20. Jahrhundert, Würzburg 2004, S. 225–248, 243. Christopher Clark / Michael Ledger-Lomas, The Protestant International, in: Abigail Green / Vincent Viaene (Hg.), Religious Internationals in the Modern World. Globalization and Faith Communities Since 1750, Basingstoke/New York 2012, S. 23–52; Edward E Andrews, Charting the Protestant International in the British Atlantic and Beyond, in: The William and Mary Quarterly 74 (2017), S. 3–34. Die Diakonisse Berta Schulz erhielt beispielsweise den Nyassaboten, das Blatt für die Frauenmission der Berliner Mission, ebenso wie das Blatt der Bethelmission. Aus Briefen von Schwester Berta Schulz, 40, ALMW II.32.541. Martin Schachschneider, Wirtschaftliche Erziehung der Eingeborenen durch die Missionen, in: Redaktionsausschuss (Hg.), Verhandlungen des Deutschen Kolonialkongresses 1910 zu Berlin am 6., 7. und 8. Oktober 1910, Berlin 1910, S. 694–704. Siehe dazu Kap. 2.2.2 dieser Studie.
1.2 Die Leipziger Missionsgesellschaft als lutherische Institution
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Zu der Vernetzung trugen zudem persönliche Kontakte zwischen den Angehörigen der verschiedenen protestantischen Missionsgesellschaften bei. Besuche von Vertreterinnen und Vertretern anderer Missionsgesellschaften waren nicht selten. So visitierte beispielsweise der Berliner Missionsinspektor Axenfeld bei seiner Afrikareise das Gebiet der Leipziger Missionsgesellschaft und predigte dort im April 1912.77 Den Missionaren ebenso wie den für die Gesellschaft tätigen Diakonissen war es möglich, andere Missionen zu besuchen. Berta Schulz beispielsweise plante für ihre Ferien eine Reise ins Usambara-Gebirge, um die dortige Mission „aus eigener Anschauung“ kennen zu lernen.78 Die Reise, die im Oktober 1912 stattfand, führte sie auch über Tanga, wo sie unter anderem die Missionsstation der Bielefelder Mission besuchte und Regierungsschulen besichtigte.79 Persönliche Kontakte zwischen Missionaren auch unterschiedlicher Missionsgesellschaften bestanden schließlich häufig schon vor dem Eintritt in den Missionsdienst. Zahlreiche Missionare hatten sich beispielsweise in Jünglingsvereinen oder während ihres Studiums im Wingolf engagiert, wo sie auch mit anderen späteren Vertretern der Inneren Mission zusammengetroffen waren.80 Trotz aller Zusammenarbeit gab es innerhalb dieser „protestantischen Internationalen“ aber durchaus auch Konflikte und Abgrenzungsstreitigkeiten. Die „Ekelschranken“81 innerhalb des deutschen Protestantismus wurden vor allem dann deutlich, wenn es um eine allzu „liberale“ Theologie, wie im Fall des Protestantenvereins, um eine allzu nationale Ausrichtung, wie bei der Evangelischen Missionsanstalt für Deutsch Ostafrika, oder um einen konkreten Angriff auf das eigene Missionsgebiet, wie bei der Mission der Siebentageadventisten in Tanganyika, ging. Ins Abseits geraten war die Gesellschaft während des Kastenstreit in Indien82, als die Leipziger Mission sich unter der Ägide Grauls entgegen der Auffassung der anderen Missionen für eine Duldung der Kaste als Adiaphoron ausgesprochen hatte.83 Aber auch auf die Gründung der Hermannsburger Missionsgesellschaft, die als ebenfalls lutherische Missionsgesellschaft der Leipziger den Rang abzulaufen drohte, reagierte der damalige Direktor Graul ablehnend – und dies, obwohl die Harms’sche Gründung finanziell letztlich mehr der Norddeutschen als der Leipziger Mission schadete.84
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Aus Briefen von Schwester Berta Schulz, 37, ALMW II.32.541. Ebd., 40. Ebd., 43. Altena deutet dies mit Verweis auf ein unveröffentlichtes Mitgliederverzeichnis des Wingolfs an. Altena, Ein Häuflein Christen, 266–267, insbesondere Anm. 426. So die Interpretation von Gangolf Hübinger, Kulturprotestantismus und Politik zum Verhältnis von Liberalismus und Protestantismus im wilhelminischen Deutschland, Tübingen 1994. Zum Kastenstreit siehe Nehring, Orientalismus und Mission, 110–117, sowie Kap. 2.1.2 dieser Studie. Siehe dazu Kap. 2.1.2 dieser Studie. Fleisch, Hundert Jahre, 42–44.
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1 Mission als Ausweg aus der Krise
1.2.2 Missionare als Theologen Die Betonung der lutherischen Konfession und des missionsmethodischen bzw. -theoretischen Ansatzes bestimmte die Auswahl und Ausbildung der Missionare. Der Tradition der Dänisch-Halleschen Missionsgesellschaft und den Prinzipien Grauls folgend versuchte die Leipziger Mission, hauptsächlich Volltheologen, also an der Universität ausgebildete Theologen, für den Missionsdienst zu gewinnen. Dies unterschied sie von den meisten anderen, insbesondere älteren Missionswerken, die häufig eher auf Handwerker aus pietistischen oder erweckten Kreisen zurückgriffen wie beispielsweise die Herrnhuter Brüdergemeine oder die Basler Mission. Der Leipziger Missionsgesellschaft hing deswegen nicht nur in den pietistischen Kreisen Württembergs das Etikett der „Leipziger Herrenmission“ oder der „Gelehrtenmission“ an.85 Zwischen 1893 und 1914 waren immerhin sieben Volltheologen in das als „anspruchsloser“ geltende Missionsgebiet nach Deutsch-Ostafrika abgeordnet worden – ein überproportional hoher Anteil von Theologen im Vergleich zu den anderen in Afrika tätigen Missionsgesellschaften. So hatte beispielsweise keiner der Missionare der anderen in Sachsen beheimateten Missionsgesellschaft, der Herrnhuter Brüdergemeine, einen Volltheologen zum Vater, wie Thorsten Altena in einer Sozialstatistik der Missionare in DeutschOstafrika zeigen konnte.86 Neben Missionaren, die ein vollständiges Theologiestudium absolviert hatten, gab es seit 1878 zusätzlich solche Missionare, die im Missionsseminar auf den Missionsdienst vorbereitet worden waren. Die Notwendigkeit zu dieser zweiten Ausbildungsform hatte sich durch einen Mangel an Meldungen von studierten Theologen für den Missionsdienst ergeben.87 Das geringe Interesse der „akademischen Jugend“ am 85
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Auch als der Anspruch, nur noch Volltheologen auszusenden, aufgegeben werden musste, blieb der Anteil studierter Theologen unter den Missionaren (13,5 %) bzw. solcher mit einer bürgerlichen Herkunft hoch (10.5 %), Altena, Ein Häuflein Christen, 213, wertet dies im Vergleich zu anderen in Ostafrika tätigen Missionsgesellschaften aus und verweist – mit Recht – darauf, dass sich die gehobene Herkunft der Leipziger Missionare auf das traditionelle Beharren der Gesellschaft, Volltheologen auszusenden, zurückführen lässt. Ebd., 266. Auf der Generalversammlung wurde zumindest diskutiert, inwiefern das indische Missionsgebiet wegen der vermeintlich höherstehenden indischen Kultur dringender studierte Theologen bedürfte als das afrikanische Missionsgebiet (Das Jahresfest der ev.-luth. Mission zu Leipzig, in: Allgemeine Evangelisch-Lutherische Kirchenzeitung 25 (1892), S. 579–582, 581); diese Einschätzung setzte sich letztlich aber nicht durch (Ein neues Feld unserer Missionsarbeit, in: Evangelischlutherisches Missionsblatt (1893), S. 4–8, 5). Dieser Seminargründung ging eine lange Reihe unterschiedlicher Ausbildungsversuche voraus, so hieß in einem Festvortrag zur Geschichte des Seminars: „Lange Zeit schwankte die Leipziger Mission hin und her zwischen der Universitäts- und der Seminarausbildung ihrer Sendboten. Eine Zeit lang war es so, dass die Begabteren auf der Universität, die anderen im Seminar studieren. Dann wieder nahm man jüngere Schüler ins Missionshaus auf und bereitete sie auf die oberen Gymnasialklassen vor. Dann wieder wurde der gesamte vortheologische Unterricht im Missionshaus gehalten. Von hier aus legten die zukünftigen Missionare an einem der Leipziger Gymnasien zunächst ihr Abiturientenexamen ab, um anschließend die Universität zu besuchen.“ Festvortrag
1.2 Die Leipziger Missionsgesellschaft als lutherische Institution
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Missionsdienst war ein häufiger Topos in Debatten, in denen um die generelle Befähigung für den Missionarsberuf gerungen wurde.88 Für Missionswissenschaftler und Missionsdirektoren blieb die Tatsache, dass sich Theologen kaum für den Missionsdienst interessierten, ein stetes Ärgernis.89 Gustav Warneck, der zeitgenössisch führende Missionswissenschaftler, vertrat die Ansicht, dass der Missionsdienst gerade die besten Theologen fordere,90 und setzte sich deswegen für eine universitäre Ausbildung ein. Über Institutionen wie akademische beziehungsweise studentische Missionsvereine wurde intensiv versucht, den theologischen Nachwuchs für den Missionsdienst zu begeistern91 oder zumindest zu erreichen, dass sich die künftigen Pastoren in ihrer späteren Tätigkeit für das missionarische Netzwerk einspannen ließen und als Vermittler und Distributoren für die Mission im Inneren wirkten.92 Tatsächlich waren zu-
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zur 75-Jahr-Feier von Walter Schoenfelder, 2, ALMW II.11.22–26. Trotz der Bedeutung der Missionsseminare und der dortigen Ausbildung auch für die Missionspraxis – wurden doch hier grundlegende Kenntnisse und Einstellungen vermittelt – liegen bisher kaum Arbeiten vor, die sich explizit der Ausbildung der Missionare widmen. Eine wichtige Ausnahme bildet: Tobias Eiselen, Der Missionar und seine Rolle. Eine missionsgeschichtliche Untersuchung zur Missionsausbildung und Praxis dargestellt an Jakob Andreas Spieth (1856–1914), Hamburg 1986. Ders , Zur Erziehung. Altena stellt heraus, dass die Missionsseminare in zweierlei Hinsicht wirkten: Erstens wurden hier bereits vorhandene Mentalitäten und Auffassungen, die mit der relativ homogenen Herkunft der Missionare einhergingen, gefördert; zweitens wurde im Seminar durch Strenge und Normierung ein einheitlicher Mitarbeiterstab geschaffen. Thorsten Altena, „Brüder“ und „Väter im Herrn“. Notizen zum inneren Machtgefüge protestantischer deutschsprachiger Missionsgesellschaften 1884–1918, in: Ulrich van der Heyden / Holger Stoecker (Hg.), Mission und Macht im Wandel politischer Orientierungen. Europäische Missionsgesellschaften in politischen Spannungsfeldern in Afrika und Asien zwischen 1800 und 1945, Stuttgart 2005, S. 51–70, 57; siehe auch Altena, Ein Häuflein Christen, 192–193. Tyrell sieht die Etablierung von Missionsseminaren als Zeichen des zunehmenden Organisationsgrads der Missionsgesellschaften Hartmann Tyrell, ‚Organisierte Mission‘. Protestantische Missionsgesellschaften des ‚langen 19. Jahrhunderts‘ / ‚Organized Missions‘. Protestant Missionary Societies in the ‚Long Nineteenth‘ Century, in: Klaus Koschorke (Hg.), Etappen der Globalisierung in christentumsgeschichtlicher Perspektive / Phases of Globalization in the History of Christianity, Wiesbaden 2012, S. 255–272, 265 f. Gustav Warneck, Ein Mahnruf an die akademische Jugend, in: Allgemeine Missionszeitschrift 13 (1886), S. 213–216, 214. Ders , Das Studium der Mission auf der Universität mit einem Anhang über akademische Missions-Vereine, in: Allgemeine Missionszeitschrift 4 (1877), S. 145–164, 209–230, 162–163. Von Schwartz, Was kann die Mutterkirche von der Missionsgemeinde lernen?, 974. Vgl. Hans Kasdorf, Aus dem Erbe Gustav Warnecks. In Memoriam Arno Lehmann, in: Zeitschrift für Mission 11 (1985), S. 25–34, 32. Warneck, Mahnruf, S. 215. Über die Studentischen Missionsvereine und deren Aktivitäten wurde deswegen kontinuierlich in der Allgemeinen Missionszeitschrift berichtet, z. B. Würz, Die dritte allg. studentische Missionskonferenz in Halle. Einladung und Bericht, in: Allgemeine Missionszeitschrift 32 (1905), S. 215–216, 299–302; H , Uebersicht über die studentischen Missions-Vereine Deutschlands, in: Allgemeine Missionszeitschrift 7 (1880), S. 137–138. Diese Berichterstattung ging sogar soweit, dass immer wieder über die englische und nordamerikanische Studentenbewegung berichtet wurde. Vgl. z. B. Carl Clemen, Die Missionsbewegung unter den Studenten Englands und Großbritanniens, in: Allgemeine Missionszeitschrift 23 (1896), S. 122–134. Vgl. Ernst Christian Achelis, Lehrbuch der praktischen Theologie. 2. Bd.: Katechetik, Poimenik, Koinonik, Heiden- und Judenmission, Kybernetik, Leipzig 1898, 501.
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1 Mission als Ausweg aus der Krise
meist zwischen zehn und zwanzig Prozent aller Theologiestudenten in akademischen Missionsvereinen aktiv.93 An der Leipziger Universität pflegte der Zweigverein eine enge Verbindung zur Missionsgesellschaft. So war es eine der regelmäßigen Vereinsaktivitäten, das Leipziger Missionshaus zu besuchen, dort einige Vorträge zu hören und den Missionsverlag zu besichtigen.94 Aufgrund der hohen Bedeutung, die den theologischen Fakultäten bei der Weckung des Missionsinteresses zugesprochen wurde, wurde es auch begrüßt, wenn an möglichst vielen Fakultäten Vorlesungen zur Missionswissenschaft stattfanden.95 Wie viele Theologen sich für den Missionsdienst meldeten, hing trotz aller Bemühungen nicht zuletzt mit der Verfügbarkeit von Pfarrstellen zusammen. Friedrich von Bodelschwingh96 wagte deswegen sogar den Vorschlag, Theologen für die Mission zu gewinnen, indem man ihnen nach einigen Dienstjahren eine Pfarrei in Aussicht stellte;97 der in den 1890er Jahren vorhandene „Theologenüberschuss“ sollte damit in die Mission umgelenkt werden. Der Vorschlag wurde jedoch sowohl von Gustav Warneck, dem Stimmführer der Missionsbewegung und Inhaber des ersten Lehrstuhls für Missionswissenschaft, als auch von den Missionsleitungen der verschiedenen etablierten protestantischen Missionsgesellschaften unter anderem Leipzigs mit Verweis auf die besondere Ehre des Missionarsberufs abgelehnt.98 Dieser sei als ein „Lebensberuf “ anzusehen;99 ihn nur wegen der Aussicht auf eine spätere einträgliche Pfründe
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Theodor F Christlieb, Über die akademischen Missionsvereine Deutschlands, in: Allgemeine Missionszeitschrift 10 (1883), S. 454–461, 461. In Rostock waren es sogar 75 %. Die akademischen Missionsvereine waren für die Missionen besonders wichtig, und zwar nicht nur für die Rekrutierung geeigneter Kandidaten. In den akademischen Missionsvereinen wurde, so die Hoffnung, das Interesse für die Mission unter den zukünftigen Pastoren geweckt, die dieses dann an ihre späteren Gemeinden weitergeben konnten. Vgl. Missionschronik. Januar, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1913), S. 64–66, 64. Missionschronik. November 1900, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1900), S. 556–558. Das Ziel, die Missionswissenschaft in das Ganze der evangelischen Theologie zu integrieren und dadurch mehr Studierende zu gewinnen, wurde auch 1969 noch vertreten: Helmut Adamek, Über die Integration der Missionswissenschaft in die Forschungs- und Lehrpraxis der evangelisch-theologischen Fakultät, in: Evangelische Missionszeitschrift 26 (1969), S. 106–110, 108–110. Friedrich von Bodelschwingh war als Leiter der Bethelschen Anstalten sowohl in der Inneren als auch in der Äußeren Mission tätig. Stucke, Bethel-Gemeinde, betont, wie wichtig dieses wechselseitige Engagement Bodelschwinghs für die Bethelschen Anstalten war. Zu Bodelschwingh siehe Alfred Adam, Bodelschwingh, Friedrich von, in: NDB 2 (1955), S. 352, https://www.deutsche-bio graphie.de/ pnd118512250.html#ndbcontent (zuletzt eingesehen: 3.1.2018). Barkhausen, Antwort des Evangelischen Oberkirchenrates auf die Denkschrift vom 1. Dezember 1890, in: Allgemeine Missionszeitschrift 18 (1891), S. 353–354. Theodor Oehler u a , Noch einmal. Der Missionsdienst der Theologen. Denkschrift an den Evangelischen Oberkirchenrat, in: Allgemeine Missionszeitschrift 18 (1891), S. 257–268. Es wurde sogar eine außerordentliche Missionskonferenz in Halle wegen dieser Frage abgehalten. Ist der Missionsberuf Lebensberuf?, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt 45 (1890), S. 337– 340, 338.
1.2 Die Leipziger Missionsgesellschaft als lutherische Institution
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aufzunehmen, widerspreche dem Ansehen des Berufs.100 Der Missionswissenschaftler und Kirchenhistoriker Carl Mirbt verwies noch 1910 auf der Weltmissionskonferenz in Edinburgh darauf, dass das Ansehen des Missionarsberufs als „special calling, selected for a lifetime“ als Besonderheit der deutschen Missionen anzusehen sei.101 Die Missionsausbildung im Seminar stellte für die Leipziger Mission von Beginn an eine Notlösung dar; kaum wollte man von der Tradition Grauls, nur studierte Theologen auszusenden, abweichen, sodass man zahlreiche Bewerber, und zwar gerade solche, die aus Arbeiterkreisen stammten, wegen mangelnder intellektueller Eignung abwies. Während der Seminarausbildung mussten die Kandidaten in der Regel für Unterhalt und Kleidung selbst aufkommen, sodass bereits aus finanziellen Mitteln die Ausbildung nicht jedem offenstand.102 Dem Missionsseminar beizutreten beziehungsweise den Missionsdienst aufzunehmen konnte jedoch auch bei der Leipziger Missionsgesellschaft einen sozialen Aufstieg bedeuten.103 Nicht nur in seinem persön-
100 Dieser Vorstoß führte sogar zu einer außerordentlichen Missionskonferenz im November 1890, auf dem ein Ausschuss aus den Direktoren der Missionsgesellschaften gegründet wurde. Dieser Missionsausschuss verbat sich die Einmischung des Evangelischen Oberkirchenrats in die Angelegenheiten der Mission und schrieb: „Unser Hauptbedenken ist gerichtet gegen die principielle Beschränkung des Missionsdienstes auf Zeit und gar auf die kurze Zeit von nur fünf Jahren, wie gegen den Schein einer Lockung der Theologen in den Missionsdienst durch die Aussicht auf ‚Verleihung einer angemessenen Pfarrstelle im Inlande‘.“ Oehler u a , Noch einmal, S. 260 [Hervorhebungen i. O., K. W.]. Als weiteres, vermutlich für die Organisation wichtigeres Argument gegen diesen Vorschlag war, dass die von Bodelschwingh vorgeschlagene Zeit von nur fünf Jahren als zu kurz angesehen wurde, um für die Mission sinnvoll wirken zu können. Gustav Warneck, Der Missionsdienst der Theologen, in: Allgemeine Missionszeitschrift 17 (1890), S. 441–447, 445. 101 Carl Mirbt, The Extent and Characteristics of German Missions, in: Internationaler Missionsrat (Hg.), World Missionary Conference. The History and Records of the Conference together with Addresses Delivered at the Evening Meetings, Edinburgh/London 1910, S. 206–217, 210. Mirbt strich in seinem Abendvortrag die langjährige und gründliche Ausbildung von Missionaren im Missionsseminar als deutsche Besonderheit heraus. Eigentlich wurde die Ausbildung von Missionaren in der Kommission V auf der Weltmissionskonferenz diskutiert, wobei aber offenbar als einzige deutsche Mission die Herrnhuter Brüdergemeine als Korrespondent fungierte. Der Schwerpunkt der Kommission lag auf amerikanischen und englischen Missionsgesellschaften. Als deutsches Kommissionsmitglied wirkte der von vielen Missionsgesellschaften für die sprachliche Ausbildung herangezogene Carl Meinhof, der am Hamburger Kolonialinstitut bzw. am Seminar für Orientalische Sprachen in Berlin lehrte und damit nicht in die Ausbildung der Missionare genuin eingebunden war. Zu Meinhof siehe Sara Pugach, „Christianize“ and Conquer. Carl Meinhof, German Evangelical Missionaries, and the Debate over African Languages, 1905–1910, in: Ulrich van der Heyden / Jürgen Becher (Hg.), Mission und Gewalt. Der Umgang christlicher Missionen mit Gewalt und die Ausbreitung des Christentums in Afrika und Asien in der Zeit von 1792 bis 1918/19, Stuttgart 2000, S. 509–524, bzw. Dies , Africa in Translation. A History of Colonial Linguistics in Germany and Beyond, 1814–1945, Ann Arbor 2012. 102 Friedrich Priegel, Das Missionsseminar, in: Carl Paul (Hg.), Die Leipziger Mission, Leipzig 1914, S. 42–59, 49. 103 Dies betont insbesondere Miller, Missionary Zeal, 50–54, für die Basler Mission. Altena, Ein Häuflein Christen, 207, schlüsselt die Herkunft der Missionare, die in Ostafrika arbeiteten, auf und vergleicht dabei mehrere Missionsgesellschaften. Von den 38 Leipziger Missionaren in Deutsch-
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lichen Umfeld als „Glaubensheld“ gefeiert zu werden, sondern auch noch seinen persönlichen Lerneifer zu stillen, trug häufig zur Motivation bei, Missionar zu werden.104 Die Aufnahmekriterien für das Seminar waren streng: An erster Stelle stand eine, in der Tradition des Pietismus stehende religiöse Erfahrung. Auch wenn kein dezidiertes Erweckungserlebnis gefordert war, war es Voraussetzung, einen „Drang“ zu verspüren, „das erfahrene Heil den Heiden zu bringen“. Dieser Drang äußere sich dabei, so die Selbstdarstellung der Missionsgesellschaft, vor allem in einem rechten Lebenswandel sowie in „der Liebe zu dem Herrn Jesu“.105 Seminarkandidaten sollten zwischen 17 und 25 Jahre alt sein, mindestens die Volksschule gut abgeschlossen und sich danach weitergebildet haben, möglichst auch bereits eine Fremdsprache erlernt haben;106 sie sollten gesund und nicht an ein Eheversprechen gebunden sein. Die Bewerbungsunterlagen enthielten neben einem „Lebenslauf, in welchem nicht nur über Herkunft, Erziehung und Veranlassung zur Wahl des Missionsberufs das Nötigste aufrichtig mitzuteilen, sondern auch eine offene Darlegung der jetzigen persönlichen Verhältnisse zu geben“ war, auch Zeugnisse. Dabei handelte es sich einerseits um Schulzeugnisse, die die intellektuelle Befähigung des Kandidaten belegen sollten, andererseits um Gutachten zum Beispiel von Seelsorgern, die auf das „religiöse und sittliche Verhalten“ Rückschlüsse zuließen.107 Im Missionsseminar herrschte eine rigorose Hausordnung mit einem tagfüllenden Stundenplan.108 Hier wurde für eine „Normierung des zukünftigen Missionspersonals“109 gesorgt. Tobias Eiselen weist bei seiner Untersuchung zur Missionarsausbildung der Norddeutschen Mission im Missionshaus in Basel dementsprechend auf umfassende Kontroll- und Disziplinierungsmaßnahmen hin.110 Das Leben im Mis-
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Ostafrika entstammten immerhin 5 Theologenfamilien, 12 waren Söhne von Handwerkern. Nur bei der EMDOA war der Anteil an Theologensöhnen höher (12). Ebd., 288, bzw. Ders , Grenzüberschreitungen, 153–154. Priegel, Missionsseminar, 47. Vermutlich war diese besondere spirituelle Motivation schwierig zu beschreiben. Vgl. dazu auch Rüther, The Power Beyond, 61. Bereits zeitgenössisch wurde diskutiert, dass die Kandidaten im Missionsseminar eine bessere sprachliche Ausbildung erhalten sollten. Carl Meinhof, Die sprachliche Ausbildung des Missionars, in: Allgemeine Missionszeitschrift 38 (1911), S. 44–46; ders , Der Wert des phonetischen Studiums für angehende Missionare, in: Allgemeine Missionszeitschrift 38 (1911), S. 372–375. Zu den Schwierigkeiten des Sprachenlernens siehe auch Kap. 3.1.2 dieser Studie. Priegel, Missionsseminar, 48. Der Tag begann mit Wecken um 5.45 Uhr, einem anschließenden Frühstück und einer Morgenandacht, dann der Unterricht, der teilweise bis 19 Uhr mit Pausen zum Selbststudium andauerte. Eine Abendandacht um 21.30 Uhr, die in der Regel vom Direktor der Mission geleitet wurde, beschloss den Tag. Priegel, Missionsseminar, 56–57. Am Sonnabend wurde die Mottete in der Thomaskirche besucht, am Sonntag halfen die Seminaristen bei der Durchführung des Kindergottesdienstes in der naheliegenden Peterskirche. Altena, „Brüder“ und „Väter im Herrn“, 57. Eiselen, Zur Erziehung, 71–79. Das Basler Missionsseminar hat in den letzten Jahren einige Aufmerksamkeit in der Forschung bekommen. Siehe zur Überwachung dort Hanns Walter Huppenbauer, Gegenseitige Überwachung in den Hausordnungen der alten Basler Mission, in: Inter-
1.2 Die Leipziger Missionsgesellschaft als lutherische Institution
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sionsseminar und die dort gemachten Erfahrungen und Einsichten galten bereits als hilfreich und notwendig zur Vorbereitung auf die künftige Aufgabe. Erst im Seminar würde die Begabung der Kandidaten hervortreten und ausgebildet werden, und zwar seien es „die seelsorgerische Weisheit der Missionsleiter, der erzieherische Einfluß des Unterrichtes, der christliche Geist des Hauses und der brüderliche Gemeinschafsverkehr, welche zusammen an der religiös-sittlichen Ausbildung der Missionszöglinge“ arbeiteten.111 Die Aufnahme in das Missionsseminar garantierte noch nicht die tatsächliche Aussendung: Von den zwischen 1893 und 1907 aufgenommenen 53 Kandidaten für den Missionsdienst, schafften schließlich nur 17 die Abschlussprüfung.112 Mit der Ausbildung im Missionsseminar war die Ausbildung der Missionare zudem noch nicht abgeschlossen. Die Leipziger Missionarsanwärter absolvierten in der Regel noch ein Lehrvikariat. Teilweise bereiteten sie sich durch einen Aufenthalt in Berlin am Seminar für Orientalische Sprachen zusätzlich auf ihre Aufgabe vor. Nach der Gründung des Hamburger Kolonialinstituts besuchten auch einige der Missionare dort Kurse.113 Inhaltlich folgte der Seminarunterricht dem Curriculum eines theologischen Studiums. In den ersten drei Jahren der sogenannten humanistischen Ausbildung, die häufig eine Gymnasialbildung ersetzen sollte, wurden Latein, Griechisch, Hebräisch, Deutsch, Geschichte, Bibelkunde, der Katechismus, Missionsgeschichte, Rhetorik und „guter Ton“ unterrichtet, in der theologischen Abteilung der nächsten drei Jahre schließlich die fünf theologischen Hauptdisziplinen, dazu Philosophie, Konfessionskunde, Religionswissenschaft, Englisch und Missionslehre.114 Ziel dieses Curriculums war die Nachahmung eines theologischen Universitätsstudiums115 und die Vermittlung wichtiger Fähigkeiten. Die Leipziger Missionsgesellschaft folgte damit dem Vorbild Grauls, aber auch der herrschenden Meinung innerhalb der sich formierenden Missionswissenschaft, in der an verschiedenen Stellen die Notwendigkeit einer eher auf die Praxis als Missionar vorbereitenden Berufsausbildung herausgestrichen wurde. Eine religionswissenschaftliche Ausbildung der Missionare sollte beispielsweise dazu dienen, ein leichteres Verständnis der jeweiligen lokalen religiösen Praktiken zu erlangen und so schneller Anknüpfungspunkte für die Mission zu finden; Englisch war für die Kommunikation mit Behörden und anderen (europäischen) Akteuren vor Ort
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kulturelle Theologie. Zeitschrift für Missionswissenschaft 42 (2016), S. 271–283, der eine leichte Korrektur der Annahmen Millers (Miller, Missionary Zeal) vornimmt. Gustav Warneck, Evangelische Missionslehre. Ein missionstheoretischer Versuch. Zweite Abteilung: Die Organe der Sendung. 2. Aufl., Gotha 1897, 168. Priegel, Missionsseminar, 50. Von Schwartz an Krüger (Stift Bethlehem, Ludwigslust), 4.3.1910, ALMW II.32.547. Die Stundenpläne des Seminars sind semesterweise in der Akte ALMW II.11.31 erhalten. Priegel, Missionsseminar, 44–45.
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1 Mission als Ausweg aus der Krise
unerlässlich.116 Johannes Warneck, der selbst als Missionar der Rheinischen Mission gearbeitet hatte und später seinem Vater als Missionswissenschaftler folgte, machte zudem auf die Wichtigkeit von pädagogischen und medizinischen Kenntnissen im Missionsfeld aufmerksam.117 Weniger solle sich die Missionarsausbildung an den Bedürfnissen der Heimat orientieren, vielmehr müsse sie zu einer speziellen „Berufsvorbildung“ werden, in der vor allem die Inhalte von Missionskunde und Religionsgeschichte sowie gründliche Sprachenkenntnisse118 vermittelt würden. Ein Verständnis der „heidnischen“ Religionen sei absolut notwendig und könne sich der angehende Missionar bereits durch die vorliegenden Ergebnisse der Religionsgeschichte aneignen. Gleichzeitig galt es aber, den Missionaren ein solches theologisches Verständnis mitzugeben, dass sie in der Lage seien, das Zentrale an der Botschaft zu erfassen und weitergeben zu können. Der theologischen Bildung wurde daher weiterhin das Primat eingeräumt:119 „Das Wesentliche der christlichen Lehre muß in ihr scharf herausgearbeitet werden; denn mehr als ein anderer Diener der Kirche muß der Missionar in seiner Verkündigung sich ganz klar darüber sein, was wesentlich, unentbehrlich am christlichen Lehrgebäude ist. In Heiden- und Heidenchristenpredigt, in Katechumenen- und Konfirmandenunterricht muß ihn ein scharfer Blick eignen für das Große, Lebenweckende, Zentrale an der Botschaft, deren Herold er ist.“120
Schon Gustav Warneck121 hatte in einem eigenen Kapitel seines missionswissenschaftlichen Standardwerks die Notwendigkeit einer gründlichen theologischen Bildung
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Hier gilt es zu bedenken, dass die Missionarsausbildung während der Seminarzeit noch nicht zwischen den beiden Missionsgebieten unterschied. Wer nach Indien bzw. wer nach Afrika abgeordnet wurde, war nicht von Beginn an festgelegt, sondern entschied sich je nach Bedarf erst kurzfristig vor der Ausreise. 117 Johannes Warneck, Die missionarische Berufsvorbildung. Gedanken und Wünsche, in: Allgemeine Missionszeitschrift 35 (1908), S. 261–278, 261. Das Thema wurde auf der Halleschen Missionskonferenz 1908 diskutiert. 118 Hier wurde für ein Erlernen der Sprache bereits im Missionsseminar plädiert. Diese Auffassung war keineswegs unumstritten und wurde auch auf der Missionskonferenz in Edinburgh thematisiert. Sie setzte sich allmählich durch – v. a. wegen des Zeitaufwandes, den Missionare in den ersten Jahren ihres Aufenthaltes im Missionsgebiet betreiben mussten, um sich überhaupt verständigen zu können. Zur Sprachenbildung genutzt werden sollten die Erkenntnisse der Sprachwissenschaft (vgl. Meinhof, Wert) sowie die Angebote am Kolonialinstitut in Hamburg oder am Orientalischen Seminar in Berlin. Die Leipziger Mission griff auch auf die Angebote an der Leipziger Universität zurück. Vgl. z. B. Rainer Hering, Theologische Wissenschaft und „Drittes Reich“. Studien zur Hamburger Wissenschafts- und Kirchengeschichte im 20. Jahrhundert, Pfaffenweil 1990, 45. 119 Julius Richter, Die Vorbildung der Missionare, in: Allgemeine Missionszeitschrift 38 (1911), S. 413– 427; ebenso Warneck, Berufsvorbildung, 261. 120 Ebd., 273. 121 Zu Warnecks missionswissenschaftlichem Ansatz siehe Kap. 1.3.1 dieser Studie.
1.2 Die Leipziger Missionsgesellschaft als lutherische Institution
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betont.122 Für eine sichere Orientierung schien es ihm essentiell, dass die Missionsseminare „Bibeltheologen“ erzögen, „die in der Bibel wirklich zuhause sind und nicht bloß über die Bibel Spekulationen und Kritiken lernen“,123 sodass die Missionare einer gründlichen Spracherziehung, gerade in den klassischen Sprachen Latein, Griechisch und Hebräisch nicht entbehren könnten.124 Zur Erklärung hieß es: „Der Weg des Heils kann zwar aus jeder richtigen erkannt werden; aber eine tiefere und gründlichere Erkenntnis der ganzen Heiligen Schrift, im einzelnen und ganzen, wie der Prediger sie bedarf, macht die Erklärung des Grundtextes notwendig.“125 Für die Leipziger Missionare galt zudem das klare Bekenntnis zum Luthertum, das die Mission auszeichnete, als eines der wichtigsten Ausbildungsziele des Missionsseminars respektive der gesamten Missionarsausbildung.126 Als einschlägiges Mittel, diese Festigkeit im kirchlichen Bekenntnis zu erreichen, galt das theologische Universitätsstudium der angehenden Missionare, dem trotz der Einrichtung eines Missionsseminars weiterhin der Vorzug gegeben wurde. Für die Missionsseminaristen wurde deswegen eine enge Verbindung zur Leipziger Universität unterhalten. Diese war sogar der ausschlaggebende Grund für den Wegzug der Missionsgesellschaft aus Dresden gewesen. Im 19. Jahrhundert zählte die Leipziger Universität zu den führenden Universitäten im Kaiserreich.127 Für die Mission war dabei nicht nur die renommierte lutherische theologische Fakultät ein wichtiger Faktor, sondern auch, dass sich zahlreiche Professoren anderer Fakultäten spätestens seit der Mitte des 19. Jahrhunderts für eine Erforschung des Außereuropäischen einsetzten, so zum Beispiel Wilhelm Wundt oder Friedrich Ratzel.128 Ab 1915 bestand überdies an der Universität eine Professur für Kolonialgeographie, auf die der durch seine Reisen an den Kilimandscharo berühmt gewordene Hans Meyer berufen worden war.129 Die Verbindung zur Universität war für alle Angehörigen der Mission von großer Bedeutung und es kam zu einem stetigen Austausch mit der theologischen Fakultät in
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Warneck, Missionslehre II, 161. Ebd., S. 196 [Hervorhebung i. O., K. W.]. Ebd., S. 190–195. Priegel, Missionsseminar, 53. Mit ähnlichem Tenor auch Mirbt, Characteristics of German Missions, 210. Hermann, Karl Graul. Die größte und wegen der Rolle ihrer Professoren an der Mitarbeit des Bürgerlichen Gesetzbuchs besonders renommierte Fakultät war die Juristische. Nur noch 8,01 % der Studenten gehörten 1900 der Theologischen Fakultät an. Hoyer, Kleine Geschichte, 142. Siehe zu Ethnographie, Geographie und insbesondere zum Leipziger Völkerkundemuseum den Sammelband Deimel (Hg.), Auf der Suche. Heinz Peter Brogiato, Stromer, Forscher und Gelehrte. Leipziger erkunden und beschreiben die Welt, in: Claus Deimel u. a. (Hg.), Auf der Suche nach Vielfalt. Ethnographie und Geographie in Leipzig, Leipzig 2009, S. 13–46, 36, 38. Lingelbach, War da was?, 57–59.
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1 Mission als Ausweg aus der Krise
Leipzig.130 Auch Seminaristen nahmen immer wieder an Lehrveranstaltungen an der Universität teil.131 Der jeweilige Missionsdirektor unterrichtete ebenfalls an der Leipziger Universität, wodurch sich die intensiven Beziehungen zwischen Mission und Universität abermals verstärkten. Eine Professur für neuere Missionsgeschichte und Missionskunde wurde eigens dafür geschaffen.132 Gastdozenten von der Universität unterrichteten neben einem festangestellten Seminarleiter und dem Missionsdirektor wiederum am Missionsseminar.133 Eine solche Anstellung am Seminar stellte für die Lehrer nur einen Übergang, keineswegs aber einen Abstieg dar, so wurde zum Beispiel 1886 der damalige Seminarleiter, Pastor Hashagen, Professor für Praktische Theologie in Rostock,134 auch Pastor Hofstätter, der Nachfolger Hashagens, erhielt vom Sächsischen König den Titel Professor verliehen,135 und auch die übrigen theologischen Lehrer am Missionsseminar erreichten ein Lizenziat in der Theologie.136 Durch den engen Austausch mit der Universität ergab sich eine prinzipiell gleichwertige Ausbildung von Seminaristen und an der Universität ausgebildeten Theologen, 130
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Das Leipziger Missionsseminar bestand über den Ersten und Zweiten Weltkrieg hinaus und entwickelte sich in der DDR, später als Theologisches Seminar, zu einer alternativen und frequentierten Ausbildungsstätte heimischer Pastoren, insb. für Kandidaten, denen aus politischen Gründen ein reguläres Theologiestudium bzw. der Besuch der Oberschule nicht offenstand. 1990 zunächst als Kirchliche Hochschule neben der Theologischen Fakultät der Universität bestehend erfolgte 1992 die Zusammenlegung mit dieser. Siehe dazu Werner Vogler, Vom Missionsseminar zum Theologischen Seminar (1879–1964), in: Ders. (Hg.), Vier Jahrzehnte kirchlich-theologische Ausbildung in Leipzig. Das Theologische Seminar – die Kirchliche Hochschule Leipzig, Leipzig 1993, S. 10–20 und den gesamten Band. Moritzen, Werkzeug Gottes in der Welt, 165. Die Universität war auch offen für andere Hörer und bot beispielsweise öffentliche Vorträge zu ethnographischen und religionswissenschaftlichen Themen an. Rolf Sprink / Arne Meisel, Ein Jahrhundert Kooperation in der Weiterbildung zwischen Volkshochschule und Universität, in: Detlef Döring (Hg.), Stadt und Universität Leipzig. Beiträge zu einer 600-jährigen wechselvollen Geschichte, Leipzig 2010, S. 345–360, 347–348. Zur Geschichte der Leipziger Universität siehe Flöter, Leipziger Universitätsgeschichte. Ein regelmäßiges Theologiestudium erforderte weiterhin das Abitur als Zugangsvoraussetzung. Hoyer, Kleine Geschichte, 146. So wurde der Missionsdirektor Carl Paul zum Sommersemester 1912 als ordentlicher Professor an die Universität berufen, um missionswissenschaftliche Vorträge zu halten. Mitteilungen an die Mitglieder der Missionskonferenz im Königreich Sachsen, Januar 1912, ALMW II.10.2.1. Mit der Professur war innerhalb der Landeskirche auch die Hoffnung verbunden, dass sie zur Weckung des Missionsinteresses beitrüge. Sie wurde außerdem als „Anerkennung des Missionswesens in der wissenschaftlichen Welt“ gefeiert. Aus unserer Landeskirche, in: Der Pilger aus Sachsen 78 (1912), S. 38. Vgl. Aus unserm Missionsseminar in Leipzig, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1891), S. 133–137; Moritzen, Werkzeug Gottes in der Welt, 165. Friedrich Hashagen (1841–1925) wurde schließlich zu einem der führenden Praktischen Theologen der Erlanger Richtung. Er hatte vor seiner Zeit als Erster Theologischer Lehrer am Leipziger Missionsseminar in Erlangen und Göttingen studiert. Lessing, Geschichte der deutschsprachigen evangelischen Theologie, Bd. 1, 134. Missionschronik. April, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt 57 (1902), S. 196–198, 196. Die Akte ALMW II.3.3 enthält eine Aufstellung über das gesamte Personal der Missionsgesellschaft. Dokumentiert sind dort auch die häufigen Wechsel im Lehrpersonal, insb. auf der Stelle des zweiten oder dritten Lehrers.
1.2 Die Leipziger Missionsgesellschaft als lutherische Institution
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sodass auch im Seminar ausgebildete Missionare, wenn sie tropenuntauglich wurden, häufig ohne Schwierigkeiten in den Kirchendienst übernommen werden konnten.137 Dazu bei trug im Übrigen auch die Kohärenz in der theologischen und konfessionellen Ausrichtung von Seminar, Universität und Landeskirche. Die Leipziger theologische Fakultät, an der ja nicht zuletzt die Mehrzahl der im sächsischen Kirchendienst tätigen Pastoren ausgebildet worden waren, galt als eine Hochburg lutherischer Theologie im Kaiserreich. Sie war in der Mehrzahl von mitunter prominenten Vertretern der zweiten und dritten Generation der sogenannten Erlanger Theologie besetzt.138 So unterrichteten unter anderem Franz Delitzsch139 Altes Testament, Christoph Ernst Luthart, Theodor Zahn und Paul Althaus Neues Testament oder Ludwig Ihmels Systematische Theologie. Die Erlanger Theologie war im Zuge einer zunehmenden Konfessionalisierung der evangelischen Kirche in Bayern, die sie gleichzeitig maßgeblich als einzige evangelische Ausbildungsstätte in Bayern mitprägte, entstanden. Erste Vertreter, wie Christian Konrad von Hoffmann, Franz Hermann Reinhold Frank oder der 1833 nach Erlangen berufene Adolf Harleß, vereinnahmten wichtige Anstöße aus
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Moritzen, Werkzeug Gottes in der Welt, 166. Dies ist durchaus ein Unterschied zu anderen protestantischen Missionsgesellschaften; bei englischen Missionaren war es ebenfalls möglich. Vgl. Richter, Vorbildung, 417. Fraglich ist, ob der „Pastorenkomplex“, den Altena beschreibt, auf die Leipziger Missionare deswegen ohne Weiteres übertragen werden kann. Vgl. Altena, Ein Häuflein Christen, 292, bzw. ders , Von den „Stillen im Lande“ zur Elite? Überlegungen zu einer Standortbestimmung von protestantischen Missionaren in „Heimat“ und „Missionsfeld“, in: Markus A. Denzel (Hg.), Deutsche Eliten in Übersee (16.–20. Jahrhundert). Büdinger Forschungen zur Sozialgeschichte 2004 und 2005, St. Katharinen 2006, S. 223–246. Robert Faßmann konnte 1910 sein zweites theologisches Examen nach seiner Missionszeit bzw. während seines Heimaturlaubes ablegen. Von Schwartz an Krüger (Stift Bethlehem, Ludwigslust), 4.3.1910, ALMW II.32.547. Der Begriff der Erlanger Schule wurde bereits zeitgenössisch genutzt, von den Erlangern selbst jedoch eher mit Verweis auf eine Erlanger Theologie abgelehnt, weil der Begriff der Schule Unterschiede zu sehr verdecke. Martin Hein hält den Begriff für nicht zulässig, weil sich die Erlanger Theologie – so seine Bezeichnung – nicht an anderen Universitäten etabliert habe. Martin Hein, Lutherisches Bekenntnis und Erlanger Theologie im 19. Jahrhundert, Gütersloh 1984, 276. Dagegen Helmut Edelmann, Subjektivität und Erfahrung. Der Ansatz der theologischen Systembildung von Franz Hermann Reinhold v. Frank im Zusammenhang des „Erlanger Kreises“. Univ. Diss. München, 1980, S. 33, Anm. 7, der Leipzig als „Filiale“ der Erlanger Fakultät auffasst. Zur Erlanger Theologie siehe auch Friedrich Wilhelm Kantzenbach, Die Erlanger Theologie. Grundlinien ihrer Entwicklung im Rahmen der Geschichte der Theologischen Fakultät 1743–1877, München 1960; Rieske-Braun, Zwei-Bereiche-Lehre. Lessing spricht von einem „Bündnis“ zwischen den lutherischen Fakultäten Erlangens, Leipzigs und Dorpats. Lessing, Geschichte der deutschsprachigen evangelischen Theologie, Bd. 1, 133. Zur Verbindung der Erlanger Theologen mit der Leipziger Mission siehe Niels-Peter Moritzen, Mission in Erlangen. Zur Vorgeschichte des Lehrstuhls für Missionswissenschaft an der theologischen Fakultät, Erlangen 1998, 18–19. Zur Bedeutung von Konfession für die Leipziger Fakultät, siehe Frank Fehlberg, Leipzigs Luthertum, Leipzig/Magdeburg 2009, der jedoch hauptsächlich auf Abgrenzungen zum Katholizismus eingeht und innerprotestantische Differenzen eher vernachlässigt. Franz Delitzsch, Leipziger bzw. Erlanger Theologe, engagierte sich stark in der Judenmission. Hein/Junghans (Hg.), Professoren und Dozenten, 185; Lessing, Geschichte der deutschsprachigen evangelischen Theologie, Bd. 1, 162–163, gibt einen Überblick über die Einsichten Delitzschs.
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1 Mission als Ausweg aus der Krise
der Erweckungsbewegung, die sie im Einklang mit lutherischen Bekenntnisschriften und vor dem Hintergrund romantischer und idealistischer Zeitströmungen interpretierten. Dezidiert abgelehnt wurde eine Aufklärungstheologie, wie sie insbesondere in Jena und Göttingen vertreten worden war. Die trotz individueller Unterschiede relativ geschlossene Erlanger theologische Schule zeichnete sich durch eine nichthistorische Bibelhermeneutik, eine dezidiert konfessionelle Ekklesiologie und eine auf erfahrungstheologische Ansichten gegründete Glaubensgewissheit aus.140 Die Erlanger Theologie plädierte damit für eine Rückbesinnung auf das Wesen der lutherischen Kirche und eine damit einhergehende Konfessionalisierung von Theologie.141 Im Mittelpunkt standen die Bekenntnisschriften, die jedoch nicht im Sinne von orthodoxem Lehrchristentum ausgelegt, sondern aktualisierend gelesen wurden, um der Erneuerung und Modernisierung der lutherischen Kirche zu dienen.142 Luthardt beispielsweise machte deutlich, dass es „mit der Repristination der alten Dogmatik allein nicht gethan sei“, sondern dass „wir vielmehr Erneuerung derselben im eigentlichen Verstande des Wortes brauchen, wie ebenso von der Geschichte des Dogmas und der Theologie überhaupt wie vom gegenwärtigen Bedürfniß der Kirche gefordert ist.“143 In einem programmatischen Artikel der Allgemeinen Evangelisch-Lutherischen Kirchenzeitung, einem Blatt das 1868 das erste Mal erschien, sich an Gemeindemitglieder, vor allem aber an Pastoren wandte und „die wichtigsten kirchlichen Fragen der Gegenwart im Sinne des lutherischen Bekenntnisses“144 zu beantworten suchte, war diese besondere theologische Position deutlich erklärt worden. „Die Wahrheit des Christenthums in der geschichtlichen Gestalt des lutherischen Bekenntnisses und der lutherischen Kirche in unsrer Zeit zu vertreten und geltend zu machen“, wurde hier von Luthardt als Ziel formuliert: „Denn zuerst kommt die Kirche, dann erst der Staat“. Das Programm der Zeitschrift, die sich binnen kürzester Zeit zu einem Kampforgan der lutherischen Konfession und der kirchlich-konservativen Theologie entwickelte, richtete sich gleichzeitig gegen Unionsbestrebungen, gegen den „irreligiösen Materialismus“ und den damit verbundenen „rationalistischen“ Zeitgeist beziehungsweise „falschprotestantischen Rationalismus“. Immer wieder beschworen wurde dabei die
140 Siehe im Überblick zur Erlanger Theologischen Schule Hans Christof Brennecke u a , Erlanger Schule, in: RGG 2 (1990), 1420; Martin Hein, Erlangen, Universität, in: TRE 10 (1982), S. 159–164; Ders , Lutherisches Bekenntnis. 141 Ders , Erlangen. 142 Ders , Lutherisches Bekenntnis, 275, der hier auf den in Leipzig lehrenden Franz Delitzsch verweist. 143 Chr Ernst Luthardt, Die Lehre vom freien Willen und seinem Verhältniß zur Gnade. In ihrer geschichtlichen Entwicklung dargestellt, Leipzig 1863, 1. 144 Ders , Programm, in: Allgemeine Evangelisch-Lutherische Kirchenzeitung 1 (1868), S. 1–2.
1.2 Die Leipziger Missionsgesellschaft als lutherische Institution
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Zeitgemäßheit der eigenen Positionen: „Denn wir wollen kein Luthertum, welches nicht im Zusammenhang der Gesammtaufgaben unsrer Zeit stände.“145 Die Lutheraner, die sich von dem von ihnen attestierten Werteverfall ganz besonders angegriffen fühlten, bemühten sich, weltanschauliche Fragen der Moderne im Sinne des Christentums zu beantworten. Sie müssten deswegen, so Friedrich Wilhelm Graf, im Sinne einer an Mannheim angelegten Konservatismusauffassung nicht als traditionell, sondern vielmehr als im konservativen Sinne modern eingeordnet werden. „Im präzisen Sinn des Begriffes ist ihr Kulturluthertum vielmehr deshalb konservativ, weil es einen gesellschaftskritischen Gegenentwurf zum liberalen Modernisierungskonzept repräsentiert, der in bestimmter Hinsicht selbst durchaus modern ist“.146 Das (lutherische) Christentum erschien in diesem Gegenentwurf als die einzig logische Antwort auf die Erfordernisse der Gegenwart, ja als einzige „Bürgschaft für einen gesunden Fortschritt und den Bestand der Kultur“, wie es zeitgenössisch hieß.147 Gerade in der „Besinnung auf das in der lutherischen Kirche tradierte Christentum“ sah man die „unverzichtbare Grundlage für ein Gelingen der Gesellschaft“.148 Die lutherischen Theologen versuchten also, die Kirche als Gegengewicht gegen die mit der Moderne verbundenen destruktiven Tendenzen zu positionieren, während sie sie als einen Stabilisierungsfaktor innerhalb der Nation etablierten.149 Missionstheologisches Interesse war in der Erlanger Schule von Beginn an stark; dies äußerte sich nicht nur in häufigen Vorlesungen zu missionstheologischen Themen an der Erlanger Universität selbst, sondern auch in der dortigen Gründung eines Missionsvereins, an dem führende Vertreter der theologischen Fakultät beteiligt waren.150 Das Interesse an Mission resultierte aus der konfessionell geprägten Ekklesiologie, denn zu einer „sichtbaren“ Kirche gehöre das missionarische Engagement: Kirche als „zeitliche Gestalt des Reich Gottes“151 existiere, so die Ansicht der Erlanger, nur in ihrer konfessionell gebundenen Form, sie müsse gleichermaßen nach innen wie nach außen
145 146 147 148 149
150 151
Ders , Unsere kirchliche Stellung und Aufgabe der Gegenwart, in: Allgemeine Evangelisch-Lutherische Kirchenzeitung 1 (1868), S. 3–11, Zitate 10 und 11. Graf, Konservatives Kulturluthertum, 57. Kultur, in: Carl Meusel u. a. (Hg.), Kirchliches Handlexikon. Bd. 4, Leipzig 1894, S. 128–129, 129. Anselm, Lutherische Leitkultur, 177. Ebd., 187. Als Gegenentwurf kann hier bspw. der Beitrag Adolf von Harnacks gelten, dessen Werk „Über das Wesen des Christentums“ schnell zum Klassiker des sogenannten Kulturprotestantismus aufstieg. Harnack suchte das Wesentliche des Christentums herauszuarbeiten. Aus der Wandelbarkeit des christlichen Dogmas in der Geschichte leitete Harnack die Modernität des Christentums ab. Friedrich Wilhelm Graf, Kulturprotestantismus. Zur Begriffsgeschichte einer theologiepolitischen Chiffre, in: Archiv für Begriffsgeschichte 28 (1984), S. 214–268, liefert immer noch eine umfassende Begriffsgeschichte und theologische Einordnung dieser Gruppe. Harnacks Arbeit, die Entstehung der „modernen“ Theologie und dessen Beitrag zur Entwicklung der Theologie als Wissenschaft innerhalb der Universität untersucht Howard, Protestant Theology, Kap. 5. Moritzen, Mission in Erlangen, listet alle Veranstaltungen zum Themenfeld Mission bis 1820 auf. Lessing, Geschichte der deutschsprachigen evangelischen Theologie. Bd. 1, 238.
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1 Mission als Ausweg aus der Krise
heilsvermittelnd wirken.152 Das lutherische Netzwerk der Sächsischen Landeskirche und der Leipziger Mission fand in der theologischen Richtung der Erlanger Fakultät seinen ideologischen Zusammenhalt,153 sodass es nicht verwundert, dass die angehenden Missionare ebenso wie die Kollegiumsmitglieder und Direktoren der Missionsgesellschaft154 diesen Ansatz in ihrer Missionstheologie und deren praktischen Ausführung maßgeblich verfolgten. 1.3 Missionstheologisches Interesse und die Entstehung der Missionswissenschaft Theologie war um 1900 ein auch öffentlich umkämpftes Feld. Vertreter der verschiedensten theologischen Richtungen suchten vor dem Hintergrund des bereits beschriebenen Krisengefühls und den Herausforderungen, die sie durch die Moderne auf sich zukommen sahen, nach Lösungsvorschlägen, um Religion und Kultur zu vereinbaren und die Bedeutung des Christentums zu aktualisieren. Ebenso wie in anderen Disziplinen um 1900 spielte dabei auch in der Theologie das Außereuropäische eine zunehmende Rolle. Archäologische Ausgrabungen und Fortschritte in der Erforschung antiker Sprachen beförderten scharf geführte Kontroversen um das Alte Testament.155 Die „Entdeckung“ der Religionsgeschichte bestimmte die in scharfem Gegensatz zur kirchlich-konservativen lutherischen Theologie stehende Richtung der sogenannten Religionsgeschichtlichen Schule maßgeblich. Durch das koloniale Ausgreifen zahlreicher europäischer Länder, allen voran des Britischen Empires,156 und der seit der Mitte des 19. Jahrhunderts nahezu boomenden Missionsbewegung, die zur Neugründung zahlreicher Missionsgesellschaften geführt hatte, waren die Forderungen nach einer eingehenderen wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Mission laut geworden. 1867 war ein erster Lehrstuhl für Missionswissenschaft in Edinburgh eingerichtet worden. 1896 wurde ein erster Lehrstuhl für protestantische Missionswissenschaft in Halle geschaffen, 1911 kam ein Lehrstuhl für katholische Missionswissenschaft in Münster hinzu.157 152 153 154 155 156
157
Brennecke u a , Erlanger Schule. Moritzen, Mission in Erlangen, 17. Lessing, Geschichte der deutschsprachigen evangelischen Theologie. Bd. 1, 133. Im Untersuchungszeitraum waren dies Karl von Schwartz und Carl Paul. Beide verstanden sich als dezidierte Lutheraner. Siehe dazu einführend Suzanne L Marchand, German Orientalism in the Age of Empire. Religion, Race, and Scholarship, Washington DC 2009, 244–251. Diesen Punkt macht v. a. Horst Gründer, Koloniale Mission und kirchenpolitische Entwicklung im Deutschen Reich, in: Ders. (Hg.), Christliche Heilsbotschaft und weltliche Macht. Studien zum Verhältnis von Mission und Kolonialismus. Gesammelte Aufsätze, Münster 2004, S. 209–226, 224, stark. Die Geschichte der Missionswissenschaft jenseits ihrer institutionellen Anbindung an einzelne Fakultäten ist lange Zeit vernachlässigt worden. Mittlerweile liegen erste Arbeiten vor, die etwas
1.3 Missionstheologisches Interesse und die Entstehung der Missionswissenschaft
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Die langsame und über mehrere Jahrzehnte dauernde Institutionalisierung der Missionswissenschaft als eigenständiger theologischer Subdisziplin – meist der Praktischen Theologie zugerechnet – lässt sich also nur vor dem Hintergrund der bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts immer größer werdenden und sich zunehmend institutionalisierenden Missionsorganisation denken.158 Gleichzeitig war die Missionswissenschaft seit ihrer Entstehung das Produkt einer kirchlich-konservativen Theologie, dessen Vertreter sich gegen „liberale“ Theologieentwürfe der Religionsgeschichtlichen Schule – und auch deren Missionsbemühungen – zur Wehr setzten. 1.3.1 Missionswissenschaft an der Universität Seit der ersten systematischen Einordnung der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Mission innerhalb des Fächerkanons der Theologie von Friedrich Schleiermacher in seinen Schriften zur christlichen Ethik,159 wurde im Laufe des 19. Jahrhunderts um den Ort und die Aufgabe der Missionswissenschaft gerungen.160 Ein wichtiger Meilenstein in der Institutionalisierung des Faches war die Habilitationsrede des langjährigen Leipziger Missionsdirektors Karl Graul. Unter dem Titel „Ueber Stellung und Bedeu-
genauer auf die Missionswissenschaft als eigenständige Disziplin in ihrer Verwobenheit von Theologie und Kolonialismus eingehen. Zur Geschichte der Missionswissenschaft siehe Johannes Christian Hoekendijk, Kerk en Volk in de duitse Zendingswetenschap, Amsterdam 1948; Arno Sames, Die „öffentliche Nobilitierung der Missionssache“. Moritzen, Mission in Erlangen; Rainer Hering, Missionswissenschaft und Staat zwischen Kaiserreich und „Drittem Reich“, in: Ulrich van der Heyden / Holger Stoecker (Hg.), Mission und Macht im Wandel politischer Orientierungen. Europäische Missionsgesellschaften in politischen Spannungsfeldern in Afrika und Asien zwischen 1800 und 1945, Stuttgart 2005, S. 675–686; Han, Mission und Kultur. Besonders wichtig auch die verschiedenen Arbeiten von Werner Ustorf, z. B. Werner Ustorf, Sailing on the Next Tide. Missions, Missiology, and the Third Reich, Frankfurt a. M. 2000. Historische Entwicklungen berücksichtigt auch das Überblickswerk Jongeneel, Philosophy, Science, and Theology of Mission. Zur katholischen Missionswissenschaft, die sich zeitverzögert, aber inhaltlich nah an der protestantischen Missionswissenschaft entwickelte: Dietmar Süss, Glaube, Wissenschaft und Kolonialismus. Katholische Missions- und Religionswissenschaft 1870–1930, in: Historisches Jahrbuch (2011), S. 357–384. 158 Siehe dazu Hartmann Tyrell, Weltgesellschaft, Weltmission und religiöse Organisation, in: Artur Bogner u. a. (Hg.), Weltmission und religiöse Organisationen. Protestantische Missionsgesellschaften im 19. und 20. Jahrhundert, Würzburg 2004, S. 13–136. 159 Die Theorie des Missionswesens ordnete Schleiermacher der Praktischen Theologie zu, wobei sich Ausführungen seiner Missionstheologie auch in Schriften zu anderen Teilbereichen der Theologie finden. Zu Schleiermachers Missionstheologie aus feministischer und postkolonialer Perspektive heraus siehe Heleen E Zorgdrager, Homemade Mission, Universal Civilization. Friedrich Schleiermacher’s Theology of Mission, in: Mission Studies 30 (2013), S. 221–247. 160 Jan A B Jongeneel, The Missiology of Gisbertus Voetius: The First Comprehensive Protestant Theology of Missions, in: Calvin Theological Journal 26 (1991), S. 47–79, macht darauf aufmerksam, dass es, wie z. B. seitens des Theologen Voetius, auch vor Schleiermacher bereits Überlegungen zur wissenschaftlichen Beschäftigung mit Mission gab.
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1 Mission als Ausweg aus der Krise
tung der christlichen Mission im Ganzen der Universitätswissenschaften“ reklamierte er eine weltpolitische Bedeutung für die Mission und unterstrich, dass es gerade die Mission sei, die schon zu zahlreichen anderen Wissenschaften (vom Außereuropäischen) beigetragen habe. Gleichzeitig räumte Graul der Mission einen Platz innerhalb der theologischen Wissenschaften ein, zu denen die Mission einen wichtigen Beitrag leisten könne, insbesondere wenn sich die Missionswissenschaft als Teil der Praktischen Theologie mit der „Zurüstung in der Heimat“ beschäftige.161 Graul schloss dabei an vorhergehende Überlegungen zur Halieutik, Kerygmatik und Evangelistik beispielsweise des Praktischen Theologen Ehrenfeuchters an.162 Die Rede sollte Graul als Dozenten der Missionswissenschaft qualifizieren; den geplanten Lehrstuhl für Missionswissenschaft in Erlangen konnte er allerdings aufgrund einer schweren und schließlich zum Tode führenden Erkrankung nicht mehr antreten.163 Der erste deutsche Lehrstuhl für Missionswissenschaft wurde deswegen an der Universität Halle etabliert, sodass Gustav Warneck bis heute als Begründer der Missionswissenschaft gilt.164 Warneck teilte die Aufgaben seines Faches grundsätzlich in zwei gleichwertige Bereiche: eine umfassende Missionsgeschichte und eine Missionslehre.165 „Unter Missionslehre verstehen wir die wissenschaftliche Verständigung über den gesamten Missionsbetrieb, also über alles, was sich sowohl auf die Begründung wie auf die praktische Ausführung der Mission bis zur Erreichung ihres Ziels hin bezieht.“166 Es sollte die Mission umfassend begründet, Missionsmethodiken sowie praktische Erfahrungen behandelt und vor allem das Missionsziel definiert werden. Kurz: „Was die praktische Theologie für den Kirchendienst ist, das soll eine Wissenschaft der Missionstheologie für den Missionsdienst sein.“167 Laut Warneck habe die Mission ein Bedürfnis nach wissenschaftlicher Behandlung. Sie sei mittlerweile so weit vorangeschritten, dass sie auch den für die theoretische Reflexion notwendigen praktischen Erfahrungsschatz als „wissenschaftlichen Grundbesitz“ bereits mitbringe.168 Die von Warneck vorgenommene Trennung zwischen Missionsgeschichte und Missionslehre setzte sich schließlich durch. Dabei wurde die Missionsgeschichtsschreibung als Teil der Kirchengeschichte begriffen, wenn auch nicht in dem Umfang, 161 162 163 164 165 166 167 168
Karl Graul, Ueber Stellung und Bedeutung der christlichen Mission im Ganzen der Universitätswissenschaften, Erlangen 1864. Zu missiologischen Traditionen älterer Schulen siehe auch Kasdorf, Warnecks Erbe, Kap. 5. Reifler, Handbuch der Missiologie, 24 u. 213–216. Dagegen argumentiert Jongeneel, Philosophy, Science, and Theology of Mission, 2. Aufl., 79, der Warneck nur als Begründer der Theologie von Mission sieht, aber nicht der Missionswissenschaft als empirischer Wissenschaft. Gustav Warneck, Evangelische Missionslehre. Ein missionstheoretischer Versuch. Erste Abteilung: Die Begründung der Sendung. 2. Aufl., Gotha 1897, 18 und das folgende Kapitel. Ders , Missionslehre II, 18 [Hervorhebungen i. O., K. W.]. Ders , Die Mission als Wissenschaft, in: Allgemeine Missionszeitschrift 16 (1889), S. 397–407, 448– 457, 449. Ders , Missionslehre I, 8–9; Ders , Mission als Wissenschaft, 397–398.
1.3 Missionstheologisches Interesse und die Entstehung der Missionswissenschaft
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wie Warneck sie behandelt zu sehen wünschte. Missionsgeschichtsschreibung sollte nämlich nicht nur die Ausbreitung der Kirche behandeln, sondern bereits die Situation in der Heimat mitberücksichtigen. Erst im zweiten Schritt gelte es, die Mission im Missionsfeld zu beleuchten. Hier sollten die Auswahl des Gebietes, die Gründung der Stationen und einzelne Bekehrungen behandelt werden, auf die direkte Arbeit der Missionare sowie schließlich auf Erfolge und Misserfolge der Mission und auf andere Beeinflussungen im Zusammenhang mit Mission eingegangen werden.169 Die Missionsgeschichtsschreibung sollte dabei den Standards der Quellenkritik entsprechen, was sie insbesondere von historischen Darstellungen in den populären Missionsblättern unterschied.170 Auch der ab 1911 in Göttingen lehrende Kirchenhistoriker und Missionswissenschaftler Carl Mirbt betonte auf der Weltmissionskonferenz in Edinburgh die Auseinandersetzung mit dem Themenfeld Mission an den deutschen Universitäten beziehungsweise theologischen Fakultäten. „Of course, in a German university, missions can only become a subject of teaching on condition that they are treated in a truly scientific way. […] We are convinced that missions can stand scientific enquiry, and that they will profit by it.“171 Mirbt, der im Übrigen der Berliner Mission nahestand, hielt eine akademische Ausbildung der Missionare für wünschenswert und nötig.172 Er sah die Missionswissenschaft zwar in erster Linie als Kirchengeschichte, schrieb ihr aber dennoch zu, Probleme der Praxis theoretisch zu beleuchten, sodass er sich für eine dezidiert enge Zusammenarbeit mit der Religionswissenschaft einsetzte.173 In seiner 1913 vorgelegten Habilitationsschrift „Weltmission und theologische Arbeit“ entwarf Julius Richter, der nach Warneck führende Missionswissenschaftler zu Beginn des 20. Jahrhunderts, ebenfalls eine Konzeption von Missionswissenschaft, die eine Zwitterstellung zwischen Heimat und Missionsgebiet einnahm. Richter behandelte sowohl das heimatliche Missionswesen als auch das Missionsgebiet betreffende gegenwärtige missionswissenschaftliche Probleme, wobei er sich auf die Volkskirche, das Missionsschulwesen und die Missionsapologetik als die drei prägendsten Gebiete beschränkte. In einem letzten Abschnitt beleuchtete Richter die Eingliederung der missionskundlichen Arbeit in die Theologie. Die Missionswissenschaft habe zu allen theologischen Disziplinen ihre enge Verbindung: zur Bibelforschung, bei der Erfah-
169 Franz Michael Zahn, Die Aufgaben der Missionsgeschichtsschreibung, in: Allgemeine Missionszeitschrift 4 (1877), S. 494–500, 531–543, 536–542. 170 Ebd., 498–499. Dies unterscheidet sich nicht von der Vorstellung Warnecks. Vgl. Warneck, Missionslehre I, 10, oder Ders , Mission als Wissenschaft, 398–407. 171 Mirbt, Characteristics of German Missions, 213. 172 Theodor Ahrens, Missionswissenschaft als Zeitansage. Carl Mirbt – Walter Freytag – Hans Jochen Margull in Hamburg, in: Johann Anselm Steiger (Hg.), 500 Jahre Theologie in Hamburg. Hamburg als Zentrum christlicher Theologie und Kultur zwischen Tradition und Zukunft, Berlin/New York 2005, S. 245–316, 247–253. 173 Mirbt, Characteristics of German Missions, 213.
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1 Mission als Ausweg aus der Krise
rungen aus der Mission zum Verständnis des Neuen Testaments herangezogen würden, zur Kirchengeschichte, zur Praktischen Theologie, aber auch zur Systematik: „Der Anspruch des Christentums, Universalreligion zu sein, erweist sich am zwingendsten aus dem Wege, daß sie es wird. Die Auseinandersetzung des Christentums mit anderen Religionen ist unzureichend, – wie sicher sie auch bei den Christen die Überzeugung von der Überlegenheit ihrer Religion begründen mag, – wenn sie nicht bei den Bekennern der zu überwindenden Religionen zum Bruch mit diesen und zur gläubigen Annahme des Christentums führt. Hier müssen sich also Theorie und Praxis, Systematik und Mission besonders treu zur Erreichung des höchsten Zieles in die Hände arbeiten.“174
Richter plädierte vehement dafür – und in expliziter Abgrenzung zu Mirbt – die Missionskunde als eigenständige theologische Disziplin innerhalb der Praktischen Theologie zu etablieren: „Die Missionskunde ist eben die Disziplin, die der Kirche zur wirksamen Ausrichtung des Missionsdienstes die wissenschaftliche Waffenrüstung schmiedet.“175 Die auffällige Betonung der Kirchengeschichte und Missionsgeschichtsschreibung lässt sich als Rekurs auf solche theologischen Debatten verstehen, in denen das Alte Testament, mehr noch aber das Neue Testament als Textgrundlage infrage standen.176 Die derzeitige Missionierung und Gründung „heidenchristlicher“ Gemeinden weise, so ein häufiges zeitgenössisches Argument zur wissenschaftlichen Beschäftigung mit Mission, strukturelle Ähnlichkeiten zur apostolischen Zeit auf. Bereits 1894 hatte Charles Buchner, Bischof der Brüdergemeine, einen Vortrag auf der Sächsischen Missionskonferenz über die „gerechte Würdigung der heidenchristlichen Gemeinen“ gehalten, in dem er auf die augenfällige Ähnlichkeit von heidenchristlichen und apostolischen Gemeinden aufmerksam gemacht hatte.177 Gerade weil die Ähnlichkeit zwischen apostolischer Zeit und den gegenwärtigen Erfahrungen so groß sei, könne die Mission ebenso von den Erfahrungen der apostolischen Zeit profitieren, wie die Erforschung der apostolischen Zeit durch die Erfahrungen der Mission gewinnen könne.178 Interessant ist, dass dabei die unterschiedlichen Zeitlichkeiten,
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Julius Richter, Weltmission und theologische Arbeit. Habilitationsschrift für einen Lehrstuhl der Missionswissenschaft an der Universität Berlin, Gütersloh 1913, 101 [Hervorhebung i. O., K. W.]. Ebd., 105. Wie eng dies mit der Verwissenschaftlichung von Theologie und der Etablierung der „modernen“ Theologie in Verbindung stand, zeigt Howard, Protestant Theology. Charles Buchner, Die gerechte Würdigung der heidenchristlichen Gemeinen, in: Allgemeine Missionszeitschrift 21 (1894), S. 193–212. Vgl. z. B. Johann Ernst Georg Stosch, Vermag die Mission der theologischen Wissenschaft einen Ertrag zu bieten?, in: Allgemeine Missionszeitschrift 29 (1902), S. 3–17, 49–60, 97–113, 183–190, 226–235, 54. Stosch und Warneck verfolgten hier dieselbe Argumentation, vgl. Gustav Warneck, Missionsmotiv und Missionsaufgabe nach der modernen religionsgeschichtlichen Schule, in: Allgemeine Missionszeitschrift 34 (1907), S. 3–15, 49–61, 105–122, 55.
1.3 Missionstheologisches Interesse und die Entstehung der Missionswissenschaft
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die hier zugrunde gelegt wurden,179 durchaus in beiden Richtungen als Argument zu funktionieren schienen. Wegen der besonderen Stellung der Aposteln, die – besonders Paulus – „ideale Diener“ gewesen seien, schien es legitim, auch missionsmethodische Fragen anhand der Apostelgeschichte zu beantworten, beinhalte doch die Apostelgeschichte beziehungsweise das gesamte Neue Testament als Missionsbuch, „gerade für unsere Zeit, eine solche Fülle von Anregungen, Anweisungen und beherzigenswerten Fingerzeigen“.180 Als Buch voller Missionsbeispiele von „höchster Autorität“ zeichne die Bibel das „Urbild des kirchlichen Thuns“ und müsse daher die Richtschnur jedes missionarischen Wirkens sein.181 Das Orientieren an den Anfängen des Christentums würde dem Missionar helfen, sich gegenüber den zu Missionierenden verständlich zu machen, und schade auch Predigern in Deutschland nicht, in deren Wirkungskreis die Missionsarbeit ebenfalls stark zugenommen habe.182 Hier wurde also explizit eine Verbindung zur Inneren Mission bzw. der Rückgewinnen der sogenannten „Namenchristen“ geschlagen. 1.3.2 Missionswissenschaft zwischen Universitätstheologie, Kirche und Missionsgebiet Eng mit der Institutionalisierung der Missionswissenschaft als Subdisziplin der Theologie verwoben und parallel zu ihr wurden missionswissenschaftliche Inhalte und Themen auch außerhalb der Universitäten diskutiert. Große internationale Konferenzen, wie die 1910 in Edinburgh abgehaltene Weltmissionskonferenz,183 aber auch kleinere Missionskonferenzen behandelten praktische Fragen der Missionierung oder diskutierten effektive Wege der Missionswerbung. Wichtige Entscheidungen, die verschiedene Missionsgesellschaften betrafen – dies waren Fragen zum Umgang mit der Kolonialmacht, vor allem aber praktisch theologische Probleme, beispielsweise wie der Katechumenenunterricht organisiert werden sollte –, wurden gemeinsam von den evangelischen Missionsgesellschaften auf der „Kontinentalen Missionskonferenz“184 debattiert. Auf deutlich kleineren Missionskonferenzen trafen sich dagegen Missions179
Siehe dazu mittlerweile klassisch Johannes Fabian, Time and the Other. How Anthropology Makes Its Object, New York 1983. 180 Charles Buchner, Die Bedeutung der Apostelgeschichte für unsere heutige Missionszeit, in: Allgemeine Missionszeitschrift 25 (1898), S. 304–314, 337–345, 306. 181 Franz Michael Zahn, Giebt das Neue Testament für alle Zeiten bindende Vorschriften über die Methode der christlichen Mission?, in: Allgemeine Missionszeitschrift 25 (1898), S. 385–403, 396–401. 182 Ebd., 388. 183 Zu dieser Konferenz siehe Tomoko Masuzawa, The Invention of World Religions. Or, how European Universalism was Preserved in the Language of Pluralism, Chicago 2005; Brian Stanley, The World Missionary Conference, Edinburgh 1910, Gran Rapids 2009. 184 Die Kontinentale Missionskonferenz, an der bis 1885 nicht nur deutsche, sondern auch holländische, skandinavische und französische Missionsgesellschaften teilnahmen, war 1866 gegründet
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1 Mission als Ausweg aus der Krise
wissenschaftler, Theologen, Pastoren, Lehrerinnen und Lehrer und Unterstützerinnen und Unterstützer des Missionsprojektes häufig auch nur einer Missionsgesellschaft. Diese Konferenzen, die als eine Brücke zwischen Äußerer und Innerer Mission und der Kirche zu verstehen sind, hatten zumeist einen regionalen Zuschnitt, wie er den einzelnen Landeskirchen entsprach. Für die Leipziger Mission war einerseits die Sächsische Missionskonferenz besonders wichtig, aber auch – schon aufgrund der räumlichen Nähe und ihrer Strahlwirkung durch die Gründerfigur Warneck – die Hallesche Missionskonferenz. Auch im Gebiet der Hannoverschen Landeskirche wurden mehrere Versuche unternommen, zuletzt durch Carl Mirbt, eine Missionskonferenz zu etablieren.185 Zusammentreffen von Missionsvertretern und an Mission interessierten Pfarrern fanden häufig im Anschluss an Vereinstage der Inneren Mission statt oder im Anschluss an Tagungen der Pfingstkonferenz.186 Die Konferenzen waren also Veranstaltungen, bei denen sich das lutherische Netzwerk der Missionsgesellschaft kristallisierte, verfestigte und sogar vergrößerte. In ihrer Bedeutung für die Missionswissenschaft als Teil der Praktischen Theologie können diese Konferenzen in ihren verschiedenen Zuschnitten jedoch kaum überschätzt werden. Nicht nur wurden auf diesen Konferenzen maßgebliche wissenschaftliche Erkenntnisse zunächst zur Diskussion gestellt, verändert und angepasst; sondern die Konferenzen dienten maßgeblich auch der Multiplikation missionswissenschaftlicher, häufig im Missionsgebiet entstandener Überlegungen und Erfahrungen – bis hinein in die heimatlichen Kreise der Pastoren und Vereinsvorstände der einzelnen Missionsvereine. Der Verbreitung missionswissenschaftlicher Ergebnisse auch die der Konferenzen erfolgte zusätzlich durch die hauptsächlich von Theologen, Missionaren, Pastoren und Lehrern gelesene Allgemeine Missionszeitschrift.187 Dieses Fachorgan der evangelischen Missionswissenschaft, das 1874 von Gustav Warneck begründet worden war, der bis zu seinem Tod im Mittelpunkt der evangelischen missionswissenschaftlichen Kreise stand, brachte in sich über den Zeitraum der Erscheinung des Blattes verändernden Rubriken Artikel zu allen Belangen des Missionswerks. Hier bündelte sich der missionswissenschaftliche Austausch zwischen allen am Missionsprojekt beteiligten Akteuren.188
185 186 187
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wurden und tagte in Bremen. An den außerordentlichen Konferenzen nahmen in der Regel nur die deutschen Missionswerke teil. Siehe dazu Wetjen, Das Globale im Lokalen, 104–105. Zur Hannoverschen Missionskonferenz siehe Wetjen, Das Globale im Lokalen, 99–106. Die Pfingstkonferenz war 1842 als Zusammenschluss bekenntnistreuer Pfarrer im Gebiet der Hannoverschen Landeskirche gegründet worden. Die Zeitschrift hatte 1912 eine Auflage von ca. 3000 Abonnenten. Vgl. Jeremy Best, The Allgemeine Missionszeitschrift and Missionary Nationalism. Science for Mission and Empire, in: Felicity Jensz / Hanna Acke (Hg.), Missions and Media. The Politics of Missionary Periodicals in the Long Nineteenth Century, Stuttgart 2013, S. 57–76, 59. Missionare, so auch die der Leipziger Mission, erhielten die Zeitschrift ins Missionsgebiet geliefert. Johannes Warneck, Erinnerungen aus dem Leben D. Gustav Warnecks seinen Freunden dargeboten, in: Ders. / Martin Kähler (Hg.), D. Gustav Warneck 1834–1910. Blätter der Erinnerung,
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Praktisch-theologische Überlegungen standen neben ethnographischen Skizzen oder Berichten zu politischen Themen. Es gelang Gustav Warneck, der trotz verschiedener Mitherausgeber der Kopf der Zeitschrift blieb, immer wieder, Missionsangehörige und Theologen für Beiträge in der Allgemeinen Missionszeitschrift zu gewinnen, wobei die Zeitschrift auch internationale Entwicklungen der Missionswissenschaft berücksichtigte. Das Blatt wurde so zu einem Sprachrohr der protestantischen kirchlich-konservativen Missionsbewegung und publizierte nicht nur wichtige Ergebnisse, sondern auch Stellungnahmen zu missionspolitischen Themen. Ausführliche Referate und Abhandlungen fanden ihren Platz in der Zeitschrift ebenso wie eine umfassende Liste und Besprechungen von Neuerscheinungen zu Missionsthemen. Eine Auseinandersetzung mit Ernst Troeltsch, Stellungnahmen der Missionsangehörigen zum deutschen Kolonialismus189 oder zur Ausbildung von Missionaren wurden federführend in der Allgemeinen Missionszeitschrift, zumeist vom Herausgeber selbst, bestritten und trugen zur Untermauerung des wissenschaftlichen Anspruchs der protestantischen Mission bei.190 Immer wieder wurde in dem Blatt die Frage diskutiert, inwiefern die Missionswissenschaft auf die Theologie zurückwirken könne. Einen ausführlichen Artikel zur der Frage „Vermag die Mission der theologischen Wissenschaft einen Ertrag zu bringen“ legte der ehemalige Leipziger Indienmissionar Johann Ernst Georg Stosch vor. Stosch, der auch nach seinem Ausscheiden aus der Mission zahlreiche Schriften – nicht nur missionswissenschaftliche – veröffentlichte, strich besonders die wissenschaftliche Beschäftigung mit Mission um der Mission willen heraus und reklamierte eine intensivere Beschäftigung mit Missionsthemen in der Theologie im Allgemeinen; indem er die verschiedenen theologischen Disziplinen detailliert durchging, zeigte er an verschiedenen Beispielen auf, wie sehr die Theologie von den Erfahrungen der Mission profitieren könne. Den Ausgangspunkt dabei bildeten die Missionare: „Es giebt kein Amt in der Berlin 1911, S. 39–86, beschrieb in bewegenden Worten: „Die Allg. Missions-Zeitschrift hob uns, die wir in abgelegenen Winkeln der Erde der Politik des sehr niedrigen Kirchentums zu verfallen drohten, auf Bergeshöhen, von wo wir Distanzen vergleichen lernten und unser bescheidenes Tagewerk zusammenschrumpfen sahen im großen Organismus der Reichsgotteskräfte. Die historischen Artikel weiteten uns den Horizont, ließen uns die Kämpfe und Siege anderer Gebiete miterleben und vertieften uns so den Glauben und das Verständnis für das Stück Kirchengeschichte, an dem wir Mitarbeiter waren. Uns war die Allg.-Missions-Zeitschrift nicht nur ein Kompendium begehrenswerten Wissens, an dem man sich gegebenenfalls orientiert, sondern eine Quelle praktischer, auf Erfahrungstatsachen und gesunder wissenschaftlicher Durchdringung des Stoffes aufgebauter Berufsweisheit“. Ebd., 66. Zur wissenschaftlichen Zeitschriftenlektüre der Leipziger Missionare im Missionsgebiet siehe u. a. Müller an Missionare, 15.7.1910, ELCT XXVII. 189 Best, Allgemeine Missionszeitschrift, sieht die Themen Kolonialismus und Nationalismus als den Fokus der Allgemeinen Missionszeitschrift an. Dies ist jedoch verkürzt. Solche Fragen wurden vielmehr neben anderen behandelt und konnten auch völlig in den Hintergrund treten. Auch waren Gustav Warneck und die anderen Mitherausgeber bemüht, dem Allgemeinen Protestantenverein kein Forum zu bieten. 190 Ebd., 66.
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Kirche, welches so sehr alles das in Aktion ruft, was der Träger an geistigem und theologischen Besitz zu sammeln vermochte, als das Amt eines Missionars.“191 Missionare seien, so Stosch, durch ihre Aufgabe genötigt, ein viel intensiveres Bibelstudium zu betreiben, als dies in der Heimat der Fall sei; ihre Einsichten in den biblischen Text, die sie während der Predigt und im Austausch mit denjenigen, die sie zu missionieren suchten, aber vor allem auch bei der Bibelübersetzung gewännen, könnten dabei für die Exegese ebenso hilfreich sein, wie die von Missionaren durch das Leben im „Orient“ gemachten Erfahrungen. Religionsgeschichte und -philosophie könnten ebenso von den missionarischen Erfahrungen profitieren. Nicht nur für die Apologetik, sondern auch für die Dogmatik werde in der Mission die Überlegenheit des christlichen Gottesbegriffs deutlich.192 „In Beziehung auf die organische Einheit der Schrift neuen Testaments, in Hinsicht auf die hier waltenden göttlichen Triebkräfte macht die Mission Erfahrungen, welche geeignet sind, die wissenschaftlichen Aussagen zu erweitern und zu vertiefen.“193 Gleiches gelte auch für die Symbolik; zwar würden Lehrunterschiede in der Mission abgemildert, gerade das lutherische Bekenntnis, lutherische Kirchenlieder, die lutherische Abendmahlslehre und der Kleine Katechismus wirkten aber eine große Anziehungskraft aus. Die Beschäftigung mit Mission, die im System der theologischen Wissenschaften ja schon seit Schleiermacher der Praktischen Theologie zugeordnet war, sollte gerade auch in dieser Subdisziplin ihre volle Wirkmächtigkeit entfalten. „In den von der praktischen Theologie behandelten Fragen und Lebensgebieten giebt es kaum ein Moment, das durch die Mission und ihren Betrieb nicht irgend eine Beleuchtung empfinge. Das Beichtwesen, die Kirchenzucht, die Kirchenleitung und Kirchenverfassung, die Armenpflege, die Schule und ihr christlicher Charakter, der Kultus und seine Prinzipien, das alles begegnet uns in triebkräftigem Werden oder charaktervoller Ausgestaltung in den kleinen aber durchaus nicht engen Verhältnissen der Missionskirche.“194
Den Verhältnissen im Missionsgebiet wurde in diesen Beiträgen, die mehr oder weniger offensiv für eine etablierte Stellung der Missionswissenschaft an der Universität warben, eine Strahlkraft zugeschrieben, die auf die heimatlichen Verhältnisse wirken sollte. Das Missionsgebiet beziehungsweise das Missionsprojekt im Allgemeinen wurde dann zu einem Raum, in dem die lutherische Konfession, ja das Christentum insgesamt, von unnötigem Ballast befreit und auf das Wesentliche konzentriert hervorgehen könne. Der Missionswissenschaft wurde damit zeitgenössisch ein Innovationspotenzial zugeschrieben, von der insbesondere die von Krisen geschüttelte lutherische Kirche profitieren könne.
191 192 193 194
Stosch, Vermag die Mission, 8. Ebd., 111. Ebd., 58. Ebd., 234.
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Missionarische Erfahrungen und Ergebnisse wurden über die Allgemeine Missionszeitschrift und auf den verschiedenen Missionskonferenzen und andere, im lutherischen Netzwerk zirkulierende Medien multipliziert. Die relativ stabile Grundaussage dieses Diskurses, der eine Rechtfertigung der Missionswissenschaft mit der Popularität des Kolonialen und der Krise der lutherischen Kirche verband, bestand in der positiven Wirkung der Mission auf die Heimat – auf die theologische Wissenschaft, aber auch auf die Kirche direkt: Von der Mission gehe ein „rückwirkender Segen auf die Heimat aus“, so Gustav Warneck.195 Die Feststellung eines solchen „rückwirkenden Segens“ auf die theologische Wissenschaft, aber mehr noch auf die lutherische Kirche und sogar die individuelle Frömmigkeit des Einzelnen war gleichzeitig ein gängiger Topos eines Diskurses, der um eine größere Berücksichtigung der Äußeren Mission im Gemeindeleben geführt wurde. Gustav Warneck und andere Praktische Theologen, Pastoren und Angehörige der Missionsgesellschaften suchten auf verschiedenen Wegen, die Unterstützungsbasis der Äußeren Mission zu vergrößern. Auserkoren als gegebene Vermittler von Wissen über die Mission wurden dafür die hauptsächlich auf dem Land tätigen Pastoren. Im gleichen Zuge wie die Missionsvereine als Unterstützungsvereine der Missionsgesellschaften an Relevanz verloren, wurde die Missionsarbeit nun zur Gemeindesache erklärt.196 Die Äußere Mission beziehungsweise das Wissen um diese wurde dabei zur „Lebensquelle“197 der Gemeinden; vorzugsweise diene das „Zeugnis von dem im Missionswerk erbrachten Tatbeweis des Glaubens zur Weckung und Stärkung des geistlichen Lebens einer Gemeinde.“198 Pastoren wurden hier also gleich zweimal angesprochen. Erstens waren sie zentrale Empfänger der praktisch-theologischen Ergebnisse der Mission, wie sie auch Stosch propagiert hatte. Zweitens waren sie aber auch Vermittler von Wissen über Mission, eine Aufgabe, die Pastoren nun verstärkt ausführen sollten, um lebendigere Gemeinden zu erhalten. Missionsthemen sollten in der Sonntagspredigt und in den Konfirmationsunterricht199 (und von Lehrern auch in den Schulunterricht) integriert werden;
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Gustav Warneck, Die Mission in der Schule. Ein Handbuch für Lehrer, Gütersloh 1899, 5. Siehe zu diesem Handbuch auch Wetjen, Religionspädagogische Resonanzen, 32–37. 196 Siehe bspw. August Wilhelm Schreiber, Die Organisation der heimatlichen Missionsgemeinde. Mit einem Nachwort des Herausgebers, in: Allgemeine Missionszeitschrift 17 (1890), S. 145–158, Richard Handmann, Wie viel ist uns die Mission wert? Zur Epiphaniaszeit, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1895), S. 41–43; siehe dazu auch Wetjen, Das Globale im Lokalen, 39–42. 197 Axenfeld, Die Eingliederung der Arbeit für die Mission in die ordentliche pastorale Arbeit, in: Allgemeine Missionszeitschrift 30 (1903), S. 445–457, 448. 198 Findet die gegenwärtige groß Missionszeit ein großes Geschlecht in der missionierenden Christenheit?, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1910), S. 137–139, 139. 199 Siehe bspw. Gustav Warneck, Die Rückwirkungen der Heidenmission auf das religiöse Leben der Heimat, in: Allgemeine Missionszeitschrift 8 (1881), S. 145–170, der sowohl die Rückwirkungen auf das Gemeindeleben als auch auf die Theologie betont; Was sollen wir berichten (auf Missionsfesten u. s. w.), in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1890), S. 237–239; W Hebel, Die Arbeit
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exklusive Veranstaltungen wie Missionsstunden und Missionsfeste sollten dazu dienen, das Interesse an Mission weiter zu steigern. Durch verschiedene Festredner, insbesondere Missionare, sollten die Gemeindemitglieder zuhause die Kirche als etwas Umfassendes erfahren.200 Missionare hatten im Abstand von mehreren Jahren, häufig zum ersten Mal nach dem Ablegen des Sprachexamens Heimaturlaub, den sie einerseits für ärztliche Behandlungen und zur Erholung nutzten, in dem sie andererseits aber ebenfalls für ihre Missionsgesellschaft tätig waren. Neben Publikationen, die sie häufig während ihres Aufenthaltes in der Heimat fertigstellten,201 zählte es zu ihren Aufgaben, für die Mission als Redner, beispielsweise auf den diversen Festen der einzelnen Gemeinden, in denen für die Mission gesammelt wurde, aufzutreten.202 Trotz zahlreicher Klagen der Missionare und häufigen Plädoyers in den Missionszeitschriften, die Missionare nicht zu überanstrengen,203 waren Missionare wichtige Werbemittel auf diesen Festen. Ihnen kam dabei eine Scharnierfunktion zu: Missionare vermittelten zwischen Missionsgebiet und Heimatgemeinde, stammten sie doch meist selbst aus ebenjenen ländlichen Gebieten, in denen sie nun als authentische Zeugen, als „Glaubenshelden“, die Wirksamkeit von Mission vermittelten und dabei dem Dörflichen eine globale Dimension verliehen.204 Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass der Erfolg eines Missionsfestes häufig von der Anwesenheit eines Missionars abhängig gemacht wurde.205 Missionare erhielten bei den Missionsfesten also auch selbst die Möglichkeit, auf die heimatliche Kirche einzuwirken. Weil Missionare durch ihre Erfahrungen im Missionsgebiet und
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205
des Pfarrers für die Mission innerhalb seiner Gemeinde. Referat für den Missions-Lehrkurs in Kassel (Mai 1900), Kassel 1900; Für Missionsstunden in der Passionszeit, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt 70 (1915), S. 87–88; Johannes Hesse, Die Mission auf der Kanzel. Ein missionshomiletisches Hilfsbuch, Stuttgart 1889; Reinhold Grundemann, Kleine Missions-Geographie und -Statistik zur Darstellung des Standes der evangelischen Mission am Schluss des 19. Jahrhunderts, Calw 1901. Siehe dazu auch Wetjen, Das Globale im Lokalen, 45–62. Ebd., 55. Anders als Moritzen es beschreibt, lässt sich vielmehr feststellen, dass Missionare ständig Gelegenheit zum Austausch hatten und über Zugänge zu Literatur verfügten. Vgl. Niels-Peter Moritzen, Was treibt und was hindert einen Missionar, religionswissenschaftlich zu arbeiten? Überlegungen anhand von zwei Beispielen, in: Johannes Triebel (Hg.), Der Missionar als Forscher. Beiträge christlicher Missionare zur Erforschung fremder Kulturen und Religionen, Gütersloh 1988, S. 155–162. Siehe dazu Altena, Ein Häuflein Christen, 83; Wetjen, Das Globale im Lokalen, zu den Missionsfesten. Z. B. Was sollen wir berichten, 238; Missionschronik: I. Aus unserer Mission, in: Evangelischlutherisches Missionsblatt (1909), S. 221–223, 222. Siehe zur Herkunft der Missionare Altena, Von den Stillen, 223, 228–231. Zur Norddeutschen Mission siehe Birgit Meyer, Translating the Devil. Religion and Modernity Among the Ewe in Ghana, Edinburgh 1999, Kap. 2; zur Hermannsburger und Berliner Missionsgesellschaften Rüther, The Power Beyond, Kap. 2. Zur Bedeutung von Missionaren als Festredner und Glaubenshelden siehe Wetjen, Das Globale im Lokalen, 70–76, 129–134. Ebd., Altena, Von den Stillen, geht ebenfalls auf die Bedeutung der Missionare als Festredner und ihre Stellung im Machtgefüge des Protestantismus ein.
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ihre missionarische Verwendung des Evangeliums so viel besser die heimatlichen Gemeinden verstünden, sollten die Pastoren auch von den Missionaren lernen.206 Diese verschiedenen Funktionen der Missionswerbung lassen sich auch bei den Missionsblättern feststellen. In diesen Blättern wurden Unterstützerinnen und Unterstützer der Mission erstens direkt angesprochen, von der Wirksamkeit von Mission überzeugt und nicht zuletzt zu weiteren (materiellen) Spenden angehalten. Erbauliche Anteile und eine konfessionelle Schwerpunktsetzung sollten darüber hinaus auf die individuelle Frömmigkeit des Einzelnen Einfluss nehmen. Missionsblätter richteten sich zweitens direkt an Pastoren. Sie waren wichtige Publikationen, in denen Pastoren Material an die Hand gegeben wurde, um über die Mission zu berichten und innerhalb ihrer Gemeinden das Interesse an Religion und Kirche vermittelt über Mission wieder zu erwecken. In den Berichten wurde den Pastoren drittens mehr oder weniger direkt vorgeführt, wie eine „lebendige Kirche“ funktionieren könnte. Missionsblätter transportierten missionswissenschaftliches und praktisch-theologisches Wissen. In ihnen wurden mithin Konzepte von Gemeinde und Kirche propagiert, die aus den Erfahrungen der Missionare stammend, auch heimatlichen Pfarrern Anregungen geben sollten, wie die Krise der lutherischen Kirche überwunden werden könne. Auffällig ist, dass in den Beiträgen, die eine wissenschaftliche Bedeutung von Mission für die Theologie oder den Wert missionarischer Erfahrungen für die heimatliche Kirche betonten, die Spezifik des Missionsgebietes in den Hintergrund trat. Zwar war Stosch, dessen Artikel oben besprochen wurde, ein Indienmissionar und er zog indische Beispiele heran, in der Synthese spielte dies aber keine Rolle. Die Konzeption von Missionswissenschaft als kirchlich-konservative Beschäftigung mit dem Außereuropäischen legte den Fokus auf die Verbreitung des Christentums und der Kirche. Eine Missionslehre musste Unterschiede zwischen den Missionsfeldern nur insofern berücksichtigen, als sie einer Verfolgung dieses Ziels im Wege stehen könnten.207 Gleichzeitig folgte die wissenschaftliche Beschäftigung mit Mission einer zeitgenössischen Denkfigur, nach der eigentlich alle Wissenschaftsdisziplinen von einer Beschäftigung mit dem Außereuropäischen profitieren würden.208 Aus der Perspektive der zeitgenös206 Hans von Lüpke, Der Missionar und die „Dorfkirche“, in: Die Dorfkirche. Monatsschrift für Kirche und Volkstum 2 (1909), S. 181. 207 Warneck legte deswegen besonderen Wert auf die Auswahl des Missionsgebietes. Gustav Warneck, Evangelische Missionslehre. Ein missionstheoretischer Versuch. Dritte Abteilung: Der Betrieb der Sendung. Erste Hälfte, Gotha 1897, bietet immerhin einen mehrere Kapitel umfassenden Abschnitt zum Missionsgebiet. 208 Siehe dazu prominent Tilley, Africa. Tilley wendet sich in dem Buch explizit gegen die These, dass die wissenschaftliche Beschäftigung mit Kolonialgebieten nur als Herrschaftsinstrument zu sehen ist. Dies argumentiert Said, Orientalism. Kolonien als Laboratorien der Moderne, besonders für die Hochphase der Kolonialzeit, zu betrachten, macht auch Conrad mit zahlreichen Hinweisen auf weitere Literatur stark: Sebastian Conrad, Doppelte Marginalisierung. Plädoyer für eine transnationale Perspektive auf die deutsche Geschichte, in: Geschichte und Gesellschaft 28 (2002), S. 145–169, 155–158. Anders als meisten Studien, die den Laborbegriff nutzen und damit vor allem
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sischen Missionswissenschaft lassen sich Missionsgebiete deswegen als „Missionslaboratorien“ lesen, in denen praktisch-theologische Erkenntnisse gewonnen und vor allem alternative Konzepte von Gemeinde und Kirche, wie sie zur Bekämpfung der „Krise“ von Theologie und Kirche dringend notwendig waren, erprobt und angewandt wurden. Auch wenn es sich dabei häufig um eine Rückbesinnung auf althergebrachte Konzepte handelte, zielte die Missionswissenschaft im Kern auf Veränderung. „Missionslaboratorien“ sind mithin keine realen Orte, ja sie sind durch die mediale Vermittlung in den missionswissenschaftlichen Organen häufig sogar losgelöst von einem spezifischen Kontext, sondern eine Metapher, um den Transfer, die Anpassung, die mediale Vermittlung und den Rücktransfer von Aushandlungen, Grenzziehungen und Definition vom Christentum respektive von Kirchen- oder Gemeindekonzepten etc. zu fassen. Eine solche Lesart eröffnet dabei erstens ein von der klassischen Kirchengeschichte differenten Blick auf Missionspublikationen, die dann nicht etwa nur Auskunft geben über vermeintliche Erfolge und Misserfolge im Missionsgebiet und die Ausbreitung der Kirche, sondern als Kommentare zur kirchlichen Situation im Kaiserreich zu verstehen sind, auf deren Veränderung sie zielten. Zweitens – und dies ist vielleicht noch wichtiger – öffnet eine solche Lesart den Blick für eine genaue Analyse der Dynamiken im Missionsgebiet, in die einerseits die europäischen Debatten und Konzepte miteinflossen, die aber andererseits von der lokalen Bevölkerung maßgeblich bestimmt wurden, die so nicht zuletzt auch Einfluss auf die Ergebnisse nehmen konnten.209 Wie sich durch die Aushandlungen von Religion vorgefertigte und vermeintliche feststehende Konzepte von Christentum und Gemeinde veränderten, lässt sich dann genauer verstehen. Diese Lesart vom Missionsgebiet als „Missionslaboratorien“ unterstellt also gerade nicht, dass Missionare als alleinige Akteure und unter kontrollierten Bedingungen arbeiteten, sondern nimmt die Agency der Missionierten ernst.
entwicklungspolitische Konsequenzen für Afrika meinen (so v. a. Tilley, Africa), zielt das „Missionslabor“, wie es hier verwendet wird, vor allem – wenn auch nicht nur – auf die Veränderung der deutschen Kirche. 209 Die afrikanische agency im Prozess der Wissensgenerierung betonen insbesondere Harries, Butterflies and Barbarians, aber auch Tilley, Africa. Siehe dazu auch Wetjen, Gemeinde im Laboratorium, 93–98. Ich danke Prof. Dr. Svenja Goltermann, Prof. Dr. Siegfried Weichlein und Dr. Jakob Zollmann für weiterführende Diskussionen zu dem Begriff. Der Einwand Christoph Marx’, dass die Denkfigur von Kolonien als Laboratorien der Moderne, Gewalt im kolonialen Kontext vernachlässige, ist sicherlich einerseits berechtigt, berücksichtigt aber andererseits nicht, dass koloniale gewaltsame Herrschaftsdurchsetzung von einer Analyse des Projekts Kolonialismus, also den Planungen und auch intendierten oder nichtintendierten Rückwirkungen, unterschieden werden kann. Vgl. Christoph Marx, Die Kommunikation der Kolonialmächte und die ‚transnationale Geschichte‘. Anmerkungen zu Ulrike Lindners Koloniale Begegnungen. Deutschland und Großbritannien als Imperialmächte in Afrika 1880–1914, in: Neue politische Literatur 57 (2012), S. 371–383, 374–375. Siehe auch van Laak, Kolonien.
1.4 Eine Mission im deutschen Kolonialgebiet
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1.4 Eine Mission im deutschen Kolonialgebiet „In einer Zeit, wo sich aller Blicke dem dunklen Erdtheil zuwenden, wo in demselben immermehr neue Wege erschlossen und neue Verbindungen geschaffen werden, wo viele andere Missionsgesellschaften sich nach Ostafrika aufmachen und auch die Maßnahmen der deutschen Reichsregierung einen großen Theil von Ostafrika der deutschen Christenheit besonders nahe gebracht haben, wäre es ebenso müßig als gesucht, nach einem anderen Gebiet sich umzusehen, zumal selbst Deutsch-Ostafrika noch vielen Missionsgesellschaften hinreichenden Raum zur Entfaltung ihrer Thätigkeit bietet.“210
Mit diesen Worten kommentierte die Allgemeine evangelisch-lutherische Kirchenzeitung den einstimmigen Beschluss der Generalversammlung der Leipziger Missionsgesellschaft, ein neues Missionsgebiet in der damaligen Kolonie Deutsch-Ostafrika in Angriff zu nehmen. Der Beschluss, „Kolonialmission“ zu werden, war hauptsächlich dem Druck der Unterstützerinnen und Unterstützer der Mission zu verdanken. Er war von einem Wechsel im Direktorat der Gesellschaft zu dem Kolonialen gegenüber aufgeschlosseneren von Schwartz hin ebenso begünstigt worden wie durch eine hohe Anzahl an verfügbaren Missionaren. Als ostafrikanisches Missionsgebiet ins Auge gefasst wurde von der Mission ein Gebiet der Church Missionary Society, das dieses aufgrund zahlreicher Konflikte mit der deutschen Kolonialverwaltung abgeben wollte.211 Dieses Gebiet am Kilimandscharo schien aus verschiedenen Gründen sinnvoll: Es grenzte an das Missionsfeld der lutherischen „Kambamission“212, war ein im deutschen kolonialen Bewusstsein bekanntes und fest verankertes Gebiet und, was besonders wichtig schien, sollte für die protestantischen Missionen, die sich im ständigen Wettstreit mit ihren katholischen Pendants befand, nicht verloren gehen. Pfingsten 1893 wurden die ersten Missionare in das Missionsgebiet am Kilimandscharo feierlich abgeordnet.
210 211 212
Jahresfest 1892, 581. Diese Konflikte analysiert Lindner, Koloniale Begegnungen. Vgl. Ittameier, Die evangelisch-lutherische Mission in Ostafrika, in: Allgemeine Missionszeitschrift 18 (1891), S. 164–180. Als ab 1883 das deutsche Kaiserreich Kolonialmacht wurde, begannen die Unterstützerkreise der Mission – Missionsvereine, Nähkränzchen, Kirchengemeinden, Einzelpersonen – zunehmend die Aufnahme einer weiteren Mission im deutschen Kolonialgebiet zu fordern, was jedoch von der Missionsleitung, die ihre Missionstätigkeit nicht für koloniale Zwecke in Dienst genommen sehen wollte, zunächst abgelehnt wurde. Bayrische Gruppen spalteten sich daraufhin ab und gründeten 1886 die Hersbrucker Mission, die im später englischen Ostafrika eine Mission unter den Wakamba begann.
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1 Mission als Ausweg aus der Krise
1.4.1 Das Missionsgebiet am Kilimandscharo Der Kilimandscharo gilt bis heute als Naturphänomen.213 In zahlreichen Filmen und nicht zuletzt in der Literatur wurde er mehr und mehr zu einem Symbol für Afrika.214 Bereits die ersten Missionare, Johannes Rebmann und Johann Ludwig Krapf, hatten von dem schneebedeckten Berg berichtet, der höher als der Mont Blanc sei.215 In der aufstrebenden Disziplin der Geographie galt es zunächst als unmöglich, dass mitten im heißen Kontinent Afrika Schnee überhaupt vorkommen könnte. Dieses vermeintliche Wunder zog deswegen bereits früh zahlreiche Forschungsreisende an den Kilimandscharo, die auch über die dort lebende Bevölkerung Berichte lieferten. Die umfassendste geographische Beschreibung der gesamten Region lieferte der deutsche Hans Meyer, späterer Professor für Geographie an der Leipziger Universität und Sohn der Verlegerfamilie Meyer.216 Er unternahm mehrere Versuche, den Berg zu besteigen, bis er schließlich 1889 Erfolg hatte.217 Die Besteigung des Kilimandscharo glich dabei einer Eroberung, die den Sieg des Menschen über die Gewalt der Natur symbolisierte und zu einem „pars pro toto für die koloniale Bedeutung Deutschlands wurde.“218 Dass ein Deutscher als erster den Gipfel erreicht und diesen in Kaiser-Wilhelm-Spitze auf den Kaiser getauft hatte,219 war ein Akt der Inbesitznahme, der sich schließlich auch in den Verhandlungen des Grenzverlaufes zwischen Deutschland und Großbritannien widerspiegelte. Was für das restliche Kaiserreich galt, galt für das Leipziger Bürgertum deswegen besonders:220 Die Reisen Meyers hatten dazu beigetragen, dem Kilimandscharo einen dauerhaften Platz auf der mentalen Karte des Deutschen Kaiserreichs zu sichern.221 Der Kilimandscharo war ein „place on the margin“ – ein Ort also, der Nostalgie und Faszination gleichermaßen hervorrief, der scheinbar von Entwicklun-
213
Vgl. dazu auch den Sammelband François Bart u a (Hg.), Kilimanjaro. Mountain, Memory, Modernity, Dar es Salaam 2006. 214 Zum Kilimandscharo Hamann/Honold, Kilimandscharo. Munson, Nature of Christianity, 24. 215 Vgl. Ebd., 55–56. Der Reisebericht Johann Ludwig Krapf, Reisen in Ostafrika ausgeführt in den Jahren 1837–55; zur Beförderung der ostafrikanischen Erd- und Missionskunde. Bd. 2, Stuttgart 1858, nahm bereits eine erste Einschätzung zur Missionsfähigkeit der Chagga vor. 216 Zu Meyer siehe die von seiner Tochter verfasste Biographie Else von Volkmann / Klaus Goebel, Hans Meyer „Der Mann vom Kilimandjaro“. Verleger, Forscher und Mäzen, München 2010. 217 Meyer besuchte 1899 kurz die Station Mamba: Nachrichten aus Mamba. Nach der Monatschronik der Miss. Althaus und Bleicken ( Juli bis September), in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1899), S. 32–38. 218 Hamann/Honold, Kilimandscharo, 85. 219 Ebd., 94. Hamann und Honold lesen diesen Taufakt als Travestie. 220 Das Leipziger Bürgertum hatte sich in zahlreichen Vereinen, allen voran der Geographischen Gesellschaft, mit hohen Geldsummen an den Expeditionen beteiligt. Siehe dazu Brogiato, Stromer. 221 Schröder, Der deutsche Berg, zeigt dies sehr eindrücklich anhand der Reiseberichte Meyers, die neben der wissenschaftlichen stets die populäre und politische Bedeutung des Berges betonten.
1.4 Eine Mission im deutschen Kolonialgebiet
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gen der Moderne abgekoppelt war, an dem sich das „Andere“ manifestierte, der aber gleichzeitig Vorstellungen und Sehnsüchte hervorrief.222 Die Bevölkerung am Kilimandscharo wurde in den verschiedenen ethnographischen und geographischen Beschreibungen einheitlich als Dschagga, Wachagga, Chaga oder Chagga bezeichnet. Man berief sich dabei auf die von Swahili-Händlern genutzte Bezeichnung für die Bevölkerung am Berg, der an einer Karawanenstraße lag und daher in regelmäßigem Austausch mit der Küste stand.223 Für die Händler und auch die europäischen Forschungsreisenden hatte diese Bezeichnung durchaus Sinn gemacht, beruhte sie doch auf der Annahme, dass Menschen, die in einer Region mit einer sehr ähnlichen Lebensweise lebten und eine Sprache sprachen, auch zu einem Volk gehören müssten.224 Eine solche Vereinheitlichung, die dem Grundsatz „one mountain, one group of people“ gehorchte,225 wurde die gesamte Kolonialzeit über beibehalten und durch zahlreiche Berichte aus europäischer Perspektive noch untermauert. Sie berücksichtigte aber nicht die historische, politische und soziale Situation der lokalen Bevölkerung selbst, auch wenn diese die ursprüngliche Fremdbezeichnung seit den 1950er Jahren mehr und mehr als Eigenbeschreibung benutzte, sodass es noch vor der Unabhängigkeit Tansanias zur Wahl eines Paramountchiefs kam.226 Diese Bewegung hin zu einer gemeinsamen Chagga-Identität war maßgeblich durch Konflikte um natürliche Ressourcen gekennzeichnet, in denen sich die lokale Bevölkerung zusammenschloss, um gemeinsam ihre Interessen gegen westliche, zumeist europäische Siedler und Händler zu verteidigen.227 Vermutlich im 17. Jahrhundert waren eine Reihe von Menschen aus den verschiedenen Völkern Ostafrikas in das Gebiet um den Kilimandscharo eingewandert. Ob sie 222 223 224 225 226
Zu dem Konzept siehe Shields, Places on the Margin, 3, 5. Vgl. dazu ausführlich Falk Moore / Puritt, Chagga and Meru. Bender, Being „Chagga“, 206. Ebd., 207. Vgl. dazu auch P J M Bailey, The Changing Economy of the Chagga Cultivators of Marangu, Kilimanjaro, in: Geography 53 (1968), S. 163–169. 227 Vgl. dazu den sehr anregenden Aufsatz von Bender, Being „Chagga“, der feststellt: „the word Chagga transformed […] from a term of exploitation into one of potential liberation“ (S. 215). Die meisten der (zeitgenössischen) ethnografischen und historischen Arbeiten zu den Chagga stammen von Missionaren, allen voran von Bruno Gutmann. Für seine ethnografischen Forschungen über die Chagga erhielt dieser nicht nur einen Ehrendoktortitel der Erlanger theologischen Fakultät, sondern auch einen Ehrendoktortitel in den Rechtswissenschaften. Ethnographische Forschungen betrieb er v. a. als Hilfsmittel, „um einen Weg zum Herzen des Volkes“ zu finden. Bruno Gutmann, Volkspsychologie am Kilimandscharo, in: Deutsches Kolonialblatt. Amtsblatt für die Schutzgebiete des Deutschen Reiches 17 (1906), S. 295–297, S. 295. Zu Gutmanns Forschungen siehe insb. Kap. 4.4 dieser Studie. Aber auch Vertreter der Kolonialadministration veröffentlichten Berichte über die Chagga, z. B. der deutsche Moritz Merker, Rechtsverhältnisse und Sitten der Wadschagga, Gotha 1902, oder der britische Offizier Charles Dundas, Kilimandscharo and its People. A History of the Wachagga, Their Laws, Customs and Legends, together with some Accounts of the Highest Mountain in Africa, Oxford 1924.
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dort auf eine bereits bestehende Besiedlung trafen, lässt sich heute nicht mehr nachweisen.228 Auf diese Einwanderung geht jedoch die ältere politische Struktur der Clans zurück, wobei das eingewanderte Clanmitglied als Ahnherr kultisch verehrt wurde.229 Die Chagga lebten zur Kolonialzeit im sogenannten „Banana Belt“, einem Gebiet am Kilimandscharo in einer Höhe von 1100 bis 1800 Metern.230 Auf diesen recht fruchtbaren und von einer üppigen Vegetation geprägten Lebensraum verweist auch die Selbstbezeichnung der dort lebenden Bevölkerung. Als Wakiṛima, „Menschen am Berg“, oder wandu wa mndeń, „Menschen, die in den Pflanzungen wohnen“,231 rekurrierten sie auf ihre bevorzugte Siedlungsart, am Berg verstreut gelegene einzelne Gehöfte in den Banenhainen.232 Zu jedem Gehöft gehörte ein Bananenhain, ein Feld zum Betreiben von Ackerbau und einiges an Vieh, das im Stall gehalten wurde. Angebaut wurden auf den durch ein kompliziertes Bewässerungssystem233 mit Wasser versorgten Feldern im Wesentlichen Bananen, aber auch Bohnen, Süßkartoffeln, Yams, Mais, Zuckerrohr und mbege, Eleusine, aus dem Bier gebraut wurde.234 Das Erntejahr wurde durch zwei Regenzeiten strukturiert. Jagen zur Nahrungsmittelversorgung war nicht verbreitet.235 Seit 1840 war der Kilimandscharo in ein großes, überregionales und lokales Handelsnetz eingebunden.236 Unter den verschiedenen kleineren chiefdoms der Chagga kam es häufig zu Kriegen beziehungsweise Raub- und Beutezügen, sodass sich nach und nach ein kompliziertes und von gegenseitigen Abhängigkeiten und Bündnissen geprägtes Hierarchiesystem unter den chiefs etablierte. In jeder Landschaft am Kilimandscharo kristallisierten sich einige wenige mächtige chiefs heraus, die sich aus verschiedenen
228 Diese aus verschiedenen Gebieten kommende Migration an den Kilimandscharo war schon den Missionaren bekannt. So schrieb z. B. Johannes Schanz eine umfassende Arbeit darüber: Johannes Schanz, Mitteilungen über die Besiedlung des Kilimandscharo durch die Dschagga und deren Geschichte, Leipzig/Berlin 1913. 229 Siehe dazu Hasu, Desire and Death, 54–65. 230 Viola Solluntsch, Die Maasai, Chagga und Pare auf historischen Fotografien der Sammlung des Museums für Völkerkunde zu Leipzig. Bd. 1, Leipzig 2003, 28. Siehe zu den Pflanzen der Region auch insbesondere Munson, Nature of Christianity. 231 Hasu, Desire and Death; Johannes Raum, Versuch einer Grammatik der Dschaggasprache (MoschiDialekt), Berlin 1909, 1–2. 232 Die Kolonialverwaltung zielte eigentlich darauf ab, die Chagga in Dörfer umzusiedeln, was auf vehementen Widerstand traf und letztlich auf Drängen der Missionare zunächst verhindert werden konnte. Vgl. Ludger Wimmelbücker, A Regional History. Bd. 1: Production and Living Conditions, c. 1800–1920, Münster/Hamburg/London 2002, 294, 402; Krause, Neue Nachrichten aus Mamba, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1901), S. 399–404. 233 Alison Grove, Water Use by the Chagga on Kilimanjaro, in: African Affairs (1993), S. 431–448. Siehe dazu auch jüngst Bender, Water. 234 Falk Moore / Puritt, Chagga and Meru, 6. 235 August Widenmann, Die Kilimandscharo-Bevölkerung. Anthropologisches und Ethnographisches aus dem Dschaggalande, Gotha 1899, 82. 236 Munson, Nature of Christianity, 22. Die Bewohner am Berg mit ihrer relativ guten Nahrungsversorgung dienten dabei vermutlich auch als Proviantgeber. Vgl. Stahl, History of the Chagga People, 50. Zum Karawanenhandel siehe ausführlich Pesek, Koloniale Herrschaft, 44–101.
1.4 Eine Mission im deutschen Kolonialgebiet
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Clans zusammensetzten und teilweise über andere chiefs Autorität beanspruchten. Diese mächtigen chiefs waren es dann, die als Ansprechpartner für die Karawanen fungierten und so den Weiterverkauf von Stoffen, Perlen oder anderen Gütern von der Küste steuerten. Gegen Elfenbein tauschten die Chagga Steingut und Eisen, was sie beides selbst nicht herstellten oder abbauten. Vermutlich waren sie auch in dem in Ostafrika herrschenden Sklavenhandel zur Mitte des 19. Jahrhunderts aktiv.237 Innerhalb der größeren, eine Landschaft beherrschenden chiefdoms wurden jeweils eigene, aber dennoch ähnliche Sprachen, die von den Missionaren einheitlich als Kichagga238 bezeichnet wurden, gesprochen. Vermutlich konnten sich die Menschen am Berg untereinander zumindest in den angrenzenden Landschaften durchaus verständigen, was auch durch gegenseitige Raub- und Kriegszüge, die fast immer auch zu Geiselnahmen führten, begünstigt wurde. Von zahlreichen Chagga wurde zudem Kiswahili gesprochen – die Sprache der Händler. Für den Handel bediente man sich außerdem des Kimassai, wie überhaupt eine enge Verbindung zu den Massai, die bis hin zum Konnubium reichte, bestand.239 Angehörige der Chagga führten häufig Krieg gegen die ihnen zumeist unterlegenen Meru- und Pare,240 die westlich vom Kilimandscharo siedelten. Zu Beginn der deutschen Kolonialherrschaft hatten sich am Kilimandscharo im Wesentlichen durch diese Entwicklung drei chiefdoms herausgebildet.241 Unter der deutschen Kolonialherrschaft kam es zu einem System der indirect rule, das heißt, die Deutschen beließen die Macht bei den chiefs, an die sie für Leistungen und Abgaben
237 238
239 240 241
Sally Falk Moore, The Secret of Man. A Fiction of Chagga Initation and its Relation to the Logic of Chagga Symbolism, in: Journal of the International African Institute 46 (1976), S. 357–370. Mittlerweile scheint es eine solche einheitliche Sprache zu geben, wenn auch immer noch zwischen verschiedenen Dialekten unterschieden wird. Vgl. Michele Emanatian, Everyday Metaphors of Lust and Sex in Chagga, in: Ethos 24 (1996), S. 195–236. Die Vorsilbe ki- wird in dieser Studie beibehalten, um die Unterscheidung zwischen Sprache und Ethnie deutlich zu machen. John L Berntsen, The Maasai and Their Neighbors. Variables of Interaction, in: African Economic History 2 (1976), S. 1–11. Schanz, Aus vergangenen Tagen Moschi’s, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1903), S. 387–394, berichtet z. B. davon. Zum Streit zwischen Sina von Kibosho und Rindi von Moshi, der nicht nur die Politik am Berg bis in die 1890er Jahre hinein dominierte und in den auch die deutsche Kolonialmacht verwickelt war, siehe Falk Moore / Puritt, Chagga and Meru, 13–15; Iliffe, Modern History, 59–60, 101–102; R W Beachey, The Arms Trade in East Africa in the Late Nineteenth-Century, in: The Journal of African History 3 (1962), S. 451–467; Stahl, History of the Chagga People, 245–257; Wimmelbücker, Kilimanjaro, 255–258. Nicht zuletzt wurde aufgrund des Taktierens Rindis die erste Militärstation am Kilimandscharo von Carl Peters in Moshi eingerichtet. Später wurde sie auf Betreiben des immer mächtiger werdenden chiefs Marealle nach Marangu verlegt. Vgl. Arne Perras, Carl Peters and German Imperialism 1856–1918. A Political Biography, Oxford 2004, 189–192. Sundkler und Steed beschreiben die politische Situation am Berg: „There were constant intrigues between leading chiefs; and the arrival of the Europeans only seemed to increase opportunities for the more cunning to manipulate the foreigners, in order to eliminate their competitors and strengthen their own position.“ Bengt Sundkler / Christopher Steed, A History of the Church in Africa, Cambridge 2000, 547.
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herantraten. Für die chiefs ergab sich dadurch eine Möglichkeit, ihre Macht zu stabilisieren oder durch Kooperation mit den Deutschen sogar auszubauen, zumal die Deutschen auf Informationen von den chiefs angewiesen waren.242 Kriege zwischen den chiefdoms, die der Versorgung mit Vieh dienten, nahmen unter der Kolonialherrschaft ab.243 Nichtsdestotrotz blieb für die Deutschen die Gefahr von Aufständen gegen die Kolonialmacht imminent, und zwar auch nachdem Vertreter der deutschen Kolonialadministration 1900 mehrere chiefs und angesehene aikiden, Berater der chiefs, als Folge von brutalen Strafexpeditionen gehängt hatten und sich die Chagga, wenn auch widerwillig, mit der deutschen Kolonialherrschaft arrangiert hatten. Durch die Einführung von Kaffee als Anbaupflanze und die Etablierung weiterer Handelsmöglichkeiten kam es nach 1905 vermehrt zum Anbau von Pflanzen, die für den Verkauf beziehungsweise den Export bestimmt waren.244 Unter der deutschen Kolonialherrschaft wurde zudem ein Geldsystem etabliert – eine Maßnahme, die für die Mission und die Anwerbung von Arbeitskräften nicht unwichtig war.245 Trotz der politischen und sprachlichen Teilung der Chagga, die aber keineswegs abgeschlossen war, lassen sich heute aufgrund der Quellen- und Forschungslage kaum Differenzierungen zwischen den einzelnen Landschaften bzw. chiefdoms vornehmen. Dies liegt nicht zuletzt begründet in der Struktur der historisch orientierten ethnographischen Forschung zu den Chagga. Aufgrund eines Mangels an anderen Quellen rekurrieren diese auf die Arbeiten der Mission – auf Missionspublikationen, auf ungedruckte Berichte, in besonderem Maße auf explizite Beiträge von Missionaren zur Ethnographie, die diese in den verschiedenen Organen und Reihen der sich just etablierenden Wissenschaften vom Außereuropäischen veröffentlichten. Der Missionar Bruno Gutmann legte beispielsweise mehrere solcher umfassenden ethnographischen Arbeiten vor, für die er auch innerhalb der Akademie Anerkennung fand.246 Missionare
242 Falk Moore spricht davon, dass „the Chagga retained a good deal of internal political autonomy over their own affairs, even in the course of carrying out the many changes introduced by European administrators, missionaries and settlers.“ Falk Moore / Puritt, Chagga and Meru, S. 16. Besonders geschickt beim Ausbau seiner Macht mithilfe der deutschen Kolonialverwaltung war Marealle, der chief von Marangu. Vgl. Ebd., 15. Siehe auch Iliffe, Modern History, 120. 243 Vgl. dazu auch Otto F Raum, German East Africa. Changes in African Life under German Administration 1892–1914, in: Vincent Harlow / E. M. Chilver (Hg.), History of East Africa. Bd. 2, Oxford 1965, S. 163–207. 244 Jürgen Franke, Zur Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse bei den Dschagga unter den Bedingungen der deutschen Kolonialherrschaft 1885–1916, in: Jahrbuch des Museums für Völkerkunde zu Leipzig 32 (1980), S. 179–196, 183; Wimmelbücker, Kilimanjaro, 376. Die Hungersnot zwischen 1907 und 1909 führte dennoch zu Bevölkerungseinbußen. Vgl. Ebd., 416. Vgl. auch John Iliffe, The Age of Improvement and Differentiation, in: Isaria N. Kimambo / A. J. Temu (Hg.), A History of Tanzania, Nairobi 1969, S. 123–159, 135–136. 245 Die wirtschaftliche Entwicklung der Region und verschiedene Initiativen der Nutzbarmachung, bspw. durch eine Straußenfarm, beschreibt Munson, Nature of Christianity, v. a. 36–37. Siehe auch Solluntsch, Maasai, Chagga und Pare. 246 Zu Bruno Gutmann siehe ausführlich Kap. 4.4 dieser Studie.
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verfolgten mit ihren Arbeiten aber eine eigene Agenda, die der missionarischen Aufgabe, die lokale Bevölkerung vom Christentum zu überzeugen, entsprach. In der Anfangszeit waren Missionare vermutlich nicht in der Lage, Unterschiede zwischen den Regionen zu erkennen; beeinflusst von der vorhergehenden Beschreibung der Chagga, wie sie im Kaiserreich kursierten ebenso wie von dem dringenden Appell des Missionsdirektors, Kosten zu sparen, strebten sie von Beginn der Missionierungsbemühungen eine Nivellierung bestehender Unterschiede an.247 Nur so lässt es sich erklären, dass Gutmann, auch wenn seine Forschungen im Wesentlichen aus seiner Tätigkeit in der Moshi-Region stammten, von „Sitten- und Gebräuchen der Chagga“ oder ihren „Stammeslehren“ schreiben konnte. Der Wunsch nach einer Einebnung bestehender Unterschiede ging sogar so weit, dass jenseits einer konkreten Nennung und einigen spezifischen Berichten über die Lebensweise der Massai oder Pare, sich in den Berichten in den Missionsblättern kaum Unterschiede jenseits einer Ortsangabe erkennen lassen. 1.4.2 Beginn und Ausdehnung der Arbeit der Leipziger Mission Die Leipziger Mission begann ihre Missionsarbeit am Kilimandscharo unter der dortigen Bevölkerung als Nachfolgemission der Church Missionary Society und des bayrischen Missionswerks unter Führung Pastor Ittameiers.248 Diese sogenannte Hersbrucker Mission hatte sich von der Leipziger Missionsgesellschaft, die sich unter der Führung des Missionsdirektors Hardelands einer Kolonialmission verwehrt hatte, abgespaltet. Erst nach zwei Jahren wurde der Druck der Mitglieder und der Unterstützerinnen und Unterstützer der Missionsgesellschaften so groß, dass sie sich doch für eine Aufnahme der Mission am Kilimandscharo entschloss.249 So sollte auch eine weitere Spaltung der Mission verhindert werden und die einigende Stellung der Mission für die Lutheraner verteidigt werden.250 Auf dem Jahresfest der Gesellschaft 1892 wurde der einstimmige Beschluss gefasst, eine Mission in Ostafrika zu gründen, „in einer Zeit, wo sich alle Blicke dem dunklen Erdteil zuwenden, wo in demselben immer mehr neue Wege erschlossen und neue Verbindungen geschaffen werden“251. Ursprünglich war es geplant gewesen, dass die Leipziger die bereits von der Church Missionary Society errichtete Station weiter nutzen und auch die ersten Erfolge der Church Missionary Society fortführen konnten. Dieser Plan ließ sich jedoch nicht umsetzen. 247 Besonders eindrücklich lässt sich diese Tendenz der Vereinheitlichung bei der Sprachenpolitik der Mission zeigen. Siehe dazu Kap. 3.1.2 dieser Studie. 248 Vgl. zu den Vorgängen im Vorfeld der Übernahme der Mission durch die Leipziger Missionsgesellschaft Ittameier, Mission in Ostafrika. Die Ev.-luth. Mission zu Leipzig, in: Allgemeine Evangelisch-Lutherische Kirchenzeitung 26 (1893), S. 4–6, 6. 249 Altena, Ein Häuflein Christen, 66–67. 250 K /S , Die evangelische Heidenmission im J. 1891, 251. 251 Jahresfest 1892, 581.
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Vor der offiziellen Übernahme des Gebiets hatte es einen regen Schriftwechsel zwischen der Missionsgesellschaft, vertreten durch Missionsdirektor von Schwartz und das Kollegium, und der Kolonialabteilung im Auswärtigen Amt gegeben. Während dieses Schriftwechsels hatte die Kolonialadministration zunächst auf die schwierige politische Situation am Kilimandscharo verwiesen, die es unmöglich mache, für den Schutz der Missionare zu garantieren. Sehr frühzeitig hatte insbesondere der in Moshi stationierte Hauptmann Johannes die Übernahme einer Mission am Kilimandscharo durch die evangelische Mission abgelehnt; schließlich sei für die „KilimandscharoBevölkerung“ ausreichend durch die französische katholische Mission gesorgt,252 das Haus der Church Missionary Society sehr zerfallen und der Preis, den die Engländer verlangten, viel zu hoch.253 Weil die Mission aber bereits Verhandlungen mit der englischen Missionsgesellschaft aufgenommen und auch das Gebiet der Kambamission254 von den Bayern schon übernommen hatte, hielt sie am Kilimandscharogebiet fest. Man bestünde zwar nicht auf Moshi, wenn das die Verhältnisse nicht hergäben, könne aber auch nicht hinnehmen, dass es einer evangelischen Missionsgesellschaft verwehrt würde, eine Station, an der schon sieben Jahre evangelische Missionsarbeit getrieben worden sei, zu übernehmen, nur weil sich dort „seit einigen Monaten eine katholisch-französische Mission in einer Entfernung von einer Tagereise bei einem anderen Häuptling“255 angesiedelt habe, so die empörte Antwort der Gesellschaft. Im Verlauf des Schreibens ging Direktor von Schwartz sogar noch weiter: Er könne nicht garantieren, dass die Generalversammlung, also die Versammlung der Unterstützungsvereine der Missionsgesellschaft, unter diesen Umständen überhaupt für die Aufnahme einer Kolonialmission stimme, mache es ja auch den Anschein, dass seitens der Kolonialbehörden die „katholische Missionsthätigkeit zu Ungunsten der evangelischen bevorzugt werde“.256 Pfingsten 1893 konnten dann schließlich fünf Missionare in das neu aufzubauende Missionsgebiet ausgesandt werden.257 Als erste Missionare wurden die Missionare Faßmann258, Müller, Böhme259 und Althaus ausgewählt. Die ersten drei hatten gerade
252 Schreiben von Soden an Caprivi vom 28.12.1892, 10, BArch R 1001/848. 253 Schreiben Kayser an von Jacobi, 30.1.1893, 12, BArch R 1001/848. Im weiteren Verlauf des Schreibens wurden den Leipzigern sogar Alternativen vorgeschlagen. (Ebd., 14–15). 254 Diese Mission zeigte nur wenig Erfolge und wurde letztlich aufgegeben. Vgl. Fleisch, Hundert Jahre, 263. 255 Schreiben von Schwartz an von Jacobi vom 30.3.1893, 25, BArch R 1001/848. 256 Ebd., 26. 257 Die Aussendung, Reise und ersten Stationsgründungen beschreibt Hasu, Desire and Death, 127– 142. 258 In einigen Quellen auch Fassmann. 259 Missionar Böhme musste aus gesundheitlichen Gründen sofort wieder nach Europa zurückkehren. Vgl. Heinrich Adolphi, Am Fuße der Bergriesen Ostafrikas. Geschichte der Leipziger evangelisch-lutherischen Mission in Deutsch-Ostafrika, Leipzig 1902, 38.
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ihre theologische Ausbildung am Leipziger Missionsseminar abgeschlossen, während Gerhard Althaus, ein Halbbruder des späteren Göttinger beziehungsweise Leipziger Theologen Paul Althaus, unter anderem in Göttingen und Leipzig Theologie studiert hatte.260 Als fünfter begleitete die noch unerfahrenen Missionare der bereits in Indien tätig gewesene Traugott Päsler. Letzterer verließ das ostafrikanische Missionsgebiet, sobald sich die ersten Stationen etabliert hatten und kehrte auf sein Tätigkeitsfeld nach Indien zurück.261 Auch in späteren Jahren sollte das indische Missionsfeld als Vorbild für das afrikanische Missionsfeld dienen. Obwohl die Missionare relativ unmittelbar an diese Abordnung Richtung Mombasa reisten, verzögerte sich ihre Ankunft durch einen Aufstand des chiefs Meli von Moshi derart, dass sie erst am 30. September 1893 am Kilimandscharo eintrafen.262 Nach einer Vorstellung bei dem dort stationierten Hauptmann Johannes, wählten sie ihre genauen Plätze für die Stationsgründung aus.263 Als erste Station wurde aufgrund der politischen Verhältnisse die Station Madschame im Westen des Missionsgebietes gegründet, wobei den Missionaren bei der Herbeischaffung des Baumaterials für ein erstes Wohnhaus von chief Shangali, der sich auch später als Unterstützer der Mission erweisen sollte, geholfen wurde.264 Eine zweite Station wurde in Mamba von den Missionaren Päsler und Althaus errichtet. Der Ort war ausgewählt worden, um der katholischen Mission, die ebenfalls am Kilimandscharo tätig war, nicht das Feld zu überlassen.265 Die nötigen Bauarbeiten für die Gründung der Station wurden von einer Gruppe indischer Handwerker266, die die Missionare begleitet hatten, und von angeworbenen Swahili-Arbeiter ausgeführt.267 In den folgenden Jahren wurden diese Stationen mit verschiedenen Außenstationen verbunden. Eine dritte Station konnte 1896 in der Nähe der Militärstation in Moshi gegründet werden, wobei allerdings nicht das ursprüngliche Gelände der Church Missionary Society ge-
260 Vgl. Ebd., 7. Ein zweites theologisches Examen hatte Althaus vor der Abreise nicht abgelegt, da sich das Landeskonsistorium in Hannover geweigert hatte, die entsprechende Prüfung vorzuziehen. 261 Vgl. Ebd., 7 u. 41. 262 Vgl. Ebd., 17. 263 Im Gegensatz zu anderen Missionsgesellschaften hatte die Leipziger Missionsgesellschaft auf eine genaue Instruktion der Missionare verzichtet. Vielmehr sollten die Missionare vor Ort entscheiden, welche Orte sie für geeignet hielten. Vgl. Vokation Althaus, ALMW II.32.303 A. 264 Zur Lage am Kilimandscharo, in: Deutsches Kolonialblatt. Amtsblatt für die Schutzgebiete des Deutschen Reiches 5 (1894), S. 64–65, 65. Zur Gründung der Station Madschame siehe ausführlich Altena, Ein Häuflein Christen, 317–329. 265 Adolphi, Am Fuße der Bergriesen, 38. 266 Es handelte sich dabei um eine Gruppe Christen aus dem indischen Missionsgebiet, die sich in Mamba ansiedeln wollten, letztlich aber nach Indien zurückkehrten. Vgl. Ebd., 39–41. Eine genauere Erforschung dieser Gruppe ist noch ausstehend. 267 Ebd., 39.
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nutzt wurde.268 1896 wurde eine Ausweitung der Mission ins Gebiet der Meru ins Auge gefasst, was jedoch nach der Ermordung der Missionare Ovir und Segebrock,269 die in das Gebiet ausgesandt worden waren, zunächst unterblieb und erst 1902 tatsächlich umgesetzt wurde. 1900 weitete sich das Missionsgebiet der Leipziger auf die Arusha aus.270 Dieser Weg hin zu den im Steppengebiet ansässigen Massai wurde bis kurz vor dem Ersten Weltkrieg verfolgt. Eine solche Ausrichtung gen Westen war durch eine bereits 1894 mit der katholischen Mission getroffene und später immer wieder umstrittene Aufteilung nötig geworden. Diese Vereinbarung sah vor, dass die katholischen Missionare der Väter vom Heiligen Geist, die sogenannten „Schwarzen Väter“, die Landschaften Kibosho, Uru, Kilema und Marangu versorgten, während die Leipziger Mission vor allem die schon erwähnten Landschaften erhalten sollte.271 Diese Vereinbarung, die zunächst einzigartig in Deutsch-Ostafrika war und damit als Präzedenzfall galt,272 führte nicht dazu, dass konfessionelle Streitigkeiten vermieden wurden. Vielmehr kam es sehr häufig zu Klagen bei der Kolonialverwaltung über eine Missachtung der Regel oder sogar Infragestellung der Gültigkeit dieser. So berichtete Hauptmann Johannes in einem Bericht aus dem Jahr 1896 von einer scharfen Rivalität zwischen den beiden Konfessionen am Kilimandscharo.273 1909 warnte der Gouverneur sogar, dass die Streitigkeiten zwischen den Konfessionen letztlich das Ansehen der Christen insgesamt herabsetzten und ein Einfallstor für den Islam bieten würden.274 Die Streitigkeiten unter den Missionsgesellschaften waren dabei von solchem Ausmaß, dass auch die deutsche Öffentlichkeit davon wusste und – je nach konfessioneller Zugehörigkeit – Partei ergreifen konnte.275
268 Ebd., 49. Zur Wahl des Geländes siehe den Bericht von Hauptmann Johannes aus Moshi, 1. Juli 1894, 62, BArch R 1001/848. Offenbar handelte sich dabei um einen Platz, auf dem bis 1891 die Regierungsboma gestanden hatte. 269 Joseph W Parsalaw, A History of the Lutheran Church Diocese in the Arusha Region from 1904 to 1958, Erlangen 1999, 64–75. 270 Ebd., beschreibt die Geschichte der evangelischen Kirche in der Region von Beginn der Missionierung bis hin zur Unabhängigkeit. 271 Bericht von Hauptmann Johannes aus Moshi, 1. Juli 1894, 62, BArch R 1001/848. 272 Zu den Streitigkeiten unter den verschiedenen in Deutsch-Ostafrika tätigen Missionsgesellschaften siehe die Akten BArch R 1001/861 und R 1001/862. 273 Bericht Hauptmann Johannes, 23.10.1896, 100, BArch R 1001/848. 274 Schreiben des Gouverneurs an Kolonialamt vom 22.09.1909, 161, BArch R 1001/861. 275 So erschien z. B. in der Tägliche Rundschau am 17. April 1901 ein Artikel mit der Überschrift „Konfessionelle Streitigkeiten in Deutsch Ostafrika“, in dem über die Klagen der Leipziger Mission über die Einmischung der Katholiken in Marangu berichtet wurde. BArch R 1001/861, Bl. 128.
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Abbildung 1 Das Missionsgebiet der Leipziger Mission vor dem Ersten Weltkrieg276
Die von der Missionsgesellschaft in regelmäßigen Abständen veröffentlichen Statistiken zeigen nicht nur eine zunehmende Anzahl an Missionsstationen über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg, sondern auch eine immer größer werdende Zahl an Mitarbeitern auf den Stationen. Besonders die stolz verkündigten Taufen neugewonnener Christen schienen für das heimische Publikum die Wirksamkeit der Missionsarbeit am Kilimandscharo zu unterstreichen. Ganz im Gegensatz zu der schwächelnden Missionierung der Kamba, die von der Hersbrucker-Mission begonnen und von den Leipzigern übernommen worden war, galt die Chaggamission bereits zeitgenössisch als Erfolg. Torsten Altena führt an, dass zwischen 1894 und 1916 63 (euro-
276 Carl Paul (Hg ), Die Leipziger Mission: Daheim und draußen, Leipzig 1914
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päische) Personen für die Leipziger Mission tätig waren,277 zu denen jedoch nicht nur Missionare, sondern auch Handwerker, Missionsökonomen, ein Missionslehrer, medizinisches Personal und Diakonissen gehörten. Seit 1897 gab es eine eigene Druckpresse im Missionsgebiet, 1903 wurde eine „Lehrgehilfenschule“ in Moshi eröffnet. Von 1907 bis 1910 bestand eine Handwerkerschule, in der einige Jugendliche zu Handwerkern ausgebildet wurden. 1910 wurde ein von einem deutschen Missionsarzt, Dr. Ittameier, geleitetes Missionskrankenhaus auf der Station Madschame errichtet, deren zwei Baracken 1912 sogar um ein massives Haupthaus erweitert wurden. Das Krankenhaus wurde vor allem durch den Leipziger Verein für ärztliche Mission unterstützt. Die Station Mamba übernahm unter den drei älteren Stationen eine besondere Funktion. Während Madschame zwar die älteste Station war und Moshi, erst 1896 gegründet, in der Nähe der Militärstation lag, war es Mamba, das im Osten und in unmittelbarer Nähe zur katholischen Missionsstation im Juni 1894 als Vorposten der lutherischen Mission im Kilimandscharogebiet gegründet wurde. Der dort stationierte Missionar Althaus übernahm die Leitungsfunktion als Senior unter den Missionaren. Die Station in Mamba lag im Gebiet des chiefs Koimbere, der die Mission zwar unterstützte, aber aus Sicht der Missionare lange Zeit als recht unzuverlässig galt. Besser aufgenommen worden waren die Missionare im benachbarten Gebiet des chiefs Bararia.278 1896 wandte sich auch der mächtigere chief Marealle von Marangu an Missionar Althaus mit der Bitte um Schulunterricht, was zu nicht geringen Konflikten mit der katholischen Mission, die dieses Gebiet für sich beanspruchte, führte. Wie auch in den anderen Stationen entwickelte sich der Schulunterricht bald zur erfolgreichsten Missionsmethode der Leipziger Missionare, die darüber hinaus die eigentliche Heidenpredigt lange Zeit vernachlässigten.279 1897 unterhielt Althaus in Mamba bereits eine sogenannte Kostschule, bei der die Schüler und später in einer gesonderten Kostschule auch Mädchen auf der Missionsstation wohnten und arbeiteten und dafür Unterricht und eine (geringe) Bezahlung erhielten.280 Die ersten Taufen an ehemaligen Kostschülern wurden in Mamba 1898 vorgenommen. Die Kostschulen und zusätzliche Unterrichtsangebote auf der Station in Mamba wurden ergänzt um verschiedene Unterrichts- und Gottesdienstangebote an weiter entfernt liegenden Predigtplätzen bzw. Außenschulen, an denen auch sogenannte „Gehilfen“, Lehrer, die aus der lokalen Bevölkerung rekrutiert worden waren, biblische Geschichten und Lesen unterrichteten.281 Besonders Mwika, das im Gebiet von Bararia lag, entwickelte sich rasch und konnte schließlich als eigenständige Station 1906 von Mamba abgetrennt 277 278 279 280 281
Ebd., 193. Davon waren 38 Missionare. Ebd., 199. Bararia floh 1900 auf englisches Gebiet nach Taweta. Siehe dazu Kap. 3 dieser Studie. Das Entgelt schien notwendig, um die Schüler, die bestrebt waren, für eine spätere Verheiratung und die damit verbundene Brautpreiszahlung Geld zu verdienen, zum Schulbesuch zu animieren. Siehe dazu Kap. 3 dieser Studie. Die Kostschulen wurden auf den älteren Stationen 1907 geschlossen, die Mädchenkostschule in Mamba bestand bis 1912.
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werden. Als besonderer Erfolg angesehen wurde, dass sich 1907 auch einige Mitglieder aus Clans der chiefs in Mamba zum Katechumenenunterricht meldeten. Ab 1904 wurde in Mamba die erste Steinkirche gebaut, die jedoch erst kurz vor dem Ersten Weltkrieg fertiggestellt wurde.282 Verschiedene Missionare waren auf der Missionsstation währenddessen tätig gewesen, von denen besonders lange dort die Missionare Arno Krause283, Johannes Schanz284 und Fritz Stammberg285, Johannes Raum286 und Andreas Schöne287 waren, von denen immerhin drei Theologie studiert hatten. Auch nach der Heimkehr des Missionar Althaus blieb Mamba als eine der ältesten Stationen, als Vorposten der lutherischen Kirche gegenüber den Katholiken und als Station des Seniors eine wichtige Station, auf die vornehmlich studierte Theologen ausgesandt wurden. Im Jahr 1919 war Mamba noch die zweitgrößte Gemeinde der Kilimandscharo-Mission.288
282 Siehe dazu ausführlich Kap. 4.3 dieser Studie. 283 Arno Krause (1876–1968) hatte in Leipzig Theologie studiert, bevor er in den Missionsdienst eintrat. Er war von 1899 bis 1902 in Mamba stationiert, 1906 verließ er den Missionsdienst aus gesundheitlichen Gründen. 284 Johannes Schanz (1876–1963) hatte in Erlangen, Greifswald und Leipzig Theologie studiert, bevor er 1901 in den Missionsdienst trat. Er übernahm die Station Mamba 1904 von Althaus, als dieser einen ersten Heimaturlaub antrat. 1905 übernahm er dann die Station Moshi, deren Leitung er bis 1910 innehatte. 1912 schied er tropenuntauglich aus dem Missionsdienst aus. 285 Friedrich Stammberg (1871–1957) war in Kurland im Zarenreich Russland geboren. Er hatte zunächst eine Schmiedeausbildung absolviert, bevor er ins Missionsseminar eintrat. Er war von 1903 bis zu seiner zwangsweisen Rückkehr 1920 in Mamba und Mwika stationiert. 286 Johannes Raum (1874–1936) hatte das Missionsseminar in Neuendettelsau besucht. Er war zunächst in der Kambamission tätig, bevor er aus gesundheitlichen Gründen in die Chaggamission versetzt wurde. Er leitete mehrere Jahre als Mitglied des Missionsrats, einem Entscheidungsgremium unterhalb des Seniors, die Station Mamba und übernahm ab 1912 selbst die Geschäftsführung. Ab 1912 leitete er das Lehrerseminar in Marangu. Raum wurde 1925 zum zweiten Mal, erneut als Senior, nach Ostafrika abgeordnet. Er starb 1936 in Madschame. 287 Andreas Schöne (1881–1967) hatte in Breslau, Erlangen und Leipzig Theologie studiert. 1909 wurde er nach Ostafrika abgeordnet und war dort in Marangu und Mamba tätig. Er schied 1920/21 bedingt durch den Ersten Weltkrieg aus dem Missionsdienst aus. 288 Eine umfassende, wenn auch als Erfolgsgeschichte konzipierte Geschichte der Station Mamba findet sich in Fleisch, Hundert Jahre. Eine kürzere Darstellung bietet auch Altena, Ein Häuflein Christen, Anhang 352–353. Zu den Auswirkungen des Ersten Weltkriegs auf die deutschen Missionen siehe Ulrich van der Heyden / Helge Wendt (Hg.), Mission und dekoloniale Perspektive. Der Erste Weltkrieg als Auslöser eines globalen Prozesses, Stuttgart 2020.
2 Grenzziehungen des Religiösen „Aberglaube“, Wissenschaft und Kolonialstaat Im Jahr 1897 lobte die Sächsische Missionskonferenz1, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, Pfarrern, Theologiestudenten und Kandidaten wissenschaftliche Erkenntnisse über die Mission näherzubringen, einen Preis für eine religionswissenschaftliche Abhandlung aus. Dargestellt werden sollten die „religiösen und philosophischen Grundanschauungen der Inder nach den Vedas, Uspanischads und der Brahmanischen (besonders Vedanta-)Philosophie“ und eine „Beurteilung derselben vom christlichen Standpunkt aus“ vorgenommen werden.2 Das Preisausschreiben richtete sich damit dezidiert gegen den „Wahne“, dass in diesen Philosophien eine „arische Urreligion“ stecke, die auch Grundgedanken des Christentums enthielte. Um sowohl die heimischen Unterstützerinnen und Unterstützer aufzuklären als auch den Missionaren eine Handreichung zu geben, sollte die Preisschrift, die immerhin mit 1000 Mark dotiert war, „den Nachweis liefern, dass a) jene sogenannte ‚arische Religion‘ weder in sich, noch in ihrer geschichtlichen […] Entwicklung ein einheitliches System ist, das im Stande wäre, die religiösen Bedürfnisse eines Volkes zu befriedigen oder gar das Christentum zu ersetzen. b) dass es auf Irrtum beruht, wenn man meint, als wollten die christlichen Indologen in ihrer Gesamtheit eine ‚Wiederbelebung‘ des Brahmanismus anstreben oder begünstigen. c) dass allein das Christentum nach einer Anlage, Wesen und Bestimmung darauf angelegt ist, Weltreligion zu werden.“3
Noch eine weitere Bestimmung war entscheidend: „Die Beurteilung der indischen Religion soll vom positiv-christlichen, offenbarungsgläubigen Standpunkt aus geschehen“, der Verfasser könne sich deswegen auch auf eine „einfache, auf die heilige Schrift,
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Die Sächsische Missionskonferenz ist auch die Herausgeberin des Lutherischen Jahrbuchs. Neben der Leipziger Missionsgesellschaft wurde auch die Herrnhuter Brüdergemeine unterstützt. Preisausschreiben Sächsische Missionskonferenz, 1897, ALMW II.10.2.1. Ebd.
2.1 Zwischen „animistischem Geisterglauben“ und „unterreligiösem Aberglauben“
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die Heilsthatsachen und die christliche Erfahrung sich stützende Darlegung des Christentums als der Religion des Heils für alle Menschen beschränken.“4 Das Preisausschreiben ist eines von vielen Beispielen für das latente Interesse an außereuropäischen Religionen und deren Verhältnis zum Christentum im lutherischen Netzwerk mit seiner spezifischen theologischen Ausrichtung auf die und Wahrnehmung von der Welt – und dies betraf keineswegs nur die indischen Religionen, sondern ebenso die als fremd wahrgenommenen und als „heidnisch“ bezeichneten religiösen Praktiken in den afrikanischen Missionsgebieten. Die am Kilimandscharo tätigen Leipziger Missionare erforschten intensiv die Chagga sowie deren Sitten und Gebräuche, die sie versuchten, mittels religionswissenschaftlicher Kategorien und Begriffe einzuordnen und zu verstehen, deren Inhalte und Definitionen sie zur gleichen Zeit mit formten. Insbesondere in Bezug auf die Beschneidung von Jungen, wie sie bei den Chagga praktiziert wurde, ergab sich immer wieder die Frage, ob es sich dabei um eine religiöse Praktik oder eine „Volkssitte“ handele; es entwickelte sich eine jahrelange Auseinandersetzung, weil man sich mit unterschiedlichen Wissensständen und theologischen Schwerpunktsetzungen in Leipzig und im Missionsgebiet konfrontiert sah. Grenzen zwischen dem Religiösen und dem Säkularen galt es überdies mit Kolonialvertretern – sei es auf dem Kolonialkongress oder im Missionsgebiet – auszuhandeln. Indem die Missionare und Missionsvertreter eine wichtige Stellung für die Mission in den Kolonien reklamierten und dabei durchaus auch vor Maßregelungen der Kolonialbeamten, denen es an einem „christlichen Lebenstil“ zu fehlen schien, nicht zurückschreckten, forderten sie gleichzeitig im Sinne der Erlanger lutherischen Ethik eine größere Relevanz von Christentum, Religion und Kirche in der Gesellschaft des Kaiserreichs. Abgrenzungen zwischen dem Säkularen und Religiösen waren deswegen in der Mission stets bestimmt von der theologie-politischen Stellung der Missionare, die eine Absolutheit des Christentums voraussetzte und verteidigte. Diese galt es auch in Bezug auf den Islam zu beweisen, der im missionarischen Diskurs immer stärker in die Nähe von Aberglauben und „Heidentum“ gerückt wurde. 2.1 Zwischen „animistischem Geisterglauben“ und „unterreligiösem Aberglauben“ Missionare generierten Wissen über das Außereuropäische. Mithilfe lokaler Vermittler, Sprachlehrer und Informanten5 sammelten und klassifizierten Missionarinnen und 4 5
Ebd. Gabriele Richter, Flexibles Wissen in Beziehungen. Wissenstransfer zwischen Menschen in Ozeanien und kontinentalen Missionaren, in: Ulrich van der Heyden / Andreas Feldtkeller (Hg.), Missionsgeschichte als Geschichte der Globalisierung von Wissen. Transkulturelle Wissensaneignung
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2 Grenzziehungen des Religiösen
Missionare Schmetterlinge und Pflanzen,6 sie stellten Sprachstudien an7 oder führten geographische Untersuchungen durch.8 Das von ihnen gesammelte Wissen über das Außereuropäische fand über wissenschaftliche Beiträge Eingang in zahllose und häufig erst im Bestehen begriffene Wissenschaftszweige. Gleichzeitig wurden Missionsgesellschaften zu wichtigen Institutionen der Popularisierung von Wissen über das Außereuropäische. Besonders häufig stellten Missionare religionsethnographische Studien an, durch die sie Anknüpfungspunkte für Predigt und Unterricht zu finden suchten.9 Sie trugen so maßgeblich zur Sammlung ethnographischen und religionswissenschaftlichen Materials bei und leisteten in der Formierungsphase dieser Wissenschaften einen wichtigen Beitrag.10 So zog beispielsweise Friedrich Max Müller11 missionarische Arbeiten heran, um Vergleiche über die Religion der Zulu und indische Vorstellungen anzustellen und seine These zu untermauern, dass die religionsgeschichtliche Entwicklung maßgeblich sprachwissenschaftlich untersucht werden könne und Religionen sich –
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und -vermittlung durch christliche Missionare in Afrika und Asien im 17., 18. und 19. Jahrhundert, Stuttgart 2012, S. 329–338. Besonders eindrücklich und als eine der ersten Arbeiten, die diese Fragerichtung konsequent verfolgt: Harries, Butterflies and Barbarians. Die Integration der Missionsgeschichte hat eine ganze Reihe innovativer Studien zutage gefördert. Siehe dazu insbesondere den Sammelband von Ulrich van der Heyden / Andreas Feldtkeller (Hg.), Missionsgeschichte als Geschichte der Globalisierung von Wissen. Transkulturelle Wissensaneignung und -vermittlung durch christliche Missionare in Afrika und Asien im 17., 18. und 19. Jahrhundert, Stuttgart 2012, sowie Habermas, Wissenstransfer und Mission; Przyrembel, Wissen auf Wanderschaft; Dies , Verbote und Geheimnisse. Rebekka Habermas, Skandal in Togo. Ein Kapitel deutscher Kolonialherrschaft, Frankfurt a. M. 2016, 173–178, macht auf die Unterschiede zwischen der Forschung von Missionaren und Kolonialbeamten aufmerksam. Siehe Kap. 3.1 dieser Studie mit weiteren Literaturhinweisen. Dazu jüngst René Smolarski, Missionskartografie in Gotha. Eine Annäherung aus wissensgeschichtlicher Perspektive, in: Linda Ratschiller / Karolin Wetjen (Hg.), Verflochtene Mission. Perspektiven auf eine neue Missionsgeschichte, Köln/Weimar/Wien 2018, S. 65–88. Dieser seinen Ausgangspunkt in der Areopagrede findende Grundsatz wurde von der Forschung immer wieder herausgestellt. So attestiert Altena, dass Missionare nur insoweit ein Interesse an den außereuropäischen Religionsformen gehabt hätten, wie diese nach dem Steinbruchprinzip hätten nutzbar gemacht werden können. Altena, Ein Häuflein Christen, 115–116. Siehe dazu ausführlich auch Kap. 3.2. Zur Religionsforschung der Missionare sind in den letzten Jahren eine Reihe von Arbeiten erschienen. Siehe z. B. Habermas, Wissenstransfer und Mission, Chidester, Savage Systems, Constance Hartung, Der „Weg der Väter“. Ostafrikanische Religionen im Spiegel früher Missionarsberichte, Münster 2005. Geoffrey A Oddie, Imagined Hinduism. British Protestant Missionary Constructions of Hinduism, 1793–1900, New Dehli / Thousand Oaks / London 2006, kann zeigen, dass das Bild eines einheitlichen „Hinduismus“ maßgeblich auf britische Missionare und deren religionswissenschaftlichen Arbeiten (bzw. deren Popularisierung) zurückzuführen ist. Müller hatte in Leipzig promoviert, in Berlin studiert und an der Sorbonne gearbeitet. Von 1848 bis zu seinem Tod wirkte und arbeitete er in Oxford, wo er 1854 eine Professur für moderne europäische Sprachen und später für vergleichende Philologie innehatte. Zu Müller siehe die Biographie von Nirad C Chaudhuri, Friedrich Max Müller. Ein außergewöhnliches Gelehrtenleben im 19. Jahrhundert, Heidelberg 2008.
2.1 Zwischen „animistischem Geisterglauben“ und „unterreligiösem Aberglauben“
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gemäß der Sprachgruppen – in drei verschiedene Entwicklungsstränge einteilen ließen, die auf eine „authentische Religion“ zurückverwiesen.12 Nicht zuletzt trug die Vorstellung, dass Missionare als men on the spot über ihnen fremde Religionen berichteten, dazu bei, ihre Publikationen als besonders authentisch in der europäischen Wissenschaftslandschaft erscheinen zu lassen, auch wenn ihr Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte eben dieser Disziplinen lange Zeit verschwiegen wurde – ein Phänomen, das sich noch mehr bei den „Helfern“ der missionarischen Forschungen, lokalen Informanten und Lehrern, beobachten lässt, von denen häufig nicht einmal mehr der Name überliefert ist.13 Wie Tomako Masuzawa zeigen konnte, hat sich das Verständnis von Religion im Verlauf des 19. Jahrhunderts maßgeblich geändert. Nicht nur hatte sich die Möglichkeit etabliert, Religion überhaupt zu definieren und wissenschaftlich zu untersuchen, spätestens in den 1920er Jahren hatte sich auch ein zumindest potenziell pluralistisches Religionsverständnis entwickelt.14 In den letzten Jahren sind bereits einige Studien zur Geschichte der Religionsgeschichte, der Religionswissenschaft und der Religionssoziologie entstanden, die erstens auf eine Heterogenität der Disziplin und auf Abgrenzungskämpfe zu anderen (Teil-)disziplinen – insbesondere der Theologie – verweisen und zweitens eine Vergleichende Religionsgeschichte erst durch die Entwicklung eines – europäischen – Religionsbegriffs als tertium comparationis ermöglicht sehen.15 Im Folgenden soll ein Schritt zurückgegangen werden. Anstatt von einem vermeintlich feststehenden Religionsbegriff auszugehen, soll den Definitionsversuchen des Religiösen in der Mission nachgegangen werden. Es gilt dabei einem Ansatz David Chidesters16 zu folgen, nach dem komparative Religionsforschung durch „human beings engaged in religious conflicts on the ground“ und nicht im ‚Elfenbeinturm‘ ent12
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Kippenberg, Entdeckung der Religionsgeschichte, 64–71. Siehe dazu David Chidester, „Classify and Conquer“. Friedrich Max Müller, Indigenous Religious Traditions, and Imperial Comparative Religion, in: Jacob K. Olupona (Hg.), Beyond Primitivism. Indigenous Religious Traditions and Modernity, New York/London 2004, S. 71–88. Vgl. dazu Rebekka Habermas, Intermediaries, Kaufleute, Missionare, Forscher und Diakonissen, in: Dies. / Alexandra Przyrembel (Hg.), Von Käfern, Märkten und Menschen, Göttingen 2013, S. 27–48. Zeitgenössisch wurde die „wahre wissenschaftliche Gesinnung“ mancher Missionare für die Ethnographie teilweise erkannt. So strich Felix von Luschan die Bedeutung der Missionare insb. für Beobachtungen von Religion, die einer besonderen Sorgfalt und Kenntnis der lokalen Bevölkerung bedürften, heraus: Felix von Luschan, Anleitung für ethnographische Beobachtungen und Sammlungen in Afrika und Ozeanien. Zeitschrift für Ethnologie 36 (Sonderdruck), Berlin 1904, 101. Masuzawa, Invention of World Religions. Volker Krech / Hartmann Tyrell, Religionssoziologie um die Jahrhundertwende. Zu Vorgeschichte, Kontext und Beschaffenheit einer Subdisziplin der Soziologie, in: Dies. (Hg.), Religionssoziologie um 1900, Würzburg 1995, S. 11–78, 24. Arie L Molendijk, Der Kampf um die Religion in der Wissenschaft, in: Friedrich Wilhelm Graf / Friedemann Voigt (Hg.), Religion(en) deuten. Transformation der Religionsforschung, Berlin 2010, S. 29–49; King, Copernican Turn. Chidester, Savage Systems. Zu Missionaren als Religionswissenschaftler siehe auch Habermas, Wissenstransfer und Mission.
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wickelt wurde: „The discipline of comparative religion emerged … not only out of the history of the Enlightenment heritage but also out of a violent history of colonial conquest and domination.“17 Während Chidester vor allem an der Bedeutung der missionarischen Forschung der Zulu-Religion für die Entwicklung von Kategorien in den Religionswissenschaften interessiert ist, soll hier die Forschung der Missionare in Beziehung gesetzt werden zu ihrem Verständnis vom Christentum. Dem liegt ein postsäkulares Verständnis von Religion, wie es Mandair und Dressler erarbeiten, zugrunde. Sie machen darauf aufmerksam, dass der Begriff Religion selbst aus einem partikularen christlichen Verständnis geboren ist, dessen Wissensregime zwangsläufig davon ausgeht, dass Religion als universal anzusehen ist.18 Insofern wird hier auch an Forschungen angeschlossen, die Religion als koloniales Dispositiv begreifen und auf die in dem Konzept verankerten Machtstrukturen aufmerksam machen.19 2.1.1 Die „Religion der Landschaft Moshi“ und Klassifikationen von Religion Leipziger Missionare standen ihren Kollegen anderer Gesellschaften als Verfasser religionswissenschaftlicher und ethnographischer Arbeiten nicht nach. Zahlreiche Beiträge über die religiösen Vorstellungen der Chagga erschienen aus ihrer Feder in der missionarischen und kolonialen Öffentlichkeit, die sich ebenfalls an ein religionswissenschaftliches und ethnographisch interessiertes (Fach-)Publikum richteten.20 Besonders prominent waren die Arbeiten des Leipziger Missionars Bruno Gutmann, dessen Arbeiten bis heute als Grundlage für ethnographische Arbeiten der Chagga gelten und der noch 1964 als „that great doyen of Chagga history“ bezeichnet wurde.21
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Chidester, Savage Systems, XIII–XIV. Mandair/Dressler, Modernity, Religion-Making, and the Postsecular, 11, 16. Siehe z. B. Sergio Botta / Marianna Ferrara, Introduction. Religion as a Colonial Concept in Modern History (America, Asia), in: Studi e Materiali di Storia delle Religioni 82 (2016), S. 527–532. Emma Hunter, In Pursuit of the „Higher Mediavalism“. Local History and Politics in Kilimanjaro, in: Derek R. Peterson / Giacomo Macola (Hg.), Recasting the Past. History Writing and Political Work in Modern Africa, Athens 2009, S. 149–167. Eine Zusammenstellung der wichtigsten Beiträge Leipziger Missionare findet sich in Adam Jones, Ethnographie als „Nebenprodukt“ der Arbeit der Leipziger Mission in Ostafrika, in: Claus Deimel u. a. (Hg.), Auf der Suche nach Vielfalt. Ethnographie und Geographie in Leipzig, Leipzig 2009, S. 95–102. Im Fall der Leipziger Mission musste jeder zur Veröffentlichung vorgesehene Beitrag zunächst der Missionsleitung zur Prüfung vorgelegt werden. Diese bot den Aufsatz oder die Monographie dann, teils aus Eigeninitiative oder auf Bitten des jeweiligen Missionars hin, einer bestimmten Fachzeitschrift, beispielsweise dem Globus an, oder verhandelte selbst mit Druckereien. Die entsprechenden Korrespondenzen sind in den jeweiligen Personalakten der Missionare überliefert. Siehe beispielsweise die Akte zu Gutmann, der besonders viele ethnographische Arbeiten und theologische Beiträge verfasste: ALMW II.32.341a. Stahl, History of the Chagga People, 13. Zu Gutmanns Forschungen siehe auch ausführlich Kap. 4.4 dieser Studie.
2.1 Zwischen „animistischem Geisterglauben“ und „unterreligiösem Aberglauben“
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Die bis heute anhaltende Prominenz der missionarischen Arbeiten Gutmanns ist kein Einzelfall, sind doch die missionarischen Interpretationen häufig die einzigen schriftlich erhaltenen Berichte mit ethnographischen Beschreibungen. Berichte über die Chagga stießen im Kaiserreich auf große Aufmerksamkeit: Als Bewohner des Kilimandscharo, des „höchsten deutschen Berges“, waren sie von besonderem Interesse für die Öffentlichkeit der aufstrebenden Kolonialmacht. Die Chagga fanden deshalb auch Erwähnung in den Berichten Hans Meyers, des Erstbesteigers des Berges, in Arbeiten deutscher Kolonialbeamter und -wissenschaftler und in Berichten von Schutztruppenoffizieren, die am Kilimandscharo stationiert waren.22 Trotz der Unterschiedlichkeit der Autoren dieser verschiedenen Studien über die Religion der Chagga ähnelten sich die angewandten Methoden, mit denen Missionare und Kolonialbeamte an Erkenntnisse über die Lebensweise und Vorstellungswelt der Chagga zu gelangen suchten, und auch die zutage geförderten Beobachtungen. Bereits 1895 war ein Beitrag des Missionars Althaus erschienen, in dem er „Etliches über die Bewohner Mambas und deren Lebensweise“23 zusammentrug. In diesem für den Missionsprozess frühen Beitrag reflektierte Althaus über die Schwierigkeit ethnologischer Forschung seitens der Missionare. Die Missionare würden auf Widerstand stoßen, wenn sie allzu direkt nach den Sitten und Gebräuchen der Chagga fragten,24 und müssten sich deswegen zunächst mit dem Offensichtlichen zufriedengeben. Das Archiv für Religionswissenschaften war eine der ersten Fachzeitschriften, die sich der Erforschung geographisch oder zeitlich vom Kaiserreich entfernter, zumeist antiker Religionen widmete. Die Zeitschrift erschien seit 1898 und versammelte Beiträge zur „Entwicklung des religiösen Bewusstseins“25. Arbeiten von Missionaren, die intensiv zur Formierung von Wissensbeständen in den Religionswissenschaften in der Anfangszeit beitrugen, erschienen dort ebenfalls und schrieben sich in den wissenschaftlichen Anspruch, eine Klassifikation von Religion vorzunehmen, ein. Beispielhaft lässt sich dies an einem Beitrag des Missionars Johannes Raum,26 der die Station Moshi von Robert Faßmann wenige Jahre zuvor übernommen hatte, zeigen. Sein Ar-
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Siehe hierzu auch Karolin Wetjen, Der Körper des Täuflings. Konstruktionen von Körpern und die Beschneidungsdebatte der Leipziger Missionsgesellschaft 1890–1914, in: Linda Ratschiller / Siegfried Weichlein (Hg.), Der schwarze Körper als Missionsgebiet. Medizin, Ethnologie, Theologie in Afrika und Europa 1880–1960, Köln/Weimar/Wien 2016, S. 73–93. Gerhard Althaus, Etliches über die Bewohner Mamba’s und ihre Lebensweise, in: Evangelischlutherisches Missionsblatt (1895), S. 208–211, 223–226. Ebd., 208. Ähnlich auch Robert Faßmann, Zur Religion der Wadschagga, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1895), S. 440–446, 441. Ernst Christian Achelis, Zur Einführung, in: Archiv für Religionswissenschaft 1 (1898), S. 1–8, 1. Johannes Raum (1874–1936) war in Neuendettelsau ausgebildet und zunächst in die Kambamission abgeordnet worden, bevor er schließlich aus gesundheitlichen Gründen in die Chaggamission versetzt wurde. Er leitete verschiedene Stationen, war Mitglied des Missionsrates und führte ab 1912 und auch ab 1925 die Geschäfte der Mission in Ostafrika als Senior. Zu seinem Lebenslauf siehe die Personalakte ALMW II.32.402.
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tikel zur „Religion der Landschaft Moschi am Kilimandscharo“, der „einen nicht ganz unbrauchbaren Beitrag zur Religionskunde der ostafrikanischen Bantuvölker“27 leisten wollte, basierte auf von Raum selbst übersetzten und anschließend geordneten bzw. kommentierten „Originalaufzeichnungen von Eingeborenen“.28 Es handelte sich dabei um Auskünfte des mittlerweile getauften Lehrers Yohane Msando29, nach Raums Urteil „einem der begabtesten Mitglieder unserer Dschaggagemeinde“,30 dessen Ausführungen, so der Missionar, noch dadurch an Wert gewännen, dass Msando wegen seiner Ausbildung in der Mission nun das „Wesentliche“ an der Religion der Chagga zu erkennen vermöge.31 Msandos Ausführungen wurden von Raum gegliedert, eingeführt und mit erklärenden Bemerkungen versehen; teilweise zog der Missionar ein zweites Manuskript eines unbekannten Autors heran. Dem circa fünfzigseitigen Aufsatz lag die Frage zugrunde, „wie man in den Pflanzungen zu Gott betet“. Sie wurde in drei Abschnitten beantwortet. Zunächst erläuterte Msando, dessen Manuskriptgliederung größtenteils wohl beibehalten wurde, die warumu, die „Ahnengeister“; zu diesem Teil gehörig, aber als „Anhang“ gekennzeichnet, folgte ein Abschnitt über die Begräbnissitten. Erst dann informierte ein Abschnitt über ruwa als Gottesvorstellung. Eine Zusammenstellung „anderer Stücke aus dem Glauben der Dschagga“, in denen beispielsweise „Medizinmänner“ und „Zauber“ besprochen wurden, beschloss den Aufsatz. Der Aufau des Aufsatzes zeigt bereits die Bedingungen der kolonialen Wissensproduktion: Während die Fragerichtung des Missionars und auch dessen im Nachhinein durch Eingriffe und Erläuterungen in den Text vorgenommene Strukturierung den Erwartungen der (religions-)wissenschaftlichen Fachöffentlichkeit entsprachen und damit vor allem Aufschluss über den missionarischen Religionsbegriff geben, folgte das Manuskript Msandos eigenen Schwerpunktsetzungen und entzog sich damit zumindest teilweise der missionarischen Kontrolle.
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Johannes Raum, Die Religion der Landschaft Moschi am Kilimandscharo. Originalaufzeichnungen von Eingeborenen, in: Archiv für Religionswissenschaft 14 (1911), S. 159–211, 161. Ein ganz ähnliches Verfahren hatte Raum bereits 1909 angewandt, als er seinen „Versuch einer Grammatik der Dschaggasprache“ vorgelegt hatte. In dem Buch brachte er in Teil IV „Texte zur Volkskunde“ – zur Religion der Chagga, zu Gottesurteilen und zur Geschichte. Diese Texte waren in der linken Spalte in Kimoshi verfasst, auf der rechten Seite ins Deutsche übersetzt. Anders als in seinem Aufsatz im Archiv für Religionswissenschaften verwies er hier nicht auf die eigenständige Autorschaft von „Eingeborenen“. Vermutlich waren die Texte Niederschriften Raums von Erzählungen der Chagga. Ders , Grammatik der Dschaggasprache. Yohane Msando war als verwaistes Kind, das von Verwandten aufgezogen wurde, zunächst als Lohnarbeiter in den Dienst der Mission gekommen. 1898 wurde er getauft. Spätestens ab 1899 unterrichtete und predigte er regelmäßig in Moshi. 1902 nahm er am ersten Seminarkurs teil und arbeitete auch danach bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs als Lehrer für die Mission. Er verfasste zudem einige Texte für die Missionare. Zu Msando bzw. Kimambo nach der Taufe siehe Bruno Gutmann, Johane Kimambo, ein Jünger ohne Falsch, in: Afrikanische Charakterköpfe. Unseres Heilands schwarze Handlanger, Leipzig 1921, 43–55; Altena, Ein Häuflein Christen, Anhang, 321. Ders , Religion der Landschaft Moschi, 160. Ebd., 160.
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Msando berichtete zu Beginn seiner Ausführungen von den „Ahnengeistern“, denen als „Schatten der Verstorbenen“ geopfert würde, um Unheil von den Lebenden, sei es Krankheit oder Unglück im Krieg, abzuwenden. Verehrt würden dabei nur die „Geister“ der letzten drei Generationen bis zur Generation des Urgroßvaters,32 die gemeinsam, gemäß ihrer familiären Zugehörigkeit „in der Tiefe“ lebten. Andere und insbesondere früher Verstorbene lebten in der Vorstellung der Chagga an einem anderen Ort, dem Kilengetšeny, und hätten mit Ausnahme besonderer Vorfahren, die als erste am Kilimandscharo gesiedelt hätten, keine Bedeutung mehr.33 Jede Sippe habe ihre eigenen Geister, lediglich einige, denen dann von dem „Häuptling“ geopfert würden, hätten Macht über das gesamte vom chief kontrollierte Gebiet.34 Die Verehrung der Ahnengeister erfolge aus Furcht vor deren Macht, Unheil oder Krankheiten anzurichten. Die Darbringung von Opfergaben sollte dies verhindern, wenn die Geister zuvor ein „Zeichen“ geschickt hätten, beziehungsweise für Linderung sorgen, wenn bereits ein Familienmitglied erkrankt sei.35 Welchem Geist geopfert werden solle respektive welcher Geist besänftigt werden müsse, werde nach Msando von einem Wahrsager verkündet, der auch bestimme, was geopfert werden solle. Hierbei würde Rücksicht auf die finanzielle Situation genommen, sodass „arme Leute“ die Weisung erhielten, statt eines Rindes nur Kleinvieh oder Bier zu opfern. Bei der Opferung eines Tieres erhielten die Geister jedoch lediglich die Seele, die Gebenden behielten das Fleisch.36 Die Bedeutung, die den warumu in der Vorstellungswelt der Chagga nach den Beschreibungen Masandos zukam, strukturierte auch den Umgang mit dem Tod. Eindeutig dem Thema der Verehrung der warumu zugehörig schilderte Msando deswegen die Begräbnissitten der Chagga, weil der Geist eines nicht oder nicht richtig beigesetzten Verstorbenen niemals besänftigt werden könne. „Wenn man von alledem absieht, was ich erwähnt habe, wie die Geister ihre regelmäßigen Opfer heischen, so ist noch als etwas Furchtbares zu nennen dies, wenn ein Mensch stirbt, ohne beigesetzt zu werden, sei es daß er zu Hause den Tod findet, oder an einem unbekannten Ort; ferner, wenn jemand stirbt mit einem Fluch. Die Geister, bei denen einer dieser Fälle eintritt, können auch durch das Opfer vielen Viehs nicht begütigt werden.“37
Jeder Chagga, der Kinder habe, werde in der Hütte beigesetzt; Kinder und Kinderlose hingegen hinter der Hütte. „Häuptlinge“ würden eingesargt, während andere Tote, die 32 33 34 35 36 37
Diese „Familiengeister“ wurden von der Quelle B noch in „Geister rechter“ und „Geister linker Seite“ eingeteilt, was einer Einteilung in „Geister“ mütterlicher- und väterlicherseits entsprach. Ebd., 177–183. Ebd., 166. Ebd., 171. Ebd., 173. Ebd., 175–176. Ebd., 183.
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Vieh besessen hätten, mit dem Fell eines der geschlachteten Tiere bedeckt würden.38 Ein nichtbestatteter Mensch werde, so berichtete Msando von den Vorstellungen der Chagga, zu einem „bösen Geist“.39 Am vierten Tag nach dem Tod werde das Erbe des Verstorbenen geregelt, wobei zunächst mögliche Schulden beglichen würden. Durch ein Bier, in das alle Anwesenden hineinspuckten, sowie die Schlachtung eines Kleinviehs einige Tage später, werde der Verstorbene mit der Sippe vereinigt; dies solle verhindern, dass er seine Nachkommen quäle.40 Nach einem Jahr werde der Leichnam wieder ausgegraben und der Körper – an einer anderen Stelle als der Schädel – unter Drachenbäumen beigesetzt. Durch ein solches Versetzen des Ruheortes solle der Geist „Bewegungsfreiheit“ erlangen. Das Grab des Schädels werde als Opferstätte benutzt und dementsprechend gehegt.41 Die Beschreibung der Begräbnissitten der Chagga in diesem Aufsatz war kein Einzelfall. Bereits ein Jahr zuvor hatte Bruno Gutmann einen Aufsatz im Globus über die Begräbnis- und Trauersitten der Chagga veröffentlicht.42 Auch in einem Beitrag im Archiv für Religionswissenschaft war er auf die Begräbnisstätten als Denkmäler und Opferstätten eingegangen.43 Während für Msando die Beschreibung der Begräbnissitten Teil der religiösen Verehrung war, war die missionarische Grenzziehung eine andere: Zwar erforschten sie die Begräbnissitten, sie ordneten sie jedoch nicht direkt der Religion zu, sondern nahmen sie eher als Kasualie zum Lebensende ihrer evangelischen Auffassung gemäß hin wahr. Johannes Raum trennte deshalb den Abschnitt zum Begräbnis von den restlichen Ausführungen zu den warumu. Gutmann nutzte die Begräbnissitten, um über die besondere Bedeutung der Familie und des Sozialen bei den Chagga zu referieren: In der Familie als „Schule aller bürgerlichen Tugenden“ lernten die Chagga auch die Pietät gegenüber einem Leichnam, hieß es hier.44 Mit der Darstellung der Begräbnissitten wollte Gutmann deswegen auch „Interesse für das Gefühlsleben dieser Wadschagga“ wecken, die „unser höchstes deutsches Gebirge bewohnen“.45
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Siehe dazu die noch mit weiteren Einzelheiten versehenen Schilderungen bei ebd., 183–185 sowie bei Bruno Gutmann, Ostafrikanischer Animismus und Totenkult, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1911), S. 546–550, 568–573. Raum, Religion der Landschaft Moschi, 185. Ebd., 186. Ebd., 187. Bruno Gutmann, Trauer- und Begräbnissitten der Wadschagga, in: Globus. Illustrierte Zeitschrift für Länder- und Völkerkunde 89 (1906), S. 196–200. Ders , Die Opferstätten der Wadschagga, in: Archiv für Religionswissenschaft 12 (1909), S. 83–100, 87. Hasu, Desire and Death, 53, zeigt, dass sich auch andersherum die Macht der chiefs aus diesen Begräbnis- und Opferstätten ihrer Vorfahren ableitete. Gutmann, Trauer- und Begräbnissitten, 197. Ebd., 200.
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Die Betonung der „sozialen Funktion“ von Religion, von Empathie und Pietät, wie sie von den Missionaren hier herausgestellt wurde,46 war nicht unumstritten. 1907 legte Karl Oetker eine Schrift über die „Neger-Seele“ in Afrika vor, in der er der gesamten afrikanischen Bevölkerung, die er als „niederstehende Rasse“ bezeichnete, die Befähigung zu sittlichen Gefühlen, zu Empathie und Ehrlichkeit absprach.47 Oetker hatte damit eine ganze Debatte, die sogenannte „Negerseelendebatte“, ausgelöst, in die sich auch Missionsvertreter eingemischt hatten.48 Im März 1908 betonte der Reichstagsabgeordnete Matthias Erzberger: „Der Eingeborene ist vielmehr auch ein Mensch, ausgestattet mit einer unsterblichen Seele und zu derselben ewigen Bestimmung berufen wie auch wir […]. Ich meine doch, man darf die Anschauung vertreten, daß der Neger zu derselben ewigen Bestimmung berufen ist wie wir auch, noch in einem Parlamente, dessen Wählerschaft zu über 99 Prozent sich christlich nennt, aussprechen, ohne Widerspruch zu finden. Es wäre doch ein trauriges Zeichen, wenn man nicht einmal im Deutschen Reichstage mehr seine christliche Weltanschauung vertreten dürfte.“49
Hier wurde nicht nur über die „Seele“ der Afrikaner verhandelt, sondern auch über den religiösen Charakter deutscher Politik. Die Debatte, und so setzte sie sich auch im
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Raum, Religion der Landschaft Moschi, 163. Nähere Ausführungen zu dieser sozialen Funktion von Religion sind bereits veröffentlicht: Wetjen, Körper. Bis heute wird der Ahnenkult vornehmlich als Ausdruck des Sozialverhaltens und nicht als religiöser Akt interpretiert: Johannes Triebel, Das Christentum in der Begnung mit den ursprünglichen afrikanischen Religionen, in: Ulrich Berner u. a. (Hg.), Das Christentum aus der Sicht der Anderen. Religionswissenschaftliche und missionswissenschaftliche Beiträge, Frankfurt a. M. 2005, S. 49–74, 71; Hartung, „Weg der Väter“, 392. Anza A Lema, Chaga Religion and Missionary Christianity on Kilimanjaro. The Initial Phase, 1893–1916, in: Thomas Spear / Isaria N. Kimambo (Hg.), East African Expressions of Christianity, Oxford 1999, S. 39–62, 51–52, merkt an, dass bei einer solchen Interpretation der Chagga-Religion durch westliche Beobachter vernachlässigt werde, dass sich die Chagga immer der übergeordneten Bedeutung ruwas bewusst gewesen seien. Karl Oetker, Die Neger-Seele und die Deutschen in Afrika ein Kampf gegen Missionen, Sittlichkeits-Fanatismus und Bürokratie vom Standpunkt moderner Psychologie, München 1907. Kathrin Roller, Die Seelen der ‚Anderen‘. Theologische Debatten um Ethik und Humanität in der deutschen Kolonialzeit um 1907/1908, in: Hanns Lessing u. a. (Hg.), Deutsche evangelische Kirche im kolonialen südlichen Afrika, Wiesbaden 2011, S. 193–209, 193–194. Altena, Ein Häuflein Christen, 115. Zu den Chagga äußerte sich Schwanhäußer in Bezug auf die „Negerseelen“-Debatte und warf Oetker Übertreibung vor, mit Verweis auf Ratzel betonte er stattdessen die „kindliche Denkweise“ der afrikanischen Bevölkerung: Hans Schwanhäußer, Das Seelenleben der DschaggaNeger. Diss. Erlangen, Amorbach 1910, 9–10. Schubert behandelt die Debatte ausführlich und zeigt, wie sehr sich die rassistische Argumentation Oetkers in die koloniale Wirtschaftspolitik einpasste: Michael Schubert, Der schwarze Fremde. Das Bild des Schwarzafrikaners in der parlamentarischen und publizistischen Kolonialdiskussion in Deutschland von den 1870er bis in die 1930er Jahre, Stuttgart 2003, 300–301. Stenographische Berichte des Deutschen Reichstags, 12. Legislaturperiode, 126. Sitzung, 19.3.1908, 4098, http://www.reichstagsprotokolle.de/Blatt_k12_bsb00002841_00648.html (zuletzt eingesehen: 16.12.16). Siehe dazu auch Schubert, Der schwarze Fremde, 303–304.
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Reichstag fort, berührte direkt den Stellenwert von Mission in den Kolonien beziehungsweise den missionarischen Auftrag insgesamt. Vorstellungen von der Seele aufzuspüren, mit diesen zu argumentieren beziehungsweise sie für die Mission nutzbar zu machen, und vor allem auch den Wert dieser Seele herauszustellen, wurde für die Missionsvertreter wichtig, um ihre eigene Aufgabe zu legitimieren. Sie betonten deswegen immer wieder die Befähigung zum Christentum, die allen Menschen zu eigen sei.50 Diese Argumentation fügte sich damit in einen theologischen Standpunkt ein, der die Universalität des Christentums betonte.51 Gerade die Begräbnissitten konnten so als anschauliche Beispiele genutzt werden, um die „Menschlichkeit“ der Afrikaner zu betonen und ihre Seele zu erforschen.52 „Der Ahnenkult der Chagga“ habe zwar seine Wurzel im „animistischen Geisterglaube“, so resümierte Johannes Raum, er sei aber letztlich nichts anderes als „die über das Grab hinaus fortgesetzte Familiengenossenschaft. Die Familiengemeinschaft ist heilig, geschützt durch den Glauben, daß von der Haltung der Pietät – die hier mehr als Verhalten, denn als Gesinnung zu fassen ist – Wohl und Wehe des Einzelnen abhänge. Die Ehrfurcht gegenüber den Älteren, auf denen die Familiengemeinschaft beruht, erscheint also als religiöse Pflicht.“53
In diesen Beschreibungen wurde der Glaube der Chagga an die warumu durchaus als Religion klassifiziert und ihm sogar eine moralische Ebene zugeschrieben. Dass sich jedoch die vom Animismus geprägten religiösen Praktiken nicht nur graduell vom Christentum als absoluter Religion unterschieden und große Diskrepanzen zum Monotheismus aufwiesen, suchte Raum im zweiten Abschnitt des Aufsatzes im Archiv für Religionswissenschaften, der sich der Gottesvorstellung widmete, zu beweisen. Bereits in den einleitendenden aus der Feder des Missionars stammenden Worten zu diesem Abschnitt wird der Gottesglaube der Chagga in Beziehung gesetzt zu den Gottesvorstellungen anderer afrikanischer Völker, insbesondere der Südafrikaner. Insgesamt aber bliebe die Vorstellung der Chagga von einem Gott, ruwa, jedoch sehr vage: „Hinter der scharf umrissenen Realität der Geister, deren Art das Spiegelbild des Dschagga selbst ist, und an die für ihn fast ausschließlich Segen oder Unheil geknüpft ist, tritt Ruwa zurück. Er ist eine unbestimmte und unfaßbare Größe, von der im letzten Grunde 50
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Auch die Leipziger nahmen darauf direkt Bezug. So nimmt beispielsweise der Missionslehrer Karl Knittel die verschiedenen Einschätzungen zur „Negerseele“ explizit zum Anlass einer genaueren Untersuchung des „Gedankenkreises“ der Ostafrikaner: Karl Knittel, Beitrag zur Analyse des Gedankenkreises von Negern Deutsch-Ostafrikas, in: Archiv für Anthropologie 40 N. F. 12 (1913), S. 273–316. Gutmann, Ostafrikanischer Animismus, 573. Roller, Seelen, 201 f. Siehe dazu auch Kap. 2.2.1 dieser Studie. Bruno Gutmann, Kinderspiele bei den Wadschagga, in: Globus. Illustrierte Zeitschrift für Länderund Völkerkunde 95 (1909), S. 286–289, 300–304, 286. Raum, Religion der Landschaft Moschi, 163.
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abhängig zu sein man freilich das dunkle Gefühl hat. Man darf vielleicht Ruwa deuten als die in der Sonne oder im Himmel verkörperte schaffende oder vernichtende Naturkraft, die als Einzelwesen vorgestellt wird.“54
Msando schilderte ruwa in einem relativ kurzen Abschnitt ebenfalls in diesen Linien. Vorstellungen von ruwa blieben unbestimmt. Man bete nur zu ihm, wenn Gebete und Opfer an die Geister erfolglos geblieben seien. Mit ihm sei im Wesentlichen die Sonne verknüpft. Problematisch an Msandos Ausführungen war bereits aus missionarischer Sicht deren Authentizität. Wenn Msando schrieb, „[d]ie Geister sind tückisch, Ruwa aber ist herrlich und groß“, ließ sich aus missionarischer Sicht kaum bestimmen, ob diese Vorstellung authentisch bei den Chagga vorhanden oder ob sie bereits christlich beeinflusst war. Ausgehend von einem christlichen Religionsverständnis blieb für Missionare Religion wesentlich durch ein Gottesbild strukturiert.55 Bereits in den 1870er Jahren hatten die Missionare, die unter den Zulu arbeiteten, nach der richtigen Bezeichnung für Gott gesucht.56 Weil missionarische ethnographische Forschung immer mit dem Impetus verbunden wurde, die christliche Botschaft zu verbreiten, sollte die Suche nach der Gottesvorstellung anderer Völker Anknüpfungspunkte für die Predigt und verständliche Begriffe für die Übersetzung des Evangeliums zutage fördern.57 Die Gefahr, mit einer falschen Bezeichnung falsche Assoziationen zu wecken, war den Missionaren, Ethnographen und Bischöfen bewusst, was zu einer wahren Flut an Untersuchungsergebnissen und Diskussionen führte.58 Für die Leipziger Missionare, die allesamt eine Gottesvorstellung bei den Chagga zu finden vermeinten, ging es in ihren Forschungen vor allem um die Frage, wie sich diese Vorstellung entwickelt hatte. In einem Beitrag über „angebliche Götzen am Kilimandscharo“ im Jahre 1904 hatte Johannes Raum die Auffassung vertreten, dass sich die Gottesvorstellung aus dem Ahnendienst heraus entwickelt habe, indem der älteste ge-
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Ebd., 196. So z. B. in dem Beitrag Faßmanns, der gleich zu Beginn seiner Darlegungen zur Religion der Chagga auf das Vorhandensein einer Gottesvorstellung verweist: Faßmann, Zur Religion der Wadschagga, 441. Siehe dazu insbesondere Chidester, Savage Systems, und auch die kulturphilosophische Arbeit von Philipp Seitz, Logik der Transkulturationsforschung. Eine kulturphilosophische Grundlegung im Anschluss an Ernst Cassirer und am Beispiel der christlichen Missionierung in Afrika, München 2020. Siehe dazu auch Kap. 3.2 dieser Studie. Wie Birgit Meyer zeigen konnte, führten die Religionsvergleiche der Missionare und die mit ihnen einhergehende Verwendung einheimischer Worte zur Bezeichnung christlicher Inhalte dazu, dass den Missionaren die Kontrolle über die Übersetzung des Christentums zunehmend entglitt. Meyer, Translating the Devil, 82. Siehe dazu auch Kap. 3 dieser Studie.
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2 Grenzziehungen des Religiösen
meinsame Urahn zum Gott erhoben worden sei.59 Missionar Althaus sah es wegen der geringen Popularität der Gottesvorstellung bei den Chagga als erwiesen an, dass diese übernommen worden sein müsse, und zwar von „Arabern oder anderen afrikanischen Stämmen“, „die entweder selber semitisches Blut in sich“ hätten oder „mit Semiten nur in Berührung gekommen“ seien, sie könne auch eine „dunkle Erinnerung an die Uroffenbarung des wahren Gottes sein“.60 Insbesondere machte er zahlreiche Reminiszenzen von Chaggaüberlieferungen an das Alte Testament aus. So würden einige Sagen und Fabeln der Chagga an den Sündenfall, die Schöpfungsgeschichte oder die Sintflut erinnern.61 In einem Artikel im August 1909 im Globus über die „Gottesidee der Wadschagga am Kilimandscharo“ suchte Bruno Gutmann, die Gottesvorstellung der Chagga zu erklären. Die personifizierte Vorstellung eines Gottes habe sich aus dem „ursprünglich reinen Naturdienst“ entwickelt und sei vor allem von „Güte“ und „Erbarmen“ geprägt.62 Zwar habe die „bewußte Abhängigkeit“ von Gott im Vergleich zu früheren Zeiten abgenommen und spiele Gott für die kultische Verehrung kaum eine Rolle, die „Allgemeingültigkeit“ der Herrschaft Gottes werde aber dennoch, so betonte Gutmann, ähnlich wie Raum 1911, von allen Chagga empfunden.63 Auch räumte Gutmann zumindest die Möglichkeit ein, dass die Gottesvorstellung bereits durch die christliche Verkündigung beeinflusst worden sei,64 führte aber dagegen an, dass die Chagga den Gottesnamen nicht nur den Europäern gegenüber gebrauchen würden, „um vor ihnen als Gottesverehrer zu erscheinen.“65 Stattdessen vertrat Gutmann im Widerspruch zu seinem Kollegen Raum die These, dass sich die Gottesvorstellung nicht aus dem Ahnendienst heraus entwickelt habe, sondern maßgeblich von den Massai übernommen worden sei.66 Seine Ausführungen suchte er mit zahlreichen Versen, Liedern, Aussprü-
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Johannes Raum, Über angebliche Götzen am Kilimandscharo, nebst Bemerkungen über die Religion der Wadschagga und die Bantuneger überhaupt, in: Globus. Illustrierte Zeitschrift für Länderund Völkerkunde 85 (1904), S. 101–105, 102–103. Diese Erklärung wurde auch von anderen Missionaren, die ebenfalls zu ostafrikanischen Religionen forschten, vertreten. Vgl. hierzu Hartung, „Weg der Väter“. Gerhard Althaus, Die religiösen Anschauungen und Gebräuche der Wadschagga. Lichtstrahlen im dunkeln Erdteile, Nr. 5, Leipzig 1906, 15. Auch Kähler ging von einer solchen „Gottesahnung“ und der mit ihr einhergehenden Befähigung zum Glauben aus. Johannes Wirsching, Gott in der Geschichte. Studien zur theologiegeschichtlichen Stellung und systematischen Grundlegung der Theologie Martin Kählers, Waltrop 1998, 154–155. Althaus, Die religiösen Anschauungen, 15–17. Bruno Gutmann, Die Gottesidee der Wadschagga am Kilimandscharo, in: Globus. Illustrierte Zeitschrift für Länder- und Völkerkunde 96 (1909), S. 101–104, 128–131. Zur Gottesvorstellung der Chagga siehe auch Lema, Chaga Religion, 41–45, der sich hauptsächlich auf die Darstellungen von Dundas, Kilimandscharo and its People, bezieht. Gutmann, Gottesidee, 104. Ebd., 129. Gutmann, Gottesidee. Zwischen den Massaii und den Chagga gab es immer wieder einen intensiven Kulturaustausch. Vgl. Berntsen, Maasai.
2.1 Zwischen „animistischem Geisterglauben“ und „unterreligiösem Aberglauben“
105
chen und Fabeln der Chagga zu belegen, die er zu diesem Zeitpunkt bereits umfangreich zu sammeln begonnen hatte.67 Die Nähe zu den Massai und die Beeinflussung der Gottesvorstellung der Chagga durch diese vertrat auch Robert Faßmann,68 während Johannes Raum in dem Aufsatz von 1911 neben den Massai und dem Christentum auch noch, wie schon Althaus zuvor, den Islam als mögliche Quelle der Gottesvorstellung ausfindig machte.69 Die Missionare griffen in dieser Diskussion auf Erklärungsmuster und Theorien des Religiösen zurück, die nicht zuletzt auf der Grundlage missionarischer Forschungen entwickelt worden waren. Zwar gab es bereits im 17. und 18. Jahrhundert Debatten über das religiöse Bewusstsein, im 19. Jahrhundert etablierte sich aber – vor allem ausgehend von England – die neue Disziplin der Allgemeinen Religionsgeschichte. Max Müller, William Robertson Smith und James Frazer waren wichtige Akteure dieses neuen Wissenschaftszweiges.70 Auch Angehörige der Leipziger Universität hatte sich in der Erforschung anderer Völker und bei der Erforschung von Religion bereits früh hervorgetan, und zwar auch schon bevor Söderblom dort den ersten Lehrstuhl für Allgemeine Religionsgeschichte innehatte.71 Neben Wilhelm Wundt wirkte auf die Arbeit der Leipziger Missionare vor allem auch Friedrich Ratzel. Dieser hatte als Nachfolger von Richthofens seit 1884 den Lehrstuhl für Geographie an der Universität Leipzig inne; dank ihm erlangte das Geographische Seminar der Universität eine führende Rolle innerhalb des Kaiserreichs.72
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Seine erste gedruckte Sammlung solcher von ihm gesammelten Chaggamärchen erschien 1909: Bruno Gutmann, Dichten und Denken der Dschagganeger. Beiträge zur ostafrikanischen Volkskunde, Leipzig 1909. Wie Wilhelm Wundt und die sich just etablierende Volkspsychologie postulierten, bestand für Gutmann ein Konnex zwischen Sagen, Sprache, Mythologie und Religion: Krech/Tyrell, Religionssoziologie, 32. Gutmann war maßgeblich von Wundt beeinflusst, dessen Vorlesungen er in Leipzig besucht hatte. Wundts evolutionistisches Modell, nach dem Animismus, Totemismus und Göttersagen aufeinander aufauten, drehte er um, und setzte den Totemismus vor den Animismus. Vgl. Christoph Bochinger, Ganzheit und Gemeinschaft. Zum Verhältnis von theologischer und anthropologischer Fragestellung im Werk Bruno Gutmanns, Frankfurt a. M. 1987. Robert Faßmann, Die Gottesverehrung bei den Bantu-Negern, in: Anthropos. Internationale Zeitschrift für Völker- und Sprachenkunde 4 (1909), S. 574–581, 577. Raum, Religion der Landschaft Moschi, 196. Siehe im Überblick dazu Stephen D Glazier, Anthropological Study of Religion, in: Peter B. Clarke / Michael Beyer (Hg.), The World’s Religions. Continuities and Transformation, London/New York 2009, S. 24–39, 27–30. Kippenberg, Entdeckung der Religionsgeschichte, 195–197. Söderblom selbst trat auch auf Missionskonferenzen auf. So hielt er z. B. am 18.2.1914 auf der Missionskonferenz in Halle einen Vortrag über die „Wissenschaftliche Erforschung und christliche Beurteilung des primitiven Heidentums.“ Verschiedene Missionskonferenzen: Die 36. Jahresversammlung der Missions-Konferenz in der Provinz Sachsen, ALMW II.10.1.2. Brogiato, Stromer, 33–34. Zu Ratzel siehe auch Hans-Dietrich Schultz, Friedrich Ratzel. Bellizistischer Raumtheoretiker mit Naturgefühl oder Vorläufer der NS-Lebensraumpolitik, in: Claus Deimel u. a. (Hg.), Auf der Suche nach Vielfalt. Ethnographie und Geographie in Leipzig, Leipzig 2009, S. 125–142.
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2 Grenzziehungen des Religiösen
Bis zu seinem Tod 1904 hielt Ratzel mehrere Vorlesungen zu Afrika73 und verfasste ein – von den Missionaren genutztes – mehrbändiges Standardwerk zur Völkerkunde, in dem er im ersten Band nicht nur die „Naturvölker Afrikas“ besprach, sondern auch eine Einführung in die „Grundzüge der Völkerkunde“ vorlegte.74 Ratzel war von einem evolutionistischen Modell der Völkerentwicklung überzeugt und betonte, dass es die Aufgabe der Völkerkunde sei, einen „Nachweis der Übergänge und des innigen Zusammenhangs“ der Menschheit zu finden. Ratzel erklärte demnach den Wandel und die Verbreitung von Kulturelementen wie Religion durch Diffusion.75 Denn: Die Menschheit sei ein Ganzes, dass nur durch „Gradunterschiede“ getrennt sei.76 In seinem Werk suchte er „die geographische Auffassung (Betrachtung der äußeren Umstände) und die „geschichtliche Erwägung (Betrachtung der Entwicklung)“ zu kombinieren.77 Ratzel ging von einer Universalität von Religion aus, die er mit dem menschlichen Bedürfnis erklärte, „für jedes Geschehen eine Ursache oder einen Urheber zu erspähen.“78 Naturerscheinungen würden dann vermenschlicht und beseelt und durch eine „falsche Anwendung des Gesetztes von Ursache und Wirkung“ Beziehungen zu den Seelen der Menschen konstruiert.79 Ratzel sah auch hierbei eine Entwicklung: Während Angst vor Tod und Krankheit der „erste Grund des Aberglaubens“ seien, entwickele sich hieraus der „Fetischglauben“.80 Für Ratzel waren die Begräbnisriten ein wichtiger Teil von Religion, weil sich in diesen der Seelenglauben und primitive Vorstellungen vom Jenseits besonders zeigten.81 Auf einer höheren Entwicklungsstufe sah Ratzel Morallehren, denn diese seien „kein notwendiges erstes Ingrediens der Religion“.82 Am Ende seiner Ausführungen über Religion schlug Ratzel ein Klassifikationssystem vor, in dem er zwei grundsätzliche Entwicklungsstufen mit jeweils graduellen Unterschieden propagierte und in denen er maßgeblich das Vorhandensein und die Ausgeprägtheit von Gottesvorstellungen als Kriterium anlegte.83 Diese Konstruktionen, namentlich die Universalität von Religion und die unterschiedlichen Entwicklungsstufen, nach denen die monotheistischen Religionen an
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Siehe dazu den Eintrag im historischen Vorlesungsverzeichnis der Universität: https://histvv.unileipzig.de/dozenten/ratzel_f.html (zuletzt eingesehen: 7.7.2020). Friedrich Ratzel, Völkerkunde. Bd. 1: Die Naturvölker Afrikas, Leipzig 1885, 3–96. Martin Rössler, Die deutschsprachige Ethnologie bis ca. 1960. Ein historischer Abriss, in: Kölner Arbeitspapiere zur Ethnologie 1 (2007), 7. Siehe dazu auch Iris Schröder, Das Wissen von der ganzen Welt. Globale Geographien und räumliche Ordnungen Afrikas und Europas 1790–1870, Paderborn 2011. Ratzel, Völkerkunde, 4. Ebd., 3. Ebd., 32. Ebd., 33. Ebd., 35. Ebd., 36–39. Ebd., 39. Ebd., 41.
2.1 Zwischen „animistischem Geisterglauben“ und „unterreligiösem Aberglauben“
107
der Spitze standen, waren ein Konzept, Religion wissenschaftlich zu systematisieren. Während Ratzel von einer Entwicklung ausging, hingen andere, wie beispielsweise Gustav Warneck, dem Prinzip der Degeneration an: „Die religiös tiefstehenden Völker sind nicht der ursprüngliche religiöse Menschheitstypus, sondern sie sind religiös heruntergekommen und kommen durch sich selbst nimmermehr in die Höhe.“84 Warneck ging von einer ursprünglichen, unverfälschten und monotheistischen Religion aus, die „die Qualifikation zu einer immer vollkommeneren Wahrheits- und Lebensentfaltung“ besäße, „wenn keine sittliche Trübung eines Verhältnisses zwischen Mensch und Gott dieser Entfaltung eine verkehrte Richtung“85 gegeben hätte. Dennoch hatten beide Seiten deutliche Gemeinsamkeiten, wiesen sie doch beide nach, dass prinzipiell alle Völker zum Christentum befähigt seien.86 Ebenso wie es kein Volk ohne Sprache gebe, gebe es, so Warneck, auch kein Volk ohne Religion.87 Als Zeichen für ein „religiöses Naturvermögen“ wertete Warneck bereits den Umstand, dass es eine Bezeichnung für eine Gottheit und ein Konzept von Gewissen gebe.88 Die von Warneck vertretene Theorie einer Degeneration der Uroffenbarung war bereits in den 1870er Jahren im englischen Sprachraum zugunsten der auch von Ratzel und Wundt vertretenen These einer Entwicklung aufgegeben worden. Durchgesetzt hatte sich die maßgeblich von Taylor geprägte Theorie, dass der Animismus89 als früheste Form der Religion zu verstehen sei.90 Die Erforschung „primitiver“ Völker ermöglichte daher, die Grundstruktur menschlicher Kultur zu erforschen.91 Aus der Vorstellung einer Seele, die schließlich auch auf Tiere und Gegenstände übertragen worden sei, habe sich die Vorstellung von Göttern und Geistern entwickelt, die schließlich zu einer Gottesvorstellung geführt habe.92 Schließlich setzte sich sogar, unterstützt von Wilhelm Wundt und anderen, die These durch, dass der Glaube an 84 85 86 87 88
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Gustav Warneck, Evangelische Missionslehre. Ein Missionstheoretischer Versuch. Erste Abteilung: Die Begründung der Sendung, Gotha 1892, 308. Ders , Missionslehre III.1, 100. Siehe Ders , Missionslehre I, 298, mit direktem Verweis auf Ratzel in Anm. 2. Ebd., 304. „Allerdings ist ein großer Unterschied unter den verschiedenen Völkern über das, was recht und unrecht sei, aber daß es überhaupt ein sittlich Gutes und ein sittlich Böses gebe und ein Bewußtsein darum, ob der Mensch das eine oder das andere thue, das ist Gemeingut der Menschheit.“ [Hervorhebung i. O., K. W.], ebd., 312. Hier unterscheidet sich Warneck deutlich von Ratzel, der die Entwicklung einer moralischen Instanz auf einer höheren Entwicklungsstufe von Religion ansiedelte. Mit diesem Begriff wandte er sich gegen den seiner Ansicht nach undifferenziert gebrauchten Begriff „Fetischismus“. 1899 wurde der Begriff durch Maretts Theorie vom Präanimismus abgelöst. Kippenberg, Entdeckung der Religionsgeschichte, 92. Zum Anismismus siehe auch den Überblicksartikel von Graham Harvey, Animism, in: Peter B. Clarke / Michael Beyer (Hg.), The World’s Religions. Continuities and Transformation, London/New York 2009, S. 15–24. Kippenberg, Entdeckung der Religionsgeschichte, 82–83. Siehe zu Tylor auch Webb Keane, Christian Moderns. Freedom and Fetish in the Mission Encounter, Berkeley/Los Angeles 2007, 91–97. Kippenberg, Entdeckung der Religionsgeschichte, 83. Ebd., 93.
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2 Grenzziehungen des Religiösen
Geister als Durchgangsstadium aller religiösen Entwicklung Rückschlüsse auf die „Urreligion“ zulasse. Diese Suche nach dem Ursprünglichen und dem Authentischen ließ sich bereits in der Romantik beobachten, wurde aber durch den Evolutionismus noch weiter verstärkt.93 Sie war Kennzeichen zahlreicher Wissenschaften, die sich mit dem Kolonialen beschäftigten. Die Leipziger Missionare, die unter den Chagga arbeiteten, kannten diese Theorien und nutzten die mit ihnen einhergehenden Klassifikationen. Bereits 1895 hatte Faßmann die Religion der Chagga als „mit dem Glauben an den höchsten Gott verbundenen Animismus“ bezeichnet, „der sich über die religiösen Anschauungen anderer Negerstämme erhebt.“94 Gutmann beispielsweise äußerte sich dezidiert zu der Frage, wie der Kannibalismus und Animismus zueinander im Verhältnis stünden.95 Raum hatte ja schon 1911 den Glauben der Chagga als Animismus96 erkannt, lehnte aber einen „Fetischismus“ ab und arbeitete sogar an der Untermauerung dieser Theorien mit – nämlich als die Frage diskutiert wurde, ob die Chagga Götzen hätten. Im Jahr 1903 meinte ein katholischer Missionar in Kibosho, nur wenige Kilometer von Moshi entfernt, solche Götzen, die zuvor nur in Westafrika vorgekommen waren, auch am Kilimandscharo entdeckt zu haben.97 Diese seien zuvor vor den Europäern verborgen worden und hätten wohl ungefähr die Form eines Topfes.98 „Es war kein Kochtopf, sondern richtig ein Götze, in weiblicher Form, aus Thon gearbeitet, der um den Hals einen Ring aus Schaffell trug, der vom letzten Opfer herrührte“, so die Beschreibung des Missionars.99 Die Götzen, die nur von Mächtigen erworben werden dürften, könnten bei (Gerichts-)Entscheidungen angerufen werden und funktionierten dann wie ein Gottesurteil.100
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Vgl. Ebd., 61–62. Faßmann, Zur Religion der Wadschagga, 446. Bruno Gutmann, Amulette und Talismane bei den Dschagganegern am Kilimandscharo, Leipzig 1923, 16–17. 96 Raum bezog sich dabei auf die Kategorisierungen Wundts (Wilhelm Wundt, Völkerpsychologie. Eine Untersuchung der Entwicklungsgesetze von Sprache, Mythus und Sitte. Bd. 2: Mythus und Religion, Teil 2, Leipzig 1906, Kap. 4), der, wenn auch mit unterschiedlichen Bezeichnungen, ebenfalls zwischen Animismus und Fetischismus unterschied. Raum, Religion der Landschaft Moshi, 165. 97 Thomé, Die Götzen am Kilimandscharo, in: Globus. Illustrierte Zeitschrift für Länder- und Völkerkunde 83 (1903), S. 231–235. Inwiefern hier auch konfessionelle Konflikte in der Debatte eine Rolle spielten, lässt sich aus dem vorhandenen Quellenmaterial nicht erkennen. 98 Ebd., 231. 99 Ebd., 232. 100 Ebd., 235: „Wer im Besitz eines Götzen ist, den kann kein Mdschagga betrügen.“
2.1 Zwischen „animistischem Geisterglauben“ und „unterreligiösem Aberglauben“
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Abbildung 2 „Götzen“ am Kilimandscharo101
Johannes Raum wies diese Beobachtung, ja die Existenz von „Götzen“, in derselben Zeitschrift vehement zurück. Bei den Töpfen handele es sich um Fluchtöpfe, die „in den großen Kreis der dinglichen Zaubermittel, die neben dem Geisterglauben die Religion der süd- und ostafrikanischen Bantustämme bilden, gehören.“102 Sie seien allerdings keine Fetische im Sinne Wundts.103 Die Frage, ob die Chagga „Götzen“ hätten, wurde auch in den folgenden Publikationen zur Religion der Chagga immer wieder diskutiert, wobei sich zumeist der Einschätzung des Missionars Raum angeschlossen wurde.104 Ebenso wie die „Götzen“ wurde auch ein „Dämonendienst“ abgewiesen.105 Nicht zuletzt zeigt diese Diskussion der „Götzen“, inwiefern die Missionare an der Konstruktion eines vermeintlich reinen „animistischen Heidentums“ mitwirkten. Unter dem Titel „Ostafrikanischer Animismus und Totenkult“ definierte beispielsweise Bruno Gutmann, ausgehend von der religionswissenschaftlichen Forschung und in Anlehnung an Wilhelm Wundt, den ostafrikanischen Animismus als „Naturbeseelungsglauben“, „in dem Sinne, daß jedes Ding Träger eines eigenen unabhängigen Seelenstoffes ist, der heilvoll oder unheilvoll auf die Umwelt wirkt“.106 Nach Gutmann hingen die Chagga einem „atomistischen Naturbeseelungsglauben“ an, der der Schlüssel zum Verständnis aller „Zauber“ sei. So trügen zum Beispiel der Zahn oder die Klaue
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Ebd., 233. Raum, Über angebliche Götzen. Schwanhäußer, Seelenleben, 35. Z. B. bei ebd., 45. Gutmann, Opferstätten, 100. Ders , Ostafrikanischer Animismus, 546.
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2 Grenzziehungen des Religiösen
eines gefürchteten Tieres, wenn man sie sich um den Hals hänge, in der Wahrnehmung der Chagga dazu bei, den Mut und Kraft dieser Tiere auf die eigenen Seelenkräfte zu übertragen und diese damit zu stärken.107 Gutmann interpretierte deshalb Amulette auch hauptsächlich als Schutzmittel für die Körperseele. Den Gedanken, sich die Seelenkräfte eines anderen Lebewesens mittels eines Amulettes nutzbar zu machen, bezeichnete Gutmann als „totemistischen Beweggrund“.108 Amulette würden dabei nicht immer nur als Bänder oder Gegenstände am Körper getragen werden, sondern auch Tätowierungen oder spezifische Rasuren seien als Amulette zu verstehen.109 Die ethnographischen Forschungen der Missionare wurden also durch die von armchair-Wissenschaftlern entwickelten Kategorien ebenso geprägt wie durch die koloniale Situation. Religionswissenschaftliche Forschungen der Missionare waren maßgeblich von den Erwartungen der europäischen Fachöffentlichkeit bestimmt. Missionare erforschten die Religion der Chagga, um Anknüpfungspunkte für ihre Predigt zu finden, und sie veröffentlichten ihre Ergebnisse als Teil einer Fachöffentlichkeit, über deren Debatten und Definitionen sie wohl informiert waren und deren Klassifikationssysteme sie nutzten und weiterentwickelten. Gleichzeitig wurden die Kategorien durch die missionarische Forschung, die sie nutzte, sie auf konkrete Fälle anwendete und an diese anpasste, immer wieder bekräftigt. Der Vermittlungs- und Aushandlungsprozess der religiösen Anschauungen zwischen lokalen Experten, Missionaren und religionswissenschaftlicher Theorie wurde in den Publikationen unter anderem dadurch gänzlich verdeckt.110 Stattdessen wurden die Schilderungen der lokalen Experten, ihrerseits – wie auch in dem Aufsatz Raums von 1911 – zumeist zum Christentum bekehrte und von der Mission abhängige Lehrer, in religionswissenschaftliche Analysekategorien eingeordnet, die weniger etwas über die Religion der Chagga als über den christlich strukturierten Religionsbegriff der Missionare aussagen. Traditioneller Gegenpart des christlichen Glaubens waren als „Aberglauben“ abgewertete religiöse Praktiken; diese nahmen in den Darstellungen der Religion der Landschaft Moshi deswegen einen wichtigen Platz ein.111 Für die Frage nach Abgrenzungen des Religiösen ist dabei vor allem von entscheidender Bedeutung, was als nicht „religiös“ galt. Während die Missionare den „Geisterglauben“ nämlich einerseits als Animismus deuteten und damit in ein Evolutionsmodell von Religion einordneten, diffamierten 107 108 109 110 111
Ebd., 548. Ders , Amulette und Talismane, 17. Ebd., 19–20. Chidester, Classify and Conquer, 73. Jason Ananda Josephson-Storm hat jüngst vorgeschlagen, die Frage nach der Abgrenzung vom Religiösen und Säkularen um das Konzept des Aberglaubens zu erweitern, da alle drei Kategorien eng miteinander verwoben seien. Jason Ānanda Josephson-Storm, The Superstition, Secularism, and Religion Trinary. Or Re-Theorizing Secularism, in: Method and Theory in the Study of Religion 30 (2018), S. 1–20.
2.1 Zwischen „animistischem Geisterglauben“ und „unterreligiösem Aberglauben“
111
sie die religiösen Praktiken gleichzeitig als „Aberglauben“112. „Aberglaube“ und der Glaube an Hexerei und Zauberei war auch in Europa im 19. Jahrhundert keineswegs ausgestorben,113 sondern noch um neue Varianten erweitert worden. Noch 1836 war eine Frau wegen des Verdachts, eine Hexe zu sein, grausam ermordet worden.114 Während des Ersten Weltkriegs ließ sich sogar ein allgemeiner Aufschwung „abergläubischer“ Praktiken, wie das Sprechen von Stoßgebeten oder das Tragen von Amuletten, in Europa beobachten, sodass Martin Greschat gar von einer „Modernisierung von Magie und ‚Aberglauben‘“ spricht.115 Wie Nils Freytag anhand von Deutungen von „Aberglauben“ in der preußischen Rheinprovinz zeigen konnte, wurde die Zuschreibung des „Aberglaubens“ im 19. Jahrhundert zur Standortpositionierung im Feld zwischen gebildet/ungebildet, bekannt/fremd, alt/neu und auch Stadt/Land genutzt.116 Hinzu kam der konfessionelle Konflikt, erschien doch vielen Protestanten spätestens seit dem Kulturkampf der katholische Wunderglauben als „Aberglauben“ par excellence.117 Mit dem 19. Jahrhundert hatte sich der Begriff auch im medizinischen Bereich als Ablehnungsbegriff gegen Laienheiler durchgesetzt.118 Was von den Leipziger Missionaren als „Aberglauben“ bei den Chagga gedeutet wurde, bewegte sich innerhalb dieser Grenzen. So machte Johannes Raum in seinen Vorbemerkungen zu diesem „Zauberglauben“ deutlich: „Neben dem Geisterdienst nimmt der Zauberglauben einen breiten Raum ein im religiösen Meinen und Handeln des Volkes. Allerdings ist dieser Zauberglaube und -brauch im engeren Sinne nicht zur Religion der Dchagga zu rechnen; er ist unterreligiös; mit dem Geister- und Gottesglauben hat er nichts zu tun.“119
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So z. B. Althaus, Die religiösen Anschauungen, 3. Althaus spricht von „Religion beziehungsweise Aberglaube“. Faßmann schreibt davon, dass die Chagga „in ihrer Weise religiös“ seien, „denn freilich“ sei „die Religion auch dieser Nachkommen Hams […] wesentlich Aberglaube.“ Faßmann, Zur Religion der Wadschagga, 440. Zur Geschichte des Begriffs „Aberglauben“ siehe Hanegraaff, Reconstructing, 591–592. Alle diese Formen wurden ein weiteres Mal diffamiert, als es zur Entstehung des Konzeptes der Weltreligionen kam. Ebd., 594, mit Verweis auf Masuzawa, Invention of World Religions. Letztlich geht die Unterscheidung zwischen Glauben und Aberglauben schon auf die Antike zurück; so unterschieden die Römer bereits zwischen religio und superstitio. Nils Freytag, Aberglauben im 19. Jahrhundert. Preußen und seine Rheinprovinz zwischen Tradition und Moderne (1815–1918), Berlin 2003, 17. Ders , Witchcraft, Witch Doctors and the Fight Against ‚Superstition‘ in Nineteenth Century Germany, in: Willem de Blécourt / Owen Davies (Hg.), Witchcraft Continued. Popular Magic in Modern Europe, Manchester 2004, S. 29–45, 29–30. Martin Greschat, Der Erste Weltkrieg und die Christenheit. Ein globaler Überblick, Stuttgart 2014, 12. Freytag, Aberglauben, 397. Ebd., 72. Ebd., 200. Martin Pott, Aufklärung und Aberglaube. Die deutsche Frühaufklärung im Spiegel ihrer Aberglaubenskritik, Tübingen 1992, 337–412. Raum, Religion der Landschaft Moschi, 201. Ähnlich bei anderen Missionen in Ostafrika: Hartung, „Weg der Väter“, 393–394.
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2 Grenzziehungen des Religiösen
Auch Gutmann unterschied zwischen Geisterglauben, den er als Religion bezeichnete, „denn sie besteht in einem persönlichen Verhältnis zu den Geistern, das nicht nur seine Persönlichkeit allzeitig und doch auch mit sittlichem Antrieb beeinflußt, sondern auch seine Anschauung von Weltgestalt und Weltgeschehen begründet.“ Dazu im Kontrast stünde der „Aberglauben“ – „[d]as Gefühl von Kräften beeinflußt zu sein, die blindlings wirken und von den Wesen und Dingen der Umwelt selbstständig ausgehen, und der Wunsch, ihrer zu eigenem Nutzen und zum Schaden des Gegners mächtig zu werden“.120 Die Missionare beschrieben als solchen „Aberglauben“ Heil- und Schutzzauber, die von „Medizinmännern“ ausgeübt würden und bei den Chagga verbreitet seien. „Medizinmänner“ würden zum Beispiel bei Erkrankungen hinzugezogen und könnten Amulette anfertigen, durch die man vor dem Tod geschützt werde.121 In dem Aufsatz im Archiv für Religionswissenschaften berichtete Msando aber auch von bösen Zauberern, deren Gabe in Familien weitervererbt würde; Nichtzauberer könnten Zaubermittel bei anderen Völkern käuflich erwerben.122 Auch wurde immer wieder von Gottesurteilen bei den Chagga berichtet.123 Besondere Aufmerksamkeit erlangten die als Zauber eingeordneten Amulette und Talismane der Chagga, die Gutmann als zum Schutz benutzte Objekte erklärte.124 Schwanhäußer, der 1910 eine Dissertation über das „Seelenleben“ der Chagga vorlegte, betonte auch bei den Zaubermitteln noch einmal, dass es sich dabei nicht um Fetische handele, sondern um „dingliche oder sachliche Zaubermittel“ – in diesem Sinne könnten die Amulette auch nicht wie bei Ratzel als „tragbare Fetische“ bezeichnet werden.125 120 Bruno Gutmann, Fluchen und Segnen im Munde der Wadschagga, in: Globus. Illustrierte Zeitschrift für Länder- und Völkerkunde 93 (1908), S. 298–302, 298–302. Ders , Dichten und Denken, 164. Chidester, Savage Systems, 12, beschreibt diesen Vorgang, zwischen „Aberglauben“ und „Religion“ zu trennen, ebenfalls. 121 Siehe dazu auch Schwanhäußer, Seelenleben, 41–43. 1915 erschien zudem eine Abhandlung von Missionar Fokken über einen „Zauberer“ im Meru-Gebiet, den er mehrfach bei der Arbeit beobachten konnte. Fokken, Blick in das Dunkel der Heidenseele, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1915), S. 172–175, 196–198. 122 Raum, Religion der Landschaft Moschi, 207–208. 123 Althaus, Die religiösen Anschauungen, Kap. 3. 124 Gutmann unterscheidet zwischen Amuletten, die offen getragen würden und als Lebensschutz gälten, und Talismanen, die verdeckt getragen würden und dazu dienten, sich Einfluss auf andere zu verschaffen. Gutmann, Amulette und Talismane, 5. 125 Schwanhäußer, Seelenleben, 35. Die Dissertation wurde sogar im Evangelisch-lutherischen Missionsblatt (1910), 468, gesondert beworben. Die grundsätzliche Unterscheidung zwischen Christentum und „Heidentum“ beziehungsweise „Aberglauben“ bereitete nicht nur den Missionaren im Missionsgebiet Schwierigkeiten. Deren Erfahrungen, Erfolge und Misserfolge fanden auch Eingang in Klassifikationsversuche von Religion. Als bei der Vorbereitung für die Weltmissionskonferenz von Edinburgh 1910 beschlossen worden war, sich auf die christliche Mission unter den „Heiden“ zu fokussieren (und dabei Belange der Inneren Mission außer Acht zu lassen), setzte dies eine Klassifizierung voraus, die eindeutig zwischen christianisierten und „heidnischen“ Gebieten unterschied – und das im globalen Maßstab. Während die afrikanischen und indischen Gebiete hier noch zum Heidentum gezählt wurden – und dies trotz der immer wieder in den Missionsblättern gefeierten Missionserfolge – bereitete die Klassifizierung Nordamerikas oder Brasiliens
2.1 Zwischen „animistischem Geisterglauben“ und „unterreligiösem Aberglauben“
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Wie bereits bei den Beschreibungen des Geisterglaubens wurde eine besondere Verbindung zwischen dem Körper, dessen Gesundheit und dessen Anfälligkeit für die Einflussnahme von außen durch Geister oder Zauber, und religiösen Praktiken hergestellt. Diese Verbindung stand in einem eindeutigen Kontrast zu dem auf Innerlichkeit und Geist ausgerichteten Protestantismus. Die Differenz wurde durch die als Zauberglauben und damit als Aberglauben konnotierten Praxis der Heilzauber und Laienheiler noch verstärkt. Die Darstellungen der Religion der Chagga fügten sich damit erstens in die sich als wissenschaftliche Disziplin entwickelnde Religionswissenschaft ein und waren von einem protestantischen und auf eine Offenbarungswahrheit bestehenden Religionsbegriff geprägt. Konfession und theologischer Standort bestimmten ebenso die religionswissenschaftliche Forschung wie kolonialpolitische Debatten um die „Negerseele“. Missionare inszenierten sich in ihren Beiträgen als Wissenschaftler. Zweitens und gleichzeitig dazu entwarfen sie ein Bild afrikanischer Religiosität, das durch größtmöglichen Abstand zum Christentum gekennzeichnet war. Hierzu trugen vor allem die Beschreibungen von als „Zauberglauben“ und „Aberglauben“ diffamierten religiösen Praktiken bei, die letztlich trotz der Klassifikation des Glaubens an die warumu als Religion überwogen.126 Die im Geisterglauben gefangenen und von magischen Mächten bedrohten Chagga bedürften des Evangeliums und damit der missionarischen Arbeit – eine Argumentation, die sich nicht nur in einen kolonialen Diskurs der vermeintlichen Rückständigkeit Afrikas einfügte, sondern auch das missionarische Projekt insgesamt legitimierte. Letztlich blieben die Beschreibungen der afrikanischen Religiosität als „armselig und traurig“127, wie sie die Missionare am Beispiel der Chagga vornahmen, in den europäischen Kategorisierungen verhaftet und spiegelten, wie kaum etwas anderes, den europäischen Religionsbegriff und den doppelten Auftrag der Missionare wider. Drittens blieben die religionswissenschaftlichen Forschungen der Missionare immer abhängig von lokalen Vermittlern und deren Einsichten und Interpretationen religiöser Praktiken, gleichwohl gerade diese in den Publikationen zum Schweigen gebracht wurden. Wie sehr gerade diese Abhängigkeit immer wieder zur Infragestellung
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schon größere Schwierigkeiten. Als protestantische Missionsgebiete ebenfalls eingestuft wurden aber auch überwiegend katholisch missionierte Gebiete wie Portugiesisch-Indien. Letztlich kam man zumindest indirekt zu einer Klassifizierung, die weitaus mehr als das Bekenntnis zum Christentum widerspiegelte. Zum Maßstab wurde: „die Einheit von christlichem Glauben, Zivilisation und Kultur in ein- und demselben Territorium, die Einheit von Staatsbürgerschaft und Kirchenzugehörigkeit, die Verankerung des christlichen Gedankengutes in der europäischen Geistesgeschichte und eine ausgereifte Lehrtradition.“ Christine Lienemann, Europäisches Christentum auf dem Prüfstand. Was folgt daraus für die Missionswissenschaft?, in: Interkulturelle Theologie. Zeitschrift für Missionswissenschaft 42 (2016), S. 252–270, 255. Siehe dazu auch Hanegraaff, Reconstructing, 584. Althaus, Die religiösen Anschauungen, 24.
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der eigenen Position seitens der Missionare führte, lässt sich beispielhaft am Konflikt um die Einordnung der Beschneidungspraktiken zeigen, in dessen Verlauf es immer wieder galt, die Grenzen zwischen Religiösem, „Heidnischem“ und Säkularem neu zu ziehen. 2.1.2 Religiös oder nicht religiös? Die Beschneidungsdebatte Grenzziehungen lassen sich insbesondere an Konflikten beobachten. Ein solcher ist die in der Mission über Jahrzehnte hinweg virulente und prägende Debatte, die um den Umgang mit der Beschneidung von Jungen und der dazugehörigen Initiationspraxis der Chagga geführt wurde.128 Konflikte um den Umgang mit der Beschneidung von Jungen beziehungsweise den dazugehörigen Initiationsriten spielten in der jüngeren Missionsforschung eine große Rolle.129 So konnte Richard Hölzl am Beispiel des Unyago, einem von der lokalen Bevölkerung in der Gegend um Lindi im Südosten an der Küste der ostafrikanischen Kolonie praktizierten Initiationsrituals, und dort arbeitenden Benediktiner Missionaren zeigen, wie einerseits das Wissen über Initiationsriten mit zunehmender Dauer des Aufenthaltes der Missionare zunahm, andererseits aber kein Transfer dieses Wissens nach Europa stattfand. Während Hölzl für diesen Fall eines „arrested transfers“ oder einer „arrested circulation“ insbesondere den schwierigen und vom Kulturkampf geprägten Umgang der katholischen Missionare beziehungsweise des europäischen
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Hier sei noch einmal explizit darauf verwiesen, dass Initiationsriten sich vermutlich je nach chiefdom unterschieden, auch wenn diese Unterschiede kaum noch aufgedeckt werden können. Dies ist insofern aber für die hier verfolgte Fragestellung von nachgelagerter Bedeutung, weil die Missionare kaum zwischen den Regionen unterschieden. Der ähnlich gelagerte Konflikt um den Umgang mit Polygamie wird ausführlich von Hasu, Desire and Death, geschildert, die darauf aufmerksam macht, dass das Verbieten von Polygamie auch deswegen erschwert wurde, weil die Missionare ihr gutes Verhältnis mit den chiefs und der wohlhabenden Elite nicht gefährden wollten; auch spielte hier die Angst vor dem Ausgreifen des Islam, der Polygamie gestattete, eine Rolle. Ebd., 157. Initiationsriten und Beschneidungspraxis in Afrika haben in den letzten Jahren vermehrte Aufmerksamkeit erfahren und wurden aus historischer, v. a. aber aus ethnographischer Perspektive untersucht. Hierbei stand häufig deren Rekonstruktion, die symbolische Bedeutung der Riten oder deren kulturelle Praxis selbst im Vordergrund. Eine Rekonstruktion der Beschneidungs- bzw. Initiationspraxis der Chagga wurde in der Forschung z. B. von Hasu, Desire and Death, Falk Moore / Puritt, Chagga and Meru, und Falk Moore, The Secret of Man, Otto F Raum, Chagga Childhood. A Description of Indigenous Education in an East African Tribe (1940). New Introduction by Sally Falk Moore, Hamburg 1996, vorgenommen. Auch diese Rekonstruktionen greifen dabei auf die Beobachtungen und Beschreibungen der Missionare zurück, insb. auf die Arbeiten Gutmanns, die in der Zwischenkriegszeit erschienen, wie Bruno Gutmann, Das Recht der Dschagga, München 1926. Darstellungen der Beschneidungsdebatte finden sich bei Fiedler, Christentum und afrikanische Kultur, und auch bei Hasu, Desire and Death. Beide beziehen allerdings die Debatten in Europa nicht mit ein.
2.1 Zwischen „animistischem Geisterglauben“ und „unterreligiösem Aberglauben“
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konservativen Bürgertums mit dem Themenfeld Sexualität ausmacht,130 stand für die Leipziger Mission, so soll im Folgenden argumentiert werden, ein anderes Problem im Umgang mit der Beschneidungs- und Initiationspraxis im Vordergrund. Ob die Beschneidung von Jungen beibehalten werden sollte oder nicht – oder, wenn ja, in veränderter Form – hing vor allem von der Frage ab, inwiefern es sich um eine „Volkssitte“ oder um einen religiösen Ritus handelte. Die Beschneidungsdebatte ist damit eine Frage, anhand derer Missionare versuchten, eine eindeutige Trennung von Religiösem (beziehungsweise Heidnischem) und Säkularem vorzunehmen131 und so an einer „active creation of conceptual categories“132 mitarbeiteten. Dabei waren sie nicht allein: Wichtige Akteurinnen und Akteure in der Debatte waren Informantinnen und Informanten der Missionare, allen voran Kostschüler, die sich beschneiden lassen wollten und die als erste gelten können, die die Missionare auf die Praxis der Beschneidung aufmerksam machten. Die Frage, wie mit der Beschneidung von Jungen in den ostafrikanischen Missionsgebieten umzugehen sei, wurde darüber hinaus auch in Europa immer wieder thematisiert – und zwar auf allen Ebenen des missionarischen Projekts: auf (missionsübergreifenden) Konferenzen, der Leipziger Generalversammlung, in Missionsvereinen, aber auch in privaten und wissenschaftlich motivierten Korrespondenzen.133 Die Europäer – Missionare eingeschlossen – setzten dabei voraus, dass es in der christlichen Kultur eine klare Trennung zwischen dem „natürlichen, nationalen“ und dem „geistlich, religiösen“ gäbe.134 Weil die lutherischen Missionare nur dort in die Kultur der zu missionierenden eingreifen wollten (und sollten), wo es mit dem Evangelium unvereinbar war, galt es zu bestimmen, welche Phänomene „heidnisch“ waren, und damit unter Religion fielen, und welche „national“ waren und damit als „Volkssitte“ weiterbestehen könnten. Bereits im sogenannten „Kastenstreit“ war die Leipziger Mission für eine solche Trennung zwischen „Heidnischem“ und „Indischem“ beziehungsweise „Volkstümlichen“ eingetreten. Teilweise übernommen von der Dänisch-Halleschen Mission und nach gründlichen Studien Grauls selbst, hatte sich eine solche Trennung durchgesetzt, die im Wesentlichen auf eine maßvolle Beibehaltung
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Richard Hölzl, Arrested Circulation. Catholic Missionaries, Anthropological Knowledge and the Politics of Cultural Difference in Imperial Germany, 1880–1914, in: Harald Fischer-Tiné (Hg.), Anxieties, Fear and Panic in Colonial Settings, Basingstoke 2016, S. 307–344. Siehe zur Mitwirkung der Missionare an dieser Trennung auch Rebekka Habermas, Mission und Individualisierung – Togo um 1900. Über ein überraschendes Verhältnis, das religion making der Missionare und die Ursprünge der microstoria, in: Martin Fuchs u. a. (Hg.), Individualisierung durch christliche Mission?, Wiesbaden 2015, S. 536–554, 548. Keane, Christian Moderns, 85. Dies wird aufgefächert in Ratschiller/Wetjen, Verflochtene Mission, 9–10. Protokoll der Chagga-Konferenz, September 1900, Vortrag Missionar Müller, Die Vielweiberei, ALMW II.32.92.
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der Kaste als Adiaphoron,135 also für die religiöse Praxis als nichts Bedeutsames, hinauslief. Die Leipziger Mission hatte für dieses Vorgehen von den anderen Missionen und teilweise auch von den eigenen Missionaren viel Kritik einstecken müssen.136 Die Debatte um die Beschneidung muss vor diesem Hintergrund bewertet werden: Einerseits suchte man das Missionsprinzip der Leipziger Mission einzuhalten, andererseits war es ein Anliegen der Mission, einen weiteren öffentlich geführten Streit wie den „Kastenstreit“ um ihre Missionsarbeit zu vermeiden. Diese Problematik schwang bei den zahlreichen Gutachten und Einschätzungen, die vom Leipziger Missionsdirektor zu dieser Frage eingeholt wurden, mit und erklärt, warum die Frage nach dem Umgang mit der Beschneidung sogar auf der Generalversammlung der Gesellschaft behandelt wurde. Die Beschneidung der Chagga bildete vor der Ankunft der Missionare den Auftakt zur männlichen Initiation, des ngasi.137 Im Zuge dieses mehrere Wochen andauernden Rituals, lebte eine Gruppe ungefähr gleichaltriger Jungen, die gemeinsam beschnitten wurden, in einem Lager und wurde dort auf die sozialen Pflichten eines Erwachsenen vorbereitet.138 Diese Gruppe bildete dann eine Altersklasse, deren Angehörige gemeinsam in den Krieg zogen.139 Durch den Einsetzungsritus wurde die soziale Ordnung fortgeschrieben und gleichzeitig eine Trennung nach Geschlechtern sanktioniert. Auf-
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Der Ausdruck Adiaphoron (ἀδιάφορον) als philosophischer Terminus entstammt der Philosophie der Stoa und bezeichnet „Mitteldinge“, Aspekte des menschlichen Lebens, die weder in den Bereich des sittlich Guten noch des Schlechten fallen. Nach Schleiermachers Kritik, dass es solche Mitteldinge aufgrund des Welt-Gottesverhältnisses nicht gebe, wird das Konzept der Adiaphora in der christlichen Ethik bis ins 20. Jahrhundert hinein gemeinhin abgelehnt. Vgl. Eilert Herms, Adiaphora, in: RGG 1 (1998), S. 115–119. Zur Würdigung dieses Prinzips im ostafrikanischen Missionsgebiet siehe insb. Fiedler, Christentum und afrikanische Kultur, 29. Auch für die zumindest diskutierte Beibehaltung der Polygamie wurde auf das Konzept der Adiaphora verwiesen. Protokoll der Chagga-Konferenz, September 1900, Vortrag: Emil Müller, Die Vielweiberei, ALMW II.32.92. Fiedler, Christentum und afrikanische Kultur, 30. Zum „Kastenstreit“ einführend Nehring, Orientalismus und Mission, 105–116. Bereits zeitgenössisch wird die Stellung der Leipziger Mission zur Kaste und die Kritik darauf vonseiten der anderen Missionen reflektiert, siehe dazu bspw. Warneck, Missionslehre III.1, Kap. 34. Diese Initiationsriten der Chagga sind umfassend beschrieben bei Raum, Chagga Childhood, und Dundas, Kilimandscharo and its People. Die umfassendste Darstellung findet sich aber bei Gutmann, Recht der Dschagga. Die Initiationsriten schlossen sich an die Regeneration von der Beschneidung an. Die Initiation kam nicht nur einer sexuellen Aufklärung gleich, sondern bildete auch die Grundlage für das System der Altersklassen, das wichtig für die Kriegsführung war. Siehe dazu auch Hasu, Desire and Death, 66–67. Diese Praxis gab es aber schon vor der Ankunft der Missionare nicht mehr, in Moshi seit ca. 1850. Ebd., 177–178. Gemeinsames Jagen und Kriegsspiele gehörten ebenso dazu wie das Einweihen in das Geheimnis des „Verschließens des Mannes“ – der Vorstellung, dass Männer nach der Initiation keine Bedürfnisse mehr hätten, ihren Darm zu entleeren. Der Missionar Gutmann schilderte 1926 diesen Lagergang ausführlich: Gutmann, Recht der Dschagga, 320–346. Die Lehren selbst sind v. a. in Ders , Die Stammeslehren der Dschagga. 3 Bde., München 1932–1938, überliefert. Zu diesen Lehren siehe auch Falk Moore / Puritt, Chagga and Meru, 46–62, und Falk Moore, The Secret of Man. Falk Moore / Puritt, Chagga and Meru, 29–30.
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fällig ist, dass die Missionare diese Initiation kaum im Zuge der Beschneidungsdebatte erwähnten.140 Es ist zu vermuten, dass sie lange Zeit von diesem Initiationsritus der Jungen nichts wussten oder ihn nicht explizit mit der Beschneidung in Verbindung brachten. Dies ist umso wahrscheinlicher, weil das Altersklassensystem wegen seiner militärischen Funktion nach der Besetzung Ostafrikas durch die Deutschen verboten worden war.141 Erst 1908 berichtete Missionar Rother von „Pubertätsfeiern“ auf der Missionarskonferenz, um zu fragen, inwiefern einzelne Elemente für das christliche Gemeindeleben genutzt werden könnten.142 Der Versuch, einzelne Elemente dieser Initiation in die Konfirmation einzugliedern, wurde auch in späteren Jahren immer wieder diskutiert und teilweise umgesetzt.143 Ab wann die Missionare begannen, Erkundigungen über die Beschneidungspraxis der Chagga einzuholen, lässt sich nicht mehr feststellen. Vermutlich waren die meisten von ihnen im Missionsseminar, während ihres Studiums oder durch selbständige Lektüre ethnographischer Schriften mit Beschneidungspraktiken in Afrika im Generellen vertraut und begannen deshalb recht früh, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Die erste offizielle Stellungnahme eines Missionars gegenüber den Chagga wurde bereits 1896, also nur wenige Jahre nach dem Beginn der Mission und noch vor den ersten Taufen nötig. Ndesamiro, einer der ersten Kostschüler in Mamba und etwa 17 Jahre alt, hatte Missionar Althaus gebeten, für einige Tage nach Hause zurückkehren zu dürfen, um sich dort beschneiden zu lassen. Althaus versuchte daraufhin, Erkundigungen über die Beschneidungspraxis der Chagga einzuholen, und befragte auch andere Kostschüler nach der Praxis. Er gewann daraufhin die Ansicht, „daß die Beschneidung, so nahe die gegenteilige Annahme auch liegt, mit der Volksreligion in keinem Zusammenhang steht.“144 Die Leute würden keine „religiöse Handlung“ darin erblicken und die Beschneidung würde auch nicht „von religiösen Ceremonien“ begleitet.145 „Insonderheit unterbleibt das Ziegenopfer, die vornehmste religiöse Handlung des Volkes, welche sonst bei jeder Gelegenheit […] vorgenommen wird.“146 Die Beschneidung würde im Allgemeinen bei dem Häuptling ablaufen und die Jungen hinterher bei ihrer Mutter bis zur Wundheilung gepflegt werden.147 Obwohl Althaus Ndesamiro darauf aufmerksam machte, dass die Beschneidung bei anderen Völkern ein „religiöser Akt“ sei, der 140 Siehe zur Perspektive der Trennung durch solche Rituale Pierre Bourdieu, Was heißt sprechen? Die Ökonomie des sprachlichen Tausches, Wien 1990, 85–86. 141 Falk Moore / Puritt, Chagga and Meru, 74. 142 Protokoll der Chagga-Konferenz, August 1908, Beilage 3b: Paul Rother, Können wir heidnische Volksbräuche oder Teile von solchen in die christlichen Gemeinden herübernehmen, ev. welche?, ALMW II.32.98. 143 Fiedler, Christentum und afrikanische Kultur, 82–89; Jones, Ethnographie als „Nebenprodukt“, 97–98. 144 Stationstagebuch Mamba, 17.3.1896, ALMW II.32.129. 145 Ebd. 146 Ebd. 147 Ebd.
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sich nicht mit der „Verehrung des wahren Gottes, dem sie jetzt dienen wollten“, vertrage, verneinte Ndesamiro, dass es sich um einen solchen „religiösen Akt“ handele, und ließ sich beschneiden.148 Ebenfalls im Frühjahr 1896 waren die Missionare vonseiten des Missionsdirektors gebeten worden, ihre Einschätzung über die Beschneidungspraxis nach Leipzig zu übermitteln. Der Missionsdirektor von Schwartz hatte für die Kontinentale Missionskonferenz im Mai 1897 einen Vortrag über das Thema übernommen, vermutlich um gleich von Beginn der Missionsarbeit in Afrika an eine Isolation der Leipziger Mission in der Beschneidungsfrage, wie sie in der „Kastenfrage“ eingetreten war, zu verhindern. In der Vorbereitung dieses Vortrags hatte er deswegen nicht nur Gutachten von Missionaren eingefordert, sondern auch andere Missionsexperten, wie zum Beispiel Alexander Merensky, um ihre Einschätzung gebeten.149 Der Umgang mit Beschneidung, dies zeigen von Schwartz’ Erkundigungen, war für alle Missionsgesellschaften ein wichtiges Thema.150 Ob die Beschneidung toleriert oder ihr Nichtvollzug zur Taufbedingung gemacht wurde, handhabten die Missionsgesellschaften sehr unterschiedlich. Dies war den Zeitgenossen durchaus bewusst.151 Die Ergebnisse, zu denen von Schwartz kam, bildeten schließlich die Grundlage für einen ersten Beschluss zur Beschneidung im Missionsgebiet, die in zeitlicher Nähe zur Kontinentalen Missionskonferenz auf der Generalversammlung der Missionsgesellschaft gefasst wurde. Von den Leipziger Missionaren reichte wohl das umfassendste Gutachten der noch junge Missionar Ewald Ovir ein.152 Ovir, der am Leipziger Missionsseminar studiert hatte, war erst seit 1895 im Missionsgebiet tätig und unter Missionar Müller in Madschame stationiert.153 Kurze Zeit nach dem Verfassen des Gutachtens über die Beschneidung wurde der Missionar bei den Wamadschame auf einer Erkundigungstour 148 Ebd. Siehe dazu auch Hasu, Desire and Death, 182. 149 Alexander Merensky an Missionsdirektor, 13.2.1896, ALMW.II.32.71. Auch Carl Meinhof legte eine Einschätzung vor: Carl Meinhof an Missionsdirektor, 5.1.1905, ALMW.II.32.71. Merensky hatte sich spätestens seit den 1890er Jahren Prestige in den evangelischen deutschen Missionskreisen erworben. Vgl. Marcia Wright, German Missions in Tanganyika, Oxford 1971, 20. Zu Merensky siehe auch van der Heyden, Alexander Merensky. 150 Die Berliner Mission setzte sich bspw. vehement für eine Abschaffung der Beschneidung in ihrem Missionsgebiet ein. Kirsten Rüther, Through the Eyes of Missionaries and the Archives They Created. The Interwoven Histories of Power and Authority in the Nineteenth-Century Transvaal, in: Journal of Southern African Studies 38 (2012), S. 369–384, 380. 151 Protokoll der Chagga-Konferenz, September 1900, Vortrag: Emil Müller, Die Vielweiberei, ALMW II.32.92. 152 Tatsächlich legten einige Missionare keine Stellungnahme vor, weil sie sich nicht informiert genug fühlten. Siehe z. B. die nichtdatierten Auszüge aus einem Schreiben des Missionars Hoffmann an den Missionsdirektor, ALMW II.32.71. 153 In dem Gutachten Müllers wird auf das Spezialstudium zur Beschneidung von Missionar Ovir verwiesen. Schreiben Müller an Missionsdirektor, 16.6.1896, ALMW II.32.71. Das ausführliche Gutachten behandelt ebenfalls die Beschneidung bei den Madschame, berücksichtigt aber nur die Vorgänge im Jahr 1895 und stammt mit größter Wahrscheinlichkeit von dem Missionar Ewald Ovir. Ein Verfasser ist nicht angegeben.
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zum Meru gemeinsam mit Missionar Segebrock bei einem Raubüberfall von Einheimischen ermordet; beide gelten seitdem als Märtyrer. Ovirs Gutachten war nicht nur eine Beschreibung der Beschneidungspraxis auf der Grundlage von Erkundigungen, die der Missionar über die Jungenbeschneidung eingeholt hatte, es lieferte auch eine Einschätzung über deren soziale und religiöse Bedeutung. Die Beschreibung der Beschneidungsriten war jenseits der Schwierigkeit, überhaupt Auskunft über sie zu bekommen, von zahlreichen Sagbarkeitsregeln in der Kommunikation nach Europa bestimmt.154 Missionar Ovir wich deswegen sogar auf die medizinische Wissenschaftssprache des Lateinischen aus, um den Umgang mit den Sexualorganen zu beschreiben: „Pueris in circumcitione praeputium puellis quantum coniectare licet, clitoris desecatur. Praeputia in patina asservantur usque ad puteant. Quo facto viri prius circumcisi conveniunt, ut praeputia putisa adorentur. Deinde fovea foditur in quam pueri alvo exonerato praeputia iniciunt.“155
Das umfassende Gutachten strich zunächst die soziale Funktion der Beschneidung heraus: Ein nichtbeschnittener Mann, auch wenn er von außerhalb komme, würde zwar geduldet, könne aber nicht heiraten.156 Ovir ordnete die Beschneidung schließlich unter die ndumo ein, die er als „Sitte mit religiöser Seite“ definierte.157 In dem Gutachten beschrieb Ovir vierundzwanzig dieser ndumo, zu denen er das Spenden eines Tieropfers oder Opfertrunkes ebenso zählte wie das Durchstechen der Ohrlöcher oder das Ausschlagen der mittleren Schneidezähne bei Kindern, das Tragen von Bändchen um das Handgelenk oder Rituale, die in Verbindung mit Heirat oder Geburt standen. Ovir rückte die Beschneidung damit deutlich in die Nähe der von den Missionaren als „Aberglauben“ und „Zauberglauben“ verstandenen Praktiken:158 Bei den „Bändchen“, die die Chagga um das Handgelenk trügen, bestehe keine unterscheidbare Differenz zu Amuletten, die ein „verzaubert werden“ verhindern sollten.159 In den Ausführungen
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Das Schamgefühl der Missionare, das ihnen verbot, offen über Sexualität zu sprechen, muss hier als wichtiger Grund für den Nichttransfer bzw. den kodierten Transfer gesehen werden. Vgl. Hölzl, Arrested Circulation. Beschneidung bei den Wamadschame, ALMW II.32.71: „Den Jungen wird bei der Beschneidung die Vorhaut entfernt, den Mädchen, soweit man das beurteilen kann, die Clitoris abgeschnitten. Die Vorhäute werden bis zur Fäulnis in einer Schale aufewahrt, in der sie dann von den zuvor beschnittenen jungen Männern angebetet werden. Anschließend werden sie in einen dafür angelegten Graben, in den die Männer vorher defäkiert haben, geworfen.“ [Übersetzung, K. W.]. Siehe dazu auch Gutmann, Recht der Dschagga, 319. Beschneidung bei den Wamadschame, ALMW II.32.71. Ebd. Siehe dazu oben Kap. 2.1.1 dieser Studie. Beschneidung bei den Wamadschame, ALMW II.32.71.
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Ovirs wurde die Beschneidung deswegen zu einer „ekelhaften Ausgeburt heidnischen Aberglaubens“.160 Das Verständnis der Missionare von ndumo und die Tatsache, dass diese mit der gesamten Alltags- und Lebenswelt der Chagga verknüpft schienen, stellte die Annahme der Missionare von einer Trennung von religiöser und säkularer Sphäre immer wieder auf die Probe. Die Debatte um die Beschneidung ging deswegen nicht nur um die Frage, ob sie „heidnisch“ beziehungsweise religiös sei oder nicht, sondern kreiste vielmehr um die Problematik einer aus Sicht der Missionare unabdingbaren Grenzziehung zwischen Säkularem (als Volkssitte) oder „Heidnischem“ (als religiöse Sitte). Während alle anderen dieser ndumo für die Missionare eindeutig in den einen oder anderen Bereich fielen oder von ihnen eindeutig als heidnischer „Aberglaube“ definiert wurden, war diese einfache Definition bei der Jungenbeschneidung besonders problematisch. Für die Bewertung der Beschneidung spielte nämlich die Tatsache eine Rolle, dass die Beschneidung von Jungen Bestandteil christlich-jüdischer Tradition und in der Bibel durchaus belegt war.161 Der Direktor der Missionsgesellschaft argumentierte daher auf der Generalversammlung der Missionsgesellschaft, bei der die Vertreter aller Missionsvereine zusammenkamen, dass das Vornehmen der Beschneidung an sich nicht Sünde sei. Weil Gott sie geboten habe und auch Paulus sie an Timotheus vollzogen habe, könne die Beschneidung an sich nicht sündhaft sein.162 Die Ansicht des Direktors zielte schließlich darauf ab, die Beschneidung insofern als Adiaphoron zu dulden, als sie als „Volkssitte“ definiert sei:163 „Wer die Taufe begehrt, muss versprechen, allem Teufelsdienst und allem sündhaften Wesen zu entsagen. Da die Beschneidung an sich nicht dazugehört (These 1), ist das Versprechen die Beschneidung in einer Familie zu unterlassen, nicht zur Bedingung der Taufe zu machen, wohl aber diese klare Erkenntnis, dass die Beschneidung in religiöser Hinsicht gleichgültig sei.“164
160 Ebd. 161 Dies lässt sich in der Frühgeschichte der Kirche damit begründen, dass sich zahlreiche Unbeschnitte dem neuen Glauben anschlossen. Paulus und die anderen Apostel betonten dann statt der Beschneidung den Glauben („Beschneidung des Herzens“). Zur Beschneidung im frühen Judentum und im Neuen Testament siehe einführend: Otto Betz, Beschneidung II, in: TRE 5 (1980), S. 716–722; E P Sanders, Beschneidung. II. Bibel, in: RGG 1 (2002), S. 1355–1356. 162 So die erste mehrerer Thesen des Direktors zur Beschneidung, die auf der Generalversammlung 1897 in Leipzig diskutiert und zuvor mit der Einladung verschickt worden waren. ALMW II.2.2. 163 So auch Richard Handmann, Missionssenior und Vizedirektor: „Es ist nicht die Aufgabe der Mission, Volkssitten zu ändern; eine Volkssitte ist der Niederschlag der Volksgeschichte. Durch äußerliche Maßregeln gegen Volkssitten würde das Volk verkümmern.“ Protokoll der Generalversammlung 1897, ALMW II.2.2. 164 Thesen des Direktors zur Beschneidung, ALMW II.2.2.
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Der entscheidende Bezugspunkt für die Auslegung des Direktors war die Bibelstelle aus dem Brief an die Korinther,165 nach der in der zeitgenössischen Auslegung der Glaube beziehungsweise dessen Annahme („den Zustand, in welchem einer jeder zum Evangelium berufen ward“)166, über die Einhaltung des jüdischen Gesetzes gesetzt wurde. Aus europäischer Sicht schien es wegen der besonderen Bedeutung der Beschneidung und der auch bei Ovir zu beobachtenden Verbindung von „Aberglauben“ mit Ekel und Unsittlichkeit vor allem darum zu gehen, dass „alles Obscöne, das sich etwa dran gehängt hat, abgestellt werde.“167 Stattdessen sollte der Charakter der Beschneidung als „Sinnbild der Herzensreinheit“ in der christlich-jüdischen Tradition von den Missionaren geachtet werden und diese Bedeutung den zu Missionierenden durchaus zu Bewusstsein gebracht werden, wenn die Beschneidung als Volkssitte bestünde. Der Direktor deutete hier eine Verchristlichung der Beschneidungspraxis an und begegnete in seiner letzten These auch dem Einwand Ovirs, dass bei einer Beibehaltung der Beschneidung die Völker Ostafrikas sich bei ihrem Eingang in das Reich Gottes als Beschnittene und Unbeschnittene gegenüber stünden:168 „Entstehen infolge dieser Taufpraxis christliche Gemeinden, in denen die Beschneidung in Übung ist, so sollen wir davor nicht erschrecken. Denn in der apostolischen und nachapostolischen Zeit ist es ebenso gewesen.“169 Dieser Hoffnung Ausdruck verliehen hatte der Missionsdirektor auch auf der Kontinentalen Missionskonferenz, die etwas früher als die Generalversammlung im Mai 1897 stattgefunden hatte. Entgegen der Einschätzung der meisten anderen Missionsvertreter hatte er dort die Auffassung vertreten, dass die Beschneidung bei den Wakamba und Chagga „gereinigt werden könne“.170 In seinem Vortrag hatte er sogar die These verteidigt, dass die Beschneidung als Operation nicht verboten werden könne beziehungsweise nicht zum Taufhinderungsgrund erklärt werden könne. „Denn dessen, was sündhaft ist, an dem Wandel nach väterlicher Weise und was deshalb der Katechumene meiden muß, wenn er seine Seele retten will, ist ohnedies so viel, daß man sich hüten sollte, etwas zur Sünde zu stempeln, was Gottes Wort nicht verbietet.“171
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1. Kor. 7,19: „Beschnitten sein ist nichts, und unbeschnitten sein ist nichts, sondern Gottes Gebote halten.“ Zur Auslegung der Stelle im Sinne einer konservativen Theologie siehe den Kommentar, an dem auch Ernst Luthardt als Mitglied des Missionskollegiums mitgearbeitet hat: Otto Zöckler u a , Kurzgefaßter Kommentar zu den Heiligen Schriften Alten und Neuen Testaments sowie zu den Apokryphen. Die Briefe Pauli an die Thessalonicher, Galater, Korinther und Römer, München 1887, 145. Thesen des Direktors zur Beschneidung. These 2, mit Verweis auf 5. Mose 10,16 und Jer. 4,4. ALMW II.2.2. Beschneidung bei den Wamadschame, ALMW II.32.71. Thesen des Direktors zur Beschneidung. These 7, ALMW II.2.2. Verhandlungen der neunten kontinentalen Missionskonferenz zu Bremen am 25., 26. und 28. Mai 1897, Berlin 1897, 134. Ebd., 123.
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Nichtsdestotrotz schwang bei der Debatte um die Beibehaltung oder Abschaffung der Beschneidung stets deren Verbindung mit dem Sexuellen mit.172 Die mit der Beschneidung nicht selten verbundene sexuelle Initiation oder auch nur die Thematisierung von Geschlechtsteilen schien kaum vereinbar mit der vom Christentum geforderten Sittlichkeit. Die Ansicht, wegen der vermeintlichen Unsittlichkeiten die Beschneidung trotz des Gebotes im Alten Testament in den afrikanischen Missionsgebieten zu verbieten, war deshalb bereits auf der Generalversammlung zur Sprache gekommen und wurde von Alexander Merensky auf der Kontinentalen Missionskonferenz ebenfalls bekräftigt. Merensky bezeichnete die Beschneidung als „Konfirmation des Fleischeslebens“ und als „Einweihung zur Übung des vollen geschlechtlichen Verkehrs“, die unvereinbar mit „christlicher Erziehung und christlicher Sitte sei.“173 Weil Missionare nur selten etwas Konkretes über die Rituale erführen, die mit der Beschneidung einhergingen, warnte er die Leipziger Mission in seinem Korreferat davor, zu früh der Beschneidung stattzugeben.174 Auf der Konferenz der Missionare im Missionsgebiet im Juni 1897 wurden die Thesen des Direktors ebenfalls diskutiert. In Übereinstimmung mit dem Direktor kamen die Missionare zunächst zu der Einschätzung, dass es sich bei der Beschneidung hauptsächlich um eine „Volkssitte“ handele und nicht um eine primär religiöse Handlung. Sie solle deswegen beibehalten beziehungsweise geduldet werden. Hintergrund dieses Beschlusses, der sogar von der kolonialen Öffentlichkeit wahrgenommen und gelobt wurde,175 war sicher auch die Position der Missionare im Machtgefüge der Missionsgesellschaft; Missionare durften kaum dem Direktor offen widersprechen, auch wenn die Generalversammlung und auch der Direktor die Missionare um eine Stellungnahme zu den Thesen gebeten hatten. In den Diskussionen im Vorfeld dieses Beschlusses zeigt sich die deutlich reserviertere Haltung der Missionare: Nicht nur betonten sie nun, dass der Beschneidung der Chagga in „ihrer Ausführung etwas religiöses anhafte“, sondern von Christen müsse, wie es auch bei Opfermahlzeiten der Fall sei, auch verlangt werden, dass „alle religiösen Ceremonien und Obszönitäten abgestellt werden.“176 Vehement stellten sich die Missionare sogar gegen die Aufforderung des Direktors, die Beschneidung in ihrem christlich-jüdischen Verhältnis als „Sinnbild der Herzensreinheit“ zu thematisieren: Die Beschneidung der Chagga könne nicht mit der jüdischen verglichen oder gleichgestellt werden, so machte der Missionar Althaus
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Ebd., 122. Ebd., 126 f., 129. Ebd., 131. Aus den Missionen, in: Deutsche Kolonialzeitung. Organ der Deutschen Kolonialgesellschaft 10 (1897), S. 448. Über die Entscheidungen der Missionen wurde ansonsten nur selten in der Kolonialzeitung berichtet. Protokoll der Chagga-Konferenz, Juni 1897, TOP 2, Redebeitrag Althaus, S. 2–3, ALMW II.32.92.
2.1 Zwischen „animistischem Geisterglauben“ und „unterreligiösem Aberglauben“
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deutlich, „denn ich befürchte daß dadurch der Beschneidung erst ein religiöser Beigeschmack gegeben werde, der ihr sonst in den Augen der Leute vielleicht fehlt.“177 Nicht nur Missionar Althaus war sich der Grenzen seiner Erkundigungen bewusst, zumal sie im Kontrast zu anderen Berichten über Initiationsfeiern standen. Bereits 1899 verlegte er die Beschneidung auf die Missionsstation, um zu verhindern, dass diese mit Opferhandlungen in Verbindung gebracht werden könnten. Ein ähnliches Vorgehen wurde auch von der Church Missionary Society, die den Leipzigern häufig als Vorbild diente, genutzt. Missionar Müller führte zur Übernahme dieser Praxis an: „Auf diese Weise würde man auch erfahren, ob es wirklich nur ein – sehr bestreitbares, aber wenigstens beachtenswertes – Schönheitsideal und eine unbewußte hygienische Maßregel ist, oder ob die Seelen an dem hängen, was verwerflich ist.“178 Am 30. Mai 1899 fand schließlich in Mamba eine Beschneidung an sechs Kostschülern statt, bei der „alle Opfer, die hauptsächlich zwecks Blutstillung und baldiger Heilung von den Eingeborenen den Geistern dargebracht werden, und alle Zaubereien etc hier wegfielen“.179 Dennoch war Althaus mit der Maßnahme nicht glücklich: „So ist uns die ganze Sitte, nicht zum wenigsten des bedenklich starken Blutverlustes wegen, den einige dabei erlitten, aber auch wegen der ganzen Sache an sich, sehr zuwider geworden und nur mit schwerem Herzen werde ich wieder in die Beschneidung anderer Kostschüler einwilligen.“180 Diese Reserviertheit gegenüber der Beschneidung wurde seitens der Missionare sogar noch größer. Es gab in den Folgejahren immer wieder Vorstöße einiger Missionare vor Ort, auf die Abschaffung der Beschneidung hinzuwirken. Auf der Konferenz der Chagga-Missionare 1903 wurde das Thema erneut intensiv diskutiert, wobei die Missionare darauf bedacht waren, dem Wunsch des Kollegiums, die Beschneidung nicht zu einem Hindernis für die Missionsarbeit werden zu lassen, weiterhin zu entsprechen und nur eine Ergänzung zu den Bestimmungen von 1897 vorzunehmen. Missionar Althaus, der ja auch in Mamba keine Beschneidung mehr hatte zulassen wollen, sprach sich auf der Konferenz nun explizit für ein Hinwirken auf das Abschaffen derselben aus. Seiner Ansicht nach sei auch, wenn man auf das Abschaffen der Beschneidung hinarbeite, kein Nachteil für die Missionsarbeit zu befürchten.181 In Mamba habe er sogar schon Jungen von der Beschneidung durch „einige Belehrung über das Törichte und sittlich Schädigende, sowie ernstliches Abraten“ davon abbringen
177 178 179 180 181
Ebd., 3–4. Müller an Missionsdirektor, 16.6.1896, ALMW II.32.71. Stationstagebuch Mamba, Mai 1899, ALMW II.32.130. Ebd. Dies war offenbar aber die von den Kostschülern präferierte Lösung. Siehe dazu Protokoll der Chagga-Konferenz Dezember 1903, TOP 15, 72–73, ALMW II.32.95. Er begründete dies damit, dass er „unsere Neger für zu wenig stark, zäh und selbstbewußt“ halte, „um auf die Dauer unserer seelsorgerl. Einwirkung Widerstand entgegen zu setzen.“ Protokoll der Chagga-Konferenz, Juli 1903, ALMW II.32.94.
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2 Grenzziehungen des Religiösen
können.182 Doch nicht nur die vermeintlichen Unsittlichkeiten führten 1903 zu einer Ablehnung der Beschneidung durch die Missionare, auch deren Mehrwissen über die religiösen Vorstellungen der Chagga ließ die von ihnen vorgenommene Grenzziehung des Säkularen und Religiösen nicht mehr aufgehen. Missionar Müller beispielsweise, der 1896 noch von der Beschneidung als in der Theorie nicht religiös begründet, sondern nur in der praktischen Ausführung mit heidnischen Bräuchen verbunden ausging, konnte 1903 eine Trennung zwischen religiöser Sitte und Volkssitte gar nicht mehr ausmachen: „Das ganze Staatswesen ist hier eine schier untrennbare Verquickung von Politik + Heidentum, etwa in ähnlicher Weise wie bei den alten Römern“. Der Beschneidung hafte daher, wie dies auch Gustav Warneck herausgestrichen habe, „immer eine geheime heidnische Beziehung an.“183 Auch wenn die Missionare sich immer noch nicht vollends zu einem Verbot der Beschneidung durchringen konnten, beschlossen sie, auf eine Unterlassung der Beschneidung zukünftig hinzuwirken.184 Erneut verwies man mit Nachdruck darauf, dass die Beschneidung bei den Chagga nicht mit der alttestamentlichen Beschneidung zu vergleichen sei.185 Wie sehr zumindest einige der Missionare immer mehr daran zweifelten, dass die Beschneidung trotz der Entscheidung des Direktors in den Gemeinden nicht beibehalten werden könne, zeigt beispielsweise, dass der Missionar Robert Faßmann, der zur ersten Generation der Missionare gehörte und die Station Moshi leitete, in seinem Entwurf einer Gemeindeordnung das Unterlassen der Beschneidung an den Kindern der Gemeindemitglieder in der Vorbemerkung explizit anmerkte.186 In einer sich an deutsche Missionsunterstützer wendenden, hauptsächlich für Missionsstunden konzipierten Schrift von Missionar Althaus hieß es im Anschluss an seine Darstellung der Religion der Chagga sogar: „Doch habe ich damit die religiösen und abergläubischen Anschauungen und Gebräuche nicht annähernd erschöpft. Sonst müßte ich noch reden von den Besprechungen, Reinigungen und all den ungezählten religiösen Zeremonien, welche sich an Geburt, Beschneidung, Heirat und Tod hängen“.187 Tatsächlich 182
Auch hier verwies Althaus, vermutlich für das nach Leipzig eingesandte Protokoll, darauf, dass er das Unterlassen der Beschneidung nicht mit der Taufe in Verbindung gebracht habe. 183 Protokoll der Chagga-Konferenz, Juli 1903, Beilage: Müller, Unsere Stellungnahme zur Beschneidung, 15, ALMW II.32.94. Gustav Warneck hatte den ursprünglichen Beschluss der Leipziger, die Beschneidung beizubehalten, nur durch „Unkenntnis“ zu erklären vermocht. Vgl. Warneck, Missionslehre III.1, S. 288. 184 Protokoll der Chagga-Konferenz 1903, Beilage: Müller, Unsere Stellungnahme zur Beschneidung, ALMW II.32.95. 185 Rother, Die 17. (14. ordentliche) Konferenz der Dschagga-Missionare, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1903), S. 460–462, 462. 186 Protokoll der Chagga-Konferenz, Februar 1905, Beilage: Robert Faßman, Entwurf einer Gemeindeorganisation unserer Chaggamission, 1–2, ALMW II.32.96. Bereits auf der Konferenz 1904 wurde von den meisten Missionaren eine Beschneidung auf der Station abgelehnt: Hans Fuchs, Die 18. Konferenz der Wadschagga-Missionare, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1904), S. 116–121, 141–145, 145. 187 Althaus, Die religiösen Anschauungen, 23–24.
2.1 Zwischen „animistischem Geisterglauben“ und „unterreligiösem Aberglauben“
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wurde aber die Beschneidung an Jungen in der Chaggamission vor dem Ersten Weltkrieg nie verboten.188 Spätestens 1913 aber waren einige der Missionare endgültig davon überzeugt, dass die Beschneidungspraxis mit dem Christentum nicht zu vereinbaren sei. Eine völlige Abkehr von der Beschneidung wurde aber auch dann nicht beschlossen, sondern die Beantwortung der Frage nach der Beibehaltung der Beschneidung an die Gemeinden überwiesen. Dadurch konnten die Missionare zwar weiterhin sanft auf eine Abschaffung der Beschneidung von Jungen drängen, aber die Einheitlichkeit der „Volkskirche“ gewahrt werden.189 Die Debatte, ob die Beschneidung mit dem Christentum vereinbar sei, entglitt nicht zuletzt durch diese Überantwortung schließlich den Missionaren. Wie auch in anderen Fällen wurde die Beschneidungsfrage vor und insbesondere nach dem Ersten Weltkrieg zu einem Testfall. Hatte bereits die vor dem Ersten Weltkrieg gültige Maßgabe, alles „Heidnische“ bei der Beschneidung von Christen(kindern) zu unterbinden, dazu geführt, dass den Chagga-Christen die Verantwortung darüber übertragen wurde, selbständig zu entscheiden, was mit ihrem Glauben zu vereinbaren war und was nicht,190 galt dies für die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, als die Leipziger Mission die Verantwortung für die Gemeinde größtenteils in die Hände der lokalen Christen legen musste, umso mehr. Während die einen für ein sofortiges Verbot plädierten, sahen andere die Beschneidung als eine Sitte an, die bereits im Niedergang begriffen sei und die sich langsam aber sicher verlieren würde. 1923 wehrten sich die afrikanischen, von Klaus Fiedler in seiner Studie zu „konservativen Missionaren“ als „progressiv“191 bezeichneten Lehrer gegen die offizielle Haltung der Mission, dass es sich bei der Beschneidung nur um eine Volkssitte beziehungsweise ein Adiaphoron handele; sie verwiesen dabei in ihrer Argumentation auf den Wortlaut der Bibel und nahmen sogar in Kauf, dass sie zusätzlich auch die Autorität des chiefs infrage stellten.192 Ab 1924 war sogar zeitweise die Beschneidung derart verpönt, dass ihre Durchführung zur Anwendung von Kirchenzucht und Ausschluss vom Abendmahl führte.193 Die zurückge-
188
Hier scheint auch die Ausführung der Beschneidung für die Haltung der Mission zu dieser eine Rolle gespielt zu haben. Während die Bantu-Beschneidung, wie sie die Chagga bei den Jungen praktizierten, von der Mission mehr oder weniger toleriert wurde, lehnte die Mission, nachdem Inspektor Weishaupt an einer Beschneidungsfeier bei den Massaii teilgenommen hatte, diese gänzlich ab. Dies führte zu einem massiven Einbruch der Besucherzahlen von Gottesdiensten. Vgl. hierzu Kim Groop, With the Gospel to Maasailand. Lutheran Mission Work among the Arusha and Maasai in Northern Tanzania 1904–1973, Åbo 2006, 71–75. Parsalaw, History of the Lutheran Church Diocese, 118. 1927 wurde erneut eine Abschaffung auf der Grundlage ihrer Gefahr für die „Sittlichkeit“ erwogen. Es wurde beschlossen, auf ihre Abschaffung hinzuarbeiten, diese aber nicht „mit gesetzlichen Strafestimmungen“ durchzusetzen. Siehe dazu Moritzen (Hg.), Rückblicke, 71. 189 Protokoll der Chagga-Konferenz, Oktober 1913, ALMW II.32.99. 190 Fiedler, Christentum und afrikanische Kultur, 17, deutet dies als Gestaltungsspielraum. 191 Ebd., 77–78. 192 Hasu, Desire and Death, 187. 193 Ebd., 185.
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2 Grenzziehungen des Religiösen
kehrten Missionare akzeptierten diese Entscheidung, wenn sie auch die theologische Begründung nicht akzeptieren konnten. Während die Lehrer, in Moshi beispielsweise Filipo Njau, dieses Beschneidungsverbot unter disziplinarischen Maßnahmen umzusetzen suchte, beschnitten viele Gemeindemitglieder ihre Kinder heimlich. Fiedler und auch Hasu interpretieren diesen Beschneidungsstreit in den 1920er Jahren als Streit um Modernität und als Streit zwischen unterschiedlichen Gruppen innerhalb der afrikanischen Gemeinden um Deutungshoheit und Macht. Dennoch ergibt sich vor dem Hintergrund der Ausführungen über die Beschneidung vor dem Ersten Weltkrieg noch eine weitere Dimension: In den Argumenten beider Seiten wird auch deutlich, dass hier weiterhin um eine Trennung von Religiösem und Säkularem gerungen wurde. Die Ältesten und die allermeisten Gemeindemitglieder rekurrierten nämlich auf die von den europäischen Missionaren gezogene Grenze des Säkularen und Religiösen und verteidigten die Beschneidung als säkular. Sie akzeptierten damit auch eine von den Missionaren zunächst künstlich eingeführte Trennung dieser beiden Bereiche. Die Lehrer hingegen versuchten mit einer theologischen Argumentation, diese Deutung der Beschneidung als säkular anzugreifen. Die Beschneidungsdebatte, insbesondere die Frage, inwiefern die Beschneidung im Einklang zum christlichen Glauben stehen könnte, blieb also auch in den 1920er Jahren das Thema, an dem die Grenzen des Religiösen, Definitionen vom Christentum, aber auch (soziale) Machtfragen verhandelt wurden. In deutlich geringerem Maße gilt dies auch für Genitalbeschneidung bzw. Verstümmelung194 von Mädchen und die damit verbundene Mädcheninitiation. Die Mädchenbeschneidung, die bei Massaii und Chagga auf gleiche Weise praktiziert wurde, wurde zunächst toleriert.195 Die Mädchen wurden in der Pubertät von einer älteren Frau in ihrem Elternhaus beschnitten.196 Männer spielten bei dieser Zeremonie keine Rolle.197
194 Die in der Medizin des 19. Jahrhunderts diskutierten Gründe für eine Beschneidung der Genitalien, z. B. zur Bekämpfung von „Hysterie“ (siehe dazu Marion Hulverscheidt, Weibliche Genitalverstümmelung. Diskussion und Praxis in der Medizin während des 19. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum, Frankfurt a. M. 2002) oder die „Hottentottenschürze“ werden ebenso wenig von den Missionaren ins Feld geführt, wie die Verstümmelung und die negativen Auswirkungen für die Mädchen und Frauen durch die Beschneidung. 195 Groop, With the Gospel to Maasailand, 71–75. Dies sorgte für eine Durchmischung der Chagga und Massai, da durch dieselbe Beschneidungspraxis Konnubium möglich wurde. Berntsen, Maasai, 8. 196 „Die Operation besteht in einer Ablatio der Labia minora und des Praeputiums Clitoridis, wobei wohl auch die Clitoris dekaptiert wird, und wird mit einem stillosen Messer ausgeführt.“ Widenmann, Kilimandscharo-Bevölkerung, 47. Diese wird bis heute praktiziert: Verena Schafroth, Female Genital Mutilation in Africa. An Analysis of the Church’s Response and Proposals for Change, in: Missiology 37 (2009), S. 527–542. Nach Merker variierte die Größe der Operation je nach Landschaft. Merker, Rechtsverhältnisse, 16. Zur Mädchenbeschneidung bei den Chagga siehe auch Hasu, Desire and Death, 76–86. 197 Bruno Gutmann, Die Frau bei den Wadschagga, in: Globus. Illustrierte Zeitschrift für Länder- und Völkerkunde 92 (1907), S. 1–4, 29–32, 49–51, 50.
2.1 Zwischen „animistischem Geisterglauben“ und „unterreligiösem Aberglauben“
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1899 hatte der Kolonialarzt Dr. August Widenmann eine erste Beschreibung vorgelegt, und dabei ein von sexueller Fantasie angeregtes Bild gezeichnet: „Die beschnittenen Mädchen ziehen bei ihren Verwandten und Bekannten herum und führen in nahezu nacktem Zustand Tänze auf. Sie tragen nämlich außer Perlenhalsbändern nur noch mit Eisenkettchen dicht behangene Fellriemen um die Taille […] Der Tanz besteht nur aus fortwährendem Einknicken der Knien unter lautem Gesang, wobei die Glocken einen großen Lärm verursachen. Die Ausdauer, mit welcher die Mädchen ihre Bewegungen in glühender Sonne mit glattrasierten Köpfen ausführen, bis sie endlich in Schweiße gebadet vor Erschöpfung den Tanz aufgeben, ist das Einzige, was dem sonst widerlichen Spiele Interesse verleiht.“198
Dass die Mädchenbeschneidung weniger „bedeutsam“ sei – und zwar bedeutsam für die Frage, wie mit ihr umzugehen sei, stellte auch Missionar Müller fest, der sie als mit „vielerlei unkontrollierbaren Unsittlichkeiten“ verbunden beschrieb.199 Dennoch war die Mädchenbeschneidung deutlich seltener ein Thema bei den Missionaren, was vor allem vor dem Hintergrund des zeitgleich in der Missionsbewegung firmierenden Opferdiskurses um die indische Witwenverbrennung verwundert. 1910 ließ Gutmann die Beschneidung an einem christlichen Mädchen dezidiert zu, allerdings unter der Bedingung, dass sämtliche „heidnischen Bräuche“ vermieden würden.200 Dieser Ansicht, die letztlich in der Chaggamission zu einer Abschaffung der Mädchenbeschneidung in der christlichen Gemeinde hinführen sollte, wurde auch von den ab 1905 ausgesandten Missionarinnen geteilt. 1913 hatte Schwester Seesemann, eine der im Missionsgebiet tätigen Diakonissen, die Missionare über die Praktiken der Mädchenbeschneidung informiert. Sie schilderte in ihrem Referat detailliert, wie die Beschneidung (auf der Missionsstation) durch eine alte Frau ausgeführt wurde, wobei sie vor allem den Schmutz des Messers und der Kleidung hervorhob. Schlimmer als diese Gefahr für den Körper sah Seemann jedoch den Einfluss der Beschneidung auf das Wesen der Mädchen: Durch die Beschneidung werde das ganze Denken der Beschnittenen auf das Geschlechtliche gelenkt; die Schamlosigkeit kenne keine Grenzen mehr.201 Seemann sprach sich dabei gegen eine mögliche Zusammenlegung der Mädchenbeschneidung und der Konfirmation aus. Die Mädchenbeschneidung bei den Chagga sei „ganz auf heidnischem Gebiet erwachsen“, sie sei nur vom Standpunkt des Heidentums aus verständlich und eine „Prononcierung des sexuellen Momentus in der stärksten Form.“202 198 199 200 201 202
Widenmann, Kilimandscharo-Bevölkerung, 47. Merker beschreibt den Ablauf relativ ähnlich, Merker, Rechtsverhältnisse, 15. Müller an Missionsdirektor, 16.6.1896, ALMW II.32.71. Klaus Fiedler, The Gospel Takes Root on Kilimanjaro. A History of the Evangelical Lutheran Church of Old Moshi-Mbokumo 1885–1940, Zomba 2006, 17. Protokoll der Chagga-Konferenz, August 1913, Beilage: Elisabeth Seesemann, die Mädchenbeschneidung und ihre Gefahren, 3, ALMW II.32.100. Ebd., 5.
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2 Grenzziehungen des Religiösen
Inwiefern es aber tatsächlich zu einer faktischen Abschaffung der Mädchenbeschneidung kam, ist fraglich.203 Noch 1927 bekräftigten die Missionare auf der Missionskonferenz, dass die Mädchenbeschneidung als „in jeder Hinsicht schädlich“ zu verwerfen sei.204 Die Mädchenbeschneidung wurde damit – vermutlich auch wegen fehlender Vorbilder im Juden- beziehungsweise Christentum – ohne größere Debatte von den europäischen Akteuren als „heidnisch“ eingeordnet, wobei auf eine Zuschreibung von „heidnisch“/unsittlich vs. christlich/sittlich zurückgegriffen wurde, wie sie insbesondere bei den Beschreibungen von „Aberglauben“ schon zu beobachten war. Grenzziehungen des Religiösen wurden in der Mission immer im Hinblick auf die Verbreitung des Christentums vorgenommen. Insbesondere in der Frage, wie mit der Beschneidungspraxis der Chagga umgegangen werden sollte, vermischten sich deswegen verschiedene Ebenen: Dies betraf erstens die Abgrenzung zum sogenannten „Heidentum“, mit dem Missionare vor allem „abergläubische“ Praktiken, „Zauber“ und „Opfer“ in Verbindung brachten. Die im Einflussbereich der Mission praktizierte Beschneidung sollte von diesen Elementen befreit sein. Zweitens wurde damit eine Unterscheidung nach Geschlecht vorgenommen: Wegen der religiösen Konnotation der Beschneidung im Christentum konnte die ( Jungen-)Beschneidung, wie sie von den Chagga praktiziert wurde, als im Kern säkularer Ritus gedeutet werden. Für die Mädchenbeschneidung war diese Deutung aus eben demselben Grund nicht nötig. Wegen der fehlenden Konnotation der Mädchenbeschneidung im Christentum und der Verbindung derselben mit sexueller Reife konnte diese vom Missionspersonal rundweg als „unsittlich“ und damit als nicht mit dem Christentum vereinbar abgelehnt werden. Die in dem Konflikt zu beobachtende Mimikry205 der Missionierten löste aber gleichzeitig bei den Missionaren das Gefühl der Unsicherheit aus. Der Konflikt schwelte über einen solch langen Zeitraum und beschäftigte so viele verschiedene Akteure, weil die Missionare ihren Informanten oder zumindest den Ergebnissen ihrer eigenen Nachforschungen nicht trauten. Diese Unsicherheit wurde durch die hierarchische Struktur der protestantischen Missionsunternehmungen noch verstärkt. Die in der Debatte um die Beschneidungsfrage vorgenommene Grenzziehung zwischen dem Religiösen und Säkularen wurde schließlich von Europa aus mitbestimmt.
203 Hasu, Desire and Death, 181, bemerkt, dass die Mädchenbeschneidung aufgrund von medizinischen Gründen abgelehnt wurde. 204 Moritzen (Hg.), Rückblicke, 71. 205 Homi K Bhabha, Die Verortung der Kultur, Tübingen 2000, 127.
2.2 Die Auslegung des Missionsbefehls
129
2.2 Die Auslegung des Missionsbefehls Ziel- und Fluchtpunkt protestantischer Missionsarbeit war der biblische Missionsbefehl, wie er aus Mt. 28,19206 beziehungsweise Mk. 16,15207 abgeleitet wurde. Die Bibelstellen fungierten als Marker für die Identität der Mission.208 Wie diese Bibelstellen jedoch ausgelegt wurden und was sie für die alltägliche Missionsarbeit bedeuteten, war von vielfältigen Faktoren, wie der theologischen Positionierung der Missionsgesellschaft bzw. der Missionare oder der politischen Situation, abhängig. Erste Hinweise zur zeitgenössischen Auslegung der Bibelstellen im Markus- und Matthäusevangelium liefern die im 19. Jahrhundert prominenten theologischen Lexika und Enzyklopädien. Das Kirchliche Handlexikon hob beispielsweise deutlich den Anspruch an Mission in der kirchlich-konservativen lutherischen Prägung heraus, plädierte für eine konfessionell gebundene Predigt des Evangeliums und wandte sich gegen eine indirekte Mission im Sinne einer Zivilisierungsmission: „Damit ist zugleich das Urteil über jene gesprochen, welche die Mission auf indirektem Wege betreiben wollen und meinen, man müsse erst christliche Kultur, dann die christliche Glaubenslehre bringen (das Urteil Wißmanns209 und ähnlich die allgemeine evangelisch-protestantische Missionsgesellschaft, im letzten Grunde trotz des scheinbar absoluten Widerspruchs die Weise der katholischen Missionierung). Die christliche Sittlichkeit ist notwendige Folge der Annahme des Evangeliums, nicht aber seine Voraussetzung. Denn man kann nicht die Frucht verlangen, ehe man den Baum gepflanzt hat.“210
Das stärker religionsgeschichtlich orientierte Lexikon Religion in Geschichte und Gegenwart (RGG) setzte in seinem Missionsartikel aus dem Jahr 1910 dagegen deutlich
206 „Darum gehet hin und lehret alle Völker [Variante: machet zu Jüngern alle Völker]: Taufet Sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe.“ 207 „Und er sprach zu ihnen: Gehet hin in alle Welt und predigt das Evangelium aller Kreatur.“ 208 Das Missionshaus der bis heute aktiven Leipziger Missionsgesellschaft befindet sich in der PaulListstraße, damalig Carolinenstraße 19. Zu dieser Symbolik siehe auch Altena, Ein Häuflein Christen, 76. 209 Gemeint war damit eine öffentliche Kontroverse zwischen den protestantischen Missionsleitern einerseits und Hermann von Wissmann, dem Reichskommissar für Deutsch-Ostafrika, andererseits. Dieser hatte den protestantischen Missionen vorgeworfen, zu sehr Wert auf das Religiöse zu legen, statt zur Arbeit zu erziehen. 210 Mission unter den Heiden, in: Carl Meusel u. a. (Hg.), Kirchliches Handlexikon. Bd. 4, Leipzig 1894, S. 617–622, 618 [Hervorhebung i. O., K. W.]. Gegen Wissmanns Auffassung von Mission wandte sich vonseiten der protestantischen Missionen Gustav Warneck, Zur Abwehr und Verständigung. Offener Brief an Herrn Major von Wißmann, Kaiserlicher Reichskommissar. Ein Wort der Erwiderung auf seine Urteile über die Missionen beider christlichen Konfessionen, Gütersloh 1890.
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2 Grenzziehungen des Religiösen
andere Schwerpunkte211 und verneinte beispielsweise die Ableitung einer Pflicht zur Mission aus dem Taufefehl Matth. 28,19; weder stamme der Ausspruch tatsächlich von Jesu selbst, noch könne bewiesen werden, dass Jesus überhaupt Mission unter den Heiden angestrebt habe.212 Mission zu betreiben, begründe sich dagegen dem Artikel nach erstens aus dem Gefühl des Überzeugtseins vom eigenen Glauben.213 Zweitens „müssen doch der Aberglaube, die Sünden und Laster, die vielfach menschenunwürdigen Zustände in der Heidenwelt unserem Herzen nahegehen und es uns als unsere Pflicht gegen Gottes Willen erscheinen lassen, die heidnischen Brüder auf eine höhere Stufe zu heben, auf der sie die Wahrheit erkennen, neue Menschen werden und den Frieden der Seele finden.“214
Politische Erfolge und wichtige Einflüsse als Kulturträger wurden in dem Artikel zwar erwähnt, Konversion aber dennoch als Hauptziel der Mission definiert: „Die Mission darf keinesfalls wesentlich als ein kulturelles oder humanes Werk aufgefaßt werden.“215 Was als missionarische Aufgabe angesehen wurde, war gleichzeitig eng mit dem kolonialen Kontext verwoben, in dem die Missionare arbeiteten. Missionare und Missionsvertreter brachten gegenüber Vertretern der Kolonialmacht, sei es auf den verschiedenen Versammlungen, in denen über koloniale Politik in Berlin debattiert wurde, oder sei es im alltäglichen Zusammentreffen von Missionaren und Kolonialbeamten und Siedlern in Moshi, ihr Selbstverständnis zu Gehör und versuchten so immer wieder, Grenzziehungen zwischen dem Religiösen und Säkularen vorzunehmen. 2.2.1 Mission und die religionsgeschichtliche Schule Für die Leipziger Missionsgesellschaft waren im ausgehenden 19. Jahrhundert vor allem die Schriften Warnecks in missionstheologischer Hinsicht wegweisend, auch wenn dieser keine explizit lutherische Auslegung vorlegte. Bereits in ihren allgemeinen Grundsätzen hatte die Missionsgesellschaft die kirchliche Verbundenheit des
211
Dies wird auch daran deutlich, dass im RGG zwar das Stichwort Mission behandelt wurde (unter Heidenmission), es z. B. aber keinen Eintrag zur Leipziger Missionsgesellschaft gab, während ein solches Lemma im Kirchlichen Handlexikon mehrere Spalten umfasste. Zur Geschichte des Lexikons siehe Ruth Conrad, Lexikonpolitik. Die erste Auflage der RGG im Horizont protestantischer Lexikographie, Berlin 2006. 212 Ebd. 213 Kind, Heidenmission. I. evangelische, in: Friedrich Michael Schiele / Leopold Zscharnack (Hg.), Die Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch in gemeinverständlicher Darstellung, Tübingen 1910, S. 1959–1973, 1960. 214 Ebd., 1961. 215 Ebd., 1962.
2.2 Die Auslegung des Missionsbefehls
131
Bekenntnisses bei der Ausführung ihrer Mission betont.216 An eine biblische Begründung, wie Warneck sie bot, war dies prinzipiell anschlussfähig. Bereits im ersten Jahrgang der Allgemeinen Missionszeitschrift hatte sich Warneck der Interpretation des Missionsbefehls als „Missionsinstruktion“ gewidmet und damit die Grundlagen seines missionarischen Verständnisses veröffentlicht.217 In seiner (missionsmethodischen) Auslegung von Mt. 28, 19 leitete er aus der Bibelstelle, die er als „Ordre eines Königs“ verstand, das „Recht der Mission“, die „Pflicht der Kirche zu ihr“ ab; der Missionsbefehl biete zugleich eine „Missionsordnung“, eine „Missionseinweisung“ und eine „Missionsmethodik“.218 Warnecks Missionsansatz lag vor allem in seinem heilsgeschichtlichen Verständnis begründet.219 Weltgeschichte war für ihn Heilsgeschichte, weswegen er den europäischen Expansionismus als Mittel sah, mit dem Gott der Mission den Weg bahne.220 Warneck ging von einer heilsgeschichtlichen Kontinuität zwischen Altem und Neuem Testament aus.221 Die Brücke bilde dabei das Leben Jesu, in dem sich nicht nur alttestamentliche Prophetien erfüllten, sondern das im gesamten Verlauf von Missionsgedanken durchzogen sei, die schließlich im Missionsbefehl kulminierten.222 Weil Warneck, im Gegensatz zu Johann Tobias Beck oder Martin Kähler, das Reich Gottes mit dem Himmelreich identifizierte und dieses als gegenwärtig, werdend und zukünftig interpretierte, war es ihm möglich, aus dieser heilsgeschichtlichen Konzeption den missionarischen Auftrag herauszulesen:
216 217 218
Vgl. Allgemeine Grundsätze. Siehe dazu auch die Ausführungen bei Kasdorf, Warnecks Erbe, 175–178. Gustav Warneck, Der Missionsbefehl als Missionsinstruction. Versuch einer missionsmethodischen Auslegung von Matth. 28,19 f. in Verbindung mit Marc. 16,15, in: Allgemeine Missionszeitschrift 1 (1874), S. 41–49, 89–92, 137–151, 185–194, 233–239, 281–290, 377–392, 41. 219 Peter Beyerhaus, Gustav Warnecks Schriftverständnis, in: Dieter Becker / Andreas Feldtkeller (Hg.), Es begann in Halle… Missionswissenschaft von Gustav Warneck bis heute, Erlangen 1997, S. 40–54, 46. Besonders deutlich wird dies in Warnecks Artikel zur protestantischen Mission in der Realenzyklopädie für protestantische Theologie und Kirche: „Der Missionsbefehl steht nicht als etwas Accidentielles in der Schrift des NTs [Neuen Testaments, K. W.], sondern er ist so sehr aus ihrer ganzen mit universalen Heilsgedanken durchtränkten Heilslehre herausgewachsen, daß wir Mission treiben müßten, selbst wenn ein direkter Missionsauftrag nicht da wäre.“ Gustav Warneck, Mission unter den Heiden, protestantische, in: Realenzyklopädie für protestantische Theologie und Kirche 13 (1903), S. 125–171, 125. 220 Ders , Missionsbefehl, 90. 221 „Es besteht eine heilsgeschichtliche Kontinuität zwischen Altem und Neuem Bunde bezüglich der Gerechtigkeitsvermittlung, der objektiven Heilsdarbietung wie der subjektiven Heilsaneignung.“ Ders , Missionslehre I, 193; Ders , Missionsbefehl, 138. 222 Ders , Missionsbefehl, 89. Kasdorf, Warnecks Erbe, 155. Hier zeigt sich auch der Einfluss des Pietismus, dessen heilsgeschichtliches Schriftverständnis für die deutsche Missionstheologie prägend wirkte. Peter Beyerhaus, Er sandte sein Wort. Theologie der christlichen Mission. Bd. 1: Die Bibel in der Mission, Wuppertal 1996, 116; Franke, Ausbreitungsmotive, 28–37.
132
2 Grenzziehungen des Religiösen
„Das Himmelreich ist schon jetzt ebenso gewiß da, wie es zukünftig ist, nur ist es erst als Same, nicht als ausgewachsene Frucht da. Es ist gegründet, aber noch nicht vollendet, darum ist sein Kommen Gegenstand des Gebets wie Arbeitsaufgabe der Reichsgenossen.“223
„Zwischen diesen zwei heilsgeschichtlichen Polen, also zwischen seinem [ Jesus, K. W.] Kommen in Niedrigkeit als Erlöser der Welt und seinem Kommen in Herrlichkeit als Weltherrscher, liegt die missionarische Aufgabe der Heilsausbreitung der endzeitlichen Gemeinde.“224 Die Predigt vom Reich Gottes (und damit die Bekehrung ganzer Völker) ersetze damit potenziell die Predigt von Sünde und Erlösung (und damit die Einzelbekehrung).225 Diese Predigt richte sich nach Warneck an alle Völker, alle Länder und alle Sprachen.226 Eine Unterscheidung zwischen „Cultur-“ und „Naturvölkern“ ließ Warneck wegen der Universalität des Auftrags nicht zu.227 Das Ziel der Predigt müsse das christianisieren228 sein, dass er aus dem griechischen μαθητεύειν ableitete und das er als „Jünger machen“ übersetzte:229 „Alle Völker sollen zu Jesu in ein solches Anhängerverhältnis gebracht werden, daß sie aus der Lebenssphäre des Heidenthums herausgenommen, durch die Taufe Aufnahme in die Gemeinschaft des dreieinigen Gottes finden und in den Geboten Jesu die Anweisung für ihr gesammeltes religiöses und sittliches Verhalten empfangen.“230
Mit dieser Interpretation des „Jünger Machens“ wandte er sich einerseits gegen eine an die pietistische Konzeption angelehnte „Überspannung“ – die Jüngerschaft müsse in einem allgemeineren Sinne verstanden werden und nicht auf „lebendige und wahrhaft bekehrte Christen“ beschränkt werden;231 andererseits dürfe die Aufgabe nicht verflachen oder veräußerlichen: „Nicht nur daß eine Verkündigung der objectiven Heilsthatsachen sammt Anweisung über ihre subjective Aneignung in unmißverständlicher Deutlichkeit stattgefunden haben muß, es ist auch ein empfänglicher Sinn, eine gläubige Ueberzeugung von der Wahrheit der Grundgedanken des Evangelii und der ernste Wille in der Kraft des angenommenen Worts eine sittliche Lebenserneuerung zu erstreben erforderlich, um die Aufnahme in die Jüngerschaft Jesu zu begründen.“232
223 224 225 226 227 228
Warneck, Missionslehre I, 148. Kasdorf, Warnecks Erbe, 163. Warneck, Missionsbefehl, 137. Vgl. hierzu auch Kasdorf, Warnecks Erbe, 160. Warneck, Missionsbefehl, 137–140; Kasdorf, Warnecks Erbe, 161. Warneck, Missionsbefehl, 91. Warneck entschied sich für den Begriff des „Christianisierens“ statt des „Bekehrens“, um eine Verwechslung mit dem pietistischen Sprachgebrauch zu vermeiden. 229 Kasdorf, Warnecks Erbe, 250. 230 Warneck, Missionsbefehl, 234 [Im Original vollständig gesperrt, K. W.]. 231 Ebd., 236–237. 232 Ebd., 238 [Hervorhebung im Original, K. W.]. Siehe dazu auch Kasdorf, Warnecks Erbe, 276.
2.2 Die Auslegung des Missionsbefehls
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Warnecks Konzept der Volkschristianisierung, wie es in diesen Zitaten zum Ausdruck kommt, reichte zurück bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts und lehnte sich eng an Vorstellungen Karl Grauls an. Die Bekehrung Einzelner sollte Mittel zum Zweck der Mission sein, deren Ziel es sein müsse, im Volkstum verankerte Volkskirchen zu gründen.233 Die Frage, ob das „Jünger Machen“ des Missionsbefehls sich auf Völker oder Einzelne bezog, war auch innerhalb der älteren protestantischen Missionsgesellschaften, deren Leitungspersönlichkeiten im Allgemeinen große Gemeinsamkeiten in ihrer theologischen Auffassung aufwiesen, umstritten. Franz Michael Zahn beispielsweise, der als Inspektor der Norddeutschen Mission, Mitbegründer der Kontinentalen Missionskonferenz und – nach dem Tod Theodor Christliebs – Mitherausgeber der Allgemeinen Missionszeitschrift großes Ansehen innerhalb dieses Kreises genoss, interpretierte den Missionsbefehl als Aufruf zur Einzelbekehrung und betonte die durch einzelne Bekehrungen gesammelte Glaubensgemeinschaft statt der christianisierten Volksgemeinschaft.234 Weitaus größere Wellen als diese Differenz in der Auffassung des Missionsbefehls schlug jedoch eine Auseinandersetzung zwischen Gustav Warneck und Ernst Troeltsch, in deren Verlauf die theologische Ausdeutung des Missionsbefehls verbunden mit einer Auffassung von Ziel und Zweck der Mission zu einer wichtigen Standortmarkierung innerhalb des zeitgenössischen theologischen Feldes wurde. Längst hatten um 1900 religionswissenschaftliche beziehungsweise -geschichtliche Argumentationen Eingang in den theologischen Mainstream gefunden. Mit Albrecht Ritschl und den sich seiner Theologie verbunden fühlenden Freunden der Christlichen Welt war eine große Gruppe einflussreicher Theologen an fast allen deutschen theologischen Fakultäten vertreten, die für eine historisch-vergleichende Betrachtung des Christentums votierten und vor einer historischen Analyse der Bibel keinen Halt machten.235 Die Vertreter der älteren protestantischen Missionen, zu denen die Leipziger Mission gehörte, sahen diese Entwicklung mit Sorge und vertraten immer dezidierter einen kirchlichen-konservativen Standpunkt. In dem Konflikt dieser unterschiedlichen theologischen Strömungen erfuhr das Themenfeld Mission besondere Aufmerksam-
233
Altena, Ein Häuflein Christen, 138–139. Carl Mirbt beschrieb das Ziel der Volkschristianisierung 1910 in Edinburgh: „not only to bring the gospel of peace to individuals and communities, but to enable whole nations to develop their peculiar gifts under the influence of Christianity, and to take their independent position in the process of mankind’s development towards God.“ Unter „nation“ verstand Mirbt eine Einheit, in der ein besonderes Gefühl der Zusammengehörigkeit bestehe und die sich durch „peculiar traits“ auszeichne, „that prove the fact that man is not only an individual but a also a social being.“ Mirbt, Characteristics of German Missions. 234 Kasdorf, Warnecks Erbe, 93, in Rekurs auf Zahn, Missionsgeschichtsschreibung, 538. 235 Zum Aufstieg der sogenannten liberalen Theologie siehe Howard, Protestant Theology.
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2 Grenzziehungen des Religiösen
keit. Insbesondere vor dem Hintergrund einer von allen Seiten wahrgenommenen Krise236 schien Mission zum Gradmesser für das Christentum zu werden.237 Im Jahr 1906 erschien ein vielfach beachteter Aufsatz Ernst Troeltschs238 in der Christlichen Welt.239 Troeltsch, seit 1894 Professor für Systematische Theologie an der Universität Heidelberg, zählte zur jüngeren Generation der Freunde der Christlichen Welt, zu dessen Wortführer er sich schnell entwickelt hatte.240 1901 hatte er in diesem Kreis seine Absolutheitsschrift vorgestellt, die 1902 erstmals gedruckt erschien und 1912 eine weitere Überarbeitung erfuhr.241 In der Schrift hatte Troeltsch bereits für eine relative Absolutheit des Christentums plädiert. 1906 griff er diesen Gedanken erneut auf und löste eine Debatte aus, an der sich schließlich auch Wilhelm Bousset, der an der Universität Göttingen Neues Testament lehrte, beteiligte und in der für die Seite der älteren Missionsgesellschaft Gustav Warneck das Wort führte.242 Sowohl der Beitrag Boussets als auch die Replik Troeltschs auf Warnecks Artikel, die in der Zeitschrift für Missionskunde und Religionsgeschichte und damit in einem Gegenentwurf zur Allge-
236 Siehe dazu Kap. 1.1 dieser Studie. 237 Ulrich Berner, Religionsgeschichte und Mission. Zur Kontroverse zwischen Ernst Troeltsch und Gustav Warneck, in: Volker Drehsen / Walter Sparn (Hg.), Vom Weltbildwandel zur Weltanschauungsanalyse. Krisenwahrnehmung und Krisenbewältigung um 1900, Berlin 1996, S. 103–116, 104. Die Debatte zwischen Troeltsch und Warneck hat insbesondere in der theologiegeschichtlichen Forschung etwas Aufmerksamkeit erfahren, die entweder im Zusammenhang mit einer Geschichte der Missionswissenschaft oder einer Relektüre Troeltschs stand. Siehe Heinrich Balz, „Überwindung der Religionen“ und das Ziel der Mission. Die Diskussion zwischen G. Warneck und E. Troeltsch, in: Dieter Becker / Andreas Feldtkeller (Hg.), Es begann in Halle … Missionswissenschaft von Gustav Warneck bis heute, Erlangen 1997, S. 106–116; Franke, Ausbreitungsmotive; Kasdorf, Warnecks Erbe, 182–184. 238 Zu Troeltsch sind in den letzten Jahren zahlreiche Analysen und Werkausgaben entstanden. Für einen Lebenslauf, eine kurze Charakterisierung seiner theologischen Positionierung und seinen weiteren Schriften, siehe Friedrich Wilhelm Graf / Hartmut Ruddies, Religiöser Historismus. Ernst Troeltsch (1865–1923), in: Friedrich Wilhelm Graf (Hg.), Profile des neuzeitlichen Protestantismus. Bd. 2: Kaiserreich, Teil 2, Gütersloh 1993, S. 295–335. 239 Ernst Troeltsch, Die Mission in der modernen Welt, in: Christliche Welt 20 (1906), S. 8–12, 26–28, 56–59. Die Christliche Welt hatte sich, 1886 von Martin Rade gegründet, zum bekanntesten Publikationsorgan der kirchlich-liberalen Richtung, insbesondere der Schüler Albrecht Ritschls entwickelt. Sie richtete sich dezidiert auch an ein Laienpublikum. Winnebeck, Apostolikumsstreitigkeiten, 194. 240 Ernst Troeltsch, Die Absolutheit des Christentums und die Religionsgeschichte (1902/1912) mit den Thesen von 1901 und den handschriftlichen Zusätzen. Kritische Gesamtausgabe, Bd. 5, Berlin/ New York 1998, 10. 241 Siehe dazu Ders , Die Absolutheit des Christentums und die Religionsgeschichtliche Schule, Tübingen 1902, bzw. Ders , Absolutheit des Christentums. 242 Gustav Warneck, Die Mission und die sogenannte religionsgeschichtliche Schule, in: Allgemeine Missionszeitschrift 35 (1908), S. 361–373, Ders , Missionsmotiv, Ders , Noch einmal: Missionsmotiv und Missionsaufgabe nach der modernen religionsgeschichtlichen Schule, in: Allgemeine Missionszeitschrift 35 (1908), S. 49–61, 109–126, und Wilhelm Bousset, Die Mission und die sogenannte religionsgeschichtliche Schule. Vortrag auf der XXIII. Jahresversammlung des Allgemeinen evang.-prot. Missionsvereins, Göttingen 1907 sowie eine Replik Troeltschs auf Warneck.
2.2 Die Auslegung des Missionsbefehls
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meinen Missionszeitschrift erschienen,243 machten deutlich, wie sehr diese Auseinandersetzung auch das Verhältnis vom Allgemeinen evangelisch-protestantischen Missionsverein zu den älteren Missionsgesellschaften betraf.244 Troeltsch, ausgehend von einer kritischen Einschätzung der religiösen Lage in Deutschland,245 machte die moderne Religionsauffassung, in deren Mittelpunkt der „religiöse Individualismus“ stehe,246 als Grund für das Nichtinteresse weiter Kreise am Themenfeld Mission aus. Troeltsch kehrte deswegen die Überlegungen Warnecks um. Mit der modernen Religionswissenschaft ließe sich ein Verständnis fremder Religionen, nach denen eine Uroffenbarung verfallen wäre,247 nicht mehr halten. Auch sei die christliche Religion nicht absolut, sondern nur „in ihrer Verbindung mit dem europäisch-antiken Zivilisationserbe die höchste Form und Kraft geistigen Lebens“248. Bereits in der Absolutheitsschrift hatte sich Troeltsch mit der Stellung des Christentums im Gefüge der Religionen auseinandergesetzt, eine orthodox-supranaturalistische Apologetik und damit eine prinzipielle Sonderstellung des Christentums abgelehnt und schließlich für eine historische Erforschung des Christentums plädiert.249 Mission nach Troeltsch sei demnach zufolge
243 Siehe zur Ausrichtung der Zeitschrift für Missionskunde und Religionsgeschichte: Ernst Buß, Programm, in: Zeitschrift für Missionskunde und Religionswissenschaft 1 (1886), S. 1–6. 244 Troeltsch hatte sonst keine direkte Verbindung zum Allgemeinen Evangelisch-protestantischen Missionsverein, Franke, Ausbreitungsmotive, 173. 245 Troeltsch, Mission in der modernen Welt, 8–11. Troeltsch zeigte v. a. Gründe für das deutsche Nichtinteresse an Mission (im Gegensatz zu anderen europäischen Mächten) auf. 246 Diese „Individualisierung von Religion“ war für Troeltsch ein wesentliches Merkmal der Moderne. Siehe dazu Arie L Molendijk, An Alternative View of Christianity. A Troeltschean Perspective, in: Hent de Vries (Hg.), Religion. Beyond a Concept, New York 2008, S. 438–447, und die Analysen insbesondere zu Troeltsch in Volker Krech, Zwischen Historisierung und Transformation von Religion, in: Ders. / Hartmann Tyrell (Hg.), Religionssoziologie um 1900, Würzburg 1995, S. 313–349. 247 Dies war die Auffassung, die Warneck vertrat. Lessing, Geschichte der deutschsprachigen evangelischen Theologie, Bd. 1, 452. 248 Troeltsch, Mission in der modernen Welt, Sp. 59. Troeltsch ging von einem dynamischen Offenbarungsbegriff aus, der das gegenwärtige religiöse Erlebnis berücksichtigte. Henning Wrogemann, Mission und Religion in der systematischen Theologie der Gegenwart. Das Missionsverständnis deutschsprachiger protestantischer Dogmatiker im 20. Jahrhundert, Göttingen 1997, 43, insb. Anm. 24. Die Einschätzung, dass das Christentum als höchste und relativ absolute Gestalt gelten könne, beruhe, so Troeltsch, auf persönlicher Überzeugung und auf einem sachlichen Vergleich. Siehe dazu auch Arie L Molendijk, Auf der Suche nach dem Nordpol? Theologie als normative Religionswissenschaft, in: Reinhold Bernhardt / Georg Pfleiderer (Hg.), Christlicher Wahrheitsanspruch – historische Relativität. Auseinandersetzungen mit Ernst Troeltschs Absolutheitsschrift im Kontext heutiger Religionstheologie, Zürich 2004, S. 87–110, 100. 249 Wrogemann, Mission und Religion, 38. Dies war ein Anliegen der religionsgeschichtlichen Schule in der Prägung Ritschls, die Troeltsch konsequent weiterführte und die Theologie als historische Kulturwissenschaft des Christentums konzipierte. Graf/Ruddies, Religiöser Historismus, 300, bzw. Friedrich Wilhelm Graf, Rettung der Persönlichkeit. Protestantische Theologie als Kulturwissenschaft des Christentums, in: Rüdiger vom Bruch / Friedrich Wilhelm Graf (Hg.), Kultur und Kul-
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„die Ausbreitung der religiösen Ideenwelt Europas und Amerikas im engen Zusammenhang mit der Ausbreitung der europäischen Einflusssphäre. Sie achtet das fremde religiöse Leben als wirkliches religiöses Leben und knüpft daran fortführend und entwickelnd an. Sie mischt sich nicht überall wahllos in fremdes religiöses Leben ein, das nach dem Christentum keinerlei Bedürfnis hat, und weiß, daß die Christianisierung stets eine gewisse geistige und kulturelle Höhe voraussetzt, wie das Christentum selbst ja erst in der Reife und Überreife der antiken Zivilisation möglich war. Sie ist nicht Rettung und Bekehrung, sondern Erhebung und Entwicklung […].“250
Indem Troeltsch christliche Mission und die Ausbreitung christlicher Kultur als zusammengehörig erachtete, ergab sich für ihn erst aus der Ausbreitung der christlichen Kultur eine allgemeine Missionspflicht des Christentums. Eine solche Pflicht ließe sich für die wahren „Bekenner“ nicht leugnen;251 Mission sei außerdem zur „inneren Entwicklung und Fortentfaltung“252 des Christentums nötig; drittens bestehe eine Pflicht zur Mission, weil nur diese die „Elemente des abendländischen“ Geistes verständlich machen und so zu einer „Menschheitsgemeinschaft“ beziehungsweise einer „Gemeinschaft aller Kulturvölker“ beitragen könne.253 Tatsächlich entwickelte Troeltsch damit ein relatives Missionsverständnis, das sich aus seiner historischen Methode speiste: Mission sei einerseits abhängig von den kulturellen Begebenheiten ihrer Zeit, dann aber auch von den Adressaten.254 Wie sich bereits in dem Zitat oben andeutet, hielt er Missionierungsbemühungen unter Muslimen, Juden oder Brahmanen für „aussichtslos und zwecklos“,255 während er die Mission in den (afrikanischen) Kolonialgebieten als notwendig erachtete.256 Die Kritik und die weitergehende Debatte entzündeten sich mindestens an vier Punkten: dem Offenbarungsbegriff, dem Vorwurf des Synkretismus, der Stellung positiver Glaubensinhalte und der Universalität des Christentums. Troeltschs Plädoyer für eine historische Untersuchung des Christentums und dessen Einordnung in die von religionswissenschaftlicher Seite angenommene Entwicklung religiöser Anschauungen und dem damit einhergehenden missionarischen Ansatz, von „Entwicklung“ statt von „Rettung“ zu sprechen, stand der Auffassung Warnecks vom Verfall einer Uroffenbarung diametral gegenüber. Ebenso wie Troeltsch Warnecks Auffassung als wissenschaftlich nicht mehr haltbar bezeichnete, so sehr machte Warneck Troeltsch
250 251 252 253 254 255 256
turwissenschaften um 1900. Krise der Moderne und Glaube an die Wissenschaft, Stuttgart 1989, S. 103–131. Troeltsch, Mission in der modernen Welt, 56–57. Siehe Wrogemann, Mission und Religion, 48–49, zur dreifachen Missionsbegründung. Troeltsch, Mission in der modernen Welt, 27. Ebd., 27–28. Siehe auch Balz, Überwindung der Religionen, 109. Wrogemann, Mission und Religion, 47. Troeltsch, Mission in der modernen Welt, 58. Wrogemann, Mission und Religion, 49.
2.2 Die Auslegung des Missionsbefehls
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den Vorwurf, den Status der christlichen Wahrheit abzuwerten. Warneck bestand darauf, dass das Christentum sich nicht nur graduell, sondern durch die „Gewissheit der Offenbarung“ qualitativ und grundsätzlich von anderen Religionen unterscheide.257 Auf Boussets Entgegnen hin, dass der Gedanke einer „spezifischen Offenbarung“ und einer „absoluten Schranke zwischen christlicher und heidnischer Religion“258 dazu führe, dass Warneck allen „heidnischen Religionen“ abspräche, eine Religion zu sein,259 machte Warneck seinen Standpunkt noch einmal deutlich: Zwar betrachte er „Heiden“ als „religiös suchende, tastende, allerdings auch irrende Menschen“260, aber „wir halten von der heidnischen Religionsphilosophie und oft so phantastischen theosophischen Spekulationen allerdings, daß sie wesentlich Produkt menschlicher, wenn auch religiös-ernster Gedankenarbeit ist, und nicht als eine Gottesoffenbarung angesehen werden kann, die von Jesu Christo nur graduell unterschieden ist.“261
Das Christentum habe nach Warneck das universale Ziel, sich der ganzen Menschheit zuzuwenden, es sei deswegen falsch und in der Bibel nicht angelegt, von einer weniger entwickelten Offenbarung in anderen Religionen auszugehen.262 Eng damit zusammen hing der Gedanke, dass eine potenzielle Einordnung des Christentums in die Religionsgeschichte auch mit einer Relativierung einhergehen könne. Troeltsch hatte schon in seiner Absolutheitsschrift vom Christentum als der „höchsten“ und „folgerichtigst entfalteten religiösen Lebenswelt“263 gesprochen; Bousset hatte sogar für die gesamte religionsgeschichtliche Schule reklamiert, dass sie das Christentum als „denkbar höchste und vollkommenste Religion“ ansehe, und zwar nicht nur als theoretisches Zugeständnis, sondern als „sehr ehrliche, ernste und praktische Lebensüberzeugung“.264 Für die von der Absolutheit des Christentums überzeugten Anhänger Warnecks las sich eine historische Einordnung des Christentums, verbunden mit einer von Troeltsch ausgeführten notwendigen „inneren Entwicklung und Fortentfaltung“, zu der Mission beitragen müsse, als Ermächtigung zum Synkretismus, als „Änderung des apostolischen Glaubensinhaltes“265 und als Suche nach einer höheren Religion als das Christentum.266 Beide Richtungen nahmen für die Mission in Anspruch, wichtige Erträge für das Christentum zu leisten: Während Troeltsch diese in einer Fortentwicklung der religiösen Gestalt und dogmatischen Ausprägung sah,
257 258 259 260 261 262 263 264 265 266
Warneck, Missionsmotiv, 52. Bousset, Mission und religionsgeschichtliche Schule, 12. Ebd., 13. Warneck, Mission und religionsgeschichtliche Schule, 363. Ebd. Ebd., 368. Troeltsch, Absolutheit des Christentums, 199. Bousset, Mission und religionsgeschichtliche Schule, 17. Warneck, Missionsmotiv, 55 [Sperrung i. O., K. W.]. Ebd., 6.
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2 Grenzziehungen des Religiösen
meinte dies für Warneck eher ein Rückbesinnen auf und ein besseres Verständnis der Botschaft.267 Der Synkretismusvorwurf zeigt so besonders, dass Mission in der Konzeption Warnecks betrieben werden müsse, um die Identität des Christentums zu erhalten und zu stärken.268 Tatsächlich drehte sich die Kontroverse nicht nur darum, ob das Christentum die absolute Religion sei, sondern auch, worin es bestünde.269 Für Warneck und die älteren Missionsvertreter, die dies nicht nur theologisch, sondern auch mit der missionarischen Praxis begründeten, bestand die Offenbarung in den Taten Jesu und der mit dem Kreuzestod verbundenen Botschaft der Erlösung. In Rückbezug auf den Apostolikumsstreit, in dem die theologie-politischen Richtungen bereits vehement um den Status von Glaubensinhalten gestritten hatten,270 und in Verteidigung seiner Ansätze zur Missionspredigt forderte Warneck eine Klärung der religiösen Positiva: „Kurz: der missionierende Glaube muß durchaus eine konkrete, inhaltlich klar bestimmte, zuverlässige, sichere Botschaft bringen, nicht eine, die sich dieser und jener moderne Theologie zurecht gemacht hat. Das Heidentum, und nicht bloß das animistische, verlangt nach Gewißheit, und ich will sogar das heute so arg verfehmte Wort gebrauchen: nach Autorität.“271
Dass „traditioneller Glauben“ – und das meinte auch bei Troeltsch einen Glauben, der sich stark an positiven Inhalten orientierte, ohne dass er diese explizit nannte – für die Missionsaufgabe zu Beginn und in der Masse hilfreicher sei, wurde von Troeltsch bereits in seiner ursprünglichen Stellungnahme zur Missionsfrage bekräftigt.272 Das Fehlen einer „wissenschaftlich und kritisch-relativistischen Denkweise“ sei für die „altgläubigen“ Missionare sogar von Vorteil.273 In seiner Konzeption war eine „wissenschaftliche Verfeinerung und die intellektuelle Anpassung“ der ersten Missionsaufgabe nachgelagert und sollte sich hauptsächlich an die gebildeteren Missionschristen richten.274 Während Warneck diesen Vorschlag als Trennung von Missionaren erster 267 Ebd., 56. 268 Berner, Religionsgeschichte, 114. 269 Nach Warneck müsse nämlich gerade für die missionarische Verkündigung Glaubensgewissenheit herrschen, damit diese wirke: Warneck, Noch einmal, 115–116. 270 Als Apostolikumsstreit wird eine Reihe von Auseinandersetzungen um die Stellung der altkirchlichen Bekenntnisse in der protestantischen Kirche bezeichnet. Siehe dazu ausführlich Kap. 4.1 dieser Studie. 271 Warneck, Noch einmal, 109–112, Zitat 112. 272 Troeltsch, Mission in der modernen Welt, 56. 273 Ders , Missionsmotiv, Missionsaufgabe und neuzeitliches Humanitätschristentum. Kritische Gesamtausgabe. Schriften zur Religionswissenschaft und Ethik (1903–1912), Bd. 6,1, Berlin/New York 1998, 496. 274 Ders , Missionsmotiv und Missionsaufgabe nach der modernen religionsgeschichtlichen Schule, in: Zeitschrift für Missionskunde und Religionswissenschaft 22 (1907), S. 129–139, 161–166, 56. Sowohl Troeltsch als auch Bousset argumentierten damit, dass eine noch größere Vielfalt in den Bekenntnissen im Missionsgebiet kaum noch mehr Verwirrung stiften würde, als dies ohnehin
2.2 Die Auslegung des Missionsbefehls
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und zweiter Klasse auffasste, wollte Troeltsch die Missionsaufgabe in zwei Stufen getrennt sehen: „Ich unterscheide also nicht Missionare erster und zweiter Klasse, sondern eine anfängliche und eigentliche Mission, die mit möglichst einfachen, objektiven und autoritativen Gedanken arbeiten muß, und eine aus der Mission hervorgehende Entwicklung, in der diese einfachen, objektiven und autoritativen Gedanken kompliziert, stark subjektiv und kritisch beeinflußt werden, und wo dann ein wissenschaftliches Denken mit seiner verwickelten Abwägung eine Aufgabe finden wird.“275
Tatsächlich ließ sich in dieser Position aller Vermittlungsversuche Boussets zum Trotz keine Einigung erzielen. Während für Troeltsch positive Glaubensinhalte einer wissenschaftlichen Analyse standhalten und das Christentum in eine historische Entwicklung einbezogen werden sollte,276 erkannte Warneck die Notwendigkeit einer historisch-kritischen Methode nur insoweit an, wie die Absolutheit der christlichen Offenbarung nicht infrage gestellt wurde. Weil er aber die christliche Offenbarung nicht nur über ethische Ideen und die Sittenlehre, sondern über die „Botschaft von der Erlösung […] in Zusammenhang mit der Gottes- und Christusverkündigung“ verstand,277 maß er den positiven Inhalten ebenfalls einen absoluten Wert zu, der sich vor allem in seiner Einstellung zum Apostolikum widerspiegelt. Die entscheidende Frage in der Auseinandersetzung mit der religionsgeschichtlichen Schule ebenso wie im Missionsgebiet war deswegen die nach dem Wesen des Christentums. Wie oben ausgeführt, unterschied Troeltsch grundsätzlich zwischen Völkern, die für die Mission bereit und geeignet seien, und solchen, bei denen dies entweder nicht der Fall sei oder bei denen missionarische Bemühungen zwecklos seien. Warneck hielt diesem Ansatz die Universalität des Christentums entgegen. Das theologische Argument, dass der Missionsbefehl (seiner Auffassung nach) alle Völker meine, ergänzte er um die praktische Erfahrung. Sowohl unter den Brahmanen, wie auch unter Naturvölkern seien bereits große Missionserfolge erzielt worden. Letztlich verweist dieser
schon der Fall sei, während Warneck alle Missionsgesellschaften unter dem Apostolikum vereint sah. Bousset, Mission und religionsgeschichtliche Schule, 24. 275 Troeltsch, Missionsmotiv, 497. Diese Entwicklung sah Troeltsch aber zunächst für die Heimat als notwendig an: „Das neugläubige Christentum hat seine Aufgabe in der Heimat und ist – von besonderen Personen und Verhältnissen abgesehen – zur Mission nicht direkt geeignet. Aber es darf die Aufgabe der Ausbreitung des Christentums nicht aus dem Auge verlieren, wenn es lebendig bleiben will, und kann gerade für sich selbst aus den Ergebnissen der Mission gewinnen und lernen. Darum soll es sich für die wesentlich von den Altgläubigen betriebene Mission interessieren.“ (Ebd., 498). 276 Troeltsch war sich den Schwierigkeiten, die dies für die Missionierung bedeutete, durchaus bewusst. In einem Brief an Boussset hieß es: „Es ist eben schlecht missionieren mit einem kritisch gedeuteten Neuen Testament, das man nur zum Teil anerkennt.“ Brief Ernst Troeltsch an Wilhelm Bousset, 9.11.1907, in: Troeltsch, Briefe. Kritische Gesamtausgabe, Bd. 20. 277 Warneck, Missionsmotiv, 56.
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2 Grenzziehungen des Religiösen
Punkt aber auf das Verhältnis von Mission und der Ausbreitung europäischer Kultur. Während Warneck sich darauf zurückzog, dass die Befähigung zu christlicher Sitte und Moral mit der Etablierung des Christentums einhergehe, setzte Troeltsch eine gewisse Bereitschaft, sich mit diesen vor der Missionierung auseinanderzusetzen, voraus. Einige Jahre nach dieser Debatte griff der gewissermaßen als Nachfolger Warnecks die Missionswissenschaft vertretende Julius Richter die Debatte in Grundzügen erneut auf. In seinem Werk „Das deutsche Kolonialreich und die Mission“ diskutierte er die unter anderem von Paul Rohrbach vorgetragene Ansicht, dass das Christentum „sowohl historisch als auch seinem Wesen nach nicht eine Religion für Barbaren, sondern nur für Kulturnationen“ sei und „der Versuch, es auch bei kulturell niedrig stehenden oder degenerierten Völkern einzuführen, habe bisher noch immer zu seinem Schaden geendigt.“278 Richter gab zwar einen „tiefgreifenden Rasseunterschied“ zu und übernahm auch das Stereotyp einer leichten „sinnlichen Erregbarkeit“ und eines Mangels an Charakterstärke, „die intellektuelle Begabung des Negers im Allgemeinen“ stellte er jedoch nicht infrage. Vielmehr sei es gerade die Aufgabe der Mission eine Umgebung mit ausreichenden Entwicklungsmöglichkeiten zu schaffen: „Jede Mission in Afrika ist imstande, von ermutigenden Erfahrungen aufstrebender Charakterentwicklung unter dem Einfluß des Christentums zu berichten.“279 2.2.2 Mission und Kolonialismus – die Frage der „Zivilisierungsmission“ Diese innertheologischen Debatten, in denen um die die Auslegung des Missionsbefehls, die Absolutheit des Christentums und die richtige Missionsmethode gerungen wurde, kreisten im Kern um das Verhältnis von Religion und Kultur – eine Frage, die insbesondere in Bezug auf die Kolonien anhand der Beziehung von Mission und Kolonialmacht diskutiert wurde. Beiträge zu der Frage des Verhältnisses von Mission und Kolonialismus nahmen anhand des Topos der Zivilisierungsmission eine Setzung vor, inwiefern Religion die Grundlage für Zivilisierung – wobei in den meisten Fällen „Erziehung zur Arbeit“ gemeint war – bilde oder ob eine Missionierung auch unabhängig von beziehungsweise zeitlich vorgelagert vor einer sogenannten Zivilisierung erfolgen könne. Anhand der Frage, wie sich die Missionsgesellschaften offiziell zum (deutschen) Kolonialismus stellten, wurde deswegen nicht nur die Frage diskutiert, ob die Mission eine „Handlangerin“ der Kolonialakteure war, sondern hier wurde auch die Grenze zwischen dem Religiösen und dem Säkularen ausgehandelt. Grundsätzlich kann die Haltung der protestantischen Missionsgesellschaften zum deutschen kolonialen Projekt über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg als
278 Julius Richter, Das deutsche Kolonialreich und die Mission, Basel 1914, 137. 279 Ebd., 141.
2.2 Die Auslegung des Missionsbefehls
141
reserviert bezeichnet werden.280 Bereits 1879 hatte Friedrich Fabri, der damalige Direktor der Rheinischen Missionsgesellschaft, für die „culturelle Bedeutung der Mission, ihre Nutzbarkeit für die ihr nachrückenden Handels-Unternehmungen oder colonialen Annexionen“281 geworben.282 Die wichtigste Stellungnahme, als Ergebnis der (außerordentlichen) kontinentalen Missionskonferenz von 1885,283 war ein Bekenntnis zum internationalen und unpolitischen Charakter der Mission,284 auch wenn an der Konferenz nur die deutschen Missionsgesellschaften teilgenommen hatten.285 Zwar erkannte man, dass durch die deutsche Kolonialbewegung und die Besetzung von Kolonien durch Deutsche sich neue Türen öffneten und wünschte sich eine Förderung
280 Siehe dazu auch Besier, Religion, Nation, Kultur, 140–141. 281 Friedrich Fabri, Bedarf Deutschland der Colonien? Eine politisch ökonomische Betrachtung. 3. Auflage, Gotha 1884, 99. Siehe auch Jens Ruppenthal, „Kirchennahe“ Kolonialpropaganda im Kaiserreich. Zum Stellenwert von Auswanderung und Mission bei Friedrich Fabri, Ernst Fabarius und Paul Rohrbach, in: Hanns Lessing u. a. (Hg.), Deutsche evangelische Kirche im kolonialen südlichen Afrika, Wiesbaden 2011, S. 158–173. Zu Fabri siehe auch Altena, Ein Häuflein Christen, 27–28. Zu den Auswirkungen der Schriften Fabris auf die Rheinische Missionsgesellschaft siehe auch Besier, Religion, Nation, Kultur, 138–139; Schubert, Der schwarze Fremde, 68–71. 282 Das Verhältnis von Mission und Kolonialismus war lange Zeit beherrschender Gegenstand in der Beschäftigung mit Missionsgeschichte überhaupt jenseits der Kirchengeschichte. Erst in den letzten Jahren hat sich eine deutliche Abwendung von dieser Fragerichtung ergeben, die mit einer Hinwendung zum Themenfeld Religion und dem Aufkommen von Fragerichtungen der Globalund Transfergeschichte einherging. Gründer sah das Zusammenwirken von „vorwärtsdrängendem Missionar und herrschaftssicherndem Konsul“ als Grundlage kolonialer Machtergreifung. Gründer, Mission und Kolonialismus, 27. Insbesondere der Katholizismus hätte sich durch das koloniale und nationale Engagement der Mission nationalisiert: Ders , Koloniale Mission, 214 f. Andrew Porter betonte dagegen die antiimperialistische Einstellung der meisten Missionare und plädierte für eine komplexere Beziehung. Porter, Religion versus Empire. Nicht zuletzt durch den Einfluss der postcolonial studies hat sich ein breiteres Verständnis von Kolonialismus in theoretischer Perspektive entwickelt. Anstatt v. a. nach reinen Herrschaftsbeziehungen und staatlichen Akteuren in ihrem Verhältnis zur Mission und offizieller Machtausübung zu fragen, wurde vermehrt nach Praktiken gefragt, die sich als „colonizing of consciousness“ beschreiben lassen. Wegweisend hier Comaroff/Comaroff, Of Revelation and Revolution; Dies , Colonization of Consciousness. 283 Die Konferenz, an der nur die deutschen Missionsgesellschaften teilnahmen, hatte zum Ziel, „die Stellung der Mission zur deutschen Kolonialbewegung möglichst zu klären.“, Gustav Warneck, Eine bedeutsame Missionskonferenz, in: Allgemeine Missionszeitschrift 12 (1885), S. 545–563, 545. Sie wird in der Forschung als „Wendepunkt“ auf dem Weg hin zu einer Kolonialmission interpretiert: Klaus J Bade, Friedrich Fabri und der Imperialismus in der Bismarckzeit. Revolution, Depression, Expansion, Freiburg i. Br. 1975, 264; Werner Ustorf, Die Missionsmethode Franz Michael Zahns und der Aufau kirchlicher Strukturen in Westafrika. Eine missionsgeschichtliche Untersuchung, Erlangen 1989, 60; Altena, Ein Häuflein Christen, 29. Siehe dazu auch Hölzl/Wetjen, Negotiating the Fundamentals. 284 Hier spielte auch die über nationale Grenzen hinweg reichende Vernetzung der protestantischen Missionsgesellschaften eine wichtige Rolle. Siehe dazu Kap. 1.2 und 1.3 dieser Studie, sowie Holtwick, Licht und Schatten, 243; Clark/Ledger-Lomas, Protestant International, und jüngst Matthäus Feigk, Von Edinburgh nach Oegstgeest. Die transnationalen missionarischen Netzwerke Europas am Beispiel der Basler Mission 1910–1920, in: Linda Ratschiller / Karolin Wetjen (Hg.), Verflochtene Mission. Perspektiven auf eine neue Missionsgeschichte, Köln/Weimar/Wien 2018, S. 45–64. 285 Altena, Ein Häuflein Christen, 29.
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der Mission für ihre Aufgabe, die Bevölkerung der neuerworbenen Kolonien zum Christentum zu bekehren;286 man war aber nicht bereit, die Arbeit in den bisherigen Missionsfeldern, auch wenn diese nicht in deutschen Kolonialgebieten lagen, einzuschränken, und suchte für Missionen anderer Nationen, die in den deutschen Gebieten arbeiteten, um Schutz an.287 Insbesondere von den älteren Missionsgesellschaften, die häufig auch in von anderen Mächten kolonial besetzten Gebieten arbeiteten, wurde der „nationale“ Charakter von Mission vehement abgelehnt.288 Eine Einmischung von Missionaren in die Politik ebenso wie die der Politik in die Mission solle, so ergab sich aus der Debatte auf der Konferenz, an der im Übrigen auch ein Vertreter der Reichsregierung teilnahm, möglichst vermieden werden. In der Debatte reklamierten die Missionsvertreter häufig für sich die Position eines „Anwalts der Eingeborenen“:289 Als die Frage ihrer Behandlung beraten wurde, wandte man sich dementsprechend gegen Zwangsmaßnahmen und plädierte für eine „Erziehung zur Arbeit von innen heraus“.290 Als die Leipziger Missionsgesellschaft 1892 beschlossen hatte, eine Mission in den Kolonien aufzunehmen, hatten koloniale Motive durchaus eine Rolle gespielt. Dabei wurde der Wunsch, Kolonialmission zu werden, weniger von der Missionsleitung als vielmehr von den Unterstützerinnen und Unterstützern, die die Gesellschaft finanzierten, laut. Verschiedene Missionsvereine, die sich vor allem als Hilfsvereine der Leipziger Mission verstanden, hatten ins Felde geführt, dass Ostafrika als Missionsgebiet große Aufmerksamkeit erführe und deswegen zahlreiche Spenden statt nach Leipzig an die noch junge Berliner Mission, die Evangelische Mission für Ostafrika, gingen.291 Dass man sich der Fallstricke bewusst war, die mit dem Status einer Kolonialmission einhergingen, zeigt eine schon auf der Generalversammlung dazu bezogene Stellungnahme: „Es braucht deshalb kaum angesprochen zu werden, daß mit der Inangriffnahme eines neuen Missionsgebietes sich unsere Mission keineswegs in den Dienst der kolonialen Bewegung in Deutschland stellen und Geistliches und Weltliches vermengend, etwa statt 286 In diesem Sinne sollte auch der auf der Konferenz gegründete Ausschuß der deutschen Missionsgesellschaften wirken, dem neben Friedrich Fabri auch Gustav Warneck und Franz Michael Zahn angehörten. Ebd., 29–30. 287 Warneck, Missionskonferenz, 553–554. 288 Richard Handmann, Trübungen des Missionswesens, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1905), S. 177–180. 289 So z. B. Gustav Warneck, Die christliche Mission und die überseeische Politik. Vortrag auf der Missionskonferenz der Prov. Sachsen am 12. Februar 1901 zu Halle, Berlin 1901, 13 f. Siehe dazu auch Schubert, Der schwarze Fremde, 133–137. 290 Warneck, Missionskonferenz, 562. Siehe dazu auch ausführlich Habermas, Skandal in Togo. 291 Unser Jahresfest am 8. Juni 1892, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt 47 (1892), S. 193–224, 222. Die Gesellschaft wurde häufig zeitgenössisch als Berlin III bezeichnet; nachdem Friedrich von Bodelschwingh ihre Leitung übernommen hatte, setzte sich – auch wegen der Verlegung der Mission – der Name Bethel-Mission mehr und mehr durch.
2.2 Die Auslegung des Missionsbefehls
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dem Reiche Gottes dem deutschen Reiche oder beiden zugleich dienen wolle; sie will sich auch in Zukunft kein anderes Ziel setzen als das in ihren Grundbestimmungen hervorgehobene: Sammlung von selbstständigen Gemeinden evangelisch-lutherischen Bekenntnisses unter den Heiden.“292
Den Standpunkt, dass die Hauptaufgabe die Verbreitung des Reiches Gottes sei, verließ die Missionsgesellschaft auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht. Als Mission in den deutschen Kolonien wurde sie aber auch zur politischen Akteurin – sowohl in der Öffentlichkeit des Kaiserreichs als auch im Missionsgebiet. Charles Buchner293 sprach beispielsweise auf dem Kolonialkongress 1905294 über die „Mithilfe der Mission bei der Erziehung zur Arbeit“, deren Bedeutung er zwar betonte, die religiöse Aufgabe der Mission aber weiterhin in den Mittelpunkt stellte. Eine „Erziehung zur Arbeit“295 ergebe sich vielmehr, so seine Überzeugung, durch das Christentum, denn: „Sofern ein Heide wirklich dem Christentum sich öffnet, wird er auch unbedingt in irgendwelcher Weise einen Eindruck von dem sittlichen Wert und der religiösen Forderung der Arbeit erhalten müssen.“296 Buchners Vortrag, der im Wesentlichen an die anwesenden Kolonialfunktionäre gerichtet war, stellte trotz aller Unterschiede der verschiedenen Missionsgesellschaften und -orden vor allem heraus, wie sehr die Missionen (Buchner schloss hier interessanterweise auch die katholischen mit ein) in der Tat wichtige Dienste für die „Erziehung zur Arbeit“ leisteten, und zwar insbesondere durch Schulen und Plantagen.297 Buchners Vortrag unterschied sich damit kaum von anderen Vorträgen der Sektion, die allesamt die Bedeutung der Mission für das koloniale Objekt betonten.298 Der Leipziger Missionsdirektor von Schwartz betonte schließlich ebenfalls die wichtige Arbeit der Missionsgesellschaften für die „Erziehung zur Arbeit“ und 292 Ebd., 194. 293 Charles Buchner (1847–1907) war Missionar und Leiter der Mission der Herrnhuter Brüdergemeine und eine anerkannte Persönlichkeit im zeitgenössischen Missionsnetzwerk, so war er z. B. Mitglied des Ausschusses der deutschen Missionsgesellschaften. Harald Schieckel, „Buchner, Charles“, in: NDB 2 (1955), S. 707, https://www.deutsche-biographie.de/pnd116821205.html#ndbcontent (zuletzt eingesehen: 4.8.2018). 294 Die Leipziger Missionsgesellschaft war auf den Kolonialkongressen stets vertreten und wurde als Veranstalterin des Kongresses mit aufgelistet. Auch 1910 beteiligte sich der Leipziger Missionsdirektor aktiv als Redner und hielt bei einer Abendveranstaltungen einen Vortrag über „Das Evangelium am Kilimandscharo“. Siehe dazu die Akte ALMW II.32.279. 295 Zu diesem Topos der deutschen Kolonialpropaganda siehe Schubert, Der schwarze Fremde, 65– 119. 296 Charles Buchner, Die Mithilfe der Mission bei der Erziehung der Eingeborenen zur Arbeit, in: Redaktionsausschuss (Hg.), Verhandlungen des Deutschen Kolonialkongresses 1905 zu Berlin am 5., 6. und 7. Oktober 1905, Berlin 1906, S. 427–442, 429–430 [Hervorhebungen i. O., K. W.]. 297 Ebd., 432–436. 298 Auch 1910 blieb dieser Tenor auf dem Kolonialkongress erhalten. Siehe z. B. Carl Mirbt, Die Bedeutung der Mission für die kulturelle Erschliessung unserer Mission, in: Redaktionsausschuss (Hg.), Verhandlungen des Deutschen Kolonialkongresses 1910 zu Berlin am 6., 7. und 8. Oktober 1910, Berlin 1910, S. 684–694.
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verwies auf Erfolge, die seine Missionsgesellschaft in diesem Zusammenhang am Kilimandscharo gemacht habe.299 In einer gesonderten Schrift äußerte sich von Schwartz 1908 über das Verhältnis von Mission und Kolonisation und die damit verbundene ambivalente Stellung der deutschen Missionen. Von Schwartz verteidigte darin zunächst die koloniale Besetzung als solche: Ein nationales Expansionsbedürfnis sei nichts „Unsittliches“300 – wenn die Verwirklichung einwandfrei sei. Damit passte er sich dem kolonialen Diskurs an und entwickelte eine Agenda, bei der Mission und Kolonisation Hand in Hand gingen: „Darum liegt das, was selbstverständliche Pflicht der kolonisierenden Macht und die unerläßliche Rechtfertigung ihres kolonialen Besitztitels ist, nämlich, daß sie die Eingeborenen und ihr Land besser regiert, als diese selbst vermochten, und daß sie ihre Kultur nach allen Seiten fördert, bei den deutschen Kolonien zugleich im augenfälligen Interesse des Mutterlandes. Denn nur mit Hilfe der Eingeborenen können diese Länder Produkte liefern für den Export.“301
Letzten Endes hätten Mission und Kolonisation also dasselbe Ziel, nämlich die „Eingeborenen“ zu „pflichttreuen, gewissenhaften und darum leicht zu regierenden Untertanen“ zu machen, wenn auch aus verschiedenen Motiven und auf unterschiedlichen Wegen.302 Auch wenn die Mission die „Eingeborenen“ anders bewerte und sie nicht nur als Arbeitskräfte ansehe, müsse sie zur Arbeit erziehen, denn eine solche Erziehung stehe im Zusammenhang mit der Bildung einer christlichen Persönlichkeit.303 Die Mission lehne deswegen jeden Arbeitszwang ab, sondern vertrete stattdessen die Auffassung, dass eine „Erziehung zur Arbeit“ nur durch die Etablierung einer Arbeitsethik geschehen könne.304 Eine solche „Arbeitsethik“, wie sie von Schwartz vorschwebte, stand im Einklang mit einer protestantischen Weltfrömmigkeit, wie sie katholischerseits plakativ in dem Spruch „Ora et Labora“ zum Ausdruck kam.305 Gleichzeitig nutzte von Schwartz das Argument, dass die Mission in diesem Sinne „Erziehung zur Arbeit“ treibe, um Gegenforderungen aufzustellen: Weil die Mission die Kolonisierung durch die „Erziehung zur Arbeit“ ebenso wie durch die „intellektuelle Hebung der Eingeborenen“ unterstütze, könne sie von der Kolonialmacht fordern, dass diese gleichsam auch die Mission unterstütze. Als Gegenforderung erwarte die Mission daher den Schutz der Eingeborenen (zum Beispiel den ihres Besitzes) sowie ein christliches Re299 300 301 302 303
Debatte des Vortrags Buchner, Mithilfe, 440–441. Karl von Schwartz, Mission und Kolonisation in ihrem gegenseitigen Verhältnis, Leipzig 1908, 5. Ebd., 7. Ebd. Ebd., 9. Zur „Erziehung zur Arbeit“ als „Hilfe zur Selbsthilfe“ und sozial motiviertes Konzept gegen Verarmung siehe Altena, Ein Häuflein Christen, 159–160. 304 Von Schwartz, Mission und Kolonisation, 14. 305 Altena leitet die Empfindung, dass das Christentum eine „Religion der steten Arbeit“ sei, auch aus den Lebensläufen der Missionare ab: Altena, Ein Häuflein Christen, 217.
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giment in den Kolonien, sodass „der christliche Charakter des Mutterlandes in der kolonialen Gesetzgebung nicht verleugnet werde“.306 Dies entsprach ohne Zweifel den Forderungen lutherischer Ethiker nach einem sittlichen Kulturstaat,307 in dem die lutherische Kirche als Wächterin durchaus Einfluss auf die sittliche Gestaltung des Staates proklamierte.308 Entscheidend ist hier das in der Erlanger Theologie – insbesondere von Luthardt – vertretene Ideal einer christlichen Moral: „ein Volk das frei und fromm vor seinem Gott und Heiland sich beugt und in frischem fröhlichem Christenglauben die Werke seines Berufes verrichtet, und ein Staat der die irdischen Angelegenheiten so ordnet, daß er dem Christenthum Raum gibt seine Segnungen in die ganze Mannigfaltigkeit des nationalen und des bürgerlichen Lebens zu ergießen.“309 Konkret auf die Probleme im Missionsfeld angewandt, bezog sich von Schwartz’ Forderung einmal auf die Behandlung von „Heidenchristen“, zum Beispiel in ihrer Stellung vor Gericht, dann aber auch auf die in den Kolonien tätigen Deutschen: „Man kann nicht erwarten, daß alle diese Männer gläubige Christen sind, aber nicht nur im Interesse der Mission, sondern im Interesse der Kolonien und des Ansehens der Regierung in ihnen muß man verlangen, daß wenigstens an die äußere Haltung ihrer Vertreter derselbe sittliche Maßstab angelegt werde, der hier in der Heimat maßgebend ist. […] Wer sich selbst nicht in Zucht halten kann, ist ungeeignet zum Repräsentanten des herrschenden Volkes einer niederen Rasse gegenüber.“310
Von Schwartz’ Ausführungen entstanden erstens im Zusammenhang mit zahlreichen Kolonialskandalen, durch welche die deutsche Öffentlichkeit in den Jahren um 1906 erschüttert wurde. Für Ostafrika und insbesondere den Kilimandscharo rückten die Vergehen Carl Peters’ durch die Beleidigungsprozesse, die dieser gegen den Sozialdemokraten Martin Gruber angestrengt hatte und die vor dem Münchner Landgericht im Juni 1907 verhandelt wurden, wieder in den Fokus der Öffentlichkeit.311 Zudem beschäftigte der Kolonialskandal um den Missbrauch Minderjähriger in Togo Reichstag
306 Von Schwartz, Mission und Kolonisation, 24. 307 Graf, Konservatives Kulturluthertum, 61. 308 Prof. Haussleiter, der Nachfolger Warnecks am Halleschen Lehrstuhl für Missionswissenschaft, forrmulierte in Edinburgh 1910 programmatisch: „Like the Church at home, the Missions in the colonies are the conscience of the state“. Gottlob Haussleiter, Thoughts on the Principles Underlying the Relations Between the Religious and the Political Community, in: Internationaler Missionsrat (Hg.), World Missionary Conference, 1910. Report of Commission VII. Missions and Gouvernments, Edinburgh/London 1910, S. 142–144. Anselm, Lutherische Leitkultur, 183. Hier ging es gerade nicht, wie von liberalen Vertretern proklamiert, um eine Gleichgültigkeit von Staat und Kirche bzw. ein Nebeneinanderbestehen, sondern um ein Wechselverhältnis. 309 Chr Ernst Luthardt, Vorträge über die Moral des Christenthums im Winter 1872 zu Leipzig gehalten. Apologie des Christenthums. Dritter Teil, Leipzig 21873, 156–157. 310 Von Schwartz, Mission und Kolonisation, 27. 311 Siehe z. B. Der Fall Peters vor Gericht, in: Volksstimme, 26.6.1907. Zu Peters insgesamt Perras, Carl Peters, und zu den Verhandlungen im Besonderen, ebd. 239–242.
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und Presse,312 in der nun prominent die Herrschaftspraktiken von Kolonialbeamten verhandelt wurden. Letztlich, so von Schwartz, hänge von dem moralischen Niveau der deutschen Bevölkerung in den Kolonien der gesamte Erfolg des kolonialen Projekts ab.313 Anschlussfähig waren diese Ausführungen insbesondere an den Wechsel der deutschen Kolonialpolitik: Eine der wichtigsten Einsichten der „Ära Dernburg“314 war schließlich eine Kolonialpolitik, die die lokale Bevölkerung als Aktiva und wichtige Ressource einer erfolgreichen Kolonialisierung begriff. Zweitens griff von Schwartz hier Argumentationslinien einer Debatte um das Verhältnis von Kirche und Staat auf. Von lutherischen Ethikern wurde zwar grundsätzlich eine Trennung von Kirche und Staat anerkannt; die Kirche sollte als Garantin der Sittlichkeit aber mit einbezogen bleiben, um zu verhindern, dass Kirche und Staat in Kollision zueinander gerieten,315 die Kirche könne dann eine die Nation stabilisierende Funktion einnehmen.316 Die Begeisterung für die Kolonien, die innerhalb des Kaiserreichs Projektionsflächen für Phantasien geworden waren,317 war in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg immens. Das Koloniale, vor allem imaginiert als das Exotische, zog große Aufmerksamkeit auf sich, und die Missionsgesellschaften versuchten, dies für ihre Zwecke zu nutzen. Missionsfeste und Missionsstunden wurden von den immer professioneller agierenden Missionsgesellschaften als Räume genutzt, in denen sie mittels des Exotischen für sich warben. Lichtbilder, Vorträge altgedienter oder noch im Dienst stehender Missionare, Publikationen, ja sogar bis in die kleinsten Winkel der ländlichen Gesellschaft mitgeführte Ethnographika vermittelten Bilder vom Außereuropäi-
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Siehe dazu Habermas, Skandal in Togo, Dies , Protest im Reichstag. Kolonialskandale in der politischen Kultur des Kaiserreiches, in: Michaela Fenske (Hg.), Alltag als Politik – Politik im Alltag. Dimensionen des Politischen in Vergangenheit und Gegenwart, Berlin 2010, S. 281–303; Bettina Zurstrassen, „Ein Stück deutscher Erde schaffen“. Koloniale Beamte in Togo 1884–1914, Frankfurt a. M. 2008. Von Schwartz, Mission und Kolonisation, 29. Zu Dernburgs kolonialpolitischem Programm siehe Werner Schiefel, Bernhard Dernburg 1865– 1937. Kolonialpolitiker und Bankier im wilhelminischen Deutschland, Freiburg i. Br. 1975; Sören Utermark, „Schwarzer Untertan versus schwarzer Bruder“. Bernhard Dernburgs Reformen in den Kolonien Deutsch-Ostafrika, Deutsch-Südwestafrika, Togo und Kamerun, Univ.-Diss., Kassel 2012; Schubert, Der schwarze Fremde, Kap. 8. Zu dieser Debatte siehe Graf, Konservatives Kulturluthertum, 54–57, bzw. Anselm, Lutherische Leitkultur, 184. Von Schwartz plädierte beispielsweise explizit und mit einem Rückgriff auf die Reich-Gottes-Argumentation für die Unabhängigkeit der Mission von der Politik. Karl von Schwartz, Politik und Mission, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1905), S. 561–562. Besonders deutlich auch der Missionssenior Richard Handmann, der für den internationalen Charakter der Mission plädierte: Handmann, Trübungen des Missionswesens. Anselm, Lutherische Leitkultur, 187. Birte Kundrus, Die Kolonien – „Kinder des Gefühls und der Phantasie“, in: Birte Kundrus (Hg.), Phantasiereiche, Frankfurt a. M. / New York, S. 7–18; Kundrus, Phantasiereiche; Wolfgang Struck, Die Eroberung der Phantasie. Kolonialismus, Literatur und Film zwischen deutschem Kaiserreich und Weimarer Republik, Göttingen 2010.
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schen,318 die mit der Notwendigkeit, die christliche Botschaft zu verbreiten, vermischt wurden. Missionsgesellschaften fungierten hier als Agenturen des Außereuropäischen und als „mediale Knotenpunkte“319. Zeitgenössisch wurden sie als eng mit dem kolonialen Projekt verbunden wahrgenommen. Eine Debatte über die Kolonien schloss fast immer auch eine Debatte über Mission ein, auch wenn sowohl vonseiten der Missionsangehörigen als auch der Kolonialadministration eine allzu große Nähe eher verneint wurde.320 Um die öffentliche Meinung und damit einen „neuen Kreis von Missionsfreunden“ zu gewinnen, entschied sich die Leipziger Missionsgesellschaft sogar dafür, gemeinsam mit der Herrnhuter Brüdergemeine Kolonialmissionstage ins Leben zu rufen. Über das Interesse an den Kolonien sollte für die Mission insgesamt geworben und damit gleichsam ein nach innen gerichteter missionarischer Impetus verfolgt werden: „Es ist unleugbar, daß in Großstädten große Scharen von Namenchristen von der gewöhnlichen kirchlichen Verkündigung überhaupt nicht mehr erreicht werden, und daß auch unter denen, die den Zusammenhang mit der Kirche noch nicht völlig verloren haben, weite Kreise einer so wichtigen Lebensäußerung der Kirche wie die Heidenmission so verständnis- und teilnahmslos gegenüberstehen, daß die üblichen Missionsveranstaltungen an ihnen spurlos vorübergehen. Vielleicht kann es gelingen, durch eine Missionsveranstaltung in größerem Styl die öffentliche Aufmerksamkeit in solcher Weise auf die Mission zu lenken, daß sie auch Fernstehenden ins Auge fällt. Und es ist möglich, daß Manche von denen, die so gleichsam genötigt werden, sich mit der Mission auseinanderzusetzen, einen Eindruck von ihrer Großartigkeit empfangen, wenn auch zunächst mehr unter dem Gesichtspunkt einer christlichen Kulturleistung ersten Ranges. Daß aber gerade solche, welche zunächst die Mission aus diesem Motive heraus unterstützen, gerade durch ihre Mitarbeit auch innerlich weiter gefördert werden können, so daß ihre Augen für die tieferen Missionsmotive geöffnet werden, ist den Wegen der göttlichen Pädagogik gemäß.“321
Trotz verschiedener Bedenken – man war darauf bedacht, weder die offizielle Position, dass es der Mission um die Verbreitung des Reiches Gottes gehe, noch die theologi318
Wetjen, Das Globale im Lokalen. Zu den Missionsvereinen in einer neueren Perspektive siehe auch Gerald Faschingeder, Missionsgeschichte als Beziehungsgeschichte. Die Genese des europäischen Missionseifers als Gegenstand der Historischen Anthropologie, in: Historische Anthropologie 10 (2002), S. 1–30, Siegfried Weichlein, The Missionary Movement and the Catholic Revival in Germany before 1848, in: David Luginbühl u. a (Hg.), Religiöse Grenzziehungen im öffentlichen Raum, Stuttgart 2012, S. 263–276. Zur Verbreitung des Kolonialen durch die Missionsvereine: Habermas, Colonies in the Countryside. 319 Dies , Mission im 19. Jahrhundert, 642. 320 Besonders deutlich wird dies an der Nationalspende, die 1913 zugunsten der Missionen, die in den Kolonien arbeiteten, gesammelt wurde. Siehe dazu Wetjen, Das Globale im Lokalen, 35–37. 321 Missionskollegium an Herrnhuter Brüdergemeine, 4.2.1910, ALMW II.32. Noch 1905 hatte von Schwartz abgelehnt, sich gesondert um die Gaben der „Gebildeteren“ zu bemühen, denen er einen „Mangel an christlichem Glauben“ unterstellte: von Schwartz, Politik und Mission, 562.
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sche Positionierung gegen die „unionistischen Zeitströmung“ aufzugeben und wollte auch eine neue Aufteilung der Heimatbasis nicht riskieren322 – fanden die Kolonialmissionstage im Juni in Dresden als gemeinsame Veranstaltung der Leipziger, der Herrnhuter, der Berliner und der Bethelmission statt. Neben Gottesdiensten und einigen geschlossenen Versammlungen wurden vor allem Vorträge über die Mission an den höheren Schulen der Stadt gehalten. Der Missionsinspektor der Leipziger Mission, Martin Weishaupt, der wenige Wochen zuvor aus Deutsch-Ostafrika zurückgekehrt war, warb dort unumwunden für die Mission und ihren Beitrag zu kolonialen Zwecken: Für ein religiös und sittliches „nicht minderwertiges und wirtschaftlich tüchtiges Menschenmaterial“ müsse „mit der Kolonisierung die Christianisierung Hand in Hand gehen“.323 Der Leipziger Systematiker und langjährige Vorsitzende des Leipziger Missionskollegiums Ludwig Ihmels verband in seiner Predigt sogar die Pflicht zur Mission mit nationalen Interessen: Weil die Kolonien gottgegeben seien, müsse die Mission sich auch in den Kolonien einsetzen, ohne sich nationalen Interessen gänzlich unterzuordnen.324 Wie für die Initiatoren der Kolonialmissionstage zählte auch für Ihmels in seiner Eröffnungspredigt die Möglichkeit, Mission in solchen Kreisen bekannter zu machen, in denen sie eher weniger Beachtung fand, um auf diese Weise den „schmerzlichen Riß, der durch das Leben der Gegenwart“ gehe, zu überbrücken.325 Als 1911 Karl von Schwartz von dem bereits lange mit der Leipziger Missionsgesellschaft verbundenen Carl Paul abgelöst wurde, setzte sich der Trend einer immer positiveren Einstellung zum Kolonialismus, wie er bereits durch von Schwartz eingeleitet worden war, fort. Carl Paul hatte schon vor seiner Berufung zum Direktor der Leipziger Missionsgesellschaft als Schriftführer der Sächsischen Missionskonferenz nahegestanden. Er war Mitglied des Leipziger Kolonialvereins326 und hatte 1910 sogar zum Vorbereitungsausschuss des Kolonialkongresses gehört.327 Bereits 1902 hatte er seine missionspolitische Stellung zum Kolonialismus auf dem Kolonialkongress vertreten. Sein Vortrag, in dem er die Leistungen der Mission und ihre Gegenforderungen an die Kolonialpolitik beleuchtete, ging auf eine Bitte des amtierenden Missionsdirektors von Schwartz zurück328. Paul vertrat auf dem Kongress die Auffassung, dass die von der Mission geleistete „religiös-sittliche“ Arbeit und die als „Nebenarbeit“ verrichtete „Kulturarbeit“ einen wichtigen Beitrag zum kolonialen Projekt leiste.329 Auch auf dem Kolonialkongress 1905 hatte er in einem Überblicksvortrag über die evangelische Mis322 Schreiben an Missionskollegium aus Dresden, 6.12.1910, ALMW II.32. 323 Kolonialmissionstage, in: Deutsche Kolonialzeitung 28 (1911), Nr. 26, 1.7.1911, 443. 324 Ludwig Ihmels, Wir sind Schuldner beides unsern Kolonien und dem Evangelium: Predigt über Röm. 1, 14.15 zur Eröffnung der Kolonialmissionstage in Dresden am 25. Juni 1911, Leipzig 1911, 4, 9. 325 Ebd., 12. 326 Nachtrag zum Mitgliederverzeichnis der Deutschen Kolonialgesellschaft, ALMW II.32.277. 327 Einladung zu Missionsveranstaltungen, ALMW II.32.279. 328 Paul an Missionsdirektor, 20.3.1902, ALMW II.32.279. 329 Paul, Leistungen der Mission, 496.
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sionsarbeit in den Kolonien betont, „inwieweit die Missionsarbeit der Erschliessung unserer Kolonien, der Hebung der eingeborenen Völker, der Verbreitung von Humanität und Kultur dient, nicht zu vergessen, der Förderung, die das Deutschtum durch sie erfährt.“330 So hinge in den Missionsschulen häufig ein Bild des Kaisers, es würden „deutsch-patriotische Lieder geübt“, auch „unsere patriotischen Festtage“ werden durch die Mission begangen.331 Kurzum: Die Mission „versöhne die Unterworfenen mit ihrer neuen Herrin Germania“ und sei dementsprechend berechtigt, ein „christliches Regiment“ in den Kolonien zu fordern.332 Als der Dresdner Graf Vitzthum von Eckstätt als Vorsitzender der Sektion IV auf dem Kolonialkongress 1905 zum Schluss der Debatten zur Mission feststellte: „So oft sie [die Mission, K. W.] einen Heiden zum Christentum bekehrt, vollzieht sie gleichzeitig eine koloniale Arbeit“333, hatte Paul ebenso wenig wie die übrigen Missionsvertreter protestiert. Die Missionen leiteten jedoch aus diesem Entgegenkommen eine übergeordnete Forderung nach einer christlichen Kolonialpolitik ab: „Sittlich“ einwandfreie Kolonialbeamte gehörten ebenso dazu, wie eine Hochschätzung der Mission und ein Abstand nehmen von Willkürherrschaft und wirtschaftlicher Ausbeutung. Während des Ersten Weltkriegs und damit zu einer Hochzeit patriotischer Gesinnungsbeteuerungen machte der Vorsitzende der Evangelischen Missions-Hilfe, die im Nachgang zur Nationalspende 1913334 gegründet worden war, deutlich: „Wenn aber Geibels Wort wahr werden soll: ‚Und nur am deutschen Wesen soll die Welt genesen‘, und es kann wahr werden, dann muß das Deutschtum sich vom Christentum durchläutern und durchdringen lassen, dann muß das deutsche Volk, das im heißen Rin-
330 Ders , Bestand und Arbeit der evangelischen Mission in unsern Kolonien, in: Redaktionsausschuss (Hg.), Verhandlungen des Deutschen Kolonialkongresses 1905 zu Berlin am 5., 6. und 7. Oktober 1905, Berlin 1906, S. 461–476, 470–471. 331 Ebd., 474–475. Auch auf den Stationen der Leipziger wurde der Kaisergeburtstag groß gefeiert: „Große Parade mit Gewehren, Trommeln und Trompeten, Säbeln und Fahnen, dann übernahmen die beiden Hilfslehrer Setti und Salome die Führung der Jungen zu Kriegsspielen und ich machte mit den Mädchen Kreisspiele“, berichtete die Schwester Bertha Schulz im Januar 1912. Personalakte Schulz: Aus Briefen von Schwester Berta Schulz, 25, ALMW II.32.541, Zur Feier bei der Norddeutschen Mission siehe Altena, Ein Häuflein Christen, 185–187. 332 Paul, Leistungen der Mission, 500, 519. Über diese „Gegenforderungen“ korrespondierte er sogar in Vorbereitung seines Vortrags mit Direktor von Schwartz. Paul an Missionsdirektor, 19.8.1902, ALMW II.32.279. 333 Redaktionsausschuss (Hg.), Verhandlungen des Deutschen Kolonialkongresses 1905 zu Berlin am 5., 6. und 7. Oktober 1905, Berlin 1906, 570. 334 Die Kaiserjubiläumsspende wurde als Möglichkeit gesehen, gerade solche Kreise anzusprechen, „die bisher für die äußere Mission und namentlich für ihre Förderung in unseren Kolonien noch wenig Interesse und Teilnahme an den Tag gelegt haben.“ Kaiserjubiläums-Spende, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1913), S. 97–98, 98. Die Nationalspende und ihre Wirkung auf unsere Finanzlage, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt 68 (1913), S. 529–531. Zur Nationalspende siehe auch Wetjen, Das Globale im Lokalen, 36–37.
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gen dieses Kriegs ein Weltvolk werden soll, auch mehr als bisher ein Volk der Mission werden, und zwar der Mission in deutscher Art.“335
Die Missionen beteiligten sich also durchaus an Kolonialveranstaltungen, wobei insbesondere die großen Kolonialkongresse vielfältige Möglichkeiten des Austausches boten, und zwar nicht nur für die in der Heimat tätigen Missionsleitungen und Missionswissenschaftler.336 Im Jahr 1910 koordinierten sich die Missionsvertreter sogar und versuchten, möglichst viele „Missionsfreunde“ für den Kongress anzumelden: „Es muß doch unter allen Umständen vermieden bleiben, daß eine unseren Zielen zuwiderlaufende Resolution durch eine Zufallsmehrheit auf dem Kolonialkongreß als Meinungsäußerung des deutschen Volkes vor aller Welt erscheine.“337 Auf dem Kongress referierte der für die Leipziger Mission in Ostafrika tätige und sich auf Heimaturlaub befindende Missionar Schachschneider über die „wirtschaftliche Erziehung durch die Missionen“. Schachschneider338 war sich der engen Grenzen, die ihm durch die herrschende Meinung innerhalb der Missionskreise und seines besonderen Publikums beim Kolonialkongress gesetzt wurden, bewusst. Sein Vortrag verdeutlicht, dass die Missionare ihre besondere Stellung im kolonialen Raum und ihre Vermittlerposition zu nutzen suchten. Gleich zu Beginn stellte Schachschneider fest: „Es handelt sich bei der Tätigkeit der christlichen Sendboten darum, den heidnischen Völkern die christliche Religion, das Evangelium zu bringen. In der Ausübung dieser Tätigkeit liegt es aber beschlossen, dass die Missionare als Söhne eines grossen christlichen Kultur-
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August W Schreiber, Die Wirkungen des Weltkrieges auf die deutschen Missionsgesellschaften. Vortrag auf der Sächsischen Missionskonferenz in Halle a. S. am 9. Februar 1915, Leipzig 1915, 20. 336 Über die Teilnahme an den Kolonialkongressen und die dort geführten Diskussionen wurden auch die Leserinnen und Leser des Evangelisch-lutherischen Missionsblattes unterrichtet, siehe z. B. Vom deutschen Kolonialkongreß in Berlin 1902, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1902), S. 449–453, Carl Paul, Leistungen der Mission für die Kolonien u. ihre Gegenforderungen an die Kolonialpolitik. Vortrag von P. Paul auf dem Kolonial-Kongreß, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1902), S. 495–500, 519–522. Die Mission profitierte auch von den auf den Kongressen eingesammelten Kollekten zugunsten der Missionsschulen. Axenfeld an Leipziger Mission, 15.12.1910, ALMW II.32.279, mit einer entsprechenden Abrechnung. Andere Missionsgesellschaften, wie die Rheinische, veranstalteten mit dem Ziel, weitere Kreise anzusprechen, ebenfalls Ausstellungen. Zu Missionsausstellungen siehe jüngst Annika Dörner, „Von einer seltsamen Missionsreise“. Die poetics und politics einer Ausstellung, in: Linda Ratschiller / Karolin Wetjen (Hg.), Verflochtene Mission. Perspektiven auf eine neue Missionsgeschichte, Köln/Weimar/Wien 2018, S. 141–162; Ratschiller, Die Zauberei. 337 Axenfeld an die deutschen evangelischen Missionsgesellschaften, 29.7.1910, ALMW II.32.279. 338 Missionar Martin Schachschneider (1872–1955) trat Ostern 1895 in das Leipziger Missionsseminar ein. Nach seinem Abschluss war er zunächst in der Kambamission tätig und wurde nach deren Aufgabe 1906 in die Chaggamission versetzt, wo er die Station Nkoaranga leitete. Von April 1910 bis September 1911 war er auf Heimaturlaub, nach seiner Gefangennahme 1917 und seiner Rückkehr wurde er 1922 Pfarrer in Greiz. Siehe zu Schachschneider die Personalakte ALMW II.32.413.
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volkes nicht umhin können, den heidnischen, kulturarmen Völkern aus dem Reichtum ihres heimatlichen Wirtschaftslebens mitzuteilen, sie zu Christen mit innerer und äusserer Selbstständigkeit zu erziehen. Die Mission kann an diese Aufgabe um so eher herantreten, weil gerade die Kräfte des Evangeliums ein Hebel auch für wirtschaftliches Emporkommen sind.“339
Eine „wirtschaftliche Erziehung aus religiös-sittlicher Grundlage“ werde schon durch die Schulen erreicht, die nicht nur Religionsunterricht erteilten: durch die Vermittlung von Lesefähigkeiten, durch die auch Kolonialpropaganda oder Hinweise zur Hygiene weitergegeben würden; durch die Erziehung von Mädchen und Frauen; durch das höhere Schulwesen, das auch für die Kolonialbürokratie geeignete Bewerber hervorbringe; durch Handwerkerschulen und landwirtschaftliche Lehrinstitute.340 Zwar engagiere sich, so räumte Schachschneider ein, die katholische Mission insgesamt stärker auf dem wirtschaftlichen Gebiet, aber man dürfe nicht unterschätzen, „was die evangelische Mission tatsächlich in der Erziehung der Eingeborenen zur Arbeit wie überhaupt zur wirtschaftlichen Hebung bei bescheidenen Mitteln mit grosser Anstrengung geleistet“ habe.341 Missionar Schachschneider war ein geeigneter Kandidat, dies vorzutragen. Auf der von ihm geleiteten Missionsstation führte er selbst zahlreiche landwirtschaftliche Versuche durch, ließ sich regelmäßig verschiedene Samen und Knollen zusenden und korrespondierte über seine Erfahrungen mit landwirtschaftlichen Instituten.342 Schachschneider verwies dann auf zahlreiche Beispiele der verschiedenen in den afrikanischen Schutzgebieten tätigen Missionen, ohne die Leipziger Mission besonders herauszuheben. Schwierigkeiten bestünden einerseits in der mangelnden Regelung für Kinderarbeit, die häufig einen regelmäßigen Schulbesuch verhindere;343 andererseits sei es auch nicht so leicht für die Mission, geeignetes Personal zu finden, denn: „Auch die wirtschaftliche Erziehung durch die Mission soll geleitet werden im Dienst und Geiste des Evangeliums. Denen, welche uns beharrlich ermahnen, über dem Ora das Labora nicht zu vergessen, wollen wir vielmehr sagen: wir wollen nur über dem vielen Arbeiten das Beten nicht vergessen. Wir können nur Handwerker gebrauchen, die in ihrem Dienst christliche Vorbilder für ihre heidnischen Schüler sind und mithelfen wollen zur Erreichung des Missionszieles.“344
339 340 341 342
Schachschneider, Wirtschaftliche Erziehung, 694–695. Ebd., 696–698. Ebd., 699. Dieses Argument findet sich auch bei Richter, Das deutsche Kolonialreich, 65. Seine wiederkehrenden Bestellungen für die Bepflanzungen und dazu gehörige Korrespondenzen sind überliefert in ELCT IX, 1911–14_47. 343 Schachschneider, Wirtschaftliche Erziehung, 696. 344 Ebd., 703.
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2 Grenzziehungen des Religiösen
Die Position Schachschneiders machte Folgendes deutlich: Zwar kam man auf der kolonialen Bühne und vermutlich auch im missionarischen Alltag den Erwartungen entgegen, die mit einer Kolonialmission einhergingen. Man unterhielt Schulen, legte Gärten an, unterrichtete die indische oder afrikanische Bevölkerung in handwerklichen Tätigkeiten und vermittelte ein Grundwissen von europäischer Hygiene. „Wohl können wir hinweisen“, so Schachschneider, „auf die mannigfachen Leistungen, die auch die viel verkannte evangelische Mission zur wirtschaftlichen Hebung der Eingeborenen verbracht hat“.345 Die evangelische Mission wurde zu diesem Zweck homogenisiert, ja sogar die Leistungen der katholischen Mission in Anschlag gebracht, um die Missionen insgesamt gegenüber einer vermeintlich wirtschafts-liberalen Kolonialattitüde zu verteidigen.346 Aber es musste immer wieder betont werden, dass der Missionsauftrag zu allererst religiöser Natur sei. Das Hauptaugenmerk lag auf der Verbreitung der christlichen Religion. Diese bilde die Basis für jegliches Fortkommen der kolonisierten Bevölkerung im Hinblick auf sittliches Verhalten und Arbeitsethik. Wenn die Missionsgesellschaft also die öffentliche oder koloniale Bühne betrat, passte sie sich der Rhetorik des kolonialen Diskurses an und versuchte, ihre eigenen Ziele mit dieser zu verbinden.347 Dies wird besonders deutlich an der ausdrücklich in den kolonialen Publikationen häufig angeführten Verbindung von Religion und Sittlichkeit. Während Sittlichkeit in der Auslegung des Missionsbefehls zurücktrat und es vornehmlich um die Verbreitung von Religion zu gehen schien, wurde bei national- und „kulturprotestantischen“348 Kreisen der Begriff der Sittlichkeit in den Vordergrund gerückt, der allgemein anschlussfähiger war.349 Die Diskussion um das konkrete Verhältnis von Sittlichkeit und Religion wurde freilich nicht offen geführt, sodass jeder der Diskursteilnehmer seine eigene Interpretation hätte anschließen können.350 Tatsächlich war gerade für die kirchlich-konservative Ausrichtung der Theologie die Frage der Ethik zentral, sodass zahlreiche prominente Vertreter dieser theologischen Richtung eine Ethik verfassten, in der sie nachwiesen, dass Religion und Sittlichkeit eng miteinander verbunden waren und deswegen für die lutherische Volkskirche einen prägenden Einfluss auf Staat und Gesellschaft reklamierten.351 Die Ethiker leiteten aus der lutherischen Tradition heraus einen kulturpraktischen Anspruch ab. Ihre Ethik sollte sich nicht nur auf das Individuum beziehen, sondern auf
345 Ebd., 704. 346 Zum umfassenden Auftrag der Mission siehe auch Habermas, Skandal in Togo, 181. 347 Ich danke Richard Hölzl für anregende Gespräche zu diesem Thema, aus dem auch ein Aufsatz entstanden ist: Hölzl/Wetjen, Negotiating the Fundamentals. 348 Zum Begriff siehe Graf, Kulturprotestantismus. 349 Siehe dazu auch Altena, Ein Häuflein Christen, 98–104. 350 Zu dem Verständnis, nach dem Sittlichkeit aus dem Glauben heraus entstehe und nicht der Religion vorgelagert sei, siehe Paul Althaus, Frömmigkeit und Sittlichkeit nach evangelischer Auffassung. Festrede zur akademischen Preisverteilung am 13. Juni 1906, Göttingen 1906. 351 Graf, Konservatives Kulturluthertum.
2.2 Die Auslegung des Missionsbefehls
153
das Gemeinwesen ausgerichtet sein; das Christentum sollte sich als selbstständige und umfassende „Culturmacht“ erweisen.352 Hintergrund war eine bereits seit der Mitte des 19. Jahrhunderts bestehende Konvergenz zwischen gesellschaftlich-politischen Fragen der Gegenwart und einem konfessionell-kirchlichen Interesse, das stets die Zukunft der Kirche im Blick hatte.353 Dabei rückte die Kirche als Institution im Geflecht von Kirche und Staat ins Zentrum. Die lutherischen Ethiker versuchten demnach nachzuweisen, „daß für das gesamte Gemeinwesen eine enge Verbindung von Religion und Sittlichkeit konstitutiv ist und diese Verbindung nur dann gewahrt werden kann, wenn der lutherischen Volkskirche ein prägender Einfluß auf die politische Öffentlichkeit und Kultur zugestanden beziehungsweise dieser Einfluß vom Staat institutionell abgesichert wird.“354 Die Kirche sollte eine ecclesia militans sein, eine sichtbare und kämpferische Volkskirche.355 Ähnlich wie Luthardt verstand unter anderem auch Reinhold Seeberg seine Ethik durchaus als Versuch, christliche Wertbestände einer aktualisierenden Neuinterpretation zu unterziehen und damit apologetische Zwecke zu verbinden.356 Diese Zusammenführung von Ethik und Apologetik ist vor dem Kontext der Zeit und ihrer Herausforderungen zu sehen. Die Rückbesinnung auf das Christentum in seiner konfessionellen Gestalt beziehungsweise auf die reformatorischen Glaubensinhalte sollte der Entwicklung einer religiös-kirchlichen Kultur dienen, die sich als Gegenentwurf zu rationalistischen oder katholischen Entwürfen oder auch nur einer „liberalen“ Vermengung von Christentum und moderner Kultur verstand. Besonders deutlich wird dies beispielsweise in einer Festrede Paul Althaus. Der Bruder des Leipziger Missionars Gerhard Althaus und wichtiger lutherischer Theologe in Göttingen und später Leipzig nahm hier direkt Bezug auf die Frage nach dem Verhältnis von Religion und Sittlichkeit. Althaus verneinte die Möglichkeit, dass Sitt-
352 Ebd., 44. 353 Anselm, Lutherische Leitkultur, 170. 354 Graf, Konservatives Kulturluthertum, 45. Anselm, Lutherische Leitkultur, 173, betont, dass die Auffassung, dass der Protestantismus die Funktion einer Leitkultur übernehmen müsse, über alle kirchenpolitischen Differenzen hinweg bestand. 355 Graf, Konservatives Kulturluthertum, 54. 356 Anselm, Lutherische Leitkultur, 173–174. Rieske-Braun bezeichnet Luthardt dementsprechend als „Ethiker und Apologet der Erlanger Schule“. Rieske-Braun, Zwei-Bereiche-Lehre, 130. Seeberg war einer der bedeutendsten Schüler Franks und sah seinen Beitrag durchaus als eine Weiterentwicklung der Erlanger Theologie an. Er versuchte, den Offenbarungsglauben mit der Zeitgemäßheit theologischen Denkens zu verbinden. In den kirchlich-konservativen Kreisen war seine Ethik durchaus breitenwirksam, weil sie der Tradition gerecht zu werden schien, aber gleichzeitig gegenwartsorientiert war. Seeberg war Vorsitzender der kirchlich-sozialen Konferenz und maßgeblicher Theologe im Centralausschuss für Innere Mission. Dietzel, Seeberg als Ethiker, 121. Lessing, Geschichte der deutschsprachigen evangelischen Theologie, Bd. 1, 296–297, 416. Martin Hein, Wilhelminischer Protestantismus. Der Zusammenhang von Politik, Kirche und Theologie an der Wende zum 20. Jahrhundert, in: Ders. (Hg.), Weichenstellungen der evangelischen Kirche im 19. und 20. Jahrhundert. Beiträge zur Kirchengeschichte und Kirchenordnung, Berlin/New York 2009, S. 35–52, 50.
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2 Grenzziehungen des Religiösen
lichkeit sich jenseits von Religion ausbreiten könne. „Man darf es als die gemeinsame Überzeugung aller gegenwärtigen Richtungen in der Theologie hinstellen, daß Jesus die Sittlichkeit auf die höchste Stufe prinzipieller Vollendung erhoben und in seiner Person ein Sittlichkeitsideal zur Darstellung gebracht hat, in dessen Aneignung und Durchführung nach allen Seiten die Weltaufgabe des Christentums besteht.“357 Althaus sieht dementsprechend den Glauben als ursächlich für sittliches Handeln an: „Glauben heißt Gott haben. So bildet der Glaube die Quelle aller lebendigen Religiosität. Aber damit tritt sofort der ethische Charakter des Glaubens zu Tage, nicht nur sofern er alsbald sittliche Handlungen aus sich heraussetzt, sondern in ihm selbst ist bereits ein sittliches Moment“.358 In der Mission galt also das Christentum stets als die Grundlage für jegliche Kultur und Sittlichkeit. So konnte 1914 der Berliner Professor für Missionsgeschichte Julius Richter in einer Publikation, die sich an Kolonialkreise wandte und vor allem die Errungenschaften der Mission darstellte, nicht nur betonen, dass die Mission für die kolonisierte Bevölkerung eine „neue Geisteswelt“ brächte, sondern vor allem, dass sie die „Grundlagen einer neuen Sittlichkeit“ schaffe.359 Dies geschehe weniger durch die sittlichen Maxime der Bibel, vielmehr sei die christliche Sittlichkeit „gestützt durch den lebendigen, persönlichen, heiligen Gott“; Vorbilder und gesunde Anregungen würden zu einem idealistischeren Leben verleiten.360 In den Forderungen der Mission an den deutschen Kolonialstaat nach einer vom Christentum geprägten deutschen kolonialen Herrschaft, wie sie Paul schon auf dem Kolonialkongress 1905 formuliert hatte, wird die Bedeutung von Vorbildern für eine christliche Lebensweise unter den Kolonialbeamten besonders sichtbar. Tatsächlich war diese Forderung weit verbreitet. Die deutschen evangelischen Missionen wünschten sich nicht unbedingt eine ständige Unterstützung durch die Kolonialbehörden, ja sie waren sogar eher abgeneigt, sich in die politischen Belange einzumischen. Gemäß der Zwei-Reiche-Lehre stellten sie keineswegs die koloniale Herrschaft infrage, sondern reklamierten nur, dass diese christlichen Maßstäben genügen müsse. Die Christianisierung und die christliche Behandlung der „Eingeborenen“ sei eine Pflicht.361 Gustav Warneck hatte 1879 sogar von einem doppelten „Culturkampf “ gesprochen, den die Mission zu führen habe: gegen die „heidnische Uncultur“ und gegen die christliche „Uebercultur“.362 In diesem Sinne wirke die Mission bereinigend. Sie verbreite nach Warneck die europäische überlegene „Cultur“, insbesondere indem sie durch die 357 358 359 360 361
Althaus, Frömmigkeit und Sittlichkeit, 5. Ebd., 6–7. Richter, Das deutsche Kolonialreich, 143 bzw. 145 [Hervorhebung i. O., K. W.]. Ebd., 146. Gustav Warneck, Welche Pflichten legen uns unsere Kolonien auf? Ein Appell an das christliche deutsche Gewissen, in: Zeitfragen des christlichen Volkslebens 11 (1885), S. 1–123, 28. 362 Ders , Die gegenseitigen Beziehungen zwischen der modernen Mission und Cultur. Auch eine Culturkampfstudie, Gütersloh 1879, 309, 13.
2.2 Die Auslegung des Missionsbefehls
155
Verbreitung des Christentums eine „neue sittliche Atmosphäre“363 schaffe, aber auch weil sie materielle Bedürfnisse wecke und die Bildung befördere;364 gleichzeitig wirke sie der Gefahr entgegen, dass den „Heiden“ ein veränderter Religionsbegriff nahegebracht würde, der durch die Anreicherung mit „Culturmomenten“ nicht mehr dem „Wesen der Religion des Christentums“ entspräche.365 Gerade der etwas schwammige und von allen Diskussionsteilnehmern verwendete Begriff der „Kultur“ verdeckte jedoch häufig die Unterschiede in den Standpunkten, wenn Kultur, worunter vor allem die Erziehung zur Arbeit, „Sittlichkeit“ und Moral verstanden wurde, von den einen als Teil von Kolonisierung und von den anderen als Folge von erfolgreicher Missionierung interpretiert wurde. Gleichzeitig und durchaus mit Rekurs auf lutherische Ethiker wurde die von den Vertretern einer „Zivilisierungsmission“ angestrebte Trennung zwischen Säkularem und Religiösem von Missionsvertretern – im Übrigen aller protestantischen Konfessionen, also nicht nur der Lutheraner – infrage gestellt. Über den für alle Seiten anschlussfähigen Begriff der Kultur reklamierten die Missionsvertreter eine für sich immer größere Macht, die auch vor Vorhaltungen gegenüber den Vertretern der Kolonialmacht nicht Halt machte. Lutherische Ethiken wurden so zu Programmentwürfen kolonialer Herrschaft stilisiert. Dennoch hatte gerade die Diskussion um die Nähe oder Ferne zum Kolonialstaat stets mehrere Dimensionen: Missionsgesellschaften bedurften schließlich auch der Unterstützung in der Heimat, die teils durch die kolonialfreundliche Stimmung generiert wurde; und sie bedurften, zumindest in einem gewissen Umfang, der politischen und logistischen Unterstützung im kolonialen Gebiet. War die Diskussion im Kaiserreich deswegen schon durch Ambivalenzen gekennzeichnet, traf dies noch mehr auf die Situation im Missionsgebiet selbst zu. Auch hier stand im Kern der Debatte die Frage, was zur Missionsaufgabe gehörte. 2.2.3 Der Fall „Rudolf Bleicken“ und die koloniale Ökonomie Im Missionsgebiet waren es die Missionarinnen und Missionare, die das komplexe Verhältnis zur Kolonialmacht unterhalten mussten. Sympathien und Antipathien, die Angewiesenheit auf die Unterstützung kolonialer Behörden und Infrastrukturen, beispielsweise beim Transport von Postsendungen, häufige Angst vor Aufständen oder sogar die Initiierung von Strafexpeditionen, wie nach der Ermordung der Leipziger Missionare Segebrock und Ovir, das Vermitteln zwischen lokaler Bevölkerung und Kolonialmacht oder Stellungnahmen gegen die zunehmende Besiedlung des Landes durch deutsche Siedler und die damit einhergehende und ansteigende Kinderarbeit 363 Ebd., 39. 364 Ebd., 92. 365 Ebd., 307.
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auf deutschen Plantagen bestimmten das tägliche Miteinander von Missionaren, Kolonialbeamten und Chagga. Hatte sich bereits auf den Kolonialkongressen und in den Diskussionen im Kaiserreich in der Theorie angedeutet, dass die Grenze zwischen den Arbeitsbereichen der Mission und der Kolonialmacht ein schmaler Grat war, wurde dies im Missionsgebiet noch deutlicher – umso mehr, als auch für die Missionare galt, dass sie qua ihrer europäischen Herkunft als Kolonisierende angesehen wurden.366 Mit zunehmender kolonialer Durchdringung und zunehmender Zahl deutscher Siedler suchte die Mission, die von ihr reklamierte besondere Stellung und den Anspruch, Kultur, Religion und Gesellschaft zu definieren, gegenüber Kolonialverwaltung und Ansiedlern zu verteidigen. Auch hier wurde um die Auslegung des Missionsbefehls gerungen, wenn es um die Frage ging, wie weit der religiöse Auftrag der Mission reichte, wieviel Zivilisierungs- oder „Kulturarbeit“ er umfassen sollte und – dabei ging es im Kern um die Frage nach religiöser und säkularer Sphäre – welche Machtposition den Missionaren in der kolonialen Gesellschaft überhaupt zukommen sollte. Zu einem ersten dieser Konflikte, der um die Missionspraxis des Missionars Bleicken kreiste, war es in den Jahren 1905/1906 gekommen. Rudolf Bleicken war 1891 in das Leipziger Missionsseminar eingetreten. Der Sohn eines Rechtsanwaltes wurde 1896 in das ostafrikanische Missionsgebiet abgeordnet, wo er sich zunächst in Mamba bei Missionar Althaus und dann in Moshi aufhielt. Wegen einer Erkrankung musste er bereits 1900 in den Heimaturlaub gehen. Nach seiner Rückkehr war er zunächst in Madschame als zweiter Missionar tätig, bevor er 1902 damit beauftragt wurde, die Station Shira, eine Nebenstation Madschames, zu gründen. Ein Jahr später wurde er in den Missionsrat berufen und nahm damit eine der führenden Rollen unter den Missionaren ein.367 1906 trat Bleicken nach einer mehrjährigen, von zahlreichen sich überlagernden Konflikten begleiteten Verhandlung aus der Mission aus und ließ sich zunächst als Farmer in Deutsch-Ostafrika nieder, bevor er aus Krankheitsgründen nach Europa zurückkehrte. Sein Fall illustriert, wie eng die Grenzen waren, innerhalb derer Missionare sich bewegten. Den vordergründigen Konflikt zwischen Missionar und Missionsleitung bildete Bleickens Position in der Landkauffrage. Nach der Jahrhundertwende hatten sich zunehmend deutsche Siedler am Kilimandscharo, dessen Hänge als günstig für den Ackerbau galten, niedergelassen und teilweise große Farmen und Plantagen errichtet.368 Die Regierung versuchte zwar grundsätzlich, das Eigentum der Chagga zu schüt366 Pesek bringt dies auf den Punkt: „Kolonisierender wurde man nicht durch die Verleihung eines Amtes, sondern aufgrund seiner europäischen Herkunft.“ Pesek, Koloniale Herrschaft, 285. Auch Habermas plädiert für eine genaue mikrogeschichtliche Analyse der Vorgänge im Kolonial- bzw. Missionsgebiet: Habermas, Skandal in Togo, 140. 367 Zum Lebenslauf Bleickens siehe die Personalakte Rudolf Bleickens, ALMW II.32.310, sowie Altena, Ein Häuflein Christen, Anhang, 304. 368 Horst Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien. 5., verbesserte Auflage, Paderborn u. a. 2004, 166.
2.2 Die Auslegung des Missionsbefehls
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zen – vor allem weil die Angst vor einem Aufstand hoch war –, bei eigenmächtigen Landnahmen seitens der Siedler griff sie aber selten ein.369 Dies führte nicht nur zu einer Verknappung der Ressource Land, sondern auch der Ressource Arbeit.370 Obwohl die Mission sich in diesen Konflikten zumeist als „Anwältin der Eingeborenen“ inszenierte und einer zunehmenden Landverteilung kritisch gegenüberstand, hatte Bleicken in einem Prozess um Landerwerb einen der Siedler, Richard Sauerbrunn, vertreten. Dieser hatte sich 1904 unrechtmäßig ein großes Stück Land in der Nähe der Station Shira gesichert. Der Missionsrat warf darauf Bleicken, der schon früher mit dem Gedanken gespielt hatte, selbst Farmer zu werden, vor, er hätte seine Pflicht gegenüber der Mission verletzt. Bleickens Verteidigung, dass Sauerbrunn selbst und auch dessen Eltern gute Christen seien,371 die überdies im Kaiserreich sehr gut vernetzt seien, ja dass es der Mission nicht schade, wenn die „ganze Welt“ erfahre, dass ein Missionar für ihn [Sauerbrunn, K. W.] eingetreten sei,372 ließ der Missionsrat nicht gelten: Ob die Sache dem Ansehen der Mission im Kaiserreich schade oder nicht, tue nichts zur Sache.373 Bleicken fühlte sich ungerecht behandelt. Er war davon überzeugt, dass der „prinzipielle Standpunkt, den die Mehrzahl der Missionsmitglieder zu dem Verkehr mit den Ansiedlern einnehmen“ beziehungsweise die Tatsache seines freundschaftlichen Verkehrs mit den Ansiedlern überhaupt, bei der Beurteilung eine Rolle gespielt habe.374 Tatsächlich war das Verhältnis zwischen Bleicken, den übrigen Missionaren, dem Missionsrat, ja sogar der Leitung in Leipzig schon seit längerer Zeit zerrüttet – und zwar so sehr, dass die Missionare Althaus und Müller vom Missionskollegium in Leipzig beauftragt worden waren, direkt mit Bleicken über dessen Verbleib in der Mission zu verhandeln.375 Während in der Darstellung nach außen bis heute der Konflikt um 369 Iliffe, Modern History, 141–144. 370 Emil Th Förster, Zur Arbeiterfrage im Kilimandscharo- und Meru-Siedlungsgebiet, in: Deutsche Kolonialzeitung. Organ der Deutschen Kolonialgesellschaft 24 (1907), S. 545–546, ist einer von vielen Artikeln, die sich mit der Arbeiterfrage am Kilimandscharo beschäftigen. In derselben Zeitung wurde sogar von einer Ansiedlung in der Region wegen des Mangels an Arbeitskräften abgeraten. Siehe Wirtschaftliche Aussichten am Kilimandscharo, in: Deutsche Kolonialzeitung. Organ der Deutschen Kolonialgesellschaft 28 (1911), S. 267–268. Gründer führt an, dass 1913 von 18609 arbeitsfähigen Chagga-Männern 10589 auf europäischen Plantagen arbeiteten, 3176 bei der Mission und 400 beim Bezirksamt. Auf den Plantagen habe die Sterblichkeitsrate teilweise bis zu 50 Prozent betragen. Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, 167. Zur Besiedlung Ostafrikas siehe Söldenwagner, Spaces of Negotiation, und Munson, Nature of Christianity. 371 Bleicken an Missionsrat, 28.3.1906. Anlage zu Bericht an Missionskollegiums, 28.04.1906, 4, ALMW II.32.101. 372 Ebd., 5. 373 Althaus, Bericht des Missionsrates an das Missionskollegium, 28.4.1906, ALMW II.32.101. 374 Bleicken an Missionsrat, 28.3.1906, Anlage zu Bericht an Missionskollegiums, 28.4.1906, 6, ALMW II.32.101. 375 Briefe aus Leipzig, Copiebuch Nr. 1, Schreiben vom 16.9.1905, 288, ALMW II.32.83. Vollmacht für die Herrn Senior Althaus und Missionar Müller, 29.9.1905, ALMW II.32.310. Die Ausstellung dieser Vollmacht führte zu Spannungen zwischen dem Missionsrat und dem Kollegium, sahen sich doch
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die Landkauffrage und das Verhältnis zu den Siedlern als wichtigster Grund angeführt wird, warum Bleicken die Mission verlassen habe,376 zeigt sich in den Berichten und Korrespondenzen, die im Zuge der Verhandlungen von dem Missionsrat beziehungsweise den Missionaren Althaus, Müller und Bleicken in dem über Jahre schwelenden Konflikt377 entstanden sind, dass im Zentrum des Konflikts eigentlich eine unterschiedliche Auslegung des Missionsbefehls beziehungsweise differente Auffassungen über die Missionsaufgabe standen. Bereits 1897 hatte Bleicken in einem persönlichen Brief an den Direktor auf die Bedeutung der „Kulturarbeit“ hingewiesen.378 Er hatte sich spätestens mit der Übernahme der Station Shira als Stationarius der Landwirtschaft zugewandt. Durch eine eigene Mehlfabrikation wollte er nicht nur die Finanzen der Mission, sondern vor allem die Nahrungsmittelsituation der lokalen Bevölkerung verbessern. Die von ihm dazu aufgewandten Ressourcen und die von ihm auf landwirtschaftliche Belange gerichtete Aufmerksamkeit sorgte bei seinen Missionarskollegen und letztlich auch bei der Leipziger Missionsführung allerdings für Irritationen.379 Der Missionsrat hatte zunächst die Auffassung vertreten, dass Bleicken, „wenn er neben seinen Kulturarbeiten nach Meinung des Missionsrates doch zwingende Missions- und Schularbeit – wenn auch weniger als andere Missionare – treibe“, die Kulturarbeit nicht verboten werden könne.380 Der Missionsrat versuchte hier zunächst zu vermitteln: „denn die Regel soll es nicht sein, daß wir ein bestimmtes, vielleicht nicht allzu reiches Maß Missionsarbeit gewissermaßen festlegen; vielmehr soll sie ja wachsen und die äußeren Arbeiten verdrängen, indem dieselben immer mehr auf die Schultern angelernter Eingeborener gelegt werden.“381 Auch das Missionskollegium hatte zunächst deutlich gemacht, dass „verschiedene Anschauungen über die grössere oder geringere Wichtigkeit agrikultureller Erziehung der Eingeborenen ein gemeinsames Arbeiten nicht unmöglich machen, weil es sich dabei um keine Prinzipienfrage
376 377
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die Brüder Fuchs und Faßmann als Leiter des Missionsrates übergangen und fürchteten, dass mit der Bevollmächtigung der beiden anderen Missionare eine Art „Nebeninstanz“ zum Missionsrat geschaffen würde. Diese Spannungen erschwerten die Klärung der Causa Bleicken noch zusätzlich. Die verschiedenen damit in Verbindung stehenden Korrespondenzen sind ebenfalls in der Akte ALMW II.32.310, der Personalakte Bleickens, überliefert. So auch auf der Homepage des Leipziger Missionswerks, auf der Kurzviten aller Missionare zu lesen sind: https://www.lmw-mission.de/missionar-281.html (zuletzt eingesehen: 13.3.2018). Die Spannungen dauerten mehr als zwei Jahre an. Konflikte mit den Missionaren Gutmann und Fokken, Beleidigungsprozesse und Konflikte mit der Leipziger Missionsleitung überlagerten sich regelmäßig. Siehe dazu die Akten ALMW II.32.310; ALMW II.32.97, Beilage 1; ALMW II.32.101; BArch R 1001/4821. Bleicken an Missionsdirektor, 18.8.1896, ALMW II.32.120. So rechtfertigte sich Bleicken schon am 4. März 1905 gegenüber dem Missionsdirektor für seine Mehlfabrikation, nachdem Missionar Gutmann sich beim Missionsdirektor über Bleicken beschwert hatte. ALMW II.32.120. Althaus, Bericht des Missionsrates an das Missionskollegium, 28. April, 1906. ALMW II.32.101. Ebd.
2.2 Die Auslegung des Missionsbefehls
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handelt.“382 In einer späteren Begründung hieß es in Bezug auf eine erste Austrittserklärung Bleickens 1905, die in Leipzig nicht akzeptiert worden war, dazu: „Wir haben seiner Zeit die Austrittserklärung Missionar Bleickens unter anderem auch deshalb abgelehnt, weil wir durchaus den Eindruck vermieden wissen wollen, als ob wir es mißbilligten, daß unsere Missionare sich auch der kulturellen Hebung der Eingeborenen widmen. Wir halten dies im Gegenteil […] für durchaus berechtigt. Gerade wo starke weiße Einwanderung in Aussicht steht, ist viel daran gelegen, alles zu fördern, was die Eingeborenen in den Stand setzt, als kleine Bauern auf eigenem Boden durch selbständige Arbeit ihr Brot zu erwerben.“383
Für das Missionskollegium dennoch entscheidend blieb, dass Bleicken anerkannte, „daß die Verkündigung des Wortes Gottes an Jung und Alt zwar nicht das einzige Missionsmittel, aber doch das Missionsmittel κατ`εξοχήν ist“384. Bleicken hatte dies zwar zugegeben,385 aber stets Kulturarbeit als wichtiges Missionsmittel betont. Der in der Mission üblichen Praxis, den Schulunterricht als Hauptmissionsmittel einzusetzen,386 wollte sich Bleicken nicht anschließen: Er habe im Laufe der Zeit vielmehr die „Notwendigkeit der anderen Kulturarbeit“ immer mehr verstanden: „In der Geschichte sämtlicher Kulturvölker folgt die Schulbildung der sonstigen kulturellen Hebung. Warum es gerade bei den Eingeborenen Afrikas anders sein soll, kann ich nicht einsehen.“387 Die Frage nach der richtigen Missionspraxis wurde schließlich in einer persönlichen Korrespondenz zwischen Bleicken und dem Direktor in deutlichen Worten verhandelt: „Und in der Mehlfrage sind Sie offenbar über Ihren Beruf hinausgegangen. Was nur ein Hilfsmittel sein sollte und dürfte, ist Ihnen zur Hauptsache geworden, daß der Beruf darunter litt, und daß sie nicht mit unverletztem Gewissen die Sache getrieben haben. Anstatt dann abzulassen, haben Sie sich dann Theorien über die richtige Art der Missionsarbeit
382 Missionskollegium an Missionare Faßmann und Fuchs, o. D., ALMW II.32.310. 383 Kollegiumsschreiben, 22.6.1906, 355, ALMW II.32.83. 384 Bleicken an Missionsrat, 28.3.1906, Anlage zu Bericht an Missionskollegium, 28.04.1906, 8, ALMW II.32.101. Dies hatten auch Althaus und Müller in einem Schreiben an das Missionskollegium, 23.11.1905, bestätigt, ALMW II.32.310. Gemeint war das Missionsmittel schlechthin bzw. im eigentlichen Sinne. 385 Bleicken an Missionsrat, 28.3.1906, Anlage zu Bericht an Missionskollegium, 28.04.1906, 2, ALMW II.32.101. 386 Siehe dazu Kap. 3 dieser Studie; einen Überblick über die Schulen im Missionsgebiet liefert auch Eggert, Missionsschulen. 387 Bleicken an Missionsrat, 28.3.1906, Anlage zu Bericht an Missionskollegium, 28.04.1906, 8–10, ALMW II.32.101.
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zurechtgezimmert, mit denen Sie sich vor sich selbst rechtfertigen wollten, daß Sie Ihr wirkliches Berufsrecht vernachlässigten.“388
Bleicken erklärte darauf hin, dass er sich bewusst sei, dass er einen anderen Standpunkt in Bezug auf die Missionspraxis vertrete als seine Kollegen, indem er vor allem „der kulturellen und sozialen Arbeit in der Mission eine grundlegende Bedeutung“389 zuschreibe. „Die Schwarzen sind Kinder und wollen als solche erzogen werden. Mit dem Wort allein ist es nicht gethan“.390 Er bekannte deswegen „rückhaltlos“, dass er es nicht so sehr als seine „alleinige Aufgabe ansehe, möglichst schnell eine möglichst große Christengemeinde zu sammeln, sondern mindestens ebenso sehr […] die Atmosphäre zu schaffen, in der ein späteres christliches Volksleben möglich ist.“ Dazu gehöre in Afrika die „agrikulturelle Kulturarbeit“.391 Als Missionar Gutmann davon erfuhr, dass Bleicken nur alle 24 Tage eine Predigt halte und auch keine Außenschule errichtet habe, nannte er das Vorgehen Bleickens „eine gröbliche Vernachlässigung des Hauptgedankens aller Missionsarbeit“392. Bleicken erklärte schließlich endgültig seinen Austritt aus dem Missionsdienst.393 An dem Fall Bleicken zeigt sich dabei durchaus ein Dilemma, in dem die Missionsleitung steckte: Einerseits musste die Mission, die unter einer notorisch knappen Finanzlage zu leisten hatte, selbst ökonomischen Bedingungen gehorchen.394 Der Aufau von Gärten oder sogar Feldern wurde deswegen keineswegs im Grundsatz abgelehnt, sondern sollte der Sparsamkeit dienen: Was selbst angebaut wurde, musste nicht eingekauft, sondern konnte eventuell sogar verkauft werden. Mit Neid blickten gerade die Leipziger Missionare deswegen häufig auf die Anlagen der katholischen Mission am Kilimandscharo, der es scheinbar besser gelang, Landwirtschaft zu betreiben.395 Dieser Hintergrund spielte in der zunächst getroffenen Entscheidung, Bleicken eine Art „Ausnahmestellung“ zu gewähren, ebenso eine Rolle wie die bereits auf dem Kolonialkongress geführten Debatten. Man wollte gerade nicht den Eindruck erwecken, dass
388 Von Schwartz an Bleicken, 27.5.1905, ALMW II.32.310 [Hervorhebung i.O, K. W.]. Der Begriff „Mehlfrage“ bezieht sich auf die von Bleicken betriebene landwirtschaftliche Produktion. 389 Bleicken an das Kollegium, 17.7.1905, ALMW II.32.310. 390 Ebd. [Hervorhebung i.O, K. W.]. 391 Ebd. 392 Anklageschrift Gutmann vor dem Missionsrat, 30.3.1905, ALMW II.32.310. 393 Siehe den Lebenslauf in der Personalakte Bleickens: ALMW II.32.310. Das bereits seit seiner Zeit als Missionar schwelende Verfahren wegen einer Beleidung des Offiziers Merker wurde erst nach seinem Ausscheiden aus der Mission entschieden und Bleicken für schuldig befunden, der jedoch mehrfach Berufung einlegte. Das Verfahren wurde schließlich eingestellt, weil Bleicken für geisteskrank erklärt wurde. Strafsache gegen den geisteskranken Farmer Bleicken, BArch R 1001/4821. 394 Altena, Ein Häuflein Christen, 167. 395 Die katholische Mission wurde dafür auch mehrfach vonseiten der Kolonialbehörden gelobt, die ihr im Gegenzug ermöglichten, weiteres Land günstig zu erwerben bzw. in Besitz zu nehmen. Wimmelbücker, Kilimanjaro.
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man die wirtschaftliche Erziehung nicht fördere. Keineswegs sollte das Ansehen der Missionsgesellschaft im Kaiserreich gefährdet werden, da diese sich gerade nicht mehr nur auf fromme Kreise stützen konnte, um ihre Arbeit zu finanzieren. Andererseits lehnte die Mission einen allzu großen Fokus auf das Ökonomische und besonders die Plantagen der deutschen Siedler ab.396 Dass Bleicken, der ja durchaus eine Nähe zu den Siedlern pflegte und sich in kolonialpolitische Belange einmischte, die grundlegende Position eines Primats des religiösen Auftrags in der Mission ebenso infrage gestellt hatte wie die zunächst als unpolitisch geltende missionarische Berufsehre, musste schließlich zum endgültigen Bruch führen. In verschiedenen Kolonialskandalen hatten Missionsvertreter einiges an Selbstbewusstsein auch auf der kolonialen Bühne gewonnen.397 Dieses Selbstbewusstsein, das sie auf ihre Rolle als moral entrepreneur und – durch die Verbindung von Sittlichkeit beziehungsweise Moral und Religion – auf ihren religiösen Auftrag zurückführten, kam in immer offenerer Kritik an den allgemeinen, häufig als sittenlos markierten Zuständen in den Kolonien beziehungsweise im Kaiserreich selbst zum Tragen. Angeprangert wurde dabei nicht nur Willkür seitens der Kolonialbeamten, sondern auch die Zustände auf den von deutschen Siedlern betriebenen Plantagen. Das Verhalten Bleickens und auch die öffentliche Kritik Schachschneiders auf dem Kolonialkongress insbesondere an der Kinderarbeit waren Teile einer Debatte, die – wie bereits oben gezeigt – auch auf anderen Ebenen um die Frage der Zivilisierungsmission geführt wurde. Diese Frage und insbesondere das Verhältnis zu den Kolonialbehörden war in der Leipziger Mission bereits seit der Jahrhundertwende immer drängender beziehungsweise schlechter geworden. Seit 1904, spätestens jedoch seit 1906 schwelte zudem ein Streit um den Schulbesuch, der ebenfalls Auswirkungen auf die Frage nach den Missionsmitteln hatte. Kurz vor Weihnachten 1906 schrieb der damalige Missionsdirektor von Schwartz an den frisch ernannten Kolonialdirektor im Auswärtigen Amt Bernhard Dernburg wegen eines Rückgangs der Zahl der Schulkinder um 30 bis 50 Prozent in einigen Teilen
396 Altena bezeichnet diese „Janusköpfigkeit“ als „wichtiges movens des Handelns“ der Missionsgesellschaften. Altena, Ein Häuflein Christen, 169. 397 Die verschiedensten Skandale im Kaiserreich waren in den letzten Jahren Gegenstand der Forschung. Siehe dazu Frank Bösch, Öffentliche Geheimnisse. Skandale, Politik und Medien in Deutschland und Großbritannien. 1880–1914, München/Oldenburg 2009; Martin Kohlrausch, Der Monarch im Skandal. Die Logik der Massenmedien und die Transformation der wilhelminischen Monarchie, Berlin 2009; Christina Templin, Medialer Schmutz. Eine Skandalgeschichte des Nackten und Sexuellen im Deutschen Kaiserreich 1890–1914, Bielefeld 2016. In Bezug auf Kolonialskandale sind die Darstellungen um Carl Peters besonders wichtig, hier insbesondere Perras, Carl Peters, der aber die Vorgänge in Deutsch-Ostafrika zumeist nur faktisch beschreibt. Einen Kolonialskandal im Anschluss an eine neuere Skandalforschung, die Skandale als Medienereignisse begreift, analysiert Rebekka Habermas, Der Kolonialskandal Atakpame. Eine Mikrogeschichte des Globalen, in: Historische Anthropologie 17 (2009), S. 295–319, sowie Dies , Skandal in Togo, 185–189.
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2 Grenzziehungen des Religiösen
des Missionsgebiets am Kilimandscharo. Für diesen Rückgang, der, so seine Befürchtung, auch in der Statistik auftauchen würde, machte er die Kolonialbeamten vor Ort verantwortlich: „Es sei nämlich von Vertretern des Militärregiments seit 1 ½ Jahren wiederholt den Eingeborenen eingeschärft worden, daß es ganz und gar freier Wille der Kinder sei, zur Schule zu gehen, sie dürften dazu nicht im geringsten gezwungen werden“.398 Von Schwartz hatte diese Informationen von Missionar Müller und Missionar Gutmann, der zu der Zeit auf der Station Masama stationiert war, erhalten. Tatsächlich ging die Kolonialverwaltung der Beschwerde des Missionsdirektors nach und versuchte, Licht ins Dunkle zu bringen. Wichtigster Informant Dernburgs über die Vorgänge am Kilimandscharo war der bereits wieder in Berlin stationierte, aber 1905 in Moshi diensthabende Oberleutnant Johannes Abel, der einen längeren Bericht schrieb.399 Abel wies in diesem nicht nur auf die Rechtmäßigkeit seiner Handlungen hin – er habe tatsächlich die Masamaleute über die Freiwilligkeit des Schulbesuchs aufgeklärt, allerdings um den vor Ort stattfindenden Zwangsmaßnahmen entgegenzuwirken – sondern machte auch auf das schlechte Verhältnis der Missionsangehörigen und Kolonialbeamten und dessen Eindruck auf die lokale Bevölkerung aufmerksam.400 Auch wenn die Kolonialverwaltung sich nun mit dem Fall beschäftigte, für die Missionsgesellschaft ging dies vermutlich nicht schnell genug. Zu drohend erschien die Missionsstatistik, die in der Heimat erklärt werden musste. Dementsprechend erschien im Januar 1907 ein Bericht des Missionars Gutmanns im Missionsblatt, der über den Fortschritt der gerade erst 1906 gegründeten Missionsstation Masama informieren sollte. Auch in diesem Bericht wird über den Rückgang berichtet und ein eindeutiger Grund benannt: „Von dem Stationschef der Militärstation Moshi […] ist nämlich seit 1 ½ Jahren wiederholt die Bekanntmachung erlassen worden, daß es ganz und gar freier Wille sei, wenn sie zur Schule kommen wollten und daß sie nicht im geringsten dazu gezwungen werden dürften. Diese fortgesetzten Erlasse sind von der Bevölkerung natürlich so aufgefasst worden, als wenn der Schulbesuch und überhaupt die Missionsarbeit von der Regierung nicht gern gesehen werde. Ein erkennbarer Anlaß zu jenen Bekanntmachungen in den von unserer Mission besetzten Gebieten lag nicht vor.“401
Nach dieser Veröffentlichung, die von der Missionsleitung im Vergleich zu der ursprünglichen Fassung Gutmanns schon abgeschwächt worden war,402 nahm der Kon398 Von Schwartz an Dernburg, 13.12.1906, BArch R 1001/996 [Hervorhebung i. O., K. W.]. 399 Siehe dazu die Korrespondenzen zwischen Abel und dem Reichskolonialamt, insbesondere den Bericht Abels vom 21.1.1907, BArch R 1001/996. 400 Ebd., 76. 401 Bruno Gutmann, Der erste Bericht aus der Station Masama, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1907), S. 34–37, 35. 402 Hinweise darauf finden sich u. a. in dem Schreiben von Berner an den Missionsdirektor, 17.5.1907, ALMW II.6.2.II. In seiner Erläuterung vom 8.7.1907 sprach Gutmann in Westmadschame sogar
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flikt eine neue Qualität an. Als Mittelsmann zwischen der Kolonialverwaltung und der Missionsgesellschaft wurde der in Berlin für Missionsangelegenheiten zuständige Oberkirchenrat Berner eingeschaltet, der von Dernburg darüber unterrichtet wurde, dass der Vorwurf des Missionsdirektors nicht nur völlig unhaltbar sei, sondern auch dringend der Richtigstellung bedürfe, zumal der im Missionsblatt nur indirekt erwähnte Abel bereits einen Beleidigungsprozess gegen die Vertreter der Mission anstrebe.403 Der Vorwurf sei nämlich „von dem beteiligten Stationschef als eine Kränkung seiner Berufsehre empfunden worden.“404 In seinem Bericht machte Abel deutlich, dass er eine solche Ankündigung nur veranlasst habe, weil er von den Zwangsmaßnahmen gehört habe, die von der Leipziger Mission unterstützt würden, um den Schulbesuch zu steigern, nämlich „dass die die Missionsschule besuchenden Kinder der Schule fernbleibenden Kindern Bananenbündel und Brennholz fortnehmen, um dadurch einen Zwang auf den Schulbesuch auszuüben.“405 Abel hielt ein solches Verhalten für ungeeignet; er habe deswegen auf die Freiwilligkeit des Schulbesuches hinweisen lassen, aber dennoch betonen lassen, dass die Station den Schulbesuch gerne sähe. Die Missionare wiederum bestritten die Diebstähle nicht. Sie schilderten diesen Brauch ebenfalls, führten ihn aber auf eine lokale Justizdurchsetzung und eine Anweisung der chiefs zurück. Die Ankündigung sei von der lokalen Bevölkerung, die den Schulbesuch gar nicht als Zwang empfunden habe, deswegen so verstanden worden, als wollten die Kolonialbeamten „dem ‚Lesen‘ (gleich Schule) ein Ende machen“.406 Hierzu habe auch der Übersetzer beigetragen.407 So schilderte Gutmann in einer Erläuterung seines Berichtes, wie sehr die Übersetzung, die in viel mehr Worten und mit Gesten erfolgt sei, erst den Sinn der Bekanntmachungen der Kolonialbeamten deutlich gemacht habe: „Der Übersetzer hat dann auch mit lebhaften Bewegungen seiner Hände und Füße stark betont, daß es ganz die eigene Angelegenheit der Kinder sei, ob sie lesen wollten oder nicht und hat dann mit noch viel mehr Worten ihnen deutlich gemacht, wieviel sie Geld bei den Indern verdienen könnten, sodaß ich mich des Unwürdigen dieser Empfehlung meiner Arbeit ordentlich schämte.“408
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408
von einer regelrechten „Agitation von Hof zu Hof “, bei der Übersetzer verkündeten, dass die Kolonialregierung den Schulbesuch der Kinder nicht wünsche. Dernburg an Berner, 12.3.1907, ALMW II.6.2.II. Kolonialamt an Berner, 22.3.1907, BArch R 1001/996. Abel an Kolonialamt, 21.1.1907, BArch R 1001/996. Siehe dazu auch Eggert, Missionsschulen, 188. So im Bericht Müllers, der in dem Brief von Berner an die Kolonialabteilung, 22.9.1907, BArch R 1001/996, mitgesandt wurde. Gutmanns und Müllers Berichte, die von Berner an die Kolonialabteilung eingesandt wurden, verweisen auf den Übersetzer und dessen eigene Agenda. Der Bericht Gutmanns vom 8.7.1907 erläutert diesen eingesandten Bericht noch einmal. Er findet sich ebenfalls in der Personalakte Gutmanns, ALMW II.32.341a Bd. II. Ebd.
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Zwar schien der Brauch des Ziegenwegnehmens damit eingestellt worden zu sein, das Verhältnis zwischen den Kolonialbeamten in Moshi und den Missionaren beschränkte sich in der Folgezeit aber vor allem auf den amtlichen Verkehr. Insbesondere von den Kolonialbehörden waren die ständigen Beschwerden der Mission als Angriffe gewertet worden. Abel beschwerte sich sogar vor dem Kolonialamt: „Die Leipziger Mission strebt seit Jahren eine Nebenregierung am Kilimanjaro an. Der Missionar Fassmann behauptete vor Hauptmann Fonk und Oberleutnant Wollmann vor ca 1 ½ Jahren, dass die Missionare von Leipzig die Anweisung hätten, einzugreifen, falls sie Anordnungen der Militärstation für nicht richtig erachteten. […] Als ich an den Kilimanjaro kam, erzählten sich die Eingeborenen, die Mission hätte mehr Kraft als der Stationschef. […] Ich glaube, die Mission hat diese Gerüchte lanciert, um in den Augen der Eingeborenen mächtiger als die Regierung zu erscheinen.“409
Bereits auf den Kolonialkongressen war angeklungen, dass die Missionen für sich eine Machtposition reklamierten, auf der sie auf Augenhöhe mit der Kolonialregierung agierten, ja ihr sogar moralisch überlegen seien. Gerade weil die Leipziger Mission schon vorher die Abberufung eines Kolonialbeamten mitveranlasst hatte, war der Direktor von Schwartz eventuell sogar davon ausgegangen, dass Abel aus Berlin angewiesen worden sei, die Anordnung zurückzunehmen. Mit dem Wechsel im Gouvernement der Kolonie hin zu Albrecht von Rechenberg, der enge Verbindungen zu Dernburg pflegte, hatte auch ein Wechsel in der Verwaltungsstruktur der Kolonie stattgefunden. Von Rechenberg setzte zwar auf eine engere Herrschaftsdurchdringung, ohne dabei aber die Befugnisse der lokalen chiefs zu beschneiden. Sein Ziel war es, die wirtschaftliche Produktivität der Kolonie vor allem durch eine Förderung des Handels zu steigern.410 Der neue Befehlshaber am Kilimandscharo Abel, vermutlich von den Umständen der Abberufung seines Vorgängers unterrichtet, verließ sich nicht zuletzt deswegen weniger auf die Missionare, sondern baute ein umfassendes System aus intermediaries auf – Vertrauten des lokalen chiefs, die gleichzeitig für die Regierung arbeiteten.411 Schließlich wurde von einer Richtigstellung der Behauptungen Gutmanns im Missionsblatt abgesehen, um die Öffentlichkeit nicht unnötig auf den Konflikt aufmerksam zu machen.412 Rückgänge im Schulbesuch blieben aber auch 1907 ein wichtiges 409 Abel an Kolonialamt, 21.1.1907, BArch R 1001/996. Zur Charakterisierung von Kolonialbeamten siehe Habermas, Skandal in Togo, 151–154, die darauf aufmerksam macht, dass Kolonialbeamte häufig für sich eine überlegene Position reklamierten, aber stetig mit den Grenzen ihrer Macht und Erfahrungen des Scheiterns konfrontiert waren (ebd., 153). 410 Gründer, Geschichte der deutschen Kolonien, 163–165. 411 Zu dieser neuen Verwaltungsstruktur gehörte es auch, den Deutsch- und Kiswahiliunterricht in den Schulen zu fördern, ja sogar Regierungsschulen einzurichten, die von den Missionsgesellschaften als Konkurrenz gesehen wurden. Siehe dazu Eggert, Missionsschulen. 412 Berner an Kolonialamt, 22.9.1907, BArch R 1001/996.
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und konfliktbehaftetes Themenfeld. Spannungen zwischen der Mission und den Kolonialbehörden waren nämlich der lokalen Bevölkerung der Chagga nicht verborgen geblieben. Auch wenn Gutmann in seinen Erläuterungen im Juli 1907 noch beteuerte, die lokale Bevölkerung an die „sittliche Pflicht“ erinnert zu haben, ihre Steuern zu zahlen, und ihr den „Segen deutscher Herrschaft“ auseinandergesetzt zu haben, hatte die Mission dennoch gegenüber der Kolonialverwaltung in der Frage eine herbe Niederlage einstecken müssen. Sie hatte sich mit ihrem Anliegen, den Schulunterricht flächendeckend durchzusetzen und so ihren Einflussbereich auszuweiten, nicht gegen die Macht der Kolonialverwaltung durchsetzen können. Unterdessen hatte sich die Lage am Kilimandscharo immer stärker gewandelt. Die Entwicklung der Region zu einem wirtschaftlichen Zentrum der Kolonie mit immer zahlreicheren und größeren Farmen und Plantagen deutscher Siedler hatten die Bedingungen für die lokale Bevölkerung verändert. Einkommensmöglichkeiten auf den Plantagen – trotz zumeist schlechter Bedingungen – führten dazu, dass viele Kinder bei deutschen Farmern anheuerten und der Schulbesuch in den Missionsschulen weiter zurückging.413 Im Jahresbericht der Mission für das Jahr 1910 wurde dies von den Missionaren das erste Mal prominent für ein deutsches Publikum dargestellt: Missionar Müller wies hier erneut auf den deutlichen Rückgang des Schulbesuches seit 1905 hin, machte diesmal aber nicht die Regierung direkt, sondern vielmehr die ansässigen Pflanzer wegen der von ihnen praktizierten Kinderarbeit für den Rückgang verantwortlich. „Madschame hat im Ganzen genommen seit 1905 von seinen 1600 Schülern fast die Hälfte verloren. Es gibt Farmen, die völlig auf der Kinderarbeit basieren, und was nicht von der Arbeit dort aufgesogen wird, das wird der Mission entfremdet durch Äußerungen gegen sie vor den Eingeborenen. Hier und da führt sich der Gegensatz letzten Grundes auf Atheismus zurück. […] Die Regierung sieht sich zu einer kalten Neutralität durch die Verhältnisse gezwungen. Zwar braucht das gefährliche, Gesundheit und Sitten verderbende der Kinderarbeit nicht erst bewiesen zu werden, und die Eingeborenen merken es heute an ihrem eignen Leibe, was ihre Kinder jetzt wert sind – aber es rührt sich niemand, hier einzugreifen, und die Mission gilt als befangen. […] Es wird darum unumgänglich nötig sein, noch auf andere Weise und mit allen Kräften mobil zu machen, damit der dürre Egoismus
413
Vgl. auch Munson, Nature of Christianity, 97–98. Auch in anderen Arbeitsangelegenheiten mischten sich die Missionare ein. So unterstützte Missionar Gutmann zwei Christen, die Richard Sauerbrunn, einen Siedler, auf die Zahlung ihres vollen Lohns verklagten, und geriet dabei auch in Konflikt mit der Bezirksregierung am Kilimandscharo. Dies missbilligte nicht nur der Missionsdirektor, sondern der bereits zur Vermittlung eingeschaltete Oberkirchenrat Berner, der dringend bat, Gutmann Zurückhaltung aufzuerlegen, da dieser sonst „unmittelbar auf Schädigung des Ansehens der staatlichen Beamten“ hinarbeite. Die umfangreichen Prozessbeschreibungen Gutmanns sind überliefert in ALMW II.32.341a, siehe hier insbesondere auch Berner an Missionsdirektor, 14.4.1911.
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einer Aktiengesellschaft oder einige Leute, die nach dem Grundsatz handeln: Nach uns die Sündflut! nicht eine Generation verdirbt.“414
Dass die sozialdemokratische Presse im Kaiserreich diese Kritik an den Siedlern und deren kapitalistischer Ausbeutung von Kindern aufgriff, verwundert unter diesen Umständen kaum. Unter dem reißerischen Titel „Über schamlose Kinderausbeutung in Deutsch-Ostafrika“ zitierte der Vorwärts Auszüge aus dem Jahresbericht Müllers, in denen die Siedler, aber auch die Regierung angeklagt wurde. Der Vorwärts stellte schließlich fest: „Das ist die Kultur, die unsere Kolonialpolitik den ‚Wilden‘ und ‚Heiden‘ bringt!“415 Der Fall schaffte es sogar in den Reichstag, als der sozialdemokratische Abgeordnete Noske416 den Bericht Müllers über die Kinderarbeit mit einer generellen Kritik an den Kolonialausgaben verband. Auch er griff den Konnex auf, den Müller bereits gemacht hatte, freilich ohne ihn religiös zu wenden: „Aber, meine Herren, wie recht wir haben, wenn wir sagen, daß die kapitalistischen Bestrebungen in den Kolonien zur Förderung der Unkultur dienen, das zeigt sich immer wieder.“417 Durch die Erwähnung im Vorwärts erreichte auch der Jahresbericht der Missionsgesellschaft, der sonst vermutlich lediglich innerhalb der Missionsöffentlichkeit zirkuliert wäre, eine breitere Aufmerksamkeit. So erschien im Herbst desselben Jahres ein Artikel in der Deutsch-Ostafrikanischen Zeitung, in dem sich der deutsche Farmer und Hotelinhaber Dr. Emil Förster mit dem Müllerschen Bericht auseinandersetzte. Auch Förster interpretierte den Vorstoß Müllers nicht nur als Klage über die Ansiedler, sondern stellte sie in den Rahmen allgemeiner kolonialpolitischer Überlegungen. Wie auch in früheren Beiträgen418 sah er eine gesunde Kolonialwirtschaft durch ein „[u]nbedingtes Einfügen in die großen wirtschaftlichen und sittlichen, das deutsche Volk erhaltene Ziele“ verwirklicht. Diesem Ziel müssten sich sowohl Ansiedler als
414 Emil Müller, Jahresbericht über die Mission in Deutsch-Ostafrika für das Jahr 1909, in: Einundneunzigster Jahresbericht der Evangelisch-lutherischen Mission zu Leipzig, umfassend den Zeitraumvom 1. Januar bis 31. Dezember 1909, Leipzig 1910, S. 73–103, 97 [Hervorhebung i. O., K. W.]. 415 Ueber schamlose Kinderausbeutung in Deutsch-Ostafrika, in: Vorwärts 27 (19.8.1910), S. 3. 416 Der Reichstagsabgeordnete Noske war zu Beginn der Weimarer Republik ein führender Sozialdemokrat. Er gehörte eher zum rechten bzw. nationalen Flügel der SPD. Im Kaiserreich avancierte er ab 1906 zu einem Experten für Kolonialthemen. Trotz der, auch in diesem Zitat zum Ausdruck kommenden generellen Ablehnung der Kolonien durch die SPD, war es gerade Noske, der für eine Neuorientierung der SPD gegenüber der Kolonialpolitik auf Grundlage des Faktischen stand. Siehe einführend zu Noskes Kolonialpolitik: Hans-Christoph Schröder, Gustav Noske und die Kolonialpolitik des deutschen Kaiserreichs, Berlin/Bonn 1979; Wolfram Wette, Gustav Noske. Eine politische Biographie, Düsseldorf 1987, 84–100. 417 Stenographische Berichte des der Verhandlungen des deutschen Reichstags. Rede des Abgeordneten Noske, Verhandlungen des Deutschen Reichstags, Bd. 265 (1911), 155. Sitzung, 23.3.1911, 5813, www.reichstagsprotkolle.de (zuletzt eingesehen: 10.11.18). 418 Förster, Arbeiterfrage.
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auch Mission, der er hier einen gewissen „Sonderidealismus“ vorwarf, unterordnen.419 Zwar leugnete Förster nicht den Wert der Missionen für die Erziehung der lokalen Bevölkerung, er betonte aber insbesondere die Bedeutung der Siedler, denen die „Mission“ eines wirtschaftlichen Lehrers zukäme.420 Im Übrigen entspräche die von Müller beschriebene Kinderarbeit nicht der Arbeit von Kindern in Fabriken, sondern der auch in der Heimat üblichen Arbeit von Kindern auf dem Land beziehungsweise in der Landwirtschaft. Diese Arbeit sei deswegen nicht „sittenverderbend“. Die Kinder würden nicht über die Arbeit stöhnen, sondern „schreiend und johlend“ zur Arbeit erscheinen.421 Im Januar 1911 sah sich schließlich Missionar Müller gezwungen, eine Gegendarstellung in derselben Zeitung zu veröffentlichen.422 Zwar wisse die Mission um die Nöte der Pflanzer und habe durchaus die „wirtschaftliche Entwicklung der Kolonie“ im Auge, die Frage der Kinderarbeit aber sei eine „Lebensfrage der Mission“ bzw. „(für Weitersehende)“ auch für die Kolonie im Ganzen.423 Müller sah die „Jugenderziehung“, die durchaus im Interesse der Kolonie liege, als Hauptaufgabe der Mission. Sobald nämlich Farmer oder die Kolonialbehörden „gern aus den Missionsschulen Hervorgegangene als Geschicktere oder Vertrauenspersonen an sich ziehen [würden, K. W.], so würden sie in Jahren mit einem gesünderen, weil in den Grenzen der kindlichen Kräfte und Bedürfnisse erzogenen und durch regelmäßigen Schulbesuch günstig beeinflußten Geschlecht viel besser arbeiten können. Der Schaden, der jetzt aus einem begreiflichen Drang, möglichst rasch voranzukommen, also um einer Augenblickswirkung willen, von einem verhältnismäßig engen Kreis den ganzen Landschaften zugefügt wird, wird sich in seiner ganzen Größe erst noch auswirken.“424
Das Argument, das Müller hier noch einmal verdeutlichte, war dasselbe, das die Missionen auch in der deutschen Öffentlichkeit zu Gehör brachten: Durch religiöse „Einwirkung“ und die damit einhergehende sittliche Verbesserung sowie durch Bildung würde auch die Arbeitsfähigkeit der lokalen Bevölkerung zunehmen. Ohne den religiösen Einfluss der Mission hingegen und ohne das Gegengewicht zu den kapitalistischen Bestrebungen der Siedler, denen sogar Atheismus unterstellt wurde,425 würde
419 Emil Th Förster, Ansiedler und Mission, in: Deutsch-Ostafrikanische Zeitung 12 (29.10.1910), S. 1–2, 1. 420 Ebd., 2. 421 Ebd. 422 Emil Müller, Kinderarbeit, in: Deutsch-Ostafrikanische Zeitung 13 (11.1.1911), S. 1–3. 423 Ebd., 2. 424 Ders , Kinderarbeit, in: Deutsch-Ostafrikanische Zeitung 13 (14.1.1911), S. 1–2, 2. 425 Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Mission die Frage nach der kirchlichen Betreuung der Ansiedler direkt mit dem Verhältnis der Ansiedler zur Mission in Beziehung setzte und deswegen eine „christliche Erziehung der heranwachsenden Kinder“ der Ansiedler befürwortete. Carl Paul an Friedrich Bodelschwingh, 16.12.1913, ALMW II.32.341a II.
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die lokale Bevölkerung verderben und schließlich unproduktiv werden.426 Nicht nur verdeutlichte Müller damit den Gegensatz religiös/sittlich/moralisch/fleißig vs. modern/säkular/antireligiös/verdorben, sondern er verknüpfte auch die Tätigkeit der Mission mit der Zukunft der Kolonie als eine wirtschaftlich erfolgreiche: Die Verbreitung des Christentums wurde hier als Schlüssel für eine vielversprechende Zukunft der Kolonie inszeniert, der letztlich auch für das Deutsche Kaiserreich, in dem ebenfalls nach ersten gesetzlichen Regelungen immer wieder über Kinderarbeit diskutiert wurde, Gültigkeit besitzen konnte.427 Dass es der Mission dabei letztlich um die Wahrung ihres Zugriffs auf die Kinder und nicht um eine generelle Verweigerung von Kinderarbeit ging, zeigt die Diskussion auf der Missionskonferenz der Chagga-Missionare im Oktober 1911, auf der intensiv über die Frage debattiert und auch Gutachten von zwei Missionaren eingeholt wurden. Die Mission kam schließlich – unter anderem auf Anraten des Missionars Müller – zu dem Schluss, dass sowohl der katholischen Mission als auch der Regierung der Vorschlag unterbreitet werden sollte, an einigen Tagen in der Woche die Arbeit von Kindern auf den Plantagen zu erlauben, um den „berechtigten Ansprüchen der Pflanzer“428 entgegenzukommen.429
426 Gründer verweist hier bereits auf die „Sozialutopie“ der Mission von einem festen christlichen Bauernstand, die die Mission in direktem Gegensatz zu den Siedlern gesetzt hatte: Gründer, Christliche Mission, 245. 427 Arbeitsverhältnisse von Kindern wurden im Kaiserreich seit 1903 in dem „Gesetz betreffend Kinderarbeit in gewerblichen Betrieben“ geregelt und 1911 und 1913 durch das „Hausarbeitsgesetz“ und das „Gesetz über die Tabakhausarbeit“ spezifiziert. Diese Gesetze regelten jedoch nur die Arbeit von Kindern in Gewerbebetrieben, ihre Tätigkeit in der Land- und Forstwirtschaft blieb von diesen gesetzlichen Bestimmungen unberührt. Siehe dazu Sigrid Dauks, Kinderarbeit in Deutschland im Spiegel der Presse (1890–1920), Berlin 2003, 21. 428 Protokoll der Chagga-Konferenz, Oktober 1911, Beilage 6a: Müller, Vorschläge zur Regelung der Kinderarbeit, 4, ALMW II.32.99. 429 Sie griffen damit einen Vorschlag wieder auf, den Althaus schon 1909 dem Bezirksamt unterbreitet hatte – auch mit dem Ziel, eine allgemeine Schulpflicht durchzusetzen. Gründer, Christliche Mission, 240–241. Dies war nicht zuletzt deswegen nötig, weil auch auf der Kautschuk-Plantage in Gonja, die von der Leipziger Mission unterhalten wurde, Kinder als Arbeiter eingesetzt wurden. Missionsrat an Kollegium, 18.2.1911, ELCT IX; Missionsrat an Kollegium 28.8.1911, ELCT IX. In dem Schreiben wies der Missionsrat darauf hin, dass er sich dafür eingesetzt habe, dass auf der Plantage die Essens- und Ruhepause für Kinder unter zehn Jahren von nur einer Stunde verlängert würde, und dass auch auf der Missionspflanzung die Geschlechter zukünftig getrennt arbeiteten. Der Missionsrat unterrichtete das Kollegium am 30.8.1911, ELCT IX, in Leipzig über eine Unterredung mit der Kolonialverwaltung, nachdem in der Kolonie plötzlich ein Arbeitszwang eingeführt wurde, der auch die Missionsschüler und -arbeiter nicht verschonte. Das Schreiben trägt den Zusatz „diskret zu behandeln“.
2.3 Der Islam als „andere Weltreligion“
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2.3 Der Islam als „andere Weltreligion“ Im Jahr 1913 erschien eine kleine, aber dennoch bedeutende Mitteilung im Missionsblatt der Leipziger Missionsgesellschaft: Die Deutsche Kolonialgesellschaft hatte am 3. Juni 1913 in Breslau eine Resolution verabschiedet, die maßgeblich auf das Drängen von Missionsseite zurückgeführt und deshalb als Erfolg verbucht wurde: „Der Vorstand sieht in der fortschreitenden Islamisierung Ostafrikas eine ernste politische und kulturelle Gefahr, der entgegengetreten werden muß.“430 Die Deutsche Kolonialgesellschaft hatte sich damit einer Thematik und einer Position zugewandt, die bereits zwanzig Jahre zuvor vehement von Missionsvertretern fast aller in Afrika engagierten Missionsgesellschaften vertreten worden war. Die missionarischen Debatten um den Islam bildeten einen Teil im Islamdiskurs des Deutschen Kaiserreichs, der in den letzten Jahren von der Forschung einige Aufmerksamkeit erfahren hat.431 Missionare und Missionsgesellschaften, Kolonialpolitiker und Wissenschaftler der sich zeitgleich konstituierenden Islam- und Orientwissenschaften rangen im ausgehenden 19. Jahrhundert um die Rolle und Bedeutung des Islam für die Entwicklung der afrikanischen Kolonien.432 Während Islam- und Orientwissenschaftler von einer Erforschung altislamischer Texte ausgehend auf die Kulturbedeutung des Islam hinwiesen, nahmen die Vertreter der Missionen eine gänzlich andere Perspektive ein und beschworen, „dass in dem Islam der Kulturentwicklung unserer Kolonien eine Gefahr“ drohe.433 Die Leipziger Missionare schlossen sich dieser Argumentation an und rückten den Islam als Konsequenz immer stärker in die Nähe des Heidentums.
430 Die Gefahr der Islamisierung Ostafrikas, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt 1913, 358. 431 Siehe dazu: Sebastian Gottschalk, Kolonialismus und Islam. Deutsche und britische Herrschaft in Westafrika (1900–1914), Frankfurt a. M. / New York 2017; Rebekka Habermas, Debates on Islam in Imperial Germany, in: David Motadel (Hg.), Islam and the European Empires, Oxford 2014, S. 233–255. Siehe außerdem Markus Dressler, Writing Religion. The Making of Turkish Alevi Islam, Oxford 2013. Peel, Religious Encounter. Julia Hauser, Mind the Gap! Raum, Geschlecht und die Zirkulation von Wissen in der Mission am Beispiel der Kaiserswerther Diakonissen in Beirut, in: Richard Hölzl / Rebekka Habermas (Hg.), Mission Global. Eine Verflechtungsgeschichte seit dem 19. Jahrhundert, Köln/Weimar/Wien 2014, S. 137–157. 432 Marchand, German Orientalism; Sabine Mangold-Will, Eine „weltbürgerliche Wissenschaft“. Die deutsche Orientalistik im 19. Jahrhundert, Stuttgart 2004, zur Orientliteratur auch Nina Berman, Orientalismus, Kolonialismus und Moderne. Zum Bild des Orients in der deutschsprachigen Kultur um 1900, Stuttgart/Weimar 1997, und Andrea Polaschegg, Der andere Orientalismus. Regeln deutsch-morgenländischer Imagination im 19. Jahrhundert, Berlin 2005. Eine differenzierte Analyse der verschiedenen Islambilder in den deutschen und britischen Orientwissenschaften liefert Gottschalk, Kolonialismus und Islam, 41–49. 433 Julius Richter, Der Islam eine Gefahr für unsere afrikanischen Kolonien, in: Redaktionsausschuss (Hg.), Verhandlungen des Deutschen Kolonialkongresses 1905 zu Berlin am 5., 6. und 7. Oktober 1905, Berlin 1906, S. 510–527, 510.
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2 Grenzziehungen des Religiösen
2.3.1 Die Gefahr der „Islamisierung Ostafrikas“ als Topos Bereits 1894 hatte der einflussreiche Berliner Missionar Alexander Merensky in einem Aufsatz in der Allgemeinen Missionszeitschrift die Geschichte der Einflussnahme des Islam in Afrika und die sich daraus ergebende Dringlichkeit für die christliche Mission geschildert: „Um Afrika ist zwischen dem Mohammedanismus und dem Christentum ein Kampf entbrannt vom Nil bis zum Senegal, vom Kongo bis zur Ostküste, der von der höchsten weltgeschichtlichen Bedeutung ist.“434 Merenskys Artikel ist beispielhaft für die von Missionsvertretern bemühte Rhetorik, wenn es um den Islam in Afrika ging. Zwischen 1890 und dem Ersten Weltkrieg erschienen regelmäßig, mit einer Häufung ab 1910, Artikel über die „Gefahr der Islamisierung Afrikas“, die mit Kampfmetaphern gespickt die Dringlichkeit des Eingreifens beschworen.435 Der Bericht der Kommission I auf der Edinburgher Missionskonferenz stellte deswegen fest: „Throughout the colony the situation is critical. […] Already one-sixth of the population is said to be Mohammedan, and wherever the Swaheli from the coast go as artisans or in the military or civil service of the Government, they are the bearers of Islamic influence. The same influences are borne also by traders along the caravan routes; and, as the railway from Dar-es-Salaam is extended towards the southern end of Lake Nyanza, it will more and more introduce into the country the influences of modern civilization as well as of Islam and make the situation still more difficult.“436
Der Islam erschien in diesen Beiträgen als der „allerschlimmste Feind“437 des Christentums, als „Erbfeind“438, der in Afrika von mindestens zwei „Fronten“ angreife und zusätzlich von den infrastrukturellen Verbesserungen im Zuge der kolonialen Durchdringung des Kontinents profitiere.439 Die Zurückdrängung des türkischen Reiches in Europa, Asien und Nordafrika im 19. Jahrhundert habe, so die Analyse der Missions434 Alexander Merensky, Mohammedanismus und Christentum im Kampfe um die Negerländer Afrikas, in: Allgemeine Missionszeitschrift 21 (1894), S. 145–162. 435 Ebenfalls ab 1910 stellt Gottschalk, Kolonialismus und Islam, 265, eine Häufung der missionarischen Kritik fest, der dies mit einer Phase der öffentlichen Kritik an der Kolonialpolitik der Reichsregierung und kolonialen Reformen korreliert sieht. 436 World Missionary Conference. Report of Commision I. Carrying the Gospel to all the Non-Christian World, Edinburgh/London 1910, 234. Missionar Faßmann wird in diesem Bericht als „Correspondent“ aufgeführt. Ebd., 385. 437 August W Schreiber, Die gegenwärtige Lage des Islam, in: Allgemeine Missionszeitschrift 18 (1891), S. 545–559, 556. Teilweise hieß es sogar, dass der Islam „the only faith which deserves to be called a rival to Christanity for the supremacy of the world“ sei. Indian Evangelical Review (1901), 333, zit. nach Armin Owzar, The Image of Islam in German Missionary Periodicals, 1870–1930. A ‚Green Peril‘ in Africa?, in: Felicity Jensz / Hanna Acke (Hg.), Missions and Media. The Politics of Missionary Periodicals in the Long Nineteenth Century, Stuttgart 2013, S. 113–151, 134. 438 Merensky, Mohammedanismus, 145. 439 Würz, Die Ausbreitung des Islam in Afrika, in: Allgemeine Missionszeitschrift 37 (1910), S. 16–30, 74–82.
2.3 Der Islam als „andere Weltreligion“
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vertreter, den Islam in eine Zwangslage gebracht;440 diese führe nun dazu, dass der Islam sich gerade mit den letzten „Lebenskräften“ aufäume und wieder aktiver werde, sodass die Gefahr einer „Islamisierung Ostafrikas“ steige, und stärke außerdem den „Panislamismus“, der letztlich zu Aufständen gegenüber den europäischen Kolonialmächten durch die muslimische Bevölkerung führen müsse.441 Die Kampfesrhetorik und die sich aus den Beiträgen zum Islam ergebende Dringlichkeit, gegen diesen vorzugehen, wurden auch von der Leipziger Missionsgesellschaft übernommen. Im Leipziger Missionsblatt erschienen einige Artikel, die sich der Thematik näherten. Johannes Raum, der Leiter der Station Moshi, veröffentlichte beispielsweise einen Beitrag, in dem er die „mohammedanische Gefahr in Deutsch Ostafrika“ beschwor und Afrika als „eines der Hauptschlachtfelder in dem großen Entscheidungskampf zwischen Kreuz und Halbmond“ bezeichnete.442 Bruno Gutmann bezeichnete den Islam neben der europäischen Zivilisation als einen der Hauptgegner, die einem Erfolg der Mission im Wege stünden.443 Der 1910 ins Amt berufene Direktor Carl Paul hatte sich bereits früh als Missionsschriftsteller bewährt. Insbesondere war er mit einer Rundschau über die Missionsgebiete der Erde und programmatischen Schriften zum Verhältnis von Mission und Kolonialismus hervorgetreten. Ab 1912 interessierte sich Paul zunehmend für den Islam444 und wirkte als Mitglied der Gesellschaft für Islamkunde.445 1913 hatte er an einer Konferenz für „Mohammedanermission“ in Bethel teilgenommen, auf der eine planmäßigere Mission unter den Anhängern des Islam angestrebt wurde. Neben einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Islam, für die explizit auf Universitäten und die Sächsische Missionskonferenz verwiesen wurde, galt es vor allem, auch in der Heimat Werbung für die Mission unter Muslimen zu machen. Dies sollte vor allem durch geeignete Publikationen erfolgen. Als problematisch hatte sich nämlich erwiesen, dass das in der „Heidenmission“ sonst übliche Motiv des Mitleids für die Mission in islamischen Gebieten nicht passend sei. „Es ist daher notwendig, bei der
440 Schreiber, Gegenwärtige Lage, 546–548, und Karl Axenfeld, Was sind wir der Welt des Islam in ihrer gegenwärtigen Lage schuldig?, in: Allgemeine Missionszeitschrift 41 (1914), S. 193–204, 241–254, 195. 441 Owzar, Image of Islam, 144, erklärt, dass diese politische Argumentationsweise aufgegriffen wurde, nachdem religiöse oder ethische Argumente die deutsche Kolonialregierung nicht von der Gefahr des Islams hatten überzeugen können. 442 Johannes Raum, Die mohammedanische Gefahr in Deutsch-Ostafrika, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt 65 (1910), S. 358–365, 365. 443 Bruno Gutmann, Die gegenwärtige Lage der Dschaggamission, in: Jahrbuch der Sächsischen Missionskonferenz 25 (1912), S. 49–67, 63. 444 Carl Paul, Die Welt des Islam als Missionsproblem, in: Lutherisches Missionsjahrbuch (1923), S. 6–14. 445 Korrespondenz über Islam in Afrika, 1910–1915, ALMW II.32.70.
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Werbetätigkeit für die Mohammedaner-Mission das Motiv des Gehorsams gegen den Willen des Herrn und das christliche Heilsmotiv […] zu betonen.“446 Entsprechend seines Engagements in der Heimat initiierte Paul 1912 für seine Forschungen eine Umfrage unter den Leipziger Missionaren am Kilimandscharo, in der er Gutachten zu der Frage in Auftrag gab, wie muslimische „Propaganda“ im Gebiet der Chagga betrieben werde. Die Antworten der Missionare waren jedoch ernüchternd: Keine der überlieferten Stellungnahmen berichtet von einer regelmäßigen Propaganda. Missionar Thiele ging sogar so weit, zu schreiben, dass zwar über den Islam schon viel, seiner Meinung nach sogar zu viel, geschrieben worden sei, die Schilderungen aber nicht zu seinen Erlebnissen passten: „Wir im Westen des Kilimandscharos haben jedenfalls noch nicht viel von dem Islam u. seiner Propaganda gehört“.447 Wenn es Propaganda gebe, dann sei diese nur sehr unregelmäßig und ginge dann von einigen „Suahelijungen“ aus; am Ort ansässige muslimische Inder betrieben keinerlei Propaganda.448 Tatsächlich lassen die Berichte der Missionare über den gesamten Zeitraum darauf schließen, dass die „Gefahr einer Islamisierung“ am Kilimandscharo in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg gering war beziehungsweise nicht bestand.449 Dass diese Gefahr dennoch in den Publikationen der Leipziger Missionsgesellschaft und der anderen Missionen und Missionswissenschaftler so vehement beschworen wurde, stand in direktem Zusammenhang mit der Frage nach dem Verhältnis von Mission und Kolonialherrschaft.450 Insbesondere in den früheren Jahren der Machtergreifung schien es den Missionsvertretern, als ob die deutschen Kolonialherren das Christentum bewusst zugunsten des Islam zurückstellten.451 Aikiden und Askaris waren fast ausnahmslos Muslime. Insbesondere die Versuche, eine religionslose Regierungsschule in Ostafrika ein446 447 448 449
Konferenz für Mohammedanermission in Bethel, 6, ALMW II.10.1.1. Martin Thiele, Masama, 8.5.1912, Stellungnahme zur Propaganda des Islam, ALMW II.32.70. Andreas Schöne, Mamba, 24.4.1912, Stellungnahme zur Propaganda des Islam, ALMW II.32.70. Munson, Nature of Christianity, 98. Interessanterweise wurde die Frage nach der Gefahr, die vom Islam ausginge, auch nach dem Ersten Weltkrieg für das Missionsgebiet erneut diskutiert und sogar in Erwägung gezogen, einen „besonderen Islammissionar“ einzustellen. Offenbar waren inzwischen einige Muslime in die im Missionsgebiet liegende Steppe gezogen. Moritzen (Hg.), Rückblicke, 70. 450 Siehe dazu auch Owzar, Image of Islam, der aufzeigt, dass die Heraufeschwörung der „Gefahr“ des Islam auch dazu genutzt wurde, Forderungen nach einer Bevorzugung des Christentums von der deutschen Kolonialverwaltung zu fordern (S. 141). Die Perspektive der Missionsgesellschaften vor dem Hintergrund kolonialpolitischer Anliegen analysiert auch Gottschalk, Kolonialismus und Islam, 262–266. 451 Richter bspw. wandte sich auf dem Kolonialkongress 1905 gegen eine „Islamisierung unserer Polizei- und Schutztruppe“. Richter, Islam, 521. Armin Owzar, Das Deutsche Reich – offizieller „Träger der mohammedanischen Kultur“? Katholische, protestantische und staatliche Schulpolitik in Deutsch-Ostafrika, in: Tobias Sarx u. a. (Hg.), Protestantismus und Gesellschaft. Beiträge zur Geschichte von Kirche und Diakonie im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart 2013, S. 353–365, spricht sogar davon, dass das Erkennen dieser „Gefahr“ zu einer überkonfessionellen Zusammenarbeit in Deutsch-Ost-Afrika geführt habe (S. 358 und passim).
2.3 Der Islam als „andere Weltreligion“
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zuführen,452 wurden von den Missionsvertretern als Eingriff in ihre Angelegenheiten gewertet.453 Dies ist auch ein Grund, warum der Beschluss der Kolonialgesellschaft, also des einflussreichsten Interessensverbands in Kolonialangelegenheiten,454 sich gegen den Islam auszusprechen, so freudig begrüßt wurde.455 Missionsvertreter hatten schon früh vor dem sogenannten „Panislamismus“ gewarnt, der einen Zusammenschluss aller Muslime gegen die koloniale Herrschaft in den Kolonialgebieten befürchten lasse.456 Nicht selten wurden die antikolonialen Erhebungen auf einen gefährlichen und gewaltbereiten Islam zurückgeführt: „Der Islam kennt nur zwei Welten, die Welt seines Glaubens und die Welt des Krieges.“457 Durch die politische Lage – der Islam stelle immer eine politische Macht dar, so der zeitgenössische Konsens – verschärfe sich die Gefahr für die europäischen Mächte immer mehr, analysierte beispielhaft August Schreiber in der Allgemeinen Missionszeitschrift: „Seitdem ist für jeden, der nun sehen will, zweierlei unzweifelhaft klar geworden: erstlich, daß der Islam unter den von Christen unterworfenenen Völkern ein gefährliches Band der Gemeinschaft bildet vermittelst des gemeinsames Hasses gegen die Ungläubigen, die man in tieffster Seele verachtet, wenn man sich auch vor ihrer äußeren Überlegenheit beugen muß; und zum zweiten, daß es ein völlig vergebliches Unternehmen ist, wenn man meint, durch weitgehende Toleranz gegen den Islam sowie durch reiche Spenden für seine Tempel und andere religiöse Einrichtungen den Dank und die Anhänglichkeit der Moslim erwerben zu können. Im Gegenteil, bei diesen Leuten, für welche Toleranz ein gänzlich unverständlicher Begriff ist, erzeugt man dadurch neben dem Haß nur auch noch die Verachtung.“458
Auch auf dem Kolonialkongress 1910 war der Islam das beherrschende Thema der Debatte. Nicht nur widmeten sich drei Vorträge in der Sektion IV, die sich mit „religiösen und kulturellen Verhältnissen der Kolonien“ beschäftigte, explizit dem Islam. Auch in den anderen Beiträgen wurde immer wieder auf die „Gefahr des Islam“ hingewiesen. Der Vortrag etwa zum „Problem der Negerseele“ von Julius Richter oder die Diskus-
452 Raum, Mohemmedanische Gefahr, 363. 453 Siehe dazu auch Kap. 2.2.2 dieser Studie. 454 Zur deutschen Kolonialgesellschaft als Lobbyverband siehe Imre Josef Demhardt, Deutsche Kolonialgesellschaft 1888–1918. Ein Beitrag zur Organisationsgeschichte der deutschen Kolonialbewegung, Wiesbaden 2002. 455 Paul, Die Mission Trag- und Triebkraft, 228. 456 Vgl. dazu Michael Pesek, Kreuz oder Halbmond. Die deutsche Kolonialpolitik zwischen Pragmatismus und Paranoia in Deutsch-Ostafrika, 1908–1914, in: Ulrich van der Heyden / Jürgen Becher (Hg.), Mission und Gewalt. Der Umgang christlicher Missionen mit Gewalt und die Ausbreitung des Christentums in Afrika und Asien in der Zeit von 1792 bis 1918/19, Stuttgart 2000, S. 97–112. Habermas, Debates on Islam, 249; Gottschalk, Kolonialismus und Islam, 19. 457 Merensky, Mohammedanismus, 161. 458 Schreiber, Gegenwärtige Lage, 552.
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sion über die Eingeborenenerziehung kamen auf das „Vordringen des Islam“, des „gefährlichsten Rivalen der europäischen Kolonisation“ überhaupt, zu sprechen.459 Die Missionare vertraten ein Bild, das den Islam als eine fanatische, hasserfüllte und unbeugsame Religion erschienen ließ. Das hier als Teile des Orientalismus460 vorgenommene „Othering“ diente aber gleichzeitig dazu, die eigene Identität zu festigen und das Christentum461 als Gegensatz zu deklarieren. Die Missionsvertreter stießen dabei zunächst an ihre Grenzen: Der Islam wurde als „Weltreligion“ anerkannt, als monotheistische Offenbarungsreligion stand er in den zeitgenössischen Hierarchiemodellen von Religion deutlich über den „heidnischen Anschauungen“, denen die Missionare ansonsten zu begegnen hatten. Ähnlichkeiten zum Christentum wurden sogar von Theologen anerkannt, die an der Superiorität des Christentums als absoluter Religion keinen Zweifel hatten; so bezeichnete ihn Martin Kähler als „verkapseltes Christentum“462, freilich nicht ohne zu bemerken, dass er in seiner Propaganda nicht so erfolgreich sei wie das Christentum. Die von Gelehrten und in großbürgerlichen Kreisen geführten Debatten um die positiven Aspekte des Islam unterstrichen die Anerkennung des Islam noch einmal und wurden in Missionskreisen als Teil von „modernen theologischen Strömungen“ gesehen, die einen unitarischen Zug verfolgten und „auf die Absolutheit des Christentums zugunsten eines vagen Relativismus“ verzichteten.463 Die Berichte über den Islam in Ostafrika und die Gefahr, die von ihm ausginge, beinhalteten, neben der offensichtlichen und zumeist offensiven Kampfesrhetorik, auch Debatten um den Islam als Religion. Eine Analyse dieser Debatten untermauert nicht nur den bereits herausgearbeiteten Religionsbegriff, sie leitet auch zu Definitionen des Christentums über.
459 Julius Richter, Das Problem der Negerseele und die sich daraus für die Emporentwicklung des Negers ergebenden Folgerungen, in: Redaktionsausschuss (Hg.), Verhandlungen des Deutschen Kolonialkongresses 1910 zu Berlin am 6., 7. und 8. Oktober 1910, Berlin 1910, S. 609–628, 616. Redaktionsausschuss (Hg.), Verhandlungen des Deutschen Kolonialkongresses 1910 zu Berlin am 6., 7. und 8. Oktober 1910, Berlin 1910, 705 (Redebeitrag Gensichen). In seiner Habilitationsschrift beschwor Richter sogar das Streben des Islam nach der „Weltherrschaft“. Richter, Weltmission und theologische Arbeit, 15. 460 Siehe dazu Edward W Said, Orientalism, New York 1978; zum deutschen „Orientalismus“ auch Roman Loimeier, Edward Said und der deutschsprachige Orientalismus. Eine kritische Würdigung, in: Stichproben. Wiener Zeitschrift für kritische Afrikastudien 1 (2001), S. 63–85; Sara Friedrichsmeyer, The Imperialist Imagination. German Colonialism and its Legacy, Ann Arbor, Mich. 1998; Marchand, German Orientalism. 461 Über den Islam wurde zeitweilig sogar ein Schulterschluss der katholischen und protestantischen Missionen erreicht. Owzar, Image of Islam, 149. 462 Martin Kähler, Dogmatische Zeitfragen. Bd. 2: Angewandte Dogmen. 2. Aufl., Leipzig 1908, 352. 463 Gottfried Simon, Der islamische Gottesbegriff und die christliche Trinität, in: Allgemeine Missionszeitschrift 39 (1912), S. 433–446, 481–489, 434.
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2.3.2 Der Islam als Variante des „Heidentums“ Besonders einflussreich für die Wahrnehmung des Islam durch protestantische Missionsvertreter waren die Arbeiten des in Niederländisch-Indien arbeiteten Missionars Gottfried Simon.464 Simon wirkte in der „Mohammedanermission“, die mit der Jahrhundertwende mehr und mehr in den Fokus der sich zunächst auf die Bekehrung von „Heiden“ konzentrierenden Missionsbewegung rückte. In verschiedenen Artikeln in der Allgemeinen Missionszeitschrift, in internationalen Journals465 und in eigenständigen, in mehrfachen Auflagen erscheinenden Monographien entwarf Simon ein Bild vom Islam, das in den Grundzügen das Bild vom Islam in der Missionsbewegung manifestierte. Die Arbeiten Simons wurden dementsprechend im evangelisch-lutherischen Missionsblatt besprochen und seine Bücher waren auch im Missionsgebiet am Kilimandscharo vorhanden.466 Obwohl Simon in Niederländisch-Indien arbeitete, wurden seine Schilderungen auch für den Islam in (Ost-)Afrika übernommen. Dieser Islam noir467 unterscheide sich – so Simons Prämisse – von einer reineren Version des Islam, wie er in alten Schriften überliefert und in Arabien praktiziert werde, sei aber auch schlagkräftiger als dieser, weil die „Propaganda die eigentliche Stärke des Islam“ sei.468 Simons Hauptthese war, dass der Islam deswegen so schnell vordringe, weil er sich mit dem „Heidentum“ vermische. Der Islam sei in seinem Monotheismus nicht konsequent, sodass er genug Platz für den „Geisterdienst“ lasse. Die „Propheten, die Ahnen des heiligen Moslemvolks“, würden in der Propaganda eines muslimischen Wanderpredigers mit den „Geistern“ gleichgesetzt, sodass „unmerklich […] die alte religiöse Vorstellung in die neue“ hinübergleite.469 Der islamische Heiligen- und Prophetenkult sei „nichts anderes als ein verkappter Polytheismus“.470 Zwar bringe der Islam den
464 Ders , Islam und Christentum im Kampf um die Eroberung der animistischen Heidenwelt. Beobachtungen aus der Mohammedanermission in Niederländisch-Indien, Berlin 1910; Ders , Die Propaganda des Halbmondes. Ein Beitrag zur Skizzierung des Islam unter den Batakken, in: Allgemeine Missionszeitschrift 27 (1900), S. 417–430; Ders , Die Polemik des Islam gegenüber dem Christentum, in: Allgemeine Missionszeitschrift 40 (1913), S. 385–399; Ders , Die dem Mohammedanismus gegenüber durch die gegenwärtige Lage der Christenheit gestellten Aufgaben, in: Allgemeine Missionszeitschrift 37 (1910), S. 153–163, 219–233; Ders , Islamische Gottesbegriff, waren nur einige der Titel, die im Missionsgebiet vorhanden waren. Deshalb soll sich hier auf diese Schriften konzentriert werden. 465 Owzar, Image of Islam, 147. 466 Bücherbesprechung: Gottfried Simon, Islam und Christentum, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt 69 (1914), S. 239–240; Bücher von Missionaren, 1919, ELCT III, verzeichnet Simon, Islam, als ein Buch, das im Missionsgebiet vorhanden war. 467 Für einen Überblick siehe David Motadel, Islam and the European Empires, in: Historical Journal 55 (2012), S. 831–856, 852–856. Zur Entstehung des Konzeptes der französischen politique musulmane siehe Gottschalk, Kolonialismus und Islam, 260–261. 468 Simon, Islam, III. 469 Simon, Aufgaben, 159. 470 Ebd., 229.
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Glauben an einen Gott,471 er baue aber auch hier hauptsächlich auf Gottesvorstellungen auf, die vorhanden und nur verschüttet seien; die Gottesvorstellungen vermischten sich – begünstigt durch den im Islam verbreiteten Fatalismus.472 Die im Islam weitverbreiteten Amulette mit Koranversen seien nichts anderes als „die alten Talismane“473: „Ja, der landläufige Islam hat die Zauberei förmlich in sein System aufgenommen“; lediglich die Begrifflichkeiten seien nun arabische.474 Keineswegs werde nämlich die muslimische Lehre im Ganzen erfasst, man werte den Koran als „Zauberbuch“. „Nicht die Worte, die unverständlichen, arabischen, interessieren, sondern der Einband.“475 Während nun die Glaubenslehre des Islam in Afrika gänzlich unvollständig und in Auflösung begriffen sei, gelte dies Simons Einschätzung nach auch für die Glaubenspraktik. In Ostafrika kenne man nur den ersten Teil des Glaubensbekenntnisses. Manche Vorschriften, wie das Verbot des Genusses von Schweinefleisch oder die Waschungen, seien zwar in Afrika bekannt und würden durchgesetzt, der Sinn der Gebete oder die Bedeutung von Worten aber sei völlig unklar, was auch daran liege, dass die islamischen Lehrer in Afrika ebenfalls die arabische Sprache nur selten und wenn, dann nur rudimentär, beherrschten.476 Die Pilgerreise nach Mekka werde von nur sehr wenigen angetreten und auch das Fasten sei nicht verbreitet. Eine „sittliche Erziehung“ sei durch den Islam ebenfalls nicht geglückt, sodass insbesondere die vom Islam erlaubte Polygamie auf den Widerwillen der Missionare stieß.477 Der lutherische Missionar Martin Klamroth, der an der Küste Ostafrikas stationiert war, beschrieb einen moralischen Tiefstand der islamisierten Küstenbevölkerung.478 Sklavenhandel und Ausbeutung gingen von den „Arabern“ aus,479 kurz: „Der Islam erzieht den Neger zur Lüge, zur Heuchelei, zur Grausamkeit, zu einer unersätt-
471 Zum islamischen Gottesbegriff in der christlichen Polemik, siehe Ders , Islamische Gottesbegriff. Im Gottesglauben steckten die ganzen religiösen Kräfte des Islam. Ebd., S. 438. 472 Ders , Aufgaben, 159. 473 Ders , Propaganda, 422. 474 Ebd., 424. 475 Ders , Aufgaben, 159. Ähnlich auch Julius Richter auf dem Kolonialkongress: „So sind die Suaheli islamisiert, wenn auch ihr Islam ebenso wie ihre übrige arabische Kultur nur ein dünner Firnis ist, mit dem nicht nur der ungebrochene afrikanische Aberglaube, sondern eine besonders grosse Sittenlosigkeit zugedeckt werden.“ Richter, Islam, 513. 476 Martin Klamroth, Ostafrikanischer Islam, in: Allgemeine Missionszeitschrift 37 (1910), S. 477–493, 536–546, 489. 477 Merensky, Mohammedanismus, 160. Merensky machte die „Vielweiberei“ dafür verantwortlich, dass afrikanische Männer behaglich leben könnten und nicht lernen wollten, „die ihnen von Gott gegebenen Kräfte weiter zu entwickeln.“ Der Islam stünde deswegen auch einer „Erziehung zur Arbeit“ im Wege. Von Hasu wird die Duldung von Polygamie im Islam als „focal point“ der Missionare bezeichnet, der wesentlich die Angst vor dem Ausgreifen des Islam schürte. Hasu, Desire and Death, 157. 478 Klamroth, Ostafrikanischer Islam, 492. Zu Klamroth siehe Fiedler, Christentum und afrikanische Kultur. 479 Richter, Islam, 519.
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lichen Ausbeutungs- und Ausrottungslust Andersgläubigen gegenüber.“480 Der Islam habe die ihm zugeschriebene erzieherische Wirkung nicht erfüllen können, der „Heide“ bliebe im Wesentlichen „Heide“.481 All diese Argumente dienten letztlich dazu, die Stellung des Islam als Weltreligion infrage zu stellen: Durch die Kampfesrhetorik betonte man zunächst den politischen Charakter des Islam; der Islam würde zum Machtfaktor und unterscheide sich bereits dadurch von der christlichen Religion. Zweitens sei er zwar eine Offenbarungsreligion und verfüge über große Ähnlichkeiten und Anknüpfungspunkte zum Christentum; weil die Glaubenslehre in den neuzugewonnen islamischen Gebieten aber so stark vom „Heidentum“ durchdrungen sei, könne man sie von diesem kaum unterscheiden. Der Islam sei in diesen Gebieten keine eigenständige Religion, sondern „ein Mischgebilde aus arabischem Heidentum, Judentum und Christentum“, das nun noch durch die Einflüsse des afrikanischen Heidentums zersetzt werde.482 Dass Glaubenspraktiken und sittlicher Zustand der Gemeinden ebenfalls auf keine höhere Religion schließen ließen beziehungsweise kaum beachtet oder verbessert werden würden, trug ihr Übriges dazu bei, den Islam als Religion insgesamt abzuwerten. „Der Mohammedanismus, der auf diese Weise verbreitet werden kann, ist also ein so abgeblaßter, daß er kaum den Namen einer Religion verdient. Es sind lediglich äußere Dinge, aus denen er besteht: einige Formeln, Satzungen und Bräuche, neben dem allerlei heidnischer Aberglauben sehr gut bestehen kann.“483
Die Frage nach der Stellung des Islam im Gefüge der Religion stand dabei auch im Kontext mit den zeitgleich geführten Debatten um die Stellung des Christentums als absolute Religion. Wie bereits angeführt, finden sich in den Beiträgen zum Islam immer wieder Hinweise auf die Nähe von Islam und moderner christlicher Theologie. Besonders auffällig ist aber auch die Nähe, die zwischen Katholizismus und Islam konstruiert wird. Die Pilgerreise nach Mekka wurde als „Wallfahrt“ bezeichnet und Martin Klamroth beschrieb, wie „der Mohammedaner“ häufig mit einem Rosenkranz betete: „Auch den Rosenkranz findet man vielfach. Die 99 Holzperlen desselben sind durch größere in 3 Abschnitte geteilt. Bei jeder Perle wird, soweit ich bisher hörte, nur ‚Bismillah‘ gesprochen, bei den größeren Stücken ‚Astasurula‘. Die einen verstehen unter diesem eine Verfluchung des Teufels, unter jenem eine Ehrung Gottes, die anderen umgekehrt sehen in jenem den Zauber gegen den Teufel und in diesem die Unterwerfung unter Gott.“484
480 481 482 483 484
Merensky, Mohammedanismus, 160. Bücherbesprechung: Gottfried Simon, Islam und Christentum, 239. Axenfeld, Islam, 251. Raum, Mohemmedanische Gefahr, 364. Klamroth, Ostafrikanischer Islam, 487.
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Zusätzlich wurde eine Nähe zum Katholizismus durch das Reden vom Islam als einer politischen Macht suggeriert. Ebenso wie sich die Reformation gegen das Papsttum als politische Macht gewandt habe, müsse nun auch die evangelische Christenheit die muslimische Gefahr zurückdrängen. Merensky und andere betonten, dass nur die evangelische Kirche in der Lage sei, dem Ausgreifen des Islam die Stirn zu bieten. Der Katholizismus würde von den Muslimen nicht als ernstzunehmender Gegner betrachtet und könne, wie ja auch das Ausgreifen des Islam in den Gebieten der katholischen Missionen und den von katholischen Kolonialmächten besetzten Gebieten wie zum Beispiel Algerien zeige, dem Islam nichts entgegensetzen.485 Debatten um den Islam leisteten also zweierlei: Sie betonten erstens die Wichtigkeit und Relevanz des christlichen missionarischen Projekts. Die Mission in Ostafrika ebenso die Mission unter den Muslimen selbst leiste einen wichtigen Beitrag gegen eine Islamisierung und die damit, durch die entsprechende Rhetorik heraufeschworene Gefahr. Zweitens wurde der Islam aber nicht nur als gefährlich eingestuft: Indem ihn Autoren, wie Simon, immer wieder mit dem „heidnischen Aberglauben“ in Verbindung brachten, werteten sie den Islam ab und unterstrichen die Absolutheit des protestantischen (!) Christentums.
485 Merensky, Mohammedanismus, 157.
3 Religiöses Wissen in der Mission Predigt, Unterricht und Bibel Grenzziehungen zwischen dem Religiösen und Säkularen standen in einem engen Zusammenhang mit Definitionen, Zuschreibungen und Aushandlungen des Christentums selbst. Vor den Herausforderungen der Moderne, dem zeitgenössischen Gefühl eines Relevanzverlusts von Kirche und vor dem Hintergrund zahlloser öffentlich geführter Debatten um theologische Positionen, ja um die Wahrhaftigkeit und Auslegung des biblischen Texts selbst, galt es, nicht nur zu bestimmen, was Religion im Allgemeinen ausmache, sondern auch „das Wesen des Christentums“1 zu bestimmen. Die von Adolf von Harnack gehaltenen Vorlesungen zu dem Thema, die mit mehr als 7000 verkauften Exemplaren schnell zum bildungsbürgerlichen Kassenschlager avancierten, waren genau deswegen so erfolgreich, weil sie den Zeitgeist einer am Ende des 19. Jahrhunderts in religiösen Fragen zunehmend verunsicherten Öffentlichkeit trafen. Doch nicht nur die von Albrecht Ritschl beeinflussten Theologen suchten das „Wesen des Christentums“ zu bestimmen.2 Als ein wesentlicher Aspekt der Konzeption von Missionswissenschaft, der nicht zuletzt seinen Niederschlag in der missionarischen Berufsausbildung fand, galt die Fähigkeit von Missionaren, das „Wesentliche“ am Christentum zu erkennen und weiterzugeben. Der Mission wurde zugeschrieben, „einen sehr wertvollen Beitrag zu der heut viel umstrittenen Frage“ zu leisten, „was in Wirklichkeit das Wesen des Christentums ist.“3 Gustav Warneck stellte beispielsweise zu dieser Frage fest: „was bekehrend und belebend wirkt, das ist die Botschaft von der Erlösung im weitesten Umfange, von der Erlösung von der Dämonenfrucht ab bis zur Erlösung von Sündenschuld und Sündenknechtschaft, im Zusammenhange mit der Gottes- und Christusverkündigung.“ 1 2 3
Adolf von Harnack, Das Wesen des Christentums. Neuauflage zum fünfzigsten Jahrestag des ersten Erscheinens mit einem Geleitwort von Rudolf Bultmann, Stuttgart 1950 (1900). Zu Harnacks Bestimmungsversuch und der zeitgenössischen Suche nach dem ‚Wesen des Christentums‘, u. a. bei Reinhold Seeberg siehe Michael Basse, Die dogmengeschichtlichen Konzeptionen Adolf von Harnacks und Reinhold Seebergs, Göttingen 2001, 208–224. Warneck, Missionsmotiv, 56.
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3 Religiöses Wissen in der Mission
Wenn Warneck hier auf die „Botschaft von der Erlösung“ verwies, betonte er die inhaltliche Seite der missionarischen Verkündigung, in deren Zentrum das Evangelium, die „frohe Botschaft“ und Heilige Schrift, kurzum die Bibel, stand. Missionare übersetzen die Bibel in verschiedene lokale Sprachen, Bibelgesellschaften druckten und verschickten Hunderte und Tausende von Bibeln in unterschiedlichen Sprachen in der ganzen Welt.4 Die Mission war so einer der wichtigsten Akteure in einem Prozess, in dem die Bibel zu einem protestantischen globalen Objekt wurde.5 Eine gedruckte Bibel, wie sie noch im Untersuchungszeitraum zumindest in Teilen vorlag, war dabei das erste Ergebnis eines Aushandlungsprozesses christlicher Inhalte, an dem Missionare, Theologen und lokale „Sprachgehilfen“ beteiligt waren und das nicht zuletzt in einem kolonialen Setting stattfand. Die Übersetzung und Lektüre biblischer Texte bestimmte maßgeblich den Schulunterricht, der sich im Kilimandscharogebiet als wirksames Missionsmittel erwiesen hatte. Auch wenn die lokale Bevölkerung vor allem die in der kolonialen Ökonomie nützliche Fertigkeit des Lesens mit dem Unterricht verband, fand dieser anhand christlicher Inhalte statt und war deshalb mit der Verkündigung der missionarischen Botschaft untrennbar verwoben. Welche Inhalte wie verkündet wurden, gibt dabei Aufschlüsse über Vorstellungen und Definitionen von Religion und Christentum im 19. Jahrhundert in einer nicht nur auf Mission beschränkten Perspektive. Die Übersetzung der Bibel soll deswegen als eine soziale und kulturelle Praxis in den Blick genommen werden,6 an der verschiedene Akteure – Missionare, Theologen, Missionswissenschaftler, Dolmetscher, Gemeindemitglieder und sogenannten „Heiden“ – beteiligt waren und die in verschiedenen Räumen und Kontexten stattfand – der Studierstube, der Predigt, dem Unterricht, dem Gottesdienst – die jeweils Einfluss auf die übersetzen Inhalten nahmen. Der Blick auf die Übersetzungspraxis ermöglicht es, auf Aushandlungen und Verflechtungen ebenso aufmerksam zu machen, wie auf Destabilisierungen und Missverständnisse.7 Ein solcher Wechsel der Perspektive vom Text auf den Übersetzer und auf die Adressaten der Übersetzung „can radically challenge the historical preoccupations of Bible translations“8 und nimmt ernst, dass eine Bibelübersetzung immer zugleich eine Exegese ist,9 die im Missionsgebiet in einem
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Siehe dazu Karolin Wetjen, „Aller Welt die Bibel, allermeist aber der evangelischen Welt.“ Bibel, Buch und globaler Protestantismus im 19. Jahrhundert, in: Historische Anthropologie 25 (2017), S. 377–400. Ebd. Habermas/Hölzl, Mission global, 21. Doris Bachmann-Medick, Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften, Reinbek bei Hamburg 52014, 251. K Jason Coker, Translating from this Place. Social Location and Translation, in: Scott S. Elliott / Roland Boer (Hg.), Ideology, Culture, and Translation, Atlanta 2012, S. 25–37. Baker betont z. B. die Agency des Übersetzers. Mona Baker, Translation and Conflict. A Narrative Account, London/New York 2006.
3.1 Die Bibel übersetzen?!
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kolonialen Umfeld stattfand und zugleich von theologischen Positionen und Debatten im Kaiserreich beeinflusst war. 3.1 Die Bibel übersetzen?! Ein Aufsatz in der Deutschen Kolonialzeitung im November 1890 brachte die protestantischen Missionsvertreter in eine Verteidigungshaltung. Emin Pascha, der in Oberschlesien geborene Eduard Schnitzler,10 hatte in einer Abhandlung über die richtige Kolonisationsmethode Deutsch-Ostafrikas die Mission angegriffen. Diese solle ihren Schützlingen nützliche Kenntnisse beibringen, statt sie mit „karierten Hosen“ zu versehen und ihnen „mechanisches Bibellesen“11 beizubringen. Noch im Jahr 1892 nutzte der Bremer Missionstheologe und spätere Mitherausgeber der Allgemeinen Missionszeitschrift Franz Michael Zahn12 den Artikel als Aufhänger für eine Verteidigung der Bibel und des Bibellesens in der Mission. Nach einer ersten Schmährede gegen die Nachlässigkeit katholischer Missionare im Bibellesen,13 analysierte er zunächst das Bibelzeugnis selbst auf dessen Stellenwert in der Mission hin. Aus der apostolischen Praxis leitete er ab, dass zu Beginn einer Mission zunächst die Predigt und das persönliche Zeugnis des Missionars stünden.14 Die Reformation habe einen neuen Gebrauch der Bibel geschaffen, sie zu einem Volksbuch der Christenheit gemacht,15 gerade deshalb müsse die evangelische Kirche den „Heidenchristen“ nun ihrerseits die Bibel geben.16 „Um des religiösen, um des kirchlichen Lebens willen, um des ganzen Lebenskreises willen, das sich um Frömmigkeit und Kirche peripherisch bildet, wollen wir den Heidenchristen die Bibel geben und werden sie geben, wenn wir thun, was die Reformatoren
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Zu Emin Pascha siehe zeitgenössisch Friedrich Ratzel, Emin Pascha in: ADB 48 (1904), S. 346–353; und die neuere Biographie Christian Kirchen, Emin Pascha. Arzt – Abenteurer – Afrikaforscher, Paderborn 2014. Franz Michael Zahn, Die Bibel in der Mission, in: Allgemeine Missionszeitschrift 19 (1892), S. 393– 411, 393 [Hervorhebung i. O., K. W.]. Franz Michael Zahn (1833–1900) hatte in Halle und Erlangen Theologie studiert. Ab 1862 fungierte er als Missionsinspektor der Norddeutschen Mission. Er war der Bruder des kirchlich-konservativen, in Leipzig lehrenden Neutestamentlers Theodor Zahn. Siehe Werner Raupp, Zahn, Franz Michael, in: BBKL 14 (1998), Sp. 313–317. Zu seiner Missionstheologie siehe Ustorf, Missionsmethode Franz Michael Zahns. Zu seiner Verbindung zu Warneck Kasdorf, Warnecks Erbe, 89–94, der Zahn als bedeutendsten Theologen unter den Mitarbeitern Warnecks bezeichnet. Antikatholische Ressentiments zu befeuern und Stereotype aus dem Kulturkampf aufzugreifen, war ein häufiges Mittel der protestantischen Missionsvertreter die Anhänger der durchaus heterogenen Protestantismen im deutschen Kaiserreich zu einigen. Zu den Kulturkämpfen siehe insb. Christopher Clark (Hg.), Culture Wars. Secular-Catholic Conflict in Nineteenth-Century Europe, Cambridge 2003. Zahn, Bibel in der Mission, 399 u. 401. Ebd., 401. Ebd., 403.
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3 Religiöses Wissen in der Mission
thaten, als sie die Bibel zum Volksbuch machten, wenn wir sie nämlich übersetzen und auslegen.“17
Zwar sei es das Ziel, dass die „heidenchristlichen“ Gemeinden irgendwann in der Lage seien, die Bibel selbst in den Ursprachen zu lesen, vorderhand müssten jedoch die Missionare die Bibel übersetzen, und zwar – nach gründlicher Sprachforschung – in die Sprache jedes einzelnen Missionsgebietes.18 In ihre Übersetzung sollten Erkenntnisse der Bibelauslegung bereits mit einfließen dürfen: „Die gesamte Lehrthätigkeit in der Mission, in Predigt wie Schule, sollte darauf Hinziehen, die Bibel zu erklären, ein bibelkundiges Volk zu erziehen.“19 Denn auch in der „Heidenwelt“ gelte, was in der Heimat feststehe: „Wo keine Bibel ist im Haus, da siehts gar öd und traurig aus.20
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Ebd., 404 [Hervorhebung i. O., K. W.]. Die Forschung hat sich in den letzten Jahrzehnten immer wieder mit den Bibelübersetzungen der Missionare auseinandergesetzt. Arbeiten zum translational turn in der Übersetzungs- und Kulturwissenschaft haben darauf aufmerksam gemacht, wie sehr Übersetzungen Teil politischer Agenden waren. „Denn als eine Strategie der Verfestigung fremder Kulturbilder im kolonialistischen Prozess stand die Übersetzungspraxis weitgehend im Dienst einer europäischen Repräsentationspraxis.“ Bachmann-Medick, Cultural Turns, 244. Siehe zum translational turn auch Dies , Übersetzung als Medium interkultureller Kommunikation und Auseinandersetzung, in: Friedrich Jaeger / Jürgen Straub (Hg.), Handbuch der Kulturwissenschaften. Bd. 2: Paradigmen und Disziplinen, Stuttgart/Weimar 2004, S. 449–465, mit weiterführenden Literaturangaben. Bereits 1988 konnte Patrick Harries am Beispiel der Tsonga-Sprache erläutern, wie die Bibelübersetzungen und die sprachlichen Arbeiten der Missionare ethnische Grenzen konstruierten, die später zur Ausbildung ethnischer Identitäten führten. Er zeigt, wie die Kodifikation der Tsonga-Sprache weniger lokalen Realitäten gehorchte als vielmehr europäischen Diskursen um Evolution, Sprachgenese, Rationalismus und Positivismus entsprach. Harries und andere leisteten damit einen Beitrag, die Übersetzungen als koloniale Akte zu lesen. Patrick Harries, The Roots of Ethnicity. Discourse and the Politics of Language Construction in South-East Africa, in: African Affairs 87 (1988), S. 25–52; Susan Basnett / Harish Trivedi, Introduction, in: Dies. (Hg.), Post-colonial Translation. Theory and Practice, London/New York 1999, S. 1–19. Eine andere Forschungsrichtung zur Bibelübersetzung hat sich der Rolle der „Gehilfen“ gewidmet. In den letzten Jahren sind zahlreiche Arbeiten erschienen, die sich – v. a. am Beispiel der Norddeutschen Mission – mit der Rolle von „Gehilfen“ im Prozess der Übersetzung der Bibel auseinandergesetzt und auf die damit einhergehende afrikanische Autorenschaft dieser Übersetzungen hingewiesen haben. Derek R Peterson, Translating the Word. Dialogism and Debate in Two Gikuyu Dictionaries, in: The Journal of Religious History 23 (1999), S. 31–50. Beispielhaft etwa Gilbert Dotsé Yigbe, Von Gewährsleuten zu Gehilfen und Gelehrigen. Der Beitrag afrikanischer Mitarbeiter zur Entstehung einer verschrifteten Kultur in Deutsch-Togo, in: Rebekka Habermas / Richard Hölzl (Hg.), Mission Global. Eine Verflechtungsgeschichte seit dem 19. Jahrhundert, Köln/Weimar/Wien 2014, S. 159–175. Weitere Literaturangaben zu dieser Forschungsrichtung finden sich in Kap. 3.1.4 dieser Studie. Zahn, Bibel in der Mission, 408. Ebd., 411.
3.1 Die Bibel übersetzen?!
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3.1.1 Der Stellenwert der Bibel in der Mission und die Pflicht zur Bibelverbreitung Im 19. Jahrhundert hatten sich als erste Organisationen, die dem protestantischen Vereinswesen zugerechnet werden können, Bibelgesellschaften gegründet. Die Verbreitung von Bibeln, insbesondere unter ärmeren Bevölkerungsschichten, die diese Vereinigungen zum Ziel hatten, sollte einem Verfall der christlichen Kultur entgegenwirken. Schnell hatten sich, dem protestantischen internationalen Netzwerk folgend, Bibelgesellschaften, die im Übrigen versuchten, konfessionelle Spaltungen eher zu überwinden, denn zu befördern, in ganz Europa und Nordamerika ausgebreitet. In Dresden gab es für das gesamte Gebiet der Sächsischen Landeskirche ebenso eine Bibelgesellschaft wie eine zusätzliche auf die Stadt bezogene in Leipzig.21 Bibelgesellschaften waren Institutionen, die an der Schnittstelle von Innerer und Äußerer Mission wirkten; sie finanzierten kostengünstige Bibeln zur Verteilung im In- und Ausland beziehungsweise unterstützten den Druck von Bibelübersetzungen. Insofern waren die Bibelgesellschaften wichtige Institutionen der kirchlichen Netzwerke und der „protestantischen Internationalen“.22 Als die traditionsreiche, 1804 gegründete British Bible Society23 ihre Hundertjahrfeier beging, wurde deswegen die Feier dieser Institution, die wie kaum eine andere die Bibel in den Mittelpunkt stellte, von kirchlich-konservativen Kreisen, zu denen auch die Missionsvertreter gehörten,24 gefeiert. Martin Kähler, einer der bedeutendsten „Bibeltheologen“ und einflussreicher Missionstheologe,25 legte anlässlich dieses Jubiläums einen ausführlichen Aufsatz in der
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Siehe dazu die Festschrift Sächsische Haupt-Bibelgesellschaft e V , Sie werden lachen. Die Bibel. 200 Jahre Sächsische Haupt-Bibelgesellschaft, http://d-nb.info/1068908483/34 (zuletzt eingesehen am: 6.7.2017), bzw. Jäger, Leipziger Bibelgesellschaft. Siehe dazu Kap. 1 dieser Studie. Zur britischen Bibelgesellschaft siehe Stephen Batalden u a (Hg.), Sowing the World. The Cultural Impact of the British and Foreign Bible Society 1804–2004, Sheffield 2006; Leslie Howsam, Cheap Bibles. Nineteenth-Century Publishing and the British and Foreign Bible Society, Cambridge 1992, und Roger H Martin, Evangelicals United. Ecumenical Stirrings in Pre-Victorian Britain, 1795–1830, London 1983. Zu Bibelgesellschaften als Agenturen des globalen Protestantismus auch Wetjen, Bibel, 380–385. Siehe dazu Kap. 1.2.1 dieser Studie. Martin Kählers theologische Positionierung ist nicht einfach zu bestimmen. Besonders einflussreich wirkte seine Abhandlung „Über den sogenannten historischen Jesus und den geschichtlichen, biblischen Jesus“ (Leipzig, 1892). Kähler reichte die Lehre von der Verbal- oder sogar nur der Personalinspiration nicht aus, aber er war überzeugt davon, dass auch der Ansatz der historischkritischen Bibelforschung nicht genüge, um Gottes Tun zu verstehen, diese Erkenntnis könne nur aus der Schrift, d. h. der Bibel, gewonnen werden. Kähler vertrat deswegen den Standpunkt, dass die Bibel „als Mittel der Wahrheit“ dem reformatorischen Verständnis gemäß als Offenbarung Gottes allen Christen gleichermaßen zugänglich und offen sein müsse. Vielfach wird er als „Bibeltheologe“ bezeichnet und damit auf die wesentliche Methode seines theologischen Vorgehens Bezug genommen. Kähler gehörte nicht zur Erlanger Schule, mit deren Ansätzen es in seinen Überlegungen aber durchaus Überschneidungen, insb. im Verständnis der Heilsgeschichte, gab. Zur
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Allgemeinen Missionszeitschrift vor, der als ein programmatischer Artikel zum Verhältnis von Bibel, Kirche und Mission gelten kann und dessen Analyse Hinweise auf den Stellenwert der Bibel in der Mission und damit auf inhaltliche Bestimmungen des Christentums im Prozess des Christianity Making geben kann. Kähler vertrat die These, dass die Ausbreitung des Christentums und die damit einhergehende Verbreitung der Bibel durch Bibelübersetzungen seit dem Altertum dazu beigetragen hätten, dass die Bibel ein wahres „Volksbuch“ und „Menschheitsbuch“ sei. Ihr universeller Charakter zeichne sie vor anderer Weltliteratur – die es ohne die Bibel nicht in dieser Qualität gäbe – aber auch vor anderen religiösen Büchern, wie dem nur in Arabisch vorliegenden Koran, aus. Jede Bibelübersetzung sei gleichzeitig ein Bekenntnis zur „weltumfassenden Sendung des geschriebenen Gotteswortes“.26 Die Bibel selbst sei daher der größte Inspirationsfaktor zu ihrer Verbreitung.27 Die Bibel begründe, so Kähler weiter, als eine alle angehende Welt- und Menschheitsgeschichte das Bild der Menschheit.28 „Gerechtigkeit und Leben im Glauben aus der Gnade des lebendigen Gottes, das ist das tiefste Thema der Menschheits- und Weltgeschichte. Das kann und soll jeder aus der Bibel lernen“, so Kähler.29 Bibellektüre erziehe dazu, die wahre Menschheit zu erkennen, und zwar vor allem am Beispiel Jesus, der „Menschensohn“ und „wahrer Mensch“ sei30 und durch dessen Gnadenzusage die Menschheit Wirklichkeit geworden sei.31 Das Verständnis dieses Zusammenhangs sei unvermittelt jedem Bibelleser zugänglich und bedürfe nicht vermeintlich wissenschaftlicher Erklärungen und Analysen. Vielmehr erlaube die Bibel einen Austausch über Sprachgrenzen hinweg und sei deswegen als
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theologischen Position Kählers siehe Lessing, Geschichte der deutschsprachigen evangelischen Theologie, Bd. 1, und auch Carl E Braaten, Martin Kähler (1835–1912), in: Matthew L. Becker (Hg.), Nineteenth-Century Lutheran Theologians, Göttingen 2016, S. 309–327; Maximilian Zimmermann, Martin Kählers biblische Theologie. Grundzüge seines theologischen Werkes, Neukirchen-Vluyn 2016. Kähler war für die Missionsbewegung in mehrfacher Hinsicht prägend. So ist es wesentlich ihm zu verdanken, dass in Halle, wo auch er lehrte, ein Lehrstuhl für Missionswissenschaft eingerichtet und dieser mit Gustav Warneck besetzt wurde. Zur Verbindung der beiden Kasdorf, Warnecks Erbe, 63–66. Kähler verfasste auch einen Nachruf auf Warneck und gilt als theologischer Lehrer Johannes Warnecks’, des Sohns Gustav Warnecks und späterem Missionar und Missionswissenschaftler. Martin Kähler / Johann Warneck (Hg.), D. Gustav Warneck 1834–1910. Blätter der Erinnerung, Berlin 1911. Zu seiner Missionstheologie siehe auch einführend Martin Kähler, Schriften zu Christologie und Mission. Gesamtausgabe der Schriften zur Mission. Mit einer Bibliographie hg. von Heinzgünther Frohnes, München 1971. Ders , Die Bibel, das Buch der Menschheit, in: Allgemeine Missionszeitschrift (1904), S. 49–65, 105–124, Zitat 52 [Hervorhebung i. O., K. W.]. Ebd., 61. Ebd., 64 f., 109 f., 117. Siehe dazu ausführlich Zimmermann, Martin Kählers biblische Theologie, 216–222. Ebd., 115 [Hervorhebung i.O, K. W.]. Ebd., 117. Dieser Gedanke wird ausführlich dargelegt in Martin Kähler, Der Menschensohn und seine Sendung an die Menschheit, in: Allgemeine Missionszeitschrift 20 (1893), S. 149–178. Ders , Bibel, 118.
3.1 Die Bibel übersetzen?!
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„fortdauerndes Pfingstwunder“32 zu bezeichnen. Kählers Bibeltheologie würdigte die Bibel theozentrisch: Im Geschichtlichen lasse sich das übergeschichtliche göttliche Handeln erkennen – der „wahre Christus“ ist nur der gepredigte Christus, das heißt der im Neuen Testament als Christus bekannt gewordene Jesus.33 Kähler verteidigte nicht nur die Bemühungen der Missionare um Bibelübersetzungen, die er direkt in das geschichtliche Wirken Gottes einordnete, er wandte sich auch gegen rassistische Superioritätsgefühle seiner Zeitgenossen und entwickelte eine Hermeneutik, die Einsichten der religionsgeschichtlichen Schule als unnötig erscheinen ließ. Die aus „Liebe zur Menschheit“ angefertigten Übersetzungen stünden – so Kähler – im Widerspruch zu auf Profit und Vereinnahmung ausgerichteten Kultureroberungen. Jede Sprache sei eine „Schöpfergabe“, Barrieren könnten überwunden werden. Das von ihm auf Gottes Gnade begründete Menschheitsbewusstsein, das durch die Bibel – gleich welcher Sprache – geweckt würde, kenne keine Rassenunterschiede und sei nicht durch „Völkerselbstsucht“34 und nationale Vereinnahmungen aufzuhalten.35 Weil das Gotteswort universell sei, treffe dies auch für das zeitliche Verstehen zu; Einzelheiten „zeitgeschichtlich“ zu verstehen, führe bei „mangelnder Reife“ eher zu Unbehaglichkeit. „Dies ist lediglich Sache geschichtlichen Forschertriebes und wird nur denen dienlich, die gewohnt sind, alle Vermittelungen wissenschaftlicher Auffassung zu durchlaufen und dann für das Ergebnis wieder zu verwerfen. Es gibt ein unvermitteltes geistliches Verständnis, dem der geschichtlich lebensvolle, bildliche Ausdruck manchmal deutlicher und ergreifender ist als der seiner zeitlichen Darbietung entkleidete Gedanke. […] Die Bibel ist Gotteswort durch Menschen an den Menschen und darum an und für die Menschheit.“36
Kähler entwickelte in seinem Aufsatz eine Bibeltheologie, in der er die Kompetenz des Laien in den Mittelpunkt stellte.37 Mission und Bibelverbreitung waren für Kähler deswegen untrennbar miteinander verbunden. Erst die Bibel und ihr von den neugewonnen Christen intensiv praktiziertes Studium löse den Erziehungsauftrag, der den Missionaren als Sendboten des Christentums zukäme, ein. Kähler schwebte eine bi32 33 34 35
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Ebd., 120. Lessing, Geschichte der deutschsprachigen evangelischen Theologie, Bd. 1, 56–57. Die Christologie und die damit verbundene Frage nach dem Verhältnis von Gott und Mensch stehen damit durchaus im Mittelpunkt von Kählers Theologie. Ebd., 58. „Die Menschheit ist ja nicht nur die ausgezählte Summe aller zu allen Zeiten lebenden Menschen, ja recht verstanden ist sie das überhaupt nicht. Die Menschheit ist vielmehr der neue einheitliche Wuchs, der die Trümmer des natürlichen Stammes, indem er sich aus ihnen erhebt, in sich aufzehrt und die zerfallende Völkerwelt in sich aufnimmt, um sie neu zu gestalten. Diese neue Menschheit wächst trotz aller Völkerselbstsucht unaufhaltsam empor unter der mächtigen Leitung der Vorhersehung.“ Kähler, Bibel, 62. Ebd., 120. Hier wird Kählers Kritik an der historisch-kritischen Methode deutlich. Stephan, Kähler.
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belgläubige (Missions-)gemeinde vor. Er beschränkte seine Mission aber nicht nur auf die „Heidenmission“, sondern weitete sie – im Gegensatz zu Gustav Warneck – auf alle „Unchristen“ aus. Er schrieb der Bibel eine kirchenstiftende Funktion zu und ging davon aus, dass die Mission dazu beitragen könne, der Bibel wieder die nötige Berücksichtigung zu verschaffen:38 „Die Kirche, die einmal da ist, ist immer durch die Bibel. […] Die Bibel freilich ist nur unser und bleibt nur unser durch die Kirche. Denn wie Gott der Herr die Kirche dazu gebraucht hat, um das Neue Testament zu sammeln, so gebraucht er sie fort und fort, um dieses Neue Testament zu erhalten, um die ganze Bibel zu bewahren und zu verbreiten, um sie den Leuten zugänglich zu machen […] Und wenn wir in die Mission gehen und sehen, wie dort das biblische Wort für die Missionare und für diejenigen, die durch sie gewonnen werden, wirksam wird, wie dort die Gemeinden wachsen, wie das christliche Leben keimt und Früchte trägt, dann erkennen auch wir Theologen die Lebenskraft, und wir finden uns an ihr und über sie wieder zurecht.“39
Zahn und Kähler, die beide in der zeitgenössisch führenden Zeitschrift der Missionswissenschaft publizierten und als Wortführer der Mission aus (praktisch)theologischer Sicht galten, betonten den engen Zusammenhang zwischen Popularisierung der Bibel (nicht nur in der Mission wie bei Kähler) und Missionsziel: Ohne Bibelverbreitung könne das Ziel, gläubige Christen zu gewinnen, nicht erreicht werden.40 Christliche bzw. protestantische Mission könne ohne Bibel nicht erfolgreich sein und ihre Aufgabe, eigenständige Gemeinden zu gründen, nicht erfüllen. Kählers Position zur Bibelverbreitung setzte die Übersetzung der Bibel in die verschiedenen in den Missionsgebieten gesprochenen Sprachen voraus. Luthers Rede vom „dolmetzschen“ und sein Anspruch, die Bibel in allgemein verständlicher Sprache zugänglich zu machen,41 hatte ebenso wie die pietistische, von Philipp Jakob Spener42 begründete Ansicht, dass die individuelle und vollständige Lektüre der Bibel zu Frömmigkeit und Erbauung notwendig sei, immensen Einfluss auf die Mission.43 Die Bibel oder zumindest Teile davon zu übersetzen, galt wegen der besonderen Stellung 38 39 40 41
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Franke, Ausbreitungsmotive, 116. Kähler, Schriften, 90–91. Beide verfolgten im Gegensatz zu Warneck und Graul einen Ansatz der Einzelbekehrung, deuteten also den Missionsbefehl nicht ethnologisch. Siehe dazu auch Kap. 1.3 dieser Studie. Dieter Gutzen, „Denn wer dolmetzschen wil, mus grosse vorrath von worten haben.“ Von Luthers Bibelübersetzung zur Bibel in gerechter Sprache, in: Albrecht Buschmann (Hg.), Gutes Übersetzen. Neue Perspektiven für Theorie und Praxis des Literaturübersetzens, Berlin/Boston 2015, S. 243–281. Zu Spener, der für eine genauere und intensive Bibellektüre plädierte, siehe im Überblick Johannes Wallmann, Spener, Philipp Jakob, in: NDB 24 (2010), S. 659–661, https://www.deutsche-biogra phie.de/pnd118616099.html#ndbcontent (zuletzt eingesehen: 17.10.2018). Henning Graf Reventlow, Epochen der Bibelauslegung. Bd. 4: Von der Aufklärung bis zum 20. Jahrhundert, München 2001, 133.
3.1 Die Bibel übersetzen?!
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der Schrift in der protestantischen Theologie als eine der wichtigsten Aufgaben im Missionsgebiet – und als missionarische Königsdisziplin. Die Geschichte der Bibelübersetzungen in der protestantischen Mission setzt deswegen mit den frühesten Missionierungsversuchen ein. Bereits Karl Graul hatte die Bibel ins Tamil übersetzt.44 Der Übersetzungsprozess an sich verlangte jedoch nach einer Reihe von Setzungen und Entscheidungen sowie eine Verständigung darüber, in welche Sprache wie übersetzt werden sollte oder welcher Text als Textgrundlage herangezogen werden sollte. 3.1.2 Sprachpolitiken Die ersten Leipziger Missionare hatten während ihrer Vorbereitung im Missionsseminar neben altsprachlichem vor allem Deutsch- und Englischunterricht genossen,45 Kiswahili oder gar die lokale Sprache der am Kilimandscharo lebenden Bevölkerung konnten sie bei ihrer Ankunft im Missionsgebiet aber weder verstehen noch sprechen; einzig Gerhard Althaus hatte ein Jahr in Berlin am Seminar für Orientalische Sprachen Kiswahili gelernt.46 Kiswahili galt als Verkehrssprache an der Küste Ostafrikas. Durch den Karawanenhandel und intensive Handelsbeziehungen war es aber auch am Kilimandscharo verbreitet.47 Erste Verhandlungen zwischen Missionaren und lokaler Bevölkerung fanden deshalb wahrscheinlich in dieser Sprache statt. Die Benutzung des Kiswahili sollte jedoch nur als ein Notbehelf fungieren. Denn die zentrale Stellung der Bibel verlangte – so hatten es ja nicht zuletzt Kähler, Zahn und andere mit Verweis auf das Pfingstwunder deutlich gemacht – ihre Verkündigung in der jeweiligen lokalen Sprache, sodass eine Übersetzung der Bibel zur (protestantischen) Pflicht erklärt wurde.48
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Nehring, Orientalismus und Mission, 212. Die ersten lutherischen Missionare übersetzten neben der Bibel auch andere Texte, wie z. B. Werke pietistischer Theologie. Siehe dazu, und zu den sprachlichen Schwierigkeiten u. a. Daniel Jeyaraj, Inkulturation in Tranquebar. Der Beitrag der frühen dänisch-halleschen Mission zum Werden einer indisch-einheimischen Kirche (1706–1730), Erlangen 1996. Zur Ausbildung der Missionare im Missionsseminar siehe Kap. 1.2.2 dieser Studie. Personalakte Althaus, ALMW II.32.303 a, und Adolphi, Am Fuße der Bergriesen, 7. Widenmann, Kilimandscharo-Bevölkerung, 4. Falk Moore / Puritt, Chagga and Meru, 1 und 13. Moshi lag an der Karawanenroute zwischen Sansibar und dem Victoriasee. Vgl. Pesek, Koloniale Herrschaft, 55. Siehe dazu auch Kap. 1.4 dieser Studie. Franz Michael Zahn, Die Muttersprache in der Mission, in: Allgemeine Missionszeitschrift 22 (1895), S. 337–360, 344. Gustav Warneck, Evangelische Missionslehre. Ein missionstheoretischer Versuch. Dritte Abteilung: Der Betrieb der Sendung. Zweite Hälfte: Die Missionsmittel, Gotha 1900, 50 u. 60. Dieses Prinzip verfolgten durchaus nicht alle protestantischen Missionsgesellschaften. So wählte die Bethel-Mission in Deutsch-Ostafrika Kiswahili als Unterrichtssprache. Christian Pohl, Evangelische Mission in Tanga und im Diegoland. Der Beitrag einheimischer Mitarbeiter zur Kirchwerdung 1890–1925, Berlin 2016, 57.
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Es sei die Aufgabe der Mission, „das Naturrecht dieses Heiligtums eines Volkes“,49 seine Sprache, zu respektieren, so Warneck. Das Erlernen der Volkssprache galt als „conditio sine qua non der Volkschristianisierung“50 und als „Charakterzug evangelischer Mission“51. Das Sprachenlernen – lange bevor überhaupt an die Übersetzung biblischer Schriften gedacht werden konnte – stand deshalb noch vor dem Beginn von Missionierungsbemühungen.52 Tatsächlich berichtet das Missionsstationstagebuch der Station Mamba erst 1895 von anfänglichen, noch holprigen Versuchen, in Kichagga beziehungsweise Kimamba zu predigen oder zu unterrichten.53 Am 23. Juli 1895 beklagte Gerhard Althaus beispielsweise noch, dass die Vorbereitung des Unterrichts sehr mühselig sei, da ihm immer wieder Vokabeln fehlen würden: „Oft wird mir erst bei dem Unterricht selbst der betreffende Ausdruck von den Leuten gesagt.“54 Das gründliche Erlernen der Sprache hatte einen solchen Stellenwert in der Mission, dass spätere Missionare erst nach der erfolgreichen Ablegung eines Sprachexamens eigenständig arbeiten durften.55 Kriterien für die Prüfung hatte die Missionskonferenz der Chaggamissionare im Juni 1898 auf der Grundlage eines Referats des 49 50 51
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Warneck, Missionslehre III.2, 51. Damit verbunden wurde auch eine Absage an die Kolonialmächte, die häufig eine Verbreitung des Deutschen, Englischen oder Französischen anstrebten. Vgl. auch Zahn, Muttersprache, 352 f. Warneck, Missionslehre III.1, 256. Zahn, Muttersprache, 359. Ähnlich auch Karl Axenfeld, Die Sprachenfrage in Ostafrika vom Standpunkt der Mission aus betrachtet, in: Allgemeine Missionszeitschrift 35 (1908), S. 561–573. Dies wurde auch auf dem Kolonialkongress betont, auf dem unter anderem gefordert wurde, auch die Kolonialbeamten besser in den „Eingeborenensprachen“ fortzubilden: „Es scheint heute merkwürdiger Weise noch eine offene Frage zu sein, ob unsere Kolonialbeamten die Sprache des Volkes lernen sollen, unter dem sie als Verwaltungsorgane oder Richter tätig sind. Für unsere Missionare ist es eine ausgemachte Sache, dass sie, die dem Volke ans Herze kommen wollen, seine Muttersprache lernen.“ Paul, Bestand und Arbeit, 472. Auch Julius Richter übernahm diese Argumentation. Richter, Das deutsche Kolonialreich, 134–135. Dies sah bereits die Vokation vor. Althaus wurde aufgetragen: „Wir wünschen, daß Sie dann möglichst bald mit Ihren Amtsgenossen in das von uns zunächst als Missionsfeld in Aussicht genommene Dschaggaland vordringen und sich dort an einem geeigneten Orte niederlassen, um zunächst die Landessprache zu erlernen und dann die eigentliche Missionsthätigkeit zu beginnen.“ Vokation, ALMW II.32.303 A. Stationstagebuch Mamba I, 9.6.1895, ALMW II.32.129: „Morgens erzähle ich dem Jungen Mdesamio eine bibl. Geschichte. […] Auch den beiden kl. Knaben, die sich heute wieder einstellen, erzähle ich eine bibl. Geschichte. Ich habe aber den Eindruck, daß sie nur wenig davon verstehen, was zumeist an meinem mangelhaften Kichagga, sodann aber auch daran liegen wird, daß ihnen selbst bei der einfachsten Geschichte zuviel fremde Dinge und Begriffe entgegentreten.“ Stationstagebuch Mamba I 23.7.1895, ALMW II.32.129. Das Sprachenlernen stellte eine Hürde für sehr viele Missionsgesellschaften dar. Siehe dazu z. B. Adjai Paulin Oloukpona-Yinnnon, Missionar Bernhard Schlegel und sein Kampf um die Ewe-Sprache, in: Ulrich van der Heyden / Andreas Feldtkeller (Hg.), Missionsgeschichte als Geschichte der Globalisierung von Wissen. Transkulturelle Wissensaneignung und -vermittlung durch christliche Missionare in Afrika und Asien im 17., 18. und 19. Jahrhundert, Stuttgart 2012, S. 265–274. Üblicherweise wurde dieses Examen nach zwei Jahren abgelegt und war gleichzeitig mit der potenziellen Erlaubnis, zu heiraten, verbunden. Heiraten und auch die Wahl der Ehegattin mussten vom Missionskollegium genehmigt werden.
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Missionars Faßmann festgelegt. Der Prüfling sollte eine Predigt in der lokalen Sprache vorbereiten, eine Katechese mit den Missionsschülern durchführen und ein Gespräch mit einem „Eingeborenen aus den Schamben […] über irgendein – nicht notwendig religiöses, besser unter Umständen sonstiges – Thema“ führen.56 Außerdem gelte es, ein ausführliches Gespräch mit den anderen Missionaren in Kiswahili führen zu können. Ziel sei es, sich den Chagga verständlich zu machen, wobei die Ansprüche „nicht zu hoch gestellt sein“ sollten.57 Als die Missionare an den Kilimandscharo gekommen waren, hatten sie schnell feststellen müssen, dass in den unterschiedlichen Gebieten, in denen sie ihre ersten drei Missionsstationen gründeten, nicht dieselbe Sprache gesprochen wurde. Das auf Herder zurückgehende Paradigma europäischer Sprachwissenschaft und Ethnologie „eine Sprache – ein Volk“ schien nicht aufzugehen, die Missionare (und auch andere zeitgenössische Forscher, die zu den Chagga arbeiteten) bemühten sich deswegen, sprachliche Unterschiede zwischen den Landschaften zugunsten einer Betonung von Gemeinsamkeiten zu verharmlosen. Innerhalb der Mission ging man sogar zunächst von einer Sprache mit unterschiedlichen dialektalen Ausprägungen aus.58 Johannes Raum legte beispielsweise eine „Grammatik der Chagga-Sprache“ vor, die er erst untergeordnet in eine westliche und eine östliche Ausprägung einteilte.59 Raum behandelte allerdings nur den Moshi-„Dialekt“, den er in seiner Grammatik in das System einer altsprachlichen Grammatik mit Formenlehre und Syntax einfügte. Weil der „MoshiDialekt“ in der „zentralen Landschaft“ gesprochen werde, eigne er sich, so stellte der Missionar schließlich fest, besonders, um das Einarbeiten in die anderen „Dialekte“ zu erleichtern. Er solle deshalb zum Maßstab für ein einheitliches Kichagga erhoben werden. Eine solche Vereinheitlichung der Sprachen bzw. Dialekte wurde offensiv von der Missionsleitung befürwortet und trotz teils massiver Kritik60 intensiv betrieben.61
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Protokoll der Chagga-Konferenz, Juni 1898, Beilage: Robert Faßmann, Die Ausgestaltung des Kichaggaexamens für junge Missionare, ALMW II.32.92. Ebd. und Protokoll der Chagga-Konferenz, Juni 1898: Beratung zu TOP 2: Ausgestaltung des Sprachexamens, ALMW II.32.92. Vgl. dazu auch Axenfeld, Sprachenfrage. Damit wurde einem sprachwissenschaftlichen Prinzip gefolgt, wie es u. a. von Carl Meinhof, Das missionarische Sprachproblem, in: Allgemeine Missionszeitschrift 28 (1906), S. 205–216, 253–261, 215, vertreten wurde. Siehe dazu auch Protokoll der Chagga-Konferenz, Dezember 1897: Beilage: Müller, Die Übertragung biblischer Eigennamen ins Kichagga, 1, ALMW II.32.92. Welchen Einfluss sprachwissenschaftliche Paradigma und wissenschaftliche Rationalität auf die Kodifikation von Sprache hatte, zeigt prominent Harries, Roots of Ethnicity. Raum, Grammatik der Dschaggasprache. Johannes Raum, der in Moshi stationiert war, sprach davon, dass man durch die Erhebung des Moshi-Dialekts zum Kichagga einer historischen Entwicklung vorgreife, der die Mamba zutiefst irritieren müsste. Würde man nur das Kimoshi etablieren, wäre es „mit dem Grundsatz unserer Mission, den Leuten das Evangelium in ihrer eigensten Muttersprache zu bringen, dahin.“ Vgl. Protokoll der Chagga-Konferenz, Januar 1901, TOP 8, 26, ALMW II.32.93. So wurde z. B. ein in verschiedenen Dialekten verfasstes einheitliches Sonntagsblatt eingeführt. Vgl. Protokoll der Chagga-Konferenz, August 1904: Beilage: Besprechung über die Herausgabe
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Als Faßmann 1903 anlässlich einer Konferenz, bei der auch der Missionsdirektor von Schwartz im Missionsgebiet anwesend war, erneut die Eignung des Moshi-„Dialekts“ als einheitliche Kirchensprache herausstrich und deshalb Bibelübersetzungen nur in Kismoshi forderte,62 wurde er darin vom Direktor unterstützt: Die Bibel könne es schon aus Kostengründen nur in einem Dialekt geben.63 Die angestrebte Vereinheitlichung der Sprachen scheiterte aber letztlich an der Praxis.64 Schon 1896 war es für unmöglich erklärt worden, für alle drei Landschaften, in denen Missionsstationen errichtet worden waren, die gleichen Hilfsmittel im Unterricht zu verwenden. Rudolf Bleicken wandte zum Beispiel ein, dass er in der Schule in Moshi versucht habe, eine Fibel im Mamba-Dialekt zu benutzen, ohne dass seine Schüler auch nur eine Zeile verstanden hätten. Bruno Gutmann warnte davor, es den Katholiken gleich zu tun, die nur in einer Sprache, dem Kiswahili, evangelisierten.65 Sogar ein nach europäischen Vorbildern gestaltetes Gemeindeblatt Mnuya ya vandu vuu – Der Freund der schwarzen Leute, das neben kirchlichen Nachrichten einen Erbauungsteil mit Gebeten, biblischen Geschichten und Erzählungen enthielt und das die einzelnen Beiträge in den unterschiedlichen „Dialekten“ abdruckte, um als „Einheitsband“ der Christen zu fungieren und das Gemeinschaftsgefühl der Christen am Kilimandscharo zu stärken, wurde schnell wieder eingestellt.66 Lediglich die Stationen Moshi und Mamba sollten „die gleichen bilderreichen Hilfsmittel benützen“, um die Sprachen irgendwann aneinander anzugleichen67 beziehungsweise beide im Kimoshi als „geographisch und politisch wichtigsten Dialekt“68 aufgehen zu lassen. Gerhard Althaus, der in Mamba stationiert war, hatte auch dagegen Bedenken und warnte vor einer allzu schnellen Übertragung des bereits im Mamba-„Dialekt“ vorliegenden Lukasevangelium ins Kimoshi: „Ich glaube, es ist nicht dieselbe exegetische Arbeit erforderlich, doch annähernd. Es verhält sich nicht so, daß einfach an Stelle des einen Lautes ein anderer, an Stelle des einen
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eines Monatsblattes in der Art eines Sonntagsblattes mit vorwiegend erbaulichen oder doch religiös belehrendem Inhalt, ALMW II.32.96. Die zwei ersten Bücher in der Mundart von Mamba, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1902), S. 105–108, 107. Protokoll der Chagga-Konferenz, Dezember 1903: Beilage: Referat über die Frage „Welche literarischen Hilfsmittel sind für unsere Dschagga-Mission erforderlich?“, ALMW II.32.95. Protokoll der Chagga-Konferenz, Dezember 1903: Beratung über TOP 10, ALMW II.32.95. Protokoll der Chagga-Konferenz, Juni 1898: Faßmann: Die Ausgestaltung des Kichaggaexamens für junge Missionare, ALMW II.32.92, und Protokoll der Chagga-Konferenz, Januar 1899: Beilage: Referat über die Abhaltung der Sprachexamina, ALMW II.32.92. Protokoll der Chagga-Konferenz, November 1896: Beratung zu TOP 1, ALMW II.32.92. „Der Freund der schwarzen Leute“. Monatsblatt der ev.-luth. Gemeinden am Kilimandscharo und den Nachbargebieten, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1905), S. 65–66. Protokoll der Chagga-Konferenz, November 1896: Beilage: Über die Herstellung einer Kidschagga-Literatur unserer ev.-luth. Mission, ALMW II.32.92, und Robert Faßmann, Beantwortung einiger die Erstellung einer Kidschagga-Literatur betreffende Fragen, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1897), S. 117–119, 136–139, 138. Protokoll der Chagga-Konferenz, November 1896: Beratung zu TOP 1, ALMW II.32.92. In Moshi war das koloniale Bezirksamt.
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Wortes ein anderes gesetzt werden kann. Es sind doch offenbar viel größere Unterschiede der Sprache als solche kleinlichen. Mißverständnisse werden möglich sein. Das eine Wort hat ja in der Landschaft diese Bedeutung, in der anderen eine andere.“69
Weil eine Übersetzung immer eine Exegese sei, müsse die Übersetzung der Bibel dann nur von den Moshi-Missionaren angefertigt werden, um „etwas Ganzes“ zu schaffen, so fuhr der Missionar fort.70 Schließlich wurde beschlossen, zumindest zwei Bibelübersetzungen anzustreben – eine im westlichen und eine im östlichen „Dialekt“. Bereits drei Jahre später wurde dieser Beschluss erneut infrage gestellt. Althaus befand nun im Namen aller östlichen „Dialekte“, dass es unzumutbar sei, dass Mamba auf die Übersetzungen aus Moshi angewiesen sein sollte, und konnte davon zumindest die anderen Missionare überzeugen.71 In den folgenden Jahren wurden Bücher deswegen in allen „Dialekten“ gedruckt. Dies war umso notwendiger, als die Leipziger Mission im Zuge der Missionierung ihre Gebiete über die Chagga hinaus und damit in wiederum andere Sprachgebiete ausweitete. Für den Druck einzelner Bibelteile und Schriften gelang es der Missionsgesellschaft, Zuschüsse oder sogar eine völlige Kostenübernahme von der Sächsischen Hauptbibelgesellschaft zu erlangen, die eine enge Verbindung zur Leipziger Missionsgesellschaft pflegte und eindeutig dem lutherischen Netzwerk zugeschrieben werden kann.72 Eine vollständige Übersetzung des Neuen Testaments, von Bruno Gutmann ins Kimoshi, gelangte im Übrigen erst 1939 ins Missionsgebiet.73 Die Sprachenpolitik der Missionsgesellschaft zeigt die verschiedenen machtvollen Beziehungsnetze, die sich in der Mission entfalteten und die das Christianity Making bestimmten. Während auf der einen Seite die Missionsgesellschaft stand, die für eine Vereinheitlichung der Sprachen vor allem aus Kostengründen plädierte und die aus ihrer europäischen Perspektive heraus von einer solch hegemonialen Stellung der Mission ausging, dass eine Umwandlung und Homogenisierung der bestehenden Sprachen als möglich und als im Machtbereich der Missionare liegend erschien, hatten die Missionare auf der anderen Seite mit den ebenfalls machtvollen, weil sich potenziell den Verkündigungsbemühungen widersetzenden Chagga zutun, deren Bereitschaft, sich der Mission zuzuwenden, nicht zuletzt von den angebotenen Inhalten bestimmt wurde.74 Dieser Aspekt spielte schließlich auch bei zunehmender Nutzung des Kiswa-
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Protokoll der Chagga-Konferenz, Dezember 1903: Beratung zu TOP 10, 54–55, ALMW II.32.95. Ebd. Vgl. dazu Warneck, Missionslehre III.2, 199. Protokoll der Chagga-Konferenz, August 1906: Beratung über TOP 9, ALMW II.32.96. Siehe dazu die verschiedenen Korrespondenzen in ALMW II.23.11 bzw. Kap. 1 dieser Studie. Sächsische Hauptbibelgesellschaft an Missionskollegium, 9.10.1939, ALMW II.23.11. Die Bibeln wurden der Mission zum 125-jährigen Jubiläum der Bibelgesellschaft finanziert. Kirsten Rüther, Der Streit um Englisch als Unterrichtsfach in lutherischen Missionsschulen Südafrikas (1895–1910). Impulse für eine Geschichte der Resonanzen, in: Rebekka Habermas / Richard Hölzl (Hg.), Mission Global. Eine Globalgeschichte seit dem 19. Jahrhundert, Köln/Weimar/ Wien 2014, S. 91–110.
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3 Religiöses Wissen in der Mission
hili eine Rolle, dessen faktische Verbreitung den Vereinheitlichungsbestrebungen im Hinblick auf das Kichagga letztlich ein Ende bereitete. Mit einer zunehmenden Ausdehnung des Missionsgebietes hatte nämlich auch die Sprachenvielfalt weiter zugenommen. Als 1912 ein Lehrerseminar in Marangu eingerichtet wurde, an dem lokale Lehrer ausgebildet und gefördert werden sollten, wurde das Kiswahili ohne weitere Diskussion zur Unterrichtssprache erhoben. Auch vorher waren bereits KiswahiliTestamente – auch aus Mangel an anderen Texten – in der Mission genutzt worden. Die Nutzung des Kiswahili war maßgeblich von den Chagga gewünscht worden, es erschien den Missionaren wegen der größeren Verbreitung der Sprache und damit größeren Volksnähe insbesondere dem Deutschen gegenüber zudem als das „kleinere Übel“, lehnte doch die Leipziger Gesellschaft einen deutschen Sprachunterricht in der Kolonie ab. Dies begründete Karl von Schwartz auf dem Kolonialkongress 1905 unter anderem damit, „dass die Eingeborenen, wenn sie deutsch verstehen, den Europäer nicht mehr in dem Maße respektieren als vorher, weil sie dahin neigen, sich ihm dann gleich gebildet und gleichgestellt zu halten.“75 Hinzu komme, dass das Deutsche sehr schwer zu erlernen sei. Weil es aber für den „Frieden unserer Kolonie“ sehr wünschenswert sei, bald auf Dolmetscher verzichten zu können, verwies er – trotz damit verbundener finanzieller Nachteile76 – auf das Kiswahili als Einheitssprache.77 3.1.3 Die Frage nach dem Original Dass letztlich auf fast allen Stationen Teile der Bibel oder zumindest einzelne Unterrichtsmaterialien übersetzt wurden, ist ein Kennzeichen des protestantischen, auf das schriftliche Wort fixierten Christentums. Als Religion in einem „doctrinal mode“ ist das Christentum maßgeblich von Schriftlichkeit und der Weitergabe durch Einzelne geprägt.78 Die Schriftlichkeit sollte erstens die Popularität des Unterrichts im Lesen
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Redaktionsausschuss (Hg.), Kolonialkongress 1905; ebd., 486 (Debatte Vortrag Ohler, Schultätigkeit der evangelischen Missionen). Eggert, Missionsschulen, 87. Redaktionsausschuss (Hg.), Kolonialkongress 1905, 536. Sehr ähnlich in seiner Argumentation für das Kiswahili als Einheitssprache in Deutsch-Ostafrika ist schließlich auch Carl Meinhof, Die praktische Bedeutung der Einheitssprachen für die Kolonien, in: Redaktionsausschuss (Hg.), Verhandlungen des Deutschen Kolonialkongresses 1910 zu Berlin am 6., 7. und 8. Oktober 1910, Berlin 1910, S. 732–739, 734–736. „Christianity is codified more or less exclusively in dialogical and rhetorical schemas (expressed primarily through semonizings and proselytism), narratives (e. g. parables and mytho-historical sequences), and linked sets of binary oppositions. The emphasis is on oral transmission (albeit referenced to textual materials) and it follows that just one or a handful of proselytizing individuals (whether messiahs, disciples, and prophets, or reformers and missionaries) are capable of carrying the Word to large populations, either by addressing congregations at consecutive locations and
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und Schreiben durch die Mission sicherstellen und zweitens wichtige Inhalte der Verkündigung festschreiben. Den Bibelübersetzungen lag dabei aber nur ein vermeintlich eindeutiger Text zugrunde. Der Text der Bibel und dessen Überlieferungen waren im Verlauf des 19. Jahrhunderts zum Gegenstand zahlreicher, miteinander verschränkter Debatten geworden, deren Auswirkungen im Missionsgebiet die Bibelübersetzungen erschwerten. Zwar hatte sich seit der Reformation ein biblischer Kanon durchgesetzt, in dem bestimmte, in einer festgelegten Reihenfolge angeordnete Texte zu finden waren,79 Fragen nach dem biblischen Kanon blieben aber immer ein Marker konfessioneller Identität. In der lutherischen Kirche hatte sich ein Kanon durchgesetzt, der Luthers Übersetzung, die mithin als weiteres Original angesehen wurde, entsprach, und der sich „aus hebräischem Umfang und griechischer Struktur“ zusammensetzte.80 Fraglich blieben dennoch die Stellung der Apokryphen81 und – wegen der besonderen Stellung der lutherischen Übersetzung – der Umgang mit Übersetzungsfehlern des Reformators.82 Die Bibel- und insbesondere die „Orientwissenschaften“ trugen zu einer weiteren Verunsicherung hinsichtlich des Textes und seines Stellenwerts bei, nicht zuletzt weil die Veröffentlichungen der Ergebnisse der Letzteren im Kaiserreich eine breite mediale
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urging potential converts to attent their routinized services and orations. As long as congregations can be secured, the force of argument of Christianity is often sufficiently compelling for most listeners that is eventually internalized.“ Harvey Whitehouse, Arguments and Icons. Divergent Modes of Religiosity, Oxford 2000, 158. Siehe Sharon Farmer, Conflict, Encounter, and the Materiality of the Text. Christian and Jewish Sacred Texts in Europe and North America, c. 1250–1700, in: Journal of the Bible and its Reception 3 (2016), S. 173–176. Ulrich H J Körtner, Im Anfang war die Übersetzung. Kanon, Bibelübersetzungen und konfessionelle Identitäten im Christentum, in: Marianne Grohmann / Ursula Ragacs (Hg.), Religion übersetzen. Übersetzung und Textrezeption als Transformationsphänomene von Religion, Göttingen 2012, S. 179–201, 187. Siehe auch Mark U Edwards, Die Heilige Schrift als gedruckter Text, in: Michael Beyer / Günther Wartenberg (Hg.), Humanismus und Wittenberger Reform. Festgabe anläßlich des 500. Geburtstages des Praeceptor Germaniae Philipp Melanchthon am 16. Februar 1997. Helmar Junghans gewidmet, Leipzig 1996, S. 33–52, bzw. Ders , Printing, Propaganda, and Martin Luther, Berkeley/Los Angeles/London 1994. Die Stellung der Apokryphen war insbesondere deswegen so problematisch, weil die führende und finanzkräftigste britische Bibelgesellschaft, die nicht zuletzt zahlreiche Initiativen zur Gründung von Bibelgesellschaften in den deutschen Gebieten finanziell unterstützt hatte, beschloss, nur noch Bibeln ohne Apokryphen zu drucken und zu finanzieren. Siehe dazu Wilhelm Gundert, Die Bibelgesellschaften und die deuterokanonischen Schriften, in: Siegfried Meurer (Hg.), Die Apokryphenfrage im ökumenischen Horizont. Die Stellung der Spätschriften des Alten Testaments im biblischen Schrifttum und ihre Bedeutuung in den kirchlichen Traditionen des Ostens und Westens, Stuttgart 1993, S. 121–136; Wetjen, Bibel, 388–389. Die sich nicht zuletzt durch die massenhafte Verbreitung der Bibeln einschleichenden Textfehler sollten in den 1880er Jahren durch eine Revision der Lutherbibel behoben werden. Eine solche revidierte Fassung konnte nur gegen den Widerstand, u. a. des lutherischen Netzwerks und des Umfelds der Mission, durch den Einfluss der Bibelgesellschaften durchgesetzt werden. Siehe dazu Dies , Bibel, mit weiterführenden Literaturangaben.
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Berichterstattung erfuhren.83 Die unterschiedlichen Status des biblischen Textes, die Frage, welcher Text in welcher Sprache zur Grundlage einer Bibelübersetzung gemacht werden sollte, das koloniale Umfeld und nicht zuletzt die Sprachenpolitik erschwerten die missionarische Bibelübersetzung und nahmen Einfluss auf die Gestalt des Christentums, wie es in der Mission gelehrt wurde. Im Dezember 1897, also erst wenige Jahre nach Beginn der Missionierung, legte Emil Müller, der Gründer und Stationarius der Station Madschame, einen Vorschlag für die Übertragung biblischer Eigennamen ins Kichagga vor,84 deren Übersetzung im Zusammenhang mit den ersten Taufen stand. Müller machte verschiedene Schwierigkeiten aus, die sich bei der Übertragung ergäben, und die auf die Problematiken der Übersetzung insgesamt hinwiesen: die unterschiedliche Herkunft der biblischen Namen (griechisch, hebräisch, lateinisch usw.),85 die verschiedenen Lautgesetze, die den Namen zugrunde lägen – während die Namen der Bibel konsonantenreich seien, treffe für die Dialekte der Chaggasprache das genaue Gegenteil zu –, dann die Unterschiedlichkeit der Dialekte insgesamt.86 Auch sei es nicht ratsam auf bereits vorhandene Versionen der Namen zurückzugreifen. Einerseits habe man nämlich damit zu kämpfen, dass „wir von Jugend auf vom deutschen her eine uns liebgewordene und Berücksichtigung heischende Form der biblischen Eigennamen kennen, die auf Grund des Urtextes nicht zu rechtfertigen“ sei.87 Andererseits könne man auch nicht auf die bereits in Ostafrika vorliegenden und benutzten Versionen der Kiswahili-Bibel zurückgreifen: „Diese Übertragung genügt uns nicht, einmal weil der Küstenmann Konsonantenverbindungen wie shr (shruti), st (starche) kennt, die hier zunächst unmöglich sind und zum Anderen, weil sie uns zuviele arabisierte Namen bringt. Isa Masiya für Jesus Christus, Yussuf für Josef, Nuhu für Noah, Musa für Moses haben an der Küste, wenn man durchaus an aus dem Koran Bekanntes anknüpfen will, schließlich noch einen Zweck, hier aber nicht, wo wir ein Neues bauen.“88
Worauf Müller in diesem Zitat anspielte und was er auch im Folgenden ausführt, ist die Frage, welcher Bibeltext als Grundlage für eine Übersetzung herangezogen werden
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Der Babel-Bibel-Streit, ausgelöst durch mehrere, mit prominentem Publikum besetzte Vorträge des Assyriologen Friedrich Delitzsch, drehte sich im Wesentlichen um den Status des Alten Testaments. Friedrich Delitzsch, Zweiter Vortrag über Babel und Bibel. Mit 20 Abbildungen, Stuttgart 1903. Siehe zum Babel-Bibel-Streit insb. Marchand, German Orientalism, die den Streit als Produkt einer maßgeblich an einer Popularisierung der Ergebnisse interessierten „furious generation“ von Orientalisten versteht. Protokoll der Chagga-Konferenz, Dezember 1897: Müller, Die Übertragung biblischer Eigennamen ins Kichagga, ALMW II.32.92. Ebd., 1. Ebd., 2. Ebd., 2. Ebd., 3 [Hervorhebung i. O., K. W.].
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sollte. Die Furcht vor dem Einfluss des Islam ließ die Kiswahili-Version,89 auch wenn sie als notwendige Brücke genutzt wurde, als unbrauchbar erscheinen. Keineswegs sollte eine durch islamische Einflüsse geprägte, aus Sicht der Missionare kontaminierte Version der Bibel Einzug in das Missionsgebiet halten, sondern stattdessen etwas „Neues“ erschaffen werden. Als oberstes Kriterium galt dabei die Entsprechung zum Originaltext.90 Doch welche Textgrundlage sollte als Originaltext gesetzt werden? Viele der biblischen Namen seien, so führte Emil Müller aus, unterschiedlich überliefert – einmal in ihrer hebräischen Form im Alten Testament, dann in der griechischen in der Septuaginta und dann noch einmal im Neuen Testament,91 sodass „der Grundsatz, das Wort von seiner ursprünglichen Gestalt aus zu übertragen […] geradezu auf Abwege“ führen müsse.92 Müller schlug deshalb vor, in der Regel bei Namen im Neuen Testament von der griechischen Übersetzung auszugehen; diese Regel solle auch auf das Alte Testament übertragen werden, wobei jedes Mal diejenige Version eines Namens gebraucht werden solle, die am wenigsten einer Veränderung bedürfe.93 Diese potenziellen Veränderungen bezogen sich dabei nicht nur auf lautlich notwendige Anpassungen im Missionsgebiet, sondern vor allem auf die durch die deutsche Lutherübersetzung: Die Regel sei deswegen zu rechtfertigen, weil „wir viele ihrer Übertragungen von Luthers Bibel her gewöhnt sind“, auch eine Abkehr von ihr sei dann gestattet, wenn „sie sich … für unser Empfinden zu weit von ihr entfernt“:94 „Samson ( = ׁשnach LXX = σ) ist sicher besser als Σαμψών und hat außerdem den Vorzug, uns geläufig zu sein.“95 Ethymologische Forschungen zu alttestamentlichen Namen könne man mit diesem Verfahren dann getrost auch weiterhin der „Ägyptologie“ oder „Assyriologie“ überlassen.96 In der Besprechung des auf der Missionskonferenz „mit allgemeinem Beifall aufgenommenen Referats“97 Müllers offenbarte sich die Orientierung aller Brüder am (griechischen) Text des Neuen Testaments. So sollte die Schreibweise des Neuen Testaments schon deshalb Gültigkeit haben, „weil vom Neuen Testament das Alte über-
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Dieser Widerstand gegen das Kiswahili musste schließlich aufgegeben werden. Die enge Verbindung von Islam und Kiswahili wurde aber immer wieder – auch in anderen Missionsgesellschaften – diskutiert. Die „Gefahr des Islam“ wird ausführlich in Kap. 2.3 dieser Studie behandelt. Diesem Ziel diente auch die Ausbildung der Missionare in den biblischen Sprachen im Missionsseminar. Protokoll der Chagga-Konferenz, Dezember 1897: Müller, Die Übertragung biblischer Eigennamen ins Kichagga, 3–4, ALMW II.32.92. Ebd., 4. Ebd., 6: Bei verschiedenen Schreibweisen sollte die vokalreichere gewählt werden, „sind sie gleich arm oder reich an Vokalen, diejenige, welche am wenigsten verändert zu werden braucht (z. B. gehen wir nicht von δαυείδ, sondern von δαυίδ aus).“ Ebd., 6–7. Ebd., 7. Ebd., 5. Protokoll der Chagga-Konferenz, Dezember 1897, TOP 2, ALMW II.32.92.
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haupt erst verständlich“ sei.98 Die Septuaginta, der so der Status einer Normübersetzung zukam, sollte schließlich immer dann maßgeblich sein, so Althaus und Faßmann übereinstimmend, wenn sie genau und korrekt sei.99 Bei der Übersetzung zählten demnach nicht nur die Autorität des als verbrieft angenommenen „Urtextes“, sondern auch das Empfinden und die Expertise der Missionare, um die Entsprechung zum Original zu gewährleisten. Die Lautverschiebungen, die Müller als ebenso notwendig erachtet hatte, wurden aber – und dies ist die andere Seite der Übersetzungspraxis – zum Teil den Chagga selbst überlassen: „In den Fällen, wo die lautlichen Gesetze des Kidschagga die Einfügung eines Vokals erheischen, kann eine schriftlich fixierte Form nicht aufgestellt werden, vielmehr sollen diese Namen zunächst unverändert den Eingeborenen vorgelegt und die dann von ihnen vorgenommenen lautlichen Veränderungen notiert werden.“100
Wie unfertig diese von Müller aufgestellten Prinzipien eigentlich waren, zeigte sich, als das gleiche Thema 1908 noch einmal auf die Tagesordnung der Konferenz gesetzt wurde und erneut Müller um die Vorlage des entsprechenden Referats gebeten wurde. Müller fasste zunächst die von ihm 1897 erarbeiteten Schwierigkeiten zusammen und verwies auf die bereits aufgestellte Regel, die Übersetzung der LXX als Maßregel zu nutzen und nur in fraglichen Fällen von ihr zugunsten des hebräischen Originals abzuweichen.101 Aber: „Wollen wir zu einer richtigen Übertragung kommen, so müssen wir noch eine Eigentümlichkeit der 70 des N. T. beachten, die bei vielem Neuen auf eine falsche Spur leiten könnte“,102 nämlich dass der Buchstabe χ für verschiedene Laute gesetzt wurde.103 Teilweise sei dies durch die Vulgata, die sich mehr nach dem Urtext gerichtet habe, korrigiert.104 Dadurch seien aber immer wieder Ausnahmen von den Regeln geschaffen worden.105 War für Müller auch diesmal wieder die Fraglichkeit des vermeintlichen „Urtextes“ ein Problem, so war es auch die Lautübertragung, bei der er nun aber mit den Erfahrungen der vergangenen Jahre argumentierte. Bereits 1898 hatte er den Vorschlag unterbreitet, vermehrt Vokale einzufügen; dieser Vorschlag war jedoch bei den Konferenzteilnehmern zunächst auf Ablehnung gestoßen: „Aber die Praxis ist stärker gewesen, und 98 99 100 101
Ebd. Hier wird auf die Reich-Gottes-Lehre angespielt. Protokoll der Chagga-Konferenz, Dezember 1897, TOP 2, ALMW II.32.92. Ebd. Protokoll der Chagga-Konferenz, August 1908, Beilage: Müller, Die Übertragung biblischer Eigennamen in das Kidschagga und verwandte Dialekte, ALMW II.32.98. 102 Ebd., 12. 103 Ebd. 104 Ebd. 105 Ebd., 13: Müller erschien die Veränderung insb. bei Jericho als ein besonders schwerer Eingriff: „Bedenklich macht mich nur, daß wir für Ίεριχώ (Ίερειχώ) = ְ ֹוחרי ֵ Yeriko bz. Yeriyo setzen mußten. Es giebt eben in Nomenklatur niemals Regeln ohne Ausnahmen. Immer wieder Ausnahmen von der Ausnahme, Yeriko ist eingebürgert.“
3.1 Die Bibel übersetzen?!
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in der Aussprache der Leute wie in den gedruckten Übersetzungen der Brüder finden wir diesen eingeschobenen Vokal. Wenn z. B. unsere Leute Andrea lernen und doch Anderea sagen, so dürfen wir das nicht übersehen.“106 Auch in anderen Fällen veränderte Müller die Theorie der Übertragung zugunsten der in der Praxis angewandten. So habe sich statt G als Anfangslaut ein K (ausgesprochen Ng) durchgesetzt.107 Müllers Vorschlag der Vokaleinfügung wurde aufgrund dieser Argumente grundsätzlich angenommen,108 um eine Rezeption der biblischen Namen eingängiger zu gestalten, auch wenn sich diese dadurch vom griechischen oder auch hebräischen Original weiter entfernten. Verlangte bereits die Setzung eines „Urtextes“ also nach einer theologischen Positionierung, so galt dies erst recht für terminologische Begriffe, deren Übersetzung nicht nur eine klare theologische Position erforderten, sondern auch die Vorstellungswelt der Adressaten berücksichtigen musste. Die von den Missionaren angestellten religionswissenschaftlichen Forschungen, beispielsweise zum Gottesbegriff, sollten so auch wesentlich die Grundlage für eine verständige Übersetzung bilden. Emil Müller klagte daraufhin im Missionsblatt: „Was sollen wir mit einem Gottesnamen anfangen, der zugleich die Sonne bedeutet (iruwa); was mit einem Wort für Sünde, welches einfach „Versehen“ heißt und auf jede kleine Gedankenlosigkeit angewandt wird, und wie sollen wir den Leuten begreiflich machen, daß Gott heilig ist, wenn sie kein Wort für „heilig sein“ haben, sondern nur ein einziges Wort für „weiß“, „helle aussehen“ und eines für „schön“ und „gut“ zugleich? Und „wollen“, „wünschen“, „dürfen“, „mögen“, „brauchen“, „lieben“ muß sich alles durch ein Wort, igunda, ausdrücken lassen. Darum ist’s doppelt schwer, ohne mißverstanden zu werden, einem Volke zu predigen, welches voll Heidentum, Zauberei und Aberglauben steckt und gar kein Bedürfnis nach dem Worte des wahren Gottes hat und welches zugleich, gewissermaßen zum Beweise seines traurigen Zustandes, arm ist an Ausdrücken für höhere Güter.“109 106 Ebd., 6 [Hervorhebung i. O., K. W.] 107 Ebd., 16. Dieses Vorgehen wurde von den anderen Missionaren auf der Konferenz abgelehnt. Vgl. Protokoll der Chagga-Konferenz, August 1908, 27, ALMW II.32.98. 108 Debattiert wurde dagegen eine durchaus bezeichnende Ausnahme: Bereits zu Beginn der Besprechung hatte Althaus auf sein Unbehagen hingewiesen, „Kiristo“ in „Kirisito“ umzuändern, auch wenn es „älteren Leuten … einfach oft unmöglich“ sei, „den Namen ‚Kiristo‘ in dieser Form auszusprechen“. Er beantragte deshalb auch zunächst, „Kiristo“ als Ausnahme beizubehalten, zog diesen Antrag aber zurück, als Missionar Ittameier darauf aufmerksam machte, dass in seinem Missionsgebiet eine solche Aussprache nicht möglich sei. Zusätzlich gelte es zu beachten: „Müller ist für diesen Vorschlag [die Beibehaltung von Kiristo, K. W.] aus praktischem Grunde, weil unsere nach ‚Kirisito‘ gebildete Bezeichnung für Christen, nämlich die ‚Wakirisitianus‘ eine etwas unheimliche Dimension bekäme.“ Protokoll der Chagga-Konferenz, August 1908, 23–24, ALMW II.32.98. Eine Umbenennung wurde schlussendlich angestrebt. Vgl. auch 24. Konferenz der Dschagga-Missionare, 19.–24. August 1908. Aus dem Berichte von Miss. Ittameier-Nkoaranga, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1908), S. 554–560, 556. 109 Emil Müller, Ein Blick in die Madschamesprache, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1895), S. 359–366, 364. Siehe dazu Wilhelm Richebächer, Religionswechsel und Christologie, Neuendettelsau 2003, 11 mit weiteren Angaben. Hier heißt es: „Interessant und kontrovers wird
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Carl Meinhof, der zeitgenössisch als Experte für Bantu-Sprachen galt,110 hatte die Schwierigkeiten, die mit den linguistischen Studien der Missionare einhergingen, mehrfach deutlich gemacht. Gerade weil nicht jeder Missionar ein Sprachengenie sei und die sprachliche Ausbildung der Missionare häufig nicht genüge,111 bestünde die Gefahr, missverständliche Wendungen zu gebrauchen, Lautverschiebungen nicht zu berücksichtigen oder grammatische Fehler immer wieder zu reproduzieren.112 Die von Meinhof herausgearbeiteten Übersetzungskriterien zielten deswegen auf Verständlichkeit ab: Fremdworte sollten nur als letztes Mittel verwandt werden, insbesondere der Gebrauch von Fremdworten aus dem Kiswahili beziehungsweise Arabischen sei zu vermeiden, eine Umdeutung der heidnischen Worte sei zwar angängig, aber mehr ein notwendiges Übel. Am besten wirke man in der Form sprachbildend, dass man neue Worte schaffte, die den christlichen Gedanken ausdrückten. Dies sei nichts „abnormes“, zumal die afrikanischen Sprachen „nicht so starr und verhärtet sind wie die Sprachen Europas, sondern unendlich viel von frischer, lebendiger Ursprünglichkeit haben. Man kann, ohne ihnen Gewalt anzutun, neue Worte in ihnen mit großer Leichtigkeit bilden. Wenn sie richtig gebildet sind, werden sie ohne weiteres auch richtig verstanden.“113
Eine Übersetzung sei dann passend beziehungsweise „treu“, wenn sie den Sinn beziehungsweise den Gedanken der jeweiligen Bibelstelle wiedergebe. Meinhof sagte damit einer wörtlichen Übersetzung zugunsten einer freieren Übersetzung ab.114 Der Übersetzer sollte Umsichtigkeit bei der Verwendung der richtigen Grammatik ebenso walten lassen wie bei der Bildung biblischer Namen.115 Meinhof legte in seinem Standardwerk sogar eine Liste mit Begriffen vor, die er für eine korrekte Übersetzung der christlichen Botschaft als besonders wichtig erachtete: Gott, Reich Gottes, Welt, Sünde, Schuld, Gewissen, Heiland, Versöhnung, heilig/heiliger Geist, Buße/Bekehrung, Gnade, christlicher Glauben, Gerechtigkeit und Frieden, Liebe, Taufe und ewiges Leben.116
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das Thema also, wenn es um Art und Anspruch der Applikation afrikanischer Hoheitstitel und Namen, wie überhaupt von Interpretamenten afrikanischer Lebens- und Gotteserfahrung auf das Verhältnis zu Jesus Christus geht. Dabei ist die Frage von großer Bedeutung, ob einem Titel eine ethisch-kulturelle Grenzen übergreifende Bedeutung zukommt.“ Zu Meinhof siehe insb. Pugach, Africa in Translation. Meinhof plädierte – neben einem intensiven Sprachstudium durch das enge Zusammenleben mit den zu missionierenden Völkern vor Ort – für eine vorbereitende Beschäftigung mit den Sprachen bereits in Europa. Vgl. z. B. Meinhof, Sprachliche Ausbildung, Ders , Die Christianisierung der Sprachen Afrikas, Basel 1905, 54–55. Ders , Christianisierung. Ebd., 48. Ebd., 50. Ebd., 49 u. 52–53. Ebd., 31–46.
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Bereits im Juli 1899 hatte Gerhard Althaus, dem nicht zuletzt die theologisch-exegetische Arbeit im Missionsgebiet oblag, eine ähnliche, aber umfangreichere Liste an Begriffen vorgestellt, die er „einstweilen am nötigsten für Predigt und Unterricht“ erachtet hatte.117 Vordergründig erschien Althaus der Mangel an Abstrakta im Kichagga problematisch, der es manchmal unmöglich mache, eine geeignete und eindeutige Übersetzung zu finden.118 Man solle nicht daran verzweifeln, sondern darauf vertrauen, dass es „Gott bestimmt gefallen“ werde, „auch durch unser Lallen zu den Herzen der Wadschagga zu sprechen und sie zu bekehren.“119 Aufgabe der Missionare sei es dennoch, an der „Kirchensprache“ der Chagga zu arbeiten. Althaus, der sich damit sowohl in die Tradition pietistischer Prediger als auch Luthers stellte, wollte diese „Kirchensprache“ auf eine originalsprachliche Grundlage gestellt wissen: „Denn daß wir bei Wiedergabe biblischer Begriffe im Kichagga zunächst nach der ursprünglichen und übertragenen Bedeutung der hebräischen oder griechischen Worte, durch welche die betreffenden Begriffe wiedergegeben werden, fragen und uns möglichst nach hieran anschließen, versteht sich von selbst, zumal dieses in vielen Fällen ungleich leichter ist, aus der Ursprache, als etwa aus der Lutherischen Übersetzung ins Kichagga zu übertragen – Ähnlich werden wir bei kirchlichen Begriffen auf die Bedeutung der Worte zurückgehen, die man mit denselben ursprünglich in der Kirche verbunden hat.“
Die Übersetzung dieser Begriffe bedurfte also nicht nur einer sehr guten Kenntnis des Kichaggas (beziehungsweise der entsprechenden Sprache), sondern verlangte auch nach einer sehr guten Kenntnis der alten Sprachen und der Kirchengeschichte.120 Die Übersetzung wurde zur theologischen exegetischen Aufgabe, die der Sicherung der Reinheit der lutherischen Lehre dienen sollte – eine Aufgabe, die nun von den Missionaren willig übernommen wurde. Dem entsprach auch, dass Althaus die Verwendung von Fremdworten aus dem Kiswahili infrage stellte, wenn nicht sogar ganz ablehnte. Solche Worte, die dem Chagga fehlten, seien, so Althaus, eigentlich auch im Kiswahili nicht vorhanden und stammten daher aus dem Arabischen (mit seiner muslimischen Konnotation), vielmehr scheine es sich zu empfehlen, fehlende Worte aus dem Hebräischen, Griechischen oder Lateinischen zu entlehnen.121 Die Chaggamissionare traten hier in einen Prozess ein, der zeitgenössisch unter dem Terminus der „Verchristlichung der Sprachen“ firmierte und von der Annahme ausging, dass Sprachen nichtchristlicher Völker, insbesondere Afrikas, einen Mangel 117
Protokoll der Chagga-Konferenz, Juli 1899, Beilage 3: Althaus, Referat über die Wiedergabe etlicher wichtiger biblischer und kirchlicher Begriffe im Kichagga, ALMW II.32.92. 118 Ebd. 119 Ebd. [Hervorhebungen im Original, K. W.] 120 Althaus plädierte auch in der Rückschau für eine gründliche Kenntnis des Griechischen und Hebräischen für einen Missionar. Gerhard Althaus, Mamba – Anfang in Afrika. Bearbeitet von Hans Ludwig Althaus, Erlangen 1968, 72. 121 Ebd.
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an Abstrakta aufwiesen, der die missionarische Übersetzung erschwerte. Immer wieder waren in der Allgemeinen Missionszeitschrift Beiträge erschienen, in denen von konkreten Übersetzungsproblemen die Rede war und der Umgang mit Redewendungen, Fremdwörtern oder Anpassungen diskutiert wurde.122 Solche Sammlungen stellten das Vorgehen der Übersetzer nicht infrage. Zwar sollte die Sprache der zu missionierenden Völker respektiert werden, sie sollte aber gleichzeitig zu einem „Gefäß für die christliche Heilsbotschaft“ weitergebildet werden: „Jede fremde Sprache, in welcher das Evangelium verkündet wird, muß einen Prozeß der Christianisierung durchmachen, der den vorhandenen Sprachschatz umbildet, veredelt, vertieft und selbst mit neuen Wortbildungen bereichert.“123 Ohne Zweifel können die Überlegungen der Missionare sowie die von ihnen intendierten (und durchgesetzten) Wortneuschöpfungen und Umdeutungen, ja sogar die Kodifizierung der lokalen Sprache als Schriftsprache selbst als „linguistic colonialism“ bezeichnet werden.124 Wie Sara Pugach festgestellt hat, läuteten die Missionare, unterstützt von der zeitgenössischen sprachwissenschaftlichen beziehungsweise afrikanistischen Expertise damit einen gewalthaften Prozess ein, in dem die afrikanischen Sprachen so verändert wurden, dass sie zu Trägern eines gänzlich anderen, europäischen Glaubens- und Wissenssystem wurden.125 Nicht zuletzt wurde deswegen die Bibel auch als „colonial artefact“ oder als „kulturelle Waffe“ verstanden, die im Dienste europäischer Repräsentationspraxis und kolonialer Herrschaft stand.126 Das Ringen um die richtige Bedeutung und die Annahme, dass Bedeutungsnuancen zugunsten eines christlichen Verständnisses verändert werden konnten, waren immer von dem missionarischen Selbstverständnis potenzieller Deutungshoheit durchdrungen. Gleichzeitig drückte sich in diesem Ringen eine tiefe Unsicherheit aus. Gerade die Übersetzung von Worten, in denen bereits eine theologische Lesart und nicht selten konfessionelle Differenzen eingeschrieben waren, wie das Wort „taufen“127, wurden deswegen immer wieder problematisiert, gefundene Lösungen wieder verworfen und neue Worte er-
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So z. B. Heinrich Sundermann, Einige Gedanken über missionarische Bibelübersetzung, in: Allgemeine Missionszeitschrift 15 (1888), S. 353–372; Jakob Spieth, Bibelübersetzung in die Sprache eines westafrikanischen Naturvolkes, in: Allgemeine Missionszeitschrift 29 (1907), S. 315–323, 375–383. 123 Warneck, Missionslehre III.2, 54–55. 124 Comaroff/Comaroff, Of Revelation and Revolution, 219–230; Johannes Fabian, Missions and the Colonization of African Languages. Developments in the Former Belgian Congo, in: Canadian Journal of African Studies 17 (1983), S. 165–187. 125 Pugach, Christianize, 509. 126 Hilary M Carey, Lancelot Threlkeld, Biraban, and the Colonial Bible in Australia, in: Comparative Studies in Society and History 52 (2010), S. 447–478; Fabian, Missions and the Colonization; Bachmann-Medick, Cultural Turns, 244. 127 Meinhof prüfte bspw. eine Übersetzung der Missionare der Sieben-Tage-Adventisten daraufhin, ob die Übersetzung allen verschiedenen konfessionellen Lesarten gerecht würde, bevor sie von der britischen Bibelgesellschaft gedruckt wurde. Schreiben Kilgour an Handmann, 1.9.1912, ALMW II.17.2.3.
3.1 Die Bibel übersetzen?!
201
wogen. Im August 1907 wurde sogar ein Tagungsordnungspunkt der Missionarskonferenz lediglich der Übersetzung der verschiedenen griechischen Begriffe für Sünde gewidmet, bei dem es mindestens genau so viel um altphilologische Bedeutungsnuancen und den dogmatischen Inhalt ging wie um die (vermeintlich) korrekte Übersetzung ins Kichagga.128 Eine falsche (oder unwürdige Übersetzung) hatte schließlich aus missionarischer Sicht immer das Potenzial, die Botschaft zu verfälschen. Wie die Missionare dabei zu passenden Begrifflichkeiten kamen, zeigt die Debatte um die Übersetzung des Begriffs „heilig“ im Jahr 1908. Gleich zwei Missionare legten zu der Frage nach der richtigen Übersetzung Gutachten vor – Eduard Ittameier129 aus Machame und Fritz Stammberg aus Mwika. In seiner Erörterung der verschiedenen Möglichkeiten der Übersetzung von „heiligen“, machte Stammberg insgesamt vier verschiedene Worte aus, die er nachfolgendend gegeneinander abwog. Argumentiert wurde dabei, in welchem Kontext die Chagga dieses spezifische Wort benützten und wie sich dies auf den spezifischen christlichen Gebrauch übertragen ließe: „Ferner wird – tembetšera – in dem Falle angewandt, wenn ein jüngerer Bruder an dem älteren oder ein Mann an dem Häuptling sich vergangen hat, in dem ihn ein anderer mit: yenda utembetsere soosoo ao mangi netša, nalovone-se nyaši! [… zur Entschuldigung auffordert, K. W.] Also hat das Wort – tembetšera – 2) einen sehr schönen Sinn für: einen Höherstehenden geneigt machen durch Worte oder durch eine Handlung ihn versöhnen. Somit ließe es sich sehr gut sagen: yenda utembetšere Ruwa ofo netša, nalarone-se nyaši! Gott ist über uns, wir haben durch unsere Sünde seine Gemeinschaft und Freundschaft verloren, deswegen gilt es hinzugehen, vor ihm sich zu erniedrigen, ihn zu bitten, mit einem Worte, alles unsererseits daranzuwenden, daß er uns wieder gnädig wird.“130
Es sei ein leichtes, so Stammberg weiter, „die Menschen im Unterricht auch an die Wiedergabe der übrigen Bedeutungsnuancen des Wortes αγiάζειν mit tembetšera zu gewöhnen, sodass man ein einheitliches Wort gebrauchen könne“.131 Tatsächlich hatte sich 1908 bereits ein gewisses Faktum in der christlichen Terminologie durchgesetzt, so konnte Ittameier in seinem Referat, in dem er für das Wort „ela“ als Übersetzung für 128 129
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Vgl. Protokoll der Chagga-Konferenz, August 1907: Übersetzung der Begriffsgruppen (Sünde): αμαρτια, αμαρτημα, παρακατις, παραπτωμα, κακοθζγια, κακια, αδiκια, ανομια, αποστασις, ALMW II.32.97. Eduard Ittameier (1879–1974) war der Sohn des Gründers der Hersbrucker-Mission. Er hatte in Erlangen, Greifswald und Tübingen Theologie studiert und sich ein Jahr in der Heimat dem Kiswahili-Studium gewidmet. 1905 wurde er in die Chagga-Mission abgeordnet. 1914 wurde er während eines Heimaturlaubes eingezogen. 1926 wurde er erneut nach Ostafrika abgeordnet. Nach dem 2. Weltkrieg arbeitete er als Berufsarbeiter für die Leipziger Missionsgesellschaft. Er widmete sich auch dann noch der Bibelübersetzung. https://www.lmw-mission.de/missionar-301.html (zuletzt eingesehen: 8.8.2018). Protokoll der Chagga-Konferenz, August 1908, Beilage 10b: Stammberg, Übersetzung des Begriffs „heiligen“. ALMW II.32.98. [Hervorhebung i. O., K. W.]. Ebd.
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3 Religiöses Wissen in der Mission
„heilig“ plädierte, als Argument anführen, dass der Begriff – obwohl er nicht vollends passe – seit geraumer Zeit auf allen Stationen verwandt würde und nach entsprechender Erklärung mittlerweile von den Christen verstanden werde.132 Weil die in den Referaten angestellten sprachlichen Überlegungen so unterschiedlich ausgefallen waren und die Missionare in der Debatte ebenfalls keine Einigung erzielen konnten – trotz der unterschiedlichen Sprachräume wurde, wie bereits ausgeführt, die Einigung auf einen Begriff und damit eine einheitliche Kirchensprache angestrebt – entschied die Konferenz schließlich, gesonderte Sprachkonferenzen abzuhalten zur „Feststellung religiöser Begriffe, biblischer Eigennamen, grammatikalischer und orthographischer Regeln“.133 Außerdem sollten sich die Missionare, die auf einer Station arbeiteten, regelmäßig über ihre sprachlichen Arbeiten austauschen.134 Der Anspruch einer verständlichen Übersetzung bezog sich aber keineswegs nur auf dogmatische Begriffe, auch wenn deren Übertragung für die Missionare deutlich problematischer war. Entwickelt wurde daher in Anlehnung an Luther das Paradigma der „volkstümlichen Übersetzung“.135 Eine adäquate Übersetzung des Bibelwortes war dementsprechend nicht eine möglichst wortgetreue,136 sondern eine möglichst verständliche Übersetzung in einem volksnahen Stil.137 Indem dieser Prozess als eine „Veredelung der Sprachen“ mit der Arbeit Luthers für das Deutsche verglichen wurde, rückten sich die Missionare in die Nähe Luthers und der Apostel. Mit der Schwierigkeit, die damit einherging, „daß christliche Gedanken in einer Sprache gesagt werden sollen, in der sie noch nie gedacht sind“,138 und deswegen jegliche Vorarbeiten fehlten, um das Evangelium adäquat zu übersetzen, übertrumpften sie potenziell sogar
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Protokoll der Chagga-Konferenz, August 1908, Beilage 10a: Ittameier, Übersetzung des Begriffs „heiligen“, ALMW II.32.98. Protokoll der Chagga-Konferenz, August 1908, 46, ALMW II.32.98. Vgl. Protokoll der Chagga-Konferenz, Dezember 1903, TOP 13, ALMW II.32.95. Büttner verweist direkt auf das Vorbild Luthers: Carl Gotthilf Büttner, Aus der Studierstube eines Bibelübersetzers, in: Allgemeine Missionszeitschrift 8 (1881), S. 185–203, 189. Büttner, Missionar der Rheinischen Missionar in Namibia, war auch an der Aushandlung der sog. „Schutzverträge“ beteiligt. Später leitete er die Deutsch-Ostafrikanische Missionsgesellschaft und war danach als Sprachenlehrer am Seminar für Orientalische Sprachen in Berlin tätig. Diedrich Hermann Westermann, „Büttner, Karl“, in: NDB 3 (1957), S. 7, https://www.deutsche-biographie.de/pnd119070596. html#ndbcontent (zuletzt eingesehen: 10.10.2018). Hier stellten sich die Missionare mit Luther gegen eine Übersetzungstradition, die auch die Wortstellung der Bibel als Mysterium betrachtete. Luther spricht deswegen auch nicht von Übersetzen im Sinne des Hieronymus, sondern von „dolmetzschen“. Vgl. Gutzen, Denn wer dolmetzschen wil, 253. Vgl. z. B. Sundermann, Einige Gedanken, 359, und dazu bereits zeitgenössisch Johannes Warneck, Die missionarische Verkündigung als Botschaft und lehrhafte Unterweisung, in: Allgemeine Missionszeitschrift 38 (1911), S. 153–163, 201–212, 157. Der „volksnahe Stil“ sei jedoch von reiner Umgangssprache zu unterscheiden. Vgl. Paul Wurm, Die Sprache des Heiligtums und die Umgangssprache in der Mission, in: Allgemeine Missionszeitschrift 22 (1895), S. 541–543, S. 541–543. Carl Meinhof, Die Christianisierung der afrikanischen Sprachen in: Allgemeine Missionszeitschrift 32 (1905), S. 82–90, 141–153, 85 [Hervorhebung i. O., K. W.].
3.1 Die Bibel übersetzen?!
203
die Bemühungen ihrer Glaubenshelden. Dass die Übersetzungen der Missionare stets des Überarbeitens bedürftig waren, konnte auf diesem Wege gleichsam entschuldigt werden, hatte doch auch Luther – so das zeitgenössische Argument – zahlreiche Revisionen an seiner Bibel noch selbst durchgeführt.139 Eine verständliche Übersetzung im Sinne einer „volkstümlichen Übersetzung“ meinte für die Missionare zum Beispiel auch eine Übersetzung der Flora und Fauna in die Zielsprache. Wenn es beispielsweise um die Aufzählung von Tieren im 5. Buch Mose gehe, so solle man die lokale Umwelt erforschen: „Wir müssen deshalb unter der heutigen Tierwelt Umschau halten, um zu erfahren, welche Tiere am meisten Ähnlichkeit mit Hirsch und Reh haben.“140 Dass es hier um alttestamentliche Speisevorschriften ging, unterstreicht einmal mehr, dass der Bibeltext an lokale Verstehenszusammenhänge angepasst und aktualisiert werden sollte: „Eine brauchbare Übersetzung darf aber nicht nur mit dem Texte, sondern muß auch mit den Lesern und ihrer eigenartigen Denk- und Vorstellungsweise rechnen. Diese aber ist in hohem Maße beeinflußt von ihrer ganzen Umgebung sowie von all ihren Lebensverhältnissen,“141 so der Bremer Missionar Jakob Spieth, dessen Bibelübersetzung ins Ewe zeitgenössisch als Ideal galt.142 Das Paradigma der Verständlichkeit setzte damit nicht nur eine genaue Erforschung der Sprache, sondern auch der (religiösen) Lebenswelt der zu Missionierenden voraus,143 die Eingang in den Übersetzungstext finden sollte. Die Bibelübersetzungen waren also nicht immer Übersetzungen, die den höchsten Ansprüchen der Textkritik genügten, sondern häufig eher Übertragungen, die mit einem Fokus auf „Sinngemäßheit“ dennoch „durchaus treueste Text-Wiedergabe“144 erforderten.
139
Ders , Christianisierung., 86. Büttner, Studierstube, 198–199. Vgl. Gutzen, Denn wer dolmetzschen wil, 248. 140 Spieth, Bibelübersetzung, 322, am Beispiel von 5. Mos. 14,5: „Hirsch, Reh, Büffel, Steinbock, Gemse, Auerochs und Elen.“ Siehe auch Robert Fraser, Book History through Postcolonial Eyes. Rewriting the Script, London 2008, 9, der beschreibt wie Moffat in der Übersetzung ins Setswana Seemonster statt Wale in Gen. 1.21 übersetzt. 141 Spieth, Bibelübersetzung, 378. 142 Die Übersetzungsleistung von Missionar Jakob Spieth ist intensiv erforscht worden. Siehe Gilbert Dotsé Yigbe, Übersetzung und Wissenstransfer in den Schriften der evangelischen Missionare in Deutsch-Togo, in: Ulrich van der Heyden / Andreas Feldtkeller (Hg.), Missionsgeschichte als Geschichte der Globalisierung von Wissen. Transkulturelle Wissensaneignung und -vermittlung durch christliche Missionare in Afrika und Asien im 17., 18. und 19. Jahrhundert, Stuttgart 2012, S. 441–452; Werner Ustorf, Missionarsreligion und säkulare Religion bei Jakob Spieth (1856–1914), in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 117 (2006), S. 68–84, und Ders., The Missionary’s Progress. Evolving Images of ‚Self ‘ and ‚Other‘ in the Career of Jakob Spieth (1856–1914), in: Hilde Nielssen u. a. (Hg.), Protestant Missions and Local Encounters in the Nineteenth and Twentieth Centuries, Leiden/Boston 2011, S. 71–85. 143 Dies war erneut ein zeitgenössischer Konsens, der sich u. a. in den Arbeiten Raums zur Grammatik ausdrückt. Siehe auch Warneck, Missionslehre III.2, 186. 144 Ebd., 214.
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3 Religiöses Wissen in der Mission
3.1.4 Die Abhängigkeit von Intermediaries und die Dialogizität der Übersetzung Um eine solche Übersetzung anzufertigen, waren Missionare in höchstem Maße auf die Vermittlungen von „Sprachgehilfen“ und „Dolmetschern“ angewiesen, die sie nicht nur in der ersten Zeit in die Grundlage der Sprachen einwiesen, sondern auch während des Übersetzungsprozesses unterrichteten. Der Einfluss dieser „Gehilfen“ kann deswegen kaum überschätzt werden. Althaus wollte nach der Konferenz von 1903 sogar einen, „der besonders qualifiziert ist“, zur Bibelübersetzung ins Kimoshi abstellen, um das Ziel einer auch in Mamba verständlichen Übersetzung zu erreichen.145 Die Forschung hat in den letzten Jahren vermehrt auf die Bedeutung solcher intermediaries verwiesen, die als sogenannte Gehilfen für die Missionare arbeiteten.146 Intermediaries beherrschten das being-in-between, das Hin und Her zwischen den Kulturen, und waren deshalb wichtige Gestalter der Übersetzung.147 Als Informanten über kulturelle Besonderheiten, über „Zauberei“148 und „Beschneidung“, als Sprachlehrer und -forscher, als Experten für lokale Pflanzen und Tiere sowie der regionalen Geschichte waren sie „Scharnier zwischen dem kontinentalen Missionar und der einheimischen Bevölkerung“.149 Als solche waren sie für die Missionare die wichtigste Informationsquelle, und ihre Tätigkeit war Voraussetzung, um überhaupt zu einer Übersetzung gelangen zu können. Zeitgenössisch wurde die Bedeutung dieser einheimischen „Gehilfen“ durchaus erkannt, auch wenn sie in den gedruckten Übersetzungen und in Publikationen von Missionaren zumeist verschwiegen wurden.150 Carl Meinhof plädierte sogar für eine zweimalige Heranziehung lokaler Sprachkundiger, wie es in der Usambara-Mission üblich sei. Hier würde ein Text zuerst von einem Missionar übersetzt, dann mit einigen wenigen älteren Schülern besprochen und revidiert; nach einer Besprechung mit den Missionskollegen sollte dann eine Übersetzung vor dem Druck erneut mit Einheimischen durchgesprochen werden.151 So sollte nicht zuletzt verhindert werden, dass
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151
Vgl. Protokoll der Chagga-Konferenz, Dezember 1903, TOP 10, 61, ALMW II.32.95. Althaus selbst zog für seine Übersetzungen häufig Kanina (Stefano) heran, den er als „intelligenten Eingeborenen“ mit großem „Verständnis für Gottes Wort“ bezeichnete. Althaus, Mamba, 73. Die Forschung betont mittlerweile einmütig, dass diese intermediaries großen Einfluss auf die Etablierung unabhängiger Kirchen in den Missionsgebieten nahmen, auch wenn die zeitgenössischen Missionare und auch die Missionsgeschichtsschreibung die Rolle der einheimischen „Gehilfen“ eher verschwiegen haben. Vgl. dazu Yigbe, Gewährsleute. Vgl. Habermas, Intermediaries. Hier z. B. über das „Kumo“ in Ozeanien Richter, Flexibles Wissen. Ebd., 332. Vgl. z. B. Carl Meinhof, Afrikanische Bibelübersetzungen. Ein kurzer Überblick für die Freunde der Bibel und der Mission, Basel/Stuttgart 1926, 13. Warneck, Missionslehre III.2, 185. Siehe zu den religionswissenschaftlichen Forschungen der Missionare, die ja auch maßgeblich auf den Informationen lokaler Vermittler beruhten, Kap. 3.1. dieser Studie. Meinhof, Afrikanische Bibelübersetzung, 13.
3.1 Die Bibel übersetzen?!
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durch Lautverschiebungen oder Fehler gänzlich sinnlose Sätze in die Übersetzungen Eingang fanden.152 Anders als beispielsweise der Missionar Christaller, der für die Basler Mission an der Goldküste arbeitete und sich mit seinen „Gehilfen“, insbesondere mit David Asante, vor Ort und auch von Europa aus austauschte,153 oblag die sprachliche Arbeit in der Chaggamission den Missionaren neben ihren anderen Aufgaben. Die Leipziger Missionare waren deswegen auf eine andere Methode als beispielsweise Jakob Spieth, der in ständigem und engem Austausch mit Ludwig Adzaklo stand,154 verfallen. Im Juli 1901 wurde es als Aufgabe der Kostschüler, also der auf der Station wohnenden und arbeiteten Schüler der Mission, festgeschrieben, dass sie jederzeit für sprachliche Studien zur Verfügung stehen sollten.155 Emil Müller bezeichnete es sogar als den vornehmlichen Zweck der Kostschule – deren Erhaltung zu diesem Zeitpunkt aus Kostengründen zur Debatte stand – „einen festen Stamm von Schülern, Helfern bei Sprachstudien und Vermittlern zwischen uns und den Eingeborenen zu haben.“156 Die Schulstunden, die von den Missionaren erteilt wurden, waren eine Kommunikationsmöglichkeit, durch die der Bibeltext nicht nur gelehrt, sondern gleichsam verhandelt und neu übersetzt wurde. Missionar Fokken beschrieb seine Methode, seine Übersetzungen einer Revision zu unterziehen, wie folgt: „Besonders wertvoll waren für mich bei dieser Arbeit die biblischen Geschichtsstunden, die ich in der Schule erteile, sowie der Katechumenenunterricht. Da ließ ich besser begabte Schüler die biblischen Geschichten selbst wiedererzählen oder ich ließ die Hilfslehrer selbständig unterrichten und stellte dabei meine Beobachtungen an über diesen oder jenen Ausdruck, dessen Gebrauch mir noch nicht ganz klar war.“157
Schüler und andere Gehilfen – die in späteren Jahren immer besser von den Missionaren geschult wurden – dienten den Missionaren als Korrektiv für ihre Übersetzungsarbeiten, und zwar für lexikalische und phonetische Fragen wie für ethnographische Aspekte. Die Gespräche in der Schule und die Übersetzungsrevisionen in der Studierstube boten den Schülerinnen und Schülern damit Gelegenheit, die Botschaft zu beeinflus-
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Siehe dazu mit einigen Beispielen Musa W Dube, Bible in the Bush. The First „Literate“ Batswana Bible Readers, in: Ders. / R. S. Wafula (Hg.), Postcoloniality, Translation, and the Bible in Africa, 2017, S. 159–175, 169. Vgl. Erika Eichholzer, Missionary Linguistics on the Gold Coast. Wrestling with Languages, in: Patrick Harries / David Maxwell (Hg.), The Spiritual in the Secular. Missionaries and Knowledge about Africa, Cambridge 2012, S. 72–99. Yigbe, Gewährsleute. Vgl. Protokoll der Chagga-Konferenz, Juli 1901, TOP 6, ALMW II.32.92. Ebd., 14. Hermann Fokken, Wie ein afrikanisches Volk eine christliche Literatur erhält, in: Evangelischlutherisches Missionsblatt (1914), S. 436–438, 443–448, 446.
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3 Religiöses Wissen in der Mission
sen. Die Übersetzung war somit weniger ein Produkt eines oder mehrerer Missionare, sondern Ergebnis eines Prozesses, der in der Schule oder während der Predigt stattfand und auf den die lokale Bevölkerung, die ja zumeist nicht getauft war, wesentlichen Einfluss ausübte.158 Es entglitt den Missionaren dabei die Macht über die Begriffe, die sie doch zuvor durch den Rückgriff auf den Urtext und ihre exegetischen Studien sichergestellt sehen wollten. Die Gefahr, dass sich einheimische Glaubenskonzepte dadurch in das Christentum integrierten beziehungsweise integrieren konnten, war den Missionaren bewusst, hatten sie doch aus eben diesem Grund den Einsatz von Dolmetschern abgelehnt.159 Die Übersetzung wurde durch den stetigen Austausch im Missionsgebiet zu einem Produkt, das – trotz der hegemonialen Stellung der Missionare – erst durch die Dialogizität im Übersetzungsprozess entstand. Die so entstandenen Bibelübertragungen waren heterogene Werkstücke, die sich je nach Sprachvermögen und theologischer Position der Übersetzenden, dem lokalen Kontext der Adressaten des Textes und dem Einfluss der „Gehilfen“ maßgeblich voneinander unterscheiden konnten. Auch wenn die gedruckten Bücher, die einen ersten Abschluss einer Übersetzung bildeten, diesen Entstehungsprozess zumeist unsichtbar werden ließen. 3.1.5 Die gedruckte Übersetzung Im Verlauf der ersten Jahre des 20. Jahrhunderts lagen im Missionsgebiet am Kilimandscharo die Manuskripte einiger Bibelteile in druckfertiger Form vor, die sich als erste Ergebnisse des oben beschriebenen Aushandlungsprozess begreifen lassen. Das Erscheinen von Übersetzungen wurde nicht nur im Missionsgebiet, sondern vor allem auch innerhalb des lutherischen Netzwerks als großer Fortschritt gefeiert. 1907 erfuhren die Leserinnen und Leser des Missionsblattes beispielsweise, dass in Moshi der Kleine Katechismus, ein Psalmbuch, eine Moshifibel, eine Bibelkunde, das Matthäus- und Lukasevangelium, Lieder, Rechnungsformulare, das Gemeindeblatt sowie einzelne Geschichten des Alten Testaments gedruckt worden waren.160 Bereits 1902
158
Vgl. dazu mit ähnlichen Ergebnissen Marcus Tomalin, Exploring Nineteenth-Century Haida Translations of the New Testament, in: Journal of Religious History 35 (2011), S. 43–71, 49, 51. 159 Meyer, Translating the Devil, 82; Peter van der Veer, Introduction, in: Ders. (Hg.), Conversion to Modernities: The Globalization of Christianity, New York/London 1996, S. 1–22, 15. Für die Norddeutsche Mission Oloukpona-Yinnnon, Missionar Bernhard Schlegel, 268. Siehe auch Comaroff/ Comaroff, Of Revelation and Revolution, 217. 160 Johannes Raum, Unsere Missions-Druckerei in Moschi 1906/1907, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1907), S. 562–563.
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hatten die Leser des Hannoverschen Missionsblattes und des Leipziger Missionsblattes eine Besprechung erster Bücher im Kimamba lesen können.161 Der Druck der Bücher, für den in Europa der Verlag der Leipziger Missionsgesellschaft oder die Sächsische Hauptbibelgesellschaft verantwortlich zeichneten, konnte im Missionsgebiet dank der sogenannten „Missionspresse“, einer einfachen Buchpresse, vorgenommen werden, die – offiziell von einem Missionar beaufsichtigt – von lokalen Arbeitern bedient wurde. Wo die Bücher gedruckt wurden, entschied dabei auch über deren äußerliche Gestalt und ihren Preis.
Abbildungen 3 und 4 Johannes-Evangelium in Kimoshi162
Bei dem 1905 von Robert Faßmann übersetzten Johannesevangelium handelte es sich beispielsweise um ein schmales Büchlein, das nach europäischen Maßstäben schlicht gestaltet war. Auf festem Papier – nicht auf Bibelpapier – gedruckt, enthielt es nach einem Deckblatt lediglich den übersetzten Text in Kimoshi samt Kapitel und Verszählungen. Eine Vorrede oder Einleitung fehlten ebenso wie Paratexte, wie es bei Bibelgesellschaften – in diesem Fall der Sächsischen Bibelgesellschaft, die den Druck finanziert hatte – üblich war.163 Das Buch war im Verlag der Leipziger Missionsgesell-
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Zwei erste Bücher. Althaus stammte aus dem Hannoverschen. Das Hannoversche Missionsblatt, das der Unterstützung der Hermannsburger und der Leipziger Missionsgesellschaft diente, widmete Althaus deswegen besondere Aufmerksamkeit. Vgl. Wetjen, Das Globale im Lokalen, Kap. 4. Mboṅi ndžitša tsivoḍe sia, tšando tsileendo ṅi Yohane msu. Das Evangelium nach Johannes in Kidschagga, Moschidialekt. Übersetzt von R. Fassmann. Hg. sächsische Hauptbibelgesellschaft, Leipzig 1905. Das Buch befindet sich im Besitz der Bibliothek der Franckeschen Stiftungen (Halle/ Saale). Vgl. zu der Politik der Bibelübersetzungen und die damit einhergehende Veränderung des Kanons Martin Leutzsch, Die Transformation des lutherischen Kanons und der Lutherbibel, in: Thomas Hieke (Hg.), Formen des Kanons. Studien zu Ausprägungen des biblischen Kanons von der Antike bis zum 19. Jahrhundert, Stuttgart 2013, S. 61–103, 89.
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schaft in Leipzig erschienen, worauf das Deckblatt hinwies. Neben dem Titel in Kimoshi war auch der deutsche Titel verzeichnet und der Übersetzer mit Namen und Berufsbezeichnung, ebenfalls in deutsch, aufgeführt. Als Sprache wurde „Kidschagga, Moschidialekt“ angegeben, sodass für die deutschen Akteure, die mit der Übersetzung konfrontiert waren, auch die Sprachenpolitik der Mission ihren Niederschlag fand. Der Einband des Buches, das insgesamt 80 Seiten umfasste, war fest und schlicht schwarz. In goldenen Lettern war dort auf der Vorderseite „Kimoschi“ und „Ev. Johannis“, also die lateinische Bezeichnung, gedruckt. Eingeprägt in den Einband waren Ornamente, rankende Blumen und in der Mitte ein Kreuz, das im Inneren eine Lutherrose zierte. Eingeschrieben in den Band war damit auch die konfessionelle Richtung. Ganz ähnlich gestaltet war eine Ausgabe des Markusevangeliums aus dem Jahr 1911. Allerdings verzeichnete hier das Deckblatt deutlich weniger Angaben, so war zum Beispiel kein Übersetzer angegeben, was den Text noch stärker objektivierte und den Übersetzungsprozess gänzlich zum Verschwinden brachte. Das Kreuz auf dem ebenfalls schwarzen Einband war bei dieser Ausgabe des Markusevangeliums nicht mehr eingeprägt, sondern nur noch aufgedruckt; wegen der goldenen Farbe war es auch von Weitem sichtbar.164 Das goldene Kreuz auf dem Einband schrieb die Bedeutung des Buches als christliches, je nach Kontext als „heiliges“ Buch, direkt in das Objekt ein.165 Das Buch wurde nicht zuletzt durch seine europäische, von den Bibelgesellschaften stammenden Vorgaben gehorchende Gestaltung zu einem Objekt des globalen Protestantismus, der die Missionsgebiete und die europäischen Heimatgebiete gleichermaßen umspannte.166 Bücher können zu „Objekten der symbolischen Repräsentation“ werden.167 Missionare übersetzten aus ihrer Bibel während der Predigten beziehungsweise dem Unterricht. Das Buch war also bei der Verkündigung direkt beteiligt. Es war damit eines der wenigen Objekte, die mit dem lutherischen Christentum in der Mission eindeutig verbunden waren. So zeigt eine Fotografie Missionar Blumers gemeinsam mit den Kirchenältesten in Arusha, wie der Missionar die Bibel und andere Bücher unter dem Arm trägt. Dass die Missionare das Wort Gottes, die Bibel, ständig verfügbar hatten und das Buch wie auch andere Bücher als solches präsentierten, trug zur Machtrepräsentation bei und unterstrich die Autorität der Missionare.
164 Mboń ndžitša tšando tsindžyende ńi Marko. Das Evangelium St. Marci im Moschidialekt. Hg. v. Sächsische Hauptbibelgesellschaft, Leipzig 1911. 165 Arjun Appadurai, Introduction. Commodities and the Politics of Value, in: Ders. (Hg.), The Social Life of Things. Commodities in a Cultural Perspective, Cambridge/New York/Melbourne 1986, S. 3–63, 5. 166 Siehe dazu bereits Wetjen, Bibel, 397. 167 Nadezda Ševčenko, Eine historische Anthropologie des Buches. Bücher in der preußischen Herzogsfamilie zur Zeit der Reformation, Göttingen 2007, 66.
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Abbildung 5 Missionar Blumer mit einem Stapel Bücher unter dem Arm, zusammen mit Mitgliedern des Kirchenvorstandes168
Bücher wurden im Schulunterricht eingesetzt beziehungsweise sogar extra für diesen geschrieben, wie eine Lesefibel und eine Sammlung biblischer Geschichten.169 Der Besitz eines Buches scheint durchaus populär gewesen zu sein, sodass im September 1912 sogar über die Einrichtung eines Missionsbuchladens auf einer Missionsstation nachgedacht wurde.170 Der Besitz eines eigenen christlichen Buches, sei es der Bibel oder auch nur eines biblischen Lesebuchs, symbolisierte die Fähigkeit, Lesen zu können; er erlaubte lokalen Christen nicht nur die Teilhabe an imperialem Wissen,171 sondern schuf – ganz im protestantischen Sinne – die Möglichkeit, sich selbst mit dem Christentum, wie es in den ja bereits von den Übersetzern mitgeprägten Übersetzungen präsentiert wurde, auseinanderzusetzen.172 Die Bibel wurde damit zu einem Objekt, an dem koloniale Mimikry, so Homi Bhabha, eingeübt werden konnte, mittels dessen sich Widerstände formierten und Religion ausgehandelt wurde.173 Der übersetzte und gedruckte Bibeltext war in seiner Hybridität als lediglich lokal verstehbarer, aber dennoch global verfügbarer und konfessionell aufgeladener Text eine Festschreibung von
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Evangelisch-lutherisches Missionswerk e. V., Missionary Blumer with Churchwardens of Arusha, Tanzania, ca. 1907–1930, http://digitallibrary.usc.edu/cdm/singleitem/collection/p15799coll123/ id/63602/rec/1 (zuletzt eingesehen: 4.8.18). 169 Zwei erste Bücher, 107. Afrikaner bekamen Bücher von den Missionaren geschenkt oder kauften sie selbst. Althaus verschenkte an die ersten Christen beispielsweise das Neue und Alte Testament in Kiswahili, das er zuvor in Freretown besorgt hatte. Stationstagebuch Mamba II, Dezember 1898, ALMW II.32.130. 170 Protokoll der Chagga-Konferenz, Oktober 1912, TOP 10, ALMW II.32.100. Siehe auch: Protokoll der Chagga-Konferenz, Dezember 1903: Beilage: Faßmann: Welche litterarischen Hilfsmittel sind für unsere Dschaggamission erforderlich?, 11–12, ALMW II.32.95. 171 Siehe dazu auch Peel, Religious Encounter, 224. 172 Stephen Volz, Written on Our Hearts. Tswana Christians and the ‚Word of God‘ in the Mid-Nineteenth Century, in: Journal of Religion in Africa 38 (2008), S. 112–140. 173 Homi K Bhabha, Signs Taken for Wonders. Questions of Ambivalence and Authority under a Tree Outside Delhi, May 1817, in: Critical Inquiry 12 (1985), S. 144–165, 155.
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Ergebnissen der Aushandlungsprozesse des Christentums, wie sie im Missionsgebiet stattfanden und wie sie maßgeblich zu einer lokalen Ausprägung vom Christentum als Teil des globalen lutherischen Protestantismus führten. 3.2 „Heidenpredigt“ und Unterricht als Orte der Übersetzung Im Missionsgebiet und vor allem in der Heimat galten Bibelübersetzungen als Prestigeobjekte des missionarischen Eifers und Erfolgs. Den Büchern und ersten Drucken kam eine wichtige Funktion für die religiöse Erfahrung des Einzelnen und der Wahrnehmung des Christentums im Missionsgebiet im Ganzen zu. Zu beidem trug jedoch in ebenso hohem Maße die Vermittlung der christlichen Inhalte bei, durch die letztlich erst ein Verständnis für die und von der Bibel geschaffen wurde. Die sogenannte „Heidenpredigt“ und auch der „Unterricht“ – nicht zuletzt im Lesen – lassen sich dementsprechend als wichtige Räume der Übersetzung und Vermittlung dieses religiösen Wissens begreifen. Zeitgenössisch galt die „Heidenpredigt“ als älteste und vermeintlich wichtigste Missionsmethode.174 Es konnte sich dabei um eine Hauspredigt anlässlich von Besuchen einzelner in ihrer Wohnstätte handeln175 oder um Predigten an öffentlichen Orten, wie auf dem Markt, dem Bazar oder auf belebteren Straßen in den Städten. Als „Heidenpredigt“ galt es auch, auf sogenannten „Götzenfesten“ zu predigen oder einzelne auf der Straße anzusprechen.176 Für die Leipziger Missionare hatte sich jedoch schnell eine andere Methode als wirksamer erwiesen als eine dezidierte „Heidenpredigt“: der Schulunterricht. Missionsschulen waren Räume, in denen sich politische, soziale und didaktische Ebenen überlappten.177 Der Unterricht im Lesen und Schreiben fand anhand christlicher Stoffe statt; Ziel der Schularbeit, insbesondere der Kostschulen, war es nämlich, möglichst
174 175 176 177
Vgl. Warneck, Missionslehre III.2, 84. Ernst Gloyer, Die Heidenpredigt und ihre Hilfsmittel nach den Erfahrungen der Breklumer, Berlin 1907, 5. Diese Art der „Zwiegespräche“ erschien den Missionaren der Leipziger Mission häufig aus sprachlichen Gründen nicht möglich. Ihnen stünden auch die „hiesigen Wohnungs- und Lebensverhältnisse“ entgegen. Althaus an Missionsdirektor, 20.3.1896, ALMW II.32.4. G Wagner, Die Heidenpredigt in Malabar, in: Evangelisches Missionsmagazin (1885), S. 26–38, 49–62, 139–145, 177–183, 225–233. Felicity Jensz, The Cultural, Didactic, and Physical Spaces of Mission Schools in the 19th Century, in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 24 (2013), S. 70–91. Dies , The 1910 Edinburgh World Missionary Conference and Comparative Colonial Education, in: History of Education 47 (2018), S. 399–414. Bereits Eggert, Missionsschulen, weist an mehreren Stellen in ihrem Überblick zu Missionsschulen auf Beeinflussungen durch die Kolonialregierung hin, die etwa Zuschüsse zu solchen Missionsschulen erteilten, die Deutsch oder Kiswahili anboten. Zum übergeordneten Ziel, die lokale Gesellschaft insgesamt durch den Schulunterricht umzugestalten, siehe Jürgen Becher, Die deutsche evangelische Mission. Eine Erziehungs- und Disziplinierungs-
3.2 „Heidenpredigt“ und Unterricht als Orte der Übersetzung
211
schnell Katechumenen zu gewinnen, sodass „Heidenpredigt“ und „Schulunterricht“ derart miteinander verwoben waren, dass die Quellen insbesondere für die frühen Jahre keine Differenzierung zulassen. Inhaltliche Grenzziehungen und eine von theologischen und religionspädagogischen178 Überlegungen bestimmte Stoffauswahl bestimmten das von den Missionaren präsentierte Bild vom Christentum, bei dem das Alte Testament immer stärker in den Hintergrund rückte und eine Konzentration auf die Leidensgeschichte Christi vorgenommen wurde. Bilder und Musik unterstützten und prägten die missionarische Präsentation der Inhalte zusätzlich. Gleichzeitig nahmen aber auch die Schülerinnen und Schüler und deren Eltern wegweisend auf die in der Mission unterrichteten Inhalte Einfluss.179 Die für die Mission immer wichtiger werdenden Lehrer aus der lokalen Bevölkerung brachten dabei auch eigene Interpretationen vom Christentum zu Gehör. 3.2.1 Inhalte der Missionspredigt Fragen nach der richtigen Ausgestaltung des Schulunterrichts und der wirkungsvollsten Weise, vor den sogenannten „Heiden“ zu predigen, bestimmten den missionswissenschaftlichen Diskurs über viele Jahre hinweg. Altgediente oder aktive Missionare berichteten in der Allgemeinen Missionszeitschrift über ihre Erfahrungen und gaben diese an andere Missionare und Pastoren weiter. Ein Beitrag des ehemaligen Leipziger Missionars und Missionswissenschaftlers Schomerus180 beispielsweise beschrieb detailliert, wie sich die Erlösungstheorien Indiens mit dem christlichen Erlösungsgedanken vereinbaren ließen und welche Unterschiede der Missionar in seiner Predigt betonen müsse.181 Religiöse Unterweisung sollte vom Christentum überzeugen. „Die
instanz in Deutsch-Ostafrika, in: Albert Wirz u. a. (Hg.), Alles unter Kontrolle. Disziplinierungsprozesse im kolonialen Tansania (1850–1960), Köln 2003, S. 141–169; Wendt, Die missionarische Gesellschaft, Kap. 4. 178 Erste Überlegungen dazu wurden bereits veröffentlicht in Wetjen, Religionspädagogische Resonanzen. 179 Siehe dazu u. a. Rüther, The Power Beyond, 221–233; Hauser, German Religious Women; Katharina Stornig, „… denn die ganze Sorge der Schwestern war darauf gerichtet, die Lage des weiblichen Geschlechts zu verbessern“. Geschlecht, Religion und Differenz in der Missionspraxis deutscher Ordensfrauen im kolonialen Togo (1896–1918), in: Rebekka Habermas / Richard Hölzl (Hg.), Mission Global. Eine Verflechtungsgeschichte seit dem 19. Jahrhundert, Köln/Weimar/Wien 2014, S. 111–134. 180 Hilko W. Schomerus war von 1902 bis 1912 als Missionar in Indien tätig, nach dem Ersten Weltkrieg arbeitete er zunächst als Assistent des Religionswissenschaftlers Söderblom, bis er 1926 eine Berufung auf den Lehrstuhl für Missionswissenschaft in Halle (Saale) erhielt. Vgl. http://www. catalogus-professorum-halensis.de/schomerushw.html (zuletzt eingesehen: 21.11.15). 181 Hilko Wiardo Schomerus, Wie predigt man in Indien von der christlichen Endhoffnung?, in: Allgemeine Missionszeitschrift 44 (1917), S. 385–399.
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3 Religiöses Wissen in der Mission
Heidenpredigt wird darum jedem einzelnen eine Kenntnis des Christentums bringen müssen, die es ihm möglich macht, den Entschluß, Christ zu werden, mit offenen Augen zu fassen, und wird versuchen, ihn zu solchem Entschluß willig zu machen,“ so erläuterte Zahn.182 Für die Missionspredigt – und für den Missionarsberuf im Allgemeinen – gelte daher, dass die Missionare in der Lage sein müssten, „sich auf das Zentrum zurückzuziehen, und in Bezug auf Fragen, die nach der Peripherie hin liegen, weitherzig zu sein.“183 Schließlich gelte es insbesondere in der „Heidenpredigt“, das „Große, Lebenweckende, Zentrale an der Botschaft“ zu verkünden.184 Innerhalb des missionswissenschaftlichen Netzwerks um die Allgemeine Missionszeitschrift schien ein Konsens darüber zu bestehen, worin dieser „Kern“ oder „das Zentrale“ der Botschaft bestand: So unterstrich Missionar Hoch von der Basler Mission anlässlich eines Missionskursus in Gernsbach 1901 zur Missionspredigt: „Ihr Inhalt und ihr Ziel sind ihr ein für alle mal vorgezeichnet in dem Evangelium von Jesus Christus, der Kraft Gottes, selig zu machen alle, die daran glauben“,185 während der Basler Missionar Dilger 1890 in der Allgemeinen Missionszeitschrift die Predigt vom Reich Gottes als „Heilsgut“186 in den Mittelpunkt der Missionspredigt gestellt hatte, und davon ausgehend auf die Gnade Gottes, die Erlösung und Jesus Christus zu sprechen kam. Der in all diesen Beiträgen verbindende Fokus auf das Neue Testament und vor allem auf die biblischen Geschichten, in denen das Wirken Jesu im Mittelpunkt steht, stellten den Kern der inhaltlichen Vermittlung des Christentums in der Mission dar. „Die evangelische Predigt ist die Predigt Jesu Christi sowohl, weil sie von ihm ausgegangen ist, als weil sie von ihm handelt […] Evangelisieren, d. h. eigentlich, die erfreuliche Geschichte von Jesu erzählen“,187 so Zahn. „Im Mittelpunkt der Jesusverkündigung steht sein sühnender Tod, daher wird das Evangelium auch als das Wort vom Kreuze188 bezeichnet […]. Auf Grund der in diesem Tode kundgegebenen versöhnenden Liebe Gottes proklamiert es der gesamten Menschheit ihre Versöhnung mit Gott und fordert es jeden Menschen auf, sich versöhnen zu lassen, so daß es das Wort von der Versöhnung und der missionarische Beruf der Dienst der Versöhnung heißt (1 Kor. 5,18 ff.). Ohne alles menschliche Verdienst bietet es dem Glaubenden umsonst
182
Franz Michael Zahn, Die evangelische Heidenpredigt, in: Allgemeine Missionszeitschrift 22 (1895), S. 26–37, 58–75, 31. 183 Ebd., 161. Siehe dazu auch Kap. 1.2 und 1.3 dieser Studie. 184 Warneck, Berufsvorbildung, 273. Ders , Verkündigung, 201–202. 185 M Hoch, Die Aufgaben der Missionspredigt in Indien, Basel 1901, 4. 186 Von Zahn wird ihm vorgeworfen, diese Bezeichnung von Albrecht Ritschl übernommen zu haben. Vgl. Zahn, Heidenpredigt, 67. 187 Ebd., 68–69. Sehr ähnlich Warneck, Missionslehre III.2, Kap. 39. 188 Die Wendung das „Wort vom Kreuze“ bezog sich auf die ganze evangelische Verkündigung. Das Kreuz war als „Zeichen und Sinnbild des uns von Christo erworbenen Heils, bzw. des Christentums insgemein.“ Art. Kreuz, in: Kirchliches Handlexikon 4 (1894), S. 104.
3.2 „Heidenpredigt“ und Unterricht als Orte der Übersetzung
213
Vergebung der Sünde, Leben und Seligkeit an, darum ist es ein Evangelium der Gnade […], des Heils […], des Trostes […], des Friedens […], im vollen Sinne des Wortes eine Frohbotschaft.“189
Die Rechtfertigungslehre, die den Hintergrund dieser Bestimmungen bildete, war (insbesondere im Falle der Leipziger Mission) die lutherische, die durch die Erlanger Schule aktualisiert worden war. Im Vordergrund stand die Botschaft, nicht ein geschichtlich erforschbares Leben Jesu.190 Warneck setzt hier den „sühnenden Kreuzestod Jesu“ und die damit verbundene „zentrale Gottestat der Erlösung“ gegen den von Bousset ins Feld geführten „geistigen Impuls“, der von dem Leben Jesu und dessen Wirken ausginge.191 Die Missionswissenschaftler brachten damit nicht nur ihre eigenen theologischen Interpretationen zu Gehör, sondern vermittelten sie auch als Standard für andere Missionare und die heimischen Pastoren. Die sich im kirchlich-konservativen missionswissenschaftlichen Diskurs herauskristallisierenden Richtlinien zur Vermittlung christlicher Inhalte in der Mission galten selbstverständlich auch für die Leipziger Missionare am Kilimandscharo. In einem Referat zur „Heidenpredigt“ auf der Missionarskonferenz 1903 machte Missionar Müller explizit deutlich: „Für meine Ausführungen habe ich Manches Warnecks evang. Missionslehre entnommen, die eigentlich bereits alles enthält, was über den Gegenstand zu sagen ist, sodaß von da aus nur die Anwendung auf unser eigenes Missionsgebiet zu machen war“.192 Müller übernahm insbesondere Warnecks Auffassung von der „Frohbotschaft“.193 Auch wenn eine Taufmeldung kaum das direkte Ergebnis einer einzelnen „Heidenpredigt“ sei, müsse doch das „Zeugnis von Christo“ auf Bekehrung hinwirken. Dieses Ziel könne nur dann erreicht werden, wenn die Leute erkennen würden: „Gott giebt uns etwas, ehe er fordert.“194 Als wichtigsten Inhalt der Predigt erkannte Müller die biblische Geschichte:
189
Warneck, Missionslehre III.2, 111. Warneck rekonstruiert auf den folgenden Seiten die Inhalte der apostolischen Predigt anhand der apostolischen Briefe und der Apostelgeschichte und zieht daraus Rückschlüsse auf das Ideal der Missionspredigt vor Heiden. 190 Im Zentrum stand hier die Erlösung durch Christus: „Alle diese Bande [der Sünde, K. W.] hat Christus gelöst, indem er sein Blut … oder sein Leben, seine ψυχή … als Lösegeld für uns dahingab, als ein Gott gezahltes λύτρον …, wofür wir aus der Schuldhaft, aus der Todesstrafe und der Gewalt Satans entlassen wurden.“ Erlösung, in: Carl Meusel u. a. (Hg.), Kirchliches Handlexikon 2 (1889), S. 433–435, 434. 191 Warneck, Noch einmal, 111. Zu dieser Kontroverse siehe Kap. 2.2.1 dieser Studie. 192 Protokoll der Chagga-Konferenz, Dezember 1903. Beilage: Emil Müller, Organisation der Heidenpredigt, 19, ALMW II.32.95. 193 So auch die allgemeine Definition von Evangelium, in: Carl Meusel u. a. (Hg.), Kirchliches Handlexikon 2 (1889), S. 479. 194 Protokoll der Chagga-Konferenz. Dezember 1903. Beilage: Emil Müller, Organisation der Heidenpredigt, 19, ALMW II.32.95.
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3 Religiöses Wissen in der Mission
„Ich muß die bibl. Geschichte & ihre Auslegung für unsere Leute als den gegebenen Inhalt der Heidenpredigt ansehen. Einfache Leute haben wenig Sinn für philosophische oder allgemeine Darlegungen […]. Nun sind natürlich die bibl. Geschichten entsprechend auszuwählen. Ich möchte es zum Beispiel nicht empfehlen, daß man von Jesu nur Heilungen erzählt (denn dann erscheint er als der, als welchen wir ihn den Heiden gerade nicht vormalen wollen: als Heiland in leiblichen Nöten), oder daß man sehr bald das Wunder auf der Hochzeit zu Kana behandelt (denn das würde uns unerwünschte Sehnsucht der Hörer nach Jesu erwecken). Natürlich wird man bei dieser Auswahl der Geschichten, zumal wenn man, wie oben vorgeschlagen, möglichst in bestimmte Bezirke geht, darauf achten, daß den Heiden, wenn auch in den gröbsten Umrissen, die Heilsökonomie Gottes vor die Augen tritt.“195
Deutlich hatte Müller also ebenfalls eine auf Jesus zentrierte Verkündigung im Sinn, wenn seine Ausführungen auch eher auf der praktischen Seite lagen. Die Fülle an biblischen Geschichten verlangte eine Auswahl, die es in dem Sinne zu treffen galt, dass zwar die „Heilsökonomie Gottes“ sichtbar werden konnte, die aber gleichzeitig zuließ, inhaltlichen Schwerpunkten Raum zu geben, um drohende Fehlurteile und Vermischungen zu vermeiden. Jesus sollte durch die von den Missionaren getroffene Auswahl der Geschichten weder für einen „Medizinmann“ gehalten werden noch für jemanden, der Alkohol zur Verfügung stellte; vielmehr galt es als Aufgabe der Missionare, ein Jesusbild zu etablieren, in dessen Zentrum Liebe und Barmherzigkeit standen.196 Die Analyse eines Stationstagebuchs, wie es die Missionare auf jeder Station als Arbeitsnachweis führen mussten, gibt weitere Hinweise darauf, welche biblischen Geschichten, Lieder und Gebete zu Gehör kamen und so die inhaltliche Dimension des Christentums in der Mission bestimmten;197 sie gibt zudem Einblicke in das metho-
195 Ebd., 15–16 [Hervorhebung i. O., K. W.]. 196 Ebd., 16. 197 Die Dokumentation ihrer Arbeit stellte einen wichtigen Aufgabenbereich der Missionare dar. Dazu gehörte das Führen eines Stationstagebuchs, in dem anfangs täglich, später in größeren Abschnitten über den Fortgang der Missionierung auf einer einzelnen Station berichtet werden musste. Abschriften des Stationstagebuchs mussten in regelmäßigen Abständen nach Leipzig gesandt werden und bildeten nicht selten die Grundlage für die Berichte von den einzelnen Missionsstationen, wie sie im Missionsblatt erschienen. Missionsbemühungen und erteilter Unterricht wurden vor dem Hintergrund der Rechtfertigung vor dem Missionskollegium – denn das Tagebuch diente wesentlich der Kontrolle der Missionare – regelmäßig thematisiert, während Rückfragen nur selten protokolliert wurden. Siehe dazu ausführlich Wetjen, Abdrucken. Im Folgenden wird das Stationstagebuch der Station Mamba der besonderen Bedeutung der Station gerade in der Anfangszeit der Missionierung wegen ausgewertet.
3.2 „Heidenpredigt“ und Unterricht als Orte der Übersetzung
215
dische Vorgehen der Missionare.198 Lässt man das zufällige199 Gespräch über die Auferweckung der Tochter des Jairus außen vor, begann Gerhard Althaus auf der Station Mamba am 10. Juli 1895 mit einem ersten Durchgang durch das Leben Jesu anhand ausgewählter biblischer Geschichten; auf die Geburt des Herrn folgte die Geschichte des zwölfjährigen Jesus im Tempel, dann wurde Johannes der Täufer behandelt, kurz bevor die Taufe Jesu besprochen wurde. Es folgten verschiedene Wunder, wie die Hochzeit von Kana, der Fischzug Petri, die Stillung des Meeres etc. Zu Ostern 1896 war der Durchgang durch das Leben Jesu mit der Leidensgeschichte abgeschlossen. Es folgten einige wenige Erzählungen aus der Apostelgeschichte: Kornelius, der Kämmerer aus Äthiopien und die Bekehrung des Paulus. Die Inhalte des Alten Testaments hingegen spielten im ersten Jahr der Missionierung nur selten eine Rolle. Im Oktober 1896 besprach Althaus den Ehebruch der Frau Potiphars, als Mbararia, der chief von Mwika, einer der Nebenstationen Mambas, und Schüler der Mission, von einer seiner Frauen betrogen worden war. Zuvor hatte Althaus bereits die Schöpfungsgeschichte und den Sündenfall behandelt. Althaus setzte damit bereits zu Beginn der Missionierung einen deutlichen Schwerpunkt auf das Neue Testament. Mehr als drei Viertel der besprochenen Geschichten entstammten dem Neuen Testament, von denen mehr als zwei Drittel Geschichten aus dem Leben Jesu behandelten. Festgeschrieben wurde diese Auswahl auch in einem zum Zweck der religiösen Unterweisung gedruckten Lesebuch: In sechs Geschichten aus dem Alten Testament200 sollte die „Entstehung des Heidentums“ behandelt werden, der zweite, deutlich umfangreichere Teil, umfasste 22 Geschichten aus dem Neuen Testament. Hier wurde das Leben Jesu von der Geburt, über einige Wunder bis hin zur Passionsgeschichte und der Himmelfahrt erzählt.201 Diese Schwerpunktsetzung auf das Leben und Wirken Jesu Christi sollte in der Mission einen Glauben begründen, der auf die Wirkung Jesus fokussiert war. Zur Taufedingung, die Althaus selbst so formuliert hatte, wurde lediglich „ein elementarer Glaube […] an Jesus den für uns Menschgewordenen, Gekreuzigten, und Auferstandenen, und zwar in dem Sinne einer persönlichen Überzeugung
198
Bspw. weist er in dem Eintrag zum Pfingstsonntag 1896 darauf hin, dass er die Geschichte des Sündenfalls „natürlich mit homiletischer Verortung der Geschichte“ erzählt habe. Stationstagebuch Mamba I, 25.5.1896, ALMW II.32.129. 199 Althaus erzählte die Geschichte dem chief Koimbere, als dieser wegen einer geschäftlichen Angelegenheit Althaus’ Wohnzimmer, in dem ein Bild der Geschichte hing, besichtigte. Stationstagebuch Mamba I, 1.4.1895, ALMW II.32.129. 200 Bei den Geschichten handelt es sich um die von der Schöpfung, dem Paradies, dem Sündenfall, der Sintflut und dem Turmbau zu Babel, vgl. Zwei erste Bücher, 106. 201 Zu den 22 Geschichten gehörten die Erzählungen über die Geburt Jesu, die Weisen aus dem Morgenland, den zwölfjährigen Jesus, Johannes der Täufer, die Hochzeit zu Kana, Jesus und Nikodemus, Gichtbrüchige, den Hauptmann von Kapernaum, die Speisung der Fünfhundert, den Jüngling zu Nain, das kanaische Weib, die Heilung eines Taubstummen, die Segnung der Kinder, den Blinden in Jericho, Zachäus, den Gang nach Jerusalem, Jesus vor Pilatus, die Kreuzigung, die Grablegung, die Auferstehung und Himmelfahrt, vgl. ebd.
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3 Religiöses Wissen in der Mission
und vertrauensvollen Hingabe, nicht dem bloßen Aufsagen einer auswendig gelernten Glaubensformel“ erklärt.202 Dementsprechend sollte auch im Katechumenenunterricht, der sich ja bereits an Taufwillige richtete, ein Schwerpunkt auf die biblischen Geschichten zu Jesus gelegt werden: „Von biblischer Geschichte sind folgende durchzunehmen: Schöpfung, Sündenfall, das Charakteristische aus Abrahams, Moses, Davids und Elias Geschichte, Verkündigung und Geburt Jesu, der zwölfjährige Jesus, Johannes der Täufer in der Wüste, einige Gleichnisse, eine Krankenheilung, eine Auferweckung, ein anderes Wunder etwa die Speisung der fünfhundert, das Bedeutsamste der Passionsgeschichte, Auferstehung, Himmelfahrt, Pfingsten.“203
Ein solcher Kanon wirft eine Reihe von Fragen auf, die die biblischen Stoffe selbst betreffen: Was zum Beispiel war mit dem „Charakteristischen“ aus Abrahams Geschichten gemeint, lebte dieser doch zeitweise in Polygamie und ließ seine Kinder beschneiden? Vieles spricht dafür, dass diese Stoffe einfach ausgelassen wurden oder die Bedeutung derselben nicht umfänglich besprochen wurde. So hielten es die Missionare „durchaus für unthunlich bei der hiesigen Beschneidung die alttestamentliche Bedeutung derselben als Sinnbild der Herzensreinheit hervorzuheben.“204 Die von den Missionaren vorgenommenen Grenzziehungen und die sie beeinflussenden kulturellen Vorstellungen machten also eine Veränderung der Botschaft notwendig. Der Schwerpunkt wurde auf eine Christologie in den Bahnen Martin Kählers oder auch Ludwig Ihmels gelegt, die den Glauben an den biblischen Christus in den Mittelpunkt rückten.205 Als der „wirkliche Christus“ galt so nicht derjenige, dessen Leben mittels historisch-kritischer Forschung analysiert werden könnte, sondern der sich im Glauben manifestierende „gepredigte Christus“206. Die Schwerpunktsetzung folgte damit grundsätzlichen Überlegungen im Gefüge theologischer Positionen und hatte ihren Rückhalt im Umfeld der Erlanger Theologie beziehungsweise der „Bibeltheologie“, wie sie sich als maßgeblich für die Mission erwiesen hatte. Die Inhalte der religiösen Unterweisung wurden jedoch nicht nur von der theologischen Positionierung der Missionare, sondern wesentlich auch von den Zuhörerinnen und Zuhörern, deren Neugier und Bereitschaft, sich mit den Worten des Missionars
202 Warneck, Missionslehre III.1, S. 212. Ähnlich Warneck, Verkündigung, 210. 203 Protokoll der Chagga-Konferenz, Dezember 1903: Beilage: Althaus, Katechumenatsordnung der Chaggamission, ALMW II.32.95. 204 Protokoll der Chagga-Konferenz, Januar 1897, 5, ALMW, II.32.92. 205 Martin Kähler, Der sogenannte historische Jesus und der geschichtliche, biblische Christus, Leipzig 1892. Siehe dazu einführend: Friedrich Mildenberger, Geschichte der deutschen evangelischen Theologie im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart 1981, 153, und Lessing, Geschichte der deutschsprachigen evangelischen Theologie, Bd. 1, 56–57. Zu Kählers Missionstheologie siehe auch Kap. 3.1.1 dieser Studie. 206 Kähler, Der sogenannte historische Jesus, 66.
3.2 „Heidenpredigt“ und Unterricht als Orte der Übersetzung
217
auseinanderzusetzen, beeinflusst. Der Unterricht beziehungsweise die „Heidenpredigt“ begann zumeist mit dem Zusammenrufen der Leute. Hier waren alle Missionare wesentlich auf die Mitarbeit der chiefs angewiesen.207 Während Mbararia für Mwika die Mission als eine Möglichkeit begriff, sich und seine Leute zu fördern, bestand seitens des chiefs von Mamba, Koimbere, kein besonderes Interesse an der Tätigkeit der Mission.208 In einem Brief an den Missionsdirektor – nicht in dem offiziellen Stationstagebuch – beschrieb Althaus, welche Schwierigkeiten es ihm bereite, Koimbere, zu einer Mitarbeit anzuregen und ihn dazu zu bringen, Leute herbeizurufen.209 Ohne die Förderung des chiefs, so Althaus deutlich, sei es kaum möglich, eine „auch nur kleine Zuhörerschaft“ zusammenzubekommen. Althaus begann seinen „Unterricht“ zumeist mit dem „Buchstabieren“ – das Lesenlernen war der größte Motivationsfaktor, sich der Mission zuzuwenden210 – und leitete dann über zu der Verkündigung des Evangeliums, die zumeist durch das gemeinsame Singen beendet wurde.211 Häufig wurde die biblische Geschichte durch ein Bild gesondert illustriert. Die Geschichten wiederholten sich oft; eine Geschichte wurde mindestens zweimal hintereinander behandelt, teilweise mit unterschiedlichem Schwerpunkt in der Auslegung. Durch Nachfragen wurde die Übersetzung der christlichen Botschaft gleichsam verhandelt. Die von Althaus gesetzten Schwerpunkte veränderten sich durch die Diskussionen. Althaus beschrieb in den Stationstagebuch sehr oft, wie er auf großes Interesse gestoßen sei,212 wie begeistert Mbararia gewesen sei,213 oder wie sehr den Zuhörern Lieder und Bilder gefallen hätten. Negative Reaktionen schilderte er kaum214 und, falls doch, konnte er sie nicht einordnen. So schien Althaus nicht zu wissen, ob seine Zuhörer in Mamba beim Gebet „aus Trägheit oder Opposition“ nicht niederknieten;215 er
207 Zur Bedeutung der chiefs für die Mission siehe auch Samuel Désiré Johnson, Schwarze Missionare – weiße Missionare. Beiträge westlicher Missionsgesellschaften und einheimischer Pioniere zur Entstehung der Baptisten-Gemeinden in Kamerun (1841–1949), Kassel 2004, 219, der für Kamerun betont, dass die chiefs häufig als Freunde der Mission agierten, auch wenn sie sich nur selten selbst taufen ließen, und dadurch positiven Einfluss auf die Kirchwerdung nahmen. Hasu, Desire and Death, beschreibt zwar auch, dass die Mission teilweise von den chiefs profitierte, sie macht aber vielmehr eine Konkurrenz und einen Machtkampf um Autorität zwischen Mission und chiefs aus. 208 Mbararia hatte bereits mit der englischen Mission in Taveta in Verbindung gestanden. Komibere hingegen begegnete den Missionaren von Beginn an mit Misstrauen. Ebd., 129. 209 Vgl. Althaus an Missionsdirektor, 20.3.1896, ALMW II.32.4. 210 Hasu, Desire and Death, 143. Siehe dazu auch Eggert, Missionsschulen. 211 Vgl. z. B. Stationstagebuch Mamba I, 5.9.1895, ALMW II.32.129. 212 Vgl. z. B. Stationstagebuch Mamba I, 17.7. 1895, ALMW II.32.129. 213 Vgl. z. B. Stationstagebuch Mamba I, 3.8.1895, ALMW II.32.129. 214 Gutmann war der Ansicht, dass die Chagga Widersprüche kaum offen äußerten, weil die Missionare „Glieder der herrschenden Rasse seien“. Bruno Gutmann, Etwas von der Heidenpredigt vor Afrikanern, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1906), S. 142–147, 170–173, 143 ff. 215 Vgl. Stationstagebuch Mamba I, 21.7.1895, ALMW II.32.129.
218
3 Religiöses Wissen in der Mission
berichtete dann aber aus Mwika, dass alle niedergekniet seien und die Hände gefaltet hätten.216 Dass die Bewohner Mambas keineswegs, wie Althaus dies den Leserinnen und Lesern des Tagebuchs glauben machen wollte, seine Predigten mit großem Interesse anhörten und relativ schnell überzeugt waren, lässt sich zumindest aufgrund der gerade in den Anfangsjahren relativ geringen Zahl an Taufen vermuten. Bei der Behandlung der fünften Bitte des „Vater Unsers“ vor den Kostschülern in der Abendandacht, habe Althaus zum Beispiel beobachten können, „wie „thöricht“ den „Heiden“ das Gebot der Feindesliebe erscheine. „Die Knaben können sich hier das Lachen nicht verbeißen, obwohl ich ihnen vor allem an des Herrn Beispiel doch schon oft die Erfüllung des Gebots gezeigt habe.“217 Dieses Beispiel weist auf ein grundlegendes Kommunikationsproblem zwischen Missionar und lokaler Bevölkerung hin, das sich auch nicht durch das Erlernen der Chagga-Sprachen überwinden ließ. Bereits am 10. Juli 1896 versuchte Althaus, Koimbere davon zu überzeugen, das Wort Gottes anzunehmen, damit er in den Himmel käme. Während Koimbere, vor allem um die Seelen seiner Vorfahren besorgt, nachfragte, was mit solchen sei, die das Wort Gottes gar nicht hätten hören können, wandte Althaus die Nachfrage – vermutlich aus Unkenntnis der religiösen Vorstellungen der Chagga – auf Koimbere selbst an und betonte, „daß es für alle die, welche hier sein Wort gehört, es aber nicht angenommen hätten, nach dem Tode keine Möglichkeit mehr gäbe in den Himmel zu kommen.“218 Die miteinander verknüpften Themen Gnade, Erlösung und Taufe bildeten schließlich die Verkündigungsschwerpunkte bis Ende Juli 1895, wobei insbesondere die Auferstehung der Toten am Tag des Jüngsten Gerichts sowie das Wirken Jesu lange Zeit Bezugspunkte blieben.219 Diese Themen waren vermutlich eine Anpassung an den Zuhörerkreis; dies galt umso mehr, wenn die Macht Jesus über Tod und Krankheit betont wurde.220 Solche Anpassungen machten aber auch Grenzziehungen nötig: So führte Althaus bereits früh ein Gespräch über die Unvereinbarkeit „heidnischer“ Glaubenspraktiken mit der Zugehörigkeit zum Christentum.221 In den folgenden Monaten thematisierte Althaus in seinen Predigten besonders die Feiertagsheiligung,222 den Umgang
216 217
Vgl. Stationstagebuch Mamba I, 3.8.1895, ALMW II.32.129. Vgl. Stationstagebuch Mamba I, 17.4.1896, ALMW II.32.129. Lema beschreibt noch mehr solcher Verständnisschwierigkeiten. Lema, Chaga Religion. 218 Stationstagebuch Mamba I, 10.7.1895, ALMW II.32.129. 219 So heißt es z. B. am 4.8.1895: „Nach einem Morgengebet erzählte ich unter Vorzeugung eines Bildes die Geschichte vom Jüngling zu Nain und spreche über die Auferstehung aller Toten und über das Jüngste Gericht. Ich glaube es den Leuten anzufühlen, daß beides nicht ohne Eindruck auf sie bleibt.“ Stationstagebuch Mamba I, ALMW II.32.129 [Hervorhebung i. O.]. 220 Stationstagebuch Mamba I, 18.8.1895, ALMW II.32.129. Vgl. auch Wetjen, Der Körper des Täuflings. 221 Stationstagebuch Mamba I, 11.9.1895, ALMW II.32.129. 222 Stationstagebuch Mamba I, 19.10.1895, ALMW II.32.129.
3.2 „Heidenpredigt“ und Unterricht als Orte der Übersetzung
219
mit Alkohol223, das Verbot von Polygamie224 und Luthers Morgen- und Abendsegen sowie weitere Gebete.225 Positive und negative Grenzziehungen werden hier deutlich, die von beiden Seiten ausgingen. Während Althaus die Inhalte der biblischen Geschichten nicht nur mit dem Glauben an Jesu Christus, sondern auch mit einer christlichen Lebensführung und Ethik zu verbinden suchte, versicherten sich die Mambabewohner zum Beispiel, ob christliche Frauen mehrere Kinder bekommen dürften.226 Die Missionare waren für die Erlaubnis, predigen zu dürfen, auf das Wohlwollen der jeweiligen chiefs angewiesen, die dies häufig vor allem aus dem Wunsch nach europäischer Bildung vor dem Hintergrund kolonialer Beherrschung heraus erlaubten. Besonders viel hatte sich Mbararia von dem missionarischen Unterricht versprochen. Als Althaus in Mwika im Juli 1895 mit dem Unterricht begann, zeigte er sich sofort begeistert. Er galt lange Zeit – obwohl er nie offiziell zum Christentum übertrat – als Hoffnungsträger der Missionare.227 1897 hieß es sogar im evangelisch-lutherischen Missionsblatt, Mbararia sei „in diesen ganzen Landschaften als Hörer der Worte Gottes bekannt.“228 Mbararia und der Unterricht auf dem dortigen Außenplatz in Mwika spielten in Althaus’ Missionsstationstagebuch deswegen eine entscheidende Rolle. Der Unterricht respektive die Predigt wurden häufig ausführlicher geschildert, als dies bei anderen Schulen außerhalb der Kostschule der Fall war. In Mwika hatte Althaus Ende Februar und Anfang März 1896 gleich mehrfach die Geschichte vom reichen Mann und Lazarus erzählt, „die sie mächtig interessiert und gerade Mbararia kann sich gar nicht halten, die einzelnen Passus den anderen Leuten wieder zu erzählen, vor allem die Vergeltung.“ Geschichten zu erzählen, so beschreibt es Lema, sei bei den Chagga am Abend als soziale Praxis durchaus anerkannt gewesen und Geschichten von Vergeltung knüpften vermutlich gut an bekannte Geschichten an.229 Mbarara vereinnahmte durch seine Wiederholung die Geschichte, die (nach Lukas 16, 14–31) eigentlich die Verbindung von biblischer Geschichte und ethischer Erziehung herstellen sollte.230 Dass es ihm vermutlich weniger um die tatsächliche Annahme des christlichen Glaubens ging, als vielmehr darum, die Stellung der Missionare
223 224 225 226 227 228 229 230
Stationstagebuch Mamba I, 9. u. 19.10.1895, ALMW II.32.129. Solche Verbote waren dabei auch Eingriffe in das soziale Leben der Chagga. Lema, Chaga Religion, 59. Stationstagebuch Mamba I, 17.5.1896, ALMW II.32.129. Stationstagebuch Mamba I, 20.8.1895, ALMW II.32.129. Stationstagebuch Mamba I, 11.9.1895, ALMW II.32.129. Nachrichten aus Mamba. Auszug aus dem Tagebuch des Br. Althaus (Okt. 1895), in: Evangelischlutherisches Missionsblatt (1896), S. 73–76, 73–74. Nachrichten aus Mamba. Nach der Monatschronik des Miss. Althaus ( Januar und Februar 1897), in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1897), S. 196–199, 198. Zu Mbararia und den Konflikten um eine weitere Heirat Mbararias mit einer Schwester Marealles, siehe Wetjen, Abdrucken. Lema, Chaga Religion, 56, geht auf das Erzählen von Geschichten ein, betont aber auch, dass einige der Konzepte, wie Auferstehung und Heiliger Geist, von den Chagga nur schwer verstanden wurden. Dies tat er regelmäßig. Vgl. z. B. Stationstagebuch Mamba I, 3.8.1895, ALMW II.32.129.
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im Gefüge der Kolonie für sich zu nutzen und zu beanspruchen, zeigt, dass er sich bald anschickte selbst Andachten zu halten, bei denen er die Missionare möglichst getreu imitierte. So berichtete Althaus, wie Mbararia „eine kleine Ansprache gehalten, wo er unter anderem betonte, daß man nicht mehr den Geistern opfern, sondern, wenn man schlachte […] einfach schlachten solle […] Dann hätte er frei gebetet wie „ich“: Gott möge ihnen ihre Sünden vergeben und ihnen Kraft verleihen, daß sie die Sünde ließen. Daraufhin gemeinsames V. U. und Absingung aller Lieder.“231
Missionare wurden zunächst als Europäer und damit als Angehörige der Kolonialmacht wahrgenommen, deren Imitation zu einer möglichen Handlungsoption wurde. Mbararia wurde hier zu einem intermediary, der nicht zuletzt durch seine Macht als chief die christliche Botschaft selbst verkündete, und dabei zumindest potenziell immer die Möglichkeit hatte, sie nach seinen Vorstellungen zu verändern. Inhaltlich wird an diesem Beispiel andererseits deutlich, welche Grenzziehungen und Vorstellungen vom Christentum besonders prägend wirkten. Das Verbot, religiöse Praktiken zugunsten der warumu zu vollziehen, wurde zu einem der wichtigsten Unterscheidungsmerkmale. Gleichzeitig zeigt diese Episode, wie die von Althaus ins Zentrum gestellte Rechtfertigungslehre und die Sündenvergebung das Christentum aus Sicht Mbararias definierten. Die von den Missionaren verkündete vom konfessionellen und theologiepolitischen Standpunkt gefärbte Botschaft bildete somit den Ausgangspunkt für eine lokale Auseinandersetzung mit dem Christentum. Mbararia war, trotz seiner herausgehobenen Stellung als chief, keineswegs der einzige der Chagga, der an der Verkündigung des Christentums beteiligt war. Wesentlichen Einfluss auf diese lokale Auseinandersetzung mit dem Christentum nahm nämlich eine zweite Gruppe von Missionaren: die als „Gehilfen“ eingesetzten Schüler der Mission – und zwar von Beginn der Missionierung bis zur Gründung einer eigenständigen evangelisch-lutherischen Kirche in Tansania.232 Das Missionsziel der Leipziger Missionsgesellschaft war der Aufau einer Volkskirche, zu der die „tätige Mitarbeit der Gemeinden“ selbst gehörte. Nicht nur dem Missionsziel geschuldet, sondern vor allem der praktischen Notwendigkeit wegen galt es als unabdingbar, fortgeschrittene Schüler sowie bereits getaufte Christen für die Unterweisung in den Schulen und an den Außenplätzen, bei denen es zu einer kontinuierlichen Vermischung von Predigt und Unterricht kam, einzusetzen. Bereits im Mai 1900 hatte Althaus von der umfangreichen Lehrtätigkeit seiner fortgeschrittenen Schüler233 berichtet: 231 232 233
Stationstagebuch Mamba I, 11.5.1896, ALMW II.32.129. Der Begriff Missionar wird hier genutzt, obwohl die zeitgenössische Bezeichnung dieser indigenen Missionare „Gehilfen“ lautete. Siehe dazu auch Habermas/Hölzl, Mission global, 11. Nicht selten wurde angeführt, dass die Kostschule auch dazu diene, Schüler heranzuziehen, die schließlich als Lehrer tätig werden konnten. Vgl. z. B. Protokoll der Chagga-Konferenz, August
3.2 „Heidenpredigt“ und Unterricht als Orte der Übersetzung
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„Mit vier anderen getauften Kostschülern Stefano Kanina, Danieli Mabunke, Ndesario Kipasi und Matayo Ndewumba begann ich einen besonderen kleinen Lesekursus einzurichten. Dieselben haben schon seit langem mir beim Unterrichten helfen müssen und zwar zum Teil sehr viel, sodaß fast ihre ganze Beschäftigung im Unterricht empfangen und geben besteht. Sie unterrichten so Anfänger in der Kost- resp. Tagesschule, mehrere Arbeiter. Nachmittags und Abends nach der Andacht, Marangu-Knaben täglich Nachmittags auf Ngaruma, Massai- und Mwika-Kinder teils hier, teils in den bestehenden Landschaften. Sie selbst haben zumeist Freude daran und machen ihre Sache verhältnismäßig recht gut. Besonders freue ich mich immer über die gründliche und einfache Art, wie Stephano Religionsunterricht in Marangu giebt. Wenn er eine biblische Geschichte durchgenommen hat, so kennen regelmäßig Zuhörer sie aufs genaueste.“234
Immer wieder berichtete Althaus von dem Unterricht durch seine Kostschüler oder durch die ebenfalls immer häufiger eingesetzten erwachsenen und getauften Christen. Deren Aufgaben beschränkten sich nicht auf den Unterricht in biblischer Geschichte. Als Althaus 1901 zur Konferenz nach Shigatini reiste, übernahm Ruben Moshi235 so nicht nur die Andachten auf der Station, sondern auch eine Beerdigung und den Sonntagsgottesdienst, „in dem er das Evangelium von der Hochzeit zu Kanaa erzählt und einfach ausgelegt hat.“236 Auch beim Katechumenenunterricht wurden die „Gehilfen“ eingesetzt.237 Aus einem Visitationsbericht des Missionars Raum über die Schulen in der Landschaft Mambas geht hervor, dass 1907 einzelne Landschaftsschulen komplett von „Gehilfen“ beziehungsweise Lehrern betrieben wurden und auch auf der Stationsschule ein Chagga-Lehrer die Hauptlast für den Unterricht trug.238 Raum kam in seiner Visitation der Schulen zu einem positiven Ergebnis. Insbesondere die Kenntnisse in biblischer Geschichte hob er als „sehr gut“ hervor.239 Dennoch bemerkte er zur Unterrichtsweise:
1904, ALMW II.32.96. 234 Stationstagebuch Mamba III, ALMW II.32.131. 235 Ruben Moshi war einer der ersten einheimischen Lehrer. Er war der Vater des späteren ersten leitenden Bischofs der Lutherischen Kirche Tansanias Stefano Moshi. 236 Stationstagebuch Mamba III, Januar 1902, ALMW II.32.131. Siehe dazu auch Althaus, Mamba, 80–81. 237 Katechumenatsordnung § 9, ALMW II.32.61. 238 Johannes Raum, Visitationsbericht. Schreiben an den Missionsrat der Dschaggamission, 5.3.1907, Beilage zu Bericht des Missionsrates an das Kollegium vom 13.4.1907, 4, ALMW II.32.101. Pohl, Evangelische Mission in Tanga, 187–193, zeigt, dass ehemalige Missionsschüler sowohl von der lokalen Bevölkerung als auch von der Mission als (potenzielle) Lehrer gesehen wurden. Letztlich ging in diesem Fall sogar die Einrichtung der Schule nur auf den Beitrag lokaler Mitarbeiter zurück. 239 Ebd.
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„Die Unterrichtsweise der Lehrer bot manche methodischen Blößen, wie das nicht anders zu erwarten sein dürfte. So kam in der biblischen Geschichte und im Rechnen die Anwendung zu kurz. Deshalb wäre bei den möglichst oft mit den Lehrern zu veranstaltenden Zusammenkünften immer auch eine Summa aus der biblischen Geschichte durchzusprechen, zu disponieren, Inhalt und Anwendung deutlich herauszustellen.“240
Im April 1902 beschloss die Mission sogar, die Ausbildung und weitere „Förderung“ der „Gehilfen“ wegen ihrer elementaren Bedeutung für das Aufrechterhalten der Mission und das Versorgen der verschiedenen Außenstationen – auch eine bessere Kontrolle spielte hier eine Rolle – zu systematisieren, und eröffnete unter der Leitung Johannes Raums, der besonders gut Kiswahili beherrschte, ein erstes Ausbildungsseminar für Lehrgehilfen in Moshi. Aufgabe des Seminars sollte es sein, „selbständige Gehülfen für den Schulunterricht auf der Station und in den Landschaften“ auszubilden. Zwar gelte es, „Missionsschullehrer“ und nicht „deutsche Beamten“ oder „Evangelisten“ auszubilden, aber: „In einer Missionsschule müssen immer biblische Geschichte und Katechismus, wenn auch nicht immer den breitesten Raum, so doch die erste Stelle unter den Unterrichtsgegenständen einnehmen.“241 Die zukünftigen Lehrgehilfen sollten lernen, „biblische Geschichte mit Verständnis“ zu erzählen „und ihren heimischen Verhältnissen anzupassen verstehen. Sie werden wohl auch manches Mal Gelegenheit haben, vor ihren Volksgenossen auch außerhalb der Schule Zeugnis abzulegen.“242 Neben einer „Methodik des Unterrichts“ und einigen Realien galt es vor allem, die „Gehilfen“ in Religionslehre, namentlich in den „Hauptthatsachen der christlichen Heilslehre im Zusammenhang“ mit dem Katechismus und den Grundzügen der Kirchengeschichte, also dem aktuellen Stand der Entwicklung und Ausbreitung des Christentums, der Reformation und der Entstehung der Konfessionen, zu unterweisen.243 Den Schwerpunkt der seminaristischen Unterweisung sollte die Erziehung zu „christlichen Persönlichkeiten“ bilden, die auch außerhalb der Schule auf ihre Umgebung zu wirken wüssten.244 Nicht nur an den Charakter der Seminaristen, sondern vor allem an den der eingesetzten Lehrer, der „Lehrgehilfen“, wurde vonseiten der Missionare höchste Maßstäbe angelegt, sollten sich diese doch durch Beharrlichkeit und Ernsthaftigkeit,
240 Ebd., S. 2–3. 241 Protokoll der Chagga-Konferenz, Juli 1902, Beilage: Raum, Vorschläge über Einrichtung unseres Seminars in Moshi, ALMW II.32.92. 242 Ebd. 243 Ebd. Hinweise zu den vermittelten Inhalten gibt auch Johannes Raum, Einiges über Charakter und Entwicklung einiger meiner Lehrgehilfenschüler, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1905), S. 272–277, der in dem Artikel Stefano aus Madschame, Petro aus Moshi und Filipo aus Mamba vorstellt. 244 Protokoll der Chagga-Konferenz, Juli 1902, TOP 14, ALMW II.32.92. V. a. eine allzu umfassende Behandlung von Realien im Seminar wurde abgelehnt.
3.2 „Heidenpredigt“ und Unterricht als Orte der Übersetzung
223
durch Ehrlichkeit und Frömmigkeit auszeichnen und in unbedingtem Gehorsam den sittlichen Aspekten des Christentums, wie des sechsten Gebots, folgen.245 Mehrfach wurde in den folgenden Jahren über das Gehalt dieser Lehrgehilfen debattiert, ihre Weiterbildung über das Seminar hinaus oder auch „sittliche Verfehlungen“ und „Verheiratungen“ auf den Missionskonferenzen behandelt. Ab 1911 nahm diese Diskussion eine neue Qualität an, als mit der Ankunft eines Missionslehrers das Seminar, das zwischenzeitlich aus Zeitgründen eingestellt worden war, endgültig zugunsten einer weiterführenden „Mittelschule“ abgeschafft und nun – zum ersten Mal – auch über die Ausbildung von tatsächlichen Predigern nachgedacht wurde.246 1912 wurde ein solches Ausbildungsseminar zunächst für Missionslehrer in Marangu, abermals unter Leitung des damaligen Seniors Johannes Raum, gegründet.247 Dieses Missionsseminar versammelte 1912 zahlreiche der auch im evangelisch-lutherischen Missionsblatt immer wieder erwähnten Lehrer. Diese Lehrer hatten vor ihrem Eintritt ins Seminar – von jeder Station wurde ein Kandidat zugelassen – viele Jahre lang selbst unterrichtet, teilweise mit nur wenig Aufsicht durch die europäischen Missionare. Die Motivation, selbst offiziell Missionar zu werden, spielte bei der Entscheidung, ins Seminar zu gehen, offensichtlich eine größere Rolle. So rechtfertigte Joouze aus Mbaga seine Entscheidung: „Es ist gut, unterrichtet zu werden. Ich bekomme Verstand und helfe der Mission, Gottes Wort zu verkündigen. Ich unterrichte in unserer Sprache, in Kipare, daß sie (die Kinder) Gottes Wort kennen lernen. Es ist gut, wenn (jeder kennt) unsren Heiland Jesus Christus, wenn (es) jeder Mann sagt und weiß die Geschichte des Allmächtigen.“248 Die Macht dieser „Gehilfen“ – bereits die deutsche Bezeichnung bringt dies zum Ausdruck – blieb einerseits begrenzt. Sie standen stets unter der Kontrolle der Missionare, waren diesen untergeordnet und durften jenseits des Unterrichts im Lesen und Schreiben und der biblischen Geschichte (eigentlich) keine pastoralen Aufgaben wahrnehmen. Taufen blieben bis nach dem Ersten Weltkrieg den männlichen europäischen Missionaren vorbehalten. Dies galt sogar, wenn auch eingeschränkt, für Nottaufen. Als es 1909 zu einer solchen Nottaufe kam – Elia Mbuya, einer der Christen, hatte in Kilema seinen todkranken Bruder auf Verlangen des „heidnischen“ Vaters und 245 Diese Charaktereigenschaften wurden in den verschiedenen Lebensbildern der Seminaristen immer wieder herausgehoben. Siehe bspw. Bruno Gutmann, Anton Tarimo. Der Evangelist von Moshi, Leipzig 1924; Raum, Einiges über Charakter und Entwicklung einiger meiner Lehrgehilfenschüler, Max Pätzig, Lasaros Laiser. Ein Leben für die junge Kirche in Ostafrika im Gebiete der Evangelisch-lutherischen Mission zu Leipzig, Erlangen 1959. 246 Vgl. Protokolle der Chagga-Konferenz, Dezember 1903 (Verheiratung), ALMW II.32.95, August 1913, ALMW II.32.100 (Gehaltsfrage), August 1907 (sittliche Verfehlung, Weiterbildung), ALMW II.3297, und Februar 1911 (Ausbildungsreform), ALMW II.99. 247 Vgl. Adam Jones (Hg.), Through a Glass, Darkly. Photographs of the Leipzig Mission from East Africa, 1896–1939, Leipzig 2013, 31–31. 248 Knittel, Beitrag, 287. Eine ähnliche Motivation hatte auch der Missionsschüler Gerson. Siehe zum Lebenslauf von Gerson und Joouse Altena, Ein Häuflein Christen, Anhang, 311 bzw. 327–328.
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im Beisein anderer Christen getauft – wurde der Fall eigens im Gemeindevorstand behandelt. Die Gemeinde wurde daraufhin ermahnt, derartige Taufen zu unterlassen, da man nicht beeinflussen könne, „daß die Kinder später wirklich christlich erzogen würden.“249 Diese ablehnende Haltung gegenüber der Durchführung der Taufe durch nichteuropäisches Missionspersonal unterscheidet die Leipziger Mission zum Beispiel von der Arbeit der Benediktinermission in Ostafrika, bei der auch indigene Katecheten häufig zumindest Nottaufen durchführten.250 Tatsächlich galten die „Gehilfen“, trotz ihrer umfassenden Aufgaben, nicht einmal als Katecheten. Zwar war die grundsätzliche Bedeutung von Katecheten unumstritten, da diesen zugeschrieben wurde, sich in den „Sitten, Gebräuchen und Anschauungen“ besser auszukennen, die bisher eingesetzten „Lehrgehilfen“ schienen den lutherischen Missionaren zu alt zu sein, um eine vollständige Ausbildung zum Katecheten oder gar zum Pastor zu durchlaufen – zumindest begründeten sie damit deren Nichtausbildung.251 Andererseits lässt sich der Einfluss der „Gehilfen“ kaum überschätzen. Als Lehrer nahmen sie nicht nur Einfluss auf die nachkommende christliche Jugend, sondern hatten auch Gelegenheit, Anpassungen und Schwerpunktsetzungen in der Verkündigung vorzunehmen. Denn auch wenn sie nicht offiziell als Missionare bezeichnet wurden, übernahmen sie deren Aufgaben insbesondere in den Außenschulen fast vollständig. Der Lehrer Anton Tarimo hielt beispielsweise nicht nur Sonntagsandachten in den Außenschulen, sondern erteilte auch Unterricht auf der Regierungsboma und in der Steppe in der Landschaft Kahe, predigte regelmäßig und führte sogar mit Angehörigen des Islam Gespräche über Religion.252 Die Lehrer waren somit die ersten lokalen Mitarbeiter, die an dem Kirchwerdungsprozess aktiv beteiligt waren.253 Dass die „Gehilfen“ trotz ihrer Ausbildung – und es wurden keineswegs alle im Gehilfenseminar ausgebildet – nur bedingt den theologischen Implikationen der Missionare folgten, sondern im kommunikativen Prozess des Unterrichts ihr eigenes Verständnis vom Christentum zu Gehör brachten, scheint – auch wenn es kaum nachweisbar ist – eingängig. Einen besonders wichtigen Hinweis darauf liefern beispielsweise Namen, mit denen Jesus Christus versehen wurde, und die häufig aus der lokalen Tradition stammten. So kann Christian Pohl zeigen, dass in die Choralmusik im
249 Protokollbuch, 23.4.1909, 17, ELCT 18. Die Taufe wurde aber in das Taufverzeichnis eingetragen und blieb damit gültig. Verzeichnis der Taufen 1909, 3, ELCT 23. 250 Siehe dazu bspw. Hölzl/Wetjen, Negotiating the Fundamentals, und auch Richard Hölzl, Gläubige Imperialisten. Katholische Mission in Deutschland und Ostafrika, Frankfurt/New York 2021. 251 Protokoll der Chagga-Konferenz, Februar 1911, Beilage zu Nr. 14: Haben wir schon Brauchbare unter unsern Lehrern für die Wortverkündigung?, 2, ALMW II.32.99. 252 Gutmann, Anton Tarimo, 4–8. Tarimo ist insofern ein besonders spannender Akteur, als er ein Jahr im Leipziger Missionshaus zu Gast war und auch in Sachsen eine Volkschule besuchte. 253 Pohl, Evangelische Mission in Tanga, Kap. 3.2., beleuchtet dies ausführlich für das Gebiet des Diegolandes in DOA, in dem die Bethelmission wirkte. Zu Kamerun siehe Johnson, Schwarze Missionare, 256, der die einheimischen Lehrer als „verlängerte Arme“ der Mission bezeichnet.
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Diegoland, wie sie von dem Lehrer Yakobo Lumwe geschaffen worden war, einerseits missionarische theologische Ansätze Eingang fanden, andererseits aber auch eine „traditionelle Terminologie und lokale Kulturelemente“ verwendet wurden.254 „Auf das theologische Denken der einheimischen Mitarbeitenden wirken sowohl Einflüsse der ausländischen Missionare als auch ihrer kulturellen Umwelt, die sie zunehmend eigenständig und immer neu ansetzend zu einer spezifischen Form verarbeiten“.255 Als die Missionare im Verlauf des Ersten Weltkriegs Ostafrika verlassen mussten, übernahmen die Lehrer die Führungsrolle in den Gemeinden – und stellten sich schließlich in einigen ihrer Entscheidungen durchaus auch gegen die Sichtweise der europäischen Missionare.256 Dies konnten sie, weil sie seit der Jahrhundertwende eine große Rolle in der Gemeindearbeit gespielt und bereits während dieser Zeit ihre Macht innerhalb der Gemeinden ausgebaut und sich immer mehr an den Missionaren orientiert hatten.257 Neben den Missionaren und den afrikanischen Lehrern waren es aber auch die anderen Missionsangehörigen, die ebenfalls Einfluss auf die inhaltliche Vermittlung des Christentums nahmen und dabei teils andere Schwerpunkte setzten. So gab es die Missionsökonomen beziehungsweise -handwerker, denen vor allem die praktische Unterweisung und eine „Erziehung zur Arbeit“ am Herzen lag. Zweitens – und diese Gruppe war trotz ihrer marginalen Stellung innerhalb der Missionshierarchie durchaus einflussreich – unterrichtete neben den männlichen Missionaren und Gehilfen auch weibliches Personal, Diakonissen und die nicht einmal angestellten Missionarsehefrauen, in den Missionsschulen. Die Frage, ob Diakonissen als Missionarinnen eingesetzt werden sollten, wurde bereits seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts diskutiert und mit dem zum Ende des 19. Jahrhunderts durch die Kolonien zunehmenden Interesse am Außereuropäischen auch von einigen Frauen selbst forciert. Ebenso wie die katholische Helena Stollenwerk den Gründer der Steyler Mission Arnold Jansen um eine Aussendung nach China bat,258 interessierten sich auch mehr und mehr evangelische Frauen und Diakonissen für eine Arbeit im Außereuropäischen.259 Wenn auch mit einigem Zögern setzte sich durch, dass Diakonissenhäuser vereinzelt Frauen für die Arbeit in der Äußeren Mission abordneten.260 Insgesamt blieb die Zahl der Diakonissen, die im Ausland ar-
254 255 256 257 258
Pohl, Evangelische Mission in Tanga, 243. Ebd., 264. Fiedler, Christentum und afrikanische Kultur, 76, 81. Ebd., 77–81. Katharina Stornig, Sisters Crossing Boundaries. German Missionary Nuns in Colonial Togo and New Guinea, 1897–1960, Göttingen 2013, 9 und passim. 259 Uwe Kaminsky, Innere Mission im Ausland. Der Aufau religiöser und sozialer Infrastruktur am Beispiel der Kaiserswerther Diakonie (1851–1975), Stuttgart 2010, 97. 260 Eine Ausnahme ist sicherlich die Kaiserswerther Arbeit im Orient. Siehe dazu ebd. und Hauser, German Religious Women.
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beitete, zwar gering;261 spätestens ab der Mitte des 19. Jahrhunderts hatte sich aber die direkte Mitarbeit von Frauen in der Mission mit Rekurs auf die Geschlechterverhältnisse in den Missionsgebieten als wichtiger Bestandteil von Mission etabliert.262 Gustav Warneck rechtfertigte diese Entwicklung mit den positiven Erfahrungen, die mit der Aussendung von Frauen gemacht worden seien. Zwar sei die eigenständige Predigt von Frauen durch die Bibel nicht gerechtfertigt und deswegen auch nicht statthaft; Aufgaben, die jedoch in der Heimat als „Frauendienst“ angesehen würden, könnten auch in der Mission Frauen übertragen werden.263 Eine besondere Bedeutung käme Frauen in der Mission vor allem bei der „Hebung des weiblichen Geschlechts“ zu, so der Missionswissenschaftler: „Die weibliche Bevölkerung ist ein sehr wichtiger Faktor in der Christianisierung und Zivilisierung der Menschheit; als Hausfrauen und Mütter übt sie einen gar nicht hoch genug zu schätzenden segensreichen oder verderblichen Einfluß, und von der Erziehung der Mädchen hängt die Qualität der Frauen und Mütter ab […]. Hier eröffnet sich ein ungeheuer weites Feld für den missionarischen Frauendienst.“264
Die dafür notwendigen Tätigkeiten könnten Männer aufgrund ihrer Fähigkeiten, und weil die Tätigkeiten in den Aufgabenbereich von Frauen fielen, nämlich gar nicht ausführen.265 Warneck, der als Qualifikation für die ausgesandten Frauen Frömmigkeit, Mut, ein heiteres Wesen, „demütiger Dienersinn“, eine praktische Veranlagung und ein gewisses Maß an allgemeiner und wissenschaftlicher Bildung forderte, machte gleichzeitig deutlich, dass die Frauen sich im Missionsgebiet den männlichen Missionaren unterzuordnen hätten, gemeinsam mit ihnen auf einer Station arbeiten sollten und keineswegs selbstständig Missionsreisen unternehmen dürften.266 In der Leipziger Mission wurden erst spät Diakonissen vor allem in der Schule zum Unterrichten von Mädchen oder als Krankenschwestern, teilweise auch für beide Auf261
262 263
264 265 266
Uwe Kaminsky, Mutter, Tochter oder Zwillingsschwester? Unklare Familienverhältnisse zwischen Äußerer und Innerer Mission, in: Tobias Sarx u. a. (Hg.), Protestantismus und Gesellschaft. Beiträge zur Geschichte von Kirche und Diakonie im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart 2013, S. 93–104, 103. Andreas Eckl, Grundzüge einer feministischen Missionsgeschichtsschreibung. Missionarsgattinnen, Diakonissen und Missionsschwestern in der deutschen kolonialen Frauenmission, in: Marianne Bechhaus-Gerst / Mechthild Leutner (Hg.), Frauen in den deutschen Kolonien, Berlin 2009, S. 132–145, 135. Martina Gugglberger, Reguliertes Abenteuer. Missionarinnen in Südafrika nach 1945, Köln/Weimar/Wien 2014, 32. Gustav Warneck, Evangelische Missionslehre. Ein missionstheoretischer Versuch. Zweite Abteilung: Die Organe der Sendung, Gotha 1894, 250. Warneck meinte damit die Kranken- und Waisenpflege, die Kinderpflege, den Mädchenunterricht, Unterricht in Handarbeiten, etc. Das Argument, dass einige Teile der weiblichen Bevölkerung für einen männlichen Missionar nicht zugänglich seien, wies er von der Hand. Ebd., 251. Siehe dazu auch Hauser, German Religious Women, 2. Warneck, Missionslehre II, 251–252. Ebd., 254.
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gaben parallel, eingesetzt. 1894 wurden dazu Abkommen zwischen Diakonissenhäusern, insbesondere derjenigen in Neuendettelsau und Ludwigslust, und der Leipziger Mission267 getroffen, ab 1908 gab es zudem eine Vereinbarung mit dem Henriettenstift in Hannover über die Aussendung von Frauen in die Missionsgebiete; zusätzlich beschäftigte die Gesellschaft auch Missionsarbeiterinnen in der Heimat.268 Nach Afrika ausgesandt wurde 1905 die Kurländerin Elisabeth Seesemann insbesondere für die Lehrarbeit. Sie unterrichtete in der Kleinkinderschule, übernahm Bibelklassen für Frauen und unterrichtete die Mädchenklassen in den Missionsschulen.269 Gesine Sammy, Berta Schulz270, Elisabeth Vierhub271 und Elisabeth Wärthl, Diakonissen aus Ludwiglust, sowie die Schwester Friederike Steinacker aus Darmstadt wirkten ebenfalls vor dem Ersten Weltkrieg als Diakonissen auf dem afrikanischen Missionsfeld der Gesellschaft, wo sie als Krankenschwestern und zur Kleinkinderpflege eingesetzt wurden. Die Diakonissen waren – obwohl sie ebenfalls Mitarbeiterinnen der Missionsgesellschaften waren – den Missionaren unterstellt,272 und sie hatten bis auf wenige thematische Ausnahmen kein Mitsprache- und Stimmrecht auf den Missionarskonferenzen.273 Dennoch aber hatten sie bei Praktiken, die im „bürgerlichen Wertehimmel“ als weiblich konnotiert waren, durchaus eigene Handlungsspielräume; insbesondere in den Kinderheimen und der Mädchenkostschule konnten sie weitgehend selbständig agieren.274 Dies unterschied sie auch von den ebenfalls für die Erziehung von Mädchen 267 Anne Marie Ihmels, Frauenmission daheim und draußen, Leipzig 1936, 7. 268 Ebd., die die einzige Darstellung einer Ehefrau eines Direktors der Leipziger Mission ist. 269 Ihmels, Frauenmission daheim und draußen, 9. Elisabeth Seesemann, älteste Tochter des Stadtpredigers Gustav Seesemann in Mitau, hatte zunächst als Lehrerin gearbeitet, bevor sie 1902 zum Musikstudium nach Berlin ging, um dann wieder in Mitau Musik zu unterrichten. Vor ihrer Abreise ins Missionsgebiet lernte sie am Seminar für Orientalische Sprachen in Berlin Kiswahili. Vgl. Missionschronik, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1905), S. 529. 270 Bertha Schulz (1878–1943) trat 1896 in das Ludwigsluster Diakonissenhaus ein, wo sie u. a. als Kleinkinderlehrerin eingesetzt wurde. Nach einer Vorbereitungszeit, in der sie u. a. Kiswahili lernte, wurde sie 1909 nach Ostafrika abgeordnet. Nach ihrer Rückkehr 1920 kehrte sie in den Dienst des Mutterhauses zurück. Siehe zu Schulz die Personalakte ALMW II.32.541. 271 Elisabeth Vierhub (1873–1964) war erst mit 24 Jahren in das Diakonissenhaus Ludwigslust Stift Bethlehem eingetreten, wo sie zunächst für Belange der Inneren Mission in der Gemeinde- und Krankenpflege tätig war. Erst 1910 wurde sie als Krankenschwester in die Äußere Mission nach Moshi abgeordnet. Sie kehrte nach dem Ersten Weltkrieg in das Missionsgebiet zurück, wo sie ab 1928 die Mädchenschule leitete. Nach 1938 war sie für die Heimarbeit der Mission tätig. Siehe zu Vierhub die Personalakte ALMW II.32.547. 272 Dies machte bereits die Vokation deutlich, die explizit auf den Missionar der Station, als „Ihren nächsten Vorgesetzten“ verwies. Siehe z. B. die Vokation Vierhubs, ALMW II.32.547. 273 Dies entsprach der üblichen Praxis der Missionsgesellschaften. Vgl. z. B. Waltraud Ch Haas, Erlitten und erstritten. Der Befreiungsweg von Frauen in der Basler Mission, Basel 1994, 49, für Basel. 274 Zu den Missionsehefrauen siehe prominent Konrad, Missionsbräute, die sich den Geschlechterbeziehungen in Pietismus und Mission am Beispiel von Biographien der Missionarsehefrauen widmet. Zu den Kindern, die aus diesen Ehen hervorgingen, siehe Dies , Missionskinder. Für die Leipziger Mission gibt es bisher kaum Arbeiten über die Diakonissen oder die Missionarsfrauen.
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eingesetzten Missionarsehefrauen,275 die stets an ihre Rolle als Mutter und Ehefrau gebunden blieben.276 Beide Gruppen, die Missionarsehefrauen ebenso wie die Diakonissen, waren dabei maßgeblich an der Etablierung europäischer „bürgerlicher“ Geschlechterrollen beteiligt. An ihrem Beispiel wird deutlich, dass neben die inhaltlichen Grenzziehungen bzw. das religiöse Wissen, das von den (männlichen) Missionaren – und dann im Nachgang auch von den „Gehilfen“ – in den Vordergrund gerückt wurde, auch praktische Aspekte „christlichen“ Verhaltens vermittelt wurden, welche aber für Definitionen des Christentums nicht minder bedeutsam waren. Dazu gehörte beispielsweise das Erlernen europäischer Haushaltsführung im Sinne einer europäischen Geschlechterrollenverteilung, die vor allem auf den Missionsstationen ja nicht selten direkt im Haushalt des Missionars vermittelt wurde. Viele der Christen oder Katechumenen arbeiteten eine Zeitlang bei einem Missionar als „Boy“ oder gingen der Missionarsfrau zur Hand.277 Dienstbotinnen und Dienstboten gehörten zu einem Missionshaushalt, der gleichzeitig die koloniale Ordnung symbolisierte. Nicht selten wurden die Missionarsfrauen deswegen in Europa von ihren zurückgelassenen Freundinnen und Verwandten beneidet und mit Frauen von Kolonialoffizieren gleichgesetzt.278 Obwohl sich die Missionarsfrauen gegen diese Gleichsetzung verwehrten – galten doch die Frauen in den Kolonien als nur mit
Eine Ausnahme bildet Koch, Korrespondenzen, die sich anhand der Korrespondenzen von Lina Raum, der Ehefrau Johannes Raums, den Aufgaben einer Missionarsehefrau zuwendet. 275 Zwar verfügte die Leipziger Missionsgesellschaft nicht über eine derart strikt regulierte Eheordnung wie die Basler Mission, auch für die von ihr ausgesandten Missionare galt aber die Regel, dass sie sich erst verloben dürften, wenn sie vom Missionshaus die Erlaubnis dazu erlangt hatten. Die „Missionsbräute“ wurden ebenfalls einer Gesundheitsprüfung ob ihrer „Tropentauglichkeit“ unterzogen und sie galten als „Gehilfin“, wenn auch nicht als Missionsangestellte. Man verlangte von den Frauen deswegen ebenso wie von den männlichen Missionaren eine innere Überzeugung zum Missionsdienst bzw. „die Internalisierung einer ausgeprägten ‚Opfer- und Verzichtsideologie‘“. Der Umgang mit den Ehefrauen spiegelt sich auch in der Struktur der Überlieferung wider: In den Personalakten der Missionare sind auch die Angaben und Korrespondenzen mit den Ehefrauen abgelegt, und zwar während der Brautzeit, aber häufig auch über den Tod des Ehemanns hinaus. Offenbar standen viele Missionarsfrauen auch eigenständig mit der Missionsgesellschaft in Kontakt und das auch, nachdem sie schon lange wieder in der Heimat waren. Siehe dazu auch Altena, Ein Häuflein Christen, 298, mit Verweis auf Haas, Erlitten und erstritten, 104. 276 Wie sehr die Missionarsehefrauen, selbst wenn sie Mädchen in Singen, biblischer Geschichte und v. a. im Nähen unterrichteten, an ihre Rolle als Hausfrau gebunden blieben, zeigt, dass diese „Unterrichtsstunden“ häufig nicht im Schulgebäude stattfanden, sondern auf der Veranda des Missionshauses, und damit im Halböffentlichen. Eine Missionsfamilie – und dies schloss auch die Kinder ein – sollte ähnlich wie das deutsche Pfarrhaus eine Vorbildfunktion haben und dem Ideal eines europäischen Ehe- und Familienlebens entsprechen. Deswegen konnte die Missionarsfrau das Haus kaum verlassen. Siehe dazu Koch, Korrespondenzen, 298; Konrad, Missionsbräute, 300, 306; Dies , Missionskinder. 277 Koch, Korrespondenzen, 290. 278 Konrad, Missionsbräute, 288.
3.2 „Heidenpredigt“ und Unterricht als Orte der Übersetzung
229
Klatsch und Tratsch beschäftigt279 –, setzten sich koloniale Rechtfertigungsmuster und Strukturen im alltäglichen Umgang mit den afrikanischen Dienstboten fort. So war es zum Beispiel nicht unüblich, dass die afrikanischen Dienstboten geschlagen wurden. Im Missionarshaushalt verbanden sich also Vorstellungen von Hygiene und Fleiß mit Idealen von Sittlichkeit und der Vorstellung vom rechten Christentum. Gerade im Bereich des Haushaltes, der eng mit Sauberkeitsvorstellungen verknüpft war, kam der „Verunreinigung“ durch das „Heidentum“ eine doppelsinnige Bedeutung zu, wie Dagmar Konrad anhand der Basler „Missionsbräute“ zeigen konnte.280 In den Missionsschulen für Mädchen, die am Kilimandscharo nach und nach in die Hände der Diakonissen übergeben wurden,281 stand ebenso wie in den Missionarshäusern diese „domestic education“ im Vordergrund. Richtlinie für die Erziehung der Mädchen war, „daß die Mädchen zur Ordnungsliebe, Pünktlichkeit, Fleiß, Sauberkeit u. christlichem gesittetem Werden erzogen werden, daß sie aber nicht an Bedürfnisse gewöhnt werden sollen, die sie zu sehr außerhalb des Rahmens ihres Volkstums stellen u. es ihm erschweren, sich in diejenigen Verhältnisse einzufinden, in die sie mit ihrer Verheiratung eintreten.“282
Für die missionierten Mädchen bot der Unterricht dennoch eine besondere Möglichkeit. Sie erhielten hier eine – wenn auch an europäischen Maßstäben gemessene – Bildung, lernten lesen und schreiben.283 Die Mission fungierte zudem als Zufluchtsstätte, in der Mädchen vor einer ungewollten Ehe oder einem gewalttätigen Vater geschützt waren.284 Die von der Mission ausgebildeten Frauen und Mädchen konnten durch ihre (zeitweilige) Zugehörigkeit zur Missionsgemeinde ihre eigenen Interessen verfolgen, auch wenn diese nicht immer deckungsgleich mit denen ihrer Erzieherinnen waren.285 Inwieweit die in der Mission erzogenen Mädchen die Werte und Aufgaben einer christlichen Ehefrau verinnerlicht hatten, wurde später nicht nur zum Maßstab für die Zulassung zur Taufe, wenn sie sich selbst zu diesem Schritt entschlossen hatten,
279 Siehe dazu Birthe Kundrus, Moderne Imperialisten. Das Kaiserreich im Spiegel seiner Kolonien, Köln/Weimar/Wien 2003. 280 Konrad, Missionsbräute, 296. 281 So übernahm die Diakonisse Seesemann ab 1907 die Kostschule für Mädchen in Mamba. Hasu, Desire and Death, 173. 282 Aus Briefen von Schwester Berta Schulz, 31, ALMW II.32.541. 283 Siehe zu dieser Ambivalenz Fiona Bowie, Introduction. Reclaiming Women’s Presence, in: Dies. u. a. (Hg.), Women and Missions. Past and Present. Anthropological and Historical Perceptions, Oxford 1993, S. 1–22, 13 f. 284 Wetjen, Abdrucken, 209. Adrian Hastings, Were Women a Special Case?, in: Fiona Bowie u. a. (Hg.), Women and Missions: Past and Present. Anthropological and Historical Perceptions, Oxford 1993, S. 109–125, 112. Zur Rekonstruktion der Mädcheninitiation und der Verhandlung und Zahlung eines Brautpreises bei den Chagga vor den Missionaren siehe Hasu, Desire and Death, 76–110. Hasu stützt sich dabei im Wesentlichen auf die Darstellungen Bruno Gutmanns. 285 Siehe dazu auch Stornig, Sorge der Schwestern; Hasu, Desire and Death, 159.
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3 Religiöses Wissen in der Mission
sondern spielte auch in der Vorbereitung der Ehe eine wichtige Rolle. Je mehr christlich getaufte Mädchen und junge Frauen es gab, desto stärker wurde vonseiten der Missionare darauf gedrungen, dass sich die christlichen jungen Männer, allen voran die Schüler der Kostschüler und die „Gehilfen“, unter diesen Mädchen eines als Braut auswählten.286 Eine Abgrenzung zur nichtchristlichen Chaggagesellschaft wurde auf diese Weise befördert.287 Christliche Eheschließungen markierten eine Differenz zur restlichen Gesellschaft, die noch dadurch unterstrichen wurde, dass das Ehepaar die Wochen nach der Eheschließung nicht sich von der Außenwelt abschirmend allein verbrachte, sondern ihren üblichen Beschäftigungen nachging.288 Auffällig ist, dass im Kontext der Mädchenerziehung viel offener als im Kontext der Jungenerziehung über zivilisationsmissionarische Aspekte verhandelt wurde. Mädchen wurden explizit durch Anleitungen zur europäischen Haushaltsführung im Sinne europäischer Geschlechterrollen und -tugenden erzogen. In den Berichten der Diakonissen trat der Aspekt der Religion sogar teilweise ganz zurück.289 Die christliche Ethik und Lebensführung waren, auch wenn diese in den Missionstagebüchern häufig in den Hintergrund verwiesen waren, somit ein wesentlicher Aspekt des Christianity Making. Die Kategorie Geschlecht bestimmte ebenso wie die theologische Position die inhaltlichen Grenzziehungen und Definitionen des Christentums. In der Mission wurde ein spezifisches von Frömmigkeitsidealen ebenso wie von bürgerlichen Normen durchdrungenes Geschlechterkonzept handlungsleitend290 – 286 Gerade diese Hoffnung war es, die den Missionsdirektor von Schwartz in seinem Visitationsbericht von der „großen Wichtigkeit“ der Mädchenkostschulen sprechen ließ. Karl von Schwartz, Visitationsbericht für das Missionskollegium, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1904), S. 161–172, 164. Ähnlich auch im katholischen Kontext Stornig, Sorge der Schwestern, 123. 287 Insb. die zahlreichen Fälle von Kirchenzucht zeigen, dass ein häufiger Kontakt zwischen christlichen und nichtchristlichen Chagga bestand. Siehe dazu Kap. 4.2 dieser Studie. Hasu, Desire and Death, 210, beschreibt zudem in den 1920er Jahren das Phänomen „Wilder Ehen“. 288 Ebd., 167. 289 Ebd., liefert zahlreiche Beschreibungen, ohne auf diesen Aspekt näher einzugehen. 290 Zu protestantischen Missionen Simone Prodolliet, Wider die Schamlosigkeit und das Elend der heidnischen Weiber. Die Basler Frauenmission und der Export des europäischen Frauenideals in die Kolonien, Zürich 1987, die die Durchsetzung des europäischen Frauenideals untersucht; Elizabeth E Prevost, The Communion of Women. Missions and Gender in Colonial Africa and the British Metropole, Oxford 2010, die sich protestantischen Missionaren und deren Einfluss auf soziale Bewegungen im britischen Empire widmet; zu Kaiserswerther Diakonissen im Libanon Hauser, German Religious Women; zur Basler Mission außerdem Haas, Erlitten und erstritten; zu katholischen Missionsschwestern Stornig, Sisters Crossing Boundaries, Dies , Sorge der Schwestern. Siehe außerdem Bowie, Introduction, und den ganzen Sammelband, der auf die Teilhabe von Frauen am missionarischen Projekt aufmerksam machen will. Als Überblick zur protestantischen Frauenmission Eckl, Grundzüge. Zu protestantischen US-amerikanischen Missionarinnen siehe auch den Sammelband Barbara Reeves-Ellington u a (Hg.), Competing Kingdoms. Women, Mission, Nation, and the American Protestant Empire, 1812–1960, Durham 2010. Die Aufmerksamkeit für die Frauenmission in der Forschung ergibt sich auch aus den Ergebnissen, die sich in der Forschung zur Religion im 19. Jahrhundert in Westeuropa durchgesetzt haben und die ebenfalls von einer signifikanten Bedeutung von Frauen ausgehen. Siehe dazu z. B. McLeod, Secularisation;
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„Missionaries presented Christianity to Indigenous people as a gendered faith“.291Missionarsehefrauen und Diakonissen widmeten sich mehr und mehr der von Beginn an als getrennt von dem Unterricht der Jungen wahrgenommenen Mädchenerziehung.292 Sie vermittelten dabei auch eine spezifische weibliche Religiosität, die ihre Frömmigkeit in der christlichen Haushaltsführung und mithin im Privaten zur Schau stellte.293 Die männlichen Missionare dagegen inszenierten ihre Religiosität als christliche Männlichkeit stärker auf der inhaltlichen, dogmatischen Ebene. Mit der Betonung ihrer geistlichen Autorität setzten sie damit auch einen Kontrapunkt zu der auch in der Heimat zu beobachtenden Feminisierung von Religion.294
Rebekka Habermas, Weibliche Religiosität – oder: Von der Fragilität bürgerlicher Identitäten, in: Klaus Tenfelde / Hans-Ulrich Wehler (Hg.), Wege zur Geschichte des Bürgertums, Göttingen 1994, S. 125–148. Während also zu zahlreichen anderen englischsprachigen und deutschsprachigen Missionsgesellschaften mittlerweile eine wahre Flut an Arbeiten vorliegt, besteht für die Leipziger Mission hier noch eine deutliche Lücke, die nicht nur die Frauen- und Mädchenerziehung in der Mission betrifft oder die Rolle der von der Missionsgesellschaft ausgesandten Diakonissen, sondern auch das Geschlecht der männlichen Missionare selbst. 291 Patricia Grimshaw, Missions, Colonialism and the Politics of Gender, in: Amanda Barry u. a. (Hg.), Evangelists of Empire? Missionaries in Colonial History, University of Melbourne eScholarship Research Centre, http://msp.esrc.unimelb.edu.au/shs/missions 2008, S. 1–12, 3–4 (zuletzt eingesehen: 19.08.2017). 292 Kostschulen als die wichtigste Missionsmethode in den ersten Jahren der Mission richteten sich zunächst an Jungen. Diese wurden gegen Kost und Logis unterrichtet, erhielten aber auch einen Lohn. Das Argument der Missionare für diese Lohnzahlung war dabei die lokale Sitte des Brautkaufs: Keiner der Jungen würde auf der Missionsstation bleiben und arbeiten, so die Befürchtung, wenn er nicht durch eine Lohnzahlung Gelegenheit hätte, für eine Braut zu sparen. Erst 1899 wurde von Missionar Althaus damit begonnen, die Missionsarbeit auf Mädchen und Frauen – die wohl auch zuvor schon einen großen Teil der Zuhörergruppe beim Schulunterricht in den Landschaften ausgemacht hatten – zu systematisieren. Zunächst begann Althaus damit, einen „besonderen Mädchen- und Frauenuntericht“ einzurichten, der zweimal wöchentlich gegen Abend stattfand. Im Dezember desselben Jahres wurden dann schließlich auch Mädchen als Kostschülerinnen zugelassen. Makiwe und Ndewina seien beide von Althaus, der dies als humanitäre Christenpflicht im Missionsblatt darstellte, aufgenommen worden, nachdem es zu Streitigkeiten innerhalb der durchaus gewaltbereiten Familien der Mädchen gekommen sei: „Wir haben aber bei dieser Gelegenheit erfahren, daß der eigentliche Kampf zwischen Heidentum und Christentum hier erst dann beginnen wird, wenn die Mädchen und Frauen sich letzterem zuwenden.“ Nachrichten aus Mamba. Nach dem Tagebuch von Miss. Althaus (Dezember), in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1899), S. 181–185, 183. Siehe dazu auch Wetjen, Abdrucken. 293 „In practice, however, many missionary women actually reconfigured their mission work as a medium for religious exchange with African women. This spiritual relationship, in turn, created a mutual space wherein British and African women interacted on a number of levels, infusing mission Christianity with a dynamic female religiosity which was capable of mediating divergent cultural and religious expressions, effectively blurring the sacred and secular, European and African, Christian an non-Christian dimensions of the mission encounter.“ Prevost, Communion, 4. 294 Zur christlichen Maskulinität liegen bisher nur vereinzelte Arbeiten vor. Siehe insb. Olaf Blaschke, The Unrecognised Piety of Men. Strategies and Success of the Re-Masculinisation Campaign around 1900, in: Yvonne Maria Werner (Hg.), Christian Masculinity. Men and Religion in Northern Europe in the 19th and 20th Century, Leuven 2011, S. 21–45, sowie die Einleitung zu dem Band Yvonne Maria Werner, Studying Christian Masculinity. An Introduction, in: Ebd., S. 7–17.
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3 Religiöses Wissen in der Mission
3.2.2 Religionspädagogische Resonanzen Die im Missionsgebiet vorgenommenen inhaltlichen Grenzziehungen, Schwerpunktsetzungen und Definitionsversuche, die den „Kern“ des Christentums ausmachen sollten, vor allem die Konzentration auf die biblischen Geschichten, entsprachen einem Trend, der sich gleichzeitig im Kaiserreich formierte. Auch für die religiöse Unterweisung in den Volksschulen, deren Konzeptionierung häufig als Vorbild für die Missionsschulen im Missionsgebiet diente, wurde eine solche Auswahl unter dem Topos einer „Schulbibel“ innerhalb der unterschiedlichen Landeskirchen rege diskutiert. Wurde die Einführung einer Schulbibel Mitte des 19. Jahrhunderts in Sachsen zunächst als rationalistisches Projekt verschrien,295 änderte sich diese Einschätzung schon bald, als einer der Professoren der Leipziger Universität, Rudolf Hofmann,296 eine Schulbibel, die eine Einführung in die gesamte Bibel sein sollte, vorlegte. Hofmann war einer der Mitbegründer der Meißner Konferenz, in der sich der Großteil der sächsischen Pastoren versammelte und die sich durch eine bewusste Verankerung von Schrift und Bekenntnis mit gleichzeitiger Öffnung für wissenschaftlich-theologische Ergebnisse auszeichnete.297 Auch wenn das Landeskonsistorium eine Schulbibel im Grundsatz ablehnte,298 schien diese dennoch den Ansprüchen zu genügen.299 1898 war die Hoffmansche Schulbibel schon in fünf Auflagen erschienen und wurde offenbar im Religionsunterricht häufig eingesetzt.300 Die Gründe für die Einführung einer Schulbibel, die in Sachsen seit 1846 diskutiert wurden, waren zunächst moralischer Natur. Befürworter betonten, dass die Bibel kein Buch für Kinder sei; insbesondere wegen ihrer vielen unsittlichen Stellen hätte sie in der Hand von Kindern nichts zu suchen.301 Von der Einführung einer Schulbibel, die in die Vollbibel einführe, versprach man sich eine positive Wirkung auf das Bibelstudium
295 Friedrich Dix, Neuere Geschichte der Schulbibel. I. Geschichte des sächsischen Schulbibelstreites 1845–1876. II. Geschichte der Schulbibel 1876–1898, Dresden 1898, 11–12. 296 Rudolf Hofmann (1825–1917) hatte in Leipzig studiert und promoviert. Er erhielt dort 1851 zunächst eine außerplanmäßige Professur. Er legte mehrere Schriften vor, in denen er sich mit pädagogischen Fragen im Zusammenhang mit der Theologie auseinandersetzte. Vgl. http://research. uni-leipzig.de/catalogus-professorum-lipsiensium/leipzig/Hofmann_1249/ (zuletzt eingesehen: 6.8.18). 297 Siehe zur Meißner Konferenz auch den Art. ‚Meißner Konferenz‘, in: Kirchliches Handlexikon 4 (1894), S. 528. 298 Christine Reents / Christoph Melchior, Die Geschichte der Kinder- und Schulbibel, Göttingen 2011, 246. Die am weitesten verbreitete Schulbibel im Kaiserreich war wohl die Bremer Schulbibel, an der auch der Bremer Missionsinspektor Zahn mitgearbeitet hatte. 299 Vgl. dazu Friedrich Dix, Geschichte der Schulbibel, Gotha 1892, 32–33. 300 Ders , Schulbibel, 23. 301 Alfred Bähnisch, Ist eine Schulbibel notwendig und wie muß sie beschaffen sein?, Stuttgart 1892, 7–10. Vgl. auch die Literaturschau bei Dix, Geschichte der Schulbibel, 34 u. 36.
3.2 „Heidenpredigt“ und Unterricht als Orte der Übersetzung
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im Erwachsenenleben und in den Familien der Kinder.302 Durch die Möglichkeit einer für die Schule passenden Bibel könnte auch der Umfang des Katechismusunterrichts und dessen „Memorierstoff “ reduziert werden, so ein weiteres Argument.303 Schulbibeln waren jedoch keineswegs die einzige religiöse Literatur, die den Stoff der Bibel aufereiteten. In vielen Schulen setzten sich Lesebücher mit biblischen Geschichten, wie sie ja auch von den Missionaren erstellt wurden, durch.304 Diese Lesebücher suchten durch ihre besondere Verknappung eine noch konzentriertere Fassung des Christentums zu vermitteln. Im „Biblischen Lesebuch“ für Württemberg hieß es beispielsweise auf die Frage, was zum biblischen Lesestoff in den Schulen gehöre: „Alles, was Einblick gewährt in den Entwicklungsgang der Heilsoffenbarung, was zur Bekanntschaft gehört mit den Trägern derselben, alles, was zur Erkenntnis der Glaubenswahrheiten und der Regeln eines rechten Lebens Anhalt und für Leiden und Sterben Trost und Erquickung darbietet. Wegbleiben soll alles, was diesen Einblick erschwert, alles, was den Kindern nicht zum Verständnis gebracht und was sittlich gefährlich werden kann.“305
Religionsunterricht, der beispielsweise im preußischen Gymnasium in der Sexta dreistündig und danach zweistündig unterrichtet wurde, sollte das Ziel verfolgen, „die Jugend in Gottes Wort zu erziehen und sie zu befähigen, daß sie dereinst durch Bekenntnis und Wandel und namentlich auch durch lebendige Betheiligung am kirchlichen Gemeindeleben ein wirksames Beispiel geben.“306 Um dieses Ziel zu erreichen, sollten in Sexta und Quinta biblische Geschichten aus Altem und Neuem Testament durchgenommen werden.307 Erst in höheren Stufen las man Bibelauszüge, in der Prima auch aus dem Griechischen, „um den Schüler zum Zurückgehen auf den Urtext anzuleiten“.308 Im gesamten Unterricht sollte der Gedächtnisstoff reduziert werden und die „ethische Seite“ des Unterrichts mehr in den Vordergrund treten, die jedoch auf der Grundlage der biblischen Geschichten, deren Unterweisung eine Basis für die 302 Die Schulbibel, in: Allgemeine Evangelisch-Lutherische Kirchenzeitung 28 (1895), S. 147–149, 169–172, 198–199. 221–223, 148. Dix, Geschichte der Schulbibel, 37. 303 Hier sehr vehement Ders , Schulbibel, z. B. 37–39. Vgl. dazu auch G Heimerdinger, Zur Reform des Katechismusunterrichts, Gotha 1890; vgl. auch Tobias Dietrich, Konfession im Dorf. Westeuropäische Erfahrungen im 19. Jahrhundert, Köln/Weimar/Wien 2004, 161. 304 Die Lehrpläne Preußens für das Fach Religion analysiert – wenn auch mit wenig Angaben zu deren konkreten Inhalt – Antje Roggenkamp-Kaufmann, Religionspädagogik als „Praktische Theologie“. Zur Entstehung der Religionspädagogik in Kaiserreich und Weimarer Republik, Leipzig 2001, 280–283. Zum Religionsunterricht für Mädchen siehe Anke Edelbrock, Mädchenbildung und Religion in Kaiserreich und Weimarer Republik. Eine Untersuchung zum evangelischen Religionsunterricht und zur Vereinsarbeit der Religionslehrerinnen. Univ.-Diss., Tübingen 2004; ebd. 305 Dix, Geschichte der Schulbibel, 41. 306 Lehrpläne und Lehraufgaben für die höheren Schulen nebst Erläuterungen und Bestimmungen, Berlin 1891, 9. Dieser Lehrplan galt allerdings nur für die Jungen. Zum Religionsunterricht für Mädchen siehe Edelbrock, Mädchenbildung. 307 Lehrpläne, 9. 308 Ebd., 13. Derselbe Tenor findet sich bereits 1882 und auch noch 1901.
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Einführung in den Katechismus bilden sollte, vermittelt werden sollte.309 Ministerialerlasse zu den Lehrplänen für die Volksschulen in Preußen hatten bereits 1888 eine kritische Beschäftigung mit der Bibel untersagt.310 Auch 1901 hieß es noch, dass die Einleitungswissenschaften möglichst beschränkt werden sollten und insbesondere „kritische Untersuchungen auf diesem Gebiet […] nicht in den Bereich der Schule gehören.“311 Religionspädagogische Debatten, missionswissenschaftliche Beiträge und inhaltliche Bestimmungen zur Stoffauswahl lassen sich also als miteinander verflochten begreifen. Hier entstand ein missionarischer Bildungsraum, der Heimat und Missionsgebiet gleichermaßen umfasste, und in dem religionspädagogisches Wissen, sei es durch persönliche Kontakte oder sei es nur durch Teilnahme der Missionsangehörigen am religionspädagogischen Diskurs im Kaiserreich, zirkulierte.312 Missionare waren im Missionsgebiet über solche religionspädagogischen Debatten und Lehrmaterialien informiert. Sie griffen beispielsweise bei der Erstellung eigener Lesebücher auf gängige Formate zurück. Der im Missionsgebiet stationierte Missionslehrer Knittel abonnierte zahlreiche pädagogische Zeitschriften wie Die Schulpraxis; im Missionsgebiet gab es überdies eine umfangreiche Handbibliothek an katechetischer und religionspädagogischer Literatur, die sich der Erläuterung biblischer Geschichten für den Schulunterricht widmete oder Stoffverteilungspläne zur Verfügung stellte.313 Die Organisation der Leipziger Missionsschulen und deren Stoffverteilung oblag dem 1911 ins Missionsgebiet abgeordneten und in Marangu stationierten Karl Knittel. Der Schullehrer legte im September 1912 den Missionaren eine dezidierte Ausarbeitung darüber vor, wie er sich die Missionsschulen künftig vorstellte. Er glaubte, sein Erziehungsziel – die Ausbildung „religiös-sittlicher Persönlichkeiten“ –, das er auf Ausführungen Pestalozzis ebenso zurückführte wie auf zeitgenössische Pädagogen, durch eine moderne Form des Unterrichts, nämlich „des konsequenten, aber ohne 309 Lehrpläne und Lehraufgaben für die höheren Schulen in Preußen, Halle (Saale) 1901, 11. Siehe dazu auch Edelbrock, Mädchenbildung, 130. 310 Dies , Mädchenbildung, 129. 311 Lehrpläne und Lehraufgaben für die höheren Schulen in Preußen, 12. Die gleiche Formulierung findet sich bereits 1891, dort 13. 312 Wetjen, Religionspädagogische Resonanzen, 31. Der Begriff des „transnationalen Bildungsraums“, auf den hier in veränderter Form zurückgegriffen wird, stammt aus Esther Möller / Johannes Wischmeyer, Transnationale Bildungsräume. Koordinaten eines Forschungskonzeptes, in: Dies. (Hg.), Transnationale Bildungsräume. Wissenstransfer im Schnittfeld von Kultur, Politik und Religion, Göttingen 2013, S. 7–20. 313 Bücher von Missionaren, 1919, ELCT III. Vorhanden waren unter anderem Leitfäden für einen biblischen Religionsunterricht, bspw. von Carl Kehr, Der christliche Religions-Unterricht in der Volksschule. Theoretisch-praktische Anweisung zur Behandlung des christlichen Religionsunterrichtes für die Oberclasse der Volksschule auf Grundlage der heil. Schrift und nach pädagogischen Grundsätzen bearbeitet, Gotha 1870, oder das Repetitionsbuch für den evangelischen Religionsunterricht. 5. Aufl., Delitzsch 1885, von Friedrich Holzweißig, das ebenfalls für eine umfangreiche Bibelkunde plädierte und von historisch-kritischen Untersuchungen der Bibel abriet (ebd., V).
3.2 „Heidenpredigt“ und Unterricht als Orte der Übersetzung
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Zwang und planmäßig ausgeführten Erziehungsunterrichts“, zu erreichen.314 Die Ausbildung einer richtigen „Gesinnung“ schrieb er in erster Linie dem Religionsunterricht zu: „Auf die religiösen Kennnisse, die er vermittelt, sollte weniger Wert gelegt werden als auf die Gesinnung, die er erzeugt, denn des Christen Stärke liegt nicht in seinen Kenntnissen sondern in seinem Willen, Tun und Lassen“. Knittel schloss sich damit eng an die zeitgenössische religionsdidaktische Literatur an, der er auch in seinem Stoffverteilungsplan folgte: In der Unterstufe sei nur biblische Geschichte zu thematisieren, dazu kämen „kleine leitfassliche Liedstrophen, Sprüche und Gebete“.315 Der Katechismus, dessen Unterricht auch im Kaiserreich als langweilig galt, war der Oberstufe vorbehalten.316 Er solle in der Mission zwar unterrichtet werden, „aber nicht als besonderes Fach, sondern in Anlehnung an die bibl. Geschichte. Die einzelnen Katechismusstücke müssen aus der Behandlung der bibl. Geschichten heraus wachsen. Alle 14 Tage eine Geschichte, daran Katechismus angeknüpft, würde wohl genug sein.“317
Psalter und Neues Testament sollten nach dem Originaltext, das Alte Testament aber im Missionsgebiet nach einem Lesebuch behandelt werden – „wegen der großen Nacktheit mit der geschlechtliche Dinge besprochen werden“.318 In den drei Jahren der Oberstufe sollte jeweils ein Teilgebiet der Heilsgeschichte durchgenommen werden, „sodaß nach 3 Jahren der ganze Heilsplan in Verheißung und Erfüllung gewonnen ist.“319 Wegen des Schwerpunktes, den er auf eine vollständige Erläuterung des Heilsplans legte, nahm in Knittels Stoffverteilungsplan das Alte Testament einen größeren Raum ein, als dies bisher in der Mission der Fall gewesen war. In den Klassen sollten neben den seit jeher von Missionaren behandelten Geschichten wie dem Sündenfall, dem Paradies und Kain und Abel, auch andere Geschichten aus dem Alten Testament zu Gehör kommen, wie die Geschichten über Abraham, Joseph, Moses und David; hinzu kamen noch die Geschichte vom Goldenen Kalb sowie von Salomons Richter-
314
315 316 317 318 319
Vgl. Protokoll der Chagga-Konferenz, Oktober 1912, Beilage: Karl Knittel, Wie ich mir unsere Missionsschulen denke, 1, ALMW II.32.100. Knittel legte 1913 einen längeren Beitrag im Archiv für Anthropologie vor, in dem er den „Gedankenkreis“ der Ostafrikaner untersuchte. Auch für diesen Beitrag griff er auf pädagogische Fachliteratur, insb. auf die Arbeit von Vincenz zur Analyse des kindlichen Gedankenkreises beim Schuleintritt, zurück. Die Entwicklungsstufe von Kindern blieb also auch hier sein Bezugspunkt. Knittel, Beitrag, Literaturangabe ebd., 316. Protokoll der Chagga-Konferenz, Oktober 1912, Beilage: Karl Knittel, Wie ich mir unsere Missionsschulen denke, 1, 8, ALMW II.32.100. Dietrich, Konfession im Dorf, 162. Protokoll der Chagga-Konferenz, Oktober 1912, Beilage: Karl Knittel, Wie ich mir unsere Missionsschulen denke, 1, ALMW II.32.100. Ebd., 9. Ebd., 16.
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3 Religiöses Wissen in der Mission
spruch und Tempelbau.320 Knittel übertraf damit sogar die Vorgaben für den Katechumenenunterricht. Trotz dieser stärkeren Berücksichtigung des Alten Testaments – das ja aber nur anhand eines Lesebuches behandelt wurde – blieb der Fokus auf dem Wirken Jesu, dessen Leiden und Auferstehung in jedem Schuljahr wiederholt werden sollten. Wie die Lehrpläne für den Religionsunterricht in höheren Schulen im Kaiserreich sah Knittel für das letzte Jahr der Oberstufe neben Katechismusunterricht und biblischer Geschichte einen „kurzen Gang durch die Kirchengeschichte“ und einen „Blick auf die gesamte Heidenmission“ vor.321 Anhand der Frage des Inhalts der „Heidenpredigt“ und des Schulunterrichts wurde verhandelt, was die Grundzüge des Christentums sein sollten. Wie Zahn festgestellt hatte, müsse die „Heidenpredigt“ bereits ihre Zuhörer in die Lage versetzen, zu entscheiden, ob sie sich zum Christentum bekehren wollten oder nicht.322 Die Kataloge der abzuhandelnden Inhalte, aber vor allem das jeweils ausgemachte und mit Bibelstellen autoritativ untermauerte Zentrum der Verkündigung lassen sich dabei als Beiträge lesen, die eine Grenzziehung vornehmen und das Wesen des Christentums, das auch in der Mission als nicht verhandelbar galt, charakterisierten. Zentral war in allen Beiträgen der Erlösungsgedanke, der jedoch nicht dogmatisch erklärt, sondern anhand der Taten Jesu „vor Augen gemalt“323 werden sollte. Indem in den Beiträgen relativ einhellig die Heilsgeschichte und Jesus als Christus in den Vordergrund gestellt wurden, schloss man sich den Ergebnissen einer kichlich-konservativen Dogmatik und Exegese an, die sich einer „Entzauberung“ der Heilsgeschichte in den Weg stellte.324 Die Debatte Troeltsch-Warneck, die an anderer Stelle bereits untersucht worden ist,325 zeigt dies noch einmal besonders deutlich. Während Troeltsch für die Relativität der Religionen plädierte und daher das Christentum religionsgeschichtlich mit historischkritischen Methoden untersuchen wollte, sah Warneck es als Aufgabe der Mission an, „für die Wahrheit des Christentums“326 einzustehen und eine „konkrete, inhaltlich klar bestimmte, zuverlässige, sichere Botschaft“327 zu kommunizieren.
320 Ebd., 18. 321 Ebd., 19. In der Besprechung von Knittels Referat wiesen die Missionare lediglich darauf hin, dass der Stoff insgesamt zu „reich“ sei und machten darauf aufmerksam, dass der Umfang wohl nur mit christlichen Kindern, also Kindern christlicher Eltern, zu schaffen sei. Für die Kostschule wolle man aber versuchen, dieses Niveau zu erreichen. Vgl. Protokoll Chagga-Konferenz, Oktober 1912, Besprechung TOP 9, 28, ALMW II.32.100. 322 Zahn, Heidenpredigt, 59. 323 Warneck, Missionslehre III.2, 107. 324 Michael Murrmann-Kahl, Die entzauberte Heilsgeschichte. Der Historismus erobert die Theologie, Gütersloh 1992. 325 Siehe dazu das Kap. 2.2.1 dieser Studie. 326 Warneck, Missionsmotiv, 3. 327 Ders , Noch einmal, 112.
3.2 „Heidenpredigt“ und Unterricht als Orte der Übersetzung
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Die Betonung der Heilsgeschichte brachte insgesamt einen Schwerpunkt auf die Bibel, vor allem auf das Neue Testament, mit sich. Das Alte Testament und insbesondere seine zu gleicher Zeit im Kaiserreich so umstrittene Entwicklungsgeschichte traten mehr und mehr in den Hintergrund zugunsten der Etablierung eines leicht fassbaren, auf Jesus zentrierten und von dogmatischen Problemen und theologischen Streitigkeiten befreiten Glaubens. Dazu passte auch, dass der Katechismus mehr und mehr in den Hintergrund trat. War dieser in den 1850er Jahren in den deutschen Landen noch Hauptbestandteil des Religionsunterrichts gewesen, wurde dieser Ansatz um die Jahrhundertwende zugunsten einer Betonung der biblischen Geschichte aufgegeben. Der Katechismusunterricht wurde komplett in den Konfirmationsunterricht verlagert; in der Mission fand er seinen Platz hauptsächlich im Katechumenenunterricht, in dessen Mittelpunkt aber ebenfalls die biblische Geschichte stand. Stattdessen rückte in der religiösen Unterweisung der ethisch-sittliche Aspekt des Christentums immer mehr in den Vordergrund, weswegen die Eingängigkeit der Botschaft und ihre Formulierungsweise immer wichtiger wurden. 3.2.3 Methoden und Medien der Verkündigung Religionspädagogische Überlegungen zur Auswahl des Stoffes wurden in der Missionswissenschaft und vor allem im Missionsgebiet eng begleitet von methodischen Überlegungen. Als Vorbild galt die sogenannte Areopagrede des Paulus.328 Paulus führe in der Rede, die als das „Urbild aller christlich-apologetischen Lehrpredigten“ galt, vor,329 was es heiße „Allen Alles zu werden“, indem er sich geschickt an den „Weltbildungsstandpunkt“ seiner Zuhörer, den Athenern, angepasst hätte, ohne seinen festen Standpunkt „der geoffenbarten Wahrheit alten und neuen Bundes“ zu verlassen.330 Der Suche nach „Anknüpfungspunkten“ für die Predigt lagen die verschiedenen umfangreichen ethnographischen Forschungen zugrunde, wie sie Missionare immer wieder anstellten. Im evangelisch-lutherischen Missionsblatt betonte Bruno Gutmann zum Beispiel, „wie förderlich eine möglichst eingehende Kenntnis seines Volkes, seiner Gedanken, Sitten und Gebräuche für den Missionar selbst und für seine Predigt ist. Unermüdlich muß
328 Vgl. z. B. D Schultze, Heidenpredigt in China, in: Evangelisches Missionsmagazin 37 (1893), S. 353– 365, 358 f.; Gloyer, Heidenpredigt, 8–16; Gutmann, Heidenpredigt, 172; Warneck, Verkündigung, 155–157. 329 Chr Ernst Luthardt / Otto Zöckler, Kurzgefaßter Kommentar zu den Heiligen Schriften Alten und Neuen Testaments sowie zu den Apokryphen. Hg. v. Hermann Strack und Otto Zöckler. Das Evangelium nach Johannes und die Apostelgeschichte. 2. Aufl., München 1894, 268. Der Kommentar war für die Missionare wegen der besonderen Stellung Luthardts elementar. 330 Ebd.
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er [der Missionar, K. W.] darum forschen und lernen, nicht wie ein leidenschaftsloser Gelehrter, sondern mit dem brennenden Herzen eines Dieners Jesu, dem alles Vergängliche zum Gleichnis der ewigen himmlischen Wahrheit wird.“331
Gerade weil sich die „Heidenpredigt“ in Afrika von der in Indien dadurch unterscheide, dass das Evangelium „von Vertretern einer weit überlegenen Kultur verkündigt wird, ganz abgesehen davon, daß diese zugleich auch Glieder der herrschenden Rasse“332 seien, müsse der Missionar sorgfältig aussuchen, „was seinen Hörern das Verständnis erleichtert.“333 Als mögliche Anknüpfungspunkte machte Gutmann Sprichwörter, lokale Sitten und Gebräuche oder sogar religiöse Vorstellungen aus. Möglich sei es ebenfalls, an tagesaktuelle Geschehnisse anzuknüpfen, so beim Sprechen über den Sündenfall an ein „Trinkgelage“.334 Gutmann führte damit solche Beispiele an, die sich im Diskurs bereits als mögliche Anknüpfungspunkte etabliert hatten: Die Grundzüge der Predigt „müssen sich aus dem Vergleich der heidnischen mit der christlichen Religion ergeben. Nur unter dieser Voraussetzung läßt sich hoffen, daß wirkliche Anknüpfungspunkte für die Predigt gefunden und den Heiden ein wirkliches Verständnis des Evangeliums ermöglicht werde“, stellte beispielsweise Wilhelm Dilger in der Allgemeinen Missionszeitschrift fest.335 Als wirksamstes Verfahren galt es daher, Vergleiche anzustellen und das Christentum als Wahrheit den falschen religiösen Vorstellungen gegenüberzustellen.336 Warneck bezeichnete diese Methode – abermals mit Rückgriff auf Paulus – gar als „allgemeinen Grundsatz“: „das ist die natürlichste und wirkungsvollste Anknüpfung, welche von dem religiösen Leben der Heiden ausgeht und durch Antithese in das christliche Leben eine Brücke schlägt, und zwar durch eine solche Antithese, welche ebenso in sich die positive christliche Heilsbotschaft trägt wie die Polemik gegen den heidnischen Irrtum zur Halieutik macht.“337
331
Gutmann, Heidenpredigt, 172. Sehr ähnlich Ders , Volkspsychologie. Zu den Anknüpfungspunkten siehe auch Altena, Ein Häuflein Christen, 115–116. 332 Gutmann, Heidenpredigt, 142. 333 Ebd., 143. 334 Ebd., 144–146, 171. 335 Wilhelm Dilger, Die Grundzüge der Missionspredigt in Indien mit Berücksichtigung der Anknüpfungspunkte im Hinduismus, in: Allgemeine Missionszeitschrift 17 (1890), S. 505–525, 506. Sehr ähnlich Hoch, Aufgaben, befürwortend auch Gloyer, Heidenpredigt, 21. 336 „Je treffender und frappierender die Wahrheit dem Irrtum gegenüber ins Licht gestellt wird, umso zwingender wird sie sich erweisen in den Herzen.“ Schultze, Heidenpredigt, 357. 337 Warneck, Missionslehre III.2, 94 [Hervorhebung i. O., K. W.]. Halieutik meinte nach Sickel (Gustav Adolph Friedrich Sickel, Grundriß der christlichen Halieutik oder einer auf Psychologie und Bibel gegründeten Anweisung, durch Predigten die Menschen für das Reich Gottes zu gewinnen, Leipzig 1829) eine Predigt, die sich an den gesunden Menschenverstand anlehnen sollte. Friedrich Wintzer, Die Homiletik seit Schleiermacher bis in die Anfänge der ‚dialektischen‘ Theologie in Grundzügen, Göttingen 1969, 87 ff.
3.2 „Heidenpredigt“ und Unterricht als Orte der Übersetzung
239
Die Verwendung von Anknüpfungspunkten sollte nur dann eine Grenze finden, wenn die christliche Botschaft verfälscht würde. Der Leipziger Missionar Schomerus wies darauf hin, dass ein Missionar die Verwendung von Begriffen anderer Religionen „nur im Sinne der Anknüpfung tun darf, daß es seine Aufgabe ist, seine Zuhörer von ihrem Verständnisse jener Begriffe zu dem neutestamentlich-christlichen herüberzuführen.“338 Warneck forderte, Maßhaltung und Vorsicht zu üben, damit nicht der Eindruck entstehe, der „Gesamtwahrheitsgehalt der heidnischen Religion“ würde überschätzt werden.339 Auch dürfe es nicht geschehen, dass vornehmlich durch rationalistische Argumentationsweisen Mission betrieben würde. „Das Christentum ist keine bloße Wissens-, sondern eine Gewissenssache, keine Logik, sondern Kraft.“340 Zahn ging deswegen noch etwas weiter und stellte die Methode generell infrage: Weil es kaum möglich sei, zu verkündigen, „was einem Menschen zu wissen nötig ist, wenn er sich entschließt Christ zu werden“, sei die Gefahr, um der Anknüpfungspunkte willen die Botschaft zu verfälschen, sehr groß: „Nein, so sehr man sich bemühen muß in den religiösen und sittlichen Gedanken der Heiden Anknüpfungspunkte für die Predigt zu finden, aus ihnen kann man die Grundzüge derselben nicht schöpfen.“341 Die Verwendung von Anknüpfungspunkten – so sinnvoll und wichtig sie auch erschien – stellte also gleichzeitig eine Gefahr dar, dass die christlichen Inhalte durch die Anknüpfung an „Heidnisches“ verwässerten oder unklar blieben. Wenn für Anknüpfungspunkte plädiert wurde, wurde dies deswegen unter das allgemeinere Ziel der „Anschaulichkeit“ subsumiert, dessen Erreichung mit einer ganzen Reihe von Methoden, unter anderem den Einsatz von Musik und Bildern, sichergestellt werden sollte. Im Juli 1895 berichtete Althaus in seinem Stationstagebuch: „Hinterher muß ich den Zuhörern noch ein Bild erklären, das schöne Bild vom sinkenden Petrus aus dem Naumannschen Verlage, welches ich in einem Zimmer hängen habe. Für Bilder interessieren sich alle, Jung und Alt, außerordentlich. Das kann ich gleich darauf von neuem beobachten. Einige Leute unterhalten sich mit mir durchs Fenster und sehen dabei ein Bild vom Herrn in der Dornenkrone. Das kennen einige von ihnen allerdings schon, doch wollen sie es sich gern von neuem betrachten und fragen mich deshalb, wer der „aufgeschriebene“ Mann sei. Das gibt mir schöne Gelegenheit, ihnen vom Herrn etwas zu erzählen, wobei sie aufmerksam zuhören und sich gegenseitig zur Ruhe mahnen, wenn einer dazwischen spricht. Ich lasse sie darauf noch ins Haus kommen und zeige ihnen die Bilder vom sinkenden Petrus und vom Kindersegnenden Heiland. Das interessiert sie aufs höchste, vor allem können sich 2 Frauen gar nicht von dem Bilde, wie Jesus die Kinder segnet, losreißen.“342 338 339 340 341 342
Schomerus, Wie predigt man, 389. Warneck, Missionslehre III.2, 100. Ebd. Zahn, Heidenpredigt, 60. Stationstagebuch Mamba I, 9.7.1895, ALMW II.32.129.
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3 Religiöses Wissen in der Mission
In Mamba scheinen die biblischen Geschichten von der Geburt und Taufe Jesus, dem zwölfjährigen Jesus im Tempel, dem sinkenden Petrus, dem Kinder segnenden Jesus, die Geschichte vom Jüngling zu Nain und von Jairus’ Töchterlein sowie die Leidensgeschichte ( Jesus mit der Dornenkrone) und Geschichte von der Grablegung Jesu, außerdem die Erzählung vom Kämmerer aus dem Morgenlande stets mit Bildern illustriert worden zu sein. Waren es zu Beginn meist die Wandbilder im Wohnhaus des Missionars, die zur Grundlage einer relativ spontanen Unterweisung gemacht wurden, entwickelte sich das Interesse für Bilder schnell zu einem Grund, eine Laterna Magica für die Mission anzuschaffen. Die „Vorführung von biblischen Bildern“, so der verwendete Terminus, wurde auf der Station Mamba zu einer festen Institution des Gottesdienstes am Sonntagnachmittag, der eher einer Art Bibelstunde europäischen Vorbilds glich;343 sie war ebenso Teil von Hochzeitsfestlichkeiten und anderen Feierstunden. So reflektierte Althaus bereits 1899: „Die bloße Verkündigung des Wortes vermag die Zuhörer hier lange nicht so zu fesseln; man muß bedenken, daß wir Leute vor uns haben, denen überhaupt jedes längere Aufmerken fremd ist. Selbst eine gut ausgearbeitete Predigt, wenn im Zusammenhang vorgetragen, würde über die Köpfe der Wadschaga zum größten Teil hinwegrauschen, ohne daß sie irgend etwas mit wegnehmen. Deshalb suchen wir unsere Ansprachen durch Vorzeigen von Bildern der betreffenden Geschichten und durch an einzelne gerichtete Fragen möglichst zu beleben.“344
Bilder wurden also sehr häufig zur Missionierung eingesetzt, nicht zuletzt weil sie als Hilfsmittel der Missionspredigt dazu beitragen konnten, sprachliche Schwierigkeiten zu überwinden.345 Warneck wollte Bilder und Anschauungsmaterial vor allem „zur Verständlichmachung besonders der biblischen Geschichte“ eingesetzt sehen – „nur müssen sie den landesüblichen Anschauungen und Kunstweisen einigermaßen angepasst sein.“346 Warneck verwies hier direkt auf eine 1892 in der Allgemeinen Missionszeitschrift begonnene, aber dann bald unterdrückte Auseinandersetzung um „Mission und Kunst“. Auslöser der Kontroverse war ein Vortrag Reinhold Grundemanns auf der Brandenburgischen Missionskonferenz über seine Indienreise. Grundemann plädierte darin zunächst für eine Erhaltung des Kunstgeschmacks der zu missionierenden Völker.347 Das „nationale Element“ der Kunst müsse im Sinne der Volkschristianisierung 343 Siehe dazu auch Kap. 4.3 dieser Studie. 344 Nachrichten aus Mamba. Nach den Tagebüchern von den Miss. Althaus und Bleicken (Okt.– Dez.), in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1899), S. 158–161, 159. 345 Vgl. Serge Gruzinski, Images and Cultural Mestizaje in Colonial Mexico, in: Poetics Today 16 (1995), S. 53–77, 54–55. 346 Warneck, Missionslehre III.2, 109. 347 „Wo man sich der Aufgabe der Mission als Volkschristianisierung bewußt geworden ist, wird man ein bedeutsames Stück des Volkslebens, wie es die Kunst ist, nicht unnötig bekämpfen, vielmehr
3.2 „Heidenpredigt“ und Unterricht als Orte der Übersetzung
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beibehalten und auch der Nachahmung europäischer Kunststile durch besonders eifrige „Heidenchristen“ entgegengewirkt werden.348 Grundemann schlug deshalb vor, solche Bilder in der und für die Mission zu verwenden, die nicht europäischen, sondern indischen Sehgewohnheiten und Geschmäckern entsprächen; andernfalls laufe man Gefahr, dass die Inder die Bilder gar nicht verstünden. Die Mission habe deshalb die Aufgabe, „die Ausbildung einer christlichen indisch-nationalen Malerei herbeizuführen.“349 Reinhold Gareis, nach eigenen Angaben Sohn eines Künstlers, widersprach dieser Auffassung von Kunst. Weil Kunst schön, sittlich und wahr sein müsse, um wirkliche Kunst zu sein, wären die indischen Malereien und die indische Musik keine Kunst. Es müsse deshalb auch in der Mission ein „christliches Kunstideal“ gelten.350 In seiner Antwort verneinte Grundemann ein solches einheitliches christliches Kunstideal und unterstrich aus missionspraktischer Sicht noch einmal die Bedeutung von Missionsbildern, die an die Sehgewohnheiten der zu Missionierenden angepasst seien.351 In Warnecks Anmerkungen zu dem Aufsatz Grundemanns und auch in den Bemerkungen Gareis kommt zum Ausdruck, dass Grundemann bereits direkt als Reaktion auf den Vortrag scharf für seine Ausführungen angegangen worden war. Tatsächlich scheint es zumindest bei den lutherischen Missionen – in der reformatorischen Tradition herrschte ein striktes Bilderverbot352 – üblich gewesen zu sein, Bilder als Missionshilfsmittel zu nutzen, die europäischen Ursprungs waren.353 Beson-
wird es als Grudsatz [sic!, K. W.] gelten müssen, diese volkstümliche Kunst, soweit als möglich, zu erhalten. Reinhold Grundemann, Indische Reisefrüchte. III. Mission und Kunst, in: Allgemeine Missionszeitschrift 19 (1892), S. 160–184, 164. 348 Ebd., 165. 349 Ebd., 177. 350 Reinhold Gareis, „Mission und Kunst“. Entgegnung auf den Vortrag des Herrn P. D. Grundemann vom 17. Februar 1892, in: Allgemeine Missionszeitschrift 19 (1892), S. 579–584. 351 Reinhold Grundemann, Mission und Kunst. Antwort, in: Allgemeine Missionszeitschrift 19 (1892), S. 584–592. Rzepkowski wertet diese Auseinandersetzung als erste theoretische Auseinandersetzung mit dem Themenfeld der einheimischen Kunst: Horst Rzepkowski, Die Bedeutung der einheimischen christlichen Kunst für die Evangelisierung. Historische Perspektiven, in: Theo Sundermeier / Volker Küster (Hg.), Die Bilder und das Wort. Zum Verstehen christlicher Kunst in Afrika und Asien, Göttingen 1999, S. 27–48, 29. 352 Jean Calvin, Unterricht in der christlichen Religion – Institutio Christianae religionis. Nach der letzten Ausgabe, übers. u. bearb. von Otto Weber, Neukirchen-Vluyn 1997, Kap. 11. Calvin legte die zehn Gebote streng aus und verbot deshalb jede Abbildung Gottes. Auch den Gedanken, dass Menschen Gott ähnlich sähen, verwarf er. Die Lutheraner lehrten dagegen den Kleinen Katechismus ohne das Bilderverbot. Vgl. Reents/Melchior, Geschichte der Kinder- und Schulbibel, 234. 353 Diese Bilder haben bisher, trotz ihrer zeitgenössischen Bedeutung, kaum Aufmerksamkeit in der historischen Forschung erfahren. Eine wichtige Ausnahme bilden die Forschungen Serge Gruzinskis, der am Beispiel der Eroberung und Missionierung Mexikos im 15. und 16. Jahrhundert zeigt, wie die Geschichte der Kolonisation ein Krieg der Bilder war. Serge Gruzinski, La guerre des images de Christophe Colomb à „Blade Runner“ (1492–2019), Paris 1990, sowie Ders , Images, siehe auch Hans Belting, Bild-Anthropologie. Entwürfe für eine Bildwissenschaft. 4. Aufl., München 2011, 50–54. David Morgan fügt die zur Missionierung eingesetzten Bilder zwar in sein sechsstufiges Modell, in dem er den Umgang mit Bildern in der Missionsgeschichte nach ihrer Funktion
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ders häufig wurden von Missionaren zum Zweck der religiösen Unterweisung die im 19. Jahrhundert populären Bilderbibeln eingesetzt, die auch als Volks- oder Kinderbibeln genutzt wurden. Althaus nennt die Schnorrsche Bilderbibel, Bilder aus dem Naumannschen Verlag, das Richtersche Weihnachtstransparent und Bilder aus Nieks „Auf biblischen Pfaden“. Außerdem wurden in der Mission auch nichtbiblische Bilder gezeigt, zum Beispiel aus dem Missionsatlas von Grundemann.354 Bilderbibeln wurden bereits von Erweckungstheologen zur Volksmission konzipiert.355 Paradigmatisch für die Gattung steht die Bilderbibel von Schnorr von Carolsfeld, die auch im Missionsgebiet von Althaus genutzt wurde.356 Der Nazarener, der sich in der Gestaltung seiner Bilder an den Raphaelzyklus anlehnte,357 wollte mit seiner Bibel, die sich eng an den Text anschloss, erzieherisch auf ein sittliches und religiöses Leben hinwirken. Größere technische Möglichkeiten und die damit einhergehende Reduzierung von Druckkosten bei der Einfügung von Bildern erlaubten es Bibelgesellschaften, die Zeichnungen in ihre Ausgaben einzufügen. Die Bilder Schnorr von Carolsfelds prägten wegen ihrer immensen Verbreitung zumindest im Kaiserreich die Vorstellung davon, was als biblisch und christlich galt.358 Vieles spricht dafür, dass der häufige Einsatz in den Missionsgebieten die visuelle Vorstellung vom Christentum bestimmten. Die Bilder zeigten eine an europäische Formen angelehnte Städtearchitektur oder zumindest eine europäisch geprägte Flora und Fauna mit orientalischen Einflüssen. Jesus hatte stets eine weiße Hautfarbe. Missionare errichteten so im Chaggamissionsgebiet eine „visual order,359 mittels derer sie europäische Vorstellungen vom
ordnet, ein und bezeichnet sie dort als „Exported Imagery and Practices“; er gibt jedoch keine weiteren Hinweise für ihre Analyse. David Morgan, The Sacred Gaze. Religious Visual Culture in Theory and Practice, Berkeley/Los Angeles/London 2005, 151–157. Häufig im Mittelpunkt der Analyse stehen dagegen solche Bilder, die in der Mission entstanden sind und für ein europäisches Publikum konzipiert waren. Vgl. dazu z. B. Klaus Hock, Subalterne Handlungsmacht. Missionsbilder … und was sie (un)sichtbar machen, in: Philipp Stoellger / Marco Gutjahr (Hg.), Visuelles Wissen. Ikonische Prägnanz und Deutungsmacht, Würzburg 2014, S. 191–223, und Rainer Alsheimer, Bilder erzählen Geschichten. Eine Fotoanthropologie der Norddeutschen Mission in Westafrika, Bremen 2010. Für die Leipziger Mission jüngst Jones (Hg.), Through a Glass. 354 Kartenmaterial wurde besonders häufig in Schulen benutzt, hier v. a. Karten vom Heiligen Land. Auch in den Schulräumlichkeiten, die es später gab, hing mindestens eine große Wandkarte. Vgl. Jones (Hg.), Through a Glass, Darkly. Photographs of the Leipzig Mission from East Africa, 1896– 1939, Tafel 2.21, auf der eine Europakarte zu sehen ist. 355 Reents/Melchior, Geschichte der Kinder- und Schulbibel, 316. 356 Althaus hatte sie zur Hochzeit bekommen. Vgl. Stationstagebuch Mamba I, 9. Februar 1896, ALMW II.32.129. Zu Bilderbibeln siehe auch Marion Keuchen, Bild-Konzeptionen in Bilder- und Kinderbibeln. Die historischen Anfänge und ihre Wiederentdeckung in der Gegenwart. Teil 1, Göttingen 2016, und Wetjen, Bibel, 390–391. 357 Christine Reents, „Die Bibel in Bildern“ von Julius Schnorr von Carolsfeld. Analyse und Reflexionen zur Wirkung aus heutiger Sicht, in: Gottfried Adam / Rainer Lachmann (Hg.), Kinder- und Schulbibeln. Probleme ihrer Erforschung, Göttingen 1999, S. 13–41, 23. 358 Ebd., 15. 359 Gruzinski, Images, 57.
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Christentum, aber auch vom Körper exportierten und etablierten. Die bildliche Darstellung lief damit jeglichen sprachlichen Bemühungen um Anpassung in der Übersetzung zuwider und unterstrich den europäischen Charakter der Religion. Dass die Bilder solch immense Aufmerksamkeit erfuhren, lag vermutlich an dem Spektakulären der Bildvorführung. Insbesondere bei den immer häufiger werdenden Laterna Magica-Vorführungen seien die Zuschauer, so die Missionare, „ganz entzückt“ gewesen und „wollten immer mehr sehen“.360 Zwar wurden die Bilder zumeist dazu genutzt, die biblischen Geschichten zu erklären, die Bilder standen aber auch für sich und konnten so – ähnlich wie die Bücher – zu begehrenswerten und neugierig machenden Objekten werden. Dass es bei der Betrachtung und Einordnung der Bilder im Missionskontext jedoch auch zu Missverständnissen kam, kann kaum ausgeschlossen werden und wird durch die prinzipielle Deutungsoffenheit der Bilder suggeriert, die noch dadurch erhöht wurde, dass die Chagga die aus Sicht der Missionare „richtige“ Interpretationen der Bilder ja nicht kannten. „Br Althaus zeigt ihnen jeden Sonntag abends nach dem Abendessen Bilder aus der h. Geschichte, wobei dann die betreffenden Geschichten wiederholt werden. Nicht immer gelingt es ihnen sofort, besonders den Neuen nicht, auf einen Blick zu erkennen, daß diese krummen Linien einen Menschen und jene einen Baum oder ein Feld darstellen sollen. Aber wenn sie erstmal das Gewirr der schwarzen Striche durchschaut haben, wird auch jeder Baum und jeder Strauch einzeln betrachtet und besprochen.“
Mit dem Zeigen der Bilder vermittelten die Missionare also nicht nur christlich-europäische Sehgewohnheiten, sie vermittelten auch eine europäische Kulturtechnik des Umgangs mit Bildern und prägten darüber hinaus im Missionsgebiet die Vorstellung eines globalen Protestantismus. Bilder waren jedoch nicht die einzigen Medien, die in der Mission zur Ergänzung, Begleitung und Vertiefung des gesprochenen Wortes bei der Predigt eingesetzt wurden. Bestandteil eines jeden Unterrichts, einer jeden Andacht oder jedes Gottesdienstes bildete die musikalische Begleitung.361 Bereits seit dem 18. Jahrhundert hatte sich die lutherische Kirche zur „singenden Kirche“ entwickelt. In kaum einer anderen konfessionellen Kirche war die Verbindung von Chorälen und Gottesdienst so eng wie
360 Stationstagebuch Mamba II, Juni 1898, ALMW II.32.130. 361 Zur Ubiquität des Singens und Musizierens in der Mission Cornelius Torp, Zwischen Verbreitung und Verwandlung. Protestantische Missionsmusik in Afrika, in: Sven Oliver Müller u. a. (Hg.), Kommunikation im Musikleben. Harmonien und Dissonanzen im 20. Jahrhundert, Göttingen 2015, S. 214–234, der einen der wenigen Beiträge darstellt, die sich systematisch mit der Missionsmusik auseinandersetzen. Siehe z. B. auch Wolfgang Kornder, Die Entwicklung der Kirchenmusik in den ehemals deutschen Missionsgebieten Tansanias, Erlangen 1990; Verena Grüter / Benedict Schubert (Hg.), Klangwandel. Über Musik in der Mission, Frankfurt 2010.
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in der lutherischen.362 Die Tradition des Gemeindegesangs im Gottesdienst ging auf Luther selbst zurück, der bereits in der Frühzeit der Reformation eine eigene Musiktheologie entwickelt hatte: Musik wurde von Luther als donum dei verstanden und das geistliche Lied zum Medium der Verkündigung, dem zugeschrieben wurde, negative Gefühle oder gar den „Teufel“ vertreiben zu können. Die hohe Wertschätzung, die Luther der Musik zukommen ließ, äußerte sich dann auch in einem regelrechten Programm zur Entwicklung von volkssprachlichen Kirchenliedern.363 Bereits 1828 war ein Gesangbuch von Claus Harms erschienen, das Recht- und Schriftgläubigkeit wieder zum obersten Prinzip erklärte. Ein echtes evangelisches Kirchenlied sollte sich durch die „Kraft und Gediegenheit des christlichen Glaubensbekenntnis[ses]“, ein „lauteres, inniges Gefühl“ und „eine klare durchsichtige Form“ auszeichnen.364 Andere Gesangbücher aus dieser Zeit, die eine lutherische Tradition betonten, waren die „Zionsharfe“, der „Geistliche Liederschatz“ oder die große und kleine „Missionsharfe“ 365 Diese Gesangbücher und Liedersammlungen wurden vor allem für den häuslichen Gebrauch und in ländlichen Vereinen und Missionszirkeln genutzt und fanden dort ihre Anhänger. Sie selbst wurden zum Marker einer konfessionellen Identität, die in den Kirchenliedern ihren Ausdruck fand und sich durch eine starke Orientierung an positiven Glaubensinhalten auszeichnete.366 362 Georg Fritze, Die Geschichte eines Gesangbuches, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1931), S. 296–306, 296–297. 363 Zu Luther Joachim Stalmann, Martin Luther und das Kirchenlied der Reformation, in: Cordula Timm-Hartmann (Hg.), Weil sie die Seelen fröhlich macht. Protestantische Musikkultur seit Martin Luther, Halle 2012, S. 13–25. Patrice Veit, Das Kirchenlied in der Reformation Martin Luthers. Eine thematische und semantische Untersuchung, Stuttgart 1896, Dorothea Wendebourg, Martin Luther und das Kirchenlied im lutherischen Protestantismus, in: Berliner theologische Zeitschrift 28 (2011), S. 230–245. 364 Albert Knapp, Evangelischer Liederschatz für Kirche, Schule und Haus. Eine Sammlung geistlicher Lieder aus allen christlichen Jahrhunderten gesammelt und nach den Bekenntnissen unserer Zeit bearbeitet, Stuttgart/Tübingen 1837, Vorwort, zit. nach Ilsabe Seibt, Kirchenlied und Gesangbuch, in: Wolfgang Hochstein / Christoph Krummacher (Hg.), Geschichte der Kirchenmusik. Bd. 3: Das 19. und frühe 20. Jahrhundert. Historisches Bewusstsein und neue Aufrüche, Laaber 2013, S. 43–55, 49. 365 Konrad Klek, Das Gemeindelied als Kristallisationsmoment liturgischer Erneuerung im evangelischen Gottesdienst bei Friedrich Spitta und Julius Smend, in: Irmgard Scheitler (Hg.), Geistliches Lied und Kirchenlied im 19. Jahrhundert. Theologische, musikologische und literaturwissenschaftliche Aspekte, Tübingen/Basel 2000, S. 159–174, 160. Hier wird das Gemeindelied zum Kristallisationsmoment einer Erneuerung der Kirche. Seibt, Kirchenlied, 51. 366 Vgl. Dies , Kirchenlied; Joachim Kremer, Tradition oder Zukunft der Kirchenkantate um 1800? Zur Frage der lutherischen Identität im Zeichen der Krisenhaftigkeit, in: Detlef Altenburg / Rainer Bayreuther (Hg.), Musik und kulturelle Identität. Bericht über den XIII. Internationalen Kongress der Gesellschaft für Musikforschung Weimar 2004. Bd. 2, Kassel u. a. 2012, S. 356–365. Die Forschung zu Kirchenliedern konnte in den letzten Jahren zeigen, wie gerade die von Luther selbst verfassten Kirchenlieder im 18. und v. a. im 19. Jahrhundert zu Identitätsmarkern des deutschen Luthertums oder des Protestantismus insgesamt wurden. „Eine feste Burg ist unser Gott“ fungierte bereits in der Frühen Neuzeit als Bekenntnislied und wurde zusätzlich nationalistisch und v. a. bellizistisch aufgeladen, sodass es noch vor dem Ersten Weltkrieg zum nationalprotestantischen Bollwerk wur-
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Die Missionare der Leipziger Mission waren mit diesen Liedern und Gesängen als Ausdruck einer spezifischen regionalen und kirchlich-konservativen Frömmigkeit aufgewachsen. Gerhard Althaus beispielsweise hatte in seiner Jugend eine umfassende Musikausbildung genossen. Er spielte Geige und Klavier beziehungsweise Harmonium367 und konnte wohl ca. 150 Gesänge auswendig.368 Althaus pflegte auch im Missionsgebiet, Hausmusikabende zu veranstalten.369 Im Stationstagebuch der Station Mamba findet sich ein deutlicher Niederschlag dieser Musikvorliebe. Missionare übersetzten ihnen wichtig erscheinende Kirchenlieder und brachten sie im Schulunterricht und später in gesondert eingerichteten Chorabenden ihrer Missionsgemeinde bei, die bald auch mehrstimmige Choräle singen konnte. Welche Lieder die Missionare übersetzten, lässt sich nicht mehr in allen Fällen rekonstruieren, eine systematische Durchsicht370 der überlieferten Stationstagebücher aus Mamba gibt jedoch wichtige Hinweise: Das erste Lied, das in den Tagebüchern erwähnt wird, ist das Lied „Jesu, geh voran“. Dieses Lied hatte im Missionskontext eine besondere Bedeutung. Es geht zurück auf zwei Lieder Zinzendorfs, die von dessen Nachlassverwalter Christian Gregor zu einem
367
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de. Michael Fischer, Religion, Nation, Krieg. Der Lutherchoral Eine feste Burg ist unser Gott zwischen Befreiungskriegen und Erstem Weltkrieg, Münster/New York/Tübingen 2014, 9–10. Nicht minder berühmt ist der sogenannte „Choral von Leuthen“ – „Nun danket alle Gott“. Das Lied wurde durch einen im 19. Jahrhundert aktualisierten Mythos zur Schlacht Friedrichs des Großen bei Leuthen und in den Befreiungskriegen zum Danklied der preußischen Armee und schließlich zum Choral für festliche Gelegenheiten im Kaiserreich schlechthin. Vgl. zu dem Choral Bernhard R Kroener, „Nun danket alle Gott“. Der Choral von Leuthen und Friedrich der Große als protestantischer Held. Die Produktion politischer Mythen im 19. und 20. Jahrhundert, in: Gerd Krumeich / Hartmut Lehmann (Hg.), „Gott mit uns“. Nation, Religion und Gewalt im 19. und frühen 20. Jahrhundert, Göttingen S. 105–134. Klaus Fitschen, „Nun danket alle Gott“. Ein gesamtdeutscher Choral, in: Norbert Bolin / Markus Franz (Hg.), Im Klang der Wirklichkeit. Musik und Theologie. Martin Petzoldt zum 65. Geburtstag, Leipzig 2011, S. 141–143. Diese und andere Kirchenlieder nahmen großen Einfluss auf die Bildung der deutschen nationalen Identität. Sie trugen dazu bei, sich mit der Nation zu identifizieren und die Nation von außen als protestantische Kulturnation zu inszenieren. Allgemein dazu Philipp Ther, Zum Verhältnis von Musik und Nationsbildung im 19. Jahrhundert, in: Detlef Altenburg / Rainer Bayreuther (Hg.), Musik und kulturelle Identität. Bericht über den XIII. Internationalen Kongress der Gesellschaft für Musikforschung Weimar 2004. Bd. 2, Kassel u. a. 2012, S. 3–12. Generell lässt sich jedoch immer noch feststellen, dass Musik in der geschichtswissenschaftlichen Forschung eher am Rande behandelt wird. Einen wichtigen Aufschlag, dies zu ändern, machen Sven Oliver Müller / Jürgen Osterhammel, Geschichtswissenschaft und Musik, in: Geschichte und Gesellschaft 38 (2012), S. 5–20, die in der Einleitung zu dem Themenheft nicht nur Forschungslücken benennen, sondern auch Potenziale der geschichtswissenschaftlichen Erforschung von Musik ausloten. Siehe dazu auch Jürgen Osterhammel, Globale Horizonte europäischer Kunstmusik, in: Geschichte und Gesellschaft 38 (2012), S. 86–132, der auch auf den Zusammenhang von Musik und Kolonialismus eingeht, wenn er auch die Missionare allenfalls am Rande behandelt. Zum Harmonium und dessen Popularität als Ersatzorgel siehe einführend: Martin Geisz, Kulturerbe Harmonium. Instrument für Hausmusik, Kirchenmusik, Konzert und Salonmusik. Ein Stück Musik- und Kulturgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, Berlin 2016; Torp, Verbreitung und Verwandlung, 222–224. Althaus, Aus dem Leben, 10. Vgl. Kornder, Kirchenmusik, 47. Ausgewertet wurden das Stationstagebuch Mambas von 1894–1910.
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Lied mit vier Strophen zusammengestellt worden waren.371 Als erstes Weihnachtslied lernten die Chagga „Gelobt seist du, Jesu Christ“, ein von Luther selbst verfasstes, auf altkirchliche Formen zurückgreifendes und dennoch auf ein volkssprachliches Lied zurückgehendes Stück. Als Lied zur Passionszeit – Passionsfrömmigkeit entwickelte sich im Laufe des 17. Jahrhunderts zu einer Grundlage des Pietismus – wurde der zu dieser Zeit häufig angestimmte Choral „Oh Haupt voll Blut und Wunden“ ausgewählt, der auf den pietistischen Liedkomponisten Paul Gerhardt zurückgeht. Die Form dieser in Musik gegossenen Predigt – die Choraltexte wurden ja in die lokale Sprache übersetzt und waren damit ähnlich wie die Bibeltexte und Predigten annähernd zugänglich – unterstützte die Memorierung und Verinnerlichung der durch sie transportierten Inhalte. Ähnlich wie die Bilder und auch die Gestaltung der Gottesdienste372 sollte die Musik damit zur leichteren Übernahme der lutherischen Theologie und Ethik, die durch die Musik in die Lebenswelt der Singenden integriert werden konnten, beitragen.373 Die Lieder fungierten in ihrer Auswahl als ein wichtiges Verkündigungsmedium einer Auslegung des Christentums, die sich an positiven Glaubenswahrheiten orientierte, häufig aus der Erweckungsbewegung stammenden Vorbildern folgte und in ihrer Ausrichtung deutlich einem deutschen lutherischen Protestantismus zugerechnet werden konnte. Die bereits für die Predigt herausgearbeitete inhaltliche Schwerpunktsetzung korrespondierte mit der Liedauswahl. Gleichzeitig unterstützte aber auch der Klang die mit den Inhalten gezogenen Grenzziehungen des Christlichen beziehungsweise Lutherischen in der Mission. Das gemeinsame Singen und Musizieren stellte eine ebenso wichtige Frömmigkeitspraxis dar, wie es selbst Anleitungen zu weiteren Gebeten bot. Als der Missionsdirektor von Schwartz die Mission visitierte, schien er tief beeindruckt von dem Gesang der Chagga. Bereits zum Empfang auf der Station Mamba sei der Choral „Lobe den Herren“ von den Männern und Frauen der Station angestimmt worden. Er resümierte schließlich: „Von dem, was ich bisher gesehen habe, ist mir am meisten aufgefallen die Sangeslust und Sangeskunst, die hier herrscht. 36 Lieder sind übersetzt, und alle können sie auswendig. In den Morgen- und Abendandachten gibt Br. Althaus nur die erste Zeile an, dann wird in vollem Chor das ganze Lied gesunden […]; auch das Psalmodieren des ersten Psalms ging sehr schön.“374
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Hans-Jürgen Schrader, Zinzendorf als Poet, in: Martin Brecht / Paul Peucker (Hg.), Neue Aspekte der Zinzendorf-Forschung, Göttingen 2006, S. 134–162, 136–137. 372 Siehe dazu Kap. 4.3.2 dieser Studie. 373 Jochen Kaiser, Religiöses Erleben durch gottesdienstliche Musik. Eine empirisch-rekonstruktive Studie, Göttingen 2012, 54–55. 374 Ankunft und Empfang unseres Missionsdirektors in Mamba. Aus einem Briefe des Missionsdirektors D. v. Schwartz, 28. Oktober, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1903), S. 550– 553, 551–552.
3.2 „Heidenpredigt“ und Unterricht als Orte der Übersetzung
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Auch bei der zweiten Visitation 1913 wurde der Gesang der Mambaer Gemeinde raumfüllend beschrieben: „Mächtig braust das Eingangslied durch die Halle. Dann die Liturgie. Sie ist ein Vorzug unsrer lutherischen Kirche. Aber wie oft überläßt daheim die Gemeinde den Chorsängern die sämtlichen Responsorien. Anders hier. Einen besonderen Sängerchor gibt es nicht. Die ganze Gemeinde tritt als solcher auf. Gewiß hatte die Freude über eine so große schwarze Christenschar ihren Anteil daran, aber ich muß bekennen, daß das Kyrie und Gloria, namentlich aber das gemeinsam gesprochene Glaubensbekenntnis nie und nirgends in der Welt einen so schönen und starken Eindruck auf mich gemacht hat, wie an diesem Tage. Man sagte mir übrigens, das durch die offenen Fenster und Türen hinausschallende Singen der Gemeinde werde von den Heiden in der Mambalandschaft ebenso weit gehört wie das Glockengeläute.“375
Solche Beschreibungen des Gesanges als Inbegriff eines lebendigen Christentums, wie sie hier vom Missionsdirektor mit einem expliziten Vergleich zu den weniger schönen Verhältnissen zu Hause, vorgelegt werden, unterstrichen die Wirkmächtigkeit des musikalischen Angebots nicht zuletzt für die Heimatgemeinden.376 Sie liefern aber auch Hinweise darauf, dass die europäische Kirchenmusik auf Resonanz stieß.377 Musik wurde so von den Chagga ebenso eng mit der Mission und der christlichen Religion verknüpft wie das Lesen,378 sodass über Musik vonseiten der Missionare, aber schließlich auch von den Chagga selbst, eine Grenze zum „Heidnischen“ gezogen wurde. Die Missionare waren bereits bei ihren ersten ethnologischen Studien mit afrikanischer Musik in Berührung gekommen.379 In ihrer Einschätzung dieser für sie fremden Klänge waren sich die Missionare und andere Forscher relativ einig: Zwar verfügten die Chagga über Musik und würden auch von je her singen, dabei handelte es sich aber
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Reisebriefe unseres Missionsdirektors, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1913), S. 49–54, 52. Das bessere Einsetzen von Musik zur Bereicherung von Gottesdiensten und um der Langeweile der Besucherinnen und Besucher vorzubeugen, wurde immer wieder vorgeschlagen. Beispielsweise Zippel, Bereicherung der Nachmittagsgottesdienste, in: Die Dorfkirche. Monatsschrift für Kirche und Volkstum 2 (1908/9), S. 192–195. Musik sollte dabei insb. der Erbauung dienen. Auch Chinua Achebe in seinem berühmten Roman „Things Fall Apart“ beschreibt bei der ersten Begegnung von Mission und afrikanischer Bevölkerung die besondere emotionale Qualität der Musik: „He felt a relief within as the hymn poured into his parched soul […] The words of the hymn were like the drops of frozen rain melting on the dry palate of the panting earth. Nwoye’s callow mind was greatly puzzled.“ Chinua Achebe, Things Fall Apart, München 1994 [1959], 110. Musik war vermutlich aber auch deswegen für die Chagga interessant, weil die europäischen Choräle insbesondere durch das häufig als Begleitinstrument eingesetzte Harmonium und die europäischen Klangformen eine Kulturtechnik vorführten, die – ebenso wie das Betrachten von Bildern – des Erlernens wert erschienen. Siehe dazu auch Torp, Verbreitung und Verwandlung. Zum musikethnologischen Afrikadiskurs siehe Florian Carl, Was bedeutet uns Afrika? Zur Darstellung afrikanischer Musik im deutschsprachigen Diskurs des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, Münster 2004.
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3 Religiöses Wissen in der Mission
um keine wirklichen Lieder, denn statt der Melodie stünde der Rhythmus im Vordergrund.380 Die Gesetzmäßigkeiten der Musik, so Bruno Gutmann in einer Darstellung der „Lieder der Chagga“ in der Zeitschrift für Eingeborenensprache, wären den Chagga völlig unbewusst. Dabei mache es auch keinen Unterschied, ob die Lieder schon lange bekannt seien oder nicht. „Noch heute bedürfen sie für ihre Chorgesänge eines Vorsängers, der die einzelnen Strophen vorsingt, die dann vom Chore entweder völlig oder nur mit dem ausleitenden Satz wiederholt werden, um dann in rein vokalischen Interjektionen sich auszuschwingen, aus denen wie eine emporgeschleuderte Welle aus dem wogenden Meere die neue Strophe des Vorsängers hervorbricht.“381
Aus missionarischer Sicht besonders brisant erschien aber nicht die vermeintliche Einfachheit der afrikanischen Musik oder die unterschiedlichen Gesangsstile, sondern die enge Verbindung von Musik und Tanz. Die Beschreibungen der Tänze der Chagga, die sowohl von selbst ernannten Ethnographen als auch von Missionaren vorliegen, überbieten sich in Adjektiven, die einem europäischen Lesepublikum deutlich den Ekel vor diesen Praktiken vermitteln sollten. Tänze würden, so die Beschreibungen, „unter lautem Gesang“ und „Lärm“ von Glocken vollführt, zumeist abends und nachts.382 Die Tänze – „bei Frauen von lasziven seitlichen Verschiebungen des Gesäßes“383 begleitet – waren es, die vor allem den Unmut der Missionare auf den Plan riefen. „Denn gerade der Tanz der Wadschagga mit seinen ekelhaften Bewegungen befördert zwei der Hauptlaster: Unzucht und Trunkenheit“384, hieß es zeitgenössisch. Für die Missionare waren die Tänze, und damit auch die mit ihnen verbundenen Klänge und Geräusche letztlich einzig und allein eine Orgie, bei der Männer und Frauen unter Alkoholgenuss ihrer Lust frönten.385 Hinzu kam, dass Tänze nicht selten mit „Opferfestlichkeiten“ verbunden würden: Sexualität und heidnische Praktiken wurden in diesen Berichten also mit der Musik der Chagga zunächst zusammengeführt.386 380 Bruno Gutmann, Lieder der Dschagga, in: Zeitschrift für Eingeborenen-Sprachen 18 (1927), S. 161– 195, 163. Fritze, Geschichte, 298. Eine solche Abwertung der lokalen Musiktradition ist durchaus in der Missionsbewegung verbreitet gewesen. Torp, Verbreitung und Verwandlung. 381 Gutmann, Lieder der Dschagga, 162. 382 Widenmann, Kilimandscharo-Bevölkerung, 47. 383 Ebd. 384 Stationstagebuch Mamba III, Oktober 1900, ALMW II.32.131. 385 Tänze galten bereits seit dem Konzil von Toledo als sündhaft. Vgl. Kornder, Kirchenmusik, 37. Ernst Dammann, Das Christentum in Afrika, München/Hamburg 1968, 141–142. 386 Vgl. dazu auch Verena Grüter, Was macht das Harmonium am Himalaya? Vom musikalischen Kulturwandel in der Ökumene, in: Dies. / Benedict Schubert (Hg.), Klangwandel. Über Musik in der Mission, Frankfurt a. M. 2010, S. 21–60, 36–37. Interessant ist, dass sich vereinzelte Missionsangehörige dennoch so sehr für die Musik der Chagga interessierten, dass sie sogar Aufnahmen anfertigten. So sind von Elisabeth Seesemann, die vor ihrer Tätigkeit in der Mission Musik studiert hatte und als Musiklehrerin gearbeitet hatte, Phonogrammaufnahmen im Berliner Phonogrammarchiv erhalten. Siehe dazu die im Entstehen begriffene Dissertation an der Universität Göttingen
3.2 „Heidenpredigt“ und Unterricht als Orte der Übersetzung
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Diese Lesart wurde schließlich auch von den christlichen Chagga übernommen. So stieß die afrikanische Musik als Kirchenmusik bei den Missionslehrern und Gemeindeältesten in der Zeit vor und zwischen den Weltkriegen auf Widerstand, während einzelne Missionare wie Gutmann die Idee einer afrikanischen Kirchenmusik zu propagieren suchten. Auch in den späteren Jahren der Missionsberichterstattung war nämlich immer wieder von den Gesangsaktivitäten der Gemeinde zu lesen. 1925 berichtete Bruno Gutmann, „der schwere deutsche Choral“ sei den Chagga zu eigen geworden, die Gemeinden würden sogar solche Choräle singen, die den deutschen Gemeinden mittlerweile als zu schwierig erschienen.387 Auch gebe es, so Gutmann weiter, Bestrebungen afrikanischer Chorleiter, eigene Kirchenlieder im Stil der deutschen Choräle zu erschaffen; sogar von einem „Frühling evangelischer Glaubenslieder“ war die Rede. Es etablierten sich, so berichtet es Gutmann, in den 1920er Jahren Lieder, die zur Einweihung der Bewässerungsgräben gesungen wurden oder dem Kibo388 huldigten,389 aber jeweils der Melodie eines europäischen Kirchenliedes folgten. In einer Abhandlung über den Choral in der Chaggagemeinde aus dem Jahr 1925 werden sogar eigene „Gemeindelieder“ abgedruckt, in denen „die junge Dschaggagemeinde, sich selber als die große Lebenseinheit und Gliedschaft begreift, zu der wir in Christo berufen sind.“.390 Die afrikanischen Akteure übernahmen also die europäische Form der Kirchenmusik und die durch die Missionare forcierte Abgrenzung zum „Heidnischen“. Als Bruno Gutmann noch vor dem Ersten Weltkrieg vorgeschlagen hatte, traditionelle Reigentänze, mtingo, sogenannte Fruchtbarkeitstänze,391 die bei den Chagga bereits in Vergessenheit geraten waren, anlässlich der neu etablierten Erntedankfeste wiedereinzuführen, traf er deswegen auf den Widerstand der lokalen Gemeindevorsteher: Ihre traditionellen Tänze seien mit einem christlichen Erntedankfest unvereinbar.392 Im Übrigen verbot auch das Leipziger Missionskollegium diese Tänze – „schon um deswillen, weil den noch zu gewinnenden Heiden der Gegensatz zwischen der heid-
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„Phonographische Aufnahmen in Deutsch-Ostafrika: Sammler im Auftrag der Berliner Vergleichenden Musikwissenschaft, 1900–1918“ von Niklas Pelizäus, dem ich für diesen Hinweis danke. Vgl. auch Rudolf Rother, Frau Musika und unsere Eingeborenen, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1936), S. 337–339. Bruno Gutmann, Das Dschaggaland und seine Christen, Leipzig 1925, 27. Vgl. Kornder, Kirchenmusik, 51–52. Gutmann, Dschaggaland, 147. Dass diese Form der Indigenisierung keine Seltenheit war, zeigt Torp, Verbreitung und Verwandlung, 229–230. Bruno Gutmann, Grußlieder der Wadschagga, in: Die Singgemeinde 5 (1928), S. 21–24, sammelt in eben diesem Sinne nur noch von alten Frauen gesungene Grußlieder. Vgl. Ernst Jaeschke, Gemeindeaufau in Afrika. Die Bedeutung Bruno Gutmanns für das afrikanische Christentum, Stuttgart 1981, 60. Fiedler, Christentum und afrikanische Kultur, 44–45. Zu Bruno Gutmann siehe auch Kap. 4.4 dieser Studie.
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nischen Ausgelassenheit und dem Ernst christlicher Sitte verdunkelt werden könnte, wenn solche Tänze von gemeindewegen geduldet oder begünstigt werden.“393 Der Einsatz von Musik beförderte also weitere Grenzziehungen gegenüber dem „Heidnischen“ und trug durch die Wiederholung der mit christlichen Bedeutungsinhalten aufgeladenen Texte zu einer größeren Anschaulichkeit der Missionspredigt beziehungsweise der Vermittlung christlicher Inhalte bei. Die Charakteristika einer Missionspredigt – Erzählung der Heilsgeschichte mit Jesus im Mittelpunkt, große Anschaulichkeit, das Eingehen auf die Zuhörer der Predigt, die Verwendung von Bildern und Musik – sollten dem Erfolg der Mission dienen. Es galt, positive Glaubensinhalte zu vermitteln und gleichzeitig Abgrenzungen gegenüber solchen Aspekten vorzunehmen, die entweder nicht mit der theologischen Richtung des kirchlich-konservativen Netzwerks und der Mission übereinstimmten oder vermeintlich „heidnisch“ waren. Die in der Mission angewandten Methoden der Missionspredigt und Verkündigung standen in einem engen Verhältnis zu zeitgenössischen Debatten in der Homiletik, in der von verschiedenen Vertretern eine Reform der Predigtweise gefordert und entwickelt wurde.394 Im Kaiserreich stellten sich zahllose Theologen und Kirchenvertreter die Frage, wie der „moderne Mensch“ noch durch die Predigt erreicht werden und – wenn möglich – wieder zum Christentum zurückfinden könnte. Die jeweilige homiletische Auffassung war eng mit dem Religions- und Theologieverständnis verknüpft. Während die „liberalen“ Theologen Drews oder Baumgartner – statt des Kerygmas einer supranaturalen Offenbarung – die Bedeutung des Christentums für das subjektive Glaubenserlebnis herausstellten und damit eine unbedingte Schriftgemäßheit der Predigt aufgaben, war dies für die kirchlich-konservativen Theologievertreter kaum möglich.395 Wie auch in den Bestimmungen zum Inhalt der Missionspredigten ging man von einer unveränderlichen absoluten Botschaft aus. Das Evangelium, das es zu verkünden galt, wurde als unveränderlich und als von Gott gegeben angesehen. Eine Reform der Predigt konnte sich deswegen nur auf die Form der Predigt beziehen. Die Kriterien, die für die Gestaltung der Missionspredigten als ideal entwickelt wurden, sollten deswegen auch in der deutschen Gemeindepredigt zum Tragen kommen und die Homiletik von den Missionserfahrungen profitieren. Sowohl Ernst Buss als Herausgeber der Zeitschrift für Missionskunde und Religionswissenschaft als auch der Leipziger Missionar Stosch396 machten dementsprechend gerade die Homiletik als eines der wissenschaftlichen Gebiete aus, zu denen die Mission einen entscheidenden Beitrag leisten könnte.397 Stosch bestand in einer Abhandlung
393 Kollegium an Missionare, 7.2.1913, ALMW II.32.100. 394 Vgl. Wilhelm Gräb, Die Predigt liberaler Theologen, in: Friedrich Wilhelm Graf / Hans Martin Müller (Hg.), Der deutsche Protestantismus um 1900, Gütersloh 1996, S. 103–130, 103. 395 Ebd., 105–106. 396 Siehe auch Kap. 1.3.2 dieser Studie. 397 Vgl. Buß, Programm, 5.
3.2 „Heidenpredigt“ und Unterricht als Orte der Übersetzung
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zu der Frage „Vermag die Mission der theologischen Wissenschaft einen Ertrag zu bieten?“ darauf, dass die Wissensgebiete der Praktischen Theologie wesentlich durch die Mission erweitert würden. „So ist für die Homiletik der methodische und inhaltliche Unterschied zwischen Kultuspredigt und missionarischer Zeugnispredigt von Bedeutung. Die Theorie der Gemeindepredigt wird auch insofern durch den Vergleich mit dem missionarischen Zeugnis wenn nicht bereichert, so doch bestätigt, dass klar hervortritt, wie die inhaltliche und formelle Gestaltung einer geistlichen Rede, will sie anders wirksam sein, unter dem Gesetz der Überzeugung stehen muss, die sie hervorrufen will.“398
Stosch stellte die persönliche Überzeugung des Predigers in den Mittelpunkt. Tatsächlich wurde gerade von den kirchlich-konservativen Reformern die pietistische vocatio interna betont. Die Überzeugungskraft des Predigers (wie auch des Missionars) wurde von seiner persönlichen Überzeugung abhängig gemacht. Wichern zum Beispiel fragte: „Muß nicht derjenige, welcher die Person Christi in ihrer Herrlichkeit erkannt hat, selbst zu einer Lebensquelle und zu einem unüberwindlichen Zeugen der in Christo erlebten Wahrheit Gottes auch für die der Kirche Entfremdeten werden?“399 Rudolf Stier fasste die Gemeindepredigt ganz als Missionspredigt auf.400 Besonders einflussreich wirkte die Homiletik Theodor Christliebs, der in der Gemeindepredigt die Notwendigkeit einer Neuevangelisierung in den heimatlichen Gemeinden feststellte.401 Christlieb war nicht nur ein wichtiger Vertreter der Evangelischen Allianz, sondern auch der Missionsbewegung. Er engagierte sich für die akademischen Missionsvereine und im Bonner Missionsverein. Er veröffentlichte zahlreiche Beiträge in der Allgemeinen Missionszeitschrift, die er mit Warneck gemeinsam herausgab.402 Nicht nur in seiner Rede 1874 auf der Versammlung der Evangelischen Allianz hatte er in Bezug auf die Frage, wie die moderne um sich greifende Ungläubigkeit bekämpft werden könnte,403 auf die Mission verwiesen; auch in seiner Homiletik konstatierte er einen engen Kon-
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Stosch, Vermag die Mission, 230–231. Zit. nach Wintzer, Homiletik seit Schleiermacher, 85. Ebd., 89. Theodor F Christlieb, Homiletik. Vorlesungen, hg. v. Theodor Haarbeck, Basel, 1893, S. 3–5, in: Ruth Conrad / Martin Weeber (Hg.), Protestantische Predigtlehren, Tübingen 2012 [1893], S. 135–136, 136. Einflussreich auf die Predigerausbildung der Leipziger Missionare, die ja zum Teil ihre Ausbildung an der Universität erhielten, wirkte wohl auch der Liturgiewissenschaftler Georg Rietschel. Ratzmann, Georg Rietschel, bzw. Ders , Georg Rietschel (1842–1914), in: Benedikt Kranemann / Klaus Raschzok (Hg.), Gottesdienst als Feld theologischer Wissenschaft im 20. Jahrhundert. Deutschsprachige Liturgiewissenschaft in Einzelporträts. Bd. 2, Münster 2011, S. 959–975. 402 Kasdorf, Warnecks Erbe, 86–87. Zur Missionstheologie Christliebs und seinen Beiträgen in der Zeitschrift sowie zu seinen intensiven Beziehungen zu anderen Missionswissenschaftlern siehe Schirrmacher, Christlieb. 403 Theodor F Christlieb, The Best Methods of Counteracting Modern Infidelity. A Paper Read Before the General Conference of the Evangelical Alliance, New York 1874, z. B. 37, 77.
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nex zwischen der Missionspredigt und der Gemeindepredigt, die er in einer Matyretik verbunden sah. Zwar begründe die durchgeführte Taufe und Konfirmation einen Unterschied zu den „außerkirchlichen Heiden“, aber es sei nicht zu leugnen, „dass bei der heutigen bunten Zusammensetzung unserer meisten ‚Gemeinden‘ aus Gläubigen, Halbgläubigen und vielen ganz Unkirchlichen, ja Ungläubigen“ auch für die Gemeindepredigt eine „Missions- oder Neuevangelisierungsaufgabe“ bestehe, vielmehr sei es eine gefährliche Fiktion, wenn der Prediger bei all seinen Zuhörerinnen und Zuhörern von einem „persönlichen Herzensglauben“ ausginge.404 Auf Grundlage seiner Erfahrungen in London warf Christlieb Fragen auf, die weniger die außereuropäische Mission als vielmehr die indifferente Haltung gegenüber der Kirche und in kirchlichen Fragen, die er auch innerhalb der evangelischen Kirche festzustellen meinte, betrafen. Christlieb, beeinflusst vom württembergischen Pietismus, setzte als Kirche nur die Gemeinschaft der wahrhaft Glaubenden. Missionsobjekt waren für ihn deswegen auch die „Namenchristen“, die er nun mittels Evangelisation und Predigt auch in der Heimat zu bekehren suchte.405 Die Überzeugung, mit der Missionare ihren Glauben weitergaben, war, so interpretierte es Christlieb, auch in der Heimatkirche vonnöten, denn auch hier gelte, dass die Predigt immer der Förderung des Reichs Gottes dienen solle.406 Die missionarische Predigtweise wurde von Christlieb und anderen damit zum Ideal erhoben. Was im Missionslabor vermeintlich gut funktionierte, sollte in die Heimat übertragen werden: Die feste Überzeugung und das klare Wissen um den Kern des Christentums, wie es die Missionare hatten, sollte in den deutschen Städten die Krise der Kirche zu überwinden helfen.
404 Ders , Homiletik. Vorlesungen von D. Th. Christlieb. Hg. v. Th. Haarbeck, Basel 1893, 7. 405 Wintzer, Homiletik seit Schleiermacher, 90. 406 Christlieb, Homiletik, 65.
4 Christianity Making in der Missionsgemeinde Taufe, Kirche und Gemeindeordnung Aushandlungen vom Christentum in der Mission setzten eine Reihe von inhaltlichen Grenzziehungen und Definitionen in Gang. Welche Inhalte auf welche Weise vermittelt wurden, hing von sehr unterschiedlichen, teilweise miteinander verwobenen Umständen und Voraussetzungen ab. Die theologische Position der Missionsgesellschaft und mithin der Missionare und ihre konfessionelle Haltung nahmen ebenso Einfluss darauf, welche Geschichten, Psalmen und Gebete in der Mission zu Gehör kamen, wie es die Bedürfnisse, Interessen und Agenden der lokalen Bevölkerung taten. Schließlich nahmen die Zuhörerinnen und Zuhörer nicht nur durch Nachfragen und mehr oder minder explizit formulierte Forderungen Einfluss auf die Inhalte, insbesondere die einheimischen Missionare erlangten schnell die Kompetenz und die Gelegenheit, ihre eigene Interpretation der biblischen Geschichten weiterzugeben. Zur erfolgreichen Missionierung gehörte aber für die protestantischen Missionen und insbesondere für die Leipziger Mission vieles mehr. Als Carl Mirbt 1910 auf einer Abendveranstaltung im Zuge der Weltmissionskonferenz 1910 über die Besonderheiten der deutschen protestantischen Missionen referierte, strich er nicht nur die strenge Ausbildung der Missionare, die wissenschaftliche Beschäftigung mit Mission an Universitäten und die Organisation der Missionsarbeit in Gesellschaften als Charakteristika der deutschen Missionsarbeit heraus; sondern er machte auch deutlich, dass das Zentrum der missionarischen Arbeit in der sogenannten Volkschristianisierung liege: „a thorough instruction of catechumens, a firm handling of church discipline, a careful education of native helpers; in short, the founding of congregations able to become a solid ground for native churches.“1 Unter dem Schlagwort der „Volkschristianisierung“ wurde also mehr als die im letzten Kapitel behandelten inhaltlichen Grenzziehungen und Bestimmungen vom Christentum subsumiert; es bezog sich vielmehr auf die Gründung einer Kirche im umfassenderen Sinne. Volkschristianisierung meinte den Prozess der Gemeindebildung und -organisation, der Schaffung eines Gemeindelebens, den Bau von Kirchen, 1
Mirbt, Characteristics of German Missions, 215.
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kurzum: die Verankerung des Christentums innerhalb der Gesellschaft und Kultur der Missionierten. Dieser Prozess erforderte aus Sicht der Mission weitergehende Grenzziehungen und forderte umfassende Aushandlungsprozesse heraus, die Taufen und deren Umsetzung ebenso betrafen wie den Bau von Kirchen oder die Etablierung einer Frömmigkeitspraxis. Eine christliche Gemeinde besteht aus getauften Christen. Wer jedoch unter welchen Umständen wie getauft werden konnte, stellte die Missionare im Missionsgebiet vor große Herausforderungen, galt es doch einen schmalen Grat zu finden, was von den „Heidenchristen“ verlangt werden musste und welche Kompromisse zugunsten eines auch nach außen sichtbaren Missionserfolgs gemacht werden konnten. Wie missionarische Erwartungen, die ja nicht zuletzt von theologischen beziehungsweise konfessionellen Standpunkten bestimmt waren, an lokale Verhältnisse angepasst werden konnten und mussten, bestimmte das Design und die Etablierung des Taufrituals. Kirchenzucht galt in der Mission als Disziplinierungsmittel, um Anforderungen an die Lebensführung der getauften Christen durchzusetzen. Bestimmungen zur Umsetzung und Durchführung von Kirchenzucht waren deshalb in der Mission ein wichtiger Teil der Gemeindeordnung und -organisation. Die Protokolle der Ältestenversammlung der Gemeinde Mamba zeigen dabei aber nicht nur, wie Disziplinierungsmaßnahmen praktisch angewandt worden, sondern auch, wie Gemeindemitglieder um die etablierten Verfahren wussten und welches Verständnis vom Christentum, von Frömmigkeit und von Zugehörigkeit zur christlichen Gemeinde diese sogenannten „Heidenchristen“ hatten. Eine Analyse der Kirchenzuchtpraxis der Missionsgemeinde ermöglicht somit einen differenzierten Blick auf Konversionsprozesse. Aushandlungen vom Christentum betrafen auch die räumliche Ordnung der Mission, deren Kirchenbauten zu weithin sichtbaren Symbolen des Christentums wurden. Sakralität und Frömmigkeit wurden hier gleichermaßen vor dem Hintergrund der heimischen Verhältnisse verhandelt und die Erfolge in der Mission als leuchtendes Vorbild für die heimatliche Kirche dargestellt. Als Ergebnis der Erfahrungen im Missionslabor entwarf schließlich der Missionar Bruno Gutmann eine Gemeindetheologie für Mission und Heimat gleichermaßen. Sein Vorschlag wurde in kirchlich-konservativen Kreisen umfassend diskutiert. 4.1 Taufe als designtes Ritual Die Taufe ist das zentrale Sakrament des Christentums – erst mit dem Empfang der Taufe wird jemand zum Christen; die Missionstaufe galt deswegen als zentrales Missionsziel. Sie markiere, so definierte Gustav Warneck, den „Übertritt aus dem Heidentum in den christlichen Verband“, sie symbolisiere „Reinigung, Scheidung von der Sünde durch Befreiung aus ihrer Knechtschaft, Geistempfang, neuen Lebensbeginn,
4.1 Taufe als designtes Ritual
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Zusammenschluß zu einer neuen Lebensgemeinschaft“.2 Wegen ihrer besonderen Stellung setze die Taufe, so Warneck weiter, grundsätzliche Bedingungen voraus: Glauben, das zum Glauben notwendige Wissen und schließlich die Bereitschaft, sich dem Glauben zu unterwerfen.3 „Nur darüber bedarf es einer umständlicheren Erörterung, wie weit das Wissen gehen, wie tief der Glaube gegründet und was für Kennzeichen der Sinnesänderung vorhanden sein müssen, wenn getauft werden soll“, stellte der Missionswissenschaftler schließlich fest.4 Diese von Warneck aufgeworfenen Fragen wurden um 1900 auf allen Ebenen des missionarischen Projekts diskutiert. Missionsgesellschaften und Missionswissenschaftler, aber auch internationale und nationale Missionskonferenzen beschäftigten sich mit Voraussetzungen und Durchführungen von Taufen. Das Stichwort „Taufe“ findet sich in den späten Jahren des deutschen Kaiserreichs in fast allen Missionsblättern, war Gegenstand der als besonders wichtig erachteten Taufstatistiken, die über den Erfolg einer Mission Auskunft gaben,5 und es erschienen zahlreiche eigenständige Monografien und Publikationen, die sich dem Thema annahmen. In den Missionsgebieten kamen verschiedene Akteure zusammen, die um die Bedingungen und Voraussetzungen der Taufe rangen: Taufewerberinnen und Taufewerber, christliche Gemeinde, nichtchristliches Umfeld der Taufewerber und nicht zuletzt die Missionare, denen es zukam, diesen Prozess der Grenzziehungen zu moderieren und zu kontrollieren. Dies taten sie wiederum vor dem Hintergrund ihrer nationalen und konfessionellen Identität und als aktive Teilnehmer der Debatten im Kaiserreich.6 In der Missionswissenschaft und in der historischen Erforschung von Mission wurde vonseiten der Kirchengeschichte und auch der Religionssoziologie lange Zeit ein Fokus auf Taufen verfolgt, der Konversion in den Mittelpunkt stellte. Die in der Mission vollzogene Taufe als unumkehrbares Sakrament wurde als Abschlusspunkt einer hin zum Christentum erfolgten Konversion im Sinne einer vollständigen Abkehr von
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Warneck, Missionslehre III.2, 233, 240. Im Referat von Warneck auf der Neunten kontinentalen Missionskonferenz hieß es zusammenfassend dazu: „Die Mission hat ihre Aufgabe nicht erfüllt, wenn keine Taufen stattfinden. Nun mag man die Taufedingungen noch so niedrig stellen, will man den evangelischen Heilsweg nicht verleugnen, so muß wenigstens ein Anfängerglauben und eine elementare Sinnesänderung vorhanden sein. Beides setzt eines solche Jesusbekanntschaft und Sündenerkenntnis voraus, die durch eine oberflächliche Kundmachung des Evangelii unter den heutigen Verhältnissen der Regel nach nicht gegeben werden kann.“ Neunte kontinentale Missionskonferenz, 44. Warneck, Missionslehre III.2, 245. Diese Missionsstatistiken nahmen in den Jahresberichten einen großen Raum ein und heizten Vergleiche zwischen den Missionen in übergeordneten Publikationen deutlich an. Besonders prominent hier Martin Kähler. Zu Kählers Positionen zur Taufe vgl. einführend die Zusammenstellung in Kähler, Schriften, 222–254. Vgl. dazu auch Martin von Nathusius, Die Konfirmationspraxis in der Mission, in: Allgemeine Missionszeitschrift 29 (1902), S. 422–433, 476–485. Hier heißt es: „Bei keiner anderen Gelegenheit zeigt sich der Einfluss der theologischen Grundrichtung so sehr als bei der Praxis des Unterrichts, der Taufe und der Konfirmation“ (424).
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4 Christianity Making in der Missionsgemeinde
früheren religiösen Zugehörigkeiten verstanden.7 Gleichzeitig mit der Perspektive auf Konversion verbunden lässt sich aber auch eine liturgiewissenschaftliche beziehungsweise der Praktischen Theologie zuzuordnende Perspektive auf Taufe ausmachen, in deren Mittelpunkt der rituelle Vollzug der Taufe steht.8 Als Initiationsrituale wurden Taufen seit dem performative turn auch in der stärker kulturwissenschaftlichen Ritualforschung, die lange Zeit von klassischen, häufig aus Beobachtungen von Missionaren gespeisten Erläuterung zur kulturellen und symbolischen Bedeutung von Ritualen beherrscht war, analysiert. In der Mission lässt sich jedoch kaum von einem feststehenden und nur vollführten Ritual ausgehen. Hier galt es vielmehr, auf den in der lutherischen Kirche bestehenden Taufagenden aufauend ein Ritual zu kreieren und zu etablieren. Die Erstellung, Durchsetzung und Anpassungen der Tauf-und Katechumenatsordnungen9 im Mis-
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Habermas, Mission und Individualisierung, analysiert die Schwierigkeiten, die mit diesem bereits um 1900 vertretenen Konversionskonzept einhergehen. Die Liturgiewissenschaft ist ein Teilgebiet der Praktischen Theologie. Erste Einführungen liefern Mona Kirsch u a , Liturgie, in: Christiane Brosius u. a. (Hg.), Ritual und Ritualdynamik. Schlüsselbegriffe, Theorien, Diskussionen, Göttingen 2013, S. 62–68, bzw. Reinhard Meßner, Einführung in die Liturgiewissenschaft. 2. Aufl., Paderborn 2009. Wenn aus aktueller oder historischer Perspektive der Blick auf christliche Liturgien in außereuropäischen Kontexten geworfen wird, geschieht dies entweder in vergleichender, dokumentarischer Absicht oder es sollen Impulse für eine Erneuerung der Liturgie in Europa aus diesen Untersuchungen abgeleitet werden. Siehe bspw. Tony Ifeanyi Ezugwu, Reconciliation. A Community Celebration: A Case Study in Inculturation for Igbo Catholics in Enugu State Nigeria, Altenberge 1997, oder auch Ludwig Bertsch (Hg.), Der neue Meßritus im Zaire. Ein Beispiel kontextueller Liturgie, Freiburg 1993. In aktueller Perspektive und auf den Liturgietransfer nach Europa hinarbeitend Barbara Feichtinger, Liturgie und soziales Handeln. Afrikanische Praxis als Inspiration, Stuttgart 2008. Diese Ordnungen wurden auf den regelmäßig im Missionsgebiet abgehaltenen Missionskonferenzen von den Missionaren erstellt und später durch die Leipziger Missionsgesellschaft genehmigt. Bereits 1897, also ein Jahr vor der ersten Taufe im Missionsgebiet, wurde eine Taufordnung von Gerhard Althaus vorgestellt und im gleichen Zuge die Übertragung biblischer Namen ins Kichagga diskutiert (Protokoll der Chagga-Konferenz, Dezember 1897, ALMW II.32.92). 1902 hielt Missionar Fuchs ein Plädoyer für die Kindertaufe (Protokoll der Chagga-Konferenz, Juli 1902, ALMW II.32.94); 1903 war ein vorläufiger Höhepunkt der Diskussionen erreicht und es wurde eine auch in den folgenden Jahren ihre Gültigkeit behaltene Katechumenatsordnung wiederum unter Federführung von Gerhard Althaus, dem Missionssenior, beschlossen (Protokoll der Chagga-Konferenz, Dezember 1903, ALMW II.32.95). 1909 erstellte man eine weitere Ordnung zur Einsegnung von Ehepaaren nach der Taufe (Protokoll der Chagga-Konferenz, August 1909, ALMW II.32.98). 1911 folgte ein nicht überlieferter Vortrag über das „Katechumenat in der Alten Kirche, was können wir für uns von den Alten lernen“. Er wurde von Missionar Schöne gehalten. Siehe dazu ALMW II.32.86. Eng mit den Debatten um Taufe verknüpft waren die 1902, 1906 und ab 1910 jährlich verhandelten Themen der Zulassung zum Abendmahl und der Ein- bzw. Durchführung von Konfirmationen. So umfangreich diese Quellenlage auch ist, die missionarische oder zumindest europäische Sicht auf die Taufe und deren rituelle Gestaltung dominiert in diesen Quellen. Andere Perspektiven lassen sich nur durch vorsichtiges „Gegen-den-Strich-Lesen“ herausarbeiten. Dies gilt auch für die häufig von Missionaren stark beeinflussten Konversionserzählungen. Siehe dazu jüngst Kirsten Rüther u a , Gender and Conversion Narratives in the Nineteenth Century. German Mission at Home and Abroad, Surrey 2015.
4.1 Taufe als designtes Ritual
257
sionsgebiet, die nicht nur den Zugang zur, sondern auch den Ablauf der Taufe regelten, sollten sicherstellen, dass die Täuflinge zu einem „Verständnis dessen, was zur Seligkeit notwendig zu wissen ist“10 gelangten, gleichzeitig wurden in diesen Ordnungen zuvor ausgehandelte Grenzziehungen festgeschrieben und Anpassungen und Veränderungen der deutschen agendarischen Bestimmungen vorgenommen. Der Wandel des Taufrituals und die damit einhergehenden Dynamiken lassen sich als Ritualdesign begreifen,11 als Form der Ritualdynamik, bei der Rituale intentional verändert und an neue Begebenheiten angepasst wurden. Missionare versuchten bei der Erstellung der Katechumenats- und Taufordnungen, ein Ritual zu etablieren, das sich einerseits an europäischen Vorstellungen und theologischen Bedeutungen messen lassen konnte und deswegen im Wesentlichen agendarischen Vorgaben der (bayrischen) lutherischen Kirche entsprach, das aber andererseits im Missionskontext zunächst unbekannt war, deswegen durch Ritualtransfer an lokale Kontexte angepasst werden musste und so neue Dynamiken hervorrief.12 4.1.1 Gemeindezugehörigkeit zur Probe – die Katechumenatsordnung Der Taufprozess in der Mission teilte sich in zwei Schritte.13 Vor dem eigentlichen Taufakt galt es, ein Katechumenat, eine Vorbereitungs- und Prüfungszeit, zu bestehen, die mehrere Monate umfasste und in dem die Katechumenen in der christlichen Religion unterrichtet wurden. Wer zum Katechumenat zugelassen wurde, welche Inhalte dort vermittelt wurden und welche Anforderungen an Katechumenen gestellt wurden, regelte im Missions-
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Protokoll der Chagga-Konferenz, Dezember 1903. Beilage: Gerhard Althaus, Katechumenatsordnung der Dschagga-Mission, 24, ALMW II.32.95. Eine solche Perspektive auf den Wandel von Ritualen hat sich jüngst als Resultat des performative turn entwickelt. „Man fragt unter Einbeziehung der ganzen Kulturen nach Variationen, Modifikationen, Autorschaft (Agency), Transfers und Transformationen von Ritualen. Axel Michels, Vorwort, in: Ders. (Hg.), Die neue Kraft der Rituale. 2. Aufl., Heidelberg 2008, S. 5–9, 7. Die aus der Ethnologie stammende Ritualforschung hat sich bisher nur am Rande mit der Taufe als christliches Initiationsritual beschäftigt, wenn auch die Taufe in Überblicksdarstellungen zumeist genannt wird und auch Catherine Bell für eine umfassendere Auseinandersetzung mit dem liturgischen Leben in der Kirche plädiert. Catherine Bell, Ritual Tensions. Tribal and Catholic, in: Studia Liturgica (2002), S. 15–28. Traditionell ist die Taufe ein Gegenstand der Liturgiewissenschaft, die sich in den letzten Jahren vermehrt der Ritualforschung öffnet. Zur Abgrenzung der Begriffe siehe einführend: Kirsch u a , Liturgie. Zu einer Einführung in die mit dem performative turn boomende Ritualforschung, auf die im Folgenden immer wieder zurückgegriffen wird, siehe insbesondere Barbara Stollberg-Rillinger, Rituale, Frankfurt a. M. / New York 2013, sowie den Band von David J Krieger / Andréa Belliger (Hg.), Ritualtheorien, Wiesbaden 1998, 251–264. Warneck, Missionslehre III.2, 245–252, gibt einen Überblick über die Geschichte des Katechumenats insbesondere in der Alten Kirche. Vgl. zur Geschichte des Katechumenats auch Michael Dujarier, Kurze Geschichte des Katechumenats, in: Pastoral-katechetische Hefte 65 (1987), S. 18–96.
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gebiet am Kilimandscharo eine Katechumenatsordnung. Eine solche war 1903 auf Vorschlag des Seniors Gerhard Althaus und im Beisein des extra aus Leipzig angereisten Missionsdirektors beschlossen worden. Eine Taufordnung, die schon 1897 in Kraft trat, regelte dagegen den Ablauf des Taufgottesdienstes und orientierte sich grundsätzlich an der bayrischen Agende, auch sie war von Althaus vorgelegt worden. Den Auftakt des detailliert geregelten Taufprozesses bildete die freiwillige Bitte um Taufe. Der Zulassung zum Katechumenat, dem formalen Taufvorbereitungsunterricht, musste also ein erster, mehr oder weniger umfangreicher Kontakt mit dem Christentum vorausgegangen sein – sei es im Unterricht in der Kostschule, bei „Heidenpredigten“ oder sei es auch nur durch Erzählungen von bereits getauften Bekannten oder Familienmitgliedern.14 Wer um die Aufnahme beziehungsweise um die Taufe bat, verfügte bereits über elementare Grundkenntnisse vom Christentum, die sich zumeist auf biblische Geschichten stützten und auch das Wissen um Anforderungen an den Lebensstil der Christen umfassten. Um die „Freiwilligkeit“ und die „Echtheit“ des Glaubens15 der Taufewerber sicherzustellen, beschlossen die Missionare zahlreiche Maßnahmen. Erkundigungen bei Gemeindeältesten oder bei „sonstigen Leuten“, anderen Gemeindemitgliedern oder sogar „mit Vorsicht“ bei „Heiden“ sollten ausschließen, dass „unlautere Gründe“ den Ausschlag zur Taufewerbung gegeben hätten, denn „das würde eine Aufnahme in den Katechumenat unmöglich machen.“16 Diese von dem indischen Missionsfeld der Leipziger Mission übernommene Praxis galt in Missionskreisen als nachahmenswertes Beispiel, um möglichst zuverlässige Katechumenen auszubilden.17 Obwohl sich die Auskünfte auf die ehelichen Verhältnisse zuspitzten, ging es keineswegs um diese 14 15
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Vgl. dazu die diversen Konversionserzählungen in: Klaus Peter Kiesel (Hg.), Kindheit und Bekehrung in Nord-Tanzania. Aufsätze von Afrikanern aus dem ehemaligen Deutsch-Ostafrika vom Anfang des 20. Jahrhunderts. 2 Bd., Leipzig 2005. Protokoll der Chagga-Konferenz, Dezember 1903. Beilage: Gerhard Althaus, Katechumenatsordnung der Dschagga-Mission, 11, ALMW II.32.95. Trotz der deutlichen Bestimmung, zunächst alle Taufewerber „liebevoll“ aufzunehmen, bestanden in der Leipziger Mission enge Hürden zur Aufnahme in den Katechumenat. Grundsätzlich war dieser eine Einrichtung für Erwachsene; „Halberwachsene“ sollten nur mit besonderer Vorsicht aufgenommen werden, die es auch bei der Aufnahme von Kostschülern, also Jungen und Mädchen, die in der Mission erzogen wurden, walten zu lassen gelte. Wer unter welchen Bedingungen zu taufen war, regelte § 25–31 der Katechumenatsordnung, ALMW II.32.61. Katechumenatsordnung, ALMW II.32.61. Vgl. Protokoll Neunte kontinentale Missionskonferenz, 75–77. Hier heißt es im Vortrag von Zahn: „Es scheint mir eine sehr weise Anordnung der Leipziger Mission zu sein, daß die Missionare angewiesen sind gleich bei der Meldung, vor der definitiven Aufnahme, alle Verhältnisse, z. B. die ehelichen, vor Zeugen zu erforschen und den Befund in das Katechumenenbuch einzutragen.“ Der Vortrag wurde auch im Leipziger Missionsblatt veröffentlicht: Franz Michael Zahn, Taufordnung für die evangelische Heidenmission. Referat für die kontinentale Missionskonferenz, in: Evangelischlutherisches Missionsblatt 20 (1893), S. 345–368. Auch eine Broschüre der Basler Mission zu den Taufmotiven in der indischen Mission warnte vor Motiven wie der Suche nach Zuflucht beim Missionar vor äußerer Not und rein „irdischen Beweggründen“. Mark Hoch, Die Taufewerber in der
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konkrete Information: Vielmehr sollten die Missionare dafür sensibilisiert sein, zu erkennen, wenn jemand nur wegen äußerer Vorteile zu ihnen käme, und sich deswegen auch selbst „ernstlich vor dem Propagandamachen hüten.“18 Robert Munson führt als Gründe für eine Hinwendung zum Christentum für die Bewohner der Kilimandscharo-Region medizinische Versorgung,19 Unterstützung mit Nahrungsmitteln bei Hungersnöten, und das Auftreten der Mission als Vermittler bei Konflikten mit Kolonialbehörden oder Chagga-Autoritäten an.20 Mit der Mission zu kommunizieren und deren infrastrukturelle Angebote – dazu gehörte z. B. auch der Unterricht im Kiswahili – zu nutzen, war schließlich eine mögliche Handlungsoption im Arrangement von Kolonialismus und Fremdherrschaft.21 Die hier in die Katechumenatsordnung eingeschriebenen einzuholenden Erkundigungen über die Taufewerber und das ihnen zugrunde liegende Misstrauen nahmen also eher noch zu, auch wenn die Missionare Einschätzungen über die Taufewerber in späteren Jahren zunehmend dem Gemeindevorstand22 überließen. Waren diese „Erkundigungen“ so ausgefallen, dass die Missionare eine Aufnahme in den Katechumenat nicht von vornherein ablehnten, sah die Katechumenatsordnung vor, dass der Taufewerber versprechen sollte, Gottesdienste und Taufunterricht regelmäßig zu besuchen sowie „von groben heidnischen Sünden, von Götzendienst und allen abergläubischen Bräuchen zu lassen“.23 Missionar Althaus hatte in seinem Vorschlag zur Taufordnung lediglich von „groben heidnischen Sünden“24 gesprochen. Andere Missionare wollten jedoch strengere Maßstäbe anlegen und vor allem das Tragen
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indischen Mission, ihre Beweggründe und ihre Verhandlung, Basel 1901. Ähnliches wurde auch in der Leipziger Mission reflektiert, z. B. in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1901), 153. Protokoll der Chagga-Konferenz, Dezember 1903. Beilage: Gerhard Althaus, Katechumenatsordnung der Dschagga-Mission, 3–8, ALMW, II.32.95, Zitat 8. Die Leipziger Mission hatte von 1902 bis 1907 einen Arzt, Dr. Plötze, für die medizinische Versorgung der Chagga eingestellt, offiziell Ärztliche Mission betrieb sie ab 1909 als Dr. Karl Ittameier als Missionsarzt in die Region kam und im Missionskrankenhaus in Madschame praktizierte. Medizinische Versorgung leisteten auch die an den Berg gesandten Diakonissen Berta Schulz und Gesine Sammy. Munson, Nature of Christianity, 258. Ebd. Noch attraktiver wurde die Mission ab dem Jahr 1910, als sich auch einige chiefs der Chagga hatten taufen lassen und die Leipziger Missionare das in vielerlei Hinsicht nützliche Kiswahili als Unterrichtssprache in ihren Kostschulen etablierten. Siehe dazu Sundkler/Steed, History of the Church in Africa, 550–551. Andere Motive, sich der Mission bis hin zur Taufe anzunähern, waren beispielsweise bessere Chancen auf dem Heiratsmarkt und der Zugang zu westlicher Bildung, insbesondere Englischunterricht, um so Kontakte zu Kolonialmächten und Handelsnetzwerken besser ausbauen zu können. Zur Sprachenfrage in der Mission siehe auch Kap. 3 dieser Studie. Rüther, The Power Beyond, 1 und Kap. 5; mit ähnlichem Ergebnis auch Altena, Ein Häuflein Christen, 320–321. Ein solcher Gemeindevorstand bzw. Ältestenrat wurde nach der Gemeindeordnung erst gewählt, sobald eine genügend große Anzahl an Christen in einer Gemeinde versammelt war. Siehe dazu ausführlich Kap. 4.2 dieser Studie. Katechumenatsordnung, § 5, ALMW II.32.61. Protokoll der Chagga-Konferenz, Dezember 1903, Beilage: Gerhard Althaus, Katechumenatsordnung der Dschagga-Mission, § 5, ALMW II.32.95.
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von Amuletten verbieten; der Vorsitzende, Missionsdirektor von Schwartz, wollte gar „Allem, was mit dem Geisterdienst zusammenhängt“, abgeschworen wissen.25 Dieses Ringen um den Wortlaut dieses Versprechens, das durch seine Öffentlichkeit den Eintritt in den Taufprozess und die Separation vom „Heidentum“ symbolisierte, resultierte einerseits aus dem Willen, eindeutige Grenzen zu anderen religiösen Praktiken zu ziehen. Andererseits offenbarte sich hier auch die Unsicherheit der Missionare über religiöse Praktiken der Chagga, die sie gerade erst begonnen hatten zu erforschen. So war beispielsweise die Bezeichnung „Götzendienst“ aus dem indischen Kontext in das afrikanische Missionsgebiet übertragen worden, ohne dass eine Form des „Fetischismus“ bei den Chagga festgestellt worden war und in späteren Jahren sogar dezidiert verneint wurde.26 Auch die Frage, ob polygam Lebende überhaupt in den Katechumenat aufgenommen werden durften, wurde intensiv diskutiert. Während für die meisten Missionare, insbesondere für Emil Müller, feststand, dass der Vollzug der Taufe an einem sogenannten „Polygamisten“ nicht mit dem Christentum vereinbar sei und deswegen für eine möglichst frühe Regelung plädierten – ja, sogar eine Aufnahme in den Katechumenat in solchen Fällen bereits ablehnten –, verwies der Missionsdirektor von Schwartz auf einen Beschluss des Dresdener Missionskomitees, nach dem eine Vielehe kein grundsätzliches Hindernis für eine Taufe bedeuten müsse, weil sich aus diesen Ehen ja Verpflichtungen gegenüber Frauen und Kindern ergeben würden.27 Aufgrund dieses Beschlusses konnte die Taufe eines in Polygamie lebenden Mannes nicht verboten werden, auch wenn unter den Missionaren ein Konsens darüber zu bestehen schien, dass in einem solchen Falle eine Taufe unmöglich sei: „Die Katholiken und andere Missionen würden auf uns mit Fingern hinweisen, wenn jetzt ein Missionar einen Polygamisten taufen würde.“28 Der Katechumenat galt als eine Prüfungszeit und lässt sich als ein Schwellenzustand begreifen,29 in dem die Katechumenen mit dem für sie neuen christlichen Wissen und ihrem neuen Status als Christen vertraut gemacht wurden und in dem sie in die Werte der christlichen Gemeinschaft eingeführt wurden.30 In dieser Zeit hatten die Katechumenen bereits eine Beziehung zur christlichen Gemeinde aufgenommen, standen aber unter der besonderen Beobachtung des Missionars. Mit der Aufnahme eines Taufewerbers beziehungsweise einer Taufewerberin in den Katechumenat mussten deshalb neben dem Missionar auch die Gemeindeältesten – sofern diese schon zur 25 26 27 28 29 30
Protokoll der Chagga-Konferenz, Dezember 1903, 197–198, ALMW II.32.95. Raum, Über angebliche Götzen. Für diesen Hinweis danke ich Prof. Adam Jones. Siehe dazu auch Kap. 2 dieser Studie. Protokoll der Chagga-Konferenz, Dezember 1903, 197 (Redebeitrag Müller), 200 (Redebeitrag v. Schwartz), ALMW II.32.95. Protokoll der Chagga-Konferenz, Dezember 1903, 209, ALMW II.32.95. Victor W Turner, Das Ritual. Struktur und Antistruktur, Frankfurt a. M. / New York 2005 [1969], 94–105. Ebd., 102.
4.1 Taufe als designtes Ritual
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Verfügung standen – einverstanden sein. Die Einbeziehung der Gemeindevertreter rekurrierte auf das Prinzip der Volkschristianisierung, das sich auch in der Aufnahme der Taufewerber widerspiegeln sollte. Die Aufnahme in den Katechumenat sollte deswegen am nächstfolgenden Sonntag in der Gemeinde verkündet und der Taufbewerber in das Katechumenenbuch eingetragen werden. Offizieller Charakter und Öffentlichkeit sollten die Verbindlichkeit dieses ersten Schrittes erhöhen.31 Gleichzeitig markierte diese Eintragung den Beginn des Schwellenzustandes, bedeutete doch die öffentliche Bekanntmachung des Eintritts in den Katechumenat im Missionsgebiet in der Vorstellung der Missionare eine unbedingte Trennung vom „Heidentum“. Während des Katechumenats wurden die Taufewerber in einem speziellen Unterricht in mehreren Monaten auf die Taufe vorbereitet. Der Unterricht, der einen „kirchlichen Charakter“32 annehmen sollte und der circa drei Stunden pro Woche erteilt wurde, sollte den Katechumenen ein „Verständnis dessen, was zur Seligkeit notwendig zu wissen ist“33 vermitteln und so auf die Taufe vorbereiten. Dazu gehörte auch die Einübung einer christlichen Frömmigkeits- und Ritualpraxis. Im Vordergrund stand jedoch zunächst das kanonisierte christliche Wissen, namentlich Inhalte der Bibel und konfessionelle Standpunkte. Als „Minimum“ wurde deswegen ein Kanon festgelegt, der den Schwerpunkten der Heidenpredigt entsprach.34 Biblische Geschichte und insbesondere das Wirken Jesu standen auch im Katechumenenunterricht im Vordergrund und sollten – auch im Hinblick auf ein besseres Verständnis des Reich Gottes und der Heilsgeschichte – um die wichtigsten Geschichten aus dem Alten Testament und einige konfessionell geprägte Gebete und Lieder ergänzt werden. Die Festlegung eines solchen inhaltlichen Mindeststandards, wie ihn die Katechumenatsordnung umfasste, galt als so unumstritten, dass sogar mehrfach 31 32 33 34
Missionar Müller rechtfertigte dieses Verfahren mit dem Verweis auf Warneck. Protokoll der Chagga-Konferenz, Dezember 1903, 195, ALMW II.32.95. Katechumenatsordnung, § 11, ALMW II.32.61. Ebd., § 16. „Der Unterricht hat zum Ziel die Bekanntschaft mit den Haupttathsachen der Heilsgeschichte, das Verständnis und die Einprägung der vier ersten Hauptstücke ohne Luthers Erklärung und einer Anzahl Kernsprüche. Sehr wünschenswert ist es auch den Katechumenen Luthers Morgen- und Abendsegen und ein Tischgebet einzuprägen. Ferner ist darauf Bedacht zu nehmen, daß sie Lieder in ihrer Muttersprache auswendig singen lernen. Von biblischer Geschichte sind folgende durchzunehmen: Schöpfung, Sündenfall, das Charakteristische aus Abrahams, Moses, Davids und Elias Geschichte, Verkündigung und Geburt Jesu, der zwölfjährige Jesus, Johannes der Täufer in der Wüste, einige Gleichnisse, eine Krankenheilung, eine Auferweckung, ein anderes Wunder etwa die Speisung der fünfhundert, das Bedeutsamste der Passionsgeschichte, Auferstehung, Himmelfahrt, Pfingsten. In der letzten Zeit vor der Taufe ist den Katechumen die Taufagenda gründlich zu erklären, soweit es für eine verständnisvolle Feier nötig ist.“ Katechumenatsordnung, § 10, ALMW II.32.61. Dies war durchaus üblich, wobei die Leipziger Bestimmungen kaum von denen anderer Missionen abwichen. Protokoll der Chagga-Konferenz, Dezember 1903, 211. ALMW II.32.95. Warneck empfahl in seiner Missionslehre mit dem Verweis auf die Taufpraxis in der Alten Kirche deutlich mehr, führte aber als Pflichtkanon auch die hier angegebenen Geschichten an. Vgl. Warneck, Evangelische Missionslehre III,2, 257. Siehe dazu auch Kap. 3 dieser Studie.
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angeregt wurde, ein „Katechumenenbuch“ als Unterrichtsmittel zu verfassen, in dem die relevanten biblischen Geschichten sowie einige Lieder und Gebete zusammengestellt seien, denn: Es werde „noch immer viel zu viel dogmatisiert.“35 Ein solches „Katechumenenbüchlein“ wurde dementsprechend auch vom Leipziger Missionsdirektor für das afrikanische Missionsgebiet vorgeschlagen, kam aber wohl lange Zeit wegen der unterschiedlichen Sprachen nicht zustande.36 Im Unterschied zur sogenannten „Heidenpredigt“ umfasste der Unterricht im Katechumenat zusätzlich eine Unterweisung im Katechismus. Eine gesonderte Bestimmung sah vor, dass diese zwar von „Gehilfen“ erteilt werden könnte – Missionare hätten dies „aufs Sorgfältigste zu überwachen“37 –, die Erläuterung des Katechismus aber, insbesondere des vierten Stücks des lutherischen Katechismus, des Abschnittes über die Taufe, sollte nur durch Missionare erfolgen. Hier wurden die einzelnen liturgischen Handlungen während des Vollzugs der Taufe behandelt und die Täuflinge auf die Besonderheiten des Taufgottesdienstes und der vorausgehenden Prüfung vorbereitet.38 Diese Prüfung – „wie es in der Heimat bei Konfirmationen meistens üblich“ sei –39 sollte zunächst mehr als eine „Dokumentation dessen, was die Katechumenen wirklich wissen“, verstanden werden denn als eine über die Zulassung zur Taufe entscheidende Prüfung. Das Leipziger Missionskollegium wies die Missionare später zu einer strikteren Handhabung der Prüfung an.40 In der zeitgenössischen Theologie gab es einen Konsens darüber, dass das Ritual der Taufe nur dann seine Wirkung entfalten konnte, wenn der Täufling wahrhaft glaubte und sich freiwillig und aus eigenem Antrieb zu diesem Schritt entschlossen hatte.41
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Protokoll über die Verhandlungen der Neunten kontinentalen Missionskonferenz zu Bremen am 9., 10. und 12. Mai 1893, Gütersloh 1893, 28. Vgl. Protokoll der Chagga-Konferenz, Dezember 1903, 211, ALMW II.32.95. Katechumenatsordnung, § 9, ALMW II.32.61. So wird von Althaus immer wieder darauf hingewiesen, dass einzelne Handlungen im Vorfeld mit den Täuflingen zu besprechen seien. Vgl. Protokoll der Chagga-Konferenz, Dezember 1897, Beilage: Gerhard Althaus, Entwurf der Ordnung einer Heidentaufe, 3, ALMW II.32.92. Einzelne Erklärungen wurden dann wohl auch noch in dem Gottesdienst selbst gegeben. Vgl. ebd. sowie in den dazugehörigen Bemerkungen von Missionar Richard Handmann (Protokoll der Chagga-Konferenz, Dezember 1897, Beilage: Richard Handmann, Einige Bemerkungen zu der Vorlage unserer l. Brüder in Afrika über die Heidentaufe, 5, ALMW II.32.92). Vgl. dazu auch Adolphi, Am Fuße der Bergriesen, S. 68. Protokoll der Chagga-Konferenz Dezember 1903, Beilage: Gerhard Althaus, Katechumenatsordnung der Dschagga-Mission, 28, ALMW II.32.95. In der genehmigten Fassung der Katechumenatsordnung, abweichend vom Vorschlag Althaus zu derselben, heißt es: „Die Prüfung [hier ohne Anführungszeichen, K. W.] hat der Missionar, welcher den Katechumenunterricht erteilt bzw. geleitet hat, als eine öffentliche Darlegung dessen, was die Katechumenen wirklich gelernt haben, abzuhalten.“ Katechumenatsordnung, § 19, ALMW II.32.61. Vgl. zur Diskussion um die Bedeutung der Taufe im Luthertum Juha Pihkala, Gnadenmittel oder Gnadenangebot? Auslegungsgeschichte des Passus per baptissimum offeratur gratia Dei im Taufartikel der Confessio Augustana im Zeitraum von 1530–1930, Münster 2003, 265.
4.1 Taufe als designtes Ritual
263
Das Lossagen von einem anderen Glauben und den damit verbundenen Praktiken war Voraussetzung für den Erfolg des auszuführenden Rituals und Teil desselben.42 Vor der Zulassung zur Taufe am Ende des Katechumenats sollten die Missionare deswegen erneut die Glaubwürdigkeit und Bereitschaft des Täuflings prüfen. Zuallererst wurde der Täufling selbst über sein Taufverlangen befragt;43 anschließend sollte eine erneute Überprüfung des Katechumenen durch Missionare und Gemeinde erfolgen. In der Bestimmung hieß es dazu: „Die Aufrichtigkeit des Katechumenen ist insonderheit daran zu erkennen, daß derselbe sich von sich vom Geisterdienst und allem was damit in Verbindung steht, von abergläubischen Gebräuchen sowie allen sonstigen groben heidnischen Sünden ferngehalten, dagegen Gotteswort fleißig gehört und gelernt hat.“44
Der in diesen Bestimmungen enthaltene Spielraum sollte dadurch begrenzt werden, dass sich die Missionare auf einer Station über die Zulassung zur Taufe und deren Durchführung einig sein und auch die Gemeindeältesten zumindest angehört werden mussten.45 Nicht eindeutig geregelt wurde dagegen eine definite Dauer des Unterrichts: Mit Verweis auf die Ordnung der Berliner Missionsgesellschaft scheuten sich die Missionare festzulegen, über wie viele Monate sich der Unterricht im Katechumenat erstrecken sollte.46 Man einigte sich lediglich darauf, dass er ein halbes Jahr nicht unterschreiten sollte. Dass ein Katechumene allerdings auch nach dieser Unterrichtszeit – aus welchen Gründen auch immer – zurückgestellt wurde, war kein Einzelfall und wurde zumeist mit einem „Mangel an Verständnis“ begründet, den es im weiteren Unterricht auszugleichen gelte.47 Die Entstehung und Festschreibung der Ordnung des Katechumenats beschreiben nicht nur den Versuch, eindeutige Grenzziehungen im Sinne des Christianity Making vorzunehmen. Die Aufrichtigkeit ihres Glaubens sollten die Katechumenen durch einen beständigen, sittlichen Lebenswandel und durch eine Verinnerlichung des religiösen Wissens vom Christentum zu verschiedenen Zeitpunkten im Zuge des Katechumenats beweisen. In der Gestaltung der Taufe und insbesondere in ihrer Regu42 43 44 45 46 47
Paul Althaus, Die historischen und dogmatischen Grundlagen der Lutherischen Taufliturgie. Vortrag gehalten auf der 50. lutherischen Pfingstkonferenz zu Hannover am Donnerstag, 16. Juni 1892, Hannover 1893, 57–58, 66. Vgl. Katechumenatsordnung, § 14, ALMW II.32.61. Ebd., § 16. Vgl. Protokoll der Chagga-Konferenz, Dezember 1897, Beilage: Gerhard Althaus, Entwurf der Ordnung einer Heidentaufe, 8, ALMW II.32.92. Protokoll der Chagga-Konferenz, Dezember 1903, 16, ALMW II.32.95 [Die Seitenzählung begann aufgrund eines Protokollantenwechsels neu, K. W.]. Hierüber sollte der Katechumene durchaus selbst mitentscheiden. Die Missionare befürchteten offenbar, dass dies die Katechumenen in ihrer Ehre verletzen könnte, und versuchten daher, „zu erstreben, daß er [der Katechumene, K. W.] selbst eine Verlängerung des Unterrichts als wünschenswert ansieht.“ Katechumenatsordnung, § 17, ALMW II.32.61.
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lierung und Vereinheitlichung hatten die Missionare auf die Vorgänge im Leipziger Missionshaus, auf die Praxis im indischen Missionsfeld der Leipziger Mission und auf Bestimmungen anderer Missionen wie beispielsweise der Berliner Mission Rücksicht zu nehmen oder sich zumindest diesen gegenüber zu positionieren. Wie stark gerade der Einfluss der indischen Missionspraxis auf die Ordnungen in der Chaggamission war, zeigt sich besonders deutlich an der Katechumenatsordnung. Missionare nahmen an Debatten in Theologie und Missionswissenschaft in Europa teil und berücksichtigten sie in der Gestaltung des Taufprozesses ebenso wie konfessionelle Standpunkte. Gleichzeitig offenbaren diese Festlegungen und Bestimmungen aber auch die Machtlosigkeit der Missionare, diese Grenzziehungen eindeutig durchzusetzen. Obwohl die Ordnungen eigentlich einer definiten Festschreibung und eindeutigen Bestimmung dienen sollten, kam es bei der Erstellung der Ordnung bereits bei verschiedenen kritischen Fragen eher zu einer Vertagung, zu einem Verweis in die Verantwortung des Einzelnen oder zu Formulierungen, die Missionaren und Katechumenen einen größeren Spielraum in ihrer Auslegung der Bestimmungen ermöglichten. Nicht zuletzt verweist dies auf teilweise weitreichende Differenzen zwischen den Missionaren in der Frage, was mit dem Christentum vereinbar war und was nicht. 4.1.2 Taufgottesdienste Der Taufgottesdienst bildete den Höhepunkt der rituellen Abfolge. Dessen Gestaltung war Teil eines umfassenden Ritualdesigns auf der Grundlage der Bestimmungen der bayrischen Agende zur Erwachsenentaufe, die nun an lokale Kontexte und Verstehenszusammenhänge angepasst wurden. Im Missionskontext musste ein Taufgottesdienst nämlich nicht nur der eigentlichen Initiation in die christliche Gemeinde dienen, sondern zusätzlich leisten, ein Verständnis von der Taufe und dem rituellen Ablauf für die nichtchristlichen Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu schaffen.48 Nicht selten fungierten die feierlich gestalteten Taufen geradezu als Werbeveranstaltung und zogen zahlreiche neue Taufewerber nach sich.49 48
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Die Frage, ob „Heiden“ bei der Taufe anwesend sein sollten, wurde 1903 kontrovers diskutiert, aber letztlich positiv entschieden. So hatte u. a. Missionar Gutmann darauf aufmerksam gemacht, dass die Taufe ein Bekenntnisakt sei, den vor möglichst Vielen abzuleisten, im Sinne der Katechumenen und der Mission sei. Protokoll der Chagga-Konferenz, Dezember 1903, 19, ALMW II.32.95. Vgl. Protokoll der Chagga-Konferenz, Februar 1911, Beilage: Thiele, Erziehung unserer Christen zu wirklicher Missionsarbeit unter ihren heidnischen Volksgenossen, ALMW II.32.99. Die bayrische Agende lehnte eigentlich „jedes Gepränge“ bei der Erwachsenentaufe ab. Dies galt in der Mission nicht. Hanns Kerner u a (Hg ), Die Reform des Gottesdienstes in Bayern im 19. Jahrhundert – Quellenedition. Bd. 4: Entwürfe der Gottesdienstordnung und der Agende 1864–1879, Stuttgart 1998, 250. Dagegen schon: Wilhelm Löhe, Gesammelte Werke. Bd. 7,1: Die Kirche in der Anbetung. 1. Teilband: Agende für christliche Gemeinden des lutherischen Bekenntnisses. Hg. im Auftrage der Gesellschaft für Innere und Äußere Mission im Sinne der lutherischen Kirche e. V. von Klaus
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Einfluss auf die Erstellung der „Ordnung bei einer Heidentaufe“ nahmen außerdem der konfessionelle Standpunkt der Mission und Debatten um die Taufe, wie sie in den verschiedenen lutherischen Landeskirchen um Agenden- und Gesangbuchreformen kreisten. So sollte beispielsweise in der Taufrede auf die biblische Begründung der Taufe eingegangen und damit einer Empfehlung der Liturgik gefolgt werden, die dem Taufefehl und den Einsetzungsworten seit den 1850er Jahren immer größeres Gewicht zuschrieb, um der Marginalisierung der Taufe unter den deutschen Christen entgegenzuwirken.50 Wichtiges Kriterium bei der Entscheidung über den Ritualablauf war dessen Eindeutigkeit. Bereits 1893 hatte Paul Althaus auf der hannoverschen Pfingstkonferenz festgestellt, dass mit Philipp Jacob Spener von jedem „Kultusakt“, so auch von der Taufe, gefordert werden müsse, „daß er ein wahrhaftiger, unzweideutiger, natürlicher und verständlicher Ausdruck“ des „wahren Glaubens“ sei, weil die einzelnen Elemente und Handlungen „dogmatische Wahrheiten“ zum Ausdruck brächten.51 Im Hinblick darauf erschien Missionar Gerhard Althaus in seinem Entwurf der Ordnung das in der Agende vorgesehene Schlagen des Kreuzeszeichens über dem Täufling als problematisch. Dieses kündigte gemäß der lutherischen Vorstellung einerseits dessen baldige Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der Christen an, sollte aber andererseits auch die völlige Überantwortung des Täuflings an Christus symbolisieren und diesen daran erinnern, „unter dem Banner des Kreuzes tapfer zu kämpfen wider Teufel, Welt und eigens Fleisch als ein treuer Knecht und Streiter Jesu Christi“.52 „Dem sich anschließenden Gebet geht in der Agende das Schlagen des Kreuzes über dem Täufling voraus. Nun bin ich mit allen derartigen Ceremonien hier in der Heidenwelt sehr ängstlich, da dieselben so unendlich leicht als eine Art Zauber aufgefaßt werden, wie das sich bekreuzigen und Knien aller jemals mit den Katholiken in Kilema irgendwie in Verbindung gestandenen beweist – es ist mir jedesmal ein Schlag ins Gesicht, wenn ich einen Menschen in unseren Unterrichtsraum kommen und jene Ceremonie womöglich unter Lachen verrichtet sehe. Deshalb würde ich eine derartige täglich wiederholte Ceremonie durchaus vermeiden. Aber die einmalige Anwendung bei der Heiligen Taufe halte ich doch für ungefährlich und möchte aber ihres schönen Sinnes wegen, den man natürlich – wenigstens den Täuflingen – vorher auseinandersetzen müßte, für dieselbe sprechen, zumal da z. B. unsere Knaben sie bereits bei der Taufe unseres seligen Töchterleins gesehen haben.“
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Ganzert, Neuendettelsau 1953, 398. Vgl. dazu auch die Anweisungen Zahns in Zahn, Taufordnung, 368. Protokoll der Chagga-Konferenz, Dezember 1897, Beilage: Gerhard Althaus, Entwurf der Ordnung einer Heidentaufe, 2, ALMW II.32.92. Althaus, Grundlagen der Lutherischen Taufliturgie, 9. Vgl. auch Udo Schnelle, Taufe. Neues Testament, in: TRE 22 (2001), S. 663–674, 672. Althaus, Grundlagen der Lutherischen Taufliturgie, 3. Ebd., 31.
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Als Ausweg schlug Gerhard Althaus deswegen vor, die Worte, die das Ritual begleiteten und vermutlich schon wegen ihrer Länge den Eindruck eines ‚Zaubers‘ bekräftigten,53 zu verkürzen: „Zum Zeichen, dass wir dich dem gekreuzigten Heilande zu eigen übergeben“. Eine solche „doppelte kommunikative Leistung, die klare verbale Bestimmung und zugleich das interpretationsoffene Symbolisieren“54, sollte ein Missverstehen und eine eindeutigere Botschaft sicherstellen.55 Weggelassen werden sollte auch, so der Beschluss der Missionare, der Spruch Mt. 11,25–30, „Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt und lernt von mir“, um ein nicht zuletzt durch mangelnde Sprachkenntnisse der Missionare leicht aufkommendes Missverständnis bei den Zuhörern zu vermeiden.56 Die in der Stelle eigentlich vorgenommene Taufverheißung musste also bereits in der ersten Lectio stattfinden und wurde vermutlich zumeist auf Mt. 28,19 f. zurückgeführt, was liturgisch durch das Kreuzzeichen noch einmal unterstrichen wurde. Mit der Einfügung des zweiten Taufgebet Luthers wurde um die Anwesenheit Gottes gebeten. Nach zeitgenössischer lutherischer Vorstellung spendete Gott selbst das Sakrament der Taufe aufgrund seiner Barmherzigkeit. Die Anwesenheit Gottes bei dem Ritual war also für den Vollzug desselben nach Auffassung der Missionare absolut notwendig.57 Entscheidender Bestandteil des Rituals waren die Tauffragen, mit deren positiver Beantwortung der Täufling sich dezidiert von seinem alten Glauben lossagen und den neuen annehmen sollte. Die erste Tauffrage „Entsagest du dem Teufel? Und allen seinen Werken? Und allem seinem Wesen?“58 wurde in der Mission als Absage an den „Geisterdienst und abergläubischen Gebräuchen“ interpretiert, wie sie ja auch im Ka-
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„Nimm hin das Zeichen des heiligen Kreuzes, beides an der Stirn und an der Brust. Laßt uns beten: O allmächtiger, ewiger Gott, Vater unseres HErrn Jesu Christi, wir rufen Dich an über diesen Deinen Diener (diese Deine Dienerin), der (die) um die Gabe deiner Taufe bittet und Deine ewige Gnade durch die geistliche Wiedergeburt begehrt. Nimm ihn (sie) auf, HErr, und wie Du gesagt hast: Bittet, so werdet ihr nehmen, suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgethan (Mt. 7,7): so reiche nun das Gut dem, der (die) da bittet, und öffne die Thür dem, der (die) da anklopft. [vgl. Mt. 7,8], daß er (sie) den Segen des himmlischen Bades erlange und das verheißene ewige Reich empfange, durch Jesum Christum unsern HErrn, Amen.“ Kerner (Hg.), Reform des Gottesdienstes, S. 251. Christine Grethlein, Taufpraxis zwischen Kontinuität und Wandel. Herausforderungen und Chancen, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche 102 (2005), S. 371–396. In der sonstigen Missionsarbeit wurde das Kreuzzeichen dieser Bedenken wegen ganz weggelassen, um sich von der katholischen Mission abzugrenzen. Protokoll der Chagga-Konferenz, Dezember 1897, ALMW II.32.92. Vgl. dazu auch Warneck, Evangelische Missionslehre III.2, 272 f. Zur Begründung des Gebetes hieß es nur: „Daß die lutherische Kirche bei ihrer Auffassung von der Taufe als einer göttlichen That diese heilige Handhabung nicht wohl vornehmen kann, ohne zuvorige Anrufung Gottes um seine wirksame Anwesenheit leuchtet ein.“ Althaus, Grundlagen der Lutherischen Taufliturgie, 34. Das zweite Taufgebet Luthers aus seiner Taufagende von 1523 galt um 1890 auch als das lutherische Gebet schlechthin. Ebd., 42. Vermutlich handelte es sich dabei um das sogenannte „Sintflutgebet“. Kerner (Hg.), Reform des Gottesdienstes, 250–253.
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techumenat schon mehrfach zu leisten war. Obwohl der Begriff des Teufels einigen Missionaren als zu abstrakt galt – sie waren in ihren ethnographischen Forschungen auf keine Analogie gestoßen – wurde dessen explizite Nennung in der Entsagungsformel des Gelübdes beibehalten; die Formel sollte nämlich auch als eine Absage an den Islam verstanden werden, der im Gebiet der Leipziger Mission immer stärker als Bedrohung wahrgenommen wurde.59 Nach der Agende war vorgesehen, im Anschluss an die zweite Tauffrage „Glaubst du?“ das apostolische Glaubensbekenntnis in seinen drei Teilen vom Geistlichen in Fragen zu formulieren, sodass die Täuflinge diese nur zu bejahen hatten. „Sowohl in Bezug auf die Täuflinge als auch auf die Zuhörer“ erschien es den Missionaren aber „ungleich wirkungsvoller […], wenn jene ihren Glauben selbst bekennen“.60 Das Glaubensbekenntnis wurde dann schließlich als Erweiterung auf die Frage „Glaubst du“, die an sich nicht umgangen werden konnte, von allen Täuflingen gemeinsam und zusammen mit dem Missionar gesprochen. Als Einwand gegen ein individuelles Glaubensbekenntnis hieß es nur: „bei vielen kann es auch störend werden.“61 Diese Inszenierung des Glaubensbekenntnisses war nicht nur als ein feierliches Bekenntnis der Täuflinge, die damit ihre Zugehörigkeit zur christlichen Kirche bekannten, zu verstehen, sondern positionierte die Mission auch in den im Kaiserreich immer wieder aufflammenden Kontroversen um das Glaubensbekenntnis. Die Frage, wie mit dem Apostolikum umzugehen sei, galt zeitgenössisch als „Zukunftsfrage“.62 Sogenannte „Apostolikumsstreitigkeiten“ waren unter Anteilnahme von Vertretern verschiedener theologischer Positionen und unterschiedlicher evangelischer Landeskirchen – mit je eigenem liturgischen Gebrauch des Apostolikums63 – vor allem in Preußen eskaliert. Sie bezogen sich vornehmlich auf die sogenannten „Heilsthatsachen“, wobei insbesondere am Ende des 19. Jahrhunderts der Satz „empfangen vom Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria“ zu Auseinandersetzungen führte. Die Streitigkeiten zwischen den verschiedenen theologischen Richtungen kulminierten in sogenannten „Fällen“, in denen kirchlich-liberale Pastoren, die sich weigerten, ein Bekenntnis zu sprechen, das ihrer persönlichen Glaubensüberzeugung und einem modernen Wissenschafts59 60 61 62 63
Zum Begriff des Teufels in der Mission einschlägig Meyer, Translating the Devil. Zum Islam siehe Kap. 2.4 dieser Studie. Protokoll der Chagga-Konferenz, Dezember 1897, Beilage: Gerhard Althaus, Entwurf der Ordnung einer Heidentaufe, 4, ALMW II.32.92. Dieser Vorschlag Althaus’ wurde auch von den anderen Missionaren explizit begrüßt. Protokoll der Chagga-Konferenz, Dezember 1897. Protokoll der Chagga-Konferenz, Dezember 1897, Beilage: Richard Handmann, Einige Bemerkungen zu der Vorlage unserer l. Brüder in Afrika über die Heidentaufe, 5, ALMW II.32.92 [Hervorhebung i. O., K. W.]. Hermann von Soden, Die Bedeutung der Apostolikumsfrage für unsere Landeskirche, Berlin 1912, 3. Während in Preußen das Apostolikum fester Bestandteil der Liturgie jedes Sonntagsgottesdienstes war und bereits dadurch den Charakter einer „verbindlichen Lehr- und Glaubensnorm“ erhielt, wurde das Apostolikum in der Sächsischen Landeskirche nur während der Taufliturgie gesprochen. Winnebeck, Apostolikumsstreitigkeiten, 18–19.
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verständnis widerspräche, ihres Amtes enthoben wurden.64 Berühmtester Fall, der sogenannte „Fall Harnack“, hatte seinen Auslöser einerseits in der Berufung Adolf von Harnacks auf einen Lehrstuhl in Berlin gegen den Widerstand der Kirchenbehörden,65 andererseits in der Parteinahme von Harnacks für den Pastoren Schrempf, als dieser sich geweigert hatte, das Apostolische Glaubensbekenntnis beim Vollzug einer Taufe zu sprechen.66 Die Eisenacher Erklärung, die maßgeblich zur Institutionalisierung der „Freunde der christlichen Welt“, einer Gruppe um die Zeitschrift Christliche Welt, die diese theologische Richtung am meisten vertrat, beitrug, rief dementsprechend eine immense publizistische Debatte auf den Plan, in deren Verlauf das Apostolische Glaubensbekenntnis zum Symbol kirchlich-konservativer Kirchentheologie wurde. Die Allgemeine evangelisch-lutherische Kirchenzeitung reagierte auf die Eisenacher Erklärung und sprach solchen „modernen“ Theologen daraufhin sogar ab, wahrhaft evangelische Christen zu sein: „Schließen wir uns dann dem: ‚ein evangelischer Christ ist jeder, der im Leben und Sterben sein Vertrauen allein auf seinem Herrn Jesum Christum setzt‘ völlig an, so müssen wir doch fragen: wie kann ich das aber, wenn ich nicht im Sinne von Schrift und Bekenntnis Christum als den Gottessohn erfasse und glaube?“67
Eine Infragestellung der übernatürlichen Geburt Jesu hätte demnach nicht nur Auswirkungen auf die gesamte liturgische Gestaltung der Taufe, sondern brächte auch Religionsunterricht, Gebets- und Liederschatz völlig durcheinander. Kurzum, den tri-
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Ebd., 21. Der kirchlich-konservativ besetzte Evangelische Oberkirchenrat hatte die Berufung von Harnacks nach Berlin 1888 mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu verhindern gesucht, war aber nicht zuletzt am politischen Willen, den damals schon berühmten von Harnack nach Berlin zu versetzen, gescheitert. Der Rat versuchte daraufhin zumindest den kirchlichen Einfluss von Harnacks zu beschneiden. Ebd., 195, insb. Anm. 27. Adolf von Harnack, Das Apostolische Glaubensbekenntnis. Ein geschichtlicher Bericht nebst Nachwort, Berlin 1892. Die Stellungnahme, die auf Anregung von Studenten zustande kam, plädierte zunächst für eine Überprüfung des Gebrauchs des Apostolikums in der kirchlichen Praxis, wie sie Harnack nach dem Fall Schrempf gegeben erschien. Diese eigentlich vermittelnde Position wurde jedoch von den Kritikern als Aufruf zur Abschaffung des Apostolikums verstanden. Winnebeck, Apostolikumsstreitigkeiten, 243–44. Vgl. dazu auch Claus-Dieter Osthövener, Bekenntniskritik im Namen des Evangeliums – am Beispiel des Apostolikumsstreits, in: Peter Gemeinhardt / Bernd Oberdorfer (Hg.), Gebundene Freiheit? Bekenntnisbildung und theologische Lehre im Luthertum, Gütersloh 2008, S. 184–204. Basse, Dogmengeschichtliche Konzeptionen. Der Fall Schrempf wird zudem ausführlich analysiert von Winnebeck, Apostolikumsstreitigkeiten, 199–238. Zu Schrempf und dessen theologischer Position: Andreas Rössler, Christoph Schrempf (1860–1944). Württembergischer Theologe, Kirchenrebell und Religionsphilosoph. Ein Leben in unerbittlicher Wahrhaftigkeit, Stuttgart 2010. Der Streit um das Apostolikum. Aus Sachsen, in: Allgemeine Evangelisch-Lutherische Kirchenzeitung 25 (1892), S. 1066–1067, 1066. Das Apostolikum blieb bis zum Ersten Weltkrieg ein wichtiger Topos in der Allgemeinen evangelisch-lutherischen Kirchenzeitung. Rieske-Braun, Zwei-Bereiche-Lehre, 335.
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nitarischen Charakter des Christentums könne man nicht umdeuten.68 Die Aufmerksamkeit einer breiten, eigentlich sich aus theologischen Spezialfragen raushaltenden religiösen Öffentlichkeit war im Fall des Apostolikums besonders groß, handelte es sich doch bei dem verhandelten Gegenstand um etwas, das jedem Gemeindemitglied ein Begriff war.69 Wie sehr das Missionsnetzwerk insgesamt in diesen Streit verwickelt war, zeigt nicht nur die an diesen Streit anknüpfende Debatte zwischen Troeltsch und Warneck um den richtigen Charakter von Mission,70 sondern auch, dass selbst die Missionare im Missionsgebiet sich mit dem Streit intensiv auseinandersetzten. Bereits der erste theologische Lehrer am Missionsseminar, der in Rostock Praktische Theologie lehrende Friedrich Wilhelm Hashagen, hatte sich mit der Bekenntnisfrage und der Verpflichtung zum Bekenntnis der offiziellen Amtsträger der Kirche intensiv auseinandergesetzt. In seinen Reflexionen zu seiner Kandidaten- und Hauslehrerzeit widmete er der Frage mehrere Seiten, auf denen er die Verpflichtung auf das Bekenntnis und auch die Tauffragen intensiv diskutierte.71 1895 erschien sogar im Missionsblatt eine Erklärung des in Indien stationierten Missionars Göttsching. Diese, vermutlich als öffentliche Entschuldigung gedachte Erklärung wegen eines Missverständnisses über die Haltung zum Bekenntnis, betonte vor der Missionsöffentlichkeit die feste Haltung der Leipziger Missionsgesellschaft, indem er feststellte, „daß die Bekenntnisstellung der Leiter unserer Mission nach wie vor dieselbe ist, das Bekenntnis nämlich zu dem irrtumslosen Worte Gottes und zu den lutherischen Bekenntnisschriften,“ zu denen auch das Apostolikum gehörte. Göttsching wünschte sich schließlich, dass „wir auf Grund des unverbrüchlichen Worte Gottes und unserer guten Bekenntnisse vereint mit neuer Freudigkeit in unserer teuern Mission arbeiten mögen.“72 Indem das Apostolikum also in seiner vollen Länge zum expliziten Teil des Rituals der Taufe wurde, unterstrichen die Missionare diese theologische Interpretation und wollten auch die neuen Gemeindemitglieder auf diese einschwören. Hatte der Täufling das gemeinsame Bekenntnis mitgesprochen und auch die dritte Frage „Willst du getauft sein“ positiv beantwortet, schloss sich daran die Frage nach dem zukünftigen Namen des Täuflings an, der in besonderer Form die kirchliche Tradition und den neuen Lebensstand des Täuflings symbolisieren sowie ein öffentliches 68
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Die Erklärung von Eisenach und Ad. Harnack’s Broschüre, in: Allgemeine Evangelisch-Lutherische Kirchenzeitung 25 (1892), S. 1011–1013. Die öffentliche Erklärung des Symbols und die Bekenntnisverpflichtung war ein wesentlicher Teil der Erlanger kirchenpolitischen Positionen. Siehe dazu Hein, Lutherisches Bekenntnis, 54–59, mit Rekurs auf die theologische Dissertation Höflings. Winnebeck, Apostolikumsstreitigkeiten, 22, sieht in den Apostolikumsstreitigkeiten alle „zentralen theologischen und kirchenpolitischen Streitfragen des 19. und 20. Jahrhunderts“ konzentriert, wurde doch die Debatte um das Apostolikum nicht nur, wie oben angedeutet, zu einer Lehrfrage, sondern auch zu einer Frage nach dem Wesen der Kirche und ihrer Verfassung. Dies , Apostolikumsstreitigkeiten, 245. Vgl. dazu Kap. 2 dieser Studie. Friedrich Hashagen, Aus der Kandidaten- und Hauslehrerzeit eines alten Pastors, Wismar 1910. Erklärung des Missionars Göttisching, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1895), S. 35.
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Bekenntnis zum Christentum darstellen sollte.73 Die Frage, welche Namen als Taufnamen infrage kämen, blieb nicht unbeleuchtet. Die Missionare, allen voran Missionar Althaus, einigten sich schließlich darauf, solche Namen zu bevorzugen, die aus Chaggaworten zusammengesetzt und mit christlicher Bedeutung aufgeladen waren, z. B. „Ndekiro“ – „ich bin gerettet worden“; auch die so mühsam übersetzten biblischen Namen durften gewählt werden, wobei die „salbungstriefendsten“ aus Sicht des Missionars Müller eher abzulehnen seien.74 Althaus führte gegen die biblischen Namen sogar ins Feld: „Es erscheint mir stets als eine Profanisierung, wenn solch ein neugetaufter Bursche, der von einem christlichen Charakter gewöhnlich noch himmelweit entfernt ist, mit einem Namen wie Jesaia, Paulus, Johannes etc., benannt wird. Bei uns sind derartige Namen freilich auch im Gebrauch, doch denkt wohl kaum jemand z. B. bei Paul an Paulus oder bei Peter an Petrus; hier ist das aber etwas anderes.“75
Der eigentliche Taufakt sollte der lutherischen Sitte entsprechend als aspersio und nicht als „immersio wie bei den Engländern“ vollzogen werden,76 wobei das dazu nötige Taufecken häufig aus Deutschland von Missionsvereinen gespendet wurde.77 Der Täufling sollte dabei knien und vom Missionar mit „je drei reichlichen Händen Wasser nass gemacht“ werden.78 Die Missionsleitung, insbesondere der für das afrikanische Missionsgebiet zuständige Inspektor Richard Handmann, der auf diese Durchführung besonders bestanden hatte, folgte damit der lutherischen Kirchenpraxis, die mit dem dreimaligen Begießen symbolisch das Taufen auf den dreieinigen Gott unterstreichen wollte und hier auch erneut auf den Tauf- beziehungsweise Missionsbefehl rekurrier73 74 75
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Protokoll der Chagga-Konferenz, Dezember 1897, Beilage: Richard Handmann, Einige Bemerkungen zu der Vorlage unserer l. Brüder in Afrika über die Heidentaufe, 4, ALMW II.32.92. Protokoll der Chagga-Konferenz, Dezember 1897, ALMW II.32.92. Ebd. Das Taufregister der Station Mamba (Ubatizo wa Watu Wazima. Verzeichnis der Taufen in Mamba, ELCT 23 und 24) zeigt, dass biblische Namen wie Sara, Hana oder Maria durchaus häufiger gewählt wurden und ein höheres Ansehen bei den Chagga genossen. Missionar Gutmann berichtet sogar davon, dass einige Christen eine solche Expertise im Umgang mit dem Namensregister des Alten Testaments erlangt hatten, dass sie als „Fachleute für die Ausbeute“ galten. Er wirkte dann (wohl mit Erfolg) darauf hin, dass nur noch Chagganamen zur Taufe zugelassen wurden, die eigens für diesen Zweck gebildet worden waren und teilweise ganze Sätze darstellten, z. B. „Ndekiro“ – „ich bin gerettet worden“. Bruno Gutmann, Gemeindeaufau aus dem Evangelium. Grundsätzliches für Mission und Heimatkirche, Leipzig 1925, 105 f. Siehe dazu auch die spätere Publikation Georg Fritze, Der neue Name. Das neue Leben der Dschaggachristen im Lichte ihrer Taufnamen, Leipzig 1930. Protokoll der Chagga-Konferenz, Dezember 1897, Beilage: Gerhard Althaus, Entwurf der Ordnung einer Heidentaufe, 6, ALMW II.32.92. Adolphi, Am Fuße der Bergriesen, 80–81. Protokoll der Chagga-Konferenz, Dezember 1897, Beilage: Richard Handmann, Einige Bemerkungen zu der Vorlage unserer l. Brüder in Afrika über die Heidentaufe, 4, ALMW II.32.92. [Hervorhebungen i. O., K. W.]. Rüther betont, dass auch das Nassmachen selbst von den Zuschauern bei der Taufe als Zauber aufgefasst wurde. Vgl. Rüther, The Power Beyond, 98.
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te.79 Das von den Missionaren erstellte Ritual vollzog also nicht nur die Taufe auf das Christentum, sondern die Taufe erfolgte explizit in die lutherische Kirche hinein. Die Taufe war damit eines der wichtigsten Momente, in denen die lutherische Konfession in der Mission ihren Ausdruck fand. Mit einer Ansprache an die Taufzeugen und die Gemeinde, dass sie die Neugetauften als Gemeindemitglieder aufnehmen sollten, sollte schließlich der Überzeugung Rechnung getragen werden, dass Konversion ein lebenslanger Prozess sei. Im Missionskontext ermöglichte diese Denkfigur, weniger hohe Ansprüche an die Lebensführung der Neugetauften zu stellen, wie dies in den noch höheren Anforderungen an die Teilnahme am Abendmahl zum Ausdruck kommt. Entgegen der Praxis anderer Missionsgesellschaften bestand in den Leipziger Missionsgemeinden nämlich die Regel, dass die getauften Christen erst nach einem weiteren Unterricht zum Abendmahl zugelassen wurden. Direktor von Schwartz hatte dazu bereits 1893 mit Verweis auf die apostolische Praxis festgestellt, dass „das heilige Abendmahl eine höhere Stufe geistlicher Reife und christlicher Erkenntnis voraussetzt, als die heilige Taufe.“80 Diese Auffassung wurde sowohl im Missionsgebiet geteilt als auch im Missionsblatt veröffentlicht.81 Gemeindeaufau und Lebensführung der Christen konnten durch diese Bestimmungen auch nach der Taufe weiter kontrolliert werden. Das Taufritual sollte damit auch durch die in ihm angelegte Machtstruktur eine Trennung zwischen Missionaren und sogenannten „Heidenchristen“, wie die getauften Christen im Missionsumfeld genannt wurden, sicherstellen und festschreiben. Wichtigstes Ziel des in den verschiedenen Verhandlungen der Missionare erstellten Ritualablaufs war der gültige, feierliche Vollzug der Taufe. Dafür musste das Ritual erstens agendarischen Vorgaben genügen, zweitens musste aber im Vorfeld und insbesondere während des Rituals die Taufwürdigkeit der Katechumenen sichergestellt
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Althaus, Grundlagen der Lutherischen Taufliturgie, 88. Und zur Bedeutung des Missionsbefehls für die Praxis der Taufe: Theodor Zahn, Kommentar zum Neuen Testament. Bd. 1: Das Evangelium des Matthäus, Leipzig 1903, 714. Protokoll kontinentale Missionskonferenz 1893, 31. Dass eine Zulassung zur Abendmahlsgemeinde erst nach bis zu drei Jahren nach der Taufe erfolgen sollte, schien den anderen Missionsvertretern, die auf der Konferenz anwesend waren, als deutlich zu lang. „Denn es ist doch noch ein großer Unterschied, ob jemand bereit ist, ein Christ zu werden und mit seinen früheren Leben zu brechen, oder ob er reif ist, an den Tisch des Herrn zu treten.“ Rudolph Bleicken, Konferenz der Dschagga-Missionare in Shigatini, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1902), S. 218–224, 222. Die Konferenz im Januar 1902 widmete sich in einem eigenen TOP der Frage nach der Zulassung zum Abendmahl. Ein weiterer Unterricht zur Vorbereitung auf das Abendmahl sollte nicht allzu lange nach der Taufe beginnen. Kinder sollten jedoch frühestens mit 14 Jahren zum Abendmahl zugelassen werden, wie das auch im Kaiserreich nach der Konfirmation der Fall war. Protokoll der Chagga-Konferenz, Januar 1902, ALMW II.32.92. Die Unterschiede in der Handhabung wurden bereits zeitgenössisch reflektiert, z. B. bei Nathusius, Konfirmationspraxis. Warneck wandte sich explizit gegen die Praxis der Leipziger Mission: Gustav Warneck, Evangelische Missionslehre. Ein missionstheoretischer Versuch. Dritte Abteilung: Der Betrieb der Sendung. 3. Das Missionsziel, Gotha 1903, 186–187, insb. die Anm. auf 186.
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werden. Das von den Missionaren erstellte Ritual hing drittens maßgeblich von Annahmen über lokale religiöse Bräuche ab. In die Entscheidungen über die Taufagende flossen dementsprechend Überlegungen zu „Zauber“ oder sprachliche Barrieren ein, die einem Verständnis des Rituals seitens der Täuflinge entgegenstehen konnten. Auch wenn die Taufe nur von den Missionaren vollzogen werden konnte und damit das im Missionsgebiet erstellte Ritual grundsätzliche Machtunterschiede festschrieb, ergaben sich durch diese notwendige Rücksichtnahme auf eventuelle Verständnisprobleme Gestaltungsspielräume für die Chagga und Möglichkeit für Widerstände, die auch durch minutiös in das Ritual hineingeschriebene Prüfungen nicht eliminiert werden konnten und beispielsweise Versprecher, einen Ausbruch aus der vorgegebenen Liturgie oder auch nur als geschmacklos empfundene Kleidung82 umfassen konnten. Je länger das Ritual der Taufe im Missionsgebiet nach der 1897 und 1903 erstellten Ordnung Gebrauch fand, desto mehr wurden aus Sicht der Missionare engere Bestimmungen nötig, die eben diese Gestaltungsspielräume begrenzten. So wurde beispielsweise versucht, die Festbräuche der Chagga zu regulieren und „christlicher“ zu gestalten.83 Im Zusammenhang mit der Taufe etablierte sich schließlich in der Mission sogar ein Festbrauch, der den gemeinschaftsstiftenden Charakter der Taufe betonte und als Taufgedenktag die Erinnerung an die Gnade der Taufe wachhalten sollte.84 Bruno Gutmann rechtfertigte diesen im Hinblick auf die deutschen Verhältnisse folgendermaßen: „Wir entstammen ja einer beklagenswerten Periode kirchlicher Entwicklung, die einen nicht mehr zu unterbietenden Tieffstand in Verachtung und Ignorierung volkstümlicher Sitten und Bräuche aufweist. Aber immer größer und breiter wird jene Bewegung, die volkstümliche Sitten und Bräuche in der Kirche und dem kirchlichen Leben erhalten und neu beleben will, weil sie hier den Weg erkennt, der zurückführt zu einer lebendigen und bodenständigen Volkskirche.“85
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In der indischen Mission schenkte die Leipziger Mission den Täuflingen weiße Taufkleider, die die Unschuld Jesu symbolisieren sollten. Für die afrikanische Mission wurde dies aber aus Kostengründen abgelehnt. Obwohl die Missionare die von den Chagga für die feierliche Taufe gewählte Kleidung in bunten Farben als „geschmacklos“ empfanden, wurde diese nicht verboten – Kleidung, sofern sie nicht eine „Karikatur“ darstelle, sei Teil der Kultur und nicht der Religion. Protokoll der Chagga-Konferenz Dezember 1903, 187–191, ALMW II.32.95. Vgl. auch Rüther, The Power Beyond, 199–213, 314. In dem südafrikanischen Missionsgebiet der Hermannsburger Mission wurde den Täuflingen ebenfalls ein weißes Kleid übergeben. Siehe z. B. Protokoll der Chagga-Konferenz, August 1908, TOP 8: Können alte Festbräuche der Heiden oder Teile davon in die christliche Gemeinde herübergenommen werden und evtl. welche?, ALMW II.32.98. Nachrichten aus Mamba. Aus der Monatschronik der Missionare Althaus und Krause (Nov.– Dez.), in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1901), S. 153–156, 153. Bruno Gutmann, Einwurzelung von Sitte und Brauch in unseren afrikanischen Gemeinden, in: Allgemeine Missionszeitschrift 42 (1915), S. 11–19; 40–47; Fiedler, Christentum und afrikanische Kultur, 43.
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Die Debatten um das Design des Taufrituals wie auch die Einführung eines Taufgedenktages unterstreichen die besondere Bedeutung, die der Taufe im Missionsgebiet als wesentliches Missionsmittel und als Ziel der Missionsarbeit zugeschrieben wurde. Nicht zuletzt deshalb galt die Taufpraxis der Missionen in Missionskreisen und darüber hinaus als wichtiges positives Beispiel für die heimatlichen Kirchen. Zwar behielt die Taufe dort als wichtigstes Ritual zur Geburt ihren Stellenwert trotz der Lockerung des Taufzwanges, bei einer gleichzeitigen Taufe von mehr als 100 Kindern ließ ihre Bedeutung und die kirchliche Bindung des Täuflings jedoch insbesondere in den Städten immer mehr nach – ein Umstand, der von Kirchenvertretern und Theologen gleichermaßen beklagt und als Krisenphänomen gedeutet wurde.86 Zusätzlich stand auch der dogmatische Wert der Taufe, insbesondere derjenige der Kindertaufe infrage.87 Dass unter anderem Martin Kähler vor dem Hintergrund dieser Frage ausgerechnet auf die Taufpraxis der Äußeren Mission verwies, verwundert kaum. Kählers Argumentationsgang entsprach einer Argumentation, die in der Mission Hinweise auf die Anfänge des Christentums suchte und eine Rückbesinnung auf diese Zeit als Lösungsvorschlag für die heimische Kirche forderte – eine Argumentation, die ja auch bei der Konzeption und Legitimation der Missionswissenschaft eine Rolle gespielt hatte.88 Kähler verstand die Taufe als wesentliches Missionsmittel und erteilte damit auch solchen theologischen Forschungen eine Absage, die die Bedeutung des matthäischen Missionsbefehls in Zweifel zogen. Anders als in der deutschen lutherischen Kirche, in der das Abendmahl an Bedeutung gegenüber der Taufe gewonnen habe, ja die Taufe als „überflüssge Cärimonie“89 erscheine, käme in der Mission nämlich die vollständige „Sinnesänderung“90 bei der Taufe zum Tragen: „Der Heidenchrist weiß, daß sich für ihn in der empfangenen Taufe von Christen wegen zusammenfaßt, was er ihm verdankt, die lautere, immer anhebende Gnade“, während „unsere Kinder“ den Wert der Taufe kaum schätzen könnten, die zu einem leeren Brauch verkümmert sei und mit Verachtung gestraft werde. Um diesen „peinlichen Abstand zwi-
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Zu diesem Themenkomplex gibt es zahlreiche Studien. Siehe einführend: Antonius Liedhegener, Religion und Kirchen vor den Herausforderungen der Urbanisierung in Deutschland im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Forschungsstand und Forschungsperspektiven, in: Werner Freitag (Hg.), Die Pfarre in der Stadt. Siedlungskern – Bürgerkirche – Urbanes Zentrum, Köln/Weimar/Wien 2011, S. 175–210; Gerhard Sauter, Die Sorge um den Menschen in der evangelischen Theologie des 19. und 20. Jahrhunderts, in: Kaspar Elm / Hans-Dietrich Loock (Hg.), Seelsorge und Diakonie in Berlin. Beiträge zum Verhältnis von Kirche und Großstadt im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert, Berlin/New York 1990, S. 3–21. Siehe dazu auch Kap. 1 dieser Studie. Otto Scheel, Die Tauflehre in der modernen positiven, lutherischen Dogmatik, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche (1905), S. 441–515, führt die verschiedenen zeitgenössischen Positionen innerhalb der kirchlich-konservativen Lutheraner zusammen. Siehe dazu Kap. 1.3 dieser Studie. Kähler, Angewandte Dogmen, 465. Ebd., 467.
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schen Heimat und Missionsfeldern“91 zu verringern, „könnte unsere Mission unserer Kirche etwas Förderndes bringen.“ Konkret schlug Kähler nicht nur eine „fesselnde Einführung in die Heidenmission“92 für die Kinder vor, um diesen den Wert ihrer eigenen Taufe vor Augen zu führen, sondern begriff den Verweis auf die „Heidenmission“ auch als Motivation für die Innere Mission, in ihren Bemühungen nicht nachzulassen: „An der unterschiedslosen Heidenmission soll die innere Mission sich den Mut stärken zu ihrem Eroberungszug unter den christianisierten Massen, welche meinen, das Evangelium sich an den Schuhsohlen abgetragen zu haben; auch die getroste Zuversicht zu dem rechten freien Brauche des stiftungsmäßigen Missionsmittels, der Taufe auf den Namen des dreifaltigen lebendigen Gottes gewinnen. Sie als solches zu erkennen und dadurch zu ihrer vollen Schätzung durchzudringen, darauf drängt unsere kirchliche Lage hin.“93
Der in diesen Programmatiken zum Ausdruck kommende Rücktransfer des Rituales beziehungsweise die Anwendung der Erfahrungen in der Heimat bezog sich dabei einerseits auf die in den Missionsberichten inszenierte Frömmigkeit der Getauften, sie bezog sich aber auch auf die in den Missionsberichten inszenierte Relevanz der Kirche als Institution und der Taufe als verbindendes Ritual für die Gesellschaft. Die im Missionskontext vorgenommenen Aushandlungsprozesse um die Taufe beziehungsweise um das Christentum waren so nicht nur abhängig vom lokalen Kontext des Missionsgebietes, sondern maßgeblich beeinflusst von den Debatten um Religion und Kirche, wie sie im Kaiserreich geführt wurden, und wirkten auf diese zurück. 4.2 Konversionen und Gemeindebildung Der Abschluss des Katechumenats und die daran anschließende Taufe markierten den offiziellen Übertritt in die Missionsgemeinde. Mit zunehmender Anzahl getaufter Christen erschien es den Missionaren – abermals unter Rückgriff auf die Vorlage der heimatlichen Kirchen – deswegen notwendig, die Missionsgemeinde mit dem Ziel der Volkskirchenwerdung und in Rekurs auf Karl Graul und Gustav Warneck zu organisieren.94 Zu diesem Ziel sollte in den wachsenden Missionsgemeinden der Chagga-
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Ebd., 479. Siehe dazu auch Martin Kähler, Schriften zu Christologie und Mission. Gesamtausgabe der Schriften zur Mission. Mit einer Bibliographie hg. von Heinzgünther Frohnes, München 1971. Kähler, Angewandte Dogmen, 479. Ebd., 480. Wie sehr die Auffassungen darüber, was eine Volkskirche sein solle, auseinandergingen, wurde bereits zeitgenössisch diskutiert. Julius Richter behandelt das Problem der Volkskirche ausführlich in seiner Habilitationsschrift und betonte, dass die Frage, wie eine „Volkskirche“ aufzufassen oder gar zu erreichen sei, das entscheidende missionswissenschaftliche Problem des ausgehenden 19. Jahrhunderts sei. Richter, Weltmission und theologische Arbeit, 50–65. Zu dieser Frage siehe auch Kap. 1.2 dieser Studie.
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gemeinden eine Gemeindeordnung etabliert werden, die erstens Aufgaben und Verantwortungen in der Gemeindeführung an die lokalen neugewonnenen Christen übertrug und zweitens christliches Zusammenleben im Sinne der Missionare regulierte. Debatten der Missionare, Missionswissenschaftler und Theologen um die Sinnhaftigkeit und Ausgestaltung von Gemeindeordnungen in der Mission (und in Europa) kreisten um die Frage, welches Konzept von Gemeinde als „christlich“ galt und welche Erwartungen und Anforderungen an eine Gemeinde gestellt werden. In der kirchenpolitischen Debatte kam der Ekklesiologie bereits seit der Mitte des 19. Jahrhunderts eine besondere Rolle zu. So skizzierte der Erlanger Theologe Thomasius bereits 1874: „Der gegenwärtigen Zeit ist es vorbehalten, die Lehre von der Kirche, mit den unterdessen gewonnenen Resultaten aufs neue durchzuarbeiten und damit zugleich die ganze Errungenschaft der Vorzeit zu rekapitulieren und zu vertiefen, zum Abschluß zu bringen; eine Aufgabe, in deren Lösung sie jedoch erst begriffen ist.“95
In der Mission galten die Kirchengründung und Gestaltung des kirchlichen Lebens als wesentliche Aspekte der Volkschristianisierung. In den lutherischen Missionsgemeinden kam als ein Steuerungsinstrument, das in den heimatlichen Kirchen kaum mehr angewandt wurde, das Mittel der Kirchenzucht hinzu.96 Kirchenzucht lässt sich als ein 95
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Thomasius, Dogmengeschichte 1, 13, zit. nach: Hein, Lutherisches Bekenntnis, 25. Zu Gottfried Thomasius, der als einer der angesehensten Hauptvertreter der Erlanger Schule gilt, siehe einführend: Paul Tschackert, Thomasius, Gottfried, in: ADB 38 (1894), S. 102–104, https://www.deutschebiographie.de/pnd117350257.html#adbcontent (zuletzt eingesehen: 9.11.2018). Für die Frühe Neuzeit liegen zahlreiche Forschungsarbeiten zur Kirchenzucht vor, die sich unter dem Aspekt der Sozialdisziplinierung zwischen Kirche und Staat im Zeitalter der Konfessionalisierung mit der Kirchenzucht auseinandersetzen; hier liegt ein Fokus allerdings auf der calvinistischen Auffassung. Einen Überblick über die Forschungen zur Frühen Neuzeit geben Heinz Schilling, Disziplinierung oder „Selbstregulierung der Untertanen“? Ein Plädoyer für die Doppelperspektive von Makro- und Mikrohistorie bei der Erforschung der frühmodernen Kirchenzucht, in: Historische Zeitschrift 264 (1997), S. 675–691, Ders , Die Kirchenzucht im frühneuzeitlichen Europa in interkonfessionell vergleichender und interdisziplinärer Perspektive – eine Zwischenbilanz, in: Ders. (Hg.), Kirchenzucht und Sozialdisziplinierung im frühneuzeitlichen Europa, Berlin 1994, S. 11–40 sowie die Bibliographie in Ders , Kirchenzucht und Sozialdisziplinierung im frühneuzeitlichen Europa (mit einer Auswahlbibliographie), Berlin 1994. Zum Vergleich von lutherischer und calvinistischer Auffassung Raymond A Mentzer, The Practice of Church Discipline in Lutheran and Reformed Areas, in: Irene Dingel / Ute Lotz-Heumann (Hg.), Entfaltung und zeitgenössiche Wirkung der Reformation im europäischen Kontext/Dissemination and Contemporary Impact of the Reformation in a European Context, Gütersloh 2015, S. 288–302, 300. Zur Kritik an der alleinigen Perspektive auf Sozialdisziplinierung siehe Friedeburg, Frömmigkeitspraxis, 258. Studien für das 19. Jahrhundert hingegen sind rar, was einerseits durch das mangelnde Interesse an Religion in der sozialhistorischen Forschung begründet war, und sich andererseits durch den Fokus, den die historische Forschung zum 19. Jahrhundert auf städtische Gemeinden legt, erklärt. Helga Zöttlein beispielsweise legt zur dörflichen Gemeinschaft Zierenbergs eine kurze Untersuchung zur Kirchenzucht vor, die sich v. a. auf die Form der Anzeigenpraxis bezieht. Sie plädiert dafür, die lokale Bedeutung der Kirchengemeinde als Personenverband und dessen integrative Leistung nicht aus den Augen zu verlieren. Helga Zöttlein, Gemeindliche Kirchenzucht und Anzeigenpraxis in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts am Beispiel der kurhessischen Landstadt
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Ansatz, „theological ideas into an everyday set of devotional practices and moral habits“ zu übersetzen,97 definieren. Während Bestimmungen und Anordnungen von Kirchenzucht zeitgenössische Idealvorstellungen von Gemeinden abbilden, erlauben die zum Teil recht umfangreichen Gemeindevorstandsprotokolle, in denen minutiös Entscheidungen zur Durchführung von Kirchenzucht verzeichnet wurden, Rückschlüsse auf die in den Missionsgemeinden „gelebte Ekklesiologie“ und die Perspektive der Gemeindemitglieder. 4.2.1 Debatten um Gemeindeordnungen und Kirchenzucht Die in Europa seit der Reformation eingeführten Gemeindeordnungen sollten der Aufgabe dienen,98 „den gemeinsamen religiösen Besitz und die gemeinsame sittliche Norm so zur Grundlage und zum Regulator des gemeindlichen Lebens zu machen, daß es sich in der Wirklichkeit zu einer christlichen communio ausgestaltet.“99 Gustav Warneck legte als einer der ersten Missionswissenschaftler einen systematischen Vorstoß für die Mission vor, der auch für die Gemeindeorganisation der Leipziger Missionare leitend werden sollte.100 Er sah die Gründung von lokal begrenzten Gemeinden Zierenberg, in: Friso Ross / Achim Landwehr (Hg.), Denunziation und Justiz. Historische Dimensionen eines sozialen Phänomens, Frankfurt 2000, S. 95–115. Martina Lüdicke, Kirchenzucht und Alltagsleben. Untersuchungen in der reformierten hessischen Gemeinde Deisel 1781–1914, Kassel 2003, widmet sich der Kirchenzucht in einer hessischen reformierten Gemeinde mit dem Schwerpunkt auf die Jahre zwischen 1820 und 1870 und interpretiert die Kirchenzuchtprotokolle in ihrer kulturanthropologischen Dissertation als Zugang zu einer „Rekonstruktion vergangener Lebenswelten“, wie sie im Interesse der Volkskunde liege. Allgemein gilt die Kirchenzucht, wenn sie im 19. Jahrhundert überhaupt noch Anwendung fand, in der Forschung als Überbleibsel der Frühen Neuzeit. Insofern ist auch zu fragen, warum die Mission diese Praktik noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts wieder fest in den Missionsgemeinden verankerte. Siehe dazu auch Altena, Ein Häuflein Christen, 174–175. Rüther behandelt ebenfalls Prozesse von Gemeindebildung, z. B. Rüther, Heidenmission, 179, in der sie auf Abspaltungen verweist. 97 Raymond A Mentzer, The Practice of Church Discipline in Lutheran and Reformed Areas, in: Irene Dingel / Ute Lotz-Heumann (Hg.), Entfaltung und zeitgenössiche Wirkung der Reformation im europäischen Kontext / Dissemination and Contemporary Impact of the Reformation in a European Context, Gütersloh 2015, S. 288–302, 300. 98 Johannes Wischmeyer, Verantwortungsträger zwischen Theologie, Jurisprudenz und Politik. Die Produktion evangelischer Kirchenverfassungen, in: Irene Dingel / Ute Lotz-Heumann (Hg.), Entfaltung und zeitgenössiche Wirkung der Reformation im europäischen Kontext / Dissemination and Contemporary Impact of the Reformation in a European Context, Gütersloh 2015, S. 173–196, 173. 99 Ders , Missionslehre III.3, 189. 100 Warneck, Missionslehre III.3, Kap. 47: Die Organisation der Gemeinde. Warneck selbst merkte an, dass es zur der Frage der Gemeindeorganisation in der Mission bisher kaum systematische Auseinandersetzungen gebe und viele Aspekte in den Bereich der Praktischen Theologie fielen. Hier empfahl er explizit das Werk von Achelis (Achelis, Lehrbuch der praktischen Theologie), das ebenso wie die Missionslehre in der Missionsbibliothek der Chagga-Mission vorhanden war. Warneck, Missionslehre III.3, 179–180, FN 1. Zum Bücherbestand siehe die Listen: Bücher von Missionaren,
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und die durch sie praktisch verwirklichte ecclesia eng mit dem Sendungsbefehl verknüpft.101 Konstitutiv für die Gründung einer Gemeinde sei die Taufe, deshalb zählte Warneck weder Katechumenen noch „christlich angeregte Heiden“, die er als „Vorhofchristen“ bezeichnete, zur christlichen Gemeinde.102 Ebenso wie es die Synodalverfassungen in den deutschen Landeskirchen vorsahen,103 strebte Warneck eine Selbstbeteiligung der Missionsgemeinden an. Für eine christliche Gemeinde, so Warneck, sei es unumgänglich, dass sie von Beginn an „aktiv an ihrer Selbsterbauung“ beteiligt werde. Ein durch die Wahl der Gemeindemitglieder bestimmter Gemeindevorstand sollte deshalb nach gegebener Zeit die Gemeinde leiten und beaufsichtigen.104 Dies bedeutete jedoch nur bedingt ein Unterwandern der Hierarchien zwischen Missionar und Gemeinde. Dem Missionar sollte nach Warneck nämlich nicht nur die direkte Aufsicht über die Ältesten zukommen, er sollte auch gegen Entscheidungen ein Veto einlegen, ja sogar die Wahl einzelner durch seine Stimme verhindern können.105 Für die Gemeinden am Kilimandscharo entwarf Missionar Robert Faßmann eine Gemeindeordnung, die grundlegende Prinzipien Warnecks übernahm. So sollten beispielsweise einige Aufgaben der Gemeindeleitung einem zu wählenden Ältestenrat übertragen werden.106 Wie auch bei Warneck erhielten die Missionare die Aufsicht und ELCT III. Warneck zählte unter eine Gemeindeordnung nicht nur solche Regularien, die sich auf ethische Anforderungen bezogen, sondern auch solche Ordnungen, die die Gemeinde als Institution konstituierten, wie die Gottesdienst- oder Kultusordnung, eine Taufordnung (samt Katechumenen, Schul- und Konfirmationsordnung) und eine Abendmahlsordnung. Ordnungen, die sich der „Aufsicht, Leitung“ und „administrativen Verwaltung“ widmeten, waren nach ihm eine Eheordnung, eine Begräbnisordnung, eine kirchliche Zuchtordnung und eine Verfassungsordnung. Warneck, Missionslehre III.3, 193–196. Für die Kindererziehung und die christliche Unterweisung und Taufe von Kindern in der christlichen Gemeinde müsse es zudem gesonderte Ordnungen geben. Ebd., 183. Auch für Warneck hatte die Gestaltung der Gemeinde durch Ordnungen seine Grenze: „Die großen sozialen Tugenden, welche der christlichen Gemeinschaft das Gepränge einer Familie Gottes geben: die herzliche Bruderliebe, die friedfertige Eintracht, der demütige Dienersinn, die gegenseitige Hilfsbereitheit, der selbstlose Gemeinsinn“ müssten stattdessen v. a. im Mittelpunkt der Unterweisung in der Predigt stehen bzw. von Beginn an elementarer Bestandteil der Seelsorge sein. 101 Ebd., 180. 102 Ebd., 182. Getaufte Kinder zählt er als „unmündige Glieder“ dagegen zur Gemeinde. Siehe auch ebd., 1. 103 Einen Überblick über das Synodalwahlrecht in den einzelnen Landeskirchen bietet Nikolaus Närger, Das Synodalwahlsystem in den deutschen evangelischen Landeskirchen im 19. und 20. Jahrhundert, Tübingen 1987. Siehe zur Organisation der Landeskirchen auch Kap. 1 dieser Studie. 104 Warneck, Missionslehre III.3, 261–263. Zu den Aufgaben des Gemeindevorstands zählte Warneck äußere Angelegenheiten, wie die finanzielle Selbstunterhaltung, ebenso wie Angelegenheiten der „religiösen und sittlichen Seite des Gemeindelebens“, wozu vor allem die Beaufsichtigung der Gottesdienste ebenso wie die Überwachung der Jugend oder der Taufkandidaten gehöre. 105 Ebd., 263–265. Der Missionar hatte in der Konzeption Warnecks auch den Vorsitz über die Zusammenkünfte inne. Siehe dazu auch Altena, Ein Häuflein Christen, 157–158. 106 Die übertragenen Aufgaben entsprachen im Grundsatz der bereits bei Warneck aufgeführten Aufgaben: Mithilfe beim Missionar, Einziehung der Kirchensteuern, Überwachen des Gottes-
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Leitung über diese Ältesten. Der Entwurf Faßmanns stärkte insbesondere die Stellung des Stationarius, des dienstältesten Missionars auf einer Station, der bestimmte Entscheidungen – dazu zählte unter anderem der Ausschluss einzelner aus der Gemeinde – selbständig treffen konnte.107 Aber auch die anderen Missionare, ja sogar die Missionshandwerker reklamierten es als „ihr Recht als Europäer und Christen“108 mit Stimmrecht an der Gemeindevertretung teilnehmen zu können.109 Die endgültig vom Leipziger Missionskollegium genehmigte Gemeindeordnung schrieb schließlich die hierarchische Position der weißen Missionsangestellten fest und konterkarierte damit die Bemühungen, eine Volkskirche zu bauen. Die Bestimmung Faßmanns, nach der dem Stationarius erstens das Vorschlagsrecht für die Wahl von Ältesten zugekommen war und dieser zweitens auch noch ein Vetorecht nach erfolgter Wahl hatte, wurde durch das Missionskollegium jedoch abgemildert.110 Diese Entscheidung ergab sich aus unterschiedlichen Einschätzungen zu der „Reife“ der christlichen Gemeindemitglieder. Die Erlassung einer Gemeindeordnung setzte nach Faßmanns Auffassung „sittliche und soziale Reife“ der sogenannten „Heidenchristen“ voraus. Gemeindemitglieder und insbesondere die Ältesten hätten sich deswegen, so machte er in der Vorbemerkung noch einmal deutlich, „des Geisterdienstes mit allem was damit zusammenhängt – Opferfeste und dergl. – zu enthalten, sie haben die Zauberei […] zu meiden, möglichst keine Amulette zu tragen, die Beschneidung ihrer Kinder zu unterlassen, nicht in Vielweiberei zu leben – ein Polygamist
dienstes und des Gottesdienstbesuches, Zulassung zum Katechumenat, Kirchendienst. Protokoll der Chagga-Konferenz, Februar 1905, Beilage 3: Entwurf einer Gemeindeorganisation unserer Dschaggamission, ALMW II.32.96. 107 Der Stationarius, so sah es der Entwurf vor, hatte das Vorschlagsrecht und ein Vetorecht bei der Wahl der Ältesten. Er berief die Versammlungen des Gemeinderats und die Gemeindeversammlung ein, legte deren Tagesordnungen fest und leitete die Zusammenkünfte; er verwaltete die Gemeindekasse, und die Gemeinde, in der er wohnte, galt als die „Muttergemeinde“ aller weiteren Gemeinden im Umfeld. Protokoll der Chagga-Konferenz Februar 1905: Beilage Nr. 3: Faßmann, Entwurf einer Gemeindeorganisation unserer Dschaggamission, ALM II.32.96. 108 Protokoll der Chagga-Konferenz Februar 1905, Beratung über TOP 9: Entwurf einer Gemeindeordnung unserer Dschaggamission, ALMW II.32.96. 109 Das Leipziger Missionskollegium, dem im Anschluss an die Beratung der Missionare die Aufgabe oblag, die Gemeindeordnung endgültig zu genehmigen, schloss sich diesem Begehren inhaltlich an, sah als Teilnehmer an den Gemeindeversammlungen alle Missionsangestellten vor, wies den Missionshandwerkern aber lediglich in Baufragen ein Stimmrecht zu. Missionskollegium an Missionare, 15.3.1906, Gemeindeordnung 1906/7, ELCT III. Streitigkeiten zwischen den weißen Missionsangehörigen sollten unbedingt vermieden werden. Dem Kollegium, dem Unstimmigkeiten unter den Missionaren nicht verborgen geblieben waren, setzte den Beschluss der Missionare, dass sich zwei Europäer nicht vor den Schwarzen streiten sollten, in eine gesonderte Bestimmung um, „die nicht wohl in eine den Eingeborenen in die Hand zu gebende Gemeindeordnung“ gehöre. 110 Missionskollegium an Missionare, 15.3.1906, Gemeindeordnung 1906/7, ELCT III. Hier wurde sogar reflektiert, dass in dem Entwurf Faßmanns eine eigentliche Wahl gar nicht möglich gewesen wäre. Abgemildert wurde auch die Bestimmung, dass der Missionar über den Ausschluss einzelner alleine entscheiden konnte.
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darf kein Amt in der Gemeinde bekleiden – sich nicht an Wari oder ähnlichen Getränken zu berauschen; sie sollen erkennen, daß nackt oder unanständig gekleidet umherlaufen unschicklich ist, sollen ihren Kindern die nötige Kleidung nicht vorenthalten, auf saubere, menschliche Wohnungen nach Möglichkeit achten, sollen sich der Reinlichkeit und Sauberkeit befleißigen, den Pflichten der Obrigkeit gegenüber genügen und die häusliche Erbauung nicht ganz unterlassen“.111
Zusätzlich zu diesen Bestimmungen, die ja im Wesentlichen der Taufordnung entsprachen, sollten die christlichen Gemeindemitglieder – so ergab sich aus der Besprechung – fleißige und gehorsame Arbeiter sein. „Denn gerade beim Christwerden soll sich der Wendepunkt zum Guten zeigen.“112 Ebenso wie in den deutschen Gemeinden, in denen die Anforderungen an die Wählbarkeit der synodalen Vertreter einen kirchlichen Sinn und regelmäßigen Gottesdienstbesuch voraussetzte,113 wurde in der Mission in der Gemeindeordnung christliches Verhalten diszipliniert. Dieser Aspekt der Gemeindeordnung schien den Leipziger Missionaren sogar so wichtig, dass sie – anders als Warneck dies in seiner Evangelischen Missionslehre konzeptioniert hatte – eine Kirchenzuchtordnung als wesentlichen Teil der Gemeindeordnung begriffen. Gemeindeorganisation und Kirchenzucht schienen für die Missionare konstitutiv zusammenzugehören.114 Warneck hatte die Ausübung der Kirchenzucht, die er als teils öffentliche Maßnahme von der unter vier Augen stattfindenden Seelsorge unterschied, in einen Stufengang vom privaten Gespräch über die Ladung vor Gemeindevertretern bis hin zur Strafe geordnet. Die Kirchenzucht solle in erster Linie ein pädagogischer Akt sein, der auf eine „Besserung des gefallenen Bruders abzielt“.115 Zu behandelnde „Sünden“ beträfen nach Warneck einerseits den Rückfall in den heidnischen Kultus beziehungsweise in heidnische Sitten, andererseits Handlungen, die „die gemeine Moral verletzen“ oder mit einer Nichtbeachtung der Verfassungsordnung einhergingen, wie zum Beispiel der Verweigerung der Kirchensteuer.116 Besonders wichtig war Warneck die Mitarbeit der einhei-
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Protokoll der Chagga-Konferenz Februar 1905: Beilage: Faßmann, Entwurf einer Gemeindeorganisation unserer Dschaggamission, 1–2, ALMW II.96. Protokoll der Chagga-Konferenz Februar 1905, Beratung über TOP 9: Entwurf einer Gemeindeordnung unserer Dschaggamission, Redebeitrag Gutmann, ALMW II.32.96. Der Vorschlag stammt von dem Missionsökonomen von Lany und fand allgemeine Zustimmung, ALMW II.32.96. Hölscher, Geschichte der protestantischen Frömmigkeit, 259, und Ders , Kirchliche Demokratie und Frömmigkeitskultur im deutschen Protestantismus, in: Martin Greschat / Jochen-Christoph Kaiser (Hg.), Christentum und Demokratie im 20. Jahrhundert, Stuttgart 1992, S. 187–205. Die übrigen von Warneck aufgeführten Ordnungen wurden in den folgenden Jahren zum Teil ebenfalls, aber gesondert erlassen. Warneck, Missionslehre III.3, 253. Ebd., 254 [Hervorhebung im Original, K. W.].
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mischen Christen an der Ausübung der Kirchenzucht.117 Dass in den Missionsgemeinden die Kirchenzucht eingeführt werden könne, war für Warneck ein Privileg und eine Notwendigkeit zugleich: „In den Missionsgemeinden können wir Kirchenzucht üben, weil in ihnen die Zustände teils gar nicht, teils noch nicht in dem Maße wie daheim vorhanden sind, welche Ausübung einer Kirchenzucht jetzt fast unmöglich machen; und in den Missionsgemeinden müssen wir Kirchenzucht üben, weil die Majorität derselben aus Kindern besteht, bei deren Erziehung die Rute oft unentbehrlich, der Rückfall in heidnischen Sünden häufig und das sittliche Urteil erst in der Bildung begriffen ist. Auf Kirchenzucht verzichten, hieße die Gemeinden der Verwahrlosung überliefern.“118
Gerade weil Warneck die Kirchenzucht und ihre Verfahrensweise aus der Bibel und der apostolischen Praxis ableitete, erschien ihm die Nichtdurchführung der Kirchenzucht in Europa als Mangel und Ausdruck der Verwahrlosung. Die Kirchenzucht in den neuzugründenden Gemeinden einzuführen und sie gleichzeitig als Mittel zu benutzen, die Christen im Sinne eines vermeintlich normativen Modell-Christentums zu erziehen, weist auf die der Mission zugewiesenen Innovationskraft hin. Von den Leipziger Missionaren wurde zwar Warnecks Stufenmodell übernommen, Faßmanns Vorschlag sah jedoch bereits bei kleineren „Vergehen“ eine rigorose Übung kirchenzuchtlicher Maßnahmen vor: Bei unzureichendem Kirchenbesuch, Streitigkeiten mit anderen Gemeindemitgliedern oder „Rohheit gegen Angehörige“ sollte man bereits durch den Missionar oder im nächsten Schritt durch die Ältesten beziehungsweise die Gemeinde ermahnt werden. Damit wurden zumindest potenziell auch private Angelegenheiten zu einem teilöffentlich bekannten Vergehen.119 Je öffentlicher das Vergehen war, desto öffentlicher erfolgte auch die Strafe beziehungsweise die Buße einer solchen. Bei der Missachtung der Gemeindeordnung und insbesondere bei dem Verweigern von Beiträgen für die Gemeinde, bei Trunkenheit oder bei dem Verbreiten von Lügen über andere sollte, so sah es der Entwurf vor, bereits ein Ausschluss vom Abendmahl erfolgen. Dieses sogenannte „kleine Lamm“ diene dazu, die Abendmahlsgemeinschaft und damit den Kern der Gemeinde rein zu halten.120 Erst ein öffentlicher
117
Warneck, Missionslehre III.3, 251–252. Zur Qualifikation führte Warneck aus, dass es sich nur um älter als 30 Jahre alte Männer mit eigenem Hausstand, guter christlicher Führung und Ansehen in der Gemeinde handeln sollte. Der Kirchenvorstand sollte stets als Vorbild dienen können. Friedrich Uhlhorn, Die Kirchenzucht nach den Grundsätzen der lutherischen Kirche, Hannover 1901, 41. 118 Ebd., 250–251. 119 Siehe dazu auch Rudolf Schlögl, Öffentliche Gottesverehrung und privater Glaube in der frühen Neuzeit. Beobachtungen zur Bedeutung von Kirchenzucht und Frömmigkeit für die Abgrenzung privater Sozialräume, in: Gert Melville / Peter von Moos (Hg.), Das Öffentliche und Private in der Vormoderne, Köln/Weimar/Wien 1998, S. 167–209. 120 Siehe dazu u. a. Uhlhorn, Kirchenzucht, 5–11, der dies auf Ausführungen Luthers selbst zurückführt.
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Bußakt konnte eine Wiederzulassung zum Abendmahl bewirken. Dieses Verfahren sollte nach Faßmann auch für die Teilnahme an „heidnischen Ritualen“ gelten, die aus seiner Sicht noch nicht per se einem „offenbaren Rückfall ins Heidentum“ gleichkäme. Dieser zog gemäß den Bestimmungen, ebenso wie Polygamie oder andere schwere Verbrechen wie Mord, den sofortigen Ausschluss aus der Gemeinde nach sich.121 Dass das Missionskollegium diese Bestimmungen zur Kirchenzucht, wie sie von Faßmann vorgeschlagen wurden, ablehnte, verwundert vor dem Hintergrund der lutherischen Auffassung von Kirchenzucht,122 die sich auf die Ausführungen im Matthäus-Evangelium123 und den Schmalkaldischen Artikel 9 stützte, kaum. Das Kollegium überarbeitete deswegen diesen Abschnitt des Entwurfs grundsätzlich. In der endgültigen Gemeindeordnung war die von Faßmann so dezidiert nach einzelnen Vergehen ausgeführte Stufenregelung nicht mehr vorgesehen, da eine solche nach der Auffassung des Kollegiums einem Verständnis der Kirchenzucht als Strafe entspräche: „In der evangelischen Kirchenzucht ist aber für Strafe kein Raum.“124 Kirchenzucht würde geübt „zur Wahrung der kirchlichen Ehre und zur Besserung der Sünder“125, private Seelsorge sei deswegen immer der erste Weg. Amtliche Seelsorge käme erst in Be-
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Protokoll der Chagga-Konferenz Februar 1905: Beilage Nr. 3: Faßmann, Entwurf einer Gemeindeorganisation unserer Dschaggamission. Die kirchlichen und die staatlichen Strafen waren unabhängig voneinander. 122 Auch Uhlhorn machte deutlich: „Kirchenzucht hat es unmittelbar weder mit Strafe noch mit Erziehung zu tun.“ Uhlhorn, Kirchenzucht, 36. 123 „Sündigt aber dein Bruder, so geh hin und weise ihn zurecht zwischen dir und ihm allein. Hört er auf dich, so hast du deinen Bruder gewonnen. Hört er nicht auf dich, so nimm noch einen oder zwei zu dir, damit jede Sache durch zweier oder dreier Zeugen Mund bestätigt werde. Hört er auf die nicht, so sage es der Gemeinde. Hört er auch auf die Gemeinde nicht, so sei er für dich wie ein Heide und Zöllner. Wahrlich, ich sage euch: Alles, was ihr auf Erden binden werdet, soll auch im Himmel gebunden sein, und alles, was ihr auf Erden lösen werdet, soll auch im Himmel gelöst sein.“ Mt. 18, 15–18. John H Leith, Kirchenzucht. Theologischer Überblick, in: TRE 19 (1990), S. 173–176, 175. 124 Missionskollegium an Missionare, 15.3.1906, Gemeindeordnung 1906/7, ELCT III. 125 Ebd. Auch in späteren Jahren erwuchsen über den Charakter der evangelischen Kirchenzucht immer wieder Differenzen. So holte das Missionskollegium 1938 sogar ein Gutachten des Göttinger Theologieprofessors zu den Grundsätzen der Kirchenzucht ein, das sich in wesentlichen Punkten von der Auffassung Gutmanns unterschied. Grundsätzliche Gedanken über Kirchenzucht. Ein theologisches Gutachten für das Collegium der Leipziger Missionsgesellschaft, erstattet von D. Johannes Meyer, Professor, Dezember 1938; Bruno Gutmann, Kirchenzucht und Amt der Schlüssel, 1.3.1939; Replik von Prof. D. Meyer – Göttingen auf die Denkschrift von Missionssenior D. Dr. Gutmann über „Kirchenzucht und Amt der Schlüssel“, 21.3.1939. Während Meyer die Kirchenzucht wesentlich als Strafmittel der Kirche auffasste, plädierte Gutmann für eine Gründung der Kirchenzucht auf das „Amt der Schlüssel“ und damit auf die Buße. Gutmann wiederholte in seiner Denkschrift sein grundsätzliches theologisches Programm und eine Auffassung von Gesellschaft und brachte sie mit der Ausübung von Kirchenzucht in Verbindung, in dem er sich gegen eine „unevangelische Kirchenzucht“ wandte, die „ästhetisch-soziale Fragen“ des Missionars höher bewerte und zwischen „Volkstum“ und „Heidentum keine Unterscheidung zu treffen vermöge. Siehe zur Theologie Gutmanns auch Kap. 4.4 dieser Studie. Gutachten und Replik sind enthalten in ALMW II.32.341b.
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tracht, wenn das private Gespräch keine Wirkung zeige oder wenn ein Sündenfall ein „öffentliches Ärgernis“ darstelle.126 Erst ein öffentliches Vergehen sollte sich deswegen in der Öffentlichkeit der Sühne darstellen. Der Sündige sollte dann in der Gemeindeversammlung seine Sünde zugeben und Buße tun. Auch konnte er eine Zeitlang vom Missionar – aus seelsorgerischen Gründen – vom Abendmahl ausgeschlossen bleiben, insbesondere dann, „wenn die Zurückhaltung nötig ist, weil die alsbaldige Zulassung zum heiligen Abendmahl von den Heiden missdeutet werden würde als ein Zeichen von Gleichgültigkeit gegen die Sünde.“127 Das Kollegium milderte also den Strafcharakter, der in Faßmanns Vorschlag überwogen hatte, zugunsten eines stärker an Seelsorge orientierten Konzepts von Kirchenzucht ab. Zwar vermied das Missionskollegium dadurch konkrete Angaben über die zu ahndenden Vergehen in der Gemeindeordnung, es schrieb diese aber in der ebenfalls 1906 erlassenen Visitationsordnung, in der die Überprüfung der Gemeinde und der Anwendung der Kirchenzucht nach europäischem Vorbild geregelt wurde, fest. Der Visitator solle die Gemeinde dahingehend prüfen, ob in ihr „keine Überreste heidnischen Wesens“ – Aberglaube, Zauberei, Amulette – „im Schwange“ gingen und „ob grobe Sünden, Trunksucht, wilde Ehen, Diebstahl in der Gemeinde vorgekommen“ seien und ob dieselben „gerügt“ worden seien.128 Die Einführung der Gemeinde-Zuchtordnung und die auch durch ihre Überwachung in der Visitation zugeschriebene Bedeutung entsprach dabei auch dem missionstheologischen Programm der Leipziger Missionsgesellschaft. Wie sich bereits bei der „Heidenpredigt“ und deren weitgehender Vernachlässigung gezeigt hat, legte die Missionsgesellschaft einen Schwerpunkt auf die Gemeinden. Die Missionsgemeinden sollten durch „erzieherische Pflege“ dazu angeleitet werden, „Salz und Licht für ihre heidnische Umgebung“ zu werden.129 Im Vordergrund stand dabei also in erster Linie die Gemeinde, die durch die Ausübung von Kirchenzucht geschützt werden sollte. Die Gemeindeordnung und die Bestimmungen zur Kirchenzucht waren maßgeblich von ihren europäischen Vorbildern und den in der Ekklesiologie entwickelten und in der Missionswissenschaft an die Bedürfnisse der Mission angepassten Maßstäben geprägt und von theologischen Auffassungen bestimmt.130 Während für die Missionswissenschaften und das Missionskollegium eine theologische Positionierung und die im evangelischen Sinne „richtige“ Umsetzung der Kirchenzucht mit einem Schwerpunkt auf Seelsorge im Vordergrund stand, war den Missionaren im Feld vor allem 126 127 128 129 130
Dies entsprach der Betonung Luthers: Hans-Jürgen Goertz, Kirchenzucht. Reformationszeit, in: TRE 19 (1990), S. 176–183, 176; Uhlhorn, Kirchenzucht, 11, 38. Missionskollegium an Missionare, 15.3.1906, Gemeindeordnung 1906/7, ELCT III. Missionskollegium an Missionare, 28.3.1906, Visitationsordnung, ELCT III. In einer Besprechung eines Artikels Warnecks in der Allgemeinen Missionszeitschrift wurde dieses Ziel der Leipziger Missionsgesellschaft extra im Missionsblatt betont. Missionschronik. II. Aus anderen Missionen, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1903), S. 464–465, 464. Leith, Kirchenzucht, 175.
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daran gelegen, ihre Gemeinde mittels Bestrafung zu disziplinieren beziehungsweise zu erziehen. Hinzu kam, dass die Einführung einer Gemeindeordnung und die Betonung der Mitwirkung der Gemeinde an der Kirchenzucht, auch wenn sie dem übergeordneten Ziel der Mission entsprach, die Gefahr barg, die Machtstellung der Missionare zu untergraben. Die Gemeindeleitung lag nach der Wahl von Gemeindeältesten schließlich nicht mehr alleine in der Hand der Missionare, deren Entwurf deswegen auch gerade diese Vormachtstellung sicherstellen sollte. Die Gemeindeordnung lässt sich so als ein wichtiges Dokument in der Aushandlung von Machtverhältnissen in der Mission lesen. Für die Gemeindeältesten und Gemeindemitglieder ergaben sich schließlich, nicht zuletzt durch die Ohnmacht der Missionare, zahlreiche Spielräume der Mitgestaltung von Gemeinde. In der kolonialen Situation musste eine Gleichstellung der Afrikaner mit den Europäern aus Sicht der Europäer verhindert werden. Dabei konnte sich die Mission jedoch nicht auf eine einfache Argumentation zurückziehen, die zwischen Schwarzen und Weißen unterschied – auch wenn diese Reinhaltung der colour bar immer wieder durchschien. Begründet wurde der Paternalismus der Missionare und die Entscheidungsbefugnis der europäischen Missionare damit, dass als „Heidenchristen“ bezeichnete Chagga lediglich „almost – but not quite“ Christen seien.131 Im Übrigen wurde die besonders hartnäckige Betonung der Superiorität der weißen Missionare auch nach dem Ersten Weltkrieg beibehalten. Als 1930 eine neue Kirchenordnung verhandelt wurde, die einen Zusammenschluss der einzelnen Gemeinden vorsah und beispielsweise die regelmäßige Abhaltung eines Kirchentags regelte, wurden die Gemeinden nicht nur auf einen bereits zuvor von den Missionaren beschlossenen Entwurf einer Kirchenordnung eingeschworen, sondern die Mitglieder der evangelisch-lutherischen Kirche Ostafrika mussten sich den „Vätern in Leipzig“ als untertan erklären. Und dies obwohl ein gemeinsames Abendmahl bezeugen sollte, „daß die Gliedschaft in solch einer Kirche keine Farben- oder Rassengegensätze kennt und duldet.“132 4.2.2 Umsetzungen von Kirchenzucht Als die Ältesten der Gemeinde Mamba unter dem Vorsitz des Missionars Johannes Raum am 6. Oktober 1910 zusammentraten, hatten sie drei verschiedene Fälle beziehungsweise vermeintliche Vergehen der Gemeindemitglieder Mambas zu beraten und zu entscheiden: Erstens hätte im Mai oder Juni des Jahres Alfayo Nkoń mit seiner Verlobten Mikaļi Mašajo aus Mwika Geschlechtsverkehr gehabt und damit gegen die christliche Ordnung verstoßen. Diese Mikaļi war den Ältesten nicht unbekannt. Ein
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Homi K Bhabha, The Location of Culture, London 1994, 85–92. Moritzen (Hg.), Rückblicke, 78.
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Katechumene hatte angezeigt, dass Mikaļi sich bereits, während sie in den Diensten des Ansiedlers Försters stand, mit einem Kollegen, dem Christen Yona Ļimo vergnügt hatte. Daraufhin waren beide aus ihren Gemeinden ausgeschlossen worden, obwohl sie den Geschlechtsverkehr geleugnet hatten. Der Verlobte Mikaļis wiederum, Alfayo Mkoń, hatte sich die Heirat mit Mikaļi auch auf dringende Bitte des Missionars nicht ausreden lassen, sodass es nun zu diesem neuen „Sündenfall“ gekommen sei. Alfayo hatte nun sein Vergehen gestanden. Nach einer Bußleistung gefragt, erklärte er sich bereit, 5 Rupien zu zahlen; schließlich musste er drei Rupien und eine Ziege zahlen, wozu er sich nach etwas Zögern entschloss. Damit war der Fall erledigt. Der zweite Tagesordnungspunkt betraf ein Verstoß gegen das erste Gebot und damit einen potenziellen Rückfall ins Heidentum. Der erblindete Nderutonkiveú Nakule hatte eine Zauberin konsultiert, die ihn nun heilen sollte. Durch das Eingreifen des Sohnes sei es zu einer Behandlung, die im Übrigen wohl auf Betreiben der Ehefrau des Erblindeten durchgeführt werden sollte, nicht gekommen. Die Ältesten und der Missionar hätten dann eine ernste Unterredung mit dem Ehepaar geführt, bei dem sie den Eindruck gewonnen hätten, daß die Eheleute sich „der Tragweite nicht bewußt“ gewesen seien, dass die Herbeirufung der Zauberin „einem Mangel an Erkenntnis“ geschuldet gewesen sei und dass beide Eheleute keinesfalls aus der Gemeinde ausgeschlossen zu werden wünschten. Mit dem Versprechen Nderutonkiveú, die Kirche häufig zu besuchen, war auch dieser Fall erledigt. Die Frage nach einer zusätzlichen Unterstützung für den Ältesten Samueli wurde drittens negativ beschieden, sechs Älteste würden für die Gemeinde genügen. Zum Schluss wurde mitgeteilt, dass Elisieri Lauo wieder in die Gemeinde zurückkehren wollte. Diese hier beispielhaft ausgewählte Sitzung der Gemeindeältesten der Station Mamba, wie sie im offiziellen Protokollbuch der Ältestenratssitzungen verzeichnet ist,133 soll im Folgenden als Ausgangspunkt einer tiefergehenden Analyse der Umset133
Die hier analysierten Protokolle geben die Beratungen des Gemeindevorstandes ab November 1906 wieder. Es scheint, als ob es bereits vorher Beratungen mit Gemeindeältesten gegeben habe, diese aber erst im November 1906, als die neue Gemeindeordnung das Gebiet der Mission erreicht hatte und eine Gemeindeversammlung abgehalten werden konnte, protokolliert wurde. Analysiert wurden dann die zehn Jahre zwischen 1906 und 1916. Die Protokolle sind in einem eigens dafür genutzten Protokollbuch mit fortlaufendem Datum notiert. Sie sind stets von einem europäischen Missionar verfasst und häufig erst Tage nach der Sitzung niedergeschrieben worden. So werden teilweise Ereignisse protokolliert, die nach den Sitzungen und als Reaktion auf die dortigen Beratungen passierten. So ist z. B. häufig vermerkt, dass eine öffentliche Buße in einem späteren Gottesdienst geleistet worden sei. Stets aufgeführt ist, welche Ältesten anwesend waren oder aus welchem Grund sie entschuldigt waren. Es ist davon auszugehen, dass die Sitzung stets mit einigen einleitenden Worten des Missionars sowie mit einem Gebet begannen und auch mit einem gemeinsamen Gebet beschlossen wurden. Teilweise gibt es Verweise auf frühere Sitzungen, denn es kam nicht selten vor, dass ein Vergehen die Ältesten über mehrere Sitzungen hin beschäftigte. Insofern kann auch davon ausgegangen werden, dass die Protokolle im Protokollbuch alle Sitzungen des Gemeindevorstands verzeichnen. Hingegen scheint es wahrscheinlich, dass nur in
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zung von Kirchenzucht dienen. Anhand der Gemeindeordnung wurde die Machtverteilung innerhalb der christlichen Gemeinde beziehungsweise zwischen Missionaren und Gemeinden ausgehandelt. Missionare konnten schließlich erst dann „gesellschaftsrelevant auftreten, wenn ihre Bemühungen von der Gesellschaft, in der sie agieren, aufgenommen und eigenständig umgesetzt werden“.134 Als eine der wenigen Quellen, in denen Einzelfälle ‚devianten‘ Verhaltens der „Heidenchristen“ systematisch erfasst wurden, können Kirchenzuchtprotokolle, wenn man sie gegen den Strich liest,135 Hinweise darauf geben, wie innerhalb der Gemeinde die Zugehörigkeit zum Christentum interpretiert wurde. Gefragt werden soll dabei einerseits nach Abweichungen von den in der Kirchenzuchtordnung festgelegten normativen Bestimmungen in der Praxis und zweitens nach individuell genutzten Spielräumen und der Agency der Gemeindemitglieder. Die Sitzung des Gemeinderates behandelte an diesem 6. Oktober 1910 keinerlei außergewöhnlichen Fälle. Den größten Raum nahmen auf dieser Sitzung, wie auch in den meisten anderen, Vergehen gegen das sechste Gebot ein, die im weitesten Sinne alle Fälle von Vergehen gegen die christliche (und bürgerliche) Sexualmoral umfassten. Vorehelicher Geschlechtsverkehr und Fälle von Ehebruch stellten den größten Teil der Vergehen dar, über die der Gemeindevorstand richtete.136 Kirchenzucht in der Gemeinde diente hauptsächlich dazu, eine christliche Sexualmoral durchzusetzen. Bereits seit dem 16. Jahrhundert diente die Bestrafung vorehelicher Sexualität der reformatorischen Absicht, eine moralisch einwandfreie christliche Gesellschaft zu schaffen.137 Vor dem Hintergrund des kolonialen Kontextes im 19. Jahrhundert meinte dies auch eine umfassende Erziehung der Missionierten im Sinne einer „Zivilisierung“, bei dem die Durchsetzung einer monogamen Ehe ein Kernanliegen war.138. Nicht selten
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wenigen Fällen auch die Gemeindeversammlungen in dem Buch protokolliert worden sind; hier fehlen einige Jahre. Das Protokollbuch diente vermutlich dazu, Fälle über mehrere Jahre hinweg nachvollziehen zu können; es wurde außerdem bei Visitationen vorgelegt. Dass es – wie auch die Protokollbücher der anderen Stationen mit Ausnahme Shigatinis – nicht in Leipzig archiviert ist, spricht dafür, dass es eines der wenigen Dokumente ist, von denen keine Kopie nach Leipzig gesandt wurde; es ist deswegen möglich, Spielräume der Missionare ihrem Missionshaus gegenüber auszuloten. Die Protokolle sind überliefert in. Gemeindeversammlung Mamba, Mikutano MamK 1906–19, Gemeindeversammlung Mamba, ELCT 18. Rüther, Heidenmission, 163. Zu diesem Ansatz siehe auch Lüdicke, Kirchenzucht. Dies stellt auch Altena, Ein Häuflein Christen, 175, fest. Siehe dazu u. a. Susanna Burghartz, Ordering Discourse and Society. Moral Politics, Marriage and Fornication during the Reformation and the Confessionalisation Process in Germany and Switzerland, in: Herman Roodenburg / Pieter Spierenburg (Hg.), Social Control in Europe, 1500– 1800. Bd. 1, Columbus 2004, S. 78–98, Die Durchsetzung christlicher Moralvorstellungen wurde in der Forschung zur Mission v. a. als Variante des Kolonialismus gedeutet. Ohne dabei auf Kirchenzuchtfälle als Praxis zu verweisen, gibt es insb. zur Durchsetzung sexueller Normen zahlreiche Literatur. Siehe z. B. Comaroff/Comaroff, Of Revelation and Revolution; Natasha Erlank, Missionary Views on Sexuality in Xhosaland in the Nineteenth Century, in: Le Fait Missionaire 11 (2001), S. 9–43; Dies , Strange Bedfellows. The
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war mit der Ausübung und Durchsetzung von Kirchenzucht ein Eingriff in soziale Beziehungsgefüge verbunden, mussten doch polygam lebende Männer eine oder mehrere Frauen verlassen,139 was nicht zuletzt Auswirkungen auf Arbeitsorganisationen und Hierarchien hatte.140 Im Jahr 1910 waren Verstöße gegen das sechste Gebot wie der Fall des Alfayo so häufig, dass sich bereits ein standardisiertes Verfahren entwickelt hatte, die „Sünder“ zu bestrafen. Entgegen dem Verbot des Missionskollegiums, in der Kirchenzuchtpraxis der Mission eine Strafe für ein bestimmtes Vergehen festzulegen, etablierte sich die Zahlung von Geld und/oder Vieh, um als „Sünder“ dem Ausschluss aus der Gemeinde zu entgehen, als eine „übliche Bußleistung“.141 Missionare verwiesen zur Legitimierung solcher Bußzahlungen, die ja eigentlich den Bestimmungen des Kollegiums zur Ausübung der Kirchenzucht komplementär entgegenstanden, mit den bei den Chagga üblichen Strafen beispielsweise für Ehrkränkungen.142 Sehr wahrscheinlich ist, dass nicht zuletzt dadurch bei den Chagga der Eindruck entstand, dass durch das Bezahlen der Strafe auch die Sünde vergessen sei. Älteste sollten, um einem solchen Verständnis entgegenzuwirken, deswegen den Geständigen Paulo Ndavoń, der vorehelich mit seiner Braut verkehrt habe, sogar explizit ermahnen, „nicht zu glauben, daß er durch Zahlen dieser Buße seine Sünde wieder gut machen könne.143 Um dem Ausschluss aus der Gemeinde oder auch nur vom Abendmahl zu entgehen, musste zusätzlich öffentlich Buße geübt werden, was Alfayo Mkoń, wie das Protokoll vom 6. Oktober 1910 vermerkt, sofort tat. Bereits am 27. Oktober 1910 wurde er aus der Kirchenzucht nach „öffentlichem Bekenntnis“ entlassen.144 Eine Rückkehr der beiden anderen, an diesem Fall beteiligten, wurde in späteren Sitzungen verhandelt. International Missionary Council, the International African Institute, and Research into African Marriage and Family, in: Patrick Harries / David Maxwell (Hg.), The Spiritual in the Secular. Missionaries and Knowledge about Africa, Gran Rapids 2012, S. 267–292. Derek R Peterson, Morality Plays. Marriage, Church Courts, and Colonial Agency in Central Tanganyika, ca. 1876–1928, in: American Historical Review 111 (2006), S. 983–1010, 1003, deutet die Durchsetzung der Sexualmoral durch die Kirchengerichtsbarkeit als Teil eines Prozesses der Umstrukturierung sozialer Beziehungen innerhalb der afrikanischen Gesellschaft. Insb. Initiationsriten wurden in den letzten Jahren von der Forschung besprochen. Die Obsession, mit der sexuellen Praktiken Aufmerksamkeit gezollt wurde, hing dabei auch mit der Konstituierung der bürgerlichen Gesellschaft in Europa zusammen: Ann Laura Stoler, Race and the Education of Desire. Foucault’s History of Sexuality and the Colonial Order of Things, Durham/London 1995. 139 Die Frage, wie mit sogenannten „Polygamisten“ umzugehen sei, wurde immer wieder diskutiert. Letztlich setzte sich aber in der Leipziger Mission wie auch in allen anderen Missionen die Vorstellung durch, dass Männer monogam zu leben hätten. Siehe z. B. die Diskussion des Vortrags Protokoll der Chagga-Konferenz, September 1900, Beilage: Emil Müller, Die Vielweiberei, ALMW, II.32.93. 140 Siehe dazu Erlank, Missionary Views, 15. 141 Protokollbuch, 30.11.1911, ELCT 18. 142 Gutmann beschreibt diese bspw. in Gutmann, Recht der Dschagga, 547. 143 Protokollbuch, 23.1.1908, ELCT 18. 144 Protokollbuch, 27.10.1910, 29, ELCT 18.
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Bereits am 8. Dezember war Yona Ļimo vor dem Gemeinderat auf eigenen Wunsch hin erneut befragt und mit der Aussage der Katechumenin konfrontiert worden; weil er weiterhin standhaft leugnete, wurde er schließlich nur ermahnt, Buße zu tun, und mit freundlichen Worten entlassen.145 Erst ein gutes Jahr später, am 1. Februar 1912, wurden Mikali Mašajo und Yona Ļimo wieder in die Gemeinde aufgenommen. Sie waren am 11. Januar 1912 erneut befragt worden, ob sie miteinander „Hurerei“ getrieben hatten, was beide abermals verneinten. Sie gaben aber nun zu, „mit einander gespielt zu haben“. Die Gemeinde wurde daraufhin informiert: „Ob Jona u. Mikali Hurerei getrieben haben, wissen wir nicht und überlassen dies Gott, daß sie mit einander unzüchtiges Spiel getrieben haben, ist eine Sünde, wegen deren beide die Gemeinde um Verzeihung bitten.“ Diese öffentliche Buße wurde von beiden, nachdem sie zuvor erklärt hatten, „Gottes Wort“ und die Gemeinde nicht verlassen zu wollen, geleistet.146 Damit schien die Geschichte tatsächlich erledigt. Als Yona Ļimo im Frühsommer 1912 mit seiner Braut Noemi Ļinga aufgeboten zu werden wünschte, hatten die Ältesten keine Einwände. Der circa Zwanzigjährige und seine gleichaltrige Braut wurden am 3. November 1912 schließlich öffentlich getraut. Bemerkungen in das Trauungsverzeichnis wurden nicht eingetragen.147 Die öffentliche Buße war ein wesentlicher Bestandteil der Kirchenzucht. Er entsprach theologischen Vorbildern und erfüllte in der Mission gleich mehrere Funktionen: Die öffentliche Buße in der Christenversammlung oder im Gottesdienst sollte nicht nur die individuelle Buße befördern, sondern vor allem erzieherisch auf die Gemeinde wirken, der durch die öffentliche Thematisierung von Vergehen ein christlicher Verhaltenskodex nahegelegt wurde. Die öffentliche Buße von ‚sündigem‘ Verhalten beziehungsweise von einem Verstoß gegen die christliche Sitte diente aber auch dem Bild der Gemeinde nach außen – im Hinblick auf weitere potenzielle Mitglieder, aber auch im Hinblick auf Katholiken und Angehörige der Kolonialverwaltung. Die durch Kirchenzucht, die im Übrigen eine eigene, von Kolonialbehörden getrennte Jurisdiktion darstellte, geübte öffentliche Buße trug zu dem Bild einer funktionierenden und geordneten Gemeinde nach außen hin bei. Besonders verdeutlicht dies der Ausschluss von vier Kostschülern binnen weniger Monate im Frühjahr 1909. Davidi Ļimo hatte Missionar Stammberg im März gestanden, mit Maria Ngovi Geschlechtsverkehr gehabt zu haben, war aber nicht gewillt, öffentlich Buße zu tun. Davidi und ein „heidnischer“ Junge seien, so vermerkt das Protokoll, außerdem mehrere Male mit zwei Kostschülerinnen erwischt worden. Die beiden Mädchen Mila Tšaro und Marta wurden vom Abendmahl zurückgestellt und liefen schließlich Anfang April von der Station fort. Dies taten auch die beiden Jungen. Davidi Ļimo und Maria Ngovi wurden zudem beide im Mai aus der Gemeinde ausgeschlossen. Maria lebe in Moshi „in offen145 Protokollbuch, 8.12.1910, 30, ELCT 18. 146 Protokollbuch, 11.1.1912, 33, ELCT 18. 147 Trauungsanzeigen Mamba, 11, ELCT 20.
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barer Fleischsünde“, worauf „das ganze Land, die Heiden, ihre Sünden besingt“148. Die Verkündigung des Ausschlusses aus der Gemeinde erfolgte in diesem Fall sogar nicht wie üblich in der Christenversammlung, sondern „weil die Sünden offenkundig“ seien, im Sonntagsgottesdienst, und zwar „besonders aus dem Grunde, weil die Heiden, besonders auf Marias liederliches Leben, Spottlieder singen“.149 Die Gemeindemitglieder wussten um die Bedeutung der öffentlichen Buße und die zumindest inoffiziellen Regeln des standardisierten Prozesses der Kirchenzuchtübung, in dem das Bekennen der Sünde oder auch nur das Öffentlich-werden der Sünde die Ingangsetzung des Prozesses bewirkten, die Akzeptanz der Strafe und insbesondere das Ableisten der öffentlichen Buße schließlich aber zu einer Wiederaufnahme der Sündigen führten. Kornelio Mašayo beispielsweise gestand deshalb selbst bei einem Ältesten den Geschlechtsverkehr mit einer „Heidin“ aus Mwika und erklärte sich sofort bereit, „ein Schaf oder eine Ziege im Werte von 5 Rupien zu stellen, vor der versammelten Gemeinde offen zu bekennen, um Verzeihung zu bitten und einen christlichen Wandel zu loben.“ Zwar musste er seine Sünde mit Rücksicht auf die „Heiden“ öffentlich bekennen, er konnte aber durch seine Bereitwilligkeit zur Buße einen Ausschluss aus der Gemeinde abwenden.150 Dass durch den standardisierten Prozess der Wiederaufnahme bei ernsthaftem Begehren und Bereitschaft zur öffentlichen Buße auch den Ältesten und vor allem den Missionaren die Hände gebunden waren und die Regeln der christlichen Gemeinde und Sitte in diesem Prozess immer wieder neu verhandelt wurden, zeigt der besondere Fall des Elisieri Lauo. Am 3. März 1909 verhandelte der Gemeindevorstand das erste Mal über Elisieri. Dieser wolle sich, weil seine Frau Ndeļimiko Sayo unfruchtbar sei, „eine zweite heidnische Frau nehmen“, ja denke sogar über eine dritte Frau nach. Auch ein Gespräch mit Missionar Stammberg habe ihn davon nicht abbringen können. Eliseri war daraufhin am 13. Mai aus der Gemeinde ausgeschlossen worden.151 Ndeļimiko Sayo, die nach christlichem Recht seine Ehefrau blieb,152 wollte nun ihrerseits auch die Trennung und verheiratete sich mit dem „reichen Heiden“ Mšabaa, der polygam lebte. Ndeļimiko sollte daraufhin ebenfalls aus der Gemeinde ausgeschlossen werden, und zwar auch um den bösen Nachreden Eliseris, der eine Ungleichbehandlung der Eheleute öffentlich beklagte, zu begegnen.153 Am 7. November berichtete Missionar Raum schließlich,
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Protokollbuch, 3.3.1909, 16, ELCT 18. Protokollbuch, 13.5.1909, 18, ELCT 18. Protokollbuch, 12.8.1909, 23, ELCT 18. Protokollbuch, 3.3.1909, 15, ELCT 18. Dies entsprach auch der Praxis anderer Missionsgesellschaften. Siehe dazu Johannes Triebel, Polygamie als Taufhindernis. 100 Jahre Auseinandersetzung dargestellt am Beispiel Südwest-Tanzanias, in: Joel Ngeiyama / Johannes Triebel (Hg.), Gemeinsam auf eigenen Wegen. Ev.-Luth. Kirche Tanzanias nach hundert Jahren, Erlangen 1994, S. 307–323. Die beiden waren am 4. September 1904 von Missionar Schanz getraut worden. Verzeichnis der Getrauten, Mamba, 4–5, ELCT 19. Protokollbuch, 26.10.1909, 24–25, ELCT 18.
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dass er – auf Anraten des „früheren Hirten und Vaters der Gemeinde“154 Senior Althaus – noch einmal mit Ndeļimiko Sayo verhandelt habe, was aber zu keinerlei Ergebnis geführt habe.155 Während Elisieri, der frühere Ehemann, ja bereits am 6. Oktober 1910 um Rückkehr in die Gemeinde bat, äußerte Ndeļimiko denselben Wunsch erst am 5. Januar 1911. Dem Missionar und den Ältesten waren die Schwierigkeiten, die mit diesem Wunsch einhergingen, durchaus bewusst. Bereits im Oktober habe man über die Frage diskutiert, wie mit den Eheleuten zu verfahren sei. Elisieri hatte nämlich mittlerweile zwei andere Frauen geheiratet, Ndeļimiko dagegen ihrem neuen Ehemann Mšabaa ein Kind geboren. Der Beschluss der Ältesten ging dahin, dass Elisieri die Rückkehr mit einer seiner beiden neuen Frauen gestattet sei. Die Rückkehr Ndeļimiko als Mšabaas Frau könne, wenn sie öffentlich Buße täte, aufgrund des Kindes nicht versagt werden. Die Ehescheidung von Ndeļimiko und Elisieri war damit faktisch anerkannt worden. Der Fall wurde schließlich erneut thematisiert, als eine der neuen Frauen Elisieris, Ndekotšo, zur Taufe zugelassen werden sollte. Diese hatte sich zum Taufunterricht gemeldet, nachdem Elisieri den Bescheid erhalten habe, dass er mit einer Frau in die Gemeinde zurückkehren könne. Elisieri hatte den Auflagen des Gemeindevorstandes jedoch nicht Folge geleistet, stehe 1912, so die Ältesten, gar vor der Heirat einer weiteren Frau. Ndekotšos Begehren nach der Taufe schien nun zumindest zweifelhaft, zumal sie, so die Vermutung des Ältesten Paulo, Geschlechtsverkehr mit anderen Männern habe und auch weiter haben werde, da Elisieri ja offenbar unfruchtbar sei. „Meint sie es aufrichtig, so muß sie als einzige Frau bei Elisieri bleiben, wenn Gott will, auf Kindersegen verzichten.“156 Das Gebären von Kindern beeinflusste die soziale Stellung der Frau bei den Chagga. Kinder blieben bis ins Erwachsenenalter hinein bei ihren Müttern, die durch die Kinder, insbesondere durch die Söhne, damit auch ein Druckmittel gegenüber dem oft polygam lebenden Ehemann hatte. Kinder bedeuten die Fortsetzung der Familie und des clans. Für Mädchen stand der Familie zudem bei der Verheiratung ein meist nicht geringer Brautpreis zu. Unfruchtbare Paare waren nicht selten Spott ausgesetzt oder galten gar als verflucht. Nicht zuletzt wurden Kinderlose anders beigesetzt als Väter oder Mütter, sodass die Fortsetzung der Familie auch über den Tod hinaus Bedeutung für den Einzelnen hatte.157 Dass Ndeļimiko und Elisieri sich nach anderen Partnern, mit denen das Zeugen von Kindern möglich war, umschauten, hing vermutlich mehr mit diesen sozialen
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Ebd., 25. Protokollbuch, 7.11.1909, 25, ELCT 18. Protokollbuch, 27.7.1914, ELCT 18. Günter Kohler, Seelsorge im Kontext Ostafrikas. Eine Untersuchung zur Interaktion zwischen religiös-sozialer Tradition in Ostafrika und partnerzentrierter Seelsorge und Beratung, Neuendettelsau 2001, 38.
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Folgen der Kinderlosigkeit zusammen als mit einer expliziten Ablehnung der christlichen Sitte. Bruno Gutmann beschrieb es sogar bei den Chagga als durchaus übliches Vorgehen, dass sich Eheleute verabredeten, auseinanderzugehen und zu „proben“, ob man mit einem anderen Partner beziehungsweise einer anderen Partnerin Nachwuchs bekommen könne.158 Der Einbezug der Gemeinde seitens Elisieris und Ndeļimikos in diese Ehestreitigen belegt erstens die grundsätzliche Akzeptanz der christlichen Gemeinde als Rechtsinstanz, die damit auch langfristig die Autorität der chiefs untergrub. Zweitens, und dies scheint noch wichtiger, zeigt dieses Beispiel auch, dass Christinnen und Christen die Ältestenversammlung und ihre standardisierten Verfahren taktisch nutzen konnten, indem sie gezielt „morality plays“ aufführten.159 Christinnen und Christen wussten um Argumentations- und Verhaltensweisen und die entsprechenden Verfahren, um das von ihnen gewünschte Ergebnis solcher Verhandlungen herbeizuführen. Den Missionaren waren in diesen Fällen die Hände gebunden. Vieles deutet darauf hin, dass das Fallen unter die Kirchenzucht oder auch ein kurzzeitiger Ausschluss aus der Gemeinde von den Christinnen und Christen durchaus in Kauf genommen wurde. Ein Verstoß gegen einzelne, vermeintlich feststehende christliche Normen meinte in der Perspektive dieser Christen vermutlich ebenso wenig eine völlige Abkehr vom Christentum wie die Taufe eine völlige Hinwendung meinte. Die Kirchenzuchtfälle, das standardisierte Verfahren und die stetig bestehende Möglichkeit des Wiedereintritts nahmen so Einfluss darauf, welche Normen als christlich angesehen wurden und welche nicht. Zeitgenössisch wurde, verweisend auf das Neue Testament, in der christlichen Dogmatik unter Konversion eine „rückhaltlose Übergabe des Herzens an Gott“160 verstanden; ein „vollständiger Bruch mit dem Heidentum“ und ganzheitlichen Anschluss an das Christentum mache eine Konversion, so Warneck, aus.161 Neuere Ansätze, auch
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Gutmann, Recht der Dschagga, 197. Peterson, Morality Plays. Hoch, Taufewerber, 11–14. Warneck, Missionslehre III.1, 209. Für Missionare war deswegen nicht selten die Konversion im Ideal mit der Bildung einer neuen Persönlichkeit verbunden, Meyer, Translating the Devil, xxi; Richard Eves, Colonialism, Corporeality and Character. Methodist Missions and the Refashioning of Bodies in the Pacific, in: History and Anthropology 10 (1996), S. 85–138, der v. a. die Bedeutung des Körpers betont. Eine solche Perspektive wurde lange Zeit von der (soziologischen) Forschung zu Mission beibehalten, wobei auch die theologische Deutung der Unumkehrbarkeit der Taufe eine wichtige Rolle spielte. Siehe dazu u. a. David A Snow / Richard Machalek, The Sociology of Conversion, in: Malcolm Hamilton (Hg.), The Sociology of Religion. Critical Concepts in Sociology. Bd. 5: Religious Movements, London/New York 2007 (1984), S. 260–283. Richebächer, Religionswechsel, unterschied bspw. Religionswechsel, bei dem auch andere Motive eine Rolle spielen, von einer mit Ergriffenheit verbundenen Bekehrung. Die Taufe besiegele schließlich den langen Prozess des Religionswechsels. Eine solche Trennung übernimmt für die Analyse auch Becker, Conversio. Sie beschreibt aber, wie Missionare den Anspruch einer vollständigen Bekehrung vor der Taufe schließlich aufgeben mussten. Ebd., 522–523. Motive von Konversion – häufig gerade jenseits einer
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innerhalb der Religionswissenschaften und der Praktischen Theologie gehen stattdessen vermehrt von diesem zeitgenössischen Konversionsverständnis weg und machen auf Überlappungen und Kumulationen verschiedener religiöser Traditionen aufmerksam.162 Es ließe sich vielmehr von einer „religiösen Mobilität“ – manchmal auch nur auf Zeit – sprechen, statt von einer tatsächlichen vollständigen Umkehr.163 An solche Forschungen und an solche, die den Konversionsbegriff als eurozentrischem Begriff einer postkolonialen Kritik unterziehen,164 anschließend, lassen sich die Beispiele von Kirchenzucht dann nicht als Erfolge oder Misserfolge einer Konversion verstehen, sondern können als Aushandlung von christlicher Gemeinde und GemeindezugehöÜberzeugung von der jeweiligen neuen Religion wurden insbesondere im sozialen Umfeld der Konvertiten oder ihrer wirtschaftlichen Situation gesucht. Besser Zugang zu medizinischer Versorgung, zu Nahrungsmitteln oder auch nur eine Verbesserung der sozialen Situation wurden in der Mission als wichtige Motive ausgemacht, sich dem Christentum zuzuwenden. Dieter Becker, Bekehrung verstehen. Einseitige Anmerkungen in missionswissenschaftlicher Perspektive, in: Zeitschrift für Mission 30 (2004), S. 303–316, 306. Insbesondere die Gruppenzugehörigkeit wurde als einer der wesentlichen Gründe für Konversion ausgemacht. Kajsa Ahlstrand, Conversion and Identity in Interfaith Encounters, in: Dagmar Heller (Hg.), Bekehrung und Identität. Ökumene als Spannung zwischen Fremdem und Vertrautem, Frankfurt a. M. 2003, S. 120–133, 124. Konversionen wurden so vor dem Hintergrund biographischer Problemlagen als Krisenbewältigungsstrategie gedeutet, z. B. Monika Wohlrab-Sahr, Paradigmen soziologischer Konversionsforschung, in: Christian Henning / Erich Nestler (Hg.), Konversion. Zur Aktualität eines Jahrhundertthemas, Frankfurt a. M. u. a. 2002, S. 75–93, 89–90. Religiöse Erklärungsmuster wurden auch vor dem Hintergrund einer Perspektive auf Konversion als einer „colonization of consciousness“ (Comaroff/ Comaroff, Colonization of Consciousness) in der Mission zurückgewiesen. Dies kritisiert bereits Stanley, Conversion, 328. Wichtige Impulse lieferte zu einer Dekonstruktion der häufig einzigen Quellen von Konversion – den in der Rückschau verfassten Konversionsberichten – der lingustic turn Konversion wird dann als kommunikative Handlung aufgefasst. Monika Wohlrab-Sahr u a , Religiöse Bekehrung in soziologischer Perspektive. Themen, Schwerpunkte und Fragestellungen der gegenwärtigen religionssoziologischen Konversionsforschung, in: Dies. (Hg.), Religiöse Konversion. Systematische und fallorientierte Studien in soziologischer Perspektive, Konstanz 1998, S. 7–46, 27. Dazu auch Talal Asad, Comments on Conversion, in: Peter Van der Veer (Hg.), Conversion to Modernities: The Globalization of Christianity, New York/London 1996, S. 263–273, 266. Zur Analyse von Konversionserzählungen jüngst Rüther u a , Gender. Das grundsätzliche christliche Modell eines Religionswechsels, wie es sich genealogisch aus Konversionsnarrativen ergeben hat, wird in diesen Forschungen jedoch meistens nicht verlassen. 162 Zum Synkretismusbegriff Ulrich Berner, Synkretismus. Begegnung der Religionen, in: Joachim G. Piepke (Hg.), Kultur und Religion in der Begegnung mit dem Fremden, Nettetal 2007, S. 47–68. 163 Christine Lienemann-Perrin, Konversion im interreligiösen Kontext. Eine missionswissenschaftliche Perspektive, in: Zeitschrift für Mission 30 (2004), S. 216–231, 224. 164 Kim Siebenhüner, Glaubenswechsel jenseits des Eurozentrismus. Überlegungen zum Konversionsbegriff und zur Differenzierung frühneuzeitlicher Konversionsphänomene, in: Christine Lienemann-Perrin / Wolfgang Lienemann (Hg.), Religiöse Grenzüberschreitungen. Studien zu Bekehrung, Konfessions- und Religionswechsel – Crossing Religious Borders. Studies on Conversion and Religious Belonging, Wiesbaden 2012, S. 251–269, 256. Ähnlich auch Habermas, Mission und Individualisierung, die betont, dass das dem Konversionsbegriff zugrunde gelegten Konzept von Individualität überdies eng verwoben war mit dem kolonialen Diskurs. Ebd , 545. Zur Verwobenheit von Kolonialismus und Konversion grundlegend Gauri Viswanathan, Outside the Fold. Conversion, Modernity, and Belief, Princeton 1998. Auch Rüther u a , Gender, bezeichnen Konversion als eurozentrischen Begriff und plädieren für ein Konzept eines „change of religion“.
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rigkeit begriffen werden.165 Kirchenzuchtverfahren in Anspruch zu nehmen und die Jurisdiktion zu akzeptieren, hieß auch, sich den damit verbundenen Normen zu unterwerfen, die dabei aber gleichzeitig einem stetigen Wandel unterworfen waren. Ein wichtiger Faktor in diesem Prozess war nicht zuletzt die politische oder wirtschaftliche Situation. Ab 1915 kam es, vermutlich aufgrund der veränderten Machtstellung der Missionare durch den Ersten Weltkrieg, immer häufiger dazu, dass einzelne „Sünder“ eine Rückkehr in die Gemeinde ablehnten und sich der Kirchenzucht nicht unterwarfen.166 Dass die Gemeindezugehörigkeit und die grundsätzliche Akzeptanz christlicher Normen den Rückgriff auf vermeintlich „heidnische“ Handlungsoptionen keineswegs ausschlossen, zeigt der Fall der Nderutonkiveú Nakule. Das Inanspruchnehmen medizinischer Versorgung durch „heidnische“ Heiler war kein Einzelfall. Ndetalo Mbando aus Mboń kehrte beispielsweise wieder in die Gemeinde zurück, nachdem sie „den Mißerfolg der heidn. Zeremonie gesehen habe“ und deswegen beschlossen habe, sich „wieder an Gott zu halten“.167 Ausgeschlossen wurde eine Gemeindezugehörigkeit schließlich nur, wenn eine völlige Rückkehr in „heidnischen Geistes- und Aberglauben“ vorzuliegen schien. So wurde Sara Mende, nachdem sie mehrfach öffentlich als „heidnisch“ konnotierte Aussagen und Flüche ausgestoßen hatte, eine allzu schnelle Rückkehr in die Gemeinde versagt, „da ihre Versündigung gegen das erste Gebot und ihre heidnischen Redensarten eine recht hartnäckige Form an sich“ trügen.168 In diesen Grenzziehungen, die ja sogar den Kern des Christentums betrafen, waren jedoch nicht nur die Missionare mächtige Akteure. Eine besondere Agency kam den Ältesten zu, die als gewählte Vertreter der Gemeinde an der Kirchenzucht mitwirkten. Die Ältesten hatten sich zu ersten Vertretern einer „christlichen Elite“ im Missionsgebiet entwickelt, deren Einflussbereich sich mit zunehmender Gemeindegröße beständig erweiterte.169 Den Ältesten kam nicht selten eine Vermittlerrolle zu.170 Weil sie wichtige Aufgaben in der Gemeindepflege übernahmen, waren es gerade sie, die als erste von „Verfehlungen“ gehört hatten. Ob und wann sie einen Fall dann vor dem Ältestenrat zur Sprache brachten, lag in ihrem Ermessensspielraum. Auch bei Zulassungen zur Taufe oder der Erteilung von Heiratserlaubnissen waren Missionare auf die Mitarbeit der Ältesten angewiesen, die häufig die Gemeindemitglieder innerhalb ihres Bezirkes deutlich besser kannten. Dass sich die Stellung der Ältesten immer weiter festigte, zeigt nicht zuletzt, dass sie sich spätestens ab 1912 stärker untereinander vernetzten. Die Mitwirkung der Ältesten und Lehrer an der Kirchenzucht etablierte 165 166 167 168 169
Peel legt ebenfalls eine soziale Zugehörigkeit zugrunde. Peel, Religious Encounter, 216. Siehe dazu auch Wetjen, Gemeinde im Laboratorium. Protokollbuch, 21.9.1915, 84, ELCT 18. Protokollbuch, 22.8.1916, 97, ELCT 18. Die Ältesten entwickelten sich hier schließlich durchaus zu einer lokalen Autorität neben dem chief. Hasu, Desire and Death, 143. 170 So z. B. am 3. März 1909. Protokollbuch, 3.3.1909, 14, ELCT 18.
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schließlich eine ekklesiologische Praxis, die eine lokale Ausprägung von Christentum ermöglichte. Was christlich war und was nicht, wurde immer weniger von Missionaren und immer mehr von den Ältesten und Lehrern beziehungsweise der Gemeinde selbst bestimmt.171 Als Bruno Gutmann 1925 einen Entwurf für eine neue Gemeindeordnung für die Chagga-Mission vorstellte und ihn auch in der Dorfkirche veröffentlichte, entwarf er in ihm ein Gemeindekonzept, das wesentlich auf der tätigen Mithilfe zahlreicher Gemeindemitglieder angewiesen war.172 So traten neben die Ältesten, deren Stellung noch erhöht wurde, beispielsweise Nachbarschafts- und Ackerpfleger. Die Gemeinde- und Kirchenzucht blieb aber auch in dieser Ordnung bestehen,173 sie schien unumgänglich zur „Erneuerung der Heimatgemeinde aus den schöpfungsmäßigen Erstverbindungen zum Gliederverbande Christi – die Vorbedingung für gesunden Gemeindeaufau aus der Heidenwelt.“174 Diese Wertschätzung der Kirchenzucht ergab sich aus ihrer Gleichsetzung mit einem gesunden und lebendigen christlichen Gemeindeleben. So propagierte Julius Richter: „Dies eigene Leben der Gemeinde findet seinen konkreten Ausdruck in der Kirchenzucht, die fast überall in den heidenchristlichen Gemeinden eine große Macht und ein Segen ist. In ihr sucht die Gemeinde das in sie gepflanzte neue sittliche Leben vor der Trübung zu wahren und zumal das Eindringen grober heidnischer Unsittlichkeit zu verhindern.“175
Kirchenzucht wurde mithin als Mittel wahrgenommen, eindeutige Grenzen zwischen dem „Heidnischen“ und dem Christlichen und Sittlichen durchzusetzen. Dass aber gerade auch die christlichen Gemeinden in der Heimat der Durchsetzung der Letzteren bedürften, stand dabei ebenfalls außer Frage. Wie eine christliche Gemeinde organisiert sein sollte, wem in welchem Umfang Leitungs- und Beratungsfunktionen übertragen werden sollten und welche Aufgabe eine Gemeinde zu erfüllen hatte, war innerhalb der deutschen protestantischen Landeskirchen über das gesamte 19. Jahrhundert hinweg intensiv und kontrovers diskutiert worden. Nicht zuletzt hatte das
171
172 173 174 175
Wetjen, Gemeinde im Laboratorium. Für die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg untersucht dies Godson S Maanga, Church Growth in Tanzania. The Role of Chagga Migrants within the Evangelical Lutheran Church in Tanzania, Erlangen 2012. Hinweise auf die Bedeutung der Lehrer für die Entstehung eines afrikanischen Christentums auch bei Keith Ferdinando, Christian Identity in the African Context: Reflections on Kwame Bediako’s Theology and Identity, in: Journal of the Evangelical Theological Society 50 (2007), S. 121–143. Besonders wichtig auch Birgit Meyer, Beyond Snycretism: Translation and Diabolization in the Appropriation of Protestantism in Africa, in: Charles Stewart / Rosalind Shaw (Hg.), Syncretism/Anti-Syncretism, London/New York 1994, S. 45–68. Siehe dazu ausführlich Kap. 4.4 dieser Studie. Bruno Gutmann, Entwurf einer ev.-luth. Kirchengemeindeordnung, in: Die Dorfkirche. Monatsschrift für Kirche und Volkstum 27 (1934), S. 18–22. Siehe dazu auch sein Werk Ders , Gemeindeaufau. Ders , Gemeindeaufau. Das Zitat bezieht sich auf die Kapitelüberschrift. Richter, Das deutsche Kolonialreich, 146.
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Auseinandertreten der christlichen und der bürgerlichen Gemeinden durch die Einführung der Synodalordnungen und der damit verbundenen Aufwertung der Gemeindemitglieder zu strukturellen Veränderungen innerhalb der kirchlichen Gemeinden geführt,176 die nicht zuletzt die Ausübung von Kirchenzucht immer mehr an den Rand gedrängt hatten.177 Tatsächlich wurde zwar die Kirchenzucht kaum mehr ausgeübt, ganz so ad acta gelegt, wie es die Forschung zur Kirchenzucht für das Ende des 19. Jahrhunderts glauben machen will, war sie aber nicht.178 1901 konnte zum Beispiel Friedrich Uhlhorn, lutherischer Pastor in Hameln,179 in einer Besprechung der Kirchenzucht, die „jetzt auf zahlreichen Synoden der evangelischen Landeskirchen“ behandelt werde, es als lutherische Ansicht bezeichnen, „daß Kirchenzucht nothwendig sei nicht bloß aus der allgemeinen Rücksicht der gesellschaftlichen Ordnung, sondern auch aus der Rücksicht auf die Ehre Christi und den besonderen Charakter der christlichen Gemeinschaft“.180 1904 stellte beispielsweise die Bezirkssynode Burgwedel auf der Landessynode der lutherischen hannoverschen Kirche den Antrag, „daß die Kirchenzucht nach den Bedürfnissen der Gegenwart fortgebildet werden möchte und solches durch ein neues Gesetz geregelt werde.“181 Der Antrag geht auf ein Referat eines Bissendorfer Pastors zurück, der die häufige Behandlung der Kirchenzuchtfrage auf den verschiedenen Synoden thematisierte, die Uneinheitlichkeit ihrer Anwendung beklagte und vor allem die Kirchenvorstände in die Pflicht nahm, sich der Frage des sittlichen Lebens der Gemeinde (wieder) stärker anzunehmen. Praktiken, die hier unter Kirchenzucht
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Siehe dazu einführend Hölscher, Geschichte der protestantischen Frömmigkeit, 253–259. Leith, Kirchenzucht, 186. Dazu führten auch immer engere gesetzliche Bestimmungen. Kirchenzucht durfte sich gemäß dem Gesetz vom 13.5.1873, in dem die Grenzen des Rechts zum Gebrauch kirchlicher Straf- und Zuchtmittel geregelt wurden, nur noch auf das religiöse Gebiet beschränken. Strafen waren deshalb v. a. der Entzug kirchlicher Ehrenrechte. Siehe dazu Carl Baustaedt, Handbuch für die kirchliche Verwaltung in der hannoverschen Landeskirche, Hannover 1899, 37. 178 So z. B. auch Altena, der betont, dass Kirchenzucht zwar in der Mission gängige Praxis war, in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts aber in den deutschen Landeskirchen abgeschafft worden war. Altena, Ein Häuflein Christen, 174. 179 Uhlhorn verfasste mehrere Werke, die sich der Praktischen Theologie zuordnen lassen. Als Sohn des einflussreichen hannoverschen Theologen Gerhard Uhlhorn, erhielten seine Werke einige Aufmerksamkeit. Klaus-Gunther Wesseling, Gerhard Uhlhorn, in: BBKL 12 (1997), 820–837. Dass die Frage nach einer richtigen Handhabung von Kirchenzucht immer wieder diskutiert wurde, zeigt unter anderem Gerhard Ebeling, Kirchenzucht, Stuttgart 1947, der auch 1947 aus der Bekennenden Kirche heraus die Ausübung von Kirchenzucht zur „Erbauung der Gemeinde“ (ebd., 57) empfahl. 180 Uhlhorn, Kirchenzucht, 1 und 3. 181 Anträge der Bezirkssynode Burgwedel vom 6. Juli 1904, in: Aktenstücke der 7. ordentlichen Landessynode der evangelisch-lutherischen Kirche Hannovers 1905–1906 (1905), Nr. 10, S. 14–15, 14. Dieser Antrag war ein Kompromiss gewesen, der einerseits den Wunsch berücksichtigte, Kirchenzucht weiter zu üben, andererseits aber auch berücksichtigte, dass Kirchenzucht eigentlich kaum noch geübt wurde. Protokoll der Verhandlungen der Bezirkssynode Burgwedel, 6.7.1904, Anlage F, LkAH, D 33, Gen. BurgW. A. 141IIIa.
4.2 Konversionen und Gemeindebildung
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verstanden wurden, war das Untersagen, ein Patenamt zu übernehmen, der Ausschluss vom Abendmahl, das (öffentliche) Rügen des Anmaßens kirchlicher Ehren bei der Trauung, damit war das Tragen eines Schleiers ebenso wie Geläut gemeint, obwohl man diese zum Beispiel wegen vorehelichen Geschlechtsverkehrs nicht hätte haben dürfen, das Versagen einer kirchlichen Beerdigung von Selbstmördern, das Entziehen des Wahlrechts bei kirchlichen Wahlen und die Verweigerung von Armenunterstützung bei unsittlichem Verhalten.182 Zu einer Regelung, die einer Wiedereinführung der Kirchenzucht in veränderter Form nahegekommen wäre, hatte sich die Kommission auf der Landessynode zwar nicht durchringen können, aber: „Sie hat im vollem Maße die hohe Bedeutung und die Wichtigkeit der Sache anerkannt“. Sie empfahl deswegen zunächst bei den einzelnen Kirchenvorständen nachzuforschen, was noch an Kirchenzucht übrig sei und diese jedenfalls weiter auszuüben.183 Ähnliche Anträge hatten auch die sächsische Landessynode beschäftigt, auf der unter anderem Christoph Ernst Luthardt für den Petitionsauschuss tätig war.184 All diese Anträge hingen eng zusammen mit Klagen über die „öffentliche Sittlichkeit“. Im Jahr 1911 klagte die Landessynode Hannover beispielsweise, dass „der Stand der öffentlichen Sittlichkeit derart ist, daß auf diesem Gebiet die schwersten Gefahren für das Gemeindeleben und für die Sittlichkeit des Einzelnen namentlich auch für die Jugend bestehen.“185 Zwar hälfen die Einrichtungen der Inneren Mission, es gelte aber vor allem, „der Unsittlichkeit den Boden abzugraben“, wozu insbesondere Geistliche und Kirchenvorsteher durch eigenes Beispiel und Ermahnungen sowie der Stärkung des Familienlebens beitragen sollten.186 Ebenso wie in den Missionsgemeinden wurde die Kirchenzucht deswegen als Mittel gesehen, die „Unsittlichkeit“ in der Heimat zu bekämpfen: „Das ist ein Vorbild auch für uns; wir dürfen nicht verzagen. In unsern Großstädten wird der Kampf gegen die sittliche Verwahrlosung oft als vergeblich aufgegeben: Da können und sollen wir an den Missionaren uns ein Beispiel nehmen. Dort ist die Kirchenzucht
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Protokoll der Verhandlungen der Bezirkssynode Burgwedel, 6.7.1904, Anlage E, LkAH, D 33, Gen. BurgW. A. 141IIIa. 183 21. Sitzung der Landessynode. 18. Dezember 1905, in: Protokolle der 7. ordentlichen Landessynode der evangelisch-lutherischen Kirche Hannovers 1905–1906 (1905), S. 881–951, 925. 184 Z. B. Verhandlungen der vierten evangelisch-lutherischen Landeskirche im Königreich Sachsen, Dresden 1886, 293–312. 185 Anträge des Vierzehner-Ausschusses zum Schreiben des Königlichen Landes-Konsistoriums vom 10. November 1911, betreffend die nach § 64,1 der Kirchenvorstands- und Synodalordnung der Landessynode zu machenden Mitteilungen, in: Aktenstücke der 8. ordentlichen Landessynode der evangelisch-lutherischen Kirche Hannovers 1911 (1911), S. 375–390, 388. Die Fälle von Unzucht und Unsittlichkeit wurden vom Konsistorium der Landessynode mitgeteilt und damit im wesentlichen Visitationsergebnisse zusammengefasst. 186 Ebd., 388–389.
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noch streng, und der Missionar hat den Mut, der Sünde und dem Sünder entgegenzutreten.“187
In diesen Beiträgen und Werbungen für die Wiedereinführung der Kirchenzucht wurde eine direkte Verbindungslinie von wirksamer Ausübung von Kirchenzucht und einer „lebendigen“ und „sittlich reifen“ Gemeinde gezogen, die mit Beispielen aus dem erfolgreichen Einsatz der Kirchenzucht in den Missionsgemeinden, die – trotz aller Rückschläge – als Vorbilder für die vermeintlich vom Christentum abgefallenen Großstadtgemeinden dienen könnten. Die Forderung nach dem althergebrachten, aber letztlich unmodern gewordenen Mittel der Kirchenzucht speiste sich dabei wesentlich aus dem Wunsch, eindeutige Definitionen christlichen Verhaltens durchsetzen zu können, wie es aus der Perspektive der Heimat im Missionslabor möglich schien. 4.3 Andacht und Frömmigkeit im Missionsraum Den räumliche Bezugspunkt der christlichen Gemeinden im Missionsgebiet ebenso wie in den Heimatgemeinden bildete die Missionsstation, auf der nicht nur der Missionar und dessen Familie lebte und arbeitete, sondern sich auch die Gemeinde versammelte, Gottesdienst feierte, lernte und arbeitete. Einige der missionierten Christen wohnten ebenfalls auf den Missionsstationen bzw. in unmittelbarer Nähe.188 Missionsstationen wurden durch die verschiedenen Akteurinnen und Akteure, die hier zusammenkamen, die verschiedenen Ziele, mit denen sie aufgesucht und genutzt wurden, und durch die von ihnen ausgehende und über sie selbst hinausreichende Wirkung geprägt. Missionsstationen waren Räume, in denen sich die christliche Gemeinde formierte und materialisierte. Den Kern einer Missionsstation bildete die Kirche. Katholische und protestantische Gebäude und die mit ihnen einhergehende Umgestaltung des außereuropäischen Raumes symbolisierten insbesondere für die Europäer religiösen Wandel und den wachsenden Einfluss der (europäischen) Kirchen.189 Eine Kirche markierte nicht nur 187 188
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Kirchberg, Bericht über die IX. Allgemeine lutherische Konferenz, 57–58. Konrad, Missionsbräute, 269–341, Wendt, Die missionarische Gesellschaft. Gunther Pakendorf, Mission als Gewalt. Die Missionsordnung im 19. Jahrhundert, in: Ulrich van der Heyden / Jürgen Becher (Hg.), Mission und Gewalt. Der Umgang christlicher Missionen mit Gewalt und die Ausbreitung des Christentums in Afrika und Asien in der Zeit von 1792 bis 1918/19, Stuttgart 2000, S. 237–250, sieht Missionsstationen auch als Orte der Gewalt; Hölzl bezeichnet sie treffend als „Umschlagplatz für Informationen und Wissen“. Richard Hölzl, Pater August Schynse (1857–1891), in: Rebekka Habermas / Alexandra Przyrembel (Hg.), Von Käfern, Märkten und Menschen, Göttingen 2013, S. 61–72, 61. Ebd., 173. Wie Jürgen Osterhammel zeigt, zählten Kirchen somit auch zu Landmarkern des Kolonialismus. Jürgen Osterhammel / Jan C Jansen, Kolonialismus. Geschichte, Formen, Folgen. 7. Aufl., München 2012, 88. Altena, Ein Häuflein Christen, 181.
4.3 Andacht und Frömmigkeit im Missionsraum
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den weithin sichtbaren Anspruch des Christentums auf den Raum, sie fungierte auch als rituelles Zentrum.190 Kirchenräume als „materielle und symbolische Arrangements“ tragen unter anderem über die Liturgie, über Verhaltensregeln und „emotionale Erlebnismodelle“ zu einer Definition von Christentum und Gemeinde bei.191 Gleichzeitig werden in diesen Räumen unterschiedliche Machtpositionen sichtbar und verhandelt. Die Fragen, wer wo saß, wer an welchem Gottesdienst teilhaben durfte und welche Kleidung für einen Gottesdienst als angemessen angesehen wurde, waren Teil der missionarischen Machtausübung und boten gleichzeitig Raum für Widerstände und Aushandlungen. „Diese Aneignungsprozesse sind als wesentlicher Bestandteil dessen zu interpretieren, was unter ‚Luthertum‘ zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort zu verstehen war.“192 Hinzu trat eine weitere, erst in der Perspektive auf Verflechtungen sichtbare Dimension dieser Missionsstationen als Missionsräume. Missionsstationen galten als „Bollwerke“ inmitten des als feindlich wahrgenommenen „Heidentums“ und waren imaginierte Bezugsräume für die Missionsgemeinde in der Heimat.193 Die Produktion und 190 Jeanne Halgren Kilde, Sacred Power, Sacred Space. An Introduction to Christian Architecture and Worship, Oxford 2008, 3. Clemens W Bethge, Kirchenraum. Eine raumtheoretische Konzeptualisierung der Wirkungsästhetik, Stuttgart 2015, bespricht in seiner theologischen Dissertation verschiedene Theorien, um die neuere theologische Forschung zum Kirchenraum einzuordnen. Hier käme der Frage nach dem Kirchenraum als „heiligem Raum“ eine besondere Bedeutung zu. Siehe dazu auch Helmut Umbach, Heilige Räume – Pforten des Himmels. Vom Umgang der Protestanten mit ihren Kirchen, Göttingen 2005. Schaede bezeichnet den Kirchenraum als „potentielles religiöses Performativ“ in Anlehnung an die Sprachwissenschaft. „Der Raum bekräftigt, was geistlich getan oder gelassen wird. Er ist nicht heilig, indem er stellvertretend für Personen betet oder singt. Aber er kann dazu ermuntern und anreizen.“ Stephan Schaede, Heilige Handlungsräume? Eine theologisch-raumtheoretische Betrachtung zur performativen Kraft von Kirchenräumen, in: Ingrid Baumgärtner u. a. (Hg.), Raumkonzepte. Disziplinäre Zugänge, Göttingen 2009, S. 51–69, 67. Ob und inwiefern er dies tue, hänge von der jeweiligen Situation, der ästhetischen Sozialisation und Disposition der jeweiligen Person ab. (Ebd., 68). Eher unter Ordnungskategorien analysiert Jens Wietschorke aus anthropologischer Sicht (katholische) Kirchenräume: Jens Wietschorke, Architektur und symbolische Ordnung. Das Beispiel Kirchenraum, in: Ute Elisabeth Flieger u. a. (Hg.), Ordnung als Kategorie der volkskundlich-kulturwissenschaftlichen Forschung. Hochschultagung der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde an der Universität des Saarlandes im September 2014, Münster/New York 2017, S. 161–174, sowie ders , Kirchenräume in Wien. Architektur in der Kulturanalyse, Wien 2019. Insgesamt ist die Analyse von Kirchenräumen insbesondere in der sozial- und kulturwissenschaftlichen Forschung, und im Gegensatz zur theologischen Forschung, noch lückenhaft. Siehe dazu auch Ders , Affective Spaces. Emotionstheoretische Überlegungen zum Kirchenraum, in: Matthias Beitl / Ingo Schneider (Hg.), Emotional Turn?! Europäisch ethnologische Zugänge zu Gefühlen & Gefühlswelten. Beiträge der 27. Österreichischen Volkskundetagung in Dornbirn vom 29. Mai – 1. Juni 2013, Wien 2016, S. 291–300. 191 Siehe dazu u. a. Ders , Architektur. 192 Renate Dürr, Aneignungsprozesse in der lutherischen Kirchweihe (16. bis 18. Jahrhundert), in: Irene Dingel / Ute Lotz-Heumann (Hg.), Entfaltung und zeitgenössiche Wirkung der Reformation im europäischen Kontext / Dissemination and Contemporary Impact of the Reformation in a European Context, Gütersloh 2015, S. 318–344, 321. 193 Hier spielt auch die Wahrnehmung des „heathen land“, das es zu erobern gelte, eine wichtige Rolle. Siehe dazu auch Stornig, Sisters Crossing Boundaries, 166–167.
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Aufrechterhaltung dieses Missionsraums schloss also auch „Bilder und Vorstellungen, Projektionen und Sehnsüchte“194 mit ein. Im Kern ging es darum, in diesen Missionsräumen ein Ideal von Frömmigkeitspraxen zu entwickeln, durchzusetzen und zu inszenieren, das aus dem Missionsgebiet in die Heimat zurückwirkte. 4.3.1 Eine Kirche bauen Zum zehnjährigen Jubiläum der Anwesenheit der lutherischen Missionare in Mamba fand ein Gottesdienst zur Grundsteinlegung einer Steinkirche statt, an dem auch die wichtigsten chiefs der Umgebung, Mareale, Koimbere und Lengali, teilnahmen, und damit die Rechtmäßigkeit des Anspruches der Mission auf diesen Raum anerkannten.195 Der Bauplatz der Kirche lag deutlich erhöht und war von der Missionsstation etwas entfernt.196 Dadurch war es möglich, die Kirche auch von Weitem zu sehen. So schilderte der Inspektor Martin Weishaupt im Anschluss an seine Visitationsreise: „Mit einem Gefühl von Stolz dachten wir daran, daß dieses herrliche Gebirge jetzt deutsch ist. Und mit noch größerer Freude ließ uns der Anblick der Mambakirche, die man stundenweit, von welcher Seite man auch kommen mag, sehen kann, dessen inne werden, daß hier nicht nur das deutsche Volk, sondern auch das Volk Gottes Fuß gefaßt hat und daß dem Herrn der Kirche eine Gemeinde gesammelt wird.“197
Bereits die Grundsteinlegung offenbarte den Anspruch, den die Mission mit der Kirche verband: Missionar Schanz, der die Leitung der Station von Althaus während dessen Heimaturlaubes übernommen hatte, predigte über die Verse 1. Petri 2, 6–8 und unterstrich damit den Gegensatz zwischen Gläubigen und Nichtgläubigen, für die dieser Stein ein „Fels des Ärgernisses“ sei.198 Der Gottesdienst wurde nicht nur mit 194 Christine Egger / Martina Gugglberger, Editorial. Missionsräume, in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 24 (2013), S. 5–20, 13. Martina Gugglberger bezieht den Begriff des Missionsraumes in ihrer Studie zu weiblichen Missionarinnen in der Nachkriegszeit deutlich enger auf die Kontaktzone. Gugglberger, Reguliertes Abenteuer, 23–24. Siehe auch: Tony Ballantyne / Antoinette Burton, Imperien und Globalität, in: Emily S. Rosenberg (Hg.), Geschichte der Welt. Bd. 5: 1870–1945. Weltmärkte und Weltkriege, München 2012, S. 287–432, 327. 195 Zu diesen „politics of space“ siehe prominent Comaroff/Comaroff, Of Revelation and Revolution, 200–206. 196 Nachrichten aus der Station Mamba. Aus der Stationschronik von Miss. Schanz – Mamba ( Januar bis August), in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1905), S. 61–65, 64. 197 Martin Weishaupt, Ostafrikanische Wandertage. Durch das Gebiet der Leipziger Mission in Deutsch-Ostafrika, Leipzig 1913, 9. 198 1. Petri 2, 6–8: „Darum steht in der Schrift: ‚Siehe da, ich lege einen auserwählten, köstlichen Eckstein in Zion; und wer an ihn glaubt, der soll nicht zu Schanden werden.‘ Euch nun, die ihr glaubet, ist er köstlich; den Ungläubigen aber ist der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der zum Eckstein geworden ist, ein Stein des Anstoßens und ein Fels des Ärgernisses; denn sie stoßen sich an dem Wort und glauben nicht daran, wozu sie auch gesetzt sind.“
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einer Prozession unter Glockengeläut eingeläutet, sondern auch noch musikalisch untermalt. Die Gemeinde sang das als „Choral von Leuthen“ bekannte Lied „Nun danket alle Gott“ und das ebenfalls eindeutig als deutsch und lutherisch konnotierte Lied „Allein Gott in der Höh sei Ehr“, das gleichzeitig als Hinweise auf den Gipfel des Kibo verstanden werden konnte, verband der Gesang vor dem Hintergrund einer eindeutigen Sichtachse zum Gipfel des Kilimandscharo doch ruwa199, den christlichen Gott und die deutsche Nation miteinander und markierte die Präsenz der Lutheraner am Berg.200 Trotz dieses vielversprechenden Beginns des Kirchbaus, konnte die Kirche jedoch lange Zeit nicht fertiggestellt werden. Missionar Fokken nannte sie 1913 einen „verunglückten Versuch“, eine Kirche zu bauen, sie werde seit „Urzeiten“ gebaut und trage mittlerweile schon den Spottnamen „Kreuzkirche von Mamba“.201 Das Bauen in Afrika konfrontierte die Mission mit zahlreichen Schwierigkeiten. Weder Missionare noch die von der Gesellschaft ausgesandten Missionshandwerker waren Architekten oder Bauingenieure.202 Letztere beherrschten zumeist nicht einmal die lokale Sprache und mussten deswegen auf Dolmetscher zurückgreifen.203 Baumaterialien waren oft nicht vorhanden oder mussten teuer und aufwendig beschafft werden.204 Vor allem aber brauchte der Bau Arbeitskräfte für das Brennen von Kalk, die Herstellung von Ziegeln, Bänken und Fenstern oder das Heranschleppen von Baumaterialien und das Bearbeiten von Steinen. Arbeitskräfte waren für die Mission häufig kostspielig; sie wurden entweder von den chiefs erbeten oder auf Rechnung der Mission angeheuert. Angestellt wurden häufig Swahili statt Chagga, wenn diese ausgebildete Maurer waren.205 Später kamen vor allem die „Lehrlinge“ und „Schüler“ der von der Mission unterhaltenden Handwerkerschule in Marangu, unweit von Mamba, zum Einsatz. Die Arbeitskräftesituation bestimmte dabei maßgeblich den Baufortschritt. Wie und ob die Chagga für den Bau der Kirche arbeiteten, hing nur zum Teil davon ab, was mit chiefs oder den Arbeitskräften selbst abgesprochen oder vereinbart worden war. Die zum Bau herangezogenen Chagga bestimmten selbst, welche Bedeutung sie 199 Siehe zu ruwa und der religionswissenschaftlichen Forschung der Missionare Kap. 2.1 dieser Studie. 200 Timothy A R Clack, Infusing the Sacred. Syncretistic Landscapes, Ritual Performance and Religious Experience in Chaggaland, in: Ders. (Hg.), Culture, History and Identity. Landscapes of Inhabitation in the Mount Kilimanjaro Area, Tanzania. Essays in Honour of Paramount Chief Thomas Lenana Mlanga Marealle II (1915–2007), Oxford 2009, S. 195–206, 199. Teilweise wurde der Kibo auch direkt in die Übersetzung europäischer Kirchenchoräle eingefügt. 201 Protokoll der Chagga-Konferenz, August 1913, Beilage: Albert Fokken, Kirchbauten, I, ALMW II.32.100. 202 Althaus, Mamba, 15, berichtete, dass die Missionare dieses Handwerk nicht im eigentlichen Sinne gelernt hätten. In dem Schreiben v. Lany an Missionskollegium, 4.2.1901, ALMW II.32.3, weist von Lany explizit darauf hin, dass er kein Architekt sei. 203 Die Vollendung des Kirchbaus in Mamba, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1911), S. 12– 14, 13–14. 204 V. Lany an Missionskollegium, 4.2.1901, ALMW II.32.3. 205 Althaus, Mamba, 15.
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den Missionaren und deren Bauprojekt zuschrieben. Die Bereitschaft zum Arbeiten hing dabei stark von der kolonialen Situation und den lokalen Umständen ab.206 Selbst wenn Arbeitskräfte von ihren chiefs – die nicht selten auf Befehl der Kolonialmacht handelten – für Bauarbeiten für die Mission abkommandiert worden waren,207 bestimmte der „Eigen-Sinn“208 der Chagga, häufig der Frauen, denen das Herbeitragen von Bananenrinden oblag, über die Qualität und Quantität der für die Mission geleisteten Arbeit.209 Erst als um 1900 die Hüttensteuer eingeführt wurde, wurde die Mission als Arbeitgeberin attraktiver,210 denn die Arbeit beim Bauen für die Mission wurde als gute Möglichkeit gesehen, der häufig anstrengenden und mit gesundheitlichen Risiken behafteten Arbeit für die Kolonialregierung zu entgehen.211 Auch die zunehmende Etablierung der Mission als einflussreiche Macht im Gefüge der Kolonie verbesserte die Arbeitskräftesituation. „Die Liebe der Gemeinde hat an ihr mitgebaut“, so der Missionsinspektor Weishaupt bei der Beschreibung der Kirche während seiner Visitation.212 „Die Mauerer arbeiteten, weil es sich um ‚ihre‘ Kirche handelte, gegen einen geringeren als den sonst üblichen Lohn, und die Gemeinde hat in einem einzigen Jahre mehrere hundert Mark aus ihren eigenen Mitteln freiwillig aufgebracht.“213 Zwar war die Leipziger Mission spätestens ab 1910 nicht besonders finanzkräftig, ihre Kirchen und Kapellen mussten sich aber aufgrund ihrer Stellung im lutherischen Netzwerk immer an katholischen Pendants messen lassen. Den Bewohnerinnen und Bewohnern der Kolonie stand dabei vor allem die Sankt-Josephs Kathedrale vor Au206 Ein Mangel an Arbeitern verzögerte das Bauprojekt deutlich, wobei die Gründe vielfältig waren. Siehe z. B. Bauarbeit in Schigatini, Aruscha und Mamba, 40; Die Vollendung des Kirchbaus in Mamba, 14; Luckin, Quartalsbericht III/1907, ALMW II.32.4. 207 Aus einem Brief von Miss. Faßmann, Moshi, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt 1896, 160, zit. in Matthias Lanzendorf, Das Missionsensemble in Kidia/Old Moshi. Allgemeine Informationen zum Objekt, https://www.lmw-mission.de/files/11-kidia-histdocu-2879.pdf (zuletzt eingesehen am: 1.2.2017). 208 Zum Eigen-Sinn als etwas Querliegendem und zutiefst von individuellen Handlungen Durchdrungenem siehe die zum Klassiker avancierte Textsammlung von Alf Lüdtke, Eigen-Sinn. Fabrikalltag, Arbeitererfahrungen und Politik vom Kaiserreich bis in den Faschismus, Hamburg 1993. 209 Die Mission erhielt in einem Fall zwar das gewünschte Baumaterial, aber es war entweder zu klein, zu wenig oder von zu schlechter Qualität. Die Missionsstation Mamba. Nach dem Tagebuch des Miss. Althaus in Mamba (Sept. 1895), in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1896), S. 14–20, 14. Althaus schildert hier, dass sich das Herbeitragen von Bauholz verzögere, insb. weil die Frauen zwar Bananenrinde in Bündeln herbeischafften, diese Bündel aber so leicht seien, dass nicht die erforderliche Menge zusammenkäme. 210 Die Mission stellte hier direkt einen Konnex zwischen Motivation zur Arbeit und der Einführung der Hüttensteuer her. Siehe dazu auch Kap. 2.2.3 dieser Studie. 211 Althaus, Mamba, 77. Siehe zur Bezahlung auch Lanzendorf, Das Missionsensemble in Kidia/Old Moshi. Allgemeine Informationen zum Objekt, 10. 212 Martin Weishaupt, Überblick über unsere Missionsstationen in Ostafrika. Die Stationen am Kilimandscharo, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1912), S. 83–89, 87. Altena, Ein Häuflein Christen, 121–123, wertet solche Aussagen als eine positiv-intentionale Darstellung Afrikas. 213 Weishaupt, Überblick, 87.
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gen, die „als katholisches Wahrzeichen der Kolonie ‚Deutsch-Ostafrika‘“, bereits vom Hafen in Daressalam aus sichtbar war.214 Aber auch die katholische Nachbarmission am Kilimandscharo, die Väter vom Heiligen Geist, bauten eifrig Kapellen in der Landschaft und eine Steinkirche in Kilema, das nur unweit von Mamba entfernt lag. Die katholische Kirche „Unserer lieben Frau von Lourdes“ sollte 1915 fertiggestellt werden.215 Mit dem Bau von – möglichst weit sichtbaren – Kirchen galt es also nicht nur einen christlichen, sondern auch einen konfessionell aufgeladenen Anspruch auf den kolonialen Raum zu erheben. Von diesem, im Übrigen auch im Missionsblatt kolportierten Anspruch wichen die im Missionsgebiet jedoch vorhandenen Kirchenbauten deutlich ab: Ausnahmslos plädierten die Missionare auf der Konferenz in Shigatini 1913 deswegen für den Bau besserer Gotteshäuser. Die Swahilibauart, die bisher vor allem aus Kostengründen überwogen habe, habe sich überholt. Es sei erstens kaum noch genügend Holz zu bekommen, zweitens sei es eine große Zumutung, in solchen Gebäuden „Schule zu halten“. In Madschame beispielsweise könne in der Regenzeit feuchter Nebel in die Kirche gelangen, sodass der hintere Teil der Kirche nass sei; an kalten Tagen frören die Gottesdienstbesucher, häufige Erkältungen seien die Folge.216 Auch seien die vorhandenen und sich im Bau befindlichen Kirchen eigentlich alle zu klein: In Moshi und Madschame müsste eine Kirche circa 1000 Besucher fassen, in Mwika und Schira immer noch 800 beziehungsweise 500 Besucher. Dringend wurde das Missionskollegium daher um neue Handwerker gebeten.217 Eine nun analog zum Kaiserreich eingeläutete „Kirchenbauperiode“ sollte Abhilfe schaffen. Die Bereitstellung der dafür nötigen finanziellen Mittel oblag den deutschen Heimatgemeinden:218 Gelder aus Kollekten oder Sammelprojekten wie der Ährenlese, einer 214 Egger, Transnationale Biographien, 304. In den 1930er Jahren setzte in der katholischen Benediktinermission eine wahre Epoche der „Backsteinmission“ ein. Auch in anderen Kolonien gab es solche Prestigebauten, die wenig mit den einfacheren Missionskirchen im „Hinterland“ gemein hatten. So wurde bspw. 1907 in Lomé die im romanischen Stil von der Norddeutschen Mission erbaute Christuskirche eingeweiht. Alsheimer, Bilder erzählen, 152. Das katholische Pendant in Lomé diskutiert Stornig, Sisters Crossing Boundaries, 177. Die (erinnerungs-)politische Dimension des Kirchenbaus im deutschen Kaiserreich zeigt Jürgen Krüger, Rom und Jerusalem. Kirchenbauvorstellungen der Hohenzollern im 19. Jahrhundert, Berlin 1995. 215 Marie-Joseph-Aloys Munsch, Jahresbericht des Apostolischen Vikariates Kilimandscharo, in: Echo aus den Missionen der Väter vom Heiligen Geist und unbefleckten Herzen Mariä 15 (1914), S. 8–13, 10. Auch die katholische Mission hatte allerdings mit Geldmangel aufgrund des teuren Baus der Kirche zu kämpfen. 216 Protokoll der Chagga-Konferenz, August 1913, Debatte über Kirchbauten, VI, 1, ALMW II.32.100. 217 Ebd., 2, Beschluss 4. 218 Mit zunehmender Etablierung der Mission wurden auch in den „heidenchristlichen Gemeinden“ sog. Kirchenbaufonds eingerichtet. Protokoll der Chagga-Konferenz, August 1913, Debatte über Kirchbauten, VI, 5, ALMW II.32.100. Warneck hatte es für unumgänglich empfunden, den Gemeinden die Baukosten ganz zu übertragen. Warneck, Missionslehre III.3, 157. In den afrikanischen Gemeinden wurde zwar von der Mission ein Kirchbaufonds eingerichtet, der durch Kirchensteuern gespeist wurde. Den Missionaren war aber klar, dass dieser kaum ausreichte, um die Baukosten
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Spendeninitiative mit einem Fokus auf Kinder, sollten ebenso dem Kirchenbau gewidmet werden wie die der Mission aus der Nationalspende zugeflossenen Mittel. Diese Spende, die 1913 aus Anlass des 25. Regierungsjubiläums des Deutschen Kaisers zugunsten der Missionen in den deutschen Kolonien gesammelt worden war, hatte einiges Geld in die Kasse der Leipziger Mission gespült, die dieses aufgrund der Zweckbestimmung nur für das im deutschen Kolonialgebiet gelegene Missionsgebiet der Chaggamission verwenden durfte.219 Zwar war es ursprünglich für den Ausbau des Schulwesens gedacht – „denn das entspricht mehr dem nationalen Charakter dieser Spende“ – eine Nutzung für den Kirchenbau erschien den Missionaren aber ebenso legitim und „im Sinne des Kaisers“.220 Diskutiert wurde vor dem Hintergrund der „Kirchenbauperiode“ auch die Frage der Architektur, hatte diese doch unmittelbaren Einfluss auf die Außenwirkung der Missionsstationen. 1912 bemerkte der Missionsinspektor Weishaupt in seinem Überblick über die Missionsstationen zu dem Bau der Steinkirche in Mamba: „Der Negerkirchenstil gehört ja überhaupt noch zu den ungelösten Fragen. Er ist eine Aufgabe, mit der sich die Völker Afrikas selbst einmal werden beschäftigen müssen, wenn sie erst eine höhere Stufe geistiger und kirchlicher Selbstständigkeit erreicht haben. So wenig man den romanischen oder gotischen Stil ohne weiteres auf afrikanische Verhältnisse übertragen kann, so wenig wird der europäische Missionar aus den Bauformen, die er bei den Eingeborenen vorfindet, einen genuin afrikanischen Kirchenstil konstruieren können.“221
Dennoch hatte das Missionskollegium eindeutige Vorstellungen darüber, wie eine Kirche aussehen sollte und vor allem, was der Bau kosten dürfe. Der Missionshandwerker von Lany musste seinen ersten Entwurf für die Steinkirche in Mamba sogar überarbeiten, weil dieser als „allzu wenig schön“ empfunden worden war. Von Lany rechtfertigte sich daraufhin in einem langen Schreiben, dass er bei dem Plan darauf geachtet habe, „eine helle und geräumige Kirche herzustellen wie es aus dem vorhandenen Material möglich ist. Daß die Kirche keine besonderen Schönheitsformen aufweisen kann und auch keine Verzierungen hat,“ wisse er wohl selbst; dies sei aber mit den Materialen nicht anders zu erreichen.222 Der geplante Grundriss der Kirche sah eine, wenn auch aufgrund mangelnder Expertise und der vorhandenen Materialien rechteckige Apsis vor, in die der Chorraum untergebracht war. Auch gab es einen Eingangsbereich. Wie die Zeichnung verdeutzu decken. Protokoll der Chagga-Konferenz, August 1913, Debatte über Kirchbauten, VI, 5, ALMW II.32.100. 219 Die Nationalspende und ihre Wirkung auf unsere Finanzlage, 530. Dennoch war die Finanzlage der Missionsgesellschaft beständig angespannt. 220 Protokoll der Chagga-Konferenz, August 1913, Debatte über Kirchbauten, Redebeitrag Jessen, VI, 4, ALMW II.32.100. 221 Weishaupt, Überblick, 86–87. 222 V. Lany an Missionskollegium, 4.2.1901, ALMW II.32.3.
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licht, lehnte sich die in den Missionsgebieten verwirklichte Architektur also deutlich an europäische beziehungsweise deutsche Kirchenbauformen an.
Abbildung 6 Grundriss einer Kirche für die Missionsstation Mamba, 14.9.1900.223
Abbildung 7 Seitenansicht einer Kirche für die Missionsstation Mamba, 14.9.1900.224
Zu dieser europäischen Bauform, für die sich die Missionare aussprachen,225 gehörte eine Apsis, eine Sakristei und auch ein Turm,226 da dieser einen „charakteristischen Eindruck“ ausübe. Die Kirche kennzeichnete die Missionsstation deswegen für die europäischen Akteure – und das schloss auch die deutschen Heimatgemeinden mit ein – als christlich, für die afrikanischen Akteurinnen und Akteure aber vermutlich in
223 Die Zeichnungen sind enthalten in der Akte ALMW II.32.3. 224 Siehe ebd. 225 Protokoll der Chagga-Konferenz, August 1913, Beilage: Albert Fokken, Kirchbauten, IV, ALMW II.32.100. 226 In seinem der Debatte zugrundeliegenden Referat hatte auch Missionar Fokken für eine Apsis plädiert, „da das Schiff der Kirche bedeutend an Raum gewinnt.“ Er sah zwei Nebenräume, die daran leicht angebaut werden könnten, ebenfalls als sinnvoll an. Protokoll der Chagga-Konferenz, August 1913, Beilage: Albert Fokken, Kirchbauten, V, ALMW II.32.100.
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erster Linie als europäisch. Der Turm markierte hier gleichsam den Anspruch einer christlich-europäischen Herrschaft.227 Tatsächlich folgte die Mission hier Vorbildern europäischer Kirchen, die sich mit dem Chorraum und dem Turm an das Eisenacher Regulativ anlehnten.228 Wie HansChristof Brennecke am Beispiel von Stadtkirchen im Kaiserreich herausarbeiten konnte, war der Kirchenbau im Protestantismus um 1900 stark umstritten und eng mit der Frage nach protestantischer Identität verknüpft.229 Während die kirchlich-konservativen Lutheraner einer traditionellen Kirchenbauform anhingen, die Anleihen vor allem in der Neogotik suchte,230 und zurückgehend auf Wilhelm Löhe, dessen Schrif227 Protokoll der Chagga-Konferenz, August 1913, Debatte über Kirchbauten, VI, 3, ALMW II.32.100. Der Turm diente zudem auch dem Aufhängen der Glocken Lanzendorf, Das Missionsensemble in Kidia/Old Moshi, 15. Robert Munson spricht am Beispiel der Landschaft um den Kilimandscharo sogar von einer „botanical proselytization“ und meint damit, Auswirkungen der Mission auf die Landschaft durch die Akzeptanz und „Afrikanisierung“ europäischer Pflanzen. Munson, Nature of Christianity, 2. „Botanical proselytization is simply a short-hand term for the fact that the spread of religion assisted and was supported by the landscape and botanical transformation. In other words, the new order on the land and the phytogeographic changes paralleled the Christian proselyzation and each was influenced and driven by the other“ (Ebd., 252). 228 Das Eisenacher Regulativ geht auf ein Referat des Oberhofpredigers von Grünwald auf der Eisenacher Kirchenkonferenz 1861 zurück und legte in 15 Thesen Richtlinien für den protestantischen Kirchenbau fest. Es wurde in den folgenden Jahren von nahe zu allen Landeskirchen als verbindliche Richtlinie angesehen, auch wenn keineswegs alle Kirchen nach diesem Prinzip gebaut worden sind. Das eine Abweichung von dem – von Paul Kaiser wohl etwas weitgehend als Phantom bezeichneten – Regulativ durchaus möglich war, zeigt, dass es in den Überlegungen der Missionare keine Rolle spielte. Paul Kaiser, Das sogenannte Eisenacher Regulativ von 1861. Ein kirchenrechtliches Phantom, in: Klaus Raschzok / Reiner Sörries (Hg.), Geschichte des protestantischen Kirchenbaus. Festschrift für Peter Pocharsky zum 60. Geburtstag, Erlangen 1994, S. 114–118. Zur Entstehungsgeschichte siehe auch Eva-Maria Seng, Kirchenbau zwischen Säkularisierung und Resakralisierung, in: Zeitensprünge. Forschungen zur Frühen Neuzeit 9 (2005), S. 559–602, 576–577. Dies , Kirchenbau und Politik im 19. Jahrhundert, in: Jahrbuch der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen 1999 (2000), S. 54–62, 57–59. 229 Hans Christof Brennecke, Zwischen Tradition und Moderne. Protestantischer Kirchenbau an der Wende zum 20. Jahrhundert, in: Friedrich Wilhelm Graf / Martin Müller (Hg.), Der deutsche Protestantismus um 1900, Gütersloh 1996, S. 173–203, 174. Brennecke, wie insgesamt die Forschung zum Kirchenbau im Kaiserreich, zieht v. a. Kirchengroßbauprojekte bzw. Kirchbauten in Großstädten heran. Siehe zum Kirchenbau auch Seng, Kirchenbau und Politik im 19. Jahrhundert; Dies , Kirchenbau; Harold Hammer-Schenk, Kirchenbau. 19. und 20. Jahrhundert, in: TRE 18 (1989), S. 498–514. Hingewiesen wird zudem häufig auf den am Ende des Jahrhunderts einsetzenden Kirchenbau-Boom z. B. in Berlin, wo zwischen 1890 und 1914 ca. alle vier Monate eine Kirche geweiht wurde. Hein, Wilhelminischer Protestantismus, 45. 230 Brennecke, Zwischen Tradition und Moderne, 189, bzw. Ders , Protestantischer Kirchenbau an der Wende zum 20. Jahrhundert, in: Klaus Raschzek / Reiner Sörries (Hg.), Geschichte des protestantischen Kirchenbaus. Festschrift für Peter Pocharsky zum 60. Geburtstag, Erlangen 1994, S. 129– 127, 129. Die Mittelalter-Begeisterung und die Suche nach einem wahrhaft christlichen Baustil führte bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts maßgeblich in England zu einer Rückbesinnung auf die Gotik. Der Kirchenbau sollte ganz im Dienste christlicher Ideale stehen und war insbesondere in Deutschland romantisch und nationalistisch eingefärbt. Edward Norman, Das Haus Gottes. Die Geschichte der christlichen Kirchen, Stuttgart/Berlin/Köln 1990, 252, 267; Seng, Kirchenbau, 574–575. Der Stil wurde dabei auch auf die Kolonien übertragen, Ebd., 267. Dies , Kirchenbau und
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ten für die Missionsbewegung und das lutherische Netzwerk von großer Bedeutung waren, von einer Trennung von Altarraum und Gemeinderaum ausgingen,231 hatte sich für kirchlich-liberale Protestanten mit Kirchen nach dem sogenannten Wiesbadener Programm eine Alternative für die Gestaltung eines Kirchenbaus ergeben, die den Gemeindebezug betonte und Kanzel, Altar und Orgel als Einheit in die Mitte des Kirchenschiffs setzte.232 Im Mittelpunkt dieser Auseinandersetzung standen ein unterschiedliches Gottesdienstverständnis und eine andere Bewertung der Predigt.233 Ein Aspekt des Eisenacher Regulativs war es, das Sakrament (symbolisiert durch den Altar) im Gegensatz zum Wort (also der Kanzel) zu betonen.234 In diesem Sinne war das Eisenacher Regulativ ein „Programm des deutschen Luthertums, für dessen Gottesdienstverständnis es geradezu zugeschnitten war.“235 Es betonte den Altar in einem Chorraum und stand so für eine Aufwertung und Resakralisierung des Kirchengebäudes insgesamt.236 Überarbeitungen des Eisenacher Regulativs hatten durchaus eine Orientierung an die Zweckmäßigkeit des Gebäudes im Sinn;237 Ziel war aber stets die „Herausbildung eines eigenständigen, die liturgisch-funktionalen Anforderungen berücksichtigenden evangelischen Kirchenbautyps“ vor dem Hintergrund eines Zerfalls kirchlicher Strukturen, der Notwendigkeit von Kirchenneubauten in Großstädten und der gewachsenen Bedürfnisse der Vereine der Inneren Mission.238 Die kirchlich-konservativen Lutheraner lehnten deswegen die Vorläufer von Gruppenbauten, in denen der Gemeindesaal oder eine Pfarrwohnung in das Kirchengebäude integriert wurde, ab, vielmehr sollte „alles Profane, Weltliche und Un-
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Politik im 19. Jahrhundert, 55. Kilde, Sacred Power, 163, verbindet mit dem Aufkommen des Gotischen und der Mittelalterbegeisterung den Wunsch, dass Christentum in einer reineren Sphäre zu verorten, als das industrialisierte Europa. Umbach, Heilige Räume, 271. Brennecke, Zwischen Tradition und Moderne, 195. Siehe dazu auch Johann Heinrich Claussen, Predigt und Kanzel, in: Christoph Markschies / Hubert Wolf (Hg.), Erinnerungsorte des Christentums, München 2010, S. 655–667. Zur Bedeutung der Kanzelaltäre siehe auch Renate Dürr, Zur politischen Kultur im lutherischen Kirchenraum. Dimensionen eines ambivalenten Sakralitätskonzeptes, in: Zeitensprünge. Forschungen zur Frühen Neuzeit 9 (2005), S. 497–526, 507–508. Löhe bezeichnete sie als „liturgische Sünde“. Wilhelm Löhe u a , Vom Schmuck der heiligen Orte (1857/58), Leipzig 2008, § 5, 67; 141. Brennecke, Zwischen Tradition und Moderne, 192. Seng, Kirchenbau, 579. Wuttig, Die Leitsätze der Deutschen Evangelischen Kirchenkonferenz von 1908 für den Bau evangelischer Kirchen, in: Die Dorfkirche. Monatsschrift für Kirche und Volkstum 3 (1910), S. 333–336, 382–385, plädiert in der Besprechung der Leitsätze von 1908 vehement dafür, den Kirchenbau v. a. unter dem Aspekt der kultischen Anforderung zu begutachten. Seng, Kirchenbau und Politik im 19. Jahrhundert, 60. Nicht zuletzt war es gerade der Neubau von Kirchen, mit dem die Hoffnung verbunden wurde, die Zahl der Kirchgänger wieder zu steigern. Otte, More Churches.
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heilige“ von den Kirchbauten wegbleiben.239 1895 unterstrich ein Artikel in der Allgemeinen Evangelisch-lutherischen Kirchenzeitung diesen Anspruch vehement: „Wir müssen einen Ort für Sakrament und Gebet haben, und derselbe muß abgesondert, ins Auge fallend und geräumig sein … Der Chor gibt dem Gotteshause überhaupt den Eindruck der Stattlichkeit und einer feierlich edlen Vornehmheit und Freiheit; er läßt dem Auge Bahn, sich nach vorwärts und aufwärts zu wenden, und wirkt innerhalb des Gotteshauses ebenso erhebend und emporführend, wie außerhalb derselben die Thürme.“240
Ein Kirchengebäude solle sich schon äußerlich als etwas Besonderes darstellen und „in festtäglichem Gegensatz zu den werktäglichen Gebäuden der Umgebung stehen – zumal in einem Industrieort, wo Arbeiterhäuser, Mietskasernen und kahle Fabrikschlöte nur zu sehr an das graue Elend dieses Lebens erinnern.“241 Die Forschung zum protestantischen Kirchenbau des Kaiserreichs hat bisher vor allem Neubauten im städtischen Umfeld fokussiert, sodass prominente Bauprojekte, die wesentlich durch ein bürgerliches Selbstverständnis geprägt und von nationalen Ideen beeinflusst waren, stärker in den Blick geraten sind. Für die zeitgenössische Wahrnehmung im Kaiserreich, wie eine Kirche aussehen sollte, spielten diese Neubauten vermutlich weit weniger eine Rolle als die Formen und Gestaltungen der bereits bestehenden und die ländliche Gesellschaft prägenden Kirchenbauten. Die Dorfkirchen in Sachsen bestanden teilweise seit dem Mittelalter, was zu einer Formenvielfalt in 239 Max Herold, Zu den Grundbegriffen des evangelischen Kirchenbaus, in: Allgemeine EvangelischLutherische Kirchenzeitung 28 (1895), S. 6–9, 9. Siehe dazu auch Umbach, Heilige Räume, 273. Wie François zeigt, war bei Kirchenbauten stets das Profane und das Sakrale verwoben. Etienne François, Kirchen, in: Christoph Markschies / Hubert Wolf (Hg.), Erinnerungsorte des Christentums, München 2010, S. 707–724, 715. 240 Herold, Grundbegriffen, 8. In den ausgeführten Bauten im Kaiserreich zeigte sich aber, dass durchaus von dem als so wichtig konnotierten Bau eines Chores abgewichen werden konnte, wenn z. B. der Aufwand besonders hoch erschien. Scheurlen, Die Pauluskirche in Tailsingen (Württemberg), 206. Hier hieß es zur Rechtfertigung: „Gewiß verstehen wir es, wenn viele Protestanten, sei es aus sakramentalen, sei es aus ästhetischen Gründen, auf den Chor nicht verzichten wollen. Aber ich meine, eine Dorfkirche kann ihn auch entbehren, zumal er zuweilen die Hörsamkeit beeinträchtigt und außerdem auch einen nicht immer angebrachten Aufwand bedingt“ [Sperrung i. O., K. W.]. Weder kann also von einer absoluten Verbindlichkeit des Eisenacher Regulativs bzw. der Leitlinien der Kirchenkonferenz, noch von einer eindeutigen Grenzziehung zwischen theologischen Parteien ausgegangen werden. Der Kirchenbau im Kaiserreich war immer ein Aushandlungsprozess, bei dem nicht nur Architekten und die Verfügbarkeit von Arbeitern und Material eine Rolle spielten, sondern an dem auch der Kirchenvorstand, der Pastor, das jeweilige Landeskonsistorium von kirchlicher Seite ebenso wie der Rat der Stadt bzw. die städtischen Baubehörden beteiligt waren. Fanny Stoye, Religionsgemeinschaften und ihre Kirchen im Leipzig der Jahrhundertwende, in: Enno Bünz / Armin Kohnle (Hg.), Das religiöse Leipzig. Stadt und Glauben vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Leipzig 2013, S. 457–483, 459–460, die dies am Beispiel der Leipziger Peterskirche analysiert. 241 Scheurlen, Die Pauluskirche in Tailsingen (Württemberg), 205. Dazu auch Martin Hein, Weichenstellungen der evangelischen Kirche im 19. und 20. Jahrhundert. Beiträge zur Kirchengeschichte und Kirchenordnung, Berlin/New York 2009, 46.
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Verbindung mit einer den dörflichen Verhältnissen angepassten Größe und Ausstattung geführt hatte.242 Wichtiger als ein modernes Äußeres erschien dann vor allem ein durch das Gebäude selbst hervorzurufendes Gefühl der Andacht,243 für das die Dorfkirchen als Inbegriff der dörflichen Idylle244 paradigmatisch standen. Der Kirchenbau müsse zum Bauplatz und zum vorhandenen Material passen und sich harmonisch in die Umgebung zum Beispiel durch den Einsatz von Pflanzen und Begrünungen einpassen, wie es zeitgenössisch hieß.245 Die „Einfachheit der baulichen Anlage“ könne sogar dazu beitragen, „den Besucher in jene weihevolle Stimmung zu versetzen, welche den Worten des Predigers den rechten Boden verschaffen.“246 Bei der Dorfkirche käme es – im Gegensatz zu städtischen Großbauten – darauf an, sie stets „mit ihrer gesamten Umgebung“ zu betrachten. Weil sie „schon von Weitem das ganze Dorfild beherrscht, kann [sie, K. W.] nur durch die richtige Verteilung ihrer Massen und durch eine gute, charakteristische Umrißlinie zur Wirkung kommen.“247 Die Dorfkirche und ihre künstlerische Gestaltung wurde 1908 in den Westermannschen Mitteilungen beziehungsweise 1910 in der Zeitschrift Die Dorfkirche erneut betont.248 Sie zeichne sich – was mit dem Schlagwort „Heimatkunst“249 versehen wurde – vor allem dadurch aus, dass sie sich „harmonisch“ in das „Landschaftsbild“ eingliedere. „Wer wollte sich aus der deutschen Landschaft die Dörfer und Kirchen wegdenken oder wegwünschen? Sie sind derart mit ihr verwachsen, daß die Landschaft mit ihnen zugleich ihren intimsten, stimmungsvollsten Reiz verlöre. Sie wäre öde und tot und langweilig.“250
242 Siehe z. B. den Bildband Heinrich Magirius u a , Dorfkirchen in Sachsen, Berlin 1990. Auch die Neubauten auf dem Dorf, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Sachsen die Zahl der Neubauten in den Städten übertrafen, richteten sich nach den Vorgaben des Eisenacher Regulativs bzw. dessen sächsischen Vorgängers. 243 So hieß es in der Dorfkirche: „Der Zweck der Kirche geht nämlich nicht nur auf die praktische Ausführbarkeit der darin vorzunehmenden Handlungen, sondern das Moment der Feier, der Anbetung, der Zug nach oben im Gottesdienst, die Forderung intimer, weihevoller Stimmung des Kirchenraums, erhebender und zugleich traulicher Wirkung tritt hinzu.“ Wuttig, Leitsätze, 334. 244 Altena, Ein Häuflein Christen, 237. 245 Gustav Heick, Die Dorfkirche im Grünen, in: Die Dorfkirche. Monatsschrift für Kirche und Volkstum 1 (1908), S. 255–257 mit einem auf den folgenden Seiten (258–263) Zusatz der Schriftleitung. Siehe dazu auch die Abbildungen ohne Text in H. 9 des gleichen Jahrgangs der Zeitschrift, 394– 395. 246 Karl Mühlke, Die Kirche zu Klixbüll in Nordfriesland, in: Die Dorfkirche. Monatsschrift für Kirche und Volkstum 2 (1909), S. 292–294, 294. 247 Friedrich Hoßfeld, Eichenberge und Kölpin. Zwei pommersche Dorfkirchen, in: Die Dorfkirche. Monatsschrift für Kirche und Volkstum 1 (1908), S. 168–173, 215–217, 168–169. 248 Karl Spieß, Die deutsche Dorfkirche, in: Die Dorfkirche. Monatsschrift für Kirche und Volkstum 3 (1910), S. 207–217, 212. 249 Ebd., 208. Es handelt sich dabei um einen Wiederabdruck des Beitrags aus den Westermannschen Mitteilungen 1908. 250 Ebd., 208.
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Erst durch die Kirchen entstünde ein harmonisches und idyllisches Gesamtbild der Landschaft, „eine fein empfundene und sorgfältig abgewogene Komposition“.251 Im Gegensatz zu den städtischen, sich an Baustilen und dem Zeitgeschmack orientierenden Bauten, sei die Dorfkirche „herzerfrischend ursprünglich und original“.252 Die in der Mission errichteten Kirchen sollten vor dem Hintergrund dieser Debatten also nicht nur den lutherischen Anspruch auf Raum im Außereuropäischen untermauern und markieren, sondern auch als Bezugspunkte zwischen lutherischen Gemeinden auf dem Land und der Mission dienen. Berichte über die Gestaltung von Kapellen und Kirchen in der Mission waren deswegen besonders angepasst an europäische Sehgewohnheiten und Erwartungen, wie sich beispielhaft an einer der Kapellen in der Nähe Mambas zeigen lässt. Ermöglicht wurde der Bau dieser Kapelle auf einem von der Missionsstation auswärtig gelegenen Predigtplatz durch eine besondere Gabe der sächsischen „Missionsfreunde“ – für den Bau war auf dem Nauhainer Missionsfest gesammelt worden.253 Die Kapelle im Basilika-Stil diente dem Lehrer Ruben254 eigentlich als Schule und hatte ungefähr 200 Sitzplätze.255
Abbildung 8 Die Kapelle in der Landschaft Mamba256 251 Ebd., 210. 252 Ebd., 212. 253 Schanz, Nachrichten aus Mamba über das Jahr 1907, 82. Der Ort Nauhain, ein Ortsteil der Kleinstadt Hartha, liegt ca. 50 Kilometer südöstlich von Leipzig. 254 Gemeint ist wohl Ruben Mroko, der den ersten Seminarkurs von Johannes Raum besuchte und fortan auf verschiedenen Stationen, u. a. in Gonja, als Lehrer für die Mission tätig war. Er arbeitete auch als Übersetzer. Altena, Ein Häuflein Christen, Anhang 329. 255 Schanz, Nachrichten aus Mamba über das Jahr 1907, 82. 256 Ders , Einweihung einer kleinen Steinkapelle in der Landschaft Mamba, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1908), S. 454–458, 456.
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Abbildung 9 Das Innere der Kapelle257
Die im Missionsblatt veröffentlichten Bilder zeigen eine kleine Kapelle, mit neogotischen Fensterformen – „um dem Gebäude ein kirchliches Aussehen zu verleihen“258, Schulbänke und einen kleinen etwas erhöhten, schlichten Altar. Eine Kanzel im klassischen Sinn gab es nicht. Statt dieser und auch statt eines Lesepultes stand rechts eine Lesetafel, die auf den Gebrauch der Kapelle als Schule hinweist. In dem Bericht im Missionsblatt, der „den lieben Lesern die kleine bescheidene Kapelle vorführen“ sollte, wird offenbart, dass die Kapelle extra für die Bilder hergerichtet wurde, um dem Bild eines würdigen Altars259 zu entsprechen. So bilde eigentlich der von Elisabeth Seesemann ausgeführte Wandspruch auf Kimamba,260 in der deutschen Übersetzung „Denn der Menschensohn [hier: Jesus Christus, K. W.] ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist“ den einzigen Schmuck. Das Kruzifix auf dem Altar gehöre nicht zu der Kapelle, und auch „ein würdiges Bild über dem Altar würde gewiß
257 Ebd., 458. 258 Lanzendorf, Das Missionsensemble in Kidia/Old Moshi, 16. Ein Blick in die Thätigkeit unserer Laienbrüder auf dem Kilimandscharo. Nach den Berichten der Brüder von Lany und Fickert ( Juli bis Dezemb.), in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1901), S. 196–198, 197. Zur Wirkung des gotischen Baustils auf die Atmosphäre siehe Gernot Böhme, Architektur und Atmosphäre, München 2006, 149. Gegen den Atmosphärenbegriff wegen dessen Unbestimmtheit bzw. essentialistischen Verwendungsweise argumentiert Wietschorke, Affective Spaces, 294. 259 Löhe stellte die Regel auf, dass ein Altar ein Kruzifix und zwei Leuchter haben müsse. Löhe u a , Vom Schmuck der heiligen Orte (1857/58), § 8, 70. 260 Schanz, Einweihung, 457. Die Ausschmückung der heiligen Arbeit galt als eine weibliche Aufgabe, insbesondere der Diakonissen. Löhe u a , Vom Schmuck der heiligen Orte (1857/58).
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die Liebe zu dieser Stätte noch erhöhen.“261 Im Vergleich zu einer klassischen Kircheneinrichtung fehlten auch noch ein Fürbittenleuchter, Blumen und Kerzen. Auch war ein Antependium nicht vorhanden.262 Auffällig ist auch, dass auf dem Foto vom Altar keine Bibel zu sehen ist.263 Den europäischen Leserinnen und Lesern des Missionsblattes wurde durch den illustrierten Bericht der Steinkapelle einerseits die Bedürftigkeit der Mission vor Augen geführt. Der Kirchenbau war ein Projekt, dessen Anschaulichkeit und sichtbarer Erfolg dazu führte, dass er sich für Spendeninitiativen gut eignete. Auch an anderer Stelle hatte die Mission dieses Potenzial erkannt. 1907 wurde sogar eine Sammelbüchse nach dem Vorbild der ersten Steinkirche im ostafrikanischen Missionsgebiet, der 1901 fertiggestellten Kirche in Moshi, entworfen, in der ein kleines Glöckchen klingelte, wenn man Geld hineinwarf.264 Die Kirche in Mamba265 (und die anderen Kapellen) waren andererseits so nicht nur Kirchen im Missionsgebiet, sondern ihre Sakralität strahlte bis nach Europa. Die Abbildungen der Missionskirchen und Kapellen, sei es im Missionsblatt oder sei es auf Postkarten266, fügten sich nahtlos in die Darstellungsweise von Kirchen in der Heimat ein und verbanden so Ferne und Heimat miteinander. Bildpostkarten von Kirchen waren allgemein bekannt und auch Besprechungen einzelner Kirchenbauten in Zeitschriften durchaus üblich. So brachte die Dorfkirche sehr regelmäßig Beiträge, in denen einzelne Dorfkirchen, ihre Bauweise und Ausstattung besprochen wurden.267 Auch diese Beiträge waren mit zahlreichen Abbildungen und Zeichnungen versehen. 261 262 263 264
Schanz, Einweihung, 458. Löhe u a , Vom Schmuck der heiligen Orte (1857/58), § 9, 71. Ebd., § 12, 75. „In Größe von 22 cm Länge, 13 cm Breite und bis zur Turmspitze 22 cm Höhe aus starkem Weißblech gut zusammengelötet und in bunter Farbenwahl bedruckt […] Im roten Dach ist der Geldeinwurf angebracht; unter dem Dach die kleine Missionsglocke, die beim Einwurf läutet.“ Werbeanzeige für „Das Heiden-Kirchlein“. Verlag der Evang.- luth. Mission in Leipzig, in: Lydia 1907. zit. nach Lanzendorf, Das Missionsensemble in Kidia/Old Moshi, 12. 265 Der Bau der Kirche dauerte im Übrigen weiter an. 1912 war davon die Rede, dass es weiterginge – und die Kirche wurde sogar im unvollendeten Zustand bereits genutzt. So hieß es in einem Brief: „Der Sonntag kam, die Glocken läuteten, wir gingen in die noch immer im Bau befindliche Mamba-Kirche, wenn sie erst einmal fertig ist, wird’s eine schmucke Kirche sein.“ Aus Briefen von Schwester Berta Schulz, 32, ALMW II.32.541. 1913 schlug der Blitz in den Turm ein, der die bereits eingesetzten Fenster wieder zerstörte. Bis zum Ende des Jahres konnten diese repariert werden und verschiedene andere Arbeiten, wie z. B. das Hineinstellen von Bänken, ausgeführt werden. Auch mit dem Bau eines Altars wurde begonnen. Andreas Schöne, Jahresbericht 1913, ALMW II.32.3. 266 Moshi, „Postkarte mit Ansicht der Kirche in Moshi 1910“. Serie Afrika II No. 4. Verlag der evang. Lutherischen Mission zu Leipzig, ALMW II.32.6. Die in der Akte überlieferte Postkarte war an den Missionsdirektor Paul adressiert und von Carl Mirbt, der herzliche Grüße sandte, in Moshi verschickt worden, 27.10.1910. Carl Mirbt, der später in Göttingen u. a. Missionswissenschaft unterrichtete, hatte 1910 eine Studienreise nach DOA unternommen. 267 Siehe z. B. Hoßfeld, Eichenberge und Kölpin. Zwei pommersche Dorfkirchen, oder Mühlke, Die Kirche zu Klixbüll in Nordfriesland.
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Die Verwendung der „heimischen Ikonographie“ bei der Aufnahme der Fotografien der Kapelle im Missionsgebiet machte die Darstellung der Kapelle als Gotteshaus für das heimische Publikum entschlüsselbar und verringerte die Distanz zwischen Missionsgemeinde und Heimatgemeinde zusätzlich.268 Teilweise wurde diese Analogie sogar explizit gemacht. So hieß es in einer Besprechung eines Konfirmandensaales in Daverden, dass dieses „auf den ersten flüchtigen Blick“ an ein „weltfernes Heidenkappelchen“ erinnere, „das kleine Gebäude … eins jener Werke rührender Simplizität die uns mit ihrer schlichten Sprache so unfehlbar in ihren Bann ziehen.“269 Die Einfachheit, mit der die afrikanischen Kirchen gestaltet waren und die immer wieder daran erinnerte, dass die afrikanischen Christen der Europäer bedürften, wurde aber auch zu einem anzustrebenden Ideal und stand für eine Frömmigkeit, die die Lutheraner, engagiert in der Inneren und der Äußeren Mission, in Europa durch den Kirchenbau wieder zu beleben suchten. Gerade die Wirksamkeit der einfachen „Heidenkappelchen“ unterstützte die ländliche und auf kirchlich-konservative Theologieentwürfe zurückgreifende Kirchengestaltung. 4.3.2 Lutherische Sakralitätskonzepte in der Mission Den Kern der Debatten um den Kirchenbau und den damit verbundenen nationalen, konfessionellen und theologiepolitischen Ansprüchen auf den Raum der Missionsstation bildeten unterschiedliche Konzepte von Sakralität. Die in der Mission erbauten Kirchen und Kapellen standen für ein spezifisches Konzept von Frömmigkeit. Die Ausgestaltung der Kirchen, ihre Erfahrbarkeit und Wirkung sollte diesem Verständnis von Frömmigkeit entsprechen. Die mit dem Kirchenbau als „heiligem Raum“ verbundenen Gefühle der „Erhabenheit“ und „Liebe“, der „Ursprünglichkeit“ und „Andacht“, wie sie in der europäischen Debatte um den Kirchenbau immer wieder beschworen wurden, galt es nun, auch in der Missionsgemeinde zu erwecken. Hinsichtlich der Frage nach der Bedeutung von Raum(-konstruktionen) für die religiöse Erfahrung wie sie in Religions- und Geschichtswissenschaften ebenso wie in der Theologie beleuchtet wird,270 hat sich unter Abkehr von einer – dennoch immer
268 Hierauf weist eindrücklich Jens Jäger, „Heimat“ in Afrika. Oder: die mediale Aneignung der Kolonien um 1900, in: Zeitenblicke 7 (2008), http://www.zeitenblicke.de/2008/2002/jaeger/dipp Article.pdf (zuletzt eingesehen: 10.12.18), hin, der auch beispielhaft auf Fotografien von Kirchen im Missionsgebiet und die Postkartenproduktion durch die Mission eingeht. 269 Gustav Brandes, Ein Konfirmandensaal, in: Die Dorfkirche. Monatsschrift für Kirche und Volkstum (1908), S. 306–306, 305. 270 Für einen Überblick siehe unter anderem Paul Post, Place of Action. Exploring the Study of Space, Ritual and Religion, in: Ders. / Arie L. Molendijk (Hg.), Holy Ground. Re-Inventing Ritual Space in Modern Western Culture, Leuven 2010, S. 17–54; Jeanne Halgren Kilde, Space, Place, and Religious Meaning, in: Material Religion 3 (2007), S. 277–278; Bethge, Kirchenraum, zum Kirchen-
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weiter Bedeutung beanspruchenden – Position, nach der „das Heilige“ substantiell in den Räumen anwesend sei,271 eine andere Perspektive durchgesetzt, die nach der Produktion von heiligen Räumen fragt. Heilig wird dann als Adjektiv, als Produkt von Sakralisierung, also der bewussten Markierung als religiös, verstanden.272 Religiöse Räume werden durch Rituale hergestellt und stabilisiert; sie beeinflussen Menschen, ihre Haltungen und Handlungen und werden gleichsam durch diese konstruiert.273 In der Mission war die Intention, den Kirchenraum als „heiligen Raum“ zu markieren, besonders wichtig und prekär. Insbesondere die kleineren Kapellen wurden hauptsächlich als Schulen für profane Zwecke genutzt, obwohl sie doch eigentlich aus europäischer Sicht als sakrale Räume konzipiert waren. Zwar ließe sich argumentieren, dass die Missionare die Schaffung von Bildungsangeboten als Missionsmethode begriffen und damit das Lesenlernen quasi heiligten, aus Sicht der Schülerinnen und Schüler wird es sich aber zunächst um eine Fertigkeit gehandelt haben, die für ihr eigenes Fortkommen nicht zuletzt unter ökonomischen Gesichtspunkten nützlich und damit des Erlernens wert war, ohne es zwangsläufig mit religiösen Implikationen in Verbindung zu bringen.274 Hierfür spricht auch, dass die Chagga, wie es auch in anderen Missionen üblich war, den Besuch der Mission weitgehend mit dem Lesenlernen in Verbindung brachten.275 Aus Sicht der Missionare galt es deswegen, durch die Gestaltung der Kirchen und deren Nutzungspraktiken immer wieder Abgrenzungen zum Säkularen vorzunehmen. Die „Heiligkeit“ des Kirchenraums schien immer wieder gefährdet, und musste jedes Mal aufs Neue bei einem Gottesdienst hergestellt werden,276 etwa durch einen in der Liturgie vorgesehenen feierlichen Einzug unter Glockengeläut oder die einleitenden Worte des Pastors, der die Gemeinde auf den Gottesdienst einstimmen sollte.
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raum siehe auch Renate Dürr, Kirchenräume. Eine Einführung, in: Zeitensprünge. Forschungen zur Frühen Neuzeit 9 (2005), S. 451–458, Franziska Metzger / Elke Pahud de Mortanges (Hg.), Orte und Räume des Religiösen im 19. und 21. Jahrhundert, Paderborn 2016, Kilde, Sacred Power; Schaede, Heilige Handlungsräume. Zum spatial turn insgesamt Bachmann-Medick, Cultural Turns, 285–329, und Stephan Günzel (Hg.), Raum. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart 2010. Siehe dazu grundlegend Mircea Eliade, Das Heilige und das Profane. Vom Wesen des Religiösen, Hamburg 1957. Hier darf man nicht übersehen, dass dies eine Perspektive ist, mit der bis heute zahlreiche Gläubige einen Kirchenraum betreten. Dies wird z. B. symbolisiert durch das Reden von einer Kirche als „Haus Gottes“. David Chidester / Edward T Linenthal, Introduction, in: Dies. (Hg.), American Sacred Space, Bloomington/Indianapolis 1995, S. 1–42, 5. Zum Kirchenraum als Handlungsraum siehe auch Renate Dürr, Politische Kultur in der Frühen Neuzeit. Kirchenräume in Hildesheimer Stadt- und Landgemeinden 1550–1750, Gütersloh 2006, 21; Dies , Kirchenräume; Dies , Aneignungsprozesse. Es wird hier also auf einen relationalen Raumbegriff im Sinne Martina Löws rekurriert. Martina Löw, Raumsoziologie, Frankfurt am Main 2001, 27. Adrian Hastings, The Church in Africa 1450–1950, Oxford 1994, 405. Siehe dazu die bei Knittel, Beitrag, zitierten Auszüge der Antworten der Seminaristen. Vera Isaiasz, Early Modern Lutheran Churches. Redefining the Boundaries of the Holy and the Profane, in: Andrew Spicer (Hg.), Lutheran Churches in Early Modern Europe, Farnham 2012, S. 18–37, die dies für die lutherischen Kirchen in der frühen Neuzeit beschreibt.
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Den Anspruch, eine Trennung zwischen Religiösem und Säkularem beziehungsweise Heiligem und Profanem auch im Missionsgebiet zu etablieren, zeigte sich deswegen vor allem in der Innengestaltung der Kirchenräume und insbesondere der Altarräume, die insbesondere an Sonntagen feierlich geschmückt wurden.277
Abbildung 10 Kirche in Mamba, Tansania, ca. 1909–1914278
Das obenstehende Bild zeigt den Innenraum der Kirche in Mamba, vermutlich kurz vor dem Ersten Weltkrieg. Gut zu erkennen ist der Altar, der mit einem Antependium mit Lutherrose, mehreren spitzenversetzten Altardecken279, einem Kruzifix280 und einer Bibel festlich geschmückt war. Über dem Altar hing ein – recht kleines – Bild, das Jesus bei einer Predigt zeigte und vermutlich dem in der Mission üblicherweise benutzten Bildrepertoire entstammte. Vor dem Altar sieht man zudem ein Lesepult, das ebenfalls mit einer Spitzendecke, die zudem mit einem Christusmonogramm und den erneut auf das Luthertum hinweisenden Herzen bestickt war, bedeckt war.
277 Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts lässt sich nachweisen, dass der Altar als das „heilige Zentrum lutherischer Kirchen betrachtet werden kann“. Evtl. wurde dies in die Mission übertragen. Isaiasz, Architectonia Sacra, 145. Darauf deuten auch die Nachschriften der von Missionar Knittel befragten Seminaristen hin; zum Altar heißt es hier: „Der Lehrer (Missionar) steht dort. Er bittet Gott. Jeden Sonntag wird er schön hergerichtet mit rotem oder weißem oder schwarzem Tuche.“ Knittel, Beitrag, 304. 278 Evangelisch-lutherisches Missionswerk e. V., http://digitallibrary.usc.edu/cdm/ref/collection/ p15799coll123/id/30088 (zuletzt eingesehen am: 8.3.2017). 279 Die Altardecke war vermutlich ein Geschenk von „treuen Missionsfreunden aus Hannover“. Nachrichten aus Mamba. Nach dem Tagebuch des Miss. Althaus ( Januar und Februar), in: Evangelischlutherisches Missionsblatt (1898), S. 219–223, 223. 280 Das Kruzifix war eine Gabe des Meraner Jungfrauenvereins und wurde das erste Mal im September 1912 aufgestellt. Erntefeste, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1912), S. 162–164, 181–182, 181.
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Das Antependium ist vermutlich in Neuendettelsau oder einem mit der Mission verbundenen Diakonissenhaus gefertigt worden. In goldenen Lettern war dort in deutscher Sprache der Spruch „Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich Euch“ in goldener Stickerei geschrieben. Der aufwendige Schmuck wie auch das Altarbild lenkten den Blick auf den Liturgen, also zumeist den Missionar. Der Kirchenraum war insgesamt auf den Altar ausgerichtet, auf den der Mittelgang zwischen den dicht aufgestellten und nicht mit Lehnen versehenen Bänken zulief. Wie Renate Dürr anhand frühneuzeitlicher Kirchen zeigen konnte, ist ein Kirchenraum „ein gestalteter Raum, dessen Ausgestaltung in religiöser und weltlicher Hinsicht Wirkungen zeitigte.“281 Die Machtposition des Missionars, der ja in der Regel den Gottesdienst leitete, wurde durch den Raum unterstützt und verstärkt. Er stand erhöht und aus der Gemeinde herausgehoben, die auf sehr niedrigen Bänken der Predigt harren musste. Trotz dieser asymmetrischen Machtposition war die Anwesenheit der Gemeinde in lutherischen Kirchen wegen des Konzepts der Wortheiligung zentral für die Herstellung von Sakralität. Luther hatte die Vorstellung, dass der Gottesdienst an eine Stätte gebunden sein müsse, als abergläubisch abgelehnt und sogar teilweise empfohlen, Gottesdienste in gewöhnlichen Häusern oder im Freien zu feiern.282 Entscheidend für das lutherische Sakralitätskonzept sei demnach die Gemeinde, die sich frei und öffentlich zum Gottesdienst versammle, Gottes Wort höre und dadurch geheiligt würde.283 Die Notwendigkeit der Anwesenheit der Gemeinde stärkte damit auch deren Position.284 Ein heiliger Ort ist ein „powerful place because it was appropriated, possessed and owned.“285 Als Arenen, „in which power relations can be reinforced, in which relations between insiders and outsiders, rulers and subjects, elders and juniors, males and females, and so on, can be adjuncted“286, können sie Praktiken der Ausübung von Dominanz und des Widerstandes sichtbar machen, die mit der Aushandlung vom Christentum einhergingen.287 Die Missionare konnten also lediglich versuchen, durch die 281 Dürr, Kirchenräume, 456. 282 Dennoch setzten sich spätestens ab der Mitte des 16. Jahrhunderts Kirchweih-Feste durch und konnten im Kaiserreich sogar zu wichtigen nationalen Ereignissen werden. Im Zuge des 17. und 18. Jahrhunderts hatte sich ein ambivalentes Sakralitätskonzept etabliert, dass einerseits auf den Gottesdienst als Marker für Sakralität beharrte, aber dennoch die Kirche häufig als „Haus Gottes“ bezeichnete und vom profanen Raum abschied. Bei der Weihe stand dementsprechend die Inbesitznahme durch den Gebrauch des Gebäudes im Vordergrund. Vera Isaiasz, „Architectonia Sacra“. Feier und Semantik städtischer Kirchweihen im Luthertum des 16. und 17. Jahrhunderts, in: Dies. u. a. (Hg.), Stadt und Religion in der frühen Neuzeit. Soziale Ordnungen und ihre Repräsentationen, Frankfurt a. M. / New York 2007, S. 125–146, 129. 283 Ebd., 131–132. 284 Dies , Zur politischen Kultur, 510. François, Kirchen, 714–715. 285 Chidester/Linenthal, Introduction, 8. 286 Ebd., 16. 287 Jeanne Kilde unterschiedet dabei drei Arten von Macht, die bei der Analyse eines Kirchenraums in Betracht gezogen werden sollten: die Macht des göttlichen Wesens, die Machtgefüge innerhalb
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bauliche Gestaltung und die von ihnen gestaltete Wortverkündigung ihr Konzept von Sakralität durchzusetzen. Diesem Ziel dienten auch die in der Mission immer wieder zu beobachtenden Praktiken des Einschlusses und Ausschlusses aus dem Raum,288 beispielsweise über unterschiedliche Gottesdienstzeiten für „Heiden“ und Christen. Die 1903 auf der Visitationskonferenz angedachte und 1906 endgültig beschlossene Gottesdienstordnung unterschied explizit zwischen „Heidengottesdiensten“, Hauptgottesdiensten und Christengottesdiensten.289 „Heidengottesdienste“ sollten auf solchen Stationen regelmäßig als Vormittagsgottesdienst an Sonn- und Feiertagen stattfinden, auf denen es noch keine genügend große christliche Gemeinde gäbe. Wenn eine Christengemeinde vorhanden war, konnten „Heiden“ entweder zum Hauptgottesdienst mitzugelassen werden, wobei dann einzelne Aspekte, wie zum Beispiel die Absolution, nur an die Christen adressiert werden sollten, oder, was wohl die Regel war, ein gesonderter „Vorgottesdienst“ eingerichtet werden, der sich nur an die „Heiden“ richtete, und bereits um 8 Uhr morgens stattfand. Die unterschiedliche liturgische Gestaltung der Gottesdienste untermauerte die Differenzen zwischen Christen und sogenannten „Heiden“ weiter: Während im Mittelpunkt des Vor- oder „Heidengottesdienstes“ die Predigt stand, die sogar von Fragen unterbrochen werden durfte beziehungsweise sollte und damit mehr den Charakter eines Unterrichts annahm, wurde ein Hauptgottesdienst nach einem Eingangslied mit einer Antiphonie und einem großen Gloria Patri eingeleitet. An den zweiten Feiertagen an Ostern, Pfingsten und Weihnachten sowie an Himmelfahrt sollte sogar die vollständige Form eines Gottesdienstes nach der bayrischen Agende eingehalten werden. Diese wurde dafür sogar eigens in den Christenversammlungen durchgesprochen.290 Unterschiedliche Gottesdienstzeiten und auch die unterschiedliche Gestaltung der Andachten sorgten dafür, die Sakralität des Kirchenraumes bei einem Gottesdienst herzustellen. Gleichzeitig wurde das Bewusstsein bei den Einzelnen geschaffen, Teil einer größeren, universalen Gruppe zu sein.291 Die stetige Wiederholung und die damit etablierte Routine durch die immer gleiche Liturgie, die gleichen Rituale und inhaltlichen Wiederholungen nahmen Einfluss auf die Wahrnehmung der christlichen Religion.292
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der Gemeinde und drittens die Ermächtigung, die ein Individuum durch die im Kirchenraum erlaubte Glaubenserfahrung erfahre. Kilde, Sacred Power, 4–9. Chidester/Linenthal, Introduction. Gottesdienstordnung für die Dschagga-Mission, § 2, ELCT III. Neue Nachrichten aus der Wadschaggamission. Die Station Mamba, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1901), S. 349–352, 351. Whitehouse, Arguments and Icons, 41. Dies betont auch aus katholischer Perspektive Feichtinger, Liturgie, 72. Whitehouse, Arguments and Icons, 9.
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Die in der Liturgie angelegte Einschreibung christlicher Dogmen293 und christlicher Ethik294 trug ebenfalls zur Herstellung des sakralen Kirchenraums bei – durch die Homogenisierung der Gemeinde, durch das gemeinsame Singen und Sprechen in einem von der Außenwelt abgetrennten Klangraum.295 Die zeitgenössische Begründung für die Trennung der Gottesdienste spiegelt dies wider: Auf seine Erfahrungen aus Moshi rekurrierend plädierte Missionar Faßmann vehement für die Einrichtung getrennter Gottesdienste: „Wie soll man vor den gemischten Versammlungen reden, damit man Heiden verständlich bleibt und die Christen nicht langweilt? Wie soll man beten? Wie sollen sie sitzen? Gesondert oder nicht? Sitzen sie getrennt, kann sich kein rechtes Gemeindebewusstsein bilden. Wie ist es mit Liturgie? Die Heiden verstehen es nicht, mit Christen möchte ich gern die Liturgie halten.“
Die Materialität von Kirchenräumen, so Jens Wietschorke, stellt eine „spezifische AnOrdnung von sozialen Gütern und Menschen“ dar, die einer gesellschaftlichen Leitidee gehorcht.296 Diese in die europäisch geprägten lutherischen Kirchenräume durch den Bau eingemeißelte „Leitidee“ musste jedoch in der Mission, in der die gesellschaftliche Ordnung einer christlichen Gemeinde sich zuerst etablieren musste, immer wieder aufs Neue durchgesetzt und ausgehandelt werden. Wichtiger als diese normativ gestaltbaren Aspekte der Sakralisierungsarbeit war deswegen das Verhalten der Gemeinde im Gottesdienst. Waren bereits Gottesdienste und deren Besuch viel stärker im Hinblick auf Routine disziplinarisiert als dies in Europa der Fall war,297 galt es hier unterschiedliche Perspektiven auszutarieren. Denn die Erwartungen und Erfahrungen der Missionare über das Verhalten bei einem Kirchenbesuch und damit verbundene emotionale Regimes298 wichen vermutlich von den Erwartungen der Chagga deutlich ab. Nur aus wenigen Quellen lässt sich für die Chagga-Mission auf eine Aneignung des Kirchenraums und damit auf ein eventuell verändertes Konzept von Sakralität schlie-
293 Ebd., 40: „The continual repetition of Christian liturgy and other rituals, like the collective recitation of strings of utterances in the classroom, no doubt served to establish in the minds of converts a truly unforgettable repertoire of schemas for ‚how to be‘ a Christian.“ 294 Der Systematiker Bernd Wannenwetsch sieht den „Gottesdienst sogar als ‚Beginn‘ der christlichen Ehtik“, „denn im Gottesdienst wird die Urteilskraft geformt und erneuert, weil der Mensch dort das Gute, Wohlgefällige, Vollkommene erfährt, ‚wie es im Gottesdienst präsent und verheißen ist.‘“ Bernd Wannenwetsch, Gottesdienst als Lebensform, 25 und 72, zit. nach Feichtinger, Liturgie, 77. 295 Eine solchen Klangraum beschreibt bspw. der Missionsdirektor: Reisebriefe unseres Missionsdirektors, 54. Zum Einsatz von Musik in den Gottesdiensten siehe auch Kap. 3.2.3 dieser Studie. 296 Wietschorke, Architektur, 170. 297 Whitehouse, Arguments and Icons, 39. 298 Siehe dazu Wietschorke, Affective Spaces, der für eine an Praktiken orientierte Geschichte religiöser Gefühle in Anlehnung an Monique Scheer und in Rückgriff auf das Habitus-Konzept Bourdieus plädiert; dazu auch Jan Plamper, Geschichte und Gefühl. Grundlagen der Emotionengeschichte, München 2012, 297–319.
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ßen. Während es kaum Bilder von einem Gottesdienst gibt, was vermutlich neben theologischen Bedenken vor allem auf die begrenzten technischen Möglichkeiten zurückzuführen ist, lässt sich aus schriftlichen Quellen schließen, dass die Missionare häufig über die Kleidung der Gottesdienstbesucher entsetzt waren oder Stillsitzen und Ruhe anmahnen mussten. Das Verhalten im Gottesdienst zu normieren, wurde deswegen zur Aufgabe der Gemeindeältesten; sie sollten helfen, die Grenze von Sakralem und Profanem herzustellen und aufrechtzuerhalten.299 Aus Sicht der Missionare sollte diese Normierung auch noch für den Vorplatz vor der Kirche gelten, den sie ebenfalls von einem Platzaufseher aus dem Kreis der Ältesten überwacht sehen wollten.300 Tatsächlich zeigen zahlreiche Fotografien und Aufnahmen Menschen vor und nach dem Gottesdienst vor der Kirche. Während die meisten dieser Bilder die herausgehobene Position des Missionars häufig im Talar301 betonen, bilden einige Aufnahmen einfach eine größere Gruppe an Menschen ab, die sich unterhalten.
Abbildung 11 Gemeindemitglieder vor der Kirche in Mbaga, Tanzania, 1911–1914302 299 Chidester/Linenthal, Introduction, 11. Als der Missionsschüler und spätere Lehrer Benjamin aus Shira eine Kirche beschreiben sollte, machte er diese Disziplinierungsmaßnahmen explizit: „Wenn die Leute in die Kirche gehen, ist es nötig, Gesicht, Hände und Körper zu waschen. Und wenn sie hineingegangen sind, schickt es sich nicht, zu lachen. Und wenn sie hören, wie der Missionar lehrt (predigt), mögen sie nicht lachen. Ich habe an einem Tag gesehen, als der Missionar predigte, schlief die Hälfte (der Leute). Das paßt sich nicht. Gehen sie in die Kirche, so müssen sie gut aufhören“, zit. nach Knittel, Beitrag, 295. 300 Dies wurde vom Leipziger Missionskollegium jedoch mit der Begründung, dass die Obsorge für den Platz (beziehungsweise die Missionsstation) bei den Missionaren als Pastoren liegen müsse, abgelehnt. Missionskollegium an Missionare, 15.3.1906, ELCT III. 301 Das Tragen des Talars zu den Gottesdiensten wurde mit zunehmender Etablierung der Mission immer mehr gewünscht. Missionskollegium an Missionare 20.4.1906, Gottesdienstordnung, ELCT III. 302 Evangelisch-lutherisches Missionswerk e. V., Congregants in Front of the Church, Mbaga, Tanzania, ca. 1911–1914, http://digitallibrary.usc.edu/cdm/ref/collection/p15799coll123/id/30595 (zuletzt eingesehen: 28.11.2018).
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Diese Abbildung zeigt Gottesdienstbesucher nach dem Gottesdienst, die sich in Grüppchen unterhalten und sich dabei den Platz vor der Missionsstation als Raum aneignen. Die von den Missionaren konzipierten und mitangelegten Wege werden dabei außer Acht gelassen. Der erweiterte Kirchenraum, auch wenn es sich hier nur um eine Kapelle handelt, wird in diesem Moment weniger als dezidiert religiöser respektive sakraler Raum genutzt, sondern vielmehr als Kommunikationsraum. Ähnlich einem Marktplatz wurden hier Neuigkeiten ausgetauscht werden. Eindeutig wurde der Raum hier von den Gottesdienstbesuchern angeeignet und der Gottesdienst selbst zu einem sozialen Ereignis, über das die Missionare selbst kaum Macht hatten. Nicht zuletzt ist dies ein Grund, warum den Missionaren daran gelegen war, auch eine Gestaltung des Sonntagnachmittags für die Christen einzuführen.303 Die Heiligung des Kirchenraums sollte schließlich einem von den Missionaren im Missionsgebiet und in Europa propagierten Frömmigkeitsideal entsprechen, dessen Inszenierung wesentlich für die Schlagkraft der Ergebnisse des Missionslabors waren. 4.3.3 Mediale Inszenierungen von Frömmigkeit Missionare standen im Mittelpunkt der medialen Berichterstattung der Mission.304 Das evangelisch-lutherische Missionsblatt, das seit der Gründung der Leipziger Mission unter verändertem Titel bis heute besteht, war die wichtigste Zeitschrift der Gesellschaft, die – ebenso wie die anderen Publikationen – im missionseigenen Verlag erschien. Hinzu kam eine umfangreiche Traktatliteratur: Zwischen 1906 und 1913 gab die Gesellschaft circa 300.000 Druckschriften heraus, die vor allem auf Missionsfesten 303 Für die Debatte um Tänze siehe Kap. 3.2.3 dieser Studie. 304 Die Missionspublikationen sind von der Forschung lange Zeit als hauptsächliche Quelle genutzt worden. Mittlerweile finden sich auch einige Reflexionen über diese Quellen, bspw. in dem Sammelband Felicity Jensz / Hanna Acke (Hg.), Missions and Media. The Politics of Missionary Periodicals in the Long Nine-teenth Century, Stuttgart 2013. Wichtig auch Rüther, Through the Eyes. Zur evangelischen Presse allgemein Gottfried Mehnert, Evangelische Presse. Geschichte und Erscheinungsbild von der Reformation bis zur Gegenwart, Bielefeld 1983. Insgesamt steht die Forschung zu der religiösen Zeitschriftenlandschaft aber noch am Anfang. Erste Hinweise liefern Gisele Mettele, Weltbürgertum und Gottesreich. Die Herrnhuter Brüdergemeine als globale Gemeinschaft 1727–1857, Göttingen 2009, 116–122, und Przyrembel, Wissen auf Wanderschaft. Zur Frage, wie der Hinduismus in Missionszeitschriften konstruiert wurde, siehe Oddie, Imagined Hinduism, Kap. 7. Die Auflagenstärke all dieser Publikationen der verschiedenen Missionsgesellschaften lässt sich schwer bestimmen. Für die Berliner Mission liegen einige Zahlen vor: Roswitha Bodenstein gibt für die Berliner Missionsgesellschaft an, dass zwischen 1890 und 1895 110.257 Exemplare der Neuen Missionsschriften, einer Reihe mit Lebensbildern und Geschichten aus der Mission, verkauft worden seien, hinzu kämen fast 150 000 Exemplare von Missionschriften für Kinder und immerhin fast 29.000 Exemplare der Berliner Missionstraktate Roswitha Bodenstein, Die Schriftenreihen der Berliner Missionsgesellschaften, Berlin 1996, 7; vgl. auch Gunther Pakendorf, Form und Funktion von Bekehrungsgeschichten im missionarischen Schrifttum des 19. Jahrhunderts, in: Interkulturelle Theologie. Zeitschrift für Missionswissenschaft 42 (2016), S. 367–390, 371–373.
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verkauft wurden.305 Missionszeitschriften gehörten also eindeutig zur konfessionellen Literatur, wie sie um 1900 vor allem in Form von Sonntagsblättern rezipiert wurde.306 Ihre Reichweite war groß: Nicht selten wurden die Blätter von Jünglingsvereinen oder Diakonissenhäusern, von Lehrern und Pastoren, also von Personen, die aufgrund ihrer Stellung als Multiplikatoren fungierten, abonniert beziehungsweise gekauft.307 Gesonderte Publikationen für Kinder und Frauen erhöhten die Reichweite der Missionspublikationen weiter.308 Das Schreiben und Dokumentieren bestimmte den Tagesablauf der Missionare, die ja häufig auch noch wissenschaftliche Arbeiten verfassten und eine reichhaltige Korrespondenz pflegten.309 Die Statuten der Missionsgesellschaft regelten nicht nur, dass Missionare viertel- beziehungsweise halbjährliche Berichte über ihre Tätigkeiten nach 305 Altena, Ein Häuflein Christen, 250. 306 Beate von Miquel, Protestantische Publizistik im Aufruch. Die Pressearbeit in der Hannoverschen Landeskirche 1850–1914, Hannover 2003, 70. Kuhlemann behandelt diese konfessionelle Presse bzw. die theologica popularis als wichtiges Aufgabenfeld evangelischer Pastoren. Diese Presse sollte genutzt werden, um eine „Durchdringung von Staat und Gesellschaft mit dem Geist des Evangeliums“ zu erreichen. Frank-Michael Kuhlemann, Bürgerlichkeit und Religion. Zur Sozialund Mentalitätsgeschichte der evangelischen Pfarrer in Baden 1860–1914, Göttingen 2001, 219. Das Niveau der Kirchenzeitungen war dabei häufig sehr hoch, auch wenn ihr Einfluss vermutlich kaum über den kirchlichen Kreis hinausging. Siehe dazu Mehnert, Evangelische Presse, 182. 307 Dies geschah auch, weil der Abonnementpreis des Missionsblattes bspw. mit 1,20 M. plus Porto recht hoch war. Vgl. Unser Missionsblatt, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1889), S. 48. Siehe dazu auch Altena, Ein Häuflein Christen, 247. W Hebel, Die Arbeit des Pfarrers für die Mission innerhalb seiner Gemeinde: Referat für den Missions-Lehrkurs in Kassel (Mai 1900), Kassel 1900, 17; Wetjen, Das Globale im Lokalen, 45–61. 308 Eine besondere Bedeutung bei den Missionsschriften kommt neben den wichtigen Monatsblättern v. a. den Publikationen für Kinder zu. Die Kleine Missionsglocke der Leipziger Mission beispielsweise sollte frühzeitig Kinder und Jugendliche zur Mitarbeit anregen und ihnen „Anleitung“ geben, „wie sie durch Gebet und Opfer“ ihren Beitrag zur Missionsarbeit leisten könnten. Sie war deswegen auch deutlich günstiger und kostete nur 12 Pf. pro Ausgabe. „Den Hauptinhalt des Blattes bilden kleine Erzählungen aus der Heidenwelt und der Missionsarbeit der Gegenwart, insonderheit der Arbeit unserer Mission, Darstellungen aus dem Kinderleben der nichtchristlichen Völker und aus den Missionsschulen, Schilderungen von Land und Leuten auf den Arbeitsfeldern der Mission.“ (ALMW II.19.7.) Die Mitarbeit der Kinder und Jugendlichen hatte sich ebenso wie die Frauenmission als besonders wirksam erwiesen, weswegen zahlreiche Missionsgesellschaften – auch katholische – gesonderte Publikationen für Kinder herausgaben und so ein Gefühl von „Mitleid über große Distanz“ bereits in jungen Jahren etablieren konnten. Siehe dazu Richard Hölzl, „Mitleid“ über große Distanz. Zur Fabrikation globaler Gefühle in Medien der katholischen Mission, 1890–1940, in: Ders. / Rebekka Habermas (Hg.), Mission Global. Eine Verflechtungsgeschichte seit dem 19. Jahrhundert, Köln/Weimar/Wien 2014, S. 265–294, 273. Wegen dieser Fülle an verschiedenen Missionsblättern, Schriftenreihen und Traktaten erschienen ganze Literaturschauen, in denen bspw. „die wissenschaftliche Missionsliteratur der skandinavischen Länder“ besprochen oder ein „Gang durch die deutsche Missionslitteratur“ vorgenommen wurde. „Weit über 2000 Nummern“ machte diese schon 1897 aus. Paul Eppler, Ein Gang durch die deutsche Missionslitteratur: Mit besonderer Berücksichtigung der Basler. Referat für den Missionskurs in Heinrichsbad vom Oktober 1897, St. Gallen 1898, 6. 309 Siehe zum Berichtswesen der Leipziger Missionsgesellschaft und der Anpassung der Berichte Wetjen, Abdrucken.
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Leipzig einsenden mussten, sondern auch Jahresberichte zum Fortschritt der Mission, Kopien des Stationstagebuchs, Kostschulberichte – Berichte über einzelne Kostschüler, insbesondere wenn deren Aufenthalt von einem der angegliederten Missionshilfsvereine finanziert wurde – und sogenannte Missionsstatistiken über die Zahl der Gottesdienstbesucher, Taufen und Kommunikanten.310 Ein Ziel dieser umfassenden Dokumentation der Arbeiten im Missionsgebiet war es zweifellos, Kontrolle über die Geschicke der Mission auch aus der Ferne heraus auszuüben; das Berichtswesen sollte eine Verbindung zwischen Heimatleitung und Missionsgemeinde herstellen. Gleichzeitig wurden diese Berichte aber auch als Grundlage für die umfangreichen Publikationen der Missionsgesellschaften genutzt. Die einzusendenden Berichte waren also nicht nur Rechenschaftsberichte gegenüber dem vorgesetzten Missionskollegium, sie waren auch wesentliches Kommunikationsmittel in die Heimatvereine, auf deren Unterstützung die Mission als Ganzes, aber auch einzelne Missionare im Besonderen angewiesen waren.311 Sie waren stilisierte Berichte: Offizielle Anweisungen zum Abfassen der Berichte beinhalteten immer wieder den Verweis auf deren geplante Publikation und damit auf die Notwendigkeit, die Texte an die Bedürfnisse der Leserinnen und Leser des Missionsblattes anzupassen. So sollte es sich, „um kleine illustrierende Züge aus der Arbeit, zum Beispiel Tauffeiern besonderer Art oder andere Feste, kleine Biographien eingeborener Mitarbeiter, die ein Jubiläum gefeiert haben oder gestorben sind, Einzelzüge aus der Heidenpredigt, daneben auch Hemmnisse der Arbeit und dunkle Scenen aus dem Leben der Heiden“ handeln.312 Und weiter: „Auch schmerzliche Rückfälle ins Heidentum sind nicht ganz zu übergehen, wenn schon für diesen Zweck die Lichtseiten des Missionslebens überwiegen mögen. Bekehrungsgeschichten sind auch erwünscht, nur müssen sie psychologisch gut begründet und ganz wahrhaftig sein.“313 Ein „anschaulich, fesselnder Bericht“ und eine große Themenvielfalt sollten sicherstellen, dass die Publikationen der Gesellschaft für ihre Leserschaft genügend Spannung boten – nicht zuletzt deshalb, weil Einnahmen des 1897 gegrün310
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Wie schon Ulrike Sill, Wie das Harmonium in die Hängematte kam. Ein Beispiel für den Wandel im Berichtswesen der Basler Mission im 19. Jahrhundert, in: Artur Bogner u. a. (Hg.), Weltmission und religiöse Organisation. Protestantische Missionsgesellschaften im 19. und 20. Jahrhundert, Würzburg 2004, S. 377–395, 383, für die Basler Mission zeigt, war das Berichtssystem häufigen Änderungen unterworfen, deren klare Grenzen noch durch zusätzliche Privatkorrespondenzen zu dienstlichen Themen unterlaufen wurden. Zum Berichtswesen der Basler Mission ebd., insb. 378–379. Siehe dazu die entsprechenden Bestimmungen des Missionskollegiums, ALMW II.32.229. Ebd. Auch die Berliner Missionsgesellschaft hatte sehr ähnliche Vorgaben für die einzusendenden Berichte bzw. Artikel ihrer Missionare. Vgl. Bodenstein, Schriftenreihe, 2. Für Basel siehe Sill, Harmonium, 386–387. Für Hermannsburg Rüther, Through the Eyes. Dies , Heidenmission, 165, stellt fest: „Für die Heimatleitungen in Deutschland und eine breite Öffentlichkeit stellten sie [die Missionare, K. W.] aus dem Fundus ihrer Erfahrungen Ereignisse und Anekdoten zusammen, die in der Heimat Interesse an der Mission motivieren sollten. Die Perspektive von Afrikanern, insbesondere deren kluge Kritik an der Mission, wurde selten als konstruktiver Beitrag zum Missionsgeschehen gewertet, sobald sie dem Idealbild von Mission widersprach.“
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deten Missionsverlags wichtig für die finanzielle Situation der Missionsgesellschaft waren. Die Missionspublikationen sollten Werbung für die Missionsgesellschaft machen, durch die einerseits bestehende Unterstützerinnen und Unterstützer mit ihrer seriellen Berichtsweise bei der Stange gehalten und anderseits neue Unterstützerinnen und Unterstützer gewonnen werden konnten.314 In den Missionsblättern wurde häufig direkt auf die Missionare als Verfasser der Texte verwiesen beziehungsweise explizit auf den „Monatsbericht“ oder das „Tagebuch“ eines Missionars als Grundlage für einen entsprechenden Artikel bereits in der Überschrift rekurriert. Häufig waren die Berichte in der „Ich-Form“ verfasst und vermittelten so dem Leser oder der Leserin das Gefühl, dass es sich um einen authentischen und kaum veränderten Text handele. Dennoch durchliefen die Berichte einen rigiden Redaktionsprozess, der teilweise an den im Archiv überlieferten Tagebüchern noch sichtbar ist; diese enthalten häufig Streichungen und Veränderungen oder auch Kommentare von zweiter und sogar dritter Hand. Ein Vergleich des Originaltextes mit diesen Streichungen und vor allem der endgültigen, im Missionsblatt gedruckten Version zeigt, dass zwar nur selten in den Wortlaut der Berichte eingegriffen wurde – dies geschah vor allem, wenn es sich um erklärungsbedürftige Fachbegriffe handelte. Deutlich häufiger wurden aber gezielt Passagen gestrichen, um eine eindeutigere, für die Mission positivere Narration herzustellen und um negativen Ereignissen nicht allzu viel Raum zu lassen. Besonders vorsichtig war die Gesellschaft, wenn es sich um Berichte handelte, in denen Angehörige der Kolonialverwaltung oder Entscheidungen der Kolonialbürokratie eine Rolle spielten. So sollte erstens verhindert werden, dass das Verhältnis zur Kolonialmacht nicht weiter belastet wurde, und zweitens Rücksicht darauf genommen werden, dass Unterstützerinnen und Unterstützer der Mission dem deutschen kolonialen Engagement zumeist gerade nicht kritisch gegenüberstanden. Die Texte wurden also häufig zweimal an die Leserschaft angepasst – zunächst vom Missionar, dann von der Redaktion des Missionsblattes, der sogenannten Literarischen Kommission.315 Missionsblätter nahmen eine Scharnierfunktion zwischen Missionsgebiet und Heimat(kirche) ein und waren Teil einer medialen Inszenierung vom Christentum. Sie verbanden wie kaum ein anderes Medium Heimat und Missionsgebiet miteinander und trugen zur Vorstellung einer „protestantischen Internationalen“316 bei. Das Leipziger Missionsblatt berichtete beispielsweise nicht nur über die eigene Mission und Überlegungen der Missionswissenschaft, sondern brachte unter der Rubrik „Vermischtes“ stets auch Nachrichten über andere (protestantische) Missionen, insbesondere über solche, die ebenfalls in Indien oder Afrika tätig waren. Die Bandbreite der Berichte und der behandelten Gesellschaften war dabei sehr groß und inkludierte durchaus 314 315 316
Bodenstein, Schriftenreihe, 3. Siehe dazu ausführlich Wetjen, Abdrucken. Andrews, Charting.
322
4 Christianity Making in der Missionsgemeinde
auch Missionsblätter aus dem (europäischen) Ausland, wobei vor allem – es sei denn zu Abgrenzungszwecken – auf protestantische Missionserfolge verwiesen wurde.317 Berichte über koloniale Belange, Ethnographika und Bilder vermittelten Wissen über das Außereuropäische und trugen dazu bei, das Koloniale bis in die hintersten Winkel der ländlichen Gesellschaft – denn gerade hier hatte die Missionsgesellschaft ihre Unterstützerinnen und Unterstützer – zu tragen.318 In den Missionspublikationen wurde dieses Wissen über das Außereuropäische von den Missionaren „in verständlichen Begriffen für seine unmittelbaren Leser“ in der Heimat aufgearbeitet.319 Durch den „Reiz des Exotischen“320 wurde eine besondere Spannung aufgebaut, die nicht selten in Abenteuergeschichten kulminierte. Aber auch das Wissen über fremde Religionen wurde über die Missionspublikationen verbreitet, weswegen Religionswissenschaftler nicht selten auf die verschiedenen Publikationen der Missionare verwiesen. Missionszeitschriften boten dabei ihren Leserinnen und Lesern einen Mix verschiedener Themen und Inhalte. Wesentlicher Bestandteil fast aller Publikationen, seien es Artikel über Missionskonferenzen oder seien es Berichte von Missionsstationen, war ein erbaulicher Anteil, in dem eine spezifische, idealisierte Form lutherischer Frömmigkeit inszeniert wurde. Dies lässt sich beispielsweise an den Berichten über Missionare beobachten. Missionspublikationen stilisierten Missionare zu „Glaubenshelden“. Schilderungen von Entbehrungen, häufigen Krankheiten und Gefahren dienten dazu, die Heldentaten der Missionare, die bereit waren für ihren Glauben all dies auf sich zu nehmen, zu unterstreichen.321 Die Inszenierung von Missionaren als „missionary celebrities“ oder „missionary heroes“ diente dazu, die Identifikation der Heimatgemeinde mit den Missionsgemeinden zu stärken und gleichsam Anreize zu schaffen, sich selbst für die Mission stärker zu engagieren oder sogar selbst Missionar zu werden.322 Solche 317 318
Siehe dazu auch Wetjen, Das Globale im Lokalen, 76–79. Habermas, Colonies in the Countryside. Bilder aus dem Außereuropäischen waren im Kaiserreich besonders populär. Siehe zu den kolonialen Bildpostkarten bspw. Felix Axster, Koloniales Spektakel in 9 × 14. Bildpostkarten im Deutschen Kaiserreich, Bielefeld 2014, der zeigt, wie durch Bildpostkarten eine koloniale Wissensordnung entstand. In dem alltäglichen Medium der Postkarten konnten die Kolonien jederzeit angeeignet werden. Auch die Missionen gaben deswegen zahlreiche Postkarten heraus. Siehe z. B. Jones (Hg.), Through a Glass, 58. 319 Albert Gouaffo, Über das Gesehene und Erlebte berichten. Heinrich Norden als Träger des Wissens- und Kulturtransfers zwischen dem kamerunischen Küstenhinterland und Deutschland, in: Rebekka Habermas / Richard Hölzl (Hg.), Mission Global. Eine Verflechtungsgeschichte seit dem 19. Jahrhundert, Köln/Weimar/Wien 2014, S. 199–212, 202. Przyrembel, Wissen auf Wanderschaft, 35, betont, dass missionarische Strategien des Wissenserwerbs immer unmittelbar mit der Thematisierung religiöser Selbstgefühle verbunden waren. 320 Stucke nennt diesen Reiz neben Weihnachtsfrömmigkeit, Lebensbildern, Kampfesrhetorik, dem Feindbild Islam, und der Reziprozität von Völker- und Volksmission als eine Funktion von Missionsberichterstattung. Stucke, Bethel-Gemeinde, 204–207. 321 Wetjen, Das Globale im Lokalen, 70–71. 322 Anna Johnston, British Missionary Publishing, Missionary Celebrity, and Empire, in: Nineteenth Century Prose 32 (2005), S. 32–47; Jeffrey Cox, The British Missionary Enterprise since 1700, New York 2008, 111–113; Wetjen, Das Globale im Lokalen, 75–76.
4.3 Andacht und Frömmigkeit im Missionsraum
323
Heldennarrative aus der Mission leben häufig zum Beispiel in Figuren wie David Livingstone oder Albert Schweitzer bis heute fort.323 Die Inszenierung von Missionaren als „Glaubenshelden“ und als „Zeugen“ der Wirksamkeit sollte insbesondere Kinder und Jugendliche ansprechen, sich für Mission zu interessieren. Über das Interesse an Mission, so die Annahme, sollten sie dann zurück zur Religion finden.324 Unterrichtsvorschläge und Handbücher, wie das 1887 von Gustav Warneck vorgelegte Handbuch Die Mission in der Schule325, das Lehrerinnen und Lehrern Vorlagen geben sollte, wie das Themenfeld Mission im Unterricht behandelt werden könnte, lassen sich diesem Anliegen entsprechend ebenso einordnen, wie die im ausgehenden 19. Jahrhundert als Teil des Netzwerks der Missionen gegründeten Lehrermissionsbünde.326 „Gerade in einer Zeit, wo an den christlichen Lehren eine immer schärfere, zersetzende Kritik geübt wird, muß der Beweis für die Wahrheit des christlichen Glaubens aus dem Leben der Kirche, das durch diesen Glauben geweckt wird, geführt werden. Dieser Beweis führt für jeden, der sehen will, die Mission. Dazu kommt, dass die Kinderherzen auf den Missionston geradezu gestimmt sind. Sie spüren hier etwas von der Kraft des Evangeliums.“327
323
Harmjan Dam, Mission und Ökomene als Thema in Schulbüchern. Ein Beitrag zur Geschichte der Kirchengeschichtsdidaktik, in: David Käbisch / Michael Wermke (Hg.), Transnationale Grenzgänge und Kulturkontakte. Historische Fallbeispiele in religionspädagogischer Perspektive, Leipzig 2017, S. 73–95. Siehe dazu auch Hölzl, Mitleid, 283. 324 „Die Mission gibt aber auch einen wertvollen Inhalt an Stoffen und Lebenskräften für den Unterricht. Man hat gesagt, daß der Ausgangspunkt aller Religion ein inneres Erleben, ein Berührtsein von Gott und göttlicher Kraft sei, und daß der Religionsunterricht besonders zur Persönlichkeitsbildung dienen soll. […] Aber ist mit dem Alten und Neuen Testament die Reihe der religiösen Charaktere abgeschlossen? O nein, es gibt auch gottberührte Gegenwartsmenschen, z. B. die Helden der Mission, die für die religiöse Idee alles in die Schanze schlagen, die die Gesinnung Jesu in sich zur Erscheinung bringen, die in seiner Kraft apostelfreudig hinausgehen auf der Heiden Straße, die im Bewußtsein der Gottesnähe feststehen in allen Gefahren, in christlicher Entsagung, Liebe und Geduld alle Anfechtungen und Entbehrungen ertragen, die in Kindern und […] Alten den göttlichen Funken anzufachen suchen, ganze Volksstämme innerlich und äußerlich erneuern. Solche Persönlichkeiten müssen auf die Kinder wirken; mit ihnen jauchzen und weinen, hoffen und bangen sie. Hier quillt ein tiefer Born reichen religiösen Lebens. […] [D]er Missionsunterricht muß ein wesentlicher Bestandteil unseres künftigen Religionsunterrichts werden auf Grund der ihm innewohnenden Lebenskräfte.“ 1. Bericht des Leipziger Lehrer-Missionsbundes, Juni 1910, ALMW II.12.6. 325 Warneck, Mission in der Schule. 326 Die Leipziger Mission beteiligte sich häufig an Lehrerkonferenzen, in denen Lehrer thematisch zur Mission fortgebildet werden sollten. 1910 kam es zudem zur Gründung eines eigenen Lehrermissionsbundes im Leipziger Missionshaus. Die diversen Korrespondenzen dazu sind in der Akte ALMW II.12.6c überliefert. Siehe dazu auch Wetjen, Religionspädagogische Resonanzen. 327 Wilhelm Martius, Die Förderung der Mission durch die Schule, in: Allgemeine Missionszeitschrift 34 (1907), S. 397–412, 398. Zur Entwicklung von Empathie über große Distanz siehe Hölzl, Mitleid.
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4 Christianity Making in der Missionsgemeinde
Eine solche Inszenierung von Frömmigkeit findet sich auch in den Berichten über die neugegründeten Missionsgemeinden. Im evangelisch-lutherischen Missionsblatt, dem Hauptorgan der Leipziger Missionsgesellschaft und dem Blatt, in dem in regelmäßigen Abständen Berichte von den einzelnen Stationen als Auszüge aus den Tagebüchern der Missionare erschienen, spielte die Etablierung einer auf das ganze Leben bezogenen Frömmigkeitskultur eine große Rolle.328 Dies lässt sich exemplarisch an Berichten über die Station Mamba zeigen.329 Nicht nur bei der Zulassung zur Taufe, die bei einem nicht „frommen“ Lebenswandel durchaus verweigert werden konnte,330 sondern auch in Berichten über das kirchliche Leben spielte der religiöse Lebenswandel der sogenannten „Heidenchristen“ eine große Rolle. Von der besonderen Frömmigkeit zeugten beispielsweise die im Missionsblatt abgedruckten „Briefe eines Dschaggachristen“. 1905 erschien die Übersetzung eines im Januar 1903 an Missionar Althaus versandten Briefs von Ndesario331, der als einer der ersten in Mamba getauft worden war und deswegen den regelmäßigen Leserinnen und Lesern des Missionsblattes durchaus bekannt war. An seinem Taufgedenktag dankte er dem Missionar für die Aufnahme in die Mission und den Unterricht und bat den Missionar, weiter für ihn zu beten, denn: „Ich danke auch dem heiligen (w.: ‚guten‘, welches Wort wir für ‚heilig‘ benützten) Geiste Gottes, der mich gerufen hat. In Wahrheit, es ist ein großes Ding, das Gott an mir getan hat; ich war verloren in Sünden und ich selbst pflegte auch sehr oft Sünde zu tun. Aber der Gott des Erbarmens hat sich seines Lammes erbarmt und hat es wieder zu sich zurück gebracht, damit es Freude sähe. Und meine Sünden hat er bedeckt mit dem Blute seines Sohnes. Gott hat das angesehen, was der Sohn getan hat, und ich habe Liebe bei ihm gefunden (w.: und ich habe gesehen Geliebtwerden bei ihm).“332
Das Bild eines sich seiner Sünden bewussten und sie bereuenden, aber dennoch bedürftigen und dankbaren Chaggachristen passte in mehrfacher Hinsicht zu der im Missionsblatt vertretenen Missionspropaganda. Es fügte sich nämlich einerseits in stereotype Bilder eines rückständigen und bedürftigen Afrikas ein, wie es auch mit 328 Eine Geschichte der protestantischen Frömmigkeit, wie sie 2005 von Lucian Hölscher als expliziter Gegenentwurf zur traditionellen Kirchengeschichte entworfen worden ist, handelt von der religiösen Praxis und den religiösen Vorstellungen der Gläubigen. Sie dreht damit die auf kirchliche Institutionen (und deren Ausbreitung) konzipierte Geschichtsschreibung um. Hölscher, Geschichte der protestantischen Frömmigkeit. 329 Im Folgenden werden, der bisherigen Praxis der Arbeit folgend, die Berichte über die Station Mamba ausgewertet, die in loser Reihenfolge im Missionsblatt erschienen und zumeist die Überschrift „Nachrichten aus Mamba“ mit einem jeweils spezifizierenden Zusatz trugen. 330 Siehe dazu Kap. 4.1 dieser Studie. 331 Ndesario war einer der ersten Christen in Mamba, der auch zum Unterrichten eingesetzt wurde. Nach seiner Seminarausbildung war er von 1902 bis 1905 fest als Lehrer in Mamba angestellt. Stationstagebuch Mamba, Mai 1900, ALMW II.32.131 bzw. Altena, Ein Häuflein Christen, Anhang, 331. 332 Brief eines Dchaggachristen, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1905), S. 19–20, 20.
4.3 Andacht und Frömmigkeit im Missionsraum
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der Kolonialpropaganda korrespondierte, zeigte aber andererseits auch die Empfänglichkeit der Ostafrikaner für die christliche Botschaft. Das Werk der Mission, für das schließlich die Leserinnen und Leser des Missionsblattes spenden sollten, erschien damit als hoffnungs- und segensreich und weiterer Spenden und eines intensiveren Engagements würdig. Häufiger als von solchen einzelnen Christen war jedoch von der besonderen Frömmigkeit der Vielen die Rede. Im Mittelpunkt der Berichte der Missionare standen immer wieder kirchliche Veranstaltungen, die das Gemeindeleben im Rahmen des Kirchenjahres strukturierten. Dazu zählten nicht nur der Schulunterricht und die Sonntagsgottesdienste, wie sie bereits besprochen wurden, sondern auch zahlreiche andere von den Missionaren organisierte kirchliche Veranstaltungen, die dazu dienen sollten, eine auf Gemeinschaft ausgerichtete Frömmigkeitspraxis zu etablieren, in der das gemeinsame Gebet und die gemeinsame Bibellektüre im Mittelpunkt standen. Diese Veranstaltungen entsprachen zum Teil ihren europäischen Pendants, waren aber gleichzeitig auf ihre Zuhörerschaft zugeschnitten, so wurden beispielsweise dort häufig Bilder gezeigt.333 Den Tages- und Wochenablauf bestimmten, so die Darstellung der Mission, besonders die häufigen Andachten. Neben den beziehungsweise im Anschluss an die täglichen Morgen- und Abendandachten, gebe es einen gesonderten Unterricht für Frauen und Mädchen334 und regelmäßig, das heißt einmal wöchentlich, stattfindende Bibelstunden, in denen biblische Geschichten mit den bereits getauften Christen durchgesprochen, gemeinsam gebetet und gesungen sowie Geld für die Gemeindekasse gesammelt werde.335 Gesangsstunden und Notenunterricht sorgten für eine weitere enge Bindung Einzelner an die Gemeinde.336 Ohne Zweifel schrieben sich Missionare hier in ein Berufsprofil ein, das Pfarrern im Kaiserreich entsprach, wo ein Pfarrer nicht nur im Mittelpunkt der Gemeindearbeit im engeren Sinne stand, sondern auch das kirchliche Vereinswesen leitete und organisierte, die Medienarbeit und Kolportage maßgeblich betrieb und auch sonst zahllose Verwaltungsaufgaben übernahm.337
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Nachrichten aus Mamba. Nach den Tagebüchern von den Miss. Althaus und Bleicken (Okt.– Dez.), 159. Siehe zu den Methoden der Verkündigung auch Kap. 3 dieser Studie. 334 Siehe dazu Kap. 3.2.3 dieser Studie. 335 Nachrichten aus Mamba. Aus dem Tagebuch des Miss. Althaus ( Jan.–März), in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1899), S. 284–286, 286. 336 Nachrichten aus der Station Mamba. Aus der Missionschronik von Miss. Schanz – Mamba. ( Januar bis August), in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1905), S. 61–65. 337 Vgl. zur Pfarrschaft im Kaiserreich Hölscher, Geschichte der protestantischen Frömmigkeit, 273– 280; dieses „Milieumanagement“ macht auch Kuhlemann, Bürgerlichkeit und Religion stark, wohingegen Oliver Janz, Zwischen Bürgerlichkeit und kirchlichem Milieu. Zum Selbstverständnis und sozialen Verhalten der evangelischen Pfarrer in Preußen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Frank-Michael Kuhlemann / Olaf Blaschke (Hg.), Religion im Kaiserreich. Milieus – Mentalitäten – Krisen, Gütersloh 1996, S. 382–406, den schwindenden Einfluss der Pfarrer auch durch das Vereinswesen betont. Diese Deutung der „Pfarrer als Bürger besonderer Art“ über-
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In den Blättern entstand der Eindruck, dass die Angebote der Mission immer umfassender wurden, je mehr Zulauf die Mission bekam. Zahlreiche Initiativen in den späteren Jahren der Mission sollten dazu dienen, die Christen immer stärker an die Gemeinde zu binden. Die Einführung expliziter christlicher Tänze am Sonntagnachmittag gehörte ebenso dazu, wie die Einführung von immer zahlreicheren christlichen Festen: „Die Berichte aus Deutsch-Ostafrika lassen es immer deutlicher erkennen, daß das Christentum in den Landschaften am Kilimandscharo in zunehmenden Maße an Einfluß gewinnt. Die Zahl der Getauften wächst mit jedem Jahre. Auch die Heiden gewöhnen sich daran, den christlichen Sonntag zu feiern, und wenn am Sonntag-Morgen von der Missionsstation die Glocken ihre Einladung ‚Land, Land, höre des Herrn Wort‘ in die taufrische Berglandschaft hinaustönen lassen, so folgen viele ihrem Rufe. Der Raum in den schlichten Missionskapellen will nicht mehr ausreichen, und das Bedürfnis nach größeren Gotteshäusern mehrt sich. Dagegen sind die heidnischen Sitten und Gebräuche im Verschwinden und die Missionare suchen dafür einen Ersatz zu bieten, indem sie neben den rein kirchlichen, die großen Heilstaten Gottes in Erinnerung bringenden Feiern noch andere christliche Feste einführen.“338
Den Auftakt dazu bildete ein „christliches Volksfest“, das im Anschluss an die jährliche Konferenz der Missionare stattfand. 1912 kamen Erntefeste hinzu, deren Einführung in der heimischen Missionsöffentlichkeit als Erfolg gefeiert wurde, galten doch Erntedankfeste als besonders anschlussfähig für die ländlichen Leserinnen und Leser.339 Der Bericht des ersten Erntedankfestes von Missionar Stammberg entsprach diesem Tenor. Nicht nur habe sich jeder der Christen, „von den ältesten Leuten herab bis zum kleinen Kinde“, an der Vorbereitung des Festes beteiligt, auch die Kollekte sei außerordentlich groß ausgefallen.340 Wie sehr auch die Nachfeier eines solchen Festes im Licht
nimmt auch Hölscher, Geschichte der protestantischen Frömmigkeit, 278, in sozialgeschichtlicher Sicht. Zur Abgrenzung von Missionaren und Pfarrern Altena, Von den Stillen. 338 Erntefeste, 162. Die Sonntagsheiligung, die auch in der heimischen Landeskirche immer wieder diskutiert wurde, stand auch im Missionsgebiet immer wieder infrage. Die Mission setzte mit den Gottesdiensten und der Tatsache, dass sie das Arbeiten am Sonntag verbot, eine geänderte Zeitordnung durch, die nicht nur für die Christen selbst Veränderungen mit sich brachte, sondern auch Auswirkungen auf die nichtchristliche Bevölkerung der Chagga hatte. Wie Hasu beschreibt, nannten diese den Sonntag „bad day“ und spielten damit darauf an, dass alle Christen und die Angehörigen der Mission am Sonntag keinerlei Geschäfte machten. Teilweise wurden sogar Markttage verschoben, um die Sonntagsheiligung nicht zu stören. Hasu, Desire and Death, 152. 339 Hans von Lüpke, Das Erntedankfest. Versuch einer Ableitung der bäuerlichen Frömmigkeit aus einer allgemeinen Tatsache, in: Die Dorfkirche. Monatsschrift für Kirche und Volkstum 2 (1909), S. 434–440. 340 Erntefeste. Ganz ähnlich auch der Bericht über das Erntefest in Mwika. Die Einrichtung des Erntedankfestes und der mit ihm verbundenen Festbräuche wurde auf der Konferenz der Chaggamissionare, Februar 1911, ALMW II.32.99, diskutiert.
4.3 Andacht und Frömmigkeit im Missionsraum
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christlicher und sittlicher Zeichen stand, zeigt ein im Missionsblatt abgedrucktes Foto eines solchen Festes in Mwika 1913, das eine Reihe von Teilnehmerinnen und Teilnehmern in unterschiedlicher, zumeist weißer Kleidung zeigt. Während die meisten, insbesondere die Kinder auf dem Boden sitzen, sitzt einer der Festteilnehmer, evtl. der chief, erhöht. Die Aufnahme Missionar Hohlfeldts zeigt wohl eine Rede oder Predigt, steht doch einer der Mwika-Bewohner, evtl. ein Lehrer, an einer Art Ambo, einem Lese- oder Rednerpult.
Abbildung 12 Nachfeier beim Erntefest in Mwika341
Die Beteiligung einer großen Anzahl von Christen an den einzelnen Gottesdiensten und die zu vollen Kirchen waren über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg ein häufiges Thema im Missionsblatt. So berichtete der Missionslehrer Knittel über eine Taufe in Mamba: „Die gesamte Gemeinde nahmen regen Anteil an der Feier. So voll habe ich die Kirche noch nie gesehen. Im Mittelgange und Vorraume standen die Leute dicht gedrängt; selbst zu den Fenstern lugten noch welche herein. Wie lauschten alle! Wie musterhaft verhielten sich die Kinder während des 2 ¾ stündigen Gottesdienstes […]!“342
341
Ernst Hohlfeld, Nachfeier beim Erntefest in Mwika, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1913), S. 90–93, 91. 342 Erntefeste, 181.
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4 Christianity Making in der Missionsgemeinde
Missionar Schanz berichtete über das Pfingstfest 1906 in Mamba: „Die Glocken drüben auf dem Pfingstfest haben zum 2. Mal gerufen und jung und alt eingeladen. Und viele sind dem Ruf gefolgt. Beide Räume, der für Männer sowohl wie der für Frauen, fassen nicht die Scharen derer, die mit feiern wollen. Wieder mögen […] etwa 1000 Hörer gekommen sein. Festlich erklingt der alte kräftige Lobgesang: ‚Allein Gott in der Höh sei Ehr und Dank für seine Gnade‘, und bereitet die Herzen vor zu andächtigem Hören der Verkündigung dieser Gnade Gottes, wie sie sich in den ‚großen Taten Gottes‘ offenbart hat.“343
Die im Laufe der Zeit zunehmenden Berichte von Nottaufen und dringend erwünschten Taufen auf dem Kranken- und Totenbette waren ebenfalls darauf ausgelegt, ein Bild von der überbordenden Frömmigkeit der Chagga und ihrer erfolgreichen Missionierung zu zeichnen. „Auch den Kranken fanden wir schon unserer harrend, in weißen Kleidern, auf einer Kuhhaut liegend. Wir sangen, beteten und tauften ihn dann auf Jesu Tod. Mit vernehmlicher Stimme bekannte er den christlichen Glauben. […] Diese Feier auf dem Hofe eines Dschaggagehöftes, inmitten der Ruhe und des Friedens der Bananenpflanzung, deren Blätter so leise und sehnsüchtig im Winde rauschen, werde ich nicht vergessen.“344
Einen Höhepunkt dieser andächtigen Schilderungen bot das Weihnachtsfest, das jedes Jahr besonders feierlich begangen wurde, und dessen Schilderung stets mehrere Seiten umfasste.345 So schilderte beispielsweise Bruno Gutmann 1903: „Ich war ganz freudig überrascht von dem weihnachtlichen Eindruck unserer schlichten Lehmkapelle. Ringsum waren die Wände mit Palmen überdeckt, und auch an den 3 Holzpfeilern, die das Dach tragen, stiegen sie empor. Zwischen ihnen standen auf quergenagelten Leisten brennende weiße Kerzen, die den Raum mit weihnachtlichem Duft erfüllten, und auf dem Altare leuchtete das Weihnachtstransparent von L. Richter. Kopf an Kopf gedrängt und schweigend saß die Menge, im Festgewande, wer es vermochte. Vor dem Altar aber hockten die Kinder in dichter Schar und starrten in das lichte Bild.“346
Die aufmerksame, rege und regelmäßige Teilnahme an den Gottesdiensten trat in den Berichten neben anderen Charaktereigenschaften, die von den Missionaren in den Publikationen als christlich markiert wurden, besonders hervor. Zu diesen Eigenschaften 343 Johannes Schanz, „Ein Tag in Deinen Vorhöfen ist besser, denn sonst tausend.“ in: Evangelischlutherisches Missionsblatt (1906), S. 484–489, 486. 344 Nachrichten von der Station Mamba. Aus einem Bericht von Miss. Raum, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1910), S. 554–558, 556. 345 Gerade zu Weihnachten war die Bereitschaft in den heimatlichen Missionskreisen für die Mission zu spenden, besonders groß. Stucke, Bethel-Gemeinde, 207. 346 Nachrichten aus Mamba. Monatschronik von Miss. Gutmann in Mamba (4. Quartal), in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1903), S. 182–186, 185.
4.3 Andacht und Frömmigkeit im Missionsraum
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gehörten vor allem Fleiß und das geordnete Nachgehen von (bezahlter) Arbeit.347 Immer wieder als Tugenden von den Missionaren herausgestellt wurden in den Publikationen Gefügigkeit, Bescheidenheit und Aufrichtigkeit oder die Notwendigkeit des täglichen Gebets betont.348 Als „heidnischer“ Gegensatz und Fehlverhalten galten dagegen das Hochhalten der eigenen Ehre, das Besinnen auf Reichtum, Polygamie und der (übermäßige) Konsum von Alkohol. Aus all diesen Berichten ergab sich für die Leserinnen und Leser des Missionsblattes also nicht nur das Bild einer recht erquicklichen und lebendigen Gemeindegestaltung, sondern es entstand auch der Eindruck einer innerhalb der Gemeinden und auch von einzelnen Christen angenommenen lutherischen, teilweise pietistische Züge tragenden Frömmigkeitspraxis349, zu der tägliches Gebet und gemeinsames Bibelstudium genauso gehörten wie ein tiefes Sündenempfinden und einer eschatologischen Grundstimmung. In den missionarischen Berichten wurden damit Frömmigkeitspraktiken und -ideale aufgerufen, die bereits in der religiösen Sozialisation der Missionare selbst entscheidend gewesen waren.350 Dass diese Berichte jedoch nicht unbedingt Hinweise auf die Frömmigkeit der Missionsgemeinden oder auch nur einzelner Christen liefern, sondern vor allem für ein europäisches Publikum bestimmt waren, zeigt sich im Vergleich mit unveröffentlichten Konversionsberichten. Wie die soziologische, religionswissenschaftliche und historische Forschung in den letzten Jahren herausgearbeitet hat, handelt es sich bei diesen Konversionsberichten keineswegs um Erzählungen der Vergangenheit in individueller Perspektive, vielmehr folgen Konversionsberichte einer standardisierten Form der Erzählung.351 Damit lassen sie zwar kaum Einblicke in individuelle Konver-
347 Nachrichten aus Mamba. Von Miss. Althaus ( Juli bis November). in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1900), S. 123–126, 125: „denn ein solches Faulenzerleben verträgt sich nicht mit dem Christenstande“. 348 Nachrichten aus Mamba. Nach den Tagebüchern von den Miss. Althaus und Bleicken (Okt.– Dez.), 160. 349 Unter Frömmigkeit wird ein „Ensemble“ aus Handlungsformen und Vorstellungen eines Individuums, einer Gruppe oder einer Institution verstanden, das in ständiger Wandlung und Abgrenzung zu einem historischen Gegensatz die „Wahrnehmung der äußeren Welt und deren Spiegelung im Innern zu einer unauflösbaren Einheit“ verschmelzt. Frömmigkeit umfasst damit das gesamte Leben. Was dabei jedoch genau unter einem „frommen“ Leben subsumiert wurde, war Teil eines umfangreichen Aushandlungsprozesses. Hölscher, Geschichte der protestantischen Frömmigkeit, 11–12. 350 Altena, Ein Häuflein Christen, 255–256, untersucht bspw. Bewerbungsschreiben von Missionaren und stellt fest, dass in diesen die religiöse Erziehung im Elternhaus ebenso wichtig war wie die praktisch ausgelebte Frömmigkeit in Vereinen. 351 Wohlrab-Sahr u a , Religiöse Bekehrung geben einen ersten Forschungsüberblick, freilich nur bis zum Jahr 1998. Zur jüngeren Beschäftigung mit Konversionserzählungen, auch mit Blick auf Mission siehe Rüther u a , Gender.
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sionsprozesse zu, geben aber Aufschluss über Deutungs- und Darstellungsmuster der religiösen Gruppe, in der die Autorinnen und Autoren Mitglied wurden.352 Eine größere Sammlung dieser Bekehrungsgeschichten liegt in Übersetzung aus der Chaggamission vor. Die autobiographischen Aufsätze aus dem Dezember 1913 stammten von den Schülern des ersten Kurses der Lehrgehilfenschule in Marangu, in dem die Seminaristen auf ihre Tätigkeit als Lehrer vorbereitet werden sollten. Von den einzelnen Gemeinden im gesamten Missionsgebiet wurde dafür jeweils ein geeigneter Kandidat ausgesucht. Die Überschriften der zweiteiligen Aufsätze lauten „Wie ich mich zu Gott bekehrte“ und „Geschichten aus meiner Kindheit“.353 Sie dienten vermutlich neben der Reflexion auch der Überprüfung der Kandidaten selbst sowie als Sprachübung, waren sie doch in Kiswahili, und damit einer Fremdsprache für die Autoren abgefasst. Liest man diese Erzählungen, ist auffällig, dass die erste Motivation, mit der Mission in Kontakt zu treten, häufig die Teilnahme am Schulunterricht war – häufig wegen eines Befehls des chiefs, wie es etwa bei Mashinga Gersioni354 oder Yakobo Lyimo der Fall war.355 Während Erzählungen über die Kindheit häufig von schwierigen ökonomischen Bedingungen, Konflikten mit den Eltern oder dem Verlust eines Elternteils handelten, betonten die Konversionserzählungen den Faktor des Schulunterrichts, der durch zusätzliche Anreize wie einen Arbeitsplatz, Kleidung oder Geld beeinflusst zum Entschluss zur Taufe geführt habe.356 Alle Berichte zeugen von der Motivation, das Lesen als eine wichtige und nützliche Fähigkeit zu erlernen.357 Der Entschluss, sich zur Taufe zu melden, wird in den meisten Berichten nur sehr knapp geschildert: „Bis zum Jahr 1906 konnten wir das Neue Testament lesen. Da gefielen uns die Sachen Gottes ein wenig“358, oder:
352
Bernd Ulmer, Konversionserzählungen als rekonstruktive Gattung. Erzählerisches Mittel und Strategien bei der Rekonstruktion eines Bekehrungserlebnisses, in: Zeitschrift für Soziologie 17 (1988), S. 19–33, 20. 353 Kiesel (Hg.), Kindheit und Bekehrung, 2 Bd. Der zweite Band beinhaltet die Aufsätze in Kiswahili und in deutscher Übersetzung derjenigen Schüler, die aus Mamba und Moshi stammten. Sie sind hier von besonderem Interesse. 354 Ders (Hg.), Kindheit und Bekehrung in Nord-Tanzania. Aufsätze von Afrikanern aus dem ehemaligen Deutsch-Ostafrika vom Anfang des 20. Jahrhunderts. Bd. 2, Leipzig 2005, 65. 355 Ebd., 69. 356 So entschloss sich Mashinga Gerisoni erst zur Taufe, als er sich überzeugt hatte, dass die Europäer keine Kinder äßen, und er einige Zeit bei Ndesario, einem der einheimischen Lehrer gelernt und gearbeitet hatte. Wie auch in anderen Fällen bleiben die Gründe für den Entschluss, sich taufen zu lassen, relativ im Dunkeln: „Ich begann Gottes Wort zu hören, das freute mich und ich wollte getauft werden.“ Ebd., 66. 357 So schilderte bspw. Yakobo, dass er erst dann gerne zur Schule gegangen sei, nachdem er seinen Namen hatte schreiben können. Ebd., 69. 358 Ebd., 70, Zitat v. Yakobo Lyimo.
4.3 Andacht und Frömmigkeit im Missionsraum
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„Als ich merkte, daß es Lüge sei, daß die Europäer Leute essen, gewöhnte ich mich an die Europäer, denn ich sah niemand, der gegessen wurde. Ich bestätigte es selbst den Europäern, daß sie keine Leute verzehren. Ich begann Gottes Wort zu hören, das freute mich und ich wollte getauft werden.“359
In den Berichten herrschte damit eine gewisse Sprachlosigkeit in Bezug auf den Taufentschluss vor; auch ein pietistischen Vorbildern entsprechendes Erweckungserlebnis findet sich in keinem dieser Berichte. Der angehende Lehrer Nangawe Yobu Lyimo aus Mamba hatte sich beispielsweise zunächst an die Mission gewandt, um Kleidung und Nahrung zu erhalten. Weil er mit seiner Stiefmutter nicht zurechtkam und ihm die Arbeit bei einem Europäer nicht gefiel, nutzte er schließlich das Angebot der Mission, an zwei Tagen in der Woche zur Schule zu gehen, wo ihm besonders die Lieder gefielen.360 Um die Taufe bat er jedoch erst, als er 1905 bei einem „Bischof “, vermutlich einem europäischen Missionar, als „Boy“ angestellt worden war. In diesen Quellen lassen sich somit erste Hinweise für die vielfältige Gemengelage von Gründen für den Taufentschluss finden. Wichtiger für den Aspekt der Etablierung einer Frömmigkeitskultur ist jedoch der Befund, dass die in dem Bericht vorgenommene Schwerpunktsetzung der angehenden Lehrer am Missionsseminar, deren Motivation, sich weiter ausbilden zu lassen im Missionarsberuf lag,361 wenig Hinweise auf das als so rege beschriebene Gemeindeleben, die tägliche individuelle Gebetspraxis oder eine besondere eschatologische Stimmung, wie sie in den im Missionsblatt veröffentlichten übersetzten Briefen und Berichten vorherrscht, liefern. Diese Diskrepanz zwischen den ja unveröffentlicht gebliebenen Bekehrungsgeschichten und den veröffentlichten Briefen und mehr noch den Schilderungen des Gemeindelebens seitens der Missionare erklärt sich aber, wenn man sie vor dem Hintergrund der kirchlichen Lage im Kaiserreich liest. Das lutherische Netzwerk der Missionare und vor allem der in der religiösen Öffentlichkeit geführte Diskurs kreisten um den drohenden Verlust der Relevanz der Kirche und um den insbesondere in den Städten immer stärker vorherrschenden vermeintlichen Mangel an Frömmigkeit und – damit verbunden beziehungsweise als Folge davon – an Sittlichkeit. Auch wenn es zunächst schien, dass ländliche Gebiete von diesem Relevanzverlust weniger betroffen seien, galten auch diese als bedroht. So entbrannte bereits im ersten Jahrgang der Zeitschrift Die Dorfkirche eine Debatte um bäuerliche Frömmigkeit. Auch hier meinte man einen Übergangszustand, in dem die Überzeugung einer „selbstverständlichen Realität des Übersinnlichen“ schwanken würde, attestieren zu können.362 Zur „Beeinflussung des Seelenlebens in einem der Re359 360 361 362
Ebd., Zitat v. Mashinga Gerisoni, 66. Ebd., Zitat v. Nangawe Yobu Lyimo, 72. Siehe dazu Kap. 3.2 dieser Studie. Herrmann, Bäuerliche Frömmigkeit, 277.
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4 Christianity Making in der Missionsgemeinde
ligion günstigen Sinne“ sollte nicht nur ein kirchliches Vereins- und Pressewesen auf dem Land etabliert werden, sondern auch vermehrt „geistige Wohlfahrtspflege“ wie Leseabende betrieben werden.363 Eine „große Kirchenlosigkeit des Landvolkes“ greife um sich – „der moderne Mensch sitzt nicht nur in der Stadt“, so das Resümee.364 Zwar seien die Verhältnisse auf dem Land noch nicht so wie in der Großstadt, auch könne man nicht von einer „Dorfmission“ analog zur Inneren Mission sprechen, sondern nur von „kirchlichen Aufgaben des ländlichen Pfarramts“, die im Wesentlichen aus verschiedenen Maßnahmen der ländlichen Gemeindepflege bestünden.365 Ziel der Bemühungen sollte aber, so der Konsens, ebenso wie in der Mission die „Volkskirche“ sein: „Wenn unsre Kirche nur etwas mehr Fleisch und Blut, etwas mehr Farbe hätte! Aber dergleichen fehlt den Theologen, die das Christentum gedankenmäßig gestalten, und doch möchten wir so gern eine Volkskirche schaffen.“366 Auch wenn in der Dorfkirche häufig die Bedeutung eines natürlichen Glaubens (oder sogar traditionellen Aberglaubens) als Grundlage für religiöses Empfinden mitschwang, korrespondierte der Tenor dieser Beiträge mit der allgemeinen Klage einer sich immer weniger am kirchlichen Leben beteiligenden Mehrheit der Christen. Die von den Missionaren im Missionsblatt veröffentlichten Beiträge nahmen diese Zeitdiagnose auf. Nicht nur versuchten Missionare gängigen Vorstellungen eines gesunden und lebendigen Gemeindelebens zu entsprechen, diese zu verbessern und zu erproben; durch die häufig in andächtigen Worten vorgenommenen Schilderungen der besonderen Aufmerksamkeit und regen Beteiligung der neugetauften Christen im Missionsgebiet bewiesen sie auch gleichzeitig die Wirksamkeit dieser Maßnahmen der Gemeindepflege und hielten ihren Leserinnen und Lesern direkt einen Spiegel ihrer Zeit vor, der es diesen erlauben sollte, die Notwendigkeit des Missionswerks (auch der Inneren Mission) einzusehen, sie in ihrem Glauben bestärkte oder sie selbst wieder auf den Pfad des lebendigen Christentums zurückführen sollte. Missionspublikationen der Äußeren Mission gleich welcher Gesellschaft verfolgten damit auch Zielsetzungen, die bisher hauptsächlich der Inneren Mission zugeschrieben wurden. Bilder von den „armen Heiden“, die der Hilfe der Mission und ihren Unterstützerinnen und Unterstützern bedürften, prägten lange Zeit einen Diskurs, in dem Mitleid und Barmherzigkeit eingeübt werden sollten.367 In den Missionsblättern sollte aber nicht nur von dem Erziehungserfolg an den „Heidenchristen“ berichtet werden,
363 Ebd., 280. 364 Pfeiffer, Zur bäuerlichen Frömmigkeit, in: Die Dorfkirche. Monatsschrift für Kirche und Volkstum 2 (1909), S. 272–273. 365 Die Innere Mission und das Land, in: Die Dorfkirche. Monatsschrift für Kirche und Volkstum 2 (1909), S. 411–414, 411, 413. 366 Hans von Lüpke, Die Bedeutung der bäuerlichen Frömmigkeit für die Kirche, in: Die Dorfkirche. Monatsschrift für Kirche und Volkstum 2 (1909), S. 183–189, 185. 367 Hölzl, Mitleid, 273.
3.2 „Heidenpredigt“ und Unterricht als Orte der Übersetzung
333
sondern gleichzeitig die Missionsgemeinde in der Heimat „erzogen“ werden.368 Berichte über eine vollbesetzte Kirche in Mamba369 lassen sich so als Berichte über die Attraktivität und Wirkung des missionarischen Angebots lesen; vor dem Hintergrund schwindender Kirchenbesucher im Kaiserreich waren sie als direkte Aufforderungen an die nicht im Kirchendienst tätigen Leserinnen und Leser zu verstehen, regelmäßig den Gottesdienst zu besuchen; gleichzeitig führten sie aber auch den Pastoren unter den Lesern vor Augen, wie die Gestaltung des Gemeindelebens die Gemeinde zu einem frommen Lebenswandel zurückführen könne. Für die Missionare ebenso wichtig wie die Gestaltung der Taufe im Missionsgebiet war deren Wahrnehmung in Europa. Protestantische Missionen hingen maßgeblich von Unterstützerinnen und Unterstützern ab, die in ihren Heimatgemeinden Spenden für die Mission sammelten und für den Missionserfolg beteten. Die in den verschiedenen Publikationen der Mission veröffentlichten Berichte hoben diesen Erfolg hervor und berichteten zumindest in den Anfangsjahren sogar sehr detailliert über den Charakter der einzelnen Täuflinge.370 Zu diesen Berichten kamen zum Beispiel an den Missionar gerichtete Briefe von Täuflingen hinzu, die samt Übersetzung im Missionsblatt abgedruckt wurden und die heimische Missionsgemeinde von der Frömmigkeit der Chaggachristen zu überzeugen suchten.371 Häufige Berichte von allzu gefüllten Gottesdiensten, Andachten, Bibelstunden und anderen Veranstaltungen suggerierten das Bild einer lebendigen Gemeinde und überwogen deutlich die Darstellung von Misserfolgen. Kurzum: Die medialen Inszenierungen von Frömmigkeit für die deutschen Spenderinnen und Spender waren vielfältig und umfassend.372 Sie informierten die Missionsöffentlichkeit über die Geschehnisse im Missionsgebiet, sie bewarben die Mission, und sie entwarfen ein Idealbild von Frömmigkeit und christlichem Lebensstil, das auch für die Heimatgemeinde gelten sollte.373
368 Judith Becker, Transfer und Transformation der Europabilder evangelischer Missionare im Kontakt mit dem Anderen, 1700–1970. Abschlussbericht der Geisteswissenschaftlichen Nachwuchsgruppe: Europa von außen gesehen, Mainz 2015, 10. 369 So beschwerte sich bspw. Missionar Schanz darüber, dass einige der Neugetauften in ihrem Kirchenbesuch nachlässig würden. Nachrichten aus der Station Mamba. Aus der Missionschronik von Miss. Schanz – Mamba. ( Januar bis August), 63. Ein regelmäßiger Kirchenbesuch wird hingegen lobend hervorgehoben. Ebd., 62. 370 Z. B. Nachrichten aus Mamba Juli 1899, oder Nachrichten aus Mamba. Monatsbericht von Miss. Krause (Oktober 1901), in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1902), S. 101–105. 371 Z. B. Brief eines Dchaggachristen. 372 Zur Kommunikationsarbeit von Missionen Hölzl, Imperiale Kommunikationsarbeit. 373 Nachrichten aus Mamba Juli 1899, 37–38. Interessant hier der terminologische Bezug zum Kleinen Katechismus.
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4 Christianity Making in der Missionsgemeinde
4.4 Eine Gemeindetheologie aus der Mission für die heimatliche Kirche Ethnologische und religionswissenschaftliche Forschungen der Missionare, methodische Überlegungen zur Predigtweise und nicht zuletzt die Gemeindeorganisation waren eng verknüpft mit Aushandlungen vom Christentum im Missionsgebiet, aber auch stets verwoben mit theologischen, insbesondere missionswissenschaftlichen Debatten im Kaiserreich vor dem Hintergrund einer als krisenhaft wahrgenommenen Moderne. Während häufig der Rückgriff auf die Erfahrungen in der Mission losgelöst von konkreten Beispielen funktionierte und allgemein gehalten wurde – insbesondere wenn die missionarischen Erfahrungen von Theologen ins Feld geführt wurden, die sich nicht nur mit einer Missionsgesellschaft auseinandersetzten, wie das zum Beispiel bei Martin Kähler der Fall war – gab es einzelne Missionare, die sehr explizit und mit Rückgriff auf ihre Erfahrungen im Missionsgebiet für eine Umgestaltung von Kirche und Gemeinde in der Heimat plädierten. An der Gemeindetheologie Bruno Gutmanns, der nicht nur besonders lange im Missionsgebiet tätig war, sondern auch als Autor zahlreiche Beiträge und Monographien veröffentlichte,374 lässt sich zeigen, wie Aushandlungen des Christentums im Missionsgebiet und religionswissenschaftliche Forschungen der Missionare auf die heimatliche deutsche Kirche zurückwirkten. 4.4.1 Bruno Gutmann als Missionswissenschaftler im Sinne der Kirche Bruno Gutmann ist bis heute einer der bekanntesten Missionare der Leipziger Missionsgesellschaft.375 Geboren in Dresden, hatte er sich relativ früh für den Missionsdienst entschieden. Während seines Studiums in Leipzig hatte er bei Friedrich Ratzel
374 Gutmann war von 1902 bis 1920 und von 1925 bis 1938 am Kilimandscharo tätig. Siehe dazu auch Bernhard Streck, Bruno Gutmann (1876–1966) als ethnographischer Expressionist, in: Geert Castryck u. a. (Hg.), Sources and Methods for African History and Culture. Essays in Honour of Adam Jones, Leipzig 2016, S. 449–465, 449; Bochinger, Ganzheit und Gemeinschaft. Zu Gutmanns Forschungen siehe auch die Arbeiten von Fiedler, Christentum und afrikanische Kultur, und Falk Moore, Social Facts. Siehe zu den Ausführungen dieses Kapitels auch Karolin Wetjen, Entangled Mission. Bruno Gutmann, Chagga Rituals, and Christianity, 1890–1930, in: Jenna Gibbs (Hg.), Global Protestant Missions. Politics, Reform and Communication, 1730s–1930s, London/New York 2020, 209–230. 375 So hat auch der Reisebericht des Urenkels Gutmanns Tillmann Prüfer, Der heilige Bruno. Die unglaubliche Geschichte meines Urgroßvaters am Kilimandscharo, Reinbek bei Hamburg 2015, für einiges Echo in den Medien gesorgt. Wie sehr Gutmanns Arbeiten bei den Chagga bekannt und geschätzt waren, zeigt auch die Masterarbeit: Happiness Elinami Lyimo, Contextualizing Rituals in the Christian Mission to the Chagga People. The Reception in the Northern Diocese of the Evangelical Lutheran Church in Tanzania of the Approach to Contextualization as Developed by the Rev. Dr. Bruno Gutmann (1876–1966) During the First Four Decades of the 20th Century School of Mission and Theology, Stavanger 2012, https://brage.bibsys.no/xmlui/bitstream/handle/11250/ 162037/2012_happiness%20lyomo.pdf?sequence=1 2012 (zuletzt eingesehen: 27.11.2018).
4.4 Eine Gemeindetheologie aus der Mission für die heimatliche Kirche
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ebenso wie bei Wilhelm Wund gehört und sich mit den Schriften Friedrich Naumanns und Ferdinand Tönnies’ vertraut gemacht.376 Theologisch orientierte sich Gutmann an der Erlanger Schule; Grauls Schriften, die die Gedanken der deutschen Romantik in der Mission zu verwurzeln suchten, blieben für ihn prägend.377 1901 legte er sein erstes theologisches Examen am Missionsseminar ab.378 Nach einer einjährigen Vikariatszeit in Vohenstrauß wurde er kurz vor seiner Abreise nach Indien doch nach Deutsch-Ostafrika abgeordnet,379 wo er zunächst in Mamba unter dem Senior Althaus arbeitete. Nach seiner Heirat und seinem Heimaturlaub 1909 wurde er dazu angewiesen, die Station Moshi zu übernehmen, die er bis zu seiner Deportation 1920 und auch nach seiner Rückkehr nach Afrika von 1924 bis 1934 leitete. Gutmann veröffentlichte zahlreiche Bücher und Artikel während seiner Zeit als aktiver Missionar, aber auch während des Krieges beziehungsweise in seinem Ruhestand.380 Seine Artikel erschienen in populären Zeitschriften der sich etablierenden
376 Insbesondere die von Tönnies eingeführte Unterscheidung von Gemeinschaft und Gesellschaft war für Gutmann wichtig, der ebenfalls die Gemeinschaft, als die seit alters her bestehende Verbindung zwischen Menschen, betonte; auch die modernekritische Haltung Gutmanns und Tönnies’ korrespondierten miteinander. Für Gutmann, der im Übrigen i. d. R. auf Quellenangaben in seinen Werken verzichtete, war aber vermutlich das bereits zu Lebzeiten Tönnies’ in acht Auflagen erschienene Werk Ferdinand Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft. Abhandlung des Communismus und des Socialismus als empirischer Culturformen, Leipzig 1887, wegweisend. Tönnies, dessen Werk ab der 2. Aufl. einen politisch unverfänglicheren Titel trug (Ders , Gemeinschaft und Gesellschaft. Grundbegriffe der reinen Soziologie, Berlin 1912) und das vermutlich von Gutmann auch erst in dieser 2. Aufl. zur Kenntnis genommen wurde, unterscheidet die Gemeinschaft (Eltern-Kind-Beziehung, Beziehung zu Nachbarn, Beziehung zu Freunden), die auf einer Bejahung beruhe und eine echte Verbindung hervorbringe, von der Gesellschaft, die auf einem Zusammenschluss Einzelner beruhe und instrumentellen Charakter habe. Siehe zur Rezeption Tönnies’ insbesondere in der Ekklesiologiedebatte der 1920er Jahre, in die auch Gutmanns Texte teilweise einzuordnen sind: Georg Pfleiderer, Die Gemeinschaft der Gesellschaft, in: Albrecht Grözinger u. a. (Hg.), Protestantische Kirche und moderne Gesellschaft, Zürich 2003, S. 207–239. 377 Siehe dazu v. a. die teils hagiographisch anmutende Einführung von Ernst Jaeschke, Bruno Gutmann – His Life, His Thoughts and His Work. An Early Attempt at a Theology in an African Context, Erlangen 1985, 8–9. Die Verehrung Gutmanns setzte schon zu Lebzeiten ein. So erschien 1951 anlässlich Gutmanns 75. Geburtstages eine Würdigung durch den damaligen Missionsinspektor Küchler: Küchler, D. Dr. Bruno Gutmann. Lebenslauf und Würdigung der Lebensarbeit D. Dr. Bruno Gutmanns, Erlangen 1951. Siehe auch Friedrich Ludwig, Der deutsche „missionstheologische Sonderweg“ und der deutsche Kolonialismus, in: Richard Bonney u. a. (Hg.), Religion und Politik in Deutschland und Großbritannien. Religion and Politics in Britain and Germany, München 2001, S. 95–109, 99. Fiedler, Christentum und afrikanische Kultur, 20–30. 378 Zur Geschichte des Seminars, ALMW II.11.21. 379 Jaeschke, Bruno Gutmann, 11. Der kurzfristigen Entscheidung der Missionsgesellschaft, Gutmann nach Afrika auszusenden, scheint eine Streitigkeit voran gegangen zu sein. J C Winter, Bruno Gutmann 1876–1966. A German Approach to Social Anthropology, Oxford 1979, 42. 380 Eine Bibliografie mit über 500 Titeln findet sich in Bruno Gutmann (Hg.), Afrikaner – Europäer in nächstenschaftlicher Entsprechung. Gesammelte Aufsätze. Anläßlich des 90. Geburtstags von Bruno Gutmann herausgegeben von Ernst Jaeschke, Stuttgart 1966. Die Entstehung seiner wissenschaftlichen Arbeiten verdankte sich offenbar einer feststehenden Tagesroutine. Der Missionsdi-
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kolonialen Wissenschaften381 und der Psychologie, aber auch in Zeitschriften, die sich eindeutig theologischen Anliegen verschrieben hatten382 oder einen religionswissenschaftlichen Schwerpunkt verfolgten.383 Erste Beobachtungen zu den Chagga noch mit dem Ziel, Anknüpfungspunkte für Predigten aufzuzeigen, waren bereits während seines ersten Heimaturlaubes 1909 veröffentlicht worden.384 Nach dem Ersten Weltkrieg setzte er diese Beschreibungen385 fort und etablierte sich als Missionswissenschaftler mit dem Werk „Gemeindeaufau aus dem Evangelium“. 1924 erhielt er für seine theologischen und missionswissenschaftlichen Arbeiten die Ehrendoktorwürde in Theologie verliehen.386 Nach einer Abhandlung über „Das Recht der Chagga“387, die im Beck-Verlag in München erschienen war und in der er sämtliche „Stammesrechte“ minutiös wiederzugeben suchte, wurde er außerdem durch die Universität Würzburg in den Rechtswissenschaften ehrenhalber promoviert.388 Seine Bücher erschienen in einer von Felix Krueger herausgegebenen Reihe zu entwicklungspsychologischen Arbeiten.389 Gutmann entwickelte einen archaischen Schreibstil, der mitunter als „expressionistisch“ bezeichnet wurde und durch verklausulierte Formulierungen und Wiederholungen gekennzeichnet war. Er vermied es, Fremdworte zu verwenden, und schuf stattdessen zahlreiche Neologismen, mit dem Ziel, dass seine Repräsentationssprache das Kichagga soweit wie möglich imitierte.390 Seine Arbeiten galten dadurch jedoch als schwer verständlich.391 In der zeitgenössischen Wissenschaft war Gutmann umstritten. In der Ethnologie hatte seine Kritik an der Fragebogenmethode,392 mit der in einem groß angelegten Projekt das „Recht der Eingeborenen“393 hatte erforscht werden sollen, dazu geführt, dass
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393
rektor Ihmels berichtet davon, dass bereits um sechs Uhr morgens einer der „Lehralten des Stammes“ zu Gutmann käme. Moritzen (Hg.), Rückblicke, 61. Z. B. Gutmann, Frau. Ders , Lieder der Dschagga. Hier sind zuvorderst die Dorfkirche und die Zeitenwende zu nennen, für die Gutmann regelmäßig Beiträge lieferte. Z. B. Gutmann, Opferstätten, oder Ders , Volkspsychologie. Ders , Dichten und Denken. Ders , Dschaggaland. Winter, Bruno Gutmann, 65. Gutmann, Recht der Dschagga. Zum Lebenslauf Gutmanns siehe u. a. Jaeschke, Bruno Gutmann, 7–20. Zur Verbindung von Gutmann und der Leipziger Schule der Völkerpsychologie siehe Uwe Wolfradt, Ethnologie und Psychologie. Die Leipziger Schule der Völkerpsychologie, Berlin 2011, v. a. 95. Streck, Bruno Gutmann. Johannes Raum, Einiges über urtümliche Bindungen bei den Bantu Ostafrikas, in: Neue allgemeine Missionszeitschrift 9 (1932), S. 185–195, 234–243, 189. Die Fragebogenmethode war die herrschende Methode der zeitgenössischen Ethnologie. In dieser Hinsicht wie auch in anderen grundsätzlichen Fragen hatte Gutmann mit der deutschsprachigen Ethnologie wenig gemein. Winter, Bruno Gutmann, 61–64; Jones, Ethnographie als „Nebenprodukt“, 97–98. Siehe dazu auch Rössler, Deutschsprachige Ethnologie, 17. Siehe zu diesem Projekt Rebekka Habermas, Die Genese der Rechtsethnologie, der Kolonialskandal von Atakpame und die Mission. Ein Kapitel globaler Wissensgeschichte, in: Ulrich van
4.4 Eine Gemeindetheologie aus der Mission für die heimatliche Kirche
337
sein Werk zu den „Stammeslehren“ der Chagga in keiner ethnologischen Zeitschrift besprochen wurde.394 Dennoch gilt er bis heute als einer der wichtigsten Ethnographen zu den Chagga und wird auch in Einführungswerken zur Geschichte der Ethnologie häufig genannt.395 Durch die Umbrüche nach dem Ersten Weltkrieg und das Aufkommen der Dialektischen Theologie396 geriet Gutmann zwar ins Abseits des theologischen Mainstreams,397 die Betonung der völkischen Elemente in seiner Theologie und Anthropologie, die zunehmende Verschränkung von Volk und Rasse, die Krisenwahrnehmung und die romantisierende Deutung des Ursprünglichen trafen aber durchaus den Nerv der späten zwanziger und beginnenden dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts. Fest steht, dass Gutmann als Missionar im Vergleich zu seinen Kollegen, bei denen seine Arbeiten im Übrigen ebenfalls nicht unumstritten waren,398 relativ viel Aufmerksamkeit für seine theologischen Arbeiten erhielt. Nicht nur bekam er auch noch nach dem Zweiten Weltkrieg immer wieder die Möglichkeit, seine Ansichten zu publizieren; Gutmanns Arbeiten wurden sogar schon in der Mitte der 1930er Jahre zum Gegenstand theologischer Abschlussarbeiten.399
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der Heyden / Andreas Feldtkeller (Hg.), Missionsgeschichte als Geschichte der Globalisierung von Wissen. Transkulturelle Wissensaneignung und -vermittlung durch christliche Missionare in Afrika und Asien im 17., 18. und 19. Jahrhundert, Stuttgart 2012, S. 127–140. Dies , Die deutschen Großforschungsprojekte zum „Eingeborenenrecht“ um 1900 und ihre Folgen, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte 129 (2012), S. 150–182. Winter, Bruno Gutmann, 62; Streck, Bruno Gutmann, 453. Gutmanns Kritik an der Fragebogenmethode wurde jedoch nicht von allen Missionaren geteilt. So rief bereits Gustav Warneck in der Allgemeinen Missionszeitschrift dazu auf, sich eifrig an den Fragebogenstudien zu beteiligen, um die Bedeutung der Missionen für den Wissenserwerb über die Kolonien zu illustrieren. Gustav Warneck, Ein neues ethnologisches Unternehmen. Eine Bitte an die Missionare unter unsern Lesern, in: Allgemeine Missionszeitschrift 5 (1878), S. 477–481. Arbeiten, die zu den Chaggga seit spätestens 1950 entstanden sind, zitieren Gutmann als wichtigste Quelle. Z. B. Falk Moore, Past in the Present, 52, und Dies , Social Facts, 16. Stahl bezeichnet ihn als „great doyen of Chagga history“, Stahl, History of the Chagga People, 14. Lema, Chaga Religion, 55, nimmt ihn von der Kritik an den Leipziger Missionaren aus. Der Ausdruck „Dialektische Theologie“ beschreibt eine theologische Bewegung der Zwischenkriegszeit, die maßgeblich von Karl Barth und Friedrich Gogarten geprägt wurde und die ihr wesentliches Publikationsorgan in der Zeitschrift Zwischen den Zeiten hatte. Die Bewegung grenzte sich aus einem Krisengefühl nach dem Ersten Weltkrieg und der damit verbundenen Empfindung eines völligen Zusammenbruchs der alten Ordnung und der Ideale des deutschen Bürgertums heraus insbesondere von der liberalen Theologie ab. Wilfried Härle, Dialektische Theologie, in: TRE 7 (1981), S. 683–696. Vgl. Bochinger, Ganzheit und Gemeinschaft, 34. Missionar Johannes Raum, zu der Zeit Senior der Leipziger Missionare in DOA, setzte sich in mindestens zwei Aufsätzen mit den theologischen Konzepten Gutmanns äußerst kritisch auseinander. Raum veröffentlichte seine Gegenposition im Übrigen anonym, „damit in dem Streit der Meinungen Persönliches und Sachliches auseinandergehalten werden.“ Rundschau, in: Evangelisches Missionsmagazin 76 (1932), S. 93–96, 93. Siehe z. B. Walter Holsten, Bruno Gutmanns Exegese, in: Theologische Studien und Kritiken 108 (1937), S. 282–331, der Gutmann attestiert, das Alte Testament zu wenig in Betracht gezogen zu ha-
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4 Christianity Making in der Missionsgemeinde
4.4.2 Gemeindeaufau aus dem Evangelium Gutmanns Ansatz war es – und hier spiegelte sich sein Studium an der Leipziger Universität wider – das Volk (der Chagga), seine Bräuche und Rituale, seine Sprache und seine Märchen umfassend zu erforschen, um zu dessen „Volksseele“ vorzudringen.400 Nach gängiger Meinung der Missionswissenschaft um 1900 sollten diese ethnologischen Studien vor allem dazu dienen, schnellere und vor allem dauerhaftere Missionserfolge zu erzielen. Gutmann arbeitete dafür mit mehreren Informanten und Sprachlehrern zusammen. Er gab umfassende Forschungen in Auftrag. So liegen zum Beispiel Notizbücher von Nathaniel Mtui vor, der als Sprachlehrer für die Mission arbeitete und in Gutmanns Auftrag die Geschichte der Chagga zu rekonstruieren versuchte.401 Gutmanns Hauptinformanten waren, soweit man dies ermitteln kann, sehr alte Männer, die ihn aus ihrer Sicht über die sogenannte Stammesordnung informierten.402 Die Greisen Malan Malisa, Mlasany Njau und Kyencha Mshiwu aus Moshi und Ndelishoyo Mboro aus Madschame fungierten als Informanten und Sprachlehrer.403 Sie berichteten Gutmann beispielsweise von den Intitationsriten, die im Zusammenhang mit der Beschneidung an Jungen vollzogen wurden, mit dem expliziten Wunsch, dass Gutmann diese vor dem Vergessen bewahren sollte. Die Greisen arbeiteten hier eindeutig als Intermediaries, als lokale Akteure, die als Informanten nicht nur sprachliche Fähigkeiten vermittelten, sondern europäische Akteure im außereuropäischen, zumeist kolonialen Kontext über kulturelle Besonderheiten informierten, als Übersetzer und Führer tätig waren und so als eine „Brücke zwischen europäischen Missionaren und der lokalen Bevölkerung“ fungierten, wie es Gabriele Richter ausgedrückt hat.404 Nicht zuletzt hatten diese intermediaries häufig eine eigene Agenda und so beeinflussten auch Gutmanns Informanten dessen Vorstellungen und Arbeiten über die Initiationsriten und die in ihnen enthaltene Gesellschaftsordnung in ihrem Sinne. Die von Gutmann schließlich als vermeintliche Idealvorstellung vorgelegte Definition einer Gemeinde- und Gesellschaftsordnung, die maßgeblich von der Macht der Alten
400 401 402 403
404
ben. Eine wenn auch insgesamt schwächere Kritik an der Textexegese nimmt auch Hellmut Weist, Die Theologie des Missionars Bruno Gutmann in kritischer Beurteilung. Univ.-Diss. Theol. HalleWittenberg, Halle-Wittenberg 1941, vor. Gutmann, Einwurzelung, 12. Nathaniel Mtui, Nine Note-Books on Chagga History, übersetzt von J. A. Z. Mneney, Mikrofilm, Universitätsbibliothek Leipzig. Streck, Bruno Gutmann, 459. Zur Bedeutung von Intermediaries siehe insbesondere Yigbe, Gewährsleute; Robert Levine, An Interpreter will Arise. Resurrecting Jan Tzatzoe’s Diplomatic and Evangelical Contributions as a Cultural Intermediary on South Africa’s Eastern Cape Frontier, 1816–1818, in: Benjamin N. Lawrance u. a. (Hg.), Intermediaries, Interpreters, and Clerks. African Employees in the Making of Colonial Africa, Madison 2006, S. 37–55, sowie den ganzen Sammelband. Siehe außerdem Kap. 3 dieser Studie. Richter, Flexibles Wissen, 332.
4.4 Eine Gemeindetheologie aus der Mission für die heimatliche Kirche
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geprägt war und in der die Gemeinschaft über dem Individuum stand, war das Ergebnis dieser Berichte und Gutmanns eigener Wahrnehmungen. Konkret entwickelte Gutmann ein komplexes System, das die Gesellschaft der Chagga in Sippen – eine Art Großfamilienverband, Nachbarschaften und Altersklassen, die sich aus einzelnen Schildschaften zusammensetzten – gliederte. All diese Gruppen würden zusammengehalten, so Gutmann, durch „urtümliche Bindungen“. Diese Bindungen erachtete Gutmann in jeder Gesellschaft als gottgegeben, sie waren mithin nichts Spezifisches der Chagga,405 sondern Teil der Gottesebenbildlichkeit des Menschen. Das von ihm entwickelte soziologische System der Chagga-Gesellschaft konnte er dementsprechend positiv bewerten und zur Grundlage seiner Ekklesiologie machen. In seinem Gemeindesystem, das dementsprechend auf „gliedhafter Verbundenheit“ basierte, übertrug Gutmann den Chagga seelsorgerische Kompetenzen. Das Bekenntnis zum Christentum war für Gutmann mit der Verpflichtung, sich um seine Nächsten zu kümmern, untrennbar verbunden; er wollte die Bindung des Volkes untereinander durch das Christentum so stärken und nicht – wie es in anderen Fällen zu beobachten sei – abschwächen.406 Gutmann formalisierte damit eine Gesellschaftsordnung, die sich bereits aufgelöst hatte und nur noch rudimentär in den Erinnerungen der Alten bestand und entzog sie der Veränderung. Indem Gutmann die urtümlichen Bindungen als von Gott gegeben und als „wahres Evangelium“ bezeichnete, wurde die von ihm rekonstruierte/erfundene Gesellschaftsordnung der Chagga in seinen Lehren, Predigten und Büchern zum Idealbild des Christentums und mit theologischer Bedeutung aufgeladen.407 Gutmanns Motivation, eine vermeintlich althergebrachte und auf die Alten gestützte Gemeindeordnung durchzusetzen, hing gleichzeitig mit veränderten Dynamiken innerhalb der Missionsgemeinden zusammen. Nicht nur hatte sich durch die zunehmende Anzahl (deutscher) Siedler am Kilimandscharo und den Bau der Eisenbahn die ökonomische Situation am Kilimandscharo gewandelt, auch innerhalb der Gemeinden hatten die bereits beschriebene Entwicklung der Lehrer zu mächtigen und einflussreichen Akteuren im Prozess der Vermittlung und Gestaltung des Christentums ebenso wie die stetig steigende Akzeptanz und Autorität der Gemeindeältesten die Position der Missionare verändert. So waren es beispielsweise die Lehrer, die Gutmanns Vorstellungen der Chagga-Gemeindeordnung und insbesondere die Idee des Missionars, vermeintlich althergebrachte Chagga-Bräuche zu christianisieren, mit Verweis auf die christliche Erziehung ablehnten. Nicht nur wehrten sie sich gegen die von Gutmann angestrebte Verchristlichung von Kinderspielen und Tänzen mit dem Verweis darauf, dass die Kinder lieber arbeiten sollten, sie erklärten insbesondere die Beschneidung von Jungen als nicht mit dem Christentum vereinbar. Die Moshi-Lehrer nahmen dabei einen rigoroseren Standpunkt ein, als die europäischen Missionare 405 Fiedler, Christentum und afrikanische Kultur, 34. 406 Ebd., 33. 407 Siehe dazu auch Wetjen, Entangled Mission.
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selbst, die seit dem Beginn der Mission nach einer Lösung in der Frage nach dem Umgang mit der Beschneidung bei den Chagga suchten.408 Gutmanns Definition, wie ein Chagga-Christentum aussehen könnte, wurde also von einigen Vertretern der Chagga selbst infrage gestellt, die sich an der Aushandlung der Frage, wie das Christentum in ihrer Gemeinde definiert wurde, beteiligten.409 Gutmann selbst rechtfertigte sein Vorgehen später mit dem Kampf gegen das Vordringen der Moderne mit all ihren Missständen in einem Brief an einen englischen Missionar: „Doubtless you agree that the youths of Africa is more and more going out of control everywhere under the destructive economical-social and judical influence of our civilisation. To fight this dissolving factors we cannot depend exclusively on admonishing and shepherding upon the ecclesiatical lines we are acquainted with in our home churches, but have to go as deep as possible down to the foundation of human society and build up from there a real organic body of Christ’s fellowship, where every body is linked up with his neighbours and fellow creatures by bonds of mutual responsibility and selfgovernment in the lines of the law of Christ.“410
Gutmann legte dazu auch eine umfassende theologische411 Monografie vor, die sich aus den ethnologischen Beobachtungen und einer politisch motivierten Zivilisationskritik speiste. Das Buch Gemeindeaufbau aus dem Evangelium Grundsätzliches für Mission und Heimatkirche teilt sich in neun Kapitel auf: „Der Einzelne und das Ganze“, „die Kindschaft“, die „religiös-sittlichen Eigenwerte der noch natürlich gebundenen Völker“, „Sitte und Brauch“, „Hüttenweihe der Dschagganeger“, „Dschaggagemeinde als Gliederverband“, „das Gewissen“, „der Aufau aus den urtümlichen Bindungen“ und zum Schluss „die Erneuerung der Heimatgemeinde“.412 Bereits im ersten Kapitel werden die drei Grundlinien seines Ansatzes vorgestellt. Erstens ging Gutmann davon aus, dass sich der Eigenwert eines Menschen nicht durch seine Individualität, sondern aus der Gemeinschaft, in die der Mensch eingebunden ist, ergibt.413 Zweitens bewertete er die „gliedhafte Verbundenheit des Menschen“ als Gottgegeben und als „wahres Evangelium“, drittens wandte sich Gutmann in einer vehementen Zeitkritik gegen die moderne Zivilisation:
408 Ebd. Siehe dazu auch ausführlich Kap. 2.1.2 dieser Studie. 409 Siehe dazu einführend Fiedler, Christentum und afrikanische Kultur, und die vorherigen Kapitel dieser Studie. 410 Bruno Gutmann an Missionar Hugo, 23.3.1937, ALMW II.32.341a II. 411 Zu Gutmanns theologischen Positionen liegen einige Überblickswerke vor. Siehe v. a. Jaeschke, Bruno Gutmann, Ders , Gemeindeaufau in Afrika, aber auch Winter, Bruno Gutmann, und Bochinger, Ganzheit und Gemeinschaft. 412 Gutmann, Gemeindeaufau, Inhaltsverzeichnis. 413 Ebd., 7. „was du bist, du bist es nur durch den Zusammenhang. Deine gliedliche Bedeutung gibt dir Eigenwert.“ [Hervorhebung i. O., K. W.].
4.4 Eine Gemeindetheologie aus der Mission für die heimatliche Kirche
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„Das menschheitsgeschichtliche Unglück in solcher Hingabe an die Außenwelt, aus dem Glauben an eine neue Gestalt der Menschheit unter der Herrschaft der Zivilisation, liegt darin beschlossen, daß man das Leben zu einem Mittel macht und ihm seinen Selbstwert nimmt, daß man den Einzelnen umformt für die volle Anpassung an die Herrschaft der Sachwerte, und, als Einflußträger selbst schon ein Masseteilchen, alle Wesenszüge übersieht, die ihn in der gliedlichen Verbundenheit mit anderen noch als ein Gotteswesen kennzeichnen.“414
Gutmann stellte hier eine Kritik an der modernen Zivilisation, die er mit der Betonung von Geld und Maschinen ebenso wie mit dem Fokus auf Individualität415 verband, einer Ordnung gegenüber, nach der die kirchliche, christliche Gemeinschaft durch „urtümliche Bindungen“ nach Gottes Willen lebe: „Zu zeigen, daß die urtümlichen Bindungen zwischen den Menschen die von Gott vorerschaffenen Zellkörper für den Aufau des Leibes Christi sind und daß die Kirche die weltumfassende Aufgabe hat, sie in eine selbstmächtige und selbststätige Leiblichkeit zu verzellen, die Christi Gegenwart auf Erden ist, wird die Aufgabe dieses Buches sein. Beides – Kirche und urtümliche Bindungen – sind göttliche Schöpfungen und aufeinander unmittelbar bezogen und stellen in solcher Bezogenheit aufeinander die Fülle der Einwohnung Gottes in der Menschenwelt dar. An ihre Einheit gebunden, gewönne die Menschheit sich selber zurück und überwände die selbstentmannte Illusion der unabhängigen Einzelseele in der Vorstellung von Gliedlichkeit des Menschen, die sein Denken und Wirken wieder organisch sicher machte und gegen Vermassung instinktiv schützte.“416
Als Lösung schlug Gutmann eine absolute und endgültige Absonderung von allen Kräften der Zivilisation und eine Betonung der „gliedlichen Bindungen“ gegenüber dem Individuum vor.417 Die Grundlage seiner Theologie und der Anschlusspunkt für andere lutherische Theologen der Erlanger Schule bildet bei Gutmann der Begriff der „Gotteskindschaft“, den er als „des Evangeliums Inbegriff “ aus der Bibel und den Schriften Luthers ableitete. Luther sei es zu verdanken, dass der Gedanke der „Gotteskindschaft“ zu einer „Erlösung der Deutschen aus dem religiösen Massedasein zu einem so ungestört heilvollen Vorgange“418 habe werden können. Diesen Gedanken entwickelte er dann weiter, dass die „größte Schöpfertat Gottes“ ein ganzer „Gliederverband“ sei.419 Durch 414 Ebd., 11. 415 Er sprach sich deswegen auch gegen die Erziehung zur „gesteigerten Individualität“ aus. Siehe ebd., 44–45 bzw. 154–155. In Anlehnung an Wundt sprach er vom „egoistischen Utilitarismus“, ebd., 171. 416 Ebd., 15. 417 Ebd., 183, 193. 418 Ebd., 17. 419 Ebd., 18. Ähnlich auch Ders , Freies Menschentum aus ewigen Bindungen, Kassel 1928, 7.
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die „Bindungen“, die Gutmann im Übrigen bewusst „urtümlich“ und nicht „primitiv“ nannte,420 könne, so sein Ansatz, ein Volk erst in die Lage versetzt werden, das Christentum aufzunehmen,421 durch sie würde der Mensch erst zum Menschen.422 „Gott ist aber in Christo Wirklichkeit für uns und darum nur im Mitbruder zu erkennen, und wird in uns mit seinem innersten Wesen gleichsam verdichtet und voll erfaßbar und erkennbar im Gliederdienste und Ergänzungsverhältnis, in das wir zueinander treten.“423 Die „Gotteskindschaft“ verstand Gutmann deswegen als unmittelbar, gliedlich und unbedingt,424 und diese „Gotteskindschaft“ sei es, die das Christentum über alle anderen Religionen erhebe425 und diesen unvergleichlich mache.426 Um den Charakter der Gotteskindschaft auch in der Mission besser zu verstehen, gelte es, sich auf „das echt Organische in den menschlichen Bindungen, also auf Abstammungsgemeinschaft, Nachbarschaft und Altersklassengenossenschaft“427 zu beschränken. Aus den „urtümlichen Bindungen“ leitete Gutmann auch den Missionsauftrag ab. Der Missionar sei gesendet von einer Gemeinde. Die in ihm wirkenden „Wachstumsund Eingliederungskräfte“ regten zur Gemeinschaftsbildung an: „Wer die göttliche Kindschaft bringt, sucht den einzelnen Menschen immer als Gliedwesen und ist sich bewußt, daß er die Gliedlichkeit des Menschen mit dem Geiste der ewigen Kindschaft erfüllen soll, der aus den urtümlichen Bindungen des fremden Volkes Christo einen neuen, selbstmächtigen Gliederverband einverleibt.“428
Der Missionar müsse deswegen hauptsächlich gemeindebildend wirken. Gutmann verstand die von ihm identifizierten „urtümlichen Bindungen“ nämlich als eine anthropologische Konstante, die jeder Missionar als „Anbauboden für das Evangelium“429 nutzen müsse. Er ging dabei so weit, dass er in der sozialen Gliederung der Chagga, aus der er die „urtümlichen Bindungen“ erschlossen hatte, die Urform der menschlichen Gemeinschaft erblickte. Folgerichtig plädierte Gutmann für eine Nutzung der „religiös-sittlichen Eigenwerte der Primitiven als Aufaustoffe“430. Hierunter fasste
420 Der Begriff der „Urverbundenheit“ fand über Georg Koch und Viktor von Geramb in den 1930er Jahren sogar Eingang in die Volkskunde. Treiber, Volkskunde, 389. 421 Gutmann, Gemeindeaufau, 21. 422 Ebd., 40. 423 Ebd., 27. 424 Ebd., 36. 425 Ebd., 37. Gutmann argumentiert, dass im Wettkampf der Religionen der Erde, das Christentum zwangsläufig nachgeahmt würde und sich durch die Vorstellungen der einzelnen Völker immer mehr von seinem Wesen abbringen ließe. Einzig die Lehre vom Reich Gottes vermittelt durch die Kindschaft in Christo könne dem entgegenstehen. 426 Ebd., 64. 427 Ebd., 54. 428 Ebd. 429 Ebd., 60. 430 Ebd., 64.
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Gutmann das Gottesbewusstsein431, das Opfer432, das Gebet433, und die „Ehrfurcht vor der Umwelt“434, die er alle vier aus seinen Forschungen zu den Chagga abgeleitet hatte beziehungsweise für deren Vorhandensein er die Chagga als Beispiele anführte. Gleichzeitig machte er aus diesen vier Aufaustoffen eine „Gefühlsempfänglichkeit“ beziehungsweise „Gefühlsbestimmtheit“ aus, die bei der Ausgestaltung christlicher Sitte zu beachten sei – weswegen die lückenlose „Erfassung von Gemeinschaftsgütern“ unerlässlich sei für den Aufau eben dieser christlichen Sitte.435 Diesem Aufau der christlichen Sitte respektive deren Ausgestaltung widmete Gutmann ein ganzes Kapitel seiner Abhandlung, in dem er immer wieder auf die Zustände in Moshi verwies und resümierte: „Unsitte wächst von selber, gute Sitte will geschaffen sein. Dreierlei aber ist Voraussetzung dafür: innigste Kenntnis des Volksbodens, starke Gestaltungskraft und ein demütiger und doch harter Schaffenswille, der mit Lettow sagt: neunundneunzigmal muß man eine Sache versuchen, zum hundertsten Male wird sie glücken.“436
Deutlich wird, wie sehr Gutmann in seiner Theologie vor allem dem Missionar gestalterische Kraft zuwies, und zwar trotz der von ihm immer wieder geforderten Hochachtung und Ehrfurcht vor dem „Volk“. In der zeitgenössischen (kirchlich-konservativen) Theologie gab es einen Trend – rekurrierend auf Herder –, den Begriff des Volkes in den Mittelpunkt zu stellen.437 In Herders Geschichtsphilosophie kommt dem Volk, ähnlich wie dem Individuum, eine Art eigener Charakter, „ein Volksgeist“ zu. Jedes Volk hatte seine eigene Geschichte und Kultur. Für Gutmann besonders prägend wirkte die Weiterführung dieses Begriffs durch Wilhelm Wundt, der das Zusammenspiel von Individuum und Gemeinschaft zu bestimmen und in seiner Völkerpsychologie zu erforschen versuchte.438 Gutmann sah daran anschließend den Missionar im Spannungsfeld zwischen Einzelseele, „angestammten Volkstume“ und dem „Fremdtume“, womit er die (europäi431 432 433 434 435 436 437
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„Unter allen Umständen darf man annehmen, daß die Eigenart des Gottesbewußtseins, wie es sich in den Grundzellen des Menschentums entwickelt, so rein und umfassend ist, wie es die Bildungskräfte in den künstlichen Schichtungsformen nicht mehr festhalten konnten.“ Ebd., 67. Ebd., 69 f. Ebd., 71 f. Ebd., 75–76. Gutmann, Gemeindeaufau, 75–78. Ebd., 100. Auch bei Herder lässt sich schon die auch für Gutmann zu beobachtende Perspektive auf das Gemeinwesen des Christentums als eben gerade nicht rückwärtsgewandte Vision einer christlichen Kultur interpretieren. Eilert Herms, Bildung des Gemeinwesens aus dem Christentum. Beobachtungen zum Grundmotiv von Herders literarischem Schaffen, in: Martin Keßler / Volker Leppin (Hg.), Johann Gottfried Herder. Aspekte seines Lebenswerkes, Berlin/New York 2005, S. 309–326. Siehe dazu einführend Carl F Graumann, Die Verbindung und Wechselwirkung der Individuen im Gemeinschaftsleben, in: Gerd Jüttemann (Hg.), Wilhelm Wundts anderes Erbe. Ein Missverständnis löst sich auf, Göttingen 2006, S. 52–68.
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sche, von den Auswüchsen der Moderne gekennzeichnete) „Zivilisation“ meinte. Daher sei es die Aufgabe des Missionars, in diesem Spannungsfeld aus einzelnen Bekehrten sofort eine „gliedlich“ gebundene Gemeinde zu formen.439 Dieses Bedürfnis leitete er auch aus den Erfahrungen im Kaiserreich ab: „Wie auch unsere Kirche ohne Zweifel am Untergange der deutschen Gemeinfreiheit mitschuldig geworden ist, weil sie es unterließ, ihre organischen Bindungen dem christlichen Gemeindeleben dienstbar zu machen, und weil sie ihre Lebensäußerungen selbst mit bekämpfen half, so geht sie jetzt unbefangen daran, durch ihre Sendlinge die Gemeinverbindungen der Primitiven aufzulösen, damit sie das Individuum frei bekomme und es modeln könne nach den ihr gewohnten Formen. Sie wird wieder zu spät erkennen, daß es damit auch frei zugänglich geworden ist für alle Zersetzungskeime unserer seelenlosen Zivilisation.“440
Für Gutmann sollten die Bindungen nicht ausgelöscht, sondern in das Christentum mit hineingenommen und „vom Geiste Christi durchwalten“ werden, um der Gefahr der „Vermassung“ entgegenzutreten.441 Durch die Berücksichtigung der „urtümlichen Bindungen“, insbesondere der Sippen, im christlichen Gemeindebau ergebe sich dann von selbst ein sozialer Ausgleich, gegenseitige Rücksichtnahme, und in der Folge, „Volksgesundheit und christliche Sittlichkeit“.442 Schließlich befördere dies im Einzelnen Selbsttätigkeit und Selbstverantwortung, die es dementsprechend ebenfalls vom Missionar zu fördern gelte.443 Gutmanns Vorstellung von einer „gliedlichen“ Ordnung der Chagga-Gesellschaft stand auf tönernen Füßen: Gutmann rekurrierte hier nämlich auf ein Gesellschaftssystem, dass zwar in einigen Liedern bruchstückhaft überliefert war, aber für das tägliche Zusammenleben der Chagga vermutlich im Verlauf der Zeit in der Bedeutungslosigkeit versunken war. Gutmann selbst war sich dieses Wandels bewusst, auch wenn er ihn zumeist verschwieg. Die Forderung nach einer Erneuerung der Sippe auf christlicher Grundlage kann dabei als Teil eines Prozesses gesehen werden, in dem Gutmann mit den „urtümlichen Bindungen“ insgesamt eine Tradition erfand, sie in den Mittelpunkt seiner Theologie stellte und transzendierte. Eine solche „invention of tradition“444 im kolonialen Kontext war keine Seltenheit und hing mit unterschiedlichen Konzepten
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Gutmann, Gemeindeaufau, 120. Ebd., 136. Ebd., 137. Ebd., 142. Gutmann schrieb den Bindungen sogar zu, gewissensbildend zu wirken, sofern ihnen größerer Glaube und Ehrfurcht entgegengebracht würden, ebd., 168. 443 Ebd., 142–144. 444 Eric Hobsbawn, Introduction. Inventing Traditions, in: Ders. / Terence O. Ranger (Hg.), The Invention of Tradition, Cambridge 1992, S. 1–14, bzw. Terence O Ranger, The Invention of Tradition in Colonial Africa, in: Ders. / Eric Hobsbawn (Hg.), The Invention of Tradition, Cambridge 1992, S. 211–262.
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von Sitte, Brauch und Tradition zusammen. So beschreibt Terence Ranger, wie nicht nur Kolonialisten dieses Verfahren zur Herrschaftssicherung und Legitimierung nutzten, sondern auch ältere Menschen unter den Kolonialisierten häufig Traditionen als althergebracht bezeichneten, um ihre eigene Position gegenüber jüngeren Mitgliedern ihrer Gesellschaft weiterhin zu behaupten.445 Bruno Gutmanns „invention of tradition“ bewegte sich in diesen Grenzen. Sie wurde gestützt durch ethnologische Forschungen446 und mit theologischem Gehalt aufgeladen – und sie wurde noch dadurch überhöht, dass sie keineswegs nur in Afrika gelten sollte. Die von Gutmann postulierte, der Zeit enthobene „Ursprünglichkeit“ und „Natürlichkeit“ der Bindungen muss im Kontext einer von ihm wahrgenommenen entwurzelten Gegenwart im Kaiserreich gesehen werden.447 Seine Zeitdiagnose, die innerhalb des kirchlichen Milieus bereits seit der Mitte des 19. Jahrhunderts vorherrschte, prangerte die zunehmende Industrialisierung, Verstädterung und soziale Not breiter Teile der Bevölkerung an. Durch die mangelnde pastorale Versorgung in den Städten hatte die kirchliche Entwurzelung aus Sicht der Kirche dramatische Zustände angenommen. Der Neu- beziehungsweise Wiederaufau der volksorganischen Bindungen sollte eine Lösung dieser Problematik sein und verwies auf die „Stadt als Missionsraum“.448 „Volksorganische Bindungen“ würden, so Gutmanns Argument, in den deutschen Gemeinden zu denselben kirchlichen Ausdrucksformen wie in den Missionsgemeinden führen.449 Der von Gutmann erarbeitete Vorschlag der Gemeindegestaltung entspräche somit der göttlichen Ordnung450 und sollte folgerichtig in Afrika wie in Europa zur Grundlage lutherischen Gemeindelebens gemacht werden. „Die Überzeugung drängt sich auf, daß die Kirche als Übermittlerin des Geistes Jesu Organe braucht, seinen Willen zu betätigen, und ihre höchste Aufgabe die Versichtbarung der Lebensgemeinschaft Gottes mit den Menschen ist und daß die wichtigsten Gliedschaften dafür ihr vorerschaffen sind in den urtümlichen Gemeinschaftsgruppen der Blut- und Bodeneinheit. Also nicht darnach darf sie streben, sich selbst überflüssig zu machen, noch auch sich weiterhin zu verflüchtigen, d. h. sich noch mehr zu vergeistigen in der Anpassung 445 Ders , The Invention of Tradition in Colonial Africa. 446 So verwies er bspw. darauf, dass noch in der „vorigen Generation“ jeder „Einheitenverband“ einen „Sippenführer“ gehabt habe, und sprach explizit von einer „Wiedererweckung des Sippenamtes“. Gutmann, Gemeindeaufau, 147. 447 Zu Zeitkonzepten in der Anthropologie, siehe Johannes Fabian, Zeit und das Hervortreten des Anderen, in: Andreas Langenlohl u. a. (Hg.), Transkulturalität. Klassische Texte, Bielefeld 2015, S. 279–298, hier 283, bzw. das Original Ders , Time and the Other. Raum wandte sich explizit gegen eine solche „Verhimmelung des Primitiven“. Raum, Einiges über urtümliche Bindungen, 186. 448 Jens Wietschorke, Die Stadt als Missionsraum. Zur kulturellen Logik sozialer Mission in der klassischen Moderne, in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 24 (2013), S. 21–46. Bei Gutmann lässt sich also deutlich ein Überschreiten der Grenzen des Dörflichen feststellen. Anders: Altena, Ein Häuflein Christen, 272. 449 Gutmann, Gemeindeaufau, 149, am Beispiel des Patenamtes bei der Taufe. 450 Z. B. bezeichnet Gutmann die „organische Verbindung“ als ein „göttliches Werden“, ebd., 157.
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an die noch möglichen Kunstformen der menschlichen Gesellschaft, sondern sie muß alle Kräfte zusammenfassen und die erstorbenen wiedererwecken zur Selbstbehauptung in der sichtbaren Eigengestalt, die durch den Geist des Evangeliums aus den Urzellen aller Menschengemeinschaften entstehen soll.“451
Gutmann ging davon aus, dass Heimatkirche und Missionskirche in einem inneren Zusammenhang stünden. So werde einerseits die Mission durch die zu ihr gesandten Missionare geprägt. Andererseits sei die Mission „Rückweiserin in das erste Leben Christi“452 und könne als solches der aussendenden Gemeinde die Möglichkeit geben, sich zu prüfen, inwieweit bei ihr „Wurzelechtheit aus dem Evangelium“ noch vorhanden sei.453 Dieses Argument, dass die Mission Vorbild und Korrektiv für die sendende Gemeinde sein könne, findet sich in Gutmanns Schriften häufig und ist wesentliche Legitimation für ihn, sich den theologischen Fragen im Kaiserreich zuzuwenden. Gutmanns Arbeiten erhielten in Deutschland einige Aufmerksamkeit, wo sie Zusprach fanden, aber auch häufig kritisiert wurden. Führender Kritiker Gutmanns war dabei kein geringerer als sein Kollege Johannes Raum, der von 1895 bis 1917 und dann wieder nach dem Ersten Weltkrieg gemeinsam mit Gutmann als Missionar unter den Chagga arbeitete. Raum griff Gutmann in verschiedenen, 1932 publizierten Aufsätzen jeweils mit einer ähnlichen Argumentation an.454 Wie Gutmann auch, nutzte Raum seine ethnologischen Forschungen als Ausgangspunkt. In Rekurs auf Gutmanns Ansatzpunkt, das „in der sozialen Gliederung der Bantu […] sich die schöpfungsmäßigen Urformen der menschlichen Gemeinschaft“455 darstellten, stellt er die Ergebnisse seiner eigenen Forschung vor, nachdem die Bantu ein Mischvolk456 seien und daher keine Einheit bildeten. Zwar seien die Sippen die zentrale Vergesellschaftungsform der Chagga,457 sie hätten sich jedoch aus sozialen und wirtschaftlichen Notwendigkeiten heraus entwickelt; sie seien ebenso wie die Altersklassen „Zweckverbände mit egoistischer Tendenz“458, nicht „urtümlich“459 und
451 452 453 454
455 456 457 458 459
Ebd., 178. Ebd., 214. Ebd., 56. [Johannes Raum], Ostafrikanisches Bantu-Volkstum und das Evangelium, in: Evangelisches Missionsmagazin 76 (1932), S. 70–82, 106–113; Raum, Einiges über urtümliche Bindungen. Während er in der Basler Zeitschrift anonym bleiben wollte, „damit in dem Streit der Meinungen Persönliches und Sachliches auseinandergehalten werden kann“ (Rundschau, 93–94), veröffentliche er den Aufsatz in der Neuen Allgemeinen Missionszeitschrift unter seinem Klarnamen. [Raum], Ostafrikanisches Bantu-Volkstum, 77. Ebd., 78 f. Raum, Einiges über urtümliche Bindungen, 187–188. [Raum], Ostafrikanisches Bantu-Volkstum, 109. Die Altersklassen waren von der Kolonialherrschaft abgeschafft worden. Gutmann wollte sie aber – mit veränderter Bedeutung – wiedereinführen. Hasu, Desire and Death, 66. Raum, Einiges über urtümliche Bindungen, 188.
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deswegen nicht für die Gemeindeführung zu gebrauchen. Die Behandlung der Frauen, deren völlige Rechtlosigkeit und die Polygamie460 verkehrten die Sozialordnung ebenfalls, sodass diese „keine Welt freier, innermenschlicher Beziehungen“ sei, sondern „eine Welt voll Unfriede und Unbarmherzigkeit, eine echt heidnische Welt“461, so stelle Raum fest. Zwar ginge mit der Betonung der Sippe eine Ethik einher, diese ziele aber, so Raum, nur auf die äußere Erfüllung des Gehorsams und beruhe auf dem Gedanken der Gegenseitigkeit.462 Sie sei damit „ein der Sittlichkeit des Evangeliums ganz ungleichartiges Ethos“.463 Raum resümierte daher, dass die ethnologischen „Tatsachen“464 nur erklärt werden könnten, wenn die eigentlich „urtümliche Bindung“ des Menschen nicht zwischen den Menschen bestünde, sondern zwischen Mensch und Gott, die ihren Ausdruck im Gewissen finde.465 Raum stellte aber nicht bloß Gutmanns ethnologische Ergebnisse auf der Sachebene infrage, sondern brachte sie mit dessen Hang zum „Zivilisationspessimismus“ in Verbindung, der seit der Niederlage im Weltkrieg in der deutschen Gesellschaft um sich greife.466 Die damit einhergehende Überbetonung und Romantisierung des vermeintlich „Natürlichen“ und „Primitiven“ gegenüber der an Fortschritt orientierten Moderne gäbe solchen Ansätzen Aufwind. Raum selbst zog sich nun aber nicht in der Gegnerschaft Gutmanns auf eine zivilisationsoptimistische Position zurück, sondern nahm eine dritte Position ein: „Wir Missionsleute haben das Problem nicht kulturphilosophisch, sondern theologisch zu betrachten. Es löst sich uns nur, wenn wir es in das Licht unseres Gotts- und Christusglaubens rücken. Dann sehen wir, daß jeder der beiden Standpunkte, sowohl der, der in der Zivilisation das Heil, als der, der in ihr das Unheil in Afrika sieht, auf einer Linie liegen: Beide sind diesseitige Betrachtungsweisen, Erscheinungsformen des Säkularismus, weil sie die Gottesfrage außer Acht lassen. Die europäische Kultur ist ja doch deswegen und insoweit zur bloßen Zivilisation entartet, als sie sich aus der Gottesbezogenheit gelöst hat. […] Die evangelische Mission hat die Zivilisation weder zu bekämpfen, noch zu befördern: Sie hat ihren Sendungsauftrag auszurichten mit aller Treue, damit der neue Tag, der über Afrika angebrochen ist, ein Tag des Heils werde.“467
460 Auch Gutmann wandte sich gegen die Polygamie. Fiedler, Christentum und afrikanische Kultur, 49. 461 [Raum], Ostafrikanisches Bantu-Volkstum, 106–108. 462 Raum, Einiges über urtümliche Bindungen, 192. 463 Ebd., 193. Und weiter: „Die Ethik der Bantu ist eine heidnisch entstellte und verdunkelte Ethik. Die Grundsünde ist ihr Abfall von Gott, ihre Verunehrung Gottes.“ Ebd., 194. 464 Ebd., 238. 465 Ebd., 238. 466 Ebd., 185 f.; [Raum], Ostafrikanisches Bantu-Volkstum, 71–73. 467 Ebd., 73–75.
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Er griff damit nicht nur Gutmanns ethnologische Forschungen an und zog direkt seine theologische Argumentation in Zweifel, die er als „nachträgliche Hilfskonstruktionen“ bezeichnete, sondern auch die Definition vom Missionsauftrag und der Methode der Missionierung.468 Während der Missionar Raum den Missionsauftrag lediglich als von allem weltlichen losgelöst betrachtete, verstand Gutmann den Missionsauftrag als ganzheitlichen Erziehungsauftrag und setzte sich für eine alle Bereiche des Lebens durchdringende „Einwurzelung“ des Evangeliums ein. Für Gutmann, der vor allem kulturpädagogische Interessen vertrat, meinte das Christentum vor allem die christliche Gemeinde und das in ihr zum Ausdruck kommende Gemeinschaftsgefühl. Deswegen setzte er sich für eine Volkskirchenkonzeption ein, in der christliche Sitte und Brauch insofern eingeführt würden, dass sie das Volkstum der zu Missionierenden stärkten und Kräfte der „Zivilisation“, vor allem wirtschaftsliberale Kräfte, zurückdrängten.469 Die Debatte zwischen Raum und Gutmann, die ja nicht zuletzt weniger im Missionsgebiet als vielmehr in Europa geführt wurde, macht damit einmal mehr auf die stetige Verwobenheit von Mission, Kirche und theologischer Debatte aufmerksam und zeigt, in welchen unterschiedlichen Räumen Missionare agierten und einen Deutungsanspruch erhoben; gleichzeitig ist sie ein weiteres Beispiel dafür, dass die Auslegung des Missionsbefehls und Abgrenzungen zwischen dem Säkularen und Religiösen einer stetigen und andauernden Aushandlung bedurften, in der Missionare nicht immer einheitlich agierten und die überdies nicht losgelöst von Debatten und Vorgängen in der „Heimat“ zu sehen sind. So war Gutmann schon vor dem Weltkrieg eine wichtige Figur in der Dorfkirchenbewegung gewesen, die sich im frühen 20. Jahrhundert für eine größere Berücksichtigung von Kirche und Gemeinschaft in der Moderne einsetzte und sich zunehmend an völkischen Idealen orientierte. Ähnlich wie es Gutmann für die Chagga getan hatte, wurden in der Zeitschrift alte Sitten wiederentdeckt und vermeintlich alte Traditionen zum Leben erweckt. Es galt, das vermeintlich „Alte“ als das „Natürliche“ zu bewahren und sich auf diese Weise der Moderne entgegenzustemmen. Die Gemeindeordnung, die Gutmann für Moshi entworfen hatte, wurde in diesem Diskurs zum Vorbild. Sie 468 Tatsächlich führten die Auseinandersetzungen zwischen Gutmann und Raum auch zu zahlreichen persönlichen Spannungen, die über den Ersten Weltkrieg bis in ihre zweite Amtszeit als Missionare in Ostafrika hineinreichten. 1933 beschuldigte Gutmann seinen Kollegen Johannes Raum, der zu dieser Zeit Senior war, sogar, das Abendmahl entwürdigt zu haben. Raum habe bei einem öffentlichen Gottesdienst in Arusha das Abendmahl ausgeteilt, ohne entsprechende Kleidung getragen zu haben. Brief an den Missionsrat, 29.12.1933, 2–3, ALMW II.32.341 a II. Während Konflikte mit der Kolonialmacht besonders häufig Gegenstand der historischen Forschung waren, sind gerade die Konflikte der Missionare untereinander noch weitestgehend unerforscht. Zur Missionsgeschichte als Konfliktgeschichte, siehe Weichlein, Mission und Konflikt. 469 Gutmann, Einwurzelung, mit einem umfassenden Plädoyer für die Einführung christlicher Sitte und Brauch als eine Tradition, die aus der lutherischen Kirche stamme, aber an das Volkstum der Chagga angepasst würde.
4.4 Eine Gemeindetheologie aus der Mission für die heimatliche Kirche
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wurde fast vollständig als Anregung für Gemeindepastoren und Kirchenleitung in einer Ausgabe der Zeitschrift Die Dorfkirche abgedruckt und mit ihr die Hoffnung auf eine „gründliche Neugestaltung“ der deutschen Volkskirche verbunden.470 Bereits der zweite Artikel der Ordnung führte die ethnologischen Ansätze, die Gutmann’schen theologischen Implikationen und die Taufe zusammen: „Die in den dreieinigen Gott getauften sind zu einem Leben verbunden. Dieses eine Leben ist ein Sein in Christo Jesu und als solches ein Innenleben, dessen Vollendung zur allumfassenden Gestalt erst am Jüngsten Tage geschieht. Es umfasst die einzelnen Gemeindeglieder in ihren Beziehungen zu einander. Aus dem Auftrage, eines des anderen Christus im gliedlichen Stande zu sein, entstehen feste Verantwortungen füreinander, die von der volksgliedlichen Seite her vorbestimmt sind, aber vom Evangelium her für das neue kindschaftliche Sein in Gott aufgeschlossen werden.“471
Auch das Magazin die Zeitenwende, das bei C. H. Beck in München erschien und Beiträge zu Religion und Kultur versammelte, brachte mehrere Beiträge Gutmanns, in denen dieser nicht nur für eine Relektüre des Dekalogs im Sinne seiner auf Gemeinschaft ausgerichteten Theologie plädierte,472 sondern in dem er den deutschen Wiederaufau explizit mit seiner auf nachbarschaftlichen Bindungen fußenden Ekklesiologie verband: „Der erste Schritt zu einem wirklichen Wideraufau unsres Volkes ist die entschiedene Abkehr von der Anschauung, der Einzelne sei ein Massenteilchen und die entschlossene Aneignung der Auffassung von der gliedlichen Bestimmtheit eines jeden Volksgenossen in volksorganischen Einheiten, durch deren Pflege und Förderung allein man den Einzelnen in der rechten Bindefähigkeit für eine gesunde, und mittelbare und umfassende Volksgemeinschaft erhalten und entwickeln kann.“
Hier werden jeweils die sich noch direkt aus dem Evangelium speisenden Missionsgemeinden einer „Bastardisierung des Christentums“ entgegengesetzt, die durch die Ausbildung von „Kunstformen menschlicher Gesellschaft“ unter dem Mantel des Christentums entstanden seien. Solche „Bastardisierungen“ würden in dem mit „Erziehung“ gekennzeichneten und von der Zivilisation geforderten „Missionsauftrag“
470 Ders , Gemeindeordnung. 471 Ebd. Zwar war Gutmanns Gemeindeordnung vornehmlich für die afrikanischen Gemeinden bestimmt, er schrieb aber später darauf aufauende Anleitungen für Pastoren, in denen er auch die deutschen Gemeinden im Blick hatte. Gutmann, Einweisung in den Hirtendienst einer christlichen Gemeinde, 31.3.1940, ALMW II.32.341 B. Diese Ausführungen wurden ebenfalls in der Dorfkirche veröffentlicht. Ders , Einweisung in den Hirtendienst, in: Die Dorfkirche. Monatsschrift für Kirche und Volkstum (1941), S. 85–94; Ders , Gemeinde als Beziehungspflege in: Die Dorfkirche. Monatsschrift für Kirche und Volkstum (1941), S. 69. 472 Ders , Modernisierung der zehn Gebote?, in: Zeitwende 6 (1930), S. 306–316.
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auch auf evangelischer Seite sichtbar werden.473 Die missionarischen Anliegen Gutmanns mit seinen ethnographischen Werken über die Chagga und seine durch dieses Wissen entwickelte Theologie sollten die Grundlage für eine umfassende Umgestaltung der deutschen christlichen Kirchen bilden – und er traf mit seiner völkischen Theologie und Ideologie den Nerv der Zeit, als kirchlich-konservative Kreise Wege aus der Krise suchten. Auf Basis von und in Rückgriff auf Mission sollte eine alternative konservative Moderne gestaltet werden, die Kirche und christlicher Religion als Gestalterinnen von Kultur einen wichtigen Platz in der Gesellschaft einräumte. Vermutlich fand gerade auch deswegen noch in den 1930er und 1940er Jahren Gutmanns Theologie einen Resonanzraum. Nicht nur waren Gutmanns Arbeiten im International Review of Mission wohlwollend international besprochen worden,474 auch innerhalb der Mission konnte sich Gutmann nach Raums Tod durchsetzen; er wurde von Missionsdirektor Ihmels,475 dem Nachfolger Carl Pauls, nicht zuletzt aufgrund seines Engagements und seiner Ausführungen zur Gemeindegestaltung zum Senior ernannt.476 Und auch innerhalb des Netzwerks der Missionsgesellschaft und der Dorfkirche wurden seine theologischen Ansätze trotz anhaltender Kritik immer wieder verteidigt.477 Seine Arbeiten beeinflussten nicht nur die Deutschen Christen, die das Konzept des Gemeindeaufaus wesentlich für ihre volksmissionarische Arbeit nutzten, sondern sie bestimmten auch früh die theologische Diskussion um die Schöpfungsordnung und vermeintlich „natürliche Bindungen“.478 473 Ders , Gemeindeaufau, 57: „Die Stellung der evangelischen Mission zur Sippe, Kaste, Großfamilie und Stamm, zu Beschneidung und Morgengabe hat schon jetzt ganz deutlich erkennen lassen, wieviel Bastardisierung des Christentums mit der Zivilisation auch auf der evangelischen Seite vorhanden sein muß.“ 474 Z. B. die Rezensionen von „Gemeindeaufau aus dem Evangelium“ und „Das Dschaggaland und seine Christen“ im International Review of Missions 15 (1926). Martin Schlunk nannte Gutmann in einer Diskussion „most distinguished“ und „one of the best authorities on the Life of African people.“ Martin Schlunk, The Relations of Missions to Native Society, in: International Review of Missions 16 (1927), S. 350–363, 350. 475 Der Sohn des sächsischen Landesbischofs und Kollegiumsmitglieds Ludwig Ihmels, Carl Ihmels, war nach einem Studium der Philosophie und Evangelischen Theologie und einer Promotion (Dr. phil) in Erlangen 1923 zum Missionsdirektor ernannt worden. Während des Zweiten Weltkriegs engagierte er sich in der Bekennenden Kirche. Er stand bis 1960 dem Missionswerk vor und hielt während dieser Zeit auch Vorlesungen in Missionswissenschaft. Georg Plasger, Ihmels, Carl Heinrich, in: BBKL 14 (1998), Sp. 1099–1101. 476 Missionsdirektor an Karl Schaper, 4.12.1939, ALMW II.32.341 B. Schaper war an einer intensiven Kritik der Gutmann’schen Theologie interessiert und hatte den Missionsdirektor deswegen in einem vorherigen Brief explizit nach dessen Meinung zu Gutmann gefragt, 29.11.1939, ALMW II.32.341 B. 477 Gottfried Holtz, Wider und für Bruno Gutmann, in: Die Dorfkirche. Monatsschrift für Kirche und Volkstum 32/33 (1939/40), S. 105–106, der Gutmann gegen die vehemente Kritik bei Holsten, Bruno Gutmanns Exegese, verteidigte. Deutlich positiver und nur mit geringem Widerspruch wird Gutmann von Weist, Theologie des Missionars Bruno Gutmann, bewertet. 478 Ernst Jaeschke, Bruno Gutmann’s Legacy, in: Occasional Bulletin of Missionary Research 4 (1980), S. 165–169; Christian Möller, Lutherische Spiritualität – Reformatorische Wurzeln und geschicht-
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Gutmanns Arbeiten verbanden eine dem Missionar eigene Auffassung von der sozialen und religiösen Lebensweise der Chagga, theologische Einsichten und Zeitkritik in einzigartiger Weise miteinander. Auf der Grundlage von Chagga-Erzählungen, die sich vielfach als erfundene Tradition bezeichnen lassen, entwickelte Gutmann ein viel beachtetes – wenn auch nicht unumstrittenes – Modell für eine Umgestaltung der heimatlichen Kirche als Ausweg aus der Krise.
liche Ausprägungen, in: Hans Krech / Udo Hahn (Hg.), Lutherische Spiritualität – lebendiger Glaube im Alltag, Hannover 2005, S. 15–38.
Aushandlungsprozesse des Religiösen im Missionslabor Als Gustav Warneck um 1900 eine „große Missionszeit“ ausrief, gar vom „Missionsjahrhundert“ sprach, spielte er damit auf verschiedene parallele Entwicklungen an. Zeitgleich mit Forschungsreisenden und Kolonialbeamten reiste eine immer größere Anzahl an Missionaren, Diakonissen, Ärzten, Lehrern und Handwerkern in ferne außereuropäische Gebiete, um das Evangelium unter den „Heiden“ zu verkünden und sie zum Christentum zu bekehren. Unter diesen „Sendboten“ waren ab 1893 auch Missionare der evangelisch-lutherischen Leipziger Missionsgesellschaft, die am Kilimandscharo im deutschen Kolonialgebiet Ostafrikas und damit an einem im deutschen Kaiserreich prominenten Ort versuchten, die Chagga von ihrer Botschaft zu überzeugen. In engem Zusammenhang mit kolonialen Eroberungen hatte eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Außereuropäischen auf den verschiedensten Wissensgebieten eingesetzt. Ausgehend von England hatte sich die Religionsgeschichte als akademische Disziplin durchgesetzt. Religionsgeschichtliche Methoden fanden über die religionsgeschichtliche Schule Eingang in theologische Fakultäten, die wie kaum eine andere Disziplin dadurch gespalten und in öffentliche Kontroversen um das „Wesen des Christentums“ verstrickt wurden. Dass gerade das Themenfeld „Religion“ zeitgenössisch eine solche Sprengkraft hatte, verwundert zunächst, gilt doch das 19. Jahrhundert zumeist als Jahrhundert der Säkularisierung, der „Entzauberung“. Im gleichen Zuge wie die Moderne, rationalistischer Zeitgeist und Fortschritt beschworen wurden und Religion an den Rand gedrängt schien, hatte sich im deutschen Kaiserreich eine „Missionszeit“ in noch einem anderen Sinne formiert: Den Klagen über mangelnden Kirchenbesuch und einen Relevanzverlust der Kirche standen zahlreiche Initiativen und Vereine gegenüber, die sich innerhalb des Kaiserreichs für eine Rückbesinnung auf das Christentum einsetzten und die die durch die Moderne vermeintlich ausgelöste „Krise“, in die die Gesellschaft gestürzt schien, abzumildern suchten. Die Wahrnehmung der Krisenhaftigkeit beförderte dabei einen Prozess, der zu einem engeren Zusammenrücken kirchlicher Kreise führte. In der lutherischen Kirche bildete sich ein enges Netzwerk von Vereinen und Verbänden, Theologieprofessoren und Pastoren, das auch die Leipziger Missionsgesellschaft, die zeitgenössisch den Anspruch erhob, die lutherische Mission zu sein, umspannte. Beide eng miteinander verwobenen Ent-
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wicklungen hatten schließlich dazu geführt, dass sich innerhalb der kirchlich-konservativen protestantischen Theologie eine in direkter Abwehr zur Religionsgeschichte positionierte Subdisziplin etablieren konnte, die sich der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Mission widmen sollte. Von Beginn an war die Missionswissenschaft nicht nur als Wissenschaft konzipiert, die die Ausbreitung des Christentums in historischer Perspektive respektive die Bemühungen auf den verschiedenen Missionsgebieten beleuchten und systematisieren sollte. Ein wesentlicher Beitrag dieser Disziplin, die in ihrer Anfangszeit weit weniger an der Universität als vielmehr in der Kirche oder kirchennahen Verbänden und Konferenzen beheimatet war, sollte es sein, die Beschäftigung mit der Mission innerhalb der Kirche und unter den (protestantischen) Gläubigen anzuregen. Es entfaltete sich so eine doppelte Stoßrichtung von Mission(swissenschaft) in der Heimat: Pastoren sollten in praktisch-theologischer Hinsicht von der Mission lernen; die Beschäftigung mit der Mission, Bekehrungsgeschichten oder Berichte von zu Glaubenshelden stilisierten Missionaren zielten zudem direkt auf das heimische Publikum ab, das sich – befördert von dem in den diversen Publikationen und Veranstaltungen intensiv bedienten Interesse am Außereuropäischen beziehungsweise Kolonialen geleitet – der Mission zuwenden und so auch zurück zum Christentum finden sollte. Von der Mission, die nicht zuletzt dadurch ihr „Aschenbrödeldasein“ überwinde, gehe, so der Konsens, ein „rückwirkender Segen auf die Heimat“1 aus. Insbesondere, dass Missionare eine auf das „Wesen des Christentums“ konzentrierte Botschaft vermittelten, sollte auch der heimatlichen Kirche zugute kommen. Missionarinnen und Missionare hatten einen klaren Auftrag: die Verbreitung des Evangeliums. Als Beobachter eines Wandels des Religiösen, als Teilnehmer an öffentlich geführten Debatten um theologische Inhalte und als Mitglieder eines regionalübergreifenden lutherischen Netzwerks nahmen Missionarinnen und Missionare nicht nur Anteil an einer Revitalisierung des Religiösen und einer globalen Vernetzung, sondern waren auch maßgeblich daran beteiligt, mit lokalen Akteurinnen und Akteuren, die sie zu missionieren suchten, auszuhandeln, was als „religiös“, was als „heidnisch“ und was als „säkular“ galt. Um andere zu missionieren, mussten Missionare festlegen, was die essentiellen Bestandteile des Christentums sein sollten, zumal sich ihre Vorstellungen in Kontakt mit lokalen religiösen Vorstellungen beweisen mussten. Die Grenzziehungen der Missionare zwischen dem christlich Religiösen, dem „Heidnischen“ oder dem Säkularen dienten dazu, eine Missionskirche zu etablieren, die erstens zu den lokalen Vorstellungen der Chagga passte und zweitens immer noch den Ansprüchen einer der Denomination nach lutherischen Kirche genügte. In den Missionsgebieten nahmen auf diese komplexen und vielschichtigen Grenzziehungsprozesse jedoch nicht nur die Missionare Einfluss, sondern vor allem auch diejenigen, die sie zu missionieren suchten; aber auch Kolonialfunktionäre, andere intermediaries oder Muslime spielten in 1
Warneck, Mission in der Schule, 5.
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diesen Aushandlungsprozessen mehr oder weniger direkt eine Rolle. Hinzu kam, dass Debatten im Kaiserreich um Religion und Theologie auf Vorgänge und Entscheidungen im Missionsgebiet einwirkten. Gefragt wurde mithin in der Studie, welchen Einfluss diese Debatten auf die Dynamiken im Missionsgebiet zeigten, aber auch wie Mission auf diese Debatten zurückwirkte. Eine Analyse der Aushandlungsprozesse von Religion im Missionsgebiet der Chagga gibt damit auch Aufschluss über Vorstellungen und Definitionen von Religion und von Christentum im 19. Jahrhundert in einer nicht nur auf Mission beschränkten Perspektive. In zahlreichen Forschungen der letzten Jahre wurde der Beitrag von Missionaren zu den sich just firmierenden Wissenschaften des Außereuropäischen hervorgehoben. Dieser Wissenstransfer war eng verwoben mit Definitionen und Grenzziehungen des Religiösen. Forschungen zu anderen Religionen oder zu religiösen Praktiken von zu missionierenden Völkern wurden von Missionaren im Feld, aber auch von Theologen beziehungsweise Theologiestudierenden nicht aus einem positivistischen Interesse heraus vorgenommen. Die Erforschung des Kolonialen, so hat es Edward Said eindrücklich herausgestellt, war nicht unpolitisch oder gar unschuldig – und sie war immer bestimmt vom „Eigenen“.2 Dies gilt insbesondere für die religionswissenschaftliche Forschung der Missionare, die erstens von einem apologetischen Standpunkt aus überhaupt nur vorgenommen wurden zweitens bestimmt war von theologischen Ansichten der Missionare und drittens kolonialen Mustern außereuropäischer Wissenspräsentation folgte. Der Missionar Johannes Raum griff beispielsweise so in das Manuskript eines christlichen Lehrers ein, dass es Antworten auf Fragen gab, die einem europäischen und damit christlichen Religionsverständnis entsprachen. Die Leipziger Missionare wirkten damit an der Diffusion eines europäischen, durch den Protestantismus geprägten Religionsbegriffes mit. Sie nutzten dafür religionswissenschaftliche Kategorien und Begriffe, deren Inhalte und Definitionen sie zur gleichen Zeit mit formten. Die missionarische Forschung war Teil missionswissenschaftlicher und religionswissenschaftlicher Diskurse um Religion, Aberglauben und Magie, wie sie im 19. Jahrhundert geführt wurden, und sie war bestimmt von konfessionellen und theologischen Standpunkten. Was das „Heidentum“ sein sollte, war damit auch immer abhängig davon, in welchem Verhältnis es zum Christentum stehen sollte. Missionare leisteten in ihren ethnographischen Forschungen, die Grundlage jedweder Missionsarbeit sein sollten, damit eine Synthese von Theorien des Religiösen. Den religionswissenschaftlichen Forschungen lag, so kann in Anlehnung an Friedrich Wilhelm Graf argumentiert werden, ein „gegenwartsbezogener Subtext“ zugrunde, der die missio2
Diese Einsicht wurde bereits früh von Said, Orientalism formuliert. Zum colonial knowledge als Wissen, das von der Form und vom Inhalt her aus den Kolonien heraus produziert wurde und Ausbeutung, Handel, Eroberung und Kolonisierung begünstigte, siehe insb. auch Tony Ballantyne, Colonial Knowledge, 178, Bernhard S Cohn, Colonialism and its Form of Knowledge. The British in India, Princeton 1996.
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narischen Erkenntnisse über die Religion der Chagga mit Diskursen über die „Krise“ vom Christentum im Kaiserreich in Beziehung setzte.3 Nicht nur anhand der Debatte von Troeltsch und Warneck um die Auslegung des Missionsbefehls und die richtige Missionsmethode lässt sich nämlich zeigen, wie omnipräsent wissenschaftliche Auseinandersetzungen innerhalb der Theologie auf die Mission wirkten und welchen Stellenwert das Themenfeld Mission in der theologischen Debatte einnahm. Gerade im Kontakt mit anderen Religionen stand die Stellung des Christentums im Gefüge der Weltreligionen infrage. Die Konzeption der protestantischen Missionswissenschaft in der kirchlich-konservativen Prägung, ihre wissenschaftliche Ausrichtung und letztlich die damit zusammenhängende Zielrichtung von Mission war es dementsprechend, die Absolutheit des protestantischen Christentums zu beweisen. Sie wurde daher von den Missionsvertretern in ihren religionswissenschaftlichen Forschungen ebenso verteidigt wie in Konflikten um die Beschneidung, in denen sich die Leipziger Missionare beharrlich weigerten, die jüdische Beschneidung mit der als „heidnisch“ charakterisierten Beschneidungspraxis der Chagga in Verbindung zu bringen. Was die lokale Bevölkerung – Lehrer, Gehilfen und Informanten – den Missionaren über die Beschneidung berichteten (oder eben auch ausließen), nahm somit Einfluss auf einen transnationalen Aushandlungsprozess, in dem mitbestimmt wurde, was als „christlich“, was als „heidnisch“ und was als „säkular“ galt. Im kolonialen Alltag wurden die Grenzen zwischen Religiösem und Säkularem immer wieder verschoben.4 Kolonialpropaganda, öffentliche Beiträge von Missionsvertretern auf Kolonialkongressen und Missionsveranstaltungen, die sich an eine kolonialfreundliche Öffentlichkeit richteten, versuchten zumindest auf der Oberfläche über Topoi wie „Sittlichkeit“ und „Kultur“ eine Einigkeit von Missions- und Kolonialvertretern herzustellen. Gleichzeitig wurden hier jedoch Interessensbereiche und Machtsphären ausgehandelt, die nicht nur den Einflussbereichen von Missionaren auf den Schulunterricht in den Kolonien betrafen, sondern auch das Verhältnis von Kirche und Staat beziehungsweise den Einfluss des Christentums auf koloniale Herrschaft. Gerade an diesen Konflikten zeigt sich, dass eine vermeintlich eindeutige Grenze zwischen dem Religiösen und Säkularen immer wieder verschoben oder durchlässig wurde, wenn sich die Umstände änderten oder andere Akteure hinzukamen. Deutungsmacht für sich reklamieren konnten die Missionsvertreter, sei es im Missionsgebiet oder sei es in Europa, immer dann, wenn sie für sich die Position einer moralischen Autorität in Anspruch nehmen konnten. Indem Missionsvertreter eine wichtige Stellung für die Mission in den Kolonien reklamierten und dabei durchaus auch vor Maßregelungen der Kolonialbeamten, denen es an einem „christlichen Lebenstil“ zu fehlen schien,
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Graf, Wiederkehr der Götter, 137. Habermas, Skandal in Togo, 26.
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nicht zurückschreckten, forderten sie gleichzeitig im Sinne der Erlanger lutherischen Ethik eine größere Relevanz von Christentum, Religion und Kirche in der Gesellschaft des Kaiserreichs. Abgrenzungen zwischen dem Säkularen und Religiösen waren deswegen in der Mission gleichzeitig bestimmt von der theologie-politischen Stellung der Missionare, die eine Absolutheit des Christentums voraussetzte und verteidigte. Die von ihnen formulierten Ansprüche an die Kolonialmacht setzten jedoch voraus, dass sie selbst ihren eigenen Anspruch, den religiösen Auftrag immer an die erste Stelle zu setzen, erfüllten. Nicht zuletzt deswegen musste Missionar Bleicken letztlich seinen Dienst als Missionar quittieren. Die vermeintlichen Gefahren, die vom Islam ausgingen, und die gegen ihn ins Feld geführte Kampfesrhetorik sollte verhindern, dass allzu viele Posten mittlerer Beamter und Aikiden mit Muslimen besetzt wurden. Die Abwertung des Islam, indem man muslimische Praktiken mit „heidnischem Aberglauben“ vermischte, unterstrich dabei abermals die Stellung des Christentums: Allen Klassifizierungssystemen und Thesen von Weltreligionen zum Trotz galt auch hier, was gegenüber den indischen Religionen oder dem „Heidentum“ im Generellen gelten sollte, nämlich dass das Christentum als einzige Religion in der Lage sei, Weltreligion zu sein. Missionare galten zeitgenössisch als diejenigen religiösen Akteure, die sich über das Wesen des Christentums, seinen „Kern“ besonders klar sein müssten. Doch worin bestand diese vermeintlich klare Botschaft? Wie wurden welche Aspekte vom Christentum in der Mission vermittelt und wie korrespondierte diese Verkündigung mit zeitgenössischen Wesensbestimmungen des Christentums? Wichtigster Bezugspunkt für die lutherischen Missionare blieb die Bibel. Die Bibel wurde im 19. Jahrhundert zu einem Objekt des globalen Protestantismus. Zahlreiche Bibelgesellschaften finanzierten und unterstützten Bibelübersetzungen und Drucke, und so war es auch eine der wichtigsten Aufgaben der Leipziger Missionare, das Evangelium mithilfe sogenannter „Sprachgehilfen“ in die lokale Sprache zu übersetzen. Innermissionarische Debatten um die Sprache, in die übersetzt werden sollte, bildeten nur eine Schwierigkeit. Bibelübersetzungen waren maßgeblich von der Frage geprägt, welcher Text als „Originaltext“ zugrunde gelegt werden sollte. Theologische Debatten um die Bibel, ihre Echtheit und Auslegungsmethode führten dazu, dass die Mission und die von ihr vertretene theologische Richtung die Bibel immer stärker verteidigten. Je mehr die „moderne“ Theologie an einer Entzauberung der Heilsgeschichte arbeitete, desto stärker rückten die Missionsvertreter die Bibel ins Zentrum. Bei der Missionierung wurde die Bibel daher erstens wegen ihrer kirchenstiftenden Funktion unerlässlich, zweitens bildete die Bibel immer häufiger die Vorlage für eine erfolgreiche Missionierung und Kirchenführung. Die Bemühungen der Leipziger Missionare waren, wie die Analyse zeigen konnte, Teil von Diskursen, die in Afrika und Europa in Missionswissenschaft und Theologie um die Bedeutung der Bibel, die Verkündigung christlicher Inhalte und die richtige Predigtweise in der Moderne geführt wurden. Die Bemühungen der Mission, die von ihr vorgenommenen Grenzziehungen und methodischen Überlegungen
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um den Einsatz von Bildern oder Liedern wurden in diesen Debatten häufig zum Vorbild. Die Bedürftigkeit der heimatlichen Gemeinden nach Innerer Mission ließ die Theologen nicht selten auf die Äußere Mission schauen. Das von den Missionaren verfolgte Theologiekonzept schlug sich dabei im Umgang mit der Bibel nieder, und zwar in mehrfacher Weise: Erstens wurden europäische theologische Debatten um den Text der Bibel in der religiösen Unterweisung nicht thematisiert, sondern der letztlich von den Missionaren kanonisierte Text als „Wort Gottes“ verkündet. Die dadurch hergestellte Eindeutigkeit der Bibel und ihrer Botschaft, die vor allem auf die Heilsgeschichte reduziert wurde, sollte zweitens in der inhaltlichen Verkündigung durch eine entsprechende Auswahl biblischer Geschichten unterstützt werden. Dies korrespondierte mit zeitgleich angestellten Überlegungen der Religionspädagogik. Dass religiöse Unterweisung dabei auch die Unterweisung in einem christlichen Lebensstil meinte, wird insbesondere anhand der Mädchenerziehung, die zunächst von Missionaren und insbesondere deren Ehefrauen, dann aber auch von Diakonissen übernommen wurde, deutlich. Die Etablierung eines christlichen Familienideals, in dessen Kern die monogame Ehe stand, und einer damit verbundenen europäischen Geschlechterordnung war wesentlich verknüpft mit der Erziehung von Mädchen; sie stellte einen erheblichen Eingriff in die sozialen Lebens- und Arbeitsformen der Chagga dar. Im Missionsgebiet fand die Bibelübersetzung innerhalb des spezifischen kolonialen Machtgefüges statt. Der Umgang mit der Bibel, das gedruckte Buch und die eingesetzten Bilder trugen dazu bei, dieses Machtgefüge zu stabilisieren. Dementsprechend strichen die Berichte, Artikel und Abhandlungen die Stellung der Missionare im Prozess der Bibelübersetzung so sehr heraus, dass sie fast als einzige Akteure erschienen; sie verschwiegen dabei allerdings, dass die Bibelübersetzung und die religiöse Unterweisung im Missionsgebiet von den zu Missionierenden aktiv mitgestaltet wurde. Tatsächlich war das gedruckte Buch das Produkt eines vielgestaltigen kommunikativen Aushandlungsprozesses, war doch der Unterricht in der Mission der Raum, in dem die Übersetzungen zu Gehör gebracht, erprobt und verbessert wurden. Die von den Missionaren verkündeten Inhalte konnten dabei von den Schülerinnen und Schülern nicht nur nicht angehört, sondern auch ausgelacht werden. Nachfragen und aktuelle Situationen im Missionsgebiet machten nicht selten eine Anpassung des vermittelten Stoffes nötig. Imitationen der Missionare, beispielsweise durch den chief Mbararia, sorgten dafür, dass den Missionaren die Macht über die Deutung der Bibel immer häufiger entglitt und sich die Botschaft von ihrem schriftlichen Übertragungsweg löste. Kaum überschätzt werden kann für den Prozess der religiösen Unterweisung die Rolle lokaler „Sprachgehilfen“ und „Lehrgehilfen“ wie Kanina oder Stefano, die bereits früh – teilweise vor ihrer Taufe – auf abgelegenen Außenstationen selbständig unterrichteten oder den Missionar bei Abwesenheit auf der Hauptstation vertraten und hier ihre eigene Interpretation vom Christentum zu Gehör bringen konnten. Dass sich die Leipziger Mission erst sehr spät nach dem Ersten Weltkrieg dazu entschloss,
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diese „Gehilfen“ zu Pastoren auszubilden, zeigt das Misstrauen, mit dem sie diesen dennoch für die Mission unbedingt notwendigen lokalen Akteuren begegnete, und gibt so indirekt Hinweise darauf, wie groß der Einfluss dieser lokalen Elite auf die Verkündigung christlicher Inhalte und damit auf die Ausbildung einer lokalen Ausprägung vom Christentum insgesamt war. Nur wenige Jahre nachdem die Leipziger Missionare in dem Missionsgebiet am Kilimandscharo erste Bekehrungsversuche unternommen hatten, sahen sie sich mit dem Problem der Übertragung des Taufrituals in den ostafrikanischen Kontext konfrontiert. Es galt, das Taufritual derart anzupassen und in den lokalen Kontext zu übersetzen, dass es verständlich wurde und dennoch wirksam blieb. Anhand der Erstellung der Taufordnung im Missionsgebiet ließ sich zeigen, wie die Missionare bestrebt waren, ein Ritual zu etablieren, das sich einerseits an europäischen Vorstellungen und theologischen Bedeutungen messen lassen konnte, das aber andererseits im Missionskontext zunächst unbekannt war und deswegen bedingt durch den Ritualtransfer an lokale Kontexte angepasst werden musste. Dies rief wiederum neue Dynamiken hervor. Im Zuge dieses Ritualtransfers wurden nämlich Elemente, beispielsweise das Katechumenat, basierend auf Erfahrungen aus anderen Missionen und von anderen Missionsgebieten neu ‚designt‘, um ein verständliches und ansprechendes Taufritual für die Chaggagemeinde zu schaffen. Der Katechumenat als liminale Phase innerhalb des Taufprozesses sollte die religiöse Unterweisung der Täuflinge sichern und die Taufwürdigkeit des Einzelnen bestätigen. Das designte Ritual, in das eine theologische Positionierung in Bezug auf das Apostolikum ebenso eingeschrieben wurde wie die Betonung der Konfession, zeigt abermals die Verflochtenheit der missionarischen Praktiken mit Debatten im Kaiserreich; sie offenbart aber gleichzeitig die Unsicherheit der Missionare im Missionskontext und vermisst mögliche Gestaltungsspielräume der Chagga. Nicht zuletzt um diese einzugrenzen, wurde in den Missionsgemeinden eine detaillierte und rigorose Gemeindeordnung eingeführt. Kirchenzucht sollte die „Sittlichkeit“ der Gemeindemitglieder sicherstellen und eine von den europäischen Akteuren als „christlich“ definierte Lebensweise durchzusetzen helfen. Unterschiedliche Auffassungen über die Rolle der Kirchenzucht zwischen Missionsgesellschaft und Missionaren, aber auch über die Bedeutung des Christseins zwischen Missionaren und Christinnen und Christen führten jedoch immer wieder zu Spannungen und Dynamiken. Zwar akzeptierten die Christinnen und Christen aus Mamba grundsätzlich die Macht der Gemeinde und die Jurisdiktion der Kirchenältesten, sie begriffen ihre Zugehörigkeit zur Gemeinde aber als durchaus flexibel und nutzten beispielsweise vermeintlich „heidnische“ medizinische Praktiken, wenn es ihnen notwendig erschien. Dadurch, dass sich im Missionsgebiet für die besonders häufigen Vergehen gegen christliche Normen von Sexualität recht schnell ein standardisiertes Bestrafungsverfahren im Rahmen der Kirchenzucht etabliert hatte – das durchaus der eigentlichen Konzeptionierung von Kirchenzucht als Seelsorge widersprach –, konnten die Gemeindemit-
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glieder sich nicht nur der mit der Zuchtordnung angestrebten Sozialdisziplinierung entziehen, sondern das Verfahren sogar taktisch nutzen, um beispielsweise Eheprobleme zu lösen. Doch nicht nur die einfachen Christinnen und Christen waren an der Aushandlung von Kirche und Gemeinde im Missionsgebiet beteiligt. Die gewählten Ältesten der Gemeinde, eine der ersten sichtbaren Institutionen einer zu gründenden selbstständigen Volkskirche, übernahmen in der Ausübung der Kirchenzucht wichtige Funktionen. Sie etablierten sich in der Gemeinde neben beziehungsweise mit den Lehrern als christliche Elite, deren Gestaltungsspielraum und Einfluss im Laufe der Zeit deutlich zunahm. Der Kirchenbau in Mamba, der zu einem Symbol des Fortschritts für die ganze Chagga-Mission werden sollte,5 illustrierte die Abweichung zwischen den Ansprüchen der Missionare, die nicht zuletzt tief beeinflusst waren von theologischen Konzepten und einer konfessionellen Ausrichtung, und den Schwierigkeiten ihrer Umsetzung, die sich aus der Abhängigkeit von Arbeitskräften und deren Arbeitswilligkeit ergaben. Hier wird deutlich, wie das Christentum durch europäische Einflüsse und Raumvorstellungen geprägt war6 und gleichzeitig die Gemeinde in einem „eigensinnigen Prozess“7 ihr eigenes Selbstverständnis einfließen ließ. Die in der Mission erbauten Kirchenräume sollten dem Konzept von Gemeinde und Sakralität, kurz der symbolischen und sozialen Ordnung, wie sie für die Missionare als christlich galt, entsprechen. Das Innere der Kirchen entsprach deswegen theologie-politischen Entwürfen eines Kirchenbaus, die durch konfessionelle Symbole zusätzlich unterstrichen wurden. Die gleichzeitige Nutzung der Bauten als Kirchen und Schulen erschwerte jedoch die eindeutige Charakterisierung der Kirchen als „heilige Räume“ und machte eine beständige Sakralisierungsarbeit aus Sicht der Missionare nötig. Feierliche und vor allem für Christen exklusive Gottesdienste, Liturgik und Gesang sollten einen Raum hervorbringen, der der christlichen Ordnung und dem missionarischen Konzept von Gemeinde entsprach. Gleichzeitig wurde dieses Konzept jedoch nicht zuletzt durch die Aneignung des Kirchenraums immer wieder ausgehandelt, verändert und an lokale Bedürfnisse angepasst. In den stark redigierten Missionspublikationen wurde dies jedoch häufig verschwiegen und stattdessen von der besonderen Frömmigkeit der Vielen berichtet. Darstellungen von vollen Kirchen und ein frommer Lebenswandel der „Heidenchristen“ führte der einheimischen Leserschaft ein Ideal von Frömmigkeit vor Augen, das in der Heimat seinesgleichen zu suchen schien. Missionare wurden zu Glaubens-
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Paul Fleisch, Lutheran Beginnings around Mt. Kilimanjaro. The First 40 Years. Hg. von Ernst Jaeschke, Erlangen 1998, 72. Siehe dazu für die katholische Seite Egger, Transnationale Biographien, 311. Michaela Marek u a , Von der Künstlerschöpfung zum multiauktorialen Werk. Großstädtischer Kirchenbau und der Wandel des Architekturbegriffs in der Ära der Modernisierung, in: Denkströme. Journal der Sächsischen Akademie der Wissenschaften 9 (2012), S. 44–78.
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helden stilisiert. Als Organisatoren des immer umfassender werdenden Gemeindelebens rückten sie nicht nur in die Nähe der Pastoren, sondern führten diesen auch vor, wie eine Gemeinde stärker an die Kirche gebunden werden konnte. Missionspublikationen hielten der Herkunftsgesellschaft der Missionare einen Spiegel vor und entwarfen dadurch ein spezifisches Bild von Mission, das mehr von heimatlichen Debatten und Bedürfnissen bestimmt war als von der konkreten Situation vor Ort. Theodor Christlieb, Martin Kähler oder andere konnten gerade deswegen immer wieder auf die Mission und auf die Erfahrungen aus dem Missionslabor verweisen, sei es, wenn es um die Bedeutung von Taufen ging, wenn homiletische Ansätze in der Theologie diskutiert wurden oder wenn über eine Wiedereinführung von Kirchenzucht in der Theologie oder auf den Landessynoden der lutherischen Kirchen debattiert wurde. Deutlich explizierter als die meisten Theologen und Missionswissenschaftler nutzte Bruno Gutmann seine Erfahrungen als Missionar und seine ethnographischen Forschungen, um für eine Umgestaltung von Kirche und Gesellschaft in der Heimat zu plädieren. Gutmann entwickelte auf der Basis seiner Beobachtungen zu den Chagga eine Theologie „urtümlicher Bindungen“, die eine Reform des europäischen Christentums anstrebte. Seine Arbeiten verwiesen dabei nicht nur auf die Mission im Allgemeinen, sondern direkt auf die Chagga; sie stellen das wichtigste Beispiel dafür dar, wie die Missionare selbst nicht nur in ihrem Missionsgebiet tätig waren, sondern gleichzeitig auch an einer Reform der in eine Krise gestürzt scheinenden Kirche in der Heimat arbeiteten. Nicht nur an diesem Beispiel wird also deutlich, dass die Missionsgebiete mit ihren vorgenommenen Grenzziehungen des Religiösen und Aushandlungsprozessen des Christentums in den zeitgenössischen theologischen und innerkirchlichen Debatten als „Laboratorien“ galten, in denen alternative konservative Entwürfe von Kirche und Gemeinschaft erprobt wurden und schließlich als Lösungsvorschläge in die Debatte um Religion und Moderne mittels wissenschaftlich-theologischer Beiträge ebenso wie über die Frömmigkeit weiter Kreise ansprechende Missions- und Kirchenzeitschriften eingespeist wurden. Verschiedene Arbeiten haben sich in den letzten Jahren mit dem Themenfeld Religion in postsäkularer Perspektive auseinandergesetzt. Die in dieser Studie vorgenommene Konzentration auf Akteurinnen und Akteure und ihre Praktiken kann erstens zeigen, wie komplex und vielschichtig diese Abgrenzungen waren. In der Mission verhandelten verschiedene Akteure in unterschiedlichen Kontexten und zu unterschiedlichen Zeiten und nahmen so Einfluss auf Definitionen des Religiösen. Was als „religiös“, was als „christlich“, „säkular“ oder „heidnisch“ galt, wurde konstant verhandelt und die Grenzen in alltäglichen Praktiken immer wieder verschoben, neu gezogen oder außer Kraft gesetzt. Aushandlungsprozesse des Religiösen waren dabei eng verwoben mit Aushandlungen von Geschlecht, Rasse oder Klasse. Zweitens und eng damit verknüpft sind Aushandlungsprozesse des Religiösen, des Säkularen respektive des Christlichen und „Heidnischen“ immer beeinflusst von unterschiedlichen Machtpositionen. Machtgefälle, wie sie in der Struktur einer ko-
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lonialen Gesellschaft eingezogen waren, blieben in der Mission wirkmächtig und beeinflussten auch die hier analysierten Aushandlungsprozesse des Religiösen. Dies gilt auch für durch den Kolonialismus geprägte Denkmuster, die nicht selten den Blick der Missionare auf die von ihnen bekehrten Christen als „Heidenchristen“ bestimmten. Bereits dieser zeitgenössische Terminus beschreibt, wie groß das Misstrauen der Missionare gegenüber den afrikanischen Christinnen und Christen war und wie sehr sie diesen aberkannten, wahrhaft bekehrt zu sein. Die lokale Bevölkerung entschied in nicht seltenen Fällen über die Erlaubnis der Anwesenheit von Missionen und sie nahm wesentlichen Anteil daran, welche Form vom Christentum in welchen Kontexten und durch wen überhaupt weitergegeben wurde. Nicht zuletzt – dies zeigen unter anderem die Beispiele der Bibelübersetzung, des Unterrichts und der Ältestenversammlungen – wäre die Versorgung der Missionsgemeinden und die Etablierung einer „Volkskirche“ ohne die Mitarbeit der lokalen Bevölkerung gar nicht möglich gewesen. Aushandlungsprozesse des Religiösen, sei es im Missionsgebiet oder im Kaiserreich, waren also eng verbunden mit Kämpfen um Deutungsmacht. Eine Geschichte von Aushandlungsprozessen des Religiösen respektive des Christlichen im Sinne des Christianity Making gewinnt drittens durch eine verflechtungsgeschichtliche Perspektive. Missionare, so das Argument dieser Studie, nahmen aktiv an Debatten im Kaiserreich teil, wie sie in Wissenschaft und Öffentlichkeit geführt wurden. Damit wird nicht nur ein weiteres Mal die zeitgenössische Perspektive auf Missionare als isolierte Agenten einer Zivilisierungsmission durchbrochen, sondern auch eine komplexere Analyse von Dynamiken im Missionsgebiet möglich. Unterschiede und Schwerpunktsetzungen im Missionsgebiet werden erst sichtbar, wenn sie in Beziehung gesetzt werden zu theologischen Positionen und Debatten im Kaiserreich. Missionsgesellschaften waren globale Unternehmen einer sich im 19. Jahrhundert zunehmend vernetzenden „protestantischen Internationalen“. Erfahrungen aus anderen Missionsgebieten – im Falle der Leipziger Mission bot insbesondere das indische Missionsgebiet der Gesellschaft eine erste Folie an – wurden reflektiert, übernommen, angepasst oder verändert. Insbesondere die Missionswissenschaft trug maßgeblich dazu bei, Erfahrungen und Ergebnisse aus dem „Missionslabor“ von spezifischen Kontexten zu lösen und in einen allgemeineren Zusammenhang zu stellen. Für eine weiterführende Geschichte von Missionen kann es deswegen lohnend sein, diesen Vernetzungen, auch über Konfessionsgrenzen hinweg,8 eine größere Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Missionsgesellschaften waren viertens moderne Medienunternehmen. In verschiedenen, häufig zielgruppengerecht zugeschnittenen regelmäßig erscheinenden Periodika und Buchreihen befriedigten sie das Bedürfnis ihrer Unterstützerinnen und Unterstützer nach Geschichten vom Außereuropäischen und von Erbauung; mis8
Siehe dazu die ersten Ergebnisse in Hölzl/Wetjen, Negotiating the Fundamentals.
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sionswissenschaftliche und theologische Periodika wurden ebenso von ihnen mit „Bildern“ aus der Mission versorgt wie Kirchenzeitschriften. Für eine Verflechtungsgeschichte von Mission sind diese Missionspublikationen ohne Zweifel eine wichtige Quelle. Eine Analyse dieser Quellen muss die verschiedenen Funktionen dieser Missionsberichte und den Redaktionsprozess, den sie durchliefen, miteinbeziehen. Missionspublikationen berichteten nämlich weit weniger von den komplexen Missionierungsbemühungen im kolonialen Umfeld, als sie an die Bedürfnisse ihrer Leserschaft angepasst waren. Vor dem Hintergrund einer zeitgenössischen Wahrnehmung der Krisenhaftigkeit und des Relevanzverlustes von Kirche produzierten sie missionswissenschaftliches respektive praktisch-theologisches Wissen und entwarfen ein Idealbild von Frömmigkeit, Kirche und Gemeinde, dass sich mehr an die Heimat richtete, als vom Missionsgebiet zu berichten. Gerade deshalb waren sie an Debatten im Kaiserreich anschlussfähig. Eine genaue Analyse der Aushandlungsprozesse vor Ort unter Einbeziehung zeitgenössischer missionswissenschaftlicher Debatten kann schließlich fünftens zeigen, dass die Analyse der von der Mission geschaffenen Bilder als Schaffung einer „idyllisch-missionarischen Provinz“ durch den Rückgriff auf „überkommene Strukturen“9 beziehungsweise als Heterotopie, die das alltägliche Leben der ländlichen europäischen Bevölkerung erleichtern sollte,10 zu kurz greift, weil sie das missionarische, auf Veränderung zielende Potenzial vernachlässigt. Berichte in den Missionsblättern, sei es von Missionaren selbst oder anderen Missionsvertretern, auf Missionskonferenzen diskutierte Erfahrungen, missionswissenschaftliche Publikationen oder sich dezidiert an eine theologische Fachöffentlichkeit richtende Publikationen von an Mission interessierten Theologen entwarfen auf der Grundlage dessen, was sie von der Mission lasen, nicht nur ein Bild von der Missionsgemeinde oder schufen und transferierten missionswissenschaftliches Wissen. Die in diesen Medien kolportierten Erfahrungen der Missionare in der Gemeindeführung, von der Überzeugungskraft des Christentums, Missionspredigten und nicht zuletzt die in der Mission vorgenommene Konzentration auf das Wesentliche des Christentums, kurzum die Ergebnisse aus dem Missionslabor, sollten der heimatlichen Kirche dazu dienen, die Krise zu überwinden und die Zukunft in einem christlichen Sinne zu gestalten. Auf Basis von und in Rückgriff auf Mission sollte ein Weg aus der vermeintlichen Krise gefunden und der Kirche und christlichen Religion als Gestalterinnen von Kultur ein wichtiger Platz in der Gesellschaft eingeräumt werden.
9 10
Altena, Ein Häuflein Christen, 271 und Überschrift Kap. 3. Interessanterweise leugnet Altena trotz dieser prominenten Wertung in der Kapitelüberschrift nicht eine Zukunftsvision der Missionare. Habermas, Colonies in the Countryside, 512–513.
Dank Die vorliegende Dissertation wurde im Dezember 2018 an der Georg-August-AugustUniversität Göttingen als Dissertation im Fach Geschichte angenommen. Sie wäre ohne die Anregungen meiner Doktormutter, Professorin Dr. Rebekka Habermas, nicht entstanden. Ihre Wertschätzung ebenso wie ihr beständiger Zuspruch waren und sind mir von unschätzbarem Wert und ich bin unendlich dankbar für alles, was ich von ihr lernen durfte. Professor Dr. Stefan Haas, der mich schon während meines Studiums begleitet hat, danke ich für die Übernahme der Zweitbetreuung und hilfreiche Kommentare. Geschichtswissenschaftliches Forschen wäre ohne die Hilfe von Bibliothekaren und Archivaren kaum möglich. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der SUB Göttingen, der Albertina in Leipzig, der GWLB und der Landeskirchlichen Bibliothek Hannover gilt mein herzlicher Dank. Die Archivarinnen und Archivare der Franckeschen Stiftungen, insbesondere Dr. Jürgen Gröschl und Dagmar Zosel, sind nicht müde geworden, immer neue Bitten und Anfragen um Akten zu bearbeiten, wofür ich mich besonders bedanken möchte. Während meiner Promotionszeit hatte ich zahlreiche Gelegenheiten, meine Überlegungen in verschiedenen Stadien vorzustellen und zu diskutieren. Herzlich bedanken möchte ich mich für alle Anregungen, die ich auf Tagungen und bei Kolloquiumsvorträgen, sei es in Göttingen, Leipzig, Frankfurt, Berlin, Erlangen, San Diego oder San Francisco, erhalten habe. Hervorheben möchte ich dabei insbesondere die von Professor Dr. Adam Jones so liebevoll vorbereiteten, fast familiären Workshops in Polenz. Dem Göttinger Habermas-Kolloquium gebührt sicherlich der größte Dank. Die vielen fachlichen Diskussionen, aber auch der kollegiale und in vielen Fällen freundschaftliche Austausch nicht nur über die Arbeit zählt zu meinen schönsten Erinnerungen an diese Zeit. Annika Dörner, Sara Müller, Sara Frenking, PD Dr. Philipp Müller und Dr. Carolin Kosuch seien hier stellvertretend erwähnt. PD Dr. Richard Hölzl hat meine Arbeit in besonderer Weise begleitet und gefördert. Für gemeinsame Projekte und den wunderbaren Austausch über die Eigenarten der Mission möchte ich mich herzlich bedanken. Mit Linda Ratschiller verbindet mich über die Mission eine herzliche kollegiale Freundschaft und ich freue mich, dass wir nun beide unsere Projekte zum Abschluss bringen. Der Austausch mit ihr und mit Professor Dr. Siegfried Weich-
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Dank
lein war für mich immer wieder bereichernd und ich denke gerne an unsere Treffen in Berlin zurück. Zahlreiche Freundinnen und Freunde haben mich während der Arbeit an der Promotion begleitet. Stellvertretend sei hier den „Göttinger Alumni“, insbesondere Carolin und Christoph Klose, für ihr Verständnis und ihre Nachsicht, wenn ich mich mal wieder über die Kolonialgeschichte ausließ, gedankt. Meine beste Freundin, Dr. Friederike Gatzka, hat das Projekt von den ersten Zeilen des Exposés bis hin zur Vorbereitung der Feier meiner Verteidigung unterstützt. Für unzählige Korrekturen halbfertiger Texte, wunderbare Weinabende und vieles mehr werde ich immer dankbar sein. Es ist schön, dass wir uns bei lateinischen Metrikübungen gefunden haben. Lisa Schneider hat mit ihren Rechtschreibkenntnissen und ihrem Sprachgefühl wesentlich zur Fertigstellung dieser Arbeit beigetragen, wofür ich ihr herzlich danken möchte. Darüber hinaus möchte ich mich bei Professorin Dr. Ulrike Lindner für ihre Großzügigkeit und ihre hilfreichen Hinweise bedanken. Professor Dr. Hubertus Büschel hat die Drucklegung dieser Arbeit wesentlich mit begleitet. Ich freue mich auf viele weitere Projekte mit ihm an der Universität Kassel. Der Studienstiftung des deutschen Volkes möchte ich für die finanzielle und ideelle Unterstützung danken, die ich während meiner Promotionszeit erhalten habe. Die Göttinger Graduiertenschule für Geisteswissenschaften hat den Beginn und den Abschluss des Projektes dankenswerter Weise finanziell erleichtert. Bei den Herausgeberinnen und Herausgebern der Reihe möchte ich mich ebenso sehr herzlich für die Aufnahme des Buches bedanken wie bei Katharina Stüdemann für die freundliche und professionelle Begleitung beim Franz Steiner Verlag. Dem Förderungsfond Wissenschaft der VG Wort Gmbh danke ich für die großzügige Übernahme des Druckkostenzuschusses. Die Fertigstellung dieser Arbeit wäre ohne die Unterstützung meiner Familie nicht möglich gewesen. Meiner Tante, meinen Schwiegereltern und meinem Vater kommt der größte Dank für aufmunternde Worte, großes Vertrauen und unzählige Stunden von Kinderbetreuung zu. Danke! Ferdinand und – wenn auch kürzere Zeit – Charlotte danke ich für ihr Verständnis, wenn Mama mal wieder im Arbeitszimmer verschwunden war, ebenso wie für viele Ablenkungen, Legobauten und gemeinsames Lachen. Ihnen und meinem wunderbaren Ehemann, Dr. Florian Wetjen, der mich in jeder Phase dieser Arbeit immer wieder bestärkt und gestützt hat, sei die Arbeit gewidmet.
Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Das Missionsgebiet der Leipziger Mission vor dem Ersten Weltkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 Abbildung 2: „Götzen am Kilimandscharo“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 Abbildung 3: Johannes-Evangelium in Kimoshi (Einband) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 Abbildung 4: Johannes-Evangelium in Kimoshi (Titelblatt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 Abbildung 5: Missionar Blumer mit einem Stapel Bücher unter dem Arm, zusammen mit Mitgliedern des Kirchenvorstandes . . . . . . . . . . . . . . 209 Abbildung 6: Grundriss einer Kirche für Missionsstation Mamba, 14.9.1900 . . . . 303 Abbildung 7: Seitenansicht der Kirche für die Missionsstation Mamba, 14.9.1900 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 Abbildung 8: Die Kapelle in der Landschaft Mamba . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 Abbildung 9: Das Innere der Kapelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 Abbildung 10: Kirche in Mamba, Tansania, ca. 1909–1914 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 Abbildung 11: Gottesdienstbesucher vor der Kirche in Shigatini, Tanzania, 1913 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 Abbildung 12: Nachfeier beim Erntefest in Mwika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327
Quellen und Literatur Hinweise zur Zitierweise Die Akten des Archivs des Lutherischen Missionswerks, das aus der Leipziger Missionsgesellschaft, hervorgegangen ist, lagern als Depositum in den Franckeschen Stiftungen Halle/Saale. Ihre Zitierweise folgt dem 2007 erstellten Findmittel zu dem Bestand.1 Auf eine Blatt- oder Seitenzählung dieser zumeist unpaginierten Akten wurde verzichtet. Die Angabe der digitalisierten Bestände des Archivs der evangelisch-lutherischen Kirche Tansanias in Moshi folgt auf der Grundlage des 2012 erstellten Findmittels von Monika Rammelt und Antonia Witt.2 Die Namen der afrikanischen Akteurinnen und Akteure und Orte wurde so übernommen, wie sie in den Quellen angegeben waren. Anpassungen bei kleineren Abweichungen in der Schreibweise wurden nur in eindeutigen Fällen vorgenommen. Für die Chagga wurde, bis auf in Zitaten, die heute gängige Schreibweise „Chagga“ benutzt. Zur Kennzeichnung der Sprachen wurde die aus dem Kiswahili stammende Vorsilbe Ki- beibehalten. Bibelzitate, sofern sie nur der Information dienen, folgen, soweit nicht anders angegeben, der Ausgabe der Lutherbibel der Deutschen Bibelgesellschaft von 2017.3 Ungedruckte Quellen Archiv des Lutherischen Missionswerks, Halle/Saale ALMW II.2.2. ALMW II.3.3 ALMW II.6.2.II ALMW II.10.1.1
1 2 3
Protokolle der Generalversammlung Lehrer und Beamte des Hauses Korrespondenzen mit Behörden: Deutsche Reichsregierung etc. Verschiedene Missionskonferenzen
Antje Faßhauer, Findmittel zum Bestand des Evangelisch-lutherischen Missionswerkes Leipzig e. V. im Archiv der Franckeschen Stiftungen, Halle 2007. Monika Rammelt / Antonia Witt u a , Digitized Records of the Evangelical Lutheran Church of Tanzania in Moshi, 5. Aufl., Leipzig 2012. Die Bibel. Nach Martin Luthers Übersetzung. Lutherbibel, revidiert 2017, mit Apokryphen, hg. von der deutschen Bibelgesellschaft, Stuttgart 2016.
Ungedruckte Quellen
ALMW II.10.1.2 ALMW II.10.2.1 ALMW II.11.21 ALMW II.11.22–26 ALMW II.11.31 ALMW II.12.6 + 6c
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Verschiedene Missionskonferenzen Sächsische Missionskonferenz Zur Geschichte des Seminars Sämtliche Seminaristen Seminararbeit Missionslehrerkonferenzen, Lehrermissionsbund, Missionslehrkursus für Lehrer ALMW II.19.7 Kleine Missionsglocke ALMW II.32.3 Station Mamba ALMW II.32.4 Station Mamba. Quartalsberichte, Jahresberichte ALMW II.32.6 Station Moshi. Berichte, Statistiken, Pläne, Hospital, Druckerei ALMW II.32.61 Ordnungen. Kirchen, Gemeinden, Missionare; Statut Chagga, Visitationsordnung, Kirchenzucht. ALMW II.32.70 Korrespondenz über Islam in Afrika ALMW II.32.71 Gutachten der Missionare zur Frage der Beschneidung ALMW II.32.83 Chagga-Mission. Briefe von Leipzig (Copiebuch 1) ALMW, II.32.86 Chagga-Mission. Referate der Chagga-Konferenzen ALMW II.32.92 Chagga-Mission. Protokolle der Chagga-Konferenzen I ALMW, II.32.93 Chagga-Mission. Protokolle der Chagga-Konferenzen II ALMW II.32.94 Chagga-Mission. Protokolle der Chagga-Konferenzen III ALMW II.32.95 Chagga-Mission. Protokolle der Chagga-Konferenzen IV ALMW II.32.96 Chagga-Mission. Protokolle der Chagga-Konferenzen V ALMW II.32.97 Chagga-Mission. Protokolle der Chagga-Konferenzen VI ALMW II.32.98 Chagga-Mission. Protokolle der Chagga-Konferenzen VII ALMW II.32.99 Chagga-Mission. Protokolle der Chagga-Konferenzen VIII ALMW II.32.100 Chagga-Mission. Protokolle der Chagga-Konferenzen IX ALMW II.32.101 Chagga-Mission. Berichte des Missionsrates an das Kollegium der Mission I ALMW II.32.120 Briefe. Missionar Rudolf Bleicken ALMW II.32.129 Mamba. Stationstagebuch I ALMW II.32.130 Mamba. Stationstagebuch II ALMW II.32.131 Mamba. Stationstagebuch III ALMW II.32.229 Chagga- und Kambamission. Instruktionen, Statuten, Gemeindeordnungen etc. für die Chagga- und Kambamission. ALMW II.32.279 Deutsche Kolonialgesellschaft und Nationalkongress ALMW II.32.303 A+B Althaus, Gerhard, Pfarrer ALMW II.32.310 Bleicken, Rudolf, Pfarrer ALMW II.32.341a I, a II, b Gutmann, Bruno, Pfarrer ALMW II.32.402 A+B Raum, Johannes, Pfarrer ALMW II.32.413 Schachschneider, Martin, Pfarrer ALMW II.32.537 Seesemann, Elisabeth, Lehrerin ALMW II.32.541 Schulz, Bertha, Krankenschwester ALMW II.32.547 Vierhub, Elisabeth, Krankenschwester
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Quellen und Literatur
Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde BArch R 1001/848 BArch R 1001/861 + 862 BArch R 1001/996 BArch R 1001/4821
Evangelisch-lutherische Mission Leipzig Streitigkeiten unter den Missionen in Deutsch-Ostafrika wegen der Abgrenzung ihrer Gebiete Bd. 1 +2 Missionsschulen in Deutsch-Ostafrika, Bd. 1 Strafsache gegen den Farmer Bleicken
Archiv der Norddiözese der Evangelisch-lutherischen Kirche Tanzania (ELCT) ELCT 18 ELCT 19 ELCT 20 ELCT 23 + 24 ELCT III
Gemeindeversammlung Mamba Trauungen in Mamba Trauungsanzeigen Mamba Verzeichnis der Taufen Bücher von Missionaren, Gemeindeordnung, Ordnungen und Statuten, Visitationsordnung Berichte an das Kollegium Senior Geschäftsordnung und ähnliche Dinge
ELCT IX ELCT XXVII
Landeskirchliches Archiv Hannover [LkAH] D 33, Gen. BurgW. A. 141IIIa
Bezirkssynode Burgwedel
International Mission Photography Archive Photographs of Emil Müller, 1893–1933, und Photographs of the Leipzig Mission, Germany, 1912– 1917, http://digitallibrary.usc.edu/cdm/landingpage/collection/p15799coll123 (zuletzt eingesehen: 11.12.18).
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Gedruckte Quellen
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Anträge der Bezirkssynode Burgwedel vom 6. Juli 1904, in: Aktenstücke der 7. ordentlichen Landessynode der evangelisch-lutherischen Kirche Hannovers 1905–1906 (1905), Nr. 10, S. 14–15. Anträge des Vierzehner-Ausschusses zum Schreiben des Königlichen Landes-Konsistoriums vom 10. November 1911, betreffend die nach § 64,1 der Kirchenvorstands- und Synodalordnung der Landessynode zu machenden Mitteilungen, in: Aktenstücke der 8. ordentlichen Landessynode der evangelisch-lutherischen Kirche Hannovers 1911 (1911), S. 375–390. Aus den Missionen, in: Deutsche Kolonialzeitung. Organ der Deutschen Kolonialgesellschaft 10 (1897), S. 448. Aus unserer Landeskirche, in: Der Pilger aus Sachsen 77 (1911), S. 219–220. Aus unserer Landeskirche, in: Der Pilger aus Sachsen 78 (1912), S. 38. Aus unserm Missionsseminar in Leipzig, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1891), S. 133–137. Bauarbeit in Schigatini, Aruscha und Mamba, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1910), S. 39–41. Brief eines Dchaggachristen, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1905), S. 19–20. Bücherbericht, in: Der Pilger aus Sachsen 76 (1910), S. 41. Bücherbesprechung: Gottfried Simon, Islam und Christentum, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt 69 (1914), S. 239–240. Das Jahresfest der ev.-luth. Mission zu Leipzig, in: Allgemeine Evangelisch-Lutherische Kirchenzeitung 25 (1892), S. 579–582. Das Jahresfest der Leipziger Missionsgesellschaft, in: Allgemeine Evangelisch-Lutherische Kirchenzeitung 26 (1893), S. 553–555. „Der Freund der schwarzen Leute“. Monatsblatt der ev.-luth. Gemeinden am Kilimandscharo und den Nachbargebieten, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1905), S. 65–66. Der Streit um das Apostolikum. Aus Sachsen, in: Allgemeine Evangelisch-Lutherische Kirchenzeitung 25 (1892), S. 1066–1067. Die Erklärung von Eisenach und Ad. Harnack’s Broschüre, in: Allgemeine Evangelisch-Lutherische Kirchenzeitung 25 (1892), S. 1011–1013. Die Ev.-luth. Mission zu Leipzig, in: Allgemeine Evangelisch-Lutherische Kirchenzeitung 26 (1893), S. 4–6. Die Gefahr der Islamisierung Ostafrikas, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt 1913, 358. Die Innere Mission und das Land, in: Die Dorfkirche. Monatsschrift für Kirche und Volkstum 2 (1909), S. 411–414. Die Kollekte für die Leipziger Mission, in: Der Pilger aus Sachsen 76 (1910), S. 3. Die Leipziger Mission im hundertsten Jahre ihres Bestehens. 117. Jahresbericht und Bericht über die Hundertjahrfeier mit Bildbeilage, Leipzig 1936. Die Missionsstation Mamba. Nach dem Tagebuch des Miss. Althaus in Mamba (Sept. 1895), in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1896), S. 14–20. Die Nationalspende und ihre Wirkung auf unsere Finanzlage, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt 68 (1913), S. 529–531. Die Vollendung des Kirchbaus in Mamba, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1911), S. 12– 14. Die zwei ersten Bücher in der Mundart von Mamba, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1902), S. 105–108. Dorfkinder in der Großstadt, in: Der Pilger aus Sachsen 76 (1910), S. 132.
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Quellen und Literatur
Ein Blick in die Thätigkeit unserer Laienbrüder auf dem Kilimandscharo. Nach den Berichten der Brüder von Lany und Fickert ( Juli bis Dezemb.), in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1901), S. 196–198. Ein neues Feld unserer Missionsarbeit, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1893), S. 4–8. Erklärung des Missionars Göttisching, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1895), S. 35. Erlösung, in: Carl Meusel / Ernst Haack / B. Lehmann (Hg.), Kirchliches Handlexikon. Bd. 2, Leipzig 1889, S. 433–435. Erntefeste, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1912), S. 162–164, 181–182. Evangelium, in: Carl Meusel / Ernst Haack / B. Lehmann (Hg.), Kirchliches Handlexikon. Bd. 2, Leipzig 1889, S. 479. Findet die gegenwärtige groß Missionszeit ein großes Geschlecht in der missionierenden Christenheit?, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1910), S. 137–139. Für Missionsstunden in der Passionszeit, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt 70 (1915), S. 87–88. Ist der Missionsberuf Lebensberuf?, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt 45 (1890), S. 337– 340. Jahresbericht des Herrn Missionars Just, in: Jahresbericht des evangelisch-lutherischen Sächsischen Haupt-Missionsvereins 79 (1898), S. 15–24. Kaiserjubiläums-Spende, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1913), S. 97–98. Kolonialmissionstage, in: Deutsche Kolonialzeitung 28 (1911), Nr. 26, 1.7.1911, 443. Kreuz, in: Kirchliches Handlexikon 4 (1894), S. 104. Kultur, in: Kirchliches Handlexikon 4 (1894), S. 128–129. Lehrpläne und Lehraufgaben für die höheren Schulen in Preußen, Halle (Saale) 1901. Lehrpläne und Lehraufgaben für die höheren Schulen nebst Erläuterungen und Bestimmungen, Berlin 1891. Mboń ndžitša tšando tsindžyende ńi Marko. Das Evangelium St. Marci im Moschidialekt. Hg. sächsische Hauptbibelgesellschaft, Leipzig 1911. Mboṅi ndžitša tsivoḍe sia, tšando tsileendo ṅi Yohane msu. Das Evangelium nach Johannes in Kidschagga, Moschidialekt. Übersetzt von R. Fassmann. Hg. v. Sächsische Hauptbibelgesellschaft, Leipzig 1905. Meißner Konferenz, in: Kirchliches Handlexikon (4) 1894, S. 528. Mission unter den Heiden, in: Kirchliches Handlexikon 4 (1894), S. 617–622. Missionschronik, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1905), S. 529. Missionschronik: I. Aus unserer Mission, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1909), S. 221–223. Missionschronik. April, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt 57 (1902), S. 196–198. Missionschronik. II. Aus anderen Missionen, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1903), S. 464–465. Missionschronik. Januar, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1913), S. 64–66. Missionschronik. November 1900, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1900), S. 556–558. Nachrichten aus der Station Mamba. Aus der Missionschronik von Miss. Schanz – Mamba. ( Januar bis August), in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1905), S. 61–65. Nachrichten aus der Station Mamba. Aus der Stationschronik von Miss. Schanz – Mamba ( Januar bis August), in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1905), S. 61–65. Nachrichten aus Mamba. Aus dem Tagebuch des Miss. Althaus ( Jan.–März), in: Evangelischlutherisches Missionsblatt (1899), S. 284–286.
Gedruckte Quellen
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Nachrichten aus Mamba. Aus der Monatschronik der Missionare Althaus und Krause (Nov.– Dez.), in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1901), S. 153–156. Nachrichten aus Mamba. Auszug aus dem Tagebuch des Br. Althaus (Okt. 1895), in: Evangelischlutherisches Missionsblatt (1896), S. 73–76. Nachrichten aus Mamba. Monatsbericht von Miss. Krause (Oktober 1901), in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1902), S. 101–105. Nachrichten aus Mamba. Monatschronik von Miss. Gutmann in Mamba (4. Quartal), in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1903), S. 182–186. Nachrichten aus Mamba. Nach dem Tagebuch des Miss. Althaus ( Januar und Februar), in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1898), S. 219–223. Nachrichten aus Mamba. Nach dem Tagebuch von Miss. Althaus (Dezember), in: Evangelischlutherisches Missionsblatt (1899), S. 181–185. Nachrichten aus Mamba. Nach den Tagebüchern von den Miss. Althaus und Bleicken (Okt.– Dez.), in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1899), S. 158–161. Nachrichten aus Mamba. Nach der Monatschronik der Miss. Althaus und Bleicken ( Juli bis September), in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1899), S. 32–38. Nachrichten aus Mamba. Nach der Monatschronik der Missionare Althaus und Krause (April bis Juli), in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1900), S. 531–534. Nachrichten aus Mamba. Nach der Monatschronik des Miss. Althaus ( Januar und Februar 1897), in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1897), S. 196–199. Nachrichten aus Mamba. Von Miss. Althaus ( Juli bis November). in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1900), S. 123–126. Nachrichten von der Station Mamba. Aus einem Bericht von Miss. Raum, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1910), S. 554–558. Neue Nachrichten aus der Wadschaggamission. Die Station Mamba, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1901), S. 349–352. Protokoll über die Verhandlungen der Neunten kontinentalen Missionskonferenz zu Bremen am 9., 10. und 12. Mai 1893, Gütersloh 1893. Reisebriefe unseres Missionsdirektors, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1913), S. 49– 54. Rundschau, in: Evangelisches Missionsmagazin 76 (1932), S. 93–96. Stenographische Berichte der Verhandlungen des Deutschen Reichstags, www.reichstagsprotokolle.de, (zuletzt eingesehen: 11.10.18). Ueber schamlose Kinderausbeutung in Deutsch-Ostafrika, in: Vorwärts 27 (19.8.1910), S. 3. Unser Jahresfest am 8. Juni 1892, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt 47 (1892), S. 193–224. Unser Missionsblatt, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1889), S. 48. Verhandlungen der neunten kontinentalen Missionskonferenz zu Bremen am 25., 26. und 28. Mai 1897, Berlin 1897. Verhandlungen der vierten evangelisch-lutherischen Landeskirche im Königreich Sachsen, Dresden 1886, 293–312. Vom deutschen Kolonialkongreß in Berlin 1902, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1902), S. 449–453. Was sollen wir berichten (auf Missionsfesten u. s. w.), in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1890), S. 237–239. Wiederaufnahme des Kirchbaues in Mamba, in: Evangelisch-lutherisches Missionsblatt (1907), S. 325.
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Quellen und Literatur
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Ortsregister D Daressalem 301 Deutsch-Ostafrika (Kolonie) 14 f., 36 f., 54, 79, 88, 114, 129, 142, 148, 156, 161, 164–168, 181, 187, 192, 202, 300 f., 326 Dresden 47 G Göttingen 37, 62, 64, 69, 87, 134, 153, 248, 310 H Halle (Saale) 56, 66, 68, 145, 181, 184, 211 Heidelberg 134 K Kibosho 83, 88, 108 Kilimandscharo 13–15, 28, 61, 79–91, 93, 97–99, 104, 108 f., 145, 156 f., 160, 162, 164 f., 172, 175, 180, 229, 248, 258 f., 277, 299, 301, 304, 326, 334, 339, 358 L Leipzig 14, 41–51, 54, 56, 60–63, 80, 87, 91, 94, 105, 118, 148, 153, 181, 183, 298, 232, 334, 336, 338 Ludwigslust 227
M Madschame 13, 87, 90 f., 118, 156, 162, 165, 194, 222, 301, 338 Mamba 80, 87, 90 f., 97, 117, 123, 156, 188–191, 204, 207, 214–219, 221 f., 229, 240, 245–247, 254, 283 f., 298–303, 308–310, 313, 324, 327 f., 330 f., 333, 335, 358 f. Marangu 83 f., 88, 90 f., 192, 221, 223, 234, 299 f. Moshi 30, 45, 83, 85–88, 90 f., 97 f., 108, 110, 116, 124, 126, 130, 156, 162, 164, 171, 187, 189–191, 206 f., 222, 227, 287, 301, 310, 316, 330, 335, 338 f., 343, 348 Mwika 90 f., 201, 215, 217–219, 221, 283, 288, 301, 326 f. N Neuendettelsau 91, 97, 227, 314 P Preußen 31, 35, 41, 50, 233 f., 267 S Shira 156–158, 317
Namensregister A Abel, Johannes 162–164 Althaus, Gerhard 13, 36 f., 86 f., 90 f., 97, 104 f., 111, 117, 122–124, 153, 156–159, 168, 187 f., 190 f., 196 f., 199, 204, 207, 213, 209, 215, 217–221, 239–246, 256–259, 262, 265–267, 270, 298, 300, 324, 335 Althaus, Paul 35–37, 63, 87, 153–154, 265 Asante, David 205 Axenfeld, Karl 53
F Fabri, Friedrich 141–142 Faßmann, Robert 13, 63, 86, 97, 103, 105, 124, 158, 164, 170, 189–190, 196, 207, 209, 277–282, 316 Fokken, Albert 299, 303 Fokken, Hermann 112, 158, 205 Förster, Emil 166 f., 284 Frank, Franz Hermann Reinhold 63, 153 Fuchs, Hans 158, 256
B Barth, Karl 337 Beck, Johann Tobias 131 Berner, Max 163, 165 Bleicken, Rudolf 155–161, 190, 356 Blumer, Leonhard 208 f. Bodelschwingh, Friedrich von 45, 56–57, 142 Böhme, Franz Albin 86 Bousset, Wilhelm 134, 137–139, 213 Buchner, Charles 70 f., 143 f. Buss, Ernst 250 Büttner, Carl 202
G Graul, Karl 21, 49–51, 53 f., 57, 59, 67 f., 115, 133, 186 f., 274, 335 Grundemann, Reinhold 240–242 Gutmann, Bruno 28, 34, 81, 84 f., 96 f., 100, 104 f., 108–110, 112, 116, 127, 158, 160, 162–165, 171, 190 f., 217, 229, 237, 248–249, 254, 264, 270, 272, 281, 286, 290, 293, 328, 334–351, 360
D Delitzsch, Franz 49, 63 f. Dernburg, Bernhard 146, 161–164 Drews, Paul 40, 250
H Handmann, Richard 48, 120, 146, 262, 270 Harleß, Adolf 49, 63 Harms, Claus 244 Harnack, Adolf von 49, 65, 179, 268 Hashagen, Friedrich 36, 62, 269 Hofmann, Rudolf 118 Hoffmann, Christian Konrad von 63 Hofstätter, Albrecht 48, 62 Hölscher, Wilhelm 31, 45, 48, 51
E Ehrenfeuchter, Friedrich 68 Einsiedel, Detlef, Graf von 45 Erzberger, Matthias 101
I Ihmels, Carl Heinrich 51, 336, 350 Ihmels, Ludwig 37, 63, 148, 216 Ittameier, Eduard 197, 201
C Christlieb, Theodor 133, 251 f., 360
Namensregister
Ittameier, Karl 90, 259 Ittameier, Matthias 85 K Kähler, Martin 104, 131, 174, 183–187, 216, 255, 273 f., 334, 360 Kanina (Stefano) 204, 221, 357 Koimbere 90, 215, 217 f., 298 Klamroth, Martin 176 f. Knittel, Karl 102, 223, 234–236, 312 f., 317, 327 Krause, Arno 91 Krueger, Felix 336 L Lany, Martin von 279, 299, 302, 309 Lengali 298 Luthardt, Christoph Ernst 31, 45, 48–51, 64, 121, 145, 153, 237, 295 Luther, Martin 202, 244 M Marealle von Marangu 84, 90 Mbararia 215, 217, 219 f., 357 Mbuya, Elia 223 Meinhof, Carl 57, 118, 198, 200, 204 Meli von Moshi 87 Merensky, Alexander 118, 122, 170, 176, 178 Meyer, Hans 61, 80, 97 Mirbt, Carl 57, 69 f., 72, 133, 253, 310 Moshi, Ruben 221 Msando, Yohane 98–100, 103, 112 Müller, Emil 13, 86, 118, 123 f., 127, 157–159, 162 f., 165–168, 194–197, 205, 214, 260 f., 270 Müller, Friedrich Max 94, 105
419
R Ratzel, Friedrich 61, 101, 105–107, 112, 334 Raum, Johannes 91, 97 f., 100, 102–105, 108–111, 171, 189, 221–223, 228, 283, 288, 337, 346–348, 350, 354 Richter, Julius 69 f., 140, 154, 172 f., 176, 188, 274, 293 Rietschel, Georg 42, 251 Rindi von Moshi 83 Ritschl, Albrecht 133–135, 179, 212 S Sammy, Gesine 227, 259 Schachschneider, Martin 52, 150–152, 161 Schanz, Johannes 82, 91, 288, 298, 328, 333 Schleiermacher, Friedrich 67, 74, 116, Schnorr von Carolsfeld, Julius 242 Schomerus, Hilko W. 211, 239 Schöne, Andreas 91, 25 Schulz, Berta 52 f., 58, 149, 227, 259 Schwartz, Karl von 13, 16, 35 f., 48, 66, 79, 86, 113, 143–148, 159–162, 164, 190-192, 230, 246, 260, 271 Seeberg, Reinhold 40, 153, 179 Seesemann, Elisabeth 127, 227, 229, 248, 309 Segebrock, Karl 88, 119, 155 Simon, Gottfried 175–178 Sina von Kibosho 83 Spieth, Jakob 55, 203, 205 Stammberg, Fritz 91, 201, 287 f., 326 Stosch, Johann Ernst Georg 70, 73–75, 77, 250 f.
N Njau, Filipo 126
T Tarimo, Anton 223–224 Tönnies, Ferdinand 335 Troeltsch, Ernst 40, 73, 133–140, 236, 269, 355
O Ovir, Ewald 88, 118–121, 155
V Vierhub, Elisabeth 227
P Päsler, Traugott 87 Paul, Carl 62, 66, 148 f., 154, 171 f., 310, 350 Peters, Carl 83, 145, 161 Plötze, Robert 259
W Warneck, Gustav 55, 60, 68–70, 72 f., 75, 77, 107, 124, 130–140, 142, 145, 154, 179–181, 184, 186, 188, 213, 226, 236, 238–241, 251, 254 f., 257, 261, 269, 271, 274, 276 f., 279 f., 290, 301, 323, 337, 352
420
Namensregister
Warneck, Johannes 60 Wärthl, Elisabeth 227 Weishaupt, Martin 125, 148, 298, 300, 302 Wichern, Johann Hinrich 39, 42, 251 Widenmann, August 127 Wundt, Wilhelm 61, 105, 107–109, 341, 343
Z Zahn, Franz Michael 133, 142, 181, 186 f., 212, 232, 236, 239, 258, 265 Zahn, Theodor 63 Zinzendorf, Nikolaus Ludwig Graf von 49, 245
Sachregister A Abendmahl 39, 42, 49, 74, 125, 256, 271, 273, 277, 280–283, 286 f., 295, 348 Aberglauben 32, 93, 106, 110–113, 119–121, 128, 177 f., 354, 356 Absolutheit des Christentums 31–32, 93, 134–140, 174, 178, 355–356 Adiaphoron 53, 116, 120, 125 Aikiden 84, 172, 356 Alkohol 214, 219, 248, 329 Allgemeine evangelisch-lutherische Kirchenzeitung 31, 46, 50, 79, 268, 306 Allgemeine-lutherische Konferenz 35–37, 295–296 Allgemeine Missionszeitschrift 30, 55, 72 f., 131, 133–135, 170, 173, 175, 184, 200, 211 f., 238, 251, 282, 337 Altersklasse 116 f., 339, 342, 346 Altes Testament 66, 70, 104, 122, 124, 131, 195, 203, 206, 209, 211, 215 f., 233, 235–237, 261, 270, 323, 337, siehe auch Bibel Älteste 30, 33, 126, 208 f., 249, 254, 258, 259 f., 263, 277 f., 280, 284–290, 292 f., 317, 358, 361 Animismus 102, 105, 107–110, 138 Apologetik 69, 74, 135, 153 Apostolikum 139, 244, 247, 267–269, 358 – Streitigkeiten um das 138, 267–269 Arabisch 176 f., 184, 198 f. Arbeitszwang 142, 144, 168 Archiv für Religionswissenschaft 97, 100, 102, 112 B Basler Missionsgesellschaft 47, 54, 57, 205, 212, 228 f., 258, 319, 346
Begräbnis 98–100, 102, 106, 277 Bekenntnis, lutherisches 36, 47, 49 f., 61, 64, 74, 131, 232, 269 Bekenntnisunion 35, 41 Bekenntnisschriften 64, 269 Berliner Missionsgesellschaft 47, 52 f., 69, 76, 118, 148, 170, 263 f., 318, 320 Beschneidung – an Jungen 13, 29, 32, 114–128, 204, 216, 338–340, 350, 355 – an Mädchen 127–129, 216 Bethel-Mission (Berlin III) 45, 52, 56, 142, 148, 187, 224, Bibel 20, 32, 59, 61, 64, 69, 71, 74, 120, 125, 129, 131, 133, 137, 154, 180–188, 190, 192–194, 196, 198, 200, 202–203, 205, 207–210, 216, 226, 232–234, 242, 246, 261, 265, 280, 310, 313, 325, 329, 341, 356 f. – Übersetzung der Bibel 32, 74, 180, 183–185, 187, 190–191, 193–195, 201–204, 206, 207, 210, 256, 361 – biblische Geschichten 90, 190, 205, 209, 212–223, 228, 232–237, 240, 243, 253, 258, 261–262, 325, 357 – biblische Namen 194–198, 202, 256, 270 – Bilderbibel 242 – Schulbibel 232–233 Bibelgesellschaften 32, 44 f., 180, 183, 185, 191, 207 f. Bibelstunde 227, 240, 325, 333 Bilder 215, 217 f., 239–244, 246 f., 250, 310, 313, 322, 325, 328, 357 Brautpreis 90, 229, 289 Buße 198, 280–289
422
Sachregister
C Chagga 15 f., 25, 27–29, 32, 34, 36, 81–85, 89, 91, 93, 96–105, 108–114, 116 f., 119, 121–128, 150, 156 f., 165, 172, 189, 191 f., 194, 196, 199, 201, 205, 208, 217–221, 229 f., 242 f., 246–249, 259 f., 264, 272, 274, 276, 283, 286, 290, 293, 299 f., 302, 312, 316, 324, 326, 328, 330, 333 f., 336–340, 342–344, 346, 348, 351–360 Choralmusik 225, 243, 245–246, 248–249, 299 Christliche Welt, die (Zeitschrift) 133–134, 268 Church Missionary Society 15, 79, 85–87, 123 D Dänisch-Hallesche Mission 14, 47, 52, 54, 115 Diakonissen 13, 16, 44 f., 53, 90, 127, 225–231, 259, 309, 314, 319, 352, 357 Dorfkirche (Zeitschrift) 31, 40, 293, 307, 310, 331, 336, 348–349 E Ehe 58, 119, 188, 219, 228–230, 259 f., 282, 284–286, 288 f., 290, 359 – Eheschließung 40, 90, 119, 124, 188, 219, 223, 229, 240, 242, 259, 284, 289, 292, 335 Ehefrauen der Missionare 16, 188, 227–228 Einzelbekehrung 132 f., 186 Eisenacher Regulativ 304–307 Ekklesiologie 64 f., 275 f., 282, 293, 335, 339, 349 Englisch 59, 187 f., 259 Erlanger Schule 32, 49, 62–66, 93, 145, 153, 183, 216, 269, 275, 335, 341, 356 Erlösung 132, 138 f., 179 f., 211–213, 218, 236, 341 „Erziehung zur Arbeit“ 140, 142–144, 150 f., 155, 225 Ethik, lutherische 32, 40, 67, 93, 145 f., 152 f., 155, 316, 356, Ethnographie/ethnographische Arbeiten der Missionare 27, 34, 61 f., 73, 81, 84, 94–97, 103, 110, 114, 117, 146, 205, 237, 248, 267, 322, 350, 354, 360 Evangelisch-lutherisches Missionsblatt 14, 27, 29–30, 50, 77, 150, 162 f., 171, 197, 206 f., 214, 223, 231, 237, 258, 269, 271, 301, 309 f., 318–321, 324 f., 327, 329, 331–332 Examen, theologisches 63, 87, 335
F Fetischismus 106–109, 112, 260 Frauenmission 51, 319, siehe auch Diakonissen G Gemeindeälteste, siehe Älteste Gemeindeordnung 13, 29, 33 f., 124, 253 f., 259, 275–285, 339, 348 f., 358 Generalversammlung der Leipziger Missionsgesellschaft 14, 48, 54, 79, 86, 115–116, 188, 120–122, 142 Glaubensbekenntnis, siehe Apostolikum Globus (Zeitschrift) 96, 100, 104 Glockengeläut 247, 304, 310, 312, 326, 328 Gottesvorstellung der Chagga 98, 101–107, 197, 299 H Hebräisch 59, 61, 194–197, 199 „Heidenpredigt“ 10, 13, 90, 210–214, 236, 238, 261 f., 282, 320 Heilsgeschichte 131, 183, 235–237, 250, 261, 356 f. Heirat, siehe Eheschließung Hermannsburger Missionsgesellschaft 53, 207, 272 Herrnhuter Brüdergemeine 41, 45, 54, 57, 70, 92, 143, 147 Hersbrucker Missionsgesellschaft 79, 85, 89, 201 Hochzeit, siehe Eheschließung Homiletik 250–252 I Initiation 114–117, 122 f., 126, 229, 256 f., 286, 338, siehe auch Beschneidung Innere Mission 15, 26, 31, 33, 37–43, 42–46, 50, 53, 55 f., 71 f., 112, 153, 183, 208, 227, 274, 295, 305, 311, 332, 357 – Centralausschuss für Innere Mission 38 f., 42, 153 – Landesverein für Innere Mission im Königreich Sachsen 41 Islam 32, 88, 93, 105, 114, 169–178, 195, 224, 267, 322, 356
Sachregister
J Jünglingsvereine 44, 53, 319 K Kambamission 79, 86, 89, 91, 97, 121, 150 Kastenstreit 53, 115 f., 118 Katechismus 40, 59, 74, 206, 222, 233–237, 262, 333 Katechumenat 33, 216, 257–264, 274, 278, 358 – Katechumenatsordnung 13, 256–259, 261, 264 Kichagga 83, 188 f., 192, 194, 199, 201, 336 Kinderarbeit 151, 155, 161, 165–168 Kindertaufe 256 Kirchengeschichte 19, 68–70, 73, 78, 141, 199, 222, 236, 255, 324 Kirchenzucht 13, 33 f., 36, 74, 125, 254, 275 f., 279–296 – Kirchenzuchtordnung 33, 277, 279, 282, 285 Kiswahili 83, 164, 187, 189, 190–192, 194 f., 198 f., 209 f., 222, 227, 259, 330 Kolonialbeamte 25, 32, 93 f., 97, 146, 149, 154, 161–164, 188, 352, 355 Kolonialinstitut, Hamburger 59 f. Kolonialkongress 32, 52, 93, 143, 148–150, 154, 156, 161, 164, 172 f., 176, 188, 192, 355 Kolonialmissionstage 147 f. Kolonialskandale 145, 161 Kolonialverein, Leipzig 148 Konfirmation 117, 127, 237, 252, 255, 262, 271, 277 Konversion 17, 130, 254, 256, 258, 271, 290 f., 329 f. Kostschule 90, 115, 117, 123, 205, 210, 218–221, 227, 229–231, 236, 258 f., 287, 320 – für Mädchen 90, 227, 229 f. Krise 15 f., 26, 31, 34, 37 f., 40–42, 46, 66, 78, 134, 252, 273, 334, 337, 350–352, 355, 360, 362 L Landeskirchen, evangelisch-lutherische 232, 265, 267, 277, 293, 294, 304 – Sächsische Landeskirche 31, 41, 43, 45–47, 50–52, 62 f., 66, 72, 183 – Hannoversche Landeskirche 72, 131, 265, 294
423
Lehrer 13, 16, 36, 42, 48, 51, 62, 72, 75, 90, 93, 95, 98, 102, 110, 125 f., 149, 167, 176, 192, 202, 204–205, 211, 220–225, 234, 249, 269, 292, 293, 308, 313, 317, 319, 323 f., 327, 330 f., 338 f., 352, 354 f., 359 – Lehrerinnen, siehe Diakonissen – Lehrerseminar in Marangu 92, 98, 192, 222–224, 308, 312 Leipziger Missionsgesellschaft 13–16, 27–31, 34, 36 f., 45–60, 63, 66 f., 72, 79, 85–90, 92, 95, 102, 105, 115 f., 118, 122–125, 129 f., 133, 142 f., 147–151, 157–159, 161, 163 f., 168–172, 191 f., 201, 207, 210, 213 f., 220, 224, 226–228, 231, 249, 253, 256, 258 f., 262, 264, 267, 269, 271 f., 278, 281–286, 300, 302, 317–319, 323 f., 334, 352, 357, 361 Liturgie 42, 247, 251, 256 f., 267, 272, 297, 312, 315 f. M Missionare 13–18, 21, 24–26, 28–34, 37, 40, 44, 47–56, 59–61, 66, 69, 72–74, 76–88, 90–98, 101, 103, 105 f., 108–130, 138–142, 146, 150, 155–160, 163–165, 168 f., 172, 174, 176, 179–182, 185–189, 191 f., 195, 197–206, 208– 217, 219 f., 222–237, 242 f., 245, 247–249, 251–267, 269–272, 274 f., 277–280, 282 f., 285 f., 288, 290, 292, 295, 298–303, 312, 314, 317–326, 328 f., 331–334, 337, 339, 346, 348, 352–362 Massai 83, 85, 88, 104 f., 125 f., 221 Meru 83, 88, 112, 119 Missionshandwerker 16, 90, 225, 278, 299, 301 f., 352 Mission, katholische 52, 66 f., 79, 86–88, 90, 108, 113 f., 129, 143, 151 f., 160, 168, 174, 178, 181, 230, 266, 301 Missionskonferenzen 16, 60, 71 f., 105, 115, 240, 255, 322, 353, 362 – der Missionare im Missionsgebiet 13 f., 29, 33, 105, 117, 122–124, 127, 168, 188, 190, 195–197, 202 f., 213, 221, 223, 256, 301, 315, 326 – Kontinentale 56 f., 71, 118, 121, 133, 141 f., 255 – Sächsische 51, 70, 72, 75, 92, 148, 171 – Weltmissionskonferenz in Edinburgh 45, 57, 60, 69, 71, 170, 253
424
Sachregister
Missionsbefehl 129, 131, 133, 139, 152, 158, 186, 270, 273, 348, 355 Missionsfeste 76, 146, 318 Missionsgeschichte 16, 18 f., 28, 30, 59, 62, 94, 141, 154, 241 Missionslabor 26 f., 34, 77 f., 252, 254, 296, 318, 360–362 Missionskollegium 14, 29–31, 37, 45, 48, 50–51, 66, 86, 121, 123, 148, 157 f., 188, 214, 249, 262, 278, 281 f., 286, 301 f., 317, 350 Missionsrat 91, 97, 156 f., 168 Missionsseminar 36, 48, 54–63, 87, 91, 117 f., 150, 156, 187, 195, 223, 269, 331, 335 Missionsstationstagebuch 32 f., 188, 214, 217–219 Missionsstatistik 15, 162, 255, 320 Missionsstunden 76, 124, 146 Missionsvereine 14, 36, 45, 47–49, 51 f., 55 f., 65, 72, 75, 79, 115, 120, 142, 251, 270, 320 Missionswissenschaft 16, 19–21, 25 f., 30 f., 37, 55–60, 62, 66–69, 71–75, 77 f., 134, 140, 145, 172, 179 f., 184, 211–213, 226, 234, 251, 255, 264, 273–276, 282, 310, 321, 334, 336, 338, 350, 353–356, 360–362 Musik 47, 21, 74, 224, 227, 239, 241, 243–250, 299, 316 N Nationalspende 147, 149, 302 Neues Testament 70 f., 120, 131, 139, 185 f., 191, 195, 209, 212, 215, 233, 235, 237, 239, 290, 323, 330 P Pare 82 f. Pilger von Sachsen 31, 42, 45 Polygamie 114, 116, 176, 216, 219, 260, 281, 329, 347 Praktische Theologie 31, 40, 62, 67 f., 70, 72, 74 f., 251, 256, 269, 276, 291, 294 R Religionsgeschichte 19, 60, 66, 74, 95, 105, 137, 352 f. – Religionsgeschichtliche Schule 31, 66 f., 133–137, 139, 185, 352
Rheinische Missionsgesellschaft 60, 141, 150, 202 Ritualdesign 33, 257, 264 Ruwa, siehe Gottesvorstellung der Chagga S Sakralität 254, 305 f., 310–318, 359 Schule 143, 151 f., 158, 162–165, 168, 182, 190, 205 f., 215, 219–222, 228, 242, 302, 308 f., 312, 330 f., 359 – Schulbesuch 161–165, 167 – Schulbibel, siehe Bibel – Schulunterricht 36, 90, 100, 159, 163, 165, 180, 209–211, 220, 222, 226, 230 f., 234, 236, 242, 245, 298 f., 301, 325, 330, 356 f. Seelsorge 35, 48, 58 f., 123, 277, 279, 281 f., 339, 358 Seminar für Orientalische Sprachen 57, 59 f., 187, 202, 227 Sexualität 115, 116, 119, 122, 127 f., 248, 285 f., 358 Siedler 15, 25, 81, 130, 155–158, 161, 165–168, 284, 339 Spenden für die Mission 30, 48, 51, 77, 119, 142, 147, 149, 173, 270, 302, 310, 325, 328, 333 Sprachexamen 76, 188 Synkretismus 136–138, 291 T Taufe 29, 33–36, 49, 89 f., 98, 117, 120, 124, 129 f., 132, 194, 198, 200, 215, 217 f., 223 f., 229, 240, 252, 254–274, 277, 289 f., 292, 320, 324, 227 f., 330 f., 333, 345, 349, 357, 360 – Taufefehl, siehe Missionsbefehl – Taufordnung 256–259, 277, 279, 358, siehe auch Katechumenat Totemismus 105, 110 U Übersetzung, siehe Bibel Universität 31, 43 f., 48–50, 54, 55 f., 59–63, 65, 68 f., 71, 74, 80, 105, 134, 232 – Universität Leipzig 31, 49, 56, 60–62, 80, 105 f. – Theologische Fakultät der Universität Leipzig 31, 43 f., 48, 50, 61 f., 153, 232
Sachregister
Uroffenbarung 104, 107, 135 f. Urtext 196 f., 206, 233 V Verein für ärztliche Mission 51, 90, 259, 352 Verlag der Leipziger Missionsgesellschaft 56, 207, 310, 318, 321 Visitation 36, 221, 230, 247, 282, 285, 295, 298, 300, 315 Volkspsychologie 81, 105, 336, 343 Volkskirche 69, 125, 133, 152 f., 220, 272, 274, 278, 332, 348 f., 359, 361
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W Weltmissionskonferenz 45, 57, 69, 71, 253 Weltkrieg, Erster 14, 16, 51, 62, 88 f., 91, 98, 111, 125, 146, 149, 170, 172, 223, 225, 227, 244, 249, 268, 283, 292, 313, 337, 346–348, 357 Weltkrieg, Zweiter 62, 201 Z Zeitenwende 336, 349 Zivilisierungsmission 16 f., 129, 140, 361
m i s s i o n s g e s c h i c h t l i c h e s a rc h i v Studien der Berliner Gesellschaft für Missionsgeschichte
Herausgegeben im Auftrag des Vorstandes von Andreas Feldtkeller, Irving Hexham, Ulrich van der Heyden, Klaus Hock und Gunther Pakendorf.
Franz Steiner Verlag
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ISSN 1430–1016
Ulrich van der Heyden / Heike Liebau (Hg.) Missionsgeschichte, Kirchengeschichte, Weltgeschichte Christliche Missionen im Kontext nationaler Entwicklungen in Afrika, Asien und Ozeanien 1996. 472 S., geb. ISBN 978-3-515-06732-4 Tilman Dedering Hate the Old and Follow the New Khoekhoe and Missionaries in Early Nineteenth-Century Namibia 1997. 205 S., geb. ISBN 978-3-515-06872-7 Jürgen Becher Dar es Salaam, Tanga und Tabora Stadtentwicklung in Tansania unter deutscher Kolonialherrschaft (1888–1914) 1997. 194 S. mit 13 Ktn. und 11 Abb., geb. ISBN 978-3-515-06735-5 Elfriede Höckner Die Lobedu Südafrikas Mythos und Realität der Regenkönigin Modjadji 1998. 260 S. mit 17 Abb. und 12 Taf., kt. ISBN 978-3-515-06794-2 Nils Ole Oermann Mission, Church and State Relations in South West Africa under German rule (1884–1915) 1999. 267 S., geb. ISBN 978-3-515-07578-7 Ulrich van der Heyden / Jürgen Becher (Hg.) Mission und Gewalt Der Umgang christlicher Missionen mit Gewalt und die Ausbreitung des Christentums in Afrika und Asien in der Zeit von 1792 bis 1918/19 2000. 557 S., geb. ISBN 978-3-515-07624-1 Tanja Hemme Streifzüge durch eine fremde Welt Untersuchung ausgewählter schriftlicher Zeugnisse deutscher Reisender im südlichen Afrika unter besonderer Berücksich-
tigung der kulturellen Fremderfahrung 2000. 250 S., kt. ISBN 978-3-515-07563-3 8. Chun-Shik Kim Deutscher Kulturimperialismus in China Deutsches Kolonialschulwesen in Kiautschou (China) 1898–1914 2004. 272 S. mit 23 Abb., geb. ISBN 978-3-515-08570-0 9. Andrea Schultze „In Gottes Namen Hütten bauen“ Kirchlicher Landbesitz in Südafrika: die Berliner Mission und die EvangelischLutherische Kirche Südafrikas zwischen 1834 und 2005 2005. 619 S. mit 17 Abb., geb. ISBN 978-3-515-08276-1 10. Ulrich van der Heyden / Holger Stoecker (Hg.) Mission und Macht im Wandel politischer Orientierungen Europäische Missionsgesellschaften in politischen Spannungsfeldern in Afrika und Asien zwischen 1800 und 1945 2005. 700 S., geb. ISBN 978-3-515-08423-9 11. Vera Boetzinger „Den Chinesen ein Chinese werden“ Die deutsche protestantische Frauenmission in China 1842–1952 2004. 305 S. mit 15 Abb. und 1 Kte., kt. ISBN 978-3-515-08611-0 12. Ulrich van der Heyden / Andreas Feldtkeller (Hg.) Border Crossings Explorations of an Interdisciplinary Historian. Festschrift für Irving Hexham 2008. 496 S. mit farb. Frontisp., geb. ISBN 978-3-515-09145-9 13. Lize Kriel The ‘Malaboch’ books Kgaluši in the “civilization of the written word” 2009. 377 S. mit 15 Abb., 3 Tab. und 1 Kte., kt. ISBN 978-3-515-09243-2
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Kokou Azamede Transkulturationen? Ewe-Christen zwischen Deutschland und Westafrika, 1884–1939 2010. 278 S. mit 49 Abb., kt. ISBN 978-3-515-09669-0 Uwe Kaminsky Innere Mission im Ausland Der Aufbau religiöser und sozialer Infrastruktur am Beispiel der Kaiserswerther Diakonie (1851–1975) 2010. 280 S. mit 26 Abb. und 2 Tab., kt. ISBN 978-3-515-09687-4 Norbert Friedrich, Uwe Kaminsky, Roland Löffler (Hg.) The Social Dimension of Christian Missions in the Middle East Historical Studies of the 19th and 20th Centuries 2010. 252 S., kt. ISBN 978-3-515-09656-0 Helge Wendt Die missionarische Gesellschaft Mikrostrukturen einer kolonialen Globalisierung 2011. VII. 321 S., kt. ISBN 978-3-515-09864-9 Paul Widmer (Hg.) Europe in China – China in Europe Mission as a vehicle to intercultural dialogue 2012. 147 S mit 20 Abb., kt. ISBN 978-3-515-10140-0 Ulrich van der Heyden / Andreas Feldtkeller (Hg.) Missionsgeschichte als Geschichte der Globalisierung von Wissen Transkulturelle Wissensaneignung und -vermittlung durch christliche Missionare in Afrika und Asien im 17., 18. und 19. Jahrhundert 2012. 456 S., kt. ISBN 978-3-515-10196-7 Felicity Jensz / Hanna Acke (Hg.) Missions and Media The Politics of Missionary Periodicals in the Long Nineteenth Century 2013. 263 S. mit 2 Abb., kt. ISBN 978-3-515-10304-6 Kurt Widmer Unter Zions Panier Mormonism and its Interaction with Germany and its People 1840–1990 2013. 404 S., kt. ISBN 978-3-515-10419-7
22. Claudia von Collani / Erich Zettl (Hg.) Johannes Schreck-Terrentius SJ Wissenschaftler und China-Missionar (1576–1630) 2016. 446 S. mit 55 Abb., kt. ISBN 978-3-515-11254-3 23. Michael Kißkalt Das Tagebuch des Richard Edube Mbene und sein missionshistorischer Kontext 2015. 289 S. mit 17 Abb., kt. ISBN 978-3-515-11079-2 24. Friedemann Walldorf Migration und interreligiöses Zeugnis in Deutschland Die missionarische Begegnung zwischen Christen und Muslimen in den 1950er bis 1970er Jahren als transkultureller Prozess 2016. 532 S., kt. ISBN 978-3-515-11293-2 25. Jan Hüsgen Mission und Sklaverei Die Herrnhuter Brüdergemeine und die Sklavenemanzipation in Britischund Dänisch-Westindien 2016. 238 S. mit 6 Abb. und 10 Tab., kt. ISBN 978-3-515-11272-7 26. Uta Zeuge-Buberl Die Mission des American Board in Syrien im 19. Jahrhundert Implikationen eines transkulturellen Dialogs 2016. 311 S. mit 11 Abb., kt. ISBN 978-3-515-11378-6 27. Bernhard Ortmann Die Hildesheimer Blindenmission in Hongkong Blinde und sehbehinderte Kinder in Werk und Wahrnehmung einer Frauenmission, ca. 1890–1997 2017. 270 S., kt. ISBN 978-3-515-11765-4 28. Andreas Feldtkeller / Uta Zeuge-Buberl Networks of Knowledge Epistemic Entanglement initiated by American Protestant Missionary Presence in Nineteenth-Century Syria 2018. 208 S. mit 15 Abb., kt. ISBN 978-3-515-11968-9 29. Michael Eckardt (Hg.) Mission Afrika: Geschichtsschreibung über Grenzen hinweg Festschrift für Ulrich van der Heyden 2019. 626 S. mit 19 Abb. und 9 Tab, geb. ISBN 978-3-515-12315-0
30. Ulrich van der Heyden / Helge Wendt (Hg.) Mission und dekoloniale Perspektive
Der Erste Weltkrieg als Auslöser eines globalen Prozesses 2020. 324 S. mit 6 Tab., kt. ISBN 978-3-515-12070-8
Protestantische Missionen erlebten am Ende des 19. Jahrhunderts einen wahren Boom. Ab 1893 unterhielt die lutherische Leipziger Mission ein Missionsgebiet am Kilimandscharo. Karolin Wetjen nimmt diese Missionierung der Chagga in der damaligen Kolonie DeutschOstafrika als Ausgangspunkt einer Untersuchung von Aushandlungsprozessen des Religiösen. Sie zeigt in einer Verflechtungsgeschichte, die sowohl theologische Debatten im Kaiserreich als auch die Vorgänge im Missionsgebiet berücksichtigt, wie Missionare, lokale Christinnen und Christen, Theologen, Religionswissenschaftler und Ethnographen um Definitionen und Grenz-
ziehungen des Religiösen, des Säkularen und sogenannten Heidnischen rangen und wie in der Mission auch Kernaspekte des Christentums immer wieder verhandelt werden mussten. Die im Missionsgebiet gesammelten Erfahrungen wurden schließlich als Ergebnisse aus dem Missionslaboratorium im deutschen Kaiserreich als Lösungsansätze zur Überwindung der „Krise“, in der sich die protestantischen Kirchen um 1900 sahen, propagiert. In einer Verbindung von Kolonial-, Wissens- und Religionsgeschichte geht Wetjen so der Bedeutung von Mission für Religion und Christentum in der Moderne nach.
ISBN 978-3-515-12863-6
www.steiner-verlag.de
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